Horizonte der Aufmerksamkeit. Entwurf einer dynamischen Konzeption der Aufmerksamkeit aus phänomenologischer und kognitionspsychologischer Sicht 377055566X, 9783770555666

Jeder scheint zu wissen, was Aufmerksamkeit ist: Sie ermöglicht uns die Konzentration auf Wichtiges und damit zugleich d

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Horizonte der Aufmerksamkeit: Entwurf einer dynamischen Konzeption der Aufmerksamkeit aus phänomenologischer und kognitionspsychologischer Sicht
INHALT
VORWORT
EINLEITUNG
I. AUFMERKSAMKEIT IN DER PHÄNOMENOLOGIE
1. EINE STATISCHE THEORIE DER AUFMERKSAMKEIT
1.1 Intentionalität als Grundlage der Aufmerksamkeit (Edmund Husserl)
1.2 Aufmerksamkeit als Modifi kation der Wahrnehmung (Edmund Husserl)
1.3 Aaron Gurwitsch: Die gestaltende Aufmerksamkeit
1.3.1 Das Thema: Wahrnehmungsnoema oder Gestalt?
1.3.2 Aufmerksamkeit und die Modifi kationen
des Themas
1.3.3 Die Problematik einer subjektlosen Konzeption der Aufmerksamkeit
2. EINE GENETISCHE THEORIE DER AUFMERKSAMKEIT
2.1 Konstitution als Grundlage der Aufmerksamkeit (Edmund Husserl)
2.2 Maurice Merleau-Ponty: Die leibliche Aufmerksamkeit
2.2.1 Leib, Welt und Wahrnehmung
2.2.2 Schöpferische und habituelle Aufmerksamkeit
2.3 Bernhard Waldenfels: Die responsive Aufmerksamkeit
2.4 Eine genetische Theorie der Aufmerksamkeit im Ausgang von Edmund Husserl
2.4.1 Aufmerksamkeit als Meinung und Interesse
2.4.2 Die genetischen Stufen des Interesses
2.4.3 Die passiven Horizonte des Interesses
2.4.4 Das Zusammenspiel von Affektion, Interesse und Intentionalität
2.5 Aufmerksamkeit als qualitative Dimension der Erfahrung
II. AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE
1. WAHRNEHMUNG UND INFORMATIONSVERARBEITUNG
2. KOGNITIONSPSYCHOLOGISCHE AUFMERKSAMKEITSFORSCHUNG – EIN ÜBERBLICK
2.1 Aufmerksamkeit als Thema der vorkognitiven und kognitiven Psychologie
2.2 Die kognitive Aufmerksamkeitsforschung nach 1950
3. DIE BEGRENZTE AUFMERKSAMKEIT: SELEKTION UND VERTEILUNG
3.1 Die Filtertheorie
3.2 Der Durchbruch des Unbemerkten: Frühe oder späte Selektion?
3.3 Aufmerksamkeit als begrenzte Ressource und ihre Verteilung
3.4 Selektion als Handlungsorientierung
4. GEGENSTANDSBEREICHE DER AUFMERKSAMKEIT
4.1 Ausrichtung und Steuerung der Aufmerksamkeit
4.1.1 Die räumliche Ausrichtung der Aufmerksamkeit
4.1.2 Endogene und exogene Steuerung der Aufmerksamkeit
4.1.3 Aktive oder passive Aufmerksamkeit: bottom-up oder top-down?
4.2 Statische und dynamische Metaphern der Aufmerksamkeit
4.3 Worauf richtet sich die Aufmerksamkeit: Orte oder Objekte?
4.4 Die Merkmalsintegrationstheorie (feature-integration-theory)
4.4.1 Gibt es primäre sensuelle Kategorien (features)?
4.4.2 Kritik und Erweiterung der Merkmalsintegrationstheorie
4.4.3 Features in Raum und Zeit
4.4 Der Bezugsrahmen der situativen Aufmerksamkeit: Events
III. VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT
1. DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT
1.1 Funktionen der Attentionalität: Integration und Selektion
1.2 Grundlagen der Attentionalität I: Emotion und Affektion
1.3 Grundlagen der Attentionalität II: Leiblichkeit und Bewegung
1.4 Grundlagen der Attentionalität III: Motivation und Repräsentation
1.5 Das genetische Stufenmodell der Attentionalität
2. DIE HORIZONTALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT
2.1 Ein graduelles Modell des Bewusstseins
2.2 Dimensionen des kognitiven ‚Unbewussten‘
2.3 Kann es Bewusstsein ohne Aufmerksamkeit geben?
2.4 Kann es Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein geben?
2.5 Noematische und noetische Horizonte der Aufmerksamkeit
2.5.1 Noematische Horizonte
2.5.2 Noetische Horizonte
3. FAZIT
SCHEMA: HORIZONTALE UND VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT
METHODISCHER AUSBLICK
ETHISCHES NACHWORT
LITERATURVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER
SACHREGISTER
Phänomenologische Untersuchungen
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Horizonte der Aufmerksamkeit. Entwurf einer dynamischen Konzeption der Aufmerksamkeit aus phänomenologischer und kognitionspsychologischer Sicht
 377055566X, 9783770555666

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Wehrle · Horizonte der Aufmerksamkeit

Phänomenologische Untersuchungen Herausgegeben von BERNHARD WALDENFELS Band 30

Maren Wehrle

Horizonte der Aufmerksamkeit Entwurf einer dynamischen Konzeption der Aufmerksamkeit aus phänomenologischer und kognitionspsychologischer Sicht

Wilhelm Fink

Umschlagabbildung: Daniel Poli: „Black Forest Home“ (2012)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Dies betrifft auch die Vervielfältigung und Übertragung einzelner Textabschnitte, Zeichnungen oder Bilder durch alle Verfahren wie Speicherung und Übertragung auf Papier, Transparente, Filme, Bänder, Platten und andere Medien, soweit es nicht §§ 53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. © 2013 Wilhelm Fink Verlag, München (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jühenplatz 1, D-33098 Paderborn) Internet: www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Printed in Germany Herstellung: Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, Paderborn ISBN 978-3-7705-5566-6

Mein Auge, wie stark oder schwach es nun ist, sieht nur ein Stück weit, und in diesem Stück webe und lebe ich, diese HorizontLinie ist mein nächstes grosses und kleines Verhängnis, dem ich nicht entlaufen kann. Um jedes Wesen legt sich derart ein concentrischer Kreis, der einen Mittelpunkt hat und der ihm eigentümlich ist. F. Nietzsche, Morgenröte

Für Traute und Rolf Wehrle

INHALT

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EINLEITUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I.

AUFMERKSAMKEIT IN DER PHÄNOMENOLOGIE . . .

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1. EINE STATISCHE THEORIE DER AUFMERKSAMKEIT . . . . . . . . . . . 1.1 Intentionalität als Grundlage der Aufmerksamkeit (Edmund Husserl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Aufmerksamkeit als Modifikation der Wahrnehmung (Edmund Husserl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Aaron Gurwitsch: Die gestaltende Aufmerksamkeit . . . . . 1.3.1 Das Thema: Wahrnehmungsnoema oder Gestalt? . 1.3.2 Aufmerksamkeit und die Modifikationen des Themas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Die Problematik einer subjektlosen Konzeption der Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. EINE GENETISCHE THEORIE DER AUFMERKSAMKEIT . . . . . . . . . 2.1 Konstitution als Grundlage der Aufmerksamkeit (Edmund Husserl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Maurice Merleau-Ponty: Die leibliche Aufmerksamkeit . . 2.2.1 Leib, Welt und Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Schöpferische und habituelle Aufmerksamkeit . . . . 2.3 Bernhard Waldenfels: Die responsive Aufmerksamkeit . . . 2.4 Eine genetische Theorie der Aufmerksamkeit im Ausgang von Edmund Husserl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Aufmerksamkeit als Meinung und Interesse . . . . . . 2.4.2 Die genetischen Stufen des Interesses . . . . . . . . . . . 2.4.3 Die passiven Horizonte des Interesses . . . . . . . . . . 2.4.4 Das Zusammenspiel von Affektion, Interesse und Intentionalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Aufmerksamkeit als qualitative Dimension der Erfahrung

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INHALT

II. AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. WAHRNEHMUNG UND INFORMATIONSVERARBEITUNG . . . . . . . . 124 2. KOGNITIONSPSYCHOLOGISCHE AUFMERKSAMKEITSFORSCHUNG – EIN ÜBERBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2.1 Aufmerksamkeit als Thema der vorkognitiven und kognitiven Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2.2 Die kognitive Aufmerksamkeitsforschung nach 1950 . . . . 137 3. DIE BEGRENZTE AUFMERKSAMKEIT: SELEKTION UND VERTEILUNG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Filtertheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Der Durchbruch des Unbemerkten: Frühe oder späte Selektion? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Aufmerksamkeit als begrenzte Ressource und ihre Verteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Selektion als Handlungsorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. GEGENSTANDSBEREICHE DER AUFMERKSAMKEIT . . . . . . . . . . . . 4.1 Ausrichtung und Steuerung der Aufmerksamkeit . . . . . . . 4.1.1 Die räumliche Ausrichtung der Aufmerksamkeit . . 4.1.2 Endogene und exogene Steuerung der Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Aktive oder passive Aufmerksamkeit: bottom-up oder top-down? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Statische und dynamische Metaphern der Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Worauf richtet sich die Aufmerksamkeit: Orte oder Objekte?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Die Merkmalsintegrationstheorie (feature-integration-theory) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Gibt es primäre sensuelle Kategorien (features)? . . . 4.4.2 Kritik und Erweiterung der Merkmalsintegrationstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Features in Raum und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Der Bezugsrahmen der situativen Aufmerksamkeit: Events . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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INHALT

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III. VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT. . . . . . . . 1.1 Funktionen der Attentionalität: Integration und Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Grundlagen der Attentionalität I: Emotion und Affektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Grundlagen der Attentionalität II: Leiblichkeit und Bewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Grundlagen der Attentionalität III: Motivation und Repräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Das genetische Stufenmodell der Attentionalität . . . . . . . 2. DIE HORIZONTALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT . . . . . 2.1 Ein graduelles Modell des Bewusstseins . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Dimensionen des kognitiven ‚Unbewussten‘. . . . . . . . . . . 2.3 Kann es Bewusstsein ohne Aufmerksamkeit geben? . . . . . 2.4 Kann es Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein geben? . . . . . 2.5 Noematische und noetische Horizonte der Aufmerksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.1 Noematische Horizonte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5.2 Noetische Horizonte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. FAZIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340

SCHEMA: HORIZONTALE UND VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 METHODISCHER AUSBLICK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 ETHISCHES NACHWORT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 LITERATURVERZEICHNIS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 PERSONENREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 SACHREGISTER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380

VORWORT

Die vorliegende Arbeit ist eine überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die unter dem Titel „Horizont der Aufmerksamkeit. Eine dynamische Konzeption der Aufmerksamkeit aus phänomenologischer und kognitionswissenschaftlicher Sicht“ im Sommersemester 2011 von der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg angenommen wurde. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Prof. Dr. Hans-Helmuth Gander für seine Betreuung, seine fachliche Unterstützung sowie sein beständiges Vertrauen in meine wissenschaftlichen Vorhaben. Ohne dies und die Kenntnisse, welche ich in langjähriger Mitarbeit am HusserlArchiv in Freiburg erwerben durfte, wäre dieses Buch nie geschrieben worden. Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen einer Arbeitsgruppe zum Thema „Aufmerksamkeit in Phänomenologie und Kognitionswissenschaft“. In diesem Zusammenhang möchte ich meinem Mitbetreuer Prof. Dr. Gerhard Strube für die kritischen Anmerkungen, seine Diskussionsfreudigkeit und die Geduld danken, mit der er mir die Sicht der Kognitionswissenschaft näher gebracht hat. Einen besonderen Dank möchte ich diesbezüglich meinem Kollegen und Freund Dr. Thiemo Breyer für die gute Zusammenarbeit und die vielen inspirierenden Diskussionen zum Thema Aufmerksamkeit und Interdisziplinarität aussprechen. Ein ebensolcher Dank gilt meinen Freiburger KollegInnen und FreundInnen, die mich nicht nur mit ihrem fachlichen, sondern vor allem mit ihrem freundschaftlichen Engagement begleitet haben, namentlich Daniel Creutz, Miriam Fischer, Andreas Friedrich, Lena Eckert, Regula Giuliani, Philippe Merz, Virginie Palette, Alice Serra, Johanna Sprondel, Andrea Staiti, Frank-Christian Steffen und Lis Wey. Nicht unerwähnt bleiben sollte Marco Siegl, durch dessen Hilfe mir viele Tücken einer Word-basierten Textverarbeitung erspart blieben. Finanziell unterstützt wurde die Arbeit durch ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. Stellvertretend danke ich hier meiner Betreuerin Frau Marianne Braun. Durch ein in diesem Rahmen gefördertes Auslandsstipendium war es mir möglich, einen Forschungsaufenthalt am Center for Subjectivity Research der Universität Kopenhagen zu realisieren. Meinem Gastgeber Prof. Dr. Dan Zahavi und allen Mitarbeitern des Zentrums danke ich für den herzlichen Empfang, Anregungen, Kritik und Dis-

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VORWORT

kussionen, welche zum Fortschritt dieser Arbeit maßgeblich beigetragen haben. Herrn Prof. Dr. Waldenfels danke ich für die Aufnahme des Buches in die Reihe „Phänomenologische Untersuchungen“ sowie dem Verlag Wilhelm Fink, der für eine reibungslose Drucklegung sorgte. Für seine unablässige Unterstützung, sein liebendes Verständnis und die Fähigkeit, mich mit seiner Ironie immer wieder sanft auf den Boden der Tatsachen zu holen, danke ich von ganzem Herzen Stephan W. Es war ein großes Glück, dass du mich während dieser Zeit begleitet hast. Zuletzt sei ein eigentlich unaussprechlicher Dank meinen Eltern Rolf und Traute Wehrle ausgesprochen, deren Unterstützung und unerschöpfliches Vertrauen immer selbstverständlich waren, aber nie sein sollen. Ihnen ist dieses Buch zugeeignet.

EINLEITUNG

1. Ziel und Gegenstand der Untersuchung Im Grunde genommen scheint jeder genau zu wissen, was Aufmerksamkeit ist.1 Es ist ein Phänomen, das uns alltäglich in der eigenen Erfahrung begegnet und dort als subjektive Leistung in Gestalt einer willentlich vollzogenen Konzentration auftritt. In der Psychologie wie in der Philosophie gilt Aufmerksamkeit denn auch zumeist als Ausdruck des selektiven Charakters der Wahrnehmung und des Vorstellens, der es erlaubt, sich mit gewissen Dingen ganz besonders zu beschäftigen, während andere mögliche Bewusstseinsinhalte zu diesem Zweck ausgeblendet werden können. Die vielzitierte und eingängige Definition des Psychologen William James scheint bis heute nicht an Bedeutung verloren zu haben: „Every one knows what attention is. It is the taking possession of the mind, in clear and vivid form, of one out of what seems several simultaneously possible objects or trains of thought. […] It implies withdrawal from some things in order to deal effectively with others […].”2 Das Versagen solcher subjektiver Konzentrationsleistungen oder selektiver Aufmerksamkeitsstrategien scheint eine effektive Arbeits- oder Denkleistung zu verhindern und wird in seiner pathologischen Form heutzutage als Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom3 definiert. Durch die gesteigerte perzeptuelle Reizsituation im Zusammenhang mit den industriellen Entwicklungen der Moderne und der damit einhergehenden Technisierung der Arbeitsumgebungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem zweiten Weltkrieg, wurde Aufmerksamkeit zunehmend zu einem Problem, das die Wissenschaft zu lösen hatte. In der frühen Kognitionspsychologie soll die Beschäftigung mit dem Thema Aufmerksamkeit insofern vor allem zu 1 Der folgende Abschnitt liegt bereits in leicht veränderter Form vor in: M. Wehrle: Intentionalität, Interesse, Affektion. Das Phänomen der Aufmerksamkeit als Umschlagstelle zwischen Aktivität und Passivität. In: P. Merz/A. Staiti/S. Frank (Hg.): Geist – Person – Gemeinschaft. Freiburger Beiträge zur Aktualität Husserls. Würzburg 2010, 77-109, hier: 77-78. 2 W. James: The principles of psychology, vol. 1, New York 1923, 403f. 3 Vgl. M. Hautzinger/Ch. Schababerle: Art. ‚Aufmerksamkeitsdefizit— /Hyperaktivitätsstörung (ADHS)‘. In: O. Häcker/K.-H. Stapf (Hg.): Dorsch Psychologisches Wörterbuch. Bern 152009, 88.

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einer Antwort auf den berühmten informational overload führen: Da aufgrund einer angenommenen Beschränkung des menschlichen Verarbeitungssystems nur einige wenige Informationen vollständig analysiert werden können, entscheidet ein Filtermechanismus, welche Informationen Zugang zu einer tieferen Verarbeitung bekommen und damit Eingang ins Bewusstsein und Gedächtnis finden.4 Neben der Gleichsetzung von Aufmerksamkeit mit (explizitem) Bewusstsein und aktiver willentlicher Leistung hat dieses Phänomen jedoch zugleich eine ausgeprägte passive Seite. Dies meint nicht nur die subpersonalen Mechanismen, mit denen sich die Kognitionswissenschaft beschäftigt oder die physiologischen Grundlagen, die von der Neurowissenschaft untersucht werden. Während diese Ebenen der materiellen Implementierung und der Informationsverarbeitung den personalen Erfahrungsphänomenen vorangehen oder diesen wenigstens korrelieren sollten, kann man die passive Seite phänomenologisch wie kognitionspsychologisch auch anders bestimmen: Etwa als eine nicht selektiv gelenkte, sondern eine durch plötzliche Affektion unwillkürlich geweckte Aufmerksamkeit.5 Um beide Seiten, die explizite Lenkung sowie die passiv-willkürliche Gelenktheit, die dem Phänomen der Aufmerksamkeit von jeher zugeschrieben werden, gleichermaßen in den Blick zu bekommen, bedarf es der Unterscheidung in verschiedene „Horizonte“6 der Aufmerksamkeit. 4 Vgl. D. Broadbent: Perception and communication. London 1958; O. Neumann: Theorien der Aufmerksamkeit. In: O. Neumann/A.F. Sanders (Hg.): Aufmerksamkeit. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle 1996, 559-644; F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit. In: K. Schweizer (Hg.): Leistung und Leistungsdiagnostik. Heidelberg 2006, 16-33. 5 Vgl. B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. Frankfurt a. Main 2004. 6 Ausgehend von Husserl bezeichnet Horizont zunächst das, was über das aktuell Präsente hinausgeht. Mit dieser Sphäre der Inaktualität wesentlich verbunden stellt sich für ihn die Potentialität der Erfahrung dar, die er in der Struktur der Intentionalität des Bewusstseins verankert sieht. Neben der explizit intentionalen Bedeutung, die immer schon mehr als das Gegebene „vermeint“, soll im Rahmen dieser Arbeit eine Erweiterung von Husserls Horizontkonzept vorgenommen werden: Insbesondere leiblich-kinästhetische, habituelle, zeitliche und assoziative sowie lebensweltliche Horizonte sollen zu Wort kommen, wie sie sich bereits in Husserls späteren Schriften anzeigen. Vgl. E. Husserl: Analysen zur passiven Synthesis. Aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten 1918-1926. In: Husserliana Bd. XI. Hg. von M. Fleischer.: Husserliana. Den Haag 1966, 3-25; ders.: Cartesianische Meditationen und Pariser Vorträge. In: Husserliana Bd. I. Hg. von S. Strasser. Den Haag 1950, 81f; ders: Erfahrung und Urteil. Untersuchungen zur Genealogie der Logik. Hg. von L. Langrebe. Hamburg 1954, 26-38, 171f.; ders.: Die Lebenswelt. Auslegungen der vorgegebenen Welt und ihrer Konstitution. Texte aus dem

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Diese müssen damit sowohl den räumlichen Kontext des jeweiligen Aufmerksamkeitsfokus als auch den Horizont des Aufmerksamkeit übenden Subjekts umfassen. Für einen unwillkürlichen Aufmerksamkeitswechsel ist dabei nicht nur der räumlich-gegenständliche Kontext von Bedeutung, wie dies einige Phänomenologen zu Recht gegenüber der Kognitionswissenschaft betonen, sondern insbesondere die bislang vernachlässigte Ebene der subjektiven Motivation. Hiermit ist eine selektive Dimension der Aufmerksamkeit benannt, die jedoch zugleich passiv sein kann. Neben den explizit bewussten, personalen Wahrnehmungsvorlieben und -zielen, die die aktuelle Aufmerksamkeit lenken, fungiert der subjektive Horizont in der Wahrnehmung nämlich zumeist rein automatisch, in Form eines vorpersonalen und spezifisch leiblichen Aufmerksamkeitsstils: Dieser setzt sich aus vormaligen Empfindungen, lebensweltlichen Erfahrungen, Habitualitäten und Gewohnheiten zusammen, die nach Thomas Fuchs ein leibliches Gedächtnis bilden.7 Die Horizonte der Aufmerksamkeit sind dabei nicht in derselben Weise bewusst, wie der jeweilige Gegenstand der Aufmerksamkeit, sei es ein visueller Fokus oder ein „Thema“ im Sinne Aron Gurwitschs. Trotzdem werden sie in gewisser Weise empfunden und durch den Leib operativ wirksam. Sie können daher nicht etwa als rein automatisch oder vollständig ‚unbewusst‘ abgetan werden, wie dies einige Vertreter der Kognitions- und Neuropsychologie tun, sondern müssen als konstitutiv für das einzelne Subjekt bzw. die Subjektivität allgemein anerkannt werden. Wie man bereits anhand dieser kurzen Einführung bemerkt, scheint es bei näherem Hinsehen nicht ganz so eindeutig, was Aufmerksamkeit ist.

Nachlass (1916-1937). In: Husserliana Bd. XXXIX. Hg. von R. Sowa. Dordrecht 2008, insb. Nr. 37, 357-378. Der Begriff ‚Welt‘ erscheint in den Texten des zuletzt genannten Bandes einerseits als Universalhorizont, in seiner Ausgestaltung als Lebenwswelt zeigt er sich andererseits als ein Ineinander verschiedener Horizonte. Dabei ist vermehrt die Rede von „praktischen Horizonten“. Zum Konzept des Horizonts bei Husserl, vgl. H. Kuhn: The phenomenological concept of horizon. In: M. Farber (Hg.): Philosophical essays in memory of Edmund Husserl. New York 1968; R. J. Walton: On the manifold senses of horizonedness. The theories of E. Husserl and A. Gurwitsch. In: Husserl Studies 19/2003, 1-24; D. Welton: The other Husserl: The horizons of transcendental phenomenology. Bloomington/Indianapolis 2001; ders.: World as horizon. In: ders.: (Hg.): The new Husserl. A critical reader. Bloomington/Indianapolis 2003, 223-232. 7 Vgl. T. Fuchs: Das Gedächtnis des Leibes. In: Phänomenologische Forschungen 5/2000, 71-89; ders.: Leibgedächtnis und Unbewusstes. Zur Phänomenologie der Selbstverborgenheit des Subjekts. In: Psycho-Logik. Jahrbuch für Psychotherapie, Philosophie und Kultur 3/2008, 33-50.

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Versuche, Aufmerksamkeit entweder als subjektive willentliche Leistung oder als von außen bedingte automatische Ausrichtung zu definieren, müssen demnach zwangsläufig scheitern. Dasselbe gilt für die Frage, ob sie primär ein subjektives, physiologisches oder funktional zu bestimmendes Phänomen ist. Vielmehr nimmt sie einen Zwischenstatus ein: Zwischen personalen und subpersonalen Ebenen, innerer und äußerer Kontrolle, passiven und aktiven Seiten, sowie ‚niederen‘ und ‚höheren‘ Stufen der Kognition. Durch diesen Zwischenstatus8 kann das Phänomen der Aufmerksamkeit als paradigmatisch für eine interdisziplinäre Untersuchung gelten, da es notwendig die Erste-Person-Perspektive, d.h. diejenige des subjektiv Erfahrenden, mit derjenigen der Dritten-Person-Perspektive, d.h. des Beobachters von aufmerksamen Verhalten, verbinden muss. Die systematische Beziehung beider Ebenen zur Untersuchung eines bestimmten Phänomens stellt ein Forschungsdesiderat dar. Diesem möchte die Arbeit mit einem genetischen Ansatz entgegentreten, d.h. die passiven, zeitlichen, situativen Dimensionen – und insbesondere leiblichen Aspekte – der Aufmerksamkeit in den Vordergrund rücken, die bisher kaum berücksichtigt wurden und somit keine systematische Integration in eine Theorie der Aufmerksamkeit erhielten. Um den oben genannten Zwischenstatus der Aufmerksamkeit adäquat beschreiben zu können, reicht es nicht aus, sich in statischer Weise auf den aktuellen Akt der Aufmerksamkeit – wie dies in der frühen Phänomenologie der Fall ist – oder die jeweils messbare Leistung der Aufmerksamkeit – wie dies zum Alltagsgeschäft der empirischen Kognitionspsychologie gehört – zu beschränken. Eine genetische Erweiterung dieses statischen Aufmerksamkeitsbegriffs führt daher notwendigerweise auf die Frage nach den Horizonten der Aufmerksamkeit, also auf die Frage danach, wie all die vor- neben- und nochnicht aufmerksamen Zustände oder Bereiche zu fassen sind. Horizont wird hierbei nicht nur objektiv bestimmt, d.h. als diejenige räumlich-gegenständliche Umgebung verstanden, welche das potentiellen Ziel zukünftiger visueller Aufmerksamkeit bildet. Den Schwerpunkt dieser Untersuchung bildet vielmehr die Differenzierung subjektiver Horizonte: Subjektive Horizonte generieren spezifische selektive Kriterien, die den individuellen Aufmerksamkeitsstil einer Person ausmachen. Solche Horizonte sind für eine phänomenologische und empirische Untersuchung der Aufmerksamkeit dann interessant, wenn es darum geht, die impliziten und expliziten Motivationen für einen Aufmerksamkeitswechsel zu erfassen. Dies gilt besonders für Experimente, die nicht in einem Labor, sondern in einem sogenannten real world setting ausgeführt 8 Vgl. B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, 65ff.

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werden. Durch die Berücksichtigung der oben genannten Horizonte können nicht nur die allgemeinen Mechanismen der Selektion, sondern auch die Prozesse der Generierung von Selektionskriterien untersucht werden. Weiterhin können durch den Einbezug der vor-aufmerksamen Bereiche die Einflüsse des kurz zuvor Wahrgenommenen auf die aktuelle Ausrichtung der Aufmerksamkeit analysiert werden. Dies gilt ebenfalls für die Relation des räumlich-gegenständlichen Hintergrundes sowie dem aktuellen Fokus und der diesbezüglich empirisch gemessenen Aufmerksamkeitsleistung. Neben dem Bild der Aufmerksamkeit als Scheinwerfer und Fokus, der die Dinge ins rechte Licht des Bewusstseins rückt, spielen die genannten Randbereiche und Horizonte der Aufmerksamkeit insofern eine notwendige Rolle, da sie eben diesen Fokus (bzw. diese Leistung) beschreiben und erklären können. Die vorliegende Untersuchung widmet sich daher zwei Aufgaben, die einander wechselseitig ergänzen. 1) Sie versucht zunächst, die Existenz und den Einfluss solcher Horizonte anhand phänomenologischer Beschreibungen und psychologischer Experimente aufzuzeigen. 2) Sie möchte eine Beschreibung und Differenzierung der verschiedenen Horizonte der Aufmerksamkeit und den damit einhergehenden unterschiedlichen genetischen Aufmerksamkeitsstufen geben, die sowohl eine umfassendere Beschreibung des Phänomens erlaubt als auch als Orientierung oder Korrektiv für experimentelle Untersuchungen dienen kann.

2. Methode und Hypothesen Phänomenologie und Kognitionswissenschaft blicken nunmehr auf eine fast zwanzig Jahre währende Geschichte interdisziplinärer Kooperationen zurück.9 Ihre Zusammenarbeit reicht von vereinzelten Versuchen in den 9 Vgl. S. Gallagher: Mutual enlightenment: recent phenomenology in cognitive science. In: Journal of Consciousness Studies 4/1997, 195-214. Siehe hierzu weiterhin das von M. Wrathall und S. Kelly 1996 herausgegebene Sonderheft zum Thema existential phenomenology and cognitive science, darin etwa H.L. Dreyfus: The current relevance of Merleau-Ponty’s phenomenology of embodiment. In: The Electronic Journal of Analytical Philosophy 4/1996 und den interdisziplinären Sammelband von J. Petitot/F.J. Varela/J.-M. Roy/B. Pachoud (Hg.): Naturalizing phenomenology: issues in contemporary phenomenology and cognitive science. Stanford 1999: darin: T. van Gelder: Wooden iron? Husserlian phenomenology meets cogniti-

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1990er Jahren, phänomenologische Grundeinsichten in Bezug auf neurowissenschaftliche und computationale Zusammenhänge zu diskutieren, bis hin zur Formierung von neuen Forschungsansätzen, wie der embodied cognition oder dem enactive approach10, die sich meist auf existentiell-phänomenologische Konzepte von Maurice Merleau-Ponty und Martin Heidegger berufen. Parallel dazu zeigte sich auch in der Phänomenologie ein zunehmendes Interesse für kognitionswissenschaftliche Theorien und die experimentelle Forschung – sei es in der Formalisierung von Erfahrungsstrukturen11 oder dem Einbezug von neurowissenschaftlichen oder psychopathologischen Erkenntnissen – das seinen vorläufigen Höhepunkt 2010 im Erscheinen des Handbook of phenomenology and cognitive science12 fand. Dass die Interdisziplinarität in diesem Bereich nicht etwa eine wissenschaftliche Modeerscheinung ist, verdeutlicht die fortschreitende Institutionalisierung in Zeitschriften und Forschungszentren, die sich Themen wie Bewusstsein, Zeitlichkeit, embodiment, Erfahrung und Subjektivität z.B. im Zusammenhang mit psychopathologischen Störungen widmen.13 Lange Zeit wurde die Bewusstseinsforschung von der analytischen Philosophie oder neurophilosophischen Ansätzen dominiert, während die kontinentale Philosophie in diesem Bereich kaum ernst genommen wurde.

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ve science, 245-265; F.J. Varela: The specious present: a neurophenomenology of time consciousness, 266-314; ders.: Neurophenomenology: a methodological remedy for the hard problem. In: Journal of Consciousness Studies 3/1996, 330-349. Vgl. F.J. Varela/E. Thompson/E. Roesch: The embodied mind. Cambridge 1991; A. Noë: Action in perception. Cambridge/London 2004; S. Gallagher: How the body shapes the mind. Oxford 2005; E. Thompson: Mind in life. Biology, phenomenology, and the sciences of mind. Cambridge, MA/London, England 2007. Zum enactive approach, vgl. das Sonderheft der Zeitschrift Phenomenology and the Cognitive Sciences: S. Torrance: In search of the enactive: introduction to special issue on enactive experience. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 4/2005, 357368. Vgl. E. Marbach: Mental representation and consciousness: towards a phenomenological theory of representation and reference. Dordrecht/Boston/London 1993. Vgl. S. Gallagher/D. Schmicking: Handbook of phenomenology and cognitive science. Dordrecht/New York/Heidelberg/London 2010. Hier ist sowohl das von D. Zahavi geleitete Center for Subjectivity Research in Kopenhagen als auch die von ihm und S. Gallagher herausgegebene Zeitschrift Phenomenology and the Cognitive Sciences zu nennen sowie das interdisziplinäre Forschungsprojekt des Marie Curie Research Training Networks: disorders and coherence of the embodied self (DISCOS), das von der Klinik für allgemeine Psychiatrie der Universität Heidelberg und der Klinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Technischen Universität München koordiniert wird.

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Dies änderte sich jedoch in den letzten Jahren dank des engagierten Einsatzes einiger Phänomenologen auf dem interdisziplinären ‚Spielfeld‘. Diese scheuten sich nicht, die Missverständnisse um eine vermeintlich introspektive Methode oder die scheinbar unwissenschaftlichen Erfahrungsbeschreibungen wieder und wieder aufzuklären.14 Das Resultat dieser Bemühungen ist eine andere, ja neue Sicht auf nicht-analytisch verfahrende Philosophie, jenseits althergebrachter Vorurteile. Das hier angestrebte Unternehmen einer überdisziplinären Untersuchung der Horizonte der Aufmerksamkeit steht somit in einem bestehenden interdisziplinären Kontext, in dessen Rahmen die wissenschaftlichen Publikationen in den vergangenen Jahren stetig angewachsen sind. Wenn eine Untersuchung wie diese es also anstrebt, das Phänomen der Aufmerksamkeit im Schnittpunkt von Phänomenologie und Kognitionswissenschaft zu betrachten, so kann an dieser Stelle bedenkenlos auf den Ausweis der Legitimation eines solchen Vorhabens verzichtet werden. Gleichwohl stellt sich aber weiterhin die Frage nach einer geeigneten Vorgehensweise einer systematisch und sachlich orientierten interdisziplinären Untersuchung. Was muss nun eine Methode leisten, um eine Verbindung der Disziplinen in Bezug auf die oben skizzierten Aufgaben und genetischen Fragestellungen zu ermöglichen? Ein solches Unternehmen muss sich zur Aufgabe nehmen, alternative Herangehensweisen15 an gängige Probleme und wie14 Vgl. D. Zahavi: First-person thoughts and embodied self-awareness: some reflections on the relation between recent analytical philosophy and phenomenology. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 1/2002, 7-26; S. Gallagher/D. Zahavi: The phenomenological mind. An introduction to philosophy of mind and cognitive science. London/New York 2008. 15 Eine Alternative zu den oben genannten Gegensätzen bieten auch die Ansätze der embodied cognition oder des enactive approach. Sie argumentieren mit Hilfe von Merleau-Ponty und Heidegger gegen ein internalistisches Verständnis von Kognition. Kognitionen sind in dieser Hinsicht nicht intern lokalisiert, sondern bilden sich erst in der Interaktion eines verkörperten Agenten mit seiner Umwelt. Zugleich wird für eine Dynamisierung der Kognitionswissenschaft plädiert, indem vermehrt zeitliche und situative Faktoren miteinbezogen werden. Ist einer solchen Forderung im Rahmen einer dynamischen Konzeption der Aufmerksamkeit zwar uneingeschränkt zuzustimmen, müssen die jeweiligen Annahmen jedoch im Einzelnen kritisch geprüft werden. Hierzu gehört vor allem der in diesen Ansätzen vorherrschende Anti-Repräsentationalismus. Im Gegensatz zu solchen Auffassungen, die ihren Erfahrungsbegriff zumeist auf die aktuelle Interaktion, Wahrnehmung oder Bewegung beschränken, soll im Rahmen der im Folgenden entwickelten dynamischen Konzeption gerade die habituelle und subjektive Seite der Wahrnehmung betont werden: Dispositionen, erlernte Bewegungsmuster,

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derkehrende Fragen zu erproben, die für die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Phänomenologie und Kognitionswissenschaft besonders kennzeichnend sind.16 Die Schwierigkeiten eines interdisziplinären Vorhabens von Phänomenologie und Kognitionswissenschaft bzw. Kognitionspsychologie werden oft unter drei Punkten zusammengefasst. Dies betrifft erstens den Unterschied des methodischen Zugangs der Ersten-Person-Perspektive der Erfahrung und der Dritten-Person-Perspektive des empirischen Beobachters. Zweitens wird dies auf die unterschiedlichen Untersuchungsebenen bezogen, also einmal auf die personale Ebene des Subjekts und einmal auf die subpersonale Ebene von kognitiven Prozessen oder physiologischen Vorgängen im Gehirn. Und drittens wird auf die Verschiedenheit des methodischen Verfahrens auf beiden Seiten hingewiesen, das im Falle der Phänomenologie als Beschreibung und im Falle der Kognitionswissenschaft als (kausal) erklärendes Vorgehen definiert wird. Diese Unterschiede werden gemeinhin als ein explanatory gap angesehen, der nur schwer überwinden zu sein scheint. Die vorliegende Abhandlung versucht diese auf den ersten Blick unüberwindbaren Gegensätze mit der Annahme eines gemeinsamen Ausgangspunkts der beiden Disziplinen gewissermaßen zu unterlaufen. Als ein solcher Ausgangspunkt wird die Lebenswelt17 angeseEinstellungen, Interessen, Erinnerungen oder bereits gemachtes Erfahrungswissen. Diese stehen zwar einer repräsentativen Auffassung nahe, müssen aber keineswegs in Gestalt einer symbolischen oder sprachlichen Form auftreten oder dem Wahrnehmungssubjekt in expliziter Weise verfügbar sein. Solche habituellen Komponenten erweisen sich gerade für die Untersuchung der Aufmerksamkeit und ihrer Horizonte als zentral. 16 Vgl. S. Gallagher: Mutual enlightenment: recent phenomenology and cognitive science, 10f. 17 Lebensweltlich meint hier zunächst ganz wörtlich die Welt bzw. den Ort, an dem sich unser Leben tagtäglich abspielt. Zugleich bezeichnet Lebenswelt aber auch den individuellen, sozialen und kulturellen Erfahrungshorizont, von dem aus wir die Welt wahrnehmen und beurteilen. E. Husserl definiert Lebenswelt als einen unmittelbaren vorwissenschaftlichen Zugang zur Welt – den Bereich der Urdoxa –, der jeder weiteren theoretischen oder wissenschaftlichen Einstellung zugrunde liegt. Dieses Milieu des alltäglichen Handelns dient als Ausgangspunkt und Motivation unseres wissenschaftlichen Fragens, wird aber zumeist nicht eigens zum Thema gemacht. Vgl. E. Husserl: Die Krisis der europäischen Wissenschaften. In: Husserliana Bd. VI. Hg. von W. Biemel. Den Haag 1954, 130. Vorwissenschaftlich meint in diesem Zusammenhang nicht, dass keinerlei wissenschaftliche Diskurse Eingang in die Lebenswelt finden, sondern bezieht sich lediglich auf den Unterschied zwischen einer ‚natürlichen‘ (praktischen) und einer wissenschaftlich-theoretischen Einstellung zur Welt. Im ersten Falle handelt es sich um unseren subjektiven Handlungsraum und impliziten Horizont, während die Welt im

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hen. Aus den lebensweltlichen Horizonten generieren sich Motivationen, Interessen und Diskurse, die unabdingbare Grundlage wissenschaftlicher Fragestellungen sind. Vor diesem Hintergrund ist die Dritte-Person-Perspektive immer schon an die Erste-Person-Perspektive der Erfahrung gekoppelt. Umgekehrt weist die Erste-Person-Perspektive über sich hinaus auf eine intersubjektive Dimension. Der dichotomen Gegenüberstellung von subpersonaler und personaler Ebene soll in dieser Hinsicht mit einem umfassenden Begriff der Subjektivität begegnet werden, der passive und aktive Elemente vereint. Denn: Betrachtet man eine handelnde Person, wie es in der alltäglichen Erfahrung oder aber in Experimenten der Fall ist, geraten solche Bereiche aus lebensweltlicher Perspektive nicht isoliert, sondern nur in ihrem Zusammenspiel in den Blick. In gleicher Weise kann die obige Einteilung in eine beschreibende und eine erklärende Methodik nun relativiert werden: Die Phänomenologie bleibt in ihrer genetischen Fragestellung keineswegs bei einer Beschreibung von explizit bewussten Erfahrungen stehen, sondern versucht, deren passive Grundlagen zu erklären. Auch die experimentelle Kognitionspsychologie und Neurowissenschaft nehmen keine rein erklärende Position ein, sondern müssen zwangsläufig auf theoretische Beschreibungen oder die Erfahrungsberichte der Probanden zurückgreifen. Die methodischen Bereiche Beschreiben und Erklären lassen sich demzufolge in der wissenschaftlichen Untersuchung nicht in strikter Weise voneinander trennen, sondern treffen sich in ihrem gemeinsamen Ausgangspunkt: der lebensweltlichen Erfahrung. Die gemeinsame Welt der Erfahrung stellt den Ort dar, an dem Phänomenologie wie Kognitionswissenschaft ihr Thema – die Aufmerksamkeit – allererst finden und diesem in seinen Horizonten begegnen können. In den Worten von Merleau-Ponty ausgedrückt: „[N]icht außerhalb von uns und nicht in uns, sondern dort, wo beide Bewegungen sich kreuzen, dort, wo ‚es‘ etwas ‚gibt‘“.18 Nimmt man die Lebenswelt in diesem Sinne als transdisziplinären Ausgangspunkt der Untersuchung an, ergeben sich in Bezug auf die drei vorgestellten Probleme der Interdisziplinarität folgende methodische Hypothesen: (1) Erstens die Interrelation von Erster- und Dritter-Person-Perspektive, zweiten Falle das Objekt/Thema einer wissenschaftlichen Untersuchung darstellt. Vgl. E. Soldinger: Art. ‚Lebenswelt‘. In: H.-H. Gander (Hg.): Husserl-Lexikon, Darmstadt 2010, 182-186. 18 M. Merleau-Ponty: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Übers. von R. Giuliani und B. Waldenfels. Hg. von C. Lefort. München 21994, 176; franz.: Le Visible et L’Invisible. Paris 1964.

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also der Umstand, dass Aufmerksamkeit sowohl ein intentionales und subjektives Erfahrungsphänomen darstellt, als auch unbewusste, implizite und subpersonale Prozesse miteinschließt, die die Grenzen der Phänomenologie markieren und nur empirischer Forschung zugänglich sind. Methodisch muss hier der Versuch gemacht werden, Beschreibungen und empirische Ergebnisse immer wieder miteinander ins Gespräch zu bringen, um eventuelle Relationen auszuloten. (2) Zweitens die Interrelation von subpersonaler und personaler Ebene im Subjekt: Subpersonale Bereiche sind in Gestalt passiver Synhtesen Thema der genetischen Phänomenologie und müssen in Kontinuität zum personalen, expliziten Ausdruck der Person verstanden werden. Selbst in entsprechenden Experimenten geraten subpersonale Prozesse nicht isoliert in den Blick, sondern stehen in Relation zu den aktuellen Handlungen und Vorstellungen des Subjekts. (3) Drittens die Korrelation von Beschreiben und Erklären: Die genetische Phänomenologie geht über das Beschreiben hinaus, indem sie hinter das anschaulich Erfahrbare (den fertigen Gegenstand) nach dessen genetischer Konstitution zurückfragt. Sie behandelt daher nicht nur den personalen oder thematisch bewussten Bereich. Die experimentelle Kognitionspsychologie nimmt keine rein erklärende oder objektiv betrachtende Position ein, sondern setzt bestehende Theorien, Interpretationen und Metaphern voraus. Weiterhin muss sie stets auf die Erfahrungsberichte ihrer Probanden zurückgreifen. Aufmerksamkeit eignet sich in ihrem bereits hervorgehobenen Zwischenstatus in besonderer Weise, die aufgezeigten methodischen Interrelationen sichtbar zu machen. Um dieser Problematik auch inhaltlich probat begegnen zu können, wird in der vorliegenden Untersuchung ein Schema zur vertikalen und horizontalen Erweiterung des Aufmerksamkeitsbegriffes entwickelt. In vertikaler Hinsicht werden verschiedene genetische Stufen der Aufmerksamkeit beschrieben, denen in horizontaler Hinsicht entsprechende subjektive Horizonte korrespondieren. Konzeptuell erlaubt dies sämtliche (bisher unberücksichtigte) Facetten und Randbereiche in ein umfassendes Schema der Aufmerksamkeit zu integrieren – und eröffnet andererseits thematisch ein neues Forschungsfeld: das der leiblichen Aufmerksamkeit19

19 Sowie die Verbindungen zum leiblichen Gedächtnis und den Emotionen, s. Teil III.

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a) Vertikale Erweiterung: Die genetischen Stufen der Aufmerksamkeit Hinter dem genetischen Stufenmodell der Aufmerksamkeit steht folgende Arbeitsthese: Aufmerksamkeit wird als eine selektive und integrative Funktion verstanden, die nicht nur in einem Bereich der Kognition, sondern auf mehreren Ebenen wirkt, also von passiven bis hin zu aktiven Bereichen menschlicher Kognition reicht. Dabei variiert die dominierende Funktion der Aufmerksamkeit: sie nimmt je nach Stufe eine vorrangig integrative oder selektive Rolle ein. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, lassen sich sowohl anhand der phänomenologischen Beschreibung als auch anhand der dargestellten experimentellen Untersuchungen der Aufmerksamkeit drei Stufen unterscheiden: die passiv-sensuelle Aufmerksamkeit, die leibliche Aufmerksamkeit und die personale bzw. thematische Aufmerksamkeit. b) Horizontale Erweiterung: Die noematischen und noetischen Horizonte Die räumlich-visuellen Horizonte der Aufmerksamkeit sind als potentielle Ziele der Aufmerksamkeit zu betrachten, während die zeitlich-motivationalen Horizonte die selektiven Kriterien generieren, die unsere Wahrnehmung strukturieren und einen personalen Aufmerksamkeitsstil begründen. Hierzu gehört auch die aktuelle Handlungsorientierung, die sich in der psychologischen Forschung als eine der stärksten selektiven Kräfte herausstellt, wenn es darum geht vorauszusagen, wohin eine Person ihre Blicke wenden wird. Ob eine Person auf etwas aufmerksam wird oder nicht, hängt – wie sich auch in entsprechenden Experimenten bestätigt wird – von der subjektiven Relevanz ab, die sich durch ein Zusammenspiel der Aufmerksamkeitshorizonte ergibt.20 Es gab bereits einige wissenschaftliche Beiträge, die einen größeren Einbezug von Kontexten, räumlichen Horizonten oder dem sogenannten „the-

20 Die Unterscheidung zwischen noematischen und noetischen Horizonten, sowie das Kritierium der subjektiven Relevanz, wird im Rahmen der genetischen Aufmerksamkeitstheorie entwickelt und dann entsprechend in der Untersuchung der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung angewendet. Ihre endgültige Differenzierung findet die eingeführte Begrifflichkeit im Verlauf der phänomenologischen Analyse und dem Blick auf entsprechende empirische Untersuchungen. Hier wird deutlich, dass die gegenständlichen Horizonte ebenfalls eine zeitliche Dimension haben und auf antizipative Elemente angewiesen sind. Die obige Unterscheidung in räumliche und subjektive Horizonte ist insofern stark vereinfacht und dient lediglich als ein erster Leitfaden der Untersuchung.

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matischen Feld“ innerhalb der Kognitionswissenschaften einklagten.21 Bisher wurde die Dimension des Kontextes in der genannten Forschung jedoch einseitig objektiv gedacht. Gerade in Bezug auf die Frage nach der Ausrichtung oder dem Wechsel der Aufmerksamkeit sind die subjektiven Anteile jedoch von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Die vorliegende Arbeit fasst diesen Anteil im Gegensatz zu dem gegenständlichen Horizont – hier als noematischer Horizont bezeichnet –, nun als noetischen Horizont. Der noematische Horizont als periphere Wahrnehmung betrifft die aktuelle Aufmerksamkeitsleistung und deren Relation zum perzeptuellen Umfeld bzw. dem aktuell Nicht-Bemerkten, aber objektiv Vorhandenen, also demjenigen, was im Experiment präsentiert wird. Damit wird das Verhältnis von Aufmerksamkeit und Bewusstsein virulent. Periphere Wahrnehmung kann, wie in der folgenden Untersuchung deutlich werden soll, als eine graduell weniger explizite Form des Bewusstseins verstanden werden. Mit dieser Definition lassen sich viele Befunde des vermeintlich kognitiven Unbewussten oder Phänomene wie inattentional blindness und change blindness erklären. Im Gegensatz zu diesen neben-aufmerksamen Bereiche beinhalten noetische Horizonte Selektionskriterien, die bereits in aufgabenspezifischer oder allgemeiner Form der Motivation vor Beginn eines Experiments oder einer Wahrnehmungssituation bestehen. Wenn wir uns auf diese noetischen Horizonte einlassen, so lässt sich in der folgenden Analyse zeigen, dass eine Einteilung in folgende Horizonte sinnvoll erscheint. Dabei entsprechen diese wiederum den oben angeführten genetischen Stufen: Zunächst ein passiv-zeitlicher Horizont, gefolgt von einem spezifisch leiblichen Horizont bis hin zu einem personalen Horizont. Um die kulturelle und intersubjektive Dimension jeglicher Subjektivität mitdenken zu können, wird dieses Schema durch einen lebensweltlichen Horizont ergänzt, der alle übrigen Stufen und Horizonte umfasst. Die postulierten „Horizonte der Aufmerksamkeit“ sollen im Verlauf der Untersuchung mit Hilfe von phänomenologischen Beschreibungen und experimentellen Studien der psychologischen Aufmerksamkeitsforschung sichtbar gemacht werden. Dabei wird sich zeigen, dass sie sowohl passivemotionale Motivationstrukturen und leiblich-praktische Habitualitäten als auch personal zugängliche Interessen und Wissensbestände beinhalten. 21 Als einflussreichster Vertreter kann hier S.P. Arvidson genannt werden. Vgl. S.P. Arvidson: A lexicon of attention. From cognitive science to phenomenology. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 2/2003, 99-132; ders.: Attention in context. In: S. Gallagher/D. Schmicking (Hg.): Handbook of phenomenology and cognitive science, 99-123.

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All diese Faktoren stehen meist nicht selbst im Zentrum jener Aufmerksamkeitsforschung, die sich auf die momentane Leistung und den damit einhergehenden visuellen Fokus oder auditiven „Filter“ beschränkt. Dies gilt sowohl für die klassische Aufmerksamkeitsforschung der Kognitionspsychologie als auch für Husserls frühe Beschäftigung mit der Aufmerksamkeit. Betrachtet man Aufmerksamkeit allerdings aus einer zeitlich-kontinuierlichen Perspektive, so wird deutlich, dass diese auch zuvor und danach am Werke ist und der vermeintliche Fokus ständig wechselt. Es stellt sich so zwangsläufig die Frage, wie all die vor-, neben- und nochnicht-aufmerksamen Zustände oder gegenständlichen Bereiche und die damit einhergehenden Motivationen zu fassen sind. Die vorliegende Untersuchung begreift sich in der Konsequenz als ein transdisziplinärer und dynamisch orientierter Beitrag zur Aufmerksamkeitsforschung, der sowohl allgemeine Einsichten über das Wesen und die Funktionen der Aufmerksamkeit sowie deren mögliche technische und biologische Implementierung erlangen, als auch darin die individuellen bzw. gruppenspezifischen Unterschiede im Aufmerksamkeitsverhalten thematisieren möchte. Für ein solches Anliegen soll der Grundsatz gelten, dass die vorangegangene Erfahrung und ihre bleibenden Spuren auf allen Ebenen die Wahrnehmung beeinflussen. Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang als dasjenige subjektive Element verstanden, das in passiver oder aktiver Weise eine Differenzierung auf der Basis der oben definierten Horizonte vornimmt und zugleich neue Eindrücke in den Erfahrungszusammenhang integriert.

3. Konzeption und Aufriss der Untersuchung Im ersten Teil der nachfolgenden Untersuchung, Aufmerksamkeit in der Phänomenologie, soll eine genetische Theorie der Aufmerksamkeit entwickelt werden. Zunächst wird aber im ersten Kapitel anhand von Husserls frühen Auseinandersetzungen mit dem Thema Intentionalität und Aufmerksamkeit Eine statische Theorie der Aufmerksamkeit dargelegt. In diesem Kapitel wird ebenfalls Gurwitschs Kritik an Husserls „Scheinwerfertheorie“ sowie seine Konzeption von „Thema“, „thematischem Feld“ und „Rand“ abgehandelt. Obwohl Gurwitsch den Horizontbegriff Husserls mit gestalttheoretischen Mitteln erweitert, kann seine ‚subjektlose‘ Theorie der Aufmerksamkeit nicht als genetisch gelten, da zeitliche, habituelle und motivationale Aspekte in seiner Darstellung nicht oder nur ungenügend vertreten sind. Im zweiten Kapitel Eine genetische Theorie der Auf-

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merksamkeit wird anschließend versucht, Husserls genetische Überlegungen für eine Theorie Aufmerksamkeit fruchtbar zu machen. Dies geschieht im Ausgang von Husserls Vorlesung zu Aufmerksamkeit, die, obwohl zeitlich und inhaltlich der statischen Phase der Phänomenologie zugehörig, einerseits inhaltlich die Ambivalenz des Phänomens Aufmerksamkeit zwischen Aktivität und Passivität und andererseits methodisch die Notwendigkeit einer genetischen Erweiterung der Phänomenologie anzeigt. Die von Husserl später (weiter)entwickelten Konzepte von Zeitlichkeit, Horizont, Habitualität und Leiblichkeit finden ihre Anwendung und Verschiebung bei den anderen phänomenologischen Autoren. Leiblichkeit und Habitulität stehen etwa in Merleau-Ponty’s Phänomenologie im Zentrum und erfahren dort eine maßgebliche Erweiterung. Der Begriff des Horizontes taucht wiederum als „thematisches Feld“ und „Rand“ in den Beschreibungen von Gurwitsch auf und soll hier einerseits dazu dienen, eine rein noematische Phänomenologie zu rechtfertigen, zeigt aber andererseits gerade die Unmöglichkeit auf, Aufmerksamkeit und ihre Horizonte allein gegenständlich bestimmen zu wollen. Die wesensmäßige Passivität von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit tritt schließlich besonders deutlich bei Bernhard Waldenfels´ Beschreibung der Aufmerksamkeit hervor, welche die ethische Dimension der Aufmerksamkeit aufzeigt. Mit Hilfe von Husserls Überlegungen zur Aufmerksamkeit und in Auseinandersetzung mit den obigen Positionen soll ein phänomenologisches Instrumentarium geschaffen werden, das in den interdisziplinären Kapiteln seine Anwendung, Erweiterung und ggf. seine Modifikationen findet.22 Im zweiten Teil der Untersuchung Aufmerksamkeit in der Kognitionspsychologie – von einer statischen zu einer dynamischen Perspektive wird im ersten Kapitel Wahrnehmung und Informationsverarbeitung zunächst eine kurze Einführung in die theoretischen (Vor-)Annahmen der Kognitionswissenschaft gegeben, hier insbesondere der empirisch verfahrenden Kognitionspsychologie, die in direktem Zusammenhang mit der Untersuchung der Wahrnehmung stehen. Dies soll dazu dienen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Herangehensweise von Phänomenologie und Psychologie deutlich werden zu lassen. Darauf folgt eine phänomenologisch 22 Es wird dabei keine werkgetreue Auslegung der Autoren angestrebt, sondern die Entwicklung eines geeigneten Instrumentariums, um das Phänomen Aufmerksamkeit in seiner subjektiven Dynamik einfangen zu können. Da im Zusammenhang einer genetischen Beschreibung von Aufmerksamkeit die Leiblichkeit eine zentrale Rolle spielt, wird hierbei neben Husserls Konzepten hauptsächlich auf Merleau-Ponty’s Beschreibungen in der Phänomenologie der Wahrnehmung zurückgegriffen.

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orientierte Darstellung und Interpretation einer Auswahl der wichtigsten Ergebnisse der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung seit ihrem Beginn in den 1950er Jahren. Beginnend mit einem kurzen Überblick über die psychologische Aufmerksamkeitsforschung im zweiten Kapitel, folgt im dritten Kapitel Die begrenzte Aufmerksamkeit: Selektion und Verteilung die Thematisierung der Aufmerksamkeit als einer begrenzten Form der Informationsverarbeitung, in dem die selektive Aufmerksamkeitsforschung, die mögliche Verteilung von Aufmerksamkeitsressourcen und die Verbindung von Selektion und Handlung diskutiert wird. Im vierten Kapitel werden Die Gegenstandsbereiche der Aufmerksamkeit behandelt, dies beinhaltet Fragen nach der Ausrichtung und der inneren oder äußeren Gelenktheit (Kontrolle) der Aufmerksamkeit ebenso wie das Problem, auf was sich Aufmerksamkeit nun eigentlich bezieht, auf Objekte, Orte, Eigenschaften von Objekten (features) oder ganzheitliche events und Situationen. In gleicher Weise wie in der Phänomenologie Husserls, soll auch in der kognitionspsychologischen Forschung die Entwicklung von einer statischen hin zu einer dynamischen Auffassung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit herausgestellt werden. Diese Tendenzen werden im dritten Teil der Arbeit aufgenommen und weiterentwickelt. Dieser soll die gemeinsamen Horizonte von Phänomenologie und Kognitionswissenschaft aufzeigen, indem er durch die Vertikale und horizontale Beschreibung der Aufmerksamkeit eine genetisch-dynamische Konzeption zu entwickeln versucht. Genetische Konzepte der Phänomenologie und dynamische Ansätze der Kognitionswissenschaft treten an dieser Stelle in den Dialog. Dabei sollen gemeinsame Probleme und Vorgehensweisen formuliert werden. Die vertikale Seite der Aufmerksamkeit ist Thema des ersten Kapitels, hier wird Aufmerksamkeit noetisch als Attentionalität23 gefasst. Diese ist allgemein durch ihre selektive und integrative Funktion charakterisiert und umfasst genetisch sowohl passive als auch aktive und explizite Stufen der Intentionalität. Bevor abschließend ein solches Stufenmodell der Attentionalität skizziert wird, werden zunächst die Grundlagen desselben einzeln analysiert: Emotion und Affektion, Leiblichkeit und Bewegung, sowie Motivation und Repräsentation. Paralell dazu wird im zweiten Kapitel Die horizontale Seite der Aufmerksamkeit auf das Verhältnis von Aufmerksamkeit und Bewusstsein bzw. ‚Unbewusstsein‘ eingegangen, in diesem Zusammenhang wird für ein graduelles Modell von Bewusstsein argumentiert. In der Diskussion von 23 Vgl. T. Breyer: Attentionalität und Intentionalität. Grundzüge einer phänomenologisch-kognitionswissenschaftlichen Theorie der Aufmerksamkeit. München 2011.

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Forschungen zum ‚kognitiven Unbewussten‘ – d.h., in subliminaler Wahrnehmung, bei impliziten Lernprozessen, entsprechenden Pathologien oder bei Phänomenen wie inattentional blindness und change blindness – lässt sich zeigen, dass viele dieser als unbewusst qualifizierten Befunde auf eine implizite aber nicht unbewusste Erfahrung zurückgeführt werden können. Gerade diese implizite Dimension der Erfahrung spielt noetisch auf der Ebene der Leiblichkeit oder noematisch als periphere Aufmerksamkeit eine wichtige Rolle für das aktuelle und zukünftige Aufmerksamkeitsverhalten. In diesem Sinne erfolgt abschließend mit Hilfe entsprechender kognitionspsychologischer Ergebnisse und empirischer Beispiele die Beschreibung und Analyse solcher noematischen und noetischen Horizonte der Aufmerksamkeit. Die bereits im ersten Teil vorgenommene Unterscheidung zwischen verschiedenen Stufen und korrespondierenden Horizonten der Aufmerksamkeit soll hier aufgenommen, empirisch überprüft und erweitert werden. Mit Hilfe einer solchen Unterscheidung kann das Phänomen der Aufmerksamkeit auch empirisch in seiner zeitlichen Dimension und qualitativen Gradualität fassbar werden. Im Rahmen der gemeinsamen Horizonte von Phänomenologie und Kognitionswissenschaft treten dabei insbesondere die Randbereiche der Aufmerksamkeitsforschung ins Zentrum. Dies betrifft etwa die jeweiligen Definitionen und Abgrenzungen von Bewusstem und Unbewusstem sowie die Rolle von Emotionen und Gefühlen in Bezug auf die Bestimmung der Aufmerksamkeit. Gerade in diesen Grenzbezirken haben beide Disziplinen zwar unterschiedliche Begrifflichkeiten, zugleich aber vielfach sachliche Überschneidungspunkte. In diesem Kontext zeigt sich, in welchem Maße die Kognitionswissenschaft von einer phänomenologisch reflektierten Beschreibung und Kritik profitieren kann und im Gegenzug die Phänomenologie die experimentelle Kognitionsforschung braucht, um einen Blick über ihre eigenen Grenzen werfen zu können. Nicht nur inhaltlich ist ein Blick auf die Horizonte der Aufmerksamkeit also notwendig, um dieses Phänomen umfassend anzugehen. Auch methodisch lohnt es sich, die Horizonte der eigenen Disziplin zu erweitern und in diesem Sinne einen Aufmerksamkeitswechsel zu vollziehen, den die phänomenologische Methode in ihrem Impetus ja geradezu fordert.

I. AUFMERKSAMKEIT IN DER PHÄNOMENOLOGIE

1. EINE STATISCHE THEORIE DER AUFMERKSAMKEIT

1.1 Intentionalität als Grundlage der Aufmerksamkeit (Edmund Husserl) Die Aufmerksamkeit ist ein Hauptthema der modernen Psychologie. Nirgends zeigt sich der vorherrschend sensualistische Charakter der letzteren auffälliger als in der Behandlung dieses Themas, denn nicht einmal der Wesenszusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Intentionalität – diese fundamentale Tatsache, dass Aufmerksamkeit überhaupt nichts anderes ist als eine Grundart intentionaler Modifikationen – ist meines Wissens früher je hervorgehoben worden.24

In dieser Anmerkung aus den Ideen I von 1913 kritisiert Husserl die sensualistisch geprägte Aufmerksamkeitsforschung der Psychologie. Mit Nachdruck hebt er hervor, dass man weder auf sensualistische Daten aufmerksam sein kann, noch auf psychische Inhalte, die als Abbilder oder Zeichen für äußere Objekte fungieren. Aufmerksamkeit richtet sich nach Husserl immer auf den ganzen Gegenstand.25 Wir sind auf ‚Etwas‘ aufmerksam, das eine schöne Blume, ein Gemälde, ein bestimmter Sachverhalt, ein Gedanke oder eine Erinnerung sein kann. Aufmerksamkeit beschränkt sich nicht auf die Wahrnehmung, daher kann ihr Korrelat nicht als reeller Bestandteil des Bewusstseins, d.h. als psychischer Inhalt definiert werden.26 Eben dies kritisiert Husserl bereits in den Logischen Untersuchungen: 24 E. Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Erstes Buch. In: Husserliana III. Hg. von W. Biemel. Den Haag 1950, 232 (Fn1). 25 „Aufmerken ist Aufmerken auf irgendwelche Sachen; und merken wir auf Gedanken, auf psychische Erlebnisse, auf phänomenologische Data, auf Spezies usw., so sind sie eben gegenständlich.“ E. Husserl: Vorlesungen über die Bedeutungslehre. Sommersemester 1908. In: Husserliana Bd. XXVI. Hg. von U. Panzer. Dordrecht/Boston/Lancaster 1987, 18. 26 Wenn Intentionalität eine Beziehung des Bewusstseins zu einem ihm immanenten Inhalt wäre, würde die Identität des Gegenstandes nur von dem jeweiligen Akt abhängen. Dies würde bedeuten, dass wir jeden Inhalt nur einmal wahrnehmen könnten. Darüber hinaus würde jede intersubjektive, d.h. objektive Wahr-

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AUFMERKSAMKEIT IN DER PHÄNOMENOLOGIE

Der einheitliche Sinn der Rede vom Aufmerken fordert so wenig „Inhalte“ im psychologischen Sinn (als die Gegenstände, auf welche wir aufmerken), dass er über die Sphäre der Anschauung hinausreicht und die gesamte Sphäre des Denkens umfasst. Es ist dabei gleichgültig, wie das Denken sich vollzieht, ob anschaulich fundiert oder rein symbolisch. Sind wir mit der Kultur der Renaissance, der Philosophie des Altertums, dem Entwicklungsgange der astronomischen Vorstellungen, Kurven nter Ordnung, Gesetzen algebraischer Operationen usw. theoretisch beschäftigt, so sind wir auf all das aufmerksam.27

Der inhärente Gegenstandsbezug, der für Husserl zum Hauptmerkmal der Aufmerksamkeit zählt, darf ebenso wenig als kausale Relation zwischen zwei Objekten, etwa in Form eines Reiz-Reaktions-Schemas, missverstanden werden. Die gegenständliche Beziehung hat nach Husserl den Charakter der Intentionalität. Das bedeutet, dass das reale Objekt nicht reell, dafür aber intentional im Bewusstsein vorfindlich ist. Da Intentionalität eine Struktur ist, die sich nicht nur auf die äußere Wahrnehmung beschränkt, sondern ebenfalls andere Bewusstseinsweisen auszeichnet, etwa Phantasie, Erinnerung und Bildbewusstsein, kann sie nicht als Form einer objektiven Kausalität gelten. Als Bewusstseinsstruktur, die einen Gegenstand vorstellig macht, ist sie von dessen tatsächlicher Existenz weitgehend unabhängig.28 Auch wenn das, was ich vorstelle, nicht existiert, wie z.B. ein Einhorn, ändert dies nichts an der gegenständlichen Beziehung bzw. Gerichtetheit: „[D]iese Art von Beziehung ist radikal verschieden von allen weltlich realen Beziehungsarten“.29

nehmung unmöglich. Darauf weist auch D. Zahavi ausdrücklich hin: „If the object of my intention were really act-immanent, it would imply that I would never be able to experience the same object more than once. Every time I tried to perceive an object a new it would be by means of a new perception and therefore be a new object. For the very same reason it would be impossible for several subjects to experience the same object.“ D. Zahavi: Husserl’s phenomenology. Stanford, California 2003, 15. 27 E. Husserl: Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Erster Teil. In: Husserliana XIX/1. Hg. von U. Panzer, 167. 28 „If it is true that I am sitting on a horse, both the horse and I must exist. If it is true that I intend a horse, the horse does not need to exist. Thus an important aspect of intentionality is exactly its existence-independency.“ D. Zahavi: Husserl’s phenomenology, 21. Zum Konzept der Intentionalität und ihrer ontologischen Unabhängigkeit, s. ebenfalls K. Held: Husserl’s phenomenological method. In: D. Welton (Hg.): The new Husserl. A critical reader, 3-31, hier: 14. 29 U. Melle: Das Wahrnehmungsproblem und seine Verwandlung in phänomenologischer Einstellung. Den Haag 1983, 57, 61. Melle erläutert hier den Umstand, dass

EINE STATISCHE THEORIE DER AUFMERKSAMKEIT

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Durch die Verwechslung von Gegenstand und psychischem Inhalt verwirrt, übersieht man, daß die Gegenstände, die uns „bewusst“ werden, nicht im Bewusstsein als wie in einer Schachtel einfach da sind, so daß man sie darin bloß vorfinden und nach ihnen greifen könnte; sondern daß sie sich in verschiedenen Formen gegenständlicher Intention als das, was sie uns sind und gelten, allererst konstituieren.30

Diese Form der intentionalen Gegebenheit, die Husserl hier hervorhebt, beinhaltet insofern eine gewisse Leistung des Bewusstseins, die eine bestimmte Empfindung gegenständlich interpretiert bzw. deutet, wie Husserl es in frühen Texten ausdrückt. Diese Leistung der gegenständlichen Auffassung oder Apperzeption, ist es, die Intentionalität ausmacht.31 Erst in einer irgendwie gearteten Aneignung der Sinnesdaten durch ein Bewusstsein kann man demnach von Intentionalität, d.h. von einer Gegenstandswahrnehmung sprechen. Die zugrundeliegenden Empfindungen weisen in diesem Sinne selbst noch keine Merkmale wie Härte, Rauhigkeit der bewusste Gegenstand weder ein Teil des Bewusstseins ist, noch die Beziehung zwischen Bewusstsein und Gegenstand bzw. Welt rein äußerlich verläuft. 30 Hua XIX/1, 169. 31 In den Logischen Untersuchungen wird Intentionalität bedeutungstheoretisch bestimmt. Die Auffassung gilt als bedeutungsverleihender Akt, Intentionalität als „Referenz mittels sprachlicher bedeutsamer Zeichen“. U. Melle: Das Wahrnehmungsproblem und seine Verwandlung in phänomenologischer Einstellung, 58. Diese signitiven Akte sind wiederum durch intuitive (sinnliche) Akte fundiert. Die Wahrnehmung, die noch keine Erkenntnisbeziehung ist, sondern eine unmittelbare Begegnung mit den Dingen, unterscheidet sich von Denkakten durch die Anschaulichkeit (Präsenz) und Selbstgegebenheit ihrer Gegenstände. Diese grundlegende Form der Intentionalität wird von Husserl aber oftmals mit den Mitteln der sprachlich-orientierten Bedeutungstheorie beschrieben. So kritisiert Melle zu Recht die „epistemologisch-intellektualistische Bestimmung der Wahrnehmung“ in Form einer „Verallgemeinerung“ und „Übertragung“ des Bedeutungsbegriffs auf die Akte der Anschauung (57; 81). Dieser Missverständlichkeit versucht Husserl mit der Einführung der Begriffe Noesis und Noema in den Ideen I entgegenzuwirken. Die eigentliche Überwindung dieses statischen Modells, in dem ein vorher nicht-gegenständlicher Inhalt von einer „beseelenden“ Auffassung objektiviert wird, findet erst in der genetischen Phase Husserls statt. Intentionalität muss nun keinen Erkenntnis- oder Reflexionsakt bezeichnen, sondern kann als eine grundlegende und automatische kognitive Funktion gefasst werden, die mit höheren kognitiven (intentionalen) Akten, wie z.B. einem aktuellen Erkenntnisinteresse, Urteil etc. und in der Vergangenheit erworbenem Wissen oder mit praktischen Vermögen und Handlungsoptionen in Verbindung steht. Vgl. Klaus Held: Husserl’s phenomenology of the life-world. In: D. Welton (Hg.): The new husserl. A critical reader. Bloomington/Indianapolis 2003, 32-62, insb.: 41f.; 53-54.

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AUFMERKSAMKEIT IN DER PHÄNOMENOLOGIE

oder Farbe auf, die etwa ein wahrgenommenes Stück Holz charakterisieren. Ein weiterer Grund für die Unterscheidung in Empfindungsunterlage und intentionalen Gegenstand liegt in dem Umstand begründet, dass dasselbe Empfindungsmaterial völlig verschieden aufgefasst werden kann: So hält Einer das Gesehene für einen Menschen, während ein Anderer eine Puppe zu sehen glaubt. Trotzdem gehören verschiedene Sinnesdaten, z.B. im zeitlichen Verlauf der Wahrnehmung und ihrer wechselnden Perspektiven, zu demselben wahrgenommenen Objekt. Die Identität eines Wahrnehmungsgegenstandes über den zeitlichen Verlauf und den Wechsel seiner Erscheinungen hinaus kann so nicht durch einen bloßen Verweis auf sinnliche Reize und eine entsprechende Reaktion beantwortet werden. Der Sinn und die Einheitlichkeit, die eine Wahrnehmung nach Husserl ausmachen, sind das Ergebnis der intentionalen Beziehung, die Husserl selbst später Konstitution nennt.32 Ein solchermaßen intentionaler Gegenstand ist insofern neben seinen wechselnden und partiellen Erscheinungsweisen durch einen bleibenden Sinn charakterisiert, der über die momentane Erscheinung hinaus derselbe bleibt. 33 32 Seit der sogenannten transzendentalen Wende (ab 1913) wird die methodische Aufgabe der Phänomenologie von Husserl als Konstitutionsanalyse bezeichnet. Sie soll aufklären, wie der Sinn z.B. von Objektivität oder Transzendenz im Bewusstsein selbst gebildet wird. Konstitution ist demnach als Sinngebung und objektivierende Leistung des Bewusstseins zu verstehen. Dies erweist sich vor allem in der Spätphase der Phänomenologie Husserls als intersubjektiv. M. Wehrle: Art. ‚Konstitution‘. In: H.-H. Gander (Hg.): Husserl-Lexikon, 172-174. 33 Diese Beschreibung entspricht dem von Husserl in den Ideen I eingeführten Begriff des Noema. Vgl Hua III, 218f. Vorher wurden unter dem Terminus der Intentionalität hauptsächlich die Bewusstseinsakte thematisiert. Jeder Akt hatte demnach eine Qualität, eine Materie und ein intentionales Wesen. Die Qualität bezeichnet die Art und Weise des Bezuges, z.B. in Form einer Erinnerung, Phantasie, Wahrnehmung etc.; die Materie bzw. der Stoff verweist auf das Empfindungsmaterial, das jeder äußeren Wahrnehmung zugrunde liegen muss; und das intentionale Wesen steht für den Sinn, der über den jeweiligen Akt hinaus Geltung hat. An die Stelle dieser „einseitige[n] noetischen Ausrichtung“ (U. Melle: Das Wahrnehmungsproblem und seine Verwandlung in phänomenologischer Einstellung, 66) tritt nun eine Differenzierung in eine noetische Seite, d.h. Bewusstseinsakte und Empfindungsinhalte, und eine noematische Seite, d.h. der intentionale Gegenstand, die in wechselseitiger Korrelation stehen. Hinzu kommt das „reine Ich“, das als identischer Ausgangspunkt aller Bewusstseinsakte gilt. Die Noesis ist dabei tatsächlich im Bewusstsein auffindbar (reell-immanent), während der intentionale Gegenstand zwar im Bewusstsein gegeben ist, aber eine transzendente Bedeutung hat (transzendent-immanent), also über dieses hinausweist. Vgl. Hua III, 218-237.

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Weiterhin kann der intentionale Gegenstand nicht auf das momentan in der Wahrnehmung Präsente reduziert werden. Zur Wahrnehmung eines Hauses gehört etwa nicht nur die gesehene Vorderseite, sondern ebenfalls die nicht eigentlich wahrgenommene, sondern nur ‚mitgemeinte‘ Rückseite. Das eigentlich Wahrgenommene, das auf zugrundeliegenden Sinnesdaten beruht, steht also notwendig sowohl in einem inneren Horizont in Form der aktuell nicht präsenten Seiten des Hauses, als auch in einem äußeren Horizont, der die räumliche und gegenständliche Umgebung desselben bildet. Die gegenständliche Wahrnehmung als Ergebnis dieser (horizont)intentionalen Beziehung oder Konstitution ist insofern auf die kinästhetischen Fähigkeiten des Leibes angewiesen, um diese Horizonte auch praktisch realisieren zu können. Darüber hinaus müssen weitere grundlegendere (genetische) Bewusstseinsleistungen angenommen werden, die Husserl später als passive Synthesen bezeichnet: Hierzu zählen Synthesen der Zeitlichkeit und Assoziation.34 Die Bestimmung eines Gegenstandes ist somit niemals vollständig, sondern muss sich in einem einstimmigen Wahrnehmungsverlauf erst bewähren. Wahrnehmung ist bei Husserl keine punktuelle visuelle Erscheinung, sondern ein dynamischer Erfüllungsprozess.35 Dass sich die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Gegenstand richten kann, bedarf, wie in dieser kurzen Darstellung deutlich wurde, einer Vielzahl an Identifikations- und Antizipationsleistungen, die Husserl als Bewusstseinssynthesen bezeichnet. Dabei wird Intentionalität als Grundstruktur des Bewusstseins angesehen, wobei dies nicht nur für höhere geistige Funkionen, wie z.B. Urteile und Stellungnahmen, sondern insbesondere für die Wahrnehmung gilt, die allen kategorialen (idealen) Sachverhalten zugrundeliegt. In ihr sind die Objekte unmittelbar „selbstgegeben“, ohne dass es dazu noch eines zusätzlichen geistigen Aktes bedarf, der ihre Einheit gewährleistet. Intentionalität ist insofern nicht vordergründig als sprachliche Struktur zu verstehen, sondern vielmehr als eine Form der Bewusstseinsorganisation, die uns zwar eine gegenständliche und kohärente Wahrnehmung ermöglicht, als solche aber selbst nicht ‚bewusst‘ bzw. thematisch ist. Sie ist die operante Voraussetzung dafür, dass uns überhaupt etwas gegeben ist, dem wir uns explizit zuwenden können, sei es in der näheren Wahrnehmung und/oder in der sprachlichen Thematisierung. 34 Siehe die Darstellung in Kapitel 2.1. 35 Wahrheit und Wirklichkeit sind bei Husserl nichts, was ein für alle Mal feststehen oder vollständig gegeben sein kann. Ihrem Sinne nach sind sie präsumtiv und müssen sich beständig in der Erfahrung ausweisen. Vgl. E. Ströker: Husserls transzendentale Phänomenologie. Frankfurt a. Main 1987, 124.

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Intentionalität ist damit eine Grundvoraussetzung für jede Form von Aufmerksamkeit, die Husserl zunächst als spezifische Bevorzugung bzw. Zuwendung zu einem bereits in irgendeiner Form gegebenen Etwas versteht.36

1.2 Aufmerksamkeit als Modifikation der Wahrnehmung (Edmund Husserl) Für die Phänomenologie Husserls spielt die Aufmerksamkeit im Gegensatz zur psychologischen Auseinandersetzung mit diesem Thema, das zur selben Zeit den Anteil mentaler Leistungen innerhalb der Wahrnehmung in den Vordergrund rückte, zunächst keine große Rolle. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als jede Wahrnehmung aus phänomenologischer Sicht notwendig durch subjektive Bewusstseinsleistungen bedingt ist. Jede gegenständliche Wahrnehmung hat infolgedessen eine apperzeptive Funktion, da sie in ihrem Sinn über das perzeptiv Gegebene hinaus geht. Das subjektive Element, das auch W. James als Kern der Aufmerksamkeit betont, gehört bei Husserl insofern ohnehin zur Beschreibung der ‚normalen‘ Wahrnehmung. Jede Wahrnehmung setzt eine spezifisch subjektive Zuwendung, d.h. Aufmerksamkeit in einem vagen Sinne, voraus. Dies ist einer der Gründe, weshalb Husserl dem Phänomen der Aufmerksamkeit keinen eigenen Platz einräumt und zunächst nur als Modifikation der Wahrnehmung bestimmt. In den Logischen Untersuchungen kommt der Begriff „Aufmerksamkeit“ nur am Rande vor37: Der Aufmerksamkeit wird an dieser Stelle kein eige36 Eine chronologische Darstellung der Intentionalität in Husserls Werk mit ihren verschiedenen Aspekten gibt z.B. John J. Drummond: The structure of intentionality. In: D. Welton (Hg.) The new Husserl. A critical reader. Bloomington/Indianapolis 2003, S. 65-93. Eine systematische Einführung liegt vor in: R. Bernet/I. Kern/E. Marbach: Edmund Husserl. Darstellung seines Denkens. Hamburg 21996, 85-96. Das frühe Konzept der Intentionalität in den Logischen Untersuchungen wird dargestellt in: D. Zahavi: Intentionaliät und Konstitution. Eine Einführung in Husserls Logische Untersuchungen. Kopenhagen 1992. 37 Dagegen trifft er in der 1904/1905 gehaltenen Vorlesung Hauptstücke aus der Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis, die in Band 38 der Husserliana Wahrnehmung und Aufmerksamkeit 2004 veröffentlicht wurde, eine dezidierte Unterscheidung zwischen einer strukturellen und thematischen Bestimmung von Aufmerksamkeit. Husserl spricht in diesem Zusammenhang von Aufmerksamkeit als Meinung, die eine spezifische Form der Intentionalität darstellt, und

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ner Aktstatus zuerkannt und ihre Funktion wird größtenteils mit derjenigen der Intentionalität gleichgesetzt. Sie umfasst insofern den ganzen Bereich der intentionalen Bewusstseinsakte, sowohl den anschauenden (sinnlichen) als auch den denkenden Teil und „reicht überhaupt soweit als der Begriff des Bewußtseins von etwas“38. Die Aufgabe der Aufmerksamkeit besteht damit lediglich in einer zusätzlichen Hervorhebung innerhalb einer schon intentionalen Struktur. Gleichzeitig wendet sich Husserl gegen die Auffassung, dass das Bemerken eine individuierende Funktion habe und den vorher unselbständigen Inhalten des Bewusstseins zu einer gesonderten Wahrnehmung verhelfe. Anstatt die Aufmerksamkeit als einzige „erhellende und pointierende Funktion“39 anzusehen, die die Bewusstseinsinhalte strukturiert, sollte man vielmehr die verschiedenen Formen von Bewusstsein berücksichtigen, etwa den Unterschied zwischen einer Gegenwärtigung (Wahrnehmung) und Vergegenwärtigungsformen (Erinnerung, Phantasie oder Bildbewusstsein) sowie deren verschiedene Geltungen und Wirklichkeitssetzungen.40 Zwar sind alles aktuelle, d.h. tatsächliche Bewusstseinsakte, aber die Art und Weise, wie sie etwas vorstellen, ist gänzlich verschieden. Im Gegensatz zu diesen deskriptiven Unterschieden stellt die Aufmerksamkeit einen Sonderfall dar. So kann man sowohl etwas aufmerksam wahrnehmen als auch aufmerksam auf einen erinnerten Gegenstand sein, sogar wenn dieser bei der vormaligen Wahrnehmung gar nicht aufgefallen war und nun erst im Akt der Erinnerung hervorgehoben wird.41 Wie Husserl mit dieser „Art merkwürdiger Bewußtseinswandlungen“42 umgehen soll, wird erst ersichtlich, wenn sie in den Ideen I im Rahmen der Wahrnehmung näher untersucht werden. Hierbei wird der Zusammen-

38 39 40 41 42

als Interesse, das er als gefühlsbedingten Motor der jeweiligen Wahrnehmung ansieht. Vgl. E. Husserl: Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Texte aus dem Nachlass (1893-1912). In: Husserliana Bd. XXXVIII . Hg. von T. Vongehr, R. Giuliani. Dordrecht 2004, 119. Die Beschreibung der Aufmerksamkeit als Interesse findet sich darüber hinaus in der Logik-Vorlesung von 1906/07 (E. Husserl: Einleitung in die Logik und Erkenntnistheorie. Vorlesungen 1906/07. In: Husserliana Bd. XXIV. Hg. von U. Melle. Dordrecht/Boston/Lancaster 1984) und den Vorlesungen zur Bedeutungslehre von 1908 (Hua XXVI) ebenso wie in den Spätwerken Erfahrung und Urteil und in den 2008 erschienenen Texten zur Lebenswelt (Hua XXXIX). Hua XIX/1, 168f. Ebd., 169. Vgl. ebd., 169. Vgl. Hua III, 76f. Ebd., 228.

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hang von Aktualität und Inaktualität innerhalb der Wahrnehmung in Form von graduellen Unterschieden der Aufmerksamkeit zum Thema. Wahrnehmung kann somit in verschiedene Aktualitätsstufen unterteilt werden: primäre (aktuelle) oder sekundäre Aufmerksamkeit bis hin zur völligen Unaufmerksamkeit, die Husserl auch als „tote[s] Bewußthaben[ ]“43 bezeichnet. Alles, was aktuell gerade nicht bemerkt wird, steht für potentielle Wahrnehmungen bereit. Das aktuell Wahrgenommene ist so immer von einem Boden aus Inaktualität umgeben: „[D]ie kontinuierlich fortlaufende Kette von cogitationes“ ist beständig „von einem Medium der Inaktualität“ umgeben, das immer bereit ist, „in den Modus der Aktualität überzugehen, wie umgekehrt die Aktualität in die Inaktualität“44. Aufmerksamkeit gilt demzufolge als Modifikation der Wahrnehmung in Bezug auf ihre Aktualität. Ein Wandel der Aufmerksamkeit lässt etwas aktuell werden, was vorher inaktuell, aber dennoch gegenständlich, d.h. innerhalb der Wahrnehmung, vorlag. Sie stellt einen bestimmten qualitativen Modus dar, der jeden Akt näher bestimmt. Mit der Unterscheidung zwischen Aktualität und Inaktualität im Wahrnehmungsfeld ist aber nicht die Aktualität des jeweiligen Aktes gemeint, sondern der aktuelle und mögliche Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit. Nicht die Bewusstseinstätigkeit, die Husserl im Anschluss an Descartes als cogito bezeichnet, sondern vielmehr das cogitatum, d.h. die Qualität des aufmerksam wahrgenommenen Gegenstandes, ändert sich: Es handelt sich nun mit diesem Achten oder Erfassen nicht um den Modus des cogito überhaupt, um den der Aktualität, sondern, genauer besehen, um einen besonderen Aktmodus, den jedes Bewußtsein, bzw. jeder Akt, der ihn noch nicht hat, annehmen kann. Tut er das, so ist sein intentionales Objekt nicht nur überhaupt bewußt und im Blick des geistigen Gerichtetseins, sondern es ist erfaßtes, bemerktes Objekt.45

Aufgrund der Aufmerksamkeit muss zwischen einer primären und einer sekundären Wahrnehmung unterschieden werden. Sie zeigt damit auf, dass jedes explizit Wahrgenommene notwendig auf eine sekundäre, unbemerkte gegenständliche Umgebung verweist, aus der es herausgegriffen wurde. Diese Umgebung muss ebenfalls in irgendeiner Form bewusst sein, wenn ein Wechsel der Aufmerksamkeit und der Wahrnehmung überhaupt

43 Ebd., 230. 44 Ebd., 79. 45 Ebd., 82.

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stattfinden soll. Husserl nennt diese Form des Bewusstseins „Hintergrundsanschauungen“.46 Im eigentlichen Wahrnehmen, als einem Gewahren, bin ich dem Gegenstande, z.B. dem Papier zugewendet, ich erfasse es als dieses hier und jetzt Seiende. Das Erfassen ist ein Herausfassen, jedes Wahrgenommene hat einen Erfahrungshintergrund. Rings um das Papier liegen Bücher, Stifte, Tintenfaß usw., in gewisser Weise auch „wahrgenommen“, perzeptiv da, im „Anschauungsfeld“, aber während der Zuwendung zum Papier entbehrten sie jeder, auch nur sekundären Zuwendung und Erfassung. Sie erschienen und waren doch nicht herausgegriffen, für sich gesetzt.47

Das aktuelle Wahrnehmungsfeld kann sich durch eine „freie Wendung des Blicks“48 ändern: So wandert die Aufmerksamkeit von dem „zuerst erblickten Papier auf die schon vordem erscheinenden, also ‚implizit‘ bewußten Gegenstände, die nach der Blickwendung zu explizit bewußten, ‚aufmerksam‘ wahrgenommenen oder ‚nebenbei beachteten‘ werden“49. Husserl sieht das Hauptmerkmal der Aufmerksamkeit in dieser „Art merkwürdiger Bewußtseinswandlungen“50, die auf die Zu- oder Abwendungen des Ich zurückgeführt werden. Er spricht an dieser Stelle von einem „geistigen Blick“ bzw. vom „Blickstrahl des reinen Ich“51 und insofern haben die attentionalen Wandlungen den „Charakter der Subjektivität“52. In den Ideen I wird besonders auf den subjektiven, ‚ichlichen‘ Charakter dieser Leistung hingewiesen, da in diesem Werk eine Differenzierung der Bewusstseinsakte in Noesen und ihre noematischen Korrelate erfolgt. Somit stehen nun sowohl das reine Ich, das alle Bewusstseinsakte begleiten muss, als auch der Gegenstand der Bewusstseinsakte im Vordergrund. Die 46 Ebd, 77. In diesen Beschreibungen ist bereits angelegt, was später als Horizontintentionalität einen zentralen Platz innerhalb der genetischen Phänomenologie Husserls einnehmen wird. Im Konzept der Horizontintentionalität wird nicht nur die räumliche Umgebung des Gegenstandes einbezogen, sondern auch die zeitliche wie subjektive Bedeutung. Der Horizont umfasst damit nicht nur die statische Beschreibungsebene der Umgebung eines Wahrnehmungsobjektes, sondern auch die konkrete Verwirklichung dieses Horizontes durch ein leibliches Subjekt (I, 81-83; XI, 6,9,10,11, 337-338). Insbesondere in den Texten (19161937) des 2008 veröffentlichten Lebenswelt-Bandes steht der Horizontgedanke im Zentrum (Hua XXXIX, 53-60, 67-142). 47 Hua III, 77. 48 Ebd., 77. 49 Ebd., 77. 50 Ebd., 228. 51 Ebd. 52 Ebd., 231.

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Aufmerksamkeit als Hervorhebung besonderer Gegenstände wird hier als Merkmal der Spontanität eines Ich gefasst: Der aufmerkende Strahl gibt sich als vom reinen Ich ausstrahlend und im Gegenständlichen terminierend, zu ihm hingerichtet oder sich von ihm ablenkend. Der Strahl trennt sich nicht vom Ich, sondern ist selbst und bleibt Ichstrahl. Das Objekt ist betroffen, Zielpunkt, nur zum Ich (und von ihm selbst) in Beziehung gesetzt aber nicht selbst subjektiv.53

Dieser aufmerkende „Scheinwerfer“ kann sich einigen Gegenständen zuwenden, die dann in besonders klarem Licht erscheinen. Durch die zusätzliche Funktion der Aufmerksamkeit wird zwar das intentionale Erlebnis als Ganzes und die konkrete Erscheinungsweise des Noemas (des ganzen Gegenstandes) verändert, nicht aber der Sinn des vermeinten Gegenstandes (der noematische Kern): „Dieser Beleuchtungswechsel ändert nicht das Erscheinende nach seinem eigenen Sinnesbestand, aber Helligkeit und Dunkelheit modifizieren seine Erscheinungsweise, in der Blickrichtung auf das noematische Objekt sind sie vorfindlich und zu beschreiben.“54 Aufmerksamkeit erscheint insofern in den Ideen I als eine Art ‚Beleuchtungsfunktion‘, die das Wahrgenommene in den Vordergrund hebt. Obwohl Husserl mit der Entdeckung des Horizontes als Dimension „uneigentlicher Mitgegebenheit“ eine für die Funktionen der Aufmerksamkeit ebenso wichtige Dimension eröffnet, spielt diese in seiner Definition nur eine geringe Rolle.55 Der Vergleich mit einem subjektiv gesteuerten „hellen Lichtkegel“ bringt Husserl den Vorwurf ein, eine reine ‚Scheinwerfertheorie‘ der Aufmerksamkeit zu vertreten, die keinerlei Auswirkungen auf die inhaltliche Ebene der Gegenstände hat, sondern diese nur zusätzlich hervorhebt. In der Tendenz mag diese Kritik zutreffen, im Einzelnen ist sie jedoch zu undifferenziert, da Husserl wiederholt betont, dass der Aufmerksamkeitswechsel zu einer entscheidenden Änderung der konkreten Dingwahrnehmung beiträgt. Jedoch muss trotz wechselnder Erscheinungsweisen der noematische Sinn eines Gegenstandes für Husserl derselbe bleiben, da nur dieser die Kohärenz der Wahrnehmung im zeitlichen Verlauf gewährleisten kann. Eine aktuell wahrgenommene Sache kann also nie völlig verschieden erscheinen, je nachdem in welcher Dingumgebung sie steht, welche Lichtverhältnisse vorherrschen oder ob es primär oder bloß nebenbei bemerkt ist. Ohne die Identität des Gegenstandes gäbe es für uns nur unzusammenhängende, isolierte Wahrnehmungen, aber 53 Ebd. 54 Ebd., 231. 55 Ebd., 100.

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keinen zeitlich kohärenten Wahrnehmungsverlauf, wie etwa das Hören einer Melodie. Dasselbe gilt für die attentionalen Wandlungen, sie können nur im Hinblick auf einen identischen Bezugspunkt als solche bestimmt werden. Die Aufmerksamkeit ist deshalb nicht in der Lage, den Inhalt eines vorher sekundär bemerkten Gegenstandes in der primären Wahrnehmung maßgeblich zu verändern: Nur weil sich nun die Aufmerksamkeit auf das zuvor nur vage aufgefasste Objekt richtet, wird es nicht plötzlich zu einem völlig anderen Objekt. Der noematische Kern ist etwas, das über die aktuelle Wahrnehmung hinaus Bestand haben muss. Er kann sich zwar im Verlauf zukünftiger Wahrnehmungen mit neuen Bedeutungen anreichern und damit auch einen anderen Sinn annehmen, insbesondere durch eine besondere Zuwendung in Form der Aufmerksamkeit. Die Veränderung ist dann aber keine unmittelbare, sondern nur eine mittelbare Folge der Aufmerksamkeit. Attentionale Wandlungen sind nach Husserl damit keine bloß äußerlichen Veränderungen, „vielmehr wandeln sich die konkreten Noemen durch und durch“, wobei es sich jedoch zugleich „um notwendige Modi der Gegebenheitsweise des Identischen“ handelt.56 Aufgrund der Notwendigkeit, sowohl einen identischen Ausgangspunkt (Ich), als auch einen identischen Bezugspunkt der Bewusstseinsakte anzunehmen, um deren Kohärenz zu gewährleisten, kann Husserl den attentionalen Wandlungen keine allzu große Bedeutung beimessen. In der Aufmerksamkeit bleibt „der noematische Bestand der Erlebnisse insoweit derselbe“57. Die Änderung bestehe, so sagen wir, parallele noematische Bestände heraushebend und vergleichend, bloß darin, daß im einen Vergleichsfalle dieses, im anderen jenes gegenständliche Moment ‚bevorzugt‘ sei, oder daß ein und dasselbe einmal ‚primär aufgemerktes‘, das andere Mal nur sekundär, oder nur ‚noch eben mitbemerktes‘ sei, wo nicht gar ‚völlig unbemerktes‘, obschon immer noch erscheinendes.58

Husserls Tendenz, die Aufmerksamkeit in seinen frühen Schriften letztendlich doch auf eine Beleuchtungsfunktion herabzustufen, bringt Gurwitsch dazu, Husserls Theorie, genauso wie die Konzeption der Psychologie seiner Zeit, als Scheinwerfertheorie der Aufmerksamkeit zu kritisieren.

56 Ebd., 230. 57 Ebd., 229. 58 Ebd.

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1.3 Aaron Gurwitsch: Die gestaltende Aufmerksamkeit In seinem 1929 in der Zeitschrift Psychologische Forschungen erschienenen Text Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich entwickelt Aron Gurwitsch eine Konzeption von Aufmerksamkeit anhand der Beschreibung des Gegebenen als „Thema“, „thematisches Feld“ und „Rand“. Die Untersuchung bezieht sich explizit auf Husserl und will „Phänomenologie sein in dem Sinn, der durch die ‚Ideen‘ fixiert ist“59. Phänomenologie wird in diesem Zusammenhang als „Lehre der Intentionalität“ bestimmt, aber nur insoweit, als sie zeigt, dass es „zum Wesen der Bewusstseinserlebnisse gehört, Gegenständliches vorstellig zu machen“60. Das eigentliche Interesse gilt somit der noematischen Ebene der intentionalen Korrelation. Die noetische Seite, d.h. die Bewusstseinsakte und ihre Modifikationen sind für ihn nur dahingehend wichtig, als dass sie die Erscheinung von Gegenständen ermöglichen. Um die Frage angemessen zu klären, wie uns Gegenstände gegeben sind, muss die Phänomenologie nach Gurwitsch darüber hinaus mit Erkenntnissen und Motiven der Gestalttheorie erweitert und modifiziert werden: „Das Ziel dieser Arbeit ist, bestimmte phänomenologische Probleme mit Hilfe der gestalttheoretischen Thesen zu bewältigen […].“61 Im Anschluss an Husserl begreift er den intentionalen Gegenstand (das Noema) als Thema der jeweiligen Wahrnehmung. Dabei ist aber nicht das volle Noema gemeint, sondern nur der „Wasgehalt am Noema“62, der noematische Sinn.63 Das Thema ist eingerahmt von einem thematischen 59 A. Gurwitsch: Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich. Studien über Beziehungen von Gestalttheorie und Phänomenologie. In: Psychologische Forschung, Bd. 12 /1929, 279-381, hier: 280. 60 Ebd., 281. 61 Ebd., 282. 62 Ebd., 288. 63 Gurwitsch unterscheidet nicht zwischen den wechselnden Erscheinungsweisen und dem bleibenden Sinn eines Noema, obwohl beide Aspekte zusammen nach Husserl erst ein volles bzw. konkretes Noema ausmachen. Die verschiedenen Gegebenheitsweisen eines Gegenstandes sieht er nicht in den verschiedenen Bewusstseinserscheinungen bzw. Perspektiven begründet, sondern in der gestalthaften Organisation der noematischen Ebene. Das, was uns gegeben ist, stellt daher bereits eine Einheit bzw. einen noematischen Sinn dar: Das Thema gilt als ‚Gestalt‘ im Sinne der Gestalttheorie und steht gleichzeitig mit dem thematischen Feld in einer gestalthaften Verbindung. Diese Auffassung hängt mit der gestalttheoretischen Annahme zusammen, dass Natur und Gegenstände bereits von sich aus Struktur und Sinn aufweisen. Es gibt demnach kein zusammenhangsloses Empfindungsmaterial, das im nachhinein geordnet werden muss (wie z.B. bei Hume), sondern nur ursprünglich sinnhafte Einheiten bzw. Gestalten. Das von

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Feld, das sich nicht nur als unmittelbares räumliches Umfeld, sondern vor allem durch seine sachliche Nähe zum Thema auszeichnet. Die räumliche Umgebung, die inhaltlich nichts mit dem gegenwärtigen Thema zu tun hat, bildet den Rand der Wahrnehmung. Thema und thematisches Feld stehen in einem Gestaltzusammenhang, d.h. die Gegenstandswahrnehmung wird durch das dynamische Zusammenspiel von beiden Komponenten strukturiert. Eine Veränderung des thematischen Feldes muss daher mit einer gleichzeitigen Veränderung des Themas einhergehen und umgekehrt. Die verschiedenen Möglichkeiten dieser Umstrukturierungen beschreibt Gurwitsch in dem genannten Text eingehend als thematische Modifikationen. Die attentionalen Wandlungen, die Gurwitsch in diesem Text nachfolgend untersucht, beziehen sich infolgedessen nicht auf die noetische Seite, d.h. auf die jeweiligen Zu- oder Abwendungen durch ein Ich, sondern vollziehen sich auf der noematischen Seite und betreffen damit nur den inhaltlichen bzw. sachlichen Gehalt eines Gegenstandes. Das Thema gilt hierbei als Korrelat des aktuellen Bewusstseins, während thematisches Feld und Rand als zwei unterschiedliche Formen der Inaktualität beschrieben werden. Das cogito, das bei Husserl im Anschluss an R. Descartes als absoluter Boden und Ausgangspunkt der Philosophie aufgefasst wird, gilt bei Gurwitsch nur noch als relativer Anfang bzw. methodischer Ausganspunkt. Ein ego, das den identischen Ausgangspunkt der Bewusstseinsakte ausmacht, lehnt Gurwitsch gänzlich ab. Dieses ego ist in der phänomenologischen Deskription für ihn nicht auffindbar, d.h. es kann insofern nur rückwirkend darauf geschlossen werden, als wir im Erlebnis immer bei den Sachen selbst sind. Ein spontanes Subjekt (Ich) anzunehmen, das die Bewusstseinserlebnisse initiiert, hält Gurwitsch daher für einen Fehlschluss.64 Husserl aufgegriffene kantische Frage, wie eine Einheit aus der Mannigfaltigkeit von Empfindungen entstehen kann, wird gemäß dieser Theorie nicht durch apriorische Kategorien oder Bewusstseinssynthesen beantwortet. Vielmehr ist der Grund für die wahrgenommene Einheit in der Struktur des Mannigfaltigen selbst zu suchen, in der „inneren Artung des Mannigfaltigen“. A. Gurwitsch: Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich, 298. 64 Das Ich wird von Husserl in den Ideen I zunächst als reines Ich bzw. Noesis eingeführt (vgl. Hua III, 194-196), um in seiner Funktion als Ich-Pol (vgl. Hua I, 100) die Identität und den Ausgangspunkt der jeweiligen Bewusstseinsakte zu gewährleisten. In späteren Texten (ab 1918) wird das Ich nicht nur als statischer Ausganspunkt der Akte behandelt, sondern genetisch betrachtet (vgl. E. Husserl: Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie. Zweites Buch. Phänomenologische Untersuchungen zur Konstitution. In: Husserliana Bd. IV. Hg.

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Er fühlt sich hingegen im Sinne einer deskriptiv orientierten Phänomenologie verpflichtet, „den ursprünglichen Standpunkt Husserls in den ‚Logischen Untersuchungen‘ erster Auflage gegen den veränderten Standpunkt der ‚Ideen‘ geltend zu machen“65. Unter Bewusstseinsakten (cogito) versteht Gurwitsch den Modus, in dem uns die realen Gegenstände der Welt bewusst sind, d.h. den Modus, in dem wir sie erleben. Dies gilt in gleicher Weise für die Aufmerksamkeit, die somit nicht eigens von den übrigen Bewusstseinserlebnissen unterschieden wird: Unter dem cogito und der damit zusammenhängenden Aufmerksamkeit ist nicht eine bevorzugende Beleuchtung zu verstehen, die vom Ich auf die Gegenstände geworfen wird. Dementsprechend werden wir die ‚Scheinwerfertheorie‘ der Aufmerksamkeit abzulehnen haben. Wandlungen der Aufmerksamkeit oder der Aufmerksamkeitsrichtung werden wir dann nicht mehr als Modifikationen der Beleuchtung oder der Beleuchtungsrichtung interpretieren dürfen, wie auch die von Husserl behauptete Subjektivität des Attentionalen uns zum Problem wird.66

Die zu kritisierende Aufmerksamkeitslehre67 ist nach Gurwitsch durch drei Merkmale gekennzeichnet: Sie bleibt erstens der Konstanzannahme verhaftet, behauptet zweitens die Subjektivität der Aufmerksamkeit und schreibt von M. Biemel. Den Haag 1952, 270; ders.: Phänomenologische Psychologie. Vorlesungen Sommersemester 1925. In: Husserliana Bd. IX. Hg. von W. Biemel. Den Haag 1962, 215; ders.: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Erster Teil: 1905-1920. Hg. von I. Kern. Den Haag 1973, 429; ders.: Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Zweiter Teil: 19211928. In: Husserliana Bd. XIV. Hg. von I. Kern. Den Haag 1973, 195f.; ders.: Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlass. Dritter Teil: 19291935. In: Husserliana Bd. XV. Hg. von I. Kern. Den Haag 1953, 353; Hua I, 101-103). Als Ich einer individuellen wie intersubjektiv und kulturellen Erfahrungsgeschichte hat es sedimentierte Sinnbestände aus früheren Erfahrungen, praktische und geistige Vermögen und Habitualitäten (bleibende Einstellungen und Gewohnheiten). Auf diese subjektive Dimension in der Untersuchung zu verzichten, bedeutet gleichzeitig, dass man Aufmerksamkeit nur als Struktur eines allgemeinen Bewusstseins bestimmen kann. Aufmerksamkeit und ihre aktiven wie passiven Motivationen sowie die Ausbildung von typischen (z.B. kulturellen) Aufmerksamkeitsprofilen müssen daher außen vor bleiben. 65 A. Gurwitsch: Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich, 319. 66 Ebd., 319f. 67 Eine solche Scheinwerfertheorie wird nach Gurwitsch z.B. von den Psychologen A. Pfänder und T. Lipps vertreten, aber auch Husserls Ausführungen werden zu dieser traditionellen Auffassung gerechnet. In diesem Sinne bezeichnet Husserl Aufmerksamkeit lediglich als „Titel für Vollzugsmodi von Akten“ und nennt ihre „hervorhebende Funktion“. Ebd., 320.

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ihr drittens eine einheitliche Funktion zu. Aufmerksamkeit wird demnach als eine vom Ich ausgehende Funktion oder psychische Tätigkeit verstanden, deren Leistung „immer die gleiche ist, unabhängig davon, worauf sie im konkreten Fall sich richtet“68. Kommt es zu einem Wechsel der Aufmerksamkeit, bedeutet dies einen subjektiven Wandel bei inhaltlicher Konstanz. Gegen diese Annahmen entwickelt Gurwitsch nun seine Untersuchungen über Thema, thematisches Feld und Rand. Im Zentrum stehen dabei die Modifikationen der Aufmerksamkeit, die er als Veränderung der Strukturzusammenhänge innerhalb dieser drei Gegebenheitsfelder bestimmt. Die Modifikationen finden damit sowohl auf der Ebene des inaktuellen Bewusstseins (thematisches Feld) als auch am bemerkten Gegenstand (Thema) selbst statt. Beide Ebenen stehen in einem Wechselverhältnis, sie gehen eine „Gestaltverbindung“ ein. In diesem Zusammenhang ist von einer Einheit von Thema und thematischem Feld die Rede.69 In der dargestellten Untersuchung wird der Begriff der gegenständlichen Umgebung bzw. jener der „Hintergrundsanschauungen“ von Husserl aufgenommen: „Betrachte ich etwa das Tintenfaß auf meinem Schreibtisch; um es liegen Stifte, Papiere, Bücher usw. herum; sie sind mir, während ich dem Tintenfaß im Modus cogito zugewendet bin, mitgegeben, sie bilden den ‚gegenständlichen Hintergrund‘ des Tintenfasses.“70 Über diesen unmittelbaren gegenständlichen Hintergrund hinaus ist uns aber noch mehr gegeben, z.B. ein Stück der Front des Nachbarhauses, ein Ausschnitt der Zimmerwände, die sich in meinem Blickfeld befinden etc. Wenn dies bei Husserl unterschiedslos zu demselben gegenständlichen Hintergrund gehört, so besteht hier nach Gurwitsch ein deutlicher deskriptiver Unterschied: Z.B. haben Stifte, Papiere und Bücher eine sachliche Verbindung zum Tintenfaß, während das für das Nachbarhaus und die Zimmerwände nicht gilt. Aber nicht nur ein anschaulicher Hintergrund bestimmt jede Wahrnehmung mit, auch „Erinnerungen, die auftauchen und Wünsche, die sich regen“, gehören zu der „Domäne des Mitgegebenen“.71 Gurwitsch schließt mit folgender Feststellung: „Das Gebiet des mit dem cogitativ Bewußten Mitgegebenen umfaßt ungeheuer Vieles und Verschiedenartiges“72. Er sieht sich vor die Aufgabe gestellt, „in diesem großen Gebiet prinzipielle Scheidungen vorzunehmen, seine natürlichen Provinzen sozusagen abzugrenzen“73. 68 69 70 71 72 73

Ebd., 323. Vgl. ebd., 329. Ebd., 299. Ebd. Ebd. Ebd.

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1.3.1 Das Thema: Wahrnehmungsnoema oder Gestalt? Die unterschiedlichen Provinzen im Bereich des Mitgegebenen erhalten nun bei Gurwitsch ihre Differenzierungen in Bezug auf das jeweilige Thema. Es fungiert als „organisierendes Zentrum“74. Das Thema ist dasjenige, womit wir aktuell beschäftigt sind.75 Im Sinne der Gestalttheorie wird es als Figur gefasst, um die sich ein Grund (das thematische Feld) anordnet: „Wir sind also nicht mit einem Thema beschäftigt, sondern mit einem Thema, das in einem Felde steht.“76 Innerhalb dieses thematischen Feldes gibt es verschiedene Qualitäten: von relativer Klarheit bis hin zur Unbestimmtheit, dem sogenannten „Nebel“77. Es kann sich dabei aufhellen bzw. aufklären: plötzlich wird etwa erkannt, dass ein Haus (Thema) von einem Maisfeld umgeben ist, während dies vorher nicht ersichtlich war. Es bewahrt aber immer eine gewisse Unbestimmtheit, was nach Gurwitsch daran liegt, „daß dieses Gebiet nicht begrenzt ist, sondern sich ins Unbestimmte, ‚nach irgendwohin‘ verliert“. 78 Gurwitsch begreift Aufmerksamkeit hier als aktuelles Bewusstsein: Fragen nach den konkreten Bedingungen der Aufmerksamkeit, also wieso etwas zum Thema wird, bleiben dabei ausgespart. Das, was Aufmerksamkeit als Phänomen ausmachen soll, findet sich allein in ihren Modifikationsformen. Durch die wechselseitige inhaltliche Bestimmung von Thema und thematischem Feld muss ein Wechsel der Aufmerksamkeit auch mit einer sachlichen Änderung bzw. Umstrukturierung des gesamten Wahrnehmungsfeldes einhergehen und kann daher nicht nur als „Beleuchtungsunterschied“ gewertet werden. In den folgenden Passagen der Abhandlung beschreibt Gurwitsch verschiedene Arten von thematischen Modifikationen. Zunächst solche, die das thematische Feld betreffen und die dadurch charakterisiert sind, dass 74 Ebd., 308. 75 Im Sinne Gurwitschs sollte man die Aktivität des Ich (Beschäftigung mit, das „Sich-richten-auf“) nicht zu sehr betonen, da er im Anschluss an Sartre von einer subjektlosen Konzeption des Bewusstseins ausgeht. Wie schwer es ist, über ein Thema unabhängig von einem Subjekt zu sprechen, wird an dieser Stelle aber bereits deutlich. 76 Ebd., 305. 77 Ebd., 326. 78 Ebd., 327. Diese Beschreibungen erinnern stark an Husserls Beschreibungen des Horizontes, der in den Analysen zur passiven Synthesis als eine „bestimmbare Unbestimmtheit“ (Hua XI, 6) charakterisiert wird. Gurwitsch bezieht sich in seinen Ausführungen aber ausschließlich auf die Ideen I von 1913, in denen das Horizontkonzept noch nicht eigens ausgearbeitet wurde.

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in ihnen das Thema konstant bleibt. Das Thema entspricht in diesem Sinne dem noematischen Kern bei Husserl, während das thematische Feld und seine Veränderungen in gewisser Weise die Rolle der wechselnden Erscheinungsweisen einnehmen. Dabei beschränkt sich das thematische Feld nicht auf die Wahrnehmung, sondern bezieht auch Wissen, Erinnerungen etc. mit ein. Ebenso wird nicht zwischen sinnlichen und kategorialen Inhalten, d.h. Wahrnehmungen und gedanklichen Vorstellungen, unterschieden, sondern beides wird gleichermaßen unter dem Titel „Thema“ abgehandelt. Das Thema (z.B. ein mathematischer Satz) wird also zunächst als ein „in sich abgeschlossenes abgegrenztes Gebilde“79 definiert und zeichnet sich damit durch eine relative Invarianz bzw. Konstanz aus. So bleibt ein mathematischer Satz derselbe, unabhängig davon, in welcher Einstellung ich mich mit ihm befasse. Anschließend werden verschiedene Modifikationen des thematischen Feldes beschrieben, bei denen das Thema konstant bleibt. Die Invarianz ist dabei nicht absolut gesetzt, sondern bezieht sich nur auf eine in Abstraktion zu fassende Schicht, den Inhalt des Themas: Das Ding, dass ich wahrnehme, kann ich in verschiedene Umgebungen bringen, ohne daß sich an ihm etwas ändert; es bleibt in jeder Umgebung dasselbe, das eine Ding, das mein Thema bildet, wie auch der pythagoräische Lehrsatz in jeder Einstellung, in der er zum Thema gemacht wird, der eine identische Satz, eben der pythagoräische Lehrsatz ist.80

Die Konstanz des Themas, die bei Husserl den intentional geleisteten noematischen Sinn des Gegenstandes ausmacht, ist bei Gurwitsch auf die „innere Verwandtschaft“81 zwischen dem Thema und seinem thematischen Feld zurückzuführen. Wenn das thematische Feld, z.B. in Form des geschichtlichen Wissens über den mathematischen Lehrsatz, erweitert wird, bleibt das Thema zwar identisch, aber zugleich findet eine ‚Umorientierung‘ statt: „Das Thema findet sich in ein geändertes Feld hineingestellt, es ist jetzt anders auf das Feld orientiert und ordnet sich ihm anders ein.“82 Eine weitere Form der thematischen Modifikation zeigt sich, wenn eine Sache aufhört Thema zu sein, d.h. wenn wir uns von ihr ab- und einem neuen Gegenstand zuwenden. Das vorherige Thema wird nun zu einem Teil des thematischen Feldes einer neuen aufmerksamen Wahrnehmung. 79 80 81 82

Ebd., 330. Ebd. Ebd., 329. Ebd., 328.

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Dabei wird es in seiner Qualität tangiert, aber nicht in seinem sachlichen Gehalt, auch hier herrscht eine Invarianz des Themas vor.83 Alterationen kommen im Verhältnis von Thema und thematischem Feld als neue Orientierungen, neue Bezüge etc. vor, dennoch bleiben die „Bestände ihrem gestalthaften Was nach dieselben“84. Trotz der Ansicht Husserls, dass eine Veränderung des Noema nicht durch die subjektiven Erscheinungsweisen (Perspektiven) hervorgerufen wird, sondern durch die gegenständliche Umgebung, besteht bis zu diesem Punkt eine weitgehende Übereinstimmung mit Gurwitsch in Bezug auf die attentionalen Wandlungen. Gurwitsch stellt in diesem Zusammenhang fest: „Für die genannte Sphäre von thematischen, oder, wenn man will, attentionalen Modifikationen ist, wie gesagt, die traditionelle Lehre von der Leistung der Aufmerksamkeit hinsichtlich des sachlichen Gehaltes des Aufgemerkten im Recht.“ Gleich im nächsten Satz fügt er allerdings hinzu: „Aber auch nur für dieses Gebiet“ 85. Die oben beschriebenen Modifikationen stellen somit nicht das ganze Phänomen dar, sondern beschränken ihre Darstellung auf die ‚Standardleistung‘ der Aufmerksamkeit. Im Anschluss versucht Gurwitsch nun, in einer dritten Serie thematischer Modifikationen zu zeigen, dass Aufmerksamkeit im eigentlichen Sinne eine inhaltliche Veränderung des Themas selbst, d.h. des noematischen Sinnes, herbeiführt. An diesem Punkt grenzt sich Gurwitsch radikal von Husserls Auffassung ab. In diesem Zusammenhang muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass Gurwitsch im Vergleich zu Husserl unter phänomenologischer Gegebenheit bzw. intentionaler Gegenständlichkeit etwas anderes versteht. Das Noema ist das, was uns nach Husserl durch Bewusstseinssynthesen und die Leistung der Auffassung als gegenständliche Einheit in seinen wechselnden konkreten Erscheinungsweisen gegeben ist. Als Unterlage der Auffassung fungieren die jeweiligen Empfindungen und das dazugehörige Empfindungsmaterial, das Husserl in der Abgrenzung zum physiologischen Reizbegriff Hyle nennt.86 Ein solche Materie der gegenständlichen 83 84 85 86

Ebd., 330f. Ebd., 334. Ebd., 336. Husserl bezeichnet in Anlehnung an das Aristotelische Konzept von Stoff und Form die einheitlichen sensuellen Erlebnisse bzw. Empfindungsdaten als „Hyle“ (vgl. Hua III, 207-212). Dies ist die phänomenologisch reduzierte und in einer zeitlichen Synthesis gegebene (und daher einheitliche) Empfindungsgrundlage, die zusammen mit einer sinngebenden bzw. beseelenden Auffassung (Form) das konkrete Erlebnis bildet. Erst durch die Auffassung wird die Hyle intentional, d.h. bekommt gegenständlichen Charakter. Hyle und Auffassung (intentionale

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Auffassung ist die notwendige Grundlage jeder Wahrnehmung, was sie von vergegenwärtigenden Bewusstseinsweisen wie etwa der Phantasie oder Erinnerung unterscheidet, die sich nicht durch Originarität, d.h. leibhafte Selbstgegebenheit, auszeichnen.87 Für Gurwitsch hingegen ist das Noema keine intentionale Leistung des Bewusstseins: Die phänomenologische Gegebenheit der äußeren Dinge durch das Bewusstsein unterscheidet sich nach ihm lediglich dadurch von einem realen Ding (einem ‚Ding-an-sich‘ im Sinne Kants, das unabhängig vom subjektiven Erleben besteht), dass es für uns nur aus der jeweiligen Perspektive und damit einseitig und unvollständig erscheint.88 Das reale, vollständige Ding ist als eine organisierte Totalität aller seiner möglichen Perspektiven zu verstehen: „The relation between a single perceptual appearance of a thing and the thing itself as a real existent may then be defined as that between one member of a noematic system and the system as a whole.“89 Hiermit geht Gurwitsch hinter die phänomenologische Reduktion zurück, die eine ontologisch neutrale Klärung derjenigen Frage ermöglichen soll, wie Sinn und Transzendenz im Bewusstsein selbst gebildet werden. Im Gegensatz zu Husserl ist nach Gurwitsch das, was uns von der Welt

morphe) bilden eine „merkwürdige Doppelheit und Einheit“ (Hua III, 209). Farben-, Tast- oder Tondaten (die nicht mit Merkmalen eines Gegenstandes wie Rauhigkeit, Härte oder Farbe als dingliche Beschaffenheit verwechselt werden dürfen) sind Komponenten in einem umfassenderen intentionalen Erlebnis: Über ihnen liegt eine „gleichsam beseelende, sinngebende […] Schicht […], durch die aus dem Sensuellen, das in sich nichts von Intentionalität hat, eben das konkrete intentionale Erlebnis zustande kommt“ (Hua III, 208). 87 Vgl R. Bernet/I. Kern/E. Marbach: Edmund Husserl, 111. Die Autoren kritisieren die irreführende Darstellung dieses Zusammenhangs als Repräsentation: „[D] enn Repräsentation bedeutet im normalen Sprachgebrauch Stellvertretung oder zumindest mathematisch feste Zuordnung, kaum aber leibhafte Selbstgegebenheit des Gegenstandes“ (112). Dieses Missverständnis liegt nicht nur in der „intellektualistischen Konstruktion“ (114) dieses Verhältnisses begründet, wie sie in den frühen Werken Husserl zu finden ist, sondern vor allem darin, dass hier die Leiblichkeit des Bewusstseins bzw. des empfindenden Subjekts noch nicht einbezogen wird. 88 Vgl. A. Gurwitsch: The field of consciousness. Louvain/Pittsburgh 1964, 184: „[W]e may define the appearance of a thing as the thing itself as given in particular one-sided manner of presentation or, to put it differently, as the apprehension of a system of appearances from the vantage-point of one of its members. “ 89 A. Gurwitsch: Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich, 229.

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erscheint, ein reeller, aber unvollständiger Teil derselben (Welt).90 Diese Annahme steht im Widerspruch zu seiner Definition des Themas als noematischer Sinn, das auch bei einer Modifikation des thematischen Feldes unverändert bleibt. Ebenfalls im Gegensatz zu der Bestimmung des Themas als Gestalt steht seine Interpretation des Wahrnehmungsnoemas. Gurwitsch betont immer wieder, dass wir in der Wahrnehmung auf eine sinnhafte Einheit gerichtet sind. Die von ihm selbst geforderte Gestaltkohärenz bzw. die potentiellen Ansichten des erscheinenden Gegenstandes versucht er durch eine Einbindung des Gesehenen in ein thematisches Feld und einen Rand zu leisten. Das Bewusstsein wird als Feld begriffen, das in aktuelle und inaktuelle Bereiche strukturiert ist. Da aber Gurwitsch davon ausgeht, dass uns in der Wahrnehmung eine sinnhafte Gestalt begegnet, die nicht wie bei Husserl in Empfindungsinhalte und Auffassungen unterschieden werden kann, besitzt er kein geeignetes Kriterium, um zu unterscheiden, was aktuell, d.h. eigentlich gegeben (z.B. die Seite eines Hauses) und was bloß mitgegeben (die Rückseite des Hauses) ist, d.h. nicht auf tatsächlicher Präsenz beruht. Dasselbe gilt für den Sachverhalt, in dem ein und dasselbe Noema einmal Inhalt einer Wahrnehmung und ein anderes Mal Inhalt einer Erinnerung oder Phantasie sein kann. Ebenso unklar bleibt, was die Transzendenz der intentionalen Gegebenheit eines Objektes der äußeren Wahrnehmung ausmacht, wenn der Unterschied zwischen Bewusstsein (Gegebenem) und Realität rein quantita90 Dieselbe Kritik äußert auch Melle, der die Widersprüchlichkeit dieser Annahmen aufzeigt. Wenn man das Noema im Sinne „einer einseitigen Präsentation des Gegenstandes selbst“ (85), d.h., „als de[n] Gegenstand, so wie er im Akt erscheint“ (86), versteht, impliziert dies nach Melle eine Identifizierung von Noema und Gegenstand. Das Noema ist dann der reale Gegenstand, eben nur „unter einer bestimmten Hinsicht betrachtet“ (86). Die postulierte Identität würde aber einige Probleme bereiten. So könnte zum Beispiel nicht geklärt werden, weshalb dasselbe Noema einmal als Inhalt einer Wahrnehmung und einmal als Inhalt der Phantasie oder Erinnerung fungieren kann. Vgl. U. Melle: Das Wahrnehmungsproblem und seine Verwandlung in phänomenologischer Einstellung, 85-87. Auch R. Bernet kritisiert die Art und Weise, wie Gurwitsch das Noema versteht, auch wenn er die Vorzüge einer „gestalthaften Interpretation des Erscheinungsfeldes“ betont. Das Ding-an-sich (die adäquate Gegebenheit eines Gegenstandes) ist nach Husserl eine regulative Idee der Wahrnehmung und darf nicht mit dem Gesamtsystem seiner möglichen Erscheinungen gleichgesetzt werden. Vielmehr muss es nach Bernet als „einheitliches, intentionales Korrelat dieser unendlichen Erscheinungsmannigfaltigkeit“ gefasst werden. So bleibt die Differenz zwischen Bewusstseinsgegebenheit (zweidimensional) und realem Gegenstand (dreidimensional) bestehen. R. Bernet: Endlichkeit und Unendlichkeit in Husserls Phänomenologie. In: Tijdschrift voor Filosofie 40/1978, 251-269, hier: 265.

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tiv bestimmt wird. Gurwitsch versucht den Dualismus von einem gegebenen Datum, das die sensuellen Reize eines äußeren Gegenstandes repräsentiert, und der subjektiven Leistung der Auffassung zu vermeiden, weil er darin einen „phänomenologisch unaufgelöste[n] Rest der physikalistischen Konstanzannahme“91 sieht. Stattdessen konstruiert die „Gestaltinterpretation des Noemas […] den Gegensatz von eigentlich und uneigentlich Gegebenem in der Wahrnehmung nicht als Dualismus von gegebenem Datum und begrifflichem Gedanken, sondern beschreibt ihn als bloss graduellen Unterschied der Bestimmtheit des anschaulich Gegebenen.“92 Dies widerspricht allerdings der von Gurwitsch angenommenen Identität von Noema und realem Objekt, da ein Gegenstand an sich nicht mehr oder weniger bestimmt sein kann, sondern nur unsere Erscheinung von ihm: „Die ästhetische Erscheinung ist nicht die erscheinende Seite des Gegenstandes selbst, sondern diese wie sie gerade erscheint.“93 Selbst die aktuell gegebene Seite eines Gegenstandes weist nach Husserl schon verschiedenste Empfindungskomplexionen auf, z.B. durch Augenbewegungen oder verschiedene Lichteinflüsse. Bereits auf dieser vorintentionalen Empfindungsebene bildet sich eine Einheit aus diesen verschiedenen „Abschattungen“94 der gegebenen Seite. Um in der Mannigfaltigkeit der verschiedensten Eindrücke einen Gegenstand für das Subjekt überhaupt erfahrbar 91 Vgl. U. Melle: Das Wahrnehmungsproblem und seine Verwandlung in phänomenologischer Einstellung, 89. 92 Ebd., 94-95. 93 Ebd., 103. 94 Husserl bezeichnet die Abschattungen zunächst als der Noesis zugehörig, d.h. als dem Bewusstsein reell-immanent. Da die Abschattungen aber bereits eine Ausdehnung und gewisse Farbqualitäten aufweisen, wurde dies in der Forschung kritisiert. Man einigte sich darauf, Abschattung als etwas aufzufassen, das zur noematischen Ebene gehört. Vgl H. U. Asemissen: Strukturanalytische Probleme der Wahrnehmung in der Phänomenologie Husserls. In: Kantstudien 73. Köln 1957. R. Bernet bemerkt, dass Husserl sich selbst in späteren Texten an einer noematischen Wahrnehmungsanalyse orientiert, in der Begriffe wie das Erscheinungsfeld im Zentrum stehen. Vgl. R. Bernet: Endlichkeit und Unendlichkeit in Husserls Phänomenologie der Wahrnehmung, 264. Der Gegensatz von Erscheinungsweise und Empfindungsinhalt schwindet zusehends, wenn die leibliche Dimension der Empfindung ins Zentrum rückt. Abschattungen sind direkt auf die Bewegung und leibliche Empfindung bezogen, der Leib ist als Leib-Körper immer schon räumlich bzw. transzendent. Empfindungen weisen daher eine direkte (taktuelle) oder indirekte (visuelle) Lokalisation im Leib auf. Auf dieser Ebene können Abschattungen als leibliche Intentionalität bzw. ursprünglich räumliche und zeitliche Erfahrungen gelten, die weder reine Bewusstseinsweisen, noch isolierte Emp-

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zu machen, gibt es, wie Ullrich Melle mit Husserl betont, eine optimale Gegebenheit im Wahrnehmungsprozess. Dies ist aber nicht die vollständige Übereinstimmung von ästhetischer Erscheinung und einem für uns nicht zugänglichen Gegenstand an sich, d.h. der vollständigen Gegebenheit eines Gegenstandes, sondern „[was] als optimale Erscheinung gilt, ist jeweils abhängig davon, mit welchem Interesse ich dem Gegenstand zugewendet bin“95. Gurwitsch verzichtet auf diesen subjektiven, handlungsorientierten Faktor der Wahrnehmung und bleibt mit seiner Interpretation des Noema einer Auffassung verhaftet, die von einem an sich bestimmten Gegenstand ausgeht. Wenn der äußere Gegenstand es aber selbst ist, der sich dem Bewusstsein durch eine seiner Seiten zeigt, scheint es, dass sich der Gegenstand qua seiner Seite sowohl im Bewusstsein befindet als auch mit seinen übrigen Seiten außerhalb desselben. Hier findet entgegen der eigentlichen Intention Gurwitschs eine Verdoppelung der Wirklichkeit statt. Das Noema ist jedoch dasjenige, was wir sehen. Es steht dabei immer in der Ambivalenz zwischen wechselnden Erscheinungsweisen und gemeintem Sinn, der durch vorangegangene Wahrnehmungen und Erfahrungswissen geprägt ist. Um Objektivität bzw. Transzendenz zu gewährleisten, muss keine zusätzliche Realitätsstufe angenommen werden. Sie stellen sich durch intersubjektive Übereinkunft und einen zeitlich einstimmigen Erfahrungsverlauf her, der sich jeden Tag und zusammen mit Anderen ausweist. Auch wenn Gurwitsch nicht dem „Vorurteil einer fertigen Welt“96 verhaftet bleibt, die nur noch erkannt werden muss, sondern Welt bzw. Gegenständlichkeit als interdependentes System versteht, das sich nach eigenen Regeln umstrukturiert bzw. Veränderungen unterliegt, bleibt hier die Verbindung von Subjekt und Welt zu einseitig bestimmt. findungsinhalte darstellen. Vgl. John J. Drummond: The structure of intentionality, 80; K. Held: Husserl’s phenomenology of the life-world, 41-42. 95 U. Melle: Das Wahrnehmungsproblem und seine Verwandlung in phänomenologischer Einstellung, 104. Dies betont auch J. Drummond. Er verweist auf die Wichtigkeit eines praktischen Interesses im Wahrnehmungsprozess: „The practical interest limits the goal of precise determination to those features relevant to our interest in the object and, at the same time, limits the degree of precision necessary in order for those interests to be satisfied.“ J. Drummond: The structure of intentionality, 81. 96 Mit diesem Ausdruck umschreibt B. Waldenfels Merleau-Pontys Kritik an der rationalistischen wie empiristischen Position. Diese gehen nach Merleau-Ponty von einer immer schon feststehenden Objektivität bzw. Idealität aus, die nur rational erkannt bzw. empirisch messbar gemacht werden muss. Vgl. B. Waldenfels: Phänomenologie in Frankreich. Frankfurt a. Main 21998, 162.

