141 86 6MB
German Pages 860 [909] Year 2019
Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 156 herausgegeben von
Rolf Stürner
Moritz Nissen
Das Recht auf Beweis im Zivilprozess
Mohr Siebeck
Moritz Nissen, geboren 1988; Studium der Rechtswissenschaften an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg; 2017 Promotion; Referendar am Kammergericht in Berlin.
ISBN 978-3-16-156213-6 / eISBN 978-3-16-156214-3 DOI 10.1628/978-3-16-156214-3 ISSN 0722-7574 / eISSN 2568-7255 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen aus der Times gesetzt und auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt. Es wurde von der Buchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit hat es zum Ziel, das Recht auf Beweis möglichst umfassend zu analysieren. Dabei wird zunächst der grundrechtliche Charakter des Rechts auf Beweis mitsamt seiner Gewährleistungen herausgearbeitet. Im Anschluss wird dieses Recht auf Beweis als Maßstab für die Überprüfung des geltenden Zivilprozessrechts herangezogen. Die Arbeit soll nicht nur Antworten auf grundlegende prozessund grundrechtliche Fragestellungen geben, sondern kann zugleich als Nachschlagewerk für die zivilprozessuale Praxis dienen. Naturgemäß haben an der Schaffung einer solchen Arbeit eine ganze Reihe von Menschen ihren Anteil. Daher möchte ich die nachfolgenden Zeilen für verschiedenste Danksagungen nutzen: Besonderer Dank gilt an erster Stelle Herrn Professor Dr. Alexander Bruns, LL.M. (Duke Univ.), der meine Themenwahl inspiriert und meine Arbeit betreut hat. Im Zuge dieser Betreuung hat er sich in jedem Stadium der Arbeit sehr viel Zeit für Fragen und Problemstellungen genommen. Unsere zahlreichen Gespräche haben mir immer wieder wertvolle Anregungen gegeben und diese Arbeit in erheblichem Maße mitgeprägt. Ganz herzlich danken möchte ich an dieser Stelle auch Herrn Professor Dr. Dr. Dres. h.c. Rolf Stürner für die rasche Erstellung eines Zweitgutachtens und für die Aufnahme der Arbeit in die von ihm herausgegebene Schriftenreihe. Großer Dank gebührt ferner der Friedrich-Ebert-Stiftung, deren Stipendiat ich vom Studium an und bis zum Ende meiner Promotion sein durfte. Ihre finanzielle und auch ideelle Förderung hat ganz erheblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Außerdem sei der Studienstiftung ius vivum ganz herzlich für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses gedankt, der die rasche Veröffentlichung dieser Arbeit erleichtert hat. Zu Dank verpflichtet bin ich außerdem meinen Freunden aus Freiburger Zeiten. Ihr steter Zuspruch war mir eine große Hilfe und Motivation. Namentlich hervor heben möchte ich an dieser Stelle Lisa Majerus, Alex Duncker, Daniel Jehser, Matthias Dankemeyer und Niklas Burkart, die es auf sich genommen haben, Teile der Arbeit Korrektur zu lesen und wertvolle Hinweise zu ihrer Verbesserung zu geben. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle auch meiner Freundin Linda Heimisch. Ihre stetige und umfassende Unterstützung während der Entstehungszeit dieser Arbeit
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Vorwort
hat mir sehr viel Kraft gegeben und mich auch durch die Bearbeitung schwieriger Themenbereiche getragen. Abschließend gebührt meinen Eltern größter Dank. Sie haben mich von Studienbeginn an in jeder nur denkbaren Hinsicht unterstützt. Ohne ihre stetige Fürsorge wäre diese Dissertation in ihrer jetzigen Form kaum möglich gewesen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Berlin, im Januar 2019
Moritz Nissen
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLV § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I. Einführung: die Bedeutung des Beweises im Zivilprozess . . . . 1 II. Die Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 III. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts § 2 Rechtshistorische Betrachtung des Beweisrechts . . . . . . . . . . . . . 9 I. Der Zivilprozess im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 10 II. Der Zivilprozess im germanischen Recht von der Frühzeit bis zum Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. Der römisch-kanonische Prozess und seine Rezeption in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 IV. Der Prozess im gemeinen Recht in Deutschland . . . . . . . . . 53 V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . 62 § 3 Rechtsvergleichende Betrachtung des U.S.-amerikanischen Zivilprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I. Grundlagen und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 III. Aufbau und Ablauf des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Das Recht auf Beweis in der pretrial Phase nach den FRCP . . . 84 V. Das Recht auf Beweis im U.S.-amerikanischen Zivilprozess nach den FRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 VI. Zusammenfassung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
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Inhaltsübersicht
2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta § 4 Postulierung der Existenz des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . 137 I. Zur Begründung der zwingenden Existenz eines Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Die Existenz eines Rechts auf Beweis in der EMRK und der GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 § 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I. Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 II. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis im GG . . . . . 148 III. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der EMRK . 168 IV. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der GRC . . 178 V. Das Verhältnis der untersuchten Grundrechtsordnungen zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 § 6 Grundlagen und die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis . . . 199 I. Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis – Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 II. Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 III. Die Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas als zentrale, immanente Grenze des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . 221 IV. Die weiteren immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis . . . 234 V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 7 Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I. Der weitere Gang der Untersuchung: die Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Berechtigte und Verpflichtete des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 III. Grundlegende Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 IV. Beweisantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 V. Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 VI. Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366
Inhaltsübersicht
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VII. Beweisbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 § 8 Die Grenzen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . 401 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 II. Die Definition eine Eingriffes in das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 III. Die Voraussetzungen einer zwangsweisen Einschränkung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . 411 IV. Die Voraussetzungen eines Verzichts auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . 446 VI. Zusammenfassung: Die Grenzen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der deutschen Zivilprozessordnung § 9 Beweisrechtliche Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 II. Das Recht der Prozessparteien auf Information . . . . . . . . . . 461 III. Die Ausgestaltung der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 IV. Der Grundsatz der formellen Beweisunmittelbarkeit in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 V. Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 VI. Die vorprozessuale und prozessuale Beweissicherung in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 § 10 Beweisantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 I. Die formalen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 II. Die inhaltlichen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 III. Die zeitlichen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 § 11 Grundlagen der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 I. Der Grundsatz des Strengbeweises im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 II. Die weiteren Beweismittel der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 581
XII
Inhaltsübersicht
III. Der weitere Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 584 IV. Die allgemeinen Gründe für die Ablehnung einer Beweisaufnahme in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 § 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO . . . . . . 637 I. Zeugenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 II. Sachverständigenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 III. Beweis durch Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 IV. Urkundenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 V. Augenscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 § 13 Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 I. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 II. Die gesetzlichen Beweisregeln iSd § 286 II ZPO . . . . . . . . . 777 § 14 Beweisbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791 I. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791 II. Die gesetzlichen Ausnahmen von Begründungspflichten in den §§ 161, 313a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 § 15 Der Zivilprozess vor dem Amtsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 I. Das Recht auf Beweis im Zivilprozess vor den Amtsgerichten nach § 495a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 § 16 Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819 I. Die historischen und rechtsvergleichenden Grundlagen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819 II. Das Recht auf Beweis im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . 820 III. Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der deutschen ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XLV § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 I.
Einführung: die Bedeutung des Beweises im Zivilprozess . . . . 1
II.
Die Ziele der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. Der Entwurf des abstrakten Wertesystems eines Rechts auf Beweis 3 2. Die Anwendung des Rechts auf Beweis auf das geltende deutsche Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
III. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4
1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts § 2 Rechtshistorische Betrachtung des Beweisrechts . . . . . . . . . . . . . 9 I.
Der Zivilprozess im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Der Zivilprozess in vorklassischer und klassischer Zeit . . . . . . . 10 a) Der Legisaktionenprozess: Ablauf und Verfahrensgrundsätze . . 10 b) Veränderung des Verfahrens durch den Formularprozess . . . . . 12 c) Das Beweisrecht vorklassischer und klassischer Zeit . . . . . . 13 aa) Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 bb) Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2. Der Kognitionsprozess in klassischer und nachklassischer Zeit . . . 17 a) Der klassische Kognitionsprozess: Ablauf und Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 b) Beweisrecht im klassischen Kognitionsprozess . . . . . . . . . 19 c) Veränderungen des Prozesses in nachklassischer Zeit . . . . . . 21 d) Beweisrecht im nachklassischen Kognitionsprozess . . . . . . . 22 aa) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 bb) Beweismittel und Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . 23
XIV
Inhaltsverzeichnis
II.
Der Zivilprozess im germanischen Recht von der Frühzeit bis zum Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 1. Der Zivilprozess im germanischen Recht von der Frühzeit bis zu den leges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 a) Ablauf und Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 b) Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 aa) Grundlagen und Ziel des Beweises . . . . . . . . . . . . . 30 bb) Beweismittel und Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . 30 cc) Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 2. Der Zivilprozess im Frankenreich des frühen Mittelalters . . . . . . 35 a) Ablauf und Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 b) Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c) Königsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Der Zivilprozess im Hoch- und Spätmittelalter bis zur Rezeption des römischen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 a) Ablauf und Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 b) Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 aa) Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 bb) Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43
III. Der römisch-kanonische Prozess und seine Rezeption in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Die Rezeption des römischen Rechts in Oberitalien und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2. Ablauf und Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 3. Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Grundlagen und Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52
IV. Der Prozess im gemeinen Recht in Deutschland . . . . . . . . . 53 1. Entstehung und Entwicklung des gemeinen Prozesses in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Praktische Rezeption im 15. Jahrhundert bis zum jüngsten Reichsabschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Prozessuale Kodifikationen und die weitere Entwicklung bis zum Erlass der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. Ablauf und Verfahrensgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Beweisrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 a) Grundlagen des Beweisurteils und des Beweisverfahrens . . . . 58 b) Beweismittel und Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . 59
V.
Zusammenfassung und Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . 62 1. Die Entwicklung des zivilprozessualen Beweisrechts im römischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 a) Die Entwicklung in der Geschichte des römische Zivilprozesses 63 b) Der Einfluss des römischen Zivilprozessrechts auf die ZPO . . . 64 2. Die Entwicklung im germanischen Recht bis zum Spätmittelalter . 66 3. Die weitere Entwicklung bis hin zur Schaffung der ZPO . . . . . . 67
Inhaltsverzeichnis
XV
4. Schlussfolgerungen für ein Recht auf Beweis im heutigen Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68
§ 3 Rechtsvergleichende Betrachtung des U.S.-amerikanischen Zivilprozessrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 I.
Grundlagen und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71
II.
Verfassungsrechtliche Grundlagen des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 1. Die due process clause des 5. und 14. Zusatzartikels der Bundesverfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Das Kriterium der deprivation of life, liberty or property interests . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Der prozessuale Gewährleistungsgehalt der due process clause . 76 aa) Der herrschende Ansatz eines balancing tests . . . . . . . . 76 bb) Anerkennung eines right to present evidence durch Teile der Instanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Die Bedeutung der Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien im adversary system . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Die Garantien des 7. Zusatzartikels: Das Recht auf ein jury trial . . 82
III. Aufbau und Ablauf des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Das Recht auf Beweis in der pretrial Phase nach den FRCP . . . 84 1. Grundlagen und Bedeutung der pretrial discovery . . . . . . . . . . 85 2. Ablauf und Stationen der discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 3. Umfang und Grenzen der discovery . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 a) Das Kriterium der relevance in Rule 26 (b) (1) FRCP . . . . . . 88 b) Die Zulässigkeit von fishing expeditions nach Rule 26 (b) (1) FRCP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4. Die Begrenzung der discovery durch privileges und ihre Reichweite 90 a) Grundlagen und Telos der privileges . . . . . . . . . . . . . . . 91 b) Die privileges der U.S.-amerikanischen Verfassung . . . . . . . 93 aa) Privilege against self-incrimination . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Privilege concerning improperly obtained evidence . . . . . 95 c) Die anerkannten privileges qua Gesetz und nach dem common law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Marital privilege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 bb) Attorney-client privilege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 cc) Physician-patient und psychotherapist-patient privilege . . 99 dd) Governmental secrets privilege . . . . . . . . . . . . . . . 101 ee) Weitere privileges nach dem Recht der Einzelstaaten . . . . 102 d) Die Begrenzung durch die work-product rule . . . . . . . . . . 102 5. Die einzelnen Instrumente der discovery . . . . . . . . . . . . . . 105 a) Interrogatories . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Production of documents and things . . . . . . . . . . . . . . . 105 c) Requests for admission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 d) Physical and mental examinations . . . . . . . . . . . . . . . . 107
XVI
Inhaltsverzeichnis
e) Depositions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 6. Der Schutz mittels protective orders . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 7. Sanktionen bei Verletzung der Pflichten im Rahmen der discovery . 111 a) Sanktionen nach Rule 37 FRCP . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Verurteilung wegen contempt of court . . . . . . . . . . . . . . 112
V.
Das Recht auf Beweis im U.S.-amerikanischen Zivilprozess nach den FRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Die Zulassung von Beweismitteln nach Rule 401, 402 FRE . . . . . 113 a) Grundsatz: Die Zulassung jeglicher Beweismitteln nach Rule 402 FRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Das Zulassungskriterium der relevance in Rule 402 FRE . . . . 114 2. Die weiteren Schranken der Beweiszulassung nach Rule 403 FRE . 116 a) Die Beweisausschlussgründe der FRE und ihre teleologischen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Unfair prejudice, confusion of the issus, missleading of the jury 117 c) Undue delay, waste of time, needless presentation of cumulative evidence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 d) Sonderfall: Die character evidence nach Rule 404–415 FRE . . 120 3. Die privileges der Rule 501, 502 FRE . . . . . . . . . . . . . . . . 122 4. Weitere Schranken der Beweiszulassung nach Rule 402 FRE . . . . 122 a) Hearsay rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Der Grundsatz in Rule 802 FRE und seine Ratio . . . . . . 123 bb) Definition von hearsay in Rule 801 FRE . . . . . . . . . . 125 cc) Ausnahmen qua Gesetz und common law . . . . . . . . . . 125 b) Die weiteren Schranken der Rule 602 sowie 701–706 FRE . . . 126 c) Leading Questions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 d) Best evidence rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
VI. Zusammenfassung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 130
2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta § 4 Postulierung der Existenz des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . 137 I.
Zur Begründung der zwingenden Existenz eines Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
II.
Die Existenz eines Rechts auf Beweis in der EMRK und der GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143
§ 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 I.
Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147
Inhaltsverzeichnis
II.
XVII
Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis im GG . . . . . 148 1. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den prozessualen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Das Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Das Recht auf rechtliches Gehörs . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Der Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 aa) Grundlagen und dogmatische Herleitung . . . . . . . . . . 154 bb) Der Justizgewährungsanspruches iSe Rechts auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der Literatur 155 a) Das Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . 156 b) Das Recht auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 c) H.L.: Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Eigene Ansicht: Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 a) Geringer Überschneidungsbereich mit dem Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 b) Die Unterschiede zum Recht auf rechtliches Gehör . . . . . . . 160 c) Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 aa) Die Herleitung aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Der Justizgewährungsanspruch als ein Recht auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 cc) Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Rechts auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
III. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der EMRK . 168 1. Das Recht auf eine wirksame Beschwerde in Art. 13 EMRK . . . . 168 2. Das Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK . . . . . . . . 169 a) Das Recht auf Zugang zu Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 b) Der Grundsatz der Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . 171 c) Die Konkretisierung des fairen Verfahrens in Art. 6 III lit. d EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 d) Das Recht auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Eigene Ansicht: Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . 175
IV. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der GRC . . 178 1. Die justiziellen Grundrechtsgewährleistungen des Art. 47 GRC . . . 179 a) Das Recht auf effektiven Zugang zu Gericht in Art. 47 I GRC . . 179 b) Der Grundsatz prozessualer Waffengleichheit in Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 c) Das Recht auf rechtliches Gehör in Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . 181 d) Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens . . . . . . . . 182 2. Eigene Ansicht: Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . 183
XVIII V.
Inhaltsverzeichnis
Das Verhältnis der untersuchten Grundrechtsordnungen zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Das Verhältnis von GRC und EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Die rechtliche Bindung der GRC an die EMRK über Art. 52 III S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Die Bedeutung des Art. 52 III S. 2 GRC . . . . . . . . . . . . . 189 c) Art. 52 III S. 2 GRC und mehrpolige Grundrechtsverhältnisse . . 190 2. Das Verhältnis von GRC und GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 a) Der Anwendungsbereich der GRC in Bezug auf das nationale Zivilprozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 b) Der Vorrang des Europarechts vor dem nationalen (Verfassungs-)Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Das Verhältnis von EMRK und GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 a) Die EMRK als einfaches Bundesrecht . . . . . . . . . . . . . . 194 b) Das Gebot EMRK-konformer Auslegung des nationalen (Verfassungs-)Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195
VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 § 6 Grundlagen und die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis . . . 199 I.
Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis – Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199
II.
Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis – Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 1. Die gemeinsame Wertebasis des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 a) Gemeinsames Wertefundament im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Inhaltliche Kongruenz des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 2. Das Recht auf Beweis als eigenständiges prozessuales Grundrecht 204 3. Das Recht auf Beweis als Recht einer jeden Partei des Zivilprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Die Herleitung des Rechts auf Beweis aus den materiellen Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 b) Die Anerkennung des Rechts auf Beweis als prozessuales Grundrecht aller an einem Zivilprozess beteiligten Parteien . . . 207 4. Ausschluss eines negativen Gewährleistungsgehalts iSe Rechts auf Nichterhebung von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5. Die abstrakten Grundlagen der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 a) Die Bedeutung des Rechts auf Beweis im Lichte seiner Wertebasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 b) Der Orientierungspunkt einer Inhaltsbestimmung für das Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 aa) Der Prozesszweck nach der ZPO: Die Durchsetzung privater Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
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XIX
bb) EMRK und GRC: Maßgeblichkeit des jeweiligen nationalen Prozesszwecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 cc) Der abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis 216 6. Das Recht auf Beweis als Gewährleistung effektiven Nachweises eigener Rechte in einem Parteiprozess . . . . . . . . . . . . . . . . 218 7. Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . 219 a) Die Existenz immanenter Grenzen des Rechts auf Beweis . . . . 219 b) Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . 219 c) Die argumentative Begründung immanenter Grenzen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220
III. Die Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas als zentrale, immanente Grenze des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . 221 1. Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit in EMRK und GRC 221 a) Das Kriterum der Entscheidungserheblichkeit in der EMRK . . 222 b) Das Kriterkum der Entscheidungserheblichkeit in der GRC . . . 223 c) Eigene Ansicht: Gleichlauf mit dem nationalen Recht . . . . . . 223 2. Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit im GG . . . . . . . 224 a) Entscheidungserheblichkeit unmittelbarer Tatsachen . . . . . . . 225 b) Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tatsachen (Indizienbeweise) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 3. Rechtsvergleichend: Das Kriterium der relevance in Rule 401–403 FRE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4. Eigene Ansicht: Die Entscheidungserheblichkeit eines Beweisthemas als immanente Grenze des Rechts auf Beweis . . . . 229 a) Informationspflichten des Gerichts über entscheidungserhebliche Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 b) Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit . . . . . . . . . . 230 aa) Entscheidungserheblichkeit unmittelbarer Tatsachen . . . . 230 bb) Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tatsachen . . . . . 231 cc) Grundsatz: Ermessensentscheidung des Gerichts . . . . . . 231 dd) Die Grenzen des gerichtlichen Ermessens und seine Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232
IV. Die weiteren immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis . . . 234 1. Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC: Maßgeblichkeit des nationalen Rechts . . . . . . . . . . . . 234 2. Substantiierung eines Beweisantrages . . . . . . . . . . . . . . . . 235 a) Die Substantiierungsanforderungen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 b) Eigene Ansicht: Substantiierung eines Beweisantrages als immanente Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 3. Beweisbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Die weitere Unterteilung des Kriteriums der Beweisbedürftigkeit 238 b) Fehlende Beweisbedürftigkeit als immanente Grenze . . . . . . 239 c) Offenkundigkeit einer Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 aa) Das Merkmal der Allgemeinkundigkeit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239
XX
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bb) Das Merkmal der Gerichtskundigkeit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 cc) Eigene Ansicht: Offenkundigkeit als immanente Grenze . . 242 d) Erwiesenheit einer Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Das Kriterium der Erwiesenheit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 bb) Eigene Ansicht: Die Erwiesenheit einer Tatsache als immanente Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 e) Unbestrittenheit einer Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 aa) Die Wahrheitsfiktion unbestrittener Tatsachen als immanente Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 bb) Das Kriterium der Unbestrittenheit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 cc) Eigene Ansicht: Die Unbestrittenheit einer Tatsache als immanente Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 dd) Exkurs: Die Fiktion des § 138 III ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 f) Geständnis einer Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 aa) Das Geständnis nach § 288 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 bb) Eigene Ansicht: Das Geständnis einer Tatsache als immanente Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 cc) Exkurs: Das Geständnis nach § 288 ZPO als Form des Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 g) Exkurs: Die gesetzliche Vermutung einer Tatsache . . . . . . . . 251 4. Ungeeignetheit eines Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Das Kriterium der Ungeeignetheit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 b) Eigene Ansicht: die naturwissenschaftlich belegte Ungeeignetheit eines Beweismittels als immanente Grenze . . . . . . . . . . . . 254 5. Unerreichbarkeit eines Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . 255 a) Das Kriterium der Unerreichbarkeit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 b) Eigene Ansicht: Die faktische Unerreichbarkeit als immanente Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 6. Die gerichtliche Entscheidung über die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Grundsatz: Gerichtliche Ermessensentscheidung im jeweiligen Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 b) Begründungspflichten und Überprüfbarkeit der Ablehnungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 7. Die weiteren Beweisablehnungsgründe in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 a) Die Annahme weiterer Ablehnungsgründe durch Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 b) Eigene Ansicht: Rechtfertigungsbedürftigkeit weitergehender Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 8. Die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 244 StPO im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
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XXI
a) Die Nutzbarmachung des § 244 StPO durch Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Eigene Ansicht: Keine pauschale Übertragbarkeit des § 244 StPO 261
V. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 7 Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 I.
Der weitere Gang der Untersuchung: die Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 1. Der Begriff des „Rechts auf Beweis“ in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Die Systematik der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis . . . 269 3. Die Aufeinanderfolge von GG, EMRK und GRC in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . 270
II.
Berechtigte und Verpflichtete des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 a) Berechtigung aller Parteien eines Zivilprozesses . . . . . . . . . 272 b) Verpflichtung des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 2. Ausnahme: Verpflichtung der jeweils anderen Prozesspartei im Rahmen einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis . . . 273 a) Konstellationen einer unmittelbaren oder mittelbaren Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 b) Die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 aa) Die Ansätze einer Drittwirkung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 bb) Eigene Ansicht: Keine Drittwirkung in EMRK und GRC . . 275 c) Die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG . . . 276 aa) Die Entwicklung einer mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 bb) Eigene Ansicht: Anerkennung einer mittelbaren Drittwirkung im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278
III. Grundlegende Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Das Recht der Parteien auf Information . . . . . . . . . . . . . . . 280 a) Das Recht auf Information im GG . . . . . . . . . . . . . . . . 280 b) Das Recht auf Information in der EMRK . . . . . . . . . . . . . 281 c) Das Recht auf Information in der GRC . . . . . . . . . . . . . . 283 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 aa) Orientierung am Prozesszweck: Information als Grundlage für die Stellung sachgerechter und zulässiger Beweisanträge 284 bb) Informationsrechte im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . 285 (1) Information über Anträge, Schriftsätze und sonstige Ausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285
XXII
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(2) Information über die Ansicht des Gerichts zur Sachund Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 e) Die gegenseitigen Aufklärungs- und Vorlagepflichten der Prozessparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 aa) Die Aufklärungs- und Vorlagepflichten von Beweismitteln im GG nach Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . 286 (1) Teile der Literatur: Anerkennung einer allgemeinen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 (2) H.M.: Keine allgemeine Anerkennung von prozessualen Aufklärungs- und Vorlagepflichten . . . . . . . . . . . 289 bb) Eigene Ansicht: Anerkennung einer Aufklärungs- und Vorlagepflicht als Ausfluss der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . 291 (1) Inhalt: Aufklärungs- und Vorlagepflicht von Beweismitteln im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . 292 (2) Grenzen: Überwiegende Gegenrechte der anderen Partei oder Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Die formelle Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 a) Die formelle Beweisunmittelbarkeit im GG . . . . . . . . . . . 293 aa) BVerfG: Kein verfassungsrechtlicher Gehalt der Beweisunmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 bb) Teile der Literatur: Gewährleistung der Beweisunmittelbarkeit im GG . . . . . . . . . . . . . . . . 294 b) Anerkennung der formellen Beweisunmittelbarkeit als Teilgehalt des Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 aa) Orientierung am Prozesszweck: Eigener Eindruck der zu würdigenden Beweismittel als wichtiger Baustein des effektiven Rechtsnachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 bb) Gewährleistung der formellen Beweisunmittelbarkeit . . . . 296 cc) Ausnahmen: Ermöglichung einer Beweiserhebung als solcher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (1) Der Konflikt zwischen Beweisunmittelbarkeit und einer Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 (2) Insbesondere: Erhebung im Ausland belegener Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 3. Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme . . . . . . . . . 298 a) Das Teilnahmerecht einer Beweisaufnahme im GG . . . . . . . 299 aa) Die Auffassung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 bb) Die Ansicht der Fachgerichte und der zivilprozessualen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme nach Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 c) Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme nach Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302
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aa) Orientierung am Prozesszweck: Grundlage einer aktiven Mitwirkung der Parteien an einer Beweisaufnahme . . . . . 302 bb) Gewährleistung eines Rechts auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 4. Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens . . . . . . . . 304 a) Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens im GG . . 304 aa) Anerkennung einer Kostentragungspflicht durch das BVerfG 304 bb) Weitergehende Ausnahmeerfordernisse nach der Literatur . 306 b) Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens in der EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 aa) Anerkennung der Prozesskostenhilfe als Ausfluss des Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 bb) Das Erfordernis verhältnismäßiger Gerichtskosten nach Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 c) Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens in der GRC 309 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 aa) Orientierung am Prozesszweck: Kostenrisiko der Beweisaufnahme als faktisches Zugangshindernis einer durch die Parteien initiierten Beweisaufnahme . . . . . . . 310 bb) Grundsatz: Keine Gewährleistung eines kostenfreien Beweisverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 cc) Gewährleistung äquivalenter und verhältnismäßiger Gebühren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 dd) Das Recht finanzschwacher Parteien auf eine effektive Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 5. Beweismaß und das Recht auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . 314 a) Beweismaß und Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 aa) Grundsatz: Orientierung des Beweismaßes am materiellen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 bb) Ausnahme: Absenkung des Beweismaßes zwecks effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 cc) Teile der Literatur: Weitergehende Einwirkung durch die Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 b) Beweismaß nach EMRK und GRC: Regelungskompetenz der jeweiligen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 aa) Orientierung am Prozesszweck: Beweismaß als feststehender Rahmen des Prozesses und Maßstab des Rechtsnachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 318 bb) Grundsatz: Keine Gewährleistung eines bestimmten Beweismaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 cc) Ausnahme: Strukturelle Nichterreichbarkeit des Beweismaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 6. Beweislast und das Recht auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . 320 a) Beweislast und Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 aa) Grundsatz: Keine Einwirkung der Grundrechte auf die Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 bb) Ausnahme: Abweichende Verteilung zwecks effektiven Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321
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cc) Teile der Literatur: Weitergehende Beweislastverteilung durch das GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 b) Beweislast nach EMRK und GRC: Regelungskompetenz der jeweiligen Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 aa) Orientierung am Prozesszweck: Beweislast als weiter, abstrakter Rahmen des Prozesses im Falle der Nichterweislichkeit einer Tatsache . . . . . . . . . . . . . . 324 bb) Grundsatz: Keine Gewährleistung einer bestimmten Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 cc) Ausnahme: Strukturelle Unterlegenheit durch die Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 7. Sicherung von Beweismitteln im Vorfeld einer Beweisaufnahme . . 326 a) Die Sicherung von Beweismitteln im GG . . . . . . . . . . . . 326 aa) BVerfG: Anerkennung eines Rechts auf effektiven Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 bb) Teile der Literatur: Explizite Gewährleistung einer Beweissicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 b) Keine Gewährleistung in EMRK und GRC nach Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 aa) Orientierung am Prozesszweck: Sicherung von Beweismitteln als Grundlage eines späteren Rechtsnachweises . . 328 bb) Recht der Parteien auf eine effektive Sicherung von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 8. Die weiteren beweisrechtlichen Grundsätze nach Rechtsprechung und Literatur in ihrem Verhältnis zum Recht auf Beweis . . . . . . 330 a) Das Recht auf eine faire Handhabung des Beweisrechts aus Art. 2 I iVm Art. 20 III GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 b) Das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren aus Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . 331
IV. Beweisantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 1. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen im GG . . . . . . . . . 334 2. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen in der EMRK . . . . . 334 3. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen in der GRC . . . . . . 335 4. Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 a) Orientierung am Prozesszweck: Beweisantrag als Initiativrecht der Parteien zum aktiven Nachweis eigener Rechte . . . . . . . 336 b) Anerkennung eines Rechts auf Stellung von Beweisanträgen . . 336 c) Inhalt: Formlose Antragsstellung in jedem Stadium des Prozesses 337
V. Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel . . . . . . . . . 337 a) Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel im GG . . . . 338 aa) BGH: Verpflichtung zur Ausschöpfung aller Beweismittel aus § 286 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 bb) BVerfG: Anerkennung eines Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338
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(1) Das Recht auf Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 (2) Das Recht auf tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 cc) Literatur: Anerkennung eines Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (1) Kommentarliteratur: Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 (2) H.L.: Herleitung aus dem Justizgewährungsanspruch . . 343 dd) Exkurs: die materielle Beweisunmittelbarkeit im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel in der EMRK 346 c) Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel in der GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 aa) Orientierung am Prozesszweck: Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel als wesentliche Grundlage effektiven Rechtsnachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 bb) Subjektives Recht auf Erhebung aller beantragten Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 cc) Verhältnis des Rechts auf Beweis zur materiellen Beweisunmittelbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Verbot einer antizipierten Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . 350 a) Das Verbot antizipierter Beweiswürdigung im GG . . . . . . . . 350 aa) Grundsatz: Striktes Verbot einer antizipierten Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 bb) Ausnahmen: Prozesskostenhilfe und Schadensschätzung nach § 287 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 b) Das Verbot antizipierter Beweiswürdigung in der EMRK . . . . 352 c) Das Verbot antizipierter Beweiswürdigung in der GRC . . . . . 353 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 aa) Orientierung am Prozesszweck: Antizipierte Beweiswürdigung als Hindernis eines effektiven Nachweises insbesondere atypischer Sachverhalte . . . . . 353 bb) Gewährleistung eines strikten Verbots antizipierter Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 cc) Abgrenzung: Fehlende Beweiseignung und antizipierte Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 3. Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . 355 a) Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote im GG . . . 355 aa) Abgrenzung: Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 bb) TvA: Generelle Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 cc) TvA: Generelle Unverwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 dd) H.M.: Erfordernis einer Abwägung der betroffenen Rechte im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357 b) Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote in der EMRK 358
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aa) Grundsatz: Keine expliziten Regeln der Beweiserhebung und -verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 bb) EGMR: Abwägung anhand aller Umstände des Einzelfalles 359 cc) Abwägungskriterien nach dem EGMR . . . . . . . . . . . 360 c) Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote in der GRC 360 aa) Grundsatz: Keine expliziten Regeln der Beweiserhebung und -verwertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 bb) EuGH: Abwägung aller Umstände des Einzelfalles nach Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 aa) Grundsatz: Erfordernis einer Abwägung der betroffenen Rechte im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 bb) Ausgangspunkt: Gleichwertigkeit von Beweiserhebung und Gegenrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 cc) Kriterien der Einzelfallabwägung . . . . . . . . . . . . . . 365
VI. Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 1. Die Anforderungen des GG an eine Beweiswürdigung . . . . . . . 366 a) Die Verpflichtung zur Würdigung erhobener Beweismittel . . . 366 aa) BVerfG: Implizite Herleitungsmöglichkeit aus dem Justizgewährungsanspruch iVm dem Willkürverbot . . . . 366 bb) BGH und Literatur: einfach-gesetzliches Gebot des § 286 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 b) Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im GG . . . . . . . 368 aa) H.M.: keine verfassungsrechtliche Absicherung der freien Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 368 bb) TvA: Gewährleistung eines Kerngehaltes freier Beweiswürdigung im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 c) Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Inhalt der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 aa) Vollständigkeit der Würdigungsbasis . . . . . . . . . . . . 370 bb) Willkürverbot als allgemeine Grenze freier Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 d) Einzelne Fallkonstellationen einer Beeinträchtigung der Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 aa) Würdigung eines Sachverständigengutachtens . . . . . . . 372 bb) Annahme eigener Sachkunde des erkennenden Gerichts . . 372 cc) Abweichende Würdigung von Beweismitteln in der Berufungsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 2. Die Anforderungen der EMRK an eine Beweiswürdigung . . . . . 374 a) Grundsatz: weites Ermessen der nationalen Gerichte . . . . . . 374 b) Anforderungen an die gerichtliche Ermessensausübung nach dem EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 3. Die Anforderungen der GRC an eine Beweiswürdigung . . . . . . 376 a) EuGH: Geltung der freien Beweiswürdigung im Gemeinschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 b) Prüfung der gerichtlichen Beweiswürdigung anhand bestimmter Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 4. Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378
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a) Orientierung am Prozesszweck: Freie Würdigung erhobener Beweismitteln als Grundlage eines effektiven Nachweises eigener Rechte im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 b) Gewährleistung einer freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 c) Korrespondierende Verpflichtung zur tatsächlichen Würdigung erhobener Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 d) Umfang freier Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 e) Grenzen freier Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
VII. Beweisbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 1. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen im GG . . . . . 384 a) Die Verpflichtung zur Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 aa) BVerfG: Begründungspflicht aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 103 I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 bb) Literatur: Anerkennung einer entsprechenden Begründungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Umfang der Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen . . . 386 aa) Zurückhaltende Auffassung des BVerfG . . . . . . . . . . . 386 (1) Umfang verfassungsrechtlicher Begründungspflichten 386 (2) Keine Begründungspflicht letztinstanzlicher Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 bb) H.L.: Herleitung von Mindestanforderungen aus dem GG . 388 (1) Grundsatz: Keine umfassenden Begründungspflichten aus dem GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 (2) Ablehnung einer Ausnahme für letztinstanzliche Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 cc) TvA: Anerkennung weitergehender Begründungserfordernisse aus dem GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 dd) BGH: Weitergehende einfach-rechtliche Begründungspflichten der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 2. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen in der EMRK . 390 a) Grundsatz: Herleitung von Begründungspflichten aus Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 b) Umfang: Bestimmung im Einzelfall anhand bestimmter Kriterien 391 3. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen in der GRC . . 392 a) Grundsatz: Anerkennung von Begründungspflichten aus Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 b) Betonung der Bedeutung von Begründungspflichten durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 392 c) Umfang: Bestimmung im Einzelfall anhand der Kriterien des EGMR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 4. Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Orientierung am Prozesszweck: Effektuierung des Rechtsnachweises durch Begründungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 393 b) Umfassende Begründungspflichten des erkennenden Gerichts . . 395 aa) Begründung der Ablehnung von Beweisanträgen . . . . . . 396 bb) Dokumentation der Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . 397
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cc) Dokumentation der Beweiswürdigung und Begründung ihres Ergebnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 dd) Erhöhte Begründungspflichten bei Ermessensentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398
VIII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 § 8 Die Grenzen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . 401 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 II.
Die Definition eine Eingriffes in das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 1. Abgrenzung: Ausgestaltung von und Eingriff in prozessuale Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 a) BVerfG: Justizgewährungsanspruch und Art. 103 I GG als Leistungsgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 b) EGMR und EuGH: gesetzgeberisches Ermessens bei der Ausgestaltung prozessualer Grundrechte . . . . . . . . . . . . . 405 c) Eigene Ansicht: Das Recht auf Beweis als Leistungsgrundrecht 406 2. Die Definition eines Eingriffes in das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 a) Der Eingriff in den Justigewährungsanpruch des GG . . . . . . 407 b) EGMR: Anerkennung eines weiten Eingriffsbegriffes iRd Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 c) EuGH: Anerkennung eines weiten Eingriffsbegriffes iRd Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 d) Eigene Ansicht: Die Definition eines Eingriffs in das Recht auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
III. Die Voraussetzungen einer zwangsweisen Einschränkung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . 411 1. Die Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . 411 a) Die Einschränkbarkeit des Justizgewährungsanspruches im GG 411 aa) Keine Anerkennung einer Schrankenleihe . . . . . . . . . . 412 bb) BVerfG: Einschränkbarkeit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 b) Die Einschränkbarkeit des Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . 413 aa) Die allgemeinen Schranken des Art. 6 I S. 2 und des Art. 15 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 bb) EGMR: Anerkennung einer ungeschriebenen Einschränkbarkeit des Rechts auf Zugang zu Gericht nach Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 cc) EGMR: Übertragbarkeit auf das Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 dd) Teile der Literatur: Ablehnung einer ungeschriebenen Einschränkbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 c) Die Einschränkbarkeit des Art. 47 II S. 1 GRC über Art. 52 I GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416
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aa) Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis in der GRC durch Art. 52 I GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 bb) Die ungeschriebenen Schranken des Rechts auf Beweis in GG und EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 2. Die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 a) Die Einschränkung des Justizgewährungsanspruches im GG . . 419 aa) Erfordernis einer hinreichend bestimmten, gesetzlichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 bb) Weitere formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 b) Die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 aa) Erfordernis einer gesetzlichen Regelung der Einschränkung 422 bb) Hinreichende Bestimmtheit und allgemeine Zugänglichkeit der Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 c) Die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 aa) Erfordernis einer hinreichend bestimmten und zugänglichen Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 bb) EuGH: Entwicklung einer Wesentlichkeitstheorie . . . . . . 424 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 aa) Erfordernis einer gesetzlichen Regelung jeder Einschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 bb) Wesentlichkeitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 cc) Einhaltung der weiteren, formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 3. Die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 a) Die Einschränkung des Justizgewährungsanspruches im GG . . 428 aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . 428 (1) Modifizierte Anwendbarkeit auf den Justizgewährungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 (2) Erfordernis eines legitimen Zieles . . . . . . . . . . . . 429 (3) Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Einschränkung 429 (4) Angemessenheit einer einschränkenden Regelung . . . 430 bb) Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG . . . . . . . . 431 b) Die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 6 I EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . 432 (1) Besonderheiten der Einschränkbarkeit prozessualer Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 (2) Legitimes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 (3) Umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles 434 bb) Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 cc) EGMR: Ausgleichsmöglichkeit von Einschränkungen im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 c) Die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436
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aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 52 I GRC . . . . . . 436 (1) Legitimes Ziel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 (2) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . 437 (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne . . . . . . . . . 438 bb) Wesensgehaltsgarantie des Art. 52 I GRC . . . . . . . . . . 439 d) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 aa) Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes . . . . 440 (1) Definition legitimer Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . 441 (2) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . 443 (3) Angemessenheit: Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 bb) Garantie des Wesensgehalts des Rechts auf Beweis . . . . . 445
IV. Die Voraussetzungen eines Verzichts auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . 446 1. Der Verzicht auf die Gewährleistungen des Justizgewährungsanspruches des GG . . . . . . . . . . . . . . . . 446 a) Disponibilität des Justizgewährungsanspruches . . . . . . . . . 446 b) Die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung . . . . . . . 447 aa) Ausdrückliche oder konkludente Einwilligungserklärung . . 447 bb) Freiwilligkeit der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . 448 2. Der Verzicht auf die Gewährleistungen des Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 a) Grundsatz: Disponibilität des Rechts auf ein faires Verfahren . . 449 b) Voraussetzungen eines wirksamen Grundrechtsverzichts . . . . 450 aa) Freiwilligkeit des Verzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 bb) Unzweideutige Verzichtserklärung . . . . . . . . . . . . . 450 cc) Gewährleistungen eines Mindestmaßes an prozessualen Sicherungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 3. Eigene Ansicht: Der Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 a) Grundsatz: Disponibilität des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . 451 b) Terminologie: Verzicht auf einzelne Gewährleistungen im konkreten Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 c) Abgrenzung: Förmlicher Verzicht und faktische Nichtausübung 452 d) Voraussetzungen eines wirksamen Verzichts . . . . . . . . . . . 453 aa) Freie und informierte Bildung des Verzichtswillens . . . . . 454 bb) Unzweideutige Verzichtserklärung . . . . . . . . . . . . . 454 cc) Rechtsfolge: Rechtfertigung eines Eingriffes in das Recht auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
VI. Zusammenfassung: Die Grenzen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455
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XXXI
3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der deutschen Zivilprozessordnung § 9 Beweisrechtliche Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 1. Die Prüfung der ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis . . . . . 459 a) Prüfungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 b) Prüfungsumfang im Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 2. Der Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460
II.
Das Recht der Prozessparteien auf Information . . . . . . . . . . 461 1. Die gerichtliche Hinweispflicht des § 139 I und II ZPO . . . . . . . 462 a) Die Auslegung des § 139 I und II ZPO . . . . . . . . . . . . . . 462 aa) Grundlagen der Hinweispflicht nach § 139 I und II ZPO . . 462 bb) Die Hinweispflicht des § 139 I und II ZPO im Beweisrecht 465 b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 aa) § 139 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . 467 bb) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 2. Das Recht auf Einsicht in die Prozessakten nach § 299 ZPO . . . . 470 a) Das Akteneinsichtsrecht in Rechtsprechung und Literatur . . . . 470 b) Eigene Ansicht: § 299 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . 472
III. Die Ausgestaltung der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 1. Grundlagen: Die Auslegung der §§ 141, 142 und 144 ZPO . . . . . 473 2. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 141 ZPO . . . 474 a) § 141 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . 474 b) Eigene Ansicht: § 141 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . 476 3. Die Anordnung der Urkundenvorlage nach § 142 ZPO . . . . . . . 476 a) § 142 I S. 1 Alt. 1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . 477 b) § 142 I S. 1 Alt. 2 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . 479 c) Eigene Ansicht: § 142 I S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 aa) § 142 I S. 1 Alt. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 bb) § 142 I S. 1 Alt. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 cc) Die Rechtsfolgen der Nichtvorlage durch eine Partei oder Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 4. Die Anordnung des Sachverständigen- und Augenscheinsbeweises nach § 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 a) Die Anordnung gegenüber den Parteien . . . . . . . . . . . . . 485 b) Die Anordnung gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . 486 c) Eigene Ansicht: § 144 I ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . 487 aa) Die Anordnung gegenüber der anderen Prozesspartei . . . . 487 bb) Die Anordnung gegenüber einem Dritten . . . . . . . . . . 489 cc) Die Anordnung nach § 144 I S. 3 ZPO in Bezug auf die Wohnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490
XXXII
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dd) Die Rechtsfolgen einer Weigerung durch eine Partei oder Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 5. Die Verpflichtung der Parteien zur Erklärung über die Kenntnis von Beweismitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 a) H.M: Ablehnung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 b) Eigene Ansicht: Die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493
IV. Der Grundsatz der formellen Beweisunmittelbarkeit in der ZPO 495 1. § 355 I S. 1 ZPO als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis . . . . . 495 2. Die Delegation einer Beweiserhebung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 a) Die Delegation der Erhebung von Aussagen . . . . . . . . . . . 496 b) Die weitere Delegation des Augenscheins- bzw. Urkundenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 c) Eigene Ansicht: Die Delegationsnormen im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 aa) Die Delegation der Beweiserhebung von Aussagen . . . . . 499 bb) Die Delegation des Augenscheins- bzw. Urkundenbeweises 501 d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 502 e) Exkurs: § 372 I ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . 503 3. Die schriftliche Einvernahme von Zeugen nach § 377 III ZPO . . . 504 a) Die Auslegung des § 377 III ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 b) Eigene Ansicht: § 377 III ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis 505 4. Die Verwertbarkeit von Beweiserhebungen aus einem vorangegangenen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 a) Die Verwertbarkeit protokollierter Zeugen- und Parteiaussagen 507 aa) H.M.: Anerkennung einer Verwertbarkeit im Wege des Urkundenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 bb) Eigene Ansicht: Die Verwertbarkeit früherer Aussagen im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . 508 b) Die Verwertbarkeit früherer Sachverständigengutachten nach § 411a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 aa) Die Auslegung des § 411a ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 bb) Eigene Ansicht: § 411a ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 5. Die Verwertung von Beweisergebnissen nach einem Richterwechsel in erster Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 a) Rechtsprechung und Literatur: Verwertbarkeit als Grundsatz . . 510 b) Eigene Ansicht: Die Verwertbarkeit von Beweisergebnissen nach einem Richterwechsel im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . 511
V.
Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme in der ZPO 513 1. Der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit in § 357 ZPO . . . . . . . . 513 a) § 357 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . 513 b) Eigene Ansicht: § 357 ZPO als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515
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XXXIII
2. Die Tatsachenermittlung durch Sachverständige bzw. Augenscheinsmittler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 a) H.M.: Anerkennung eines Teilnahmerechts der Parteien . . . . . 519 b) Eigene Ansicht: Das Recht auf Teilnahme an jeder Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521
VI. Die vorprozessuale und prozessuale Beweissicherung in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 1. Das selbstständige Beweisverfahren der §§ 485 ff. ZPO . . . . . . . 523 a) § 485 I Alt. 2 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . 523 b) Eigene Ansicht: § 485 I Alt. 2 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 c) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 527 2. Die Sanktionierung einer Beweisvereitelung nach der ZPO . . . . . 527 a) Die gesetzlichen Fälle einer Beweisvereitelung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 b) Die ungeschriebenen Sanktionen von beweisvereitelndem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 c) Eigene Ansicht: Beweisvereitelung im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 aa) Der Schutz vor einer vorsätzlichen Beweisvereitelung . . . 534 bb) Der Schutz vor einer fahrlässigen Beweisvereitelung . . . . 537 d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 538
§ 10 Beweisantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 I.
Die formalen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO 539 1. Die Form von Beweisanträgen nach der ZPO . . . . . . . . . . . . 539 2. Die Benennung von Beweismitteln in der Klageschrift . . . . . . . 540 3. Eigene Ansicht: Die Formerfordernisse im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540
II.
Die inhaltlichen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 1. Die Substantiierung von Beweisanträgen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 2. Das Verbot von Ausforschungsbeweisen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 a) Verbot von Beweisermittlungsanträgen . . . . . . . . . . . . . . 544 b) Verbot von Beweisanträgen „ins Blaue hinein“ . . . . . . . . . . 545 3. H.M.: Entwicklung einer sekundären Darlegungslast . . . . . . . . 546 4. Eigene Ansicht: Die inhaltlichen Anforderungen im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 a) Die Substantiierung eines Beweisantrages . . . . . . . . . . . . 547 b) Das Institut des Ausforschungsbeweises . . . . . . . . . . . . . 548 aa) Das Verbot von Beweisermittlungsanträgen . . . . . . . . . 550 bb) Das Verbot von Beweisanträgen „ins Blaue hinein“ . . . . . 551 c) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 553 d) Exkurs: Die Möglichkeiten der Informationsgewinnung durch die Parteien des Zivilprozesses in Deutschland . . . . . . . . . . 554
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III. Die zeitlichen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 1. Die Vereinbarkeit des § 296 I und II ZPO mit dem GG . . . . . . . 555 2. Die Auslegung des § 296 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 3. Die Auslegung des § 296 II ZPO iVm § 282 I und II ZPO . . . . . . 560 4. Eigene Ansicht: § 296 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG 562 a) Die obligatorische Zurückweisung von Beweisanträgen nach § 296 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 b) Die fakultative Zurückweisung von Beweisanträgen nach § 296 II ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 5. Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . 569
§ 11 Grundlagen der Beweisaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 I.
Der Grundsatz des Strengbeweises im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 2. Der Grundsatz des Strengbeweises in Rechtsprechung und Literatur 572 3. Der Grundsatz des Strengbeweises im Lichte des Rechts auf Beweis 574 a) Die Erkenntnisquellen einer Beweiserhebung nach den §§ 355 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 b) Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis durch den Strengbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 c) Sonderfall: Die amtliche Auskunft als Erkenntnisquelle der ZPO 577 aa) Die amtliche Auskunft in Rechtsprechung und Literatur . . 577 bb) Eigene Ansicht: Die amtliche Auskunft im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578
II.
Die weiteren Beweismittel der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 1. Die Eidesleistung in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581 a) Der Beweiswert eines Eides in Rechtsprechung und Literatur . . 581 b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 2. Das Beweismittel der eidesstattlichen Versicherung im Rahmen des § 294 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584
III. Der weitere Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . 584 IV. Die allgemeinen Gründe für die Ablehnung einer Beweisaufnahme in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 1. Die allgemeinen Ablehnungsgründe in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 2. Eigene Ansicht: Allgemeine Ablehnungsgründe und das Recht auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 3. Die Ablehnung einer Beweiserhebung mangels Eignung des Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 a) Die fehlende Beweiseignung als immanente Grenze des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 586 b) Abgrenzung zur fehlenden Beweiseignung nach Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587
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c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 4. Die Ablehnung einer Beweiserhebung mangels Erreichbarkeit des Beweismittels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 a) Die Unerreichbarkeit als immanente Grenze des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 b) Abgrenzung zur Auffassung in Rechtsprechung und Literatur . . 589 aa) Allgemein: Die Unerreichbarkeit in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 bb) Im Speziellen: Die weitergehenden Anforderungen des § 356 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 5. Die Ablehnung einer Beweiserhebung wegen entgegenstehender Rechtskraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 a) Inhalt und Grenzen der Rechtskraft in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 aa) Die materielle Rechtskraft in ihren objektiven Grenzen nach § 322 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 bb) Die subjektiven und zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft nach den §§ 325 ff. ZPO und § 767 II ZPO . . . 596 b) Eigene Ansicht: Die entgegenstehende Rechtskraft und das Recht auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 aa) Die Herausarbeitung möglicher Einschränkungen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 bb) Die Rechtfertigung von Einschränkungen des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 cc) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 6. Die Ablehnung einer Beweiserhebung aufgrund einer Interventionswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 a) Die Nebenintervention nach den §§ 66 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 b) Die Streitverkündung nach den §§ 72 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 604 c) Eigene Ansicht: Die Interventionswirkung und das Recht auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 aa) Die Nebenintervention im Lichte des Rechts auf Beweis . . 606 bb) Die Streitverkündung im Licht des Rechts auf Beweis . . . 607 d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 608 7. Die Ablehnung einer Beweiserhebung im Anschluss an eine Parteiänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 608 a) Der Parteiwechsel in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . 609 aa) Der Wechsel auf Klägerseite in erster und zweiter Instanz . 611 bb) Der Wechsel auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 611 b) Die Parteierweiterung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . 612 aa) Die Erweiterung auf Klägerseite in erster und zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 bb) Die Erweiterung auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613
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c) Eigene Ansicht: Die Parteiänderung im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 aa) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis . . . . . 614 bb) Zustimmung der jeweiligen Parteien als Grundrechtsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 cc) Die Rechtfertigung einer unfreiwilligen Bindungswirkung der Parteiänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 (1) Der Parteiwechsel auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 (2) Die Parteierweiterung auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 618 8. Die Ablehnung einer Beweiserhebung nach § 292 ZPO . . . . . . . 618 a) Die gesetzliche Vermutung nach § 292 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 b) Eigene Ansicht: § 292 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . 620 c) Eigene Ansicht: Die unwiderlegbare Vermutung im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 9. Die Ablehnung von Beweisanträgen aufgrund richterlichen Ermessens nach § 287 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 622 a) § 287 I und II ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . 622 b) Eigene Ansicht: § 287 I und II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626 aa) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis . . . . . 626 bb) Die Rechtfertigung einer Beweisablehnung nach § 287 I S. 2, II ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 c) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 631 10. Sonderfall: Der Nachweis von Förmlichkeiten (§ 165 ZPO) und mündlichen Parteivorbringens (§ 314 S. 2 ZPO iVm § 165 S. 1 ZPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 a) Der Nachweis von Förmlichkeiten in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 b) Der Nachweis mündlichen Parteivorbringens in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 632 c) Eigene Ansicht: § 165 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . 633 d) Eigene Ansicht: § 314 S. 2 ZPO iVm § 165 S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 aa) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis . . . . . 634 bb) Die Rechtfertigung einer Beweismittelbeschränkung nach § 314 S. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 634 e) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC 635
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO . . . . . . 637 I. Zeugenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Zeugenbeweis . . . . . . . 638 a) Das Recht der Parteien auf Benennung und Befragung eigener Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638
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b) Tatsächliche oder rechtliche Hinderungsgründe der Zeugeneinvernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 639 c) Anforderungen an das Zeugnis vom Hörensagen . . . . . . . . . 640 2. Die Gewährleistungen der GRC zum Zeugenbeweis . . . . . . . . 641 a) Das Recht der Parteien auf Einvernahme von Zeugen . . . . . . 641 b) Tatsächliche und rechtliche Hinderungsgründe einer Zeugeneinvernahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 c) Anforderungen an das Zeugnis vom Hörensagen . . . . . . . . . 644 3. Die Gewährleistungen des GG zum Zeugenbeweis . . . . . . . . . 644 a) Grundsatz: Das Recht auf Erhebung des Zeugenbeweises . . . . 645 b) Das Fragerecht der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645 c) Das Recht auf wiederholte Einvernahme eines Zeugen . . . . . 646 d) Das Recht auf Erhebung eines Zeugnisses vom Hörensagen . . . 647 4. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Zeugenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 a) Orientierung am Prozesszweck: Zeugenbeweis als häufigstes Beweismittel und wesentliche Grundlage eines effektiven Rechtsnachweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 b) Das Recht auf Ladung und Vernehmung beantragter Zeugen . . 649 c) Nachforschungspflichten des Gerichts bei unbekanntem Aufenthalt von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 650 d) Das Recht der Parteien auf Befragung von Zeugen . . . . . . . . 651 e) Das Recht auf Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen auf Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 651 5. Die Ausgestaltung des Zeugenbeweises in der ZPO . . . . . . . . . 653 a) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichem Grund in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 aa) Ehegatten und Verwandte nach § 383 I Nr. 1–3 ZPO . . . . 655 bb) Die Ausnahmen des § 385 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . 656 cc) Berufsgeheimnisträger nach § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO . . . . 658 dd) Die Ausnahmen des § 385 II ZPO . . . . . . . . . . . . . . 659 ee) Sonderfall: Presse und Rundfunk nach § 383 I Nr. 5 ZPO . . 661 b) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus sachlichem Grund in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 aa) Die Gefahr von Vermögensschäden nach § 384 I Nr. 1 ZPO iVm § 385 I ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 bb) Die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung nach § 384 I Nr. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 cc) Berufsgeheimnisse nach § 384 I Nr. 3 ZPO iVm § 385 II ZPO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 664 c) Sonderfall: Vernehmung bei Amtsverschwiegenheit nach § 376 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 aa) § 376 ZPO iVm den gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 bb) Die Verschwiegenheitspflicht von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . . . 668 d) Eigene Ansicht: Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichem Grund im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . 669 aa) § 383 I Nr. 1–3 ZPO iVm § 385 I ZPO . . . . . . . . . . . 670
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bb) § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO iVm § 385 II ZPO . . . . . . . . . 672 cc) Der Sonderfall des § 383 I Nr. 5 ZPO . . . . . . . . . . . . 674 dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 e) Eigene Ansicht: Das Zeugnisverweigerungsrecht aus sachlichem Grund im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . 676 aa) § 384 I Nr. 1 ZPO iVm § 385 I ZPO . . . . . . . . . . . . . 676 bb) § 384 I Nr. 2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 677 cc) § 384 I Nr. 3 ZPO iVm § 385 II ZPO analog . . . . . . . . 680 dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 f) Eigene Ansicht: Die Vernehmung bei Amtsverschwiegenheit im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 aa) § 376 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . 682 (1) § 376 ZPO iVm den gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 682 (2) Die Verschwiegenheitspflicht von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes . . . . . . . . . 684 bb) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 g) Das Recht der Prozessparteien auf Befragung von Zeugen . . . . 686 aa) § 397 ZPO iVm § 383 III ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 686 bb) Eigene Ansicht: § 397 ZPO iVm § 383 III ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . 688 (1) Das Fragerecht des § 397 ZPO . . . . . . . . . . . . . 688 (2) Das Vernehmungsverbot des § 383 III ZPO . . . . . . . 689 cc) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 h) Das Recht der Parteien auf eine Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 691 aa) Die Protokollierungspflichten des § 160 III Nr. 4, IV ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 691 bb) Eigene Ansicht: Die Auslegung des § 160 III Nr. 4, IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . 692
II. Sachverständigenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Sachverständigenbeweis . . 694 a) Grundsatz: Gleichstellung mit dem Zeugenbeweis . . . . . . . . 694 b) Die Rechte der Parteien in Bezug auf den Sachverständigenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 2. Die Gewährleistungen der GRC zum Sachverständigenbeweis . . . 695 a) Grundsatz: Gleichlauf von Zeugen- und Sachverständigenbeweis 695 b) Die Rechte der Parteien in Bezug auf den Sachverständigenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 3. Die Gewährleistungen des GG zum Sachverständigenbeweis . . . . 696 a) Das Recht der Prozessparteien auf sachverständige Begutachtung 696 b) Das Recht auf Offenlegung der Datengrundlage . . . . . . . . . 697 c) Das Recht auf Anhörung und Befragung des Gutachters . . . . . 697
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d) Die Anforderungen an die Würdigung eines Gutachtens . . . . . 698 4. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Sachverständigenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 698 a) Orientierung am Prozesszweck: Effektivität des Nachweises komplexer Tatsachen und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . 699 b) Das Recht auf Einholung eines Sachverständigengutachtens . . 700 c) Das Recht auf Bestimmung der Themen des Gutachtens . . . . . 700 d) Das Recht auf Offenlegung der Datengrundlage . . . . . . . . . 701 e) Das Recht auf Befragung eines Gutachters im Prozess . . . . . . 702 f) Das Recht auf Erstellung eines Gegengutachtens . . . . . . . . 703 5. Die Ausgestaltung des Sachverständigenbeweises in der ZPO . . . 703 a) Die Offenlegung der Datengrundlage nach § 404a IV ZPO . . . 704 aa) § 404a IV ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . 704 bb) Eigene Ansicht: § 404a IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705 b) Das Recht auf Ladung und Anhörung eines Gutachters . . . . . 707 aa) § 411 III ZPO iVm § 286 I ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 707 bb) §§ 402, 397 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . 708 cc) Eigene Ansicht: §§ 402, 397 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 709 c) Das Recht auf Erstellung eines Gegengutachtens . . . . . . . . 710 aa) § 412 I ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . 710 bb) Eigene Ansicht: § 412 I ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 711 cc) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 d) Die Gutachtenverweigerungsrechte aus § 408 I ZPO . . . . . . . 713
III. Beweis durch Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 713 1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Beweis durch Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 a) Grundsatz: Kein Anhörungsrecht der Parteien . . . . . . . . . . 714 b) Ausnahme: Die Sicherstellung der prozessualen Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 2. Die Gewährleistungen der GRC zum Beweis durch Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 a) Grundsatz: Kein Anhörungsrecht der Parteien . . . . . . . . . . 715 b) Ausnahme: Die Sicherstellung der prozessualen Waffengleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 c) Abweichungsmöglichkeit nach Art. 52 III S. 2 GRC . . . . . . . 715 3. Die Gewährleistungen des GG zum Beweis durch Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 a) Das Recht der Prozessparteien auf eine Parteivernehmung . . . 716 aa) H.M.: Verfassungskonformität der Parteivernehmung in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 bb) Sonderfall: Konstellationen eines sog. Vier-AugenGespräches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716
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cc) H.L.: Unvereinbarkeit der Restriktionen einer Parteivernehmung mit dem GG . . . . . . . . . . . . . . . 718 b) Das Fragerecht der Prozessparteien . . . . . . . . . . . . . . . . 718 4. Eigene Ansicht: Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zum Beweis durch Parteivernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . 719 a) Orientierung am Prozesszweck: Parteivernehmung als Mittel der aktiven Teilnahme einer Partei am Beweisverfahren . . . . . 719 b) Das Recht der Prozessparteien auf eine Parteivernehmung . . . 720 aa) Das Recht auf Einvernahme jeder beteiligten Parteien . . . 720 bb) Weigerungsrechte aufgrund überwiegender Gegenrechte . . 722 c) Das Fragerecht einer Partei bei Vernehmung der jeweils anderen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722 d) Die Verpflichtung zur Wortlautdokumentation auf Antrag . . . . 722 5. Die Ausgestaltung des Beweises durch Parteivernehmung in der ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 a) Das Recht einer Prozesspartei auf Befragung der gegnerischen Prozesspartei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 aa) Die §§ 445, 448 ZPO in der Rechtsprechung . . . . . . . . 723 bb) Die §§ 445, 448 ZPO im herrschenden Schrifttum . . . . . 726 cc) Eigene Ansicht: § 445 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 (1) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis . . . 728 (2) Der Ausschluss des Gegenbeweises nach § 445 II ZPO 730 dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 b) Das Recht einer Prozesspartei auf Herbeiführung ihrer eigenen Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 aa) Die Auslegung der §§ 447, 448 ZPO iVm § 141 ZPO in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 bb) Die Auslegung § 448 ZPO im herrschende Schrifttum . . . 733 cc) Eigene Ansicht: § 448 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 c) Das Fragerecht einer Partei bei Befragung der jeweils anderen Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 aa) Die §§ 451, 397 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . 736 bb) Die §§ 451, 397 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . 736 d) Die Verpflichtung zur Wortlautdokumentation auf Antrag . . . . 737 aa) Die Protokollierungspflichten des § 160 III Nr. 4, IV ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 737 bb) Eigene Ansicht: Die Auslegung des § 160 III Nr. 4, IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . 738
IV. Urkundenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Urkundenbeweis . . . . . . 738 a) Das Recht auf Einbringung von Urkunden . . . . . . . . . . . . 739 b) Die weiteren Rechte in Bezug auf den Urkundenbeweis . . . . . 740 2. Die Gewährleistungen der GRC zum Urkundenbeweis . . . . . . . 740
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a) Das Recht auf Einbringung von Urkunden . . . . . . . . . . . . 741 b) Die weiteren Rechte in Bezug auf den Urkundenbeweis . . . . . 741 3. Die Gewährleistungen des GG zum Urkundenbeweis . . . . . . . . 741 a) Das Recht auf Einbringen von Urkunden . . . . . . . . . . . . . 742 b) Das Recht auf Einsichtnahme in zum Beweis erhobene Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 742 c) Das Recht auf Erbringung des Gegenbeweises . . . . . . . . . . 743 4. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Urkundenbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 743 a) Orientierung am Prozesszweck: Der Urkundenbeweis als zuverlässige Möglichkeit eines effektiven Rechtsnachweises . . 743 b) Das Recht auf Einbringung und Erhebung von Urkunden . . . . 744 c) Das Recht auf Einsichtnahme in Urkunden und Anfechtung der Echtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 744 d) Die Beweisführung über die Echtheit einer Urkunde . . . . . . . 745 e) Das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises . . . . . . . . 745 f) Das Recht auf Urkundenvorlage durch die jeweilige Gegenpartei 746 5. Die Ausgestaltung des Urkundenbeweises in der ZPO . . . . . . . 746 a) Die §§ 142, 144 ZPO und die §§ 421 ff. ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 746 b) Das Recht auf Einsichtnahme in eingebrachte Urkunden . . . . 747 aa) § 134 II ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . 747 bb) Eigene Ansicht: § 134 II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 748 c) Die Führung eines Gegenteilsbeweises in Bezug auf öffentliche Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749 aa) § 415 I und II ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . 750 bb) Eigene Ansicht: § 415 II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 cc) § 418 I und II ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . 753 dd) Eigene Ansicht: § 418 II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 ee) § 417 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . 755 ff) Eigene Ansicht: § 417 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 756 gg) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 758 d) Die Führung eines Gegenteilsbeweises in Bezug auf private Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 758 aa) § 416 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . 758 bb) Eigene Ansicht: § 416 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 760
V. Augenscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 1. Die Gewährleistungen von EMRK und GRC zum Augenscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 761 2. Die Gewährleistungen des GG zum Augenscheinsbeweis . . . . . . 762 a) Das Recht der Parteien auf Einnahme eines Augenscheins . . . . 762
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b) Das Recht auf Teilnahme an einer gerichtlichen Augenscheinnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 c) Das Recht auf Äußerung zum Ergebnis einer gerichtlichen Augenscheinnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 3. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Augenscheinsbeweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 a) Orientierung am Prozesszweck: Der Augenschein als unmittelbare Erkenntnisquelle des Gerichts . . . . . . . . . . . 763 b) Das Recht auf Einnahme eines Augenscheins durch das Gericht 764 c) Das Recht der Parteien auf Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . 765 d) Die Informationspflichten des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . 765 e) Das Recht der Parteien auf Äußerung . . . . . . . . . . . . . . 765 4. Die Ausgestaltung des Beweises durch Augenschein in der ZPO . . 766 a) Eigene Ansicht: Das Recht auf Einnahme eines Augenscheins nach § 371 ZPO iVm § 144 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 b) Eigene Ansicht: Das Recht auf Teilnahme und Äußerung . . . . 768 aa) Das Recht auf Teilnahme nach § 357 ZPO . . . . . . . . . 768 bb) Das Recht auf Äußerung nach § 357 ZPO . . . . . . . . . . 768 c) Eigene Ansicht: Das Recht auf Information nach § 139 I und II ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 d) Eigene Ansicht: Das Recht auf Äußerung und Führung des Gegenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 769 aa) Das Recht auf Äußerung nach § 285 I ZPO . . . . . . . . . 769 bb) Das Recht auf Führung des Gegenbeweises . . . . . . . . . 770
§ 13 Beweiswürdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 I.
Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 771 1. § 286 I S. 1 ZPO als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis . . . . . 771 2. Die Verpflichtung zur umfassenden Würdigung erhobener Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772 a) § 286 I S. 1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . 772 b) § 286 I S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . 773 3. Die Kriterien einer Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO . . . . . . 774 a) Die richterliche Überzeugungsbildung in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 b) Die richterliche Überzeugungsbildung im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 775
II.
Die gesetzlichen Beweisregeln iSd § 286 II ZPO . . . . . . . . . 777 1. Die Beweiskraft öffentlicher und privater Urkunden nach den §§ 415 ff. ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 a) Die Beweisregeln der §§ 415 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 778 b) Die Voraussetzungen der §§ 419, 440 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779
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c) Eigene Ansicht: Die §§ 415 ff. ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC . 783 2. Die gesetzliche Beweiskraft des gerichtlichen Protokolls nach § 165 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 a) § 165 S.1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . 783 b) Eigene Ansicht: § 165 S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis 785 3. Die gesetzliche Beweiskraft des Urteilstatbestandes nach § 314 S. 1 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 a) § 314 S. 1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . 787 b) Eigene Ansicht: § 314 S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis 788
§ 14 Beweisbegründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791 I.
Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791 1. Die Protokollierungspflichten des § 160 II, III Nr. 2, 4, 5 ZPO in Auslegung Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . 792 2. Die Urteilsbegründung nach § 313 II und III ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794 3. Zusammenfassung: Die Begründungspflichten des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 796 4. Eigene Ansicht: Die Protokollierungspflichten des § 160 II, III Nr. 2, 4, 5 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . 797 5. Eigene Ansicht: Die Urteilsbegründung im Lichte des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 799
II.
Die gesetzlichen Ausnahmen von Begründungspflichten in den §§ 161, 313a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 1. Der Verzicht auf eine gerichtliche Protokollierung nach § 161 ZPO 801 a) § 161 ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . 802 b) Eigene Ansicht: § 161 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . 803 2. Der Verzicht auf Tatbestand und Entscheidungsgründe nach § 313a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805 a) § 313a ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . 805 b) Eigene Ansicht: § 313a ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . 807
§ 15 Der Zivilprozess vor dem Amtsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 I.
Das Recht auf Beweis im Zivilprozess vor den Amtsgerichten nach § 495a ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 1. Die Verfahrensgestaltung nach § 495a ZPO in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 2. Eigene Ansicht: § 495a ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis . . . 814
II. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817
XLIV
Inhaltsverzeichnis
§ 16 Ergebnisse der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819 I.
Die historischen und rechtsvergleichenden Grundlagen des Rechts auf Beweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819
II.
Das Recht auf Beweis im Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . 820
III. Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO . . . . . . 824
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 831 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857
Abkürzungsverzeichnis aA andere Ansicht ABl.EU Amtsblatt der Europäischen Union AcP Archiv für die civilistische Praxis AnwBl Anwaltsblatt AöR Archiv des öffentlichen Rechts APR Allgemeines Persönlichkeitsrecht BB Betriebs-Berater – Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft BBG Bundesbeamtengesetz BeamStG Beamtenstatusgesetz BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BMinG Gesetz über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder der Bundesregierung BNotO Bundesnotarordnung BRAK-Mitt. Bundesrechtsanwaltskammer Mitteilungen BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung Brook.L.Rev. Brooklyn Law Review BSG Bundessozialgericht BT-Drs. Bundestagsdrucksachen BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfG-K Kammerentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht bzw. beziehungsweise Cal.L.Rev. California Law Review Colum.L.Rev. Columbia Law Review Cornell.L.Rev. Cornell Law Review DNoTZ Deutsche Notar-Zeitschrift – Verkündungsblatt der Bundesnotarkammer DRiG Deutsches Richtergesetz DRiZ Deutsche Richterzeitung DÖV Die öffentliche Verwaltung: Zeitschrift für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften EG Europäische Gemeinschaft EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EU Europäische Union EuBVO Verordnung die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen EuGH Europäischer Gerichtshof EuGRZ Europäische Grundrechte-Zeitschrift
XLVI EuGVVO
Abkürzungsverzeichnis
Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuMahnVO Verordnung zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens EuR Zeitschrift Europarecht EuZVO Verordnung über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fla.L.Rev. Florida Law Review Fn. Fußnote FRCP Federal Rules of Civil Procedure F.R.D. Federal Research Devision FRE Federal Rules of Evidence Ga.L.Rev. University of Georgia Law Review ggf. gegebenenfalls Georg.L.J. Georgetown Law Journal GRC europäische Grundrechtecharta Harv.L.Rev Harvard Law Review Hastings.L.J. Hastings Law Journal h.L. herrschende Literaturauffassung Hous.L.Rev. Houston Law Review h. M. herrschende Meinung HS Halbsatz IBR Immobilien- und Baurecht Iowa.L.Rev. Iowa Law Review IPbpR Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte iSd im Sinne des/der iSe im Sinne eines/einer iSv im Sinne von iRv im Rahmen von iRd im Rahmen des/der JR Juristische Rundschau JuS Juristische Schulung – Zeitschrift für Studium und Referendariat JZ JuristenZeitung LAG Landesarbeitsgericht LG Landgericht LPartG Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft MDR Monatsschrift für deutsches Recht Mich.L.Rev. Michigan Law Review mwN mit weiteren Nachweisen MüKo Münchner Kommentar n. Chr. nach Christi Geburt Neb.L.Rev. Nebraska Law Review NJ Neue Justiz – Zeitschrift für Rechtsentwicklung und Rechtsprechung NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR Neue Juristische Wochenschrift – Rechtsprechungs-Report Zivilrecht NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NYU.L.Rev New York University Law Review
Abkürzungsverzeichnis NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht NZFam Neue Zeitschrift für Familienrecht NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Rn. Randnummer Rutgers.L.J. Rutgers Law Journal sog. sogenannte StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung st. Rspr. ständige Rechtsprechung StV Strafverteidiger Tenn.L.Rev Tennessee Law Review Tex.L.Rev Texas Law Review tvA Teilweise vertretene Auffassung Tul.L.Rev. Tulane Law Review UCLA.L.Rev. University of California Law Review U.Chi.L.Rev. University of Chicago Law Review UrhG Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte U.Pa.L.Rev University of Pennsylvania Law Review Utah.L.Rev Utah Law Review Vand.L.Rev. Vanderbilt Law Review v. Chr. vor Christi Geburt VersR Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht vgl. vergleiche VwVfG Verwaltungsverfahrensgesetz Wash.L.Rev Washington Law Review WM Wertpapier-Mitteilungen – Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankenrecht Yale.L.J. Yale Law Journal ZaöRV Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht z. B. zum Beispiel ZInsO Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht ZIS Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik ZIP Zeitschrift für Wirtschaftsrecht ZPO Zivilprozessordnung ZPR Zeitschrift für Rechtspolitik ZStrR Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht ZStW Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft ZZP Zeitschrift für Zivilprozess ZZPInt Zeitschrift für Zivilprozess International
XLVII
§ 1
Einleitung I. Einführung: die Bedeutung des Beweises im Zivilprozess Als Beweis lässt sich im Zivilprozess ein prozessualer Vorgang definieren, der dem Richter eine auf objektive Gründe gestützte Überzeugung von der Wahrheit tatsächlicher Behauptungen verschaffen soll.1 In der zivilprozessualen Literatur wird vielfach betont, dass die eigentliche Schwierigkeit eines Zivilprozesses regelmäßig in der Feststellung des wahren Sachverhaltes liegt und weniger in der anschließenden, rechtlichen Würdigung dieses Sachverhaltes.2 Das Stadium der Beweisaufnahme bildet daher oftmals den eigentlichen Kern eines Zivilprozesses. Dieser Befund des Schrifttums erscheint durchaus einleuchtend: So wird die tatsächliche Frage, ob zwei Prozessparteien in einem Gespräch unter vier Augen ohne schriftliche Aufzeichnung eine Vereinbarung über den Verkauf eines PKW gegen Zahlung eines bestimmten Betrages getroffen haben, regelmäßig nur schwer aufzuklären sein. Kommt das erkennende Gericht jedoch zu der Überzeugung, dass eine solche Vereinbarung tatsächlich geschlossen wurde, so wird die rechtliche Beurteilung einer etwaigen Klage auf Zahlung des Kaufpreises im Hinblick auf § 433 II BGB grundsätzlich keine allzu schwierigen Rechtsfragen aufwerfen. Das Erfordernis einer Tatsachenfeststellung im Zivilprozess ist bereits in der Natur der gerichtlichen Entscheidung selbst angelegt: Ein staatlicher Richter3 wird ja gerade als neutraler Entscheider eingesetzt, der bei den in Streit stehenden, tatsächlichen Geschehnissen eben nicht anwesend oder sonstig eingebunden war und sich im Verlaufe des Gerichtsprozesses seine eigene, gänzlich unabhängige Meinung bilden soll. Die Ungewissheit der entscheidenden Instanz über den streitigen Sachverhalt ist in der Rechtsschutzgewährung durch die staatliche Gerichtsbarkeit mithin strukturell angelegt und insoweit auch gewollt.
1 So die Definition von Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 3; ähnlich auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 2, Rn. 1 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 7 jeweils mwN. 2 In diesem Sinne äußern sich insbesondere die Darstellungen von Rechtspraktikern, siehe etwa Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, Einleitung, Rn. 1 ff.; Jäckel, Beweisrecht der ZPO, Kapitel 1, Rn. 9; Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 1, Rn. 1. 3 In der nachfolgenden Arbeit wurde aus Gründen besserer Lesbarkeit die männliche Form gewählt. In der Sache sollen jedoch selbstverständlich sämtliche Geschlechter mitumfasst sein.
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§ 1: Einleitung
Gleichzeitig stellt die Erforschung des wahren Sachverhaltes im Zivilprozess jedoch eine elementare Voraussetzung für eine materiell-rechtlich richtige Entscheidung des staatlichen Gerichts dar: So ist es im Einzelfall stets denkbar, dass das erkennende Gericht durch Anwendung einer objektiv fehlerhaften oder zumindest im Instanzenzug korrigierten Rechtsansicht auf einen der Wahrheit entsprechenden Sachverhalt zu einer materiell-rechtlich fehlerhaften Entscheidung kommen kann. Demgegenüber führt selbst eine korrekte Rechtsanwendung auf einen fehlerhaften, nicht der Wahrheit entsprechenden Sachverhalt stets zu einer materiell-rechtlich falschen Entscheidung. Zum einen hängt die Wahl der anzuwendenden Rechtsnormen wesentlich von denjenigen Tatsachen ab, die einer Entscheidung zugrunde liegen. Zum anderen würde selbst im unwahrscheinlichen Fall einer – zufälligen – Auswahl derjenigen Rechtsnormen, die auch dem wahren Sachverhalt zugrunde liegen würden, die Subsumtion der fehlerhaften Tatsachen unter diese Rechtsnormen stets zu einem abweichenden, nicht der wahren Rechtslage entsprechenden Ergebnis führen. Diese beiden Überlegungen einer strukturellen Unkenntnis des Gerichts über den Sachverhalt bei gleichzeitiger Bedeutung der Kenntnis des wahren Sachverhalts für eine materiell-rechtlich richtige Entscheidung zeigen deutlich auf, dass die Wahrheitserforschung im Zuge der gerichtlichen Beweisaufnahme eine zentrale Rolle im Zivilprozess einnimmt. Fügt man diesen Überlegungen nun noch den Gedanken hinzu, dass den Menschen durch diverse Grundrechtsordnungen, wie das deutsche Grundgesetz, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) oder die europäische Grundrechtecharta, eine Vielzahl privater (Grund-) Rechte gewährt werden, der Staat jedoch ein Gewaltmonopol für sich beansprucht und die praktische Durchsetzung dieser (Grund-) Rechte nahezu ausschließlich durch staatliche Gerichte und – ob ihrer struktureller Unkenntnis des wahren Sachverhaltes – den entsprechenden Nachweis dieser Rechte vorsieht4, so zeigt sich deutlich, dass der Nachweis dieser Rechte vor Gericht und damit die Erforschung des wahren Sachverhaltes im Zivilprozess auch eine grundrechtliche Dimension aufweist. Zugleich könnte eine umfassende Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ nicht nur der Durchsetzung privater (Grund-) Rechte dienen, sondern auf der anderen Seite auch eine Gefährdung dieser Grundrechte darstellen – man denke nur an eine hypothetische „Wahrheitsermittlung“ durch umfassende Videoüberwachung des öffentlichen und privaten Raumes. Auch würde eine umfassende Wahrheitserforschung bis hin zu einer absolut unumstößlichen Gewissheit oftmals in einer kaum endenden Beweisaufnahme resultieren und so das Recht auf einen Rechtsschutz in angemessener Zeit ad absurdum führen. Diese wenigen Überlegungen zeigen bereits die Bedeutung wie auch die Dimension der Thematik deutlich auf. Der Nach4 Zum
staatlichen Gewaltmonopol als zentralem Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips siehe etwa BVerfG NJW 1981, S. 39, 41 und BVerfG NJW 1992, S. 1673 f. jeweils mwN.
II. Die Ziele der Arbeit
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weis eigener Rechte ist in jedem Zivilprozess von zentraler Bedeutung. Dieser Rechtsnachweis hat eine grundrechtliche Dimension, bedarf jedoch zugleich einer Abwägung mit gegenläufigen Grundrechten und Allgemeingütern. Diese grundrechtlichen Wertungen bedürfen sodann einer Übertragung in das einfache Recht bis hin zu ihrer Anwendung im konkreten Einzelfall, um den Nachweis und die Durchsetzung eigener (Grund-) Rechte in Übereinstimmung mit anderen Grundrechten und Allgemeingütern zu ermöglichen.
II. Die Ziele der Arbeit Die letztgenannten Überlegungen führen unmittelbar zu den eigentlichen Zielen dieser Untersuchung. Die Arbeit lässt sich hierbei in zwei große, aufeinanderfolgende Teilbereiche mit ihren jeweiligen Zielsetzungen unterteilen:
1. Der Entwurf des abstrakten Wertesystems eines Rechts auf Beweis In ihrem ersten Teil hat es die nachfolgende Untersuchung zum Ziel die Rechtsdurchsetzung mittels eines Nachweises eigener Rechte vor Gericht abstrakt zu untersuchen. Es soll hierbei ein umfassendes Recht der Parteien des Zivilprozesses auf einen effektiven Nachweis eigener Rechte, mithin das Recht auf Beweis als ein in sich stimmiges Wertesystem aus dem deutschen Grundgesetz, der EMRK und der europäischen Grundrechtecharta unter Einschluss rechtshistorischer und rechtsvergleichender Analysen des Beweisrechts hergeleitet und entwickelt werden. Die rechtshistorischen Untersuchungen sollen in einem ersten Schritt ein tieferes Verständnis des historisch gewachsenen Beweisrechts und seiner Grundprinzipien ermöglichen. Die rechtsvergleichende Betrachtung bietet einen Blick über den Tellerrand des nationalen Beweisrechts hinaus auf die beweisrechtlichen Grundprinzipien anderer Rechtsordnungen und etwaige unterschiedliche Lösungsansätze für identische, beweisrechtliche Fragestellungen. Die eigentliche Systembildung des Rechts auf Beweis soll mit der Postulierung seiner Existenz in den untersuchten Grundrechtsordnungen beginnen. Es soll hierbei nachgewiesen werden, dass die Existenz eines Rechts auf Beweis als solche in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen gleichermaßen zwingend erscheint. Sodann wird dieses Recht auf Beweis über eine dogmatische Untersuchung der anerkannten, prozessualen Grundrechte in das geltende Wertesystem der drei Grundrechtsordnungen eingefügt. Durch die weitere Analyse von Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta unter Einschluss ihrer Auslegung in Rechtsprechung und Literatur sollen sodann die wesentlichen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis herausgearbeitet werden und der abstrakte Inhalt des Rechts auf Beweis systematisch als konsistentes Wertesystem in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz
4
§ 1: Einleitung
herausgearbeitet werden. Komplettiert wird diese abstrakte Systembildung des Rechts auf Beweis durch die Untersuchung und Erarbeitung seiner Grenzen. Dabei soll sowohl die zwangsweise Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis als auch die Möglichkeit eines freiwilligen Verzichts auf seine Gewährleistungen in ihren jeweiligen Voraussetzungen in den Blick genommen werden. Aus der argumentativen Begründung seiner Existenz, der dogmatischen Einordnung in das bestehende System der Grundrechte und der Darstellung seiner wesentlichen Inhalte und Grenzen soll ein abstraktes Recht auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz als in sich konsistentes, grundrechtliches Wertesystem des Beweisrechts und als Maßstab für das geltende Recht und seine Anwendung im Einzelfall geschaffen werden
2. Die Anwendung des Rechts auf Beweis auf das geltende deutsche Zivilprozessrecht Das abstrakte Recht auf Beweis als Maßstab des einfachen Rechts führt sodann zum zweiten, zentralen Ziel und dem zweiten Teilbereich dieser Arbeit: Das Wertesystem des Rechts auf Beweis soll nicht allein als abstraktes Gebilde verbleiben, sondern vielmehr durch eine Überprüfung der wesentlichen Normen der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) und relevanten beweisrechtlichen Fallgestaltungen des Zivilprozessrechts mit Leben gefüllt werden. Das Ziel des zweiten Teilbereiches dieser Arbeit ist es mithin, die praktische Bedeutung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta als Maßstab für die Auslegung des einfachen Rechts aufzuzeigen: Das Recht auf Beweis soll durch das Zusammenspiel einer umfassenden, abstrakten Systembildung und einer ausführlichen, praktischen Anwendung auf eine Vielzahl von Normen der ZPO in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur zu einem handhabbaren, auch und gerade in der Praxis verwendbaren Maßstab für die Bewertung jeder denkbaren – bekannten und noch unbekannten – beweisrechtlichen Fallkonstellation werden, um eine Rechtsetzung und Rechtsanwendung in Übereinstimmung mit dem übergeordneten Wertesystemen von EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz zu ermöglichen.
III. Der Gang der Untersuchung Aufgrund dieser Zielsetzungen ist der eigentliche Gang dieser Untersuchung deutlich vorgezeichnet und lässt sich nun in wenigen Sätzen zusammenfassend skizzieren: Die Untersuchung beginnt mit einer rechtshistorischen Untersuchung des Beweisrechts von den Anfängen des römischen und germanischen Rechts bis hin zur
III. Der Gang der Untersuchung
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Schaffung der ZPO. Es schließt sich eine rechtsvergleichende Betrachtung des anglo-amerikanischen Rechtskreises an, um über das common law eine gänzlich andere Sicht auf das zivilprozessuale Beweisrecht zu erlangen. Diesen grundlegenden Vorarbeiten folgt sodann die eigentliche Postulierung der Existenz des Rechts auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz sowie die Einordnung dieses Rechts auf Beweis in das bestehende System der jeweiligen Grundrechtsordnung. Im Anschluss werden Inhalt und Grenzen des Rechts auf Beweis umfassend und unter Einschluss des bisherigen Standes von Rechtsprechung und Literatur analysiert, um ein konsistentes, abstraktes Wertesystem des Rechts auf Beweis zu erhalten. Dieses Wertesystem wird in der Folge als abstrakter Maßstab auf das geltende deutsche Zivilprozessrecht und seine beweisrechtlichen Vorschriften und Fallge staltungen in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur angewendet, um ihre Vereinbarkeit mit dem Recht auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechte charta und Grundgesetz zu überprüfen.
1. Hauptteil
Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
§ 2
Rechtshistorische Betrachtung des Beweisrechts Das Beweisrecht hat eine ebenso lange Geschichte wie das Prozessrecht selbst. Seit Anbeginn seiner Entwicklung setzt jede Anwendung von Recht einen tatsächlichen Sachverhalt als Grundlage voraus. Damit stellte sich jedoch in jedem Prozess die elementare Frage, welcher tatsächliche Sachverhalt der betreffenden Entscheidung als bewiesen zugrunde gelegt werden kann. Die Geburtsstunde des Prozesses ist daher zugleich die Geburtsstunde des Beweisrechts.1 Aufgrund dieser langen Historie haben auch viele Entscheidungen und Einschränkungen im Beweisrecht ihre eigene Entstehungsgeschichte. Es erscheint am Beginn einer solchen Untersuchung daher lohnenswert, einen Blick auf die geschichtlichen Grundlagen zu werfen, um Herkunft und Eigenheiten unseres heutigen Beweisrechts verstehen zu lernen. Die Geschichte und Ursprünge einer Regelung im Beweisrecht auf Basis der damaligen Werteordnung zu kennen, erleichtert es, eine solche Regelung an unserer heutigen Werteordnung zu messen und ihre Legitimation in heutiger Zeit kritisch zu untersuchen.2 Den Beginn dieser Untersuchung soll das römische Recht bilden. Das römische Recht bietet sich aufgrund seines erheblichen Einflusses auf das heutige Prozessrecht als zeitliche Grenze der historischen Betrachtung an. Es folgt eine Darstellung des germanischen Prozessrechts mit seinem ganz eigenen Beweisrecht bis hin zum mittelalterlichen Recht. Abgerundet wird die Entwicklung durch die Rezeption des römischen Rechts ab dem späten Mittelalter ausgehend von den oberitalienischen Stadtstaaten und der daraus folgenden Entwicklung des gemeinen Rechts bis hin zur Entstehung der deutschen ZPO. Weiterhin gilt es für die nachfolgende Untersuchung zu bedenken, dass das Beweisrecht oftmals nicht aus sich selbst heraus vollumfänglich verständlich wird. Erforderlich ist vielmehr, das Beweisrecht im Kontext des gesamten Zivilprozesses zu betrachten. Daher erfolgt im ersten Schritt eine kurze Darstellung eben dieser Grundzüge und Grundprinzipien des jeweiligen Zivilprozesses, bevor sich sodann die Ausführungen zum Beweisrecht des jeweiligen Zivilprozesses anschließen.
1 Ebenso
Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 7. argumentierend mit Blick auf Beweislastregeln Musielak, Grundlagen der Beweis-
2 Ähnlich
last, S. 190.
10 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
I. Der Zivilprozess im römischen Recht Der römische Zivilprozess hat in sich in seinen Grundstrukturen und Verfahrensgrundsätzen mehrfach stark verändert. Mit der Wandlung Roms von einer kleinen bäuerlich geprägten Stadt zu einem Weltreich hat sich auch sein Zivilprozessrecht umfassend gewandelt. Daher kann nicht von einem einheitlichen römischen Zivilprozess gesprochen werden. Vielmehr gilt es, verschiedene Abschnitte zu unterscheiden.3 Gemeinhin wird der römische Zivilprozess nacheinander in drei Phasen unterteilt: den frühen Legisaktionenprozess nach den XII Tafeln, den Formularprozess und den Kognitionsprozess der Kaiserzeit.4 Die nachfolgende Untersuchung fasst den Legisaktionen- und Formularprozess unter dem Oberbegriff des vorklassischen und klassischen Prozesses zusammen. Der Formularprozess veränderte den Legisaktionenprozess um einige grundlegende Aspekte, so dass sich seine Eigenständigkeit rechtfertigt.5 Allerdings basierte der Formularprozess in vielen Punkten auch auf dem früheren Legisaktionenprozess, so dass sich unter einer gemeinsamen Überschrift Gemeinsamkeiten, wie auch Veränderungen einfacher darstellen lassen. Zudem wird die Unterteilung um die Unterscheidung des klassischen Kognitionsprozesses vom nachklassischen Prozess erweitert. In dieser nachklassischen Phase gab es gerade im Beweisrecht zahlreiche Veränderungen hin zu einem starreren, formaleren Recht, deren Entwicklung im historischen Kontext und anhand der zugrundeliegenden Motive beleuchtet werden sollten.6
1. Der Zivilprozess in vorklassischer und klassischer Zeit a) Der Legisaktionenprozess: Ablauf und Verfahrensgrundsätze Der Legisaktionenprozess erhielt seinen Namen nach den legis actiones.7 Es handelte sich um bestimmte Spruchformeln, die der Streiteinsetzung dienten und sich auf ein Gesetz zurückführen ließen.8 Ein solches Gesetz als Grundlage einer actio und
Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 3 ff. Vgl. z. B. die Darstellungen bei Walter, Freie Beweiswürdigung, S. 7 ff.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 190 ff.; Krautstrunk, Beweisvereitelung, S. 12 ff. 5 In diesem Sinne Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 158 mwN; siehe zu den einzelnen Abschnitten des römischen Zivilprozesses auch Stürner, FS-Söllner, S. 1171 ff. jeweils mwN. 6 Diese Unterscheidung nimmt auch Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 435 ff. und S. 517 ff. vor. 7 Zur Terminologie vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 34 f. auch zu der Frage, wann sich der Begriff der legis actiones herausgebildet hat. 8 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 34 f.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 21 Rn. 56. 3 Vgl. 4
§ 2: Rechtshistorische Betrachtung des Beweisrechts
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des Erlangens von Rechtsschutz bildeten ursprünglich die um 450 v. Chr. entstanden XII Tafeln, später auch weitere Volksgesetze.9 Prägend für den Legisaktionenprozess war die Zweiteilung des Verfahrens in einen Abschnitt vor dem Prätor (in iure) und einen Abschnitt vor dem Urteilsrichter (apud iudicem).10 Im ersten Abschnitt vor dem Prätor wurden die Prozessformeln (legis actiones) aufgesagt, wobei bereits die geringste Abweichung von diesen Formeln oder ein sonstiger Versprecher den Prozessverlust nach sich gezogen hat.11 Wurden die Formeln korrekt aufgesagt und fand sich in den Gesetzen eine actio für das Begehren des Klägers, so wurde vom Prätor das vorgetragene Streitprogramm festgelegt und ein Urteilsrichter mittels litis contestatio eingesetzt.12 Weitere Prozessvoraussetzungen waren das Prozessieren zur richtigen Zeit13, am richtigen Ort14, unter privater Ladung der gegnerischen Partei15, zwischen solchen Parteien, denen das Prozessieren erlaubt war und über einen Gegenstand, über den nicht bereits ein Prozess anhängig war oder entschieden worden ist.16 Partei konnte grundsätzlich nur ein römischer Bürger sein, allerdings mutmaßlich unter Einschluss solcher Latiner, denen das commercium verliehen wurde.17 Der darauffolgende Prozessabschnitt apud iudicem beinhaltete die eigentliche Streitentscheidung und wurde vor einem Einzelrichter (iudex), einem Gerichtshof (Centumviri, decemviri) oder einem Streitschlichter (arbiter) abgehalten.18 Dieser Verfahrensabschnitt diente primär dem gegenseitigen Vortrag der Beweismittel und der anschließenden Urteilsfällung.19 Durch das Urteil wurde der Rechtsstreit abschließend zwischen den Parteien entschieden, ein weiteres Prozessieren über die-
Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 35. Vgl. wiederum Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 20 Rn. 55 f.; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 32 f. und S. 44 ff. 11 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 35. 12 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 44 f. und S. 49 zur Streitfrage des genauen Inhalts der litis contestatio. 13 Ein Prozess begann nach den XII Tafeln in der Mittagszeit und musste bis zum Sonnenuntergang enden, Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 51 unter Verweis auf Tafel 1, 7 und 9; zudem war das Prozessieren an bestimmten Feiertagen (dies nefasti) verboten, ebd.. S. 44. 14 Als Gerichtsort des Prätors wurde in der Regel die Volksversammlung (comitium) oder der Marktplatz angesehen, vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 43 unter Verweis auf Tafel 1, 7. 15 Die Ladung (in ius vocatio) erfolgte allein durch die Parteien, allerdings notfalls durch formalisierte und staatlich erlaubte Eigenmacht, zur Ladung im Einzelnen Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 64 ff. unter Verweis auf Tafel 1, 1–3. 16 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 70. 17 Ausführlich Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 60 ff. 18 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 113 f. 19 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 115; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 20 Rn. 55. 9 Ausführlich 10
12 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts sen Gegenstand ausgeschlossen und die Vollstreckung ermöglicht. Rechtsmittel waren in diesem frühen Prozess noch nicht bekannt.20 Der Legisaktionenprozess zeichnete sich allgemein durch einen starken Formalismus aus und wurde nach seinem Leitbild weitestgehend von den Parteien beherrscht.21 Es galt ein strenges Mündlichkeitsprinzip22, die Öffentlichkeit des Verfahrens23 sowie in Grundzügen der Grundsatz beiderseitigen Gehörs.24 b) Veränderung des Verfahrens durch den Formularprozess Der Formularprozess entwickelte sich etwa ab dem dritten Jahrhundert v. Chr. und leitet sich begrifflich von der formula ab, die der Prätor den Parteien erteilte, um Inhalt und Aufgabe des weiterhin vorhandenen Urteilgerichts festzulegen.25 Dieser Prozess basiert auf dem Legisaktionenprozess, erweist sich jedoch im Hinblick auf seine Form, wie auch den Rechtschutz als deutlich flexibler. Die erste, entscheidende Veränderung im Vergleich zum Legisaktionenprozess waren die Prozessformeln (formulae).26 Diese Prozessformeln wurden schriftlich abgefasst und ließen im Gegensatz zu den legis actiones mit ihren exakt festgelegten, feierlichen Formeln Raum für variable Anpassungen, und das Risiko eines Prozessverlustes durch einen bloßen Versprecher war durch die Schriftlichkeit ebenfalls gebannt.27 In den Prozessformeln wurde festgelegt, unter welchen Voraussetzungen die gewährte actio des Klägers erfolgreich sein soll, welche tatsächlichen Umstände mithin vom Kläger zum Prozessgewinn im Verfahren vor dem Urteilsrichter zu beweisen waren. Zudem hatte der Beklagte zu seiner Verteidigung auf Antrag die Möglichkeit, eine exceptio in die Prozessformel aufnehmen zu lassen, die er nachzuweisen hatte und bei deren Nachweis die Klage abgewiesen wurde. Der Kläger wiederum konnte auf diese exceptio mit einer Gegeneinrede (replicatio) reagieren, bei deren Nachweis die Einrede des Beklagten wiederum hinfällig war.28 Durch dieses System der zu beantragenden Einrede und Gegeneinrede wurde das spätere Prozessprogramm durch die Parteien vor dem Prätor festgelegt. Zweiter entscheidender Unterschied war der Umfang des Rechtschutzes in diesem Prozess. Im Formularprozess hatten die Prätoren die Möglichkeit neuer RechtsZu den Urteilwirkungen Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 127 f. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 9 f. 22 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 10 f. 23 Vgl. einmal mehr Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 10 f. 24 Ausführlich zu Existenz und Inhalt des Grundsatzes rechtlichen Gehörs im römischen Zivilprozess Wacke, FS-Waldstein, S. 369, 376 ff. 25 Zu Begriff und Inhalt der formula vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 308 ff. mwN. 26 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 151 f. 27 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 151 f. 28 Zu diesem Wechselspiel zwischen Kläger und Beklagten vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 231 ff. und 256 ff. 20
21 Vgl.
§ 2: Rechtshistorische Betrachtung des Beweisrechts
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schöpfungen. Sie konnte Rechtschutz auch in solchen Fällen gewähren, in denen das Gesetz keine actio vorsah und eine Klage im Legisaktionenprozess zurückgewiesen worden wäre. Der Prätor erteilte dem Kläger in diesem Fall eine seinem Begehren angepasste actio in factum.29 Diese geringere Formenstrenge und der umfassendere Rechtschutz durch prätorische Rechtsfortbildungen erklären die zunehmende Beliebtheit des Formularprozesses, der den Legisaktionenprozess immer weiter zurückdrängte, bis derselbe durch Augustus 17 v. Chr. in den leges Iuliae iudicorum privatorum auch formal abgeschafft wurde.30 Die weiteren Prozessvoraussetzungen des Formularprozesses basierten – mit zahlreichen Veränderungen – ebenfalls auf dem Legisaktionenprozess. So blieb es bei der Zweiteilung des Verfahrens31, der Ort des Gerichts blieb das comitium32 und auch die Zeit des Gerichts waren allein die Feiertage (dies nefasti), wenngleich diese Regelung erneuert und für alle Magistrate vereinheitlicht wurde.33 Die Parteifähigkeit umfasste römische Bürger und nun auch ohne Einschränkungen Menschen ohne das römische Bürgerrecht (peregrine). Frauen waren nur prozessfähig, soweit sie gewaltfrei waren. Ausgeschlossen waren weiterhin Sklaven sowie grundsätzlich auch Hauskinder und Minderjährige (infantes).34 Die Ladung erfolgte durch den Kläger als privater Akt unter Aufsicht des Prätors, wenngleich der Gegner nun über die zu beantragende Formel und alle Beweismittel aufgeklärt werden musste (edi tio).35 Übereinstimmungen zeigen sich auch bei den Verfahrensgrundsätzen: So galt weiterhin die Grundsätze der Unmittelbarkeit und der Mündlichkeit, das Verfahren war öffentlich und wurde durch die Parteien beherrscht. Zudem hatte das Gericht beiderseitiges Gehör zu gewährleisten.36 c) Das Beweisrecht vorklassischer und klassischer Zeit Das Beweisrecht im römischen Zivilprozess unterliegt insgesamt der Besonderheit, dass die römischen Juristen den gesamten Verfahrensabschnitt apud iudicem eher dem Bereich des Tatsächlichen zugeordnet haben. Daraus folgte, dass dieser Be29 Zu dieser Anerkennung prätorischer Rechtsschöpfung Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 238 f.; siehe auch Krautstrunk, Beweisvereitelung, S. 19 ff. jeweils mwN. 30 Vgl. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 192 mwN; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 161 f. 31 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 164 bezeichnet diese Zweiteilung als ein wesensbestimmendes Merkmal des Formularprozesses; ähnlich äußern sich Kunkel/Schermaier, Römische Rechtsgeschichte, S. 108 f. 32 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 201. 33 Zu den Gerichtszeiten und den Verboten, Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 202 f. 34 Zur Parteifähigkeit insgesamt Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 204 ff. 35 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 221 f. 36 Vgl. zu den Verfahrensgrundsätzen, Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 10 f. und speziell zum Formularprozess S. 359 f.
