Vertragliche Nebenpflichten im Kaufrecht: Eine rechtshistorische Untersuchung vom römischen über das deutsche zum chinesischen Recht. Dissertationsschrift 9783161590504, 3161590503

Obwohl keine Lehre der Nebenpflichten bestand, konnte im römischen Kaufrecht der entsprechende Schaden für deren Verletz

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German Pages 186 [201] Year 2020

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Titel
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Erstes Kapitel: Einleitung
A. Überblick über die Problematik der Nebenpflichten vor dem Hintergrund der Kodifizierung des chinesischen Zivilgesetzbuchs
B. Beschränkung der Untersuchung in Bezug auf das deutsche geltende Recht
C. Notwendigkeit der Hinzufügung der historischen Perspektive
D. Kaufvertrag als Untersuchungsbeispiel
E. Arbeitsplan
Zweites Kapitel: Grundlage für die spätere Entstehung der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht
A. Überblick
I. Suche nach den Nebenpflichten im römischen Recht
II. Prinzip der condemnatio pecuniaria und Unterscheidung zwischen iudicia stricta und iudicia bonae fidei
III. Verbindung zwischen Verschulden, Nebenpflichten und Schadensersatz
B. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Unmöglichkeit
I. Verschulden und Nebenpflichten bei den iudicia stricta
1. Verschulden und Verneinung der perpetuatio obligationis
2. Anwendung der perpetuatio obligationis zur Ignorierung der Nebenpflichten
II. Verschulden und Nebenpflichten bei den iudicia bonae fidei
C. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Verzug
I. Verschulden und Schadensersatz bei den iudicia stricta
II. Verschulden und Schadensersatz bei den iudicia bonae fidei
D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung
I. Problematik der Nebenpflichten bei Sachmangel
1. Direkte Verbindung zwischen Verschulden und Nebenpflichten
2. Beziehung zwischen Garantiehaftung und Nebenpflichten
a) Zusicherung als Ersatz des Verschuldens
b) Verknüpfung zwischen Zusicherung und Nebenpflichten
II. Problematik der Nebenpflichten bei Rechtsmangel
1. Lösungsmodell vor den iudicia bonae fidei
2. Lösungsmodell bei den iudicia bonae fidei
III. Problematik der Nebenpflichten bei Schlechtleistung
1. Beziehung zwischen Risikoverteilung und Verschulden
2. Schätzung des Verschuldens in Geld
3. Tiefere Verbindung zwischen actio de dolo und exceptio doli
E. Zusammenfassung
Drittes Kapitel: Lösungsmodell für die Problematik der Nebenpflichten im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert
A. Überblick
B. Savignys Obligationenlehre zur Ignorierung der Nebenpflichten
I. Leistungs- und Obligationsbegriff in der Lehre vom subjektiven Recht und Organismus
II. „Analogie der Bürgerpflicht“ zur Ergänzung der Sorgfaltspflicht
C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten
I. Verständnis von Nebenpflichten bei vorhandener Unmöglichkeit
1. Unterscheidung von objektiver und subjektiver Unmöglichkeit
2. Unterscheidung zwischen Erfüllungsinteresse und negativem Interesse
3. Missverständnis in Bezug auf das römische Recht und Ignorierung der Nebenpflichten
II. Ignorierung der Nebenpflichten bei nachfolgender Unmöglichkeit
1. Unverschuldete und verschuldete Unmöglichkeit
2. Verbindung zwischen Leistungsumwandlung und Nebenpflichten
III. Verständnis von Nebenpflichten bei Unmöglichkeit hinsichtlich der Gegenstandsqualität
1. Der Sachmangel in der Unmöglichkeitslehre
2. Missverständnis um die actio ex empto und Übersehen der Nebenpflichten
D. Jherings Lehre von der c.i.c. zur Ergänzung der Nebenpflichten
I. Der Umbau des Mangels und die Begründung der c.i.c.
II. Die Beziehung zwischen der Aufklärungspflicht und den Nebenpflichten innerhalb der Lehre von der c.i.c
III. Die Lehre von der c.i.c. zum Wiederaufbau des römischen Rechts
E. Problematik der Nebenpflichten des Kaufrechts im BGB von 1900
I. Nebenpflichten bei anfänglicher Unmöglichkeit
II. Nebenpflichten bei nachträglicher Unmöglichkeit
III. Sachmangel und Nebenpflichten
F. Zusammenfassung
Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht mit Fokus auf den Schutzpflichten
A. Überblick
B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten
I. Staubs Lehre der p.V.V. als Ausgangspunkt des Rechtsumbaus
1. Kritik an § 276 a. F. BGB oder Unmöglichkeit als Haftungsmaßstab
2. Analogie des Schuldnerverzugs als Rechtsgrund
II. Sibers Lehre der Diligenzpflicht als Ergänzung der Leistungspflicht
1. Aufstellung der Diligenzpflichten mit eigenem Schadensersatzanspruch
2. Umbau des Verständnisses in Bezug auf das Schuldverhältnis
III. Kreß’ Lehre der Schutzansprüche als Vorgänger der Schutzpflichten
1. Unterscheidung zwischen Erwerbs- und Schutzansprüchen
2. Lehre der unentwickelten Schutzansprüche
IV. Stolls Lehre der von der Leistung unabhängigen Schutzpflichten
1. Unterscheidung zwischen Erfüllungs- und Schutzpflichten
2. Rechtsnatur der Leistungs- und Schutzinteressen
3. Ungelöste Probleme in Stolls Lehre
C. Entwicklung der vorvertraglichen Verhaltenspflichten
I. Leonhards Erweiterung der c.i.c. zum wirksamen Vertrag
1. Begründung der c.i.c. im Fall des wirksamen Vertrags
2. Analogie der p.V.V. als Rechtsgrund der c.i.c.
II. Stolls Organismuslehre zur Isolierung des vorvertraglichen Stadiums
1. Haftung für das Verhalten vor Vertragsschluss
2. Vertragsverhandlung als Erscheinungsform des „Organismus“
III. Dölles Theorie der „außergesetzlichen Schuldpflichten“ zum Umbau des Rechtsgrunds der c.i.c
1. Begründung der c.i.c. auf sozialen Kontakt
2. Schwierigkeit der Trennung von Schutz- und Aufklärungspflicht
D. Kombinierung der Verhaltenspflichten im vorvertraglichen und vertraglichen Schuldverhältnis
I. Larenz’ Lehre eines gesetzlichen Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht zur Verbindung zwischen der c.i.c. und der p.V.V
1. Vertragsverhandlung als gesetzliches Schuldverhältnis
2. Loyalitäts- und Schutzpflichten im vorvertraglichen Stadium
3. Verbindung der Pflichten vor und nach Vertragsschluss
4. Zwischenergebnis
II. Canaris’ Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses zur Vereinigung der Schutzpflichten im Vertragsverkehr
1. Vereinigung von c.i.c. und p.V.V.
2. Schutzwirkung für Dritte zur Vereinigung der Schutzpflichten
3. Zwischenfazit
E. Entsprechender Umbau des Gewährleistungsrechts im Kaufvertrag
I. Streitigkeit über die Beziehung zwischen § 463 a. F. BGB und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht
II. Beziehung zwischen fahrlässiger Verschweigung, c.i.c. und p.V.V.
III. Einführung der Neben- und Schutzpflichten anstelle der c.i.c. und der p.V.V.
F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB mit Fokus auf dem Kaufrecht
I. Anerkennung der Schutzpflichten zur Zersplitterung der Nebenpflichten
1. Einführung der Schutzpflichten in § 241 BGB
2. Verbindung zwischen § 311 BGB und Schutzpflichten
3. Verbindung zwischen § 311a BGB und Schutzpflichten
4. Beziehung zwischen Gewährleistungsrecht und Schutzpflichten
II. Beziehung zwischen Schutz- und Leistungspflichten im allgemeinen Leistungsstörungsrecht
1. Verbindung zwischen § 280 I BGB und Schutzpflichten
2. Verbindung zwischen § 282 bzw § 324 BGB und Schutzpflichten
a) Aufbau des § 282 und § 324 BGB
b) Anerkennung des Vertrauensverhältnisses
III. Zwischenergebnis
G. Zusammenfassung: Historische Evaluierung des geltenden deutschen Rechts
Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht mit Rücksicht auf dessen Rezeptionsgeschichte
A. Überblick
B. Rechtsaufbau der Nebenpflichten in der ersten Rechtsrezeption
I. Übersehen der Nebenpflichten in zwei früheren ZGB-Entwürfen
II. Indirekte Aufnahme der p.V.V. im ZGB der Republik China
C. Zersplitterung des Rechtsaufbaus in der zweiten Rechtsrezeption
I. Rechtsumbau auf dem Festland Chinas zur Ignorierung der Nebenpflichten
II. Rechtsfortbildung der Nebenpflichten im Zivilrecht Taiwans
D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption
I. Beziehung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten i. S. d. § 60 CVG
II. Beziehung zwischen c.i.c. und Nebenpflichten
III. Beziehung zwischen Schadensersatz und Nebenpflichtenverletzung
IV. Problem der Nebenpflichten im Kaufrecht
E. Zusammenfassung
I. Probleme der Nebenpflichten im chinesischen Vertragsgesetz
II. Probleme der Nebenpflichten in der Rechtsanwendung
Sechstes Kapitel: Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis der Untersuchung
A. Neue Probleme der Nebenpflichten bei der Kodifikation des ZGB
B. Verbesserungsvorschlag auf deutsche Weise
C. Rückblick auf die deutsche und chinesische Rechtsgeschichte
D. Vorschläge für den Umbau der Lehre von den Nebenpflichten im chinesischen Recht
I. Von Nebenpflichten zu unvereinbarten Pflichten
II. Von Verschuldensunabhängigkeit zum Verschuldensprinzip
III. Aufbau der allgemeinen unvereinbarten Pflichten
Literaturverzeichnis
Glossar
Sachregister
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Vertragliche Nebenpflichten im Kaufrecht: Eine rechtshistorische Untersuchung vom römischen über das deutsche zum chinesischen Recht. Dissertationsschrift
 9783161590504, 3161590503

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Schriften zum Ostasiatischen Privatrecht herausgegeben von

Moritz Bälz, Yuanshi Bu und Knut Benjamin Pißler

5

Nijie Wang

Vertragliche Nebenpflichten im Kaufrecht Eine rechtshistorische Untersuchung vom römischen über das deutsche zum chinesischen Recht

Mohr Siebeck

Nijie Wang, geboren 1986; Bachelor der Rechtswissenschaften an der Universität Fudan 2009; LL.M. (Rechtsgeschichte) an der Universität Fudan 2012; LL.M. an der Universität Konstanz 2015; Promotion an der Universität Konstanz 2019; ab Oktober 2019 Postdoktorand an der Universität Fudan.

Die Publikation wurde gefördert durch die Universität Fudan/China. ISBN 978-3-16-159050-4 / eISBN 978-3-16-159051-1 DOI 10.1628/978-3-16-159051-1 ISSN 2512-0476 / eISSN 2569-4367 (Schriften zum Ostasiatischen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ biblio­graphie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen gesetzt, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Printed in Germany.

Vorwort Diese Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz im Sommersemester 2019 als Dissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Rechtswissenschaften angenommen. Erster Referent war Prof. Dr. Matthias Armgardt, zweite Referentin war Prof. Dr. Astrid Stadler. Die mündliche Prüfung hat am 16. Juli 2019 stattgefunden. Sie behandelt die verschiedenen Lösungsmöglichkeiten für die Nebenpflichtenproblematik im zu kodifizierenden chinesischen ZGB. Die Nebenpflichtenlehre im chinesischen Recht gilt einerseits als Ergebnis der Rezeption der deutschen Dogmatik, andererseits ist die Entstehung dieser Lehre i. S. d. deutschen Rechts auf die Rezeption und die Transformation des römischen Rechts zurückzuführen. Die Arbeit beschäftigt sich daher mit der dogmengeschichtlichen und -vergleichenden Untersuchung der verschiedenen Lösungsmodelle im römischen, deutschen und chinesischen Recht. Im Fokus steht dabei die Interaktion zwischen Nebenpflichten und den grundlegenden Elementen des Schuldverhältnisses wie Leistung, Verschulden und Schadensersatz. Als Ergebnis der Arbeit wird ein Vorschlag für den Umbau der Nebenpflichten im zukünftigen chinesischen ZGB gegeben. Gezeigt wird, dass im römischen Kaufrecht, obwohl keine Lehre der Nebenpflichten bestand, der entsprechende Schaden für deren Verletzung bei Vertragsschluss und -erfüllung mithilfe der exceptio doli durch die römischen Richter ermessen werden kann. Im Gegensatz dazu haben die deutschen Juristen im 19.  Jahrhundert wegen des Einflusses des Gedankens des subjektiven Rechts die römischen Quellen ahistorisch ausgelegt. Sie haben das Bestehen der Nebenpflichten ignoriert und die Lücke im Leistungsstörungsrecht des deutschen BGB verursacht. Zur Lückenschließung wurden nach dem Inkrafttreten des BGB die Lehren der positiven Vertragsverletzung und der Neben- bzw. Schutzpflichten nacheinander aufgestellt. Dies führte sowohl zur scharfen Trennung zwischen Vertragsschluss und -erfüllung als auch zur Vergrößerung des Abstands zwischen Vertrags- und Deliktsrecht im geltenden deutschen Recht. Im Vergleich dazu wird das chinesische Schuldrecht historisch gesehen durch verschiedene Rechtsquellen und -traditionen beeinflusst, sodass die Lehre der Nebenpflichten der Struktur des geltenden chinesischen Vertragsrechts nicht völlig entsprechen kann. Im zukünftigen

VI

Vorwort

chinesischen ZGB soll die Lehre der Nebenpflichten gewissermaßen aufgegeben und durch die Lehre der allgemeinen unvereinbarten Pflichten ersetzt werden. Das Verfassen dieses Buches ist nur durch die Hilfe und Unterstützung zahlreicher Menschen im Vorfeld, während und sogar nach meiner Promotionszeit ermöglicht worden. Ihnen allen möchte ich bei dieser Gelegenheit herzlich danken. Mein Dank gilt vor allen anderen meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Matthias Armgardt, der nicht nur meine Dissertation sorgfältig betreut hat, sondern mir immer ausreichenden Forschungsfreiraum gegeben hat, um meine eigene Auffassung zum deutschen und römischen Recht zu entwickeln. Ebenfalls bin ich meiner Zweitgutachterin, Frau Professorin Dr. Astrid Stadler, sehr zu Dank verpflichtet, nicht nur für die rasche Zweitkorrektur, sondern auch für die kontinuierliche Fürsorge und Betreuung während meines Studiums in Konstanz. Ferner muss ich meinem Lateinlehrer, Herrn Dr. Joachim Fugmann, sehr danken, bei dem ich systematisch Latein gelernt und das Latinum im Rahmen der baden-württembergischen Landesprüfung erlangt habe. Ohne diese Lateinkenntnisse wäre es nicht möglich gewesen, diese Arbeit zu schreiben. In gleicher Weise möchte ich den Professoren an meiner Heimatuniversität Fudan danken. Ohne Professor Dr. Wang Zhiqiangs Unterstützung und Ermunterung hätte ich nicht gewagt, in Deutschland zu promovieren. Die seit Langem von Professorin Dr. Chen Li und Professor Dr. Ji Ligang erfolgreich durchgeführte akademische Kooperation zwischen der Universität Fudan und der Universiät Konstanz ermöglichte mir das Studium in Konstanz. Zudem danke ich herzlich dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Fudan Universität für die finanzielle Förderung der Publikation dieser Arbeit. Des Weiteren danke ich besonders Frau Dr. Doris Forster für das Korrekturlesen der Arbeit. Ohne ihre Hilfe konnte diese Veröffentlichung nicht realisiert werden. An dieser Stelle möchte ich noch meinen Kollegen und Kolleginnen unseres Lehrstuhls, vor allem Rebecca Klein, Maria Kaufhold, Johanna Heuer, Michael Preisig, Nicolai Preetz und Nina Doller, für ihre Begleitung und Unterstützung herzlich danken. Durch die Diskussionen mit ihnen wurde mein Verständnis des deutschen Rechts sowie der deutschen Kultur und Gesellschaft stark vertieft und erweitert. Darüber hinaus muss ich mich hier bei meinen Eltern bedanken, die mich bei meiner Promotion uneingeschränkt unterstützt haben, sodass ich die Promotionszeit in Deutschland völlig genießen konnte. Schließlich bin ich noch den Herausgebern der Schriftenreihe sowie dem Verlag Mohr Siebeck, vor allem Frau Dr. Julia Caroline Scherpe-Blessing und Frau Dr. Charlotte Coy zu Dank verpflichtet, nicht nur für die rasche Überprüfung meines Manuskripts, sondern auch für die wertvollen Hinweise in den eingehenden Gutachten und Korrekturanmerkungen. Shanghai, im Oktober 2019

Nijie Wang

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Erstes Kapitel: Einleitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 A. Überblick über die Problematik der Nebenpflichten vor dem Hintergrund der Kodifizierung des chinesischen Zivilgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 B. Beschränkung der Untersuchung in Bezug auf das deutsche geltende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 C. Notwendigkeit der Hinzufügung der historischen Perspektive . . 4 D. Kaufvertrag als Untersuchungsbeispiel . . . . . . . . . . . . . . 5 E. Arbeitsplan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

Zweites Kapitel: Grundlage für die spätere Entstehung der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht  . . . . . . . . . . . . 9 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Suche nach den Nebenpflichten im römischen Recht . . . . . . . . . . 9

II. Prinzip der condemnatio pecuniaria und Unterscheidung zwischen iudicia stricta und iudicia bonae fidei . . . . . . . . . . . . . 10 III. Verbindung zwischen Verschulden, Nebenpflichten und Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

B. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 I. Verschulden und Nebenpflichten bei den iudicia stricta . . . . . . . . . 13 1. Verschulden und Verneinung der perpetuatio obligationis . . . . . . 13 2. Anwendung der perpetuatio obligationis zur Ignorierung der Nebenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verschulden und Nebenpflichten bei den iudicia bonae fidei . . . . . .

15 16

VIII

Inhaltsverzeichnis

C. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Verzug . 20 I. Verschulden und Schadensersatz bei den iudicia stricta . . . . . . . . . 21 II. Verschulden und Schadensersatz bei den iudicia bonae fidei  . . . . . . 22 D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Problematik der Nebenpflichten bei Sachmangel . . . . . . . . . . . . 25 1. Direkte Verbindung zwischen Verschulden und Nebenpflichten . . . 25 2. Beziehung zwischen Garantiehaftung und Nebenpflichten . . . . . . 28 a) Zusicherung als Ersatz des Verschuldens  . . . . . . . . . . . . 28 b) Verknüpfung zwischen Zusicherung und Nebenpflichten . . . . . 30 II. Problematik der Nebenpflichten bei Rechtsmangel . . . . . . . . . . . 31 1. Lösungsmodell vor den iudicia bonae fidei . . . . . . . . . . . . . 31 2. Lösungsmodell bei den iudicia bonae fidei . . . . . . . . . . . . . 32 III. Problematik der Nebenpflichten bei Schlechtleistung . . . . . . . . . . 35 1. Beziehung zwischen Risikoverteilung und Verschulden . . . . . . . 35 2. Schätzung des Verschuldens in Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 3. Tiefere Verbindung zwischen actio de dolo und exceptio doli . . . . 39 E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Drittes Kapitel: Lösungsmodell für die Problematik der Nebenpflichten im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert  . . . 45 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 B. Savignys Obligationenlehre zur Ignorierung der Nebenpflichten . 46 I. Leistungs- und Obligationsbegriff in der Lehre vom subjektiven Recht und Organismus . . . . . . . . . . . . . . . . 46 II. „Analogie der Bürgerpflicht“ zur Ergänzung der Sorgfaltspflicht . . . . 49

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 I. Verständnis von Nebenpflichten bei vorhandener Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 1. Unterscheidung von objektiver und subjektiver Unmöglichkeit . . . 52 2. Unterscheidung zwischen Erfüllungsinteresse und negativem Interesse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 3. Missverständnis in Bezug auf das römische Recht und Ignorierung der Nebenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Ignorierung der Nebenpflichten bei nachfolgender Unmöglichkeit . . . 57

Inhaltsverzeichnis

IX

1. Unverschuldete und verschuldete Unmöglichkeit . . . . . . . . . . 57 2. Verbindung zwischen Leistungsumwandlung und Nebenpflichten . . 59 III. Verständnis von Nebenpflichten bei Unmöglichkeit hinsichtlich der Gegenstandsqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 1. Der Sachmangel in der Unmöglichkeitslehre . . . . . . . . . . . . 60 2. Missverständnis um die actio ex empto und Übersehen der Nebenpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

D. Jherings Lehre von der c.i.c. zur Ergänzung der Nebenpflichten . 64 I. Der Umbau des Mangels und die Begründung der c.i.c. . . . . . . . . 64 II. Die Beziehung zwischen der Aufklärungspflicht und den Nebenpflichten innerhalb der Lehre von der c.i.c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Die Lehre von der c.i.c. zum Wiederaufbau des römischen Rechts . . . 68

E. Problematik der Nebenpflichten des Kaufrechts im BGB von 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 I. Nebenpflichten bei anfänglicher Unmöglichkeit  . . . . . . . . . . . . 70 II. Nebenpflichten bei nachträglicher Unmöglichkeit  . . . . . . . . . . . 72 III. Sachmangel und Nebenpflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 F. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht mit Fokus auf den Schutzpflichten . . . . . . . . 79 A. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten . . . . . . . . . . . 80 I. Staubs Lehre der p.V.V. als Ausgangspunkt des Rechtsumbaus . . . . . 80 1. Kritik an §  276 a. F. BGB oder Unmöglichkeit als Haftungsmaßstab . 81 2. Analogie des Schuldnerverzugs als Rechtsgrund . . . . . . . . . . 83 II. Sibers Lehre der Diligenzpflicht als Ergänzung der Leistungspflicht  . . 84

1. Aufstellung der Diligenzpflichten mit eigenem Schadensersatzanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 2. Umbau des Verständnisses in Bezug auf das Schuldverhältnis . . . . 85 III. Kreß’ Lehre der Schutzansprüche als Vorgänger der Schutzpflichten . . 86 1. Unterscheidung zwischen Erwerbs- und Schutzansprüchen . . . . . 86 2. Lehre der unentwickelten Schutzansprüche . . . . . . . . . . . . . 87 IV. Stolls Lehre der von der Leistung unabhängigen Schutzpflichten . . . . 89 1. Unterscheidung zwischen Erfüllungs- und Schutzpflichten . . . . . 90 2. Rechtsnatur der Leistungs- und Schutzinteressen . . . . . . . . . . 91 3. Ungelöste Probleme in Stolls Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 92

X

Inhaltsverzeichnis

C. Entwicklung der vorvertraglichen Verhaltenspflichten . . . . . . 93 I. Leonhards Erweiterung der c.i.c. zum wirksamen Vertrag . . . . . . . 93 1. Begründung der c.i.c. im Fall des wirksamen Vertrags . . . . . . . . 93 2. Analogie der p.V.V. als Rechtsgrund der c.i.c.  . . . . . . . . . . . 95 II. Stolls Organismuslehre zur Isolierung des vorvertraglichen Stadiums  . 96 1. Haftung für das Verhalten vor Vertragsschluss . . . . . . . . . . . . 96 2. Vertragsverhandlung als Erscheinungsform des „Organismus“ . . . 97 III. Dölles Theorie der „außergesetzlichen Schuldpflichten“ zum Umbau des Rechtsgrunds der c.i.c.  . . . . . . . . . . . . . . . . 98 1. Begründung der c.i.c. auf sozialen Kontakt  . . . . . . . . . . . . . 98 2. Schwierigkeit der Trennung von Schutz- und Aufklärungspflicht  . . 100

D. Kombinierung der Verhaltenspflichten im vorvertraglichen und vertraglichen Schuldverhältnis  . . . . . . . . . . . . . . . . 101 I. Larenz’ Lehre eines gesetzlichen Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht zur Verbindung zwischen der c.i.c. und der p.V.V.  . . . 102 1. Vertragsverhandlung als gesetzliches Schuldverhältnis  . . . . . . . 102 2. Loyalitäts- und Schutzpflichten im vorvertraglichen Stadium  . . . . 103 3. Verbindung der Pflichten vor und nach Vertragsschluss  . . . . . . . 104 4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 II. Canaris’ Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses zur Vereinigung der Schutzpflichten im Vertragsverkehr  . . . . . . . . 107 1. Vereinigung von c.i.c. und p.V.V.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Schutzwirkung für Dritte zur Vereinigung der Schutzpflichten  . . . 108 3. Zwischenfazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

E. Entsprechender Umbau des Gewährleistungsrechts im Kaufvertrag  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Streitigkeit über die Beziehung zwischen §  463 a. F. BGB und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht  . . . . . . . . . . . . . 111 II. Beziehung zwischen fahrlässiger Verschweigung, c.i.c. und p.V.V.  . . . 112 III. Einführung der Neben- und Schutzpflichten anstelle der c.i.c. und der p.V.V.  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB mit Fokus auf dem Kaufrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 I. Anerkennung der Schutzpflichten zur Zersplitterung der Nebenpflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Einführung der Schutzpflichten in §  241 BGB  . . . . . . . . . . . 115 2. Verbindung zwischen §  311 BGB und Schutzpflichten  . . . . . . . 116 3. Verbindung zwischen §  311a BGB und Schutzpflichten  . . . . . . . 118

Inhaltsverzeichnis

XI

4. Beziehung zwischen Gewährleistungsrecht und Schutzpflichten  . . 119 II. Beziehung zwischen Schutz- und Leistungspflichten im allgemeinen Leistungsstörungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Verbindung zwischen §  280 I BGB und Schutzpflichten  . . . . . . 120 2. Verbindung zwischen §  282 bzw §  324 BGB und Schutzpflichten  . . 121 a) Aufbau des §  282 und §  324 BGB  . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Anerkennung des Vertrauensverhältnisses  . . . . . . . . . . . . 123 III. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

G. Zusammenfassung: Historische Evaluierung des geltenden deutschen Rechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125

Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht mit Rücksicht auf dessen Rezeptionsgeschichte  . . . 127 A. Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 B. Rechtsaufbau der Nebenpflichten in der ersten Rechtsrezeption  . 129 I. Übersehen der Nebenpflichten in zwei früheren ZGB-Entwürfen  . . . 129 II. Indirekte Aufnahme der p.V.V. im ZGB der Republik China  . . . . . . 133 C. Zersplitterung des Rechtsaufbaus in der zweiten Rechtsrezeption  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 I. Rechtsumbau auf dem Festland Chinas zur Ignorierung der Nebenpflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Rechtsfortbildung der Nebenpflichten im Zivilrecht Taiwans  . . . . . . 143

D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption  . . 145 I. Beziehung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten i. S. d. §  60 CVG  . 146 II. Beziehung zwischen c.i.c. und Nebenpflichten  . . . . . . . . . . . . . 148 III. Beziehung zwischen Schadensersatz und Nebenpflichtenverletzung  . . 151 IV. Problem der Nebenpflichten im Kaufrecht  . . . . . . . . . . . . . . 156 E. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Probleme der Nebenpflichten im chinesischen Vertragsgesetz  . . . . . 158 II. Probleme der Nebenpflichten in der Rechtsanwendung  . . . . . . . . 159

Sechstes Kapitel: Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis der Untersuchung  . . . . . . . . . 163 A. Neue Probleme der Nebenpflichten bei der Kodifikation des ZGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

XII

Inhaltsverzeichnis

B. Verbesserungsvorschlag auf deutsche Weise  . . . . . . . . . . . . 166 C. Rückblick auf die deutsche und chinesische Rechtsgeschichte  . . 168 D. Vorschläge für den Umbau der Lehre von den Nebenpflichten im chinesischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I. Von Nebenpflichten zu unvereinbarten Pflichten  . . . . . . . . . . . . 170 II. Von Verschuldensunabhängigkeit zum Verschuldensprinzip  . . . . . . 170 III. Aufbau der allgemeinen unvereinbarten Pflichten  . . . . . . . . . . . 172

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere Ansicht a. F. alte Fassung Abs. Absatz AcP Archiv für die civilistische Praxis AGZR Allgemeine Grundsätze des Zivilrechts Art. Artikel AT Allgemeiner Teil ATCZGB der Allgemeine Teil des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China Aufl. Auflage Bd.   Band BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidung des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BT-Drucks. Drucksachen des Deutschen Bundestages bzw. beziehungsweise c.i.c. culpa in contrahendo CDHG das Chinesische Deliktshaftungsgesetz Chr. Christus CISG United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods CVG das Chinesische Vertragsgesetz d. h. das heißt D. Digesta Justiniani DDR Deutsche Demokratische Republik Ent BR-ZGB Entwurf des ZGB vonseiten der Beijing-Regierung Ent Qing-ZGB Entwurf des ZGB vonseiten des Qing-Imperiums etc. et cetera f. folgend ff. folgende FG Festgabe Fn. Fußnote FS. Festschrift Gai. Institutiones Gaii GS Gedächtnisschrift h.L. herrschende Literatur h.M. herrschende Meinung Hrsg. Herausgeber hrsg. herausgegeben

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Abkürzungsverzeichnis

i.d.R. in der Regel i.e.S. in engerem Sinne i. S. d. im Sinne des/der i. V. m. in Verbindung mit Inst. Institutiones Justiniani JZ Juristische Rundschau JW Juristische Wochenschrift JZ Juristen-Zeitung KE-BTCZGB Konsultationsentwurf für den Besonderen Teil des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China KE-CZGB 1980 Konsultationsentwurf des chinesischen Zivilgesetzbuchs von 1980 KPC Kommunistische Partei Chinas LZ Leipziger Zeitschrift MDR Monatsschrift für deutsches Recht n. F. neue Fassung NJW Neue Juristische Wochenschrift Nr. Nummer p.F.V. positive Forderungsverletzung p.V.V. positive Vertragsverletzung PICC Principles of International Commercial Contracts pr. principium: der Beginn eines Quellentextes, der noch nicht nummeriert ist RC-ZGB Zivilgesetzbuch der Republik China Rn. Randnummer S. Seite/Satz SMG Schuldrechtsmodernisierungsgesetz sog. sogenannt SR-ZGB 1922 Zivilgesetzbuch Sowjet-Russlands von 1922 SZ Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte/ Romanistische Abteilung u. a. unter anderem u.U. unter Umständen UN United Nations UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law usw. und so weiter v. versus VE-CZGB Vorschlagsentwurf des chinesischen Zivilgesetzbuchs vgl. vergleiche WVG Wirtschaftliches Vertragsgesetz z. B. zum Beispiel ZGB Zivilgesetzbuch zit. zitiert ZstW Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft

Erstes Kapitel

Einleitung A. Überblick über die Problematik der Nebenpflichten vor dem Hintergrund der Kodifizierung des chinesischen Zivilgesetzbuchs Nebenpflichten sind kein neues Thema in der deutschen Rechtsgeschichte. Wegen ihrer Wichtigkeit bei der Schuldrechtsreform, insbesondere bei der Modernisierung des Leistungsstörungsrechts, haben schon viele deutsche Juristen darüber diskutiert. Daher stellt sich die Frage, warum das Thema wieder als Untersuchungsgegenstand ausgewählt wurde. Zum einen gehören die Nebenpflichten noch zu den unabgeschlossenen wissenschaftlichen Streitpunkten im deutschen Recht. Zum anderen wird vorliegend eine rechtsvergleichende Perspektive eingenommen, nämlich eine chinesische Sichtweise. Am 15. März 2017 ist der „Allgemeine Teil des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China“ (ATCZGB) in Kraft getreten. Die Kodifikation des chinesischen ZGB hat damit bereits die erste Stufe vollendet.1 Am 6. September 2018 wurde im zweiten Schritt der „Konsultationsentwurf für den Besonderen Teil des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China“ (KE-BTCZGB) bekannt gegeben. Dieser Besondere Teil des zukünftigen ZGB, der aus fünf Bänden besteht, umfasst das Sachen-, Vertrags-, Delikts-, Persönlichkeits-, Familien- und Erbrecht.2 Das ATCZGB und das KE-BTCZGB stellen die Grundlage des Vertrags- und Deliktsbands dar. Ein wichtiges Thema des Obligationenrechts ist die Behandlung der Nebenpflichten. Vorerst gilt die Regel über Nebenpflichten nach §  60 II des chinesischen Vertragsgesetzes (CVG) von 1999. Danach müssen die Parteien unter Wahrung von Treu und Glauben aufgrund der Natur und der Ziele des Vertrags bei Einhaltung der Verkehrssitte die Pflichten zur Mitteilung, Unterstützung und Geheimhaltung etc. erfüllen.3 Daraus kann man entnehmen, dass der Gesetz1  Vgl. Li Jianguo, Die Erklärung über den Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China (Entwurf). 2  Vgl. Li Jianguo, Die Erklärung über den Allgemeinen Teil des Zivilgesetzbuchs der Volksrepublik China (Entwurf). 3  Vgl. §  60 II CVG.

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Erstes Kapitel: Einleitung

geber Nebenpflichten bereits als vertragliche Pflichten angesehen hat.4 Außerdem ist nach dem neuen KE-BTCZGB zugleich erkennbar, dass es im zukünftigen chinesischen ZGB keinen Allgemeinen Teil des Schuldrechts geben wird.5 Ferner kann aus §  176 ATCZGB, wonach Rechtssubjekte entweder aufgrund Gesetz oder aufgrund Vereinbarung für zivilrechtliche Pflichten einstehen und haften müssen,6 die Schlussfolge gezogen werden, dass die Verletzung der Nebenpflichten nur zur Vertragshaftung führen sollte. Aber wenn die Pflichtverletzung sich auf das Integritätsinteresse der Rechtssubjekte bezieht, wie kann die Konkurrenz zwischen Vertrags- und Deliktsrecht dann geschmälert werden? Dies lässt zwei grundlegende Fragen aufkommen. Erstens, wie die Beziehung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten sein solle. Gemäß §  60 II CVG sind Nebenpflichten als weitere Pflichten neben der Leistung anzusehen. Wird dieser Paragraph zusammen mit §  60 I CVG, wonach die Parteien entsprechend dem Vereinbarten ihre Pflichten in vollem Umfang erfüllen müssen,7 betrachtet, kann daraus entnommen werden, dass Nebenpflichten als Ergänzung der Leistungspflicht gelten. Aber die konkrete Beziehung zwischen den beiden ist noch unklar, nämlich ob Nebenpflichten parallel oder akzessorisch zur Leistungspflicht sind und ob die jeweiligen betroffenen Interessen sich qualitativ i. S. d. Rechtsnatur voneinander unterscheiden, anders ausgedrückt, ob sie sich auf vertragliche oder gesetzliche Haftung beziehen. Zweitens kommt die Frage auf, welchen Zusammenhang es zwischen der Verletzung der Nebenpflichten und dem Verschulden des Schuldners gibt. Obgleich aus §  107 CVG vermutet werden kann, dass für Vertragsverletzung das Prinzip der verschuldensunabhängigen Haftung angenommen wird,8 das heißt, dass die Haftung für die Verletzung der Vertragspflichten einschließlich der Leistungsund Nebenpflichten kein Verschulden voraussetzt. Wenn aber z. B. wegen der Nebenpflichtenverletzung das auch durch das Deliktsrecht geschützte IntegriVgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  123. 5  Vgl. Liang Huixing, Nördliche Rechtswissenschaft 1 (2017), 37 (42). 6  参见《中华人民共和国民法总则》第176条:民事主体依照法律规定和当事人约 定,履行民事义务,承担民事责任。(Vgl. §  176 ATCZGB: Die Rechtssubjekte müssen nach gesetzlichen Vorschriften und nach den Vereinbarungen zwischen den Beteiligten zivilrechtliche Pflichten erfüllen und für zivilrechtliche Haftung einstehen. Übersetzung Nijie Wang). 7  Vgl. §  60 I CVG. 8  §  107 CVG schreibt vor, dass, wenn eine Partei Vertragspflichten nicht oder nicht gemäß den Vereinbarungen erfüllt, sie wegen der Vertragsverletzung dafür hafte, weiter zu erfüllen, Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen oder den Schaden zu ersetzen, Übersetzung Münzel, Chinas Recht. Vgl. Cui Jianyuan, Vertragsrecht, §  13, S.  285; Wang Hongliang, Rechtswissenschaft 4 (2005), 64 (72). 4 

B. Beschränkung der Untersuchung in Bezug auf das deutsche geltende Recht

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tätsinteresse verletzt wird, sollte dann auf das Verschuldensbedürfnis wie bei der Leistungspflichtverletzung verzichtet werden? Damit zielen die obigen zwei Fragen eigentlich auf eine gemeinsame Frage, nämlich in welcher Weise das Integritätsinteresse der Parteien im Vertragsverhältnis geschützt werden soll.

B. Beschränkung der Untersuchung in Bezug auf das deutsche geltende Recht Konfrontiert mit den obigen Fragen, haben manche chinesische Wissenschaftler darauf hingewiesen, dass der Begriff der Nebenpflichten im chinesischen Recht auf das deutsche Recht zurückzuführen ist.9 Deshalb haben sie die Entwicklung von den Neben- bis zu den Schutzpflichten im deutschen Recht untersucht und gefordert, dass das chinesische ZGB die Erfahrung Deutschlands als Beispiel heranziehen solle, das heißt den Begriff der Nebenpflichten zu verwerfen und ein neues System aufzubauen, und zwar Leistungs- und Schutzpflichten nebeneinanderzustellen.10 Bemerkenswert ist aber, dass das Verständnis der Nebenpflichten im chinesischen Vertragsgesetz und im deutschen BGB voneinander abweichten: Erstens hat das CVG die konkreten Nebenpflichten nach konkreten Verhaltensweisen aufgezählt, während das deutsche BGB den Inhalt der Nebenpflichten nach dem vor der Pflichtverletzung zu schützenden Interesse zusammengefasst hat, das bedeutet, dass jede Partei nach dem Inhalt des Schuldverhältnisses verpflichtet ist, Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils zu nehmen.11 Daher ist umstritten, ob sich die beiden Gesetze auf die gleichen Pflichtinhalte beziehen.12 Zweitens: Während das chinesische Recht das Bestehen der Nebenpflichten auf das Vertragsverhältnis beschränkt, betrachtet das deutsche Recht diese nicht nur als allgemeine Pflichten i. S. d. Allgemeinen Teil des Schuldrechts,13 sondern auch als von der Leistungspflicht unabhängige Sonderpflichten, die das Integritätsinteresse des Gläubigers Vgl. Hou Guoyue, Untersuchung zu vertraglichen Nebenpflichten, S.  11. Vgl. Chi Yin, Politik und Recht 7 (2011), 128 (128 ff.); Lin Huizhen, Die Nebenpflichten und die Entwicklung der zivilrechtlichen Haftung, S.  16–17. 11  Vgl. §  241 II BGB. 12  Nach der herrschenden Meinung ist der Umfang der Schutzpflichten enger gefasst als derjenige der Nebenpflichten im deutschen BGB. Der vor der Schuldrechtsreform benutzte Begriff der Nebenpflichten umfasst leistungsbezogene und –unbezogene Nebenpflichten. Letztere sind als Schutzpflichten anzusehen. Vgl. HKK/Dorn, §  241, Rn.  91–93. 13  Im chinesischen Vertragsgesetz unterliegt §  60 II dem Titel des 4. Kapitels „Vertragserfüllung“, während §  241 II des deutschen BGB als die §  241 I ergänzende Vorschrift unter dem Abschnitt „Inhalt des Schuldverhältnisses“ des 2. Buchs des Gesetzes zu finden ist. 9 

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Erstes Kapitel: Einleitung

schützen. Angesichts dessen, dass die Hinzufügung der Neben- bzw. Schutzpflichten ins deutsche BGB bereits die traditionelle Dichotomie der zivilrechtlichen Haftung herausfordert, hat der Gesetzgeber zwar die Schutzpflichtenlehre aufgenommen, aber nicht verdeutlicht, ob ihre Rechtsnatur sich auf die vertragliche oder gesetzliche Haftung bezieht.14 Daraus kann das Fazit gezogen werden, dass erstens das System des Schuldrechts im zukünftigen chinesischen ZGB ohnehin sich vom deutschen Recht unterscheiden wird und damit die deutsche Erfahrung an Nebenpflichten nicht direkt auf den Aufbau des chinesischen Rechts übertragen werden kann; zweitens gibt es im deutschen Recht noch eine große Uneinigkeit über die Rechtsnatur der Nebenpflichten und deshalb kann bis jetzt keine endgültige Lösung angeboten werden. Daher ist es unmöglich, nur durch die Untersuchung der Schutzpflichten im deutschen geltenden Recht eine passende Lösung für die Problematik der Nebenpflichten im chinesischen Recht zu bieten.

C. Notwendigkeit der Hinzufügung der historischen Perspektive Aus dem genannten Grund ist es besser, das deutsche Recht als ein dynamisches bzw. sich andauernd entwickelndes und veränderndes System zu betrachten und dessen Rationalität zu evaluieren. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Entwicklung des deutschen Systems aus historischer Sicht untersucht werden, um dessen Herkunft, Effekt und Beschränkung genau zu verstehen. Und im Hinblick darauf, dass das Problem der Nebenpflichten nicht nur mit den inneren Elementen im Vertragsverhältnis, sondern auch mit der Struktur des Schuldrechts, z. B. der Aufteilung zwischen Vertrag und Delikt,verbunden ist, ist nicht bloß der Begriff der Nebenpflichten zu untersuchen, sondern auch die Verbindung zwischen diesen und den grundlegenden Elementen des Schuldrechts, z. B. Leistung, Verschulden und Schadensersatz bzw. Haftung genauer anzuschauen. Dies erfordert eine tiefgehende historische Erforschung der Interaktion zwischen Nebenpflichten und dem System des deutschen Schuldrechts. Die Aufstellung der Nebenpflichten im deutschen Recht lässt sich auf die Rezeption bzw. den Umbau des römischen Rechts durch die Pandektisten im 19. Jahrhundert zurückführen. Daher muss zunächst die Beziehung zwischen Nebenpflichten und dem System des römischen Schuldrechts betrachtet werden, 14  Die Materialen der Gesetzgebung zeigen, dass der Gesetzgeber vom Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts absichtlich den zweideutigen Ausdruck der Schutzpflichten (weiterer Verhaltenspflichten) gebraucht, um die Verdeutlichung der Rechtsnatur von §  241 II BGB zu vermeiden. Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  125–126.

D. Kaufvertrag als Untersuchungsbeispiel

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um zu verstehen, wie das Problem der Nebenpflichten von römischen Juristen gelöst wurde. Danach fokussiert sich die Untersuchung im zweiten Schritt auf die Entstehungsphase des deutschen Systems, nämlich ob und inwieweit die deutsche Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert das römische System aufgenommen oder modifiziert hat und in welcher Weise das deutsche BGB von 1900 dieses Problem im Rahmen des Leistungsstörungsrechts behandelt hat. Auf Basis der beiden genannten Punkte wird die weitere Entwicklung des deutschen geltenden Rechts betrachtet, das heißt die Umwandlung des Pflichtensystems vom alten BGB bis zum modernisierten Schuldrecht von 2002. Erst nach dieser systematischen Betrachtung ist es möglich, das jetzige deutsche System zu verstehen und sodann zu beurteilen, ob dem chinesischen Gesetzgeber ein Vorschlag gemacht oder eine Lösung gegeben werden kann. Dementsprechend wird die historische Perspektive auch für die Betrachtung des chinesischen Rechts angewandt, sodass das Verständnis in Bezug auf die Nebenpflichten i. S. d. chinesischen Rechts nicht auf das geltende Recht beschränkt wird, sondern um die fortwährende Geschichte der Rechtsrezeption und den dynamischen Aufbau des chinesischen Schuldrechts ergänzt wird. Damit kann das Missverständnis, dass das chinesische Recht als passiver Empfänger der Rechtssysteme und -dogmatik aus westlichen Industriestaaten einschließlich des deutschen Rechts anzusehen ist, nicht nur überwunden, sondern auch die aktive Interaktion zwischen dem chinesischen und deutschen Recht dargestellt werden. Auf dieser Basis lässt sich nicht nur das echte Bild des geltenden chinesischen Rechts in Bezug auf die Nebenpflichten „entdecken“, sondern auch die Bedeutung der deutschen Rechtsinstitute und -entwicklung für den Aufbau des chinesischen Rechts beurteilen und die Probleme sowie die entsprechenden Lösungen für die Kodifizierung des ZGB finden.

D. Kaufvertrag als Untersuchungsbeispiel Angesichts dessen, dass Nebenpflichten in fast allen Vertragstypen bestehen und deren jeweilige Arten sich inhaltlich sehr voneinander unterscheiden, erscheint eine oberflächliche und allgemeine Untersuchung auf der Ebene des Allgemeinen Teils des Schuldrechts nicht als Dissertationsthema geeignet. Nach der Aussage „pauca, sed matura“ des berühmten deutschen Mathematikers Carl Friedrich Gauß ist es notwendig, einen typischen Vertragstyp als Beispiel zu nehmen. In dieser Arbeit wird der Fokus auf den Kaufvertrag gelegt. Er ist am repräsentativsten für die verschiedenen Vertragstypen, weil der Kauf als das grundlegendste Verkehrsmodell die typischsten Leistungspflichten umfasst, nämlich die Übereignung

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Erstes Kapitel: Einleitung

der Sache bzw. Rechte durch den Verkäufer und die Geldzahlung durch den Käufer. Daher erhält diese Arbeit eine allgemeine Bedeutung, obwohl sie gewissermaßen als Fallstudie anzusehen ist. Aus rechtshistorischer Perspektive ist ein anderer Grund wichtiger. Viele Regeln im deutschen Schuldrecht AT lassen sich auf die Textquellen des römischen Kaufrechts zurückführen, weil einerseits die sich auf den Kaufverkehr beziehenden Textquellen den meisten Raum im Corpus Iuris Civilis einnehmen und andererseits die deutschen Juristen im 19. Jahrhundert durch kreative Interpretation diese kasuistischen Quellen systematisiert und abstrahiert haben, damit die neuen Rechtsprinzipien und -regeln davon extrahiert werden konnten. Aus diesem Grund gilt der Kaufvertrag als Verbindungselement, womit das deutsche Recht eng an die römischen Quellen anknüpft. Beispielsweise haben die Debatten über einige wichtige Texte bei den deutschen Juristen im 19. Jahrhundert nicht nur den Charakter des deutschen Systems bestimmt, sondern auch auf dessen Defizite hingewiesen.15 Obwohl im jetzigen deutschen Recht Nebenpflichten immer als ein Problem des Schuldrechts AT bezeichnet werden und nicht mehr von der römischen Kasuistik abhängen, sind sie dennoch immer noch als das Fortbestehen oder die Modifikation der pandektischen Ergebnisse anzusehen.

E. Arbeitsplan Um das oben genannte Ziel zu erreichen, wird diese Arbeit wie folgt aufgebaut. Im zweiten Kapitel geht es darum, in welcher Weise das römische Recht bzw. sein Kaufrecht das Problem der Nebenpflichten löst. Daher liegt der Schwerpunkt nicht auf der Suche nach dem entsprechenden Rechtsinstitut der Nebenpflichten, sondern auf der Verdeutlichung des Mechanismus im römischen Kaufrecht, nämlich wie die Pflichten der Vertragsparteien, insbesondere des Verkäufers ermessen werden können. Genauer gesagt wird die Verbindung zwischen Nebenpflichten und den fundamentalen Momenten im Vertragsverhältnis, z. B. Verschulden, Leistung und Schadensersatz, verdeutlicht. Ferner hat der Rückblick auf das römische Recht zugleich die Bedeutung der Rechtsvergleichung, womit die Abweichung des sich auf dieser Basis entwickelnden deutschen Rechts betont werden kann. 15  Beispielsweise hat die Streitigkeit über die Interpretation der Stellen D.11.7.8.1 und D.18.1.62.1 zur Entstehung von zwei unterschiedlichen Theorien geführt: Mommsens Unmöglichkeitslehre und Jherings culpa in contrahendo. Beide haben großen Einfluss auf die Formulierung des §  306 a. F. und §  307 a. F. BGB von 1900 gehabt. Dies wird ausführlich im dritten Kapitel diskutiert.

E. Arbeitsplan

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Im dritten Kapitel wird der Umbau des römischen Rechts im 19. Jahrhundert, das heißt wie die Pandektistik das Problem der Nebenpflichten behandelt, detailliert analysiert. Angesichts der gewollten Abstrahierung der kasuistischen Regeln vom römischen Recht wird die Untersuchung nicht ausschließlich auf das Kaufrecht beschränkt, sondern es wird auch die Ebene der allgemeinen Regeln des Schuldrechts einbezogen. Außerdem ermöglicht die Analyse der ahistorischen Auslegung der römischen Textquellen zudem, das Verfahren für den dogmatischen Aufbau des deutschen Schuldrechts deutlich darzustellen, damit sowohl das Verständnis der Pandektisten in Bezug auf die Nebenpflichten als auch deren Beziehung zum neu entworfenen Schuldrechtssystem erklärt werden kann. Ferner fokussiert sich die Untersuchung auf Savignys Verständnis von Obligation und Leistung, Mommsens Unmöglichkeitslehre und Jherings Theorie der culpa in contrahendo (c.i.c.). Danach wird evaluiert, ob und inwieweit diese wissenschaftlichen Ergebnisse durch das deutsche BGB von 1900 aufgenommen oder abgelehnt wurden. Auf Grundlage der ersten beiden Kapitel wird danach die Fortentwicklung des deutschen modernen Rechts untersucht. Es geht darum, die Transformation von den Nebenpflichten zu den Schutzpflichten nicht nur dogmatisch, sondern auch aus der rechtshistorischen Perspektive auf neue Weise zu verstehen und zu interpretieren. Zudem wird sowohl die Entwicklung der jeweiligen verschiedenen Rechtsinstitute, etwa Staubs positive Vertragsverletzung (p.V.V.), die c.i.c., Schutzpflichten und Gewährleistungsrechte im Bereich des Kaufvertrags, ausführlich betrachtet, als auch die Interaktion miteinander und deren Einfluss auf die Umwandlung des deutschen Schuldrechtssystems berücksichtigt. Daher können die Vor- und Nachteile des jetzigen deutschen Systems in Verbindung mit seinem Ursprung, dem römischen Recht, und auch seinem Vorgänger, der deutschen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert, beurteilt werden. Im fünften Kapitel ist der Untersuchungsgegenstand die Rezeption des deutschen Rechts im chinesischen Recht. Hier konzentriert sich die Arbeit zuerst darauf, das Verständnis des chinesischen Schuldrechts aus Sicht der Rechtsrezeptionsgeschichte zu erneuern, um die aus historischen Gründen entstandenen Besonderheiten des chinesischen Schuldrechts darzustellen. So können der Einfluss des deutschen Rechts auf den Aufbau des chinesischen Rechts und der Unterschied zwischen den beiden präzise verdeutlicht werden. Auf dieser Basis wird der Fokus weiter auf die dogmatische Analyse des Regelsystems in den geltenden chinesischen Gesetzen und anderen rechtlichen Dokumenten gelegt, z. B. Gesetzgebungs- und Justizinterpretationen, um den Rechtszustand bzw. die Probleme der Nebenpflichten im chinesischen Recht zu veranschaulichen. Zum Schluss werden der gerade in Kraft getretene ATCZGB und der neu bekannt gegebene KE-BTCZGB genauer analysiert, um einerseits ihre Ver-

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Erstes Kapitel: Einleitung

änderungen des geltenden Rechts zu erklären und andererseits eine mögliche Kodifikation der Nebenpflichten aufzuzeigen. In Verbindung mit der deutschen historischen Erfahrung, dem Rechtsaufbau auf Basis des römischen Rechts, werden Vorschläge für das zu kodifizierende chinesische ZGB unterbreitet.

Zweites Kapitel

Grundlage für die spätere Entstehung der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht A. Überblick I. Suche nach den Nebenpflichten im römischen Recht Bevor damit begonnen werden kann, die Nebenpflichten im römischen Recht zu erklären, ist auf ein Problem aufmerksam zu machen: Es ist darin kein genau entsprechender oder ähnlicher Begriff zu finden. Um den Fehler eines Anachronismus beim Rückblick auf das römische Recht zu vermeiden, muss die Suche nach dem Begriff der Nebenpflichten in die Suche nach dem damit betroffenen Problemkreis geändert werden,1 z. B. dass im Kaufverhältnis der Verkäufer nicht über den Mangel einer Sache aufklärt, sodass der Käufer den dadurch verursachten Schaden erleidet. Dieser Fall kann nach dem modernen Zivilrecht möglicherweise durch die Lehre der Neben- oder Schutzpflichten gelöst werden, nach dem römischen Recht jedoch in anderer Weise. Daher zielt eine Rückkehr zu den römischen Textquellen nicht darauf, die von den Römern benutzten Terminologien zu verdeutlichen, sondern darauf, die römische Lösung zum Problem der Nebenpflichten mit der deutschen zu vergleichen, damit für die chinesische Kodifikation ein weiterer Maßstab, wonach die deutsche Erfahrung zu beurteilen ist, eingeführt werden kann. 1  Bei der rechtshistorischen Forschung besteht manchmal die Gefahr eines Anachronismus, das heißt die vergangenen Ereignisse und Institute mit heutigen Begriffen verstehen und erklären zu wollen. Diese Gefahr ist auch für die vorliegende Arbeit gegeben, nämlich die Probleme der Nebenpflichten aus den Texten des römischen Rechts herauslesen zu wollen. Wenn aber eine historische Untersuchung aus rechtswissenschaftlicher Sicht betrieben wird, ist es unvermeidbar, im Voraus anzunehmen, dass es bei den sich entwickelnden Rechtsnormen eine Gemeinsamkeit und Kontinuität gebe. Ohne dies würden alle Rechtsnormen nur isolierte und zufällige Fragmente in der Geschichte sein, sodass der juristische Charakter der Rechtsgeschichte auch vernichtet werden könnte. Daher kann das römische Recht auch als historische Herkunft der Lehre von den Nebenpflichten im deutschen Recht bezeichnet werden, obwohl sein dogmatisches System ganz anders als dasjenige des modernen Zivilrechts ist. Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit: unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, S.  15–17.

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Um die Probleme der Nebenpflichten in den lateinischen Quellen des römischen Rechts zu finden, muss ihr Begriff klar definiert werden. Obwohl das CVG und das deutsche BGB in unterschiedlicher Weise, und zwar nach dem Maßstab der Verhaltensweise oder des betroffenen Interesses, Nebenpflichten definieren, scheint dieser Widerspruch im römischen Recht nicht offensichtlich, sogar unwichtig, weil dort die Vertragspflichten und -interessen gar nicht getrennt worden waren. Dieser Umstand ist auf die folgenden zwei Punkte zurückzuführen: das Prinzip der condemnatio pecuniaria und den Unterschied zwischen iudicia stricta und iudicia bonae fidei. Daher wird die Bedeutung der Nebenpflichten hier wie im deutschen BGB verstanden, das heißt die Rücksichtspflichten auf das Integritätsinteresse der Vertragsparteien, weil das Interesse als Maßstab wegen seiner Abstraktheit in möglichst viel Fällen angewendet werden kann. Zugleich wird aber die konkrete Art der Nebenpflichten in den jeweiligen Fällen nach der Verhaltensweise des am Rechtsverkehr Teilnehmenden konkretisiert.

II. Prinzip der condemnatio pecuniaria und Unterscheidung zwischen iudicia stricta und iudicia bonae fidei Die condemnatio pecuniaria ist das Erbe des römischen Formularprozesses. Nach diesem Prinzip muss bei allen Aktionen die Verurteilung stets auf eine Geldzahlung gerichtet sein, eine Naturalerfüllung kommt nicht in Betracht.2 Dies bringt für die Suche nach den Nebenpflichten ein spezielles Problem mit sich, nämlich dass zwischen den Verhaltenspflichten im Vertragsverhältnis und dem Schadensersatz eine fehlende Unterscheidung besteht. Um die Nebenpflichten auszumachen, müssen sie von dem im Geldersatz umfassten Interesse unterschieden werden. Genauer gesagt können sie nur durch die Differenzierung zwischen dem Leistungswert und dem Interesse am Schadensersatz für die Vertragsverletzung bestimmt werden: In einigen Fällen scheint der Leistungswert dem Interesse am Schadensersatz für die Vertragsverletzung nicht zu entsprechen, weil die Haftung des Schuldners aus dem Grund, dass die Vertragspflichten vom Prätor einheitlich ermessen werden können, den durch den Verstoß gegen Leistungspflicht verursachten Schadensersatz bereits übertrifft.3 Dieser übermäßige Teil bezieht sich wahrscheinlich auf das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse. Die Art und Weise des Ermessens vom Interesse am 2  Vgl. Gai. 4, 48: Omnium autem formularum, quae condemnationem habent, ad pecuniariam aestimationem condemnatio concepta est. itaque et si corpus aliquod petamus, velut fundum, hominem, vestem, aurum, argentum, iudex non ipsam rem condemnat eum, cum quo actum est, sicut olim fieri solebat, sed aestimata re pecuniam eum condemnat. 3  Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S.  201.

A. Überblick

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Schadensersatz für die Vertragsverletzung unterscheidet sich bei den iudicia stricta und iudicia bonae fidei. Die Transformation der iudicia stricta zu den iudicia bonae fidei im römischen Recht symbolisiert die Reduzierung des Rechtsformalismus. Der Unterschied im Streitverfahren bei den iudicia stricta und iudicia bonae fidei ist die litis aestimatio (Ästimation des Rechtsstreits), bei der der Streitgegenstand in Geld umgerechnet wird. Sie führt zu einer großen Abweichung bei der Schadensberechnung: In den iudicia stricta ist nur zu prüfen, ob die intentio, das bedeutet das Begehren des Klägers4 unter den Wortlaut des Formulars subsumiert werden kann. Der Beklagte wird allein danach beurteilt, ob er entweder den Schaden zu ersetzen hat oder freigesprochen wird. Im Grundsatz steht die ursprüngliche intentio in Einklang mit dem Schadensersatz,5 sodass kein Spielraum für das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse übrig bleiben kann. Die iudicia bonae fidei, z. B. emptio venditio, verleihen den Richtern weitere Ermessensbefugnisse: Zum einen können sie die intentio als „incertum“ belassen, zum anderen können sie diese unbestimmte intentio bei der litis aestimatio in einen Geldbetrag umwandeln. Dieser Geldbetrag wird als der Streitgegenstand beim Verfahren auf der nächsten Stufe, „in iudicio“ (vor Gericht), bezeichnet.6 Um die Leistung in Geld zu tauschen, wird das Prinzip „quidquid dare facere oportet ex bona fide“ (alles, was der Beklagte nach Treu und Glauben leistet) immer als Maßstab angewendet, wonach der Inhalt der Leistung bestimmt wird.7 Beim Ermessen des Interesses des Käufers wird der Satz „id quod interest“ (das, was daran liegt) gebraucht, um den Inhalt des Schadensersatzes zu konkretisieren und zu festigen.8 In manchen Fällen übersteigt die Haftungssumme des Schuldners den Anspruchsbetrag der intentio. Hier kann das durch die Nebenpflichtverletzung betroffene Interesse aufgezeigt werden.

III. Verbindung zwischen Verschulden, Nebenpflichten und Schadensersatz Neben der Suche nach Nebenpflichten stellt sich eine weitere Frage, nämlich wie die entsprechenden Fälle kategorisiert werden können. In der Tat gibt es keine einheitliche Theorie im römischen Recht, worunter alle Fälle der Nebenpflichten fallen. Wie Harting zusammenfasst, ist nur mora (Verzug) als terminus technicus 4 

Vgl. Gai. 4, 41: Intentio est ea pars formulae, qua actor desiderium suum concludit. Vgl. Honsell, Römisches Recht, S.  84–85. 6  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  406; Keller, Der römische Zivilprozess, S.  297–298. 7  Vgl. Honsell, Römisches Recht, S.  86. 8  Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  2. 5 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

für die Leistungsstörungen im römischen Obligationenrecht anerkannt, während alle anderen Vertragsverletzungen bisher noch nicht systematisiert worden sind. Folglich können sie nur zur sog. Nicht- und Schlechterfüllung gezählt werden.9 Versucht man dennoch, einen roten Faden zu finden, erkennt man, dass alle Fälle eine Gemeinsamkeit haben, das Element des Verschuldens. Unter Verschulden i. S. d. römischen Rechts kann nicht bloß der subjektive Zustand des Schuldners i. S. d. modernen Zivilrechts verstanden werden, nämlich dolus oder culpa, sondern auch der die objektive Beschädigungshandlung einschließende Haftungstatbestand.10 Die Handlung kann aufgrund des entsprechenden subjektiven Zustands in vorsätzliches positives Tun (facere) und nachlässiges Unterlassen (non facere) unterteilt werden.11 Bemerkenswert ist, dass sich das Verschuldenserfordernis stark unterscheidet, und zwar nicht nur abhängig von iudicia stricta und iudicia bonae fidei, sondern auch hinsichtlich der jeweiligen Leistungsstörung.12 Diese beiden Punkte beeinflussen den Inhalt des Schadensersatzes. Deswegen soll die Beziehung zwischen Nebenpflichten und Verschulden in Bezug auf diese zwei Aspekte betrachtet werden: einerseits hinsichtlich der konkreten Leistungsstörungen, z. B. Unmöglichkeit, Verzug und Schlechterfüllung, und andererseits hinsichtlich der Unterscheidung von den iudicia stricta bis zu den iudicia bonae fidei.

Vgl. Harting, Die „positiven Vertragsverletzungen“ in der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, S.  22. 10  Vgl. Harting, Die „positiven Vertragsverletzungen“ in der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, S.  21; Kaser, in: Lombardi (Hrsg.), Studia et Documenta Historiae et Iuris, S.  87 (89–90). 11  Diese Einteilung ist auf Hartings Diskussion über das Verschulden im römischen Recht und Staubs Lehre der positiven Vertragsverletzung zurückzuführen. Staub hat die durch Vertragsverletzung verursachten Leistungshandlungen in drei Kategorien eingeteilt: dass jemand eine Verbindlichkeit durch positives Tun verletzt, dass jemand tut, was er unterlassen soll, oder dass er die Leistung fehlerhaft bewirkt. Im Vergleich dazu betrifft die Verletzung der Nebenpflichten nur das Körper- und Vermögensinteresse des Beschädigten, sodass es nur zwei Fälle gibt, nämlich entweder dolose Beschädigung durch positives Tun oder culpose Beschädigung durch Unterlassen, ohne die Fälle der Schlechtleistung. Vgl. Harting, Die „positiven Vertragsverletzungen“ in der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, S.  21; Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  93. 12  Vgl. Harting, Die „positiven Vertragsverletzungen“ in der neueren deutschen Privatrechtsgeschichte, S.  13. 9 

B. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Unmöglichkeit

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B. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Unmöglichkeit I. Verschulden und Nebenpflichten bei den iudicia stricta 1. Verschulden und Verneinung der perpetuatio obligationis Um beispielsweise den Rechtstreit über die Übereignung der Kaufsache bei den iudicia stricta zu lösen, muss der Sachverhalt unter den Wortlaut des Formulars subsumiert werden, sodass die Klage auf certam rem dare benutzt werden kann.13 Deren Anwendung setzt voraus, dass der Ankläger die Leistung einer bestimmten Sache beansprucht. Daher liegt das größte Problem im Untergang oder in der Zerstörung der Sache, sodass der Sachverhalt nicht mehr dem Formular entsprechen kann. Diese Situation gehört zur Unmöglichkeit der Leistung mit der Wirkung von „impossibilium nulla obligatio“ (Ist die Leistung unmöglich, besteht keine Obligation).14 Dieses Sprichwort enthält verschiedene Bedeutungen: Erstens führt die Leistungsunmöglichkeit im Prinzip zur Befreiung der vertraglich geschuldeten Pflicht. Gleichzeitig erlischt auch das Vertragsverhältnis. Zweitens ist der Begriff der Unmöglichkeit sehr eng definiert: Einerseits bezieht er sich nur auf die objektive und absolute Unmöglichkeit,15 die nur vor Vertragserfüllung entstehen;16 andererseits ist die Unmöglichkeit nicht vom Schuldner zu vertreten. Vgl. Kaser, Quanti ea res est, S.  86–87. D.50.17.185. 15  Objektive Leistungsunmöglichkeit bedeutet, dass die Unmöglichkeit nicht durch den Schuldner selbst verursacht wird. Absolute Leistungsunmöglichkeit bedeutet, dass die Leistung nicht nur für den Schuldner selbst, sondern auch für alle anderen unmöglich ist. Wie Gaius zusammengefasst hat, sind die folgenden Fälle als „inutilis stipulatio“ anzusehen, beispielsweise wenn in einem stipulationsweise vereinbarten Kaufvertrag ein freier Mensch, homo liber, als ein Sklave verkauft wird, ein toter Sklave als ein lebender oder ein heiliger Ort als ein gewöhnliches Grundstück (vgl. Gai. 3, 97). Fast der gleiche Inhalt wird von Modestin wiederholt. Er nimmt an, ein freier Mensch könne nicht zum Gegenstand der Stipulation werden, weil er nicht übergeben werden kann und somit die Leistung unmöglich zu bewirken ist. Daher sind die Fälle, nämlich dass ein Mann verspricht, einen toten Sklaven oder ein fremdes Grundstück zu verkaufen, damit gleichzustellen (vgl. D.45.1.103). 16  Im römischen Recht gibt es keine Trennung zwischen anfänglicher und nachträglicher Unmöglichkeit. Genauer gesagt beziehen sich die entsprechenden Fälle nur auf anfängliche Unmöglichkeit, egal ob sie in den iudicia stricta oder iudicia bonae fidei sind. Der Begriff der sog. nachträglichen Unmöglichkeit wurde von Mommsen eingeführt, im römischen Recht ist dagegen die Leistungserschwerung damit gemeint. Vgl. Schermaier, Impossibilium nulla obligatio, AUPA 51 (2006), S.  248; Arp, Anfängliche Unmöglichkeit zum Verständnis von §  306 BGB, S.  64. 13  14 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Wenn aber ein Verschulden vonseiten des Schuldners besteht, wird die Haftungsbefreiung verneint. Daher haben die römischen Juristen die Fiktion der perpetuatio obligationis (Fortdauer der Obligation) eingeführt, das heißt, dass das ursprüngliche Schuldverhältnis als weiterbestehend bezeichnet wird, damit der Schuldner weiter haften könne. Bemerkenswert ist, dass die relevanten Textquellen verschiedene Verschuldensgrade (vorsätzliche Schädigung oder fahrlässiges Unterlassen) mit unterschiedlichen Haftungsfolgen zeigen. Im Fall der durch die vorsätzliche Beschädigung verursachten Unmöglichkeit gilt die Regel in Pauli Sententiae Receptae 5.7.4: Cum facto promissoris res in stipulatum deducta intercidit, perinde agi ex stipulatu potest, ac si ea res extaret.17

Paulus ist der Auffassung, dass, wenn der Gegenstand einer Stipulation durch die vorsätzliche Handlung18 des Versprechers verunmöglicht worden ist, der Stipulator dann die actio ex stipulatu (Klage aus Stipulation) erheben könne, als ob er noch lebe. Deshalb setzt die perpetuatio obligationis den dolus des Schuldners voraus. Doch wie soll der Fall behandelt werden, wenn das Unterlassen des Schuldners die Unmöglichkeit verursacht hat? In D.45.1.91 pr hat Paulus darüber diskutiert: D.45.1.91 pr Paulus 17 ad Plautium Si servum stipulatus fuero et nulla mora intercedente servus decesserit: si quidem occidat eum promissor, expeditum est. sin autem neglegat infirmum, an teneri debeat promissor, considerantibus, utrum, quemadmodum in vindicatione hominis, si neglectus a possessore fuerit, culpae huius nomine tenetur possessor, ita et cum dari promisit, an culpa, quod ad stipulationem attinet, in faciendo accipienda sit, non in non faciendo? quod magis probandum est, quia qui dari promisit, ad dandum, non faciendum tenetur.19

Diese Stelle bezieht sich auf die konkrete Frage, ob in einem durch Stipulation abgeschlossenen Kaufvertrag der Versprecher haften soll, wenn er die Sklavenkrankheit vernachlässigt hat und diese zum Tod des Sklaven führt, oder aber ob sein Verschulden sich nur auf doloses positives Tun beschränkt, sodass die Haftung für Unterlassen ausgeschlossen werden sollte. Paulus ist der zweiten Meinung, nämlich dass die perpetuatio obligationis beim bloßen Ignorieren der Gesundheit des Sklaven nicht anwendbar ist. Dies liegt daran, dass in der 17 

Vgl. Pauli Sententiae Receptae 5.7.4. Der Grund dafür, dass unter „facto“ eine vorsätzliche Handlung zu verstehen ist, lässt sich auf das Erfordernis der actio ex stipulatu des Verschuldens zurückführen, das heißt, dass nach dieser Klage der Versprecher nur hafte, wenn sein bewusstes Handeln zur Leistungsunmöglichkeit führt. Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  427. 19  D.45.1.91 pr. 18 

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Stipulation nur die Übergabe des Sklaven als Leistungsinhalt bezeichnet wird. Daher hafte der Versprecher nicht wegen facere, sondern nur wegen dare. Anders gesagt: Wenn der Verkäufer durch positives Tun den Sklaven getötet hat, soll er für das Verunmöglichen der Kaufsache haften. Im Gegenteil: Weil die Vernachlässigung der Sklavenkrankheit den Leistungserfolg nicht beeinflusst, könne der durch culpose Schädigung verursachte Schaden nicht durch das Stipula­ tionsformular abgedeckt werden.20 Daher setzt die Haftung des Verkäufers üblicherweise seinen dolus voraus. 2. Anwendung der perpetuatio obligationis zur Ignorierung der Nebenpflichten Es stellt sich die Frage, ob durch die perpetuatio obligationis der Schadensersatz das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse umfasst. Mit dieser Fiktion lebt formal der ursprüngliche Leistunganspruch wieder auf. Zudem wird das durch Leistungsunmöglichkeit vernichtete Schuldverhältnis tatsächlich wiederhergestellt, wodurch der Rechtsstreit unter die Klage auf certam rem dare zu subsumieren ist, wonach dem Ankläger der dem Gegenstandswert entsprechende Schadensersatz gegeben werden kann. Daher entspricht der Schadensersatz im Fall verschuldeter Unmöglichkeit dem Wert der Kaufsache.21 Anders gesagt: Wegen der Rechtsnatur der iudicia stricta gibt es keinen Spielraum mehr für den Schadensersatz für die Nebenpflichtenverletzung. Wie Paulus in D.45.1.91 pr angenommen hat, kann das culpose Verunmöglichen der Leistung die Haftung des Verkäufers nicht beeinflussen, weil das entsprechende Formular dies gar nicht berücksichtigt. Allerdings vertreten einige Juristen eine andere Auffassung, nämlich dass das durch perpetuatio obligationis wiederhergestellte Interesse den Wert der ursprünglichen Leistungspflicht übertroffen zu haben scheint und sich zusätzlich auf eine verdeckte Nebenpflicht bezieht, und zwar die Leistungsunmöglichkeit zu vermeiden.22 Dies widerspricht aber erstens der gewöhnlichen Bedeutung der Nebenpflichten, das heißt weiterer Verhaltenspflichten neben der Leistung. Selbst wenn die Vermeidung der Leistungsunmöglichkeit als Nebenpflicht anerkannt wäre, gäbe es keinen entsprechenden Schadensersatz für ihre Verletzung. Die Rechtsnatur dieser Pflicht ist in der Nähe von „aequitas“ anzusiedeln, um die Strenge des Formulars zu überwinden. Außerdem ist anzumerken, dass das Verschulden nicht direkt den Inhalt des Schadensersatzes beeinflusst. Aufgrund der Rechtsnatur der iudicia stricta betrifft der Schadensersatz nur den objektiven Vgl. Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S.  11. Vgl. Kaser, Quanti ea res est, S.  92. 22  Vgl. Harke, Römisches Recht, §  7, Rn.  17. 20  21 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Wert des Gegenstandes, ohne das Interesse der Vertragsparteien daran, dass die Leistung verunmöglicht ist, zu beachten.