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Wenn Gurwitsch im Gegensatz zu Husserl und der Tradition im Anschluss den eigentlichen Sinn von Aufmerksamkeit als radikale Modifikationen des Themas, d.h. des Noemas selbst, aufzuzeigen versucht, gilt es, auf die oben erläuterten unterschiedlichen Konzeptionen Rücksicht zu nehmen. Diese Modifikationen, in denen das Thema „gerade seinem sachlichen Bestande nach in tiefgreifender, obwohl von Fall zu Fall anderer Weise angegriffen wird“97, beschreibt Gurwitsch als Umstrukturierung, Verselbstständigung und Synthetisierung. Das Thema, das einer radikalen Veränderung unterliegt, versteht Gurwitsch als Gestalt. Als solche differenziert es sich in ausgezeichnete und weniger ausgezeichnete Bestände. Es hat daher Teile bzw. Merkmale, die eine „schwerere Gewichtigkeit“ haben als andere und die das Gepräge, den Sinn des Themas (des noematischen Was) bestimmen. „Wir pflegen zu sagen: für die Erscheinung ist das und das in ihr charakteristisch […].“98 Diese bevorzugten Bestände bezeichnet Gurwitsch als die „gestaltenden“, während die umgebenden Teile durch sie gestaltet werden.99 Durch die innere Differenziertheit des Themas kann es bei wechselnder Aufmerksamkeit zu einer Umstrukturierung kommen: „[W]as geschieht, wenn in der genannten Struktur eine Änderung vor sich geht, wenn etwa eins der von ihr umspannten Momente seine Funktion ändert?“100

1.3.2 Aufmerksamkeit und die Modifikationen des Themas Die erste Form einer radikalen Modifikation des Inhaltes durch die Aufmerksamkeit bezeichnet Gurwitsch als Umstrukturierung und beschreibt diese anhand von drei Beispielen. In einem ersten Beispiel wechselt unser Interesse in Bezug auf die Merkmale eines Gegenstandes. In der Wahrnehmung eines Kartons, an dem uns zuvor die Farbe interessierte und diese daher als dominierendes Moment der Wahrnehmung galt, steht nach einem Wechsel der Aufmerksamkeit nun dessen Form im Zentrum: „Jetzt ist es das Rechteckhafte, das dem Gegebenen die Ausprägung gibt.“101 Die Farbe ist nun lediglich als eine Qualität des Rechteckes bestimmt. Diesen Sachverhalt erläutert Gurwitsch weiterhin in einem zweiten Beispiel: Ein graphisches Symbol ϕ kann einmal als griechisches ϕ gesehen 97 98 99 100 101

A. Gurwitsch: Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich, 338. Ebd., 293. Ebd., 293f. Ebd., 338. Ebd.

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werden und einmal als kleines lateinisches s. Schlägt die S-Auffassung in die ϕ-Auffassung um, so bleibt nach Gurwitsch „weder der Bogen, was er war, noch auch die Schleife“102. Der Bogen verliert nach dem Wechsel seine Funktion, ‚Stamm‘ zu sein, die er vorher in der S-Auffassung inne hatte. Nun hat er keine statische Funktion mehr, sondern ist bloß noch Appendix. Einen ähnlichen Wechsel illustriert das dritte Beispiel, die bekannte Kippfigur des dänischen Psychologen Edgar J. Rubin: In der Wahrnehmung der Kippfigur ändert die Begrenzung zwischen den schwarzen und weißen Flächen ihre Gestalt (Gesichter oder Vase/Pokal) je nach Auffassung: einmal ist sie Kontur des weißen Pokals, einmal Kontur der beiden schwarzen, sich anschauenden Gesichter. Gurwitsch behauptet, dass sich in diesen Fällen der identische Sinn des Themas ändert. Da das Thema als Gestalt aufgefasst wird, ist es nach der Definition des Gestaltpsychologen Kurt Koffka dadurch gekennzeichnet, dass „in der Gestalt jeder Teil seinen Platz und seine Eigenschaft als Teil des Ganzen besitzt“103. Die Veränderung eines Teiles beeinflusst daher die gesamte Gestalt. In den oben aufgeführten Modifikationen stellt sich nach Gurwitsch „jeweils ein neues Thema her“: „Das eine Thema wird durch ein anderes abgelöst, das eine sachliche Was durch ein anderes.“104 Nachdem der vorherige Gestaltzusammenhang durch einen Wechsel der Aufmerksamkeit verändert wurde, gilt dies auch für die jeweiligen Teile der Gestalt, die nun eine andere Funktion annehmen. In den dargestellten Fällen der „Umstrukturierung“ bleibt „nichts wie es war“105. In der Wahrnehmung einer Kippfigur hat z.B. ein Strich, der einmal als Teil der Kontur des Pokals aufgefasst ist, mit dem „objektiv, d.h. physikalisch-reizmäßig selbe[n] Strich in einer anderen Konfiguration (die Konturen der zwei Gesichter)“ nichts mehr zu tun. Er hat „erlebnismäßig ein völlig anderes Aussehen, ist gar nicht derselbe Strich“106. Die Leistung der Modifikation liegt für Gurwitsch aber nicht in der unterschiedlichen Auffassung, sondern in der Beschaffenheit der jeweiligen Gestalt, die ihrem Wesen nach unterschiedliche Modifikationen zulässt. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass Gurwitsch als Anlass für die Modifikationen auf eine bestimmte Auffassung bzw. auf ein Interesse zurückgreifen muss, das er doch als Ausgangspunkt der Aufmerksamkeit 102 103 104 105 106

Ebd., 339. Ebd., 340. Ebd. Ebd. Ebd.

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bei Husserl und anderen kritisierte. Er hebt ausdrücklich hervor, dass Aufmerksamkeit und der jeweilige Kontext bestimmen, was und wie wir etwas sehen. Seine Kritik an der Auffassung, dass der noematische Sinn in den attentionalen Wandlungen derselbe bleiben muss, geht an dieser Stelle aber an Husserl vorbei. Das erste Beispiel macht bereits das unterschiedliche Verständnis in Bezug auf den Noema-Begriff deutlich. Man kann an einem Gegenstand auf spezielle Seiten und Merkmale, wie seine Farbe, Form etc. achten. In diesem Punkt stimmen beide Positionen überein. Im Sinne Husserls setzt aber eine solche spezielle Intention auf diese Merkmale bereits eine gegenständliche Auffassung bzw. einen identischen Sinn, z.B. den des Kartons, voraus. Ohne diesen Sinn wäre es nicht möglich von seiner Farbe oder Form zu sprechen, von denen wir nie eine isolierte Wahrnehmung haben. Beide treten nur als Komponenten eines Gegenstandes auf. Hierfür muss dieser phänomenologisch gegeben sein. Die Wahrnehmung des ganzen Gegenstandes steht außerdem in einer zeitlichen Verbindung zu den Sonderwahrnehmungen (Farbe, Form), d.h. es kann sich nicht um zwei unabhängige Wahrnehmungen handeln, sondern sie stehen in einem Erfahrungszusammenhang. So sind z.B. die vorherigen Ansichten des Kartons oder das Vorwissen über diesen Gegenstand in jeder neuen Wahrnehmung ‚mitbewusst‘. Die Änderung durch Aufmerksamkeit vollzieht sich also bei Husserl erst auf der gegenständlichen Ebene, während bei Gurwitsch das Erscheinende immer Teil des Systems des realen Gegenstandes ist. Im zweiten Beispiel kommt es daher nach Husserl ebenso wenig zu einer Veränderung des Sinnes, sondern es handelt sich um zwei verschiedene Auffassungen desselben Empfindungsmaterials, d.h. um zwei unterschiedliche Wahrnehmungen. Dasselbe gilt für die Kippfigur von Rubin. Wenn man das Bild einmal als Pokal gesehen hat, bereitet ein Wahrnehmungswechsel Schwierigkeiten. Nach einer ersten Ambivalenz des Bildes legt man sich also auf eine Gestalt fest, die nur durch bewusste Konzentration geändert werden kann. Eine zweite Form der Modifikation des Themas stellt die Verselbständigung dar. Sie ist mit der oben besprochenen Umstrukturierung verwandt, im Gegensatz zu ihr aber nicht universell, da sie nicht alle Momente des Themas betreffen kann. Als Beispiel nennt Gurwitsch eine Strichkonfiguration in Form von vertikalen parallelen Linien. Diese Gruppe stellt das Thema dar. Jeder Strich innerhalb dieser Konfiguration hat seine Funktion: Z.B. bildet der äußerste Strich die Grenze der Gruppe. Dieser Strich wird nun verselbständigt, also selbst zum Thema gemacht: Alles, was ihm als Moment des Strukturgefüges zukam, verliert er, sowie er dem Gefüge nicht mehr angehört. Es handelt sich gar nicht mehr um den-

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selben Strich wie vorher; wir haben geradezu einen anderen Gegenstand gegeben. Der Strich als Thema für sich, der isolierte Strich, und der Strich als Moment der erwähnten Strichkonfiguration, sind völlig verschiedene Objekte, sie haben kaum etwas Gemeinsames.107

Aus einem Teil eines Strukturzusammenhangs ist nun ein eigenes Thema (Figur) geworden, dessen thematisches Feld (Grund) die Strichkonfiguration ist. Im Gegensatz zur Umstrukturierung hat der Strich nun keine Funktion innerhalb der vorherigen Struktur mehr inne, sondern er „ist gar nicht mehr als Moment gegeben“108. Die Verselbständigung ist daher nach Gurwitsch die „radikalere Modifikation“109, weil sie eine andere Dimension der Veränderung eines Themas aufzeigt. In diesem Zusammenhang stellt sich aber die Frage, wie eine solche Verselbständigung stattfinden kann, wenn nicht durch ein besonderes Interesse in Form eines expliziten Herausgreifens der Linie aus ihrem bisherigen Kontext. Um den Strich im obigen Beispiel nicht mehr als Teil einer Figur aufzufassen und in einer eigenen Wahrnehmung thematisieren zu können, bedarf es einer willentlichen Fokussierung. Die inverse Modifikation zur Verselbständigung bildet die Synthetisierung, in der ein vorher selbständig Gegebenes nun als Moment einer umfassenderen Gestalt aufgefasst wird. Als Beispiel führt Gurwitsch folgendes Beispiel an: Zunächst ist man mit einem spezifischen Konzept der Philosophie Descartes beschäftigt, etwa der Lehre von der unio corporis ac mentis. Dieses Konzept wird aber nun in einem zweiten Schritt Teil eines umfassenderen Themas, nämlich Descartes Einstellung zur Philosophie. Das vorherige Thema (Figur) verschmilzt nun mit dem bisherigen thematischen Feld bzw. „der Grund nimmt das Thema in sich auf und durchsetzt es“110. So entsteht ein neues Thema: „Unser neues Thema ist die Philosophie Descartes‘, vielleicht zentriert auf seine Lehre von der unio corporis ac mentis; aber diese Lehre hat nur als Moment des Gesamtthemas ihren Anteil am thematischen Bewusstsein.“111 An dieser Stelle ist es schwierig, einen direkten Vergleich zu Husserl zu ziehen, da Gurwitsch seinen Thema-Begriff nicht auf die Wahrnehmung beschränkt. Der Terminus kann ebenfalls, so wie in diesem Beispiel, eine theoretische Beschäftigung mit etwas bezeichnen. Gerade in diesem Zusammenhang reicht es nicht aus, nur von einer gestalttheoretischen Struk107 108 109 110 111

Ebd., 342. Ebd. Ebd. Ebd., 345. Ebd.

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turierung des Gegenständlichen auszugehen. Das Vorwissen und das theoretische Interesse stellt für eine Synthetisierung in diesem Bereich eine grundlegende Voraussetzung dar. Thema und thematisches Feld haben nach Gurwitsch nicht nur eine räumliche, sondern vor allem eine inhaltliche Bedeutung. Eine solche Bedeutung, wie z.B. die von Descartes Konzept innerhalb seiner Philosophie, macht aber nur Sinn, wenn es eine Bedeutung für jemanden ist, der damit etwas anfangen kann. Zu einem Thema wird etwas nicht nur aufgrund einer dem System inhärenten Umstrukturierung, sondern innerhalb einer konkreten Handlung eines Subjekts. Dies muss nicht heißen, dass eine Handlung mit all ihren einzelnen Schritten willentlich bzw. thematisch sein muss. Motivationen für eine Handlung oder verschiedene Interessen sind intersubjektiv (kulturell), d.h. diskursiv vermittelt und daher in den seltensten Fällen explizit bewusst. Sie können, wenn überhaupt, erst in einer nachträglichen Reflexion thematisiert werden.

1.3.3 Die Problematik einer subjektlosen Konzeption der Aufmerksamkeit Gurwitschs Versuch, Aufmerksamkeit primär als Verhältnis zwischen den thematischen Gegenständen und ihrem thematischen Umfeld und nicht (mehr) in Form von subjektiven Gegebenheitsweisen zu bestimmen, löst die der Struktur der Intentionalität inhärente Spannung zugunsten der gegebenen Gegenstände auf. Allein die noematische Ebene ist seiner Meinung nach einer phänomenologischen Beschreibung zugänglich. Die attentionalen Wandlungen innerhalb dieser Ebene beschreibt er als Überführungen eines Themas in verschiedene thematische Felder, Erweiterungen bzw. Veränderungen des thematischen Feldes, oder als radikale Modifikation des Themas selbst. Aufmerksamkeit ist demnach primär als Umstrukturierung bzw. Gestaltwechsel bestimmt. Ob sie den Grund für diese strukturellen Veränderungen oder deren Resultat darstellt, wird von Gurwitsch nicht näher erläutert. Das von ihm formulierte allgemeine Überführungsgesetz, wonach „jeder phänomenalen Gegebenheit […] wesensgesetzlich andere zugeordnet [sind], in die sie überführt werden kann“112, soll nicht in Bezug auf die jeweiligen Gegebenheitsweisen verstanden werden.

112 Ebd., 349.

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Im Anschluss an Jean-Paul Sartre vertritt Gurwitsch eine subjektlose Konzeption des Bewusstseins. Dies prägt auch seine Auseinandersetzung mit dem Thema der Aufmerksamkeit. Das Subjekt ist innerhalb der Aufmerksamkeit nicht thematisch und daher in der phänomenologischen Beschreibung nicht auffindbar. Hieraus ergeben sich einige Engführungen, die für eine umfassende Analyse des Phänomens problematisch sind. Diese Aspekte werden im Folgenden zusammengefasst. 1) Gurwitsch richtet sich gegen die Annahme, dass die Aufmerksamkeit und ihre Wandlungen auf die Subjektivität zurückgehen und sieht in ihr eine Organisationsform, die dem Gegebenen inhärent ist. Mit der Gestaltpsychologie geht Gurwitsch davon aus, dass nicht erst das Subjekt das Wahrgenommene strukturiert, sondern dass das unmittelbar Gegebene schon eine „ursprüngliche[ ] Geordnetheit, Strukturiertheit und Sinnhaftigkeit“113 aufweist. Aufmerksamkeit ist daher gleichbedeutend mit der gestalthaften Organisation des Gegebenen. Eine solche Bestimmung kann die Eigentümlichkeit des Phänomens nicht erfassen, da sie Aufmerksamkeit mit Bewusstheit allgemein gleichsetzt. Die Frage, wieso etwas für uns zum Thema wird, oder zugunsten eines neuen Themas in den Hintergrund gerät, wird von Gurwitsch damit nicht beantwortet. Gurwitsch geht vielmehr von einer schon bestehenden Aufmerksamkeit (Thema) aus und diskutiert mögliche strukturelle Veränderungen des Zusammenhangs mit seinem gleichzeitig gegebenen thematischen Feld. 2) Das Thema versteht er mit Husserl als Noema114, dies aber in dem oben spezifisch dargestellten Sinn. Dabei unterscheidet er in seinem The113 Ebd., 297. 114 Der Begriff des Noema ist in Husserls eigenen Darstellungen in den Ideen I durch eine gewisse Ambivalenz gekennzeichnet. Die Forschungsliteratur scheidet sich diesbezüglich in zwei Positionen, erstens in die fregeanische und zweitens in die ontologische Interpretation. Die erstere begreift das Noema als identische ideale Bedeutung: „Noemata are abstract entities.“ (D. Føllesdal: Husserl’s notion of noema. In: Journal of Philosophy 66/1969, 680-687, hier: 684). Ebenso H. L. Dreyfus: Husserl’s perceptual noema. In: H.L. Dreyfus/H. Hall (Hg.): Husserl, Intentionality and Cognitive Science. Cambridge 1982; D.W. Smith/R. McIntyre: Husserl’s identification of meaning and noema. In: The Monist 59/1975, 115-132; D.W. Smith/R. McIntyre: Husserl and intentionality. Dordrecht 1982. Die ontologische Interpretation hingegen versteht das Noema als objektives Korrelat eines Aktes in seiner phänomenologisch reduzierten Form. Vgl. R. Sokolowski: Intentional analysis and the noema. In: Dialectica 38/1984, 113-129, hier: 128; ders.: Husserl und Frege. In: The Journal of Philosophy 84/1987, 521-528; J. Drummond: Husserlian intentionality and non-foundational realism. Dordrecht 1990. R. Bernet nimmt eine Zwischenposition ein, indem er den oben genannten Streit auf ein Missverständnis zurückführt. Ihm zufolge muss zwischen der Ebene der

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ma-Begriff nicht zwischen einem Wahrnehmungsnoema, wie z.B. einem Strich oder einer Kippfigur, und einem kategorialen Thema, wie z.B. Descartes Theorie. Vielmehr differenziert Husserl strikt zwischen einem Wahrnehmungs- und einem kategorialen Noema. Jeder kategorialen Einheit muss bereits eine Einheitsbildung in der Wahrnehmung zugrunde liegen. Der einheitliche Sinn einer Wahrnehmung hat daher eine andere Funktion als die Invarianz eines kategorialen Themas. Er verbürgt die Kohärenz des zeitlichen Wahrnehmungsverlaufs und ermöglicht somit erst eine gegenständliche Auffassung. Diese Einheit wird in späteren Texten von Husserl als affektive und passive Einheitssynthese charakterisiert.115 Sie steht in Zusammenhang mit der subjektiv-leiblichen Bewegung und Empfindung und ist daher schon vor-intentional Teil eines leiblichen Empfindungsfeldes. Ein Wahrnehmungsnoema kann somit nicht in der gleichen Weise wie eine kategoriale Einheit von seinem Horizont (thematischem Feld) isoliert werden. Diesen Aspekt betont auch Merleau-Ponty in seiner Kritik an Gurwitsch.116 In Hinsicht auf die fehlende Unterscheidung zwischen der Funktion der Aufmerksamkeit innerhalb der Wahrnehmung und auf kategorialer Ebene, z.B. in Form eines thematisierten theoretischen Sachverhaltes, relativiert sich der Vorwurf an Husserl, eine bloße

Bedeutungs- und Erkenntnistheorie in der Frage nach dem gegenständlichen Bezug differenziert werden. Der gegenständliche Bezug innerhalb einer Bedeutungstheorie ist demnach nicht um Wahrheitsfragen bemüht, sondern die tatsächliche Existenz seines Sinnes ist für die sprachliche Bedeutung unwichtig. In erkenntnistheoretischer Sicht kommt dagegen in der anschaulichen Gegebenheit des Gegenstandes die Referenz auf eine objektive Realität mit ins Spiel. Vgl. R. Bernet: Husserls Begriff des Noema. In: S. Ijsseling (Hg.): Husserl-Ausgabe und Husserl-Forschung. Dordrecht 1990, 61-80. Zu dieser Forschungsdiskussion s. außerdem: D. Zahavi: Husserl’s phenomenology, 57-66. 115 Einen genetischen Ansatz in Bezug auf die Interpretation des Noema-Begriffs und seiner passiven Dimension vertritt L. R. Rabanaque. Er spricht von einem passiven Noema, in dem die Hyle eine durch formale (zeitliche) und inhaltliche (assoziative) Synthesen konstituierte Einheit im Bewusstseinsstrom ist. Der noematische Sinn ist dabei kein statischer, sondern nur innerhalb eines Horizontes als „Netz von sehr komplexen zeitlichen und assoziativen Verweisungen“ zu begreifen. Vgl. L.R. Rabanaque: Passives Noema und die analytische Interpretation. In: Husserl Studies 10/1993, 65-80, hier:75. 116 Dies kritisiert Merleau-Ponty in seinen Lesenotizen zu Gurwitsch, die 1997 zum ersten Mal in der Revue de Métaphysique et de Morale veröffentlicht wurden. Vgl. M. Merleau-Ponty: Reading notes and comments on Aron Gurwitsch’s the field of consciousness. Ed. von S. Ménasé, übers. von E. Locey/T. Toadvine. In: Husserl Studies 17/2001, 173-193, hier: 184, 189.

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‚Scheinwerfertheorie‘ der Aufmerksamkeit zu vertreten, die den bemerkten Gegenstand lediglich hervorhebt. 3) Gurwitschs Annahme, dass die partielle subjektive Erscheinungsweise des Gegenstandes der realen Seite eines äußeren Objektes entspricht, wird weiterhin der Dynamik des Wahrnehmungsgeschehens nicht gerecht. Der reale Gegenstand, das Ding-an-sich, wird als funktioneller Zusammenhang aller seiner möglichen Erscheinungen gedacht. Dies erklärt aber nicht, wann ein Gegenstand für uns seine optimale Gegebenheit erreicht hat. Als Ziel der Aufmerksamkeit gilt sowohl bei Husserl als auch bei Gurwitsch eine klare und deutliche Wahrnehmung der Gegenstände. Ein thematisches Feld kann demnach bei Gurwitsch mehr oder weniger deutlich bestimmt sein. Die Antwort darauf, weshalb ein thematisches Feld unabhängig von einem Wahrnehmungs- oder Erkenntnisinteresse eines individuellen Subjekts aufgeklärt werden sollte, bleibt Gurwitsch allerdings schuldig. Um die für eine Untersuchung der Aufmerksamkeit entscheidende Frage zu beantworten, was den Unterschied innerhalb des Gegebenen ausmacht, d.h. was zum Gegenstand für uns wird und was nicht, braucht es eine subjektive Komponente in Form von passiver Motivation oder explizitem Interesse. Vor diesem Hintergrund liegt Gurwitschs Verdienst hingegen darin, gezeigt zu haben, dass der Kontext des aufgemerkten Gegenstandes zum Phänomen der Aufmerksamkeit selbst gehört und deren weiteren Verlauf bestimmt. Die aktive Fokussierung als „Standardleistung der Aufmerksamkeit“117 wurde demnach von ihm zu Recht als unzureichend kritisiert. Der ‚Schatten‘ der Aufmerksamkeit in Gestalt des Kontextes, des Horizontes oder in diesem Fall in Gestalt des thematischen Feldes, spielt eine entscheidende Rolle, wenn es um die Frage geht, wie wir etwas wahrnehmen oder ob wir etwas überhaupt bemerken. Dabei konnte Gurwitsch mit Hilfe der Gestalttheorie zeigen, dass das Wahrgenommene (Figur) immer in einem funktionalen Bezug zu seinem Hintergrund steht und dies seine inhaltliche Bestimmung prägt. Dieser Aspekt wird vor allem in den im zweiten Teil behandelten psychologischen Experimenten relevant. Diese zeigen, dass die Resultate der Objekterkennung ganz entscheidend vom jeweiligen Kontext abhängen, in denen ein zu erkennendes Objekt präsentiert wird. Zahlreiche Beispiele von optischen Täuschungen – wie etwa die MayerLyer Täuschung, der Ame‘sche Raum118– belegen den unlösbaren Zusammenhang von Figur und Grund. Trotz einigen neuen Forschungen in die117 A. Gurwitsch: Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich, 336. 118 Dargestellt in: E.B. Goldstein: Wahrnehmungspsychologie. Berlin/Heidelberg 7 2008, 205-210; eng.: Sensation and perception. Belmont, California 62007.

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sem Bereich kommt die Dimension des Kontextes in den psychologischen und kognitionswissenschaftlichen Untersuchungen zur Aufmerksamkeit immer noch zu kurz.119 Dies mag auch daran liegen, dass diese Dimension experimentell schwer zu fassen ist. Dies betrifft sowohl die Definition, also das, was im abgesteckten Untersuchungsfeld als Kontext angesehen werden kann, als auch die Messung seiner Einflüsse. Die bedeutet aber nicht, dass im Sinne Gurwitschs die genannte Dimension des Kontextes sich nur auf die Gegenstandsseite beziehen sollte.120 Gerade der passive subjektive Kontext von Wissen, Erlerntem, praktischen Fähigkeiten, Erfahrungen muss einbezogen werden, wenn man 119 Dies kritisiert insbesondere S. P. Arvidson, der mit Gurwitsch ein neues Paradigma in den Kognitionswissenschaften fordert, das von einer einseitigen Untersuchung der Aufmerksamkeit als Selektion Abschied nimmt und den Kontext in den Vordergrund rückt. Im Gegensatz zu dem Ansatz vorliegender Arbeit geht Arvidson dabei ebenso wie Gurwitsch von einer subjektlosen Konzeption des Bewusstseins aus. Er behauptet weiterhin, dass das Feld der Aufmerksamkeit mit dem Bewusstseinsfeld gleichgesetzt werden kann. Das aufmerkende Subjekt ist dabei „only the dynamic tension in the field of attention, and nothing more“ (S. P. Arvidson: A lexicon of attention, hier: 122). Arvidson argumentiert ebenfalls gegen eine leibliche Form der Subjektivität, da der Leib im Aufmerken nicht thematisch ist. Dies sagt jedoch keineswegs etwas über seine implizite Funktion in der jeweiligen Wahl des Themas aus, z.B. in Form von Fähigkeiten, Bedürfnissen und Habitualitäten. Hier wird deutlich, dass Arvidson eine überholte Auffassung von Subjektivität vertritt, die durch willentliche Aktivität und Identität gekennzeichnet ist. 120 Eine „a-subjektive Formulierung“ der Wahrnehmung und ihrer Ziele hält auch R. Bernet für fragwürdig, da sie die Leiblichkeit, d.h. den subjektiven Zusammenhang zwischen Bewegung und Empfindung, nicht berücksichtigt: „Die wichtigste Frage ist wohl, ob eine rein noematische Wahrnehmungsanalyse der kinästhetischen Motivation des „Ich kann“ Rechnung zu tragen vermag.“ (R. Bernet: Endlichkeit und Unendlichkeit in Husserls Phänomenologie, 264). Ebenso kritisiert H.L. Dreyfus die rein gegenständlich orientierte Konzeption Gurwitschs, auch wenn er diese, in Abgrenzung zu der seiner Meinung nach verfehlten Philosophie Husserls, teilweise gerechtfertigt sieht. Im Gegensatz zu der Gegenstandssetzung eines leib- und weltlosen transzendentalen Subjekts – so die nicht haltbare Auffassung Dreyfus‘ von Husserls Ansatz – vollzieht Gurwitsch nun eine Analyse der Gegebenheit von Gegenständen. Die Aktivität des Subjekts ersetzt er dabei mit der Erfahrung der präsenten Gestalten. Dies ist nach Dreyfus ein erster Schritt in Richtung einer existentiellen Philosophie im Sinne von M. Merleau-Ponty: Mit Gurwitsch ist man nach Dreyfus zwar endlich bei den Dingen selbst angelangt, aber durch seine Vernachlässigung der leiblichen Dimension bleibt er auf der statischen Ebene stehen: „Such an account does not arrive at the existential phenomenology of being-in-the world, in a situation, together with objects.“ H.L. Dreyfus: The perceptual noema: Gurwitsch’s crucial contributi-

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sich nicht auf eine rein statische Analyse der Aufmerksamkeit beschränken möchte. Die rein gegenständlich orientierte Konzeption Gurwitschs kann diesen Bereich nicht abdecken. Nur in den Motivationen und Handlungen eines konkreten Subjekts, in seiner Interaktion mit der Welt und anderen Personen kann man sinnvoll von einem Wechsel innerhalb der Wahrnehmung sprechen. Subjektivität darf in diesem Zusammenhang nicht im Sinne einer unumstößlichen Identität, einm reinem Bewusstsein oder einer willentlichen Aktivität des Ich verstanden werden. Genausowenig muss sie thematisch sein, um eine Bedeutung für die Analyse der Aufmerksamkeit zu haben. Sie kann vielmehr als Dimension eines erfahrenden und handelnden Individuums gelten, z.B. in Form des leiblichen Subjektes bei Merleau-Ponty. Der Bezug auf eine subjektive Ebene muss also keineswegs mit einem substantiellen Begriff des Subjekts einhergehen, wie bereits Husserls Auseinandersetzungen mit der Passivität des Bewusstseins zeigen.

on. In: L. Embree (Hg.): Life-world and consciousness. Essays for Aron Gurwitsch. Evanston 1972, 135-170, hier: 168 (Fn).

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2.1 Konstitution als Grundlage der Aufmerksamkeit (Edmund Husserl) Während in Husserls früher Wahrnehmungskonzeption meist die aktive bzw. spontane Seite des Bewusstseins (bzw. des Ich) dominierend war – Vorgänge der Wahrnehmung wurden etwa mit Begriffen wie „Deutung“ oder „Interpretation“ beschrieben, die eher geistigen Tätigkeiten entsprechen – betont er in späteren Texten die passive Seite der Erfahrung.121 Jedem kategorialen Akt muss demnach ein sinnlicher Akt zugrundeliegen und jede Aktivität der Vernunft setzt „notwendig als unterste Stufe […] eine vorgebende Passivität“122 voraus. Dass das Subjekt unmittelbar ein einheitliches Objekt erfahren kann, liegt nicht mehr an einem bedeutungsverleihenden Akt (Auffassung), der die zugrundliegende Sinnesmaterie (Inhalt) objektiviert, sondern an einer „wesensmäßigen Genesis“123 von passiven Synthesen, durch die das Subjekt auf eine Vorgegebenheit von Erfahrungsgegenständen zurückgreifen kann.124 Die statische Intentional-

121 Dies stellt aber lediglich eine Tendenz dar, eine eindeutige Zuordnung in eine frühe, statische Phase von Husserls Phänomenologie und eine späte, genetischen Phase (datiert ab 1918) wird insbesondere mit Blick auf neue veröffentlichte und unveröffentlichter Editionen problematisch. Bereits seit 1904 werden zeitliche und passive Formen des Bewusstseins beschrieben und in das Konzept der Intentionalität aufgenommen (vgl. etwa die A-Manuskripte zur mundanen Phänomenologie, die zurzeit am Husserl-Archiv in Leuven von U. Melle und T. Vongehr ediert werden). Statische und genetische Phänomenologie lassen sich daher eher als unterschiedliche methodische Herangehensweisen verstehen, die Husserl je nach Thema und Fragestellung variiert bzw. zwischen denen er hin und her wechselt. Die einzigen genetischen Themen, die in den frühen Schriften kaum berücksichtigt werden, sind die konkrete Subjektivität und die Leiblichkeit. 122 Hua I, 112. 123 Ebd. 124 In den Cartesianischen Meditationen von 1929 wird der Begriff „Auffassung“ nicht mehr verwendet. An seine Stelle tritt die Apperzeption. Wurde diese früher gleichbedeutend mit Auffassung verwendet, gilt sie nun nicht mehr als einzige objektivierende Leistung, sondern lediglich als oberste Stufe einer passiven Einheitsbildung. Husserl spricht in diesem Zusammenhang von einem „Stufenbau“

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analyse geht somit über in eine genetische Konstitutionsanalyse, die den passiven Grundlagen von Wahrnehmung und Kognition auf den Grund gehen soll. Diese lassen sich in den zeitlichen und assoziativen Synthesen des Bewusstseins finden. Erstere ermöglichen durch die Struktur von Urimpression, Retention und Protention eine zeitliche Synthese der Sinnesdaten.125 Die Retention behält die auftretenden Daten auch nach ihrer tatsächlichen Empfindung in modifizierter Form im Bewusstsein. Die aktuelle Empfindungsgrundlage der Wahrnehmung wird so kontinuierlich retiniert und, wie Husserl sagt, in die Vergangenheit zurückgeschoben. In einem solchen Kontinuum von Retentionen steht jede Retention in Verbindung zu allen vorangegangenen Retentionen. Jede Retention ist damit selbst eine „kontinuierliche Modifikation“, die „in Form einer Abschattungsreihe das Erbe der Vergangenheit in sich trägt“.126 Auf dieser Basis von vergangenen Eindrücken baut sich die antizipative Funktion der Protention auf. Dass jeder kohärenten Wahrnehmung die Struktur eines originären Zeitfeldes zugrunde liegen muss, macht Husserl am Beispiel des Hörens einer Melodie deutlich. Hierbei muss uns der soeben vergangene Ton noch irgendwie im Bewusstsein sein, um eine Verbindung mit dem aktuellen Ton herzustellen. Gleichzeitig wird der nachfolgende Ton (bei einer bekannten Melodie) bereits im Voraus antizipiert. Diese Vorgänge verlaufen automatisch und bedürfen keiner neuen oder expliziten Intention, Erinnerung oder eines Bildbewusstseins (Repräsentation). Damit uns ein zeitliund einem „verharrenden Formensystem der Apperzeption“ (Hua I, 114), das alle weiteren Wahrnehmungen bestimmt. 125 Umstritten ist in diesem Zusammenhang, ob Husserl in seiner Zeittheorie das oben skizzierte Schema von Auffassung und Inhalt aufgibt oder beibehält. Für die These der Überwindung dieses Schemas lassen sich Stellen in späteren Texten finden. Die Empfindungsgrundlage wird hier nicht mehr als eine undifferenzierte stoffliche Unterlage bezeichnet, sondern als eine bereits synthetisierte vor-affektive Einheit beschrieben (vgl. XI, 140, 164). Für eine Beibehaltung des Schemas spricht, dass Husserl dieses bis zuletzt in seinen Schriften verwendet hat. Vgl. D. Lohmar: Synthesis in Husserls Phänomenologie. Das grundlegende Modell von Auffassung und aufgefasstem Inhalt in Wahrnehmung, Erkennen und Zeitkonstitution. In: D. Fonfara (Hg.): Metaphysik als Wissenschaft, Festschrift für Klaus Düsing zum 65. Geburtstag. Freiburg/München 2006, 387-408, insb.: 402; J. Mensch argumentiert diesbezüglich für den Mittelweg einer Abschwächung des Schemas in der Spätphilosophie. Vgl. J. Mensch: Retention and the schema. In: D. Lohmar/I. Yamaguchi (Hg.): On time. New contributions to the Husserlian phenomenology of time. Dordrecht/Heidelberg/London/New York 2010, 153-169. 126 E. Husserl: Späte Texte über Zeitkonstitution (1929-1934). Die C-Manuskripte. In: Husserliana Materialien Bd. VIII. Hg. von D. Lohmar. Dordrecht 2006, 42.

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ches Objekt wie eine Melodie in dieser Weise gegeben sein kann, muss unser Bewusstsein selbst in irgendeiner Weise die formale Struktur von Retention-Urimpression-Protention aufweisen, die zugleich Sukzession, Dauer und die Synthese der Empfindungen ermöglicht. Die zeitliche Struktur gilt dabei für alle Bewusstseinsvorgänge. So entfalten sich etwa Vorstellungen, Phantasien oder Erinnerungen in gleicher Weise im originären Zeitfeld wie eine aktuell wahrgenommene Melodie, mit dem Unterschied, dass hier die Protentionen meist schon vorbestimmt sind, da die Inhalte – zumindest in der Erinnerung – bereits bekannt sind. Im Gegensatz zu der Retention, die Teil der gegenwärtigen Wahrnehmung ist, versteht Husserl die Erinnerung als Reproduktion eines gesamten, in der Vergangenheit bereits abgeschlossenen Verlaufs. Der erinnerte Gegenstand hat hiermit eine feste objektive Zeitstelle und man kann beliebig oft auf ihn zurückkommen. Als eine Form der Repräsentation von etwas zuvor Wahrgenommenem unterliegt er selbst der zeitlichen Struktur des originären Zeitfeldes. Husserl kann dabei bis zuletzt nicht aufklären, ob und wie das Bewusstsein diesen Fluss und damit sich selbst konstituiert, d.h. wie Zeit und Bewusstsein ihren Anfang nehmen. Die Erkenntnis solcher allgemeinen Strukturen bleibt notwendig an die Empfindung bzw. Wahrnehmung eines Zeitobjekts gebunden. Darüber hinaus zeigen sich jedoch bereits hier die repräsentativen Potentiale des Bewusstseins. Eine Retention verweist zwar auf eine Urimpression, also auf eine Empfindungsgrundlage, ist selbst jedoch keine Empfindung, sondern ein aktuelles Behalten des Bewusstseins von etwas soeben Vergangenem. Der retentionale Ton ist nach Husserl nicht mit dem Nachhall eines realen Tons zu vergleichen. Er ist kein gegenwärtiger Ton, sondern ein primär erinnerter, da der Ton im retentionalen Bewusstsein nicht reell enthalten ist. Statt von einem formalen Zeithorizont oder Zeitfeld auszugehen, spricht Husserl in seinen späteren Überlegungen fast ausschließlich von einer „lebendigen Gegenwart“ des Subjekts, die von Affektivität, Passivität und Aktivität geprägt ist. Dieses „Leben ist umspannt von einer universalen Wesensgesetzmäßigkeit der Passivität: die Synthesis der Assoziation“127. Hiermit wird Husserl dem Umstand gerecht, dass mit den formalen Synthesen auch inhaltliche Spuren im Bewusstsein verbleiben müssen, um

127 E. Husserl: Späte Texte über Zeitkonstitution (1929–1934). Die C-Manuskripte. In: Husserliana Materialien Bd. VIII. Hg. von D. Lohmar. Dordrecht 2006, 42.

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etwa Synthesen des Gegebenen nach Ähnlichkeit und Kontrast motivieren zu können.128 Ist nun das Zeitbewußtsein die Urstätte der Konstitution von Identitätseinheit oder Gegenständlichkeit, und dann der Verbindungsformen der Koexistenz und Sukzession aller bewusst werdenden Gegenständlichkeiten, so ist es doch nur das eine allgemeine Form herstellende Bewußtsein. Bloße Form ist freilich eine Abstraktion, und so ist die intentionale Analyse des Zeitbewußtseins und seiner Leistung von vorneherein eine abstraktive.129

Es reicht daher nicht, die formale Struktur der Dauer eines Gegenstandes zu betrachten, da die jeweilige Dauer zugleich die Dauer eines Inhaltes ist. Die assoziative Synthesis erlaubt es insofern, Gegenstände qualitativ zu bestimmen und voneinander zu unterscheiden. Auf unterster Ebene bilden diese Synthesen nach den Kriterien der Ähnlichkeit und des Kontrasts sogenannte vorgegenständliche Einheiten, die allererst das Wahrnehmungsfeld differenzieren. So gruppieren sich nach Husserl etwa mehrere abgesonderte Farbendaten im visuellen Feld vermöge ihrer Ähnlichkeit. Jedes in diesem Sinne Abgehobene zeichnet sich aber zugleich durch einen Kontrast in Bezug auf sein visuelles Feld aus, wie etwa rote Flecken auf einem weißen Grund.130 Die Paarung der roten Flecken aufgrund ihrer Ähnlichkeit beschreibt Husserl als eine „Fernverschmelzung“, die gradueller Natur ist und bis hin zur Deckung der Daten reicht.131 Die Verschmelzung hat wiederum zeitlichen Charakter: Alle inhaltliche Kontinuität, z.B. die eines Geigentones, ist die „Einheit einer kontinuierlichen Verschmel128 Husserl bezeichnet die assoziative Synthesis als eine höhere Fortführung der ursprünglichen Zeitkonstitution, die diese auf alle Stufen der Apperzeption erweitert. Assoziationen stellen im phänomenologischen Sinne als genetische Einheitsstruktur die Grundlage für spezifische Intentionen dar. Dabei wird zwischen reproduktiven und vorgreifenden Assoziationen unterschieden. Zunächst sehen wir die Assoziation auf der intentionalen Ebene, wo gegenwärtig wahrgenommene Gegenstände an vergangene Gegenstände erinnern. Zugleich hat sie aber auch eine induktive Kraft und ermöglicht so die konkrete Gerichtetheit der Intentionalität.Vgl. Hua XI,118f. 129 Hua XI, 128. 130 Vgl ebd., 139f. 131 Darüber hinaus zeichnet sich selbst jede Sinnesqualität als Synthese einer Nahverschmelzung aus. Ein Sinnesdatum ist aus einer zeitlichen Perspektive bei Husserl keine atomartige letzte Substanz, wie dies im Qualia-Begriff der analytischen Philosophie anklingt, sondern das Produkt einer Konstitution und damit als relationale Kategorie analysierbar: Das Dauern eines Tones im Tonfeld oder einer Farbe im Sehfeld „ist nicht ein unanalysierbarer qualitätsartiger Charakter“, sondern in ihm liegt die Eigenart des „Sich-konstituierens“. Hua XI, 140.

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zung von Phase zu Phase; aber nur in dem kontinuierlichen Werden, in der Zeitordnung kann der Inhalt kontinuierlich sich verschmelzen“132. Das solchermaßen für sich Abgehobene entwickelt eine affektive Kraft, die die Aufmerksamkeit des Subjektes wecken kann. Sinnliche Daten senden affektive Kraftstrahlen auf den „Ichpol“. Sind diese aber zu schwach, stellen sie keinen weckenden Reiz dar und erreichen das Ich nicht. Um eine Affektion zu ermöglichen, bedarf es nach Husserl zuallererst der Abhebung durch Kontrast. In diesem Kontext gibt es eine mögliche Konkurrenz und die Möglichkeit der Verdeckung von affektiven Tendenzen durch andere stärkere Reize: „Z.B. einzelne farbige Figuren, sich wohl abhebend, affizieren uns, zugleich Geräusche, wie Wagenrollen, Töne eines Liedes, abgehobene Gerüche und dgl.“133 Besonders extreme Kontrastphänomene wie ein lautes Geräusch löschen dabei die affektiven Besonderheiten des restlichen Gehörfeldes aus. Wenn man von solchen Extremen absieht, was macht dann eine Abgehobenheit zu einer aktuellen subjektiven Affektion? Die Kraft einer solchen steht in einer wechselseitigen Abhängigkeit mit anderen Sinnesdaten. Husserl spricht gar von einem „Relativismus der affektiven Tendenzen“134. Wie wird hier eine Selektion der mannigfaltigen Sinnesdaten geleistet? Da Ähnlichkeit und Kontrast relationale Kategorien sind, verweisen sie wiederum auf die vorangegangenen Erfahrungen des Subjekts, in Bezug auf welche sie sich ähnlich oder kontrastiv verhalten. Insbesondere die Protention steht mit solchen inhaltlichen Motivationen in Verbindung, da in der konkreten Wahrnehmung eine rein formale Protention kaum vorstellbar ist. Auf der untersten Stufe der Passivität ist die zustande kommende Affektion für Husserl funktionell zwar einerseits durch die relative Größe des Kontrasts bestimmt, andererseits aber auch von „bevorzugenden sinnlichen Gefühlen“ wie etwa die „Wollust“ oder „instinktive, triebmäßige Bevorzugungen“135. Das Konzept der Intentionalität erweitert sich in der genetischen Phänomenologie somit von einer expliziten Vorstellungsintentionalität hin zu einer fundierenden Triebintentionalität, die nunmehr als eine leiblich-passive Tendenz zur Welt erscheint. Solche Begehrungsempfindungen sind zwar nicht auf einen bestimmten Gegenstand gerichtet, aber doch insofern als intentional zu bezeichnen, „als sie den Zug des

132 133 134 135

Hua XI, 141. Ebd., 149. Ebd., 150. Ebd.

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‚Gerichtetseins‘ zeigen“136. Affektion kann in diesem Sinne, wie nachfolgend argumentiert wird, als erste (passive) Stufe der Aufmerksamkeit verstanden werden, auch wenn Husserl diese Aufmerksamkeit meist auf die Bedeutung der aktiven Zuwendung des Ich oder die explizite Intentionalität einschränkt. Um eine solche affektive Zuwendung zu ermöglichen, bedarf es aber einer assoziativen, vor-affektiven Einheitsbildung, wie Husserl am Beispiel der plötzlich gesehenen Lichterreihe bei seinem Spaziergang auf der Lorettohöhe illustriert: Wenn bei dem Abendspaziergang auf der Lorettohöhe in unserem Horizont plötzlich eine Lichterreihe im Rheintal aufleuchtet, so hebt sie sich affektiv einheitlich sofort ab, ohne daß übrigens der Reiz darum zu aufmerkender Zuwendung führen müßte. Daß mit einem Schlage die Lichterreihe als ein Ganzes affektiv ist, liegt offenbar an den voraffektiven Gesetzmäßigkeiten der Einheitsbildung.137

Die passive Einheitsbildung muss demzufolge der Affektion genetisch vorangehen. Für Husserl ist die Annahme unverständlich, „daß durch Einheit der Affektion allererst Verschmelzung erzeugt sein soll“138. Eine Affektion erfolgt wiederum erst durch einen besonders abgehobenen Kontrast, etwa wenn eines der Lichter plötzlich seine Weißfärbung in eine Rotfärbung ändert. Über eine einzelne Abhebung hinaus kommt diese Abhebung aber zugleich der ganzen Lichterreihe zugute, die nun als Ganze affiziert. Ein ähnliches Phänomen der „Fortpflanzung“ der affektiven Weckung lässt sich auch im Falle eines besonders herausragenden Tones einer Melodie denken, der dieser zur Affektion verhilft. In diesem Falle strahlt die Affektion sogar ins Retentionale zurück. Die Aufmerksamkeit auf den 136 Vgl. Hua Mat. VIII, 254. Hier ist von einem instinktiven Streben die Rede, das am Anfang jeder Entwicklung der Subjektivität/des Ichs steht: Das Ich ist „ Einheit eines Strebens, das in ihm treibend ist, ein totaler Instinkt, sich in allem Aktleben auswirkend […] weiter treibend, neue Erfüllungen bringend, mit denen sich das, worauf das Ich ‚hinauswill‘, neu enthüllt“. Vgl. ebenfalls N.-I. Lee: Edmund Husserls Phänomenologie der Instinkte, 46. Die Triebintentionalität oder auch fungierende Intentionalität kann als ein fundamentaler und leiblich charakterisierter Weltbezug verstanden werden (119). Den Einbezug eines ursprünglichen gefühlsmäßigen oder leiblichen Bezugs zur Welt nimmt daher nicht erst Merleau-Ponty vor, wie Lee in Bezug auf die Kritik von E. Holenstein argumentiert (vgl. 10). Vgl. E. Holenstein: Phänomenologie der Assoziation. Zu Struktur und Funktion eines Grundprinzips der passiven Genesis bei E. Husserl. Den Haag 1972, 37, Fn 15. 137 Hua XI, 154. 138 Ebd., 161.

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besonderen Ton weckt somit zugleich einen „affektiven Vergangenheitshorizont“. In gleicher Weise geht die assoziative Weckung „vorwärts in die Zukunft“: Auch die neuen Töne einer Melodie, die ganze sich im neuen Werden mitverflechtende Zukunftsreihe hat von der ersten Weckung ihren Profit. Tongebilde, die vielleicht die Bedingungen der Affektion nicht erfüllt hätten, werden nun merklich, ja gar zu Gegenständen des thematischen Interesses.139

Auf diesen grundlegenden passiven Synthesen bauen sich weiterhin die bleibenden Spuren der Wahrnehmung auf gegenständlicher wie subjektiver Seite auf. Die Erfahrung hinterlässt in diesem Sinne ihre Spuren in Form von erworbenem Gegenstandssinn und Sedimentierungen sowie habitualisierten Erfahrungsverläufen, Bewegungsmustern und sogenanntem Typenwissen. Jede Erfahrung des Subjekts hinterlässt so auf der noematischen Seite einen zeitlichen und inhaltlichen Horizont, der jede weitere Wahrnehmung und damit auch die Selektionskriterien von Affektion und Aufmerksamkeit mitbestimmt. Auf der noetischen Seite erhält das Subjekt aus früheren Konstitutionen bleibende passive Erwerbe, Verhaltensmuster und aktive Überzeugungen, die einen bestimmten Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsstil ausmachen. Unter einer „Habitualität“ versteht Husserl zunächst eine sekundäre Form der Passivität. Nach aktiven personalen Stellungnahmen und Wertungen bleiben dem Subjekt bleibende Überzeugungen, wie etwa die Entscheidung für eine bestimmte Politik oder Lebensweise, die nun die gesamte weitere Erfahrung in passiver Weise prägen. Eine solche Form der Habitualität gilt nur solange, wie die entsprechende Überzeugung beibehalten wird. Sie endet, nachdem sich die jeweilige Gesinnung ändert. Anders verhält es sich in der Wahrnehmung. Hier muss zwar der Sinn eines Gegenstandes, wie etwa einer Schere, allererst aktiv gestiftet werden, hernach wirkt die Auffassung ‚Schere‘ jedoch automatisch. Nachdem eine solche aktive „Urstiftung“ stattgefunden hat, ist es nicht mehr möglich, den entsprechenden Gegenstand einfach ohne den Sinn ‚Schere‘ aufzufassen. Weitere Formen der Habitualität, die Husserl nicht so sehr berücksichtigt, sind die der leiblichen Bewegungsmuster und Fähigkeiten. Auch hier liegt meist ein erstes explizites Erlernen vor. Jedoch kann man auch in Anbetracht experimenteller Befunde aus der Psychologie zu impliziten Lernvorgängen und semantischer Verarbeitung (s. Teil II und III) auch von Habitualitäten sprechen, die sich von vornherein passiv generieren. In 139 Ebd., 157.

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diesem Sinne kann argumentiert werden, dass der Unterschied zwischen einer zugrundeliegenden Passivität bzw. biologischen Dispositionen und den verschiedenen Schichten der Habitualität lediglich gradueller Natur ist: „Genetisch betrachtet besteht also zwischen dem angeborenen Urinstinkt und der erworbenen Habitualität kein wesentlicher Unterschied. Beide stellen gemeinsam den sedimentierten Niederschlag, also das Erbe der vergangenen Erfahrung dar.“140 Zwar wird bei Husserl und in der betreffenden Forschungsliteratur oft nicht strikt zwischen der noematischen und der noetischen Seite dieser Erwerbe unterschieden.141 Im Folgenden sollen diese beiden Ebenen jedoch insbesondere im Hinblick auf den anschließenden interdisziplinären Dialog differenziert werden. Im ersten Falle handelt es sich um sedimentierte Sinnschichten der (gegenständlichen) Wahrnehmung, die eine Vorgegebenheit an Bekanntem und damit eine Orientierung in der Welt ermöglichen. Im zweiten Falle sind damit die erworbenen Fähigkeiten und Reaktionsweisen des Subjektes gemeint, die sich zugleich in der wiederholten Umwelterfahrung ausbilden. Aus genetischer Sicht kann das transzendentale Subjekt von seinen eigenen Konstitutionsleistungen nicht unberührt bleiben, während es in der statischen Phänomenologie lediglich als formaler Ausgangspunkt von expliziten intentionalen Akten gilt. Weiterhin entpuppt sich das transzendentale Subjekt in seiner konkreten Form als ein verweltlichtes bzw. verleiblichtes Subjekt. Die Leiblichkeit stellt für Husserl in diesem Zusammenhang die „Bedingung der Möglichkeit einer Passivität im Subjekte“ 142 dar. Einerseits ermöglicht uns der Leib als Empfindungsfeld und mit seinen Bewegungsmöglichkeiten allererst eine aktive und kontinuierliche Wahrnehmung, andererseits ist er materieller Körper, der in der physischen Welt situiert ist und deren kausalen 140 N.-I. Lee: Phänomenologie der Instinkte, 167. Lee verweist hier auf eine Manuskriptstelle, in der Husserl selbst die ursprünglichen Instinkte als Habitualitäten bezeichnet, vgl. Ms. D 14, 23, 1931-1933, veröffentlicht 2008 in Hua XXXIX, 587. 141 Vgl. z.B. G. de Almeida: Sinn und Inhalt in der genetischen Phänomenologie E. Husserls. Den Haag 1972, 10; W. Bergmann und G. Hoffman weisen auf diesen Unterschied hin. Vgl. W. Bergmann/G. Hoffmann: Habitualität als Potentionalität: Zur Konkretisierung des Ich bei Husserl. In: Husserl Studies 1/1984, 281-305, hier: 284, 287f. Das Ich wird von Husserl diesbezüglich als „Substrat von Habitualitäten“ (Hua I, 100) bezeichnet. Es gilt ebenso als eine Art Funktionszentrum, dessen Aktivitäten zwar keine objektiven Eigenschaften, aber dafür ein individuelles „Sosein als Subjekt“ herbeiführen. Vgl. Hua IX, 212. 142 Vgl. Hua XIV, 73; s. ebenfalls K.-H. Lembeck: Gegenstand Geschichte. Geschichtswissenschaftstheorie in Husserls Phänomenologie. Dordrecht/Boston/London. 1988, 98f.

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Gesetzen unterliegt. Der Leib befindet sich somit zwischen Geist und Natur, Subjekt und Objekt.143 Als Empfindender ist er sowohl den äußeren Einflüssen ausgesetzt als auch der unmittelbare Ausgangspunkt all unserer Erfahrungen und Perspektiven. Jede Empfindung muss so im Leib lokalisiert werden,144 wie auch jede visuelle Wahrnehmungserscheinung abhängig von den zugehörigen Kinästhesen des Leibes ist.145 In der Permanenz, mit der der Leib all unsere Erfahrung begleitet, ist er selbst jedoch zumeist in seinem Fungieren unthematisch. Gleiches gilt auch für seine durch die Erfahrungen erworbenen Habitualitäten – Reaktionsweisen, Bewegungsabläufe, Wegesysteme – sowie seine biologischen Grundlagen und Prozesse. Der habituelle Leib – besonders in der Form wie ihn später MerleauPonty herausarbeitet – ist somit Träger unserer gesamten passiven Erfahrungsgeschichte, auch derjenigen, zu der wir selbst nie bewusst Zugang hatten, wie etwa zu unserer eigenen Geburt. Während also bereits Husserl die bedeutende Rolle des Leibes in der Wahrnehmung und Raumkonstitution erkannte, aber den Leib selbst noch als ein „merkwürdig unvollkommen konstituiertes Ding“ bezeichnet,146 wird gerade der Aspekt, dass uns unsere eigene Leiblichkeit nie vollständig gegeben sein kann, bei Merleau-Ponty zum ‚positiven‘ Ausgangspunkt seiner Theorie: Sie stellt die Bedingung für das Zur-Welt-Sein des Subjekts dar. Intentionalität begreift er insofern nicht mehr als Bewusstseinsstruktur, sondern als faktische Beziehung zwischen leiblichem Subjekt und Welt. Jede Aufmerksamkeit ist in diesem Sinne Teil eines generellen leiblichen „Zur-Welt-seins“ oder einer spezifischen Handlung. 143 Er kann sowohl ausführende Instanz der Wahrnehmung sein wie auch als Leibkörper deren Objekt. Dies wird im Phänomen der Doppelempfindung deutlich, wenn eine Hand die andere berührt. Hier kann ich je nach Aufmerksamkeit einmal die betastete Hand als Ding wahrnehmen und einmal als empfindende Hand. Vgl. Hua IV, 145. 144 Vgl. Hua IV, 150f. 145 „So ist aller Wandel der Erscheinungsweisen der Körper und ihre jeweilige Einheit […] auf Kinästhesen bezogen, und diese selbst in einziger Weise eins mit dem Leibkörper. Aber besagt das etwas anderes, als dass aller weltlicher Erscheinungswandel in besonderer Weise ständig bezogen ist auf den Leib bzw. auf die in ihm lokalisierten Kinästhesen?“ Hua XV, 644. Vgl. ebenfalls XV, 290; Hua IV, 152 sowie C. Claesges: Edmund Husserls Theorie der Raumkonstitution. Den Haag 1964, 72f. 146 „Derselbe Leib, der mir als Mittel aller Wahrnehmung dient, steht mir bei der Wahrnehmung seiner selbst im Wege und ist ein merkwürdig unvollkommen konstituiertes Ding.“ Hua IV, 159, siehe ebenfalls M. Fischer/M. Wehrle: Art. ‚Leib‘. In: H.-H. Gander: Husserl-Lexikon. Darmstadt 2010, 188-190.

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2.2 Maurice Merleau-Ponty: Die leibliche Aufmerksamkeit 2.2.1 Leib, Welt und Wahrnehmung In seiner Phänomenologie der Wahrnehmung von 1945 vertritt MerleauPonty im Gegensatz zu Husserl eine existentiell ausgerichtete Phänomenologie, die er als konsequente Weiterführung von Husserls Denken ansieht. Die Husserlschen Begriffe unterliegen in diesem Sinne einer Verschiebung von einer transzendentalen zu einer konkreten (faktischen) Bedeutung. Dies führt dazu, dass mit den Bewusstseinsstrukturen Intentionalität und Konstitution nun der existentielle Bezug zwischen Ich und Welt beschrieben wird. Intentionalität bezeichnet demzufolge den Prozess innerhalb einer konkreten Erfahrung zwischen leiblichem Subjekt und seiner Umwelt. Als primärer Zugang zur Welt bzw. Wirklichkeit gilt nicht mehr das Bewusstsein, sondern die Wahrnehmung als direkter Kontakt zur Welt in der leiblichen Empfindung. Merleau-Ponty, der sich im Gegensatz zu Gurwitsch eingehend mit der Spätphilosophie von Husserl auseinandersetzte, 147 greift die darin explizierten Themen in seiner Untersuchung auf: z.B. den kinästhetischen Leib als Medium der äußeren Wahrnehmung, den Husserl in den Ideen II ausführlich beschreibt, sowie die Problembereiche der Passivität, Zeitlichkeit und schließlich das Konzept der Lebenswelt als Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Beobachtung. Husserls Anspruch auf Letztbegründung, den er in der Aufklärung der Konstitutionsleistungen eines transzendentalen Subjekts einzulösen versucht, lehnt Merleau-Ponty hingegen ab.148 Stattdessen stellt er die trans147 Merleau-Ponty studierte die zu seinen Lebzeiten unveröffentlichten Manuskripte im Husserl-Archiv Leuven. Vgl. H. van Breda: Maurice Merleau-Ponty et les Archives Husserl à Louvain. In: Revue de Métaphysique et de Morale 67/1962, 410430. 148 Eine transzendentale Ebene führt er indessen in seinen Untersuchungen selbst ein, da erst auf der reflexiven Ebene die Bedeutung der Faktizität erkannt werden kann. Die lebendige Beschreibung der Wahrnehmung bedarf einer transzendentalen Kritik, die jedoch erst nach der konkreten Erfahrung stattfinden kann und nicht den Anspruch der Letztbegründung oder Apriorität hat. Vgl. M. MerleauPonty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung. Übers. von R. Boehm. Berlin 1966, franz. Phénoménologie de la Perception. Paris 1945, 11f., 419-519. Im Gegensatz zu der oft geübten Kritik seitens der Merleau-Ponty-Forschung an Husserl, ist Merleau-Pontys Auseinandersetzung mit Husserl weitaus differenzierter. Dies ist auf den Umstand zurückzuführen, dass er im Gegensatz zu den betreffenden Interpreten mit späteren Texten Husserls vertraut war. Vgl. dazu den Artikel

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zendentale Phänomenologie sozusagen vom Kopf auf die Füße bzw. den Leib. Das Wirkliche (die Faktizität) stellt für ihn die Voraussetzung jeder Form der Reflexion – auch der transzendentalen Reduktion Husserls – dar. Die zugrundeliegende Faktizität wird in der Welt der Erfahrung und unserer leiblichen Existenz sichtbar. Beides, Welt und Subjekt, sind zu Beginn jeder philosophischen Reflexion je schon da: „Die Welt ist da, vor jeder Analyse“149. Wahrnehmung darf insofern nicht mit der Vorstellung eines Gegenstandes verwechselt werden, als dies für Merleau-Ponty als Ausdruck einer idealistischen Verzerrung gilt.150 Die Welt erweist sich nicht nur als das, was wir uns vorstellen, sondern als ein gemeinsamer Boden der Existenz für alle Menschen. Ein solcher gemeinsamer Lebenshorizont entsteht aufgrund unserer faktischen Leiblichkeit, durch welche wir in der Welt verankert und damit intersubjektiv wie geschichtlich in sie eingebunden sind. Der von Merleau-Ponty kritisierte Intellektualismus ist demgegenüber gekennzeichnet durch eine Überbestimmung des Subjekts als reiner Erkenntnis und eine damit einhergehende Unterbestimmung der Lebenswelt, in der wir als leibliche Subjekte räumlich- und zeitlich situiert sind: „Die Welt, die als Gesamtheit durch Kausalbezüge verknüpfter Dinge oder Prozesse ich von mir unterschied, entdecke ich in mir wieder als den ständigen Horizont all meiner cogitationes, als Dimension, in bezug zu welcher ich unaufhörlich mich situiere.“151 Subjekt und Objekt gehören bei Merleau-Ponty wie auch bei Husserl demselben Horizont an: Während sie sich allerdings bei Husserl zunächst im Bewusstsein selbst anzeigen müssen, steht am Beginn der Beschreibung von Merleau-Ponty die gemeinsame Welt, die den konkreten Erfahrungszusammenhang beider Ebenen darstellt. Beide Positionen zeichnen sich dadurch aus, dass ‚Subjekt‘ und von D. Zahavi über die einseitige Husserlrezeption innerhalb der Merleau-PontyForschung. Zahavi bezieht sich hier exemplarisch auf die Untersuchungen von M. C. Dillon: Merleau-Ponty`s ontology. Bloomington/Indianapolis 1988, G. B. Madison: The phenomenology of Merleau-Ponty. A search of the limits of consciousness. Ohio 1981; P. Dwyer: Sense and subjectivity: A study of Wittgenstein and Merleau-Ponty. Leiden, Niederlande 1990. In allen drei Arbeiten wird das transzendentale Subjekt als transparente und in sich geschlossene Dimension verstanden. Die Welt und andere Subjekte sind in diesem Sinne für/durch das transzendentale Subjekt bereits vollständig konstituiert. Diese falsche Darstellung liegt nach Zahavi in einer fehlenden Kenntnis der Spätphilosophie Husserls begründet. Vgl. D. Zahavi: Merleau-Ponty on Husserl: a reappraisal. In: T. Toadvine/L. Embree (Hg.): Merleau-Ponty’s reading of Husserl. Dordrecht 2002, 3-31, hier: 29. 149 M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 6. 150 Ebd., 8. 151 Ebd., 10.

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‚Welt‘ nie unabhängig voneinander bestimmt werden können, sondern relationale Konzepte sind.152 Die ursprüngliche Verbindung von Subjekt und Objekt in der konkreten Erfahrung bezeichnet Merleau-Ponty mit dem Begriff der „Situation“: Wir sind durch unseren Leib zeitlich wie räumlich situiert und jeweils in konkreten Handlungssituationen engagiert. Unter Welt wird dabei zunächst der allgemeine Horizont meiner Existenz verstanden, der sich wiederum als individuelle „Vorgeschichte“153 in meinem Leib implizit niederschlägt. Die Welt erweist sich insofern einerseits als etwas, das für uns seit Beginn unserer Existenz je schon da ist und immer da sein wird. Andererseits bezeichnet sie als „Umwelt“ den konkreten Raum einer aktuellen Handlung des leiblichen Subjekts. Merleau-Ponty spricht in diesem Zusammenhang vom ‚ZurWelt-sein‘, das sich von einem bloßen ‚In-der-Welt-sein‘ im Sinne Heideggers durch seine aktive Verhaltenskomponente unterscheidet.154 Die Welt im ersten Sinne als allgemeiner Horizont zeigt sich anhand von biologischen Dispositionen und kulturellen, geschichtlichen und intersubjektiven bzw. sozialen Prägungen des einzelnen Subjekts, die mit seiner individuellen Erfahrungsgeschichte eng verwoben sind.155 Die Indi152 „Weder die Einheit des Subjekts noch die des Objekts ist reale Einheit, sondern beide sind präsumtive Einheiten am Horizont der Erfahrung; diesseits der Idee des Objektes wie der Idee des Subjektes gilt es, das Faktum meiner Subjektivität und das Objekt in statu nascendi wiederzufinden […].“ M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 257. 153 Der Begriff der Vorgeschichte wird in Zusammenhang mit der Beschreibung der Wahrnehmung als einem unpersönlichen, passiven Geschehen im Gegensatz zu einer persönlichen und thematischen Geschichte verstanden: „Die Wahrnehmung ist nicht so eigentliche Geschichte, sie bezeugt und erneuert in uns eine Vorgeschichte“. M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 280. 154 Der Dativ im franz. Original („être au monde“), weist bei Merleau-Ponty auf eine „Hingebung des Subjektes an die Welt“ hin. Bei Heidegger wird das In-derWelt-sein lediglich formal, d.h. als Existential des Daseins definiert. Das In-derWelt-sein wird dabei als „Verfallenheit“ an die Welt, in Form der Alltäglichkeit („Man“) und nicht als eigentliches Sein bestimmt. Im Gegensatz zu dieser negativ gefärbten Beschreibung ist das Verfallen-sein an eine Welt bei Merleau-Ponty als Engagement und ursprüngliche Kommunikation positiv besetzt. MerleauPonty setzt an die Stelle des „Man“ eine Sinnstiftung in statu nascendi, die aber immer von einer anonymen Vorgeschichte (einem „Man“) getragen ist. Es wird also versucht, Allgemeinheit und individuelle Sinnstiftung mit Hilfe des Leibes zusammenzudenken. Vgl. E. Matthews: The philosophy of Merleau-Ponty. Chesham 2002, 55-56; C. Bermes: Maurice Merleau-Ponty. Hamburg 22004, 83; K. Meyer-Drawe: Leiblichkeit und Sozialität. München 1984, 137-139. 155 Vgl. S. Stoller: Wahrnehmung bei Merleau-Ponty. Frankfurt a. Main 1995, 86. Stoller unterscheidet zwischen individuell-geschichtlichem Horizont und sozia-

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vidualgeschichte des Subjekts nimmt ihren Anfang mit der Geburt. Ein solches Ereignis steht für das Paradigma einer anonymen ‚Vorgeschichte‘ des Menschen, da sie zwar immer schon vorausgesetzt ist, jedoch eine Vergangenheit darstellt, „die niemals Gegenwart war“156. Die zweite Bedeutung von Welt ist durch die aktuelle leibliche Handlungssituation charakterisiert: Zur-Welt-sein meint in diesem Zusammenhang Intentionalität in einem vor-rationalen Sinn: Die Bedeutungsleistung eines Bewusstseins bzw. eines Ich verweist auf die fungierende Intentionalität des sich bewegenden, empfindenden und wahrnehmenden Leibes.157 In gleicher Weise wie das Konzept der Welt zeichnet sich auch der Leib bei Merleau-Ponty durch eine zweifache Bedeutung aus: Auf der einen Seite ist er in Form seiner aktuellen Handlungen charakterisiert und auf der anderen Seite Teil seiner Erfahrungsgeschichte, die wiederum durch Dispositionen, gelernte Fähigkeiten und habituelle Wahrnehmungsmuster regelrecht in ihn eingeschrieben ist. Die zweite Ebene wird von dem Bereich der anonymen Vorgeschichte umfasst, die den Wahrnehmungsund Handlungsverlauf beständig motiviert und antizipiert, dabei jedoch nicht eigens thematisch ist. Gerade deshalb gewährleistet sie eine Vertrautheit mit der jeweiligen Umwelt. Nur durch das implizite Wirken einer solchen Erfahrungsgeschichte findet man sich in der Welt zurecht. Hierzu tragen vor allem das sogenannte „Körperschema“158 und die „Gewöhlen Horizonten. Der individuelle Horizont steht demnach auch für die soziale/ intersubjektive Sphäre, da die persönliche Entwicklungsgeschichte nicht ohne Intersubjektivität, d.h. getrennt von einer „sozialen Atmosphäre“ gedacht werden kann. Vgl. M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 417. Der individuell-geschichtliche Horizont wird als konkreter Lebenshorizont des leiblichen Subjektes betrachtet. Er kann ebenfalls nicht-subjektive Aspekte im Sinne einer Diskurs- und Machttheorie nach Foucault integrieren. Z.B. in Form einer „episteme“ bzw. kulturellen oder geschichtlichen Ordnungen, die unsere Lebenswelt prägen. Solche allgemeinen Einflüsse sind in anonymer Weise bereits Teil jeder individuellen Geschichte. 156 M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 283. 157 Vgl. ebd., 475. 158 Den Begriff Körperschema benutzt Merleau-Ponty im Anschluss an die neuropathologischen Untersuchungen von H. Head und P. Schilder. Vgl. S. de Chadarevian: Zwischen den Diskursen. Würzburg 1990, 104f. Im Gegensatz zu der empiristischen Auffassung des Körperschemas als bloße Summe der Informationen der verschiedenen Körperfunktionen versteht er das Körperschema als unsere ganzheitliche Organisation auf eine Welt hin. Die einzelnen Glieder des Leibes sind nicht lose miteinander verknüpft, sondern man hat den Leib „in einem unmittelbaren Besitz, und die Lage eines jeden meiner Glieder weiß durch ein allumfassendes Körperschema“ (M. Merlau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahr-

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nung“ bei. Durch das Körperschema weiß man ‚intuitiv‘ um die Lage und Stellung des eigenen Körpers in Bezug auf eine räumliche Situation: Ich muss nicht erst darüber nachdenken, ob ich mit meinen leiblichen Proportionen durch eine Tür passe, oder wie ich etwas anfassen muss, damit es nicht kaputt geht. Der Leib scheint in solchen Situationen unmittelbar zu agieren ohne dass es einer Zurhilfenahme des Denkens bedarf. Das Körperschema ist dabei nicht auf die Grenzen des eigenen Leibes beschränkt, sondern lässt sich technisch erweitern. Dieselben implizit richtigen Einschätzungen in Bezug auf die eigenen Maße und Bewegungen übertragen sich etwa bei einem geübten Autofahrer auf dessen Fahrzeug. Ebenso können technische Wahrnehmungshilfen, wie z.B. ein Gehstock, eine Brille oder aber neuerdings artifizielle Glieder in das Körperschema integriert werden.159 Unter Gewöhnung versteht Merleau-Ponty in diesem Zusammenhang den Prozess der Automatisierung. Dieser tritt ein, nachdem eine körperliche Fähigkeit, wie etwa das ‚Fahrrad fahren‘, explizit erlernt wurde. Die gewohnte Tätigkeit bedarf nun keiner thematischen Aufmerksamkeit mehr und wird bei Bedarf automatisch ausgeführt. Gemäß obiger Darstellungen ist der Leib als Akteur einer gegenwärtigen Handlung und zugleich als Träger von Habitualitäten bestimmt. Als habitueller Leib stellt er die Verkörperung der Vorgeschichte des jeweiligen Subjektes dar. Diese beinhaltet sowohl biologische Dispositionen, die jeweilige Anatomie und angeborene Fähigkeiten wie z.B. das Atmen, als auch gemachte Erfahrungen und erlernte Fähigkeiten. Insofern ist es der habituelle Leib mit seinen Fähigkeiten und Erfahrungen, der uns eine Orientierung in der Umwelt ermöglicht. Mit Vorgeschichte meint MerleauPonty jedoch keine feste ‚Masse‘, die nach einmaliger Aufnahme ohne nehmung, 123). Das Körperschema ist weiterhin auf eine aktuelle oder mögliche Handlung ausgerichtet und ist insofern in Relation zu einer bestimmten Wahrnehmungssituation zu verstehen. Vgl. D. Tiemersma: Body-image and body-schema in the existential phenomenology of Merleau-Ponty. In: Journal of the British Society of Phenomenology 13/1982, 246-255, hier 250. 159 Dies zeigt sich etwa beim Musizieren: So wird die Geige bei einer erfahrenen Musikerin nicht mehr als Werkzeug ihres subjektiven Willens angesehen, sondern geht auf in der ganzheitlichen Bewegung des Musizierens, sie wird Teil des Körperschemas. Vgl. E.A. Behnke: At the service of the sonata: music lessons with Merleau-Ponty. In: H. Pietersma (Hg.): Merleau-Ponty: Critical essays. Lanham/London 1990, 23-31. Ein Beispiel aus der Robotik zeigt, dass dies ebenfalls für das Kontrollieren von artifiziellen Gliedern eines Roboters gilt. J. Cole/O. Sacks/I. Waterman: On the immunity principle: a view from a robot. In: Trends in Cognitive Science 4/2000, 167-168.

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Veränderungen im Leib inkarniert ist. Im Gegenteil ist er davon überzeugt, dass die habituelle Seite des Leibes nur gegenwärtig ihre Wirkung entfalten kann: Sie muss sich in den Handlungen des aktuellen Leibes beständig aktualisieren. In der gleicher Weise ist der aktuelle Leib auf die habituellen Komponenten angewiesen, um sich überhaupt in einer Handlungsituation engagieren zu können. Der Leib als habitueller oder als „angeborener Komplex“160 biologischer Dispositionen ist insofern „nicht bloß träges Ding“161, sondern entwirft zugleich die Bewegung des Existierens. Die ambivalente Bedeutung des Leibes, der gleichzeitig Akteur und anonyme Instanz einer Erfahrungsgeschichte ist, sieht Merleau-Ponty in der zeitlichen Struktur der Existenz begründet: Jede Reflexion oder Beschreibung ist zeitlich nach dem Erlebten angesiedelt und kommt daher notwendig zu spät.162 Die zeitliche Struktur der Erfahrung, die sich in unserem Bezug zur Welt und in unserer leiblichen Subjektivität niederschlägt, erschwert eine eindeutige Analyse dieser Verhältnisse163, ist aber gleichzeitig der Grund für die Dynamik und den Fortgang der Wahrnehmung, wie auch die konkrete Motivation für jede Erkenntnis.164 160 M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 107f. 161 Ebd., 109. 162 „Die Zweideutigkeit des Zur-Welt-seins selbst drückt sich in der des Leibes aus, die ihrerseits sich versteht aus der Zweideutigkeit der Zeit.“ Ebd., 110. Zum Zeitverständnis von Merleau-Ponty im Vergleich zu Husserl, vgl. H.-J. Pieper: Zeitbewusstsein und Zeitlichkeit. Frankfurt a. Main 1993, 229f. 163 „Immer bleibt zwischen mir, der ich die Wahrnehmung analysiere, und dem wahrnehmenden Ich selbst ein Abstand.“ M. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, 65. 164 Die zweifache Bedeutung des Leibes bezeichnet Merleau-Ponty aufgrund ihrer zeitlichen Struktur als Ambiguität. Eine solche Zweideutigkeit wird von Forschungseite auch Merleau-Pontys Werk Phänomenologie der Wahrnehmung selbst vorgeworfen. Vgl. S. Stoller: Wahrnehmung bei Merleau-Ponty, 50f., 158-163; B. Waldenfels: In den Netzen der Lebenswelt. Frankfurt a. Main 1985, 64, 68. Kritisiert wird in diesem Zusammenhang sein Festhalten an einem subjektiven Akteur und die damit einhergehende genetische Sichtweise, die von der Wahrnehmung als ursprünglichem Zugang zur Welt und einer nicht-sprachlichen Vorgeschichte des Leibes ausgeht. Bevorzugt wird dagegen das ontologische Spätwerk MerleauPontys: Hier steht nicht mehr die konkrete (zeitliche) Wahrnehmung eines leiblichen Subjekts im Zentrum, sondern übergreifende ontologische Strukturen, die das Sein in Sichtbares und Unsichtbares einteilen. Diese Ebenen stehen in einem Wechselverhältnis (Reversibilität), das Merleau-Ponty als Chiasmus bezeichnet. Der Chiasmus betont im Gegensatz zum zeitlichen Nacheinander das Zugleich von Vergangenheit und Gegenwart in unserem Bezug zur Welt. In diesem Zusammenhang wird nicht mehr vom individuellen Leib (corps propre), sondern vom Element Fleisch (chair) gesprochen, das andeuten soll, dass der Mensch

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Aufgrund seiner zweifachen zeitlichen Bedeutung kann der Leib zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft vermitteln. In seinem ZurWelt-sein spannt er einen sogenannten „intentionalen Bogen“165 auf und integriert so vergangene und gegenwärtige Erlebnisse, sowie Antizipationen von zukünftigen Wahrnehmungen, in der aktuellen Handlung. Aufgrund einer solchen zeitlichen Situierung des leiblichen Subjekts, ist es einer Genealogie zugänglich.166 Im Gegensatz zu einem reinen Bewusstsein kann die habituelle Seite des leiblichen Subjekts bei Merleau-Ponty nicht transparent sein und zeigt insofern, dass eine vollständige Aufklärung der subjektiven Leistungen innerhalb der Wahrnehmung nicht möglich ist. Der aktuelle Leib bezeichnet dagegen die jeweilige Situation bzw. das gegenwärtige Engagement in der Welt. Unabhängig von seiner habituellen Grundlage könnte auch dieser nicht sein, da ein leibliches Handeln nach Merleau-Ponty nicht aus ‚dem Nichts heraus‘ erfolgen kann.167 Wahrnehmung stellt demgegenüber keine statische Gegenüberstellung von Bewusstsein und Gegenstand dar, wie dies noch in der frühen Intentionalitätskonzeption Husserls der Fall war. Sie bezeichnet weder eine Erkenntnistätigkeit, noch eine Relation von Reiz und Reaktion, sondern kann nach Merleau-Ponty als eine Art Dialog von Leib und Welt gefasst werden. Idealistische wie empiristische Theorien, die Merleau-Ponty zu

durch seine Körperlichkeit auch dem Bereich des Sichtbaren angehört. Will man allerdings, wie in vorliegender Arbeit, den konkreten Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsstilen von Individuen auf die Spur kommen, so ist es schwer auf ein Subjekt zugunsten von allgemeinen Seinsstrukturen zu verzichten. Die Beschreibung der Leiblichkeit des Subjekts erschöpft sich insofern nicht in dem allgemeinen Kriterium seiner Sichtbarkeit. Der Chiasmus als Figur der Reversibilität erklärt zwar das Verhältnis von Leib und Welt. In Gang gesetzt werden kann es aber nur durch ein situiertes Subjekt bzw. durch seine Geburt. Diese konkrete Ebene der Situierung hat Merleau-Ponty auch in seinem Spätwerk nicht negiert. Es kann daher nicht behauptet werden, dass hier der Standpunkt des Subjektes zugunsten einer Ontologie aufgegeben wurde. Vgl. M. Merleau-Ponty: Das Sichtbare und das Unsichtbare, 47, 54. 165 M. Merlau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 164. 166 Der Erfahrungsbegriff von Merleau-Ponty hat im Gegensatz zu Husserl von vorneherein eine geschichtliche Bedeutung. Zu den verschiedenen Erfahrungsbegriffen von Husserl und Merleau-Ponty, vgl. G. A. Johnson: Husserl and MerleauPonty. In: H. Pietersma (Hg.): Critical essays. Lanham/London 1990, 197-219, hier: 208: „Husserl understood ‚phenomena‘ from within the immanent history of consciousness, Merleau-Ponty from within bodily incarnation and its historical situation.“ 167 Vgl. M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 11.

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Extrempositionen stilisiert168, werden dieser Interaktion, der „lebendige[n] Kommunikation“169 zwischen Leib und Welt, nicht gerecht. Wahrnehmung als dynamische Verbindung von Leib und Welt hat dabei aber in gleicher Weise wie bei Husserl eine fundierende Funktion für alle weiteren kognitiven Leistungen: Sie liefert die „Materie“170 für alle höherstufigen, prädikativen Urteile. Der Leib nimmt in diesem Zusammenhang die Rolle eines passiven Akteurs ein, im Anschluss an Husserls Spätphilosophie verwendet er für diesen den Terminus der „fungierenden Intentionalität“, die genetisch die explizite Intentionalität fundiert.171 168 Thomas Fritz wirft Merleau-Ponty in diesem Punkt eine „typologisierende Sicht der Tradition“ vor. Vgl. T. Fritz: Eine Philosophie inkarnierter Vernunft. Würzburg 2000, 174; 178. Hierzu ist festzuhalten, dass Merleau-Ponty sicher nicht an einer traditionsgerechten Darstellung interessiert war, sondern lediglich die gemeinsamen Denkmotive bzw. Strukturen der Traditionen herausstellt, um seinen Ansatz gegen diese positionieren zu können. Dieses „kontrastierende Vorgehen, aus dem sich der methodische Standpunkt Merleau-Pontys gleichsam unter der Hand entwickelt“, erschwert zwar die Lektüre, muss aber als „integraler Bestandteil“ seiner Philosophie angesehen werden. Vgl. C. Bermes: Maurice Merleau-Ponty, 40. 169 Vgl. M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 76. Er wendet sich hiermit kritisch gegen empirische Empfindungstheorien. Er selbst unterscheidet begrifflich nicht zwischen Empfindung und Wahrnehmung. Dagegen betont er die ganzheitliche Struktur der Wahrnehmung, die er mit Hilfe der Gestalttheorie beschreibt. Vgl. S. de Chadarevian: Zwischen den Diskursen, 57-79. 170 Der Begriff „Materie“ bezeichnet in der genetischen Phänomenologie Husserls das, was in der vorprädikativen Ebene durch die passive Synthesis erlangt wurde. Die „Materie“ macht bis zur prädikativen Ebene der Willensentscheidungen den bleibenden gegenständlichen Besitz des personalen Subjekts aus. Im Gegensatz zur Hyle, die als Grundlage der Auffassung galt, aber selbst nicht intentional und daher nur als Grenzwert bestimmbar ist, stellt die Materie den bisherigen Erfahrungsbestand an einheitlichen Gegenständen dar, deren Bedeutung auf neue Auffassungen übertragen werden kann. In Bezug auf den Leib und seine fungierende Intentionalität bei Merleau-Ponty heißt dies, dass keine Trennung mehr zwischen Passivität und Aktivität vollzogen werden kann, da die passive Materie jede neu Aktivität umgreift. Durch unsere leibliche Situierung in der Welt sind wir „gänzlich aktiv und gänzlich passiv, da wir selbst nichts anderes sind als das Entspringen der Zeit“ (M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 486). 171 Die in dieser Konzeption beibehaltene Subjekt-Objekt Struktur wird in der Forschungsliteratur als Überbleibsel einer Bewusstseinsphilosophie kritisiert. Dies gilt gleichermaßen für die Bezeichnung des Leibes als Subjekt der Wahrnehmung, die Verwendung der Intentionalitätsstruktur sowie das Zeitverständnis von Merleau-Ponty. Vgl. T. Fritz: Eine Philosophie inkarnierter Vernunft, 101; S. de Chadarevian: Zwischen den Diskursen, 123; S. Watson: Language, perception

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Bereits auf der Ebene der Wahrnehmung begegnet man demnach der Dimension von Sinn. Dies stellt Merleau-Ponty in Bezug auf gestalttheoretische Theorien fest, vermittels derer er die psychologischen Forschungen seiner Zeit interpretiert.172 Im Gegensatz zu Gurwitsch liegt für ihn dieser Sinn aber nicht in der gegenständlichen Organisation (Gestalt), sondern muss als Prozess der Sinnstiftung verstanden werden, die sich ausgehend von einem erfahrenden Leib in der jeweiligen Wahrnehmungssituation vollzieht. Zwischen wahrnehmendem Leib und Umwelt entsteht so innerhalb der Erfahrung eine erste Form von Rationalität. In Abgrenzung zu den empiristischen und rationalistischen Verzeichnungen versucht Merleau-Ponty also den Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Sinn mit Hilfe der Konzepte von Gestalt und Struktur anders zu denken.173 Unter Gestalt versteht er dabei etwas, dass zwar in der Wahrnehmung erscheint, aber nicht deren apriorische Bedingung darstellt: „[S]ie ist nicht Bedingung der Möglichkeit der Welt, sondern Erscheinung der Welt selbst, nicht Erfüllung, sondern Entstehung einer Norm, nicht Projektion eines Inneren ins Äußere, sondern Identität des Inneren und Äußeren.“174

and the cogito. In: J. Sallis (Hg.): Merleau-Ponty. Perception, structure, language. Atlantic Highlands 1981, 142-167, hier:152-154; S. Gans: Schematism and embodiment. In: Journal of the British Society for Phenomenology 13/1982, 237245, hier: 273; F. Dastur: Perceptual faith and the invisible. In: Journal of the British Society of Phenomenology 25/1994, 44-51, hier: 46; R. Barbaras: Perception and movement. In: F. Evans/ L. Lawlor (Hg.): Chiasms. Merleau-Ponty’s notion of flesh. New York 2000, 77-87, hier: 77; 87. 172 Beide Einflüsse verdankt Merleau-Ponty Gurwitsch. Auf die Gestalttheorie stößt er durch die Lektüre von Gurwitschs Dissertation „Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich“, auf die Experimente von A. Gelb und K. Goldstein trifft er zum ersten Mal während einer Vorlesung von Gurwitsch 1937. Trotz dieses prägenden Einflusses zitiert Merleau-Ponty Gurwitsch nur ganze zwei Mal in der Phänomenologie der Wahrnehmung. Gar keine Erwähnung findet Gurwitsch in seinem vorherigen Werk Die Struktur des Verhaltens, obwohl dessen gestalttheoretische Referenzen fast komplett auf den bibliographischen Angaben von Gurwitsch beruhen. Vgl. T. Toadvine: Phenomenological method in Merleau-Ponty’s critique of Gurwitsch. In: Husserl Studies 17/2001, 195-205, hier 196. 173 Diesen Zusammenhang erläutert auch B. Waldenfels: Phänomenologie in Frankreich, 161f. 174 M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 85.

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2.2.2 Schöpferische und habituelle Aufmerksamkeit Innerhalb der oben dargestellten Konzeption kann Aufmerksamkeit weder als spezielle intentionale Leistung des Bewusstseins, noch als Struktur der Gegenstände selbst verstanden werden. Vielmehr erweist sie sich als sinnstiftender Prozess, der sich zwischen Subjekt und Welt bzw. Gegenständen vollzieht. Ebenso wie Welt und Leib hat Aufmerksamkeit aufgrund der zeitlichen Struktur der Wahrnehmung eine zweifache Bedeutung. Sie hat erstens eine objektivierende Funktion, d.h. sie ist nicht auf einen fertigen Gegenstand gerichtet, sondern konstituiert diesen erst in der aktuellen Situation zwischen Subjekt und Umwelt. Als Beispiel für eine solche schöpferische Dimension der Aufmerksamkeit nennt Merleau-Ponty entwicklungspsychologische Einsichten zum Farbensehen von Kindern. Kleinkinder können demnach noch keine Farben erkennen. Die Begründung dafür liegt aber nicht in einer fehlenden Fähigkeit bzw. noch nicht entwickelten sinnlichen Rezeptoren; vielmehr fehlt es an der Strukturierung der Wahrnehmung durch Aufmerksamkeit. Das Farbensehen wird daher als die „Eröffnung einer neuen Dimension der Erfahrung“175 gedeutet. In diesem Sinne erweist sich die Aufmerksamkeit als ein primärer, ursprünglicher Erwerb, der sich durch seinen Vollzugscharakter charakterisieren lässt: „Aufmerksamkeit ist nicht lediglich, zuvor schon Gegebenes klarer ins Licht setzen; vielmehr ist es die Leistung der Aufmerksamkeit, solches Gegebene ursprünglich gestalthaft zu artikulieren.“176 Erst nach dem Erwerb einer Qualität, wie z.B. einer Farbe, durch die schöpferische Funktion der Aufmerksamkeit ist eine Identifizierung von Merkmalen und Gegenständen möglich. Die Aufmerksamkeit als Vollzug hat somit immer schon ihr Werk getan, wenn von einer Qualität gesprochen werden kann. Als eine zweite Form des Phänomens bezeichnet Merleau-Ponty die sekundär erinnernde bzw. habituelle Form der Aufmerksamkeit. Sie ermöglicht die weitere Identifizierung von Qualitäten und Gegenständen auf habitueller Ebene durch zuvor schon erworbenes Wissen und bereits gemachte Erfahrung. Dies setzt implizit die primäre Aufmerksamkeit voraus, die eine ursprüngliche Unterscheidung bzw. Strukturierung vollzogen hat. Sie macht es möglich, dass man in der Wahrnehmung auf Bekanntes treffen kann. Primäre und sekundäre Aufmerksamkeit sind zwei Komponenten des Phänomens, treten aber nur zusammen auf: Sie gehören wesentlich zu 175 Ebd., 51. 176 Ebd.

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jedem Aufmerksamkeitsgeschehen. Beide werden durch den Leib vermittelt, der ebenfalls, wie bereits dargestellt, durch seine zweifache Bedeutung als aktueller und habitueller Leib gekennzeichnet ist. Verbunden werden diese zeitlichen Stufen in der aktuellen Situation, in der das leibliche Subjekt in seiner Umwelt involviert und engagiert ist. Ein Gegenstand der Aufmerksamkeit wird insofern nie einfach aus dem Nichts heraus geschaffen, genausowenig wie es eine bloße Identifizierung eines schon bekannten Gegenstandes gibt, ohne den entsprechenden Sinn in irgendeiner Weise zu aktualisieren bzw. anzureichern. Aufmerksamkeit verändert die Konstellation und Bedeutung der wahrgenommenen Dinge, da sie in eine bestimmte Leib-Umwelt-Situation eingebunden sind, aus der sie ihren aktuellen Sinn schöpfen. Da die Wahrnehmung keine statische Beobachtung eines Gegenstandes oder eines Themas ist, sondern Teil eines übergreifenden leiblich-weltlichen Zusammenhangs, wird auch die Aufmerksamkeit nicht entweder allein vom Subjekt initiiert oder rein kausal von einem entsprechenden Reiz bzw. Gegenstand verursacht. Wahrnehmungssubjekt und Gegenstand stehen hingegen in einer übergreifenden Lebens- und Handlungssituation. Im Sinne Merleau-Pontys meint dies, dass diejenigen Gegenstände unsere Aufmerksamkeit motivieren, die in der jeweiligen Situation von praktischem Nutzen sind, oder uns in irgendeiner Weise angehen, indem sie etwa eine Gefahr für uns darstellen. Der Bewusstseinsakt ist dabei nicht aktiv auf diese Objekte gerichtet, sondern „gibt sich dem Gegenstand hin“177. Aus dem vorher unbemerkten Gegenstand der Umgebung wird nun ein bedeutsames Objekt, aus der Indifferenz eine Fixierung, aus einem unbestimmten Horizont ein Gegenstand der Aufmerksamkeit: „Aufmerksamkeit ist die Konstitution eines neuen Gegenstandes durch Thematisierung und Explikation von solchem, was zuvor nur gegenwärtig war als unbestimmter Horizont.“178 In ihrer zweifachen Bedeutung ist Aufmerksamkeit für Merleau-Ponty etwas, das zwischen einer bloßen Denkbestimmung im Sinne des Intellektualismus und vermeintlich neutralen Impressionen im Sinne des Empirismus vermittelt. Sie bedarf einer subjektiv-leiblichen Dimension in habitueller Form von Fähigkeiten, Erfahrungen, Wissen und aktuellen Intentionen. Die habituelle Seite des Leibes ermöglicht dabei, dass wir unsere Umwelt qualitativ unterschiedlich erfahren und uns Bekanntes begegnet. Zugleich dürfen die Gegenstände bzw. die Umwelt nicht vollständig bekannt sein, da sonst keine Motivation für einen Aufmerksamkeitswechsel oder eine Be177 Ebd., 52. 178 Ebd.

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schäftigung mit dem entsprechenden Gegenstand bestünde. Aufmerksamkeit erweist sich bei Merleau-Ponty als eine praktische (leibliche) Fragestruktur, als das „wissende Nichtwissen einer noch ‚leeren‘ und gleichwohl schon bestimmten Intention“179.

2.3 Bernhard Waldenfels: Die responsive Aufmerksamkeit In ähnlicher Weise wie Merleau-Ponty begreift Bernhard Waldenfels die Aufmerksamkeit als ein ambivalentes Phänomen, das weder aktiv noch passiv, weder subjektiv noch objektiv, weder spiritualisitisch noch naturalistisch, weder ‚innen‘ noch ‚außen‘ ist. Aufmerksamkeit lässt sich vielmehr als ein „unabschließbarer Prozess des Bewußtwerdens“180 charakterisieren. Dieses Bewusstwerden versteht Waldenfels in Form eines Antwortens auf die uns umgebende Welt und andere Subjekte, deren Anspruch unserer aufmerksamen Aktivität vorangeht: „[D]ie Aufmerksamkeit hat ihren Ort in dem Spannungsbogen, der von dem, was uns widerfährt und anspricht, hinüberführt zu dem, was wir zur Antwort geben. Sie hat ihren Ort in den Antwortregistern und Bruchstellen der Erfahrung, denen seit langem mein Interesse gilt.“181 Der intentionalen Zuwendung der Aufmerksamkeit, die Waldenfels als Aufmerken bezeichnet, geht somit notwendig ein passives Auffallen voran, in dem man von etwas angesprochen bzw. angegangen wird.182 Das Phänomen der Aufmerksamkeit fluktuiert insofern zwischen diesen beiden Polen. In den Entwicklungen der Moderne und ihren kontingenten Ordnungen sieht Waldenfels die Bestätigung für seine Beschreibung der Aufmerksamkeit als Zwischeninstanz. Im Gegensatz zu früheren philosophischen Traditionen und der Psychologie des 19. Jahrhunderts, die Aufmerksamkeit als eine Form der Introspektion von unmittelbar erlebten Bewusstseinsinhalten definiert, hat die Phänomenologie diese zum ersten Mal als eine Kraft erkannt, die „an der Dynamik der Intentionalität“183 partizipiert. Eine Phänomenologie der Aufmerksamkeit muss sich nach Waldenfels denn auch im Gegensatz zu gegenwärtigen psychologischen Untersuchungen dadurch auszeichnen, dass sie die „erfahrenen und erlittenen“ 179 180 181 182 183

Ebd., 49. Vgl. B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, 22. Ebd., 9. Ebd., 23. Ebd., 25.

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Wirkungen der Aufmerksamkeit beschreibt, „die keine bloßen Kausalwirkungen [sind], die wir registrieren und funktional berechnen“184. Zwar sind Messungen jederzeit möglich, doch setzen diese die Wirkung der Aufmerksamkeit bereits voraus. Alles Auffallen und Aufmerken muss dabei in „beobachtbare Vorgänge, Zustände und Dispositionen transformiert und entsprechend modelliert“185 werden. Dies gilt ebenso für die „psychotechnisch ausgerüstete Psychologie“, wie für die Neurologie. Nach Waldenfels können diese Befunde die Beschreibung der Erfahrung nicht ersetzen. Im Hinblick auf eine solche von ihm geforderte Phänomenologie kritisiert Waldenfels die Husserlsche Auffassung als zu egologisch und egozentrisch. Gurwitsch und Merleau-Ponty trugen jedoch seiner Meinung nach zur Revision dieser Tendenz bei. Der bei ihnen angelegten Verbindung von Phänomenologie und gestalttheoretischen Motiven schließt sich auch Waldenfels an. Dabei möchte er aber nicht, wie etwa Gurwitsch, an einem bewusstseinstheoretischen Rahmen festhalten. Demgegenüber stellt er mit Merleau-Ponty die schöpferische Dimension der Aufmerksamkeit heraus. Beide Positionen streben Waldenfels zufolge einen Mittelweg an „zwischen dem empiristischen Rekurs auf bloße Aufmerksamkeitsdaten, die keinen inneren Bezug zum Sehen aufweisen, und dem rationalistischen Rekurs auf bloße Aufmerksamkeitsakte, die uns nur entdecken lassen, was wir schon wissen“186. Problematisch scheint für Waldenfels jedoch, dass die Analyse der Aufmerksamkeit bei Gurwitsch und Merleau-Ponty dazu neigt, mit den „Prozessen der Selbstorganisation und mit der Gestaltungskraft der Wahrnehmung zu verschmelzen“187. Seine Kritik gilt ferner William James, der Aufmerksamkeit nur als selektive Instanz des Bewusstseins begreift. In dieser Auffassung bleibt die dualistische Scheidung zwischen bloßem Sinnesdatum und formender Bewusstseinsaktivität erhalten. Im Anschluss und Gegensatz zu den bisherigen Auseinandersetzungen möchte Waldenfels nun das Phänomen der Aufmerksamkeit als Zwischeninstanz zwischen Subjekt und Objekt thematisieren und der Frage nachgehen: „[W]arum überhaupt etwas in der Erfahrung auftaucht und warum gerade dieses oder solches und nicht jenes.“188 Dabei interessiert ihn besonders die Ereignisebene, also kein routiniertes Aufmerksamkeitsverhalten, das sich an kulturellen Merk- und Wirkordnungen orientiert, sondern gerade die 184 185 186 187 188

Ebd., 95. Ebd. Ebd., 27. Ebd. Ebd., 30.

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Spielräume innerhalb dieser vorgegebenen Wahrnehmungsordnungen. Aufmerksamkeit ist oder darf für Waldenfels nicht primär auf Habitualitäten, Dispositionen und Dispositive festgelegt werden. Darum untersucht er keine alltäglichen Aufmerksamkeitsprofile, sondern Zwischenereignisse, „deren Wirken unsere Erwartungen und unsere Fassungskraft unaufhörlich übersteigt“189. Aufmerksamkeit ist in dieser Hinsicht vor allem ein responsives Geschehen, dass von einer pathischen Dimension, d.h. dem Anruf oder dem Anspruch eines Anderen bzw. den Dingen, ausgelöst wird. Die pathische Ebene geht unserer Antwort in Form der Aufmerksamkeit (Aufmerken) immer schon voraus und kann nicht reflexiv eingeholt werden. Eine Phänomenologie der Aufmerksamkeit muss daher davon ausgehen, „dass uns etwas widerfährt“190, erst dann kann es zu einer aufmerksamen Zuwendung kommen. Um diese Annahme zu illustrieren, widmet sich Waldenfels zunächst den Formen solcher Ereignisse, die einen szenischen Charakter haben. Dies wäre z.B. der Fall bei historischen Ereignissen, die regelrecht aus der Reihe der jeweiligen Ordnung ‚springen‘. Er betont, dass auf der Ebene der Ereignisse nicht von einem subjektiven Akteur ausgegangen werden darf, sondern dieser vielmehr durch ein ‚Es‘ ersetzt werden muss. Dabei rekurriert er auf Aussagen von Friedrich Nietzsche und MerleauPonty, die die Anonymität von kognitiven Prozessen betonen: Denken und Wahrnehmen ist gerade kein transparenter Vorgang, der von einem Ich initiiert wird. Nicht ich denke, sondern es denkt; Nicht ich, sondern man nimmt war.191 Die pathische Dimension, in der uns etwas geschieht, wird daher nach Waldenfels erst im Geschehen zu einer Handlung im Sinne einer willentlichen Antwort. Wann ein Ereignis zur Handlung eines Subjektes wird, kann insofern nicht eindeutig bestimmt werden. Die Erfahrung als Ereignis ist etwa in Form von Geschichte oder in Form der Begegnung mit anderen Subjekten ihrer zeitlichen Struktur laut Waldenfels immer zu früh für unsere Erwartungen und Vorstellungen. Umgekehrt kommt jede Antwort im Sinne des Aufmerkens notwendig zu spät.192 Damit werden die selektive Funktion der Aufmerksamkeit und ihre intentionale Struktur von Waldenfels radikal in Frage gestellt. Der eigentliche Sinn der Aufmerksamkeit liegt auf der Seite des ‚Fremden‘ (Welt, Natur, Umgebung, andere Subjekte), in dem Bereich, wo uns etwas zustößt. Der Anteil des 189 190 191 192

Ebd. Ebd., 31. Vgl. ebd., 39; M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 153. B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, 47.

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aufmerkenden Subjekts wird dagegen auf eine nachträgliche Antwort, eine Reaktion beschränkt. Aspekte wie Interesse, Wachsamkeit, Konzentration oder die Suche nach etwas Bestimmten werden nicht zu den genuinen Formen der Aufmerksamkeit gezählt: „Was auf uns zukommt, findet sich, bevor es gesucht wird.“193 Dabei liegt die Betonung auf der zeitlichen Trennung zwischen unmittelbarer Erfahrung und nachträglichem Antworten, also aktivem Aufmerken. Die Responsivität als Grundstruktur der Erfahrung wurde von Waldenfels zuerst in seinem Buch Antwortregister entwickelt. Ausgehend von dieser Einsicht erweist sich die selektive Aufmerksamkeit als ein Phänomen aus zweiter Hand.194 Ähnlich wie zuvor bei Merleau-Ponty spielt dabei der Leib eine hervorgehobene Rolle: Er gilt als das Urmedium der Aufmerksamkeit: „Das leibliche Selbst ist […] jemand, dem etwas zustößt, zufällt und widerfährt, auf das er oder sie mit Sinnbildungen und Regelungen antwortet. Leiblichkeit bedeutet, daß mich vieles an-geht, an-rührt, indem es meiner Initiative zuvorkommt.“195 Der pathische Charakter der Erfahrung, der sich hier offenbart, macht eine eindeutige Zuschreibung in subjektive Akte oder 193 Ebd., 47. 194 Vgl. B. Waldenfels: Antwortregister. Frankfurt a. Main 1994. Das Konzept der Responsivität betont im Gegensatz zu anderen Kommunikationstheorien das Ereignis des Sagens im Unterschied zum Gesagten, d.h. dem tatsächlich Gesprochenen. Waldenfels betont in Anlehnung an Heidegger die unterschiedlichen Ebenen von Gefragtem, Befragtem und Erfragtem: Hierbei zeigt sich eine „responsive Differenz“ (242). Die Differenz zeigt sich zwischen dem (fremden) Anspruch und dem Antwortgeben: also zwischen dem, woraufhin wir antwortend gerichtet sind und dem, was im Ereignis des Sagens tatsächlich entsteht. Dies nennt Waldenfels im Anschluss an Merleau-Ponty den „Hiatus“ zwischen Anspruch und Antwort. Das Ereignis des Sagens selbst stellt sich als ein Differenzierungsgeschehen, als eine „Diastase“ (335) dar, die immer einen „Überschuß“ (also etwas Außerordentliches) über das Gesagte enthält. Diese Struktur wird bei Waldenfels auf die Erfahrung ausgeweitet. Dies beinhaltet die (leibliche) Handlung – als „antwortendes Handeln“ (437) – und die Fremdwahrnehmung. Unser Bezug zur Welt, zum Anderen und zum Fremden überhaupt ist charakterisiert als Antwort auf einen Anruf (Aufforderung, Appell), dem wir immer schon Folge leisten. Wir sind eingebunden in ein Antwortgeschehen, dessen Anfang wir niemals einholen können. Das Antwortgeschehen nimmt seinen Ausgang nicht von uns, also vom Eigenen, vom Subjekt bzw. Bewusstsein, sondern von einem fremden Anspruch. Dieses Motiv übernimmt Waldenfels von E. Levinas. Waldenfels versteht seine Untersuchungen damit auch als eine Ethik der Responsivität, die sich durch das Hören auf fremde Ansprüche auszeichnet (vgl. 327-332). Die responsive Struktur stellt auch die Grundlage für Waldenfels Gedanken zur Aufmerksamkeit dar. 195 B. Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, 177.

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gegenständliche Reize unmöglich, ist aber gleichzeitig die Bedingung für eine schöpferische Aufmerksamkeit im Sinne von Merleau-Ponty. Da das Aufmerksamkeitsgeschehen bereits begonnen hat, wenn wir uns etwas zuwenden, indem wir auf etwas antworten, mangelt es zwar einerseits an der nötigen Transparenz, andererseits verhindert dieser Tatbestand, dass die Aufmerksamkeit völlig den bestehenden Wahrnehmungsordnungen unterliegt. Daher kann der Versuch einer gezielten Steuerung oder Manipulation, z.B. von Seiten der Werbung, nach Waldenfels nie vollständig gelingen. Selbst in einer Diktatur, in der die Aufmerksamkeitssteuerung nur von einer Instanz ausgeübt wird und daher nahezu komplett erscheint, kann es keine „totale Aufmerksamkeit“ geben: „Einer totalen Aufmerksamkeit, der nichts entginge, würde auch nichts mehr auffallen, sie wäre nachgerade witzlos.“196 Waldenfels beschreibt in diesem Zusammenhang auch die positive Weise von Aufmerksamkeitslenkung in Form ihrer sozialen Bedeutung, etwa wenn wir von jemandem auf etwas aufmerksam gemacht werden. Dies bezeichnet er auch als „fremden Weckruf“. Ein solcher besteht darin, dass „etwas aus der Unauffälligkeit heraustritt, und ein Andershören, ein Anderssehen bewirkt […], daß ich auf etwas aufmerksam werde, indem ich darauf aufmerksam gemacht werde“197. Als Antwortstruktur, die sowohl anonyme Mechanismen wie Sozialität einschließt, hat die Aufmerksamkeit nach Waldenfels „von Anfang an einen ethischen Unterton“198. Das Ineinander und Auseinander von fremdem Anspruch und eigener Antwort, von Pathos und Response […], nötigt uns zur Unterscheidung zwischen dem Daß des Anspruchs, das in seiner Unausweichlichkeit nicht zur Wahl steht, und dem Wie des Antwortens, das unserer Erfindung entstammt.199

In dieser Lücke zwischen Anspruch und Antwort liegt nach Waldenfels ihre „subversive Kraft“. Damit Aufmerksamkeit in ihrer Beschreibung als (Fremd)Erfahrung einen ethischen Charakter bekommt, muss nach Waldenfels „der oder die Fremde als mein Anderer anerkannt“ werden. Aus einem bloßen Hinsehen muss ein Eingehen oder Entgegenkommen auf das oder den Fremden stattfinden. In einer solchen wechselseitigen sozialen Anerkennung vollzieht sich der Übergang von einer bloßen Beachtung zur individuellen Achtung. 196 197 198 199

Ebd., 125. Ebd., 239. Ebd., 261. Ebd., 271f.

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Die differenzierten und weitreichenden Ausführungen zur Aufmerksamkeit von Waldenfels zeigen mit Hilfe einer anschaulichen Fülle von Beispielen den Bezug von Aufmerksamkeit und Fremderfahrung und den daraus resultierenden ethischen Konsequenzen auf.200 Ziel ist es hierbei, die allgemeine responsive Struktur der Aufmerksamkeit und die schöpferisch-subversive Kraft, die ihr inhärent ist, deutlich zu machen. Da Waldenfels seinen Schwerpunkt auf die pathische Seite der Erfahrung/Aufmerksamkeit legt, die er im Anschluss an Merleau-Ponty als „schöpferische Form der Aufmerksamkeit“ versteht, wird die habituelle Ebene, die im Sinne Waldenfels für eine normalisierte Aufmerksamkeit zweiter Stufe steht, kaum thematisiert. Gerade diese Ebene ist aber in Hinblick auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der empirischen Kognitionspsychologie von Bedeutung. Der Schwerpunkt dieser Arbeit liegt insofern nicht so sehr in der pathischen Seite der Aufmerksamkeit, da diese sich per definitionem nicht im Rahmen eines geplanten Experimentes feststellen lässt. Stattdessen wird jedoch versucht, ganz im Sinne von Waldenfels, die anonyme (und dennoch subjektive) Seite der alltäglichen Aufmerksamkeit aufzuzeigen. Hier erscheint die Aufmerksamkeit geprägt von einem immer wiederkehrenden Wahrnehmungsverhalten, das einerseits eine schnelle Orientierung in der Umwelt ermöglicht, andererseits gerade die Wahrnehmung von Neuem, Anderem oder Fremdem unterbindet. Der Versuch, diese implizte Form der Selektivität aus habituellen und insofern auch kulturellen Einflüssen auzudecken, soll gerade die ethische

200 Für eine intersubjektiv und ethisch ausgerichtete Beschreibung der Aufmerksamkeit sind sie deshalb unerlässlich. In der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung finden sich aufgrund des experimentellen Kontexts jedoch nur wenige positive Anknüpfungspunkte zu der von Waldenfels entwickelten Theorie. Dass Aufmerksamkeit von Beginn an eine ethisch-normative Relevanz hat, steht aber außer Frage. Vgl. hierzu ebenfalls H.-H. Gander: On attention. From a phenomenological analysis towards an ethical understanding of social attention. In: Research in Phenomenology 37/2007, 287-302. Solche sozialen Dimensionen der Aufmerksamkeit können im Rahmen dieser Untersuchung in der Thematisierung der lebensweltlichen Horizonte der Aufmerksamkeit lediglich angedeutet werden. Im Zentrum stehen die Zusammenhänge von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kognition, Bewusstsein und Leiblichkeit. Für einen intersubjektiven Blick auf das Phänomen der Aufmerksamkeit, vgl. T. Breyer: Attentionalität und Intentionalität. Grundzüge einer phänomenologisch-kognitionswissenschaftlichen Theorie der Aufmerksamkeit. München 2011.

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Kraft der Aufmerksamkeit, die responsive Offenheit, von der Waldenfels spricht, stärken. Um eine explizite Offenheit und eine vorurteilsfreie Responsivität erreichen zu können, sollen im Folgenden gerade die subjektiven Horizonte, die eine solche Offenheit selektiv einschränken, zur Sprache kommen. Erst wenn diese in geeigneter Weise aufgeklärt werden können, kann so etwas wie eine Offenheit für den Anderen und Anderes, d.h. eine explizite ethische Haltung entwickelt werden, die eine wirkliche Horizonterweiterung verspricht.

2.4 Eine genetische Theorie der Aufmerksamkeit im Ausgang von Edmund Husserl Wie oben in Merlau-Pontys und Waldenfels Überlegungen bereits angedeutet, erweist sich Aufmerksamkeit als inhaltlicher und methodischer Umschlagspunkt, der zwischen Passivität und Aktivität, Aktualität und Inaktualität, Wahrnehmung und Denken vermitteln kann. Dies zeigt sich insbesondere im Übergang von der statischen zur genetischen Phänomenologie bei Husserl. Die genetische Fragerichtung lässt sich nicht nur mit der vermehrten Auseinandersetzung mit dem Problem der Zeit in Verbindung bringen, sondern ebenfalls mit der subjektiven Dimension der Aufmerksamkeit. Um eine solche genetische Verschiebung der Perspektive deutlich zu machen, soll nun in der Analyse zeitlich ein Schritt zurück gemacht werden und auf eine Schrift aus dem Jahre 1904/05 Husserls rekurriert werden, die 2004 in Band 38 der Husserliana veröffentlicht wurde. Diese Vorlesungen zur Wahrnehmung und Aufmerksamkeit nehmen insofern eine Sonderrolle ein, als sie sich als einzige dem Thema Aufmerksamkeit explizit widmen. Zwar erscheint die Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang immer noch als intentionaler Scheinwerfer. Neben der Definition der Aufmerksamkeit als expliziter Intentionalität werden an dieser Stelle aber zugleich die qualitativen Unterschiede des Bewusstseins betont. Um den selektiven Charakter der Aufmerksamkeit in adäquater Weise aufklären zu können, reicht somit ein rein formales Verständnis von Intentionalität nicht aus. Hinzu treten muss eine inhaltliche Komponente: das jeweilige Interesse. Da ein statischer Ich-Pol in dieser Hinsicht nicht mehr als Ausgangspunkt der Akte genügt, stellt sich die Frage nach der Habitualität und den Interessen des Erfahrungssubjektes, also nach der Motivationsgrundlage und dem zeitlichen Verlauf der Wahrnehmung. Gleichzeitig ergibt sich mit der subjektiven Differenzierung des momenta-

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nen Blickfeldes die Notwendigkeit einer räumlichen ebenso wie einer qualitativen Unterscheidung in Vorder- und Hintergrundbewusstsein bzw. in aktuelles und inaktuelles Bewusstsein. An dieser Stelle lassen sich dementsprechend bereits erste Ansätze eines genetisch-horizontalen Modells und der passiven Fundierung der Intentionalität erkennen.201 Einerseits erfolgt eine qualitative Unterscheidung in bloße Auffassung und spezifische Intentionalität, die den Horizontbegriff fundiert, andererseits stösst Husserl auf die motivationale Voraussetzung, auf den ‚Motor‘ der Wahrnehmung, die Gefühle. Intentionalität geht in diesem Sinne immer mit einer gewissen Intensität einher, die Husserl dem Interesse zurechnet. Der Begriff des Interesses, der hier entwickelt wird, tritt in den entsprechenden Zusammenhängen der genetischen Phänomenologie erneut auf. Eine systematische Integration des Phänomens der Aufmerksamkeit in eine genetische Theorie der Erfahrung erfolgt jedoch nicht. Während man am passiven Anfang der Bewusstseinskala auf das Konzept der Affektion trifft, das die passive Grundlage jeglicher Aktivität des Bewusstseins darstellt, scheint die explizite Intentionalität am aktiven Ende verortet zu sein. Eine Antwort darauf, welchen Stellenwert in diesem Zusammenhang das Interesse beansprucht, bleibt Husserl allerdings schuldig. In frühen Schriften taucht das Interesse als thematische Intentionalität oder begleitender Gefühlsaspekt der Intentionalität auf, in späteren Texten steht es hingegen für eine allgemeine motivationale Struktur der Wahrnehmung oder dient als inhaltliche Beschreibung konkreter personaler und intersubjektiver Horizonte. Bringt man nun diese genetisch erweiterten Konzepte des Interesses mit dem Themenbereich der Affektion zusammen, lässt sich ein umfassenderes Bild der Aufmerksamkeit zeichnen. In Hinsicht auf Husserls späte Texte und unter Anleihen der anderen vorgestellten Autoren, soll daher im Folgenden ein gleichermaßen genetisch wie horizontales Bild der Aufmerksamkeit skizziert werden.202 Unter Aufmerksamkeit wird in diesem Sinne nicht nur eine spezielle Form der Intentionalität oder ein personales

201 Das statische Konzept der Intentionalität, wonach sich ein Bewusstseinsakt auf genau ein Objekt bezieht, setzt somit eigentlich schon Aufmerksamkeit voraus, da das jeweilige Korrelat eines solchen Aktes auf einen zeitlichen und gegenständlichen Kontext verweist, aus dem es herausgehoben wurde. 202 Die nachfolgenden Ausführungen liegen bereits mit Ausnahme kleinerer Änderungen in veröffentlichter Form vor, in: M. Wehrle: Intentionalität, Interesse, Affektion, 79-80, 84-105.

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Interesse verstanden, wie dies Husserls frühe Aufmerksamkeitstheorie vorgibt, sondern die solchermaßen ‚aktive‘ Dimension soll in einen umfassenderen Zusammenhang mit den ‚passiven‘ genetischen Konzepten der Leiblichkeit und der Affektivität gesetzt werden. Mit Husserl, aber zugleich über diesen hinaus, wird dabei angenommen, dass auf den untersten Stufen der Erfahrung zusätzlich zu den formalen Bewusstseinsstrukturen eine konkrete subjektive Präferenz treten muss, die eine Differenzierung der Wahrnehmungsinhalte leistet, da sich anders eine kohärente Erfahrung nicht hinreichend erklären lässt. Die eidetische Bestimmung unserer grundlegenden Erfahrungsstrukturen und Bewusstseinssynthesen, die Husserl vornimmt, muss darum mit der materialen, d.h. mit der konkreten Ebene der individuellen Erfahrung verbunden werden. Aus diesem Zusammenhang ergibt sich einerseits die selektive und integrative Tendenz jeder Erfahrung und andererseits tritt die enge Verbindung der passiv-sinnlichen Wahrnehmung mit dem Bereich der personellen sowie kulturellen und gesellschaftlichen203 Interessen zutage. Da Aufmerksamkeit auf all diesen Ebenen wirksam ist, kann sie als Verbindungsglied zwischen sinnlich-leiblicher Erfahrung und höheren kognitiven Bereichen, Passivität und Aktivität sowie Individuum und Gesellschaft fungieren.

203 Auf intersubjektive Interessen und Interessenshorizonte im Sinne von Traditionen, Normen und der öffentlich-medial geprägten Meinung wird im Rahmen dieser Untersuchung zwar nicht explizit eingegangen, trotzdem ist diese Dimension implizit mitgedacht.

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2.4.1 Aufmerksamkeit als Meinung und Interesse204 In den Vorlesungen zu Wahrnehmung und Aufmerksamkeit differenziert Husserl zwischen verschiedenen Stufen des Bewusstseins bzw. des Bewussthabens von etwas. Hiermit geht eine Erweiterung des Intentionalitätskonzeptes einher, das nun sowohl die rudimentären Formen gegenständlicher Auffassung als auch den expliziten Bezug auf einen bestimmten Gegenstand umfasst. Die Unterscheidung in eine bloße gegenständliche Auffassung und einen thematischen Bezug zum Gegenstand ergibt sich im Kontext der Frage, ob es verschiedene Bewusstseinsqualitäten innerhalb der Wahrnehmung gibt. Steht etwas aktuell im Fokus des Bewusstseins, oder gehört es nur zum zwar gegenständlichen, aber unthematischen Blickfeld der Wahrnehmung? Zunächst muss eine grundlegende Ebene der vorgegenständlichen Empfindung angenommen werden, die einer gegenständlichen Auffassung gleichsam das ,Material‘ vorgibt. Diese dient jedoch als Grenzbegriff, da das Empfundene stets nur als Aufgefasstes zugänglich wird. Die Auffassung fungiert demnach als erste Stufe der Intentionalität.205 Die zweite Stufe ist durch eine spezielle Form der Intentionalität charakterisiert, die 204 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Husserls systematische Darstellungen zur Aufmerksamkeit in Hua XXXVIII. Weitere frühe Stellen zum Thema, die erst später ediert und veröffentlich wurden, finden sich z.B. in Hua XXIV, 249-252 und Hua XXVI, 18-22. In diesen Texten findet keine explizite Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit statt. In Hua XXVI kommt der Begriff des Interesses zwar vor, eine Unterscheidung zwischen bloßer Intentionalität (Auffassung) und einer speziellen Intentionalität (Meinung) findet sich aber nicht. Interesse wird als ein Aspekt des Gefühls angesehen, der sich im Unterschied zur neutralen Intentionalität durch seine Lebendigkeit und dem Engagement auszeichnet, mit dem man ‚bei den Dingen‘ ist. Zur Aufmerksamkeit in diesen frühen Texten vgl. B. Bégout: Husserl and the phenomenology of attention. In: L. Boi/P. Kerszberg/F. Patras (Hg.): Rediscovering phenomenology. Phenomenological essays on mathematical beings, physical reality, perception and consciousness. Dordrecht 2007, 13-33. Er unterscheidet zwei Faktoren der Aufmerksamkeit: den strukturellen (Intentionalität) und den thematischen Aspekt (Interesse). Diese Charakterisierung trifft ebenso auf die Beschreibungen in Hua XXXVIII zu, die Bégout in seinem Artikel leider (noch) nicht berücksichtigt. Unabhängig davon teilt der vorliegende Beitrag die Annahme, dass die Dynamik des thematischen Aspekts in der genetischen Phänomenologie zunehmend ins Zentrum rückt und die formale Bestimmtheit der Aufmerksamkeit als Intentionalität an Bedeutung verliert. Vgl. B. Bégout: Husserl and the phenomenology of attention, 28. 205 Vgl. ebd., 12.

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Husserl als Meinung bezeichnet. Sie hebt innerhalb eines gegenständlichen Zusammenhangs etwas besonders hervor und macht es thematisch.206 Sie kann sich somit auf eine bestimmte Seite eines Gegenstandes, aber auch auf mehrere Gegenstände beziehen, die durch diesen Akt der Meinung eine kollektive Bedeutung erlangen, also „zusammengemeint“ werden.207 Die spezielle Intentionalität in Form des Meinens hat im Gegensatz zum bloß gegenständlichen Auffassen eine bevorzugende, abgrenzende, gestaltende und zugleich objektivierende Funktion. Diese explizite Form der Intentionalität bezeichnet Husserl denn auch als einen „merkwürdigen bevorzugenden und gestaltenden Faktor“208 der Wahrnehmung. Damit ist eine erste Unterscheidung zwischen Wahrnehmung im Sinne der Auffassung und Aufmerksamkeit als selektive und integrative Größe, die innerhalb eines gegenständlichen Zusammenhangs fungiert, getroffen. Aufmerksamkeit als Meinen von etwas sorgt demzufolge für eine Unterscheidung in das aktuell Bemerkte und den unbemerkten Hintergrund. Die gesamte, zu einer gegebenen Zeit auffassbare Gegenständlichkeit ist dabei das „momentane Blickfeld“209, aus dem die Meinung etwas herausgreift. Als Ziel der meinenden Aufmerksamkeit benennt Husserl die klare und deutliche Gegebenheit des Gegenstandes, die durch eine genaue Betrachtung in einem Prozess von Intention und Erfüllung gewährleistet werden soll. Die heraushebende und objektivierende Funktion der Meinung stellt jedoch nur eine Seite des Phänomens Aufmerksamkeit dar: Zwar ist sie die formale und strukturelle Voraussetzung für jede konkrete Thematisierung des Gegebenen durch ein Subjekt. Zu einem vollständigen Aufmerksamkeitserlebnis muss nach Husserl aber noch ein Gefühlsaspekt hinzu kommen, das jeweilige Interesse. Meinende Aufmerksamkeit kann demnach als „etwas Auszeichnendes in Beziehung auf einen wahrgenommenen Gegenstand“ definiert werden, dessen Funktion darin besteht, „unter der jeweiligen Mannigfaltigkeit präsenter Objekte gewissen einen Vorzug zu erteilen“210. Die jeweilige subjektive Präferenz macht nun durch ihre Bevorzugung aus vormals nur wahrnehmbaren Objekten, die sich in einem gegenständlich aufgefassten Zusammenhang befinden, explizite, „für sich wahrgenommene[ ] Objekte[ ]“211. 206 207 208 209 210 211

Vgl. ebd., 73. Vgl. ebd., 75. Ebd. Vgl. ebd., 90f. Ebd., 86. Ebd: „Aufmerksamkeit [ist] etwas Auszeichnendes in Beziehung auf einen wahrgenommenen Gegenstand, [es ist] ihre Eigenheit, unter der jeweiligen Mannig-

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Das Interesse erscheint in diesem Zusammenhang einerseits als Ausdruck einer konkreten subjektiven Beziehung zum Gegebenen und gewährleistet andererseits die Motivation und ‚Stabilisierung‘212 jeder speziellen Intentionalität. Interesse steht an dieser Stelle nicht nur für ein theoretisches Interesse, sondern für einen fundamentalen Aspekt der Wahrnehmung selbst, auch wenn Husserl sich hier zumeist erkenntnistheoretischer Metaphern zur Erläuterung des Phänomens bedient.213 Für Husserl gilt zwar, dass das Interesse eidetisch in der gegenständlichen Wahrnehmung (Intentionalität) fundiert ist und infolgedessen selbst in die Kategorie der meinenden Erlebnisse gehört; gleichzeitig nimmt es aber aus genetischer Hinsicht eine primäre Rolle ein, indem es den Wahrnehmungsverlauf vorantreibt und so „Schritt für Schritt“214 zu neuen Wahrnehmungen führt. Das Interesse hat in diesem Kontext eine völlig andere Grundlage als die Meinung, da seine eigentlichen „Motoren und Quellen“215 die Gefühle sind. Das Ziel der Intentionalität im Sinne des Interesses orientiert sich nicht am Maßstab der jeweiligen Erfüllung oder Klarheit des Intendierten, sondern bestimmt sich anhand des Grades der beteiligten gefühlsmäßigen Intensität. Durch seine direkte Fundierung in den Gefühlen erzeugt das Interesse ein Verhältnis von Intention und Erfüllung, das sich in der konkreten Erfahrung in einem Rhythmus von Spannung und Lösung ausdrückt. Husserl schreibt der Intentionalität an dieser Stelle zum ersten Mal eine genetische Dynamik sowie einen ‚Lustaspekt‘ zu, der auf das spätere Konzept der Triebintentionalität hindeutet.

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faltigkeit präsenter Objekte gewissen einen Vorzug zu erteilen, wodurch sie aus wahrnehmbaren zu für sich wahrgenommenen Objekten werden.“ Die Stabilisierung einer Intention durch ein bestimmtes Interesse ermöglicht die Konzentration auf eine Handlung oder einen Gegenstand über einen längeren Zeitraum, ohne dass es zu Ablenkungen oder Langeweile kommt. Die Vorlesungen zu Wahrnehmung und Aufmerksamkeit können als erste explizite Auseinandersetzung Husserls mit dem Phänomen der Wahrnehmung „unter Absehung von bedeutungstheoretischen oder logischen Fragestellungen“ (R. Giuliani/ T. Vongehr: Einleitung der Herausgeber, in: Hua XXXVIII, xxii) gelten. Der Begriff Interesse wird infolgedessen nicht in einem theoretischen Sinne gebraucht, wie Husserl in Abgrenzung zum Begriff des theoretischen Interesses von Carl Stumpf ausdrücklich betont (vgl. Hua XXXVIII, 103). Trotzdem lässt sich in Husserls Beschreibungen und Beispielen sein eigenes erkenntnistheoretisches Interesse erkennen: Das Interesse soll vor allem das Bemerken fördern und das richtige Erkennen der Dinge vorantreiben (vgl. Hua XXXVIII, 110, 118). Hua XXXVIII, 108. Ebd.

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Doch nicht nur die Lust, sondern auch andere Gefühle wie Ekel oder Angst können sich an den Verlauf des Interesses knüpfen. Welche Art von Gefühl dies ist, spielt für die grundlegende Funktion des Interesses keine Rolle: „Jedes an die interessanten Sachen geknüpfte Gefühl hebt die Intensität des Interesses.“216 Husserl spricht darüber hinaus von einer generellen Lust am Aufmerken, die dazu beiträgt, den Fortgang der Wahrnehmung zu motivieren und neue Intentionen zu erregen. Dieser gefühlsbedingte Motor der Wahrnehmung wird nach Husserl aber nicht primär durch die ‚Sachen‘ angeregt. Im Gegenteil, der Lustaspekt der Aufmerksamkeit besteht für Husserl in der Lust des Bemerkens selbst: „Lust an dem Rhythmus des sich spannenden und zugleich lösenden Interesses […], eine Lust (an dem Fortgang) des Aufmerkens.“217 Das Interesse erscheint bereits an dieser Stelle als notwendiger passiver Antrieb des Wahrnehmungsverlaufs, auch wenn Husserl diesen psychologischen Aspekt lediglich im Kontext eines Erkenntnisstrebens verortet: „Es ist ein Motor für mein Begehren nach Erkenntnis, es veranlasst mich zur näheren Inbetrachtnahme des Gegenstandes, zur Beschäftigung neuer Wahrnehmung, die neue Teilseiten desselben zur eigentlichen Wahrnehmung bringen.“218 Der hier eingeführte Begriff des Interesses ist somit einerseits als Gemütsakt definiert und drückt sich in Akten des Wollens, Wünschens oder Erwartens aus, andererseits geht seine Wirkkraft weit über diesen Bereich hinaus: Da jede Intentionalität notwendig von einem Interesse begleitet sein muss, kann es im obigen Sinne auch als der Wahrnehmung inhärentes dynamisches Streben verstanden werden. Unter Hinzunahme des Interesses erweist sich die vormals nur formal bestimmte Intentionalität auch als inhaltlich motivierte Dimension. Im Gegensatz zur Meinung, als deren intentionales Ziel die klare und deutliche Gegebenheit des Gegenstandes formuliert wurde, weicht die Funktion des Interesses von diesem generellen Telos teilweise ab. Dies liegt daran, dass die Intensität der Wahrnehmung nicht bei schon erfüllten oder „gesättigten“219 gegenständlichen Momenten am größten ist, sondern sich gerade durch das Fehlen und Vermissen einer Sache auszeichnet. Das Interesse strebt vordergründig nach der Erfüllung eines empfundenen Mangels und ist somit nicht nur mit dem aktuell Präsenten beschäftigt, sondern immer schon auf weitere potentielle intentionale Inhalte aus, die sich dem Wahrnehmen „neu darbieten sollen“. Zu Beginn überwiegt diese „In216 217 218 219

Ebd., 107. Ebd., 108. Ebd., 118. Ebd., 107.

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tensität der nächsterregten Intentionen“,220 während im weiteren Verlauf der Wahrnehmung die Intensität der Erfüllungen der betreffenden Intentionen einen größeren Raum einnimmt. So wird das Interesse besonders durch das Neue und Zukünftige angezogen, ein Umstand, der dazu führen kann, dass das Interesse nach einer „allseitigen und erschöpfenden Betrachtung“221 eines Gegenstandes auch abnehmen kann: „Sind die Wahrnehmungszusammenhänge öfters durchlaufen und uns jede Einzelheit vertraut geworden, so ‚verliert die Sache an Interesse‘, sie wird langweilig.“222 Statt einer adäquaten Wahrnehmung, die von Husserl als ideales Ziel der Aufmerksamkeit bestimmt wird, kann es durch das Interesse zu einem „Wettstreit um das Bemerken“223 kommen. Das Interesse ist somit zwar eine das Bemerken fördernde Kraft, die zu einer ‚besseren‘ Wahrnehmung beiträgt, kann aber zugleich dieser teleologischen Ausrichtung zuwider laufen, da das allzu Bekannte die Intensität mindert und sich so neuen Eindrücken hingibt. Die Verbesserung der Wahrnehmung durch die Aufmerksamkeit erweist sich unter diesen Umständen nicht als allgemeines regulatives Ideal der adäquaten Gegebenheit eines Gegenstandes, sondern vielmehr als relatives Optimum, das sich in Bezug auf die jeweiligen Handlungen und Interessen des konkreten Subjektes ergibt.224 Bewusstsein ist also nicht einfach Bewusstsein von etwas, sondern von etwas Bestimmtem. Intentionalität kann deshalb ohne die Differenzierung des Bewusstseinsfeldes und ohne konkrete subjektive Präferenzen nicht stattfinden. Wahrnehmung gänzlich ohne Interesse wäre nicht denkbar, weil es nach Husserl „nie an Motiven der Bevorzugung fehlen kann“225. Im Phänomen der Aufmerksamkeit, insbesondere in Form des Interesses, zeigt sich an dieser Stelle ebenfalls die zeitliche und horizontale Struktur jeder Wahrnehmung. In der diesbezüglichen Beschreibung lassen sich die Wurzeln der später ausgearbeiteten Horizontintentionalität erkennen. Bevor man Bewusstsein von etwas, also einem ganzen Gegenstand, haben kann, müssen demnach verschiedene zeitliche und assoziative Syntheseleistungen vorangehen. Durch die Einheit eines Gesamtinteresses wird in diesem 220 221 222 223 224

Ebd. Ebd., 108. Ebd. Ebd. Vgl. Hua XXXIX, 204; Hua XI, 23f. In Bezug auf die konstitutive Rolle, die Normalitätskriterien wie Einstimmigkeit und relative oder absolute Optimalität innerhalb der Erfahrung spielen, siehe A.J. Steinbock: Phenomenological concepts of normality and abnormality. In: Man and World 28/1995, 241-260. 225 Hua XXXVIII, 108.