14 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts reich kaum rechtlichen Regeln unterworfen war und durch Rhetoriker anstelle von Juristen dominiert wurde.37 Diese Besonderheit gilt für den Zivilprozess in vorklassischer und klassischer Zeit gleichermaßen. Eine Beachtung unter juristischen Gesichtspunkten fand das Beweisrecht erst in der späteren Kaiserzeit, insbesondere unter Justinian.38 Gesetzliche Regelungen im vorklassischen und klassischen Zivilprozess widmeten sich lediglich den Grenzen, in denen solche Beweismittel eingebracht werden konnten, die völlig ungeeignet erschienen.39 Das Beweisverfahren im Legisaktionen- und im Formularprozess fand ausschließlich vor dem Urteilsrichter im zweiten Abschnitt eines Prozesses statt. Die Parteien hatten die Herrschaft über das Beweisverfahren und waren dementsprechend auch zur Beibringung der Beweise verpflichtet, ohne dass ihnen staatliche Zwangsmittel zur Verfügung gestanden hätten.40 Diese Parteiherrschaft ging so weit, dass die Parteien den Urteilsrichter für das Verfahren apud iudicem gemeinschaftlich auswählen konnten. Der ausgewählte Richter musste wohl weder das römische Bürgerrecht inne gehabt haben noch gewaltfrei gewesen sein.41 Erforderlich war hiernach lediglich die Mündigkeit (pubertas) – generell ausgeschlossen vom Richteramt waren im vorklassischen und klassischen Prozess indes wohl Sklaven, Frauen, Taubstumme und Geisteskranke.42 Falls die Parteien sich auf keinen Richter einigen konnten, wurden subsidiär Richterlisten zur Auswahl eines Urteilsrichters geführt.43 Im Formularprozess entwickelte sich zudem das Rechtsinstitut der editio actio nis. Im Rahmen der Ladung musste der Kläger dem Beklagten sein Begehren mitteilen und des weiteren sämtliche Beweismittel ankündigen, auf die er sein Begehren stützen wird, um dem Gegner das Einfügen von exceptiones zu ermöglichen.44 Es erscheint denkbar, dass ein Verstoß gegen die Editionspflichten den Ausschluss mit des nicht-editierten Beweismittels für den späteren Prozess zur Folge hatte.45 In diesem Sinne würden die Editionspflichten in gewisser Weise Parallelen zu heutigen Präklusionsvorschriften für den Parteivortrag im Prozess aufweisen. 37 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 361 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 194 f. 38 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 519 f.; ausführlich zum Beweisrecht im justinianischen Prozess auch Simon, Justinianischer Zivilprozess, S. 135 ff. 39 In diesem Sinne Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 361 f. 40 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 119. 41 Zu den Anforderungen und zum Verfahren der Richterwahl Kaser/Hackl, römisches Zivilprozessrecht, S. 47 und 195 f., der diese Freiheit bei der Richterwahl auf die Frühzeit des Prozesses zurückführt, in der die Legitimation eines Urteils davon abhing, dass die Parteien sich „ihrem“ Richter im Vorhinein persönlich unterworfen hatten. 42 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 195 mwN. 43 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 195. 44 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 220 f. 45 In diese Richtung gehend, zugleich aber auf die schwierige Quellenlage hinweisend Kaser/ Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 357 ff. mwN.
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aa) Beweismittel Als Beweismittel kamen sowohl in vorklassischer als auch in klassischer Zeit bereits die uns bekannten Beweismittel in Betracht. So konnte der Beweis durch Zeugen (testes) und Parteiaussagen, Urkunden (instrumenta, tabulae), Sachverständige und Augenscheinnahme (aspectus) geführt werden46 Darüber hinaus kannten die Römer als Beweismittel Gesetze, Dekrete und Senatsbeschlüsse sowie Gerüchte (rumores), Vorentscheidungen (praeiudicia) und den Ruf einer Person (fama).47 Die Vorherrschaft der Rhetoriker führte dazu, dass eine Einteilung in solche Beweismittel erfolgte, die für den Redner im Vorhinein als unveränderbar feststanden (proba tiones inartifical) und solche Beweismittel, die der Rhetoriker künstlich erzeugte (probationes artifical).48 Die erstere Gruppe umfasst die vorher genannten Beweismittel, letztere beinhaltete Indizien (signa), logische Schlüsse (argumenta) und typische Beispiele (exempla).49 Vorliegend soll es primär um die erste Gruppe der Beweismittel (probationes inartifical) gehen, die der Ermittlung der Wahrheit dienen und daher mit den Beweismitteln nach heutigem Verständnis übereinstimmen. Der Zeugenbeweis war in vorklassischer und klassischer Zeit das wohl wichtigste Beweismittel, unterlag jedoch zugleich einer Reihe von Beschränkungen. So gab es keine allgemeine Zeugnispflicht, vielmehr wurde das Zeugnis eher als „freiwilliger Freundschaftsdienst“ denn eine staatlich auferlegte Pflicht angesehen. Daher war es auch Sache der Parteien, die Zeugen beizubringen und zu befragen.50 Einschränkungen gab es ferner bei der Frage, welche Personen Zeugen vor Gericht sein konnten. So waren wohl Freigelassene, Unmündige und gewisse Ehrlose nicht zeugnisfähig. Gleiches galt für nahe Angehörige. Sklaven galten nur bei solchen Aussagen als zeugnisfähig, die durch Folter erzwungen wurden.51 Zudem war ein Zeugnis vom Hörensagen generell unstatthaft.52 Eine Besonderheit und Schnittstelle zwischen zwei Beweismitteln stellte die Zeugenurkunde dar (testio). In dieser Urkunde hat ein Zeuge seine Aussage schriftlich festgehalten, was von Urkundszeugen
Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 365 ff. Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 365 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 194 f. 48 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 365 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 194 f. 49 Vgl. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 194 f. mwN; Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 365, Fn. 27. 50 So Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 367 f., Ausnahme war ein Zeugniszwang bei Geschäftszeugen, die eben für dieses Zeugnis hinzugezogen wurden. 51 Vgl. die Auflistung bei Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 367, teilweise zweifelnd bezüglich der Übertragbarkeit auf den Zivilprozess. 52 Vgl. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 13; in diese Richtung auch Wenger, Institutionen, S. 188 jeweils mwN. 46 Vgl. 47
16 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts mit Siegel beglaubigt wurde. Diese Urkunde wurde vor Gericht schließlich geöffnet und verlesen.53 Der Urkundenbeweis spielte im vorklassischen Prozess nur eine untergeordnete Rolle, gewann jedoch in klassischer Zeit mehr und mehr an Bedeutung.54 Eine Vorlagepflicht bestand nur ausnahmsweise. Die Fälschung einer Urkunde war strafbar.55 Sachverständigenbeweis und Augenscheinnahme waren bekannt und als Beweismittel zugelassen. Allerdings spielten sie in dieser Epoche keine übergeordnete Rolle.56 Der römische Zivilprozess in dieser Zeit kannte das Beweismittel der Parteiaussage, allerdings ist fraglich welche Beweiskraft eine solche Aussage hatte.57 Selbst eine behauptete Tatsache, die von der gegnerischen Partei zugestanden wurde (con fessio), hatte wohl keine formal feststellende Wirkung.58 Es erscheint zudem zweifelhaft, ob es im klassischen Formularprozess noch einen Parteieid über Tatsachen gab.59 Bekannt waren zwei Formen des Eides, die vor dem Prätor im Verfahrensabschnitt in iure geleistet werden konnten. Zu unterscheiden ist zwischen dem freiwilligen/übernommenen Eid und dem auferlegten Eid durch den Prätor.60 Der freiwillige Eid war in jedem Formularverfahren zulässig und wurde jeweils vom Kläger oder Beklagten der anderen Partei „zugeschoben“. Wenn eine Partei den ihr zugeschobenen Eid geleistet hatte bzw. von der Leistung befreit war, so wurde formal die Begründetheit bzw. die Unbegründetheit der Klage festgestellt.61 Der derart obsiegende Kläger erhielt eine entsprechende actio in factum, der Beklagte eine exceptio iurisi urandi und im nachfolgenden Verfahren war lediglich Existenz und Inhalt des Eides zu klären.62 Der auferlegte Eid betraf nur wenige Ansprüche und wurde vom Kläger dem Beklagten zugeschoben, der den Eid auf den Kläger zurückschieben konnte.
53 Vgl. zur Erstellung und Bedeutung dieser Zeugenurkunde Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 368. 54 Vgl. zur Bedeutung der Urkunde im vorklassischen und klassischen Prozess, Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 120 und S. 369. 55 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 369. 56 So Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 369 unter Nennung der Feldmesser als Beispiel für den Augenschein und die Bestätigung der Schwangerschaft durch drei Hebammen als Beispiel für den Sachverständigenbeweis. 57 Zweifelnd bezüglich einer eigenständigen Beweiskraft Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 366. 58 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 366 mwN und zur confessio in iure vor dem Prätor, S. 270 ff.; in diese Richtung tendierend auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 12. 59 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 366 und S. 339 f. zum Schätzungseid (iu siurandum in litem) als einzigem gesicherten Eid über die dem Kläger gebührende Leistung. 60 Vgl. zu diesen Eiden Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 266 ff. mwN. 61 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 267 f. 62 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 268.
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Der Unterschied zum freiwilligen Eid lag darin, dass der Prätor eingriff, wenn der Beklagte den Eid verweigerte ohne ihn auf den Kläger zurückzuschieben.63 bb) Beweiswürdigung Eine weitere Besonderheit des römischen Zivilprozessrechts war die Beweiswürdigung. Frühe Rechtskulturen zeichneten sich in der Regel durch sehr strenge Beweisregeln aus, die dem urteilenden Richter strikte Vorgaben machten.64 Das römische Recht hat demgegenüber bereits früh den Weg der freien Beweiswürdigung beschritten.65 Als Gegenbeispiel wird zwar oftmals eine Beweisregel verwendet, nach der ein Besitzer einer gestohlenen Sache, die bei einer Hausdurchsuchung aufgefunden wurde, formal als schuldig feststand.66 Dennoch ist im römischen Zivilprozess bereits im vorklassischen Legisaktionenprozess von einer weitgehend freien Beweiswürdigung auszugehen.67 Jedenfalls im klassischen Formularprozess kann von einer freien Beweiswürdigung gesprochen werden.68 Selbst Urkunden hatten keinen gesteigerten Beweiswert, vielmehr unterlagen sie ebenfalls der freien Beweiswürdigung durch den Urteilsrichter.69 Allerdings gilt es in diesem Zusammenhang zugleich die Dominanz der Rhetoriker zu bedenken: So stand im Mittelpunkt des Beweisverfahrens oftmals eher der Versuch, das Gericht von der eigenen Glaubwürdigkeit anstelle des eigentlichen Sachverhaltes zu überzeugen und auch das Gewicht eines Zeugen wird sehr stark von seiner sozialen Stellung und seinem Ruf (fama) abhängig gewesen sein.70
2. Der Kognitionsprozess in klassischer und nachklassischer Zeit Der Kognitionsprozess meint begrifflich zunächst einmal alle Verfahrensarten, die ab der Kaiserzeit dem herrschenden Formularprozess gegenüberstanden.71 Es hanZum Verfahren Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 268 f. Vgl. beispielsweise Seidl, Geschichte des Zivilprozesses, S. 178. 65 Vgl. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 11 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 195 f.; Seidl, Geschichte des Zivilprozesses, S. 178 f.; zurückhaltender und von einem weiten Ermessen sprechend Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 117 f., 363 f., der die frühe Überwindung jedoch zugleich als eine der bedeutendsten rechtsethischen Errungenschaften der Römer ansieht. 66 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 117 f.; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 11 f. mit eben diesem Beispiel. 67 In diesem Sinne Walter, freie Beweiswürdigung, S. 11 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 195 f.; Seidl, Geschichte des Zivilprozesses, S. 178 f. 68 Vgl. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 12 mwN. 69 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 369; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 13. 70 Diese Kritik übt Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 119 mwN, auch zur Funktion des Eides. 71 So Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 437 mwN. 63
64
18 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts delte sich um außerordentliche Verfahren, deren einigendes Band darin bestand, dass anstelle von Privatpersonen nun Magistrate oder kaiserliche Beamte als Richter berufen waren.72 a) Der klassische Kognitionsprozess: Ablauf und Verfahrensgrundsätze Diese Verfahren entwickelten sich in der Zeit des Prinzipats unter Augustus aus der kaiserlichen Rechtsprechungstätigkeit.73 Der Kaiser konnte kraft seiner Autorität (auctoritas princeps) auf Anrufung ein Verfahren in erster Instanz entscheiden oder – als Regelfall – ein bereits bestehendes Urteil nachprüfen.74 Ein zentraler Unterschied des Kognitionsverfahrens im Vergleich zum Formularprozess war die fehlende Zweiteilung des Verfahrens in die Abschnitte in iure und apud iudicem. Im Kognitionsprozess wurde das gesamte Verfahren von seiner Einleitung bis zur Urteilsfällung vom Kaiser oder seinen delegierten Beamten durchgeführt.75 Insgesamt war der Kognitionsprozess durch eine stärkere Zweckmäßigkeit anstelle von Förmlichkeit und eine deutliche Ausweitung des richterlichen Einflusses geprägt. Die Ladung der Parteien erfolgte wahlweise privat mit amtlicher Ermächtigung oder amtlich, in jedem Fall waren nun direkte Zwangsmittel möglich – etwa ein Versäumnisverfahren. Außerdem bedurfte es im Kognitionsprozess keines besonderen Unterwerfungsaktes der Partien unter die Gerichtsgewalt, wie es im Formularprozess mit der litis contestatio vonnöten war.76 Der Kläger musste die anspruchsbegründenden Tatsachen in der Klageschrift vortragen, der Beklagte erwiderte alle Tatsachen, auf die er seine Verteidigung stützte.77 Maßgeblich war allein der Vortrag derjenigen Tatsachen, die den materiell-rechtlichen Anspruch begründeten, eine prozessuale actio oder formula ist im Kognitionsprozess gerade nicht mehr erforderlich.78 Spiegelbildlich galt diese Freiheit ebenfalls für die Verteidigung des Beklagten, die nun ohne Erfordernis einer exceptio in der Prozessformel alle prozessualen und materiellen Einwendungen umfasst.79 Im weiteren Verfahrensverlauf hatte der Richter gleichfalls ein sehr weitreichendes Ermessen in der Ausgestaltung des konkreten Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 435 f. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 445 f. 74 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 446, der als weitere Legitimationsquelle der Kaiser für ihre Rechtsprechungstätigkeit, den Vergleich zu den Rechtsfortbildungen der früheren Prätoren sieht. 75 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 442; vgl. aber auch Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 475 ff., der auf die Möglichkeit der Delegierung des Beweisund Urteilsverfahrens an einen iudex datus bzw. iudex padeneus hinweist. 76 Siehe Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 476 f. 77 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 485 ff. zu Klagantrag und Verteidigung des Beklagten. 78 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 485; Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 393. 79 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 486 f. 72
73 Vgl.
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Verfahrens und beherrschte alle Verfahrensschritte.80 Am Ende des Verfahrens stand ein schriftlich abgefasstes und den Parteien verlesenes Urteil, dessen Rechtskraft einem neuerlichen Prozess entgegenstand.81 Diese einschneidende Veränderung von einem Formularprozess, in dem die Parteien von der Richterwahl bis zur Verfahrensgestaltung entscheidenden Einfluss hatten, hin zu einem Kognitionsprozess, bei dem ein beherrschender staatlicher Einfluss bestand, wird mit Blick auf die veränderte Machtstruktur im Prinzipat erklärlich. Der Prozess wurde seinem Idealbild nach vom Kaiser persönlich geleitet und selbst im Falle einer typischerweise erfolgenden Delegation auf einen kaiserlichen Beamten, war dieser Beamte doch unmittelbarer Vertreter der kaiserlichen Autorität, die keinen rechtlichen Regelungen unterworfen war, sondern vielmehr selbst den Anspruch hatte, Recht zu schaffen, woraus ein nahezu uferloses richterlichen Ermessen resultierte.82 Hinzu trat in der absoluten Herrschaft der Kaiserzeit auch der wohlfahrstaatliche Gedanke, dass es die Pflicht des Kaisers sei, durch eine eigens geordnete Rechtspflege Recht und Ordnung sicherzustellen.83 Ein Ausdruck dieses wohlfahrtstaatlichen Gedankens wie auch der absoluten Machtfülle des Kaisers war zudem die Entstehung eines Instanzenzuges. Im Kognitionsprozess war es möglich, sich mit einer appellatio gegen ein Urteil direkt an den Kaiser zu wenden.84 Als weitere Verfahrensgrundsätze des klassischen Kognitionsprozesses sind schlussendlich die Grundsätze der Mündlichkeit, der Öffentlichkeit, des beiderseitigen Gehörs und der Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme zu nennen.85 b) Beweisrecht im klassischen Kognitionsprozess Das Beweisrecht weist im klassischen Kognitionsprozess noch zahlreiche Parallelen zum Formularprozess auf. So war es auch in diesem Prozess Sache der Parteien, die Beweismittel beizubringen.86 Bedeutendster Unterschied war die Zusammenfassung der beiden Verfahrensabschnitte zu einem einheitlichen Verfahren. In diesem 80 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 442 f. und S. 481 ff.; Kaser/Knütel/ Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 475 ff. 81 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 494 ff. und S. 499 f. zur Rechtskraft von Urteilen. 82 Diese Erklärung für die veränderte Verfahrensgestaltung führen auch Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 475 f. und auch Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 442 ff. und S. 446 ff. 83 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 443. 84 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 501 ff. auch zu Gründen und Legitimation der appellatio. 85 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 448 (Öffentlichkeit, Unmittelbarkeit, beiderseitiges Gehör) und S. 482 (Mündlichkeit); zur Gewährung beiderseitigen Gehörs vgl. auch Wacke, FS-Waldstein, S. 379 ff. mit Nachweisen aus den Primärquellen. 86 Siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 491.
20 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts einheitlichen Prozess war es dem Richter nun in jedem Verfahrensstadium möglich, Beweis zu erheben.87 Als Beweismittel kamen auch im Kognitionsprozess vor allem Zeugen, Urkunden, Sachverständige, Augenscheinnahme und die – eidliche – Parteiaussage in Betracht. Letztlich war jedoch als Beweis jedes Mittel zulässig, das den Richter vom tatsächlichen Sachverhalt überzeugen konnte.88 In der Praxis sorgte die Ausbreitung des Urkundenwesens für eine Verschiebung der Relevanz der Beweismittel vom Zeugenbeweis hin zum Urkundenbeweis. Zudem wurde durch die starke staatliche Prägung des Verfahrens auch die Vorlagepflicht für Urkunden ausgeweitet.89 Allerdings handelte es sich zu dieser Zeit tendenziell eher um ein praktisches Übergewicht dieses Beweismittels und noch nicht um eine rechtlich gefasste Privilegierung von Urkunden. Im klassischen Kognitionsprozess gab es noch keine starren Beweisregeln zugunsten der Richtigkeit des Inhalts einer Urkunde.90 Das Fehlen von Beweisregeln beschränkte sich im klassischen Kognitionsprozess nicht allein auf die Urkunden. Vielmehr wird im klassischen Kognitionsprozess insgesamt der Grundsatz einer freien Beweiswürdigung gegolten haben.91 So waren selbst die zugeschobenen Eide im Kognitionsprozess nur ein Beweismittel, das der freien Würdigung durch das Gericht unterlag. Eine formell prozessbeendende Wirkung kam diesen Eiden nicht zu. Eine solche Wirkung wurde allein dem gerichtlichen Anerkenntnis (confessio) zugestanden.92 Diese Freiheit der Beweiswürdigung korrelierte mit der generellen Entwicklung eines sehr weitreichenden, richterlichen Ermessens im Kognitionsprozess. Es ist kaum vorstellbar, dass diese Freiheit in der Verfahrensgestaltung in ihrer Herleitung aus der kaiserlichen Autorität nicht auch eine umfassende Freiheit der Würdigung von Beweismitteln umfasste.93 Der klassische Kognitionsprozess stellte ein Übergangsphänomen zwischen der republikanischen- und der Kaiserzeit dar. Ein Formularprozess, der den Staat allenfalls in der Rolle eines von den Parteien frei bestimmten, neutralen Schiedsrichters sah, passte nicht in das Bild eines Kaisertums – selbst in seiner Frühzeit unter Augus Kaser/ Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 491. So Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 491 unter Benennung der üblichen Beweismittel. 89 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 492 zum Aufblühen des Urkundenwesens und der Stärkung der Vorlagepflicht jeweils mwN. 90 Vgl. insoweit die Ausarbeitung von Walter, freie Beweiswürdigung, S. 13; ebenfalls unter Verweis auf Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 492 f. 91 Vgl. Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 477; siehe auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 14 ff. der diesen Grundsatz erst im nachklassischen Kognitionsprozess stark eingeschränkt sieht. 92 Zu den Parteieiden wie auch der confessio vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 492. 93 Für eine Freiheit der Beweiswürdigung auch Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 491, allerdings mit dem Begründungsansatz einer Kontinuität zum Formularprozess. 87 Vgl. 88
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tus. Daher wurde das Verfahren in seiner Struktur und Ausgestaltung gestrafft, dem Parteiwillen entzogen und ganz in ein staatliches Verfahren umgewandelt, das der Gewalt des Gerichts unterworfen war. Allerdings waren die frühen Kaiser um eine Fortsetzung des Scheins der republikanischen Traditionen bemüht, so dass sich die inhaltliche Ausgestaltung des klassischen Kognitionsprozesses und insbesondere das Beweisrechts in dieser Phase kaum vom Formularprozess unterschieden haben. Einschneidende Veränderungen im Beweisrecht setzten erst im nachklassischen Prozess ein – etwa ab der Zeit Kaiser Konstantins Anfang des 4. Jahrhunderts n. Chr.94 c) Veränderungen des Prozesses in nachklassischer Zeit In nachklassischer Zeit wurde aus dem außerordentlichen Verfahren des Kognitionsprozesses ein ordentliches Gerichtsverfahren. Durch das Absterben der klassischen Jurisprudenz ging das erforderliche und prägende Fachwissen über den Formularprozess verloren, so dass er wohl bereits unter Diokletian faktisch keine Rolle mehr spielte. Formal abgeschafft wurde der Formularprozess erst in der Mitte des 4. Jahrhunderts n. Chr.95 Der Kognitionsprozess wurde in dieser Zeit durch einen nochmals stärkeren staatlichen Einfluss geprägt. So wurde die bis dato mögliche, halbamtliche Ladung (litis denuntatio) ab der Mitte des 5. Jahrhunderts n. Chr. endgültig durch die Einreichung einer Klageschrift (libellus conventionis) an das Gericht und eine amtliche Ladung ersetzt.96 Allerdings äußerte sich dieser staatliche Einfluss nicht in einer noch stärkeren Stellung und Ermessensfreiheit des Gerichts. Vielmehr wurde der Kognitionsprozess in nachklassischer Zeit zahlreichen gesetzlichen Regelungen unterworfen – insbesondere im Hinblick auf Form- und Fristen.97 Eine solch umfassende Regelungsdichte stand im Einklang mit dem Anspruch der Kaiser, jeden Lebensbereich zu regeln. Hinzu trat die Problematik einer oftmals ebenso korrupten wie juristisch wenig geschulten Richterschaft in nachklassischer Zeit. Mit dem Verlust der klassischen Jurisprudenz gingen die entsprechenden Fähigkeiten verloren und mit dem wirtschaftlichen Verfall des römischen Reiches kam die Korruption als flächendeckendes Problem auf.98
94 Zur
zeitlichen Abgrenzung von klassischem und nachklassischem Kognitionsprozess siehe Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 436 und insbesondere S. 518 ff. 95 Als Begründung für das Absterben der klassischen Jurisprudenz und die spätere Abschaffung des Formularprozesses nennt Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 435 und 518 f. eine Schwächephase des römischen Reiches zwischen 235 und 284 n. Chr.; ähnlich auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 201. 96 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 566 f. und S. 570 ff.; in diesem Sinne auch Wenger, Institutionen, S. 291. 97 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 520 f. 98 Insbesondere Korruption und Unfähigkeit macht Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 520 als Grund für die kaiserliche Regelungstätigkeit aus.
22 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Die Veränderungen des Kognitionsprozesses in nachklassischer Zeit zeigen sich besonders deutlich bei den Verfahrensgrundsätzen. So wurde das Verfahren in weitem Umfang der Schriftform unterworfen. Alle wesentlichen Parteihandlungen von der Ladung bis zur Klageerwiderung waren in ihrer Wirksamkeit von der Schriftform abhängig.99 Zwar wurde in erster Instanz noch mündlich verhandelt und auch das Urteil verlesen, indes wurde die eigentliche Entscheidung oftmals nach Aktenlage gefällt.100 Somit wurden die Grundsätze der Mündlichkeit und der Unmittelbarkeit in weitem Umfang eingeschränkt. Einzig der Grundsatz beiderseitigen Gehörs scheint als Mindestmaß rechtlich garantierter Einflussnahme der Prozessparteien auch in nachklassischer Zeit fortbestanden zu haben.101 d) Beweisrecht im nachklassischen Kognitionsprozess Besonders nachdrückliche Veränderungen hat in nachklassischer Zeit auch das Beweisrecht des Kognitionsprozesses erfahren: aa) Grundlagen In dieser Zeit wurde das Beweisrecht erstmals als eine Materie angesehen, die dem Bereich des Rechts zuzuordnen war und daher konsequenterweise rechtlicher Regelungen bedurfte.102 Diese Sichtweise traf zusammen mit der benannten Änderung des Staatsgefüges hin zu einem noch stärkeren, kaiserlichen Machtanspruch und dem Anspruch, alle Lebensbereiche einer von eben dieser Macht geschaffenen, rechtlichen Ordnung zu unterwerfen.103 Eine der bedeutsamsten Veränderungen war die Abschaffung des Beibringungsgrundsatzes, der den römischen Zivilprozess seit dem frühen Legisaktionenprozess dominiert hat, zugunsten der Einführung des Untersuchungsgrundsatzes. Der Richter erhielt nun auch im Beweisverfahren gänzlich die Kontrolle über den Prozess und erhob die Beweise von Amts wegen ohne das Erfordernis von Mitwirkungshandlungen der Parteien.104 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 556 f. mwN. So Kaser/Knütel/Lohsse, Römisches Privatrecht, S. 478; vgl. auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 11 mwN. 101 So die Analyse von Wacke, FS-Waldstein, S. 369, 379 ff. unter Verweis auf Textpassagen Diokletians; kritischer in diesem Zusammenhang Walter, freie Beweiswürdigung, S. 11. 102 Vgl. zu dieser Entwicklung Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 520 f., der die Regelungen im Beweisrecht zudem auf das geringe Vertrauen in die Lauterkeit und die Fähigkeiten der Richterschaft zurückführt. 103 In diesem Sinne die Entwicklung beschreibend auch Wenger, Institutionen, S. 282 f. mwN; zur umfassenden Regulierungstätigkeit vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 519 ff. und Stürner, FS-Söllner, S. 1171, 1174 f. jeweils mwN. 104 Vgl. zu dieser Entwicklung Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 595 f.; ebenso Walter, freie Beweiswürdigung, S. 10; kritisch insoweit Simon, Justinianischer Zivilprozess, S. 375. 99 Vgl. 100
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bb) Beweismittel und Beweiswürdigung Als Beweismittel kam auch in nachklassischer Zeit jede Erkenntnismöglichkeit in Betracht, die den Richter von der Wahrheit bzw. Unwahrheit einer Tatsache überzeugen konnte. In der Regel wurde der Beweis mit den klassischen Beweismitteln in Form von Zeugen, Urkunden, Parteiaussagen, Augenschein und Sachverständigen geführt.105 Indes hat die gesetzliche Regelung des Beweisrechts sowohl in Bezug auf die Zulässigkeit von Beweismitteln als auch hinsichtlich ihrer Würdigung zahlreiche Veränderungen und Einschränkungen herbeigeführt. Die Zulässigkeit von einzelnen Beweismitteln wurde oftmals an strenge Voraussetzungen geknüpft und es entstanden Beweisregeln für die Würdigung von Beweismitteln.106 Die Urkunde hat den Zeugenbeweis in nachklassischer Zeit als wichtigstes Beweismittel abgelöst. Diese faktische Entwicklung hat mit dem Aufblühen des Beurkundungswesens im klassischen Kognitionsprozess ihren Anfang genommen. Sie wurde in nachklassischer Zeit durch die Einführung bestimmter Rechtsregeln verstärkt. Urkunden erhielten qua Gesetz eine erhöhte Beweiskraft gegenüber anderen Beweismitteln.107 Insoweit werden alle Urkunden diese Privilegierung genossen haben, allerdings hing die Qualifikation als Urkunde je nach Gattung von unterschiedlichen Voraussetzungen ab108: Protokolle waren Urkunden, die nur von einer dazu befugten Behörde errichtet werden konnten und dauernd die volle Beweiskraft für die zu beweisende Tatsache erbrachten, wobei ein Gegenbeweis möglich war.109 Eine weitere Gattung bildeten diejenigen Urkunden, die von einem beruflichen Urkundenschreiber (tabellio) verfasst wurden. Voraussetzung für die gerichtliche Anerkennung der Echtheit einer solchen Urkunde war jedoch das prozessuale Zeugnis des verfassenden Urkundenschreibers über Beurkundungsvorgang und Echtheit dieser Urkunde.110 Schlussendlich kannte der nachklassische Kognitionsprozess die privaten Urkunden (cautio nes, chirographa). Die Echtheit musste in einem impositio fidei genannten Prüfungsverfahren durch Zeugen und Schriftenvergleich nachgewiesen werden, wobei diese Beurteilung der Echtheit wohl noch der freien Beweiswürdigung des Gerichts Walter, freie Beweiswürdigung, S. 11 mwN. zu dieser Veränderung des Beweisrechts Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 595 ff.; zu den Einschränkungen der Beweiswürdigung durch den Richter siehe auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 11 ff. und Stürner, FS-Söllner, S. 1171, 1174 f. jeweils mwN. 107 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 600 ff.; zu dieser Entwicklung auch Stürner, FS-Söllner, S. 1171, 1174 f. jeweils mwN. 108 Vgl. wiederum Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 601 f. und Stürner, FS-Söllner, S. 1171, 1174 f. 109 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 601 unter Verweis auf die Digesten. 110 Vgl. zu dieser Art von Urkunde Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 601, der unter Verweis auf Primärquellen darauf hinweist, dass unter Justinian noch ein Eid des Urkundenschreibers erforderlich war. 105 Vgl. 106 Vgl.
24 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts unterlag.111 Allerdings galt unter Justinian auch hier die einschränkende Regel, dass eine Privaturkunde bei drei unterzeichnenden Zeugen der Urkunde eines tabellio gleichstand.112 Diese rechtlichen Privilegierungen von Urkunden gingen einher mit einer prozessualen Vorlagepflicht von Urkunden im Original durch ihren Besitzer und führten dazu, dass Urkunden in nachklassischer Zeit das vorherrschende Beweismittel wurden.113 Ihr lag die Vorstellung zugrunde, dass Urkunden als verfestigte Verkörperung von Gedanken nicht der Fehlerhaftigkeit des menschlichen Gedächtnisses unterliegen und daher eine höhere Richtigkeitsgewähr für sich in Anspruch nehmen könnten.114 Der Zeugenbeweis wurde in nachklassischer Zeit gleichfalls einem umfangreichen Regelwerk unterworfen. Allerdings hat dieses Beweismittel in dieser Zeit zunehmend seine Bedeutung im Zivilprozess zugunsten des Urkundenbeweises verloren.115 Zwar wurde der Zeugenbeweis unter Justinian durch eine allgemeine Zeugnispflicht aufgewertet.116 Allerdings unterlag der Zeugenbeweis im Laufe der Zeit weitreichenden Einschränkungen. Die Einschränkungen der Zeugnisfähigkeit setzten sich im Wesentlichen aus den früheren Prozessarten fort und wurden um Apostaten und Angehörige bestimmter Sekten ausgeweitet.117 Eine der entscheidendsten Einschränkungen erlebte der Zeugenbeweis unter Kaiser Konstantin im Jahr 334 n. Chr. mit der Regel „unus testis nullus testis“.118 Hiernach konnte ein Zeuge allein niemals genügen, um Beweis für eine Tatsache zu erbringen. Mithin war der Zeugenbeweis weitgehend entwertet, solange nur ein Zeuge vorhanden war. In speziell angeordneten Fällen gab es weitergehende Mindestzahlen an Zeu111 Zum Prüfungsverfahren siehe Walter, freie Beweiswürdigung, S. 203 f.; Die Zeugen konnten die Urkunde mitunterzeichnen und hierdurch bekräftigen, vgl. hierzu Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 601 f. 112 In diesem Sinne Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 601 f. mwN aus den Primärquellen. 113 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 602 ff., der zudem darauf hinweist, dass die prozessuale Bedeutung von Urkunden zu einem gewissen Gleichlauf im materiellen Recht durch das Aufkommen von Schriftformerfordernissen geführt hat; zur Bedeutung des Urkundenbeweises siehe Walter, freie Beweiswürdigung, S. 15 f. 114 So Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 600. 115 Siehe zu dieser Entwicklung Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 599 ff. mwN aus den Primärquellen. 116 Vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 605 f. auch zu den Ausnahmen von Privilegierungen aufgrund gesellschaftlicher Stellung. 117 Insgesamt zur Zeugnisunfähigkeit ausführlich Simon, Justinianischer Zivilprozess, S. 232 ff.; vgl. auch Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 605 f., auch zu der Zeugnisunfähigkeit von Juden und Häretikern gegenüber Christen, nicht aber im Prozess mit Angehörigen des eigenen Glaubens. 118 So Walter, freie Beweiswürdigung, S. 15 unter Verweis auf die Primärquellen; ebenso Ka ser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 605, Fn. 60; vgl. ausführlich auch Simon, Justinianischer Zivilprozess, S. 248 ff.
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gen für einen Beweisantritt.119 Zudem veränderte sich die rechtliche Wertigkeit des Zeugenbeweises. Die rechtliche Gleichwertigkeit aller Beweismittel war noch unter Konstantin anerkannt, während unter Justinian auch diese Gleichwertigkeit verändert wurde. Der Zeugenbeweis hatte hiernach eine gegenüber Urkunden geringere Beweiskraft.120 Als Begründung für diese Schwächung des Zeugenbeweises wird auf einen allgemeinen Rückgang von Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit verwiesen, ebenso wie auf eine Vulgarisierung des Rechts insgesamt.121 Der Beweis durch Sachverständige wie auch durch Augenschein spielte weiterhin eine eher untergeordnete Rolle im Zivilprozess. Hinzu trat lediglich der Schriftensachverständige, zwecks Schriftenvergleich und Feststellung der Echtheit einer Urkunde.122 Eine praktische Relevanz dieser beiden Beweismittel im Vergleich zu Zeugen, Urkunden und Parteiaussagen ist jedoch nicht zu konstatieren.123 Von Bedeutung waren jedoch Parteiaussagen und Parteieide. Die Veränderungen des Prozesses zeigten sich auch bei diesem Beweismittel. So wurde die Befragung einer Partei im Rahmen ihrer Aussage nicht mehr durch die jeweils andere Partei, sondern durch das Gericht vorgenommen.124 Die Eide unterteilte Kaiser Konstantin in den notwendigen, freiwilligen und richterlichen Eid, die nun nicht mehr auf spezielle Ansprüche beschränkt waren.125 Allerdings unterlag die Eidesleistung umfangreichen Zulässigkeitsvoraussetzungen und wurde als letzte Beweismöglichkeit angesehen.126 Eine zentrale Veränderung bestand in der Wirkung der Eidesleistung. Der Prozess wurde nun nicht mehr formal durch den Eid beendet und das Urteil nicht durch den Eid ersetzt. Allerdings galt das Eidesthema wohl formal als bewiesen, so dass der Eid gleichsam den Inhalt des Urteils selbst bestimmte.127
Vgl. zu diesen Fällen Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 606, beispielsweise mit dem Fall einer durch Urkunde bewiesenen Schuld, bei dem zwecks Führung eines Gegenbeweises eine Mindestzahl von fünf Zeugen erforderlich war. 120 Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 605. 121 So insbesondere zur Ehrlichkeit der Gesellschaft Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 605. 122 Vgl. Wenger, Institutionen, S. 285. 123 So auch Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 607 unter Verweis auf S. 369. 124 Vgl. zu Bedeutung und Ablauf insgesamt Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 599 f. 125 Zu dieser Unterteilung Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 590 f. 126 So Simon, Justinianischer Zivilprozess, S. 351 zur Bedeutung des Eides und S. 323 ff.; ähnlich Wenger, Institutionen, S. 287 f. 127 Zum Verfahren der Eidesleistung und seiner Wirkung vgl. Wenger, Institutionen, S. 286 ff.; ausführlich mit Verweis auf die Primärquellen auch Simon, Justinianischer Zivilprozess, S. 315 ff. und insbesondere S. 343 f. 119
26 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
II. Der Zivilprozess im germanischen Recht von der Frühzeit bis zum Mittelalter Eine Darstellung des germanischen Rechts sieht sich insbesondere für die Frühzeit mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. So ist für die Frühzeit bis hin zur Völkerwanderung äußerst fraglich, ob zwischen den einzelnen Stämmen überhaupt ein solches Maß an Homogenität und innerer Bindung bestand, dass von „den Germanen“ gesprochen werden könnte.128 Allerdings soll es an dieser Stelle der Einfachheit halber genügen, „Germanen“ im geographischen und sprachlichen Sinne zu verstehen als Bewohner Mitteleuropas und Skandinaviens mit einer gemeinsamen indogermanischen Sprachgruppe.129 Ein weiteres Problem ist in den Zeitabschnitten zu sehen, in denen dem germanischen Recht pikanterweise besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde: Zunächst im 19. Jahrhundert unter Gleichsetzung der Begriffe „germanisch“ und „deutsch“ und sodann in der Zeit des Nationalsozialismus.130 Daher müssen Forschungen aus dieser Zeit – soweit überhaupt verwendbar – einem besonders kritischen Blick unterzogen werden. Gerade diesen Problempunkt gilt es bei der Darstellung des germanischen Prozessrechts zu beachten und stets im Hinterkopf zu behalten. Schließlich wird eine Darstellung dadurch erschwert, dass schriftliche Primärquellen und Überlieferungen erst mit den Rechtssammlungen der Germanenreiche (insbesondere in früherer Zeit als leges barbarorum definiert) in der Zeit der Völkerwanderung ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. aufkamen. Für die Frühzeit der Germanen fehlt es an solchen Quellen. Vielmehr wird allein auf archäologische Quellen, schriftliche Zeugnisse römischer Gelehrter und Rückschlüsse vom späteren auf das frühere Recht zurückgegriffen.131 Allerdings ist gerade dieser Rückschluss von den leges auf das ursprüngliche germanische Recht insoweit fraglich geworden, als ein Einfluss des römischen Rechts auf diese leges nachgewiesen wurde.132 Aufgrund dieser schwierigen Quellenlage für die Frühzeit soll der Zeitabschnitt bis einschließlich der leges im Folgenden einheitlich abgehandelt werden. 128 Vgl. zu diesem Problem beispielsweise Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 102 f.: eingehend zu dieser Frage Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 27 f. und Kroeschell, Studien, S. 81 ff. 129 In diesem Sinne zusammenfassend auch Hähnchen, Rechtsgeschichte; diese Problematik nur kurz erwähnend Walter, freie Beweiswürdigung, S. 41 mwN. 130 Auf diese Problematik weist insbesondere Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 105 hin. 131 Vgl. zu diesem Problem Kroeschell, Studien, S. 68 ff.; ähnlich Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 105 ff. jeweils unter Verweis auf die Beschreibung der Germanen durch Tacitus und die Probleme der Deutung dieser Quelle aufgrund der politischen Hintergründe von Tacitus Schrift; Eine Rekonstruktion älteren Rechts aus jüngeren Quellen hat beispielsweise v. Amira, Grundriss, versucht, insb. S. 6 ff. zu seiner Methode. 132 So in neuerer Zeit beispielsweise Kroeschell, Rechtsgeschichte I, S. 50 ff. unter Verweis auf die Forschung von Ernst Levy, Weströmisches Vulgarrecht; ähnlich Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 19 ff. und Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 108 ff.
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Zum einen wird man zumindest einige, vorsichtige Rückschlüsse aus den leges ziehen könne, zum anderen lassen sich so zumindest für die spätere Zeit gesichertere Erkenntnisse festhalten.
1. Der Zivilprozess im germanischen Recht von der Frühzeit bis zu den leges a) Ablauf und Verfahrensgrundsätze Die Gerichtsbarkeit in der Frühzeit der Germanen wurde durch eine Gerichtsversammlung aller wehrfähigen Männer eines Stammes ausgeübt, das sog. Ding.133 Diese Versammlung fand grundsätzlich an bestimmten Tagen zu bestimmten Zeiten statt (sog. echtes Ding).134 Zudem wurde die Verhandlung an einem ganz bestimmten Ort – der Dingstätte – abgehalten, die in dieser Frühzeit wohl stets im Freien lag. Es handelte sich in aller Regel um einen besonders herausgehobenen Ort – etwa einen Hügel, ein Menhir oder eine ringförmige Baumgruppe – der für den Stamm oft auch eine Kultstätte darstellte und zudem vor dem Abhalten des Gerichts durch einen Geistlichen besonders geweiht wurde.135 Den Vorsitz des Gerichtes hatte der Richter inne, bei dem es sich um einen Fürsten bzw. Häuptling des Stammes gehandelt haben wird.136 Allerdings wurde der Streit bei diesem Gerichtsverfahren primär zwischen den Parteien selbst geführt und durch die Gemeinschaft lediglich in geregelte Bahnen gelenkt. Aus dieser Fixierung auf die Parteien lässt sich schließen, dass dem Richter allenfalls eine formelle Verhandlungsleitung zukam.137 Dieser Charakter des Prozesses als ein „Kampf der Parteien“138 führte zum Erfordernis der Anwesenheit beider Parteien, blieb der Beklagte dem Prozess fern, so konnte derselbe nicht beginnen.139 Der Beklagte musste im Vorhinein privat durch 133 Vgl. v. Amira, Grundriss, S. 251 f.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 44 f.; vgl. auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 209 mwN; zur Entwicklung des Wortes „Ding“, siehe Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 75 f. 134 Vgl. v. Amira, Grundriss, S. 251 ff.; ebenso Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 44 f. jeweils unter Verweis auf die Möglichkeit ein solches Ding auch außerhalb dieser Zeiten einzuberufen, sog. gebotenes Ding. 135 Vgl. zu diesen Gerichtsorten eingehend Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 63 ff.; vgl. auch v. Amira, Grundriss, S. 252 f. unter Darstellung der seinerzeitigen Terminologie für diesen Gerichtsort. 136 Vgl. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 45; ausführlich Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 65 f.; zur terminologischen Unterscheidung zwischen Fürst und Häuptling anhand der Übersetzung der Quelle von Tacitus, vgl. Gmür/Roth, Grundriss der Rechtsgeschichte, S. 14 ff. 137 Vgl. schon v. Amira, Grundriss, S. 264 f.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 45. 138 In diesem Sinne bereits v. Amira, Grundriss, S. 264; ebenso Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 45. 139 Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 44.
28 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts den Kläger geladen werden und vor dem Ding erscheinen.140 Sobald beide Parteien anwesend waren mussten sie sich zunächst dem Gericht durch ein sog. Streitgedinge unterwerfen.141 Problematisch erscheint, inwieweit der Beklagte in der Frühzeit verpflichtet war, dieser Ladung Folge zu leisten, mithin eine Dingpflicht bestand.142 Teilweise wird aus den späteren, expliziten Regelungen in den leges geschlossen, dass eine Dingpflicht nur sehr eingeschränkt bestanden haben kann.143 Oftmals wird jedoch bereits für die Frühzeit angenommen, dass der unentschuldigt nicht erschienene Beklagte als Rechtsfolge seines Fehlens der Friedlosigkeit anheimfiel.144 In Anbetracht des Umstandes, dass der gesamte Stamm sich zum Zwecke des Gerichtsverfahrens versammelt hatte, erscheint ein solcher Ausschluss desjenigen, der durch sein Nichterscheinen diese Versammlung missachtete, die naheliegendere Sanktion gewesen zu sein. Der eigentliche Prozess begann mit der Klageerhebung in feierlicher Form durch den Kläger vor dem Richter.145 Der Beklagte konnte die Klage entweder anerkennen oder bestreiten. Im Falle des Anerkenntnisses wurde der Beklagte der Klage gemäß verurteilt.146 Bestritt der Beklagte die Klage, so erging ein sog. zweizüngiges Urteil: Es wurde festgelegt, welche Tatsachen des Beweises bedurften und es wurde die jeweilige Rechtsfolge für den Fall des Gelingens bzw. Scheiterns dieses Beweises ausgesprochen.147 Diese Urteilsfindung und die Urteilsverkündung unterlagen im germanischen Prozess wohl einer Zweiteilung.148 Der Richter wurde beraten durch sog. Urteilsfinder, denen die Aufgabe oblag, einen Urteilsvorschlag herauszuarbeiten, ohne jedoch die Autorität zu haben, diesem Vorschlag auch zur Wirksamkeit zu verhelfen.149 Dieser Urteilvorschlag bedurfte vielmehr der Billigung durch die geVgl. zur privaten Ladung v. Amira, Grundriss, S. 264 f. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 44 unter Hinweis auf die Ähnlichkeit dieses Unterwerfungsaktes zur litis contestatio im klassischen römischen Prozess. 142 Ausführlich zu dieser Fragestellung Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 61 ff. 143 In diesem Sinne Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 61 ff., allerdings auch unter Nennung einer Textstelle der Lex Salica (c. 1, 1), die eine ebensolche Dingpflicht vorgesehen hat. 144 So Mitteis/Liebreich, Rechtsgeschichte, S. 44; Ebenso Gmür/Roth, Rechtsgeschichte, S. 32; ebenso schon v. Amira, S. 264 f. und S. 237 ff. mit der Beschreibung der Friedlosigkeit als Ausschluss aus dem Stamm und damit dem Verlust jeglichen Schutzes. 145 Vgl. Mitteis/Liebreich, Rechtsgeschichte, S. 45; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 209 f. mwN. 146 Vgl. Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 210 mwN. 147 Zu diesem Urteilsspruch siehe beispielsweise Kroeschell, Rechtsgeschichte, S. 40; Schrö der/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f. vgl. auch Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 481 f. der davon ausgeht, dass diese Urteile in nördlicheren Teilgebieten nicht vorkamen. 148 Vgl. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 45; ähnlich schon v. Amira, Grundriss, S. 255 f.; zurückhaltender mit Blick auf die schwache Quellenlage Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 203 ff. 149 Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 45; zu einzelnen Stämmen vgl. Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 203 ff. 140
141 Vgl.
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samte anwesende Gemeinschaft. Im Falle dieser Billigung wurde das Urteil durch den Richter verkündet und erlangte aufgrund der Verkündung durch die richterliche Autorität seine Wirksamkeit.150 Der germanische Prozess in der Frühzeit wurde in sehr weitem Umfang von den Parteien getragen, es galten nach unserem heutigen Verständnis eine strenge Dispositionsmaxime und der Parteibetrieb.151 Zudem lässt sich aus dieser Ausrichtung auf die Parteien schließen, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs gegenüber der jeweils anderen Partei zwingender Bestandteil des Prozesses gewesen sein wird.152 Die Öffentlichkeit des Prozesses wurde durch das Tagen an einem Ort und das Anwesenheits- und Zustimmungserfordernis des Urteilsvorschlages gleichfalls in sehr weitem Umfang gewährleistet.153 Prägendstes Merkmal dieses germanischen Prozesses in der Frühzeit war jedoch sein überaus strenger Formalismus.154 Kläger wie Beklagter mussten ihre Klageerhebung und -erwiderung Wort für Wort aufsagen, wobei bereits ein Versprecher oder Stotterer zum Prozessverlust führte.155 Hieraus lässt sich zugleich ein strenger Mündlichkeitsgrundsatz ableiten.156 Dieser Formalismus ist typisch für eine frühe Rechtskultur und zeigt die starke Verbindung eines solchen Prozesses, wie auch des Rechts insgesamt, mit sakralen Elementen.157 Allein die höheren Mächte konnten nach dieser Vorstellung Recht erzeugen und deren Anrufung hing von der Einhaltung der bestimmten, kultischen Form ab, so dass allein der formal richtige Vollzug einer Handlung Rechtswirkungen zeitigte.158 b) Beweisrecht Dieser Formalismus hat den gesamten Prozess in der Frühzeit durchzogen und sich daher auch im Beweisrecht niedergeschlagen. 150 Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 45; Jeder anwesende Teilnehmer des Dings hatte wohl die Möglichkeit den Urteilsvorschlag zu „schelten“, sich also gegen diesen Vorschlag auszusprechen, was zugleich den Vorwurf der bewussten Rechtsbeugung beinhaltete. In der Folge musste der Scheltende selbst einen Vorschlag unterbreiten, der wiederum der Zustimmung aller Anwesenden bedurfte, vgl. zur Urteilsschelte v. Amira, Grundriss, S. 255 f.; in neuerer Zeit Mitteis/ Liebreich, Rechtsgeschichte, S. 46. 151 Vgl. v. Amira, Grundriss, S. 264 f.; Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 252. 152 In diese Richtung auch Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 44 f.; v. Amira, Grundriss, S. 264 f. 153 Vgl. Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 252; v. Amira, Grundriss, S. 266 f. 154 So auch Mitteis/Liederich, Rechtsgeschichte, S. 45; v. Amira, Grundriss, S. 266 f.; Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 252 f.; ausführlich Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 71 ff. 155 So Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 72; ähnlich schon Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 90 f. und Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 45, die jeweils von einer sog. Prozessgefahr (vare) bei prozessualen Handlungen gesprochen haben. 156 Vgl. v. Amira, Grundriss, S. 266 f. 157 Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 71. 158 Ähnlich wiederum Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 71.
30 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts aa) Grundlagen und Ziel des Beweises Allgemein wurde auch das Beweisrecht von den Parteien beherrschten. Sie hatten selbst Beweis anzutreten und zu erbringen.159 Aufgrund des Erlasses zweizüngiger Urteile war es sogar möglich, das anschließende Beweisverfahren außerhalb des Gerichtsprozesses stattfinden zu lassen.160 Zum näheren Verständnis des Beweisrechts dieser Zeit muss man sich vor Augen führen, dass eine Anklage nicht allein den Streit „in der Sache“ beinhaltete, sondern stets zugleich ein Unwerturteil über eine Person darstellte.161 Dieser prozessuale Streit auf einer persönlichen Ebene macht die Besonderheiten des germanischen Beweisrechts zumindest verständlicher. Ein Beweis hatte – anders als im heutigen Prozess – nicht die Wahrheitsfindung iSd Aufklärung des wahren Sachverhaltes zum Ziel. Vielmehr ging es um den Nachweis bzw. die Wiederherstellung und Reinigung der Ehre des Beklagten durch Beweis.162 Aufgrund dieser Zielsetzung war das Beweisrecht rein formal ausgestaltet.163 Sobald die beweisbelastete Partei die bestimmte Form des Beweismittels einhielt, galt der Beweis als erbracht.164 Durch den Beweis wurde nicht lediglich die Tatsachenbasis für die spätere Rechtsfindung ermittelt. Vielmehr wurde durch den formgerechten Beweis seinerseits die Wahrheit im konkreten Fall (neu) erschaffen.165 Die Möglichkeit eines Gegenbeweises war aufgrund dieser „Erschaffung“ der Wahrheit durch Beweis wie auch durch die Zielsetzung dieses formalen Beweisrechts gerade ausgeschlossen.166 bb) Beweismittel und Beweiswürdigung Die Beweismittel im germanischen Prozess der Frühzeit orientierten sich am Ziel des Beweises. Die Beweismittel hatten daher nach heutigem Verständnis größtenteils irrationalen Charakter, da sie gerade nicht auf die Wahrheitsfindung ausgelegt
159 Vgl. bereits Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f.; v. Amira, Grundriss, S. 269; Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 256 f. 160 Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 256 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 210 mwN; vgl. auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 41 f., der aufgrund des außergerichtlichen Charakters nur einschränkend von einer Beweisaufnahme im heutigen Sinne spricht. 161 Ausführlich zu diesem Punkt v. Bethmann-Hollweg, germanischer Zivilprozess I, S. 24 ff. 162 Vgl. schon v. Amira, Grundriss, S. 269; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f.; ebenso in neuerer Zeit Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 46 f. 163 Vgl. Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 256 f.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f.; v. Amira, Grundriss, S. 269 f.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 46 f. 164 Vgl. Brunner, Schwurgerichte, S. 48 ff.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 210 mwN. 165 Vgl. Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 71 f. zum Verhältnis von Form und Recht in frühen Rechtskulturen. 166 V. Amira, Grundriss, S. 269; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 211 mwN.
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waren.167 Primäres Beweismittel in diesem Prozess war der Eid.168 Es handelte sich um eine bedingte Selbstverfluchung für den Fall, dass die eigene Aussage nicht der Wahrheit entsprach. Er wurde in der Regel durch ein formelhaftes, exakt festgelegtes Reden geleistet.169 Zudem war eine Eidesfähigkeit erforderlich, die bei bestimmten Personengruppen170 fehlen konnte, ebenso wie bei Personen, die eines vorherigen Meineides überführt waren.171 Oftmals genügte diese Eidesleistung alleine jedoch nicht den formalen Beweisanforderungen. Vielmehr war als weiteres Korrektiv die Bekräftigung des Eides durch sog. Eidhelfer erforderlich, deren Zahl je nach Bedeutung der Rechtssache variierte.172 Die Eidhelfer leisteten ihren Schwur nicht über das eigentliche Beweisthema. Sie hatten allein die Aufgabe, die Ehre und damit den Wert des Eides des „Hauptschwörenden“ zu bekräftigen, indem sie beschworen, dass sein Eid „rein und nicht mein“ sei.173 Teilweise wird als weiteres Korrektiv vertreten, dass ein solcher Eid ausgeschlossen war, wenn sich das Gericht entweder durch Augenschein von der Unwahrheit der zu beeidenden Behauptung überzeugen konnte oder das Gericht in der Vergangenheit bereits nachweislich anders entschieden hatte.174 Sobald dieser Eid unter Einhaltung der genannten Anforderungen geleistet wurde, galt der Beweis formal als erbracht, ohne die Möglichkeit eines Gegenbeweises.175 Der Beweisgegner hatte in diesem Fall lediglich die Möglichkeit, den Eid zu „schelten“. Eine solche Eidesschelte bedeutete den Vorwurf größter Ehrlosigkeit und führte in der Regel zu einer Entscheidung durch einen Zweikampf der Parteien, auch in Ermangelung anderer Beweismittel.176 Alternativ wird teilweise
167 Vgl. Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 256 f.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 211 mwN. 168 V. Amira, Grundriss, S. 269 ff.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 47; siehe auch Stür ner, FS-Söllner, S. 1171, 1175 ff. jeweils mwN. 169 So z. B. Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 257 ff.; vgl. zur terminologischen Herkunft des „Schwörens“ auch v. Amira, Grundriss, S. 269 ff. und Nottarp, Gottesurteilsstudien, S. 19 ff. 170 Eidesunfähig waren wohl Minderjährige, Frauen und Unfreie, vgl. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 47; Musielak, Grundlagen der Beweislast, mwN. 171 Vgl. Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 527 f.; eine gleichlautende Regelung hat sich bis in die heutige Zeit in § 452 IV ZPO erhalten. 172 Vgl. bereits Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 93; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 47. 173 Vgl. v. Amira, Grundriss, S. 270 ff.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 93; Mitteis/ Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 47. 174 Diese Durchbrechung des formalen Beweisrechts in den Fällen von evidenter Unwahrheit bzw. Präjudizialität vertritt v. Bethmann-Hollweg, germanischer Zivilprozess I, S. 33 f.; ähnlich v. Amira, Grundriss, S. 274. 175 Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 256 ff.; zur rechtsgestaltenden Wirkung des Eides auch Hat tenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 68 f. 176 Vgl. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 47; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 213; differenzierend Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 263 ff.
32 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts auch ein Gottesurteil als subsidiäre Möglichkeit des Streitentscheides in Betracht gekommen sein.177 Als weiteres Beweismittel kam der Beweis durch Zeugen in Betracht.178 Der Zeugenbeweis ist nach heutigem Verständnis ein rationales Beweismittel, zielt er doch auf die Aussage des Zeugen über seine eigenen Erlebnisse und Wahrnehmungen ab.179 Allerdings wurde dieser rationale Charakter im germanischen Prozess durch verschiedene Einschränkungen und Besonderheiten stark in Zweifel gezogen. So kamen als Zeugen ausschließlich Personen in Betracht, die entweder bei einem Geschäft zu eben diesem Zwecke hinzugezogen worden (sog. erwählte Zeugen)180 oder Personen aus dem näheren Umfeld des Beweispflichtigen waren, insbesondere Nachbarn oder Verwandten.181 Zufallszeugen iSv Personen, die in keiner Beziehung zum Beweispflichtigen standen, sondern lediglich zufällig relevante Eindrücke über das Beweisthema erlangt hatten, waren hiernach gerade ausgeschlossen.182 Eine weitere Einschränkung galt für die eigentliche Aussage: Zeugen beschworen unter Eid die Aussage des Beweispflichtigen Wort für Wort. Eine eigene Darstellung des Sachverhaltes war hiernach ausgeschlossen und die Frage, wie der Zeuge sein Wissen erlangt hat, irrelevant.183 Mithin unterschied sich der Zeuge vom Eidhelfer allein dahingehend, dass er formal die Aussage des Beweispflichtigen und nicht dessen Ehre beschwor.184 Eine Zeugenaussage war gegenüber dem Eid vorrangig und erbrachte formal den Beweis für die fragliche Tatsache.185 Die Aussage konnte wie der Parteieid mit der Folge eines gerichtlichen Zweikampfes gescholten werden.186
177 Insoweit ist streitig, ob es sich bei einem Zweikampf nicht bereits um ein Gottesurteil gehandelt haben kann, vgl. Nottarp, Gottesurteilsstudien, S. 17 ff. unter Verweis auf die „Edda“, in der die Vorstellung eines göttlich gelenkten Zweikampfes zum Ausdruck kommt; vgl. auch Brun ner, Rechtsgeschichte I, S. 263 ff. mwN. 178 Vgl. v. Amira, Grundriss, S. 273 f.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 48; ähnlich auch Stürner, FS-Söllner, S. 1171, 1176 f.; für die Frühzeit an der Zulässigkeit des Zeugenbeweises zweifelnd demgegenüber Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 214. 179 Vgl. etwa MüKo-Damrau, ZPO II, § 373 Rn. 2 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 11 f. 180 Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 256; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 213 ff. mwN. 181 Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 213. 182 Vgl. bereits Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f.; zu den Gründen dieses Ausschlusses ausführlich Meyer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 278 ff. und Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 214 f. 183 Siehe v. Amira, Grundriss, S. 273 f.; Ruth, Zeugen und Eideshelfer, S. 5 f. 184 Ausführlich zu dieser Unterscheidung Ruth, Zeugen und Eidhelfer, S. 1 ff. 185 So bereits Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 214 jeweils mwN. 186 Vgl. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 48; Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 558 f.
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Die weiteren Beweismittel im germanischen Prozess waren der gerichtliche Zweikampf und das Gottesurteil.187 Ein gerichtlicher Zweikampf ermöglichte es, eine Entscheidung herbeizuführen, wenn die sehr begrenzt zugelassenen, formalen Beweismittel eine solche Entscheidung nicht ermöglichten. Wenn also keine Zeugen vorhanden waren bzw. diese Aussage oder ein Eid gescholten wurde, so verblieben als Entscheidungsmöglichkeiten lediglich das Gottesurteil oder der Zweikampf.188 Aufgrund der vorangegangenen Eidesschelte als Infragestellung der Ehre des Schwörenden erscheint der Zweikampf als die naheliegende Konsequenz.189 Ein solcher Zweikampf war zudem nur unter gesellschaftlich Gleichgestellten möglich und erbrachte eine unmittelbare Entscheidung.190 Der Zweikampf hatte sicherlich zumindest in seiner Frühzeit ein religiöses Element dahingehend, dass die Götter denjenigen unterstützen würden, der für eine gerechte Sache eintrat. Letztlich handelte es sich jedoch schlicht um eine Form der Selbsthilfe, die durch die anwesende Gemeinschaft gewissen Regelungen unterworfen und auf die kämpfenden Personen reduziert wurde.191 Gottesurteile kamen bereits seit der Frühzeit im germanischen Prozess vor und hatten die Bedeutung einer subsidiären Form der Entscheidung, wenn keine andere Entscheidungsmöglichkeit verblieb.192 Denkbar wäre ein solches Gottesurteil etwa, wenn es an Zeugen fehlte, ein Eid in Ermangelung der Eidesfähigkeit oder genügender Eidhelfer nicht in Betracht kam und auch ein Zweikampf an der fehlenden Gleichwertigkeit der gesellschaftlichen Stellung scheiterte.193 Gottesurteile kamen in zahlreichen Formen vor. So gab es den verbreitet den Kesselfang, das Tragen glühender Eisen oder auch die Wasserprobe.194 Es wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, dass derartige Gottesurteile oftmals denjenigen Begünstigten, der ruhig und konzentriert an diese Probe herangehen konnte. Daraus ließe sich auf eine primitive Form gesetzlicher Beweisregeln anhand von einfachsten typisierten Wahr187 Siehe Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 93 f.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 47 f. 188 Vgl. Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 48; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 44 mwN. 189 Vgl. zur Bedeutung der Eidesschelte Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 29 f. 190 In diesem Sinne Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 94 f. und Walter, freie Beweiswürdigung, S. 44. 191 So auch Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 48; ähnlich schon Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, der davon ausgeht, dass sich der gerichtliche Zweikampf aus dem stellvertretenden Zweikampf von Kriegern verschiedener Heeren zur Entscheidung einer Schlacht entwickelt hat. 192 Siehe Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 47; Nottarp, Gottesurteilsstudien, S. 21; zum Verhältnis von Gottesurteil zu gerichtlichem Zweikampf siehe Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 213 mwN. 193 Vgl. Nottarp, Gottesurteilsstudien, S. 21; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 215 f. 194 Ausführlich zu dieser Thematik und mit weiteren Beispielen Nottarp, Gottesurteilsstudien, S. 15 ff. und 213 ff.
34 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts scheinlichkeitsrechnungen denken.195 Indes entschied bei den allermeisten Gottesurteilen wohl schlicht der Zufall über ihren Ausgang. So lassen sich Verbrennungen durch glühende Eisen oder kochendes Wasser auch bei noch so hohem Konzentrationsaufwand nicht vermeiden. Daher sind die Gottesurteile zwar durch die transzendental-religiösen Vorstellungen archaischer Gesellschaften erklärlich196, für diese Untersuchung soll es indes bei dieser kurzen Darstellung verbleiben. Eine Beweiswürdigung durch das Gericht war in diesem Prozess nicht existent und – aufgrund der formalen Natur des Beweisrechts – insoweit auch nicht erforderlich.197 Die Parteien erbrachten einander den Beweis und gerade nicht gegenüber dem Gericht.198 Außerdem erbrachte allein die Einhaltung der vorgeschriebenen Form den Beweis, ohne die Möglichkeit der Führung eines Gegenbeweises, so dass es schlicht nichts gab, was einer gerichtlichen Würdigung bedurft hätte.199 cc) Beweisführung Eine weitere Besonderheit des germanischen Prozesses war die Berechtigung zur Beweisführung. Nach heutigem Verständnis muss jede Partei grundsätzlich den Beweis der für sie günstigen Tatsachen führen, mithin muss der Kläger regelmäßig im ersten Schritt die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen.200 Im germanischen Recht oblag die Beweisführung indes regelmäßig dem Beklagten.201 Diese Regelung ist im Zusammenhang mit dem Verständnis einer Klage als persönlichem Angriff auf die Ehre des Beklagten zu sehen. Hiernach war es ein Zugeständnis an den Beklagten, sich dieses Vorwurfes unmittelbar erwehren zu dürfen, ohne auf das Gelingen der Begründung dieser Klage warten zu müssen.202 Zudem war das Recht zur Beweisführung insoweit günstig für den Beklagten, als ein Gegenbeweis in diesem frühzeitlichen Prozess aufgrund des formalen Beweisrechts nicht zugelassen wur-
195 In diese Richtung Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 217, der darauf hinweist, dass die Gottesurteile derart ausgestaltet gewesen seien, dass der ruhige, von seiner gerechten Sache Überzeugte eher obsiegen konnte; ähnlich auch Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 69 ff. 196 Ausführlicher dazu Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 68 ff. 197 So auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 42. 198 Vgl. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 42 199 Siehe wiederum Walter, freie Beweiswürdigung, S. 42. 200 Vgl. zu diesem Grundsatz etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 110 ff. und Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 115, Rn. 9 ff. jeweils mwN. 201 Vgl. bereits Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 92 f.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 46; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 217 ff. mwN und den Ausnahmen des Zeugenbeweises durch den Kläger sowie das sog. Handhaftverfahren. 202 In diese Richtung v. Bethmann-Hollweg, germanischer Zivilprozess I, S. 28 f. unter Verweis auf die Lex Salica und das Edictus Rothari; ähnlich v. Amira, Grundriss, S. 273, der sogar von einer Pflicht zum Vorgehen gegen den Vorwurf einer Klage spricht.
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de.203 Daher lässt sich erahnen, dass die Germanen in diesem Prozess ihre ganz eigene Interpretation eines „Rechts auf Beweis“ dahingehend verfolgten, dass einer bestimmten Partei einseitig das Recht zur Beweisführung zugestanden wurden.204
2. Der Zivilprozess im Frankenreich des frühen Mittelalters Der Zivilprozess richtete sich auch im Frankenreich lange Zeit nach den leges.205 Gewisse Veränderungen ergaben sich aus der Christianisierung der Franken durch die Taufe König Chlodwigs I um das Jahr 500 n. Chr.206 Allerdings betrafen diese Veränderungen in erster Linie die Anpassung der Eidesformel und der Gottesurteile an die christliche Religion.207 Erst unter Karl dem Großen fand im Zeitraum zwischen 770 und 780 n. Chr. eine Reform des Gerichtswesens statt, die einige grundlegende prozessuale Veränderungen mit sich brachte.208 a) Ablauf und Verfahrensgrundsätze Die amtliche Ladung durch den Richter (bannitio) wurde gegenüber der Privatladung durch den Kläger (mannitio) zum Regelfall.209 Außerdem erfuhr das Gerichtswesen eine gewisse Abkehr von der Streitentscheidung durch den gesamten Stamm hin zu einer Spezialisierung der Rechtsfindung und Reduzierung der Zahl der Urteilenden. So wurde die Dingpflicht aller Mitglieder eines Stammes auf das echte Ding und damit einige wenige Termine im Jahr beschränkt.210 Zugleich wurden die bisherigen Urteilsfinder (Rachinburgen) durch sog. scabini ersetzt, die als ständige Ur203 Für einen Vorzug der Rolle des Beweisführenden ist etwa v. Bethmann-Hollweg, germanische Rechtsgeschichte I, S. 28 f.; Beyerle, Entwicklungsproblem, S. 416 f.; gegen diese Ansicht spricht sich Meyer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 35 ff. aus; ausführliche Nachweise zu dieser Diskussion finden sich bei Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 218 ff. 204 In diesem Zusammenhang spricht v. Bethmann-Hollweg, germanischer Zivilprozess I auf S. 36 von einem „Recht zum Beweis“. 205 Älteste und wohl primäre fränkische Rechtsquelle war die Lex Salica, allerdings gab es zahlreiche weitere leges der einzelnen Stämme im fränkischen Reich, so beispielsweise die Lex Ribuaria, die Lex Bajuvariorum, die Lex Alamannorum, die Lex Saxonum und die Lex Francorum Chamavorum, vgl. insgesamt Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 131 ff. 206 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 121; ausführlich zur Geschichte der Taufe König Chlodwigs I Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 159 ff. 207 Vgl. etwa Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 101 f.; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 146 f.; ausführlich bereits Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 439 f. 208 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 141 ff.; Planitz-Eckhard, deutsche Rechtsgeschichte, S. 104, jeweils auch zum Umfang der Umsetzung dieser Reform bei den einzelnen Stämmen im fränkischen Reich. 209 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 146 und Schröder/ v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 390 f. mwN. 210 Vgl. bereits Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 296 ff.; Planitz-Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 104.
36 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts teilsfinder fungierten und daher auf Lebenszeit ernannt waren, so dass eine gewisse Professionalisierung der Urteilsfindung eingetreten ist.211 Das gebotene Ding fand wohl mindestens alle 14 Tage statt. Allerdings waren zur Teilnahme lediglich der Graf als Gerichtsherr und Leiter des Prozesses sowie die scabini als Urteilsfinder verpflichtet.212 Dieses gebotene Ding war allein für kleinere, alltägliche Streitigkeiten zuständig, während die Beurteilung bedeutender Straf- und Zivilsachen der gesamten Gemeinschaft in einem echten Ding oblag.213 Mithin führte das Erstarken der königlichen Zentralgewalt in fränkischer Zeit auch im Gerichtswesen zu einem verstärkten Einfluss, der sich in der Dingpflicht, der amtlichen Ladung sowie der stärkeren Stellung des Gerichts insgesamt zeigte.214 Insoweit lief die Entwicklung bei Erstarken der staatlichen Gewalt parallel zum römischen Recht von einer privaten Streitentscheidung der Parteien hin zu einem staatlich beherrschten Zivilprozess. b) Beweisrecht Im Beweisrecht wurde die formale Erbringung des Beweises grundsätzlich ebenso beibehalten wie die Formstrenge.215 Allerdings machte sich auch in diesem Teilbereich des Prozesses der stärkere staatliche Einfluss bemerkbar. So wurden Zeugen und Eidhelfer nun durch den Richter zum Prozess geladen.216 Zudem erfuhren die Beweismittel einige Veränderungen, die gewisse Einschränkungen des formalen Beweises hin zur Erforschung des tatsächlichen Sachverhaltes erkennen ließen.217 So war es nicht länger alleinige Sache des beweisbelasteten Schwörenden, die Eidhelfer für das Gelingen seines Eides auszuwählen. Vielmehr wurde dem Beweisgegner ein Einfluss auf die Auswahl der Eidhelfer eingeräumt, der bis zum Recht der hälftigen Auswahl der Eidhelfer reichte.218 Hinzu kam, dass die Eidhelfer nun wohl nicht mehr gleichzeitig „mit einem Munde“, sondern vielmehr einzeln nach211 Aus diesem Begriff der scabini entwickelten sich die heute noch bekannten Schöffen, vgl. zu Terminologie, Berufung und Aufgabe der scabini, Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 141 f.; in Kürze auch Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 111 f. 212 Siehe Planitz-Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 104; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 141 f. 213 So etwa Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 142. 214 Vgl. Planitz-Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 111 und Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 146 f. 215 Vgl. etwa Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 101 f.; Gmür/Roth, Grundriss der Rechtsgeschichte, S. 34 f.; ausführlich zu den Beweismitteln Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 498 ff. 216 Vgl. Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 390 f.; Planitz-Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 111 f. 217 So insbesondere Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 111 f.; ähnlich Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 223. 218 Vgl. Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 391 f.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 101 f.; ausführlich zu den einzelnen leges Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 512 ff., insb. S. 519 f.
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einander den unterstützenden Eid leisten mussten.219 Außerdem wurde das Beweisrecht durch die Christianisierung der Franken verschiedentlich angepasst, so dass die Eide nun auf die Evangelien, den Altar oder ein geweihtes Kreuz zu leisten waren.220 Im Bereich des Zeugenbeweises gab es nun die Möglichkeit einer Befragung über der Glaubwürdigkeit des Zeugen im Vorfeld des Zeugeneides.221 Allerdings erfuhr der Zeugenbeweis zugleich weitere Einschränkungen. So wurde die formale Erbringung des Zeugenbeweises von der Aussage zweier bzw. dreier Zeugen abhängig gemacht, die zudem ein gewisses Vermögen ihr Eigen nennen mussten.222 Diese Regelungen sollten wohl typisierend darauf abzielen, besonders zuverlässige, respektable Zeugen zu erhalten und damit die materielle Wahrheitserforschung steigern. Allerdings handelt es sich um sehr weitreichende Einschränkungen des Zeugenbeweises, zumal Zufallszeugen weiterhin kein taugliches Beweismittel waren.223 Die bedeutendste Neuerung im Beweisrecht war das Wiederaufkommen des Urkundenbeweises in fränkischer Zeit durch das Erstarken der Kirche und die Neugründung von Klöstern.224 Zu unterscheiden waren zwei verschiedene Arten von Urkunden: echte Königsurkunden erbrachten den vollen Beweis für die Richtigkeit ihres Inhaltes und ihre Schelte wurde mit dem Tode bestraft.225 Zulässig war allein der Einwand der Fälschung dieser Urkunde.226 Bei sich widersprechenden Königsurkunden wurde teilweise der älteren Urkunde der Vorzug gegeben, teils wurde der Streitgegenstand geteilt.227 Privaturkunden erbrachten demgegenüber nur vollen Beweis, wenn der Beweisgegner die Urkunde als echt anerkannte.228 Bei Bestreiten der Echtheit musste die Urkunde mithilfe von Eiden und Zeugen bekräftigt wer219 Vgl. Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 391; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 148. 220 Vgl. etwa Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 101 f.; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 147 f. 221 Vgl. Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 391; Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 112. 222 Vgl. zu diesen Anforderungen an die Zeugnisfähigkeit und die Zeugenzahl Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 528 ff.; Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 112. 223 Ausführlich Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 532 f. insbesondere unter Darstellung der Frage, ob die Lex Salica Zufallszeugen zugelassen hat; bejahend wohl Schröder/v. Künß berg, Rechtsgeschichte, S. 391; ablehnend etwa Nagel, Grundzüge, S. 151; vgl. auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 223 mwN. 224 So Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 391 f.; ähnlich Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 96 f. 225 Ausführlich Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 560 ff.; siehe auch Schröder/ v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 391 f.; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 148. 226 Siehe Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 561; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 223 f. 227 Vgl. etwa Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 560 f. 228 Vgl. wiederum Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 561 f. mwN.
38 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts den.229 Eine Schelte der Urkunde führte unmittelbar zu einem gerichtlichen Zweikampf entweder zwischen den Parteien oder dem scheltenden Beweisgegner und dem Urkundenschreiber.230 Als weitere Beweismittel im Zivilprozess dienten auch in fränkischer Zeit der gerichtliche Zweikampf und das Gottesurteil.231 Die Kirche stand dem gerichtlichen Zweikampf sehr kritisch gegenüber, doch selbst nach der Christianisierung der Franken war es ihr nicht möglich, diese Form des Streitentscheides gänzlich aus dem Prozess zu verbannen.232 Die Gottesurteile wurden von der Kirche im frühen Mittelalter in ihren Ritualen an das Christentum angepasst, im Anschluss aber grundsätzlich gebilligt und sogar um weitere Gottesurteile erweitert.233 Eine freie Beweiswürdigung war auch dem Prozess in fränkischer Zeit aufgrund des weiterhin formalen Charakters des Beweisrechtes grundsätzlich unbekannt.234 c) Königsgerichte Eine neue Institution im fränkischen Prozessrecht war das Königsgericht, das zugleich eine besondere Verfahrensart bildete.235 Zuständig war dieses Gericht als erste Instanz für besonders bedeutsame Rechtssachen wie Todesurteile oder das Aussprechen der Acht, in zweiter Instanz bei Rechtsverweigerung oder teils auch bei einer Urteilsschelte.236 Zudem konnte der König kraft seiner Stellung und Autorität jede nicht erledigte Rechtssache der ordentlichen Gerichte an sich ziehen (ius evocandi).237 Die Ladung des Beklagten erfolgte durch königlichen Befehl, wobei vor dem Königsgericht ausnahmsweise auch eine gerichtliche Stellvertretung mög229 Vgl. Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 112; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 96 f., auch zur Unterteilung in verschiedene Arten von Privaturkunden mwN. 230 Vgl. Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 563 ff.; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 148. 231 Siehe Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 538 ff.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 102. 232 Vgl. etwa Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 539 ff.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 397 ff.; siehe auch Nottarp, Gottesurteilsstudien, S. 350 ff., der die Gefahr für Leib und Leben als Grund für die kritische Haltung der Kirche gegenüber Zweikämpfen ansieht und insbesondere auf das Verbot von Zweikämpfen auf dem 4. Laterankonzil im Jahre 1215 unter Papst Innozenz III verweist. 233 Ausführlich Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 147 f. 234 Vgl. insbesondere Walter, freie Beweiswürdigung, S. 47, der sich auf eine kurze Beschreibung der verfahrensmäßigen Veränderungen beschränkt und erst im Hoch- und Spätmittelalter Veränderungen sieht. 235 Vgl. etwa Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 149 f.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 415 ff. 236 Ausführlich Kaufmann, Königsgerichte, S. 95 ff. 237 Vgl. Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 186 f.; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 146.
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lich war.238 Den Vorsitz dieses Gerichtes hatte der namensgebende König inne.239 Eine der Besonderheiten des Königsgerichtes ergab sich aus der königlichen Autorität: Der König war als oberster Richter nicht an das Volksrecht gebunden, sondern konnte vielmehr nach seinem Ermessen bestimmen, was als „Recht“ anzusehen war und hierbei Aspekte der Billigkeit einfließen lassen.240 Dieses Ermessen ermöglichte außerdem eine freie Gestaltung des Prozessverlaufes und hatte insbesondere Einfluss auf das Beweisrecht: Es bildete sich mit dem Inquisitionsverfahren ein besonderes Beweisverfahren heraus.241 In diesem Beweisverfahren wurde insbesondere der Zeugenbeweis modifiziert und in den Mittelpunkt gestellt: Die Auswahl, Ladung und Vernehmung von Zeugen erfolgte amtswegig durch das Gericht.242 Die Zeugen konnten inhaltlich zum Beweisthema vernommen werden und eine Schelte eben dieser Aussage war vor dem Königsgericht nicht möglich, so dass dieses Inquisitionsverfahren zumindest in die Richtung einer materiellen Wahrheitsfindung tendierte.243 Das Königsgericht ermöglichte es durch seine große Ermessensfreiheit, eine flexiblere Alternative zum starren, ordentlichen Prozess zu bieten, so dass die weitere Entwicklung des ordentlichen Prozesses durch eben diese „Vorbildfunktion“ der Königsgerichte vorangetrieben wurde.244
3. Der Zivilprozess im Hoch- und Spätmittelalter bis zur Rezeption des römischen Rechts Das Gerichtsverfahren folgte bis zur Rezeption des römischen Rechts im Wesentlichen weiter den Regeln aus fränkischer Zeit.245 Der Beginn der Rezeption des römischen Rechts im Gebiet des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation kann kaum auf ein einzelnes Datum festlegt werden. Ein beginnender Einfluss lässt sich 238 So insbesondere Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 688; dieser Ansicht folgend Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 415; kritisch demgegenüber Kaufmann, Königsgerichte, S. 99. 239 Vgl. Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 182. 240 So insbesondere Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 687 ff.; ebenso Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 145 f.; kritisch Kaufmann, Königsgerichte, S. 9 ff., der den Begriff ae quitas mit „Gerechtigkeit“ anstelle von „Billigkeit“ übersetzen möchte, vgl. insb. S. 16 ff. 241 Vgl. Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 698 ff.; Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 111. 242 Siehe Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 149 f.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 415 f. 243 Ähnlich Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 149; Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 689. 244 Vgl. etwa Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 390 f.; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 146. 245 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 385 ff.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 844 ff.
40 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts gegen Ende des 13. Jahrhunderts nachweisen.246 Eine bestimmende Rolle nimmt das rezipierte Recht indes erst Ende des 15. Jahrhunderts ein, insbesondere in der Reichskammergerichtsordnung aus dem Jahr 1495 n. Chr.247 a) Ablauf und Verfahrensgrundsätze Die wohl bedeutendste Neuerung im Prozessrecht des Hoch- und Spätmittelalters war die Herausbildung der Unterteilung in einen Zivil- und Strafprozess.248 Der Zivilprozess des Mittelalters kannte drei Klageformen: Um Schuld, um Gut (bewegliches Vermögen) und um Eigen und Erbe (unbewegliches Vermögen und Erbschaftssachen). Allerdings gab es auch weiterhin sog. gemischte Klagen, so dass von einer strengen Trennung der Prozessarten noch nicht gesprochen werden konnte.249 Eine weitere Besonderheit dieser Epoche war die starke Tendenz zur Zersplitterung der Gerichtsbarkeit anhand der Zugehörigkeit zu einer Personengruppe. So gab es Lehnsgerichte, Dienstmannengerichte, Markgerichte, Berggerichte, kirchliche Gerichte und selbst Universitäten hatten teils ihre eigene Gerichtsbarkeit.250 Die Leitung des Verfahrens oblag dem Richter. Allerdings bestimmten die Parteien weiterhin Gegenstand, Umfang und auch den Fortgang des Verfahrens. Es galten daher nach unserem heutigen Verständnis eine strenge Dispositionsmaxime und der Parteibetrieb.251 Die Parteien stellten Anträge zum Fortgang des Verfahrens, über die der Richter einzeln entscheiden musste, so dass sich das Wechselspiel von Antrag und Zwischenurteil durch das ganze Verfahren zog.252 Die Zweiteilung der entscheidenden Personen in den verfahrensleitenden Richter und die rechtsfindenden Schöffen blieb bis zur Rezeption bestehen.253 Die Urteilsschelte führte nun häufiger
246 So verweisen etwa Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 870 f. auf das Werk Specu lum iudiciale von Durantis aus dem Jahr 1271, als eines der bedeutendsten prozessualen Werke seiner Zeit; ebenso Nagel, Grundzüge, S. 166. 247 Vgl. etwa Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 870 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 289 ff. 248 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 385; Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 228; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 845 ff. 249 Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 385; ausführlich zu den Klagearten Schröder/ v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 845 ff. 250 Eine umfängliche Aufzählung findet sich etwa bei Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 374 ff.; ausführlich zu den einzelnen Gerichtsbarkeiten auch Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 592 ff. 251 Vgl. Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 228. 252 Siehe Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 308 f.; ähnlich Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 385. 253 So verweist Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 285 auf das bayrische Landrecht von 1335/46 und die dortige Zusammenführung von Richter und Urteiler für bestimmte Fälle aufgrund des Einflusses des rezipierten Rechts.
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zu einer Entscheidung eines oberen Gerichtes anstelle eines bloßen Zweikampfes der Parteien, so dass sich allmählich ein Rechtsmittelzug herausbildete.254 Der strenge Formalismus der Frühzeit blieb bestehen, indes schwand zusehends die religiöse Fundierung als frühere Legitimationsgrundlage dieses Formalismus, so dass derselbe zunehmend als Schikane wahrgenommen wurde.255 Eine Erleichterung stellte die Person des Vorsprechers dar. Diese Person hat die streng formalen Prozesshandlungen für eine Partei mündlich vorgetragen und die Partei konnte diesen Vortrag bei richtiger Vornahme für sich gelten lassen, bei Fehlern jedoch die Genehmigung verweigern und nochmals vortragen.256 Zudem wurde die Prozessvertretung – ausgehend von den Königsgerichten – auch im ordentlichen Prozess häufiger anerkannt.257 b) Beweisrecht Der starre Formalismus durchzog grundsätzlich auch weiterhin das Beweisrecht. Allerdings begann im Hoch- und Spätmittelalter allmählich eine Wende hin zu einem Beweisrecht, dessen Ziel die Erforschung der materiellen Wahrheit darstellte.258 Insbesondere wurde im Spätmittelalter erstmals die Führung eines Gegenbeweises zugelassen.259 aa) Beweismittel Der Eid blieb weiterhin im Kreise der Beweismittel. Allerdings wandelte er sich mit der Zeit in Richtung eines Alleineides und das Institut der Eidhelfer wurde immer stärker zurückgedrängt.260 Demgegenüber trat mit der materiellen Wahrheitserforschung auch der Zeugenbeweis in den Vordergrund. So wurden Zufallszeugen nun im ordentlichen Prozess als Beweismittel zugelassen.261 Außerdem wurde der vor254 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 387 f.; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 852 f. 255 So etwa Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 308. 256 Ausführlich zum Rechtsinstitut des Vorsprechers, Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 159 ff. 257 So Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 386; zurückhaltend Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 845. 258 Vgl. bereits Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 229; ähnlich beurteilen dies Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 232 und Walter, freie Beweiswürdigung, S. 47 f. 259 Vgl. schon Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 579; Mayer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 272 f.; hierauf verweisend Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 385. 260 Vgl. Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 229; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 851 f. 261 Für die Zulässigkeit etwa Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 229; Schröder/ v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 851 f.; einschränkend Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 360 f.
42 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts mals gleichfalls dem Königsgericht vorbehaltene Inquisitionsbeweis zunehmend auf das ordentliche Verfahren übertragen, so dass von Amts wegen Zeugnisse eingeholt werden konnten.262 Ob die Zulassung des Zeugenbeweises wie in fränkischer Zeit an bestimmte Zeugenzahlen gebunden war, erscheint fraglich.263 Eine Neuerung in diesem Zusammenhang war das Gerichtszeugnis. Hierbei wurden entweder Richter, Urteiler oder ein sonstiger Prozessbeteiligter vernommen, wobei im Falle der Vernehmung Letzterer eine Bekräftigung der Aussage durch weitere Gerichtspersonen erforderlich war.264 Das Gerichtszeugnis zeichnete sich durch seine Unscheltbarkeit und die rein formale Erbringung des Beweises aus.265 Der Urkundenbeweis erfuhr eine Aufwertung durch die Anerkennung von gesiegelten Privaturkunden, insbesondere im süddeutschen und sächsischen Raum.266 Eine derart versiegelte Urkunde erbrachte formal den Beweis für ihren Inhalt – ähnlich einer öffentlichen Urkunde.267 Der Beweisgegner konnte allein die Echtheit der Urkunde rügen. Allerdings musste es sich wohl um die Originalurkunde mit intaktem Siegel handeln, während eine bloße Abschrift demgegenüber gerade keinen gesteigerten Beweiswert innehatte.268 Als weiteres Beweismittel trat nun der gerichtliche Augenschein (blickende Schein) hinzu. Hierbei machte sich das Gericht bzw. einzelne beauftrage Gerichtsmitglieder ein eigenes Bild von Sachen oder Personen, die für den Rechtsstreit von Bedeutung waren.269 Einen Sonderfall in Grenzstreitigkeiten bildete der Kundschaftsbeweis, bei dem die Inaugenscheinnahme durch vom Gericht beauftragte Dritte durchgeführt und das Ergebnis durch das Gericht verwertet wurde.270 Der Beweis durch Gottesurteil aus der Frühzeit verlor nach seiner kirchlichen Ächtung auf dem 4. Lateranenkonzil im Jahre 1215 n. Chr. immer mehr an Bedeutung.271 Gottesurteile wie die Kesselprobe oder die Wasserprobe waren allenfalls als letztes Beweismittel zulässig und wurden ab dem Ende des 13. Jahrhunderts immer Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 851. Für das Erfordernis bestimmter Zeugenzahlen im Strafprozess Ruth, Zeugen und Eideshelfer, S. 10 f.; hierauf verweisend Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 233. 264 Vgl. Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 851; Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 229. 265 Siehe Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 851. 266 Vgl. Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 229; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 851 f. 267 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 370 f.; Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 149. 268 Ausführlich zu den diesbezüglichen Anforderungen und Rügemöglichkeiten, Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 366 ff. 269 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 386 f.; Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 371 ff. 270 Siehe zu diesem Spezialfall des Augenscheins Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 371 ff. 271 Ausführlich zur Entwicklung der Gottesurteile Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 387. 262 Vgl. 263
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weiter eingeschränkt.272 Der gerichtliche Zweikampf hielt sich trotz der andauernd ablehnenden Haltung der Kirche noch längere Zeit, insbesondere in den Strafgerichten.273 Allerdings wurde der Zweikampf gerade in den aufblühenden Städten oftmals gänzlich untersagt und durch andere Beweismittel ersetzt. Diese Entwicklung setzte sich fort, bis der Zweikampf ab dem 14. Jahrhundert allein den höheren Gerichten und allen voran dem Königsgericht vorbehalten war.274 bb) Beweiswürdigung Eine der bedeutendsten Veränderungen im Hoch- und Spätmittelalter war die allmähliche Herausbildung einer richterlichen Beweiswürdigung.275 Grundsätzlich verblieb es in der ganzen Epoche des Mittelalters bei einem nach unserem Verständnis formalen Beweisrecht. Allerdings zeigt die Zulassung weiterer Beweismittel wie auch die Veränderung der bestehenden Beweismittel, dass sich eine Wende hin zu einem materiellen Beweisrecht andeutet.276 So lässt sich für das Spätmittelalter belegen, dass das Gericht die Urteiler befragte, ob „mit Zeugen und Urkunden genug zu recht fürgebracht und geweist sei“.277 Mithin wurde der Beweis nicht allein durch den Akt des formal richtigen Einbringens eines Beweismittels, sondern vielmehr durch seine inhaltliche Würdigung erbracht.278 Als Schritte dieser Entwicklung werden die Aufgabe des Grundsatzes der Unvereinbarkeit verschiedener Beweismittel und die Anerkennung des Gegenbeweises angeführt.279 Zudem wird auf die Verlagerung der Beweisaufnahme unmittelbar vor das Gericht hingewiesen, so dass ein Beweis nun nicht der anderen Partei, sondern gegenüber dem Gericht selbst erbracht werden musste.280 Problematisch wurde in dieser Zeit die Frage, welche Partei die Pflicht und insbesondere das Recht innehatte, Beweis zu erbringen. Es verblieb bis zum späten Mittelalter bei der Einseitigkeit der Beweisführung, allerdings ging zusehends der Glaube daran verloren, dass formalen Handlungen zur Beweiserbringung aufgrund
272 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 387 und Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 852. 273 Vgl. Planitz-Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 229; Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 852. 274 Siehe Conrad, deutsche Rechtsgeschichte I, S. 387. 275 Vgl. Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 384 ff.; hierauf bezugnehmend Walter, freie Beweiswürdigung, S. 50 f. 276 Siehe Walter, freie Beweiswürdigung, S. 50 f. 277 Vgl. Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 386. 278 Vgl. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 48 ff. 279 Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 385 ff.; bezugnehmend und zustimmend Walter, freie Beweiswürdigung, S. 50 f. 280 Diesen Punkt ergänzt Walter, freie Beweiswürdigung, S. 50 f.