II. Verschulden und Nebenpflichten bei den iudicia bonae fidei Obgleich die Fälle der Unmöglichkeit auch in den iudicia bonae fidei bestehen, hat sich deren Funktion wegen des Grundsatzes ex bona fide (nach Treu und Glauben) völlig verändert. Weil der Rechtsstreit sich nicht auf eine konkrete Leistungshandlung beschränkt, kann der Schadensersatz den Leistungswert freilich übertreffen; trotz der Leistungsunmöglichkeit sind die Vertragsparteien noch durch bona fides miteinander verbunden,23 sodass das Schuldverhältnis nicht mehr wegen der Leistungsunmöglichkeit vernichtet werden kann und der Schuldner ebenfalls von der Haftung nicht befreit wird. Daher ist es überflüssig, die perpetuatio obligationis hier anzuwenden. Jedoch ist die emptio venditio eine Ausnahme, d. h., die Regel „impossibilium nulla obligatio“ wird gewissermaßen weiter gebraucht. Die entsprechende Regelung lautet „nec emptio nec venditio sine re quae veneat potest intellegi“,24 das bedeutet, dass ohne eine Sache, die verkauft werden soll, weder ein Kauf vonseiten des Käufers noch des Verkäufers angenommen werden kann. Typische Beispiele hierfür umfassen untergegangene, verkehrsunfähige und bereits dem Käufer gehörige Sachen usw. Diese Sonderregel lässt sich darauf zurückführen, dass im römischen Recht mit Abschluss des Kaufvertrags der Gegenstand bei wirtschaftlicher Betrachtung bereits als dem Käufer gehörig gilt.25 Deshalb wird die Vertragsungültigkeit nicht durch den Verlust der Kaufsache, sondern wegen der Veräußerungsunmöglichkeit verursacht. Denn wie der Schadensersatzumfang bestimmt werden kann, hängt davon ab, ob und inwieweit der Schuldner die Unmöglichkeit schuldhaft verursacht. Der erste Fall betrifft den Kauf einer dem Käufer gehörigen Sache, weshalb der Vertrag unwirksam ist und der Käufer berechtigt ist, die Zurückzahlung in Anspruch zu nehmen, unabhängig davon, ob der Verkäufer von der Zugehörigkeit der Sache weiß.26 Daher spielt das Verschulden hier keine Rolle, sodass keine Haftung veranlasst wird. Der zweite Fall betrifft eine untergegangene Sache: Der Gegenstand ist vor Vertragsschluss bereits verloren oder zerstört.27 Welche Wirkung hat das VerVgl. Harke, Römisches Recht, §  7, Rn.  20. D.18.1.8 pr. 25  Vgl. Harke, Römisches Recht, §  8, Rn.  2; Arp, Anfängliche Unmöglichkeit zum Verständnis von §  306 BGB, S.  106. 26  Vgl. D.18.1.16 pr. 27  Vgl. D.18.1.15 pr. 23  24 

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schulden auf den Haftungsumfang? Darauf hat Paulus in D.18.1.57 geantwortet, dass ein Kaufvertrag über ein durch einen Brand zerstörtes Haus unwirksam sein solle, wenn beide Parteien nichts davon wüssten und der Käufer die Rückzahlung beanspruchen könne;28 wenn der Verkäufer davon wisse, der Käufer davon aber nicht wisse, sei der Vertrag noch wirksam und der Käufer berechtigt, das Geld zurückzufordern; wenn der Verkäufer aber wisse, dass nur ein kleiner Teil des Hauses abgebrannt ist, sei der Vertrag noch wirksam und der Verkäufer hafte dafür, quod interest restituere, das heißt das Interesse des Käufers zu ersetzen.29 Um den obigen Satz von Paulus zu verstehen, ist das Wissen (scire) der beiden Parteien zu beachten: Der Vertragsschluss des Verkäufers mit dem Wissen des Hausverlusts ist als dolose positive Schädigung anzusehen. Paulus nimmt jedoch an, dass das Verschulden die Vertragshaftung nicht beeinflusse, weil der Hausverlust vor Vertragsschluss objektiv und absolut unmöglich ist, weshalb der Vertrag unwirksam ist und der Verkäufer von der Haftung befreit wird. Hier bezieht sich der dolus nicht auf die Schädigung des Gegenstands, weil der Verkäufer, obwohl er wissentlich den Käufer täuscht, lediglich ein ausgebliebenes Vertragsverhältnis verletzt. Daher haftet er maximal für den bezahlten Kaufpreis. Im Gegensatz dazu geht bei der Verbrennung eines kleinen Teils eines Hauses nicht der gesamte Gegenstand verloren, sodass das Vertragsverhältnis noch weiter bestehen bleibt. In diesem Fall muss der Verkäufer wegen dolus haften, da eine mangelhafte Erfüllung nach einer vorsätzlichen Täuschung vorliegt.30 Wie oben gezeigt, ist bei anfänglicher Unmöglichkeit das Verschulden des Verkäufers für den Haftungsumfang irrelevant. Der dritte Fall bezieht sich auf eine res extra commercium, das heißt eine verkehrsunfähige Sache, z. B. ein freier Mensch, eine sakrale oder religiöse Stätte.31 In diesem Fall scheinen die Regeln im römischen Recht nicht einheitlich zu sein. Die meisten Klassiker, z. B. Pomponius, vertraten die Meinung, dass der Vertrag als gültig gelte, solange der Käufer von der Verkehrsunfähigkeit des Gegenstands nicht wisse.32 Dennoch wurde diese Meinung in späterer Zeit graduell verändert. Der Wendepunkt liegt bei Ulpian und seinem Schüler Modestin, deren Auffassung in den Digesten festgehalten ist:

28 

Vgl. D.18.1.57 pr. Vgl. D.18.1.57.1. 30  Hier ist zu bestimmen, ob die Haftung sich auf das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse bezieht. Über die Beziehung zwischen dem Verschulden und dem Schadensersatz bei Vertragserfüllung wird nachfolgend ausführlich diskutiert. 31  Vgl. Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S.  12–13. 32  Vgl. D.18.1.4. 29 

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D.11.7.8.1 Ulpianus 25 ad edictum Si locus religiosus pro puro venisse dicetur, praetor in factum actionem in eum dat ei ad quem ea res pertinet: quae actio et in heredem competit, cum quasi ex empto actionem contineat.33 D.18.1.62.1 Modestinus 5 regularum Qui nesciens loca sacra vel religiosa vel publica pro privatis comparavit, licet emptio non teneat, ex empto tamen adversus venditorem experietur, ut consequatur quod interfuit eius, ne deciperetur.34

Nach D.11.7.8.1 nimmt Ulpian an, dass der Prätor dem Käufer eine actio in factum verleihen sollte, wenn der Kaufgegenstand ein locus religiosus ist. Und diese Klage stehe auch gegenüber dem Erben des Verkäufers zu, weil sie gewissermaßen die actio ex empto darstellt. Im Vergleich dazu ist Modestin in D.18.1.62.1 der Meinung, dass der Vertrag ungültig sein solle, wenn der Käufer unwissentlich sakrale, religiöse oder öffentliche Grundstücke als private erwirbt. Aber er könne, obwohl der Kauf ungültig ist, doch aus actio ex empto gegen den Verkäufer klagen, damit er das Interesse daran erhält, nicht getäuscht worden zu sein. Modestins Idee wurde in das Corpus Iuris Civilis aufgenommen: Inst.3.23.5 Loca sacra vel religiosa, item publica, veluti forum basilicam, frustra quis sciens emit, quas tamen si pro privatis vel profanis deceptus a venditore emerit, habebit actionem ex empto, quod non habere ei liceat, ut consequatur, quod sua interest deceptum eum non esse. idem iuris est, si hominem liberum pro servo emerit.35

In den Institutionen von Justinian wurde die Meinung vertreten, dass der Vertrag nichtig sei, wenn der Käufer die Verkehrsunfähigkeit der Sache kennt (frustra quis sciens emit). Wenn er unwissentlich durch den Verkäufer getäuscht wird, kann der Käufer aber aufgrund der actio ex empto auf den Schadensersatz für sein Interesse daran, nicht getäuscht zu werden (quod sua interest deceptum non esse), klagen, obwohl er die Sache nicht haben kann (quod non habere ei liceat), da der Vertrag unwirksam ist. Daraus lässt sich entnehmen, dass sich in der römischen Rechtsgeschichte die Regelung in Bezug auf res extra commercium oftmals verändert hat. Um dies verständlich zu machen, muss der Unterschied zwischen Verkehrsunfähigkeit und Gegenstandsverlust erklärt werden, das heißt, dass eine res extra commercium noch tradierbar, aber nur i. S. d. Übereignungsfähigkeit beschränkt ist. Dann stellt sich das Problem der Leistungsunmöglichkeit in der Weise, ob die gesetzliche Beschränkung der Verkehrsfähigkeit überwunden werden kann, um das Interesse des Käufers zu schützen. Daher spielt das Wissen des Käufers eine entscheidende Rolle: Wenn er wissentlich handelt, verletzen beiden Parteien das Vertrauen im 33 

Vgl. D.11.7.8.1. Vgl. D.18.1.62.1. 35  Vgl. Inst.3.23.5. 34 

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Vertragsverhältnis. Aus diesem Grund ist der Vertrag unwirksam. Wenn der Käufer aber unwissentlich getäuscht wird, soll das Vertragsverhältnis noch ex bona fide geschützt werden. Doch hat sich die Schutzweise im Laufe der Zeit oftmals verändert: Zunächst wurde der Vertrag als gültig betrachtet, sodass dem Käufer eine actio ex empto verliehen wurde; später ging die Meinung seit Ulpian hin zur Vertragsunwirksamkeit, sodass eine actio in factum angeboten wurde. Nach Modestin hat die Klage zur actio ex empto gewechselt, obwohl er auch die Vertragsungültigkeit annahm. Dieser Wechsel weist auf eine Veränderung des Verständnisses des Käuferinteresses hin. Nach dem früheren römischen Recht wurde der Vertrag als wirksam eingestuft, sodass das Interesse des Käufers nach dem Erfüllungsinteresse beurteilt wurde. Aber nachdem Ulpian den Vertrag für ungültig hielt, war es nicht mehr mit Erfüllungsinteresse verbunden. Die Anwendung der actio in factum setzte voraus, dass gemäß des Sachverhalts ein neues Formular vom Prätor erteilt wird, weil der Sachverhalt keiner vorhandenen Formel entsprechen konnte.36 Daher bezieht sich das Interesse des Käufers hier auf den Inhalt, den die damals vorhandenen Formulare nicht schützen. Doch hat Modestin das Käuferinteresse in diesem Sinne wieder der actio ex empto zugeordnet und als das Interesse daran, nicht getäuscht zu werden, definiert. Daher stellt sich die Frage, warum es sich um die actio ex empto handelt, obwohl der Vertrag ungültig ist. Eine klare Antwort bieten die Textquellen des römischen Rechts leider nicht, sodass die deutschen Juristen noch bis zum 19. Jahrhundert darüber debattierten. Dies hat zur Entstehung von Mommsens Lehre der anfänglichen Unmöglichkeit und Jherings Lehre von der c.i.c. geführt: Mommsen nimmt an, dass die actio ex empto tatsächlich der Ersatz für die actio de dolo ist. Daher bestehe eine direkte Kausalität zwischen der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Täuschung des Verkäufers und dem Schaden des Käufers, sodass daraus eine Deliktshaftung entsteht.37 Die Anwendung der actio ex empto ist darauf zurückzuführen, dass die Römer sie als Rechtsbefehl in den iudicia bonae fidei gut kannten.38 Im Vergleich dazu nimmt Jhering an, dass die Anwendung der actio ex empto auf eine Analogie der vertraglichen Klage zurück­ zuführen ist und dass das Verschulden des Verkäufers sich nicht auf dolus beschränke, sondern er auch für culpa einstehe, da er den Käufer nicht über die Wahrheit hinsichtlich des Gegenstands aufgeklärt hat.39 Obwohl der Vertrag unwirksam ist, sind die beiden Parteien noch durch das ursprüngliche Vertragsverhältnis ver36 

Vgl. D.4.3.1.1. Vgl. Mommsen, Die Haftung der Contrahenten bei der Abschließung von Schuldverträgen, S.  196. 38  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  122–125. 39  Vgl. Jhering, Culpa in contrahendo, S.  13. 37 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

bunden, das heißt, dass der Verkäufer, obwohl er nicht mehr verpflichtet ist, die Leistung zu bewirken, den Schaden, den der Käufer wegen des Vertragsschlusses erlitten hat, noch ersetzen muss.40 Abgesehen von ihrem Meinungsunterschied haben die beiden Juristen tatsächlich bemerkt, dass im römischen Recht der Verkäufer beim Vertragsschluss verpflichtet ist, den Käufer über die Verkehrsunfähigkeit der Kaufsache zu informieren.41 Diese Pflicht ist anders als die Handlung von Verkauf bzw. Kauf als weitere Verhaltenspflicht neben der Leistung anzusehen. Deren Verletzung verursacht einen Anspruch auf Schadensersatz. Aber wie das römische Recht die Rechtsnatur dieses Anspruchs versteht, muss im Rahmen der Vertragspflichten ausführlicher diskutiert werden, nachdem die übrigen Kategorien der Leistungsstörungen untersucht worden sind.

C. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Verzug Der zweite hier besprochene Fall der Leistungsstörungen ist der Schuldnerverzug. Wenn die Obligation beispielsweise innerhalb der vereinbarten Frist oder nach der Mahnung vonseiten des Gläubigers abgelaufen ist, leistet der Schuldner nicht rechtzeitig.42 Der Begriff des vorwerfbaren Verzugs im römischen Recht enthält das Verschuldenserfordernis seitens des Schuldners,43 wie die Aussage „per eum stare, quo minus solvatur“ (ob der Schuldner von der Haftung befreit wird, hängt von ihm selbst ab) vielerorts in den Textquellen zeigt.44 Beim Kaufvertrag betrifft der Verzug die zwei folgenden Probleme: seinen Einfluss auf die Leistungspflicht und den durch ihn verursachten Schaden.45 Interessant ist, dass sich mit der Entwicklung von den iudicia stricta bis zu den iudicia bonae fidei die Regeln über den Verzug nicht viel verändert haben. Dennoch führt dies bei unterschiedlichen Klagen zu verschiedenen Folgen. Im Hinblick darauf, dass nur der Verzug des Liefernden zum Gegenstandsverlust bzw. -mangel führen kann, der eine wesentliche Nebenpflicht des Kaufvertrags darstellt, liegt der Fokus der folgenden Untersuchung auf dem Verzug des Verkäufers.

Vgl. Jhering, Culpa in contrahendo, S.  13. Vgl. Medicus, in: Benöhr (Hrsg.), FG Max Kaser, S.  169 (170). 42  Vgl. Harke, Römisches Recht, §  7, Rn.  32–33. 43  Vgl. Kaser, in: Lombardi (Hrsg.), Studia et Documenta Historiae et Iuris, S.  87 (106). 44  Vgl. D.50.17.63; D.45.1.82.2; Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  430. 45  Vgl. HKK/Lohsse, §  286–292, Rn.  6. 40  41 

C. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Verzug

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I. Verschulden und Schadensersatz bei den iudicia stricta Bei der Klage auf certam rem dare wird, falls der Gegenstand während des Schuldnerverzugs untergegangen ist, das Problem durch die perpetuatio obligationis gelöst, unabhängig davon, ob ein Verschulden vonseiten des Verkäufers besteht. Darüber hat Ulpian zum Beispiel geschrieben, dass in einem durch Stipulation abgeschlossenen Sklavenkaufvertrag, wenn der Sklave nach Verzugseintritt gestorben ist, der Versprecher haften solle, obwohl er kein Verschulden hat, gerade so als ob er sich in der Situation befinde, in der der Sklave noch lebe.46 Hier stellt sich die Frage: Warum könnte diese ursprünglich bei Leistungsunmöglichkeit verwendete Fiktion auch bei Verzug angewendet worden sein? Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Verzug das Element von Verschulden bereits umfasst. Daher ist der Gegenstandsverlust im Verzug mit vorsätzlicher Zerstörung gleichzustellen, sodass Verzug als gesetzliches Verschulden gilt.47 Folglich ist der Verkäufer verpflichtet, für die unbedingte Zufallshaftung einzustehen, das heißt, dass er nicht von der Vertragshaftung befreit werden kann, obwohl der Gegenstandsverlust durch vis maior oder sogar durch den Gläubiger verursacht ist. Aber wie kann der Haftungsumfang bestimmt werden? Bei den iudicia stricta muss der Gegenstand bestimmt sein. Hier beschränkt sich der Schadensersatz auf den Gegenstandswert. Da aber die Leistungszeit als zusätzlicher Parameter hinzugefügt wird, bringt der Verzug eine neue Frage mit sich: Auf welchen Zeitpunkt ist für die Schätzung des durch die perpetuatio obligationis wiederhergestellten Interesses abzustellen? Die Antwort lautet: auf den Zeitpunkt, zu dem der Verzug eintritt. In D.13.3.3 hat Ulpian das Prinzip ausführlich erklärt: D.13.3.3 Ulpianus 27 ad edictum In hac actione si quaeratur, res quae petita est cuius temporis aestimationem recipiat, verius est, quod servius ait, condemnationis tempus spectandum: si vero desierit esse in rebus humanis, mortis tempus, sed en platei secundum celsum erit spectandum: non enim debet novissimum vitae tempus aestimari, ne ad exiguum pretium aestimatio redigatur in servo forte mortifere vulnerato. in utroque autem, si post moram deterior res facta sit, Marcellus scribit libro vicensimo habendam aestimationem, quanto deterior res facta sit: et ideo, si quis post moram servum eluscatum dederit, nec liberari eum: quare ad tempus morae in his erit reducenda aestimatio.48 46 

Vgl. D.45.1.82.1. Manche Wissenschaftler sind der Meinung, dass Verzug als vorsätzliche Beschädigung der Leistungsmöglichkeit anzusehen ist, sodass der Schuldner eine Nebenpflicht, nämlich die Leistungsunmöglichkeit zu vermeiden, verletzt. Daher ist die Wirkung des Gegenstandsverlusts im Verzug damit gleichzustellen, das heißt vorsätzlich den Gegenstand verloren oder zerstört zu haben. Vgl. Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S.  12. 48 D.13.3.3. 47 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Zunächst gilt der Grundsatz, den Gegenstandswert nach seinem aktuellen Wert beim Rechtsstreit zu berechnen. Bei den iudicia stricta liegt der Schätzungszeitpunkt bei der litis contestatio (Streitbefestigung). Wenn aber der Gegenstand während des Verzugs verschlechtert oder zerstört wurde, ist der abgesunkene Wert im Zeitraum zwischen Verzugseintritt und litis contestatio maßgeblich. Falls zum Beispiel beim Sklavenkauf der Verkäufer im Verzug ein Auge des Sklaven ausgeschlagen hat, muss die Schätzung des Sklavenwerts auf den Verzugseintritt zurückkehren. Daraus lässt sich entnehmen, dass diese Schätzungsweise darauf abzielt, den Interessenverlust des Käufers wegen der Gegenstandszerstörung bzw. Gegenstandsverschlechterung möglichst zu kompensieren. Aber es kommt aufgrund der Mitwirkung der perpetuatio obligationis auch zu einer zusätzlichen Folge: Da das Kaufverhältnis ohne Verzug durch diese Fiktion wiederherzustellen ist, bezieht sich das vom Richter zu ermessende Interesse nur auf den Gegenstandswert vor Verzugseintritt, während jede Wertschwankung danach völlig auszuschließen ist. Dies sorgt für zwei weitere Folgen: Erstens sind die möglichen Gewinne aufgrund des Gegenstands, z. B. die Früchte, die der Käufer hätte genießen können, auszunehmen; zweitens bestehen außer dem Ersatz des Gegenstandswerts keine weiteren Haftungspflichten des Verkäufers, z. B. der Schadensersatz für das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse, nämlich der Verlust am Integritätsinteresse aufgrund der Gegenstandsverschlechterung. Alle diese mittelbaren Schäden werden nicht berücksichtigt.

II. Verschulden und Schadensersatz bei den iudicia bonae fidei Bei Klagen auf incertam rem dare bei den iudicia stricta wird die perpetuatio obligationis ebenfalls angewandt und der Gegenstandswert noch zum Zeitpunkt des Verzugseintritts berechnet. Jedoch hat sich die Ästimationsweise der intentio verändert, und zwar dahingehend, dass der Richter nach dem Maßstab „quidquid dare facere oportet“ (alles, was der Beklagte leisten oder tun soll) den Leistungsinhalt bestimmt und den Gegenstandswert (quanti ea res est) schätzt. Bei den iudicia bonae fidei sind dem Richter noch mehr Ermessensbefugnisse verliehen, damit der Leistungswert und der durch Verzug verursachte Schaden berücksichtigt werden können, wenn das Interesse des Käufers beim Verzugseintritt beurteilt wird.49 Allerdings ist umstritten, wie weit der Haftungsumfang reicht und ob es um den Schadensersatz für das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse geht. Vorrangig ist das in D.19.1.1 pr erwähnte allgemeine Prinzip einzuhalten: 49 

Vgl. Harke, Mora debitoris und mora creditoris im klassischen römischen Recht, S.  33.

C. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Verzug

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D.19.1.1 pr Ulpianus 28 ad Sabinum Si res vendita non tradatur, in id quod interest agitur, hoc est quod rem habere interest emptoris: hoc autem interdum pretium egreditur, si pluris interest, quam res valet vel empta est.50

Ulpian meint, dass der Käufer, wenn der Gegenstand nicht übergeben ist, das Interesse dahingehend beanspruchen könne, dass er den Gegenstand gehabt hätte (quod rem habere interest emptoris). Selbst wenn dieses Interesse den Sachwert bzw. Kaufpreis des Gegenstands übersteigt, so kann er dem Käufer ersetzt werden.51 Aber was ist unter „quod rem habere interest“ (das, was daran liegt, die Sache zu haben) genau zu verstehen? Bedeutet dieser Ausdruck nur den Eigentumserwerb eines Gegenstands oder auch das Interesse daran, die Sache ohne Verzug zu erwerben? Nach dem modernen Schadensersatzrecht des deutschen BGB trifft Letzteres zu, sodass das wegen Verzugs verlorene Interesse des Käufers auch beachtet werden kann. Genauer gesagt, umfasst das Interesse die durch Verzug verursachte Aufwendung bzw. den Mangelfolgeschaden usw.52 Aber es ist an anderen Stellen zu analysieren, ob der Verzug im römischen Recht zu so weiten Schadensersatzansprüchen führen kann. D.19.1.21.3 beschränkt die Anwendung dieses allgemeinen Prinzips: D.19.1.21.3 Paulus 33 ad edictum Cum per venditorem steterit, quo minus rem tradat, omnis utilitas emptoris in aestimationem venit, quae modo circa ipsam rem consistit: neque enim si potuit ex vino puta negotiari et lucrum facere, id aestimandum est, non magis quam si triticum emerit et ob eam rem, quod non sit traditum, familia eius fame laboraverit: nam pretium tritici, non servorum fame necatorum consequitur. nec maior fit obligatio, quod tardius agitur, quamvis crescat, si vinum hodie pluris sit, merito, quia sive datum esset, haberem emptor, sive non, quoniam saltem hodie dandum est quod iam olim dari oportuit.53

Hier ist Paulus der Meinung, dass jedes Interesse (omnis utilitas) des Käufers, wenn es am Verkäufer liegt, dass er die Sache nicht übergibt, in Geld geschätzt werden müsse, solange es sich auf den Gegenstand bezieht. Daraus ergibt sich, dass der Haftungsumfang nicht grenzenlos ist und sich „um den Gegenstand herum“ (circa ipsam rem) befinden muss. Diese Regel „utilitas circa ipsam rem“ hat er mithilfe von drei hypothetischen Beispielen erklärt: Erstens könne der Käufer lediglich den Wert des Getreides, nicht aber den Wert der verhungerten Sklaven beanspruchen, falls im Kaufvertrag über das Getreide die Sklaven des 50 

D.19.1.1 pr. Nach Rabels Untersuchung ist im römischen Recht das Prinzip der abstrakten Schadensberechnung einzuhalten, sofern der Wert des Gegenstands im Kaufvertrag geschätzt wird. Das bedeutet, dass dieser Wert nur nach dem Marktpreis bestimmt wird, aber weder nach dem konkreten vereinbarten Kaufpreis noch nach dem höheren Preis, den der Käufer beim Weiterkauf erlangen würde. Vgl. Honsell, Quod Interest im Bonae-Fidei-Iudicium, S.  3. 52  Vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, §  23, Rn.  30 ff. 53  D.19.1.21.3. 51 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Käufers, da der Gegenstand nicht übergeben wurde, Hunger leiden; zweitens solle die Pflicht des Verkäufers auch dann nicht erweitert werden, falls der Käufer mit dem Gegenstand (z. B. Wein) Handel treibt. Obgleich der Käufer wegen der Erhöhung des Weinmarktpreises profitieren würde, müsse der Gewinn ausgeschlossen werden, da die Anklage später erhoben wurde. Drittens solle der Verkäufer wenigsten am Tag des Rechtsstreits leisten, was er bereits damals hätte leisten müssen (quod iam lim dari oprotuit), falls die Übergabe des Weins verzögert wurde. Aus den beiden genannten Textquellen lässt sich erschließen, dass der Haftungsumfang aufgrund von Verzug größer als der Sachwert oder Kaufpreis des Gegenstands sein könne, er das Interesse „um ihn herum“ jedoch nicht übertreffen dürfe.54 Im Hinblick darauf, dass die perpetuatio obligationis den aus dem Gegenstand entstehenden Gewinn oder Schaden nach Verzugseintritt ausschließt, bedeutet das Interesse „um den Gegenstand herum“ nur den Wert der Kaufsache ohne Rücksicht auf den Verzugseintritt. In diesem Sinne wird der Wert der verhungerten Sklaven als der Schaden bezeichnet, der ohne Verzug hätte vermieden werden können, während der Umsatz des Handelsbetriebs als der Gewinn anzusehen ist, der hätte erzielt werden können. Beides ist aus dem Schadensersatz auszuschließen. Aus diesem Grund wird das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Körper- und Vermögensinteresse des Käufers als der Schaden nach Verzugseintritt nicht beachtet. Wenn der Schaden des Käufers durch den Gegenstandsmangel vor Verzugseintritt verursacht wird, wird dieser Fall der Schlechterfüllung zugeordnet. Dies wird im Folgenden weiter betrachtet.

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung Der dritte Fall betrifft die Schlechterfüllung, wofür bei den iudicia stricta zunächst keine entsprechenden Formulare angeboten wurden. Wenn der Verkäufer vorsätzlich den Vertrag schlecht erfüllt, kann der Käufer nur die actio de dolo erheben,55 die sich gegen eine arglistige Schädigung (dolus malus) des Körperund Vermögensinteresses des Anklägers richtet. Wenn diese Klage im Vertragsverhältnis angewandt wird, beschränkt sich die Haftung des Beklagten nur auf den Wert des beschädigten Vermögens.56 Bei den iudicia stricta wurde dem Ankläger bis Julian zuerst die Möglichkeit der Klage auf certam rem dare gegeben. 54 

Vgl. HKK/Lohsse, §§  286–292, Rn.  10. Vgl. Kaser, Quanti ea res est, S.  96. 56  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  524–525. 55 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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Julian hat in D.46.3.33.1 erwähnt, dass jeder Einzelne haften müsse, wenn er in einer Stipulation verspricht, einen Sklaven zu übergeben, er ihn aber vorsätzlich verwundet.57 Daraus lässt sich entnehmen, dass bei einer Schlechterfüllung im Rahmen der iudicia stricta großer Wert auf den dolus des Verkäufers gelegt wurde. Hier ist ein Schuldverhältnis ohne Schlechterfüllung außerdem noch durch die perpetuatio obligationis wiederherzustellen, wobei die intentio des Anklägers als mangelfreie Leistung anzunehmen ist.58 Deshalb entspricht die Haftung des Verkäufers dem Interesse des Käufers in Bezug darauf, dass er einen mangelfreien Gegenstand hätte erhalten können, das heißt den Wertunterschied zwischen dem mangelfreien und dem mangelhaften Gegenstand.59 Wie bei Unmöglichkeit und Verzug kann der weitere Schaden des Käufers durch die Anwendung der perpetuatio obligationis nicht ermessen werden. Daher wird das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse nicht geschützt. Im Gegensatz dazu scheinen die iudicia bonae fidei sehr unterschiedlich zu sein, in denen durch den Verzicht auf die perpetuatio obligationis die direkte Verbindung zwischen dem eine Schlechterfüllung verursachenden Verhalten und dem Schadensersatz etabliert wird. Nennenswert ist, dass im Kaufvertrag gemäß „periculum emptoris“ (die Gefahr gehört dem Käufer) die Risiken vor und nach Vertragsschluss unterschiedlich aufgeteilt werden. Daher muss die Schlechterfüllung in Gegenstandsmangel und Schlechtleistung eingeteilt werden: Der erste Fall bezieht sich auf den vorhandenen Mangel vor Vertragsschluss, während der zweite die vom Verkäufer verursachte mangelhafte Leistung betrifft. Übrigens wird der Mangel des Gegenstands noch in Sach- und Rechtsmangel unterteilt. Beides soll zudem separat betrachtet werden, weil die jeweiligen Regeln im römischen Recht auf unterschiedliche Rechtsquellen zurückzuführen sind.

I. Problematik der Nebenpflichten bei Sachmangel 1. Direkte Verbindung zwischen Verschulden und Nebenpflichten Für die iudicia bonae fidei ist ein Phänomen charakteristisch, nämlich dass der Grad an Verschulden, was es mit dem positiven Tun und Unterlassen auf sich hat, den Umfang des Schadensersatzs beeinflusst. Typisch ist die Meinung Julians hierzu in D.19.1.13 pr. D.19.1.13 pr Ulpianus 32 ad edictum Iulianus libro quinto decimo inter eum, qui sciens quid aut ignorans vendidit, differentiam facit in condemnatione ex empto: ait enim, qui pecus morbosum aut tignum vitiosum vendidit, si 57 

Vgl. D.46.3.33.1. Vgl. Kaser, Quanti ea res est, S.  97. 59  Vgl. Kaser, Quanti ea res est, S.  99. 58 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

quidem ignorans fecit, id tantum ex empto actione praestaturum, quanto minoris essem empturus, si id ita esse scissem: si vero sciens reticuit et emptorem decepit, omnia detrimenta, quae ex ea emptione emptor traxerit, praestaturum ei: sive igitur aedes vitio tigni corruerunt, aedium aestimationem, sive pecora contagione morbosi pecoris perierunt, quod interfuit idonea venisse erit praestandum.60

Er geht davon aus, dass für den Fall, dass der Verkäufer dem Käufer ein krankes Stück Vieh oder einen mangelhaften Balken anbietet, „sciens“ (Wissen) von „ignorans“ (Nichtwissen) unterschieden werden müsse. Wenn der Verkäufer wissentlich einen Mangel verschweigt oder den Käufer damit täuscht, müsse er für alle Schäden einstehen, den der Käufer aus dem Kauf erleidet (omnia detrimentia, quae ex ea emptione emptor traxerit); wenn der Verkäufer dagegen keine Kenntnis von dem Mangel hatte, hatte er für das einzustehen, um wie viel weniger der Käufer gekauft hätte, wenn er den Mangel gekannt hätte (quanto minoris essem empturus). Aber was ist unter dem Ausdruck „omnia detrimentia, quae ex ea emptione emptor traxerit“ zu verstehen? Dazu schreibt Julian weiter: Falls ein Haus wegen eines Mangels an einem Balken einstürzen würde, müsse der Verkäufer für den Sachwert des Hauses einstehen; wenn ein Vieh durch ein krankes Tier angesteckt würde, müsse der Verkäufer im Interesse des Käufers dafür haften, als ob die Ansteckung nicht geschehen wäre (quod interfuit idonea venisse erit praestandum). Der Unterschied zwischen Wissen und Nichtwissen aufseiten des Verkäufers ist nicht lediglich auf dessen subjektiven Zustand zurückzuführen, sondern muss in Verbindung mit einer weiteren Verhaltenspflicht neben der Leistung im Kaufvertrag, das heißt den Käufer über den Sachmangel aufzuklären, begriffen werden: Unter arglistiger Verschweigung bzw. Täuschung des Verkäufers ist zu verstehen, dass er sich vorsätzlich der Aufklärungspflicht entzieht; wenn er unwissentlich eine mangelhafte Sache verkauft, ist darunter zu verstehen, dass er fahrlässig das Interesse des Käufers an der Erfüllung des Kaufvertrags beschädigt. Der Umfang der durch die Aufklärungspflichtverletzung ausgelösten Haftung hängt vom Verschulden des Verkäufers ab: Falls sein Verschulden sich als dolus zeigt, bezieht sich die Haftung auf alle Schäden, das heißt sowohl die Überzahlung des Käufers für den mangelhaften Gegenstand als auch den Schaden, den der mangelhafte Gegenstand für das eigene Vermögen des Käufers verursacht, nämlich den Mangelfolgeschaden i. S. d. modernen deutschen Zivilrechts;61 falls das Verschulden sich als culpa zeigt, beschränkt sich der Schadensersatz nur auf die Leistung selbst, das heißt den Sachwert des Gegenstands. 60 

D.19.1.13 pr. Medicus nimmt an, dass hier die sog. „omnia detrimenta“ oder „id quod interest“ in der Tat nicht unbegrenzt sei, und zwar dahingehend, dass diese Ausdrücke sich nur auf den Schaden beschränken, den der mangelhafte Gegenstand in der Sphäre des eigenen Vermögens vom 61 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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Das oben genannte Prinzip wird auch an anderen Stellen bewiesen: Etwa diskutieren Julian und Pomponius in D.18.1.45 darüber, was vorliegt, wenn ein gebrauchtes Kleid als neues verkauft wird.62 Die beiden nehmen an, dass, wenn der Verkäufer nicht davon wusste, dass das Kleid gebraucht ist, er nur für den Sachwert des Kleides einstehen (ipsius rei nomine teneri) könne; wenn aber der Verkäufer Kenntnis davon habe, müsse er für den daraus entstehenden Schaden haften (damni quod ex eo contigit).63 Ebenfalls in D.19.1.13.1 hat Ulpian einen Fall begutachtet, in dem ein Sklave zu Flucht und Diebstahl neigt. Ulpian ist der Meinung, dass, wenn der Sklave mit einer solchen Charaktereigenschaft verkauft wurde, der Verkäufer für das Interesse des Käufers, nicht getäuscht zu werden (quanti emptoris interfuit non decipi), einzustehen habe.64 Der Inhalt dieses Interesses wird in D.19.1.13.2 weiter verdeutlicht: Auch das Interesse daran, dass dieser Sklave andere angestiftet hat, mit ihm zu fliehen, und dass er einige Dinge gestohlen hat, wird erfasst. In diesem Fall muss der Käufer sich aber den mangelbedingten reduzierten Kaufpreis für den Sklaven anrechnen lassen, wenn der Verkäufer unwissentlich handelt.65 Hinsichtlich der Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten des Verkäufers bleiben die oben erwähnten Fälle konsistent. Allerdings stellt sich noch die Frage, ob sich die Ausdrücke in den obigen Fällen, nämlich „omnia detrimentia, quae ex ea emptione emptor traxerit“, „damni quod ex eo contigit“ und „quanti emptoris interfuit non decipi“ auf die gleiche Art von Interesse bzw. - in der Sprache des modernen Zivilrechts – auf das positive Interesse beziehen. Diese Schlussfolgerung darf jedoch nicht gezogen werden. Dazu führt Medicus aus: Würden beide Ausdrücke als positives Interesse bezeichnet, sollte der Verlust des Käufers am entgangenen Gewinn, Überzahlungszins usw. eingeschlossen werden. Doch ist dies alles in den Textquellen nicht erwähnt.66 Dennoch haben Käufer verursacht hat. Daher sind sie nicht als Begriff des Interesses im modernen Zivilrecht, insbesondere des Erfüllungsinteresses anzusehen. Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  139; Schermaier, in: Garofalo (Hrsg.), Il ruolo della buona fede oggettiva nell’esperienza giuridica storica e contemporanea, S.  387 (408). 62  Vgl. D.18.1.45. 63  Was ist unter dem „ex eo“ im Ausdruck „quod ex eo contigit“ zu verstehen? Medicus nimmt an, dass die Bedeutung der Ausdrücke wie „etiam damni (nomine) quod ex eo contingit“ nicht deutlich ist. Obwohl „ex eo“ nicht bedeute aus dem Gegenstand (res) oder aus dem Kauf (emptio), sei unsicher, ob es sich auf den Sachmangel oder die Täuschung des Käufers beziehe. Im Hinblick darauf, dass es in der vorliegenden Textquelle nur einen Nebensatz gibt, nämlich „si sciebat“, bezieht sich meiner Meinung nach „ex eo“ darauf, dass der Käufer von dem Sachmangel wusste. Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  139. 64  Vgl. D.19.1.13.1. 65  Vgl. D.19.1.13.2. 66  Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  136.

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

die oben angeführten Fälle deutlich gezeigt, dass bei Sachmangel der Haftungsumfang sich nicht mehr auf den Sachwert des Gegenstands beschränkt, sondern sich auf das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse erstreckt, und zwar einschließlich des Mangelfolgeschadens, solange der Verkäufer vorsätzlich das Interesse des Käufers verletzt. 2. Beziehung zwischen Garantiehaftung und Nebenpflichten Außer der Verschuldenshaftung besteht noch eine Garantiehaftung, das heißt, dass der Verkäufer für Sachmangel haftet, egal ob dieser Sachmangel von ihm verschuldet ist oder nicht. Unklar ist allerdings, inwieweit diese Haftung unabhängig vom Verschulden des Verkäufers besteht. Um diese Frage zu beantworten, sind drei Schlüsselpunkte zu betrachten: erstens, ob der Verkäufer die Beschaffenheit der Kaufsache zugesichert hat; wenn dies bejaht wird, zweitens, welchen Zusammenhang zwischen Zusicherung und Verschulden besteht; und drittens: wie weit der Umfang der Haftung in Bezug auf den Verstoß gegen die Zusicherung reicht. a) Zusicherung als Ersatz des Verschuldens In D.19.1.13.3 versucht Ulpian, die Beziehung zwischen Zusicherung und Verschulden des Verkäufers zu analysieren: D.19.1.13.3 Ulpianus 32 ad edictum Quid tamen si ignoravit quidem furem esse, adseveravit autem bonae frugi et fidum et caro vendidit? videamus, an ex empto teneatur. et putem teneri. atqui ignoravit: sed non debuit facile quae ignorabat adseverare. inter hunc igitur et qui scit praemonere debuit furem esse, hic non debuit facilis esse ad temerariam indicationem.67

Er ist der Auffassung, dass, wenn ein Sklave mit der Neigung zum Diebstahl verkauft wird, der Verkäufer aus der actio ex empto dafür einzustehen habe, falls er diesen Mangel zwar nicht kennt, aber die Tüchtigkeit und Zuverlässigkeit der Sklaven zusichert68 und ihn mit erhöhtem Preis verkauft. Obwohl er den Mangel nicht kennt, dürfe er nicht garantieren, was er nicht weiß. Ferner meint er, es gäbe 67 

D.19.1.13.3. Hier bedeutet die Zusicherung (z. B. praedicere, adfirmare, adseverare usw.) nicht die Garantie für die Mangelfreiheit der Kaufsache. Eine solche Garantie kann nur durch die zusätzliche Stipulation zwischen Verkäufer und Käufer abgeschlossen werden und bezieht sich besonders auf das Wort „cavere“, z. B. „si venditor de his quae edicto aedilium continentur non caveat“ (wenn der Verkäufer in Bezug auf das, was im Edikt der Ädilen enthalten ist, nicht durch Sitpulation Sicherheit leistet). Vgl. D.21.1.28; Jakab, Praedicere und cavere beim Marktkauf: Sachmängel im griechischen und römischen Recht, S.  135; dies., in: Jakab/Ernst (Hrsg.), Kaufen nach römischem Recht, S.  123 (123). 68 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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keinen großen Unterschied zwischen wissentlicher Verschweigung und unwissentlicher Zusicherung, weil der Verkäufer im Voraus über den Mangel aufklären müsse, wenn er von ihm gewusst hat; wenn er von dem Mangel nicht weiß, solle er nicht leichtfertig sagen, was er nicht weiß. Der Grund dafür, dass Ulpian anders als Julian die Kenntnis am Sachmangel nicht betont, liegt daran, dass der Verkäufer bereits die Beschaffenheit der Kaufsache zugesichert hat. Weil in D.19.1.13 pr keine Zusicherung besteht, hängt der Haftungsumfang vom Verschulden des Verkäufers ab, während sein Verschulden darauf abgewälzt wird, dass er die Behauptung „ins Blaue hinein“ aufgestellt hat, wenn die Zusicherung besteht. Daher wird der Verstoß gegen eine Zusicherung mit der wissentlichen Verschweigung gleichgestellt, sodass es nicht mehr nötig ist, das Verschulden des Verkäufers zu prüfen und positives Tun oder Unterlassen zu unterscheiden. Aber nach Pomponius’ Gutachten in D.19.1.6.4 scheint im hochklassischen römischen Recht die Tendenz entstanden zu sein, dass die Zusicherung vom Verschulden immer unabhängiger wurde, sodass deren Funktion als Verschul­ densersatz geschwächt wurde. D.19.1.6.4 Pomponius 9 ad Sabinum … si vero non id actum sit, ut integrum praestes, dolum malum dumtaxat praestare te debere. labeo contra putat et illud solum observandum, ut, nisi in contrarium id actum sit, omnimodo integrum praestari debeat: et est verum. quod et in locatis doliis praestandum sabinum respondisse minicius refert.69

Hier zitiert er Labeos Gutachten für einen Fall, in dem der Verkäufer ein mangelhaftes Gefäß angeboten hat. In Labeos Zeit waren manche der Meinung, dass, wenn die Vertragsparteien nicht darin übereinstimmten, dass der Verkäufer ein Gefäß frei von Mangel anbieten müsse, dieser nur hafte, wenn er das Gefäß vorsätzlich geschädigt hat. Dennoch spricht sich Labeo dagegen aus, nach ihm sei, falls nichts Gegenteiliges vereinbart ist, der Verkäufer in jedem Fall verpflichtet, für die Lieferung eines mangelfreien Gefäßes einzustehen. Daher besteht die Pflicht, die Mangelfreiheit des Gegenstands zu garantieren, die in jedem Kaufvertrag für konkludent bestehend gehalten wird. Anders gesagt wird diese Pflicht ohne Rücksicht auf die Zusicherung oder das Verschulden des Verkäufers verletzt, sobald der Verkäufer eine mangelhafte Kaufsache liefert. Dies bedeutet aber nicht, dass das römische Recht bereits das Rechtsinstitut der Gewährleistungshaftung entwickelt hat. Dennoch zeigt sich zumindest, dass in der hochklassischen Zeit die einflussreichtsten Juristen bereits eine stillschweigende Zusicherungspflicht des Verkäufers in jedem Kaufvertrag annahmen.

69 

D.19.1.6.4.

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

b) Verknüpfung zwischen Zusicherung und Nebenpflichten Der Haftungsumfang infolge der Pflichtverletzung wird danach bestimmt, ob eine Zusicherung oder ein Verschulden aufseiten des Verkäufers besteht. Wenn keine Zusicherung vorliegt, wird der Haftungsumfang durch das Verschulden beeinflusst. Nach obiger Analyse erstreckt sich die durch dolose Schädigung verursachte Haftung des Verkäufers auf das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse, während er bei culposer Schädigung nur auf den Sachwert des mangelfreien Gegenstands haften soll. Die Regel scheint anders zu sein, wenn der Verkäufer die Mangelfreiheit zusichert. In D.19.1.6.4 ist ein weiterer Kommentar von Pomponius erhalten. D.19.1.6.4 Pomponius 9 ad Sabinum Si vas aliquod mihi vendideris et dixeris certam mensuram capere vel certum pondus habere, ex empto tecum agam, si minus praestes. sed si vas mihi vendidieris ita, ut adfirmares integrum, si id integrum non sit, etiam id, quod eo nomine perdiderim, praestabis mihi70

Hier vergleicht er zwei hypothetische Situationen: Erstens könnte der Käufer, wenn der Verkäufer nur erklärt (dixerit), dass das Gefäß ein bestimmtes Maß oder Gewicht habe, und schließlich ein mangelhaftes liefert, die actio ex empto erheben; zweitens müsse der Verkäufer, wenn er zusichert (adfirmaret), dass das Gefäß unversehrt sei, dafür haften, was der Käufer wegen des Mangels verloren habe (quod eo nomine perdiderim). Hier soll der Unterschied zwischen Erklärung und Zusicherung besonders deutlich dargestellt werden.71 Aus Pomponius’ Satz lässt sich die Andeutung entnehmen, dass der Haftungsumfang größer sein müsse, wenn eine Zusicherung besteht. Weil die Erklärung über die Beschaffenheit der Kaufsache nicht mit der Zusicherung gleichgestellt ist, muss der Verkäufer nur für den Sachwert des Gegenstands einstehen,72 weil er ohne Kenntnis des Mangels den Vertrag schlecht erfüllt. Während der Verstoß gegen eine Zusicherung nach Ulpians Auffassung in D.19.1.13.3 als Verschuldensersatz anzusehen ist, sodass der Haftungsumfang sich um die durch die Nebenpflichtverletzung betroffenen Interessen vergrößert. 70 

D.19.1.6.4. Ulpian hat den Unterschied zwischen Erklärung (dictum) und Versprechen (promissum) verdeutlicht, demnach ist Erklärung, was dem bloßen Wort nach verdeutlicht wurde und sich in der reinen Rede erschöpft; während ein Versprechen sich sowohl als einfaches vertragliches Versprechen oder formlose Zusage oder als förmliches Stipulationsversprechen darstellen kann. (Dictum a promisso sic discernitur: dictum accipimus, quod verbo tenus pronuntiatum est nudoque sermone finitur: promissum autem potest referri et ad nudam promissionem sive pollicitationem vel ad sponsum.) Vgl. D.21.1.19.2. 72  Vgl. Jakab, Praedicere und cavere beim Marktkauf: Sachmängel im griechischen und römischen Recht, S. 130. 71 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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II. Problematik der Nebenpflichten bei Rechtsmangel 1. Lösungsmodell vor den iudicia bonae fidei Ein Grund dafür, dass sich die Regel über den Rechtsmangel anders entwickelt hat, liegt darin, dass die Übereignung des Gegenstands nicht als die Pflicht des Verkäufers im römischen Kaufvertrag anzusehen ist. Vor den iudicia bonae fidei kann das Problem des Rechtsmangels auf zwei Arten gelöst werden, nämlich durch die actio auctoritatis oder durch eine zusätzliche Stipulation neben dem Kaufvertrag. Der römische Kaufvertrag ist nur erforderlich, um dem Käufer den ungestörten Besitz der Kaufsache zu gewährleisten.73 Aus diesem Grund wurde das Problem des Rechtsmangels gleich zu Beginn nicht mit der actio ex empto gelöst: Die Übereignung der res mancipi wird normalerweise nur durch mancipatio realisiert, die gewissermaßen als Verfügungsgeschäft gilt.74 Solange der Rechtsmangel besteht, ist der Käufer durch die aus der mancipatio entstehende actio auctoritatis berechtigt, auf den doppelten Kaufpreis zu klagen, falls er mit einer evictio eines Dritten konfrontiert wird, wenn der Gegenstand nicht dem Verkäufer gehörte.75 Beim Kauf von res nec mancipi können die Vertragsparteien mittels einer Stipulation eine zusätzliche Vertragsstrafe vereinbaren. Eine solche Vereinbarung kann in zwei Fälle aufgeteilt werden: Der eine Fall ist die stipulatio dulpae, das heißt, dass der Betrag des Schadensersatzes den zweifachen Kaufpreis erreicht; der zweite Fall ist die stipulatio habere licere, das bedeutet, dass der Verkäufer für das Interesse des Käufers am ungestörten Besitz der Kaufsache einstehen müsse.76 Diese beiden Fälle erfordern keinen dolus des Verkäufers und der Käufer darf mit der actio ex stipulatu klagen.77 Unklar ist hingegen, wie der Haftungsumfang der Stipulation zu bestimmen ist. Zweifelslos ist der Käufer berechtigt, entweder den doppelten Kaufpreis zurückzufordern oder vom Verkäufer Schadensersatz für den Gegenstandsverlust zu verlangen. In beiden Fällen Vgl. Harke, Römisches Recht, §  8, Rn.  14. Die hier erwähnte mancipatio hat ihre ursprüngliche Funktion als hauptsächliche Form des Barkaufs in der frühen Zeit des römischen Rechts verloren, das heißt, dass sie nicht nur als Kaufvertrag auf der schuldrechtlichen Ebene gegolten hat, sondern auch als Übereignungsweise auf der sachrechtlichen Ebene angesehen war. Aber mit der wirtschaftlichen Entwicklung des römischen Reichs wurde der Vertragsschluss graduell von der Übereignung des Gegenstands getrennt, sodass die mancipatio zum „abstrakten“ Verfügungsgeschäft wurde, die nicht mehr vom Verpflichtungsgeschäft abhängig ist. Die Wirkung der Übereignung ist durch den Rechtsformalismus anerkannt. Vgl. Harke, Römisches Recht, §  14, Rn.  21 ff.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, S.  145. 75  Vgl. Pauli Sententiae Receptae 2.17.3. 76  Vgl. Nörr, SZ (2004), 152 (159). 77  Vgl. Harke, Römisches Recht, §  8, Rn.  18 ff. 73  74 

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handelt sich es beim Schadensersatz nur um den Sachwert des Gegenstandes, sodass dies mit dem durch die Nebenpflichtenverletzung betroffenen Interesse nichts zu tun hat.78 2. Lösungsmodell bei den iudicia bonae fidei Julian hat die oben dargestellte Weise für die Beseitigung des Rechtsmangels modifiziert. Zunächst wird eine zusätzliche Garantie der Rechtsmangelfreiheit als stillschweigende Pflicht im Kaufvertrag aufgenommen,79 um die Schwierigkeit zu vermeiden, dass der Käufer wegen der Stipulationsungültigkeit nicht mehr klagen kann oder dass das Vertragsverhältnis wegen des „concursus causarum“ (Konkurrenz der Rechtsgründe) erlischt, sodass das Strafversprechen aus der Stipulation nicht mehr realisiert werden kann.80 Daher braucht der Käufer keine weitere Stipulation neben dem Kaufvertrag und kann direkt mit der actio ex empto den Schadensersatz beanspruchen. Ferner hat Julian auch den Umfang des durch Rechtsmangel verursachten Schadensersatzes erweitert. Der Schadensersatz beschränkt sich nicht nur auf das Interesse des Käufers daran, die Kaufsache in ungestörtem Besitz zu haben, sondern bezieht sich auch auf den Verlust, den er wegen des Rechtsmangels erlitten hat. Dies hat Julian in D.19.1.30.1 konkretisiert:

D.19.1.30.1 Africanus 8 quaestionum Si sciens alienam rem ignoranti mihi vendideris, etiam priusquam evincatur utiliter me ex empto acturum putavit in id, quanti mea intersit meam esse factam: quamvis enim alioquin Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  50. In D.19.1.11.18 hat Julian seine Meinung ausführlich dargelegt: Ulpian versucht zu erklären, welchen Inhalt die Garantie der Rechtsmangelfreiheit eigentlich hat. Die frühen römischen Juristen vertraten die Meinung, dass die Wirkung dieser Garantie auf das Versprechen des Verkäufers in der Stipulation zurückzuführen sei. Zwischen den zwei Arten dieses Versprechens, nämlich, dass weder per se noch per omnes der Rechtsmangel verursacht werden dürfe, liege ein großer Unterschied. Im ersten Fall müsse der Verkäufer nicht für die evictio haften, während im zweiten Fall er dafür einstehen solle. Aber Julian geht davon aus, dass der Verkäufer für die evictio einstehen solle, obwohl er lediglich erklärt, dass der Käufer nur von ihm selbst nicht daran gehindert wird, die Kaufsache in ungestörtem Besitz zu haben. Sogar wenn der Verkäufer im Vertrag ausdrücklich erkläre, nicht für die evictio einzustehen, sei er nicht von der Haftung befreit. Daraus lässt sich entnehmen, dass Julian die Garantie der Rechtsmangelfreiheit als stillschweigende Pflicht im Kaufvertrag angesehen hat. Vgl. D.19.1.11.18. 80  Wenn beide Parteien eine Vereinbarung über einen Sklaven aus dem Erbe des Verkäufers getroffen haben, der Käufer jedoch danach informiert wurde, dass dieser Sklave ihm vermacht worden war, erlischt das Vertragsverhältnis. Vgl. D.30.84.5. 78  79 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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verum sit venditorem hactenus teneri, ut rem emptori habere liceat, non etiam ut eius faciat, quia tamen dolum malum abesse praestare debeat, teneri eum, qui sciens alienam, non suam ignoranti vendidit: id est maxime, si manumissuro vel pignori daturo vendiderit.81

Er ist der Meinung, dass, wenn der Verkäufer wissentlich eine fremde Sache an einen unwissenden Käufer verkauft, der Käufer im Falle einer evictio die actio ex empto erheben könne, um auf sein Interesse daran zu klagen, dass die Kaufsache sein Eigentum gewesen wäre (quanti mea intersit meam esse factam). Obwohl der Verkäufer grundsätzlich nur dafür haftet, dass der Käufer die Sache in ungestörtem Besitz behält (ut rem emptori habere liceat), aber nicht dafür, dem Käufer das Eigentum an der Sache zu übertragen, ist er dennoch verpflichtet, eine vorsätzliche Schädigung zu vermeiden (dolum malum abesse praestare), sodass er doch haften solle. Daraus lässt sich zuerst entnehmen, dass die Erweiterung des Haftungsumfangs das Verschulden des Verkäufers voraussetzt, was nicht bedeutet, dass der Verkäufer vorsätzlich den Mangel verursacht. Vielmehr wird angenommen, dass er aufgrund des vorhandenen Mangels das Interesse des Käufers vorsätzlich beschädigt hat. Dieses Erfordernis wird auch an anderen Stellen nachgewiesen. Beispielsweise ist Ulpian in D.19.1.1.1 der Auffassung, dass beim Grundstückskauf der Verkäufer aus dem Kauf hafte, wenn er den Rechtsmangel, z. B. die Dienstbarkeit von Dritten, gekannt hat, aber den Käufer nicht darüber aufgeklärt hat. Solange der Mangel besteht oder genauer gesagt der Verkäufer sich wegen des Unbekanntbleibens der Dienstbarkeit in einer zu missbilligenden Weise verhalten hat (improbato more versatus sit), solle er haften.82 Dieser Meinung hat auch Modestin zugestimmt und hat weiter erwähnt dass, wenn der Käufer mit der actio ex empto vorgeht, der Verkäufer nicht die Einrede erheben könne, dass er (d. h. der Verkäufer) die Dienstbarkeit gekannt hat und ausdrücklich ausgeschlossen hat. Allein der Einwand des Nichtwissens der Dienstbarkeit und der daraus folgenden Nichtinformation des Käufers befreie den Verkäufer.83 Anders gesagt sei der Verkäufer verpflichtet, den Käufer über einen Rechtsmangel aufzuklären, solange er von diesem wusste, während er davon befreit werden könne, wenn er nicht von ihm wusste. Dieses Prinzip wird in D.19.1.13.6 wiederholt: Wenn der Verkäufer davon gewusst habe, dass die Kaufsache, ein Grundstück, mit den Steuern von vielen Städten belastet ist, und er dennoch die Klausel in den Vertrag hinzufüge, dass, wenn sonst noch irgendetwas wegen der Steuerforderungen des römischen Volkes, wegen der Gemeindeabgaben, wegen irgendeiner Sondersteuer oder als Beitrag zum Wegebau ge81 

D.19.1.30.1. Vgl. D.19.1.1.1. 83  Vgl. D.19.1.39. 82 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

leistet werden muss, der Käufer dafür einstehen müsse, ist eine solche Handlung nach Julian als vorsätzliche Täuschung des Käufers anzusehen.84 Aus D.19.1.30.1 ist noch ein zweiter Punkt nennenswert, nämlich dass der Verkäufer, wenn er den Rechtsmangel gekannt hat, verpflichtet sei, dem Käufer das Interesse, das heißt „quanti mea intersit meam esse factam“, entgegenzubringen, welches das Interesse „rem emptori habere“ übertrifft. Letzteres entspricht tatsächlich dem Kaufpreis, den der Käufer für eine mangelfreie Kaufsache bezahlt hat. Doch dann stellt sich die Frage, was der den Kaufpreis übertreffende Teil eigentlich ist und ob sich dieses auf das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse bezieht. Der Schlüssel hierfür liegt im Unterschied zwischen Besitz und Eigentum von einem Gegenstand: Angenommen, der Käufer übergibt die Kaufsache durch Kauf oder Miete weiter, kann er das nachfolgende Interesse des Weiterkaufs oder der Weitermiete nur dadurch versichern, dass er das Eigentum an der Sache erworben hat. Aber ob der Haftungsumfang sich auf das nachfolgende Interesse erstreckt, kann nach den Textquellen nicht bewiesen werden. Einige Wissenschaftler sind der Meinung, dass der Haftungsumfang sich neben dem Sachwert des Gegenstands noch auf den mittelbaren Schaden beziehe, den der Käufer erlitten hätte. So sollte beispielsweise das in D.19.1.30 genannte Interesse, das der Käufer wegen der evictio verloren hätte, das umfassen, was eine nochmalige Freisprechung des Sklaven oder eine nochmalige Miete der Kaufsache mit sich hätte bringen können.85 Allerdings scheint diese Bedeutung nicht in der Textquelle enthalten zu sein, wenn man sie genauer liest. Angenommen, eine solche Behauptung wäre richtig, würde das betroffene Interesse allerdings dem entgangenen Gewinn zugeordnet sein, das keinesfalls von der durch die Nebenpflichtenverletzung verursachten Haftung abhängt. Im Vergleich dazu scheint Medicus’ Analyse der Kritik standzuhalten. Er ist der Auffassung, es gebe zwei Schwierigkeiten, um den Haftungsumfang zu bestimmen: Erstens sei es schwer festzumachen, wann die Eviktion eigentlich geschieht, das heißt wie lange die Rechtsunsicherheit über die Sache dauert; zweitens könnte der Käufer unwahre Angaben über weitere Verfügungen über die Kaufsache machen, z. B. den Sklaven weiterzuverkaufen.86 Um diese Probleme zu vermeiden, müsse der Haftungsumfang nicht vom Käufer, sondern vom durch die Eviktion verursachten Wertverlust der Sache abhängen: Beispielsweise ist der Preis des Sklaven mit dem Eviktionsrisiko üblicherweise niedriger als derjenige eines gewöhnlichen Sklaven, während der Preis des mit einer 84 

Vgl. D.19.1.13.6. Vgl. Harke, Römisches Recht, §  8, Rn.  21. 86  Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  78. 85 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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Dienstbarkeit belasteten Grundstücks auf jeden Fall auch weniger ist als derjenige des mangelfreien Grundstücks. Deshalb haftet der Verkäufer dafür, das Interesse des Käufers daran zu ergänzen, dass er eine mangelfreie Kaufsache hätte erwerben können,87 was sich nicht auf das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse beziehen kann.

III. Problematik der Nebenpflichten bei Schlechtleistung 1. Beziehung zwischen Risikoverteilung und Verschulden Neben Sach- und Rechtsmangel gibt es noch die Fälle der Schlechtleistung, nämlich, dass der Gegenstand bei Erfüllung verloren, zerstört oder verschlechtert ist, obwohl er bei Vertragsschluss noch unversehrt war, was zur Schlechterfüllung führt. Die Haftung bei Vertragserfüllung betrifft die Abwägung zwischen „periculum emptoris“ und custodia-Haftung des Verkäufers. Wie in D.18.6.8 pr vorgeschrieben, trägt der Käufer die Gefahr, nachdem der Kaufvertrag perfektioniert worden ist.88 Diese Regel lässt sich darauf zurückführen, dass der Kaufvertrag im römischen Recht die Merkmale des Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfts vermischt, sodass, wenn der Vertrag abgeschlossen ist, der Käufer für den Verlust oder die Verschlechterung des Gegenstands haftet und nicht von der Zahlungspflicht befreitet wird, da er bereits zum Eigentümer der Kaufsache im wirtschaftlichen Sinne geworden ist.89 Doch bezieht sich diese Gefahr nur auf Umstände, welche die Vertragsparteien nicht vertreten müssen. Wenn aber der Verkäufer bei Vertragserfüllung den Gegenstandsverlust bzw. die -verschlechterung schuldhaft verursacht hat, muss er noch haften. Außerdem haben die römischen Juristen die custodia-Haftung entwickelt.90 Wie in D.18.6.3 ausgeführt wird, muss der Verkäufer dafür einstehen, dass er vor der Übergabe die Kaufsache so bewahrt, wie sie ihm geliehen worden ist (hi quibus res commodata est).91 Daraus entsteht eine Konkurrenz zwischen diesen drei Prinzipien. Falls die Kaufsache bei Erfüllung verloren oder verschlechtert ist, Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  79–80. Vgl. D.18.6.8 pr. Die Perfektion ist normalerweise mit dem Vertragsschluss gleichzustellen, aber in besonderen, kasuistisch beurteilten Fällen danach. Vgl. Jakab, SZ (2004), 189 (189). 89  Vgl. Bauer, Periculum Emptoris, S.  62. 90  Die justinianische Kodifikation hat jedoch die Bedeutung der custodia-Haftung verändert, und zwar insofern, dass nur dann, wenn der Diebstahl oder die Sachbeschädigung durch schuldhaft unzugängliche Bewahung der Sache ermöglicht war, der Verwahrer hafen soll (culpa in custodiendo), sodass die Anwendung des „periculum emptoris“ sich erweitert hat. Vgl. Ernst, SZ (1982), 216 (217). 91  Vgl. D.18.6.3. 87  88 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

wer verantwortet dann die Haftung und wie weit reicht der Haftungsumfang? Solche Fragen müssen anhand der Textquellen analysiert werden. In D.19.1.23 sind die Meinungen von Julian und Marcellus zum Verlust der Kaufsache nach Vertragsschluss dargestellt. D.19.1.23 Iulianus 13 Digestorum Si quis servum, quem cum peculio vendiderat, manumiserit, non solum peculii nomine, quod servus habuit tempore quo manumittebatur, sed et eorum, quae postea adquirit, tenetur et praeterea cavere debet, quidquid ex hereditate liberti ad eum pervenerit, restitutu iri. Marcellus notat: illa praestare venditor ex empto debet, quae haberet emptor, si homo manumissus non esset: non continebuntur igitur, quae, si manumissus non fuit, adquisiturus non esset.92

In diesem Fall hat der Verkäufer, nachdem ein Kaufvertrag über einen Sklaven mit Sondergut (peculium) vereinbart wurde, den Sklaven freigesprochen und nicht übergeben. Julian ist der Meinung, die Haftung des Verkäufers beziehe sich nicht nur auf das peculium des Sklaven vor der Freisprechung, sondern auch darauf, was er danach erworben hat. Im Vergleich dazu nimmt Marcellus an, dass der Verkäufer dafür einstehe, was der Käufer hätte haben können, wenn der Sklave nicht freigesprochen worden wäre (quae haberet emptor, si homo manumissus non esset). Aber es gehe nicht darum, was der Käufer nicht erlangt hätte, wenn der Verkäufer den Sklaven nicht freigesprochen hätte (quae, si manumissus non fuit, adquisiturus non esset). Mit Sklaven eigenmächtig freisprechen ist gemeint, dass der Verkäufer vorsätzlich dafür sorgt, dass die Kaufsache verloren ist. Marcellus nimmt an, dass in diesem Fall der Käufer das Interesse daran erworben hat, dass der Sklave nicht freigesprochen wäre. In Bezug darauf, was dieses Interesse eigentlich betrifft, stimmen die beiden Juristen jedoch nicht überein. Der Unterschied liegt im Verständnis darüber, welches Interesse des Käufers durch die Freisprechung des Sklaven verletzt wird: Marcellus neigt zu der Ansicht, dass der Käufer den Sachwert des Sklaven bekommen solle,93 während Julian annimmt, dass der Käufer den entgangenen Gewinn neben dem Wert des Sklaven erlangen könne. Julians Meinung wird damit begründet, dass das Interesse, das der Verkäufer durch die Freisprechung des Sklaven bekommen würde, mit dem Interesse, das der Käufer deswegen verlieren würde, gleichzustellen ist, weil der Käufer das gleiche ­Interesse erhalten kann, wenn er nach der Übereignung den Sklaven selbst freispricht. In diesem Sinne hat sich das Interesse des Käufers bereits dem positiven Interesse i. S. d. modernen Zivilrechts angenähert. Obwohl in diesem Fall das Problem in Bezug auf die Verletzung der Nebenpflichten nicht erwähnt ist, sollte

92  93 

D.19.1.23. Vgl. Medicus, Id Quod Interest, S.  43.

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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anerkannt werden, dass das ihr entsprechende Interesse von Julian bemerkt worden ist. In D.18.6.16 hat Gaius den Auftritt des Sachmangels nach Vertragsschluss diskutiert. D.18.6.16 Gaius 2 cottidianarum rerum Si vina quae in doliis erunt venierint eaque, antequam ab emptore tollerentur, sua natura corrupta fuerint, si quidem de bonitate eorum adfirmavit venditor, tenebitur emptori: quod si nihil adfirmavit, emptoris erit periculum, quia sive non degustavit sive degustando male probavit, de se queri debet. plane si, cum intellegeret venditor non duraturam bonitatem eorum usque ad in eum diem quo tolli deberent, non admonuit emptorem, tenebitur ei, quanti eius interesset admonitum fuisse.94

In diesem Fall wurde ein Kaufvertrag über Wein abgeschlossen, doch bevor der Käufer den Wein abgeholt hat, schlug dieser um. Gaius meint, dass der Verkäufer hafte, wenn er die Beschaffenheit des Weins zugesichert hat, während die Gefahr auf den Käufer übergehen würde, wenn er diese nicht zugesichert hat. Wenn aber der Verkäufer weiß, dass der Wein nicht bis zum Tag der Abholung hält, aber den Käufer nicht darüber informiert, müsse er für das Interesse des Käufers daran einstehen, als ob er bereits informiert worden wäre (quanti eius interesset admonitum fuisse). Der Unterschied zwischen diesem Fall und dem Sachmangel vor Vertragsschluss liegt in der Aufteilung der Risiken. Wenn der Verkäufer den Mangel nicht gekannt und die Beschaffenheit der Kaufsache nicht zugesichert hat, haftet er nur für den Sachwert der Kaufsache, während er, falls der Sachmangel erst nach Vertragsschluss entsteht, von der Haftung befreit wird, da die Gefahr bereits auf den Käufer übertragen wurde. Wenn aber der Verkäufer den Mangel gekannt hat, dann ist er wie bei Sachmangel vor Vertragsschluss verpflichtet, den Käufer darüber aufzuklären. Falls diese Pflicht verletzt wird, sollte der Verkäufer für das Interesse des Käufers daran einstehen, dass er über den Mangel aufgeklärt worden wäre, damit ist gemeint, dass er nicht getäuscht worden wäre. Obwohl Gaius den Haftungsumfang nicht erwähnt, hat er die Existenz der Nebenpflicht, das heißt die Aufklärungspflicht angedeutet. Nach dem oben dargelegten Prinzip ist die Verletzung dieser Pflicht in Geld zu ersetzen. 2. Schätzung des Verschuldens in Geld Alle oben erwähnten Fälle haben gezeigt, dass das Verschulden des Verkäufers, insbesondere bei Vorliegen von dolus, einen Einfluss auf seinen Haftungsumfang hat. Doch ist noch die Frage zu klären, ob bei den iudicia bonae fidei die Leistungspflichten des Verkäufers von dessen mit Verschulden verletzten 94 

D.18.6.16.