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Kontext ein individueller und inhaltlicher Zusammenhang des Gegebenen hergestellt. Obwohl Husserl in dieser Vorlesung die eidetische Vorrangstellung von Gegenständlichkeit und Intentionalität gegenüber dem Interesse betont und eine statische Beschreibung beider Komponenten anstrebt, stößt er wiederholt auf die Schwierigkeit, Interesse und Meinung im Erfahrungsverlauf auseinanderhalten zu müssen. Eine solche statische bzw. funktionale 226 Trennung ist demnach nur nachträglich in der Deskription durchführbar. In der Erfahrung gehen Meinung und Interesse dagegen „Hand in Hand“227 und sind gleichermaßen konstitutiv für das Phänomen der Aufmerksamkeit.228 Beide haben „einen gewissen Rechtsanspruch darauf, Aufmerksamkeit zu heißen“229. Sie bilden eine „praktische Einheit“, indem sie verbinden, was „erfahrungsmäßig zusammen auftritt“230. In der Deskription erweist sich die Meinung allerdings gegenüber dem Interesse als vorrangig: Sie wird als abgrenzender Akt definiert, in dem das Gemeinte zugleich das aktuell Bemerkte darstellt. Das Interesse setzt somit logisch die Meinung als Möglichkeit eines „Für-sich-Vorstellen[s]“231 des Gegenstandes voraus. Während die Meinung als eigentlich objektivierender Akt gilt, stellt das Interesse lediglich eine gefühlsmäßige Begleiterscheinung dieses Aktes dar. Demgegenüber kann die Funktion der Meinung weder eine Gefühlsbasis vorweisen, noch mit dem Maßstab der Intensität gemessen werden. Das pure ‚Herausheben‘ eines Gegenstandes kennt in diesem Sinne kein Mehr oder Weniger – ein Gegenstand ist entweder explizit herausgehoben, oder er ist es nicht: „[V]on einem brennenden Interesse sprechen wir oft genug, von einer brennenden Meinung zu reden, gibt keinen Sinn.“232 Wie wir einem Gegenstand zugewendet sind, z.B. im Modus intensiver Konzentration oder Langeweile, ist dabei vom „mitverflochtenen Interesse[ ]“233 abhängig. Für Husserl gewährleistet die Struktur der speziellen Intentionalität, dass überhaupt etwas zum Gegenstand der Aufmerksamkeit 226 Mit funktional ist hier lediglich gemeint, dass man Meinung und Interesse hinsichtlich ihrer Funktionen in der Wahrnehmung unterscheiden kann. Diese lassen sich aber nur statisch, d.h. in Abstraktion von den konkreten zeitlichen Wahrnehmungsverläufen, bestimmen. 227 Ebd., 119. 228 Husserl spricht in diesem Zusammenhang von einer gegenseitigen Beeinflussung in Form eines „Wirkkreises“, vgl. ebd., 119. 229 Ebd., 116. 230 Ebd. 231 Ebd., 118. 232 Ebd. 233 Ebd.

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werden kann, während das Interesse für das Wie, also für die Intensität der Wahrnehmung zuständig ist. Allerdings ist jeder intentionale Akt nicht nur auf ein begleitendes Interesse angewiesen, sondern ebenfalls auf eine Art habituellen Interessenshorizont, der diese Zuwendung allererst motiviert. Im zweiten Falle würde das Interesse als Motivationsgrund 234 dem aktuellen Aufmerksamkeitsgeschehen jedoch aus einer genetischen Perspektive vorangehen. Auf der einen Seite betont Husserl, dass es die Struktur der Meinung ist, die das Herausheben und ‚Thematisch-Machen‘ eines Gegenstandes ermöglicht. Auf der anderen Seite kommt eine solche neutrale Heraushebung in der alltäglichen Erfahrung nicht vor. Wie der Begriff der Bevorzugung suggeriert, wird hier implizit ein individueller subjektiver Standpunkt eingenommen. Wenn es die Leistung der speziellen Intentionalität ist, aus einem bloß wahrnehmbaren gegenständlichen Zusammenhang einen „Gegenstand für uns“ zu machen oder verschiedene unverbundene Objekte zu einem intentionalen Thema zu integrieren, dann muss dieser Zusammenhang nicht nur formal, sondern jeweils auch inhaltlich bestimmt sein. Durch das Interesse entsteht in der Wahrnehmung nicht nur eine gegenständliche, sondern auch eine subjektiv gelebte und zeitliche Einheit. Sie konstituiert für uns aus einem gegenständlichen Zusammenhang, wie Husserl später sagen wird, eine „Lebenswelt“235. Parallel dazu generiert sich aus den intentionalen Aufmerksamkeitsbeziehungen so etwas wie ein einheitlicher habitueller Stil, der als Vorstufe einer personalen Identität gelten könnte. Obwohl in den Vorlesungen von 1904/05 Aufmerksamkeit nur als Erlebnis thematisiert wird und dessen habituelle Motivationsgrundlage weitgehend außen vor bleibt, wird dennoch die Notwendigkeit einer genetischen Ergänzung deutlich. Warum ziehen manche Gegenstände oder Ereignisse unsere Aufmerksamkeit auf sich und treten damit aus dem Hintergrund in den Fokus der Aufmerksamkeit? In Bezug auf Fragen solcher Art könnten 234 Hier lässt sich eine Erweiterung der Intentionalität als Motivationsverhältnis erkennen, die B. Rang in Bezug auf die Ideen I feststellt. Dementsprechend kann Intentionalität, die auf eine Interesseneinheit angewiesen ist, hier ebenfalls als ein „Verhalten zu…“ interpretiert werden, wie Rang dies tut. Verhalten meint hierbei sowohl „sinnbestimmtes als auch sinnbestimmendes, motiviertes und motivierendes“ Verhalten. Vgl. B. Rang: Kausalität und Motivation. Untersuchungen zum Verhältnis von Perspektivität und Objektivität in der Phänomenologie Edmund Husserls. Den Haag 1973, 127. 235 Hier zunächst in dem Sinn verstanden, dass durch den gelebten subjektiven Bezug aus einem bloß gegenständlichen Zusammenhang eine Welt wird, in der wir leben und auf die wir selektiv bezogen sind.

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sowohl die habituell geprägten Wahrnehmungs- und Handlungsintentionen des leiblichen Subjekts als auch der gegenständliche Horizont des Bemerkten Aufschluss geben. Während sich Ersteres auf die subjektive Erfahrungsgeschichte bezieht, z.B. in Form vorangegangener Wahrnehmungen und habitueller Verhaltensmuster, umfasst Letzteres den potentiellen Gegenstandsbereich zukünftiger Wahrnehmungen. Die erwähnten Fragen tauchen in dieser frühen Auseinandersetzung Husserls mit dem Phänomen der Aufmerksamkeit nur am Rande auf. Dies erklärt sich dadurch, dass er die Funktion der Aufmerksamkeit erkenntnistheoretisch bestimmt, ihr Ziel ist die optimale Wahrnehmung eines Gegenstandes: „das Zu-adäquater-Wahrnehmung-Kommen“236. Aufmerksamkeit ist somit hauptsächlich als kontinuierliche Beschäftigung mit einem Gegenstand definiert. Flüchtige und plötzliche ‚Einbrüche‘ innerhalb der Wahrnehmung, wie z.B. ein lautes Geräusch, ziehen zwar unsere Aufmerksamkeit auf sich, unterbrechen aber lediglich ein schon bestehendes thematisches Interesse. Ein solcher Aufmerksamkeitswechsel verhindert zwar einerseits das adäquate Wahrnehmen eines einzelnen Gegenstandes, andererseits motiviert er weitere Intentionen und Erlebnisse. Dies bietet dem Erfahrungssubjekt im Gegensatz zu einer erschöpfenden Kenntnis eines bestimmten Themas einen ganz anderen Vorteil, nämlich den der schnellen Orientierung innerhalb der Umgebung und einer Anpassung an die sich ständig verändernde Umwelt. Auch bei Husserl ist es gerade die Unmöglichkeit einer vollständigen Bestimmung des Wahrnehmungsgegenstandes, die die Wahrnehmung als fortwährenden Bestimmungs- und Identifikationsprozess in Gang hält. Eine vollständige Bestimmung des Gegenstandes würde dagegen das Ende jeglicher Wahrnehmungsverläufe bedeuten, da von ihm keine neuen Intentionen (oder Affektionen) mehr ausgehen könnten. Schon in den Ausführungen von 1904/05 zeigt sich insofern eine Ambivalenz zwischen der Bestimmung der Aufmerksamkeit als aktiver Bevorzugung des Bewusstseins und passiver Motivation.237 Das Interesse erweist sich hierbei als doppeldeutig, besteht doch auf der einen Seite durch seine inhärente Ausrichtung auf das Neue ständig die Gefahr einer Unterbrechung oder eines Aufmerksamkeitswechsels. Auf der anderen Seite kann 236 Hua XXXVIII, 110. 237 Meinung kann in diesem Sinne sowohl als passive Bewusstseinsstruktur verstanden werden, die es uns ermöglicht, überhaupt etwas ‚für sich genommen‘ zur Anschauung zu bringen, als auch als aktiver, expliziter Akt des Herausgreifens. Ähnliches gilt für das Interesse, das einerseits als aktiv selektierende Funktion angesehen werden könnte, andererseits als habitueller Faktor die Wahrnehmung implizit zu lenken vermag.

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das Interesse aber auch als eine Art habitueller Horizont verstanden werden, der eine gewisse Beständigkeit im Wahrnehmungsverhalten des Subjekts gewährleistet, die man als individuelles Aufmerksamkeitsprofil238 bezeichnen könnte. Dies deutet sich insbesondere in den späteren Texten Husserls an, die im nächsten Punkt behandelt werden. Trotz dieser genetischen Tendenzen ist die eigentliche Funktion der Aufmerksamkeit in dieser frühen Untersuchung noch immer als eine Art mentaler Scheinwerfer charakterisiert, der bereits vorhandene Gegenstände heraushebt, um sie besser wahrzunehmen. Zugleich bemerkt Husserl aber, dass dieser Prozess der Näherbestimmung auf eine Gefühlsbasis angewiesen ist, auf ein allumspannendes Interesse, das diese Intentionalität motiviert und stabilisiert. Da das Interesse aber auf die größtmögliche Intensität abzielt und so vor allem auf Neues bzw. auf Relevantes ausgerichtet ist, das noch nicht aktuell vorliegt, sondern sich im tätigen und zeitlichen Verlauf der subjektiven Wahrnehmung erst zeigt, bleibt die Wahrnehmung fragil und wechselhaft: Es kommt zum Wettstreit der Reize um Aufmerksamkeit. Der Wechsel der Aufmerksamkeit rückt die Horizonte, den Hintergrund des Bemerkten ins Licht der Untersuchung, also das, was potentiell zum Thema der Aufmerksamkeit werden kann und die konkreten Voraussetzungen des jeweiligen Aktes darstellt. Im Folgenden wird nun versucht, diese Aspekte mit Hilfe von Husserls späten Texten zur passiven Vorgegebenheit, zur Affektion und zum leiblichem Interesse in ein umfassenderes Konzept der Aufmerksamkeit zu integrieren. Hierfür wird zunächst ein genetisches Stufenmodell der noetischen Aufmerksamkeitsformen ausgearbeitet, welches die passiven Bereiche der Assoziation und Rezeption mit den aktiven und expliziten Formen der Intentionalität verbindet. Parallel dazu werden im nächsten Punkt verschiedene Aufmerksamkeitshorizonte unterschieden. Abschließend soll das Zusammenspiel von Affektion, Interesse und Intentionalität in der alltäglichen Erfahrung diskutiert werden.

2.4.2 Die genetischen Stufen des Interesses Der Begriff der Aufmerksamkeit wurde von Husserl in den Ideen I noch zum Zweck der Unterscheidung einer primären und sekundären Wahrnehmung gebraucht. Aufmerksamkeit gilt hier als „Blickstrahl des reinen

238 Dies wäre von einem affektiven Relief zu unterscheiden, das sich nur durch allgemeine strukturelle Faktoren bestimmt.

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Ich“239 und macht aus einem sekundär, d.h. nur nebenbei bewussten Objekt ein primär und aktuell erfasstes Thema. In den späteren phänomenologischen Untersuchungen findet er hingegen kaum mehr Verwendung. Eine Ausnahme bildet dabei das von Ludwig Landgrebe herausgegebene Werk Erfahrung und Urteil, in dem die Aufmerksamkeit insbesondere in Form eines genetisch gewandelten Begriffes des Interesses auftaucht. Aufmerksamkeit wird in diesem Zusammenhang als eine „Ichtendenz“ oder ein „Tendieren des Ich auf den intentionalen Gegenstand hin“ verstanden, das zur Wesensstruktur jedes „Ichaktes“ gehört.240 Das Ausmaß dieser Tendenz zur Hingabe und Erfassung des Gegebenen hängt von der Stärke der jeweiligen Affektion ab. Der Affektion wird insofern ein genetischer Vorrang eingeräumt, als zunächst das Gegebene einen ‚Zug‘ auf das Ich ausüben muss. Jedoch steht diesem zeitgleich die Tendenz des Ich zur ‚Hingabe‘ gegenüber.241 Eine strikte Unterscheidung zwischen bloßer Affektion und expliziter Aufmerksamkeit ist an dieser Stelle deshalb nur schwer möglich. Der Übergang von der passiven Affektion über das tatsächliche Affiziertsein des Ich bis hin zu seiner aktiven Zuwendung lässt sich allenfalls graduell bestimmen. Mit der aktuellen Zuwendung des Ich vollzieht sich dabei zugleich eine Unterteilung in das momentane Vordergrunderlebnis und das inaktuelle Hintergrunderlebnis, von dem gegebenenfalls ein affektiver Reiz auf das Ich ausgehen kann. Wiederum ist es die Intensität der jeweiligen Zuwendung, die hier den Unterschied ausmacht: Während das Ich im Vordergrunderlebnis „in tätiger Weise“ regelrecht ‚in‘ dem Erlebnis ‚lebt‘ und sich aktiv mit der intentionalen Gegenständlichkeit ‚beschäftigt‘, ist dies beim Hintergrunderlebnis nicht der Fall.242 Anhand der oben skizzierten Wahrnehmungsanalysen ließe sich bereits ein erweiterter Begriff von Aufmerksamkeit erkennen. Dieser genetische Begriff der Aufmerksamkeit würde verschiedene Stufen der Ichzuwendung umfassen, die zwar einerseits das Gegebene aktiv strukturieren, andererseits aber von passiven und inaktuellen Bereichen umgeben und motiviert sind. Zu unterscheiden wäre hierbei zwischen zwei Ebenen: dem Hintergrund während einer aktuellen Zuwendung und dem Hintergrund, der genetisch oder zeitlich vor einer solchen Zuwendung verortet wird.243

239 240 241 242 243

Hua III, 228. E. Husserl: Erfahrung und Urteil, 85. Vgl. ebd., 82. Vgl. ebd., 85f. Dies entspräche der Unterscheidung in einen noematischen (gegenständlichen) Horizont, der den Bezug des aktuell Gegebenen auf das Mitgegebene umfasst,

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Das Interesse nimmt in diesem Kontext die Rolle der konkret „erfahrenden Ichtendenz“244 ein und ist vor allem durch seine praktische Orientierung charakterisiert. Im Gegensatz zu seiner früheren Bestimmung wird es nun nicht mehr als Gefühlsaspekt definiert, der zur gegenständlichen Auffassung hinzukommt, sondern als wesentlicher Bestandteil jeder Intentionalität anerkannt. Als praktische Ichtendenz bezieht sich das Interesse nicht mehr nur statisch auf einen bestimmten Gegenstand, sondern trägt zur Gegenstandskonstitution selbst bei, indem es als kontinuierliches und verwirklichendes Streben die Horizonte des Gegebenen aufdeckt und somit weitere Wahrnehmungen motiviert. Mit der Zuwendung zum Gegenstand ist nach Husserl „ein Interesse am Wahrnehmungsgegenstand als seiendem erwacht“245, das eine kontinuierliche Gerichtetheit auf diesen ermöglicht und somit für die Erfahrung der zeitlichen und inhaltlichen Einstimmigkeit der Wahrnehmungserscheinungen unverzichtbar ist. Gleichzeitig geht es seinem Wesen nach über das aktuell Gegebene hinaus und tendiert somit zu neuen Erlebnissen. Dem Interesse wird der Status einer Grundvoraussetzung für jede konkrete Erfahrung zugesprochen, da es den subjektiven Bezug zum Gegebenen erst motiviert und vorantreibt, indem es weitere Horizonte ‚weckt‘ und kinästhetisch verwirklicht.246 In diesem Kontext erscheint Aufmerksamkeit als Bestandteil einer erweiterten Intentionalitätskonzeption, die um die genetischen Konzepte der Leiblichkeit und des Horizontes ergänzt wurde. Zwar wurde der Aufmerksamkeit bereits in ihrer statischen Form als Meinung und Interesse eine konstitutive Funktion zuerkannt, indem sie dazu verhalf, den Gegenstand näher in Betracht zu nehmen. Dabei wurde der Gegenstand aber aus seinem äußeren Horizont regelrecht herausgenommen, um ihn einer expliziten visuellen ‚Inspektion‘ unterziehen zu können. Dagegen versteht die genetische Konzeption der Aufmerksamkeit den Horizont nicht nur im Rahmen eines visuellen Scheinwerfers, der sich auf einen bestimmten Gegenstand richtet, sondern macht die Horizonthaftigkeit des Wahrnehmungsverlaufs im Ganzen zum Thema, indem sie zeitliche, kinästhetische und habituelle Aspekte einbezieht. Der Wirkbereich des Interesses wird so nicht mehr auf eine explizite intentionale Handlung reduziert, sondern umfasst sämtliche Bereiche von Passivität und Aktivität.

und einen noetischen (habituellen) Horizont, der den Bezug des gebenden Aktes auf frühere Akte thematisiert. 244 E. Husserl: Erfahrung und Urteil, 86. 245 Ebd., 87. 246 Vgl. ebd.

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Darüber hinaus nimmt Husserl eine graduelle Differenzierung verschiedener Bewusstseinsstufen vor. Als primäre Form der Zuwendung gilt das oben dargestellte kinästhetisch verwirklichende Streben. Dieses leibliche Interesse kann dann auf einer höheren Stufe auch die Form eines „Willens zur Erkenntnis“247 annehmen. Zusätzlich unterscheidet Husserl zwischen einem ‚vorichlichen‘ und ‚ichlichen Tun‘248. Das Tun vor der IchZuwendung ist durch eine kinästhetisch-leibliche Zuwendung gekennzeichnet, die sich anhand rein apperzeptiver Verläufe charakterisieren lässt, z.B. in Form von gerichteten Augenbewegungen. Eine Zuwendung ‚mit Ich‘ ist dagegen zwar explizit bewusst, muss aber keine vollständig willkürliche Handlung darstellen. So bewegt man mitunter unwillkürlich die Augen, während man einem Gegenstand aufmerksam zugewendet ist.249 An dieser Stelle wird die Schwierigkeit einer einfachen Unterscheidung in passive und aktive Vorgänge ersichtlich, da diese sich als durchaus missverständlich erweisen kann. So ließe sich eine Form der leiblichen Aufmerksamkeit in obigem Sinne einmal als aktiv kategorisieren, da sie sich durch Bewegung, Streben und eine bestimmte Form der Wachsamkeit auszeichnet, gleichzeitig kann sie im Vergleich zu expliziten geistigen Tätigkeiten als passiv beschrieben werden, da weder ihre Motivation noch ihre gegenständlichen Inhalte im Einzelnen explizit bewusst sind. Leiblich orientierte Aufmerksamkeit zeichnet sich dennoch durch ihr Tun bzw. durch ein gewisses grundlegendes kinästhetisches Engagement in der jeweiligen Situation aus. Dieses vorichliche Tun (das „Tun vor der Zuwendung“250) tritt aber in der alltäglichen Erfahrung außer in speziellen Grenzfällen nicht isoliert auf und muss daher eher als ein ‚nebenichliches Tun‘ aufgefasst werden, das wie in obigem Beispiel mit der Ausführung einer expliziten Zuwendung aufs engste verwoben ist. Gleiches gilt für die eigentlich fundierende Dimension der Passivität bei Husserl, die sich aus den grundlegenden passiven Synthesen der Zeitlichkeit und der Assoziation zusammensetzt; auch sie sind nur durch ihre impliziten Anteile an der anschaulichen und beschreibbaren Erfahrung thematisch zugänglich. In Anbetracht der von Husserl vorgenommenen Unterscheidungen könnte man darüber hinaus noetisch zwischen den passiven Grundstrukturen, dem aktuellen leiblichen Engagement251 oder fungierenden Intentionali247 248 249 250 251

Ebd., 92. Ebd., 90f. Ebd., 91. Ebd. Dieser Begriff wird in Anlehnung an Merleau-Pontys Leibtheorie verwendet.

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tät, der thematischen Aufmerksamkeit, die sich explizit auf ein bestimmtes Objekt richtet, und der Reflexion unterscheiden, die sich als zusätzlicher (nachträglicher) Akt sowohl auf das Objekt und seine Umstände als auch auf seine subjektive Gegebenheitsweise bezieht. Außerdem müsste gegenüber einer punktuellen Reflexion besonders die „phänomenologische epoché“252 als Einstellungswechsel hervorgehoben werden, der beständig aufrechterhalten werden muss, damit die sonst nur vorübergehende Ichspaltung der Reflexion eine habituelle Geltung erreicht.253 Einen ersten Schritt in diese Richtung geht Husserl, wenn er gegenüber einem engen Begriff von Interesse, der sich nur auf das thematische Interesse, z.B. in Gestalt einer wissenschaftlichen Arbeit, beschränkt, für einen weiten Begriff von Interesse plädiert. Dies sei notwendig, da das Thema und der Gegenstand der Ichzuwendung nicht immer zusammenfallen. So kann eine plötzliche Affektion in Form eines störenden Lärms vorübergehend zum Gegenstand der Ichzuwendung werden, während die wissenschaftliche Arbeit den Status des übergreifenden Themas beibehält. Ebenso kann der Krach den Interessenverlauf ändern und so zum eigentlichen Thema werden. Interesse kann sich somit sowohl im Akt der Konzentration auf ein bestimmtes Thema ausdrücken als auch in einem weiteren Sinne das 252 Die phänomenologische Methode der „epoché“ (Einklammerung), die in ihrer späteren Form „transzendental-phänomenologischen Reduktion“ genannt wird, stellt gewissermaßen einen reflexiven Aufmerksamkeitswechsel dar. Hierbei werden zunächst alle Geltungen wie Theorien, Wissen oder Urteile über die Welt außer Kraft gesetzt, d.h. im Sinne der epoché eingeklammert. Dies gilt besonders für den Glauben, dass alles, was wir erfahren, wirklich ist bzw. real existiert. Dieser naive Weltglaube, von Husserl auch als „natürliche Generalthesis“ bezeichnet, wird nunmehr als eine subjektive Setzung ausdrücklich gemacht. In gleicher Weise werden die Umstände der Gegebenheit von Wahrnehmungsgegenständen und die verschiedenen Bewusstseinsweisen, in denen uns etwas erscheinen kann, zum Thema. Die phänomenologische Reduktion wurde oft kritisiert und missverstanden, insbesondere in ihrer cartesianischen Form, in der sie zunächst eine Ausschaltung der Welt impliziert bzw. fordert und dabei im Anschluss an Descartes das denkende Ich allein zurückbleibt. Husserl versucht deshalb immer wieder seine Methode verständlich zu machen. Rückblickend ergeben sich daraus drei Zugänge zur phänomenologischen Reduktion: der cartesianische, der psychologische und der ontologische Weg. Vgl. I. Kern: Die drei Wege zur transzendentalphänomenologischen Reduktion in der Philosophie Husserls. In: Tijdschrift voor Filosofie, 24/1962, 303-349. Siehe ebenfalls, I. Kern/R. Bernet/E. Marbach: Edmund Husserl, 56-74; E. Ströker: Husserls transzendentale Phänomenologie, 64-80; D. Zahavi: Husserl’s Phenomenology, 46-52. 253 Vgl. E. Husserl: Zur Phänomenologischen Reduktion. Texte aus dem Nachlass (1926-1935). In: Husserliana Bd. XXXIV. Hg. von S. Luft. Dordrecht 2002, 75.

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passiv geweckte Interesse oder die unwillkürliche Zuwendung des Subjektes umfassen. Das Konzept des Interesses wird in diesem Kontext geradezu mit jeder Form des subjektiven Engagements in der Welt, des Dabei-seins und der damit verbundenen Aktivität in Verbindung gesetzt. Es bezieht sich auf jeden Akt der „vorübergehenden oder dauernden Ichzuwendung, des Dabeiseins (inter-esse) des Ich“254. Nicht ganz eindeutig ist an dieser Stelle, ob sich dieses inter-esse auch auf das vorichliche Tun, das kinästhetische Streben erstreckt. Dafür spricht einerseits, dass Husserl auch in diesem Bereich von einer Zuwendung spricht, und andererseits, dass die organischen, passiven und leiblichen Faktoren Anteil am ichlichen Geschehen haben und aufgrund ihrer fundierenden Rolle die jeweilige explizite Intentionalität erst ermöglichen. Darüber hinaus besteht zumindest in Bezug auf das leibliche Fungieren jederzeit die Möglichkeit, dass diese sich zu einer expliziten Aufmerksamkeit wandelt oder selbst zum Thema einer solchen wird. Wie in den früheren Erläuterungen von 1904/1905 zeigt sich auch in Erfahrung und Urteil die verbindende und individuierende Rolle der Aufmerksamkeit, indem das Interesse eine qualitative Beziehung zwischen Subjekt und Welt herstellt. Auf der noetischen Seite vollzieht sich so eine gewisse habituelle Identität, die sich aus einem individuellen und inhaltlich bestimmten selektiven Weltbezug, einem speziellen Aufmerksamkeitsstil, bestimmt. Auf der noematischen Seite ergibt sich parallel dazu eine Lebenswelt für das Subjekt. Die subjektive Zuwendung bewirkt somit laut Husserl, „daß das Objekt mein Objekt, Objekt meines Betrachtens ist und daß das Betrachten selbst, das Durchlaufen der Kinästhesen, das motivierte Ablaufenlassen der Erscheinungen mein Durchlaufen ist“255. Trotz der Betonung der Aktivität des Ich im Zusammenhang mit dem Phänomen der Aufmerksamkeit wird in diesen Ausführungen auch die passive Dimension der Erfahrung einbezogen. Aktivität bezieht sich nun nicht mehr nur auf eine willentlich geistige Konzentration, sondern umfasst ebenfalls die vorichliche leibliche Zuwendung. Ein weiter Begriff des Interesses ermöglicht es hierbei, die Ebenen von Wahrnehmung und Denken in Bezug zu setzen und in ihrer Kontinuität zu erfassen: Eine plötzliche, affektiv dominierte Zuwendung ist demanch genauso wie die fokale Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand oder die geistige Beschäftigung mit diesem, eine Ausdrucksweise desselben Phänomens, der Aufmerksamkeit. Obige Formen der Zuwendung unterscheiden sich lediglich in Bezug auf ihre gene-

254 E. Husserl: Erfahrung und Urteil, 93. 255 Ebd., 90.

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tischen Stufen, die von der passiven Sinnlichkeit bis hin zur aktiven und objektivierenden Rationalität reichen.256 Solch ein weiter Begriff der Aufmerksamkeit erlaubt darüber hinaus, den genetischen Zusammenhang von Interesse und Affektion zu thematisieren. Ein solches Verhältnis kann nicht einseitig, entweder im Sinne eines Primats der ichlichen Aktivität in Gestalt der expliziten Intentionalität oder im Sinne eines genetischen Vorrangs der Affektion, entschieden werden. Das Konzept ‚Interesse‘ beschränkt sich weder auf die Aktualität des fungierenden Interesses, noch darauf, dass der Inhalt oder die Existenz eines solchen Interesses dem Subjekt explizit bewusst ist. In diesem Zusammenhang müssen die habituellen und gegenständlichen Horizonte der gegenwärtigen Aufmerksamkeit berücksichtigt werden. Der gegenständliche und thematische Kontext des aktuellen Aufmerksamkeitsfokus beeinflusst maßgeblich was bzw. ob etwas zum Thema wird, welche Intentionen und Antizipationen davon ausgehen und worauf sich zukünftige Aufmerksamkeitsbewegungen richten. Der Gegenstand und sein innerer wie äußerer Horizont unterliegen bei Husserl einer wechselseitigen Bestimmung. Dies gilt gleichermaßen für das jeweilige Thema und sein thematisches Feld, die, wie es Gurwitsch beschreibt, ähnlich wie Figur und Grund eine gestalthafte Verbindung eingehen. Wechsel der Aufmerksamkeit vollziehen sich in diesem Sinne innerhalb eines thematischen und gegenständlichen Zusammenhangs und sind deshalb meist nicht als plötzliche Umbrüche, sondern vielmehr als stetige Umstrukturierungsvorgänge aufzufassen.257

256 Die Differenz zwischen einem leiblich-kinästhetischen Streben und einer willentlichen Konzentration ist aus dieser Perspektive lediglich gradueller Natur. Mit Husserl ließe sich demnach für eine Fundierung von höheren mentalen Leistungen in leiblich-empfindenden Strukturen argumentieren, wie dies etwa der Ansatz der embodied cognition innerhalb der Kognitionswissenschaft tut. 257 Vgl. A. Gurwitsch: Phänomenologie der Thematik und des reinen Ich; S.P. Arvidson: Attention in context, 99-123. Im Gegensatz zu Gurwitsch und Arvidson beschränkt sich die vorliegende Untersuchung nicht auf den Bereich der gegenständlichen Horizonte. Die gegenständlichen Komponenten der Wahrnehmung müssen aber bereits in irgendeiner Form aufgefasst sein, um phänomenologisch greifbar zu werden. Diese Auffassung steht immer schon in einem zeitlichen Zusammenhang sowie im Kontext vorangegangener Erfahrungen und den daraus resultierenden Antizipationsprozessen, Erwartungen und expliziten Interessen. Was dem Subjekt in Form eines habituellen Horizontes oder der ‚objektiven‘ Umwelt in Gestalt von Reizen oder Gegenständen zugeschrieben werden soll, kann so nicht entschieden werden. Das ‚Innere‘ ist im Verlauf der subjektiven Erfahrung genauso äußerlich wie das ‚Äußere‘ innerlich ist.

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Diese Umstrukturierungen hängen eng mit der Interessenlage des Subjekts zusammen. Die jeweilige Einheit des Gesamtinteresses, etwa das Beobachten einer bestimmten Person oder die Durchführung eines wissenschaftlichen Projekts, bestimmt dabei, was gerade zum Thema, zum thematischen Feld oder lediglich zum Randbewusstsein gehört. Wieso etwas von Interesse ist und wie im Einzelfall ein Gesamtinteresse motiviert ist, lässt sich wiederum auf die habituellen Horizonte zurückführen. Insbesondere die zumeist passiven Einwirkungen eines Erfahrungs- und Interessenshorizontes und dessen inhaltliche Tendenzen beeinflussen maßgeblich, was uns zu einem gewissen Zeitpunkt überhaupt affizieren kann. Aufmerksamkeit erscheint infolgedessen sowohl allgemein als präferentielle Struktur subjektiver Wahrnehmung, die sich als praktisches Wahrnehmungsstreben manifestiert, als auch in ihrer jeweiligen inhaltlich-habituellen Ausformung.258

2.4.3 Die passiven Horizonte des Interesses Mit der Ausbildung einer genetischen Phänomenologie stehen nun nicht mehr die expliziten Formen der Intentionalität im Zentrum des Interesses, sondern deren Grundlegung in den passiven Synthesen des Bewusstseins, wie Zeitlichkeit und Assoziation. Die Aktivität erscheint im Kontext einer sie fundierenden Passivität als sekundär. Genetisch betrachtet gewährleistet zunächst die Zeitlichkeit als Urform der passiven Synthesis eine formale Einheit der Empfindungsdaten nach „Retention“, „Ur-Impression“ und „Protention“. Hinzu kommt die „Assoziation“, welche einen inhaltlichen Zusammenhang der immanenten Daten nach Ähnlichkeit und Kontrast stiftet. In der genetischen Fundierungsordnung tritt nun nach einer solchen „Urkonstitution“ des Vorgegebenen, die sich nach Husserl in „reiner Passivität“ und „starrer Gesetzlichkeit“259 vollzieht, als erste Stufe der Rezeptivität die Affektion auf: „Gegeben kann für mich nur ein Vorgegebenes sein, etwas, das für mich dank einer vorausliegenden Konstitution wahrnehmungsbereit ist oder erfahrungsbereit, was mich affizieren kann als vor der Beachtung schon Daseiendes.“260 Aus der genetischen Perspek258 In letzterem generiert sich unter dem Einfluss der subjektiven Erfahrungsgeschichte, die gleichzeitig in eine intersubjektive Dimension mit ihren jeweiligen Traditionen und Normen eingebunden ist, eine gewisse Aufmerksamkeitstypik, die das Wahrnehmen, Verhalten und Denken prägt. 259 Hua XXXIX, 10. 260 Ebd.

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tive kann das Ich nun nicht mehr willkürlich eine Wahrnehmung herbeiführen, da es auf eine vorangehende Affektion angewiesen ist: „Bewußtseinsmäßig Konstituiertes“ ist für es nur „da“, „sofern es affiziert“.261 Innerhalb eines dynamisierten Bewusstseinskonzeptes kommt der affektiven Dimension, die von Husserl früher nur als Grenzbegriff der Empfindung anhand von hyletischen Daten aufgegriffen wurde, somit erneut eine zentrale Bedeutung zu. Heißt dies, dass der Gegenstand unserer jeweiligen Aufmerksamkeit anstatt von einem gezielten Scheinwerfer des Ich oder einer willentlichen Ausrichtung von den äußeren Reizen des momentanen Wahrnehmungsfeldes bestimmt wird? Die Antwort kann, wie im vorherigen Punkt ersichtlich wurde, weder auf Seiten des reinen Subjekts noch auf Seiten des Gegenständlichen liegen, da sich aktive und passive Momente sowohl in der einen wie in der anderen Richtung finden lassen. Aus phänomenologischer Sicht ist die Affektion ja gerade kein Ausdruck eines im psychologischen Sinne reizbasierten Vorganges, sondern stellt bereits eine leiblichempfindende Form der Zuwendung dar. Etwas, das mich affiziert, ist zwar noch nicht explizit wahrgenommen, aber in gewisser Weise schon leiblichsinnlich ‚bemerkt‘ und infolgedessen individualisiert und lokalisiert. Ob etwas mich affizieren kann, hängt dabei von der jeweiligen „affektive[n] Kraft“262 ab, die vom Gegebenen ausgeht. Diese bemisst sich daran, inwiefern sich etwas einzeln oder als homogene Gruppe von seinem Untergrunde abhebt. Die notwendige Differenzierung des Wahrnehmungsfeldes vollzieht sich nach den Kriterien von Kontrast und Homogenität und wird von assoziativen Synthesen geleistet. Zeitliche und assoziative Synthesen reichen aber nicht aus, um eine solche Strukturierung verständlich zu machen. Insbesondere assoziative, inhaltlich motivierte Synthesen fordern geradezu ein tätiges Subjekt mitsamt einer Erfahrungsgeschichte, Interessen und Handlungszielen. Kontrast- und Homogenitätsphänomene, die Husserl als Kriterium für die Bildung von vorgegenständlichen Einheiten 261 Hua XI, 162. 262 Vgl. E. Husserl: Erfahrung und Urteil, 79. Husserl spricht auch von einem affektiven Anspruch, der die passive Motivationsgrundlage für die Ichaktivität bildet (vgl. 366). Hierbei muss aber die habituelle Wahrnehmungstypik des Subjektes mit einbezogen werden. Der affektive Anspruch ist nicht vor jeder subjektiven Erfahrungstypik angesiedelt, sondern kann sich in der alltäglichen Erfahrung nur wechselseitig zwischen erfahrendem Subjekt und affizierender Welt in einer gemeinsamen Erfahrungssituation ausbilden. Ein in genetischer Hinsicht erster affektiver Anspruch, z.B. eines Neugeborenen, würde mit der angeborenen sinnlichen und leiblichen Beschaffenheit des Menschen korrelieren, die uns zunächst weitgehend undifferenziert für alle äußeren Reize empfänglich macht.

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und somit einer affektiven Kraft ansetzt, können nur sehr bedingt am Gegebenen selbst festgemacht werden. Ein Kontrast sowie eine Ähnlichkeit ergeben sich immer nur relativ in Bezug auf vorangegangene Sinneseindrücke oder Erfahrungen und stehen im Zusammenhang einer zeitlich und inhaltlich einstimmigen Wahrnehmung. Die Abhebung von affektiven Einheiten, die genetisch den Anfang jeder Gegenstandskonstitution darstellen soll, steht zwangsläufig in einem konkreten subjektiven Erfahrungs- und Interessenzusammenhang. 263 In demselben Maße wie also in noetischer Hinsicht jede aktive Konstitution auf passive Synthesen und Affektionen zurückverweist, bedeutet dies auf noematischer Seite, dass das jeweils explizit Gegebene – also dasjenige, was „ich im erfassenden Griff habe, was ich betrachte, was ich expliziere, bestimme, womit ich mich im Gemüt und im sich entschließen263 Eine strikte Unterscheidung zwischen expliziten, personalen Interessen und impliziten, passiv-leiblichen Interessen soll an dieser Stelle nicht erfolgen. Rein sinnliche oder biologische Dispositionen können nur in Grenzfällen von leiblichhabituellen Aspekten, die auf eine Interaktion von Subjekt und Umwelt zurückweisen, und personalen Habitualitäten, die Husserl als bleibende Überzeugungen bezeichnet, unterschieden werden. Vielmehr soll das Zusammenspiel von passiven und personalen Interessen im Zentrum stehen. Es folgt eine kurze Erläuterung darüber, warum implizit wirkende Interessenshorizonte bereits im Bereich der Affektion maßgeblich sind. Für eine ausführliche Begründung dieses Gedankenganges mitsamt seinen normativen Implikationen, vgl. M. Wehrle: Die Normativität der Erfahrung. Überlegungen zur Beziehung von Normalität und Aufmerksamkeit bei E. Husserl. In: Husserl Studies 26/2010, 167-187. Da Interessen sich nur im Kontext einer Lebenswelt ausbilden, d.h. von vornherein eine intersubjektive Dimension aufweisen, hat dies auch normative Implikationen. Die genetisch verstandene Aufmerksamkeit, die allgemein als selektive, präferentielle Struktur verstanden werden kann, leistet bereits auf den untersten Stufen der Wahrnehmung eine Differenzierung der Wahrnehmungsinhalte. Da Aufmerksamkeit in diesem Sinne sowohl auf der passiv-sinnlichen als auch auf der personal-kulturellen Ebene der Erfahrung wirksam ist, hat dies weitreichende Konsequenzen. Wenn man bedenkt, dass sich die von Husserl festgelegten primären formal-genetischen Prinzipien – Homogenität und Kontrast – nur innerhalb eines subjektiven Interesse- und Handlungszusammenhangs ausdrücken können, kommt man zu dem Schluss, dass sich bereits jede Affektion interessegeleitet vollzieht. In jeder konkreten Erfahrung können somit bereits auf der Stufe der Affektion intersubjektive Normen Eingang finden. Die Affektion stellt sich insofern als Schnittstelle zwischen passiven und personalen sowie individuellen und intersubjektiven oder kulturellen Faktoren dar. Innerhalb der lebensweltlichen Horizonte, die unsere Interessen und damit unsere Affektionsbereitschaft modellieren, ist daher eine strikte Unterscheidung zwischen diesen Einflüssen kaum möglich.

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den und handelnden Willen beschäftige“264 – eine Sphäre der „Vorgegebenheit“ voraussetzt. Die Bedingungen für eine solche Vorgegebenheit liegen nach Husserl in der zeitlich vorangehenden „Urkonstitution“265, die auf allgemeinen passiven Gesetzmäßigkeiten der Zeitlichkeit und der Assoziation beruht. Obwohl jede ‚spätere‘ Konstitution diese Urkonstitution zwar formal voraussetzt, indem sie sich auf ein fundierendes Sinnesmaterial bezieht, zeichnet sich die konkrete Sphäre der Vorgegebenheit vor allem durch den „Charakter der Bekanntheit“ aus und verweist insofern schon auf die Leistungen der „Apperzeption“. 266 Das Vorgegebene erscheint von vornherein „mit dem Sinn des Früheren“ und „Ähnliches“ wird in „ähnlichem Sinne aufgefasst“267. Gerade dies zeichnet ja nach Husserl die Leistung der assoziativen Genesis aus, dass sie „vor und neben aller […] Aktivität“268 inhaltliche Zusammenhänge schafft. Diese Zusammenhänge sind demnach nicht nur allgemeiner und formaler Natur, sondern Ausdruck eines konkreten, wenn auch passiven Bezugs zur Welt. Die assoziativen und apperzeptiven Vorgänge, die Husserl hier beschreibt, können daher in einem weiten Sinne als eine passiv-habituelle Stufe der Aufmerksamkeit gelten, die aufgrund ihrer integrativen Funktion eine konkrete Vorgegebenheit sowie einen kohärenten Wahrnehmungsverlauf ermöglicht. Auf dieser untersten Stufe der Vorgegebenheit fungieren denn auch nach Husserl die jeweiligen Assoziationsketten, die eine gewisse „Einheitlichkeit der Affektivität“269 gegenüber der uns beständig affizierenden Wahrnehmungswelt ausbilden. Dies macht zwar einerseits eine spätere explizite Beschäftigung mit Objekten erst möglich, andererseits offenbart sich in ihr aber eine grundlegende Anonymität der Subjektivität, da diese Prozesse nicht selbst ‚bewusst‘ zugänglich sind. Für Husserl stehen diese passiven Vorgänge deshalb auch noch in den späten Texten zur Lebenswelt in keinerlei Beziehung zum Phänomen der Aufmerksamkeit: „[F]ür das Spiel der Aufmerksamkeit“ kommen sie „überhaupt nicht in Betracht“270, da sie nicht nur unbeachtet bleiben, sondern von ihnen außerdem keine Affektionen und Reize auf das aktive Ich ausgehen. Obwohl diese Prozesse nicht selbst Gegenstand der Aufmerksamkeit sind, müssen sie doch als 264 265 266 267 268 269 270

Hua XXXIX, 10. Ebd. Hua XXXIX, 11. Ebd. Ebd. Ebd., 24. Ebd.

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wichtiger Teil des Gesamtphänomens angesehen werden. Sie zeigen auf der einen Seite, dass sich bereits auf den untersten Stufen eine subjektive Relevanz und Präferenzstruktur in Form von inhaltlichen Assoziationen ausbildet und deuten auf der anderen Seite darauf hin, dass diese Assoziationsstruktur in der konkreten Erfahrung immer schon untrennbar mit höheren Stufen der subjektiven Aktivität und der personalen Interessen verbunden ist. Die gesamte Sphäre dieser „Vorgegebenheit“ stellt nun nach Husserl unseren allgemeinen Wahrnehmungshorizont, die Welt dar. Er unterscheidet hierbei nicht zwischen der Vorgegebenheit im genetischen Sinne, d.h. den vorangegangenen passiven Synthesen, und der Vorgegebenheit in Form der Inaktualität, also desjenigen, was sich momentan zwar im aufgefassten Wahrnehmungsfeld befindet, aber aktuell nicht explizit als spezifischer Gegenstand vermeint ist. Ebenso wenig findet sich eine Differenzierung in einen habituellen und einen gegenständlichen Horizont. Ersterer würde passive Erwerbe, leibliche Fähigkeiten und Gewohnheiten sowie personale Interessen und Habitualitäten – in ihrem eigentlichen Sinne als bleibende Geltungen einer vormals aktiven willentlichen Stellungnahme – umfassen, während letzterer sich aus dem Innen- und Außenhorizont sowie aus thematisch verwandten Kontexten des jeweils bemerkten Gegenstandes zusammensetzt. Im Rahmen dieser Sphäre der Vorgegebenheit kann es nun zu einer Affektion kommen. Innerhalb der Wahrnehmung betrifft dies hauptsächlich den gegenständlichen Horizont, da von diesem Reize und Weckungen für eine aktive Zuwendung des Ich ausgehen können. Der habituelle Horizont, der für die bisherige Erfahrungsgeschichte und seine darin erworbenen Kenntnisse und gegenständlichen Bedeutungen steht, kann aber z.B. in Zusammenhang mit der äußeren Wahrnehmung unmittelbar eine Affektion im Sinne einer Erinnerung oder einer bestimmten Vorstellung initiieren. Zugleich nimmt er in Form einer habituellen Wahrnehmungstypik oder eines aktuellen Interesses darauf Einfluss, was uns überhaupt zum gegebenen Zeitpunkt affizieren oder ‚wecken‘ kann. Als „vorgegeben“ kann dasjenige gelten, was momentan nicht aktuell erfasst wird, z.B. der gegenständliche Hintergrund. Als „vorgeben“ bezeichnet man aber auch sämtliches thematisch verwandtes Vorwissen über das gegenwärtig Präsente sowie die aus der bisherigen Erfahrung aktiv oder passiv erworbenen leiblichen Fähigkeiten und Sinn-und Geltungsbestände im Ganzen.271

271 Diese Ebene des Vorgegebenen spielt in der Kognitionspsychologie eine ebenso wichtige Rolle, in Form von Repräsentationen und top-down Einflüssen. Vgl. Teil

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Die Sphäre der Vorgegebenheit bezeichnet nun nach Husserl zugleich den affektiven Horizont des Subjekts. Affektion findet dabei in genetischer Reihenfolge zunächst im Rahmen des kinästhetischen Strebens statt und stellt ein erstes leiblich-aktives Erfassen einer vor-gegenständlichen Einheit dar. Aufgrund unserer leiblich-sinnlichen Beschaffenheit befinden wir uns permanent in einer affektiven Verbindung mit der Umwelt.272 Hier findet eine erste Selektion zwischen relevanten und momentan nicht relevanten Affektionen statt. Dieses leibliche „zur-Welt-sein“273, ist nicht durch einen intentionalen Gegenstandsbezug ausgezeichnet, sondern erscheint in Gestalt einer fungierenden und praktischen Intentionalität, die im Kontext einer Erfahrungssituation verstanden werden muss.274 Was und in welchem Maße uns ‚etwas‘ affiziert, und ob es zu einer bleibenden oder nur kurzfristigen Zuwendung kommt, hängt folglich von der jeweiligen Wahrnehmungs- und Handlungssituation, unserer momentanen „Vorhabe“ ab: „Immerzu habe ich etwas vor und habe schon vorher begründete Zielhorizonte, Vorhaben und Vorhabenshorizonte“275. Aus Sicht einer solch praktisch gedachten Situationsintentionalität276 erweist sich der Unterschied zwischen einem passiven Affiziertsein und einem aktiven Dabeisein (interesse) als „bloße modale Abwandlung“277. Dieser Unterschied lässt sich nicht nur genetisch als Übergang einer Passivität in eine Aktivität verstehen, sondern beides muss in der aktuellen Erfahrung notwendig in einem wechselseitigen Verhältnis stehen: Das bloß Affizierende tritt mit der auf es gerichteten Tätigkeit in einem Gesamtzusammenhang auf, der durch die jeweilige Handlung und die übergreifende Einheit eines Interesses be-

272

273 274

275 276 277

II drittes Kapitel und insbesondere Teil III, erstes Kapitel sowie die Beschreibung der noetischen Horizonte in Kapitel 2.5. Vgl. hierzu den Begriff der „affektiven Intentionalität“ von J. Slaby, der in Teil III, Kap. 1.2, eingehender erläutert wird. J. Slaby: Affektive Intentionalität – Hintergrundgefühle, Möglichkeitsräume, Handlungsorientierung. In: J. Slaby/A. Stephan/H. Walter/S. Walter: Affektive Intentionalität. Beiträge zur welterschließenden Funktion der menschlichen Gefühle. Paderborn 2011, 23-48. Vgl. M. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, 104, 126. Die jeweilige Wahrnehmungssituation ist dabei nicht nur durch meine individuelle Erfahrungsgeschichte, sondern ebenfalls durch intersubjektive Traditionen, Normen und Bedeutungen geprägt. Eine lebensweltliche Situation, in der sich die Affektion als leiblich-sinnlicher Kontakt mit der Welt abspielt, ist folglich immer als eine implizit oder explizit mit anderen Subjekten gemeinsame Situation zu charakterisieren. Hua XXXIX, 597. Dieser Gedanke wird, wie man hier sehen kann, nicht erst bei Merleau-Ponty, sondern im Ansatz schon bei Husserl entwickelt. Hua XXXIX, 594.

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steht.278 Bei Husserl sind hier thematisch ähnliche, wenn auch nicht ganz so ‚existentialistisch‘ orientierte Ansätze zu finden wie bei der Leibphänomenologie Merleau-Pontys. Merleau-Ponty verbindet in diesem Zusammenhang das gegenwärtige leibliche Engagement, vorangegangene Erfahrungen samt der passiven „Vorgeschichte“279 des Leibes sowie mögliche zukünftige Erfahrungen in einem „intentionalen Bogen“280. Das engagierte leibliche Zur-Welt-sein, das er beschreibt, könnte in diesem Sinne, wie oben Husserls kinästhetisches Streben, als ein leibliches Interesse bezeichnet werden.

2.4.4 Das Zusammenspiel von Affektion, Interesse und Intentionalität Während oben versucht wurde, verschiedene genetische Stufen der Aufmerksamkeit und ihre Horizonte deskriptiv zu unterscheiden, soll nun das Ineinander dieser unterschiedlichen Aufmerksamkeitsebenen in den Blick kommen. In der ‚normalen‘ Erfahrung stellt weder die passiv-habituelle Vorgegebenheit noch die spezifisch leibliche Form der Aufmerksamkeit eine vollständig unabhängige Erlebnisschicht dar. Beide stehen vielmehr in Zusammenhang mit einer expliziten Handlung sowie personalen bzw. spezifischen Handlungsinteressen. Die jeweilige Tätigkeit hat dabei nicht nur einen affektiven Horizont, sondern ein solcher wird durch dieselbe Handlung erst prozesshaft geweckt. Der affektive Horizont eines Berufsinteresses erweitert sich z.B. im Verlaufe der Erfahrung, so dass neue Relevanzen zu einer Weckung führen können. Das, was im Rahmen dieses Interesses nun relevant ist, verdankt seine „Weckungskraft dem jetzt berufstätigen Ich und seinen Motiven“281. In gleicher Weise kann es zu einem plötzlichen Wechsel der

278 Vgl. ebd., 594. 279 Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, 80. Hiermit spielt MerleauPonty auf die faktische Situierung des leiblichen Subjekts in der Welt an. Durch diese sind wir in einen „vorpersonalen Horizont“ (282) eingebettet, der sowohl individuelle Erwerbe und Gewöhnungen, die uns nicht explizit zugänglich sind, als auch „vorbewusste Erfahrungsbereiche“ (253) umfasst wie die eigene Geburt. Darüber hinaus stehen wir durch unsere Geburt in einem geschichtlichen und kulturellen Horizont. Unsere persönliche Existenz erscheint demgemäß als „Übernahme einer Tradition“ (296). 280 Vgl. M. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, 164. 281 Hua XXXIX, 594.

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Aufmerksamkeit durch eine Weckung anderer Gegenstände kommen, die für das Berufsinteresse nicht relevant sind. Aber auch diese Form der vermeintlich von außen initiierten Affektion steht zwangsläufig in einem habituellen Erfahrungs- und Interessenzusammenhang: Das Berufsinteresse verliert an Aktualität und wird von einem anderen Interesse verdrängt, indem eine „Wahrnehmungsgegebenheit“ mit einer „großen affektiven Kraft“282 einbricht. Diese affektive Kraft kommt dem Gegebenen aber nicht aus sich selbst heraus zu, sondern sie verdankt sich wiederum einem anderen Interesse: Sie weckt mich als der ich nicht nur Berufsmensch, sondern zum Beispiel Vater bin. Aber mein väterliches Interesse war nicht aktuell, von ihm ging daher nicht die Kraft der Affektion aus, die mich beim Anblick des eintretenden Kindes alsbald aufmerken lässt und mich zu väterlicher Betätigung motiviert. Mein väterliches Interesse wird nun allererst aktiviert.283

Neben einem solchen Wechsel können aber auch beide Interessen auf unterschiedlichen Aufmerksamkeitsstufen oder in unterschiedlicher Intensität ‚wach‘ bleiben, indem man etwa die Aufmerksamkeit verteilt, also die explizite Intentionalität auf die wissenschaftliche Arbeit legt und zugleich in Form einer leiblich-sinnlichen Bereitschaft ein Auge bzw. Ohr auf das schlafende Kind richtet. Die tätigen Interessen zeichnen sich insofern durch ihre „bewegliche[n] Relevanzhorizont[e]“284 aus. Eine subjektive Erfahrung ohne jegliches Interesse ist dagegen nicht vorstellbar, überall zeichnet sich diese durch ihr präferentielles Wesen aus: „Es gibt in der Wachheit (als Korrelat des Schlafes) überhaupt keine absolute Interessenlosigkeit, und was das ‚interesselos verlaufend‘ heißt, ist selbst ein Relevanzphänomen niederster Stufe.“285 Die genetisch notwendige Sphäre der Vorgegebenheit, die zugleich unseren affektiven Horizont ausmacht, kann sich ebenfalls nur in ihrem jeweils individuell bestimmten Charakter manifestieren. Der allgemeine Horizont der Welt, den diese Vorgegebenheit verbürgt, erweist sich demgegenüber sowohl zwischen Subjekten verschiedener Kultur als auch innerhalb der verschiedenen Lebensphasen desselben Subjektes als unterschiedlich. Die jeweilige Vorgegebenheit wandelt sich im Verlaufe der Erfahrung ständig und hat je nachdem eine bestimmte „individuelle

282 283 284 285

Ebd. Ebd. Ebd., 596. Ebd.

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Vorgegebenheitsstruktur“286. Diese habituell geprägte Vorgegebenheit bestimmt zusammen mit der aktuellen Tätigkeit und dem übergreifenden Interesse das aktuell Gegebene (Thema, Vordergrund) und den sich im Verhältnis dazu differenzierenden gegenständlichen Horizont (thematisches Feld, Hintergrund). Aus einer ersten tätig-sinnlichen Erfassung kann sich dann durch eine explizite Zuwendung eine spezifische Gegenstandsbeziehung aufbauen. Zu einer Gegenstandskonstitution gehört aber nach Husserl über eine aktive Zuwendung und der damit verbundenen Objektivierung hinaus noch die „Identifizierung durch Wiedererinnerung“ von „solchem, was schon erfasst war“287. Die explizite Form der Aufmerksamkeit setzt demnach die früheren Stufen schon voraus, da sie zwar eine Synthese darstellt, die sich aufgrund einer Aktivität bildet, aber zugleich auf passive Prozesse der Assoziation verweist, „die ja in den Funktionen der Wiedererinnerung, der Erwartung, der Weckung in Zusammenhängen der sinnlichen Gleichheit, überhaupt in Konfigurationen etc. überall waltet und auch nachher immer ihr Spiel treibt und aus Gegenständen niederer Stufe, solche höherer, aber als Vorgegebenheit schafft“288. In diesem Zusammenhang wird das Ineinander von passiven und aktiven Erfahrungsebenen besonders deutlich: Assoziation, Affektion, Interesse und Intentionalität sind aufgrund der individuellen und präferentiellen Struktur der konkreten subjektiven Erfahrung notwendig ineinander verschlungen. So befindet sich die Affektion, die doch genetisch den Anfang jeglicher Wahrnehmung ausmachen soll, immer im Kontext einer individuellen Vorgegebenheitsstruktur und expliziten Handlungsinteressen. Die explizite Intentionalität hingegen, die aus eidetischer Perspektive die formale Voraussetzung jedes Interesses darstellen soll, ist genauso auf assoziative und apperzeptive Strukturen angewiesen. Diese Strukturen finden in der Erfahrung „rein in Passivität“ ihren „Niederschlag“ und gehen so „in die Habitualität bzw. in die mögliche Identifikation des Gegenstandes als Gegenstandes“289 ein. In Bezug auf die eidetisch-statische Methode zeigt dies auf der einen Seite, dass sich aus dem lebendigen Erfahrungszusammenhang nur schwer

286 Ebd., 53. Die vorgegebene Welt war demnach „in meiner Kindheit eine andere als jetzt, und sie wandelt sich als bestimmte Vorgegebenheitsstruktur ständig“. Husserl nimmt an dieser Stelle ebenfalls die verschiedenen Vorgegebenheitsstrukturen eines „Primitiven“ und eines europäischen „Wissenschaftlers“ als Beispiel. Vgl. ebd., 53. 287 Ebd., 34f. 288 Ebd., 35. 289 Ebd.

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einzeln abgegrenzte Strukturen und Funktionen isolieren lassen. Auf der anderen Seite hat die genetische Methode ebensolche Probleme, wenn sie durch ein Rückschlussverfahren versucht, die verschiedenen fundierenden Schichten und ihre genetische Reihenfolge in der Deskription strikt auseinander zu halten. Sowohl ein ‚Bewusstseinsstrukturalismus‘ im eidetischen Sinne als auch eine wesensmäßige genetische Betrachtung der Subjektivität ist auf die gegenwärtig anschauliche und auf die gelebte Erfahrung angewiesen, die den Ausgangspunkt und die Motivation jeder philosophischen Distanzierung, der Reflexion wie auch der phänomenologischen epoché, bildet. Hierfür muss nicht nur das aktuelle Erlebnis, sei es passiv, leiblich oder explizit, berücksichtigt werden, sondern die gesamte Erfahrungssituation mitsamt der habituellen und gegenständlichen Horizonte des konkreten Erfahrungssubjektes. Die hierbei vorausgesetzte Vorgegebenheit der Welt nimmt daher die Gestalt einer individuellen Lebenswelt an.

2.5 Aufmerksamkeit als qualitative Dimension der Erfahrung Im Anschluss an die vorangegangenen Analysen erweist sich Aufmerksamkeit nicht mehr nur als eine Modifikation oder eine Verbesserung der Wahrnehmung in Form einer hinzukommenden Intensität oder Klarheit, sondern vielmehr als grundlegende präferentielle Struktur, die das Wesen jeder subjektiven Erfahrung ausmacht. Bereits auf den untersten Stufen ermöglicht sie durch assoziative Prozesse eine inhaltliche Integration der Erlebnisse und nimmt zugleich eine selektive Differenzierung des Gegebenen vor; sie bestimmt damit dasjenige, was im engeren Sinne unsere gegenwärtige Wahrnehmung und im weiteren Sinne unsere Lebenswelt und unsere Person habituell ausmacht. Im aktuellen Akt der Aufmerksamkeit, sei er durch fungierenden oder expliziten intentionalen Bezug auf das Gegebene ausgezeichnet, findet demnach eine Unterscheidung zwischen aktuellen und inaktuellen Bewusstseinsinhalten, zwischen Vorder- und Hintergrundbewusstsein statt. Darüber hinaus ist das diesbezüglich in unterschiedlicher Qualität Gegebene eingebettet in eine Sphäre der Vorgegebenheit. Hierbei muss unterschieden werden zwischen der Vorgegebenheit im genetischen Sinne, die alles einbezieht, was der aktuellen Wahrnehmung allgemein fundierend und als konkrete Motivationsstruktur vorangehen muss, und einer Vorgegebenheit, die alles umfasst, was sich während

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des Aufmerksamkeitsaktes gegenständlich im Hintergrund befindet. Da Aufmerksamkeit aber meist nicht in Gestalt eines diskreten Aktes, der genau einen Gegenstand zum Thema hat, auftritt, sondern nur innerhalb eines zeitlichen Wahrnehmungs- und Handlungszusammenhangs, muss diese Unterscheidung schematisch bleiben. Hinzu kommt das Ineinandergreifen der skizzierten passiven, leiblichen, personalen und expliziten Aufmerksamkeitsstufen, in welchen sich ein solcher Bezug ausdrücken kann. Das so lebensweltlich-situativ verstandene Aufmerksamkeitsphänomen umfasst aufgrund seines zeitlichen und horizonthaften Charakters immer mehr als das, was wir gegenwärtig deskriptiv erfassen können. Das, was dichotomisch als passiv oder aktiv, aktuell oder inaktuell, gegeben oder vorgegeben, als explizit bewusst oder unbewusst, statisch oder genetisch bestimmt wird, hängt von der jeweiligen Untersuchungsperspektive ab und verweist daher wiederum auf die betreffenden wissenschaftlichen Interessen. Im Hinblick auf eine ideale ‚Objektivität‘ der Welt beinhaltet die subjektive Aufmerksamkeit insofern weniger als das, was man aus einer ‚Vogelperspektive‘ (eigentlich) ‚sehen‘ sollte. Auch in phänomenologischer Hinsicht steht das erfahrende Subjekt immer in einem Interessenshorizont. Die wahrgenommene (Lebens)Welt erweist sich damit nicht als objektiv, sondern als subjektives sowie intersubjektives Relevanzphänomen: „Das jeweils Erfahrene hat den Charakter des Anrufenden, des Reize auf das Ich Übenden […], aber der Anruf verhallt als das nicht im aktuellen Interesse stehende Ich bzw. nicht sein Interesse angehend.“290 In Anbetracht dieser Überlegungen muss Aufmerksamkeit in die phänomenologische Bestimmung jeder Erfahrung integriert werden. Wie gezeigt wurde, spielt sie bereits auf den untersten genetischen Ebenen eine integrative und selektive Rolle, indem sie zeitlich vorher und zeitlich nachkommende Inhalte zu einer inhaltlichen und damit (vor)personalen Einheit verbindet. Gleichzeitig verknüpfen sich im aktuellen Aufmerksamkeitsgeschehen passive und aktive sowie kinästhetische, rezeptive und explizierende Bewusstseinsvorgänge zu einer Erlebniseinheit. Zu einer Wesensbestimmung der Erfahrung gehört daher nicht bloß ein formaler Selbstbezug oder ein „minimal self“ – das nach Dan Zahavi die Erfahrung als meine eigene im Gegensatz zur derjenigen eines Anderen ausweist291 – 290 Hua XV, 462. 291 Hierbei handelt es sich um einen unmittelbaren, vorreflexiven Selbstbezug bzw. ein Selbstbewusstsein (self-awareness), das jeder Erfahrung inhärent ist. Diese ,quality of mineness‘, die jede Erfahrung notwendig begleitet, wird als rein formales und noetisches Moment angesehen. Sie gilt als Unterscheidungskriterium für meine Erfahrung im Gegensatz zur Erfahrung eines Anderen und damit

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sondern zugleich ihre präferentielle Natur, d.h. eine minimale inhaltliche Referenz292. Eine solche zeigt sich auf verschiedenen Stufen durch die differenzierende und integrierende Funktion der Aufmerksamkeit, ohne die so etwas wie individuelle, aber auch intersubjektive Erfahrung nicht denkbar wäre.

gleichzeitig als Voraussetzung und Ausgangspunkt jeder Fremderfahrung (Einfühlung). Vgl. D. Zahavi: Self-awareness and alterity. A phenomenological investigation. Evanstone 1999. Sowie ders.: Subjectivity and selfhood: investigating the first-person perspective. Cambridge, MA 2005. 292 Da inhaltlich-assoziative Prozesse und Interessenstrukturen bereits innerhalb der Sphäre der Vorgegebenheit operieren, haben diese individuellen inhaltlichen Strukturen in genetischer Hinsicht selbst den Status einer quasi formalen Voraussetzung bzw. zeigen, dass sich eine solche nur inhaltlich auf verschiedenen Stufen, sei es passiv, leiblich, oder in Form einer thematischen Intentionalität fassen lässt.

II. AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE – VON EINER STATISCHEN ZU EINER DYNAMISCHEN PERSPEKTIVE

Die Frage nach den Kognitionen, also dem Bereich des Erkennens, Wissens und Wahrnehmens, der in der Philosophie der Neuzeit, z.B. von René Descartes293, in Form von Vorstellungs- und Denkakten eines Ich gefasst wurde und zu Beginn der empirischen Psychologie Ende des 18. Jahrhunderts eng mit dem Bewusstsein verknüpft war, wird in der modernen Kognitionswissenschaft zu einem empirischen Problem, dem mit den Methoden der experimentellen Untersuchung, der formalen Analyse sowie der Simulation dieser Prozesse auf dem Computer oder dem Entwurf einer technischen Realisierung begegnet werden kann. Die frühe Kognitionswissenschaft steht durch ihre Fragen, Ziele und Methoden in einer engen Verbindung zu der sich aus der Kybernetik entwickelnden künstlichen Intelligenzforschung, die den Menschen mit Hilfe der Maschine und die Maschine parallel zur menschlichen Intelligenz verstehen und simulieren will.294 Der klassische Kognitionsbegriff zeichnet sich in der künstlichen Intelligenzforschung wie in der Kognitionswissenschaft durch eine ähnliche Grundannahme aus: Er versteht den Menschen als informationsverarbeitendes System, das sich an dem „Modell der Berechnung“295 orientiert. Die Untersuchung von Kognitionen ist in diesem Sinne zunächst als Gegenentwurf zu dem bis dahin führenden Forschungsparadigma der Psychologie des 19. Jahrhundert, dem Behaviorismus zu sehen. Im Gegensatz zu der direkten Kopplung zwischen Reiz und Reaktion, die sowohl beobachtbar als auch messbar ist, stehen nun die sogenannten internen Zustände im Zentrum des Forschungsinteresses, die sich zwischen Wahrnehmung

293 Vgl. R. Descartes: Meditationes de Prima Philosophia. Meditationen über die Erste Philosophie. Lateinisch/Deutsch. Übers. und hrsg. von G. Schmidt. Stuttgart 1986. 294 In der sogenannten ‚schwachen KI‘ fungiert die Maschine als theoretisches Modell und Möglichkeit der technischen Simulation zum Verständnis des Geistes, während in der ‚starken KI‘ eine stärkere Parallelität bzw. sogar die Gleichsetzung von geistigen und technischen Strukturen angenommen wird. 295 G. Strube: Art. ‚Kognition‘. In: ders. (Hg.): Wörterbuch der Kognitionswissenschaft. Stuttgart 1996, 303-317, hier: 303.

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(input296) und Verhalten (output) befinden. Die hier stattfindende Datenverarbeitung verwandelt die einkommenden Reize in Informationen, repräsentiert, speichert oder transformiert sie, um so die Organisation und Planung des Verhaltens durch repräsentiertes Wissen zu ermöglichen. Kognitive Prozesse sollen dabei rein funktional und unabhängig von ihrer jeweiligen materiellen Realisierung bestimmt werden und sind damit nicht auf den menschlichen Organismus beschränkt, sondern können in gleicher Weise bei Tieren oder künstlichen Systemen vorkommen. Kognition bezeichnet demnach sowohl die Aufnahme eingehender Informationen, die sogenannte Enkodierung, ihre interne Speicherung, z.B. in Form von Symbolen oder Codes, als auch deren Transformationen nach bestimmten festgesetzten Regeln, die einem bestimmten Verarbeitungsziel bzw. einem Problemlösungsprozess dienen. Diese Beschreibung trifft etwa auf menschliche kognitive Phänomene wie Gedächtnis, Sprache, Denken und Lernprozesse zu. In Bezug auf die klassischen Annahmen der frühen Kognitionswissenschaft sowie ihrer philosophischen Grundlegung im sogenannten Maschinenfunktionalismus297 lassen sich drei theoretische Hauptmerkmale ausmachen: die Annahme einer Repräsentationsebene298 (Repräsentation), das Computermodell als Darstellung von Kognition (Computation) und die 296 Im Folgenden werden die englischen Begriffe input und ouput nicht mehr kursiv gesetzt, sondern dem Gebrauch in der Kognitionspsychologie folgend, in den deutschen Sprachgebrauch als Input übernommen. 297 J.A. Fodor, der als Chefprogrammatiker der Kognitionswissenschaft gilt, spricht etwa vom Geist als einer „syntax-driven-machine“. Vgl. J.A. Fodor: A theory of content and other essays. Cambridge, MA 1992, 23; D. Münch: Kognitivismus in anthropologischer Perspektive, In: P. Gold/A.K. Engel (Hg.): Der Mensch in der Perspektive der Kognitionswissenschaften. Frankfurt a. Main 1998, 17-48, hier: 26f. 298 Eine zentrale Annahme, die die Legitimation einer eigenen kognitiven Ebene zwischen dem In- und Output eines Systems und damit die Wissenschaft von den Kognitionen erst ermöglicht, ist die der Repräsentation. Die Fähigkeit kognitiver Systeme zur Repräsentation handlungsrelevanter Aspekte der Umwelt, sowie seiner eigenen Zustände wird dabei als die gemeinsame Grundlage aller kognitiven Leistungen verstanden, durch die die Nutzung von früherer Erfahrung und gespeichertem Wissen möglich wird. Repräsentation wird innerhalb des informationsverarbeitenden Paradigmas wie folgt definiert: „[A] representation is some aspect of a computational or neural system that stands for some aspect external to the system or to another element within the system. The information in these representations must be used by some process to carry out a task.” A.B. Markman: Representation and the brain. In: Routledge companion to philosophy of psychology. London/New York 2009, 373-385, hier: 374.

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Reduktion auf interne Verarbeitungsmechanismen.299 Damit geht, zumindest in den Anfängen der Kognitionswissenschaft und der empirischen Forschung der Kognitionspsychologie, zwangsläufig eine Ausklammerung der affektiven, leiblichen, personalen und intersubjektiven Ebene des kognitiven Subjekts einher, aus der eine Vernachlässigung der Aspekte von Kontext, Kultur und Geschichte folgt. Die theoretischen Konzepte und technischen Umsetzungen der frühen Kognitionswissenschaft sowie die parallel agierende kognitionspsychologische Untersuchung der Aufmerksamkeit können in diesem Sinne als Merkmale einer ‚statischen‘ Forschungsperspektive verstanden werden, die sich aber spätestens seit den 1990er Jahren zunehmend dynamisiert.300

299 Vgl. H. Gardner: Dem Denken auf der Spur: der Weg der Kognitionswissenschaft. Stuttgart 1989, 50ff.; eng.: The mind’s new science. A history of the cognitive revolution. New York 1985. 300 Bereits seit den 1960er Jahren gibt es Ansätze, die diese Grundannahmen erweitern, verändern und teilweise in Frage stellen, wie etwa der Konnektionismus, die situated cognition und später die embodied cognition. Jedoch halten sich einige der frühen statischen Grundannahmen in der empirischen Aufmerksamkeitsforschung hartnäckig, wie im Folgenden dargelegt wird.

1. WAHRNEHMUNG UND INFORMATIONSVERARBEITUNG301

Stand der Begriff Kognition zu Beginn der Kognitionswissenschaft vorrangig für Intelligenz, symbolische Datenverarbeitung oder eine Art Sprache des Geistes302, so versteht man unter Kognition in der empirisch verfahrenden Kognitionspsychologie303 alle internen Prozesse, die durch Enkodierung, Speicherung und Transformation gekennzeichnet sind, insbesondere sämtliche Vorgänge der Wahrnehmung. Diese Konzeption von Kognition, die verschiedene Stufen der Verarbeitung, von frühen Stadien der Wahrnehmung bis hin zu höheren kognitiven Leistungen umfasst, bietet sich gerade für einen interdisziplinären Dialog in Bezug auf das Phänomen der Aufmerksamkeit an, das weder ein rein perzeptuelles noch ein rein intellektuelles Phänomen darstellt. Da Aufmerksamkeit phänomenologisch in der subjektiv-leiblichen Wahrnehmung fundiert ist, wie im ersten Teil argumentiert wurde, lässt sich dieses Phänomen am besten in der empirischen Untersuchung der ‚subjektiven‘ Wahrnehmung von Probanden studieren. In diesem Kontext steht Aufmerksamkeit als evaluative Dimension der 301 Ein informationsverarbeitendes System ist ein Organismus oder eine Maschine, die erstens „über Eingangskanäle verfügt, mit deren Hilfe es Informationen aus seiner Umgebung aufnehmen kann“, und zweitens „diese Information in Abhängigkeit von seinem jeweiligen inneren Zustand (Automatentheorie) durch Berechnung transformiert, also verarbeitet (einschließlich der Speicherung von Information)“, sowie drittens „über Ausgänge zur Ausgabe von Informationen verfügt bzw. direkt auf seine Umwelt einwirkt“. Vgl. G. Strube: Art. ‚Informationsverarbeitung‘. In: ders. (Hg.): Wörterbuch der Kognitionswissenschaft. Stuttgart 1996, 303-317, hier: 272. 302 J.A. Fodor nimmt an, dass interne Zustände in der Gestalt von propositionalen Inhalten, die durch Syntax verbunden sind, auftreten. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer Sprache des Geistes. Vgl. J.A. Fodor: The language of thought. New York 1975; ders.: A theory of content and other essays, 23. 303 Diese ist zwar als Kerndisziplin der Kognitionswissenschaft anzusehen und teilt ihre theoretischen Annahmen, muss aber insbesondere aufgrund ihrer genuin psychologischen Themengebiete und ihrer experimentellen Methodik von der allgemeinen Kognitionswissenschaft unterschieden werden: „Cognitve science needs to be distinguished from cognitive psychology, which is the branch of traditional (experimental) psychology dealing with cognition.“ T. Winograd/F. Flores: Understanding computers and cognition. Norwood, NJ 1986, 24.

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Informationsverarbeitung im Zentrum des Interesses, während in klassischen Theorien der Kognitionswissenschaft, wie etwa der Symbolverarbeitung, aber auch in dynamischen Verarbeitungsmodellen, wie etwa dem Konnektionismus304, eine solche qualitative Differenz in der Datenverarbeitung keine allzu große Rolle spielt. Im Folgenden wird daher ein Schwerpunkt auf die empirische Aufmerksamkeitsforschung der Kognitionspsychologie gelegt, während andere Teilbereiche der Kognitionswissenschaft, die sich mit der formalen Simulierung und technischen Realisierung kognitiver Strukturen in Form von Computerprogrammen beschäftigen, weitgehend außen vor gelassen werden. Genauso wie in der Phänomenologie galt die Wahrnehmung schon immer als bevorzugtes Untersuchungsgebiet der Psychologie und kann seit Beginn der experimentellen Psychologie Ende des 19. Jahrhunderts durch Wilhelm Wundt als die „Keimzelle der naturwissenschaftlichen Psychologie“305 gelten. Dies ist vor allem deshalb der Fall, weil die Wahrnehmung in einer direkten Verbindung sowohl zur physikalischen Welt als auch zu neurophysiologischen Konzepten steht. Bis heute unterliegt ihr Profil einer wechselseitigen Bestimmung zwischen psychischen und physischen, subjektiven und objektiven, inneren und äußeren Merkmalen, die mal mehr zur einen, mal mehr zur anderen Seite ausschlägt. In der frühen Sinnesphysiologie von Hermann von Helmholtz und Gustav Fechner steht die physiologische Fundierung des psychologischen Verhaltens im Vordergrund. 304 Konnektionistische Modelle sollten sich zu Beginn an neuronalen Verarbeitungsvorgängen im Gehirn orientieren. Sie bestehen aus vielen untereinander verbundenen einfachen Verarbeitungselementen. Die Verbindungen dieser Elemente sind mit einem Gewicht versehen, das die Stärke der jeweiligen Verbindung anzeigt. In Anbetracht der zunehmenden Kenntnisse über die Komplexität neuronalen Vorgänge werden sie heute nicht mehr als angemessene Simulation biologischer Vorgänge anerkannt. Trotzdem zeigen sie eine notwendige Alternative zu herkömmlichen symbolischen Verarbeitungssystemen. Der Konnektionismus unterscheidet sich von symbolverarbeitenden Systemen einerseits durch die Architektur des Systems, das aus vielen einfachen Elementen besteht und andererseits durch die Ablehnung von Symbolen (bedeutungshaltigen Einheiten). Stattdessen ist er durch eine subsymbolische Verarbeitung charakterisiert: „Subsymbolische Verarbeitung bedeutet, daß das, was gemeinhin als ein Symbol dargestellt würde (z.B. der Wert rot für das Attribut Farbe), durch einen Vektor von Werten repräsentiert wird, die erst in ihrer Gesamtheit die Repräsentation ergeben.“ G. Strube: Art. ‚Kognition‘, 311; Vgl. F. Kurfeß: ‚Art. Konnektionismus‘; ders.: ‚Art. Netze, strukturierte neuronale‘. In: G. Strube et al. (Hg.): Wörterbuch der Kognitionswissenschaft, 427. 305 R. Mausfeld: Art. ‚Wahrnehmung‘: In: G. Strube (Hg.): Wörterbuch der Kognitionswissenschaft. Stuttgart 1996, 776-792, hier: 782.

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Wundt beschreibt psychische Phänomene als einfache oder komplexe Assoziationsverknüpfungen, vertraut aber gleichzeitig auf die Introspektion, d.h. die aufmerksame Innenschau des Subjekts, als Methode zur Feststellung psychologischer Vorkommnisse. Anders liegt der Fall bei William James, der zwar die subjektiven Faktoren der Wahrnehmung, wie etwa die Apperzeption betont, sich aber als Pragmatist strikt gegen die Introspektion wendet und in der Psychologie als Vorläufer des Behaviorismus306 gehandelt wird, der die psychologische Forschung von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre bestimmt. Allein die Gestaltpsychologie vertritt zu dieser Zeit ein ganzheitliches Konzept der Wahrnehmung, in dem die sinnlich gegebene Welt sich durch bestimmte Gestaltqualitäten wie Konstanz, Ähnlichkeit oder Prägnanz auszeichnet, die ein dementsprechendes Reizmuster auf der Retina auslösen. Der psychologische Ökologismus von James Gibson in den 1960er Jahren betont hingegen nicht das retinale Abbild der Reize, sondern die gesamte optische Situation und damit die Interaktion des Organismus mit seiner Umwelt und lehnt innere Zustände und Repräsentationen gänzlich ab. Diese unterschiedlichen Strömungen der Psychologie zeigen, dass sich eine Tendenz von der subjektiv orientierten Psychologie, die noch auf die Methode der Introspektion vertraute, hin zur objektiven, d.h. messbaren und beobachtbaren, Psychologie abzeichnet. Gleichzeitig gibt es zu jeder Zeit Ansätze, die die Interaktion von Subjekt bzw. Organismus und Umwelt im Ganzen ins Zentrum stellen. Diese Einflüsse machen sich auch später in der Kritik der klassischen Kognitionswissenschaft in Form der Strömung der situated cognition307 oder später der embodied cognition308 geltend oder zeigen sich in aktuellen 306 Vgl. R. Mausfeld: Art. ‚Wahrnehmung‘, 782. James pragmatisch motivierte Kritik an der Introspektion und seine Betonung der Handlungsebene kann aber in keinster Weise mit einer Reduktion auf einen Reiz-Reaktionsmechanismus gleichgesetzt werden, wie ihn der Behaviorismus vertritt. Für James ist die Erfahrungsebene des Subjekts weiterhin ein Hauptkriterium für seine psychologischen Analysen, sonst würde er sich wohl kaum mit dem Phänomen der Aufmerksamkeit auseinandersetzen und in diesem Zusammenhang die ‚subjektiven‘ Aspekte der Wahrnehmung betonen, wie z.B. die Apperzeption. 307 Unter dem Titel situated cognition versammeln sich Ansätze, die Kritik an einem internalistisch-reduktionistischen Kognitionsbegriff ausüben. Dabei stehen, wie der Name schon sagt, situative Aspekte, d.h. die Interaktion zwischen System und Umwelt im Vordergrund. Vgl. L. Suchman: Plans and situated actions. The problem of human-machine communication, New York 1987; T. Winograd/F. Flores: Understanding computers and cognition; A.H. Vera/H.A. Simon: Situated action: a symbolic interpretation. Cognitive Science 17/1993, 7-48. 308 Eine ähnliche Position nimmt die embodied cognition ein. Hierbei werden die körperliche Beschaffenheit, Bewegung, sowie der Umweltbezug des kognitiven

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Experimenten der Kognitionspsychologie und kognitiven Neuropsychologie, die sich an den Erkenntnissen der Gestaltpsychologie orientieren. Seit den 1950er Jahren wird die Psychologie vom Paradigma der perzeptuell-kognitiven Informationsverarbeitung bestimmt. Bei diesem stehen im Gegensatz zum beobachtbaren Verhalten des Behaviorismus die internen Verarbeitungsvorgänge im Vordergrund. Damit ist aber wiederum ein gewisser Dualismus zwischen Innen und Außen in der Psychologie zu verzeichnen; zwar nicht im Sinne eines klassischen Körper-Geist-Dualismus, sondern indem sie den Geist selbst als Maschine analysiert. Diese Verarbeitungsabläufe, die der phänomenologischen Wahrnehmung zugrunde liegen sollen, sind aber nicht bewusstseinsfähig und daher kognitiv nicht direkt bzw. unmittelbar zugänglich. Das Endprodukt der Wahrnehmung wird als „die uns umgebende Welt“309 angesehen. Dieses verweist wiederum auf vermittelnde Prozesse, die zwischen den Sinnesorganen und dem Zustand des Bewusstwerdens stattfinden. Im Anschluss an die computationale Wahrnehmungstheorie von David Marr310 gilt die perzeptuell-kognitive Informationsverarbeitung als komplexe Verarbeitung einer spezifischen Input-Information zu einer OutputInformation. Dabei werden die entsprechenden Symbolfolgen zwischen diesen beiden Zuständen als Repräsentation bezeichnet. Die zugrundeliegende Annahme der Wahrnehmungstheorie der Kognitionspsychologie ist Systems als entscheidende Merkmale für die Bestimmung von Kognition angesehen. Während die situated cognition eine Kritik innerhalb der Kognitionswissenschaft darstellt, ist die embodied cognition von phänomenologischen sowie (neuro-)biologischen Ansätzen beeinflusst. Als Gründungswerk der embodied cognition gilt die Monographie von F.J. Varela, E. Thompson und E. Roesch (vgl. F. J. Varela/E. Thompson/E. Roesch: The embodied mind. ) Varela et al. vereinen hier evolutionsbiologische und phänomenologische Konzepte der Leiblichkeit (Merleau-Ponty) und des In-der-Welt-seins (Heidegger). Ein Kerngedanke ist der der Autopoesis und Emergenz des Lebens, daher bezeichnet man diesen Ansatz auch als biologischen Konstruktivismus. Der Trend zur Verkörperlichung kommt ursprünglich aus der Robotik, die als erste die Wichtigkeit dieses Faktors erkannte. R. Brooks entwickelte ‚intelligente‘ Roboter mit direkter Verbindung zur Umwelt durch Sensoren und Effektoren, die keiner symbolischen Repräsentation bedurften (Vgl. R. Brooks: Intelligence without representation. In: Artificial Intelligence 47/1990, 139-159). Vgl. J. K. O’Reagan/A. Noë: A sensorimotor approach to vision and visual consciousness. In: Behavioral and Brain Sciences 24/2001, 9391031; A. Noë: Action in perception; S. Gallagher: How the body shapes the mind; E. Thompson: Mind in life. 309 Vgl. R. Mausfeld: Art. ‚Wahrnehmung‘, 780; 310 Vgl. D. Marr: Vision. A computational investigation into the human representation and processing of visual information. San Francisco 1982.

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demnach, dass jeder Verarbeitungsprozess sich in eine zeitliche Abfolge von einfacheren Verarbeitungsprozessen zerlegen lässt. In der Definition von Marr wird Wahrnehmung dabei hauptsächlich als Informationsaufnahme, also reiz-basiert (bottom-up) bestimmt. Ihre Aufgabe ist es, spezifische äußere Informationen in hierarchischer Form zu verarbeiten. Dies geschieht modular, genauer in drei Stufen: Auf der ersten Stufe der Repräsentation, dem primal sketch, wird der zweidimensionale Input auf der Retina mit dem Ziel untersucht, die lokalen geometrischen Informationen über die Veränderungen der Intensität des Lichtes innerhalb des Bildes festzustellen. Dies geschieht nach Marr anhand von primitiven Repräsentationen, die Ecken, Linien, räumliche Füllung und Diskontinuitäten beinhalten. Der 2.5-D Sketch, stellt die mittlere Repräsentationsebene dar. Sie ist auf die Perspektive des Wahrnehmungssubjektes hin zentriert und macht die räumlichen Merkmale von sichtbaren Oberflächen explizit, d.h. Tiefe, räumliche Orientierung und räumliche Entfernung. Die letzte Skizze bezeichnet Marr schließlich als 3-D-Modell. Es ermöglicht die dreidimensionale Räumlichkeit eines Gegenstandes, indem es einfache primitive Formen und Größen strukturell organisiert. Dieses Modell erfuhr vielfältige Kritik und eine Erweiterung durch die sogenannte top-down Verarbeitung. In der gegenwärtigen psychologischen Forschung gibt es vielfältige Beispiele für so genannte top-down Modulationen, die nicht durch den jeweiligen Input erklärt werden können. Hierbei wird gezeigt, wie Erinnerungen, ausgebildete Stereotype, experimentelle Anweisungen etc. die Wahrnehmung beeinflussen. So wird zum Beispiel eine Banane in unserem Kulturkreis ‚gelber‘ wahrgenommen als andere Objekte mit identischen Oberflächenmerkmalen.311 Marrs methodische Unterscheidung der verschiedenen Erklärungsebenen der Wahr-

311 Vgl. T. Hansen/M. Olkkonen/S. Walter/K.R. Gegenfurtner: Memory modulates color appearance. In: Nature 9/2006, 1367-1368. Die top-down Perspektive widerspricht dabei nicht dem gängigen informationsverarbeitenden Modell, sondern wird ergänzend integriert. So wird meist für frühe Stufen der Wahrnehmung ein bottom-up-Modell und für spätere ein top-down Modell bevorzugt, da man annimmt, dass zunächst eine Repräsentation vom Wahrnehmungssystem gebildet werden muss, bevor es Zugriff auf die impliziten Informationen über dieses Objekt hat. Dieses Wissen wird dann zu Gehirnarealen geleitet, die vermutlich für die Verarbeitung der Größe und Form von Objekten zuständig sind. Wahrnehmung kann damit als eine Verbindung von bottom-up- und top-downVerarbeitung verstanden werden. Vgl. V. Arstila: Vision. In: J. Symons/P. Calvo (Hg.): The Routledge companion to philosophy of psychology. New York 2009, 556-567, hier: 560f.

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nehmung gilt dagegen in der Kognitionspsychologie bis heute als grundlegend für die Wahrnehmungsforschung: Die computationale Ebene stellt hierbei die allgemeinen Funktionen eines Organismus dar, die er braucht, um etwas zu berechnen. Die algorithmische Ebene untersucht in einem zweiten Schritt die konkrete Berechnungsfunktion, die für eine aktuelle Problemlösungsstrategie benötigt wird, während die Implementierungsebene beschreibt, wie die speziellen Algorithmen und Repräsentationen physisch realisiert sind. Beschäftigen sich die Philosophie und die theoretisch orientierte Kognitionswissenschaft mit der allgemeinen Bestimmung von kognitiven Strukturen, so widmen sich die künstliche Intelligenzforschung und die praktische Kognitionswissenschaft hingegen der zweiten Ebene, der Modellierung einzelner kognitiver Mechanismen auf dem Computer. Fragen der biologischen Implementierung fallen in den Bereich der Neurowissenschaften, für eine technische Implementierung sind die Informatik, die Ingenieurswissenschaften oder die Robotik zuständig. Diese methodische Unterscheidung der Aufgabengebiete ist zur Orientierung auf dem Gebiet der Kognitionswissenschaft und für eine interdisziplinäre Untersuchung sehr hilfreich, muss aber aufgrund des nicht hinreichend geklärten Zusammenhangs der Ebenen mit Vorsicht benutzt werden. In Bezug auf die menschliche Kognition ist die Annahme von Marr, dass diese Ebenen unabhängig von einander bestimmt werden können, zumindest fraglich. Auf allen diesen Arbeitsebenen, ob biologisch oder computational, gilt jedoch das Konzept der Informationsverarbeitung. Wahrnehmung als Informationsverarbeitung zu verstehen, erlaubt es auf ganz neue Weise, dasjenige funktional zu beschreiben, was sich zwischen Input und Output, Reiz und Reaktion abspielt. Wahrnehmung soll damit weder rein subjektiv, im Sinne der Introspektion, noch rein objektiv, im Sinne einer rein physiologischen Messung, untersucht werden. Der Informationsbegriff, der weder bloßer Reiz noch eine Verhaltensreaktion darstellt, soll diese mittlere Verarbeitungsebene beschreiben. Eine Information im Sinne der Informationstheorie ist dabei zunächst definiert als „quantitatives Maß der Unsicherheitsreduktion“312. Da das Wahrnehmungssystem aber keineswegs einfach so Informationen vorfindet, sondern den jeweiligen Input erst zu einer Information für seine Zwecke macht313, muss daher für die Erklärung der menschlichen Wahrnehmung zwangsläufig ein inhaltlicher

312 R. Mausfeld: Art. ‚Wahrnehmung‘, 784. 313 Vgl. ebd., 784.

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bzw. semantischer Informationsbegriff angesetzt werden. Dieser setzt einen gemeinsamen Gegenstandsbereich für Sender und Empfänger voraus, d.h. etwas, über das informiert wird. In Experimenten, z.B. solchen, in denen ein Objekt identifiziert werden soll, wird „dieser Gegenstandsbereich (etwa Kanten, Flächen, Objekte) […] aber erst im „Wahrnehmungssystem durch den Input konstituiert (wozu es bestimmte Vorannahmen über diese Gegenstand machen muß)“314. Im Konzept der Informationsverarbeitung ist insofern ein Spannungsverhältnis zwischen der sogenannten internen (Erlebnisperspektive) und der externen (physikalischen) Beschreibung desselben Wahrnehmungsobjektes angelegt, also zwischen dem, was ein System tatsächlich als Information nutzt und dem, was von Außen als Information für ein System definiert wird. Insbesondere in Experimenten der Kognitionspsychologie und kognitiven Neuropsychologie315 ergibt sich die Schwierigkeit, dass der präsentierte Reiz mit der Information gleichgesetzt wird, dessen Verarbeitung seitens des Wahrnehmungssystems untersucht werden soll. Eine Information ist aber nur als solche zu bestimmen, wenn man nicht nur die aktuelle Reizsituation berücksichtigt, sondern ebenfalls die gesamte Wahrnehmungsgeschichte des Systems. So fungiert ein Reiz nur in bezug auf jeweiliges Vorwissen als Information, d.h. als Unsicherheitsreduktion. Die vorgenommene Gleichsetzung macht die Sache aber nicht unbedingt einfacher, da es ebenso schwierig ist zu bestimmen, was mit den Begriffen Reiz, Stimulus oder dem physikalischen Input bezeichnet wird. Ist ein Reiz der physikalischen Objektwelt zuzuschreiben oder handelt es sich vielmehr um die auf den sinnlichen Rezeptor treffende Energie? Stellen in der Tonpsychologie die Einzeltöne, die Melodie, der Akkord oder die zeitlichen Intervalle zwi-

314 Ebd. 315 Der Begriff der Informationsverarbeitung wird hier entweder als synaptischer Energietransfer einzelner Neuronen oder als Tätigkeit isolierter Gehirnbereiche interpretiert, die in Bezug auf ihre angenommenen psychologischen Funktionen, wie z.B. Wahrnehmung oder Sprachverarbeitung, bestimmt sind. Es wird so versucht, eine Korrelation oder Kausalität von physiologischer Grundlage und psychologischer Tätigkeit festzustellen. Von der physiologischen Reaktion, z.B. dem Feuern von Neuronen oder der Blutflussaktivität in einer bestimmten Region des Gehirns, auf einen ausgewählten Stimulus bzw. die Ausübung einer kognitiven Aufgabe wird dabei auf die Ebene der kausalen Verursachung eben dieses psychologischen Phänomens selbst geschlossen. Hier stellt sich die Frage, was jeweils als Wirkung und was als Ursache betrachtet wird und ob eine eindeutige kausale Erklärung in diesen Fällen überhaupt möglich ist.

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schen den Tönen den Reiz dar?316 Die Bestimmung, was jeweils als Reiz zu gelten hat, hängt immer davon ab, was als Reizempfänger angesehen wird: „Somit wird die Definition des Reizes verschieden sein, je nachdem, ob man am Gesamtorganismus, am Rezeptor oder an einem bestimmten Mechanismus des W[ahrnehmungs]-Systems interessiert ist.“317 Was jeweils in der Dritten-Person-Perspektive der Kognitionspsychologie als Reiz verstanden wird, scheint insofern abhängig von den methodischen Vorannahmen und Interessen der jeweiligen Untersuchungsperspektive. Hier tritt in besonderer Weise das Paradox zu Tage, Wahrnehmung als grundlegende subjektive Erfahrungsdimension rein objektiv bestimmen zu wollen. Als Reiz kann eigentlich nur etwas bestimmt werden, was schon in irgendeiner Weise subjektiv, wenn auch passiv, bemerkt ist, uns affiziert bzw. gereizt hat. Was eine beobachtete menschliche Versuchsperson tatsächlich reizt, kann nur mittelbar über ihr Verhalten oder ihre Aussagen erschlossen werden. In alltäglichen Wahrnehmungssituationen ist die Isolierung eines einzelnen Reizes oder eines Reizmusters nur schwer oder gar nicht möglich, da es sich nicht um statische, sondern um zeitliche und dynamische Abläufe handelt. Was jeweils explizit oder nur schemenhaft gesehen wird, hängt von vielen subjektiven wie auch äußeren Faktoren ab, die sich nur in zeitlichen Bewegungs- und Wahrnehmungsabläufen zur kohärenten Wahrnehmung von benennbaren Gegenständen oder Sachzusammenhängen ausbilden. Eine exakte Definition von Reiz kann es also nur im Kontext eines Experimentes geben, da hier im Vorhinein bestimmt wird, was der Versuchsperson präsentiert wird. Im Rahmen des informationsverarbeitenden Ansatzes wird der Reiz nur als Input gefasst, also als das, was ich dem jeweiligen System an Information einspeise. Die phänomenologische Wahrnehmung besteht jedoch nicht nur aus dem, was uns als Input präsentiert wird, sondern betont darüber hinaus besonders die –kognitionswissenschaftlich gesprochen – „top-down Modulationen“, d.h. implizite und explizite Motivationen, die sich aus dem Sinn früherer Erfahrungen, 316 Zur besseren Differenzierung des ambivalenten Reizbegriffes wird in der Kognitionspsychologie deshalb oft zwischen distalem und proximalem Reiz unterschieden. Der proximale Reiz ist dabei das den sinnlichen Rezeptor treffende Energiemuster, während der distale Reiz die physikalische Ursache darstellt, die zu diesem Energiemuster Anlass gibt. Aber auch diese Unterscheidung erlaubt keine kausalen Eindeutigkeiten. So kann der proximale Reiz z.B. durch den zeitlichen Verlauf der Wahrnehmung und die ständige Bewegung der Augen nur undeutlich gefasst werden. Die Bestimmung des distalen Reizes setzt wiederum bereits objektive Konzepte wie das der Oberfläche oder von dreidimensionalen Objekten voraus. 317 Ebd., 787.

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leiblichen Fähigkeiten und Dispositionen, sowie erworbenen Wahrnehmungsgewohnheiten zusammensetzen. Durch diese zeitliche und räumliche Horizontstruktur der Wahrnehmung können wir immer mehr ‚sehen‘ als das, was aktuell gegeben ist. 318

318 Auch die Wahrnehmungspsychologie beschäftigte seit ihren Anfängen mit diesem Horizontproblem: Auf der einen Seite verfügen wir trotz eines ambivalenten und ungenügenden sensorischen Materials über eine konstante und kohärente Wahrnehmung. Während wir auf der anderen Seite einen Großteil des sensorischen Inputs gar nicht bewusst wahrnehmen und lediglich für die Ausführung gewisser Handlungen nutzen. Beispiele für diese Phänomene sind das sogenannte Inversitätsproblem, das Konstanzphänomen und das Bindungsproblem. Alle drei beschäftigen sich mit der Frage, wie die Stimulusstruktur auf der Retina zu einer bewussten Wahrnehmungserfahrung führt. Das Inversitätsproblem deutet auf das Paradox hin, wie unsere dreidimensionale Wahrnehmung auf einer zweidimensionalen retinalen Abbildung beruhen kann. Da verschiedene dreidimensionale Gegenstände zum Teil dasselbe Abbild auf der Retina erzeugen, bleibt dieser Bezug rätselhaft. Das Konstanzphänomen beruft sich auf den Umstand, dass wir trotz wechselnder Eindrücke, wie z.B. durch verschiedene Lichteinflüsse, eine konstante Farbwahrnehmung haben. Mit einem ähnlichen Umstand befasst sich das Bindungsproblem, das im Zusammenhang mit der Aufmerksamkeit von besonderem Interesse ist und im Folgenden noch Thema sein wird. Hierbei steht die Frage im Zentrum, wie man die einzelnen Merkmale eines Gegenstandes, wie Farbe, Größe, Form etc., die nach funktionalen und biologischen Annahmen im System bzw. Gehirn getrennt verarbeitet werden, in der Wahrnehmung zu einem identifizierbaren Gegenstand ‚zusammengebunden‘ werden. Diese Bindungsleistung wird der Aufmerksamkeit zugeschrieben. Vgl. V. Arstila: Vision, 558; E.B. Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 102-106; R. Mausfeld: Art. ‚Wahrnehmung‘, 777-778.

2. KOGNITIONSPSYCHOLOGISCHE AUFMERKSAMKEITSFORSCHUNG – EIN ÜBERBLICK

2.1 Aufmerksamkeit als Thema der vorkognitiven und kognitiven Psychologie Die psychologische Aufmerksamkeitsforschung nimmt, genauso wie die phänomenologische Beschreibung, ihren Ausgang von der Problematisierung des Umstands, dass wir uns nicht allen wahrnehmbaren Dingen gleichermaßen bzw. mit der gleichen Bewusstseinsqualität zuwenden können. Es muss insofern eine nach bestimmten Kriterien verlaufende Auswahl stattfinden. Das zugrundeliegende Motiv der psychologischen Untersuchung wird dabei unter dem Begriff der Selektion gefasst, der eng mit der Auffassung von Aufmerksamkeit als begrenzter Kapazität zusammenhängt. Selektion bezieht sich in diesem Kontext aber meist nicht mehr auf ein Erfahrungssubjekt, das seinen Fokus auf etwas richtet – wie dies in der frühen Psychologie oder in der Phänomenologie impliziert ist – sondern wird als subpersonaler Mechanismus verstanden, der bestimmt, welche eingehenden sensorischen ‚Stimuli‘, überhaupt bewusst wahrgenommen, identifiziert und im Gedächtnis gespeichert werden. Zugleich bleibt aber der Begriff der Selektion in seiner deskriptiven Bedeutung, z.B. in Form einer personalen Handlung, weiter bestehen, wie sich anhand eines Zitats aus einem aktuellen Studienbuch der Wahrnehmungspsychologie zeigen lässt. Hier heißt es: „Selektive Aufmerksamkeit ist die Art und Weise, wie wir manchen Dingen Aufmerksamkeit widmen und dabei andere ignorieren.“319 Gleichermaßen wie die vermeintlich aktive Aufmerksamkeit und ihre selektive Funktion ein kontinuierliches Motiv der psychologischen Aufmerksamkeitsforschung darstellt, gilt dies ebenfalls für ihre passive Seite, die in vielerlei Gestalten auftritt. So kann man darunter sowohl die Voraussetzungen, Motivationen und äußeren Ursachen als auch den unbemerkten gegenständlichen Hintergrund eines Aufmerksamkeitsaktes verstehen. In der frühen Psychologie ist eine derartige Kategorisierung in eine willentliche (aktive) und eine passive Aufmerksamkeit sehr geläufig. Bei 319 E.B. Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 454.

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AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE

Edward Titchener gilt etwa die erste Stufe der Aufmerksamkeit als passive sinnliche Bereitschaft für neue Wahrnehmungsstimuli: Erst wenn diese untereinander konkurrieren, kommt es in einem zweiten Schritt zur aktiven, willentlichen Aufmerksamkeit. Unsere passive Aufmerksamkeit auf ein Donnergrollen (primäre Aufmerksamkeit) muss demnach von einer expliziten Auseinandersetzung mit einem mathematischen Satz (sekundäre Aufmerksamkeit) unterschieden werden. Die letztere Form der Aufmerksamkeit kann aber jederzeit durch einen neuen salienten Wahrnehmungsstimulus, wie etwa ein lautes Geräusch, unwillkürlich unterbrochen werden.320 An dieser Stelle zeichnet sich bereits die spätere Unterscheidung der kognitiven Psychologie zwischen bottom-up (reizbasiert) und topdown Steuerung (intentional) ab. Im Gegensatz zu einer strikten Unterscheidung zwischen diesen zwei Arten der Aufmerksamkeitssteuerung, die weite Teile der späteren kognitiven Aufmerksamkeitsforschung prägt, wird hier allerdings deutlich, dass Selektion nur auf einer bereits bestehenden passiv-sensorischen Unterlage fungieren kann. Es handelt sich insofern – wie von Titchener angedeutet – lediglich um unterschiedliche Stufen der Komplexität, nicht aber um gänzlich verschiedene Aufmerksamkeitssysteme.321 Trotz ähnlicher Fragestellungen und inhaltlicher Gemeinsamkeiten322 ist die sich ab den 1950er Jahren entwickelnde kognitive Aufmerksamkeitsforschung sehr darum bemüht, sich von den frühen Ansichten einer noch ‚naiven‘, weil introspektiven Psychologie abzugrenzen. Im Unterschied zu einem introspektiven Ansatz beansprucht sie einen skeptischen und vor allem empirischen Zugang zu ihrem Thema. Hundert Jahre nach James kommt der Kognitionspsychologe Harald Pashler denn auch zu folgender Ansicht: „[N]o one knows what attention is, and that there may even not

320 Vgl. E.B. Titchener: A text-book of psychology. New York 1911, 268-276. 321 Dies kommt der phänomenologisch-genetischen Theorie der Aufmerksamkeit, die in Teil I entwickelt wurde, sehr entgegen und wird in der Kognitionspsychologie etwa von Vertretern der handlungsorientierten Ansätze vertreten (s. Teil II, Kap. 3.4) 322 Viele Themen der Aufmerksamkeitsforschung Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, die James in seinen Principles of psychology darstellt, charakterisieren in gleichem Maße den modernen Diskurs: wie z.B. die Frage, wie viele Dinge wir auf einmal wahrnehmen können (Reichweite der Aufmerksamkeit), die Unterscheidung in eine willentliche/aktive und reflexive/passive Form der Aufmerksamkeit, die Untersuchung der positiven Effekte der Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung und Erinnerung sowie die negativen Folgen von Unaufmerksamkeit. Vgl. W. James. The principles of psychology, 420-459.

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be an ‘it’ there to be known about.”323 Pashler fordert in diesem Zusammenhang eindringlich eine Unterscheidung zwischen dem alltäglichen Gebrauch des Begriffes, dem sogenannten „folk psychology talk“ und einer empirisch fundierten, funktionalen Bestimmung.324 Frühe Psychologen konnten demzufolge zwar durch die Beschreibung subjektiver bzw. mentaler Phänomene wichtige Aspekte entdecken, die auch heute noch die Aufmerksamkeitsforschung bestimmen, jedoch werden diese nach Meinung der meisten Kognitionspsychologen dem modernen wissenschaftlichen Anspruch nicht mehr gerecht. In der Kognitionspsychologie geht es insofern nicht mehr primär um die Deskription der Erfahrungsphänomene aus der Perspektive der ersten Person, sondern um eine kausale Erklärung dieser Phänomene durch die Definition von zugrundeliegenden Mechanismen und Prozessen des Mentalen. Der deskriptiven Psychologie fehlten solche geeigneten Konzepte und Methoden, um diese nicht-bewusstseinsfähigen Vorgänge objektiv, d.h. aus der Dritten-Person-Perspektive, beschreiben zu können.325 Der Blick auf die Geschichte der Aufmerksamkeitsforschung in der Psychologie lässt trotz seiner weitgehenden inhaltlichen Kontinuität einen einschneidenden methodischen Bruch erkennen. Auf der einen Seite findet sich eine Wiederholung zentraler Untersuchungsbereiche, die bereits in der wissenschaftlichen Psychologie des späten 19. Jahrhunderts formuliert wurden, wie etwa die Beschäftigung mit der selektiven Leistung, dem Gegenstandsbereich oder Radius der Aufmerksamkeit, sowie der Frage nach der aktiven oder passiven Kontrolle bzw. Verursachung der Aufmerksamkeit bis hin zu ihrer Relation zum Bewusstsein. Auf der anderen Seite fehlt eine kontinuierliche Forschungstradition, die diese Fragen und Probleme systematisch entfaltet hätte.326 Dies liegt unter anderem daran, dass zwischen der psychologischen Tradition Ende des 19. Jahrhunderts und der modernen Kognitionspsychologie Mitte des 20. Jahrhunderts die Forschung vor allem durch das Paradigma des Behaviorismus geprägt war. In dieser Phase wurde die Beschreibung von internen psychischen Phänomenen abgelöst durch eine objektive Untersuchung des Verhaltens nach dem

323 H.E. Pashler: The psychology of attention. Cambridge, MA/London, England 1999, 1. 324 Ebd., 3. 325 Vgl. ebd., 5. 326 Vgl. O. Neumann: Theorien der Aufmerksamkeit. In: O. Neumann/ A.F. Sanders (Hg.): Aufmerksamkeit. Göttingen/Bern/Toronto/Seattle 1996, 559-644.

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Schema von Reiz und Reaktion.327 Aus der behavioristischen Perspektive nahmen subjektive Phänomene wie Aufmerksamkeit oder Selektion keinen großen Raum ein, da sie sich nicht als simple Reaktion auf entsprechende Stimuli erklären lassen: „Selectivity is a problem for anyone who wishes to predict behavior purely on the basis of the objective stimulation making up the animal’s learning history.“ 328 Erst durch die Wiederentdeckung des Psychischen bzw. Mentalen in seiner funktionalen Bedeutung im Begriff der Kognition wurde Aufmerksamkeit wieder zu einem Gegenstand psychologischer Untersuchung. Die moderne Aufmerksamkeitsforschung versteht sich dabei als Neuanfang und nimmt auf frühere psychologische Traditionen kaum Bezug. Ihren Gegenstandsbereich stellen nun die versteckten internen Vorgänge dar, die sich zwischen stimulus und response abspielen. Je nach Perspektive wird diese innere Ebene in der Kognitionswissenschaft philosophisch als Geist oder Psyche, funktional-technisch als kognitives Verarbeitungssystem, oder physiologisch in Form von neuronalen Prozessen bzw. Aktivitäten gewisser kortikaler Zentren thematisiert. Frühe Psychologen wie Wundt und James befassten sich demzufolge zwar mit der bewussten Erfahrung von Kognitionen, aber nur insofern diese in der Introspektion einer betreffenden Person auftauchten. Sie hatten nach Ansicht heutiger kognitiver Psychologen keinerlei methodischen Zugriff auf Prozesse, die sich unterhalb der bewussten Erfahrung vollziehen und als deren Voraussetzung gelten.329 Während die frühe Psychologie in ähnlicher Weise wie die zeitgleich beginnende phänomenologische Deskription insbesondere die positiven Aspekte der Aufmerksamkeit für die Wahrnehmung des Subjektes betont – als Vorgang, der uns die Dinge klarer und deutlicher auffassen lässt – steht zu Beginn der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung zumeist ein eher negatives Charakteristikum im Vordergrund – die Begrenzung ihrer Kapazität und Leistung. Erst später treten im Zuge veränderter Forschungsschwerpunkte und Methoden auch die hervorhebenden und integrierenden Funktionen der Aufmerksamkeit zutage.

327 Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention. New York 2006, 2; C.A. Mole. Attention. In: J. Symons/P. Calvo (Hg.): The Routledge companion to philosophy of psychology. London/New York 2009, 495-509, hier: 495; D. Braddon- Mitchell: Behaviorism. In: J. Symons/P. Calvo: The Routledge companion to philosophy of psychology, 90-97. 328 H.E. Pashler: The psychology of attention, 6 329 Vgl. E.A. Styles: Attention, perception and memory. An integrated introduction. Hove/New York 2005, 15.

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2.2 Die kognitive Aufmerksamkeitsforschung nach 1950 Die Aufmerksamkeitsforschung in der kognitiven Psychologie nahm ihren Anfang mit der Entwicklung hochtechnisierter Arbeitsplätze in U-Booten oder Pilotkanzeln im Zuge des zweiten Weltkrieges. Die (zumeist britischen) Forscher sahen sich damals vor allem mit Problemen konfrontiert, die sich aufgrund des neuen technischen Arbeitsumfeldes der Soldaten ergaben. Die Aufgabe eines Piloten bestand etwa darin, mit vielen unterschiedlichen Informationen gleichzeitig umzugehen: Dabei müssen mehrere visuelle Displays im Inneren des Cockpits und die visuelle Umgebung außerhalb des Flugzeuges beobachtet, sowie auditive Botschaften über eine Sprechanlage koordiniert werden. Die Anforderung, auf viele Dinge gleichzeitig aufmerksam zu sein, stellte sich als eine äußerst schwierige Aufgabe dar. Das Bemerken oder Übersehen eines herankommenden Flugzeuges konnte in diesen Fällen über Leben und Tod entscheiden. Aus diesem Entstehungszusammenhang erklärt sich einerseits die bis heute weit verbreitete Ansicht von Aufmerksamkeit als einer zentralen und vor allem knappen kognitiven Ressource (bzw. weniger unterschiedlicher Ressourcen), und andererseits, warum das Phänomen der Aufmerksamkeit noch heute als ein rein technisches Problem der Informationsverarbeitung gilt. Das Phänomen der Aufmerksamkeit machte die Beschränkung und Fehlbarkeit der menschlichen Informationsverarbeitung sichtbar. Zu Beginn wurde diese Form der Begrenzung von Donald Broadbent 1958 nach dem Vorbild der Informationstheorie von Claude Shannon und Warren Weaver in Bezug auf die Übertragungskapazität eines Kanals verstanden. Die Leistung der Aufmerksamkeit besteht demnach in der Selektion in Gestalt eines Mechanismus, der den Informationsfluss teilweise blockiert oder dämpft, um nur gewisse Daten herauszufiltern, die wiederum einer tieferen Analyse zugänglich gemacht werden können. In den 1970er Jahren wurde Aufmerksamkeit dagegen meist als unspezifische Kapazität angesehen. In diesem Zusammenhang wurde zwischen anstrengender (kapazitätsabhängiger) und automatischer (kapazitätsfreier) Verarbeitung unterschieden. Man fasste Aufmerksamkeit als einen begrenzten Vorrat auf, der durch Selektion effektiv verteilt werden sollte. Den betreffenden Modellen ist gemeinsam, dass sie nicht zwischen einer deskriptiven und einer theoretischen Bedeutung des Begriffs der begrenzten Kapazität differenzieren. Zunächst beschreiben sie gestützt durch Experimente eine Erfahrung, die gewisse Limitationen in der gleichzeitigen Wahrnehmung von verschiedenen Inhalten bzw. der Ausführung mehrerer Aufgaben zur selben Zeit aufweist, von diesem deskriptiven Ergebnis wird dann auf die Ebene einer zugrundeliegenden visuellen Infor-

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mationsverarbeitung zurückgeschlossen. Dieses Verarbeitungssystem wird bei Broadbent etwa mit der Metapher des Flaschenhalses beschrieben, der pro Zeiteinheit nur eine bestimmte Menge an Informationen bewältigen kann. Daniel Kahneman geht dagegen von einer begrenzten Versorgung mit der unspezifischen Ressource Aufmerksamkeit aus, z.B. in Form von mangelnder Energie. In späteren Ansätzen wird die begrenzte Kapazität vor allem theoretisch, in Analogie zum Computer, d.h. als eingeschränkter Vorrat an Rechenkapazität, verstanden. Die begrenzte Kapazität erweist sich in allen diesen Fällen als „theoretisches Konstrukt, das zur Erklärung dafür herangezogen wird, daß die Kapazität im deskriptiven Sinn begrenzt ist“330. Als Antwort auf die Probleme der unspezifischen Ressourcentheorie von Kahneman wurde 1979 die spezifische Ressourcentheorie der Aufmerksamkeit von David Navon und Daniel Gopher331 entwickelt, die bis in die 1980er Jahre starken Einfluss hatte. Aufmerksamkeit stellte in diesem Kontext keine unspezifische Energie mehr dar, sondern tritt vielmehr in Gestalt von multiplen, spezifischen Ressourcen auf.332 In dieser Phase entkoppelte sich das Konzept der Selektion weitgehend vom Problem der begrenzten Kapazität. Im Vordergrund stand die Frage, welche Ressourcen es gibt und wie diese gemessen werden können. Die Mechanismen, durch die die Ressourcen selektiv verteilt werden, traten damit in den Hintergrund. Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre verschob sich das Interesse dann wieder zugunsten der Funktionen der Aufmerksamkeit. Diese gelten nun nicht mehr als bloß selektiv, sondern weisen auch integrative Merkmale auf. Die eingeschränkte Kapazität der Aufmerksamkeit wird nicht mehr als strukturelle Begrenzung verstanden, sondern als „das zentrale funktionelle Merkmal der Aufmerksamkeit“333. In diesen Jahren ist die Forschung stark auf die visuelle Aufmerksamkeit ausgerichtet, während sie 1958 mit auditiven Experimenten zum dichotischen Hören (dichotic listening) begonnen hatte. Alan Allport fasst 1992 in einem Rückblick die immer wiederkehrenden Fragen und Probleme, um welche sich die Aufmerksamkeitsforschung dieser Jahre drehte, zusam-

330 O. Neumann: Theorien der Aufmerksamkeit, 570, 581. 331 Vgl. D. Navon/D. Gopher: On the economy of the human processing system. In: Psychological Review 86/1979, 214-253. 332 Weitere Ansätze, die multiple Ressourcen beschreiben, s. D.A. Norman/D.G. Bobrow: On data-limited and resource limited processes. In: Cognitive Psychology 7/1975, 44-64; C.D. Wickens: Processing resources in attention. In. R. Parsuraman/ D.R. Davies (Hg.): Varieties of attention. Orlando, Fl 1984, 63-102. 333 O. Neumann: Theorien der Aufmerksamkeit, 562.

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men: Zunächst stand die Lokalisierung der Selektion im Verarbeitungsprozess im Zentrum, d.h. die Frage, ob die Selektion früher oder später vollzogen wird. In der visuellen Aufmerksamkeitsforschung wurde der Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit zum Thema, man sah sich mit dem Problem konfrontiert, ob sich die Aufmerksamkeit primär auf räumliche Orte im Sinne eines Scheinwerfers oder aber auf spezielle Objekte richtet. Darüber hinaus spielte insbesondere die Unterscheidung zwischen aufmerksamen und nicht-aufmerksamen Prozessen eine entscheidende Rolle. Demzufolge gibt es Vorgänge, die der Aufmerksamkeit, also der bewussten Wahrnehmung bedürfen, und andere Informationsverarbeitungen, die ohne Aufmerksamkeit, d.h. automatisch, ablaufen können. Wie bereits der Titel von Allports Rückblick auf die Aufmerksamkeitsforschung „Attention and control: have we been asking the wrong questions?“334 deutlich macht, führt diese ausgiebige Beschäftigung mit den immer gleichen Fragen in eine Sackgasse. Anstatt sich in diesen Detailproblemen zu verlieren, fordern Allport und andere handlungsorientierte Aufmerksamkeitsforscher335 neue Herangehensweisen und alternative Modelle, bei denen die umfassendere Frage nach den Funktionen der Aufmerksamkeit für das Leben bzw. Überleben eines Organismus im Vordergrund steht. Wenn man einen Blick auf die gegenwärtige Aufmerksamkeitsforschung wirft, erweist sich diese denn auch im Vergleich zu der klassischen Kognitionspsychologie als weitaus vielseitiger und ‚lebensnäher‘. So findet z.B. eine vermehrte Auseinandersetzung mit multisensorischer Verarbeitung, d.h. den Wechselwirkungen und dem Zusammenspiel der Sinnesmodalitäten in der Wahrnehmung, statt. Des Weiteren lässt sich ein zunehmendes Interesse an der Frage feststellen, wie sich top-down Einflüsse und diverse Kontextaspekte auf die Aufmerksamkeit im experimentellen Umfeld und sogenannten real-world Situationen auswirken. In diesem Zusammenhang wird Selektion nicht mehr als ein notwendiges Übel angesehen, das ein begrenztes Verarbeitungssystem vor Überlastung schützen soll. Die Begrenzung stellt nunmehr nicht mehr den Grund, sondern die

334 D.A. Allport: Attention and control: Have we been asking the wrong questions? A critical review of twenty-five years. In: D.E Meyer/S. Kornblum (Hg.): Attention and performance XIV. Synergies in experimental psychology, artificial intelligence, and cognitive neuroscience. Cambridge, Ma/London, Eng. 1992, 183217. 335 Vgl. dazu die Beiträge in O. Neumann/W. Prinz (Hg.): Relationships between perception and action. Heidelberg 1990.

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Folge eines Selektionsmechanismus dar, der etwa eine effektive Handlungssteuerung ermöglicht (selection for action).336 Dieser Paradigmenwechsel zeigt sich auch in der Entwicklung der Kognitionspsychologie hin zu einer kognitiven Neurowissenschaft, die mehr und mehr bildgebende Verfahren einsetzt. In diesem Zusammenhang wird der Begriff der Selektion meist durch den des Wettbewerbs (competition) ersetzt und mit integrativen Funktionen erweitert. Aufgrund der vielen gegebenen Stimuli findet ein Wettbewerb um das Ausmaß der neuronalen Verarbeitung statt, da nicht alle sensuellen Daten dieselbe Relevanz für die geplante Handlung aufweisen. In der biased oder integrated competition Theorie wird Aufmerksamkeit als Ergebnis dieser kompetitiven neuronalen Aktivität verstanden. Welche Zellen aktiviert werden, hängt von einem Zusammenspiel von top-down und bottom-up Komponenten ab, die für das aktuelle Verhalten und den umweltbezogenen Kontext relevant sind (bias). Diese Dominanzstruktur im lokalen neuronalen Wettbewerb erweitert sich nun auf andere Bereiche des Netzwerks (integration/cooperation).337 Ähnlich wie in der Merkmalsintegrationstheorie (feature integration theory) von Anne Treisman werden hier die integrative Funktionen der Wahrnehmungsverarbeitung betont. Im Unterschied zur Merkmalsintegrationstheorie, gilt „Aufmerksamkeit“ hier jedoch nicht als kausale Bedingung für eine integrierte und kohärente Wahrnehmung (Treisman, s. Teil II, Kap. 4.4), sondern als Resultat auf der Verhaltensebene, dem eine sowohl selektive als auch integrativen neuronale Verarbeitung der Stimuli zugrunde liegt. Der Begriff der Aufmerksamkeit, der bis dahin entweder als kausale Begrenzung oder als kausale Bedingung der Informationsverarbeitung verstanden wurde – z.B. als subpersonaler Filterprozess oder Orientierungs- und Steuerungsinstanz der Wahrnehmung – kommt nun nicht mehr nur als eine oder mehrere spezifische Funktion(en) der Informati336 Selektion stellt in dieser Hinsicht einen positiven Mechanismus zur Handlungssteuerung und -organisation dar, der von Allport als selection for action bezeichnet wird. Vgl. D.A. Allport: Selection for action: some behavioral and neurophysiological considerations of attention and action. In: H. Heuer/A.F. Sanders (Hg.): Perspectives on perception and action. Hillsdale, NJ 1987, 395-419; O. Neumann: Visual attention and action. In: O. Neumann/W. Prinz (Hg.): Relationships between perception and action. Heidelberg 1990, 227-264. 337 R. Desimone/J. Duncan: Neural mechanisms of selective visual attention. In: Annual review of Neuroscience 18/1995, 193-222; J. Duncan: Cooperating brain systems in selective perception and action. In: T. Inui/J.L. McClelland (Hg.): Attention and performance XVI: information integration in perception and communication. Cambridge, MA, 549-578. J. Duncan: Brain mechanisms of attention. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 59/2006, 2-27.

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onsverarbeitung in den Blick, sondern ebenfalls als Verhaltensausdruck eines gesamten Organismus oder einer Person.338 Je nachdem, ob Aufmerksamkeit als subpersonaler Prozess oder als Verhalten der expliziten Wahrnehmung auf der personalen Ebene definiert wird, wird auch der Zusammenhang von Aufmerksamkeit und Bewusstsein anders bewertet: Dies wird in aktuellen Forschungsdebatten deutlich, die sich die Frage stellen, ob es Bewusstsein ohne Aufmerksamkeit oder Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein geben kann (s. Teil III, Kap. 2.3, 2.4). Nach fast hundert Jahren steht damit der Zusammenhang von Aufmerksamkeit und Bewusstsein in der Psychologie wieder im Zentrum des Interesses. Folgende Auseinandersetzung gliedert sich chronologisch und versucht, die laut Allport immer „wiederkehrenden Fragestellungen“ der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung und ihre phänomenologische Problematik nachzuzeichnen. Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den selektiven und verteilenden Funktionen der Aufmerksamkeit. Hier liegt der Schwerpunkt zunächst auf der Begrenzung der Aufmerksamkeit. Die handlungsorientierte Theorie der Selektion stellt in diesem Zusammenhang jedoch eine Dynamisierung des Selektionskonzepts dar, die eine Alternative zur Begrenzungslogik aufweist. Im vierten Kapitel stehen die Gegenstandsbereiche der Aufmerksamkeit im Zentrum. Mit dem Gegenstand der Aufmerksamkeit kommen notwendigerweise auch die Formen und Ursachen ihrer Ausrichtung und Steuerung zur Sprache, sowie ihre integrative Leistung. In dieser Hinsicht sind die Metaphern der Aufmerksamkeit, von einem Bild des „Scheinwerfers“, über ein „bewegliches Objektiv“ bis hin zu einer „pickenden Henne“, aufschlussreich: Sie zeigen einerseits die theoretischen Engführungen auf, die sich in der experimentellen Forschung niederschlagen oder sich aus dieser ergeben, und sind zugleich der ‚Motor‘ und das Abbild einer zunehmenden Dynamisierung des Aufmerksamkeitsbegriffes seit den 1990er Jahren.

338 Vgl. die Argumentation von Allport, in: A. Allport: Attention and Integration. In: C. Mole/D. Smithies/W. Wu (Hg.): Attention. Philosophical and psychological essays. Oxford 2011, 24-60.

3. DIE BEGRENZTE AUFMERKSAMKEIT: SELEKTION UND VERTEILUNG

Broadbents Untersuchung perception and communication von 1958 war einer der ersten Versuche, psychologische Phänomene mit informationsverarbeitenden Konzepten aus der Mathematik und Informatik in Verbindung zu setzen. Die Kommunikationstheorie von Shannon und Weaver, die von Datenübertragung zwischen zwei Kanälen ausging, fungierte dabei als Vorbild. Mit Hilfe dieser neuen Begrifflichkeiten etabliert sich das Phänomen der Aufmerksamkeit erneut als Gegenstand der experimentellen Psychologie. Wahrnehmung wird von Broadbent in Analogie zu einem Telefongespräch verstanden: als Austausch und Transformation von Informationen von Sender und Empfänger durch einen dafür vorgesehenen Kanal. Aufmerksamkeit kommt hierbei in Zusammenhang mit der Frage nach der Kapazität des jeweiligen Kanals vor, der nicht alle Informationen gleichzeitig übertragen kann. An dieser Stelle wird eine strukturelle Begrenzung der menschlichen Informationsverarbeitung angenommen, die zu einer bestimmten Zeit nur eine beschränkte Menge aufnehmen und vermitteln kann. Dieser Umstand kann nach Broadbent in gleicher Weise wie ein herkömmlicher Kodierungsprozess verstanden werden: „If we send a Morse code with a buzzer we cannot send a dot and a dash at the same time, but must send them successively.” Die Erklärungsebene der Kommunikationstechnik wird somit auf die Psychologie der Aufmerksamkeit übertragen: „The fact that any given channel has a limit is a matter of central importance to communication engineers, and it is correspondingly forced on the attention of psychologists who use their terms.”339 Die Informationstechnologie mit ihren Möglichkeiten der Formalisierung des Geistigen bildete insofern den Ausgangspunkt zu einer rein funktionalen Bestimmung psychischer Vorgänge, die experimentell validiert werden können. Die Kognitionspsychologie fand damit einen exklusiven Zugang zu ihrem Gegenstandsbereich des Psychischen gegenüber philosophischen, biologischen und physiologischen Fragestellungen. Die funktionale Beschreibung des Psychischen anhand der Begriffe der Informationsverarbeitung ermöglicht es ihr, interne Vorgänge ohne die ‚spekulative‘ 339 D. Broadbent: Perception and communication. London 1958, 5.

DIE BEGRENZTE AUFMERKSAMKEIT: SELEKTION UND VERTEILUNG

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Methode der Introspektion zu thematisieren und experimentell abzusichern.340 Mit der zunehmenden Entwicklung von digitalen, symbolverarbeitenden Systemen wie dem Computer wird in den 1960er Jahren der kommunikationstheoretische Begriffe Kanal durch die sogenannte computer metaphor of mind abgelöst. U. Neisser, der als einer der Begründer der Kognitionspsychologie gilt, beschreibt diese funktionale Analogie wie folgt: The task of a psychologist trying to understand human cognition is analogous to that of a man trying to discover how a computer has been programmed. In particular, if the program seems to store and reuse information, he would like to know by what ‚routines‘ or ‚procedures‘ this is done. Given this purpose, he will not care much whether his particular computer stores information in magnetic cores or in thin films; he wants to understand the program, not the hardware.341

Aus dieser Betrachtungsweise ergibt sich eine Analogie zwischen der auf subjektiver Ebene erfahrenen Begrenzung der Aufmerksamkeit und den Grenzen der zentralen Verarbeitungseinheit eines Computers. Mit den technischen Entwicklungen seit den 1950er Jahren, insbesondere am Beispiel des Computers, lässt sich zugleich eine Veränderung der Perspektive auf kognitive Vorgänge erkennen: von der Annahme einer seriellen hin zu der parallelen Verarbeitung von Daten mit hoher Speicherkapazität.342 Die wechselseitige Beeinflussung von Technikentwicklung und der Beschreibung kognitiver Vorgänge zeigt sich etwa in dem Versuch, Kognition auf dem Computer zu simulieren. Dies gelingt zunächst durch symbolverarbeitende Systeme, z.B. in Form eines Schachcomputers. Seit Mitte der 1960er Jahre werden nach dem biologischen Vorbild des Nervensystems konnektionistische und damit selbstlernende Programme konstruiert, 340 Inwiefern diese Vorgehensweise ohne eine subjektive Perspektive auskommt und daher ihrem Objektivitätsanspruch gerecht werden kann, soll im Folgenden genauer überprüft werden. Die teilweise unhinterfragte Gleichsetzung von technischen Metaphern bzw. Erklärungen mit psychischen oder gar neuronalen Vorgängen soll in dieser Hinsicht ebenso kritisch in den Blick genommen werden, wie der Versuch, die Ebene von subjektiven Erfahrungen und Wahrnehmungen durch rein interne Verarbeitungsprozesse zu erklären. 341 U. Neisser: Cognitive psychology. New York 1967, 6. Der Begriff der Kognition wird demzufolge gleichermaßen als Erklärungsmodell für alle psychologischen Phänomene angewendet: „Cognition refers to all processes by which the sensory input is transformed, reduced, elaborated, stored, recovered, and used. It is concerned with these processes even when they operate in the absence of relevant stimulation, as in images and hallucinations.“ (ebd. 4) 342 Vgl. E.A. Styles. Attention, perception and memory, 16.