44 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts göttlichen Eingreifens eine rechtsgestaltende Kraft innewohnt.281 Eben dieser feste Glauben an die göttliche Leitung des Prozesses hin zu einem „richtigen“ Ergebnis war jedoch die Legitimation des formalen Beweisrechts, so dass selbiges immer stärker zum Relikt wurde und die Einseitigkeit der Beweisrolle einer neuen Legitimation bedurfte.282 Diese Frage, nach welchen Grundsätzen sich das Beweisführungsrecht einer Partei richtete, ist unklar und streitig. So wird teils davon ausgegangen, dass die beklagte Partei grundsätzlich weiterhin das Recht zur Beweisführung innehatte.283 Andere sehen die Legitimation des Rechts zur Beweisführung in typisierten Wahrscheinlichkeitserwägungen.284 Festzuhalten ist jedenfalls, dass im Hoch- und Spätmittelalter jede Partei in den Genuss des einseitigen Beweisführungsrechts kommen wollte. Diese Einseitigkeit der Beweisführung bildete ein bloßes Relikt des Prozesses der Frühzeit, so dass sich in der Konsequenz letztlich die Anerkennung des Gegenbeweises abzeichnete.285
III. Der römisch-kanonische Prozess und seine Rezeption in Deutschland Die Rezeption bezeichnet den Vorgang der Integration des römischen Rechts in den Kreis des geltenden Rechts und der Rechtspraxis.286 Rezipiert wurde das römische Recht in Form des spätrömischen, justinianischen Prozessrechts.287Allerdings lässt sich nicht von einer bloßen „Aufnahme“ des römischen Rechts iSe unveränderten Übernahme sprechen. Vielmehr wurde das römische Recht im Rahmen der Rezeption und wissenschaftlichen Bearbeitung vielfach abgeändert.288 Zudem entstammte der spätere sog. gemeine Prozess (ius commune) einer Verbindung des römisch-ka-
Meyer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 61 ff., insbesondere S. 82 f.; ausführlich auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 236 ff. mwN. 282 Vgl. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 236 ff. 283 So insbesondere Planck, Gerichtsverfahren II, S. 12 ff.; ablehnend demgegenüber Meyer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 2 ff. jeweils mwN. 284 So namentlich Meyer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 13 ff. 285 Vgl. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 226 ff. und Meyer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 23 ff. mwN; zur Anerkennung des Gegenbeweises Schlosser, spätmittelalterlicher Zivilprozess, S. 384 ff. 286 Ausführlich zu Begriff und Gegenstand der Rezeption, Bookmann/Grenzmann/Moeller/ Staehelin-Sellert, Recht und Verfassung I, S. 116 ff.; vgl. auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 124 ff. 287 Ausführlich Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 173 ff.; Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 286 ff. 288 Ausführlich zu diesem Verhältnis von übernommenem römischen Recht und eigenen Entwicklungen Stürner, FS-Söllner, S. 1171, 1177 ff. mwN. 281 Vgl.
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nonischen Prozessrechts mit dem germanisch geprägten, sächsischen Prozess im Rahmen des jüngsten Reichsabschiedes aus dem Jahr 1654 n. Chr.289
1. Die Rezeption des römischen Rechts in Oberitalien und Deutschland Die erste Phase der Rezeption lässt sich bereits gegen Ende des 11. Jahrhunderts verorten.290 In dieser Zeit begann in den Universitäten Oberitaliens, insbesondere in Bologna die theoretische Durchdringung und Kommentierung der Digesten Justini ans (sog. Frührezeption oder theoretische Rezeption).291 Bereits ab dem 9. Jahrhundert lässt sich eine Rechtsschule in Pavia zum langobardischen Recht nachweisen und die „Wiederentdeckung“ der Digesten wird um das Jahr 1050 n. Chr. in Pisa datiert, zumal das römische Recht in Italien verständlicherweise niemals vollständig in Vergessenheit geraten war.292 Die Rezeption in Deutschland wurde in der Frühzeit von den zahlreichen Studenten aus den deutschen Landen getragen, die das rezipierte Recht in den Universitäten Norditaliens erlernten und in der Folge in ihre Heimat zurückkehrten.293 Im Zuge der fortschreitenden Territorialisierung und Zersplitterung des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation schufen die Landesfürsten eigene Verwaltungen, so dass zahlreiche Studenten in diesen Verwaltungen zu Posten und Einfluss kamen, was in der Folgezeit wiederum die Verbreitung des rezipierten Rechts, das sie erlernt hatten, förderte.294 Die spätere Phase der Rezeption lässt sich im 15. Jahrhundert ansiedeln. Insbesondere die Errichtung des Reichskammergerichts und die Erstellung der ersten Reichskammergerichtsordnung im Jahre 1495 n. Chr. lassen sich als ein entscheidendes Datum der Rezeption festhalten.295 Eben diese Reichskammergerichtsordnung bestimmte in § 3, dass das Reichskammergericht zu richten habe „nach des Reichs gemainen Rechten“, mithin dem rezipierten römischen Recht.296 Zwar galt dieses Recht hiernach nur subsidiär, allerdings verlangte die Gerichtsordnung in eben diesem § 3, das vorrangige, germanische Recht
289 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 137 ff.; Nagel, Grundzüge, S. 169; zum gemeinen Prozess siehe IV. 290 Vgl. Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 100; ebenso Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 286 f. 291 Vgl. etwa Bookmann/Grenzmann/Moeller/Staehelin-Sellert, Recht und Verfassung I, S. 118 mwN. 292 Vgl. Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 100. 293 So Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 115 f. unter Verweis auf die Hochschulmatrikeln dieser Zeit. 294 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 115 f. und S. 148 f.; ausführlich auch Trusen, Anfänge, S. 102 ff. 295 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 176 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 189 ff.; Bookmann/Grenzmann/Moeller/Staehelin-Sellert, Recht und Verfassung I, S. 136 ff. 296 § 3 RKGO abgedruckt bei Zeumer, Quellensammlung, S. 285.
46 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts müsse „ für sy pracht werden“ und mithin bewiesen werden.297 Eben dieser Nachweis war nach der Rechtsprechung des Reichskammergerichts nur sehr schwer zu führen. Diese Rechtsprechung wandte sogar Verjährungsregeln auf das einheimische, germanische Recht an, so dass faktisch vielmehr von einem Vorrang des römischen Rechts im Prozess des Reichskammergerichts gesprochen werden konnte.298 Die Rechtsprechung des Reichskammergerichts hatte zudem eine Ausstrahlungswirkung auf die unteren Gerichte und so gelang dem gemeinen Recht der Durchbruch. Daher handelt es sich bei dieser Rechtsprechung um eine der wesentlichen Ursachen der Rezeption des römischen Rechts in Deutschland. Mit Gründung des Reichskammergerichts lässt sich von der Phase der Vollrezeption sprechen, bei der sich das römische Recht gegenüber den alten germanischen Rechten durchgesetzt hat.299 Die weiteren Gründe und Ursachen für die weitreichende Rezeption des römischen Rechts in Deutschland waren sicherlich vielfältig und werden auch ebenso vielfältig vertreten und unterschiedlich gewichtet. Einen Aspekt stellte die verfassungsrechtliche Gewichtung des römischen Rechts in dieser Zeit dar. Die Kaiser des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation sahen sich in der direkten Nachfolge der römischen Kaiser (sog. translatio imperii), so dass das römische Recht zugleich Teil des Kaiserrechts war und allein aufgrund seiner Herkunft als römisches Recht hohe Autorität genoss.300 Zudem schwand im Hoch- und Spätmittelalter die starke religiöse Prägung der Bevölkerung immer weiter, so dass die Legitimationsbasis des formalistischen, germanischen Prozesses gleichsam geringer wurde. Das rezipierte römische Recht stellte demgegenüber ein wissenschaftlich aufbereitetes, systematisches und schriftliches Prozessrecht als Alternative zum oftmals mündlich überlieferten, germanischen Prozessrecht bereit.301 Weiter führte die fortschreitende Territorialisierung und hierdurch eintretende Rechtszerplitterung zum Bedürfnis eines einheitlichen Rechts, so dass sich die Anwendung des römischen Rechts anbot.302 Teils wird auch darauf verwiesen, dass die Bestimmungen des römischen Rechts sehr viel detailliertere Regelungen für komplexere wirtschaftliche Vorgänge enthiel-
297 § 3 RKGO, Zeumer, Quellensammlung, S. 285; zum Beweiserfordernis vgl. Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 191; Planitz/Eckhardt, deutsche Rechtsgeschichte, S. 255. 298 So etwa Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 189 ff.; ähnlich Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 138 ff. 299 Vgl. Bookmann/Grenzmann/Moeller/Staehelin-Sellert, Recht und Verfassung I, S. 118 ff. 300 Ausführlich Bookmann/Grenzmann/Moeller/Staehelin-Sellert, Recht und Verfassung I, S. 149 ff. mwN; differenzierend Krause, Kaiserrecht und Rezeption, insb. S. 145 ff.; demgegenüber wurde die Annahme, das römische Recht sei unter Kaiser Lothar III. per Gesetz zum Reichsrecht erhoben (sog. „Lotharsche Legende“) worden, bereits durch Hermann Conring wiederlegt, vgl. etwa Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 100 f. 301 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 112 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 174 f. 302 Hierauf verweist insbesondere Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 98 ff.
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ten und damit eine bessere Grundlage für den aufblühenden Handel in den norditalienischen Städten und darüber hinaus boten.303 Die Entwicklung des kanonischen Prozessrechts und die Ausweitung der geistlichen Gerichtsbarkeit waren ebenfalls mitbestimmend für die Rezeption des römischen Rechts.304 Die Kirche sah sich in einer durchgehenden Tradition seit dem römischen Reich, so dass das kanonische Prozessrecht stark durch das römische Recht geprägt wurde.305 Die Grundlage des kanonischen Prozesses war die Bearbeitung des römischen Rechts, ergänzt und verändert durch päpstliche Dekretalien.306 Der Einfluss dieses kanonischen Prozesses auf die weitere Entwicklung des weltlichen Prozessrechts wird mit einem Blick auf den Einfluss der kirchlichen Gerichtsbarkeit erklärlich. So beschränkte sich die Zuständigkeit dieser Gerichte grundsätzlich auf sog. geistliche Sachen, mithin Ketzerei, Ehe- und Erbschaftssachen, Meineid sowie weitere Sachverhalte mit kirchlichem Bezug.307 Allerdings spiegelte sich die wachsende Macht der Kirche im Früh- und Hochmittelalter auch im Umfang der von ihr beanspruchten Gerichtsbarkeit wider: Die geistige Gerichtsbarkeit dehnte in dieser Zeit ihre eigene Zuständigkeit immer weiter in Richtung rein „weltlicher“ Sachverhalte aus, bis diese Entwicklung mit dem Wiedererstarken der Staatsgewalt ein Ende fand.308 Durch diese umfängliche kirchliche Gerichtsbarkeit erlangte das rezipierte römische Recht in Form des kanonischen Prozessrechts weitgehende Verbreitung.309 Außerdem handelte es sich bei dem kanonischen Prozess um einen wissenschaftlich fundierten Prozess, der durch einen gelehrten Berufsrichter geleitet wurde. Dieser Prozess stand damit in einem starken Kontrast zum Prozess vor weltlichen Gerichten, so dass das kanonische Recht in dieser Zeit eine gewisse Vorbildfunktion für die weltlichen Gerichte einnehmen konnte.310
303 So etwa Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 174; ablehnend demgegenüber etwa Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 150 f.; ebenso Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 331. 304 Diesen Aspekt hervorhebend Nörr, gelehrter Prozess, S. 2 ff.; ähnlich Trusen, Anfänge, S. 13 ff. 305 Gestützt auf den Grundsatz: Ecclesia vivit lege Romana, vgl. Nagel, Grundzüge, S. 163; siehe auch Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 161 unter Verweis auf die Lex Ribuaria. 306 Vgl. Trusen, Anfänge, S. 13 ff.; ausführlich zur Rolle der päpstlichen Dekretalien Nörr, Iudicium, S. 53 ff. 307 Eine ausführliche Darstellung der Zuständigkeit findet sich bei Trusen, Anfänge, S. 34 ff.; vgl. auch Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte S. 355 ff. 308 Zu diesem Konflikt Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 355 ff. 309 So behandelt das Speculum iudiciale des Durantis aus dem Jahr 1271 n. Chr. das kanonische Prozessrecht, wird aber zugleich auch für die weltlichen Gerichte als bedeutendstes prozessuales Lehrbuch seiner Zeit angesehen, vgl. Schröer/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 870; ebenso Na gel, Grundzüge, S. 147. 310 Vgl. etwa Bookmann/Grenzmann/Moeller/Staehelin-Sellert, Recht und Verfassung I, S. 155 ff. mwN.
48 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
2. Ablauf und Verfahrensgrundsätze Der Prozess begann mit der Ladung des Beklagten durch den Richter auf Antrag des Klägers und der Überreichung der Klageschrift, bestehend aus Rechtsbehauptungen, auf die sich der Beklagte zu erklären hatte.311 Bei einem Anerkenntnis des Beklagten erging ein entsprechendes Urteil, zudem wurden prozesshindernde Einreden vorab entschieden.312 Bestritt der Beklagte die Klageforderung nach materiellem Recht, so musste er alle ihm zur Verfügung stehenden Einwendungen vorbringen. Durch dieses Vorbringen wurde die litis contestatio vollzogen, mithin der Streitgegenstand festgelegt und die eigentliche Verhandlung begonnen.313 Der Prozess war geprägt durch eine Aufteilung in eine Vielzahl von Terminen. So stellte die Überreichung der Klageschrift ebenso einen eigenen Termin dar, wie die Erwiderung des Beklagten durch Vorbringen seiner Einwendungen.314 Jede weitere Replik und Duplik erforderte eigene Termine, die nach einer bestimmten Abfolge aufeinanderfolgen (Reihenfolgeprinzip).315 Diese Zergliederung führte zu einer Verlangsamung des Prozesses, so dass bereits in der Frühzeit des römisch-kanonischen Prozesses Maßnahmen zu seiner Beschleunigung ergriffen wurden.316 So wurden strenge Präklusionsvorschriften eingeführt, die Fristen für das – auch nur hilfsweise – Vorbringen sämtlicher Einreden des Beklagten, wie auch der Beweismittel beider Parteien vorsahen. Nach Ablauf dieser Fristen war die Geltendmachung dieser Einreden bzw. Beweismittel unzulässig. Es zeichnet sich hierbei die beginnende Herausbildung der heutigen Eventualmaxime ab.317 Zudem mussten die Parteien sich zu Beginn des Prozesses einen Eid zur redlichen Prozessführung schwören, den sog. Kalumnieneid.318 Prägend für das Verfahren war die Einheit von prozessleitendem Richter und Urteiler. Der Prozess wurde von einem gelehrten, in der Regel auf Lebenszeit bestimmten Berufsrichter geleitet und in der Folge entschieden.319 Der römisch-kanonische Prozess kannte keine Beweisurteile und keine Zweiteilung des
Eichmann, Codex Iuris Canonici, S. 23; Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 73 f. Siehe Eichmann, Codex Iuris Canonici, S. 23; Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 73 f. 313 Ausführlich zur Bestimmung des Streitgegenstandes Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 73 f. 314 Eine ausführliche Aufzählung liefert beispielsweise Nörr, Iudicium, S. 19 ff. 315 Vgl. wiederum Nörr, Iudicium, S. 19 ff.; siehe auch Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 76 f. 316 Vgl. Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 78 ff.; zu dieser Entwicklung auch Nörr, Iudicium, S. 22 ff., der jedoch zugleich von einer moderaten Prozessdauer aufgrund des freien richterlichen Ermessens bei der Festlegung der Länge von Fristen zwischen den einzelnen Terminen ausgeht. 317 So bereits Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 81 f.; vgl. auch Eichmann, Codex Iuris Canonici, S. 22 f. 318 Zu diesem Eid Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 75; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 248 mwN. 319 Vgl. Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Rechtsgeschichte II, S. 15 f. mwN.; zu dieser Entwicklung auch Kern, Geschichte der Gerichtsverfassung, S. 21 ff. 311 Vgl. 312
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Prozesses mehr, vielmehr lief der Prozess von seiner Einleitung über die Beweisaufnahme bis hin zum Urteil vor einem Richter ab.320 Der römisch-kanonische Zivilprozess wurde von der Verhandlungsmaxime beherrscht.321 Im Übrigen verlief der Prozess größtenteils schriftlich und geheim.322 Diese weitgehende Schriftlichkeit führte zudem zu einer starken Beschränkung der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme: Oftmals genügte dem Richter die protokollierte Beweisaufnahme durch eine beauftragte Person.323 Allein der Grundsatz rechtlichen Gehörs wurde auch im römisch-kanonischen Prozess gewahrt.324
3. Beweisrecht Das Beweisrecht basierte gleichfalls auf dem römischen Recht, so dass die Ermittlung der Wahrheit das Ziel jeden Beweises darstellte und die Führung von Beweis wie auch Gegenbeweis zulässig waren.325 Allerdings zeigten sich zugleich die Einflüsse des germanischen Prozessrechts, dessen Formalismus den römisch-kanonischen Prozess hin zu einer legalen Beweistheorie lenkte.326 Entscheidend war die Überzeugung des Richters von der Wahrheit, so dass der Beweis dem Gericht gegenüber geführt wurde. Allerdings war der Zivilprozess vom Beibringungsgrundsatz bestimmt, so dass die Beweisführung in den Händen der Parteien lag.327 Die beginnende Ausbildung der Eventualmaxime zum Zwecke der Prozessbeschleunigung schränkte die Geltendmachung von Beweismitteln indes signifikant ein. Beweismittel mussten in bestimmten Terminen zu Beginn des Verfahrens geltend gemacht werden, um nicht in einem späteren Termin von Amts wegen zurückgewiesen zu werden.328
320
Siehe Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Rechtsgeschichte II, S. 15 f. mwN. Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 75 f.; ausführlich hierzu Nörr, Stellung des Richters,
321 Vgl.
S. 7 ff. 322 Vgl. Eichmann, Codex Iuris Canonici, S. 22 f.; Kern, Geschichte der Gerichtsverfassung, S. 21; kritisch zur Annahme eines Schriftlichkeitsprinzips im heutigen Sinne Nörr, Iudicium, S. 27 ff. 323 So insbesondere Walter, freie Beweiswürdigung, S. 26 f. unter Verweis auf Groß, Beweistheorie II, S. 112. 324 So wiederum Walter, freie Beweiswürdigung, S. 27; der Verweis auf Groß, Beweistheorie I, S. 121 f. betrifft indes den kanonischen Strafprozess. 325 So etwa Groß, Beweistheorie I, S. 18 ff.; ähnlich Nagel, Grundzüge, S. 166 ff. 326 Vgl. bereits Eichmann, Corpus Iuris Canonici, S. 18 f.; ähnlich Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 71. 327 Vgl. Nagel, Grundzüge, S. 166 f.; Groß, Beweistheorie I, S. 112 ff., insb. S. 117. 328 Ausführlich Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 81 f. mwN; vgl. auch Eichmann, Corpus Iuris Canonici, S. 22 f.
50 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts a) Grundlagen und Beweismittel Die Anzahl der Beweismittel im Prozess schwankte je nach Einteilung derselben durch die Autoren dieser Zeit. Die heutigen Beweismittel des Zeugen, des Sachverständigen, des Augenscheins und der Urkunden waren bekannt.329 Allerdings wurden der gerichtliche Augenschein und das gerichtliche Geständnis der Notorietät zugewiesen. Hierbei handelte es sich um eine spezielle Kategorie des römisch-kanonischen Prozessrechts, die oftmals als eigenständiges Beweismittel angesehen wurden.330 Der Zeugenbeweis orientierte sich an den römischen testes, anstelle des germa nischen Systems. Zeuge war hiernach, wer über das eigentliche Beweisthema aus eigenem Wissen oder vom Hörensagen berichten konnte.331 Zudem bestand grundsätzlich eine allgemeine Zeugnispflicht.332 Allerdings kannte der römisch-kanonische Prozess umfangreiche Einschränkungen bei der Zeugnisfähigkeit. Das Mindestalter für die Zeugnisfähigkeit betrug 14 Jahre.333 Die Unfähigkeit zum Zeugnis konnte sich aus religiösen Gründen ergeben, etwa bei Exkommunizierten oder „Ketzern“, weiterhin aus der gesellschaftlichen Stellung einer Person, so etwa bei der Zeugnisunfähigkeit von Meineidigen oder sonstig Rechtlosen und schlussendlich aus der Ermangelung entsprechender physischer oder psychischer Fähigkeiten, etwa bei Geisteskranken.334 Darüber hinaus waren Personen vom Zeugnis ausgeschlossen, die zu einer Prozesspartei oder der Prozesssache in einem besonderen Verhältnis standen, vermögen dessen ihre Aussage beeinflusst sein könnte.335 Zudem war es Klerikern verboten, im Zivil- wie auch im Strafprozess als Zeugen bezüglich im Rahmen der Beichte erlangten Wissens aufzutreten.336 Der Sachverständigenbeweis wurde teils als Unterfall des Zeugenbeweises angesehen, teils als eigenes Beweismittel verstanden.337 In jedem Fall wurden zahlreiche Regelungen des ZeugenbeVgl. die Nachweise bei Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 249 f. So etwa Meile, Beweislehre, S. 147 f. für die Notorietät und S. 81 f. für Vermutungen; kritisch aus heutiger Sicht Walter, freie Beweiswürdigung, S. 32 ff.; ähnlich bereits Groß, Beweis theorie I, S. 48 ff. 331 Vgl. Groß, Beweistheorie II, S. 5 ff.; Meile, Beweislehre, S. 49. 332 Vgl. etwa Groß, Beweistheorie II, S. 26 f.; ebenso Eichmann, Corpus Iuris Canonici, S. 145. 333 Siehe Groß, Beweistheorie II, S. 9; Meile, Beweislehre, S. 51. 334 Aufzählungen finden sich bei Groß, Beweistheorie II, S. 8 ff. und Meile, Beweislehre, S. 49 ff., der bei den genannten Eigenschaften von absoluter, mithin gegenüber jedermann bestehender Zeugnisunfähigkeit spricht. 335 Vgl. Groß, Beweistheorie II, S. 13 ff. 336 So etwa Meile, Beweislehre, S. 50 f., der zudem zwischen Beicht- und Amtsgeheimnis unterscheidet, wobei letzteres lediglich ein Zeugnisverweigerungsrecht bewirkt; ähnlich Groß, Beweistheorie II, S. 11 f. 337 Für die Selbstständigkeit des Sachverständigenbeweises Groß, Beweistheorie II, S. 29 ff. unter Darstellung des Konfliktes des Sachverständigen zwischen Beweismittel der Parteien und Hilfsperson des Richters. 329 330
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weises übernommen. So führten die Gründe für die Zeugnisunfähigkeit zugleich zur Unfähigkeit, als Sachverständiger berufen zu werden.338 Das Beweismittel der Urkunde teilte sich in öffentliche und private Urkunden.339 Öffentliche Urkunden mussten durch eine Amtsperson in einer bestimmten Form errichtet werden und erbrachten, bei Nachweis ihrer Echtheit, vollen Beweis für den beurkundeten Inhalt.340 Ein Gegenbeweis gegen die Echtheit der Urkunde war möglich, allerdings sprach eine Vermutung zugunsten der Echtheit einer öffentlichen Urkunde.341 Der Kategorie der Privaturkunden unterfielen alle Schriftstücke, die keine öffentliche Urkunde darstellen.342 Die Echtheit der Privaturkunde musste explizit nachgewiesen werden. In diesem Fall stand eine Privaturkunde dem außergerichtlichen Geständnis der gegnerischen Partei gleich.343 Beinhaltete die Urkunde die Aussage eines Dritten, so stand die Urkunde demgegenüber einer Zeugenaussage gleich.344 Der Parteieid hatte in diesem Prozess nur eine eingeschränkte Bedeutung. Seine Funktion erschöpfte sich in einem ergänzenden Beweismittel, falls die vorgebrachten Beweismittel nach den Wertungen der legalen Beweistheorie noch keinen vollen Beweis zugunsten des Klägers erbracht hatten bzw. der Beklagte sich von dem nicht vollständig erbrachten Beweis reinigen musste.345 Mithin erforderte die Möglichkeit der Eidesleistung stets eine vorangegangene Beweisführung mit anderen Beweismitteln, die eine gewisse Wahrscheinlichkeit für oder gegen die zu beweisende Tatsache erbracht hat. Die Eidesleistung erbrachte in der Folge den vollständigen Beweis über die fragliche Tatsache.346 Der Eid wurde einer Partei durch den Richter von Amts wegen zugeschoben. Die Kriterien dieser Eideszuschiebung gegenüber einer Partei wurden nicht einheitlich beurteilt. Vielmehr entwickelte sich eine reiche Kasuistik, welcher Partei in welchem Fall der Eid zugeschoben werden sollte.347 Darüber hinaus kannte der römisch-kanonische Prozess die sog. Notorietät. Das Charakteristikum dieses Instituts war es, dass hierdurch ein Beweis überflüssig wurSo wurde der Sachverständigenbeweis sogar als testimonium bezeichnet, in Anlehnung an den Zeugenbeweis, vgl. Groß, Beweistheorie II, S. 32 ff.; siehe auch Meile, Beweislehre, S. 59 ff. 339 Siehe Meile, Beweislehre, S. 67 und Groß, Beweistheorie II, S. 45 ff. 340 Vgl. Groß, Beweistheorie II, S. 313; Meile, Beweislehre, S. 71 f. 341 Ausführlich Groß, Beweistheorie II, S. 44 ff.; Meile, Beweislehre, S. 69 f. 342 Vgl. Meile, Beweislehre, S. 67 f.; Groß, Beweistheorie II, S. 56. 343 Siehe Meile, Beweislehre, S. 69 ff.; vgl. auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 251 f. mwN. 344 Vgl. Groß, Beweistheorie II, S. 313 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 251 f. mwN. 345 Ausführlich zur Bedeutung des Eides Kleinfeller, Tatsacheneid, S. 60 ff.; ähnlich in seiner Analyse Walter, freie Beweiswürdigung, S. 35 f.; die verschiedenen Arten von Eiden listet Meile, Beweislehre, S. 82 ff. auf. 346 Zu Voraussetzungen und Beweiskraft der Eidesleistung vgl. Meile, Beweislehre, S. 82 ff.; Groß, Beweistheorie, S. 67 ff. 347 Vgl. Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 252 f. mwN; ähnlich schon Groß, Beweis theorie, S. 68 ff. 338
52 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts de. Insofern war bereits in dieser Zeit umstritten, ob es sich um ein Beweismittel handelte.348 Eine exakte Definition dieses Institutes findet sich nicht. Als notorisch konnte wohl jedenfalls alles dasjenige bezeichnet erden, „was dem Richter und den Parteien entweder in ihrer Eigenschaft als solchen oder vermögen ihrer allgemeinen menschlichen Eigenschaften so bekannt ist, dass ein Wegleugnen desselben selbst durch pfiffige Verdrehungen nicht leicht zu bewerkstelligen wäre.349 Die Notorietät umfasste jedenfalls das notorium facti (insbesondere den Augenschein), das notori um iuris (insbesondere das gerichtliche Geständnis), sowie das notorium praesump tionis (insbesondere gesetzliche Vermutungen).350 Abschließend wurden gerichtliche Vermutungen gleichfalls den Beweismitteln zugeordnet.351 Hierbei wurde von dem Nachweis einer bestimmten Tatsache als Indiz auf eine andere Tatsache geschlossen. Die Schlussfolgerung sollte den typischerweise in dieser Situation ablaufenden Geschehensverlauf nachzeichnen und auf der Lebenserfahrung basieren.352 Es wurde seinerzeit unterteilt in gewagte Vermutungen (praesumptio temeraria), ernste Vermutungen (praesumptio probabilis) und vollständig zuverlässige Vermutungen (praesumptio violenta).353 Erstere Vermutungen hatten wohl keinen spezifischen Beweiswert, Zweitere erbrachten halben Beweis und Letztere den vollen Beweis, wobei ein Gegenbeweis möglich blieb.354 Insgesamt hatte sich eine kaum zu überblickende Vielzahl solcher Vermutungen in Rechtsprechung und Lehre herausgebildet, deren Fundierung in der Lebenserfahrung oftmals durchaus zweifelhaft war.355 b) Beweiswürdigung Das Beweisrecht im römisch-kanonischen Prozess war auf die Ermittlung der Wahrheit ausgerichtet, mithin auch die richterliche Überzeugung von derselben.356 Allerdings zeigt sich an dieser Stelle gleichfalls die Prägung dieses Prozesses durch das spätrömische wie auch das germanische Prozessrecht: Der römisch-kanonische Pro348 In diesem Sinne wohl Meile, Beweislehre, S. 147 f., der zumindest die Notorietät selbst als beweisbedürftig ansieht; vgl. auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 253 f. mwN. 349 So Groß, Beweistheorie I, S. 51; hierauf verweisend auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 32. 350 Ähnliche Einteilung bei Meile, Beweislehre, S. 147; in der Sache ähnlich Groß, Beweistheo rie, S. 51 ff. 351 In diesem Sinne etwa Meile, Beweislehre, S. 80 ff.; ausführlich zu dieser Fragestellung und letztlich ablehnend Motzenbäcker, Rechtsvermutung, S. 334 ff. mwN. 352 Vgl. Meile, Beweislehre, S. 76; Groß, Beweistheorie, S. 57 f. 353 Vgl. zu dieser Einteilung Meile, Beweislehre, S. 77 ff.; zahlreiche weitere Einteilungsarten finden sich bei Motzenbäcker, Rechtsvermutung, S. 276 ff. und S. 283 ff. 354 Vgl. Groß, Beweistheorie, S. 61 ff.; Meile, Beweislehre, S. 78 f. 355 Zu diesem Ergebnis kommend Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 255 und Walter, freie Beweiswürdigung, S. 35. 356 Vgl. etwa Groß, Beweistheorie I, S. 19 f.; ausführlich auch Meile, Beweislehre, S. 91 f.
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zess folgte einer legalen Beweistheorie und stellte mannigfaltige Beweisregeln auf, die den Richter banden.357 So galt die Beweisregel unus testis, nullus testis. Erforderlich und zugleich ausreichend waren daher zwei Zeugen zur Erbringung eines vollen Beweises.358 Es gab genaue Regelungen zur Bestimmung des Beweiswertes einzelner Beweismittel und zum Verhältnis der Beweismittel zueinander: So gingen ältere Zeugen den Jüngeren vor, adlige Zeugen den Nichtadligen, reiche Zeugen den Armen.359 Außerdem ging die Zeugenaussage teils dem Urkundenbeweis vor.360 Durch diese Zuweisung fester Beweiswerte wurde das Beweisrecht Stück weit „mathematisiert“. Es wurde festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein halber Beweis oder auch voller Beweis erbracht war.361 Diese zahlreichen Beweisregeln sollten in der Theorie die subjektive Sicht des Richters auf ein Minimum reduzieren und richterlicher Willkür vorbeugen.362 Von einer freien Beweiswürdigung konnte in diesem Prozess jedoch keinesfalls gesprochen werden.363
IV. Der Prozess im gemeinen Recht in Deutschland Der gemeine Prozess hatte zwar lediglich subsidiäre Geltung gegenüber lokalem oder sonstig kodifiziertem Recht. Zudem gab es aufgrund der fortschreitenden Territorialisierung und Rechtszersplitterung auf dem Gebiet des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation eine nahezu unübersehbare Vielzahl an Einzelkodifikationen.364 Indes wurden diese Kodifikationen ihrerseits oftmals sehr nachhaltig durch den gemeinen Prozess geprägt.365 Daher ist sein Einfluss auf die weitere prozessuale Entwicklung nicht zu unterschätzen und eine Konzentration auf diesen Prozess angezeigt, zumal eine eingehende Untersuchung auch nur der größeren prozessualen Kodifikationen den Umfang dieser Untersuchung sprengen würde.
357 Siehe Walter, freie Beweiswürdigung, S. 37 unter Verweis auf Nörr, Stellung des Richters, S. 62 ff.; vgl. auch Eichmann, Corpus Iuris Canonici, S. 18 f. 358 Ausführlich zu dieser Beweisregel und ihrer Geschichte Schott, FS-Elsener, S. 222 ff.; zur Geltung im kanonischen Prozess vgl. etwa Groß Beweistheorie, S. 300 ff. 359 Vgl. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 38 mwN. 360 Siehe wiederum Walter, freie Beweiswürdigung, S. 38 mwN. 361 Vgl. zu dieser Unterteilung Groß, Beweistheorie I, S. 21 f. und Meile, Beweislehre, S. 131 ff. 362 So etwa Endemann, Civilprozess, S. 23 ff.; Schmidt, Zivilprozessrecht, S. 71 f.; dieses System positiv als Hilfestellung für den Richter herausstellend Meile, Beweislehre, S. 128 ff. 363 So insb. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 37 f.; ebenso Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 257 f. 364 Vgl. zur Subsidiarität wie auch zur Rechtszersplitterung Schwartz, Zivilprozessgesetzgebung, S. 727 ff. und Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 339 ff. 365 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 465 ff. mwN.
54 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
1. Entstehung und Entwicklung des gemeinen Prozesses in Deutschland Den Anfang dieser Entwicklung stellt die Rezeption des römischen Rechts auf dem Gebiet des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation dar. Diese Rezeption des römischen Rechts hatte eine Vielzahl verschiedener Ursachen und führte in der Folgezeit zu einer vollständigen Übernahme des römischen Prozessrechts in der Form des „gelehrten“ römisch-kanonischen Prozesses durch das Reichskammergericht und sodann auch die unteren Gerichte.366 a) Praktische Rezeption im 15. Jahrhundert bis zum jüngsten Reichsabschied So vielgestaltig sich die Ursachen dieser Rezeption darstellten, so unterschiedlich war auch ihr Umfang in den einzelnen Territorien. So setzte sich das römische Recht insbesondere in Süd- und Westdeutschland rasch als herrschendes Prozessrecht durch.367 Demgegenüber waren Geschwindigkeit und Grad der Rezeption in den großen Städten Norddeutschlands und im sächsischen Rechtskreis deutlich geringer. Insbesondere in Sachsen existiere mit dem Sachsenspiegel und später den Kursächsischen Konstitutionen von 1572 n. Chr. ein geschriebenes einheimisches Recht. Dieses Recht erfuhr zudem durch die „Schöppenstühle“ und juristischen Fakultäten in Leipzig, Magdeburg und Wittenberg eine wissenschaftliche Bearbeitung und Pflege, so dass sich ein eigenes Prozessrecht entwickelte.368 Die Entwicklung vom rezipierten, römisch-kanonischen Prozess hin zum sog. „gemeinen Prozess“ erfolgte schließlich mit dem jüngsten Reichsabschied aus dem Jahr 1654 n. Chr.369 Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Reichskammergericht allein das römisch-kanonische Prozessrecht als „des Reichs gemaine Rechte“ angewendet. Dieses Prozessrecht erfuhr im jüngsten Reichsabschied einige Veränderungen durch die Einführung von Elementen des sächsischen Prozessrechts.370 So wurde das Verfahren der Bildung von positiones aus dem römisch-kanonischen Recht zwecks Beschleunigung eingeschränkt, das summarische Klageverfahren übernommen und die Eventualmaxime weiter ausgeformt.371 Diese Verschmelzung des römisch-kano366
Vgl. Bookmann/Grenzmann/Moeller/Staehelin-Sellert, Recht und Verfassung I, S. 118 ff. mwN. 367 Zum Umfang der Rezeption vgl. ausführlich Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 226 ff. mwN. 368 Vgl. Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 180 ff. und S. 227; Engelmann, der Zivilprozess, II, 3, S. 121 ff. ausführlich zu diesem Prozess Schwartz, Zivilprozessgesetzgebung, S. 129 ff. 369 Vgl. etwa Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 456 ff.; so auch Bomsdorf, Prozessmaximen, S. 26 ff. 370 Siehe Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 456 ff.; Engelmann, der Zivilprozess II, 3, S. 128 ff. 371 Vgl. zu diesen Veränderungen im Einzelnen Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 459
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nischen Prozessrechts als Grundlage mit den Elementen des sächsischen Prozesses bildete den gemeinen Prozess.372 In der Zeit nach dem jüngsten Reichsabschied erlebte der gemeine Prozess immer wieder Veränderungen, die auf eine Beschleunigung des als äußert langwierig und schwerfällig beschriebenen Prozesses abzielten.373 Die wohl bedeutendste Veränderung stellte die Einführung des sog. Beweisinterlokuts dar. Der Prozess erfuhr ab dem 18. Jahrhundert eine Zweiteilung in eine richterliche Verhandlung, die mit einem Beweisurteil (Beweisinterlokut) endete und dem sich anschließenden Beweisverfahren.374 Bei diesem Beweisinterlokut handelte sich um ein selbstständig anfechtbares Zwischenurteil, das für Parteien wie Gericht bindende Feststellungen über Beweisthema, Beweislast und Beweisfrist aufstellte.375 In dieser Form hatte der gemeine Prozess in vielen Einzelkodifikationen bis zur Einführung der ZPO – zumindest subsidiäre – Geltung in weiten Teilen Deutschlands.376 b) Prozessuale Kodifikationen und die weitere Entwicklung bis zum Erlass der ZPO Allerdings wurde in den größeren Territorien auf dem Gebiet des Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation ab den 1750er Jahren im Zeitalter des Naturrechts eine Reihe prozessualer Kodifikationen geschaffen.377 Derartige Verschriftlichungen und Entwicklungen des Rechts hatte es zwar bereits im ausgehenden Mittelalter, insbesondere in den größeren Städten gegeben. Beispielhaft genannt seien hier die einflussreichen Stadtrechte Freiburgs, Lübecks und Magdeburgs.378 Indes erfolgten diese späteren Kodifikationen im Zeitalter des Naturrechts vor dem Hintergrund dieser Strömung und ihres Willens zur Systematisierung des Rechts.379 Nachfolgend soll indes allein das Verhältnis dieser Kodifikationen zum gemeinen Recht kurz skizziert werden. Siehe Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 456 ff.; Engelmann, der Zivilprozess II, 3, S. 131 ff. 373 Vgl. etwa Schwartz, Zivilprozessgesetzgebung unter Verweis auf die Schilderungen Goe thes aus seiner Zeit am Reichskammergericht; ebenso Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, Rechtsgeschichte II, S. 277 ff. mwN; siehe auch die gesammelte Kritik bei Engelmann, der Zivilprozess II, 3, S. 201 ff. 374 Ausführlich Planck, Beweisurteil, S. 222 ff.; kritisch gegenüber dieser Entwicklung des Beweisurteils demgegenüber Endemann, Beweisverfahren, S. 82 ff. 375 Vgl. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 302; Martin, Gemeiner Prozess, S. 322 ff. 376 Vgl. etwa Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 456 ff.; Bomsdorf, Prozessmaximen, S. 28 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 229 ff.; Engelmann, der Zivilprozess II, 3, S. 131 ff. 377 Vgl. Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 237 ff.; ausführlich auch Wieacker, Privatrechtsgeschichte, S. 322 ff. 378 Vgl. Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 143; eine ausführliche Aufzählung findet sich auch bei Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 368 ff. 379 Zur Methodik des Naturrechts vgl. Nörr, Naturrecht, S. 24 ff. mwN. 372
56 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Den Beginn dieser Kodifikationen bildete Bayern im Jahre 1753 n. Chr. mit dem Codex Juris Bavarici Judiciarii. Dieses Werk wurde vom bayrischen Vizekanzler v. Kreittmayr verfasst und basierte auf dem gemeinen Recht.380 Gleiches gilt für die Allgemeine Gerichtsordnung, die Jospeh II im Jahre 1781 n. Chr. für Österreich in Kraft gesetzt hat. Die Grundsätze wie auch die Einzelheiten wurden dem gemeinen Recht entnommen und im Rahmen dieses Gesetzbuches systematisiert und in verständlicher Sprache niedergelegt.381 Gerade diese Systematisierung und Abstrahierung machte die wesentliche Neuerung der naturrechtlichen Kodifikationen aus, weniger hingegen die inhaltliche Veränderung des bisherigen Prozessrechts.382 Demgegenüber zeigte sich das preußische Recht deutlich reformfreudiger: Das Cor pus Juris Fridericianum aus dem Jahr 1781 n. Chr. sah eine sehr starke richterliche Stellung im Prozess vor. Insbesondere wurde dem Richter die Wahrheitsfindung von Amts wegen iSe Untersuchungsmaxime aufgetragen, so dass sich dieser Prozess in Bezug auf die Stellung des Richters und der Parteien deutlich vom gemeinen Prozess unterschied.383 Die „Allgemeine Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten“ von 1793 n. Chr. veränderte einige Bereiche, wie etwa die Art des Rechtsbeistandes der Parteien. Indes verblieb es auch in der allgemeinen Gerichtsordnung bei der starken Stellung des Richters und der Untersuchungsmaxime.384 Zusammenfassend basierten auch die großen Kodifikationen mehrheitlich auf dem gemeinen Recht – mit Ausnahme der preußischen Staaten. Der gemeine Prozess blieb in seiner Gestalt bis zur Einführung der ZPO weitgehend unverändert bestehen und hatte subsidiäre Geltung.385
2. Ablauf und Verfahrensgrundsätze Der gemeine Zivilprozess unterteilte sich ab dem 18. Jahrhundert in zwei verschiedene Verfahrensabschnitte: Im ersten Teil, dem sog. ersten oder vorbereitenden Verfahren, wurde der Sach- und Streitstand zwischen den Parteien erörtert und am Ende stand entweder ein Endurteil oder ein Beweisinterlokut.386 Diesem ersten Verfahren schloss sich die Beweisaufnahme als eigener Abschnitt des Prozesses an.387 380 Vgl. ausführlich Schöll, Codex Juris Bavarici Judiciarii, S. 4 ff. und zusammenfassend S. 290. 381 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 465 f. 382 So etwa Nörr, Naturrecht, S. 24 mwN; ähnlich Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 327 ff. 383 Vgl. Engelmann, der Zivilprozess II, 3, S. 204 ff.; Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 466 ff. 384 Zu diesen Veränderungen Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 468 f. 385 Vgl. Conrad, deutsche Rechtsgeschichte II, S. 456 ff.; zum Einfluss des französischen Zivilprozessrechts auf den gemeinen Prozess siehe etwa Stürner, FS-Söllner, S. 1171, 1180 ff. mwN. 386 Ausführlich Planck, Beweisurteil, S. 222 ff.; vgl. auch Endemann, Zivilprozessrecht, S. 669 ff. 387 Vgl. etwa Planck, Beweisurteil, S. 228 ff.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 301 ff.
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Dieser erste Abschnitt begann mit der Einreichung einer Klage bei Gericht durch den Kläger.388 Es folgte eine erste Schlüssigkeitsprüfung dieser Klage, gegebenenfalls mit der gerichtlichen Aufforderung zur Behebung prozessualer Mängel.389 Eine ordnungsgemäße Klageschrift wurde sodann an den Beklagten weitergeleitet und derselbe zu einer Stellungnahme aufgefordert.390 Im Falle eines Anerkenntnisses erfolgte unmittelbar ein Anerkenntnisurteil.391 Bei Bestreiten des Anspruches mussten die Einlassungen des Beklagten aufgrund der strengen Eventualmaxime zugleich sämtliche Einreden und sonstigen Verteidigungsmittel enthalten, die der Beklagte vorzubringen hatte.392 Diese Klageerwiderung unterlag gleichfalls einer richterlichen Schlüssigkeitsprüfung, bevor dem Kläger die Gelegenheit zu einer Replik auf die Einlassungen des Beklagten gegeben wurde.393 Es folgte eine Duplik des Beklagten sowie die Möglichkeit weitere Einlassungen der Parteien – je nach Komplexität des Streitstoffes.394 In der Regel genügten Replik und Duplik zur hinreichenden Erörterung der Sach- und Rechtslage, so dass durch richterliche Anordnung die Akten geschlossen und ein Urteil gesprochen wurde.395 Sofern die Klage unzulässig oder der tatsächliche Sachverhalt unstreitig war, konnte ein Endurteil ergehen. Im Übrigen sprach das Gericht ein Beweisurteil aus.396 Der gemeine Prozess folgte der Verhandlungsmaxime.397 Zudem war eine sehr weitgehende Schriftlichkeit bestimmend für diesen Prozess, woraus zugleich seine Nichtöffentlichkeit resultierte.398 Prägend war zudem die strenge Eventualmaxime,
v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 250 f.; Endemann, Zivilprozessrecht, S. 614 f., der für Bagatellprozesse zudem auf die Möglichkeit einer Ladung des Beklagten vor Gericht durch den Kläger und Überreichung der Klageschrift unmittelbar im Prozess hinweist. 389 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 633 ff.; ebenso v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 259 ff. 390 Vgl. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 259 f.; Endemann, Zivilprozessrecht, S. 635 f. 391 Eingehend zu Voraussetzungen und Wirkung eines Anerkenntnisses Endemann, Zivilprozessrecht, S. 387 ff. 392 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 658 ff.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 264 ff. 393 Vgl. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 277 ff. zu Prüfungsumfang des Richters und Inhalt der Replik. 394 Vgl. zu Prüfung und Inhalt der Dublik v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 282 f.; eine weitere Erörterung des Sachverhaltes stand im richterlichen Ermessen, vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 668 mwN. 395 Vgl. zum Aktenschluss v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 283 ff.; Martin, Gemeiner Prozess, S. 308 ff. 396 Zu den Urteilsarten Endemann, Zivilprozessrecht, S. 669 ff.; vgl. auch Martin, Gemeiner Prozess, S. 311 ff. 397 So etwa Martin, Gemeiner Prozess, S. 30 f.; ebenso Endemann, Zivilprozessrecht, S. 364 ff.; kritisch gegenüber der Geltung der Verhandlungsmaxime Bomsdorf, Prozessmaximen, S. 62 ff. 398 Zu diesen Grundsätzen und ihrem Zusammenhang Endemann, Zivilprozessrecht, S. 355 ff.; Linde, Zivilprozessrecht, S. 193 f. spricht indes von „schriftlichen Öffentlichkeit“ durch öffentliche Einsichtnahmemöglichkeit in die Akten. 388 Vgl.
58 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts obgleich versucht wurde, zumindest den Grundsatz rechtlichen Gehörs einzuhalten.399
3. Beweisrecht a) Grundlagen des Beweisurteils und des Beweisverfahrens Das Beweisverfahren ließ sich seinerseits in drei verschiedene Abschnitte unterteilen. Den Beginn bildete das Beweisantretungsverfahren, in dessen Rahmen das Beweisthema konkretisiert und die Beweismittel für den Haupt- und Gegenbeweis benannt wurden.400 Dieser Beweisantretung schloss sich das Produktionsverfahren an, in dessen Rahmen die Beweismittel sowie etwaige Einwendungen gegen dieselben eingeführt wurden.401 Dabei entschied das Gericht zunächst über die Einwendungen (Produktionsverfahren im weiteren Sinne), so dass im Anschluss lediglich diejenigen Beweismittel eingeführt wurden, die hiernach noch zulässig waren (Produktionsverfahren im engeren Sinne).402 Im anschließenden Hauptverfahren verhandelten die Parteien über das Ergebnis dieser Beweisaufnahme.403 Den Abschluss bildete das richterliche Urteil über die Ergebnisse der Beweisaufnahme.404 Das Ziel des Beweisverfahrens im gemeinen Prozess war die Überzeugung des Gerichts von vom wahren Sachverhalt und der Gegenstand des Beweises mithin Tatsachen.405 Indes begrenzten Verhandlungsmaxime wie auch Prozessökonomie das Beweisverfahrens dahingehend, dass lediglich streitige und zugleich entscheidungserhebliche Tatsachen zulässiger Gegenstand desselben waren.406 Daher wurde in der Regel eher vom Beweisziel der formellen Wahrheit gesprochen.407 Der Abschnitt des Beweisverfahrens folgte grundsätzlich den Maximen des vorbereitenden Verfahrens. Es handelte sich um einen schriftlichen, nichtöffentlichen Prozess, der durch die Verhandlungs- und Eventualmaxime geprägt wurde und in diesen Grenzen das rechtliche Gehör der Parteien sicherzustellen suchte.408 Außerdem 399 Zur Eventualmaxime vgl. etwa Endemann, Zivilprozessrecht, S. 588 ff.; zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs im gemeinen Prozess siehe Martin, Gemeiner Prozess, S. 31 f. 400 Vgl. Martin, Gemeiner Prozess, S. 340 f.; Endemann, Zivilprozessrecht, S. 834 ff. 401 Siehe Martin, Gemeiner Prozess, S. 341; diese Abschnitte explizit unterteilend v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 318 f. 402 Vgl. Martin, Gemeiner Prozess, S. 340; inhaltlich ebenso v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 318 ff. 403 Siehe Martin, Gemeiner Prozess, S. 341 f.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 320. 404 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 838; Martin, Gemeiner Prozess, S. 342. 405 Vgl. dazu Endemann, Zivilprozessrecht, S. 672 ff.; Martin, Gemeiner Prozess, S. 297 f. 406 Vgl. zu diesen Anforderungen etwa Endemann, S. 674 ff.; zu den Instituten der Notorietät und der Rechtsvermutungen, die einen Beweis überflüssig machen sollten vgl. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 321 ff. 407 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 672 ff. und S. 690; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 296 f. 408 Ausführlich zu den Maximen des Beweisverfahrens Endemann, gemeiner Prozess, S. 822 ff.
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wurde das Recht der Parteien zur Führung des Haupt- wie auch des Gegenbeweises betont.409 b) Beweismittel und Beweiswürdigung Der gemeine Prozess kannte die Beweismittel des Zeugen, Sachverständigen, Augenscheins, der Urkunden und des Parteieids.410 Die Beweiswürdigung erfolgte ähnlich dem römisch-kanonischen Prozess mittels festgelegter gesetzlicher Beweisregeln iSe legalen Beweistheorie.411 Es wurde durch zahlreiche Beweisregeln festgelegt, unter welchen Voraussetzungen ein Beweis formal korrekt erbracht worden war.412 Darüber hinaus wurde den Beweismitteln im Verhältnis zueinander für eine Vielzahl von Fällen jeweils eine bestimmte Wertigkeit gegeben. Diese Gewichtung war erforderlich, um Fälle zu lösen, in denen Beweis und Gegenbeweis jeweils formal korrekt erbracht wurden und mithin ein sich widersprechendes Beweisergebnis vorlag.413 So ging etwa der Sachverständige bei Begutachtung einer Sache allen anderen Beweismitteln vor, bei historischen Tatsachen war wiederum der Beweis durch Augenschein vorrangig und bei Widersprüchen zwischen der Aussage eines Zeugen und seiner früheren, in einer Urkunde festgehaltenen Aussage gab man der später erfolgten, aktuelleren Zeugenaussage den Vorzug.414 Der Zeugenbeweis wurde durch die Benennung der Zeugen und die Präzisierung des Beweisthemas angetreten.415 Zeugen wurden definiert als Personen, die am Prozess nicht selbst beteiligt waren und über Tatsachen aus eigener sinnlicher Wahrnehmung berichteten.416 Es herrschte eine allgemeine Zeugnispflicht.417 Allerdings kannte das gemeine Recht eine Reihe von Zeugnisverweigerungsrechten, so etwa aufgrund besonderer Näheverhältnisse (nahe Verwandte) oder bei Berufsgeheimnissen (Anwälte, Geistliche) sowie bei Gefahr der Selbstbelastung.418 Daneben übernahm der gemeine Prozess die mannigfaltigen Gründe für die Zeugnisunfähigkeit aus dem römisch-kanonischen Prozess. So die Zeugnisunfähigkeit Unmündiger, So etwa Endemann, Zivilprozessrecht, S. 824 f.; ebenso Martin, Gemeiner Prozess, S. 342 ff. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 297 f.; etwas anders unterteilt Endemann, Zivilprozessrecht, S. 698 f. 411 Zusammenfassend Walter, freie Beweiswürdigung, S. 76 ff. mwN; aus der Zeit des gemeinen Rechts siehe etwa Endemann, Zivilprozessrecht, S. 690. 412 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 688 ff. und bei den jeweiligen Beweismitteln, S. 712 ff.; siehe auch Linde, Zivilprozessrecht, S. 297 f. und S. 329 ff. 413 Vgl. Martin, Gemeiner Prozess, S. 355 ff.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 400 ff. 414 Diese Beispiele und eine Aufzählung weiterer Beweisregeln finden sich bei v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 400 ff.; siehe auch Martin, Gemeiner Prozess, S. 355 ff. mit einer ähnlichen Auflistung. 415 Vgl. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 338 f.; Endemann, Zivilprozessrecht, S. 838 ff. 416 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 712 f.; Wetzel, System des Zivilprozesses, S. 206. 417 So etwa Endemann, Zivilprozessrecht, S. 714 ff.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 335. 418 Ausführlich und mit weiteren Fällen Endemann, Zivilprozessrecht, S. 716 ff. 409
410 Vgl.
60 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Ehrloser, naher Verwandter, Blinder und Tauber für die nicht sinnlich wahrnehmbaren Eindrücke und generell die Zeugnisunfähigkeit von Personen, die am Ausgang des Prozesses ein unmittelbares Interesse hatten.419 Allerdings kannte der gemeine Prozess weitere Abstufungen durch solche Personen, die lediglich „verdächtig“ waren. Diese Personen konnten als Zeugen gehört werden, ihnen kam jedoch nur ein geringer, durch das Gericht zu beurteilender Beweiswert zu.420 Als Beweisregel hatte sich der Grundsatz erhalten, dass die prozessordnungsgemäße Aussage zweier glaubwürdiger Zeugen vollen Beweis erbrachte.421 Allerdings wurden zunehmend Ausnahmen zugelassen, die einen Zeugen genügen ließen.422 Das Antreten des Sachverständigenbeweises erfolgte durch die Benennung des Gutachters und des Themas des Gutachtens.423 Der Sachverständige wurde teils als Gehilfe des Richters, teils als eigenständiges Beweismittel der Parteien betrachtet.424 Indes wurden die Regelungen über den Zeugenbeweis übereinstimmend in weitem Umfang auf den Sachverständigenbeweis angewendet.425 Der Inhalt des Gutachtens und sein Beweiswert unterlagen der freien richterlichen Würdigung.426 Der Urkundenbeweis wurde durch die Bezeichnung des Beweisthemas und die Überreichung der Urkunde bzw. die Bezeichnung der Urkunde im Falle des Urkundenbesitzes des Beweisgegners oder Dritter angetreten.427 Das gemeine Recht unterschied wiederum zwischen öffentlichen und privaten Urkunden: Öffentliche Urkunden waren alle diejenigen Urkunden, die von öffentlichen Behörden oder Beamten, die die publica fides innehatten, in dieser Eigenschaft errichtet wurden.428 Aufgrund des öffentlichen Charakters ihres Ausstellers wurde ihre Echtheit vermutet und die Urkunden erbrachten den vollen Beweis ihres Inhaltes.429 Privaturkunden wurden in der Regel negativ als alle Urkunden definiert, die keine öffentlichen Urkunden waAuflistungen finden sich bei Endemann, Zivilprozessrecht, S. 718 ff.; Linde, Zivilprozessrecht, S. 331 f.; Wetzell, System des Zivilprozesses, S. 206 ff. 420 Zu dieser Unterscheidung v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 333 ff.; Endemann, Zivilprozessrecht, S. 720 ff. 421 Vgl. etwa Endemann, Zivilprozessrecht, S. 729 f.; Wetzell, System des Zivilprozesses, S. 218 f. 422 Zu diesen Ausnahmen und generell kritisch zur legalen Beweistheorie Endemann, Zivilprozessrecht, S. 730 f. 423 Siehe Endemann, Zivilprozessrecht, S. 845 ff.; Martin, Gemeiner Prozess, S. 404. 424 Für die Eigenständigkeit als Beweismittel v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 371 f.; zweifelnd dagegen Endemann, Zivilprozessrecht, S. 733 f. jeweils mwN. 425 Vgl. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 372 f.; insoweit wiederum zustimmend Endemann, Zivilprozessrecht, S. 734 ff. 426 So insbesondere Endemann, Zivilprozessrecht, S. 735 f.; ebenso v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 372 f. 427 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 849 ff.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 360. 428 So Endemann, Zivilprozessrecht, S. 743 ff.; ähnlich v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 349 f. 429 Zu diesen Wirkungen v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 351 ff.; Endemann, Zivilprozessrecht, S. 745 ff.; Bayer, Gemeiner Zivilprozess, S. 837 ff. mit Quellennachweisen. 419 Ausführliche
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61
ren.430 Ihre Echtheit musste positiv nachweisen, wenn sie nicht durch den Beweisgegner anerkannt wurde. Dieser Beweis sollte primär durch die Vorlage liquider Beweismittel in Form von Zeugen, anderen Urkunden sowie sachverständigem Schriftenvergleich geführt werden.431 Subsidiär gab es das Institut des sog. Dessissionseides, dessen ordnungsgemäße Ableistung vollen Beweis der Echtheit der Urkunde erbrachte.432 Der Beweiswert richtete sich nach dem Inhalt der Privaturkunde: Bei einer Aussage der Gegenpartei wurde die Urkunde gleich einem gerichtlichen Geständnis behandelt, bei einer Aussage Dritter fanden die Regelungen über den Zeugenbeweis Anwendung.433 Die gegnerische Partei konnte bei öffentlichen wie auch privaten Urkunden ihre Echtheit, ihren Inhalt sowie formale Fehler der Urkunde angreifen und stets einen entsprechenden Gegenbeweis führen.434 Bei einer Urkunde im Besitz des Beweisgegners oder eines Dritter konnte die beweisführende Partei unter gewissen Voraussetzungen eine Herausgabe derselben erzwingen (sog. Editionsverfahren).435 Eine allgemeine Editionspflicht kannte das gemeine Recht nicht. Eine Urkundenedition wurde zum einen zugelassen bei einer materiellrechtlichen Berechtigung an der Urkunde. Zum anderen aus prozessualen Gründen, bei öffentlichen Urkunden im Besitz einer Behörde, zugunsten des Fiskus bzw. bei einem überwiegenden Interesse der beweisführenden Partei an der Herausgabe.436 Der Augenscheinsbeweis wurde durch einen Antrag der Parteien angetreten und war nicht allgemein als Beweismittel anerkannt. Vielmehr wurde er teilweise als Beweissurrogat betrachtet, das einen Beweis überflüssig machte.437 Die Beweisaufnahme erfolgte durch die formgemäße Augenscheinnahme der betreffenden Tatsache durch das Gericht unter Anwesenheit der Parteien und erbrachte bei Einhaltung der Förmlichkeiten vollen Beweis derselben.438 So etwa Endemann, Zivilprozessrecht, S. 748; ähnlich v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 350. Zu den Anforderungen an die Echtheit und ihrem Nachweis Endemann, Zivilprozessrecht, S. 859 ff.; ähnlich v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 364 ff. 432 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 862 ff.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 364 ff. geht hingegen nicht von der Subsidiarität dieses Eides aus; zur dogmatischen Einordnung vgl. auch Bayer, Gemeiner Zivilprozess, S. 857 ff. 433 So etwa v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 352 f.; ähnlich einteilend Endemann, Zivilprozessrecht, S. 749 f. 434 Vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 859 ff. und S. 866; zu den formalen Anforderungen an eine Urkunde siehe v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 353 ff.; ausführlich auch Bayer, Gemeiner Zivilprozess, S. 848 ff. 435 Ausführlich zu den Fällen einer Editionspflicht Endemann, Zivilprozessrecht, S. 851 ff.; ähnlich Linde, Zivilprozessrecht, S. 355 ff. jeweils mwN. 436 So Endemann, Zivilprozessrecht, S. 852 ff.; v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 355 ff.; ähnlich bereits Wetzell, System des Zivilprozesses, S. 249 f. 437 Für die Anerkennung als Beweismittel v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 370; für ein Beweissurrogat dagegen Endemann, Zivilprozessrecht, S. 704 ff. 438 Übereinstimmend v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 370 f. und Endemann, Zivilprozessrecht, S. 704 ff. 430
431
62 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Der Beweisantritt durch Parteieid erfolgte schließlich beim Schiedseid durch Antrag einer Partei und beim Erfüllungs- bzw. Reinigungseid durch gerichtliche Auferlegung.439 Eidesunfähig waren Geisteskranke und Meineidige, während bei eidesunmündigen Kindern und juristischen Personen der Schwur durch die gesetzlichen Vertreter ausgeführt wurde.440 Der Schiedseid bezog sich im gemeinen Recht ausschließlich auf Tatsachen und wurde einer Partei von der anderen Partei zugeschoben. Seine Ableistung hatte eine formal feststellende Wirkung bezüglich der beschworenen Tatsachen.441 Die Eidesleistung konnte jedoch durch das Vorbringen anderer Beweismittel für die betreffende Tatsache abgewendet werden (sog. Gewissensvertretung durch Beweis).442 Der Reinigungs- bzw. Erfüllungseid stellte ein subsidiäres Beweismittel für diejenigen Fälle dar, in denen die bisherige Beweisaufnahme mittels aller anderen verfügbaren Beweismittel zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Tatsache, indes keinen vollständigen Nachweis erbracht hatte.443 In diesem Fall wurde je nach Wahrscheinlichkeit der Tatsache und Nähe der Parteien zum Beweis entweder dem Kläger der Erfüllungseid oder dem Beklagten der Reinigungseid aufgegeben.444 Dagegen stand die vorgelagerte Frage, ob einer der Parteien ein solcher Eid auferlegt werden sollte, nicht im richterlichen Ermessen. Vielmehr hatten die Parteien ein Recht darauf, dass dieser Eid auferlegt wurde.445
V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen 1. Die Entwicklung des zivilprozessualen Beweisrechts im römischen Recht Der terminus technicus eines Rechts auf Beweis war den Römern wohl in allen Prozessformen fremd. Zudem unterlag das Beweisrecht im römischen Zivilprozess im Laufe der Zeit so starken Veränderungen, dass auch die Frage, ob der römische Zivilprozess inhaltlich einem solchen beweisrechtlichen Mindeststandard nahe kam, nicht einheitlich beantwortet werden kann.
Endemann, Zivilprozessrecht, S. 867 ff.; Bayer, Gemeiner Zivilprozess, S. 868 ff. So etwa Endemann, Zivilprozessrecht, S. 783 ff.; Bayer, Gemeiner Zivilprozess, S. 876 ff. 441 Zu Anforderungen und Wirkung dieses Eides vgl. Endemann, Zivilprozessrecht, S. 781 ff.; Bayer, Gemeiner Zivilprozess, S. 870 ff.; Martin, Gemeiner Prozess, S. 409 ff. 442 Hierzu Martin, Gemeiner Prozess, S. 419 ff.; zu diesem Institut auch Endemann, Zivilprozessrecht, S. 796 ff. 443 Vgl. Bayer, Gemeiner Zivilprozess, S. 910 ff.; Endemann, Zivilprozessrecht, S. 808 ff. 444 Zu diesen Regelungen die das diesbezügliche richterliche Ermessen lenkten vgl. v. Linde, Zivilprozessrecht, S. 398 ff.; ähnlich Martin, Gemeiner Prozess, S. 353 ff. 445 So ausdrücklich Endemann, Zivilprozessrecht, S. 810; ähnlich Martin, Gemeiner Prozess, S. 353 f. 439 Vgl. 440
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a) Die Entwicklung in der Geschichte des römische Zivilprozesses Es spricht viel dafür, dass die Berechtigung der Parteien Beweismittel jeder Art vorzubringen im Legisaktionen- und auch im Formularprozess unzweifelhaft vorhanden war. Dafür lassen sich die strikte Herrschaft der Parteien über diesen Verfahrensabschnitt und die Parteiverantwortung für die Beibringung der Beweismittel anführen. Hinzu kommt der Grundsatz beiderseitigen Gehörs, der bereits in frühen Stadien gewisse Ausprägungen erfahren hat. In einem Verfahren unter strenger Geltung dieser Grundsätze wird die Berücksichtigung des Parteivorbringens vermutlich für die römischen Juristen evident gewesen sein, so dass auch eine schriftliche Niederlegung des „Selbstverständlichen“ unterbleiben konnte.446 Mithin werden die Parteien ihre Beweismittel vollumfänglich selbst präsentiert haben und Forderungen, Beweismittel zuzulassen, zumindest zum Urteilsrichter durchgedrungen sein. Weiter lassen sich auch die zahlreichen bereits bekannten Beweismittel im Legisaktionenprozess anführen. Eine solche Vielfalt der Beweismittel würde wenig Sinn ergeben, wenn ihr Einsatz und Nutzen vor Gericht ungewiss oder gar ausgeschlossen gewesen wäre. Allerdings kannte der Zivilprozess in vorklassischer und klassischer Zeit auch etliche Einschränkungen. So wurde der Ausschluss völlig ungeeigneter Beweismittel gesetzlich geregelt und auch die Beweismittel kannten Einschränkungen. Der Zeugenbeweis fand durch die umfängliche Zeugnisunfähigkeit verschiedener Personengruppen weitreichende Einschränkungen. Diese umfangreichen Bestimmungen zur Zeugnisunfähigkeit war hierbei wohl Ausdruck einer altertümlichen, zutiefst hierarchisch organisierten, römischen Gesellschaft. Zudem zeigte sich die Kehrseite der strikten Parteiherrschaft dahingehend, dass es kaum staatliche Unterstützung bei der Sicherung und Herbeischaffung von Beweismitteln gab. Eine weitere, einschneidende Beschränkung ist in den Parteieiden zu sehen, die bei ihrer Leistung das Verfahren formal entschieden und eine Beweisaufnahme ausschlossen. Eine solche, formale Prozessbeendigung lässt sich wohl nur als ein Relikt aus vorklassischer Zeit erklären, bei dem die prozessuale Rechtsfindung noch mit religiösen Elementen verbunden war.447 Die seinerzeitigen Einschränkungen bei völliger Ungeeignetheit des Beweismittels finden sich noch in heutiger Zeit im Prozessrecht.448 Die umfangreichen Regelungen der Zeugnisunfähigkeit sind in ihren Motiven mit unserem heutigen Wertekanon absolut unvereinbar und finden sich daher konsequenterweise nicht im heutigen Prozessrecht. Die Frage, inwieweit eine fehlende Editierung von Beweismitteln bei der Ladung eine Verwendung derselben im Prozess ausgeschlossen hat, ist anhand der Quellen So die Erklärung von Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 359 für die fehlende Verschriftlichung von Prozessprinzipien durch die römischen Juristen. 447 Zum Verhältnis von Prozessrecht und sakralen Elementen vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 117 f., insbesondere auch zur diesbezüglich unsicheren Quellenlage. 448 Ausführlich unten in § 6 IV. 4. 446
64 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts schwierig zu beantworten.449 Ein gänzlicher Ausschluss von Beweismitteln, die nach der Editierung aufgefunden wurden, wäre eine starke beweisrechtliche Einschränkung der Parteien. Eine solche Regelung erscheint insofern zweifelhaft, als sie im gänzlichen Widerspruch zur Vielfalt der Beweismöglichkeiten und der Freiheit der Beweiswürdigung im Prozess stehen würde. Jedenfalls ist eine solche „Präklusion“ von Beweismitteln mangels editio wohl eine Konsequenz der strikten Zweiteilung des Verfahrens und findet kein Äquivalent im heutigen Zivilprozessrecht. Insgesamt lässt sich für die vorklassische und insbesondere die klassische Zeit des Formularprozesses festhalten, dass den Parteien ein für diese Epoche sehr freies Beweisrecht zur Verfügung stand. Diese Freiheit blieb auch im klassischen Kognitionsprozesses zeitweise noch vorhanden. Veränderungen ergaben sich insbesondere bei der Verfahrensgestaltung und seinem Ablauf. Es entstand ein staatlich bereitgestellter und amtswegig betriebener Zivilprozess. Die Kontrolle über den Verfahrensablauf wurde den Parteien entzogen und in den Händen der als Richter fungierenden, kaiserlichen Beamten gebündelt. Das Beweisrecht durchlebte erst in nachklassischer Zeit tiefgreifende Veränderungen. Die Zulässigkeit von Beweismitteln wurde an strenge Voraussetzungen geknüpft und die Beweiswürdigung durch den Richter festen Regeln unterworfen. Der Urkundenbeweis wurde rechtlich privilegiert und in den Vordergrund gestellt. Die festgelegte Beweiskraft einer Urkunde band den Richter in seiner Beweiswürdigung, es verblieb lediglich die Würdigung der Echtheit einer Urkunde. Der Zeugenbeweis sank demgegenüber im Ansehen der herrschenden Kaiser und wurde qua Gesetz gegenüber anderen Beweismitteln herabgesetzt. Allein die Regelung unus testis, nul lus testis450 dürfte den Zeugenbeweis in der Rechtspraxis oftmals vollumfänglich entwertet haben. Gleiches gilt für die Mindestzahl an Zeugen, die in speziellen Fallkonstellationen gefordert wurden.451 Diese Einschränkungen und Reglementierungen des Beweisrechts machen bereits deutlich, dass in nachklassischer Zeit von einem freien Beweisrecht nur noch in sehr begrenztem Maße die Rede sein konnte.452 b) Der Einfluss des römischen Zivilprozessrechts auf die ZPO Die Frage nach dem Einfluss des römischen Zivilprozessrechts auf das heutige Beweisrecht der ZPO ist nicht leicht zu beantworten. Schwierigkeiten bereitet insbesondere die Unterschiedlichkeit des Zivilprozesses in den einzelnen Epochen des römischen Rechts. So lässt sich wohl am ehesten konstatieren, dass die heutige ZPO Vgl. die Darstellung von Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 357. Walter, freie Beweiswürdigung, S. 15 und Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 605, Fn. 60. 451 Eine Auflistung solcher Fälle spezieller Mindestzahlen von Zeugen findet sich z. B. bei Simon, Justinianischer Zivilprozess, S. 253 ff. mit entsprechenden Quellenangaben. 452 Ähnlich bezgl. der Beweiswürdigung Walter, freie Beweiswürdigung, S. 17. 449
450 Vgl.
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in Deutschland in gewissem Umfang inhaltliche Anleihen aus allen Arten des römischen Zivilprozesses enthält: Der formale Verfahrensablauf mit amtlicher Ladung und einem staatlich bestellten Richter entspricht eher dem Kognitionsprozess. Auch nach modernem Staatsverständnis hat der Staat eine funktionsfähige Justiz bereitzustellen und für einen reibungslosen Verfahrensablauf in möglichst kurzer Zeit zu sorgen. Indes weist die heutige ZPO in ihrer inhaltlichen Ausgestaltung des Verfahrens mit seinen Grundsätzen und der Freiheit des Beweisrechts deutlich mehr Ähnlichkeiten mit dem klassischen Legisaktionen- und Formularprozess auf. Grundsätze, wie die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung, die Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens sowie das beiderseitige Gehör sind für den Zivilprozess nach der ZPO prägend und finden sich bereits im klassischen Legisaktionen- und Formularprozess. Gleiches gilt für den Dispositions- und Beibringungsgrundsatz als wesentliche Grundsätze der ZPO.453 Die Parteien mussten mithin die rechtserheblichen Tatsachen vortragen und beweisen, das Verfahren lag insoweit vollständig in ihrer Hand. Zudem entwickelte sich bereits sehr früh im römischen Recht der Grundsatz der freien Beweiswürdigung, welcher auch im heutigen Zivilprozess in § 286 I ZPO normiert ist. Insoweit lassen sich viele Grundsätze des Zivilprozesses der ZPO auf den klassischen Legis aktionen- und Formularprozess zurückführen. Allerdings erscheint es plausibel, dass auch einige heutige Beweisregeln den Kognitionsprozess zum Vorbild hatten. So findet sich in den §§ 415 ff. ZPO auch heute noch eine Unterteilung in öffentliche und private Urkunden (§§ 415, 416 ZPO). Diese Regelungen stellen eine Ausnahme iSd § 286 II ZPO vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO dar.454 Bei Nachweis der Echtheit der Urkunde erbringen diese Urkunden den vollen Beweis des beurkundeten Vorganges, § 415 I ZPO, bzw. der enthaltenen Erklärung, § 416 ZPO. Die Ähnlichkeit der Einteilung, Voraussetzungen und Rechtsfolge dieser Beweisregeln spricht für eine gewisse Vorbildfunktion des Kognitionsprozesses in diesem Zusammenhang.455 Insgesamt hinterlässt der Einfluss des römischen Zivilprozesses auf die heutige ZPO ein zweigeteiltes Bild: Der formelle Verfahrensablauf orientiert sich stärker am späteren Kognitionsprozess, während die inhaltliche Ausgestaltung des heutigen Zivilprozesses mit seinen Verfahrensgrundsätzen sehr viel eher den klassischen Legis aktionen- und Formularprozess zum Vorbild hatte.456 Zum Prägung des Legisaktionen- und Formularprozesses vgl. Kaser/Hackl, Römisches Zivilprozessrecht, S. 9 f.; bzgl. der ZPO vgl. beispielsweise MüKo-Rauscher, Einleitung, Rn. 290 ff. und Rn. 306 ff. 454 Vgl. zu den Beweisregeln der ZPO Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286 Rn. 84 ff. 455 Zur Entstehungsgeschichte der §§ 415 ff. ZPO vgl. etwa MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415 Rn. 2 f. mwN. 456 Grundsätzlich in eine ähnliche Richtung gehend Kaser/Hackl, römisches Zivilprozessrecht, S. 6 f. 453
66 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
2. Die Entwicklung im germanischen Recht bis zum Spätmittelalter Die Herausarbeitung eines Einflusses des germanischen Rechts mit seinem formalen Beweisrecht auf das heutige Zivilprozessrecht ist gleichfalls schwierig. Viele Eigenarten des germanischen Prozessrechts lassen sich unter Verweis auf deren archaische Kultur in ihrer engen Verbindung von Recht und Religion erklären.457 Auch kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich dieses formale Beweisverfahren seit der Frühzeit zumindest an rudimentären, typisierenden Wahrscheinlichkeitserwägungen orientiert hat.458 Außerdem hat der germanische Prozess von seiner Frühzeit bis zum späten Mittelalter eine Wandlung vollzogen. Mit dem Aufkommen einer staatlichen Gewalt wurde der Prozess – ähnlich wie im römischen Recht – der alleinigen Herrschaft der Parteien entzogen und die richterliche Gewalt gestärkt. Dennoch lässt sich nicht darüber hinwegsehen, dass bis zum späten Mittelalter ein streng formaler Prozess mit einem ebenso formalen Beweisrecht unter Einschluss mannigfaltiger Beschränkungen der Parteien in Bezug auf das Beweisrecht vorherrschte. Die Einseitigkeit der Beweisführung, der Ausschluss des Gegenbeweises, die Beschränkungen des Zeugenbeweises durch Bindung an Mindestzahlen und strenge Voraussetzungen der Zeugnisfähigkeit, der lange vorherrschende Ausschluss von Zufallszeugen, die Unanfechtbarkeit bestimmter Urkunden sind nur einige Beispiele für die Beschränkungen, die diesem formalen Beweisrecht immanent waren. Eben jenes formale Beweisrecht, wie auch der germanische Prozess insgesamt muten nach heutigen Maßstäben sehr eigentümlich an, so dass sich der Einfluss des germanischen Prozesses auf die heutige ZPO in engen Grenzen hält. Eine Ausnahme bilden in gewissem Umfang die Regelungen über die Eidesleistung. Der Eid war lange Zeit das wichtigste Beweismittel des germanischen Zivilprozesses.459 Diese zentrale Bedeutung kommt dem Eid in der heutigen ZPO keinesfalls mehr zu. Allerdings ist es auffällig, dass die §§ 478 ff. ZPO eine Nähe zu den Regelungen in der Frühzeit und im Mittelalter aufweisen. So sieht § 481 I–IV ZPO eine in ihrem Wortlaut exakt festgelegte Formel für die Eidesleistung vor, unter feierlichem Erheben der rechten Hand als Schwurhand. § 481 V ZPO trifft eine Regelung für mehrere Eidesleistungen, die inhaltlich eine Parallele zu der Entwicklung der Eideshelfer hin zu einem Eid jedes einzelnen Eidhelfers aufweist. Auch lässt sich der Ausschluss von der Eidesleistung bei erwiesenem, vorangegangenem Meineid in § 452 IV ZPO bis in die Frühzeit des germanischen Prozesses nachweisen.460 Insoweit ist bei diesem Beweismittel ein Einfluss des germanischen Rechts unverkennbar vorhanden. hierzu Hattenhauer, Europäische Rechtsgeschichte, S. 68 ff. Meyer-Homberg, Beweis und Wahrscheinlichkeit, S. 23 ff. 459 Vgl. etwa Brunner, Rechtsgeschichte I, S. 257 ff.; Hähnchen, Rechtsgeschichte, S. 200. 460 Vgl. bereits Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 527. 457 Ausführlich 458 Vgl.
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Ebenfalls gilt es zu erwähnen, dass ab dem frühen Mittelalter die Urkunde als Beweismittel wiederentdeckt wurde. Dabei wurde – wie im heutigen Recht – zwischen der öffentlichen (Königs-) Urkunde und der etwas später aufkommenden privaten Urkunde mit Siegel unterschieden. Zudem wurde Urkunden ein festgelegter Beweiswert zugemessen, was sich indes im formalen Beweissystem des germanischen Prozesses als eine notwendige Voraussetzung darstellte. Ob dieses System der Urkunden sich nun am römischen Recht orientierte oder unabhängig davon herausbildete, lässt sich nicht mit Sicherheit beantworten.461 Es zeigt sich jedoch für den römischen wie auch den germanischen Prozess, dass die Unterscheidung verschiedener Arten von Urkunden und die Beimessung eines bestimmten, festgelegten Inhalts eine lange Historie aufweisen.
3. Die weitere Entwicklung bis hin zur Schaffung der ZPO Das römische Recht wurde nach dem Zerfall des römischen Reiches zunächst allein durch kirchliche Gerichte angewendet und dem römisch-kanonischen Prozess zugrunde gelegt. Im Zuge der Rezeption dieses Rechts in den norditalienischen Städten gelangte das römische Recht nach Deutschland und entwickelte sich in der Folge zum vorherrschenden Recht. Mit dem jüngsten Reichsabschied vereinigte sich diese Basis des römischen Rechts mit Elementen des germanischen Prozessrechts in Form des wissenschaftlich bearbeiteten, sächsischen Prozesses. Der hieraus entstandene gemeine Prozess bildete die Grundlage für die zahllosen Einzelkodifikationen und Modifikationen in den einzelnen deutschen Territorien. Sein Beweisrecht zeichnete sich durch eine legale Beweistheorie mit den ihr immanenten Regelungen und Beschränkungen aus. Allerdings galt der gemeine Prozess bereits in damaliger Zeit als äußert langwierig und unnötig formalistisch. Daher hat die ZPO mit vielen Regelungen und Entscheidungen dieses Prozessrechts gebrochen und ihr ganz eigenes Regelwerk gefunden. Dabei hat sich das Gerichtsverfahren der ZPO im Hinblick auf die formale Verfahrensorganisation und Leitung an einer gemeinsamen Entwicklung des römischen und germanischen Rechts orientiert: In beiden Rechtsordnungen entwickelte sich der Prozess mit Erstarken des Staates hin zu einem staatlich geleiteten und organisierten Verfahren durch das jeweilige Gericht. Zeugen und Parteien wurden gerichtlich geladen, Beweise dem Gericht gegenüber beantragt und geführt. Inhaltlich jedoch hat die ZPO den Formalismus des germanischen Beweisrechts und auch des späteren gemeinen Beweisrechts überwunden und sich für eine weitergehende Freiheit des Beweisrechts entschieden.
461 Für eine Vorbildfunktion des römischen Rechts Schröder/v. Künßberg, Rechtsgeschichte, S. 288 ff.; Brunner/v. Schwerin, Rechtsgeschichte II, S. 560 ff.; zurückhaltender Mitteis/Lieberich, Rechtsgeschichte, S. 96 f.
68 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
4. Schlussfolgerungen für ein Recht auf Beweis im heutigen Zivilprozessrecht Begrifflich kannten wohl keine der untersuchten Prozessordnungen das hier interessierende, grundrechtlich fundierte Recht auf Beweis. Inhaltlich lässt sich festhalten, dass alle Prozessordnungen zumindest in Ansätzen ein Recht auf rechtliches Gehör kannten. Den privaten Streitentscheidungen der Parteien, bei denen der Staat lediglich die Rolle eines Schiedsrichters innehatte, war das gegenseitige Gehör seit jeher immanent. Doch auch gerichtlich beherrschte Verfahren bei Erstarken der Staatsmacht behielten diesen Grundsatz in der Regel bei, um die Legitimation des Verfahrens zu erhöhen und zumindest den Anschein von Objektivität zu behalten. Der Nachweis einer historischen Fundierung einzelner Rechtsinstitute, bestimmter Ausgestaltungen oder auch Einschränkungen des Beweisrechts fällt schwer. Allein in einigen wenigen Fällen zeigen sich historische Vorläufer heutiger prozessrechtlicher Institute. So verlangt das heutige Verfahren der Eidesleistung eine feierliche, symbolische Handlung, die sich in Ansätzen bis in die germanische Zeit zurückverfolgen lässt. Insbesondere der Verlust der Eidesfähigkeit bei vorangegangener Überführung des Meineides findet sich bereits in frühester Zeit und hat in § 452 IV ZPO auch heute noch eine Entsprechung. Auch die Eventualmaxime lässt sich seit dem römisch-kanonischen Prozess als Versuch nachweisen, der vorsätzlichen Verschleppung, wie auch der generellen Schwerfälligkeit eines Prozesses entgegenzuwirken. Demgegenüber haben sich Beweismittel wie etwa der Zeugenbeweis grundlegend gewandelt. Die mannigfaltigen Zeugnisunfähigkeitsgründe waren Ausdruck einer streng hierarchischen Gesellschaftsordnung, die unter Geltung des Grundgesetzes keinen Raum mehr beanspruchen könnte. Auch die lange Historie festgelegter Zeugenzahlen hat mit der Anerkennung der freien Beweiswürdigung in der ZPO ein Ende gefunden. Für den Urkundenbeweis lässt sich die Einteilung in öffentliche und private Urkunden ebenso wie ein formal festgelegter Beweiswert des Urkundenbeweises im römische und germanische Recht gleichermaßen nachweisen – unabhängig von der Frage einer etwaigen Übernahme oder eigenständigen Entwicklung dieser Regelungen. Ergiebiger als die bloße Betrachtung einzelner Rechtsinstitute erscheint ein Blick auf die „großen Linien“ des Beweisrechts. So lässt sich durchaus ein gewisses Muster in der Ausgestaltung des Beweisrechts erkennen, das sich – wie alles Recht – letztlich an gesellschaftlichen Realitäten orientiert. Je stärker sich die staatliche Macht auf Wenige oder gar einzelne Personen zentriert, desto strenger reglementiert war tendenziell auch das Beweisrecht. In der frühen republikanischen Zeit Roms hatten die Parteien die Herrschaft über das Beweisverfahren und durften in weitem Umfang darüber disponieren, über welchen tatsächlichen Sachverhalt das Gericht Recht sprechen sollte. In der Zeit des späteren Kaisertums war dieses Dispositionsrecht – ganz ähnlich dem späteren Absolutismus der Neuzeit – quasi aufgehoben
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worden. Die Frage, inwieweit die Parteien allein festlegen dürfen, welcher Sachverhalt einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegt, ist auch die Grundsatzfrage, welches Verständnis ein Staat von sich selbst hat und welches Vertrauen er seiner Bevölkerung entgegenbringt. Es passte nicht in das Bild einer absoluten Herrschaft, dass die Parteien der staatlichen Gewalt etwas vorschreiben durften. Dies galt umso mehr bei der elementaren Frage nach Recht und Gerechtigkeit, die vom Staat in Form seiner Gerichte beantwortet werden sollte. Je absoluter der Machtanspruch eines Staates war, desto geringer fiel tendenziell die Freiheit der Parteien des Zivilprozesses auch und gerade im Beweisrecht aus. Dieses Misstrauen setzte sich gleichfalls bei den Richtern als einzelnen staatlichen Entscheidungsträgern fort. Das richterliche Ermessen und seine Entscheidungsfreiheit im Zivilprozess wurden gleichsam zusammen mit der Freiheit der Parteien beschnitten und Regelungen unterworfen. Auch die Freiheit des Richters, mit seiner Würdigung im Einzelfall denjenigen tatsächlichen Sachverhalt festzustellen, der einer rechtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden sollte, war mit dem absoluten Machtanspruch Einzelner in einigen Epochen unvereinbar. Vielmehr sollte von Anfang an durch gesetzliche Regelungen „von Oben herab“ festgelegt sein, welches Ergebnis am Ende des Prozesses zu stehen hatte. Diese „große Linie“ eines tendenziellen Zusammenhanges zwischen dem Grad der Freiheit einer Gesellschaft insgesamt und der Ausgestaltung dieser Freiheit im zivilprozessualen Beweisrecht lässt sich als ein Ergebnis der Untersuchung der historischen Grundlagen festhalten.
§ 3
Rechtsvergleichende Betrachtung des U.S.-amerikanischen Zivilprozessrechts Nach dieser Betrachtung der historischen Entwicklung des Beweisrechts in Deutschland, soll nun ein rechtsvergleichender Blick über den Tellerrand auf andere Rechtsordnungen mit ihrer jeweiligen Ausgestaltung des Beweisrechts gewagt werden – stets im Hinblick auf die Frage nach Existenz und Ausgestaltung eines Rechts auf Beweis im Zivilprozess. Ziel dieses Rechtsvergleiches ist es, ein umfassenderes Bild über andere, existierende Ausformungen des Beweisrechtes zu erhalten und so den eigenen Horizont zu erweitern. Die Kenntnis solcher Alternativen zum eigenen, nationalen Beweisrecht erlaubt es außerdem zugleich auch einen kritischen Blick auf dasselbe zu werfen.1 Erst das Aufzeigen der funktionierenden Möglichkeit einer anderen rechtlichen Ausgestaltung gibt dem eigenen Recht einen Maßstab auf, an dem es sich messen lassen muss. Allerdings gilt es bei allem Enthusiasmus über das Auffinden von anderen Ausgestaltungen des Beweisrechts stets zu bedenken, dass die rechtlichen Regeln eines anderen Landes eng verbunden sind mit den sozialen und kulturellen Eigenheiten dieses Landes.2 Daher dient die Rechtsvergleichung weniger der unbesehenen Übernahme rechtlicher Regelungen anderer Rechtskulturen, als vielmehr dem Gedankenaustausch und der Anregung zur Schaffung ähn licher Regelungen unter Beachtung der eigenen Rechtskultur und Dogmatik.
I. Grundlagen und Methodik Dieses Ziel einer Anregung der eigenen Kreativität durch eine gänzlich andere Rechtsordnung ist insbesondere bei der Auswahl der zu vergleichenden Länder relevant. Das überwiegende Schrifttum in der Rechtsvergleichung unterteilt die Rechtsordnungen dieser Welt in verschiedene sog. Rechtskreise. Dabei werden mehrere Rechtsordnungen nach bestimmten Kriterien in eine Gruppe zusammengefasst, um die Rechtsvergleichung anhand dieser Ordnung zu vereinfachen und zu systematisieren. Problematisch und streitig bleibt indes die Auswahl dieser einzel1 Ausführlich zu den allgemeinen Zielen der Rechtsvergleichung und mit einem kritischen Blick auf die Frage nach diesen Zielen Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 12 ff. 2 Zu diesem Problem Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 10 ff.
72 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts nen Kriterien, die von der geographischen Lage über die historische Entwicklung bis hin zum Rechtsstil der einzelnen Rechtskreise reichen.3 Die Auswahl einer verwandten Rechtsordnung verringert die kulturellen und sozialen Unterschiede und vereinfacht daher die Adaption einer rechtlichen Regelung. Allerdings werden sich die zu vergleichenden Rechtsordnungen inhaltlich zumindest in weiten Teilen entsprechen und die Unterschiede eher formaler Natur sein. Für das formulierte Ziel eines Gedankenaustausches und der Anregung der eigenen Kreativität erscheint es daher am sinnvollsten, den Vergleich mit einem gänzlich anderen Rechtskreis zu suchen und nach diesem Kriterium das Vergleichsland auszusuchen. Als naheliegendes Vergleichsland in unmittelbarer Nachbarschaft könnte sich Frankreich anbieten, das allgemein zum romanischen Rechtskreis gezählt wird.4 Indes gehören Deutschland und Frankreich in gewissem Umfang bereits einer gemeinsamen Rechtsordnung an: Beide Staaten haben die EMRK unterzeichnet und sind zugleich Mitgliedstaaten der Europäischen Union, so dass auch die europäische Grundrechtecharta Geltung beansprucht. Diese beiden Grundrechtskataloge enthalten prozessuale Gewährleistungen zugunsten der Parteien eines Zivilprozesses und beide Normkomplexe unterliegen einer einheitlichen Auslegung durch den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bzw. den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Bedenkt man weiter, dass zumindest die europäische Grundrechtecharta aufgrund des Vorranges des EU-Rechts die wohl stärkste Grundrechtsgewährleistung in beiden Staaten darstellt5, so erscheint ein Rechtsvergleich zwischen diesen Staaten wenig ergiebig. Daher soll sich der nachfolgende Rechtsvergleich mit dem anglo-amerikanischen Rechtskreis des common law befassen. Als Mutterrechtsordnungen dieses Rechtskreises werden gemeinhin das englische und das U.S.-amerikanische Recht angesehen.6 Diese Untersuchung konzentriert sich auf das U.S.-amerikanische Recht im Hinblick auf die Bedeutung und Verbreitung dieser Rechtsordnung in der Welt sowie die größeren kulturellen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem U.S.-amerikanischen Recht, die den besagten Gedankenaustausch anregen sollen. Innerhalb des U.S-amerikanischen Rechts stehen seinerseits 50 einzelstaatliche Zivilprozessordnungen, ebenso wie die Bundeszivilprozessordnung zur rechtsvergleichenden Wahl. Diese Untersuchung wird sich auf die Zivilprozessordnung des Bundes beschränken, mithin die Federal Rules of Civil Procedure (FRCP) und die 3 Ausführlich zu diesen Kriterien Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 62 ff., die sich letztlich für das Kriterium der Rechtsstile entscheiden, diesen Stil jedoch auch nur als Überbegriff für verschiedene weitere Kriterien ansehen. 4 So etwa Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 73 ff. mit der historischen Entwicklung dieses Rechtskreises. 5 In diesem Sinne bereits des EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, S. 1269 ff. – Costa / ENEL und EuGH, Rs. C-11/70, Slg. 1970, S. 1135 ff. – internationale Handelsgesellschaft; ausführlich zum Verhältnis der untersuchten Grundrechtsordnungen zueinander unten § 5 V. 6 Vgl. Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 133 ff. und S. 233 ff.
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Federal Rules of Evidence (FRE). Eine Bearbeitung der einzelstaatlichen Zivilprozessordnungen würde den vorliegenden Rahmen bei weitem sprengen und auch inhaltlich erscheint eine solche Konzentration gerechtfertigt: Die Bundeszivilprozess ordnung hat eine Ausstrahlungswirkung auf die Einzelstaaten, so dass sich deren Zivilprozessordnungen in den letzten Jahrzehnten den Regelungen der Bundeszivilprozessordnung immer weiter angenähert haben.7 Daher kann diese Bundeszivilprozessordnung zumindest für die vorliegende Untersuchung beispielhaft für das U.S.-amerikanische Recht insgesamt stehen. Methodisch steht am Anfang einer jeden rechtsvergleichenden Untersuchung die Festlegung einer Fragestellung, anhand derer die ausgewählten Rechtsordnungen verglichen werden sollen.8 Die Qualität eines Rechtsvergleiches steht und fällt mit der exakten Formulierung dieser Fragestellung. Insbesondere sollte diese Fragestellung keinen terminus technicus der eigenen Rechtsordnung enthalten, sondern vielmehr eine bestimmte gesellschaftliche/rechtliche Problemlage rein funktional umschreiben.9 Im Hinblick auf das Recht auf Beweis und die Frage nach seiner Existenz und Ausgestaltung sollte das U.S.-amerikanische Recht anhand folgender Fragestellungen untersucht werden: 1. Welche prozessualen Gewährleistungen kennt die U.S.-amerikanische Bundesverfassung für die Parteien des Zivilprozesses, insbesondere im Hinblick auf das Recht, ihre Beweismittel im Prozess vorzubringen? 2. Wie ist das Bundesrecht der Federal Rules of Civil Procedure und der Federal Rules of Evidence anhand dieser Gewährleistungen ausgestaltet worden? In welchem Umfang und in welchen Grenzen dürfen die Parteien nach diesen Regelungen Beweismittel aufdecken und Beweis antreten? Anhand dieser ausgewählten Fragestellung werden jeweils einzelne Landesberichte erstellt, die die Rechtslage in den zu vergleichenden Rechtsordnungen für die ausgewählte Fragestellung darstellen.10 Eine Rechtsvergleichung im strengen Sinne des Wortes erfordert im Anschluss eine detaillierte Gegenüberstellung und Abgleichung eben dieser Länderberichte.11 Die nachfolgende Untersuchung soll indes gerade der Grundlagenarbeit für die darauffolgende Bearbeitung des deutschen Rechts dienen. Ein Vergleich beider Rechtsordnungen im eigentlichen Sinne könnte daher allenfalls im Anschluss an diese Untersuchung des deutschen Rechts erfolgen. Ziel dieser zum Beweisrecht der FRE etwa Mueller/Kirk, Evidence, S. 3 ff., die davon ausgehen, dass ca. ¾ aller Einzelstaaten inzwischen das Beweisrecht des Bundes nahezu inhaltsgleich adaptiert haben. 8 So etwa Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 33. 9 Vgl. wiederum Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 33 ff. 10 Zur Erstellung eines Länderberichts als methodischer Schritt in einem Rechtsvergleich siehe Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 42 ff. 11 So insbesondere Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 42 ff. 7 Vgl.
74 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Untersuchung ist demgegenüber allein die Erweiterung des eigenen Horizontes für eine alternative Ausgestaltung des Beweisrechts.
II. Verfassungsrechtliche Grundlagen des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses Die ursprüngliche Bundesverfassung der USA aus dem Jahr 1776 enthielt nur wenige Grundrechte und insbesondere keinerlei prozessuale Garantien. Allerdings wurde diese Verfassung bereits im Jahr 1791 um ihre ersten 10 Zusatzartikel erweitert. Der wohl wichtigste Inhalt dieser eingefügten Zusatzartikel war der darin enthaltene Grundrechtskatalog, die sog. Bill of Rights.12 Dieser Katalog enthält einige explizite Garantien für den Strafprozess und darüber hinaus im 5. Zusatzartikel die sog. due process clause als eine Generalklausel, die allgemein einen rechtsstaatlichen Prozess garantiert. Diese Generalklausel findet sich gleichlautend auch im 14. Zusatzartikel. In diesem Artikel wird die due process clause für die Einzelstaaten der USA verbindlich erklärt (sog. Inkorporation), so dass die Bundesverfassung insoweit einheitliche prozessuale Mindeststandards sicherstellt.13 Aufgrund dieses einheitlichen Schutzniveaus konzentriert sich die nachfolgende Untersuchung auf die Bundesverfassung der USA.