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Pflichten zu unterscheiden sind. Diese Annahme kann mit D.19.1.6.8 bewiesen werden. D.19.1.6.8 Pomponius 9 ad Sabinum Si dolo malo aliquid fecit venditor in re vendita, ex empto eo nomine actio emptori competit: nam et dolum malum eo iudicio aestimari oportet, ut id, quod praestaturum se esse pollicitus sit venditor emptori, praestari oporteat.95

Pomponius nimmt an, dass der Käufer, wenn der Verkäufer arglistig die verkaufte Sache beschädigt, die actio ex empto erheben könne. Bei der Klage muss die Höhe des durch die arglistige Schädigung verursachten Schadens vom Richter in Geld ästimiert werden, sodass der Verkäufer dafür einstehen kann, was er versprochen hat. Daraus lässt sich entnehmen, dass der durch dolus verursachte Schaden unabhängig vom Leistungsgegenstand zusätzlich berechnet werden sollte. Doch stellt sich die weitere Frage, warum das Verschuldenselement in einer speziellen Weise zu behandeln ist. Dies wird von Pomponius in D.19.1.6.9 näher analysiert. D.19.1.6.9 Pomponius 9 ad Sabinum Si venditor sciens obligatum aut alienum vendidisset et adiectum sit neve eo nomine quid praestaret, aestimari oportet dolum malum eius, quem semper abesse oportet in iudicio empti, quod bonae fidei sit.96

Er hat dies mit dem Beispiel des Grundstückskaufs erklärt: Wenn der Verkäufer weiß, dass das Grundstück verpfändet ist oder einem Dritten gehört, er aber dennoch in der Kaufurkunde die Klausel hinzugefügt hat, „dass er deswegen für nichts einsteht“, dann müsse seine Arglist in Geld geschätzt werden, weil ein Beklagter bei der actio ex empto, die durch Treu und Glauben beherrscht wird, von Arglist stets frei sein muss. Die arglistige Schädigung ist ein extremer Fall der vorsätzlichen Schädigung. Der Grund dafür, arglistige Schädigung in Geld zu schätzen, liegt nach Pomponius in einer Besonderheit der iudicia bonae fidei, nämlich, dass der Richter es gestattet, die exceptio doli gegen die Arglist des Klägers zu erheben. Was demnach bei den iudicia bonae fidei geschützt wird, ist das Interesse des Käufers daran, das er ohne arglistige Schädigung hätte haben können, freilich einschließlich des durch die Schädigung verursachten Verlusts am Gegenstand und auch am darüber hinausgehenden Interesse. Falls seine Meinung als die herrschende Lehre akzeptiert wurde, bedeutet dies, dass im klassischen römischen Recht die Vertragspflichten die sog. Leistungspflicht bereits übertroffen haben.97 Dies aber 95 

D.19.1.6.8. D.19.1.6.9. 97  Kaser nimmt an, das Schuldverhältnis in den iudicia bonae fidei enthalte nicht nur die ausdrücklichen Abreden zwischen den Vertragsparteien, sondern auch alles, was unter den 96 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

39

setzt den dolus des Verkäufers voraus. Wichtig ist, dass zwischen der exceptio doli und der actio de dolo sowohl Korrespondenz als auch Konkurrenz bestehen. Letztere wurde als Auffangklage entweder in vertraglichen oder deliktischen Fällen angewandt. Es ist hier zu fragen, ob dies bedeutet, dass die iudicia bonae fidei tatsächlich das Interesse i.S.d. deliktischen Rechts teilweise schützen. Ferner: Zeigt dies, dass der Schutz für das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse auf die deliktische Haftung im römischen Recht zurückzuführen ist? Zur Beantwortung dieser Fragen muss die Verbindung zwischen der actio de dolo und der exceptio doli weiter untersucht werden. 3. Tiefere Verbindung zwischen actio de dolo und exceptio doli Die actio de dolo war eine durch Aquilius Gallus, ein Jurist aus der Zeit gegen Ende der römischen Republik, während seiner Zeit als Prätor in Sizilien erfundene Klage.98 Ursprünglich konnte mit dieser Klage lediglich gegen den Schädiger auf dessen wissentliche Täuschung geklagt werden. In D.4.3.1.1 ist der Inhalt des prätorischen Edikts gespeichert: D.4.3.1.1 Ulpianus 11 ad edictum Verba autem edicti talia sunt: quae dolo malo facta esse dicentur, si de his rebus alia actio non erit et iusta causa esse videbitur, iudicium dabo.99

Das heißt, dass der Prätor, wenn etwas Arglistiges geschehen ist, eine Klage erteilen kann, wenn in dieser Sache keine andere Klage gegeben ist und ein berechtigter Grund vorliegt. Daraus ergibt sich, dass zwei Voraussetzungen für die Anwendung dieser Klage vorliegen: erstens das Bestehen der arglistigen Schädigung; zweitens, dass keine andere Klage gegeben werden kann (si alia actio non erit). Aus dem letzten Punkt lässt sich entnehmen, dass der Prätor von Anfang an die Absicht hatte, die actio de dolo als Auffangklage anzusehen. Bei der Entwicklung hat sie sich zudem erheblich erweitert. Diese Erweiterung ist zunächst mit der Veränderung der Bedeutung von dolus malus verbunden. Aquilius Gallus hat diesen Begriff als „aliud simulatum, aliud actum“ (man hat anders getan, als man vorgegeben hat) definiert.100 Deshalb ist wissentliche Täuschung die Kernbedeutung des Worts. Sie wird im berühmten Fall „Canius v Pythius“ angewendet, in dem Canius von Pythius ein Haus in Syrakus kaufen möchte, um darin ein großes Gastmahl zu organisieren. Doch hat konkreten Umständen und unter Berücksichtigung des Ortsgebrauchs und der allgemeinen Verkehrssitte als verbindlich unterstellt werden darf. Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  407. 98  Vgl. Watson, SZ (1961), 392 (392). 99 D.4.3.1.1. 100  Vgl. Cicero, De Officiis 3, 58–61.

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Pythius bei Vertragsschluss Canius dahingehend getäuscht, dass das Haus an der fischreichsten Stelle in Syrakus liege, damit er den Vertrag abschließen konnte. Um Canius Rechtsschutz anzubieten, gebraucht Gallus die actio de dolo, um alle Täuschungen bei Vertragsschluss zu beseitigen (tollendum est igitur ex rebus contrahendis omne mendacium).101 Diese Definition wurde weiter benutzt bis zum Ende der römischen Republik. Servius Sulpicius Rufus hat dolus malus als eine Art Machenschaft, um andere zu betrügen, indem das eine vorgetäuscht, aber das andere getan wird (machinationem quandam alterius decipiendi causa, cum aliud simulatur et aliud agitur), bezeichnet.102 Dies entspricht der Meinung von Gallus. Allerdings hat Labeo die Bedetung von dolus malus verändert und dabei stärker das Element der Arglist betont. Er nimmt an, dass zum einen auch ein unredlicher Schädiger von seiner Handlung profitieren könne, auch wenn er nicht getäuscht hat, zum anderen sei zu akzeptieren, zum Schutz seines eigenen Interesses oder der Interessen anderer zu täuschen, solange keine Arglist dabei sei. Unter Arglist kann jede Hinterlist, Betrügerei oder Machenschaft zum Zweck, einen anderen zu übervorteilen, zu täuschen oder zu betrügen (ad circumveniendum fallendum decipiendum), verstanden werden.103 Daher ist die actio de dolo graduell von der Klage auf Täuschung zur Klage auf vorsätzliche Schädigung umgewandelt worden. Zugleich hat Labeo das Erfordernis „si alia actio non erit“ dadurch beschränkt, dass die actio de dolo selbst dann anwendbar sei, wenn nur ein Zweifel daran bestehe, ob eine andere Klage gegeben sein könne (si dubitetur an alia sit).104 Aus diesem Grund wurde die actio de dolo in den Fällen ohne vertragliches Verkehrsverhältnis zwischen Ankläger und Beklagtem angewandt: So hat beispielsweise in einem durch Stipulation abgeschlossenen Bürgschaftsvertrag ein Bürge absichtlich vor Ablauf des Vertrags ein Tier als Sicherheit getötet. Dazu haben Julian und Neratius Priscus angenommen, dass die actio de dolo gegen den Bürgen anwendbar sei.105 Auch in D.4.3.18.3 ist Trebatius der Meinung, dass gegen den Verkäufer, wenn jemand wissentlich falsche Gewichte zu dem Zweck verliehen hat, dass er damit Waren für den Käufer abwog, die actio de dolo anwendbar sein müsse.106 Darüber hinaus zeigt D.4.3.7.6, dass diese Klage auch erhoben werden kann, wenn der Beklagte absichtlich ein Tier von einem Dritten Vgl. Cicero, De Officiis 3, 58–61. Vgl. D.4.3.1.2. 103  Vgl. D.4.3.1.2. 104  Vgl. D.4.3.7.3. 105  Vgl. D.4.3.19. 106  Vgl. D.4.3.18.3. 101  102 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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reizt, bis es den Ankläger angreift.107 Aus diesen Fällen lässt sich entnehmen, dass der Anwendungsbereich dieser Klage sich zunächst auf die Täuschung des Verkäufers bei Vertragsschluss beschränkt, sich aber danach auf die vorsätzliche Schädigung eines Dritten ausweitet, der entweder in der Nähe des Verkehrs­ verhältnisses steht oder sogar davon unabhängig ist. Dementsprechend ist die Bedeutung von dolus nicht nur graduell von der Bedeutung der Täuschung abgewichen, sondern hat sich der Treuwidrigkeit i. S. d. iudicia bonae fidei und der exceptio doli angenähert.108 Dennoch wurde der Rechtsschutz durch die actio de dolo für Rechtstreitigkeiten bei Vertragsschluss bis in die Zeit des spätklassischen römischen Rechts unverändert bewahrt. Dies kann durch die Meinung Ulpians in D.4.3.37 bewiesen werden. Er nimmt an, dass die einfache Anpreisung des Verkäufers (quod venditor ut commendet dicit) normalerweise nicht als Zusicherung oder Versprechen für die Beschaffenheit der Kaufsache bezeichnet wird. Wenn diese aber zum Zwecke der Täuschung vorgenommen wird, ist sie dem Verstoß gegen Zusicherung oder Versprechen gleichgestellt, sodass die actio de dolo angewandt wird, solange keine anderen Klagen verfügbar sind.109 Im Vergleich dazu erscheint der Ursprung der exceptio doli unklar. Dazu gibt es zwei Meinungen: Die erste lautet, dass Gallus die exceptio doli und die actio de dolo gleichzeitig erfunden hat;110 die zweite vertritt, dass sie auf ein durch Q. Mucius erfundenes Formular der Einrede zurückzuführen ist, als er 99 vor Chr. Prokonsul der Provinz Asien war.111 Wenn Ersteres richtig wäre, hätten die beiden Rechtsinstitute die gleiche Wurzel, deren Unterschied nur im Angriffsund Verteidigungsaspekt im Rahmen des Rechtsschutzes liegt. Wenn die letzte Meinung zutreffend wäre, könnte die Bedeutung von exceptio doli so verstanden werden, dass der Beklagte nach bona fides nicht haftet, es sei denn, dass der Verkehr in dieser Weise behandelt wird (extra quam si ita negotium gestum est, ut eo stari non oporteat ex fide bona).112 Daher liegt der Kern von der exceptio doli nicht in der Täuschung, sondern im Verstoß gegen die bona fides, und zwar in der Vertrauensverletzung, sodass die exceptio doli nicht von der actio de dolo abhängt. Allerdings ist der Inhalt dieser Einrede nach den Textquellen relativ sicher. In den Institutionen hat Gaius verdeutlicht: 107 

Vgl. D.4.3.7.6. Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  401–433, S.  524; Schermaier, in: Garofalo (Hrsg.), Il ruolo della buona fede oggettiva nell’esperienza giuridica storica e contemporanea, S.  387 (409–410). 109  Vgl. D.4.3.37. 110  Vgl. Lübtow, in: Maridakis, Eranion, Bd.  1, S.  183 (193–194). 111  Vgl. Lübtow, in: Maridakis, Eranion, Bd.  1, S.  183 (193). 112  Vgl. Cicero, Epistulae ad Atticum 6, 1, 15. 108 

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

Gai. 4, 119 Omnes autem exceptiones in contrarium concipiuntur, quam adfirmat is, cum quo agitur. nam si uerbi gratia reus dolo malo aliquid actorem facere dicat, qui forte pecuniam petit, quam non numeravit, sic exceptio concipitur: si in ea re nihil dolo malo auli agerii factum sit neque fiat113

Demzufolge muss der Beklagte haften, wenn in dieser Angelegenheit nichts durch die Arglist des Klägers geschehen ist oder geschieht. Daher umfasst die Einrede zwei Anwendungsmöglichkeiten: Die eine ist, dass im Rechtsverhältnis Arglist des Beklagten vorlag, bevor die Klage erhoben wurde, z. B. arglistige Täuschung beim Abschluss des Kaufvertrags; die andere ist, dass die Klageerhebung selber als Arglist oder Verstoß gegen die bona fides einschließlich der Arglist bei Vertragserfüllung anzusehen ist.114 Deshalb ist das durch die actio de dolo angebotene „Rechtsverbot“ für die Arglist des Verkäufers bei Vertragsschluss tatsächlich durch die exceptio doli umfasst. Aber bei den iudicia stricta ist die exceptio doli noch nicht Bestandteil des Formulars, sodass sie nur durch den Beklagten aufgestellt werden kann. Der Gedanke, sie als einen Bestandteil der iudicia bonae fidei anzusehen (exceptio doli bonae fidei iudiciis inest), ist das Ergebnis im spätklassischen römischen Recht. Mittlerweile wurde das Verfahrensrecht graduell materialisiert, nämlich insofern, dass die actio zugleich dem materiellen Anspruch des Anklägers entspricht, während exceptio sich auf ihre Sperrung bezieht.115 Aus diesem Grund ist die exceptio doli bereits als Bestandteil der iudicia bonae fidei aufgenommen, sodass beim Ermessen des Interesses des Anklägers die Täuschung von beiden Parteien von Amts wegen berücksichtigt werden muss. Daher kann die Verbindung zwischen der actio de dolo und der actio ex empto mit der exceptio doli wie folgt zusammengefasst werden: Erstens besteht in Bezug auf die Arglist bei Vertragsschluss eine Konkurrenz zwischen der actio ex empto und der actio de dolo. Aber im Hinblick auf die Subsidiarität der actio de dolo ist die Anwendung der actio ex empto vorrangig; zweitens erstrecken sich insgesamt gesehen die beiden Klagen auf unterschiedliche Fälle: Die actio de dolo ergab sich zuerst aus der Arglist bei Vertragsschluss, trennte sich aber graduell vom konkreten Verkehrsverhältnis, trat endlich in den deliktischen bzw. deliktsnahen Bereich i. S. d. modernen Zivilrechts ein, während die actio ex empto unter dem Einfluss von der exceptio doli alle Arten von Arglist bei Vertragsschluss und Vertragserfüllung einschließen kann. Zur Vermeidung des Vorwurfs der Arglist ergibt sich eine Reihe von Verhaltenspflichten des Verkäufers im Verkehrsprozess, die wie folgt zusammengefasst werden können: Erstens ist 113 

Gai. 4, 119. Vgl. Lübtow, in: Maridakis, Eranion, Bd.  1, S.  183 (192); Jörs/Kunkel/Wenger, Römisches Privatrecht, S.  261; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S.  263–264. 115  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  2, S.  242. 114 

D. Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichten bei Schlechterfüllung

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der Verkäufer bei Vertragsschluss verpflichtet, den Käufer über die Verkehrsunfähigkeit und Mängel der Kaufsache aufzuklären; zweitens hat er bei Vertragserfüllung noch weitere Verhaltenspflichten neben der Leistung, nämlich eine arglistige Schädigung im Interesse des Käufers zu vermeiden. Daher können die Probleme anfänglicher Unmöglichkeit und der Schlechterfüllung im römischen Recht durch eine vertragliche Klage zusammen gelöst werden. Die actio ex empto erstreckt sich auf umfangreichere Umstände der Vertragsverletzung, sodass sie gewissermaßen teilweise die Funktion der actio de dolo ersetzt. Allerdings lässt sich aus diesem „Ersatz“ nicht einfach entnehmen, dass die actio ex empto die Funktion der deliktischen Klage realisiert. Der Grund liegt darin, dass der Rechtsschutz durch die actio de dolo ziemlich weitgehend ist, sodass sie tatsächlich nicht als deliktische Klage bezeichnet werden kann. Der durch die actio ex empto ersetzte Teil der actio de dolo beschränkt sich nur auf die Arglist des Verkäufers bei Vertragsschluss, sodass sie in den Fällen ohne vertragliches Verkehrsverhältnis nicht in Betracht kommt. Daher ist die Auffassung Mommsens, dass die actio ex empto als Ersatz der actio de dolo die Funktion des Deliktsrechts übernimmt, nicht ganz korrekt. Jedoch muss zugegeben werden: Einerseits ist im römischen Recht der Vertragsschluss nicht als deliktischer Bereich anzusehen, andererseits unterscheidet er sich zudem von der Vertragserfüllung. Daher verbindet die actio ex empto durch die Anwendung der exceptio doli die Stadien von Vertragsschluss und -erfüllung, sodass der Umfang der Vertragspflichten erweitert wird. Bei Rechtsnatur und Haftungsumfang ist der Unterschied zwischen den beiden Klagen offensichtlicher: Die actio de dolo schützt den Eigenwert der beschädigten Sache, der nach römischem Recht dem einfachen Gegenstandswert (simplum) entspricht.116 Trotz der Erweiterung ist diese Klage dennoch als Notlösung anzusehen, wenn keine andere Klage anwendbar ist. Im Vergleich dazu zielt die exceptio doli, die bei den iudicia bonae fidei von Richtern automatisch angewandt wird, darauf ab, den durch arglistige Schädigung verursachten Schaden im Vertragsverhältnis zu ermessen. Daher war die actio ex empto nicht nur eine einfache Überlagerung der Klage auf certam rem dare und der actio de dolo, sondern sie hat mithilfe der exceptio doli besondere Rücksicht auf das Verschulden des Verkäufers genommen, sodass das geschützte Interesse vermehrt wird, welches das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse umfasst.

116  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  524; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S.  72.

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Zweites Kapitel: Grundlage der Nebenpflichten im römischen Kaufrecht

E. Zusammenfassung Die Frage, wie das römische Recht das Problem der Nebenpflichten im Kaufvertrag löst, kann wie folgt zusammengefasst werden: Erstens gibt es keine absolute Trennung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten. Die Beurteilung für das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse ist auf das einheitliche Ermessen der Vertragshaftung angewiesen. Dies lässt sich darauf zurückführen, dass bei den iudicia bonae fidei der unbestimmte Leistungsgegenstand flexibel geschätzt werden kann, während zugleich das Interesse des Käufers angemessen ästimiert werden kann, wenn der Schadensersatz festgestellt wird. Ob zweitens Nebenpflichten von den Vertragspflichten umfasst werden, wird grundsätzlich durch das Verschulden des Verkäufers entschieden: Bei Sachmangel erstreckt sich die Haftung auf den Verlust des durch die Nebenpflichtenverletzung betroffenen Interesses, das heißt auf den Mangelfolgeschaden, wenn der Verkäufer wissentlich, nämlich in Kenntnis des Mangels, den Käufer schädigt; wenn er die Beschaffenheit einer Kaufsache zusichert, wird das Verschulden durch die Zusicherung ersetzt; nach dem Vertragsschluss führt das Verschulden des Verkäufers dazu, dass das Prinzip von „periculum emptoris“ ausgeschlossen ist, das heißt, dass der Schadensersatz das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse berührt, wenn der Verkäufer vorsätzlich den Verlust bzw. die Verschlechterung der Kaufsache verursacht hat. Drittens ist der Gedanke, eine vorsätzliche Schädigung in Geld zu schätzen, auf die exceptio doli zurückzuführen. Durch ihre vom Amts wegen automatische Anwendung ist das zuerst durch die actio de dolo geschützte Interesse, nämlich der Schaden des Käufers, den der Verkäufer bei Vertragsschluss wegen arglistiger Täuschung verursacht hat, als Bestandteil der iudicia bonae fidei anzusehen. Darüber hinaus werden die Verhaltenspflichten bei Vertragserfüllung zu weiteren Verhaltenspflichten neben der Leistung erweitert, sodass das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse eingeschlossen wird. Dies bildet daher weitreichende, Vertragsschluss und -erfüllung verbindende Verhaltenspflichten im Vertragsverhältnis.

Drittes Kapitel

Lösungsmodell für die Problematik der Nebenpflichten im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert A. Überblick Im dritten Kapitel geht es um die Klärung des historischen Grundes für die Aufstellung der Nebenpflichten bzw. Verhaltenspflichten neben der Leistung im deutschen Recht. Dies lässt sich auf die Etablierung der fundamentalen Struktur des deutschen Schuldrechts zurückführen. Um das gesteckte Ziel zu erreichen, muss die Verbindung – einschließlich der Gemeinsamkeiten und Unterschiede – zwischen dem deutschen und dem römischen Recht ausführlich betrachtet werden. Die von der historischen Schule ausgehende deutsche Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert wird überwiegend als eine Rezeption des römischen Rechts gesehen. Doch bezieht sich diese Rezeption nicht darauf, die historische Wirklichkeit des römischen Rechts zu entdecken, sondern darauf, infolge seiner vorhandenen Rechtsinstitute eine neue Rechtsdogmatik – anders als diejenige des Naturrechts – aufzubauen.1 Deswegen lässt sich die Aufstellung der Neben­ plichten nicht völlig auf die Textquellen des römischen Rechts, sondern auf die Deduktion ihrer Oberbegriffe zurückführen und muss die nachfolgende Untersuchung mithilfe einer Kombinierung von römischen kasuistischen Textquellen und dem abstrakten Aufbau der deutschen Rechtsdogmatik betrieben werden. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich nicht auf das Kaufrecht. Es soll vielmehr als verallgemeinerungsfähiges Beispiel angesehen werden, anhand dessen der Aufbau der allgemeinen Regeln des deutschen Schuldrechts verstanden werden kann. Zuerst wird Savignys Verständnis von Obligation und Leistung als Grundlage des deutschen Zivilrechts im 19. Jahrhundert betrachtet. Danach wird der Einfluss von Mommsens Unmöglichkeitslehre auf den Umbau des Leistungsstörungsrechts sowie Jherings c.i.c. auf die Erweiterung der Vertragspflichten vergleichend untersucht. Schließlich wird die Wirkung der ge1  Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit: unter besonderer Berücksichtigung der deutschen Entwicklung, S.  416; Herberger, Dogmatik, S.  375.

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

nannten Lehren auf den dogmatischen Aufbau des deutschen BGB von 1900 genau analysiert. Dies dient zur Beantwortung der drei folgenden Fragen: Worin liegt erstens der Grund für die Aufteilung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten im deutschen Recht im Gegensatz zur römischen Tradition, wonach die Vertragspflichten einheitlich beurteilt werden? Wie veränderte sich zweitens die Beziehung zwischen Verschulden und Haftungsumfang im deutschen Recht? Und schließlich drittens: Wie wandelte sich die Struktur zwischen Vertrag und Delikt im deutschen Recht im Vergleich zum römischen Recht, in dem die vertragliche Klage teilweise die Funktion der deliktischen Klage übernahm?

B. Savignys Obligationenlehre zur Ignorierung der Nebenpflichten I. Leistungs- und Obligationsbegriff in der Lehre vom subjektiven Recht und Organismus Da Nebenpflichten mit den entsprechenden Leistungspflichten ein Teil des Obligationsverhältnisses sind, muss, um deren Begriff genau zu verstehen, zuerst das Verständnis von Obligation und Leistung betrachtet werden. Savignys Verständnis einer Obligation war der Ausgangspunkt der deutschen Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert. Um seine Theorie zu begreifen, müssen zwei Grundlagen verstanden werden: der Gedankengang in Bezug auf das subjektive Recht und der bezüglich des Organismus. Wie Coing kommentierte, kommt der Gedanke des subjektiven Rechts vom Naturrecht.2 Anders gesagt ist er nicht auf das römische Recht zurückzuführen, in dem materielles Recht ans Klagrecht so eng angeknüpft war, dass „obligatio“ mit „actio“ gleichgestellt wurde und beide Begriffe in den Textquellen ausgetauscht werden können.3 Abweichend hierzu versuchte Savigny aus der Perspektive des Rechtssubjekts die Beziehung zwischen Person und Obligation zu rekonstruieren. In seinem „System des heutigen römischen Rechts“ hat er erwähnt, worin zunächst die der einzelnen Person zustehende Macht erscheine. Sie beziehe sich auf ein Gebiet, wo der Wille dieser Person herrscht, wo er aber auch mit der Zustimmung der anderen herrscht. Diese Macht werde als Recht dieser Person im subjektiven Sinne bezeichnet.4

Vgl. Coing, Zur Geschichte des Privatrechtssystems, S.  48. Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  401. 4  Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd.  1, S.  7. 2  3 

B. Savignys Obligationenlehre zur Ignorierung der Nebenpflichten

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Daher bedeutet das sog. subjektive Recht ein Recht, mit dem der Wille eines Einzelnen die Außenwelt beherrscht. Wenn dieses Herrschaftsverhältnis rechtlich anerkannt wird, dann bildet sich ein Rechtsverhältnis heraus, z. B. eine Obligation.5 In seinem „Obligationenrecht als Theil des heutigen römischen Rechts“ hat Savigny gezeigt, dass eine Obligation in der Herrschaft eines anderen liegt, sie beziehe sich dennoch nicht auf die ganze Person des anderen, sondern nur auf seine einzelne Handlung, damit die Freiheit des anderen unter den eigenen Willen gebracht werde.6 Deswegen vergrößere sich die Freiheit des Gläubigers und er bekomme die Herrschaft über die Handlung des Schuldners, während die Freiheit des Schuldners eingeschränkt werde. Infolgedessen würden die beiden gegeneinanderstehen und verschiedene Tätigkeiten übernehmen, z. B. sei der Schuldner zur Leistung verpflichtet, während der Gläubiger ein Recht auf Zwang und Klage habe. Im Vergleich miteinander sei die Tätigkeit des Schuldners, das heißt die Leistung, wichtiger und werde als das Wesen bzw. der Gegenstand der Obligation bezeichnet. Aus diesem Grund kann man unter Leistung die Handlungspflicht verstehen, zu welcher der Schuldner gegenüber dem Gläubiger in einem Herrschaftsverhältnis verpflichtet ist. Diese Handlung ist der einzige Inhalt der Obligation. In Bezug auf die Frage, welche konkreten Formen eine Leistung haben kann, ist Savigny der Auffassung, dass Erfüllung ein anderer Ausdruck für die Leistung als Tätigkeit, und zwar die Handlung des Schuldners anzusehen sei, während Erfüllung den durch Obligation zu realisierenden Zustand bedeute.7 Im Manuskript der Pandektenvorlesung hat er ferner Haupt- und Nebenverbindlichkeiten unterschieden: An erster Stelle steht die Leistungspflicht, während er die Nebenverbindlichkeiten als zufälligen Inhalt der Obligation nennt, und zwar als Modalität der Leistung wie Leistungsort und -zeit.8 Durch eine solche Unterscheidung hat sich der Leistungsinhalt allerdings nicht erweitert, weil die Nebenverbindlichkeiten zudem eine Handlungspflicht im Herrschaftsverhältnis darstellen. Der Gedanke des subjektiven Rechts begründet die statische Seite der Obligation, während die Lehre des Organismus die dynamische Perspektive bietet. Nach Savigny hat die Obligation eine organische Natur, die sich einerseits in der gegenseitigen Unterstützung und Beschränkung ihrer inneren Tatbestände, Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  7–8. Vgl. Savigny, Obligationenrecht als Teil des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  4–5. 7  Vgl. Savigny, Obligationenrecht als Teil des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  9. 8  Vgl. Savigny, Pandekten, Buch III, Obligationenrecht, A. Allgemeiner Theil, Manuskript seiner Vorlesung, UB Marburg (Ms 925/37II; M19), S.  253, 268. 5  6 

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

andererseits in ihrer weiteren Entwicklung zeigt.9 Anders gesagt umfasst die Obligation als Organismus nicht nur den gegenwärtigen Zustand, das heißt die gültige Verbindlichkeit, sondern auch ihre Entstehung sowie Vernichtung, Veränderung sowie Umwandlung und die durch deren Verletzung veranlasste Folge.10 Unter dem Einfluss der Organismuslehre wird die Obligation zu einem selbstkonsistenten und geschlossenen System, in dem alle Veränderungen von ihrer Entstehung bis zu ihrer Beendigung darin eingeschlossen werden, ohne die Notwendigkeit, ein anderes Rechtsverhältnis außerhalb aufzubauen.11 Die Faktoren, die den Inhalt der Obligation (Leistung) verändern können, sind „juristische Thatsachen“, z. B. Verschulden, Verzug, Casus genannt,12 die zur Modifikation einer Leistung führen, während die Obligation davon unabhängig fortbesteht.13 Aufgrund dessen werden die inneren und äußeren Beziehungen der Obligation, das heißt, einerseits die Verknüpfung zwischen den inneren Elementen, z. B. Verschulden, Leistung sowie Schadensersatz, und andererseits die Verbindung zwischen Obligation und dem äußeren Rechtsverhältnis, z. B. Deliktsrecht, rekonstruiert. Für die innere Beziehung hat sich zuerst der Charakter des Verschuldens i. S. d. römischen Rechts insoweit verändert, dass es sich nicht nur auf die Beschädigungshandlung, sondern auch auf den subjektiven Zustand des Schuldners bezieht. Genauer gesagt wird die direkte Verbindung zwischen dem Verschulden und dem Schadensersatz für die Vertragsverletzung gesperrt. Stattdessen gilt Verschulden lediglich als die Bedingung der Leistungsmodifikation, weil der Schadensersatz als die Modifikationsfolge des Obligationsinhalts direkt an die Leistung angeknüpft wird. Dieser Gedanke wurde von Puchta vollends weiterentwickelt. Er hat das als Haftungstatbestand bezeichnete Verschulden eingeteilt in die aus einer Obligation resultierende Pflichtverletzung im objektiven Sinne und die Zurechnung (dolus oder culpa) im subjektiven Sinne.14 Für die Verbindung zwischen Obligation und dem äußeren Rechtsverhältnis wird die Grenze zwischen Vertrags- und Deliktsrecht weiter gefasst: Zum einen ist der durch eine Vertragsverletzung verursachte Schadensersatz als Fortsetzung des Vertragsverhältnisses anzusehen. Er dient den Vertragsparteien zum rechtlichen Schutz, um den tatsächlichen Zustand vor der Vertragsverletzung wiederherzustellen. Dies dient vor allem dem Zweck, dem Schuldner die Herrschaft, Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  7–8. Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  393. 11  Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  393. 12  Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd.  3, S.  4. 13  Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd.  3, S.  4–5; Savigny, Obligationenrecht als Teil des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  294. 14  Vgl. Puchta, Lehrbuch der Pandekten, §  264. 9 

10 

B. Savignys Obligationenlehre zur Ignorierung der Nebenpflichten

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die er nicht hätte bekommen sollen, nämlich das sog. „rechtswidrige Haben“, zu entziehen. Im Deliktsrecht hingegen wird die Haftung aufgrund unerlaubter Handlung wegen der Unabhängigkeit von dem durch subjektives Recht hervorgebrachten Herrschaftsverhältnis ausnahmsweise zur selbstständigen Obliga­ tion.15 Daher ist jeder durch Nicht- und Schlechterfüllung veranlasste Schadensersatz grundsätzlich dem Vertragsverhältnis zuzuordnen; sogar für Beschädigungen, die zur deliktischen Haftung hätten führen müssen, wird die Anwendung des Deliktsrechts ausgeschlossen, da die Schädigung zunächst als innerhalb des Vertragsverhältnisses geschehen gilt. Die Mitwirkung der Gedanken des subjektiven Rechts und des Organismus hat die Lehre von den Nebenpflichten an den Rand gedrängt: Erstens beschränkt sich das subjektive Recht des Gläubigers auf den Anspruch auf Leistung. Im Vergleich dazu werden Nebenpflichten, insbesondere die von der Leistung unabhängigen weiteren Verhaltenspflichten ausgeschlossen, weil sie nicht als ­Anspruchsgegenstand anerkannt werden können; zweitens soll die durch die Erfüllung vonseiten des Schuldners veranlasste Beschädigung einschließlich der Verletzung des Integritätsinteresses vom Gläubiger auch im Rahmen des Vertragsverhältnisses ausgeglichen werden, sodass Nebenpflichten nicht im Deliktsverhältnis zu berücksichtigen sind.

II. „Analogie der Bürgerpflicht“ zur Ergänzung der Sorgfaltspflicht Dennoch hat Keller, ein Schüler Savignys, die Idee von den Vertragspflichten neben der Leistung vorgestellt. Allerdings stellt er zu ihrer Begründung nicht auf die innere Struktur der Obligation ab, sondern bildete eine Analogie der Verhaltenspflichten aufgrund des Deliktsrechts. Er nimmt an, dass es im Deliktsrecht eine allgemeine Bürgerpflicht gibt. Danach gilt neben dem Verbot der absichtlichen Schädigung für jeden die Pflicht, als verständiger, besonnener und gewissenhafter Mensch den Grad an Sorgfalt anzuwenden, um eine Schädigung fremden Vermögens zu vermeiden.16 In ähnlicher Weise soll es auch im Vertragsverhältnis derartige Pflichten geben. Danach sind die Parteien für absichtlich zugefügten, durch culpa veranlassten oder sogar zufällig eingetretenen Schaden in gewisser Art verantwortlich oder ersatzpflichtig. Der Inhalt dieser Pflichten wird normalerweise durch die allgemeine oder besondere Natur der Obligation neben den Hauptleistungen, worauf sie gerichtet ist, bestimmt. Im Vergleich zur Bürgerpflicht erscheint diese Sorgfaltspflicht mit einem positiveren Charakter, das 15 

Vgl. Savigny, Obligationenrecht als Teil des heutigen römischen Rechts, Bd.  1, S.  294–

16 

Vgl. Keller, Pandekten. Vorlesungen, S.  488–489.

295.

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

heißt, dass der Schuldner in der durch Obligation gegebenen Beziehung eine gewisse Sorge und Rücksicht auf das Interesse des anderen anwenden muss, während im Deliktsrecht dem Beschädiger nur eine negative Pflicht obliegt, die Rechte der anderen in der durch das Gesetz gegebenen Form nicht zu verletzen.17 Der Grund dafür, dass seine Auffassung nicht weiter Verwendung fand, liegt darin, dass sie nicht der von Savigny entspricht. Die Kritik von Cohnfeldt an Kellers Auffassung ist repräsentativ: Einerseits trennt Cohnfeldt Schadensersatz von „Interesseleistung“. Ihm zufolge erstreckt sich Schadensersatz auf die Entschädigung der Beschädigungsfolge, während „Interesseleistung“ sich auf die durch Nicht- und Schlechterfüllung der Leistung verursachte Umwandlung des Vertragsinteresses bezieht. Weil aber das einzige Vertragsinteresse das Objekt des Vertrages, das heißt die Leistung ist,18 ist das Wesen der „Interesseleistung“ der Leistungsersatz. Daher hat Keller den Fehler gemacht, Schadensersatz als „Interesseleistung“ zu bezeichnen, sodass die Grenze der Obligation übertroffen wird. Andererseits ist die Begründung der Vertragspflichten aufgrund von Fahrlässigkeit nicht ausreichend, weil allein aufgrund von Verschulden keine Plifcht zur „Interesseleistung“ erzeugt werden kann.19 Deshalb ist Kellers Auffassung von den Pandektisten, entweder den früheren, z. B. Puchta, den mittleren, z. B. Windscheid, oder den späteren, z. B. Dernburg, nicht unterstützt worden.20 Lediglich wurden Vertragspflichten neben der Leistung ein zweites Mal, aber in ganz anderer Weise von Jhering aufgestellt.21 Obwohl bei der Grundstruktur des Schuldrechts Nebenpflichten nicht berücksichtigt wurden, stellt sich die Frage, ob es bei der Umwandlung von Leistung zu Schadensersatz um das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse geht. Um dies zu beantworten, muss der Umbau des römischen Leistungsstörungsrechts durch die Pandektisten

Vgl. Keller, Pandekten. Vorlesungen, S.  489. Vgl. Cohnfeldt, Die Lehre vom Interesse nach römischem Recht, S.  27. 19  Vgl. Cohnfeldt, Die Lehre vom Interesse nach römischem Recht, S.  27–28. 20  Die Auffassungen der drei Juristen beruhen allesamt auf Savignys Theorie. Puchta nahm an, dass die Vertragspflichten den Inhalt und Charakter der Obligation umfassen, während deren Verletzung die Unmöglichmachung der Leistung und den Verstoß gegen die Leistungsmodalitäten verkörpere; Windscheid behauptete, dass das Wesen der Obligation in der Unterwerfung unter einen fremden Willen liege, sodass die Leistungspflicht der einzige Inhalt der Obligation sein könne; Dernburg definierte die Obligation als das Rechtsverhältnis, in welchem der Schuldner direkt dem Gläubiger zur Leistung verpflichtet sei, während die Leistungspflicht als ein Mittel gelte, mit dem der Zweck der Obligation zu realisieren sei. Vgl. Puchta, Vorlesungen über das heutige römische Recht, §§  264–267; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  2, §§  250–252; Dernburg, Pandekten, Bd.  2, §§  1–2. 21  Dies wird im dritten Kapitel. D „Jherings Lehre von der c.i.c. zur Ergänzung der Nebenpflichten“ ausführlich diskutiert. 17  18 

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten

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betrachtet werden.22 Dabei steht die Begründung der Unmöglichkeitslehre Mommsens im Mittelpunkt.

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten Die Theorie Mommsens ist zweifellos auf Grundlage des römischen Rechts aufgebaut, kann aber nicht als reine Rezeption, sondern muss als systematischer Umbau bezeichnet werden. Mommsen hat absichtlich die historische Entwicklung des römischen Rechts von den iudicia stricta bis zu den iudicia bonae fidei ignoriert. Seine Betonung der Besonderheit der iudicia stricta, das heißt die Beurteilung des römischen Rechts nach den die iudicia stricta betreffenden Maßstäben, widerspricht der allgemeinen Kenntnis der damaligen Rechtswissenschaft, wonach im gemeinen Recht des 19. Jahrhunderts alle Schuldverhältnisse bereits als bona-fides-Obligationen betrachtet wurden.23 Der Grund für seine Ansicht liegt im Bestreben Mommsens, Savignys Modifikationslehre verbessern zu wollen: Obwohl er festgesetzt hat, dass Verschulden bzw. Risiko die ursprüngliche Leistung zum Interesse modifizieren könne, liegt es noch im Dunkeln, unter welcher Bedingung die Modifikation vor sich gehen könnte und welcher Zusammenhang zwischen Leistung und Interesse besteht. Um das Problem zu lösen, versucht Mommsen andererseits, den Begriff der Nichterfüllung (und zwar Nichtleistung) zwischen Leistung und Interesse einzufügen und ihn des Weiteren in Nichterfüllungswollen und -können einzuteilen.24 Der Begriff des Nichterfüllungskönnens, das heißt Leistungsunmöglichkeit, als der Mittelpunkt der Leistungsumwandlung innerhalb eines Vertragsverhältnisses, richtet sich einer22  In diesem Kapitel wird die Beziehung zwischen Verzug und Nebenpflichten nicht diskutiert. Dem Gedanken bezüglich des subjektiven Rechts folgend, bezieht sich der Verzug nur auf das leistungsbezogene Interesse. Nach Mommsen kann das Interesse in zwei Kategorien eingeteilt werden: erstens das Interesse für Veränderungen, die in Ansehung des Gegenstandes der Obligation selbst oder seines Wertes eintreten; zweitens die Verpflichtungen, die nicht durch solche Veränderungen bedingt sind, z. B. Früchte, Zinsen. Daher berührt der Verzug nicht die Entschädigung für den Verlust am Integritätsinteresse. Mommsens Auffassung wurde von den meisten Pandektisten und auch vom Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 aufgenommen, sodass der Verzug des Schuldners nach dem deutschen Recht zwei Arten des Schadensersatzes verursacht, nämlich den Schadensersatz für die Nichterfüllung und den Verzugsschaden. Auch wenn es sich um Nebenpflichten handelt, wird dies zum Problem der Nichterfüllung umgewandelt und nach den Regeln der Unmöglichkeit und des Verzugs behandelt. Vgl. Mommsen, Die Lehre von der mora nebst Beiträgen zur Lehre von der culpa, S.  182; §  286 a. F. BGB. 23  Vgl. Wieacker, in: Dietz/Hübner (Hrsg.), FS Nipperdey, S.  800. 24  Vgl. Mommsen, Die Lehre von der mora nebst Beiträgen zur Lehre von der culpa, S.  17–18.

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

seits auf die Haftungsbefreiung, andererseits auf die Haftungspflicht.25 Aus diesem Grund wird der Begriff der Unmöglichkeit i. S. d. römischen Rechts erweitert, und zwar dahingehend, dass seine originale Bedeutung, der Verlust an objektiver Leistungsmöglichkeit, durch den Verlust an subjektiver Leistungsfähigkeit, das heißt Unvermögen, ersetzt wird.26 Daher sind alle Fälle, in denen der Schuldner nicht in der Lage ist zu leisten, der Unmöglichkeit zuzuordnen. Ferner wird dieser Begriff in verschiedene Kategorien eingeteilt und jeder einzelnen Kategorie eine bestimmte Funktion verliehen.27 Hierbei ist die Trennung zwischen sogleich vorhandener und nachfolgender Unmöglichkeit gemäß des Zeitpunkts des Vertragsschlusses am wichtigsten.28 Zugleich hat Mommsen noch eine ideale Kategorie, „wahre Unmöglichkeit“, definiert, die gleichzeitig die Funktion der Regeln „impossibilium nulla obligatio“ und „casus a nullo praestantur“ (Niemand steht für die Gefahren ein) im römischen Recht übernimmt und die Wirkung hat, das Schuldverhältnis zu vernichten und den Schuldner von der Pflicht zu befreien.29

I. Verständnis von Nebenpflichten bei vorhandener Unmöglichkeit 1. Unterscheidung von objektiver und subjektiver Unmöglichkeit „Sogleich vorhandene Unmöglichkeit“ ist in subjektive und objektive einzuteilen: Erstere, nicht durch den Schuldner verursacht, umfasst zwei hauptsächliche Fälle im römischen Recht, nämlich Untergang und Verkehrsunfähigkeit der Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  3–7. 26  Vgl. Wieacker, in: Dietz/Hübner (Hrsg.), FS Nipperdey, S.  802. 27  Mommsen hat die Leistungsunmöglichkeit in die folgenden Kategorien eingeteilt: sogleich vorhandene und nachträgliche; natürliche und juristische; absolute und relative; objektive und subjektive, dauernde und zeitweilige; gänzliche und teilweise usw. Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  3–7. 28  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  3. 29  Im römischen Recht richten sich die Regeln „impossibilium nulla obligatio“ und „casus a nullo praestantur“ nach den unterschiedlichen Vertragsstadien, das heißt vor und nach dem Vertragsschluss. Die erste Regel bezieht sich auf die Fälle, in denen der Verlust des Gegenstands vor dem Vertragsschluss dazu führt, dass die Leistung unmöglich zu bewirken ist, während Letztere vorliegt, wenn die natürliche Gefahr bei der Vertragserfüllung für die Leistungsbefreiung sorgt. Mommsens Unmöglichkeitslehre hat den Umfang der Unmöglichkeit im römischen Recht übertroffen, damit sie zur allgemeinen Regel erweitert wird, die entweder vor oder nach dem Vertragsschluss angewandt werden kann. Deshalb ist die Regel „casus a nullo praestantur“ als notwendige Bedingung der Unmöglichkeit anzusehen. Vgl. Mommsen, Die Lehre von der mora nebst Beiträgen zur Lehre von der culpa, S.  18–20. 25 

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten

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Kaufsache (res extra commercium).30 Wie im vorigen Kapitel gezeigt, hat nur der erste Fall die Wirkung der Leistungsbefreiung, während die Rechtsfolge des zweiten Falls noch umstritten ist. Dennoch sieht Mommsen die beiden als wahre Unmöglichkeit an, weil, angesichts dessen, dass das römische Recht einen spezifischen Schadensersatz für res extra commercium anbietet, er versucht, dies zur allgemeinen Regel für die Fälle der objektiven Unmöglichkeit auszuweiten. Wenn aber die Unmöglichkeit subjektiv, d. h. durch den Schuldner veranlasst ist, darf dieser nicht von der Leistungspflicht befreit werden. Dies kann ebenfalls in zwei Fälle eingeteilt werden: a) dem Schuldner fehlt es am notwendigen Recht zur Leistungsvornahme, z. B. der Verkauf einer fremden Sache; b) der Schuldner steht nicht „im faktischen Verhältnis zur Sache“, was eine nötige Voraussetzung für Vertragserfüllung ist, z. B. der Verkauf eines Grundstücks mit Dienstbarkeit von einem Dritten.31 Die beiden Fälle gehören im römischen Recht nicht zur Unmöglichkeit, sondern zum Rechtsmangel.32 Doch hat Mommsen diese Regeln wieder mit seiner Unmöglichkeitslehre verpackt, das heißt, dass subjektive Unmöglichkeit nicht wahrer Unmöglichkeit zuzuordnen ist, sodass der Vertrag noch wirksam und der Schuldner zur Leistung verpflichtet ist.33 2. Unterscheidung zwischen Erfüllungsinteresse und negativem Interesse Ferner stellt sich die Frage, zu welcher Haftung die beiden Arten der Unmöglichkeiten führen. Nicht zufrieden mit dem Begriffschaos hinsichtlich des „Interesses“ im römischen Recht34 versucht Mommsen, anhand der Unterscheidung nach der Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  11. 31  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  12–15. 32  In den iudicia bonae fidei des römischen Rechts führt der Rechtsmangel der Sache nicht zur Ungültigkeit des Vertrags, weil, wie im vorigen Kapitel gezeigt, damals der Verkäufer lediglich verpflichtet war, dem Käufer die Sache in ungestörtem Besitz zu gewähren, aber nicht deren Eigentum an der Sache zu verschaffen. Aber zu Mommsens Zeit ist dies bereits die Hauptleistungspflicht des Verkäufers gewesen, sodass der Rechtsmangel zur Leistungsunmöglichkeit führen kann. Vgl. D.19.1.30.1; D.19.1.1.1. 33  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  17. 34  Genauer gesagt hat das römische Recht keine Terminologien, die dem Begriff des Interesses im modernen Zivilrecht entsprechen können, sondern Ausdrücke, die sich teilweise auf diese moderne Bedeutung beziehen: Zum Beispiel bedeutet „pertium“ den Verkehrswert des Gegenstands; „utilitas“ bedeutet entweder den Verkehrswert oder den Vorteil aufgrund des Gegenstands; „quanti ea res est“ wird in den iudicia stricta angewendet, um die intentio des Anklägers zu bestimmen; „id quod interest“ wird in den iudicia bonae fidei benutzt, um das konkrete Interesse des Anklägers zu ermessen. Vgl. Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, S.  41–46; Medicus, Id Quod Interest, S.  2. 30 

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

Vertragsgültigkeit zwei Interessen voneinander zu trennen, nämlich Erfüllungsund negatives Interesse: Wenn der Vertrag gültig ist, soll der Schadensersatz der durch den Schuldner bereits versprochenen, aber unmöglich zu erfüllenden Leistung entsprechen. Anders gesagt bezieht sich das sog. Erfüllungsinteresse darauf, was der Gläubiger durch den Verkehr hätte erlangen können, wenn das Hindernis nicht passiert wäre.35 Wenn der Vertrag allerdings ungültig ist, muss der Verkäufer den Schaden des Käufers ersetzen, den er wegen des Verkehrs­ misserfolgs erlitten hat, nämlich das Interesse des Käufers daran, nicht vom Verkäufer getäuscht worden zu sein.36 Deshalb bezieht sich die subjektive Unmöglichkeit auf den Ersatz des Erfüllungsinteresses, während sich die objektive Unmöglichkeit auf den Ersatz von negativem Interesse richtet. Im ersten Fall handelt es sich um eine vertragliche Haftung. Aber worauf beruht Letztere? Im vorigen Kapitel wurde bereits gezeigt, dass sowohl in den iudicia stricta als auch in den iudicia bonae fidei der Verkäufer, nachdem er wegen objektiver Unmöglichkeit von der Leistung befreit wurde, nur verpflichtet ist, das erlangte Geld zurückzugeben; aber dies erfordert nicht, den Schaden zu ersetzen.37 Aus diesem Grund hat bereits Mommsen eine neue Art von Haftung präsentiert. Doch trotz allem versucht er, ihre Existenz in den Textquellen zu beweisen. Die von ihm angeführten Fragmente umfassen hauptsächlich zwei Stellen über res extra commercium, nämlich die Meinungen von Ulpian und Modestin in D.11.7.8.1 und D.18.1.62.1. Wie im vorigen Kapitel beschrieben,38 stimmten die beiden römischen Juristen zwar darin überein,39 dass der Vertrag ungültig sei, aber ihre Ansichten gingen dahingehend auseinander, ob dem Käufer eine actio in factum oder eine actio ex empto anzubieten sei. Doch Mommsen glaubt, dass diese Kontroverse gar nicht existent sei: Erstens beruhe die actio in factum nicht auf einer Analogie der actio ex empto. Daher zeige Ulpians Festlegung auf die actio in factum deutlich, dass das Interesse des Käufers mit der Vertragserfüllung nichts zu tun hat und seine 35  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  107. 36  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  107. 37  Die Pflicht des Verkäufers, das bekommene Geld zurückzugeben, ist nicht auf das ursprüngliche Vertragsverhältnis, sondern auf das Bedürfnis der condictio indebiti zurückzuführen. Vgl. D.18.1.22–24. 38  Vgl. Zweites Kapitel. B. II: Verschulden und Nebenpflichten bei den iudicia bonae fidei. 39  Die Anwendung der actio in factum setzt voraus, dass keine dem Sachverhalt entsprechenden Formulare in den prätorischen Edikten gefunden werden können, sodass der Prätor nach dem Sachverhalt ein Sonderformular ausschöpft. Aus diesem Grund lässt sich entnehmen, dass Ulpian hier annimmt, der Kaufvertrag über einen locus religiosus sei ungültig. Vgl. Kaser, Das römische Zivilprozessrecht, S.  253.

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten

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Haftung sich auf den durch Abschluss eines ungültigen Vertrags verursachten Schadensersatz des Käufers beschränkt. Zweitens: Das von Modestin genannte Interesse daran, nicht getäuscht zu werden, sei zudem verschieden von dem normalerweise durch die actio ex empto geschützten Interesse der Vertragserfüllung, sodass die actio ex empto im Wesentlichen mit der actio in factum gleichgestellt werden soll. Der Grund für die Anwendung der actio ex empto liegt darin, dass diese Klage als iudicium bonae fidei den römischen Juristen bekannter scheint, wodurch die actio de dolo ersetzt wird,40 die als eine vom Prätor gelieferte deliktische Klage benutzt wird, wenn keine anderen Klagen in den prätorischen Edikten anwendbar sind.41 Aufgrund Mommsens Verständnisses setzt die subjektive Zurechnung des Verkäufers dolus oder culpa lata voraus, um dem Erfordernis von actio de dolo zu entsprechen.42 Daher wird dieser Schadensersatz aus der Sicht von Mommsen als deliktische Haftung betrachtet. 3. Missverständnis in Bezug auf das römische Recht und Ignorierung der Nebenpflichten Aber inwieweit handelt es sich um eine Verletzung von den Nebenpflichten bei „sogleich vorhandener Unmöglichkeit“? Der durch subjektive Unmöglichkeit veranlasste Schadensersatz (Ersatz des Erfüllungsinteresses) wird im nächsten Abschnitt mit der nachfolgenden Unmöglichkeit zusammen diskutiert, und zwar im Hinblick darauf, dass er sich auf die Umwandlung von der Leistung zum Interesse in einem gültigen Vertragsverhältnis zurückführen lässt. Aber der durch objektive Unmöglichkeit verursachte Schadensersatz (Ersatz des negativen Interesses) setzt voraus, dass der Verkäufer entweder dolus oder culpa lata hat, nämlich dass er die Verkehrsunfähigkeit der Sache gekannt hat oder hätte kennen können, oder dass er anders gesagt den Käufer über diesen Mangel absichtlich nicht informiert hat oder nicht hätte informieren können. Dies führt zur Wirkung der von Modestin genannten Täuschung. Daher ist der Verkäufer eigentlich mit einer vom Verkaufen zu unterscheidenden Verhaltenspflicht wie etwa einer Aufklärungspflicht belastet. Aber nach Mommsen führt objektive Unmöglichkeit auf jeden Fall zur Unwirksamkeit des Vertrags, sodass die Verknüpfung zwischen Aufklärungs- und Leistungspflicht, die die Vertragsgültigkeit voraussetzt, unterbrochen wird. Daher wird diese Aufklärungspflicht nicht mehr als eine aus dem 40  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  122–125. 41  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  524–525. 42  Die deutsche Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert hat das Verschulden in dolus, culpa lata und culpa levis eingeteilt. Mommsen nimmt an, dass die ersten beiden die gleiche Rechtswirkung haben. Vgl. Mommsen, Die Haftung der Contrahenten bei der Abschließung von Schuldverträgen, S.  196.

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Vertragsverhältnis resultierende Pflicht bezeichnet, sondern Deliktspflichten zugeordnet. Aber angenommen, diese Pflicht bestünde im Deliktsrecht, dann müsste eine gesetzliche Regel (ein Formular i. S. d. römischen Rechts), die sich gegen eine durch das Unterlassen hervorgerufene Verletzung richtet, vorausgesetzt werden. Doch widerspricht dies dem Erfordernis der actio de dolo, dass eine vorsätzliche Schädigung vorliegen müsse. Aus diesem Grund hat Mommsen die Nichtaufklärung als culpa lata betrachtet und ihre Wirkung mit dolus gleichgestellt. Dennoch scheint seine Ansicht, diesen Schadensersatz als deliktische Haftung anzusehen, der Wirklichkeit des römischen Rechts nicht zu entsprechen: Erstens kann, wie im vorigen Kapitel gezeigt, die actio de dolo nicht mit einer deliktischen Klage gleichgestellt werden. Bei ihrer Entwicklung, insbesondere nachdem Labeo die Bedeutung von dolus malus zu einer vorsätzlichen Schädigung erweitert hat, kann diese Klage nicht nur in den Fällen der arglistigen Täuschung beim Vertragsschluss, sondern auch in den Fällen ohne direktes Vertragsverhältnis zwischen dem Ankläger und Beklagten angewendet werden. Daher ist ihr Rechtsschutz so umfangsreich, dass fast alle körperlichen und Vermögensschädigungen außer Vertragserfüllung eingeschlossen werden und widerspricht Mommsens Auffassung, die Täuschung des Verkäufers beim Vertragsschluss dem Deliktsrecht zuzuordnen, der Rechtsnatur dieser Klage. Im Gegensatz dazu umfasst die actio ex empto weitergehende Vertragspflichten, sodass die Verhaltenspflichten bei Vertragsschluss und -erfüllung nicht streng unterschieden werden. Deshalb ist der Rechtsschutz, den die actio de dolo für die Täuschung des Verkäufers beim Vertragsschluss anbietet, tatsächlich von der actio ex empto umfasst. Im Hinblick auf die Subsidiarität der actio de dolo wird die actio ex empto vorrangig angewendet, sodass eine Täuschung bei Vertragschluss noch als Verhaltenspflicht des Verkäufers im Vertragsverhältnis anzusehen ist. Auf Basis der oben genannten zwei Punkte ist zu verstehen, warum Modestin einerseits den Vertrag für nichtig hält, andererseits dem Käufer die actio ex empto anbietet. Der Unterschied zwischen ihm und Ulpian zeigt eben gerade, wie die iudicia bonae fidei graduell die actio de dolo ersetzt haben, um eine Täuschung bei Vertragsschluss zu beseitigen. Der Grund dafür, dass Ulpian nicht die actio de dolo, sondern die actio in factum anwendet, liegt darin, dass einerseits der Verkauf von res extra commercium nicht unbedingt als arglistige Täuschung anzusehen ist, sodass die actio de dolo nicht anwendbar ist, wenn der Verkäufer nur fahrlässig die Verkehrsunfähigkeit der Kaufsache nicht bemerkt hat; andererseits ist die actio ex empto auch auszuschließen, wenn der Vertrag als nichtig beurteilt wird. Jedoch wird diese Meinung von Modestin verneint, dessen Auffassung Justinian aufgenommen hat. Diese Veränderung zeigt tatsächlich die Erweiterung der vertraglichen Klage zur Lösung dieses Problems. Offensichtlich

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten

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hat Mommsen obige Texte nicht aus historischer Sicht ausgelegt. Seine Meinung, dass im Fall der Vertragsunwirksamkeit die actio ex empto die actio de dolo ersetzt und als deliktische Klage funktioniert, dient tatsächlich dem Zweck des Aufbaus einer allgemeinen Theorie über den Schadensersatz für objektive Unmöglichkeit, sodass das Bestehen der vertraglichen Verhaltenspflichten beim Vertragsschluss übersehen wird.

II. Ignorierung der Nebenpflichten bei nachfolgender Unmöglichkeit 1. Unverschuldete und verschuldete Unmöglichkeit Im Gegensatz zu bei Vertragsschluss bestehender Unmöglichkeit ist die Regel „impossibilium nulla obligatio“ bei nachfolgender Unmöglichkeit nicht anwendbar. Falls sie benutzt würde, würde vom Schuldner frei entschieden, ob die Obligation fortbestehen könne. Dies steht dem Gedanken des subjektiven Rechts entgegen, nämlich dass die Freiheit des Schuldners durch die Herrschaft des Gläubigers beschränkt wird.43 Mommsen hat nach dem Maßstab, ob der Schuldner schuldhaft handelt, die nachfolgende Unmöglichkeit weiter in unverschuldete und verschuldete eingeteilt. Dabei nimmt er hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs an, dass bei Vertragserfüllung der Schuldner verpflichtet sei, sowohl nicht absichtlich die Leistungsbewirkung zu verhindern, als auch die nötige Vorsicht und Sorgfalt anzuwenden, um zu vermeiden, dass die Leistung durch die außerhalb seines Willens stehenden Faktoren gehindert oder verunmöglicht wird. Dieses Verschulden enthalte nicht nur dolus, sondern auch culpa. Der erforderliche Grad an Vorsicht zur Vermeidung des Vorwurfs der culpa hängt von der Natur des konkreten Verkehrs ab. Bei den meisten Obligationen muss der Schuldner wie ein diligens paterfamilias (sorgfältiger Hausvater) handeln.44 Daher ist eine allgemeine Culpa-Haftung bei Vertragserfüllung vorzufinden. Obwohl Keller diese Meinung erahnt, hat Mommsen keine weiteren Verhaltenspflichten neben der Leistung aufgestellt, weil das Verschulden einer Partei im Vertragsverhältnis den Obligationsinhalt nicht ändern kann. Der Begriff der unverschuldeten Unmöglichkeit ist nach der Regel „casus a nollo praestantur“ (Niemand steht für die Gefahren ein) festgesetzt und wird auch „casuelle Unmöglichkeit“ genannt. Die casus-Lehre im römischen Recht hat zwei Merkmale: Erstens beschränkt sich der Umfang des casus auf objektive natürliche Ereignisse, z. B. vis maior; zweitens ist der Schuldner, solange die Ge43  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  228. 44  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  229.

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

fahr geschieht, von der Haftung befreit, ohne Rücksicht auf das Verschulden des Schuldners.45 Mommsen ist der Auffassung, dass die römische Theorie nur den natürlichen Charakter der Ereignisse, die die Unmöglichkeit verursachen, berücksichtige, aber sich nicht auf die Beurteilung, ob der Schuldner für etwas einstehen müsse, beziehe. Deswegen hat er den Begriff des casus subjektiviert, das heißt, dass casus alle nicht dem Schuldner vorwerfbaren Ereignisse, die nachfolgende Unmöglichkeit verursachen können, betrifft.46 Aus diesem Grund hat Mommsen der objektiven Unmöglichkeit der unverschuldeten Unmöglichkeit entsprechend eine Wirkung verliehen, nämlich den Schuldner von der Leistungspflicht zu befreien.47 Während objektive Unmöglichkeit zur Ungültigkeit des Vertrags führt, sodass die Leistungspflicht eher mit der Obligation zusammen erloschen als befreit zu sein scheint, beeinflusst aber die nachfolgende Unmöglichkeit nicht die Wirksamkeit des Vertrags, sodass sich die Frage stellt, was die Haftungsbefreiung bewirkt. Darauf hat Mommsen nicht geantwortet, aber das von ihm angeführte Fragment D.46.3.107 zeigt, dass, wenn der Gegenstand in einer Stipulation nicht durch das Verschulden des Schuldners untergegangen oder zerstört ist, die Obligation als in der natürlichen Weise getilgt (resolvere) anzusehen ist.48 Das bedeutet, dass er casus als Surrogat der Obligationstilgung betrachtet. Weil es kein Verschulden gibt, führt dieser Fall wie die anfängliche Unmöglichkeit nur zur condictio indebiti. Im Gegensatz dazu hat Mommsen für den Fall der verschuldeten Unmöglichkeit keine Leistungsbefreiung für den Schuldner vorgesehen.49 Diese Regel muss in Savignys Gesamttheorie eingebettet werden: Obwohl der Schuldner schuldhaft die Leistungsunmöglichkeit verursacht, kann der Gegenstand der Obligation nicht verändert werden. Was geändert ist, ist lediglich die Art seines Bestehens, das heißt die Umwandlung von der zu bewirkenden Leistung hin zum Geldäquivalent, die sog. „Interesseleistung“. Dies bezieht sich auf das Interesse des Gläubigers daran, dass der Schuldner die Unmöglichkeit hätte vermeiden können, und entspricht somit dem Erfüllungsinteresse. Daher kann die Frage dahingehend umformuliert werden, welchen Inhalt das Erfüllungsinteresse

45  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  241–245. 46  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  232. 47  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  232. 48  Vgl. D.46.3.107. 49  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  229.

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten

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eigentlich umfasst. Dies ist auf Mommsens Verständnis in Bezug auf die Beziehung zwischen Leistung und Interesse zurückzuführen. 2. Verbindung zwischen Leistungsumwandlung und Nebenpflichten Was das Verständnis von Leistung angeht, hat Mommsen Savignys Lehre adaptiert. Er nimmt an, dass das Recht des Gläubigers auf die Erfüllung der Obligation eingeschränkt wird, während die Verletzung des Gläubigerrechts durch die Nichterfüllung verkörpert wird, die den ganzen oder teilweisen Gegenstand der Obligation, das heißt Leistung oder ihre Modalität wie Zeit und Ort betrifft.50 Wenn die Nichterfüllung wahrer Unmöglichkeit zuzuordnen ist, wird der Schuldner von der Leistungspflicht befreit, während er in den übrigen Fällen weiterhin dazu verpflichtet bleibt. Die Leistung wird aber modifiziert und somit als Interesse angesehen, falls sie nicht bewirkt wird. Das Interesse kann gemäß der Anknüpfung an den Gegenstand der Obligation in zwei Kategorien eingeteilt werden: Die eine Kategorie gilt als der ursprüngliche Gegenstand; die andere als der nachträgliche. Im ersten Fall wird die Pflicht des Täters normalerweise nach gesetzlicher Bestimmung an eine bestimmte Handlung inklusive Unterlassen geknüpft. Wenn diese Handlung zur Beschädigung des anderen führt, muss der Täter für das Interesse des Beschädigten daran einstehen, dass die Beschädigung nicht geschehen wäre. Deswegen gilt dieses Interesse als der Gegenstand des Delikts- oder Quasi-Deliktsverhältnisses.51 Im zweiten Fall nämlich des Vertragsverhältnisses betrifft der ursprüngliche Gegenstand nur die Leistung. Im Fall verschuldeter Unmöglichkeit ist die Leistung, wenn sie nicht bewirkt wird, wegen des Fortbestehens der Obligation zum nachträglichen Gegenstand, das heißt Interesse umzugestalten. Aber wie ist die Beziehung zwischen den beiden? Weil die Leistung der einzige Inhalt der Obligation ist, soll das Ergebnis der Modifikation nicht größer als die Leistung selbst sein, d. h., der nachträgliche Gegenstand ist der ganze oder teilweise Ersatz des ursprünglichen. Die teilweise Entschädigung betrifft nicht nur die teilweise Unmöglichkeit, sondern auch die Nichtbefriedigung der Leistungsmodalitäten.52 Aus diesem Grund kann der Interessenumfang den Wert der ursprünglichen Leistung nicht übertreffen. Mommsen hat das oben dargestellte Verständnis völlig auf die Erkenntnisse über den Kaufvertrag im römischen Recht übertragen. Er nimmt an, dass die actio ex empto das Interesse im zweiten Fall schützt, das bedeutet, dass der VerVgl. Mommsen, Die Lehre von der mora nebst Beiträgen zur Lehre von der culpa, S.  16. Vgl. Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, S.  6–7. 52  Vgl. Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, S.  9. 50  51 

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

käufer, wenn er die Leistung nicht bewirkt, für deren Äquivalenzinteresse einstehen muss,53 während sie nur ausnahmsweise das erste Interesse vertritt. Das typische Beispiel ist freilich der durch die actio de dolo angebotene Schadensersatz für die Beschädigungshandlung des Verkäufers beim Vertragsschluss, der aber nicht als Eigenschaft der actio ex empto bezeichnet wird.54 Aus diesem Grund wird die Verbindung zwischen Leistung und Interesse (Erfüllungs- bzw. negativem Interesse) verdeutlicht, das heißt, dass das negative Interesse nicht von der Leistung abhängt und als der ursprüngliche Gegenstand des Deliktsverhältnisses, nämlich der Schadensersatz der Beschädigungsfolge gilt, während das Erfüllungsinteresse der nachträgliche Gegenstand nach der Leistungsumwandlung, das heißt deren Geldersatz ist. Daraus lässt sich entnehmen, dass im Fall nachträglicher Unmöglichkeit Mommsen nicht an Nebenpflichten gedacht hat: Erstens stimmt sein Verständnis in Bezug auf die Beziehung zwischen Obligation und Leistung mit Savignys Auffassung überein, sodass unter Leistung die aus dem Herrschaftsverhältnis entstehende Handlungspflicht zu verstehen ist; zweitens beschränkt sich im Fall verschuldeter Unmöglichkeit, auch wenn der ursprüngliche Gegenstand zum nachträglichen umgewandelt wird, der Umwandlungsinhalt auf die Leistung selbst, sodass der Schuldner tatsächlich nicht mit weiteren Verhaltenspflichten belastet wird; drittens erzeugt das Verschulden als ledigliche „juristische Tatsache“ der Leistungsumwandlung keine zusätzliche Vertragshaftung. Deshalb bezieht sich die Beschädigungshandlung, die dem Verschulden entspricht, auf keine Verletzung der Vertragspflichten, sondern nur auf die Deliktshaftung. Aus diesem Grund lässt sich vermuten, dass es nur dem Deliktsverhältnis zugeordnet werden könne, wenn der Schuldner bei Vertragserfüllung durch ein anderes Verhalten als die Leistung das Integritätsinteresse des Gläubigers beschädigt. Dies wird wie folgt bewiesen.

III. Verständnis von Nebenpflichten bei Unmöglichkeit hinsichtlich der Gegenstandsqualität 1. Der Sachmangel in der Unmöglichkeitslehre Neben den oben genannten Kategorien hat Mommsen danach, ob die Unmöglichkeit sich auf die Leistung selbst oder deren Modalität bezieht, nach ganzer und teilweiser Unmöglichkeit differenziert. Obwohl eine Leistung vielfähige Modalitäten hat, ist er der Meinung, dass die Qualität des Gegenstands sowie der Leistungszeitpunkt als die zwei wichtigsten Leistungsmerkmale zu bezeichnen 53  54 

Vgl. Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, S.  77. Vgl. Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, S.  74.