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sogenannte neuronale Netze.343 Diese können menschliches Lernen durch assoziative Verknüpfungen nachbilden. Indem jeder neue Input bleibende Vernetzungen bzw. eine Verstärkung oder Hemmung von Gewichten zwischen zwei Elementen hinterlässt, wird die Wiederkennung von wiederholt präsentierten Daten möglich. Diese Entwicklungen führen zusammen mit Forschungen im Bereich der künstlichen Intelligenz Forschung und der Robotik zu neuen Ansätzen, die die Körperlichkeit, Bewegung und Interaktion des kognitiven Agenten mit seiner Umwelt einbeziehen. Embodied und situated cognition bieten Alternativen zu der klassischen Ansicht nach der Wahrnehmung als stufenweise Verarbeitung von Stimuli abläuft, die eine detaillierte Repräsentation der Welt zum Ziel hat und aufgrund ihrer begrenzten Kapazität auf selektive Mechanismen angewiesen ist. Trotz des zunehmenden Einflusses von handlungs- und umweltorientierten Ansätzen und dem steigenden Interesse an realitätsnahen Experimenten bleiben die zusammenhängenden Motive der Begrenzung und Selektion auch für die aktuelle Aufmerksamkeitsforschung bestimmend. Gerade in Bezug auf die im Folgenden dargestellte Filtertheorie von Broadbent läßt sich in diesem Zusammenhang festhalten, dass sich der psychologische und philosophische Diskurs auch weiterhin an den Thesen und Problemen jener frühen ‚statischen‘ Aufmerksamkeitstheorien abarbeitet: Many of the philosophical questions about the psychology of attention as we have it today are questions about which features of our current theories are unwarranted inheritances from this tradition, and about how those unwarranted inheritances ought to be replaced.344

In den folgenden Punkten werden daher ausgewählte Experimente, Annahmen und Probleme dargestellt, die Aufmerksamkeit hauptsächlich unter dem Aspekt der Begrenzung thematisieren. Dies trifft sowohl auf die selektive Aufmerksamkeitsforschung im Ausgang von Broadbent als auch auf die alternativen Ansätze der Kapazitäts- und Ressourcentheorie zu. Auch vermeintliche alternative Annahmen zur selektiven Aufmerksamkeit, wie die der geteilten Aufmerksamkeit (divided attention), unterstehen demnach weiterhin dem Motiv der Begrenzung, das eine solche effektive Aufteilung erst notwendig macht. Die Art und Weise der Begrenzung wird 343 Vgl. F. Kurfeß: ‚Art. Konnektionismus‘; ders.: ‚Art. Netze, strukturierte neuronale‘. In: G. Strube et al. (Hg.): Wörterbuch der Kognitionswissenschaft, 427. 344 C. A. Mole: Attention. In: J. Symons/P. Calvo (Hg.):The Routledge companion to philosophy of psychology. London/New York 2009, 495-509, hier: 496.

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dabei in den jeweiligen Phasen und Theorien unterschiedlich definiert: strukturell, funktional oder biologisch. Gleiches gilt für die Frage, ob Aufmerksamkeit lediglich die Folge einer begrenzten Informationsverarbeitung ist oder als begrenzte Ressource die Ursache für alle tieferen Verarbeitungs- und Repräsentationsprozesse sowie jeder bewussten Erfahrung bildet. Im ersten Fall kann man Aufmerksamkeit als Nebeneffekt einer strukturell begrenzten Informationsverarbeitung verstehen, der sich in Selektionsprozessen zeigt, die wiederum das kognitive System vor Überlastung schützen sollen. Einen solchen Ansatz vertritt Broadbent, der mit seiner Selektions- bzw. Filtertheorie die weitere Aufmerksamkeitsforschung nachhaltig beeinflusste.

3.1 Die Filtertheorie Der Beginn der kognitiven Aufmerksamkeitsforschung steht, wie bereits erwähnt, im Zeichen des zweiten Weltkrieges und den sich daraus ergebenden technisch-praktischen Problemhorizonten. Die Auseinandersetzung mit den schwierigen Bedingungen der Soldaten an ihren neuen multi-medialen Arbeitsplätzen veranlasste die Forscher zu der Annahme einer generellen Begrenzung des menschlichen Aufmerksamkeitsvermögens bzw. der strukturellen Begrenzung der menschlichen Verarbeitung von sensuellen Informationen. Die Begrenzungs-Hypothese bezieht sich insbesondere auf ein bekanntes Experiment zur Reaktionsleistung auf auditive Stimuli, das Alan Welford 1952 durchführte. Hierbei zeigte sich Folgendes: Wenn zwei auditive Signale kurz nacheinander präsentiert werden und die Teilnehmer angewiesen wurden, auf beide möglichst schnell zu reagieren, d.h. eine sichtbare Verhaltensantwort zu geben, hängt die Antwort auf das zweite Signal von der sogenannten stimulus onset synchrony (SOA) ab. Diesen Effekt nannte Welford die psychological refractory period (PRP). Allgemein ließ sich als Ergebnis der Experimente festhalten: Je kürzer die SOA, desto länger wird die gemessene Reaktionszeit auf den zweiten Stimulus ausfallen. Zunächst, so Welford, muss demnach die Verarbeitung des ersten Stimulus abgeschlossen sein, bevor der zweite Stimulus an der Reihe ist. Er folgerte daraus weiter, dass die Informationsverarbeitung auditiver Stimuli nacheinander und nicht parallel verläuft.345 345 Vgl. A.T. Welford: The psychological refractory period and the timing of high speed performance: A review and a theory. In: British Journal of Psychology 43/1952,

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AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE

Die dargestellten Ergebnisse galten als Evidenz für die serielle Wahrnehmungsverarbeitung des menschlichen Nervensystems und wurden fortan mit Hilfe der Metapher des Flaschenhalses (bottleneck) beschrieben. Der Flaschenhals steht für die Ansicht einer zentralen und lokalisierbaren Grenze der menschlichen Verarbeitungskapazität, die die frühe Aufmerksamkeitsforschung prägte. Die entsprechende Metapher galt aber nicht nur als Mittel der Beschreibung, sondern wurde in den folgenden Untersuchungen zum Thema oft unhinterfragt als Erklärung für die Notwendigkeit eines Selektionsmechanismus benutzt. Weiterhin findet eine unmittelbare Übertragung der gemessenen Reaktionszeiten, also des Verhaltens der Probanden, auf eine zugrundeliegende subpersonale Verarbeitungsebene statt. Eine Verzögerung der willentlich initiierten Reaktion steht infolgedessen für eine noch nicht stattgefundene Analyse des Signals. Hier lässt sich bereits ein enger Zusammenhang zwischen der Auswahl der Experimente, die sich anfangs auf den auditiven Bereich beschränkten, und der Strukturbeschreibung des Phänomens Aufmerksamkeit erkennen. Das Hören zeichnet sich hierbei im Vergleich zum Visuellen durch seine fehlende Distanz zum sensuellen Geschehen aus: Vor ungewollten Eindrücken kann man nicht einfach die Ohren verschließen, wie dies im Falle der Augen möglich ist. Für die psychologische Forschung ist der auditive Bereich vor allem deshalb interessant, weil man periphere physiologische Voraussetzungen der Aufmerksamkeit wie etwa die Augenbewegungen in diesbezüglichen Experimenten außer Acht lassen und sich auf die ‚mentale‘ Seite der Aufmerksamkeit konzentrieren kann. Das selektive Hören stellt insofern das erste Paradigma der Aufmerksamkeitsforschung dar. Prägend waren in diesem Kontext vor allem die Experimente von Colin Cherry und Broadbent zum dichotischen Hören (dichtotic listening), die nach dem Vorbild des cocktail-party Phänomens ausgerichtet waren. Die Cocktail-Party galt als ein alltägliches Beispiel für die menschliche Fähigkeit zur Selektion: In größeren Gesellschaften ist man demnach auch unter erhöhtem Geräuschpegel in der Lage, sich konzentriert mit einer einzelnen Person zu unterhalten und Nebengespräche und andere auditive Störfaktoren auszublenden. Bei den Experimenten zum dichotischen Hören wurden den Probanden auf jedem Ohr verschiedene Botschaften über einen Kopfhörer abgespielt. Diese sollten aber nur auf eine der Botschaften, z.B. diejenige, die auf dem rechten Kopfhörer abgespielt wurde, achten, während die andere ignoriert werden sollte. Die beteiligte Aufmerksamkeit wurde dann entweder in Form einer simultanen korrekten Wiedergabe der 2-19; E.A. Styles: The psychology of attention, 15; H.E. Pashler: The psychology of attention, 266, 277.

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gehörten Botschaft, dem sogenannten shadowing, und/oder anhand der nachträglichen Befragung zu ihrem Inhalt bewertet. Überraschenderweise konnten die Probanden über die zu ignorierende Botschaft anschließend keinerlei inhaltliche Angaben machen. Lediglich wenn das Geschlecht der Sprecher oder die Lautstärke sich in der zu ignorierenden Botschaft veränderte, wurde dies bemerkt. Broadbent ging infolgedessen davon aus, dass nur die Stimuli, die dem Selektionskriterium, in diesem Falle „Höre auf das rechte Ohr“, entsprachen, durch den Informationsfilter gelangen. Alle diesbezüglich ausgewählten Stimuli hatten somit Zugang zu einer tieferen, d.h. in diesem Falle semantischen, Verarbeitungsebene. Die Verarbeitung der auditiven Stimuli vor der Selektion findet nach Broadbent dagegen ohne Aufmerksamkeit statt und verläuft parallel, während die Informationsverarbeitung nach der Selektion einen seriellen Charakter aufweist. Eine weitergehende Analyse der Information in Bezug auf ihren semantischen Inhalt bzw. eine Identifikation kann aufgrund der seriellen Verarbeitung nur für wenige ausgesuchte Stimuli stattfinden.346 Die hier zugrundeliegenden Annahmen, aufmerksame Verarbeitung würde nur eine begrenzte Kapazität aufweisen und eine vollständige Analyse nach formalen wie inhaltlichen Kriterien könne allein seriell stattfinden, leitete Broadbent schon aus früheren Experimenten zur „gespaltenen Spanne“ (split span technique) ab.347 346 Vgl. E.C. Cherry: Some experiments on the recognition of speech, with one and with two ears. In: Journal of the Acoustical Society of America 23/1953, 975-979; D.E. Broadbent: Listening to one of two synchronous messages. In: Journal of Experimental Psychology 33/1952, 51-55; ders.: Perception and communication; E.A. Styles: The psychology of attention, 16f.; H.E. Pashler: The psychology of attention, 14f, 39f. 347 D.E. Broadbent: The role of auditory localization in attention and memory span. In: Journal of Experimental Psychology 47/1954, 191-196. Hier wurden gleichzeitig zwei verschiedene auditive Botschaften auf jedes Ohr über Kopfhörer eingespielt. Den Teilnehmern wurden sechs Zahlen präsentiert, die in je drei Zahlenpaare aufgeteilt waren, in denen die Zahlen aufeinander folgten. Die erste Zahl wurde jeweils auf dem rechten Kopfhörer, die zweite auf dem linken und die dritte aufeinanderfolgende Zahl wieder auf dem rechten Kopfhörer präsentiert. Nachdem die Teilnehmer alle sechs Zahlen vernommen hatten, wurden sie aufgefordert, so viele Zahlen wie möglich wiederzugeben. Wenn alle Zahlen korrekt wiedergegeben werden konnten, geschah dies interessanterweise nicht in der richtigen Reihenfolge der Zahlen: Zunächst wurden alle Zahlen genannt, die auf dem rechten Ohr eingespielt wurden und erst danach, diejenigen des linken Ohres. Die Wiedergabe der Zahlen findet zeitlich nacheinander bzw. räumlich getrennt, Ohr für Ohr statt. Dabei wird angenommen, dass die drei übrigen Zahlen solange in einem „sensorischen Zwischenspeicher“ verharren, bis der Kanal gewechselt wird.

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AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE

Unter dem Einfluss der formalen Informationstheorie versteht Broadbent die Aufnahme und Verarbeitung von sensuellen Stimuli analog zu den Übertragungskanälen der Telekommunikation. Da die Informationsübertragung im Nervensystem sich gleichermaßen wie die Telekommunikation als limitiert erwiesen hat, folgert Broadbent daraus, dass diese ebenfalls nur aus einem Kanal besteht. Deshalb muss ein Filter bzw. Schalter angenommen werden, der das System vor Überlastung schützt. Dieser Filter sorgt in Broadbents Aufmerksamkeitsmodell für die selektive Auswahl. Er entscheidet, welche Stimuli Zugang zu der begrenzten höheren Verarbeitungsstufe bekommen und welche nicht. Der Filter legt somit die Selektionskriterien fest und bestimmt, welcher Input vom Wahrnehmungssystem auf seine semantischen Eigenschaften hin analysiert wird. Im jeweiligen Experiment wird dieses Selektionskriterium vom Experimentator festgelegt, z.B. „Höre nur auf das rechte Ohr“. Als Selektionskriterium können aber nach Broadbents Ergebnissen nur sensuelle oder räumliche Eigenschaften, nicht aber semantische Kriterien, wie etwa „Höre auf einen bestimmten Inhalt“, fungieren. Er plädiert in der Folge für eine sogenannte frühe Selektion, die eintritt, bevor eine semantische Identifikation des sensorischen Materials stattgefunden hat. Weiterhin repräsentiert bei Broadbent die Art und Weise eines Hinweisreizes, den der Experimentator vorgibt, um eine Selektion zu erleichtern, in gleicher Weise die Ebene des jeweiligen Verarbeitungslevels; obwohl ein effektiver Hinweisreiz noch nichts über den Grad der Verarbeitung dessen aussagen muss, was selektiert wird.348 Die subpersonale Verarbeitung verläuft in dieser Hinsicht linear, von der Analyse der einfachen sensuellen hin zu den kategorialen und inhaltlichen Eigenschaften des präsentierten Inputs.349 348 Diese Kritik wurde zum ersten Mal 1981 von A.H.C. van der Heijden vorgebracht. Vgl. ders.: Short term visual information forgetting. London 1981; E.A. Styles, The psychology of attention, 20. 349 Die Frage, woher eine solche scheinbar objektive Unterscheidung zwischen sinnlichen und inhaltlichen Merkmalen kommt bzw. ob diese im Vorhinein angenommen werden darf, sei zunächst einmal beiseite gestellt. Unabhängig davon ist es jedoch nicht einsichtig, warum die Tatsache, dass eine räumliche Trennung der Botschaften oder der Tonhöhen sich besser als Selektionskriterium eignet als die Angabe eines bestimmten inhaltlichen Kriteriums, Aufschluss darüber geben soll, ob diese Aspekte in der Verarbeitungshierarchie an einer früheren Stelle stehen. Letzteres könnte u.a. auch daran liegen, dass eine Orts- und Tonunterscheidung im Vergleich zu der Suche nach einem noch unbekannten inhaltlichen Kriterium innerhalb der beiden Botschaften viel weniger Zeit in Anspruch nimmt, etwa weil es hier weniger Alternativen gibt. Der in diesem Sinne bessere Hinweisreiz – wie etwa ‚Höre auf die Frauenstimme‘ – könnte ebenfalls unmittelbar inhaltlich

DIE BEGRENZTE AUFMERKSAMKEIT: SELEKTION UND VERTEILUNG

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Ein solches Kanal-Selektions-Modell definiert Aufmerksamkeit insofern als eine spezifische serielle Form der Informationsverarbeitung, die mit Hilfe eines Filters ausgewählte Stimuli in ihren diskreten Informationskanal einlässt. Die Analyse von semantischer Bedeutung ist nur mit Aufmerksamkeit möglich, d.h. ohne eine explizite Zuwendung zu einem Objekt bzw. einem räumlichen Bereich findet keine inhaltliche Analyse des Inputs statt. Wahrnehmung als Informationsverarbeitung ist somit in zwei durch einen Selektionsfilter getrennte Funktionen aufgeteilt. Zunächst ist sie als parallele Verarbeitung rein sensueller Eigenschaften wie Töne, Geräusche, räumliche Position etc. gekennzeichnet. Nach dem Filterungsprozess findet dann eine serielle Verarbeitung der semantischen Eigenschaften statt. Damit geht gleichzeitig die Annahme einher, dass die vor-selektive Wahrnehmung unbewusst verläuft und die aufmerksame Wahrnehmung durch explizites Bewusstsein charakterisiert ist.350 Abschließend muss noch festgehalten werden, dass die oben dargestellte Aufmerksamkeitstheorie auf Experimenten beruht, die sich auf eine Sinnesmodalität beschränken. Dies entspricht weder den Arbeitsbedingungen der Piloten im zweiten Weltkrieg, die gerade durch das Zusammenspiel von auditiven, taktilen und visuellen Sinneseindrücken charakterisiert sind, noch den komplexen Wahrnehmungssituationen des alltäglichen Lebens. Gegen diese Komplexität stellt Broadbent ein Aufmerksamkeitsmodell, dessen großer Einfluss, wie auch seine Schwäche, sich aus seiner Einfachheit erklären. Es beinhaltet folgende Annahmen, die fortan in verschiedenster Weise zwar Anlass zur Kritik in der Aufmerksamkeitsforschung bieten, aber dennoch in vielen neueren Ansätzen weiterhin in ihrem Grundgerüst bestehen bleiben:351

mit all seinen Konnotationen verarbeitet und verstanden sein. Allein der Umstand dieser Experimente setzt bereits ein inhaltliches Verständnis voraus, denn sonst könnte ein sprachlicher Hinweisreiz wohl kaum als solcher genutzt werden. 350 Diese Überlegungen stehen in einer engen Verbindung mit kognitiven Untersuchungen zum Gedächtnis, da man davon ausgeht, dass nur die selektierten Stimuli im Kurz- oder Langzeitgedächtnis gespeichert werden können. Unabhängig davon gibt es laut Broadbent einen sensorischen Puffer, in dem jeder sensuelle Input automatisch für wenige Sekunden aufbewahrt wird. Vgl. G. A. Sperling: The information available in brief visual presentation. In: Psychological Monographs: General and Applied 74/1960, 1-29. Die auditive Aufmerksamkeit in dichotic listening Experimenten und ihren Einfluss auf das Gedächtnis untersuchte U. Neisser. Er unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen einem ikonischen und echoischen Gedächtnis. Vgl. U. Neisser: Cognitive psychology. 351 Vgl. hierzu auch die Analyse von Mole: C. A. Mole: Attention.

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AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE

1.) Die perzeptuelle Informationsverarbeitung weist die Form eines Flaschenhalses auf und verläuft linear. 2.) Aufmerksamkeit wird als ein singulärer und einheitlicher Mechanismus verstanden und hat in Form eines selektiven Filters einen festen Platz in der Verarbeitungshierarchie. Daraus ergibt sich in der weiteren Forschung die Frage, wo sich der Ort dieser Begrenzung oder des Übergangs von einer parallelen in eine serielle Verarbeitung befindet. Dies führt zu Argumentationen in Bezug auf eine frühe oder späte Selektion352 (early vs. late debate). 3.) In gleichem Maße wird die enge Verbindung bzw. die Gleichsetzung von Aufmerksamkeit und Bewusstsein postuliert.

3.2 Der Durchbruch des Unbemerkten: Frühe oder späte Selektion? a) Auditive Aufmerksamkeit Ein bekanntes Gegenbeispiel der strikten Filtertheorie entspringt dem schon genannten Cocktail-Party Szenario, der sogenannte cocktail-partyeffect: Er bezeichnet ein vertrautes alltägliches Phänomen: Obwohl man gerade sehr tief in ein Gespräch vertieft ist, das sich inmitten einer lauten Geräuschkulisse abspielt, wird man plötzlich aufmerksam, wenn der eigene Name in einem Nebengespräch fällt.353 Dieses Phänomen zeigt, dass die semantische Relevanz einer Information für das betreffende Subjekt darauf Einfluss hat, ob es bemerkt wird oder nicht. Die relevanten Stimuli können daher regelrecht durch den Filter rutschen. Aus phänomenologischer Perspektive würde dies für eine qualitative Abstufung der Bewusstseinsgrade sprechen, da ein solcher Wechsel der Aufmerksamkeit nur eine Motivationsgrundlage findet, wenn das vorher nicht ‚bewusst‘ wahrgenommene Nebengespräch in irgendeiner Form doch gegeben, d.h. in einer anderen Qualität bewusstseinsmäßig präsent ist. Wenn es dagegen in gar keiner

352 Da es einige Hinweise darauf gibt, dass eine Selektion erst nach einer – zumindest teilweisen – semantischen Verarbeitung stattfindet, argumentieren etwa J. Deutsch und D. Deutsch für eine späte Selektion. Vgl. J.A. Deutsch/D. Deutsch: Attention, some theoretical considerations. In: Psychological Review 70/1963, 8090. 353 Vgl. N.P. Moray: Attention in dichotic listening: affective cues and the influence of instructions. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 11/1959, 56-60.

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Form bewusst wäre, d.h. vollständig selektiert würde, wäre dieser Umstand nicht ohne weiteres zu erklären. Dies spricht auch gegen eine strikte Theorie der frühen Selektion, die davon ausgeht, dass die Daten auf dieser Ebene rein sensuell und nicht semantisch verarbeitet würden. Weitere Beispiele für einen „breakthrough of the unattended“354 lieferte Anne Treisman, eine Schülerin von Broadbent, in ihren Experimenten zum dichotischen Hören.355 Hierbei mussten die Teilnehmer wie schon bei Broadbents Versuchen eine der beiden präsentierten Geschichten simultan mitsprechen und parallel dazu die Botschaft auf dem anderen Ohr ignorieren. Treisman wechselte aber zudem die jeweiligen Botschaften während des Experimentes aus, sodass die bisher mitgesprochene Geschichte 1 nun auf dem nicht aufgemerkten Ohr (unattended ear) abgespielt wurde und damit die bis dahin präsentierte Geschichte 2 ersetzte. Gleichzeitig wurde auf dem mit Aufmerksamkeit bedachten Ohr (attended ear) eine neue Geschichte 3 abgespielt. Nach Broadbents Theorie dürfte dies den Nachsprech-Vorgang in keinster Weise beinträchtigen, da der Filter lediglich auf einem sensuellen, d.h. räumlichen, Selektionskriterium beruht, das in diesem Beispiel dasselbe bleibt. Gleichzeitig dürften keine inhaltlichen Aspekte der ignorierten Information für den Probanden zugänglich sein. Nach dem Wechsel sollte der Nachsprech-Vorgang daher eigentlich ohne Unterbrechung fortgesetzt werden können. Im Gegensatz dazu zeigte Treismans Versuch, dass sich während des Wechsels der Botschaften die Aufmerksamkeit der Teilnehmer zunächst noch auf den Inhalt der vormals explizit gehörten Geschichte heftet, obwohl diese nun auf dem nicht zu beachtenden anderen Ohr präsentiert wird. So werden zunächst einige Worte der alten Geschichte 1 nachgesprochen, bevor das Nachsprechen auf dem selektierten Kanal mit der neuen Geschichte 3 fortgesetzt wird. Des Weiteren stellte Treisman fest, dass die Art und Weise des Inhalts der unattended message einen Einfluss auf die Leistung der Wiedergabe der attended message aufweist. So ist die korrekte Wiedergabe eines Romantextes weitaus schwieriger, wenn die zu ignorierende Botschaft ebenfalls ein literarischer Text ist. Wenn dagegen auf dem anderen Ohr biochemische Formeln präsentiert werden, erscheint die Selektion leichter.356 Wichtig ist

354 E.A. Styles: The psychology of attention, 23. 355 A.M. Treisman: Contextual cues in selective listening. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 12/1960, 242-248. 356 Vgl. A.M Treisman: Verbal cues, language and meaning in selective attention. In: American Journal of Psychology 77/1964, 206-219; dies.: Effect of irrelevant ma-

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dabei ebenfalls, ob die Sprache der jeweiligen unattended message dem Teilnehmer bekannt ist oder nicht. Solche Versuche zeigten, dass der Inhalt, der nach Broadbent eigentlich weder verarbeitet noch bewusst sein sollte, maßgeblichen Einfluss auf die gegenwärtige Aufmerksamkeitsleistung haben kann. Dies gilt nach Treisman insbesondere für den Fall, in dem eine inhaltliche bzw. für den Teilnehmer relevante Verbindung zwischen dem besteht, was gerade aufmerksam wahrgenommen wird und dem, was in dem unbemerkten Kanal ‚abläuft‘. Dieser sogenannte Priming-Effekt zeigt, dass der Faktor der subjektiven Relevanz eine zentrale Rolle dafür spielt, ob eine Selektion effektiv ist. Zudem zeigt es, welchen Einfluss nicht direkt aufgemerkte Stimuli auf die aktuelle Wahrnehmung ausüben. In ähnlicher Weise wird dies auch in einer Wiederaufnahme des splitspan Experimentes von Broadbent von 1960 deutlich.357 Hierbei wurden sowohl Zahlen- als auch verschiedene Wortpaare getrennt auf beiden Ohren präsentiert. Den Probanden wurden auf dem rechten Ohr die Begriffe „mice“, „one“ und „cheese“ vorgespielt, während auf dem linken Ohr gleichzeitig die Begriffe „four“, „eat“ und „two“ zu hören waren. Bei diesem Versuch zur geteilten Aufmerksamkeit sollten im Gegensatz zu den oben genannten Filter-Aufgaben alle Begriffe identifiziert und genannt werden. Im Gegensatz zu dem ursprünglichen Experiment berichteten die Teilnehmer nun nicht zuerst die Begriffe des einen und erst danach die Begriffe des anderen Ohres, was bei Broadbent als Evidenz für eine serielle Verarbeitung interpretiert wurde, sondern sie gruppierten die Begriffe nach ihrer Bedeutung und berichteten diese in der sinnvollen Reihenfolge: „mice“, „eat“, „cheese“ und „four“, „one“, „two“. Diese Ergebnisse legen den Schluss einer späten Selektion358 nahe, da die Begrenzung hier nicht auf der Verarbeitungs- bzw. Identifikationsebene stattzufinden scheint, sondern erst auf der Verhaltens- oder Reaktionsebene. Dabei werden alle Inputs in gleicher Weise sensuell und semantisch verarbeitet, nur dass wir eben nicht auf alle diese Stimuli gleichzeitig reagieren können. Selektion erfolgt in dieser Hinsicht nicht auf der Basis physischer Merkmale, sondern gründet sich auf semantische Eigenschaften. Hierbei beginnt die „kapazitätsbegrenzte selektive Verarbeitung“ erst

terial on the efficiency of selective listening. In: American Journal of Psychology 77/1964, 533-546. 357 J.A. Gray/A.A. Wedderburn: Grouping strategies with simultaneous stimuli. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 12/1960, 180-184. 358 Vgl. J.A. Deutsch/D. Deutsch: Attention, some theoretical considerations.

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beim „Eingang der Informationen ins Bewusstsein, ins Gedächtnis oder in Output-Prozesse“.359 Wenn aber inhaltliche Merkmale genau wie physische parallel, und das heißt innerhalb der Begrenzungs-Selektions-Logik, ohne Aufmerksamkeit verarbeitet werden, muss in der Folge davon ausgegangen werden, dass entweder bei den Probanden keine Aufmerksamkeit bzw. kein Bewusstsein während des Versuches vorhanden war, oder es muss die Möglichkeit einer Verteilung der Aufmerksamkeitskapazität in Betracht gezogen werden. Experimente zur geteilten visuellen oder auditiven Aufmerksamkeit (divided attention) sowie zur simultanen Ausführung von mehreren Aufgaben (dual-tasks)360, stellen insofern eine der größten Herausforderung für die Filtertheorien dar. Aus den Ergebnissen der oben dargestellten Experimente bleibt festzuhalten, dass zumindest inhaltlich verbundene Begriffe auch zusammen aufgefasst werden können. Dabei könnte das Merkmal der Einfachheit und Bekanntheit dieser Konzepte wie z.B. „Maus“ in Verbindung mit „Käse“ eine Rolle spielen, weil es sich um gängige gesellschaftliche Assoziationen in unserer westlichen Kultur handelt. Begriffe, deren Sinn und Zusammenhang die Teilnehmer nicht kennen, würden nach dieser Vermutung nicht zusammen aufgefasst und berichtet – genauso wenig wie Zahlen, die keine bekannten Konnotationen für die Probanden beinhalten. In diesem Falle würde man auf eine lokale Klassifizierung, d.h. erst auf Inhalte des ‚rechten Ohres‘ und dann auf die des ‚linken Ohres‘ zurückgreifen, weil dies die Wiedergabe erleichtert. Hierbei müssten aber verschiedene Ebenen der möglichen Begrenzungen unterschieden werden. Die verbale Wiedergabe eines auditiven Stimulus der Probanden kann z.B. nicht ohne Weiteres mit der visuellen Verarbeitung gleichgesetzt werden, insofern es sich nicht um direkte Wahrnehmung, sondern eher um eine nachträgliche Leistung der Erinnerung der kurz vorher gehörten Wörter handelt. Des Weiteren klafft zwischen der Wahrnehmung des Präsentierten und dem verbalen Bericht darüber eine zeitliche und methodische Lücke. Eine gemessene Begrenzung kann auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sein: in der Wahrnehmung selbst, in der Verhaltensreaktion, im 359 Vgl. F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit. In: K. Schweizer (Hg.): Leistung und Leistungsdiagnostik. Heidelberg 2006, 16-33, hier: 19. Selektion findet demzufolge nach der Identifikation des Inputs statt und soll dazu dienen, die gegenwärtig wichtigsten Informationen auszuwählen. 360 Vgl. D.A. Allport/B. Antonis/P. Reynolds: On the division of attention: a disproof of the single channel hypothesis. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 24/1972, 25-35.

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Bereich der Wiedererinnerung an vormals wahrgenommene Stimuli oder in der Tatsache, dass es eine gewisse Zeit braucht, um eine bestimmte Reaktion zu vollziehen, d.h. zu ‚entscheiden‘, welche Worte in welcher Reihenfolge wiedergegeben werden. Eine Theorie der späten Selektion, die die Begrenzung auf der Reaktionsebene bzw. Verhaltensebene ansetzt, ist hierbei im Gegensatz zu der frühen Selektion mit dem Problem konfrontiert, verständlich zu machen, warum überhaupt eine Selektion bei gleichzeitigem Fehlen einer Verarbeitungsbegrenzung stattfindet. Wenn Selektion im Sinne dieses Ansatzes als eine Art spezieller Mechanismus verstanden wird, der die jeweils relevanten Informationen auswählt, macht dies nur im Kontext einer spezifischen Handlungsorientierung Sinn, die die Motivationsgrundlage für die jeweiligen Selektionskriterien bildet. Problematisch scheint zudem, dass der Ansatz der späten Selektion auf die Frage, warum wir manches in klarer Weise und anderes zugleich weniger klar oder gar nicht wahrnehmen, keine Antwort liefern kann.361 Treisman schlägt in den späten 1960er Jahren im Rahmen der oben skizzierten Debatte um frühe oder späte Selektion eine erste Lösung vor. Sie argumentiert, dass ‚ignorierte‘ Botschaften lediglich abgeschwächt, aber nicht komplett ‚abgeblockt‘ werden müssen. Sie spricht sich an dieser Stelle für eine modifizierte Form der frühen Selektion im Gegensatz zu einer späten Selektion aus, weil nicht alle, sondern nur vereinzelte Informationen aus dem nicht beachteten Kanal ins Bewusstsein dringen. Die Annahme eines Filters bleibt somit bestehen, wobei dieser nicht länger nach der Maxime des ‚Alles-oder-Nichts‘ funktioniert. Wenn die einkommenden

361 Wenn in diesem Sinne alles, was sich momentan im perzeptuellen Feld befindet, in gleicher Weise bis hin zu seinem semantischen Gehalt verarbeitet wird, folgt daraus entweder, dass dies auch in gleicher Weise bewusst wahrgenommen wird, oder dass nur die selektierten Informationen explizit bewusst sind und Eingang ins Gedächtnis finden, während die anderen keinen nennenswerten Einfluss auf das Subjekt ausüben. Im ersten Fall ist es schwierig, die Gradualitäten des Bewusstseins – und zugleich des im Bewusstsein Gegebenen – verständlich zu machen, da er keinerlei Differenzierungen erlaubt, wie etwa zwischen Fokus und Kontext, aktuell Aufgemerktem und nur nebenbei Bemerkten oder zwischen der Detailwahrnehmung und einem flüchtigen Gesamteindruck der Umwelt. Im zweiten Falle würde das, was überhaupt Zugang zum expliziten Bewusstsein hat, dermaßen eingegrenzt, dass nicht ersichtlich wäre, wie ein Aufmerksamkeitswechsel motiviert sein kann, wenn doch alle nicht-selektierten sinnlichen Komponenten und damit der Kontext des Wahrgenommenen völlig unbewusst sein sollen. Siehe hierzu die Erläuterungen in Teil III dieser Untersuchung über Bewusstsein und Aufmerksamkeit.

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Stimuli in diesem Sinne nicht völlig abgewehrt werden, dann können nach Treisman partielle Informationen, die mit gegenwärtigen Erwartungen übereinstimmen, wie etwa im Falle der Kontinuität einer Geschichte oder der persönlichen Relevanz des Präsentierten, trotzdem ins Bewusstsein dringen. Für die Beibehaltung der Annahme einer frühen Selektion sprechen nach Treisman einerseits die zahlreichen experimentellen Evidenzen in Bezug auf eine Begrenzung der Wahrnehmungsverarbeitung und andererseits die unterschiedliche Verarbeitung von aufgemerkten und nichtaufgemerkten Stimuli. Die unbewusste bzw. unaufmerksame Verarbeitung inhaltlicher Aspekte ist dagegen nach Treisman nur unter ganz bestimmten Umständen zu beobachten, in denen die Kriterien der Relevanz eine inhaltliche Verbindung beider Ebenen ermöglichen, wie z.B. im Falle des Hörens des eigenen Namens.362 Leider lässt sich auch mit diesem Modell nicht klären, wie sich gewisse Selektionskriterien und Relevanzen außerhalb eines fixierten experimentellen Kontextes ausbilden. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie der in einer frühen Verarbeitungsphase angesetzte Filter, der also nur Zugriff auf sensuelle bzw. physiologische Merkmale des Inputs hat, darüber entscheiden kann, welche Informationen gedämpft werden und welche nicht gedämpft werden, d.h. welche jeweils relevant sind.363 362 Diese Umstände bezeichnet Treisman als threshold. So haben verschiedene Wörter für die betreffende Person aufgrund ihrer Salienz oder Bedeutung eine niedrige Aufmerksamkeitsgrenze. Der von Treisman postulierte attentuator hat nun den Effekt, den perzeptuellen Input des unaufgemerkten Kanals zu reduzieren, damit nur diejenigen Informationen durchdringen, deren threshold besonders niedrig ist. Diese Wörter sind nach Treisman in einer Art Lexikoneinheit im Nervensystem vorhanden, das bei dem entsprechenden Input aktiviert wird. Vgl. A.M. Treisman: Strategies and models of selective attention. In: Psychological Review 76/1969, 282-299. 363 Dies kritisieren auch F. Goldhammer und H. Moosbrugger. Vgl. F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 18. Im Anschluss an die Untersuchungen von Treisman nahm auch Broadbent selbst einige Modifikationen und Erweiterungen seines Filtermodells vor. Er orientierte sich dabei nicht mehr in erster Linie an der Kommunikationstheorie, sondern an statistischen Unterscheidungstheorien und integrierte das Konzept der statistischen Unsicherheit in sein Filtermodell. Broadbent stattet sein Aufmerksamkeitsmodell diesbezüglich mit einem zusätzlichen kategorialen Selektionsmechanismus aus, der basierend auf vorangegangenen Erfahrungen und Wissen besondere kategoriale Präferenzen generiert. Der mechanisch funktionierende Filter wird durch eine interne Entscheidungsinstanz erweitert, der den jeweiligen Verhaltensoutput des begrenzten Kanals regelt. Dieser sogenannte category state muss auswählen, welche äußeren Zustände als wahrscheinlich gelten können und auf welche Stimuli im Einzelnen

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Einen neueren und bis heute einflussreichen Lösungsansatz zur Frage nach früher und später Selektion bietet Nilli Lavie an. Ihre attentionalload-theory steht im Kontext der im nächsten Punkt behandelten Kapazitäts- und Ressourcenansätze. Der Grad der jeweils involvierten Ressource Aufmerksamkeit hängt in ihrem Modell von der jeweiligen Beanspruchung der auszuübenden Tätigkeit ab. Dabei unterscheidet Lavie verschiedene Formen der Auslastung von Aufmerksamkeit. Wenn etwa in einer visuellen Suchaufgabe viele Stimuli auf einem Display präsentiert werden, geht man in diesem Zusammenhang von einer hohen perzeptuellen Auslastung (perceptual load) aus.364 Je höher die perzeptuelle Beanspruchung ausfällt, desto weniger kommt es zu Interferenzen von unerwünschten Informationen. Anders verhält es sich mit der Gedächtnisauslastung (memory load): In diesem Falle kann es während einer visuellen Suchaufgabe, in der zusätzlich eine vorher präsentierte Wörterliste im Gedächtnis behalten werden muss (die nach dem Experiment abgefragt wird), zu einer höheren hemmenden Beeinflussung durch sogenannte Distraktoren auf dem Bildschirm kommen. Der Ort der Selektion wird innerhalb dieser Theorie nicht mehr im Sinne einer bestimmten Architektur unseres Verarbeitungssystems ein für allemal festgelegt, sondern hängt vielmehr von der jeweiligen Beanspruchung der Tätigkeiten ab. Diesen Aspekt der Aufgabenspezifizität teilt Lavie mit den Modellen, die Aufmerksamkeit als spezifische Kapazität verstehen. Wie Christopher Mole herausarbeitet, wendet sie sich damit gegen Broadbents These der Einheitlichkeit (uniqueness) der Aufmerksamkeit, d.h. gegen die Auffassung der Selektion als einheitlicher Funktion, die

reagiert werden soll. Vgl. D.E. Broadbent: Decision and stress. London 1971; ders.: Task combination and selective intake of information. In: Acta Psychologia 50/1982, 253-290. Siehe ebenfalls: E.A. Styles: The psychology of attention, 37f. 364 Als Steigerung der perzeptuellen Auslastung (perceptual load) gilt in den jeweiligen experimentellen Aufgaben entweder die Erhöhung der Anzahl der verwendeten Objekte mit unterschiedlicher Identität, oder bei Beibehaltung derselben Anzahl von Objekten, eine höhere Beanspruchung der Aufmerksamkeit. Während die perzeptuelle Auslastung zu einem geringeren Einfluss von Distraktoren führte, konnte Lavie nachweisen, dass eine Beanspruchung des Arbeitsgedächtnisses eine gegenteilige Auswirkung auf die Aufmerksamkeitsleistung hatte. Vgl. N. Lavie: Perceptual load as a necessary condition for selective attention. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 21/1995, 451-468; N. Lavie/Y. Tsal: Perceptual load as a major determinant of the locus of selection in visual attention. In: Perception and Psychophysics 56/1994, 183-197; N. Lavie: Distracted and confused: selective attention under load. In: Trends in Cognitive Sciences 9/2005, 75-82.

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einen stabilen Ort aufweist.365 Gleichzeitig orientiert sich Lavie aber weiterhin an den Grundprinzipien der klassischen Selektionstheorien. In gleicher Weise wie Broadbent weicht sie trotz einiger Erweiterungen nicht von der Annahme der Linearität der menschlichen Informationsverarbeitung ab: Das Nervensystem wird mit einigen Ausnahmen immer noch als serieller Prozessor mit begrenzter Kapazität definiert, in dem einige Prozesse logisch früher angeordnet sind als andere. b) Visuelle Aufmerksamkeit Während die Aufmerksamkeitsforschung der 1950er Jahre hauptsächlich von Broadbents Filterexperimenten bestimmt war, wurden zeitgleich bereits einzelne Versuche zur Selektivität im visuellen Bereich, etwa von dem Psychologen George Sperling, durchgeführt. Im Gegensatz zu auditiven Informationen, die durch verschiedene Frequenzen und ihre zeitliche Ausdehnung charakterisiert sind, steht bei visuellen Informationen ihre räumliche Ausdehnung im Zentrum. In visuellen Experimenten können viele Stimuli gleichzeitig auf einem Display präsentiert werden – ein Umstand, der völlig andere Formen der Untersuchung als ihm Falle der bisherigen Experimente zum dichotischen Hören erlaubt. Hierbei kann Aufmerksamkeit nicht mehr nur in Bezug auf eine adäquate Wiedergabe der präsentierten Informationen beurteilt werden, sondern es ist sowohl die Möglichkeit gegeben, zu kontrollieren, wie lange man einen Stimulus präsentiert, als auch die physische und semantische Relation zwischen einem Zielobjekt und den sogenannten Distraktoren je nach Experiment zu variieren. Frühe Experimente in diesem Bereich, wie die von Sperling, wurden mit einem Tachistoskop ausgeführt. Dieses wurde 1880 erfunden und bereits von Edward Titchener und Wilhelm Wundt benutzt. Ein Tachistoskop ist eine lichtundurchlässige Box mit einer Tafel bzw. einem Display darin, auf dem verschiedene visuelle Stimuli wie Buchstaben, Wörter oder Zahlen präsentiert werden. Der jeweilige Proband muss im Experiment durch eine Öffnung der Box schauen und bekommt den ausgesuchten Input erst dann zu sehen, wenn der Experimentator das Licht anschaltet.366 Sperling fand bei einem solchen Experiment Folgendes heraus: Teil365 Vgl. C. Mole: Attention, 500-502. 366 Das An- und Abschalten des Lichtes kann in der modernen Version der 1960er Jahre dank spezieller Lichtquellen bis auf einige Millisekunden genau kontrolliert werden. Das Tachistoskop enthält darüber hinaus verschiedene Sehfelder. Eines beinhaltet den Fixationspunkt, auf den der Blick des Teilnehmers zur Vorbereitung auf den Versuch gerichtet ist, ein zweites stellt das eigentliche display dar.

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nehmer, denen für 50msek zwölf Buchstaben in drei Reihen auf einem Bildschirm vorgeführt wurden, konnten danach nur über etwa vier oder fünf davon berichten, obwohl sie angaben, das ganze Display auch noch kurze Zeit nach der Abschaltung des Lichts präsent gehabt zu haben. Diese Ergebnisse ließen darauf schließen, dass zwar alle Buchstaben zunächst in einem visuellen Kurzeitspeicher repräsentiert werden, aber in Bezug auf die Wiedergabe der Daten eine Begrenzung festzustellen ist.367 In weiteren Experimenten zeigte sich, dass dieses Wiedergabeproblem sich veränderte, wenn man den Teilnehmern sofort nach der Präsentation der zwölf Buchstaben einen Selektionshinweis darauf gab, welche Informationen sie wiedergeben sollten. Ein Ton indizierte dabei, über welche Buchstabenreihe sie berichten sollten. Unter diesen Umständen konnten die Probanden alle Komponenten der entsprechenden Reihe problemlos wiedergeben. Da die Versuchspersonen vor Beginn des Experimentes nicht wussten, auf welche Reihe sie besonders achten sollten, ging man nach diesen Resultaten davon aus, dass sie alle zwölf Bestandteile des Bildschirmes wahrgenommen, d.h. verarbeitet haben mussten. Der positive Effekt verschwand allerdings, wenn der Hinweisreiz (cue) 500msek nach Ausschaltung des Bildschirmes präsentiert wurde. Dies schien demnach die Spanne zu sein, innerhalb derer das ikonische Gedächtnis seine Inhalte aufbewahrt. Den Vorteil, den dieses Hinweisreizverfahren (cueing) erbrachte, nannte Sperling den partial report superiority effect. In gleicher Weise wie Broadbent ging er davon aus, dass ein entsprechender Hinweis die Aufmerksamkeit lenkt und auf diesem Wege den entsprechenden Daten dazu verhilft, in eine höhere Verarbeitungsstufe überzugehen. Als Selektionskriterium wird an dieser Stelle ebenfalls ein physisches Merkmal gewählt, das auf den Ort der aufzumerkenden Informationen hinweist bzw. die Wiedergabealternativen eingrenzt. Das dritte Feld kann benutzt werden, um die eigentliche Präsentation durch eine sogenannte Maske (mask) zu unterbrechen oder den Einfluss eines Probestimulus auf die spätere gemessene Aufmerksamkeitsleistung zu untersuchen. Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 27f. 367 Sperling nahm deshalb ein visuelles Kurzzeitgedächtnis an, dessen Inhalt nach einer kurzen Zeit verschwindet, wenn es nicht durch explizite Aufmerksamkeitszuwendung in einen permanenten Zustand transformiert wird. Vgl. G. Sperling: The Information available in brief visual presentations. Dieser Kurzspeicher wurde von U. Neisser analog zu Broadbents sensorischem Speicher als ikonisches Gedächtnis bezeichnet (vgl. U. Neisser: Cognitive psychology.). Die betreffenden Experimente fallen in die Kategorie der Filterexperimente und werden als sogenannte partial report Studien bezeichnet. Vgl. H.E. Pashler: The psychology of attention, 29, 54.

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Anschließende Versuche, die anstatt eines Tones, andere einfache sensuelle Merkmale als Hinweisreize wie Farben, Formen etc. benutzten, bestätigten Broadbents Annahme, dass physische Selektionskriterien bei Filterexperimenten effektiv sind.368 Da sie auf einen bestimmten Ort oder eine Reihe innerhalb des Bildschirmes hinwiesen, nahm man an, dass die räumliche Position bereits vor der Selektion verarbeitet wurde. Kategoriale Unterscheidungen in Zahlen oder Buchstaben eigneten sich dagegen nicht als Selektionskriterium: Sie wiesen keinen partial report Vorteil auf. Eine zentrale Hypothese solcher frühen Studien zur visuellen Aufmerksamkeit war infolgedessen, dass Selektion vor-kategorial stattfindet, d.h. die Zugehörigkeit zu einer Kategorie nicht im ikonischen Gedächtnis repräsentiert wird. Diese Annahme konnte jedoch weitgehend durch entsprechende Studien wiederlegt werden. So änderten sich die Ergebnisse schlagartig, wenn in demselben experimentellen Design, das oben beschrieben wurde, keine willkürlichen Buchstaben, sondern wortähnliche Strukturen benutzt wurden. Der Psychologe Douglas Mewhort präsentierte seinen Probanden etwa zwei Buchstabenreihen und indizierte mit einem Hinweisreiz nach Ausschaltung des Bildschirmes, über welche Reihe sie Auskunft zu geben hatten. Die nicht zu berichtende (uncued) Reihe bestand einmal aus willkürlich zusammengewürfelten Wörtern wie YRULPZOC und einmal aus einem Buchstabengebilde, das im Englischen eher einem sinnvollen Wort gleicht, wie VERNALIT. Bei der Wiedergabe der ausgewählten Buchstabenreihe konnten infolgedessen bessere Ergebnisse erzielt werden, wenn die anderen Reihen lediglich unzusammenhängende Buchstaben enthielten. Stellte die zu ignorierende Reihe hingegen ein wortähnliches und sinnvolles Gebilde dar, verhielt es sich anders und die Wiedergabeleistung der Teilnehmer wurde beeinträchtigt. Mewhort schloss daraus, dass die Probanden die nicht selektierte Reihe vollständig, d.h. auch semantisch verarbeitet haben mussten, damit die Art und Weise der nicht ausgewählten Reihe Einfluss auf die bewusste Aufmerksamkeitsleistung ausüben konnte.369

368 Vgl. A.O. Dick: Relations between the sensory register and short-term storage in tachistoscopic recognition. In: Journal of Experimental Psychology 82/1969, 279284; J.M. von Wright: Selection in visual immediate memory. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 20/1969, 62-68; M.T. Turvey/S. Kravetz: Retrieval for iconic memory with shape as the selection criterion. In: Perception and Psychophysics 8/1970, 171-172. 369 Vgl. D.J.K. Mewhort: Familiarity of letter sequences, response uncertainty and the tachistoscopic recognition experiment. In: Canadian Journal of Psychology 2/1967, 309-321.

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Ebenso wie in den auditiven Experimenten der Filtertheorie wird hier deutlich, dass Stimuli mit einem für den Teilnehmer bekannten semantischen Gehalt den Verlauf der restlichen Wahrnehmung unmittelbar beeinflussen können. Auch hier spielt insofern der Faktor der subjektiven oder kulturellen Relevanz in Bezug auf die Aufmerksamkeitsleistung eine zentrale Rolle. Es konnte somit nicht weiter angenommen werden, dass das ikonische Gedächtnis ein rein visueller Speicher ist, der nur einfache Merkmale wie Farbe, räumliche Position oder Form beinhaltet.370 Im auditiven wie im visuellen Bereich stellt sich die Problemlage demzufolge in analoger Weise dar: Es gibt eine Vielzahl experimenteller Bestätigungen für die Tatsache, dass der semantische Gehalt von nicht explizit aufgemerkten Objekten die ‚Verarbeitung‘, d.h. die beobachtete oder gemessene Reaktionsleistung der Probanden, beeinflusst. Gleichzeitig gelten semantische Unterscheidungen als Hinweisreiz in diesbezüglichen Experimenten nicht als effektiv.371 In der hauptsächlich auf den visuellen Bereich konzentrierten Aufmerksamkeitsforschung der 1970er und 1980er Jahre kreist die Debatte ebenfalls um den vermeintlich vorkategorialen Status der Selektion, der physische Merkmale in der Verarbeitungshierarchie vor semantischen Eigenschaften verortet. Im Gegensatz zu den frühen selektiven Studien im visuellen Bereich wird nun nicht mehr die anzugebende Buchstabenreihe nach der Präsentation bekanntgegeben, sondern der Ort oder die Identität des Zielobjektes und die Art der Reaktion darauf vorher festgelegt. Eine solche Vorgehensweise bezeichnet man als selective set Experiment, da sich die Teilnehmer bereits auf einen speziellen räumlichen Bereich oder eine Kategorie einstellen können. Anstatt nachträglich eine bestimmte Buchstabenreihe aus mehreren zu rekapitulieren, muss hier nur ein Zielobjekt unter wenigen anderen Objekten entdeckt werden. Zahlreiche Experimente dieser Art orientieren sich an der Frage, ob (und wenn ja, wann) ignorierte Stimuli wie etwa visuelle Distraktoren, 370 Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 31. 371 Dies hängt aber insbesondere davon ab, nach welchem Maßstab die Effektivität in dem entsprechenden Experiment gemessen wird. So wirkt ein physischer Hinweisreiz nur bis zu 500msek nach Ausschaltung des Bildschirmes. Ein kategorialer Hinweisreiz (Zahlen oder Buchstaben) hingegen ist länger wirksam, obwohl er unter gleichen Umständen weniger effektiv genannt werden kann. Einen Unterschied macht ebenfalls, ob nur die Identität der Objekte oder auch ihre räumliche Position genannt werden soll, sowie, ob es sich nur um einen bestimmten Teil des Bildschirmes (partial report) oder alle Inhalte des Präsentierten (whole report) handelt. Außerdem muss, wie oben bereits erläutert, kein direkter Zusammenhang zwischen der Effektivität eines Hinweisreizes und seiner Verarbeitungsstufe bestehen.

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wahrgenommen bzw. verarbeitet werden. Dabei konnte in vielen Fällen gezeigt werden, dass keine generelle Begrenzung vorliegt, die sich in einem „Alles-oder-nichts-Filter“ manifestiert. Der Einfluss, den die zu ignorierenden Stimuli auf die Aufmerksamkeitsleistung ausüben, wird insofern von vielen Faktoren bestimmt, wie z.B. der motorischen Kompatibilität der geforderten Verhaltensantwort, der semantischen Relevanz372 oder der physischen Ähnlichkeit von Zielobjekt und Distraktoren373.

372 In einem Experiment zur selektiven visuellen Wahrnehmung wurde getestet, welchen Einfluss die Relation von dem jeweiligen Zielobjekt und den es umgebenden Distraktoren auf die Reaktionszeit hat. Wie sich ergab, spielte die motorische Kompatibilität der vom Experimentator vorher festgesetzten Verhaltensantworten eine maßgebliche Rolle für die Ergebnisse. Dies galt gleichermaßen für die semantischen Aspekte der zu ignorierenden Distraktoren: auch diese beeinflussten die Aufmerksamkeitsleistung. Dies spricht gegen die Annahme einer frühen Selektion, da hier offensichtlich die Identität der anderen Buchstaben das Antwortverhalten beeinflusst. Vgl. B.A. Eriksen/C.W. Eriksen: Effects of noise letters upon the identification of a target in a non-search task. In: Perception and Psychophysics 16/1974, 143-149. 373 Manche Versuche betonen, dass die Interferenz nicht semantisch, sondern merkmalsspezifisch begründet sein muss. Dies würde für die Annahme einer frühen Selektion sprechen. Vgl. E.L. Bjork/J.T. Murray: On the nature of input channels in visual processing. In: Psychological Review 84/1977, 472-484. Ein Experiment aus dem Jahre 1972 zeigt hingegen, wie problematisch die strikte Einteilung in frühe und späte Verarbeitungsstufen ist. Den Probanden wurden hier entweder 2, 4 oder 6 Objekte für 100msek gezeigt. Dabei mussten sie entweder einen Buchstaben inmitten einer Reihe von Buchstaben entdecken oder eine Zahl, die in anderen Zahlen eingebettet war. In diesen Versuchen wurde ein ‚O‘ einmal als Buchstabe und ein anderes Mal als Zahl verwendet. Hiermit blieb die Ebene der physischen Ähnlichkeit gleich, während die Kategorie wechselte. In früheren Untersuchungen hatte sich gezeigt, dass eine Suche zwischen zwei Kategorien parallel verlaufen konnte, während es bei der Suche innerhalb einer Kategorie, z.B. Buchstaben, zu linear steigenden Reaktionszeiten kam. Im obigen Versuch verhielt sich dagegen das Zeichen ‚O‘ einmal als Zahl und ein anderes Mal als Buchstabe, je nachdem, was den Teilnehmern als Suchkategorie angegeben wurde. Man sah hierin eine Evidenz für die Annahme einer vor-selektiven, d.h. pre-attentiven, Kategorisierung von Objekten. Wollte man die betreffenden Effekte allein durch ihre Merkmalsgebundenheit erklären, müsste sich das ambivalente O in beiden Konditionen gleich verhalten. Vgl. J. Jonides/ H. Gleitman: A conceptual category effect in visual search: O as a letter or a digit. In: Perception and Psychophysics 12/1972, 457-460.

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3.3 Aufmerksamkeit als begrenzte Ressource und ihre Verteilung Mit zunehmender Kritik an den Filtermodellen entwickelte sich in den 1970er Jahren ein anderes Verständnis von Aufmerksamkeit: Anstatt ihre selektive Leistung zu betonen, die es erlaubt, ungeliebte‘ Informationen auszublenden, tritt nun die Möglichkeit der Verteilung von Aufmerksamkeit auf mehrere Aufgaben zunehmend in den Vordergrund. Aufmerksamkeit fungiert dementsprechend nicht mehr als Selektionsmechanismus in Form eines Filters, sondern stellt nun eine begrenzte Verarbeitungsressource dar. Die Begrenzung bleibt also weiterhin das zentrale Beschreibungsmerkmal des Phänomens Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zum bisherigen Filtermodell, das eine serielle Verarbeitung des Nervensystems postuliert, kann die Aufmerksamkeit als unspezifische oder spezifische Kapazität auf zwei gleichzeitig ausgeführte Aufgaben verteilt werden und steht so dem Ansatz einer parallelen Informationsverarbeitung näher. In den 1970er Jahren wird die Aufmerksamkeit zunächst als unspezifische Kapazität begriffen.374 Dabei werden subjektive Faktoren wie die beteiligte physiologische oder mentale Anstrengung in die Aufmerksamkeitsthematik integriert. In dem Modell von Daniel Kahneman variiert die verfügbare Kapazität des Informationsverarbeitungssystems mit dem Grad der aktuellen physiologischen Aktivierung (arousal). Je weniger physiologische Aktivierung bzw. Erregung festzustellen ist, desto weniger Aufmerksamkeitskapazität bzw. mentale Anstrengung (effort) wird somit eingesetzt. Wie viel Aufmerksamkeitskapazität eine Tätigkeit benötigt, hängt neben der mentalen Anstrengung weiterhin von den Faktoren der subjektiven Geübtheit, den aktuellen Intentionen der Person sowie den biologischen Dispositionen und den Anforderungen der jeweiligen Aufgabe ab. Ein Überschreiten der Kapazitätsgrenze tritt nach Kahneman dann ein, wenn es bei sogenannten Doppelaufgaben oder Mehrfachtätigkeiten (dual tasks) zu Interferenzen, d.h. sich gegenseitig hemmenden Beeinflussungen kommt, die durch die spezifischen Anforderungen der auszuübenden Tätigkeiten begründet sind. Im Gegensatz zu den selektiven Ansätzen, die sich durch Filterexperimente bestätigt sahen, werden im Kontext der Ressourcen- und Kapazitätsmodelle Versuche zur geteilten Aufmerksamkeit und zu Mehrfachtätigkei374 Vgl. D. Kahneman: Attention and effort. Englewood Cliffs, NJ 1973. Ein anderes Modell unspezifischer Kapazität vertreten D.A. Norman/D.G. Bobrow: On data-limited and resource limited processes. In: Cognitive Psychology 7/1975, 44-64.

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ten zur Validierung der theoretischen Annahmen herangezogen. Wenn Aufmerksamkeit eine generelle Ressource darstellen soll, muss sie sich auf mehrere Aufgaben verteilen lassen. Hierbei kann mehr oder weniger Kapazität auf die jeweiligen Tätigkeiten verwendet werden. Vergleicht man die Leistungen in zwei gleichzeitig ausgeübten Aufgaben, ergibt sich eine operative Leistungscharakteristik (performance operating characteristic, POC).375 Der POC-Faktor wird benutzt, um die Verteilung der Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Tätigkeiten zu bewerten. Die POC-Kurve zeigt die Veränderungen in der Verhaltensleistung der einen und der anderen Aufgabe an. Wenn die zwei Aufgaben ressourcenbegrenzt sind und somit Aufmerksamkeit benötigen, dann sollte zwischen der Ausübung der beiden Aufgaben eine komplementäre Relation bestehen. Im Falle, dass die Ausübungsleistung in Bezug auf die eine Aufgabe steigt, muss parallel dazu die Ausübungsleistung in Bezug auf die andere Aufgabe sinken. Wenn eine solche komplementäre Interferenz nicht auftritt, gibt es im Rahmen der betreffenden Theorie nur folgende Alternativen: Entweder benötigt eine der beiden oder beide Aufgaben keine Aufmerksamkeit oder es herrscht eine sogenannte Datenlimitation vor, was darauf hindeutet, dass das vorliegende oder präsentierte Sinnesmaterial unvollständig oder ambivalent ist. Dies nehmen u.a. Donald Norman und Daniel Bobrow in ihrem Kapazitätsmodell an.376 Die insbesondere von Kahneman vertretene Behauptung, dass die Interferenz zwischen zwei Aufgaben unspezifisch sei, ist jedoch von entsprechenden Experimenten widerlegt worden. Aufmerksamkeit kann daher nicht als generelle Kapazität aufgefasst werden: Nicht jede Kombination von mehreren Aufgaben, wie z.B. Klavier spielen und eine Geschichte nachsprechen, trägt in gleicher Weise zu einer Verschlechterung der Verhaltensleistung in der einen bzw. in der anderen Aufgabe oder in beiden Aufgaben bei.377 Zahlreiche Versuche in diesem Bereich zeigten weiterhin, „dass die Beeinträchtigung der Aufgabenleistung nicht nur von der Schwierigkeit, sondern auch von der strukturellen Ähnlichkeit der Aufgaben determiniert ist (spezifische Interferenz)“378. Eine weitere Schwierigkeit dieses Ansatzes bezieht sich auf Kahnemans Annahme, eine erhöhte physiologische Aktivierung führe notwendigerweise zu einer Verbesserung der Verhaltensleistung. Durch das Yerkes-Dodson Gesetz von 1908 hinge375 Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 159f. 376 Vgl. D.A. Norman/D.G. Bobrow: On data-limited and resource-limited processes. 377 Vgl. D.A. Allport: On the division of attention. A disproof of the single channel hypothesis. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 24/1972, 25-35. 378 F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 19.

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gen ist bekannt, dass die Aufmerksamkeit nur bis zu einem gewissen Grad ansteigen kann. Wenn dieser optimale Zustand erreicht ist, führt die steigende physiologische Aktivierung anstatt einer Verbesserung eine Verschlechterung der gemessenen Verhaltensleistung herbei. Dieser Umstand begegnet uns ebenfalls oft im Alltag: Z.B. können uns Situationen mit leichten Hintergrundgeräuschen dabei helfen, wach zu bleiben und verbessern damit unsere Aufmerksamkeitsfähigkeit. Falls sich die Geräusche aber zu einem extrem lauten Krach entwickeln, wird es fast unmöglich, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Wenn also die ausgeübte mentale Anstrengung und die korrelierte physiologische Aktivierung in direkter Weise mit dem auftretenden Hintergrundgeräusch in Verbindung stehen würden, müsste die Ausführung der jeweiligen Aufgabe sich in gleicher Weise verbessern, wie der Lärmpegel ansteigt. 379 Ein anderes Problem der Modelle, die Aufmerksamkeit als unspezifische Kapazität konzipieren, ergibt sich aus der Frage, wie mentale Anstrengung bzw. die jeweilige physiologische Aktivierung in Bezug auf eine spezielle Aufgabe, sowie die Schwierigkeit einer Aufgabe unabhängig gemessen werden können. Im letzteren Falle wird die Schwierigkeit einer Aufgabe meist durch das Ausmaß an Interferenz gemessen, die auftritt, wenn zwei Aufgaben gleichzeitig zu bewältigen sind. Setzt man aber die Schwierigkeit einer Aufgabe mit der Interferenz, die sie hervorruft, gleich, und stellt die Interferenz wiederum den Maßstab der Schwierigkeit dar, kann die Unabhängigkeit der Messvariable nicht gewährleistet werden. Auch differenziertere Modelle der unspezifischen Kapazität, wie das von D. Norman und D. Bobrow, unterliegen nach Allen Allport dieser Zirkularität, da es hier ebenso wenig einen unabhängigen Faktor gibt, der es erlaubt, zu evaluieren, welche Ressourcen nun für eine bestimmte Aufgabe erforderlich sind und ob diese Ressourcen aus derselben oder unterschiedlichen Quellen stammen.380 In den folgenden Jahren verabschiedete man sich daher zunehmend von der Vorstellung, dass Aufmerksamkeit eine singuläre und einheitliche Ressource darstellt, die für alle Tätigkeiten in gleichem Maße zuständig ist. Anstatt von einer unspezifischen Kapazität ging man nun von multiplen bzw. unterschiedlichen Aufmerksamkeitsressourcen aus, die je nach Aufgabenstellung variieren können. Anlass dazu gaben zahlreiche empirische Befunde, die zeigten, dass Interferenzen bei Mehrfachtätigkeiten sowohl 379 Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 157. 380 Vgl. D.A. Allport: Patterns and actions. In: G. Claxton (Hg.): Cognitive psychology: new directions. London 1980, 26-64. F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 20.

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sinnes- als auch aufgabenspezifisch sind. Es konnten dabei Interferenzen in der Kombination von Aufgaben aufgewiesen werden, die dieselbe Sinnesmodalität betrafen, während in der gleichzeitigen Ausübung von Tätigkeiten, die unterschiedliche Sinnesbereiche in Anspruch nahmen, keine Interferenzen vorkamen. So ist es etwa schwierig, sowohl auf die Geschichte zu achten, die auf dem rechten Kopfhörer abgespielt wird als auch die auf dem anderen Ohr dargebotene Wörterliste zu lernen. Tauscht man allerdings die auditiv präsentierte Wörterliste durch eine visuelle Information in Form von Bildern der zu lernenden Wörter aus, verschwindet die Interferenz. Eine solche Interferenz, die bei Mehrfachtätigkeiten auftritt, die dieselbe Sinnesmodalität beanspruchen, bezeichnet man als Ähnlichkeitseffekt.381 Auch andere Versuche bestätigten den Einfluss der jeweiligen Aufgabenanforderung sowie der geforderten Verhaltensreaktion in Bezug auf auftretende Interferenzeffekte. In den entsprechenden Experimenten konnte eine auftretende gegenseitige Leistungshemmung vermieden werden, indem die Art und Weise der Verhaltensreaktion manipuliert wurde. Hierbei trat zunächst eine Interferenz bei der Kombination einer visuellen und einer akustischen Aufgabe auf. Während nacheinander präsentierte Buchstaben als gleich bzw. unterschiedlich qualifiziert werden mussten, sollte gleichzeitig ein plötzlich auftretender Ton entdeckt werden.382 Dieser Befund wurde als Indiz für die Annahme gewertet, dass die Informationsverarbeitung, die Aufmerksamkeit benötigt, einem generellen Limit unterliegt und insofern als eine unspezifische Kapazität aufgefasst werden muss. Jedoch gelang es diesen Effekt der Unspezifität durch eine kleine gezielte Veränderung des ursprünglichen Experimentes zum Verschwinden 381 Vgl. D.A. Allport: Attention and performance. In: G. Claxton (Hg.): Cognitive psychology: new directions, 112-153. F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 20. 382 Im ersten Fall sollte bei gleichen Buchstaben ein Knopf auf der rechten Seite der Teilnehmer gedrückt, im zweiten Fall sollte der linke Knopf betätigt werden, sobald der Ton bemerkt wurde. Die Interferenz fiel dann besonders stark aus, wenn der Ton im Intervall zwischen der Präsentation von zwei Buchstaben dargeboten wurde. Der Grund hierfür ist, dass die Teilnehmer sich besonders auf den präsenten Buchstaben konzentrieren und sich im Zustand der Erwartung auf den nächsten befinden. Da der Ton zu anderen Zeitpunkten weniger Interferenz erzeugte, wurden diese Ergebnisse zunächst so interpretiert, dass aufgrund der benötigten Aufmerksamkeit bei dem Vergleichen der Wörter nicht mehr genügend Kapazität für die Tonentdeckung übrig bleibt. Dies entspricht der Hypothese von Aufmerksamkeit als unspezifischer Kapazität. Vgl. M.I. Posner/S.J. Boies: Components of attention. In: Psychological Review 78/1971, 391-408.

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zu bringen.383 Die Probanden sollten nun auf das akustische Signal nicht mehr (wie bei der visuellen Aufgabe) manuell, d.h. durch das Drücken eines Knopfes antworten, sondern wurden angewiesen, laut ‚bip‘ zu sagen, sobald das Signal ertönt. Dies zeigte, dass die beobachtete Begrenzung nicht auf der Ebene der Wahrnehmung bzw. Verarbeitung lag, sondern vielmehr auf der Ebene der Verhaltensantwort. Die jeweilige Begrenzung ist spezifisch in Bezug auf die Art und Weise der geforderten Verhaltensantwort, die manuell oder verbal erfolgt. Sind die vom Experimentator vorgegebenen Reaktionsarten auf unterschiedliche Aufgaben strukturell zu ähnlich oder gleich, kommt es demnach zu einer Interferenz. Als Erklärung für diesen Umstand sah man die gleichzeitige Beanspruchung derselben Ressourcen an, die in ihrer spezifischen Kapazität begrenzt ist. Weiterhin konnte man anhand anderer Experimente bevorzugte Kombinationen von Sinnesbereichen feststellen, in denen keine Interferenz auftritt: wie z.B. zwischen einem auditiven Input und einem sprachlichen Output. In einer Doppelaufgabe, in der die Teilnehmer eine verbale Reaktion auf einen visuellen Stimulus geben sollten, wurde, während die Probanden den visuellen Stimulus erwarteten, ein auditiver Probereiz eingespielt. Dies führte zu Schwierigkeiten bei der verbalen Antwort auf den visuellen Input. Man folgerte daraus eine automatische Kopplung von auditivem Input und der verbalen Reaktion, die zu jeder Zeit aktiviert ist.384 Aus diesen und anderen empirischen Belegen entwickelten sich in den 1970er und 80er Jahren Modelle der spezifischen Kapazität, die von verschiedenen Aufmerksamkeitsmodulen ausgehen (Allport) oder Aufmerksamkeit als Form des Zusammenspiels von multiplen Ressourcen begrei-

383 Vgl. P.D. McLeod: A dual task response modality effect: support for multiprocessor models of attention. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 29/1977, 651-667; ders.: Does probe RT measure central processing demand? In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 30/1978, 83-89. 384 Als Erklärung für diese privilegierte Verarbeitungsschleife (privileged loop) gaben die Experimentatoren neurophysiologische Erkenntnisse an. Die Verbindung des artikulatorischen Prozesses im Gehirn, der für die Wortproduktion zuständig ist, wird automatisch mit dem Hören eines Wortes aktiviert. Diese Verarbeitungsschlaufe arbeitet unabhängig von den restlichen Verarbeitungsprozessen und ermöglicht die verbale Wiederholung von gehörten Wörtern, ohne eine Interferenz mit anderen parallel dazu verlaufenden Tätigkeiten hervorzurufen. Vgl. P. McLeod/M.I. Posner: Privileged loops from percept to act. In: H. Bouma/ D.G. Bouwhuis (Hg.): Attention and performance X: control of language processes. London 1984, 55-66.

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fen (Navon und Gopher oder Christopher Wickens).385 In Allports Modell wird Aufmerksamkeit durch eine Reihe spezialisierter Verarbeitungsmodule geleistet, die jeweils der Realisierung bestimmter Fertigkeiten oder Fähigkeiten dienen. In dieser arbeitsteiligen Konzeption ist ein Modul für die auditorischen Informationen zuständig, während ein anderes Modul mit der Verarbeitung der visuellen Information befasst ist. Jedes der Module ist dabei kapazitätsbegrenzt, „so dass es bei der gleichzeitigen Bearbeitung von ähnlichen Aufgaben, die dieselben Ressourcen beanspruchen, zu einem Wettbewerb um diese Ressourcen und folglich zu wechselseitiger Interferenz kommt“386. Das Modell der multiplen Ressourcen von Navon und Gopher geht von denselben Grundprinzipien aus und bedient sich in der Darstellung ökonomischer Begrifflichkeiten. So wie der wirtschaftliche Output eines Landes von seinen Ressourcen abhängt, wird die Leistung der Informationsverarbeitung von den entsprechenden kognitiven Ressourcen determiniert. Im Gegensatz zu Allports Ansatz, vertreten Navon und Gopher die Annahme, dass es möglich sei, bei dem Fehlen einer benötigten Ressource auf Ersatzressourcen auszuweichen, die aber eine geringere Verarbeitungseffizienz aufweisen.387 In beiden Modellen bleibt die Anzahl und Art der postulierten Module aber weitgehend unspezifiziert. Somit lassen sich die von ihnen festgestellten Ergebnisse insofern nur schwer falsifizieren, als je nach Befundlage in den untersuchten Mehrfachtätigkeiten sowohl die Existenz gleichzeitig beanspruchter Module (etwa bei Interferenzeffekten), als auch die Verarbeitung durch unterschiedliche Module (z.B. wenn keine Interferenzeffekte auftreten), behauptet werden können. Bei vielen Tätigkeiten bedarf es außerdem verschiedener Module und Ressourcen zur selben Zeit. Für derartig komplexe Verarbeitungsprozesse bieten diese Ansätze keine befriedigende Erklärung. Offen bleibt ebenfalls die Antwort auf die Frage, auf welche Weise die Module und Ressourcen koordiniert werden. 388

385 Vgl. D.A. Allport: Attention and performance; D. Navon/D. Gopher: On the economy of the human processing system.; C.D. Wickens: Processing resources in attention, dual task performance, and workload assessment. 386 F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 20. 387 Ebd. 388 Ein anderes Modell schlägt C. Wickens vor, der zwischen verschiedenen Interferenzumständen unterscheidet: wie etwa einem Strukturwechseleffekt, der bei einem Wechsel von einem Sinnesmodul zum anderen auftritt, und einer Schwierigkeitsunempfindlichkeit, wenn sich eine Erhöhung der Schwierigkeit der einen Aufgabe nicht auf die Ausübung der anderen Aufgabe auswirkt. Vgl. O. Neumann: Theorien der Aufmerksamkeit, 567, 584f.

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Alle bisher dargestellten Ressourcen- und Kapazitätsansätze konnten dem Phänomen der geteilten Aufmerksamkeit (divided attention) nicht hinreichend gerecht werden. Es bleibt weitgehend ungeklärt, wie sich Aufmerksamkeit graduell zwischen verschiedenen Tätigkeiten verteilen lässt bzw. was in diesem Sinne eigentlich genau verteilt wird und warum es dabei des Öfteren zu Interferenzen kommt. Die Theorie der unspezifischen Kapazität bietet etwa keine Erklärung für den oben vorgestellten Ähnlichkeitseffekt: Interferenz hängt insofern nicht nur von der Schwierigkeit der jeweiligen Aufgabe ab, sondern auch maßgeblich von den strukturellen Ähnlichkeiten der Doppelaufgaben und der Art und Weise der geforderten Verhaltensantwort. Modelle spezifischer Kapazität können dagegen nicht einsichtig machen, wie die Ressourcen und Module im konkreten Fall zusammenwirken. Darüber hinaus erscheint die Korrelation von Ressourcen und Leistung als methodisch problematisch. Der Begriff der Ressource lässt sich als Leistungsmaßstab nicht unabhängig festlegen und mündet so in ein zirkuläres Verfahren: „Die unabhängige Variable Ressource, mittels derer die Leistung vorhergesagt werden soll, wäre in der abhängigen Variable Leistung selbst begründet.“389 Um die schon angemerkte Vielfalt von Interferenzphänomenen erklären zu können, müssten demzufolge eigentlich immer neue Ressourcen angenommen werden. Ansonsten verfällt man dem Fehler, „alle Fälle von selektiver Aufmerksamkeit durch die Zuweisung von Ressourcen zu den beachteten Inhalten auf Kosten der unbeachteten zu interpretieren, d.h. die Verteilung der Aufmerksamkeit durch die Verteilung von Aufmerksamkeit zu erklären“390. Hier wird der methodische Rückschluss von der beobachteten Verhaltensebene auf eine angeblich zugrundeliegende Aufmerksamkeitsressource fragwürdig. Eine andere theoretische Schwierigkeit stellt die versteckte Annahme einer zentralen Instanz dar, die die Verteilung dieser Ressourcen organisiert und kontrolliert. Indem die Kognitionspsychologie vermeiden möchte, aus der Ersten-Person-Perspektive von subjektiver Intentionalität oder einer handelnden Person auszugehen, und stattdessen eine objektive und funktionale Erklärung auf der Ebene der Informationsverarbeitung oder des Nervensystems anstrebt, wird anstatt einer Lösung lediglich eine Verschiebung des Problems vorgenommen. Diese Verschiebung auf eine funktionale (oder im Falle der Neurowissenschaft biologische) Kontrollinstanz

389 F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 21. 390 O. Neumann: Theorien der Aufmerksamkeit, 588.

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führt zu der ungewollten Konsequenz, einen sogenannten homunculus, also eine einem kleinen Mann nachempfundene Instanz im Kopf oder Gehirn annehmen zu müssen, der diese Kontrolle stellvertretend ausführt. Der Aspekt der intentionalen Kontrolle und Motivation von Aufmerksamkeit erscheint gleichsam als ‚blinder Fleck‘ der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung, wie sich im weiteren Verlauf der Analyse noch zeigen wird.391 Trotz der genannten theoretischen Unklarheiten ist es als Verdienst der ressourcen- und kapazitätsorientierten Ansätze anzusehen, darauf hinzuweisen, dass Aufmerksamkeit in Bezug auf die jeweiligen Aufgaben und Handlungsanforderungen spezifisch ist. Die Schwierigkeit, auf zwei Dinge gleichzeitig zu achten bzw. zwei verschiedene Dinge gleichzeitig zu tun, gibt zu unterschiedlichen experimentellen Überprüfungen Anlass. Dabei spielen bei dem Ausführen von Doppelaufgaben insbesondere Komponenten wie Übung, Wiederholung oder erlernte Fähigkeiten eine entscheidende Rolle. Das Zusammenspiel der Sinnesbereiche muss insofern nicht auf eine strikte modulare Organisation im Nervensystem hinweisen, sondern könnte auf die langjährige Benutzung bestimmter Kombinationen, wie etwa Hören und Sprechen, zurückgeführt werden. Geübte Klavierspieler, Videospielerfahrene oder Lehrer würden in entsprechenden Versuchen aufgrund ihres Trainings in intersensuellen Bereichen weniger Interferenzeffekte als Normalpersonen aufweisen.392

391 Vgl. C. Stinson: Searching for the source of executive attention. In: Psyche 15/2009, 137-154. Das ‚homunculus-Problem‘ zeigt sich insbesondere in Zusammenhang mit den kognitionspsychologischen Fragen nach der Ausrichtung (Orientierung) und Kontrolle der Aufmerksamkeit, die im nächsten Punkt behandelt werden. 392 Eine solche Form der Automatisierung tritt bei starken Übungseffekten auf. So braucht man beim Erlernen des aufrechten Ganges noch Aufmerksamkeitsressourcen, wohingegen das spätere tägliche Gehen automatisch verläuft. Automatisch ablaufende Prozesse gelten dabei im Gegensatz zu aufmerksam kontrollierten Prozessen in der Kognitionspsychologie meist als unbewusst. Die schwierigen Implikationen, die eine solche eindeutige Trennung von unbewussten (ohne Aufmerksamkeit ablaufenden) und bewussten (Aufmerksamkeit benötigenden) Prozessen beinhaltet, werden in Teil III eingehend erläutert.

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3.4 Selektion als Handlungsorientierung Lag den früheren Aufmerksamkeitsmodellen die Hypothese zugrunde, dass „Selektion eine funktionelle Konsequenz zentraler Kapazitätsbegrenzung darstellt“393, gab es ab den 1990er Jahren hinsichtlich dieser bisher unhinterfragten Ausgangsposition der Aufmerksamkeitsforschung zunehmend kritische Stimmen. Neben den neuen Möglichkeiten der Programmierung in Form einer kapazitätsfreien, verteilten Datenverarbeitung (Konnektionismus) und neuen empirischen Erkenntnissen über die dynamische Organisation des Gehirns war es vor allem der Trend zu einem handlungsorientierten Verständnis von Kognition, der das gängige Verständnis von Aufmerksamkeit in der Kognitionspsychologie veränderte. Einer der Hauptvertreter dieser Richtung, Odmar Neumann, postulierte schon 1987 entgegen der geltenden Meinung, dass Selektion nicht darüber entscheidet, welche Stimuli perzeptiv oder semantisch analysiert werden, sondern den Einfluss der Stimuli auf weitere Prozesse, wie die Verhaltenskontrolle, regelt.394 Statt lediglich als funktionelle Konsequenz wird Selektion nun als Basisphänomen definiert, das in der Folge eine begrenzte Kapazität nach sich zieht. Aufgrund der Sachlage, dass sowohl Menschen als auch Tiere ihr Verhalten bzw. ihre Bewegungen koordinieren und steuern müssen, ergibt sich somit notwendigerweise das Phänomen der Selektion. Auch wenn die Verarbeitungskapazität der betreffenden Lebewesen unbegrenzt wäre, so die Argumentation, müssten diese zwischen verschiedenen Handlungsalternativen und entsprechenden Reizen, die für die Handlungssteuerung relevant sind, unterscheiden.395 In diesem Zusammenhang gilt etwa die Interferenz, die bei der Ausführung von Doppelaufgaben auftritt, gerade nicht als Zeichen einer Kapazitätsbegrenzung.396 Im Gegenteil wird Interferenz als wichtiger Mechanismus angesehen, der für einen kontinuierlichen Handlungsablauf sorgt, indem er eine Unterbrechung durch andere Tätigkeiten oder nicht handlungsrelevante Reize verhindert.

393 394 395 396

Vgl. F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 26. Vgl. O. Neumann: Beyond capacity: a functional view of attention. Vgl. O. Neumann: Visual attention and action. Dass die Ursache von Interferenz bei Doppelaufgaben nicht auf eine limitierte Kapazität, sondern auf eine funktionale Inkompatibilität zwischen den Verarbeitungsressourcen (cross talk), d.h. auf einen Konflikt innerhalb der Ebene des Verhaltensoutput (outcome conflict) hinweist, bemerkt Allport schon Anfang der 1980er Jahre. Vgl. D.A. Allport: Attention and performance.

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Um dies zu gewährleisten, müssen nach Neumann zwei Koordinationsund Steueraufgaben gelöst werden. Erstens müssen die richtigen Effektoren für die jeweilige Handlung ausgesucht werden. Das Problem der „Effektorrekrutierung“ besteht darin, dass zwar dieselben Effektoren (Reize) potentiell für ganz verschiedene Handlungen eingesetzt werden können, zum jeweiligen Zeitpunkt aber nur für eine ganz spezifische Handlung verwendet werden sollen. Die zweite Aufgabe ist es, sich für eine Art der Ausführung einer Handlung zu ‚entscheiden‘. Da es verschiedene Möglichkeiten in Bezug auf die Ausführung einer Handlung gibt, aber jeweils nur eine realisiert werden kann, bedarf es hier ebenfalls der Selektion in Form einer „Parameterspezifizierung“.397 Aus kognitionspsychologischer Perspektive war es zunächst ungewöhnlich, das Konzept der Selektion in der oben beschriebenen Weise mit der Verhaltenskontrolle des Menschen in Verbindung zu bringen, da Aufmerksamkeit eigentlich ausschließlich dem Bereich der Wahrnehmung zugerechnet wird. Wahrnehmung und die unmittelbare Ausführung von zielgerichteten Bewegungen (action) gelten als zwei getrennte Bereiche, die jeweils durch unterschiedliche Aufgaben, Mechanismen und Gegenstandsbereiche charakterisiert sind. Die Idee, dass die tatsächliche Funktion der Aufmerksamkeit darin bestehen könnte, das jeweilige Verhalten zu steuern, wurde daher zunächst skeptisch aufgenommen. Mitte der 1990er Jahre entstanden aber zunehmend weitere handlungs- bzw. bewegungsori397 Aus diesem Umstand leiten sich für Neumann fünf verschiedene Komponenten der Aufmerksamkeit ab, die in der jeweiligen Handlung zusammenspielen: Erstens die Verhaltenshemmung, die verhindert, dass mehrere Handlungen gleichzeitig initiiert werden, zweitens die Regulation des psychophysiologischen Erregungsniveaus. Dies soll ein Gleichgewicht zwischen der ausschließenden Fokussierung auf die gerade ausgeführte Handlung sowie die dafür relevanten äußeren Stimuli und einer notwendigen Offenheit in Bezug auf neue Reize herstellen. Drittens wird ein Mechanismus der Informationsselektion angenommen, der der Handlungssteuerung bzw. Parameterspezifikation dient. Viertens tritt eine Komponente der Handlungsplanung hinzu: Aufmerksamkeit ermöglicht die Koordination von gleichzeitig ablaufenden Aktionen, die durch einen gemeinsamen Handlungsplan verbunden sind. Ein fünftes Charakteristikum der Aufmerksamkeit ist es, in Form einer fertigkeitsbedingten Interferenz ein „Verhaltenschaos“ zu verhindern, indem sie dafür sorgt, dass dieselbe Fertigkeit (skill) nicht zur selben Zeit für verschiedene Handlungen eingesetzt wird. Durch wiederholte Übungen im Bereich der entsprechenden Tätigkeiten und der damit einhergehenden Automatisierung lässt sich eine solche spezifische Form der Interferenz ebenfalls beheben. Vgl. F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 27; G.D. Logan/ B.J. Compton: Attention and automaticity. In: R.D. Wright (Hg.): Visual Attention. Oxford 1998, 108-131, hier: 111.

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entierte Ansätze in der Kognitionswissenschaft, die ebenfalls einen engen Zusammenhang zwischen Wahrnehmung und Körperlichkeit bzw. Bewegung postulierten. Die handlungsorientierte Auslegung der Selektion von Neumann sah sich innerhalb der Kognitionspsychologie dabei ähnlichen Einwänden ausgesetzt wie spätere Vorschläge zur embodied cognition, die Wahrnehmung nicht mehr primär als Repräsentation, sondern als aktive Interaktion zwischen leiblichem Subjekt und Umwelt verstehen. Gegen diese Vorschläge wurde im Rahmen der Aufmerksamkeitsforschung zunächst kritisch eingewandt, dass die Faktoren der Handlungskontrolle und Bewegung in den meisten typischen experimentellen Paradigmen zur Aufmerksamkeit überhaupt keine Rolle spielen würden. Weiterhin würde – so ein weiterer Einwand – Neumanns Annahme dem in der Kognitionspsychologie geläufigen Unterschied zwischen der aufmerksamen Selektion von Stimuli, z.B. als Ausrichtung auf einen bestimmten visuellen Bereich, und anderen Formen der Inputselektion nicht gerecht. So kann man auf verschiedenen funktionalen Ebenen – von monosynaptischen Reflexen bis hin zu komplexen motorischen Kontrollstrukturen – von einer sensuellen Selektion sprechen, da nicht jeder sensuelle Input in derselben Weise für die auszuführende Bewegung benutzt wird. Diese Form der selection for action aber noch als visuelle Aufmerksamkeit zu bezeichnen, wäre nach der klassischen Definition eine unzumutbare Ausweitung des ursprünglichen Konzepts von Aufmerksamkeit. Ein dritter Einwand beschäftigt sich damit, dass es nicht nur sensuelle Selektion ohne Aufmerksamkeit gibt, sondern auch sensuelle Aufmerksamkeit ohne eine explizite Bewegung. In der Aufmerksamkeitsforschung gibt es in diesem Zusammenhang viele Beispiele, in denen ein Wechsel der Aufmerksamkeit auch ohne eine begleitende Augenbewegung stattfinden kann.398 Der erste Einwand kann nach Neumann ohne Schwierigkeiten entkräftet werden. Hierzu zählt er verschiedene typische Experimente der Aufmerksamkeitsforschung, wie das dichotische Hören, den Stroop-Test399 398 Vgl. O. Neumann: Visual attention and action, 231. 399 Hierbei werden den Probanden die Worte ‚rot‘, ‚gelb‘, ‚blau‘, ‚grün‘ etc. präsentiert, die jeweils in der entsprechenden oder einer anderen Farbe geschrieben sind. Wenn die Versuchspersonen nun vor die Aufgabe gestellt werden, nur die gesehenen Farben zu nennen, diese Farben aber mit der Semantik des Wortes nicht kongruieren (das Wort blau etwa in grüner Schrift geschrieben ist), kommt es zu einer erheblichen Interferenz. Der Prozess des Lesens scheint insofern in einem Maße automatisiert zu sein, dass es für Ungeübte fast unmöglich ist, nur auf die Farbe zu achten und nicht auf den Inhalt des Wortes. Vgl. J.R. Stroop: Studies

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und das Hinweisreizverfahren400 auf, die zwar auf den ersten Blick auf vermeintlich zentrale Faktoren und Prozesse der rein visuellen Aufmerksamkeit abzielen, aber dennoch implizit auf die sensorische Kontrolle und (Augen-) Bewegungen angewiesen sind. Um den Unterschied zwischen einer automatischen Selektion auf der Ebene der Bewegungskontrolle und einer aufmerksamen Selektion im Dienste der Wahrnehmungsverarbeitung und Repräsentation von visuellen Informationen aufzuklären, bedarf es dagegen einiger Überlegungen. Wenn die aufmerksame Selektion ebenfalls eine Selektion im Dienste der Bewegungs- und Handlungskontrolle sein soll, muss sie nach Neumann eine spezielle Form der selection-for-action darstellen. Um diese evolutionär spätere Entwicklungsstufe der Aufmerksamkeit darstellen zu können, beginnt Neumann zunächst die einfachste und phylogenetisch älteste Form der Selektion von visuellen Informationen für die Bewegungskontrolle zu erläutern. Bei dieser automatischen Spezifizierung des Bewegungsparameters wird eine bestimmte Stimuluseigenschaft direkt vom jeweiligen System verwendet, ohne dass diese Information in irgendeiner Form explizit bewusst sein oder in das deklarative Gedächtnis Eingang finden müsste. Dabei werden die eigenen Bewegungen unmittelbar an äußere Umstände angepasst. Als Beispiel nennt Neumann etwa die Lokomotion einer Ameise. Beim Menschen wurde diese automatische Koordination von visuellen Informationen mit den eigenen Bewegungen in dem folgenden von Neumann zitierten Fällen festgestellt: bei dem Versuch, die Balance des Körpers zu kontrollieren, dem Zeigen auf ein Objekt, beim Autofahren, dem Schlagen eines Balles und beim Skispringen.401 Zwei Punkte charakterisieren insofern diese automatische Form der Selektion: Erstens bezieht sich die Selektion zwar auf äußere Stimuli, nicht aber auf diskrete Objekte mit spezifischen Eigenschaften. Zweitens soll diese Form der ‚körperlichen Aufmerksamkeit‘ nicht durch bewusste (explizite) Repräsentationen vermittelt sein. Weiterhin ist dieser Typ der Parameterspezifikation nach Neumann entweder angeboren oder muss im Falle von Fähigkeiten wie dem Autofahren oder Skispringen durch wiederholte Praxis angeeignet werden. Auf dieser Ebene herrscht zwar eine ausgeof interference in serial-verbal reaction. In: Journal of Experimental Psychology 18/1935, 643-662. 400 Auf das Hinweisreizverfahren oder spatial cueing wird im nächsten Kapitel im Zusammenhang mit den Gegenstandsbereichen der Aufmerksamkeit näher eingegangen. 401 Vgl. O. Neumann: Visual attention and action, 234.

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prägte Selektivität, im Gegensatz zu den gängigen Annahmen von Selektionsmechanismen der Aufmerksamkeit stellt diese aber keinen zusätzlichen Mechanismus dar, sondern macht gerade die Struktur von Bewegungskontrolle und begleitender Wahrnehmung aus.402 Eine differenziertere Form der Selektion wird hingegen nötig, wenn die automatisierte Handlung unterbrochen wird, indem man zwei gleichrangige Stimuli zur Wahl stellt, die aber nicht beide für eine Aktion benutzt werden können: Etwa wenn einem Cricketspieler zwei Bälle gleichzeitig zugeworfen werden. In einer solchen Situation muss eine Entscheidung, d.h. eine explizite Form der Selektion, für eines der Objekte stattfinden. Eine einfache Form einer solchermaßen aufmerksamen Selektion sieht Neumann in einem Froschexperiment realisiert.403 Hierbei werden einem Frosch zwei Fliegen dargeboten, die sich gleichzeitig in seinem visuellen Feld bewegen. Die Frösche haben dabei Schwierigkeiten, sich für eine von beiden zu ‚entscheiden‘, stattdessen schnappen sie meist in den leeren Raum zwischen den Fliegen oder reagieren gar nicht. Wenn man ihre ‚Aufmerksamkeit‘ allerdings durch einen Hinweisreiz auf einen räumlichen Bereich lenkt, wird nur die sich dort befindende Fliege geschnappt. Dieser Selektionsvorteil, der sich durch die räumliche Ausrichtung der visuellen Aufmerksamkeit herstellt, hat sich nach Neumann auch in der menschlichen Aufmerksamkeitsstrategie erhalten. Wenn somit ein Problem der Parameterspezifikation auftritt, weil zwei verschiedene Stimuli um die Spezifikation desselben Parameters ‚konkurrieren‘, muss zu einer automatischen Selektion die Aufmerksamkeitsselektion hinzu treten. Durch eine selektive räumliche Ausrichtung der visuellen Aufmerksamkeit wird dann das oben beschriebene Problem der Parameterspezifikation gelöst. Auch im Bereich der visuellen Aufmerksamkeit kann man deshalb von einer Selektion sprechen, die nicht nur für die Repräsentation und Identifikation von Wahrnehmungsgegenständen zuständig ist, sondern zunächst im Dienste einer Handlung steht. Im Vergleich zum dargestellten Verhalten eines Frosches, also hinsichtlich Amphibien oder niederer Säugetiere, unterscheidet sich die menschliche Aufmerksamkeit jedoch in mehreren Punkten. Erstens in ihren neuroanatomischen Lokalisierungen, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Zweitens in Bezug auf den Grad ihrer Spezifizi-

402 Neumann nennt diese Form der Selektivität eine „built-in-selectivity”. Vgl O. Neumann: Visual attention and action, 235f. 403 Vgl. D. Ingle: Focal attention in the frog: behavioral and physiological correlates. In: Science 188/1975, 1033-1035.

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tät. Unsere Wahrnehmung ist demnach nicht ausschließlich auf fliegenartige Stimuli ausgerichtet, deren Auftreten automatisch mit einer Verhaltensantwort, dem Schnappen, einhergeht. Im Gegensatz dazu ist sie in Bezug auf Umweltstimuli relativ unspezifisch. Welche Stimuli im Einzelfall selektiert werden, d.h. momentan relevant sind, hängt von vielen Faktoren ab. Ein dritter Unterschied besteht darin, dass ‚ignorierte‘ Stimuli weder neurologisch noch im Hinblick auf das Verhalten einen nachweisbaren Einfluss auf den Frosch ausüben. Im Gegensatz dazu tritt bei menschlicher Aufmerksamkeit kein vollständiger Ausschluss des nicht fokussierten Wahrnehmungsfeldes auf, sondern lediglich eine Verstärkung des entsprechenden Fokus. Dies bedeutet, dass die momentan nur peripher bemerkten oder unbemerkten Inhalte – die noematischen Horizonte der Aufmerksamkeit, s. Teil III – sowohl eine neurologische Aktivierung zeigen als auch impliziten Einfluss auf weitere Handlungen und Wahrnehmungen haben können. Die vierte evolutionäre Veränderung besteht darin, dass die sensorische Information beim Menschen nicht nur der unmittelbaren Bewegungsausführung dient. Neumann spricht in diesem Sinne von einem explorativen Verhalten des Menschen, das zwar ebenfalls die Kontrolle von gezielten Bewegungen ermöglicht, darüber hinaus werden aber körperliche Handlungen genutzt, um Informationen zu sammeln. An dieser Stelle kommt der innerhalb der Kognitionswissenschaft so zentrale Aspekt der Repräsentation ins Spiel: „The obvious main function of exploration is not to control ongoing action, but to gain knowledge, i.e., to store the acquired information for later use in the guidance of future action.”404 Ein solcher Erwerb von praktischem oder habituellem Handlungswissen lässt sich bereits bei Ratten beobachten: Je öfter diese ein Labyrinth erkunden dürfen, desto schneller finden sie den richtigen Weg.405 Die Unterschiede zwischen einer selection-for-action und einer mit Aufmerksamkeit verbundenen selection-for-exploration stehen nach Neumann nicht für zwei verschiedene Systeme, die einmal für die Kontrolle von Bewegungen und einmal für Wahrnehmung zuständig sind. Vielmehr stellen sie evolutionär erhaltene Stufen desselben Aufmerksamkeitssystems dar und können insofern als verschiedene Ausprägungen von aufmerksamem Verhalten gelten. Dies erlaubt es eine evolutionäre Kontinuität zwischen

404 O. Neumann: Visual attention and action, 244. 405 Vgl. E.C. Tolman: Cognitive maps in rats and men. In: Psychological Review 55/1948, 189-208.

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verschiedenen Entwicklungsstufen von Wahrnehmung, Aufmerksamkeit und Kognition aufzuzeigen. Die Fähigkeit, sich bei wiederholter Erfahrung räumlich an bestimmte Wege zu erinnern, d.h. interne kognitive Landkarten von der Umgebung zu verwenden – die ebenfalls bei höheren Säugetieren zu finden ist –, sieht Neumann als einen ersten Schritt hin zu menschlicher Intelligenz. Die Möglichkeit einer internen Vorstellung von der Außenwelt, die unabhängig von ihrer tatsächlichen wahrnehmungsmäßigen Erscheinung bestehen kann, fordert demnach ein weitgehend unspezifisches Aufmerksamkeitssystem, da die Selektionsmechanismen und die Bewegungen nicht mehr unmittelbar an gewisse Stimuli gekoppelt sein dürfen. Der Mensch sowie höhere Säugetiere, insbesondere Primaten, sind denn auch durch ein großes Repertoire an Bewegungsverläufen charakterisiert, das durch visuelle Inhalte ausgelöst werden kann und sich an diesen orientiert. 406 Mit dem von Neumann entwickelten explorativen Konzept von Aufmerksamkeit lässt sich nun dem dritten Einwand gegen die Verbindung von Wahrnehmung und Bewegung begegnen, der besagt, dass Aufmerksamkeit auch unabhängig von Bewegungen erfolgen kann. Hiermit ist nämlich nicht unbedingt die tatsächliche Ausführung von Bewegungen gemeint, sondern vor allem die funktionale Relation, die zwischen Wahrnehmung, Bewegung und Aufmerksamkeit besteht. Aus einer evolutionären oder genetischen Perspektive haben sich Wahrnehmung und Bewegung parallel entwickelt und bedingen sich daher in der alltäglichen Erfahrung gegenseitig. Dieser Zusammenhang muss sich daher nicht unbedingt in einer aktuell vollzogenen Bewegung ausdrücken, sondern allein die Fähigkeit zur Exploration der Umwelt ist bereits mit bestimmten Wahrnehmungsmöglichkeiten verbunden. So ist es aufgrund von erworbenen Bewegungsabläufen und Repräsentationen möglich, Handlungen

406 Die erweiterte Mobilität der Sinneswahrnehmung stellt insofern die Voraussetzung für das explorative Verhalten dar, was nach Neumann wiederum dafür sorgt, dass bereits vorhandene Repräsentationen aktualisiert werden. Dies gewährleistet eine flexible Anpassung an eine sich ständig verändernde Umwelt. Mit Repräsentation ist in diesem Zusammenhang aber nicht gemeint, dass alle zu einem Zeitpunkt verfügbaren sensuellen Daten in gleichem Maße verarbeitet werden. Nur die selektierten Informationen werden als update für die internen Repräsentationen genutzt. Gleichzeitig beinhalten diese Repräsentationen nicht nur Inhalte, die dem gegenwärtig präsenten Sinnesmaterial korrespondieren, sondern sie bestehen ebenfalls aus Informationen, die aus früheren explorativen Erfahrungen stammen.

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zu planen, vorzubereiten oder sich gewisse Bewegungsabläufe und die damit einhergehenden Perspektiven nur vorzustellen.407 Menschliche bzw. tierische Aufmerksamkeit kann hinsichtlich dieser Einsichten nicht mehr ohne den Bezug zu ihrer körperlichen Beschaffenheit und den damit verbundenen aktuellen oder möglichen Bewegungen und Handlungen thematisiert werden. Die frühen Selektions- und Verteilungsmodelle erweisen sich insofern als Ausdruck einer rein statischen Perspektive und damit in ihrer Beschreibungs- und Erklärungskraft des Phänomens Aufmerksamkeit als beschränkt.408 Aufmerksamkeit wurde hier entweder als ein Ausschlussmechanismus konzipiert, der das Wahrnehmungssystem vor Überlastung schützte, oder als begrenzte Ressource, die auf bestimmte visuelle Bereiche und Aufgaben verteilt wird. Auf der einen Seite wird Aufmerksamkeit als Struktur (Filter) gefasst, der auf den Informationsfluss einwirkt, auf der anderen Seite als generelle Kapazität der Informationsverarbeitung. In beiden Fällen geht man von einer Begrenzung aus, die selektive Prozesse notwendig macht, um die Gefahr vor Überlastung des Systems zu bannen – mit dem Unterschied, dass die Funktion der Aufmerksamkeit ein Mal als Exklusionsmechanismus definiert wird, der sich entweder auf einer frühen oder späten Ebene der angenommenen Verarbeitungshierarchie vollzieht, und ein Mal als Verteilung einer zentralen Ressource bzw. verschiedener Ressourcen verstanden wird.409

407 Dass ein Wechsel der Aufmerksamkeit auf einen peripheren visuellen Bereich auch ohne begleitende Augenbewegungen stattfinden kann, ist deshalb kein Argument gegen einen generellen funktionalen Zusammenhang von Wahrnehmung und Bewegung. Dieses Beispiel aus der visuellen Aufmerksamkeitsforschung bedarf einer willentlichen Anstrengung durch den Ausführenden und ist insofern eher als eine artifiziell herbeigeführte Ausnahme denn als herkömmliche Wahrnehmungsstrategie aufzufassen. Neumann weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass etwa Kleinkinder zu einer solchen Entkopplung von direkter (overt) und versteckter (covert) Aufmerksamkeit, wie sie in den entsprechenden Experimenten beabsichtigt ist, noch nicht in der Lage sind. Vgl. O. Neumann: Visual attention and action, 252. 408 Dies heißt jedoch nicht, dass sich ein solches entwickeltes Verhalten nicht ggf. nachträglich in verschiedene Teilschritte aufteilen und sich anschließend mit Hilfe eines Computerprogramms oder eines Roboters simulieren ließe. 409 Die Ressourcen- und Kapazitätstheorien der Aufmerksamkeit lassen sich dabei teilweise nur schwer von Ansätzen der späten Selektion unterscheiden. Gerade die Annahme von Aufmerksamkeit als spezifischer Kapazität muss Selektionsprozesse thematisieren, die die jeweilige Auf- bzw. Verteilung von Aufmerksamkeit ermöglichen. Dabei gehen sie wie die Theorien der späten Selektion davon aus,

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Die Annahme eines notwendigen Zusammenhanges zwischen der Begrenzung der menschlichen Informationsverarbeitung und dem Phänomen der Aufmerksamkeit liegt dabei sowohl den Filtertheorien als auch den Kapazitätstheorien zugrunde. Eine begrenzte Aufmerksamkeit muss dabei kein Nachteil sein, wie das handlungsorientierte Selektionsmodell zeigt, sondern kann die aktuell bevorzugte Wahrnehmung sogar verbessern. Eine spezielle Begrenzung ist darüber hinaus nicht der einzige Grund, dass so etwas wie Aufmerksamkeit benötigt wird. Selektion kann nämlich im Gegensatz zu Broadbents Annahme410 kognitionspsychologisch gesehen auch dann auftreten, wenn unser visuelles System in der Lage wäre, alle Daten parallel und vollständig zu verarbeiten.411 Im Sinne des handlungsorientierten Modells müsste selbst ein Organismus, der über eine unbegrenzte Verarbeitungskapazität verfügte, zwischen alternativen Reizen selektieren, um seine Handlungen zu steuern.412 Anstatt das menschliche Wahrnehmungssystem vor Überlastung zu schützen, könnte Aufmerksamkeit phänomenologisch verstanden die Kohärenz bzw. die zeitlich-inhaltliche Vereinheitlichung der subjektiven Wahrnehmung wie auch ihre Angepasstheit an entsprechende Umweltanforderungen oder Handlungsintentionen fördern. Weiterhin muss die Tatsache, dass es mehrere Faktoren gibt, die unsere Konzentrationsleistung beeinflussen können, nicht unbedingt auf eine mögliche Begrenzung der Aufmerksamkeit hindeuten, Vielmehr könnte dies als Anzeichen dafür dass Aufmerksamkeit nicht die Aufnahme der perzeptuellen Stimuli regelt, sondern vielmehr das geeignete Verhalten koordiniert. 410 Nach Broadbent gäbe es keinen Anlass für Selektionsprozesse, wenn es im Gehirn „genügend Maschinerie“ gäbe, um vollständige Analysen für alle Reize auszuführen. Der Nutzen eines Selektionssystems ist einzig durch eine Schonung der Mechanismen bestimmt. Vgl. D.E. Broadbent: Decision and Stress. New York 1971, 147. 411 Vgl. H.E. Pashler: The psychology of attention, 227, 218, 403. 412 Vertreter dieses Ansatzes sind u.a. O. Neumann, D.A. Allport und A.H.C. van der Heijden. Nicht gewollte Handlungen und nicht gewollte Reize können insofern unterdrückt werden. Dies wiederum erzeugt eine positive Wirkung der Interferenz, die keinen Mangel, sondern eine Leistung darstellt. Vgl. O. Neumann: Theorien der Aufmerksamkeit, 589; ders.: Beyond capacity: a functional view of attention. In: H. Heuer/A.F. Sanders (Hg.): Perspectives on perception and action. Hillsdale, NJ 1987, 361-399; ders.: Theorien der Aufmerksamkeit: Von Metaphern zu Mechanismen. In: Psychologische Rundschau 43/1992, 83-101; D.A. Allport: Selection for action; ders.: Visual attention. In: M.I. Posner (Hg.): Foundations of cognitive science. Cambridge, MA 1989, 631-682; A.H.C. van der Heijden: Selective attention in vision. London 1992.

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gelten, dass das menschliche Wahrnehmungssystem seinem phänomenologischen Wesen oder seiner Funktion nach eine graduelle Auffassung von Wahrnehmungsgegenständen aufweist, die von fokussierten bis hin zu im Hintergrund erscheinenden Objekten reicht, wie sich im Weiteren zeigen wird.413

413 Eine Gleichstellung von Selektion, höherer Verarbeitung und Bewusstsein, wie dies oftmals vorgenommen wird, ist daher unzureichend. In dieser Hinsicht weisen sogenannte Distraktoren oder Ablenkungen der Aufmerksamkeit gerade nicht auf eine Beschränkung hin, sondern auf deren vorherige implizit bewusste Wahrnehmung: „It is because we can process these stimuli that we can be distracted by them, and it is because we can be distracted by them, not because we can’t process them, that we need mechanisms of attention to provide selectivity and focus.” C. Mole: Attention, 503.

4. GEGENSTANDSBEREICHE DER AUFMERKSAMKEIT

In der überwiegend durch visuelle Untersuchungen geprägten Aufmerksamkeitsforschung der 1970er Jahren zeigt sich eine erste Interessensverschiebung von dem Problem der Begrenzung der Aufmerksamkeit hin zu einem steigenden Interesse an der Frage, worauf sich die Aufmerksamkeit überhaupt bezieht (Orte, Gegenstände oder Gesamtsituationen) und wie diese Ausrichtung motiviert, d.h. kognitionspsychologisch, ob sie von außen (exogen) oder innen (endogen) ‚kontrolliert‘ wird. Hier kann ebenso wie im Bereich der selektiven Aufmerksamkeitsforschung eine Tendenz von einer statischen hin zu einer dynamischen Konzeption beobachtet werden, die im Folgenden dargestellt und diskutiert werden soll. Ließ sich bei der Analyse der selektiven Aspekte der Wahrnehmung feststellen, dass sie meist im Dienste der jeweiligen Tätigkeit bzw. Handlung stehen, trifft man in der Auseinandersetzung mit dem Bezugsrahmen der Aufmerksamkeit auf die Unterscheidung in Fokus und Horizont, Bewusstem und Unbewusstem. In der Frage nach dem Wechsel der Aufmerksamkeit spielen Hintergründe und Kontexte notwendig eine motivierende und gestaltende Rolle. Die kognitionspsychologische Aufmerksamkeitsforschung sieht sich zunehmend mit diesen Aspekten konfrontiert und versucht eine Auffassung der Aufmerksamkeit entwickeln, die sowohl die räumliche als auch zeitliche Dimension der Aufmerksamkeit ernst nimmt.414

414 Vielfach wird dabei übersehen, dass letztere eng mit dem genuin subjektiven Wesen der Erfahrung zusammenhängen. Erst diese subjektive Referenz der Wahrnehmung ermöglicht eine räumliche und zeitliche Individuation des Gegebenen, welche vom jeweiligen Erfahrungssubjekt mitsamt seiner Erfahrungsgeschichte und seinen habituellen wie lebensweltlichen Horizonten und gegenwärtigen Interessen immer aufs Neue vollzogen wird.

GEGENSTANDSBEREICHE DER AUFMERKSAMKEIT

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4.1 Ausrichtung und Steuerung der Aufmerksamkeit 4.1.1 Die räumliche Ausrichtung der Aufmerksamkeit In der Frage nach der räumlichen Ausrichtung der Aufmerksamkeit zeigt sich nun ihre hervorhebende und intensivierende Rolle, die sie auf der Verarbeitungs-, Wahrnehmungs- und Verhaltensebene spielt. Ebenso wie die im ersten Teil vorgestellten phänomenologischen Untersuchungen beschäftigen sich die diesbezüglichen Studien fast ausschließlich mit dem Bereich der visuellen Wahrnehmung. Die hervorhebende und bevorzugende Funktion der Aufmerksamkeit wurde sowohl in der frühen Phänomenologie als auch in der frühen experimentellen Psychologie betont.415 Statt von einer klaren und deutlichen Wahrnehmung auszugehen, die z.B. beim frühen Husserl der aufmerksamen Betrachtung zu verdanken ist, steht in der visuell orientierten kognitionspsychologischen Forschung die Verbesserung der Informationsverarbeitung durch Aufmerksamkeit im Vordergrund, die anhand der entsprechenden Reaktionszeiten bei der Entdeckung eines Zielobjekts oder der Adäquatheit der Objektidentifikation der Probanden bewertet wird.416 In dieser Phase wird das Filterexperiment als führendes experimentelles Paradigma durch die gelenkte Orientierungsaufgabe (covert orienting task) abgelöst. In diesen Versuchen wird der Blick des Probanden durch einen visuellen Hinweisreiz (cue), z.B. einen Pfeil, auf einen bestimmten räumlichen Bereich innerhalb eines visuellen Displays gelenkt, wo das Zielobjekt in den meisten Fällen erscheint. Die Reaktionszeit, die die Teilnehmer benötigen, um das jeweilige Zielobjekt zu entdecken, ist mit einem korrekten Hinweisreiz viel kürzer als in vergleichbaren Kontrollgruppen ohne Hinweisreiz. Weist der Pfeil jedoch auf den falschen Bereich bzw. taucht das Zielobjekt auf der gegenüberliegenden Seite auf, fällt die Reaktionszeit schlechter aus als ohne jeden Hinweisreiz. Die Differenz in der Reaktions415 Vgl. E.B. Titchener: Lectures on the elementary psychology of feeling and attention. New York 1908, 211. 416 Der Aspekt der Klarheit, der auch in der frühen Thematisierung der Aufmerksamkeit durch Husserl sehr präsent ist, kommt in der modernen kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung kaum vor. Stattdessen wird der verwandte Terminus der korrekten Identifizierung der Wahrnehmungsobjekte verwendet (accuracy in perceptual judgement). Vgl. G. Hatfield: Attention in early scientific psychology. In: R.D. Wright: Visual attention. Oxford 1998, 3-25, hier: 18; D. LaBerge: Attentional processing: the brain’s art of mindfulness. Cambridge, MA 1995, 9.

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zeit zwischen hingewiesenen und nicht hingewiesenen Bereichen im Display soll den Modulationseffekt aufzeigen, den Aufmerksamkeit auf die jeweilige Leistung hat. In einem klassischen Versuch zur gelenkten Orientierung wird das Zielobjekt auf einem Bildschirm ohne Distraktoren präsentiert. Entgegen den Experimenten zum dichotischen Hören gibt es insofern nichts, das herausgefiltert werden müsste. In gleicher Weise wie die Filterexperimente die selektive Funktion der Aufmerksamkeit sichtbar machen, wird nun unter den veränderten Versuchsanforderungen eine neue Rolle der Aufmerksamkeit etabliert. Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten räumlichen Bereich verbessert die Wahrnehmungs- bzw. Verarbeitungsleistungen für Stimuli innerhalb der aufgemerkten Region. Aufmerksamkeit gilt nun nicht mehr als Filter, sondern wird als Scheinwerfer (spotlight) charakterisiert.417 Die Scheinwerfermetapher der Aufmerksamkeit bezieht sich dabei nicht ausschließlich auf die physiologische Ebene in Form der fovealen Fixation, d.h. auf den Bereich der Retina, der eine detaillierte Auflösung des Wahrgenommenen ermöglicht. Auch wenn ein Aufmerksamkeitswechsel unter alltäglichen Erfahrungsbedingungen meist mit einer Blickwendung oder einer veränderten körperlichen Position einhergeht, ist diese Bewegungsänderung weder eine hinreichende noch eine notwendige Erklärung für das Phänomen Aufmerksamkeit. Es ist durchaus möglich, auf einen peripheren visuellen Bereich aufmerksam zu sein, ohne eine Blickbewegung auszuführen.418

417 Die Scheinwerfermetapher fand sich ebenfalls in Husserls frühen Auseinandersetzungen mit dem Thema Aufmerksamkeit. Auch hier ergibt sie sich aus der Beschränkung auf die Modalität des Sehens. 418 Wie Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Bewegung in der Informationsverarbeitung zusammenhängen, wird bis heute in der Kognitionspsychologie diskutiert. Auf der einen Seite argumentiert die pre-motor theory, dass räumlich selektive Aufmerksamkeit aus einer Aktivierung von Neuronen in sogenannten räumlich-pragmatischen Karten resultiert. Die Aktivierung dieser Neuronen findet zeitgleich mit der Vorbereitung von konkreten Bewegungen statt. Die motorische Verarbeitung bzw. zielgerichtete Bewegung ist in dieser Hinsicht primär und führt erst zu einer spezifischen visuellen Ausrichtung der Aufmerksamkeit. Auf der anderen Seite behauptet das visual attention model (VAM), dass die motorische Verarbeitung eine Konsequenz von Aufmerksamkeitsprozessen darstellt. Vgl. G. Rizolatti/L. Riggio/I. Dascola/C. Umiltà: Reorienting attention across the horizontal and vertical meridians: evidence in favor of a premotor theory of attention. In: Neuropsychologia 25/1987, 31-40; W.X. Schneider: VAM: a neurocognitive model for visual attention, control of segmentation, object recognition and space-based

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Dass die Fixation unseres Blickes nicht unbedingt damit übereinstimmt, was wir unter Aufmerksamkeit verstehen, bemerkte der Physiologe Hermann von Helmholtz schon 1866.419 Im Umkreis der Blickfixierung können wir weitere Objekte mehr oder weniger klar erkennen, ohne die Blickrichtung ändern zu müssen. Ausgehend von dieser Unterscheidung untersuchte Michael Posner mit dem oben dargestellten Hinweisreizverfahren diesen zusätzlichen ‚mentalen‘ Aspekt der Aufmerksamkeit.420 Seine Versuche zeigten ebenfalls, dass die Aufmerksamkeit durch einen Hinweisreiz auf einen Ort rechts oder links des Fixationspunktes gelenkt werden kann, ohne dass sich eine Blickbewegung vollzieht. Dies wird dadurch sicher gestellt, dass zwischen der Präsentation des Hinweisreizes und dem Erscheinen des Zielobjektes weniger als 200ms liegen. Da diese Zeitspanne zu kurz ist für die Ausführung einer Blickbewegung (Sakkade), fallen der zentrale Fixationspunkt und der aufgemerkte Bereich auseinander. Aufmerksamkeit muss insofern nicht immer mit einer Blickbewegung bzw. zentralen Fixation einher gehen, sondern kann unter Beibehaltung der physiologischen Blickorientierung auf einen peripheren Ort bzw. ein sich dort befindendes Objekt gelenkt werden. Im ersten Fall liegt eine ‚offensichtliche‘ Ausrichtung (overt orienting) vor, während man im zweiten Fall von einer versteckten Orientierung (covert orienting) der Aufmerksamkeit spricht. Diese ‚unsichtbare‘ Form der Ausrichtung gilt in der Kognitionspsychologie als Indiz dafür, dass Aufmerksamkeit ein eigenes Phänomen darstellt, das nicht im Sinne des Behaviorismus auf eine reflexartige motorische Verhaltensantwort reduzieren werden kann.421

4.1.2 Endogene und exogene Steuerung der Aufmerksamkeit Das Untersuchungsgebiet der Ausrichtung bzw. Orientierung (orienting) der Aufmerksamkeit beschäftigt sich nicht nur mit dem aktuellen Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit, sondern auch mit der Motivation bzw.

motor action. In: Visual Cognition 2/1995, 331-375; E.A. Styles: The psychology of attention, 229. 419 Vgl. R.D. Wright/L.M. Ward: Orienting of attention. Oxford 2008, 3f.; H.L.F. von Helmholtz: Handbuch der physiologischen Optik. Hamburg/Leipzig 21896, 918f. 420 Vgl. M.I. Posner: Chronometric explorations of the mind. Hillsdale, NJ 1978; ders.: Orienting of attention. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 32/1980, 3-25. 421 Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 56f.; R.D. Wright/L.M. Ward: Orienting of attention, 11f.

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Steuerung (control) von Aufmerksamkeitswechseln. Hierbei wird zwischen Aufmerksamkeitswechseln unterschieden, die synchron mit Veränderungen der Körperposition stattfinden und solchen, die unabhängig von beobachtbaren körperlichen Positionsveränderungen auftreten. Zentral stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der kausalen Verursachung von Aufmerksamkeitswechseln: vollziehen sich diese eher exogen (reiz-basiert, reflexiv) oder endogen (symbolisch, intentional)? Diese dichotome Bestimmung geht meist mit einer Einteilung in willentliche und automatische Wahrnehmungsvorgänge einher. Im Rahmen des spatial cueing Verfahrens von Posner wird versucht, der passiven und aktiven Kontrolle der Aufmerksamkeit in ihrer isolierten Form auf die Spur zu kommen. Dabei werden zwei Arten von Hinweisen benutzt: ein sogenannter zentraler Hinweis, z.B. ein Pfeil, der in die entsprechende Richtung zeigt, oder ein peripherer Hinweisreiz, der außerhalb der Blickfixierung lokalisiert ist und in einer kurzen Beleuchtung der dort befindlichen Feldumrisse besteht. Ersterer wird als symbolischer cue verstanden, da er eine Interpretation der jeweiligen Kategorie erfordert, während im zweiten Fall insofern ein direkter Hinweis vorliegt, als es nicht den Umweg über eine Interpretation braucht, um die gemeinte räumliche Position zu bestimmen. Wie bereits erwähnt, kommt es zu schnelleren Reaktionszeiten, wenn der Hinweis korrekt ist und zu einem gegenteiligen Effekt, wenn der Hinweis in die falsche Richtung weist. Wenn also ein Teilnehmer nach mehreren Versuchsdurchläufen bemerkt, dass der angezeigte Hinweisreiz in fast allen Fällen in die falsche Richtung zeigt, müsste es somit von Vorteil sein, diesen bewusst zu ignorieren. Eine entsprechende Situation überprüfte Posner in einem weiterführenden Experiment. Es stellte sich heraus, dass ein solches strategisches Ignorieren des Reizes zwar im Falle eines symbolischen Hinweises möglich war, nicht aber bei einem peripheren, indirekten Hinweis. Letzterer konnte nicht willentlich ignoriert werden. Posner und Kollegen nahmen demzufolge zwei Aufmerksamkeitssysteme an: Ein endogenes System, das intentional durch das Subjekt kontrolliert wird, und ein exogenes System, in dem Aufmerksamkeit automatisch durch Umweltstimuli gelenkt wird und sich außerhalb der subjektiven Kontrolle befindet. Spätere Experimente, bei denen nachgewiesen werden konnte, dass periphere Hinweise im Gegensatz zu zentralen keine Interferenz aufweisen, wenn gleichzeitig eine zweite Aufgabe ausgeführt werden muss, bestätigten diese Sichtweise. Daraus folgerte man, dass die Interpretation, die es für einen symbolischen Hinweisreiz bedarf, mit der Auslastung des Gedächtnisses konkurriert, die für eine zusätzliche Merkaufgabe benötigt wird. Wie bei Posner gehen auch diese Versuche von zwei verschiedenen Arten

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der Kontrolle desselben Systems zur Orientierung der Aufmerksamkeit aus. Andere Forscher argumentieren dagegen für zwei separate Orientierungsmechanismen, da die Zeitreihen der beiden Hinweisarten nicht übereinstimmten.422 Weitere Versuche hingegen geben Hinweise darauf, dass die automatische Ausrichtung der Aufmerksamkeit von den willentlichen Kontrollprozessen modifiziert werden kann. Dies könnte für zwei getrennte Mechanismen sprechen, die sich entweder unterstützen, wenn sie sich auf denselben Bereich beziehen, oder aber sich gegenseitig hemmen, wenn sie in gegenteilige Richtungen ausgerichtet sind. Gleichzeitig zeigt dies, dass die angeblich reflexartige Orientierung der Aufmerksamkeit sich nicht so automatisch vollzieht, wie ursprünglich vermutet wurde. Dies wird durch Studien bestätigt, die unwillentliche Verschiebungen der Aufmerksamkeit auch bei symbolischen Hinweisreizen feststellen, wie z.B. Pfeilen oder besonders häufig benutzten Wörtern wie „oben“, „unten“, „links“, „rechts“. Auch solche – phänomenologisch gesprochen – „lebensweltlich“ bekannten Wörter können die Aufmerksamkeit passiv lenken, obwohl sie für die jeweilige Aufgabe keine explizite Bedeutung haben. Demnach sind symbolische Hinweisreize, d.h. solche mit semantischer Bedeutung, kein sicheres Zeichen dafür, dass die Orientierung sich willentlich vollzieht.423 Ähnliche Einwände, die sich gegen die Annahme richten, dass physische Merkmale automatisch verarbeitet werden, während symbolische oder kategoriale Merkmale einer höheren Verarbeitung bedürfen, wurden bereits bei der Vorstellung der selektiven Aufmerksamkeitsforschung vorgebracht. Die These der Linearität der Verarbeitung, die den frühen Filtertheorien zu Eigen war, bleibt an dieser Stelle unter anderen Vorzeichen erhalten, auch wenn sie sich auf die Kontrolle der Aufmerksamkeit und nicht auf die Unterscheidung zwischen vor-aufmerksamer und aufmerksamer Informationsverarbeitung bezieht. In beiden Fällen herrscht eine strikte Trennung zwischen einer expliziten, intentionalen Seite der Aufmerksamkeit, die eine vollständige semantische Analyse und Objektidentifikation ermöglicht, und einer automatischen, reflexartigen Aufmerksamkeitsform, die von äußeren Reizen regelrecht erobert wird (capture of attention). Ein 422 Ein peripherer cue, der eine fast automatische Reaktion hervorruft, entfaltet seine größte Wirkung zwischen 100 und 300ms, während ein zentraler Hinweis mindestens 300 ms braucht, um seinen maximalen Effekt zu erreichen, dafür aber länger anhält. 423 R. Wright und L. Ward kommen in Bezug auf die aktuelle Forschungslage zu dem Schluss, dass auch direkte cues zu einer nicht bewussten Orientierung führen können. R.D. Wright/L.M. Ward: Orienting of attention, 88.

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Forschungsüberblick über Experimente zur Kontrolle der Aufmerksamkeit macht entgegen dieser Ansicht deutlich, dass Aufmerksamkeitswechsel nicht entweder von äußeren oder von inneren Faktoren verursacht werden, sondern vielmehr in der Interaktion von Handlungsabsichten und Intentionen des Beobachters mit den Eigenschaften der jeweiligen präsentierten und wahrgenommenen Inhalte generiert wird.424 Wenn etwa ein Proband angewiesen ist, innerhalb eines visuellen Displays ein bestimmtes sensuelles Merkmal zu suchen, das sich von den anderen präsentierten Objekten unterscheidet (featural singleton), ziehen auch diejenigen feature singletons seine Aufmerksamkeit auf sich, die er laut Instruktion ignorieren sollte. Im Falle eines komplexeren Objektes, wie z.B. eines rotierenden „T“ inmitten von rotierenden „L’s“, wecken die irrelevanten featural singletons jedoch nicht die Aufmerksamkeit der jeweiligen Versuchsperson.425 Diese Erwartungshaltung bzw. Einstimmung auf eine bestimmte Art von Objekten, das sogenannte attentional set, beeinflusst in gleicher Weise wie die räumliche Ausrichtung des Blickes dasjenige, was zu einem Zeitpunkt bemerkt werden kann. Wenn der Blick des Probanden durch einen räumlichen Hinweisreiz auf eine bestimmte Stelle des Displays gelenkt wird, ziehen Objekte, die sich nicht in diesem Bereich befinden, keine Aufmerksamkeit auf sich, selbst wenn sie unter anderen Umständen, z.B. aufgrund ihres plötzlichen Auftretens, sicher sofort aufgefallen wären.426 Dies wurde in einem anderen Versuchskontext bestätigt, in dem keine vorherige räumliche Fokussierung stattfand. Diese Beispiele zeigen, dass viele sogenannte top-down Faktoren darauf Einfluss haben, welche Stimuli in welchem Kontext jeweils relevant sind und welche nicht.427

424 Vgl. S. Yantis: Control of visual attention. In: H. Pashler: Attention. East Sussex, UK 1998, 223-256, hier: 251f. 425 Vgl. H.C. Nothdurft: Saliency effects across dimensions in visual search. In: Vision Research 33/1993, 839-844. 426 Vgl. H. Koshino/C.B. Warner/J.F. Juola: Relative effectiveness of central, peripheral, and abrupt-onset cues in visual search. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 45/1992, 600-631; J. Theeuwes: Exogenous and endogenous control of attention: the effect of visual onsets and offsets. In: Perception and Psychophysics 49/1991, 83-90; S. Yantis/J. Jonides: Abrupt visual onsets and selective attention: voluntary versus automatic allocation. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 16/1990, 121-134. 427 Vgl. S. Yantis: Control of visual attention, 251f.

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4.1.3 Aktive oder passive Aufmerksamkeit: bottom-up oder top-down? Die Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Ursachen der jeweiligen Ausrichtung der Aufmerksamkeit lässt sich in der Kognitionspsychologie parallel zu den angenommenen verschiedenen Richtungen der Informationsverarbeitung, als bottom-up und top-down, verstehen. Top-down Kontrolle wird dabei weitgehend mit der willentlichen (endogenen) Ausrichtung der Aufmerksamkeit gleichgesetzt, während sich die reizgesteuerte (exogene) bottom-up Steuerung wie in den obigen Beispielen durch einen unwillkürlichen Wechsel der Aufmerksamkeit ausdrückt.428 In alltäglichen Wahrnehmungssituationen kommen beide Arten aber nur in Relation zueinander vor. Die eigentliche Bedeutung dieser Begriffe bezieht sich allerdings nicht auf die personale Motivation des Wahrnehmenden, wie dies die Rede von willentlicher und unwillentlicher Aufmerksamkeit suggeriert, sondern hat ihren Ursprung auf der Ebene der subpersonalen Informationsverarbeitung. Die Bezeichnungen zielen auf die entgegengesetzten Richtungen, in denen der Informationsfluss durch das Nervensystem wandern kann. Bottom-up Verarbeitung wird demnach am unteren Ende des Nervensystems initiiert, den Sinnesorganen. Von hier aus geht es weiter zu höheren Verarbeitungsstufen bzw. kortikalen Bereichen. Sie gilt als daten- bzw. reizbasierte Verarbeitung, da sie hauptsächlich durch die Beschaffenheit des jeweiligen sensorischen Input bestimmt wird. Da komplexe Wahrnehmungen sich nicht auf die Beschaffenheit des jeweiligen Input reduzieren lassen, haben Ansätze, die die Wahrnehmung allein als bottom-up Prozess verstehen, Schwierigkeiten zu erklären, warum derselbe äußere Input zu verschiedenen Wahrnehmungen führen kann. Deshalb nimmt man zusätzlich eine aus früheren Erfahrungen gewonnene ergänzende Verarbeitungsrichtung an, die auf sogenannten „Schemata“ beruht. Die Verarbeitung vollzieht sich insofern von oben nach unten, d.h. gelernte semantische Konzepte aus den oberen Stufen werden mit dem eingehenden sensuellen Input ‚verglichen‘. Diese Art der Verarbeitung wird in der Kognitionspsychologie auch als „schema-driven“ oder „concept-driven“ bezeichnet.429 Durch die Annahme allgemeiner Konzepte (Hund, Haus) soll erklärt werden, weshalb auch ambivalente oder unvollständige Stimuli, wie etwa das verschwom-

428 Vgl. H.E. Pashler: The psychology of attention, 242-251. 429 D. Groome: An introduction into cognitive psychology. Processes and disorders. London/New York 1999, 9.