1. Die due process clause des 5. und 14. Zusatzartikels der Bundesverfassung Die due process clause stellt eine verfassungsrechtliche Generalklausel für die prozessualen Garantien dar.14 Bei jeder Beschränkung des Lebens, der Freiheit oder des Eigentums einer Person (Deprivation of life, liberty or property interests) hat der Betroffene hiernach das Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren – ihm ist mithin due process of law zu gewähren.15 a) Das Kriterium der deprivation of life, liberty or property interests Auf Tatbestandsseite ist somit stets eine Beschränkung des Betroffenen in Leben, Freiheit oder Eigentumsrechten erforderlich: Denkbar wäre im Zivilprozess eine Beschränkung der Freiheit des Betroffenen durch die Einschränkung der MöglichVgl. zur historischen Entwicklung Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 396 f. Zur Inkorporation der due process clause des 5. Und 14. Zusatzartikels durch die Rechtsprechung vgl. Duncan v. State of La., 391 U.S. 145; zu dieser Entwicklung auch Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 461 ff. 14 Vgl. etwa Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 681 ff. mwN. 15 So der Wortlaut des 5. und 14. Zusatzartikels (Section 1) der Bundesverfassung der USA, abgedruckt bei Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 1684 und S. 1686 f. 12 13
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keit, Beweismittel im Prozess vorzubringen. Der Freiheitsbegriff der due process clause enthält nach seiner Auslegung durch die Rechtsprechung neben der körperlichen (Bewegungs-) Freiheit auch die „geistige“ Freiheit einer Person.16 Diese Freiheit unterteilt sich wiederum in solche Freiheitsrechte, die die Bundesverfassung in ihrem Text explizit nennt und diejenigen impliziten Freiheiten (sog. rights with spe cial constitutional protection), die aufgrund ihrer Bedeutung für eine freiheitliche Gesellschaft den expliziten Freiheiten gleichgestellt werden (sog. rights, that are fundamental to freedom in American society).17 Die impliziten Freiheitsrechte der due process clause enthalten unter anderem das Recht der Vertragsfreiheit (right to contract).18 Im Hinblick auf diese Vertragsfreiheit ließe sich argumentieren, dass eine Beschränkung des Rechts der Parteien, Beweismittel im Prozess vorzubringen, zugleich die Möglichkeit der Parteien beschränkt, ihre durch vertragliche Vereinbarung geschaffenen Rechte durchzusetzen. Die fehlende prozessuale Durchsetzbarkeit würde die materiell-rechtliche Garantie der Vertragsfreiheit in weitem Umfang entwerten, so dass man sich ein „Durchschlagen“ der materiell-rechtlichen Vertragsfreiheit auf die prozessuale Garantie der due process clause vorstellen könnte. Diese Konstruktion würde das Äquivalent zum deutschen Justizgewährungsanspruch darstellen, wird in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung und Lehre indes – soweit ersichtlich – nicht diskutiert.19 Vielmehr werden die prozessualen Garantien der due process clause im Zivilprozess auf eine Beschränkung der Eigentumsinteressen des Betroffenen gestützt. Nach Rechtsprechung und Schrifttum stellt jede gerichtliche Entscheidung über ein vermögenswertes Recht für die von einer bejahenden oder ablehnenden Entscheidung betroffenen Person eine deprivation of property interests dar, die unter die Garantie der due process clause fällt (Fallgruppe der sog. debt actions).20 Die Diskussion in der U.S.-amerikanischen Literatur konzentriert sich hierbei auf Fälle der staatlichen 16 Vgl. insoweit Meyer v. Nebraska, 262 U.S. 390, 43 S.Ct. 625, A.L.R. 1446, 67 L.Ed. 1042; aus der Literatur Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 648 f. 17 Vgl. zum Schutzumfang der liberty interests Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 597 ff. 18 Vgl. wiederum Meyer v. Nebraska, 262 U.S. 390, 43 S.Ct. 625, A.L.R. 1446, 67 L.Ed. 1042; bestätigt in Board of Regents v. Roth, 408 U.S. 564, 572, 92 S.Ct. 2701, 33 L.Ed.2d 548. 19 Diskutiert wird allein ein Recht auf Zugang zum Gericht (right to judicial process – acess to the court) im Hinblick auf die Höhe der Gerichtsgebühren, vgl. hierzu Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 720 ff.; ein solches Recht wird vom Supreme Court jedoch grundsätzlich nicht anerkannt, allenfalls in besonderen Ausnahmesituationen staatlicher Beschränkungen, die einen bestimmten Prozess voraussetzen und keine alternative Möglichkeit der Grundrechtsausübung ermöglichen, vgl. zum Scheidungsprozess Boddie v. Connecticut, 401 U.S. 371, 91 S.Ct. 780, 28 L.Ed.2d 113. 20 Ausführlich Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 695 ff.; unter Verweis auf Sniadach v. Family Finance Corp. of Bay View 395 U.S. 337, 89 S.Ct. 1820, 23 L.Ed.2d 349, in diesem Fall stellt der Supreme Court die Betroffenheit der porperty interests bei einer Zwangsvollstreckung in Lohnforderungen fest.
76 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Zwangsvollstreckung sowie gerichtlicher Entscheidungen, die im Vorfeld des eigentlichen Prozesses mangels Substantiierung bzw. Verteidigung einer Klage stattgeben bzw. sie abweisen.21 Die gerichtliche Entscheidung im Rahmen eines Zivilprozesses wird als solche kaum diskutiert – unter Verweis auf die Argumentation, es sei ja gerade zu einem umfänglichen Prozess gekommen (sog. full trial) und daher due process of law gewährt worden.22 Indes impliziert diese Argumentation insoweit, dass der Prozess nicht bloß formal stattfinden, sondern auch inhaltlich den Anforderungen von due process of law genügen muss.23 Mithin muss jeder Zivilprozess, in dessen Rahmen über ein vermögenswertes Recht entscheiden wird (sog. commercial cases), den inhaltlichen Anforderungen der due process clause des 5. und 14. Zusatzartikels der U.S.-amerikanischen Bundesverfassung genügen. b) Der prozessuale Gewährleistungsgehalt der due process clause Nachdem nun die tatbestandlichen Voraussetzungen einer deprivation of life, liberty or property interests geklärt wurden, gilt es die Rechtsfolgen der Gewährleistungen von due process of law zugunsten des Betroffenen zu beleuchten. Die abstrakte Bestimmung des Inhalts und Umfanges der due process clause fällt jedoch schwer. Der Supreme Court vermeidet eine abstrakte Festlegung auf einen bestimmten Inhalt der due process clause und geht vielmehr von einer Bestimmung ihres Umfanges anhand des konkreten Einzelfalles aus. 24 aa) Der herrschende Ansatz eines balancing tests Als wesentlicher Kerngehalt und Grundgedanke von due process kann der Rechtsprechung des Supreme Court allerdings das Recht der Parteien auf ein faires Verfahren (fair trial) entnommen werden.25 Dieses Recht auf ein faires Verfahren unterteilt sich nach dieser Auffassung wiederum in eine Anzahl weiterer Verfahrensgarantien, die allesamt als Ausformung dieses übergeordneten fair trial Gedanken angesehen werden.26 Die bekannteste Bestimmung dieses Gewährleistungsgehaltes wurde durch den Supreme Court Richter Friendly in seinem Artikel Some Kind of Vgl. hierzu Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 695 ff. So eher beiläufig Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 672. 23 Vgl. etwa die Ausführungen zur due process clause in den Zivilprozessrechtslehrbüchern Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 176 ff.; Clermont, Civil Procedure, S. 277 ff. 24 So etwa im Fall Schweiker v. McClur, 456 U.S., 188, 200, 102 S.Ct. 1665, 72 L.Ed.2d 1 (1982); mit Verweis auf Morrissey v. Brewer, 408 U.S. 471, 481, 92 S.Ct. 2593, 2600, 33 L.Ed.2d 484 (1972) 25 Vgl. etwa In re Murchison, 349 U.S. 133, 136, 75 S.Ct. 623, 625, 99 L.Ed. 942 (1955); eine ausführliche Darstellung in der Literatur bieten Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 656 ff. 26 So etwa Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 656 ff. mwN. 21 22
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Hearing formuliert.27 Hiernach umfasst die due process clause folgende Verfahrensgarantien28: 1. An unbiased tribunal 2. Notice of the proposed action and the grounds asserted for it 3. An opportunity to present reasons why the proposed action should not be taken 4. The right to present evidence, including the right to call witnesses 5. The right to know opposing evidence 6. The right to cross-examine adverse witnesses 7. A decision based exclusively on the evidence presented 8. Opportunity to be represented by the counsel 9. Requirement that the tribunal prepare a record of the evidence presented 10. Requirement that the tribunal prepare written findings of fact and reasons for its decision Für diese Untersuchung sind insbesondere die Punkte 4 bis 10 interessant. Hiernach würde die due process clause den Parteien auch im Zivilprozess umfängliche beweisrechtliche Gewährleistungen bieten. Angefangen bei dem Recht, seine Beweismittel im Prozess einbringen zu dürfen, über das Recht auf Kenntnis der gegnerischen Beweismittel und ihrer Erwiderung, bis hin zu einer dezidierten Begründung der Beweiswürdigung im jeweiligen Fall. Diese genannten 10 Punkte werden in der Literatur – mit mancher Abwandlung – als Gewährleistungsgehalt der due process clause herangezogen.29 Der Supreme Court hatte bereits im Fall Goldberg v. Kelly etliche dieser Punkte als Garantien von due process of law verortet und auf ihre Einhaltung im Prozess bestanden.30 Ein interessanter Aspekt des Gewährleistungsgehaltes von due process of law ist eine Paralleldiskussion im Strafprozess, in dessen Rahmen auch vom Supreme Court ein right to present evidence explizit als verfassungsmäßiges Recht anerkannt wurde.31 Eine gleichlaufende Anerkennung eines solchen Rechtes im Zivilprozess hat indes nicht stattgefunden, vielmehr äußerte der Supreme Court in Übereinstimmung mit dem herrschenden Schrifttum gewisse Zweifel an einer Übertragbarkeit der diesbezüglichen Wertungen des Strafprozesses auf den Zivilprozess.32 Friendly, 123 U.Pa.L.Rev., 1267, 1279 ff.; siehe auch die Auflistung bei Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 644 ff. 28 Vgl. wiederum Friendly, 123 U.Pa.L.Rev., 1267, 1279 ff. 29 Vgl. die inhaltlich ähnliche Zusammenstellung der Garantien eines fairen Verfahrens bei Nowak/Rotunda, Treatise of Constitutional Law II, S. 644 ff. 30 Siehe die Entscheidung Goldberg v. Kelly, 397 U.S. 254, 90 S.Ct.1011, 25 L.Ed.2d 287. 31 Leading Case Washington v. Texas, 388 U.S. 14, 87 S.Ct. 1920, 18 L.Ed.2d 1019; weitergeführt in Chambers v. Mississippi, 410 U.S. 284, 93 S.Ct. 1038, 35 L.Ed.2d 297. 32 In diese Richtung tendierend in United States v. Nixon, 418 U.S. 683, 712 94 S.Ct. 3090, 41 L.Ed.2d 1039 mit der Betonung, dass allein über den strafprozessualen Teil des Falles entschieden werde; für das herrschende Schrifttum siehe Westen, 73 Mich.L.Rev. 71, 133; Cohen, 13 Rutgers 27
78 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Eine weitere Einschränkung hat der Gewährleistungsgehalt von due process durch die einige Jahre später im Fall Mathews v. Eldrige entwickelte Kosten-Nutzen-Analyse erfahren, die der Supreme Court nunmehr in ständiger Rechtsprechung anwendet.33 Dabei sind drei Aspekte in diese Abwägung mit einzustellen: 1. The private interest that will be affected by the official action 2. The risk of an erroneous deprivation of such interest through the procedures used, and the probative value, if any, of additional procedural safeguards 3. The governments interest, including the fiscal and administrative burdens that the additional or substitute procedures would entail Mithin geht der Supreme Court davon aus, dass die due process clause gerade nicht die Einhaltung jeder Einzelnen der oben genannten Verfahrensgarantien in jedem einzelnen Fall erfordert. Vielmehr richtet sich der Umfang nach einer Abwägung im konkreten Fall.34 Dabei gilt es zu bedenken, dass auch die monetären Kosten der Verwaltung bzw. der Justiz in die Abwägung einzustellen sind, so dass es sich letztlich um eine Kosten-Nutzen-Analyse handelt.35 Es ist gerade dieser monetäre Aspekt, der in der Literatur Kritik hervorruft. So wird betont, dass die prozessualen Garantien der Verfassung einen Wert für sich darstellen, der gerade nicht durch eine rein utilitaristische Kostenrechnung unterlaufen werden dürfe.36 Ungeachtet dieser Kritik betont der Supreme Court in ständiger Rechtsprechung die Geltung dieser Kosten-Nutzen-Analyse und stellt durch die in den USA geltende doctrine of stare decises37 die einheitliche Anwendung dieses balancing tests für alle Gerichte sicher.38 Die Einzelfallbezogenheit dieses balancing tests erschwert auch im Rahmen dieser Untersuchung abstrakte Aussagen über seine praktische Handhabung durch den Supreme Court. Tendenziell verlangt das Gericht zur Wahrung von due process zumindest die Kenntnisgabe, dass ein Prozess anhängig ist (resonable notice) und die Gewährung rechtlichen Gehörs (opportunity to be heard) im Vorfeld der Entscheidung.39 Diese Anhörung im Vorfeld einer Entscheidung ist grundsätzlich eher L.J. 361, 369; ausführlich auch Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 8 ff. mit der Darstellung gegenläufiger Tendenzen anderer Entscheidungen. 33 Leading Case Mathew v. Eldrige, 424 U.S. 319, 96 S.Ct. 893, 47 L.Ed.2d 18. 34 Kritisch zu dieser Abwägung im Hinblick auf die Rechtssicherheit- und Vorhersehbarkeit auch Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 692 ff.; eine ausführliche, kritische Analyse bietet auch Mashaw, 44 U.Chi.L.Rev. (1976), S. 28 ff. 35 Vgl. hierzu Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 663 f. zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Weber, Einführung, S. 229 ff. 36 Eine kritische Analyse diesen balancing test liefert bereits Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 323 ff. mwN. 37 Zu diesem Grundprinzip des common law vgl. die Darstellung bei Blumenwitz, Einführung, S. 25 ff. mwN. 38 So etwa Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 663. 39 Vgl. zum Erfordernis der notice Mullane v. Central Hanover Bank & Trust Co., 339 U.S. 306, 314, 70 C.St. 652, 94l.Ed. 865. Die grundsätzliche Notwendigkeit einer vorherigen Anhörung wird
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auf Entscheidungen der Exekutive im Verwaltungsverfahren gemünzt. Indes wird die Geltung dieser Standards für alle Prozessarten – auch und gerade im Hinblick auf den offenen Wortlaut der due process clause – betont, so dass die Gewährung einer opportunity to be heard auch im Zivilprozess eine Mindestanforderung von due process of law darstellt.40 Weiter gilt es die Ausnahmen vom Erfordernis der Gewährung von due process of law in den Fällen einer gerichtlichen Entscheidung über vermögenswerte Rechte zu beachten: Zum einen haben die Parteien die Möglichkeit, durch vertragliche Vereinbarung auf ihre prozessualen Garantien von due process of law zu verzichten.41 Allerdings hat der Supreme Court bislang lediglich in einen Fall einen solchen Verzicht anerkannt, in dem die Parteien nachweislich über diesen Verzicht ausdrücklich verhandelt und sich vertraglich auf denselben verständigten hatten.42 Die exakten Kriterien sind jedoch nicht weiter konkretisiert worden. In der Literatur wird für eine Übernahme der Verzichts-Kriterien aus dem Strafprozess (sog. knowing and intelligent waiver) plädiert.43 Zum anderen ist eine Ausnahme in Form einer sog. emergency limitation of due process rights anerkannt.44 Hierbei handelt es sich jedoch insbesondere um Fälle der Sicherstellung von Gegenständen im Rahmen der Zwangsvollstreckung, um eine Vereitelung der Vollstreckung durch den Schuldner zu verhindern.45 bb) Anerkennung eines right to present evidence durch Teile der Instanzgerichte Ein anderer Ansatz in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung und Literatur geht von einem expliziten right to present evidence als Kerngehalt von due process of law aus. Postuliert wurde die Existenz eines solchen Rechtes insbesondere durch einen Artikel von Imwinkelried.46 Diese Ansicht geht von einer Vergleichbarkeit von etwa in Connecticut v. Doehr, 501 U.S. 1, 111 S.Ct. 2105, 115 L.Ed. 1 betont; ausnahmsweise soll jedoch auch eine nachträgliche Anhörung genügen, so etwa in Mitchell v. W.T. Grant Co. 416 U.S. 600, 94 S.Ct. 1895, 40 L.Ed.2d 406; vgl. insoweit auch Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 686 ff. mwN aus der Rechtsprechung. 40 Vgl. insoweit Friedenthal/Miller/Kane, Civil Procedure, S. 184 ff.; Clermont, Civil Proce dure, S. 278 ff.; ausführlich und für eine Ausweitung der verfassungsrechtlichen Garantien des Zivilprozesses auch die Analyse von Leubsdorf, 63 Tex.L.Rev. 579 ff. 41 Vgl. Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 698 mwN aus der Rechtsprechung. 42 Entschieden im Fall D.H. Overmeyer Co. v. Frick Co., 405 U.S. 174, 92 S.Ct. 775, 42 L. Ed.2d 751. 43 Vgl. zu dieser Forderung Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 717. 44 Dabei wird insbesondere die Entscheidung Calero-Toledo v. Pearson Yacht Leasing Co. 416 U.S. 663, 94 S.Ct. 2080, 40 L.Ed.2d 452 zitiert und als Extremfall kritisiert; vgl. zur Kritik Nowak/ Rotunda, Constitutional Law, S. 717 f. 45 Ausführlich zur emergency limitation of due process Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 717 ff. mwN. 46 Ausführlich Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1 ff. mwN aus Rechtsprechung und Lehre; siehe
80 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Straf- und Zivilprozess aus und damit zugleich von einer Geltung des strafprozessualen right to present evidence im Zivilprozess.47 Weiter wird mit der Bedeutung eines solchen Rechtes für das adversary-system argumentiert und die Wichtigkeit einer Partizipationsmöglichkeit des Einzelnen in jeder Art von Prozess betont.48 Abschließend wird der rechtspolitische Nutzen eines solchen Rechtes auf Beweis als Initialzündung für eine Liberalisierung des U.S.-amerikanischen Beweisrechtes und insbesondere der Beweisregeln hervorgehoben.49 Allerdings geht auch diese Auffassung davon aus, dass der Umfang eines solchen Rechtes einer Abwägung unterliegt. Dabei sollen the Partyʼs Need for the Evidence und the Governmental Interests sup porting the Exclusionary Rules of Evidence als Kriterien gegeneinander abgewogen werden.50 Mithin unterliegt auch das nach dieser Ansicht postulierte Recht auf Beweis einer Abwägung im Einzelfall, zumal diese Auffassung anerkennt, dass im Rahmen des Strafprozesses ein strengerer Maßstab zu gelten hat.51 Der Unterschied zum herrschenden Ansatz ist in der expliziten Anerkennung des verfassungsmäßigen Rechts auf Beweis unabhängig vom konkreten Einzelfall zu sehen. Hiernach existiert ein solches Recht der Parteien, so dass jede Beweisregel, die die Einbringung von Beweismitteln durch die Parteien beschränkt, sich an diesem Recht messen lassen muss.52 Somit unterscheiden sich die beiden Ansichten mehr in ihrem Ausgangspunkt, als in ihrem konkreten Ergebnis: Während der Supreme Court den Gewährleistungsgehalt von due process in einer Abwägung im Einzelfall mit einzelnen Anforderungen auflädt, die zusammengenommen als Recht auf Beweis angesehen werden können, erkennt die gegenteilige Auffassung ein solches Recht auf Beweis im Grundsatz an, lässt aber im Rahmen einer einzelfallbezogenen Abwägung wiederum Einschränkungen dieses Rechtes durch andere, übergeordnete Rechte zu. auch Holman v. Cayce, 873 F.2d 944, 27 Fed. R. Evid. Serv. 999; Suarez v. United States, 582 F.2d 1007, 42 A.F.T.R.2d 78-6164, 78-2 USTC P 16, 304; in diese Richtung tendierend auch Mueller/ Kirk, Evidence, S. 331 ff. 47 So Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 18 ff., der eine Unterscheidung vorschlägt, die nicht zwischen Zivil- und Strafprozess, sondern vielmehr zwischen einem adversary und einem accusa torial system verläuft. 48 Ausführlich wiederum Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 14 ff. mwN. 49 So Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 45 ff. 50 In diesem Sinne Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 24 ff. unter Berufung auf den Supreme Court in der Entscheidung Chambers v. Mississippi, 410 U.S. 284, 93 S.Ct. 1038, 35 L.Ed.2d 297, wobei es sich wie bereits dargestellt um einen strafrechtlichen Fall handelt und zudem nicht ganz klar wird, ob es sich hierbei nicht um eine Anwendung des ohnehin vom Supreme Court vertretenen balancing-test handelt. 51 Siehe Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 24, 27 ff. mwN aus der Rechtsprechung. 52 So Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 45 ff. der durch die Abwägung anhand dieses verfassungsrechtlichen Maßstabes eine Liberalisierung und Vereinfachung des U.S.-amerikanischen Beweisrechts erreichen möchte.
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81
c) Die Bedeutung der Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien im adversary system Zum Abschluss dieser Diskussion über den Gewährleistungsgehalt von due process soll noch einmal die grundsätzliche Bedeutung hervorgehoben werden, die der Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien im U.S.-amerikanischen Zivilprozess nach allgemeiner Meinung beigemessen wird. So gehen Rechtsprechung und Literatur gleichermaßen davon aus, dass die Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien zu einer bestmöglichen Aufklärung der Wahrheit führt und allein auf der Grundlage dieser materiellen Wahrheit eine gerechte Entscheidung ergehen kann.53 Dabei wird nach dem herrschenden Ansatz ein right to present evidence im Zivilprozess nicht grundsätzlich, sondern nur im Einzelfall auf die Stufe einer Verfassungsgarantie gehoben. Dennoch wird die Bedeutung dieses Rechtes der Parteien, Beweismittel im Prozess einzubringen auch durch die herrschende Meinung stets als wesentlicher Bestandteil der due process clause betont.54 Dabei wird oftmals keine klare systematische und dogmatische Verortung vorgenommen, ob man diesem Prinzip nun Verfassungsrang zuschreiben möchte, oder es eher als ein Grundprinzip des common law ansieht.55 Ungeachtet dieser dogmatischen Einordnung wird der Sachverhaltsaufklärung jedoch ein Eigenwert zugeschrieben. Sie wird bei jeder Einschränkung der Erforschung oder Einbringung von Beweismitteln aufgrund übergeordneter (Verfassungs-) Rechte als Gegengewicht in eine Abwägung eingestellt und ihre fundamentale Bedeutung betont.56 Diese Hervorhebung der Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien erscheint letztlich als logische Konsequenz des U.S.amerikanischen adversary-systems, nach dessen Grundkonzeption die Parteien in der Pflicht stehen, den Prozess voranzubringen. Die Freiheit der Parteien, den Prozess nach ihrem Willen zu gestalten und dementsprechend sämtliche Beweismittel aufzudecken und einzubringen, ist in diesem System von vornherein angelegt. Bei der weiteren Untersuchung wird dieser Eigenwert der Sachverhaltsaufklärung immer wieder eine Rolle spielen, so dass dieser Umstand und seine Hintergründe im Blick zu behalten sind.
53 Vgl. etwa die Ausführungen bei Lilly, Principles of Evidence, S. 320 ff.; ebenso Mueller/ Kirkpatrick, Evidence, S. 322 f. und S. 331 ff. allerdings mit der benannten, verfassungsrechtlichen Fundierung der Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien. 54 Ausführlich Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 14 ff.; siehe auch Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 644 f. und 55 In diese Richtung wohl Lilly, Principles of Evidence, S. 320 ff.; für eine verfassungsrechtliche Fundierung demgegenüber Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 331 ff. 56 Vgl. dazu insbesondere die jeweiligen Ausführungen zu den privileges, die eine Beweisaufnahme ausschließen, Lilly, Principles of Evidence, S. 320 ff.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 322 f. und S. 331 ff.; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 465 ff.
82 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts
2. Die Garantien des 7. Zusatzartikels: Das Recht auf ein jury trial Eine weitere, zentrale Fragestellung des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses ist diejenige nach dem zuständigen Organ für die Würdigung der vorgebrachten Beweismittel. Der 7. Zusatzartikel garantiert den Parteien eines Zivilprozesses das Recht auf ein jury trial ab einem Streitwert von U.S. $ 2057, so dass die Frage der Beweiswürdigung eine verfassungsrechtliche Dimension erhält. Dabei gilt dieses Recht auf ein jury trial nach dem Wortlaut der Verfassung nur für solche Prozesse at common law. Indes wurde diese alte Unterscheidung zwischen Prozessen in equity und at common law mit der Einführung der Federal Rules of Civil Procedure im Jahr 1938 abgeschafft.58 Daher müssen die Gerichte durch eine historische Auslegung klären, ob ein geltend gemachter Anspruch einem früheren Prozess at common law zugeordnet werden kann, so dass die verfassungsmäßige Garantie eines jury trial eingreift.59 Dabei gilt es zu beachten, dass der Supreme Court das Recht auf ein jury trial hochhält und im Zweifel von einer Zuordnung eines Anspruches zum Bereich at common law und damit von einem Recht auf ein jury trial ausgeht.60 In der Praxis wird nur noch ein kleiner Prozentsatz aller Zivilprozesse tatsächlich durch ein jury trial entschieden.61 Allerdings wird der Beteiligung von Laien als demokratischem Element im U.S.-amerikanischen Zivilprozess weiterhin große Bedeutung beigemessen.62 Dieser Einfluss zeigt sich etwa an den Federal Rules of Evidence, die das jury trial weiterhin als den Regelprozess ansehen, so dass sich auch eine einzelrichterliche Entscheidung grundsätzlich an diesen Regelungen zu 57 Vgl. wiederum die U.S.-Verfassung bei Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 1684; diese Garantie unterliegt nach dem Supreme Court zwar nicht der Inkorporation durch den 14. Zusatzartikel, allerdings haben nahezu alle Staaten in ihren Verfassungen eine identische Garantie, vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 508 f. 58 Vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 520 f.; diese Zusammenführung der civil actions erfolgt durch die Rule 1 and 2 FRCP. 59 Vgl. etwa Beacon Theatres, Inc. v. Westover, 359 U.S. 500, 79 S.Ct. 948, 3 L.Ed.2d 988; ausführlich zum historical test und auch seiner Kritik, Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 524 ff. mwN. 60 Zu diesem Ergebnis kommen Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 525 ff. unter Verweis auf die neuere Rechtsprechung ab Beacon Theatres, Inc. v. Westoverm 359 U.S. 500, 79 S.Ct. 948, 3 L.Ed. 2d 988; mwN aus der Rechtsprechung und einer gewissen Einschränkung durch unterschiedliche Auffassungen innerhalb des Supreme Courts, die im Urteil Markman v. Westview Instruments, Inc. 517 U.S. 370, 388, 116 S.Ct. 1384, 134 L.Ed.2d 577 deutlich wurden. 61 So gehen Mehren/Murray, Law in the United States, S. 227 ff. davon aus, dass nur 1–2 % aller Streitfälle von einer Jury entschieden werden. Allerdings rechnen sie in diesen Anteil auch diejenigen Fälle ein, die im Vorfeld verglichen werden, mithin weder von einem Richter noch von einer Jury vor Gericht entschieden werden. 62 In diese Richtung beispielsweise Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 508 ff.; ähnlich Mehren/Murray, Law in the United States, S. 206 ff.; vgl. auch Yeazell, Civil Procedure, S. 546 f.
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orientieren hat.63 Die Bedeutung des jury trial liegt also nicht allein im verfassungsmäßigen Recht auf eine bestimmte Art der Beweiswürdigung unter zwingender Beteiligung von Laien, sondern zugleich in dem Bewusstsein des jury trial als „Regelprozess“, an dem sich das U.S.-amerikanische Beweisrecht insgesamt orientiert.
III. Aufbau und Ablauf des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses in erster Instanz Zu Beginn der Untersuchung des „einfachen“ U.S.-amerikanischen Gesetzes- und Richterrechtes erscheint es sachdienlich, sich einen kurzen Überblick über den idealtypischen Ablauf eines Zivilprozesses in den USA zu verschaffen.64 Am Anfang eines jeden Zivilprozesses in den USA steht nach Rule 3 FRCP die Einreichung der Klage bei Gericht (filing of the complaint). Das Gericht erstellt eine Ladung (summons), die zusammen mit einer Kopie der Klageschrift dem Beklagten zugestellt werden muss. Für die Zustellung der Ladung, wie auch der Klageschrift gilt nach Rule 4 (c) FRCP grundsätzlich der Parteibetrieb. Die Klageschrift enthält lediglich eine kurze Beschreibung des Sachverhaltes sowie die Klageforderung und soll allein der Benachrichtigung des Beklagten dahingehend dienen, dass überhaupt ein Gerichtsprozess gegen ihn beginnt und mit welchen Ansprüchen er konfrontiert sein wird (sog. notice pleading). Es folgt eine Klageerwiderung seitens des Beklagten innerhalb einer bestimmten Einlassungsfrist. Dabei soll der Beklagte nach Rule 8 ff. FRCP alle Einwendungen gegen die erhobene Klage vorbringen und hat zugleich seinerseits die Möglichkeit gegen den Kläger etwaige Ansprüche geltend zu machen.65 Auf die Phase der pleadings folgt die – dem deutschen Recht insoweit unbekannte – Phase der discovery. Die discovery ist dem eigentlichen Prozess vorgelagert (sog. pretrial discovery). Sie dient insbesondere der Festlegung der streitigen Tatsachen und der Aufdeckung von Beweismitteln für den anschließenden Gerichtsprozess und läuft nach ihrem Idealbild allein zwischen den Parteien ohne Einschaltung des Gerichtes ab.66 Im Anschluss an diese pretrial Phasen kommt es erstmals zu einer intensiveren Einschaltung des Gerichtes. Zunächst können die Parteien im Hinblick auf die Ergebnisse der discovery einen Antrag auf eine gerichtliche Entschei63 Vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 507 ff., die allerdings zugleich festhalten, dass die Zahl der Zivilprozesse ohne jury Beteiligung in der Praxis überwiegt; siehe auch den Aufbau eines typischen Prozesses bei Lilly, Evidence, S. 6 f. 64 Ein kurzer, deutschsprachiger Überblick findet sich bei Schack, Einführung, S. 36 ff.; eine ausführlichere Beschreibung bietet Böhm, amerikanisches ZPR, S. 152 ff. und S. 257 ff. 65 Zur Phase des pleadings vgl. etwa Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 251 ff.; Cler mont, Civil Procedure, S. 37 ff. 66 Zur discovery Phase vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 396 ff.; Clermont, Civil Procedure, S. 57 ff.; Yeazell, Civil Procedure, S. 407 ff.
84 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts dung im Vorfeld der eigentlichen Hauptverhandlung nach Rule 56 FRCP stellen (sog. summary judgement). Eine solche stattgebende bzw. abweisende Entscheidung basiert darauf, dass die discovery keine hinreichenden Beweismittel zum Nachweis des Klaganspruches bzw. der Verteidigung gegen denselben erbracht hat und ein Richter bzw. eine jury daher im Prozess vernünftigerweise nicht anders entscheiden könnte, als dies nun in Form eines summary judgement beantragt wird.67 Falls keine derartige Entscheidung ergeht, kommt es zum eigentlichen Hauptverfahren (trial). Bei einem Prozess mit Laienbeteiligung (jury trial) gilt es zunächst, diese jury ordnungsgemäß zusammenzustellen.68 Dieser Verfahrensschritt entfällt natürlich bei einer reinen richterlichen Entscheidung (bench trial). Als Regelprozess ist in den Federal Rules of Evidence indes weiterhin ein jury trial vorgesehen.69 Das jury trial beginnt mit einem jeweiligen Eröffnungsplädoyer von Kläger und Beklagtem. Es folgt eine Darstellung aller Beweismittel von Seiten des Klägers, bevor sich die spiegelbildliche Darstellung des Beklagten anschließt. Beide Parteien haben zudem jeweils Gelegenheit, auf die Beweismittel der gegnerischen Partei zu antworten. Zum Abschluss des Gerichtsprozesses halten die Parteien jeweils ein Schlussplädoyer, bevor die jury durch den Richter instruiert wird und ihre Entscheidung über die Tatsachenseite des Falles (verdict) fällt. Auf Basis dieses verdicts der jury ergeht schlussendlich die richterliche Entscheidung über die Klage.70 Diese Entscheidung setzten den – erstinstanzlichen71 – Endpunkt eines Zivilprozesses in den USA.
IV. Das Recht auf Beweis in der pretrial Phase nach den FRCP Die Berührungspunkte der Federal Rules of Civil Procedure mit dem Recht auf Beweis finden sich primär im Verfahrensabschnitt der pretrial discovery. Die Möglichkeit, in dieser Phase umfängliche Untersuchungen des Sachverhaltes vorzuneh67
Vgl. zu den verfahrensmäßigen und inhaltlichen Anforderungen an ein summary judgement Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 468 ff.; Clermont, Civil Procedure, S. 77 ff. jeweils mwN; eine kritische Analyse findet sich bei Miller, 78 NYU.L Rev., 982 ff. 68 Vgl. zu den Anforderungen an die Zusammenstellung und die Ablehnungsmöglichkeiten der Parteien wiederum Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 556 ff.; Yeazell, Civil Procedure, S. 571 ff. 69 Dieser Umstand zeigt sich allein anhand der zahlreichen Beweisregeln in den Federal Rules of Evidence, die auf den Schutz der jury zugeschnitten sind. Diese Regeln werden in Prozessen ohne jury Beteiligung teilweise für unanwendbar gehalten. An dieser Diskussion zeigt sich aber zugleich, dass der jury Prozess qua gesetzlicher Konzeption den „Regelprozess“ darstellen soll; vgl. zur Anwendbarkeit der Beweisregeln bei bench trials Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 194 mwN. 70 Eine systematische Darstellung der einzelnen Stufen des trial findet sich etwa bei Friedent hal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 488 ff.; Clermont, Civil Procedure, S. 86 ff. 71 Zu den Rechtsmitteln der Berufung und Revision vgl. die Ausführungen bei Friedenthal/ Kane/Miller, Civil Procedure, S. 618 ff.; Clermont, Civil Procedure, S. 117 ff.
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men und hierbei Beweismittel für den späteren Zivilprozess aufzudecken, betrifft zahlreiche Fragestellungen über Inhalt und Grenzen eines Rechtes auf Beweis im U.S.-amerikanischen Zivilprozess. Diese grundsätzlich allein zwischen den Parteien ablaufende discovery wirft insbesondere die interessante Fragestellung auf, inwieweit die gegnerische Partei Adressat von Pflichten des Rechtes auf Beweis sein kann. Daher erscheint eine Untersuchung der discovery selbst eingedenk dessen lohnenswert, dass es an einem direkten Äquivalent zu dieser Phase im deutschen Zivilprozessrecht fehlt.72
1. Grundlagen und Bedeutung der pretrial discovery Die Phase der pretrial discovery ist kein Teil des ursprünglichen U.S.-amerikanischen Zivilprozesses nach dem common law. Die discovery in ihrer heutigen Gestalt wurde erst mit dem Erlass der Federal Rules of Civil Procedure im Jahr 1938 geschaffen.73 Seit dieser Zeit hat diese Phase jedoch eine beachtliche Blüte erlebt und sich zu einem der zentralen Bestandteile des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses entwickelt.74 Die pretrial discovery läuft grundsätzlich allein zwischen den Prozessparteien ab, ohne dass es einer Einschaltung oder auch nur Benachrichtigung des Gerichtes bedarf.75 Allerdings steht den Parteien ein subjektives Recht auf Durchführung der dis covery zu.76 Daher kann es durchaus zu einer Hinzuziehung des Gerichtes zwecks Durchsetzung dieses Rechtes kommen. Die discovery hat im U.S.-amerikanischen Zivilprozess eine sehr große Bedeutung. Diese Bedeutung zeigt sich sowohl im grundsätzlich-theoretischen Bereich durch die Rolle, die der discovery qua Gesetz zugedacht wird als auch in der praktischen Anwendung derselben. Die theoretische Bedeutung lässt sich anhand der vielfältigen Zielsetzungen ablesen, denen die disco very dienen soll: Ein wesentliches Ziel ist die Beschaffung und Erhaltung von Beweismitteln, die in einem späteren Prozess mutmaßlich nicht mehr verfügbar sind. So können etwa Zeugen befragt werden, die aufgrund Wegzuges aus dem Gerichtsbezirk im eigent-
So etwa aus deutscher Sicht Schack, Einführung, S. 44 f.; aus U.S.-amerikanischer Sicht ebenso Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 398 f.; eine ausführliche, deutschsprachige Analyse dieses Prozessabschnittes findet sich bei Junker, Discovery. 73 Vgl. zur historischen Entwicklung der discovery in England und den USA etwa Friedenthal/ Kane/Miller, Civil Procedure, S. 397 ff. mwN. 74 Vgl. allein Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 397; Hazard, 76 Texas.L.Rev. 1665 ff.; siehe auch den Fall Piper Aircraft Co. v. Reyno, 454 U.S. 235, 102 S.Ct. 252, 1982 A.M.C. 214, 70 L.Ed.2d 419, bei dem die internationale Zuständigkeit der U.S. Gerichte auf den Vorteil der Existenz der discovery gestützt wird. 75 Vgl. Clermont, Civil Procedure, S. 64 f.; Yeazell, Civil Procedure, S. 408. 76 Vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 399 ff.; Yeazell, Civil Procedure, S. 408. 72
86 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts lichen Prozess nicht zur Verfügung stehen würden.77 Weiterhin soll die discovery durch den gegenseitigen Informationsaustausch dazu beitragen, den Streitstoff auf diejenigen Punkte zu begrenzen, die zwischen den Parteien letztlich tatsächlich streitig sind.78 Außerdem sollen durch die umfangreichen discovery Instrumente etwaige Überraschungseffekte zulasten einer Partei vermieden werden. Insoweit wird die discovery auch als ein Garant der prozessualen Waffengleichheit angesehen. Die schwächere Partei erhält so die Möglichkeit, eine etwaige Informationsasymmetrie gegenüber der gegnerischen Partei durch eine umfangreiche Nutzung der discovery auszugleichen.79 Neben dieser Ausgleichsfunktion bietet die discovery beiden Parteien die Möglichkeit der Aufdeckung von Beweismitteln für den späteren Zivilprozess. Die discovery erlaubt es den Parteien eine sehr umfangreiche Sachverhaltsaufklärung zu betreiben.80 Dieser Anreiz zur umfänglichen Nutzung der discovery soll letztlich zu einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien führen, welche ihrerseits die Basis für eine gerechte Entscheidung darstellen soll.81 Schließlich soll die discovery auch die Vergleichsbereitschaft der Parteien fördern. Hintergrund ist der Gedanke, dass ein umfassend aufgeklärter Sachverhalt eine bestmögliche Einschätzung der eigenen Chancen auf einen Prozessgewinn erlaubt. Wenn der tatsächliche Sachverhalt in sehr weitem Umfang feststeht, so verbleiben grundsätzlich nur noch Unklarheiten im Bereich der rechtlichen Bewertung durch das Gericht. Aufgrund der gesetzlichen Regelungen und etwaiger Präjudizen lassen sich die Chancen und Risiken des Prozesses klar festlegen und auf dieser Grundlage valide Vergleichsverhandlungen führen.82 Die Vielfalt und auch die Wichtigkeit dieser Ziele zeigt deutlich, welche Bedeutung der discovery vom Gesetzgeber, aber auch durch Rechtsprechung und Literatur beigemessen wird. Diese Bedeutung lässt sich zudem in der Praxis durch eine Besonderheit des U.S.-amerikanischen Rechtssystems untermauern: Die Zahl derjenigen eingereichten Klagen, die bereits vor Beginn des eigentlichen Prozesses erledigt In der frühen Entwicklungsphase war dieser Aspekt das primäre Ziel der discovery, vgl. etwa Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 397 f. 78 Vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 398; ausführlich auch Junker, Discovery, S. 111 ff. mwN. 79 Vgl. bereits den Fall Burton v. Weyerhaeuser Timber Co., 1 F.R.D. 571, 573, in dem die Vermeidung von Überraschung als Ziel der seinerzeit neuen FRCP dargestellt wird; siehe auch Junker, Discovery, S. 112 f. mwN. 80 Vgl. Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495, 501, 67 S.Ct. 385, 91 L.Ed. 451; ebenso Friedenthal/ Kane/Miller, Civil Procedure, S. 398 mwN aus der Rechtsprechung; vgl. auch Junker, Discovery, S. 114 mit einer Darstellung und Nachweisen zu der Streitfrage, ob die Aufdeckung von Beweismitteln Ziel oder nur Wirkung der discovery sei. 81 Vgl. etwa die Grundsatzentscheidung Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495, 501 ff., insb. 507, 67 S.Ct. 385, 91 L.Ed 451. 82 Vgl. Yeazell, Civil Procedure, S. 407, der zugleich den negativen, aber ebenfalls vergleichsfördernden Punkt des hohen Zeit- und Kostenaufwandes darstellt; Clermont, Civil Procedure, S. 57; ausführlich und mit Nachweisen wiederum Junker, Discovery, S. 108 ff. 77
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werden, ist außerordentlich hoch. So gelangen – je nach Schätzung – nur 1–2 % der eingereichten Klagen tatsächlich das Stadium des Prozesses. Alle anderen Klagen werden im Vorfeld insbesondere durch Vergleiche, aber auch mittels Klagerücknahme oder summary judgements erledigt.83 Mithin erreicht die allergrößte Zahl der Fälle lediglich das Stadium der pretrial discovery, so dass die praktische Bedeutung dieser Regelungen und ihrerAuslegung bei der Untersuchung des U.S.-amerikanischen Zivilprozessrechts kaum hoch genug eingeschätzt werden kann.
2. Ablauf und Stationen der discovery Zu Beginn der discovery Phase fordert Rule 26 (a) FRCP einen umfangreichen Informationsaustausch zwischen den Parteien (initial disclosure). So müssen die Namen und Identitäten von etwaig relevanten Zeugen ebenso mitgeteilt werden, wie etwaig einzubringende Urkunden und weitere Informationen, die im Verlaufe des Prozesses relevant werden könnten. Aufbauend auf diesen Informationen folgt im Anschluss die Durchführung der eigentlichen discovery durch die Parteien mithilfe der verschiedenen discovery Instrumente. Diese Sachverhaltserforschung läuft zum allergrößten Teil ohne eine Mitwirkung oder auch nur die Kenntnis des Gerichtes ab.84 Allerdings sieht Rule 16 FRCP iVm Rule 26 (f) FRCP baldmöglichst nach Beginn der discovery die Einberufung eines Treffens zwischen den Parteien und dem Gericht vor (pretrial confe rence). Dabei soll zumindest in groben Zügen der Umfang, Ablauf und Endpunkt der discovery mit dem Gericht besprochen und ein entsprechender Plan entwickelt werden, Rule 26 (f) (3) (discovery plan). In der Praxis werden solche Treffen durch die Gerichte wohl oftmals erst kurz vor Beginn des eigentlichen Prozesses abgehalten, um die Ergebnisse der discovery zu besprechen und den Streitstoff zu sichten.85 Den Abschluss der discovery Phase bildet nach Rule 26 (a) (3) FRCP die – mindestens 30 Tage vor Beginn des Prozesses durchzuführende – gegenseitige Information der Parteien über alle Beweismittel, welche sie im Prozess zu präsentieren gedenken (pretrial disclosure).
3. Umfang und Grenzen der discovery Die abstrakte Definition des Umfanges der pretrial discovery fällt schwer. Nach Rule 26 (b) FRCP wird any non privileged matter that is relevant to the party´s claim or defense der discovery unterworfen. Aus dieser Definition lässt sich zum In diese Richtung die Schätzung bei Schack, Einführung, S. 59, mit Verweis auf die Statistiken unter www.uscourts.gov/statistics.aspx. 84 Zum Ablauf der discovery vgl. Clermont, Civil Procedure, S. 64 ff.; eine aktuelle, deutschsprachige Darstellung findet sich bei Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 190 ff. 85 So Clermont, Civil Procedure, S. 74. 83
88 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts einen der enorme Umfang derjenigen Informationen ableiten, die der discovery unterfallen. Grundsätzlich darf eine Partei nahezu sämtliche Informationen der gegnerischen Partei oder Dritter erforschen.86 Zum anderen zeigt Rule 26 (b) FRCP aber auch deutlich die Grenzen der discovery auf: das Kriterium der relevance stellt sich ebenso als Grenze der discovery dar, wie die privileged matters. Eine weitere Grenze der discovery kann nach Rule 26 (c) FRCP durch die Gerichte mithilfe von Anordnungen im Einzelfall (sog. protective orders) getroffen werden. Zudem enthalten die einzelnen Regelungen der discovery Instrumente (Rule 27–36 FRCP) weitere Konkretisierungen von Umfang und Grenzen der pretrial discovery. Weitere ab strakte Grenzen werden der discovery weder in den gesetzlichen Regelungen der Federal Rules of Civil Procedure noch in der praktischen Rechtsanwendung durch die U.S.-Gerichte gezogen. Insbesondere normiert Rule 26 (b) (1) FRCP ausdrücklich, dass der Gegenstand der discovery nicht zugleich im späteren Prozess nach den Federal Rules of Evidence zulässig sein muss. Vielmehr genügt es, wenn die zu erforschenden Informationen im Rahmen der discovery zu verwertbaren Beweismitteln führen können. a) Das Kriterium der relevance in Rule 26 (b) (1) FRCP Die erste zu untersuchende Grenze der discovery ist das Kriterium der relevance. Dieses Kriterium hat im Jahr 2000 seine bislang entschiedenste Veränderung erlebt. In seiner ursprünglichen Gestalt ließ Rule 26 (b) (1) FRCP any matter relevant to the subject matter involved in the action für die Zulässigkeit einer discovery genügen. Im Jahr 2000 wurde diese Norm schließlich als Ergebnis eines sehr lang andauernden Diskussionsprozesses reformiert und erhielt ihre heutige Formulierung: any matter relevant to the claim or defense of any party.87 Mithin wurde die Reichweite der discovery durch diese Änderung – zumindest nach der gesetzlichen Grundkonzeption – deutlich verringert.88 Das Kriterium der relevance in Rule 26 (b) (1) FRCP meint den Zusammenhang zwischen der zu erforschenden Information und den nach materiellem Recht für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen.89 Ein solches Kriterium findet sich auch in den Federal Rules of Evidence in Rule 402 als Grenze der Zulässigkeit von Beweismitteln im Prozess. Allerdings gilt es zu beachten, dass Rule 26 (b) (1) die Reichweite der discovery gerade von der Zulässigkeit der Beweismittel im späteren Proetwa Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 397 ff.; zum Verhältnis von Partei und Dritten siehe auch Junker, Discovery, S. 145 ff., insbesondere S. 148 f. 87 Vgl. zum Beginn dieser Diskussion in den 70er Jahren Junker, Discovery, S. 117 ff.; zum Reformprozess siehe auch Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 400 f.; die Gesetzesmaterialen finden sich unter 192 F.R.D. 340, 388 ff. 88 So auch Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 400 f.; vgl. indes zur Intention des Gesetzgebers hinter dieser Reform die Materialien, 192 F.R.D. 340, 388 ff. 89 So Yeazell, Civil Procedure, S. 408 f. 86 Vgl.
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zess abstrahiert, so dass die Definition der relevance in Rule 401 FRE nicht unbesehen auf die relevance iSd Rule 26 (b) (1) FRCP übertragen werden kann.90 Vielmehr reicht die discovery aufgrund der Normierung, dass die zu erforschenden Informationen im späteren Prozess nicht zwingend zulässig sein müssen, deutlich weiter als die Rule 402 FRE. Nach dem Supreme Court ist eine Information nur dann nicht mehr relevant iSd Rule 26 (b) (1) FRCP, „wenn sie keinen vorstellbaren Zusammenhang mit dem konkreten Fall aufweist“.91 In dieser Leitentscheidung ermutigt der Supreme Court die unteren Gerichte zudem, dieses Kriterium weit auszulegen und eine discovery grundsätzlich über jede Information zuzulassen, die in irgendeiner Weise zu einer Streitfrage werden könnte.92 Mithin lässt sich festhalten, dass das Kriterium der relevance in Rule 26 (b) (1) FRCP im Grundsatz lediglich einen minimalen Zusammenhang zwischen zu erforschender Information und den nach dem Gesetz entscheidungserheblichen Tatsachen im Prozess verlangt. Bereits dieser Grundsatz in Rule 26 (b) (1) FRCP erlaubt eine sehr weitreichende Sachverhaltserforschung durch die Parteien. b) Die Zulässigkeit von fishing expeditions nach Rule 26 (b) (1) FRCP Hinzu kommt, dass Rule 26 (b) (1) FRCP den Gerichten die Möglichkeit gibt, von diesem Grundsatz abzuweichen und den Umfang der discovery noch einmal zu erweitern. Ein Gericht kann „aus gutem Grund“ (for good cause) eine discovery nach dem alten Zulässigkeitskriterium (any matter relevant to the subject matter involved in the action) zulassen. In der Praxis stellen die Gerichte wohl sehr geringe Anforderungen an diesen „guten Grund“. Auf Antrag der Parteien wird die Reichweite der discovery in aller Regel auf die alte Fassung der Rule 26 (b) (1) FRCP erweitert.93 Diese sehr weite Interpretation der Ausnahmeregelungen der Rule 26 (b) (1) FRCP ist speziell im Hinblick auf den Hintergrund des Reformprozesses aus dem Jahr 2000 interessant: Die Diskussion entzündete sich an der oftmals als zu weitgehend empfundenen Reichweite der discovery, insbesondere im Hinblick auf Ausforschungsbeweise (sog. fishing expeditions).94 Ausforschungsbeweise meinten in diesem Zusammenhang Beweisanträge „ins Blaue hinein“, ohne eine bereits vorhandeVgl. zu diesem Zusammenhang auch Marcus/Redish/Sherman, Civil Procedure, S. 350 f. So im Fall Oppenheimer Fund, Inc. v. Sanders, 437 U.S. 340, 351 f., 98 S.Ct. 2380, 57 L.Ed.2d 253, allerdings zur alten Fassung der Rule 26 (b) (1), wenngleich das Kriterium der rele vance im Wortlaut identisch geblieben ist; zu dieser Entscheidung auch Junker, Discovery, S. 118. 92 So explizit im Fall Oppenheimer Fund, Inc. v. Sanders, 437 U.S. 340, 351 f., 98 S.Ct. 2380, 57 L.Ed.2d 253. 93 So ausdrücklich Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 400 mwN aus der Rechtsprechung; zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kommt Schack, Einführung, S. 45 in seiner Analyse. 94 Vgl. zu dieser Diskussion: Für eine Begrenzung der Discovery Rifkind, 70 F.R.D. 79, 97 insbesondere 107 ff.; ähnlich positiv gegenüber dem Reformprozess sind Lundquist/ Schechter, 64 ABA.J. 59 ff.; demgegenüber gab es auch zahlreiche kritische Stimmen gegen eine Reform, vgl. die Nachweise bei Junker, Discovery, S. 118 f. 90 91
90 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts ne Tatsachengrundlage.95 Indes war es nach den Gesetzesmaterialien nicht die Intention des Reformgesetzgebers, die Reichweite der discovery grundsätzlich zu begrenzen. Vielmehr ging es dem Gesetzgeber allein um eine aktivere Rolle der Gerichte im Rahmen der pretrial discovery.96 Diese Einbindung des Gerichtes sollte durch die Begrenzung des Umfanges derjenigen discovery geschehen, die die Parteien ohne jede Mitwirkung des Gerichtes durchführen können. Die Zulassung einer weitergehenden discovery im Einzelfall sollte demgegenüber allein den Gerichten nach dem Kriterium for good cause vorbehalten sein und die Parteien zur Einbindung der Gerichte animieren.97 In der Praxis hat diese Intention wohl ihren Niederschlag gefunden. Die weite Auslegung des Merkmales for good cause ermutigt die Parteien, Anträge auf Erweiterung der discovery zu stellen und so die Gerichte einzubinden.98 Mithin spielen die Gerichte – wie vom Gesetzgeber gewünscht – eine aktivere Rolle in der pretrial Phase. Ob dieses Mitwirkungserfordernis jedoch zumindest eine Missbrauchskontrolle von discovery Anträgen und eine Ablehnung über offensichtliche Fälle hinaus ermöglicht, erscheint fraglich.99 Vielmehr lässt sich festhalten, dass Ausforschungsbeweise im U.S.-amerikanischen Zivilprozess weiterhin eine gängige und auch vom Gesetzgeber bei Einschaltung des Gerichtes mitgetragene Praxis darstellt.100
4. Die Begrenzung der discovery durch privileges und ihre Reichweite Eine weitere Grenze der discovery stellen die Weigerungsrechte (privileges) dar. Der discovery unterliegen nach Rule 26 (b) (1) nur non privileged matters. Der Begriff der privileges lässt sich im Hinblick auf seine Voraussetzungen und Rechtsfolgen am ehesten mit den Zeugnisverweigerungsrechten im deutschen Recht vergleichen. Allerdings umfasst der mögliche Personenkreis eines solchen privilege nicht nur Zeugen, sondern auch die Parteien und etwaige Sachverständige, so dass eher von Aussageverweigerungsrechten oder nach Junker von Weigerungsrechten gesprochen werden sollte.101 Diese Weigerungsrechte ermöglichen es ihrem Inhaber 95 Eine andere Begriffsbestimmung zeigt Junker, Discovery, S. 119 f. dahingehend auf, dass fishing expeditions das Verbot der Erforschung von solchen Tatsachen war, für die die gegnerische Partei die Beweislast trägt. 96 Vgl. die Gesetzesmaterialien, in: 192 F.R.D. 340, 388 ff. 97 Vgl. wiederum die Materialien, in: 192 F.R.D. 340, 388 ff. 98 Vgl. die Analyse von Frost, 37 Ga.L.Rev. 1039, 1079 ff. mwN.; vgl. auch Rowe, 69 Tenn.L. Rev. 13, 31 ff., der davon ausgeht, dass die Gerichte bereits vor der Reform in ähnlichem Umfange involviert waren. 99 Zweifelnd auch Schack, Einführung, S. 44 f. 100 Zu einem sehr ähnlichen Ergebnis kommen auch Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 400 f. und die Analyse von Frost, 37 Ga.L.Rev. 1039 mwN. 101 Dieser Begriff findet sich mit einer Erläuterung des Hintergrundes bei Junker, Discovery, S. 124 f.
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unter gewissen Voraussetzungen eine Aussage im Rahmen der discovery oder auch im späteren Prozess zu verweigern.102 Insoweit stimmen jedoch nicht allein die Rechtsfolgen in den verschiedenen Phasen des Prozesses überein. Vielmehr normiert Rule 1101 (c) FRE, dass die Regelungen der privileges in allen Phasen eines Prozesses gleichermaßen anwendbar sind. Mithin gelten die folgenden Ausführungen über Art und Umfang der privileges in der Phase der pretrial discovery gleichermaßen für die spätere Phase des trial und die Zulässigkeit der Einbringung von Beweismitteln nach den Federal Rules of Evidence.103 a) Grundlagen und Telos der privileges Die privileges werden im U.S.-amerikanischen Zivilprozess- und Beweisrecht als eine Besonderheit angesehen. Grundsätzlich haben Beweisregeln, die die Erforschung und insbesondere die spätere Einbringung von Beweismitteln beschränken nur zwei verschiedene Legitimationsmöglichkeiten: Zum einen soll die jury vor Verwirrung, Manipulation und Irreführung geschützt werden und zum anderen soll einer Zeit- und Ressourcenverschwendung entgegengewirkt werden.104 Ersteres soll direkt der Wahrheitsfindung dienen, indem unsichere Beweismittel im jury trial abgelehnt werden. Letzteres soll einen zügigen und kostensparenden Prozess zugunsten der Parteien sicherstellen. Mithin sind beide Einschränkungsmöglichkeiten ein Stück weit dem Prozess selbst immanent.105 Die privileges fallen aus diesem Muster erkennbar heraus: Eine relevante Aussage von Zeugen, Parteien oder Sachverständigen würde grundsätzlich weder die jury verwirren noch eine Zeitverschwendung darstellen. Vielmehr wird durch privileges nach U.S.-amerikanischem Verständnis eine an sich zulässige Erkenntnisquelle verschlossen und die Wahrheitserforschung hierdurch erschwert.106 An dieser Stellte zeigt sich deutlich der Eigenwert, welcher der Wahrheitserforschung im U.S.-amerikanischen Zivilprozessrecht beigemessen wird. Nach diesem Verständnis stellt die Wahrheitserforschung einen Wert für sich dar, dessen Einschränkung rechtfertigungsbedürftig ist.107 Mithin bedürfen die privileges generell einer Legitimation 102 Vgl. etwa Branzburg v. Hayes, 408 U.S. 665, 688, 92 S.Ct. 2646, 33 L.Ed.2d 626; siehe auch die Einleitung bei Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 319 ff. 103 Vgl. etwa Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 319 f.; siehe auch Junker, Discovery, S. 125 mwN. 104 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 465 ff.; ebenso Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 319 ff. 105 In diese Richtung gehen Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 319 f., wenn sie davon sprechen, dass die Rules of Evidence grundsätzlich dazu dienen, die Effizienz des Prozesses (litigation effi ciency) zu steigern. 106 Vgl. zu dieser Sichtweite auf die privileges beispielsweise Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 466 ff.; ebenso Lilly, Evidence, S. 320 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 319 ff. 107 Deutlich in diese Richtung gehend und von einem right to every man´s evidence sprechend der Supreme Court, etwa im Fall United States v. Nixon, 418 U.S. 683, 709 ff., 94 S.Ct. 3090, 41
92 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts und aus der Abwägung zwischen der Wahrheitserforschung auf der einen Seite und den privileges auf der anderen Seite ergibt sich zugleich die Reichweite der privile ges. Als Legitimationsgrund für die Anerkennung eines privileges werden in den USA zwei verschiedene Argumentationsstränge verfolgt: In der Regel wird eine utilitaristische Argumentationsweise vorgetragen. Ein pri vilege schütze ihren Inhaber und aus diesem Schutz heraus würde ein Anreiz für eine bestimmte Verhaltensweise des Inhabers geschaffen. Diese spezifische Verhaltensweise sei in hohem Maße sozial gewünscht und für die Gesellschaft von Nutzen, so dass hieraus die utilitaristische Rechtfertigung eines diese Verhaltensweise fördernden privileges resultiere.108 Der zweite – seltener hervorgehobene – Argumentationsstrang folgt einer idealistischeren Linie: Hiernach gibt es bestimmte, besonders wichtige Menschenrechte aus der Verfassung und dem common law, die jedem Menschen zustehen. Diesen Rechten könne – je nach Abwägung im Einzelfall – aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für Inhaber dieser Rechte schlicht ein Vorrang vor dem Interesse an einer Erforschung der Wahrheit zukommen.109 Vorherrschend ist jedoch der utilitaristische Begründungsansatz von privileges, woraus sich gewisse Konsequenzen für die Sicht von Rechtsprechung und Literatur auf diese privileges ergeben. Wenn man ein privilege nicht als Schutzinstitut eines bestimmten Rechtes ansieht, sondern allein nach seinem gesellschaftlichen Nutzen dahingehend beurteilt, dass eine bestimmte Verhaltensweise gefördert werden soll, so folgt hieraus logischerweise eine gewisse Kosten-Nutzen Analyse.110 Ein privile ge wird nur soweit gewährt, wie sein utilitaristischer Nutzen reicht, mithin der Nutzen in Form der geförderten Verhaltensweise die Kosten in Form einer Einschränkung der Wahrheitserforschung aufwiegt.111 Daher kommt der exakten Bestimmung des Telos eines privilege und insbesondere der Benennung der geförderten Verhaltensweise eine große Bedeutung zu.112 Zudem gilt es für den Bereich der privileges eine weitere Besonderheit zu bedenken. Zwar ergeben sich einige privileges unmittelbar aus der U.S.-amerikanischen Bundesverfassung. Als Grundsatz normiert Rule 501 FRE indes, dass sich die privi leges allein aus dem common law und seiner Interpretation durch die U.S.-amerikaL.Ed.2d 1039; bekräftigt im Fall University of Pennsylvania v. EEOC, 493 U.S. 182, 189, 110 S.Ct. 577, 107 L.Ed.2d 571; vgl. auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 322 f. 108 Diese Unterscheidung hebt Lilly, Evidence, S. 321 f. hervor; inhaltlich ebenso Charles/ Broun/Dix, McCormick I, S. 467 f. 109 Zur Gewichtung der beiden Argumentationsstränge vgl. wiederum Lilly, Evidence, S. 321 f. und Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 467 f.; ausführlich Louisell, 31 Tul.L.Rv. 101, 113. 110 Vgl. etwa die Ausführungen von Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 323 f. zur Anerkennung neuer privileges; ähnlich Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 467 ff., insbesondere S. 474 ff. 111 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 474. 112 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 474 ff. und die Ausführungen bei den einzelnen privileges.
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nischen Gerichte ergeben. Diese Norm ist die Konsequenz der politischen Umstrittenheit der privileges in ihrer Anzahl und Reichweite. Ursprünglich sollten 9 verschiedene privileges in die Federal Rules of Evidence eingefügt werden. Allerdings konnten sich die politischen Parteien im Kongress nicht auf einen entsprechenden Gesetzesentwurf einigen, so dass die Ausgestaltung letztlich schlicht Rechtsprechung und Literatur überlassen und der Status quo perpetuiert wurde.113 Aufgrund des Fehlens expliziter privileges in den Bundesgesetzen wird die Rechtsprechung und Literatur in diesem Bereich umso wichtiger. Gleiches gilt für die Gesetzgebung der Einzelstaaten, die in aller Regel zumindest einige privileges normiert hat. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich daher auf diejenigen privileges, die in der Rechtsprechung ebenso anerkannt wurden, wie von der Gesetzgebung der Einzelstaaten und somit als „allgemein anerkannt“ angesehen werden können.114 Eine Darstellung aller speziellen privileges, die lediglich einer oder wenige Staaten anerkannt haben, würde den Umfang der rechtsvergleichenden Untersuchung sprengen. Vielmehr werden zum Abschluss der Darstellung diejenigen privileges dargestellt, die zwar nicht allgemein akzeptiert, aber doch zumindest mehrheitsfähig unter den Einzelstaaten sind. Abschließend gilt es zu beachten, dass aufgrund der fehlenden Bundesgesetzgebung zwar eine starke Rechtszersplitterung herrscht. Indes lassen sich für die allgemein anerkannten privileges gewisse Fragestellungen formulieren, die sich bei jedem privilege aufs Neue stellen, so dass sich folgendes Schema ergibt: 1. Telos des privilege 2. Tatbestandsvoraussetzungen und Reichweite 3. Inhaberschaft und Verzicht b) Die privileges der U.S.-amerikanischen Verfassung Im ersten Schritt soll nun ein Blick auf diejenigen privileges geworfen werden, die sich unmittelbar aus der Bundesverfassung ableiten lassen. Ihre Zahl ist indes überschaubar und ihr Bezugspunkt grundsätzlich der Strafprozess. Das Verbot der Selbstbelastung (sog. privilege against self-incrimination) ergibt sich aus dem 5. Zusatzartikel. Hinzu kommt ein Weigerungsrecht bei rechtswidrig erlangten Beweismitteln (sog. privilege concerning improperly obtained evidence), dessen Ursprung im 4. Zusatzartikel gesehen wird.115
113 Vgl. zum Gesetzgebungsverfahren der Federal Rules of Evidence Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 340 ff.; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 482 ff.; ausführlich Broun, 53 Hastings.L.J. 769, 772 ff. 114 Ebenso geht Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 214 ff. vor. 115 Vgl. zur Herleitung den Fall United States v. Janis, 428 U.S. 433, 96 S.Ct. 3021, 49 L.Ed.2d 1046; ausführlich zur Entwicklung auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 904 ff.
94 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts aa) Privilege against self-incrimination Das privilege against self-incrimination findet seine Legitimation nach U.S.-amerikanischem Verständnis im Rechtsstaatsprinzip. Kein Mensch soll gezwungen sein, aktiv an seiner eigenen Verurteilung mitzuwirken. Dieses privilege löst die Zwangssituation eines Menschen, zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet zu sein, sich aber bei Einhaltung dieser Pflicht zugleich einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt zu sehen.116 Seinem Wortlaut im 5. Zusatzartikel folgend, bezieht sich dieses privilege grundsätzlich allein auf den Strafprozess. Allerdings geht der Su preme Court im Hinblick auf den Telos dieses privilege auch von seiner Anwendbarkeit im Zivilprozess aus. Sinn und Zweck sei der Schutz eines rechtsstaatlichen Grundgebotes, so dass es nicht darauf ankommen könne, ob es sich um einen Strafoder Zivilprozess handelt.117 Entscheidend sei vielmehr, dass sich diese Zwangssituation auch im Zivilprozess stellen kann.118 Tatbestandlich ist eine natürliche Person erforderlich, die sich im Falle ihrer Aussage dem realen und spürbaren Risiko (real and appreciable danger) einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde.119 Diese Person ist zugleich alleiniger Inhaber des privilege.120 Nicht anwendbar ist das privilege daher bei bereits rechtskräftig verurteilten Personen, ebenso wie bei solchen, denen Immunität vor der Verfolgung der in Rede stehenden Tat eingeräumt wurde.121 Rechtsfolge ist ein Weigerungsrecht des Inhabers, das allerdings auf die Verweigerung einer mündlichen Aussage begrenzt ist. Körperliche Untersuchungen, etwa die zwangsweise Durchführung einer Blutentnahme und -untersuchung, werden nicht von diesem privilege erfasst.122 Zudem muss dieses privilege im Bereich des Zivilprozesses explizit geltend gemacht werden, wobei der Richter insoweit eine Aufklärungspflicht hat, wenn sich aus dem Zusammenhang der bisherigen Aussage ergibt, dass sich der Aussagende eventuell selbst belasten könnte.123 Fehlt es an einer Geltendmachung, so geht auch das privilege verloren. Ein Verzicht erfordert demgegenüber eine ausdrückliche und willentliche Erklärung des Inhabers.124 Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 692 ff. mwN. Entschieden im Fall McCarthy v. Arndstein, 266 U.S. 34, 40, 45 S.Ct. 16, 69 L.Ed. 158; vgl. zur Entwicklung auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 700 ff. 118 Vgl. die Ausführungen des Supreme Court im Fall McCarthy v. Arndstein, 266 U.S. 34, 40, 45 S.Ct. 16, 69 L.Ed. 158; aus der Literatur siehe Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 700 ff.; Lilly, Evidence, S. 352. 119 Vgl. zu diesem Erfordernis United States v. Hubbell, 530 U.S. 27, 37 f., 120 S.Ct. 2037, 147 L.Ed.2d 24; siehe auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 707 ff. 120 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 705 f. 121 Vgl. zu diesen Ausnahmen Lilly, Evidence, S. 353; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 709 ff. 122 Vgl. wiederum Lilly, Evidence, S. 353; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 709 ff. mwN. 123 Vgl. Lilly, Evidence, S. 356. 124 Der Supreme Court hat im Fall Garner v. United States, 424 U.S. 448, 653 ff. klargestellt, 116 Vgl. 117
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bb) Privilege concerning improperly obtained evidence Der Ausschluss rechtswidrig erlangter Beweismittel (privilege concerning impro perly obtained evidence) wurde ursprünglich aus dem 4. Zusatzartikels durch die Rechtsprechung entwickelt.125 Seine Legitimation findet dieses privilege durch zwei verschiedene Argumentationsstränge. Die utilitaristische Rechtfertigung des privi leges wird in einem möglichen Lerneffekt für die rechtswidrig handelnden Personen gesehen. Deren Arbeit, diese Beweismittel zusammenzutragen, wird durch die rechtswidrige Art und Weise dieses Zusammentragens, selbst zunichte gemacht.126 Die idealistischere Argumentationslinie stellt heraus, dass die Gerichte sich durch die Verwendung rechtswidrig erlangter Beweismittel selbst zum Handlanger dieser Tat machen und ihre eigene Integrität gefährden würden.127 Dieses privilege zielt primär auf den Strafprozess und etwaiges, rechtswidriges Handeln der staatlichen Ermittlungspersonen. Zwar hat der Supreme Court dieses privilege auch im Zivilprozess für anwendbar erklärt. Indes handelte es sich hierbei um Fälle, in denen der Staat selbst Partei war.128 Bei der Anwendung dieses privilege auf einen Zivilprozess zwischen zwei rein privaten Akteuren ist die Rechtsprechung deutlich zurückhaltender. Zwar wird angedeutet, dass eine Anwendung nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist.129 Indes werden so hohe Anforderungen an die Anwendbarkeit gestellt, dass dieses privilege im Zivilprozess privater Parteien faktisch keine Rolle spielt.130 Mithin ist dieses privilege auch für die vorliegende Untersuchung von geringerem Interesse und daher auf die soeben erfolgte Darstellung seines Telos zu begrenzen. c) Die anerkannten privileges qua Gesetz und nach dem common law Eine größere Bedeutung kommt im Zivilprozess denjenigen privileges zu, die sich aus den Gesetzen der Einzelstaaten sowie aus dem common law nach der Rechtsprechung ergeben. Hiernach haben folgende Vertrauensverhältnisse einen Schutz durch die Anerkennung eines entsprechenden privileges erfahren: Das Verhältnis zwischen Ehegatten (maritial privilege), zwischen einem Mandanten und seinem Andass streng zwischen dem Verlust eines privileges durch Nichtgeltendmachung und einem bewussten und willentlichen Verzicht zu unterscheiden ist. 125 Vgl. den bereits benannten Fall United States v. Janis, 428 U.S. 433, 96 S.Ct. 3021, 49 L. Ed.2d 1046. 126 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 900 ff. mwN. 127 Vgl. die Ausführungen im Fall Elkins v. United States, 364 U.S. 206, 222 f., 80 S.Ct. 1437, 4 L.Ed.2d 1669; ausführlich auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 900 ff. mwN. 128 Vgl. die Nachweise bei Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 940 ff. 129 Siehe wiederum Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 939 mwN. 130 So Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 940 f. mwN; zu den Anforderungen siehe die Fälle United States v. Janis, 428 U.S. 433, 453 f., 96 S.Ct. 3021, 49 L.Ed.2d 1046 und I.N.S. v. Lopez-Mendoza, 468 U.S. 1032, 1041 ff., 104 S.Ct. 3479, 82 L.Ed.2d 778.
96 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts walt (attorney-client privilege), zwischen Arzt bzw. Psychologen und seinem Patienten (physican-patient bzw. psychotherapist-patient privilege) und abschließend in gewissem Umfang das Regierungshandeln (governmental privilege).131 aa) Marital privilege Das marital privilege umfasst in seinem Gewährleistungsgehalt zwei Aspekte: Den Schutz vor der strafrechtlichen Belastung des anderen Ehegatten (spousal testimoni al privilege) und den Schutz der vertraulichen Kommunikation innerhalb der Ehe (marital confidence privilege).132 Ersteres erschöpft sich in seiner Geltung jedoch im Strafprozess133, so dass sich diese Untersuchung auf den Aspekt des marital con fidence privilege konzentriert. Der Telos dieses privileges unterteilt sich wiederum in zwei Argumentationslinien: Vom utilitaristischen Standpunkt aus gesehen ist die Kommunikation innerhalb der Ehe etwas sozial Gewünschtes, das durch die Garantie ihrer Privatheit gefördert wird.134 Die idealistische Sichtweise betont den Wert der Ehe als ein zentrales Institut menschlichen Zusammenlebens. Die Kommunikation zwischen den Partnern ist eine unverzichtbare Grundvoraussetzung einer jeden Ehe und daher ebenso wie das Institut der Ehe selbst zu schützen. Sich einem Partner anvertrauen zu können, gehöre zu den grundlegenden Wünschen eines Menschen.135 Der Telos dieses privi leges wird ausnahmsweise primär im idealistischen Teilbereich verortet. Tatbestandlich ist zunächst eine wirksam geschlossene Ehe erforderlich. Allerdings gilt es zu beachten, dass das privilege auch nach Ende der Ehe weiterbesteht.136 Außerdem ist eine vertrauliche Kommunikation erforderlich.137 Vertraulichkeit meint in diesem Zusammenhang, dass die Kommunikation allein zwischen den Ehegatten unter Ausschluss von Dritten stattfindet. Kinder dürfen nur anwesend sein, wenn sie noch so jung sind, dass sie den Inhalt der Unterhaltung nicht erfassen können.138 Geschützt wird die Kommunikation zwischen den Ehegatten, wobei deren genauer Umfang umstritten ist. Teilweise wird das privilege auf die direkte, etwa Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 643 ff. mwN. Vgl. zu dieser Unterscheidung Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 449 f. 133 Siehe etwa Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 450. 134 Vgl. hierzu Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 923 ff. 135 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 455 f. unter Verweis auf frühe Urteile des Supreme Court, die die Bedeutung des Institutes der Ehe herausheben; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 499 ff. und 523 ff. 136 Sei es durch Tod oder Scheidung, vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 521 ff. mwN. 137 Vgl. etwa Blau v. United States, 340 U.S. 332, 333, 71 S.Ct. 301, 95 L.Ed. 306; siehe auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 458 ff. mwN. 138 So etwa im Fall Hicks v. Hicks, 271 N.C. 204, 207, 155 S.E.2d 799; ebenso Mueller/Kirk patrick, Evidence, S. 460; ausführlich zum Merkmal der Vertraulichkeit auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 507 ff. 131 Ausführlich 132
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verbale Kommunikation der Ehegatten beschränkt.139 Demgegenüber geht die wohl h. M. davon aus, dass das privilege auch alle nonverbalen Handlungen und Verhaltensweisen vor Offenbarung schützt. Dafür wird der Telos des privilege angeführt, der primär die Bedeutung der Ehe als Institution hervorhebe und daher einen umfassenden Schutz erfordere140 An dieser Stelle zeigt sich anschaulich, dass der Telos eines privilege in der U.S.-amerikanischen Diskussion exakt herausgearbeitet wird und sodann als Argumentationslinie bei Zweifeln über die Reichweite eines privi lege dient. Geschützt ist allein die Kommunikation während der Zeit des Bestehens der Ehe.141 Unanwendbar ist das privilege, wenn die Ehegatten gegeneinander ziviloder auch strafprozessual vorgehen oder gemeinsam an einer Straftat beteiligt waren.142 Inhaber des privilege ist nach dem Supreme Court ausschließlich derjenige Ehegatte, der andernfalls zu einer Aussage verpflichtet wäre.143 Ein Verzicht kommt entweder durch ausdrückliche und willentliche Erklärung oder konkludent durch Nichtgeltendmachung des privilege in Betracht.144 bb) Attorney-client privilege Das attorney-client privilege kann auf eine lange Geschichte zurückblicken und obgleich heute allgemein anerkannt, wurde dieses privilege in früheren Zeiten in den USA sehr kontrovers diskutiert.145 Diese paradox erscheinende Tatsache lässt sich auf den Umstand zurückführen, dass es für dieses privilege nach herrschendem Verständnis keinen idealistischen Begründungsansatz gibt. Vielmehr ist seine Ratio eine rein utilitaristische: In einer immer komplexeren werdenden Gesellschaft sei es ein wünschenswert, wenn eine Person Rechtsrat einholt. Dieser Rat könne indes nur effektiv gewährt werden, wenn der Mandant (Client) dem Anwalt (attorney) alle relevanten Tatsachen anvertraue, was durch die Garantie der Vertraulichkeit gefördert werde.146
139 Vgl. etwa den Fall United States v. Bolzer, 556 F.2d 948, 951; siehe auch die Nachweise bei Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 458 f. 140 In diese Richtung Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 505 f. mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 141 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 511 ff. mwN. 142 So entschieden etwa im Fall United States v. Hill, 967 F.2d 902, 911 f.; weitere Nachweise bei Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 460 f. 143 So entschieden im Fall Trammel v. United States, 445 U.S. 40, 53, 100 S.Ct. 906, 63 L.Ed.2d 186; vgl. aber auch die Darstellung bei Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 516 ff. mwN über abweichende einzelstaatliche Gesetzeslagen und Entscheidungen der Instanzgerichte. 144 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 517 f. mwN. 145 Vgl. zu dieser bewegten Geschichte Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 527 ff. ausführlich auch Hazard, 66 Cal.L.Rev. 1061 ff. 146 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 527 ff.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 348 ff.; einen idealistischen Begründungsansatz versucht Fried, 85 Yale.L.J. 1060 ff.
98 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Tatbestandlich ist in sachlicher Hinsicht eine vertrauliche Kommunikation erforderlich.147 Vertraulichkeit ist zu bejahen, wenn Anwalt und Mandant in Abwesenheit von Dritten miteinander sprechen und es dem Mandanten gerade darauf ankommt, dass die Informationen geheim bleiben sollen.148 Allerdings haben die Hilfspersonen des Mandanten, wie auch des Anwaltes keinen Einfluss auf die Geltung des privilege.149 Das Merkmal der Kommunikation umfasst hierbei die – verbale und nonverbale – Kommunikation des Mandanten, wie auch des Anwaltes.150 Nicht vom privilege umfasst werden die der Kommunikation zugrunde liegenden Fakten.151 Problematisch sind Fälle, in denen einem Anwalt Beweismittel übergeben werden. Als Faustregel gilt, dass das attorney-client privilege nicht dazu führen darf, bereits existierende Beweismittel allein durch die Übergabe an den Anwalt für den Prozess auszuschließen, während die Aufdeckung neuer Beweismittel für oder durch den Anwalt geschützt sein kann.152 In persönlicher Hinsicht muss es sich um Kommunikation zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten handeln.153 Client ist eine natürliche oder juristische Person, die professionellen Rechtsrat von einem Anwalt erhält oder auch nur einen Anwalt zu diesem Zwecke kontaktiert. Das privilege findet auch dann Anwendung, wenn sich Anwalt und Mandant nach dem ersten Beratungsgespräch nicht auf eine Übernahme des Mandates einigen.154 Attorney ist jede Person, die dazu berechtigt ist, vor Gericht aufzutreten und professionelle Rechtsberatung anbietet, wobei das Verhältnis keine Vertretung vor Gericht beinhalten muss und auch die interne Rechtsberatung erfasst.155 Für die Geltung des privi lege genügt es jedoch, wenn der Klient sinnvollerweise davon ausgehen durfte, dass Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 364 ff. mwN. Vgl. etwa United States v. Noriega, 917 F.2d 1543, 1551; das Merkmal der Willensrichtung des Mandanten hervorhebend auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 368 ff. 149 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 369 f.; ebenso Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 557 ff. mwN. 150 Vgl. zum personellen Umfang des Schutzes Matter of Fischel, 557 F.2d 209; ausführlich Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 545 ff.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 366 ff. 151 Vgl. den Fall Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383, 395 f., 101 S.Ct. 667, 66 L.Ed.2d 584. 152 Zu diesem Grundsatz vgl. den Fall United States v. Robinson, 121 F.3d 971, 975 f.; in diese Richtung auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 366 f. 153 Vgl. etwa Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 347. 154 Siehe Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 352 ff. unter Verweis auf die Definition im Musterentwurf der FRE; ein Vertragsschluss ist nicht erforderlich, wie beispielsweise im Fall Westinghouse Elec. Corp. V. Kerr-McGee Corp., 580 F.2d 1311, 1317 festgestellt wird. 155 Vgl. wiederum Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 356 ff. wiederum unter Verweis auf den Musterentwurf zu den FRE; zum Erfordernis der professionellen Rechtsberatung siehe Charles/ Broun/Dix, McCormick I, S. 540 ff. mwN: hiernach muss der Anwalt in seiner beruflichen Funktion kontaktiert worden sein und diese Funktion muss schwerpunktmäßig in der Rechtsberatung liegen; zur internen Rechtsberatung vgl. den bereits benannten Fall Upjohn Co. v. United States, 449 U.S. 383, 394 ff. 147 Ausführlich 148
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es sich bei der konsultierten Person um einen Anwalt handelt, selbst wenn sie tatsächlich kein Anwalt war.156 Inhaber des privileges ist ausschließlich der Mandant. Er hat das Recht die Aussage zu verweigern und darf entscheiden, ob der Anwalt dazu berechtigt ist auszusagen.157 Der Tod des Mandanten lässt das privilege nach h. M. ebenso wenig entfallen, wie das Ende des Anwalt-Mandanten Verhältnisses.158 Ein Verzicht kommt nach Rule 502 (a) FRE grundsätzlich nur ausdrücklich und willentlich in Betracht. Darüber hinaus stellt auch die Nichtgeltendmachung einen konkludenten Verzicht des privilege dar.159 Ein Sonderfall hat in Rule 502 (b) FRE eine gesetzliche Regelung erfahren: Aufgrund der großen Informationsmengen, die im Rahmen der discovery ausgetauscht werden, kann es passieren, dass unabsichtlich und unwissentlich Informationen herausgegeben werden, die unter das attorney-client privilege fallen würden. Aufgrund der Offenlegung wäre an einen konkludenten Verzicht zu denken. Allerdings schließt Rule 502 (b) FRE in diesem Fall einen Verzicht aus, wenn die Offenlegung unabsichtlich geschah, die offenlegende Partei Vorkehrungen gegen eine versehentliche Aufdeckung solcher Informationen unternommen und versucht hat, den Fehler zu beheben sobald er bemerkt wurde. cc) Physician-patient und psychotherapist-patient privilege Ein privilege im Verhältnis zwischen Arzt und Patient war dem common law lange Zeit fremd.160 Die Anerkennung des physican-patient privilege vollzog sich vielmehr durch die Gesetzgebung der Einzelstaaten, beginnend mit dem Bundesstaat New York im Jahr 1828.161 Heute hat dieses privilege Einzug in die Gesetzgebung nahezu aller Einzelstaaten gefunden, obgleich die Bundesgerichte seiner Anerkennung weiterhin zurückhaltend gegenüberstehen.162 In teleologischer Hinsicht haben bei diesem privilege beide Argumentationsstränge Berücksichtigung gefunden: 156
Vgl. den Fall United States v. Costanzo, 625 F.2d 465, 468, cert. denied, 472 U.S. 1017. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 566 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 158 Vgl. United States v. White, 970 F.2d 328, 334 zum Fortbestehen nach dem Ende des Anwalt-Mandanten Verhältnisses und Swindler & Berlin v. United States, 524 U.S. 399, 406 ff.,118 S.Ct. 2981, 141 L.Ed.2d 379; zum Fortbestehen nach dem Tod des Mandanten; ausführlich auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 421 ff. 159 Vgl. etwa Stehen v. First National Bank, 298 F. 36; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 566 ff. mwN. 160 Vgl. etwa Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 607 ff. mwN. 161 Vgl. wiederum Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 608 mwN. 162 Vgl. zur Gesetzgebung Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 619 ff. unter Verweis auf die Musterentwürfe zum Beweisrecht (Uniform Rules of Evidence); vgl. zur Rechtsprechung den Fall Jaffee v. Redmond, 518 U.S. 1, 16 f., 116 S.Ct. 1923, 135 L.Ed.2d 337, in dem der Supreme Court ein privilege des psychotherapist ebenso anerkennt, wie ein privilege des social worker, ohne indes ein generelles physican-patient privilege anzuerkennen. 157 Vgl.
100 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Nach der utilitaristischen Begründung dieses privilege ist es ein sozial gewünschtes Verhalten, wenn Menschen bei Beschwerden einen Arzt aufsuchen. Diese Konsultation kann zudem nur Erfolg haben, wenn der Patient sämtliche Beschwerden und sonstigen Informationen mit dem Arzt teilt. Eben diese Offenlegung aller relevanten Informationen soll durch Anerkennung eines privileges gefördert werden.163 Die idealistische Begründung ergänzt diese Ausführungen unter Betonung der Bedeutung des Rechts auf Privatheit: Die einem Arzt mitgeteilten Informationen betreffen oftmals die Privat- wenn nicht sogar die Intimsphäre eines Menschen. Der Schutz dieser Informationen durch ein privilege hat daher für den Schutz der Privatheit eines Menschen einen sehr hohen Stellenwert.164 Tatbestandlich wird in der Regel eine Konsultation des Arztes durch den Patienten vorausgesetzt. Erforderlich ist, dass sich der Patient für eine Diagnose oder Behandlung zu dem betreffenden Arzt begeben hat, wobei insoweit irrelevant ist, wer letztlich die Kostentragung übernimmt.165 Zudem muss eine vertrauliche Kommunikation im Rahmen dieser Diagnoseerstellung oder Behandlung stattgefunden haben.166 Vertraulichkeit meint wiederum die fehlende Anwesenheit von Dritten, wobei in aller Regel weder medizinisches Hilfspersonal, noch enge Angehörigen des Patienten als „Dritte“ in diesem Sinne zu qualifizieren sind.167 Geschützt wird die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Dieses Merkmal umfasst neben der verbalen Kommunikation auch die Patientendaten und Untersuchungsergebnisse. Ausgenommen sind wohl nur solche Erkenntnisse, die jeder beliebige Dritte ohne ärztliche Ausbildung und Untersuchung hätte treffen können.168 Inhaber des privileges ist der Patient. Er allein hat das Recht zu entscheiden, ob und in welchem Umfang sein behandelnder Arzt seine Patientendaten offenbaren darf.169 Der Tod lässt das privilege nicht erlöschen, allerdings steht das privilege einer Obduktion nicht entgegen.170 Ein Verzicht kommt entweder ausdrücklich und wissentlich oder konkludent durch die Nichtgeldendmachung des privilege in Bezu dieser Argumentationslinie Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 608 f. mwN; zu gegenteiligen Ansichten vgl. etwa Chafee, 52 Yale.L.J. 607 ff. mwN. 164 Vgl. insoweit den Fall Whalen v. Roe, 429 U.S. 589, 97 S.Ct. 869, 51 L.Ed.2d 64, in dem der Supreme Court eine verfassungsrechtliche Dimension eines solchen privileges zumindest andeutet. 165 So kann die Konsultation auch auf Wunsch und Kosten des Arbeitgebers geschehen, ohne dass dies einen Einfluss auf die Geltung des privileges hat, vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 614 ff. mwN. 166 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 464 f., die auch auf teils weitergehende gesetzliche Regelungen eingehen, die das Merkmal der Vertraulichkeit nicht explizit verlangen. 167 Vgl. etwa den Fall Ramon v. State, 387 So.2d 745, 750; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 465 f. 168 Vgl. zum Grundsatz Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 465 f.; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 619 ff.; zur benannten Ausnahme People v. Hedges, 98 A.D.2d 950, 470 N.Y.S.2d 61. 169 Vgl. zur Inhaberschaft des privileges beispielsweise Metropolitan Life Ins. Co. v. Kaufmann, 104 Colo. 13, 87 P.2d 758; ebenso Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 626 ff. 170 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 624 f. und S. 628 f. mwN. 163 Vgl.
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tracht.171 Außerdem sind einige Ausnahmen von diesem privilege anerkannt: So findet es keine Geltung bei Untersuchungen, die zwecks Erkenntnisgewinn gerichtlich angeordnet wurden. Des Weiteren ist das privilege unanwendbar, wenn die Person, welche sich auf das privilege beruft, ihren Gesundheitszustand selbst zum Gegenstand ihrer Klage bzw. Verteidigung gemacht hat.172 Ein privilege im Verhältnis zwischen Psychotherapeut und Patient hat lange Zeit weder in der Rechtsprechung noch in der Gesetzgebung der Einzelstaaten Anerkennung gefunden. Allerdings hat der Supreme Court das psychotherapist-patient pri vilege in neuer Zeit anerkannt.173 Die Ratio physican-patient privilege gilt in diesem Zusammenhang umso mehr: Der Psychotherapeut ist in noch stärkerem Maße auf die Mitwirkungen und die Informationen des Patienten über dessen Gedanken und Gefühle angewiesen, um seine Arbeit verrichten zu können. Außerdem ist eben diese Gedanken- und Gefühlswelt eines Menschen noch stärker seiner Intimsphäre zugeordnet.174 Somit ist die utilitaristische, wie auch die idealistische Begründung für ein solches privilege unverkennbar stark vorhanden. Inhaltlich gelten die gleichen Regelungen und Anforderungen wie beim physican-patient privilege. dd) Governmental secrets privilege Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle zudem darauf hingewiesen, dass in den Kreis der allgemein anerkannten privileges auch gewisse Weigerungsrechte zugunsten des Staates, insbesondere der Regierung (governmental privilege) zählen.175 So genießt die vertrauliche Kommunikation des Präsidenten mit seinem Beraterstab einen – wohl auch verfassungsrechtlich abgesicherten – Schutz (executive privile ge).176 Geschützt werden weiter militärische und diplomatische Geheimnisse.177 Außerdem gibt es gewisse privileges zugunsten der Verwaltung bei ihrer Informationsbeschaffung und internen Entscheidungsfindung (deliberative process privilege).178 Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 626 ff.; zum konkludenten Verzicht durch Nichtgeltendmachung People v. Bloom, 193 N.Y. 1, 85 N.E. 824. 172 Vgl. zu den Ausnahmen Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 466 f.; Letztere Ausnahme wird teils auch als konkludenter Verzicht angesehen, vgl. dazu State v. Doughty, 554 A.2d 1189, 1191. 173 Vgl. die Entscheidung im Fall Jaffee v. Redmond, 518 U.S. 1, 16 f., 116 S.Ct. 1923, 135 L.Ed.2d 337, in der seitens des Supreme Court zugleich ein solches privilege für social workers anerkannt wurde. 174 So auch der Supreme Court im Fall Jeffee v. Redmond, 518 U.S. 1, 10 ff., 116 S.Ct. 1923, 135 L.Ed.2d 337. 175 Eine ausführliche Beschreibung findet sich bei Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 643 ff. 176 Vgl. Nowak/Rotunda, Constitutional Law, S. 282 ff. und den – auch aufgrund seines Sachverhaltes durchaus bekannten – Fall United States v. Nixon, 418 U.S. 683, 708 ff., 94 S.Ct. 3090, 41 L.Ed.2d 1039. 177 Vgl. hier zu den Fall In re U.S., 872 F.2d 472, 476 sowie Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 644 ff. mwN. 178 Zum Schutz der internen Entscheidungsfindung vgl. den Fall Formaldehyde Institute v. De171 Vgl.
102 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Indes spielen diese privileges im Zivilprozess keine erkennbare Rolle, so dass insoweit auf weiterführenden Literaturnachweise verwiesen sei.179 ee) Weitere privileges nach dem Recht der Einzelstaaten Abschließend genannt seien an dieser Stelle noch einige privileges, die zwar keine allgemeine Anerkennung gefunden haben, aber doch in der Mehrzahl der Einzelstaaten zu finden sind und auch in der Rechtsprechung diskutiert werden: Ein privi lege im Verhältnis zwischen Priester und Gläubigem (clergyman-penitent privilege), zwischen Eltern und Kindern sowie zugunsten von Wirtschaftsprüfern und der jury in einem Gerichtsprozess.180 d) Die Begrenzung durch die work-product rule Eine weitere Grenze der pretrial discovery stellt die sog. work-product rule dar. Obgleich kein Teil der ursprünglichen Federal Rules of Civil Procedure, wurde sie bald nach deren Erlass durch den Supreme Court entwickelt und hat inzwischen ob ihrer Bedeutung eine Kodifikation in Rule 26 (b) (3) FRCP erfahren.181 Diese Regelung beschäftigt sich mit einer Problemstellung, die sich nach Inkrafttreten der Federal Rules of Civil Procedure herauskristallisiert und ein Stück weit als Konsequenz der Ausweitung der pretrial discovery erwiesen hat: Das adversary-system lebt von der Vorbereitung des Prozesses durch die Parteien, in der Regel mithilfe ihrer Anwälte. Wenn nun ein Anwalt dieser Aufgabe gewissenhaft nachgekommen war, so stellte sich aufgrund der Reichweite der discovery das Problem, dass der gegnerische Anwalt grundsätzlich auf den gesamten Arbeitsertrag dieses Anwaltes per discovery zugreifen konnte. Mithin wurde dem arbeitenden Anwalt nicht nur der eigens erarbeitete Vorteil genommen, sondern zugleich jeder Anreiz, derartige Vorbereitungen gewissenhaft zu treffen.182 Diese Problemstellung führt nun zum Telos der work product rule: Ihre utilitaristische Rechtfertigung liegt darin, dass die gewissenhafte und vollständige Prozessvorbereitung sozial gewünscht und für den partement of Health and Human Services, 889 F.2d 1118, 1121 f.; zum Schutz von Informanten vgl. bereits Worthington v. Scribner, 109 Mass. 487, 1872 WL 8824; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 654 ff. und 668 ff. jeweils mwN. 179 Weiterführend etwa Berger, 22 UCAL.L.Rev. 4; Cox, 122 U.Pa.L.Rev. 1383; weitere Literaturnachweise bei Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 643 ff. 180 Das clergyman-penient privilege ist in nahezu allen Staaten anerkannt. Probleme und Fragestellungen ergeben sich oftmals aufgrund der unterschiedlichen Praktiken der einzelnen Religionen und dem Anspruch, dennoch alle Religionen gleich zu behandeln, vgl. zu diesem privilege NN, 98 Harv.L.Rev. 1450, 1555 ff.; zu den anderen – teilweise anerkannten – privileges siehe Charles/ Broun/Dix, McCormick I, S. 490 ff. mwN. 181 Entwickelt im Fall Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495, 508 ff. 67 S.Ct. 385, 91 L.Ed. 451; eine sehr ausführliche Analyse bieten Anderson/Cadieux/Hays/Hingerty, 68 Cornell.L.Rev. 760 ff. 182 Vgl. die Entscheidung Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495, 510 ff. 67 S.Ct. 385, 91 L.Ed. 451.