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten

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sind.55 Da nur das Merkmal der Qualität des Gegenstands die Nebenpflichten betreffen kann, wird nachfolgend nur diese Unmöglichkeit, das heißt der Sachmangel diskutiert.56 Der Sachmangel ist ein Typus eines Gegenstandsmangels im römischen Recht und gehört nicht zur Leistungsunmöglichkeit. Den Sachmangel jedoch als Unmöglichkeit anzusehen, ist das Ergebnis von Mommsens Begriffsdeduktion. Die Einordnung des Sachmangels in die anfängliche Unmöglichkeit zeigt, dass er die Hindernisse vor und nach Vertragsschluss streng unterscheidet.57 Auf dieser Basis hat er folgende Regel aufgestellt: Erstens kann der Käufer für den Kauf einer bestimmten Sache entweder Wandlung oder Minderung auswählen, wenn der Verkäufer eine Eigenschaft des Gegenstands versprochen hat, diese Eigenschaft tatsächlich nicht vorliegt und dieser Mangel weiter besteht;58 zweitens ist der Käufer, wenn der Verkäufer vorsätzlich oder grob fahrlässig den Mangel verschweigt, berechtigt, die Entschädigung für das Leistungsinteresse in Anspruch zu nehmen.59 Um die genannten Regeln verstehen zu können, ist ihre Begründung nicht nur im Begriffssystem zu suchen. Ihr Wesen ist eine Kombination aus dem Begriff der Unmöglichkeitslehre und den römischen Rechtsinstituten: Die erste Regel kommt aus der actio redhibitoria und der actio quanti minoris im aedilicium edictum. Das Edikt gilt als spezieller Rechtsbehelf, den der römische Ädil für den Marktkauf anbietet: Der Käufer muss dabei nicht das Verschulden des Verkäufers beweisen. Solange der Verkäufer den Mangel der Kaufsache nicht aufVgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  153. 56  Daneben gibt es noch die teilweise Unmöglichkeit hinsichtlich der Zeit, das heißt, dass das vor dem Vertragsschluss bereits vorhandene Hindernis dazu führt, dass die Leistung nicht pünktlich bewirkt werden kann. Daher ist sie vom Verzug zu unterscheiden, der bedeutet, dass die Leistung hätte pünktlich bewirkt werden können, aber tatsächlich nicht realisiert wurde. Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  212. 57  Mommsen hat das Problem der teilweisen Unmöglichkeit bei der Vertragserfüllung in seinen Werken nicht erwähnt. Der Grund liegt vermutlich darin, dass der Schadensersatz nach dem Vertragsschluss nur die Umwandlung des ursprünglichen Gegenstands, nämlich der Leistung der Obligation ist. Auch wenn die Leistung teilweise verunmöglicht ist, wird der Gläubiger nicht daran gehindert, jeden Inhalt der Leistung zu beanspruchen. Im Gegensatz dazu hat der Sachmangel vor dem Vertragsschluss einen Einfluss darauf, den ursprünglichen Gegenstand und den entsprechenden Betrag des nachfolgenden Schadensersatzes zu bestimmen. 58  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  203 ff., 209. 59  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  209 ff. 55 

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

geklärt bzw. gezeigt oder eine bestimmte Eigenschaft versprochen hat, und der Mangel weiterhin besteht, kann der Käufer vom Vertrag zurücktreten und die Rückgabe des gezahlten Gelds beanspruchen oder gemäß des Mangels die Minderung des Kaufpreises einfordern.60 Bezüglich des Sklaven- und Viehkaufs zeigt das aedilicium edictum offensichtlich den Charakter des Handelsverkehrs. Der Streitprozess wird vereinfacht, sodass das Verschulden des Verkäufers nicht mehr berücksichtigt wird, und auch die Entscheidung wird simplifiziert, sodass sich das Urteil zu dem Vertragsrücktritt bzw. der Preisminderung nicht auf ein kompliziertes Interessenermessen bezieht.61 Allerdings ist zu beachten, dass Mommsen die Voraussetzung der zwei Klagen abgeändert hat, nämlich das Erfordernis daran, dass der Verkäufer die Aufklärungspflicht nicht erfüllt, zu streichen und sein Versprechen über die Eigenschaft der Kaufsache zu erhalten. Diese Veränderung ist auf den Gedanken des subjektiven Rechts zurückzuführen, das heißt, dass die Aufklärung des Verkäufers tatsächlich zu den weiteren Verhaltenspflichten neben der Leistung gehört, die wegen der Unabhängigkeit der Leistung nicht zum Gegenstand der Obligation werden kann. Daher beeinflusst der Verstoß gegen diese Pflicht nicht den Inhalt des Vertragsverhältnisses,62 während das Versprechen der Eigenschaft einer Kaufsache direkt den Leistungsinhalt bestimmen kann. Die zweite Regel kommt aus dem Rechtsbehelf der actio ex empto im ius civile. Im Vergleich zum aedilicium edictum erstreckt sich diese Klage auf sämtliche Kaufgeschäfte. Wie im vorherigen Kapitel erwähnt, konzentriert sich die actio ex empto auf das tatsächliche Interesse des Käufers im Fall des Mangels der Kaufsache mit besonderer Rücksicht auf das Verschulden des Verkäufers. Deren Regel kann dahingehend zusammengefasst werden, dass dolus und culpa des Verkäufers unterschiedlich behandelt werden: Wenn der Verkäufer wissentlich den Mangel verschweigt oder den Käufer darüber täuscht, muss er nicht nur für den Wert des Gegenstandes, sondern auch für den Mangelfolgeschaden einstehen; wenn der Verkäufer jedoch unwissentlich eine mangelhafte Sache liefert, ist er verpflichtet, nur für das Interesse des Käufers daran einzustehen, was Letzterer mit einem niedrigeren Preis hätte erlangen können.63 Offensichtlich hat Mommsen versucht, den Vertragsrücktritt im Edikt mit dem Interessenermessen in der actio ex empto zu kombinieren. Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  466. Vgl. Jakab, Praedicere und cavere beim Marktkauf: Sachmängel im griechischen und römischen Recht, S.  127–128. 62  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.197. 63  Vgl. Zweites Kapitel. D. I: Die Problematik der Nebenpflichten beim Sachmangel. 60  61 

C. Begründung der Unmöglichkeitslehre zum Umbau der Nebenpflichten

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Aus der Sicht der Begriffsdeduktion ist diese Regel aber auch auf die Analogie des Schadensersatzes bei gänzlicher Unmöglichkeit zurückzuführen, das heißt, dass nach Vertragsrücktritt der Käufer das Interesse in Anspruch nehmen kann, das er ohne Mangel erworben hätte. Hier stellt sich jedoch die Frage, ob dies noch das negative Interesse erfasst. Nach Mommsen führt die teilweise Unmöglichkeit normalerweise nicht zur Ungültigkeit des Vertrags; für den noch möglichen Teil der Leistung ist der Vertrag nach wie vor gültig, was den Ersatz des Erfüllungsinteresses verursacht.64 Dies aber widerspricht der Regel für gänzliche Unmöglichkeit. Um das Problem zu lösen, hat Mommsen wieder seinen alten Weg beschritten, das heißt, dass die üblicherweise das Erfüllungsinteresse schützende Klage außerdem noch die Funktion der actio de dolo oder der actio in factum ersetzt. Anders gesagt wird hier das negative Interesse durch die actio ex empto geschützt. Aber wieso? Mommsen sieht ein, „aus inneren Gründen weiß ich es nicht zu erklären“.65 2. Missverständnis um die actio ex empto und Übersehen der Nebenpflichten Mommsens Schwierigkeit lässt sich auf das Missverständnis um die actio ex empto zurückführen. Erstens erfasst die actio ex empto durch Anwendung der exceptio doli die Arglist bei Vertragsschluss und -erfüllung, sodass der Sachmangel der Schlechterfüllung zuzuordnen ist. Das durch den Sachmangel betroffene Interesse zählt auch zum Interesse an der Vertragserfüllung, sodass es keine scharfe Trennung zwischen Erfüllungsinteresse und negativem Interesse gibt. Im Gegensatz dazu hat Mommsen die Unmöglichkeit der Leistung in vorhandene und nachfolgende aufgeteilt, sodass ein Sachmangel als ein Problem bei Vertragsschluss anzusehen ist und kein Zusammenhang mehr mit der Vertragserfüllung besteht. Aus diesem Grund ergibt sich die Schwierigkeit, zu erklären, warum ein wirksamer Vertrag sich aber auf das negative Interesse beziehen soll. Zweitens hat Mommsen keine Rücksicht darauf genommen, dass die actio ex empto für Nebenpflichten (z. B. die Aufklärungspflicht des Verkäufers über einen Sachmangel) einen speziellen Schutz angeboten hat. Wie im letzten Kapitel dargestellt, ist unter vorsätzlicher Verschweigung des Sachmangels oder Täuschung über den Sachmangel durch den Verkäufer zu verstehen, dass er sich vorsätzlich der Aufklärungspflicht entzieht; während unter seinem Unwissen zu verstehen ist, dass er fahrlässig das Vertragsinteresse der Gegenpartei beschädigt. Beim 64  Vgl. Mommsen, Unmöglichkeit der Leistung in ihrem Einfluss auf obligatorische Verhältnisse, S.  201 ff., 209. 65  Vgl. Mommsen, Die Haftung der Contrahenten bei der Abschließung von Schuldverträgen, S.  167, Fn.  3.

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

Ermessen der Haftung für die Nebenpflichtenverletzung kommt es allerdings darauf an, ob beim Verkäufer Vorsatz besteht. Im Gegensatz dazu hat Mommsen unter dem Einfluss des Gedankens vom subjektiven Recht keine weiteren Verhaltenspflichten neben der Leistung aufgenommen, aber die Verbindung zwischen dem dolus des Verkäufers und dem Mangelfolgeschaden konnte er nicht umgehen. Deswegen ist er davon überzeugt, dass die Tatsache, die in diesem Fall zum Schadensersatz verpflichtet, nicht das dolose Verschweigen des Mangels sei, sondern die durch den dolus des Verkäufers veranlasste Vermögensschädigung des Käufers.66 Aus diesem Grund wird die direkte Kausalität zwischen der Beschädigungshandlung des Verkäufers und dem durch den Sachmangel verursachten Schaden etabliert, sodass das Deliktsverhältnis, und zwar die Haftung aufgrund der actio de dolo, die von Mommen als deliktisch definierte römische Klage, unabhängig von der Vertragserfüllung entsteht. Aber angenommen, seine Meinung, wonach die actio ex empto die actio de dolo ersetze, wäre richtig, dann würde die actio ex empto zur Zusammensetzung der Klage auf certam rem dare und der actio de dolo verändert, die offensichtlich der Funktion der iudicia bonae fidei widerspricht. Dies lässt sich auf die Ignorierung der exceptio doli bei den iudicia bonae fidei zurückführen, die sich als von Amts wegen benutzte Regel darauf bezieht, die arglistige Täuschung bei Vertragserfüllung im weiteren Sinne (einschließlich Vertragsschluss und -erfüllung) zu beseitigen.67 Daher ist der Rechtsschutz der actio ex empto erweitert und das entsprechende Interesse für die Nebenpflichtenverletzung eingeschlossen.

D. Jherings Lehre von der c.i.c. zur Ergänzung der Nebenpflichten I. Der Umbau des Mangels und die Begründung der c.i.c. Wie oben erwähnt, ist Mommsen beim Verstehen von Schadensersatz als eines Sachmangels in Schwierigkeit geraten: Er konnte nicht begründen, weshalb im römischen Recht die actio ex empto die actio de dolo ersetzt. Zur Lösung dieses Problems hat Jhering die Lehre von der c.i.c. aufgestellt. Seine Auffassung ist wie folgt: Beim Vertragsschluss steht der Verkäufer nicht nur für vorsätzliche, sondern auch für fahrlässige Verletzung ein; die Haftung für den durch die fahrlässige Verletzung verursachten Schaden lässt sich nicht auf die actio de dolo, sondern auf eine Analogie der actio ex empto zurückführen. Diese Schluss66  67 

Vgl. Mommsen, Zur Lehre von dem Interesse, S.  62. Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  423.

D. Jherings Lehre von der c.i.c. zur Ergänzung der Nebenpflichten

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folgerung beruht auf den Textquellen über die Mängel der Kaufsache im römischen Recht. Aber da das römische Recht sich tatsächlich nur auf separate Regeln über Sach- und Rechtsmangel bezieht, ist der Begriff des allgemeinen Mangels eine Erfindung Jherings. Auf dieser Basis hat er eine andere Schlussfolgerung als Mommsen gezogen: Zunächst wird die res extra commercium nicht mehr als ein Fall der Unmöglichkeit bezeichnet, sondern als ein Rechtsmangel des Gegenstands, sodass die Auffassung in den oben angeführten Stellen D.11.7.1.8 und D.18.1.62.1, wonach vorhandene Unmöglichkeit zur Vertragsungültigkeit führt, zur neuen Schlussfolgerung, dass ein Rechtsmangel die Vertragsunwirksamkeit verursacht, modifiziert wird.68 Von Ulpians Auffassung in D.11.7.1.8 hat Jhering den letzten Halbsatz betont, nämlich dass die actio in factum entsprechend der actio ex empto angeboten werden könne. Daher nimmt er an, dass das Wesen der actio in factum auf eine vertragliche Klage zurückzuführen sei, sodass, wie Modestin meint, der durch die actio ex empto angebotene Schadensersatz auf diese Klage übertragen werden kann, und zwar dahingehend, dass der Verkäufer für das Interesse des Käufers daran einstehen müsse, nicht getäuscht zu werden. Mit diesem Zwischenergebnis ist die Frage aber noch nicht beantwortet, warum die actio ex empto trotz Ungültigkeit des Vertrags noch anwendbar ist. Jhering hat Mommsens Meinung nicht vertreten, weil seines Erachtens die culpa des Verkäufers bei Vertragsschluss ohnehin nicht als dolus angesehen werden sollte. Ansonsten würde sich die actio de dolo nur unbegrenzt ausdehnen. Daher hat er die Bedeutung von „ne deciperetur“ (damit er nicht getäuscht werde) korrigiert, und zwar dahingehend, dass dieser Ausdruck nur „getäuscht werden“ im passiven Sinn, aber nicht unbedingt „täuschen“ im aktiven Sinne bedeutet, anders gesagt, dass der Verkäufer auch durch culposes Unterlassen die Täuschungswirkung verursachen kann.69 Daher gebe es einige Fälle, in denen beim Verkäufer Fahrlässigkeit vorliegt. Diese Fälle stehen in der Mitte zwischen der actio de dolo und der actio ex empto, deren Rechtsnatur nur aus dem Vertragsverhältnis zu entnehmen ist. Daher ist die Frage dahingehend abzuändern, worin sich Vertragsgültigkeit und -ungültigkeit unterscheiden. Obwohl Jhering zustimmt, dass sich ein ungültiger Vertrag auf das negative Interesse erstreckt, während ein gültiger dem Erfüllungsinteresse entspricht, hat er dennoch ein anderes Verständnis von der Rechtsnatur der Ungültigkeit. Nach Jhering hat die Ungültigkeit nicht den Verlust der gesamten Vertragsverbindlichkeit zur Folge. Das bedeutet, wenn der Vertrag wirksam ist, besteht in der Hervorbringung der Erfüllung als Vertragszweck 68  69 

Vgl. Jhering, Culpa in contrahendo, S.  13. Vgl. Medicus, in: Benöhr (Hrsg.), FG Max Kaser, S.  169 (171).

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

die Verbindlichkeit des Vertrags; wenn der Vertrag dagegen unwirksam ist, obwohl die Erfüllung nicht bewirkt wird, kann der Vertrag die Verbindlichkeiten auf andere Art hervorbringen, z. B. das Erfordernis der Rückgabe des geleisteten Gegenstands, Schadensersatz. Deswegen ist bei einer res extra commercium nur rechtlich die Erfüllungsmöglichkeit ausgeschlossen, ohne die von den Vertragsparteien herbeigeführte Übereinstimmung zu vernichten,70 wobei die Pflichten nicht zwecks Leistungsbewirken bestehen bleiben, obwohl der Vertrag ungültig ist. Weiter wird die subjektive Fahrlässigkeit des Verkäufers mit der objektiven Verletzung der Vertragsplichten verbunden, das heißt, dass der Verkäufer, da er den Sachmangel hätte wissen können, den Vertrag nicht hätte abschließen sollen; denn gerade sein Unwissen verursacht den Schaden des Käufers.71 Das zeigt, dass Jhering, obwohl er der Ansicht war, dass die Vertragsungültigkeit dem negativen Interesse entspricht, nie versucht hat, eine direkte Verbindung zwischen dem Verschulden des Verkäufers und dem Schaden zu etablieren. Er hat nur dargelegt, dass die culpa des Verkäufers die Entstehung eines Vertragsverhältnisses ohne Erfüllungsfunktion verursacht. In diesem besonderen Vertragsverhältnis soll der vom Käufer erlittene Schaden, obwohl er von der Leistung unabhängig ist, immer noch vom Verkäufer verantwortet werden. Deshalb wird das negative Interesse fest innerhalb des Vertrags-, nicht aber des Deliktsverhältnisses eingeschränkt. Oben Genanntes ist die Kernbedeutung der Lehre von der c.i.c.

II. Die Beziehung zwischen der Aufklärungspflicht und den Nebenpflichten innerhalb der Lehre von der c.i.c. Über das Problem der Nebenpflichten hat Jhering nicht diskutiert. Aufgrund der erneuerten Definition der Ungültigkeit hat er andere Pflichten als die Leistungspflicht im Vertragsverhältnis gefunden. Deshalb ist zu vermuten, dass auch ein gültiger Vertrag diese Pflichten enthält. Deren konkrete Form hat Jhering jedoch nicht nachgewiesen. Stattdessen hat er versucht, durch eine konsistente Lehre des Schadensersatzes, bei der die gleichen Verhaltenspflichten bei und nach Vertragsschluss gelten, die Homogenität dieser Pflichten indirekt zu beweisen, wobei die Folge der Pflichtverletzung beim gültigen Vertrag die gleiche wie beim ungültigen sein sollte. Anders gesagt enthält der Schadensersatz, den die Verletzung der Vertragspflichten verursacht, nicht nur das Interesse daran, die Leistung zu bewirken, sondern auch das negative Interesse. Aus diesem Grund hat Jhering die Fälle des Sachmangels beim gültigen und ungültigen Vertrag zu70  71 

Vgl. Jhering, Culpa in contrahendo, S.  27–28. Vgl. Jhering, Culpa in contrahendo, S.  31.

D. Jherings Lehre von der c.i.c. zur Ergänzung der Nebenpflichten

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sammengestellt. Ein typisches Beispiel hierfür ist der Vergleich zwischen D.19.1.13.1 und D.21.1.31 pr. Wie im letzten Kapitel erwähnt, bezieht sich D.19.1.13.1 auf einen Fall des Sklavenkaufs, in dem der Sklave eine Neigung zu Flucht und Diebstahl hat. Ulpian ist der Meinung, dass der Verkäufer, wenn er wissentlich diesen Sklaven mit Mängeln verkauft, für das Interesse des Käufers daran einstehen müsse, nicht getäuscht zu werden, z. B. dass der Sklave andere angestiftet hat, mit ihm zu fliehen, und dass er einige Dinge gestohlen hat.72 Dementsprechend betrifft D.21.1.31 pr Julians Argument über den Vertragsrücktritt: D.21.1.31 pr Ulpianus 1 ad edictum aedilium curulium Quodsi nolit venditor hominem recipere, non in maiorem summam, inquit, quam in pretium ei condemnandum. ob haec ergo, quae propter servum damna sensit, solam dabimus ei corporis retentionem: ceterum poterit evitare praestationem venditor, si nolit hominem recipere, quo facto pretii praestationem eorumque quae pretium sequuntur solam non evitabit.

Diese Stelle zeigt, dass dem Käufer der Anspruch auf den wegen dieses Sklaven erlittenen Schaden (que propter servum damna sensit) und das Recht, den Sklaven zu behalten, zugestanden werden, wenn er wegen des Mangels in Bezug auf den Sklaven vom Vertrag zurücktreten möchte, aber der Verkäufer damit nicht einverstanden ist.73 Nach Jhering bietet die actio redhibitoria wie die actio ex empto dem Käufer einen Ersatz für den Schaden, den er wegen des Mangels vonseiten des Sklaven erlitten hat.74 Aus diesem Grund kann der durch den Sachmangel verursachte Schaden des Integritätsinteresses des Käufers ersetzt werden, egal ob der Vertrag gültig oder ungültig ist. Dann stellt sich die weitere Frage, ob es in diesen beiden Umständen gemeinsame Verhaltenspflichten gibt. Wie oben beschrieben, hat das aedilicium edictum, obwohl kein Erfordernis am Verschulden des Verkäufers besteht, eine bestimmte Anforderung an sein Verhalten. Wie in D.21.1.1.1 gezeigt, muss beim Sklavenkauf der Verkäufer den Käufer öffentlich und richtig darüber aufklären, welche Krankheiten oder Mängel ein jeder Sklave hat, wer zur Flucht neigt oder ein Herumtreiber ist und vor keiner Schadenstat zurückschreckt.75 Deshalb ist diese Aufklärung des Verkäufers eine gesetzliche Pflicht im römischen Recht, während im Rahmen der actio ex empto eine vorsätzliche Verschweigung oder Täuschung über einen Sachmangel durch den Verkäufer auch als die Umgehung der Aufklärungspflicht im Sinne eines positiven Tuns begriffen werden kann. Somit wird die Aufklärung über einen Sachmangel als eine Pflicht in den 72 

Vgl. D.19.1.13.1. Vgl. D.21.1.31 pr. 74  Vgl. Jhering, Culpa in contrahendo, S.  18, Fn.  18. 75  Vgl. D.21.1.1.1. 73 

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

beiden Stadien bezeichnet: Wenn vom Vertrag zurückgetreten wird, folgt aus der Verletzung dieser Aufklärungspflicht die culpa beim Vertragsschluss, während die Verletzung bei Vertragserfüllung jedoch zur weiteren Pflicht neben der Leistung führt. Daher hat Jhering das Problem der Nebenpflichten berührt und ihre Homogenität bezüglich der Verhaltenspflicht zwischen Vertragsschluss und -erfüllung gezeigt. Doch hat er beides nicht vereinigt und sich nur darauf beschränkt, Schadensersatz beim Abschluss eines ungültigen Vertrags anzubieten. Dennoch hat er dadurch auf die Existenz der weiteren Verhaltenspflichten neben der Leistung hingewiesen, sodass die Entwicklung der Theorie über die Nebenpflichten ermöglicht wurde.

III. Die Lehre von der c.i.c. zum Wiederaufbau des römischen Rechts Bemerkenswerterweise dient Jherings Verständnis vom Schadensersatz in der actio redhibitoria dem Zweck, die Homogenität der Verhaltenspflichten bei und nach Vertragsschluss nachzuweisen. Dies aber widerspricht der Wirklichkeit des römischen Rechts: Obwohl in D.21.1.31 pr betont ist, dass der Schadensersatz den wegen des mangelhaften Sklaven erlittenen Verlust des Käufers betrifft, kann dennoch der gesamte Betrag den Kaufpreis nicht übertreffen (non in maiorem summam, quam in pretium ei condemnandum). Es handelt sich um den Preis, den der Käufer für die mangelfreie Sache bezahlt hätte.76 Anders gesagt beschränkt sich der Schadensersatz der actio redhibitoria auf die Rückgabe des Leistungswerts. Unter dem Ausdruck „quae propter servum damna sensit“ soll der Kaufpreis, den der Käufer wegen des Sachmangels überbezahlt hat, aber nicht der Verlust eines anderen als das Leistungsinteresse verstanden werden. Mit anderen Fragmenten in den Digesten ist diese Schlussfolgerung besser zu beweisen: D.21.1.23.1 zeigt, dass jede Partei mit dem Rücktritt des Kaufvertrags nicht mehr erlangt, als sie hätte, wenn der Verkauf nicht vorgenommen worden wäre (ut nihil amplius consequatur, quam heberet, si venditio facta non esset),77 während D.21.1.59 pr zeigt, dass der Verkäufer, wenn vom Vertrag wegen des Mangels am Sklaven zurückzutreten ist, der Verkäufer nur das erhaltene Geld zurückgeben muss.78 Jherings absichtliches Missverständnis in Bezug auf die Textquellen ist auf den tieferen Grund zurückzuführen, dass seine Theorie auf der Basis von Savignys Obligations- und Leistungsbegriffs begründet ist und sich dem römischen Recht überhaupt nicht anpassen kann. Er hat die strenge Trennung zwischen Vertrags76 

Vgl. D.21.1.31 pr. Vgl. D.21.1.23.1. 78  Vgl. D.21.1.59 pr. 77 

D. Jherings Lehre von der c.i.c. zur Ergänzung der Nebenpflichten

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schluss und -erfüllung bei den Pandektisten nicht verneint. In diesem Rahmen betrifft der Vertragsschluss die Feststellung der Leistung, während die Vertragserfüllung sich auf die Realisierung der Leistung bezieht. Nach Mommsen ist das erste Stadium dem Deliktsverhältnis zuzuordnen, während das letzte zum Vertragsverhältnis zählt. Obwohl Jhering diese zwei Stadien verbinden möchte, muss er aufgrund der Unterscheidung zwischen Erfüllungsinteresse und negativem Interesse einen Rechtsschutz für die gemeinsamen Interessen in den beiden Stadien finden. Am plausibelsten ist, dass der Schadensersatz mit dem Integritätsinteresse des Käufers in Einklang steht, egal ob der Vertrag gültig oder ungültig ist. Um diese Meinung zu beweisen, ergibt sich jedoch das Missverständnis um den Schadensersatz im Rahmen der actio redhibitoria. Im Gegensatz dazu sind bei den iudicia bonae fidei der Vertragsschluss und die Vertragserfüllung erfolgreich verbunden worden. Dies geschieht aber nicht auf Jherings Art, sondern wird durch die automatische Anwendung der exceptio doli realisiert. Das heißt, dass die actio ex empto nach dem Prinzip der bona fides den Rechtsschutz für Täuschungen bei Vertragsschluss und -erfüllung vereinheitlicht. Daher zählt jede Vertragsverletzung zur Nicht- oder Schlechterfüllung, während die sog. Pflichtenverletzung beim Vertragsschluss durch das weitergehende Vertragsverhältnis umfasst wird. Anders gesagt gibt es neben Leistungspflichten noch umfangreichere Verhaltenspflichten, nämlich das Unterlassen einer arglistigen Täuschung bzw. der Verstoß gegen die bona fides. Folglich kann die Täuschung des Verkäufers beim Vertragsschluss sowohl zur Unwirksamkeit des Vertrags (z. B. wenn er absichtlich eine verkehrsunfähige Sache verkauft) führen als auch zur Gültigkeit des Vertrags (z. B. wenn er den Käufer über den Mangel der Kaufsache täuscht). Allerdings wird der Schadensersatz dadurch schließlich nicht beeinflusst: Im ersten Fall wird das Interesses des Käufers daran entschädigt, nicht getäuscht zu werden, während im letzten Fall die Entschä­ digung für einen Mangelfolgeschaden angeboten wird. Doch ist nach den Textquellen nicht zu beweisen, ob die beiden Fälle gleich sind, während die actio redhibitoria als besonderer Rechtsbefehl unter dem aedilicium edictum nichts mit Schadensersatz zu tun hat. Zusammenfassend ist Jherings Argumentation als „widersprüchliche Ableitung“ anzusehen, da diese nicht logisch konsistent ist. Allerdings muss zugegeben werden, dass er sich darum bemüht, die Materialien des römischen Rechts möglichst umfassend zu nutzen, um die durch strenge Rechtsbegriffe verursachten Probleme zu lösen, das heißt das Übersehen der Verhaltenspflichten neben der Leistung. Obwohl sein Vorgehen dem römischen Recht nicht völlig entspricht, kann dies dennoch als eine Art Rückkehr zum Geist des römischen Rechts bezeichnet werden, insbesondere im Hinblick auf den Aufbau des Vertragsverhältnisses, das weitergehende Pflichten umfassen kann.

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

E. Problematik der Nebenpflichten des Kaufrechts im BGB von 1900 Die deutsche Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert ist mit der Kodifikation des Bürgerlichen Gesetzbuchs von 1900 an ein Ende gelangt. Es stellt sich die Frage, ob das BGB das Problem der Nebenpflichten im Kaufvertrag behandelt hat. Um das zu beantworten, muss das System des Leistungsstörungsrechts in Bezug auf den Kaufvertrag betrachtet werden. Das BGB hat das System aus Windscheids „Lehrbuch des Pandektenrechts“ aufgenommen,79 das bedeutet, dass im Allgemeinen Teil des Schuldrechts Unmöglichkeit und Verzug als die wichtigsten Typen der Leistungsstörung bezeichnet sind, während im Besonderen Teil das Gewährleistungsrecht bzw. Rechts- und Sachmangel für den Kaufvertrag separat statuiert wird. Diese Trennung erscheint von Mommsen stark beeinflusst zu sein. Allerdings muss weiter betrachtet werden, ob und inwieweit das Gesetz Mommsens Theorie modifiziert hat, während die Lehre der c.i.c., obwohl sie durch das Gesetz nicht als allgemeine Regel akzeptiert wurde,80 dennoch eine gewisse Wirkung auf die Gesetzgebung ausgeübt haben könnte.

I. Nebenpflichten bei anfänglicher Unmöglichkeit §  306 a. F. und §  307 a. F. BGB von 1900 schreiben die anfängliche Unmöglichkeit und die damit verbundene Schadensersatzpflicht vor. Sichtlich ist §  306 a. F. BGB eine Kopie der römischen Aussage „impossibilium nulla obligatio“, das heißt, dass ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag nichtig sei,81 aber inhaltlich symbolisiert die Vorschrift die gesamte Rezeption von Mommsens Unmöglichkeitslehre: Erstens beschränken sich die die Vertragsungültigkeit verursachenden Umstände auf die objektive Unmöglichkeit, während die subjektive Unmöglichkeit die Vertragswirksamkeit nicht beeinträchtigt; zweitens ist die objektive Unmöglichkeit durch das Gesetz wie bei Mommsen in natürliche und Vgl. Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd.  2, §  264, §  273, §  391. Obwohl im deutschen BGB von 1900 keine allgemeine Regel für die c.i.c. formuliert wurde, gibt es darin viele verstreute spezielle Regeln, welche die Idee der c.i.c. aufgenommen haben, z. B. §  523 a. F., §  524 a. F., §  600 a. F. (Sach- und Rechtsmängelanzeige bei der realen Schenkung und Leihe), §  694 a. F. (Mitteilung über die gefahrdrohende Beschaffenheit der zur Verwahrung gegebenen Sache), §  307 a. F. und §  309 a. F. (Mitteilung über die Richtigkeit der Vertragsverhandlungen wegen anfänglicher objektiver Unmöglichkeit oder wegen Verstoßes gegen ein Verbotsgesetz), auch §  122 a. F. und §  179 a. F. (Mitteilung der Nichtigkeit wegen des Mangels der Ernstlichkeit der Willenserklärung, Mitteilung der Anfechtbarkeit wegen Irrtums, Anzeige des Mangels der Vertretungsmacht). Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  583. 81  Vgl. §  306 a. F. BGB. 79  80 

E. Problematik der Nebenpflichten des Kaufrechts im BGB von 1900

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rechtliche Unmöglichkeit eingeteilt und beide sind einander gleichgestellt worden.82 In diesem Gesetz gibt es eine Unterscheidung, wie Schadensersatz verstanden wird: Gemäß §  307 I a. F. BGB ist derjenige, der beim Vertragsschluss eines auf eine unmögliche Leistung gerichteten Vertrags die Unmöglichkeit der Leistung kennt oder kennen muss, zum Schadensersatz verpflichtet, den der andere Teil dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, das der andere Teil an der Vertragswirksamkeit hat;83 §  307 II a. F. BGB statuiert, dass die oben genannte Regel die entsprechende Anwendung für die Fälle der teilweisen Unmöglichkeit findet.84 Obgleich beim Titel des §  306 a. F. BGB das negative Interesse bestehen bleibt, ist Mommsens Theorie bereits verändert. Genauer gesagt zeigt dieser Paragraph die Natur eines Zwittergebildes zwischen der Struktur der Unmöglichkeitslehre und dem Inhalt der c.i.c.85 Die wichtigsten Veränderungen umfassen die folgenden Punkte: Erstens ist das Verschuldenserfordernis beim Verkäufer geschwächt worden. Aus den Protokollen der zweiten Kommission lässt sich entnehmen, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, dolus oder culpa lata als subjektive Tatbestandmerkmale vorauszusetzen, sondern gewissermaßen die Theorie der c.i.c. aufgenommen hat, und zwar im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber der Auffassung war, dass in jedem Versprechen einer unmöglichen Leistung die Übernahme einer stillschweigenden Garantie gefunden werden kann.86 Dies lässt sich auf Jherings Argument zurückführen, dass, wer etwas verspreche, sich nicht irren solle und dass er sich auf eigene, nicht aber auf Kosten der Gegenpartei irren solle.87 Der Ausdruck „kennt oder kennen muss“ im Paragraph zeigt jedoch auffällig, dass diese Vorschrift nicht mehr auf das Erfordernis eines dolus eingeschränkt ist. Zweitens zeigt das Herabsetzen der Verschuldensanforderungen einen engen Zusammenhang mit der Veränderung des Verständnisses der Rechtsnatur des Schadensersatzes. Obwohl der Gesetzgeber in der Begründung für den ersten Entwurf des BGB eingesehen hat, dass es noch nicht entschieden sei, ob das negative Interesse sich auf die deliktische oder die vertragliche Haftung bezieht, kann der Ausdruck „negatives Vertragsinteresse“ dennoch seine Neigung dahingehend nicht verdecken, dass das Wesen der Entschädigung für negatives InteVgl. Mot. II, S.  177, in: Mugdan, Bd.  2, S.  97. Vgl. §  307 I a. F. BGB. 84  Vgl. §  307 II a. F. BGB. 85  Vgl. Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, S.  172. 86  Vgl. Prot., S.  911, in: Mugdan, Bd.  2, S.  616. 87  Vgl. Jhering, Culpa in contrahendo, S.  35. 82  83 

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

resse der vertraglichen Haftung näherkommt.88 Nur wenn dieser Aspekt bemerkt wird, können die zwei folgenden Schlussfolgerungen vom Gesetzgeber aufgegriffen werden: Erstens beschränkt sich der Schadensersatz nicht mehr nur auf die einseitige Haftung des Verkäufers, sondern ist als gemeinsame Haftung der beiden Vertragsparteien, und zwar der beiden Rechtssubjekte der gegenseitigen Leistungen anzusehen; zweitens müssen beide Parteien beim Vertragsschluss die Sorgfalts- und Aufmerksamkeitspflicht einhalten.89 Wie oben erwähnt, ist die Regel anfänglicher Unmöglichkeit von komplexer Natur: Zum einen hat das Gesetz das Begriffssystem Mommsens aufgenommen, dass der Schadensersatz den subjektiven Tatbestand des Schuldners, das heißt sein Verschulden ebenfalls voraussetzt; zum anderen ist das Verständnis um die Rechtsnatur des Schadensersatzes wegen des riesigen Einflusses der Lehre von der c.i.c. auf die Verletzung der Vertragspflichten zurückzuführen, die sich auf weitere Verhaltenspflichten als Kaufen bzw. Verkaufen, und zwar auf Sorgfaltsund Aufmerksamkeitspflichten beziehen. Da solche Pflichten aber im Falle eines ungültigen Vertrags entstehen, besteht keine Verbindung mehr mit der Leistungspflicht. Denn ob es sich im Gesetz um das Problem der Nebenpflichten bei Vertragserfüllung handelt, muss in Verbindung mit nachträglicher Unmöglichkeit weiter betrachtet werden.

II. Nebenpflichten bei nachträglicher Unmöglichkeit Die nachträgliche Unmöglichkeit betrifft zwei Fragen, nämlich welchen Inhalt die Vertragspflichten enthalten, wenn die Leistungsbewirkung noch möglich ist, und welches Interesse der Schadensersatz bei nachträglicher Unmöglichkeit umfasst. Die Beantwortung der ersten Frage hängt u. a. davon ab, wie das Gesetz Obligation und Leistung versteht. Auf die Frage, ob der Leistungsbegriff im Vergleich zur Pandektistik erweitert worden ist, kann nicht nur allein mit dem Hinweis auf den Ausdruck in §  241 a. F. BGB geantwortet werden. Danach ist der Gläubiger kraft des Schuldverhältnisses berechtigt, vom Schuldner eine Leistung zu fordern.90 Aus den Gesetzgebungsmaterialen lässt sich entnehmen, dass bereits seit dem ersten Entwurf des BGB die Leistung vom Gesetzgeber als der einzige Gegenstand der Obligation bezeichnet worden ist.91 Das Protokoll der zweiten Kommission zeigt deutlicher, dass die Gültigkeit der Obligation vom Interesse des Gläubigers an der Leistung abhängt, sodass ein vermögensrechtVgl. Mot. II, S.  179, in: Mugdan, Bd.  2, S.  98. Vgl. Prot., S.  910, in: Mugdan, Bd.  2, S.  616. 90  Vgl. §  241 a. F. BGB. 91  Vgl. Mot. II, S.  6, in: Mugdan, Bd.  2, S.  1. 88  89 

E. Problematik der Nebenpflichten des Kaufrechts im BGB von 1900

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liches Interesse des Gläubigers nicht zum Wesen der Obligation gehört.92 Deswegen beschränkt sich die Plicht des Schuldners nur noch auf die Handlungspflicht im aus der Obligation entstehenden Herrschaftsverhältnis, und zwar die Leistungspflicht. Darüber hinaus sind weitere Verhaltenspflichten nicht Inhalt des Schuldverhältnisses. Aber als Ergänzung schreibt §  242 BGB vor, dass der Schuldner verpflichtet sei, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.93 Der Vorgänger dieses Paragraphen ist §  224 des ersten Entwurfs des BGB, der statuiert, dass der Schuldner vollständig leisten solle.94 Was bedeutet die Vollständigkeit der Leistung? Der Gesetzgeber ist der Meinung, dass die Pflicht der Obligation nicht nur nach ihrem gesamten Umfang, sondern auch in Ansehung aller Nebenpunkte bestimmt werden könne und dass der Inhalt der Leistungspflicht sich nur im konkreten Fall mittels der Auslegung des Gesetzes bzw. Rechtsgeschäfts erkennen lasse.95 Aber im zweiten Entwurf des BGB hat der Gesetzgeber aufgenommen, dass der Ausdruck „vollständig leisten“ durch Treu und Glauben ersetzt werden solle, weil die vorherige Vorschrift sich lediglich auf die Arten der Leistung ohne den ganzen Inhalt der Obligation erstreckte, der als die Herkunft aller Vertragspflichten bezeichnet wird.96 Aus diesem Grund zielt die Hinzufügung des Prinzips von Treu und Glauben darauf, den Inhalt des aufgrund des Gedankens vom subjektiven Recht gebildeten Leistungsbegriffs zu ergänzen. Obgleich Nebenpflichten nicht erwähnt werden, soll anerkannt werden, dass der Gesetzgeber bereits die Möglichkeit weiterer Verhaltenspflichten neben der Leistung im Vertragsverhältnis bemerkt hat. Zur zweiten Frage liegt §  280 I a. F. BGB vor, das heißt, dass der Gläubiger, soweit die Leistung infolge eines vom Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich ist, berechtigt ist, gegenüber dem Schuldner den durch Nichterfüllung entstehenden Schadensersatz zu beanspruchen,97 während nach §  280 II a. F. BGB der Gläubiger im Fall teilweiser Unmöglichkeit unter Ablehnung des noch möglichen Teils der Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit verlangen könne, wenn die teilweise Erfüllung für ihn nicht von Interesse ist.98 Dies zeigt, dass das Gesetz im Grundsatz Mommsens Rahmen der verschuldeten Unmöglichkeit aufgenommen hat. Vgl. Prot. I, S.  466, in: Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, S.  40. 93  Vgl. §  242 a. F. BGB. 94  Vgl. §  224 Ent I BGB. 95  Vgl. Mot. II, S.  26, in: Mugdan, Bd.  2, S.  14. 96  Vgl. Prot., S.  1250, in: Mugdan, Bd.  2, S.  521. 97  Vgl. §  280 I a. F. BGB. 98  Vgl. §  280 II a. F. BGB. 92 

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

Zur Beantwortung der Frage, ob der Schadensersatz doch das durch die Nebenpflichtenverletzung betroffene Interesse umfasst, muss die Beziehung zwischen Leistung und Schadensersatz analysiert werden. Der Gesetzgeber behauptet, dass diese Beziehung weder die Fiktion der perpetuatio obligationis i. S. d. römischen Rechts noch Savignys Lehre der Leistungsumwandlung anwendet: Die Ablehnung des ersten Punkts liege daran, dass der durch den Schadensersatz geschuldete Gegenstand tatsächlich anders als die ursprüngliche Leistung sei, während die Verneinung des zweiten Punkts sich darauf zurückführen lasse, dass der Ausdruck der Umwandlung des ursprünglichen Gegenstands möglicherweise zum Missverständnis führe, das heißt, dass eine neue Obligation daraus entstanden ist.99 Dies zeigt aber, dass das Gesetz eigentlich den Gedanken der Obligationsumwandlung aufgrund der Lehre des subjektiven Rechts enthält, das bedeutet, dass der Schadensersatz noch im originalen Schuldverhältnis bleibt, ohne zur selbstständigen deliktischen Haftung zu werden. In Bezug darauf, wie diese Umwandlung läuft, nimmt der Gesetzgeber an, dass der Schadensersatz aufseiten des Gläubigers gemäß der Verletzung seines subjektiven Rechts berechnet werden solle und dass das Verschulden des Schuldners gerade die subjektive Widerrechtlichkeit gegenüber dem Gläubiger verkörpere. Daher beschränkt sich der Schadensersatz auf das vom Gläubiger unmöglich zu realisierende subjektive Recht, dem die vom Schuldner nicht erfüllte Leistungspflicht richtiggehend entspricht, während das Problem der Nebenpflichten nicht bemerkt wird. Wie oben betrachtet, scheinen die Regeln im Gesetz über den Obligationsinhalt nicht ganz denjenigen über den Umfang des Schadensersatzes zu entsprechend: Einerseits beschränkt sich das Verständnis des Gesetzgebers in Bezug auf die Obligation noch auf die Theorie Savignys, sodass die Leistungspflicht als eine Entsprechung des subjektiven Rechts anzusehen ist, während Nebenpflichten nicht Inhalt der Obligation sein können; andererseits erweitert das Prinzip von Treu und Glauben i. S. d. §  242 a. F. BGB theoretisch gesagt den Umfang der aus Obligation entstehenden Pflichten. Aber im Fall der Nichterfüllung hat das Gesetz Mommsens Lehre der nachfolgenden Unmöglichkeit akzeptiert, sodass der Schadensersatz sich auf die Umwandlung der Leistungspflicht beschränkt, wodurch der Rechtsschutz für die Nebenpflichtenverletzung nicht eingeschlossen werden könne. Dieser Widerspruch führt zur Schwierigkeit, die Anspruchsgrundlage für den durch die Nebenpflichtenverletzung veranlassten Schadensersatz herauszufinden, welche die Entstehung von Staubs Lehre, das heißt der p.V.V. verursacht hat.100 99 

Vgl. Mot. II, S.  50, in: Mugdan, Bd.  2, S.  27. Nach dem Inkrafttreten des BGB von 1900 entstanden drei Meinungen zur Anspruchs-

100 

E. Problematik der Nebenpflichten des Kaufrechts im BGB von 1900

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III. Sachmangel und Nebenpflichten Die Vorschriften hinsichtlich des Sachmangels finden sich im ersten Titel über den Kauf bzw. Tausch des Abschnitts „Einzelne Schuldverhältnisse“ im BGB. Gemäß §  462 a. F. BGB kann der Käufer wegen eines Mangels die Rückgängigmachung des Kaufes oder die Herabsetzung des Kaufpreises verlangen,101 während er nach §  463 a. F. BGB statt Wandlung oder Minderung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen kann, wenn der verkauften Sache zur Zeit des Kaufes eine zugesicherte Eigenschaft fehlt oder der Verkäufer einen Mangel arglistig verschwiegen hat.102 Sichtlich haben die genannten Vorschriften Mommsens Regel der Unmöglichkeit hinsichtlich der Qualität der Sache kopiert. Der einzige Unterschied liegt in der Gleichstellung der Zusicherung vom Verkäufer mit seinem dolus. Ob §  463 a. F. BGB die Nebenpflichten betrifft, hängt von der Beurteilung der drei folgenden Punkte ab: erstens, ob das Gesetz Vertragsschluss von -erfüllung unterscheidet; zweitens, falls dies bejaht wird, was unter der Rechtsnatur des Schadensersatzes zu verstehen ist; drittens, ob die Verhaltenspflichten in diesem Stadium berücksichtigt werden. Zur ersten Frage: Ein Anzeichen für die Trennung zwischen Vertragsschluss und -erfüllung liegt darin, dass das Gesetz für den jeweiligen Schadensersatz in den verschiedenen Stadien einen unterschiedlichen Grad an Verschulden fordert, nämlich dass dolus beim Vertragsschluss notwendig ist, aber culpa bei Vertragserfüllung ausreicht.103 Dieser Unterschied ist auf Mommsen dahingehend zurückzuführen, dass nachfolgende Unmöglichkeit als Erfüllungshindernis anzusehen ist, während Sachmangel nur als ein vom Vertragsverhältnis unabhängiges Problem zu bezeichnen ist. Dies führt zur zweiten Frage, ob das Gesetz – wie Mommsen dies tut – diesen Schadensersatz als eine deliktische Haftung betrachtet. Der Gesetzgeber ist der Meinung, dass nach geltendem Recht, obgleich der dolus des Verkäufers mit dem Charakter des „dolus causam dans“ dem negativen Interesse hätte entsprechen sollen,104 eine Entschädigung für das Erfüllungsinteresse gegeben werden soll, grundlage für die Schlechterfüllung: erstens §  280 a. F. BGB als Anspruchsgrundlage, das heißt die Unmöglichkeit zu einem mehrere Umstände umfassenden Begriff zu erweitern; zweitens §  276 a. F. BGB als Anspruchsgrundlage, das heißt den subjektiven Tatbestand als den Haftungstatbestand anzusehen; drittens die von Staub aufgestellte Theorie der „positiven Vertragsverletzung“, das heißt §  286 a. F. BGB analog anzuwenden, um dem Gläubiger den Schadensersatz wie im Fall des Schuldnerverzugs zu verleihen. Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  95–97. 101  Vgl. §  462 a. F. BGB. 102  Vgl. §  463 a. F. BGB. 103  Vgl. §  276 a. F. BGB bzw. §  224 I 2 Ent I BGB. 104  Die Juristen im europäischen Mittelalter haben dolus in dolus causam dans und dolus

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

weil der unredliche Verkäufer „wegen dessen hervorragender Wichtigkeit im Interesse thunlichster Sicherung des Verkehres mit empfindlichen Nachteilen“ bedroht werden muss.105 Der Ausdruck des geltenden Rechts ist in der Tat das Surrogat der Rechtspolitik. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber tatsächlich eine Notlösung anwendet, nämlich einerseits den Schadensersatz als deliktische Haftung zu definieren und andererseits aufgrund der Rechtspolitik demselben die Funktion als Rechtsschutz für das Erfüllungsinteresse zu verleihen. Obwohl der Gesetzgeber sich bemüht, den Widerspruch zu Mommsens Theorie zu umgehen, verwischt diese Vorgehensweise doch die Rechtsnatur des Schadensersatzes. Aus einer anderen Perspektive liegt die Rechtsnatur dieses Schadensersatzes auch zwischen dem Verständnis, das Mommsen und Jhering haben: Einerseits beschränkt sich das Verschulden des Verkäufers auf seinen dolus, während andererseits die Entschädigung wie bei nachträglicher Unmöglichkeit verliehen wird. Um dies zu rechtfertigen, muss anerkannt werden, dass das vorsätzliche Verschweigen des Verkäufers als die Verletzung der Vertragspflicht, nämlich über den Sachmangel aufzuklären, anzusehen ist und dass die Verletzung dieser Pflicht, wenn vom Vertrag noch nicht zurückgetreten wurde, das ganze Interesse des Vertrags einschließlich des Verlusts am Erfüllungsinteresse beeinträchtigt. Aber auch wenn das Bestehen dieser Pflicht angenommen wird, kann dies den Unterschied am Verschuldenserfordernis des Verkäufers vor und nach Vertragsschluss nicht harmonisieren. Solange der Vertragsschluss als ein selbstständiges Gebiet außerhalb des Vertragsverhältnisses verneint würde, sollte das Erfordernis am Verschulden in beiden Stadien gleichgestellt werden. Daher ist dieser aufgrund von Mommsens Missverständnis in Bezug auf das römische Recht vorgebrachte Widerspruch schließlich im deutschen BGB erhalten und zum Gegenstand geworden, den die Lehre der p.V.V. in naher Zukunft reformieren möchte.106

incidens eingeteilt. Bei diesen Begriffen wird darauf abgestellt, ob die getäuschte Partei in Kenntnis der wahren Sachlage dennoch ein Rechtsgeschäft abgeschlossen hätte: Beim dolus causam dans kommt der Vertrag nur durch den dolus malus der anderen Partei zustande, beim dolus incidens dagegen wirkt die Täuschung auf bestimmte Vertragsbedingungen, wie etwa den Kaufpreis. Vgl. Zimmermann, The Law of Obligations: Roman Foundations of the Civilian Tradition, S.  670. 105  Vgl. Mot. II, S.  229, in: Mugdan, Bd.  2, S.  126. 106  Die positive Vertragsverletzung bezieht sich darauf, dass der Schuldner außer der Unmöglichkeit und dem Verzug etwas tut, was er unterlassen soll, oder die Leistung schlecht erfüllt. Daher sind die Aufklärungspflicht des Verkäufers beim Vertragsschluss und die durch den Sachmangel verursachte Schlechterfüllung wiederum vereinigt, wodurch Mommsens Schwierigkeit aufgelöst wird. Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  93.

F. Zusammenfassung

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F. Zusammenfassung Es lässt sich eine Schlussfolgerung für die deutsche Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert ziehen, has heißt, mittels der Beantwortung der drei zu Beginn dieses Kapitels gestellten Fragen ist deren Veränderung auf Basis des römischen Rechts zu erklären: Erstens lässt sich die Tatsache, dass das heutige deutsche Schuldrecht die im römischen Recht vereinheitlichten Vertragspflichten in Leistungs- und Nebenpflichten einteilt, darauf zurückführen, dass die Rechtswissenschaft im 19. Jahrhundert weitere Verhaltenspflichten neben der Leistung ignoriert hat: Unter dem Einfluss des Gedankens des subjektiven Rechts ist die Leistung als der einzige Gegenstand der Obligation anzusehen, während aus der Perspektive der Organismuslehre der Schadensersatz als die Umwandlung des ursprünglichen Gegenstands der Obligation, das heißt der Leistung, aber nicht als das Ergebnis der Vertragsverletzung bezeichnet wurde. Mommsens Unmöglichkeitslehre hat diese Tendenz verstärkt, während Jhering vonseiten der c.i.c. auf die Existenz weiterer Verhaltenspflichten neben der Leistung hingewiesen hat. Das BGB von 1900 hat äußerlich das Begriffssystem von Savigny und Mommsen übernommen, ohne Nebenpflichten zu berücksichtigen, während die Materialen der Gesetzgebung zeigen, dass die entsprechenden Vorschriften, obwohl sie gemäß Mommsens Begriffen formuliert sind, eher zu Jherings Lehre neigen, sodass der Spielraum für die weitere Entwicklung der Nebenpflichten mehr oder weniger übriggeblieben ist. Zweitens ist die römische Tradition, das heißt, dass der Grad an Verschulden den Umfang des Schadensersatzes direkt beeinflusst, durchbrochen: Weil der objektive Charakter des Verschuldens, das heißt die Funktion als Beschädigungshandlung verworfen wurde, wird Verschulden einerseits zum Tatbestand der subjektiven Zurechnung und andererseits zur Ursache der Leistungsumwandlung im Vertragsverhältnis, ohne den Schadensersatz direkt beeinflussen zu können. Aus diesem Grund wird unter dem Phänomen im römischen Recht, dass der dolus des Verkäufers seine Vertragshaftung erweitert, verstanden, dass die vertragliche Klage als deliktische funktioniert. Obwohl Jhering diese Auffassung korrigiert, um gewissermaßen in die römische Tradition zurückzukehren, das heißt, dass der Schadensersatz beim Vertragsschluss wiederum ins Vertragsverhältnis aufgenommen wird, wurde das Erfordernis des dolus im römischen Recht aber zur culpa modifiziert, die bereits als das allgemeine Kriterium bei Vertragserfüllung angewandt worden ist. Dennoch erhält die Vorschrift im deutschen BGB bezüglich des Sachmangels noch das Erfordernis des dolus des Verkäufers, das als Spur der Theorie Mommsens bezeichnet wird.

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Drittes Kapitel: Lösungsmodell im deutschen Kaufrecht im 19. Jahrhundert

Drittens ist die Besonderheit des römischen Rechts, dass die iudicia bonae fidei die Vertragspflichten bei Vertragsschluss und -erfüllung verbinden, ausgeblieben. Unter dem Einfluss der Organismuslehre ist die Grenze zwischen Vertrag und Delikt graduell strenger geworden, was im Kaufvertrag durch die scharfe Trennung zwischen Vertragsschluss und -erfüllung dargestellt wird. Nach Mommsens Unmöglichkeitslehre ist das erste Stadium als Deliktsverhältnis und das letzte als Vertragsverhältnis anzusehen, das nicht nur diese Grenze dazwischen festigt, sondern auch dazu führt, dass das Verständnis über die Rechtsnatur des Schadensersatzes bei Sachmangel schwierig ist. Obwohl Jhering versucht, dem Vertragsverhältnis das Stadium der Vertragsverhandlung hinzuzufügen, hat er diese Grenze kaum verändert. Außerdem hat das Bürgerliche Gesetzbuch das Problem ebenfalls nicht gelöst, sondern hat angesichts der Rechtspolitik die Streitigkeit nur umgangen.

Viertes Kapitel

Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht mit Fokus auf den Schutzpflichten A. Überblick In diesem Kapitel geht es darum, wie das moderne deutsche Schuldrecht die Lehre der Nebenpflichten aufgestellt und sie zu Schutzpflichten weiterentwickelt hat.1 Dieser Prozess ist charakteristisch für die Interaktion bzw. Verbindung der Verhaltenspflichten in Bezug auf das vorvertragliche und das vertragliche Stadium. Der Ausgangspunkt ist darin zu sehen, dass Staub die p.V.V. als die dritte Kategorie der Leistungsstörungen neben Unmöglichkeit und Verzug angesehen hat. Seine „Entdeckung“ hat zu weitreichenden Diskussionen über die Verhaltenspflichten bei Vertragserfüllung geführt. Siber bezeichnete diese zuerst als Diligenzpflichten, die selbstständig parallel zur Leistung bestehen und dem eigenen Schadensersatz entsprechen. Doch hat Kreß herausgefunden, dass es aus Sicht der Forderung die sog. Schutzansprüche gibt, die zum Schutz der vertraglichen Güter dienen, während Stoll das Schuldverhältnis wieder aus gegenseitiger Sicht der Pflicht heraus begriffen hat, sodass eine Unterscheidung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten etabliert wird. Die parallele Entwicklung der Verhaltenspflichten ist im vorvertraglichen Verhältnis geschehen. Auf Basis von Jhering bemühte sich Leonhard weiter darum, das Verschulden beim Abschluss des wirksamen Vertrags durch eine Analogie der p.V.V. zu begründen, während Stoll umgekehrt das vorvertragliche Rechtsverhältnis als Organismus ansah, um seine Unabhängigkeit von der Vertragserfüllung zu betonen. Fortan ist die c.i.c. immer mehr als eigenständiges Schuldverhältnis, das heißt als Sonderverbindung bezeichnet worden. Der Höhepunkt wird durch Dölles „außergesetzliche Schuldpflichten“ verkörpert, wonach die Sonderverbindung 1 

Die vorhergehenden zwei Kapitel haben gezeigt, wie das deutsche Recht beim Umbau des römischen Rechts das Problem der Nebenpflichten ignorierte. Dies hat dazu geführt, dass die Probleme der Schlechterfüllung innerhalb der gesetzlichen Kategorien, das heißt Unmöglichkeit und Verzug nicht gelöst werden können. Doch ist das deutsche Recht später nicht zur römischen Tradition zurückgekehrt, sondern hat nach seiner eigenen Rechtsdogmatik die neue Richtung weiterverfolgt.

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

lediglich durch sozialen Kontakt etabliert werden kann. Dieser zu weite Schritt wurde zwar nicht überall akzeptiert, hat aber dazu geführt, dass die Rechtsnatur der c.i.c. als eine gesetzliche Haftung begründet wurde. Vor diesem Hintergrund kristallisierten sich die Bemühungen heraus, die Verhaltenspflichten der c.i.c. und der p.V.V. miteinander zu verbinden. Nennenswert ist, dass Larenz die Lehre des gesetzlichen Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht aufgestellt hat, wonach die Verhaltenspflichten von einem dynamischen Vertragsverhältnis umfasst werden können. Seine Lehre hat zudem Canaris ermutigt, das sog. einheitliche gesetzliche Schutzverhältnis weiterzuentwickeln, um diese Verhaltenspflichten auf ein gemeinsames spezielles Schuldverhältnis zu begründen, sodass sie nicht mehr mit dem Leistungsverhältnis verbunden werden. Im Bereich des Kaufvertrags wird die Rechtsentwicklung auf Ebene des Schuldrechts AT konkretisiert. Im Mittelpunkt steht das Verständnis von der Beziehung zwischen Gewährleistungsrecht und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht, woraufhin Literatur und Rechtsprechung durch die Unterscheidung zwischen Mangel- und Mangelfolgeschaden die Abgrenzung zwischen §  463 a. F. BGB, c.i.c. und p.V.V. entwickelt haben. Diese Lösung wurde schließlich jedoch durch die Anerkennung der Schutzpflichten ersetzt. Zum Schluss wird noch betrachtet, wie die Lehre der Schutzpflichten im neuen deutschen Schuld-, insbesondere Kaufrecht behandelt wird. Als Endergebnis der Rechtsentwicklung in den letzten hundert Jahren bietet das neue Gesetz die Gelegenheit, zu überprüfen, ob und inwieweit die Systematik der Schutzpflichten eingeführt bzw. das Problem des alten BGB gelöst wurde. Auf dieser Basis wird das geltende System aus historischer Sicht evaluiert und kritisiert, um die drei wesentlichen Fragen zu den Nebenpflichten i. S. d. modernen deutschen Rechts zu beantworten: (1) Wie wird die Beziehung zwischen Leistungs- und Neben- bzw. Schutzpflichten begriffen und organisiert? (2) Welche Rolle spielt das Element des Verschuldens hinsichtlich der Nebenpflichten und dem entsprechenden Schadensersatz für deren Verletzung? (3) Wie verändert sich die Beziehung zwischen dem vertraglichen und dem außervertraglichen Schuldverhältnis?

B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten I. Staubs Lehre der p.V.V. als Ausgangspunkt des Rechtsumbaus Dass die Verhaltspflichten neben der Leistung im BGB von 1900 übersehen wurden, haben die deutschen Juristen erst bemerkt, als die relevanten Probleme in der Rechtspraxis dargestellt wurden. Der deutsche Anwalt Staub vertrat die Auf-

B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten

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fassung, dass es eine Rechtslücke im vorhandenen Leistungsstörungsrecht gebe, nämlich dass das BGB keine entsprechenden Vorschriften für die Fälle enthalte, in denen jemand den Vertrag durch positives Tun verletze, trotz einer Unterlassungspflicht eine positive Handlung begehe oder die zu bewirkende Leistung fehlerhaft bewirke.2 Solche Fälle gehören nach Staub weder zur Unmöglichkeit noch zum Verzug, sondern müssen als eine dritte Kategorie der Leistungsstörungen, und zwar als eine p.V.V. angesehen werden. Staub aber hat nie versucht, die vielfältigen Fälle unter diesem Namen detailliert darzustellen, sondern sich nur davon überzeugt, dass derjenige, der eine p.V.V. begangen hat, zum Schadensersatz verpflichtet sein solle. Allerdings stellt sich die Frage, wo die Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz aufgrund der p.V.V. liegt. 1. Kritik an §  276 a. F. BGB oder Unmöglichkeit als Haftungsmaßstab Diesbezüglich gab es viele Stimmen vonseiten Staubs Zeitgenossen, die er jedoch alle für falsch hielt. Nach einer Auffassung ist §  276 a. F. BGB als Anspruchsgrundlage anzusehen. Die Befürworter stimmen zu, dass derjenige, der das Interesse des anderen schuldhaft verletzt, den entsprechenden Schaden ersetzen muss. Aber diese Auffassung widerspricht dem von Puchta etablierten Haftungsmaßstab, der neben der objektiven Pflichtverletzung auch die subjektive Zurechnung fordert.3 Daher hat Staub diese Aussage abgelehnt. Aus seiner Sicht bestimmt §  276 a. F. BGB nur den Umfang und Inhalt des Vertretens. Das Vertretenmüssen bildet lediglich den subjektiven Bestandteil des Schadensersatzanspruchs.4 Die zweite Auffassung ist die sog. Unmöglichkeitstheorie. Ein Teil der Befürworter argumentiert, dass die p.V.V. zur teilweisen bzw. zeitweisen Unmöglichkeit zählen sollte, weil die Leistung nicht mehr erfolgen kann, nachdem die Erfüllungszeit abgelaufen ist.5 Aber im Hinblick darauf, dass der Begriff der Unmöglichkeit eigentlich auf Windscheid bzw. Mommsen zurückzuführen ist, widerspricht diese Auffassung der Absicht des Gesetzgebers. Nach Mommsen ist unter teilweiser Unmöglichkeit, z. B. beim Sachmangel, nur ein Unterfall anfänglicher Unmöglichkeit zu verstehen, während die mangelhafte Leistung, z. B. 2  Solche Fälle beschränken sich nicht nur auf den Kauf, sondern berühren verschiedene Vertragstypen, sodass die Aufstellung der p.V.V. von Anfang an auf den Umbau des allgemeinen Leistungsstörungsrechts gerichtet war. Ein von Staub haufig erwähntes Beispiel ist, dass ein Gesellschafter, dem die Buchführung obliegt, zum Ablauf der vereinbarten Frist eine falsche Bilanz aufgestellt hat, sodass die getroffenen geschäftlichen Dispositionen des anderen Gesellschafters verfehlt wurden. Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  93, 97. 3  Vgl. Drittes Kapitel. B. I: Leistungs- und Obligationsbegriff in der Lehre vom subjektiven Recht und Organismus. 4  Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  95. 5  Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  96.

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

wenn sie trotz der Unversehrtheit der Kaufsache den Vertrag dennoch schlecht erfüllt, nicht einmal zur unvollständigen nachträglichen Unmöglichkeit zählt. Dieser Grundsatz ist auch im Gesetz nicht verändert, sodass diese erneute Unmöglichkeitslehre sich nicht der Struktur des Gesetzes anpassen kann. Auch Staub hält diese Meinung für eine „Geschraubte und Gekünstelte“, aber aus dem Grund,6 dass der Schuldner nach der Erfüllungszeit immer noch eine neue Leistung bewirken könne, solange sie kein Fixgeschäft ist.7 Daher kann diese sog. zeitweise Unmöglichkeit als Verzug bezeichnet werden.8 Aber Verzug ist weder gemäß dem gesetzlichen Wortlaut noch nach Mommsen mit Unmöglichkeit zu vermischen.9 Deswegen hat diese Auffassung bereits den ursprünglichen Aufbau des Leistungsstörungsrechts durchbrochen. Der andere Teil derer, die diese Lehre vertreten, rechtfertigt sich wie folgt: P.V.V. beziehe sich auf die Verletzung einer Unterlassenspflicht. Wenn die Leistung in einem Unterlassen besteht, kann sie wegen einer positiven Zuwiderhandlung verunmöglicht werden. Doch Staub stimmt auch diesem nicht zu, weil seines Erachtens die Unmöglichkeit i. S. d. BGB nur auf den nicht mehr erfüllbaren Gegenstand des Schuldverhältnisses zutrifft, sodass sie auch „gegenständliche Unmöglichkeit“ genannt wird.10 Daher ist die Verletzung der Unterlassungspflicht grundsätzlich nicht als Unmöglichkeit anzusehen, in dem Sinne, dass die durch Zuwiderhandlung geschaffte Vertragsverletzung nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann. Der Unterschied zwischen Staub und seinen Zeitgenossen liegt darin, dass Letztere die Dogmatik der vorhandenen Vorschriften durchbrechen möchten, sodass der Leistungs- und Unmöglichkeitsbegriff, der auf der Lehre vom subjektiven Recht beruht, umgebaut wird, während Staub immer noch dem Wortlaut der Vorschriften bzw. der Absicht des Gesetzgebers gefolgt ist, sodass die p.V.V. als zusätzliche Art von Leistungsstörung eingeführt werden muss. Davon abgesehen zielen Staub und seine Zeitgenossen tatsächlich darauf, den Umfang der Vertragsverletzung zu erweitern. Doch wurde nur Staubs Lösung graduell zur herrschenden Lehre und von den Gerichten angewendet.

Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  96. Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  99. 8  Nach dieser Lehre wird unter Verzug verstanden, dass die Leistungserfüllung zum vereinbarten Zeitpunkt nicht mehr möglich ist. Daher kann Verzug als Unmöglichkeit der zeitlichen Leistungsmodalität, das heißt zeitweise Unmöglichkeit angesehen werden. 9  Vgl. S. 61, Fn. 56–57. 10  Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  116. 6  7 

B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten

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2. Analogie des Schuldnerverzugs als Rechtsgrund Im Hinblick auf die fehlende Zugehörigkeit der p.V.V. zum Leistungsstörungsrecht hat Staub vorgeschlagen, eine Analogie anzuwenden. Weil er den Begriff der Unmöglichkeit nicht umbauen möchte, wendet er sich dem Schuldnerverzug gemäß §  286 a. F. BGB zu. Aus seiner Sicht bezieht sich die p.V.V. immer auf eine mögliche, aber fehlerhaft zu bewirkende Leistung, sodass deren Rechtsfolge ähnlich wie die im Fall des Verzugs ist. Der Unterschied zwischen einer p.V.V. und dem Verzug liegt nur in der Weise, durch welche die Leistung gestört wird. Genauer gesagt ist bei Verzug die Leistung zeitlich fehlerhaft erfüllt, aber bei einer p.V.V. wird die Leistung außerhalb des Zeitmaßstabs mangelhaft bewirkt. Daher soll die p.V.V., die die Erreichung des Vertragszwecks behindert, ebenso wie im Fall der pflichtschuldhaften Verzögerung beurteilt werden.11 Aufgrund der analogen Anwendung von §  286 a. F. und §  326 a. F. BGB werden der durch eine p.V.V. geschädigten Vertragspartei die dreifachen Rechte wie beim Schuldnerverzug verliehen:12 Sie ist zum Anspruch auf den Schadensersatz wegen jeder einzelnen Vertragsverletzung berechtigt; oder sie kann zweitens auch vom gesamten Vertrag zurücktreten, wenn die Erfüllung für sie nicht mehr von Interesse ist; oder sie hat das Wahlrecht auf Schadensersatz des gesamten Vertrags.13 Zusammenfassend ist Staubs Lehre von großer Bedeutung. Dies ist aber nicht darauf zurückzuführen, dass er eine deutliche Terminologie zur Rechtsfortbildung festsetzt, sondern dass er die tatsächlich vorhandene Rechtslücke im Gesetz entdeckt. Die Aufstellung der p.V.V. hat ein Mittel angeboten, womit das durch die Pandektisten begründete Pflichtensystem im allgemeinen Schuldverhältnis weiter kritisiert und korrigiert werden dürfte. Dies steht freilich in engem Zusammenhang mit der Weiterentwicklung des Pflichtensystems, insbesondere der Lehre von den Nebenpflichten (oder Schutzpflichten).

Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  116. Im Fall des Schuldnerverzugs hat der Gläubiger gemäß §  286 a. F. BGB das Wahlrecht zwischen Schadensersatz und Rücktritt vom gegenseitigen Vertrag. §  286 I a. F. BGB verleiht dem Gläubiger den Anspruch auf den aus dem Vertrag entstehenden Schaden, und zwar den sog. Verzugsschaden (Schaden neben der Leistung). Und wenn die Leistung wegen des Verzugs für ihn nicht von Interesse ist, wird dem Gläubiger nach §  286 II 1 a. F. BGB der Schadensersatzanspruch des Vertrags statt der Leistung gewährt. Dementsprechend ist der Gläubiger auch laut §  326 I a. F. BGB berechtigt, nach Ablauf der Fristsetzung vom Vertrag zurückzutreten. 13  Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S.  126. 11 

12 

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

II. Sibers Lehre der Diligenzpflicht als Ergänzung der Leistungspflicht Während Staub seine Bemühung auf den Umbau des Leistungsstörungsrechts beschränkt, hat die Lehre der p.V.V. bereits die anderen Juristen motiviert, die Grundlage des Schuldverhältnisses, das heißt das sich an Leistungspflicht orientierte Pflichtensystem zu rekonstruieren. Die repräsentativste Auffassung dazu ist Sibers Lehre der Diligenzpflicht. 1. Aufstellung der Diligenzpflichten mit eigenem Schadensersatzanspruch Um die sog. Diligenzpflicht zu verstehen, muss Sibers Verständnis von Leistung im Schuldverhältnis betrachtet werden. Nach ihm hat der Begriff der Leistung zwei mögliche Bedeutungen: sowohl den Leistungserfolg als auch das Verhalten zur Herstellung dieses Erfolgs.14 Dies führt dazu, dass die vorhandene Struktur des Schuldverhältnisses, insbesondere das Prinzip der Obligationsumwandlung grundsätzlich verändert wird. Aber er ist sich auch bewusst, dass diese Meinung der Gesetzesregelung widerspricht, weil unter Geltung des vorhandenen BGB die Pflicht des Schuldners auf die Realisierung des Leistungserfolgs beschränkt wird. Obwohl Siber den Leistungsbegriff im BGB nicht aus historischer Sicht auf die Pandektisten oder sogar Savigny zurückgeführt hat, hat er deutlich bemerkt, dass das Verschulden des Schuldners nur eine nebensächliche Rolle bei der Leistungsumwandlung spielen kann. Laut seinen eigenen Worten wird die Sorgfaltsbeachtung auf jeden Fall aus dem ursprünglichen Leistungsinhalt ausgeschlossen und „nur als Rechtsbedingung für den Eintritt der Ersatzverpflichtung betrachtet, wenn man ganz im Einklang mit dem Sprachgebrauch des Gesetzes steht“.15 Daher bemühte er sich darum, das Sorgfaltserfordernis seitens des Schuldners nicht als die Entsprechung des subjektiven Verschuldens bzw. der Fahrlässigkeit anzusehen, sondern „für unterlassene Sorgfalt Ersatz leisten zu müssen“.16 Nur Letzteres wird von ihm Diligenzpflicht genannt. Damit liegt der wesentliche Unterschied zwischen Sibers Lehre und der Dogmatik des BGB darin, dass die Verletzung der Diligenzpflicht parallel zur Leistungspflicht einen zusätzlichen Schadensersatzanspruch verursacht. Ihm zufolge gilt hier die Außerachtlassung der Sorgfalt nicht als „Rechtsbedingung der eventuellen Prästationspflicht“, sondern als „Eigenschaft der ursprünglich geschuldeten Leistungsthätigkeit“.17

Vgl. Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach deutschem Reichsrecht, S.  171. Vgl. Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach deutschem Reichsrecht, S.  180. 16  Vgl. Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach deutschem Reichsrecht, S.  173. 17  Vgl. Siber, Der Rechtszwang im Schuldverhältnis nach deutschem Reichsrecht, S.  172. 14  15 

B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten

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2. Umbau des Verständnisses in Bezug auf das Schuldverhältnis Durch die Einführung des Schadensersatzes der Diligenzpflichtenverletzung wird das Wesen des Schuldverhältnisses tatsächlich verändert. Wie Siber geschrieben hat, vertritt der Gesetzgeber des BGB die herrschende gemeinrechtliche Lehre, das heißt, dass ein Schuldverhältnis auf einer Unterwerfung des Schuldnerwillens unter den Willen des Gläubigers beruht. Aber nach seiner Meinung ist ein Schuldverhältnis unnötigerweise als „eine Willensaktion des Schuldners“ anzusehen, sondern es soll als ein „Bekommen“ des Gläubigers, das bedeutet ein Erfolg, der außer durch den Willen des Schuldners auch in anderer Weise herbeigeführt werden kann, bezeichnet werden.18 Damit umfasst der Inhalt des Schuldverhältnisses nicht das Leistensollen vonseiten des Schuldners, sondern das Bekommensollen vonseiten des Gläubigers. Anders gesagt ist das Schuldverhältnis nicht mehr nur ein Rechtsgebot am Schuldner, sondern „eine durch ein solches Rechtsgebot gesicherte Erfolgsanwartschaft“.19 Allerdings hat Siber die Diligenzpflicht nicht als einen Teil des Leistungsinhalts anerkannt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass er zu einem gewissen Grad auch nicht die ganze dogmatische Grundlage des BGB aufgegeben hat, nämlich, dass der Zweck des Schuldverhältnisses immer noch die Herbeiführung des Leistungserfolges bleibt. Daher sind die auf die Leistung vorbereitenden Verhaltenspflichten nicht als Leistungspflichten anzusehen. Sie umfassen aber sowohl positives Tun als auch Unterlassen, z. B. die Kaufsache zu erhalten, die Beschädigung der Kaufsache bis zur Lieferung zu unterlassen. Wenn aber diese neben der Leistung stehenden Verhaltenspflichten verletzt werden, ist der Gläubiger auch berechtigt, sich den entsprechenden Schaden ersetzen zu lassen. Doch steht noch eine weitere Frage aus: Solange Siber die Diligenzpflicht aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses ausschließt, wie kann der Schadensersatz für die Verletzung der Diligenzpflicht gerechtfertigt werden, zumal im Hinblick darauf, dass das vorhandene BGB den Schadensersatz als das Äquivalenzinteresse des Leistungserfolgs betrachtet, weil der Gedanke der Obligationsumwandlung aufgrund der Lehre des subjektiven Rechts bereits vom Gesetzgeber eingehalten wurde?20 Diese Frage, die eine neue Herausforderung stellte, und zwar in welchem Zusammenhang diese Verhaltspflichten mit der Leistungspflicht stehen und ob diese neu eingeführte Begriff der Diligenzpflicht weiter konkretisiert und erforscht werden muss, beantwortete Siber nicht.