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mene Bild eines Hundes oder eine unleserliche Schrift, im Alltag ohne größere Schwierigkeiten identifiziert werden können. Im experimentellen Kontext kommt die top-down gesteuerte Aufmerksamkeit hauptsächlich in Gestalt einer gezielten Suche nach einem bestimmten Objekt vor, die durch Vorwissen über die Gestalt und den voraussichtlichen Aufenthaltsort des Gesuchten gewisse Erwartungen enthält. Dabei wird oft nicht zwischen der Ebene der intentionalen Handlung, dem bewussten Einsatz von Vorwissen zu dessen Umsetzung – z.B. explizite Suche, Konzentration – und den impliziten Einflüssen der Wahrnehmung durch vorherige Erfahrungen – erlernte Fähigkeiten und Konzepte – unterschieden. In den meisten Fällen wird eine klare Gegenüberstellung von Innen und Außen, unteren, d.h. sensuellen, und höheren, d.h. semantischen, Verarbeitungsstufen, sowie intentionalen und automatischen Prozessen angestrebt. Die diesbezüglich diskutierte Frage ist, ob Aufmerksamkeit hauptsächlich durch auffällige oder abrupt auftretende Stimuli angezogen (bottom-up) oder durch frühere Erfahrung und daraus resultierende Konzepte (top-down) gelenkt wird.430 Wie schwierig eine schematische Trennung von internen und externen Ursachen der Wahrnehmung sein kann, wird besonders deutlich, wenn man sich von den klar definierten Bedingungen des Labors abwendet und Aufmerksamkeit in alltäglichen Situationen betrachtet. Das, was uns in der jeweiligen Situation überrascht bzw. unwillkürlich affiziert, hängt sowohl mit unserer momentanen leiblich-räumlichen Position und dem sich daraus ergebenden Blickfeld zusammen als auch mit vorangegangenen Wahrnehmungen, die die Grundlage einer solchen unmittelbaren Kontrasterfahrung bilden. So würde etwa ein Apfel, der plötzlich vom Baum fällt, gar nicht weiter auffallen, wenn sich dieses Ereignis außerhalb unserer visuellen oder auditiven Reichweite ereignen würde. Dasselbe gilt für den Fall eines Sturmes, aufgrund dessen ständig Äpfel von den Bäumen fallen. Unter diesen Umständen würde sich der eine fallende Apfel nicht weiter von den anderen fallenden Äpfeln abheben. Den Kontrast bzw. die plötzliche Veränderung, die eine sogenannte automatische Aufmerksam-

430 Trotz der Uneinigkeit in Bezug auf die Wichtigkeit der jeweiligen Verarbeitungsart herrscht eine weitgehende Übereinstimmung darüber, dass sowohl top-down als auch bottom-up Prozesse in der Analyse des Wahrnehmungsinputs eine Rolle spielen. Informationsverarbeitung im Ganzen gilt demnach als Kombination beider Ebenen: „We can thus think of input processing in terms of stimulus information coming up the system, where it meets and interacts with schemas coming down in the opposite direction.” D. Groome: An introduction into cognitive psychology, 9

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keit nach sich zieht, ist nur innerhalb einer dynamischen Interaktion von Subjekt und Umwelt zu verstehen.431 Ob Aufmerksamkeit eher aktiv oder passiv motiviert ist, explizit oder implizit fungiert und wie die zunächst statische Unterscheidung dieser Bewusstseins- oder Verarbeitungsstufen in der konkreten Wahrnehmungssituation zusammenspielen, ist eine Kernfrage, die sowohl die kognitionspsychologische als auch die phänomenologisch orientierte Untersuchung beschäftigt. Aus Sicht eines dynamischen Verständnisses der Aufmerksamkeit unter Berücksichtigung ihres zeitlichen Verlaufes und ihres handlungsorientierten Wesens – wie es in dieser Untersuchung angestrebt wird – erscheinen die festgelegten internen und externen Kontrollrichtungen lediglich als ideale Grenzpole, zwischen denen sich das Aufmerksamkeitsgeschehen nur graduell in aktive und passive Momente unterteilen lässt.432 Ferner stellt sich im Rahmen der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung die Frage, ob man von einem allgemeinen Kontrollzentrum ausgehen kann, das für die Ausrichtung der visuellen Aufmerksamkeit und für die Ausführung von intentionalen Handlungen zuständig ist. Ein solches übergeordnetes Ausführungssystem, das sowohl zu allen Repräsentationen der Umwelt als auch allen Handlungszielen der Person Zugang hat, nimmt etwa M. Posner an.433 Andere kognitionspsychologische 431 In der Kognitionspsychologie wird die hier angesprochene Situiertheit von alltäglichen Aufmerksamkeitsakten etwa von S. Yantis thematisiert. Er betont die verschiedenen top-down Faktoren, die das einzelne Verhalten bestimmen können. Eine solche Form des subjektiven Kontextes nennt er attentional control setting: „It is safe to assume that any alert observer viewing a natural scene has a complex constellation of goals and expectations about what they are about to see. When searching for a specific object, the attentional set is likely to include properties of the desired object. But even when walking down the street with no particular goal in mind, the observer will seek to avoid obstacles and to walk toward his or her destination. He or she may have a mild interest in, say, architecture.” S. Yantis: Control of visual attention, 252. 432 Die oben skizzierten Unterscheidungen stehen weiterhin in einer engen Relation zur umfassenderen Problematik des Bewusstseins, da in der Kognitionspsychologie endogene Vorgänge meist als bewusst, exogene, d.h. automatische Prozesse, hingegen als unbewusst charakterisiert werden. Zu weiten Teilen wird die fokussierte Aufmerksamkeit mit Bewusstsein gleichgesetzt, während zugleich alle anderen Bereiche als unbewusst qualifiziert werden. Die Phänomenologie bietet hier mit ihrem Bewusstseinsbegriff Alternativen an, die in Teil III der vorliegenden Untersuchung diskutiert werden. 433 M.I. Posner/G.J. DiGirolamo: Executive attention: conflict, target detection, and cognitive control. In: R. Parasuraman (Hg.): The attentive brain. Cambridge, MA 1998, 401-423.

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Modelle gehen ebenfalls von einer endogenen Steuerung aus, die etwa den Zugang einkommender Daten ins Arbeitsgedächtnis regelt oder in Form eines Aufmerksamkeitssystems (supervisory-attentional system) die Funktion einer zentralen Exekutive übernimmt.434 Die Lösung dieser ‚Kontrollfrage‘ wird meist darin gesucht, die physiologische Quelle der Kontrolle im Gehirn ausfindig zu machen. Dabei scheint es jedoch nicht einsichtig, wie eine biologische Funktion, etwa im Sinne Posners, Zugang zu dem Wissen und den intentionalen Handlungszielen einer Person haben kann und gleichzeitig als Quelle derjenigen Aufmerksamkeitseffekte dienen soll, die ja gerade durch subjektive Komponenten wie Intentionen oder Interessen hervorgerufen wurden. Ebenso wenig wie die Debatte um den Ort der Selektion Auskunft geben kann über deren allgemeine Funktion, erklärt die Frage, wo die Kontrolle im Gehirn zu lokalisieren sei, was überhaupt unter Kontrolle zu verstehen ist bzw. wie Handlungskontrolle im Einzelnen verläuft. In den Antwortversuchen der Forschung trifft man in Bezug auf die Aufmerksamkeit auf die bereits bekannten Annahmen ihrer Einheitlichkeit und Singularität, nur dass diese nun nicht mehr in Gestalt eines Selektionsmechanismus, sondern als übergeordnetes Kontrollsystem daherkommen. Selbst wenn es auf der Verhaltensebene oder in der Ersten-Person-Perspektive so etwas wie eine intentionale ‚Kontrolle‘ gibt, heißt dies nicht, dass eine solche Beobachtung unmittelbar mit der subpersonalen Verarbeitungsebene bzw. zugrundeliegenden physiologischen Strukturen gleichgesetzt werden darf. Denn auf den entsprechend lokalisierten Gehirnbereich werden auf diese Weise einfach die Eigenschaften einer handelnden Person übertragen. Diesem „homunculus-Problem“ entgeht man auch dann nicht, wenn man versucht, statt einer zentralen Kontrollinstanz mehrere kleine Funktionszentren anzunehmen, zwischen denen die Kontrolle verteilt wird. Auch in diesem Falle erfolgt eine Zuschreibung von personalen Eigenschaften auf physiologische Aktivitäten, nur mit dem Unterschied, dass sich nun viele ‚kleine Männer‘ im Gehirn die Arbeit der Handlungssteuerung teilen: „Having two little men in the brain leaves just as much unexplained as just having one.“435

434 G. J. Hitch/A.D. Baddeley: Verbal reasoning and working memory. In: Quarterly Journal of Experimental Psychology 28/1976, 603-631; D.A. Norman/T. Shallice: Attention to action: willed and automatic control of behavior. In: R. Davison/G. Schwartz/D. Shapiro (Hg.): Consciousness and self-regulation: Advances in research and theory. New York 1986, 1-18. 435 C. Stinson: Searching for the source of executive attention, 147.

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Insbesondere gegenwärtige Ansätze, in denen Aufmerksamkeit als Selektionsmechanismus oder als System zur visuellen Ausrichtung konzipiert wird, suchen den Ausgangspunkt von Selektions- und Kontrollprozessen in lokalisierbaren Strukturen des Gehirns, die durch neue bildgebende Verfahren zugänglich sind.436 Anstelle einer solchen privilegierte ersten Ursache nachzujagen, die sich an einem feststehenden Ort im Gehirn befinden soll, wäre es sinnvoller, mehr auf die Relation von personaler und subpersonaler Ebene zu reflektieren und das Phänomen der Aufmerksamkeit in seinem umfassenderen zeitlichen und subjektiven Erfahrungskontext zu sehen. Dieser Forderung nach einer Re-kontextualisierung der Aufmerksamkeit versuchen denn auch mehr und mehr Aufmerksamkeitsforscher Rechnung zu tragen.

4.2 Statische und dynamische Metaphern der Aufmerksamkeit Die Unterscheidung zwischen der passiven Lenkung und der aktiven intentionalen Ausrichtung von Aufmerksamkeit prägte bereits die frühe experimentelle Psychologie sowie die phänomenologische Auseinandersetzung mit dem Phänomen Aufmerksamkeit. In der frühen, statischen Phase der Phänomenologie Husserls trifft man auf Beschreibungen der Aufmerksamkeit, die diese als intentionalen Scheinwerfer oder Lichtstrahl charakterisieren, während in späteren Texten auch die plötzlichen Aufmerksamkeitswechsel durch besonders auffällige äußere Reize, wie z.B. ein Schrei oder ein einschlagender Blitz, beschrieben wird. Darüber hinaus zeigt sich der enge Zusammenhang zwischen intentionalen Aspekten und passiv motivierter Affektion in der genetischen Phänomenologie, wie im ersten Teil deutlich wurde. Im Gegensatz zu den dort beschriebenen graduellen Abstufungen (Gradualität) von passiv gelenkter bis hin zu aktiv ausgerich436 Wie kann willentliche Kontrolle über den Einsatz und die Organisation von kognitiven Prozessen ausgeübt werden, um bestimmte Handlungsziele zu erreichen, ohne eine allmächtige Kontrollinstanz anzunehmen? Dieser Frage wird mit der Annahme von multiplen Kontrollfunktionen begegnet: Durch die Fragmentierung in verschiedene Kontrollfunktionen, die sich in lokal unterschiedlichen Aktivierungsmustern im Gehirn ausdrücken, versucht man den „control homunculus“ zu bannen. Vgl. S. Monsell/J. Driver: Banishing the control homunculus. In: dies.: Control of cognitive processes. Attention and performance XVIII, Cambridge, MA/London, England 2000, 4-32.

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teter Aufmerksamkeit, wird in der gegenwärtigen Kognitionspsychologie zumeist an der Dichotomie von äußerer Kontrolle, die von entsprechenden Reizen ausgeht und automatisch verläuft, und innerer Kontrolle, die von einer expliziten Handlungsintention initiiert wird, festgehalten. Die frühe Phänomenologie Husserls spricht in ähnlicher Weise wie die Kognitionspsychologie von einem Scheinwerfer oder Lichtstrahl des Ich. Dabei ist solcher intentional auf Gegenstände und nicht primär auf Orte ausgerichtet, wie dies zunächst in der kognitionspsychologischen Forschung diskutiert wird. Seine Funktion ist es, die Dinge oder Teilaspekte der Dinge klarer in den Blick nehmen zu können. Der phänomenologische Scheinwerfer entspricht also eher einem variablen Objektiv als einem statisch ausgerichteten Scheinwerfer. In der späteren genetischen Phänomenologie sorgt hingegen die Entwicklung von Konzepten der Horizontintentionalität, des Zeitbewusstseins und der passiven Genesis dafür, dass dynamische Aspekte der Wahrnehmung ins Zentrum rücken und die passiven Motivationen des Aufmerksamkeitswechsels zum Thema werden. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich in der Aufmerksamkeitsforschung der Kognitionspsychologie ausmachen. In der statischen Auffassung wird die Aufmerksamkeit mit Hilfe der Metapher des Scheinwerfers konzeptualisiert. Sie gilt infolgedessen als singulärer und einheitlicher Mechanismus, der nacheinander die räumlichen Regionen anstrahlt und somit zu einer besseren Informationsverarbeitung und einer bewussten Wahrnehmung führt. Wie hier deutlich wird, kommt der Metapher als Mittel zur Konzeptualisierung eines Untersuchungsgegenstands nicht nur in den Geisteswissenschaften, sondern gerade auch in der empirischen Forschung eine große Bedeutung zu. Ohne einen solchen Ausgangspunkt lässt sich weder ein theoretisches Modell noch ein experimentelles Paradigma zu dessen Validierung entwerfen. Die Metapher als Bezugsquelle beeinflusst in hohem Maße die Grenzen, in welchen der jeweilige Forschungsgegenstand bestimmt werden kann, und der charakterisierte Zielbereich der Aufmerksamkeit wird notwendig als ein zentraler Mechanismus dargestellt, der gleich einem Scheinwerfer entweder ‚an‘ oder ‚aus‘ ist. Die Metapher impliziert damit, dass sich die Aufmerksamkeit nur auf das beschränkt, was sich gegenwärtig innerhalb ihres Scheinwerfers befindet, während alle anderen Bereiche für das Bewusstsein geradezu im Dunkeln bleiben. Gleichzeitig schließt ein Schweinwerfer die Möglichkeit gradueller oder geteilter Aufmerksamkeit explizit aus.437 437 Wie an diesem Beispiel ersichtlich wird, bestimmt die Ausgangsmetapher nicht nur die Fragen und die Art und Weise der entsprechenden Experimente, sondern die experimentell untersuchten Aufgaben und deren Ergebnisse geben zugleich

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Paradoxerweise legen diejenigen Untersuchungsgebiete, die eigentlich am engsten mit der statischen Metapher des Scheinwerfers assoziiert werden, wie z.B. das räumliche Hinweisreizverfahren (spatial cueing), ihren Schwerpunkt gerade auf den Wechsel der Aufmerksamkeit. Dabei stellt sich die Frage, ob der Aufmerksamkeitswechsel kontinuierlich erfolgt, d.h. eine jede räumliche Region nach der anderen nach dem Gesuchten abgetastet wird, oder ob sich der Scheinwerfer sprunghaft von einem Bereich zum anderen bewegen kann? Wäre Ersteres der Fall, dann müsste die gemessene Reaktionszeit ansteigen, je größer der Abstand von Hinweisreiz und Zielobjekt wird. Könnte der Scheinwerfer dagegen die räumlichen Zwischenbereiche überspringen und sich willkürlich auf verschiedene Bereiche richten, dürfte dieser Abstand keine Auswirkungen auf die gemessene Reaktionszeit haben. Mehrere Studien zeigen, dass die Bewegung der Aufmerksamkeit sowohl analog als auch diskret vonstatten gehen kann, entsprechend der jeweiligen Aufgabenstellung und Suchstrategie.438 Insbesondere die diskrete Ausrichtung der Aufmerksamkeit impliziert in diesem Fall ein gewisses Vorwissen oder eine Erwartung, in welchem Bereich sich ein relevantes Objekt befinden könnte. Zugleich müsste man entgegen dem eigentlichen Scheinwerfermodell eine periphere Wahrnehmung – phänomenologisch im Sinne eines äußeren Horizontes – außerhalb des ‚bewussten‘ Lichtkegels annehmen, die den diskreten räumlichen Wechsel motiviert. Die Funktion der Aufmerksamkeit kann also nicht auf eine räumliche Ausrichtung mit konstantem Durchmesser beschränkt werden, wie es die Scheinwerfermetapher suggeriert. Insbesondere in Anbetracht des beständigen Aufmerksamkeitswechsels, der unsere alltägliche Wahrnehmung ausmacht, erscheint eine solche statische Definition wenig passend. Diese Bedenken werden in der experimentellen Forschung seit den späten 1980er Jahren und vermehrt ab Mitte der 1990er Jahre aufgegriffen, die die zeitliche Organisation der Wahrnehmung, ihren praktischen Bezug auf die Umwelt und handlungsrelevante Objekte sowie kontextuelle Aspekte berücksichtigt. Wenn die experimentellen Fragen und Befunde sich von der eigentlichen konzeptuellen Bezugsquelle des Scheinwerfers entfernen bzw. dieser vor, in welchem Maße man sich auf die Metapher als Vorlage für die Konzeptualisierung der Aufmerksamkeit beziehen kann. Metaphern, theoretische Modelle und experimentelle Praxis stehen im Verhältnis der wechselseitigen Beeinflussung. Vgl. D. Fernandez-Duque/M. L. Johnson: Attention metaphors und dies.: Cause and effect theories of attention. 438 R.D. Wright/L.M. Ward: Orienting of attention, 38f.

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entgegenstehen, wird es Zeit für eine neue Metapher. Die Vorstellung, dass Aufmerksamkeit nicht wie ein Scheinwerfer, sondern vielmehr wie ein variables Zoom-Objektiv fungiert, entspringt denn auch experimentellen Befunden, die zeigen, dass sich der sogenannte Scheinwerfer sowohl auf einzelne als auch auf mehrere Objekte richten kann und sich entsprechend der Aufgabenanforderung unterschiedlich verhält (zoom-lens Modell). Ein solches Objektiv lässt sich nach Bedarf fokussieren, etwa um ein Objekt an einem bekannten Ort zu identifizieren, oder weiter einstellen, im Falle einer unspezifischen Suche auf einem größeren Bildschirm.439 Die Größe des aufgemerkten Bereichs kann flexibel angepasst werden: Je kleiner die aufgemerkte Region ist, desto besser ist die jeweilige Auflösung oder Sehschärfe, die auf der subpersonalen Ebene der Verarbeitungsqualität der Informationen entsprechen soll. Das zoom-lens Modell eignet sich dazu, verschiedene Wahrnehmungsstrategien in das Aufmerksamkeitsmodell zu integrieren. Bei einer visuellen Suche mit einer Vielzahl von Distraktoren wird etwa eine serielle Suchstrategie angewendet: Zuerst wird ein kleiner Bereich fokussiert und danach das Objektiv auf das gesamte Display ausgeweitet. In Versuchen zur Blickbewegung wird dagegen zunächst die beobachtete Szene als Ganze gesehen, d.h. der Blick wird im Zentrum des Bildes fixiert. Anschließend wechseln die Blickbewegungen in Richtung des Bereiches, in dem sich ein eventuelles Zielobjekt befinden könnte, also auf die rechte oder linke Seite des Bildschirms. Man geht davon aus, dass zu allererst eine globale Analyse der Szene und damit eine Entdeckung des Zielobjektes stattfindet. Erst daraufhin erfolgen die Verkleinerung des Fokus bis zu einer Fixierung des Zielobjektes und schließlich die Verhaltensantwort.440 In einem solchen Erklärungsansatz erscheint Aufmerksamkeit im Sinne der Selektion und Fokussierung nicht als isolierte Funktion, sondern eingebettet in einen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang. Sowohl globale (horizontale) als auch lokale (detailorientierte) Faktoren der Wahrnehmung bestimmen das Aufmerksamkeitsgeschehen und bedingen gegenseitig den

439 Vgl. C.W. Eriksen/J.D. St. James: Visual attention within and around the field of focal attention: a zoom lens model. In: Perception and Psychophysics, 40/1986, 225-240; C.W. Eriksen/T.D. Murphy: Movement of attentional focus across the visual field: a critical look at the evidence. In: Perception and Psychophysics 42/1987, 299-305; S. Yantis: Control of visual attention, 235-238. 440 Zum Unterschied von globaler und lokaler bzw. regionaler Wahrnehmung vgl. D. Navon: Forest before trees: the precedence of global features in visual perception. In: Cognitive Psychology 9/1977, 353-383.

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aktuellen Wechsel der Wahrnehmung.441 Der Horizont der Aufmerksamkeit bekommt in diesem Zusammenhang nicht nur die Bedeutung eines räumlichen Hintergrundes, sondern stellt den Bereich vergangener und potentieller Aufmerksamkeitsthemen dar. Die zoom-lens Metapher der Aufmerksamkeit ist ein erster Schritt zu einer solchen dynamischen Aufmerksamkeitsauffassung. Während der Scheinwerfer in Umfang und Intensität gleich bleibt, erlaubt die zoom-lens Metapher eine graduelle Differenzierung der räumlichen Bereiche und der damit einhergehenden Qualität der Wahrnehmung. Der Scheinwerfer steht für den Ansatz der frühen Selektion, das zoom-lens Modell zeichnet sich durch graduell verschiedene Verarbeitungsstufen aus und kommt der Annahme einer späten Selektion entgegen. Beide Metaphern, der Scheinwerfer und das Foto-Objektiv, implizieren eine intentionale Steuerung auf das, was uns gerade interessiert. Aber gerade die Konzentration auf eine bestimmte Tätigkeit verlangt z.B. den Ausschluss von störenden Faktoren, auch wenn diese sich im visuellen Scheinwerfer befinden. Hierbei bestimmt nicht ein festgesetzter räumlicher Radius den Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit, sondern die jeweilige experimentelle oder reale Aufgabe oder allgemein eine sich durch Interessen und Wahrnehmungsroutine ergebende Vorprägung. Trotz der dynamischen Aspekte der zoom-lens Metapher unterliegt diese in gleicher Weise wie das Scheinwerfermodell einer Reduktion auf den räumlich-visuellen Bereich. Diese Beschränkung wird in Anbetracht der alltäglichen Wahrnehmungs- und Handlungsanforderungen, welche vor allem durch ihren zeitlich-situativen Charakter, den praktischen Umgang mit Objekten (Werkzeugen) und die dafür notwendige Integration verschiedener Sinnesmodalitäten und Eindrücke charakterisiert sind, fraglich. Bis auf den letzten Punkt werden diese Aspekte von der objektbezo441 Mit den gestaltstrukturellen Aspekten dieser Wechsel beschäftigt sich der Phänomenologe A. Gurwitsch, der im ersten Teil dieser Untersuchung vorgestellt wurde. Arvidson weist mit Hilfe von Gurwitschs Einsichten immer wieder auf die notwendige Berücksichtigung des Kontextes in der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung hin. Vgl. z.B. seinen letzten Beitrag zum Thema, P.S. Arvidson: Attention in context. Arvidson spricht zwar von der Relevanz des Gegebenen, welches die Unterscheidung in Thema, thematisches Feld oder Rand ermöglicht, verweigert aber gleichzeitig die Annahme einer subjektiv-geschichtlichen Erfahrungsinstanz und verfolgt im Anschluss an Gurwitsch eine ‚Ich-freie‘ Bewusstseinsphilosophie. Der gegenständliche Kontext muss aber durch einen subjektiven Erfahrungskontext ergänzt werden, da sonst die (individuell) verschiedene Differenzierung des Gegebenen in relevante Themenbereiche, thematische und aktuell nicht thematische Felder nicht verständlich werden kann.

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genen Aufmerksamkeitsforschung aufgenommen, die zu neuen Metaphern wie dem im Folgenden thematisierten Bild der grabbing hand führen. Wenn mehrere sich bewegende Objekte gleichzeitig visuell verfolgt werden sollen, ist dies effektiv nur bei bis zu 4-6 Objekten möglich. Dieser Mittelwert entspricht der Anzahl von Fingern an einer Hand. Die grabbing hand Metapher verweist damit auf folgenden Zusammenhang: Durch das aktive visuelle Ergreifen und Mitverfolgen von Wahrnehmungsgegenständen oder -situationen kann sich trotz der Bewegung, Veränderung sowie der teilweise nur partiell erscheinenden Objekte eine zeitliche und inhaltliche Kohärenz der Wahrnehmungserscheinungen herstellen. Die Aufmerksamkeit, gefasst als aktiver Zugriff auf das Geschehen, eignet sich insbesondere, um Phänomene von Fehlwahrnehmungen zu erklären.442 Das Bemerken von Veränderungen oder das Verfolgen von Dingen umfasst aber nur einen Teilbereich menschlicher Wahrnehmung. Die Identifikation und Wiedererkennung von Objekten nimmt einen mindestens ebenso wichtigen Platz ein. Um diesen verschiedenen Umweltanforderungen gerecht zu werden, haben eine Anzahl von Forscher begonnen Aufmerksamkeit in weiteren sogenannten real-world dynamic settings zu untersuchen. Aufmerksamkeit soll nicht mehr nur als statisches visuelles Phänomen verstanden werden, das innerhalb eines räumlichen Kontextes und relativ zu Objekten auftritt, sondern als dynamisches Ereignis in seinem zeitlichen Verlaufscharakter: „[W]e should account carefully not only for visual attention in space and relative to objects but also for the ebb and flow of attention over the different time courses inherent to unfolding events.“443 In diesbezüglichen Studien konnte gezeigt werden, dass unsere Aufmerksamkeit sich bei der Beobachtung eines Films oder in realen Szenen nicht primär auf einzelne Objekte bezieht, sondern sich in Bezug auf sogenannte Eventgrenzen, wie den Beginn oder das Ende einer bestimmten 442 Dies ist z.B. bei der inattentional oder change blindness der Fall, bei denen ein fehlender oder schon anderweitig fungierender aktiver Zugriff das Bemerken von Veränderungen verhindert, auch wenn sich diese im Mittelpunkt des Blickfeldes (Scheinwerfers) abspielen. Experimente dieser Art führten innerhalb der Kognitionspsychologie zu der Ansicht, dass nicht alle Informationen in gleicher Weise verarbeitet oder repräsentiert werden, sondern nur diejenigen, die für die aktuell auszuübende Aufgabe von Belang sind, s. die Ausführungen in Teil III dieser Untersuchung.XXX 443 D.T. Levin/M.M. Saylor: Shining spotlights, zooming lenses, grabbing hands, and pecking chickens: the ebb and flow of attention during events. In: T.F. Shipley/J.M. Zacks (Hg.): Understanding events: From perception to action. Oxford 2008, 522-555, hier: 534.

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Aktivität oder inhaltlichen Handlungssequenz, orientiert. Dies macht ein Experiment deutlich, in dem während der Vorführung eines Films eine Unterbrechung in der Mitte eingebaut wurde. Obwohl man die Länge der Unterbrechung von 200ms auf 600ms erhöhte, bemerkten nur 10-15 Prozent der Teilnehmer diesen Einschnitt. Dennoch konnten sie zugleich in einem anschließenden Identifikationstest Zusammenhänge, vorkommende Personen und Gegenstände vor und nach der Unterbrechung benennen. Wurde die Unterbrechung stattdessen kurz vor dem Beginn eines Kollisionsevent eingeblendet, etwa wenn eine Person mit mehreren Kartons beladen um eine Ecke läuft, stieg die Prozentzahl der Entdeckungen auf 50 Prozent an. Ausgehend von diesen Ergebnissen folgerte man, dass eine kohärente Wahrnehmung keiner bewussten Aufnahme oder Repräsentation aller verfügbaren Informationen bedarf, sondern nur derjenigen, die noch nicht bekannt, d.h. neu, und womöglich für die inhaltliche Entfaltung eines events444 wichtig sind. Dies würde erklären, weshalb die Unterbrechung in der Mitte des Films unbemerkt blieb, während der andere Einschnitt, der nicht in einem eindeutigen Eventkontext stand, d.h. kurz vor Beginn eines unbestimmten Vorganges platziert wurde, mehr Aufmerksamkeit auf sich zog. Gleichzeitig würde dies eine Antwort auf die Frage geben, warum Menschen nur in ganz bestimmten Fällen eine explizite Wahrnehmung von speziellen visuellen Informationen aufweisen und ansonsten nur Kenntnis über die groben Gesamtzusammenhänge haben: So, the key question to answer is, when are people aware of visual information? One good answer to that question would be to refer to the ongoing structure of events. People need to be aware of visual information when it is necessary to determine the nature of an event. This awareness allows one to bring a full complement of cognitive and perceptual resources to bear when deciding what is coming next. However, while an event is unfolding in an expected manner it may not be necessary to be aware of visual information.445

Kontextinformation erleichtert demzufolge zwar erwiesenermaßen die visuelle Entdeckung446 und Identifikation von Objekten sowie das Ver-

444 Im Folgenden wird das englische Wort event in den deutschen Sprachgebrauch als Event übernommen. 445 D.T. Levin/M.M. Saylor: Shining spotlights, zooming lenses, grabbing hands, and pecking chickens, 543. 446 Vgl. M.M. Chun: Contextual cueing of visual attention. In: Trends in Cognitive Science 4/2000, 170-177.

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ständnis von Szenen447, gleichzeitig scheint sie jedoch eine explizite und aktuelle Ausrichtung der Aufmerksamkeit in manchen Fällen zu verhindern. Eine zu beantwortende Frage wäre hierbei, woher die Teilnehmer bzw. deren visuelles System wissen, ob und wann ein neues Ereignis eintritt und explizite Aufmerksamkeit notwendig ist. Auch dies lässt sich wiederum nur unter der Zuhilfenahme eines bestehenden Erfahrungskontextes erklären, der uns dazu befähigt, bekannte und ‚neue‘ Umstände zu unterscheiden. In diesem Zusammenhang sprechen sich die Autoren der oben zitierten Studie für eine graduelle Differenzierung verschiedener Aufmerksamkeitsund Bewusstseinsstufen aus, die in Bezug zu verschiedenen Umweltanforderungen stehen. Sie unterscheiden zwischen „no attention, broadly focused attention, and a sort of attention that is responsible for bringing specific visual information into awareness”448. Experimentell nachzuweisen, dass gar keine Aufmerksamkeit im Spiel ist, ist dabei kaum möglich, da lediglich Versäumnisse in Bezug auf eine festgesetzte Aufgabe festgestellt werden können In obigem Versuch konnten trotz der fehlenden Entdeckung der Unterbrechung verschiedene Objekte und Zusammenhänge identifiziert und im Nachhinein rekapituliert werden. Auf der einen Seite würde dies der Verwendung einer zoom-lens-Metapher entgegenkommen, die einer Verarbeitung mit weit eingestelltem Objektiv entspräche, deren Auflösung nur wenige Details erkennen lässt. Auf der anderen Seite wird jedoch aus dem zoom-lens-Modell genauso wenig wie aus dem Scheinwerfermodell ersichtlich, wie es zu einem kompletten Versäumnis einer Veränderung oder einer Unterbrechung des Bildes kommen kann. Der Begriff der zugreifenden Hand (grabbing hand) erweist sich in diesem Kontext als eher geeignet, unter der Prämisse, dass die Hand in konstanter Weise gewisse Dinge aufgreift und wieder fallen lässt. Da dieses Modell aber ursprünglich für die zeitliche Dauer und inhaltliche Konstanz einer dynamischen Wahrnehmungserscheinung steht und nicht den plötzlichen Wechsel der Aufmerksamkeit erklären kann, bedarf es einer weiteren Metapher, um die visuelle Aufmerksamkeit adäquat zu erfassen. Hierzu dient den betreffenden Autoren das Bild eines pickenden Huhns (pecking chicken):

447 Vgl. S.E. Palmer: The effects of contextual scenes on the identification of objects. In: Memory and Cognition 3/1975, 519-526; I. Biederman: Perceiving real-world scenes. In: Science 177/1972, 77-80. 448 D.T. Levin/M.M. Saylor: Shining spotlights, zooming lenses, grabbing hands, and pecking chickens, 544.

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To help understand attention in situations where vision is tightly coupled with ongoing events, we propose that visual attention might sometimes be more akin to a pecking chicken than a spotlight, zoom lens, or hand. Just as a chicken continuously searches for grain but engages the ground only in momentary pecks to eat a bit of grain, visual attention leads to awareness of specific visual information in a series of more or less closely spaced momentary samplings.449

Im Gegensatz zu der ebenfalls dynamisch geprägten Vorstellung der zugreifenden Hand betont diese Metapher kurze intensive Momente des aufmerksamen Engagements. Neue visuelle Informationen werden nur an bestimmten Zeit- oder Wendepunkten aufgenommen und ‚ausgewertet‘, wenn sie für das Verständnis eines Events notwendig sind. Diese Neuorientierung und Neuaufnahme von Informationen muss nur von Zeit zu Zeit stattfinden und wird umgehend in die weitere Verarbeitung und den bereits bekannten Kontext integriert. Die kurze zeitliche Sequenz, in der eine aktive und bewusste Fokussierung auf etwas stattfindet, verfährt dabei höchst selektiv. Ein weiterer wichtiger Aspekt dieses Modells ist die zeitliche und inhaltliche Verbindung dessen, was aktuell ‚aufgepickt‘ wird, mit bereits vorangegangenen sowie zukünftigen Erscheinungen. Die selektive subjektive Differenzierung des Gegebenen, welche durch das ‚Picken‘ hervorgerufen wird, bringt einen Horizont des Gegebenen mit sich, der über das jeweilig Präsente hinausweist. Damit geht zugleich die Verknüpfung von sinnlicher Wahrnehmung und höheren kognitiven Prozessen, wie Wissens- und Gedächtnisrepräsentationen, einher. Pecks represent moments when visual information is integrated with knowledge to produce a sophisticated understanding of the visual world that goes beyond the present, and beyond the immediately apparent. So, this may be the moments when actions are related to intentions, novel stimuli are related to existing knowledge, and actions are integrated with one another.450

Das obige Beschreibungsmodell hat eine nicht zu übersehende Ähnlichkeit mit dem im ersten Teil vorgestellten Ansatz des Phänomenologen M. Merleau-Ponty, der zwischen einer objektivierenden (schöpferischen) und einer habituellen Komponente der Aufmerksamkeit unterscheidet. Erstere leistet wie in obigem Zitat eine Aktualisierung und Strukturierung des Wahrnehmungsfeldes und macht somit zum Gegenstand, was zuvor nur Hintergrund der Erfahrung war. Die habituelle Komponente der Auf449 Ebd., 545. 450 Ebd., 547.

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merksamkeit verweist dagegen auf den im obigen Modell ebenfalls vorkommenden Aspekt des Bekannten. Die bleibenden, aber nicht eigens thematischen Sinnbestände aus früheren Erfahrungen leiten den Wahrnehmungsverlauf, gewährleisten Orientierung, Routine und vermitteln das Gefühl einer vertrauten Lebensumwelt. 451 Das solchermaßen Bekannte oder Erwartete kann insofern eine explizite Aufmerksamkeit oder die Detailkenntnis zu einem bestimmten Zeitpunkt regelrecht verhindern, wie das besprochene Filmexperiment aufgewiesen hat. Wie in der obigen Darstellung deutlich wurde, bestimmen die jeweils verwendeten Metaphern die (statische oder dynamische) Sichtweise auf das betreffende Phänomen. Sie geben insofern bereits eine Richtung in Bezug auf die Frage nach dem Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit vor. Aufmerksamkeit als Scheinwerfer bezieht sich demzufolge auf einen räumlichen Bereich, während die Aufmerksamkeit als zupackende Hand eher auf Objekte abzielt.452

4.3 Worauf richtet sich die Aufmerksamkeit: Orte oder Objekte? Das experimentelle Paradigma des räumlichen Hinweisreizes (spatial cueing), das M. Posner in den späten 1970er Jahren im Anschluss an frühere Experimente von Barbara und Charles Eriksen entwickelte, bestimmte in den folgenden Jahren die Aufmerksamkeitsforschung der Kognitionspsychologie. Eriksen entdeckte in seinen Experimenten, dass die Interferenz von motorisch nicht kompatiblen Distraktoren von der räumlichen Distanz abhängig

451 Je nach den jeweiligen Lebensumständen und den darin sich wiederholenden Routinehandlungen führt dies zu einem individuellen sowie kulturell geprägten Aufmerksamkeitsstil, der im Alltag weitestgehend bestimmt, was wir im Einzelfall überhaupt bemerken können. Diese These wurde von der Verfasserin in Anlehnung an Husserl und Merleau-Ponty in folgendem Aufsatz entwickelt: M. Wehrle: Die Normativität der Erfahrung. 452 Zugleich steht der angenommene Gegenstandsbereich in einem engen logischen Verhältnis zu der angenommenen Funktion der Aufmerksamkeit, wie dies insbesondere bei der feature-integration-theory von A. Treisman deutlich werden wird. Vgl. A.M. Treisman/G. Gelade: A feature-integration theory of attention. In: R.W. Proctor/L.E. Read (Hg.): Attention, vol. 2. Visual attention. Los Angeles/London/New Delhi/Singapur/Washington 2009, 3-40.

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ist, die diese in Bezug auf das Zielobjekt einnehmen.453 Die selektive Funktion der Aufmerksamkeit scheint nicht in der Lage, unerwünschte visuelle Stimuli auszublenden, die in diese Region fallen. Man nahm daher an, dass alle Stimuli, die sich innerhalb dieser minimalen Bandbreite des Scheinwerfers befanden, auch vollständig verarbeiten werden. Ausgehend von dieser Sachlage fanden Posner und seine Kollegen viele experimentelle Bestätigungen dafür, dass eine korrekte räumliche Ausrichtung der Aufmerksamkeit, die durch einen vorangehenden Hinweisreiz erzielt wird, das Entdecken des gesuchten Zielobjektes in diesem Bereich erleichtert. Daraus ergab sich die generelle Folgerung, dass Aufmerksamkeit sich primär auf räumliche Bereiche und nicht etwa auf bestimmte Objekte hin orientiert. Den betreffenden Stimuli oder Objekten, die zufällig im angestrahlten Bereich liegen, kommt so das Privileg einer expliziten Wahrnehmung in Form einer Identifikation und einer möglichen Erinnerung an das Gesehene zu. Dies wurde als Beweis für eine effizientere Informationsverarbeitung unter dem Einfluss von räumlicher Aufmerksamkeit angesehen.454 Diese Einsichten wurden aber interessanterweise aus einem experimentellen Kontext gewonnen, der sich gerade dadurch auszeichnet, dass die Teilnehmer ein bestimmtes Zielobjekt entdecken sollen. Die räumliche Ausrichtung erfolgt nicht willkürlich, sondern in Erwartung eines speziellen Objektes. Der dabei verwendete Hinweisreiz kann ebenfalls als objektartig oder im Falle eines indirekten cues in Form eines kurzen Lichtblitzes zumindest als ‚etwas‘ bezeichnet werden, das sich von einer bloßen räumlichen Bestimmung abhebt. In der alltäglichen Wahrnehmungserfahrung lassen sich Objekte und ihre räumliche Dimension nur schwer trennen. Die Charakterisierung der Aufmerksamkeit als Scheinwerfer eignet sich demnach nur für Situationen, in denen wir bestimmte Personen oder Objekte in einem Umfeld suchen, wie etwa den Freund in der Menge. Hierbei erscheint die Scheinwerfermetapher adäquat, da es sich als nützlich erweist, nach und nach sämtliche Regionen einzeln zu beleuchten, bis man den gesuchten Freund gefunden hat. Anders verhält es sich, wenn man ohne Vorwissen einen fremden Raum betritt. In dieser Situation erscheint es sinnvoller, sich zunächst einen groben Gesamteindruck des Raumes zu verschaffen, statt sukzessive jede Ecke genau zu betrachten. Dies würde einer parallelen Suche auf einem Display ohne Hinweisreiz entsprechen. 453 Vgl. B.A. Eriksen/C.W. Eriksen: Effects of noise letters upon the identification of a target in a non-search task. 454 Vgl. M.I. Posner: Orienting of attention; E.B. Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 140-142.

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Die räumliche Verteilung der Aufmerksamkeit ist insofern, wie sich bereits bei den Kapazitäts- und Ressourcentheorien gezeigt hat, in hohem Maße aufgabenspezifisch. Im Vergleich zu den Kapazitätsansätzen schließt aber die Scheinwerfermetapher die Möglichkeit aus, dass sich Aufmerksamkeit auf verschiedene Bereiche oder Aufgaben graduell verteilen kann. Aufmerksamkeit ist dadurch in ähnlicher Weise wie in der Filtertheorie als ‚alles-oder-nichts‘-Mechanismus definiert und für Differenzierungen auch innerhalb des Scheinwerfers bleibt kein Platz. Verschiedene experimentelle Befunde belegen hingegen, dass Aufmerksamkeit sich zugleich auf verschiedene räumliche Bereiche richten kann, etwa wenn Objekte sich nach den Gesetzen der Gestalttheorie als visuelle Gruppe bewegen. Distraktoren, die sich in der Nähe der Zielobjekte befinden, führen demnach nicht nur aufgrund der räumlichen Nähe zu Interferenz, sondern auch aus dem Grunde, dass Dinge, die nebeneinander angeordnet sind, eine sogenannte gute perzeptuelle Gruppe bilden.455 Diese perceptual grouping Hypothese wurde durch ein weiteres Experiment bestätigt, das mit Distraktoren operierte, die sich zusammen in eine Richtung bewegten. Während man im Kontext des Scheinwerferarguments erwarten würde, dass diejenigen Distraktoren, die am nächsten zum Zielobjekt angeordnet sind, die meiste Interferenz verursachen, konnte die perceptual grouping Hypothese beweisen, dass flankierte Stimuli, die mit dem Zielobjekt gruppiert werden, d.h. sich mit ihm in dieselbe Richtung bewegen, die größte Interferenz erzeugen – auch wenn diese im Display vom Zielobjekt weiter entfernt sind. Auch andere experimentelle Befunde machen deutlich, dass sich Aufmerksamkeit nicht ausschließlich auf räumliche Bereiche beziehen kann, sondern auch als objektbezogen zu charakterisieren ist. So lässt sich für folgende Phänomene, die als Indiz für eine ortsbezogene Aufmerksamkeit gelten, ebenso eine objektbezogene Version ausmachen: Dies gilt für die beobachtete Hemmung, die eintritt, wenn man auf einen bereits aufgemerkten Ort visuell zurückkommen soll (inhibition of return) oder das pathologische Phänomen des visuellen Neglekt, in dem eine räumliche Seite vollständig unbemerkt bleibt.456

455 Vgl. W. Printzmetal: Principles of feature integration in visual perception. In: Perception and Psychophysics 30/1981, 330-340; P.M. Merikle: Selection from visual persistence by perceptual groups and category membership. In: Journal of Experimental Psychology: General 109/1980, 279-295. Die folgende Darstellung bezieht sich auf ein Experiment von J. Driver/G.C. Baylis: Movement and visual attention: the spotlight metapher breaks down. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 15/1989, 448-456. 456 Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 73-76.

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Im ersten Fall, der auch als inhibition of return bezeichnet wird, konnte gezeigt werden, dass nicht nur diejenigen räumlichen Bereiche gekennzeichnet werden (spatial tagging), die man bereits in den Blick genommen hat, sondern dass dies gleichermaßen für bereits entdeckte Objekte gilt. Falls dieser Effekt nur in Bezug auf räumliche Bereiche auftreten würde, wäre dies sehr unvorteilhaft, da sich viele der gesuchten Objekte in der realen Welt bewegen und sich ihr Aufenthaltsort ständig ändern kann. Was passiert also, wenn man ein lebendiges Wesen, wie etwa ein Haustier, sucht, dieses im Augenblick des Auffindens jedoch fortläuft? Wäre die Ausrichtung unserer Aufmerksamkeit lediglich ortsbezogen, müssten wir eigentlich stehen bleiben und weiterhin auf den entsprechenden räumlichen Bereich fixiert sein, nur dass dieser nun nicht mehr der Aufenthaltsort des gesuchten Haustieres ist. Stattdessen verfolgen wir das sich bewegende ‚Wahrnehmungsobjekt‘ und merken uns die Orte, an denen es bereits aufgetaucht ist. Wie im obigen Beispiel der perzeptuellen Gruppierung zeigt sich, dass die statische Scheinwerfertheorie keine Erklärung für die Bewegung von Objekten und die Veränderung der Umgebung vorweisen kann. Aufmerksamkeit ist in der realen Welt eher selten auf feste räumliche Bereiche gerichtet: In alltäglichen Situationen ist man viel eher mit bewegten Objekten in einer sich ständig ändernden Umgebung konfrontiert als mit räumlich klar eingeteilten Bereichen, wie etwa in einem entsprechenden visuellen Display. Im zweiten genannten Fall, dem visuellen Neglekt, der als Störung der räumlich orientierten Aufmerksamkeit gilt, lassen sich ebenfalls Indizien für einen Objektbezug finden. In einem diesbezüglichen Experiment wurde Patienten mit diesem Symptom – aufgrund einer Schädigung im Bereich der linken Gehirnhälfte werden Stimuli auf der kontralateralen Sehhälfte nicht bewusst wahrgenommen – ein Objekt gezeigt, das in der Mitte ihres Blickfeldes im Kreis rotierte.457 Wenn das verwendete Objekt (zwei Kreise, die in der Mitte durch einen Balken verbunden sind) präsentiert wird, sehen sie daher nur den Kreis auf der linken Seite und den linken Teil des Balkens. Die Zielobjekte befinden sich dabei entweder in dem rechten oder linken Kreis. Was passiert nun, wenn das betreffende Objekt 457 Vgl. M. Behrmann/S.P. Tipper: Object-based attentional mechanisms: evidence from patience with unilateral neglect. In: C. Umilta/M. Moscovitch (Hg.): Attention and performance XV: Conscious and nonconscious information processing. Cambridge, MA 1994, 351-375; S.P. Tipper/M. Behrmann: Object-centered not scene-based visual neglect. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 22/1996, 1261-1278; E.A. Styles: The psychology of attention, 73-76.

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sich von der einen auf die andere Seite dreht? Bleibt die rechte Seite per se ungesehen oder bewegt sich die Aufmerksamkeit mit dem Objekt mit? Falls die Aufmerksamkeit ortsbezogen ist, sollte die Bewegung des Objektes im Vergleich zur statischen Version des Versuches keinen Unterschied machen. Bezieht sich die Aufmerksamkeit allerdings nicht nur auf den rechten bzw. linken räumlichen Bereich der Umwelt, sondern auf die linke und rechte Seite des jeweiligen Objektes, müssten die Ergebnisse differieren. Tatsächlich traten einige Veränderungen im Vergleich zur Kontrollgruppe auf. Manche Teilnehmer konnten in 28% der Durchgänge das Zielobjekt nicht entdecken, obwohl es auf ihrer ‚guten‘ Seite ankam. Zwei weitere Probanden erbrachten dieselbe Leistung unabhängig davon, auf welcher Seite das Zielobjekt auftauchte. Allgemein fand man heraus, dass alle Teilnehmer eine langsamere Reaktion zeigten, wenn der Kreis mit dem Zielobjekt auf der rechten Seite endete, obwohl dies ihre ‚gute‘ Seite sein sollte. Dagegen konnte eine bessere Leistung auf der linken Seite festgestellt werden, auf der eigentlich keine bewusste Wahrnehmung stattfindet. Die Studien konnten darlegen, dass Bewegung die Orientierung bzw. die Orientierungsstörungen der Aufmerksamkeit maßgeblich beeinflussen kann. In Situationen, in denen ein bereits bemerktes Objekt in seiner Bewegung visuell verfolgt wird, etwa ein gejagtes Tier oder ein Ball bei einem Fußballspiel, muss die Aufmerksamkeit mit ihrem Objekt auch den Ort wechseln. Im Falle des visuellen Neglekt wird in diesem Experiment die Aufmerksamkeit der Probanden von dem präsentierten Objekt angezogen, so dass die ‚schlechte‘ Aufmerksamkeit, die auf die linke Seite des Objekt gerichtet war, mit diesem auf die rechte Seite wechselt, während die ‚gute‘ Aufmerksamkeit, die sich auf die rechte Seite hin orientierte, nun auf der linken Seite zu finden ist. Diese Erklärung wird nach Meinung der Experimentatoren sowohl dem Umstand gerecht, dass im Falle der Rotation des Objektes eine Erleichterung auf der ‚schlechten‘ (linken) Seite stattfand, als auch, dass eine Hemmung der ‚guten‘ (rechten) Seite auftrat. Versuche dieser Art machen deutlich, dass der Bezugsrahmen der Aufmerksamkeit weder allgemein durch Orte noch durch Objekte ausgezeichnet ist, sondern sich je nach den Umständen und Handlungsanforderungen verändern kann. Bestätigt werden diese Versuche anhand von experimentellen Studien zu aufgabenorientierten Blickbewegungen, die durch einen auf dem Kopf des Teilnehmers angebrachten eyetracker gemessen werden. Im Laufe der Versuche wird die Anzahl der physiologischen Fixationen – der Phase zwischen zwei Blickbewegungen (Sakkaden) – in den jeweiligen Bereichen eines Bildes, Films oder bei der Ausübung einer praktischen Aufgabe in

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der Umwelt aufgezeichnet. Während bei sogenannten freien Blickbewegungen die Fixationen stark variieren, etwa wenn Probanden ein Bild ohne jegliche Anweisung betrachten, werden bei gezielten Aufgaben wie dem Zubereiten eines Erdnussbutterbrotes oder einer Tasse Tee nur diejenigen Bereiche und Gegenstände fixiert, die unmittelbar für den nächsten Handlungsschritt relevant sind. Die Augenbewegungen gehen in diesen Fällen den jeweiligen Handlungen um einen Sekundenbruchteil voraus, denn bevor der Handelnde das Erdnussbutterglas aufgreifen kann, erfolgt eine kurze visuell-räumliche Orientierung.458 In weniger typisierten Handlungen und bei Experimenten zur freien Blickbewegung ist es dagegen weitaus schwieriger, im Voraus zu bestimmen, wohin eine Person schaut. Zu diesem Zweck können zwar sogenannte Salienzkarten (saliency maps) angefertigt werden, die Bereiche mit einer hohen Stimulussalienz innerhalb eines Bildes kennzeichnen – helle Farben, hoher Kontrast und sichtbare Orientierungen – und so eine grobe Vorhersage ermöglichen, die Reihenfolge der Fixierungen weist aber ein großes Maß an individueller Variation auf.459 Diese exogene Ausrichtung der Aufmerksamkeit beeinflusst aber nur die ersten Sekunden einer freien Bildbetrachtung, bei längerem Schauen spielen andere sogenannte top-down Faktoren wie die Bedeutung von Objekten im Bild eine Rolle, insbesondere wenn es sich um eine bekannte Szene handelt.460 Sobald man die reduzierten Kontexte des Labors verlässt und sich bemüht, Aufmerksamkeit in alltäglichen Situationen zu untersuchen, ergibt sich insofern ein vergleichsweise differenter Bezugsrahmen, der sich weder durch eine mit Hinweisreizen angeleitete räumliche Suche noch durch eine kontextfreie Orientierung auf Objekte auszeichnet, sondern der vielmehr Szenen, Handlungen und Situationen als Gegenstandsbereiche der Aufmerksamkeit in den Vordergrund rückt.

458 Vgl. E. B. Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 133-135. 459 Vgl. D. Parkhurst/K. Law/E. Niebur: Modeling the role of salience in the allocation of overt visual attention. In: Vision Research 42/2002, 107-123; T. Foulsham/G. Underwood: What can saliency models predict about eye movements? Spatial and sequential aspects of fixations during encoding and recognition. In: Journal of Vision 8/2008, 1-17. 460 Vgl. E.B. Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 134f.

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4.4 Die Merkmalsintegrationstheorie (feature-integration-theory) Bisher wurde für einen dynamischen Bezugsrahmen der Aufmerksamkeit argumentiert, der seinen Schwerpunkt auf zeitliche und inhaltliche Erlebniseinheiten setzt. Diese wiederum verweisen in letzter Konsequenz auf ein passiv oder aktiv erfahrendes Subjekt zurück. Nach Ansicht der einflussreichen feature-integration theory von Anne Treisman stellen diese Zusammenhänge aber nur scheinbar den primären Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit dar. Gegenüber dieser Erfahrungsevidenz, in der wir es mit bekannten Szenen, Handlungen und Gegenständen zu tun haben, stehen physiologische Annahmen, die suggerieren, dass visuelle Szenen zunächst von verschiedensten neuronalen Rezeptoren analysiert werden. Letztere sind nur für ganz spezifische Merkmale wie Orientierung, Farbe, räumliche Frequenz oder Bewegung zuständig. Nicht die gegenständliche oder globale Wahrnehmung steht insofern an erster Stelle, sondern diese muss auf einer tiefer liegenden Verarbeitungsebene durch die Verbindung einzelner Merkmale überhaupt erst hergestellt werden. Aufmerksamkeit bezieht sich infolgedessen nicht auf Gegenstände oder Szenen, sondern ermöglicht erst durch ihre räumliche Orientierung auf einen Bereich, dass die sich dort befindenden einzeln verarbeiteten Stimuli zu einer kohärenten gegenständlichen Wahrnehmung ‚zusammengebunden‘ werden können. Treisman verweist an dieser Stelle auf die Debatte um analytische und synthetische Theorien der Wahrnehmung, die in der antiken Philosophie wurzelt und im philosophischen Streit des Empirismus und Rationalismus ihren Höhepunkt erreichte. Was muss logisch oder genetisch Vorrang haben: Das Ganze, das einer Zerlegung seiner Einzelteile vorangehen muss, oder die kleinsten Teile, die sich durch Prozesse der Assoziation nach und nach zu einem Ganzen formieren? In der Wahrnehmungspsychologie stellt sich diese Sachlage nach Treisman folgendermaßen dar: The controversy between analytic and synthetic theories of perception goes back many years: the Associationists asserted that the experience of complex wholes is built by combining more elementary sensations, while the Gestalt psychologists claimed that the whole precedes its parts, that we initially register unitary objects into their component parts or properties.461

461 A.M. Treisman/G. Gelade: A feature-integration theory of attention. In: R.W. Proctor/L.E. Read (Hg.): Attention, vol. 2. Visual attention. Los Angeles/London/New Delhi/Singapur/Washington 2009, 3-40, hier: 3.

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Obwohl die Umwelt für uns aus der Ersten-Person-Perspektive unmittelbar und direkt erfahrbar ist, heißt dies nach Treisman in keiner Weise, dass dieser Umstand auch die Vorgehensweise eines frühen Stadiums der Informationsverarbeitung in unserem Nervensystem widerspiegelt. Bewusst wahrgenommen wird nach dieser Ansicht nur das, was bereits Ergebnis von subpersonalen Prozessen ist. Aufmerksamkeit sorgt in dieser Verarbeitungshierarchie für die Verbindung einzelner Merkmale zu einem Gegenstand und gewährleistet damit den Zugang zum bewussten Erleben. Sie bezieht sich daher in erster Linie auf die erwähnten primären objektiven Merkmale (features).462 Diese Ansicht beruft sich in der gegenwärtigen Aufmerksamkeitsforschung vor allem auf Erkenntnisse der Neurowissenschaft über die modulare Organisation des Gehirns; In Bezug auf die Wahrnehmungsverarbeitung stoßen wir hier auf hierarchisch strukturierte kortikale Verarbeitungszentren (V1-V5), spezialisierte neuronale Zellenverbände (Karten und Säulen) und Gehirnströme (der ventrale Was-Strom und der dorsale Wo oder auch Wie-Strom).463 All dies führt in der Kognitionspsychologie zu der Frage, wie die verschiedenen Attribute, die zu demselben Objekt gehören und dennoch räumlich getrennt im Gehirn verarbeitet werden, in der richtigen Weise von unserem Wahrnehmungssystem verknüpft werden, um einen entsprechenden Output, d.h. eine Verhaltensantwort, zu generieren. Aufmerksamkeit kann man in diesem Zusammenhang einerseits als ein oder mehrere subpersonale Mechanismen verstehen, die eine solche Integration leisten, oder als die Ursache für eine solche Bindung von Merkmalen. Im zweiten Falle wird diese Form der Aufmerksamkeit von der Ausrichtung 462 Die feature-integration theory steht in diesem Sinne zugleich für eine ortsbezogene Orientierung der Aufmerksamkeit, da die betreffenden Merkmale nur zusammengebunden werden, wenn sie in den räumlichen Scheinwerfer der Aufmerksamkeit fallen. Nur durch die Verbindung von räumlicher Zuordnung und primärer Merkmale wird es möglich, spezielle Objekte zu identifizieren oder verschiedene Objekte, die am selben Ort vorkommen, zu unterscheiden. 463 Vgl. E.B. Goldstein: Wahrnehmungspsychologie, 144. Die Modularität des Gehirns zeigt sich nach Goldstein anhand von formsensitiven (IT Kortex), bewegungssensitiven (MT Kortex) und farbsensitiven Zellen (in anderen Arealen), die etwa bei der Wahrnehmung eines Balles räumlich separat ‚feuern‘. Haben die ausgewählten Stimuli bzw. die Auffassung durch die zuständigen Neuronen tatsächlich den Status primärer physiologischer Grundstrukturen, aus denen sich die objektive ‚Dingwelt‘ zusammensetzt? Oder wurden die betreffenden Stimuli von den Forschern nur deshalb ausgewählt, weil sie eine zentrale Rolle in unserer Beschreibung und Unterscheidung von Wahrnehmungsobjekten spielen? Vielmehr ist es genauso möglich, dass die betreffenden Zellen auf Kategorien reagieren, die uns gar nicht als solche bekannt sind.

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des physiologischen oder mentalen Blickes (overt/covert orientation) abgeleitet. Ob Aufmerksamkeit im Spiel ist, erfährt man insofern nur in Bezug auf den experimentellen Kontext, der zugleich die Erfahrungsebene der entsprechenden Versuchspersonen darstellt. Sie wird zwar in objektiver Weise gemessen und einer Beobachtung aus der Dritten-Person-Perspektive zugänglich gemacht, trotzdem ist man auf die subjektive Angabe oder das Verhalten der Teilnehmer angewiesen, nur durch sie kann die beteiligte Aufmerksamkeit bestätigt werden. Der Begriff Aufmerksamkeit wird hier so wie in den meisten Fällen sowohl für eine bestimmte Erfahrung oder ein beobachtetes Verhalten als auch für einen zugrundeliegenden Mechanismus gebraucht. Welche Ebenen im Einzelnen gemeint sind und in welcher Beziehung diese zueinander stehen, wird oft nicht genügend differenziert. Noch bevor eine Vielzahl von neurowissenschaftlichen Ergebnissen und Interpretationen in diesem Bereich vorlagen, entstand zu Beginn der Merkmalsintegrationstheorie in den 1980er Jahren eine Idee, die sich direkt aus Experimenten zur visuellen Suche ergab: die Unterscheidung in parallele und serielle Suchstrategien seitens der Versuchspersonen und der Rückschluss auf entsprechende Verarbeitungsebenen der Wahrnehmung. In einer einfachen Suche, in der sich das Zielobjekt aufgrund seiner Form oder Farbe eindeutig von seinem Hintergrund oder den verwendeten Distraktoren abhebt, konnte ein sogenannter pop-out effect beobachtet werden. In diesem Fall bezieht sich die Suche nur auf ein einzelnes Merkmal, das ausreicht, um das Zielobjekt in Relation zu den Distraktoren zu entdecken. Ein Beispiel dafür mag ein grüner Punkt inmitten von roten Punkten sein, der regelrecht aus seinem Hintergrund hinaus und ins Auge des Betrachters ‚springt‘. Diese Form der einfachen Merkmalssuche lässt nach Treisman auf eine parallele Wahrnehmungsverarbeitung schließen, da sie offensichtlich ganz von selbst und ohne Anstrengung – Aufmerksamkeit – stattfindet. Allgemein folgert man daraus, dass sensuelle Attribute wie Farbe, Orientierung und Form automatisch, vor jeder Aufmerksamkeit und in paralleler Weise, enkodiert werden. Dies geschieht nach Treisman in der folgenden Weise: Jedes Verarbeitungsmodul bildet eine passende Karte für die jeweilige Merkmalsdimension aus, wie etwa eine Farbenkarte oder eine Orientierungskarte. Die Repräsentation von einfachen Merkmalen im visuellen System verläuft nach dieser Logik insofern parallel und vor-attentiv (pre-attentive). Wenn man aber wissen will, ob sich eine bestimmte Farbe oder Orientierung auf dem visuellen Bildschirm befindet oder es sich um verschiedene Objekte handelt, müssen die separat kodierten Attribute zu einer Konjunktion verbunden werden. Dies kann auf drei verschiedene Arten erreicht werden.

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Eine Möglichkeit ist, dass die aufgenommenen Attribute in einen schon bestehenden Objektrahmen passen, d.h. mit bereits gespeichertem Wissen und Objektrepräsentationen übereinstimmen. Ein anderer Weg besteht darin, mit Hilfe der Aufmerksamkeit eine master map auszubilden, in der die räumliche Position aller Merkmale repräsentiert ist. Wenn sich die Aufmerksamkeit auf einen räumlichen Bereich dieser master map richtet, wird dadurch die Wiedergabe sämtlicher Attribute erlaubt, die an diesem Ort und zu dieser Zeit präsent sind. Hierdurch vollzieht sich eine temporäre Repräsentation eines Objektes in einem object file. Die Inhalte dieser Objektskizze können nun mit bereits vorhandenem Wissen und vorhandenen Repräsentationen abgeglichen werden. Nach Treisman beruht Bewusstsein im Sinne einer bewussten Wahrnehmung gerade auf diesem Prozess des Abgleichens der Inhalte des object files mit den gespeicherten Beschreibungen im visuellen Langzeitgedächtnis, der eine Identifikation des jeweiligen Gegenstandes ermöglicht. Die dritte Form der Verknüpfung von Attributen benötigt keine Aufmerksamkeit und erfolgt automatisch. Dabei führt dieser letzte Weg nur in Ausnahmefällen zu den richtigen Verbindungen und endet ansonsten in illusorischen Verknüpfungen (illusory conjunctions).464 Die dargelegten Erkenntnisse leitet Treisman aus Experimenten zur visuellen Suche nach einem Zielobjekt ab, das sich durch eine Konjunktion von Merkmalen auszeichnet (conjunction search). Hier soll etwas entdeckt werden, das aus einer Verbindung von Attributen besteht, die ihrerseits teilweise mit den Merkmalen der Distraktoren übereinstimmen. Um das Zielobjekt demnach von den Distraktoren unterscheiden zu können, muss man nach zwei gleichzeitig vorhandenen Merkmalen suchen, die an demselben Ort oder Objekt vorkommen, z.B. der Farbe „Rot“ und dem Buchstaben „T“ für das Szenario, dass nach einem roten ‚T‘ inmitten von grünen ‚T’s‘ und roten ‚B’s‘ gesucht werden soll. In einer späteren Studie mit Buchstaben und Zahlen zeigte sich, dass insbesondere bei sehr kurzen Präsentationszeiten die betreffenden Merkmale anschließend in der falschen Kombination wiedergegeben wurden. Die Teilnehmer konnten zwar alle auf dem Bildschirm vorhandenen Dinge benennen, verbanden aber die falschen Buchstaben mit den falschen Farben. Treisman sah sich im Anschluss in der Annahme bestätigt, dass die betreffenden Attribute ohne fokale Aufmerksamkeit in einer willkürlichen Weise zusammengesetzt werden:

464 Vgl. A.M. Treisman/G. Gelade: A feature-integration theory of attention; E.A. Styles: The psychology of attention, 89-93; J.M. Wolfe: Visual search (review). In: H. Pashler (Hg.): Attention. London 1998, 13-56.

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If focused attention to particular objects is prevented, either because time is too short or because attention is directed to other objects, the features of the unattended objects are ‘free floating’ with respect to one another. This allows the possibility of incorrect combinations of features when more than one unattended object is presented.465

Die Aufmerksamkeit fungiert in diesem Rahmen als eine Art Klebstoff, der die frei herumschwirrenden Merkmale zusammenhält und auf diesem Wege eine einheitliche Gegenstandswahrnehmung ermöglicht: „[F]ocal attention provides the glue which integrates the initially separable features into unitary objects.“466 Aufmerksamkeit erschöpft sich infolgedessen nicht in ihrer selektiven Funktion, sondern nimmt über diese hinaus eine elementare integrative Rolle innerhalb der Wahrnehmung ein. Hieraus ergibt sich eines der interessantesten Probleme, das die Merkmals-integrationstheorie aufwirft: Was kann überhaupt unter einem primären Merkmal (feature) verstanden werden und von wie vielen dieser grundlegenden dinglichen Bausteine kann man ausgehen?

4.4.1 Gibt es primäre sensuelle Kategorien (features)? Der Kognitionspsychologe J. Wolfe gibt bezüglich dieser Frage mehrere Kriterien an, die es ermöglichen sollen, solche primären visuellen Merkmale experimentell zu identifizieren467: Als ein grundlegendes Merkmal kann etwas generell dann angesehen werden, wenn es sowohl eine effiziente Suche als auch eine automatische Differenzierung des visuellen Feldes gewährleistet. Zu solchen basic features, die einer vor-attentiven Verarbeitung zugerechnet werden, gehören Farbe (die vier Grundfarben, rot, gelb, grün und blau) und räumliche Orientierung (horizontale oder vertikale Linien). Mögliche Merkmale könnten ausgehend von experimentellen Ergebnissen auch die Aspekte curvature und vernier offset sein. Weitere Dimensionen stellen die Größe (size), zu der auch die räumliche Frequenz und die Höhe gezählt werden, sowie die Bewegung dar. Eine der schwierigsten Fälle innerhalb der Bestimmung solcher basic features ist die Kategorie Form. Zwar gibt es einige Studien, die zeigen, dass Formmerkmale sich weder auf Orientierung noch auf Aspekte der curvature (Krümmung) reduzieren lassen. Trotzdem ist nicht eindeutig, was genau solche Form-

465 A.M. Treisman/G. Gelade: A feature-integration theory of attention, 5. 466 Ebd. 4. 467 Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf J.M. Wolfe: Visual search, 7-17.

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merkmale ausmacht, und ob sie im Sinne von Treismans Definition einen vor-attentiven Status besitzen. Als ein solches grundlegendes Merkmal könnten die Geschlossenheit einer Figur oder ‚die Verbindung zwischen zwei Linien‘ oder aber ein ‚Hohlraum‘ in Frage kommen. Zu einer Formwahrnehmung gehören aber weit mehr als nur Hohlräume, Geschlossenheit etc. Eine Form ist untrennbar mit dem jeweiligen Objekt verbunden und nur durch diese anschauliche Konkretion als solche abstrahierbar. Formen ergeben sich wie Objekte nicht allein aus einer Kollektion von lokalen features. Dieselbe Kollektion von Merkmalen lässt sich zu ganz unterschiedlichen Objekten zusammenstellen. Hierbei sind globale Faktoren wie das räumliche Arrangement der einzelnen Merkmale von Bedeutung, z.B. bei menschlichen Gesichtern. Die Dimension der Form geht demnach zwar über einzelne Merkmalsbausteine hinaus, dennoch kann man Evidenz für eine vor-attentive Verarbeitung von Objekten, etwa im Falle der Gesichtsidentifikation, feststellen. Als weitere Kandidaten für den Status eines grundlegenden Merkmals werden verschiedene Aspekte der ‚räumlichen Tiefe‘ und ‚Glanz‘ gehandelt. Im Ganzen spricht man nach Wolfe von etwa zehn basic features, mit denen unser visuelles Verarbeitungssystem operiert. Diese werden ihrem Status nach meist als „hardwired primitives“468 bezeichnet, wobei man außerdem in Betracht zieht, dass diese Merkmale auch im Laufe der Entwicklung erworben sein könnten. Einige Studien auf diesem Gebiet bestätigen die Annahme, dass wir die Merkmale lernen, die wir in der alltäglichen Wahrnehmung benötigen. Eine entscheidende Frage bleibt dabei allerdings ungeklärt: „What remains in doubt is the nature of what is learned.”469 Die Schwierigkeit, das Wesen dieser basic features zu definieren, könnte damit zusammenhängen, dass diese scheinbar elementaren Bausteine ihre Identität nur in Relation zu anderen Merkmalen, Objekten und Umgebungen, d.h. innerhalb von Kontrast und Ähnlichkeitsbeziehungen, erhalten. Die Identifikation sowohl von Farbe, Orientierung, Bewegung einerseits als auch von Form, Tiefe oder Glanz andererseits sind direkt oder indirekt auf quasigegenständliche Zusammenhänge angewiesen. Die gesuchte pre-attentive Perspektive auf die Welt würde sich demzufolge eher durch fehlende Details, inhaltliche Explikation und letztlich durch ein weitgehend undifferenziertes ‚Erlebnisgemenge‘ charakterisieren lassen, als durch eine Anhäufung von klar abgegrenzten Einzelmerkmalen. Methodisch zu unterscheiden wäre hierbei zwischen der Frage, 1) wie Bereiche ohne fokale oder explizite Aufmerksamkeit innerhalb einer aktu468 Ebd., 17. 469 Ebd., 17.

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ellen Wahrnehmungssituation zu beschreiben sind, und dem ganz anders gelagerten Problem, 2) wie ein pre-attentiver Zustand rekonstruiert werden kann, der genetisch bzw. entwicklungsgeschichtlich vor dem Erwerb einer gegenständlichen Wahrnehmung angesiedelt ist und diesen insofern erst fundiert. Letzteres wird in der Kognitionspsychologie oft gleichgesetzt mit der Bestimmung von Mechanismen, die einen kausalen Vorrang aufweisen und als Bedingung der Möglichkeit für Objektwahrnehmung angesehen werden müssen. Sowohl bei der Untersuchung des genetischen als auch des kausal-logischen Vorrangs gilt es zu beachten, dass beide auf experimentelle Quellen angewiesen sind, welche mit Subjekten arbeiten, deren Aufmerksamkeit sowohl in ihrer alltäglichen Erfahrung als auch im Kontext des jeweiligen Versuchs immer schon in Aktion ist. Die Untersuchung von Prozessen, die ohne Aufmerksamkeit ablaufen oder durch fehlende Aufmerksamkeit gekennzeichnet sind, steht insofern immer in Relation zu einem aktuell stattfindenden Aufmerksamkeitsakt bzw. Aufmerksamkeitsgeschehen. Was in diesen Fällen gemessen oder gezeigt wird, kann im eigentlichen Sinne nur die erste der oben angeführten methodischen Fragen beantworten, die nicht auf einen vor-aufmerksamen, sondern auf einen neben-aufmerksamen Zustand abzielt. Vor-aufmerksame Momente können in diesem Zusammenhang allein in Bezug auf eine aktuelle Aufmerksamkeitsleistung definiert werden. Allgemeine Feststellungen über genetische oder kausale Voraussetzungen der Erfahrung haben demgegenüber einen anderen methodischen Stellenwert und sollten nur unter Vorbehalt getroffen werden. Im Gegensatz zu der Fragestellung, welche Rolle nicht-aufgemerkte Bereiche in der aktuellen Wahrnehmungssituation spielen und wie diese Horizonte die fokale Aufmerksamkeit oder einen möglichen Aufmerksamkeitswechsel beeinflussen, möchte die feature-integration theory klären, ob Aufmerksamkeit für eine (gegenständliche) Wahrnehmung notwendig ist bzw. ob Wahrnehmung ohne Aufmerksamkeit überhaupt möglich ist. Trotzdem findet keine explizite Unterscheidung zwischen dem generellen Status eines vor-aufmerksamen Zustandes und den momentan nicht-aufgemerkten Bereichen, d.h. den gegenständlichen (noematischen) Horizonten der aktuellen Wahrnehmung, statt. Die Frage, wie eine pre-attentive oder frühe Form der Wahrnehmung aussehen könnte, geht dabei weit über experimentell festgelegte Kontexte hinaus: „It is a murky domain because by the time attention gets slewed around them, these processes have already finished their job and are long gone.“470 470 A. Clark: Feature-placing and proto-objects. In: Philosophical Psychology 19/ 2004, 443-469, hier: 443.

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Die starke These der Merkmalsintegrationstheorie besagt indes, dass es nur unter Bedingungen der Aufmerksamkeit zu einer bewussten Objektwahrnehmung kommen kann. Große Bereiche des momentanen Erlebens müssten infolgedessen dem in obigem Sinne düsteren Gebiet der vor-attentiven Wahrnehmung angehören, das nach Treisman aus unzusammenhängenden Sinnesdaten besteht, die dem Subjekt nicht explizit zugänglich sind. Eine solche ‚Alles-oder-Nichts‘ Konzeption schließt eine graduelle Qualitätsdifferenzierung in Vorder- und Hintergrunderlebnisse innerhalb der aktuellen Wahrnehmung – wie sie die Phänomenologie vornimmt – kategorisch aus. Im Rahmen der starken Aufmerksamkeitsthese erscheint weiterhin das Phänomen von Aufmerksamkeitswechseln rätselhalft: Warum sollte sich die Aufmerksamkeit einer Person auf einen bestimmten räumlichen Bereich richten, der bisher außerhalb ihres Aufmerksamkeitsfokus lag, wenn sie vordem keinerlei Bewusstsein von diesem hatte. In diesem Falle könnten von diesem Gebiet, kognitionswissenschaftlich formuliert, auch keine sinnlichen Anreize ausgehen, die einen solchen Wechsel verständlich machen würden. Eine Welt, die überspitzt formuliert lediglich aus unverbundenen Merkmalen besteht, die ihrerseits nur partiell im Scheinwerfer der Aufmerksamkeit gegenständliche Gestalt annehmen, scheint insofern wenig plausibel. In Anbetracht dieser Kritik erweitert Treisman ihren Ansatz. Können die von ihr vorgenommenen Änderungen an ihrem Aufmerksamkeitsmodell den oben dargelegten Problemen gerecht werden? Dies soll im Folgenden genauer überprüft werden.

4.4.2 Kritik und Erweiterung der Merkmalsintegrationstheorie Treisman begegnet den oben dargestellten Einwänden zunächst mit dem Einbezug von top-down Faktoren in die Analyse der Aufmerksamkeit: Eine einheitliche Objektwahrnehmung wird nicht nur durch fokale Aufmerksamkeit, sondern ebenfalls durch top-down Einflüsse, wie z.B. schon erworbene Repräsentationen, gewährleistet.471 Der erste Weg zu einer Objektidentifikation ist demnach von fokaler Aufmerksamkeit abhängig, während der zweite über top-down Prozesse führt. Als Beispiel nennt Treisman die Möglichkeit, manche Dinge in einem familiären Kontext auch ohne explizite Aufmerksamkeit zu antizipieren.472 Dies ist wiederum nur

471 Vgl, A.M. Treisman/G. Gelade: A feature-integration theory of attention, 36-37. 472 Ebd., 37.

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plausibel, wenn aufgrund der bisherigen Erfahrung des Subjektes und seiner Interaktion mit der Umwelt top-down und bottom-up Faktoren zusammenspielen. Nicht nur vermeintlich ‚innere‘ Erwartungen und Repräsentationen spielen bei der Identifikation eines bekannten Kontextes eine Rolle, sondern auch die gegenständlichen Aspekte des Kontextes selbst müssen – wenn auch in einer anderen Intensität als der aktuelle Fokus der Aufmerksamkeit – in irgendeiner Weise wahrnehmungsmäßig gegeben sein bzw. bewusst zugänglich sein. An diesem Beispiel wird deutlich, inwiefern eine strikte Unterscheidung zwischen einer von innen ausgehenden top-down und einer von außen bedingten bottom-up Kontrolle der Aufmerksamkeit irreführend sein kann. Unklar ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, ob Aufmerksamkeit lediglich für die Identifikation eines Objektes mit all seinen Details notwendig ist oder für jede gegenständliche Wahrnehmung im Allgemeinen. Wenn der gegenständliche Kontext aufgrund von top-down Einflüssen ebenfalls wahrgenommen ist und gewisse Objekte darin korrekt identifiziert werden können, dann würde sich die Integrationsthese nur auf neue Dinge und Umstände oder auf die Rekonstruktion einer erstmaligen Gegenstandserfahrung beziehen. Für Treisman hingegen stellt Aufmerksamkeit die Voraussetzung dafür dar, dass die aktuell aufgenommenen Merkmale überhaupt mit schon vorhandenen Objektrepräsentationen abgeglichen werden können. Einerseits kann ohne eine explizite Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf einen visuellen Bereich keine Wahrnehmung im eigentlichen Sinne stattfinden. Andererseits lässt sich ohne einen Wahrnehmungs- oder Erfahrungskontext nicht erklären, wie ein (zukünftiger) Aufmerksamkeitswechsel motiviert sein kann. So verstanden wird Aufmerksamkeit als ein statisches und isoliertes Phänomen dargestellt, das wortwörtlich aus dem Nichts zu kommen scheint. In einer aktualisierten Form ihrer Theorie aus dem Jahre 1993 nimmt Treisman dahingehend einige Differenzierungen vor: Sie erweitert die räumliche Reichweite der Aufmerksamkeit über den Fokus hinaus im Sinne des oben dargestellten zoom-lens Modells und unterscheidet zwischen einer aktuellen Verteilung der Aufmerksamkeit auf verschiedene Bereiche oder Aufgaben und einer Stufe der vor-aufmerksamen Wahrnehmung. In diesen pre-attentiven Bereich würden laut Treismans ursprünglicher Auffassung solche Phänomene wie der pop-out-effect oder die strukturelle Differenzierung in den visuellen Vorder- und Hintergrund fallen. Nun aber bezeichnet sie diese vor-aufmerksame Ebene nicht mehr als gegenstandslos und nicht bewusst zugänglich, sondern lediglich als eine mögliche Stufe früherer Wahrnehmung, die die bewusste Erfahrung nicht direkt beeinflussen kann. Eine gestalthafte Strukturierung oder das Entde-

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cken eines einfachen Merkmals muss nicht unbewusst oder automatisch geschehen, sondern kann genauso einen Umstand kennzeichnen, in dem sich die Aufmerksamkeit auf größere räumliche Regionen erstreckt. Trotz einiger Revisionen und Erweiterungen wird auch in späteren Versionen der Merkmalsintegrationstheorie nicht eindeutig ersichtlich, ob Treisman weiterhin die als starke These der Merkmalsbindung bezeichnete Annahme mit all ihren Konsequenzen vertritt oder lediglich behauptet, dass Aufmerksamkeit zwar für eine klare und detaillierte Objektauffassung notwendig ist, aber auch ohne diesen aufmerksamen Zusatz von Wahrnehmung und Gegenständlichkeit die Rede sein kann. Ein Mal scheint es so, als ob die korrekte Wiedergabe der Merkmalskombination von Objekten nur unter Bedingungen der fokalen Aufmerksamkeit stattfinden kann. Ein anderes Mal findet sich sogar noch in einem Text aus dem Jahre 1999 eine Aussage, die der visuellen Verarbeitung ohne beteiligte Aufmerksamkeit lediglich die Aufnahme von Informationen über die Präsenz von isolierten Teilen und unzusammenhängenden Attributen zubilligt.473 Die entsprechenden Experimente zur Konjunktionssuche illustrieren dagegen nur die Probleme, die Versuchspersonen damit haben, sich die verschiedenen Merkmalskombinationen im Falle einer nur kurzen Präsentation der betreffenden Objekte zu merken. Hieraus geht nicht hervor, dass die Teilnehmer gar keine ‚Dinge‘ oder einheitliche Gestalten gesehen haben, sondern bloß, dass sie sich an die willkürliche Kombination von abstrakten Merkmalen wie Farbe und Form (Buchstaben oder Zahlen) nicht korrekt erinnern konnten. Objekte, die uns im alltäglichen Leben begegnen, sind aber im Gegensatz zu farbigen Buchstaben oder Zahlen oftmals nicht von ihren Merkmalen zu trennen, sondern diese machen ihre Gegenständlichkeit allererst aus.474 Eine Zergliederung in Kategorien

473 A.M. Treisman: Feature binding, attention and object perception. In: G.W. Humphreys/J. Duncan/A.M. Treisman (Hg.): Attention, space and action: studies in cognitive neuroscience. Oxford 1999, 91-111, hier: 108. 474 Der von Treisman auf einfache Merkmale beschränkte pop-out-effect, der auf eine automatische, aber nicht gegenständliche Verarbeitung reduziert sein soll, konnte auch bei gegenständlichen Gebilden mit mehreren Merkmalen beobachtet werden. V. Ramachandran benutzte hierfür zweidimensionalen Eifiguren, deren Form sich aufgrund des Lichteinfalls ergab, und die auf diese Weise eine konvexe und eine konkave Figurengruppe bildeten. Hierbei mussten die beiden Attribute Form und Licht/Schatten nicht extra verbunden werden, d.h., dass nicht alle Konjunktionen auf fokale Aufmerksamkeit angewiesen sind. Vgl. V.S. Ramachandran: Perceiving shape from shading. In: Scientific American 259/1988, 7683.

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wie Farbe, Form oder Orientierung erscheint in der Konsequenz als nachträgliche Abstraktion, die bereits eine Wahrnehmung von etwas Bestimmtem (x) voraussetzt. Inwiefern dieser Wahrnehmung von x wiederum eine funktionale Verbindung von Einzelheiten im visuellen System zugrunde liegt, die mit Hilfe der Aufmerksamkeit stattfindet, geht aus den oben genannten experimentellen Ergebnissen nicht direkt hervor.475 Treismans Unterscheidung in serielle, auf Aufmerksamkeit angewiesene (kontrollierte), und parallele, automatisch ablaufende Verarbeitungsprozesse erweist sich in diesem Zusammenhang ebenfalls als problematisch. Ein Grund hierfür liegt in dem unhinterfragten Rückschluss auf zugrundeliegende Mechanismen anhand von Reaktionszeiten bei Experimenten zur visuellen Suche. Eine derartige Vorgehensweise wurde bereits mehrfach innerhalb der Kognitionspsychologie selbst kritisiert. Die strikte Dichotomie zwischen seriellen und parallelen Prozessen ist ferner aufgrund der aktuellen Datenlage in diesem Forschungsbereich nicht aufrecht zu erhalten.476 Serielle und parallele sowie fokale und globale Faktoren stellen keine sich ausschließenden Wahrnehmungsstrategien dar, sondern treten lediglich je nach Umweltanforderung oder Aufgabenstellung in unterschiedlicher Gewichtung auf. Die implizite Hypothese einer linearen Verarbeitungshierarchie in Gestalt eines Flaschenhalses, von parallelen hin zu begrenzten seriellen Prozessen, die Treisman von Broadbent übernimmt, muss hier endgültig zurückgewiesen werden.477 Weitere Defizite von Treismans Modell ergeben sich aus dem Umstand, dass weder der bereits dargestellte Einfluss von Ähnlichkeiten zwischen Zielobjekten und Hintergrund noch die Auslastung oder die jeweilige Aufgabenanforderung in Bezug auf die Aufmerksamkeitsleistung in Betracht gezogen werden. Die Zeit, die Probanden für die Entdeckung eines Stimulus brauchen, hängt nicht nur von der Art der Suche (einfache Merkmalssuche oder Konjunktionssuche), sondern von der Ähnlichkeit zwischen 475 In ebenso zweideutiger Weise stellt sich der in der gegenwärtigen Diskussion populäre Zusammenhang von gemessenen physiologischen Reaktionen und dem Wahrnehmungsbewusstsein dar: Treten neuronale Aktivierungen und Synchronisationen lediglich zusammen mit der Präsentation von bestimmten Merkmalen auf, oder sind sie vielmehr deren kausale Voraussetzung? 476 Vgl. J.M. Wolfe: Visual search, 4f. 477 J. Wolfe schlägt vor, die unterschiedlichen Suchstrategien und visuellen Umstände nicht mehr in serielle und parallele, sondern in effiziente und nicht effiziente Suchvorgänge zu unterscheiden. Der Begriff der Effizienz verspricht dabei im Gegensatz zu der vorherigen Debatte um eine serielle oder parallele Verarbeitung eine neutrale Beschreibung der Sachlage mit weniger theoretischem Ballast. Vgl. J.M. Wolfe: Visual search, 6.

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Zielobjekt und Distraktoren sowie den Distraktoren untereinander ab.478 In der bereits erläuterten attentional load Theorie wird weiterhin der Einfluss der aufgabenspezifischen Auslastung der Aufmerksamkeit auf das Ausmaß der Interferenz durch Distraktoren betont. Letztlich sah sich Treisman aufgrund von Ergebnissen aus dem Bereich der objektorientierten Aufmerksamkeit gezwungen, ihr Modell zu modifizieren. Die aktualisierte Version berücksichtigt denn auch verschiedene Bezugsrahmen der Aufmerksamkeit, bleibt aber in den Grundzügen der Broadbentschen Linearitätsthese treu, die frühe und späte Formen der Verarbeitung unterscheidet.479 Die strikte Unterscheidung in frühe und späte Verarbeitungsformen sowie vor- und nachaufmerksame Zustände erweist sich, wie bereits deutlich wurde, aus einer dynamischen Perspektive als problematisch. Durch den zeitlichen und inhaltlichen Erfahrungszusammenhang eines Subjekts bedingen sich Wahrnehmungs-, Erinnerungs- und Denkprozesse sowie deren noematische Korrelate wechselseitig. Von Wahrgenommenem, ob es sich dabei um Merkmale (features) oder Objekte handelt, kann daher nur innerhalb von subjektiven wie intersubjektiven, zeitlichen und räumlichen Bestimmungen die Rede sein, die die alltägliche Erfahrungssituation einer Person ausmachen. Im Weiteren sollen die Argumente für eine solche Ausweitung der Gegenstandsbereiche der Aufmerksamkeit zusammengefasst werden, die eine Antwort auf die folgende Frage erlauben: „Why do we need anything more than features?”480

4.4.3 Features in Raum und Zeit Wie in der vorherigen Darstellung schon ersichtlich wurde, kann den features keine primäre Rolle innerhalb der Wahrnehmung zugesprochen werden. Die feature-integration theory selbst betont ausdrücklich, dass erst die räumliche Lokalisation eine Differenzierung solcher Features und eine Zuordnung zu unterschiedlichen Gegenständen hervorbringt. Treisman spricht in diesem Zusammenhang von einer master map, die das visuelle System anlegt und in der alle räumlichen Positionen der Merkmale aufgenommen werden. In neurowissenschaftlichen Studien zur Merkmalsintegration wird diese Funktion auch als activation map bezeichnet, die sich 478 Vgl. J. Duncan/G.W. Humphreys: Visual search and visual similarity. In: Psychological Review 96/1989, 433-458. 479 E.A. Styles: The psychology of attention, 98. 480 A. Clark: Feature-placing and proto-objects, 447.

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auf die räumliche Verteilung von zeitgleich feuernden Neuronen bezieht. Wiederkehrende Stimuli rufen dabei ähnliche neuronale Aktivationsmuster hervor und diese Form der Synchronisation der Zellen soll eine Identifikation und Unterscheidung von Objekten ermöglichen. Von features kann insofern nur in Verbindung mit ihrer räumlichen Position die Rede sein. Darüber hinaus müssen solche bloßen Merkmale den Teilnehmern in Experimenten zur visuellen Suche immer in Objektform präsentiert werden, auch wenn das entsprechende Attribut selbst nicht an ein bestimmtes Ding gebunden ist. Die Kategorie der räumlichen Position nimmt hierbei eine Sonderposition ein und kann nicht einfach mit den anderen Merkmalsarten wie Farbe oder Orientierung gleichgesetzt werden. Um zwei Merkmale wie ‚gebogen‘ und ‚gelb‘ im Sinne der feature-integration theory zu dem Gegenstand ‚Banane‘ verbinden zu können, müssen diese Merkmale sich aber nicht nur an demselben Ort befinden, sondern auch zur selben Zeit wahrgenommen werden.481 Sobald man Aufmerksamkeit nicht mehr nur auf ihre Leistungen innerhalb des experimentellen Paradigmas der visuellen Suche reduziert, sondern in einem umfassenderen Kontext betrachtet, z.B. als Kontrollfunktion für die Ausführung von Bewegungen, wie dies etwa Zenon Pylyshyn tut, erweist sich der statische Bezugsrahmen von räumlich zugeordneten, primären Merkmalen als ungenügend: Vision suited for the control of action will have to prove something more than a system that constructs a conceptual representation from visual stimuli; it will also need to provide a special kind of direct (preconceptual, unmediated) connection between elements of a visual representation and certain elements in the world. Like natural language demonstratives (such as ‘this’ or ’that’) this direct connection allows entities to be referred to without being categorized or conceptualized.482

Über eine visuelle Repräsentation hinaus, die in Form einer Mappe oder Karte die räumliche Lokalisation beinhaltet, braucht es für eine einheitliche Gegenstandswahrnehmung einen weiteren wichtigen Aspekt: die unmittelbare Referenz des Systems zum Wahrgenommenen bzw. zum äußeren Geschehen. Außerdem werden in Experimenten unter pre-attentiven Bedingungen nicht nur einfache Merkmale entdeckt, sondern gleich-

481 Hier kommt aus phänomenologischer Sicht das erfahrende Subjekt ins Spiel, als die räumliche Lokalisation sowie die zeitliche Individuation der Merkmale nur in Bezug auf den zeitlich-einheitlichen Erfahrungsverlauf eines oder mehrerer wahrnehmender Subjekte bestimmt werden können. 482 Z.W. Pylyshyn: Visual indexes, preconceptual objects, and situated vision. In: Cognition 80/2001, 127-158, hier: 127.

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zeitig auch die dazugehörigen präsentierten ‚Dinge‘ (items), zu denen diese Merkmale gehören. In einigen Studien wurde in diesem Zusammenhang versucht zu testen, ob es sogenannte visuelle Proto-Objekte oder objektartige Gebilde gibt, die vor jeder expliziten Aufmerksamkeit wahrgenommen werden können. Eine solche vorprädikative Referenzbeziehung bezeichnet Pylyshyn als visual indexing oder FINST (finger of instantiation). Er gewinnt sie aus den bereits erwähnten Experimenten zur Verfolgung von multiplen Objekten. Im Laufe dieser Experimente zeigt sich, dass die visuelle Verfolgung von vier bis zu sechs Objekten über eine längere Dauer möglich ist, auch wenn diese zeitweise von anderen Dingen teilweise oder sogar vollständig verdeckt werden. Das visuelle System operiert nach Pylyshyn mit einer visuellen Referenz- bzw. Indexfunktion, die sich in Analogie zur Anzahl der Finger einer Hand auf bis ca. fünf verschiedene Objekte gleichzeitig richten kann. Um die Identität und die einheitliche Wahrnehmung eines Gegenstandes ebenfalls in seiner Bewegung und im weiteren zeitlichen Verlauf der Erfahrung zu gewährleisten, braucht es einen Mechanismus, der einzelne Objekte individuiert und über eine gewisse Zeit visuell verfolgen kann. Als Bezugsrahmen der Aufmerksamkeit kommen hier also keine einzelnen Merkmale in Frage, sondern eher Objekte oder eine objektähnliche Einheit, die aus einem cluster von sich bewegenden visuellen features besteht. Ihre gemeinsame Bewegung und die kontinuierliche Wahrnehmungsreferenz führen so dazu, diese als eine kontinuierliche Einheit aufzufassen. Um die zeitliche Dimension der Aufmerksamkeit einzubeziehen, reicht die statische Bestimmung von räumlich lokalisierten features nicht aus. Vielmehr braucht es hierfür objektartige Gebilde, die allein als mess- und sichtbares Korrelat einer Referenz fungieren können, die über eine punktuelle Wahrnehmung innerhalb eines speziellen räumlichen Bereiches hinausreicht. Pylyshyn betont, dass diese Einheiten keine realen Objekte sein müssen, sondern dass alles in Betracht kommen kann, was das visuelle System als Objekt behandelt. Hier zeigt sich eine Ähnlichkeit zur phänomenologischen Theorie der Intentionalität, in der jedes Bewusstsein ‚Bewusstsein von etwas‘ ist. Diese gegenständliche Referenz ist seinem intentionalen Status gemäß zunächst unabhängig von der tatsächlichen Existenz des intendierten Objektes. Es besteht jedoch folgender Unterschied zwischen der phänomenologischen Intentionalität als einer generellen Beschreibung des Bewusstseins sowie dessen referentieller Struktur und der kognitionspsychologischen Variante, die sich in obigem Sinne nur auf eine Vorstufe der Objektwahrnehmung bezieht. Um eine richtige Individuation des Objektes vollziehen zu können, bedarf es aus kognitionswissen-

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schaftlicher Sicht einerseits eines konzeptuellen Apparats und andererseits einer kausalen Verbindung zwischen Vorstellungen und realen Dingen. Eine rein sensuelle Referenz kann dies nach Pylyshyn nicht leisten und ist insofern vorprädikativ (pre-conceptual). In der Phänomenologie, insbesondere bei M. Merleau-Ponty, ist ebenso die Rede von einer vor-prädikativen Referenz, die in Gestalt einer leiblichsensuellen Interaktion mit der Welt auftritt und als passive oder fungierenden Intentionalität483 bezeichnet wird. Die genetisch frühere Stufe der praktischen Intentionalität unterscheidet sich von einer späteren prädikativen Form der Intentionalität aber nicht aufgrund ihrer fehlenden Kausalität, sondern dadurch, dass Letztere eine höhere thematische Abstraktion aufweist, indem sie sich explizit auf einen speziellen Gegenstand oder ein Konzept richtet. Was sich aber sowohl aus phänomenologischer Sicht als auch nach Meinung von Pylyshyn als notwendiger Faktor jeglicher Wahrnehmung ergibt, ist die subjektive oder in seinem Sinne funktionale Referenz, die eine zeitliche Identifizierung von Gegenstandseinheiten ermöglicht. Phänomenologisch betrachtet muss diese Differenzierung des visuellen Feldes aber schon auf einer untersten Ebene als Grundprinzip subjektiver Erfahrung vorausgesetzt werden. Vorgegenständliche Einheiten484 sowie Phänomene der Homogenität und des Kontrastes entstehen in diesem Sinne nur in Bezug auf die selektive und individuelle Erfahrung eines Subjekts. Auf dieser vor-prädikativen Ebene findet anhand von zeitlichen Synthesen (Retention, Impression und Protention) bereits eine Integration der aktuellen Wahrnehmung mit früheren Erlebnissen und eine implizite Antizipation späterer Erlebnisinhalte statt. 483 Merleau-Ponty verwendet diesen Begriff in Anlehnung an Husserl. In Husserls späteren Schriften wird der expliziten Aktintentionalität eine fungierende Intentionalität zugrunde gelegt. Merleau-Ponty selbst spricht auch von der Motorik als einer ursprünglichen Intentionalität. Vgl. M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 475, 166. 484 Als eine solche vorgegenständliche Einheit im Sinne Husserls könnten die von Pylyshyn genannten primitiven Objekte gelten, die in irgendeiner Form aus ihrem Hintergrund herausgehoben als einzelne Figuren erscheinen. Solche ProtoObjekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie verschiedene Positionen aufweisen, in ihrer Bewegung verfolgt werden können und zählbar sind. Als Illustration könnte hierbei eine Welle innerhalb des Ozeans dienen, die sich von ihrem Hintergrund abhebt, in ihrer Bewegung verfolgt werden kann und zählbar ist, der aber nicht der Status eines beständigen, diskreten und eindeutig bestimmten Objekts zukommt. Vgl. A. Clark: feature-placing and proto-objects, 465; Z.W. Pylyshyn: Visual indexes, preconceptual objects, and situated vision, 154, 145.

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Eine solchermaßen situierte Wahrnehmung und Aufmerksamkeit lässt sich nicht auf einen statischen Bezugsrahmen festlegen, sondern bezieht sich bereits auf ihren untersten Ebenen auf zeitlich verbundene Erlebniszusammenhänge. Außerhalb des experimentellen Kontextes, in dem bestimmte Merkmale und Merkmalskombinationen gesucht werden sollen, zeichnen sich ganz andere Bezugsrahmen der Aufmerksamkeit ab. Auch hier nimmt die Aufmerksamkeit eine integrative und selektive Rolle ein, jedoch steht diese immer schon in einem Kontext von Erlebnissen, die vor, neben und nach einer expliziten oder fokalen Aufmerksamkeitsausrichtung stattfinden. Dies zeigt sich insbesondere bei Experimenten, die sich nicht mit konstruierten Laborbedingungen begnügen, sondern der ‚realen Welt‘ und den darin alltäglichen Wahrnehmungssituationen auf die Spur kommen wollen. Den primären Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit stellen dabei weder nur räumlich bestimmte Bereiche noch einzelne Merkmale oder Objekte, sondern handlungsorientierte Gesamtsituationen dar: sogenannte Szenen (scenes) oder Events (events).485

485 Der Begriff „Szene“ wird eher für einen räumlich abgegrenzten Ausschnitt einer bedeutungshaltigen Situation benutzt, wie z.B. Bildausschnitte einer Küche, eines Wohnzimmers oder einer Straße, die bei der Messung von freien Blickbewegungen verwendet werden. Event steht hingegen für ein zeitlich verlaufendes Ereignis, etwas, das einem selbst passiert oder wovon man beobachtend betroffen ist. Ein Event ist eine zeitliche Erfahrungseinheit, in der Objekte oder Personen untereinander und mit ihrer Umwelt interagieren. Anhand dieser Definition wird bereits deutlich, dass mit der Einführung dieses Konzeptes die Unterscheidung zwischen objektiven Vorkommnissen in der Welt und unserer subjektiven Erfahrung von diesen ins Wanken gerät. Ein Event ereignet sich stets für ein Subjekt und kann nur aus dieser Perspektive als solches bestimmt werden, auch wenn der plötzliche und nicht kontrollierbare Charakter eines Events in gleicher Weise auf nicht-subjektive oder über-subjektive Dimensionen verweist. Zur Definition des Eventbegriffs siehe: T.F. Shipley: An invitation to an event. In: T.F. Shipley/J.M. Zacks: Understanding events: From perception to action. Oxford 2008, 3-31, hier: 5f.

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4.4 Der Bezugsrahmen der situativen Aufmerksamkeit: Events Ein Event umschreibt nach Ansicht der sich gerade ausbildenden ‚Eventforschung‘ innerhalb der Kognitionspsychologie eine fundamentale Erfahrungseinheit, die sich nicht primär durch Orte oder Objekte auszeichnet, sondern sich vielmehr auf die Interaktion zwischen Objekten oder Personen bezieht. Neben einer Betonung der zeitlichen und kontextuellen Aspekte der Wahrnehmung wird hier eine weitere grundlegende Veränderung vorgenommen: Ein Event lässt sich sowohl durch die Interaktion von realen als auch von mentalen (intentionalen) Objekten bestimmen. Eine strikte Unterscheidung zwischen früher Wahrnehmungsverarbeitung und höheren kognitiven Leistungen wird somit unterlaufen. Dies gilt in gleicher Weise für die Dichotomie von Subjekt und Objekt, da ein Event sich gleichermaßen auf ein reales Ereignis in der Welt sowie auf unsere Erfahrung davon beziehen lässt. Um aber ein Event überhaupt erst wahrnehmen zu können, müssen Kategorien wie Sinn, Semantik oder allgemeine Typiken (Schema), die in der Kognitionspsychologie lediglich höheren Verarbeitungsmodulen zugeschrieben werden, bereits innerhalb der Wahrnehmung eine tragende Rolle spielen. Nur auf diese Weise können die in einem zeitlichen Wahrnehmungsverlauf geforderten Erwartungen und Antizipationen ermöglicht werden. Diese ‚kategorialen‘ Aspekte gewinnen je nach Art des jeweiligen Events an Bedeutung: von relativ simplen Events, wie einer Kollision von zwei Objekten, die durch kausale Relationen erklärt werden können, bis hin zu komplexen Events, wie etwa einer sozialen Interaktion, in der intentionale Handlungen, Gründe, Motive und kulturelle Konventionen wichtig sind. Versucht man ein solches Event mit Hilfe von Ergebnissen der Objektwahrnehmung näher zu beschreiben, stellt sich heraus, dass sowohl Objekte als auch Events als Erfahrungseinheiten aufgefasst werden, die sich durch Gruppierungs- und Abgrenzungsprozesse bilden. Diesen liegen wiederum Gesetzmäßigkeiten wie Abgeschlossenheit, gegenständliche Einheit und zeitliche Kontinuität zugrunde.486 Ein Event muss sich demzufolge in Bezug auf seinen Kontext oder andere zeitgleich stattfindende Situationen abgrenzen lassen.

486 Diese Gesetzmäßigkeiten werden hier nicht dem Bewusstsein, sondern der objektiven Welt zugeschrieben.

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Wie eine Studie von Ulric Neisser und Robert Becklen zeigt, kann die Aufmerksamkeit bei zwei überlappenden Handlungen selektiv verfahren, so dass es möglich ist, lediglich eines dieser Events wahrzunehmen.487 Den Teilnehmern des Experimentes wurde ein Videofilm gezeigt, in dem zwei Filmsequenzen übereinandergelegt wurden, so dass zwei verschiedene Handlungsstränge gleichzeitig abliefen. Eine Sequenz zeigte zwei Personen, die sich die Hände gegenseitig abklatschten, während die andere zwei Basketballspieler zeigte, die sich einen Ball zu warfen. Obwohl sich die beiden Filmsequenzen überschneiden, können die Probanden eindeutig zwischen den Events unterscheiden und je nach Anweisungen nur die gewünschte Szene beobachten. Die gleichzeitige Wahrnehmung von beiden Events war aber nicht möglich, selbst wenn beide Szenen auf je einem ‚Auge‘, d.h. räumlich getrennt, gezeigt wurden. Es wurde daher angenommen, dass die selektive Funktion der Aufmerksamkeit sich auf Events richtet und dort eine Gestaltunterscheidung in Figur und Grund hervorbringt: „Selective attention to an ongoing event is analogous to the Gestalt notions of figure and ground in object perception.“488 Diese Untersuchungsergebnisse von Neisser stellten die Voraussetzungen für spätere Versuche zur inattentional- und change blindness Phänomenen dar.489 Die Einheit eines Events basiert zwar – im Gegensatz zu der statisch gedachten Einheit eines hier und jetzt befindlichen Objektes – gerade auf den Veränderungen innerhalb des Wahrnehmungsverlaufs, trotzdem muss eine gewisse strukturelle Konstanz dieser Einheit vorhanden sein. So wie ein Objekt sich unabhängig von seinem ursprünglichen Kontext und trotz zeitlich bedingter Veränderungen seiner Form oder seines physikalischen Zustandes als dasselbe wiedererkennen lässt, muss auch ein Event sich durch eine bestimmte strukturelle Invarianz auszeichnen. Eine weitere Frage besteht darin, ob bei Events in gleicher Weise wie bei Objekten von Eigenschaften und Attributen die Rede sein kann. Kann man gewisse Formen von Events unterscheiden? Denkbar wäre, dass – angelehnt an Treismans Begriff des object-files – Personen, Objekte, ihr Verhalten sowie ihre räumlichen und inhaltlichen Relationen untereinander in einer Art eventfile repräsentiert werden.490 Obwohl der Vergleich mit der Objektwahrnehmung und dem Modell der Merkmalsintegration für die Beschreibung und Analyse eines Events sinnvoll ist, betonen die Autoren, dass diese Ka487 Vgl. U. Neisser/R.Becklen: Selective looking: attending to visually specified events. In: Cognitive Psychology 7/1975, 480-494. 488 T.F. Shipley: An invitation to an event, 13-14. 489 Eine ausführliche Analyse dieser Experimente findet sich in Teil III dieser Arbeit. 490 T.F. Shipley: An invitation to an event, 21.

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tegorien nicht als vorrangig anzusehen sind: „Perhaps object perception is just a special case of the more general perceptual processes that provide information about events.“491 Diese grundlegenderen Erfahrungseinheiten können in der alltäglichen Wahrnehmung den Charakter von zyklischen oder von diskreten Situationen aufweisen und lassen sich anhand ihrer zeitlichen Dauer differenzieren492. Zyklische und diskrete Vorgänge unterscheiden sich aber nicht bloß aufgrund ihrer zeitlichen Dauer, sondern gerade durch ihr Thema oder ihre Bedeutung für eine Person. Während ein zyklisches Event, wie ein Mittagessen oder eine Jahreszeit, den Alltag eines Menschen immer wieder aufs Neue bestimmt oder über längere Zeit strukturiert, stellt ein diskretes Event eher eine willkommene oder unwillkommene plötzliche Unterbrechung des Erfahrungsalltags dar. Im Falles eines schrecklichen Ereignisses, wie etwa des 11. Septembers 2001, kann dies das gesamte weitere Aufmerksamkeitsverhalten des Menschen beeinflussen und einen zeitlichen Einschnitt des individuellen wie gesellschaftlichen Lebens bedeuten: So werden weitere Events in eine Zeit vor und eine Zeit nach dem ‚schrecklichen‘ Ereignis unterteilt.493

491 Ebd., 21. 492 Die Differenzierung in diskrete Events und damit die zunehmende zeitliche und inhaltliche Gliederung des Erfahrungsablaufs in spezielle Tageszeiten, Routinen, Handlungen, Vorgänge und Zustände könnte dabei an die jeweilige Entwicklung gebunden sein. Die Entwicklung könnte von einer relativ undifferenzierten und zeitlosen Phase der frühen Kindheit, in der Vorgänge nahtlos ineinander übergehen, bis hin zu dem zeitlich strukturierten Tagesablauf eines arbeitenden Menschen reichen, der sich hauptsächlich auf diskrete Events bezieht und schließlich in der Rückkehr einer weniger zeitlich segmentierten Erfahrung im Alter münden. 493 Nach einer Taxonomie des ökologischen Ansatzes des Psychologen J. Gibson (Vgl. J.J. Gibson: The ecological approach to visual perception. Boston 1979, 99.) zeichnen sich Events hingegen lediglich durch physische Veränderungen aus. Zu diesen zählt er plötzlich eintretende Bewegungen von Objekten oder Deformationen von Oberflächenstrukturen (changes in layout), Farben und Textur der Objekte sowie der visuellen Umgebung (changes in color and texture). Weiterhin gehören hierzu Veränderungen des physischen Zustandes der gesamten Umgebung, wie etwa bei einer Zerstörung, oder die Zustandsveränderung eines Objektes, wie im Falle geschmolzenen Eises (changes in surface existence). Diese Kategorisierung beschreibt zwar äußerliche Veränderungen, erklärt aber nicht die mindestens ebenso wichtige Frage: „What events do humans care about?“ T.F. Shipley: An invitation to an event, 24.

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Auch wenn ein Event allgemeine statische Kriterien wie zeitliche, inhaltliche und räumliche Grenzen aufweisen muss, spielen Faktoren wie die subjektive oder kulturelle Relevanz eine entscheidende Rolle. Typische Events oder allgemeine Eventstrukturen müssen dabei nicht von vornherein im visuellen System angelegt sein, sondern könnten ebenso im Laufe der Entwicklung erlernt werden. Faktoren, die eine auf Events bezogene Wahrnehmung und Aufmerksamkeit kennzeichnen, sind insofern die zeitliche Integration von Erlebnissen in Form von Antizipationen und Erinnerungen, das Verstehen von Interaktionen zwischen Objekten und Personen sowie der implizite Bezug auf das erfahrende Subjekt in Form seiner leiblich-räumlichen Position und die damit verbürgte zeitliche und inhaltliche Referenz auf das Geschehen. Innerhalb dieser Gesamtreferenz kann es dann zu einem Aufmerksamkeitswechsel auf spezielle Bereiche wie einen bestimmten Gegenstand oder das Merkmal eines Objektes kommen. Umgekehrt kann die Aufmerksamkeit sich von einem Detail erneut der Gesamtsituation als Thema zuwenden. Eine aufschlussreiche Beschreibung solcher struktureller Aufmerksamkeitswechsel zwischen Thema und thematischem Feld bietet die Theorie des Phänomenologen Aaron Gurwitsch, die im ersten Teil der vorliegenden Untersuchung vorgestellt wurde. Während die Kognitionspsychologie dazu tendiert, die invarianten Strukturen eines Events ausschließlich äußeren bzw. objektiven Faktoren zuzuschreiben, betont die phänomenologische Perspektive die inhaltliche Differenzierung des Geschehens durch ein Erfahrungssubjekt. Dieser Differenzierungsprozess durch ein Subjekt muss dabei nicht als aktive (explizite) Intention aufgefasst werden. Er meint zunächst die generelle subjektive Struktur der Erfahrung selbst, die eine kohärente Wahrnehmung dahingehend ermöglicht, dass sie Präferenzen, Differenzen und damit eine Einteilung des zeitlich-räumlichen Kontinuums vornimmt. Dieser präferentielle Charakter subjektiver Erfahrung tritt schon im frühen Kleinkindalter auf und gewinnt mit zunehmender Erfahrung an Differenzierung im Sinne einer inhaltlichen und individuellen Bestimmung. Um dabei eine möglichste effektive räumliche und zeitliche Verteilung der Aufmerksamkeit zu gewährleisten, braucht es einerseits die Struktur bekannter/typischer Alltagsszenen, die die Selektion erleichtern, und andererseits eine subjektive Referenz, die eine Differenzierung des Gegebenen in ein bestimmtes zeitlich und inhaltlich begrenztes Event vornimmt. Die inhaltliche Differenzierung in Szenen oder Events kann wiederum nur durch eine Interaktion zwischen Erfahrungssubjekt und seiner intersubjektiv und kulturell geprägten Umwelt (Lebenswelt) erfolgen, die im Einzelfall bestimmt, was das Subjekt als Szene oder Event wahrnimmt. Wo

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und wann eine solche inhaltliche Erlebniseinheit konkret beginnt und endet, ist zunächst nur aus der Ersten-Person-Perspektive zugänglich. In Situationen, die gesellschaftlich stark typisiert sind, wie z.B. ein Restaurantbesuch, ist die Bestimmung des Events weiterhin nicht unabhängig von lebensweltlichen Horizonten, also dem jeweiligen kulturellen Kontext, feststellbar. Aufgrund unserer gemeinsamen Lebenswelt und der Fähigkeit zur intersubjektiven Einfühlung fassen wir die Aktivitäten von anderen Personen ebenfalls als kohärente Handlungen auf und können diese in einzelne Schritte untergliedern. Bewegungsabläufe erkennen wir insofern immer im Kontext einer übergreifenden alltäglichen Handlung: Die entsprechende Handbewegung stellt so nur einen Schritt auf dem Weg zu einem fertigen Butterbrot dar. Die Gesamtintentionen und Ziele der betreffenden Person werden nach dem Vorbild eigener Bewegungen und Handlungen sowie intersubjektiv vermittelter Erfahrung antizipiert.494 Die Antizipation der Gesamtsituation und des Handlungsziels ermöglicht eine hierarchische Unterteilung von Einzelschritten, die sich aus dem Bezug zum jeweiligen Event ergeben. Obwohl also, ‚objektiv‘ betrachtet, die Bewegungen des Anderen kontinuierlich ineinander fließen, sehen wir inhaltliche Einheiten und Grenzen, die sich an die vermeintlichen Intentionen des agierenden Subjekts knüpfen.

494 In Studien zur Wahrnehmung, Entdeckung und Identifikation von Interaktionen sich bewegender Objekte entdeckte man, dass bereits einfache Bewegungen von Dreiecken kausal bzw. intentional interpretiert werden. Die Bewegungen werden als verfolgend, attackierend, verteidigend usw. eingestuft. Gewisse Partien wurden insofern als Akteure verstanden, denen bestimmte Intentionen zugeschrieben wurden. Vgl. F. Heider/M. Simmel: An experimental study of apparent behavior. In: American Journal of Psychology 57/1944, 243-259. Die Beobachtung von zielgerichteten Bewegungen könnte dabei zur kognitiven Fähigkeit der Kategorisierung und der linguistischen Repräsentation solcher Aktionen beitragen. Vgl. K. Hirsh-Pasek/R Golinkoff: Action meets words: how children learn verbs. New York 2006. In anderen Untersuchungen zeigte sich, dass Bewegung ein entscheidendes Kriterium für die Zuschreibung von lebendigen oder menschlichen Qualitäten ist. Wenn Probanden im Dunkeln ein Mensch präsentiert wurde, von dem sie nur kleine Lichter sehen konnten, die entlang seiner Körperkonturen angebracht waren, wurde diese Gestalt nicht als menschlich identifiziert. Diese Haltung änderte sich jedoch schlagartig, wenn die Lichter anfingen sich durch den Raum zu bewegen. Vgl. G. Johannsson: Visual perception of biological motion and a model for its analysis. In: Perception, Psychophysics 14/1973, 201211.

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Die Erfahrung von Beginn und Ende einer Aktion, d.h. eines abgeschlossenen Erlebniszusammenhangs, hängt phänomenologisch und kognitionspsychologisch eng mit der Kontrolle, Ausführung und den Möglichkeiten der eigenen Bewegungen zusammen. Diese kinästhetischen Möglichkeiten bestimmen den Aktionsradius und die sinnliche Reichweite eines Erfahrungsevents sowie dessen weiterführende räumliche Horizonte. Eine bestimmte Szene wird nicht nur aufgrund der sich in ihr lokal befindlichen spezifischen Gegenstände identifiziert werden, sondern kann ebenfalls als globale Einheit aufgefasst werden. Dies ist möglich, da sich eine Szene aufgrund der beständigen Interaktion zwischen Individuum und Umwelt durch spezielle Bewegungs- und Handlungsmöglichkeiten auszeichnet, die man im Sinne der ökologischen Wahrnehmungstheorie von James Gibson als ecological properties und affordances bezeichnen könnte.495 Weiterhin werden durch die intersubjektiv geprägte Umwelt bzw. ‚Mitwelt‘496 typische Eventstrukturen habitualisiert und so unmittelbar wiedererkannt. Diese allgemeinen Strukturen erwachsen genetisch innerhalb der individuellen Erfahrungsgeschichte, die sich von Beginn an durch ihre Interaktion mit anderen Subjekten und einer entsprechend sozial und kulturell geprägten Umwelt auszeichnet. Allgemeine kinästhetische Möglichkeiten und individuell erworbene leibliche Fähigkeiten und Gewohnheiten auf der einen Seite sowie kulturelle Bedeutungsraster auf der anderen Seite bestimmen insofern, was wir als Szene oder Event auffassen können. Insbesondere wenn es sich statt einer bloßen Beobachtung einer Szene um eine aktive Beteiligung innerhalb einer Situation handelt, wird deutlich,

495 Vgl. J.J. Gibson: The ecological approach to visual perception. In diesem Sinne argumentieren auch M.R. Greene und A. Oliva, die neben einer objektorientierten Repräsentation für eine schnelle globale Kategorisierung einer Szene plädieren. Dies gilt insbesondere für natürliche Szenen, wie etwa eine Berglandschaft, einen See, oder einen Wald. Diese lassen sich im Rahmen einer ökologischen Perspektive anhand von funktionellen und räumlichen Aspekten beschreiben, ohne eine vorherige Segmentierung in bestimmte Teile oder Objekte vorauszusetzen. M.R. Greene/A. Oliva: Recognition of natural scenes from global properties: seeing the forest without representing the trees. In: Cognitive Psychology 58/2009, 137-176. 496 Die Umwelt des Menschen ist nie neutral, sondern eine intersubjektiv und sozial geprägte Lebenswelt, die man mit anderen teilt. Der Begriff Mitwelt versteht sich in Anlehnung an Heideggers Begriff des Mitseins, allerding ohne die negativen Konnotationen, die dieser mit einer solchen Dimension des ‚Man‘ verbindet. Vgl. M. Heidegger: Sein und Zeit. Tübingen 182001, 114-130.

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dass die Aufmerksamkeit sich nicht mehr in erster Linie auf leere Räume, distinkte Objekte oder gar einzelne features richtet. Diese situative Komponente der Aufmerksamkeit lässt sich anhand des Beispiels eines Fußballspieles illustrieren, das der Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty in diesem Zusammenhang anbringt.497 Für den engagierten Fußballspieler stellt etwa das Fußballfeld kein Objekt dar, das unabhängig von den verschiedenen Perspektiven und den entsprechenden Transformationen immer dasselbe bleibt. Das Spielfeld ist vielmehr von Kraftlinien und verschiedenen Zonen durchzogen, die jeweils auf einen möglichen Spielzug verweisen und implizit zu gewissen Aktionen und Bewegungen Anlass geben können. Das Spielfeld ist für den wahrnehmenden Fußballspieler nicht einfach gegenständlich gegeben, sondern von seinen praktischen Intentionen nicht zu trennen. Die Aufmerksamkeit und das Bewusstsein der Spieler werden nach Merleau-Ponty von einer Dialektik von Milieu und Handlung getragen. Jedes Manöver der Spieler modifiziert den Charakter des Feldes und etabliert neue affordances und Kraftlinien, in denen wiederum die dort ausgeführten Aktionen den Gesamtcharakter des Feldes verändern. Das gleiche Fußballfeld würde sich für einen zufällig vorbeikommenden Spaziergänger in völlig anderer Weise darstellen und sowohl zu einem differenten phänomenologischen Aufmerksamkeitsverlauf als auch zu unterschiedlichen physiologisch messbaren Blickbewegungen (Fixationen) führen. Dieser situative Charakter der Wahrnehmung ist deshalb so entscheidend in Bezug auf das Aufmerksamkeitsverhalten und die damit verbundene Sicht der Welt, da sich die angenommene Interaktion von Subjekt und Umwelt nicht nur auf phänomenologischer Ebene zeigt, sondern sich in gleicher Weise auf der physiologischen Ebene niederschlägt. Sich wiederholende Wahrnehmungseindrücke, ausgeführte Tätigkeiten und Erlerntes hinterlassen im Verlaufe des Lebens ihre Spuren. Aufgrund der Plastizität des Gehirns sind diese Spuren auch physiologischer Art: Sie bestimmen nicht nur in der frühkindlichen Phase, sondern bis ins hohe Alter das weitere Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsverhalten in Form einer ersten Differenzierung oder Restrukturierung der Gehirnaktivitä-

497 Vgl. M. Merleau-Ponty: Die Struktur des Verhaltens. Übers. von B. Waldenfels. Berlin/New York 1976, 193f; franz: La structure de comportement. Paris 1942.

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ten.498 In Übereinstimmung mit dem enactive approach499 von. Francisco Varela und Evan Thompson lassen sich Gehirnprozesse in der Konsequenz als rekursiv, sich wiederholend und selbst-aktivierend verstehen: Weder beginnen noch enden sie zu einem bestimmten Zeitpunkt oder an einem bestimmten Ort. Sie setzen nicht erst als Antwort auf einen speziellen sensuellen Input ein, sondern es besteht immer eine ‚Hintergrundaktivierung‘, die parallel zu ablaufenden Gedanken, Erinnerungen, Erwartun498 Die Idee der Plastizität des Nervensystems taucht erstmals 1892 bei dem Physiologen und Nobelpreisträger S. R. y Cajal auf. Der Terminus neuronale Plastizität wird dem polnischen Neurophysiologen J. Konorski zugeschrieben, der sich im Anschluss an I. Pawlow die Frage stellte, wie bestehende neuronale Verbindungen durch operante Konditionierung verändert werden können. Vgl. J. Konorski: Conditional reflexes and neuron organization. Cambridge 1948. Ähnlich wie D.O. Hebb stellte er fest, dass durch eine Wiederholung derselben Reize und Tätigkeiten eine Verstärkung der neuronalen Verbindungen eintritt. Demnach bilden Neuronen, die durch äußere Reizung zufällig gleichzeitig aktiviert werden, d.h. feuern, eine bleibende Verbindung. Diese Hebbsche Lernregel wird wie folgt umschrieben: „Neurons that fire together wire together“ (N. Doidge: The brain that changes itself. London 2008, 63; vgl. D.O. Hebb: The organization of behavior: a neuropsychological theory, New York 1949, 62). Wurde die Gehirnforschung früher vom lokalistischen Gehirnbild geprägt („one function, one location“, vgl. N. Doidge: The brain that changes itself, 17), gewinnt das Paradigma der neuronalen Plastizität zunehmend an Einfluss, etwa auf dem Gebiet der Rehabilitation nach Gehirnverletzungen oder allgemein der Untersuchung von Veränderungen des Gewebes, die durch Erfahrung, Lernen oder gar Mediation entstehen. Vgl. X. Wang/M.M. Merzenich/K. Sameshima/W.M. Jenkins: Remodelling of hand representation in adult cortex determined by timing of tactile stimulation. In: Nature 378/1995, 71-75; D.V. Buonomano/M. M. Merzenich: Cortical plasticity: from synapses to maps. In: Annual Review of Neuroscience 21/1998, 149-186; B. Jacobs/M. Schall/A.B. Scheibel: A quantitative dendritic analysis of wernicke’s area in humans. II. gender, hemispheric, and environmental factors. In: Journal of Comparative Neurology 327/1993, 97-111; M.C Diamond/D. Krech/MR. Rosenzweig: The effects of an enriched environment on the histology of rat cerebral cortex. In: Journal of Comparative Neurology 123/1964, 111-119; B. Draganski/C. Gaser/G. Kempermann, H.G. Kuhn/J. Winkler/C. Büchel/A. May: Temporal and spatial dynamics of brain structure changes during extensive learning. In: The Journal of Neuroscience 27/2006, 6314-6317; Vgl. A. Lutz/L.L. Greischar/N.B. Rawlings/M. Ricard/R.J. Davidson: Long-term meditators self-induce high-amplitude gamma synchrony during mental practice. In: PNAS 101/2004, 1636916373: R.J. Davidson/A. Lutz: Buddha’s brain: neuroplasticity and meditation. In: IEEE Signal Processing Magazine, September 2007, 176, continued in January 2008, 172-174. 499 Vgl. F. J. Varela/E. Thompson/E. Roesch: The embodied mind; E. Thompson: Mind in life.

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AUFMERKSAMKEIT IN DER KOGNITIONSPSYCHOLOGIE

gen, vorbereitenden Akten, einer affektiven Grundeinstellung oder einer bestimmten endogenen Aufmerksamkeitsausrichtung verläuft. Welche Aktivierungen genau als Korrelat oder Repräsentation eines spezifischen sensuellen Inputs gelten können, ist insofern nicht unabhängig von diesen ‚neuronalen Horizonten‘ zu bestimmen und daher nur schwer zu entscheiden. In Anbetracht dieser wechselseitigen psychophysischen Beeinflussung erscheint es schwierig, eindeutig zu klären, ob die typischen Merkmale einer solchen situativen Struktur, auf die sich die Aufmerksamkeit richtet, subjektiven oder objektiven Ursprungs sind.

III. VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT

Es gilt, das Bewußtsein mit seinem eigenen präreflexiven lebendigen Beisein bei den Dingen zu konfrontieren, es zu seiner eigenen Geschichte zu erwecken: das ist der wahre Weg zu einer angemessenen Theorie der Aufmerksamkeit.500

Wie in der Darstellung der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung deutlich wurde, orientiert sich diese in großen Teilen an konzeptuellen Dichotomien: Hierzu gehört etwa die Annahme einer funktionalen Trennung der Verarbeitungsbereiche Wahrnehmung/Bewegung oder Wahrnehmung/Gedächtnis, vorattentiven (unbewussten) und attentiven (bewussten) Zuständen oder zwischen vorkategorialer und kategorialer Informationsverarbeitung. Haben diese strikten Unterscheidungen auch ihre methodische und deskriptive Berechtigung, so stellen sie doch nur eine einseitige Perspektive des jeweiligen Forschungsgegenstandes dar. Im Folgenden soll eine solche statische Analyse von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit von einer umfassenderen genetischen Sicht ergänzt werden. Der abschließende Teil versucht nun also gerade die Gradualität und Kontinuität verschiedener Aufmerksamkeitsformen zu fassen. Die bereits gesammelten dynamischen Ideen in Bezug auf die Aufmerksamkeit – auf noetischer Seite etwa in Form einer handlungsorientierten Selektion und auf noematischer Seite als situativ engagierte Aufmerksamkeit – sowie ausgewählte Beispiele aktueller Experimentalforschung sollen hierbei mit den entsprechenden phänomenologischen Einsichten zu einem dynamischen Ansatz zusammengeführt und systematisiert werden. Um eine solchermaßen situative, leibliche und kontextuelle Erweiterung des visuellen Scheinwerfers oder auditiven Filters vornehmen zu können, muss notwendigerweise auch das Verhältnis der Aufmerksamkeit zu ihren sogenannten Randbereichen zur Sprache kommen: wie ihre emotionalen und leiblichen Grundlagen und ihr wesentlicher Zusammenhang mit Konzepten des Bewusstseins und der Repräsentation. Zunächst soll hierzu die vertikale Seite der Aufmerksamkeit in Form von verschiedenen Stufen der Aufmerksamkeit in den Blick kommen, die von 500 M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 53.

234 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT passiven, leiblichen bis hin zu expliziten und thematischen Formen reichen und je nach Stufe eine mehr integrative oder selektive Funktion einnehmen. Aufmerksamkeit in einem solch genetischen Sinne ist dabei als Attentionalität501 zu fassen. Hiermit soll auf die noetische Seite der Aufmerksamkeit hingewiesen werden, die sich als Intentionalität von einer Zustandsbeschreibung oder dem aufgemerkten Gegenstandsbereich abgrenzen lässt. Attentionalität beschreibt Aufmerksamkeit als Aktivität und Bezugnahme, die von einer eher passiven, leiblichen Intentionalität innerhalb der Wahrnehmung bis hin zu einer expliziten Fokussierung oder willentlichen Intention reichen kann. Intentionalität wird dabei aber nicht als rein mentalistische Konzeption – wie etwa bei Jerry Fodor oder beim frühen Husserl – verwendet, sondern es wird ein mehrstufiges Modell der Intentionalität angenommen, welches unsere verschiedenen Bezüge zur Welt umfasst: von einem passiv-fungierenden, leiblichen zu einem sinnlich-expliziten (Wahrnehmungsfokus) bis hin zu einem sprachlichen Bezug zur Welt. Intentionalität ist dabei nicht als neutraler Bezug zur Umwelt, sondern von Beginn als eine affektive Intentionalität502 zu verstehen, die sich in den höheren Stufen der Intentionalität zu spezifischen Emotionen und Gefühlen ausdifferenziert. Leiblichkeit und Affektivität sind daher besonders in den frühen genetischen Stufen des Weltbezuges als grundlegendes Charakteristikum von Intentionalität anzusehen, wie bereits im ersten Teil argumentiert wurde. In Ergänzung zur vertikalen Beschreibung der genetischen Stufen der Aufmerksamkeit wird im zweiten Kapitel eine horizontale Seite der Aufmerksamkeit angenommen. Die diesbezüglich unterschiedenen noetischen und noematischen Horizonte werden anhand von kognitionspsychologischen Experimenten und phänomenologischen Beschreibungen dargestellt. Als theoretische Voraussetzung insbesondere für die noetischen Horizonte in Form von Habitualitäten, Fähigkeiten, Erinnerungen und Wissen, kann die kognitive Fähigkeit zur Repräsentation gelten. Repräsentation meint hier ein dynamisches Konzept, welches sämtliche Bereiche der sogenannten Offline-Informationsverarbeitung umfasst, also diejenigen Prozesse, die sich nicht auf den momentan aktuellen Input von Außen, also in diesem Sinne die Online-Verarbeitung, beziehen bzw. beziehen können.503 Phänomenologisch gesprochen kann der Begriff Repräsentation demgemäß als 501 Vgl. T. Breyer: Intentionalität und Attentionalität. München 2011 502 Vgl. J. Slaby: Affektive Intentionalität – Hintergrundgefühle, Möglichkeitsräume, Handlungsorientierung. 503 Vgl. A. Clark: Mindware. An Introduction to the philosophy of cognitive science. Oxford/New York 2001, 131f; A. Clark: Being there. Putting brain, body, and world together again. Cambridge, MA/London, England 1998, 166f.

VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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Statthalter für den Umstand gelten, dass die Eigenschaften der äußeren Welt von uns intern erfahren werden können und diese Informationen nicht punktuell sind, sondern bleibende Spuren hinterlassen. Repräsentation verstanden als repräsentierter Inhalt kann demgemäß sowohl Wissensals auch Gedächtnisinhalte, motorische Fähigkeiten, Sinn- und Verstehenskategorien meinen, d.h. alles das, was uns erlaubt, Dinge zu identifizieren oder wiederzuerkennen, Wege zu finden, nicht-aktuell präsente Gegenstände und Situationen zu imaginieren, Handlungen zu planen, Bewegungen auszuführen und zu sprechen etc. Repräsentation als Vorgang gilt damit sowohl als ständige wechselseitige Vermittlung von ‚Außen‘ und ‚Innen‘, als auch als interner Abruf von bereits vorhandenen Inhalten. Eng damit verknüpft ist die Frage, wie die verschiedenen Stufen der Aufmerksamkeit sich auf die Wahrnehmung und Repräsentation des Aufgemerkten auswirken und welche Rolle dabei das Bewusstsein spielt. In der Kognitionspsychologie wird diesbezüglich diskutiert, ob Aufmerksamkeit mit Bewusstsein gleichzusetzen ist, also ob Bewusstsein ohne Aufmerksamkeit überhaupt möglich ist, oder ob Aufmerksamkeit ganz unabhängig von Bewusstsein auftreten kann. Den gängigen Unterscheidungen der Kognitionspsychologie zwischen vorattentiven (unbewussten) und attentiven (bewussten) Zuständen, die in der Diskussion um die berühmten Experimente zur inattentional blindness und change blindness in den späten 1990er und 2000er Jahren erneut auftreten, wird mit einem phänomenologischen Bewusstseinskonzept begegnet, welches auf graduelle Abstufungen des Bewusstseins von Situationen und Dingen setzt: von einer impliziten sensuell geprägten Erfahrungssituation zu expliziteren Stufen des Gegenstandsbewusstseins.

1. DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

1.1 Funktionen der Attentionalität: Integration und Selektion Darin, dass Aufmerksamkeit selektive und integrative Funktionen innerhalb der Erfahrung einnimmt, stimmen sowohl die meisten kognitionspsychologischen als auch phänomenologischen Ansichten überein. Klärungsbedarf besteht lediglich darüber, wo und wie eine solche Selektion bzw. Integration statthat. Wie bereits ersichtlich wurde, unterscheiden sich die frühen Selektionstheorien der Kognitionspsychologie in einigen Punkten von phänomenologischen Ansichten, während Ansätze der handlungsorientierten Aufmerksamkeit, der embodied cognition, oder auch das in Teil II vorgestellte pecking chicken Modell phänomenologischen Ideen sehr entgegen kommen. Dies zeigt sich insbesondere daran, dass sie nicht allein die ausschließend fungierende Selektion, sondern ebenso die integrativen Faktoren der Aufmerksamkeit hervorheben. Integration stand auch in der gleichnamigen Merkmalsintegrationstheorie von Anne Treisman im Zentrum der Überlegungen. Ihr Modell ist geeignet, exemplarisch die Unterschiede zu einem phänomenologischen Verständnis von Integration aufzeigen. Die Grundideen von Treismans Ansatz weisen im Vergleich zu Husserls Thesen zunächst große Ähnlichkeit auf: Auch hier ist es die Aufmerksamkeit, die eine explizite Gegenstandswahrnehmung mit all ihren Details verbürgt und einen expliziten gegenständlichen Zusammenhang herstellt. Weiterhin müssen in der genetischen Phänomenologie ebenfalls bestimmte synthetische Prozesse – hier: passive Bewusstseinssynthesen wie das Zeitbewusstsein und die Assoziation – angenommen werden, um eine einheitliche Wahrnehmung zu gewährleisten.504 504 Dies könnte eine Entsprechung finden in den selektiven und integrativen Prozessen auf neuronaler Ebene. Allport argumentiert in dieser Hinsicht, dass integrative Prozesse am Anfang jeder Wahrnehmungsverarbeitung stehen müssen. Im Unterschied zu dem Ansatz dieser Arbeit, der im Folgenden verschiedene genetisch-graduelle Stufen der Aufmerksamkeit entwickeln möchte, sieht Allport die-

DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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Basierend auf diesen Evidenzen der phänomenologischen Beschreibung in Teil I und den kognitionspsychologischen Einsichten in Teil II lassen sich zunächst zwei allgemeine Strategien der Attentionalität unterscheiden: eine, die sich eher durch typisch selektive Faktoren charakterisieren lässt, und eine zweite, die sich durch einen häufigen Wechsel der Aufmerksamkeit auszeichnet, um so eventuell verschiedene Eindrücke schnell in ein Gesamtbild zu integrieren. In Anlehnung an die psychologische Klassifikation verschiedener Aufmerksamkeitstypen können oben angedeutete Strategien ebenfalls als fixierend und als fluktuierend bezeichnet werden.505 Unter einer Aufmerksamkeitsstrategie wird an dieser Stelle keine auf explizitem Wissen beruhende Handlung verstanden, sondern eher eine habituelle Form der Bezugnahme und Reaktion auf gewisse Umweltsituationen, die meist ‚automatisch‘ angewandt wird, aber auch von einer Person explizit eingesetzt werden kann, z.B. um eine bestimmte Suchaufgabe zu lösen. Die Grenzen zwischen einem automatischen und einem expliziten Einsatz einer Aufmerksamkeitsstrategie sind dabei fließend. Zu unterscheiden ist hierbei außerdem, ob eine solche Strategie passiv erworben oder explizit erlernt wurde, wie etwa im Falle der Meditation oder anderer Konzentrationsmethoden. Attentionale Strategien finden insofern meist automatisch ihre Anwendung in der jeweiligen Situation, können jedoch bei einem schnellen Wechsel der Umstände auch willentlich geändert werden. Ein solcher willentlicher Eingriff ist jedoch im Falle einiger psychopathologischer Störungen nicht möglich. Manche dieser Störungen gehen demnach mit gewissen Defiziten oder Abweichungen im Bereich des Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsverhaltens der Patienten einher. Dies führt dazu, dass meist eine Aufmerksamkeitsstrategie überwiegt, die sich zur allgemeinen und unveränderlichen Art des Weltbezuges ausweitet. Hierbei mangelt es an einer flexiblen Anpassung an Wahrnehmungssituationen und die Möglichkeit zur expliziten Anwendung oder Entscheidung für die eine oder die

se Prozesse jedoch als Bedingung der (expliziten) Aufmerksamkeit an. Aufmerksamkeit ist in diesem Sinne das (Verhaltens-)Resultat der zugrundeliegenden neuronalen Integration. Vgl. A. Allport: Attention and Integration. 505 Die psychologische Forschung unterscheidet ebenfalls zwei Aufmerksamkeitstypen: Der fixierende Aufmerksamkeitstypus konzentriert sich auf einen relativ engen Bereich von Erlebnisinhalten und hält diesen auch längere Zeit im Bewusstsein fest, während der fluktuierende Aufmerksamkeitstypus ein größeres Feld „in raschem Wechsel der Beachtung“ überblickt. R. Bergius: Art. ‚Aufmerksamkeitstypen‘. In: O. Häcker/K.-H. Stapf (Hg.): Dorsch Psychologisches Wörterbuch. Bern 152009, 89.

238 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT andere Form der Aufmerksamkeit entfällt. So lassen sich extreme Ausprägungen der jeweiligen Aufmerksamkeitsstrategien feststellen. Der ständige Wechsel der Aufmerksamkeit ohne die Fähigkeit zur Fokussierung auf einen Wahrnehmungsgegenstand oder der Konzentration auf ein bestimmtes Thema wird als Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADHS) klassifiziert und taucht ebenfalls als Krankheitsbild bei Schädigungen im frontalen Gehirnlappen auf.506 Im Falle von ADHS geht dieser ‚Mangel‘ an fokussierter Wahrnehmung entweder mit Hyperaktivität oder geistiger Abwesenheit (‚Verträumtheit‘) auf der Verhaltensebene einher.507 Bei Schädigungen des frontalen Hirnlappens treten insbesondere Symptome mangelnder Handlungskontrolle auf; die Patienten verlieren etwa die Fähigkeit, zukünftige Handlungen zu planen und es fällt ihnen schwer, einmal begonnene Tätigkeiten zu Ende zu bringen bzw. sich allererst für eine solche zu entscheiden. Ähnliche Symptome treten auch bei schizophrenen Patienten auf. Diese berichten, dass sie sich teilweise äußeren Reizen völlig ausgeliefert fühlen und so ihre eigene Handlungsintentionen nicht aufrecht erhalten können.508 Dagegen scheint das Fehlen von Aufmerksamkeitswechseln bzw. die anhaltende Fixierung der Aufmerksamkeit auf bestimmte Orte, Gegenstände oder Themen weit weniger untersucht. Es wird höchstens in Bezug auf das Phänomen des visuellen Neglekts erwähnt, da es als pathologische Fixierung der Aufmerksamkeit auf einen räumlichen Bereich (die rechte Seite) interpretiert werden kann, die in Folge einer entsprechenden Gehirnläsion auftritt.509 Ansonsten könnte man im Zusammenhang mit dem Phäno506 E. Styles: The psychology of attention, 230. 507 Symptome von ADHS sind leichte Ablenkbarkeit durch äußere Reize, Unorganisiertheit, mangelnde Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit bei Aufgaben oder Gesprächen und Flüchtigkeitsfehler. Im Falle des zweiten Typs kommt noch eine Hyperaktivitätsstörung hinzu, die sich durch übermäßigen Bewegungsdrang, Zappeln, Gesprächigkeit, Impulsivität etc. bemerkbar macht. Vgl. M. Hautzinger/Ch. Schababerle: Art. ‚Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (ADHS)‘, 88. 508 S. Gallagher interpretiert dieses Phänomen als eine Störung der zeitlich-protentionalen Struktur der Erfahrung. Die Patienten berichten von einem ungefilterten Ausgeliefertsein in Bezug auf wechselnde äußere Eindrücke. Dies manifestiert sich als ein Fehlen von selbstbestimmten Intentionen und von Handlungsinitiative (agency). Man könnte dies in Anlehnung an B. Waldenfels als eine radikale Form der passiven/pathischen Aufmerksamkeit beschreiben. Vgl. S. Gallagher: How the body shapes the mind, 189-200. 509 Vgl. R. Rafal/M. I. Posner: Deficits in human spatial attention following thalamic lesions. In: Proceedings of the National Academy of Science 84, 7349-7353. Patienten mit unilateralem visuellen Neglekt haben demnach Schwierigkeiten, die

DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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men des Autismus von einer fehlenden Dynamik innerhalb der Wahrnehmung sprechen. Bei den entsprechenden Patienten ist zwar die fokussierte Aufmerksamkeit in Bezug auf Objekte stark ausgeprägt, aber die periphere oder globale Wahrnehmung eingeschränkt. Dies führt dazu, dass die Wahrnehmung eines Autisten sich meist maßgeblich durch spezifische Wahrnehmungsdetails auszeichnet, diese Details aber nicht in einen allgemeinen Wahrnehmungskontext bzw. eine Wahrnehmungssituation mit sozialen und kulturellen Implikationen integriert werden können.510 Weitere Indizien für eine fehlende Dynamik innerhalb der Wahrnehmung lassen sich z.B. in Phänomenen wie der extremen Fixierung auf ein bestimmtes Thema oder eine Person sowie auf vergangene Ereignisse erkennen. Der Phänomenologe Maurice Merleau-Ponty spricht in diesen Fällen von einer „Scholastik der Existenz“511. Während die fokussierte Aufmerksamkeit also in hohem Maße die Funktion der Selektion widerspiegelt, die es ermöglicht, einen spezifischen Gegenstand als solchen isoliert wahrzunehmen, scheint die Dynamik der Aufmerksamkeitswechsel für die zeitliche und inhaltliche Integration der Wahrnehmungen wichtig zu sein. Gleichzeitig muss aber für die gelungene Selektion eines Gegenstandes bereits eine gewisse rudimentäre zeitliche und räumliche Integration der Wahrnehmungsdaten vorausgesetzt werAufmerksamkeit von ihrer non-neglected side abzuwenden, wenn sie dort bereits ‚engagiert‘ ist. 510 Vgl. F. Happé: Autism: cognitive deficit or cognitive style? In: Trends in Cognitive Science 3/1999, 216-222. Die detaillierte Wahrnehmung von Autisten könnte auch sogenannte Inselbegabungen erklären. Autisten haben demnach einen anderen kognitiven Stil als ‚normale‘ Menschen, sie bevorzugen die lokale statt einer globalen Wahrnehmungsverarbeitung. Dieser Stil ist nach Ansicht der Autoren der zitierten Studie durch eine schwache zentrale Kohärenz (weak central coherence) des Wahrgenommenen geprägt. 511 M. Merleau-Ponty spricht in diesem Zusammenhang auch von der Erfahrung eines Traumas. Das verdrängte Trauma lebt demnach nicht in der Weise eines datierbaren vergangenen Vorkommnisses oder einer bestimmten Vorstellung in uns weiter, sondern in Form eines impliziten allgemeinen Wahrnehmungsstils. Dadurch entäußere ich mich „[m]eines ständigen Vermögens, mir neue ‚Welten‘ zu erschließen […] zugunsten einer einzigen, und eben dadurch geht auch diese bevorzugte Welt ihrer Substanz verlustig und schließlich unter in einer unbestimmten Angst“. Die mit dieser Verdrängung einhergehende Fixierung ist daher „gleichsam der Übergang vom Existieren in erster Person zu einer Scholastik der Existenz, die nur noch lebt von einer einstigen Erfahrung, oder gar nur von der Erinnerung, diese einstmals gehabt zu haben“, von der schlussendlich nur die typische Form erhalten bleibt. Vgl. M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 108.

240 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT den. Dasselbe gilt für die Integration: Diese muss vorangegangene und gegenwärtige Sinneseindrücke verbinden und in Bezug zu aktuellen und potentiellen Bewegungen, Handlungen und Intentionen setzen. Dazu bedarf es eines unmittelbaren, aber darin bereits selektiven leiblichen Bezugs zur Umwelt, gewisser Handlungsziele oder passiv und aktiv wirkender Interessenszusammenhänge. Ein unzusammenhängender Wechsel von Sinneseindrücken ohne eine übergreifende Einheit aus leiblich-subjektiven Tendenzen, Absichten oder Interessen kann nicht als Integration bezeichnet werden. All dies ergibt sich zunächst aus der zeitlich und assoziativ konstituierten Einheit des Erfahrungsverlaufs und wird in höheren genetischen Stufen durch aktive Stellungnahmen, personale Interessen und Handlungsabsichten des Subjektes angereichert. Je nachdem ob eher die selektive/fixierende oder die integrative/fluktuierende Aufmerksamkeitsstrategie besonders ausgeprägt ist, kommt es zu einer völlig anderen Wahrnehmung der ‚Welt‘. Was dabei als normales oder effektives Wahrnehmungsverhalten gilt – die Betonung der Fokussierung auf ein bestimmtes Thema oder der schnelle Aufmerksamkeitswechsel – hängt von den jeweiligen Anforderungen an das Subjekt ab. Eine Sensibilität für neue, plötzliche Eindrücke kann dementsprechend für gewisse Situationen sehr nützlich sein, auch wenn es im Kontext der Schule bzw. für das Lernen einen Nachteil darstellt. Pathologisch ist in diesem Sinne nicht die Art und Weise der Wahrnehmungsstrategie, sondern höchstens, dass es etwa im Falle des ADHS nicht möglich ist, zwischen den verschiedenen Aufmerksamkeitsformen zu wechseln. Die allgemeine Sensibilität kann demnach bei einer Pathologie nicht einfach willkürlich zugunsten der Konzentration auf ein spezifisches Thema ‚ausgeschaltet‘ werden. Bei Störungen der Handlungskontrolle und -planung sowie Entscheidungsprozessen zeigt sich in besonderem Maße, wie eng die Funktionen von Selektion und Integration zusammenhängen. Aufgrund eines Selektionsdefizits in Bezug auf die auszuführenden Handlungen kommt es hierbei zu einer Desintegration des gesamten Verhaltens: In manchen Fällen werden etwa einzelne Bewegungen ständig wiederholt oder ganze Bewegungsabläufe bleiben unabgeschlossen, insgesamt erscheinen die Handlungsabläufe inkohärent und unorganisiert.512

512 Zu inkohärentem Verhalten bei Menschen, vgl. P.J. Eslinger/A.R. Damasio: Severe disturbance of higher cognition after bilateral frontal ablation: Patient EVR. In: Neurology 35/1985, 1731-1741; A.R. Luria: Higher cortical functions in man. London 1966. Bei Affen mit denselben Schädigungen im Bereich des frontalen Gehirnlappens wurden unwillkürliche, ziellose und repitierte Bewegungen beob-

DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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Phänomenologisch betrachtet, ermöglicht das jeweils subtile Zusammenspiel von Selektion und Integration – den beiden Hauptfunktionen der Aufmerksamkeit – eine kohärente Wahrnehmung, die wiederum eng verbunden ist mit einem charakteristischen subjektiven Bezug und der damit einhergehenden persönlichen Lebensumwelt. Ist dieses Zusammenspiel in irgendeiner Weise gestört bzw. im Ungleichgewicht, geht dies nicht nur mit Wahrnehmungsveränderungen einher, sondern bringt zugleich Unsicherheiten in Bezug auf die eigene Identität und die Stabilität der umgebenden Welt mit sich.

1.2 Grundlagen der Attentionalität I: Emotion und Affektion Nachdem bisher Dargelegten ist die vertikale Seite der Aufmerksamkeit primär durch Intentionalität – in dem eingangs definierten umfassenden Sinne – bestimmt, die sich in mehr integrative oder mehr selektive Bezugsstrukturen ausdifferenziert. Darüber hinaus bezeichnet Attentionalität aber vor allem die evaluative Dimension der Wahrnehmung bzw. Intentionalität. Unser Bezug zur Welt, sei es in leiblich-praktischer oder explizitintentionaler Art ist demnach nie neutral, sondern wesensmäßig qualitativ gefärbt. Selektion als bevorzugende und ausschließende Funktion spielt in diesem Sinne nicht erst im Bereich der gezielten visuellen Aufmerksamkeit oder des auditiven Filterns eine Rolle, sondern charakterisiert Erfahrung und Wahrnehmung von Beginn an. Was wir im Einzelfall bemerken oder nicht, hängt von Faktoren der subjektiven Relevanz ab, die affektiv und emotional motiviert sind. Wie Husserl bemerkt, wird etwa jede aufmerkende Intention auf einen Gegenstand oder speziellen Teilbereich eines Gegenstandes von einem Gefühl begleitet, sei es positiver oder negativer Natur. Die jeweils beteiligte Intensität entscheidet dabei darüber, ob es zu einer länger andauernden Beschäftigung mit dem Gegenstand oder zu einem Wettkampf der Reize kommt, der zu einem Aufmerksamkeitswechsel führt. Die Gefühle erweisen sich somit sowohl als Motor des aktuellen Wahrnehmungsverlaufs als auch als Motivation für eine allererste Beschäftigung mit Etwas. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen einem aktuellen Akt der Aufmerksamkeit oder einer aufmerksamen Handlung und einer achtet, vgl. L. Bianchi: The mechanism of the brain and the function of the frontal lobes. Edinburgh 1922.

242 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT globalen affektiven Bereitschaft, die mitbestimmend dafür ist, wie uns etwas erscheint und wovon man sich zu einem bestimmten Zeitpunkt überhaupt affizieren lässt. Der im ersten Teil entwickelte genetische Begriff des Interesses steht dabei zunächst allgemein für ein Wahrnehmungsstreben, das sich in dem zeitlichen und selektiven Bezug des leiblichen Organismus zu seiner Umwelt ausdrückt. Ein solcher zunächst passiver Bezug zur Welt kann sich nun zu einem individuellen noetischen Stil entwickeln, der aufgrund vorangegangener Erfahrung oder spezifischen Interessen einen bestimmten Reiz oder Gegenstand regelrecht ‚erwartet‘. Diese Tendenz zur Antizipation, die bereits auf der Ebene der passiven, zeitlichen Synthesen des Bewusstseins in Form von Protentionen513 angelegt ist, wird auf den höheren Stufen der Wahrnehmung dann zu einer gegenständlichen Intention mit begleitenden Erwartungen, die sich im Verlauf der weiteren Wahrnehmung erfüllen können. Husserls Struktur der Intention eines Gegenstandes, die sich in der aktuellen Wahrnehmung sinnlich erfüllen, aber auch enttäuscht werden kann, hat seine Entsprechung gleichermaßen in einer begleitenden Intensität von Spannung (Intention) und Lösung (Erfüllung/ Enttäuschung). Jede Intentionalität ist sozusagen schon von Beginn an ‚emotionalisiert‘. Die Gefühle geben der Intentionalität ihre Motivation im Sinne einer Spannung und nehmen in ihrer evaluativen Funktion direkt an der Gegenstandskonstitution teil. In ihrer personalisierten Form tritt eine solche allgemeine Wahrnehmungsbereitschaft oder Triebintentionalität als „affektive Intentionalität“514 auf. Jan Slaby benutzt diesen Begriff um im Anschluss an Jean-Paul Sartre und Martin Heidegger eine Dimension von Hintergrundgefühlen und Stimmungen aufzuzeigen, die unseren Weltbezug zu jedem Zeitpunkt charakterisieren. Ein Beispiel für eine affektive Intentionalität kann etwa eine 513 Husserl spricht in den A-Manuskripten von einem „protentionalen Stil“ (A VI 26/134b), oder davon, dass jeder seine „egoistische Tradition“ (A VI 26/135a „7“) hat. 514 Mit dem Begriff der affektiven Intentionalität bestimmt J. Slaby im Anschluss an Sarte und Heidegger Gefühle nicht als innere Zustände, sondern als Weisen des Weltbezugs. Der affektive intentionale Weltbezug ist dabei durch kaum merkliche Stimmungen und Hintergrundgefühle gekennzeichnet. Im Gegensatz zu Emotionen, die auf klar identifizierbare Objekte bezogen sind und mit deutlicher physiologischer Erregung einhergehen, stellen Hintergrundgefühle ein bestimmtes Seinsgefühl dar, das über längere Zeiträume stabil sein kann, weitgehend objektunabhängig und fast ohne körperliche Erregung auftritt. Vgl. J. Slaby: Affektive Intentionalität – Hintergrundgefühle, Möglichkeitsräume, Handlungsorientierung, 26f.

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länger andauernde Grundstimmung der Fröhlichkeit, Neugier, Trauer, Langeweile oder des Ekels sein. Je nachdem, welche Tonalität die subjektive Wahrnehmung annimmt, ergeben sich neue Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten (etwa für den Neugierigen oder Fröhlichen) oder die Offenheit und Affizierbarkeit gegenüber der Welt wird maßgeblich eingeschränkt (im Falle der Traurigkeit, Langweile oder des Ekels). Diese Befindlichkeiten konstituieren insofern die „verschiedenen Aufnahmebereitschaften einer Person hinsichtlich möglicher Bezirke des Erfahrbaren“515. Durch die Hintergrundgefühle stehen wir zu jedem Zeitpunkt in einem erlebten „Horizont von Wert“516. Der emotionale Aspekt der Attentionalität bestimmt demnach nicht nur, ob und wie wir etwas wahrnehmen und antizipieren, sondern auch ob wir etwas positiv oder negativ erfahren. Das Erfahren der Welt ist in diesem Sinne immer schon durch eine bestehende implizite Einstellung geprägt, etwa wenn der/die Zuversichtliche etwas Positives erwartet, der/die Neugierige gespannt ist auf jedes sich neu vollziehende Ereignis, der/die Furchtsame nach etwaigen Gefahren Ausschau hält oder der/die Gelangweilte seiner/ihrer Umwelt gänzlich ohne Anteilnahme begegnet. Wenn es darum geht, zu klären, welche selektiven Kriterien oder topdown Modulationen, für die jeweilige Ausrichtung der Aufmerksamkeit oder den Aufmerksamkeitswechsel des Subjekts relevant sind, spielen neben solchen allgemeinen Gefühlslagen ein individuell ausgeprägter habitueller Aufmerksamkeitsstil, spezielle situationsgebundene Interessen und die aktuelle Handlungsorientierung eine Rolle. Vereinzelt wird dieser Einfluss von emotionalen Faktoren auf die Aufmerksamkeitsleistung auch in der aktuellen experimentellen Forschung aufgegriffen. Verschiedene Experimente untersuchen etwa, ob Stimuli, die mit starken Emotionen wie Ekel, Angst oder Sympathie verbunden sind (wie z.B. Spinnen, Schlangen oder ein lächelndes Gesicht), in einem visuellen Display schneller entdeckt werden als neutrale Stimuli.517 In einer neurowissenschaftlichen Studie von Antonio Damasio, dem sogenannten good guy/bad guy Experiment, 515 J. Slaby: Affektive Intentionalität – Hintergrundgefühle, Möglichkeitsräume, Handlungsorientierung, 30; vgl. M. Heidegger: Sein und Zeit, § 29 und § 30. 516 Vgl. J. Slaby: Affektive Intentionalität – Hintergrundgefühle, Möglichkeitsräume, Handlungsorientierung, 30. 517 Unklarheit herrscht dabei über die Frage, ob emotionale Stimuli eine automatische, d.h. unbewusste, Aufmerksamkeitsausrichtung auslösen können. Vgl. K.R. Cave/M.J. Batty: From searching for features to searching for threat: drawing the boundary between preattentive and attentive vision. In: Visual Cognition 14/2006, 626-646. In der frühen empirischen Psychologie wurde der Zusammenhang von Interesse und Handlungsausführung bzw. Handlungswiederaufnahme nach einer

244 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT zeigte sich ebenfalls, wie das Urteilsvermögen in Bezug auf andere Personen durch vorherige Erfahrungen und dadurch generierte affektive Einstellungen beeinflusst werden kann, ohne dass dies den Probanden bewusst sein muss.518 Während das Verhältnis von Emotion und Aufmerksamkeit in den entsprechenden Lehrbüchern meist kaum berücksichtigt wird, war die evaluative Dimension der Wahrnehmung in der frühen empirischen Psychologie durchaus ein Thema.519 In der aktuellen Kognitionswissenschaft tritt eine emotionale Dimension jedoch meist als physiologisch messbare Erregung auf, die als Zeichen für Aufmerksamkeit gilt. Von sogenannten mehrdimensionalen Aufmerksamkeitsmodellen wird etwa zusätzlich zu einem Selektionsaspekt auch ein Intensitätsaspekt angenommen. Der Intensitätsaspekt der Aufmerksamkeit umfasst hierbei die Aufmerksamkeitsaktivierung (alertness) und die Daueraufmerksamkeit (Vigilanz). Die Aufmerksamkeitsaktivierung bezieht sich auf die Regulation der psychischen und physischen Reaktionsbereitschaft bzw. ‚Wachheit‘. Hierbei unterscheidet man zwischen einem allgemeinen Zustand der Wachheit, dem sogenannten tonischen arousal und dem phasischen arousal, das die Fähigkeit widerspiegelt, die Reaktionsbereitschaft in Erwartung eines Reizes kurzfristig steigern zu können.520 Ein weiteres Merkmal, das dem Faktor der Intensität zugeschrieben wird, stellt die Möglichkeit dar, selektive AufUnterbrechung etwa von K. Lewin und seiner Forschergruppe untersucht. Vgl. K. Lewin: Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie. Berlin 1926. 518 Die affektive Relevanz, die für eine intuitive bzw. angemessene Entscheidung notwendig ist, scheint nicht auf ein deklaratives Erinnerungsvermögen angewiesen zu sein. Wurden einem Amnesiepatienten Bilder von Personen gezeigt, die er nach dem Schema ‚gut‘ oder ‚böse‘ bewerten sollte, so orientierten sich seine Entscheidungen an vergangenen Begegnungen mit den betreffenden Personen und ihrem guten oder schlechten Verhalten ihm gegenüber – und das, obwohl er sich an diese Begegnungen und Personen nicht erinnern konnte. 519 In der frühen empirischen Psychologie interessierte sich etwa W. Wundt für die qualitative Dimension der Wahrnehmung. In seinem strukturellen Modell der Gefühle unterschied er zwischen drei Gefühlsdimensionen, Lust/Unlust, Erregung/Beruhigung sowie Spannung/Lösung. Vgl. W. Wundt: Grundriss der Psychologie. Leipzig 1896. Auch W. James geht auf subjektive Interessenlagen bei der Aufmerksamkeit ein, wie man seinen Beispielen zur apperzeptiven Funktion der Aufmerksamkeit entnehmen kann. W. James: Principles of psychology, vol.1, 403f. 520 Vgl. F. Goldhammer/H. Moosbrugger: Aufmerksamkeit, 24. Die neuronale Aktivierungsveränderung und die physiologisch messbare Erregung, die sich in Erwartung eines Reizes bildet, könnte phänomenologisch seine Entsprechung in Husserls Konzept der (Trieb-)Intentionalität mit seinen Phasen der Spannung und Lösung haben.

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merksamkeit selbst über einen längeren Zeitraum, unter monotonen Bedingungen und bei einer „niedrigen Frequenz kritischer Reize“521 ausüben zu können. Im Gegensatz zum meist reizbedingten arousal wird diese Form der Vigilanz als eine willentliche mentale Leistung interpretiert. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass es bei einem ‚normalen‘ Subjekt so etwas wie einen allgemeinen Zustand der Aufmerksamkeit bzw. der Offenheit und Erwartung gegenüber der Umgebung und der sich in ihr ereignenden Dinge gibt. Diese relativ unspezifische attentionale Grundhaltung (das phasische arousal) kann aber einerseits durch saliente Reize gelenkt werden oder durch eine explizite Konzentrationsleistung längere Zeit auf ein bestimmtes Gebiet gerichtet werden. In beiden Fällen kommt es entweder bottom-up oder top-down zu einer Steigerung der Intensität, die sich im Erleben und in der Physiologie niederschlägt. Die funktionalen Kriterien der Selektion und der Integration erhalten somit an dieser Stelle eine physiologische Fundierung. Den dabei wesentlichen Zusammenhang zwischen Emotionen522 bzw. Gefühlen und der Physiologie des Subjekts betonte schon W. James. Gefühle können nach James auf unterster evolutionärer Ebene als automatische körperliche Reaktionen auf sich wiederholende Umweltreize interpretiert werden. So können bestimmte körperliche Reaktionen, wie Zittern, Weinen etc. Gefühle automatisch hervorrufen. James Emotionstheorie wurde zusammen mit einer ähnlichen Theorie von Carl Lange rezipiert, einem dänischen Arzt und Psychologen, der Emotionen vollständig mit vasko-muskulären Veränderungen identifizierte. Diese einflussreiche Bestimmung führte im Folgenden zu einer strikten Unterscheidung von Emotion als physiologischem gegenüber der Kognition als mentalem Phä521 Ebd. 522 In der psychologischen Literatur wird aufgrund des angloamerikanischen Sprachgebrauchs hauptsächlich der Begriff Emotion verwendet. Auch wenn in der deutschsprachigen Forschung keine explizite Unterscheidung zwischen Gefühlen und Emotionen vorgenommen wurde, steht Emotion eher für unmittelbar physiologisch ausgelöste Reaktionen, während das Haben eines Gefühls eine gewisse Bewusstheit des Zustandes, aber auch eine Zuschreibung zu einem Gefühlskonzept und den damit verbundenen Werten impliziert. So wird etwa zwischen objektiv sichtbarem emotionalen Verhalten und dem subjektiven Gefühlserleben unterschieden. Personale und kulturell geprägte Gefühle, wie etwa das Konzept Liebe, sind im Gegensatz zu einer zeitlich begrenzten emotionalen Reaktion auf eine längere Dauer hin angelegt. Weiterhin ist aber auch die Rede von Hintergrundgefühlen, die eine Art emotionaler Grundstimmung bezeichnen, mit der man der Welt begegnet. Vgl. D. Ulich/P. Mayring: Psychologie der Emotionen. Stuttgart 22003, 45f.

246 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT nomen, die bis heute Kognitionspsychologie und Neurowissenschaft prägt. Entgegen dieser Standardinterpretation kann man die Emotionstheorie von James aber auch als Brücke zwischen kognitivistischen und physiologischen Emotionstheorien523 lesen, wie etwa Slaby argumentiert. Die Kritik, die von kognitivistischer Seite an James Emotionstheorie ausgeübt wird, nämlich dass hier die intentionale Seite der Emotionen nicht berücksichtigt wird, trifft demnach nur zu, wenn man ein strikt mentalistisches Konzept von Intentionalität vertritt. Laut Slaby gibt es in James Schriften aber genügend Anzeichen dafür, dass die primäre Vollzugsform der Intentionalität für ihn, wie später für andere Pragmatisten und Heidegger, eher in einem praktischen Umgang mit der Welt als in einem dezidierten Vorstellen der Welt oder im Urteilen über diese bestand.524 Vielmehr versucht James Emotionen körperlich zu fundieren und deren Einfluss auf sämtliche Stufen des Weltbezuges, auch höherer kognitiver Art, aufzuzeigen. Gerade die Betonung der körperlichen Seite der Emotionen erscheint deshalb als besondere Stärke seiner Position, da diese von kognitivistischen Emotionstheorien vernachlässigt wird. Die Idee, dass Umweltgegebenheiten körperliche Veränderungen auslösen, die sich als körperliche Empfindungen manifestieren, scheint heute, vor allem in der Neurowissenschaft, besonders aktuell. So ließen sich komplexere Gefühle sowie explizite Werturteile als Teil unseres allgemeinen affektiven Weltbezugs erfassen, der durch körperliche Empfindungen fundiert ist. Ähnliche Ansätze werden von einigen Vertretern der embodied cognition525 vertreten, die den Zusammenhang von Leiblichkeit, Zeitlichkeit und Affektion hervorheben. Der unmittelbare passive Weltbezug ist hier als zeitlich und leiblich charakterisiert und enthält entsprechende affektive Valenzen. Hier wird nicht nur die selektive Strukturierung des Weltbezugs sichtbar, sondern auch die pathische Seite der Aufmerksamkeit, unsere Anfälligkeit und Ausgesetztheit gegenüber äußeren Reizen und Ereignissen.

523 Zu den Vertretern der kognitivistischen Emotionstheorie werden etwa R. Solomon und M. Nussbaum gezählt. Vgl. R.C. Solomon: The passions. New York 1976; M.C. Nussbaum: Upheavals of thought. Cambridge 2001. 524 Vgl. J. Slaby: William James: Von der Physiologie zur Phänomenologie. In: H. Landweer/U. Renz (Hg.): Klassische Emotionstheorien, Berlin 2008, 561-582, hier: 571. 525 Vgl. E. Thompson: Mind in life, 360-381. J. Slaby sieht ebenfalls einen notwendigen Zusammenhang zwischen leiblicher Verfasstheit, Intentionalität und Emotionen. Vgl. J. Slaby: Affective intentionality and the feeling body. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 7/2008, 429-444.

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In diesem Zusammenhang wird ebenfalls die enge Verbindung zwischen Emotionen und der zeitlichen und intentionalen Struktur der Erfahrung hervorgehoben. Insbesondere der Aspekt der Protention, der das aktuelle Zeitfeld in die Zukunft hin erweitert, scheint eng mit dem Konzept ‚Gefühl‘/‚Emotion‘ verknüpft zu sein. Der affektive Aspekt der Intentionalität drückt sich demnach auf seiner untersten Stufe in einer zeitlichen Spannung aus, die auf eine Lösung abzielt, von der wiederum neue Intentionen bzw. Spannungen ausgehen. Emotion ist insofern aus zwei Gründen als integraler Bestandteil der protentionalen Struktur der Erfahrung zu bewerten: Einerseits weil diese zukunftsorientierte Spannung eine Motivation durch retentionale Erfahrungsinhalte beinhaltet, und andererseits weil sie eine gewisse Handlungstendenz bzw. die Bereitschaft zur Bewegung und Handlung impliziert. Beides weist nach Evan Thompson darauf hin, dass die Welt für das erfahrende Subjekt mit einer affektiven Valenz versehen ist. Die enge Verbindung von Emotion, leiblicher Bewegung und Ausdruck führt er auf die Etymologie des Wortes Emotion zurück: „Etymology tells us that the word ‚emotion‘ (from the latin verb emovere) means an outward movement. Emotion is the welling up of an impulse within that tends toward outward expression and action.”526 In ähnlicher Weise versucht die phänomenologisch-neurowissenschaftlich orientierte Erklärung von Natalie Depraz und Francisco Varela Emotionen in der affektiven Leiblichkeit des Organismus zu fundieren.527 Jede komplexe Emotion weist in ihren gegenwärtigen Phasen spezielle affektive Komponenten auf, wie Depraz und Varela anhand eines Beispiels von Merleau-Ponty illustrieren. In diesem wird eine Situation beschrieben, in der wir dem unangenehmen Blick eines anderen Menschen ausweichen wollen: von der ersten Begegnung, dem Gefühl der Überraschung oder Ablehnung bis hin zu der tatsächlichen körperlichen Abwendung. Anhand solcher emotionaler Situationen lassen sich nach Meinung der Autoren folgende affektive Komponenten unterscheiden: Zunächst spielt ein vorausdeutender perzeptueller oder imaginativer Reiz (trigger) eine Rolle, in obigem Falle etwa ein ärgerlicher Gesichtsausdruck. Dieser generiert eine affektive Salienz, die entweder – vor dem Eintreten des Gefühls – antizipierend wirkt oder währenddessen eine stabilisierende Funktion einnimmt. Die affektive Salienz stellt damit schon eine erste Interpretation des bevorstehenden oder gerade ablaufenden Geschehens dar, da das Sehen eines ärgerlichen Gesichtsausdrucks bereits eine diesbezügliche Wertung 526 E. Thompson: Mind in life, 363-364. 527 Vgl. F.J. Varela/N. Depraz: At the source of time: valence and the constitutional dynamics of affect. In: Journal of Consciousness Studies 12/2005, 64-81.

248 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT beinhaltet. Ein solchermaßen selektives Kriterium fungiert in passiver Weise vor jeder Reflexion und kann sowohl detailliert und realistisch als auch nur vage und unbestimmt sein. Mit dem Prozess einer ersten Einstimmung oder Reaktion auf ein Ereignis geht einerseits eine gewisse gefühlsmäßige Tonalität (feeling-tone), d.h. eine allgemeine wertende Einstellung zum Geschehen – wie etwa Angst, Überraschung, Wut –, und andererseits eine auf die Situation bezogenen leiblich-motorische Aktionsbereitschaft bzw. generelle Handlungsintention einher. Gleichzeitig mit dieser motorisch-intentionalen Komponente der Leiblichkeit (motor embodiment) kommt es zu komplexen, autonomen und messbaren physiologischen Veränderungen (visceral-interoceptive-embodiment).528 Die sinnliche Sensibilität in Gestalt einer grundlegenden Affektionsbereitschaft sowie die kinästhetischen Empfindungen und Bewegungsmöglichkeiten des Lebewesens sind den Autoren zufolge von vornherein durch eine bestimmte wertende und strebende Struktur – im Sinne Husserls einer passiven Triebintentionalität oder im Sinne Slabys einer affektiven Intentionalität – charakterisiert. Jede Affektion ist durch eine rudimentäre Präferenz gekennzeichnet, die Depraz und Varela mit dem Begriff der Valenz bezeichnen. Eine erste Wertung des Empfundenen könnte sich demnach nach leiblichen Kategorien von Lust und Unlust (schmerzhaft, wohltuend, angenehm, unangenehm etc.) vollziehen. Diese Wertung bzw. Emotion steht dabei in Relation zu den vorherigen Erfahrungen und Zuständen des Leibes sowie seinen Bewegungsmöglichkeiten. So würde jeder die Einschränkung der eigenen Bewegungsmöglichkeiten durch äußere Einwirkungen als negativ erleben, während man die Sonnenstrahlen auf der Haut als angenehm empfindet. Insbesondere die zweite Wertung ergibt sich aber ebenfalls nur in Relation zum gesamten zeitlichen Erfahrungszusammenhang. Dieselben Sonnenstrahlen werden insofern im Falle einer entsprechenden Allergie oder nach einer bereits andauernden Hitzeperiode als unangenehm erfahren. Emotion wird in den obigen Ansätzen als intentionale Struktur konzeptualisiert. Ihr Inhalt und Ausdruck wird insofern in einem Wechselspiel zwischen Immanenz und Transzendenz generiert. Während bei der Intentionalität etwas Äußeres im Bewusstsein erscheint und damit über dieses hinausweist, scheint sich bei den Emotionen etwas ‚Inneres‘ unmittelbar äußerlich bzw. leiblich auszudrücken, das aber in seiner Generierung wiederum auf die Interkation mit und Einbettung in einer intersubjektivmenschlichen Lebenswelt verweist. Intentionalität kann also nicht als ein528 Vgl. zu obigen Ausführungen die ausführliche Auseinandersetzung bei E. Thompson: Mind in life, 375f.

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seitiger oder gar willentlicher Bezug auf die Welt oder bestimmte Objekte verstanden werden, sondern stellt sich in seiner emotionalen Dimension als wechselseitige Abhängigkeit dar. Durch unsere Leiblichkeit sind wir nicht nur fähig, Bewegungen zu initiieren und Gefühle auszudrücken, sondern durch unseren ‚materiellen‘ Körper sind wir selbst äußerlich und insofern äußeren Einwirkungen unmittelbar ausgesetzt. Zwischen der expliziten Intentionalität oder dem Ausdruck eines spezifischen Gefühls liegen die Empfindungen, durch die das ‚Äußere‘ direkt am eigenen Leib erfahren wird und so etwa ein Wohlgefühl aber auch einen Schmerz verursachen kann. In diesem Zusammenhang zeigt sich das Ineinander von Immanenz und Transzendenz, zeigen sich die fließenden Grenzen zwischen Innen und Außen, Subjekt und Objekt besonders deutlich. In Bezug auf die Aufmerksamkeit bedeutet dies, dass sie ebenfalls einen zutiefst unwillkürlichen – mit den Worten des Phänomenologen Bernhard Waldenfels – einen pathischen Charakter haben kann. Indem wir äußeren Einwirkungen durch Natur, Objekte oder andere Personen ständig ausgesetzt sind, können wir vor Einigem, das um uns herum passiert, nicht unsere Aufmerksamkeit verschließen. Dies gilt insbesondere für den Bereich der auditiven und taktuellen Aufmerksamkeit: Es ist weitaus schwerer oder gar unmöglich, ein sehr lautes Geräusch oder eine schmerzhafte Empfindung zu ignorieren als einen unangenehmen Anblick.529 Die direkte (körperliche) Betroffenheit, die diese Beispiele ausmachen, steht insofern in einem engen Verhältnis zu Schmerz- und Angstgefühlen. Aber auch ein plötzliches unerwartetes oder schreckliches Szenario, das sich uns rein visuell darbietet, kann zu einem Erschrecken und sogar zu einem körperlichen Erstarren führen. Ein solches ungefiltertes Ausgeliefertsein an äußere Eindrücke kann dabei auf eine Störung der protentionalen Zeitstruktur der Erfahrung hinweisen, wie dies laut Shaun Gallagher etwa im Falle der Schizophrenie beobachtet werden kann. So können etwa bestimmte Personen, Umstände oder Gedanken Angstgefühle auslösen, die eine antizipierende, zukunftsgerichtete und damit zugleich selektive Wahrnehmung unterbinden. Dies geht nach Gallagher mit dem Verlust des Handlungsbewusstseins (sense of agency) einher und könnte mit dem von Schizophreniepatienten 529 Der pathische und responsive Charakter der Aufmerksamkeit drückt sich nach Waldenfels zudem darin aus, dass wir uns von vornherein antwortend auf unsere Umwelt und die impliziten Ansprüche unserer Mitmenschen beziehen. Aufmerksamkeit ist in diesem Sinne keine aktive Selektion, sondern eine mehr oder weniger passive Reaktion auf Umstände, Fragen und Ansprüche, die uns immer schon vorausgehen.

250 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT häufig berichteten Symptom der invasiven Gedanken (thought insertion) zu tun haben. Die retentional geprägte Zeitstruktur ist bei diesen Patienten zwar intakt, d.h. die fremden Eindrücke und Gedanken werden als in meinem Erfahrungsverlauf vorkommende Gebilde wahrgenommen (sense of ownership). Jedoch werden diese aufgrund der fehlenden antizipativen oder intentionalen Verbindung zu den vorangegangenen Erlebnissen als fremdverursacht und ungewollt empfunden. Gleichermaßen ist es möglich, dass nicht nur Angstzustände eine zeitliche Dysfunktion auslösen können, sondern eine fragmentierte protentiale Zeiterfahrung selbst die Ursache für diverse Ängste sein kann: „Without protention, for example, it is quite possible that patients would experience the world as being invasive, ‚on top of them‘, too close, etc., which are, in fact, experiences reported by schizophrenics.“530 Selbst wenn der Zusammenbruch der protentionalen Strukturen nicht immer von einer expliziten Gefühlseinstellung der betroffenen Personen, wie Verzweiflung oder Wut, begleitet wird, hinterlässt er nach Gallaghers Ansicht auf der vorpersonalen Ebene der Affektion einen zeitlichen ‚Riss‘, der entsprechende Verfremdungseffekte mit sich bringt.531 Die emotionale Seite der Attentionalität lässt sich nach den bisherigen Überlegungen als Grundlage dafür beschreiben, weshalb Selektionsvorgänge nicht willkürlich auftreten, sondern von Beginn an durch Hintergrundgefühle und später spezifische Gefühle, Interessen und Werte motiviert und begleitet werden. Diese emotionale Dimension ist allgemein durch körperliche Empfindungen fundiert und lässt sich, zumindest teilweise, als momentane Erregung und neurologische Zustandsveränderung physisch nachweisen. Diese Gefühlsbasis stellt phänomenologisch den „Motor“ und die „Quelle“ des Wahrnehmungsinteresses und der damit verbundenen Bewegungen und Handlungen dar.532 Sie motiviert einer530 S. Gallagher: How the body shapes the mind, 200. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die psychopathologische Studie von T. Fuchs: The temporal structure of intentionality and its disturbance in schizophrenia. In: Psychopathology 40/2007, 229-235; vgl. ebenfalls P. Bovet/J. Parnas: Schizophrenic delusions: a phenomenological approach. In: Schizophrenia Bulletin 19/1993, 579-597. 531 Vgl. S. Gallagher: How the body shapes the mind, 201. 532 Das Emotionen eine wichtige Rolle für die Ausführung und Wiederaufnahme von Bewegungen und Handlungen haben, wurde bereits von dem Psychologen Kurt Lewin hervorgehoben. Vgl. K. Lewin: Untersuchungen zur Handlungs- und Affektpsychologie. Berlin 1926. In der neueren psychologischen Forschung werden Emotionen entweder computational als Optimierung der Informationsverarbeitung verstanden oder sie stehen für einen evolutionstheoretischen Faktor, der durch seine handlungsantreibende Wirkung das Überleben sichert. Vgl. D.

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seits den Wechsel der Aufmerksamkeit und andererseits die andauernde Konzentration auf ein spezifisches Thema oder eine längere und anspruchsvolle Tätigkeit. Beide Formen der Aufmerksamkeit tragen damit auf ihre Weise zur Aktualisierung, Differenzierung und Erweiterung des Wahrnehmungshorizontes bei. Gleichzeitig offenbaren sich durch die körperliche Fundierung der Emotionen und der damit einhergehenden Attentionalität auch die Grenzen und Störanfälligkeiten einer ‚willentlichen‘ Intentionalität. Durch unsere körperliche Verfasstheit und sensuelle Empfindsamkeit sind wir äußeren Reizen und Ereignissen jederzeit ausgesetzt. Ist diese Reizsituation ‚stärker‘ als vorangehende selektive Ausrichtungen oder können diese selektive Kriterien nicht ausgebildet werden, wie etwa in oben dargestellten psychopathologischen Fällen, führt dies zu einer fehlenden Integration der aktuellen Eindrücke in den bisherigen Wahrnehmungsverlauf und damit zu inkohärenten Erfahrungen und Unsicherheiten im Weltbezug des wahrnehmenden Subjekts.

1.3 Grundlagen der Attentionalität II: Leiblichkeit und Bewegung Wie sich in der Auseinandersetzung mit der emotionalen Dimension der Attentionalität bereits herausgestellt hat, sind vor allem die nicht-expliziten Formen des Weltbezuges eng mit der Leiblichkeit des Subjekts verknüpft. Leiblichkeit meint in diesem Sinne zunächst auf einer allgemeinen Ebene die Beschreibung der strukturellen Eigenheiten der Erfahrung, die mit einer körperlichen Verfasstheit des Subjekts einhergehen (Kinästhese, Propriozeption) und auf einer konkreten Ebene, die gemachten körperlichen Erfahrungen in Form eines leiblichen Gedächtnisses, erlernte Fähigkeiten (wie etwa Laufen oder Fahrradfahren), sowie aktuelle praktische Bewegungsintentionen eines bestimmten Subjekts. Attentionalität als noeUlich/P. Mayring: Psychologie der Emotionen. Stuttgart 22003, 54f; H. Leventhal/K. Scherer: The relationship of emotion to cognition: a functional approach to a semantic controversy. In: Cognition and Emotion 1/1987, 3-28. Aus evolutionspsychologischer Sicht lassen sich dabei wenige Basisemotionen ausmachen, die sich im Laufe der Evolution adaptiv ausgebildet haben, durch physiologische Prozesse fundiert sind und mit einem bestimmten Verhaltensausdruck einhergehen. Vgl. P. Ekman: Expression and the nature of emotion. In: K.R. Scherer/P. Ekman (Hg.): Approaches to emotion. Hillsdale, NY 1984, 319-323; C.E. Izard: The psychology of emotions. New York/London 1991, 48f.

252 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT tische Seite der Aufmerksamkeit kann in diesem Sinne nicht unabhängig von einer solchen leiblichen Verankerung in der Welt gedacht werden. Die Annahme, dass es eine wesensmäßige Verbindung von Wahrnehmung und Bewegung geben muss, wird in der aktuellen Debatte der Kognitionswissenschaften vor allem von Vertretern der embodied cognition vertreten. Da in der funktionalen Perspektive der Kognitionswissenschaft Wahrnehmung und Bewegung als zwei unterschiedliche und weitgehend unabhängige Verarbeitungssysteme533 gelten, sind obige Ansichten genau wie handlungsorientierte Ansätze der Aufmerksamkeitsforschung zahlreicher Kritik ausgesetzt. Man versucht etwa die Hypothese einer notwendigen Relation von Bewegung und Wahrnehmung mit dem Einwand zu entkräften, dass in diesem Falle physisch beeinträchtigte Individuen eine 533 In der Neurowissenschaft wird parallel dazu zwischen zwei visuellen Systemen unterschieden. Das dorsale System soll dabei Wahrnehmungsinformationen automatisch zur Bewegungsausführung nutzen, während das ventrale System die bewusste Identifikation und Vorstellung von Wahrnehmungsgegenständen hervorbringt. Vgl. A.D. Milner/M.A. Goodale: The visual brain in action. Oxford 2 2006. Diese Unterscheidung beruht auf einer beobachteten doppelten Dissoziation pathologischer Fälle, die jeweils in einem der beiden definierten Bereiche kognitive Ausfälle zeigen. Da es jedoch keinen dokumentierten Fall eines vollständigen Ausfalls des dorsalen Systems gibt, kann gegen eine Unabhängigkeit beider Systeme voneinander argumentiert werden: „While it seems clear that dorsal stream processing by itself is functionally insufficient for normal visuospatial awareness (as evidenced in part by profound visual form agnosia consequent upon trauma to the ventral stream in subject DF), there is significant neuropsychological evidence that much dorsal stream processing may nonetheless be functionally necessary.“ R. Briscoe: Egocentric representation in action and perception. In: Philosophy and Phenomenological Research 79/2009, 423-460, hier: 449. Darüber hinaus überschneiden sich die Zuständigkeitsbereiche der definierten Systeme. Für viele alltägliche Handlungen ist ein Zusammenspiel von weitgehend automatisch verlaufenden Bewegungen, expliziten Wahrnehmungen und höheren kognitiven Bereichen (übergreifende Handlungsintentionen und vorhandenes Wissen über die Situation) notwendig. Die Unterscheidung von mehreren Wahrnehmungsfunktionen mag zwar sinnvoll sein, problematisch hingegen erscheint es, zwei getrennte Systeme zu veranschlagen, in denen lediglich das ventrale System visuelles Bewusstsein gewährleistet. Stattdessen könnten die Funktionen des dorsalen Systems als evolutionäre Vorstufe verstanden werden, die nun weitgehend mit dem ventralen System zusammenfällt oder aber sich verarbeitungstechnisch in verschiedenste Stufen ausdifferenziert hat. Vgl. G. Rizolatti/M. Matelli: Two different streams form the dorsal visual system: anatomy and functions. In: Experimental Brain Research 153/2003, 146- 157; V. Gallese: The conscious dorsal stream: embodied simulation and its role in space and action conscious awareness. In: Psyche 13/2007, http://psyche.cs.monash.edu.au/.

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Einschränkungen im Bereich der Wahrnehmung vorweisen müssten, was sie aber de facto nicht tun.534 Diesem Argument lässt sich entgegnen, dass die wesensmäßige Verbindung der Sinneserscheinungen und der kinästhetischen Verfassung des wahrnehmenden leiblichen Subjekts unabhängig von einer konkreten physischen Beeinträchtigung besteht. Die frühkindliche Entwicklung der Wahrnehmung ist etwa an die jeweiligen Bewegungen und Bewegungsmöglichkeiten gekoppelt, auch wenn diese eingeschränkt sind. Weiterhin können die Bewegungsmöglichkeiten durch technische Hilfsmittel erweitert werden. Nicht selbst erfahrene Konzepte wie Laufen, Springen etc. werden in der intersubjektiven Erfahrung mit nicht-eingeschränkten Subjekten erlernt, fehlende kinästhetische Fähigkeiten oder der Ausfall eines Sinnes können durch andere Sinne kompensiert oder durch technische Hilfsmittel optimiert werden.535 Wenn dagegen eine physische Beeinträchtigung erst im weiteren Lebensverlauf auftritt, bestehen die erworbenen Fähigkeiten und Relationen als habituelles Wissen weiter, d.h. man ‚weiß‘ bereits aus vergangenen Erfahrungen, dass ein Haus eine Rückseite besitzt und muss dafür nicht mehr eigens um dieses herumgehen. Die Wahrnehmung kann insofern nach einer gewissen Entwicklungsphase, in der die Umwelt aktiv entdeckt wird und entsprechende Erfahrungen gesammelt werden, auch ohne tatsächlich ausgeführte Bewegungen in einheitlicher Weise verlaufen.536

534 Vgl. M.L. Anderson: Embodied cognition: a field guide. In: Artificial Intelligence 149/2003, 91-130, hier: 113f. 535 Die Möglichkeit einer Kompensation des visuellen Sinnes durch taktile Reize zeigt das tactile vision substitution system (TVSS) von P. Bach y Rita. Hier wird deutlich, welche maßgebliche Rolle das Zusammenspiel von Bewegung und Wahrnehmung bei einem Substitutionsprozess der Sinne spielt. Vgl. P. Bach y Rita/C.C. Collins/F.A. Saunders/B. White/L. Scadden: Vision substitution by tactile image projection. In: Nature 221/1969, 963-964; P. Bach y Rita: Brain mechanisms in sensory substitution. New York 1972; ders.: The relationship between motor processes and cognition in tactile vision substitution. In: A.F. Sanders/W. Prinz (Hg.): Cognition and motor processes. Berlin 1984, 150-159. 536 Andere Kritiker halten die Annahme, dass die körperliche Beschaffenheit eines Individuums Einfluss auf seine Wahrnehmung haben könnte, für falsch, da sonst jeder, und insbesondere physisch beeinträchtigte Menschen, eine andere Wahrnehmung der Umwelt haben müsste. Dagegen ist einzuwenden, dass es sehr wohl qualitative Wahrnehmungsunterschiede gibt. Da sich die Wahrnehmung des Einzelnen aber inmitten einer intersubjektiven Lebenswelt abspielt, wird diese durch Kommunikation, festgelegte Begriffe und soziale Situationen von vornherein vereinheitlicht.

254 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Die den meisten Vertretern der embodied cognition zugrundeliegende Einsicht, dass bestimmte kinästhetische Verläufe mit spezifischen Wahrnehmungsperspektiven einher gehen und somit die leiblichen Bewegungsmöglichkeiten maßgeblich an der Konstitution von Gegenständen und Räumlichkeit beteiligt sind, lässt sich in Husserls Vorlesung Ding und Raum aus dem Jahre 1907 nachlesen.537 Kevin O’Reagan und Alva Noë orientieren sich in ihrem sensorimotor account of vision etwa an solchen phänomenologischen Ideen.538 Sie postulieren in diesem Sinne eine direkte Verbindung zwischen bestimmten körperlichen Bewegungsabläufen und den entsprechenden Wahrnehmungserscheinungen.539 Die phänomenologische Herkunft ihrer Thesen erwähnen die Autoren allerdings nur beiläufig. Lediglich Noë verweist in seinem später erschienenen Buch Action in perception auf die obige Quelle. Die diesem Ansatz zugrundeliegende Leibtheorie Husserls wird von den Autoren jedoch durch eine funktionale Auslegung einer Korrelation von Bewegung und sensorischem Input ersetzt. Gleichzeitig behaupten sie, dass sich durch das vorhandene praktische Wissen des Systems über die Regeln dieser sensomotorischen Korrelationen das Phänomen der bewussten Erfahrung erklären lässt: „The Experience of seeing occurs when the organism masters what we call the governing laws of sensorimotor contingency.“540 Auf mehrere kritische Einwände der Kommentatoren ihres Beitrages zu diesem Punkt führen die Autoren in der betreffenden Antwortsektion eine Unterscheidung und Beschreibung von verschiedenen Erfahrungsweisen wie Wahrnehmung, Phantasie, Vorstellung und Erinnerung ein, die sie ebenfalls der Phänomenologie Husserls entlehnen. An dieser Stelle werden Erfahrung und Bewusstsein nicht kausal erklärt, wie dies die Autoren in ihrem Beitrag angekündigt hatten, sondern nach phänomenologischer Manier bereits vorausgesetzt. Die von den Autoren vorgenommenen Unterscheidungen der Erfahrungsqualitäten stehen aber bei Husserl im Zusammenhang mit der Annahme eines empfindenden Leibes. Diese aus phänomenologischer Sicht notwendige Ergänzung führen O’Reagan und 537 E. Husserl: Ding und Raum. Vorlesungen 1907. In: Husserliana. Bd. XVI. Hg. von U. Claesges. Den Haag/Boston/Lancaster 1973. 538 J.K. O’Reagan/A. Noë: A sensorimotor account of vision and visual consciousness. In: Behavioral and Brain Sciences 24/2001, 939-1031. 539 Wie bereits deutlich wurde, spielt dieser Aspekt auch bei Neumanns explorativem Aufmerksamkeitskonzept eine wichtige Rolle. Im Unterschied zu diesem verstehen die Autoren ihren Ansatz allerdings als Gegenmodell zu einem repräsentationalen Verständnis von Kognition (s. Teil II, Kap. 3.4). 540 J.K. O’Reagan/A. Noë: A sensorimotor account of vision and visual consciousness, 939.

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Noë jedoch an dieser Stelle nicht ein, da dies mit der von ihnen beabsichtigten rein funktionalistischen Bestimmung der Relation von Wahrnehmung und Bewegung nicht vereinbar ist.541 Im Gegensatz zu dem Wissen um sensomotorische Korrelationen oder der möglichen Anwendung ihrer Regeln verfügt der Leib über eine lokalisierte Empfindung des sensuellen Inputs sowie Bewegungsempfindungen, die jeder kinästhetischen Ausführung innewohnen. Dieser empfundene Selbstbezug, der jeden gegenständlichen Bezug in der äußeren Wahrnehmung begleitet, macht den subjektiven Erfahrungscharakter der sensomotorischen Wahrnehmung aus. Ein wie immer geartetes Wissen um mögliche Funktionszusammenhänge von Bewegung und sensorischem Input ist dagegen nicht in der Lage, eine Erfahrungsqualität aus dem Nichts zu erschaffen, wie dies die Autoren teilweise suggerieren. Hier wird allem Anschein nach visuelles Bewusstsein an die Möglichkeit der expliziten Anwendung von Bewegungsstrategien gebunden. Dieses spezielle Bewusstsein ist aber von dem Bereich der gesamten individuellen Erfahrung eines Organismus und deren verschiedenen qualitativen Bewusstseinsstufen zu unterscheiden. In seinen späteren Ausführungen zu diesem Thema hebt Noë denn auch den Aspekt der Propriozeption hervor, der demjenigen des phänomenologischen Selbstbezuges innerhalb von Bewegung und Wahrnehmung entspricht. Hierbei handelt es sich um ein implizites, nicht-prädikatives Wissen um die eigenen Körperpositionen und Bewegungsabläufe: „Specifically, self-movement depends on perceptual modes of self-awareness, for example, proprioception and also ‚perspectival self-consciousness‘ (i.e., the ability to keep track of one’s relation to the world around one).“542 Um also den Zusammenhang von Bewegung, Wahrnehmung und Aufmerksamkeit in diesem Sinne aufklären zu können, bedarf es außer senso541 Dass eine rein funktionalistische Theorie nicht in der Lage ist, so etwas wie Bewusstsein zu erklären, betont u.a. auch M. Velmans. Mit seinem „reflexive model of perception“, das der phänomenologischen Sichtweise in einigen Punkten sehr ähnlich ist, möchte er einer dualistischen und physikalistischen Wahrnehmungstheorie entgegentreten. Vgl. M. Velmans: Where experiences are: dualist, physicalist, enactive and reflexive accounts of phenomenal consciousness. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 6/2007, 547-563. 542 A. Noë: Action in perception, 2. Gallagher macht darauf aufmerksam, wie unterschiedlich dieser Begriff in den verschiedenen Disziplinen verwendet wird. Im Gegensatz zum phänomenologischen Verständnis steht somatische Propriozeption in der Neurowissenschaft für einen subpersonalen/unbewussten Prozess, der im zentralen Nervensystem eine automatische Registrierung der Körperhaltung und Gliederpositionen vornimmt. Vgl. S. Gallagher: How the body shapes the mind, 6.

256 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT motorischen Kontingenzen und deren implizitem und explizitem Einsatz weiterhin eines subjektiven Elements, des empfindenden Leibes. Darüber hinaus werden aufgrund der anti-repräsentationalen Einstellung der Autoren habituelle Faktoren, wie der Einfluss vergangener Erfahrungs- und Gedächtnisinhalte auf die aktuelle Wahrnehmung, vernachlässigt. Obwohl das praktische Wissen um die sensomotorischen Möglichkeiten in diesem Ansatz eine große Rolle spielt und dieses Wissen einerseits phänomenologisch als eine Art leibliche Habitualität und andererseits im kognitionswissenschaftlichen Sinne als eine Form der Repräsentation verstanden werden kann, liegt die Betonung hauptsächlich auf dem aktuellen Akt der Wahrnehmung.543 Wie Neumann überzeugend beschreibt, ist es aber gerade das repräsentationsbedürftige explorative aufmerksame Verhalten, das höhere Säugetiere und den Menschen kennzeichnet. Für O’Reagan und Noë steht die solchermaßen dynamische Wahrnehmung jedoch für ein Modell von Kognition, das nicht auf Repräsentationen angewiesen ist.544 Wenn aber, wie dies bei vielen Ansätzen der embodied cognition der Fall ist, der Schwerpunkt fast ausschließlich auf den aktuellen Wahrnehmungsakt und seinen Zusammenhang mit möglichen Bewegungen gelegt wird, leidet darunter eine umfassende Thematisierung der Perspektivität der Wahrnehmung und der ihr zugrundeliegenden zeitlichen Integration von früheren, gegenwärtigen und antizipierten Wahrnehmungsinhalten. Noë erwähnt in diesem Zusammenhang zwar das Problem der perspektivisch verkürzten Wahrnehmung, führt dies aber nicht auf die zeitliche Struktur des Bewusstseins zurück. Stattdessen versucht er das Problem allein mit 543 Vgl. J.K. O’Reagan, A. Noë: A sensorimotor account of vision and visual consciousness, 939. In einer fast gleichlautenden Formulierung wie in Neumanns Überlegungen zur aktiven Aufmerksamkeit bezeichnen sie die Wahrnehmung ebenfalls als explorative Handlung: „We propose that seeing is a way of acting. It is a particular way of exploring the environment.“ (939) Die Grundidee der 2004 erschienenen Monographie von A. Noë liest sich ebenfalls ähnlich: „Perceiving is a way of acting“ (A. Noë: Action in perception, 1.). Während das explorative aufmerksame Verhalten höherer Säugetiere bei Neumann aber gerade ein Zeichen für deren repräsentationale Fähigkeiten ist, steht das aktive Engagement in der Wahrnehmung bei O’Reagan und Noë für ein Modell von Kognition, das nicht auf Repräsentationen angewiesen ist. 544 Ein vergleichbare dynamische und anti-repräsentalistische Sicht wird von der Theorie dynamischer Systeme und dem Ökologismus von J. Gibson vertreten. Vgl. J.J. Gibson: The ecological approach to visual perception; E. Thelen/L.B. Smith: A dynamic systems approach to the development of cognition and action. Cambridge 1994; T. van Gelder: What might cognition be, if not computation? In: Journal of Philosophy 91/1995, 345-381.

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Hilfe der kinästhetischen Möglichkeiten des Organismus zu lösen: Indem wir virtuell weitere Bewegungsabläufe und die damit einhergehenden Perspektiven durchspielen, können die partiellen Wahrnehmungsansichten ergänzt werden. Aufgrund dieser virtuell ausgeübten sensomotorischen Fähigkeiten haben wir somit ganzheitliche Wahrnehmungen von nur teilweise sichtbaren Gegenständen, wie etwa einer Katze, die sich hinter einem Zaun befindet. Die nur partiell sichtbare Katze wird demzufolge trotzdem als ganzer Gegenstand aufgefasst, weil ihre momentan nicht sichtbaren Teile für uns durch entsprechende Bewegungs- und Perspektivänderungen potentiell zugänglich sind. In Noë’s Worten: „They are present to perception as accessible. They are, in this sense, virtually present.”545 Ebenso soll es sich mit einer dreidimensionalen Tomate verhalten, die aber lediglich perspektivisch verkürzt erscheint. Dieser Vervollständigungsvorgang wird nach Noë durch unser implizites Wissen bzw. unsere Fähigkeiten zu den entsprechenden Bewegungsänderungen ermöglicht. Eine solche Erklärung übersieht aber, dass jede Gegenstandswahrnehmung nur partiell sein kann und notwendigerweise von einem gegenständlichen Horizont umgeben ist, der sowohl nicht aktuell präsente Aspekte des Gegenstandes (innerer Horizont) als auch die räumlich-dingliche Umgebung des Gegenstandes (äußerer Horizont) umfasst. Die Realisierung dieser Horizonte ergibt demnach nur Sinn, wenn die vorherigen Wahrnehmungseindrücke noch in irgendeiner Form bewusst sind und wiederum mit den aktuellen und zukünftigen Wahrnehmungen in Verbindung stehen. Dies setzt eine zeitliche Synthese eines subjektiv erfahrenden Bewusstseins voraus. Dieses muss zugleich leiblich, d.h. kinästhetisch verfasst sein: Ohne den empfindenden und wahrnehmenden Leib mit seinen Bewegungsmöglichkeiten wäre keine Erfahrung möglich. Durch den fortwährenden leiblich-selektiven Bezug auf das Wahrgenommene wird eine gegenständliche Einheitlichkeit konstituiert, erst dieser kann die tatsächlich oder virtuell ausgeführten explorativen Bewegungen und Sinneseindrücke integrieren. Der Wahrnehmungsgegenstand, der sich in diesem zeitlichen Erscheinungsverlauf des leiblichen Subjektes retentional abwandelt und zeitlichhorizontal aufbaut, bleibt aber in gewisser Weise erhalten. Der nunmehr bekannte Wahrnehmungsgegenstand ‚Katze‘ wird durch die Sinnesleistung im Bewusstsein sedimentiert und so bei ähnlichen Wahrnehmungsumständen als solcher wiedererkannt. Die in der zeitlichen Präsentation erfolgte Sedimentierung kann nunmehr laut Husserl als Grundlage für höherstufige Intentionalitäten in Anspruch genommen werden: „Indem 545 A. Noë: Action in perception, 63.

258 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT die Wahrnehmung ursprünglich Kenntnis erwirbt, erwirbt sie auch ein für die Dauer bleibendes Eigentum des Erworbenen, einen jederzeit verfügbaren Besitz.“546 Parallel zu dem noematischen Erwerb solcher Sedimentierungen von bereits Erfahrenem bilden sich auf der noetischen Seite Habitualitäten aus. Im Anschluss an eine aktuelle Wahrnehmung bleibt nicht nur ihr Inhalt in irgendeiner Weise erhalten, sondern eben auch ein implizites Wissen um die Art und Weise, wie ein Gegenstand zu optimaler Gegebenheit kommen kann. Diesen Aspekt betont auch Noë in Form des praktischen Wissens um sensomotorische Kontingenzen, ohne jedoch die horizontalen Aspekte der Leiblichkeit zu berücksichtigen. Bei Husserl ist es hingegen das leibliche Subjekt, das ein „kinästhetisches Wegsystem“547 generiert: Unbekannte Wege werden für es zu bekannten; in der Form eines habituellen Weggedächtnisses, das die aktuellen Wahrnehmungsund Bewegungssituationen leitet und eine räumliche Orientierung ermöglicht. So kann man nicht nur von einer personalen Wiedererinnerung als bewusstem Rückgang (Reproduktion) auf frühere Erlebnisse (als vormals leibhaftig wahrgenommene) sprechen, sondern auch von einer leibhaften Vergangenheit, die in jedem neuen Wahrnehmen implizit mitwirkt. Thomas Fuchs hat in diesem Zusammenhang den Begriff des „leiblichen Gedächtnisses“ geprägt. Der menschliche Leib zeichnet sich demnach durch eine lebenslange Plastizität in Bezug auf Lernprozesse aus, die sowohl durch ihre Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche Milieus als auch durch die Beharrlichkeit der erworbenen Fähigkeiten und Funktionen charakterisiert ist. Die grundlegende zeitliche Struktur der leiblichen Interaktion mit der Umwelt, die Fuchs mit Merleau-Ponty „Gewohnheit“ nennt, macht den Kern des leiblichen Gedächtnisses aus: Sie [die Gewohnheit, Anm. d. Verf.] bezeichnet die sensomotorischen Vollzüge, die durch Wiederholung und Übung in ‚Fleisch und Blut‘ übergegangen sind, sich also dem Leib als Dispositionen eingebildet haben. Sie reichen von den motorischen und perzeptiven Fähigkeiten, dem aufrechten Gang, der Beherrschung der Ausscheidungsvorgänge, dem Sprechen, Lesen und Schreiben bis zu hochspezialisierten kulturellen Fertigkeiten wie etwa dem Instrumentenspiel. Wir können von einem Gedächtnis des Leibes sprechen, das einen Auszug aus wiederholten motorischen oder perzeptiven Erfahrungen bildet.548

546 Hua XI, 10. 547 U. Claesges: Edmunds Husserls Theorie der Raumkonstitution. Den Haag 1964, 76. 548 T. Fuchs: Das Gedächtnis des Leibes. In: Phänomenologische Forschungen 5/2000, 71-89, hier: 71f.

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Gerade das Konzept des Leibes zeichnet sich insofern durch habituelle und horizontale Komponenten aus. Auch Shaun Gallagher versucht in dieser Hinsicht in seiner Monographie How the body shapes the mind Bewegung, Wahrnehmung und höhere kognitive Fähigkeiten zusammenzudenken.549 Er verwendet hierfür die von Merleau-Ponty entlehnte Unterscheidung zwischen body-schema (schéma corporel) und body-image (image du corps). Im Gegensatz zu dem Bild, das man selbst von seinem Körper hat, beinhaltet das „body-schema“ motorische Funktionen und erworbene Fähigkeiten sowie habituelle Eigenschaften, die die Ausübung spezieller Bewegungsabläufe ermöglichen. Die Prozesse, in die das body-Schema involviert ist, verlaufen insofern weitgehend automatisch und sind dem Ausführenden einer Handlung nicht thematisch. Beide Aspekte der Körperlichkeit – mit den Worten Helmuth Plessners: das „Körper-haben“ und das „Körper-sein“550 – spielen in alltäglichen Handlungssituationen eine wechselseitige Rolle. Gallagher beschreibt in differenzierter Weise, in welchem Maße unsere Erfahrung der Welt und unserer selbst von den verschiedensten Aspekten der Körperlichkeit geprägt ist.551 Jede Wahrnehmung und die damit zusammenhängenden Bewegungen hinterlassen somit bleibende Spuren im Körperschema in Form von erworbenen Bewegungsabläufen und Fähigkeiten oder eines impliziten Wegsystems, das in ähnlichen Situationen erneut angewendet werden 549 S. Gallagher: How the body shapes the mind, 17-40. 550 H. Plessner beschreibt dies als eine „Doppelaspektivität“, die allen positionalen Lebensformen, d.h. auch den Tieren, zukommt: „Die Position ist eine doppelte: das der Körper selber Sein und das im Körper sein, und doch Eines, da die Distanz zu seinem Körper nur auf Grund völligen Einsseins mit ihm allein möglich ist.“ Das Tier kann zwar seinen Körper auch bis zu einem gewissen Maße kontrollieren, im Gegensatz zum Menschen ist es sich jedoch dieses Körper-Habens nicht bewusst. H. Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die philosophische Anthropologie. In: G. Dux/O. Marquard/E. Ströker (Hg.): Helmuth Plessner. Gesammelte Schriften I. Frankfurt a. Main 1981, 303. 551 Gallagher listet diesbezüglich eine Auswahl an empirischen Studien auf, die belegen, dass embodiment auf verschiedenste Weisen mit Wahrnehmung und anderen Formen von Kognition und Emotion in Verbindung steht: Die betreffenden Studien geben u.a. Auskunft über den Zusammenhang von Bewegung, Stabilität und Qualität (Form und Größe) des Wahrgenommenen, die korrelative Entwicklung von Bewegungskontrolle und kognitiven Fähigkeiten bei Kleinkindern, die direkte Relation von motorischen und sensorisch-emotionalen Gehirnzentren, das Verhältnis der Körperhaltung in Bezug auf getroffene Entscheidungen einer Person sowie die populäre Entdeckung der Spiegelneuronen, die eine unmittelbare Verbindung von sensorischen und motorischen Systemen nahelegt. Vgl. S. Gallagher: How the body shapes the mind, 8f.

260 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT kann. Aufgrund der individuellen temporalen und affektiven Struktur der leiblichen Wahrnehmung gleicht in diesem Sinne keine Erfahrung der anderen, auch wenn diese nach objektiven Kriterien denselben Inhalt aufweist. Im Gegensatz zu einer funktionalen oder objektiven Bestimmung von Bewegungen und zeitlicher Dauer zeichnet sich eine zurückgelegte Wegstrecke aus der Perspektive des gehenden Subjekts durch ihren qualitativen Charakter aus. Der Weg von ‚A‘ nach ‚B‘ ist zwar nach physikalischen Kriterien identisch mit dem Weg von ‚B‘ nach ‚A‘. In der gelebten Zeit des Subjekts gilt dies jedoch nicht. Merleau-Ponty illustriert die Irreversibilität menschlicher Wege, indem er betont, dass „der Weg von der Place de l’Etoile zur Notre Dame nicht die Umkehrung des Weges von Notre Dame zur Place de l’Etoile ist“552. Aus Sicht der subjektiven Erfahrung gibt es hier bedeutende Unterschiede. Einerseits aufgrund der zeitlichen und leiblichen Individuation, insofern der Rückweg immer später stattfindet und beide Richtungen niemals zur selben Zeit von demselben Leib begangen werden können. Andererseits in qualitativer Hinsicht: Der subjektive Ausgangspunkt eines Weges, das, was man zuvor wahrgenommen hat, schlägt sich in aktuellen Wahrnehmungserwartungen und der emotionalen Qualität der Eindrücke nieder. Erfolgt etwa der Hinweg zur Notre Dame schnell und zielgerichtet und bietet daher wenig spontane Wahrnehmungserlebnisse, so kann der Rückweg sich durch eine Offenheit für neue sinnliche Eindrücke auszeichnen, oder umgekehrt. Um die Rolle der Bewegung innerhalb der Wahrnehmung zu beleuchten, reicht das Wissen um allgemeine Regeln von sensomotorischen Korrelationen, wie dies anfänglich von Noë und O’Reagan angenommen wurde, insofern nicht aus, da so die leiblichen und erfahrungsbedingten Unterschiede der Wahrnehmung nicht genügend berücksichtigt werden können. Die hierzu notwendigen habituellen und repräsentativen Aspekte blenden manche Vertreter der embodied cognition oder des enactive approach allerdings weitgehend aus. Stattdessen zeichnen sich diese Ansätze durch eine fast leidenschaftliche Abneigung gegenüber dem Konzept der Repräsentation aus, das ihnen in seiner Rolle als ‚Strohmann‘ gleichzeitig zu einer Schärfung des eigenen Profils durch diesbezügliche Abgrenzung dient. Die leiblichen Grundlagen der Attentionalität müssen solche repräsentativen und habituellen Aspekte jedoch ebenso umfassen, da es sonst zu einer Einschränkung auf aktuelle Handlungs-und Bewegungsausführungen kommt, die durch die Thematisierung der Horizonte der Aufmerksamkeit ja gerade vermieden werden soll. Wie das Konzept der Repräsen-

552 M. Merleau-Ponty: Das Sichtbare und das Unsichtbare, 54.

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tation phänomenologisch verstanden und in dynamische Ansätze wie der embodied cognition integriert werden könnte, soll nun dargelegt werden.

1.4 Grundlagen der Attentionalität III: Motivation und Repräsentation a) Zusammenspiel von internen und externen Faktoren: bottom-up und topdown Eine Hauptannahme der genetischen Phänomenologie besteht darin, dass die Wahrnehmung eines einheitlichen Gegenstandes durch Bewusstseinssynthesen ‚geleistet‘ bzw. ‚konstituiert‘ wird. Hierzu bedarf es aber gerade nicht der fokalen Aufmerksamkeit, sondern es handelt sich um passive Gesetzmäßigkeiten, die unabhängig von einer expliziten Form der Aufmerksamkeit den kohärenten zeitlichen Verlauf der Wahrnehmungserscheinungen insgesamt ermöglichen. Aufmerksamkeit spielt auf dieser Ebene zwar für die jeweilige Wahrnehmung des Subjekts eine wichtige Rolle, nämlich in Form von Affektion und deren passiver Motivation durch Interessenstrukturen, kognitionspsychologisch: top-down Einflüsse. Dies gilt aber nur, wenn man Aufmerksamkeit in einem umfassenderen Sinn versteht, der passive und aktive, fokale und kontextuelle Aspekte gleichermaßen berücksichtigt. Parallel dazu müsste man den Gegenstandsbereich der in der Kognitionspsychologie so bezeichneten top-down Faktoren entweder erweitern oder neu bestimmen. Bleibt man in der geläufigen dualistischen Einteilung in innere und äußere Kontrollaspekte der Aufmerksamkeit, so müssten über die aktuellen Anweisungen des Experimentators, das entsprechende Vorwissen sowie die durch die jeweilige Aufgabe generierte Handlungsorientierung auch sämtliche meist passiv wirkenden subjektiven Bereiche in das Konzept top-down einbezogen werden: Dazu gehören implizite und explizite Repräsentationen,553 wie kurz vorher gemachte Erfahrungen, Erinnerungen, Wissen, sowie habituelle Aspekte, also erworbene Routinen, leibliche Fähigkeiten und personale Einstellungen. Welche Faktoren im Einzelfall den größten Einfluss ausüben, muss in Bezug auf das geplante Experiment evaluiert werden. Auch wenn nicht alle diese Bereiche ausfindig gemacht werden können, dürften diesbezügliche Differenzierungen dennoch neue Einsichten 553 Die Unterscheidung in implizite und explizite Repräsentationen wird weiter unten in b) vorgenommen.

262 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT vermitteln. Eine andere Möglichkeit wäre, das Begriffspaar top-down und bottom-up aus der Ersten-Person-Perspektive zu bestimmen, d.h. die entsprechende Differenzierung in das Bewusstsein bzw. das wahrnehmende Subjekt selbst zu verlagern. Auch diese Bedeutung ist dem Konzept inhärent, da es ebenfalls in funktionalistischer Hinsicht für die verschiedenen Verarbeitungsebenen – von unten nach oben oder von oben nach unten – steht. Innerhalb der Bewusstseins- und Erfahrungsebene könnte sich top-down auf explizit intentionale Vorgänge, Interessen, Vorstellungen und Handlungsintentionen beziehen, während bottom-up biologische, dispositionale oder weitgehend automatisch verlaufende Vorgänge bezeichnet. Dies soll keine solipsistische Interpretation befürworten, sondern im Gegenteil nach phänomenologischem Verständnis das Ineinander von immanenten und transzendenten Bereichen im Subjekt selbst betonen. Sowohl subjektiv verstandene top-down als auch bottom-up Vorgänge bilden sich insofern nur in Interaktion mit einer Umwelt und sind ohne diese Wechselbeziehung mit einer (äußeren) Welt nicht denkbar. Das Subjekt ist durch seinen Körper und seine Sinne damit genauso äußerlich wie die Welt innerlich, da sie täglich im Subjekt psychisch und physisch ihre Spuren hinterlässt. Ein typischer bottom-up Vorgang aus der Dritten-Person-Perspektive, wie die unmittelbare Reaktion auf einen sensuellen Reiz, kann dementsprechend als plötzliche Affektion thematisiert werden. Eine solche plötzliche Reaktion, die ausschließlich von bestimmten Reizen initiiert wird und weder Teil einer übergreifenden Handlung ist noch von einer generellen Wahrnehmungseinstellung des Subjekts tangiert wird, ist jedoch in alltäglichen Lebenssituationen eher eine Ausnahme. Im Gegensatz zu den vielen verschiedenartigen top-down Einflüssen, die die alltägliche Wahrnehmung strukturieren, beinhaltet der bottom-up Begriff nur eine einzige Erklärungsebene, die der jeweiligen objektiv gegebenen Reize. In welcher Bedeutung das Begriffspaar top-down/bottom-up jeweils verwendet werden soll, muss je nach Forschungsinteresse und Gegenstandsbereich entschieden werden. In jedem Falle ist aber eine Erweiterung und kritische Reflexion auf die Art der Verwendung notwendig, da es sonst zu Fehlinterpretationen, disziplinären und interdisziplinären Missverständnissen kommt. Denn je nachdem, ob man das Konzept top-down/bottom-up aus der Ersten- oder aus der Dritten-Person-Perspektive betrachtet, ändert es auch seine Bedeutung. Weiterhin muss man sich darüber im Klaren sein, dass sowohl die Unterscheidung in innere und äußere Faktoren als auch in passive/ implizite/subpersonale und aktive/explizite/personale – gerne auch in der Kognitionswissenschaft als unbewusst/bewusst klassifiziert – Ebenen innerhalb des Subjekts nur ideale Grenzziehungen sind, die bei genauerem Hinsehen zusehends verwischen.

DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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b) Ein Stufenmodell der Repräsentation Wirft man einen kurzen Blick auf den theoretisch-philosophischen Diskurs in den Kognitionswissenschaften, wird Repräsentation hier meist entweder als eine rein interne syntaktische Struktur definiert, die durch Regeln und Relationen zu anderen Repräsentationen definiert ist, oder Repräsentation gilt als eine semantische Kategorie, deren Inhalt in Verbindung zu einer äußeren Realität steht. Während der erste Ansatz Repräsentation also rein intern bestimmt, gründet sich der letztere auf einem Bezug zur externen Umgebung. Die sogenannte internalistische Interpretation kann dabei nicht klären, weshalb es etwa bei intern gleichbleibenden Strukturen zu unterschiedlichen Repräsentationen kommen kann. Einen solchen Fall illustriert etwa das Gedankenexperiment von Jaegwon Kim,554 indem ein „Erdfrosch“ und ein „Alien-Frosch“ mit derselben physischen Konstitution aufgrund ähnlicher Lebensumwelten dieselbe Strategie zum Erkennen und Fangen kleiner schwarzer Flugobjekte entwickelt haben. Nur dass es sich bei den Flugobjekten einmal um Fliegen und ein anderes mal um kleine Reptilien namens „Schmies“ handelt. Dies macht unter erkenntnistheoretischen Gesichtspunkten einen wichtigen Unterschied, der systemintern nicht erklärt werden kann. Sobald man also Repräsentationen eine Referenzfunktion zuspricht, die über das jeweils eigene System hinausgeht, reicht ein internalistisches Verständnis von Repräsentation nicht mehr aus. Darüber, wie eine solche inhaltliche Referenz gedacht werden kann und wodurch sich diese begründen lässt, kausal, evolutionsbiologisch oder sprachtheoretisch, gibt es eine anhaltende Forschungsdebatte in der analytischen Philosophie, die hier nicht rekonstruiert werden kann. Im Rahmen der kognitiven Modellierung lässt sich die klassische Symbolverarbeitung dem internalistischen Ansatz zuordnen, die sich in den 1960er Jahren entwickelnde verteilte Informationsverarbeitung (Konnektionismus) stellt hingegen „eine exemplarische Umsetzung des Externalismus in der Repräsentationstheorie“ dar. Während erstere sich durch „syntaktisch definierte interne Zustände“ auszeichnen, die durch „eindeutig spezifizierbare Algorithmen“555 verknüpft werden, bilden sich in sogenannten neuronalen Netzen Verarbeitungsmuster durch den Systeminput, d.h. durch die externe Systemumgebung. Im Gegensatz zu der vornherein 554 Kim unterscheidet hier zwischen einem narrow content, der allein durch interne/ lokale Eigenschaften des Systems bestimmt wird und einem wide content, der die Geschichte des Systems und seine Relationen zur Umwelt mit einbezieht. Vgl. die Darstellung in: A. Clark: Mindware, 49; J. Kim: Philosophy of mind. Boulder, CO, 191, 193. 555 T. Breyer: Intentionalität und Attentionalität, 65.

264 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT (deduktiv) festgelegten Struktur im Rahmen der Symbolverarbeitung handelt es sich nun um ein sogenanntes induktives Lernen, in dem ein sich graduell stabilisierendes Aktiviationsmuster generiert wird. Ebenso wie der Vorgang der Symbolverarbeitung kann aber auch diese Form der Informationsverarbeitung als Repräsentation gelten, da diese Muster in Form von Clusteranalysen greifbar werden. Das Konzept der Repräsentation nimmt hier genauso wie etwa bei Neumann eine weniger statische Gestalt an, indem „die Geschichte des Systems, die eine Geschichte der Interaktion mit der Umwelt ist, also seine Adaptivität, […] zentral für das Zustandekommen des Inhalts dieser Repräsentationen“556 ist. Wenn von Repräsentation die Rede ist, wird diese von ihren Kritikern meist generell als eine Art „snapshot conception“557 verstanden, deren Aufgabe es ist, ein detailgetreues internes Abbild der Außenwelt zu erzeugen. Ein solches typisches Abbildmodell ist jedoch weder in der Kognitionswissenschaft noch in der gegenwärtigen empirischen Forschung bestimmend.558 Erweitert man allerdings in obigem Sinne sein Verständnis davon, was Repräsentation umfasst, lassen sich etwa die bekannten Einwände von Hubert Dreyfus,559 der anstelle eines Repräsentationalismus für einen praktischen und vor-repräsentationalen Weltbezug plädiert, ebenso in oben vorgestelltes Stufenmodell der Repräsentation integrieren. Betrachtet man Konzepte wie Repräsentation und Kognition darüber hinaus in ihrem wissenschaftsgeschichtlichen Kontext, begreift man sie als Gegenentwurf 556 Ebd. 557 A. Noë: Action in perception, 35. 558 Der in Teil II (Kap. 3.4) vorgestellte Ansatz von Neumann kann als Beispiel für eine Theorie gelten, die Repräsentation nicht in einer solch statischen Weise, im Sinne eines Schnappschusses des visuellen Blickfeldes, konzipiert. Vielmehr wird Repräsentation bei Neumann, phänomenologisch gesprochen, einerseits noetisch als explorativer Akt und andererseits noematisch als veränderbares Gesamtmuster aufgefasst, das durch den weiteren Verlauf der aktiven Wahrnehmung ständig aktualisiert wird, indem alte und neue Informationen zu einer Gesamtbeschreibung der Umwelt integriert werden. 559 Vgl. H.L. Dreyfus: Intelligence without representation. Dreyfus wendet sich gegen die Ansicht, dass jegliche Kognition mit (symbolischer) Repräsentation einher geht. Im Anschluss an Heidegger und Merleau-Ponty prägt er den Begriff der coping skills. Diese sind nach Dreyfus Beispiele für intelligentes Verhalten, das gerade nicht auf Repräsentationen angewiesen ist. Bestätigt sieht er seine These durch die Möglichkeit der parallelen und verteilten Verarbeitung im Konnektionismus, in der keine vorherige Festlegung von diskreten Symbolen mehr stattfindet. Wie oben angeführt, kann diese Form der Verarbeitung aber ebenfalls als repräsentational gelten.

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zu der behavioristischen Annahme einer strikten Relation von Reiz und Reaktion. Statt Repräsentation also einfach mit einer statischen Symbolverarbeitung oder einer Abbildtheorie gleichzusetzen, wie dies vielfach von Kritikern getan wird, könnte man daher zunächst danach fragen, auf welches Phänomen dieser Begriff aufmerksam machen möchte. Repräsentation steht in diesem Sinne einerseits für die ‚subjektive‘ Auffassung und Umwandlung von ‚objektiven‘ Stimuli und andererseits für deren bleibenden Einfluss und die Speicherung von Informationen, die uns so etwas erlaubt, wie uns an vergangene Erfahrung zu erinnern, über etwas zu phantasieren, uns etwas vorzustellen oder zukünftige Handlungen zu planen. Wird Repräsentation in diesem allgemeinen Sinne verstanden, beinhaltet dies kognitionswissenschaftlich jede Form einer bleibenden Veränderung des Systems durch den jeweiligen Input. Die Kritik am Repräsentationsbegriff wendet sich dagegen hauptsächlich gegen ein vermeintlich intellektualistisches Verständnis von Kognition, das menschliches Verhalten und Intelligenz auf explizite Vorstellungen und logische Urteile beschränkt.560 Die Annahme eines internen Zustandes, der eine bestimmte Information trägt, stellt demzufolge eine Distanzierung des leiblichen Agenten von der Welt dar. Der Kernpunkt einer solchen meist phänomenologisch an Merleau-Ponty oder Heidegger orientierten Kritik liegt insofern darin, dass die Repräsentation im Gegensatz zu einem unmittelbaren praktischen Weltbezug durch eine intellektuelle Distanzierung charakterisiert ist.561 Wenn man allerdings nach Husserls Vorbild zwischen einem Herstellungsprozess von Repräsentationen und den Akten eigentlicher Re-Präsen560 Als Beispiel kann hier ein Artikel von Elizabeth Ennen dienen: Das Bild der Kognition als symbolische Repräsentation und entsprechend operierende Berechnungsprozesse leistet ihrer Meinung nach einem verfehlten Bild menschlicher Handlungsfähigkeit (agency) Vorschub: „[O]ne which privileges the disengaged subject and overlooks the engaged agent.“ E. Ennen: Phenomenological coping skills and the striatal memory system. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 2/2003, 299-325, hier: 302. 561 Generell muss bei einer derartigen Kritik, wie sie etwa von H.L. Dreyfus oder E. Ennen vertreten wird, darauf geachtet werden, dass Repräsentationen in der Kognitionswissenschaft als subpersonale Zustände gelten und somit nicht mit einer tatsächlichen Distanzierung eines Agenten gleichgesetzt werden können. Es könnte z.B. durchaus sein, dass eine besonders ausgeprägte Art des Engagements auf der Verhaltensebene für die Herstellung einer stabilen Repräsentation nützlich ist, d.h. sogenannte offline-Tätigkeiten wie Denken, Planen, Erinnern mit den so gewonnenen Informationen genetisch erst möglich macht.

266 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT tation, die sich auf die Resultate dieser Prozesse beziehen, unterscheiden würde, könnte eine strikte Gegenüberstellung von engagement und disengagement vermieden werden. Prozesse beider Bereiche wie Wahrnehmung, Erinnerung, gedankliche Planung und Bewegungsabläufe finden zumindest in der menschlichen Erfahrung simultan statt. Bei den oben kritisierten internen informativen Zuständen handelt es sich dabei lediglich um gegenständliche Inhalte und Zusammenhänge, auf die man wiederholt zurückkommen kann, und nicht um ein disengagement des gesamten Organismus. Repräsentationen sind in diesem Sinne dynamisch, d.h. sie stellen keine abgeschlossene Sinneinheit dar, sondern werden durch engagierte Wahrnehmungsvorgänge ständig aktualisiert. Des Weiteren stehen solche Repräsentationen nicht nur für einen intelligiblen Bezug zur Welt, sondern können ebenfalls passiv die Kriterien der aufmerksamen Selektion unmittelbar beeinflussen. Auch der praktische Weltbezug oder die von Dreyfus angeführten coping skills, also der aktive leibliche Bezug auf die Umwelt, kommen somit nicht ohne bleibende Erwerbe und Sinnbestände aus. Gerade die Einsicht, dass Wahrnehmung eine leibliche und vor allem zeitliche Dimension hat, verlangt eine Integration von vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Handlungen und Sinneseindrücken. Diese wird, wie es Dreyfus mit Merleau-Ponty erläutert, durch das aktive Engagement des Leibes im gegenwärtigen Bezug geleistet, der gleich einem intentionalen Bogen (intentional arc) die verschiedenen Zeit- und Inhaltsebenen in einen subjektiven Zusammenhang bringt. In demselben Maße wie Dreyfus und andere diese praktische und unmittelbare Aktivität zu Recht betonen, die ohne explizite intellektuelle Vorstellungen und Reflexionen auskommt, vergessen sie den passiven Einfluss der habituellen Seite des Leibes, die bleibenden Inhalte und Erwerbe vergangener Erfahrungen, ohne die eine kohärente Wahrnehmung nicht auskommen kann. Gerade Merleau-Ponty, der für eine solche anti-repräsentationale Sicht vereinnahmt wird, hebt in der Phänomenologie der Wahrnehmung die notwendige Einbettung des aktuellen Verhaltens in eine anonyme „Vorgeschichte“ der Erfahrung hervor. Die implizit wirkende „stumme Erfahrung“ beginnt mit der eigenen Geburt, beinhaltet die gesamten Lebenseindrücke und ist darüber hinaus in einem überindividuellen geschichtlichen und kulturellen Zusammenhang verortet. Dieser „vorpersonale Horizont“ drückt sich in der habituellen Seite des subjektiven Leibes aus, der biologische Dispositionen, Erwerbe, Gewöhnungen und Fertigkeiten vereint.562

562 Vgl. M. Merleau-Ponty: Die Phänomenologie der Wahrnehmung, 280, 253, 12.

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Erlerntes Wissen, typische Handlungsabläufe in Situationen – wie etwa die psychologischen Konzepte von scripts und schemata563 – sowie kulturell geprägte Vorstellungen und Erwartungen; all dies beeinflusst demzufolge bereits den unmittelbaren leiblichen Wahrnehmungsbezug und bestimmt, von was wir uns zu einem gegebenen Zeitpunkt affizieren lassen. Diese Ebene subjektiver Selektion und Integration sowie der bleibende Einfluss des Aufgenommenen und dessen ständige Umwandlung in Anbetracht neuer Situationen lässt sich durchaus unter dem Begriff ‚Repräsentation‘ zusammenfassen. Die Kritik großer Teile der embodied cognition und einiger Phänomenologen/innen zielt demnach weniger auf das generelle Konzept der Repräsentation als subpersonal ablaufender Prozess der Auffassung, Umwandlung und Speicherung von äußeren Stimuli ab, sondern darauf, dass es keines expliziten gegenständlichen Bewusstseins bedarf, um gewisse ‚intelligente‘ Handlungen auszuführen. Eine differenzierteres Bild von Wahrnehmung und Repräsentation lässt sich im Ausgang von Husserls Unterscheidung zwischen Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung aufzeigen. Wahrnehmung gilt in der Phänomenologie als Akt der Gegenwärtigung oder Präsentation im Unterschied zu vergegenwärtigenden Akten wie Vorstellungen, Phantasie, Erinnerung oder Reflexion. In der Wahrnehmung erscheinen die sinnlichen Phänomene als selbstgegeben, die Repräsentation ist hingegen eine vermittelnde 563 Die meisten Informationen werden nicht einzeln repräsentiert, sondern nach bestimmten semantischen Kategorien gebündelt. Schemata sind abstrakte, organisierte Wissenseinheiten, z.B. Hund, Tisch, Katze. Es wird angenommen, dass neue Informationen diese bestehenden, aus zurückliegenden Erfahrungen erworbenen Wissenskategorien aktivieren. Schemata wurden zuerst in der Gedächtnisforschung von F.C. Bartlett postuliert, der Probanden gelesene Geschichten rekonstruieren ließ und dabei feststellte, dass die Wiedererinnerung keine getreue Nacherzählung darstellt, sondern massive Transformationen an den ursprünglichen Erzählungen auftauchten. Dies geschah insbesondere dann, wenn die Geschichte aus einem anderen Kulturkreis stammte und daher Teile davon für die Probanden fremd bzw. unverständlich waren. Hier transformierte man diese Bereiche zugunsten von bekannten und in Orientierung an bekannte Wissenskategorien. Vgl. F.C. Bartlett: Remembering: a study in experimental and social psychology. Cambridge 1932. Ein weiteres Modell zur Speicherung von allgemeinen Informationen aus der Psychologie ist das script. Hier werden handlungsbezogene Informationen über eine typische alltägliche Situation, wie z.B. den Restaurantbesuch in einer Art Handlungsanweisung (Restaurant-Skript) gesammelt. Vgl. R.C. Schank/R.P. Abelson: Scripts, plans, goals and understanding. Hillsdale, NJ 1977. Siehe dazu auch die Darstellung zum konstruktiven Gedächtnis in C. Becker-Carus: Allgemeine Psychologie. Heidelberg 2004, 412-417.

268 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT und wiederherstellende Leistung des Bewusstseins, die an eine vormalige Wahrnehmung derselben Gegenstände und Situationen gebunden ist. Hiermit verbinden sich ebenfalls qualitative Unterschiede der subjektiven Erfahrung. Nehme ich etwas wahr, ist damit der implizite Glaube an die aktuelle Existenz des Wahrgenommenen verbunden. Der Inhalt einer Erinnerung wird als etwas aufgefasst, das tatsächlich zu einem bestimmten früheren Zeitpunkt einmal erlebt wurde. Eine Phantasievorstellung ist hingegen nicht unmittelbar an ein früheres Ereignis oder die tatsächliche Existenz ihres Inhaltes gebunden; hier können in der Erfahrung erworbene Inhalte frei variiert werden. Hieraus ergibt sich auch der Unterschied zwischen einer Wahrnehmung und einer Bildbetrachtung, die etwa in neurowissenschaftlichen Experimenten nicht genügend beachtet wird.564 Im Gegensatz zur Kognitionswissenschaft unterscheidet die Phänomenologie weiterhin zwischen Akten und Inhalten der Präsentation und Repräsentation. Letztere bezeichnet lediglich Erinnerungen, Vorstellungen oder Phantasien, deren Inhalte sich nicht direkt auf das aktuell Wahrgenommene beziehen. Innerhalb der kognitionswissenschaftlichen Debatte scheint man aber hingegen sämtliche vermeintlichen Bewusstseinsinhalte (Noemata), unabhängig von ihrer Aktklasse (Wahrnehmung, Erinnerung, Phantasie), als Repräsentationen zu verstehen. Dies ist dadurch begründet, dass sie im Gegensatz zur Phänomenologie meist von einem dualistischen Weltbild ausgeht, in dem die reale Welt und das Subjekt nur über vermittelnde interne Repräsentationen (Kognitionen) verbunden sind. Demgegenüber gibt es phänomenologisch gesehen nur intentionale Inhalte, die sowohl interne (immanente) als auch transzendente Aspekte aufweisen. Die Art und Weise, wie wir uns auf etwas beziehen, kann demnach als 564 Während in den entsprechenden Experimenten den Versuchspersonen meist nur Bilder von Situationen und Gegenständen gezeigt werden, werden die entsprechenden Aktivierungen jedoch als Antwort oder Grundlage einer Wahrnehmung desselben interpretiert. Bei einer Bildbetrachtung oder einem gezeigten Film ist dem beobachtenden Subjekt der Bild- oder Filmcharakter des Gezeigten bewusst. Etwas wird als Bild eines Löwen oder als filmische Darstellung eines Löwen aufgefasst. Man ist daher nicht in derselben Weise emotional involviert oder erfährt die gleiche Handlungsmotivation wie in der tatsächlichen Wahrnehmung eines wilden Tieres. In der subjektiven Erfahrung macht es aus gutem Grund einen Unterschied, ob man einem echten Löwen begegnet oder nur das Bild eines Löwen betrachtet. Würde man sich im letzteren Falle in der gleichen kontemplativdistanzierten Weise verhalten wie im ersten, hätte das in der realen Welt existentielle Folgen. Es würde daher Sinn ergeben, die verschiedenen Erfahrungsweisen in den experimentellen Kontexten zu berücksichtigen, um verallgemeinernde oder voreilige Interpretationen zu vermeiden.

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subjektiv, d.h. kognitionswissenschaftlich als intern, bezeichnet werden. Allerdings lässt sich die Zuschreibung in interne und externe Prozesse innerhalb der Ersten-Person-Perspektive kaum aufrecht erhalten. Ließen sich Phantasie oder Erinnerung noch als interne Vorgänge beschreiben, wäre dies im Falle der Wahrnehmung schon schwierig, da hier selbst noetische Akte einen aktiven leiblichen Bezug zur Umwelt voraussetzen.565 Trotz dieser Diskrepanzen lassen sich die Repräsentationsbegriffe beider Disziplinen im Anschluss an Husserls eigene Überlegungen einander annähern. So könnte man den Vorgang der Wahrnehmung mitsamt seiner zeitlichen und inhaltlichen Integration bzw. Konstitution durchaus als ‚Herstellungsprozess‘ einer Repräsentation bezeichnen, da sie in Form von Sedimentierungen des wahrgenommenen Sinnes und Habitualitäten des Subjekts bleibende Spuren hinterlässt. Das Resultat dieses Prozesses wäre dann eine noematische Repräsentation zu nennen, die aber insofern – außer in seltenen Fällen – an die vorherige oder zukünftige Wahrnehmung gebunden bleibt, als sie durch diese erweitert, aktualisiert oder aber in ihrem Sinn ‚durchgestrichen‘ bzw. durch eine andere Repräsentation ersetzt werden kann. Man müsste aber in diesem Zusammenhang zwischen impliziten Wahrnehmungsrepräsentationen – den Sedimentierungen der Sinnesund Empfindungsdaten, die sich im Verlaufe der Wahrnehmung als zeitliche und affektive Einheit niederschlagen – und expliziten Repräsentationen, d.h. den Inhalten von Erinnerung, Phantasien oder einer gegenständlichen Vorstellung unterscheiden. Wahrnehmung wäre demzufolge als Herstellungs- und Aktualisierungsprozess von Repräsentationen definiert, während der eigentliche Akt der Re-präsentation, z.B. eine Erinnerung, sich auf bereits ‚fertige‘ gegenständliche Zusammenhänge bezieht, die darüber hinaus durch die narrative bzw. konstruktive Eigenschaft des Erinnerns maßgeblich verändert werden können. Der ‚Herstellungsprozess‘ von Repräsentationen führt dabei nicht nur zu bleibenden Inhalten und Sinnbeständen, sondern ebenfalls zu dem subjektiven Erwerb zunächst körperlich (leiblich) geprägter Fertigkeiten, Reaktionen oder effizienter Bewegungsmuster. Diese, phänomenologisch 565 Insbesondere am Beispiel des intentionalen Gegenstandes der äußeren Wahrnehmung zeigt sich dabei die Transzendenz in der vermeintlichen Immanenz. Der wahrgenommene Gegenstand weist gemäß seines Inhaltes in zweifacher Weise über sich hinaus: Erstens wird er als existierender äußerer Gegenstand aufgefasst und zweitens erscheint er trotz der Intention auf den gesamten Gegenstand zu jedem Zeitpunkt im leiblichen Wahrnehmungsverlauf nur in zeitlichen und räumlichen „Abschattungen“. Beide Punkte machen deutlich, dass der Inhalt der äußeren Wahrnehmung aus der Perspektive des Erfahrenden als transzendent erfahren wird, indem er über sich hinausweist.

270 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT gesprochen, leiblich-kinästhetischen Fähigkeiten charakterisieren die Art und Weise, in der wir uns auch in Zukunft auf die (Wahrnehmungs-)Welt beziehen und uns in ihr orientieren werden. Als bleibende leibliche Einstellungen stellen sie eine unmittelbar auf spezifische Umweltsituationen angepasste Verhaltenstypik dar, die man als leibliche Habitualität oder mit Thomas Fuchs als „leibliches Gedächtnis“ bezeichnen kann. Die unterste Stufe einer solchen habituellen Ebene nehmen die sogenannten Dispositionen ein: körperliche Vorgänge und Reflexe, die als ‚angeboren‘ gelten. Auf einer höheren Stufe stehen demnach diejenigen Fertigkeiten, die sich in der individuellen Interaktion mit der Umwelt durch Wiederholung ausbilden, wie kinästhetische Wegesysteme oder Bewegungsmuster. Weiterhin müssen zur leiblichen Habitualität auch die eigens erlernten Fertigkeiten gezählt werden, die vom Laufen, Fahrradfahren bis hin zu spezialisierten Sportarten und handwerklichen Tätigkeiten reichen. Im Einzelnen sollte hierbei aber zwischen dem Erwerb und dem Erlernen einer leiblichen Fähigkeit unterschieden werden. So ergeben sich manche Bewegungsfähigkeiten implizit durch unmittelbare Imitation und Wiederholung, während etwa bestimmte Sportarten, Techniken oder Spiele explizit gelernt werden müssen, d.h. der Lernende darüber hinaus auf sprachliche Erklärung und Weitergabe der Regeln durch ‚Profis‘ angewiesen ist. Diese innerhalb der Erfahrung erworbenen habituellen Fähigkeiten und Einstellungen sind insofern für die Untersuchung des Aufmerksamkeitsverhaltens von entscheidender Bedeutung. Das implizite Gedächtnis von bestimmten Bewegungssequenzen oder Verhaltensweisen kann als dispositionale Tendenz fungieren, die dafür sorgt, dass man in einer typischen Weise auf eine bestimmte Situation reagiert. Eine solche Tendenz wird durch ständige Wiederholung ausgebildet und erfolgt in bestimmten Situationen automatisch. Diese habituelle Gedächtnisform, die in neurowissenschaftlichen Studien dem striatalen Gedächtnissystem zugerechnet wird, muss jedoch weder als nicht-repräsentativ, also reine Reiz-Reaktionsrelation, noch als vollständig unbewusst eingestuft werden. Wird Habitualität in einem phänomenologisch umfassenderen Sinn verstanden, lassen sich zwei Ebenen unterscheiden: Einmal die ‚noematische‘566 Seite in Form von Sedimentierungen und inhaltlichen Repräsen566 Sedimentierungen gehören zwar genau genommen ebenfalls zu der noetischen Seite, sollen aber in diesem Zusammenhang von den subjektiven Fertigkeiten und Interessen abgegrenzt werden. Im Gegensatz zu solchen allgemeinen habituellen Bezugsweisen auf die Welt sind spezielle Sinnsedimentierungen enger mit dem aktuellen ‚Gegenstand‘ bzw. Inhalt der Wahrnehmung verbunden. Eine

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tationen und einmal die noetische Seite, die bleibende subjektive Veränderungen beinhaltet, die sich in der Interaktion mit der Umwelt ausgebildet haben. Die erlernten Fähigkeiten, Verhaltensweisen oder aktiv eingenommenen Positionierungen und Einstellungen gegenüber der Welt prägen die weitere Erfahrung in typischer Weise und charakterisieren damit einen gewissen habituellen Aufmerksamkeitsstil. Dabei fundieren die untersten genetischen Stufen der biologischen Dispositionen und leiblichen Habitualitäten höhere Stufen der personalen Habitualität, die sich durch Interessen, Werte und Einstellungen auszeichnen. In Bezug auf die leibliche Ebene kann es in diesem Zusammenhang sinnvoll sein, im Einzelfall zwischen dem Erlernen von Bewegungsabläufen und dem Erwerb eines automatischen Reaktionsmusters zu differenzieren, wie dies etwa von Elizabeth Ennen mit Bezug auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse getan wird.567 Eine strikte Trennung zwischen einem unbewussten, automatisch fungierenden und nicht-repräsentational funktionierenden habituellen Gedächtnissystem und einem deklarativen, repräsentationalen Gedächtnissystem, wie sie etwa in neurowissenschaftlichen Untersuchungen angenommen wird, kann der phänomenologischen Beschreibung des Phänomens jedoch nicht standhalten. Habitualität stellt sich hier weitaus komplexer dar. Nicht nur tritt es meist in Verbindung mit expliziten kognitiven Prozessen strikte Unterscheidung in eine noetische Habitualität und eine rein noematische Sedimentierung wird hierbei nicht intendiert. 567 E. Ennen unterscheidet hierbei zwei Formen von körperlich definierten Fähigkeiten (skills), dem Erlernen von Bewegungsabläufen und einer konditionierten Verhaltensreaktion in Bezug auf bestimmte Stimuli oder Wahrnehmungssituationen. Die Besonderheit des sequentialen Gedächtnisses besteht darin, dass seine ‚Inhalte‘ sowohl explizit erlernt als auch implizit erworben werden können. Ennen ist in diesem Zusammenhang der Ansicht, dass die genannten habituellen Verhaltensaspekte keine repräsentationale Funktion aufweisen, da man diese dem striatalen und nicht dem hippocampalen Gedächtnissystem zuschreiben muss. Ennen bezieht sich dabei auf Experimente, die zeigen, dass bei Probanden mit einer Schädigung im striatalen Bereich des Gehirns keine Verbesserung der Reaktionszeit bei impliziten Lernprozessen beobachtet werden konnten. Jedoch könnte dies auch auf eine implizite Form der Repräsentation hinweisen, die bevorzugt vom striatalen System ausgeführt wird und die man psychologisch mit dem Konzept des chunking beschreiben kann. Das striatale System bekommt dabei Input von den motorischen Arealen der frontalen Gehirnlappen. Bei wiederholt auftauchenden zeitlichen Anordnungen solcher Informationspäckchen werden die verschiedenen Elemente dieser Muster zu einem einzigen chunk zusammenfasst. Chunking ist insofern ein neuronaler Mechanismus, der die Effizienz der ‚Informationen‘ im System verstärkt. Vgl. E. Ennen: Phenomenological coping skills and the striatal memory system, 306.

272 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT wie Denken und Erinnern auf, sondern es müssen auch andere personale Faktoren wie Interessen, Wertvorstellungen und allgemeine Gefühlslagen berücksichtigt werden, wenn man die Art und Weise beschreiben möchte, die eine typische Verhaltensreaktion konkret ausmacht. In der gleichen Weise wie die Ausführung einer Bewegungssequenz sowohl implizit (etwa durch bloße Wiederholung) als auch explizit (durch Konzentration oder mit der Hilfe von Anweisungen) erlernt werden kann, gilt dies auch für Habitualitäten. Während sich typische leibliche Habitualitäten rein implizit erwerben lassen – es sei denn deklarative Gedächtnisfunktionen schalten sich ein –, können sich personale Habitualitäten gerade dadurch auszeichnen, dass sie auf eine explizite Entscheidung zurückgehen. Die politische Einstellung, die Entscheidung, als Vegetarier zu leben, oder das aktiv gelebte Berufsinteresse sind demnach nicht punktuell, sondern beeinflussen auch die weitere Erfahrungsweise maßgeblich. Dies gilt nicht nur für zukünftige Entscheidungen oder Urteile, sondern auch die Wahrnehmung der uns umgebenden Welt selbst wird durch solche Interessen strukturiert. So schließt der Vegetarier die Fleischtheke im Supermarkt von vornherein als möglichen Gegenstandsbereich seiner Aufmerksamkeit aus oder beachtet diese gerade mit einem unbehaglichen Interesse, das einer morbiden Faszination gleicht.568 Und er wird aufgrund seiner interessebezogenen Sensibilität bestimmte Bilder von rohem Fleisch oder mit dem Fleischkonsum verbundene Missstände eher bemerken. Obwohl solche Einstellungen und Entscheidungen einmal ‚bewusst‘ getroffen wurden, sind ihre Wirkungen auf das Aufmerksamkeitsverhalten den betreffenden Personen meist nicht thematisch. Wertvorstellungen und Interessen werden aber nicht nur durch aktive Positionierungen oder Entscheidungen hervorgebracht, sondern gelten aus entwicklungspsychologischer Sicht zum größten Teil ebenfalls als implizit erworben. Grundlegende Weichen für solche Einstellungen und Haltungen werden demzufolge bereits im Kleinkindalter gestellt. Sie entwickeln sich parallel zu „emotionalen Schemata“, die durch die affektive Bestätigung und Qualifizierungen der entsprechenden Verhaltensweisen durch die Eltern generiert werden.569 568 Für diese Erfahrungsbeschreibung eines Vegetariers danke ich T. Breyer. 569 Vgl. D. Ulich/P. Mayring: Psychologie der Emotionen, 90-143. Ulich und Mayring verstehen emotionales Erleben im Anschluss an Piaget als schemagebunden. Ein emotionales Schema bindet verschiedene heterogene Reize zu Klassen von Auslösern derselben Gefühlsqualität zusammen. Ein solches emotionales Schema kann angeboren sein, für die Mehrzahl emotionaler Reaktionsbereitschaften gilt allerdings, dass sie sich unter Einfluss individueller Lernprozesse ausgebildet haben.

DIE VERTIKALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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Die Habitualität und der damit verbundene habituelle Aufmerksamkeitsstil einer Person setzt sich insofern aus vielen ineinandergreifenden Stufen zusammen: erlernten Bewegungsabläufen, körperlich orientierten automatischen Reaktionen auf Umweltsituationen, emotionalen Dispositionen, impliziten und expliziten Wertvorstellungen und Interessen. Auch wenn solche Einflüsse in den meisten Fällen den betreffenden Personen nicht explizit bewusst sind, heißt dies nicht, dass solche Verhaltensweisen ohne Bewusstsein verlaufen. Gerade die emotionale Qualität bei bestimmten Wahrnehmungen ist zwar nicht in deklarativer Form zugänglich, wird aber in gewisser Weise erfahren und kann eventuell einer nachträglichen Reflexion unterzogen werden.

Emotionale Schemata versetzen eine Person in die Lage, eine bestimmte emotionale Reaktion als etwas Bestimmtes, z.B. Angst, erleben zu können. Dazu muss eine Situation erstens als subjektiv bedeutsam eingeschätzt und zweitens als Fall eines solchen Angsterlebnisses identifiziert werden. Durch die Benennung einer bestimmten Situation oder einer emotionalen Reaktion des Kleinkindes lernt dieses, verschiedene Gefühlsqualitäten zu unterscheiden. Wenn z.B. ein von einem Kind gebauter Turm aus Bauklötzen zusammenfällt, kommentiert dies die Mutter etwa mit den Worten: ‚Oh, jetzt bist du bestimmt verärgert/frustriert/ traurig‘ etc. Entsprechende Studien konnten bestätigen, dass kleine Kinder im Gegensatz zu größeren Kindern oder Erwachsenen solche Emotionswörter nicht mit inneren Zuständen, sondern mit der entsprechenden Situation verknüpfen. Die erlernten emotionalen Schemata sind weiterhin mit der kulturellen Herkunft der Eltern und den damit verbundenen Normen und Wertvorstellungen verknüpft. Die obige Situation kann dementsprechend als traurig bezeichnet werden oder aber als frustrierend bzw. Ärger verursachend klassifiziert werden. Diese normative Einschätzung überträgt sich auf die späteren Gefühlsreaktionen und Wertvorstellungen der Kinder (etwa darauf, wie sie Erfolge oder Misserfolge beurteilen). Aus solchen impliziten Lernprozessen entstehen individuelle emotionale „Informationsverarbeitungsstile“ (109) und „emotionale Wertdispositionen“ (112). Beides kennzeichnet den typischen Aufmerksamkeitsstil einer Person. So scheinen etwa bestimmte aufmerksamkeitssteuernde Persönlichkeitsmerkmale mit entsprechenden emotionalen Stress- und Angstreaktionen zusammenzuhängen sowie selbstbezogene Aufmerksamkeit mit negativer Stimmung. Vgl. C.-W. Kohlmann: Persönlichkeit und Emotionsregulation. Bern 1997; J.D. Flory/K. Räikönen/K.A. Matthews/ J.F. Owens: Self-focused attention and mood during everyday social interactions. In: Personality and Social Psychology Bulletin 26/2000, 875-883.

274 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT

1.5 Das genetische Stufenmodell der Attentionalität Im Folgenden soll versucht werden, eine mögliche genetische Stufenfolge von verschiedenen Formen der Attentionalität zu skizzieren, in denen integrative und selektive Leistungen jeweils verschiedene Rollen einnehmen. Aufmerksamkeit wird dabei allgemein als etwas gefasst, das die selektive Strukturierung der Wahrnehmung leistet und zeitliche Dimensionen der Erfahrung integriert. Dies äußert sich in verschiedenen Stufen und Formen der Attentionalität, die als aktive Bezugnahme zur Welt verstanden wird. Sind die untersten Stufen eher als Empfindung oder Wahrnehmung charakterisiert und lassen noch nicht die aus der Alltagssprache bekannten Leistungen der Aufmerksamkeit erkennen, so wird auf den weiteren Stufen ein Anstieg der Differenziertheit sichtbar. Die Selektion bezieht sich zunehmend auf gegenständliche Zusammenhänge und entwickelt sich so zu einem diskreten Fokus, der wie bei Husserl als Aufmerksamkeitsleistung von dem bloßen Hintergrund der Wahrnehmung unterschieden werden kann. In diesem Sinne ist Aufmerksamkeit einerseits qualitativ mehr als nur Wahrnehmung, umfasst aber andererseits inhaltlich weniger als diese. Im Rahmen dieser expliziten Aufmerksamkeit treten die integrativen Funktionen scheinbar in den Hintergrund. Aber auch in diesem Bereich kann Aufmerksamkeit das Auffassen von mehreren räumlich getrennten Objekten ermöglichen, das subjektive Wahrnehmungsinteresse integriert die unterschiedlichen Objekte zu einem gemeinsamen Fokus. Auf den unteren Stufen nehmen die integrativen synthetischen Leistungen hingegen eine noch grundlegendere Stellung ein: Sie ermöglichen allererst eine zeitlich und inhaltlich kohärente Wahrnehmung. Die unterste Stufe der Aufmerksamkeit570 könnte demnach in einer (subjektiven, aber sich dennoch automatisch) vollziehenden Differenzierung des Sinnesfeldes bzw. des Gegebenen bestehen. Durch diese individuierte 570 Diese Stufe könnte den integrativen wie selektiven neuronalen Prozessen entsprechen, die von R.. Desimone und J. Duncan beschrieben wurden. Vgl. R. Desimone/J. Duncan: Neural mechanisms of selective visual attention; J. Duncan: Brain mechanisms of attention. In ähnlicher Weise wie die genetische Phänomenologie, nimmt man auf neuro-biologischer Ebene ebenfalls zeitliche ‚Synthesen‘ als Grundlage von Wahrnehmung an: Hier findet eine Phasensynchronisation und eine „large scale integration“ statt. Vgl. F. Varela/J.-P. Lachaux/E. Rodriguez/J. Martinerie: The brainweb: phase sychronization and large scale integration. In: Nature Reviews: Neuroscience 2/2001, 229-239; W. Singer: Large-scale temporal coordination of cortical activity as a prerequisite for conscious experience. In: M. Velmans/S. Schneider (Hg.): The Blackwell companion to consciousness. Oxford 2007, 605-615.

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Form des leiblich-sinnlichen Bezuges zur Welt entstehen erste Formen von ‚Abgehobenheiten‘ im Erfahrungsfeld, wie Kontraste oder Homogenitäten, die das Subjekt affizieren. Diese erste Form der Rezeptivität des Subjekts zeichnet sich ebenfalls durch ihren selektiven Bezug auf die Welt aus, der durch passive Faktoren der individuellen Erfahrungsgeschichte oder aktuelle leibliche Tätigkeiten motiviert ist. Diese Selektivität hat aber gleichermaßen eine integrative Bedeutung, da aktuelle und neue Erscheinungen in die bisherigen Erfahrungen integriert werden und so einerseits zu einem zeitlich und thematisch einheitlichen Wahrnehmungsverlauf führen und andererseits eine bekannte gegenständliche Umwelt, d.h. eine Lebenswelt für das Subjekt, entstehen lassen, die fortwährend angereichert wird. Darüber hinaus könnte man eine Stufe der leiblichen Aufmerksamkeit unterscheiden, die insbesondere bei körperlich orientierten Handlungen sichtbar wird, wie etwa dem Gehen, Fußballspielen, Tanzen etc. In diesem Zusammenhang lässt sich zwischen erlernten und erworbenen leiblichen Fertigkeiten unterscheiden sowie zwischen Bewegungsverläufen und typischen habituellen Reaktionsformen, wie dies bereits im letzten Punkt dargestellt wurde. Zunächst soll aber die aktive leibliche Form der Aufmerksamkeit im Zentrum stehen: Sie ist dem ausführenden Subjekt zwar nicht in derselben Form thematisch wie höhere kognitive Prozesse, zeichnet sich aber durch eine ausgeprägte Wachsamkeit gegenüber sämtlichen Umweltvorgängen aus. Auch diese Form der Aufmerksamkeit zeichnet sich insofern nicht durch eine detaillierte fokale Wahrnehmung, sondern durch ihren situativen Charakter aus. Sie ist als Teil unserer Erfahrung, d.h. unseres Bewusstseins, anzusehen, auch wenn die entsprechenden Inhalte nicht in all ihren Einzelheiten für das Subjekt thematisch sind. Trotzdem lässt sich diese Form der Aufmerksamkeit in der körperlichen Spannung, Ausrichtung und Wachsamkeit in Bezug auf die umgebenden Ereignisse feststellen, die zum Beispiel das Verhalten eines Fußballspielers ausmachen. Teilweise explizit werden diese impliziten aufmerksamen Vorhandlungen erst in Relation zu einer Unterbrechung in Form des Erreichens eines Handlungsziels oder durch ein auftretendes Hindernis, etwa wenn ein Spieler plötzlich in den Besitz des Balles kommt und eventuell ein Tor schießt oder aber über einen Mitspieler stolpernd zu Boden stürzt. In beiden Fällen wird sichtbar, dass vorher durchaus Aufmerksamkeit im Spiel war, da es sonst weder positiv zu einem Ballbesitz noch negativ durch das Fehlen der Aufmerksamkeit zu einem Sturz gekommen wäre. An diesen Punkten treffen sich die explizite fokale Aufmerksamkeit und das dynamisch verlaufende leibliche Aufmerksamkeitsverhalten, das sich durch ein Zusammenspiel von visuellen, auditiven und kinästhetischen bzw. taktilen sinnlichen Eindrücken auszeichnet.

276 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Hierbei müsste zwischen 1) der Zuschauerposition, z.B. der passiven Beobachtung eines Events und dem aktiven Engagement innerhalb einer Situation und 2) zwischen habituellen und objektivierenden Aspekten der Aufmerksamkeit unterschieden werden. Die durch Habitualität dominierte Aufmerksamkeit stellt sich als routiniertes Aufmerksamkeitsverhalten in Form einer impliziten Aufmerksamkeitsstrategie dar, die sich in der alltäglichen Erfahrung oder aber aus evolutionärer Sicht bewährt hat. Sie ist durch die allgemeine sensuelle Ausstattung des Menschen und durch seine speziellen leiblichen Fähigkeiten (Gehen, Fußballspielen etc.) bedingt. Ausgehend von bereits gemachten Erfahrungen und dem daraus resultierenden impliziten Erfahrungswissen fungiert diese Form der Aufmerksamkeit meist antizipierend in bekannten Situationen bzw. Eventkontexten. Der objektivierende Aspekt der Aufmerksamkeit nimmt hingegen von Zeit zu Zeit im Sinne eines ‚pickenden Huhns‘ aktiv neue Informationen auf, um die bereits vorhandene Wahrnehmung zu aktualisieren oder zu überprüfen, und integriert diese Eindrücke automatisch in den subjektivzeitlichen Erfahrungshorizont, der dadurch auch inhaltlich modifiziert wird. Diese eher passiv-dynamisch bestimmten Stufen der Aufmerksamkeit führen weiter zu expliziten Aufmerksamkeitsstrategien, die sich auf ein spezielles Thema oder eine abgegrenzte Handlung beziehen: wie z.B. die Fokussierung auf einen Gegenstand oder Ort zum Zwecke der näheren Betrachtung; die Suche von etwas Bestimmtem oder die Ausführung geplanter Handlungen, die Konzentration erfordern, wie etwa das Schachspiel oder handwerkliche Arbeit; sowie Akte der kognitiven Konzentration auf einen wissenschaftlichen Text, ein Gespräch oder einen Gedanken. Außer im Fall der zielgerichteten Handlungen, die sich mit der Ebene der leiblichen Aufmerksamkeit teilweise überschneiden, zeichnet sich diese thematische Aufmerksamkeit meist dadurch aus, dass eine sensuelle Modalität überwiegt. Während die unteren Stufen sich durch eine globale, kontextuelle und zeitlich dynamische Wahrnehmung auszeichnen und hier insofern die integrativen Funktionen der Aufmerksamkeit im Vordergrund stehen, tritt in den höheren Stufen der Aufmerksamkeit – also das, was normalerweise als Aufmerksamkeit im Sinne einer Konzentration auf eine bestimmte Sache bezeichnet wird – besonders ihre selektive, d.h. ihre hervorhebende und ausschließende Funktion zutage. Wie bereits in der Beschreibung dieser Ebenen ersichtlich wurde, ist eine strikte Unterscheidung dieser Aufmerksamkeitsstufen und damit eine statische Definition nur bedingt möglich. Eine klare Trennung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit kann dabei ebenfalls nur theoretisch erfolgen. Was im Einzelfall als Akt/Geschehen oder Gegenstand der Aufmerk-

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samkeit gilt, ergibt sich aus der jeweiligen Perspektive. Der Gegenstand der Aufmerksamkeit lässt sich dabei nur in Relation oder im Gegensatz zu dem erkennen, was sich gerade nicht im Fokus der Wahrnehmung befindet und im Modus des Horizontes lediglich im Hintergrund, als nebenbei oder kurz vorher Wahrgenommenes erfahren wird. Dies gilt in gleicher Weise für den Akt, das Geschehen oder den ‚Mechanismus‘ Aufmerksamkeit und seine Form der Bewusstheit. Auch sie kann nur in Relation zur bloßen Wahrnehmung bzw. fehlenden Wahrnehmung oder dem NichtBemerken eines präsentierten Gegenstandes dingfest gemacht werden. Erst durch eine bereits fungierende und statisch eingegrenzte Aufmerksamkeit ergibt sich eine klare Trennung von momentanem Thema, Fokus, Figur und thematischem Feld, Horizont und Grund. Ansonsten stehen diese Ebenen im Verhältnis einer ständigen Umstrukturierung, wie dies Aaron Gurwitsch eindrücklich beschrieben hat. Genetisch betrachtet müsste die formale Unterscheidung in verschiedene Stufen der Aufmerksamkeit durch die Frage ergänzt werden, wie sich diese Ebenen in der konkreten Wahrnehmung des Subjektes wechselseitig beeinflussen. Trotzdem könnte phänomenologisch für ein Fundierungsverhältnis argumentiert werden, das die höheren kognitiven Formen der thematischen Aufmerksamkeit aus den genetisch früheren Stadien der rezeptiven und leiblichen Aufmerksamkeit hervorgehen lässt. In der alltäglichen Wahrnehmung und auch im jeweiligen experimentellen Kontext spielen diese Ebenen allerdings ineinander, weshalb eine strikte Trennung von passiver und aktiver Aufmerksamkeit oder ein Rückschluss auf die kausale Rangordnung der involvierten Mechanismen in diesem Zusammenhang schwierig ist. Denkbar wäre aber eine methodische und thematische Reduktion auf typische Merkmale der unterschiedenen Stufen, die dann in einem entsprechenden experimentellen Design separat untersucht werden könnten. Die so gewonnen Ergebnisse könnten dann anschließend im kritischen Bewusstsein ihrer reduktiven Aussagekraft in ein umfassenderes genetisch orientiertes Bild der Aufmerksamkeit Eingang finden. In einem solchen Perspektiven- bzw. Aufmerksamkeitswechsel zwischen statischer und genetischer Bestimmung könnten sowohl phänomenologische wie kognitionspsychologische bzw. experimentelle Ergebnisse methodisch integriert werden. Wichtige Aspekte einer dynamischen Attentionalität, d.h. einer leiblich und handlungsorientierten Auffassung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit als noetischer bzw. prä-noetischer571 Aktivität, lassen sich nach dem bisher Dargestellten thesenhaft zusammenfassen wie folgt: 571 S. Gallagher unterscheidet etwa in noetische und prä-noetische Vorgänge. Als noetisch bezeichnet er nur (explizit) intentionale Akte, während der prä-noeti-

278 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT 1) Wahrnehmung ist bereits in ihren frühen Formen sowohl integrativ als auch selektiv und an aktuelle oder mögliche Bewegungen gekoppelt. 2) Dem liegt unsere leibliche Verfasstheit und Empfindungsfähigkeit sowie die zeitliche Struktur der Erfahrung zugrunde. 3) Das wahrnehmende Bewusstsein integriert in einer Art passiven Synthesis frühere, gegenwärtige und zukünftige Wahrnehmungsinhalte zu einer einheitlichen Erfahrung. 4) Der individuelle Bezug des Bewusstseins bzw. des erfahrenden Leibes auf die Umwelt ist von Beginn an selektiver Natur, da er eine räumliche und zeitliche Individuation, d.h. eine gewisse subjektive Differenzierung des Gegebenen leistet. 5) Spezifischere und willkürlichere Formen der Selektion, wie etwa im visuellen Bereich, werden gemeinhin als Aufmerksamkeit bezeichnet. Sie stehen einerseits in Kontinuität zu genetisch niederen Stufen der Selektion – wie etwa der leiblichen Aufmerksamkeit, oder evolutionär betrachtet: in Bezug auf das Aufmerksamkeitsverhalten niederer Säugetiere –, andererseits zeichnen sie sich zusätzlich durch ihren explorativen und wissenserweiternden Charakter aus. 6) Auch wenn diese ‚höheren‘ Formen der Selektion/Aufmerksamkeit unabhängig von aktuellen Bewegungen vorkommen können und eher mit der Identifizierung von Gegenständen in Verbindung gebracht werden, stehen sie meist in Relation zu einer übergreifenden Handlung und gleichzeitig ablaufenden Bewegungsvorgängen. 7) Aufgrund ihrer evolutionären oder individuellen Entwicklungsgeschichte steht die explizite Form der visuellen Aufmerksamkeit in einem wesentlichen Zusammenhang mit genetisch früheren Stufen und ist so ebenfalls als handlungs- bzw. bewegungsorientiert zu bezeichnen. 8) Zugleich macht es den Charakter der menschlichen (explorativen) Form der Aufmerksamkeit aus, aktuelle Wahrnehmungsinhalte mit früheren und potentiell kommenden Eindrücken zu verbinden und bleibendes Wissen über die Umwelt zu erwerben bzw. erwerben zu sche Bereich einen vorreflektiven, leiblichen Bezug zur Welt bezeichnet. In späteren Schriften Husserls, etwa in Erfahrung und Urteil, umfasst der Begriff der Intentionalität allerdings beide Ebenen. Im Rahmen dieser Arbeit wird zwischen expliziter Intentionalität und fungierender Intentionalität unterschieden. Als noetisch gelten sowohl passive oder praktische als auch explizite und intellektuelle subjektive Bezugnahmen. Vgl. S. Gallagher: How the body shapes the mind, 2, 190.