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adversary Prozess elementar ist. Eben diese Verhaltensweise soll durch den Schutz vor einer Aufdeckung gefördert werden.183 Bei der work-product rule handelt es sich allerdings explizit nicht um ein privilege. Ein solches privilege hat eine absolute Geltung, während die work-product rule einer Abwägung zugänglich ist, mithin nur relative Wirkung hat.184 Nach Rule 26 (b) (3) (A) sind sämtliche Dokumente und anderen, materiellen Gegenstände (documents and tangible things) von der discovery ausgenommen, die ein Anwalt in Vorbereitung eines Gerichtsprozesses (in anticipation of litigation) erstellt hat. Erfasst werden alle Dokumente, Notizen, Aufzeichnungen, Mitschriebe, etc. des Anwaltes iSe Verkörperung seiner geistigen Arbeit (sog. ordinary work-pro duct).185 Indes ist das Merkmal der Körperlichkeit kein zwingendes Erfordernis, vielmehr erweitert Rule 26 (b) (3) (B) FRCP den Schutz für die geistige Arbeit des Anwaltes in Form von Meinungen, Theorien, Schlussfolgerungen, etc. noch einmal (sog. opinion work-product). Eine erste Einschränkung enthält Rule 26 (b) (3) (A) mit dem Erfordernis der Erstellung dieser geistigen Arbeit in anticipation of litigation: Die Arbeit muss zwar nicht in Vorbereitung eines konkret bevorstehenden Prozesses geleistet worden sein. Zumindest ist aber ein gewisser Zusammenhang zu einem solchen Prozess in Abgrenzung zur allgemeinen Arbeit des Anwaltes (ordinary course of business) erforderlich. Indes lässt die Rechtsprechung die prognostische Einschätzung genügen, dass mit gewisser Wahrscheinlichkeit ein Prozess zu erwarten war.186 Teils wird auch eine Prüfung dieses Merkmales anhand mehrerer Faktoren vorgeschlagen.187 Darüber hinaus normiert Rule 26 (b) (3) (A) FRCP eine weitere Grenze der work-product rule in Form einer Abwägung: Informationen unterfallen hiernach der discovery, wenn sie 1. ohne Geltung der work-product rule der discovery unterfallen würden und 2. die gegnerische Partei einen dringenden Bedarf dieser Informationen nachweisen kann (substantial need), sie keine andere Möglichkeit der Informationsbeschaf183
Siehe wiederum Hickman v. Taylor, 329 U.S. 495, 510 ff. 67 S.Ct. 385, 91 L.Ed. 451; ausführlich zur Ratio auch Anderson/Cadieux/Hays/Hingerty, 68 Cornell.L.Rev. 784 ff. 184 Diese Unterscheidung machen Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 409 besonders deutlich; zu den Regelungen dieser Abwägung sogleich; ausführlich zu diesem Punkt auch Cohn, 71 George.L.J. 917. 185 Vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 411 f. mwN aus der Rechtsprechung. 186 Vgl. etwa In re Grand Jury Investigation, 599 F.2d 1224, 1229 f.; Diversified Indus, Inc. v. Meredith, 572 F.2d 596, 604; Costal State Gas Corp. v. Departement of Energy, 617 F.2d 854, 865. 187 So die Analyse von Oberbillig, 66 Iowa.L.Rev. 1277 ff. mit deutlicher Kritik an der reinen „Umdefinierung“ des Tatbestandsmerkmales in anticipation of litigation und weiteren Nachweisen in beide Richtungen.
104 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts fung (substantial equivalent by other means) ohne besondere Härte hat (undue hardship). An dieser Regel zeigt sich die Relativität der work-product rule. Wenn eine Partei den Nachweis von substantial need und undue hardship führen kann, so sind die Informationen aufzudecken. Dies gilt nach Rule 26 (b) (3) (B) FRCP allerdings nicht für die geistige Arbeit des Anwaltes in Form von Meinungen, Schlussfolgerungen und rechtlichen Theorien. In der Praxis werden an die Darlegung dieser Tatbestandsmerkmale nur moderate Anforderungen durch die Gerichte gestellt.188 Eine weitere Grenze normiert Rule 26 (b) (3) (C) für eigene Aussagen der Parteien: Auf Verlangen der Gegenseite muss eine Partei eine Kopie ihrer Aussage herausgeben, was mit Blick auf den hohen Beweiswertes einer solchen Parteiaussage vor Gericht erklärlich wird.189 Abschließend findet die work-product rule eine weitere Grenze parallel zum attorney-client privilege: Ein bereits vor Konsultation des Anwaltes existentes Beweismittel kann nicht allein dadurch der discovery entzogen werden, dass eine Partei dieses Beweismittel im Rahmen der anwaltlichen Beratung erwähnt oder es dem Anwalt übergibt. Die work product rule soll nach ihrer Ratio nur die Arbeitsergebnisse eines Anwaltes schützen, aber keinesfalls zu einem Ausschluss von vorher bereits existenter Beweismitteln führen.190 Besonderheiten gelten nach Rule 26 (b) (4) für den Sachverständigenbeweis: Der discovery unterliegen nur diejenigen Sachverständigen, die tatsächlich im Prozess als Beweismittel dienen sollen (testifying experts). Demgegenüber sind Sachverständigen, die eine Partei im Vorfeld eines Prozesses (in anticipation of litigation) zum Zwecke der eigenen Information konsultiert (consulting experts) von der disco very ausgenommen. Eine Rückausnahme gilt nach Rule 26 (b) (4) (D), wenn die gegnerische Partei außergewöhnliche Umstände (exceptional circumstances) nachweisen kann, die es ihr stark erschweren oder unmöglich machen, die ersuchten Informationen anderweitig zu erlangen. Ein solcher Fall kann etwa gegeben sein, wenn es weltweit nur einen Experten für das jeweilige Spezialgebiet gibt.191 Diese Regelung ist im Hinblick auf ihren Umfang und die Anforderungen an ihre Ausnahmevorschrift nochmals deutlich weitergehend als die work-product rule in Rule 26 (b) (3) FRCP.192
188 Zu einer tendenziell ähnlichen Schlussfolgerung kommen Anderson/Cadieux/Hays/Hinger ty, 68 Cornell.L.Rev. 800 ff. nach einer Analyse der drei Merkmale. 189 So etwa Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 411 f. mwN aus der Rechtsprechung. 190 Zu diesem Grundsatz siehe Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 414 mwN; ebenso Clermont, Civil Procedure, S. 61 f.; vgl. auch Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 219. 191 Vgl. zu diesem Beispiel den Fall Town of North Kingstown v. Ashley, 374 A.2d 1033, 1036 f., 118 R.I. 505; diesen Fall bildend auch Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 419 mwN. 192 Vgl. Staton, 85 Colum.L.Rev. 812, 819 f.; ebenso auch Clermont, Civil Procedure, S. 62 f.
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Abschließend normiert Rule 26 (b) (5) FRCP ausdrücklich das Erfordernis der Geltendmachung der work-product rule. Zudem muss man selbst bei berechtigter Verweigerung der Informationen im Rahmen der Geltendmachung darlegen, aus welchen Gründen heraus die Offenlegung verweigert wird, Rule 26 (b) (5) (A) (ii) FRCP.
5. Die einzelnen Instrumente der discovery Nachdem soeben die Grenzen der discovery in Rule 26 (b) FRCP beleuchtet wurden, soll nun ein kurzer Blick auf die konkrete Ausführung der discovery in Form von Art, Umfang und Grenzen der fünf discovery Instrumente geworfen werden. a) Interrogatories Das Instrument der interrogatories hat in Rule 33 FRCP eine Regelung erfahren. Es handelt sich um schriftliche Fragekataloge, die eine Partei der gegnerischen Partei zusendet. Das Spektrum der Fragen kann hierbei sämtliche Informationen innerhalb der soeben dargestellten Grenzen der Rule 26 (b) FRCP umfassen. In der Praxis reichen die Fragen von der Identität von Zeugen bis hin zu detaillierten Angaben über einzelne Tatbestandsmerkmale.193 Die Zahl der Fragen ist hierbei nach Rule 33 (a) (1) FRCP grundsätzlich auf 25 Fragen, inklusive Unterfragen begrenzt, wobei die Parteien anderes vereinbaren und das Gericht auf Antrag abweichendes anordnen kann. Die Parteien haben diese Fragen nach Rule 33 (b) (2), (3) FRCP im Allgemeinen innerhalb von 30 Tagen unter Eid zu beantworten bzw. ihre Einwendungen gegen die Fragen geltend zu machen. Die Einwendungen müssen spezifisch auf die einzelnen abgelehnten Fragen zugeschnitten und entsprechend begründet sein, Rule 33 (b) (4). Regelmäßig wird – neben einer Überschreitung der abstrakten Grenzen der discovery – eingewandt, dass die Fragen unpräzise oder missverständlich sind bzw. übergroßen Ermittlungsaufwand erfordern. Im späteren Prozess können die interrogatories genutzt werden, um Widersprüche zwischen den schriftlichen Äußerungen und den späteren Aussagen im Prozess aufzudecken. Regelmäßig dienen die interrogatories indes der Informationssammlung für die weitere discovery Maßnahmen, insbesondere für die Durchführung von depositions.194 b) Production of documents and things Ein weiteres discovery Instrument erlaubt nach Rule 34 FRCP die Vorlage von Dokumenten und Augenscheinsobjekten (production of documents and things). Dieses Instrument ermöglicht die Vorlage von Dokumenten und die Inspektion von Augen193
Vgl. auch zu ihrer praktischen Anwendung Junker, Discovery, S. 176 ff. Clermont, Civil Procedure, S. 69 f.; ebenso Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 197 f.
194 Vgl.
106 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts scheinsobjekten zu allen Informationen innerhalb der Grenzen der Rule 26 (b). Adressat einer solchen Anfrage ist in der Regel die gegnerische Partei, nach Rule 34 (c) FRCP können aber auch Dritte in Anspruch genommen werden. Bemerkenswert ist der Umfang dieses Instrumentes: Erfasst werden sämtliche – auch elektronischen – Dokumente, aber auch internen Aktenvorgänge, Notizen, schriftliche Kommunikation.195 Zudem müssen diese Unterlagen nicht zwingend im Eigentum der herausgebenden Partei stehen, vielmehr genügt der bloße Besitz und auch solche Unterlagen sind umfasst, deren Herausgabe durch die pflichtige Partei gegenüber Dritten verlangt werden kann.196 Aufgrund des teils sehr großen Umfanges der angeforderten Dokumente müssen diese so herausgegeben werden, wie sie im üblichen Geschäftsgang geordnet waren. Eine willkürliche Herausgabe aller Dokumente in der Hoffnung, die andere Partei werde die relevanten Informationen nicht finden, ist unzulässig.197 Die angeforderten Dokumente sind wiederum nach Rule 34 (b) (2) (A) FRCP binnen 30 Tagen herauszugeben bzw. entsprechende, spezifizierte Einwendungen geltend zu machen. Dieses Instrument ermöglicht es, gerade auch in heutiger Zeit durch die Herausgabepflicht elektronischer Dokumente, sehr weitreichende Informationen von der gegnerischen Partei zu erlangen und die in der Regel nachfolgenden depositions ebenso vorzubereiten, wie den eigentlichen Prozess. c) Requests for admission Rule 36 FRCP regelte das discovery Instrument der Aufforderung zur Abgabe eines Geständnisses (request for admission). Dabei muss die auffordernde Partei jede einzugestehende Tatsache einzeln aufführen. Das Spektrum geständnisfähiger Tatsachen wird allein durch Rule 26 (b) FRCP allgemein begrenzt und umfasst auch die Frage der Echtheit von Urkunden, Rule 36 (a) (1) (B). Es darf sich sogar um Tatsachen handeln, die den Kern des Rechtsstreits betreffen und deren Eingeständnis den Anspruch insgesamt zugestehen würde, wie Rule 36 (a) (5) FRCP zeigt. Einwendungen gegen die Fragen und ihre Reichweite müssen mit einer entsprechenden Begründung abgegeben werden, Rule 36 (a) (5) FRCP. Die gegnerische Partei muss diese Fragen nach Rule 36 (a) (3) FRCP grundsätzlich innerhalb von 30 Tagen beantworten und sie hat folgende Antwortmöglichkeiten: Sie kann die in Rede stehenden Tatsachen ganz oder teilweise zugestehen oder das Geständnis mit spezifischer Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 199 f.; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 435 f. unter Verweis auf die Entscheidung des Supreme Court im Fall Societe Internationale v. Rogers, 357 U.S. 197, 78 S.Ct. 1087, 2 L. Ed.2d 1255, in der der Supreme Court selbst dann eine Herausgabe bejaht hat, wenn dies für den Herausgabepflichtigen in dessen Herkunftsland eine Straftat darstellt. Diese Entscheidung war indes wohl den Besonderheiten des Falles in Form eines missbräuchlichen Verbringens der Beweismittel an eben diesen Ort geschuldet. 197 Vgl. Wagner v. Dryvit Systems, Inc., 208 F.R.D. 606, 611; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 436. 195 Vgl. 196 Vgl.
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Begründung ganz oder teilweise verweigern, Rule 36 (a) (4) FRCP. Außerdem kann die Antwort nach Rule 36 (a) (4) FRCP mit der Begründung verweigert werden, dass man trotz umfangreicher Nachforschungen keine hinreichende Kenntnis über die zu gestehende Tatsache habe. Für den Fall der Nichtbeantwortung sieht Rule 36 (a) (3) FRCP eine Geständnisfiktion vor. Entscheidendes Merkmal dieses discovery Instrumentes ist seine in Rule 36 (b) FRCP normierte Rechtsfolge: Die Geständnisse im Rahmen dieses Instrumentes gelten auch vor Gericht als Geständnis und erbringen daher den vollen Beweis der zugestandenen Tatsache. Allerdings kann im Einzelfall durch das Gericht aus gutem Grund (for good cause) von dieser Bindungswirkung abgewichen werden.198 In der Praxis wird eine Partei daher mit ihren Antworten sehr vorsichtig sein. Dieses Instrument dient daher vor allem der Klärung unstreitiger Teile des Sachverhaltes und der Anerkennung der Echtheit von Urkunden.199 d) Physical and mental examinations Das discovery Instrument der medizinischen Untersuchung (physical and mental examination) hat in Rule 35 FRCP seine Regelung erfahren und sieht als einziges discovery Instrument eine obligatorische Beteiligung des Gerichts vor. Die Ratio der zwingenden gerichtlichen Anordnung der Untersuchung in Rule 35 (a) (1) FRCP liegt in der starken Grundrechtsbeeinträchtigung einer solchen Untersuchung.200 Dies gilt umso mehr, als nicht nur die Prozessparteien erfasst sind, sondern nach Rule 35 (a) (1) FRCP auch jede Person, die in der Obhut (custody) oder gesetzlichen Vertretung (legal control) einer Partei stehen. Eine solche Anordnung verlangt nach Rule 35 (a) FRCP, dass der körperliche oder geistige Zustand der zu untersuchenden Person streitig ist (in controversy) und darüber hinaus einen guten Grund (for good cause). Der Supreme Court stellt verhältnismäßig hohe Anforderungen an den Nachweis dieser Tatbestandsmerkmale.201 So genügt nicht jeder unsubstantiierte Zweifel am körperlichen oder geistigen Zustand einer Person durch eine Partei für seine Streitigstellung.202 Außerdem fehlt es jedenfalls dann an einem guten Grund, wenn die beantragende Partei die Informationen auf anderem Weg erlangen könn198
Vgl. etwa den Fall Marshall v. Sunshine & Leisure, Inc., 496 F.Supp. 355 ff.; Williams v. Krieger, 61 F.R.D. 142; kritisch zu dieser Praxis Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 431 ff. 199 Vgl. zum praktischen Nutzen Junker, Discovery, S. 189; Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 202 f. 200 Die verfassungsrechtliche Dimension wird im Fall Schlagenhauf v. Holder, 379 U.S. 104, 85 S.Ct. 234, 13 L.Ed.2d 152 durch den Supreme Court deutlich betont. 201 Vgl. die Leitentscheidungen Sibbach v. Wilson & Co., 312 U.S. 1, 61 S.Ct. 422, 85 L.Ed. 479 und insbesondere den Fall Schlagenhauf v. Holder, 379 U.S. 104, 85 S.Ct. 234, 13 L.Ed.2d 152. 202 Vgl. hierzu Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 439 f.
108 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts te.203 Wenn ein solcher Nachweis gelingt und die Untersuchung durchgeführt wird, so gelten nach Rule 35 (b) FRCP Besonderheiten für den anschließenden Untersuchungsbericht: Dieser Bericht muss auch der untersuchten Person auf Antrag zugänglich gemacht werden wie Rule 35 (b) (1) FRCP klarstellt. Auf der anderen Seite kann die untersuchte Person sich aber nach dieser Anforderung des Berichtes nicht mehr auf ein entsprechendes physican-patient privilege berufen, Rule 35 (b) (4) FRCP. e) Depositions Als fünftes und letztes Instrument runden die eidlichen Vernehmungen (depositions) in den Rules 27–32 FRCP das Bild der discovery ab. Den Regelfall bilden hierbei mündliche Vernehmungen (depositions by oral examinations), die sich nach Rule 30 (a) (1) FRCP an jede natürliche oder juristische Person richten können – die gegnerische Partei, wie auch Dritte. Zumeist werden die zu stellenden Fragen auf denjenigen Informationen basieren, welche durch die vorherige Ausschöpfung der anderen discovery Instrumente erlangt wurden.204 Diese Fragen müssen sich nach Rule 30 (a) FRCP inhaltlich innerhalb der Grenzen der Rule 26 (b) FRCP bewegen. Außerdem begrenzt Rule 30 (a) (2) (A) FRCP die Zahl der depositions auf 10, soweit nichts anderes durch die Parteien vereinbart oder durch das Gericht angeordnet wird. Abschließend wird jede einzelne deposition nach Rule 30 (d) (1) FRCP auf die Zeitdauer von sieben Stunden an einem Tag limitiert. Eine deposition wird von der ersuchenden Partei durch die Mitteilung von Zeit und Ort der Vernehmung begonnen, Rule 30 (b) FRCP. Bei einer Vernehmung der gegnerischen Partei genügt eine formlose Mitteilung (notice) nach Rule 30 (b) (1) FRCP, während Dritte nur durch eine gerichtliche Ladung (subpoena) nach Rule 45 FRCP zum Erscheinen verpflichtet werden können. Bei einer deposition sind neben der zu vernehmenden Person zwingend auch die Anwälte der Parteien sowie unter Umständen die Parteien persönlich anwesend.205 Weiterhin ist nach Rule 30 (b) (5) FRCP die Anwesenheit einer neutralen, zur Abnahme von Eiden befugten Person nach Maßgabe von Rule 28 FRCP obligatorisch, die das Protokoll führt und die vernommene Person vereidigt. Der Ablauf einer solchen Vernehmung wird in Rule 30 (c) FRCP normiert und orientiert sich am späteren Gerichtsprozess: Zu Beginn wird die zu vernehmende Person vereidigt. Es folgt eine Befragung durch denjenigen Anwalt, der zu dieser Vernehmung geladen hat (direct examination), bevor sich 203 Vgl. die Fälle In re Certain Asbestos Cases, 113 F.R.D. 612, 614 f.; Martin v. Tindell, 98 So.2d 473, cert. denied 355 U.S. 959, 78 S.Ct. 545, 2 L.Ed.2d 534; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 439 f. 204 Diese praktische Reihenfolge der discovery hebt insbesondere Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 203 f. hervor. 205 Vgl. Schack, Einführung, S. 47 f.
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ein Kreuzverhör durch den gegnerischen Anwalt (cross examination) anschließt, Rule 30 (c) (1) FRCP. Die Aussage wird durch ein Wortlautprotokoll festgehalten, wobei der Einsatz technischer Hilfsmittel durch Rule 30 (b) (3) FRCP gestattet ist. Einwendungen gegen einzelne Fragen führen – in Ermangelung eines entscheidenden Richters – nicht zu einem Ausschluss der Frage. Vielmehr muss die Frage beantwortet werden und die Einwendung wird in das Protokoll aufgenommen, Rule 30 (c) (2) FRCP. Ausgenommen sind hiernach lediglich solche Einwendungen, bei denen die Beantwortung der Frage als konkludenter Verzicht anzusehen ist. Die besondere Bedeutung der depositions rührt zum einen aus ihrem Ablauf, der annäherungsweise dem späteren Gerichtsprozess entspricht: Durch diese Befragungen im Vorfeld des Prozesses sollen – in Übereinstimmung mit der Zielsetzungen der discovery insgesamt – Überraschungen im eigentlichen Prozess vermieden werden.206 Zum anderen sind die depositions aufgrund ihres Beweiswertes für die Prozessparteien von besonderem Interesse: Die Aussagen im Rahmen der depositions können verwendet werden, um bei späteren Zeugenaussagen im Prozess etwaige Widersprüche aufzudecken und die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu erschüttern (impeachment), Rule 32 (a) (2) FRCP. Vor allem aber, können diese Aussagen den vollen Wahrheitsbeweis erbringen, wenn die Aussagen von der gegnerischen Partei getätigt wurden oder wenn ein Zeuge aufgrund gesundheitlicher Probleme oder räumlicher Distanz nicht mehr für eine Aussage zur Verfügung steht, Rule 32 (a) (4) FRCP. Dieser hohe Beweiswert hebt das Instrument der depositions merklich von den übrigen disco very Instrumenten ab.207 Diese Aspekte der Vermeidung von Überraschungen bei Zeugenaussagen zusammen mit dem hohen Beweiswert im Prozess machen es erklärlich, dass die depositions by oral examination in der Praxis das zahlenmäßig häufigste und wichtigste discovery Instrument darstellen.208 Eine Variante dieser Vernehmungen ist in Rule 31 FRCP mit den depositions by written questions normiert: Dabei werden die Fragen der Vernehmung, wie auch des Kreuzverhörs durch die Anwälte schriftlich eingereicht, anschließend durch den neutralen officer verlesen und die Aussage protokolliert, Rule 30 (b) FRCP. Der Vorteil liegt in der Kostenersparnis aufgrund des Nichterfordernisses von Anwälten.209 Allerdings können sich die Anwälte keinerlei Bild vom Auftreten der Zeugen machen und die starren, vorformulierten Fragekataloge verhindern zudem eine flexible Befragung.210 Aufgrund dieser Nachteile spielt diese Art der depositions prakVgl. zu dieser Zielsetzung Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 421 f. So auch Böhm, Amerikanisches ZPR, S. 209 f. mwN. 208 Vgl. Junker, Discovery, S. 158 f. mit etwas älteren, statistischen Nachweisen; ebenso aus neuerer Zeit Schack, Einführung, S. 47; Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 421 f.; Cler mont, Civil Procedure, S. 69. 209 Vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 426 f. 210 Diese Nachteile skizzieren Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 426 f. ebenso wie Clermont, Civil Procedure, S. 69 und Yeazell, Civil Procedure, S. 419; ausführlich dazu auch Jun ker, Discovery, S. 163 ff. 206 207
110 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts tisch allenfalls dann eine Rolle, wenn einfache Fragen an Dritte zu stellen sind, die durch das Instrument der interrogatories gerade nicht erfasst werden.211
6. Der Schutz mittels protective orders Bei protective orders nach Rule 26 (c) FRCP handelt es sich um gerichtlich anzuordnende Schutzmaßnahmen, die eine konkrete, einzelfallbezogene Grenze der dis covery darstellen. Die Ratio der protective orders liegt primär in der Verhinderung von Missbräuchen im Rahmen der discovery durch das erkennende Gericht im Einzelfall.212 Tatbestandlich ist eine solche Anordnung nach Rule 26 (c) (1) FRCP nur auf Antrag einer Partei und bei Nachweis eines guten Grundes (for good cause) möglich. Beispielhaft für einen solchen, guten Grund werden in Rule 26 (c) (1) FRCP verschiedene Fälle des discovery Missbrauches genannt. Als zweites Tatbestandsmerkmal verlangt Rule 26 (c) (1) FRCP den Nachweis, dass die beantragende Partei sich vor Einschaltung des Gerichtes ernsthaft mit der anderen Partei um eine außergerichtliche Lösung der Streitfrage bemüht hat (conferred in good faith with the other party). Als Rechtsfolge wird es den Gerichten durch Rule 26 (c) (1) (A) – (H) FRCP nach ihrem freien Ermessen ermöglicht, die discovery in sachlicher, zeitlicher oder örtlicher Hinsicht zu begrenzen oder auch die Kostentragung anderweitig zu regeln. Ein discovery Ersuchen kann auf Teile der angeforderten Informationen beschränkt oder auch der Personenkreis eingegrenzt werden, welcher Zugang zu diesen Informationen erhalten soll. Weiter besteht die Möglichkeit einer Vorprüfung der Informationen durch das Gericht und einer anschließenden Entscheidung über die Weiterleitung an die ersuchende Partei. In der Praxis sind die Gerichte tendenziell zurückhaltend mit der Erteilung von protective orders.213 Die Anforderungen an den Nachweis eines guten Grundes sind hoch und die Anordnungen beschränken sich regelmäßig auf eine abweichende Kostentragung oder eine Vorprüfung des Gerichtes.214 Der gänzliche Ausschluss von discovery Begehren kommt nur in Fällen offensichtlichen Missbrauchs in Be-
Zu diesem Schluss kommt auch Junker, Discovery, S. 163 ff. mit einigen statistischen Werten; ebenso Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 426 f. und Clermont, Civil Procedure, S. 69; zur Nichtanwendbarkeit der Interrogatories auf Dritte vgl. oben den Unterpunkt 5. a). 212 Zu dieser Ratio vgl. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 443 f.; Kane, Civil Procedure, S. 145 ff.; ausführlich Marcus, 69 Cornell.L.Rev. 1, 6 ff. 213 So auch Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 443 f.; Kane, Civil Procedure, S. 143 ff.; sehr deutlich auch Schack, Einführung, S. 45 mwN. 214 Vgl. zu den Anforderungen den Fall Owens v. Sprint/United Management Co., 221 F.R.D. 649, 652 und Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 443 f.; einzelne Fälle zum Umfang von protective orders sind etwa Guerra v. Board of Trustees of California State Universities & Colleges, 567 F.2d 352; Covey Oil Co. v. Continental Oil Co., 340 F.2d 993; cert. denied 380 U.S. 964. 211
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tracht.215 Hinzu kommt, dass die Berufungsgerichte bei der Überprüfung erstinstanzlicher Urteile einen weiten Ermessensspielraum der erstinstanzlichen Gerichte anerkennen und wiederum nur offensichtliche Missbrauchsfälle korrigieren, was die Praxis der unteren Gerichte verstärkt.216 Die zurückhaltende Erteilung dieser einzelfallbezogenen protective orders zeigen anschaulich die Tendenz der Gerichte, im Zweifel ein „Mehr“ an discovery zuzulassen und der Wahrheitserforschung durch die Parteien weitgehend freien Lauf zu lassen.
7. Sanktionen bei Verletzung der Pflichten im Rahmen der discovery Zum Abschluss dieser Untersuchung der Federal Rules of Civil Procedure soll das Bild der pretrial discovery durch einen kurzen Blick auf die die Zwangsmittel vervollständigt werden, mittels derer die discovery Begehren nötigenfalls durchgesetzt werden können. Dabei gilt es zwischen den speziellen, der discovery eigenen Regelungen in Rule 37 FRCP und der generellen Möglichkeit einer Verurteilung wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court) in Rule 37 (b) (1), (2) und Rule 45 (g) FRCP zu unterscheiden. a) Sanktionen nach Rule 37 FRCP Die Spezialregelung der Rule 37 FRCP bildet systematisch den Abschluss der Normen über die discovery in den Federal Rules of Civil Procedure und enthält einen detaillierten Sanktionenkatalog bei Verletzung der discovery Pflichten. Tatbestandlich ist nach Rule 37 (b) (1) FRCP zunächst eine Anordnung der betreffenden disco very Maßnahme durch das Gericht (court order) erforderlich.217 Die allgemeinen Voraussetzungen einer solchen order normiert Rule 37 (a) (1) FRCP. Hiernach muss die ersuchende Partei einen Antrag bei Gericht stellen, der den Nachweis eines vorangegangenen, außergerichtlichen Einigungsversuches mit der gegnerischen Partei beinhaltet. Diese order wird nach Rule 37 (a) (1) – (3) FRCP erteilt, wenn die Voraussetzungen der jeweiligen discovery Maßnahme vorliegen. Die Verweigerung einer court order geht nach Rule 37 (a) (5) (B) FRCP stets mit der spiegelbildlichen Erteilung einer entsprechenden protective order an die andere Partei einher. Zudem ist die jeweils unterliegende Partei – je nach Erteilung oder Verweigerung – in die Kosten der jeweiligen discovery Maßnahme zu verurteilen, Rule 37 (a) (5) FRCP. Auf Basis einer court order gilt es für die ersuchende Partei, die discovery weiter zu betreiben. Falls sich die gegnerische Partei trotz erteilter court order weigert, dem 215
Vgl. den Fall Echostar Communications Corp. V. News Corp., 180 F.R.D. 391, 395 f.; ebenso Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 443 f. und Kane, Civil Procedure, S. 145 ff. 216 Vgl. zu diesem weiten Maßstab den Fall Mack v. Great Atlantic and Pacific Tea Co., Inc., 871 F.2d 179, 186. 217 Ausführlich zum Verfahren der Verhängung von Zwangsmitteln Junker, Discovery, S. 190 ff.
112 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts discovery Ersuchen Folge zu leisten, sieht Rule 37 (b) FRCP einen Sanktionenkatalog vor, der nach dem freien Ermessen des Gerichtes auszusprechen ist. Die Sanktionen in Rule 37 (b) (1) – (2) sind vielfältig und reichen von der Verurteilung in die Kosten, über die Streichung einzelner Teile des Vorbringens einer Partei, bis hin zum vollständigen Prozessverlust. Besonderheiten gelten nach Rule 37 (b) (2) (B) FRCP für die physical and mental examination und nach Rule 37 (c) (2) FRCP für die requests for admission. In der Praxis nutzen die Gerichte den abgestuften Sanktionenkatalog zu einer starken Ausdifferenzierung der Sanktionen im konkreten Einzelfall. Dabei werden fahrlässige discovery Verstöße in aller Regel „nur“ mit der Verurteilung in die entstandenen Kosten sanktioniert.218 Die Gerichte sind tendenziell zurückhaltend mit der Verhängung prozessbeendender Sanktionen. Diese Tendenz der Gerichte findet indes ihre Grenze bei vorsätzlichen und offensichtlichen Verstößen gegen discovery Pflichten.219 In solchen Fällen sind U.S.-Gerichte willens, das Spektrum der Rule 37 (b) FRCP auszureizen.220 Eine Sonderregelung enthält Rule 37 (c) (1) FRCP bei Verstößen gegen die Pflicht zur disclosure. Nach dieser Norm darf eine Partei diejenigen Beweismittel, die sie der gegnerischen Partei nicht offengelegt hat, im Prozess nicht vorbringen. Eine Ausnahme sieht Rule 37 (c) (1) FRCP nur vor, wenn die Partei nachweisen kann, dass ihr Verstoß gerechtfertigt (substantially justified) oder harmlos (harmless) war. Kumulativ oder alternativ kommen weitere Sanktionen nach Rule 37 (c) (1) (A) – (C) FRCP in Betracht – etwa die Verurteilung in die Kosten. Zusammengefasst bietet die Rule 37 FRCP ein breites Spektrum von Sanktionen, um die Durchsetzung der discovery zu gewährleisten. Die Gerichte gehen tendenziell zurückhaltend mit diesem Katalog um. Allerdings können schwerwiegende Verstöße gegen die discovery Pflichten ohne weiteres zum Prozessverlust führen.221 b) Verurteilung wegen contempt of court Daneben kennen die Federal Rules of Civil Procedure ein allgemeines Sanktionsinstrument der Verurteilung wegen Missachtung des Gerichts (contempt of court). Zu beachten ist, dass eine solche Verurteilung stets eine vorangegangene Anordnung
218 Vgl. etwa den Fall National Hockey League v. Metropolitan Hockey Clun, Inc., 427 U.S. 639, 96 S.Ct. 2778, 49 L.Ed.2d 747; Fox v. Studebaker-Worthington, Inc., 516 F.2d 989; ausführlich Golinsky, 62 Brook.L.Rev. 585. 219 Zu den Anforderungen vgl. Traxler v. Ford Motor Co., 227 Mich.App.276, 286, 576 N.W.2d 398. 220 Vgl. etwa den Fall Trans World Airlines, Inc. v. Hughes, 449 F.2d 51; Communispond, Inc. v. Kelley & T.C.E. Assocs., 1998 WL 473951; ausführlich Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 447 ff. 221 Zu einem ähnlichen Urteil kommt bereits Junker, Discovery, S. 200 f. unter Verweis auf die Ausführungen des geistigen „Vaters“ der Rule 37 FRCP, Rosenberg, 58 Colum.L.Rev. 480, 494 ff.
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des Gerichts erfordert, gegen die eine Partei verstoßen haben kann.222 In Bezug auf die discovery wird in Rule 37 (b) (1) FRCP festgelegt, dass bestimmte Verstöße gegen court orders als contempt of court zu werten sind. Als Sanktionen bei Verurteilung wegen contempt of court kommen Geld- oder Haftstrafen in Betracht.223 Wiederum stehen Art und Höhe der Sanktion im Ermessen des Gerichts und richten sich nach der Schwere des Verstoßes. Bei vorsätzlichen und schweren Verstößen kann es seitens des Gerichts allerdings zu drastischen Strafen kommen.224
V. Das Recht auf Beweis im U.S.-amerikanischen Zivilprozess nach den FRE Den Abschluss der rechtsvergleichenden Untersuchung soll nun ein Blick auf das U.S.-amerikanische Beweisrecht bilden, wie es sich nach den entsprechenden Regelungen auf Bundesebene in den Federal Rules of Evidence darstellt. Diese Regelungen haben seit ihrer Einführung im Jahr 1975 einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Beweisrechts der Einzelstaaten genommen und zu einer mehrheit lichen Adaption dieser Regelungen geführt.225 Die Regelungen der Federal Rules of Evidence finden nach Rule 101 (a) FRE vor Bundesgerichten in allen Zivil- und Strafprozessen Anwendung. Die nachfolgende Untersuchung konzentriert sich indes allein auf die Spezifika des Zivilprozesses.
1. Die Zulassung von Beweismitteln nach Rule 401, 402 FRE Die zentralen Regelungen der Zulassung von Beweismitteln finden sich in den Rules 401, 402 FRE. Nach Maßgabe dieser Regelungen richtet sich die Zulassung bzw. Ablehnung sämtlicher Arten von Beweismitteln in Zivilprozessen vor den U.S.-amerikanischen Bundesgerichten. a) Grundsatz: Die Zulassung jeglicher Beweismitteln nach Rule 402 FRE Den Grundsatz markiert dabei Rule 402 FRE. Hiernach ist jedem Beweisantrag stattzugeben und jedes Beweismittel zulässigerweise in den Prozess einbringungsfähig, solange es relevant ist. Ausnahmsweise sind nach Rule 402 FRE BeweismitVgl. allgemein zu diesem Institut Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 752 ff. Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 752 f.; zudem unterscheidet man – je nachdem ob die Zielrichtung progressiv oder repressiv ist – zwischen civil und criminal contempt, siehe etwa Shillitani v. U.S., 384 U.S. 364, 369, 86 S.Ct. 1531, 16 L.Ed.2d 622; instruktiv auch der Fall In re Lazarus, 276 F.Supp. 450. 224 Vgl. zu diesem Zusammenhang wiederum den Fall Shillitani v. U.S., 384 U.S. 364, 369 ff., 86 S.Ct. 1531, 16 L.Ed.2d 622; ebenso Friedenthal/Kane/Miller, Civil Procedure, S. 752 f. 225 Vgl. die statistischen Erhebungen von Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 3 ff. 222
223 Vgl.
114 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts tel abzulehnen, wenn dies durch die Bundesverfassung, die Federal Rules of Evidence oder andere Bundesgesetzte normieren wird. Die Ablehnungsgründe nach der Bundesverfassung und den Bundesgesetzen erschöpfen sich größtenteils in den pri vileges und der work product rule.226 Die Federal Rules of Evidence enthalten demgegenüber eine ganze Reihe von Beweisregeln, die einer Zulassung von Beweismitteln entgegenstehen können. Festzuhalten ist jedoch, dass es keine weiteren als die benannten Ablehnungsgründe für Beweisanträge im U.S.-amerikanischen Zivilprozess gibt. Der Supreme Court hat insbesondere betont, dass die früheren Ablehnungsgründe nach dem common law aufgrund der klaren gesetzgeberischen Entscheidung in Rule 402 FRE keine unmittelbare Geltung mehr beanspruchen können.227 Ebenso wenig können sich aus den Gesetzen oder auch den Verfassungen der Einzelstaaten Ablehnungsgründe für Beweisanträge in Zivilprozessen vor den Bundesgerichten ergeben.228 Diese klare gesetzgeberische Entscheidung, dass Beweisanträgen nach den Federal Rules of Evidence grundsätzlich stattzugeben ist, kann als Normierung eines wesentlichen Teilgehaltes des „Rechts auf Beweis“ angesehen werden. Rule 402 FRE unterwirft dieses Recht zwar dem Kriterium der relevance und weiteren – zahlreichen – Einschränkungen in den Federal Rules of Evidence. Dennoch bleibt an dieser Stelle die gesetzgeberische Grundentscheidung in Rule 402 FRE festzuhalten: Die Parteien haben grundsätzlich das Recht, im U.S.-amerikanischen Zivilprozess mit ihren Beweisanträgen durchzudringen und Beweismittel einzubringen. b) Das Zulassungskriterium der relevance in Rule 402 FRE Die zentrale Zulässigkeitshürde der Federal Rules of Evidence stellt nach Rule 402 FRE das Kriterium der relevance dar. Dieses Merkmal stellt die Mindestanforderung an die Zulassung eines jeden Beweisangebotes in einem Zivilprozess vor den Bundesgerichten dar.229 Eine Legaldefinition dieses Merkmales findet sich in Rule 401 FRE und beinhaltet zwei Tatbestandsmerkmale: Ein Beweisangebot ist nur dann relevant iSd Rule 401 FRE, wenn: 1. die zu beweisende Tatsache entscheidungserheblich für den konkreten Fall ist (materiality) Vgl. auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 188 f. mit weiteren Regeln. So im Fall United States v. Abel, 469 U.S. 45, 51 f., 105 S.Ct. 465, 83 L.Ed.2d 450 unter Verweis auf die Begründung zu den FRE und auf den Artikel von Clearly, 57 Neb.L.Rev. 908, 915, der allerdings auf eine teilweise Übernahme dieser Regeln des common law hinweist, etwa in Rule 501 FRE. 228 Vgl. etwa den Fall United States v. Jacobs, 547 F.2d 772, 777; ebenso im Fall Leitman v. McAusland, 934 F.2d 46, 50 mwN. 229 Zu den regelmäßig ähnlichen Anforderungen der Einzelstaaten vgl. Fishmann, Jones on Evidence II, S. 259 f. 226 227
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und 2. das Beweisangebot dazu geeignet ist, die zu beweisende Tatsache mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen zu lassen (probative value). Das Merkmal der materiality in Rule 401 (b) FRE meint den Zusammenhang zwischen der Tatsache, für die Beweis angeboten wurde, und dem konkreten Fall. Die Frage der materiality richtet sich nach dem zu Anfang des Prozesses vorgetragenen Begehren des Klägers und der Verteidigung des Beklagten in Verbindung mit dem materiellen Recht.230 Dieses Kriterium kann daher nicht abstrakt-generell, sondern nur anhand des konkreten Einzelfalles beurteilen werden. Allerdings lässt sich festhalten, dass dieses Merkmal in der Praxis weit ausgelegt wird. Erfasst werden nicht nur Tatsachen, die einen unmittelbaren Zusammenhang zum konkreten Fall aufweisen, sondern auch solche Tatsachen, die der Jury ein besseres Verständnis anderer, entscheidungserheblicher Beweisangebote ermöglichen.231 Entscheidungserheblich können im Einzelfall auch solche Karten, Diagramme, Video- oder Tonaufnahmen sein, die allein dem Zwecke des besseren Verständnisses des Zusammenhanges anderer Beweismittel dienen.232 Das zweite Tatbestandsmerkmal des probative value in Rule 401 (a) FRE erfordert eine prognostische Entscheidung des Gerichts. Teilweise werden in der U.S.amerikanischen Literatur mathematische Formeln für eine möglichst exakte Berechnung des hypothetischen Beweiswertes eines Beweisangebotes aufgestellt.233 Allerdings geben auch die Autoren solcher Formeln zu, dass letzten Endes eine wertende Entscheidung durch das Gericht zu treffen ist.234 Diese Entscheidung orientiert sich an der allgemeinen Lebenserfahrung des Richters sowie naturwissenschaftlichen und logischen Grundregeln und Zusammenhängen. Anhand dieser Kriterien gilt es für den Richter zu beurteilen, ob der angebotene Beweis hypothetisch dazu geeignet ist, die zu beweisende Tatsache mehr bzw. weniger wahrscheinlich erscheinen zu lassen.235 Dabei wird immer wieder darauf hingewiesen, dass nach dem Wortlaut der Rule 401 (a) FRE any tendency genügt. Mithin sind die Anforde230 Vgl. den Fall Philips v. Western Co. of N. Am., 953 F.2d 923, 930; siehe auch Charles/ Broun/Dix, McCormick I, S. 994 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 174; Fishmann, Jones on Evidence II, S. 260 f. jeweils mwN. 231 Vgl. die Ausführungen des Supreme Court im Fall Old Chief v. United States, 519 U.S. 172, 186 ff.; 117 S.Ct. 644, 136 L.Ed.2d 574; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 994 f. 232 Siehe Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 994 f.; ebenso Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 174 ff. 233 So insbesondere Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 995 ff.; ähnliche Überlegungen stellt Friedman, 34 Hous.L.Rev. 55, 57 ff. an. 234 So im Ergebnis auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1004 unter Verweis auf den Fall People v. Engelman, 434 Mich. 204, 453 N.W.2d 656. 235 Zu diesen Kriterien siehe Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1004; ähnlich auch Mueller/ Kirkpatrick, Evidence, S. 171 f.
116 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts rungen an die Geeignetheit des Beweisangebotes nach der Konzeption der Federal Rules of Evidence denkbar gering.236 Dementsprechend kann ein direktes Beweisangebot (direct evidence) nur in absoluten Ausnahmefällen nach Rule 401, 402 FRE abgelehnt werden. Problematisch können allein Angebote von Indizienbeweisen (circumstantial evidence) sein, wenn es sich um naturwissenschaftlich zweifelhafte Indizien handelt.237 Außerdem wird darauf hingewiesen, dass Rule 401, 402 FRE im Zusammenhang mit den Ausschlussmöglichkeiten von Beweismitteln nach Rule 403 FRE zu lesen ist. Ein Ausschluss von Beweismitteln würde hiernach regelmäßig nicht aufgrund fehlender relevance iSd Rule 401, 402 FRE erfolgen, wohl aber aufgrund einer negativen Kosten-Nutzen-Analyse nach Rule 403 FRE.238 Die gesetzliche Konzeption einer umfangreichen Zulassung von Beweisangeboten der Parteien entspricht weitgehend ihrer praktischen Anwendung. Die Gerichte engen die Zulassungskriterien der Rule 401, 402 FRE in ihrer Auslegung kaum ein, sondern bejahen in der Regel das Kriterium der relevance. Daher sind die Beweisangebote der Parteien nach Rule 401, 402 FRE im U.S.-amerikanischen Zivilprozess in sehr weitem Umfange zulässig.239
2. Die weiteren Schranken der Beweiszulassung nach Rule 403 FRE Das Kriterium der relevance in Rule 401, 402 FRE stellt nach dem eben gesagten eine verhältnismäßig niedrige Zulassungshürde dar, die lediglich solche Beweisangebote ausschließen soll, die für die Beweisaufnahme offensichtlich kaum einen Wert haben. Diese niedrige Zulassungshürde ist einerseits Ausdruck einer liberalen Politik der Beweiszulassung und der Bedeutung, die der Wahrheitserforschung im U.S.-amerikanischen Zivilprozess beigemessen wird. Andererseits enthalten die Federal Rules of Evidence mit Rule 403 FRE ein weiteres Korrektiv. Diese Norm sieht eine einzelfallbezogene Kosten-Nutzen-Analyse durch das Gericht vor und gibt ihm unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit, auch solche Beweisangebote auszuschließen, die nach Rule 401, 402 FRE an sich zulässig wären.
236 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 170 f.; kritisch zu dieser weiten Konzeption der Zulässigkeit von Beweismitteln Crump, 34 Hous.L.Rev. 1 ff. und Friedman, 34 Hous.L.Rev. 55 ff. 237 Vgl. zum Indizienbeweis und seinen Zulassungsanforderungen Fishman, Jones on Evidence II, S. 270 ff. und Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1000 ff.; ausführlich zu den Beweisarten Patterson, 19 Vand.L.Rev. 1 ff. 238 Diesen Zusammenhang hebt Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 171 ff. hervor; ebenso Crump, 34 Hous.L.Rev. 1, 3 ff. 239 So Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 170 f.; zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Crump, 34 Hous.L.Rev. 1 ff. und Friedman, 34 Hous.L.Rev. 55 ff.; instruktiv zur Sichtweise der Gerichte auf die Regeln der Beweiszulassung die Fälle International Merger & Acquisition Consultants v. Armac Enters, Inc., 531 F.2d 821, 823 und Conway v. Chemical Leaman Tank Lines, Inc., 525 F.2d 927, 930.
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a) Die Beweisausschlussgründe der FRE und ihre teleologischen Grundlagen Rule 403 FRE unterteilt sich in zwei Arten von Beweisausschlussgründen: Zum einen können solche Beweismittel ausgeschlossen werden, bei denen die Gefahr, die jury zu verwirren oder über die Maße einseitig zu beeinflussen, außer Verhältnis zum Nutzen des Beweismittels steht. Es geht um den Ausschluss von unglaubwürdigen und zweifelhaften Beweismitteln und damit die Förderung der Wahrheitsfindung im Prozess.240 Zum anderen sieht Rule 403 FRE eine Kosten-Nutzen-Analyse vor, die einen Beweismittelausschluss ermöglicht, wenn der Wert des Beweismittels außer Verhältnis zu seinen monetären und zeitlichen Kosten steht. Mithin geht es hierbei um die Sicherung der Effizienz der Justiz.241 Rule 403 FRE stellt den Grundtypus aller Ausschlussgründe der Federal Rules of Evidence dar: Sämtliche Beweisregeln basieren in ihrer Ratio entweder auf der Sicherung der Wahrheitserforschung durch Ausschluss zweifelhafter und für die jury problematischer Beweismittel oder der Sicherung der Effizienz der Justiz.242 Einzig die privileges stellen insoweit einen Sonderfall dar. Im Übrigen lassen sich alle Beweisregeln der Federal Rules of Evidence auf einen oder beide Teile dieser Ratio zurückführen.243 Diese Ratio gilt es bei der nachfolgenden Darstellung der Rule 403 FRE, wie auch der einzelnen Beweisregeln stets im Hinterkopf zu behalten, da sich aus der Ratio einer Beweisregel zugleich ihre Reichweite ergibt: Die Wahrheitserforschung im Prozess hat einen Eigenwert und eine Beweisregel kann einen Ausschluss von Beweismitteln nur soweit rechtfertigen, wie es ihre Ratio verlangt.244 b) Unfair prejudice, confusion of the issus, missleading of the jury Die erste Gruppe von Ausschlussgründen in Rule 403 FRE dient dem Schutz der Wahrheitsfindung.245 Tatbestandlich kann der Richter ein Beweismittel nach seinem freien Ermessen unter bestimmten Voraussetzungen ausschließen: Die Gefahr der übermäßigen Beeinflussung, Verwirrung oder Irreführung der jury (unfair preju dice, confusing the issue or misleading the jury) muss den möglichen Nutzen des Beweismittel (probative value) in erheblichem Maße übersteigen (substantial out weighed). Das Merkmal der unfair prejudice meint die Beeinflussung der jury auf emotionaler Ebene.246 Entscheidend für dieses Tatbestandsmerkmal ist der Umstand, dass Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 194 f.; ausführlich Gold, 58 Wash.L.Rev. 497, 499 ff. Fishmann, Jones on Evidence II, S. 312 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 198 f. 242 Vgl. zu diesem Grundprinzip Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 465 ff.; ebenso Mueller/ Kirkpatrick, Evidence, S. 319 ff. 243 Siehe Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 465 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 319 ff. 244 So etwa Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 467 ff. zu den privileges. 245 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 194 f.; Gold, 58 Wash.L.Rev. 497, 499 ff. 246 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, S. 194 ff.; ebenso Fishman, Jones on Evidence II, S. 294 ff. 240 Vgl. 241 Vgl.
118 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts die entsprechende Beeinflussung der jury unfair sein muss.247 Unfair iSd Rule 403 FRE kann ein Beweismittel sein, wenn es reißerisch oder schockierend ist und dabei allein auf die emotionale Beeinflussung der jury abzielt.248 Die Merkmale der Verwirrung oder Irreführung der jury (confusing the issue or misleading the jury) meinen die Beeinflussung auf kognitiver Ebene, wobei die Grenze zwischen den beiden Merkmalen fließend ist.249 Eine solche Beeinflussung kann beispielsweise vorliegen, wenn sich Beweisangebote allein auf Nebenfragen beziehen, um von der eigentlichen Streitfrage abzulenken oder die weitere Konzentration der jury zu schwächen.250 Das zweite Kriterium in der Abwägung ist der Wert des auszuschließenden Beweismittels. Dieser Wert ist durch den Richter anhand verschiedener Kriterien zu beurteilen: Die Bedeutung der zu beweisenden Tatsache, das Vorhandensein und die Zahl alternativer Beweismittel sowie die Überzeugungskraft des angebotenen Beweismittels.251 Die Abwägung erfolgt nach Rule 403 FRE dahingehend, dass ein Ausschluss von Beweismitteln nur dann in Frage kommt, wenn die Gefahr der Beeinflussung der jury den potentiellen Nutzen des Beweismittels erheblich übersteigt. Diese Formulierung lässt klar erkennen, dass der Ausschluss eines Beweismittels auch im Rahmen von Rule 403 FRE eine Ausnahme darstellen soll.252 Diese gesetzgeberische Entscheidung wird wiederum durch die praktische Auslegung der Gerichte bestätigt. Die Gerichte legen die Ausschlussmöglichkeit nach Rule 403 FRE eng aus und verneinen in der Regel das Vorliegen einer überwiegenden Gefahr der Beeinflussung der jury.253
247 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 194 f., die nicht zu Unrecht darauf hinweisen, dass das Beweisangebot einer Partei typischerweise für die andere Partei beeinträchtigend, also prejudi cial ist. 248 Eine Grundsatzentscheidung ist der Fall Old Chief v. United States, 519 U.S. 172, 117 S.Ct. 644, 136 L.Ed.2d 574; vgl. auch Cater v. Disctrict of Columbia, 795 F.2d 116; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 194 f. mwN. 249 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 197 f. mwN. 250 Vgl. den Fall United States v. Currier, 836 F.2d 11, 18; Fishman, Jones on Evidence, S. 298 ff. mwN. 251 Diese Auflistung der Kriterien findet sich bei Fishmann, Jones on Evidence II, S. 290 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen zu den jeweiligen Kriterien; 252 Vgl. den Fall Blancha v. Raymark Industries., 972 F.2d 507, 516; ebenso Mueller/Kirkpat rick, Evidence, S. 190; Fishman, Jones on Evidence II, S. 283 ff. mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 253 Vgl. etwa Brooks v. Chrysler Corp., 786 F.2d 1191, 1198; United States v. Jamil, 707 F.2d 638, 642 ff.; weitere, ausführliche Rechtsprechungsnachweise finden sich auch bei Fishmann, Jones on Evidence II, S. 283 f.
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c) Undue delay, waste of time, needless presentation of cumulative evidence Die zweite Gruppe von Ausschlusstatbeständen in Rule 403 FRE hat die Sicherung der Effizienz der Justiz zum Ziel.254 Die Ratio der Norm liegt nicht in der Sicherung einer zeitigen Entscheidung für die Parteien und – in Abgrenzung zu den anderen Ausschlusstatbeständen der Rule 403 FRE – auch nicht im Schutz der jury vor identisch wiederkehrenden Beweisangeboten. Diese Tatbestände sind allein der Einsicht geschuldet, dass die Ressourcen der Justiz begrenzt sind und bestmöglich genutzt werden müssen.255 Diese Ratio führt dazu, dass auch Beweismittel ausgeschlossen werden können, die für sich genommen glaubhaft und entscheidungserheblich sind und damit einen tatsächlichen Beweiswert haben. Es macht die Besonderheit der Rule 403 FRE aus, dass sich selbst der hohe Wert der Wahrheitserforschung im U.S.-amerikanischen Zivilprozess einer Kosten-Nutzen-Analyse stellen muss. Tatbestandlich ist nach Rule 403 FRE eine Abwägung zwischen dem potentiellen Wert des in Rede stehenden Beweismittels auf der einen Seite und der Gefahr einer unangemessenen Verzögerung, Zeitverschwendung oder der unnötigen Präsentation mehrerer Beweismittel für ein Beweisziel (undue delay, waste of time or needless presentation of cumulative evidence) auf der anderen Seite durchzuführen. Die Auslegung dieser Merkmale im Einzelfall erfolgt durch die Rechtsprechung anhand eines weiten Ermessensspielraumes.256 Das Merkmal der vielfachen Beweismittelpräsentation enthält indes seinerseits ein Schutzelement zugunsten der jury. Ein Ausschluss kommt oftmals in Betracht, wenn das in Rede stehende Beweismittel lediglich bereits zugelassene Beweismittel wiederholt.257 So kann etwa die Zahl der Zeugen zum Nachweis einer bestimmten Charaktereigenschaft einer Person beschränkt werden.258 Allgemein ist zu sagen, dass ein Ausschluss auch bei dieser zweiten Gruppe von Merkmalen nur in Betracht kommt, wenn die Gefahr einer Verzögerung den Nutzen des Beweismittels erheblich übersteigt. Diese Formulierung des Gesetzes spricht im Zweifelsfall für eine Zulässigkeit beantragter Beweismittel. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung die Effizienz der Justiz als ein „externes“ Merkmal erachtet und dessen Wert deutlich geringer ansetzt, als den Wert von Beweismitteln, die zur Fishmann, Jones on Evidence II, S. 284 f. und S. 312 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 198 f. 255 Vgl. den Fall Reeve v. Dennet, 145 Mass. 23, 28, 11 N.E. 938, 944, in dem Richter Holmes eine entsprechende Regelung des common law lange vor Einführung der FRE als eine concession to the shortness of life bezeichnete. 256 Vgl. United States v. Robinson, 560 F.2d 507, 514; siehe auch Mueller/Kirkpatrick, Evi dence, S. 198 f. mwN. 257 Instruktiv der Fall United States v. Jamil, 707 F.2d 638, 642 ff. mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. 258 So im Fall United States v. Garret, 716 F.2d 257, 272, cert. denied, 466 U.S. 937; weitere Beispiele bei Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 198 f. und Fishman, Jones on Evidence II, S. 313 f. 254 Vgl.
120 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts Wahrheitserforschung beitragen können.259 Mithin ist für die Praxis festzuhalten, dass Beweisangebote auch nach den Einschränkungsmöglichkeiten der Rule 403 FRE im Zweifel als zulässig angesehen werden.260 d) Sonderfall: Die character evidence nach Rule 404–415 FRE Einen Sonderfall stellt die Frage dar, ob ein Beweisangebot zulässig ist, das allein dem Nachweis einer bestimmten Charaktereigenschaft der gegnerischen Partei oder eines Zeugen dient (character evidence).261 Diese Fragestellung hat in Rule 404– 415 FRE ihre Regelung erfahren und ist nichtsdestoweniger Gegenstand ausführlicher Diskussionen in Rechtsprechung und Literatur.262 Im Grundsatz schließt Rule 404 (1) FRE Beweisangeboten aus, wenn sie allein den Nachweis eines bestimmten Charakterzuges betreffen. Die Ratio dieses Ausschlusses ist primär in der regelmäßig stark beeinflussenden Wirkung eines solchen Beweisangebotes zu erblicken.263 Zudem hat ein abstrakter Charakterzug für ein im konkreten Fall in Rede stehendes Verhalten einer Person regelmäßig nur geringe Bedeutung, so dass der Beweiswert von character evidence tendenziell gering ist.264 Diese Ratio lässt die Regelungen über character evidence als einen Sonderfall der Rule 403 FRE mit Bezügen zu Rule 401, 402 FRE erscheinen. Der grundsätzliche Ausschluss jeglicher character evidence in Rule 404 (a) (1) FRE wird in den nachfolgenden Regelungen um etliche Ausnahmen ergänzt. Der weit überwiegende Teil dieser Ausnahmeregelungen betrifft den allein den Strafprozess. Allerdings gibt es auch im Zivilprozess einige geschriebene und ungeschriebene Fälle, in denen ein Beweisangebot von character evidence – vorbehaltlich der Rule 401–403 FRE – zulässig ist: So kann nach Rule 404 (a) (3) FRE character 259 Eine sehr ähnliche Schlussfolgerung zieht Fishman, Jones on Evidence II, S. 312 f.; vgl. erneut den Fall United States v. Jamil, 707 F.2d 638, 642 ff. mwN. 260 So auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 190 f. und Fishman, Jones on Evidence, S. 283 f. jeweils mwN. 261 Vgl. zur Definition von character evidence den Fall United States v. West, 670 F.2d 675, 682; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 201 f. 262 Vgl. etwa die Ausführungen bei Fishman, Jones on Evidence III, S. 1–695 oder auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1013 ff. 263 Vgl. etwa den Fall Michelson v. United States, 335 U.S. 469, 475 f., 69 S.Ct. 213, 93 L.Ed. 168, der diese Ratio bereits für die – deutlich zulässigkeitsfreundlicheren – Regelungen des com mon law festhält; ebenso Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1015 ff.; vgl. zur Historie auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 201 ff.; eine grundsätzliche Kritik dieses Ausschlusstatbestandes formuliert Uviller, 130 U.Pa.L.Rev. 845 ff. 264 Vgl. die Ausführungen im Fall Campbell v. Greer, 831 F.2d 700, 707; siehe auch Mueller/ Kirkpatrick, Evidence, S. 202 ff. unter Verweis auf Mendez, 31 UCLA.L.Rev. 1003, 1050 ff., der anhand psychologischer Studien nachweist, dass Verhalten deutlich stärker situationsbedingt als charaktergebunden stattfindet und damit den potentiell geringen Beweiswert, wie auch die generelle Regelung in Rule 404 (a) FRE untermauert.
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evidence zulässigerweise im Rahmen eines Zwischenstreites über die Glaubwürdigkeit eines Zeugen (impeachment) nach Rule 607–609 FRE angeboten werden. Außerdem finden die Ausnahmeregelungen der Rule 404 (b) FRE grundsätzlich auch im Zivilprozess Anwendung.265 Hiernach kann früheres Fehlverhalten einer Person, insbesondere eine strafrechtliche Verurteilung, ausnahmsweise als Beweismittel in den Prozess eingebracht werden. Allerdings darf dies nach Rule 404 (b) (1) FRE nicht zum Nachweis einer Charaktereigenschaft geschehen. Vielmehr ist eine Einbringung solcher Beweismittel nur zum Nachweis anderer Tatsachen zulässig, die in Rule 404 (b) (1) FRE aufgelistet sind – etwa dem Motiv, einer Intention, Planung oder auch der Kenntnis einer Tatsache. Diese Ausnahmeregelung nach Rule 404 (b) FRE findet eine weitere Grenze in Rule 407–411. Hiernach dürfen bestimmte Verhaltensweisen einer Partei, die zeitlich der Klage nachfolgen, nicht zum Nachweis bestimmter Tatsachen nutzen. So darf allein aus dem Umstand, dass eine Partei ihrem Gegner nach einem schädigenden Ereignis geholfen hat, nicht auf eine etwaige Verantwortlichkeit geschlossen werden, Rule 407 FRE.266 Ebenso wenig darf aus einem angebotenen Vergleich oder der Zahlung von Medikamenten auf eine solche Verantwortlichkeit geschlossen werden, Rule 408, 409 FRE. Auch der Abschluss einer Unfallversicherung ist kein Indiz für die Fahrlässigkeit einer Partei, Rule 411 FRE. Der Telos des Ausschlusses dieser Beweismittel ist darin zu sehen, dass die genannten Verhaltensweisen in hohem Maße sozial gewünscht sind und gefördert werden sollen.267 Hinzu kommt, dass Hilfsbereitschaft einer Person nicht in jedem Fall auf einer persönlichen Verantwortlichkeit beruhen muss, sondern auch einen Ausdruck von Altruismus darstellen kann.268 Eine weitere Ausnahme vom Grundsatz der Rule 404 (a) (1) FRE wird zugelassen, wenn die in Rede stehende Charaktereigenschaft ein zentrales Element einer Klage bzw. Verteidigung darstellt (character as an element of charge, claim or de fense).269 Hierbei handelt es sich um eine ungeschriebene Ausnahme, die aus dem common law übernommen wurde. Allerdings wird diese Ausnahme in Rule 405 (b) FRE insofern vorausgesetzt, als diese Norm die Art und Weise des Nachweises in eben diesem Fall regelt. Daher hat diese Ausnahme auch unter Geltung der Federal Rules of Evidence allgemeine Anerkennung gefunden. Anwendungsfälle sind insbesondere der Nachweis der Fahrlässigkeit bei Einschaltung von Hilfspersonen (neg 265 Vgl. etwa Roshan v. Fard, 705 F.2d 102, 104 ff.; Dosier v. Miami Valley Broadcasting Corp., 656 F.2d 1295, 1300 f.; weitere Nachweise finden sich bei Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 215 f. 266 Eine Auflistung von Maßnahmen einer Partei, die von Rule 407 FRE erfasst sind findet sich bei Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 257 ff. 267 Vgl. etwa Werner v. Upjohn Co. 628 F.2d 848, 856 f.; cert. denied, 449 U.S. 1080, 101 S.Ct. 862, 66 L.Ed.2d 804; ebenso Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 257; Lilly, Evidence, S. 117 f. 268 Vgl. auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 257, die eher auf die allgemeine Unkenntnis der Rule 407 FRE bei Menschen ohne juristische Ausbildung abstellen. 269 So etwa Fishman, Jones on Evidence III, S. 64 ff.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 245 ff. jeweils mwN.
122 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts ligent entrustment) und Klagen wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes (defa mation).270 Abschließend gilt es nach Rule 406 FRE den Nachweis von Charaktereigenschaft abzugrenzen vom Nachweis bloßer Gewohnheiten einer Person (habits). Rule 406 FRE normiert die generelle Zulässigkeit eines solchen Nachweises und steht damit im Kontrast zum generellen Ausschluss der Rule 404 (a) (1) FRE. Die Ratio dieser Regelung liegt darin, dass eine Gewohnheit eine sehr viel spezifischere Handlungsweise einer Person in einer spezifischen Situation beschreibt, als dies bei Charaktereigenschaften der Fall ist. Daraus resultiert ein ungleich höherer Beweiswert, wenn der streitige Sachverhalt mit derjenigen Situation der Gewohnheit vergleichbar ist.271 Aufgrund dieser Ratio lassen sich drei Kriterien bestimmen, die für das Vorliegen einer Gewohnheit herangezogen werden: Spezifität des Verhaltens, seine Regelmäßigkeit und Unbewusstheit (specific behaviour, Regularity and automatic).272 Zusammenfassend gibt es gerade im vorliegend interessierenden Zivilprozess nur wenige relevante Ausnahmetatbestände vom grundsätzlichen Ausschluss der cha racter evidence.273
3. Die privileges der Rule 501, 502 FRE Die privileges stellen eine weitere Grenze des Grundsatzes der Zulässigkeit von Beweismitteln iSd Rule 402 FRE dar. Allerdings normiert Rule 1101 (c) FRE die gleichförmige Anwendbarkeit von privileges in allen Abschnitten eines Zivilprozesses. Daher sei an dieser Stelle auf die vorangegangenen Ausführungen im Rahmen der pretrial discovery verwiesen.274
4. Weitere Schranken der Beweiszulassung nach Rule 402 FRE Die Federal Rules of Evidence enthalten zahlreiche weitere Beweisregeln, die den Ausschluss bestimmter Beweismittel in bestimmten Situationen regeln. Die nachfolgende Untersuchung soll einen kurzen Überblick der relevantesten Beweisregeln 270 Vgl. den Fall In re Aircrash in Bali, 684 F.2d 1301 (negligent entrustment) und Cox Broadcasting Corp. v. Cohn, 420 U.S. 469, 489 f., 95 S.Ct. 1029, 43 L.Ed.2d 328 (defamation); ausführlich zur Methode und mit weiteren Beispielsfällen aus der Rechtsprechung Fishman, Jones on Evidence III, S. 71 ff. 271 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 249 f.; so auch Fishman, Jones on Evidence III, S. 660 f. 272 Vgl. Frase v. Henry, 444 F.2d 1228, 1232 (Specific behavior); Wilson v. Volkswagen of America, Inc., 561 F.2d 494, 512 (regularity); cert. denied, 434 U.S. 1020, 98 S.Ct.744, 54 L.Ed.2d 768; United States v. Troutman, 814 F.2d 1428, 1455 (Automatic); zu diesen drei Kriterien auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 250 f. mwN. 273 Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommen Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1024 ff. 274 Siehe oben IV. 4.
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geben. Dabei gilt es zu bedenken, dass diese Beweisregeln oftmals eine sehr umfangreiche Auslegung durch die Gerichte erfahren haben und sich dementsprechend in eine kaum zu überblickende Zahl von Einzelfällen zergliedern. Daher soll der Schwerpunkt im Folgenden auf der Darstellung der Ratio dieser Beweisregeln liegen, aus der sich sodann die praktische Anwendung durch die Gerichte ebenso ergibt, wie die Rückausnahmen zu diesen Beweisregeln. a) Hearsay rule Die wohl relevanteste und meistdiskutierte Beweisregel ist die sog. hearsay rule über den Ausschluss eines Zeugnisses vom „Hörensagen“ mit ihrer Regelung in Rule 801–807 FRE.275 aa) Der Grundsatz in Rule 802 FRE und seine Ratio Als Grundsatz normiert Rule 802 FRE, dass jegliches Zeugnis vom „Hörensagen“ als Beweismittel ausgeschlossen ist, wenn sich nicht aus einem Bundesgesetz, einer Regelung durch den Supreme Court oder den Federal Rules of Evidence etwas anderes ergibt. Die Ratio dieser Beweisregel liegt im Ausschluss eines Beweismittels, dessen Beweiswert als zweifelhaft erachtet wird.276 Für eine detaillierte Analyse dieser Ratio ist es lohnenswert, einen Blick auf diejenigen Merkmale zu werfen, die allgemein den Beweiswert einer Zeugenaussage bestimmen. Nach U.S.-amerikanischem Verständnis kann es bei einer jeden Zeugenaussage vier mögliche Fehlerquellen geben, deren (Nicht-) Vorhandensein den Beweiswert einer solchen Aussage ausmachen: – Der Zeuge kann das betreffende Ereignis aufgrund einer Sinnestäuschung bereits von vorherein falsch wahrgenommen haben (misperception). Die menschliche Erkenntnisfähigkeit ist aufgrund seiner Physis begrenzt. Zudem werden Sinneseindrücke vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen und Bewertungen auch individuell wahrgenommen.277 – Wenn die zu bezeugende Situation anfänglich „richtig“ wahrgenommen wurde, so kann diese Erinnerung je nach Zeitablauf und Erinnerungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Aussage „falsch“ geworden sein (faulty memory).278 Vgl. etwa Fishman, Jones on Evidence III, S. 203–777; Charles/Broun/Dix, McCormick II, §§ 244–327. 276 Vgl. bereits den Supreme Court in Queen v. Hepburn, 11 U.S. 290, 3 L.Ed 348; Mueller/ Kirkpatrick, Evidence, S. 783; siehe auch Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 175 ff. und Mor gan, 62 Harv.L.Rev. 177 ff., die im historischen Kontext auf die Entwicklung der hearsay-rule aufgrund der Probleme der jury bei der Bewertung solcher Beweisangeboten hinweisen. 277 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 783 f.; Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 178 f. 278 Siehe Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 784; instruktiv zu den wissenschaftlichen Hinter275
124 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts – Selbst wenn eine Situation anfänglich „richtig“ wahrgenommen wurde und auch auf diese Weise im Gedächtnis verblieben ist, so besteht doch stets die Gefahr einer Falschaussage (risk of insincerity).279 – Abschließend kann einem aufrichtigen Zeugen, der eine Situation „richtig“ wahrgenommen und im Gedächtnis behalten hat, dennoch die Fähigkeit fehlen, sich vor Gericht hinreichend artikulieren zu können und seine Erinnerungen so in Worte fassen zu können, dass das Gericht in die Lage versetzt wird, den wahren Sachverhalt zu erkennen (narrative ambiguity).280 Diese Gefahren sind grundsätzlich einer jeden Zeugenaussage immanent, allerdings gehen Rechtsprechung und Lehre in den USA davon aus, dass eine Zeugenaussage vor Gericht in mehrfacher Hinsicht eine besondere Gewähr für ihre Richtigkeit bietet: Ein Zeuge wird in den USA vor seiner Aussage stets dahingehend vereidigt, die Wahrheit zu sagen. Grundlage eines Zeugnisses vom „Hörensagen“ ist aber in aller Regel ein alltägliches Gespräch, bei dem Eide praktisch nicht mehr vorkommen.281 Zudem fehlt es – mangels Anwesenheit – an einem persönlichen Eindruck des Zeugen. Gewisse Indikatoren für bzw. gegen die Glaubwürdigkeit einer Zeugenaussage anhand der Aussage selbst, wie auch des nonverbalen Verhaltens eines Zeugen, können daher nicht herangezogen werden.282 Abschließend haben die Parteien auch im Zivilprozess ein subjektives Recht auf Durchführung eines Kreuzverhöres.283 Dieses Recht dient nach U.S.-amerikanischem Verständnis in besonderem Maße der Aufdeckung etwaiger Mängel in einer Zeugenaussage und damit der Wahrheitsfindung. Bei der typischen Drei-Personen-Konstellation eines Zeugnisses vom „Hörensagen“ wird der gegnerischen Partei eben diese Möglichkeit genommen und zugleich diese Gewähr für die Wahrheitsfindung ausgeschlossen.284 Aufgrund des Fehlens dieser institutionellen Richtigkeitsgewährleistungen einer Zeugenaussage gründen Krist v. Eli Lilly & Co., 897 F.2d 293, 297; einen ausführlichen Hintergrund bietet auch Imwinkelried, 41 Fla.L.Rev. 215 ff. 279 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 178 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 784 f. 280 Vgl. wiederum Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 178 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evi dence, S. 785. 281 Vgl. zu diesem Argument etwa den Fall Bridges v. Wixon, 326 U.S. 135, 153 f., 65 S.Ct. 1443, 89 L.Ed. 2103; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 786 f.; Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 179. 282 Vgl. bereits den Fall Mattex v. United States, 156 U.S. 237, 241 ff., 15 S.Ct. 337, 39 L.Ed. 409; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 787 f.; Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 179 f. 283 Für den Strafprozess hat dieses Recht Verfassungsrang und folgt aus dem 6. Zusatzartikel. Im Zivilprozess ist ein solches Recht der Parteien ebenfalls anerkannt, vgl. California v. Green, 399 U.S. 149, 158 ff., 90 S.Ct. 1930, 26 L.Ed.2d 489, auch zur Bedeutung der cross-examination für die Wahrheitsfindung; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 654 ff. mwN aus der Rechtsprechung. 284 Diesen Aspekt heben Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 786 f. und Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 180 f. hervor; zum historischen Einfluss auf die Entwicklung der hearsay rule Mor gan, 4 U.Chi.L.Rev. 247, 251 ff.
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wird das Zeugnis vom „Hörensagen“ als ein besonders zweifelhaftes Beweismittel eingestuft. Hieraus resultiert der in Rule 802 FRE normierte Grundsatz, das Zeugnis vom „Hörensagen“ auszuschließen.285Auf der anderen Seite bildet diese Ratio zugleich die Grenze der hearsay rule und den Anknüpfungspunkt für die Ausnahmen von dieser Regel. bb) Definition von hearsay in Rule 801 FRE Tatbestandlich setzt die hearsay rule das Vorliegen eines Zeugnisses vom „Hörensagen“ (hearsay) voraus, Rule 802 FRE. Dieses Merkmal hat in Rule 801 FRE eine zweigeteilte Definition gefunden. Nach Rule 801 (c) FRE wird hearsay definiert als eine Aussage (statement), die der Aussagende außerhalb des Gerichtsprozesses getätigt hat und die nun von einer Partei zum Beweis einer Tatsache anbietet, die gewollter Gegenstand dieser Aussage war.286 Der Begriff der Aussage ist dabei weit gefasst und beinhaltet mündliche, wie schriftliche Behauptungen und auch nonverbale Äußerungen, Rule 801 (a) FRE.287 Diese Definition in Rule 801 FRE und jedes einzelne Merkmal sind Gegenstand ausführlicher Diskussionen und Fallgruppenbildungen. In der Praxis hat sich wohl folgende Kurzdefinition durchgesetzt: Hearsay is an out-of-court statement offered to prove the matter asserted 288 cc) Ausnahmen qua Gesetz und common law Die Ausnahmen zu diesem grundsätzlichen Ausschluss von hearsay in Rule 802 FRE sind kaum zu überblicken. Allein die Federal Rules of Evidence enthalten in Rule 801–807 FRE insgesamt 29 geschriebene Ausnahmetatbestände mitsamt einer Generalklausel in Rule 807 (a) FRE. Es erscheint daher wenig sinnvoll, diese Ausnahmetatbestände einzeln abzuhandeln. Vielmehr lassen sich die einzelnen Ausnahmen in aller Regel auf die Ratio der hearsay rule zurückführen: Es gilt auch insoweit der Grundsatz, dass jede einschränkende Beweisregel nur soweit reichen darf, wie es ihre Ratio erfordert.289 Nach seiner Ratio schließt Rule 802 FRE das Zeugnis vom „Hörensagen“ aus, da es sich um ein zweifelhaftes Beweismittel handelt und 285 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 783 und Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 175 ff. jeweils mwN. 286 Aus dem Begriff der Aussage (Assertion) wird insoweit geschlossen, dass ein gewisses Element des Dafürhaltens innerhalb der Aussage des Dritten enthalten gewesen sein muss, vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 183 ff.; für eine weite Auslegung dieses Begriffes Mueller/ Kirkpatrick, Evidence, S. 788 ff. 287 Aus der Gesetzesformulierung a persons´s assertion folgt, dass Anzeigen technischer Geräte, etc. nicht unter die hearsay rule fallen können, vgl. Lilly, Evidence, S. 143; ausführlich zu den Tatbestandsmerkmalen und jeweiligen Fallgruppen der hearsay Definition in Rule 801, Fishman, Jones on Evidence III, S. 210 ff. mwN. 288 Diese Definition führen Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 781 an. 289 Vgl. etwa Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 181 f. und Lilly, Evidence, S. 193 f.
126 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts die üblichen Mechanismen zur Sicherstellung eines glaubwürdigen Zeugnisses nicht eingreifen. Daher basieren die Ausnahmetatbestände allesamt darauf, dass besondere Umstände ausnahmsweise für eine erhöhte Glaubwürdigkeit eines Zeugnisses sprechen.290 Sei es, dass eine Aussage spontan getätigt wurde oder vor einer öffentlichen Stelle erfolgt ist und schriftlich festgehalten wurde. Eine Ausnahme ist auch anerkannt, wenn eine Aussage privat schriftlich festgehalten und nachweislich sicher verwahrt wurde. Die normierten Ausnahmefälle in Rule 801–807 FRE haben gemein, dass entweder eine der vier Fehlerquellen von Zeugenaussagen ausgeschlossen bzw. verringert wird oder eines der drei Sicherungselemente zumindest teilweise wieder eingreift.291 Diese einzelfallbezogenen Ausnahmetatbestände werden in Rule 807 (a) FRE um eine Generalklausel ergänzt. Die Gerichte können hiernach im Einzelfall eine Ausnahme vom Grundsatz der Rule 802 FRE zulassen, wenn: – die Aussage eine den geschriebenen Tatbeständen vergleichbare, erhöhte Richtigkeitsgewähr aufweist, – eine entscheidungserhebliche Tatsache betrifft, – dieses Zeugnis potentiell einen höheren Beweiswert aufweist als andere, verfügbare Beweismittel und – die Zulassung den Erfordernissen der Federal Rules of Evidence, wie auch der Gerechtigkeit am besten entspricht. Diese Generalklausel zeigt gleichfalls anschaulich die Bedeutung, welche der Wahrheitserforschung im U.S.-amerikanischen Zivilprozess beigemessen wird: Es wird auch ein zweifelhaftes Beweismittel zugelassen, wenn zumindest eine gewisse Richtigkeitsgewähr besteht, bevor einer Partei überhaupt keine Beweismittel zur Verfügung stehen. b) Die weiteren Schranken der Rule 602 sowie 701–706 FRE Die Federal Rules of Evidence stellen neben der hearsay rule noch weitere Beweisregeln für die Zulässigkeit eines Zeugen und die Art und Weise seiner Aussage auf: Rule 602 FRE verlangt, dass ein Zeuge persönliche Kenntnis derjenigen Tatsachen haben muss, über die er Zeugnis ablegt (firsthand knowledge). Diese Vorfrage wird allgemein der Rule 104 (b) FRE zugeordnet, so dass der Richter im Verhältnis zur Eine weitere Unterteilung findet sich bei Lilly, Evidence, S. 194 f.; interessant ist in diesem Zusammenhang auch der Verweis von Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 586 auf den Entwurf zu den FRE: Dieser enthielt – etwas paradox – eine eigene Grundregel für die Ausnahmetatbestände, die auf eben diesen Umstand abstellte. Obgleich diese Regel letztlich nicht explizit übernommen wurde, so wird sie dennoch zur Auslegung der nun enthaltenen Ausnahmetatbestände sinngemäß herangezogen. 291 Dieses gemeinsame Element der Ausnahmetatbestände hebt auch Lilly, Evidence, S. 194 hervor. 290
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jury nur eine kurze Vorprüfung übernehmen darf.292 Außerdem gilt es zu bedenken, dass jegliches Zeugnis ohne persönliche Kenntnis dem gerade besprochenen Bereich des „Hörensagens“ zugeordnet werden müsste, so dass Rule 602 FRE insoweit eine Selbstverständlichkeit normiert. Eine weitere Schranke für die Art und Weise einer Zeugenaussage normiert Rule 701 FRE: Ein Zeugnis soll sich grundsätzlich auf die Beschreibung der zu beweisenden Tatsachen beschränken und nur unter gewissen Voraussetzungen eine eigene Meinung oder Bewertung dieser Fakten durch den Zeugen enthalten. Die Ratio dieser Beweisregel liegt wiederum in der Sicherung der Wahrheitserforschung im Zivilprozess und dem Schutz der jury vor qualitativ schwer einzuschätzenden Bewertungen eines Zeugen.293 Tatbestandlich lässt Rule 701 FRE eine Meinungsäußerung durch einen Zeugen nur zu, wenn: – der Zeuge eigene Kenntnis über die der Meinung zugrundeliegenden Tatsachen hat, – die Meinungsäußerung entweder dem Verständnis des Zeugnisses insgesamt oder dem Nachweis entscheidungserheblicher Tatsachen dient und – es sich nicht um Spezialwissen iSd Rule 702 FRE handelt. Das Tatbestandsmerkmal der eigenen Kenntnis ist deckungsgleich mit dem allgemeinen Erfordernis persönlicher Kenntnis in Rule 602 FRE.294 Das zweite Tatbestandsmerkmal stellt sich als das eigentliche Zulassungskriterium von Meinungsäußerungen eines Zeugen im Zivilprozess dar: Diese Merkmal erfährt durch die Rechtsprechung eine weite Auslegung: Wenn eine abschließende Meinungsäußerung die Aussage des Zeugen abrundet, so wird sie regelmäßig auch für zulässig erachtet. Die eigenen Eindrücke eines Zeugen sind oftmals ein wichtiger Bestandteil eines Zeugnisses und können den eigentlichen Beweiswert einer Aussage ausmachen, so dass sie gleichfalls zugelassen werden.295 Ausgeschlossen sind hiernach nur solche Meinungsäußerungen eines Zeugen, die erkennbar keinen Beweiswert haben oder aus der Luft gegriffen sind.296 Das letzte Tatbestandsmerkmal in Rule 701 FRE dient der Abgrenzung zu Rule 702 FRE. Es soll verhindert werden, dass Sachverständige Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 63 f. mwN. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 688; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 178 ff. jeweils mwN. 294 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick II, S. 74 ff.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 689 jeweils mwN. 295 Vgl. etwa Haun v. Ideal Indus., Inc. 81 F.3d 541, 548; Soden v. Freightliner Corp., 714 F.2d 498, 510 ff.; ähnlich Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 691 ff.; Charles/Broun/Dix, McCormick I, 71 ff. 296 Vgl. United States v. Philips, 600 F.2d 535, 538 ff.; Kostelecky v. NL Acme Tool/NL Indus., Inc. 837 F.2d 828, 830; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 689 ff.; Charles/Broun/Dix, McCormick I, 71 ff. mwN. 292 Vgl. 293 Vgl.
128 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts einer Partei als bloße Zeugen auftreten und so die Regelungen in Rule 702–706 FRE umgangen werden.297 Sachverständige unterliegen in diesem Zusammenhang eigenen Regeln. Rule 702 FRE lässt beim Sachverständigenbeweis eine Meinungsäußerung generell zu. Hintergrund dieser abweichenden Normierung ist, dass sich bei einem Sachverständigen sehr viel fundierter beurteilen lässt, auf welchen Fakten seine Meinung basiert und welcher Wert dieser Meinung beigemessen werden kann.298 Zudem stellt die eigene Expertise des Sachverständigen anhand der konkreten Faktenlage quasi den Kern des Sachverständigenbeweises dar.299 Allerdings muss der Sachverständige dementsprechend auch die wissenschaftlichen Grundlagen offenlegen und ggf. erläutern, auf denen seine Expertise beruht, Rule 703 und 705 FRE. c) Leading Questions Eine weitere Beweisregel der Federal Rules of Evidence schränkt die Art und Weise der Zeugenbefragung ein: Rule 611 (c) FRE normiert ein grundsätzliches Verbot von Suggestivfragen an einen Zeugen. Die Ratio dieser Vorschrift ist erneut der Schutz der Wahrheitsfindung im Prozess.300 Hintergrund sind die Spezifika im Vorfeld eines U.S.-amerikanischen Zivilprozesses: Die Zeugen werden bereits in der pretrial Phase durch die Anwälte befragt und – je nachdem welcher Partei ihre Aussage im Prozess hilft – eben dieser Partei „zugeordnet“.301 Die Zeugen werden von der jeweiligen Seite aufgerufen und im Vorfeld des Prozesses auf ihre Aussage vorbereitet, regelmäßig sogar trainiert. Gerade aufgrund dieser Vorbereitungsphase stehen die Zeugen sprichwörtlich „im Lager“ einer Partei. Im späteren Prozess würde die Zulassung von Suggestivfragen es dem jeweiligen Anwalt in noch weiterem Umfang erlauben, die Aussagen „seiner“ Zeugen in die gewünschte Richtung zu steuern.302 Hinzu kommt, dass Suggestivfragen auch bei „neutralen“ Zeugen die Wahrscheinlichkeit erhöhen, auch nur unbewusst die in der Suggestivfrage angelegte Meinung anzunehmen.303 Aus dieser Ratio folgen zugleich die Ausnahmen von dieser Regel: Nach Rule 611 (c) (1)–(2) FRE sind Suggestivfragen sowohl im Rahmen des Kreuzverhörs als Charles/Broun/Dix, McCormick I, 76 f. unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien. Diese Vorprüfung kommt dem Richter zu, vgl. Lilly, Evidence, S. 361 ff. 299 Dementsprechend kann die Zulassung der Meinung eines Sachverständigen aber auch verweigert werden, wenn der Richter diese Meinung für wissenschaftlich nicht fundiert erachtet, vgl. etwa Toubiana v. Priestly, 520 N.E.2d 1307; siehe auch Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 111 ff. mwN. 300 Vgl. Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 649 ff.; Lilly, Evidence, S. 10 ff. 301 Diese Vorbereitungsphase erläutert Lilly, Evidence, S. 11 unter Hervorhebung dieser strikten Zuordnung. 302 Vgl. Lilly, Evidence, S. 11; ähnlich auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 650 f. 303 Siehe Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 650 und Lilly, Evidence, S. 11. 297 Vgl. 298
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auch bei „feindlichen“ Zeugen bzw. der Befragung der gegnerischen Partei erlaubt. In beiden Fällen stehen die Zeugen gerade nicht „im Lager“ der befragenden Partei, so dass zumindest die Gefahr eines bewussten Zusammenwirkens durch Suggestiv fragen minimiert wird.304 Auf dieser Ratio basieren auch weitere, ungeschrieben Ausnahmen vom Verbot der Suggestivfragen, die im Ermessen des Gerichtes stehen: Sie können erlaubt werden, um Vorfragen wie etwa die Personalien eines Zeugen zu klären.305 Außerdem darf bei Zeugen, die das betreffende Thema ganz oder teilweise vergessen haben, in gewissem Umfang auf Suggestivfragen zurückgegriffen werden, ebenso wie bei sehr jungen Zeugen.306 Hier zeigt sich wiederum die Tendenz, dass im Zweifel die Wahrheitserforschung auch mittels eines zweifelhafteren Beweismittels ein Vorrang eingeräumt wird, wenn andernfalls keinerlei Beweismittel zur Verfügung stehen würden. d) Best evidence rule Als Abschluss dieses Themenkomplexes soll noch ein Blick auf eine alte Beweisregel des common law geworfen werden, die heute in Rule 1001–1008 FRE ihre Normierung gefunden hat: Die best evidence rule. Nach dem Grundsatz der Rule 1002 FRE darf der Beweis des Inhaltes einer Urkunde, einer Aufzeichnung oder Fotografie (writing, recording or photograph) nur durch das Original derselben geführt werden. Ausgeschlossen sind zum einen etwaige Abschriebe, beispielsweise einer Urkunde, und zum anderen sog. „sekundäre“ Beweismittel – etwa ein Zeugnis über den Inhalt der Urkunde oder zur Beschreibung einer Fotografie.307 Die best evidence rule stellt insofern einen Fremdkörper im U.S.-amerikanischen Prozessrecht dar, als die Parteien im Grundsatz die absolute Freiheit darüber haben, welche Tatsachen sie mit welchen Beweismitteln im Prozess nachweisen möchten.308 Ihre Ratio liegt wiederum im Schutz der Wahrheitsfindung im Prozess.309 Durch das Erfordernis des Originals sollten versehentliche oder auch absichtliche Fehler bei der Übertragung vom Original auf eine Kopie vermieden werden. Diese Gefahr besteht auch bei einem Zeugnis über den Inhalt einer Urkunde, Aufzeichnung oder Fotografie. Zudem kann eine solche Beschreibung nur in den seltensten Fällen den Detailgrad des OriVgl. wiederum Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 651 ff. und Lilly, Evidence, S. 12 f. Hierbei handelt es sich schlicht um ein Zugeständnis an die Effizienz des Prozesses, vgl. etwa den Fall Stine v. Marathon Oil Co., 976 F.2d 254, 266; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 653. 306 Vgl. United States v. Butler, 56 F.3d 941, 943 (sehr junges Opfer einer Straftat) mwN; United States v. McGovern, 499 F.2d 1140, 1142 (Auffrischung des Gedächtnisses); Mueller/Kirkpat rick, Evidence, S. 652 f. 307 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 127 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 1190 ff. mwN. 308 So ausdrücklich Lilly, Evidence, S. 417 f.; ebenso Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 1189 ff. mwN; einen anderen Ansatz einer allgemeinen best evidence rule legt beispielsweise Nance, 73 Iowa.L.Rev. 227 ff. dar. 309 Vgl. Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 128 ff.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 1191 ff. 304
305
130 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts ginals wirklich wiedergeben, so dass die Vorlage des Originals das „beste Beweismittel“ darstellt und der Wahrheitsfindung dient.310 Allerdings hat auch diese Beweisregel nach ihrer Ratio gewisse Ausnahmen erfahren: Aufgrund der Qualität der modernen Vervielfältigungstechniken ist die Gefahr versehentlicher Fehler bei einem Abschrieb sehr gering. Daher lässt Rule 1003 FRE auch ein Duplikat (duplicate) als Beweismittel genügen. Voraussetzung ist jedoch, dass keinerlei Zweifel an der Authentizität des Originals bestehen und die Zulassung nicht aus anderen Gründen unfair für die gegnerische Partei wäre.311 Zudem ist unter einer Kopie iSd Rule 1003 FRE nur eine solche Vervielfältigung zu verstehen, die eine gewisse Qualität und Gewähr für die Identität von Kopie und Original aufweist, wie Rule 1001 (e) FRE klarstellt.312 Weitergehend genügt nach Rule 1005 FRE bei öffentlichen Urkunden oder Aufzeichnung bereits eine Kopie derselben als zulässiges Beweismittel für ihren Inhalt. Voraussetzung ist die ordnungsgemäße Herstellung dieser Urkunde/Aufzeichnung nach Rule 902 FRE bzw. der Nachweis der Richtigkeit mithilfe von Zeugnissen. Hintergrund ist die erhöhte Richtigkeitsgewähr, die der Tätigkeit der öffentlichen Hand entgegengebracht wird.313 Eine letzte Ausnahme findet sich in Rule 1004 FRE, wenn das Original entweder zerstört wurde oder die Vorlage aufgrund des Besitzes der gegnerischen Partei oder eines Dritten im Prozess nicht erreicht werden kann. An dieser Stelle zeigt sich einmal mehr die Tendenz, auch ein zweifelhafteres Beweismittel zuzulassen, wenn einer Partei andernfalls keinerlei Beweismittel zur Verfügung stehen würden.
VI. Zusammenfassung und Ergebnisse Die U.S.-amerikanische Bundesverfassung enthält im 5. und 14. Zusatzartikel mit der sog. due-process clause prozessuale Garantien für den Zivilprozess. Teilweise wird aus diesen Garantien ein explizites right to present evidence gefolgert. Dieses Recht soll die Einbringung von Beweismitteln im Zivilprozess sicherstellen und 310 Vgl. zu den einzelnen Begründungsaspekten der best evidence rule Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 128 ff. und Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 1191 ff.; ausführlich bereits Cleary/ Strong, 51 Iowa.L.Rev. 825 ff. 311 Unfair kann die Zulassung beispielsweise sein, wenn ein wichtiger Teil des Dokumentes bei der in Rede stehenden Kopie fehlt, vgl. den Fall Ruberto v. C.I.R., 774 F.2d 61; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 148 ff. 312 Zu den Hintergründen dieser Norm, sowie den Anforderungen an eine akkurate Vervielfältigung siehe Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 144 ff.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 1211 f.; instruktiv auch der Fall Equitable Life Assurance Socy. of the United States v. Starr, 241 Neb. 609, 615 ff., 489 N.W.2d 857. 313 So etwa Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 1229 ff. unter Verweis auf die entsprechenden Gesetzesmaterialien zu Rule 1005 FRE; ebenso Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 163 ff.
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explizit als Maßstab für die Ausgestaltung und Auslegung des einfachen Rechtes dienen. Nach herrschender Auffassung leitet sich aus den verfassungsrechtlichen Garantien in Form des right to be heard ein flexibler Maßstab an verfassungsrechtlichen Garantien ab. Diese Garantien gelten einheitlich für den Bund wie auch die Einzelstaaten. Ihr Inhalt beschränkt sich nicht allein auf das rechtliche Gehör, sondern kann den Parteien im Einzelfall das Recht gewährleisten, ihren Fall zu präsentieren und Beweismittel vorzutragen. Daher lässt sich konstatieren, dass ein Recht auf Beweis zumindest Gegenstand des Diskurses in der U.S.-amerikanischen Literatur ist. Außerdem enthält die Bundesverfassung nach einhelliger Meinung ein ganzes Bündel an prozessualen Garantien, die zusammengenommen ein Äquivalent zu einem Recht auf Beweis darstellen können. Allerdings unterliegen die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen nach herrschender Ansicht einer Kosten-Nutzen-Analyse, so dass ihr Umfang je nach Fallgestaltung variiert. Als einzelfallunabhängige „Mindestgarantie“ wird allein das rechtliche Gehör gewährleistet, nicht aber die Garantien eines Rechts auf Beweis. Dessen ungeachtet lässt sich festhalten, dass der Wahrheitserforschung durch die Parteien im Zivilprozess ein hohes Gewicht in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung und Literatur beigemessen wird. Obgleich die Fundierung regelmäßig nicht im Verfassungsrecht gesucht wird, hat die Sachverhaltsaufklärung bei der Abwägung der Reichweite von Beweisregeln eine überaus große Bedeutung. Ein möglichst umfassend aufgeklärter Sachverhalt wird als Grundlage für eine gerechte gerichtliche Entscheidung angesehen und entsprechend in die Abwägung im Einzelfall mit eingestellt. Im Rahmen der U.S.-amerikanischen Bundeszivilprozessordnung, der Federal Rules of Civil Procedure, ist für eine Untersuchung eines Rechts auf Beweis schwerpunktmäßig die Phase der pretrial discovery interessant. Die Parteien des Zivilprozesses haben ein Recht auf Durchführung einer pretrial discovery. Sie stellt ein zentrales Instrument des U.S.-amerikanischen adversary-system dar und soll die Aufdeckung von Beweismitteln durch die Parteien des Zivilprozesses ermöglichen und zugleich eine umfassende Wahrheitserforschung sicherstellen. Bereits die gesetzlichen Regelungen erlauben eine sehr weitreichende discovery. Die einzelnen Instrumente des discovery ermöglichen die umfassende Aufdeckung nahezu jeder Tatsache, die auch nur einen entfernten Bezug zu entscheidungserheblichen Tatsachen für den Zivilprozess aufweisen. Die Praxis der Rechtsprechung geht vielfach über diesen gesetzlichen Rahmen hinaus und ermöglicht eine noch weitgehende discovery, unter Einschluss der ausforschenden Aufdeckung von Beweismitteln durch sog. fishing expeditions. Das U.S.-amerikanische Beweisrecht des Bundes, die Federal Rules of Evidence, enthält in Rule 402 FRE den Grundsatz, dass die Parteien des Zivilprozesses ein subjektive Recht haben, jedes Beweismittel in den Zivilprozess einzubringen, solange es sachdienlich ist und die Bundesverfassung, das Beweisrecht des Bundes sowie
132 1. Hauptteil: Rechtshistorische und rechtsvergleichende Grundlagen des Beweisrechts sonstige Bundesgesetz nichts Anderes normieren. Mithin enthalten die Federal Rules of Evidence einen ganz wesentlichen Teilgehalt eines Rechts auf Beweis. Allerdings findet sich im U.S.-amerikanischen Beweisrecht zugleich eine Vielzahl an Beweisregeln, die dieses Recht auf eine Beweiserhebung wieder beschränken. Durch diese Beweisregeln wird zudem die nahezu uferlose Weite der pretrial discovery ein Stück weit wieder eingefangen. Das Beweisrecht stellt im U.S.-amerikanischen Zivilprozess sozusagen das „Nadelöhr“ dar, durch das die Beweismittel für eine Zulassung im Prozess gelangen müssen. Die Beweisregeln der Federal Rules of Evidence lassen sich in ihrer Ratio grundsätzlich auf zwei Merkmale zurückführen: Sie sollen zum einen die Wahrheitserforschung und insbesondere den Schutz der jury vor Verwirrung und Manipulation sicherstellen. Zum anderen haben sie die Steigerung der Kosten- und Zeiteffizienz im Zivilprozess zum Ziel. Eine Besonderheit stellen die privileges dar: Sie können den Umfang der Wahrheitserforschung im Prozess begrenzen und auch sachdienliche Beweismittel ausschließen, lassen sich aber in ihrer Ratio weder auf die Sicherung der Wahrheitserforschung, noch auf eine Steigerung der Effizienz des Prozesses zurückführen. Vielmehr dienen die privileges dem Schutz von Rechten des Einzelnen, denen qua Verfassung, Gesetz oder common law ein Vorrang gegenüber der umfassenden Wahrheitserforschung eingeräumt wird. Zugleich sollen sie gewisse, sozial gewünschte Verhaltensweisen fördern. Als einigendes Band zwischen den privile ges und den sonstigen Beweisregeln lässt sich jedoch der enge Zusammenhang zwischen ihrem Umfang und ihrer Ratio festhalten: Aus der eigenständigen Bedeutung der Wahrheitserforschung nach U.S.-amerikanischem Verständnis folgt, dass jede Begrenzung derselben rechtfertigungsbedürftig ist. Diese Rechtfertigung erfolgt anhand der exakt analysierten und herausgearbeiteten Ratio einer jeden Beweisregel. Mithin stellt die Ratio einer Beweisregel zugleich ihre äußerte Grenze dar: Eine jede Beweisregel kann das Recht auf Einbringung von Beweismitteln aus der Bundesverfassung, wie auch aus Rule 402 FRE nur soweit begrenzen, wie die Ratio der Beweisregel diese Begrenzung erfordert. Ein zweiter, überraschender Aspekt im U.S.-amerikanischen Beweisrecht ist die große Zahl derjenigen Beweisregeln, die speziell den Schutz der jury sicherstellen sollen. Die jury wird als ein unverzichtbares, demokratisches Element der Justiz in den USA angesehen und hervorgehoben. In der praktischen Ausgestaltung ihrer Rolle zeigen sich indes anhand dieser großen Zahl an Beweisregeln sehr deutliche Vorbehalte. Zahlreiche Beweismittel dürfen entweder überhaupt nicht, nur unter gewissen Voraussetzungen oder in gewissem Umfang präsentiert werden. Dabei erfolgt stets eine „Vorprüfung“ durch den Richter. Diese Prüfung stellt insofern einen interessanten Aspekt dar, als der jury hierdurch grundsätzlich nur diejenigen Beweismittel präsentiert werden, die auch zulässig sind. Anders als bei einem allein zur Entscheidung berufenen Gericht muss sie daher nicht versuchen, bei der Beweiswürdigung diejenigen Beweismittel aus dem eigenen Gedächtnis zu verdrän-
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gen, die allein der Manipulation auf kognitiver oder insbesondere emotionaler Ebene dienen. Ob dieses „Vergessen“ unzulässiger Beweismittel im Rahmen der Beweiswürdigung durch einen auch noch so erfahrenen Berufsrichter in jedem Fall sichergestellt ist, erscheint durchaus diskutabel. Mithin könnte eine solche „Vorprüfung“ einen interessanten Aspekt darstellen. Allerdings ist ihr Zeit- und Kostenaufwand gerade im Rahmen eines jury Prozesses ganz erheblich. Zugleich bleibt fraglich, ob das vorprüfende Gericht nicht seinerseits der gleichen Manipulation anheimfallen könnte. Die Beweisregeln in den Federal Rules of Evidence unterliegen zudem einer kaum zu übersehenden Zahl von Rückausnahmen. Hinzu kommt, dass die Rechtsprechung die Beweisregeln und insbesondere ihre Rückausnahmen wiederum im Lichte derjenigen Bedeutung ausgelegt, die der Wahrheitserforschung durch die Parteien beigemessen wird. Daher lässt sich tendenziell eine weite Auslegung geschriebene und die teilweise Schaffung ungeschriebener Rückausnahmen von den Beweisregeln der Federal Rules of Evidence konstatieren. Diese Vielzahl an Beweisregeln mit ihren geschriebenen und ungeschriebenen Rückausnahmen führen zu einem sehr hohen Komplexitätsgrad des U.S.-amerikanischen Beweisrechts und einer außerordentlich hohen Einzelfallabhängigkeit. Als Fazit des Gesagten lässt sich festhalten, dass das U.S.-amerikanische Zivilprozessrecht des Bundes durchaus ein Recht auf Beweis kennt. Es wird durch zahlreiche Regelungen ausgestaltet und begrenzt. Allerdings ist gerade in der Praxis eine Tendenz hin zu einer liberalen Handhabung der Beweismittelzulassung erkennbar, so dass im Zweifelsfalle Beweismittel im U.S.-amerikanischen Zivilprozess zugelassen werden.