Vgl. Planck, Plancks Kommentar zum BGB, Bd.  2, Vorbemerkung zu §  241, S.  17. Vgl. Planck, Plancks Kommentar zum BGB, Bd.  2, Vorbemerkung zu §  241, S.  18. 20  Vgl. Drittes Kapitel. E. II: Nebenpflichten bei nachträglicher Unmöglichkeit. 18  19 

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

III. Kreß’ Lehre der Schutzansprüche als Vorgänger der Schutzpflichten Die oben dargestellte Schwierigkeit ermutigte die Entstehung der Lehre von den Schutzpflichten. Der Kern der Diligenzpflicht liegt darin, das Verschulden nicht mehr als die Rechtsbedingung für die Umwandlung der Leistungspflicht, sondern als eine selbstständige Pflicht anzusehen. Dieser Idee fehlt es allerdings am notwendigen Rechtsgrund im Rahmen des vorhandenen Schuldrechts, insbesondere wenn man Diligenzpflichten als der Leistung dienende oder vorbereitende Pflichten ansieht. Daher ziehlt die Lehre der Schutzpflichten darauf, die Verhaltenspflichten neben der Leistung aus anderer Sicht zu verstehen, sodass die Verbindung dazwischen möglichst verringert wird. Zum Ursprung dieser Lehre müssen Kreß und Stoll erwähnt werden. 1. Unterscheidung zwischen Erwerbs- und Schutzansprüchen Normalerweise wird die Aufstellung der Schutzpflichten auf Stoll zurückgeführt. Jedoch ist die klare Trennung zwischen Leistungs- und Schutzverhältnis zuerst mit Kreß zu verbinden. Er hat die herrschende Lehre des gemeinen Rechts umgangen, indem er das Schuldverhältnis aus der Sicht der Ansprüche und nicht der Pflichten verstand. Daher ist das Schuldverhältnis nicht nur das aus dem subjektiven Recht entstehende Herrschaftsverhältnis, sondern das Rechtsverhältnis, das sich auf den Erwerb und die Wahrung der Güter im Rechtsverkehr erstreckt.21 Die sog. Güter beziehen sich auf die bei der Abwicklung des Schuldverhältnisses berührten Interessen.22 Daher berührt der Inhalt des Vertragsverhältnisses nicht nur das Interesse des Leistungserfolgs, sondern auch das eigene persönliche und sachliche Interesse des Gläubigers. Daraus entstehen zunächst Erwerbsansprüche, die den Erwerb der Güter vermitteln, aber auch Schutzansprüche, die dem Schutz der Güter dienen.23 Nach Kreß sind Erstere auf das „Gebot“, das heißt das Erfordernis des Gesetzes zurückzuführen, Letztere hingegen auf das Verbot des Gesetzes, das bedeutet, dass ein Eingriff in fremde Güter verboten wird.24 Das Gegenteil des Erwerbsanspruchs des Gläubigers ist die Leistungspflicht des Schuldners, während das Gegenteil der Schutzansprüche als die „Schutzverpflichtungen“ des Schuldners bezeichnet wird. Aber hier stellt sich die Frage, in welcher Beziehung sich die Leistungs- und Schutzpflichten in Kreß’ Lehre befinden.

Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  1. Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  582. 23  Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  2–3. 24  Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  3. 21  22 

B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten

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In Bezug darauf trennt er Schutzansprüche in zwei Kategorien, nämlich vereinbarte und unvereinbarte. Wenn Schutzansprüche durch Vereinbarung im Vertragsverhältnis bestimmt werden, zählen sie natürlich zum Inhalt des Vertrags. Wenn sie aber nicht besonders vereinbart werden, können sie durch die ergänzende Auslegung gemäß §  157 BGB und das Prinzip von Treu und Glauben festgestellt werden.25 Trotz der Unbestimmtheit lässt sich noch der Grundsatz festigen, dass der Schuldner die Leistung in einer Art zu bewirken hat, dass die berührten Güter (Person und Sachen) des Gläubigers unverletzt bleiben.26 Genauer gesagt muss er „jedes der vereinbarten Art der Leistung widersprechende Verhalten“ bei der Erfüllung unterlassen.27 Daher beziehen sich die Schutzpflichten nicht nur auf den Schutz des eigenen Integritätsinteresses des Gläubigers, sondern auch auf die leistungsbezogenen Nebenpflichten,28 das heißt die Pflicht dazu, dass „der Vertragszweck nicht gefährdet wird“ und „das Vertrauen des anderen Vertragsteils in die Erfüllung des Vertrags nicht ernstlich erschüttert wird“.29 In diesem Sinne erscheinen Leistungsund Schutzpflichten nicht so streng abgegrenzt, weil in Kreß’ Lehre der Gegenstand der Schutzansprüche, das bedeutet die aus dem Schuldverhältnis entstehenden Güter, nicht nur das statische Vermögensinteresse, sondern auch das dynamische Interesse der Güterbewegung enthalten können. Deshalb funktionieren die Schutzpflichten als Auffangklausel der neben dem Leistungserfolg vorhandenen Verhaltenspflichten im Schuldverhältnis. 2. Lehre der unentwickelten Schutzansprüche Bemerkenswert ist auch, den Gedanken der Schutzansprüche nicht nur aufgrund des Vertragsverhältnisses zu begründen, sondern ihn auf eine Abstrahierung auf Ebene des allgemeinen Schuldrechts zurückzuführen. Daher unterscheidet Kreß absolute und relative Schutzansprüche. Erstere gehen gegen jeden, durch dessen Verhalten das Gut verletzt wird, während Letztere nur gegen bestimmte Personen im Schuldverhältnis, z. B. die Vertragsparteien, gehen.30 Angesichts dessen hat der Gedanke der Schutzansprüche den Charakter, das Pflichtensystem im Vertrags- und Deliktsrecht zu kombinieren. Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  579–580. Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  580. 27  Insbesondere wenn der Gläubiger oder Schuldner zum Gebrauch, zur Nutzung der Sache, zur Verfügung über ein Recht oder überhaupt zum Eingriff in die Vermögensgegenstände der anderen Partei befugt ist, ist jeder diese Befugnis überschreitende Eingriff zu unterlassen.Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  581. 28  Vgl. HKK/Dorn, §  241, Rn.  99. 29  Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  582. 30  Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  4. 25  26 

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

Darüber hinaus hat Kreß Schutzansprüche noch in zwei Formen eingeordnet, vollentwickelte und unentwickelte. Die Erstgenannten sind auf die Wiedergutmachung der Verletzung der geschützten Güter gerichtet. Dies entspricht aber nicht der Absicht der Rechtsordnung, sodass deren Anwendung möglichst vermieden werden muss. Daher gelten sie üblicherweise als Drohung für den Schuldner, wodurch sein Wille gebeugt wird und er zu einem Verhalten gezwungen ist, das der Verletzung des fremden Gutes ausweicht, während dem Gläubiger, das heißt dem Inhaber des Gutes, eine entsprechende Machtstellung verliehen wird, und zwar der unentwickelte Schutzanspruch.31 Dies verlangt vom Schuldner normalerweise „die Unterlassung von Eingriffen in das geschützte Gut“, aber bei Vertragsverhältnissen auch „eine positive Schutzhandlung, z. B. auf die Leistung und Obhut für sachliche sowie persönliche Güter und die Erstattung einer Gefahranzeige“.32 Nur wenn diese Pflicht nicht erfüllt ist, ändert sich der Schutzanspruch vom unentwickelten zum vollentwickelten. Deshalb liegt der Unterschied zwischen den beiden Formen in der Differenzierung zwischen der Pflichterfüllung und dem Schadensersatz für deren Verletzung. Aufgrund des oben genannten Verständnisses sind die Fälle der p.V.V. in die relativen unentwickelten Schutzansprüche aufgenommen worden. Sogar nach Kreß erscheinen diese Ansprüche umfangreicher als die der p.V.V., weil Staubs Erfordernis an einer positiven Handlung sich nur auf die entsprechenden Unterlassungspflichten erstreckt, aber die Schutzansprüche unter Umständen die Pflicht auch mit positivem Tun erfordern können.33 Außerdem soll die c.i.c. ebenfalls in Schutzansprüche eingeteilt werden, weil Schutzpflichten nach der Ansicht von Kreß, solange deren Verletzung Schadensersatzansprüche verursachen kann, bereits bei Vertragsverhandlung bestehen und dem später abgeschlossenen Vertrag nicht entnommen werden können.34 Aber er gesteht ein, dass es noch unsicher ist, worauf deren Rechtsgrund beruht: entweder bestimmte Einzelbestimmungen analog anzuwenden oder den Inhalt der Pflichten durch die Willenserklärungsauslegung der Vertragsverhandelnden zu bestimmen.35 Daraus lässt sich entnehmen, dass Kreß durch den Aufbau der Schutzansprüche zwei Ziele erreichen möchte. Das eine ist, die Schwierigkeit in Sibers Lehre zu überwinden, das heißt durch den Aufbau unentwickelter und entwickelter Schutzansprüche den Schadensersatz für die Verletzung der Diligenzpflichten zu rechtfertigen. Das andere ist, die Fälle der p.V.V. und der c.i.c. möglicherweise in einer Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  5. Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  5–6. 33  Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  590. 34  Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  584. 35  Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  583–584, 592. 31  32 

B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten

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Lehre zu vereinheitlichen. Doch scheinen diese Ziele nicht vollständig erreicht worden zu sein, wenn man über die drei folgenden Fragen weiter nachdenkt: Wie sollen erstens, obwohl der Begriff der Schutzansprüche, die dem Schutz der Güter dienen, schon aufgestellt ist, die Güter, das heißt „die bei der Abwicklung der schuldrechtlichen Beziehungen berührten Interessen“, eigentlich begriffen werden? Zweitens: Wie hängen die beiden zusammen, obowhl die Schutzansprüche in absolute und relative getrennt werden? Wenn die absoluten Schutzansprüche als Deliktsrecht bezeichnet werden, wie und warum verändert sich ihre Rechtsnatur, wenn sie in ein konkretes Schuldverhältnis eintreten? Genauer gesagt: Ist es folgerichtig, obwohl die p.V.V. und die c.i.c. als relative unentwickelte Schutzansprüche bezeichnet werden, die unterschiedliche Herkunft des jeweiligen Schuldverhältnisses zu übersehen? Alle diese Fragen berühren die präzisere Abgrenzung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten, Vertragserfüllung und -verhandlung bzw. Vertrags- und Deliktsverhältnis. Diese ungelösten Probleme warten auf einen weiteren Umbau der Schutzpflichten.

IV. Stolls Lehre der von der Leistung unabhängigen Schutzpflichten Aufgrund von Kreß’ Idee bemühte sich Stoll darum, das System der Schutzpflichten zu optimieren. Doch seine Motivation lag darin begründet, dass er die Unklarheit der p.V.V. in Bezug auf deren Inhalt überwinden wollte.36 Nach seiner Meinung ist die p.V.V. ein sowohl irreführender als auch sprachwidriger Sammelname.37 Daher versuchte er, diese Terminologie in folgende Kategorien zu konkretisieren, z. B. Verstoß gegen eine Unterlassungspflicht,38 mangelhafte oder Schlechterfüllung,39 Gefährdung des Vertragszwecks40 und Erfüllungsweigerung 36  Der sog. Begriff der positiven Vertragsverletzung setzt nach Staubs Meinung das „Unterlassensollen“ voraus. Jedoch ist dies auf verschiedene Gründe zurückzuführen: Erstens gehört es zur heute häufig verwendeten Kategorie der Nicht- und Schlechterfüllung; zweitens beruht es möglicherweise auch auf der Verweigerung der Unterlassungspflichten einschließlich z. B. der von der Leistung unabhängigen Schutzpflichten. 37  Irreführend, weil die vielfältigen Pflichtverletzungen nicht im Namen der Vertragsverletzungen zusammengefasst werden können; sprachwidrig ist daran, dass alle Arten der Verletzungen, wie Kreß schreibt, entweder durch positives Tun oder negatives Unterlassen geschaffen werden können. Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (314–315). 38  Nach Stolls Meinung umfasst diese Kategorie die folgenden Pflichten: z. B. Vorbereitungsund Obhutspflichten, Auskunfts- und Anzeigepflichten, Mitwirkungs- und besondere Treupflichten (Sorgfaltspflichten), die alle anders als die Hauptleistungspflichten zu den „unselbständigen Unterlassungspflichten“, das heißt Nebenpflichten gehören. Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (262–264). 39  Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (264). 40  Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (264–265).

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

des Schuldners.41 Doch diese Unterfälle unterscheiden sich voneinander und ihre Rechtsfolgen werden mangels eines vereinheitlichten Maßstabs unterschiedlich behandelt, sodass Stoll sich bemüht, die Fälle der p.V.V. nach der Interessenlage der Vertragsparteien zu reorganisieren.42 1. Unterscheidung zwischen Erfüllungs- und Schutzpflichten Stoll versucht zuerst, die Rechtsnatur des Schuldverhältnisses aus der Sicht der Interessenjurisprudenz neu zu verstehen, das heißt, dass Obligation einerseits eine besondere Rechtsbeziehung bedeutet, in der das Gläubigerinteresse auf Kosten des Schuldnerinteresses vermehrt wird. Zur Realisierung dieses Ziels müssen zwei Aufgaben erfüllt werden, und zwar die Leistung sowie die ihr nachfolgende Haftung, wenn sie nicht erfüllt wird. Die Leistung dient im Wesentlichen zur Verwirklichung des Gläubigerinteresses, während die Haftung, die durch willkürliche Vereinbarung oder gesetzliche Vorschriften bestimmt ist, als potenziell nachträglicher Zwang die Leistungserfüllung sichert.43 Daraus ergibt sich die Erfüllungspflicht, um das Gläubigerinteresse zu realisieren, das von Stoll das „positive Ziel“ des Schuldverhältnisses genannt wird.44 Darüber hinaus gibt es auf der anderen Ebene des Schuldverhältnisses nicht nur eine leistungsbezogene Rechtsbeziehung, sondern auch eine Sonderbeziehung, die durch das Prinzip von Treu und Glauben begründet wird. Das heißt, dass die beiden Parteien des Schuldverhältnisses gleichzeitig in ein Vertrauensverhältnis geraten sind. Im Hinblick darauf, dass die Sonderbeziehung die Möglichkeit der Einwirkung, insbesondere der Schädigung der Person und Sachen der anderen Partei erhöhen kann, muss jeder verpflichtet sein, die jeweils andere Partei vor der Schädigungseinwirkung zu schützen.45 Dabei geht es um die sog. Schutzpflichten, um das negative Ziel des Schutzverhältnisses geltend zu machen.

Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (265). der oben genannten Pflichtenaufzählung hat Stoll zusammengefasst, dass es unmöglich ist, alle Fälle der p.V.V. unter einen Hut zu bringen. Daher bemüht er sich darum, die Terminologie der p.V.V. nicht aufrechtzuerhalten, sondern nach dem Maßstab der Interessenlage zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner alle betroffenen schuldrechtlichen Pflichten erneut zu klassifizieren. Aus diesem Grund hat er die Lehre der p.V.V. aufgegeben. Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (286). 43  Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (287). 44  Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (287). 45  Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (288). 41 

42  Aufgrund

B. Entwicklung der vertraglichen Nebenpflichten

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2. Rechtsnatur der Leistungs- und Schutzinteressen Über die Trennung zwischen Erfüllungs- und Schutzpflichten hinaus hat Stoll weiter nach sog. Leistungs- und Schutzinteressen differenziert.46 Obwohl diese als direkte Entsprechungen der jeweiligen Pflichten erscheinen, ist dennoch nicht klar, ob sie voneinander abhängen. Diese Unklarheit wurde durch die Einführung des Oberbegriffs des Gemeinschaftsgedankens beseitigt. Darunter hat Stoll die „genossenschaftliche Verbundenheit“47 der Vertragsparteien verstanden. Diese Terminologie ist auf den nationalsozialistischen Gedanken der Volksgemeinschaft zurückzuführen48 und funktioniert als ethische Grundlage für das gesamte Schuldrechtssystem, wodurch die sog. Treuepflichten als die grundlegenden Pflichten der Parteien im Schuldverhältnis begründet werden.49 Daher wird jedes Schuldverhältnis dem Gemeinschaftsgedanken untergeordnet, sodass jedes Verhalten im Schuldverhältnis nicht nur zugunsten des einzelnen Interesses der Beteiligten, sondern auch zugunsten des Gemeinwohls der Gesellschaft vorzunehmen ist. Anders gesagt sind die Pflichten des Schuldners nicht mehr als Entsprechung des subjektiven Rechts vom Gläubiger anzusehen, sondern das oben genannte Leistungs- und Schutzinteresse ist auf eine gemeinsame Herkunft zurückzuführen. Erstaunlicherweise hat Stoll die Beziehung zwischen Leistungs- und Vertrauensverhältnis in zweifacher Hinsicht erklärt: Auf der einen Seite ensteht früher als das Leistungsverhältnis das vom Schuldverhältnis unabhängige Vertrauensverhältnis, bei dem die Parteien zum Zweck des Vertrags einander gegenübertreten, und dieses dauert bis zu dem Zeitpunkt, zu dem „die letzten Wirkungen Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (290). Vgl. Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S.  26. 48  Allerdings sollte dieser Gedanke aus wissenschaftlicher Sicht betrachtet werden, weil Stolls Ziel darin liegt, außer der individualistischen Ethikgrundlage des BGB von 1900 einen sozialen und kollektivistischen Hintergrund aufzubauen. Diese Auffassung ist auf Gierkes Gemeinschaftsgedanken, der als der Kerngeist der germanischen Tradition bezeichnet wird, zurückzuführen. Er hat vorgeschlagen, durch diesen Gedanken das individualistischformalistische Pandektenrecht im BGB umzubauen. Vgl. Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S.  10; Schermaier, Was schuldet der Schuldner? Die „Pflicht zur Anstrengung“ im modernisierten Schuldrecht, in: Harrer/Honsell/Mader (Hrsg.), GS Mayer-Maly, S.  409 (413); Repgen, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S.  51–52. 49  Der Begriff der Treuepflichten wird nicht im Buch „Die Lehre von den Leistungsstörungen“ definiert, sondern ist bereits in dem Aufsatz „Abschied von der Lehre von der positiven Vertragsverletzung“ entstanden. Nach Stolls Ansicht kann man Treuepflichten als Sorgfaltspflichten ansehen, die sich aus der Mitwirkungsbeziehung unter den Parteien und der „Einräumung des besonderen Vertrauens“ ergeben. Im seinem später verfassten Buch hat er die Treuepflichten unter den Gemeinschaftsgedanken sowie das daraus entstehende Vertrauensverhältnis gesetzt. Vgl. Stoll, AcP 136 (1936), 257 (264); ders., Die Lehre von den Leistungsstörungen, S.  25–26. 46  47 

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

aus dem Leistungsverhältnis erloschen sind“.50 Aber auf der anderen Seite dient das Vertrauensverhältnis der Verwirklichung des Zwecks des Leistungsverhältnisses.51 Diese Dualität ist auf den Unterschied in der Rechtsnatur zwischen Leistungsund Schutzinteresse zurückzuführen. Daher hat Stoll zwei Maßstäbe, und zwar den Austausch- und Vertrauensgedanken aufgestellt. Seines Erachtens besteht das Leistungsinteresse nach dem Austauschgedanken „in einem wechselseitigen Verhältnis der Angemessenheit“,52 das auf die Herbeiführung des Leistungserfolgs zielt. Deswegen kann dessen Verletzung durch Vereitelung, Beeinträchtigung oder Gefährdung verursacht werden. Im Gegensatz dazu steht das Schutzinteresse, das sich infolge des Vertrauensgedankens in einem nicht leistungsbezogenen Verhältnis befindet, in dem die beiden Parteien zum Vertragszweck zusammenarbeiten und das gegenseitige Integritätsinteresse berücksichtigen müssen. Daher ist das Schutzinteresse unabhängig vom Leistungserfolg, das zwar nicht vereitelbar ist, aber beeinträchtigt oder gefährdet werden kann. Und aus diesem Grund wird die Grenze zwischen Schutz- und Leistungsinteresse verabsolutiert. 3. Ungelöste Probleme in Stolls Lehre Zusammenfassend hat Stoll das Leistungsstörungsrecht in drei Ebenen umgebaut: Die erste Ebene ist der Gemeinschaftsgedanke, der einen ethischen Hintergrund des Schuldrechts anbietet; die zweite Ebene ist das Schuldverhältnis, und zwar das schon im alten BGB entwickelte Leistungsverhältnis und das durch den Gemeinschaftsgedanken hervorgerufene Vertrauensverhältnis; die dritte Ebene ist das der zweiten Ebene entsprechende Pflichtensystem, das heißt Leistungs- und Schutzpflichten. Im Vergleich zur Lehre von Kreß hat Stoll zwei entscheidende Punkte korrigiert: Erstens sind alle Schutzpflichten nach Kreß von gleicher Herkunft, und zwar dergestalt dass sie dem Schutz der Güter dienen. Sie werden je nachdem, ob sie außerhalb oder innerhalb des Schuldverhältnisses bestehen, in die absoluten und die relativen eingeteilt. Aber nach Stoll sind sie nicht mehr auf die deliktische Herkunft, sondern nur auf das Vertrauensverhältnis zurückzuführen, das aus der vom Schuldverhältnis unabhängigen Sonderverbindung entsteht. Vgl. Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S.  27. Trotz dieser Dualität lässt sich zumindest feststellen, dass einerseits aufgrund des Gemeinschaftsgedankens das Schuldverhältnis in Leistungs- und Vertrauensverhältnis getrennt wird und andererseits das Vertrauensverhältnis grundsätzlich parallel zum Leistungsverhältnis selbstständig verläuft. 52  Vgl. Stoll, Die Lehre von den Leistungsstörungen, S.  27. 50  51 

C. Entwicklung der vorvertraglichen Verhaltenspflichten

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Zweitens wird die Grenze zwischen Leistungs- und Schutzpflichten wegen der Einführung des Vertrauensgedankens weiter verabsolutiert. Anders gesagt: Obwohl die Schutzpflichten der Geltendmachung des Leistungserfolgs dienen, liegt deren Ziel lediglich darin, die Einwirkungsmöglichkeit im Sinne einer Beschädigung des Integritätsinteresse der anderen Partei zu beseitigen. Daher sind die leistungsbezogenen, das heißt der Realisierung des Leistungserfolges dienenden Nebenpflichten aus den Schutzpflichten ausgeschlossen. Allerdings stellt sich hierbei die weitere Frage, woher diese Sonderverbindung kommt, da sie bereits als der Rechtsgrund der Schutzpflichten anzusehen ist. Zwar hat Stoll die Unabhängigkeit der Schutzpflichten bereits erwähnt, hat diese aber nicht weiterdiskutiert in Bezug darauf, ob und wie Schutzpflichten beim Vertragsschluss bestehen. Dies aber hat einen engen Zusammenhang mit der Entwicklung von der c.i.c. und wird im Folgenden ausführlich betrachtet.

C. Entwicklung der vorvertraglichen Verhaltenspflichten Im Rahmen der Entwicklung der Nebenpflichten bei Vertragserfüllung darf die Untersuchung zu vorvertraglichen Verhaltenspflichten bei Vertragsschluss nicht vergessen werden. Die Fortbildung der c.i.c. hat nicht nur Jherings Theorie vertieft, sondern auch das Verständnis, was die Nebenpflichten bei Vertragserfüllung anbelangt, beeinflusst, sodass die Verbindung der Verhaltenspflichten in den beiden Stadien auf neue Weise, das heißt in Bezug auf den weiteren Aufbau der Schutzpflichten konstruiert wird.

I. Leonhards Erweiterung der c.i.c. zum wirksamen Vertrag Obwohl Jhering als Begründer der Lehre von der c.i.c. gilt, war seine Theorie nur grob entwickelt. Zum einen war das Verschulden beim Vertragsschluss noch ein sehr unpräziser Begriff und zum anderen beschränkte sich seine Lehre nur auf die nichtigen oder angefochtenen Verträge. Um diese zwei Schwächen zu überwinden, versuchte Leonhard, erstens die c.i.c. auf wirksame Verträge zu übertragen und zweitens die Lehre der p.V.V. im Stadium des Vertragsschlusses analog anzuwenden. 1. Begründung der c.i.c. im Fall des wirksamen Vertrags Ausgangspunkt von Leonhards Theorie liegt in seiner Einstellung zu §  463 a. F. BGB: Es sei „höchst unbillig und unrichtig“, dass der Schadensersatz nur gegeben wird, wenn der Verkäufer arglistig gehandelt oder eine Zusicherung erteilt

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

hat.53 Nach seiner Meinung ist es selbstverständlich, dass der Verkäufer und überhaupt jede Partei, die am Geschäft interessiert ist, auch für Fahrlässigkeit bei Vertragsschluss haftet.54 Die Streitigkeit liege nur darin, wie diese These aus juristischer Sicht begründet werden kann. Leonhards Lösung kann in zwei Teile getrennt werden, und zwar in „Geschichte und Billigkeit“.55 Leonhard unterzog die Regeln des römischen Rechts einem neuen Verständnis: Er interpretierte die bona fides als „redlich-gewissenhaftes Handeln“. Daher sei ein Verstoß gegen Treu und Glauben nicht nur bei Arglist, sondern auch bei einer nur fahrlässigen Verletzung der Vertragspflichten zu bejahen.56 Doch allein mit dieser Argumentation hat er noch nichts Neues gebracht, weil bereits in Jherings Lehre die Fahrlässigkeit des Verkäufers als ausreichendes Verschulden anerkannt wurde. Der Unterschied liegt darin, dass im Rahmen von Leonhards Neuinterpretation die Quellen des römischen Rechts sich nicht mehr auf die Fälle der ungültigen Verträge beschränken, sondern nun auch die Fälle eines wirksamen Vertrags berühren, bei denen sich das Verschulden des Verkäufers auf den Vertragsschluss bezieht. Daraus wird die allgemeine Regel entnommen, dass das „sciens“ des Verkäufers nicht unbedingt dolus bedeutet, sondern damit jede Kenntnis gemeint ist, die gegen bona fides verstößt.57 Streng genommen hat Leonhard die Frage der c.i.c. in den römischen Quellen ebenfalls nicht vertieft analysiert. Dieses Versäumnis lässt sich darauf zurückführen, dass er aus der Sicht des geltenden Rechts davon überzeugt war, dass der Rechtsgrund der c.i.c. aus den Regeln der Vertragserfüllung abgeleitet werden muss. Daher ist er der Meinung, dass das römische Recht die Haftung bei Vertragsschluss nicht auf eine besondere Pflicht zum sorgfältigen Vertragsschluss, sondern auf die bona fides gestützt hat. So begründete das römische Recht dann die Haftung bei der Erfüllung nicht auf Basis des Sorgfaltspflichtendverstoßes, sondern auf Basis der bona fides.58 In diesem Sinne sind die bona fides als ein Prinzip anzusehen, das auf die Abstrahierung der Regeln über die Vertragserfüllung zurückzuführen ist und durch die Analogie das Stadium des Vertragsschlusses auch dominieren soll.

Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  1. Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  1. 55  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  48. 56  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  5. 57  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  5. 58  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  44. 53  54 

C. Entwicklung der vorvertraglichen Verhaltenspflichten

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2. Analogie der p.V.V. als Rechtsgrund der c.i.c. Aufgrund des oben dargelegten Verständnisses nahm Leonhard an, dass das Gesetz nicht nur für die p.V.V., sondern auch für die c.i.c. Rechtslücken enthalte. Zu deren Ergänzung sollen die von Staub entwickelten Regelungen auf die c.i.c. analog angewandt werden. Demnach müsse der Schuldner, wenn er für seine „Schuld“ bei Vertragserfüllung hafte, ebenso für seine „Schuld“ bei Vertragsschluss haften.59 Deshalb hat er die folgenden Voraussetzungen für die Analogie aufgelistet: Zunächst bedarf es eines gültigen Vertragsschlusses, damit bei Vertragserfüllung die Möglichkeit der p.V.V. bestehen kann. Ferner muss Verschulden, Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Schuldners hinsichtlich der Pflichtverletzung vorliegen.60 Daher handelt es sich bei der Haftung bei Vertragsschluss noch um eine culpa-Haftung im Einklang mit der p.V.V. dar. Den wichtigsten Gesichtspunkt stellt die schuldhafte Pflichtverletzung dar. Leonhard anerkennt, dass auch schon bei Vertragsschluss eine Sorgfaltspflicht besteht, wobei jede Interessenverletzung des Gegners eine Pflichtwidrigkeit enthalte.61 Dies aber zeigt, dass er bereits das Wesen der p.V.V. als eine Verletzung der Sorgfaltspflicht ansieht. Aufgrund dessen sollte die Sorgfaltspflicht des Verkäufers, Angaben über die Ware zu machen, nicht bis zur Ablieferung der Ware, sondern bereits bei Vertragsschluss bestehen. Daher soll bei Vertragsschluss alles Nötige wie bei der Erfüllung ausgemacht werden und dem Inhalt der Vereinbarung entsprechen.62 Dieser Gedanke zeigt auch, dass die Stadien von Vertragsverhandlung bis zur -erfüllung von Leonhard als ein kontinuierlicher und miteinander verbundener Prozess bezeichnet werden. Wie er schreibt, genüge es nicht, wenn die eine Vertragspartei die andere lediglich für ihr Verschulden bei der Erfüllung haftbar machen könne. Vielmehr sei erforderlich, dass z. B. im Fall des Sach- bzw. Rechtsmangels der Verkäufer den Mangel rechtzeitig mitteilen müsse, das heißt nicht erst bei der tatsächlichen Lieferung der Sache, sondern schon vorher, und zwar bald nach Vertragsschluss.63 Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch nicht viel Neues aus Leonhards Lehre entnehmen. Obwohl er betont, dass seine Lehre von der Jherings sehr deutlich zu unterscheiden sei,64 solle sie ihm zufolge doch als der logische Nachfolger der c.i.c. bezeichnet werden, weil deren Wesen dem Gedanken Jherings Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  42. Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  63. 61  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  60. 62  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  27. 63  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  29. 64  Vgl. Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S.  58. 59  60 

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völlig entspreche, wonach der Vertragsschluss als ein spezielles Stadium der Vertragsverbindlichkeit verstanden werde. Dieser Grundsatz gilt als allgemeines Prinzip, gleich ob der abgeschlossene Vertrag gültig ist oder nicht. Außerdem ist seine Idee, die Lehre von der p.V.V. analog anzuwenden, ein folgerichtiges Resultat, wenn die beiden Stadien (Vertragsverhandlung und -erfüllung) i. S. d. Rechtswirkung gleichgestellt werden. Jedoch erscheint seine widerspruchsfreie Schlussfolgerung nicht der Wirklichkeit des Rechtslebens zu entsprechen, weil Menschen normalerweise zunächst in die Vertragsverhandlung eintreten und sodann durch Vertragsschluss zum nächsten Erfüllungsstadium weitergehen können. Daher verdreht diese Analogie den üblichen Verkehrsprozess, sodass noch weitere Erklärungen zur Rechtsnatur der c.i.c. erforderlich sind.

II. Stolls Organismuslehre zur Isolierung des vorvertraglichen Stadiums 1. Haftung für das Verhalten vor Vertragsschluss Dank Leonhards Beitrag setzt die Anwendung der c.i.c. nicht mehr die Ungültigkeit des Vertrags voraus. Doch stellt Stoll eine weitere Frage, nämlich ob die Haftung für das Verhalten vor Vertragsschluss bestimmt werden kann, wenn es gar nicht zum beabsichtigten Vertragsschluss kommt.65 In diesem Fall war der frühere Gedanke, dass der Rechtsgrund für die Haftung beim Vertragsschluss nur auf das Zustandekommen des später abzuschließenden oder des abgeschlossenen, aber angefochtenen Vertrags zurückzuführen ist, nicht mehr anwendbar. Zur Lösung dieses Problems entstand die Meinung in der Rechtsprechung, dass schon vor Vertragsschluss eine besondere Rechtspflicht gegenüber dem anderen Teil besteht, sodass es genügt, als Grundlage für diese Pflicht einfach auf das Prinzip von Treu und Glauben in Verbindung mit der Verkehrssitte zu verweisen.66 Aber Stoll hat weiter nachgeforscht, warum die Berufung auf Treu und Glauben ermöglicht werden kann, wenn es doch noch gar kein Rechtsverhältnis gibt. Die Rechtsprechung führt das Vertrauensverhältnis wieder auf den später abzuschließenden Vertrag zurück, sodass dieser Gedanke nur ein Zirkelschluss ist.67 Nach Stoll führt dies nur zur reinen Fiktion einer Pflicht der besonderen Aufmerksamkeit, die aber bereits vor der Vertragsverhandlung vorhanden sein sollte.68 Deshalb versuchte er, das bei der Vertragsverhandlung bestehende Interesse vom Vertragsinteresse zu unterscheiden. Er wies darauf hin, dass die Vertragsverhandlung sich nur auf zwei Arten von Interessen beziehe: Die eine Art wird Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (535). Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (540). 67  Vgl. JW 1912, 743. 68  Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (540–541). 65  66 

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das durch den Vertragsschluss zu verfolgende Interesse genannt, das dadurch verletzt wird, dass der beabsichtige Vertrag überhaupt nicht abgeschlossen wird oder dass er „auf falscher Basis“ beruht, später aber angefochten wird. Die andere Art erstreckt sich auf das unabhängig davon vertraglich zu verfolgende Interesse, z. B. das Interesse an der persönlichen Unversehrtheit.69 Beide Arten sind unabhängig von der Vertragserfüllung und sollen deswegen Vertrauensinteresse oder negatives Interesse genannt werden. Die Differenzierung der Interessen zeigt, dass die Vertragsverhandlung nicht mehr als ein spezielles Stadium des Vertragsverhältnisses anzusehen ist. 2. Vertragsverhandlung als Erscheinungsform des „Organismus“ Allerdings stellt sich die Frage, wie die Rechtsnatur des Stadiums der Vertragsverhandlungen zu verstehen ist. Nach Stoll besteht darin bereits ein Schuldverhältnis, das die Beteiligten gegenseitig zu Handlungen und Unterlassungen verpflichtet. Dies ist aber nicht durch gegenseitige Übereinstimmung, sondern durch ein einseitiges Rechtsgeschäft, nämlich durch das Vertragsangebot oder die Aufforderung zum Eintritt in die Vertragsverhandlung zustande gekommen.70 In diesem Sinne erscheint das vorvertragliche Stadium sich deutlich von der Vertragserfüllung zu unterscheiden. Aber darunter wird nur die Differenzierung der Erscheinungsform des gleichen Schuldverhältnisses verstanden. Aus Stolls Sicht entsteht und verändert sich das Schuldverhältnis wie ein Organismus, sodass es selbst zwar gleich bestehen bleibt, aber seine Erscheinungsform beliebig wechseln kann. Genauer gesagt entsteht das Schuldverhältnis, sobald das Angebot einer Partei abgegeben ist.71 Wenn der Vertrag schließlich zustande gekommen ist, verändert es nur seine Erscheinungsform, das heißt, dass nur seine äußere Gestalt endet, sein Inhalt sich ändert, aber das bei Vertragsverhandlung bereits vorhandene Rechtsverhältnis nicht vernichtet wird. Daher besteht der Anspruch auf Ersatz für den durch Pflichtverletzung bei Vertragsverhandlung hervorgerufenen Schaden noch weiter, obwohl das vorvertragliche Schuldverhältnis sich mit dem Vertrag geändert hat.72 Stolls Gedanke, das Schuldverhältnis als Organismus anzusehen, ist auf Savigny zurückzuführen. Allerdings hat er den Entstehungszeitpunkt des Schuldverhältnisses für die Vertragsverhandlung bzw. für die Abgabe des Angebots vorverlegt, sodass es zur Begründung der Haftung für c.i.c. nicht mehr notwendig

Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (542–543). Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (544). 71  Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (544–545). 72  Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (546). 69  70 

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ist, die Lehre von der p.V.V. analog anzuwenden, während der Schlüssel darin liegt, die Verhaltenspflichten der Verhandelnden zu bestimmen. Daraus lässt sich entnehmen, dass die Metapher des „Organismus“ zwei Zielen dient: erstens die Abhängigkeit der Vertragsverhandlung vom Erfüllungsstadium zu überwinden und zweitens die rechtliche Verbindung zwischen den beiden Stadien zu erhalten. Gewissermaßen hat Stoll die zwei einander widersprechenden Ziele teilweise harmonisiert. Dies hat aber auch dazu geführt, dass die Eigenständigkeit der Vertragsverhandlung betont wird. Obwohl die beiden Stadien in einem Rechtsverhältnis vermeintlich vereinheitlicht sind, scheint die Rechtsnatur der beiden doch noch unterschiedlich zu sein, insbesondere im Hinblick darauf, dass ihr Inhalt sich stark voneinander unterscheidet, und zwar in Vertrauens- und Erfüllungsinteresse getrennt, wie Stoll zusammenfassend ausgeführt hat.73 Daher hat seine Lösung die Tendenz vorangetrieben, die Haftung für das Verhalten vor und bei Vertragsschluss zu hypostasieren.74

III. Dölles Theorie der „außergesetzlichen Schuldpflichten“ zum Umbau des Rechtsgrunds der c.i.c. 1. Begründung der c.i.c. auf sozialen Kontakt Der Schwerpunkt von Stolls Lehre liegt darin, die Haftung für das Verhalten bei und vor Vertragsschluss auf ein einseitiges Rechtsgeschäft, das als Zeichen des Eintritts in die Vertragsverhandlung bezeichnet wird, zurückzuführen. Doch wurde diese Theorie nicht selten angezweifelt, weil sie der Realität des Rechtsverkehrs widerspricht.75 Ein Versuch zu ihrer Verbesserung stammt aus Dölles Theorie der „außergesetzlichen Schuldpflichten“. Seines Erachtens sollten zuerst die Verhaltenspflichten im Rahmen der Vertragsverhandlung konkretisiert und in zwei Kategorien eingeteilt werden: das heißt (1) die Schutz-, Fürsorge-, Erhaltungspflichten und (2) die Anzeige-, Vgl. Stoll, LZ (1923), 532 (542–543). Stolls Aufsatz über die Haftung für das Verhalten während der Vertragsverhandlungen wurde 1923 geschrieben, viel früher als sein Werk und Aufsatz über die Schutzpflichten im Leistungsstörungsrecht. Bei Vergleich der beiden Forschungsarbeiten lässt sich keine direkte Verbindung oder Einfluss von der frühen Forschungsarbeit auf die spätere finden. Aber die Idee in diesem Aufsatz, das unabhängig vom vertraglich zu verfolgenden Interesse vor und bei Vertragsverhandlung, entspricht seinem Verständnis von Schutzinteresse, das heißt, dass dieses Interesse unabhängig vom Leistungsinteresse des Gläubigers ist. Die scharfe Trennung zwischen dem vertraglichen und dem vom Vertrag unabhängigen Interesse ermöglicht die Aufstellung der vereinheitlichten Schutzpflichten zwischen der Vertragsverhandlung und Vertragserfüllung in der Zukunft. 75  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (71). 73  74 

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Aufklärungs-, Mitteilungspflichten.76 Unter den sog. Schutzpflichten sind die Pflichten zur Erhaltung oder Fürsorge für die Rechtsgüter bzw. persönliche Sicherheit des anderen Teils ohne Rücksicht auf den jeweiligen Willen der Beteiligten zu verstehen.77 Im Vergleich dazu werden die Aufklärungspflichten als die Pflichten, die zwar nicht vom Willen der Parteien abhängen, sondern nur im rechtsgeschäftlichen Verhältnis bestimmt werden, bezeichnet.78 Diese Einteilung ist auf Dölles Verständnis vom Rechtsgrund für die Haftung für das Verhalten im Rahmen der Vertragsverhandlung zu verstehen. Ihm zufolge wird ein schuldhaftes Verhalten zwar anlässlich von Vertragsverhandlungen beobachtet, das sich aber gar nicht auf den späteren Vertragsschluss bezieht.79 Die bisherigen Juristen, sowohl Leonhard als auch Stoll, haben sich darum bemüht, die Haftung auf den Willen der Parteien zu begründen, was aber mit der realen Intention der Beteiligten schlechthin nicht in Einklang stehen kann. Wer z. B. ein Vertragsangebot macht oder zum Eintritt in eine Vertragsverhandlung auffordert, kann keine Absicht haben, die Rechtsgüter des anderen zu erhalten.80 Daher können die Schutzpflichten weder auf einen Vertragsschluss noch auf ein vertragsähnliches Schuldverhältnis gestützt werden,81 sondern nur durch „ein anderes Spezifikum des statthabenden sozialen Kontaktes“ veranlasst werden.82 Dieser Kontakt führt dazu, dass die Beteiligten, immer wenn sie zur Erreichung des mit dem Kontakt verfolgten Zwecks in die fremde Rechtssphäre eingehen, einander besonderes Vertrauen entgegengebracht haben, da die eigenen Rechtsgüter der Sorgfalt des anderen anvertraut werden.83 Allerdings ist die Haftung nicht auf den Zweck oder die Absicht des Eintritts in die fremde Rechtssphäre zurückzuführen.84 Dem Herrn dieser Rechtssphäre wird, solange der andere Beteiligte darin verweilt, Vertrauen entgegenbracht, Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (67). Darüber hinaus gibt es die dritte Kategorie der Vergütungspflichten. Diese Pflichten sind so beschaffen, dass trotz des Fehlens einer gesetzlichen oder rechtsgeschäftlichen Grundlage eine Partei noch zur Gewährung einer vereinbarten oder sonst festgesetzten Vergütung verpflichtet ist für eine Leistung, die an sie erbracht würde. Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (101). 77  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (67). 78  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (84). 79  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (68). 80  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (71). 81  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (72). 82  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (73). 83  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (75). 84  Die sog. Rechtssphäre ist nach Dölles Verständnis nur als der einem Rechtssubjekt zugeordnete Lebenskreis zu verstehen. Ihre Größe und Art ist nicht nur nach dem Verkehrserfordernis festzulegen, sondern wird auch von seinem Herrn derart beherrscht und kontrolliert, dass sie üblicherweise ohne seinen Willen unmöglich sind. Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (77). 76 

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sodass er verpflichtet ist, die der von ihm beherrschten Rechtssphäre anvertrauten Rechtsgüter vor Schaden zu schützen.85 Deshalb wird der Schluss gezogen, dass der Schutzpflichten auslösende Tatbestand nicht rechtsgeschäftlicher Natur sein kann, sondern nur ein objektiver sozialer Kontakt sein muss, dessen Rechtsfolgen ohne Rücksicht auf den Willen der Beteiligten eintreten.86 2. Schwierigkeit der Trennung von Schutz- und Aufklärungspflicht Auf dem oben dargelegten Verständnis beruht die Trennung zwischen Schutzund Aufklärungspflicht. Ein wesentlicher Unterschied liegt aber darin, dass eine konkrete Aufklärungspflicht des Beteiligten voraussetzt, dass sie bereits in einer rechtsgeschäftlichen Beziehung zueinander stehen oder im Begriff sind, diese Beziehung zu etablieren.87 Doch ist Dölle überzeugt, dass der Rechtsgrund für die Aufklärungspflichten wie Schutzpflichten in einem besonderen sozialen Vertrauenskontakt liegt.88 Daher entsteht ein zersplittertes Verständnis um die Aufklärungspflicht, nämlich dass zum einen deren Entstehung auf den sozialen Kontakt zurückzuführen ist, während ihr Auftritt vom rechtsgeschäftlichen Verhältnis abhängt.89 Auffällig ist, dass Dölles Verständnis von den Schutzpflichten im Rahmen der Vertragsverhandlung durch Stolls Lehre der Schutzpflichten im Erfüllungsstadium stark beeinflusst ist. Der Nachweis liegt darin, dass ihre Unabhängigkeit vom Willen der Parteien bzw. vom rechtsgeschäftlichen Verhältnis besonders betont wird. Im Vergleich dazu, dass bei Vertragserfüllung das Schuldverhältnis in Leistungs- und Vertrauensverhältnis getrennt ist, wird das Verhandlungsstadium in ähnlicher Weise in rechtsgeschäftliches Verhältnis und durch sozialen Kontakt etabliertes Vertrauensverhältnis eingeteilt. Die Schutzpflichten sind von der gleichen Rechtsnatur, nämlich der Unabhängigkeit vom Willen der Parteien, während die Aufklärungspflicht sich nicht mehr auf den Leistungsinhalt, sondern auf den rechtsgeschäftlichen Kontakt, und zwar im Rahmen der Vertragsverhandlung zurückführen lässt. Aber dies führt zu folgenden Schwierigkeiten: Erstens ist es schwer zu erklären, warum die Entstehung und der Auftritt der Aufklärungspflicht getrennt werden können, das heißt wo der Unterschied zwischen dem rechtsgeschäftlichen und dem sozialen Kontakt eigentlich liegt. Nach Dölle differenzieren sich die beiden nur durch die Beurteilung darüber, ob der Wille der Parteien zur VerVgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (74). Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (84). 87  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (87). 88  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (86–87). 89  Vgl. Dölle, ZstW (1943), 67 (88). 85  86 

D. Kombinierung der Verhaltenspflichten

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tragsverhandlung oder sogar zum Vertragsschluss besteht. Aber es stellt sich die weitere Frage, wer ohne diesen Willen in den sog. sozialen Kontakt eintreten will. Daher kann die Grenze zwischen dem rechtsgeschäftlichen und dem sozialen Kontakt nicht klar festgelegt werden. Ferner: Wenn der soziale Kontakt als der zwecklose Eintritt in den vom anderen kontrollierten Rechtskreis anzusehen ist, dann ist er mit der Grundlage der deliktischen Haftung, nämlich der uns miteinander verbindenden grundlegenden sozialen Verbindung, gleichgestellt.90 In diesem Sinne sind Dölles Schutzpflichten mit den deliktischen Pflichten vermischt. Demzufolge werden zweitens Schutz- und Aufklärungspflicht nach deren entsprechender Verhaltensweise unterschieden, aber ohne Rücksicht auf das jeweilige Interesse, auf das sie gerichtet sind. Während die Schutzpflichtverletzung das sog. Integritätsinteresse, und zwar die sachliche und persönliche Sicherheit der Beteiligten, berührt, wird das durch die Verletzung der Aufklärungspflicht betroffene Interesse von Dölle nicht verdeutlicht. Wenn z. B. der Verkäufer nicht über den Mangel der Sache aufklärt, führt dies tatsächlich entweder zum Ersatz des negativen Interesses, wenn der abzuschließende Vertrag endlich nichtig oder angefochten ist, oder zum Integritätsinteresse des anderen Teils, wenn sein Körper oder Vermögen wegen Sachmangels verletzt wird. In diesem Sinne werden die Aufklärungs- und Schutzpflichten angesichts ihres entsprechenden Interesses miteinander verschränkt. Deswegen wird Dölles Theorie weitgehend nicht akzeptiert. Es wird noch eine andere Rechtsdogmatik benötigt, um den Rechtsgrund für die Haftung bei der Vertragsverhandlung zu finden, wodurch erstens die Grenze zwischen dem vorvertraglichen, deliktischen sowie vertraglichen Verhältnis bestimmt werden könnte und zweitens die Verhaltenspflichten bei diesem Stadium erneut eingeteilt werden können. Aber es ist nicht zu übersehen, dass infolge Dölles Bemühung die Rechtsnatur der Haftung bei Vertragsverhandlung immer weiter vom Vertragsverhältnis entfernt wurde.

D. Kombinierung der Verhaltenspflichten im vorvertraglichen und vertraglichen Schuldverhältnis Die oben durchgeführte Untersuchung hat deutlich gezeigt, dass im vertraglichen Schuldverhältnis eine Tendenz, das heißt die immer klarer werdende Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten entstanden ist, während die Verhaltenspflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis sich immer weiter vom vertrag90 

Vgl. HKK/Dorn, §  241, Rn.  103.

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lichen oder vertragsähnlichen Verhältnis entfernen bzw. auf einem selbstständigen Rechtsgrund beruhen. Vor diesem Hintergrund erhebt sich die Notwendigkeit, die Verknüpfung der jeweiligen Verhaltenspflichten in den beiden Stadien anzuschauen. Diesem Ziel dient Larenz’ Theorie eines gesetzlichen Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht und Canaris’ Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses, die das Verständnis von Verhaltenspflichten im Schuldverhältnis gemeinsam aktualisiert haben.

I. Larenz’ Lehre eines gesetzlichen Schuldverhältnisses ohne primäre Leistungspflicht zur Verbindung zwischen der c.i.c. und der p.V.V. 1. Vertragsverhandlung als gesetzliches Schuldverhältnis Larenz’ Lösung ist das sog. gesetzliche Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht. Um diese Terminologie zu verstehen, ist es notwendig, zuerst sein Verständnis von Schuldverhältnis und sein entsprechendes Pflichtensystem zu betrachten. Larenz unterteilt die Pflichten im Schuldverhältnis in Leistungs- und weitere Verhaltenspflichten,91 die weiter in Schutz- und Loyalitätspflichten zu gliedern sind. Dabei sind Leistungspflichten in primäre und sekundäre einzuordnen. Unter den primären versteht man die Pflichten, die wesentliche Obligationseigenschaften bestimmen, ohne die das Schuldverhältnis nicht entstehen kann,92 während die sekundären tatsächlich die Rechtsfolge für die Störung der primären sind, z. B. die Schadensersatzpflicht wegen Nicht­erfüllung sowie die Abwicklungspflicht wegen Rücktritt.93 Daher beschränken sich die durch „ohne primäre Leistungspflicht“ genannten Fälle nur auf das vorvertragliche Schuldverhältnis.94 Anders als Dölle ist Larenz aber der Meinung, dass die Haftung für schuldhaftes Verhalten bei Vertragsverhandlung nicht auf sozialen Kontakt zurückzuführen ist, sondern auf die Aufnahme der Verhandlung oder den auf sie vorbereitenden geschäftlichen Kontakt.95 Anders gesagt ergibt sich die Haftung nur, wenn die Beteiligten mit einem bestimmten Willen in den rechtsgeschäftlichen Verkehr eintreten, entweder in die sich auf Vertragsschluss zielende Verhandlung Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  10–11. Vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, §  2, Rn.  5; Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  8. 93  Vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, §  2, Rn.  15; Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  9. 94  Genauer gesagt umfasst das vorvertragliche Schuldverhältnis nach Larenz die Aufnahme der Vertragsverhandlungen, die auf die Verhandlung vorbereitenden „geschäftlichen Kontakte“ und die Fälle, in denen der abgeschlossene Vertrag wegen Anfechtung oder Rücktritt unwirksam ist. 95  Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  106. 91  92 

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oder sogar ins frühere Vorbereitungsstadium, während dem der allgemeine zwecklose soziale Kontakt nur eine Rechtswirkung i. S. d. Deliktsrechts hat.96 Doch sind diese beiden Stadien nach Larenz nicht mehr als Rechtsgeschäft, wie Stoll meint, sondern als Realakt anzusehen.97 Dies bedeutet, dass die Haftung sich nicht auf ein rechtsgeschäftliches Rechtsverhältnis gründet, sondern auf das „ungeschriebene objektive Recht“, nämlich auf das Prinzip von Treu und Glauben. Daher wird dies das gesetzliche Schuldverhältnis genannt.98 Allerdings meint „gesetzlich“ nicht, dass der Rechtsgrund für die Haftung direkt aus einer bestimmten Rechtsnorm kommt, sondern auf dem gesetzlich anerkannten Rechtsprinzip beruht. 2. Loyalitäts- und Schutzpflichten im vorvertraglichen Stadium Nach dieser Theorie ergeben sich die Sorgfalts- und Rücksichtspflichten unter den Beteiligten aus der Aufnahme der Vertragsverhandlung oder dem sie vorbereitenden geschäftlichen Kontakt. Der Grund liegt darin, dass die Beteiligten wegen des Kontakts eine rechtliche Sonderverbindung miteinander etabliert haben, woraus die Erwartung entsteht, dass der andere Teil redlich denken und sich loyal verhalten kann. Diese sog. „allgemeine Redlichkeitserwartung“ ist die erforderliche Grundlage für einen erfolgreichen Geschäftsverkehr, sodass sie durch die Rechtsordnung geschützt werden muss. Denn obwohl hier noch keine Leistungspflicht besteht, sind spezielle Verhaltenspflichten zum Inhalt des Schuldverhältnisses geworden. Nach Larenz sind diese Pflichten grundsätzlich in Loyalitäts- und Schutzpflichten einzuteilen. Beide treten ein, unabhängig davon, ob es zum Vertragsschluss kommt. Schutzpflichten sind eine fundamentale Art der Verhaltenspflichten im vorvertraglichen Schuldverhältnis, weil mit dem geschäftlichen Kontakt die Rechtsgüter der Beteiligten, insbesondere Gesundheit und Eigentum der Einwirkungsmöglichkeit des anderen ausgesetzt werden.99 Darüber hinaus ergeben sich die Loyalitätspflichten, das heißt, dass die Beteiligten sich einander gegenüber loyal verhalten sollen, wobei diese konkret die Aufklärungs-, Mitwirkungspflichten usw. einschließen.100 Genauer gesagt müssen die Beteiligten Vgl. Larenz, MDR 9 (1954), 515 (518). Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  109. 98  Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  109. 99  Da die Schutzpflichten nicht aufgrund des rechtsgeschäftlichen Verkehrs zwischen den beiden Beteiligten entstehen, können sie auch gegenüber einem Dritten bestehen, der wie ein zusätzlicher Beteiligter des Schuldverhältnisses in die gleiche Gefahr versetzt ist. 100  Eine Kritik an Larenz’ Trennung zwischen Schutz- und Loyalitätspflichten besagt, dass die Schutzpflichten auch als Loyalitätspflichten anzusehen sind, weil der wesentliche Gegenstand der Schutzpflichten, das heißt die Rechtsgüter der Beteiligten vor Beschädigung zu be96  97 

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die anderen über die Dinge aufklären oder informieren, die z. B. den geplanten Vertragsschluss verhindern oder den Vertragszweck beschädigen. Daher ist die Unterscheidung zwischen den beiden Pflichten auf das Verständnis vom gesamten Verkehrsprozess, das heißt vom geschäftlichen Kontakt, über die Verhandlung bis zum Vertragsschluss zurückzuführen. Schutzpflichten sind von negativem Charakter, die der allgemeinen Erwartung beim geschäftlichen Kontakt und der Vertragsverhandlung entsprechen. Aber aus der engeren Interaktion zwischen den Beteiligten ergibt sich auch ein positives Verhaltenserfordernis, und zwar Loyalitätspflichten, die zum Zweck des Kontakts oder der Verhandlung über den Vertragsabschluss dienen. Dementsprechend beziehen sich die Verletzungen der beiden Pflichten auf unterschiedliche Interessen. Ist eine Schutzpflicht verletzt, hat der andere den ganzen aus der Körperverletzung oder der Sachbeschädigung entstehenden Schaden zu ersetzen, das heißt das sog. Erhaltungsinteresse.101 Wenn aber eine Loyalitätspflicht verletzt ist, hat der eine Beteiligte das Vertrauensinteresse zu ersetzen, das bedeutet das Interesse daran, dass die Verhandlung ihren Fortgang nehmen würde oder der Vertrag hätte gültig geschlossen werden können.102 3. Verbindung der Pflichten vor und nach Vertragsschluss Wie gezeigt, bestehen Schutz- und Loyalitätspflichten nicht nur im vorvertraglichen, sondern auch im vertraglichen Verhältnis. Sodann stellt sich die Frage, ob sie einander gleich sind oder sie sich mit der Modifikation des Schuldverhältnisses verändern, insbesondere ob sie unabhängig von der Leistungspflicht sind, solange deren Entstehung nicht aufs vertragliche Rechtsgeschäft angewiesen ist. Laut Larenz’ Meinung endet das gesetzliche Schuldverhältnis, wenn die Parteien ihren geschäftlichen Kontakt aufgegeben haben, ohne den Vertrag abzuschließen. Wenn es aber zum beabsichtigten Vertragsschluss kommt, geht das vorherige Verhältnis der Vertragsverhandlung im umfassenderen vertraglichen wahren, der Erwartung des Beteiligten entspricht. Die Beziehung zwischen Schutz- sowie Loyalitätspflichten und der Erwartung beim vorvertraglichen Schuldverhältnis hat Larenz in seinem Lehrbuch leider nicht deutlicher erklärt. Doch lässt sich vermuten, dass die von ihm genannte Erwartung auf die Sonderverbindung zurückzuführen ist. Das heißt, dass ein hierarchischer Intensitätsunterschied zwischen Loyalitäts- und Schutzpflichten besteht. Die bloßen Schutzpflichten erstrecken sich auf die negative Ebene, das heißt das fundamentale Interesse, das ohne Rücksicht darauf, ob die Vertragsverhandlung vorgenommen wird, geschützt werden soll, solange die Beteiligten in geschäftlichen Kontakt eingetreten sind. Im Vergleich dazu können die Loyalitätspflichten nur aus der Verhandlung zwecks des Vertragsschlusses entstehen, die die zur Erreichung des Vertragszwecks dienenden Verhaltenspflichten umfassen. 101  Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  112. 102  Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  112–113.

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Schuldverhältnis auf.103 Trotzdem werden die im bisherigen Schuldverhältnis begründeten Schutzpflichten durch das vertragliche Schuldverhältnis aufgenommen und immer weiter ergänzt.104 Im Hinblick darauf, dass das Vertragsverhältnis durch die Willensübereinstimmung der Parteien zustande kommt, werden Inhalt und Umfang der Schutzpflichten zudem durch „gesetzliche Dispositivnormen“ (die Auslegung der Willenserklärung sowie des Vertragsinhalts) und durch „zwingende Normen“, das heißt gesetzliche oder sittliche Verbote, mitbestimmt.105 Daher können gleichartige oder auch weitergehende Schutzpflichten entstehen. Darüber hinaus ergeben sich neben der Leistungspflicht (einschließlich der Nebenleistungspflichten) die der Vorbereitung und Sicherung dienenden Pflichten, das heißt die leistungsbezogenen Nebenpflichten. In manchen konkreten Rechtsverhältnissen werden diese Pflichten durch „loyales Zusammenwirken, Treu- und Fürsorgepflichten“ usw. verkörpert.106 Diese sog. weiteren Verhaltenspflichten sind als Variation der vorher bei der Vertragsverhandlung bereits begründeten Schutz- und Loyalitätspflichten anzusehen, die jedoch mit dem gleichen oder veränderten Inhalt fortbestehen. Wenn aber der Vertrag angefochten wird, sollen diese Pflichten wegen ihrer Unabhängigkeit von Vertragsschluss oder -gültigkeit weiterbestehen, weil durch die Ausführung des vermeintlich wirksam geschlossenen Vertrags der intensivere Kontakt unter den Parteien bereits aufgebaut worden ist, sodass die Beteiligten verpflichtet werden sollen, den Schutz und die Sorgfalt für die Rechtsgüter des anderen anzuwenden.107 4. Zwischenergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich die Verhaltenspflichten in Larenz’ Lehre mit der Umwandlung des Schuldverhältnisses verändern. Die urVgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  117. Die Schutzpflichten im vertraglichen Schuldverhältnis können dadurch begründet werden, dass bei der Durchführung des Vertragsverhältnisses die eine Partei ihre Rechtsgüter der Einwirkungsmöglichkeit des anderen eröffnet hat, sodass die andere Partei mit den Rechtsgütern sorgsam umzugehen und Schaden vermeidende Maßnahmen zu treffen hat und auch verpflichtet ist, den durch den Vertrag erbrachten Vorteil zu erhalten und die Geltendmachung ihrer Rechte zu ermöglichen. 105  Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  118. 106  Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  118. 107  Dieser Punkt zeigt den wesentlichen Unterschied zwischen Larenz und Jhering. Nach Larenz ist das vorvertragliche Schuldverhältnis des nichtigen oder angefochtenen Vertrags auf ein eigenständiges und gesetzliches Rechtsverhältnis zurückzuführen, während nach Jhering es auch als ein Sondervertragsverhältnis ohne Leistungspflicht anzusehen ist. Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  119. 103  104 

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sprünglichen Verhaltenspflichten im vorvertraglichen Stadium, die durch den geschäftlichen Kontakt oder die Aufnahme der Vertragsverhandlung hervorgerufen werden, bestehen in Form der Sorgfalts- und Fürsorgepflichten, die in Schutzund Loyalitätspflichten einzuteilen sind. Schutzpflichten dienen dem Schutz vor dem Schaden für Person und Vermögen der Beteiligten, während Loyalitätspflichten für die Bewahrung vor Beeinträchtigung der Erwartung des Geschäftsverkehrs oder des Vertragsschlusses sind. Nach Vertragsschluss wird das auf der Sonderverbindung beruhende gesetzliche Schuldverhältnis wegen der gegenseitigen engeren Interaktion der Parteien durch das vertragliche Schuldverhältnis ersetzt, wobei einerseits die Leistungspflicht entsteht, während andererseits die Sorgfalts- und Fürsorgepflichten sich zwecks der Realisierung der Leistung in weitere Verhaltenspflichten ändern. Sie liegen nicht nur auf der negativen Ebene wie Schutzpflichten, um die stille Rechtssicherheit der Beteiligten zu garantieren, sondern auch auf der positiven Ebene, insbesondere um der Erreichung des Vertragszwecks zu dienen. Genauer gesagt bleiben zwar die weiteren Verhaltenspflichten noch bestehen, aber wegen der Einführung der Leistungspflicht sind die Schutzpflichten umfangreicher und inhaltsvoller geworden, während die Loyalitätspflichten durch die leistungsbezogenen Nebenpflichten konkretisiert werden können. In diesem Sinne wirken sich die weiteren Verhaltenspflichten indirekt auf die Leistungspflicht aus. Falls der abgeschlossene Vertrag wieder angefochten wird oder nichtig ist, werden die Sorgfalts- und Fürsorgepflichten mit dem fortbestehenden gesetzlichen Schuldverhältnis weiter aufrechterhalten. Daher ist das gesetzliche Verhältnis wieder vom vertraglichen Schuldverhältnis getrennt. Aus diesem Grund ist Larenz tatsächlich der Meinung, dass die Verhaltenspflichten in beiden Stadien zwar nicht identisch sind, aber angesichts ihrer kontinuierlichen und dynamischen Umwandlung einem gemeinsamen Entwicklungsprozess des Schuldverhältnisses zugeordnet werden können. Aber bemerkenswerterweise findet sich das Vertragsverhältnis in seiner Lehre noch im Mittelpunkt, das heißt, dass zum einen die durch Privatautonomie erlaubte Vereinbarung zwischen den Parteien umfangreichere Verhaltenspflichten bei Vertragserfüllung herausbilden kann, während zum anderen der Umfang der leistungsbezogenen Pflichten entweder durch die Auslegung der Willenserklärung sowie des Vertragsinhalts oder durch die Verhaltenskontrolle der entsprechenden gesetzlichen Vorschriften als Ergänzung der willkürlichen Vereinbarung flexibler bestimmt werden kann.

D. Kombinierung der Verhaltenspflichten

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II. Canaris’ Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses zur Vereinigung der Schutzpflichten im Vertragsverkehr Obwohl Larenz sich bemüht, die Verhaltenspflichten vor und nach dem Vertragsschluss zu verbinden, erscheinen zwei Punkte in seiner Lehre noch kontrovers, und zwar ob das vorvertragliche Verhältnis wirklich durch das Vertragsverhältnis ersetzt werden kann und ob es folgerichtig ist, dass die Verhaltenspflichten, insbesondere Schutzpflichten sich entsprechend der Entwicklung des Schuldverhältnisses inhaltlich verändern können. Deshalb hat Canaris eine für die Reform des deutschen Schuldrechts wirkungsvolle Kritik aufgestellt, um einen einheitlichen Rechtsgrund für die Verhaltenspflichten bzw. Schutzpflichten zu begründen. 1. Vereinigung von c.i.c. und p.V.V. Canaris’ wesentlicher Unterschied zu Larenz liegt in der Vereinigung des Schuldverhältnisses vor und nach dem Vertragsschluss. Ihm zufolge hat Larenz bereits zu Recht gezeigt, dass die weiteren Verhaltenspflichten nicht vom Willen der Parteien abhängen, sondern durch das gesetzliche Vertrauensverhältnis gemäß §  242 BGB begründet werden. In einem Punkt vertritt er aber eine andere Meinung, und zwar, dass dieses Vertrauensverhältnis nicht wegen des Zustandekommens des Vertrags erlischt, sondern weiterbesteht. Der Grund für diesen Unterschied liegt in Canaris’ abweichender Meinung zur Rechtsnatur der Verhaltenspflichten im vertraglichen Stadium, nämlich dass die Schutzpflichten, obwohl die Interaktion zwischen den Vertragsparteien wegen des Eintritts des Leistungsverhältnisses enger geworden ist und sie sich somit auf mehr leistungsbezogene Inhalte der Verhaltenspflichten bezieht, dennoch gleich wie im vorvertraglichen Stadium bleiben, weil sie ausschließlich das Integritätsinteresse der Beteiligten betreffen, sodass sie gar nichts mit dem Leistungsinhalt zu tun haben.108 Daher ist das einheitliche Schuldverhältnis in Larenz’ Lehre in Leistungs- und Vertrauensverhältnis, deren Inhalt sich auf Schutzpflichten beschränkt, zersplittert. Aber erstaunlicherweise beruht Canaris’ absolute Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten auf einer versteckten Voraussetzung. Sein Begriff der Leistungspflichten muss nämlich im weiteren Sinne verstanden werden, sodass sie alle leistungsbezogene Pflichten, z. B. die Hauptleistungs-, Nebenund andere leistungsdienenden Pflichten, umfassen können.109 Im Gegensatz Vgl. Canaris, JZ 15/16 (1965), 475 (478). Daher werden gemäß der herrschenden Lehre nach der Schuldrechtsmodernisierung, z. B. dem Lehrbuch von Looschelders, die Vertragspflichten in Leistungs- und Schutzpflichten 108  109 

108

Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

dazu scheint der Begriff der Schutzpflichten sie so eng wie möglich zu definieren. Er beschränkt sich nur auf die nicht leistungsbezogenen Interessen. Aus diesem Grund lehnt Canaris die Klassifikation von Larenz zwischen Leistungs- und weiteren Verhaltenspflichten ab und gebraucht Stolls Einteilung.110 Dadurch hat Canaris zwei Ziele realisiert: erstens eine absolute Trennung zwischen Leistungsund Schutzverhältnis zu bilden111 und zweitens eine Vereinigung des Schutzverhältnisses vor und nach dem Vertragsschluss zu schaffen. Deshalb zeigt sich ein gesetzliches Schuldverhältnis während der Vertragserfüllung parallel zum vertraglichen Schuldverhältnis. Doch es stellt sich die Frage: Solange nach Larenz’ Theorie die Schutzpflichten durch dispositive Vorschriften und zwingende Normen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben bestimmt werden können, warum muss dann eine neue Theorie außerhalb der gesetzlichen Struktur gebildet werden? Die Antwort liegt in Canaris’ Lösung für die Rechtsstreitigkeit über die Lehre des Schuldverhältnisses mit Schutzwirkung für Dritte. 2. Schutzwirkung für Dritte zur Vereinigung der Schutzpflichten Das sog. Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte befasst sich grundsätzlich mit der Situation, in der ein Dritter zwar nicht der Beteiligte des Vertrags­ verhältnisses ist, ihm aber dennoch ein vertraglicher oder vertragsähnlicher Schadensersatzanspruch wegen einer Interessenverletzung verliehen wird.112 Die Entstehung dieser Schutzwirkung ist erforderlich, um die Schwäche des entsprechenden deliktischen Schadensersatzanspruchs zu überwinden, insbesondere

getrennt, während gleichzeitig die Leistungspflicht in die Pflicht zum Leistungserfolg und die leistungsbezogenen Pflichten eingeteilt wird. Vgl. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, §  1, Rn.  11–14. 110  Der Unterschied zwischen Larenz und Stoll liegt darin, dass in Larenz’ Lehre die Schutzpflichten nur als Unterfall der weiteren Verhaltenspflichten anzusehen sind, obwohl beide Juristen dieselbe Meinung über die Bedeutung der Schutzpflichten haben. Daher wird die Stelle über die Loyalitätspflichten, das heißt die leistungsbezogenen Pflichten einschließlich der Nebenleistungs- und Nebenpflichten in Canaris’ Lehre sehr kontrovers beurteilt. 111  Die Trennung zwischen Leistungs- und Schutzverhältnis ist gewissermaßen ähnlich wie die Abstraktionsbeziehung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäft. Dies zeigt sich vor allem darin, dass die Nichtigkeit oder die durch die Anfechtung erbrachte Unwirksamkeit des Vertrags das Schutzverhältnis zwischen den Vertragsparteien nicht beeinflusst. Der einzige Unterschied liegt darin, dass nach Canaris’ Meinung das Leistungsverhältnis nicht als das Grundverhältnis, das heißt causa des Schutzverhältnisses bezeichnet wird, während die Entstehung des Schutzverhältnisses auf das aus der Sonderverbindung entstehende Vertrauensverhältnis zurückzuführen ist. 112  Vgl. Brox, Allgemeines Schuldrecht, §  27, Rn.  375.