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wollen, wie dies etwa Neumann illustriert hat. In ähnlicher Weise betont dies auch das in Teil II vorgestellte Modell, das den explorativen und aktualisierenden Charakter der Attentionalität mit dem Bild eines pickenden Huhns vergleicht (s. Teil II, Kap. 4.2). Beide Ansätze heben die aktive, aber nicht immer explizite Gestalt des Aufmerksamkeitsphänomens und das damit einhergehende Zusammenspiel von aktueller Wahrnehmung und Gedächtnis sowie höheren Kognitionsformen (Denken) hervor. Auf die diesbezügliche inhaltliche Verwandtschaft mit dem Gedankengut des Phänomenologen MerleauPonty wurde in diesem Zusammenhang bereits hingewiesen. 9) Diese repräsentativen und integrierenden ‚Nebenwirkungen‘ der Aufmerksamkeit lassen aus einem passiven zeitlichen Verlauf eine einheitliche und inhaltlich zusammenhängende Erfahrungsgeschichte entstehen, auf die man in großen Teilen erinnernd zurückgreifen kann. 10) Parallel dazu ist es dieselbe Art der explorativen Aufmerksamkeit, die im Gegensatz zu niederen Säugetieren den impliziten Einfluss von nicht aktuell fokussierten und explizit selektierten Inhalten auf unser weiteres Verhalten und Bewusstsein zulässt. Hieraus ergeben sich passive Motivationszusammenhänge, die im zweiten Kapitel über die Horizonte der Aufmerksamkeit zur Sprache kommen sollen.

2. DIE HORIZONTALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

Aspekte der Peripherie, des Hintergrundbewusstseins oder der Horizonte des aktuellen Aufmerksamkeitsfokus werden, wie bereits deutlich wurde, in der kognitionspsychologischen Forschung (noch) nicht genügend berücksichtig.572 Dabei handelt es sich zunächst um den einfachen Gedanken, dass es zwischen Bewusstsein und Nicht-Bewusstsein eines visuellen Umfeldes unterschiedliche Klarheitsstufen gibt. Horizontbewusstsein kann sich dabei statisch auf den räumlichen Hintergrund beziehen, der sich aufgrund des aktuellen Fokus strukturiert, oder mit der fluktuierenden Aufmerksamkeitsstrategie korrespondieren, die im vorigen Kapitel vorgestellt wurde. In beiden Fällen ist eine solche Form der visuellen Erfahrung von einer fokalen Wahrnehmung zu unterscheiden. Die Peripherie der Aufmerksamkeit kann insofern als „an area of conscious experience that does not have the degree of detail or salience that we find in the focus of attention“573 beschrieben werden. Der momentane Aufmerksamkeitsfokus mitsamt den sich daraus ergebenden räumlichen Hintergrundstrukturen steht aber wiederum in einem 572 Vgl. P.S. Arvidson: Attention in context. Arvidson betont hier die kontextuelle Dimension der Aufmerksamkeit. Hiermit sind aber nur bottom-up Kriterien, d.h. gegenständliche Horizonte, gemeint. An anderer Stelle spricht er zwar von einem attentionalen Charakter, der bestimmt, was im menschlichen Leben relevant und bedeutungsvoll ist. Diesen bewertet er aber nicht als eine Art top-down Einfluss oder – im Sinne der Argumentation der vorliegenden Arbeit – als einen subjektiven Aufmerksamkeitsstil, der sich durch noetische Horizonte auszeichnet. Der attentionale Charakter ergibt sich bei Arvidson nicht aus selektiven, sondern rein aus objektiven Gründen der Salienz des jeweils Wahrgenommenen. Subjektivität und Bewusstsein werden bei Arvidson im cartesianischen Sinne lediglich als willentliche und selbsttransparente Formen der Intentionalität aufgefasst. Als Gegenentwurf zu einem vermeintlich substanziellen Begriff des Subjekts versteht er Aufmerksamkeit in Anlehnung an A. Gurwitsch als passives Gelenktsein durch objektive Gestalten und Stimuli. Vgl. P.S. Arvidson: Attentional capture and attentional character. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 7/2008, 539562, hier: 540f. 573 J. Ford: Attention and the new skeptics. In: Journal of Consciousness Studies 15/2008, 59-86, hier: 74.

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zeitlichen, motivationalen und damit zugleich inhaltlichen Zusammenhang, der sich der Erfahrungsgeschichte des Wahrnehmungssubjektes verdankt. Hierbei kann zwischen einem retentionalen zeitlichen Horizont unterschieden werden, der das zuvor Wahrgenommene beinhaltet und assoziativ fungiert, und den subjektiv-noetischen Horizonten, die einen motivationalen Charakter besitzen. Das zeitlich Vorangehende und räumlich mit Gegenwärtige des aktuellen Aufmerksamkeitsfokus ist mit Husserl noch dem Gegenwartsfeld der Wahrnehmung zuzuordnen. Dementsprechend würden diese „Horizonte der Mitgegenwart und Vorgegenwart“574 der Seite der noematischen Horizonte zugerechnet. Die noetischen Horizonte bezeichnen unterdessen subjektive Fähigkeiten, Gefühle, Wissensund Interessenstrukturen, die zusammen einen passiven Aufmerksamkeitsstil bilden, der den wahrnehmenden Weltbezug insgesamt auszeichnet. Beide Horizontebenen stehen dabei in einem kontinuierlichen Wechselverhältnis. Der jeweilige visuelle oder auditive ‚Fokus‘ ist dabei zugleich – mit den Worten von Gurwitsch – das Thema der Aufmerksamkeit, das nicht nur einen räumlichen Hintergrund aufweist, sondern ebenfalls ein thematisches Feld, einen inhaltlichen Horizont, der den Bereich des Visuellen überschreiten kann, indem er Wissen, Gedanken oder aber Erinnerungen weckt. Dies verweist darauf, dass der objektiv vorgegebene oder messbare visuelle Fokus und dessen Peripherie nie ganz mit dem subjektiven Thema der Aufmerksamkeit und seinem assoziierten Umfeld übereinstimmen können, da dies nur innerhalb eines individuellen oder intersubjektiv vermittelten Kontextes fassbar ist. Die Annahme und Beschreibung einer horizontalen Seite der Aufmerksamkeit, der sich dieses abschließende Kapitel widmen möchte, setzt jedoch bereits gewisse Vorannahmen über das Bewusstsein voraus. Jede Definition von Aufmerksamkeit geht in diesem Sinne mit einem entsprechenden Konzept des Bewusstseins einher. Im Folgenden soll nun für ein phänomenologisches, d.h. graduelles Modell, von Bewusstsein argumentiert werden, dass es erlaubt, das Phänomen der Aufmerksamkeit in all seinen passiven, leiblichen und personalen Ausdrucksarten umfassend zu beschreiben.

574 E. Husserl: Natur und Geist. Vorlesungen Sommersemester 1927. In: Husserliana. Gesammelte Werke. Bd. XXXII. Hg. von M. Weiler. Dordrecht/Boston/London 2001. Dordrecht/Boston/London 2001, 114. Vor- und Mitgegenwart gelten als Horizonte wirklicher und möglicher Erfahrung. Die Vorgegenwart ermöglicht eine passive Form des Voraussehens dessen, was kommen wird.

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2.1 Ein graduelles Modell des Bewusstseins Bewusstsein steht zumeist, insbesondere in der analytisch geprägten Tradition, aber auch beim frühen Husserl, im cartesianischen Sinne für eine klare und distinkte Perzeption oder Vorstellung von etwas.575 Dem in dieser Weise bewusst denkenden und auffassenden Subjekt spricht man zudem den Status der reflexiven Selbsttransparenz zu. Ihm müssen demgemäß alle seine Bewusstseinsinhalte explizit, d.h. thematisch, sein. Ein solcher transitiver Gebrauch des Bewusstseinsbegriffes unterscheidet nicht zwischen verschiedenen graduellen Stufen des Bewusstsein oder der Erfahrung eines Subjekts, sondern misst es allein an der Qualität des jeweiligen Vorstellungsinhaltes, der Repräsentation. Bewusstsein muss sich nach dieser klassischen Konzeption „selbst durchsichtig sein, oder es ist kein Bewusstsein“576. Spätestens seit A. Schopenhauer, F. Nietzsche oder S. Freud ist der Gedanke der Selbstdurchsichtigkeit des Bewusstseins allerdings in Anbetracht der Konfrontation mit den irrationalen und unbewussten Kräften des Willens, des Leibes oder der Seele zweifelhaft geworden. In der phänomenologischen Tradition haben insbesondere die zeitlich-passiven und leiblichen Dimensionen der Erfahrung der genetischen Phänomenologie Husserls und deren Weiterentwicklung durch M. Merleau-Ponty zu einem anderen Verständnis von Bewusstsein und Intentionalität geführt, das die Möglichkeit einer Vermittlung zwischen rationalen und irrationalen, geistigen und leiblichen, sowie bewussten und unbewussten Aspekten eröffnet. Bewusstsein als eine allgemeine Zugangsform des Subjektes zur Welt betrachten, die sich auf verschiedenen Erfahrungsebenen ausdrückt, ermöglicht es in diesem Zusammenhang, ‚unbewusste‘ und thematisch bewusste Akte und Inhalte in ein Modell gradueller Bewusstseinsabstufungen zu integrieren. In diesem Zusammenhang wird Bewusstsein nicht mehr nur in seiner transitiven Bedeutung verstanden, sondern beinhaltet notwendig eine vorreflexive Ebene des Selbstbewusstseins, die jede Erfahrung begleitet. Wege, um den etwa von Freud vertretenen, aber auch in der Kognitionspsychologie wirksamen Dualismus von Bewusstem und Unbewussten zu überwinden, bieten sich demnach in einer vertikalen und horizontalen

575 Vgl. R. Descartes: Meditationes de prima philosophia, 99/96, 100/101. Die klare und deutliche Erfassung des eigenen Geistes im Gegensatz zu der Täuschungsanfälligkeit der Sinne wird hier durch das „natürliche Licht“ (lumen naturale) verbürgt, das letztlich auf Gott zurückweist. 576 T. Fuchs: Leibgedächtnis und Unbewusstes, 34.

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Erweiterung des Konzeptes der Subjektivität. Wird der Raum der Subjektivität ins Vertikale erweitert, so schließt er etwa biologische Dispositionen, genetische Anlagen und Phänomene des Triebs als eine grundlegende Schicht mit ein. Weiterhin lässt sich die Wirkung des vermeintlich Unbewussten horizontal in den aktuellen personalen Akten festmachen, etwa im ‚automatischen‘ leiblichen Verhalten und seinen passiven habituellen Motivationsstrukturen (s. leibliches Gedächtnis) – seinen noetischen Horizonten – sowie in dem, was sich aktuell in der Peripherie des wahrnehmenden Bewusstseins befindet – den noematischen Horizonten.577 In der experimentellen Forschung der Kognitionspsychologie taucht der Begriff des Bewusstseins zumeist in ähnlich statischer Weise auf wie in der cartesianisch geprägten Tradition. Das natürliche Licht der Erkenntnis bei Descartes oder der Lichtstrahl des Bewusstseins beim frühen Husserl finden ihre Entsprechung in der kognitionspsychologischen Annahme, dass Bewusstsein mit fokaler Aufmerksamkeit gleichzusetzen ist. Diese gängige Annahme wurde mit dem Aufkommen von Experimenten zu Phänomenen der inattentional und change Blindness erneut populär. In einem Experiment der Unaufmerksamkeitsblindheit wird ein Objekt, das sich mitten im visuellen Blickfeld befindet, nicht entdeckt, wenn die Aufmerksamkeit anderweitig involviert ist.578 Ein bekanntes Beispiel dieser Situation stellt das Experiment von Daniel Simons und Christopher Chabris dar. Hierbei wird den Probanden ein Videofilm vorgespielt, in dem zwei Mannschaften, mit jeweils weißen oder schwarzen T-Shirts bekleidet, sich einen Basketball zuwerfen. Die Teilnehmer werden nun angewiesen, die Pässe des schwarzen Teams zu zählen. In einem der verschiedenen Durchgänge tritt nun inmitten der Spielzeit des Filmes eine als Gorilla verkleidete Frau in die Mitte des Bildes und klopft sich typischer-

577 Eine vertikale Erweiterung des Raumes der Subjektivität nehmen laut T. Fuchs etwa M. Scheler oder M. Henry vor. Exemplarisch für eine horizontale Erweiterung steht Merleau-Pontys Gedanke der Ambiguität des Leibes, der im ersten Teil dieser Arbeit vorgestellt wurde. Zu einer solchen horizontalen Erweiterung gehört jedoch nicht nur die habituelle Ebene des leiblichen Gedächtnisses, sondern außerdem die zwischenleiblichen, d.h. intersubjektiven und sozialen, Beziehungserfahrungen eines Menschen: Diese verwandeln sich implizit in wirksame Verhaltensbereitschaften, die dem Lebensvollzug eines Subjekts unbewusst zugrunde liegen. Auf den intersubjektiven Status der Habitualität kann im Rahmen dieser Untersuchung leider nur in unzureichender Weise hingewiesen werden. Vgl. T. Fuchs: Leibgedächtnis und Unbewusstes, 36. 578 Vgl. A. Mack/I. Rock: Inattentional blindness. Cambridge, MA 1998.

284 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT weise auf die Brust. Dieses vermeintlich saliente Ereignis wird nur von 42% der Versuchspersonen bemerkt.579 Ähnliche Fehlwahrnehmungen treten bei Studien zur Wechselblindheit auf. In diesen wird innerhalb eines Bildes, einer Filmszene oder einer realen Szene nach einer kurzen Unterbrechung eine Veränderung eingebaut, die entdeckt werden soll.580 Dies geschieht etwa mit dem Einblenden eines weißen Bildschirmes oder mit sogenannten Matschspritzern (mudsplashes), die nur Teile des Bildes betreffen. Die entsprechend eingebauten ‚Fehler‘ werden kaum bemerkt, auch wenn es sich um maßgebliche Veränderungen des Bildes handelt. In realen Szenen unterbrechen etwa zwei Bauarbeiter, die eine Spanplatte tragen, eine Unterhaltung von zufällig ausgesuchten Spaziergängern mit nicht als solchen erkennbaren Experimentatoren. Während der Versuchsperson der Blick auf die andere Person durch die sich zwischen ihnen befindende Platte verwehrt ist, wird das Gegenüber durch einen anderen Mann ausgetauscht. Der ausgetauschte Experimentator sieht dabei zwar ähnlich aus, trägt aber unterschiedliche Kleidung und unterscheidet sich in Größe (5cm) und Stimme. Von fünfzehn teilnehmenden Studierenden, die ahnungslos auf dem Campus umher spazierten, gaben nur sieben in einer anschließenden Befragung an, den stattgefundenen Personenwechsel bemerkt zu haben.581 Solche unerwarteten Fehlwahrnehmungen gelten manchen als Indiz dafür, dass wir weit weniger von der Welt um uns herum sehen, als wir gemeinhin annehmen. Unser Bewusstsein der Welt ist demzufolge trügerisch, uns ist eigentlich nur das bewusst, was wir gerade explizit aufmerksam wahrnehmen. Weil die Subjekte in entsprechenden Experimenten in Anbetracht ihrer mangelnden Detailwahrnehmung überrascht sind, geht man weiterhin davon aus, dass sie ihre normale Wahrnehmung fälschlicherweise für vollständig halten. Berichte über bewusste Zustände von Probanden sind insofern mit Vorsicht zu genießen, da Subjekte sich dieser Ansicht zufolge in allen Bereichen ihres Bewusstseins irren können.582 Aus

579 Vgl. D.J. Simons/J.C. Chabris: Gorillas in our midst: Sustained inattentional blindness for dynamic events. In: Perception 28/1999, 1059-1074. 580 Für einen Überblick auftretender change blindness in Bezug auf Objekte, Bilder und Szenen, siehe D.J. Simons/D.T. Levin: Change blindness. In: Trends in Cognitive Sciences 1/1997, 261-267. 581 D.J. Simons, D.T. Levin: Failure to detect changes to people during a real world interaction. In: Psychonomic Bulletin and Review 5/1998, 644-649. 582 Vgl. D.C. Dennett: Surprise, surprise, commentary on O’Reagan and Noë. In: Behavioral and Brain Sciences 24/2001, 982; ders.: How could I be wrong? How wrong could I be? In: Journal of Consciousness Studies 9/2002, 13-16, hier: 13;

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diesem Grund werden subjektive Berichte und Bewusstsein als wissenschaftliche Untersuchungsgröße zumeist abgelehnt.583 Für die formale Definition kognitiver Prozesse, die im Zuge des funktionalen Verständnisses des Geistes in der Kognitionswissenschaft dominant war, spielt das Bewusstsein zudem kaum eine Rolle. Wenn Kognition allein durch Repräsentationen und funktionale Relationen definiert ist, erscheint ein zusätzlicher Bewusstseinsaspekt als unnötig. Bewusstsein wird insofern meist gar nicht thematisiert oder als eine Art logischer Algorithmus mit entsprechend hoher Komplexität verstanden. Da Bewusstsein in der analytischen Philosophie oft mit den vom Terminus Qualia bezeichneten gefühlten Aspekten der Wahrnehmung gleichgesetzt wird, geht man in der Kognitionswissenschaft zudem davon aus, dass es sich um einen rein intrinsischen Zustand handelt. Dies erschwert die Integration von Bewusstsein in eine funktionalistische oder computationale Auffassung von Kognition.584 Hinsichtlich der Frage nach der materiellen Implementierung von Kognitionen im Gehirn wird Bewusstsein ebenfalls meist als ein Epiphänomen klassifiziert, das keinerlei kausalen Einfluss auf die physische Welt haben kann.585 Lediglich evolutionstheoretische Erklärungsan-

S.J. Blackmore: There is no stream of consciousness. In: Journal of Consciousness Studies 9/2002, 17-28, hier: 19, 22. 583 Bewusstsein als solches zu diskreditieren, nur weil die Bewertung einiger Bewusstseinsinhalte vermeintlich falsch ist, scheint aber am Kern der Sache vorbeizugehen. Nur weil nicht alle Details und Veränderungen bemerkt werden, die gerade nicht Thema der Aufmerksamkeit sind, heißt dies nicht, dass zu dem entsprechenden Zeitpunkt überhaupt kein Bewusstsein vorhanden war. Viele dieser Phänomene lassen sich mit Hilfe des Begriffes der peripheren oder horizontalen Aufmerksamkeit klären – J. Ford argumentiert in Bezug auf die new skeptics, wie er diese in Anlehnung an Noë nennt, ebenfalls für die Annahme eines peripheren Bewusstseins, vgl. J. Ford: Attention and the new skeptics, 59-86 – oder lösen sich in Anbetracht eines zeitlichen und bewegungsorientierten Verständnisses der Wahrnehmung auf: Die Umwelt muss daher nicht in allen Details wahrgenommen oder repräsentiert sein, wie etwa Noë argumentiert. Dies muss allerdings nicht generell gegen das Konzept der Repräsentation selbst sprechen, wie im letzten Kapitel versucht wurde zu zeigen. Vgl. A. Noë: Is the visual world a grand illusion? In: Journal of Consciousness Studies 9/2002, 1-12; A. Noë: Action in perception; A. Noë: Inattentional blindness, change blindness, and consciousness. In: M. Velmans/S. Schneider (Hg.): The Blackwell companion to consciousness. Malden, MA/Oxford, Victoria, Australien 2007, 504-510. 584 Vgl. R. van Gulick: Functionalism and qualia. In: M. Velmans/S. Schneider (Hg.): The Blackwell companion to consciousness, 380-395. 585 Diese Position vertreten etwa Patricia und Paul Churchland. Vgl. P.S. Churchland: Neurophilosophy: toward a unified science of the mind-brain. Cambridge, MA

286 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT sätze schreiben dem Bewusstsein einen Selektionsvorteil und eine adaptive Funktion in der Entwicklung des Menschen zu.586 Im Rahmen der gegenwärtigen psychologischen und neurowissenschaftlichen Experimentalstudien kommt man um das Thema Bewusstsein jedoch nicht herum. Das vermeintliche Bewusstsein der Probanden bei der Ausführung bestimmter Aufgaben oder dem Erlernen von inhaltlichen Sequenzen wird hier als ein direktes Indiz für die beteiligte Aufmerksamkeit gewertet. Bewusstsein wird in dieser Hinsicht mit einem gewissen Zustand bzw. einem speziellen Verarbeitungsmechanismus in Verbindung gebracht. Die Frage, welche kognitiven Prozesse auf Bewusstsein angewiesen sind und welche nicht, bestimmt dabei die experimentelle Untersuchung. Man unterscheidet in diesem Sinne auch zwischen kontrollierten (aufmerksamen) und automatisch verlaufenden Prozessen. Gleichermaßen wird auf neurowissenschaftlicher Ebene nach dem physiologischen Ort und der Ursache solcher Prozesse gefahndet, dem neuronalen Korrelat des Bewusstseins. Das hierbei – meist in unreflektierter Weise – verwendete Konzept von Bewusstsein zeichnet sich maßgeblich durch zwei Annahmen aus: Erstens erfolgt eine strikte Trennung von bewussten und unbewussten Prozessen und zweitens versteht man Bewusstsein als ein Attribut, das einzelne kognitive Prozesse oder mentale Zustände charakterisiert, die sich im Gegensatz zu anderen dadurch auszeichnen, dass sie eines zusätzlichen Verarbeitungsfaktors bedürfen, nämlich des Bewusstseins. Die Voraussetzung für solche kontrollierten bzw. kontrollierbaren Prozesse stellt die Aufmerksamkeit dar, die neben der Handlungskontrolle ebenfalls für die tiefere (semantische) Analyse sensueller Stimuli, die Merkmalsintegration, die detaillierte Repräsentation und die Aufnahme der jeweiligen Informationen in das Arbeits- und später in das Langzeitgedächtnis zuständig sein soll. Den Inhalten im visuellen oder auditiven Fokus des Systems sollen dementsprechend auf funktionaler bzw. physiologischer Ebene spezielle Verarbeitungsvorgänge zukommen. Die im Experiment präsentierten Inhalte sind dem Subjekt bei einer solchen aufmerksamen Verarbeitung be-

1986; P.M. Churchland: A neurocomputational perspective: the nature of mind and the structure of science. Cambridge, MA 1992. 586 Vgl. C. Frith/G. Rees: A brief history of the scientific approach to the study of consciousness. In: M. Velmans/S. Schneider (Hg.): The Blackwell companion to consciousness, 9-23, hier: 18; T. Polger: Rethinking the evolution of consciousness. In: M. Velmans/S. Schneider (Hg.): The Blackwell companion to consciousness, 7287.

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wusst, worüber eine entsprechende Verhaltensreaktion oder ein verbaler Bericht dem Experimentator Auskunft gibt. Bewusstsein wird in der kognitionspsychologischen Forschung somit vorrangig im Sinne eines state consciousness verstanden, während der phänomenologische Bewusstseinsbegriff eher dem Konzept der creature consciousness entspricht, in dem nicht einzelnen Akten Bewusstsein zugesprochen wird, sondern einem Organismus als Ganzem.587 Im Gegensatz zu der Auffassung, dass Bewusstsein aus atomistischen mentalen Zuständen zusammengesetzt wird (building-block approach), stimmt die phänomenologische Theorie eher mit dem Gedanken eines umfassenden Bewusstseinsfeldes überein, das die jeweiligen Sinneseindrücke integriert (unifiedfield-model).588 Auch wenn Bewusstsein in der Phänomenologie allgemein als erfahrender Zugang zur Welt gilt, der sich in Empfindungen fundiert, heißt dies jedoch nicht, dass keine verschiedenen Zugangsweisen und qualitative Unterschiede in Bezug auf die Bewusstseinsinhalte auftreten. Aufgrund unserer leiblichen Beschaffenheit hat jede Wahrnehmung einen qualitativen Charakter, einmal in Bezug auf die sie begleitenden Gefühlsaspekte und einmal in Bezug auf den Status des Wahrgenommenen. So macht es etwa einen Unterschied, ob etwas thematisch ist bzw. im Fokus meiner Aufmerksamkeit steht, oder aber nur nebenbei, im ‚Hintergrund‘ bemerkt wird. Weiterhin gibt es verschiedene genetische Stufen von Intentionalität, die sich von einer eher vagen impliziten Bewusstheit des Umfeldes bis hin zu einer expliziten Bewusstheit eines bestimmten Gegenstandes erstrecken. Wenn hier von verschiedenen Qualitäten des Bewusstseins gesprochen wird, zielt dies insofern eher auf die graduelle Bestimmung von Bewusstseinsstufen ab als auf die in der analytischen Philosophie so prominente Diskussion um die Existenz von Qualia. Unter Qualia wird meist ein bestimmter Bereich der Empfindung verstanden, also etwa das Empfinden der Qualität ‚Rot‘, welcher keinen in587 Vgl. T. Bayne: Consciousness. In: J. Simons/P. Calvo: The Routledge companion to philosophy of psychology, 477-495, hier: 477. Es stellt sich allerdings auch hier die Frage nach der Grenze des Bewusstseins – umfasst dieses nur den Wachzustand oder auch Schlaf und Traumphasen? Diesbezüglich gibt es erste Ansätze, die sich an einer Phänomenologie des Schlafes oder des Traums versuchen, um die verschiedenen Zustände in ihrer Verbindung und ihren Unterschieden zu einem wachen Bewusstsein deskriptiv zugänglich zu machen. Vgl. N. de Warren: The inner night: towards a phenomenology of (dreamless) sleep. In: D. Lohmar/I. Yamaguchi (Hg.): On time – New contributions to the Husserlian phenomenology of time. Dordrecht/ Heidelberg/London/New York 2010, 273-295. 588 Vgl. T. Bayne: Consciousness, 484f.

288 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT tentionalen, sondern einen rein immanenten Status hat. In der funktionalen Sichtweise fügt eine solche Empfindungsqualität dem eigentlichen repräsentativen mentalen Zustand inhaltlich nichts hinzu und erscheint deshalb als ein rätselhaftes Nebenprodukt der Kognition. Dies führt zu erfahrungsfernen Gedankenexperimenten, ob die Existenz eines Zombies möglich wäre, der uns in allen funktionalen Organisationsaspekten und dem daraus resultierenden Verhalten gleicht, ohne aber die zusätzlich Ingredienz des Bewusstseins zu besitzen.589 Aus neurowissenschaftlicher Perspektive spricht man aufgrund der zahlreichen automatischen Bewegungsabläufe ebenfalls von dem ,Zombie‘ in uns. Einem solchen zombie agent liegt eine reine ‚online‘ Verarbeitung visueller Stimuli zugrunde, die dem dorsalen Gehirnstrom nach David Milner und Mel Goodale entspricht: „The hallmarks of a zombie system are stereotypical, limited sensorimotor behaviour, and immediate, rapid action.“590 Ein solches Zombiesystem könnte insofern auch komplett ohne ein waches Bewusstsein auskommen, wie das Phänomen des Schlafwandelns zeigen soll. Trotzdem konstatieren viele die Wichtigkeit eines qualitativen Aspekts von Bewusstsein. Als Teil eines lebendigen Organismus muss man selbst für einen vermeintlichen zombie agent annehmen, dass es für ihn irgendwie ist bzw. sich irgendwie anfühlt in einem bestimmten Zustand zu sein oder eine entsprechende Erfahrung zu haben.591 Die in diesem Zusammenhang vorausgesetzte Trennung von intentionalen Funktionen und einem solchen what it is like-Aspekt führt zu dem Problem, Bewusstsein und Funktionalität zusammenzudenken.592 Versteht man Intentionalität allerdings als ein genetisches Phänomen, das von vornherein durch Leiblichkeit und Empfindung fundiert wird, wie im letzten Kapitel skizziert, können solche Probleme vermieden werden. Wenn Bewusstsein nicht als Gegenpol zu funktionalen Prozessen oder materiellen Eigenschaften, sondern im Zusammenhang mit der Entwicklung organischen Lebens gesehen wird, eröffnen sich neue Erklärungsmöglichkeiten. Autoren wie Evan Thompson oder Maxine Sheets-Johnston versuchen in diesem Kontext, 589 Vgl. R.v. Gulick: Functionalism and qualia, 385f. 590 Vgl. C. Koch/F. Crick: The zombie within. In: Nature: 411/2001, 893; vgl. C. Frith/G. Rees: A brief history of the scientific approach to the study of consciousness, 17f. 591 Vgl. T. Nagel: What is it like to be a bat? In: Philosophical Review 83/1974, 435450. 592 Die entsprechende Position wird auch als Separatismus bezeichnet. Vgl. T. Bayne: Consciousness, 481; T. Horgan/J. Tienson/G. Graham: The phenomenology of first-person agency. In: S. Walter/H.-D. Heckmann (Hg.): Physicalism and mental causation: the metaphysics of mind and action. Exeter, UK 2003, 323-340.

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das Phänomen Bewusstsein in seiner Kontinuität zu früheren Lebensformen zu fassen.593 Den Kerngedanken einer solchen Kontinuitätsannahme (deep-continuity thesis) formuliert Sheets-Johnstone folgendermaßen: „[C] onsciousness does not arise in matter; it arises in organic forms, forms that are animate.”594 Weiterhin betont sie den Zusammenhang zwischen den qualitativen kinästhetischen Empfindungen der Eigenbewegung und der Möglichkeit von Bewusstsein. Bewusstsein ist daher etwas, das speziell bei lebendigen Formen vorkommt, die sich bewegen.595 Einer solchen Ansicht könnte man Helmuth Plessners anthropologisches Stufenmodell des Organischen entgegenstellen, das aus einer Beobachterperspektive zu einem ähnlichen Ergebnis kommt. Plessner räumt tierischen Organismen im Vergleich zu Pflanzen eine größere Abgeschlossenheit und damit eine Distanz zu ihrer Umwelt ein, die in einem aktiven Verhalten zu ihrer organischen Grenze resultiert. Die entsprechende Identität nach innen manifestiert sich in einer Distanz zum eigenen Körper: Da Tiere ihren Körper in Form von Bewegungen kontrollieren können und somit nicht nur Körper sind, sondern auf eine rudimentäre Weise auch einen Körper haben, stellt sich in der Positionalität der Tiere eine erste Stufe von Bewusstsein her, die sich in der menschlichen Form der exzentrischen Positionalität zu einer expliziten und reflexiven Form erweitert.596 Im Unterschied zum empfundenen Selbstbezug der Leiblichkeit, den Sheets-Johnstone und andere Phänomenologen betonen, ist es bei Plessner gerade der Grad der Distanz bzw. der Vermittlung, der den Unterschied zwischen verschiedenen Bewusstseinsformen ausmacht.597 593 Vgl. E. Thompson: Mind in Life, 157ff; M. Sheets-Johnstone: The corporeal turn. An interdisciplinary reader. Exeter, UK/Charlottesville, US 2009, 149-195; P. Godfrey-Smith: Spencer and Dewey on life and mind. In: M. Boden (Hg.): The philosophy of artificial life. Oxford 1996, 314-331; M. Wheeler: Cognition’s coming home: the reunion of life and mind. In: P. Husbands/I. Harvey (Hg.): Proceedings of the 4th European conference of artificial life. Cambridge, MA/London, UK 1997, 10-20. 594 M. Sheets-Johnstone: The corporeal turn, 151. 595 Ebd., 170. 596 Vgl. H. Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. 597 Obwohl Plessners Beobachtungen für den von Varela oder Thompson entwickelten Autopoiesis-Ansatz, der eine Kontinuität von Leben und Bewusstsein plausibel machen will, von Relevanz sind, ist ein Einbezug der Thesen Plessners in die (neuro)phänomenologische Diskussion bisher nicht erfolgt. Wenn Varela und Thompson in diesem Zusammenhang von einem Prozess des sense-making sprechen, der bereits auf biologischer Ebene fungiert, wird einerseits die Verbindung zu Merleau-Ponty deutlich, der Wahrnehmung als interaktiven Prozess der Sinngebung beschreibt. Andererseits lässt sich eine Entsprechung zu Plessners Idee ei-

290 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Statt das Phänomen Bewusstsein genetisch anzugehen, besteht eine andere Möglichkeit darin, zwischen verschiedenen Funktionen des Bewusstseins zu differenzieren, wie dies Ned Block mit seiner Klassifikation eines phenomenal und eines access consciousness beabsichtigt.598 Das phänomenale Bewusstsein begreift Block als ein Hintergrundbewusstsein. Als solches ist es zwar Teil der subjektiven Erfahrung und daher phänomenal, die Inhalte dieses Bewusstseins sind jedoch expliziten Gedanken, verbalen Berichten und der Handlungskontrolle nicht zugänglich. Man kann somit ein Geräusch im Hintergrund vernehmen, ohne dass dies explizit bewusst sein muss oder für Handlungen in Anspruch genommen werden kann. Die einseitige Unterscheidung der Kognitionspsychologie in bewusste, d.h. aufmerksame, und unbewusste Zustände könnte hiermit unterlaufen werden. Wie Thompson herausstellt, sind aber beide Ansätze aus phänomenologischer Perspektive unzureichend. Während die simple Unterscheidung zwischen dem Bemerken und dem Nicht-Bemerken eines Stimulus diesen Umstand rein statisch auffasst, als ob es nur diskrete Zustände ohne eine zeitliche Dynamik innerhalb der Wahrnehmung gäbe, und dabei keinerlei Differenzierung zwischen passiven und aktiven Bewusstseinsaspekten zulässt, greift auch eine Klassifikation in phänomenale und explizite Inhalte zu kurz. Genauso wenig, wie es sinnvoll ist, etwas im Hintergrund Wahrgenommenes als nicht bewusst zu bezeichnen, gibt es keinen Grund zu glauben, dass dieses periphere Bewusstsein nicht ebenso einen Fall des acces-consciousness darstellen könnte. Implizite und vor-reflexive Sinneswahrnehmungen werden nachweislich für weitere Intentionen, Bewegungen und Wahrnehmungen genutzt, auch wenn sie dem Subjekt nicht thematisch sind. Darüber hinaus muss eine solche implizite Wahrnehmung zwar nicht aktuell explizit sein, es besteht aber zumindest eine potentielle Zugänglichkeit, etwa wenn das vormalige Hintergrundgeräusch nun durch einen Wechsel der Aufmerksamkeit in den Fokus rückt. Wenn ein phänomenaler Inhalt dagegen in keiner Weise Einfluss auf das Subjekt ausüben würde oder in irgendeiner Weise zugänglich ist, wäre es schwierig zu erklä-

nes dialektisch verstandenen Verhaltens zur eigenen Grenze und deren ständiger Überschreitung feststellen. Vgl. E. Thompson: Mind in life, 160; A. Weber/F.J. Varela: Life after Kant: natural purposes and the autopoietic foundations of biological individuality. In: Phenomenology and the Cognitive Sciences 1/2002, 97-125. 598 Vgl. N. Block: On a confusion about a function of consciousness. In: N. Block/O. Flanagan/G. Güzeldere (Hg.): The nature of consciousness: philosophical debates. Cambridge, MA 1997, 375-416.

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ren, welchen Sinn die Annahme eines solchen rein phänomenalen Bewusstseins überhaupt hat. Thompson beschreibt dieses Dilemma anhand des Beispiels des peripheren Hörens eines Geräusches: If we imagine, however, that one is not cognitively poised in any way to rely on the sound, then we would need a reason to believe that one is nonetheless phenomenally conscious of it rather than simply discriminating or differentially responding to it nonconsciously, but no reason is forthcoming simply from this example.599

Ausgehend von dieser Kritik scheint es sinnvoller, verschiedene Formen von impliziten und expliziten Bewusstseinsformen und deren Einfluss auf Wahrnehmung und Aufmerksamkeitsausrichtung zu unterscheiden, wobei jeweils unterschiedliche phänomenale Qualitäten der Inhalte auftreten können. Aus der Ersten-Person-Perspektive wird daher allen, auch vermeintlich ‚unbewussten‘, impliziten Bewusstseinsinhalten, Phänomenalität zugesprochen, im Gegensatz zu einigen biologischen und neuronalen Prozessen des Körpers, die nicht unmittelbar Teil unserer Phänomenalität sind. Was den Einfluss auf die Informationsverarbeitung bzw. die repräsentativen Funktionen der einzelnen Bewusstseinsstufen angeht, ließen sich dann eventuell korrelative Unterschiede zwischen implizitem und explizitem (thematischen) Bewusstsein und der ‚Verarbeitung‘ und ‚Speicherung‘ von Informationen feststellen. So gibt es etwa experimentelle Ergebnisse, die belegen, dass ein expliziter Aufmerksamkeitsfokus auf einen Gegenstand positiv mit dem Eingang dieses Inhalts ins Langzeitgedächtnis korreliert sowie tatsächlich eine detaillierte und distinkte gegenständliche Wahrnehmung fördert.600 Neben den positiven Wirkungen der 599 E. Thompson: Mind in life, 264. 600 Dies zeigt sich auf vielen Gebieten. Visuelle Aufmerksamkeit führt zu schnelleren Reaktionszeiten bei der visuellen Suche, wenn es einen lokalen Hinweisreiz gibt. Aufmerksame Wahrnehmung erleichtert somit die Objektwahrnehmung. Vgl. R. Egly/J. Driver/R.D. Rafal: Shifting visual attention between objects and locations: evidence from normal and parietal lesion subjects. In: Journal of Experimental Psychology: General 123/1994, 161-177; C.M. Moore/S. Yantis/B. Vaughan: Object-based visual selection: evidence from perceptual completion. In: Psychological Science 9/1998, 104-110. Fokale Aufmerksamkeit kann sogar die Qualität eines Objektes beeinflussen. Vgl. M. Carrasco/S. Ling/S. Read: Attention alters appearance. In: Nature Neuroscience 7/2004, 308-313. Auf der physiologischen Ebene verstärkt Aufmerksamkeit das neuronale Antwortverhalten bei Tieren (Ref. 1,2) und Menschen (Ref. 3,4). Vgl. C.L. Colby/J.-R. Duhamel/M.E. Goldberg: Oculocentric spatial representaion in parietal cortex. In: Cerebral Cortex 5/1995, 470481; J.W. Bisley/M.E. Goldberg: Neuronal activity in the lateral intraparietal area and spatial attention. In: Science 299/2003, 81-86; J. Downar/A.P. Crawley/D.J.

292 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT fokalen Aufmerksamkeit – die als gleichbedeutend mit Bewusstsein verstanden wird – auf die Informationsverarbeitung, lassen sich viele der in der Kognitionspsychologie vermeintlich unbewussten Einflüsse auf die weitere Ausrichtung der Aufmerksamkeit und das Verhalten ausfindig machen. Die Bereiche, in denen solche Aspekte des Unbewussten vermutet werden, sollen im Folgenden kurz angeführt werden. Dabei soll argumentiert werden, dass fast alle dieser vermeintlich unbewussten Vorgänge und Inhalte unter dem Überbegriff eines peripheren Bewusstseins gefasst werden können oder aber im Falle der subliminalen Wahrnehmung als individuell variable Grenzbereiche (Sinnesschwellen) einer graduellen Bewusstseinsabstufung anzusehen sind.

2.2 Dimensionen des kognitiven ‚Unbewussten‘ Parallel zu der sich seit den 1950er Jahren etablierenden kognitiven Aufmerksamkeitsforschung wurde das Forschungsinteresse an unbewussten, impliziten oder automatischen psychologischen Prozessen geweckt. Es erfolgte die Entdeckung des kognitiven Unbewussten, wie es John Kihlstrom 1987 benennt.601 Unter diesen Überbegriff lassen sich in der Kognitionspsychologie unterschiedliche Phänomene und Untersuchungsgebiete zusammen tragen. Hierzu gehört etwa der Nachweis semantischer Verarbeitung bei nicht-aufgemerkten Stimuli, z.B. bei auditiven Filteraufgaben, oder im Bereich des parafovealen Sehens. Weiterhin fallen unter den Oberbegriff der ‚unbewussten Verarbeitung‘ Effekte subliminaler Wahr-

Mikulis/K.D. Davis: The effect of task relevance on the cortical response to changes in visual and auditory stimuli: an event related fMRI study. In: Neuroimage 14/2001, 1256-1267; M. Behrmann/J.J. Geng/S. Shomstein: Parietal cortex and attention. In: Current Opinion in Neurobiology 14/2004, 212-217. 601 Vgl. J. Kihlstrom: The cognitive unconscious. In: Science 237/4821/1987, 14451452. Kihlstrom unterscheidet hier zwischen drei Formen des kognitiv Unbewussten: Unbewusst im eigentlichen Sinne sind etwa kognitive Regeln und Fähigkeiten, die in routinierten Handlungen automatisch angewendet werden. Subliminale Wahrnehmung und implizites Gedächtnis gelten dagegen als vorbewusst, da sie unter normalen Umständen dem Bewusstsein zugänglich seien. Zustände wie die Hypnose bezeichnet Kihlstrom als subbewusst (subconscious). Diese Einteilung deutet nicht auf eine definitive Trennung von bewussten und unbewussten Zuständen hin, sondern ähnelt vielmehr einer graduellen Abstufung von Bewusstseinsphänomenen.

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nehmung bei normaler Sehfähigkeit und Wahrnehmungsstörungen aufgrund von Schädigungen des Gehirns. Ebenfalls als Phänomen des Unbewussten werden die Nachweise von impliziten Lernprozessen behandelt. Alle genannten Bereiche haben gemeinsam, dass hierbei messbare Verhaltensänderungen nicht mit einem entsprechenden (thematischen) Bewusstsein für die jeweiligen Inhalte einher gehen. Als unbewusst werden zudem automatische, d.h. nicht explizit kontrollierte Bewegungsabläufe qualifiziert, die oben erwähnten Zombiesysteme. Darüber hinaus gibt es Untersuchungen zu habituell-leiblichen Gedächtnisformen, die selbst bei Patienten mit Amnesie ihre Funktion nicht verlieren.602 In dieser kurzen Aufzählung wurde bereits deutlich, auf welch unterschiedlichen Ebenen der Begriff des Unbewussten in der Kognitionspsychologie seine Anwendung findet. Im Folgenden wird kurz auf die einzelnen Gebiete eingegangen. Dabei kann und soll im Rahmen dieser Arbeit keine ausführliche Darstellung und Kritik dieser Forschungsgebiete erfolgen. Es soll lediglich die Problematik aufgezeigt werden, die eine strikte Entgegensetzung von bewussten und unbewussten Bereichen mit sich bringt. Da Aufmerksamkeit zu großen Teilen mit Bewusstsein gleichgesetzt wird und unbewusste Verarbeitungsprozesse insofern als prä-attentiv bezeichnet werden, hat dies für die jeweilige Aufmerksamkeitsdefinition maßgebliche Konsequenzen. Allen im Anschluss vorgestellten Interpretationen ist etwa gemein, dass sie Bewusstsein lediglich im Sinne eines Gegenstandsbewusstseins verstehen. Der Bereich der subjektiven Erfahrung wird auf den visuellen Aufmerksamkeitsfokus beschränkt. Der Wirkungsbereich der Begriffe ‚Bewusstsein‘ und ‚Subjekt‘ erstreckt sich in der Folge nur auf den expliziten intentionalen Bereich. Erfahrung erscheint damit als eine Art Meta-Kognition,

602 Patienten mit Amnesie sind z.B. in der Lage einfache motorische Koordinationsfähigkeiten zu erlernen, ohne dass sie sich an den Lernprozess erinnern oder vom Besitz dieser Fähigkeit wissen. Wie im letzten Kapitel bereits dargestellt wurde, versteht man nicht-deklarative Gedächtnissysteme oder die Ausübung von Routinehandlungen, wie das Greifen einer Tasse, als Prozesse des dorsalen Gehirnstroms. Dieser Wie-Strom wird im Gegensatz zu dem ventralen Was/Wo-Strom als unbewusst charakterisiert. Vgl. A.D. Milner/M.A. Goodale: The visual brain in action. Sämtliche leiblichen Routinehandlungen, Bewegungen und Habitualitäten gelten nach dieser Interpretation als unbewusst und ferngesteuert durch den ventralen Bereich. Dies erinnert stark an die cartesianische Vorstellung vom Körper als Maschine und dem Geist als Steuerinstanz. Mit dem Unterschied, dass der Dualismus nun auf die immanenten Verarbeitungsbereiche im Gehirn übertragen wird.

294 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT während alle Sachverhalte, die nicht unter diese Definition fallen, als unbewusst, d.h. nicht an der subjektiven Erfahrung teilhabend, klassifiziert werden. In Bezug auf die nachfolgenden Beispiele des kognitiven Unbewussten soll daher sowohl für eine graduelle Auffassung argumentiert als auch die Frage nach der subjektiven Seite dieser passiven Erfahrungsbereiche gestellt werden. Bereits im Zusammenhang mit der Filtertheorie der Aufmerksamkeit stieß man notwendigerweise auf das sogenannte ‚Schicksal‘603 nicht aufgemerkter bzw. ignorierter Stimuli. Nicht aufgemerkte Informationen galten in diesem Zusammenhang als unbewusst, da keine bewusste Objektidentifikation stattfand. In diesem Zusammenhang konnte man subliminale priming Effekte feststellen, die die weitere Aufmerksamkeitsleistung beeinflussten. Solche Ergebnisse wurden u.a. einer Theorie der frühen Selektion entgegengehalten.604 Eine andere experimentelle Methode zur Untersuchung der unbewussten Verarbeitung von Wortbedeutungen stellt das backward visual masking Verfahren dar. Kurz nachdem ein Wort eingeblendet wird, erscheint eine Art ‚Strukturmaske‘ oder auch ein weißer Bildschirm, der die Verarbeitung des Wortes unterbricht und eine bewusste Identifikation desselben verhindert. Wenn man die Versuchspersonen allerdings auffordert, die Wortbedeutung zu erraten, werden meist ähnliche Bedeutungen gewählt. Lautet das präsentierte Wort z.B. Jazz, so raten viele die Wortbedeutung Blues.605 603 Vgl. D. Jones: The fate of the unattended stimulus: irrelevant speech and cognition. In: Applied Cognitive Psychology 9/1995, 23-38. 604 Ein entsprechendes Experiment, das die semantische Aktivierung ohne eine korrespondierende Identifikation der jeweiligen Information belegt, wurde bereits erwähnt. Hierbei wurden Subjekte im Vorfeld so konditioniert, dass sie bei der Nennung bestimmter Wörter, die mit dem Thema ‚Stadt‘ zu tun hatten, einen Elektroschock erwarteten. In einem nachfolgenden Experiment zum dichotischen Hören konnte jedes Mal, wenn auf dem nicht beachteten Kanal einer dieser Begriffe oder auch thematisch ähnliche Wörter fielen, ein starker Hautwiderstand gemessen werden, obwohl keine Identifikation der Information stattfand. Andere Experimente im Bereich des parafovealen Sehens zeigten, dass ein nicht bemerktes Wort, wie etwa tree, das sich in der Peripherie des Bildschirmes befand, die semantische Interpretation des Zielobjekts mitbestimmt, insbesondere wenn dies mehrere Bedeutungen hat, wie etwa das englische Wort palm. Vgl. G. Underwood: Semantic interference from unattended printed words. In: British Journal of Psychology 67/1976, 327-338; Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 256f. 605 Vgl. D.A. Allport: On knowing the meaning of words we are unable to report: the effects of visual masking. In: S. Dornic (Hg.): Attention and performance VI. Hillsdale, NJ 1977, 505-535.

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Da durch das masking Verfahren die zeitliche perzeptuelle Integration des Stimulus unterbunden wird, zählt man es auch zu den Methoden zur Untersuchung von subliminaler Wahrnehmung. Im Gegensatz zu Filterexperimenten und Studien zum parafovealen Sehen erscheint das masking Verfahren als geeigneter, um unbewusste Verarbeitung zu demonstrieren, da es auf eine objektive Datenlimitation zurückgeführt werden kann und nicht auf einen subjektiv bzw. willentlich vollzogenen Ausschluss der entsprechenden Informationen, wie dies bei Selektionsaufgaben der Fall ist.606 Die Untersuchung einer solchen subliminalen Wahrnehmungsverarbeitung, welche sich durch eine Einschränkung auf Seiten der präsentierten sensuellen Daten (bottom-up) auszeichnet, geht bis auf die Anfänge der experimentellen Psychologie Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Als subliminal galten hier besonders schwache Stimuli, die ab einem bestimmten Grad nicht mehr von den Sinnesorganen aufgenommen werden konnten. Probanden mussten etwa Karten aus einer großen Entfernung betrachten. Obwohl man kaum etwas außer dem vagen Umriss der Karten erkennen konnte, war es für die Teilnehmenden in den meisten Fällen möglich, die richtige Kategorie, Zahl oder Buchstabe, zu erraten.607 Ein solches forcedchoice Verfahren sollte die Diskrepanz der subjektiven Einschätzung (ich sehe die Karte nicht) und dem objektiv gemessenem Verhalten (statistisch gemessene Trefferquote) aufzeigen. In den nachfolgenden Jahren wurde die Nützlichkeit und Validität der benutzten introspektiven Berichte vermehrt in Zweifel gezogen. So konnte man ausgehend von solchen Berichten nicht auf eine völlige Unbewusstheit der präsentierten Objekte schließen. Es sind etwa Fälle vorstellbar, in denen zwar keine bewusste Objektwahrnehmung berichtet wird, aber eine vage Erfahrung vorliegt, die sich allerdings nur schwer in Worte fassen lässt. Subjektive Berichte lassen demzufolge eher auf das im Experiment vorliegende Antwortkriterium schließen als auf die tatsächliche Schwelle zwischen bewusster und unbewusster Erfahrung. 606 Zu diesem Urteil kommt D. Holender in einem kritischen Forschungsüberblick von 1986. Vgl. D. Holender: Semantic activation without conscious identification in dichotic listening, parafoveal vision and visual masking: a survey and appraisal. In: Behaviour and Brain Sciences 9/1986, 1-66. 607 Vgl. B. Sidis: The psychology of suggestion. New York 1898. Für eine kurze Darstellung der Geschichte der subliminalen Wahrnehmung vgl. P.M. Merikle: Preconscious processing: In: M. Velmans/S. Schneider (Hg.): The Blackwell Companion to consciousness. Malden, MA/Oxford, Victoria, Australien 2007, 512-525; M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception? In: Handbook of phenomenology and cognitive Science. Dordrecht/New York/Heidelberg/London 2010, 501-518.

296 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Seit den 1960er Jahren standen aufgrund der technischen Entwicklung geeignetere experimentelle Methoden zur Verfügung, um den Einfluss unbewusster kognitiver Prozesse zu untersuchen, wie etwa Hinweisreizverfahren oder die oben bereits angesprochenen priming Methoden, die beide im Rahmen der kognitiven Aufmerksamkeitsforschung in Teil II erläutert wurden. In diesem Kontext ist zwischen der impliziten räumlichen Lenkung des Blicks durch einen subliminalen Reiz, der das Entdecken eines kurze Zeit später präsentierten übersubliminalen Stimulus beschleunigt, und der Wirkung inhaltlicher ‚Primingaspekte‘ auf Diskriminierungsaufgaben zu unterscheiden. Mit dem Aufkommen des Tachistoskops Anfang des Jahrhunderts und dessen Weiterentwicklung zur Signalentdeckung im visuellen Display ging man in der Untersuchung von subliminaler Wahrnehmung von besonders schwachen Stimuli zu sehr schnell und kurz eingeblendeten visuellen Informationen über. Im Rahmen der Signalentdeckungstheorie konzentrierte man sich nun mehr auf objektive Methoden, die die Fähigkeit der Diskrimination und Identifikation in Bezug auf einen Stimulus überprüfen sollten, der vorher nicht auf dem Bildschirm entdeckt wurde. In diesem Zusammenhang versuchte man zwischen subjektiven und objektiven Reizschwellen (thresholds) zu unterscheiden. Sämtliche positiven Ergebnisse bei Diskriminationsaufgaben, die laut subjektivem Bericht nicht mit einer bewussten Wahrnehmung korrelieren, könnten dieser Ansicht nach genauso gut auf unvollständige Berichte der Probanden zurückzuführen sein. Die subjektive Bewusstseinsschwelle kann je nach Sensitivität, Erwartung und vorangegangener Erfahrung individuell unterschiedlich ausfallen. Ab wann eine Empfindung als bewusst identifizierter Gegenstand aufgefasst und berichtet wird, kann insofern je nach Versuchsperson verschieden sein. Die objektive Sinnesgrenze ist hingegen dort anzusiedeln, wo selbst indirekt messbare Fähigkeiten der visuellen Diskriminierung von Formen auf die Wahrnehmung nicht mehr auftreten.608 Mit der Festlegung einer solchen ‚objektiven‘ Grenze können zwar sämtliche subjektiven Unsicherheitsfaktoren ausgeschlossen werden; das hat jedoch zur Konsequenz, dass man weder einen Ansatzpunkt für die Bestimmung des kognitiven Unbewussten noch des Bewussten hat. Wenn Bewusstsein in diesem Sinne mit den objektiv messbaren visuellen Fähig608 Vgl. J. Cheesman/P.M. Merikle: Priming with and without awareness. In: Perception and Psychophysics 36/1984, 387-395; dies.: Distinguishing conscious from unconscious perceptual processes. In: Canadian Journal of Psychology 40/1986, 343-367; M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception, 504f; E.A. Styles: The psychology of attention, 262f.

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keiten der Formdiskriminierung gleichgesetzt wird, dann wird es unmöglich, diese in Abwesenheit von Bewusstsein feststellen zu wollen. Eine solche Methode schließt zwar jeglichen messbaren Einfluss des Stimulus aus, kann aber den besonderen Status von unbewussten Einflüssen nicht erklären: „[Z]ero discriminability may in fact rule out any unconscious perception or knowledge as well, making it impossible to be certain of what is in fact being measured, if anything at all.”609 Die größte Schwierigkeit eines solchen Ansatzes ist der experimentelle Nachweis eines subjektiven Zustandes der Nullsensitivität gegenüber einem Stimulus, d.h. einen kompletten Ausfall des Bewusstseins experimentell dingfest zu machen.610 Um dieses Problem zu umgehen, wurde in den folgenden Jahren versucht, die relative Sensitivität auf Stimuli zu testen; also ob in gestellten Aufgaben eher eine indirekte oder direkte Identifikation von Objekten stattfindet.611 Wenn die indirekte Methode die besseren Leistungen zeigte, ging man davon aus, dass unbewusste Prozesse eine Rolle spielten. Später wurden statt der relativen Sensitivität die qualitativen Differenzen von impliziter und expliziter Verarbeitung erforscht.612 Bewusste und unbewusste Wahrnehmungsstrategien unterscheiden sich demzufolge in Bezug auf ihren jeweiligen Verhaltensoutput. Aufgaben, in denen die Probanden angewiesen werden ihr Gedächtnis zu benutzen oder bestimmte Formen zu unterscheiden, gelten dabei als explizit, während implizite Testverfahren sich dadurch auszeichnen, dass die jeweilige Aufgabe keine direkte Referenz auf die untersuchte Fähigkeit aufweist. Wenn die indirekte Methode zu einer größeren Sensitivität führt als eine vergleichbare Situation mit einer expliziten Anweisung, schließt man daraus, dass unbewusste Verarbeitungsmechanismen ihr Werk tun. In diesem Zusammenhang werden etwa intentionale und automatische Nutzung von Gedächtnisinformationen untersucht. Im ersten Durchlauf, sollen die Versuchspersonen sich explizit an gesehene Dinge erinnern und diese nennen. In der impliziten Versuchsanordnung werden die Probanden dagegen angewiesen, gerade nicht das zu nennen, woran sie sich erinnern können. Wenn in diesem Fall die Trefferquote über einem Zufallswert liegt, wird diese Leistung den automatischen Gedächtnismechanismen zugeschrieben. In anderen Experimenten wird der unterschiedliche semantische Einfluss eines direkt oder 609 M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception, 505. 610 Ebd., 505. 611 Vgl. E.M. Rheingold/P.M. Merikle: Using direct and indirect measures to study perception without awareness. In: Perception and Psychophysics 44/1988, 563-575. 612 Vgl. P.M. Merikle: Perception without awareness: critical issues. In: American Psychology 47/1992, 792-795.

298 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT subliminal wahrgenommenen Wortes auf eine folgende Diskriminierungsaufgabe (Wort oder Nichtwort) untersucht.613 Im Vergleich von un- oder vorbewussten mit expliziten und selektiven Wahrnehmungsstrategien zeigten sich bei ersteren eine hohe Sensitivität für periphere und subliminale Stimuli. In einem masking Experiment sollten die Probanden die subliminal präsentierten Stimuli im Anschluss verbal angeben. Dabei sollte eine Gruppe aktiv nach Hinweisen für die gezeigten Objekte suchen, während eine andere Gruppe die Präsentation einfach passiv über sich ergehen lassen sollte, um später das wiederzugeben, was ihnen zuerst eingefallen war. Diejenigen, die die passive Strategie anwendeten, erzielten die bessere Trefferquote aufgrund einer erhöhten perzeptuellen und semantischen Sensitivität.614 Eine passive bzw. ergebnisoffene Aufmerksamkeitsstrategie, so lässt sich daraus folgern, scheint im Gegensatz zu einer stark selektiv und zielgerichteten Aufmerksamkeit stärker von horizontalen Aspekten beeinflusst zu sein, die wiederum zu vielfältigen assoziativen Verknüpfungen führen können.615 Solche passiv aufgenommenen impliziten Informationen üben wiederum Einfluss auf die aktuelle und zukünftige fokale Aufmerksamkeit aus. Dies belegen etwa Experimente zu der Müller-Lyerschen Wahrnehmungsillusion. Hierbei wird die Bewertung der Länge der beiden gezeig-

613 Vgl. M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception, 507. 614 Vgl. M. Snodgrass/H. Shevrin/M. Kopka: Absolute inhibition is incompatible with conscious perception. In: Consciousness and Cognition 2/1993, 204-209; A. Marcel: Conscious and unconscious perception: experiments on visual masking and word recognition. In: Cognitive Psychology 15/1983, 197-237; P.M. Merikle: Subliminal perception. In: Encyclopedia of psychology, vol. 7. New York 2000, 497-499; ders.: Preconscious processing, 512f. 615 Dies würde mit der in Teil II vorgestellten attentional load Theorie von Nilli Lavie übereinstimmen. Sie besagt, dass Distraktoren bei stärkerer perzeptueller Auslastung weniger Einfluss auf die fokale Aufmerksamkeit ausüben. Umgekehrt verhält es sich, wenn parallel zu der Ausübung einer visuellen Signalentdeckungsaufgabe das Gedächtnis ausgelastet ist. In einem solchen Fall kommt es zu einem erhöhten Einfluss peripherer Stimuli. In Anbetracht der obigen Ergebnisse und Überlegungen hängt der Einfluss unbewusster oder horizontaler Faktoren aber nicht nur von den Auslastungsgraden der verschiedenen Verarbeitungssysteme ab, sondern vielleicht eher von der angewandten Strategie bzw. dem involvierten Interesse und Engagement. Dies würde auch erklären, warum die Beschäftigung mit erinnerten Objekten, eine vollständige Selektion von Distraktoren in der visuellen Aufgabe verhindert.

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ten Linien durch den nicht (explizit) bewusst wahrgenommenen Hintergrund mitbestimmt.616 Der Einfluss des sogenannten kognitiven Unbewussten in Form von Emotionen auf unser soziales Leben wird vermehrt seit den 1990er Jahren untersucht. In einem Experiment zu sozialen Wertungen sollten die Teilnehmer etwa ein chinesisches Schriftzeichen anhand einer Skala von eins bis fünf als gutes oder schlechtes Konzept bewerten. Kurz vor der Präsentation des Schriftzeichens wurde ein lachendes oder aber ein ärgerliches Gesicht eingeblendet. Während das Gesicht bei einer normal langen Präsentation die Beurteilung der Versuchspersonen nicht beeinträchtigte, tat es dies in der subliminalen Versuchsanordnung sehr wohl. Im Falle eines lachenden Gesichts wurden die Schriftzeichen eher als gut bewertet, während die andere Personengruppe unter den ‚expliziten‘ Wahrnehmungsbedingungen keinen derartigen Zusammenhang aufwies. Explizit wahrgenommene Objekte können somit willentlich in Bezug auf eine Beurteilung ignoriert werden, bei impliziten Einflüssen ist eine solche intentionale Kontrolle nicht möglich.617 Eine fehlende intentionale Kontrolle wird ebenfalls beim impliziten oder automatischen Lernen festgestellt.618 Diese Prozesse werden als unbewusst qualifiziert, da die Anwendung implizit gelernter Regeln zwar statistisch nachgewiesen werden kann, deren Anwendung den Probanden aber nicht ‚bewusst‘ war. Die Versuchspersonen geben insofern an, die Lösung bestimmter Aufgaben lediglich zu erraten. Es besteht also keine Entsprechung zwischen der subjektiven Beurteilung ihres Wissens und den messbaren Lernerfolgen. Das hierbei verwendete 616 Vgl. A. Mack: Inattentional blindness: looking without seeing. In: Current Directions in Psychological Science 12/2003, 180-184, hier: 182; C.M. Moore/H. Egeth: Perception without attention: evidence of grouping under conditions of inattention. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 23/1997, 339-352. 617 Vgl. S.T. Murphy/R.B. Zajonk: Affect, cognition, and awareness: affective priming with optimal and suboptimal stimulus exposure. In: Journal of Personality and Social Psychology 64/1993, 723-739. 618 In einem typischen Experiment werden Probanden verschiedene Buchstabenfolgen wiederholt präsentiert, die einer vom Experimentator ausgewählten Grammatik folgen. Die Teilnehmer sollen dabei versuchen, sich die einzelnen Buchstabenfolgen wie etwa MSVVX und STVM zu merken. Anschließend wurden sie darüber aufgeklärt, dass die Buchstabenketten gewissen grammatischen Regeln unterliegen. Welche Regeln das sind, wird dabei nicht angegeben. Die Teilnehmer sollen nun neue Buchstabenfolgen danach beurteilen, ob sie einer grammatikalischen Regel folgen oder nicht. Dabei liegt die Trefferquote der richtigen Klassifikationen signifikant über dem statistischen Zufallswert. Man folgerte daraus, dass die Regeln implizit durch Wiederholung erlernt wurden.

300 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Ratekriterium kann aber ebenso in Zweifel gezogen werden: So konnte gezeigt werden, dass die Selbsteinschätzung der Teilnehmer mit zunehmender experimenteller Erfahrung zunimmt. Wie weiterhin ersichtlich ist, wird Bewusstsein hier ebenfalls mit einer Art Meta-Kognition gleichgesetzt, d.h. dem expliziten Wissen über den genauen Inhalt und Vorgang des Lernens. Auch wenn dies bei impliziten Lernprozessen nicht im Einzelnen bewusst ist, muss man doch sowohl von Bewusstsein als auch von Aufmerksamkeit ausgehen, da die präsentierten Buchstaben visuell bemerkt und erinnert worden sind. Ergebnisse wie dieses machen zwar deutlich, dass es verschiedene Arten des Erwerbs und Formen von dem gibt, was wir ‚Wissen‘ nennen, nicht aber, dass es dazu keines Bewusstseins bedarf. Selbst im Falle des expliziten Lernens, etwa des Schachspielens, ist es unwahrscheinlich, dass alle Einzelheiten des Lernprozesses thematisch sind bzw. im nachhinein reproduziert werden können. Der Kognitionswissenschaftler Axel Cleeremans plädiert insofern dafür, implizite und explizite Lernprozesse als zwei verschiedene Ausdrucksformen desselben graduell operierenden dynamischen Prozesses anzusehen, der im Dienste der evolutionären Adaption steht. Die Funktion des Bewusstseins ist es in diesem Kontext, eine flexible Kontrolle über das Verhalten zu erlangen. Um eine solche Adaptivität zu gewährleisten, bedarf es der subjektiven Erfahrung, da auf Veränderung der Umwelt nur ein Mensch mit Empfindungen, Bedürfnissen, Emotionen angemessen reagieren kann. Es gäbe demnach keinen Grund, ein gefährliches Verhalten zu vermeiden, wenn dies nicht mit Gefühlen wie etwa Angst assoziiert wäre. Adaptivität soll dabei zwar nicht mit höheren Lernprozessen gleichgestellt werden, wird aber als fundierend für diese angesehen. In diesem Zusammenhang macht Cleeremans auch auf das meist statische Verständnis von Bewusstsein in der Kognitionspsychologie aufmerksam, die Bewusstsein als statische Eigenschaft eines Prozesses oder einer Repräsentation versteht. Aus einer evolutionären oder dynamischen Perspektive ist eine strikte Unterscheidung zwischen bewussten und unbewussten Zuständen demnach wenig sinnvoll: However, it is obvious that consciousness is a phenomenon that is highly dynamical: What I am aware of now I might be unaware of at the next moment. Likewise, what I am aware of at some point in time when learning a new skill is not identical with what I will be aware of after I mastered the skill.619 619 A. Cleeremans/L. Jiménez: Implicit learning and consciousness: a graded, dynamic perspective. In: R.M. French/A. Cleeremans (Hg.): Implicit learning and consciousness. An empirical, philosophical and computational consensus in the ma-

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In den oben vorgestellten Beispielen des kognitiven Unbewussten – im Bereich der subliminalen Wahrnehmung ebenso wie auf dem Gebiet des impliziten Lernens – konnte insofern zwar ein qualitativer Unterschied der verschiedenen Stufen von Bewusstsein und dessen Einfluss auf das weitere Wahrnehmungsverhalten illustriert werden, eine vollständige Exklusion von präsentierten Informationen, d.h. ein tatsächliches Unbewusstsein, entzog sich aber auch in diesen Fällen einer experimentellen Demonstration. Zeigt dies in eindrücklicher Form, wie viele Bereiche der Erfahrung und Motivation uns nicht gegenständlich thematisch sind und somit nicht unserer aktuellen explizit-intentionalen Handlungskontrolle unterliegen, so macht es zugleich deutlich, dass eine strikte Einteilung in (explizites) Bewusstsein und Unbewusstsein an dieser Stelle nicht angebracht ist. Handelt es sich doch nur um bestimmte Bereiche oder Inhalte des Bewusstseins, die in den Versuchen jeweils abgefragt werden. Den beteiligten Personen selbst kann man die Erfahrung oder das Bewusstsein im Ganzen wohl kaum absprechen. Eine gewisse fokale Aufmerksamkeit oder explizites Bewusstsein liegt in der entsprechenden Situation ebenfalls vor, da sonst eine experimentelle Aufgabe nicht ausgeführt werden könnte. Die vermeintlich unbewussten Prozesse stehen immer in Verbindung mit Bewusstsein im Ganzen und anderen zu demselben Zeitpunkt explizit bewussten Bewusstseinsinhalten und können insofern auch nur innerhalb dieses Bewusstseinsfeldes als solche erfasst oder gemessen werden. Viele der obigen Ergebnisse lassen sich daher in gradueller Weise als partiale oder vage Inhalte eines peripheren Bewusstseins beschreiben, die zwischen dem idealen Grenzpunkt totaler Aufmerksamkeit oder Klarheit und völligem Unbewusstsein angesiedelt sind.620

king. New York 2002,1-46, hier: 11. Lernen und Bewusstsein stehen nach dieser dynamischen Auffassung in einer wechselseitigen Verbindung. Das Wahrnehmen oder Aufmerken von etwas initiiert implizite oder explizite Lernprozesse. Dieses Lernen verändert wiederum unsere subjektive Erfahrung und deren Inhalte; so kommt es zu einer zunehmenden Adaption. Auf der einen Seite heißt dies, dass nicht jeder Teil dieser Lern- oder Erfahrungsverläufe explizit bewusst sein muss. Auf der anderen Seite heißt es, dass Bewusstsein und die damit einher gehenden Lernprozesse weit über das aktuell Präsente und Explizite hinausgehen. Wenn ich z.B. etwas über Katzen lerne, lerne ich zugleich etwas über Hunde und andere Tiere; alle neuen Informationen werden somit mit bereits bestehendem Wissen und Repräsentationen verknüpft (ebd., 15). 620 Vgl. S. Kouider/E. Dupoux: Partial awareness creates ‚illusion‘ of subliminal semantic priming. In: Psychological Science 15/2004, 75-81; M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception, 510.

302 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Trotzdem ist die Untersuchung nicht explizit bewusster Einflüsse und Motivationen auf unser Wahrnehmungsverhalten für die Phänomenologie von großer Bedeutung, da sie selbst zu diesen Phänomenen keinen oder nur einen indirekten bzw. induktiven Zugang über die aktuelle Erfahrung hat. Für eine solche Erweiterung der Bewusstseinsbeschreibung eignen sich vor allem die Studien zur unbewussten Kognition bei entsprechenden Pathologien. Hier können die Phänomene der ‚unbewussten‘ Wahrnehmung aufgrund von Gehirnschädigungen der Betroffenen ohne den Umweg über experimentelle Manipulationen beobachtet werden. Mussten in den vorherigen Beispielen die Konditionen für das vermeintlich unbewusste Wahrnehmen durch selektive Strategien oder technische Mittel erst mühsam hergestellt werden, so zeigt sich dieses Phänomen bei manchen Pathologien unmittelbar. Unilateraler visueller Neglekt etwa ist ein solches neuropsychologisches Phänomen, in welchem Patienten nach einer Läsion in der rechten Gehirnhälfte auf der kontralateralen Seite ihres visuellen Blickfeldes scheinbar blind sind. Tatsächlich sind aber die visuellen Organe und Verarbeitungszentren intakt. Die vermeintliche Blindheit bzw. Missachtung der linken Seite der Betroffenen geht so weit, dass sie nur von der rechten Hälfte ihres Tellers essen, Objekte auf ihrer linken Seite nicht sehen und sogar nur die rechte Seite eines Objektes zeichnen können. Diese Störung bezieht sich nicht nur auf die Wahrnehmung, sondern tritt auch in der Imagination auf. Wenn Patienten auf Anfrage einen für sie bekannten Ort beschreiben sollten, z.B. die Piazza del Duomo in Mailand, dann ließen sie je nach der geforderten Perspektive die jeweils andere Seite des Platzes in der Darstellung aus. Visueller Neglekt gilt deshalb nicht vorrangig als Störung der Wahrnehmung, sondern wird als Aufmerksamkeitsstörung betrachtet.621 Wie im letzten Kapitel ausgeführt, ließe sich ein solches Phänomen im Sinne einer pathologisch verfestigten Aufmerksamkeitsstrategie verstehen, die eine bestimmte Perspektive und die sich darin befindenden Inhalte selektiv ausschließt. Dies gilt besonders für eine Untergruppe des unilateralen räumlichen Neglekts, die sogenannten Extinktion. Patienten mit diesem Syndrom sind zwar in der Lage, ein einzelnes Objekt sowohl auf ihrer guten als auch auf ihrer kontraläsionalen Seite zu identifizieren, sobald aber mehrere Stimuli präsentiert werden, kommt es zu einem Ausschluss der Letzteren. Das Wahrnehmungsdefizit auf der kontraläsionalen Seite tritt also nur in 621 Vgl. E.A. Styles: The psychology of attention, 68-73; M.L. Albert: A simple test of visual neglect. In: Neurology 23/1973, 658-664; E. Bisiach/C. Luzatti: Unilateral neglect of representational space. In: Cortex 14/1978, 128-133.

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Erscheinung, wenn verschiedene Stimuli um die Aufmerksamkeit konkurrieren. Da solche Situationen in der alltäglichen Erfahrung die Regel darstellen, geht man aus neurowissenschaftlicher Sicht auch davon aus, dass der Aufmerksamkeit die Funktion zukommt, diesen Konflikt selektiv im Sinne der jeweiligen Handlungsorientierung zu lösen.622 Ein ähnliches Verhalten wurde bei Personen mit dem Syndrom der sogenannten blindsight festgestellt.623 Der Terminus blindsight wird in Bezug auf Patienten benutzt, die aufgrund von Schädigungen ihres visuellen Kortex in einem Teil ihres visuellen Feldes offenbar blind sind. Viele Patienten weisen aber noch eine gewisse visuelle Verarbeitung in ihrem defekten Feld, dem Skotoma, auf. Dies zeigt sich in forced-choice discrimination tests: Sie sind z.B. in der Lage festzustellen, ob sich momentan ein Objekt in ihrem blinden Feld befindet oder nicht, wenn es nur diese beiden Alternativen gibt. Darüber hinaus können sie teilweise sogar die räumliche Position der Objekte bestimmen. Auf die Nachfrage hin, ob sie irgendetwas in dem betreffenden visuellen Feld gesehen hätten, wird dies von den Patienten verneint, deshalb wurde dieses Phänomen als ‚blindes Sehen‘ bezeichnet.624 In beiden pathologischen Beispielen besteht – wie auch in den schon besprochenen Fällen des kognitiven Unbewussten – eine Diskrepanz zwi622 Dabei interagieren top-down Einflüsse aus späteren visuellen Zentren mit frühen Verarbeitungsstufen im visuellen Kortex. Ging man früher hauptsächlich von einer vorwärts gerichteten (feedforward) visuellen Verarbeitung aus (vom striatalen Kortex zum dorsalen oder ventralen Gehirnströmen), nehmen im Zusammenhang einer biased competition Theorie die sogenannten feedback Mechanismen eine wichtige Position ein. Sie verbinden die eingehenden Daten mit bereits vorhandenem Wissen, Erinnerungen und anderen höheren kognitiven Funktionen. Wird ein solches Wechselspiel von sinnlichem Input und top-down Einflüssen aufgrund von Schädigungen im Gehirn unterbrochen, kann es im obigen Sinne zu graduellen Ausfällen der expliziten Gegenstandswahrnehmung auf der entsprechenden Körperseite kommen. Obwohl bei Patienten mit Neglekt die vorwärtsgerichtete Verarbeitung der Sinnesdaten intakt ist, kommt es deshalb trotzdem zu Wahrnehmungsstörungen. Vgl. J. Driver/P. Vuilleumier: Unconscious processing in neglect and extinction. In: B. de Gelder/E.H.F. de Haan/C.A. Heywood (Hg.): Out of mind. Varieties of unconscious processing. Oxford 2001, 107-139, hier: 116f., 131. 623 Zu den anatomischen Unterschieden zwischen visuellem Neglekt und dem blindsight Phänomen, vgl. J. Driver/P. Vuilleumier: Unconscious processing in neglect and extinction, 111f. 624 Vgl. B. de Gelder/E.H.F. de Haan/C.A. Heywood (Hg.): Out of mind, 3-4; E.A. Styles: The psychology of attention, 275-276; L. Weiskrantz/E.K. Warrington/M.D. Sanders/J. Marshall: Visual capacity in the hemianopic visual field following a restricted occipital ablation; ders.: Blindsight: a case study and implications.

304 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT schen der subjektiven Bewusstseinseinschätzung und der objektiv messbaren Verhaltensreaktion.625 Auch im Falle der Pathologien kann nicht eindeutig geklärt werden, wie Bewusstsein bzw. Nichtbewusstsein akkurat gemessen bzw. klassifiziert werden können. Eine solche Methode müsste sowohl für den jeweiligen Bereich als umfassend gelten, als auch die Exklusivität des einen oder anderen Status wahren. Beiden Ansprüchen können die bisherigen Untersuchungen nach Einschätzung von Morten Overgaard und Bert Timmermans nicht genügen. Versucht man einen umfassenden Ansatz, indem man sämtliches Bewusstsein ausschließen möchte – wie etwa das oben erwähnte Modell des objektiven thresholds –, so ergibt sich das Problem, was dann überhaupt noch als Einfluss oder Wahrnehmung des Unbewussten bezeichnet werden kann. Subjektive Berichte der Probanden werden hingegen im Kontext der Untersuchung von subliminaler Wahrnehmung als fehlerhaft und nicht umfassend genug abgelehnt. Geht es um den Status des Bewusstseins, ist ein subjektiver Bericht aus phänomenologischer Hinsicht jedoch auch dann aufschlussreich, wenn er dem Inhalt nach fehlerhaft oder der Einschätzung nach undifferenziert ist. Gegen solche introspektive Berichte wird jedoch in der Kognitionspsychologie eingewendet, dass sie lediglich das bewusste Ergebnis von Verarbeitungs- und Verhaltensprozessen einfangen können. Subjekte können meist weder über die einzelnen Schritte ihrer Handlungen noch über die ‚objektiven‘ Gründe ihres Verhaltens Aufschluss geben.626 In dieser Kritik findet sich jedoch ein Missverständnis zwischen den aus der Dritten-Person-Perspektive beobachtbaren objektiven Gründen und Vorgängen und dem, was ein Subjekt aus der Ersten-Person-Perspektive erfahren kann. Die Berichte geben demnach keinen Aufschluss darüber, wie wir zu speziellen Entscheidungen kommen oder warum wir uns tatsächlich für etwas entscheiden, da viele Motivationen und Faktoren solcher Prozesse uns selbst 625 Wobei sich die Betroffenen des blindsight Phänomens in zwei Gruppen einteilen lassen: Eine, die tatsächlich über keinerlei bewusste gegenständliche Wahrnehmung berichtet und eine andere, die angibt, gewisse Nachbilder oder Schatten in Verbindung mit präsentierten Stimuli gesehen zu haben. Dies würde für eine Gradualität der Bewusstseinsqualitäten sprechen und nicht für einen unbewussten und einen bewussten Verarbeitungsmodus. 626 Dies wurde in einer sozialen Studie untersucht. Hierbei ergab sich, dass Probanden sich bei der Unterscheidung zwischen zwei Objekten meist für das entscheiden, das sich rechts von ihnen befindet. Nach ihren Gründen für die entsprechende Präferenz befragt, gaben sie allerdings andere Kriterien an, wie Attraktivität des Objektes etc. Vgl. R.E. Nisbett/T.D. Wilson: Telling more than we can know: verbal reports on mental processes. In: Psychological Review 84/1977, 231259.

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nicht thematisch sind. Gerade dies macht jedoch zugleich etwas Wichtiges über die Art und Weise unserer Selbst- und Welterfahrung deutlich und kann so zu einer anderen Interpretation subjektiver Berichte führen: Another interpretation of the results could be, however, that in some unknown (but probably vast) number of situations, people do not have introspective access to their own cognitive processes, or to the causal chain of factors that have influenced a certain action. However, not surprisingly, they still have some experience and interpretation of their own actions.627

Will man den Bereich des kognitiven Unbewussten in umfassender Weise untersuchen, reichen infolgedessen objektive Methoden allein nicht aus. Phänomenologische Beschreibungen und introspektive Berichte zeigen ja gerade, dass nicht-explizite Faktoren notwendig zum bewussten Erleben und Verhalten gehören und nicht dessen Gegenteil darstellen. Vielleicht wäre es in diesem Zusammenhang hilfreich, den zahlreichen Versuchen, das Unbewusste methodisch einzufangen, zunächst eine Beschreibung dessen voranzustellen, was eine Person im positiven Sinne wahrnimmt und welche Art von Erfahrung sie davon jeweils hat. Dies beinhaltet nicht nur die Frage, ob und was sie im Einzelfall bemerkt, sondern auch wie viel davon wahrgenommen wird und welche Art von Wissen man – auch über den aktuellen Wahrnehmungsakt hinaus – über diesen Stimulus hat bzw. hatte. Da ein bewusster Zustand niemals nur aus der Dritten-Person-Perspektive beobachtet werden kann, scheint ein differenzierter subjektiver Bericht über den entsprechenden Sachverhalt die einzige mögliche Vorgehensweise. Insbesondere in neurowissenschaftlichen Studien ist ein solches subjektives Korrelat notwendig, um überhaupt einen Ansatzpunkt für die Suche nach einem entsprechenden physiologischen Pendant des Bewusstseins zu erhalten. Gibt es also eine subjektive Seite der subliminalen Wahrnehmung? Diese Frage stellen sich auch Overgaard und Timmermanns. In ihren Studien zur subliminalen Wahrnehmung greifen sie auf differenzierte subjektive Bewertungsskalen zurück und entkräften so die scheinbare Diskrepanz zwischen subjektiver Einschätzung und gemessener Verhaltensänderung. Stattdessen ergibt sich ein Nachweis der graduellen Qualität von Bewusstseinsinhalten, der das Phänomen einer rein subliminalen, d.h. völlig unbewussten, Wahrnehmung fragwürdig erscheinen lässt. Im Gegensatz zu den gängigen Befragungen von Subjekten, die nach einem binären Muster ausgerichtet sind und demenentsprechend nur zwei Alternativen offen lassen – d.h. Angaben darüber, ob das präsentierte Objekt gesehen wurde oder nicht –, verwen627 M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception, 506.

306 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT den sie eine graduelle Bewertungsskala. Nach längeren Trainingssessions mit Probanden konnten diese ihre eigenen Bewusstseinskategorien für eine Identifikationsaufgabe entwickeln. Gefragt wurde, wie die präsentierten einfachen Objekte (wie Quadrate, Dreiecke und Kreise in jeweils blauer, grüner oder roter Farbe) nach Maßstäben der Klarheit erfahren wurden. Man einigte sich auf eine Skala aus vier verschiedenen Erfahrungsqualitäten: „not seen”, „weak glimpse” („meaning ‚something was there but I had no idea what it was‘”), „almost clear image” („meaning ‚I think I know what was shown‘”) und „clear image”. Verwendet man eine solche PAS Skala (perceptual awareness scale) in einem experimentellen Design für die Messung subliminaler Wahrnehmung, finden sich nun keine vergleichbaren Effekte.628 Den Versuchspersonen wurde hierbei eine Serie von gerichteten Texturelementen präsentiert, das Zielobjekt enthielt vier orthogonale Elemente in einem der vier möglichen Quadranten des Bildschirms. Die kürzeste Präsentationszeit betrug 12ms. Vor und nach dem Stimulus wurde eine Strukturmaske eingeblendet aus sich überlappenden orthogonalen Linien. Die Probanden sollten angeben, wo auf dem Bildschirm sie die orthogonalen Linien (das Zielobjekt) gesehen hatten. Falls sie es nicht gesehen hatte, waren sie angewiesen zu raten. In einer Übungsrunde wurde die Dauer der Präsentation nach und nach verkürzt auf einen ermittelten Grenzwert. Danach erfolgten drei Durchgänge. Im ersten sollten die Subjekte angeben, wo der Stimulus sich auf dem Bildschirm befand. Dazu drückten sie jeweils einen „Ja“ oder „Nein“ Knopf, um anzuzeigen, ob sie das Zielobjekt gesehen hatten oder nicht. Auf dem Bildschirm erschien anschließend jeweils die Botschaft: „Image seen? No or yes?“629. Im zweiten Durchlauf nutzten die Probanden die oben beschriebene graduelle Skala. Anschließend wurden die Teilnehmer gefragt, wie sie mit der Skala zurecht kamen und ob sie mit den eigenen Erfahrungseinschätzungen kompatibel war. Die Ergebnisse zeigten, dass es eine Übereinstimmung der subjektiven Einschätzung mit den objektiven Messwerten gab. So korrelierte die Bewertung mit Stufe eins „nicht gesehen“ (31%) objektiv mit den statistischen Zufallswerten und der Angabe von Stufe vier „klares Bild“ entsprachen objektiv 94 Prozent korrekte Antworten. Es gab insofern eine größere Entsprechung der objektiven Messungen, d.h. der Präsentationsdauer des Stimulus, mit der Richtigkeit der Antworten als im ersten Durchgang, in dem das dichotome Verfahren angewendet wurde. 628 Vgl. M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception, 513. 629 Ebd., 514.

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Weiterhin gaben die Probanden an, dass die Anwendung der dichotomen Skala ihnen mehr Schwierigkeiten bereitete, obwohl sie aufgrund der wenigen Alternativen einfacher erscheint. Im Vergleich der beiden Durchläufe stellte sich heraus, dass die Ergebnisse der PAS Skala sich nicht auf die dichotome Skala übertragen ließen. So beurteilten etwa 20 Prozent der Probanden, die in der binären Versuchsanordnung angegeben hatten, den Stimulus zu sehen, dieselbe Erfahrung innerhalb der graduellen Skala mit dem Wert 1 (nicht gesehen). Wurde die zweite Stufe auf der PAS Skala gewählt (vager Umriss), lag die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb der dichotomen Skala ein Ja (Bild gesehen) angegeben wird, bei 39 Prozent. Die Experimentatoren schlossen daraus, dass hinter einer binär und kontinuierlich orientierten Erfahrungsbewertung verschiedene Prozesse stecken. Manche Effekte der subliminalen Wahrnehmung können daher als methodische Artefakte abgetan werden, da die meisten Forscher sich nur auf dichotome Berichte verlassen. Dies hängt wiederum eng mit der unhinterfragten Definition von subliminaler Wahrnehmung zusammen, die man als Wahrnehmung in Abwesenheit jeglicher Bewusstheit begreift. Die obige Studie legt dagegen ein Stufenmodell des Bewusstseins nahe: One strong interpretation of the PAS scale is that consciousness meaningfully can be divided in different ‚stages‘, so that, instead of one threshold between conscious and unconscious perception, we would have three thresholds between different subjectively identifiable levels.630

Dies gilt nach den Experimentatoren ebenfalls für subliminale Wahrnehmungsphänomene auf der pathologischen Ebene. Die PAS Skala wurde bei einem Patienten mit blindsight angewendet und führte in diesem Kontext zu ähnlichen Ergebnissen. Während in der binären Versuchsanordnung entsprechende Effekte gemessen werden konnten, kam es im Zusammenhang mit der PAS Skala zu einer signifikanten Korrelation zwischen objektiv korrekter Antwort und subjektiver Einschätzung, sowohl im ‚gesunden‘ als auch im ‚blinden‘ Wahrnehmungsfeld.631

630 Ebd., 514. Overgaard und Timmermans verweisen ebenfalls auf neurowissenschaftliche Studien, die die PAS Skala bestätigen und auf ontologische Unterschiede der entsprechenden Bewusstseinsstufen hindeuten. Vgl. M.S. Christensen/T.Z. Ramsøy/T.E. Lund/K. Madsen: An fMRI study of the neural correlates of graded visual perception. In: NeuroImage 31/2006, 1711-1725. 631 Vgl. M. Overgaard/B. Timmermans: How unconscious is subliminal perception, 515.

308 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Das Phänomen des kognitiven Unbewussten in Gestalt der subliminalen Wahrnehmung scheint also zumindest in großen Teilen entweder das Resultat ungeeigneter objektiver Messmethoden zu sein, wobei unhinterfragt Sensitivität mit Bewusstsein gleichgesetzt wird, oder ist auf ungenaue subjektive Bewertungsskalen zurückzuführen. Auch wenn subliminale Effekte im Bereich der Signalentdeckung beobachtet wurden, der man einen geringeren subjektiven Grenzwert zuweist als obigen Identifikationsaufgaben, lässt sich nach Meinung der Autoren allgemein gegen ein Verständnis von Bewusstsein argumentieren, das dieses lediglich als Spitze des Eisbergs begreift. Selbst die experimentelle Feststellung von priming Effekten bei narkotisierten Patienten,632 die nicht mehr in die Kategorie des wachen Bewusstseins fallen, könnten im Sinne einer graduellen Auffassung von Bewusstsein verstanden werden. Dieses würde insofern auch die Grenzund Übergangsbereiche des Bewusstseins wie Anästhesie, Hypnose, Schlafund Traumzustände einschließen und nach deren verschiedenen Funktionen und Phänomenalitäten fragen. Eine starre Gegenüberstellung von bewussten und unbewussten Prozessen entspringt hingegen einer dichotomen und statischen Auffassung von Erfahrung. Die zentralen Fragen der gegenwärtigen Aufmerksamkeitsforschung, ob es Bewusstsein ohne Aufmerksamkeit oder Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein geben kann, gehören ebenfalls einer solchen statischen Tradition an. Im Folgenden sollen die Unterschiede zwischen Aufmerksamkeit und Bewusstsein und deren Zusammenspiel anhand von Experimenten zur inattentional und change blindness diskutiert werden.

2.3 Kann es Bewusstsein ohne Aufmerksamkeit geben? Ist die Annahme, dass wir in jedem Moment eine umfassende visuelle Wahrnehmung unserer Umwelt besitzen, eine Illusion? Dies schien zunächst die weitgehend akzeptierte Folgerung aus vielfältigen Studien zur Unaufmerksamkeitsblindheit und Wechselblindheit. Wurde hierbei doch in beeindruckender Weise deutlich, dass wir nicht nur periphere oder subliminale Stimuli nicht explizit wahrnehmen, sondern sogar saliente Objekte übersehen, die sich inmitten unseres Blickfeldes befinden.

632 Für eine nähere Beschreibung dieser Ergebnisse, vgl. P. Merikle: Preconscious processing, 518f.

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Arien Mack und Irvin Rock entdeckten dies im Rahmen des von ihnen konzipierten experimentellen Unaufmerksamkeitsparadigma. Eine solche Methode sollte garantieren, dass die Probanden zwar ihren Blick auf den allgemeinen räumlichen Bereich richteten, in dem der Stimulus präsentiert wurde, diesen jedoch weder suchten noch in irgendeiner Weise erwarteten. Die Aufgabe der Teilnehmer war folgende: Sie sollten nach einem kurz dargebotenen Zielobjekt, einem Kreuz, angeben, welcher der beiden Arme des Kreuzes ihnen länger erschien. In einigen Durchgängen wurde dabei ein weiteres Kreuz als Distraktor eingesetzt und befand sich entweder im parafovealen Bereich oder im Fixationsbereich. Das zweite Kreuz wurde 200ms lang gezeigt, was aufgrund der Kürze eine Augenbewegung ausschließt. Man konnte also davon ausgehen, dass die Fixation konstant blieb, während das Kreuz erschien. Nach der Präsentation wurde eine Strukturmaske eingesetzt, um jegliche Verarbeitung nach der visuellen Einblendung zu unterbinden. Bevor das eigentliche Experiment begann, spielte man einen Hinweisreiz ein, der den Blick der Teilnehmer auf einen Fixationspunkt hin orientierte; dieser visuelle Fokus sollte während des gesamten Verlaufs beibehalten werden. Zum Vergleich wurde dasselbe Experiment unter Umständen der geteilten Aufmerksamkeit – die Versuchspersonen sollten sowohl die gestellte Aufgabe lösen als auch auf mögliche andere Stimuli achten – und der vollständigen Aufmerksamkeit – hierbei sollten die Versuchspersonen das Zielobjekt ignorieren und sich nur auf das konzentrieren, was sich sonst noch auf dem Bildschirm zeigt – durchgeführt. Das überraschende Ergebnis war, dass im Schnitt 25% der Teilnehmer unter Umständen der Unaufmerksamkeit den zusätzlichen Stimulus nicht bemerkt hatten, wenn sie anschließend nach einem solchen gefragt wurden. In den anderen Anordnungen (geteilte und vollständige Aufmerksamkeit) bemerkten den Stimulus hingegen fast alle Teilnehmer. Das Phänomen, dass im Falle einer anderweitig durch eine Aufgabe engagierten Aufmerksamkeit zusätzliche Objekte nicht wahrgenommen werden, nannten Mack und Rock inattentional blindness, da die Teilnehmer in Bezug auf ihre visuellen Versäumnisse regelrecht blind waren. Bestärkt wurden die Ergebnisse durch weitere Studien, die zeigten, dass inattentional blindness besonders stark ausgeprägt ist, wenn sich der kritische Stimulus genau am visuellen Fixationspunkt befindet. Ein farbiger Punkt wurde etwa in 75% der Fälle erkannt, wenn er im parafovealen Bereich des Displays auftauchte, aber nur zu 15%, wenn er sich im Mittelpunkt des visuellen Blickfeldes befand. Der visuelle Fokus muss demnach nicht mit dem Aufmerksamkeitsfokus, der auf das peripher präsentierte Zielobjekt gerichtet war, übereinstimmen.

310 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Eine der weitreichendsten und bis heute einflussreichen Folgerungen aus der oben skizzierten Sachlage war die These, dass keine bewusste Wahrnehmung ohne fokale Aufmerksamkeit stattfinden kann: „there is no perception without attention“633. In ähnlicher Weise wurden auch Studien zur Veränderungsblindheit (change blindness) bewertet, bei denen weitreichende Veränderungen in einem Bild oder einer Szene, die sich während einer äußeren Unterbrechung oder einer Augenbewegung ergeben, unbemerkt bleiben.634 Bei genauerem Hinsehen erweist sich die obige Gleichsetzung von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit jedoch als voreilig. Im Folgenden sollen die Vorannahmen, die hinter einer solchen Interpretation stecken, aufgezeigt sowie alternative Erklärungen vorgestellt werden. Die eingangs gestellte Frage impliziert zunächst die Idee, dass sich Wahrnehmung dadurch auszeichnet, in jedem Moment ein detailgetreues Abbild der Außenwelt zu erstellen, in welchem jeder Stimulus in gleicher Weise repräsentiert wird bzw. bewusst ist. Eine solche Ansicht scheint aber dem Phänomen der Aufmerksamkeit zu widersprechen, das doch gerade seinem Wesen nach auf die qualitativen und subjektiven Unterschiede innerhalb der Wahrnehmung verweist. Die Überraschung, die sich einstellt, wenn man auf nicht bemerkte Objekte oder Veränderungen innerhalb eines präsentierten Bildes oder einer Szene hingewiesen wird, ist jedoch abhängig von dem Vergleich der subjektiven Erfahrung mit dem, was ob633 Vgl. A. Mack: Inattentional blindness. An overview by Arien Mack and Irvin Rock. In: Psyche 5/1999, http://psyche.cs.monash.edu.au/. 634 In einem Bild mit zwei auf einer Bank sitzenden Cowboys wurden etwa deren Köpfe vertauscht, was zu 50% nicht ‚gesehen‘ wurde. Wie bereits erwähnt, gibt es verschiedene Methoden, den Ort- und Zeitpunkt der Veränderung unsichtbar zu machen, wie etwa das Einblenden von Matschspritzern oder die flicker Methode, bei der Original und Veränderung durch einen kurz eingeblendeten weißen Bildschirm unterbrochen werden. Allen Studien zur Veränderungsblindheit ist gemein, dass sie die räumliche Lokalisierung der Veränderung verhindern, indem sie das jede Veränderung begleitende Bewegungssignal verdecken. Vgl. D.J. Simons/R.A. Resink: Change blindness: past, present, and future. In: Trends in Cognitive Science 9/2005, 16-20, hier: 16. Der Veränderungsprozess kann so keine Aufmerksamkeit auf sich ziehen und nicht zeitlich verfolgt werden. Man argumentiert in dieser Hinsicht, dass Wahrnehmung keine detaillierte Repräsentation der Umwelt leistet, da entsprechende Veränderungen sonst erkannt bzw. erinnert werden könnten (d.h. das vorherige Bild wird mit dem neuen abgeglichen). Im Vergleich zur Debatte um die inattentional blindness steht meist weniger das fehlende Bewusstsein in Frage als die fehlende Repräsentation der Umwelt. Bewusstsein unter Umständen der Veränderungsblindheit fällt nach den in dieser Arbeit verwendeten Begrifflichkeiten unter die Kategorie ‚peripheres Bewusstsein‘ bzw. ‚räumlicher Horizont‘.

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jektiv wahrgenommen werden soll. Nur in diesem Kontext lässt sich überhaupt von so etwas wie einer fehlerhaften Wahrnehmung sprechen. In alltäglichen Wahrnehmungssituationen ergibt sich eine solche Ungewissheit gegenüber der Umwelt relativ selten. Aufgrund der zeitlichen Struktur und der kinästhetischen Fähigkeiten der menschlichen Erfahrung stehen die geeigneten Informationen stets zur Verfügung oder sind in weiteren Verläufen zugänglich.635 Weiterhin muss die Überraschung, mit der die Teilnehmenden eines inattentional blindness oder change blindness Experimentes auf die Entdeckung ihrer Fehlwahrnehmungen reagieren, nicht als Beweis für die vollständige Diskrepanz von subjektiver Erfahrung und objektiv messbarer Wahrnehmungsleistung gewertet werden, wie dies üblich ist. Richtet man die Aufmerksamkeit in phänomenologischer Weise auf die eigene Erfahrung, kann man dabei sehr wohl qualitative Unterschiede zwischen fokalen und horizontalen Wahrnehmungsbereichen feststellen. Dies führt aber in der praktischen Erfahrung außer in Ausnahmefällen nicht zu Unterbrechungen oder Störungen des Wahrnehmungsverlaufs, sondern ermöglicht geradezu die zeitliche und inhaltliche Kohärenz der Erfahrung. Die Überraschung der Probanden in solchen Experimenten stellt sich daher nur ein, wenn man die dynamische Erfahrung aus der Ersten-Person-Perspektive einem statischen und objektiven Maßstab gegenüberstellt. Das solchermaßen definierte visuelle Zentrum bzw. Blickfeld, in dem die vermeintliche Blindheit statthat, ist aber aus der Ersten-Person-Perspektive nicht mit dem jeweiligen Fokus der Aufmerksamkeit kongruent. Viele solcher Phänomene können daher im Sinne einer peripheren Wahrnehmung interpretiert werden, da das Übersehene nicht Teil der momentan involvierten Aufmerksamkeit ist bzw. für die gestellte experimentelle Aufgabe nicht von Belang ist. Veränderungsblindheit tritt etwa nicht auf, wenn den Probanden der Ort oder die Art und Weise der Veränderung bekannt sind und somit erwartet werden. Die nicht bemerkten Veränderungen finden hinge635 Wahrnehmung ist in diesem Sinne eher als eine Aktivität zur Entdeckung der Umwelt denn als stetige Produktion von statischen Repräsentationen derselben zu verstehen. Solchermaßen gedacht, überraschen die Effekte der Veränderungsblindheit wenig. Trotzdem lassen die entsprechenden Ergebnisse nicht auf eine völlige Abwesenheit von Repräsentationen schließen, wie auch Noë hier zugeben muss. Vgl. A. Noë: What does change blindness teach us about consciousness? In: Trends in Cognitive Science 9/2005, 218. Vielmehr können die sensomotorischen Fähigkeiten (skills) mit impliziten und/oder peripheren Repräsentationen einhergehen, wie etwa J. Ford argumentiert. Vgl. J. Ford: Saving time: how attention explains the utility of supposedly superfluous representations. In: Cognitive Critique 2008, http://www.cogcrit.umn.edu/docs/Ford_10.html, 101-114.

312 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT gen nicht im räumlichen bzw. thematischen Bereich der Aufmerksamkeit statt. In ähnlicher Weise können auch inattentional blindness Effekte ausgelegt werden. In dem bereits erwähnten Gorilla-Experiment von Simons und Chabris entdeckten zwar nur 42% derjenigen Personen den Gorilla, die gleichzeitig die zugeworfenen Pässe zählten. Dagegen bemerkten alle Probanden, die den Film ohne jegliche Aufgabe verfolgten, die Frau im Affenkostüm. In typischen inattentional blindness und change blindness Situationen sind also die kritischen Stimuli nicht Teil der thematischen Aufmerksamkeit, die sich vom objektiv festlegbaren visuellen Blickfeld unterscheiden kann.636 Während die „Aufmerksamkeitsskeptiker“637 davon ausgehen, dass der Gorilla überhaupt nicht wahrgenommen wurde, d.h. keinerlei Bewusstsein diesbezüglich angenommen werden kann, lässt sich das betreffende Experiment ebenso als Form eines peripheren Bewusstseins erklären. Jason Ford fragt in diesem Zusammenhang: „What would it be like to peripherally experience a gorilla in this situation?“ Seine Antwort darauf lautet: „a black human-shaped thing“638. Dieser Interpretation kommt der in inattentional blindness Versuchen festgestellte Zusammenhang zwischen den Zielobjekten (hier: der Mannschaft mit entweder schwarzen oder weißen T-Shirts) und möglichen Distraktoren entgegen: Wenn etwa die Probanden die Pässe des weißen Teams zählen sollen, gelten alle anderen Objekte (die schwarze Mannschaft) im visuellen Blickfeld als unwichtig bzw. störend. Der unerwartet auftauchende Gorilla wird daher nicht eigens bemerkt, da er gleichsam wie die andere Mannschaft ein störendes sich bewegendes schwarzes Etwas darstellt. Tatsächlich bemerkten diejenigen, die die Pässe des schwarzen Teams zählen sollten, den Gorilla öfter als die jeweils andere Gruppe. Je stärker die Probanden in die jeweilige Aufgabe involviert sind, desto weniger erkennen sie insofern Objekte, die für diese nicht relevant bzw. als störend empfunden werden.639 Trotzdem kann die636 Vgl. J. Ford: Attention and the new skeptics, 66f. 637 Hiermit sind all diejenigen gemeint, die annehmen, dass es ohne fokale Aufmerksamkeit kein Bewusstsein gibt. J. Ford bezieht sich dabei insbesondere auf D. Dennett und S. Blackmore. Vgl. J. Ford: Attention and the new skeptics, 66f. 638 Ebd., 67. 639 S. Dehaene und seine Kollegen differenzieren in diesem Zusammenhang zwischen unterschiedlichen Formen der Zugänglichkeit von Informationen. Während im Bereich der subliminalen Wahrnehmung aufgrund einer Datenlimitation und der damit einhergehenden unzureichenden neuronalen Aktivierung keine explizite Gegenstandswahrnehmung möglich ist, zeichnet sich die Ebene der vorbewussten Verarbeitung (preconscious processing) dadurch aus, dass gewisse Prozesse

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sem peripheren Bereich nicht jedwedes Bewusstsein abgesprochen werden, da die nicht gesehenen Objekte sonst keinen Einfluss auf die aktuelle Aufmerksamkeit haben dürften. Für eine solche Ansicht sprechen auch Studien, die inattentional blindness an visuellen Displays untersuchen. Hierbei wurde festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit, periphere oder kritische Stimuli zu entdecken, mit der Ähnlichkeit zu den entsprechenden Zielobjekten steigt. Je nachdem welche selektiven Kriterien durch die Aufgabenstellung vorgegeben sind – wie etwa ‚entdecke rotes Dreieck‘ –, gestaltet sich das dementsprechende attentional set. Eine solche inhaltliche Aufmerksamkeitseinstellung bestimmt, was zu einem gewissen Zeitpunkt affiziert bzw. die Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann.640 Ein unerwarteter Stimulus kann insofern zu expliziter Aufmerksamkeit gelangen, wenn er in Farbe, Form, Helligkeit dem Zielobjekt ähnelt bzw. sich von den jeweiligen Distraktoren unterscheidet. Dasselbe gilt für den Aspekt der Bewegung: So kann etwa bei drei sich bewegenden schwarzen Zielobjekten, ein unerwarteter weißer Stimulus identifiziert werden, da er sich ebenfalls bewegt.641 Ob das attentional set sich in diesen Aufgaben nach Kriterien wie Farben, Formen oder Bewe-

zwar aktuell nicht bewusst sind, aber dem Bewusstsein zu einem späteren Zeitpunkt potentiell zugänglich sein können. Ein solches P-Bewusstsein weist zwar eine ausreichende neuronale Aktivierung auf, wird aber für eine gewisse Zeit in einem nichtbewussten Speicher zurückgehalten, da die entsprechenden Inhalte nicht den momentanen top-down Kriterien der Aufmerksamkeit entsprechen. Sogar sehr starke und saliente Stimuli, die sich mitten im visuellen Blickfeld befinden, können so zeitweise unbewusst sein – wie etwa das Phänomen der inattentional blindness zeigt –, weil die Aufmerksamkeit in eine spezifische Handlung involviert ist. Vorbewusste Zustände sind nach Dehaene demnach potentiell zugängliche Informationen, die aktuell nicht verwendet werden. Da Bewusstsein nicht auf ein explizites Gegenstandsbewusstsein beschränkt ist, scheint die Bezeichnung vor-bewusst irreführend. In den Erklärungen von Dehaene wird jedoch sehr deutlich, dass vor-bewusst nicht in einem genetischen Sinne verstanden wird, sondern dass es sich um neben-bewusste Bereiche handelt. Vgl. S. Dehaene/J.-P. Changeux/ L. Naccache/J. Sackur/C. Sergent: Conscious, preconscious, and subliminal processing: a testable taxonomy. In: Trends in Cognitive Science 10/2006, 204-211. 640 Vgl. S.B. Most/D.J. Simons/B.J. Scholl/R. Jimenez/E.R. Clifford/B. Chabris: How not to be seen: the contribution of similarity and selective ignoring to sustained inattentional blindness. In: Psychological Science 12/2001, 9-17; S.B. Most/B.J. Scholl/E.R. Clifford/D.J. Simons: What you see is what you set: sustained inattentional blindness and the capture of awareness. In: Psychological Review 112/2005, 217-242. 641 Vgl. M. Koivisto/A. Revonsuo: The role of unattended distractors in sustained inattentional blindness. In: Psychological Research 72/2008, 39-48.

314 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT gung richtet, scheint abhängig von der jeweiligen Wahrnehmungssituation und der gewählten Strategie. In Anbetracht der oben dargestellten Sachlage muss man also von einem gewissen peripheren Bewusstsein und damit einhergehenden impliziten oder „schwachen“642 Repräsentationen ausgehen. So wenig man also von einer detailgetreuen und vollständigen Wahrnehmung und Repräsentation der Außenwelt ausgehen kann, so wenig lässt sich daraus schließen, dass die nicht explizit bemerkten Bereiche unbewusst sind, keinerlei Veränderungen im Organismus (Gehirn) hervorrufen oder keine Spuren hinterlassen. Eine Interpretationsmöglichkeit geht dabei davon aus, dass es aufgrund der starken Selektivität der auszuführenden Aufgabe zwar zu einer vagen Wahrnehmung des kritischen Stimulus kommt, dieser jedoch nicht als bestimmtes Objekt identifiziert wird, weil für entsprechende Differenzierungen fokale Aufmerksamkeit notwendig ist.643 Andere argumentieren, dass es sich bei inattentional blindness nicht um eine Wahrnehmungsstörung, sondern um eine fehlende Erinnerung an das Gesehene handelt. Im Bereich der change blindness ist hingegen von einer Überschreibung der Repräsentationen durch neue Eindrücke die Rede, die eine Erinnerung an

642 Die Unterscheidung in schwache und starke Repräsentationen geht auf A. Clark zurück. Schwache Repräsentationen finden sich in Systemen, die Informationen unmittelbar benutzen, um ihre Bewegungen zu kontrollieren. Diese Systeme können etwa Tieren eine schnelle Rückmeldung (feedback) über Objekte in ihrer unmittelbaren Umgebung vermitteln und ihnen so einen effizienten Umgang mit diesen ermöglichen, etwa einem Hindernis aus dem Weg zu gehen oder eine essbare Sache zu ergreifen. Wenn sich die entsprechende externe Quelle hingegen nicht mehr im Blickfeld befindet, erlischt auch die betreffende Repräsentation. Gemäß der oben getroffenen phänomenologischen Unterscheidungen würde eine schwache Repräsentation sowohl einer auf der Inhaltsebene impliziten Repräsentation (Retention) entsprechen, die eine zeitliche Koordination der Bewegungen erlaubt, als auch den dabei erworbenen Bewegungsmustern und -fertigkeiten, die in eigentümlicher Weise an spezielle Wahrnehmungsumstände gebunden sind. Eine starke Repräsentation ist hingegen Träger einer Information, die auch unabhängig von der Präsenz ihrer jeweiligen Wahrnehmungsquelle genutzt werden kann. Diese Repräsentationen können in spezifischer Weise ‚offline‘ für den späteren Gebrauch gespeichert und mit anderen Repräsentationen kombiniert werden, um als interne Orientierungskarte der externen Welt zu fungieren. Vgl. A. Clark/R. Grush: Towards a cognitive robotics. In: Adaptive Behavior 7/1999, 5-16. 643 Das Phänomen der inattentional blindness wird in diesem Zusammenhang als inattentional agnosia bezeichnet. Vgl. S.B. Most/B.J. Scholl/E.R. Clifford/D.J. Simons: What you see is what you set; D.J. Simons: Attentional capture and inattentional blindness. In: Trends in Cognitive Science 4/2000, 147-155.

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das Originalbild und damit einen Vergleich beider Situationen verhindert. Aufmerksamkeit gilt in dieser Hinsicht als notwendiger Faktor für die Aufnahme entsprechender Informationen ins Arbeits- und Langzeitgedächtnis, die eine explizite Identifikation von Veränderungen ermöglicht. Allerdings gibt es zugleich Hinweise auf eine implizite Art, Veränderungen zu erfassen – etwa in Form eines intuitiven ‚Bauchgefühls‘ –, noch bevor sie visuell identifiziert werden können.644 Weiterhin liefern bereits Mack und Rock einen Beleg für den Einfluss von noetischen Horizonten (top-down Einflüssen) auf die inattentional blindness. In ihren oben dargestellten Experimenten konnte das Auftreten des Phänomens unterlaufen werden, wenn es sich bei dem kritischen Stimulus um den Namen des betreffenden Probanden handelte. Dies funktionierte bei anderen bekannten Wörtern oder perzeptuell salienten Stimuli jedoch nicht in derselben Weise. Es scheint, als würde die inhaltliche Relevanz für das betreffende Subjekt den entscheidenden Faktor für das explizite Bemerken eines Stimulus darstellen. Dies wird verstärkt durch den Umstand, dass dem entsprechenden Namen ähnliche Wörter – also etwa statt des Namens Jack, das Wort Jeck – nicht denselben Effekt hervorriefen. Eine ähnliche Wirkung wie der eigene Name erzielte lediglich noch ein schematisches Cartoonbild eines glücklichen Gesichtes, für ein trauriges galt dies jedoch nicht.645 In all diesen Fällen hängt das Auftreten der obigen Phänomene von Fehlwahrnehmungen nicht nur mit dem aktuellen Fokus der Aufmerksamkeit, sondern in ebensolchem Maße von den jeweiligen Horizonten desselben ab. Zum einen handelt es sich hierbei um den neben-aufmerksamen Bereich, d.h. die räumlich-gegenständliche Peripherie des aktuellen visuellen Fokus, dessen perzeptuelle und inhaltliche Relation zu den jeweiligen Zielobjekten eine Rolle spielt. Zum anderen spielt die gegenwärtige Aufmerksamkeitseinstellung oder der generelle lebensweltlich geprägte Aufmerksamkeitsstil des wahrnehmenden Subjekts eine Rolle. Phänomene wie inattentional blindness und change blindness treten insofern nur dann auf, wenn das vermeintlich Übersehene völlig unerwartet auftaucht. Ausnahmen stellen sich dann ein, wenn der kritische Stimulus in irgendeiner Weise doch unter die Kategorie der momentanen oder allgemeinen subjektiven Relevanz fällt, wie etwa der eigene Name. Ein zeitlich und inhaltlich kohärenter Wahrnehmungsverlauf zeichnet sich jedoch phänomenologisch gerade durch implizite Protentionen, Assoziationen bis 644 Vgl. R.A. Resink: Visual sensing without seeing. In: Psychological Science 15/2004, 27-32. 645 Vgl. A. Mack: Inattentional blindness, 18f.

316 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT hin zu expliziten Erwartungen aus. Neue oder saliente Stimuli, dies zeigt die Untersuchung von Phänomenen wie inattentional blindness und change blindness in eindrücklicher Weise, ziehen dabei gerade nicht automatisch die Aufmerksamkeit auf sich, wie dies etwa in Studien zur visuellen Suche suggeriert wird. Während die visuelle Suche meist mit einer plötzlich einsetzenden Präsentation neuer Stimuli beginnt, was zu einer Erwartung des Probanden für gerade diese Art von Stimuli führt, stellt sich die Lage in inattentional blindness Experimenten völlig anders dar. Wenn hier neue und saliente Objekte präsentiert werden, die für die gegenwärtige Aufgabe irrelevant sind und nicht zur Aufmerksamkeitseinstellung der Person passen, wecken diese auch nicht die Aufmerksamkeit derselben. Die Ansicht, dass neue Objekte Aufmerksamkeit in einer reinen bottom-up Manier auf sich ziehen, kann insofern nicht bestätigt werden.646 Versuche zum Phänomen der change blindness eignen sich in besonderer Weise dazu, individuelle oder auch kulturelle Einflüsse auf die Aufmerksamkeit zu untersuchen. Vielerlei Faktoren, wie etwa sportliche Fähigkeiten und typische Bewegungsabläufe, entscheiden darüber, auf was man in einer präsentierten Szenerie speziell achtet und ob man dementsprechende Veränderungen bemerkt. Bei der Ausarbeitung der noetischen Horizonte wird daher auf Studien in diesem Bereich zurückgegriffen.

2.4 Kann es Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein geben? Parallel zu der Frage, ob es eine bewusste Wahrnehmung ohne Aufmerksamkeit geben kann, beschäftigen sich manche Forscher mit der Möglichkeit von Aufmerksamkeitsprozessen ohne begleitendes Bewusstsein. Aus phänomenologischer Perspektive mutet dieser Gedanke zunächst gänzlich fremd an, sind hier Aufmerksamkeit und Bewusstsein doch notwendigerweise miteinander verbunden. Die sogenannte unbewusste Aufmerksamkeit lässt sich denn auch nur aus der Dritten-Person-Perspektive bestimmen, indem der präsentierte Stimulus mit Hilfe einer vorherigen und nachfolgenden visuellen Maske für die Probanden unsichtbar gemacht wird. Da die räumliche Ausrichtung des Blickes auf diesen nun unsichtbaren Stimulus maßgeblich für gemessene priming Effekte ist, spricht man in

646 Vgl. L. Jingling/S.-L. Yeh: New objects do not capture attention without a top-down setting: evidence from an inattentional blindness task. In: Visual Cognition 15/2007, 661-684.

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diesem Fall von einer Beteiligung der Aufmerksamkeit.647 Wurde oben nur das als Aufmerksamkeit bezeichnet, was zugleich die Möglichkeit der expliziten Identifikation eines Objekts ermöglicht, findet an dieser Stelle eine Gleichsetzung von Aufmerksamkeit mit der Ausrichtung des Blickes statt. In beiden Fällen handelt es sich um eine Reduktion des vielgestaltigen Phänomens. Während im ersten Fall auch andere Sinnesmodulitäten berücksichtigt werden können – das Phänomen inattentional blindness taucht ebenfalls auf taktueller und auditiver Ebene auf 648 –, beschränkt sich die zweite Definition lediglich auf die visuelle Wahrnehmung. Von einer auditiven oder taktuellen Ausrichtung ohne entsprechende Empfindung bzw. ohne Bewusstsein zu sprechen, könnte in diesem Zusammenhang schwierig werden. Selbst bei der Ausrichtung des Blickes werden unter experimentellen Konditionen Bewusstsein bzw. die Wachheit des Probanden vorausgesetzt. Selbst wenn der Proband über keinerlei Eigenschaften, Konturen etc. des präsentierten Stimulus Auskunft geben kann, muss darüber hinaus trotzdem ein Bewusstsein von etwas angenommen werden, nämlich des masking Stimulus oder des Bildschirmes als solchem. Von fehlendem Bewusstsein kann dagegen nur in Bezug auf die Identifikation eines objektiv präsentierten Stimulus die Rede sein. Trotzdem wird hierbei nicht nichts gesehen, sondern eben aufgrund der Technik etwas anderes als das, was eigentlich identifiziert werden soll. Ein Experiment, das als Indiz für Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein angeführt wird, soll etwa zeigen, dass nicht gesehene männliche oder weibliche Aktbilder dennoch die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Hierbei gel647 Vgl. C. Koch/N. Tsuchiya: Attention and consciousness: two distinct brain processes. In: Trends in Cognitive Science 11/2007, 16-22; dies.: Response to Mole: subjects can attend to completely invisible objects. In: Trends in Cognitive Science 12/2007, 44-45. 648 Soll etwa bewertet werden, ob zwei aufeinander folgende vibrierende taktile Stimuli an derselben oder einer anderen Körperstelle auftreten, ist dies zwar ohne Probleme möglich. Wird hingegen zwischen den Stimuli eine taktile Maske eingeschoben, in der alle Elektrostimulatoren, die an verschiedenen Körperstellen angebracht sind, gleichzeitig in Betrieb sind, wird die obige Aufgabe immens erschwert. Vgl. A. Gallace/H.Z. Tan/C. Spence: The failure to detect tactile change: a tactile analogue of visual change blindness. In: Psychonomic Bulletin, Review 13/2006, 300-303. Ein ähnliches Phänomen lässt sich ebenfalls im auditiven Bereich feststellen. Vgl. M.S. Vitevitch: Change deafness: the inability to detect changes between two voices. In: Journal of Experimental Psychology 29/2003, 333-342. Das übergreifende Auftreten der Veränderungsblindheit bzw. die verschiedenen Differenzierungsstufen der Aufmerksamkeit, die sich auf all diesen Ebenen zeigen, spricht gegen eine strikt modulare Verarbeitung der einzelnen Sinne und für eine Interaktion der Sinnesmodalitäten.

318 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT ten die Bilder als subliminal, wenn weder die räumliche Position, noch Farben, Inhalte oder das Geschlecht der gezeigten Akte angegeben werden konnten.649 Die fehlende Identifikation von distinkten Eigenschaften bedeutet aber nicht, dass auch kein Bewusstsein der gezeigten Bilder existierte. Die Probanden gaben hier lediglich an, vage farbige Umrisse der Bilder zu sehen. Dieses Phänomen lässt sich jedoch eher mit einer graduellen Stufung von Bewusstsein erklären, das noch keine gegenständliche Klarheit aufweist. Dass die Besonderheit der Bilder (nackte Menschen) dennoch ihre Wirkung zeigte und affizierte, könnte phänomenologisch betrachtet mit passiver Assoziation zusammenhängen. Inhaltlich besonders relevante Objekte wie nackte Menschen scheinen trotz ihrer Subliminalität Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, ohne dass dies den Personen thematisch ist. In realen Wahrnehmungssituationen würde dies in den meisten Fällen allerdings zu einer tatsächlichen fokalen Aufmerksamkeit in Bezug auf diese Objekte führen, während dies im Experiment verhindert wird. In gleicher Weise wie in den Untersuchungen von Mack und Rock wird in diesem Zusammenhang der besondere Status von bekannten, individuell oder kulturell bedeutsamen Inhalten deutlich. Die Ausrichtung des Blickes erleichtert somit zwar das Bemerken der sich im ‚Scheinwerfer‘ befindenden Objekte, da die Auflösung im retinalen Bereich die höchste ist, muss aber nicht zwangsläufig mit dem thematischen Fokus der Aufmerksamkeit zusammenfallen, wie sich anhand des inattentional blindness Phänomens gezeigt hat. In realen Wahrnehmungsverläufen fällt der visuelle Fokus mit dem Aufmerksamkeitsfokus in der Regel zusammen. Falls eine Person ihren Blick zufällig auf einen räumlichen Bereich und die dort befindlichen Objekte richtet, aber nichts davon explizit bemerkt, dann allenfalls deshalb, weil die Aufmerksamkeit gerade gedanklich involviert ist oder das Subjekt, wie man zu sagen pflegt, ‚vor sich hin träumt‘. Dies hat aber wenig mit einer gezielten Ausrichtung des Blickes gemein und gilt gerade als Beispiel für Unaufmerksamkeit. In diesem Sinne von einer Aufmerksamkeit ohne jegliches Bewusstsein zu sprechen, erscheint nicht angebracht, da die artifizielle Konstellation der entsprechenden Experimente keine Entsprechung in der realen Welt aufweist. Bei der demonstrierten Aufmerksamkeit handelt es sich um einen Sonderfall von fokaler Wahrnehmung ohne identifizierbaren Inhalt – also von fokaler Wahrnehmung mit dem künstlich hergestellten Status peripherer 649 Vgl. Y. Jiang/P. Costello/F. Fang/M. Huang/S. He: A gender- and sexual orientation-dependent spatial attention effect of invisible images. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America 103/2006, 1704817052.

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Aufmerksamkeit. In ähnlicher Weise wie periphere Stimuli kann diese vermeintlich fokale Aufmerksamkeit ohne Bewusstsein implizite Assoziationen erzeugen, die in einer messbaren Verhaltensänderung resultieren. Der kognitive Neurowissenschaftler Victor Lamme plädiert ebenfalls für eine Trennung von Bewusstsein und Aufmerksamkeit, führt jedoch andere Gründe an. Er geht davon aus, dass Bewusstsein und Aufmerksamkeit jeweils für verschiedene Gehirnprozesse stehen. Lamme erwähnt dabei zwar ebenfalls die Möglichkeit der räumlichen Aufmerksamkeit auf unsichtbare Objekte, konzentriert sich aber in seiner Argumentation hauptsächlich auf den Aspekt von nicht-aufmerksamen Selektionsprozessen. Aufmerksamkeit wird von ihm nicht als explizites bzw. fokales Gegenstandsbewusstsein verstanden, sondern als die Generierung eines gegenwärtigen Zustandes des Systems, der sich durch spezifische Selektionskriterien auszeichnet, die sich etwa aus genetischen Faktoren, der bisherigen Erfahrung und kürzlich vergangenen Wahrnehmungen ergeben. Da die Genese dieser Selektionskriterien sowie der Prozess der Selektion selbst nicht explizit bewusst sind, müssen beide Konzepte auseinandergehalten werden. Während das eine neurowissenschaftlich auf eine sensomotorische Verarbeitung zurückgeht, die vom gegenwärtigen selektiven Aufmerksamkeitszustand modifiziert wird, hat die phänomenale Erfahrung nach Lamme ihren Ursprung in einer wechselseitigen Interaktion zwischen verschiedenen neuronalen Gruppen. Je nachdem ob die visuellen Neuronen in ausreichender Weise mit Bereichen interagieren, die mit dem Gedächtnis assoziiert werden, kommt es insofern zu einem expliziten gegenständlichen Bewusstsein. Ob eine solche neuronale Interaktion stattfindet, hängt wiederum ab von den Selektionsmechanismen, die bestimmen, welche bzw. wie die einkommenden sensuellen Daten verarbeitet werden, und ob es zu einer weiteren Vernetzung zwischen frühen visuellen Gehirnzentren und den Bereichen der Gedächtnisverarbeitung kommt.650 Lamme orientiert sich in seiner Dar650 Lamme argumentiert gegen einen Ansatz, der in statischer Weise versucht, diskrete Kompetenzbereiche im Gehirn räumlich zu lokalisieren. Stattdessen unterscheidet er zwischen vorwärts gerichteter und rekurrenter Verarbeitung. Vgl. V.A.F. Lamme/P.R. Roelfsema: The distinct modes of vision offered by feedforward and recurrent processing. In: Trends in Neuroscience 23/2000, 571-579. Dass topdown Aspekte aus höheren kortikalen Bereichen ihren Einfluss bereits auf die frühe Verarbeitung des sensuellen Inputs (Areal V1) ausüben, wird durch viele Studien bestätigt, genauso wie die Wichtigkeit der selektiven und interaktiven (‚kooperativen‘) Funktionen neuronaler Verbände. In diesem Zusammenhang wurde in den frühen Verarbeitungsarealen des visuellen Kortex ebenfalls eine hohe Plastizität nachgewiesen. All dies scheint für eine kohärente Wahrnehmung und Handlungsorganisation relevant zu sein. Solche Einsichten müssen aber kein In-

320 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT stellung an Ned Blocks Unterscheidung in phenomenal und access consciousness. Während das p-Bewusstsein in Form eines passiven und peripheren Bewusstseins mit dem nur einige Sekunden währenden ikonischen Gedächtnis in Verbindung gebracht wird, korrespondiert das a-Bewusstsein hingegen den Prozessen im Arbeitsgedächtnis. Aus phänomenologischer Sicht positiv zu bewerten ist an dieser Darstellung, dass Aufmerksamkeit nicht auf den gegenwärtigen fokussierenden Akt eingeschränkt wird, sondern die Generierung der Selektionskriterien im Zentrum steht. In die phänomenologische Begrifflichkeit dieser Arbeit gebracht, hieße dies, dass das, was Lamme unter Aufmerksamkeit versteht, die motivationalen Faktoren – also die noetischen Horizonte – des Aufmerksamkeitsverhaltens meint. Er betont dabei den Zusammenhang zwischen der aktuellen sensuellen Verarbeitung mit den Inhalten aus dem Kurz- und Langzeitgedächntis: [T]he combination of sensory processing (including internal milieu variables) with short- and longterm memory explains why a particular brain at a particular moment in time is inclined to favor one stimulus over another.651

Abgesehen von der unzulässigen Personifizierung des Gehirns als selektivem Akteur kommt eine solche Einschätzung den bisherigen dynamischen Überlegungen sehr nahe. Die Klassifizierung der motivationalen Inhalte und Prozesse als unbewusst muss allerdings im Rahmen der vorliegenden Untersuchung abgelehnt werden, die gerade an dem notwendigen Zusammenhang von ‚unbewussten‘ und ‚bewussten‘ Ebenen interessiert ist und von einer Gradualität der Bewusstseinsstufen ausgeht. Die oben dargestellten Überlegungen von Lamme bieten aus dieser Hinsicht wichtige Einsichten in Bezug auf den Unterschied zwischen Aufmerksamkeit als umfassendem Phänomen und der expliziten gegenständlichen Aufmerksamkeit, die mit einem ebensolchen Bewusstsein einher geht. Die Argumentation für eine Trennung von Bewusstsein und Aufmerksamkeit hängt insofern in gleicher Weise wie die Gleichsetzung von Bewusstsein und Aufmerksamkeit von dem beiden Annahmen zugrunde liegenden reduktiven Bewusstdiz für eine Trennung von Prozessen des Bewusstseins und der Aufmerksamkeit sein, sondern spielen gerade im Zusammenhang der neurowissenschaftlichen Untersuchung von handlungsorientierter Aufmerksamkeit eine maßgebliche Rolle. Vgl. G. Deco/M. Stetter/M. Szabo: Biased competition and cooperation: a mechanism of mammalian visual recognition; S. Schwarz: Functional MRI evidence for neural plasticity at early stages of visual processing in humans. In: N. Osaka/I. Rentschler/I. Biederman (Hg.): Object recognition, attention, and action. Tokyo/Berlin/Heidelberg/New York 2007, 27-41. 651 V.A.F. Lamme: Why visual attention and awareness are different. In: Trends in Cognitive Sciences 7/2003, 12-18, hier: 15.