2. Hauptteil
Das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta
§ 4
Postulierung der Existenz des Rechts auf Beweis Der erste Hauptteil dieser Untersuchung diente der Erarbeitung von Grundlagen zur Erlangung eines besseren Verständnisses des Beweisrechts durch eine rechtshistorische und rechtsvergleichende Betrachtung. Nun soll als ersten Schritt des zweiten Hauptteils die Grundthese dieser Arbeit dargestellt werden: Es existiert im deutschen Grundgesetz, wie auch in der EMRK und der europäischen Grundrechte charta ein Recht auf Beweis der Parteien des Zivilprozesses. Diese Existenz des Rechts auf Beweis ist in allen drei untersuchten Grundrechtskatalogen nach hier vertretener Auffassung argumentativ zwingend.
I. Zur Begründung der zwingenden Existenz eines Rechts auf Beweis im GG Das deutsche Grundgesetz gewährleistet das prozessuale (Grund)- Recht auf Beweis. Zum Nachweis dieser These müssen einige der grundlegendsten Werte und Prinzipien unseres Rechtssystems in den Blick genommen werden: Das Rechtsstaatsprinzip stellt eines der wesentlichsten Grundprinzipien unseres Staates dar und unterfällt durch seine Fundierung in Art. 20 III GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 III GG.1 Einer der zentralen Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips ist nach allgemeinem Verständnis das staatliche Gewaltmonopol: Den Bürgerinnen und Bürgern ist es hiernach untersagt, ihre – gerade auch durch das Grundgesetz verliehenen – Rechte mittels Selbsthilfe vollkommen selbstständig durchzusetzen. Dieses Gewaltmonopol stellt das logische Resultat aus jahrhundertelanger, bitterer Erfahrung und Erkenntnis dar, dass die selbstständige Rechtsdurchsetzung zu einem dauerhaften Unfrieden in einer Gesellschaft führt.2 Problematisch an dieser selbstständigen Rechtsdurchset1 Zur Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips vgl. bereits BVerfGE 7, S. 89, 92 f.; instruktiv auch BVerfGE 35, S. 41, 47 f.; ausführlich zu Historie und einzelnen Gewährleistungen des Rechtsstaatsprinzips auch Sobota, das Prinzip Rechtsstaat, S. 27 ff. und 263 ff.; siehe auch Isensee/Kirchhoff-Schmidt-Aßmann, HStR II, § 26 jeweils mwN. 2 Instruktiv zur Bedeutung des Gewaltmonopols die Ausführungen von BVerfGE 54, S. 277, 291 ff.; ausführlich auch Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff. und Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff. jeweils mwN.
138
2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
zung erscheint zunächst, dass sich regelmäßig beide Parteien jeweils im Recht sahen und sodann für ihr subjektiv als existent empfundenes Recht gekämpft haben – mangels Alternativen oftmals auch im wahrsten Sinne und mit Waffengewalt. Hinzu kommt, dass bei dieser Art der Rechtsdurchsetzung in aller Regel eben nicht diejenige Person gewinnt, die das Recht tatsächlich auf ihrer Seite hat, sondern vielmehr die persönlich oder auch wirtschaftlich stärkere Partei obsiegt. Die Selbsthilfe führt somit letztlich zu einem massiven Unfrieden und der bloßen Geltung des „Rechts“ des Stärkeren. Der Zusammenhang zwischen staatlichem Gewaltmonopol und Rechtsstaatsprinzip wird an dieser Stelle ganz besonders deutlich. Für den Rechtsstaat nach modernem Verständnis ist die Beanspruchung eines Gewaltmonopols iSe Schaffung und Erhaltung des Friedens innerhalb einer Gesellschaft eines seiner Wesensmerkmale.3 Dieses staatliche Gewaltmonopol verbietet dem Einzelnen somit die eigenmächtige Durchsetzung seiner Rechte zum Wohle des Friedens innerhalb der Gesellschaft insgesamt. Hieraus resultiert jedoch zwingend, dass der Staat den so „eingeschränkten“ Bürgerinnen und Bürgern eine alternative Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung zur Verfügung stellen muss. Die Legitimität des staatlichen Gewaltmonopols steht und fällt mit dieser Möglichkeit private Rechte weiterhin durchsetzen zu können. Wenn dem Einzelnen keine staatlich garantierte Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung verbleibt, so wäre die Rückkehr zur Selbsthilfe die logische, wenn auch äußerst unangenehme Konsequenz. Der deutsche Staat stellt seinen Bürgerinnen und Bürgern daher die Zivilgerichtsbarkeit als formalisierten Weg der Rechtsdurchsetzung zur Verfügung.4 Diese Rechtsdurchsetzung unter Inanspruchnahme der Zivilgerichtsbarkeit erfordert jedoch zwingend den Nachweis der geltend gemachten Rechte innerhalb des Prozesses. Der Staat tritt im Rahmen des Zivilrechtsweges als neutraler Entscheider der Streitigkeit auf. Daher liegt es in der Natur der Sache, dass das erkennende Gericht gerade nicht an den in Streit stehenden Vorgängen beteiligt war und somit keine eigene Kenntnis dieses Sachverhaltes innehat. Das Erfordernis des Nachweises eigener Rechte ist daher ein notwendiges Merkmal in dem so gedachten Zivilprozess. Die ZPO geht konsequenterweise vom Beibringungsgrundsatz aus, der den Nachweis des Sachverhaltes den Prozessparteien zuweist.5 Wenn nun aber die Zivil3 Vgl. einmal mehr BVerfGE 54, S. 277, 291 ff.; instruktiv auch BVerfGE 81, S. 347, 356 und BVerfGE 85, S. 337, 346 ff. jeweils mwN. 4 Zur Herleitung des Justizgewährungsanspruches siehe bereits BVerfGE 54, S. 277, 291 ff.; st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 85, S. 337, 345 ff.; BVerfGE 107, S. 395, 401; BVerfGE 112, S. 185, 207 f.; ausführlich zum Zusammenhang zwischen Gewaltmonopol und Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes auch Dütz, rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, §§ 17–20; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff.; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff. und Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 ff. jeweils mwN. 5 Vgl. zu diesem Grundsatz der ZPO etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77, Rn. 1 ff. mwN.
§ 4 Postulierung der Existenz des Rechts auf Beweis
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gerichtsbarkeit den einzigen Weg der Rechtsdurchsetzung darstellt und die Parteien innerhalb dieses Weges zwingend die Aufgabe haben, ihre Rechte nachzuweisen, so muss ihnen ebenso konsequenterweise auch die Möglichkeit dieses Rechtsnachweises an die Hand gegeben werden. Die Parteien müssen mithin ein Recht auf Beweis haben.6 Legitimation kann die Zivilgerichtsbarkeit dem staatlichen Gewaltmonopol daher nur in dem Fall verleihen, dass der bereitgestellte Weg auch tatsächlich eine effektive Rechtsdurchsetzung ermöglicht. Andernfalls würde den Parteien zwar ein bestimmtes Prozedere gewährleistet, in dessen Rahmen sie vor Gericht gelangen und auch ihre Sichtweise darstellen könnten. Doch wenn den Parteien das Recht des Nachweises ihrer Sichtweise verwehrt ist, so würde am Ende dieses „schönen Scheins“ zwangsläufig der Prozessverlust für diejenige Partei stehen, die das Risiko der Nichterweislichkeit der behaupteten und nachzuweisenden Tatsachen trägt. Ohne ein Recht auf Beweis vermag die Eröffnung der Zivilgerichtsbarkeit zum Zwecke privater Rechtsdurchsetzung dem staatlichen Gewaltmonopol keinerlei Legitimation zu verleihen. Dabei muss zugleich klar gesagt werden, dass die Parteien gerade keine Gewährleistung dafür erhalten, den Prozess letztlich zu gewinnen, selbst wenn das Recht im Einzelfall tatsächlich auf ihrer Seite ist. Auch ein mehrstufiger Instanzenzug kann die theoretische Möglichkeit rechtlicher Fehler nicht gänzlich ausschließen. Insbesondere verbleibt auch bei einer noch so intensiven Beweisaufnahme das Risiko, den Sachverhalt entweder nicht oder zumindest nicht der Wahrheit entsprechend aufklären zu können. Dennoch müssen das Gerichtssystem und vor allem das Recht derart ausgestaltet sein, dass die rechtsuchenden Parteien zumindest theoretisch in die Lage versetzt werden den von ihnen angestrebten Prozess auch zu gewinnen und ihr Recht durchzusetzen. Eben diese Möglichkeit eines Prozessgewinnes ist ohne ein Recht auf Beweis nicht denkbar, so dass dieses Recht elementar mit der Legitimation des staatlichen Gewaltmonopols und damit letztlich auch dem Rechtsstaatsprinzip verbunden ist. Somit ist die Existenz eines Rechts auf Beweis im deutschen Grundgesetz bereits anhand dieser primären Argumentationslinie über das Rechtsstaatsprinzip und das staatliche Gewaltmonopol nach hier vertretener Ansicht zwingend.7 Diesen Grundgedanken zu seiner Existenz folgend, lässt sich das im EinzelIn diesem Sinne bereits die Argumentation von Dütz, rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 118 ff. zugunsten einer tatsächlichen Prüfung des Sachverhaltes; dieser Argumentation zugunsten eines Rechts auf einen an erschöpfender Wahrheitsfindung orientierten Prozess weiterentwickelnd Stürner, Aufklärungspflicht, S. 39 ff.; diese Argumentationslinie sodann ausdrücklich auf das Recht auf Beweis beziehend Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff.; ebenso auch Hab scheid, ZZP 96 (1983), S. 306 ff.; in neuerer Zeit siehe Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 ff. jeweils mwN. 7 Die Existenz eines Rechts auf Beweis als Teil des Justizgewährungsanspruches anerkennend auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff.; Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f.; ähnlich bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 39 ff.; in neuerer Zeit in diesem Sinne Bruns, FS-Stürner, S. 257 f.; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 165 ff.; Reichenbach, § 1004 BGB als Grund6
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
nen noch zu entwickelnde Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung bereits an dieser Stelle als ein umfassendes Recht auf effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess begreifen. Beginnend mit dem Recht auf Stellung von Beweisanträgen und der Erhebung beantragter Beweismittel, über das Recht auf eine Würdigung erhobener Beweismittel und die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen, jeweils unterstützt durch die Gewährleistung weiterer, beweisrechtlicher Grundsätze. In der Folge sollen nun eine Reihe von Argumentationssträngen dargestellt werden, die diese Sichtweise eines zwingenden Rechts auf Beweis im Grundgesetz weiter unterstützten: Zweiter Ansatzpunkt für ein Recht auf Beweis sind die Grundrechte des Grundgesetzes: In diesem Sinne greift die soeben dargelegt Argumentation aus dem Rechtsstaatsprinzip auch hier ein: Die Schaffung einer effektiven Rechtsdurchsetzungsmöglichkeit sorgt für die nötige Legitimation des staatlichen Gewaltmonopols als wesentlichem Teil des Rechtsstaatsprinzips. Doch zugleich hat diese Durchsetzungsmöglichkeit eine grundrechtliche Dimension. Die Grundrechte verleihen dem Einzelnen eine Reihe essentieller, subjektiver Rechte. Diese Rechte sind für den Einzelnen jedoch nur in dem Maße von Wert, wie sie auch tatsächlich durchsetzbar sind. Die Durchsetzung der Grundrechte vor Gericht erfordert gleichfalls den Nachweis ihrer Inhaberschaft. Insoweit kommt den materiellen Grundrechten über ihren materiellen Gehalt hinaus auch ein gewisser prozessualer Gehalt in Form der Gewährleistung ihrer Durchsetzbarkeit zu.8 Die prozessualen Grundrechte sind daher insgesamt essentiell für den Grundrechtsschutz, indem sie den Weg ihrer Durchsetzbarkeit für den Einzelnen, wie auch die Effektivität dieses Weges gewährleisten.9 Die prozessuale Gewährleistung der Nachweismöglichkeit der Grundrechtsinhaberschaft vor Gericht in Form des Rechts auf Beweis stellt damit eine wesentliche Effektuierung des Grundrechtsschutzes dar. Somit sprechen auch die Grundrechte und ihrer Durchsetzbarkeit für eine zwingende Existenz des Rechts auf Beweis im Grundgesetz. Bereits diese am Grundgesetz orientierte Argumentation lässt ein Recht auf Beweis im Zivilprozess nach hier vertretener Auffassung als zwingenden Bestandteil des deutschen Grundgesetzes erscheinen. Dieser Befund soll nun unter Betrachtung der Grundlagenerkenntnisse der vorangegangenen Kapitel erhärtet werden: lage, S. 4 f.; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff.; Klamaris, FS Schwab, S. 269 ff.; außerdem MüKo-Prütting, ZPO I, § 284 Rn. 18 und Stein/Jonas- Thole, ZPO IV, § 284 Rn. 40 jeweils mwN. 8 In diesem Sinne ist nach hier vertretener Ansicht letztlich auch die Herleitung des allgemeinen Justizgewährungsanspruches aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip zu verstehen, zu dieser Einordnung siehe etwa BVerfGE 54, S. 277, 291 ff. und BVerfGE 107, S. 395, 401 f. 9 Vgl. für die weitergehende Herleitung des Rechts auf effektiven Rechtsschutz als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches bereits BVerfGE 53, S. 115, 127 f.; siehe auch BVerfGE 81, S. 123, 129 ff.; BVerfGE 107, S. 395, 401 ff.; BVerfGE 108, S. 341, 347 ff.; BVerfGE 119, S. 292, 295 f. jeweils mwN.
§ 4 Postulierung der Existenz des Rechts auf Beweis
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Auf den ersten Blick mutet es indes gewagt an, aus der rechtshistorischen Untersuchung des Beweisrechts ganz konkrete Rückschlüsse auf unser heutiges Recht zu vollziehen. Schließlich waren diese Rechtssysteme in einen vollkommen unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontext mit einem Wertesystem, das – je nach historischer Epoche – mehr oder weniger stark von unseren heutigen Werten differierte. In erster Linie können rechtshistorische Betrachtungen daher dazu dienen, die Genese einer bestimmten, heutigen Norm nachzuvollziehen. Grundlegende Aussagen kann man anhand rechtshistorischer Untersuchungen letztlich wohl nur dann treffen, wenn sich diese Untersuchungen der damaligen Rechtssysteme ihrerseits auf die juristischen Grundwertungen konzentrieren. So etwa, wenn man den Zivilprozess anhand von Wertungen wie der Dispositionsmaxime oder dem Beibringungsgrundsatz betrachtet oder generell den Grad der Einflussmöglichkeiten der Parteien im Beweisrecht bzw. der Parteiherrschaft des Prozesses insgesamt untersucht. Ausgehend von diesen Grundüberlegungen lassen sich anhand der hier untersuchten historischen Grundlagen des Beweisrechts auch eher Tendenzen ablesen und allgemeinere Aussagen treffen, als ganz konkret das Erfordernis eines Rechts auf Beweis im Zivilprozess nach dem deutschen Grundgesetz nachzuweisen. Eine solche Tendenz im Laufe der Geschichte geht nach hier vertretener Ansicht dahin, dass die Frage nach der Partei- und auch Gerichtsherrschaft im Beweisrecht ein Stück weit mit der Freiheitlichkeit einer Gesellschaft insgesamt verknüpft war. Diese Tendenz wird mit Blick auf die Bedeutung eines Gerichtsprozesses durchaus erklärlich: Ein Gericht entscheidet seit jeher darüber, was „Recht“ ist und was „Unrecht“ bzw. gerade in früheren Zeiten auch über die Frage nach der „Gerechtigkeit“. Dabei stellt das Gericht mit dem zugrundeliegenden Sachverhalt zugleich verbindlich fest, welche Tatsachen als „wahr“ anzusehen sind. Diese Fragen nach Recht, Gerechtigkeit und Wahrheit sind in historischen Gesellschaften und letztlich auch der heutigen Gesellschaft von grundlegender Bedeutung. Wenn also den Parteien und damit den Bürgerinnen und Bürgern kein Vertrauen mehr entgegengebracht wurde, einen Sachverhalt vor Gericht mit ihren Beweismitteln aufzuklären, sondern dieser Sachverhalt vielmehr von Oben herab festgelegt werden sollte, so war dies oftmals Ausdruck einer autoritären Herrschaftsform.10 Zugleich wurde auch dem einzelnen Gericht regelmäßig die Fähigkeit zur Würdigung der Beweise und eigenständigen Findung der Wahrheit abgesprochen und diese Würdigung ihrerseits abstrakt geregelt. Das Misstrauen gegenüber den Parteien, wie auch dem Gericht ging oftmals einher mit einer Unfreiheit der Gesellschaft insgesamt in einem autoritärer werdenden Herrschaftssystem.11 Wenn man nun eine Tendenz aus den historischen Grundlagen für ein verfassungsrechtlich fundiertes Recht auf Beweis ablesen möchte, so könnte sie 10 In diesem Sinne bereits die Schlussfolgerungen des historischen Teils dieser Arbeit, siehe § 2 V. 4. 11 Vgl. wiederum die historische Untersuchung in § 2, insbesondere V. 4.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
lauten, dass das Recht der Parteien, vor Gericht den von ihnen vorgetragenen Sachverhalt nachzuweisen und zur verbindlichen Wahrheitsfindung durch ein unabhängiges Gericht beizutragen, Ausdruck einer freiheitlichen Gesellschaft insgesamt ist. Dieses Bild eines Gerichtssystems, das von freien und mündigen Bürgerinnen und Bürgern ausgeht und ihnen dahingehend vertraut, dass ihnen eine verfassungsrechtlich gewährleistete Teilhabe am Prozess der Wahrheitsfindung zukommt, dürfte demjenigen Bild nahe kommen, welches unser deutsches Grundgesetz zeichnet. Abschließend soll auch der rechtsvergleichende Blick auf den anglo-amerikanischen Rechtsraum in diese Argumentation einfließen. Die prozessuale Seite des Rechts spielt in einem common-law System traditionell eine besonders große Rolle, schließlich dienen Gerichtsprozesse nicht allein der Rechtsdurchsetzung des Einzelnen, sondern auch der Entwicklung des Rechts insgesamt durch die Gerichte als dafür maßgebliche Instanz. Diese Bedeutung spiegelt sich bereits im Verfassungsrecht dahingehend wider, dass es eine verfassungsrechtliche Generalklausel für die Absicherung eines fairen Verfahrens in Form des due process of law gibt.12 In der Literatur wurde aus dieser Generalklausel des due process of law teilweise auch ein right to present evidence entnommen.13 Einfach-rechtlich ist der Zivilprozess im adversary system nach den Federal Rules of Civil Procedure strikt als Parteiprozess ausgestaltet so dass die Parteien eine nahezu vollständige Herrschaft über den Prozess innehaben. Daher findet sich in den Federal Rules of Evidence konsequenterweise ein explizites, einfach-gesetzliches Recht auf Erhebung von Beweismitteln unter bestimmten Voraussetzungen in Rule 403 FRE. Das Recht auf Beweis im U.S.-amerikanischen Recht ist letztlich also eine logische Konsequenz der prozessualen Zentrierung des common-law Systems und der Parteiherrschaft im Prozess nach dem adversary system. Indes sei an dieser Stelle auch auf die vielfältigen Einschränkungen des Beweisrechts im jury-process hingewiesen. Die Diskussion über ein Recht auf Beweis in der U.S.-amerikanischen Literatur entzündet sich daher eher an einer Liberalisierung des als verkrustet empfundenen Beweisrechts mit seiner Vielzahl an Beweisregeln, in dessen Rahmen das verfassungsrechtliche Recht auf Beweis als Argumentationslinie gilt.14 Gerade aufgrund dieser Unterschiedlichkeit der Prozesssysteme im Hinblick auf eine Jury lassen sich nur in bestimmtem Maße Vergleiche und Schlussfolgerungen ziehen. So kann man allein aus der Existenz eines Rechts auf Beweis im U.S.-amerikanischen Recht noch keine Rück12 Vgl. etwa zur Herleitung des Rechts auf ein faires Verfahren Vgl. etwa In re Murchison, 349 U.S. 133, 136, 75 S.Ct. 623, 625, 99 L.Ed. 942 (1955); eine ausführliche Darstellung in der Literatur bieten Friendly, 123 U. Pa. L.Rev., S. 1267, 1279 ff. und Nowak/Rotunda, Treatise on Constitutional Law II, S. 656 ff. jeweils mwN. 13 Ausführlich insbesondere Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1 ff. mwN aus Rechtsprechung und Lehre; für den Strafprozess explizit in diesem Sinne der Supreme Court in Washington v. Texas, 388 U.S. 14, 87 S.Ct. 1920, 18 L.Ed.2d 1019; weitergeführt in Chambers v. Mississippi, 410 U.S. 284, 93 S.Ct. 1038, 35 L.Ed.2d 297. 14 Ausführlich wiederum Imwinkelried, 1990 Utah.L.Rev. 1, 45 ff. mwN.
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schlüsse auf das deutsche Grundgesetz ziehen. Festhalten lässt sich aus rechtsvergleichender Sicht jedoch, dass die U.S.-amerikanische Bundesverfassung ein Recht auf Beweis enthält, welches im einfachen Recht der Federal Rules of Evidence in gewissem Umfang seine Umsetzung erfahren hat. Es existiert somit in einem anderen Rechtskreis ein Zivilprozess mitsamt einem verfassungsrechtlich abgesicherten Recht auf Beweis. Ein solches Recht der Parteien auf Beweis steht daher aus rechtsvergleichender Sicht der Funktionsfähigkeit eines Zivilprozesses nicht entgegen. Zusammengefasst hat die vorangegangene Argumentation die Grundthese dieser Arbeit belegt: Das deutsche Grundgesetz gewährleistet zwingend ein Recht auf Beweis der Parteien des Zivilprozesses. Die rechtshistorischen und rechtsvergleichenden Grundlagenuntersuchungen dieser Arbeit untermauern diesen Befund.
II. Die Existenz eines Rechts auf Beweis in der EMRK und der GRC Diese soeben entwickelten Argumentationslinien des deutschen Grundgesetzes lassen sich nicht eins zu eins auf die europäischen Grundrechtsordnungen übertragen: Der primäre Argumentationsansatz im deutschen Recht basierte auf dem Modell eines Rechtsstaates, der ein staatliches Gewaltmonopol von seinen Bürgerinnen und Bürgern einfordert und aufgrund dieser Forderung zugleich gewisse Garantien der Rechtsdurchsetzung zugestehen muss – im Speziellen auch das Recht auf Beweis. Die Grundrechtsordnungen der EMRK und der europäischen Grundrechtecharta beinhalten einen umfangreichen Grundrechtskatalog unter Einschluss prozessualer Gewährleistungen. Indes treffen weder die EMRK, noch die europäische Grundrechtecharta Aussagen zu Fragen des Staatsaufbaus und der Staatsorganisation. EMRK und europäische Grundrechtecharta sollen den Bürgerinnen und Bürgern im Rahmen ihrer kompetenziellen Grenzen ein gewisses Mindestmaß an Grundrechtsschutz gewähren, nicht aber den Aufbau der Vertragsstaaten selbst determinieren. Gerade das staatliche Gewaltmonopol stellt sich als eines der grundlegendsten und zentralsten Elemente der inneren, staatlichen Souveränität dar. Mithin lässt sich für die europäischen Grundrechtsordnungen die innerstaatliche Argumentationslinie über das Gewaltmonopol, den Justizgewährungsanspruch und den effektiven Rechtsschutz bis hin zum Recht auf Beweis nicht ohne weiteres übernehmen. Indes erscheint es auch für die EMRK und die europäische Grundrechtecharta möglich, eine Argumentation zugunsten der Existenz eines Rechts auf Beweis führen. Dabei kann in Teilen auf die Argumentationslinie zum deutschen Grundgesetz zurückgegriffen werden: Schließlich führt das staatliche Gewaltmonopol zunächst zu einer zwingenden Gewährleistung von Justizgewährung und effektivem Rechtsschutz zwecks Ermöglichung privater Rechtsdurchsetzung und als Konkretisierung zu einem Recht auf Beweis. Dieser Justizgewährungsanspruch findet sich jedoch
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) auch in Art. 6 I EMRK und sodann ausdrücklich in Art. 47 II GRC.15 Hinzu kommt, dass sich die Rechtsstaatlichkeit nach Art. 2 EUV als ein wesentlicher Grundwert der Europäischen Union darstellt und auch der EGMR über eine Auslegung der Präambel der EMRK die Rechtsstaatlichkeit als wesentlichen Grundsatz anerkannt hat.16 Daher leitet insbesondere der EGMR die Gewährleistung eines Zuganges zum Gericht im Zivilprozess ausdrücklich aus den Grundgedanken des Rechtsstaatsprinzips ab.17 Sodann lässt sich die Argumentation zum deutschen Recht auch an dieser Stelle hören: Eine Gewährleistung der Rechtsdurchsetzung des Einzelnen vor Gericht kann nur dann wirklich effektiv sein, wenn sie auch den Nachweis der durchzusetzenden Rechte vor Gericht umfasst. Die Gewährleistung eines Justizgewährungsanspruches ohne dieses Recht auf Beweis wäre auch nach EMRK und europäischer Grundrechtecharta ein zahnloser Tiger. Diese Argumentation lässt sich weiterführen mit dem Gedanken, dass die europäischen Grundrechtsordnungen einen umfangreichen Katalog an materiellen Grundrechten enthalten. Auch insoweit kann die Argumentation im Rahmen des Grundgesetzes fruchtbar machen werden: Die materiellen Grundrechtsgewährleistungen sind für ihre Inhaber letztlich nur insoweit von Wert, als sie auch tatsächlich durchsetzbar sind. Die europäischen Grundrechtsordnungen beinhalten zu diesem Zwecke einen Justizgewährungsanspruch. Somit wird zwar nicht der Staatsaufbau als solcher determiniert, die Grundrechtsinhaber werden in ihrer Gewährleistung der Rechtsdurchsetzung dennoch gleichfalls auf den formalisierten Rechtsweg der Gerichtsbarkeit verwiesen. Innerhalb dieses Rechtsweges müssen die Inhaber ihre Rechte wiederum nachweisen. Dieses Erfordernis des Rechtsnachweises ist im Hinblick auf die Stellung des Staates als neutralem Entscheider ohne vorherige Kenntnis des streitigen Sachverhaltes Wesensmerkmal eines jeden denkbaren Zivilprozesses. An diesem Befund würde auch eine staatliche Tatsachenerforschung iSe Untersuchungsgrundsatzes nichts verändern: Schließlich würde das Risiko der Nichterweislichkeit eigener Rechte stets durch ihren jeweiligen Inhaber getragen werden.18 Eine effektive Durchsetzbarkeit der materiellen Grundrechte macht auch nach den europäischen Grundrechtsordnungen die Gewährleistung eines Rechts auf Beweis erforderlich. 15 Zur Herleitung des Rechts auf Zugang zu Gericht siehe bereits EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. UK, Rn. 26 ff. = EuGRZ 1975, S. 91; instruktiv in neuerer Zeit auch EGMR, Urteil vom 26.05.2015, 11239/11, Momcilovic ./. CRO, Rn. 41 ff. mwN aus der Rechtsprechung. 16 Ausführlich zur Anerkennung des Rechtsstaatsprinzips über die Präambel der EMRK, EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 52854/99, Ryabyk ./. RU, Rn. 51 ff. mwN. 17 Ausdrücklich in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 26.05.2015, 11239/11, Momcilovic ./. CRO, Rn. 41 ff. mwN. 18 Ausführlich zu einer Herleitung eines Rechts auf Beweis für Prozesse mit Amtsermittlungsgrundsatz anhand dieser Argumentationslinie, Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 45 ff. mwN.
§ 4 Postulierung der Existenz des Rechts auf Beweis
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Ergänzend gilt es zu bedenken, dass die europäischen Grundrechtsordnungen wesentlich umfangreichere prozessuale Gewährleistungen vorsehen, als das deutsche Grundgesetz. An dieser Stelle zeigt sich der Einfluss des anglo-amerikanischen Rechts auf die EMRK und die dortigen, umfangreichen prozessualen Gewährleistungen. Die Generalklausel eines fairen Verfahrens in Art. 6 I EMRK ist der due process clause aus dem U.S.-amerikanischen und insbesondere dem britischen Recht nachempfunden.19 Die Grundrechtecharta orientiert sich ihrerseits in Art. 47 GRC an eben diesem Art. 6 EMRK. Insoweit wäre es schwer zu erklären, weshalb EMRK und europäische Grundrechtecharta deutlich umfangreichere, prozessuale Gewährleistungen enthalten als das Grundgesetz, doch gerade die Gewährleistung eines Rechts auf Beweis aussparen. Die übrigen prozessualen Gewährleistungen würden – ähnlich wie im Grundgesetz – zwar den Zugang zum und ein bestimmtes Prozedere innerhalb des Prozesses garantieren, doch am Ende dieses „schönen Scheins“ würde mangels einer effektiven Nachweismöglichkeit der eigenen Rechte stets der Prozessverlust durch die beweisbelastete Partei stehen. Ein Recht auf Beweis effektuiert mithin die weiteren prozessualen Gewährleistungen in hohem Maße. Für die europäische Grundrechtecharta lässt sich diese Argumentation aufgrund der rechtlichen Verbindung der Gewährleistungen in Art. 6 I EMRK und Art. 47 II S. 1 GRC über Art. 52 III S. 1 GRC ohne weiteres übernehmen.20 Hinzu kommt für die Grundrechtecharta ein weiteres Argument: Während es sich bei der EMRK um einen eher losen Zusammenschluss von Staaten handelt, ist der Zusammenhalt der Mitgliedsstaaten der Grundrechtecharta in Form der Europäischen Union sehr viel enger. Das Argument fehlender Kompetenz wird im Hinblick auf die justizielle Zusammenarbeit innerhalb der Union deutlich abgeschwächt. Schließlich hat die Europäische Union ihrerseits bereits Richtlinien erlassen, die das Beweisrecht zum Gegenstand hatten.21 Sodann erscheint es schwer vertretbar, dass die Grundrechtsgewährleistungen der Europäischen Union als Teil ihres Primärrechts einen geringeren Kompetenzbereich innehaben und keinerlei beweisrechtliche Gewährleistungen beinhalten sollen. Zusammengefasst kann die Argumentation zum deutschen Grundgesetz nicht gänzlich auf die europäischen Grundrechtsordnungen übertragen werden. Die Beanspruchung eines Gewaltmonopols durch den Staat ist den Grundrechtsordnungen der EMRK und der europäischen Grundrechtecharta naturgemäß nicht unmittelbar zu entnehmen. Allerdings wird auch nach EMRK und europäischer Grundrechte charta ein effektiver Zugang zu Gericht als wesentlicher Ausdruck der Rechtsstaat19 Ausführlich Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG II, Kapitel 14, Rn. 8 ff. mwN. 20 Ausführlich zum Verhältnis von EMRK und GRC sogleich unten in § 5 V 1. 21 Vgl. insbesondere die EuBVO, ABl.EU 2001, Nr. L-174, S. 1 ff.; Anknüpfungspunkte zum Beweisrecht aufweisend auch die EuGVVO, ABl.EU. 2001, Nr. L-12, S. 1 ff.; die EuZVO, ABl.EU 2001, Nr. L-324, S. 79 ff. und die EuMahnVO, ABl.EU 2006, Nr. L-399, S. 1 ff.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
lichkeit angesehen und gewährleistet. Hinzu kommt als zweiter Argumentationsstrang die umfassende Gewährleistung von Grundrechten durch EMRK und Grundrechtecharta: Dabei sprechen sowohl Systematik und Telos der umfassenderen, prozessualen Grundrechtsgewährleistungen als auch die Durchsetzbarkeit der umfangreichen, materiellen Grundrechtsgewährleistungen für die Existenz eines Rechts auf Beweis. Daher folgt aus EMRK und europäischer Grundrechtecharta nach hier vertretener Auffassung ebenfalls zwingend ein Recht auf Beweis der Parteien des Zivilprozesses.
§ 5
Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC I. Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis – Grundlagen Nachdem soeben die Existenz eines Rechts auf Beweis als Grundthese dieser Arbeit postuliert wurde, gilt es im Folgenden, dieses Recht auf Beweis in das bestehende System der prozessualen Grundrechtsgewährleistungen und des Zivilprozessrechts insgesamt einzuordnen. Nachfolgend soll das Recht auf Beweis daher unter Einschluss einer Analyse von Rechtsprechung und Literatur dogmatisch in das System von Grundgesetz, EMRK, und europäischer Grundrechtecharta eingeordnet werden. Die Reihung dieser Rechtsquellen untereinander ergibt sich dabei zunächst aus praktischen und normhierarchischen Überlegungen: Das deutsche Grundgesetz hat von den drei untersuchten Grundrechtsordnungen die wohl umfänglichste Behandlung in Rechtsprechung und Literatur erfahren. Die Vielzahl gerichtlicher Entscheidung im Zusammenspiel mit der wissenschaftlichen Bearbeitung haben ein ausdifferenziertes System prozessualer Grundrechte hervorgebracht. Insbesondere hat in der Literatur zu Grundgesetz und deutscher ZPO bereits eine explizite Debatte um die dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis stattgefunden. Es liegt daher nahe, mit einer Betrachtung des umfänglich entwickelten Systems des deutschen Grundgesetzes zu beginnen. Zwar handelt es sich bei der europäischen Grundrechtecharta nach Art. 6 I EUV um einen Teil des Primärrechts der EU, so dass die Grundrechtecharta als einzige untersuchte Grundrechtsordnung eine unmittelbare Bindung der europäischen Institutionen erzeugt und zugleich aufgrund des Vor ranges des EU-Rechts in ihrem Anwendungsbereich selbst dem deutschen Grundgesetz vorgeht und sich so formal als die normhierarchisch stärkste Grundrechtsordnung darstellt.1 Allerdings lässt sich bereits an dieser Stelle konstatieren, dass der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta nach Art. 52 I GRC auf die Anwendung 1
Den Beginn dieser Rechtsprechung bildet die Entscheidung des EuGH in der Rs. C-6/64, Slg. 1964, S. 1269 ff. – Costa/ENEL, fortgeführt für nationales Verfassungsrecht in der Entscheidung EuGH, Rs. C-11/70, Slg. 1970, S. 1135 ff. – internationale Handelsgesellschaft; durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich akzeptiert in der Entscheidung BVerfGE 73, S. 339, 374 f. – So lange II; siehe auch BVerfGE 123, S. 267, 396 ff. – Lissabon.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
des Europarechts begrenzt ist und die Grundrechtecharta damit nach derzeitigem Stand der Kompetenzverteilung der EU im deutschen Zivilprozess nur einen ebenso begrenzten Einfluss hat.2 Daher erscheint es aus praktischen Gesichtspunkten heraus gerechtfertigt, die Untersuchung mit dem deutschen Grundgesetz zu beginnen. Innerhalb der europäischen Grundrechtsordnungen soll sodann mit der EMRK zunächst die historisch gesehen ältere Rechtsquelle Beachtung finden. Dieser Schritt bietet sich insbesondere aufgrund der Entstehungsgeschichte der europäischen Grundrechtecharta an: Die Charta sollte explizit der EMRK nachempfunden werden.3 Die Ähnlichkeiten beider Grundrechtskataloge zeigen sich bereits sehr deutlich beim Vergleich der entsprechenden Normtexte. Hinzu kommt, dass die Charta nach Art. 52 III GRC auch rechtlich an die EMRK gebunden ist und sich der EuGH zudem an der Rechtsprechung des EGMR orientiert.4 Mithin bietet es sich an, zunächst die EMRK mitsamt ihrer in Jahrzehnten durch den EGMR ausgeformten und ausdifferenzierten Dogmatik zu betrachten. Hierauf aufbauend können sodann Schlussfolgerungen für die vergleichsweise junge Grundrechtecharta getroffen werden.
II. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis im GG Das Bundesverfassungsgericht hat den terminus technicus eines „Rechts auf Beweis“ – soweit ersichtlich – bislang noch nicht verwendet. Vielmehr finden sich in seiner Rechtsprechung zu den einzelnen prozessualen Grundrechtsgarantien jeweils bestimmte Anforderungen an das Beweisrecht der ZPO. Daher bedarf es einer Analyse dieser Rechtsprechung, um die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis herausarbeiten zu können. Im Schrifttum hat sich demgegenüber bereits eine ausdrückliche, wenn auch eher vereinzelte Diskussion über das Recht auf Beweis und seine dogmatische Einordnung im Grundgesetz herausgebildet.5 Diese Diskussion in der Literatur soll im Anschluss an die Rechtsprechung ihrerseits eine ausführliche Analyse erfahren, bevor sich die Entwicklung einer eigenen Ansicht zur dogmatischen Einordnung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz anschließt. 2 Ausführlich
zum Verhältnis der drei Grundrechtsordnungen zueinander unten V. Vgl. allein die Präambel der Grundrechtecharta, ABl.EU 2007, Nr. C 303, S. 2; ebenso Gra benwarter/Pabel, EMRK, § 4, Rn. 6 f. gerade unter Verweis auf die Ähnlichkeiten des Wortlautes bei der Formulierung der Justiziellen Rechte. 4 Eine ausführliche Analyse des Verhältnisses von EMRK und GRC findet sich bei Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK; zur Angleichung der Rechtsprechung EGMR und EuGH siehe wiederum Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 4, Rn. 7; zum Verhältnis von EMRK und GRC auch unten V 1. 5 Vgl. zu den Anfängen dieser Diskussion bereits Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f.; ein gleichnamiger Beitrag findet sich bei Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 ff.; ausführlich auch Wal ter, freie Beweiswürdigung, S. 292 ff.; in neuer Zeit siehe Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 47 ff. und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 45 ff. jeweils mwN. 3
§ 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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1. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zu den prozessualen Grundrechten Als denkbare Anknüpfungspunkte einer dogmatischen Fundierung des Rechts auf Beweis kommen in erster Linie das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf rechtliches Gehör und der Justizgewährungsanspruch in Betracht. Diese prozessualen Grundrechte sollen daher auf ihre beweisrechtlichen Gewährleistungsgehalte nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts untersucht werden. Die Analyse konzentriert sich hierbei auf das Bundesverfassungsgericht als letztentscheidende Instanz in Fragen der Auslegung des Grundgesetzes und der Sicherung des Vorranges des Grundgesetzes und seiner Auslegung.6 Die Rechtsprechung des BGH zur entsprechenden Anwendung und Auslegung des Zivilprozessrechts erfährt sodann im Rahmen der Überprüfung des einfachen Rechts anhand des Maßstabes des Rechts auf Beweis im Grundgesetz eine Untersuchung. Zudem soll im Rahmen der dogmatischen Einordnung des Rechts auf Beweis lediglich ein kurzer Überblick der jeweiligen Gewährleistungen gegeben werden. Für eine weitergehende, inhalt liche Analyse der beweisrechtlichen Gewährleistungsgehalte des Rechts auf ein faires Verfahren, des Rechts auf rechtliches Gehör und des Justizgewährungsanspruches sei auf die inhaltliche Ausarbeitung des Rechts auf Beweis verwiesen, um Dopplungen zu vermeiden. a) Das Recht auf ein faires Verfahren Das Recht auf ein faires Verfahren wurde durch das Bundesverfassungsgericht aus einem Zusammenspiel von Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) abgeleitet.7 In seiner ursprünglichen Konzeption wurde das Recht auf ein faires Verfahren als dogmatische Basis für bestimmte strafprozessuale Rechte des Angeklagten entwickelt, die sich dem Wortlaut nach nur schwer unter die explizite Gewährleistung des Rechts auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I GG fassen ließen und dennoch für ein rechtsstaatliches Strafverfahren als unentbehrlich angesehen wurden.8 Indes hat das Bundesverfassungsgericht das Recht auf ein faires Verfahren schon bald im Zivilprozess für anwendbar erklärt und eigene Gewährleistungen für den Zivilprozess aus dem Recht auf ein faires Verfahren abgeleitet.9 6 Die Sicherung des Vorranges der Verfassung betonend v. Mangold/Stark/Klein-Voßkuhle, GG, Bd. III, Art. 93 Rn. 17 f.; die Auslegung der Verfassung als Aufgabe betont Dreier-Wieland, GG, Bd. III, Art. 93 Rn. 30 ff. 7 Zur dogmatischen Einordnung vgl. etwa BVerfGE 57, S. 250, 275; BVerfGE 78, S. 123, 126; aus neuer Zeit BVerfG NJW 1991, S. 3140 und BVerfG NJW 2004 S. 1097 jeweils mwN. 8 Vgl. für den Strafprozess bereits BVerfGE 26, S. 66, 71; BVerfGE 38, S. 105, 111 ff. 9 Vgl. zur Übertragbarkeit der Garantien auf den Zivilprozess bereits BVerfGE 49, S. 220, 225; bestätigt etwa in BVerfGE 52, S. 131, 145; in neuerer Zeit BVerfGE 117, S. 202, 240 für das familiengerichtliche Verfahren.
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Seinem allgemeinen Gewährleistungsgehalt nach soll das Recht auf ein faires Verfahren das Gericht zur Rücksichtnahme auf die Parteien anhalten.10 So muss das Verfahren derart ausgestaltet sein, wie die Parteien des Zivilprozesses es erwarten dürfen.11 Dem Gericht ist es verboten, sich widersprüchlich zu verhalten oder aus eigenen bzw. ihm zurechenbaren Fehlern Verfahrensnachteile für die Beteiligten abzuleiten.12 Diese Gewährleistung einer Verfahrensführung des Gerichts in fairen und vorhersehbaren Bahnen hat das Bundesverfassungsgericht auch auf das Beweisrecht übertragen und fordert eine faire Handhabung des Beweisrechts insgesamt durch das Gericht.13 Dieser Gedanke der Verfahrensfairness soll sich nach neuerer Rechtsprechung auch auf die Verteilung der Beweislast beziehen.14 Von besonderem Interesse für das Recht auf Beweis sind die Ausführungen des Verfassungsgerichts zum Recht auf ein faires Verfahren dahingehend, dass „die Gerichte zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege und zur materiell richtigen Entscheidungsfindung grundsätzlich gehalten sind, von den Parteien angebotene Beweise oder Darlegungen zu berücksichtigen.“15 Allerdings wird in eben dieser Entscheidung zugleich der Begriff eines „schlichten Beweisinteresses“ einer Partei entwickelt, welches in der Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Gegenpartei gerade nicht ausreichen soll, um die Zulassung von Beweismitteln zu erzwingen.16 Insofern stellt das Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung wohl allein auf das Allgemeininteresse an einer funktionsfähigen Rechtspflege ab und gerade nicht auf ein mögliches Recht der Parteien auf Beweis aus dem Recht auf ein faires Verfahren. Letztlich handelt es sich bei dem Recht auf ein faires Verfahren um ein Auffanggrundrecht, das in speziellen Konstellationen zur Anwendung kommt, die von anderen prozessualen Grundrechten nicht abgedeckt werden.17
10 Vgl. BVerfGE 78, S. 123, 126; in neuer Zeit siehe BVerfG NJW 1991, S. 3140 und BVerfG NJW 2004, S. 1097 jeweils mwN. 11 Vgl. BVerfGE 69, S. 381, 385 f.; BVerfG NJW 1991, S. 3140; BVerfG NJW 2004, S. 1097. 12 Vgl. BVerfGE 75, S. 183, 190; BVerfGE 78, S. 123, 126; BVerfG NJW 1991, S. 3140; BVerfG NJW 2004, S. 1097 jeweils mwN. 13 So bereits BVerfGE 52, S. 131, 145; bestätigt etwa in BVerfGE 117, S. 202, 240. 14 In neuerer Zeit in diesem Sinne BVerfGE 106, S. 28, 48 und BVerfGE 117, S. 202, 240 jeweils mwN. 15 So BVerfGE 117, S. 202, 240. 16 Vgl. BVerfGE 117 S. 202, 240 f. 17 In diesem Sinne etwa BVerfGE 109, S. 13, 34 f.; ausführlich Dörr/Grote/Marauhn-Graben warter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14, Rn. 94 und Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 59 f. jeweils mwN; in diese Richtung auch Karwacki, fairer Zivilprozess, S. 42 ff., die aber zugleich die besondere rechtsstaatliche Bedeutung des Rechts auf ein faires Verfahren betont; ähnlich Dörr, faires Verfahren, S. 168 f.
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b) Das Recht auf rechtliches Gehörs Als dogmatische Grundlage des Rechts auf Beweis kommt insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG in Betracht. Die explizite Normierung im Grundgesetz, aber auch seine Historie im Prozessrecht insgesamt geben dem Recht auf rechtliches Gehör eine herausgehobene Stellung innerhalb der prozessualen Grundrechte und erklären seine große Bedeutung in der Rechtsprechung.18 Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet das rechtliche Gehör als ein „prozessuales Urrecht“ des Menschen und rückt den Gewährleistungskern des Rechts auf rechtliches Gehör in den Zusammenhang mit der Menschenwürde aus Art. 1 I GG19: Der Mensch soll als Subjekt des Prozesses wahrgenommen werden und als solches mit seinen Argumenten partizipieren und Einfluss auf den Prozess nehmen können. Es soll gerade verhindert werden, dass mit einem Menschen „kurzer Prozess“ gemacht wird.20 Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts umfasst der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf rechtliches Gehör drei aufeinanderfolgende, inhaltliche Aspekte21: 1. Das Recht auf Information 2. Das Recht auf Stellungnahme und 3. Das Recht auf Berücksichtigung Den ersten inhaltlichen Teilaspekt des Rechts auf rechtliches Gehör stellt das Recht auf Information dar. Eine sachdienliche Wahrnehmung des Äußerungsrechtes ist nur dann möglich, wenn die sich äußernde Partei Kenntnis der bisherigen Äußerungen der Gegenseite und des Gerichts hat, auf die sich die eigenen Äußerungen beziehen sollen. Das Recht auf Information bildet somit die tatsächliche Grundlage für die effektive Ausübung des Rechts auf Stellungnahme und damit für eine effektive Gewährleistung des rechtlichen Gehörs insgesamt.22 Hiernach umfasst das Recht auf Informationen einen Anspruch der Parteien auf Kenntnisgabe des gesamten relevanten Verfahrensstoffes. Sämtliche Stellungnahmen, Schriftsätze und sonstigen Äuße18 Vgl. zur Historie Rüping, der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, S. 12 ff.; die Bedeutung des Art. 103 I GG stellt auch das BVerfG selbst in st. Rspr. heraus, siehe bereits BVerfGE 55, S. 1, 5 f.; BVerfG-K 11, S. 203, 206. 19 Vgl. zu dieser Formulierung bereits BVerfGE 55, S. 1, 5 f.; st. Rspr., siehe etwa BVerfGE 86, S. 133, 144 f.; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfGE 107, S. 395, 408 f.; BVerfG-K 11, S. 203, 206. 20 Vgl. BVerfGE 55, S. 1, 5 f.; BVerfGE 107, S. 395, 408 f. 21 Diese drei Einzelgarantien stellt BVerfGE 108, S. 341, 347 f. gut dar; siehe auch BVerfG-K 10, S. 397, 399; vgl. zum Recht auf Information etwa BVerfGE 50, S. 280, 284; BVerfGE 81, S. 123, 126 f.; zum Recht auf Stellungnahme beispielhaft BVerfGE 67, S. 154, 155; BVerfGE 84, S. 188, 189 f. und zum Recht auf Berücksichtigung siehe bereits BVerfGE 22, S. 267, 273 f.; BVerfGE 54, S. 86, 91 f. 22 Vgl. zu diesem Zusammenhang BVerfGE 81, S. 123, 126; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfG 108, S. 282, 338 f.
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rungen der Gegenseite wie auch des Gerichts müssen der jeweils anderen Partei zur Kenntnis gebracht werden.23 Flankierend folgt aus dem Recht auf Information zugleich ein Recht der Parteien auf Akteneinsicht, das sämtliche Prozessakten, beigezogenen Akten und Gutachten umfasst.24 Als zweiten wesentlichen Teilaspekt des rechtlichen Gehörs hat die Rechtsprechung ein umfassendes Recht auf Stellungnahme entwickelt. Diese Stellungnahme muss grundsätzlich im Vorfeld einer richterlichen Entscheidung möglich sein und umfasst ein Recht auf Äußerung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zum gesamten relevanten Verfahrensstoff.25 Mithin wird ein Recht auf Stellungnahme zu allen Schriftsätzen und sonstigen Äußerungen der Gegenseite und des Gerichts, über die die Partei zuvor informiert werden musste, sowie zu sämtlichen Beweisergebnissen gewährleistet.26 Das Recht auf Stellungnahme gibt ein Recht zur Stellung von Anträgen – auch und gerade das Recht zur Stellung von Beweisanträgen.27 Gesichert wird dieses Recht auf Stellungnahme durch die aus Art. 103 I GG folgende Verpflichtung, dass die Gerichte ihren Entscheidungen nur diejenigen Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde legen dürfen, zu denen sich die Parteien zuvor äußern konnten.28 Als dritter Teilaspekt gewährleistet das rechtliche Gehör iSd Art. 103 I GG ein Recht auf Berücksichtigung der Stellungnahmen einer Partei. Dieses Recht auf Berücksichtigung bzw. die hiermit korrespondierende Pflicht des Gerichts zur Berücksichtigung verpflichtet das erkennende Gericht nach dem Bundesverfassungsgericht, die Äußerungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.29 Im Hinblick auf das Beweisrecht hat das Bundesverfassungsgericht aus „Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO“ eine Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge hergeleitet.30 Diese Verpflichtung aus „den Grundsätzen der ZPO“ beruht auf einer entsprechenden Recht23 Vgl. bereits BVerfGE 6, S. 12, 14 f.; bestätigt in BVerfGE 17, S. 86, 95; BVerfGE 49, S. 325, 328; BVerfGE 50, S. 280, 284; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfGE 101, S. 106, 129 f. 24 Vgl. bereits BVerfGE 17, S. 86, 95; bestätigt in BVerfGE 63, S. 45, 60; BVerfG NJW 1994, S. 1210 f. mwN. 25 Ausführlich bereits BVerfGE 64, S. 135, 145, wenn auch zum Strafprozess; explizit zum Zivilprozess siehe BVerfGE 81, S. 123, 126 ff.; BVerfGE 89, S. 28, 35. 26 Vgl. BVerfGE 50, S. 280, 284; BVerfGE 101, S. 106, 129 f. 27 Vgl. allgemein bereits BVerfGE 1, S. 418, 429; ebenso BVerfGE 36, S. 85, 87; BVerfGE 69, S. 145, 148 und BVerfG NJW 2011, S. 49; aus neuerer Zeit BVerfG-K 10, S. 397, 399 f.; zum Beweisantragsrecht siehe BVerfGE 69, S. 141, 143 f. und BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586. 28 So bereits BVerfGE 6, S. 12, 14; st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 10, S. 177, 182;89, S. 381, 392; BVerfG 101, S. 106, 129. 29 So bereits BVerfGE 11, S. 218, 220; seitdem st. Rspr., vgl. 22. S. 267, 273 f.; BVerfGE 46, S. 315, 319 f.; BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfGE 86, S. 133, 145 f.; in neuer Zeit siehe BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586. 30 Vgl. bereits BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; st. Rspr., siehe BVerfGE 60, S. 247, 249; BVerfGE 65, S. 305, 307; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; BVerfG-K 12, S. 346, 350 f.
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sprechung des BGH, der aus § 286 I ZPO den Grundsatz einer Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Ausschöpfung sämtlicher verfügbarer und beantragter Beweismittel herleitet.31 Diese einfach-rechtliche Verpflichtung zu einer Erhebung beantragter Beweismittel aus § 286 I ZPO wird sodann als „Grundsatz der ZPO“ durch das Bundesverfassungsgericht über Art. 103 I GG verfassungsrechtlich „aufgeladen“, so dass aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO eine Verpflichtung zur Berücksichtigung von Beweismitteln folgt.32 Es ist nach hier vertretener Ansicht nicht immer ganz klar, ob diese Verpflichtung zur „Berücksichtigung“ erheblicher Beweisanträge unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf ihre Erhebung beinhaltet oder sich vielmehr in einem bestimmten Prozedere ihrer Behandlung erschöpft. Allerdings deuten insbesondere neuere Entscheidungen von Bundesverfassungsgericht und BGH in Richtung einer Verpflichtung zur Erhebung von Beweismitteln unter bestimmten Voraussetzungen.33 Ein wesentlicher Kritikpunkt im Hinblick auf eine entsprechende dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis ist jedoch die Verbindung von Art. 103 I GG mit den „Grundsätzen der ZPO“.34 Das Bundesverfassungsgericht geht von einer starken Normgeprägtheit des Rechts auf rechtliches Gehörs nach Art. 103 I GG aus.35 So „gewährt Art. 103 I GG keinen Schutz dagegen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweismittels verstößt aber dann gegen Art. 103 I GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stützte mehr findet“.36 An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass das Recht auf Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge allein auf der verfassungsrechtlichen „Aufladung“ einer entsprechenden Rechtsprechung des BGH durch das Bundesverfassungsgericht beruht und somit letztlich ein Recht der Prozessparteien auf Erhebung beantragter Beweismittel umfasst, welches jedoch seine Grenzen in den etwaigen Ablehnungsgründen des einfachen (Prozess-) Rechts findet.
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Diesen Grundsatz postuliert der BGH erstmals in der Entscheidung BGHZ 53, S. 245, 259 ff.; auf diese Entscheidung verweisend BVerfGE 50, S. 32, 35 f. 32 Sehr instruktiv in diesem Sinne bereits BVerfGE 50, S. 32, 35 f. 33 Ausführlich zu dieser Fragestellung § 7 V. 1. a. 34 Vgl. zu dieser Formulierung BVerfGE 60, S. 247, 249; BVerfGE 79, S. 51, 62 f.; BVerfG NJW 2003, S. 125, 127; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586. 35 Vgl. bereits BVerfGE 9, S. 89, 95 f.; st. Rspr., siehe BVerfGE 81, S. 123, 129; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfG-K 10, S. 397, 399. 36 So der zweite Teil der Formel des BVerfG, vgl. etwa BVerfGE 50, S. 32, 35; BVerfGE 65, S. 305, 307; BVerfGE 69, S. 141, 143 f. BVerfG NJW 2003, S. 125, 127; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586.
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Abschließend hat das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Beweisrecht ausgesprochen, dass Art. 103 I GG weder das Recht auf ein bestimmtes Beweismittel noch das Recht auf bestimmte Arten von Beweismitteln umfassen.37 c) Der Justizgewährungsanspruch Den Abschluss dieser Rechtsprechungsanalyse soll der Justizgewährungsanspruch als möglichen Fundierung des Rechts auf Beweis bilden. aa) Grundlagen und dogmatische Herleitung Der Justizgewährungsanspruch und insbesondere das Recht auf Zugang zu Gericht können auf eine lange Debatte in Rechtsprechung und Literatur zurückblicken. Anfänglich wurde das Recht auf Zugang zu Gericht teils aus Art. 103 I GG hergeleitet. Nach dieser Auffassung gewährleistete Art. 103 I GG auch das Recht auf Zugang zu Gericht, da sich nur auf diese Weise sicherstellen lasse, dass die Parteien ihr Gehör auch tatsächlich vor einem Gericht erhalten würden.38 Das Bundesverfassungsgericht hat den Justizgewährungsanspruch indes seit jeher rechtsschöpferisch aus einem Zusammenspiel der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 III GG) hergeleitet.39 In seiner ursprünglichen Form sollte der Justizgewährungsanspruch rein formal ein subjektives Recht auf Zugang zu Gericht geben, so dass eine klare Abgrenzung zum geschriebenen prozessualen Grundrecht des Art. 103 I GG möglich war: Während der Justizgewährungsanspruch allein den Zugang zu Gericht und damit das „Ob“ eines Prozesses gewährleistete, beinhaltete das Recht auf rechtliches Gehör Gewährleistungen für die konkrete Ausgestaltung, mithin das „Wie“ des Prozesses.40 bb) Der Justizgewährungsanspruches iSe Rechts auf effektiven Rechtsschutz In seiner neueren Rechtsprechung ist das Bundesverfassungsgericht jedoch von dieser trennscharfen Linie zugunsten des Grundrechtsschutzes im Einzelfall abgewichen. Der Justizgewährungsanspruch in seiner heutigen Auslegung geht deutlich 37 Vgl. bereits BVerfGE 1, S. 418, 429; ausdrücklich BVerfGE 57, S. 250, 273 ff.; bestätigt in BVerfGE 63, S. 45, 60; BVerfG NJW 1996, S. 3145, 3146; BVerfG NJW 1998, S. 1939. 38 So insbesondere Baur, AcP 153 (1954), S. 394, 396 ff.; dieser Ansicht folgend Söllner, Der Beweisantrag, S. 77; ähnlich auch Habscheid, ZZP 67 (1954), S. 188, 196 ff., der in der Nichtzulassung einer prozessordnungsgemäßen Klage eine Verletzung von Art. 103 I GG sieht, einen „allgemeinen öffentlichrechtlichen Justizanspruch“ indes ablehnt; siehe aber zur Einordnung des Rechts auf Beweis in einer späteren Veröffentlichung: Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 307 ff. 39 So bereits BVerfGE 80, S. 103, 107; st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfGE 88, S. 118, 123; BVerfGE 107, S. 395, 401; BVerfGE 112, S. 185, 207. 40 Ausführlich zur Abgrenzung des Justizgewährungsanspruches insbesondere zum Recht auf rechtliches Gehör BVerfGE 107, S. 305, 401 ff.; siehe auch BVerfGE 119, 292, 295 f.; BVerfG-K 10, S. 397, 399.
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über ein rein formales Recht auf Zugang zu Gericht hinaus und wurde zu einem umfassenden Recht auf effektiven Rechtschutz weiterentwickelt.41 Dieses Recht verlangt etwa einen Rechtsschutz in angemessener Zeit.42 Weiter muss das erkennende Gericht zu einer verbindlichen Entscheidung über den ihm vorgebrachten Sachverhalt berufen sein, so dass inhaltliche Anforderungen an die Qualität der gerichtlichen Entscheidung und die Stellung des Gerichts innerhalb der Rechtsordnung entwickelt wurden.43 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht bereits frühzeitig Gewährleistungen mit beweisrechtlichem Bezug im Justizgewährungsanspruch verankert. Das Recht auf effektiven Rechtsschutz als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches gibt den Parteien des Zivilprozesses hiernach das Recht „auf eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Sachverhaltes durch das Gericht“.44 Es handelt sich bei diesem Gewährleistungsgehalt nach hier vertretener Auffassung nicht um eine bloße Organisationsgarantie dahingehend, dass das erkennende Gericht qua Gesetz die Möglichkeit einer umfassenden Sachverhaltsprüfung haben muss, ohne an bestimmte Tatsachenfeststellungen insbesondere der Verwaltung gebunden zu ein. Vielmehr haben die Parteien des Zivilprozesses im Hinblick auf seine Verortung im Justizgewährungsanspruch ein echtes subjektives Recht auf eine umfassende Prüfung des Sachverhalts inne.45 Der Justizgewährungsanspruch in seiner Auslegung durch das Verfassungsgericht weist daher eine Reihe von Schnittmengen zum Recht auf Beweis auf.
2. Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der Literatur Der Fachterminus eines „Rechts auf Beweis“ hat spätestens mit dem gleichnamigen Aufsatz von Habscheid 46 Eingang in den wissenschaftlichen Diskurs gefunden und 41 Teils spricht das BVerfG auch von einem Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz, wobei die Begriffe „effektiv“ und „wirkungsvoll“ insoweit wohl synonym verwendet werden, vgl. zum Recht auf effektiven Rechtsschutz bereits BVerfGE 53, S. 115, 127 f.; gerade in neuer Zeit st. Rspr, siehe BVerfGE 81, S. 123, 129; BVerfGE 84, S. 366, 369; BVerfGE 107, S. 395, 401 ff.; BVerfGE 108, S. 341, 347 ff.; BVerfGE 119, S. 292, 295 f. 42 Vgl. etwa BVerfGE 60, S. 253, 269; BVerfGE 88, S. 118, 123; BVerfGE 93, S. 99, 107 f. 43 Vgl. bereits BVerfGE 54, S. 277, 291; bestätigt etwa in BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfGE 112, S. 185, 207. 44 So bereits BVerfGE 54, S. 277, 291; seitdem st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 84, S. 366, 369; BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfGE 97, S. 169, 185; BVerfGE 107, S. 395, 401; BVerfGE 112, S. 185, 207. 45 Konsequenterweise ging das BVerfG sodann von einer entsprechenden Verletzung des Justizgewährungsanspruches in Form des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus, vgl. insbesondere BVerfGE 84, S. 366, 369 f.; sehr instruktiv auch die Beschreibung des Konfliktes zwischen dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit und dem Recht auf tatsächliche und rechtliche Prüfung des Sachverhaltes durch BVerfG NJW 2013, S. 3630, 3631 f. jeweils mwN. 46 Siehe Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 ff.
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wird in demselben weithin verwendet – wenn auch oftmals mit sehr unterschiedlicher Bedeutung. In dogmatischer Hinsicht wird im Schrifttum das gesamte Spek trum an möglichen Einordnungen des Rechts auf Beweis in das bestehende System prozessualer Grundrechte vertreten. a) Das Recht auf ein faires Verfahren Vereinzelt wird für eine Herleitung des Rechts auf Beweis aus dem Recht auf ein faires Verfahren (Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip) plädiert.47 Diese dogmatische Einordnung fußt letztlich auf zwei Prämissen: Zum einen wird versucht, das Recht auf ein faires Verfahren zu einem umfassenden Prozessgrundrecht weiterzuentwickeln, das zahlreiche Fallkonstellationen abdecken soll. Zum anderen wird die Verbindung zwischen dem nationalen Grundgesetz und den Gewährleistungen der EMRK betont. Dabei werden das Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR genutzt, um ein gleichlaufendes Recht auf ein faires Verfahren im nationalen Recht zu entwickeln.48 b) Das Recht auf rechtliches Gehör Eine weitaus verbreitetere Ansicht in der Literatur leitet das Recht auf Beweis aus dem Recht auf rechtliches Gehör in Art. 103 I GG her.49 Die Anhänger dieser Auffassung ziehen als Begründung regelmäßig allein auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts heran.50 Dabei wird insbesondere auf die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen, „Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO gebiete die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge“.51 Eine eingehende Explizit in diese Richtung wohl nur Dörr, Faires Verfahren, S. 168; siehe allerdings auch Debernitz, Sachgerechtes Verfahren, S. 235 ff., der mit dem Recht auf ein sachgerechtes Verfahren ein weiteres prozessuales Grundrecht schaffen möchte, das jedoch größtenteils wörtlich mit dem Recht auf ein faires Verfahren übereinstimmt; abschließend geht auch MüKo-Prütting, § 284 Rn. 18 davon aus, das Bundesverfassungsgericht habe dem Recht auf ein faires Verfahren ein Recht auf Beweis entnommen. In der zitierten Entscheidung BVerfG NJW 2001, S. 2245, 2246 zum Strafprozess findet sich indes keine diesbezügliche Formulierung, vielmehr werden aus dem Recht auf ein faires Verfahren spezielle Mitwirkungsrechte für den Angeklagten entwickelt und die Bedeutung der Wahrheitserforschung im Strafprozess betont. 48 Diesen „Rückgriff“ auf die EMRK vollzieht Dörr, Faires Verfahren, S. 166 ff. als Hauptvertreter dieser Ansicht. 49 So Waldner, rechtliches Gehör, S. 28 ff.; ebenso Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 47 ff.; Frohn, richterliche Entscheidung, S. 87 f. und Hertel, Urkundenprozess, S. 36 f.; wohl auch Fink, Verwertbarkeit im Zivilprozess, S. 76 f.; ebenfalls eher indirekt in diese Richtung Mauder, Anspruch auf rechtliches Gehör, S. 49 f. 50 Diese Rechtsprechung darstellend und auf sie verweisend Waldner, rechtliches Gehör, S. 28 ff.; ähnlich Frohn, richterliche Entscheidung, S. 87 f. mit seinem Verweis auf verschiedene Entscheidungen des BVerfG. 51 Zu dieser Formulierung vgl. etwa BVerfGE 60, S. 247, 249; BVerfGE 79, S. 51, 62 f.; BVer47
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Erörterung der Frage, ob aus der Verpflichtung zur „Berücksichtigung“ auch eine Verpflichtung zur Erhebung beantragter Beweismittel unter bestimmten Voraussetzungen folgt, findet durch die Vertreter dieser Auffassung demgegenüber regelmäßig nicht statt.52 Allerdings wird man eine solche, dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in Art. 103 I GG nur dann annehmen können, wenn das Recht auf rechtliches Gehör unter bestimmen Voraussetzungen auch das Recht auf eine Erhebung beantragter Beweismittel beinhaltet, so dass für die Vertreter dieser Ansicht von einer diesbezüglichen Auslegung der Berücksichtigungspflicht des Art. 103 I GG auszugehen ist. Teilweise wird eine Herleitung des Rechts auf Beweis aus dem Recht auf rechtliches Gehör auch mit dem Gedanken der Spezialität des Art. 103 I GG begründet.53 Hiernach folge aus dem Gewaltmonopol des Staates zwingend der Justizgewährungsanspruch und mit ihm ein Recht auf Beweis. Allerdings sei Art. 103 I GG lex specialis zum Justizgewährungsanspruch, so dass dem Recht auf rechtliches Gehör ein Vorrang zukomme.54 Teils wird ein solches Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel auch in die Nähe des Rechts auf Stellungnahme als weiterem Teilgehalt des Art. 103 I GG gerückt.55 Eine „Äußerung“ in Form eines Beweisantrages wäre demnach nur dann eine vollständige Äußerung, wenn das beantragte Beweismittel bereits erhoben wurde und damit quasi als „Teil“ der Äußerung dem Gericht zur Würdigung vorliegt. c) H.L.: Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches Das überwiegende Schrifttum spricht sich demgegenüber für eine dogmatische Herleitung des Rechts auf Beweis aus dem Justizgewährungsanspruch aus.56AusgangsfG NJW 2003, S. 125, 127; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; als Argumentationslinie nutzen diese Formulierung insbesondere Waldner, rechtliches Gehör, S. 29 und Fink, Verwertbarkeit im Zivilprozess, S. 76 f.; 52 Beispielhaft insoweit Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 47 ff.; ähnliches gilt es zu konstatieren für die Herleitung des Rechts auf Beweis durch Frohn, richterliche Entscheidung, S. 87 f. und Hertel, Urkundenprozess, S. 35 ff. 53 Diese These stellt Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 49 auf. 54 So Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 49. 55 In diesem Sinne sind wohl die Formulierungen von Waldner, rechtliches Gehör, S. 28 ff. zu verstehen. 56 In diese Richtung bereits Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f.; ausdrücklich in diesem Sinne Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f., allerdings jeweils mit der Prämisse, dass der Justizgewährungsanspruch seine dogmatische Fundierung selbst in Art. 103 I GG finde; ausführlich zur Herleitung des Rechts auf Beweis auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff., der die Frage der Fundierung des Justizgewährungsanspruchs wiederum bewusst offen lässt; in neuer Zeit haben sich für eine diesbezügliche Herleitung des Rechts auf Beweis ausgesprochen: Bruns, FS-Stürner, S. 257 f.; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 165 ff.; Reichenbach, § 1004 BGB als Grund-
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punkt dieser Ansicht ist die Erkenntnis, dass die Existenz eines solchen Rechts auf Beweis im Hinblick auf das staatliche Gewaltmonopol nach dem Grundgesetz zwingend ist.57 Sodann gilt es bei der dogmatischen Einordnung des Rechts auf Beweis als Teil des Justizgewährungsanspruches zwei Argumentationslinien innerhalb der Literatur zu unterscheiden: Die ältere Literatur hatte sich teilweise für eine Herleitung des Rechts auf Beweis aus dem Justizgewährungsanspruch ausgesprochen, diesen Justizgewährungsanspruch jedoch seinerseits dogmatisch in Art. 103 I GG verortet.58 Mithin wurde die geschriebene Gewährleistung des Art. 103 I GG – aus rechtspositivistischer Sicht konsequent – zu einem umfassenden prozessualen Grundrecht ausgebaut. Diese Einordnung des Justizgewährungsanspruches in Art. 103 I GG veränderte jedoch gerade nicht die Argumentationslinie dieser Auffassung in Bezug auf die Existenz und die Einordnung des Rechts auf Beweis dahingehend, dass das Recht auf Beweis – wie auch der Justizgewährungsanspruch insgesamt – eine zwingende Folge des staatlichen Gewaltmonopols seien.59 In eben dieser Argumentation stimmt diese Auffassung mit denjenigen Stimmen in der Literatur überein, die von einer anderen dogmatischen Einordnung des Justizgewährungsanspruches und in der Folge auch des Rechts auf Beweis ausgehen: Die neuere Literatur leitet den Justizgewährungsanspruch in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht aus den Grundrechten, insbesondere Art. 2 I GG, iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) ab.60 Dabei wird betont, dass das staatliche Gewaltmonopol nicht allein einen Justizgewährungsanspruch in Form einer bloß theoretischen Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung verlangt, sondern vielmehr die Effektivität dieses Rechtsschutzes zwingend erfordert.61 Sodann wird lage, S. 4 f.; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff.; Klamaris, FS Schwab, S. 269 ff.; außerdem MüKo-Prütting, ZPO I, § 284 Rn. 18 und Stein/Jonas- Thole, ZPO IV, § 284 Rn. 40. 57 Vgl. zu dieser Erkenntnis der zwingenden Existenz eines Rechts auf Beweis bereits die obige Argumentation, I.1.; ausführlich und mit ähnlicher Argumentation Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff.; eine ähnliche Argumentation zugunsten der Wahrheitserforschung im Zivilprozess findet sich bereits bei Stürner, Aufklärungspflicht, S. 39 ff.; Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f. und Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f.; siehe auch Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f. und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff. jeweils mwN. 58 In diesem Sinne insbesondere Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f.; allgemein zur Herleitung des Justizgewährungsanspruches aus Art. 103 I GG Baur, AcP 153 (1954), S. 394, 396 ff.; dieser Ansicht folgend Söllner, Der Beweisantrag, S. 77; Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f. jeweils mwN. 59 Siehe insbesondere Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f. und Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f. 60 In diese Richtung Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 69 ff. und Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 166 ff. 61 So übereinstimmend Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 69 ff. und Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 166 ff.; ausführlich in diesem Zusammenhang auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff.
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deutlich gemacht, dass eine effektive Rechtsdurchsetzung ohne eine hinreichend erforschte Tatsachengrundlage schlichtweg nicht möglich ist, so dass die Parteien das Recht haben müssen, eben diese Erforschung der Tatsachengrundlage voranzutreiben.62 Auf diesem Wege wird der Bogen hin zu einer dogmatischen Herleitung des Rechts auf Beweis aus dem Justizgewährungsanspruch gespannt, als eben diesem Recht der Parteien auf eine hinreichende Sachverhaltserforschung.63 Ergänzend zu dieser Argumentationslinie wird zudem oftmals auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz als materiellem Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches verwiesen, die das Recht der Parteien auf eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Sachverhaltes postuliert.64
3. Eigene Ansicht: Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis im GG Den Abschluss dieser Darstellung soll nun die Entwicklung einer eigenen Ansicht zur dogmatischen Einordnung des Rechts auf Beweis auf Grundlage der dargestellten Rechtsprechung und Literatur bilden. In diesem Rahmen werden die einzelnen prozessualen Grundrechte jeweils unter Hinzuziehung der bisherigen Analyse von Rechtsprechung und Lehre auf ihre Tauglichkeit als dogmatische Grundlage des Rechts auf Beweis untersucht. a) Geringer Überschneidungsbereich mit dem Recht auf ein faires Verfahren Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet wiederum das Recht auf ein faires Verfahren in seiner Herleitung aus Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG).65 Die Analyse von Rechtsprechung und Literatur hat aufgezeigt, dass das Recht auf ein faires Verfahren tendenziell die Rolle eines Auffanggrundrechtes einnimmt. Dieses prozessuale Grundrecht wird immer dann herangezogen, wenn ein ganz bestimmter Sachverhalt sich nur schwerlich unter den Anwendungsbereich des Rechts auf rechtliches Gehör und des Justizgewährungsanspruches subsumieren lässt. Insbesondere in Konstellationen, die nach einer Harmonisierung des deut62 So insbesondere Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff. und Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff., 48 ff.; ebenso Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f.; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168 ff. und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 70 f. 63 In diesem Sinne Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff.; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 48 ff.; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168 ff. Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f. und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 70 f. 64 Auf die Rechtsprechung verweisen etwa Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168; ähnlich Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 70 f. 65 Zur Herleitung vgl. bereits BVerfGE 57, S. 250, 274 f. für den Strafprozess; siehe BVerfGE 78, S. 123, 126; BVerfG NJW 1996, S. 3202 zur identischen Herleitung im Zivilprozess.
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schen Grundgesetzes mit den europäischen Grundrechtskatalogen verlangen, kann das Recht auf ein faires Verfahren nach dem Grundgesetz als dogmatische Basis für die Folgerungen aus dem gleichnamigen Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK und Art. 47 II S. 1 GRC dienen. Diese Auffangfunktion zeigt sich letztlich auch in Bezug auf das Beweisrecht, wenn das Bundesverfassungsgericht aus dem Recht auf ein faires Verfahren dem erkennenden Gericht die allgemeine Verpflichtung einer fairen Handhabung des Beweisrechts auferlegt.66 Nun ließe sich argumentieren, dass eine faire Handhabung des Beweisverfahrens im Zivilprozess die Durchführung eines solchen Beweisverfahrens, wie auch bestimmte Gewährleistungen in Bezug auf seinen Ablauf voraussetzten würde. Wenn man indes von der Auffangfunktion des Rechts auf ein faires Verfahren ausgeht, so könnte eine diesbezügliche dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz nur vorgenommen werden, wenn diese Einordnung für sämtliche spezielleren, prozessualen Grundrechte ausscheidet. Zudem weist diese Auffangfunktion des Rechts auf ein faires Verfahren eine weitere Schwäche dahingehend auf, dass das Recht auf Beweis mittels dieser dogmatischen Konstruktion nur sehr wenig an Kontur und Inhalt gewinnen und daher der eigentliche Sinn und Zweck einer dogmatischen Einordnung verfehlt würde. Somit erscheint das Recht auf ein faires Verfahren nach hier vertretener Ansicht nicht als geeignete dogmatische Grundlage für ein Recht auf Beweis, sondern vielmehr als eine Ergänzung desselben für spezielle Einzelfälle und eine etwaig notwendige Harmonisierung mit den europäischen Grundrechtsordnungen.67 b) Die Unterschiede zum Recht auf rechtliches Gehör Das Recht auf rechtliches Gehör in Art. 103 I GG erscheint demgegenüber als eine sehr viel naheliegendere dogmatische Grundlage des Rechts auf Beweis. Eine solche Verortung des Rechts auf Beweis wird von Teilen der Literatur vertreten und auch das Bundesverfassungsgericht leitet aus Art. 103 I GG Garantien für das Beweisrecht ab.68 Als dogmatische Grundlage des Rechts auf Beweis kommt Art. 103 I GG indes nur in Betracht, wenn sich das hier in Rede stehende Recht auf Beweis 66 Vgl. bereits BVerfGE 52, S. 131, 145; seitdem st. Rspr., siehe etwa BVerfGE 106, S. 28, 48; BVerfGE 117, S. 202, 240. 67 Vgl. zu dieser Harmonisierungsfunktion Dörr, faires Verfahren, S. 16 ff., der explizit den Inhalt des Rechts auf ein faire Verfahren nach nationalem Recht aus einem Rückgriff auf Art. 6 I EMRK gewinnen möchte; in diese Richtung äußert sich auch Sachs-Degenhart, GG, Art. 103 Rn. 6 f. und 42 ff. unter Verweis auf BVerfGE 74 S. 358, 370. 68 Für eine Herleitung aus Art. 103 I GG sprechen sich Waldner, rechtliches Gehör, S. 28 ff.; Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 47 ff. und Frohn, richterliche Entscheidung, S. 87 f. aus; wohl auch Fink, Verwertbarkeit im Zivilprozess, S. 76 f.; ebenfalls eher indirekt in diese Richtung Mauder, Anspruch auf rechtliches Gehör, S. 49 f.; vgl. aus der Rechtsprechung zu den beweisrechtlichen Garantien des Art. 103 I GG etwa BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfGE 79, S. 51, 61 f.; BVerfG NJW 2003, S. 125, 127; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586.
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iSe umfassenden Rechts auf effektiven Rechtsnachweis der Parteien des Zivilprozesses in seinen sämtlichen Gewährleistungsgehalten von beweisrechtlichen Grundsätzen, über den Beweisantrag, eine Erhebung und Würdigung beantragter Beweismittel bis hin zur Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen in eben diesem Recht auf rechtliches Gehör iSd Art. 103 I GG verorten lässt: Dabei dürfte ein Recht der Parteien zur Stellung von Beweisanträgen wohl unproblematisch durch das Recht auf Äußerung im Rahmen des Art. 103 I GG gewährleistet werden.69 Diffiziler erscheint jedoch bereits die Frage nach einem Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel. Zwar gewährleistet Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO nach dem Bundesverfassungsgericht die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge durch das erkennende Gericht.70 Doch wird das Merkmal der „Berücksichtigung“ iSd Art. 103 I GG durch das Verfassungsgericht grundsätzlich dahingehend ausgelegt, dass lediglich eine Verpflichtung zur Kenntnisnahme und Erwägung besteht.71 Allerdings lässt sich in einer weiten Auslegung dieser Verpflichtung zur Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge auch ein Recht der Prozessparteien auf Erhebung ihrer beantragten Beweismittel in Art. 103 I GG verorten.72 Demgegenüber gewährleistet Art. 103 I GG das rechtliche Gehör allein in einem bereits anhängigen Zivilprozess, so dass die Herleitung jeglicher Gewährleistungen des Rechts auf Beweis im Vorfeld des eigentlichen Zivilprozesses – etwa im Hinblick auf eine Beweissicherung – nach dem derzeitigen dogmatischen Verständnis des Art. 103 I GG kaum in Betracht käme.73 Weitergehend wäre auch eine Herleitung von monetären Gewährleistungen des Rechts auf Beweis, wie etwa verhältnismäßigen Kosten eines Beweisverfahrens, bereits begrifflich nur schwer unter das Recht auf rechtliches Gehör zu subsumieren und nach geltendem, dogmatischem Verständnis des Art. 103 I GG kaum zu begründen.74 Eine ähnliche Problematik ergibt sich für die Herleitung von beweisrechtlichen Grundsätzen im Hinblick auf Art. 103 I GG. So hat das Bundesverfassungsgericht explizit ausgesprochen, 69
Vgl. beispielsweise BVerfGE 54, S. 86, 91 f.; BVerfGE 67, S. 154, 155 jeweils mwN. Vgl. wiederum etwa BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; BVerfGE 60, S. 247, 249; BVerfGE 65, S. 305, 307; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; BVerfG-K 12, S. 346, 350 f. jeweils mwN. 71 Siehe etwa BVerfGE 11, S. 218, 220; BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586. 72 Ausführlich zu dieser Fragestellung unten § 7 V. 1. a. bb. (1). 73 Eine Fundierung des Rechts auf Beweis in Art. 103 I GG aus diesen Gründen ablehnend insbesondere Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 63 ff. mwN; zu den Grenzen des Art. 103 I GG iSe Gehörsgewährung „vor Gericht“ siehe etwa BVerfGE 36, S. 321, 330; instruktiv auch BVerfGE 101, S. 397, 404 f.; aus der Literatur v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 16 ff. und Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 16 ff. jeweils mwN. 74 Vielmehr werden monetäre Fragen des Zuganges zu Gericht durch Rechtsprechung und Literatur unter den Justizgewährungsanspruch und den Grundsatz prozessualer Waffengleichheit subsumiert, siehe § 7 III. 4. a. 70
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
Art. 103 I GG umfasse weder das Recht auf ein bestimmtes Beweismittel noch das Recht auf bestimmte Arten von Beweismitteln.75 Ausgehend von dieser Prämisse hat das Verfassungsgericht eine Herleitung des Grundsatzes der formellen Beweis unmittelbarkeit aus Art. 103 I GG ausdrücklich abgelehnt.76 Somit würde bereits die Herleitung von elementaren beweisrechtlichen Grundsätzen eine gänzliche Neuausrichtung des bestehenden, dogmatischen Systems des Art. 103 I GG voraussetzen. Allein diese Überlegungen zu einigen grundlegenden Gewährleistungsgehalten des Rechts auf Beweis nach seinem in dieser Arbeit entwickelten und vertretenen Verständnis als einem Recht auf effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess zeigt deutlich auf, dass Art. 103 I GG in seiner Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur keine geeignete Grundlage für eine Vielzahl dieser Gewährleistungen darstellt. Nach seinem Verständnis durch Rechtsprechung und Literatur gewährleistet das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG den Parteien des Zivilprozesses letztlich eher ein bestimmtes Prozedere in Form von Information, anschließender Stellungnahme auf Grundlage dieser Information und eine bestimmte Befassung des erkennenden Gerichts mit einer solchen Stellungnahme der Parteien. Dieses Verständnis des Art. 103 I GG ist historisch gewachsen und erscheint auch nach hier vertretener Auffassung in sich durchaus konsistent. Hieraus folgt jedoch zugleich, dass Art. 103 I GG sich gerade nicht als hinreichende, dogmatische Grundlage für das Recht auf Beweis im Grundgesetz darstellt. c) Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruch Somit verbleibt als denkbare dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz allein der Justizgewährungsanspruch. aa) Die Herleitung aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip In seiner Existenz nach dem deutschen Grundgesetz ist ein solcher Anspruch nach heute wohl allgemeiner Meinung zwingend.77 Dabei finden sich bereits im Rahmen dieser Argumentation deutliche Parallelen zu Überlegungen dieser Arbeit über die zwingende Existenz eines Rechts auf Beweis im Grundgesetz.78 Ausgangspunkt ist auch im Rahmen des Nachweises eines Justizgewährungspunktes die Überlegung, 75 Vgl. bereits BVerfGE 1, S. 418, 429; ausdrücklich BVerfGE 57, S. 250, 273 ff.; bestätigt in BVerfGE 63, S. 45, 60; BVerfG NJW 1996, S. 3145, 3146; BVerfG NJW 1998, S. 1939. 76 In diesem Sinne bereits BVerfGE 1, S. 418, 429; ebenso in neuerer Zeit BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244. 77 Vgl. aus der Rechtsprechung etwa BVerfGE 107, S. 395, 402 ff. mwN; aus der Literatur siehe bereits Walter, freie Beweiswürdigung, S. 297 und Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff. jeweils mwN; in neuerer Zeit, Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 f. und Stern, StaatsR I, S. 838 ff. 78 Ausführlich § 4 I.
§ 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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dass das staatliche Gewaltmonopol einen zentralen Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips darstellt. Der Staat verbietet in weiten Teilen die Selbsthilfe iSe privaten Rechtsdurchsetzung, so dass Begriffe wie das „Recht“ des Stärkeren oder das Fehdewesen glücklicherweise allein rechtshistorische Bedeutung haben.79 Insbesondere ihre staatliche Monopolisierung ermöglicht eine Rechtsdurchsetzung, die weitestgehend unabhängig von der körperlichen oder wirtschaftlichen Stärke der Parteien ist und gleichsam die Herstellung eines dem materiellen Recht entsprechenden Zustandes fördert und so den Zusammenhang zwischen Gewaltmonopol und Rechtstaatsprinzip deutlich aufzeigt.80 Wenn der Staat nun aber die eigenmächtige Rechtsdurchsetzung verbietet, so muss er seinen Bürgerinnen und Bürgern zugleich einen alternativen Weg der Durchsetzung privater Rechte aufzeigen und denselben auch gewährleisten. Dieser Zusammenhang stellt die zentrale Argumentationslinie für die zwingende Existenz eines Justizgewährungsanspruches nach dem Grundgesetz dar.81 Diese Argumentationslinie zugunsten der Existenz des Justizgewährungsanspruches im Grundgesetz gibt ihrerseits deutliche Hinweise auf seine dogmatische Herleitung. Das Bundesverfassungsgericht hat den Justizgewährungsanspruch rechtsschöpferisch aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) hergeleitet.82 Ausgehend von der Argumentation zu seiner Begründung erscheint diese Herleitung aus den beiden Stützpfeilern „Grundrechte“ und „Rechtsstaatsprinzip“ auch nach hier vertretener Auffassung ebenso naheliegend wie überzeugend: Das staatliche Gewaltmonopol ermöglicht eine formalisierte Rechtsdurchsetzung, die sich am geltenden Recht und nicht externen Faktoren, wie etwa der körperlichen oder wirtschaftlichen Stärke der Parteien orientiert. Durch eben diese Ermöglichung einer friedlichen Rechtsdurchsetzung für alle Rechtsinhaber gleichermaßen stellt sich das staatliche Gewaltmonopol als wesentlicher Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips dar. Der Justizgewährungsanspruch ist seines Zeichens die zwingende Konsequenz dieses staatlichen Gewaltmonopols iSe Monopolisierung der Rechtsdurchsetzung durch den Staat. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet richtigerweise ein Recht auf effektive Durchsetzung eigener Rechte in dem staatlich geschaffenen, formalisierten Durchsetzungsverfahren in Form der Zivilgerichtsbarkeit und somit 79 Instruktiv zur Bedeutung des Gewaltmonopols im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip BVerfGE 54, S. 277, 291 ff.; BVerfGE 81, S. 347, 356 und BVerfGE 85, S. 337, 346 ff.; zur Historie von Fehdewesen und Gewaltmonopol Hammer, DÖV, S. 613, 615 ff.; ein Beispielsfall zum spätmittelalterlichen Fehdewesen findet sich bei Andermann, FS Maurer, S. 273 ff. jeweils mwN. 80 Zu diesem Zusammenhang auch Hammer, DÖV 2000, S. 613, 617 mwN. 81 Diesen Argumentationsschritt entwickelnd insbesondere Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff.; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff. und Dütz, rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, §§ 17– 19 jeweils mwN. 82 Ausführlich BVerfGE 107, S. 395, 401 ff. mwN; st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 85, S. 337, 345 f.; BVerfGE 93, S. 99, 107; BVerfG-K 15, S. 127, 130.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
ein Recht auf effektiven Rechtsschutz.83 Diese dogmatische Einordnung des Justizgewährungsanspruches in das Rechtsstaatsprinzip erscheint überzeugend. Als zweiten Stützpfeiler des Justizgewährungsanspruches nennt das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte.84 Der Justizgewährungsanspruch gibt dem Einzelnen das Recht auf Zugang zur staatlichen Zivilgerichtsbarkeit. Damit gewährleistet der Justizgewährungsanspruch den Zugang zur grundsätzlich einzig legalen Form der Rechtsdurchsetzung.85 Vor diesem Hintergrund erscheint es zudem konsequent, dass der primäre Prozesszweck eines jeden Zivilprozesses überwiegend in der Durchsetzung privater Rechte gesehen wird.86 Unabhängig von einer Diskussion über Ursache und Wirkung im Verhältnis von Herleitung des Justizgewährungsanspruches und Prozesszwecklehre wird unter Einbeziehung beider Elemente deutlich, dass der Zivilprozess die Durchsetzung von Grundrechten ermöglicht und die Gewährleistung eines effektiven Zuganges zu demselben zugleich der Effektuierung des Grundrechtsschutzes dient: Die Grundrechte haben einen sehr klaren und weit überwiegenden materiell-rechtlichen Charakter. Sie geben dem Einzelnen Rechte gegenüber dem Staat, wie auch privaten Dritten. Doch diese Rechte sind dem Einzelnen nur dann von Nutzen, wenn er im eigentlich relevanten Streitfalle die Möglichkeit hat, diese Rechte notfalls auch zwangsweise durchzusetzen. Hieran zeigt sich, dass die Grundrechte eben nicht nur materielle Abwehr- oder Leistungsrechte sind, sondern stets auch einen prozessualen Gehalt haben. Ein Recht hat ohne die Möglichkeit seiner zwangsweisen Durchsetzung allenfalls einen symbolischen Wert. Der Justizgewährungsanspruch enthält eben diese Gewährleistung einer effektiven, zwangsweisen Durchsetzung der (Grund-) Rechte des Einzelnen im Streitfalle. Der Justizgewährungsanspruch ermöglicht hiernach überhaupt erst einen effektiven Grundrechtsschutz. Anhand dieser Überlegungen zeigt sich sehr deutlich, dass die dogmatische Fundierung des Justizgewährungsanspruches in den Grundrechten als konsequent und richtig anzusehen ist. bb) Der Justizgewährungsanspruch als ein Recht auf effektiven Rechtsschutz Diese Herleitung des Justizgewährungsanspruches gibt nun ihrerseits deutliche Hinweise auf seinen Gewährleistungsgehalt. In seiner ursprünglichen Konzeption sollte der Justizgewährungsanspruch das geschriebene Recht auf Zugang zu gerichtlichem 83 Vgl. zur Herleitung der Rechtsschutzgewährleistung aus dem Rechtsstaatsprinzip bereits BVerfGE 54, S. 277, 291 ff.; instruktiv auch BVerfGE 101, S. 275, 294 f. und BVerfGE 107, S. 395, 401 ff.; ausführlich auch Sobota, das Prinzip Rechtsstaat, S. 188 ff. und Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 84 Vgl. etwa BVerfGE 93, S. 99, 107 und BVerfGE 107, S. 395, 401 ff. 85 Ausführlich zum Inhalt des Justizgewährungsanspruches BVerfGE 107, S. 395, 401 ff. 86 Für die herrschende Meinung siehe Stein/Jonas-Brehm, ZPO I, Einleitung vor § 1, Rn. 9 ff.; MüKo-Rauscher, Einleitung, Rn. 8 ff.; Musielak-Musielak, Einleitung, Rn. 5; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, S. 2 f.