D. Kombinierung der Verhaltenspflichten

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die Haftungsbefreiung wegen der Exkulpationsmöglichkeit gemäß §  831 BGB.113 Aber die Suche nach dem Rechtsgrund dieses Rechtsinstituts ist mit gewaltigen Schwierigkeiten verbunden, da die Relativität des Vertragsverhältnisses dadurch durchbrochen wird.114 Zu Canaris’ Zeit war §  328 BGB, der ursprünglich für den Fall eines Vertrags zugunsten Dritter angewendet wurde, durch die analoge Anwendung auch als Rechtsgrund für die Schutzwirkung für Dritte zu sehen, obwohl sich die Rechtsnatur der zwei Fälle völlig voneinander unterscheidet.115 Deswegen entwickelte sich die Theorie, die Schutzpflichten zwischen den Vertragsparteien auf Dritte analog anzuwenden.116 Aber dies scheint ebenfalls nicht folgerichtig, weil der Dritte eigentlich keine Vertragspartei ist. Der Kern von Canaris’ Lösung liegt darin, das Schuldverhältnis zwischen Vertragsparteien und Dritten vom Vertragsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner zu trennen. Im Hinblick darauf, dass der Dritte sich nicht an der Leistungserfüllung beteiligt, bezieht sich sein Schaden nur auf den Verlust am nicht leistungsbezogenen Körper- und Vermögensinteresse. Daher sind diese Pflichten nach seiner Ansicht völlig gleich wie die Schutzpflichten in den oben dargestellten Fällen,117 nämlich dass die Schutzpflichten in den verschiedenen Stadien einschließlich vor, bei und sogar außer dem Vertragsverhältnis gemeinsam zu einem einheitlichen Schuldverhältnis, und zwar dem sog. Schutzverhältnis gehören, das, wie Canaris annimmt, gemeinsam auf das durch §  242 BGB bestimmte Vertrauensverhältnis zurückzuführen ist.118 113  Ein typisches Problem konzentriert sich immer darauf, wie die Haftung des Herrn für seinen Verrichtungsgehilfen bestimmt werden kann. Zum Beispiel wird ein Werkvertrag zwischen A und B abgeschlossen, wonach B für A sein Haus umbauen muss. Wenn C, der von B sorgfältig ausgewählte Verrichtungsgehilfe, bei der Arbeit fahrlässig T, die Tochter des A, schädigt, stellt sich die Frage, nach welcher Anspruchsgrundlage T berechtigt ist, Schadensersatz gegen B in Anspruch zu nehmen. §  831 BGB ist nicht anwendbar, weil B nach §  831 II 2 BGB bereits die erforderliche Sorgfalt angewendet hat, während die vertraglichen Ansprüche ebenfalls gleichzeitig entfallen, weil T keine Vertragspartei ist. Aus diesem Grund entsteht die Notwendigkeit der Lehre vom „Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte“. Vgl. Brox/ Walker, Allgemeines Schuldrecht, §  33, Rn.  4. 114  Vgl. Brox, Allgemeines Schuldrecht, §  27, Rn.  375. 115  Der wesentliche Unterschied zwischen Vertrag zugunsten Dritter und Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter liegt darin, dass im ersten Fall der Dritte nach der Vertragsabrede ein eigenes Forderungsrecht für die Leistung des Schuldners hat, während im letzten Fall der Dritte keinen eigenen Anspruch gegen den Schuldner hat, sondern lediglich von der Schutzwirkung des Vertrags erfasst ist. 116  Die Analogie setzt die folgenden Bedingungen voraus: Leistungsnähe, Schutzinteresse des Gläubigers, Erkennbarkeit für den Schuldner und Schutzbedürftigkeit des Dritten. Vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, §  33, Rn.  8 ff. 117  Vgl. Canaris, JZ 15/16 (1965), 475 (478). 118  Vgl. Canaris, JZ 15/16 (1965), 475 (478).

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

Damit kann die oben dargestellte Schwierigkeit folgendermaßen gelöst werden: Der Dritte steht zwar außerhalb des vertraglichen Schuldverhältnisses, aber er gilt auch als Beteiligter des Schutzverhältnisses. Dadurch wird ihm ein Schadensersatzanspruch nicht durch die Analogie der Schutzpflichten des vertraglichen Gläubigers, sondern durch das Schutzverhältnis direkt gegeben. Hinzu kommt, dass, abgesehen vom Zustand des Schuldverhältnisses, das heißt egal ob das Schuldverhältnis sich vor oder nach dem Vertragsschluss befindet, egal ob der Dritte innerhalb oder außerhalb des Vertrags steht und egal ob der Vertrag noch wirksam oder wegen Anfechtung bzw. Rücktritt nichtig gewesen ist, alle Beteiligten in der Sonderverbindung vor der Verletzung der Schutzpflichten bewahrt werden können. Demzufolge bildet Canaris ein einheitliches gesetzliches Schutzverhältnis, und zwar die sog. „dritte Spur“ zwischen den vertraglichen und deliktischen Schuldverhältnissen.119 3. Zwischenfazit Canaris’ Lehre kann als das Endprodukt der Dogmengeschichte der Schutzpflichten bezeichnet werden, das sich stark auf die Modernisierung des deutschen Schuldrechts ausgewirkt hat. Einerseits hat er wie Larenz die Idee von Stoll, das heißt die strenge Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten im vertraglichen Verhältnis aufgenommen, aber andererseits hat er auf Larenz’ Aufbau der umfassenden „Sorgfalts- und Fürsorgepflicht“ im vorvertraglichen Schuldverhältnis und der „weiteren Verhaltenspflichten“ im Vertragsverhältnis verzichtet, sodass es in seiner Lehre schwierig ist, die dem Vertragsschluss oder der Vertragserfüllung dienenden Verhaltenspflichten einer geeigneten Kategorie zuzuordnen. Ein typisches Beispiel ist die Aufklärungspflicht des Verkäufers beim Vertragsschluss, die sich nicht bloß auf den Schutz der Person oder des Eigentums des Käufers beschränkt, sondern sein Interesse am Vertrauen auf einen erfolgreichen Vertragsschluss berührt. Wenn aber eine Aufklärungspflicht bei Erfüllung entsteht, z. B. der Verkäufer vor der Übergabe der Sache einen Mangel daran findet, dann bezieht sich diese Pflicht nicht nur auf das Integritätsinteresse des Käufers, sondern auch auf sein positives Interesse daran, dass der Vertrag mangelfrei erfüllt werde. Daher führt Canaris’ Lehre noch zu vielen Streitigkeiten und sogar Unklarheiten im neuen deutschen Schuldrecht.

119 

Vgl. Canaris, in: Canaris (Hrsg.), FS Larenz, S.  27 (102).

E. Entsprechender Umbau des Gewährleistungsrechts im Kaufvertrag

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E. Entsprechender Umbau des Gewährleistungsrechts im Kaufvertrag Die theoretische Entwicklung über die Verhaltenspflichten im vorvertraglichen und vertraglichen Schuldverhältnis hat nicht nur für das Kaufrecht die ungeschriebenen Regelungen i. S. d. Schuldrechts AT ergänzt, sondern auch die Dogmatik seiner eigenen speziellen Vorschriften modifiziert. Dieser dogmatische Umbau konzentriert sich am neuen Verständnis um die Rechtsnatur der §  459 a. F. und §  463 a. F. BGB, das heißt der Gewährleistungspflicht und des durch ihre Verletzung hervorgerufenen Schadensersatzes.

I. Streitigkeit über die Beziehung zwischen §  463 a. F. BGB und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht Wie im dritten Kapitel gezeigt, hat §  463 a. F. BGB den Charakter eines Zwittergebildes zwischen der Unmöglichkeitslehre und der c.i.c.120 Freilich erhoben sich viele Streitigkeiten über dessen Rechtsnatur nach dem Inkrafttreten des BGB. Doch haben sich die deutschen Juristen nicht sofort darum bemüht, die in dieser Vorschrift verdeckten Nebenpflichten zu finden, sondern es ging ihnen darum, die Beziehung zwischen dem Gewährleistungsrecht und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht zu analysieren. Dazu gibt es hauptsächlich zwei Meinungen, die Gewährleistungs- und die Erfüllungstheorie. Nach Ersterer ist die Ablieferung einer mangelhaften Sache des Verkäufers nicht als eine fehlerhafte Leistung anzusehen, weil ihre Vertreter der Überzeugung sind, dass der Fehler des Gegenstands nur die Aufhebung oder Minderung des Gegenstandswerts oder der Tauglichkeit zum gewöhnlichen bzw. zum im Vertrag vorausgesetzten Gebrauch bedeutet, nämlich dass der Mangel sich nur auf das objektive Qualitätsdefizit bezieht, sich aber nicht auf den Verstoß gegen die willentliche Vereinbarung zwischen den Parteien zurückführen lässt.121 Dieser Gedanke gründet sich auf die historische Herkunft des Gewährschaftsrechts, das heißt, dass das aedilicium edictum im römischen Recht immer als ein unabhängiges spezielles Rechtsgebiet außerhalb des ius civile anzusehen ist und der Ädil gemäß des Edikts nur nach dem objektiven Zustand des Gegenstands beurteilt, ob der Mangel besteht.122 Dementsprechend soll das Gewährleistungsrecht im deutschen Recht auch als selbstständige Sonderregelung aufgebaut 120 

Vgl. Drittes Kapitel. E. III: Sachmangel und Nebenpflichten. Vgl. HKK/Ernst, §  434–435, Rn.  14. 122  Vgl. Kaser, Das römische Privatrecht, Bd.  1, S.  466–467; Medicus, in: Zimmermann (Hrsg.), Rechtsgeschichte und Rechtsdogmatik, S.  307 (310–311). 121 

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

werden. Diese Meinung war kurz nach dem Inkrafttreten des BGB zur herrschenden Lehre geworden. Jedoch wurde sie danach dank der Bemühungen verschiedener Juristen, insbesondere Rabel und Flume durch die Erfüllungstheorie ersetzt,123 das bedeutet, dass die Qualität der Kaufsache eigentlich nur durch die Vereinbarung zwischen den beiden Parteien bestimmt werden kann, sodass der Mangel nur besteht, wenn die Qualität dem Inhalt der Vereinbarung nicht entspricht. Daher wird der Sachmangel als mangelhafte Leistung oder Nichterfüllung bezeichnet,124 sodass das Gewährleistungsrecht ans allgemeine Leistungsstörungsrecht angeknüpft wird. Demzufolge stellt sich die Frage, ob der Wortlaut des §  463 a. F. BGB, nämlich, dass der Verkäufer nur wegen arglistiger Verschweigung oder Zusicherung auf den Schadensersatz haften soll, der neuen Entwicklung im allgemeinen Leistungsstörungsrecht, insbesondere den Lehren von der c.i.c. und der p.V.V., widerspricht, wonach der subjektive Tatbestand für die Haftung des Verkäufers nur dessen Fahrlässigkeit voraussetzt.

II. Beziehung zwischen fahrlässiger Verschweigung, c.i.c. und p.V.V. Solange §  463 a. F. BGB sich nur auf die Haftung des Verkäufers für arglistige Verschweigung und Zusicherung erstreckt, stellt sich noch die Frage, wie die Fälle, in denen der Verkäufer den Mangel fahrlässig verschweigt, behandelt werden sollen. Vor diesem Hintergrund erscheint die Beziehung zwischen §  463 a. F. BGB, der c.i.c. und der p.V.V. sehr streitig, konkreter gefragt, ob §  463 a. F. BGB als selbstständige Regelung, als ein Sonderfall der c.i.c. im Kaufrecht oder als eine untergeordnete Kategorie der p.V.V. zu begreifen ist. Diese Unklarheit wird durch den „Seeufer-Fall“ nicht erleichtert, sondern verstärkt. In diesem Fall hat der Bundesgerichtshof der Auffassung zugestimmt, dass eine fahrlässige Angabe oder Nichtangabe des Verkäufers über die Eigenschaften der Kaufsache keinen Anspruch auf den Ersatz des Vertrauensschadens unter dem Gesichtspunkt der c.i.c. begründet, während die Haftung des Verkäufers für die Eigenschaften der Kaufsache sich, abgesehen vom Falle des Mangelfolgeschadens, allein nach den Gewährleistungsvorschriften der §§  459 ff. a. F. BGB bestimmt.125

123  Nach Rabels Meinung sind die Mängel als wirkliche, aber besonders geordnete Fehler der Vertragserfüllung anzusehen. Auf dieser Basis hat Flume in seinem Werk „Eigenschaftsirrtum und Kauf“ weiter festgestellt, dass die Sachmängelgewährleistung auf die Vertragsvereinbarung zurückzuführen ist. Vgl. Rabel, Das Recht des Warenkaufs: eine rechtsvergleichende Darstellung, Bd.  1, S.  107; Flume, Eigenschaftsirrtum und Kauf, S.  21. 124  Vgl. HKK/Ernst, §  434–435, Rn.  14 ff. 125  Vgl. BGHZ 60, 319 ff.

E. Entsprechender Umbau des Gewährleistungsrechts im Kaufvertrag

113

Dieser Meinung nach könnte die Grenze zwischen den drei Rechtsinstituten oberflächlich klar festgestellt werden, nämlich, dass ein Mangelschaden durch §  463 a. F. BGB und ein Mangelfolgeschaden durch p.V.V. gelöst wird, während die Anwendung der c.i.c. völlig ausgeschlossen wird. Außerdem hat diese Regel auch indirekt das Erfordernis des §  463 a. F. BGB am dolus des Verkäufers teilweise korrigiert, weil der Ersatz des Mangelschadens, das heißt der Wertabstand zwischen der mangelhaften und -freien Sache, tatsächlich unabhängig vom Verschulden des Verkäufers ist, während der Mangelfolgeschaden, der entweder vorsätzlich oder fahrlässig verursacht werden kann, der p.V.V. zugeordnet wird. Der Grund dafür, die c.i.c. auszuschließen, liegt vermutlich darin, dass der Schadensersatz in diesem Fall das Erfüllungsinteresse betrifft, während die c.i.c. sich auf das negative Interesse bei Vertragsschluss beschränkt. Dies aber hat auch für die folgenden Schwierigkeiten gesorgt: Zuerst erscheint die Zersplitterung der Rechtsbehelfe für einen Mangel- und Mangelfolgeschaden nicht so rationell, zumal in Bezug darauf, dass die Entstehung der beiden Schäden gemeinsam auf einen gleichen Geschäftsverkehr zurückzuführen sind; zweitens ist der Ausschluss der Anwendung der c.i.c. begründungslos, weil der Mangel bereits vor oder bei Vertragsschluss bestand bzw. besteht.126

III. Einführung der Neben- und Schutzpflichten anstelle der c.i.c. und der p.V.V. Um die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Rechtsinstituten zu überwinden, wurde vorgeschlagen, auf die Streitigkeit in Bezug auf die Auswahl zwischen der c.i.c. und der p.V.V. zu verzichten und stattdessen zu versuchen, die gemeinsamen Pflichtverletzungen aus den beiden Fällen herauszufinden. Nach der Meinung beispielsweise von Honsell kann eine Haftung aus der c.i.c. oder der p.V.V. im Zusammenhang mit einem Sachmangel nur angenommen werden, wenn sich im Einzelfall „das Bestehen einer Nebenpflicht wie z. B. Prüfungsoder Aufklärungspflicht nachweisen lässt“.127 Aufgrund dieses Verständnisses werden die unterschiedlichen Rechtsfolgen für die c.i.c. und die p.V.V. beim Spezieskauf nicht verwendet, weil „sich das Verschulden bei Vertragsschluss sozusagen in einem Verschulden bei Erfüllung fortsetzt“.128 Darüber hinaus ist der Unterschied zwischen Spezies- und Gattungskauf ebenso sinnlos, weil die Aufklärungspflicht immer gleich bestehen bleibt, egal ob sie sich vor oder nach 126  Flume nimmt an, dass kein Unterschied in Bezug auf die Haftung, das heißt zwischen dem Schadensersatz für den Mangelfolgeschaden aus der p.V.V. und aus der c.i.c. auszumachen ist. Vgl. Flume, AcP 193 (1993), 89 (113). 127  Vgl. Honsell, JR 9 (1976), 361 (366). 128  Vgl. Honsell, JR 9 (1976), 361 (364).

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

dem Vertragsschluss findet, insbesondere in Bezug darauf, dass der Verkäufer des Gattungskaufs bis zur Übergabe der Sache noch verpflichtet ist, über den Sachmangel aufzuklären, weil er die mangelfreie Sache vor der Übergabe auszuwählen und zu bestimmen hat.129 Aufgrund dieser Lösung sind die Vertreter für Schutzpflichten sogar weitergegangen. Unter dem Einfluss von Canaris’ Lehre unterscheidet Thiele zwei möglicherweise durch §  463 a. F. BGB umfasste Interessen, nämlich Erfüllungsund Erhaltungsinteresse. Ersteres bezieht sich auf die Leistungspflicht, während Letzteres sich auf die Schutzpflichten erstreckt.130 Da §  463 a. F. BGB als Gewährleistungsrecht nur das Leistungsverhältnis behandelt, ist er nur an den Mangelschaden angeknüpft, während ein Mangelfolgeschaden auf Schutzpflichtverletzung zurückzuführen ist, sodass deren Anspruchsgrundlage nichts mit diesem Paragraphen zu tun hat.131 Darüber hinaus ist die Streitigkeit über den Konflikt zwischen der c.i.c. und der p.V.V. ebenfalls sinnlos, weil beide zum gesetzlichen Schutzverhältnis gehören und somit den gleichen Schadensersatz anbieten.132 In dieser Weise wurde §  463 a. F. BGB als Substitution in Form des Interesses für die gewandelte oder geminderte Leistung i. S. d. §  459 a. F. BGB umgebaut, sodass dessen subjektives Erfordernis am dolus oder Zusicherung für Mangelschaden nicht mehr anzuwenden ist, während ein selbstständiger Mangelfolgeschaden einer neuen Anspruchsgrundlage bedarf. Dieses Bedürfnis führt zu einer Reihe von strukturellen Veränderungen in der Schuldrechtsmodernisierung.

F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB mit Fokus auf dem Kaufrecht I. Anerkennung der Schutzpflichten zur Zersplitterung der Nebenpflichten Die oben erwähnten wissenschaftlichen Bemühungen förderten als wichtigen Anlass die Reform des deutschen Schuldrechts.133 Nach dem Inkrafttreten des 129 

Vgl. §  480 a. F. BGB. Vgl. Thiele, JZ 21 (1967), 649 (654). 131  Vgl. Thiele, JZ 21 (1967), 649 (655). 132  Vgl. Thiele, JZ 21 (1967), 649 (656–657). 133  Das UN-Kaufrecht ist als Vorbild der Reform für das deutsche Leistungsstörungsrecht anzusehen. Der „Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts“ zeigt, dass im UN-Kaufrecht die Grundprinzipien, von denen ein Leistungsstörungsrecht abgeleitet wird, in klaren, verständlichen, widerspruchsfreien und rechtspolitisch einleitenden Regeln formuliert werden. Neben dem Umbau des Leistungsstörungsrechts liegt eine andere Motivation darin, die Verbrauchsgüterkaufrichtlinie bis zum Ende des Jahre 2001 umzusetzen. Vgl. 130 

F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB

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Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes (SMG) hat sich der Aufbau des Leistungsstörungsrechts gewaltig verändert. Unter den umfangreichen Veränderungen fällt die gesetzliche Anerkennung der Schutzpflichten auf und deren Einfluss auf die Theorie der Nebenpflichten. 1. Einführung der Schutzpflichten in §  241 BGB Die grundlegende Modifikation liegt in §  241 BGB. Während §  241 a. F. BGB in Bezug auf die Leistungspflicht im neuen §  241 I BGB bewahrt wurde, wurde Absatz 2 hinzugefügt, wonach das Schuldverhältnis seinem Inhalt nach jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet.134 Nach der herrschenden Literatur ist dies als Schutzpflichten anzusehen.135 Wenn man darunter Schutzpflichten i. S. d. Theorie von Canaris versteht, führt dies tatsächlich dazu, dass Nebenpflichten in leistungsbezogene und nicht leistungsbezogene Pflichten (Schutzpflichten) getrennt werden. Aber nach dem Wortlaut ist noch unklar, ob und inwieweit das Gesetz die Lehre der Schutzpflichten eigentlich aufgenommen hat. Insbesondere im Hinblick darauf, dass Canaris als Vorsitzender der Kommission des Leistungsstörungsrechts für den SMG-Entwurf zuständig war, stellt sich die Frage, ob seine Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses das neue Gesetz beeinflusst hat.136 Der Begründung des Gesetzesentwurfs zufolge wird die Unterscheidung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten von den Entwurfsverfassern zwar akzeptiert,137 es wird aber auch erkannt, dass keine klar gezogene Grenze dazwischen besteht.138 Deswegen nennen sie die Pflichten i. S. d. §  241 II BGB „Schutzpflichten (oder weitere Verhaltenspflichten)“.139 Angesichts dessen, dass Larenz weitere Verhaltenspflichten aufgestellt und sie in Schutz- und Loyalitätspflichten sortiert hat, lässt sich entnehmen, dass die Verfasser dazu neigen, die Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Abschlussbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, S.  19–20; Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht: Lehrbuch der Grundsätze des neuen Rechts und seiner Besonderheiten, S.  1–2. 134  Bemerkenswert ist, dass die Formulierung „besondere Rücksicht“ im ursprünglichen Entwurf durch Bundestagsbeschluss in „Rücksicht“ geändert wurde. Die Streichung von „besondere“ zeigt, dass der Gesetzgeber die allgemeinen Rücksichtsnahmepflichten i. S. d. §  241 II BGB nicht absolut abgrenzen möchte. Nach dem Bericht des Rechtsausschusses soll §  241 II BGB zumindest die Fälle der „vertragsbegleitenden nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten“ und die c.i.c. umfassen. Vgl. BT-Drucks. 14/7052, S.  182. 135  Vgl. Brox/Walker, Allgemeines Schuldrecht, §  25, Rn.  2. 136  Vgl. Ehmann/Sutschet, Modernisiertes Schuldrecht: Lehrbuch der Grundsätze des neuen Rechts und seiner Besonderheiten, S.  4. 137  Vgl. BT-Drucks.14/6040, S.  125. 138  Vgl. BT-Drucks.14/6040, S.  125–126. 139  Vgl. BT-Drucks.14/6040, S.  125.

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

akademische Streitigkeit beiseitezulegen und zuerst einen gesetzlichen Grund für Schutzpflichten zu etablieren.140 Deshalb haben sie absichtlich darauf verzichtet, den Rechtsgrund der Schutzpflichten zu erklären, nämlich ob sie auf den gesetzlichen Normen oder auf einem Rechtsgeschäft beruhen.141 Trotz dieser Unklarheit hatten die Verfasser noch den Ehrgeiz, die Lehre der Schutzpflichten durch verstreute Vorschriften so systematisch wie möglich aufzubauen. Bei der Begründung des Entwurfs wird erwähnt, dass, während die durch §  241 II BGB bestimmten Schutzpflichten meistens auf einem Vertragsverhältnis beruhen, es inhaltlich noch teils gleiche, aber von Leistungspflicht unabhängige Schutzpflichten gibt, z. B. die c.i.c. und das Schuldverhältnis mit Schutzwirkung für Dritte.142 Unter der Anleitung dieses Gedankens wurde §  311 BGB erneut formuliert. 2. Verbindung zwischen §  311 BGB und Schutzpflichten Der neue Aufbau des §  311 BGB kommt aus der Kombination zwischen §  305 a. F. BGB als Absatz 1 und der neuen Fassung des §  311 II und III BGB. Absatz 1 reguliert die Begründung des vertraglichen Schuldverhältnisses, während Absatz 2 sich mit der c.i.c. befasst und Absatz 3 sich mit der Schutzwirkung zugunsten Dritter beschäftigt. Der Wortlaut in §  311 II BGB „ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach §  241 Abs.  2 entsteht nach“ signalisiert die Verbindung zwischen Schutzpflichten und der c.i.c. Im weiteren Sinne kann man der Schlussfolgerung entnehmen, dass das neue BGB bereits die Fälle der c.i.c. als Sonderfall der Schutzpflichten anerkannt hat,143 während im engeren Sinne die c.i.c. aber zumindest als ein Unterfall der weiteren Verhaltenspflichten anzusehen ist. Doch ist auch die Beziehung zwischen Absatz 1 und 2 des §  311 BGB interessant, d. h., die Vorschriften der c.i.c. folgen unter dem Titel „Schuldverhältnis aus Verträgen“ der Vorschrift über die Begründung des Vertrags. Demzufolge wird ein Image dargestellt, dass die c.i.c. als eine vertragsähnliche oder zumindest mit dem Vertragsverhältnis verbundene Rechtsbeziehung anzusehen ist. Aber im Hinblick darauf, dass die vertragsähnliche Natur der c.i.c. bereits seit Stoll abgelehnt und vor allem durch Larenz’ Lehre des gesetzlichen 140 

In der Tat erklärt der Entwurfsverfasser, dass die Schutzpflichten in einigen Verträgen auch direkt mit der Bewirkung der Leistung verbunden sind. Zum Beispiel wird der Schuldner in einem Bewachungsvertrag zur Bewahrung der Güter des anderen Teils als Bestand der Leistung verpflichtet. Diese Pflicht ist sowohl als Schutz- als auch als Leistungspflicht anzusehen. Vgl. BT-Drucks.14/6040, S.  125. 141  Vgl. BT-Drucks.14/6040, S.  126. 142  Vgl. BT-Drucks.14/6040, S.  125–126. 143  Vgl. BT-Drucks.14/6040, S.  125.

F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB

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Schuldverhältnisses ohne primäre Leistung ersetzt wurde,144 kann sich der Rechtsgrund der c.i.c. nicht mehr auf eine vertragsähnliche Haftung beziehen. Ferner entspricht §  311 II BGB den Fällen in Larenz’ Theorie, namentlich der Aufnahme der Vertragsverhandlungen und den sie vorbereitenden geschäftlichen Kontakten.145 Wie die Gesetzesverfasser erwähnen, ist die Fassung der c.i.c. ein Versuch, nicht ein allgemeines Prinzip zu abstrahieren, sondern ihre typischen Fälle aufzuzählen.146 Dies zeigt aber auch, dass die Verfasser eine relativ pragmatische Einstellung eingenommen haben, sodass der Umfang der c.i.c. nicht zu weit formuliert erscheint. Gemäß §  311 III BGB kann ein vertragsähnliches Schuldverhältnis auch mit den Personen, die gar keine Vertragsparteien sind, entstehen.147 Doch ist nicht beweisbar, ob die Gesetzesverfasser darauf abzielten, die Lehre vom Schuldverhältnis zugunsten Dritten vollständig aufzunehmen. Nach der Entwurfsbegründung bezieht sich dieser Paragraph besonders auf die Fälle der Eigenhaftung des Vertreters oder des Verhandlungsgehilfen, in denen noch umstritten ist, ob die c.i.c. als Haftungsmaßstab anerkannt werden kann. Daher beschränkt sich die Absicht der Gesetzesverfasser noch auf die Schutzwirkung für Dritte bei der c.i.c. Diese Einstellung ist in §  311 III 2 BGB konkretisiert, wonach die Vertragspartei mit den Schutzpflichten hinsichtlich eines Dritten belastet werden kann, wenn er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.148 Aber was ist unter dem hier gebrauchten Wort „Vertrauen“ zu verstehen? Infolge der Entwurfsbegründung befasst sich diese Rechtsnorm mit einem Sonderfall der Sachwalter, z. B. Sachverständigen bei der c.i.c., das heißt, dass die Parteien aufgrund des Vertrauens in Bezug auf ihre Objektivität und Neutralität in die Vertragsverhandlung oder den Vertragsschluss eintreten.149 Deswegen gehört das sog. Vertrauen zum Sonderfall des von Canaris genannten Vertrauensverhältnisses. Doch ist §  311 III BGB andererseits auf konservative Weise formuliert, sodass keine allgemeine Lehre für die Schutzwirkung zugunsten Dritter bei der c.i.c. daraus hergeleitet werden kann.150 Der Grund hierfür liegt, wie die Gesetzesverfasser erklären, darin, dass angesichts der nicht ab144 

Vgl. HKK/Harke, §  311 II, III, Rn.  22. Vgl. Larenz, Schuldrecht I, Bd.  1, S.  106. 146  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  162. 147  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  163. 148  Vgl. §  311 III 2 BGB. 149  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  163. 150  Die Formulierung des §  311 III 1 und 2 BGB beweist nur eine gesetzliche Anerkennung für einen Sonderfall der Schutzwirkung zugunsten Dritter im Fall der c.i.c. Daneben bestehen keine anderen relevanten Regelungen im BGB. 145 

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

geschlossenen Entwicklung der c.i.c. die Vorschrift nur insoweit geregelt werden soll, wie ihre Weiterentwicklung durch die Wissenschaft und Praxis bereits anerkannt wurde.151 3. Verbindung zwischen §  311a BGB und Schutzpflichten Die gesetzliche Anerkennung der Schutzpflichten hat unvermeidlich die Regelung anfänglicher Unmöglichkeit, das heißt §  306 a. F. und §  307 a. F. BGB beeinflusst. Wie im dritten Kapitel gezeigt, haben diese Paragraphen die Eigenschaft der Kombination zwischen der Unmöglichkeitslehre und der c.i.c. Nach dem Inkrafttreten des BGB wurde dieser Fall von Juristen und Juristinnen immer mehr als Unterfall der c.i.c. bezeichnet.152 Hierbei blieb noch ein ungelöstes Problem übrig, das aber auch von Mommsen vorgebracht worden war, nämlich dass subjektives Unvermögen mit objektiver Unmöglichkeit gleichgestellt ist. Dies führt zur unsachgemäßen Folge, dass ein Fall, in dem z. B. der Schuldner die Ablieferung der Sache persönlich verunmöglicht, sich nur auf den Schadensersatz für das negative Interesse beschränkt.153 Um das Problem zu lösen, bemühten sich die Verfasser darum, die Eigentümlichkeit des §  307 a. F. BGB aus einer anderen Perspektive zu verstehen, nämlich dass der Vorwurf gegen den Schuldner nicht auf seinem fehlenden Leistungsvermögen zum Gegenstand, sondern auf der unterbliebenen Vergewisserung in Bezug auf seine Leistungsmöglichkeit beruht.154 Dies bedeutet, dass die Haftung des Verkäufers nicht mehr auf den Zustand des Gegenstands, sondern auf eine vorvertragliche Pflicht zur Prüfung seines Leistungsvermögens zurückzuführen ist.155 Darüber hinaus sind die Verfasser der Meinung, dass der Eintritt der Unmöglichkeit vor oder nach dem Vertragsschluss zufällig sein kann und somit sein genauer Zeitpunkt zuweilen auch schwer zu beweisen ist. Daher sollte die Neuregelung zu Ansprüchen auf Ersatz des positiven Interesses verfasst werden, obwohl die Pflichtverletzung bereits vor oder bei Vertragsschluss vorlag. Diese Erklärung scheint jedoch nicht plausibel genug, sodass der Durchbruch der Beschränkung auf das negative Interesse gewissermaßen als eine rechtspolitische Maßnahme betrachtet werden kann. Daher haben bei der Entwurfsbegründung die Verfasser noch den Punkt erwähnt, dass dogmatisch gesehen dieser Anspruch auf das positive Interesse aus der Nichterfüllung des Leistungs151 

Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  162. Vgl. Kreß, Lehrbuch des allgemeinen Schuldrechts, S.  583; Planck, Plancks Kommentar zum BGB, Bd.  2, Vorbemerkungen zu §  275–293, S.  193. 153  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  165. 154  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  164. 155  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  164. 152 

F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB

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versprechens, aber nicht aus der Verletzung der durch Unmöglichkeit ausgeschlossenen Leistung folgt.156 In diesem Sinne ist unter dem Rechtsverhältnis bei anfänglicher Unmöglichkeit nicht mehr ein außervertragliches Schuldverhältnis zu verstehen, sondern es ist als „ein Vertrag ohne primäre Leistungspflicht“ anzusehen.157 Vor diesem Hintergrund sind die Verhaltenspflichten des Verkäufers nicht nach Larenz’ Theorie gemäß der gesetzlichen Natur ausgeprägt, sondern sind auf Jherings originalen Gedanken der Verbindlichkeit ohne Leistung zurückzuführen, weswegen das sog. Erfüllungsinteresse nur so begriffen werden kann. Das heißt, dass der Gläubiger in die Situation zu versetzen ist, als ob er die den Schuldner betreffenden Pflichten, z. B. Aufklärung über Leistungshindernis bzw. -unmöglichkeit erfüllt hätte.158 Demzufolge ist §  311a BGB auf eine ziemlich eigenständige Position im neuen BGB gestellt. In Bezug darauf, dass die Pflichten des Schuldners vor und nach Vertragsschluss unterschiedlich gestaltet sind, das heißt, dass diese Aufklärungspflicht grundsätzlich nicht Gegenstand des Leistungsverhältnisses sein kann, wird die Schadensersatzpflicht für anfängliche Unmöglichkeit nicht mehr als ein Unterfall des allgemeinen Leistungsstörungsrechts behandelt, sodass die Pflichten in dieser Vorschrift nicht auf die Schutzpflichten i. S. d. §  241 II BGB verweisen und die Rechtsfolge für deren Verletzung direkt in §  311a II BGB statuiert ist, aber nicht auf §  280 I BGB zurückzuführen ist. 4. Beziehung zwischen Gewährleistungsrecht und Schutzpflichten Wie oben erwähnt, waren die Verfasser des neuen Schuldrechts noch mit den folgenden Problemen konfrontiert: Erstens war der Konflikt zwischen der Haftung wegen falscher Zusicherung oder Arglist und der Haftung im Rahmen der p.V.V. nicht überzeugend gelöst, das heißt, dass die p.V.V. aus dem Mangelschaden ausgeschlossen ist; zweitens war noch der Konflikt zwischen der c.i.c. und der p.V.V. verblieben, das heißt, dass die Haftung des Verkäufers für den Mangelfolgeschaden aus dem Gesichtspunkt der p.V.V. gilt, während die Haftung aus der c.i.c. aber nur in Betracht kommt, wenn der Verkäufer z. B. eine besondere Beratung des Käufers übernommen, eine Aufklärungspflicht verletzt oder eine fahrlässig falsche Angabe über Eigenschaften der Kaufsache gemacht hat.159 Um diese Schwierigkeit zu überwinden, bemühten sich die Verfasser darum, das besondere Gewährleistungsrecht ans allgemeine Leistungsstörungsrecht an156 

Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  165. Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  165. 158  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  164. 159  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  224. 157 

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

zuknüpfen. Zuerst wurde §  433 II BGB wie folgt umformuliert, dass der Verkäufer dem Käufer die Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu verschaffen hat.160 Daher ist die Gewährleistungspflicht als Unterfall der Leistungspflicht definiert, während der Sach- und Rechtsmangel gemeinsam zur Schlechterfüllung zählen. Dementsprechend ist der Begriff des Sachmangels auch zum sog. subjektiven Fehler umgebaut.161 Außerdem zeigen sich die wichtigen Veränderungen in §  437 III BGB, der Mangel-, Mangelfolge- und Verzögerungsschaden gemeinsam umfasst. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz der Verfasser, nämlich dass der Schuldner, der die Pflichtverletzung zu vertreten hat, dem Gläubiger schadensersatzpflichtig ist.162 Demgemäß wird zuerst dem Käufer der Schadensersatz für das Interesse, das er ohne Mangel hätte (Mangelschaden), gegeben; zweitens kann ihm ein Schaden entstehen, der über den den Mangel begründenden Nachteil an der verkauften Sache hinausgeht (Mangelfolgeschaden). Dementsprechend verweist die Anspruchsgrundlage für Mangelschaden auf §  280 III BGB, das heißt den Nichterfüllungsschaden, während der Mangelfolgeschaden auf §  280 I BGB in Verbindung mit §  241 I BGB, und zwar dem Ersatz für die Verletzung der Schutzpflichten beruht. Bemerkenswert ist, dass der Schadensersatz gemäß §  437 III BGB möglicherweise auf §  311a II BGB gerichtet sein könnte, wenn dieser gewaltige Sachmangel zur anfänglichen Unmöglichkeit führt. Dies ist aber nicht der Schutzpflichtverletzung zuzuordnen.

II. Beziehung zwischen Schutz- und Leistungspflichten im allgemeinen Leistungsstörungsrecht Nach der oben durchgeführten Analyse steht im neuen Schuldrecht die Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten im Mittelpunkt, obwohl die Verhaltenspflichten i. S. d. §  311a BGB als Ausnahme eigenständig formuliert sind. Aber in welcher Beziehung Schutz- und Leistungspflichten genau zueinander stehen, muss weiter durch die Analyse des Schadensersatzes für die Schutzpflichtverletzung erklärt werden. 1. Verbindung zwischen §  280 I BGB und Schutzpflichten Anders als bei der einfachen Trennung der Leistungsstörungen in Unmöglichkeit und Verzug versuchten die Verfasser, eine einheitliche Vorschrift zumindest für die meisten schuldrechtlichen Schadensersatzansprüche einzuführen, das heißt 160 

Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  208. Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  210. 162  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  224–225. 161 

F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB

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den in §  280 I BGB bestimmten Oberbegriff der Pflichtverletzung. Demzufolge kann der Gläubiger in irgendeinem Schuldverhältnis Schadensersatz verlangen, solange der Schuldner die daraus entstehenden Pflichten verletzt und die weiteren Voraussetzungen erfüllt sind.163 Demnach stellt sich die Frage, wie weit der Inhalt dieser Pflichten eigentlich geht. Als Grundsatz für fast alle Schadensersatzansprüche außer §  311a BGB befasst sich §  280 I BGB nicht nur mit den Leistungspflichtverletzungen, sondern auch mit den neu entwickelten Arten der Pflichtverletzungen, vor allem einschließlich der p.V.V. und der c.i.c. sowie anderer Schutzpflichtverletzungen.164 Diese werden durch §  280 I BGB sowie die folgenden §§  281–283 BGB und andere Sonderregeln wie die c.i.c. konkretisiert. Daher verweist §  280 I BGB grundsätzlich auf die Fälle des §  241 II sowie §  311 II und §  311 III BGB. Aber was ist hier unter dem Umfang der Schutzpflichten zu verstehen? Nach der Meinung der Verfasser sollen die Pflichten gemäß §  280 I BGB sowohl die „vertraglichen Nebenpflichten“, die grundsätzlich mit der Realisierung des Leistungsinteresses des Gläubigers verbunden sind, als auch die „(bloßen) Schutzpflichten“, die nur durch §  241 II BGB betroffen sind, umfassen.165 Angesichts der Allgemeinheit des §  280 I BGB spielt der Begriff der Schutzpflichten, egal ob er im weiteren oder engeren Sinne zu verstehen ist, tatsächlich kaum eine Rolle für die Erweiterung oder Verkleinerung des Umfangs von §  280 I BGB. Daher soll diese Frage durch die Analyse der konkreten Vorschriften über Schutzpflichtverletzungen in erster Linie durch §  282 und §  324 BGB untersucht werden. 2. Verbindung zwischen §  282 bzw. §  324 BGB und Schutzpflichten a) Aufbau des §  282 und §  324 BGB Aus dogmatischer Sicht ist die Vorschrift des §  282 BGB erwähnenswert, die unter Mitwirkung des §  281 I und III BGB regelt, dass der Gläubiger, wenn der Schuldner die Schutzpflicht verletzt, nicht nur zum Schadensersatz für die Schutzpflichtverletzung berechtigt ist, sondern auch den Schadensersatz anstelle der Leistung verlangen kann, wenn ihm eine Leistung durch den Schuldner nicht mehr zumutbar ist.166 Dadurch ist ein Zusammenhang zwischen den Schutz- und Leistungspflichten begründet. Aber es lohnt sich, diese Verbindung im Rahmen des neuen Gesetzes genauer zu betrachten.

163 

Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  133. Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  135–136. 165  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  136. 166  Vgl. §  280 III und §  282 BGB. 164 

122

Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

Am wichtigsten ist die Bestimmung des Umfangs der Schutzpflichten i. S. d. §  282 BGB. Nach dem Vergleich zwischen dem anfänglichen Entwurf und dem letztendlich durchgesetzten Bundestagsbeschluss des SMG ist daraus zu entnehmen, dass die ursprüngliche Formulierung des §  282 BGB, das heißt „eine sonstige Pflicht aus dem Schuldverhältnis“, durch den Wortlaut „eine Pflicht nach §  241 Abs.  2“ ersetzt worden ist.167 Wie der Bericht des Rechtsausschusses erklärt, zeigt diese Veränderung, dass §  241 II BGB als Bezugnahme auf Schutzpflichten die Bedeutung der Pflichten in §  282 BGB deutlicher darstellt, das heißt als nicht leistungsbezogene Schutzpflichten.168 Auf der anderen Seite ist es auch sinnlos, die Pflichten in §  282 BGB als leistungsbezogene Nebenpflichten anzusehen, weil sie schon als Unterfall der p.V.V., nämlich die Nicht- oder Schlechterfüllung i. S. d. §  281 I BGB eingeordnet worden sind.169 Angesichts der klaren Unterscheidung zwischen §  281 I und §  282 BGB sollen die Schutzpflichten hier im engeren Sinne begriffen werden. §  324 BGB, die parallele Vorschrift im Rahmen des Rücktrittsrechts, hat einen ähnlichen Rechtsgrund wie §  282 BGB. Nach dem Wortlaut des §  324 BGB ist der Gläubiger beim gegenseitigen Vertrag zum Rücktrittsrecht berechtigt, solange die Schutzpflichtverletzung durch den Schuldner dazu führt, dass ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zuzumuten ist.170 In diesem Fall darf der Gläubiger die vom Schuldner erbrachte Leistung ablehnen und sich auch von der entsprechenden Gegenleistung befreien.171 Demnach ändert sich das ursprüngliche Vertragsverhältnis in ein gesetzliches Abwicklungsverhältnis. Als entsprechende Norm hat §  324 BGB eine ähnliche Geschichte beim Gesetzgebungsverfahren erlebt. Seine Formulierung „eine sonstige Pflicht“ wurde durch „eine Pflicht nach §  241 Abs.  2“ ersetzt und der Ausdruck von „der Wesentlichkeit der Schutzpflichten“ gestrichen.172 Daher sind die Schutzpflichten in §  324 BGB wie in §  282 BGB als bloße Schutzpflichten zu definieren.173 167 

Vgl. BT-Drucks. 14/7052, S.  14. Vgl. BT-Drucks. 14/7052, S.  186. 169  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  135–136. 170  Vgl. §  324 BGB. 171  Vgl. MüKo BGB/Ernst, §  324, Rn.  5. 172  Vgl. BT-Drucks. 14/7052, S.  33. 173  Daraus lässt sich entnehmen, dass die Bedeutung und Tragweite der Schutzpflichten zwischen §  241 II und §  282 BGB nicht identisch sind. Genauer gesagt sind die Schutzpflichten i. S. d. §  241 II BGB im weiteren Sinne zu verstehen, während dieselben i. S. d. §  280 ff. BGB im engeren Sinne zu begreifen sind. Der Grund liegt darin, dass in §  241 I BGB die eingeschränkte Definition der Leistung noch bestehen bleibt und somit §  241 II BGB möglichst die weiteren Verhaltenspflichten neben der Leistung umfassen muss, um alle aus dem Schuldverhältnis entstehenden Pflichten einzuschließen. Im Vergleich dazu entspricht der Schadensersatz i. S. d. §  281 BGB der Verletzung der Nicht- und Schlechtleistung, sodass die Ver168 

F. Gesetzlicher Wiederaufbau der Nebenpflichten im neuen BGB

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b) Anerkennung des Vertrauensverhältnisses Beide Vorschriften werfen die gemeinsame Frage auf: Worauf ist der Einfluss der bloßen Schutzpflichtverletzung auf die Leistungspflicht, und zwar entweder der Schadensersatz der Leistungspflichtverletzung oder die Auflösung des Leistungsverhältnisses, zurückzuführen? Wird §  282 BGB als Beispiel genannt, lässt sich dieser Einfluss auf die Unzumutbarkeit der Leistung zurückführen. Nach Auslegung der Entwurfsverfasser kann es für den Gläubiger wegen der Schädigung seiner Rechte, Rechtsgüter oder seines Interesses nicht mehr erträglich sein, dass die Leistung wieder durch den Schuldner bewirkt wird.174 Aber welcher Maßstab gilt für die sog. „Unerträglichkeit”? Tatsächlich gab es beim ursprünglichen Entwurf neben der Unzumutbarkeit der Leistung noch zusätzlich das Erfordernis, dass die Pflichtverletzung wesentlich sein muss.175 Obwohl dies nach Meinung des Rechtsausschlusses dem Wort nach weitschweifig und unnötig ist,176 hat der Ausdruck, „wesentlich“ auf die Rechtsfolge der Schutzpflichtverletzung hingewiesen, das heißt, dass durch das Verhalten des Schuldners nicht nur der Rechtsgrund der Schutzpflichten verletzt wird, sondern gleichzeitig auch der Rechtsgrund der Leistungspflicht gestört wird. Dadurch stellt sich freilich die Frage, worin der gemeinsame Rechtsgrund für die Schutz- und Leistungspflichtverletzung liegt. Hier ist an die oben erwähnten Theorien von Stoll bis Canaris zu erinnern: Die Verletzung i. S. d. §  282 BGB zerstört eigentlich das Vertrauensverhältnis zwischen den beiden Parteien, sodass das Leistungsinteresse des Gläubigers, d. h. der Zweck des Vertrags, unmöglich zu realisieren ist.177 Aus diesem Grund gilt dies unter Umständen als indirekter Beweis für die gesetzliche, tatsächliche Anerkennung der Theorie des Vertrauensverhältnisses. Für §  324 BGB scheint die innere Begründung gleich, nämlich dass die Schutzpflichtverletzung das grundlegende Vertrauen des Gläubigers in die Leistungsfähigkeit des Schuldners beschädigt, sodass die Möglichkeit der weiteren Leistungsbewirkung unberührt geblieben ist.178 Daher beruht §  324 BGB auch auf dem Grundgedanken des Vertrauensverhältnisses.

letzungen aller leistungsbezogenen Pflichten umfasst werden. Daher sollen die Schutzpflichtverletzungen i. S. d. §  282 und §  324 BGB möglichst eng bestimmt werden. Aus diesem Grund lässt sich daraus gewissermaßen entnehmen, dass die Gesetzesverfasser die Neigung haben, die Terminologie der Schutzpflichten im engeren Sinn anzuwenden. 174  Vgl. BT-Drucks. 14/6040, S.  141–142. 175  Vgl. BT-Drucks. 14/7052, S.  14. 176  Vgl. BT-Drucks. 14/7052, S.  185–186. 177  Vgl. MüKo BGB/Ernst, §  282, Rn.  5. 178  Vgl. MüKo BGB/Ernst, §  324, Rn.  7.

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

III. Zwischenergebnis Der oben dargestellten Analyse zufolge kann das Pflichtensystem des deutschen geltenden Rechts mit Fokus auf den Kaufvertrag mit dem folgenden Bild zusammengefasst werden:

§ 437 III, § 434, § 241 II, § 280 I

Aber diese Veränderung kann nicht durch nur einen Satz, und zwar die Einführung der Schutzpflichten zusammengefasst werden. Grundsätzlich ist der Leistungsbegriff im neuen Gesetz in seinem engeren Sinne erhalten. Obwohl manche heutige Lehrbücher noch Sibers Theorie, nämlich die Trennung zwischen Leistungserfolg und -verhalten, anwenden,179 scheint deren gesetzliche Adaption noch nicht beweisbar. Im Vergleich dazu wird der Begriff der Schutzpflichten auch nicht mit der gleichen Bedeutung verwendet, die zwischen den „weiteren Verhaltenspflichten“ neben der Leistung und den „bloßen Schutzpflichten“ schwankt. Aber nach der systematischen Analyse von §§  280 ff. BGB ist zu vermuten, dass der Gesetzgeber dazu neigt, ihn im engeren Sinne anzuwenden. Erstaunlicherweise ist aus der Beobachtung von §  282 und §  324 BGB zu entnehmen, dass Leistungs- und Schutzpflichten dem Vertrauensverhältnis untergeordnet werden. Dies entspricht aber nicht den Auffassungen von Stoll bis Canaris, wonach das Vertrauensverhältnis normalerweise parallel zum aus der Leistung entstehenden Schuldverhältnis besteht. In den speziellen Bereichen sind die Fälle der c.i.c., genauer gesagt die Aufnahme der Vertragsverhandlung und der geschäftliche Kontakt auf Schutzpflichten angewiesen. Dies entspricht vollständig der Theorie von Larenz, aber ignoriert die mit den Schutzpflichten einhergehenden anderen Pflichten wie die Loyalitätspflichten. Aus diesem Grund sind die Verhaltenspflichten bei anfänglicher Unmöglichkeit nicht als Unterfall der Schutzpflichten anzusehen, sondern als eine eigenständige Vorschrift im neuen Gesetz definiert, deren Dogmatik auf Jherings Entdeckung, nämlich das Vertragsverhältnis ohne primäre Leistung, zurückzuführen ist. 179

Vgl. Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, §  1, Rn.  16.

G. Zusammenfassung: Historische Evaluierung des geltenden deutschen Rechts

125

Im Bereich des Kaufrechts wurde das alte Gewährleistungsrecht aufgrund dessen, dass der Vorwurfsmaßstab, das heißt arglistiges Verschweigen oder falsche Zusicherung des Verkäufers, durch die Schutzpflichtverletzung ersetzt wurde, mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht harmonisiert. Daher ist die Gewährleistungspflicht in die Leistungspflicht, die sich auf den Mangelschaden bezieht, und die Schutzpflichten, die dem Mangelfolgeschaden entsprechen, aufgeteilt. Zugleich ist die seit Langem vorhandene Konkurrenz zwischen der c.i.c. und der p.V.V. mit Fokus auf §  463 a. F. BGB durch die Berücksichtigung der Schutzpflichten verdeckt oder anders gesagt umgangen.

G. Zusammenfassung: Historische Evaluierung des geltenden deutschen Rechts Wird die oben dargestellte dogmatische Entwicklung des deutschen Rechts nach dem Inkrafttreten des BGB einseitig betrachtet, lässt sich oberflächlich daraus entnehmen, dass das System der Verhaltenspflichten immer weiter vervollständigt wurde, insbesondere im Hinblick auf die Fortbildung der Lehre von den Schutzpflichten. Doch wäre die Schlussfolgerung völlig anders, wenn die Geschichte aus rechtshistorischer Perspektive, das heißt der Weiterentwicklung der Nebenpflichten und der Elemente im Schuldverhältnis, z. B. Leistung, Verschulden und Haftung, begriffen würde. Erstens ergibt sich mittlerweile eine klare und sogar scharfe Trennung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten bzw. Schutzpflichten, die auf Sibers ersten Versuch zur Überwindung des auf subjektivem Recht beruhenden Leistungsbegriffs zurückzuführen ist. Aber insbesondere nach der Aufstellung und Optimierung der Lehre von den Schutzpflichten wurde die Grenze zwischen Leistungs- und Verhaltenspflichten neben der Leistung immer strenger gezogen, sodass das Schuldverhältnis tatsächlich in das Leistungs- und Vertrauensverhältnis zersplittert zu sein scheint. Vor allem hat der Einfluss von Canaris’ Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses dazu geführt, dass im jetzigen BGB eine Tendenz besteht, die Schutzpflichten als die dritte Kategorie der zivilrechtlichen Haftung außer Vertrag und Delikt anzusehen. Dies aber scheint noch sehr fremd, und zwar nicht nur für die deutsche Rechtstradition, sondern auch für andere Länder, deren Zivilrecht auf die Tradition des römischen Rechts zurückzuführen ist. Zweitens sind die Nebenpflichten und das Verschulden des Schuldners immer stärker indirekt miteinander verbunden und scheinen sogar voneinander unabhängig zu sein: Weil die Dogmatik des geltenden Rechts Puchtas Formel für

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Viertes Kapitel: Entwicklung der Nebenpflichten im modernen deutschen Recht

Haftungsmaßstäbe, das heißt die Unterscheidung zwischen objektiver Pflichtverletzung und subjektiver Zurechnung verfolgt, konzentrieren sich die wissenschaftlichen Bemühungen noch immer auf die Suche nach dem objektiven Rechtsgrund für die Verhaltenspflichten in den Fällen der p.V.V. und der c.i.c., die aber immer stärker als vom geschäftlichen Willen der Beteiligten unabhängig betrachtet werden und somit mit einer gesetzlichen Eigenständigkeit ausgeprägt sind. Auf der anderen Seite wird das Element des Verschuldens immer weniger berücksichtigt, sodass die Schutzpflichtverletzung bereits fast als objektive Widerrechtlichkeit bezeichnet werden kann.180 Doch ist nicht zu vergessen, dass Puchtas Formel eigentlich auf dem Gedanken der Leistungsumwandlung beruht, sodass der Schadensersatz immer dem Interesse der Leistung, und zwar des originalen Inhalts des Schuldverhältnisses entspricht. Denn wenn der Rechtsgrund für die Verhaltenspflichten nicht ans geschäftliche Rechtsverhältnis, z. B. Vertragsschluss oder -erfüllung geknüpft wird, stellt sich immer die Frage, auf welches Interesse deren Verletzung gerichtet sein soll. Unter den verschiedenen Antworten, z. B. Erhaltungs-, Vertrauens-, negatives und positives Interesse, gibt es noch viele ungelöste Unklarheiten und Streitigkeiten. Drittens ist wegen der Einführung der Schutzpflichten die Beziehung zwischen vorvertraglichem und vertraglichem Verhältnis äußerst komplex. Infolge des Einflusses von Jhering bis Leonhard hat sich das vorvertragliche Schuldverhältnis zu einem Zeitpunkt an das Vertragsverhältnis angenähert, aber danach ist die Abgrenzung zwischen den beiden Stadien mit Betonung der Eigenständigkeit des vorvertraglichen Stadiums noch einmal verabsolutiert worden. Allerdings wurden die beiden Stadien, weil sowohl die c.i.c. als auch die p.V.V. auf die Schutzpflichtverletzungen verweisen, auf der anderen Ebene, das heißt im Schutzverhältnis wieder vereinheitlicht. Dieses Paradox ist darauf zurückzuführen, dass die Rechtsdogmatik sich auf Basis des seit Langem unveränderten Verständnisses, das heißt, dass das Leistungsverhältnis noch als ein auf dem subjektiven Recht bestehendes Herrschaftsverhältnis anzusehen ist, entwickelt hat. Daher wird dieser schuldrechtliche Umbau, der eigentlich der Überwindung des Gesetzgebungsdefizits, das bereits vor hundert Jahren vorhanden war, dient, noch immer durch dasselbe Problem dominiert und beeinflusst.

180 

Vgl. MüKo BGB/Grundmann, §  276, Rn.  22–23.

Fünftes Kapitel

Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht mit Rücksicht auf dessen Rezeptionsgeschichte A. Überblick Es ist zuzugestehen, dass das heutige chinesische Zivilrecht zum großen Teil ein Produkt der Rechtsrezeption ist,1 während seine traditionelle Rechtsordnung bereits gegen Ende des Qing-Imperiums aufgegeben worden ist.2 Wenn man das Problem der Nebenpflichten im zu kodifizierenden chinesischen ZGB genauer verstehen will, ist es daher unvermeidbar, das Ganze im Rahmen der Rechtsrezeptionsgeschichte zu betrachten. Laut populärer Aussage gehört das chinesische Zivilrecht ebenso wie das koreanische und japanische zum deutschen Rechtskreis.3 Wenn aber die Rezeptionsgeschichte des letzten Jahrhunderts genauer untersucht wird, erscheint diese Zusammenfassung weder präzise noch plausibel. Durch gewaltige politische Bewegungen und sozialen Wandel ist der chinesische Rechtsaufbau sehr oft an den Nullpunkt zurückgekehrt. Dieser Rechtsaufbau hat aber jedes Mal von Neuem begonnen, sodass der Rezeptionsgegenstand dementsprechend häufig gewechselt hat. Vor diesem Hintergrund ist es anzuerkennen, dass das heutige chinesische Schuldrecht als Ergebnis der historischen Überlagerung der vielfältigen Rechtsrezeptionen anzusehen ist. Demzufolge ist die Verbindung zwischen dem chinesischen und deutschen Recht bald stärker, bald schwächer. 1  Nach Schermaiers Meinung kann Rechtstransplantation nicht mit Rechtsrezeption gleichgestellt werden. Erstere beziehe sich nur auf die einzelne Rechtsfigur, während Letztere sich auf die komplexe Erscheinung eines rechtskulturellen Prozesses richte. Der Aufbau der Nebenpflichten i. S. d. chinesischen Rechts kann nicht lediglich als eine einfache Kopie des deutschen Rechtsinstituts, sondern sollte als ein historischer Aufbau des Rechtssystems und auch eine langfristige Interaktion zwischen dem Einfluss aus ausländischen Rechtsordnungen und der freiwilligen oder unfreiwilligen Auswahl Chinas bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund wird das Wort Rechtszeption gebraucht für das Verfahren vom Aufbau der Nebenpflichten. Vgl. Schermaier, in: Schermaier/Gephart (Hrsg.), Rezeption und Rechtskulturwandel: Europäische Rechtstraditionen in Ostasien und Russland, S.  9 (24). 2  Vgl. Sun Xianzhong, Rechtswissenschaft Chinas 3 (2006), 166 (166). 3  Vgl. Sun Xianzhong, Chinesische Sozialwissenschaft 2 (2008), 88 (88).

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

Das Problem der Nebenpflichten ist immer mit dem Aufbau bzw. der Gesetzgebung des Schuldrechts verbunden, der somit den drei Stadien der ZGB-Kodifikation in der chinesischen Rechtsgeschichte entspricht. Das erste Stadium begann mit dem Entwurf des ZGB vonseiten des Qing-Imperiums im Jahre 1911 (Ent Qing-ZGB) und endete mit dem Inkrafttreten des ZGB der Republik China 1929 (RC-ZGB). Dieser Prozess von 1911 bis 1929 symbolisierte die aufeinanderfolgenden Bemühungen um die Nachahmung des deutschen Rechts, sodass das damalige chinesische Schuldrecht stark vom deutschen BGB geprägt wurde. Obwohl bei diesen Gesetzgebungen die Nebenpflichten nicht erwähnt wurden, wird die Grundlage des Schuldrechts bzw. des entsprechenden Pflichtensystems dadurch begründet. Das zweite Stadium begann mit dem Entwurf des Zivilrechts 1956, der nach dem ZGB der Sowjetunion formuliert wurde, und endete mit dem Entwurf des Zivilrechts 1982, der nach dem ZGB der Sowjetunion aus dem Jahre 1964 und dem Ungarns von 1978 verfasst wurde. Inzwischen wurde durch die völlige Aufhebung der Gesetze der Republik China und die Aufnahme des sozialistischen Rechtssystems der Sowjetunion die Rechtsstruktur einschließlich des Schuldrechtssystems erheblich verändert. Doch findet sich teilweise noch eine Verbindung zwischen dem chinesischen und deutschen Recht, weil das sowjetische Zivilrecht ebenfalls entsprechend der deutschen Dogmatik aufgebaut wurde.4 Das dritte Stadium begann mit der Durchführung der Politik „Reform und Öffnung“, insbesondere dem Inkrafttreten der „Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ (AGZR) von 19865 und dauert bis heute kontinuierlich an. Aufgrund der Ablehnung der vorherigen, extrem ideologisch gefärbten Rechtswissenschaft wurde das neue Zivilrechtssystem aus den ersten beiden Stadien wiederaufgebaut. Inzwischen ist der deutsche Einfluss auf das chinesische Zivilrecht immer stärker geworden.6 Daher haben einige chinesische Zivilrechtler angenommen, dass das Vgl. Sun Xianzhong, Chinesische Sozialwissenschaft 2 (2008), 88 (92–94). Die „Allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts“ sind nicht als der Allgemeine Teil des Zivilgesetzbuchs, sondern als eine Zusammenfassung der zivilrechtlichen Grundprinzipien anzusehen. Deren Entstehung ist darauf zurückzuführen, dass damals die Entscheidung getroffen wurde, die Kodifikation des einheitlichen ZGB in die Formulierung der verschiedenen eigenständigen Sondergesetze, z. B. Vertrags-, Deliktsrecht aufzuteilen. Daher gelten die AGZR vorläufig als eine gesetzliche Rechtsquelle für die später erlassenen Gesetze bis zum Inkrafttreten des „Allgemeinen Teils des chinesischen ZGB“ von 2017. Vgl. Liang Huixing, Shandong University Law Review (2003), 1 (7). 6  Der deutsche Einfluss auf den Aufbau des chinesischen Zivilrechts in den 1980er Jahren wurde durch die zweimalige Aufnahme der japanischen Rechtswissenschaft realisiert. Wegen der sprachlichen Einfachheit wurde die japanische Rechtswissenschaft massiv übernommen, damit deren deutschen Elemente wiederum den Aufbau des chinesischen Rechts und der Rechtswissenschaft graduell beeinflussen. Der Höhepunkt des deutschen Einflusses auf das 4  5 

B. Rechtsaufbau der Nebenpflichten in der ersten Rechtsrezeption

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chinesische Zivilrecht gerade jetzt den Wiederaufschwung der Pandektenwissenschaft erlebe.7 Allerdings zeigen viele Gesetze, insbesondere das chinesische Vertragsgesetz von 1999 noch vielfältige Einflüsse aus verschiedenen Rechtsquellen, worin die Rechtsinstitute sowohl aus dem konti­nentalen Rechtskreis als auch aus dem Common Law absorbiert wurden. Obwohl zunächst in diesem Gesetz die Terminologie der Nebenpflichten angewandt wurde,8 scheint die Grundstruktur des Gesetzes doch schon weit entfernt vom deutschen Recht und auch verschieden vom deutschen Recht zu sein. Daher ist bei der Kodifikation des chinesischen ZGB eine Aufgabe zu lösen, nämlich das Problem der Nebenpflichten aus dogmen- bzw. rezeptionsgeschichtlicher Sicht ganz genau zu untersuchen. Demzufolge kann eine Evaluierung für den gerade bekannt gegebenen KE-BTCZGB gegeben werden.

B. Rechtsaufbau der Nebenpflichten in der ersten Rechtsrezeption I. Übersehen der Nebenpflichten in zwei früheren ZGB-Entwürfen Der erstmalige Aufbau des chinesischen Schuldrechts ist darauf zurückzuführen, dass vor hundert Jahren das Qing-Imperium sein traditionelles Rechtssystem reformieren bzw. modernisieren musste, um die Rechtsexterritorialität der westlichen Mächte aus China auszuschließen.9 Daher wurde der erste Entwurf des ZGB unter Mitwirkung des angestellten japanischen Juristen Yoshimasa Matsuoka (松冈义正)10 bereits 1911 formuliert,11 dieser ist aber wegen der chinesische Zivilrecht liegt in der Kodifikaton des Sachengesetzes von 2007, in dem die klare Trennung zwischen Obligations- und Sachenrecht endlich anerkannt wurde. Dies wird als ein Zeichen der Aufnahme der Pandektenwissenschaft bezeichnet. Vgl. Sun Xianzhong, Rechtswissenschaft Chinas 3 (2006), 166 (173). 7  Vgl. Sun Xianzhong, Chinesische Sozialwissenschaft 2 (2008), 88 (95–97). 8  Genauer gesagt wird der Ausdruck Nebenpflichten nicht im Gesetz verwendet, sondern im offiziellen Kommentar benutzt. Daher sind die Nebenpflichten nicht nur ein akademischer Rechtsbegriff, sondern auch ein durch den Gesetzgeber anerkanntes Rechtsinstitut. Vgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  123; Das Rechtskomitee – Zivilrechtsabteilung des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Ausgewählte Gesetzgebungsmaterialien zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  51–52. 9  Vgl. Zhang Sheng, Die Untersuchung zur Kodifizierung des chinesischen Zivilrechts der Neuzeit: 1901–1949, S.  36. 10  Yoshimasa Matsuoka hat an der Universität Tokyo Rechtswissenschaft studiert und den Bachelorgrad erhalten. Danach war er Richter am Berufungsgericht Tokyos. Ab 1906 wurde er vom Qing-Imperium angestellt, um Vorlesungen über Zivil- und Zivilprozessrecht zu halten und auf die Kodifikation des chinesischen ZGB vorzubereiten. Vgl. Li Zheng, Rechtswissenschaft 6 (2000), 99 (102). 11  Yoshimasa Matsuoka beschäftigte sich als angestellter ausländischer Experte mit der

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

Xinhai-Revolution (辛亥革命) 12 nicht in Kraft getreten. Doch wurde dieser Entwurf als akademisches Werk aufbewahrt, wodurch der ZGB-Entwurf der BejingRegierung13 weiter beeinflusst wurde. Abgesehen von seiner auffallenden politischen und sozialen Bedeutung wird dogmatisch gesehen dieser Entwurf als indirektes Rezeptionsprodukt des deutschen BGB von 1900 bezeichnet.14 Nach §  324 Ent Qing-ZGB ist der Gegenstand des Schuldverhältnisses auf die Leistung im engeren Sinne beschränkt,15 der §  241 a. F. des deutschen BGB nachfolgt. Damit ist nicht beweisbar, ob die Nebenpflichten i. S. d. allgemeinen Schuldrechts von den Entwurfsverfassern berücksichtigt wurden. Doch scheint gemäß §  325 Ent Qing-ZGB die Sorgfaltspflicht bei der Stückschuld eingeführt worden zu sein, nämlich dass der Schuldner die Sorgfalt eines redlichen Verwahrers anwenden muss, um die Speziessache aufrechtzuerhalten.16 Aber es ist im Gesetz nicht nachzuweisen, dass deren Verletzung einen eigenständigen Schadensersatzanspruch verursachen kann. Daher ist die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht vielmehr als ein Verschuldensmaßstab anzusehen. Im allgemeinen Leistungsstörungsrecht werden nur zwei Pflichtverletzungen, Unmöglichkeit und Verzug, eingeführt. Erstaunlicherweise wurde die Lehre der Unmöglichkeit vollständig aufgenommen: Die Regelungen über nachträgliche Unmöglichkeit entsprechen vollständig dem deutschen BGB: Gemäß §  35517 Kodifikation der Bände des Allgemeinen Teils, des Schuldrechts und Sachenrechts, während der Familienrechts- und Erbrechtsband von chinesischen Juristen verfasst wurden. Vgl. Zhang Sheng, Die Untersuchung zur Kodifizierung des chinesischen Zivilrechts der Neuzeit: 1901– 1949, S.  63; Liang Huixing, Shandong University Law Review (2003), 1 (2). 12  Die Xinhai-Revolution wird auch die chinesische Revolution von 1911 genannt, wobei das Qing-Imperium vonseiten der Republik China gestürzt und ersetzt wurde. 13  Die Bejing-Regierung der Republik China heißt die durch die nördlichen Militaristen dominierte Regierung der Republik China im Zeitraum von 1912 bis 1928. 14  Die Rezeption des deutschen Rechts wurde gewissermaßen durch die Umsetzung des japanischen ZGB von 1896 realisiert. Obwohl das deutsche BGB damals noch nicht erlassen war, hat die pandektistische Rechtsdogmatik bereits das japanische Zivilrecht stark beeinflusst. Dieser Effekt ist auch im chinesischen Entwurf deutlich angezeigt. 15  参见《大清民律草案》第324条第1款:债权人得向债务人请求给付。 (Siehe §  324 I Ent Qing-ZGB: Der Gläubiger ist berechtigt, die Leistung vom Schuldner zu beanspruchen. Übersetzung Nijie Wang). 16  参见《大清民律草案》第325条:债权之标的,若系特定物之交付债务人,至交 付时为止,须以善良管理人之注意,保存其特定物。(Siehe §  325 Ent Qing-ZGB: Wenn der Gegenstand des Schuldverhältnisses sich darauf bezieht, eine Speziessache zu übergeben, hat der Schuldner die Sorgfalt des gutgläubigen Verwahrers anzuwenden, um sie zu bewahren. Übersetzung Nijie Wang). 17  参见《大清民律草案》第355条:债权关系发生后,因归责于债务人之事由致不 能给付者,债权人得向其债务人请求履行损害赔偿。(Siehe §  355 Ent Qing-ZGB: Der Schuldner hat dem Gläubiger den durch die Nichterfüllung entstehenden Schaden zu ersetzen,

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und §  361 Ent Qing-ZGB18 wird Unmöglichkeit in unverschuldete sowie verschuldete eingeteilt und setzt die Haftung des Schuldners, auch sein Verschulden, etwa Vorsatz oder Fahrlässigkeit, voraus.19 Unter dem entsprechenden Schadensersatz ist der vom Gläubiger erlittene Schaden oder der verlorene Gewinn zu verstehen, was aber tatsächlich als die Umschreibung und Zusammenfassung des §  249 a. F. und §  252 a. F. des deutschen BGB bezeichnet wird. Außerdem werden die Regelungen der anfänglichen Unmöglichkeit, nämlich §  306 a. F. und §  307 a. F. BGB auch unverändert auf §  51420 und §  515 Ent Qing-ZGB21 übertragen. Im Bereich des Kaufrechts ist die Nachahmung des deutschen Rechts ebenfalls deutlich ausgeprägt. §  463 a. F. BGB wurde wörtlich in §  572 Ent Qing-ZGB übernommen, das heißt, dass im Fall eines Sachmangels der Verkäufer nur wegen des Verstoßes gegen seine Zusicherung oder der arglistigen Verschweigung für den Schadensersatz einstehen muss.22 Aus der oben dargelegten Untersuchung soweit die Leistung infolge eines vom Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich wird. Übersetzung Nijie Wang). Dies entspricht völlig §  280 I a. F. des deutschen BGB. 18  参见《大清民律草案》第361条:债务关系发生后,非因归责于债务人之事由致 不能给付者,债务人免其义务。(Siehe §  361 Ent Qing-ZGB: Der Schuldner wird von der Verpflichtung der Leistung befreit, soweit die Leistung infolge eines nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Umstands, den er nicht zu vertreten hat, unmöglich wird. Übersetzung Nijie Wang). Dies entspricht völlig §  275 a. F. des deutschen BGB. 19  参见《大清民律草案》第357条:债务人于法令或法律行为无特别规定者,因故 意或过失致不能给付时,应任其责。债务人若怠于交易上必要之注意,即为有过失之 债务人。(Siehe §  357 Ent Qing-ZGB: Der Schuldner hat, sofern nichts anderes bestimmt ist, Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Übersetzung Nijie Wang). Dies entspricht dem Wortlaut §  276 a. F. des deutschen BGB. 20   参见《大清民律草案》第514条:以不能给付为标的之契约,为无效。(Siehe §  514 Ent Qing-ZGB: Ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag ist nichtig. Übersetzung Nijie Wang). 21  参见《大清民律草案》第515条:契约以不能为给付标的者,知其不能之当事 人,或因过失而不知之当事人,于相对人信为有效而受之损害任赔偿之责。但其赔偿 额不得逾相对人于其契约有效时所受之利益。前项规定,于相对人亦知其给付之不能 或因过失而不知者,不适用之。(Siehe §  515 Ent Qing-ZGB: Wer bei der Schließung eines Vertrags, der auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist, die Unmöglichkeit der Leistung kennt oder kennen muss, ist zum Schadensersatz verpflichtet, den der andere Teil dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, das der andere Teil an der Gültigkeit des Vertrags hat. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der andere Teil die Unmöglichkeit kennt oder kennen muss. Übersetzung Nijie Wang). 22  参见《大清民律草案》第572条:买卖之标的物缺少契约时卖主所担保之性质 者,买主得请求不履行之损害赔偿,以代买卖之解除,或减少价额之请求。卖主故意 不告知标的物之瑕疵者,亦同。(Vgl. §  572 Ent Qing-ZGB: Fehlt der verkauften Sache zur Zeit des Kaufes eine zugesicherte Eigenschaft, so kann der Käufer statt der Wandlung oder der Minderung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Das Gleiche gilt, wenn der Verkäufer einen Fehler arglistig verschwiegen hat. Übersetzung Nijie Wang).