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seinsbegriff ab, der – wie bereits erläutert – lediglich das explizite Gegenstandsbewusstsein beinhaltet. Werden wie in der Untersuchung des kognitiven Unbewussten verschiedene Bewusstseinsstufen und der Einfluss von noematischen und noetischen Horizonten auf den Verlauf und die Ausrichtung der Aufmerksamkeit sichtbar, ist dies dennoch kein Beleg für eine vermeintliche Wahrnehmung oder Aufmerksamkeit ohne jegliches Bewusstsein. Was jedoch klar wird, ist, dass Aufmerksamkeit sowohl explizit-intentional als auch passiv-intentional fungieren kann. Die Ebenen des äußerlichen Reizmaterials und der subjektiven Erfahrungsgeschichte stehen dabei in stetiger Interaktion, so dass die Bestimmung einer rein äußerlichen (unbewussten) Weckung der Aufmerksamkeit durch objektive Stimuli den Tatsachen genauso wenig standhält, wie das Konzept von Aufmerksamkeit als willentlich-intentionaler Handlungskontrolle oder der rein sensomotorischen Ausrichtung des Blickes. Die passive und horizontale Ebene der Aufmerksamkeit erstreckt sich sowohl auf reizbedingte bzw. auf Umwelteinflüsse (bottom-up) als auch auf subjektive (top-down) Bereiche. Allein aus dem Umstand, dass spezielle Objekte eher dazu tendieren, die passive oder subliminale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, folgt, dass diese innerhalb eines subjektiven Kontextes eine Sonderstellung einnehmen. Ansonsten müssten alle Stimuli die gleichen Ergebnisse hervorbringen, insbesondere da unter subliminalen Umständen nicht das objektive Kriterium der Salienz gilt.

2.5 Noematische und noetische Horizonte der Aufmerksamkeit Wurde in der Kognitionspsychologie das, was sich nicht im Fokus der Aufmerksamkeit befand, vor allem als dunkle Kehrseite des Phänomens betrachtet – „the dark side of visual attention“652, wie es in einem das Thema betreffenden Artikel heißt –, treten im Zuge von realitätsnäheren Studien, etwa zum Erfassen von Szenen oder realen Wahrnehmungssituationen, zunehmend die positiven Seiten solcher Kontexte in Erscheinung. Der Begriff des Kontextes wird zur Beschreibung unterschiedlicher Effekte und Umstände benutzt, die sich auf das Bemerken oder Identifizieren ein652 Vgl. M.M. Chun/R. Marois: The dark side of visual attention. In: Current Opinion in Neurobiology 12/2002, 184-189.

322 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT zelner Objekte sowie die Antizipation eines Szenenverlaufs auswirken können. Hierbei kommt es zu einigen Überschneidungen mit dem Konzept der top-down Kontrolle. Im Folgenden sollen zunächst exemplarisch Studien und Ergebnisse vorgestellt werden, die in eindrücklicher Weise die Wichtigkeit solcher kontextuellen Einflüsse illustrieren. Anschließend erfolgt eine Differenzierung und Klassifikation in aktuelle Faktoren der gegenständlichen Umgebung (noematische Horizonte) und personale Wissens- und Interessenkontexte sowie subjektiv-leibliche Vermögen (noetische Horizonte). Der Bereich subjektiver Erfahrungsgeschichte lässt sich wiederum in eine eher inhaltliche und eine habituell-intentionale Form des Horizonts unterscheiden: Einmal stehen implizite und explizite Wissens- und Erinnerungsbestände im Vordergrund, ein anderes Mal habituelle Vermögen, Gewöhnungen und Interessen, die den individuellen Aufmerksamkeitsstil einer Person ausmachen. Beide Dimensionen des Subjektiven sind dabei nicht allein Ausdruck einer individuellen Erfahrung, sondern zugleich Ausdruck von intersubjektivem und kulturellem Wissen, Lebensumständen, Traditionen und Normen. In weiten Teilen fungieren diese Horizonte – obwohl zum Teil explizit erworben – in impliziter, nicht-thematischer Weise. Eine Ausnahme bilden gezielte und geplante Handlungen oder ein explizites Interesse, das zu bestimmten Wahrnehmungen Anlass gibt. Wie aber im Verlaufe der Untersuchungen deutlich wurde, werden auch diese kontrollierten Aufmerksamkeitsakte notwendig von anderen impliziten, z.B. leiblichen Vorgängen, begleitet. Aus einer solchen globalen Perspektive sind die entsprechenden Unterscheidungen nur relativ aufeinander zu treffen. Explizite oder implizite Prozesse und Inhalte können insofern nur in Bezug auf eine bestimmte Untersuchungsperspektive überhaupt als solche identifiziert werden. Als explizit in Bezug auf ein spezifisches Experiment können infolgedessen etwa die experimentalen Anweisungen oder das den Versuchspersonen mitgeteilte Kontextwissen zur auszuführenden Aufgabe gewertet werden. Je weniger Vorgaben man den Teilnehmer jedoch macht, desto mehr gewinnt der jeweilige subjektive Aufmerksamkeitsstil an Einfluss. Um also diesen in geeigneter Weise erfassen zu können, müsste man in Bezug auf die teilnehmende Gruppe weitgehende Informationen über Lebensumstände, Interessen, Vorlieben, Fähigkeiten, Erziehung etc. einholen oder aber ein Experiment so konstruieren, dass jeweils ein prägnanter Aspekt im Zentrum steht, der allen Teilnehmern gemein ist, wie etwa die professionelle Ausübung einer bestimmten Sportart. Auch wenn es nicht möglich ist, alle kontextuellen Faktoren, die in irgendeiner Weise das Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsverhalten prägen, in einem Experiment einzufangen,

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kann der Versuch einer diesbezügliche Kategorisierung dennoch dazu beitragen, relevante Einflüsse in spezifischen Situationen zu isolieren.

2.5.1 Noematische Horizonte Die zunehmende Aufwertung des Kontextes für die visuelle Aufmerksamkeitsforschung geht maßgeblich mit dem experimentellen Paradigma des Szenenverstehens und den technischen Möglichkeiten zur Messung von freien Blickbewegungen einher. Erste Studien zum Einfluss von semantischem Kontextwissen gab es bereits in den 1970er Jahren. Durch den vermehrten Einbezug realer Wahrnehmungsumstände in die Aufmerksamkeitsforschung Ende der 1990er Jahre stand dieser Randaspekt der Aufmerksamkeit nunmehr in vielen Studien im Zentrum. Dies lag vor allem an der Verschiebung der experimentellen Paradigmen. Die Anforderungen an die Probanden in visuellen Suchexperimenten, die in den 1970er und 1980er Jahren in der Aufmerksamkeitsforschung vorherrschten, stellen sich im Vergleich zu Identifikationsaufgaben innerhalb einer semantischen Szene bzw. der realen Umwelt völlig anders dar. Während etwa die Suche nach einfachen geometrischen Objekten innerhalb eines visuellen Displays oftmals durch die Salienz einzelner Stimuli bestimmt werden kann, sind eindeutige visuelle Signalreize in der realen Umwelt eher selten. Konfrontiert man Probanden statt mit einem Display mit einer komplexen Szene, wie z.B. einer belebten Straße, lässt sich die beteiligte Aufmerksamkeit nicht mehr so leicht von einzelnen Stimuli lenken. Eine solche Szene zeichnet sich durch eine Vielzahl an Details aus, die ein Betrachter nicht alle im Einzelnen auffassen kann. Stattdessen wird ein erster Gesamteindruck gebildet, der es später erlaubt, auf einzelne Details näher einzugehen. Gegenständliche Kontexte sind insofern für das schnelle und kohärente Verstehen einer präsentierten Szene unverzichtbar. Schon früher fand man heraus, dass die Wahrnehmung von Szenen nicht auf der Analyse einzelner Details basiert, sondern bereits in einem ersten flüchtigen Blick die Bedeutung einer solchen Bildeinheit intuitiv erkannt wird. Innerhalb einer einzigen Fixation erreichen das visuelle System so eine Vielzahl von Informationen über Oberflächenmerkmale wie Farbe und Textur, vorkommende Objekte, ihre Größe und räumliche Anordnung. Man spricht in diesem Zusammenhang von dem gist oder glance of a scene, der sich binnen kürzester Zeit herstellt.653 In diesem Zusam653 Vgl. M.R. Greene/A. Oliva: Recognition of natural scenes from global properties: seeing the forest without representing the trees; A. Oliva/A. Torralba: Building the gist

324 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT menhang nimmt man eine holistische Form der Wahrnehmung an, die sich nicht an distinkten Objekteigenschaften, sondern an globalen Merkmalen festmacht.654 Betreffende Untersuchungen zeigen, dass eine schnelle Orientierung in einem neuen Umfeld ohne spezielle selektive Kriterien, die sich durch Erwartung, die Suche bestimmter Objekte oder eine bestimmte Handlungsabsicht ergeben, eine globale und keine fokale (lokale) Aufmerksamkeitsstrategie erfordert. Während man dies unter Umständen als einen vor-aufmerksamen Zustand – im Sinne einer noch nicht stattgefundenen explizit gegenständlich begrenzten Aufmerksamkeit – beschreiben kann, wird ein aktueller fokaler Aufmerksamkeitsakt von neben-aufmerksamen Bereichen umgeben.655 Studien zum Szenenverstehen sehen sich insofern folgenden Fragen ausgesetzt: Wenn bottom-up Signale für die Orientierung der Aufmerksamkeit nicht ausschlaggebend sind, was leitet dann die alltäglichen Blickbewegungen und Fixationen des Betrachters? Eine Antwort darauf ist die Einsicht, dass Objekte nicht isoliert vorkommen, sondern immer Teil eines reichen und strukturierten Kontextes anderer visueller Informationen sind. Diese Sachlage lässt sich aus der Perspektive der selektiven Auf-

of a scene: the role of global image features in recognition. In: Progress in Brain Research: Visual Perception 155/2006, 23-36; I. Biederman/J. C. Rabinowitz/A.L. Glass/E.W. Stacy: On the information extracted from a glance at a scene. In: Journal of Experimental Psychology 103/1974, 597-600. 654 In Anlehnung an die ökologische Psychologie von J. Gibson gehen M. Greene und A. Oliva von sieben solcher groben Merkmale aus, die natürliche Szenen, wie etwa einen Wald oder ein Feld, kennzeichnen. Eine solche Beschreibung scheint sinnvoll, da sich Naturszenen nicht durch einzelne Objekte auszeichnen, sondern eher durch allgemeine räumliche Kategorien. Wie aber bereits in Bezug auf das event als Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit im dritten Teil dieser Arbeit argumentiert wurde, gilt auch hier, dass sich Naturausschnitte nur bedingt durch rein objektive Kriterien charakterisieren lassen. Die Einteilung in semantisch differenzierte Teilbereiche der Natur wie Wald, Wasserfall, Wiese etc. stellt eine Zuschreibung dar, die sich nach menschlichen Bedürfnissen, Handlungsabsichten und kulturell vermittelten Naturbildern ausrichtet. Die von den Autoren übernommene Beschreibung von Gibson integriert teilweise subjektive Faktoren, wie etwa Kriterien der Bewegungsmöglichkeiten, in die entsprechenden Naturszenarien. Vgl. M.R. Greene/A. Oliva: Recognition of natural scenes from global properties, 140. Vgl. J.J. Gibson: The ecological approach to visual perception. 655 Diese räumlich-gegenständlichen Horizonte, aber auch noetische Faktoren, wie das schon erwähnte attentional set, spielen auch bei der selektiven Aufmerksamkeit eine bedeutende Rolle. Beide Ebenen werden in der entsprechenden Literatur als Kontextfaktoren gehandelt. Eine begriffliche Differenzierung findet im Anschluss an die Darstellung kognitionspsychologischer Kontexte statt.

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merksamkeitsforschung als ständige Informationsüberlastung des Wahrnehmungssystems verstehen und stellt damit ihren Ausgangspunkt dar. Gleichermaßen scheint aber derselbe Umstand für die Wahrnehmung von positiver Bedeutung zu sein, da er Informationen darüber beinhaltet, welche Objekte überhaupt zukünftig für die entsprechende Handlung relevant sind und welche getrost unbemerkt bleiben können. Ein Beispiel für die Notwendigkeit peripherer Wahrnehmung und die darin enthaltenen Informationen stellt der Straßenverkehr dar. In diesem ist sowohl eine Selektion auf den unmittelbaren Straßenverlauf als auch eine periphere Aufmerksamkeit auf andere Fahrzeuge, vorausliegende Straßenschilder und Verkehrssignale notwendig. Solche Kontexteffekte konnten experimentell auch durch die Messung der Augenbewegungen beim Lesen festgestellt werden. In beiden Fällen sind gegenständliche Horizonte aufgrund des zeitlichen Verlaufs der entsprechenden Tätigkeiten unerlässlich.656 Bei der Betrachtung von Alltagsszenen wird zusätzlich der kontextuelle Einfluss von subjektiver Relevanz, Erwartung und Erfahrungswissen ersichtlich, da sich hier die meisten Fixationen nicht etwa im visuellen Mittelpunkt der Szene sammeln, sondern auf den jeweils bedeutungsrelevanten Aspekten, wie etwa den Gesichtern von Menschen oder Objekten und Regionen, die als informativ eingestuft werden.657 Sind die Teilnehmer angewiesen, innerhalb einer Szene etwas Bestimmtes zu suchen, wird dieser Vorgang beschleunigt, wenn das Zielobjekt semantisch mit dem jeweiligen Kontext der Szene übereinstimmt. Die Identifikation von Objekten innerhalb einer Szenerie wird ebenfalls durch kontextuelle Faktoren erleichtert, der Kontext einer ‚Küche‘ wirkt sich etwa auf das zu identifizierende Objekt „Brotbüchse“ im Vergleich zu dem Bild einer „Trommel“ positiv aus.658 Gleiches gilt für die erwartete normale Position von bekannten Gegenständen: So wird ein Feuerhydrant, der sich auf einem Briefkasten befindet, oder ein Sofa, das in der Luft schwebt, nicht so schnell ent656 Vgl. K. Rayner: Eye movements in reading and information processing: 20 years of research. In: Psychonomic Bulletin 124/1998, 372-422. 657 Vgl. A.L. Yarbus: Eye movements and vision. New York 1967; G.R. Loftus/N.H. Mackworth: Cognitive determinants of fixation location during picture viewing. In: Journal of Psychology: Human Perception and Performance 4/1978, 565-572; N.H. Mackworth/A.J. Morandi: The gaze selects informative details within pictures. In: Perception and Psychophysics 2/1967, 547-552; J.M. Henderson: Human gaze control during real-world scene perception. In: Trends in Cognitive Science 7/2003, 498-504. 658 I. Biederman/R.J. Mezzabotte/ J.C. Rabinowitz: Scene perception: detecting and judging objects undergoing relational violations. In: Cognitive Psychology 14/1982, 143-177.

326 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT deckt.659 Die Konsistenz bzw. Inkonsistenz von Szenen und darin enthaltenen Gegenständen beeinflusst demnach maßgeblich die Schnelligkeit der gewünschten Objektidentifikation, insbesondere wenn es sich bei den Zielgegenständen um nicht ganz eindeutige, unvollständige oder perzeptuell ambivalente Darstellungen handelt. Darüber hinaus zeigte sich, dass eine solche Konsistenzinformation sich sowohl auf das jeweilige Zielobjekt als auch auf die Wahrnehmung des Szenenhintergrundes auswirkt. Objekte und ihre gegenständlichen Kontexte beeinflussen sich insofern wechselseitig in Form einer gestaltmäßigen Strukturierung.660 Dies würde für die Annahme sprechen, dass Kontextinformationen nicht erst auf einer höheren Analyseebene des Wahrnehmungssystems relevant sind, wenn perzeptuelle Informationen mit Repräsentationen aus dem Langzeitgedächtnis abgeglichen werden, sondern die Wahrnehmung von Beginn an mitbestimmen. Die gemessenen Kontexteffekte bemessen sich insofern in Bezug auf die jeweils im Experiment repräsentierten Aufmerksamkeitsstufen, etwa auf eine freie Bildbetrachtung, eine schnelle visuelle Suche oder die explizite Identifikation eines bestimmten Objektes. Kontexteinflüsse können so auf verschiedenen Ebenen der Wahrnehmungsverarbeitung festgestellt werden. Dagegen scheint die Abgrenzung einer frühen kontextfreien Wahrnehmung von späteren kontextsensitiven Stadien der Kognition aus phänomenologischer, aber auch aus kognitionspsychologischer Sicht nicht überzeugend.661 659 Vgl. S.E. Palmer: The effects of contextual scenes on the identification of objects. 660 Vgl. K.P. Murphy/A. Torralba/W.T. Freeman: Using the forest to see the trees: a graphical model relating features, objects and scenes. In: Advances in Neural Information Processing Systems 16/2003, 1499-1507. 661 Diesbezüglich wird diskutiert, ob kontextuelle Effekte lediglich auf Gedächtnisaktivitäten zurückgehen (vgl. A. Friedman: Framing pictures: the role of knowledge in automatized encoding and memory for gist. In: Journal of Experimental Psychology: General 108/1979, 316-355; S.E. Palmer: The effects of contextual scenes on the identification of objects) oder bereits bei der Wahrnehmungsanalyse von Objekten eine Rolle spielen. Darüber hinaus zeigen aber Modelle, dass Kontexte die Integration von lokalen perzeptuellen Eigenschaften (features) bis hin zu einer Objektwahrnehmung erleichtern. Insofern müsste jede Bildanalyse eines visuellen Systems von Beginn durch kontextuelle Informationen geprägt sein (vgl. M.E. Auckland/K.R. Cave/N. Donnelly: Non-target objects can influence perceptual processes during object recognition. In: Psychonomic Bulletin Review 14/2007, 332-337; J.L. Davenport/M.C. Potter: Scene consistency in object and background perception. In: Psychological Science 15/2004, 559-564). In Anbetracht der Ergebnisse ist anzunehmen, dass Kontexteinflüsse auf mehreren Ebenen anzutreffen sind und daher verschiedene Mechanismen in Betracht gezogen werden müssen. Anzumerken ist, dass hier keine Unterscheidung in aktuelle gegenständlich-

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Die kognitionspsychologische Bedeutung von Kontexten erweist sich darin, dass wiederholt auftretende Objektkonfigurationen und Umweltsituationen unmittelbar für das wahrnehmende Subjekt auffassbar sind und eine gewisse Invarianz und Stabilität der Erfahrung gewährleisten. Die Information über diese typisch gegenständlich-räumlichen Kontexte erleichtert die schnelle Orientierung und sorgt dafür, dass nicht jedes Objekt einzeln fokussiert werden muss. In gleicher Weise wie die Selektion hat der Kontext die Funktion der Komplexitätsreduktion des visuellen Inputs für das perzeptuelle System bzw. Subjekt. Informationen über invariante räumliche und gegenständliche Strukturen werden implizit in der Erfahrung erlernt, wie Versuche mit dem contextual cueing Paradigma zeigen.662 Hierbei wird etwa dieselbe räumliche Anordnung von Distraktoren bei einer visuellen Suchaufgabe wiederholt eingesetzt. Zielobjekte, die in einem invarianten Kontext auftreten, werden hierbei schneller lokalisiert. Ein bestimmter Hintergrund fungierte somit als Hinweisreiz und erleichterte die Suche nach dem betreffenden Objekt. Das vermeintliche Hintergrundwissen gilt dabei als implizit, da die Antworten der Teilnehmer in einem anschließend vorgelegten forced-choice Fragebogen zu den Merkmalen und Positionen der benutzten Distraktorenkonfiguration nicht über dem Zufallswert lagen. Ähnliche Ergebnisse fand man in Bezug auf visuelle Kontexte, die nicht durch die räumliche Anordnung, sondern durch die Form und Identität der Objekte charakterisiert waren. Solche genuin gegenständlichen Kontexte haben eine besondere Relevanz für die alltägliche Wahrnehmung: Spezifische Dinge wie ein Schreibtisch oder auch Windeln verweisen entweder auf ein Büro oder ein Babyzimmer mit Wickeltisch. In den entsprechenden Experimenten konnte die Bedeutung der Kovarianz von Zielobjekt und Hintergrundelementen bezüglich ihrer Form ebenfalls nachgewiesen werden. Die wiederholten Formen der Distraktoren ließen unmittelbar auf das Zielobjekt schließen. Dieser Effekt bestätigte sich auch hinsichtlich eines dynamischen Kontextes, der aus beweglichen Distraktoren bestand. Kontexte, die auf der dynamischen Veränderung von Gegenständen basieren, können insofern auch implizit erlernt werden und für die Orientierung des weiteren Verhaltens vom visuellen System angewendet werden. Dies würde auch erklären, weshalb etwa Profis in Teamsportarten ein intuitives Gespür dafür haben, wie sich das gesamte Feld der Mitspieler bewegt und welche typischen Relationen räumliche Kontexteffekte und bleibende noetische Kontexte (Wissen, Gedächtnis) vorgenommen wird, obwohl dies für die angestrebte Differenzierung von Mechanismen sinnvoll wäre. 662 Vgl. M.M. Chun: Contextual cueing of visual attention.

328 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT von Umfeld und Zielobjekt (Ball) sich daraus für die aktuelle Spielsituation ergeben.663 Aus den kognitionspsychologischen Untersuchungen zum Phänomen des Kontexts wird sichtbar, dass der noematische Horizont der Phänomenologie (verstanden als Außenhorizont des Objektes) und damit das Noema selbst in untrennbarer Weise mit dem Wissen und der Erfahrungsgeschichte des Subjektes verstrickt ist. Genau wie die Zeitlichkeit der Erfahrung bereits das Präsente und damit eigentlich Wahrgenommene in beide Richtungen übersteigt, setzt sich die momentane Aufmerksamkeit aus Wahrnehmung, repräsentativen Gedächtnisformen und Antizipationen zusammen. Dennoch soll an einer Unterscheidung in noematische und noetische Horizontkategorien festgehalten werden. Der noematische Horizont steht dabei für den aktuellen visuellen (aber auch auditiven oder taktuellen) gegenständlichen Kontext; mitsamt dem dazugehörenden repräsentativen oder antizipativen Wissen in Bezug auf dessen Inhalt und den Relationen von gegenwärtigem visuellem Zielobjekt/Thema zu seinem sensuellen oder thematischen Feld. Je nach Art des Experimentes stehen in diesem Zusammenhang eher sensuelle, formale oder semantische Eigenschaften im Vordergrund. Noetische Horizonte stellen dagegen Selektionskriterien dar, die bereits in aufgabenspezifischer oder allgemeiner Form der Motivation vor dem Beginn des Experiments oder der einzelnen Wahrnehmungssituation bestehen. Darunter fallen insofern ein handlungsspezifisches attentional set oder allgemeine habituell-leibliche Wahrnehmungsmuster und lebensweltliche Interessen (Erfahrungsgeschichte). Letztere bilden den individuellen Aufmerksamkeitsstil einer Person. Sind Überschneidungen der Inhalte von noematischen und noetischen Horizonten nicht auszuschließen, so unterscheiden sie sich dennoch im Hinblick auf die ihnen zugrunde liegende Fragestellung: Einmal wird nach dem Einfluss des gegenständlichen Horizontes auf die momentane Aufmerksamkeit (den Fokus) gefragt, ein anderes Mal nach der Motivation bzw. den subjektiven Faktoren der Ausrichtung der Aufmerksamkeit. Noetische Horizonte beschäftigen sich also einerseits damit, warum ein Subjekt in einem speziellen Fall gerade dies und nicht jenes bemerkt, und an663 Das implizite Lernen von kontextueller Information wird genau wie das habituelle und/oder sequentielle Gedächtnis, das im ersten Kapitel von Teil IV besprochen wurde, im Hippocampus verortet. Vgl. M.M. Chun: Contextual cueing of visual attention, 174f. Im Gegensatz zum deklarativen Gedächtnis geht man bei kontextuellen Lernprozessen davon aus, dass implizite Repräsentationen gebildet werden, die aber nichtsdestoweniger einen langanhaltenden und robusten Einfluss ausüben können.

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dererseits damit, ob sich typische Aufmerksamkeitsstile bestimmen lassen, mit deren Hilfe sich voraussagen lässt, worauf bestimmte Personengruppen eher aufmerksam werden als andere.

2.5.2 Noetische Horizonte Wurde bisher unter „Kontext“ die globale Wahrnehmung einer Szene allgemein, der räumlich-gegenständliche Horizont oder das Erfahrungswissen über die Gesamtbedeutung einer dargestellten, typischen Situation verstanden, so fallen unter diesen Begriff ebenfalls die Faktoren des schon erwähnten attentional set, das die gegenwärtigen Selektionskriterien in Bezug auf eine Aufgabe beinhaltet. Dies wird besonders anhand der Phänomene der inattentional blindness und change blindness sichtbar. Auch in der selektiven Aufmerksamkeitsforschung stößt man somit unweigerlich auf das Phänomen des Horizontes. So machen etwa die Studien zur Unaufmerksamkeitsund Wechselblindheit nicht nur die höchst selektive Natur der menschlichen Wahrnehmung deutlich, sondern lenken das Interesse sowohl auf jene Faktoren, die das Bemerken unter solchen Umständen unterbinden, als auch auf jene besonderen Objekte, die die Aufmerksamkeit trotzdem auf sich ziehen. Wurde in der Forschung bis dahin oft davon ausgegangen, dass Aufmerksamkeit automatisch von neuen und plötzlich erscheinenden Stimuli gelenkt wird (attentional capture) und daher zum größten Teil der bottom-up Kontrolle unterliegt, zeigten Studien zur inattentional blindness, dass ein solcher Effekt durch eine stark selektiv engagierte Aufmerksamkeit fast vollständig zum Verschwinden gebracht werden kann. Dennoch lassen sich auch unter Konditionen der Unaufmerksamkeit Kontexteffekte beobachten. Wie bereits dargestellt, sorgen besonders relevante Stimuli für einen Aufmerksamkeitswechsel. Der eigene Name motivierte etwa im Experiment von Mack und Rock eine explizite Anziehung der Aufmerksamkeit (explicit capture). Messbare Anzeichen dafür, dass etwa der räumliche oder gegenständliche Kontext die Wahrnehmung des jeweiligen Zielobjektes implizit mitbestimmt, lassen sich dagegen als implizite Aufmerksamkeitssteuerung bezeichnen (implicit capture).664 664 In dieser Hinsicht scheint es sinnvoll, die unterschiedlichen Forschungsprogramme zu selektiven Phänomenen wie inattentional blindness mit der Frage, wie bzw. wodurch Aufmerksamkeit in passiver Weise angezogen wird (attentional capture), zu verbinden. Vgl. D.J. Simons: Attentional capture and inattentional blindness. In: Trends in Cognitive Science 4/2000, 147-155; S. B. Most/D.J. Simons/E.R. Clifford: What you see is what you set.

330 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Erkenntnisse über messbare implizite Einflüsse, die nicht zu einem Bemerken des jeweiligen Gegenstandes führen, sind jedoch nach Meinung einiger Forscher allein nicht ausreichend. Implizite und explizite Phänomene der Aufmerksamkeitslenkung müssen demzufolge in Verbindung zueinander gebracht werden. Dabei stellt sich die Frage, wie solche impliziten Bewusstseinsstufen explizit zugänglich gemacht werden können: Welche Umstände führen zu einem expliziten Aufmerksamkeitswechsel und welche Rolle spielen hierbei die betreffenden subjektiven Relevanzkriterien und das aktuelle Engagement der Aufmerksamkeit? Solche Probleme und deren Lösung sind im Hinblick auf alltägliche Wahrnehmungsumstände und die damit einhergehenden praktischen Konsequenzen des Aufmerksamkeitsverhaltens von großer Wichtigkeit: „If a child runs in front of your car as you are fiddling with the radio, it is important that you notice the child, not that you are slower in turning the knob.“665 Würden neue und plötzlich auftretende Stimuli automatisch unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, dann würden vergleichbare Situationen nicht auftreten. Auch wenn gewisse saliente Merkmale das Bemerken erleichtern, ob Personen unerwartete Objekte tatsächlich sehen werden, hängt vor allem von den aktuellen selektiven Relevanzkriterien ab: „[T]he unexpected objects that people consciously see depend on the ways in which they ‚tune‘ their attention for processing of specific types of stimuli – that is, on the attentional set.“666 Das attentional set fungiert somit als spezifisch aufgabenorientierter noetischer Horizont, dessen selektive Weichen sich höchstens durch besonders relevante Stimuli, die Teil eines allgemeineren oder grundlegenderen habituellen Horizontes sind, außer Kraft setzen lassen. Dies könnte etwa ein lautes Geräusch, eine Signalfarbe oder die Nennung eines Signalwortes wie des eigenen Namens sein, aber auch – zumindest in unserem Kulturkreis – der Ausruf des Wortes ‚Hilfe‘. Eine andere Möglichkeit, die obigen Gefahren einzuschränken, wäre die Erwartungen, d.h. die habituellen Horizonte der Personen selbst in betreffenden Situationen gezielt zu formen. Dies könnte gelingen, indem man Verkehrsteilnehmer wiederholt mit un665 Vgl. S.B. Most/D.J. Simons/E.R. Clifford: What you see is what you set, 218. 666 Ebd. Das jeweilige attentional set kann sogar darüber entscheiden, ob ein plötzlich auftauchendes Fahrzeug rechtzeitig erkannt wird. In einem entsprechenden Experiment, das Fahrsituationen auf dem visuellen Display simulierte, wurden über eine längere Zeit entweder gelbe oder blaue Straßenschilder verwendet. Assoziierten die Probanden etwa die Farbe ‚gelb‘ mit relevanten Informationen (Schilder), so wurde auch das plötzlich von der Seitenstraße kommende gelbe Motorrad schneller erkannt, als eines in blauer Farbe. Vgl. S.B. Most/R.S. Astur: Feature-based attentional set as a cause of traffic accidents. In: Visual Cognition 15/2007, 125-132.

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erwartet auftretenden Objekten und gefährlichen Situationen konfrontiert, so dass sich eine gewisse Routine und Sensitivität für plötzliche Veränderungen ausbildet, die ein schnelleres Reagieren ermöglicht. In der Kognitionspsychologie fallen Aspekte wie das attentional set und erlernte visuelle Routinen unter den Oberbegriff der top-down Kontrolle. In Experimenten zum Szenenverstehen geht man von drei verschiedenen top-down Einflüssen aus, die die Ausrichtung der Blickbewegungen steuern können. Die Rede ist hierbei von einem episodischen Szenenwissen, das sich entweder auf kurze Zeit vorher angesammelte oder länger bestehende Informationen beziehen kann. Weiterhin nimmt man ein so genanntes schemabasiertes Wissen an, das generelle räumliche und semantische Informationen über eine typische Szene, wie etwa ein Büro, eine Küche oder eine Straße, enthält. Hinzu kommt weiterhin ein handlungsorientiertes Wissen, das sich in einer bestimmten Strategie ausdrückt, die sich für die Ausführung der Handlung als am effektivsten erwiesen hat. Die gemessenen Fixationen bei der Ausführung von alltäglichen Tätigkeiten, wie Tee trinken oder das Schmieren eines Butterbrotes, zielen etwa nur auf die unmittelbar für den nächsten Handlungsschritt relevanten Objekte.667 Bei den ersten beiden top-down Faktoren handelt es sich um repräsentative Wissenskategorien, die unmittelbar mit dem wahrgenommenen gegenständlichen Hintergrund interagieren. Sie werden nach der hier vorgeschlagenen Terminologie zum noematischen Horizont gerechnet. Die handlungszentrierte Aufmerksamkeit stellt durch die Betonung ihres gegenwärtigen Verlaufs einen Grenzfall dar. Als dynamische, aber zeitlich und inhaltlich begrenzte Aktion erlaubt sie weder eine statische Aufteilung im Sinne von Fokus und Hintergrund noch eine Bestimmung vorausliegender und allgemeiner habitueller Motivationskriterien. Im noetischen Sinne liegt ihr aber ein aufgabenspezifisches attentional set zugrunde. Daneben müssten andere noetische Komponenten wie emotionale und normative Einstellungen, Interessen sowie habituelle und leibliche Vermögen einbezogen werden, die in gleichem Maße als Motive für Blickbewegungen und Fixationshäufigkeiten innerhalb einer beobachteten Szene angesehen werden können. Es ist etwa anzunehmen, dass sich die Fixationsreihenfolgen und -häufigkeiten der Probanden auf entsprechende Objekte innerhalb einer Straßenszene 667 Vgl. J.M. Henderson: Human gaze control during real-world scene perception, 500f. Der Terminus ‚Wissen‘ ist in dieser Hinsicht etwas unglücklich gewählt, da es sich insbesondere in realen Wahrnehmungssituationen meist nicht um ein in allen Teilschritten explizit abgerufenes Wissen, sondern um automatisch erfolgende Assoziationen oder im letzten Fall um habituelles leibliches, d.h. praktisches ‚Wissen‘ handelt.

332 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT unterscheiden, je nachdem ob sie Automechaniker, Architekten oder Straßenbauer von Beruf sind. Solche Berufsinteressen gehen mit spezifischen lebensweltlichen Erfahrungen und erlerntem Wissen im jeweiligen Bereich einher. All dies kann nachweislich zu speziellen impliziten Antizipationen und expliziten Erwartungen in Bezug auf eine perzeptuelle Situation führen, die den Wahrnehmungsverlauf entsprechend lenken.668 Experimente, die spezifische Interessengruppen oder emotionale Aspekte in die Untersuchung der Aufmerksamkeit mit einbeziehen, sind in der Kognitionspsychologie meist noch selten. Aber wie in gleicher Weise verschiedene Aufmerksamkeitsstrategien unterschieden werden können, dürfte dies auch in Bezug auf differente Aufmerksamkeitsstile von bestimmten lebensweltlichen – etwa Berufsgruppen, Altersgruppen, Personenkreisen mit denselben Interessen/Hobbys oder vergleichbaren Lebensläufen – oder kulturellen Gruppen gelingen. Ausgehend von Beobachtungen und Experimenten in der realen Welt sowie Ergebnissen der phänomenologischen Erfahrungstheorie ließen sich erste Hypothesen erstellen. Mit Hilfe von statistischen Datenvergleichssystemen könnte man dann die entsprechenden Teilnehmergruppen zusammenstellen, wie dies bereits in der individualisierten Werbung bei Internetanbietern und sozialen Netzwerken wie Facebook oder Google sowie in den von Amazon benutzten Algorithmen zur Anwendung kommt. Die Teilnehmer der ausgewählten Gruppe könnten sich dann per Internet an gewissen Studien in virtuell simulierten Situationen beteiligen und müssten nicht mehr im Labor vor Ort sein. So könnten Tausende oder mehr Personen an einem entsprechenden Experiment mitwirken und die generierte Datenmenge hätte eine allgemeinere Aussagekraft. Herkömmliche Vorgehensweisen der Kognitionspsychologie und Neurowissenschaft könnten, angeleitet von phänomenologischen Beschreibungen, durch solche aufmerksamkeitsökonomischen Studien flankiert werden. 668 Viele Studien betonen mittlerweile die Bedeutung von impliziten Antizipationen in der Wahrnehmung. Vorherige Wahrnehmungen und implizites Erfahrungswissen um typische umweltliche Vorkommnisse gewährleisten in dieser Hinsicht durch ein ständiges Zusammenspiel von sensuellen und höheren kognitiven Aspekten eine kohärente Erfahrung. Vgl. J.T. Enns/A. Lleras: What’s next? New evidence for prediction in human vision. In: Trends in Cognitive Science 12/2008, 327-333; I. Rock: In defense of unconscious inference. In: W. Epstein (Hg.): Stability and Constancy in Visual Perception: Mechanisms and Processes. New York 1977, 321-373; L. Iordanescu/E. Guzman/M. Grabowecky/S. Suzuki: Characteristic sounds facilitate visual search. In: Psychonomic Bulletin Review 15/2008, 548-554; B. Balas/P. Sinha: Filling in colour in natural scenes. In: Visual Cognition 15/2007, 765-778.

DIE HORIZONTALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

333

Muss es im Rahmen dieser Arbeit bei einem kurzen Ausblick auf potentielle Horizonte experimenteller Forschung bleiben, so soll nun insbesondere auf den leiblich-habituellen Horizont eingegangen werden, der in der kognitionspsychologischen Forschung zunehmend untersucht wird und für dessen Relevanz sich in Bezug auf den individuellen Aufmerksamkeitsstil einige Belege finden lassen. Viele Studien betonen mittlerweile die Bedeutung impliziter Antizipationen für die Aufmerksamkeitsforschung. Vorherige Wahrnehmungen und implizites Erfahrungswissen um typische lebensweltliche Vorkommnisse gewährleisten in dieser Hinsicht in Form eines ständigen Zusammenspiels von sensuellen und höheren kognitiven Aspekten eine kohärente und differenzierte Erfahrung. In der Phänomenologie gilt diese Einsicht als grundlegend. Bereits die zeitliche Struktur des Bewusstseins macht deutlich, dass Erfahrung notwendigerweise protentional über das aktuell Präsente hinausgeht. In der Wahrnehmung als praktischer Intentionalität, deren beständig mitgeführte Horizonte durch leibliche Kinästhesen verwirklicht werden müssen, wird dieser Aspekt der Potentialität und Virtualität innerhalb der Erfahrung konsequent weitergedacht. Im Hinblick auf die Theorie der zwei visuellen Systeme hängt nicht nur die automatische visuell gesteuerte Handlungsausführung (der „dorsale Wie-Strom“) von einer solchen horizontalen Integration ab, sondern gleichermaßen das einheitliche Bewusstsein von äußeren Gegenständen (der „ventrale Wo“ bzw. „Was-Strom“). Antizipation und Erwartung verweisen insofern sowohl auf die zeitliche Struktur jeder Aufmerksamkeit als auch auf den daraus folgenden Zusammenhang zwischen Gedächtnis und Aufmerksamkeit. Um die für eine momentane Aufgabe wichtigsten oder informativsten Objekte auszuwählen, bedarf es nach kognitionspsychologischer Interpretation einer interaktiven Zusammenarbeit von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisleistungen. Dies illustrieren Studien zum antizipativen Wahrnehmungsverhalten von Experten im Vergleich zu Anfängern etwa auf sportlichem Gebiet. In entsprechenden Situationen können Erstere viel schneller die bedeutsamen Schlüsselmomente oder inhaltlichen Veränderungen innerhalb einer Szene erkennen. Dies trifft auf professionelle Footballspieler ebenso zu wie auf Schachspieler. Footballspieler bemerken etwa im Gegensatz zu anderen Personen semantische Veränderungen in einem change blindness Experiment viel öfter, wenn entsprechende Bilder aus ihrem Interessensgebiet verwendet werden.669 Die Wahrnehmung von Experten geht außerdem 669 Vgl. S. Werner/B. Thies: Is ‚change blindness‘ attenuated by domain-specific expertise? An expert-novices comparison of change detection in football images. In: Visual cognition 7/2000, 163-173.

334 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT über das aktuell Präsentierte hinaus, indem es automatisch bekannte Situationen nach bisherigen Erfahrungswerten vervollständigt.670 Deutlich wird also einmal die habituell erworbene passive Antizipation weiterer Bewegungsabläufe und ein anderes Mal die ‚Nachwirkungen‘ einer solchen synthetischen Leistung anhand des Einflusses der betreffenden Erinnerung auf die Beurteilung der aktuellen Wahrnehmung. In dieser Hinsicht ist es schwer, im Einzelfall zwischen den Wirkungen der sensuell fundierten Wahrnehmung und der zeitlich-virtuellen Antizipation zu unterscheiden, da sie sich vor allem in besonders bekannten Wahrnehmungssituationen überschneiden. Weiterhin muss hinsichtlich der Aufmerksamkeit zwischen einem beobachtenden und einem aktuell engagierten Wahrnehmungssubjekt differenziert werden. Dies wird an einem allseits bekannten Phänomen deutlich. Im Gegensatz zu dem Fahrer eines Autos kann der Mitfahrer in der Regel ohne Schwierigkeiten den Rückweg finden. Auch in Untersuchungen zu aktiver und passiver Teilnahme an Videospielen zeigt sich ein sich diesbezüglich unterscheidendes Aufmerksamkeitsverhalten. Während der aktive Part sich nur an unmittelbar aufgabenrelevante Objekte erinnert, berichtet der zuschauende Part von der Umgebung und der ästhetischen Machart des Spiels.671 Ein change blindness Experiment versuchte ebenfalls die Identifikationsraten von Veränderungen im passiven und aktiven Zu670 In einem betreffenden Experiment wurden den Probanden nacheinander zwei Spielkonfigurationen eines Basketballspiels gezeigt. Die zweite war dabei entweder gleich der ersten oder unterschiedlich. Waren die Konfigurationen nicht dieselben, musste zusätzlich angegeben werden, ob es sich um eine Szene handelte, die sich vor oder nach der ersten Spielsituation ereignete. Die Hypothese, dass die erste Präsentation einer dynamischen Spielabfolge bei Basketballexperten unmittelbar dazu führt, die angefangenen Bewegungen mental zu vervollständigen, bestätigte sich. Da Experten automatisch den nächstwahrscheinlichsten Handlungsablauf antizipierten, hatten sie Schwierigkeiten die zweite Konfiguration richtig zu beurteilen (gleich/unterschiedlich), wenn diese tatsächlich die Fortsetzung des vorher gezeigten Ausschnittes des Basketballspiels darstellte. In einem zweiten Experiment wurde zudem festgestellt, dass auch eine länger zurückliegende Präsentation von Spielkonfigurationen bei Basketballspielern (Anfängern und Profis) im Gegensatz zu neutralen Teilnehmern einen antizipativen Einfluss auf die Wahrnehmung ausübt. Musste entschieden werden, ob die aktuell präsentierten Spielkonfigurationen neu oder alt sind, wurden viele eigentlich neue Bilder als alt bewertet, wenn sie die (antizipierten) nächstfolgenden Bewegungssequenzen zeigten. 671 Vgl. S. Miklaucic: Virtuelle Realität(en): SimCity und die Produktion von urbanem Cyberspace (2002). In: K. Bruns/R. Reichert (Hg.): Reader Neue Medien. Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation. Bielefeld 2007, 152-162, hier: 158f.

DIE HORIZONTALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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stand der Probanden zu vergleichen. Um den aktiven Zustand zu untersuchen, wurde eine virtuelle Autofahrt simuliert mit entsprechenden maskierten Veränderungen. Veränderungen werden demnach am ehesten in einem statischen Bild entdeckt, an zweiter Stelle steht der passive Beifahrer und die schlechtesten Ergebnisse gingen auf den involvierten Autofahrer zurück.672 Das aktuelle aufmerksame Engagement innerhalb einer dynamischen Situation führt insofern zu einer spezifischen selektiven Struktur. Ob und welche Bewegung man gerade ausführt, kann außerdem beeinflussen, wie man die Bewegungen anderer Personen wahrnimmt. Habituelle Bewegungsmuster und sportliche Fertigkeiten bestimmen darüber hinaus, was uns an den Bewegungen anderer auffällt. So kann das durch Tennisspielen erworbene motorische Wissen zu einem Interesse für die Beobachtung anderer beim selben Spiel beitragen bzw. die Intensität und den Spaß an dieser Sache vertiefen. Die Entdeckung von sogenannten „Spiegelneuronen“ zeigte in diesem Zusammenhang, dass dieselben Muster bei der Beobachtung und bei der eigenen Ausübung bestimmter Bewegungen am Werk sind. Darin sehen Kognitionswissenschaftler und einige Phänomenologen ein physiologisches Indiz für intersubjektive Empathie.673 Erlaubt es doch die Bewegungen anderer nachzuempfinden und vorauszusagen und stellt damit die Voraussetzung für das Verstehen der Intentionen Anderer dar. Aber neben einer sozialen Bedeutung der Spiegelneuronen für den Beobachter ergibt sich ebenfalls eine Art „motorische Resonanz“ für den Ausübenden. So kann die Produktion einer Bewegung in gleichem Maße Auswirkungen auf die Wahrnehmung haben. Es besteht etwa eine höhere Sensitivität für Situationen, die mit Bewegung und Aktivitäten verbunden sind und gewisse Ähnlichkeiten zu den eigenen Bewegungsabläufen aufweisen. Dies könnte für die soziale Interaktion wichtig sein, da es so zu Empathien und Sympathien oder gar zur Aufforderung von gemeinsamen Aktionen in Bezug auf andere Personen kommen könnte.674 Im Einzelnen konnten sogenannte Online- und Offlineeffekte in Bezug auf die eigene 672 Vgl. G. Wallis/H. Bülthoff: What’s scene and not seen: influences of movement and task upon what we see. In: Visual Cognition 7/2000, 175-190, hier: 185. 673 Vgl. G. Rizzolatti/L. Fogassi/V. Gallese: Neurophysiological mechanisms underlying the understanding and imitation of action. In: Nature Reviews Neuroscience 2/2001, 661-670; S. Schütz-Bosbach/W. Prinz: Perceptual resonance: action-induced modulation of perception. In: Trends in Cognitive Science 11/2007, 349-355; S. Gallagher/D. Zahavi: The phenomenological mind, 181f. 674 S. Schütz-Bosbach/W. Prinz: Perceptual resonance: action-induced modulation of perception, 349.

336 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Bewegung festgestellt werden. Onlineeffekte bezeichnen die Einflüsse entsprechender Bewegungen auf die Wahrnehmung, während ich mich selbst gerade in einer ähnlichen oder abweichenden Weise bewege. Dies zeigte sich einmal in einer verminderten Aufmerksamkeit für gleichverlaufende Bewegungen. Soll man etwa einen Schlüssel mit der rechten Hand betätigen, fällt ein Pfeil auf dem visuellen Display, der ebenfalls nach rechts zeigt, weniger auf als ein Pfeil der in die entgegengesetzte Richtung weist.675 Neben solchen Kontrasteffekten lassen sich aber auch Assimilationseffekte nachweisen. Dreht man etwa einen Knopf von rechts nach links, kann ein sich in dieselbe Richtung rotierender Körper schneller entdeckt werden.676 Eine Antwort auf diese widersprüchlichen Ergebnisse liegt vermutlich in der Präsentationsdauer der Stimuli; verlängert man diese, so können sich Kontrasteffekte in Assimilationseffekte verwandeln. Das Kontrastphänomen erscheint somit als Nebenwirkung einer Interferenz zwischen der Ausübung der Bewegung und der visuellen Aufgabe. Neben solchen Onlineeffekten erwiesen sich auch die Planung (Intention) bestimmter Bewegungen, das Lernen von Bewegungsabläufen, implizites motorisches Wissen und spezielle motorische Fähigkeiten als maßgebliche Einflussfaktoren auf die Wahrnehmung. Je nachdem ob man nach einem Objekt greift oder auf einen weiter entfernten Ort zeigen möchte, steigert sich die Aufmerksamkeit einmal bezüglich des Aspekts der Form und ein anderes Mal hinsichtlich des Ortes eines kurz zuvor gezeigten Stimulus.677 Gleichermaßen verbessert das Erlernen neuer und unüblicher Bewegungsabläufe die differenzierte Wahrnehmung biologischer Bewegungsmuster. Um dies zu prüfen, werden sich bewegende Lichtpunkte auf einem visuellen Display benutzt, die biologischen Bewegungsmustern ähneln.678 Weiterhin konnte der implizite Einfluss von erworbenen motorischen Kompetenzen auf die Bewegungswahrnehmung belegt werden. Wenn man Subjekten zwei Fotografien eines menschlichen Körpers in verschiedenen Positionen zeigte, änderten sich die berichteten Bewegungsverläufe. Bei einer sehr kurzen Präsentation konnte eine Tendenz der 675 Vgl. B. Hommel/J. Müsseler/G. Aschersleben/W. Prinz: The theory of event coding (TEC): a framework for perception and action planning. In: Behavioral and Brain Sciences 24/2001, 849-937. 676 Vgl. A. Wohlschläger: Visual motion priming by invisible actions. In: Vision Research 40/2000, 925-930. 677 Vgl. S. Fagioli/B. Hommel/R.I. Schubotz: Intentional control of attention: action planning primes action-related stimulus dimensions. In: Psychological Research 71/2007, 22-29. 678 Vgl. A. Casile/M.A. Giese: Non-visual motor learning influences the recognition of biological motion. In: Current Biology 16/2006, 69-74.

DIE HORIZONTALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

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Teilnehmer beobachtet werden, den direktesten Weg von einer Position zur anderen zu sehen, auch wenn ein solcher Bewegungsverlauf physisch nicht möglich ist. Wurde die Präsentationsdauer verlängert, gaben die Teilnehmer einen längeren Weg an, der den normalen Bewegungen eines Menschen entsprach. Dieser Effekt trifft nur in Bezug auf die Wahrnehmung von menschlichen, nicht aber auf physisch nicht mögliche Bewegungen von Objekten zu.679 Für die Wichtigkeit eines motorischen Erfahrungswissens spricht auch, dass Subjekte die größte Sensitivität für die Darstellung ihrer eigenen Bewegungen aufweisen und diese im Vergleich zu fremden Bewegungen am genauesten voraussagen konnten. Der Unterschied zwischen Eigen- und Fremdwahrnehmung ließ sich auch auf physiologischer (neuronaler) Ebene feststellen.680 Ein besonders prägnantes Beispiel für den Einfluss leiblich-habitueller Horizonte auf die Wahrnehmung stellen Experimente dar, die die Aufmerksamkeit von Personen mit speziellen motorischen Fertigkeiten untersuchen. Wie in der oben erwähnten Studie des Antizipationsverhaltens von professionellen Sportlern zeigt sich hier in noch grundlegenderer Weise eine individuelle Affektivität in Bezug auf das entsprechende motorische Expertengebiet. Bei Personen, die beruflich Texte tippen, wurde etwa eine entsprechende motorische Aktivierung festgestellt, sobald man ihnen einen Buchstaben nur zeigte.681 Schließlich wurde bei einem Experiment mit Ballett- und Capoeiratänzern nachgewiesen, dass die Beobachtung der eigenen Disziplin im Vergleich zu dem jeweils anderen Tanzstil eine erhöhte Aktivität prämotorischer und parietaler Gehirnregionen mit sich brachte. Parallel konnten im Bereich der Wahrnehmung von gewohnten und bekannten Bewegungen des jeweiligen Expertengebiets bessere visuelle Diskriminationsleistungen erbracht werden. Das motorische System zeigt insofern ein stärkeres Engagement sowie eine differenziertere

679 Vgl. M. Shiffrar/J.J. Freyd: Apparent motion of the human body. In: Psychological Science 1/1990, 257-264; S. Schütz-Bosbach/W. Prinz: Perceptual resonance: action-induced modulation of perception, 352. 680 Vgl. S. Schütz-Bosbach/W. Prinz: Perceptual resonance: action-induced modulation of perception, 352f; E. Daprati/S. Wriessnegger/F. Lacquaniti: Knowledge of one’s own kinematics improves perceptual discrimination. In: Consciousness and Cognition 16/2007, 178-188; J. Grèzes/C.D. Frith/R.E. Passingham: Inferring false beliefs from the actions of oneself and others: an fMRI study. In: Neuroimage 21/2004, 744-750. 681 Vgl. M. Rieger: Automatic keypress activation in skilled typing. In: Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance 30/2004, 555-565.

338 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Wahrnehmung in Bezug auf Bewegungsverläufe und Situationen, die mit den eigenen motorischen Erwerben in direkter Verbindung stehen.682 All diese Beispiele zeigen in eindrücklicher Weise die Wichtigkeit subjektiver Horizonte für die jeweilige Aufmerksamkeit auf. Sie ermöglichen nicht nur eine kohärente Erfahrung der Welt, sondern tun dies auf eine ganz individuelle und eigene Weise. Zugleich ist das selektive Wesen der menschlichen Wahrnehmung bis in seine tiefsten habituellen Erwerbe und Motivationen hinein von seinem intersubjektiven und kulturellen Umfeld durchdrungen. Der selektive Aufmerksamkeitsstil bildet sich von Beginn an in und durch die Interkationen mit den Mitmenschen und seiner Umwelt. Zwischen inneren und äußeren Einflüssen kann insofern nur schematisch oder im experimentellen Einzelfall unterschieden werden. Obige Untersuchungen stellen einen ersten Versuch dar, die vielen Faktoren zu untersuchen, die die Formen subjektiver Wahrnehmung in impliziter und expliziter Weise ausmachen. Noetische Horizonte der Aufmerksamkeit stellen Motivationen, aufgabenspezifische oder für den jeweiligen Lebensverlauf eines Menschen typische, Selektionskriterien bereit, die die Art und Weise bestimmen, wie und was wir von unserer unmittelbaren Umwelt sehen, bemerken und erinnern. Diese qualitative Differenzierung, die sich in jedem Moment vollzieht, kann in der (visuellen) Wahrnehmung in statischer Weise in ein Fokus/Thema und einen noematischen Horizont eingeteilt werden. Noetische Horizonte als dynamische Motivationsgrundlagen der gegenwärtigen Aufmerksamkeit können dabei in folgende Ebenen unterteilt werden, die den genetischen Stufen entsprechen: Der passiv-zeitliche Horizont: Er beinhaltet kurz zuvor Aufgefasstes. Dabei ist nicht nur das gerade explizit Wahrgenommene gemeint, das nun retiniert wird, sondern insbesondere auch implizite (in der Sprache der Kognitionswissenschaft: unbewusste) Bereiche der Wahrnehmung. Die retinierten Inhalte sind in Form von Sedimentierungen als eine erste Form von Repräsentation zu betrachten. Der passiv-zeitliche Horizont kann insofern als ein erster Ort impliziter Assoziationen und Lernvorgänge verstanden werden.

682 Vgl. B. Calvo-Merino/J. Grézes/D.E. Glaser/R.E. Passingham/P. Haggard: Seeing or doing? Influence of visual and motor familiarity in action observation. In: Current Biology 16/2006, 1905-1910; B. Calvo-Merino/S. Ehrenberg/D. Leung/P. Haggard: Experts see it all: configural effects in action observation. In: Psychological Research 74/2010, 400-406. Dies ist insbesondere der Fall, wenn es sich bei der Wahrnehmung der eigenen Tanzdisziplin (Ballett) um Darstellungen des eigenen Geschlechts handelt (sofern ein geschlechtsspezifisches Bewegungsrepertoire vorliegt).

DIE HORIZONTALE ERWEITERUNG DER AUFMERKSAMKEIT

339

Der leiblich-habituelle Horizont: Hier finden sich motorische Erwerbe, Fertigkeiten und habituelle Verhaltensmuster, die die Wahrnehmung und Antizipation von Situationen und Bewegungsverläufen sowie die affektive Betroffenheit diesbezüglich unmittelbar beeinflussen. Der leiblich-habituelle Horizont ist insofern unser nicht-thematisches Wahrnehmungsselbst, das uns eine automatische Orientierung ermöglicht, indem es die Umgebung in gewohnte und bekannte Wege strukturiert. Zugleich ist es ein Indikator für unser Wohl- oder Unwohlgefühl in einer betreffenden Situation. Der personale Interessenshorizont: Hierbei handelt es sich um explizite und handlungsleitende Interessen, Lebensentwürfe, Vorlieben und Bedürfnisse, die zwar teilweise explizit zur intentionalen Handlungskontrolle eingesetzt werden, aber meist nicht oder nicht vollständig in ihrer Wirkung auf die alltägliche Wahrnehmung thematisch sind. Jedoch sind diese einer nachträglichen Reflexion zugänglich. Der personale Interessenhorizont repräsentiert insofern die Identität des Subjekts. Der lebensweltliche Horizont: Dieser stellt, wie der Name schon sagt, die Lebenswelt des jeweiligen Subjektes und damit auch den intersubjektiven und kulturellen Rahmen des personalen Interessenshorizontes dar. Demzufolge ist der personale Interessenhorizont immer Teil eines lebensweltlichen Horizontes. Unter Lebenswelt wird derjenige kulturelle, soziale oder mediale Raum verstanden, in dem sich der Betreffende alltäglich aufhält bzw. der sein Leben und damit seine Wahrnehmung und seinen allgemeinen Aufmerksamkeitsstil prägt. Die lebensweltlichen Kategorien durchdringen dabei auch alle anderen Horizontstufen bis hin zur passiv-zeitlichen Ebene. Herrschende Normen und Traditionen einer Lebenswelt gestalten insofern von Beginn an das, was uns affiziert, und bestimmen damit die weitere Aufmerksamkeitsausrichtung. In gleicher Weise stehen die anderen Horizonte in der alltäglichen Wahrnehmung in wechselseitiger Verbindung.

3. FAZIT

Nachdem die wichtigsten Merkmale einer dynamischen Konzeption sowie die Horizonte der Aufmerksamkeit ausgearbeitet wurden, stellt sich abschließend die Frage, was dies konkret für eine experimentelle Aufmerksamkeitsforschung und Theoriebildung bedeuten kann. Wie im ersten Kapitel von Teil III deutlich wurde, variieren die beobachteten Funktionen der Aufmerksamkeit in Bezug auf die jeweils vorrangige genetische Aufmerksamkeitsstufe oder Strategie. Während Experimente, die eine schnelle globale Orientierung in einer vielschichtigen Szene ohne vorherige Suchanleitung verlangen, eher mit einer passiv-antizipativen Aufmerksamkeit korrespondieren, werden in visuellen Suchaufgaben oder Filterexperimenten lediglich explizite Aufmerksamkeitsstrategien greifbar. Bei den zeitlich-passiven Stufen der Aufmerksamkeit spielen kontextuelle und integrative Faktoren eine entscheidende Rolle, im Hinblick auf die thematische oder stark selektive Aufmerksamkeit können diese jedoch vernachlässigt werden. Die postulierte Stufe der leiblichen Aufmerksamkeit kommt in den meisten Aufmerksamkeitsexperimenten hingegen meist gar nicht in den Blick, da diese auf die statische Untersuchung einer Sinnesmodalität, wie etwa das visuelle Entdecken, beschränkt sind. Gerade die leibliche Attentionalität, die durch intermodale Wachsamkeit und ihren situativen Charakter gekennzeichnet ist, stellt aber eine Form der Aufmerksamkeit dar, die in der alltäglichen Erfahrung häufig zur Anwendung kommt: in impliziter Weise beim Einsatz unseres Körpers in Wahrnehmung und alltäglichen Handlungen sowie in expliziterer Weise bei der Ausübung spezifischer Sportarten. Im Gegensatz zu abgegrenzten Handlungen, die auf ein vorher festgesetztes Ziel hinauslaufen – wie etwa das Schmieren eines Butterbrotes –, können die entsprechenden Blickbewegungen bei einem Fußballspiel nicht im Vorhinein bestimmt werden, sondern verändern sich mit der gesamten Situation. Hierzu bedarf es einer nicht-thematischen Ausprägung der Aufmerksamkeit, die sich durch ihre intermodale körperliche Wachsamkeit den Veränderungen beständig anpassen kann. Um eine solche Form der Aufmerksamkeit beobachten zu können, empfehlen sich deshalb Experimente in der ‚realen Welt‘. Um die genetisch untersten Stufen der Aufmerksamkeit, die phänomenologisch nur angezeigt werden können, greifbarer zu machen, könnten

FAZIT

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allerdings extra konstruierte Experimente mit visuellen Displays, Audiomaterial oder taktiler Stimulation hilfreich sein. Solche ersten subjektiven Differenzierungen oder Homogenisierungen der Sinnesfelder ließen sich etwa anhand von ambivalentem sensuellem Input oder sogenannten visuellen Proto-Objekten testen. Eine gezielte Kontextreduktion, die es erlaubt, eine bestimmte Funktion experimentell zu isolieren und somit sichtbar zu machen, stellt insofern zugleich die Möglichkeiten für eine Erweiterung des phänomenologischen Horizonts der Erfahrung dar. Eine solche Vorgehensweise muss sich jedoch zugleich darüber im Klaren sein, dass selbst die untersten Stufen von Wahrnehmung und Aufmerksamkeit in leiblichen, personalen und lebensweltlichen Horizonten stehen. Die Reduktion auf Funktionen und Bereiche muss somit in einen Dialog mit einer umfassenderen Betrachtung des Phänomens ‚Aufmerksamkeit‘ treten, der die hier vorgestellten Horizonte einbezieht. Die Ausrichtung der Aufmerksamkeit in der realen Welt hat im Vergleich zu Laborstudien einen viel größeren Spielraum an möglichen Alternativen. Wenn keine diskrete Suchanleitung oder Aufgabenstellung den Gegenstandsbereich der Aufmerksamkeit einschränkt, rückt die Frage nach der individuellen Affektionsbereitschaft in den Vordergrund. Diese zeichnet sich jeweils durch die Art und Weise bisheriger Erfahrungen, Fähigkeiten und Interessen der Person aus. Dass sich dennoch eine große Übereinstimmung im grundsätzlichen Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsverhalten feststellen lässt, liegt an den sich wiederholenden Erfahrungen in einer ähnlichen Um- bzw. Lebenswelt. Diesbezügliche Unterschiede der Aufmerksamkeitshorizonte können insofern nur dann in den Blick kommen, wenn nicht nur (Psychologie-) Studierende an den entsprechenden Experimenten teilnehmen, sondern die Probanden der Studien gezielt nach solchen Kriterien ausgewählt werden, wie dies in den oben vorgestellten Beispielen bereits umgesetzt wurde. Ziel dieses Vorgehens ist der Vergleich von unterschiedlichen Aufmerksamkeitsstilen, die phänomenologisch auch als verschiedene Zugangsweisen zur Welt gelten können: So ist es nicht nur ein Charakteristikum von Patienten mit speziellen Hirnschädigungen, wie etwa dem visuellen Neglekt, dass sie die Welt mit ‚anderen Augen‘ sehen. Dies gilt in derselben Weise für Menschen mit Psychopathologien oder Krankheiten. Ebenso unterscheidet sich das Aufmerksamkeitsverhalten von Profisportlern und Amateuren, verschiedenen Berufs- und Interessengruppen oder Kulturkreisen. Derselbe Sachverhalt kann sich sogar für dieselbe Person zweimal in ganz anderer Weise darstellen, je nachdem ob sie ihn aus der Perspektive des aktiv engagierten oder des passiven Beobachters betrachtet, wie sich im Bereich des Videospiels oder des Autofahrens gezeigt hat.

342 VERTIKALE UND HORIZONTALE BESCHREIBUNG DER AUFMERKSAMKEIT Die individuelle oder lebensweltliche Differenz, die sich im Phänomen der Aufmerksamkeit manifestiert, hat ihr Fundament wiederum in der zeitlichen Differenz der Wahrnehmungsverarbeitung, die insbesondere biologische Systeme charakterisiert. Ein und derselbe Input ruft in einem System, z.B. einem neuronalen Netzwerk, eine andere Reaktion hervor, sobald er zu einem späteren Zeitpunkt erneut auftritt. Jeder Input bzw. dessen hervorgerufene Reaktion verändern insofern den Gesamtzustand eines neuronalen Systems, so dass der spätere sensuelle Reiz nicht mehr auf dieselben Bedingungen trifft wie der vorherige und somit eine andere Aktivierung auslöst. Eine solche neuronale Kurzzeitplastizität bildet die Grundbedingung für bleibende Veränderungen und Lernprozesse. Der innerzeitliche Horizont des jeweiligen Systems scheint insofern auf höheren Ebenen mit den subjektiv-inhaltlichen Horizonten zu korrespondieren. In diesem Sinne ließe sich festhalten, dass es nicht nur Aufgabe einer Aufmerksamkeitsforschung sein muss, allgemeine Einsichten über die Funktionen der Aufmerksamkeit und deren mögliche technische oder biologische Implementierung zu erlangen, sondern zugleich die individuellen bzw. gruppenspezifischen Unterschiede im Aufmerksamkeitsverhalten zu thematisieren. Für ein solches Anliegen gilt der Grundsatz, dass die vorangegangene Erfahrung und ihre bleibenden Spuren auf allen Ebenen die Wahrnehmung beeinflussen. Aufmerksamkeit ist in diesem Zusammenhang dasjenige subjektive Element, das in passiver oder aktiver Weise eine Differenzierung auf der Basis der oben definierten Horizonte vornimmt und zugleich neue Eindrücke in den Erfahrungszusammenhang integriert. Phänomenologisch gesprochen zeigt sich im Phänomen der Aufmerksamkeit das eigentliche Wesen (menschlicher) Wahrnehmung: Etwas wahrzunehmen bedeutet in dieser Hinsicht sowohl die selektive Fähigkeit, etwas aus dem gegebenen Wahrnehmungsfeld heraus- bzw. hervorzuheben, als auch die Fähigkeit das gegenwärtig Gegebene mit den bleibenden Spuren des Vergangenen in Zusammenhang zu bringen und es damit in neuer und anderer Weise zu verknüpfen.683

683 Ihre eigentliche Bedeutung bekommen diese Prozesse erst, wenn man die intersubjektive Konstitution hinzunimmt, innerhalb derer sich eine gemeinschaftliche Lebenswelt herausbildet. Die obigen Ausführungen müssen in dieser Hinsicht unvollständig bleiben.

SCHEMA: Horizontale und vertikale Erweiterung der Aufmerksamkeit

METHODISCHER AUSBLICK

Für eine inter- oder transdisziplinäre Untersuchung im Bereich von Kognitionswissenschaft und Phänomenologie empfiehlt sich in Anlehnung an die drei methodologischen Traditionen der Kognitionswissenschaft – die formale Analyse, die empirische Analyse und die Synthese in Form von Computer-Modellierungen – eine Unterscheidung in drei Beschreibungsebenen: Die formal-deskriptive, die empirisch-genetische sowie die synthetisch-simulierende Ebene.684 Erstere bezieht sich dabei auf formale Definitionen und Gesetze, wie etwa bestimmte Funktionen, Mechanismen und Repräsentationen. Sie entspricht der funktionalen Bestimmung von Kognitionen in Form einer allgemeinen Theorie der Informationsverarbeitung.685 Auf der formal-deskriptiven Ebene kann die Phänomenologie etwa bei der Klärung grundlegender Annahmen und Konzeptionen helfen, wie etwa im Falle des Repräsentationsbegriffes, des Zusammenhangs von Kognition und Zeitlichkeit, sowie der Bedeutung von leiblichen und kontextuellen Faktoren in der menschlichen Wahrnehmung. Die Methode der eidetischen Variation, die die statische Phänomenologie kennzeichnet, kommt in diesem Sinne einer quasi-funktionalen Beschreibung gleich, da sich durch sie allgemeine Bewusstseinsstrukturen ausfindig machen lassen.686 So können intentionale Gegenstände vom intentionalen Akt oder dem Ausgangspunkt der Intention gleichermaßen differenziert werden, wie unterschiedliche Formen der 684 Aufgrund der thematischen Ausrichtung dieser Untersuchung auf die Horizonte der Aufmerksamkeit, die sich einerseits für die phänomenologischen Erträge kognitionspsychologischer Aufmerksamkeitsforschung und andererseits für die sich darin aufzeigenden Grenzen der Phänomenologie als Disziplin selbst interessierte, stand hier besonders die Beschäftigung mit der empirisch-genetischen Beschreibungsebene im Zentrum. 685 Wie bereits im zweiten Teil angedeutet wurde, haben sich die Definitionen von Informationsverarbeitung im Laufe der Zeit und in Anbetracht neuer empirischer und technischer Erkenntnisse deutlich gewandelt: von einer statisch ausgerichteten Theorie der Kognition als reiner Symbolverarbeitung hin zu einem dynamischeren Verständnis der inneren Prozesse als parallele und verteilte Informationsverarbeitung oder als dynamische Prozesse, die ohne symbolische Repräsentation auskommen. 686 Vgl. R. Sowa: Art.‚Eidetische Variation‘.

METHODISCHER AUSBLICK

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intentionalen Bezugnahme auf einen Gegenstand: Wahrnehmung, Vorstellungen, Urteile, Phantasien oder Bildbewusstsein. Im Gegensatz zu den meist funktionalen Ansätzen der klassischen Kognitionswissenschaft ist der oben erwähnte Quasi-Funktionalismus der Phänomenologie jedoch ein subjektiver, d.h. er setzt subjektiv-leibliche Erfahrung und Bewusstsein sowohl inhaltlich als auch methodisch voraus. Der kognitionswissenschaftliche Funktionalismus basiert hingegen auf dem Paradigma der Multirealisierbarkeit von kognitiven Strukturen.687 In diesem Kontext teilt die Phänomenologie eher gewisse Grundannahmen mit dem Ansatz der embodied cognition, der die Wichtigkeit der körperlichen Beschaffenheit für die Kognition betont, auch wenn man deren weit verbreitete Ablehnung einer repräsentativen Ebene aus phänomenologischer Sicht nicht teilen muss, wie argumentiert wurde. Nichtsdestoweniger können einige phänomenologisch differenzierte Strukturen oder definierte Teilbereiche der Aufmerksamkeit formalisiert werden und so auch unabhängig von ihrer jeweiligen subjektiven Herkunft technisch realisiert werden. In Bezug auf phänomenologische Formalisierungen, wie sie etwa Eduard Marbach ausdrücklich vornimmt,688 ist aber eine direkte Einspeisung in kognitive Modelle – also eine direkte Partizipation phänomenologischer Beiträge auf der synthetischen Ebene der kognitiven Modellierung – nur schwer möglich. Hier empfiehlt sich ein Umweg über die empirische Ebene und die hier generierten Daten.689 In der genetischen Phänomenologie tritt hingegen nicht die fertige Gegenstandsbeziehung, sondern es treten deren passive Konstitutionszusammenhänge in den Vordergrund, wie zeitliche und assoziative Synthesen, die Rolle der leiblichen Empfindung und Bewegung oder die Affektion, die einer solchen Gegenstandswahrnehmung vorangehen. Die einzelne 687 Die Phänomenologie im Ganzen kann ebenfalls als eine besondere Form des Funktionalismus verstanden werden, der es erlaubt, qualitative Unterschiede und subjektive Relativitäten in der Wahrnehmung funktional aufzuklären. Vgl. F. Steffen: Konstitution der Subjektivität – Zur Funktionalität von Qualia aus phänomenologischer Sicht. In: P. Merz/A. Staiti/F. Steffen (Hg.): Geist – Person – Gemeinschaft. Freiburger Beiträge zur Aktualität Husserls. Würzburg 2010, 17-53. Qualia gelten in diesem Zusammenhang nicht als interne (im Bewusstsein) oder externe (in der Welt) Eigenschaften oder Entitäten an sich, die zusätzlich zu raum-zeitlichen Eigenschaften schlicht gegeben sind, sondern als spezifische Korrelate eines Konstitutionsprozesses. 688 E. Marbach: Mental representation and consciousness. Towards a phenomenological theory of representation and reference. Siehe hierzu auch die ausführliche Auseinandersetzung mit Marbachs Ansatz in T. Breyer: Attentionalität und Intentionalität. 689 Zu dieser Einsicht kommt T. Breyer: Attentionalität und Intentionalität.

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METHODISCHER AUSBLICK

Gegenstandswahrnehmung erscheint in dieser Hinsicht nur als Teil eines zeitlichen sowie räumlichen Erfahrungshorizontes des Subjekts. Die Veränderungen, die mit einer solchen Perspektive einher gehen, sind aber nicht nur auf der Seite der Wahrnehmungsinhalte (Noema) zu suchen, sondern gerade auch im wahrnehmenden Subjekt selbst. Es ist nicht mehr nur ein funktionaler Ausgangspunkt: Die Erfahrungen hinterlassen Spuren in Form von erlernten Fähigkeiten, Wissen, Erinnerungen, Einstellungen und Interessen. Es gewinnt somit eine leibliche, habituelle und zuletzt personale Identität. Methodisch zeichnet sich eine genetische Perspektive im Gegensatz zu einer rein statischen Fragestellung dadurch aus, dass nicht mehr Definitionen im Vordergrund stehen, die sich gegenüber anderen Funktionen eindeutig abgrenzen lassen, sondern vielmehr die genetischen Fundierungszusammenhänge, die die Kontinuität und das Zusammenspiel der verschiedenen Ebenen in der aktuellen Wahrnehmung betonen. Genetische und statische Forschungsparadigmen schließen einander dabei nicht aus, sondern bedingen und ergänzen sich gegenseitig. So muss eine genetische Beschreibung von Zusammenhängen und Kontinuitäten auf begriffliche Definitionen zurückgreifen und setzt erkenntnistheoretisch bereits statische Unterscheidungen voraus, die sie zu überwinden sucht. Eine statische Beschreibung stellt wiederum eine nachträgliche Abstraktion und Klassifizierung desjenigen dar, was in der Erfahrung nur zusammenhängend vorkommt. Diese Tendenz zur statischen Reduktion wird von genetisch (dynamisch) orientierten Ansätzen meist scharf kritisiert, wenngleich diese Ansätze maßgeblich von einer solchen reduktiven Perspektive abhängen, indem sie ihre eigenen Konzepte nur in der Abgrenzung zu nicht-dynamischen Theorien entwickeln können. Als Beispiel für eine solche genetische Perspektive kann neben der klassischen Phänomenologie etwa die embodied cognition oder der enactive approach genannt werden, deren Forschungsinteresse den zeitlichen Entwicklungen und Zusammenhängen gilt und damit sachliche Kontinuitätslinien anstatt sachlicher Unterschiede betonen – sei es zwischen sensuellen und geistigen Fähigkeiten innerhalb der menschlichen Kognition oder zwischen verschiedenen Entwicklungsstufen bei Tieren und Menschen. Die genetische Phänomenologie eignet sich dabei besonders für die Beschreibung und Erklärung der empirischen Aufmerksamkeitsforschung, wie sie hier vorgenommen wurde. Zugleich zeigen sich gerade in diesem Bereich die Grenzen der Phänomenologie und die Notwendigkeit ihrer empirischen (Horizont-)Erweiterung. Für sämtliche Phänomene der Erfahrung, die über eine ausschließlich explizite Form des Bewusstseins hinausgehen, und damit nicht mehr vollständig mit der phänomenologischen Methode beschreibbar sind, muss insofern eine genetisch-empirische Unter-

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suchungsebene eingenommen werden. Dies gilt in besonderem Maße für das Phänomen der Aufmerksamkeit, das in seiner Gesamtheit passive und aktive Dimensionen vereint. In der empirischen Aufmerksamkeitsforschung lassen sich in diesem Sinne vielfältige Anwendungsgebiete für phänomenologische Beschreibungen und Differenzierungen finden. Die empirische Ebene der psychologischen und neuropsychologischen Untersuchung lässt sich zunächst in drei Stufen unterteilen: erstens die direkte Befragung von Versuchspersonen, zweitens die Beobachtung und Messung von Verhalten unter experimentellen Bedingungen und drittens die Beobachtung und Messung von physiologischen Veränderungen im Gehirn in Korrelation zu vorgegebenen experimentellen Aufgaben. Bei der Befragung von Subjekten, aber auch in der Interpretation des Verhaltens wird die psychologische Forschung zwangsläufig mit dem Problem des Bewusstseins konfrontiert. An dieser Stelle kann die Phänomenologie unreflektierten Vorannahmen oder einer einseitigen Einteilung in bewusste und unbewusste Zustände mit ihren differenzierten Beschreibungen entgegenwirken. In diesem Zusammenhang spielen die insbesondere von der genetischen Phänomenologie thematisierten Horizonte des Bewusstseins eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Verbalisierung von Erfahrung unterliegt demzufolge impliziten, d.h. den Probanden nicht explizit bewussten Einflüssen. Die befragten Personen äußern einerseits weit mehr als das, was sie momentan tatsächlich wahrgenommen haben sollten, und zwar aufgrund ihrer passiven Antizipationen, Interessen oder ihrer Ansicht darüber, was die Experimentatoren von ihnen erwarten. Andererseits werden viele Aspekte des momentan Wahrgenommenen nicht bemerkt bzw. können nicht verbalisiert werden und verbleiben somit im Bereich des Impliziten. Die Evaluierung und das Einkalkulieren der subjektiven und gegenständlichen Horizonte könnten hier hilfreich sein. Die Wahrnehmung und das Verhalten der Versuchspersonen stehen auch in einem reduzierten experimentellen Kontext innerhalb einer gesamten Erfahrungsgeschichte. Durch den individuellen Zusammenhang, in den das experimentelle Erlebnis nun eintritt, kann die Erfahrung der Versuchspersonen im Einzelfall stark von den ‚objektiv‘ erwarteten Resultaten der Forscher abweichen. Weiterhin darf die Bedeutung einer künstlich herbeigeführten Versuchssituation und die intersubjektive und rollenspezifische Dynamik zwischen der Versuchsperson und den Experimentatoren nicht unterschätzt werden. Solche Umstände beeinflussen maßgeblich das unmittelbare Verhalten und die verbale Antwort der Befragten.690 690 Das experimentelle Design und der Austausch mit den Experimentatoren vermitteln den Probanden einen gewissen normativen Maßstab, wie eine spezifische

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Nicht nur auf der Ebene der Interpretation von experimentellen Ergebnissen oder der Ausgestaltung von Fragebögen können phänomenologische Differenzierungen nützlich sein, sondern ebenfalls für das experimentelle Design selbst. Die Ausgestaltung eines Experiments unterliegt in der gleichen Weise wie die Interpretation gegenwärtig herrschenden Theorien und Paradigmen. Auch in diesem Kontext könnten phänomenologische Beschreibungen auf unhinterfragte Vorverständnisse aufmerksam machen und so zu neuen Perspektiven und Erkenntnissen beitragen. Die Unterscheidung verschiedener Erfahrungsebenen oder Arten, auf die Umwelt aktiv Bezug zu nehmen, sowie die damit voraus- und einhergehenden Motivationen, Horizonte und subjektiven Veränderungen können bei systematischer Darstellung neue Ideen und Aspekte für potentielle Experimente liefern. Die empirische Ebene ist deshalb ein bevorzugter Ort der interdisziplinären Zusammenarbeit, weil sich gerade hier die Wege der Ersten-, Zweiten- und Dritten-Person-Perspektive überkreuzen. Es ist zwar zunächst etwas völlig anderes, von dem Phänomen einer selektiven oder differenzierten Wahrnehmung auf der Erfahrungsebene auszugehen, statt einen entsprechenden subpersonalen selektiven Mechanismus oder eine bestimmte Strategie zur Berechnung von speziellen sensuellen Daten anzunehmen. So begegnen sich in diesem Bereich, wie oben deutlich wurde, trotzdem personale und subpersonale, subjektive und objektive Interpretationsebenen in verschiedenster Hinsicht. In all diesen Bereichen der kognitionspsychologischen Forschung, in denen statistische Daten gewonnen werden, die eine Theorie bestätigen oder für eine weiterführende kognitive Modellierung am Computer genutzt werden sollen, besteht eine direkte oder indirekte Verbindung zur Erfahrungsebene – entweder der der Experimentatoren oder der Versuchspersonen.691 Eine phänomenologisch informierte Beschreibung der Erfahrung, die jede wissenschaftliche Tätigkeit Aufgabe ausgeführt werden soll und welche Erwartungen an die Teilnehmenden damit verbunden sind. Vgl. A.I. Jack/A. Roepstorff: Why trust the subject? In: Journal of Consciousness Studies 10/2003, v-xx, hier: vii. 691 Selbst Experimente, in denen Probanden lediglich einen Hebel bewegen müssen, um ihre Aufmerksamkeit auf einen Stimulus messbar zu machen, sind so auf die Erfahrung und das Bewusstsein der Teilnehmenden angewiesen. S. Gallagher sieht an dieser Stelle ebenfalls eine Form der Introspektion am Werk: „This still depends on a quick and minimal introspection of the first-order-experience (seeing, hearing, feeling etc.) to be reported. If one instructs a subject to push a button, or say ‚now‘ when they see the light come, then the subject is reporting about the light, but also about their visual experience.” S. Gallagher: Phenomenology and non-reductionist cognitive science. In: D. Schmicking/S. Gallagher (Hg.):

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motiviert und fundiert, scheint insofern wünschenswert und kann einen wichtigen Beitrag zur Differenzierung und Effektivität eines experimentellen Designs und der Interpretation der entsprechenden Versuchsergebnisse leisten.692 Ein kritischer Vergleich zwischen phänomenologischen und kognitions-wissenschaftlichen Theorien zu den Funktionen der Aufmerksamkeit erweist sich aufgrund der gemeinsamen lebensweltlichen Grundlage ebenfalls als aufschlussreich. Wie sich in der Auseinandersetzung mit der kognitionspsychologischen Aufmerksamkeit gezeigt hat, bestehen in den Motiven, Fragestellungen und Beschreibungen des Phänomens teilweise große Ähnlichkeiten. Dies gilt insbesondere für die zunehmende Entwicklung zu einem dynamischen Verständnis der Aufmerksamkeit, das phänomenologischen Ideen verwandt ist und einige sogar explizit berücksichtigt. Trotz dieser Gemeinsamkeiten trifft man zugleich auf große ideelle und methodische Unterschiede. Sie ergeben sich nicht nur aus dem Gegensatz einer subjektiven und einer objektiven (empirischen) Forschungsperspektive, sondern weisen ebenfalls auf die verschiedenen Entstehungsgeschichten der Disziplinen zurück, die mit der Notwendigkeit der methodischen und begrifflichen Abgrenzungen gegenüber anderen Wissenschaftsrichtungen einher gehen. Ein solcher Prozess der identitätsstiftenden Abgrenzung, wie er sich etwa bei der Kognitionspsychologie in Bezug auf den Behaviorismus vollzogen hat, erklärt die Entstehung und die Beharrlichkeit bestimmter wissenschaftlicher Themen, Begrifflichkeiten und Denkmuster. Aus dieser Entstehungssituation heraus wird etwa deutlich, weshalb die klassische Kognitionswissenschaft auf der einen Seite am Begriff der Repräsentation Handbook of phenomenology and cognitive science. Dordrecht/New York/Heidelberg/London 2010, 21-34, hier: 22. 692 A. Kingstone, D. Smilek und J.D. Eastwood argumentieren in diesem Zusammenhang für einen neuen Ansatz der Kognitionspsychologie. Entgegen einer einseitigen Reduktion der Untersuchung kognitiver Phänomene auf kontrollierte Laborstudien plädieren sie für die verstärkte Berücksichtigung komplexer Situationen in der realen Welt. Hierfür sollen nicht nur subpersonale, sondern auch personale Erklärungsebenen mit einbezogen werden. Die jeweiligen Experimente und Theorien sollten sich an einer vorherigen Verhaltensbeobachtung und den subjektiven Erfahrungsberichten zum Thema orientieren. In der von den Autoren entworfenen Idee einer „cognitive ethology“ besteht die Möglichkeit einer direkten Anknüpfung an die Phänomenologie, die die entsprechenden Methoden und Beschreibungen liefern könnte. Vgl. A. Kingstone/D. Smilek/J.D. Eastwood: Cognitive ethology: a new approach for studying human cognition. In: British Journal of Psychology 99/2008, 317-340.

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festhält, während die Strömung der embodied cognition ihre Identität gerade in der Abgrenzung zu dieser Begrifflichkeit entwickelt.693 Die Phänomenologie kann und sollte hier eine vermittelnde Rolle einnehmen, indem sie versucht, die jeweils intendierten Sachverhalte und Interpretationen mit Hilfe ihrer Methode am gemeinsamen Boden der Erfahrung zu überprüfen. Die phänomenologische Reflexion darauf, wie uns die Dinge und die Welt im Ganzen gegeben sind, d.h. wie sich diese für uns durch passive Synthesen konstituieren, kann diesbezüglich wichtige allgemeine Strukturmerkmale und Relationen aufzeigen, die unserer subjektiven Erfahrung wesentlich zukommen. Da eine solche Erfahrungserkenntnis aber für alle evident sein soll, bedarf es hierzu einer intersubjektiven Kommunikation und Validierung. Die notwendige intersubjektive Ergänzung der phänomenologischen Methode, die von Husserl gefordert wird, muss so konsequenterweise auch naturwissenschaftliche Ergebnisse und Meinungen einbeziehen. Dies ergibt sich aufgrund der lebensweltlichen Fundierung der Phänomenologie, die wissenschaftliche Einsichten und die damit verbundenen technischpraktischen Erweiterungen unserer Selbst- und Welterfahrung mit einschließt. In den diesbezüglichen medizinischen, biologischen oder neurowissenschaftlichen Ein- und Ansichten von Körper und Gehirn zeigen sich damit zugleich die Grenzen der phänomenalen Erfahrbarkeit und die anonyme Seite des Subjekts, die auch Husserl in seinen späten Schriften betont. Die von Husserl geforderte intersubjektive Ergänzung darf sich deshalb aus heutiger Sicht nicht in einer inner-phänomenologischen Kommunikation erschöpfen, sondern muss eine Ausweitung auf andere Wissenschaften zulassen.694 In diesem Sinne erweisen sich das wechselseitige Zusammenwirken einer phänomenologisch aufgeklärten Forschung 693 Siehe hierzu Punkt 1.3 dieses Kapitels. 694 Als wahre Arbeitsphilosophie darf sie sich insofern nicht auf eine schon vorgefertigte Wahrheit oder einen Vernunftbegriff berufen. Durch die Rückbindung der phänomenologischen Methode an ein konkretes Subjekt, das diese gleich einer Meditation selbst ausführen muss, sind die so gewonnenen Ergebnisse der Phänomenologie selbst in die lebensweltlichen, d.h. auch kulturellen und wissenschaftlichen, Situationen eingebunden, in der das jeweilige phänomenologisierende Subjekt steht. Der Versuch einer vorurteilslosen, neutralen Betrachtung kann so nie gänzlich gelingen. Unsere leibliche Beschaffenheit und die damit verbundenen anonymen Seiten des Subjekts, bestehend aus biologischen Dispositionen, physiologischen Prozessen sowie passiven leiblichen Bewegungsabläufen, habituellen Erwerben etc., machen eine solche vollständige Reduktion unmöglich. Vgl. M. Merleau-Ponty: Phänomenologie der Wahrnehmung, 11. Gerade für diese nicht reflexiv einholbaren aber dennoch subjektiv motivierenden Horizonte

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einerseits und der Überprüfung der phänomenologischen Wesensbeschreibungen anhand von aktuellen experimentellen Ergebnissen oder pathologischen Phänomenen andererseits als wünschenswert. Während die Phänomenologie in vielen Fällen eine begriffliche Differenzierung und die Aufklärung von Vorannahmen leisten kann, bietet umgekehrt die psychologische und neurowissenschaftliche Forschung eine Horizonterweiterung für die phänomenologische Perspektive. Ist die Phänomenologie in ihren Beschreibungen auf das Bewusstsein des Phänomenologen oder die sich aus der eidetischen Methode ergebenden allgemeinen Strukturen begrenzt, so können empirische Forschungen uns Einblicke in das Wahrnehmungsverhalten anderer Menschen oder Spezies verschaffen. Hierbei können auch die Unterschiede der individuellen Wahrnehmung zum Thema und so Vergleiche angestellt werden: etwa zwischen Menschen aus verschiedenen Kulturen, zwischen normalen und pathologischen Fällen oder zwischen Kindern und Erwachsenen. Ein weiterer Bereich, den die Phänomenologie nur schwer erreichen kann, ist ihre eigene Grenze, das Unbewusste oder Nicht-Gesehene. Aus phänomenologischer Perspektive ist etwas wahrgenommen oder nicht, der Horizont der Wahrnehmung ergibt sich aus dem aktuellen Fokus und den kinästhetischen Möglichkeiten des Subjekts. Was allerdings einzelne Personen im Unterschied zu anderen von dem, was ihnen objektiv präsentiert wird, bemerken oder nicht, kann dagegen nur aus der Dritten-Person-Perspektive untersucht werden. Dasselbe gilt für die impliziten Einflüsse auf das weitere Verhalten durch sogenannte unbewusste oder subliminale Wahrnehmungseindrücke. Des Weiteren sind die mittlerweile sichtbar gemachten physiologischen Aktivitäten unseres Gehirns, die in Verbindung mit Erfahrung und Verhalten auftreten, nicht mit der phänomenologischen Methode zugänglich zu machen. Die neuronale Ebene ist zwar unmittelbar mit unserer Erfahrung verknüpft, aber nicht Teil dieser Erfahrung selbst. Lediglich Mediziner und Neuropsychologen können an diesem Bereich in der Beobachtung anderer Gehirne bildlich vermittelt teilhaben. Die Stufen und Horizonte der Aufmerksamkeit, sind insofern nicht nur der Ausdruck einer phänomenologischen Differenzierung der bisherigen kognitionswissenschaftlichen Interpretation oder gar eine innerphänomenologische Darstellung des Horizontkonzepts Husserls. Vielmehr zeigt sich gerade anhand kognitionspsychologischer Erkenntnisse, dass die von phänomenologischer Seite geforderte Berücksichtigung von Horizonten, deren eigenen Horizont weit überschreitet. Dasselbe gilt gewissermaßen für eine braucht eine in diesem Sinne pragmatische Phänomenologie die Ergänzung durch die experimentelle Forschung.

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rein kognitionspsychologische Forschung, die aufgrund der engen Verbindung zur subjektiven Ebene – sowohl ihrem Thema als auch ihrer Methode nach – immer im Horizont der Erfahrungsgeschichten ihrer Probanden, des unmittelbaren Kontextes ihres Experiments oder ihrer eigenen subjektiven Verstrickung in das Untersuchte stehen. Phänomenologie und Kognitionspsychologie, Erste- und Dritte-Person-Perspektive treffen sich jedoch unvermeidlich dort, wo der Ursprung der Frage nach dem Phänomen der Aufmerksamkeit allererst auftaucht: in der alltäglichen Erfahrung. Mit den Worten Merleau-Pontys stellt die gemeinsame Welt der Erfahrung den Ort dar, an dem die unterschiedlichen Disziplinen und Ansichten ihrem Thema – der Aufmerksamkeit – in seinem Umfeld und an seinen Horizonten begegnen können: „nicht außerhalb von uns und nicht in uns, sondern dort, wo beide Bewegungen sich kreuzen, dort, wo ‚es‘ etwas ‚gibt‘“.695 Das Verhältnis der verschiedenen Disziplinen müsste in diesem Sinne nach Merleau-Ponty durch eine Art Hyperdialektik geprägt sein, die niemals zur Ruhe kommt: Eine solche wechselt immerfort die Perspektiven auf das, was wir erfahren und untersuchen können, und vollzieht in diesem Prozess eine ständige gegenseitige kritische Evaluierung der jeweiligen Sichtweisen. Solch eine dynamische Interaktion und fruchtbare Zusammenarbeit kann aber nur dann stattfinden, wenn die vermeintlich gemeinsamen Horizonte auch systematisch veranschaulicht und in eine gemeinsame wissenschaftliche Begrifflichkeit gebracht werden.

695 M. Merleau-Ponty: Das Sichtbare und das Unsichtbare, 130.

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Die Geltungen einer horizontalen Beschreibung der Aufmerksamkeit lassen sich nicht auf den Bereich der Wahrnehmung beschränken. Weit über diesen hinausgehend bergen sie eine gesellschaftliche und ethische Relevanz in sich. Die Ergebnisse der empirischen Forschung müssen insofern im Kontext weitreichender gesellschaftlicher und normativer Prozesse betrachtet werden. Zugleich können sie jedoch zur Einsicht in die Entwicklung, Ausprägung und Ausformung ebendieser beitragen. Eine wechselseitige Untersuchung zwischen beiden Ebenen im Sinne einer kritischen interdisziplinären Dialektik, wie sie von Merleau-Ponty angedacht wurde, wäre in diesem Zusammenhang ebenfalls vielversprechend. An dieser Stelle kann hingegen nur in kurzer und damit notwendig unvollständiger Form auf die ethischen Implikationen des bisher Untersuchten hingewiesen werden. Die oben beschriebenen Horizonte der Aufmerksamkeit beeinflussen nicht nur die gemessene Leistung der Aufmerksamkeit, sondern machen deutlich, warum Menschen, auch wenn sie denselben Ereignissen beiwohnen oder im selben Land leben, nicht unbedingt auch das Gleiche zu ‚sehen‘ bekommen. Aufgrund ihrer je eigenen Lebenswelt und des daraus resultierenden Aufmerksamkeitsstils kann in diesem Sinne nicht von derselben Welt die Rede sein, auf die alle in gleichem Maße objektiven Zugriff haben. Gerade dies macht den Kern des Phänomens Aufmerksamkeit aus: Dass sie durch ihre dynamische Horizontalität mehr ist als die aktuelle Wahrnehmung, indem sie vergangene, gegenwärtige und zukünftige Erfahrungen in einen subjektiven Zusammenhang integriert, und zugleich weniger, da dasjenige, auf was ein Subjekt aufmerksam ist, nicht unbedingt mit dem übereinstimmt, was andere sehen bzw. was man ‚objektiv‘ sehen sollte. Im positiven Sinne macht die Aufmerksamkeit als selektive, integrative, affektive und handlungsorientierte Form der Erfahrung das, was uns potentiell an Welt (oder Informationen über die Welt) zur Verfügung steht, zu unserer Lebenswelt. Die Möglichkeit, die Welt aus einer vollständig anderen Perspektive zu betrachten, wird hierdurch notwendigerweise eingeschränkt. In der alltäglichen Erfahrung sind wir – mit Husserls Worten gesprochen – immer bei den ‚Sachen‘, die noematischen und noetischen Horizonte derselben bleiben hingegen im Hintergrund. Welche ‚Sachen‘ uns überhaupt auffallen und ob wir bei diesen verweilen, hängt in entscheidendem Maße von diesen Horizonten ab. Unser lebensweltlicher

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Aufmerksamkeitsstil bestimmt in dieser Hinsicht über dasjenige, was uns auffällt bzw. uns ‚etwas angeht‘. Dies kann ganz einem routinierten, immer gleichen Aufmerksamkeitsprofil entsprechen, das durch unsere täglichen Handlungen geprägt ist. Ein Universitätsprofessor geht etwa jeden Morgen zur Universität, mittags oder abends in ein Lokal in der Nähe, vorbei an Antiquariaten und Buchläden. In demselben Park, den er jeden Morgen durchquert, werden täglich Heroinabhängige versorgt, er ist Zufluchtsort für Obdachlose. Dem Professor fällt dort aber lediglich das Museum auf, das sich inmitten des Parks befindet. Für die Obdachlosen ist das Museum hingegen nur der Hintergrund für die Bänke, auf denen sie nachts ein Zuhause finden. Anhand dieses Beispiels wird deutlich, dass es gar nicht so einfach ist, die eigene selektive und in sich kohärente Welt zu erweitern oder zu durchbrechen, um Neues, Fremdes oder Anderes zu entdecken, wie es etwa Waldenfels in seiner Phänomenologie der Aufmerksamkeit fordert. Dadurch, dass die lebensweltlichen Horizonte bereits die Inhalte der untersten Stufen der Wahrnehmung mit bestimmen, wie oben argumentiert wurde, ergibt sich eine weitreichende Konsequenz: Noch vor dem Wirkungsbereich einer sprachlich-diskursiven Macht, wie sie insbesondere Michel Foucault herausgestellt hat, entpuppt sich bereits die Wahrnehmung als Ort normativer und kultureller Einflüsse. Die Frage, ob man „anders denken kann, als man denkt und anders wahrnehmen kann, als man sieht“696, entscheidet sich in diesem Sinne hinsichtlich der dafür notwendigen Voraussetzungen. Hierzu gehören im Falle des Universitätsprofessors etwa Zeit, Neugier, das Aufmerksam-Machen oder ein entsprechendes Ereignis, das seine Lebenswelt mit der fremden verbindet. Auf der Seite des Obdachlosen kommen jedoch noch weitere Bedingungen hinzu, um in diesem Sinne aufmerksam sein zu können: die Befriedigung existentieller Bedürfnisse, die Möglichkeit des Zugangs zu Bildung und der Partizipation an sozialen und kulturellen Lebensbereichen. Selbst wenn alle diese Kriterien erfüllt sein sollten, muss Aufmerksamkeit die Gestalt einer ausdrücklichen Haltung einnehmen, um Offenheit für andere Lebenswelten zu gewährleisten. Aufmerksamkeit in einem ethischen Sinne muss insofern selbst zu einer habituellen Geltung werden. Um dies zu erreichen, müssen jedoch zuvor die eigenen Horizonte der Aufmerksamkeit hinterfragt werden. Durch einen solchen explizit durchgeführten Aufmerksamkeitswechsel werden die habituellen Scheuklappen der subjektiven Wahrnehmung sichtbar. Nur so kann eine Offenheit für neue ‚horizonter696 M. Foucault: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit 2. Übers. von U. Raulff und W. Seitter. Frankfurt a. Main 1989, 15; franz: Histoire de la Sexualité, Vol.2: L’Usage de Plaisirs. Paris 1984.

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weiternde‘ Erfahrungen geschaffen werden, die Toleranz und Verständnis für unterschiedliche Sichtweisen und Lebensumstände ermöglicht.

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376

LITERATURVERZEICHNIS

— : Subjectivity and selfhood. Investigating the first-person-perspective. Cambridge, MA. 2005.

PERSONENREGISTER

Abelson, Robert P. 267 Allport, Alan 138-142, 164ff., 167f., 178, 236 Arvidson, Sven P. 24, 62, 106, 195 Bach y Rita, Paul 253 Bartlett, Frederic C. 267 Becklen, Robert 223 Bégout, Bruce 92 Bernet, Rudolf 36, 49, 50, 51, 58, 59, 61 Blackmore, Susan 312 Block, Ned 290, 320 Bobrow, Daniel G. 138, 162ff. Breyer, Thiemo 88, 272, 345 Briscoe, Robert 252 Broadbent, Donald 137f, 142, 144-153, 155-160, 178, 216, 217 Brooks, Rodney 127 Cajal, Santiago R. y 229 Chabris, Christoper 283, 312 Cherry, Colin 146f. Churchland, Patricia S. 285 Chun, Marvin M. 321, 328 Churchland, Paul M. 285, 286 Clark, Andy 314 Cleeremans, Axel 300 Damasio, Antonio R. 240, 243 Dehaene, Stanislas Dennett, Daniel C. 284, 312 Depraz, Natalie 247f. Descartes, René 38, 43, 56, 57, 59, 104, 121, 282, 283 Desimone, Robert 140, 274 Deutsch, Diana 150f. Deutsch, Anthony J. 150f. Dreyfus, Hubert L. 61, 164, 165f.

Driver, Jon 191, 202, 303 Duncan, John 140, 274 Eastwood, John D. 349 Ekman, Paul 251 Ennen, Elizabeth 265, 271 Eriksen, Barbara A. 161, 200f. Eriksen, Charles W. 161, 200f. Eslinger, P.J. 240 Fechner, Gustav T. 125 Fodor, Jerry A. 122, 124, 234 Ford, Jason 285, 311, 312 Foucault, Michel 354 Freud, Sigmund S. 282 Fritz, Thomas 79 Fuchs,Thomas 15, 250, 283 Gallagher, Shaun 17, 18, 238, 249, 250, 255, 259, 277, 348 Gallese, Vittorio 252, 335 Gelb, Adhémar 80 Gibson, James J. 126, 224, 227, 256, 324 Gleitman, Henry 161 Goldstein, Kurt 80 Goodale, Melv yn A. 252, 288, 293 Gopher, Daniel 138, 167 Greene, Michelle R. 227, 324 Gurwitsch, Aaron 15, 25f., 41, 42-63, 72, 80, 84, 106, 195, 225, 277 Happé, Francesca 239 Hebb, Donald O. 229 Helmholtz, Hermann von 125, 183 Heidegger, Martin 18, 19, 74, 86, 127, 227, 242f., 246, 264, 265 Henry, Michel 283 Heijden, A.H.C. van der 148, 178

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PERSONENREGISTER

Holender, Daniel 295 Husserl, Edmund 14, 15, 20, 25, 26, 27, 31-42, 54, 55f., 58-63, 63-72, 72f., 77ff., 64, 89-114, 115, 181, 182, 191f., 200, 220, 234, 236, 241f., 244, 248, 254, 257f., 265, 267, 239, 274, 278, 281ff., 350f., 353 James, William 13, 36, 84, 126, 134, 244, 245 Jonides, John 161 Kihlstrom, John F. 292 Kim, Jaegwon 263 Kingstone, Alan Konorski, Jerzy 229 Lamme, Victor A.F. 319f. Lange, Carl 245 Lavie, Nilli 156f., 298 Lee, Nam-In 68, 70 Lewin, Kurt 244, 250 Mack, Arien 309f., 315, 318, 329, 332 Marr, David 127ff. Mayring, Philipp 245, 272 Melle, Ullrich 32ff., 50ff., 63 Merleau-Ponty, Maurice 18, 19, 21, 26, 52, 59, 61, 62, 68, 71, 72-89, 103, 112f., 127, 199, 200, 220, 228, 233, 239, 247, 258ff., 264ff, 279, 282f., 289, 352, 353 Mewhort, Douglas J.K. 159 Milner, David A. 252, 288, 293 Mole, Christopher 149, 156, 179 Navon, David 138, 167 Neisser, Ulric 143, 149, 158, 223 Neumann, Odmar 170-179, 254, 256, 264, 279 Nietzsche, Friedrich 5, 85, 282 Noë, Alva 254-261, 264, 285, 311 Norman, Donald A. 138, 162ff. Nussbaum, Martha 246

Oliva, Aude 227, 324 O’Reagan, J. Kevin 254, 256, 260 Overgaard, Morten 304-308 Pashler, Harald 134f. Pawlow, Iwan P. 229 Plessner, Helmuth 259, 289 Posner, Michael I. 165, 166, 183f., 189f., 200f. Pylyshyn, Zenon 218ff. Kahneman, Daniel 138, 162f. Kant, Immanuel 49 Kingstone, Alan 349 Rabanaque, Luis R. 59 Ramachandran, Vilayanur S. 215 Rang, Bernhard 98 Resink, Ronald A. 310 Rizolatti, Giacomo 182, 252 Rock, Irvin 309f., 315, 318, 329, 332 Roesch, Eleanor 127 Schank, Roger C. 267 Scheler, Max 283 Schopenhauer, Arthur 282 Shannon, Claude 137, 142 Sheets-Johnstone, Maxine 289 Shipley, Thomas F. 221 Simons, Daniel J. 283f., 310, 312, 329 Slaby, Jan 112, 234, 242f., 246, 248 Smilek, Daniel 349 Solomon, Robert C. 246 Sperling, George 149, 157f. Steinbock, Anthony J. 96 Stinson, Catherine 169, 190 Stroop, John R. 172 Stumpf, Carl 94 Thompson, Evan 127, 229, 247, 248, 288-292 Timmermans, Bert 304-308 Titchener, Edward B. 134, 157 Treisman, Anne 140, 151f., 154f., 200, 206-218, 223, 236

PERSONENREGISTER

Ulich, Dieter 245, 272 Varela, Francisco J. 127, 229, 247f., 274, 289, 290 Velmans, Max 255 Vuilleumier, Patrik 303

379

Wickens, Christopher D. 167 Wolfe, Jeremy M. 210f., 216 Wright, Richard D. 185 Wundt, Wilhelm 125, 126, 136, 157, 244 Yantis, Steven 189

Waldenfels, Bernhard 26, 52, 77, 80, 83-90, 238, 249, 354 Ward, Lawrence M. 185 Weaver, Warren 137, 142

Zacks, Jeffrey M. 221 Zahavi, Dan 18, 32, 36, 59, 73, 117, 118

SACHREGISTER

Affektion/Affektivität 14, 27, 65, 67f., 90f., 99ff., 106ff., 112ff., 191, 234, 241f., 246, 248, 250, 261f., 337, 341, 345 affordances 227f. alertness 244 Attentionalität 27,234, 236f., 241, 243, 250ff., 260f., 274, 277, 279, 340 attentional/memory load 156, 217, 298 attentional set 186, 189, 313, 324, 328, 329ff. Aktivität 26, 46, 61ff., 65, 79, 83, 89ff., 102, 105ff., 110ff., 115, 136, 140, 197, 226, 234, 266, 277, 311, 335, 337 arousal 162, 244f. Aufmerksamkeit – aktive 133 – explizite 198, 200, 211, 213 – fokussierte 189, 239 – gestaltende 42 – habituelle 81ff. – leibliche 15, 16, 22, 23, 72ff.,103, 275ff., 278 – passive/passiv-sensuelle 23,134, 187 – periphere 28, 325 – primäre 81, 134 – responsive 83ff. – schöpferische 87 – selektive 27, 133, 144, 182, 338, 340 – sekundäre 38, 81, 134 – thematische 23, 276 – unbewusste 316 – visuelle 138, 157ff., 172, 198, 291, 323 Aufmerksamkeitsdefizit/-syndrom 13, 238, 240

Aufmerksamkeitsgeschehen 82, 87, 98, 117, 189, 194, 212 Aufmerksamkeitsfokus 15, 106, 213, 280f., 291, 293, 309, 318 Aufmerksamkeitsleistung 17, 24, 152, 156, 158ff., 212, 216, 243, 274, 294 Aufmerksamkeitsprofil 44 Aufmerksamkeitsressource 27, 164, 168f. Aufmerksamkeitsstil 15, 16, 23, 69, 78, 105, 200, 243, 271, 273, 280f., 315, 322, 328f., 332f., 338ff., 353f. Aufmerksamkeitsstrategie 13, 174, 237f., 240, 276, 280, 298, 302, 324, 332, 340 Aufmerksamkeitswechsel 15, 16, 28, 40, 82, 99, 104, 154, 182, 184, 186, 191ff., 212ff., 225, 238-243, 277, 329f., 354 Ausrichtung (der Aufmerksamkeit)/ orienting of attention – covert orienting 181-183 – overt orienting 181-183 Behaviorismus 121, 126f., 135, 183, 349 Bewusstsein – explizites 149, 301 – Hintergrundbewusstsein 90, 116, 280, 290 Bewusstseinsakte 34, 37, 39, 41-45 Bewusstseinsfeld 61, 96, 287, 301 Bewusstseinsleistung 35f. Bewusstseinsweisen 32, 49, 51, 104 blindsight 303f., 307 bottom-up 128, 134, 140, 187ff., 214, 245, 261f., 280, 295, 316, 321, 324, 329

SACHREGISTER

capture (of attention) 185, 280, 313316, 329 change blindness 24, 28, 196, 223, 235, 283ff., 308, 310-317, 329, 333f. cocktail party 146, 150 competition 140, 303, 320 consciousness – phenomenal consciousness 290, 320 – access consciousness 290, 320 contextual cueing 327f. coping skills 264f. dichotic listening 138, 149 Doppelaufgabe (dual tasks) 153, 162, 166,168f., 170 Eidetik/eidetisch 91, 94, 97, 115, 116, 344, 351 Einfühlung 118, 226 Einstellung/Einstellungswechsel 44, 47, 104, 230 embodied cognition 18, 19, 106, 123, 126f., 172, 236, 246, 252, 254, 256, 260f.,267, 345, 350 embodiment 18, 248, 259 Emotion 241-252, 259, 260, 268, 272f., 299, 300, 331f. Empathie 335 Empfindung 43, 51, 61, 79 – Doppelempfindung 71 Empfindungsgrundlage 48, 64 Empfindungsinhalte/-daten 34, 48, 51 Empfindungsmaterial 34, 42 Empirismus 82, 206 Energie 130f., 138 enactive approach 18f., 229, 260, 346 Erfahrung – Erfahrungsebene 115, 126, 208, 262, 282, 348 – Erfahrungseinheit 221, 222, 224 – Erfahrungsgeschichte 227, 275, 279, 281, 321f., 328, 347, 352 – Erfahrungshorizont/-kontext 191, 195, 198, 214, 276, 346 Erfahrungsqualitäten 254, 255, 306

381

Erfahrungssituation 217, 235 Erfahrungsverlauf 52, 69, 97, 218, 240, 250, 301 Erfahrungswissen 20, 52, 276, 325, 329, 332, 333, 337 Erfahrungszusammenhang 25, 55, 73, 115, 217, 248, 342 Erfüllung 35, 68, 93, 94ff., 242 Erinnerung 20, 31f., 34, 37, 45, 47, 49f., 64f., 115, 128, 134, 153f., 201, 217, 225, 229, 234, 239, 254, 258, 261, 266ff., 281, 302, 314, 322, 334, 346 Erlebnis 31, 40, 41ff., 48f., 54, 78, 93, 94, 98f., 101f., 113, 116, 117, 130, 206, 211, 220f., 225f., 227, 250, 258, 260, 347 Event (event) 27, 196f., 199, 221, 222-228, 276, 324 Evidenz 206, 237 Experiment 16ff., 21ff., 28, 60f., 69, 88, 127, 130f., 137f., 144-201, 208f., 215f., 218f., 221ff., 234f., 243, 261, 263, 268, 271, 283-288, 294-334, 337f., 340f., 347-352 Externalismus 263 features 27, 207, 210f., 217ff., 228, 243, 326 Fokus/Fokussierung 15, 17, 25, 56, 60, 92, 98, 106, 133, 175, 180, 186, 194, 199, 213f., 234, 238, 239f., 274, 276, 277, 280f., 286f., 290, 291, 293, 309, 311, 315, 318, 320, 321, 328, 331, 338, 351 folk psychology 135 Formalisierung 18, 142, 345 Filter/Filtertheorie 14, 25, 140, 144, 145f., 147-163, 177, 178, 181f., 185, 202, 233, 241, 292, 294f., 340 Flaschenhals (bottleneck) 138, 146f., 216 Gedächtnis 14, 15, 122, 133, 149, 153, 154, 156, 158ff., 172, 184,

382

SACHREGISTER

190, 199, 209, 233, 235, 251, 256, 258, 267, 270ff., 283, 286, 291ff., 297f., 315, 319f., 326ff., 333 – Arbeitsgedächtnis 156, 190, 320 – Langzeitgedächtnis 149, 209, 286, 291, 315, 326 – leiblich/habituell/implizit 15, 22, 251, 258, 270, 283, 292, 293 Gefühle 28, 67, 90, 94f., 112, 234, 241-251, 181, 300 – Hintergrundgefühle 242f., 245, 250 Gegebenheit 33, 40f., 45, 48ff., 52, 57, 59ff., 63, 70, 93, 95f., 100, 104, 110-118, 246, 258 – Selbstgegebenheit 33, 49 – Vorgegebenheit 63, 70, 100, 110-118 Gehirn 20, 125, 128, 130, 132, 166, 169, 170, 178, 190f., 203, 207, 228f., 238ff., 259, 271, 285, 288, 293, 302f., 314, 319f., 337, 347, 350f. Gestalt/-psychologie/-theorie 126f., 180, 195, 202, 206, 213ff., 223, 326 Gradualität 28, 154, 191, 233, 304, 320 Gewohnheit/Gewöhnung 15, 44, 76, 111, 113, 132, 227, 266, 258, 322 Handlungsorientierung 23, 112, 154, 170ff., 243, 261, 303 Habitualität 15, 24, 26, 44, 61, 69ff., 76, 85, 89, 109, 111, 115, 234, 256, 258, 269-274, 276, 283, 293 homunculus 169, 190, 191 Horizont/e – Außen-/Innenhorizont 111, 328 – Interessenshorizont 91, 98, 107, 109, 117, 339 – noematische/gegenständliche 23, 24,99, 101, 106, 111, 115f., 175, 212, 234, 257, 280f., 283, 323329, 331, 338, 347 – noetische/subjektive 16, 23f., 28, 89, 234, 280f., 283, 315f., 320f., 328, 329-340, 353

– lebensweltliche 14, 21, 24, 88, 109, 180, 226, 339, 341, 354 – leibliche/habituelle 24, 100, 102, 106f., 330, 333, 337, 339 – passive/zeitliche 24, 107f., 281, 338, 342 – vorpersonale 113, 266 Ich/Ich-Pol 43, 67, 68, 70, 89, 101, 108, 117 inattentional blindness 24, 28, 235, 309-319, 328 Inaktualität 14, 38, 43, 89, 111 Information/Informationsverarbeitung 14, 26, 27, 121f., 124-131, 137141, 142f., 145, 147-151, 153159, 162, 165, 167f., 173, 175f., 178, 181, 185, 187, 192, 194, 196-200, 201, 207, 215, 224, 233f., 252, 263ff., 267, 273, 276, 286, 291f., 294-299, 301, 311-316, 322-328, 331, 344 Intentionalität 14, 25, 27, 31f., 39, 42, 49, 51, 57, 63, 65, 67f., 71f., 75, 78f., 83, 89f., 92-99, 100, 102, 105ff., 112-116, 118, 168, 192, 219f., 234, 241, 246250, 251, 257, 278, 280, 282, 287f., 333 – Horizontintentionalität 39, 96, 192 – Triebintentionalität 67f., 94, 242, 248 Interesse 20, 21, 24, 37, 52, 56f., 60, 69, 86, 89-118, 180, 190, 195, 240-245, 250, 261ff., 270ff., 274, 281, 298, 322, 328f., 331, 332f., 335, 339, 341, 346, 347 – Berufsinteresse 113f., 272, 332 Interferenz 156, 161-173, 178, 184, 200, 202, 217, 336 Introspektion 83, 126, 129, 136, 143, 348 Kanal/Kanal-Selektions-Modell 124, 137, 142f., 147, 148f., 151f., 154f., 294

SACHREGISTER

Kapazität/Kapazitätsbegrenzung 133, 136ff., 142ff., 146f., 153, 156f., 162-171, 177f., 202 Kinästhese/n 71, 105, 251, 333 Konnektionismus 123, 125, 144, 170, 263, 264 Konstitution 22, 34, 35, 63ff., 66, 69ff., 72, 82, 102, 107, 109f., 115 Kontext 15, 19, 23f., 55f., 60f., 67, 90, 97, 106, 109, 11f., 115, 123, 131, 139f., 154f., 180, 186, 188, 189, 191, 195-200, 201, 205, 208, 212ff., 221ff., 226, 239, 240, 264, 268, 276, 281, 321-330, 341, 345, 347, 352 Kontrolle – bottom-up 214, 329 – intentionale, subjektive 16, 27, 135, 169, 173, 175, 184-188, 190ff., 227 – top-down 322, 331 – Handlungs/Bewegungskontrolle 170, 171, 172f., 238, 240, 259, 286, 290, 301, 321, 339 Körperschema/Körperbild (bodyschema/body-image) 75f., 259 Korrelation 22, 34, 42, 130, 168, 254f., 260, 307, 347 Lebenswelt 20f., 37, 39, 72f., 75, 98, 105, 109f., 116, 225ff., 248, 253, 275, 339, 341f., 353f. Leib/Leiblichkeit 15, 26f., 28, 35, 49, 51, 61f., 63, 70-84, 86, 88, 91, 102f., 108, 113, 127, 234, 246250, 251f., 254ff., 258ff., 266ff., 278, 282, 283, 288f. Leistung – Aufmerksamkeitsleistung 13, 16, 17, 24, 25, 45, 48, 60, 81, 132, 135, 136f., 141, 152, 156, 158, 159ff., 162, 168, 178 212, 216, 218, 243, 245, 274, 294, 333, 353 – Bewusstseinsleistung 33, 34f., 36, 39, 49, 51, 54, 63, 66, 70f., 75, 81, 96, 98, 110, 268

383

– Erinnerungs-/Wiedergabeleistung 33, 153, 159, 297 – kognitive/mentale/willentliche 14, 36, 39, 79, 106, 122, 124. 222, 245, 337 – Verhaltensleistung 163ff., 182 – Wahrnehmungsleistung 78, 257, 311 Leistungscharakteristik 163ff. Meinung, intentionale 36, 92-99, 102 Merkmalsintegrationstheorie (feature integration theory) 140, 206-210, 213-216 Metaphern (der Aufmerksamkeit) 22, 138, 141, 143, 146, 182, 191203 Modifikation 36-42 Motivation 15, 16, 20, 21, 24, 25, 27, 44, 57, 60, 61f., 67, 77, 82, 94, 99, 103, 116, 131, 169, 183, 187, 192, 241, 242, 247, 261ff., 268, 279, 383, 301f., 304, 328, 331, 348 Motivationsgrundlage 89, 98, 108, 150, 154, 338 Neuronen 130, 182, 207, 218, 229, 319 – Spiegelneuronen 259, 335 Neurophänomenologie 18, 289 Neuropsychologie/-wissenschaft 14, 15, 18, 21, 84, 125, 127, 129, 130, 140, 166, 168, 207f., 217, 229f., 243, 246f., 252, 255, 286ff., 302ff., 319, 332, 347, 350ff. Noema 33, 34, 40, 42, 46-62, 268, 328, 346 Normalität/Normalisierung 36, 88, 96, 239, 240, 245 Ökologismus 126, 256 partial report (effect) 158ff. Passivität 26, 62f., 65, 67, 70, 72, 79, 89, 91, 102, 103, 107, 112, 115

384

SACHREGISTER

Perspektive/Perspektivität 21, 34, 42, 48, 49, 66, 71, 89, 117, 128, 130, 143, 211, 228, 254, 256ff., 269, 277, 302, 322, 341, 346, 348, 352, 353 – Dritte-Person-Perspektive 16, 20, 21, 131, 135, 208, 262, 304f., 316, 348, 351, 352 – Erste-Person-Perspektive 16, 20, 21, 135, 168, 190, 207, 226, 262, 269, 291, 304, 311, 348, 352 Plastizität, neuronale 228f., 258, 319, 342 pop-out effect 208, 214f., pre-motor-theory 182 priming (effect/experiment) 152, 294, 296, 308, 316 Propriozeption 251, 255 Psychologie 13, 31, 41, 58, 69, 83, 84, 121, 125f., 127, 133, 134ff., 181, 191, 243f., 295, 324 – Kognitionspsychologie 13, 15, 16, 20, 21f., 25f., 88, 111, 123, 124f., 127, 129-132, 132, 134ff., 137, 139-144, 168ff., 172, 182f., 187, 189, 192, 196, 200, 206f., 212, 216, 222, 225, 235f., 246, 261, 282, 290, 292f., 300, 304, 321, 331f., 349, 352 Qualia 66, 285, 287, 345 Reduktion, phänomenologische, transzendentale 49, 73, 104, 350 Repräsentation 19, 27, 49, 64f., 111, 122, 125-129, 144, 145, 172, 173177, 189, 197, 199, 208f., 209, 213f., 218, 226, 227, 230, 233ff., 254, 256, 260, 261-272, 282, 285f., 300f., 310f., 314, 326, 328, 338, 344, 349 Responsivität 86-90 Ressource (Aufmerksamkeit) 27, 137, 138, 144, 145, 156, 162-171, 177, 202 Rezeptivität 107, 117, 275, 277

Salienz (saliency) 155, 205, 247, 280, 321, 323 Scheinwerfer 17, 25, 40f., 60, 89, 100, 102, 108, 139, 141, 182, 191, 192198, 200ff., 207, 213, 233, 318 Schema (Schema-Wissen) 222, 244, 267, 272f., 315, 331 Schizophrenie 238, 249, 250 script (Script-Wissen) 267f. Sedimentierung 44, 70, 69, 257, 258, 269ff., 338 Selbst/Selbstbezug 86, 117, 255, 273, 382, 289, 300, 305, 339 sense of agency/sense of ownership 249f. sensorimotor account of vision 254ff. Sinnesdaten 33ff., 64, 67, 213, 303 selection-for-action/selection-for-exploration 73-79 Selektion 17, 24, 27, 61, 67, 69, 112, 133, 136-142, 144f., 146-163, 170-175, 176-180, 190f., 194f., 225, 233, 236, 239ff., 244f., 249f., 266, 267, 274, 278, 286, 294f., 298, 319, f., 325, 327ff., 338 situated cognition 123, 126f., 144 spatial cueing 173, 184, 193, 200 Steuerung (der Aufmerksamkeit), endogene/exogene 87, 134, 140f., 170f, 181f., 183-187, 187, 190, 195, 329 – Handlungssteuerung 140, 170f., 190 Stiftung 69, 74, 80 Subjektivität 15, 18, 21, 24, 39, 44, 58, 61f., 63, 68, 74, 77, 110, 116, 280, 283 Suche, visuelle 194, 208f., 216, 218, 291, 316, 323, 326 – Konjunktionssuche 215f. – Merkmalssuche 208, 216 Synthesen/Synthesis, passive 35, 43, 46, 48, 59, 63-67, 69, 79, 91, 103, 107ff., 111, 220, 236, 242, 261, 274, 278, 345, 350 Szenen/-verstehen 194, 196, 198, 205f., 221, 223, 225, 227, 284,

SACHREGISTER

310, 316, 321-327, 329, 331, 333f., 340 Thema 15, 25, 42-70, 80, 82, 98-108, 115, 117f., 195, 224, 225, 238ff., 251, 276f., 195, 224f., 238ff., 251, 276f., 281, 285, 328 thematisches Feld 26, 42f., 45ff., 50, 56ff., 60, 106f., 115, 195, 281, 328 top-down 111, 128, 131, 139f., 186, 187ff., 205, 213f., 245, 261f., 280, 303, 313, 315, 321f., 331 Transzendental 34, 61, 70, 72f., 104 Typus/Typik 107, 108, 111, 222, 270 Umwelt 17, 70, 72, 74ff., 80ff., 88, 99, 106, 109, 112, 122, 124, 126f., 144, 154, 172, 175f., 178, 184, 189, 193, 196, 198, 200, 204f., 207. 214, 221, 225, 227f., 234, 237, 240f., 242f., 245f., 249, 253, 258, 262ff., 266, 269ff., 273, 275, 278, 285, 289, 300, 308, 310f., 321, 323, 327, 338, 348 Unbewusstes/Unbewusstsein 24, 27, 28, 283, 292-300, 301, 303ff., 308, 321 Vergegenwärtigung 37, 267 Vigilanz 244f. Wahrnehmung – äußere/gegenständliche 32, 34ff., 50, 70, 72, 94, 111,206, 212, 214, 255, 269, 291, 304 – Fehlwahrnehmungen 196, 284, 311, 315

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– periphere 24, 193, 311 Wahrnehmungsfeld 38, 39 46, 66, 108, 111, 175, 199, 307, 342 Wahrnehmungsgegenstand/-objekt 34, 39, 99, 102, 104, 174, 179, 196, 238, 252, 257, 284, 130, 181, 207 Wahrnehmungsinhalt 91, 109, 256, 278, 346 Wahrnehmungssituation 24, 76, 80, 112, 131, 149, 181, 187, 189, 212, 221, 237, 239, 271, 311, 314, 318, 321, 328, 331, 334 Wahrnehmungssystem 128ff., 148, 177ff., 207, 325f. Wahrnehmungsstörungen 293, 303, 314 Wahrnehmungsverarbeitung 140, 146, 155, 173, 207f., 222, 236, 239, 295, 326, 342 Wandlungen, attentionale 37, 39, 41, 43f., 48, 55, 57f. Zeit/-bewusstsein /Zeitlichkeit 18, 26, 35, 64-68, 72, 77, 79, 80, 89, 93, 103, 107, 110, 192, 217-222, 222230, 236, 238f., 242f., 245-252, 256-262, 266-274, 276, 313, 328, 330, 331, 344 – Reaktionszeit 145f., 161, 181, 184, 193, 216, 271 – zeitliche Dimension/Strukur 28, 65, 77, 81, 85, 180, 219, 256, 258, 266, 274, 278, 311, 333 zoom-lens Metapher/Modell 194f., 198, 214

Phänomenologische Untersuchungen herausgegeben von Bernhard Waldenfels Die Bände dieser Reihe, die in der Nachbarschaft der philosophisch-sozialwissenschaftlich ausgerichteten Reihe Übergänge erscheint, bestehen vorwiegend aus Detailuntersuchungen, die sich mit bestimmten Problemen, Texten und Autoren befassen und ihren Ausgangspunkt oder einen Schwerpunkt im Feld oder Umfeld der Phänomenologie haben. Dahinter steht die Überzeugung, daß die ‚Sachen selbst‘, trotz aller Beschränkung der Zugangsweise, aller Verzögerung des Zugangs und aller Verschattung des phänomenologischen Blicks, mehr besagen als das, was historische Gelehrsamkeit, methodische Zugriffe, Modellkonstruktionen und Normalisierungsprozesse aus ihnen machen. Die Entdeckung der Phänomenologie als „Möglichkeit des Forschens in der Philosophie“ gehört auch dann nicht der Vergangenheit an, wenn das, worauf der forschende Blick antwortet, sich der Einzeichnung in eine anfängliche oder endgültige Ordnung entzieht. Anlaß für die Herausgabe dieser Reihe ist das in Bochum/Wuppertal eingerichtete Graduiertenkolleg „Phänomenologie und Hermeneutik“. Bernhard Waldenfels

Band 1 Petra Gehring Innen des Außen – Außen des Innen Foucault · Derrida · Lyotard 1994, 316 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-2936-0 Band 3 Georg Bensch Vom Kunstwerk zum ästhetischen Objekt Zur Geschichte der phänomenologischen Ästhetik 1994, 191 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-2970-4

Band 4 Alfred Hirsch Der Dialog der Sprachen Studien zum Sprach- und Übersetzungsdenken Walter Benjamins und Jacques Derridas 1995, 338 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-2937-7 Band 5 Iris Därmann Tod und Bild Eine phänomenologische Mediengeschichte 1995, 523 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3005-2

Band 6 Martin W. Schnell Phänomenologie des Politischen 1995, 345 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3013-7 Band 9 Maria Peters Blick - Wort - Berührung Differenzen als ästhetisches Potential in der Rezeption plastischer Werke von Arp, Maillol und F. E. Walther 1996, 343 Seiten, 26 Abbildungen, Kartoniert 978-3-7705-3114-1 Band 10 Ingrid Scharlau Erkenntnis als Wissenschaft Streitpunkte zwischen Husserl, Gurwitsch, Merleau-Ponty und Piaget 1998, 278 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3301-5 Band 12 Tania Eden Lebenswelt und Sprache Eine Studie zu Husserl, Quine und Wittgenstein 1999, 347 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3413-5 Band 13 Antje Kapust Berührung ohne Berührung Ethik und Ontologie bei Merleau-Ponty und Levinas 1999, 434 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3289-6

Band 14 Pascal Delhom Der Dritte Levinas’ Philosophie zwischen Verantwortung und Gerechtigkeit 2000, 332 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3485-2 Band 15 Alwin Letzkus Dekonstruktion und ethische Passion Denken des Anderen nach Jacques Derrida und Emmanuel Levinas 2002, 478 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3620-7 Band 16 Thomas Bedorf Dimensionen des Dritten Sozialphilosophische Modelle zwischen Ethischem und Politischem 2003, 403 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3870-6 Band 17 Susanne Kaul Narratio Hermeneutik nach Heidegger und Ricœur 2003,174 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3868-3 Band 18 Kathrin Busch Geschicktes Geben Aporien der Gabe bei Jacques Derrida 2004, 317 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3940-6 Band 19 Markus Heuft Sagen und Meinen Das Sprechen als sprachphilosophisches Problem 2004, 537 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3981-9

Band 20 Patrick Hofmann Phänomen und Beschreibung Zu Edmund Husserls Logischen Untersuchungen 2004, 240 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-4044-0 Band 21 Andreas Gelhard Das Denken des Unmöglichen Sprache, Tod und Inspiration in den Schriften Maurice Blanchots 2005, 288 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-3975-8 Band 22 Annette Höhne Eine Welt der Stille Untersuchungen zur Erfahrungswelt Gehörloser als Ausgangspunkt für eine phänomenologisch-orientierte Gehörlosenpädagogik 2005, 395 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-4191-1 Band 23 Volkmar Mühleis Kunst im Sehverlust 2005, 295 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-4125-6 Band 24 Andris Breitling MöglichkeitsdichtungWirklichkeitssinn Paul Ricoeurs hermeneutisches Denken der Geschichte 2007, 320 Seiten, Kartoniert 978-3-7705-4258-1

Band 25 Kerstin Andermann Spielräume der Erfahrung Kritik der transzendentalen Konstitution bei Merleau-Ponty, Deleuze und Schmitz 2007, 324 Seiten, Kartoniert, 978-3-7705-4453-0 Band 26 Katharina Schmidt Zum Verhältnis von Verantwortung und Kritik Versuch einer Neubefragung in Anschluss an Emmanuel Levinas 2008, 456 Seiten, Kartoniert, 978-3-7705-4580-3 Band 27 Claus Stieve Von den Dingen lernen Die Gegenstände unserer Kindheit 2008, 356 Seiten, 4 Abbildungen, Kartoniert 978-3-7705-4756-2 Band 28 Thiemo Breyer Attentionalität und Intentionalität Grundzüge einer phänomenologischkognitionswissenschaftlichen Theorie der Aufmerksamkeit 2011, 331 Seiten, 8 s/w Abb., Kartoniert 978-3-7705-5122-4 Band 29 Anna Orlikowski Attentionalität und Intentionalität Merleau-Pontys Weg zur Welt der rohen Wahrnehmung 2012, 186 Seiten, 2 s/w Abb., Kartoniert 978-3-7705-5335-8