§ 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt in Art. 19 IV GG um eine allgemeine Gewährleistung des Zugangs zu Gericht für privatrechtliche Streitigkeiten erweitern.87 Doch bereits in dieser Entwicklungsphase des Justizgewährungsanspruches aus dem Grundgesetz wurde in Rechtsprechung und Literatur richtigerweise deutlich gemacht, dass ein bloß formales Zugangsrecht keine hinreichende Legitimation des staatlichen Gewaltmonopoles und seines Verweises auf diesen formalisierten Weg der Rechtsdurchsetzung ermöglicht. Vielmehr wurde der Justizgewährungsanspruch bereits frühzeitig in seinem Gewährleistungsgehalt um weitere Gewährleistungen in Bezug auf den jeweiligen Zivilprozess erweitert.88 So hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Justizgewährungsanspruch berechtigterweise das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit, das Recht auf eine verbindliche gerichtliche Entscheidung über den vorgebrachten Sachverhalt und das Recht auf eine umfassende tatsächliche und rechtliche Erforschung des Sachverhaltes hergeleitet.89 Diese Gewährleistungen lassen sich im Recht auf effektiven Rechtsschutz als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches zusammenfassen.90 Der Justizgewährungsanspruch wurde mithin in seinem Gewährleitungsgehalt frühzeitig vom Ziele der Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes her gedacht. Dieser Grundgedanke überzeugt auch nach hier vertretener Ansicht im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Justizgewährungsanspruches. Zugleich ermöglicht eine solche ergebnisorientierte Inhaltsbestimmung des Rechts auf effektivem Rechtsschutz die Herleitung einer Vielzahl an Gewährleistungsgehalten, die einen ebensolchen, effektiven Rechtsschutz im Zivilprozess überhaupt erst ermöglichen. Aufgrund dieser am Ergebnis der Effektivität des Rechtsschutzes orientierten Inhaltsbestimmung ergeben sich im Hinblick auf etwaige Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis – anders als im Rahmen des Art. 103 I GG – für das Recht auf effektiven Rechtsschutz nach hier vertretener Auffassung keine Bedenken. cc) Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Rechts auf effektiven Rechtsschutz Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen zu Historie, dogmatischer Herleitung und Inhalt des Justizgewährungsanspruches lässt sich nun der entscheidende Schritt zur Historie des Justizgewährungsanspruches Sobota, das Prinzip Rechtsstaat, S. 188 ff.; siehe auch Isensee/Kirchhof-Papier, HStR Bd. VIII, § 176 Rn. 1 und 5 ff. und Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff.; jeweils mwN. 88 Vgl. bereits Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff.; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 42 ff.; Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f. ähnlich auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 1 ff. jeweils mwN. 89 Dies Formulierung findet sich bereits in der Entscheidung BVerfGE 54, S. 277, 291; seitdem st. Rspr., vgl. BVerfGE 84, S. 366, 369; BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfGE 101, S. 275, 294 f.; BVerfGE 107, S. 395, 401 ff.; BVerfG NJW 1997, S. 311, 312. 90 Vgl. ausführlich zum Justizgewährungsanspruch und dem Recht auf effektiven Rechtsschutz BVerfGE 107, S. 395, 401 ff. 87 Ausführlich
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hin zu einer dogmatischen Fundierung des Rechts auf Beweis vollziehen. Der Justizgewährungsanspruch stellt die zwingende, grundgesetzliche Gewährleistung des Zuganges zur Zivilgerichtsbarkeit als nach dem staatlichen Gewaltmonopol einzigen, zulässigen Weg der Rechtsdurchsetzung dar. Zur Legitimierung dieser formalisierten Rechtsdurchsetzung und damit letztlich des staatlichen Gewaltmonopols selbst kann es jedoch nicht genügen, den bloßen Zugang des Einzelnen sicherzustellen. Vielmehr muss der so gewährte Rechtsschutz richtigerweise auch effektiv sein und eine Rechtsdurchsetzung des Einzelnen tatsächlich ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist nun die Bedeutung des Nachweises der Rechte für die Effektivität des Rechtsschutzes des Einzelnen im Zivilprozess zu bedenken. Wenn sich ein Gericht in seiner Entscheidung auf einen falschen, d. h. nicht der Wahrheit entsprechenden Sachverhalt stützt, so wird auch bei korrekter Normanwendung und rechtlicher Würdigung dieses Sachverhaltes am Ende dennoch stets eine materiell-rechtlich falsche Entscheidung stehen. Wenn das Gericht hiernach von einem falschen Sachverhalt ausgeht, so werden Grundrechtsbeeinträchtigungen durch die Beschreitung des Rechtsweges nicht behoben, sondern vielmehr weiter perpetuiert. Die Schaffung eines der Wahrheit entsprechenden Sachverhaltes ist nach dem Beibringungsgrundsatzes im Zivilprozess eine Aufgabe der Parteien und selbst im Falle eines Zivilprozesses mit Untersuchungsgrundsatz würden die Prozessparteien aufgrund der strukturellen Unkenntnis des entscheidenden Gerichts über den Sachverhalt stets das Risiko der Nichterweislichkeit eigener Rechte tragen.91 Dieser Nachweis der eigenen Rechte vor Gericht ist die Grundbedingung für eine positive gerichtliche Entscheidung über die eigenen Rechte und sodann für die Durchsetzung dieser Rechte durch die staatlichen Organe. Wenn nun aber die Pflicht zum Nachweis der eigenen Rechte bei den Parteien liegt, so muss ihnen vor Gericht auch die Möglichkeit, sprich, das Recht auf Beweis an die Hand gegeben werden. Diese Argumentation führte bereits zur Annahme der zwingenden Existenz eines Rechts auf Beweis und determiniert nun auch seine dogmatische Einordnung. Der grundgesetzlich garantierte Rechtsschutz kann hiernach denknotwendig nur dann ein effektiver Rechtsschutz sein, wenn die Parteien das Recht haben, ihre durchzusetzenden Rechte auch im Prozess nachzuweisen.92 Das Recht auf Beweis iSe umfassenden Rechts auf effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess weist somit einen sehr engen Zusammenhang zum Justizgewährungsanspruch iSe Rechts auf effektiven Rechtsschutz auf. Doch auch losgelöst von den konkreten 91 Vgl. zum Beibringungsgrundsatz und seiner Geltung im Zivilprozess Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, S. 396 ff.; MüKo-Rauscher, ZPO I, Einleitung, Rn. 306 ff.; Musielak-Musielak, ZPO, Einleitung, Rn. 37 ff.; ausführlich zum Recht auf Beweis in einem Prozess unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff. 92 In diesem Sinne formuliert Stürner, Aufklärungspflicht, S. 42 f. die Garantie der Wahrheitsprüfung vor Gericht; ähnlich Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff. und Dütz, Rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, S. 118 ff.
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Begrifflichkeiten des Justizgewährungsanspruches und des Rechts auf effektiven Rechtsschutz, erscheint eine Fundierung des Rechts auf Beweis in den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) als sachgerechte und konse quente Lösung: So zeigt sich auch für das Recht auf Beweis eine enge Verbindung zum Rechtsstaatsprinzip. Das Rechtsstaatsprinzip fordert sowohl das staatliche Gewaltmonopol iSe friedlichen, gleichen Rechtsdurchsetzung für alle Grundrechtsberechtigten, als auch in der Konsequenz den zwingenden und effektiven Zugang zu einer formalisierte Art der Rechtsdurchsetzung als Alternative zur rein privaten Durchsetzung von Rechten, namentlich in Form des Justizgewährungsanspruches. Im Rahmen dieser formalisierten Rechtsdurchsetzung müssen die Parteien ihre Rechte nachweisen und somit auch die Möglichkeit dazu erhalten. Mithin ist nicht allein der Justizgewährungsanspruch, sondern auch ganz konkret ein Recht auf Beweis zwingender Ausfluss und somit Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips. Die Verbindung des Rechts auf Beweis zu den Grundrechten insgesamt erscheint gleichfalls sehr eng. Dabei lässt sich die Argumentation zur Herleitung des Justizgewährungsanspruches aus den Grundrechten auch für das Recht auf Beweis fruchtbar machen: Die Gewährleistung ihrer Durchsetzbarkeit im Streitfalle stellt die prozessuale Seite der Grundrechte dar und ermöglicht erst einen effektiven Grundrechtsschutz.93 Wenn nun aber Rechte ohne die Möglichkeit ihrer Durchsetzbarkeit keinen Wert für den Einzelnen innehaben, so wird auch die Bedeutung eines Rechts auf effektiven Nachweis dieser Rechte im Prozess deutlich: Im Rahmen jedes denkbaren Prozesses ist der Nachweis der eigenen Rechte erforderlich. Es ist gerade das Wesensmerkmal des formalisierten Weges der Rechtsdurchsetzung, dass der Staat in Form des erkennenden Gerichts in den betreffenden Sachverhalt als neutraler Entscheider nicht involviert war und dementsprechend auch keine persönliche Kenntnis dieses Sachverhaltes hat. Das staatliche Gericht ist hiernach naturgemäß in Unkenntnis des Sachverhaltes, so dass die Gewährleistung einer effektiven Nachweismöglichkeit der entscheidende Baustein zur Effektuierung des Grundrechtsschutzes innerhalb des Prozesses darstellt. Allein durch ihren Nachweis im Prozess lassen sich die materiellen Grundrechte des einzelnen Berechtigten in der Praxis durchsetzen. Somit erscheint die Herleitung des Rechts auf Beweis aus den materiellen Grundrechten ebenso stimmig und konsequent. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht als wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Justizgewährungsanspruches in seiner Form als Recht auf effektiven Rechtsschutz erscheint und auch die damit einhergehende dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) eine sachgerechte und diese Richtung bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 39 ff.; ähnlich auch Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f. jeweils mwN. 93 In
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dogmatische überzeugende Einordnung in das System der prozessualen Grundrechte darstellt.
III. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der EMRK Die justiziellen Grundrechtsgewährleistungen der EMRK sind in erster Linie in Art. 6 EMRK normiert. Als eine weitere, mögliche Quelle eines Rechts auf Beweis könnte zudem das Recht auf eine wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK in Betracht kommen.
1. Das Recht auf eine wirksame Beschwerde in Art. 13 EMRK Dieser Artikel gewährleistet jedem Menschen im Falle eines Konventionsverstoßes das Recht auf eine wirksame Beschwerde. Diese Garantie ist somit akzessorisch zu den materiellen Garantien der EMRK.94 Sie dient dem Ziel, eben diese materiellen Gewährleistungen durch die Eröffnung eines Rechtweges möglichst effektiv zur Geltung zu bringen.95 Für diese Untersuchung ist indes besonders interessant, dass nach dem Wortlaut des Art. 13 EMRK nicht allein die Möglichkeit einer Beschwerde garantiert wird, sondern auch die Wirksamkeit derselben. Mithin trifft diese Gewährleistung nicht allein eine Aussage über das „Ob“ einer Beschwerde, vielmehr umfasst sie auch das „Wie“ der Beschwerde.96 Somit könnte man überlegen, ge wisse beweisrechtliche Mindeststandards im Prozess als Ausgestaltung einer „wirksamen“ Beschwerde iSd Art. 13 EMRK anzusehen und aus dieser Norm herzuleiten. Als entsprechende Fallkonstellation könnte eine zivilrechtliche Schadensersatzklage wegen Beschädigung einer Sache und damit des Konventionsrechts auf Eigentum dienen. Indes hat der EGMR für derartige Fälle „zivilrechtlicher Ansprüche“ entschieden, dass Art. 6 EMRK mit seinen Garantien lex specialis sein soll.97 Diese Rechtsprechung erscheint mit Blick auf das aus Art. 6 I EMRK abgeleitete Recht auf Zugang zum Gericht auch durchaus konsequent.98 Etwas anderes soll nur gelten, wenn Art. 6 I EMRK selbst verletzt ist – etwa im Falle einer unangemessen langen Vgl. Frowein/Peukert-Frowein, EMRK, Art. 13 Rn. 1; ebenso Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 187 ff. 95 Vgl. wiederum Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 187. mwN. 96 Ausführlich Dörr/Grote/Marauhn-Richter, EMRK/GG II, Kapitel 20 Rn. 33 ff.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 196 ff. 97 Vgl. EGMR, Urteil vom 24.10.1983, 5947/72, Silver and other ./. GB; bestätigt durch den EGMR, Urteil vom 26.10.2000, 30210/96, Kudla ./. PL = NJW 2001, S. 2694; ausführlich Dörr/ Grote/Marauhn-Richter, EMRK/GG II, Kapitel 20 Rn. 110 ff. 98 Zustimmend Frowein/Peukert-Frowein, Art. 13 Rn. 10; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Renger, EMRK, Art. 13 Rn. 40 ff. und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 189 ff. 94
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Dauer eines Gerichtsprozesses.99 Somit wäre Art. 13 EMRK bei der Herleitung eines wirksamen Rechtsbehelfes im Falle der Verletzung eines etwaigen Rechts auf Beweis aus der Konvention von Interesse. Eine dogmatische Herleitung des Rechts auf Beweis aus Art. 13 EMRK scheidet jedoch in Übereinstimmung mit dem EGMR richtigerweise aus.
2. Das Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK Die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis ist vielmehr in Art. 6 EMRK zu suchen. Art. 6 I EMRK gewährleistet den Parteien des Zivilprozesses das Recht auf ein faires Verfahren und stellt damit gleichsam die Grundnorm der prozessualen Gewährleistungen in der EMRK dar.100 Art. 6 III EMRK beinhaltet weitere Gewährleistungen für den Strafprozess, die als eine Konkretisierung des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK angesehen werden.101 Aus diesen normierten Konkretisierungen des Rechts auf ein faires Verfahren wird zudem der Schluss gezogen, dass sich aus Art. 6 I EMRK weitere, ungeschriebene Konkretisierungen dieses Rechts auf ein faires Verfahren ableiten lassen.102 So hat der EGMR auch für den Zivilprozess das Recht auf Zugang zu Gericht, das Recht auf rechtliches Gehör und den Grundsatz der Waffengleichheit als Teilgewährleistungsgehalte des Art. 6 I EMRK entwickelt.103 Zudem wurde durch den EGMR die weitergehende Anwendung einzelner Gewährleistungen des Art. 6 III EMRK auf den Zivilprozess postuliert.104 Diese genannten Teilgewährleistungsgehalte sind im Folgenden kurz auf ihren Inhalt hin zu untersuchen, um eine mögliche dogmatische Quelle des Rechts auf Beweis in der EMRK herauszuarbeiten.
99 So der EGMR, Urteil vom 26.10.2000, 30210/96, Kudla ./. PL = NJW 2001, S. 2694; zustimmend Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 189 ff. und Dörr/Grote/Marauhn-Richter, EMRK/ GG II, Kapitel 20 Rn. 115 ff. jeweils mwN. 100 Ausführlich Dörr/Grote/Marauhn-Richter, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 1 ff. und 93 ff.; zur Bedeutung des Art. 6 EMRK im europäischen Grundrechtssystem siehe auch Frowein/PeukertPeukert, EMRK, Art. 6 Rn. 1 ff. 101 Vgl. die Ausführungen des EGMR, Urteil vom 26.07.2002, 32911/96, Meftha and other ./. FRA; ebenso Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 278 ff. und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 112 jeweils mwN. 102 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 26.07.2002, 32911/96, Meftha and other ./. FRA; ausführlich zu diesen vom EGMR entwickelten Teilgewährleistungsgehalten des Art. 6 Dörr/Grote/ Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 37 ff. 103 Vgl. Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 37 ff.; ausführlich zu den einzelnen Garantien auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 112 ff. 104 So wird insbesondere Art. 6 III lit. d EMRK vom Gerichtshof analog im Zivilprozess angewendet, vgl. bereits EGMR, Urteil vom 10.02.1983, 7299/75, Albert u. le Compte ./. B = EuGRZ 1983, S. 190; bestätigt in EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL = NJW 1995, S. 1413; ebenso Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 629 ff. mwN.
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a) Das Recht auf Zugang zu Gericht Das Recht auf Zugang zu Gericht nach Art. 6 I EMRK enthält zum einen gewisse Organisationsgewährleistungen, die Anforderungen an das Justizsystem insgesamt stellen. Gerichte iSd Art. 6 I EMRK müssen unabhängig und objektiv, wie auch subjektiv unparteiisch sein, sowie über sämtliche erheblichen Tatsachen- und Rechtsfragen entscheiden können.105 Zum anderen wird dem Einzelnen durch Art. 6 I EMRK das Recht auf tatsächlichen und effektiven Zugang zu diesem Gericht und eine abschließende, gerichtliche Entscheidung gewährleistet.106 Das Recht auf Zugang zu Gericht enthält mithin in erster Linie Aussagen zu der Frage, „ob“ ein Gerichtsprozess stattfindet und weniger zu seiner konkreten Ausgestaltung. Dennoch könnte man bei einigen Entscheidungspassagen des EGMR zu diesem Grundrecht einen Zusammenhang zu einem Recht auf Beweis vermuten: So hat der EGMR mehrfach ausgesprochen, dass die unbegründete Ablehnung von Beweisanträgen unter Zugrundelegung rein hypothetischer Erwägungen im Zusammenhang mit dem Prozesskostenhilfeverfahren (PKH-Verfahren) das Recht auf Zugang zu Gericht nach Art. 6 I EMRK verletzt.107 Somit scheint der EGMR einen Zusammenhang zwischen dem Recht auf Zugang zu Gericht und der Ausgestaltung des Beweisrechts hergestellt zu haben. Entscheidend ist in dieser Rechtsprechung jedoch der Umstand, dass es sich um das Verfahren der PKH handelt. Dieses Verfahren ist dem eigentlichen Prozess – nicht notwendigerweise zeitlich, aber doch zumindest inhaltlich – insofern vorgelagert, als das erfolgreiche Bestreiten dieses PKH-Verfahrens erst die finanzielle Möglichkeit eines späteren Prozesses für den Betroffenen schafft. Mithin betrifft das PKH-Verfahren im Ganzen das Recht auf Zugang zu Gericht, also das „Ob“ des Prozesses. Damit betrifft aber auch die Ausgestaltung des PKH-Verfahrens insgesamt das „Ob“ des späteren Gerichtsprozesses und damit den Zugang zu Gericht. Daher erscheint die Rechtsprechung des EGMR zur beweisrechtlichen Ausgestaltung des PKH-Verfahrens und seine dogmatische Verortung durchaus konsequent. Festhalten lässt sich aber zugleich, dass diese Ausführungen keine Aussagen über die Ausgestaltung des späteren Gerichtsprozesses treffen und keine Rückschlüsse auf die Fundierung eines Rechts auf Beweis zulassen. Ein solches Recht auf Beweis könnte im Hinblick auf den Zugang zu Gericht allenfalls dann tangiert werden, wenn materielles Recht und Beweisrecht derart ausgestaltet wurden, dass der Betroffene keinen Zugang zu den für ihn wichtigen Be105 Ausführlich und mit Rechtsprechungsnachweisen zu diesen Dörr/Grote/Marauhn-Graben warter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 38 ff. 106 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. GB = EuGRZ 1975, S. 91; siehe auch Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 73 ff. und Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 45 ff. jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen. 107 So der im Fall EGMR, Urteil vom 26.07.2005, 73547/01, Jedamska ./. Poland, insb. Rn. 63 f.; ebenso Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 48 mwN.
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weismittel erlangen kann und einen Prozess infolgedessen aufgrund der schlechten Beweissituation und den damit einhergehenden, fehlenden Erfolgsaussichten ganz unterlässt.108 Indes handelt es sich bei derartigen Fällen um Extremfälle, in denen die beweisrechtliche Ausgestaltung des Prozesses Rückwirkungen auf die Frage des Zuganges zum Prozess insgesamt hat. Diese Fälle stellen jedoch nicht den Regelfall in einem Zivilprozess dar und sind aufgrund ihres Ausnahmecharakters kaum geeignet, die dogmatische Fundierung für eben diesen Regelfall zu leisten. b) Der Grundsatz der Waffengleichheit Einen weiteren, wesentlichen Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren bildet der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit.109 Es handelt sich um eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes.110 Hiernach sind die Parteien eines Prozesses grundsätzlich gleich zu behandeln.111 Diese sehr allgemeine Ausformung des Gleichheitssatzes wurde in neuer Zeit durch den EGMR dahingehend modifiziert, dass die Parteien unter Geltung des Grundsatzes der Waffengleichheit die Gelegenheit haben müssen, ihren Fall einschließlich ihrer Beweise zu präsentieren und zwar unter Bedingungen, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber ihrem Gegner darstellen.112 Dieser letzte Passus könnte dafür sprechen, dass der Grundsatz der Waffengleichheit auch einen materiellen Gewährleistungsgehalt für das Beweisrecht enthält. Allerdings gilt es bei diesen Überlegungen im Blick zu behalten, dass der Grundsatz der Waffengleichheit richtigerweise allgemein als Ausprägung des Gleichheitssatzes verstanden wird.113 Daraus folgt, dass dieser Grundsatz allein die Gewähr dafür bietet, dass die Parteien in jedem Stadium des Prozesses gleich behandelt werden. Darüber hinausgehende, inhaltliche Mindeststandards für das Beweisrecht lassen sich aus einem Gleichheitssatz jedoch gerade nicht ableiten. Vielmehr könnte man die beweisrechtlichen Befugnisse der Par108
In diese Richtung tendierend EGMR, Urteil vom 06.11.2009 – 32881/04, K.H. and others ./. Slovakia, Rn. 59 ff., der eine Verletzung von Art. 6 I EMRK in einem derartigen Fall bejaht. 109 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz Mateos ./. ESP = EuGRZ 1993, S. 453; ausführlich Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 596 f. und Pache, EuGRZ 2001, S. 601 ff. 110 Ausführlich zu dieser Einordnung Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 596 ff. mwN; ebenso Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 147 ff. 111 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 06.04.2006, 46917/99, Stankiewicz ./. PL., Z. 68 f.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 67 f. und Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-MeyerLadewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 106 f. jeweils mwN. 112 So der EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NED = NJW 1995, S. 1413; bestätigt etwa in EGMR, Urteil vom 23.10.1996, 17748/91, Ankerl ./. SUI; ebenso Gra benwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 67 f. und 73; zur Entwicklung des Grundsatzes der Waffen gleichheit siehe Ambos, ZStW 2005, S. 583, 592 ff. 113 Vgl. allein Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 596 ff. mit Nachweisen aus Rechtsprechung und Lehre.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
teien – allein unter Betrachtung des Grundsatzes der Waffengleichheit – wohl vollständig verweigern, solange diese Weigerung für beide Parteien gleichermaßen gilt.114 Ein Recht auf Beweis hat indes nach seiner Konzeption eben solche Mindestanforderungen an die Möglichkeiten eines effektiven Rechtsnachweises jeder einzelnen Prozesspartei zum Inhalt, so dass der Grundsatz der Waffengleichheit als dogmatisches Fundament gleichfalls ausscheidet. c) Die Konkretisierung des fairen Verfahrens in Art. 6 III lit. d EMRK Eine besondere Ausprägung des soeben diskutierten Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit findet sich in Art. 6 III lit. d EMRK.115 Seinem Wortlaut nach gilt diese Garantie ausschließlich für den Strafprozess, indes wendet der EGMR Art. 6 III lit. d EMRK in ständiger Rechtsprechung auch im Zivilprozess an.116 Inhaltlich wird durch Art. 6 III lit. d EMRK primär die Gleichbehandlung von Ankläger und Angeklagten in Bezug auf die Ladung und Beiziehung von Zeugen im Prozess sichergestellt. Besonders anschaulich wird dieser Aspekt im Fall Dombo Beheer B.V. v. NL: In diesem Zivilprozess wurde über den Inhalt eines Vier-Augen Gespräches zwischen der niederländischen Gesellschaft Dombo Beheer B.V. und ihrer Bank gestritten. Dabei wurde der im Gespräch anwesende, leitende Angestellte der Bank als Zeuge vernommen, der ebenfalls anwesende Geschäftsführer der Gesellschaft hingegen als mit der Gesellschaft zu sehr verbunden vom Zeugenbeweis ausgeschlossen. Hierin hat der EGMR eine Verletzung des Art. 6 III lit. d iVm Art. 6 I EMRK erblickt.117 Diese Gewährleistung des Art. 6 III lit. d EMRK wird durch den EGMR zudem auf den Beweis durch Sachverständige ausgeweitet.118 Im Hinblick auf die Fundierung eines Rechts auf Beweis könnte die Gewährleistung, bestimmte Beweismittel in einem Prozess einbringen zu dürfen, eine tragende Rolle spielen. Wenn eine solche Gewährleistung für das – praktisch sehr bedeutsame – Beweismittel des Zeugenbeweises gilt und durch die Rechtsprechung bereits auf den Sachverständigenbeweis ausgeweitet wurde, so ließe sich aus Art. 6 III lit. d EMRK möglicherweise ein allgemeiner Rechtsgedanke eines Rechts auf Beweis entwickeln. Allerdings gilt es 114 So geschehen im Fall EGMR, Urteil vom 03.06.2000, 35376/97, Krcmar u. a. ./. CZ, Rn. 39, in dem der EGMR eine Verletzung des Grundsatzes der Waffengleichheit mit dieser Argumentation ablehnt. 115 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 08.06.1976, 5100/71, Engel and others ./. NL = EuGRZ 1976, S. 221, 235; bestätigt in EGMR, Urteil vom 06.05.1985, 8658/79, Bönisch ./. AU; ausführlich auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 308 ff. mwN. 116 Vgl. EGMR, Urteil vom 10.02.1983, 7299/75, Albert u. le Compte ./. B = EuGRZ 1983, S. 190; bestätigt in EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL = NJW 1995, S. 1413; siehe auch Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 630 f. mwN. 117 So der EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL = NJW 1995, S. 1413. 118 So der EGMR, Urteil vom 04.11.2008, 72596/01, Balsyte-Lideikiene ./. LIT, Z. 63 f.; zustimmend Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 156 ff.
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zu bedenken, dass diese Gewährleistung des Art. 6 III lit. d EMRK sich ihrem Wortlaut im letzten Halbsatz nach allein auf den Grundsatz der Waffengleichheit bezieht.119 Der Kerngehalt dieser Gewährleistung liegt also in der Gleichbehandlung der Parteien des Zivilprozesses. Den Parteien wird somit wiederum kein von der Gegenpartei unabhängiges Mindestmaß an effektiven Nachweismöglichkeiten garantiert. Allerdings gewährleistet Art. 6 III lit. d EMRK in seinem ersten Halbsatz außerdem das Recht, Fragen an einen Zeugen stellen zu dürfen. Diese Gewährleistung wird von EGMR und Lehre gemeinhin als unabhängig vom entsprechenden Recht der anderen Partei angesehen.120 Somit enthält Art. 6 III lit. d EMRK neben seinem gleichheitsrechtlichen Gewährleistungsgehalt auch einen freiheitsrechtlichen Gewährleistungsgehalt in Form eines Fragerechts der Parteien an alle im Prozess vernommenen Zeugen. Dieses Recht gilt nach der Rechtsprechung nicht absolut, doch innerhalb gewisser Grenzen hat jede Partei unabhängig von der Gegenpartei einen Anspruch darauf, Fragen an jeden vernommenen Zeugen zu stellen.121 Indes wird das Recht auf Befragung von Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien zwar auch durch das Recht auf Beweis in der EMRK gewährleistet, doch handelt es sich hierbei nur um einen einzelnen, sehr speziellen Gewährleistungsgehalt. Für eine dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis iSe umfassenden Rechts auf effektiven Rechtsnachweis der Parteien des Zivilprozesses erscheint diese Spezialvorschrift demgegenüber nicht geeignet. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass Art. 6 III lit. d EMRK seinem Wortlaut nach nur für den Strafprozess gilt und es für den hier interessierenden Zivilprozess ohnehin eines Rückgriffes auf das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 I EMRK bedarf. Die Quintessenz des Art. 6 III lit. d EMRK für das Recht auf Beweis liegt vielmehr an anderer Stelle: Diese Norm zeigt deutlich auf, dass die EMRK sich der Bedeutung des Beweisrechts für ein fairen Verfahren bewusst ist und aus diesem Grund entsprechende beweisrechtliche Gewährleistungen und Mindeststandards vorsieht.122 Als eine alleinige dogmatische Basis für ein allgemeines Recht auf Beweis genügt Art. 6 III lit. d EMRK indes nicht. 119 Vgl. auch die verbindlichen englischen und französischen Sprachfassungen, die ebenfalls für eine derartige Auslegung sprechen, vgl. für die Auslegung dieses Artikels im englischsprachigen Rechtsraum Jacobs/White, Convention on Human Rights, S. 158 ff. 120 Vgl. zu diesem Teilaspekt des Art. 6 III lit. d EMRK, EGMR, Urteil vom 24.11.1986, 9120/80, Unterpertinger ./. AUT = EuGRZ 1987, S. 147; zum Sinn und Zweck dieses Fragerechts vgl. die Ausführungen des EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe u. Davis ./. GB; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 131 ff. 121 Vgl. zu diesem Recht und seinen Grenzen EGMR, Urteil vom 26.04.1991, 12398/86, Asch ./. AUT, Z. 26 ff.; eine ausführliche und kritische Betrachtung dieser Grenzen des Art. 6 III lit. d EMRK findet sich bei Demko, ZStrR 122 (2004), S. 416 ff.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 131 ff. 122 Diesen Aspekt aufgreifend und analysierend auch Kofmel, Recht auf Beweis, S. 36 ff.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
d) Das Recht auf rechtliches Gehör Ein weiterer zu diskutierender Teilgewährleistungsgehalt des Art. 6 I EMRK ist das Recht auf rechtliches Gehör. Es handelt sich um einen zentralen Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK.123 Das Recht auf rechtliches Gehör gewährleistet den Parteien des Zivilprozesses eine angemessene Möglichkeit zu einer Stellungnahme in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht.124 Die effektive Wahrnehmungsmöglichkeit dieser Gewährleistung verlangt zunächst gewisse Informations- und Hinweispflichten des Gerichts.125 Die Parteien haben das Recht auf Kenntnis vom Akteninhalt, insbesondere den Stellungnahmen und Beweisangeboten der gegnerischen Partei, um überhaupt eine Basis für die eigene Stellungnahme zum gegnerischen Vortrag zu erhalten.126 Im Falle einer Informationsasymmetrie zwischen den Parteien erhalten die Hinweispflichten des Gerichts besondere Bedeutung und das rechtliche Gehör ergänzt sich mit dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit.127 Besonders interessant für die Fundierung eines Rechts auf Beweis ist zudem, dass Gewährleistungen des rechtlichen Gehörs auch das Recht umfassen, Beweisanträge zu stellen und Beweise anzubieten.128 Außerdem fordert das Recht auf rechtliches Gehör als eine besondere Form der Möglichkeit zur Stellungnahme, dass jede Partei in jedem Stadium des Prozesses die Möglichkeit haben muss, die Authentizität und die Verwendung von Beweismitteln, die durch Bruch eines anderen Konventionsrechts erlangt wurden, in Frage zu stellen.129 Abschließend wird das erkennende Gericht durch das rechtliche Gehör verpflichtet, die Stellungnahmen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen, sie bei der Entscheidungsfindung hinreichend zu berücksichtigen und zu würdigen, sowie die Entscheidung 123 Vgl. die diesbezüglichen Ausführungen des EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. CH; ebenso Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 114 mwN; ähnlich Dörr/ Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 97 ff., die allerdings einen engeren Zusammenhang zum Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit betonen. 124 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 10.02.1983, 7299/75, Albert u. le Compte ./. B = EuGRZ 1983, S. 190,; ebenso Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 114 und Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 616 ff. jeweils mwN. 125 Vgl. bereits die Ausführungen des EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz Mateos ./. ESP = EuGRZ 1993, S. 453; ausführlich zu den Informationspflichten Dörr/Grote/Marauhn-Gra benwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 99 ff. mwN; zum Recht auf Akteneinsicht siehe Grabenwarter, Verfahrensgarantien, S. 616 f. 126 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz Mateos ./. ESP = EuGRZ 1993, S. 453; ebenso Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 99 ff. mwN. 127 So der EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz Mateos ./. ESP = EuGRZ 1993, S. 453, 457; zustimmend auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 72 f. 128 Vgl. EGMR, Urteil vom 10.02.1983, 7299/75, Albert u. le Compte ./. B = EuGRZ 1983, S. 190; siehe auch Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 98. 129 Vgl. EGMR, Urteil vom 12.05.2000, 35394/97, Khan ./. GB, Z. 38 ff.; siehe auch Graben warter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69 und 73 mwN.
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entsprechend zu begründen.130 Zusammenfassend beinhaltet das Recht auf rechtliches Gehör nach der Rechtsprechung des EGMR einen ähnlichen Gewährleistungsgehalt wie Art. 103 I GG nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes.131
3. Eigene Ansicht: Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK Die vorangegangene Untersuchung hat eine Reihe möglicher dogmatischer Fundierungen eines Rechts auf Beweis in der EMRK identifiziert. Im Ergebnis hat einzig das Recht auf rechtliches Gehör als Teilgewährleistungsgehalt des Art. 6 I ERMK eine signifikante Übereinstimmung mit dem hier gedachten Recht auf Beweis iSe umfassenden Rechts auf effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess offenbart. So kann sich aus dem Recht auf Stellungnahme ohne weiteres ein Recht auf Stellung von Beweisanträgen herleiten lassen. Auch die Subsumtion eines Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel unter das Recht auf Berücksichtigung erscheint zumindest vertretbar.132 Indes wurde bereits herausgearbeitet, dass sich die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs in der Rechtsprechung des EGMR sehr stark an einem Gehörsrecht nach deutschem Verständnis orientiert.133 Unter Zugrundelegung dieses Verständnisses erscheint jedoch eine Herleitung vorprozessualer Gewährleistungen, wie beispielsweise der Beweissicherung problematisch. Auch monetäre Aspekte eines Beweisverfahrens – etwa die Verhältnismäßigkeit der Kostentragungspflicht – lassen sich nur schwerlich unter das Recht auf rechtliches Gehör subsumieren und werden auch durch den EGMR seinerseits in anderen Teilgewährleistungsgehalten des Rechts auf ein faires Verfahren verortet.134 Daher lassen sich wesentliche Gewährleistungen des hier gedachten Rechts auf Beweis in der EMRK nicht aus dem Recht auf rechtliches Gehör in seinem derzeitigen dogmatischen Verständnis herleiten. Die dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis würde daher eine Neuorientierung des rechtlichen Gehörs von der Gewährleistung eines be130 Vgl. zu diesem Recht und seinen Grenzen im Einzelfall EGMR, Urteil vom 09.12.1994, 18064/91, Hiro Balani ./. ESP, Z. 27 ff.; ebenso Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/ GG I, Kapitel 14, Rn. 103 mwN. 131 So auch Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14, 93 ff. mit einem ausführlichen Vergleich der jeweiligen Gewährleistungsgehalte von Art. 6 EMRK und Art. 103 I GG; instruktiv zum Inhalt des Rechts auf rechtliches Gehör iSd Art. 6 I EMRK auch Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 96 ff. jeweils mwN aus der Rechtsprechung. 132 Ausführlich zur parallelen Fragestellung des Umfanges der Berücksichtigungspflicht des Art. 103 I GG bereits unter II. 3. b. 133 Vgl. wiederum Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14, 97 ff. 134 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 20 ff.; ausführlich unten § 7 III. 4. b.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
stimmten Prozederes hin zu weitergehenden Gewährleistungen im Zivilprozess voraussetzen.135 Eine solche Veränderung der bestehenden Dogmatik des Rechts auf rechtliches Gehör iSd Art. 6 I EMRK wäre zwar denkbar, erscheint aber nach hier vertretener Ansicht kaum sinnvoll und letztlich auch nicht erforderlich: Vielmehr ermöglicht das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK eine nicht abschließende Definition weiterer Teilgewährleistungsgehalte, so dass eine eigenständige, dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis ermöglicht wird. Dieser Befund lässt sich stützten durch die bestehende Rechtsprechung des EGMR zu beweisrechtlichen Gewährleistungen aus Art. 6 I EMRK. Das Recht auf ein faires Verfahren stellt die zentrale prozessuale Gewährleistung der EMRK dar und ist an den Gedanken des due process of law aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum angelehnt.136 Neben den ausdrücklich normierten Konkretisierungen dieses Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 II und III EMRK, hat der EGMR zahlreiche ungeschriebene Teilgewährleistungsgehalte zur weiteren Konkretisierung desselben entwickelt.137 Der allgemeinen Gewährleistung eines fairen Verfahrens in Art. 6 I EMRK kommt insoweit die Funktion eines Auffangtatbestandes zu, welche vom EGMR regelmäßig angewendet wird, sobald eine Fallkonstellation von keiner geschriebenen oder ungeschriebenen Konkretisierung in Art. 6 I-III EMRK erfasst ist.138 Der EGMR prüft im Rahmen von Art. 6 I EMRK, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles einschließlich einer möglichen Heilung im Rechtsmittelverfahren fair war.139 Im Rahmen des beweisrechtlichen Gewährleistungsgehaltes der EMRK kommt dem Recht auf ein faires Verfahren eine besondere Bedeutung zu. In Entscheidungen mit einem beweisrechtlichen Bezug betont der EGMR zu Beginn seiner Ausführungen stets die Grenzen der eigenen Prüfungskompetenz: Die Entscheidung über die Zulässigkeit oder die Würdigung von Beweisen sei in erster Linie Sache des innerstaatlichen Rechts.140 Allerdings prüft der EGMR im Anschluss an diese Feststellung, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich des Beweisrechts, den Anforderun135 Ausführlich
zur vergleichbaren Problematik im deutschen Verfassungsrecht, unten IV. 3. b. zu diesem Einfluss auf die EMRK und der weiteren Entwicklung in den Mitgliedsstaaten, Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/ GG I, Kapitel 14 Rn. 8 ff.; ebenso Schilling, Menschenrechtsschutz, S. 219; zum Begriff des due process of law siehe auch § 3 II. 1. 137 Vgl. zu den einzelnen Teilgewährleistungsgehalten Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 66 ff. und Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 112 ff. jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 138 Vgl. etwa die Ausführungen des EGMR, Urteil vom 26.07.2002, 32911/96, Meftha and others ./. F, Z. 40 ff.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 66 jeweils mwN. 139 Vgl. insbesondere zum Beweisrechts EGMR, Urteil vom 22.11.2001, 39799/98, Volkmer ./. GER = NJW 2002, S. 3087; siehe auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 112 ff. mwN. 140 Vgl. bereits EGMR, Urteil, 12.07.1988, 10862/84, Schenk ./. CH = EuGRZ 1988, S. 390, 394 f.; bestätigt in EGMR, Urteil vom 21.01.1999, 30544/96, Garcia Ruiz ./. ESP = EuGRZ 1999, S. 10; siehe auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165 f. und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69 jeweils mwN. 136 Ausführlich
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gen der Verfahrensfairness aus Art. 6 I EMRK genüge getan hat.141 Darüber hinaus leitet der EGMR aus Art. 6 I EMRK die Verpflichtung der nationalen Gerichte ab, den Vortrag der Parteien, ihre Argumente und ihre Beweismittel sorgfältig zu prüfen, unbeschadet der Frage der Entscheidungserheblichkeit.142 Mithin führt der EGMR durch diese allgemeine Prüfung anhand von Art. 6 I EMRK letztlich eine Überprüfbarkeit des Beweisrechts „durch die Hintertür“ ein. Es zeigt sich somit, dass auch der EGMR sich der Bedeutung des Beweisrechts für das Prozessrecht insgesamt durchaus bewusst ist und dieser Bereich für den Gerichtshof keinen „EMRK-freien“ Raum darstellt, der jeder Nachprüfung trotzt, sondern vielmehr durch den EGMR im allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 I EMRK verortet wird.143 Die dogmatische Basis des Rechts auf Beweis ist auch nach hier vertretener Ansicht in Art. 6 I EMRK zu suchen. Allerdings kann es für die Herausarbeitung des Rechts auf Beweis gerade nicht bei der durch den EGMR favorisierten, allgemeinen Überprüfung der Verfahrensfairness verbleiben. Problematisch erscheint insbesondere die in der Natur dieses Ansatzes liegende Einzelfallbezogenheit, welche die Herausarbeitung einer Dogmatik der beweisrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 I EMRK, wie auch ihre Systematisierung insgesamt erschwert.144 Der Prüfungsmaßstab ist sehr allgemein gehalten und führt zu einer starken Abhängigkeit der Entscheidungen vom jeweiligen Einzelfall. Somit wird der Sinn einer dogmatischen Einordnung iSd Verankerung in einem bestehenden System aus Regelungen zum Zwecke Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung und der Rechtssicherheit tendenziell verfehlt. Daher ist das Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht als ein eigener Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK anzusehen.145 Diese Eigenständigkeit des Rechts auf Beweis innerhalb von Art. 6 I EMRK ermöglicht es, dieses Recht zu konkretisieren und einen dogmatisch 141 Aus der aktuelleren Rechtsprechung EGMR, Urteil vom 12.06.2003, 35968/97 – van Kück ./. GER = EGMR NJW 2004, S. 2505; zu den Mindestanforderungen im Strafprozess Marauhn-Es ser, Beweisrecht, S. 39 ff.; vgl. auch Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 107. 142 So EGMR, Urteil vom 12.06.2003, 35968/97 – van Kück ./. GER = EGMR NJW 2004, S. 2505. 143 Für den Strafprozess zu diesem Befund kommend Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 319 ff. mwN. 144 Ausführlich zur allgemeinen Kritik an der Einzelfallbezogenheit der Entscheidungen des EGMR, Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 146 ff. mwN. 145 Für eine Fundierung des Rechts auf Beweis in Art. 6 I EMRK auch Brinkmann, AcP 206 (2006), S. 746, 748 f.; Heß/Müller ZZPInt 6 (2001), S. 149, 170 f. und Vorwerk, FS-Krämer, S. 551, 557 ff.; in diese Richtung tendiert auch Kofmel, Recht auf Beweis, S. 43, wenngleich ein anderer Ansatz gewählt wird und die beweisrechtlichen Garantien der einzelnen Teilgewährleistungsgehalte des Art. 6 I EMRK zu einem „Recht auf Beweis“ zusammengefasst werden; siehe auch Gaede, Fairness durch Teilhabe, S. 628 f., der das „Beweisführungsrecht“ als Bestandteil eines allgemeinen Rechts auf Teilhabe aus Art. 6 I EMRK ansieht.
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sauberen, vorhersehbaren Prüfungsmaßstab für die Überprüfung des Beweisrechts anhand der EMRK zu schaffen. Die bereits existierenden Teilgewährleistungsgehalte des Art. 6 I–III EMRK besitzen teilweise eine Schnittmenge mit diesem neu geschaffenen Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis und ergänzen einander. Indes ermöglicht es allein die Schaffung eines neuen Teilgewährleistungsgehaltes des Art. 6 I EMRK, alle Teilaspekte des Rechts auf Beweis in einem dogmatischen System zu vereinigen. Zusammengefasst stellt sich das Recht auf Beweis als eigenständiger Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 I EMRK dar.
IV. Dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in der GRC Die Schaffung eines schriftlichen und verbindlichen Grundrechtskataloges für die Europäische Union war ein lang gehegter Wunsch und zugleich eine oft erhobene Forderung im Verlaufe der europäischen Einigung.146 Der Beginn des langen Weges zu einer europäischen Grundrechtecharta begann bereits im Jahr 1969 mit der erstmaligen richterrechtlichen Anerkennung von Grundrechten innerhalb der europäischen Gemeinschaft.147 In der Folge wurde das Projekt eines geschriebenen Grundrechtskataloges insbesondere von Seiten des Europäischen Parlaments vorangetrieben, bevor der Europäische Rat 1999 mit dem „Mandat von Köln“ einen europäischen Grundrechtekonvent einsetzte, der eine entsprechende Charta ausarbeiten sollte.148 Dieser Entwurf wurde letztlich im Vertrag von Lissabon beschlossen und seit Dezember 2009 hat die Europäische Grundrechtecharta als geschriebener Grundrechtskatalog der Europäischen Union rechtsverbindliche Geltung erlangt.149 Es handelt sich um einen nach Art. 6 I EUV dem Primärrecht gleichgestellten Grundrechtskatalog, der einen Baustein in der weiteren, rechtsstaatlichen Entwicklung der Europä146 Vgl. zur Historie der Grundrechtecharta Frenz, Handbuch Europarecht Bd. 4, S. 1 ff. jeweils mwN; die wohl bekannteste Forderung nach einem solchen, europäischen Grundrechtskatalog stammt vom Bundesverfassungsgericht in der „Solange I“ – Entscheidung, vgl. BVerfGE 37, S. 271, 285. 147 Die erstmalige Anerkennung von Grundrechten innerhalb der europäischen Gemeinschaft erfolgte durch den EuGH in der Rs. C-29/69, Slg. 1969, 419, Rn. 7 – Stauder; fortgeführt in EuGH, Rs. C-11/70, Slg. 1970, 1124, Rn. 3 ff. – internationale Handelsgesellschaft und EuGH, Rs. C-4/73, Slg. 1974, I-7493, Rn. 13 ff. – Nold. 148 Die entsprechenden Entschließungen des Europäischen Rates in Köln und Tampere, sowie die Protokolle des Grundrechtskonvents finden sich abgedruckt bei Bernsdorff/Borowsky, Grundrechtecharta, S. 59 ff. 149 Vgl. Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 304 ff.; Streinz-Streinz/Michl, GRC, Vorbemerkungen, Rn. 7; siehe auch die Veröffentlichung der Charta im Amtsblatt der Union, ABl.EU 2007 Nr. C 303, S. 1.
§ 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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ischen Union darstellen kann und soll.150 Diese europäische Grundrechtecharta beinhaltet ein Recht auf Beweis, dessen dogmatische Einordnung im Folgenden untersucht werden soll.
1. Die justiziellen Grundrechtsgewährleistungen des Art. 47 GRC Die justiziellen Gewährleistungen für den Zivilprozess finden sich in Art. 47 GRC. Diese Gewährleistungen orientieren sich stark an Art. 6 EMRK, so dass von einem „Entsprechen“ iSd Art. 52 III S. 1 GRC auszugehen ist.151 Aufgrund dieser Transferklausel des Art. 52 III S. 1 GRC werden der Schutzbereich wie auch die Schranken des Art. 47 GRC dem Art. 6 EMRK entnommen, der insoweit als Mindeststandard fungiert.152 Als dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis kommen daher – parallel zur EMRK – insbesondere das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf nach Art. 47 I GRC und das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 47 II S. 1 GRC unter Einschluss seiner Teilgewährleistungsgehalte in Betracht. a) Das Recht auf effektiven Zugang zu Gericht in Art. 47 I GRC Als erste dogmatische Grundlage des Rechts auf Beweis kommt das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf iSd Art. 47 I GRC in Betracht. Diese Gewährleistung orientiert sich an Art. 6 I und 13 EMRK und bildet in gewissem Umfang eine Synthese dieser beiden Konventionsgarantien: Art. 47 I GRC normiert ähnlich dem Art. 13 EMRK einen akzessorischen Rechtsschutz, der eine Verletzung von „durch das Recht der Union garantierten Rechten oder Freiheiten“ voraussetzt.153 Die Gewährleistungen des Art. 47 I GRC gehen jedoch insofern über Art. 13 EMRK hinaus, als nicht nur die Verletzung der Charta, sondern sämtlicher Rechte und Freiheiten der Union zu einem akzessorischen Rechtsschutz führt.154 Außerdem garantiert Art. 47 I GRC das Recht auf einen Rechtsbehelf, so dass im Gegensatz zu Art. 13 EMRK stets gerichtlicher Rechtsschutz garantiert wird und Art. 47 I GRC somit in die Nähe von Art. 6 I EMRK rückt.155 Die Gewährleistungen des Art. 47 I GRC und der Art. 6 I und 13 EMRK haben indes gemein, dass sie primär die Frage des Zugangs zu ge150 Zur Bedeutung der Charta siehe auch Grabenwarter-Cremer, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 1 Rn. 9 ff. mwN. 151 So bereits die Erläuterungen zur GRC, ABl.EU 2007 Nr. C 303, S. 34: ausführlich sogleich unter V. 1. 152 Siehe wiederum unten V. 1. 153 In die Richtung einer solchen Synthese argumentiert auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 18 ff.; ausführlich auch Stern/Sachs-Alber, GRC, Art. 47 Rn. 1 ff. jeweils mwN. 154 Vgl. auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 18 ff.; Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 16 ff. 155 Vgl. Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 11; Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 18 ff. und Schwarze-Voet van Vormizeele, GRC, Art. 47 Rn. 8 f.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
richtlichem Rechtsschutz als solchem betreffen.156 Anknüpfungspunkt für die konkrete Ausgestaltung dieses Prozesses bleibt auch hier allein die Gewährleistung wirksamen Rechtsschutzes. Diese Wirksamkeit meint nach Rechtsprechung und Schrifttum allerdings in erster Linie Fragen der Gerichtsorganisation und der Prüfungs- und Entscheidungskompetenz des erkennenden Gerichts.157 Es ließe sich zwar argumentieren, dass ein Rechtsschutz nur dann wirksam iSd Art. 47 I GRC sein kann, wenn den Parteien auch die Möglichkeit an die Hand gegeben werde, ihre tatsächlichen Behauptungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln beweisen zu dürfen. Indes würde man durch eine derartige „Aufladung“ des Wortes „wirksam“ den geschriebenen Gewährleistungen des Art. 47 II GRC, die sich auch auf Art. 47 I GRC beziehen, ihren Anwendungsbereich nehmen.158 Daher scheidet Art. 47 I GRC als dogmatisches Fundament für das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung aus. b) Der Grundsatz prozessualer Waffengleichheit in Art. 47 II S. 1 GRC Der Grundsatz prozessualer Waffengleichheit stellt einen Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC dar. Dieser Grundsatz ist nach dem EuGH eine „logische Folge“ des fairen Verfahrens.159 Es handelt sich hierbei um eine besondere Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes.160 Die Rechtsprechung des EuGH hat sich im Rahmen der inhaltlichen Ausgestaltung eng an die bisherige Judikatur des EGMR angelehnt: Hiernach verlangt der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, dass es jeder Partei ermöglicht wird, ihren Standpunkt sowie ihre Beweise unter Bedingungen vorzutragen, die sie nicht in eine gegenüber ihrem Gegner deutlich nachteilige Position versetzten.161 Außerdem müsse jedes Dokument, das dem Gericht vorgelegt wird, von jedem am Verfahren Beteiligten kontrolliert und in Frage gestellt werden können.162 Diese Ausführungen des EuGH zum Inhalt des Grundsatzes der prozessualen Waffengleichheit könnten wiederum auf inhaltliche Basis für eine dogmatische Fundierung des Rechts auf 156
Vgl. Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 35 ff. Vgl. Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 19; Jarass, NJW 2011, S. 1393, 1397; ausführlich auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 42 ff. 158 Zum Verhältnis von Art. 47 I und II GRC Jarass, NJW 2011, S. 1393 f.; Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 2 ff. 159 So der EuGH, Rs. C-514/07 P, 528/07 P, 532/07, Slg. 2010, I-8533, Rn. 88 – Schweden u. a. / API und Kommission; bestätigt in EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 71 – Otis u. a. 160 Vgl. Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 34; Callies/Ruffert-Blanke, GRC, Art. 47 Rn. 15; in diese Richtung gehend auch EuGH, Rs. C-514/07 P, 528/07 P, 532/07, Slg. 2010, I-8533, Rn. 87 – Schweden u. a. / API und Kommission. 161 Vgl. EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 71 – Otis u. a.; ebenso Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 34 und Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 65. 162 So EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 71 f. – Otis u. a.; zustimmend Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 65. 157
§ 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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Beweis hindeuten. Indes ergeben sich – parallel zur EMRK – auch für die Grundrechtecharta Bedenken gegen eine entsprechende Fundierung des Rechts auf Beweis: Die prozessuale Waffengleichheit ist auch nach dem EuGH ein Ausfluss des allgemeinen Gleichheitssatzes. Dementsprechend werden einer Partei Garantien nur unter Bezugnahme und im Verhältnis zur Gegenpartei gewährt. Dieses Gleichbehandlungsgebot beider Parteien durch die prozessuale Waffengleichheit gewährt jedoch der einzelnen Partei gerade keinen prozessualen Mindeststandard, der unabhängig von den Gewährleistungen der anderen Partei wäre. Mithin könnten – zumindest theoretisch – jegliche Nachweismöglichkeiten der Parteien im Prozess unbeachtet bleiben, solange sie nur beiden Parteien gleichermaßen verweigert würden. Daher scheidet der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit auch im Rahmen der Grundrechtecharta als dogmatisches Fundament des Rechts auf Beweis aus. c) Das Recht auf rechtliches Gehör in Art. 47 II S. 1 GRC Das Recht auf rechtliches Gehör stellt einen grundlegenden Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC dar.163 Der EuGH lehnt sich in seiner Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör wiederum eng an die Auslegung des Art. 6 I EMRK durch den EGMR an.164 Daher beinhaltet das Recht auf rechtliches Gehör auch nach Art. 47 II S. 1 GRC einen Dreiklang an Gewährleistungen165: 1. Das Recht auf Kenntnis aller Stellungnahmen und Äußerungen der gegnerischen Partei und des Gerichts. 2. Das Recht auf eine eigene Stellungnahme zu diesen Stellungnahmen und Äußerungen. 3. Abschließend das Recht auf Kenntnisnahme und Auseinandersetzung mit dieser Stellungnahme durch das Gericht, sowie eine entsprechende Begründung. Diese drei Gewährleistungen des rechtlichen Gehörs werden im Einzelfall um eine ganze Reihe weiterer Gewährleistungen ergänzt: So umfasst das Recht auf Kenntnisnahme von Stellungnahmen und Äußerungen auch ein Recht auf Akteneinsicht und damit in gewissem Umfang Garantien zur Aufdeckung von Beweismitteln.166 Für die Fundierung des Rechts auf Beweis sind die speziellen beweisrechtlichen Gewähr163 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-42/59, Slg. 1961, S. 101, 169 f. – SNUPAT; bestätigt etwa in EuGH, Rs. C-234/84, Slg. 1986, S. 2263, 2288 – Meura; ausführlich auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 63 f. mwN aus der Rechtsprechung. 164 Diesen Zusammenhang sehr deutlich aufzeigend, EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 47 ff. – Otis u. a.; vgl. auch die Erläuterungen zur GRC, ABl.EU 2007 Nr. C 303, S. 34; ebenso Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 10 und 34. 165 Vgl. auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 63 f. und Callies/Ruffert-Blanke, GRC, Art. 47 Rn. 14 jeweils mwN. 166 Vgl. EuGH, Rs. C-17/74, Slg. 1974, 1063, 1080 f. – Transocean Marine Paint; ebenso Gra-
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
leistungen von besonderem Interesse: So umfasst das Recht der eigenen Stellungnahme insbesondere das Recht, sich zu allen vorgelegten Beweismitteln äußern zu dürfen.167 Wenn man zudem die EMRK nach Art. 52 III S. 1 GRC als Mindestanforderung heranzieht, so umfasst das rechtliche Gehör auch das Recht der Parteien, in jedem Prozessstadium Beweisanträge stellen und Beweise anbieten zu dürfen.168 d) Der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens Einen weiteren Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC mit beweisrechtlichen Bezügen stellt der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens dar. Nach der Rechtsprechung umfasst diese Garantie das Recht der Parteien auf Kenntnis aller Beweismittel und bei Gericht eingereichten Erklärungen sowie eine Erörterungsmöglichkeit derselben.169 Außerdem verstößt es gegen diesen Grundsatz, wenn eine gerichtliche Entscheidung auf Tatsachen und Schriftstücke gegründet wird, von denen zumindest eine Prozesspartei keine Kenntnis hatte und zu denen sie daher auch nicht Stellung nehmen konnten.170 Diese inhaltliche Konturierung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens zeigt deutliche Schnittmengen sowohl mit dem Recht auf rechtliches Gehör, als auch dem Grundsatz prozessualer Waffengleichheit auf.171 Die Gewährleistung eines Kenntnis- und Stellungnahmerechts zu allen Beweismitteln im Prozess zeigt außerdem Überschneidungen mit dem Recht auf Beweis. Hinzu kommt, dass ein kontradiktorisches Verfahren seinem Telos nach auf eine möglichst umfassende Beteiligungsmöglichkeit der Parteien abzielt, die ja einen solchen, kontradiktorischen Prozess tragen sollen. Diese Punkte könnten für eine dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis im Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens sprechen.
benwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 63; Callies/RuffertBlanke, GRC, Art. 47 Rn. 14. 167 Vgl. EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-3735, Rn. 77 – Deutschland / Steffensen = EuZW 2003, S. 666 mit Anm. Schaller; siehe auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 63 f. mwN. 168 Diesen Gleichlauf legt insbesondere EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 47 ff. – Otis u. a. nahe; zu diesen Gewährleistungen in der EMRK vgl. EGMR, Urteil vom 10.02.1983, 7299/75, Albert u. le Compte ./. B = EuGRZ 1983, S. 190; siehe auch Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 98. 169 Vgl. EuGH, Rs. C-450/06, Slg. 2008, I-00581, Rn. 44 ff. – Varec; betätigt und in Art. 47 GRC fundiert durch den EuGH, Rs. C-300/11, Rn. 53 ff. – ZZ. 170 Vgl. EuGH, Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 52 ff. – Kommission / Irland; siehe aber auch EuGH, Rs. C-300/11, Rn. 56 – ZZ, der diese Garantie demgegenüber dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf zuordnet. 171 In diese Richtung auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 73, der dies allgemein für den Inhalt der Verteidigungsrechte konstatiert; ähnlich Meyer-Eser, GRC, Art. 47, Rn. 21 ff.
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Gegen eine derartige Fundierung lässt sich jedoch anführen, dass die inhaltliche Konturierung dieses Grundsatzes seinerseits noch keineswegs abgeschlossen ist. So bleibt in der bisherigen Rechtsprechung unklar, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens über die Gewährleistungen des rechtlichen Gehörs und der prozessualen Waffengleichheit inhaltlich hinausgehen bzw. in welchem Verhältnis diese Garantien zueinander stehen. Eine dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in einem seinerseits noch nicht vollständig inhaltlich ausgeformten Grundsatz würde dem Sinn und Zweck einer solchen Fundierung jedoch zuwiderlaufen. Außerdem legt ein kontradiktorisches Verfahren seinem Wortsinn nach stets eine Verbindung der Parteien und ihrer Rechte nahe. So decken sich die von der Rechtsprechung aufgestellten Gewährleistungen des kontradiktorischen Verfahrens nach ihren Formulierungen zumindest teilweise mit dem Grundsatz prozessualer Waffengleichheit.172 Damit bestehen erneut Bedenken in Bezug auf eine Gewährleistung bestimmter Nachweismöglichkeiten einer jeden Partei unabhängig von der Gegenpartei. Abschließend spricht gegen eine solche Fundierung, dass die Rechtsprechung diesen Grundsatz in erster Linie auf solche Prozesse zu beziehen scheint, die von Amts wegen ablaufen.173 In diesen Verfahren besteht in der Tat am ehesten die Gefahr, dass das erkennende Gericht den Prozess in weiten Teilen eigenständig und ohne umfängliche Beteiligung der Parteien führt, so dass eine explizite Garantie von Mitwirkungs- und Einflussmöglichkeiten der Parteien in solchen Prozessen angebracht erscheint.174 Demgegenüber ist der Zivilprozess in Deutschland und rechtsvergleichend auch in anderen Rechtsordnungen Europas überwiegend als Parteiprozess ausgestaltet.175 Im Ergebnis erscheint der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens somit als dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis kaum geeignet.
2. Eigene Ansicht: Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 47 II S. 1 GRC Die dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in der europäischen Grundrechtecharta zeigt deutliche Parallelen zur entsprechenden Fundierung des Rechts auf Beweis in der EMRK. Wiederum weist das Recht auf rechtliches Gehör als Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC Vgl. EuGH, Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 52 – Kommission / Irland; für den Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens und EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 47 ff. – Otis u. a. 173 Deutlich in dieser Richtung gehend EuGH, Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 und 54 – Kommission / Irland; bestätigt in EuGH, Rs. C-472/11, Rn. 29 ff. – Banif Plus Bank. 174 In diese Richtung gehend EuGH, Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 54 – Kommission / Irland. 175 Vgl. für die deutsche ZPO etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77, Rn. 1 ff.; aus rechtsvergleichender Sicht instruktiv Stürner, FS-Heldrich, S. 1061, 1065 ff. mwN. 172
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eine Schnittmenge zum hier gedachten Recht auf Beweis in der Grundrechtecharta auf. Einmal mehr erscheint eine Fundierung des Rechts auf Stellung von Beweisanträgen und eines weitergehenden Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel im Recht auf rechtliches Gehör durchaus vertretbar. Allerdings ergeben sich im Hinblick auf die Anlehnung des EuGH an die Rechtsprechung des EGMR auch diejenigen Bedenken, die gegen eine Fundierung des Rechts auf Beweis im Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 6 I EMRK sprachen: So erscheinen die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in Bezug auf die vorprozessuale Beweissicherung oder auch die Verhältnismäßigkeit der Kostentragung eines Beweisverfahrens mit dem derzeitigen dogmatischen Verständnis des Rechts auf rechtliches Gehör iSd Art. 6 I EMRK bzw. des Art. 47 II S. 1 GRC durch EGMR bzw. EuGH kaum vereinbar.176 Diese Bedenken gelten für die Grundrechtecharta im Hinblick auf ihre rechtliche Verbindung zur EMRK in Art. 52 III S. 1 GRC in besonderem Maße: Aufgrund der „gleichen Bedeutung und Tragweite“ von Art. 47 II S. 1 GRC und Art. 6 I EMRK hat sich der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC grundsätzlich an Art. 6 I EMRK in seiner Auslegung durch den EGMR zu orientieren. Ein Abweichen zugunsten eines höheren Grundrechtsstandards ist nach Art. 52 III S. 2 GRC grundsätzlich möglich mit Ausnahme von mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen, innerhalb derer ein „höheres“ Schutzniveau kaum bestimmbar erscheint.177 Ein ebensolches, mehrpoliges Grundrechtsverhältnis ist im Falle der Herleitung weitergehender, beweisrechtlicher Gewährleistungen aus dem Recht auf rechtliches Gehör im Hinblick auf das kollidierende Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit indes durchaus denkbar. Daher erscheint eine Neuorientierung des Rechts auf rechtliches Gehör iSd Art. 47 II S. 1 GRC hin zu einer dogmatischen Grundlage des Rechts auf Beweis nicht nur systematisch wenig sinnvoll, sondern auch im Hinblick auf Art. 52 III S. 1 GRC problematisch. Hinzu kommt auch für die Grundrechtecharta, dass eine solche Neuauslegung des Rechts auf rechtliches Gehör im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH zum allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren nicht vonnöten erscheint. So hat der EuGH seinerseits in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR eine Reihe von Teilgewährleistungsgehalten aus dem allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 47 II S. 1 GRC hergeleitet – etwa das Recht auf rechtliches Gehör oder der Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens.178 Auch für das Beweisrecht hat sich der EuGH der Rechtsprechung des EGMR dahingehend angeschlossen, dass das Beweisrecht zwar grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten sei, der 176 Ausführlich
zu den diesbezüglichen Bedenken iRv Art. 6 I EMRK oben II. 3. zum Verhältnis von EMRK und Grundrechtecharta unten V. 1. 178 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-450/06, Slg. I-518, Rn. 46 ff. – Varec, unter expliziter Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR zum Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK; instruktiv zur Herleitung von einzelnen Teilgewährleistungen eines effektiven Rechtsschutzes aus Art. 47 II S. 1 GRC insbesondere EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 47 ff. – Otis u. a. 177 Ausführlich
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Prozess jedoch unter Einschluss des Beweisrechts insgesamt „fair“ iSd Art. 47 II S. 1 GRC sein müsse.179 In diesem Rahmen hat der EuGH bereits vor Eintreten der Verbindlichkeit der Grundrechtecharta nationales Beweisrecht am Maßstab des Rechts auf ein faires Verfahren gemessen.180 Es zeigt sich auch in der Rechtsprechung des EuGH, dass der Bereich des Beweisrechts keinen grundrechtsfreien Raum bilden soll. Daher spricht viel dafür, dass auch der EuGH das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren in Art. 47 II S. 1 GRC als Anknüpfungspunkt für beweisrechtliche Gewährleistungen ansieht.181 Das Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 47 II S. 1 GRC stellt sich auch nach hier vertretener Auffassung als sachgerechte dogmatische Grundlage für das Recht auf Beweis in der europäischen Grundrechtecharta dar. Allerdings erschöpfen sich die beweisrechtlichen Gewährleistungen entgegen der Rechtsprechung des EuGH nicht in einer allgemeinen Prüfung der Verfahrensfairness insgesamt. Vielmehr stellt das Recht auf Beweis in der Grundrechtecharta gleichfalls einen eigenständigen Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC dar. Eine solche Verortung des Rechts auf Beweis erlaubt auch im Rahmen der Grundrechtecharta die Herausarbeitung eines dogmatisch sauberen und in sich konsistenten Wertesystems eines Rechts auf Beweis. Als ein solcher Teilgewährleistungsgehalt enthält das Recht auf Beweis in der europäischen Grundrechtecharta eine Vielzahl im Einzelnen zu erarbeitender, beweisrechtlicher Gewährleistungen für den Zivilprozess. An dieser Stelle bleibt festzuhalten, dass das Recht auf Beweis in der europäischen Grundrechtecharta dogmatisch als eigenständiger Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC anzusehen ist.
V. Das Verhältnis der untersuchten Grundrechtsordnungen zueinander Im Anschluss an diese dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta soll nun das Verhältnis der drei untersuchten Grundrechtsordnungen zueinander in den Blick genommen werden. Diese Untersuchung hat eine inhaltliche Ausarbeitung und die spätere Anwendung des Rechts auf Beweis in drei verschiedenen Grundrechtsordnungen zum Ziel. Daher ist die exakte Herausarbeitung des Verhältnisses von EMRK, europäischer Grundrechtecharta und deutschem Grundgesetz zueinander von großer Bedeutung. Allein auf diesem Wege lassen sich etwaige rechtliche Bindungen einer Grund179 In diesem Sinne etwa EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen unter expliziter Benennung und Übernahme der diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR. 180 Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen. 181 Ausführlich zur diesbezüglichen Sichtweise des EGMR bereits oben III. 2.
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rechtsordnung an eine andere Grundrechtsordnung beachten oder auch nur die Bindung an einzelne Gewährleistungen feststellen.
1. Das Verhältnis von GRC und EMRK Das Verhältnis zwischen der europäischen Grundrechtecharta und der EMRK ist durch eine gewisse Vorbildfunktion der EMRK geprägt. Die EMRK stellt seit ihrer Begründung im Jahr 1950 den ersten europäischen Grundrechtskatalog dar. Die Konvention stand daher bei der Schaffung zahlreicher Normen der Grundrechtecharta Modell.182 Somit hatte die EMRK bereits faktisch einen erheblichen Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung der Charta. Doch darüber hinaus existiert auch eine rechtliche Verbindung der europäischen Grundrechtsordnungen: a) Die rechtliche Bindung der GRC an die EMRK über Art. 52 III S. 1 GRC Dieses rechtliche Verhältnis zwischen EMRK und Grundrechtecharta wird durch Art. 52 III GRC geregelt. Tatbestandlich verlangt diese Norm, dass sich die in EMRK und Charta gewährleisteten Rechte „entsprechen“ müssen. Somit stellt sich die Frage, ob sich die hier in Rede stehenden, justiziellen Gewährleistungen des Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK und Art. 47 II S. 1 GRC in diesem Sinne „entsprechen“.183 Eine Beantwortung dieser Frage allein anhand der Grundrechtskataloge selbst, erscheint jedoch schwierig: Das bloße Abstellen auf einen Wortlautvergleich der Normen würde kaum mit dem Merkmal des „Entsprechens“ übereinstimmen, denn ein solches „Entsprechen“ deutet mehr auf eine inhaltliche Kongruenz als eine Identität der Wortlaute hin. Ein möglicher, inhaltlicher Vergleich anhand der jeweiligen Gewährleistungsgehalte würde indes im Hinblick auf die Rechtsfolge des Art. 52 III S. 1 GRC zu einem Zirkelschluss führen.184 Mithin bedarf es einer externen Auslegungshilfe, um das Merkmal des „Entsprechens“ bestimmen zu können. Die offiziellen Erläuterungen zur Europäischen Grundrechtecharta stellen eben diese Auslegungshilfe dar.185 Es handelt sich hierbei – in Ermangelung eines entsprechenden, formalen Konsenses – nicht um eine rechtsverbindliche Kommentierung der Charta.186 Allerdings normiert die Charta in Art. 52 182 Vgl. allein die explizite Erwähnung der EMRK in der Präambel der Grundrechtecharta, ABl. EU 2007, Nr. C 303, S. 01; siehe auch Jarass, GRC, Einleitung, Rn. 40 f. 183 Ausführlich zur Auslegung des Art. 52 III GRC und dem Verhältnis zwischen EMRK und europäischer Grundrechtecharta, Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK. 184 Hierauf weist auch Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 31 berechtigterweise hin. 185 So auch die herrschende Meinung, vgl. etwa Schwarze-Becker, GRC, Art. 52 Rn. 14 ff.; Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 31 ff.; Jarass, GRC, Art. 52 Rn. 57. 186 Die Bedeutung dieser Erläuterungen und ihre Grenzen werden überzeugend von Ziegen horn, Der Einfluss der EMRK, S. 59 ff. dargelegt; zustimmend Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 31b; zurückhaltender Schwarze-Becker, GRC, Art. 52 Rn.21.
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VII GRC ausdrücklich eine „gebührende Berücksichtigung“ dieser Erläuterungen. Sie stellen somit eine wesentliche Auslegungshilfe dar, von der nur im begründeten Einzelfall abgewichen werden kann.187 Bei einem Blick auf die justiziellen Grundrechte zeigt sich, dass Art. 47 GRC dem Art. 6 I EMRK nachempfunden wurde und diesem „entsprechen“ soll.188 Als Rechtsfolge normiert Art. 52 III S. 1 GRC, dass die Rechte der Grundrechtecharta die gleiche „Tragweite und Bedeutung“ haben sollen, wie die „entsprechenden“ Rechte in der EMRK. Die entscheidende Frage ist, welche Art von rechtlichem Zusammenhang diese Norm zwischen EMRK und Grundrechtecharta herstellen soll: Teilweise wird Art. 52 III S. 1 GRC als bloße Auslegungsregel angesehen.189 Als Argument lässt sich anführen, dass auf diese Weise die Eigenständigkeit des Europarechts beibehalten und eine eigene Weiterentwicklung der Charta durch den EuGH ermöglicht wird.190 Demgegenüber sprechen Entstehungsgeschichte und Telos der Norm für das herrschende Verständnis von Art. 52 III S. 1 GRC als Transferklausel.191 Hiernach wird der gesamte Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts der Charta durch Art. 52 III S. 1 GRC aus der EMRK entnommen. Der Umfang des Gewährleistungsgehaltes, wie auch die Rechtfertigungsmöglichkeiten von Einschränkungen richtet sich nach den entsprechenden Inhalten der EMRK.192 Eine solche Auslegung des Art. 52 III S. 1 GRC als Transferklausel kann sich zunächst einmal auf den Wortlaut der verschiedenen Sprachfassungen stützen: Die Sprachfassungen betonen, dass Tragweite und Bedeutung „gleich“ (même, the same) sein sollen, was für eine höhere Verbindlichkeit als die Annahme einer bloßen Auslegungsregel spricht.193 Gestützt wird diese Auffassung weiter durch die Entstehungsgeschichte der Norm: In den nach Art. 52 VII GRC einzubeziehenden Erläuterungen wird ein solches Verständnis des Art. 52 III S. 1 GRC nahe gelegt und in der Literatur des Öfteren betont, dass ein Konsens über die Charta als solche, auch von der Einfügung einer solchen Klausel abhing.194 Als wichtigstes Argument lässt sich indes der Telos der Norm anführen. 187 So auch Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 59 ff. und Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 31 b. 188 Vgl. die Erläuterungen zur GRC, ABl.EU 2007, Nr. C 303, S. 30; so auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 3 ff.; Meyer-Borowsky, GRC, Art. 47 Rn. 10 ff.; Schwarze-Voet van Vormizeele, GRC, Art. 47 Rn. 1 ff. 189 In diese Richtung tendierend Jarass, GRC, Art. 52 Rn. 59 ff. jeweils mwN. 190 Vgl. zu dieser Argumentationslinie Jarass, GRC, Art. 52 Rn. 62 ff. 191 So auch die Untersuchung von Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 121 ff.; ebenso Stern/Sachs-Krämer, GRC, Art. 52 Rn. 68 ff.; Streinz-Streinz/Michl, GRC, Art. 52 Rn. 2 ff.; Schwarze-Becker, GRC, Art. 52 Rn.14 ff.; weitergehend Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 30 ff., der von einer Identitätsklausel ausgeht. 192 Vgl. Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 29 ff. und S. 145 ff.; ebenso Stern/Sachs-Krä mer, GRC, Art. 52 Rn. 70 ff.; Streinz-Streinz/Michl, GRC, Art. 52 Rn. 2 ff. 193 So Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 126 ff. und S. 145 ff. 194 Vgl. Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 69 f.
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Art. 52 III S. 1 GRC soll eine Kohärenz zwischen den beiden europäischen Grundrechtsordnungen ermöglichen und Rechtsprechungsdifferenzen nach Möglichkeit verhindern.195 Bei einem Verständnis von Art. 52 III S. 1 GRC als bloße Auslegungsregel würde die Schaffung eines einheitlichen, kohärenten Grundrechtsraumes in Europa indes deutlich erschwert: In Ermangelung einer verbindlichen Regelung des Verhältnisses der beiden Grundrechtsordnungen zueinander, ließe sich kaum absehen, in welchen Einzelfällen die beiden obersten Gerichtshöfe divergieren würden.196 Daher erscheint es überzeugend, Art. 52 III S. 1 GRC als Transferklausel zu verstehen.197 Teilweise wird Art. 52 III S. 1 GRC weitergehend als eine Identitätsklausel angesehen.198 Nach diesem Verständnis haben diejenigen Normen der Charta, die in den Anwendungsbereich des Art. 52 III S. 1 GRC fallen, keinerlei eigenständigen Gewährleistungsgehalt. Es wird mithin keine „Angleichung“ zwischen den verschiedenen Gewährleistungsgehalten vorgenommen, die Charta dient vielmehr allenfalls als ein Verweis auf die EMRK und die einzelnen geschriebenen Grundrechte als eine Art „Auflistung“, auf welche Grundrechte im Einzelnen verwiesen wird.199 Für diese Sichtweise lässt sich anführen, dass man den Telos einer Kohärenz der europäischen Grundrechtsordnungen auf diese Weise vollumfänglich sicherstellen kann.200 Gegen die Annahme von Art. 52 III S. 1 GRC als Identitätsklausel spricht jedoch, dass eine solche Auslegung der europäischen Grundrechtecharta in weiten Teilen jeglichen Anwendungsbereich nehmen würde. Die erste verbindliche, schriftliche Grundrechtskodifikation der Europäischen Union wäre demnach eine bloße Hülle, die dem Verweis auf eine andere, bereits bestehende Grundrechtsordnung dient. Eine solche Auslegung erscheint im Hinblick auf die der Grundrechtecharta in ihrer Entstehung beigemessenen Bedeutung eher fernliegend, zumal die Europäische Union nach Art. 6 II EUV ohnehin den vollumfänglichen Beitritt zur EMRK zum Ziel hat.201 Außerdem würde eine derartige Auslegung in systematischer Hinsicht dazu führen, dass genuine Normen der Charta unmittelbar neben bloßen „Verweisungsnormen“ stehen würden, ohne dass für die Grundrechtsberechtigten ein
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Vgl. etwa Schwarze-Becker, GRC, Art. 52 Rn. 14 ff.; Streinz-Streinz/Michl, GRC, Art. 52 Rn. 7 ff.; Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 8 ff.; ausführlich wiederum Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 136 ff. 196 In diese Richtung auch Meyer-Borowsky, Art. 52 Rn. 37. 197 Vgl. wiederum Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 121 ff.; Stern/Sachs-Krämer, GRC, Art. 52, Rn. 68 ff.; Streinz-Streinz/Michl, GRC, Art. 52 Rn. 2 ff.; Schwarze-Becker, GRC, Art. 52 Rn.14 ff. 198 So insbesondere Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 30 ff. mwN. 199 Vgl. Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 30 ff. 200 Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 30. 201 So auch Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 148 f.
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Unterschied sichtbar wäre.202 Mithin ist das Verständnis von Art. 52 III S. 1 GRC als Identitätsklausel als zu weitreichend abzulehnen. Vielmehr stellt sich Art. 52 III S. 1 GRC auch nach hier vertretener Auffassung als eine Transferklausel dar. Somit entspricht Art. 47 II S. 1 GRC in seinem Gewährleistungsgehalt dem Art. 6 I EMRK. Dabei sind die Gewährleistungen des Art. 6 I EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR dem Art. 47 II S. 1 GRC zugrunde zu legen.203 b) Die Bedeutung des Art. 52 III S. 2 GRC Eine weitere, relevante Norm für das Verhältnis von EMRK und Grundrechtecharta stellt Art. 52 III S. 2 GRC dar. Hiernach steht „dieser Bestimmung nicht entgegen, dass das Unionsrecht weiter gehenden Schutz gewährt“. Die Einordnung dieser Bestimmung hängt eng mit dem jeweiligen Verständnis des Art. 52 III S. 1 GRC zusammen: Die Vertreter einer Identitätsklausel gestehen dem Satz 2 nur eine rein deklaratorische Bedeutung zu. Diese Auslegung erscheint insoweit konsequent, als diejenigen Normen, die Satz 1 unterfallen, nach dieser Auffassung ohnehin keinen eigenen Gewährleistungsgehalt besitzen und damit auch nicht über die Gewährleistungen der EMRK hinausgehen können.204 Indes spricht es nach hier vertretener Auffassung nur sehr bedingt für eine bestimmte Auslegungsmöglichkeit, wenn einer Norm als Ergebnis dieser Auslegung keinerlei rechtliche Bedeutung mehr zukommt. Seinem Wortlaut nach bezieht sich der Satz 2 deutlich auf den ersten Satz des Art. 52 III GRC. Es handelt sich um eine Ausnahme des in Art. 52 III S. 1 GRC normierten, strengen rechtlichen Gleichlaufes zwischen EMRK und Grundrechtecharta zugunsten der Ermöglichung eines höheren Schutzniveaus im Einzelfall.205 Diese Auslegung deckt sich mit dem Wortlaut des Art. 52 III S. 2 GRC und gibt der Norm einen eigenständigen Anwendungsbereich. Die beiden europäischen Grundrechtsordnungen ergänzen einander hiernach zugunsten des höchstmöglichen Schutzniveaus für die Begünstigten.206 Diese Auslegung des Art. 52 III S. 2 GRC wird zudem gestützt durch die MeistbegünstigungsIn diesem Sinne auch Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 147 f. Einziger Unterschied der Normen ist die Tragweite des Art. 47 GRC: Art. 6 I EMRK erfasst grundsätzlich nicht den Verwaltungsprozess, obgleich die Rechtsprechung des EGMR auch hier eine weite Auslegung praktiziert, vgl. Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 56 ff.; zum Verhältnis von Art. 47 GRC und Art. 6 I EMRK siehe auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 11 ff. 204 So insbesondere Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 39 ff. 205 Inhaltlich ähnlich, aber nicht von einer „Ausnahme“ sprechend, Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 171 f. 206 Für eine derartige Auslegung des Art. 52 III S. 2 GRC als eine Form der Meistbegünstigungsklausel auch Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 181 f. 202 203
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klausel des Art. 53 EMRK.207 Die EMRK bringt mit ihrer eigenen Meistbegünstigungsklausel zum Ausdruck, dass die Grundrechtsbegünstigten stets das höchstmögliche Schutzniveau erhalten sollen.208 Die europäischen Institutionen können somit in ihren Exekutiv- und Legislativakten ein höheres Schutzniveau vorsehen, als der Mindeststandard nach der EMRK. Weiterhin kann auch der EuGH die Grundrechtecharta mit seiner Auslegung weiterentwickeln und zugunsten eines höheren Schutzniveaus von der Rechtsprechung des EGMR abweichen.209 Mithin ermöglicht Art. 52 III S. 2 GRC nach hier vertretener Ansicht eine Abweichung der europäischen Grundrechtecharta von der EMRK zugunsten eines höheren Schutzniveaus, so dass Art. 52 III S. 2 GRC im Ergebnis eine eigenständige Weiterentwicklung der Charta insbesondere durch den EuGH ermöglicht. In der Praxis zeichnet sich indes ab, dass der EuGH sich in seiner Rechtsprechung bislang sehr eng an die Entscheidungen des EGMR anlehnt und dessen „Führungsrolle“ bei der europäischen Grundrechtsentwicklung – vorerst – anerkennt.210 c) Art. 52 III S. 2 GRC und mehrpolige Grundrechtsverhältnisse Diese Auslegung des Art. 52 III S. 2 GRC stößt auf eine besondere Problematik, wenn auf beiden Seiten konkurrierende Grundrechtsberechtigte stehen, mit dem Staat als Entscheidungsorgan im Konflikt dieser Privaten. Es handelt sich hierbei um sog. „mehrpolige Grundrechtsverhältnisse“. So etwa bei der persönlichkeitsrechtlichen Klagen eines Prominenten gegen die Veröffentlichung von Aufnahmen in seiner Freizeit und damit einem Widerstreit zwischen seinem Recht auf Privatheit und der Pressefreiheit auf der anderen Seite.211 In solchen Konstellationen versagt das Konzept einer Grundrechtskonkurrenz von EMRK und Grundrechtecharta zugunsten eines höheren Schutzniveaus erkennbar, da das Grundrechtsniveau allein zwischen zwei Grundrechtsberechtigten untereinander verändert wird. Das „Mehr“ an Freiheit für den einen Grundrechtsberechtigten stellt sich zugleich als ein „Weniger“ an Freiheit für den anderen Berechtigten dar.212 Insoweit wird die Frage nach 207
In diese Richtung auch Vedder/Heintschel von Heinegg-Folz, GRC, Art. 52 Rn. 9. Zu Telos und Auslegung des Art. 53 EMRK vgl. Grabenwarter/Pabel, EMRK, S. 13 ff. 209 Für eine Abweichungsbefugnis des EuGH nach Art. 52 III S. 2 GRC auch Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 187 ff.; ähnlich Streinz-Streinz/Michl, GRC, Art. 52 Rn. 11; zurückhaltender Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52 Rn. 39. 210 Sehr deutlich in diese Richtung EuGH, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849, Rn. 35 ff. – DEB; gleichfalls auf die EMRK bezugnehmend etwa EuGH, Rs. C-400/10, Slg. 2010, I-08965, Rn. 53 – J. McB./ L. E.; zweifelnd gegenüber eine solchen Kooperation von EuGH und EGMR Weiß, EuZW 2013, S. 287, 291. 211 Vgl. etwa die bekannte Entscheidung, EGMR, Urt. v. 24.06.2004, 59320/00, Caroline von Hannover ./. D = EuGRZ 2004, S. 404. 212 Eine ausführliche Darstellung dieser Konstellationen liefert Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 252 f.; mit dieser Fragestellung setzt sich auch Kingreen, JZ 2013, S. 801, 807 f. auseinander. 208
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dem Verhältnis von EMRK und Grundrechtecharta mit Blick auf einen kohärenten europäischen Grundrechtsschutzes erneut virulent. Im Hinblick auf den Grundsatz des Art. 52 III S. 1 GRC erscheint es nach hier vertretener Auffassung naheliegend, die Ausnahmevorschrift des Art. 52 III S. 2 GRC nicht anzuwenden und zum Grundsatz einer Orientierung an der EMRK zurückzukehren. Diese Nichtanwendbarkeit lässt sich anhand des Merkmales eines von Art. 52 III S. 2 GRC geforderten, „höheren Schutzniveaus“ festmachen.213 Hiernach kann dieses Tatbestandsmerkmal nur dann bejaht werden, wenn das Schutzniveau einer Partei eine Steigerung erfährt und zugleich das Schutzniveau bei keiner anderen beteiligten Partei absinkt. Allerdings erscheint eine solche Konstellation im Falle mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse per se kaum vorstellbar.214 Dieses Problem eines fehlenden Maßstabes für die Quantifizierung eines „höhere Schutzniveaus“ spricht auch nach hier vertretener Ansicht gegen eine Anwendung des Art. 52 III S. 2 GRC auf Konstellationen mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse. Im Ergebnis erscheint es nach der gesetzlichen Konzeption naheliegend und richtig, zum Grundsatz eines Transfers aus der EMRK nach Art. 52 III S. 1 GRC zurückzukehren und damit zu einem Vorrang der Auslegung derartiger Konstellationen durch den EGMR.215
2. Das Verhältnis von GRC und GG Für die Bestimmung des Verhältnisses von europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz gilt es zwei Fragestellungen zu unterscheiden. Zum ersten ist der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta insbesondere im Hinblick auf die kompetenziellen Grenzen des europäischen Primärrechts zu bestimmen. Zum zweiten ist darauf aufbauend die konkrete Rangordnung zwischen der europäischen Grundrechtecharta als Teil des europäischen Primärrechts und dem deutschen Grundgesetz als nationalem Recht herauszuarbeiten. a) Der Anwendungsbereich der GRC in Bezug auf das nationale Zivilprozessrecht Der Anwendungsbereich der europäischen Grundrechtecharta hat in Art. 51 GRC eine explizite Normierung erfahren. Art. 51 I S. 1 GRC schreibt eine Geltung der Charta „ausschließlich bei der Durchführung von Unionsrecht“ vor. Diese Formulierung der „Durchführung von Unionsrecht“ ist an die Rechtsprechung des EuGH angelehnt: Der Gerichtshof hatte bereits vor Inkrafttreten der Grundrechtecharta in 213 In diesem Sinne auch die Überlegungen von Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 252 ff. mwN. 214 Dementsprechend führt dies faktisch zu einer Nichtanwendung der Norm, wie auch Ziegen horn, Der Einfluss der EMRK, S. 256 zugibt. 215 So im Ergebnis auch Ziegenhorn, Der Einfluss der EMRK, S. 254 ff. mwN; anders demgegenüber Streinz-Streinz/Michl, GRC, Art. 52 Rn. 11, die von einer Anwendbarkeit des Art. 52 III S. 2 GRC ausgehen und lediglich eine Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR fordern.
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bestimmten Fällen eine Bindung der Mitgliedsstaaten an richterrechtlich geschaffenen Unionsgrundrechte bejaht: Eine solche Bindung war anzunehmen, soweit der Mitgliedsstaat Verordnungen oder Richtlinien umsetzte und auslegte. In diesen Fällen handelte der Mitgliedsstaat für und anstelle der Union und musste daher auch ihre Grundrechtsbindungen beachten (sog. agency situation).216 Darüber hinaus hat der EuGH in seiner Rechtsprechung eine weitere Fallgruppe der Bindung von Mitgliedsstaaten an die Unionsgrundrechte entwickelt: Hiernach sind die Mitgliedsstaaten im Bereich der Grundfreiheiten an die Unionsgrundrechte gebunden, die sich insoweit als eine Art Schranken-Schranke darstellen.217 Teilweise wird eine Anwendung der Charta nach Art. 51 I S. 1 GRC auf diese Fallgruppe abgelehnt. Es wird mit dem Wortlaut des Art. 51 I S. 1 GRC dahingehend argumentiert, dass die „Durchführung von Unionsrecht“ normiert wurde – im Gegensatz zu der weiter gefassten Formulierung der „Anwendung von Unionsrecht“, welche in der Rechtsprechung des EuGH gebräuchlich war.218 Dagegen lässt sich jedoch anführen, dass die nach Art. 52 VII GRC zu berücksichtigenden Erläuterungen der Grundrechtecharta die ERT-Rechtsprechung erwähnen und selbst vom „Anwendungsbereich des Unionsrechts“ sprechen. Zudem erscheint es kaum denkbar, dass die Schaffung des ersten schriftlichen und rechtsverbindlichen Grundrechtekataloges der Europäischen Union zugleich mit einer Verengung ihres Anwendungsbereiches hinter den bereits richterrechtlich entwickelten Standard einhergehen soll.219 In neuerer Zeit scheint der EuGH von einer noch weitergehenden Auslegung des Art. 51 I S. 1 GRC auszugehen: Nach dieser Rechtsprechung wäre der Anwendungsbereich der Charta bereits eröffnet, wenn eine allgemeine sachbezogene Handlungspflicht aus dem primären oder sekundären Unionsrecht vorliegt und das in Rede stehende, nationale Recht in objektiver Hinsicht einen Beitrag zu dessen Erfüllung leistet.220 Diese Auslegung würde damit nicht mehr an eine Ausführung bestimmter Rechtsakte der Union in deren Kompetenzbereich anknüpfen, sondern sehr allgemeine PflichVgl. die Leitentscheidung, EuGH, Rs. C-5/88, Rn.19, Slg. 1989, S. 2609 – Wachauf; zum Begriff siehe Grabenwarter-Schorkopf, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 3 Rn. 19 mwN. 217 Die Leitentscheidung sind EuGH, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 – ERT und EuGH, Rs. C-112/00, Slg. 2003, S. I-5659 – Schmidberger; ausführlich zu dieser Rechtsprechung Grabenwarter-Schorkopf, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 3 Rn. 21 ff. und Haratsch/Koe nig/Pechstein, Europarecht, S. 309 ff. 218 Zu dieser Argumentation Haratsch/Koenig/Pechtstein, Europarecht, S. 310; kritisch gegenüber dieser weiten Anwendung Grabenwarter-Schorkopf, Europäischer Grundrechtsschutz (Enz EuR Bd. 2), § 3 Rn. 26 f. 219 So auch Haratsch/Koenig/Pechtstein, Europarecht, S. 310 f.; in diese Richtung scheint auch der EuGH selbst zu tendieren, vgl. EuGH, Rs. C-617/10, Rn. 19 ff. – Akerberg Fransson = EuGH NJW 2013, S. 1415. 220 So der EuGH in der Rs. C-617/10 – Akerberg Fransson = EuGH NJW 2013, S. 1415; zu diesem Urteil Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 310 f. mwN und Grabenwarter-Schor kopf, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 3 Rn. 26 f. 216
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ten und Ziele der Union genügen lassen. Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta würde auf diesem Wege eine enorme Ausweitung erfahren.221 Indes hat das Bundesverfassungsgericht bereits Stellung zu dieser Entscheidung des EuGH bezogen: Hiernach sei eine Auslegung des Art. 51 I S. 1 GRC, die jeden „Anwendungsbereich des Unionsrechts“ genügen lasse und damit zu einer derartigen Ausweitung des bisherigen Anwendungsbereiches der Unionsgrundrechte führe, als ein ultra-vires-Akt und somit als Verstoß gegen nationales Verfassungsrecht anzusehen.222 Das Bundesverfassungsgericht hat einer richterrechtlichen Ausweitung der Grundrechtecharta mithin eine Absage erteilt.223 In welche Richtung und mit welchen Kompromissen dieser Konflikt zwischen Bundesverfassungsgericht und EuGH letztlich aufgelöst wird, lässt sich anhand der derzeitigen Rechtsprechung kaum absehen. Ein Zeichen für einen Kompromiss von Seiten des EuGH könnte darin zu sehen sein, dass der Gerichtshof die nationalen Grundrechte neben denjenigen der Charta parallel für anwendbar erklärt hat.224 Die weitere Entwicklung dieses Konfliktes lässt sich nach derzeitigem Erkenntnisstand jedoch noch nicht absehen. Allerdings ist mit Blick auf die klare Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Fragestellung im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung davon auszugehen, dass für die Anwendbarkeit der europäischen Grundrechtecharta nach derzeitigem Stand jedenfalls nicht jegliche, allgemeine Pflicht des Unionsrechts ausreichen kann. Mithin kommt der europäischen Grundrechtecharta für das deutsche Zivilprozessrecht – zumindest nach der geltenden Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten – nur ein begrenzter Wirkungsbereich zu. b) Der Vorrang des Europarechts vor dem nationalen (Verfassungs-)Recht Die eigentliche Frage nach dem Verhältnis der Europäischen Grundrechtecharta zum deutschen Grundgesetz lässt sich auf der Grundlage dieses skizzierten Anwendungsbereiches der Grundrechtecharta sodann nach allgemeinen Grundsätzen beantworten: Der EuGH vertritt in ständiger Rechtsprechung einen Vorrang des Europarechts, der durch das Bundesverfassungsgericht unter gewissen Voraussetzungen akzeptiert wird.225 Hiernach haben europäische Normen einen Anwendungsvorrang 221 Zu den Konsequenzen dieser Entscheidung vgl. auch Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 311 f. 222 So BVerfG NJW 2013, S. 1499, 1501. 223 So auch Meyer-Borowsky, GRC, Art. 51 Rn. 30b f. und Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, S. 312 f. unter expliziter Bezugnahme dieses Urteils des Bundesverfassungsgerichtes. 224 So EuGH, Rs. C-617/10, Rn. 29 – Akerberg Fransson = EuGH NJW 2013, S. 1415; einschränkend wiederum in der Entscheidung, EuGH, Rs. 399/11, Rn. 55 ff. – Melloni, wonach bei Konflikten zwischen den Grundrechtsordnungen der Mitgliedsstaaten und der GRC wiederum der Vorrang des Europarechts gilt. 225 Vgl. die Entscheidungen des EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, S. 1269 ff. – Costa/ENEL und
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vor nationalen Rechtsnormen einschließlich des Verfassungsrechts.226 Mithin lässt sich als Grundsatz der Vorrang der europäischen Grundrechtecharta vor dem deutschen Grundgesetz festhalten. Diesen Vorrang kann die Grundrechtecharta allerdings ausschließlich in ihrem soeben dargestellten Anwendungsbereich der „Durchführung von Unionsrecht“ iSd Art. 51 I GRC für sich in Anspruch nehmen.
3. Das Verhältnis von EMRK und GG Das Verhältnis zwischen EMRK und Grundgesetz ist durch eine gewisse Divergenz zwischen der theoretischen, gesetzlichen Konzeption des Grundgesetzes und ihrer praktischen Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur geprägt. Für das Verständnis dieses Verhältnisses von EMRK und Grundgesetz kommt es daher in besonderem Maße auf eine eingehende Analyse der gesetzlichen Regelungen in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur an, um den tatsächlichen Einfluss der EMRK auf das Grundgesetz darstellen zu können. a) Die EMRK als einfaches Bundesrecht Bei der EMRK handelt es sich grundsätzlich um einen völkerrechtlichen Vertrag, der nach Art. 59 II GG einer Umsetzung in das nationale Recht mittels eines Parlamentsgesetzes bedarf und sodann den Rang eines einfachen Bundesgesetzes hat. Dieser Grundsatz ist durch das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung betont worden.227 Vereinzelte Versuche im Schrifttum, einen verfassungsrechtlichen oder gar noch weitergehenden Rang der EMRK zu begründen, wurden in der Rechtsprechung nicht anerkannt und haben auch in der Literatur mangels dogmatischer und inhaltlicher Konsistenz keine überwiegende Gefolgschaft gefunden.228 Hiernach wäre die EMRK als einfaches Bundesrecht normhierarchisch unterhalb des Grundgesetzes einzuordnen und würde keinerlei Einfluss auf das höherrangige Grundgesetz ausüben. Allein die grundsätzliche Verpflichtung zur Berücksichtigung der EMRK bei der Auslegung einfachen Rechts durch Exekutive und EuGH, Rs. C-11/70, Slg. 1970, S. 1135 ff. – internationale Handelsgesellschaft und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 73, S. 339, 374 f. – Solange II und BVerfGE 123, S. 267, 396 ff. – Lissabon; ausführlich zu diesem Verhältnis auch Haratsch/Koenig/Pechtstein, Europarecht, S. 86 ff. 226 So EuGH, Rs. C-11/70, Slg. 1970, S. 1135 ff. – internationale Handelsgesellschaft. 227 Vgl. etwa BVerfG NJW 1987, S. 2427; BVerfG NJW 1990, S. 2741; BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3408 und BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1935 f.; aus der Literatur ausführlich Sauer, ZaöRV 65 (2005), S. 35 ff.; Papier, EuGRZ 2006, S. 1 ff. und Ruffert, EuGRZ 2007, S. 245 ff.; siehe auch Merten/Papier-Grabenwarter, HGR VI/2, § 169, Rn. 12 ff.; Dörr/Grote/Marauhn-Giegerich, EMRK/GG I, Kapitel 14, Rn. 45 ff. jeweils mwN. 228 Ausführlich und mit weiteren Nachweisen zu den jeweiligen Ansätzen Ruffert, EuGRZ 2007, S. 245, 246 ff.; Merten/Papier-Grabenwarter, HGR VI/2, § 169, Rn. 18 ff. und Dörr/Grote/ Marauhn-Giegerich, EMRK/GG I, Kapitel 14, Rn. 51 ff.