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

lässt sich entnehmen, dass weder im Schuldrecht AT noch im Kaufrecht das Problem der Nebenpflichten berücksichtigt wurde, weil die Struktur und sogar die Vorschriften des deutschen BGB unverändert kopiert wurden. Nach dem Untergang des Qing-Imperiums entstand die Republik China, deren Macht aber sofort durch die nördlichen Militaristen übernommen und in der Folge die sog. Beijing-Regierung begründet wurde. In der Zwischenzeit war der neue Entwurf des ZGB (Ent BR-ZGB) formuliert worden, um die unvollendete Aufgabe der Qing-Dynastie zu vollenden. Im Vergleich zum vorherigen kann aus dem neuen Entwurf kaum eine Veränderung entnommen werden, die Struktur des Schuldrechts wird noch wie früher bewahrt. Nicht nur das Verständnis des Schuldverhältnisses und die daraus entstehende Leistung sind unverändert,23 sondern auch das System des Leistungsstörungsrechts orientiert sich an der Unmöglichkeit und dem Verzug der Leistung.24 Allerdings sind die Regelungen über die Unmöglichkeit übermäßig vereinfacht, da nur die nachträgliche Unmöglichkeit reguliert wurde, während die anfängliche Unmöglichkeit fehlt. Im Kaufrecht wurde die Unabhängigkeit des Gewährleistungsrechts, das heißt das Recht der Minderung oder Wandlung ohne Rücksicht auf das Verschulden des Verkäufers, ebenfalls aufgenommen.25 Sogar die Voraussetzungen für den Schadensersatzanspruch aufgrund eines Sachmangels sind gleich, wie §  463 a. F. BGB zeigt.26 Daher ergeben sich in diesem Entwurf keine ausreichenden Bemühungen um die Erneuerung des bisherigen Entwurfs bzw. die Verbesserung 23  参见《民国民律草案》第286条:债权人得据债之关系,向债务人请求给付。给 付,不以有财产价格者为限。不作为,亦得为给付。(Vgl. §  286 Ent BR-ZGB: Abs.  1: Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, vom Schuldner eine Leistung zu fordern. Abs.  2: Die Leistung beschränkt sich nicht darauf, was in Geld geschätzt werden kann. Abs.  3: Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. Übersetzung Nijie Wang). 24  §  322 ff. Ent BR-ZGB regulieren die Fälle der Unmöglichkeit, während §  325 ff. Ent BRZGB die Fälle des Verzugs statuieren. 25  Vgl. §  425 ff. Ent BR-ZGB. 26  Anders als im Entwurf des Qing-ZGB wird hier der Schadensersatz für das arglistige Verschweigen oder der Verstoß gegen Zusicherung des Verkäufers nicht beim Kauf der Speziessache, sondern nur beim Gattungskauf in §  453 Ent BR-ZGB geregelt. Dies entspricht genau dem Wortlaut des §  480 a. F. des deutschen BGB. Doch gibt es keine entsprechenden Regeln i. S. d. §  463 a. F. des deutschen BGB. 参见《民国民律草案》第453条:(第1款)依种类 定标的物之买卖,其物有瑕疵者,买主得请求另行交付无瑕疵之物,或解除买卖契 约,或请求减少价金。(第2款)卖主,就前项另行交付之物,仍负担保责任。标的物 之危险,已归买主负担时,若其物缺少卖主所担保之品质,或卖主故意隐匿其物之瑕 疵者,买主得请求赔偿损害。(Siehe §  453 Ent. BR-ZGB: Abs.  1: Der Käufer einer nur der Gattung nach bestimmten Sache kann statt der Wandlung oder der Minderung verlangen, dass ihm anstelle der mangelhaften Sache eine mangelfreie geliefert wird. Abs.  2: Fehlt der Sache zu der Zeit, zu welcher die Gefahr auf den Käufer übergeht, eine zugesicherte Eigenschaft oder hat der Verkäufer einen Fehler arglistig verschwiegen, so kann der Käufer Schadensersatz verlangen. Übersetzung Nijie Wang).

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der deutschen Dogmatik, vermutlich weil in dieser bewegten Zeit die Kodifikation vielmehr als eine politische Erklärung für die Begründung eines modernen Staats anzusehen war.27 Das Problem der Nebenpflichten war indes noch nicht von den chinesischen Verfassern bemerkt worden.

II. Indirekte Aufnahme der p.V.V. im ZGB der Republik China 1928 wurde die Beijing-Regierung durch die nördliche Expedition gestürzt und im Süden die Nanjing-Regierung der Republik China begründet.28 Die Kodifikation eines eigenen ZGB wurde damals als wesentliche politische Aufgabe angesehen, das als das erste ZGB in der chinesischen Geschichte im Jahr 1929 in Kraft trat. Das Gesetzbuch wurde größtenteils von Juristen mit einer deutschen bzw. japanischen juristischen Ausbildung verfasst,29 sodass als Grundstruktur des Gesetzes ziemlich präzise das deutsche BGB übernommen wurde. Im Schuldrecht blieb das System der vorherigen zwei Entwürfe grundsätzlich erhalten, wurde aber offensichtlich sorgfältiger ausgearbeitet, sodass die Vorschriften konsistenter und systematischer formuliert wurden. Darüber hinaus wurde die Anknüpfung ans deutsche BGB angesichts der direkten Aufnahme der deutschen Rechtswissenschaft erheblich verstärkt. Die Leistung des Schuldners wird ebenfalls als der Inhalt des Schuldverhältnisses bezeichnet.30 Daraus erhebt Vgl. Justiz- und Verwaltungsministerium Taiwans, Die Sammlung der historischen Materialien zur Kodifikation des Zivilgesetzbuchs der Republik China, S.  1–2. 28  Genauer gesagt wurde die Nanjing-Regierung nicht im Jahr 1928 eingesetzt. Bei der nördlichen Expedition, d. h. dem durch die südliche revolutionäre Armee angetriebenen Bürgerkrieg wurde die südliche Regierung zunächst bereits in Guangzhou eingesetzt. Wegen des Machtkampfs innerhalb der Armee zersplitterte die südliche Regierung 1927 in zwei Teile: in die Wuhan- und Nanjing-Regierung. Schließlich gewann die Nanjing-Regierung, die auch nach dem Erfolg der nördlichen Expediton als einheitliche chinesische Regierung anerkannt wurde, den Kampf. 29  Der tatsächliche Verantwortliche für die Gesetzesverfassung war der 30-jährige chinesische Jurist Shi Shangkuan (史尚宽), der zuerst an der Universität Tokyo sowie in Berlin Rechtswissenschaft und danach an der Universität in Paris politische Wirtschaftwissenschaft studiert hat. Der Zuständige für das beratende Gremium war Wang Chonghui (王宠惠), der in Japan, Deutschland und Frankreich Jura studierte und den Titel J.S.D. an der Yale-Universität verliehen bekommen hat. Als Erster hat er das deutsche BGB von 1900 ins Englisch übersetzt. Vgl. Zhang Sheng, Die Untersuchung zur Kodifizierung des chinesischen Zivilrechts der Neuzeit: 1901–1949, S.  181–183. 30  参见《中华民国民法典(1929年)》第199条:债权人基于债之关系,得向债务 人请求给付。给付,不以有财产价格者为限。不作为亦得给付。(Siehe §  199 RC-ZGB 1929: Abs.  1: Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, vom Schuldner eine Leistung zu fordern. Abs.  2: Die Leistung beschränkt sich nicht darauf, was in Geld geschätzt werden kann. Abs.  3: Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen. Übersetzung Nijie Wang). 27 

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

sich das Leistungsstörungsrecht, das heißt die Nichterfüllung wegen der Unmöglichkeit oder des Verzugs.31 Die Unmöglichkeitslehre wurde in diesem Gesetz wieder vollständig eingeführt, das heißt, dass anfängliche Unmöglichkeit in §  24632 und §  247 RC-ZGB33 statuiert wurde, die dem Wortlaut von §  306 a. F. und §  307 a. F. BGB entsprechen, während §  22534 und §  226 RC-ZGB35 nachträgliche Unmöglichkeit regulieren, die sich jeweils auf die Leistungsbefreiung wegen unverschuldeter Unmöglichkeit nach §  275 a. F. BGB und die Schadensersatzpflicht wegen der vorwerfbaren Unmöglichkeit nach §  280 a. F. BGB beziehen. Im Kaufrecht wird der Verstoß gegen die Gewährleistungspflicht noch unabhängig vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht geregelt, sodass das Verschulden des Verkäufers für die Haftung für einen Rechts- oder Sachmangel nicht erforderlich ist.36 Der Schadensersatzanspruch aufgrund eines Sachmangels setzt noch wie §  463 a. F. BGB voraus, dass der Verkäufer den Mangel arglistig ver-

31  §  322 ff. RC-ZGB regulieren die Fälle der Unmöglichkeit und §  326 ff. statuieren die Fälle des Verzugs. 32  参见《中华民国民法典(1929年)》第246条第1款:以不能之给付为契约目标 者,其契约为无效。但其不能情形可以除去,而当事人订约时并预期于不能之情形除 去后为给付者,其契约仍为有效。(Vgl. §  246 I RC-ZGB 1929: Ein auf eine unmögliche Leistung gerichteter Vertrag ist nichtig. Die Unmöglichkeit der Leistung steht der Gültigkeit des Vertrags nicht entgegen, wenn die Unmöglichkeit gehoben werden kann und der Vertrag für den Fall geschlossen ist, dass die Leistung möglich ist. Übersetzung Nijie Wang). 33  参见《中华民国民法典(1929年)》第247条第1款:契约因以不能之给付为目标 而无效者,当事人于订约时知其不能或可得而知者,对于非因过失而信契约为有效致 受损害之他方当事人,负赔偿责任。 (Siehe §  247 I RC-ZGB 1929: Wer bei der Schließung eines Vertrags, der auf eine unmögliche Leistung gerichtet ist, die Unnmöglichkeit der Leistung kennt oder kennen muss, ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, den der andere Teil dadurch erleidet, dass er nicht wegen Fahrlässigkeit auf die Gültigkeit des Vertrags vertraut. Übersetzung Nijie Wang). 34  参见《中华民国民法典(1929年)》第225条第1款:因不可归责于债务人之事 由,致给付不能者,债务人免给付义务。 (Siehe §  225 I RC-ZGB 1929: Der Schuldner wird von der Verpflichtung zur Leistung frei, soweit die Leistung infolge eines nach der Entstehung des Schuldverhältnisses eintretenden Umstandes, den er nicht zu vertreten hat, unmöglich wird. Übersetzung Nijie Wang). 35  参见《中华民国民法典(1929年)》第226条:(第1款)因可归责于债务人之事 由,致给付不能者,债权人得请求赔偿损害。(第2款)前项情形,给付一部不能者, 若其他部分之履行,于债权人无利益时,债权人得拒绝该部之给付,请求全部不履行 之损害赔偿。(Siehe §  226 RC-ZGB 1929: Abs.  1: Soweit die Leistung infolge eines vom Schuldner zu vertretenden Umstandes unmöglich wird, hat der Schuldner dem Gläubiger den Schaden zu ersetzen. Abs.  2: Im Falle teilweiser Unmöglichkeit kann der Gläubiger unter Ablehnung des noch möglichen Teils der Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung der ganzen Verbindlichkeit verlangen, wenn die teilweise Erfüllung für ihn kein Interesse hat. Übersetzung Nijie Wang). 36  Vgl. §  349 ff. RC-ZGB 1929.

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schweigt oder gegen seine Zusicherung der Mangelfreiheit verstößt.37 Bemerkenswerterweise bezieht sich dieser Schadensersatzanspruch nach dem Gesetzgeber nur noch auf das Erfüllungsinteresse, das heißt den Mangelschaden, während der Mangelfolgeschaden als das Interesse neben der Erfüllung anzusehen ist, der nach der damaligen deutschen Rechtsdogmatik als p.V.V. behandelt werden soll.38 Die wesentliche Veränderung liegt in §  227 RC-ZGB. Danach ist der Gläubiger berechtigt, die Erfüllung zu vollstecken und den Schadensersatz zu beanspruchen, wenn der Schuldner nicht oder nicht völlig leistet.39 Die Bedeutung der sog. unvollständigen Erfüllung ist seit Langem umstritten. Insbesondere wird darüber diskutiert, ob die Lehre der p.V.V. überhaupt ins Gesetz aufgenommen wurde. Nach der weit akzeptierten Meinung ist dieser Begriff nicht auf das deutsche Recht, sondern direkt auf die damalige japanische Rechtswissenschaft zurückzuführen. Nach §  415 des japanischen ZGB von 1896 ist der Gläubiger berechtigt, vom Schuldner Schadensersatz dafür zu verlangen, dass er nicht dem Zweck des Schuldverhältnisses entsprechend leistet.40 Laut der Meinung von Ume Kenjirou ( 梅謙次郎), der damaligen zivilrechtlichen Autorität in Japan, bezieht sich etwa der Ausdruck „nicht dem Zweck des Schuldverhältnisses entsprechend“ nur auf die vollständige Nichterfüllung, Verzug und andere unvollständige Erfüllung i. S. d. Leistungsarten (Zeit, Ort usw.), sodass nicht eindeutig feststeht, ob dieser Paragraph mit der p.V.V. zu tun hat.41 Doch hat sich die japanische Dogmatik nach der Aufstellung der p.V.V. im deutschen Recht stark verändert, das heißt, dass dieser Begriff nicht nur vollständige Nichterfüllung bedeutet, sondern auch die Fälle, in denen die Erfüllung zwar bewirkt ist, diese aber dem Zweck des Schuldverhältnisses nicht entspricht,42 umfasst. Diese Fälle werden als unvollständige Erfüllung bezeichnet und sind neben Unmöglichkeit und Verzug als die dritte 37 

参见《中华民国民法典(1929年)》第360条:买卖之物,缺少出卖人所保证之 质量者,买受人得不解除契约或请求减少价金,而请求不履行之损害赔偿;出卖人故 意不告知物之瑕疵者亦同。(Siehe §  360 RC-ZGB: Fehlt der verkauften Sache eine zugesicherte Eigenschaft, so kann der Käufer statt der Wandlung oder der Minderung Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Das Gleiche gilt, wenn der Verkäufer einen Fehler arglistig verschwiegen hat. Übersetzung Nijie Wang). 38  Vgl. Shi Shangkuan, Besonderer Teil des Schuldrechts, S.  48. 39  参见《中华民国民法典(1929)》第227条:债务人不为给付或不为完全之给付 者,债权人得声请法院强制执行,并得请求损害赔偿。(Siehe §  227 RC-ZGB 1929: Wenn der Schuldner nicht leistet oder nicht vollständig leistet, ist der Gläubiger berechtigt, die Leistung zu vollstrecken und Schadensersatz zu beanspruchen. Übersetzung Nijie Wang). 40  Siehe Article 415 of the Japanese Civil Code: If an obligor fails to perform consistent with the purpose of its obligation, the obligee shall be entitled to demand damages arising from such failure. The same shall apply in cases it has become impossible to perform due to reasons attributable to the obligor. Übersetzung Justizministerium Japans, Civil Code. 41  Vgl. Chen Ziqiang, Beihang Law Review 1 (2013), 26 (30). 42  Vgl. Chen Ziqiang, Beihang Law Review 1 (2013), 26 (31).

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Kategorie der Leistungsstörungen anzusehen, deren Haftung auf der analogen Anwendung der Regeln für Unmöglichkeit oder Verzug beruht.43 Vor diesem Hintergrund wurde diese Terminologie ins chinesische ZGB von 1929 eingeführt, sodass sie als ein Zeichen für die Aufnahme der japanischen Rechtswissenschaft bezeichnet werden kann.44 Ein weiterer Beweis liegt im Lehrbuch des Hauptverfassers des chinesischen ZGB, in dem unvollständige Erfüllung parallel zu Erfüllungsweigerung, Unmöglichkeit und Verzug als Unterfall der Nichterfüllung aufgezählt wird, die sich hauptsächlich auf die Fälle der Mangel- und Mangelfolgeschäden bezieht.45 Daher kann man davon ausgehen, dass die Probleme der Nebenpflichten in Form der p.V.V. vom Gesetzesverfasser bereits bemerkt wurden, obwohl allein §  227 RC-ZGB als einzige und isoliert stehende Vorschrift im Gesetz das deusche Leistungsstörungsrecht nicht vollständig verändern kann.46 Aufgrund der oben durchgeführten Untersuchung lässt sich zusammenfassen, dass der Aufbau des Schuldrechts von der späteren Zeit des Qing-Imperiums bis zur Republik China fast völlig dem Vorbild des deutschen BGB von 1900 folgte. Daher wurde das Problem im deutschen Recht aus dieser Zeit auch auf das chinesische Recht übertragen. Die Ignorierung der Nebenpflichten, der Mangel an Rechtsinstituten wie der p.V.V. und der c.i.c. und der Konflikt zwischen dem Gewährleistungsrecht und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht blieben in den damaligen Gesetzesentwürfen bestehen. Als Ausnahme hat das chinesische ZGB von 1929 wegen des Einflusses der japanischen Rechtswissenschaft die 43  Vgl. Kitagawa, Rezeption und Fortbildung des europäischen Zivilrechts in Japan, S.  36– 37; Chen Ziqiang, Beihang Law Review 1 (2013), 26 (31). 44  Die Aufstellung der sog. unvollständigen Erfüllung im chinesischen ZGB von 1929 kann nicht als reifes akademisches Ergebnis bezeichnet werden. Vielmehr hat sich die chinesische Dogmatik mit der Fortbildung des japanischen Rechts nach dem Inkrafttreten des deutschen BGB weiterentwickelt. In den 1930er Jahren haben die japanischen Juristen die unvollständige Erfüllung in mangelhafte Erfüllung, die sich auf Mangelschaden bezieht, und verletzende Erfüllung, die den Mangelfolgeschaden betrifft, aufgeteilt. Dementsprechend wurde diese Theorie auch zur herrschenden Lehre des Zivilrechts Taiwans nach 1949. Vgl. Chen Ziqiang, Beihang Law Review 1 (2013), 26 (32–33); Shi Shangkuan, Allgemeiner Teil des Schuldrechts, S.  413 ff. 45  Vgl. Shi Shangkuan, Allgemeiner Teil des Schuldrechts, S.  413–415. 46  Bei der Reform des ZGB von Taiwan im Jahr 1988 wurde §  227 RC-ZGB entsprechend der Lehre von Shi Shangkuan umformuliert und verdeutlicht. 参见《台湾地区民法典(1988 年)》第227条:因可归责于债务人之事由,致为不完全给付者,债权人得依关于给付 迟延或给付不能之规定行使其权利。因不完全给付而生前项以外之损害者,债权人并 得请求赔偿。(Siehe Art.  227 of the Civil Code of Taiwan 1988: If a debtor incompletely performs his obligation by reason of a circumstance to which the debtor is imputed, the creditor may execute his right according to the provisions of the default or the impossibility of the performance. In addition to the injury arising from the incomplete performance in the preceding paragraph, the creditor may claim compensation for other injuries arising therefrom, if any. Übersetzung Justizministerium Taiwans, Civil Code).

C. Zersplitterung des Rechtsaufbaus in der zweiten Rechtsrezeption

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Lehre der p.V.V. indirekt übernommen, die aber in Form der unvollständigen Erfüllung im Gesetz widergespiegelt wird. Allerdings wurde dieser Weg der Rechtsentwicklung wegen des Regimewechsels im Jahr 1949 unterbrochen, sodass die Lehre von den Nebenpflichten als das nachfolgende Produkt auf Basis der p.V.V. das chinesische Recht noch nicht beeinflusst hat. Daher sollten die oben genannten Entwürfe und Gesetze als Ursprung des chinesischen neuzeitlichen Rechts betrachtet werden, die wissentlich oder unwissentlich das moderne chinesische Zivilrecht geprägt haben.

C. Zersplitterung des Rechtsaufbaus in der zweiten Rechtsrezeption I. Rechtsumbau auf dem Festland Chinas zur Ignorierung der Nebenpflichten Das ZGB von 1929 wurde aufgrund der Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 aufgehoben.47 In der Folge wurde das Zivilrecht auf dem Festland Chinas im Zuge der Sozialisierung der Wirtschaft und Gesellschaft bis zur vollständigen Rezeption des sowjetischen Zivilrechts verändert.48 Von den 1950er bis 1980er Jahren ergaben sich drei Versuche für eine Kodifikation des ZGB, die aber alle niedergeschlagen wurden, sodass lediglich drei Entwürfe übrig blieben. Daraus lässt sich allerdings entnehmen, dass das chinesische Schuldrecht die grundlegenden Elemente des deutschen Rechts nicht völlig verworfen, sondern vielmehr aufgrund der Übernahme des sowjetischen Zivilrechts die dogmatische Struktur des Schuldrechts modifiziert hat. Dies hat eine tiefergehende Wirkung auf den Aufbau des heutigen Rechts ausgeübt. Der erste Kodifikationsversuch geschah in den 1950er Jahren; dieser Entwurf wurde nach dem Zivilgesetzbuch Sowjet-Russlands von 1922 (SR-ZGB 1922) formuliert,49 das, abgesehen von den Vorschriften zur Anpassung an die politischen und ideologischen Erfordernisse, die Grundstruktur des deutschen 47  Vgl. „Die Ordnung des KPC-Zentralkomitees über die Aufhebung der „Sechs Gesetzbücher“ von der Nationalistischen Partei und die Festsetzung der gerichtlichen Prinzipien in den emanzipierten Gebieten“ (am 28. Feb. 1949) (关于废除国民党的六法全书与确定解放 区的司法原则的指示). 48  Mit Aufhebung des Rechtssystems im alten China wurden die damals ausgebildeten Juristen nicht mehr anerkannt, während zugleich seit den 1950er Jahren das sowjetische Recht vollständig studiert wurde. Vgl. He Qinhua, Chinesische Rechtswissenschaft 4 (2009), 131 (135–138). 49  Vgl. Liang Huixing, Reform Chinas 7 (2006), 64 (65–66).

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

BGB grundsätzlich bewahrt hat. Aus dogmatischer Sicht liegen die wesentlichen Unterschiede zwischen dem sowjetischen und dem deutschen Schuldrecht darin, dass im Allgemeinen Teil die Generalklausel für die Nichterfüllung reguliert wird, das heißt, dass der Schuldner, wenn er die Leistung nicht erfüllt, dem Gläubiger den wegen der Nichterfüllung entstehenden Schaden ersetzen soll;50 Unmöglichkeit und Verzug sind als spezielle Fälle reguliert.51 Zweitens ist im Kaufrecht auch §  189 SR-ZGB 1922 als eine entsprechende allgemeine Regelung verfasst. Wenn der Verkäufer den Vertrag verletzt, d. h. entweder den Gegenstand nicht übergibt oder nicht gemäß der Vertragsvereinbarung leistet,52 ist der Käufer berechtigt, von ihm die Übergabe des Gegenstands oder den Schadensersatz für die mangelhafte Erfüllung zu verlangen, sodass Rechts- und Sachmangel nicht mehr als vom allgemeinen Leistungsstörungsrecht unabhängiges Gewährleistungsrecht, sondern als Unterfall der Nichterfüllung anzusehen sind.53 Somit wird die Besonderheit des Leistungsstörungsrechts im Kaufvertrag beseitigt. Diese beiden Veränderungen wurden von der chinesischen Rechtswissenschaft und den entsprechenden Gesetzesentwürfen seit den 1950er Jahren übernommen.54 In den damaligen Lehrbüchern hat die Lehre der allgemeinen 50 

§  117 SR-ZGB 1922: (Schadensersatz wegen Nichterfüllung) Im Fall der Nichterfüllung einer Verbindlichkeit durch den Schuldner ist dieser verpflichtet, dem Gläubiger die durch die Nichterfüllung zugefügten Schäden zu ersetzen. Als Schaden gilt sowohl der tatsächliche Vermögensschaden als auch der entgangene Gewinn, der nach den gewöhnlichen Bedingungen des Verkehrs möglich gewesen wäre. Vgl. Freund, Das Zivilrecht Sowjet-Russlands, S.  184; Der Rechtsausschuss der chinesischen zentralen Volksregierung (Hrsg.), Das Zivilgesetzbuch Sowjet-Russlands, S.  65. 51  Im SR-ZGB 1922 wird Leistungsunmöglichkeit in den §§  118–120 geregelt, während die §§  121–122 die Fälle des Verzugs statuieren. Vgl. Freund, Das Zivilrecht Sowjet-Russlands, S.  184–185. 52  §  189 SR-ZGB 1922: (Vertragsverletzungen des Verkäufers) Falls der Verkäufer unter Verletzung des Vertrags dem Käufer die verkaufte Sache nicht übergibt oder eine den Vertragsbedingungen nicht entsprechende Sache anbietet, so kann der Käufer entweder die Erfüllung des Vertrags und Übergabe der verkauften Sache an ihn unter Ersatz der Schäden verlangen, die durch die Vertragswidrigkeit des Verkäufers zugefügt worden sind, oder er kann seinerseits die Erfüllung des Vertrages verweigern und den Ersatz aller Schäden fordern, die ihm durch Verletzung des Vertrags seitens des Verkäufers entstanden sind (§  117). Vgl. Freund, Das Zivilrecht Sowjet-Russlands, S.  203; Der Rechtsausschuss der chinesischen zentralen Volksregierung (Hrsg.), Das Zivilgesetzbuch Sowjet-Russlands, S.  93. 53  Im SR-ZGB 1922 wird Rechtsmangel in den §§  192–194 geregelt, während der Sachmangel in den §§  195–196 verfasst wird. Vgl. Freund, Das Zivilrecht Sowjet-Russlands, S.  204–205; Der Rechtsausschuss der chinesischen zentralen Volksregierung (Hrsg.), Das Zivilgesetzbuch Sowjet-Russlands, S.  95–97. 54  Interessant ist, dass §  82 ZGB aus der DDR ebenfalls vorschreibt, dass der Partner eines Vertrags, der seine Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllt, für den anderen Partner materiell verantwortlich ist. Schermaier erwähnt, dass die Verteilung der Pflichten in

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Nichterfüllung bereits einen dominierenden Platz eingenommen, wonach die Leistungsstörungen in vollständige Nichterfüllung und unangemessene Erfüllung (nämlich Schlechterfüllung) aufgeteilt werden,55 während Unmöglichkeit und Verzug gar nicht erwähnt werden.56 Das Phänomen wird auch im ersten Entwurf des Schuldrechts AT von 195657 dargestellt, das heißt, dass die Nichterfüllung nicht mehr auf Unmöglichkeit und Verzug beschränkt wird, sondern in grundlose Nichterfüllung (§  29), nicht pünktliche Erfüllung wegen Schwierigkeit (§  30), Unmöglichkeit (§§  31–36), Verzug (§§  37–38) und Sachmangel des Gegenstands (§  39) aufgeteilt wird.58 Daher wurde die deutsche Grundstruktur des Leistungsstörungsrechts bereits modifiziert. Diese Tendenz wurde im dritten Entwurf des Schuldrechts AT von 1957 noch verstärkt, und zwar dahingehend, dass die Nichterfüllung die folgenden Kategorien enthält: z. B. Nichterfüllung der noch erfüllbaren Leistung (§  23), Unmöglichkeit wegen des durch den Schuldner vertretenen Umstands (§  24), qualitativ mangelhafte Erfüllung (§  25) und Verzug (§  26).59 Dementsprechend werden im Entwurf des Kaufrechts von 1957 die Leistungsstörungen in die folgenden Kategorien aufgeteilt: Nichtübergabe des Gegenstands (§  9), Rechtsmangel (§§  10–11) und Sachmangel (§§  12–16). Alle oben dargelegten Fälle verweisen auf den Schadensersatz für Nichterfüllung und unangemessene Erfüllung.60 In den 1960er Jahren hat sich das Verständnis in Bezug auf das Zivil-, insbesondere das Schuldrecht wegen der Verstärkung der Planwirtschaft gewaltig Nichterfüllung und unordnungsmäßige Erfüllung mit der sozialistischen Ideologie, das heißt dem Gemeinwohl der Gesellschaft verbunden ist. Vgl. Schermaier, Was schuldet der Schuldner? Die „Pflicht zur Anstrengung“ im modernisierten Schuldrecht, in: Harrer/Honsell/Mader (Hrsg.), GS Mayer-Maly, S.  409 (413); §  82 ZGB-DDR. 55  Vgl. Die Zivilrechtsabteilung der Zentralen Schule für Rechtskader (Hrsg.), Die Grundsätze des Zivilrechts der Volksrepublik China, S.  183. 56  Vgl. Die Zivilrechtsabteilung der Zentralen Schule für Rechtskader (Hrsg.), Die Grundsätze des Zivilrechts der Volksrepublik China, S.  180–186. 57  Bei der Kodifikation des ZGB in den 1950er Jahren wurden drei Entwürfe verfasst. Der erste wurde im August 1956 gefertigt. Der zweite hatte zwei Auflagen. Und der dritte wurde im Februar 1957 vollendet. Diese drei Entwürfe wurden nicht bekannt gegeben und nur innerhalb des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses diskutiert. Vgl. He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  1, S.  172. 58  Vgl. Der Teil der Obligationserfüllung: Der erste Entwurf (债的履行部分:第一次草案), §§  29–39, in: He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  1, S.  189–190. 59  Vgl. Der Allgemeine Teil des Schuldrechtsbands: Der dritte Entwurf (债篇通则:第三次 草稿), §§  23–26, in: He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  1, S.  237. 60  Vgl. Kaufvertrag: Der sechste Entwurf (买卖契约:第六次草稿), §§  9–16, in: He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  1, S.  296–297.

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

verändert. Demzufolge wurde das Schuldrecht lediglich als Unterfall der Vermögensbewegung betrachtet.61 Im Allgemeinen Teil des Schuldrechts wurden die Regeln für Leistungsstörungen bereits sehr stark vereinfacht. Beim Vorentwurf des Zivilgesetzbuchs von 1964 wird nur in §  69 reguliert, dass die Verpflichtete im „wirtschaftlichen Verhältnis“62 ernsthaft die Verpflichtung erfüllen muss und für die wirtschaftliche oder administrative Haftung einstehen soll, wenn die Verpflichtete die Verpflichtung völlig oder teilweise nicht erfüllt.63 Dementsprechend ist es im „Kaufverhältnis“ für den Verkäufer gemäß §  183 erforderlich, die Qualität und Quantität der Ware zu garantieren, und verboten, den Käufer zu täuschen sowie weniger oder schlecht zu leisten. Wenn der Verkäufer gegen die sozialistischen Handelssitten verstößt oder das Interesse des Käufers verletzt, muss er den Schaden des Käufers ersetzen.64 Daraus lässt sich entnehmen, dass die konkreten Kategorien der Nichterfüllung (bzw. Schlecht-

61  Die ZGB-Entwürfe in den 1960er Jahren wurden nicht entsprechend dem sowjetischen oder deutschen Zivilgesetzbuch verfasst. Die Verfasser haben ein eigenes System entwickelt, das in drei Bände, nämlich den Allgemeinen Teil, das Eigentum am Vermögen und die Bewegung des Vermögens, aufgeteilt wurde. Demzufolge werden das Familien-, Erb- und Deliktsrecht aus dem ZGB ausgeschlossen, während das Steuer-, Haushaltrecht usw. eingeschlossen sind. Vgl. Liang Huixing, Reform Chinas 7 (2006), 64 (66). 62  In den Entwürfen wird der Begriff des Schuldverhältnisses oder der Obligation möglichst nicht angewandt, sondern durch z. B. „wirtschaftliches Verhältnis“ ersetzt. 63  参见《中华人民共和国民法草案试拟稿》(1964年)第69条:各种经济关系确定 以后,承担义务的一方或者双方,必须严格履行,全部或者部分没有履行义务的,应 当接受相应的制裁,承担经济上、行政上的责任。但是,由于自然灾害或者其他人力 不可抗拒的原因不能履行义务的除外。(Siehe §  69 vom Vorentwurf des Zivilrechts der Volksrepublik China von 1964: Nachdem das wirtschaftliche Verhältnis bestimmt wurde, muss der Verpfllichtete oder die beiden Verpflichteten ernsthaft erfüllen. Wer völlig oder teilweise die Pflichten nicht erfüllt, soll entsprechend bestraft werden und für die wirtschaftliche und administrative Haftung einstehen, es sei denn, dass die Pflichten wegen einer Naturkatastrophe oder höherer Gewalt unmöglich erfüllt werden können. Übersetzung Nijie Wang). Vgl. He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  2, S.  108. 64  参见《中华人民共和国民法草案试拟稿》(1964年)第183条:卖方不得有违反 社会主义商业道德,侵犯买方利益的行为。卖方对出售的商品必须保质保量,不得掺 杂使假,以次充好,短尺少秤,不得硬性搭配。卖方如果违反社会主义商业道德,侵 犯买方利益,造成买方的财产损失,应当负赔偿责任,并承认错误。(Siehe §  183 vom Vorentwurf des Zivilrechts der Volksrepublik China von 1964: Der Verkäufer darf nicht gegen die sozialistische Geschäftsethik und das Interesse des Käufers verstoßen. Der Verkäufer muss die Qualität und Quantität der zu verkaufenden Waren garantieren und darf nicht falsche, minderwertige Waren liefern oder die Ware nicht mit anderen Waren gebündelt verkaufen. Verstößt der Verkäufer gegen die sozialistische Geschäftsethik, gegen das Interesse des Käufers und verursacht er den Schaden am Vermögen des Käufers, so hat er den Schaden zu ersetzen. Übersetzung Nijie Wang). Vgl. He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  2, S.  125.

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erfüllung), insbesondere Unmöglichkeit und Verzug, im chinesischen Schuldrecht nicht nur geschwächt, sondern auch gewissermaßen vernichtet wurden. Obwohl die chinesische Rechtswissenschaft wegen der gewaltigen politischen Unruhen in den 1960er und 1970er Jahren unterbrochen wurde, schien die oben genannte Tendenz bei den neuen Entwürfen des ZGB zu Beginn der 1980er Jahre65 sich noch nicht geändert zu haben. Beim Konsultationsentwurf des Zivilgesetzbuchs von 1980 (KE-CZGB 1980) wird im Schuldrecht AT geregelt, dass sich der objektive Maßstab der Leistungsstörungen nur auf den Ausdruck „nicht oder nicht völlig vertragsgemäß erfüllen“ (不能履行或不能完全按照合同履 行) bezieht, anderweitig jedoch keine weiteren Unterkategorien mehr aufgezählt werden,66 während im Kaufrecht nur die undetaillierte Regelung formuliert wird, dass der Verkäufer den durch den Staat oder die Vertragsvereinbarung bestimmten Qualitätsmaßstab befriedigen soll und für die zivilrechtliche Haftung einstehen muss, wenn er gegen dieses Erfordernis verstößt.67 Obwohl die oben vorgestellten Zivilrechtsentwürfe nicht in Kraft getreten waren, hatten sie Auswirkung auf die Kodifikation des Wirtschaftlichen Vertragsgesetzes von 1981 (WVG). In diesem Gesetz wurden keine detaillierten Kategorien von Leistungsstörungen aufgezählt, sondern nur eine allgemeine Regelung in §  32 I WVG, wonach, wenn der wirtschaftliche Vertrag wegen des Verschuldens einer Partei nicht oder nicht völlig erfüllt werden kann, diese Partei für die Vertragsverletzung haften sollte.68 65  Aus dieser Kodifikation ergaben sich fünf Entwürfe: der Konsultationsentwurf vom 15.08.1980, der zweite Konsultationsentwurf vom 10.04.1981, der dritte Entwurf vom 31.07.1981, der vierte Entwurf vom 01.05.1982 und der Entwurf des ZGB AT zur Diskussion vom 10.07.1985. 66  Vgl. §§  133–138 KE-CZGB 1980, in: He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  2, S.  389–390. 67  参见《中华人民共和国民法草案(征求意见稿)》(1980年)第147条:出售的 物品应当符合国家规定的质量标准或者买卖双方约定的质量标准,不得以次充好,掺 杂使假;违反的,应当追究民事责任。(Siehe §  147 KE-CZGB 1980: Die zu verkaufende Sache muss den Qualitätsnormen, die entweder vom Staat festgelegt oder durch die Vertragsparteien vereinbart werden, entsprechen. Der Verkäufer darf nicht mit falschen oder minderwertigen Waren leisten. Verstößt er gegen diese Pflichten, hat er für die zivilrechtliche Haftung einzustehen. Übersetzung Nijie Wang). Vgl. He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  2, S.  457. 68  参见《中华人民共和国经济合同法(1981年)》第32条第1款:由于当事人一方 的过错,造成经济合同不能履行或者不能完全履行,由有过错的一方承担违约责任; 如属双方的过错,根据实际情况,由双方分别承担各自应负的违约责任。Siehe Art.  32 I of the Economic Contract Law of the People’s Republic of China: If, due to the fault of one party, an economic contract cannot be performed or cannot be fully performed, the party at fault shall be liable for breach of the contract; if both parties are at fault, in accordance with the actual conditions, each party shall be commensurately liable for breach of the contract that is

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

Zusammenfassend hat sich die dogmatische Struktur des chinesischen Schuldrechts wegen des vollständigen Rechtsumbaus nach der sozialistischen Rechtswissenschaft erheblich verändert. Im Vergleich zur originalen Dogmatik im chinesischen ZGB von 1929 sind zwei Veränderungen entscheidend: Erstens spielen die zwei grundlegenden Säulen, das heißt Unmöglichkeit und Verzug nicht mehr die fundamentale Rolle im allgemeinen Leistungsstörungsrecht, sondern der Begriff der Nicht- oder unvollständigen Erfüllung wird als wesentlichster objektiver Maßstab für eine Vertragsverletzung herangezogen. Zweitens ist im Kaufrecht der durch den Sach- und Rechtsmangel verursachte Schadensersatz bereits als Unterfall des allgemeinen Leistungsstörungsrechts anzusehen, sodass die Konkurrenz zwischen dem Gewährleistungsrecht und dem Allgemeinen Teil des Schuldrechts i. S. d. deutschen Rechts im chinesischen Recht nicht mehr gegeben ist. Diese beiden Faktoren sind auch im heutigen chinesischen Vertragsgesetz enthalten, sodass die Grundstruktur des chinesischen Vertragsgesetzes anders als das deutsche Schuldrecht bzw. Kaufrecht etabiliert ist und das Problem der Nebenpflichten nur im Schuldrecht AT besteht. Außer der Veränderung des Leistungsstörungsrechts war die Theorie über das Schuldverhältnis bzw. die Leistung in den 1950er Jahren unklar. Der Gesetzgeber legte sich nicht eindeutig fest, worauf sich der Gegenstand des Schuldverhältnisses eigentlich bezieht.69 Danach wurde seit den 1960er Jahren der Begriff des Schuldverhältnisses wegen des sozialistischen Umbaus der Rechtswissenschaft verworfen, sodass die schuldrechtlichen Verhältnisse als reine wirtschaftliche Verhältnisse i. S. d. marxistischen politischen Wirtschaftswissenschaft erneut definiert und verstanden wurden.70 Sogar in den Entwürfen aus den 1980er Jahren war der Begriff des Schuldverhältnisses noch nicht eingeführt, sondern wurde direkt durch die Bände des Vertrags- und Deliktsrechts ersetzt.71 Aus due to its fault. Übersetzung Chinesisch – Englisch in: LawInfoChina [北大法律英文网]/ pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.1.44361 (EN). 69  Nach §  2 des Entwurfs für das Schuldrecht AT 1956 kann der Gegenstand des Schuldverhältnisses entweder eine Sache oder ein positives Tun bzw. Unterlassen des Schuldners sein. Im Kommentar haben die Entwurfsverfasser eingestanden, dass es noch umstritten sei, ob der Gegenstand der Obligation sich auf eine Sache oder Handlung bezieht. Vgl. §  2 des Entwurfs für das Schuldrecht AT 1956 (债篇通则), in: He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  1, S.  186. 70  Nach den Entwürfen in den 1960er Jahren wurde das Sachen- und Schuldrecht jeweils als Eigentumsverhältnis und Verhältnis zur Vermögensbewegung betrachtet. Genauer gesagt wurde die Abteilung des Schuldverhältnisses bereits verneint, sodass die privatrechtlichen Verhältnisse mit einem Budget-, Steuer-, Kreditverhältnis usw. zusammengestellt werden. Vgl. Der Vorentwurf des Zivilrechts der Volksrepublik China von 1964 (1964年中华人民共和国民 法草案试拟稿), in: He Qinhua (Hrsg.), Die Sammlung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  2, S.  173 ff. 71  Vgl. Der zweite Konsultationsentwurf des Zivilrechts der Volksrepublik China 1981

C. Zersplitterung des Rechtsaufbaus in der zweiten Rechtsrezeption

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diesem Grund ist es ziemlich schwierig, zu beurteilen, wie sich im Zeitraum von den 1950er bis zu den 1980er Jahren die Grundstruktur der Obligation und ihres Pflichtensystems verändert hat.

II. Rechtsfortbildung der Nebenpflichten im Zivilrecht Taiwans Im Gegensatz zum Festland Chinas ist das ZGB von 1929 in Taiwan noch erhalten und weiter gültig. Auf dieser Basis wurde die weitere Aufnahme des deutschen Rechts kontinuierlich vorangetrieben, sodass sich die Entwicklung der deutschen Rechtswissenschaft auch auf Taiwan ausgewirkt hat. Die Lehre von den Nebenpflichten wurde in den 1950er Jahren zuerst von Shi Shangkuan (史尚宽), dem Hauptverfasser des ZGB von 1929, in der chinesischen Literatur eingeführt.72 Er hat die Theorie von den Nebenpflichten von Enneccerus vollständig übernommen73 und festgestellt, dass unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben weitere Verhaltenspflichten als Leistung, nämlich Nebenpflichten im Schuldverhältnis bestehen, die in unselbstständige und selbstständige aufgeteilt werden sollen. Die sog. unselbstständigen Nebenpflichten verfolgen keinen Eigenzweck, sondern sichern nur die pflichtmäßige Erfüllung der Hauptleistung, die Stoll auch Schutzpflichten nennt, während die sog. selbstständigen Nebenpflichten jedoch bestimmte Nebenzwecke verfolgen und die vollkommene Verwirklichung des Obligationserfolges sicherstellen.74 Der Grund für die Unterscheidung zwischen den beiden liegt darin, dass die unselbstständigen mangels Eigenzweck nicht selbstständig einklagbar sind, sondern der durch ihre Verletzung verursachte Schaden ersetzt werden kann, weil diese Pflichten nicht den Inhalt der Leistung betreffen und somit ihre Verletzung als teilweise Unmöglichkeit anzusehen ist. Im Gegensatz dazu werden die selbstständigen für einklagbar gehalten, weil sie von der geschuldeten Leistung umfasst werden und ihre Verletzung dementsprechend als teilweise Unmöglichkeit behandelt werden kann, sodass die Regeln für Unmöglichkeit, Verzug und p.V.V. analog anwendbar sind.75 Darüber hinaus hat er weiter angenommen, dass bei oder vor Vertragsschluss auch entsprechende Verhaltenspflichten bestehen, die typischerweise als Aufklärungspflicht über Rechts- und Sachmangel bei Kaufvertragsschluss ent(1981年中华人民共和国民法草案征求意见稿第二稿), in: He Qinhua (Hrsg.), Die Samm­ lung der ZGB-Entwürfe der Volksrepublik China, Bd.  2, S.  436 ff. 72  Vgl. Shi Shangkuan, Allgemeiner Teil des Schuldrechts, S.  340 ff. 73  Vgl. Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, S.  19–20. 74  Vgl. Shi Shangkuan, Allgemeiner Teil des Schuldrechts, S.  341. 75  Vgl. Enneccerus-Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, S.  20.

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

stehen.76 Dem Lehrbuch von Enneccerus nachfolgend hat Shi Shangkuan zudem den Rechtsgrund für diese Pflichten auf das durch die Vertragsverhandlung begründete vertragsähnliche Vertrauensverhältnis zurückgeführt, ist aber außerdem noch etwas weitergegangen, und zwar dahingehend, dass solche Verhaltenspflichten auch als Nebenpflichten bezeichnet werden. Bemerkenswerterweise ist die Rechtsdogmatik Taiwans danach nicht mehr der Rechtsentwicklung des deutschen Rechts, das heißt der Steigerung der Schutzpflichten streng nachgefolgt, sondern hat die Lehre von den Nebenpflichten weiter bearbeitet und auf die gerichtliche Rechtsanwendung übertragen.77 In den 1980er Jahren hat Wang Zejian (王泽鉴), ein Schüler von Larenz, im Aufsatz „Strukturelle Analyse des Schuldverhältnisses“ die Lehre von den Nebenpflichten aufgrund der deutschen Rechtsfortbildung aktualisiert.78 Insgesamt gesehen hat er die Lehren von Larenz und Dölle aufgenommen, sodass die die vorvertraglichen und vertraglichen Stadien verbindenden Nebenpflichten im weiteren Sinne ausgearbeitet wurden. Jedoch lässt sich auch in seiner Lehre der Einfluss von Shi Shangkuan bzw. Enneccerus erkennen. Seines Erachtens werden die unselbstständigen Nebenpflichten nicht mehr mit Schutzpflichten gleichgestellt, obwohl die Nebenpflichten bei Vertragserfüllung ebenfalls in selbstständige und unselbstständige Pflichten aufgeteilt werden. Sie sind stattdessen in zwei Kategorien, die leistungsdienenden Pflichten und die das Erhaltungsinteresse schützenden Pflichten, und zwar Schutzpflichten, einzuteilen.79 Es ist zu erwähnen, dass er die Idee von Larenz übernommen hat, wonach die Nebenpflichten, insbesondere Schutzpflichten in allen Stadien des Schuldverhältnisses, vor Vertragsschluss und nach Vertragserfüllung, vorliegen,80 obwohl im Werk von Larenz nicht der Begriff der Nebenpflichten, sondern derjenige der weiteren Verhaltenspflichten angewandt wird. Da Wangs Meinung später zur herrschenden Lehre geworden ist, hat sich tatsächlich die Lehre der allgemeinen Nebenpflichten in Taiwan durchgesetzt. Diese Lehre hat seit den 1980er Jahren

Vgl. Shi Shangkuan, Allgemeiner Teil des Schuldrechts, S.  348–349. Die Anerkennung der Nebenpflichten in der Rechtsprechung von Taiwan hatte Ende der 1990er Jahre begonnen. Wegen der Ähnlichkeit zum deutschen BGB haben die taiwanesischen Gerichte ähnliche Probleme wie die deutschen erlebt. Im Kaufrecht konzentriert sich die Schwierigkeit an der Konkurrenz zwischen dem Gewährleistungsrecht für Sachmangel und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht, das heißt der unvollständigen Leistung. Die gerichtliche Rechtsfortbildung scheint sich langsam entwickelt zu haben, das heißt, dass die Lehren von Shi Shangkuan und Wang Zejian nur teilweise aufgenommen wurden. Vgl. Zhan Senlin, Zeitschrift der Rechtswissenschaft Taiwans 177 (2011), 92 (96–97). 78  Vgl. Wang Zejian, Zivilrechtslehre und Urteilsuntersuchung, Bd.  4, S.  94 ff. 79  Vgl. Wang Zejian, Zivilrechtslehre und Urteilsuntersuchung, Bd.  4, S.  106–107. 80  Vgl. Wang Zejian, Zivilrechtslehre und Urteilsuntersuchung, Bd.  4, S.  108–109. 76  77 

D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption

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den Wiederaufbau der Rechtswissenschaft und Gesetze auf dem Festland Chinas ebenfalls stark beeinflusst.

D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption Der wesentliche Charakter der dritten Rechtsrezeption seit den 1980er Jahren liegt darin, dass nach dem Verzicht auf die Übernahme des sowjetischen oder eines anderen sozialistischen Rechtssystems die chinesische Rechtswissenschaft wieder begonnen hat, die Rechtssysteme aus entwickelten Staaten bzw. den TaiwanRegionen zu berücksichtigen. Damals aber hatte China ein ganz anderes Bild der privatrechtlichen Entwicklung in der Welt vor Augen: Erstens war mit der Internationalisierung des Handelsverkehrs nach dem Zweiten Weltkrieg offensichtlich eine Tendenz der privatrechtlichen Harmonisierung entstanden, sodass das UN-Kaufrecht und die UNIDROIT-Prinzipien (PICC) den internationalen Handelsverkehr maßgeblich beeinflusst haben,81 wodurch sowohl europäisches kontinentales Recht als auch das Common Law als Beispiel herangezogen und gewissermaßen harmonisiert wurden. Zweitens haben sich die ursprünglich zum deutschen Rechtskreis zählenden, heimlich agierenden Privatrechte in der Zwischenzeit weiterentwickelt, wobei die Erfahrung Japans und der TaiwanRegionen, die auf diese Privatrechte zurückgriffen, eine sehr weitgehende Auswirkung auf den Aufbau des chinesischen Zivilrechts hatte.82 Vor diesem Hintergrund wurde das chinesische Schuldrecht durch die Rezeption verschiedener Rechtsquellen wieder aufgebaut. Als typisches Ergebnis dieses Stadiums gilt die Verfassung des chinesischen Vertragsgesetzes seit 1995 und seine Inkrafttretung 1999.83 In diesem Gesetz wurde die Terminologie der Nebenpflichten zuerst auf dem chinesischen Festland eingeführt, deren Rechtsnatur und Funktion allerdings noch umstritten und nur im Rahmen des Schuldrechtsumbaus zu verstehen sind. 81  Vgl. Das Rechtskomitee – Zivilrechtsabteilung des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Ausgewählte Gesetzgebungsmaterialien zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  36. 82  In den 1980er Jahren wurden die tawainesischen akademischen Werke der Rechtswissenschaft auf dem Festland Chinas weitgehend inoffiziell überliefert, sodass sie einen großen Einfluss auf den anfänglichen Wiederaufbau der Zivilrechtswissenschaft auf dem Festland Chinas hatten. Vor diesem Hintergrund wurden die Werke von Shi Shangkuan und Wang Zejian auch als Lehrmaterialien in die juristische Ausbildung eingeführt, sodass die Zivilrechtler auf dem chinesischen Festland die Lehre von den Nebenpflichten graduell erkannten und aufgenommen haben. 83  Vgl. Das Rechtskomitee – Zivilrechtsabteilung des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Ausgewählte Gesetzgebungsmaterialien zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  3–4.

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

Daher werden hier die folgenden Schlüsselprobleme der Nebenpflichten sorgfältig analysiert: die Verbindung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten, die Verknüpfung zwischen Verschulden und Nebenpflichten und der Zusammenhang zwischen Schadensersatz und Nebenpflichtenverletzung.

I. Beziehung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten i. S. d. §  60 CVG Wie in der Einleitung erwähnt, werden die Leistungs- und Nebenpflichten nach der herrschenden Meinung in §  60 I und II CVG definiert. Doch muss diese Schlussfolgerung anhand des Wortlauts der Rechtsnorm genauer überprüft werden: §  60 CVG Die Parteien müssen entsprechend dem Vereinbarten ihre Pflichten in vollem Umfang erfüllen. Die Parteien müssen unter Wahrung von Treu und Glauben aufgrund der Natur und der Ziele des Vertrags und nach der Verkehrssitte die Pflichten zu Mitteilungen, zur gegenseitigen Unterstützung, zur Geheimhaltung und anderem erfüllen.

Nach dem offziellen Kommentar der Gesetzesverfasser werden die Nebenpflichten i. S. d. §  60 II CVG als Ergänzung der Leistungspflicht i. S. d. §  60 I CVG formuliert.84 Allerdings kann §  60 I CVG seinem Wortlaut nach, das heißt die der Vertragsvereinbarung entsprechende Pflicht, nicht unbedingt mit dem Begriff der Leistungspflicht gleichgestellt werden. Daher stellt sich die wesentliche Frage, wie die Pflichten i. S. d. §  60 I CVG bzw. die Aufteilung der Vertragspflichten zwischen §  60 I und §  60 II CVG begriffen werden können. Zur Beantwortung dieser Frage muss die Beziehung zwischen Schuldverhältnis und Leistung auf der Ebene des allgemeinen Schuldrechts betrachtet werden. Aber im Hinblick darauf, dass §  60 I CVG sich eigentlich nur auf die Vertragserfüllung beschränkt,85 liegt die allgemeine Definition der Obligation und Leistung eigentlich nicht im Vertragsgesetz, sondern in §  84 AGZR, das heißt, dass das Schuldverhältnis eine gemäß vertraglichen Vereinbarungen oder gesetzlichen Bestimmungen entstandene, besonders bestimmte Beziehung von Rechten und Pflichten ist, in der der Gläubiger berechtigt ist, vom Schuldner die Erfüllung der daraus entstehenden Pflichten zu verlangen.86 Auffällig ist, dass dieser ParaVgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  123. 85  Der Wortlaut des §  60 I CVG ist identisch mit dem des §  88 AGZR, sodass §  60 I CVG für die Vertragserfüllung auch auf §  84 AGZR verweisen kann. 86  参见《中华人民共和国民法通则》第84条:债是按照合同的约定或者依照法律的 规定,在当事人之间产生的特定的权利和义务关系。享有权利的人是债权人,负有义 务的人是债务人。债权人有权要求债务人按照合同的约定或者依照法律的规定履行义 务。(Vgl. §  84 AGZR: Abs.  1 Die Schuld ist eine gemäß vertraglichen Vereinbarungen oder 84 

D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption

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graph nicht den Leistungsbegriff, sondern den Ausdruck der Pflichten anwendet, um den Inhalt des Schuldverhältnisses zu definieren. Daraus ergeben sich nur die sog. vereinbarten oder gesetzlichen Pflichten im Schuldverhältnis. Deswegen betrifft §  60 I CVG nur die vereinbarten Pflichten aus dem Vertragsverhältnis, während die Pflichten i. S. d. §  60 II CVG eigentlich nicht als die sog. Nebenpflichten, sondern als die unvereinbarten Pflichten verstanden werden sollen. Dies aber widerspricht der Struktur des §  241 des deutschen BGB. Nach der Analyse in den obigen Kapiteln wird §  241 I BGB von Anfang an als die aus dem Herrschaftsverhältnis entstehende Handlungspflicht verstanden, die eben gerade als die Entsprechung des subjektiven Rechts vonseiten des Gläubigers definiert ist. Nach der Schuldrechtsmodernisierung ist dessen Wortlaut noch unverändert erhalten, sodass die Schutzpflichten notwendigerweise i. S. d. §  241 II BGB eingeführt werden.87 Daher muss die Beziehung zwischen §  60 I und §  60 II CVG nicht als typische Trennung zwischen Leistungs- und Nebenpflichten, sondern als die Unterscheidung zwischen vereinbarten und unvereinbarten oder genauer gesagt ausdrücklichen und konkludenten Pflichten begriffen werden. Dies ist wahrscheinlich auf die Verbindung zwischen Art.  5.1 und Art.  5.2 PICC (1994) zurückzuführen,88 das bedeutet, dass die Vertragspflichten zwischen den Parteien ausdrücklich oder konkludent vereinbart sein können.89 Die konkludenten Pflichten können nach der Vertragsnatur und dem Vertragszweck, der tatsächlichen Erfüllung der Vertragsparteien und dem Grundsatz von Treu und Glauben bestimmt werden.90 In diesem Sinne entsprechen die sog. Nebenpflichten i. S. d. §  60 II CVG eigentlich den „implied obligations“ i. S. d. Art.  5.2 PICC (1994). Erstaunlicherweise wurde der Begriff der Nebenpflichten nicht bei der Gesetzgebung angewandt. Laut den Materialien der Gesetzgebung haben die Gesetzesverfasser bei den in §  60 II CVG aufgezählten Pflichten nur die auf Treu und gesetzlichen Bestimmungen zwischen den Beteiligten entstandene, besonders bestimmte Beziehung von Rechten und Pflichten. Wer ein Recht genießt, ist Gläubiger, wer Pflichten trägt, ist Schuldner. Abs.  2 Der Gläubiger ist berechtigt, zu verlangen, daß der Schuldner gemäß vertraglicher Vereinbarung oder gesetzlichen Bestimmungen Pflichten erfüllt. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 12.4.86/1). 87  Vgl. Drittes Kapitel. E. II: „Nebenpflichten bei nachträglicher Unmöglichkeit“ und viertes Kapitel. F. I. 1: „Die Einführung der Schutzflichten in §  241 BGB“. 88  Vgl. Das Rechtskomitee – Zivilrechtsabteilung des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Ausgewählte Gesetzgebungsmaterialien zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  36. 89  Vgl. Art.  5.1 PICC (1994): The contract obligations of the parties may be expressed or implied. 90  Vgl. Art.  5.2 PICC (1994): Implied obligations stem from (a) the nature and purpose of the contract; (b) practices established between the parties and usages; (c) good faith and fair dealing; (d) reasonableness.

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

Glauben beruhenden Pflichten genannt, während nach dem Inkrafttreten des Gesetzes die Terminologie der Nebenpflichten zuerst im offiziellen Kommentar, danach in herrschenden akademischen Werken weitgehend akzeptiert wurde, sodass die Gleichstellung des §  60 II CVG mit Nebenpflichten vielmehr auf die nachträgliche Auslegung zurückzuführen ist. Dies aber ist deutlich auf den direkten Einfluss der Rechtswissenschaft der Taiwan-Regionen und auf eine indirekte akademische Neigung zur Einführung der deutschen Dogmatik zurückzuführen.91 Daraus lässt sich auch entnehmen, dass die Entwicklung des deutschen Schuldrechts einen wachsenden Einfluss auf die dogmatische Auslegung der vorhandenen Rechtsnormen in den chinesischen Gesetzen ausgeübt hat, was aber auch zu einer Konkurrenz zwischen der populären Dogmatik und der gesetzgeberischen Absicht führt.

II. Beziehung zwischen c.i.c. und Nebenpflichten Das Rechtsinstitut der c.i.c. wird in §  4292 und §  43 CVG93 formuliert. Nach §  42 CVG haftet die eine Partei bei Vertragsschluss gegenüber der anderen Partei auf 91 

Gemäß meiner Recherche nach relevanter Literatur wurden nur sehr wenige Forschungsarbeiten über Nebenpflichten vor dem Inkrafttreten des chinesischen Vertragsgesetzes veröffentlicht. In den danach publizierten Aufsätzen und Werken wurde die Lehre der Nebenpflichten häufig als eine unbekannte Theorie aus Taiwan oder Deutschland betrachtet. Kaum ein Autor hat bemerkt, dass die Formulierung des §  60 II CVG einen engen Zusammenhang mit der PICC hat. Offensichtlich wurden die meisten Aufsätze durch den offiziellen Kommentar der Gesetzesverfasser stark beeinflusst. Vgl. Dao Wen, Rechtswissenschaft 10 (1999), 23 (23); Li Wei, Rechtsvergleichende Forschung 1 (2004), 72 (78). 92  参见《中华人民共和国合同法》第42条:当事人在订立合同过程中有下列情形之 一,给对方造成损失的,应当承担损害赔偿责任:(一)假借订立合同,恶意进行磋 商;(二)故意隐瞒与订立合同有关的重要事实或者提供虚假情况;(三)有其他违 背诚实信用原则的行为。(Siehe §  42 CVG: Wenn im Verlauf der Einrichtung eines Vertrages bei einer Partei einer der folgenden Umstände vorliegt und sie der anderen Partei einen Schaden verursacht, haftet sie der anderen auf Schadenersatz: 1. Wenn die Einrichtung eines Vertrages als Vorwand genutzt wird, um böswillig zu verhandeln; 2. Wenn vorsätzlich in Bezug auf die Vertragseinrichtung wichtige Tatsachen verheimlicht oder zu Umständen falsche Angaben gemacht werden; 3. Wenn andere Treu und Glauben verletzende Handlungen vorliegen. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 93  参见《中华人民共和国合同法》第43条:当事人在订立合同过程中知悉的商业秘 密,无论合同是否成立,不得泄露或者不正当地使用。泄露或者不正当地使用该商业 秘密给对方造成损失的,应当承担损害赔偿责任。(§  43 CVG: Eine Partei darf Geschäftsgeheimnisse, die sie im Verlauf der Einrichtung eines Vertrages erfährt, gleich ob der Vertrag zustande kommt oder nicht, weder bekannt werden lassen noch unlauter verwenden. Wenn sie solche Geschäftsgeheimnisse bekannt werden lässt oder sie unlauter verwendet und damit der anderen Seite einen Schaden zufügt, haftet sie auf Schadenersatz. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1).

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Schadensersatz, wenn sie böswillig verhandelt, vorsätzlich für den Vertragsschluss wichtige Tatsachen verschweigt bzw. falsche Angabe macht oder andere den Grundsatz von Treue und Glauben verletzende Handlungen begeht. Daraufhin folgt §  43 CVG, das heißt, dass eine Partei der anderen den Schaden ersetzen muss, wenn Erstere die Geschäftsgeheimnisse, die sie beim Vertragsschluss erfährt, gleich ob der Vertrag zustande kommt, weitergibt oder unangemessen verwendet. Diese zwei Paragraphen wurden durch die Nachahmung der Art.  2.1594 und Art.  2.16 PICC (1994)95 umformuliert, sodass der allgemeine Verstoß gegen die bona fides und die Verletzung der Geschäftsgeheimnisse getrennt verfasst wurden. Aber wie im offiziellen Kommentar von PICC (1994) festgehalten, zählen die beiden Fälle gemeinsam zu den sog. „negotiations in bad faith“. Demzufolge hat das chinesische Vertragsgesetz die Tatbestandmerkmale des „bad faith“, und zwar das der Arglist, weiter in die oben genannten Kategorien unterteilt: nämlich böswillige Verhandlung oder vorsätzliche Nichtaufklärung über die wichtigen Umstände, sodass die c.i.c. im chinesischen Recht vielmehr als dolus in contrahendo zu verstehen ist.96 Weil die Herkunft des §  42 und §  43 CVG auf die Vorschriften der PICC verweist, haben die Verfasser nie an eine Verbindung zwischen der c.i.c. und den Nebenpflichten gedacht, sondern das Rechtsinstitut vielmehr als die von der Vertragserfüllung unabhängige Haftung angesehen. Der Unterschied zwischen den Rechtsnaturen scheint offensichtlich stärker zu sein, wenn der Verfasser unter einer Vertragsverletzung eine verschuldensunabhängige Haftung versteht,97 während die c.i.c. grundsätzlich das Verschulden, insbesondere die Böswilligkeit einer Partei voraussetzt.98 Die c.i.c. im chinesischen Recht ist deshalb immer stärker an das Deliktsrecht geknüpft, als dies im deutschen Recht der Fall ist, 94 

Siehe Art.  2.15 PICC (1994): (1) A party is free to negotiate and is not liable for failure to reach an agreement. (2) However, a party who negotiates or breaks off negotiations in bad faith is liable for the losses caused to the other party. (3) It is bad faith, in particular, for a party to enter into or continue negotiations when intending not to reach an agreement with the other party. 95  Siehe Art.  2.16 PICC (1994): Where information is given as confidential by one party in the course of negotiations, the other party is under a duty not to disclose that information or to use it improperly for its own purposes, whether or not a contract is subsequently concluded. Where appropriate, the remedy for breach of that duty may include compensation based on the benefit received by the other party. 96  Vgl. Liang Huixing (Hrsg.), Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB mit Begründungen: Vertragsband, Bd.  1, S.  99. 97  Vgl. Das Rechtskomitee – Zivilrechtsabteilung des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Ausgewählte Gesetzgebungsmaterialien zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  58. 98  Vgl. Liang Huixing (Hrsg.), Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB mit Begründungen: Vertragsband, Bd.  1, S.  99.

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

weil zum einen im chinesischen Recht keine Exkulpationsmöglichkeit i. S. d. §  831 des deutschen BGB besteht, sodass der Herr den Schaden ersetzen muss, ohne Rücksicht darauf, ob er bei der Auswahl des Verrichtungsgehilfen die erforderliche Sorgfalt anwendet, solange dieser Gehilfe in Ausführung der Verrichtung einem Dritten schuldhaft etwas zufügt.99 Daher kann die c.i.c. in diesem Fall als ein Verschulden voraussetzender Sonderfall der Deliktshaftung betrachtet werden. Der zweite Grund liegt in §  37 des chinesischen Deliktshaftungsgesetzes (CDHG), wonach der Manager öffentlicher Orte einschließlich Laden, Hotel usw. oder der Organisator von kollektiven Veranstaltungen den Schaden ersetzen soll, wenn er die Verkehrssicherungspflichten nicht erfüllt und somit andere beschädigt.100 In diesem Fall ist die Schutzpflichtverletzung i. S. d. c.i.c. auch durch das Deliktsrecht umfasst. Allerdings ändert sich das Verständnis von der c.i.c. mit dem gestiegenen Einfluss der Lehre von den Nebenpflichten aus dem deutschen Recht. Manche Zivilrechtler haben bemerkt, dass die Haftung für die c.i.c. eigentlich auf die Verletzung der Verhaltenspflichten beim Vertragsschluss zurückzuführen ist, die wie die Nebenpflichten bei der Vertragserfüllung auf den Grundsatz von Treu und Glauben gemäß §  6 CVG verweisen.101 Sogar diese Pflichten sind als vorvertrag99  参见《最高人民法院关于审理人身损害赔偿案件适用法律若干问题的解释(2004 年)》第9条第1款:雇员在从事雇佣活动中致人损害的,雇主应当承担赔偿责任;雇 员因故意或者重大过失致人损害的,应当与雇主承担连带赔偿责任。雇主承担连带赔 偿责任的,可以向雇员追偿。Siehe Art.  9 of the “Interpretation of the Supreme People’s Court on Certain Issues Concerning the Application of Law in Trying Cases Involving Compensation for Personal Damage”: When an employee causes damage to others in carrying out the activities in which the employee is engaged, the employer shall bear the liability for compensation; if the employee causes the damage due to his/her intentional act or gross negligence, the employee and the employer shall bear joint and several liability for compensation. The employer that has implemented the joint and several liability for compensation may claim compensation from the employee. Übersetzung Chinesisch – Englisch in: LawInfoChina [北大法律英文网]/pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.3.51002 (EN). 100  参见《中华人民共和国侵权责任法》第37条:宾馆、商场、银行、车站、娱乐场 所等公共场所的管理人或者群众性活动的组织者,未尽到安全保障义务,造成他人损害 的,应当承担侵权责任。因第三人的行为造成他人损害的,由第三人承担侵权责任;管理 人或者组织者未尽到安全保障义务的,承担相应的补充责任。Siehe Article 37 of Tort Liability Law of the People’s Republic of China: Managers of public places, including, inter alia, hotels, shopping malls, banks, railway stations and places of entertainment, and organizers of mass activities shall bear tort liability for damages to others arising from their failure to fulfill security obligations. If the act of a third party results in damage to others, the said third party shall bear tort liability and the manager or organizer shall bear the corresponding supplementary liability. Übersetzung Chinesisch – Englisch in: LawInfoChina [北大法律英文 网]/pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.1.125300 (EN). 101  参见《中华人民共和国合同法》第6条:当事人行使权利、履行义务应当遵循诚 实信用原则。(Siehe §  6 CVG: Die Parteien müssen sich bei der Ausübung von Rechten und

D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption

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liche Nebenpflichten anzusehen.102 In diesem Sinne ist die originale Bedeutung der Nebenpflichten modifiziert und diese werden als die die vorvertraglichen und vertraglichen Stadien verbindenden allgemeinen Verhaltenspflichten verstanden. Allerdings lässt sich daraus nicht entnehmen, dass es bereits eine Tendenz der Vereinheitlichung der Verhaltenspflichten in den beiden Stadien gibt, worauf sich die chinesische Rechtswissenschaft tatsächlich noch nicht vorbereitet hat. Die Schwierigkeiten sind auf das Verständnis der Rechtsnatur der c.i.c. zurückzuführen. Wegen der stärkeren Position des chinesischen Deliktsrechts ist die Haftung der c.i.c. auf einen engeren Umfang beschränkt, das heißt, dass die c.i.c. aus dem Schutz für das Integritätsinteresse, das durch die Verletzung der Schutzpflichten beschädigt wird, ausgeschlossen und der Deliktshaftung zugeordnet wird.103 Anders gesagt beziehen sich die vorvertraglichen Pflichten im chinesischen Recht nur auf die „Loyalitätspflichten“ i. S. d. Lehre von Larenz. Dies führt auch zum engeren Verständnis von dem sog. Vertrauens- bzw. negativen Interesse, das auch das Erhaltungsinteresse, das heißt das Körper- und Vermögensinteresse aus dem Schadensersatz ausnimmt.104 Doch wird das Bestehen der Schutzpflichten bei der Vertragserfüllung dadurch nicht beeinflusst, weil die Eigenständigkeit des vorvertraglichen Stadiums die Interaktion und Umwandlung der Verhaltenspflichten zwischen den beiden Stadien gesperrt hat. Zusammenfassend zeigt das jetzige Rechtsinstitut der c.i.c. im chinesischen Recht gewissermaßen die Verlegenheit, dass einerseits die Rechtsnatur der c.i.c. für deliktisch oder deliktsnah gehalten wird, während andererseits aufgrund des Einflusses aus dem deutschen Recht die im vorvertraglichen Stadium betroffenen Verhaltenspflichten immer mehr als derartige Nebenpflichten bezeichnet werden. Dieser Konflikt sorgt für die Schwierigkeit, den Schutzbereich der c.i.c. zu bestimmen, das heißt, ob die Schutzpflichten als Inhalt des vorvertraglichen Schuldverhältnisses anzusehen sind.

III. Beziehung zwischen Schadensersatz und Nebenpflichtenverletzung Nach Siber liegt das Kennzeichen für die Anerkennung der Nebenpflichten tatsächlich darin, dass ihrer Verletzung eine entsprechende Schadensersatzpflicht bei der Erfüllung von Pflichten an den Grundsatz von Treu und Glauben halten. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 102  Vgl. Wang Liming (Hrsg.), Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB mit Begründungen: Schuldrecht AT und Vertragsband, S.  66–67. 103  Vgl. Sun Weifei, Der Jurist 1 (2018), 179 (180–181). 104  Vgl. Wang Liming (Hrsg.), Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB mit Begründungen: Schuldrecht AT und Vertragsband, S.  67–68.

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

folgt.105 Ob diese Schadensersatzpflicht im chinesischen Recht besteht, hängt vom Aufbau des Leistungsstörungsrechts ab. Als Grundsatz für Vertragsverletzung schreibt §  107 CVG vor: Wenn eine Partei Vertragspflichten nicht oder nicht gemäß den Vereinbarungen erfüllt, haftet sie wegen der Vertragsverletzung darauf, weiter zu erfüllen, Maßnahmen zur Abhilfe zu ergreifen oder den Schaden zu ersetzen.106

Der Ausdruck „nicht oder nicht gemäß den Vereinbarungen erfüllt“ ist freilich als die Aufnahme der sowjetischen Erbschaft aus den 1950er bis 1980er Jahren anzusehen, sodass die Vertragsverletzung auch nicht einfach in Unmöglichkeit und Verzug aufgeteilt wird. Darüber hinaus ist aber die konkrete Kategorisierung der Nichterfüllung erheblich durch die PICC und das UN-Kaufrecht beeinflusst worden, sodass diese nur in Erfüllungsweigerung i. S. d. §  108 CVG107 und mangelhafte Erfüllung i. S. d. §  111 CVG108 eingeteilt zu sein scheint. Träfe dies zu, wären die Fälle der Leistungsstörungen noch nicht vollständig aufgezählt. Allerdings ist anzumerken, dass §  107 nach Art.  7.1.1 PICC (1994) formuliert ist, der wie folgt lautet: Non-performance is failure by a party to perform any of its obligations under the contract, including defective performance or late performance.109

Demnach bezieht sich die Nichterfüllung nicht nur auf den vollständigen Misserfolg der Erfüllung, sondern auch auf jede mangelhafte Erfüllung einschließlich 105  Vgl. Viertes Kapitel. B. II: Sibers Lehre der Diligenzpflicht als Ergänzung der Leistungspflicht. 106  §  107 CVG. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1. 107  参见《中华人民共和国合同法》第108条:当事人一方明确表示或者以自己的行 为表明不履行合同义务的,对方可以在履行期限届满之前要求其承担违约责任。(Vgl. §  108 CVG: Wenn eine Partei klar erklärt oder durch ihr Handeln zum Ausdruck bringt, dass sie Vertragspflichten nicht erfüllen wird, kann die andere Seite sie schon vor dem Ablauf der Erfüllungsfrist wegen Vertragsverletzung haftbar machen. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 108  参见《中华人民共和国合同法》第111条:质量不符合约定的,应当按照当事人 的约定承担违约责任。对违约责任没有约定或者约定不明确,依照本法第六十一条的 规定仍不能确定的,受损害方根据标的的性质以及损失的大小,可以合理选择要求对 方承担修理、更换、重作、退货、减少价款或者报酬等违约责任。(§  111 CVG: Wenn die Qualität nicht dem Vereinbarten entspricht, wird entsprechend der Vereinbarung der Parteien für die Vertragsverletzung gehaftet. Wenn es dazu keine oder keine klare Vereinbarung gibt, und die Frage sich auch nach §  61 nicht klären lässt, kann die geschädigte Seite aufgrund der Haftung der anderen Seite für die Vertragsverletzung entsprechend der Art des Gegenstands und der Größe des Schadens eine vernünftige Wahl unter anderem zwischen Reparatur, Austausch, erneuter Herstellung, Wandlung und Minderung des Preises oder Entgelts treffen. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 109  Art.  7.1.1 PICC (1994).

D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption

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des Verzugs.110 Dadurch wird der zentrale Begriff der Unmöglichkeit i. S. d. deutschen Rechts vermieden, dessen Funktion gemäß §  110 CVG nur darin liegt, die Erfüllungspflicht des Schuldners in einem nicht geldlichen Schuldverhältnis auszuschließen.111 Dann stellt sich die Frage, ob die Nebenpflichtenverletzung in diesem Leistungsstörungsrecht berücksichtigt wird. Wäre die Pflichtenverletzung i. S. d. §  107 CVG gemäß dem Wortlaut „any of its obligations under the contract“ i. S. d. Art.  7.1.1 PICC (1994) verstanden worden, wäre die Frage ohne Zweifel zu bejahen. Allerdings liegt die Schwierigkeit der Auslegung darin, dass die Vorschriften der Vertragsverletzung im chinesischen Vertragsgesetz nicht allein wegen der PICC verfasst, sondern auch durch die taiwanesische, deutsche und sogar japanische Dogmatik beeinflusst wurden. Nach dem offiziellen Kommentar des CVG haben die Gesetzesverfasser erwähnt, dass Nichterfüllung weiter in Erfüllungsweigerung und Erfüllungsunmöglichkeit einzuteilen ist, während nicht vereinbarungsmäßige bzw. unvollständige Erfüllung in mangelhafte Erfüllung (瑕疵履行) und verletzende Erfüllung (加害履行) untergliedert wird.112 Dies knüpft freilich an die oben erwähnte taiwanesische bzw. japanische Dogmatik an.113 Darüber hinaus scheint Verzug einschließlich Gläubiger- und Schuldnerverzug als eigenständige Kategorie als Nichterfüllung behandelt zu werden.114 Aus diesem Grund wird der Begriff der Nichterfüllung etwa mit Nichtleistung gleichgestellt, sodass er relativ eng mit der Unmöglichkeitslehre verbunden ist. Allerdings entspricht diese Auslegung nicht der gesetzgeberischen Absicht. Trotz dieser Unsicherheit lässt sich zumindest festhalten, dass die Fälle der Nebenpflichtenverletzung bereits mit §  107 CVG umfasst werden können, gleich ob sie gemäß der PICC oder deutschem Recht ausgelegt werden. Der Unterschied liegt nur darin, dass nach

110 

Vgl. Art.  7.1.1 Comment PICC (1994). Vgl. §  110 CVG. Nach §  109 CVG ist im geldlichen Schuldverhältnis die Unmöglichkeit nicht mehr als Grund der Pflichtbefreiung anzusehen, das heißt, dass, wenn eine Partei den Preis bzw. das Entgelt nicht bezahlt hat, die andere Seite von ihr den entsprechenden Schadensersatz verlangen kann. 112  Nach Meinung der Gesetzverfasser bezieht sich mangelhafte Erfüllung auf die Fälle von Zuwenig-Lieferung, Sachmangel, falscher Erfüllungsweise bzw. falschem Erfüllungsort, Verzug usw., während die verletzende Erfüllung zum sonstigen Vermögens- und Körperschaden des Gläubigers führt. Dies entspricht der japanischen Lehre seit den 1930er Jahren. Vgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  201. 113  Jedoch scheint diese Unterscheidung ebenfalls nicht genau gleich zu sein wie die japanische Trichotomie der Leistungsstörungen, das heißt die Vertragsverletzung in Unmöglichkeit, Verzug und unvollständige Erfüllung einzuteilen. 114  Vgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  201–202. 111 

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

der PICC sie eher als die Verletzung der unvereinbarten Pflichten anzusehen sind, während sie nach deutschem Recht möglicherweise als die Verletzung der Neben- bzw. Schutzpflichten definiert werden können. Jedoch führt dieser Unterschied zu einem abweichenden Ermessen des Schadensersatzes, der in §  113 CVG reguliert wird: Wenn eine Partei Vertragspflichten nicht oder nicht gemäß den Vereinbarungen erfüllt und der anderen Seite damit einen Schaden verursacht, muss der Betrag des Schadenersatzes dem durch die Vertragsverletzung verursachten Schaden entsprechen, einschließlich des nach Vertragserfüllung zu erlangenden Gewinns, darf aber den Schaden nicht überschreiten, den die den Vertrag verletzende Seite bei Errichtung des Vertrags als mögliche Folge einer Vertragsverletzung vorhergesehen hat oder vorhersehen musste.115

Nach diesem Wortlaut verweist §  113 CVG inhaltlich auf Art.  7.4.2 PICC (1994), der aber den allgemeinen Grundsatz der „full compensation“ ausgelassen hat, das heißt, dass der durch die Nichterfüllung verursachte Schaden vollständig ersetzt werden muss, solange eine Kausalität zwischen der Nichterfüllung und dem Schaden besteht.116 Nach dem offiziellen Kommentar der PICC soll der Schaden im weiteren Sinne verstanden werden, der entweder eine Verringerung des dem Gläubiger gehörenden Vermögens oder die Vermehrung seines sonstigen Vermögensschadens, den z. B. der Käufer wegen des Deckungskaufs erlitten hat, umfasst.117 Dieses Prinzip ist zwar nicht im chinesischen Vertragsgesetz niedergeschrieben, aber in den offiziellen Kommentar aufgenommen,118 sodass der Schaden für die Nebenpflichtenverletzung als Verstoß gegen unvereinbarte Pflichten ersetzt werden soll. Erstaunlicherweise ist diese Lehre anders als die im deutschen Recht. Wie oben erwähnt, hat das deutsche BGB von 1990 tatsächlich die Lehre der Obligationsumwandlung übernommen, wonach der Schadensersatz als Surrogat der Leistung bezeichnet wird. Nach der Entstehung der Lehre von der p.V.V. wurde zuerst eine Notlösung angewandt, das heißt, dass der Schaden durch eine analoge Anwendung der Regeln des Schuldnerverzugs ersetzt wurde. Mit der Entwicklung der Schutzpflichtenlehre hat sich die Kausalität zwischen dem körperlichen oder sachlichen Schaden des Gläubigers und der Pflichtverletzung 115 

Vgl. §  113 CVG. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1. Vgl. Art.  7.4.2 PICC (1994): (1) The aggrieved party is entitled to full compensation for harm sustained as a result of the non-performance. Such harm includes both any loss which it suffered and any gain of which it was deprived, taking into account any gain to the aggrieved party resulting from its avoidance of cost or harm. (2) Such harm may be non-pecuniary and includes, for instance, physical suffering or emotional distress. 117  Vgl. Art.  7.4.2 Comment PICC (1994). 118  Vgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  205–206. 116 

D. Einführung der Nebenpflichten in der dritten Rechtsrezeption

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des Schuldners direkt etabliert, sodass dieser Schadensersatz neben dem Äquivalenzinteresse der Leistung i. S. d. §  281 I BGB besteht und somit §  280 BGB zugeordnet wird. Im Vergleich dazu zählt die Nebenpflichtenverletzung i. S. d. chinesischen Vertragsgesetzes noch zur sog. Nichterfüllung, sodass der entsprechende Schadensersatz nach dem einheitlichen Maßstab der sog. „full compensation“ ermessen werden kann. Diese Unterscheidung in Bezug auf das Verständnis vom inneren Mechanismus des Schuldverhältnisses führt zudem zu einem unterschiedlichen Verschuldenserfordernis. Im chinesischen Recht setzt der Schadensersatz für die Nichterfüllung einschließlich der Nebenpflichtenverletzung kein Verschulden des Schuldners voraus,119 während im deutschen Recht das Verschulden, obwohl dessen Bestehen üblicherweise vermutet wird, noch erforderlich ist. Die Notwendigkeit des Verschuldens für den Schadensersatzanspruch bei einer Nebenpflichtenverletzung im deutschen Recht ist freilich auf die Überwindung der Beschränkung der Formel Puchtas zurückzuführen. Im Hinblick darauf, dass seine Formel ursprünglich für die Umwandlung der Leistung aufgestellt wurde, spielt inzwischen das Verschulden nur noch eine nebensächliche Rolle, dessen Wichtigkeit aber mit der Objektivierung der Vertragsverletzung immer schwächer geworden ist. Im Gegensatz dazu ist das Verschulden bei der Nebenpflichtenverletzung immer noch wichtig, wie Siber betont hat, weil die Neben- bzw. Schutzpflichten als weiterer Inhalt des Schuldverhältnisses neben der Leistung bezeichnet werden, sodass das Verschulden bzw. die schuldhafte Handlung des Schuldners als tatsächliche Ursache für den Schaden bezeichnet wird. Im Vergleich dazu ist die Befreiung des Verschuldens im chinesischen Recht auf die absichtliche Nachahmung der PICC und des UN-Kaufrechts zurückzuführen, um die sorgfältige Erfüllung des Vertrags zu fördern und den Schutz des Beschädigten zu begünstigen.120 Abgesehen von dieser Rechtspolitik ist weiter zu überlegen, ob die Befreiung vom Verschuldenserfordernis sich eigentlich der Struktur des Leistungsstörungsrechts anpassen kann: Da die Nebenpflichten als unvereinbarte Pflichten den Vertragspflichten zugeordnet werden können, wird deren Verstoß freilich auch als Unterfall der Nichterfüllung bezeichnet, sodass das Erfordernis am Verschulden nicht mehr notwendig scheint. Aber im Hinblick darauf, dass die Nebenpflichtenverletzung möglicherweise zu einer Konkurrenz

119 

Vgl. §  107 CVG. Vgl. Das Rechtskomitee – Zivilrechtsabteilung des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Ausgewählte Gesetzgebungsmaterialien zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  59. 120 

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung führt, das heißt, dass nach §  6 CDHG der Täter nur haftet, wenn er (vermutlich) schuldhaft den anderen beschädigt,121 scheinen diese unterschiedlichen Erfordernisse noch zweifelhaft, weil die zwei Rechtsbereiche auf Basis des gleichen Sachverhalts tatsächlich für zwei unterschiedliche Rechtsfolgen sorgen können.122

IV. Problem der Nebenpflichten im Kaufrecht Die Tradition seit den 1950er Jahren, dass das Gewährleistungsrecht dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht zugeordnet wird, wurde im chinesischen Vertragsgesetz unverändert übernommen. Eine Veränderung liegt jedoch darin, dass die Regelung für Rechts- und Sachmängel nach dem UN-Kaufrecht ausführlicher formuliert wird. Nach §  150 CVG ist der Verkäufer verpflichtet, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, zu gewährleisten, dass ein Dritter keine Rechte am übergebenen Vertragsgegenstand gegenüber dem Käufer geltend machen kann.123 Daher ist die Pflicht der Rechtsmangelfreiheit als gesetzliche oder konkludente Pflicht anzusehen. Nach dem offiziellen Kommentar haben die Gesetzesverfasser den Verstoß gegen diese Pflicht als Unterfall der Nichterfüllung definiert, ohne sie aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht auszuschließen.124 Im Vergleich dazu ist der Käufer nach §  153 CVG verpflichtet, einen Vertragsgegenstand entsprechend den vereinbarten Qualitätsanforderungen zu über-

121  参见《中华人民共和国侵权责任法》第6条:行为人因过错侵害他人民事权益, 应当承担侵权责任。根据法律规定推定行为人有过错,行为人不能证明自己没有过错 的,应当承担侵权责任。Siehe Article 6 of the Tort Liability Law of the People’s Republic of China: I. The actor infringing upon civil rights and interests of others by fault shall assume tort liability. II. If the actor presumed to be at fault according to law is unable to prove otherwise, he or she shall assume tort liability. Übersetzung Chinesisch – Englisch in: LawInfoChina [北 大法律英文网]/pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.1.125300 (EN). 122  Nach Meinung der Gesetzgeber des CVG haben die Parteien grundsätzlich für die vertragliche Haftung einzustehen, wenn sie im Voraus im Vertrag vereinbart haben, nur dafür zu haften. Vgl. Das Rechtskomitee – Zivilrechtsabteilung des chinesischen Nationalen Volkskongresses, Ausgewählte Gesetzgebungsmaterialien zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  168. 123  参见《中华人民共和国合同法》第150条:出卖人就交付的标的物,负有保证第 三人不得向买受人主张任何权利的义务,但法律另有规定的除外。(Siehe §  150 CVG: Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist der Verkäufer verpflichtet, zu gewährleisten, dass ein Dritter keinerlei Rechte am übergebenen Vertragsgegenstand gegenüber dem Käufer geltend machen kann. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 124  Vgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  255–256.

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geben,125 während nach §  154 CVG er noch verpflichtet ist, den Sachmangel zu beseitigen, obwohl die Qualität des Gegenstands nicht vereinbart wird, welche durch entsprechende Gesetze oder Verkehrssitten bestimmt werden kann.126 Nach dem offiziellen Kommentar ist dieser Paragraph auf die Regel des „implied warranty“ i. S. d. Art.  35 des UN-Kaufrechts zurückzuführen.127 Wenn der Verkäufer die Pflicht der Sachmangelfreiheit verletzt, ist er nach §  155 CVG verpflichtet, den Schaden wegen der mangelhaften Erfüllung i. S. d. §  111 CVG zu ersetzen.128 Daher ist der Schadensersatz wegen eines Sachmangels vollständig mit dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht harmonisiert worden. Dies führt dazu, dass die Probleme der Nebenpflichtenverletzung im Kaufrecht keiner besonderen Regel bedürfen, weil sie einfach mit §  107 ff. CVG gelöst werden können. Dies aber verheimlicht ein besonderes Problem im Fall eines Sachmangels, und zwar, ob die Haftung des Verkäufers für den sog. Mangelfolgeschaden auf der c.i.c. oder der p.V.V. beruht. Im Hinblick darauf, dass das chinesische Recht die c.i.c. und die Nebenpflichten bei der Vertragserfüllung streng trennt, scheint der Rechtsgrund für diese Haftung bei einem Sachmangel noch nicht deutlich zu sein, weil der Schadensersatz eventuell auf die Nichterfüllung i. S. d. §107 CVG verweist.129 125  参见《中华人民共和国合同法》第153条:出卖人应当按照约定的质量要求交付 标的物。出卖人提供有关标的物质量说明的,交付的标的物应当符合该说明的质量要 求。(Vgl. §  153 CVG: Der Verkäufer muss einen Vertragsgegenstand entsprechend den vereinbarten Qualitätsanforderungen übergeben. Wenn der Verkäufer Erklärungen zur Qualität des Vertragsgegenstands abgibt, muss der übergebene Vertragsgegenstand den Qualitätsanforderungen nach der Erklärung entsprechen. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 126  参见《中华人民共和国合同法》第154条:当事人对标的物的质量要求没有约定 或者约定不明确,依照本法第六十一条的规定仍不能确定的,适用本法第六十二条第 一项的规定。(§  154 CVG: Wenn die Parteien keine Vereinbarung zu den Qualitätsanforderungen an den Vertragsgegenstand getroffen haben, oder die Vereinbarung unklar ist, und sich der Punkt auch nicht nach §  61 bestimmen lässt, wird §  62 Nr.  1 angewandt. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 127  Vgl. Hu Kangsheng (Hrsg.), Kommentar zum Vertragsgesetz der Volksrepublik China, S.  259; Art.  35 (a), (b) CISG. 128  参见《中华人民共和国合同法》第155条:出卖人交付的标的物不符合质量要求 的,买受人可以依照本法第一百一十一条的规定要求承担违约责任。(Vgl. §  155 CVG: Wenn der vom Verkäufer übergebene Vertragsgegenstand den Qualitätsanforderungen nicht entspricht, kann der Käufer nach §  111 Haftung wegen Vertragsverletzung geltend machen. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 129  Die meisten chinesischen Gerichte vertreten die Auffassung, dass die c.i.c. nur anwendbar ist, wenn der Vertrag unwirksam ist. Wenn der Vertrag gültig ist, verweist der Schadensersatz immer auf die Nichterfüllung i. S. d. §  107 CVG und mangelhafte Erfüllung i. S. d. §  111 CVG. Daher ist die Beziehung zwischen der c.i.c. und der Haftung für einen Sachmangel verdunkelt. Vgl. Sun Weifei, Der Jurist 1 (2018), 179 (186).

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Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

E. Zusammenfassung I. Probleme der Nebenpflichten im chinesischen Vertragsgesetz Wie oben erwähnt, ist das Normensystem der Nebenpflichten im geltenden chinesischen Recht als ein Ergebnis der vielfältigen Rechtsrezeption zu verstehen. Genauer gesagt ist die Grundstruktur des Schuldrechts bei der ersten Rechtsrezeption begründet worden, obwohl sich die indirekte Übernahme der p.V.V. wegen der Aufhebung des Rechtssystems in der Geschichte der Republik China nicht weiterentwickelt hat. Im Vergleich dazu wurde wegen der vollständigen Sowjetisierung des Rechtssystems die alte Struktur des Leistungsstörungsrechts umgebaut und seit den 1960er Jahren sogar fast zerstört. In der Zwischenzeit kam aber der vereinheitlichte Begriff der Nichterfüllung als Grundsatz für alle Leistungsstörungen auf; diese wurde als neue Rechtstradition bewahrt. Aus diesem Grund kann die dritte Rezeption nicht als reine Übernahme der ausländischen oder internationalen Rechtsquelle und -dogmatik bezeichnet werden, sondern sollte als so beschaffen verstanden werden, dass die neu eingeführten Lehren von den Nebenpflichten und der c.i.c. mit dem bisherigen Rechtssystem und der bisherigen -kenntnis vermischt bzw. verarbeitet wurden. Genauer gesagt sind die Probleme der Nebenpflichten im geltenden chinesischen Vertragsgesetz darauf zurückzuführen, dass der Begriff der Nebenpflichten, die vor dem dogmatischen Hintergrund des deutschen Rechts ausgeprägt wurden, eigentlich mit der ursprünglichen Struktur des chinesischen Vertrags- bzw. Schuldrechts nicht ganz harmonieren kann. Dies wird wie folgt konkretisiert: Erstens kann der Begriff der Nebenpflichten im Hinblick darauf, dass das Pflichtensystem im chinesischen Vertrags- bzw. Schuldrecht nicht aufgrund der Leistung, sondern durch die Trennung zwischen vereinbarten und unvereinbarten Pflichten aufgebaut wird, sich dem Pflichtensystem des Vertrags- und Schuldrechts nicht vollständig anpassen. Genauer gesagt können die vereinbarten Pflichten auch weitere Verhaltenspflichten neben der Leistung umfassen, während der Inhalt der unvereinbarten Pflichten nach dem Prinzip von Treu und Glauben oder nach den Verkehrssitten bestimmt werden kann, sodass dieses System flexibler erscheint. Obwohl zweitens die Nebenpflichtenverletzung der vereinheitlichten Nichterfüllung zugeordnet werden kann, verheimlicht die Verschuldensunabhängigkeit der Vertragshaftung die Rechtsnatur der Nebenpflichten. Das bedeutet, dass der durch ihre Verletzung verursachte Schadensersatz nicht dem Inhalt der Leistung entspricht, sondern auf die Folge der schuldhaften Beschädigungshandlung zurückzuführen ist, sodass die Verschuldensbefreiung für

E. Zusammenfassung

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die Nebenpflichtenverletzung fragwürdig scheint, obwohl nach dem Grundsatz der „full compensation“ der entsprechende Schadensersatz auch mit der vertraglichen Klage geltend gemacht werden kann. Drittens: Obwohl die Lehre der c.i.c. ins chinesische Vertragsgesetz aufgenommen wurde, wurden die Verhaltenspflichten in ihrer Verbindung zwischen dem vorvertraglichen und vertraglichen Stadium noch nicht ausreichend analysiert und verdeutlicht, sodass die c.i.c. vielmehr als deliktische oder deliktsnahe Haftung anzusehen ist. Erstaunlich ist, dass die Konkurrenz zwischen der c.i.c. und den Nebenpflichten bei der Vertragserfüllung wegen der Harmonisierung zwischen Gewährleistungsrecht und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht oberflächlich verdunkelt wird.

II. Probleme der Nebenpflichten in der Rechtsanwendung Mangels der völligen Anpassung an die Grundstruktur von §  60 CVG kann der Begriff der Nebenpflichten in der Rechtspraxis ebenfalls nicht widerspruchsfrei angewandt werden. Nach dem Maßstab des deutschen Rechts wird dieser Begriff von den chinesischen Gerichten bald als Leistungspflichten, bald als Nebenleistungspflichten, bald als Neben- bzw. Schutzpflichten begriffen: In einem Urteil des Mittelgerichts in der Henan Provinz nimmt der Richter an, dass die Pflicht des Verkäufers, Eigentum an einem Auto zu verschaffen, als Nebenpflicht zu betrachten ist.130 Im Vergleich dazu wird in einem Urteil des Mittelgerichts in der Jiangsu Provinz die Meinung vertreten, dass vertragliche Nebenpflichten als unvereinbarte Nebenleistungspflichten zu verstehen sind, die im Einzelfall mangels gesetzlicher Vorschriften und vertraglicher Vereinbarung noch nach dem Prinzip von Treu und Glauben bestimmt werden können.131 Auch in einem Urteil des Mittelgerichts in der Anhui Provinz hat der Richter schlicht die Lehre von Wang Zejian angeführt und somit die Nebenpflichten als die sog. „unselbstständigen Nebenpflichten“ i. S. d. Lehre von Enneccerus angesehen.132 Dieses 130  Vgl. (2014) Xin Zhong Fa Min Zhong Zi Nr.  718 [(2014)信中法民终字第718号]: Urteil des Mittleren Volksgerichts der Stadt Xinyang, Henan Provinz am 4. Juni 2014, Rechtsstreit Ye Qingyun gegen Huang He wegen Kaufvertrag [上诉人叶青云与被上诉人黄河买卖 合同纠纷一案二审民事判决书], Chinesisch in: LawInfoChina [北大法律英文网]/pkulaw. cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.C.3063475. 131  Vgl. (2014) Ning Shang Zhong Zi Nr.  1270 [(2014)宁商终字第1270号]: Urteil des Mittleren Volksgerichts der Stadt Nanjing, Jiangsu Provinz am 14. November 2014, Rechtsstreit Yang Huanyu gegen Jinjiang-Metro Co., Ltd., Nanjing – Yuhua – Einkaufszentrum­ wegen Kaufvertrag [杨怀玉与锦江麦德龙现购自运有限公司南京雨花商场买卖合同纠纷 上诉案], Chinesisch in: LawInfoChina [北大法律英文网]/pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.C.16360822. 132  Vgl. (2016) Wan 05 Min Zhong Nr.  281 [(2016)皖05民终281号]: Urteil des Mittleren

160

Fünftes Kapitel: Aufbau der Nebenpflichten im chinesischen Schuldrecht

Chaos ist darauf zurückzuführen, dass die Pflichten i. S. d. §  60 II CVG als Nebenpflichten ausgelegt werden. Vor diesem Hintergrund können die unvereinbarten Pflichten auch den Hauptleistungspflichten zugeordnet werden, weil der Leistungsinhalt nicht unbedingt ausdrücklich bestimmt werden muss. Dementsprechend können die unvereinbarten Inhalte auch die Nebenleistungs-, Nebenbzw. Schutzpflichten berühren, wenn sie eventuell nicht von den Vertragsparteien ausdrücklich in Übereinstimmung gebracht und nach dem Prinzip von Treu und Glauben inhaltlich ergänzt werden können. Die Verwirrung resultiert auch aus der Beziehung zwischen Verschulden und Nebenpflichtenverletzung. Obwohl das chinesische Vertragsgesetz kein Verschulden für den Schadensersatzanspruch erfordert, scheint die Einstellung der Gerichte dazu anders zu sein. In einem Urteil des Obervolksgerichts von Shanghai ist der Richter der Auffassung, dass der Verkäufer gegen die Nebenpflichten schuldhaft verstößt, wenn er nicht den Käufer über die Information der Reparatur der Kaufsache aufklärt.133 Ähnlich wird nach einem Urteil des Mittelgerichts in der Anhui Provinz bei einem Autoverkauf die fehlerhafte Aufklärung über das Fahrzeug durch den Verkäufer für schuldhaft gehalten.134 Dies zeigt, dass die Richter dazu neigen, die Nebenpflichtenverletzung mit dem konkreten Verschulden des Schuldners zu verbinden. Ohne das Verschuldenselement kann der dadurch veranlasste Schaden nicht ersetzt werden. Gewissermaßen kann diese Neigung als der fortbestehende Einfluss des Verschuldensprinzips im chinesischen Wirtschaftlichen Vertragsgesetz verstanden werden.135 Allerdings versteht sich auch, dass nach dem gerichtlichen Gedanken ein Zusammenhang zwischen Verschulden und Pflichtverletzung nicht außer Acht gelassen werden kann.

Volksgerichts der Stadt Ma Anshan, Anhui Provinz am 4. März 2016, Rechtsstreit Anhui He-Bezirk Bi Guiyuan Immobilien Development Co., Ltd. Gegen Li Shurui wegen Kaufvertrag [安徽和县碧桂园房地产开发有限公司与李姝睿买卖合同纠纷案], Chinesisch in: LawInfoChina [北大法律英文网]/pkulaw.cn [北大法宝], Index-Nr. CLI.C.15602716. 133  Vgl. (2018) Hu Min Shen Nr.  201 [(2018)沪民申201号], Beschluss des Oberen Volksgerichts der Stadt Shanghai am 23. April 2018, Streitigkeit wegen Wiederaufnahmeverfahren in einem Rechtsstreit Shanghai Minxing Auto-Service Co., Ltd. gegen Fang Guozhu und andere [上海闵星汽车服务有限公司诉方国柱等买卖合同纠纷案], Chinesisch in: LawInfo China [北大法律英文网]/pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.C.11128385. 134  Vgl. (2017) Wan 18 Min Zhong Nr.  409 [(2017) 皖 18 民终409号]: Urteil des Mittleren Volksgerichts der Stadt Xuancheng, Anhui Provinz am 18. Mai 2017, Rechtsstreit Guan Xuqun gegen Nantong Chencheng Anto-Service Co., Ltd [官绪群与南通申成汽车销售服务有限公 司等买卖合同纠纷上诉案], Chinesisch in: LawInfoChina [北大法律英文网]/pkulaw.cn[北 大法宝], Index-Nr. CLI.C.9687987. 135  Vgl. S.  141, Fn.  68.

E. Zusammenfassung

161

Im Hinblick auf das unklare Verständnis der Rechtsnatur der Nebenpflichten ist deren Anwendungsbereich noch nicht deutlich abgegrenzt. Obwohl §  60 II CVG die Nebenpflichten auf das Stadium der Vertragserfüllung beschränkt, haben manche Urteile bereits die Einschränkung innerhalb des Vertragsverhältnisses durchbrochen. Sie bezeichnen Nebenpflichten als die alle Stadien des Vertragsverhältnisses umfassenden Verhaltenspflichten.136 In einem Urteil des Mittelgerichts in der Guangdong Provinz nimmt der Richter an, dass vertragliche Nebenpflichten sich auf den ganzen Verkehrsprozess von Vertragsverhandlung bis Vertragsbeendigung beziehen und als Aufklärungs-, Mitwirkungspflicht usw. ausgedrückt werden können. Manche Gerichte haben sogar Nebenpflichten als sog. Verkehrssicherungspflichten i. S. d. §  37 CDHG verstanden.137 In einem Urteil des Mittelgerichts in der Anhui Provinz nimmt der Richter an, dass der Verkäufer, wenn er an seiner Betriebsstätte die Kaufsache übergibt, die Nebenpflicht erfüllen muss, die Sicherheit des Käufers und der Kaufsache zu garantieren.138 Daher ist bereits eine Tendenz in der Rechtspraxis entstanden, die allgemeinen Nebenpflichten als außervertragliche und vertragliche Verhaltenspflichten umfassend aufzubauen.

136 

Vgl. (2017) Yue 06 Min Zhong Nr.  5164 [(2017)粤06民终5164号]: Urteil des Mittleren Volksgerichts der Stadt Foshan, Guangdong Provinz am 28. Juni 2017, Rechtsstreit Zhang Xinhai gegen Foshan Ruikafu Furniture Co., Ltd. [张新海与佛山市瑞卡弗家具有限公司买 卖合同纠纷上诉案], Chinesisch in: LawInfoChina [北大法律英文网]/pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.C.10658726. 137  Vgl. S.  150, Fn.  100. 138  Vgl. (2011) Xuan Zhong Min Yi Zhong Zi Nr.  00394 [(2011)宣中民一终字第00394 号]: Urteil des Mittleren Volksgerichts der Stadt Xuancheng, Anhui Provinz am 8. Oktober 2011, Rechtsstreit Yongfeng Landwirtschaft Co., Ltd. gegen Chen Jialin wegen Kaufvertrag [ 宣城市永丰农资有限责任公司与陈家林买卖合同纠纷上诉案], Chinesisch in: LawInfo China [北大法律英文网]/pkulaw.cn[北大法宝], Index-Nr. CLI.C.2134093.

Sechstes Kapitel

Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis der Untersuchung Als Ergebnis dieser Arbeit wird in diesem Kapitel versucht, aufgrund der obigen historischen und vergleichenden Untersuchung zu den Nebenpflichten einen Verbesserungsvorschlag für den KE-BTCZGB vorzulegen. Zuvor werden jedoch die Probleme in diesem neuen Entwurf sorgfältig analysiert, um die Änderung der wesentlichen Vorschriften und die neue Aufgabe für den Aufbau der Nebenpflichten erklären zu können. Ferner wird die vorhandene akademische Lösung auf Basis des deutschen geltenden Rechts analysiert und aus Sicht der deutschen und chinesischen Rechtsgeschichte kritisert, damit schließlich eine neue Möglichkeit für den Wiederaufbau der Nebenpflichten im zu kodifizierenden ZGB angeboten werden kann.

A. Neue Probleme der Nebenpflichten bei der Kodifikation des ZGB Mit der Bekanntmachung des KE-BTCZGB hat man es bereits mit der embryonalen Form des Nebenpflichtensystems zu tun. Schon bei der ZGB-Kodifikation hätten die Probleme der Nebenpflichten im Vertragsgesetz bzw. in der Rechtspraxis gewissermaßen gelöst oder zumindest verringert werden sollen. Doch gibt es insgesamt gesehen kaum eine Veränderung im Vergleich zum vorhandenen Vertragsgesetz.1 Genauer gesagt wurden die Regeln für die c.i.c., 1  Wie manche chinesische Rechtswisschenschaftler bereits erwähnt haben, hat das chinesische Rechtssystem bereits seit den 1980er Jahren eine Tradition entsprechend der Unterscheidung zwischen dem ius civile und dem ius honorarium i. S. d. römischen Rechts entwickelt, und zwar dahingehend, dass einerseits ein textliches Normensystem durch die Gesetzgebung des Nationalen Volkskongresses etabliert wurde, während andererseits ein ungeschriebenes Normensystem vonseiten der Justizinterpretationen (司法解释) und Führungsfälle (指导性案例) durch den obersten Volksgerichtshof aufgebaut wurden. Jedoch hat weder der ATCZGB noch der KE-BTCZGB die gerichtliche Fortbildung übernommen. Vgl. Xue Jun, Journal der Ostchina-Universität für Politik- und Rechtswissenschaft 3 (2017), 6 (9).

164 Sechstes Kapitel: Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis nämlich §  42 und §  43 CVG unverändert in §  292 und §  293 KE übertragen,2 während die Regel für die Nebenpflichten bei der Vertragserfüllung, das heißt §  60 CVG durch §  300 KE übernommen3 und die Regel für nachvertragliche Pflichten i. S. d. §  92 CVG4 entsprechend in §  348 KE kopiert wurde.5 In Bezug auf diese Vorschriften liegen die Unterschiede nur darin, dass die zusätzliche Pflicht zum Umweltschutz hinzugefügt wird, das heißt, dass gemäß §  300 KE und §  348 KE die Vertragsparteien verpflichtet sind, natürliche Ressourcen zu sparen, die Umweltverschmutzung zu verringern und die wegen der Vertragserfüllung entstehenden Abfälle zu recyceln. Im Leistungsstörungsrecht bleibt der allgemeine Grundsatz der Nichterfüllung und der nicht vereinbarungsmäßigen Erfüllung i. S. d. §  107 CVG in §  367 KE noch unangetastet.6 Dabei werden §  108 CVG für Erfüllungsweigerung und §  111 CVG für mangelhafte Erfüllung jeweils auf §  368 KE und §  372 KE übertragen.7 Außerdem wird §  113 CVG, das heißt die Regel für den Umfang des Schadensersatzes wegen Nichterfüllung auch in §  374 KE wiederholt.8 Im Kaufrecht wird die Regel über den Rechtsmangel, nämlich §  150 CVG, inhaltlich unverändert, aber formell präziser formuliert, das heißt, dass gemäß §  387 KE der Käufer berechtigt ist, Schadensersatz zu beanspruchen, wenn der Verkäufer keine Befugnis zur Verfügung über die Kaufsache hat.9 Im Fall des Sachmangels wird §  400 ff. KE gemäß den Vorschriften des Vertragsgesetzes wiederholt. Außerdem entspricht §  407 KE dem Wortlaut des §  155 CVG ganz genau, und zwar dahingehend, dass die Schadensersatzpflicht für einen Sachmangel auf §  372 KE, das heißt für die mangelhafte Erfüllung i. S. d. allgemeinen Leistungsstörungsrechts verweist.10 Aus diesem Grund scheint dieser Entwurf die Regeln über Nebenpflichten im CVG grundsätzlich nicht verändert zu haben. Wenn aber der ATCZGB und dieser Entwurf zusammen betrachtet werden, kann folgende zusätzliche Schlussfolge­ rung gezogen werden: 2 

Vgl. §  292–293 KE-BTCZGB. Vgl. §  300 KE-BTCZGB. 4  参见《中国人民共和国合同法》第92条:合同的权利义务终止后,当事人应当遵 循诚实信用原则,根据交易习惯履行通知、协助、保密等义务。(Vgl. §  92 CVG: Nach Beendigung der Rechte und Pflichten aus dem Vertrag müssen die Parteien nach Treu und Glauben und der Verkehrssitte ihre Pflichten zu Mitteilungen, gegenseitiger Unterstützung und Geheimhaltung erfüllen. Übersetzung Münzel, Chinas Recht, 15.3.1999/1). 5  Vgl. §  348 KE-BTCZGB. 6  Vgl. §  367 KE-BTCZGB. 7  Vgl. §  368, §  372 KE-BTCZGB. 8  Vgl. §  374 KE-BTCZGB. 9  Vgl. §  387 KE-BTCZGB. 10  Vgl. §  407 KE-BTCZGB. 3 

A. Neue Probleme der Nebenpflichten bei der Kodifikation des ZGB

165

Zuerst geht es um ein verändertes Verständnis in Bezug auf die Beziehung zwischen Schuldverhältnis und Leistung. Obwohl der Allgemeine Teil des Schuldrechts im neuen chinesischen ZGB aufgegeben wurde, wie in der Einleitung ausgeführt wurde, besteht noch die allgemeine Definition für eine Forderung in §  118 ATCZGB, wonach ein schuldrechtlicher Anspruch als das Recht bezeichnet wird, kraft Vertrags, Delikts, Geschäftsführung ohne Auftrag, ungerechtfertigter Bereicherung und anderer gesetzlicher Vorschriften von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen.11 Im Vergleich zu §  84 AGZR wird hier der Ausdruck der „Pflichten“ nicht angewandt. Der Wortlaut dieses Paragraphen lautet tatsächlich sehr ähnlich wie die Legaldefinition für Anspruch i. S. d. §  194 des deutschen BGB.12 Im neuen chinesischen ZGB ist der Obergriff des Schuldverhältnisses eigentlich noch nicht definiert; denn es werden nur vier typische Obligationen aufgezählt. Es stellt sich dann die Frage, ob der Gesetzgeber an die Problematik der Nebenpflichten bzw. der Verhaltenspflichten außerhalb des Vertragsverhältnisses gedacht hat. Nach dem offiziellen Kommentar wird dies nicht erwähnt und der Ausdruck der „anderen gesetzlichen Vorschriften“ bezieht sich auch nur auf die Erziehungs- und Unterstützungspflichten i. S. d. chinesischen Familienrechts.13 Vor diesem Hintergrund sind die Nebenpflichten nur entweder auf das Vertrags- oder auf das Deliktsrecht zurückzuführen. Dies verringert eigentlich den ursprünglich durch die AGZR und das CVG begründeten relativ weiten „Lebensraum“ der Nebenpflichten, in dem die Verallgemeinerung der Verhaltenspflichten vor, bei und nach Vertragserfüllung auf der theoretischen Ebene des Schuldrechts AT noch ermöglicht werden könnte. Aber in dem durch den ATCZGB und den KE-BTCZGB neu begründeten System wird diese Möglichkeit bereits vernichtet, sodass sich die Nebenpflichten immer mehr mit der direkten Konkurrenz von Vertrags- und Deliktsrecht konfrontiert sehen müssen. Genauer gesagt: Nicht nur die c.i.c. befindet sich an einer unangemessenen Stelle im Vertragsrecht, solange sie vom Gesetzgeber des CVG als eine deliktische bzw. deliktsnahe Haftung angesehen wird, sondern auch die Schutzpflichten scheinen nur sehr schwer unter dem Namen der Vertragspflichten im Vertragsrecht bestehen zu können, solange sie zugleich noch die Verkehrssicherungspflichten i. S. d. Deliktsrechts berühren können. Mit den bereits im CVG aufgetretenen Problemen ist einzugestehen, dass das Nebenpflichtensystem bei der Kodifikation des chinesischen ZGB nicht befriedigend aufgebaut ist, sodass dieses entsprechender Modifikationsvorschläge bedarf. 11 

Vgl. §  118 ATCZGB. Vgl. §  194 BGB. 13  Vgl. Li Shishi, Kommentar zum Allgemeinen Teil des ZGB der Volksrepublik China, §  118. 12 

166 Sechstes Kapitel: Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis

B. Verbesserungsvorschlag auf deutsche Weise Neben diesem offiziellen Entwurf wurden bereits im Zeitraum von 2003 bis 2004 von chinesischen Zivilrechtlern drei inoffizielle Vorschlagsentwürfe verfasst,14 um auf die damalige Bemühung um die Kodifikation des ZGB vorzubereiten.15 Von diesen wurde der Entwurf von Liang Huixing (梁慧星), einem Professor der chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, für am besten formuliert gehalten. In diesem Entwurf hat er die Lösung für den Wiederaufbau der Nebenpflichten auf Basis des deutschen Rechts vorgeschlagen. Zunächst hat er im Bereich des Schuldrechts AT die Leistungspflicht i.S.d. §  241 I BGB modifiziert. Danach muss der Schuldner den Inhalt des Schuldverhältnisses vollständig erfüllen und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben die Pflichten zur Aufklärung, Mitwirkung, Sorgfalt, Geheimhaltung usw. einhalten.16 Das zeigt, dass die Nebenpflichten durch die gesetzliche Anerkennung als Inhalt des Schuldverhältnisses gelten. Auf dieser Grundlage wird der Oberbegriff der Nichtleistung aufgebaut, die sich nicht nur auf das Nichtleistenkönnen oder Nichtleistenwollen, sondern auch auf die Schädigung der körperlichen Integrität oder des Vermögens des Gläubigers bezieht.17 Unter diesem Begriff werden die Leistungsstörungen in Unmöglichkeit, Verzug, Verweigerung, mangelhafte und verletzende Erfüllung aufgeteilt, sodass die Fälle der p.V.V. ebenfalls eingeschlossen werden können.18 Im Allgemeinen Teil des Vertragsrechts wird zuerst der Oberbegriff der vorvertraglichen Pflichten festgelegt, nämlich dass beim Vertragsschluss, z. B. Verhandlung, Vorbereitung usw., die beiden Parteien verpflichtet sind, die durch 14  Der erste Entwurf wurde von Liang Huixing, Professor der chinesischen Akademie, herausgegeben. Der zweite wurde von Wang Liming, Professor der chinesischen Renmin Universität verfasst. Der dritte, das heißt das sog. „grüne ZGB“ wurde von Xu Guodong, Professor der Xiamen-Universität formuliert. Die ersten beiden Entwürfe wurden mit ausführlichen Begründungen veröffentlicht und haben als akademisches Ergebnis die chinesische Rechtswissenschaft weitergehend beeinflusst. 15  Die Abfassung der Vorschlagsentwürfe war darauf zurückzuführen, dass der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses seit 1998 mit der Vorbereitung auf die Kodifikation des ZGB begonnen hat und somit die Rechtswissenschafler damit betraut hat, die entsprechenden Vorschlagsentwürfe zu formulieren. Allerdings wurde die offizielle Kodifikation damals nicht wirklich vorgenommen. Vgl. Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  2–3. 16  Vgl. §  724 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  142. 17  Vgl. §  736 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  144. 18  Vgl. §§  737–753 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  143–146.

B. Verbesserungsvorschlag auf deutsche Weise

167

Treu und Glauben erforderten Verhaltenspflichten zu Geheimhaltung, Sorgfalt, Schutz usw. einzuhalten,19 sodass die c.i.c. als ein Unterfall der vorvertraglichen Pflichten anzusehen ist, die nicht mehr wie im chinesischen Vertragsgesetz den Vorsatz oder die Böswilligkeit des Schuldners betonen und deren Haftung sich auch nicht mehr nur auf den Schadensersatz für das negative Interesse beschränkt, sondern sich auch auf das durch die Schutzpflichtverletzung betroffene Integritätsinteresse bezieht.20 Über die c.i.c. hinaus bleibt die Regel der Nebenpflichten bei der Vertragserfüllung wie im Vertragsgesetz unverändert erhalten. Daher werden sie als aus dem Prinzip von Treu und Glauben entstehende Verhaltenspflichten verstanden, sodass sie hinsichtlich ihrer Rechtsnatur mit der c.i.c. in Einklang stehen können.21 Im allgemeinen Leistungsstörungsrecht wird die Bedeutung der Vertragsverletzung weiter ausgelegt. Sie wird für jeden Verstoß der Parteien gegen die dem Vertragszweck entsprechenden Pflichten bejaht, sodass die Verletzung der Nebenpflichten auch als Vertragsverletzung betrachtet werden kann.22 Entsprechend wird im Schadensersatzrecht auf die Theorie der Leistungsumwandlung verzichtet und nur das Prinzip der Vorhersehbarkeit genannt, das heißt, dass der den Vertrag Verletzende nur auf den Schaden wegen der Vertragsverletzung haftet, den er bei Vertragsschluss vorhersieht oder vorhersehen kann.23 Zusammenfassend kann unter der Lösung von Liang verstanden werden, dass das Pflichtensystem des chinesischen Rechts angesichts der aktuellen Entwicklung des deutschen, japanischen und taiwanesischen Rechts wieder modifiziert wird, damit die Fälle der p.V.V. und der c.i.c. miteinander harmonisiert werden können. Doch setzt diese Lösung eigentlich den Umbau des Schuldrechts AT nach deutschem Recht voraus, insbesondere dass der Leistungsbegriff nicht nur i. S. d. Rechtswissenschaft, sondern auch i. S. d. Gesetzgebung eingeführt und weiter um die Lehre von den Nebenpflichten ergänzt wird. Daher erscheint dies selbstverständlich und folgerichtig aus der Sicht des deutschen Rechts, aber nicht ganz passend für die gegenwärtige Lage des chinesischen Rechts. Im Hinblick darauf, dass es im Besonderen Teil des zukünftigen ZGB keinen Allgemeinen Teil des Schuldrechts mehr gibt, ist es ziemlich schwer, diese Lösung voranzu19  Vgl. §  870 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  169. 20  Vgl. §§  871–872 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  169–170. 21  Vgl. §  895 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  176. 22  Vgl. §  904 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  179. 23  Vgl. §  918 VE-CZGB, in: Liang Huixing, Der Vorschlagsentwurf des chinesischen ZGB, S.  182.

168 Sechstes Kapitel: Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis treiben. Es stellt sich die Frage, ob es nicht noch eine andere Möglichkeit gibt, um die Konkurrenz und Schwäche im jetzigen Entwurf zu vermeiden. Um dies zu beantworten, ist es notwendig, noch einmal auf die Rechtsentwicklung der Nebenpflichten im deutschen und chinesischen Recht zurückzublicken und ihr Wesen in der Rechtsgeschichte ausfindig zu machen.

C. Rückblick auf die deutsche und chinesische Rechtsgeschichte Wie in der obigen Untersuchung nachgewiesen, besteht das Problem der Nebenpflichten, das heißt die weiteren Pflichten der Vertragsparteien neben der Bewirkung der Leistung, nicht nur im modernen Zivilrecht, sondern schon sehr lange in der Rechtsgeschichte. Als Rezeptionsgegenstand des deutschen Rechts hat das römische Recht bereits eine eigene Lösung geboten, nämlich, dass in den iudicia bonae fidei bzw. der actio ex empto durch die automatische Anwendung der exceptio doli jede Pflichtverletzung vor und nach Vertragsschluss ermessen werden kann. Wegen der Erweiterung der actio ex empto wurde die teilweise zur Verfügung stehende Funktion der actio de dolo in den iudicia stricta graduell ersetzt, sodass schließlich mit einer vertraglichen Klage die Probleme von der c.i.c. und der p.V.V. gelöst werden können. Beim Aufbau des deutschen Schuldrechts im 19. Jahrhundert haben die Pandektisten, weil sie das Schuldverhältnis als das aus dem subjektiven Recht entstehende Herrschaftsverhältnis und die Leistung als dessen einzigen Inhalt betrachteten, die weitgehenden Vertragspflichten des römischen Rechts übersehen, sodass die Nebenpflichten bei der Vertragserfüllung aus dem Inhalt des Schuldverhältnisses ausgeschlossen wurden und der entsprechende Schadensersatz wegen der Äquivalenztheorie, die zumal durch die Unmöglichkeitslehre von Mommsen verstärkt wurde, ebenfalls ignoriert wurde. Dies aber führt zur klaren Trennung zwischen dem vorvertraglichen und vertraglichen Stadium bzw. auch zur direkten Konkurrenz zwischen Vertrags- und Deliktsrecht. Zur Überwindung dieser Schwäche hat Jhering zuerst die Lehre der c.i.c., deren Rechtsnatur sich auf die Verhaltenspflichten beim Vertragsschluss bezieht, aufgestellt. Staub hat später die Lehre von der p.V.V. „entdeckt“, die als vager Begriff hauptsächlich darauf abzielt, die Fälle, die der Schlechterfüllung, der Unmöglichkeit und dem Verzug nicht zuzuordnen sind, zu behandeln. Vor diesem Hintergrund ist die Aufstellung der Nebenpflichten darauf zurückzuführen, dass die Verletzung der Verhaltenspflichten bei Vertragserfüllung aus der p.V.V. herauskristallisiert wird. Die weitere Entwicklung der Schutzpflichten kann als Kate­go­risierung der Nebenpflichten bezeichnet werden, das heißt, dass ihre leistungs-

C. Rückblick auf die deutsche und chinesische Rechtsgeschichte

169

bezogenen und nicht leistungsbezogenen Seiten voneinander unterschieden werden. Dadurch werden die vorvertraglichen und vertraglichen Verhältnisse auf der Ebene der Schutzpflichten wieder vereinheitlicht, aber auf der Ebene der geschäftsbezogenen Pflichten immer weiter voneinander getrennt. Daher scheint die Bemühung des deutschen geltenden Rechts nicht ganz erfolgreich zu sein, alle Verhaltenspflichten im Vertragsverhältnis einem Rechtsbefehl zugeordnet zu haben. Aus dieser Dogmengeschichte lässt sich entnehmen, dass die Lehre von den Nebenpflichten einen engen Zusammenhang mit dem auf dem Leistungsbegriff beruhenden Schuldverhältnis hat, sodass sie als ein Ergebnis der Pfadabhängigkeit des deutschen Rechts angesehen werden kann. In Anbetracht der weiteren Entwicklung der Schutzpflichten ist die Lehre von den Nebenpflichten auch kein Endprodukt in die Richtung der Entdeckung der Verhaltenspflichten neben der Leistung, sondern nur ein Zwischenergebnis in der deutschen Rechtsgeschichte, sodass die Ergänzung der Rechtslücken kontinuierlich bis zur Schuldrechtsmodernisierung nominell vollendet wurde. Vor diesem Hintergrund ist es sehr interessant, dass die Lehre der Nebenpflichten, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts aus dem deutschen Recht entstanden ist, schließlich Ende des 20. Jahrhunderts im chinesischen Recht rezipiert wurde. Es ist eigentlich die dreimalige Rechtsrezeption in der Geschichte, die den zusammengesetzten Charakter des chinesischen Schuldrechts begründet hat, das heißt, dass das deutsche Recht (einschließlich des japanischen bzw. taiwanesischen Rechts) die Grundstruktur des Schuldrechts und die entsprechende Dogmatik auf der wissenschaftlichen Ebene stark beeinflusst, während die später dazugekommene, durch die Unidroit-Prinzipien und das UN-Kaufrecht ausgeprägte Gesetzgebung die einmal unterbrochenen, aber immer wieder von Neuem einsetzenden deutschen Rechtseinflüsse stark herausgefordert und auch teilweise modifiziert hat. Daher ist das Bestehen der Nebenpflichten im chinesischen Recht vielmehr als eine überwiegende Lehre auf der Ebene der Gesetzauslegung anzusehen, die aber freilich der gesetzgeberischen Absicht nicht völlig entsprechen kann. Es stellt sich die Frage, ob der Begriff der Nebenpflichten aufgegeben oder inhaltlich modifiziert werden kann, um ihn der Struktur des zu kodifizierenden chinesischen ZGB anzupassen. Meines Erachtens kann dies bejaht werden.

170 Sechstes Kapitel: Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis

D. Vorschläge für den Umbau der Lehre von den Nebenpflichten im chinesischen Recht I. Von Nebenpflichten zu unvereinbarten Pflichten Der Kern der Rechtsrezeption liegt nicht nur in der direkten Aufnahme oder Kopie der konkreten Rechtsinstitute, sondern auch in der Realisierung ihres Zwecks. Die Hinzufügung der Nebenpflichten ins deutsche Schuldrecht zielt darauf ab, weitere Verhaltenspflichten neben der Leistung zu berücksichtigen und somit für alle im Geschäftsverkehr in Betracht kommende Pflichtenverletzungen den entsprechenden Rechtsschutz anzubieten. Aus diesem Grund scheint der Begriff der Nebenpflichten im chinesischen Recht nicht notwendig. Als Alternative wäre der Aufbau der Lehre von den vereinbarten und unvereinbarten Pflichten zu erwägen. Wie oben erwähnt, wird die Lehre von den Nebenpflichten bei der Gesetzesauslegung und Rechtsanwendung angewendet, aber auf der Ebene der Gesetzgebung ist §  60 CVG tatsächlich nach der PICC verfasst. Daher soll §  60 I CVG als für vereinbarte Pflichten geltend und § 60 II CVG als für unvereinbarte Pflichten geltend definiert werden. Im Hinblick darauf, dass die vereinbarten Pflichten nicht allein die Handlungspflichten im Herrschaftsverhältnis sind, enthalten sie einen weiteren Inhalt: nicht nur dem konkreten Vertragstyp entsprechende Leistungspflichten, sondern auch aus der Übereinstimmung entstehende weitere Verhaltenspflichten. Auf dieser Basis entstehen die unvereinbarten Pflichten gemäß Treu und Glauben, der Vertragsnatur bzw. -zwecks und den Verkehrssitten, die nicht nur das der Realisierung der vereinbarten Pflichten dienende und mitwirkende Verhalten umfassen, sondern auch die mit dem Verkehr nicht direkt verbundenen anderen Plichten enthalten können. In diesem Sinne scheint der Umfang der unvereinbarten Pflichten freilich weiter als der Umfang der Nebenpflichten zu sein. Außerdem kann ihr Inhalt auch flexibler festgelegt werden. Daher können im Rahmen des chinesischen Rechts weitere Vertragsinhalte vom flexiblen Begriff der vereinbarten Pflichten ausgehend ausgelegt werden, sodass der Aufbau von vereinbarten und unvereinbarten Pflichten als die einfache Rezeption der Nebenpflichten viel eher der gesetzgeberischen Absicht entspricht und sich dem vorhandenen Rechtssystem anpasst.

II. Von Verschuldensunabhängigkeit zum Verschuldensprinzip Gewissermaßen ist die Ignorierung der Nebenpflichten im deutschen BGB von 1900 darauf zurückzuführen, dass die direkte Verbindung zwischen Verschulden und Vertragshaftung vernichtet wurde. Allerdings ist das Verschuldenselement bei der Wiederentdeckung weiterer Verhaltenspflichten neben der Leistung nach

D. Vorschläge für den Umbau der Lehre von den Nebenpflichten

171

dem Inkrafttreten des BGB auch nicht zu leugnen, es beeinflusst aber nur in indirekter Weise die Vertragshaftung: Beispielsweise beruht die Haftung der p.V.V. immer auch auf der subjektiven Zurechnung i. S. d. §  276 a. F. BGB, egal ob ihr Haftungsmaßstab auf der Unmöglichkeit oder der analogen Anwendung der Regeln über den Schuldnerverzug basiert. Sogar der Haftungsmaßstab für die Schutzpflichtverletzung ist dem abstrakten Oberbegriff der Pflichtverletzung gemäß §  280 I BGB zuzuordnen, aber der Ausdruck der Zurechnung in Satz  2, das heißt „wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat“, verweist noch auf das Verschulden i. S. d. §  276 BGB. Die Abweichung beim subjektiven Zurechnungsmaßstab für die Nebenpflichtenverletzung zwischen der chinesischen Gesetzgebung und der entsprechenden Rechtsanwendung – Erstere wendet das Prinzip der Verschuldensunabhängigkeit an, während Letztere vielmehr das Verschuldensprinzip einhält – ist darauf zurückzuführen, dass die Rechtsnatur der Nebenpflichten nicht immer mit der Leistungspflicht in Einklang steht. Genauer gesagt handelt es sich zum einen um von der Leistung abgeleitete Verhaltenspflichten, z. B. zur Mitwirkung, Aufklärung, aber zum anderen auch um von der Leistung unabhängige, das Integritätsinteresse der anderen Partei schützende Pflichten. Wie von manchen chinesischen Juristen vorgeschlagen, soll für die leistungsbezogenen Nebenpflichten wie bei der Leistungspflicht das Prinzip der Verschuldensunabhängigkeit angewandt werden, während für die nicht leistungsbezogenen grundsätzlich dasVerschuldensprinzip (einschließlich derVerschuldensvermutung) benutzt werden soll, weil sie viel eher der gesetzlichen Haftung i. S. d. Deliktsrechts ähnelt.24 Dies entspricht in der Tat der römischen Tradition und vermeidet die Konkurrenz zwischen dem vereinheitlichten Zurechnungsmaßstab und den Vertragspflichten von unterschiedlicher Rechtsnatur, zerstört andererseits bemerkenswerterweise die Einheit des Begriffs der Nebenpflichten. Wenn aber die Vertragspflichten in vereinbarte und unvereinbarte aufgeteilt werden, dann kann für das gegen die Vereinbarung verstoßende Verhalten dem Inhalt der Übereinstimmung der Vertragspateien zufolge das Prinzip der Verschuldensunabhängigkeit angewendet werden, während für die Verletzung der unvereinbarten Pflichten das Verschulden des Schuldners gemäß des Grundsatzes von Treu und Glauben und der konkreten Vertragsnatur bzw. des -zwecks berücksichtigt werden kann, um zu beurteilen, ob der Schuldner eigentlich für die Pflichtverletzung haften soll oder nicht. Dadurch kann sowohl der Name als auch die Rechtsnatur der Pflichten mit dem entsprechenden Zurechnungsmaßstab in Einklang stehen.

24  Vgl. Zhang Jiayong, Journal der Südwest-Universität für chinesische Nationalitäten 2 (2013), 96 (102).

172 Sechstes Kapitel: Umbau der Nebenpflichten im chinesischen ZGB als Ergebnis

III. Aufbau der allgemeinen unvereinbarten Pflichten Die Entwicklung der Nebenpflichten, insbesondere der Aufschwung der Schutzpflichten im deutschen Recht ist darauf zurückzuführen, dass die Fälle der c.i.c. und der p.V.V. weiter zu vereinheitlichen sind und die strenge Unterscheidung zwischen Vertragsschluss und -erfüllung gewissermaßen zu harmonisieren ist. Doch hat die Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses den Gegensatz von Vertrags- und Deliktsrecht nicht erfolgreich verringert, sondern wegen der Hinzufügung der sog. dritten Spur die Kluft nur weiter vergrößert. Angesichts dessen, dass das zukünftige chinesische ZGB nur den Vertragsund Deliktsband ohne das Schuldrecht AT enthält, erhält das System der chinesischen zivilrechtlichen Haftung auch die Struktur der Dualität von Vertrags- und Deliktsrecht. Wenn die Lehre des einheitlichen gesetzlichen Schutzverhältnisses vollständig eingeführt würde, würde sich dies nicht dem Gesetz anpassen. Im Hinblick darauf, dass in manchen Urteilen die Verhaltenspflichten bei Vertragsschluss und -erfüllung gewissermaßen vereinigt werden und dass in manchen die Bewahrungs- und Sorgfaltspflichten als Verkehrssicherungspflichten i. S. d. Deliktsrechts anzusehen sind, wäre es folgerichtig, auf dieser Basis den Begriff der unvereinbarten Pflichten zu erweitern, dass sie sich nicht mehr auf die Vertragserfüllung beschränken, sondern nach dem Prinzip von Treu und Glauben i. S. d. §  6 CVG alle Pflichten im Rahmen der c.i.c. (§  42 CVG), Geheimhaltung (§  43 CVG), vollständigen Erfüllung (§  60 CVG) und nachvertraglichen Pflichten (§  92 CVG) umfassen, um ein System der unvereinbarten Pflichten im weiteren Sinne aufzubauen, das heißt ein System der Vertragspflichten, in dem sowohl das Prinzip von Treu und Glauben in allen Stadien des Verkehrs dominieren als auch die Vereinbarung zwischen den Parteien beim ­Erfüllungsstadium adäquat berücksichtigt werden kann. Dadurch können die Schwierigkeiten, die durch die strenge Trennung der verschiedenen Stadien des Vertragsverhältnisses verursacht werden, vermieden und die gegenseitige Kon­ kurrenz zwischen Vertrags- und Deliktsrecht möglichst verringert werden.

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Glossar Lateinische Begriffe und deren sinngemäße Bedeutung

actio auctoritatis – Gewährschaftsklage, die sich auf die Gewährleistungspflicht des durch Mancipatio veräußernden Verkäufers für Rechtsmängel bezieht actio de dolo – eine subsidiäre Klage wegen Arglist actio ex empto – Klage aus Kauf actio ex stipulatu – Klage aus Stipulation actio in factum – eine Klageformel im römischen Recht, die von Prätoren durch Analogie bereits vorhandener Klagearten entwickelt wurde, wenn deren Sachverhalt durch ein bereits bestehende ediktale Klageformel nicht erfasst war. aequitas – ausgleichende Gerechtigkeit und Billigkeit aestimatio – Werten, Schätzen in Geld aliud simulatum, aliud actum – man hat anders getan, als man vorgegeben hat casus a nullo praestantur – niemand steht für die Gefahren ein concursus causarum – Konkurrenz der Rechtsgründe condemnatio pecuniaria – ein Prinzip im römischen Zivilprozessrecht, das erfordert, dass in allen Aktionen die intentio des Anklägers im Urteil statt Naturalerfüllung in Geld ersetzt werden muss. condictio indebiti – Rückforderung des irrtümlich auf eine Nichtschuld Geleisteten culpa – Fahrlässigkeit culpa lata – grobe Fahrlässigkeit culpa levis – leichte Fahrlässigkeit custodia-Haftung – Einstehen-Müssen für den Bewachungserfolg (eine Art Unversehrtheitsgarantie) Die Klage auf certam rem dare – Klage auf Eigentumsverschaffung an einer individuellen Sache oder einer Quantität von vertretbaren Sachen diligens paterfamilias – sorgfältiger Hausvater dolus – Vorsatz/List/Täuschung dolus malus – Arglist/arglistige Täuschung

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Glossar

emptio venditio – Kauf – Verkauf: die Bezeichnung für den Kaufvertrag im römischen Recht evictio – Entwehrung exceptio doli – Arglisteinrede id quod interest – das, was daran liegt impossibilium nulla obligatio – Ist die Leistung unmöglich, besteht keine Obligation. in iudicio – vor Gericht incertum – unbestimmt intentio – das Begehren des Klägers iudicia bonae fidei – Klagen nach Treu und Glauben iudicia stricta – strengrechtliche Klagen litis aestimatio – Ästimation des Rechtsstreits litis contestatio – Streitbefestigung mora – Verzug nec emptio nec venditio sine re quae veneat potest intellegi – Ohne eine Sache, die verkauft werden soll, kann weder ein Kauf vonseiten des Käufers noch des Verkäufers angenommen werden. pauca, sed matura – Weniges, aber Reifes peculium – Sondergut per eum stare, quo minus solvatur – Ob der Schuldner von der Haftung befreit wird, hängt von ihm selbst ab. periculum emptoris – Die Gefahr gehört dem Käufer. perpetuatio obligationis – Fortdauer der Obligation quanti ea res est – wie viel der Streitgegenstand wert ist quidquid dare facere oportet – alles, was der Beklagte leisten oder tun soll quidquid dare facere oportet ex bona fide – alles, was der Beklagte nach Treu und Glauben leistet quod iam lim dari oprotuit – was er bereits damals hätte leisten müssen quod rem habere interest emptoris – das Interesse des Käufers daran, dass er den Gegenstand gehabt hätte res extra commercium – Verkehrsunfähigkeit der Kaufsache res mancipi – bestimmte Sachen, die manzipierbar sein sollten (einschließlich italischer Grundstücke, Sklaven, bestimmten Großviehs und Felddienstbarkeiten) res nec mancipi – die Sachen, die nicht manzipierbar sind si alia actio non erit – wenn keine andere Klage gegeben werden kann simplum – einfacher Gegenstandswert stipulatio duplae – die Stipulation, in der vereinbart wird, dass der Betrag des Schadensersatzes den zweifachen Kaufpreis erreicht

Glossar

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stipulatio habere licere – die Stipulation, in der vereinbart wird, dass der Verkäufer für das Interesse des Käufers daran, die Kaufsache in ungestörtem Besitz zu haben, einstehen müsse utilitas circa ipsam rem – Interesse um den Gegenstand herum

Sachregister actio  – actio auctoritatis  31 – actio de dolo  19, 24, 39 ff., 55 ff., 66 ff., 168 – actio ex empto  18 ff., 30 ff., 54 ff., 64 ff., 168 – actio ex stipulatu  14, 31 – actio in factum  18 ff., 54 ff., 63, 65 aequitas  15 aestimatio  11, 23, 26 aliud simulatum, aliud actum  39 Analogie  19, 49, 54 ff., 79 ff., 110 Aufklärungspflicht  26, 37, 55 ff., 99 ff., 110 ff., 143 außergesetzliche Schuldpflichten  79 Bürgerpflicht  49 concursus causarum  32 condemnatio pecuniaria  10 condictio indebiti  58 culpa – culpa in contrahendo (c.i.c.)  7, 19, 45, 64 ff., 79 ff., 136, 148 ff. – culpa lata  55 ff., 71 ff. – culpa levis  55 custodia-Haftung  35 CVG (chinesisches Vertragsgesetz)  1 ff., 146 ff., 164 ff. dolus – dolus in contrahendo  149 – dolus malus  24, 39, 40, 56 einheitliches gesetzliches Schutzverhältnis  102, 107 ff. emptio venditio  11, 16

Erfüllungsinteresse  19, 53 ff., 58 ff., 76, 98, 113 ff., 135 Erfüllungsweigerung  89, 136, 152 ff., 164 Erhaltungsinteresse  104, 114, 144, 151 evictio  31 ff. exceptio doli  38 ff., 63 ff., 69, 168 full compensation  154, 155, 159 Garantiehaftung  28 ff. Gemeinschaftsgedanke  91 f. gesetzliches Schuldverhältnis ohne primäre Leistungspflicht  102 ff. Gewährleistungsrecht  111 ff., 132 ff., 142 ff., 156, 159 id quod interest  11, 23 impossibilium nulla obligatio  13, 16, 52, 57, 70 iudicia bonae fidei  10 ff., 31 ff., 51 ff., 168 iudicia stricta  10 ff., 20 ff., 42, 51 ff., 168 Klage auf certam rem dare  13, 15, 21, 24, 43, 64 Leistung – Leistungserfolg  15, 84 ff., 92 ff., 124 – Leistungsinteresse  61, 68, 92, 98, 121 – Leistungsstörungsrecht  80 ff., 111 ff., 152 ff., 164 ff.  litis aestimatio  11 litis contestatio  22 Loyalitätspflichten  102 ff., 124, 151 Mangel – Sachmangel  25 ff., 60 ff., 112 ff., 156 ff. – Rechtsmangel  25 ff., 53 ff., 120, 139 ff., 142, 164

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Sachregister

mangelhafte Erfüllung  17, 138 ff., 152 ff., 164  Mangelschaden  113 ff., 119 ff., 135 Mangelfolgeschaden  23 ff., 62 ff., 112 ff., 135 ff., 157  Mora 11 Nebenleistungspflichten  105, 159 Nebenpflichten – Nebenpflichtenverletzung  2, 10 ff., 30 ff., 146 ff., 171 – Lehre von den allgemeinen Nebenpflichten  144, 161 – selbstständige Nebenpflichten  143 ff. – unselbstständige Nebenpflichten  143 ff. negatives Interesse  54, 97 Nichterfüllung  51 ff., 102 ff., 152 ff., 164 Organismus  46 ff., 77 ff., 96 ff. p.V.V. (positive Vertragsverletzung)  7, 74 ff., 133 ff., 166 ff. peculium 36 periculum emptoris  25, 35, 44, perpetuatio obligationis  13 ff., 21 ff., 74 PICC  145 ff., 153 ff., 170 quanti ea res est  22 quidquid dare facere oportet  22 – quidquid dare facere oportet ex bona fide  11 quo minus  20 Rechtsrezeption  5, 127 ff., 169 ff. res extra commercium  17 ff., 53 ff., 65 ff. res mancipi  31 res nec mancipi  31 Risikoverteilung  35 Schadensersatz  11 ff., 21 ff., 84 ff., 151 ff. Schlechterfüllung  12, 24 ff., 49 ff., 63, 89, 120, 168 Schlechtleistung  25, 35 ff. Schutzansprüche – Erwerbsansprüche  86 – unentwickelte Schutzansprüche  89

Schutzinteresse  91 ff., Schutzpflichten  79 ff., 86 ff., 103 ff., 113 ff. Schutzwirkung für Dritte  108 ff. Sorgfaltspflichten  94, 172 Sowjetisierung des Rechtssystems  158 sozialer Kontakt  98 ff., 102 stipulatio habere licere  31 subjektives Recht  46 ff., 73 ff., 91, 126, 147, 168 Treu und Glauben (bona fides)  73 ff., 87 ff., 103 ff., 143 ff., 166 ff. UN-Kaufrecht  145, 152 ff., 169 Unmöglichkeit – vorhandene Unmöglichkeit  52, 65 – subjektive Unmöglichkeit  53 ff., 70 – objektive Unmöglichkeit  54 ff., 70 – nachfolgende (nachträgliche) Unmöglichkeit  57 ff., 72, 75,130 ff. – Unmöglichkeit hinsichtlich der Gegenstandsqualität  60 ff. unvereinbarte Pflichten  154 ff., 170 utilitas circa ipsam rem  23 vereinbarte Pflichten  154, 170 Verkehrssicherungspflichten  150, 161 verletzende Erfüllung  153, 166 Verschulden – Verschuldensprinzip  160, 170 ff. – Verschuldensunabhängigkeit  158, 170 ff. Vertragserfüllung  42 ff., 72 ff., 108 ff, 144 ff., 164 ff. Vertragsschluss  16 ff., 52 ff., 96 ff., 166 ff. Vertragsverhandlung  78 ff., 95 ff., 117 ff., 144, 161 Vertrauensverhältnis  90 ff., 100 ff., 144 Verzug – Schuldnerverzug  20 ff., 75, 83, 153 ff., 171 Volksgemeinschaft  91 Zusicherung  28 ff., 41, 75, 93, 112 ff., 131 ff.