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Judikative würde sich aus der allgemeinen Bindung an Recht und Gesetz in Art. 20 III GG ergeben. b) Das Gebot EMRK-konformer Auslegung des nationalen (Verfassungs-)Rechts Indes hat das Bundesverfassungsgericht bereits in frühen Entscheidungen den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes entwickelt und diesen Grundsatz in der Folge auch für die EMRK hervorgehoben.229 Das Verfassungsgericht hat die EMRK in Anwendung dieses Grundsatzes als „Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes“ angesehen.230 Zudem soll die EMRK ausdrücklich in ihrem jeweils aktuellen Entwicklungsstand berücksichtigt werden, wie er sich aus der Rechtsprechung des EGMR und den Protokollen der Konvention ergibt.231 Das Bundesverfassungsgericht hat die Verpflichtung zur Berücksichtigung der EMRK auf alle drei Staatsgewalten bezogen: So wurde die EMRK bereits in frühen Entscheidungen zur Auslegung des Prozessrechts der StPO herangezogen.232 In diesem Zusammenhang hat das Verfassungsgericht auch für die EMRK die Unanwendbarkeit des allgemeinen Grundsatzes ausgesprochen, dass ein späteres Gesetz dem früheren Gesetz vorgeht (lex posterior delegat legi priori). Vielmehr bestehe eine grundsätzliche Vermutung dahingehend, dass der Gesetzgeber mit seinen Regelungen nicht gegen völkerrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik verstoßen wollte, wenn ein anderweitiger Wille nicht ausdrücklich artikuliert wird.233 Besondere Bedeutung hat die Pflicht zur Berücksichtigung der EMRK auch für die Gerichtsbarkeit: Eine grundsätzliche Berücksichtigungspflicht folgt insoweit bereits aus Art. 20 III GG mit Blick auf den Status der EMRK als Bundesgesetz nach Art. 59 II GG. Das Bundesverfassungsgericht verlangt in diesem Zusammenhang jedoch weitergehend eine erkennbare Auseinandersetzung mit der EMRK in ihrer konkreten Auslegung durch den EGMR und gegebenenfalls eine nachvollziehbare Begründung, weshalb das erkennende Gericht der völkerrechtlichen Rechtsauffassung im 229 Diesen Grundsatz entwickelnd bereits BVerfGE 6, S. 309, 362 f.; seitdem st. Rspr, siehe etwa BVerfG NJW 1964, S. 1783, 1784; BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3408; sehr instruktiv in jüngster Zeit BVerfG NJW 2016, S. 1295, 1298 ff. jeweils mwN; ausführlich diese Entwicklung skizziert Rehleder, Grundrechtsschutz, S. 149 ff. siehe auch Papier, EuGRZ 2006, S. 1 ff. 230 In diesem Sinne bereits BVerfG NJW 1987, S. 2427; ausführlich BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3408; ebenso auch BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1935. 231 Ausführlich wiederum BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3408 und BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1935. 232 Zur diesbezüglichen Herleitung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung aus Art. 6 II EMRK siehe bereits BVerfG NJW 1987, S. 2427 f. und BVerfG NJW 1990, S. 2741 f. 233 In diesem Sinne bereits BVerfG NJW 1987, S. 2427; ebenso auch BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3411 ausführlich und auf die Zulässigkeit von explizit gewollten Abweichungen durch den Gesetzgeber nach dem GG hinweisend BVerfG NJW 2016, S. 1295, 1298 ff.
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konkreten Fall nicht folgt.234 Von mehreren möglichen Auslegungen ist grundsätzlich diejenige Auslegung zu wählen, die einen Verstoß gegen die EMRK vermeidet (Grundsatz der konventionsfreundlichen Auslegung).235 Der Sinn und Zweck dieser Berücksichtigungspflicht ist letztlich in der Verhinderung von Verletzungen völkerrechtlicher Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zu sehen, so dass sich das Verfassungsgericht „mittelbar in den Dienst der Durchsetzung des Völkerrechts stellt“.236 Zugleich hebt das Bundesverfassungsgericht auch die besondere Bedeutung der EMRK für die gemeineuropäische Grundrechtsentwicklung ergänzend hervor.237 Die Grenzen der konventionsfreundlichen Auslegung sind dort zu ziehen, wo eine solche Auslegung „nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint“.238 Zudem betont das Verfassungsgericht das Erfordernis einer Einpassung der Vorgaben der EMRK in das bestehende, historisch gewachsene dogmatische System des jeweiligen Teilbereiches der nationalen Rechtsordnung durch die nationalen Gerichte.239 Die allgemeine Grenze einer solchen Berücksichtigung der EMRK wird durch das Verfassungsgericht jedoch darin gesehen, dass dem Grundgesetz das letzte Wort zukommen muss – als grundlegender Gedanke staatlicher Souveränität.240 Daher ist die EMRK ausnahmsweise dann nicht zu beachten, wenn ihre Anwendung zu einem Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung verstoßen würde – insbesondere darf eine Anwendung der EMRK nicht zur Verletzung von Grundrechten führen, was die Konvention jedoch ihrerseits in Art. 53 EMRK ausschließt.241 Etwaige Grundrechtsverletzungen des Grundgesetzes sind nach dem Bundesverfassungsgericht insbesondere in sog. mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen denkbar, innerhalb derer ein „Mehr“ an Freiheit für den einen Grundrechtsberechtigten zugleich ein „Weniger“ an Freiheit für einen anderen Grundrechtsberechtigten bedeuten kann.242 234 Ausführlich zu dieser Berücksichtigungspflicht BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3408 ff.; zusammenfassend auch BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1936. 235 In diesem Sinne die Schlussfolgerung durch BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3411. 236 So wörtlich BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3411; auf den Sinn und Zweck einer Vermeidung von Verletzungen völkerrechtlicher Verpflichtungen abstellend auch BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1935 f. 237 Diesen Aspekt gleichfalls hervorhebend BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3411. 238 In diesem Sinne BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3410 ff. und BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1935 f. 239 Vgl. einmal mehr BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3411. 240 Vgl. wiederum BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3408 f. und BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1935 f.; instruktiv zu den Grenzen der Völkerrechtsfreundlichkeit in jüngster Zeit auch BVerfG NJW 2016, S. 1295, 1298 ff. 241 In diesem Sinne BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3410; ähnlich BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1936; den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit tendenziell enger auslegend, BVerfG NJW 2016, S. 1295, 1298 ff. 242 Auf die Konstellationen mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse verweisend insbesondere BVerfG NJW 2004, S. 3407, 3408 f.; ähnlich auch BVerfG NJW 2011, S. 1931, 1936.
§ 5 Dogmatische Einordnung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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In der Literatur wird diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich mit Zustimmung bedacht.243 Kritik wurde am Vorbehalt des Grundgesetzes als Grenze der völkerrechtsfreundlichen Auslegung und am Maßstab der „bloßen“ Berücksichtigungspflicht des Verfassungsgerichts geübt.244 Indes wird auch in der Literatur hervorgehoben, dass die EMRK durch die völkerrechtsfreundliche Auslegung des Bundesverfassungsgerichts einen weit über die eigentliche Konzeption des Art. 59 II GG hinausgehenden Einfluss auf das Grundgesetz ausübt.245 Insbesondere im Bereich der prozessualen Grundrechte hat die Generalklausel des fairen Verfahrens in Art. 6 I EMRK eine umfangreiche Rechtsprechung des EGMR hervorgebracht, die durch das Verfassungsgericht genutzt wurde, um die eher fragmentarischen, prozessualen Gewährleistungen des Grundgesetzes zu erweitern.246 Zusammenfassend lässt sich aufgrund der völkerrechtsfreundlichen, konventionskonformen Auslegung des Grundgesetzes durch das Bundesverfassungsgericht ein nach hier vertretener Ansicht nicht zu unterschätzender Einfluss der EMRK auf das in der Normhierarchie nominell höherstehende Grundgesetz konstatieren – insbesondere für die prozessualen Grundrechte.
VI. Zusammenfassung Seine dogmatische Grundlage findet das Recht auf Beweis im Grundgesetz in dem Recht auf effektiven Rechtsschutz und damit letztlich im Justizgewährungsanspruch aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG). Für die europäischen Grundrechtsordnungen lässt sich festhalten, dass das Recht auf Beweis ein eigener Teilgewährleistungsgehalt des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC darstellt. 243 Grundsätzlich zustimmend etwa Merten/Papier-Grabenwarter, HGR VI/2, § 169, Rn. 15 ff.; Dörr/Grote/Marauhn-Giegerich, EMRK/GG I, Kapitel 14, Rn. 45 ff.; Sauer, ZaöRV 65 (2005), S. 35 ff.; Papier, EuGRZ 2006, S. 1 ff. und Ruffert, EuGRZ 2007, S. 245 ff.; jeweils mwN. 244 Kritisch etwa Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, S. 15 ff.; eine weitergehende Berücksichtigung der EMRK iSe Umsetzungspflicht anmahnend Sauer, ZaöRV 65 (2005), S. 35, 46 ff.; weitere Nachweise zur Kritik an dieser Rechtsprechung finden sich bei Merten/Papier-Grabenwarter, HGR VI/2, § 169, Rn. 16. 245 Von einem „faktischen Vorrang“ der EMRK spricht etwa Merten/Papier-Grabenwarter, HGR VI/2, § 169, Rn. 16; die Bedeutung der Konvention für die Auslegung des Grundgesetzes hervorhebend auch Papier, EuGRZ 2006, S. 1, 2; etwas zurückhaltender Ruffert, EuGRZ 2007, S. 245, 247 ff. jeweils mwN. 246 Vgl. zur Herleitung der Unschuldsvermutung aus Art. 6 II EMRK etwa BVerfG NJW 1987, S. 2427 f. und BVerfG NJW 1990, S. 2741 f.; die besondere Bedeutung der EMRK für die prozessuale Grundrechtsentwicklung hervorhebend auch Merten/Papier-Grabenwarter, HGR VI/2, § 169, Rn. 17 mwN.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
Das Verhältnis von EMRK und europäischer Grundrechtecharta wird insbesondere durch die Transferklausel des Art. 52 III S. 1 GRC geprägt. Hiernach wird der Schutzgehalt eines Grundrechts der EMRK auf das korrespondierende Grundrecht der Charta transferiert, so dass eine inhaltliche Kongruenz zwischen EMRK und GRC hergestellt wird. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz findet sich in Art. 52 III S. 2 GRC, der ein Abweichen der Grundrechtecharta zugunsten eines höheren Grundrechtsstandards ermöglicht. Im Falle mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse muss es jedoch mangels Feststellbarkeit eines „Mehr“ an Grundrechtsschutz bei dem grundsätzlichen Vorrang der EMRK nach Art. 52 III S. 1 bleiben. Das Verhältnis von europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz lässt sich anhand der Rechtsprechung des EuGH zum Vorrang des Europarechts bzw. dem Kooperationsverhältnis des Bundesverfassungsgerichts beschreiben. Im Rahmen ihres Anwendungsbereiches der Umsetzung von Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten kommt den Gewährleistungen der Grundrechtecharta ein Vorrang gegenüber dem Grundgesetz zu. Schlussendlich wird das Verhältnis von EMRK und Grundgesetz grundsätzlich durch Art. 59 II GG dahingehend bestimmt, dass die EMRK den Rang einfachen Bundesrechts einnimmt und normhierarchisch unterhalb des Grundgesetzes anzusiedeln ist. Allerdings gehen Bundesverfassungsgericht und Schrifttum richtigerweise davon aus, dass die EMRK in Anwendung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes als Auslegungshilfe des Grundgesetzes heranzuziehen ist. Daher kommt der EMRK insbesondere im Bereich der prozessualen Grundrechte ein erheblicher Einfluss auf das Grundgesetz zu.
§ 6
Grundlagen und die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis In den weiteren Paragraphen dieses Hauptteils gilt es nun, die wesentlichen inhaltlichen Grundlagen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta zu entwickeln, um als Eckpfeiler für die Konkretisierung des soeben postulierten und dogmatisch eingeordneten Rechts auf Beweis zu dienen. Aufbauend auf der dogmatischen Einordnung des Rechts auf Beweis in das bestehende System von Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta soll eine Vielzahl einzelner Gewährleistungen dieses Rechts auf Beweis herausgearbeitet werden.
I. Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis – Einführung In diesem Paragraphen werden zunächst eine Reihe grundsätzlicher Überlegungen zum Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis erarbeitet, die für Grundgesetz, EMRK und europäische Grundrechtecharta gleichermaßen Geltung haben. Zudem lassen sich für das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen gewisse, immanente Grenzen festhalten, die nachfolgend gleichfalls analysiert werden sollen. Die weiteren Grenzen des Rechts auf Beweis, insbesondere die Möglichkeiten seiner grundrechtskonformen Einschränkung sind dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis demgegenüber gerade nicht vorgelagert. Sie werden vielmehr im weiteren Verlauf dieses Hauptteils analysiert und aufgezeigt.1 Die Analyse des abstrakten Inhaltes des Rechts auf Beweis soll gleichfalls mit dem deutschen Grundgesetz als der am umfänglichsten bearbeiteten Grundrechtsordnung beginnen, bevor sich EMRK und europäischen Grundrechtecharta anschließen. Im Rahmen der eigentlichen inhaltlichen Erarbeitung des Rechts auf Beweis und seiner Gewährleistungsgehalte soll zunächst eine Untersuchung und Darstellung der beweisrechtlichen Gewährleistungen in den einzelnen Grundrechtsordnungen anhand der jeweiligen Rechtsprechung und Literatur erfolgen, bevor die Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis als eigene Ansicht auf der Grundlage dieses bisherigen Forschungsstandes herausgearbeitet werden. 1 Ausführlich
unten § 8.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
II. Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis – Grundlagen In diesem Paragraphen soll nun eine Reihe von Grundlagen erarbeitet werden, die für das Recht auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz gleichermaßen gelten.
1. Die gemeinsame Wertebasis des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC So lassen sich über die Feststellung einer gemeinsamen Wertebasis Rückschlüsse auf ein gewisses Maß an inhaltlichen Übereinstimmungen ziehen. Nachfolgend soll diese gemeinsame Wertebasis für das Grundgesetz, die EMRK und die europäische Grundrechtecharta herausgearbeitet werden. a) Gemeinsames Wertefundament im Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten Besonders deutliche Gemeinsamkeiten in Herleitung und Grundwerten weisen EMRK und europäische Grundrechtecharta auf. Im Hinblick auf die explizite Orientierung der Grundrechtecharta an der EMRK vermag diese starke Gemeinsamkeit indes kaum zu überraschen. Das Recht auf Beweis leitet sich nach hier vertretener Ansicht in beiden Grundrechtsordnungen als eigenständiger Teilgehalt aus dem allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC ab. Dieses allgemeine und sehr umfassende Recht auf ein faires Verfahren kann wertmäßig letztlich als ein Ausdruck des Grundwertes der Rechtsstaatlichkeit angesehen werden. Dem Einzelnen ein effektives Instrument des Rechtsschutzes an die Hand zu geben, das gewissen Mindeststandards genügt, gehört zu den grundlegendsten Ausprägungen des Rechtsstaatsgedankens.2 In der EMRK wird dieser Gedanke einer Fundierung des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK in einem übergeordneten Rechtsstaatsgedanken eher von der Seiten der Literatur geäußert.3 Doch auch in der Rechtsprechung des EGMR schwingt dieser Gedanke zumindest implizit mit, wenn der EGMR die Bedeutung eines fairen Verfahrens für ein demokratisches Gemeinwesen betont.4 Die Europäische Union bildet insoweit einen 2 In diese Richtung tendierend, mit umfangreichen Ausführungen zum Rechtsstaatsprinzip und seinen Mindestanforderungen an das Prozessrecht etwa BVerfGE 91, S. 176, 181 ff. 3 Ausdrücklich Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 1 ff.; in diesem Sinne Karpenstein/Meier-Meyer, EMRK, Art. 6 Rn. 1 ff.; ähnlich auch Pache, NVwZ 2001, S. 1342 ff.; Schwarze, NVwZ 2000, S. 241, 244 und Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 1 ff.; ein Rechtsstaatsprinzip in der EMRK sieht auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 646, allerdings vor dem Hintergrund des Strafprozesses. 4 So etwa in EGMR, Urteil vom 20.11.1989, 11454/85, Kostovski ./. NL, Rn. 44; ebenso EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 58.
§ 6 Grundlagen und die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis
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deutlich engeren Verbund seiner Mitgliedsstaaten. Daher ist das Rechtsstaatsprinzip in Art. 2 EUV ein wesentlicher und expliziter Bestandteil des Primärrechts der Europäischen Union geworden.5 Der EuGH betont zudem in ständiger Rechtsprechung den Gedanken der EU als Rechtsgemeinschaft.6 Die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, wie in Art. 47 II S. 1 GRC geschehen, ist eine wesentliche Ausprägung dieses Rechtsstaatsprinzips auf Ebene der Europäischen Union. Es zeigt sich also, dass das Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK wie auch des Art. 47 II S. 1 GRC als unmittelbare Ausprägung eines Rechtsstaatsgedankens begriffen werden können. Das Recht auf Beweis effektuiert als Teilgehalt dieses fairen Verfahrens die Einwirkungsmöglichkeiten des Einzelnen auf die Tatsachenfeststellung im Prozess und damit letztlich auch seinen Ausgang und sichert hiernach die Effektivität des aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Rechtsschutzes. Somit stellt sich das Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta als Ausdruck des Grundwertes der Rechtsstaatlichkeit dar. Zudem wurde bereits im Rahmen der Postulierung des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta seine Bedeutung für die Gewährleistung der materiellen Grundrechte betont.7 Diese materiellen Grundrechte haben für den Einzelnen eine essentielle Bedeutung, allerdings nur solange und soweit sie im Ernst- bzw. Streitfalle auch tatsächlich durchsetzbar sind. Die Parteien führen einen Zivilprozess nicht um des Prozesses willen, sondern stets zur Klärung eines konkreten Streitpunktes und in erster Linie zur Durchsetzung ihrer eigenen Rechtspositionen.8 Weiterhin gilt es in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass eine Vielzahl an einklagbaren Rechtspositionen im Zivilprozess letztlich Ausfluss von grundrechtlichen Gewährleistungen sind. Allen voran sei an die Eigentumsgarantie gedacht, doch auch der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, der Meinungsfreiheit oder der Berufsfreiheit werden regelmäßig auf Ebene des Zivilprozesses verwirklicht. Die Gewährleistung eines effektiven Rechtsnachweises im Zivilprozess mittels eines Rechts auf Beweis bedeutet für die Prozessparteien daher eine Effektuierung ihres (Grund-) Rechtsschutzes. Die Wertebasis des Rechts auf Beweis in den 5 Vgl. bereits die frühen Entwicklungen in der Rechtsprechung, etwa EuGH, Rs. C-222/86, Slg. 1987, 04097, Rn. 14 ff. – Unectef / Heylens; EuGH, Rs. C-98/78, Slg. 1979, 00069, Rn. 20 – Racke / Hauptzollamt Mainz; EuGH, Rs. C-169/80, Slg. 1981, 01931, Rn. 17 f. – Gondrand und Garan cini und EuGH Rs. C-90/95, Slg. 1997, I-01999, Rn. 35 ff. – De Compte / Parlament; diese Entwicklungen des Rechtsstaatsprinzips bis zu dessen expliziter Verankerung nachzeichnend Streinz-Pechstein, EUV, Art. 2, Rn. 6; siehe auch Schwarze-Schwarze, EUV, Art. 2, Rn. 2 f. 6 St. Rspr., vgl. etwa EuGH Rs. C-521/06, Slg. 2008, I-05829, Rn. 45 – AthinaikiTechniki ./. Kommission; EuGH, Rs. C-229/05, Slg. 2007, I-439, Rn. 109 – PKK und KKN / Rat; EuGH Rs. C-50/00, Slg. 2002, I-6677, Rn. 38 ff. – Union de PequenosAgricultores ./. Rat. 7 Vgl. § 4 II. 8 Vgl. zur herrschenden Prozesszwecklehre etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1, Rn. 5 ff. mit zahlreichen Nachweisen zum Streitstand; eine ausführliche Darstellung und Auseinandersetzung mit den einzelnen Prozesszwecklehren folgt sogleich unter II. 5.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
Grundrechten wird an dieser Stelle besonders deutlich. Somit folgt das Recht auf Beweis in EMRK und der europäischen Grundrechtecharta letztlich aus dem gemeinsamen Wertekanon der materiellen Grundrechte iVm dem Rechtsstaatsprinzip. Diese Herleitung des Rechts auf Beweis aus der gemeinsamen Wertebasis des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte gilt nach hier vertretener Auffassung in gleicher Weise für das Recht auf Beweis im Grundgesetz. Das Recht auf Beweis stellt sich als Ausfluss des Rechts auf effektiven Rechtsschutz und damit letztlich des Justizgewährungsanspruches dar.9 Der Justizgewährungsanspruch wiederum findet seine Fundierung richtigerweise im Rechtsstaatsprinzip iVm den Grundrechten.10Auch inhaltlich stimmen die Argumentationslinien von EMRK und europäischer Grundrechtecharta mit denjenigen des Grundgesetzes überein: Die Gewährung von Rechtsschutz, wie auch die Effektivität dieses Rechtsschutzes werden als elementarer Bestandteil und Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips angesehen.11 Erst dieser effektive Rechtsschutz ermöglicht dem Einzelnen eine Rechtsdurchsetzung, die seine qua Grundgesetz gewährleisteten, materiellen Grundrechte zu ihrer wahren Entfaltung bringt.12 Es zeigt sich zusammenfassend, dass das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen letztlich auf den gleichen Werten basiert. Diese gemeinsame Wertebasis ist eine ganz wesentliche Voraussetzung für weitere, allgemeine Aussagen, die für alle drei Grundrechtsordnungen gleichermaßen Geltung beanspruchen können. b) Inhaltliche Kongruenz des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC Darüber hinaus zeitigt die gemeinsame Wertebasis auch für den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen deutliche Konsequenzen: Die nachfolgende, eingehende Untersuchung des Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis wird eine Vielzahl inhaltlicher Übereinstimmungen in allen drei Grundrechtsordnungen aufzeigen. In ihrem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis überwiegen im Rahmen von Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta letztlich die Gemeinsamkeiten. Diese inhaltliche Übereinstimmung folgt teilweise bereits aus rechtlichen Vorgaben: Die Grundrechtecharta wird durch Art. 52 III S. 1 GRC rechtlich an die EMRK gebunden. Die EMRK fundiert hiernach für die Grundrechtecharta als Mindeststandard, von dem nach Art. 52 III S. 2 GRC ausschließlich zugunsten eines höheren 9
Vgl. oben § 5 II. 3. c. So bereits BVerfGE 80, S. 103, 107; st. Rspr. vgl. etwa BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfGE 88, S. 118, 123; BVerfGE 107, S. 395, 401; BVerfGE 112, S. 185, 207. 11 Vgl. bereits BVerfGE 107, S. 395, 406 ff.; in diesem Sinne auch BVerfG-K 15, S. 127, 130 und ganz ähnlich BVerfG NJW 2011, S. 49 jeweils mwN. 12 Ausführlich etwa Dütz, rechtsstaatlicher Gerichtsschutz, §§ 17–20; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 39 ff. und Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 ff. jeweils mwN. 10
§ 6 Grundlagen und die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis
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Schutzniveaus abgewichen werden darf. Eine Bestimmung dieses höheren Schutzniveaus scheidet jedoch ihrerseits im Rahmen mehrpoliger Grundrechtsverhältnisse aus.13 Somit bilden EMRK und Grundrechtecharta einen mehr oder weniger einheitlichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis – wie im Einzelnen sogleich zu zeigen sein wird. Allerdings verbleibt es nicht bei diesem gemeinschaftlichen „europäischen“ Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis. Vielmehr ergeben sich aus EMRK und Grundrechtecharta auch für das Grundgesetz gewisse Bindungen: Die EMRK wirkt – obgleich nach Art. 59 II GG „lediglich“ im Range einfaches Bundesrecht – über die EMRK-konforme Auslegung des Bundesverfassungsgerichts in erheblichem Umfange auf das Grundgesetz ein.14 Die europäische Grundrechtecharta kann aufgrund des allgemeinen Vorranges des Europarechts sogar eine rechtliche Bindungswirkung für das Grundgesetz erzeugen – allerdings nur im Rahmen ihres begrenzten Geltungsbereiches.15 Diese rechtlichen Bindungen der Grundrechtsordnungen untereinander führen zu einer erheblichen inhaltlichen Kongruenz der jeweiligen Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis. Doch auch über diese rechtliche Bindung hinaus wird die nachfolgende Analyse eine Vielzahl gleichlaufender Gewährleistungsgehalte des jeweiligen Rechts auf Beweis aufzeigen. Diese große faktische Nähe wird umso erklärlicher, wenn man das Recht auf Beweis mit der hier vertretenen Auffassung in jeder der drei untersuchten Grundrechtsordnungen als ein umfassendes Recht auf einen effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess begreift. Dieser Maßstab der Effektivität der eigenen Nachweismöglichkeiten prädisponiert eine Vielzahl an Gewährleistungsgehalten, so dass sich das Recht auf Beweis in seinem jeweiligen Gewährleistungsgehalt nach EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz ähnelt. Dies gilt umso mehr, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen an der jeweiligen Prozesszwecklehre ausrichtet.16 Die Unterschiede zwischen dem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta zeigen sich vielmehr im Schutzumfang dieser Gewährleistungsgehalte und dem daraus resultierenden Umfang des gesetzgeberischen Ermessens. Die europäischen Grundrechtsordnungen stellen – auch im Hinblick auf ihre kompetenzielle Grenzen – nach hier vertretener Auffassung tendenziell ein etwas gröberes Raster dar, das den einzuhaltenden Mindeststandard an effektiven Nachweismöglichkeiten eigener Rechte et13 Ausführlich
dazu bereits oben § 5 V. 1. Vgl. etwa BVerfGE 111, S. 307, 315 ff.; zu dieser Entwicklung auch Rehleder, Grundrechtsschutz, S. 149 ff. 15 Zum Verhältnis von Europarecht und Grundgesetz siehe die Entscheidungen EuGH, Rs. C-6/64, Slg. 1964, S. 1269 ff. – Costa/ENEL und EuGH, Rs. C-11/70, Slg. 1970, S. 1135 ff. – inter nationale Handelsgesellschaft sowie die Entscheidungen BVerfGE 73, S. 339, 374 f. – Solange II und BVerfGE 123, S. 267, 396 ff. – Lissabon; zum Geltungsbereich der Grundrechtecharta siehe soeben § 5 V. 2. 16 Dazu sogleich unter II. 5. b. 14
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
was niedriger ansetzt, als das Grundgesetz. Dem Gesetzgeber wird hiernach ein weiteres Ermessen bei der Ausgestaltung der nationalen Prozessordnung eingeräumt. Die grundsätzliche Wertebasis des Rechts auf Beweis, sein Ziel der Gewährleistung effektiver Nachweismöglichkeiten und daraus resultierend die wesentlichen Gewährleistungsgehalte stimmen indes in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta weitgehend überein.
2. Das Recht auf Beweis als eigenständiges prozessuales Grundrecht Das Recht auf Beweis wird selbst in der deutschen Literatur nur sporadisch behandelt und sodann von einigen Stimmen als eine bloße „Ansammlung“ von einzelnen Gewährleistungen mit beweisrechtlichem Bezug angesehen, die aus den verschiedensten prozessualen Grundrechten hergeleitet werden.17 Das Recht auf Beweis wäre hiernach ein reiner Sammelbegriff für den beweisrechtlichen Gehalt der bereits bestehenden, prozessualen Grundrechte. Oftmals findet das Recht auf Beweis in der Literatur zudem ausschließlich im Zusammenhang mit Beweisverwertungsverboten Erwähnung. In diesen Bearbeitungen wird das Recht auf Beweis sodann allein als Argumentationslinie für die Zulassung von Beweismitteln verwendet und dient daher regelmäßig als bloßes Stichwort in einer Abwägungsentscheidung, um zu einem von vornherein gewünschten Ergebnis zu kommen.18 Nach hier vertretener Ansicht greifen diese Sichtweisen auf das Recht auf Beweis deutlich zu kurz. Das Recht auf Beweis stellt einen eigenständigen Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC bzw. einen Ausfluss des Rechts auf effektiven Rechtsschutz im Rahmen des Justizgewährungsanspruches des Grundgesetzes dar. Es handelt sich damit um eigenständiges, grundsätzlich umfassendes Recht auf effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess. In diesem Sinne gewährleistet das Recht auf Beweis einen weitreichenden Schutz der Prozessparteien: Von der Stellung eines Beweisantrages, über die eigentliche Beweisaufnahme, die Würdigung der Beweismittel bis hin zur Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen beinhaltet das Recht auf Beweis eine ganze Reihe von Gewährleistungsgehalten der Parteien des Zivilprozesses. Jede Einschränkung des Rechts auf Beweis – sei es durch vom Gesetzgeber geschaffene, prozessuale Normen oder ihre Anwendung im Einzelfall durch das erkennende Gericht – bedarf einer Rechtfertigung.19 Die Darstellung des Rechts auf Beweis als bloße 17 In diesem Sinne äußerst sich Muthorst, Beweisverbot, S. 163, dessen diesbezügliche Nachweises jedoch nach hier vertretener Lesart regelmäßig von einem anderen Verständnis des Rechts auf Beweis ausgehen. 18 Vgl. wiederum Muthorst, Beweisverbot, S. 161 ff.; das Recht auf Beweis als eine rein ergebnisorientierte Argumentationslinie ansehend auch Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 47 ff. jeweils mwN. 19 Ausführlich dazu unten § 8.
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Zusammenfassung beweisrechtlicher Gewährleistungen oder gar als Argumentationslinie zur Verwertung von Beweismitteln kann daher den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in keiner Weise beschreiben. Dieses Wesen des Rechts auf Beweis kann zu einer Überschneidung seines Gewährleistungsgehaltes mit anderen prozessualen Grundrechten führen. Insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör wird in allen drei Grundrechtsordnungen gleichermaßen gewährleistet und beansprucht auch für das Beweisrecht Geltung, so dass es insoweit zu Überschneidung der jeweiligen Gewährleistungsgehalte kommen kann. Eine solche „Dopplung“ des Grundrechtsschutzes stellt jedoch nach hier vertretener Ansicht kein größeres Problem dar. Schließlich ist es das erklärte Ziel der Grundrechtsordnungen, dem Einzelnen einen möglichst umfassenden Schutz zu gewähren und sei es durch den überlappenden Schutz mehrere Grundrechte. Zudem bezieht sich das Recht auf Beweis explizit und ausschließlich auf das Beweisrecht und gibt dem Einzelnen in diesem Bereich subjektive Rechte zu einer effektiven beweisrechtlichen Teilhabe am Prozess in die Hand. Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis ist somit klar konturiert. Im Falle eines divergierenden Gewährleistungsumfanges mit anderen prozessualen Grundrechte ließe sich daher durchaus für einen Vorrang des Rechts auf Beweis in diesem Bereich iSe lex specialis argumentieren.
3. Das Recht auf Beweis als Recht einer jeden Partei des Zivilprozesses Die zweite, grundlegende Aussage über das Recht auf Beweis beschäftigt sich mit der besonderen Situation eines Zivilprozesses, in dessen Rahmen zwei grundrechtsberechtigte Privatpersonen miteinander in Streit stehen und der Staat in Person des Gerichts lediglich die vermittelnde und letztentscheidende Rolle einnimmt. Aus der zwangsläufigen Interaktion mehrerer, grundrechtsberechtigter Parteien in einem Zivilprozess ergibt sich ebenso notwendig die Fragestellung, ob alle an einem Zivilprozess beteiligten Parteien jeweils Inhaber des Rechts auf Beweis sind und ihre jeweiligen Tatsachenbehauptungen effektiv nachweisen dürfen.20 a) Die Herleitung des Rechts auf Beweis aus den materiellen Grundrechten Als Ausgangspunkt diesbezüglicher Überlegungen bietet sich nach hier vertretener Auffassung die dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis in den materiellen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip an. Der aus dem staatlichen Gewaltmonopol folgende Verweis einer grundrechtsberechtigen Person auf den (Zivil-) Rechtsweg führt in Verbindung mit dem Erfordernis des Nachweises eigener Rechte im Zivilprozess argumentativ zwingend zu einem entsprechenden Recht auf einen effektiven Nachweis eigener Rechte. Dieser Zusammenhang wurde bereits ver20
Ausführlich und instruktiv zu dieser Fragestellung bereits Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257 ff.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
schiedentlich beleuchtet und zeigt die Inhaberschaft eines Rechts auf Beweis zumindest für die klagende, ein eigenes Recht behauptende Prozesspartei deutlich auf. Diese Partei muss ihr behauptetes Recht im Zivilprozess nachweisen und hat dementsprechend unzweifelhaft auch ein Recht auf Beweis iSe Rechts auf effektiven Nachweis eigener Rechte. Die Argumentation zugunsten der Inhaberschaft des Rechts auf Beweis dieser Prozesspartei knüpft hierbei in erster Linie an die – zumindest behauptete – materiell-rechtliche Rechtsinhaberschaft an. Eine solche Argumentation zur Begründung des Rechts auf Beweis bereitet jedoch Schwierigkeiten, sobald die jeweils andere, beklagte Prozesspartei als eine weitere, grundrechtsberechtigte Person in den Blick genommen wird. Im Falle einer tatsächlich bestehenden, materiell-rechtlichen Rechtsinhaberschaft der klagenden Prozesspartei könnte man an einem Recht der jeweils anderen Partei auf Beweis dahingehend zweifeln, dass es dieser Partei an einer mittels effektiven Rechtsnachweises durchzusetzenden, materiell-rechtlichen (Grund-) Rechtsposition ja gerade fehlen würde. Doch selbst wenn der klagenden Prozesspartei ihre behauptete, materiell-rechtliche Rechtsinhaberschaft tatsächlich nicht zustehen würde, so wäre selbst in dieser Konstellation das Recht der jeweils anderen Prozesspartei auf Beweis mit einer allein materiell-rechtlichen Argumentation nur schwer zu begründen. Es ließe sich zwar eine Rechtsposition in Form eines Rechts auf Schutz vor einer unberechtigten Inanspruchnahme konstruieren. Allerdings müsste dieses Recht auf Schutz vor unberechtigter Inanspruchnahme grundsätzlich mithilfe eines Unterlassungsanspruches durchgesetzt werden, wobei Teile der Literatur richtigerweise anmerken, dass es insoweit wohl an der einer Erstbegehungsgefahr als Voraussetzung eines Unterlassungsanspruchs fehlen würde, da diese Gefahr sich aus einem vermuteten richterlichen Fehlurteil ergeben müsste.21 Doch auch für die klagende Prozesspartei ließe sich diese Problematik fortspinnen, falls das von ihr behauptete, materielle Recht tatsächlich nicht existiert und die argumentative Basis für Recht auf Beweis sozusagen im Nachhinein entfallen müsste. Diese Gedanken führen zu der grundlegenden Problematik einer allein an der materiell-rechtlichen Rechtsinhaberschaft orientierten Begründung des Rechts auf Beweis: In einem Zivilprozess streiten (mindestens) zwei grundrechtsberechtigte Parteien um die Durchsetzung eines privaten Rechts. Dieses Recht kann aber typischerweise nur einer von beiden Parteien zustehen – andernfalls gäbe es ja keinen Streit über die Rechtsinhaberschaft in Form eines Zivilprozesses. Zum Zwecke einer effektiven Prozessführung benötigt jede der Prozessparteien gewisse beweisrechtliche Gewährleistungen in Form eines Rechts auf Beweis, doch unter alleiniger Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Rechtsinhaberschaft könnte dieses Recht auf Beweis grundsätzlich nur eine der beiden Parteien zustehen. Der erste wesent liche Kritikpunkt einer solchen rein materiell-rechtlichen Betrachtung des Rechts 21
So bereits Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257, 259 f.
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auf Beweis ergibt sich aufgrund praktischer Erwägungen bereits auf den ersten Blick: Die Beantwortung der Frage nach der tatsächlichen, materiell-rechtlichen Rechtsinhaberschaft ist die wesentliche Aufgabe eines Zivilprozesses und ergibt sich mithin als Ergebnis des Zivilprozesses denknotwendig erst zum Abschluss desselben.22 Außerdem wurde bereits für den Justizgewährungsanspruch herausgearbeitet, dass die Inhaberschaft dieses Anspruches gerade nicht von einer nachgewiesenen, materiell-rechtlichen Rechtsinhaberschaft abhängig gemacht werden kann, will man den Justizgewährungsanspruch nicht in weitem Umfang leerlaufen lassen.23 Diese Argumentation gilt für das Recht auf Beweis in besonderem Maße: Als Voraussetzung für ein Recht auf effektiven Nachweis eigener Rechte zu fordern, dass das in Rede stehende Recht bereits materiell-rechtlich erwiesenermaßen feststeht, wäre geradezu absurd. Bereits diese Überlegungen zeigen die Schwäche einer allein an der materiell-rechtlichen Rechtsinhaberschaft orientierten Betrachtung des Rechts auf Beweis deutlich auf. Hinzu kommen weitere dogmatische Bedenken bei einem Blick auf die ähnlich gelagerte Problematik einer Bestimmung des Streitgegenstandes: So lag der ursprünglichen ZPO nach ihrer gesetzgeberischen Konzeption zwar ein materiell-rechtlicher Streitgegenstandsbegriff zugrunde. Allerdings hat sich diese Bestimmung des Streitgegenstandes insbesondere im Hinblick auf Anspruchsnormenkonkurrenzen als zunehmend unpraktikabel erwiesen, so dass in der zivilprozessualen Rechtsprechung und Lehre in heutiger Zeit ganz überwiegend ein prozessualer Streitgegenstandsbegriff vertreten wird.24 b) Die Anerkennung des Rechts auf Beweis als prozessuales Grundrecht aller an einem Zivilprozess beteiligten Parteien Diese Problematik lässt sich anhand einer rein materiell-rechtlichen Betrachtung des Rechts auf Beweis kaum auflösen. Zwar erschiene es grundsätzlich argumentativ denkbar, im Hinblick auf die strukturell bedingte Unkenntnis der tatsächlichen Rechtsinhaberschaft im Zivilprozess beiden Prozessparteien ein jeweiliges, fiktives materielles Recht zuzuweisen. Jede Partei hätte hiernach zu Beginn des Prozesses entweder eine fiktive Inhaberschaft des von ihr behaupteten Rechts oder aber ein fiktives Recht auf Schutz vor einer unberechtigten Inanspruchnahme. Allerdings würde auch eine solche materiell-rechtliche Theorie die erkennbare Schwäche aufweisen, dass zumindest eines der fiktiven materiellen Rechte in jedem Fall faktisch nicht besteht. Hinzu kommt, dass auch in ein fiktives Recht auf Schutz vor unberechtigter Inanspruchnahme letztlich mit einem Unterlassungsanspruch durchgesetzt werden müsste und man für dessen Erfolg nicht nur ein fiktives materielles In diesem Sinne insbesondere Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257, 258 f. Siehe zu dieser Kritik wiederum Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257, 259 f. 24 Diese Argumentation ergänzend heranziehend bereits Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257, 259 f. 22 23
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
Recht, sondern auch bereits vorab ein Fehlurteil iSe Erstbegehungsgefahr vermuten müsste.25 Vorzugswürdig erscheint es, das Recht auf Beweis ein Stück weit von seiner materiell-rechtlichen Begründung und Fundierung zu abstrahieren und als ein prozessuales Grundrecht anzuerkennen: Ein solches prozessuales (Grund-) Recht auf Beweis würde hiernach allen an einem Zivilprozess beteiligten Parteien zustehen und zwar – im Unterschied zu einer materiell-rechtlichen Betrachtungsweise – gerade ohne Ansehen der etwaigen, materiellen Rechtsinhaberschaft. Die Einordnung des Justizgewährungsanspruches und insbesondere des hier interessierenden Rechts auf Beweis als prozessuales Grundrecht lässt sich mit einem Blick auf die explizit im Grundgesetz normierten, prozessualen Grundrechte erhärten. Insbesondere für das Recht auf rechtliches Gehör iSd Art. 103 I GG zeigt bereits der Wortlaut „jedermann“, dass dieses Grundrecht allen Parteien eines (Zivil-) Prozesses zusteht. Die Gewährung rechtlichen Gehörs auf diejenige Partei zu beschränken, der ein materielles Recht tatsächlich zusteht, wurde soweit ersichtlich bislang noch nicht vertreten. Ähnliches lässt sich für das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 I S. 2 GG konstatieren: Das Recht auf einen von vornherein festgelegten und in seiner Auswahl jeder Manipulation entzogenen Richter steht jeder Partei eines Zivilprozesses zu. Und auch im Rahmen der Rechtsschutzgarantie gegen Akte öffentlicher Gewalt in Art. 19 IV GG sucht man vergeblich nach der Auffassung, dass diese Rechtsschutzgewährleistung mit Abweisung einer entsprechenden Klage rückwirkend entfallen würde. Insbesondere im Hinblick auf die geschriebene Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG erscheint es nicht einsichtig, weshalb die implizit im Grundgesetz vorausgesetzte Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes im Privatrecht keine Geltung für alle an einem Zivilprozess beteiligte Personen haben und mithin kein prozessuales Grundrecht darstellen sollte. Vielmehr erscheint es bei näherer Betrachtung der anderen prozessualen Grundrechte systematisch naheliegend und auch wertungsmäßig korrekt, das Recht auf effektiven Rechtsschutz und insbesondere das Recht auf Beweis gleichfalls als prozessuales Grundrecht anzuerkennen. Für die nahezu inhaltsgleichen Gewährleistungen eines effektiven Zivilrechtsschutzes in Art. 6 I EMRK und Art. 47 II S. 1 GRC lässt sich nach hier vertretener Auffassung nichts anderes feststellen. Insbesondere aufgrund der Fundierung des Rechts auf Beweis in der geschriebenen Generalklausel des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC liegt die Anerkennung dieses Recht auf Beweis als prozessuales Grundrecht gleichfalls sehr nahe. Für das Recht auf Beweis lässt sich dieser Befund zudem nach seinem Sinn und Zweck weiter erhärten: Die Verknüpfung mit der materiellen Rechtsinhaberschaft 25 Zu diesem Kritikpunkt im Zusammenhang mit der Annahme eines Unterlassungsanspruches zur Begründung des Justizgewährungsanspruches der beklagten Partei bereits Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257, 259 f.
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bleibt durch die Anerkennung als prozessuales Grundrecht aller Prozessparteien zumindest insofern bestehen, als die Erstreckung der effektiven Nachweismöglichkeit auf alle Prozessparteien die bestmögliche Gewähr für eine umfassende Wahrheitserforschung bietet. Allein durch die effektive Nachweismöglichkeit aller beteiligten Parteien können auch alle vorhandenen Beweismittel ausgeschöpft werden: zum einen wird jede der Parteien typischerweise Beweismittel besitzen, von denen die andere Partei keine genaue Kenntnis hat und zum andern würde eine Partei ebenso typischerweise keine Erhebung von Beweismitteln beantragten, die für sie ungünstig wären. Mithin würde die Erforschung des wahren Sachverhaltes ohne effektive Nachweismöglichkeit aller beteiligten Parteien regelmäßig erheblich beeinträchtigt und allein eine Entscheidung auf Grundlage des wahren Sachverhaltes kann letztlich zu einer der materiellen Rechtslage entsprechenden Entscheidung im Sinne des vorliegend gedachten Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta führen.26 Schlussendlich sprechen nach hier vertretener Ansicht auch fundamentale Gerechtigkeitserwägungen für die Anerkennung eines Rechts aller beteiligten Parteien auf Beweis im Zivilprozess. Der deutsche Zivilprozess ist als Parteiprozess ausgestaltet, so dass es eines aktiven Handelns einer jeden Prozesspartei bedarf, um den eigenen Prozessverlust zu vermeiden. Wenn nun die Berechtigung zu einem aktiven Nachweis eigener Tatsachenbehauptungen lediglich einer der Parteien zustehen würde, so würde dieser Umstand von den anderen Parteien als in höchstem Maße ungerecht empfunden und die Legitimität des Prozesses insgesamt in Frage gestellt. Dies gilt umso mehr, als ein Parteiprozess typischerweise die Untätigkeit einer Partei sanktioniert27, so dass die Rechtsordnung sodann insoweit in sich unstimmig wäre, als sie Handlungen fordern würde, zu deren Vornahme sie nicht berechtigt. Zusammenfassend bleibt die Erkenntnis, dass sämtliche an einem Zivilprozess beteiligten Parteien als grundrechtsfähige Individuen ein Recht auf Beweis haben.28 Alle beteiligten Parteien müssen grundsätzlich die Möglichkeit erhalten, ihre behaupteten Rechtspositionen im Prozess effektiv nachweisen zu können. Dabei folgt das Recht auf Beweis im Ausgangspunkt aus den materiell-rechtlichen Grundrechten und soll ihre effektive Durchsetzung im Prozess iSe effektiven Rechtsschutzes nach dem Rechtsstaatsprinzip gewährleisten. Dieses Recht auf Beweis bedarf jedoch insbesondere im Hinblick auf die in einem Zivilprozess strukturell angelegte, anfängliche Unkenntnis über den wahren Sachverhalt und die wahre materiell-rechtliche Rechtsinhaberschaft ein Stück weit einer Abstrahierung von dieser materiellrechtlichen Basis hin zu einer Anerkennung als prozessuales Grundrecht. Wesentlibereits Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257, 258 f., der insoweit auf das verfassungsrechtliche Gebot der Folgerichtigkeit der Rechtsordnung rekurriert. 27 Vgl. etwa die Geständnisfiktion des § 138 III ZPO oder Präklusionsvorschrift des § 296 ZPO. 28 So auch für den Justizgewährungsanspruch insgesamt Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257, 258 ff. 26 Ähnlich
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che Konsequenz ist, dass das Recht auf Beweis allen an einem Zivilprozess beteiligten Parteien zusteht und alle Parteien einen effektiven Nachweis ihrer Behauptungen verlangen können. Sei es das Recht der Hauptpartei, ihre behaupteten anspruchsbegründenden Tatsachen nachzuweisen oder das Recht der Gegenpartei zur Führung eines Gegenbeweises oder eines Beweises des Gegenteils. In gleicher Weise hat die Gegenpartei das Recht auf einen effektiven Nachweis der Tatsachenbasis ihrer Einwendungen und die Hauptpartei ein Recht auf effektive Beweisführung gegen eben diese Einwendung. Das Erfordernis des Nachweises von Tatsachen kann je nach Prozesslage und den bisherigen Beweisergebnissen mehrfach zwischen den Prozessparteien hin und herwechseln. Das Recht auf Beweis gewährleistet hierbei sozusagen als Konstante die Effektivität der Nachweismöglichkeiten für den jeweils im Prozess von den Parteien geforderten Beweis. Diese Beiderseitigkeit des Rechts auf Beweis ist im Rahmen einer gerichtlichen Beweisaufnahme stets mit zu bedenken. Im Grundsatz laufen die jeweiligen Rechte auf Beweis ohne Überschneidung nebeneinander her. Im Einzelfall kann es jedoch auch zu Tangierungen der jeweiligen Rechte auf Beweis kommen.29
4. Ausschluss eines negativen Gewährleistungsgehalts iSe Rechts auf Nichterhebung von Beweismitteln Das Nebeneinander der jeweiligen Rechte der Prozessparteien auf Beweis bedarf einer weiteren Klarstellung in Bezug auf den negativen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis. Ein negativer Gewährleistungsgehalt ist grundsätzlich durchaus denkbar – etwa dahingehend, dass eine Partei nicht gezwungen werden kann, ihre Beweismittel im Prozess vorzutragen. Allerdings enthält das Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht keinen negativen Gewährleistungsgehalt in Bezug auf die Beweiserhebung der jeweiligen Gegenpartei: Es ließe sich argumentieren, dass das positive Recht einer Partei auf Erhebung ihrer Beweise abzuwägen ist mit einem negativen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis der Gegenpartei auf Nichterhebung dieser Beweismittel. Schließlich würde die Beweiserhebung der einen Partei die Chancen auf den Rechtsnachweis der Gegenpartei möglicherweise erheblich schmälern. Ein solcher, negativer Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis auf Verhinderung einer Beweiserhebung der Gegenseite existiert nach hier vertretener Ansicht nicht. Dieser Gewährleistungsgehalt würde das Recht auf Beweis in ein Recht auf den Prozessgewinn umwandeln. Ein solcher Gewährleistungsgehalt wäre zudem insofern sinnwidrig, als die Verhinderung einer Beweiserhebung der Wahrheitserforschung gerade zuwider29 Eine solche Kollision ist insbesondere denkbar in Konstellationen einer in Frage stehenden Verwertbarkeit von Beweismitteln, deren Erhebung gewissen beweisrechtlichen Gewährleistungen nicht genügt hat – etwa im Falle eines Sachverständigengutachtens, dessen Datengrundlage nicht offengelegt wurde, ausführlich § 12 II. 5. a.
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laufen würde. Die Wahrheitserforschung ist aber zumindest ein dienender Nebenzweck zur Unterstützung des eigentlichen, für das Recht auf Beweis maßgeblichen Prozesszweckes der Durchsetzung privater Rechte.30 Nach hier vertretener Ansicht gehen in einem ideal gedachten Zivilprozess das Recht auf Beweis und die Erforschung der Wahrheit miteinander einher. Diesem Idealbild würde die Anerkennung eines negativen Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis auf Nichterhebung ungünstiger Beweismittel fundamental zuwiderlaufen. Insbesondere in diesem Punkt laufen die beiden Rechte auf Beweis somit ohne jeden Berührungspunkt strikt nebeneinander her. Die Beweiserhebung einer Partei tangiert das Recht auf Beweis der anderen Partei grundsätzlich in keiner Weise und aus dem Recht auf Beweis folgt keinerlei Recht, die Gegenpartei in irgendeiner Weise von ihrer Beweiserhebung abhalten zu dürfen. Eine Kollision der jeweiligen Rechte auf Beweis ist vielmehr nur denkbar, wenn eine Verwertung von Beweismitteln im Raum steht, deren Erhebung unter Verletzung beweisrechtlicher Grundsätze erfolgt ist, die ihrerseits durch das Recht auf Beweis der Gegenpartei geschützt sind. Diese ganz wesentliche Grundaussage über das Recht auf Beweis lässt sich für alle drei Grundrechtsordnungen gleichermaßen treffen.
5. Die abstrakten Grundlagen der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis Eine weitere, grundlegende Frage ist diejenige nach der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis: Eine vollständige, abstrakte Ermittlung und Darstellung des Inhaltes eines Grundrechtes ist grundsätzlich kaum zu leisten.31 Diese Grundregel gilt in gleichem Maße auch für das Recht auf Beweis. Allerdings lassen sich einige grundsätzliche Aussagen zu Bedeutung des Rechts auf Beweis und der Art und Weise der Inhaltsbestimmung seines Gewährleistungsgehaltes treffen: Zum einen soll ein Blick auf die Grundwerte geworfen werden, aus denen sich das Recht auf Beweis herleiten lässt und hieraus soll seine Bedeutung im Gesamtgefüge der Grundrechtsordnungen herausgearbeitet werden. Zum anderen soll die Art und Weise der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen durch eine strikte Orientierung am Sinn und Zweck des jeweiligen Zivilprozesses beleuchtet werden.
30 Diesen Zusammenhang stellt bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 42 ff. und S. 48 ff. sehr anschaulich und mit zahlreichen Nachweisen dar. 31 Vgl. zu den Hintergründen der Grundrechtsdogmatik Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 200, Rn. 1 ff. mit zahlreichen Nachweisen.
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a) Die Bedeutung des Rechts auf Beweis im Lichte seiner Wertebasis Die Grundwerte aus denen sich das Recht auf Beweis herleitet, wurden eingangs erläutert: In allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen lässt sich das Recht auf Beweis gleichermaßen auf das Rechtsstaatsprinzip und die Grundrechte zurückführen. Diese Grundwerte stellen die gemeinsame Wertebasis für das Recht auf Beweis dar. Die beiden Grundwerte des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte lassen sich in ihrer Bedeutung im Gesamtgefüge aller drei Grundrechtsordnungen kaum hoch genug einschätzen: Das Rechtsstaatsprinzip ist eine der wesentlichen Errungenschaften der Aufklärung und einer der zentralen Pfeiler im Selbstverständnis eines jeden modernen Staates.32 Im deutschen Grundgesetz wird das Rechtsstaatsprinzip in Art. 28 II GG in einem Atemzug mit dem Demokratieprinzip genannt, im europäischen Primärrecht findet sich eine explizite Verankerung des Rechtsstaatsprinzips an exponierter Stelle in Art. 2 EUV und auch in der Rechtsprechung von EuGH und EGMR wird die Bedeutung dieses Prinzips immer wieder deutlich.33 Die Grundrechte sind ihrerseits der wohl zentralste Bestandteil einer jeden Grundrechtsordnung.34 Für die EMRK und die europäische Grundrechtecharta sind die Grundrechte ihr alleiniger Inhalt. Das Grundgesetz beschäftigt sich zwar gleichermaßen mit grundlegenden Fragen des Staatsaufbaus der Bundesrepublik Deutschland. Herzstück und Kerngehalt des Grundgesetzes sind dennoch seine Grundrechtsgarantien für den Einzelnen.35 Die Herleitung des Rechts auf Beweis aus diesen beiden Grundwerten zeigt nun seine Bedeutung im Gesamtgefüge der Grundrechtsordnungen deutlich auf. Das Recht auf Beweis ist ein Ausdruck zweier der grundlegendsten Wertungen aller drei Grundrechtsordnungen und daher in seiner Bedeutung gleichfalls hoch einzuschätzen. Das Recht auf Beweis beansprucht daher nach hier vertretener Auffassung einen hohen Rang im Gesamtgefüge aller drei Grundrechtsordnungen, so dass eine jede Rechtfertigung von Einschränkung seines Gewährleistungsgehaltes ihrerseits eines entsprechenden Gewichts bedarf.36 Außerdem zeigt die Bedeutung von Rechtsstaatsprinzip und Grundrechten auf, dass der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Be32 Vgl. zur Bedeutung des Rechtsstaatsprinzips etwa Isensee/Kirchhof-Kirchhof, HStR II, § 21, Rn. 82 und 86 und ausführlich Isensee/Kirchhof-Schmidt-Aßmann, HStR II, § 26; siehe weiter BVerfGE 30, S. 1, 24. 33 Implizit in diesem Sinne etwa EGMR, Urteil vom 20.11.1989, 11454/85, Kostovski ./. NL, Rn. 44; ebenso EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 58; Vgl. zur Entwicklung einzelner Teilgehalte EuGH, Rs. C-222/86, Slg. 1987, 04097, Rn. 14 ff. – Unectef/Heylens und Rs. C-169/80, Slg. 1981, 01931, Rn. 17 f. – Gondrand und Garancini. 34 Vgl. allein die Entscheidung BVerfGE 37, S. 271, 280, in der die Grundrechte als „unaufgebbares, zur Verfassungsstruktur des Grundgesetzes gehörendes Essentiale der geltenden Verfassung“ beschrieben werden; 35 Zur Bedeutung der Grundrechte vgl. BVerfGE 31, S. 58, 72 ff.; siehe auch die soeben zitierte Entscheidung BVerfGE 37, S. 37, 271, 280; ähnlich Sachs-Sachs, GG, Vor Art. 1, Rn. 16 ff. mwN. 36 Ausführlich zur Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis unten § 8.
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weis zum Schutz des Einzelnen und der Entfaltung dieser Prinzipien tendenziell eher weiter auszulegen, denn enger zu fassen ist.37 b) Der Orientierungspunkt einer Inhaltsbestimmung für das Rechts auf Beweis Zudem lässt sich auch die Bestimmung des Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz in gewissem Umfang an einem gemeinsamen Prinzip orientieren: Nach hier vertretener Ansicht erfolgt die inhaltliche Ausgestaltung des Rechts auf Beweis anhand einer strikten Orientierung an der Prozesszwecklehre des Zivilprozesses.38 Bevor diese Methode der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis sogleich erläutert wird, stellt sich jedoch die Frage, von welchem Prozesszweck für welche Grundrechtsordnung auszugehen ist bzw. ob sich ein gemeinsamer Prozesszweck als einheitlicher Maßstab für die Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis herauskristallisieren lässt. aa) Der Prozesszweck nach der ZPO: Die Durchsetzung privater Rechte Die Frage nach dem Sinn und Zweck des Zivilprozesses ist für die deutsche ZPO seit langer Zeit Gegenstand ausführlicher Debatten in Literatur und Rechtsprechung. Im Verlauf der jahrzehntelangen Diskussionen wurde eine Vielzahl von Prozesszwecken für den Zivilprozess vertreten. Von der Streiterledigung, über die Bewährung der objektiven Rechtsordnung, der Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, bis hin zur Wahrheitserforschung wurde eine Vielzahl von Zwecken in einem Zivilprozess gesehen.39 Die hier vertretene Ansicht entspricht insoweit der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur: Der Zivilprozess in Deutschland dient primär der Durchsetzung privater Rechte.40 Unbestritten fördert ein Zivilprozess eine ganze Reihe von Zwecken – etwa die Bewährung der Rechtsordnung, die Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden, die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit sowie die Weiterentwicklung der Rechtsordnung. Den37 Vgl. zur Bedeutung des Rechts auf Beweis auch Habscheid, ZZP 96 (1986), S. 306 ff.; in diese Richtung bereits Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff. 38 In die Richtung einer prozesszweckorientierten Auslegung des Rechts auf Beweis geht auch Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 58 ff. und S. 167 ff. 39 Vgl. zu den wesentlichen Prozesszwecken BGH NJW 2005, S. 291, 293 und Stein/Jonas-Brehm, ZPO I, Einleitung vor § 1, Rn. 5 ff. (Durchsetzung privater Rechte); Pohle, JZ 1956, S. 53, 56 (Bewährung des materiellen Rechts); Arens, AcP 173 (1973), S. 250, 258 (Rechtsfrieden); Pagenstecher, materielle Rechtskraft, S. 302 ff. (Wahrheitserforschung) jeweils mwN.; zahlreichen weitere Nachweise finden sich bei Gaul, AcP 168 (1968), S. 27 ff. und Cahn, AcP 198 (1998), S. 35, 42 f. 40 Vgl. bereits die ersten Ansätze in der Entscheidung BGH NJW 1953, S. 1830, 1831; in neuerer Zeit explizit BGH NJW 2005, S. 291, 293; aus der Literatur vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1, Rn. 5 ff.; ebenso auch Stürner, FS-Baumgärtel, S. 545 f.; Meyer, JR 2004, S. 1, 6 und MüKo-Lüke, ZPO I, Einleitung, Rn. 8 f.; sehr ausführlich Stein/Jonas-Brehm, ZPO I, Einleitung vor § 1, Rn. 5 ff.
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noch darf man Ursache und Wirkung an dieser Stelle nicht verkennen. Der Zivilprozess ist zunächst einmal ein Streit zweier Privatpersonen über einen rein privaten Sachverhalt. Die privaten Parteien beginnen diesen Prozess mit dem Ziele, ihre eigene Rechtsposition – von deren Bestehen sie überzeugt sind – durchsetzen zu können und treiben den Prozess mit dieser Zielsetzung in der Folge voran. Weiterreichende Ziele, die allein der Allgemeinheit zu Gute kommen, werden von den Parteien mit ihrem eigenen „kleinen“ Zivilprozess regelmäßig wohl weder mitbedacht noch intendiert. Dabei ist es selbstverständlich nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr wünschenswert, dass ein Zivilprozess auch diesen weiterreichenden Zielen dient. Es erscheint jedoch fernliegend, in einem als Parteiprozess ausgestalteten Zivilprozess über private Rechte in erster Linie einen an der Allgemeinheit orientierten Zweck zu sehen. Jedenfalls als primärer Prozesszweck erscheinen solche – regelmäßig wohl nicht intendierten Ziele – kaum vertretbar. Hinzu kommt, dass sich die Vertreter derartiger Prozesszwecke fragen lassen müssen, ob der Zivilprozess die richtige Plattform für die Durchsetzung derartiger Zwecke ist. Die Bewährung der Rechtsordnung oder auch die Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sind originär staatliche Aufgaben, die nicht auf Private im Rahmen eines Zivilprozesses abgewälzt werden sollten. Den Gerichten fehlt hierfür wohl bereits das entsprechende Instrumentarium. Doch selbst, wenn man ihnen diese Instrumente an die Hand geben würde, müsste man sich fragen lassen, ob die Gerichte für diese Aufgaben tatsächlich die richtige, demokratisch hinreichend legitimierte Instanz wären.41 Die grundlegenden Staatsfunktionen der Bewährung unserer Rechtsordnung, der Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden wie auch der Entwicklung unseres Rechts sollten in erster Linie von den demokratisch unmittelbar legitimierten Institutionen vollzogen werden. Damit soll nicht gesagt werden, dass es nicht wünschenswert ist, wenn ein Zivilprozess diese Ziele gleichfalls fördert. Diese grundlegenden Ziele sollten prinzipiell durch alle staatlichen Gewalten mitverfolgt werden. Wenn es nun aber um den primären Zweck eines Zivilprozesses zwischen zwei Privaten geht, so muss man nach hier vertretener Ansicht konstatieren, dass dieser primäre Prozesszweck eines Zivilprozesses in der Durchsetzung privater Rechte zu sehen ist. Alle weiteren Zwecke können als Nebenzwecke mitverfolgt oder als positive Nebeneffekte angesehen werden. Primärer Prozesszweck ist und bleibt indes die Durchsetzung privater Rechte.42 Dieser Prozesszweck ist somit auch für die Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis zugrunde zu legen.
In Ansätzen ähnlich die Überlegungen von Meyer, JR 2004, S. 1, 4 mwN. In diesem Sinne auch BGH NJW 2005, S. 291, 293; ausführlich Stürner, FS-Baumgärtel, S. 545 ff.; Stein/Jonas-Brehm, ZPO I, Einleitung vor § 1, Rn. 5 ff. und Rosenberg/Schwab/Gott wald, ZPR, § 1, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 41 42
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bb) EMRK und GRC: Maßgeblichkeit des jeweiligen nationalen Prozesszwecks Die Bestimmung der entsprechenden Prozesszwecklehre für die europäischen Grundrechtsordnungen erscheint auf den ersten Blick deutlich herausfordernder: Die Vertragsstaaten der EMRK bilden einen eher losen Verbund, dessen „Zusammenhalt“ sich alleine aus den gemeinsamen Gewährleistungen der EMRK speist und zugleich darauf beschränkt. Grundlegende Aussagen zum Zivilprozess werden nicht getroffen. Auf Ebene der Europäischen Union stellt die justizielle Zusammenarbeit einen wichtigen Grundpfeiler dar und es wurden in jüngerer Zeit einige Verordnungen erlassen, die das Zivilprozessrecht betrafen.43 Der Weg von diesen einzelnen Regelungen hin zu einem umfassenden, europäischen Zivilprozessrecht erscheint jedoch bedauerlicherweise noch weit. Wenn es nun aber an einem Prozessrecht fehlt, so kann es auch keine Bestimmung von Sinn und Zweck eines solchen, europäischen Zivilprozesses geben. Vielmehr muss dieser Prozesszweck zur Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis von außen in die europäischen Grundrechtsordnungen hineingetragen werden. Nach hier vertretener Ansicht bestimmt sich der Prozesszweck anhand des jeweiligen nationalen Prozesszweckes derjenigen Prozessordnungen, für die die europäischen Grundrechtsordnungen letztlich Anforderungen in Form von prozessualen Garantien für die Parteien aufstellen. Dagegen ließe sich zwar einwenden, dass eine Abhängigkeit der europäischen Grundrechtsordnungen vom nationalen Recht entstehen würde. Dieser Einwand ist seinem Grunde nach korrekt, doch bleibt die eigentliche Problematik bestehen, dass die Bestimmung eines Prozesszweckes ohne Prozessordnung kaum praktikabel ist. Zudem würde man einen rein abstrakten, sozusagen „freischwebenden“ Prozesszweck entwerfen, ohne jeden praktischen Bezug oder eine Anwendungsmöglichkeit. Hinzu kommt, dass ein solcher Verweis auf das nationale Recht den europäischen Grundrechtsordnungen in ihrer Auslegung durch EGMR und EuGH nicht fremd ist: Gerade in Bezug auf das Beweisrecht stellen EGMR und EuGH die primäre Zuständigkeit der Mitgliedstaaten heraus.44 Ähnliches gilt etwa bei der Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit einer Tatsache.45 Dieser Fall illustriert zugleich anschaulich die dortig parallel verlaufende Problematik: Eine Bestimmung der Entscheidungserheblichkeit setzt einen Schluss vom jeweiligen materiellen Recht auf die entsprechenden Tatsachen voraus. Mithin bedarf 43 Siehe etwa die EuGVVO, ABl.EU. 2001, Nr. L-12, S. 1 ff.; die EuBVO, ABl.EU 2001, Nr. L-174, S. 1 ff., die EuZVO, ABl.EU 2001, Nr. L-324, S. 79 ff. und die EuMahnVO, ABl.EU 2006, Nr. L-399, S. 1 ff. 44 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.; ebenso EGMR, Urteil vom 21.01.1999, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 28 = NJW 1999, S. 2429 f. und den Verweis auf die EMRK durch EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 75 ff. – Steffensen. 45 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 12.09.2003, 35968/97, Van Kück ./. GER, Rn. 47 ff. und EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 75 – Steffensen.
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es dort – ähnlich der Prozesszwecklehre – zwingend des einzelstaatlichen Rechts. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, in dem es ein entsprechendes gemeinsames europäisches Recht gibt, an dessen Inhalt man sich orientieren könnte. Außerdem erscheint eine Orientierung am nationalen Prozesszweck dahingehend konsistent, dass die europäischen Grundrechtsordnungen ihre Gewährleistungen ja gerade für diejenigen Prozessparteien aussprechen, die dieser jeweiligen Prozessordnung unterfallen. Die Bestimmung, welchen Umfang die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis haben müssen, um die Möglichkeit eines effektiven Rechtsnachweises der Parteien zu sichern, kann letztlich nur auf Basis der nationalen Prozessordnungen bestimmt werden. Abschließend ist der nun zugrunde gelegte Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte durchaus naheliegend für eine jede Prozessordnung. Wenngleich man einen Zivilprozess – mit einigem Argumentationsaufwand – sicherlich auch mit öffentlichen Zwecken „aufladen“ kann, so wird der Sinn und Zweck, den die prozessierenden Parteien in einem Zivilprozess sehen, regelmäßig zumindest einen der primären Prozesszwecke in jeder Prozessordnung darstellen.46 Auch für die Herleitung des Rechts auf Beweis in den europäischen Grundrechtsgarantien liegt dieser Schluss nahe: Die Herleitung aus den Grundrechten und ihre Effektuierung zeigen den Zusammenhang mit der privaten (Grund-) Rechtsdurchsetzung deutlich auf. Die weitere Herleitung aus dem Rechtsstaatsprinzip könnte zwar für andere, öffentliche Zwecke eines Zivilprozesses sprechen. Doch bezieht sich die Herleitung des Rechts auf Beweis aus dem Rechtsstaatsprinzip auch für EMRK und Grundrechtecharta in erster Linie auf die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes des einzelnen Grundrechtsberechtigten zur Durchsetzung seiner (Grund-) Rechte, so dass auch an dieser Stelle der Zusammenhang zwischen Recht auf Beweis und privater Rechtsdurchsetzung deutlich wird. Somit weist auch die dogmatische Herleitung klar den Weg hin zum Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte. Dieser Prozesszweck ist daher nach hier vertretener Auffassung der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis in alle drei Grundrechtsordnungen zugrunde zu legen. cc) Der abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis Die konkrete Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis erfolgt hiernach unter konsequenter Beachtung des Prozesszweckes der Durchsetzung privater Rechte. Der Inhalt des Rechts auf Beweis reicht somit in allen drei Grundrechtsordnungen exakt so weit, wie es für den effektiven Nachweis eigener Rechte der Parteien als Grundlage ihrer prozessualen Durchsetzung erforderlich ist. Den Parteien des Zivilprozes46 Vgl. etwa zur verfassungsrechtlichen Absicherung dieses Prozesszweckes im deutschen Recht Stürner, FS-Baumgärtel, S. 545 ff.; ausführlich zum Eigenwert der Verwirklichung materieller Gerechtigkeit im Zivilprozess auch ders, Prozessrecht und materielles Recht, S. 359, 365 ff. mwN.
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ses müssen diejenigen Gewährleistungen an die Hand gegeben werden, die ihnen einen effektiven Rechtsnachweis und eine effektive Rechtsdurchsetzung ermöglichen. Bereits an dieser Stelle soll einem etwaigen Missverständnis vorgebeugt werden: Die Parteien erhalten durch das Recht auf Beweis gerade kein Recht auf ein bestimmtes Ergebnis der Beweisaufnahme. Das Recht auf Beweis gewährleistet bestimmte Verfahrensabläufe und eine effektive Mitwirkungsmöglichkeit der Parteien an einem Zivilprozess. Die Parteien erhalten aber gerade kein Recht auf einen Prozessgewinn. Die Parteien müssen ihre Beweismittel grundsätzlich selbst zusammentragen und ihre Einführung in den Prozess beantragen. Sodann muss ihnen aber grundsätzlich auch eben diese Möglichkeit gewährt werden. Auch haben die Parteien kein Recht auf eine bestimmte Überzeugungsbildung des Gerichts im Rahmen der Beweiswürdigung. Allerdings muss auch hier ein bestimmter Rahmen eingehalten werden, um Willkür auszuschließen und den Parteien – zumindest abstrakt gedacht – die Möglichkeit zu geben, das Gericht zu überzeugen und in diesem Prozess zu obsiegen. Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis bezwecken es in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen allein den Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen ein Prozessgewinn bei entsprechender Betätigung der Parteien abstrakt gedacht möglich ist. Dieser Prozesszweck einer Rechtsdurchsetzung mithilfe eines effektiven Rechtsnachweises geht nach hier vertretener Auffassung in seinem gedachten Idealbild einher mit der Erforschung des wahren, der materiellen Rechtslage entsprechenden Sachverhaltes. Das Recht auf Beweis soll in diesem Idealbild dem effektiven Nachweis und der Durchsetzung tatsächlich bestehender, materieller Rechte dienen und gerade nicht eine der materiellen Rechtslage zuwiderlaufende Entscheidung fördern. Daher wird der Wert eines Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis stets auch im Hinblick auf die Wahrheitserforschung im Zivilprozess mitbedacht. Allerdings handelt es sich bei dem Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht um ein subjektives, prozessuales Grundrecht der Parteien des Zivilprozesses. In diesem Sinne kommt dem eher objektiv-rechtlich orientierten Grundsatz der Wahrheitserforschung nur eine ergänzende Bedeutung gegenüber dem vorrangigen, subjektiven Gehalt des Rechts auf Beweis zu. Relevant wird diese Reihung für Fallgestaltungen, in denen es den Handlungen der Parteien obliegt, ihren Rechtsnachweis und damit zugleich die Wahrheitserforschung nach ihrem Willen voranzutreiben. So kann eine Prozesspartei das Bestreiten einer Tatsache entgegen der tatsächlichen, materiellen Rechtslage unterlassen. Für das Recht auf Beweis iSe Rechts auf effektiven Rechtsnachweis genügt es in diesem Falle, dass eine effektive Möglichkeit des Bestreitens gewährleistet wird. Wenn eine Partei diese Möglichkeit ungenutzt lässt und eine Tatsache hiernach entgegen der materiellen Rechtslage der Entscheidung zugrunde gelegt wird, so ist das Recht auf Beweis iSe subjektiven Rechts auf effektiven Rechtsnachweis hierdurch nicht tangiert. Idealbild des Rechts auf Beweis bleibt nach hier vertretener Auffassung jedoch dessen ungeachtet ein Recht auf ef-
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fektiven Rechtsnachweis, welches mit der Wahrheitserforschung im Zivilprozess grundsätzlich einhergeht. Zusammenfassend reichen die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis exakt so weit wie erforderlich, um den Parteien eines Zivilprozesses eine effektive Nachweismöglichkeit eigener Rechte an die Hand zu geben.
6. Das Recht auf Beweis als Gewährleistung effektiven Nachweises eigener Rechte in einem Parteiprozess Abschließend wird das Recht auf Beweis in dieser Arbeit verstanden als die Gewährleistung eines Rechts auf effektiver Beweisführung der Parteien des Zivilprozesses und damit letztlich allein als Ermöglichung eben dieser aktiven Beweisführung. Dem Recht auf Beweis liegt hiernach das Bild eines Zivilprozesses als Parteiprozess zugrunde, innerhalb dessen die Prozessparteien selbst aktiv zur Durchsetzung ihrer eigenen Rechte beitragen müssen. Dieses Bild des Zivilprozesses als Parteiprozess entspricht dem Leitbild der deutschen ZPO unter Geltung des Dispositions- und Beibringungsgrundsatzes und hat auch in Art. 2 I GG eine gewisse Absicherung erfahren.47 In Ermangelung eines europäischen Prozessrechts kann auch insoweit allein diese Art des Prozesses maßgeblich sein. Zumal die Ausgestaltung des Zivilprozesses als Parteiprozess rechtsvergleichend eher die Regel als die Ausnahme bildet.48 Und auch rechtshistorisch gesehen war der Parteiprozess als Ausdruck einer liberalen Gesellschaft.49 Daher ist für die nachfolgende Untersuchung im Hinblick auf das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta insgesamt vom Bild eines Parteiprozesses auszugehen. Hieraus folgt, dass das Recht auf Beweis grundsätzlich keinen Rechtsnachweis ohne eigene, diesbezügliche Aktivitäten der Prozessparteien fordert. Vielmehr erhalten die Parteien durch das Recht auf Beweis eine Vielzahl an Gewährleistungen, um diese Aktivitäten überhaupt erst zu ermöglichen und in ihren Wirkungen sodann effektiv zu gestalten. Doch die aktive Führung eines Rechtsnachweises als solche muss den Prozessparteien zumindest qua Recht auf Beweis gerade nicht abgenommen werden. Die Parteien müssen vielmehr für den Nachweis ihrer eigenen Rechte selbst aktiv werden. Dieses Grundverständnis des Rechts auf Beweis als Gewährleistung effektiver Nachweismöglichkeiten in einem Parteiprozess ist für die weitere Untersuchung im Blick zu behalten und wird an einigen Stellen der Arbeit Bedeutung erlangen.
47 Vgl. dazu bereits die differenzierenden Ausführungen von Stürner, FS-Baur, S. 647, 650 ff. mit zahlreichen Nachweisen; für eine Absicherung auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 1, Rn. 28. 48 Ausführlich aus rechtsvergleichender Sicht etwa Stürner, FS-Heldrich, S. 1061 ff. und ders., FS-Kollhosser, Bd. 2, S. 727 ff. jeweils mwN. 49 Vgl. die Ergebnisse von § 2 V. 4.
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Aufgrund dieses Verständnisses unterscheidet sich das hier untersuchte Recht auf Beweis im Zivilprozess zudem von solchen Prozessen, die dem Untersuchungsgrundsatz folgen und eine Beweiserhebung von Amts wegen durch das erkennende Gericht beinhalten.50 Im Übrigen lassen sich die nachfolgenden Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis in der Regel auch auf einen Prozess mit Untersuchungsgrundsatz übertragen. Insoweit gilt es zu bedenken, dass die Parteien trotz einer Amtsermittlung letztlich das Risiko der Nichterweislichkeit der für sie günstigen Tatsachen tragen. Allein an einigen wenigen Stellen unterscheidet sich das hier verstandene Recht auf Beweis daher auf Grund des Erfordernisses aktiver Beweisführung der Prozessparteien von einem Prozess mit Untersuchungsgrundsatz.
7. Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis Diese Methodik der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis anhand des Prozesszweckes gewährt nicht nur einen Maßstab für die inhaltliche Konkretisierung des Rechts auf Beweis, sondern zeigt letztlich auch seine Grenzen auf. a) Die Existenz immanenter Grenzen des Rechts auf Beweis Daher gilt es eine erste Unterscheidung einzuführen: Das Recht auf Beweis hat eine ganze Reihe von „externen“ Grenzen iSd Möglichkeit einer rechtmäßigen Einschränkung unter Abwägung mit gegenläufigen Grundrechten bzw. Allgemeingütern gleichen Ranges.51 Daneben existieren jedoch nach hier vertretener Ansicht auch eine Reihe eng gefasster Begrenzungen, die dem Recht auf Beweis als solchem immanent sind. Aus der Orientierung am Prozesszweck der Durchsetzung subjektiver Rechte ergibt sich, dass bestimmte Beweisanträge gar nicht erst am Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis teilhaben. b) Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis Man könnte diese immanenten Grenzen auch als Voraussetzungen für eine Beweiserhebung bezeichnen, die dem Recht auf Beweis selbst immanent sind. Zentrales Zulassungskriterium, mithin zentrale Voraussetzung einer Beweiserhebung ist die Entscheidungserheblichkeit des beantragten Beweisthemas.52 Hinzu kommen die weiteren Kriterien der Beweisbedürftigkeit eines Beweisthemas, der Substantiie-
50 Ausführlich zum Recht auf Beweis unter Geltung des Untersuchungsgrundsatzes Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 45 ff. mwN. 51 Zur diesbezüglichen Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis siehe unten § 8. 52 In diese Richtung tendiert bereits Habscheid, ZZP 96 (1986), S. 306, 311; einen Teil dieser Kriterien unter den sachlichen Geltungsbereich des Rechts auf Beweis subsumierend, Kofmel, Recht auf Beweis, S. 23 ff.
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rung eines Beweisantrages sowie der Eignung und Erreichbarkeit beantragter Beweismittel.53 c) Die argumentative Begründung immanenter Grenzen des Rechts auf Beweis Diesen immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis ist gleichsam ein Aspekt gemein: Es werden Beweismittel aus dem Schutzbereich des Rechts auf Beweis ausgeschlossen, die für den Rechtsnachweis der Parteien keinen Wert innehaben und nach dem Sinn und Zweck des Prozesses und damit letztlich auch nach dem Recht auf Beweis keiner Erhebung bedürfen: Der Beweis einer unerheblichen, nicht hinreichend substantiierten oder nicht beweisbedürftigen Tatsache hat ebenso wenig eine positive Auswirkung auf den Rechtsnachweis einer Partei, wie der Versuch eines Beweises mit einem ungeeigneten oder faktisch nicht erreichbaren Beweismittel. Diese immanenten Grenzen sind nach hier vertretener Auffassung sehr eng gefasst und orientieren sich allein an den faktischen Möglichkeiten und naturgesetzlichen Vorgaben in Bezug auf Beweisthema und Beweismittel. Es geht in diesen Fällen gerade nicht um eine Abwägung zwischen verschiedenen Rechten als Grundlage für eine Zulassung oder Ablehnung von Beweisanträgen. Die immanenten Grenzen schließen keine Beweismittel aus, die für eine Partei grundsätzlich von Wert wären, aber aufgrund überwiegender Gegenrechte unberücksichtigt bleiben müssen. Die hier zu betrachtenden, immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis betreffen allein Beweisanträge über Beweismittel, die aus verschiedenen Gründen von vornherein keinerlei Wert für den Rechtsnachweis einer Partei haben. Man mag eine solche Unterteilung zwischen immanenten Grenzen und Einschränkungen des Rechts auf Beweis als eine bloße dogmatische Spielerei ansehen. Indes macht es nach hier vertretener Auffassung durchaus einen wertungsmäßigen Unterschied, ob das beantragte Beweisthema bzw. Beweismittel von vornherein keinerlei Einfluss auf den Rechtsnachweis einer Partei haben könnte oder ein solcher Beweisantrag abgelehnt wird, der für den Rechtsnachweis und damit die Rechtsdurchsetzung einer Partei im Einzelfall bedeutsam wäre. In der ersten Konstellation wäre der Gewährleistungsgehalt Rechts auf Beweis im Hinblick auf den Prozesszweck der Rechtsdurchsetzung gar nicht eröffnet, während in letzterem Fall eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis vorliegen würde. Nun könnte man zwar die immanenten Grenzen unter die allgemeine Möglichkeit fassen, das Recht auf Beweis einzuschränken und zu einer umso einfacheren Rechtfertigung dieser Einschränkung gelangen. Dennoch betreffen diese benannten Fallkonstellationen nach hier vertretener Ansicht schlicht andere Fälle: Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis setzt stets eine Abwägung verschiedener Werte und Prinzipien voraus. Diese Abwägung findet in den Fallkonstellationen der entwickelzu den weiteren Teilgehalten der Beweisbedürftigkeit Habscheid, ZZP 96 (1986), S. 306, 310 ff. 53 Vgl.
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ten immanenten Grenzen gerade nicht statt, da bereits auf Seiten des Rechts auf Beweis kein entsprechender Wert in die Abwägung eingestellt werden kann. Die dogmatische Figur der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis macht diese Unterscheidung deutlich. Darüber hinaus zeigt sich auch eine praktische Unterscheidung zwischen den beiden Gruppen von Grenzen: Die rechtfertigungsbedürftigen Einschränkungen des Rechts auf Beweis müssen stets auf einer entsprechenden gesetzlichen Regelung basieren.54 Demgegenüber begrenzen die immanenten Grenzen bereits den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis selbst. Daher bedarf die Ablehnung entsprechender Beweisanträge innerhalb der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis per Se keiner gesetzlichen Grundlage – wenngleich eine solche Rechtsgrundlage für das deutsche Zivilprozessrecht zur Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsklarheit durchaus wünschenswert wäre.
III. Die Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas als zentrale, immanente Grenze des Rechts auf Beweis Die erste und zugleich wichtigste immanente Grenze des Rechts auf Beweis ist in der Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas zu erblicken. Dieses Kriterium stellt sozusagen die erste Voraussetzung dafür dar, dass ein Beweisantrag überhaupt am Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis partizipiert. Dieses Kriterium wird nun in Rechtsprechung und Literatur zu Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta untersucht. Sodann soll unter Einbeziehung rechtsvergleichender Elemente des U.S.-amerikanischen Rechts eine eigene Ansicht zum Kriterium der Entscheidungserheblichkeit entwickelt werden.
1. Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit in EMRK und GRC In der Rechtsprechung von EGMR und EuGH nimmt die Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas eine bedeutende Rolle ein: Die beiden europäischen Gerichtshöfe erkennen ein subjektives Recht der Parteien auf eine gerichtliche Erhebung der von ihnen beantragten Beweismittel in einer Reihe von Entscheidungen durchaus an.55 Allerdings schränken sie dieses Recht dahingehend ein, dass die Be-
54 Ausführlich
zu diesem Erfordernis der Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis § 8 III. 2. d. Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 19.04.1993, 13942/88, Kraska ./. CH, Rn. 30 ff.; ebenso in EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 ff.; deutlich in diese Richtung auch EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 63566/00, Pronina ./. UKR, Rn. 25; zur GRC in diese Richtung EuGH, Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommis sion und EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichische Volksbanken / Kommission; ähnlich EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Irland u. a. 55
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weismittel eine entscheidungserhebliche Tatsache betreffen müssen.56 Diese Sichtweise wird auch in der jeweiligen Literatur geteilt.57 Indes stellen weder EGMR noch EuGH Kriterien für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit auf.58 Vielmehr zeigt sich, dass die Frage der Entscheidungserheblichkeit maßgeblich durch das jeweilige materielle Recht der einzelnen Konventions- bzw. Mitgliedstaaten bestimmt wird: Daher gehen EGMR und EuGH konsequenterweise davon aus, dass die Erheblichkeitsprüfung eine Ermessensentscheidung des erkennenden nationalen Gerichts sei.59 EuGH und EGMR beschränken sich auf eine anschließende Prüfung, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit, also mitsamt dieser Ermessensentscheidung über die Entscheidungserheblichkeit einer Tatsache, fair iSd Art. 6 I EMRK bzw. des Art. 47 II S. 1 GRC war.60 Allerdings stellen EGMR und EuGH auch an diese Überprüfung der Entscheidungserheblichkeit am Maßstab der allgemeinen Verfahrensfairness nur geringe Anforderungen: a) Das Kriterum der Entscheidungserheblichkeit in der EMRK Der EGMR betont stets die Freiheit der Ermessensentscheidung des erkennenden Gerichts über die Frage der Entscheidungserheblichkeit einer Tatsache.61 Die vorbehaltene Prüfung der Verfahrensfairness insgesamt beschränkt sich grundsätzlich auf die Forderung nach einer angemessenen Begründung, die bei Ermessensentscheidungen regelmäßig ausführlicher ausfallen muss.62 56 Vgl. für die EMRK wiederum EGMR, Urteil vom 19.04.1993, 13942/88, Kraska ./. CH, Rn. 30 ff.; EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 ff.; EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzescu ./. RO, Rn. 63 ff. und für die GRC: EuGH Rs. C-204/00, Slg. 2004, I-00123, Rn. 63 ff. und 160 – Aalborg Portland u. a. / Kommission; EuGH Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommission; EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichische Volksbanken / Kommission; EuGH Rs. C-239/11, Rn. 321 ff. – Siemens / Kom mission. 57 Siehe etwa Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 165; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69 für die EMRK und Frenz, Handbuch Europarecht S. 1526 f. und Jarass, NJW 2011, S. 1393, 1397 für die GRC. 58 Andeutungsweise EuGH, Rs. C-221/97, Slg. 1998, I-08255, Rn. 24 f. – Schröder und Tha mann / Kommission mit dem Verweis darauf, dass der Ausgang des Verfahrens hätte beeinflusst werden müssen. 59 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 12.09.2003, 35968/97, Van Kück ./. GER, Rn. 47 ff. und den Verweis auf die EMRK durch EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 75 – Steffensen. 60 Siehe erneut EGMR, Urteil vom 12.09.2003, 35968/97, Van Kück ./. GER, Rn. 47 ff. und EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 75 – Steffensen für die GRC. 61 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 ff. und EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzescu ./. RO, Rn. 63 ff. 62 Eine angemessene Begründung wird im Fall, EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzescu ./. RO, Rn. 63 ff. gefordert; zu Begründungspflichten bei Ermessensentscheidungen siehe auch EGMR, Urteil vom 23.06.1994, 16997/90, De Moor ./. B, Rn. 55; ebenso Grabenwarter/ Pabel, EMRK, § 24, Rn. 76.
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b) Das Kriterkum der Entscheidungserheblichkeit in der GRC Der EuGH stützt sich seinerseits ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EGMR.63 Ausgehend von diesem durch den EuGH entwickelten Parallelismus kommt dem erkennenden Gericht bei der Beurteilung der Erheblichkeit eines Beweismittels ein Ermessensspielraum zu. Allerdings verbleibt es auch für dieses Ermessen bei einer allgemeinen Kontrolle der Verfahrensfairness insgesamt.64 Der EuGH beschränkt sich in seinen Ausführungen auf dieses allgemeine Kriterium der Verfahrensfairness. Die Einzelheiten dieses Maßstabes leiten sich vielmehr aus der Rechtsprechung des EGMR zur EMRK ab, die nach Art. 52 III S. 1 GRC den rechtlichen Mindeststandard für die Grundrechtecharta bildet. Somit ist als Prüfungsmaßstab des EuGH gleichfalls lediglich eine angemessene Begründung der Ermessensentscheidung des erkennenden Gerichts zu fordern.65 Die Begründung dieser Ermessensentscheidung über die Erheblichkeit eines Beweismittels muss umso umfangreicher ausfallen, je weiter das Ermessen des erkennenden Gerichts reicht.66 c) Eigene Ansicht: Gleichlauf mit dem nationalen Recht Der Rechtsprechung von EGMR und EuGH ist in ihrem Grundsatz zuzustimmen. Die Frage der Entscheidungserheblichkeit richtet sich nach den Normen des nationalen, materiellen Rechts und muss durch das erkennende, nationale Gericht in einer Ermessensentscheidung bestimmt werden. Die Einheitlichkeit des Kriteriums der Entscheidungserheblichkeit folgt zudem konsequenterweise aus der gemeinsamen Wertebasis aller drei Grundrechtsordnungen. Allerdings ziehen die europäischen Gerichtshöfe die Grenze der Nachprüfbarkeit nach hier vertretener Ansicht zu eng. Die bloße Forderung nach einer Begründung der Ermessensentscheidung wird der Bedeutung der in Rede stehenden Grundrechte kaum gerecht. Vielmehr ist nicht ersichtlich, weshalb aus dem fairen Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. des Art. 47 II S. 1 GRC keine Überprüfbarkeit der Ermessensprüfung über die Entscheidungserheblichkeit folgen solle. EGMR und EuGH sehen 63 Vgl. bereits EuGH Rs. C-204/00, Slg. 2004, I-00123, Rn. 160 ff. – Aalborg Portland u. a. / Kommission; gleichfalls diesen Maßstab anlegend EuGH Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommission; EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichi sche Volksbanken / Kommission; EuGH Rs. C-239/11, Rn. 321 ff. – Siemens / Kommission; aus der Literatur Frenz, Handbuch Europarecht, S. 1524 f. mwN. 64 Vgl. zum Kriterium der Verfahrensfairness EuGH, Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommission; ebenso EuGH Rs. C-239/11, Rn. 321 ff. – Sie mens / Kommission mwN. 65 Siehe wiederum EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzescu ./. RO, Rn. 63 ff. 66 Vgl. EuGH, Rs. C-258/90, Slg. 1992, I-02901, Rn. 26 – Pesquerias De Bermeo und Naviera Laida / Kommission; bestätigt in EuGH, Rs. C-269/90, Slg. 1991, I-05469, Rn. 14 – Technische Universität München / Hauptzollamt München-Mitte; aus der Literatur siehe etwa Grabenwarter/ Pabel, EMRK, § 24, Rn. 76.
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die Entscheidungserheblichkeit richtigerweise als zentrales Zulassungskriterium für Beweisangebote an. Sodann muss aber – ob seiner Bedeutung – auch eine entsprechende Überprüfbarkeit der Entscheidung über dieses Zulassungskriterium etabliert werden, um das Recht auf Zulassung von Beweismitteln nicht über dieses Nadelöhr leerlaufen zu lassen. Nach hier vertretener Ansicht folgt aus dem grundsätzlichen Verweis dieser Entscheidung auf das erkennende, nationale Gericht, dass die Überprüfbarkeit auf Ebene der EMRK bzw. der europäischen Grundrechtecharta grundsätzlich auch den Prüfungsstandard des nationalen Rechts wahren muss. Gerade im Hinblick auf das gemeinsame Wertefundament des Rechts auf Beweis erscheint es sachgerecht, die Überprüfbarkeit dieser wichtigen Entscheidung gleichsam auf einem gemeinsamen Fundament zu gründen. Die Bedeutung des Rechts auf Beweis ist in den europäischen Grundrechtsordnungen nicht geringer anzusehen als im deutschen Grundgesetz. Daraus folgt, dass nicht nur der Umfang der immanenten Grenze der Entscheidungserheblichkeit sich in allen drei Grundrechtsordnungen entspricht, sondern auch die dieser Grenze ihrerseits innewohnenden Schranken. Somit ergibt sich ein einheitlicher Maßstab der Entscheidungserheblichkeit für alle drei Grundrechtsordnungen gleichermaßen.
2. Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit im GG Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit nimmt auch im deutschen Recht eine große Rolle ein. Zwar wird die Entscheidungserheblichkeit nicht als einziges Zulassungskriterium für ein Beweismittel angesehen, doch auch nach Rechtsprechung und Literatur nimmt dieses Kriterium eine exponierte Stellung ein.67 Einer jeden Bewertung der Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas vorgelagert sind Informationspflichten des erkennenden Gerichts darüber, welche Tatsachen im konkreten Fall nach seiner Rechtsauffassung tatsächlich erheblich sind: Ein solches Recht der Parteien auf Information über die Frage der Entscheidungserheblichkeit von Tatsachen wird einhellig anerkannt. Mit diesem Recht korrespondiert zugleich eine entsprechende Informationspflicht des Gerichts.68 Konkret verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass „der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann.“69 Das Gericht darf hiernach nicht ohne vorherige 67
Vgl. zum Kriterium der Entscheidungserheblichkeit bereits BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; ausführlich auch BVerfGE 106, S. 28, 48 ff. und BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; in diesem Sinne bereits BGHZ 53, S. 245, 259 ff. im berühmten Anastasia-Urteil; siehe auch BGH NJW 1996. S. 394; aus der Literatur siehe etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 72 ff. und Musielak/ Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 19 jeweils mwN. 68 Vgl. bereits BVerfGE 84, S. 188, 190; bestätigt etwa in BVerfG-K 1, S. 189, 191. 69 So die explizite Formulierung in BVerfGE 84, S. 188, 190; bestätigt sodann in BVerfGE 89, S. 28, 35; in neuer Zeit siehe BVerfG-K 12, S. 346, 352 f.
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Information auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellen, „mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozeßbeteiligter – selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen – nach dem bisherigen Prozeßverlauf nicht zu rechnen brauchte.“70 Einschränkend wird vom Verfassungsgericht grundsätzlich weder ein Rechtsgespräch durch das Gericht, noch ein Hinweis auf seine Rechtsauffassung verlangt.71 In der Literatur treffen diese Anforderungen vielfach auf Zustimmung.72 Teilweise werden weitergehende Informationsrechte bis hin zu einem Rechtsgespräch gefordert.73 a) Entscheidungserheblichkeit unmittelbarer Tatsachen Die Entscheidungserheblichkeit unmittelbarer Tatsachen ist in aller Regel unproblematisch zu bestimmen und wird in Rechtsprechung und Literatur daher kaum näher behandelt.74 Die Entscheidungserheblichkeit ergibt sich hierbei unmittelbar aus den Rechtsnormen, die auf den Prozess Anwendung finden: Schlüssig ist eine Klage, wenn die behaupteten Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz das behauptete Recht als in Person des Klägers entstanden erscheinen lassen.75 Diejenigen Tatsachen, die diesem Rechtssatz als Tatbestandsmerkmale zugrunde liegen, sind somit erheblich für die Entscheidung.76 Die unmittelbaren Tatsachen ergeben sich mithin direkt aus der auf den Sachverhalt anzuwenden Rechtsnorm. Wenn ein Beweisantrag auf den Nachweis einer solchen, unmittelbaren Tatsache zielt, handelt es sich zugleich um den Antrag auf Nachweis einer entscheidungserheblichen Tatsache.77 b) Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tatsachen (Indizienbeweise) Die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tatsachen gestaltet sich naturgemäß deutlich schwieriger. Bei diesem sog. Indizienbeweis wird ein Beweis70
So weiterhin BVerfGE 84, S. 188, 190 und BVerfGE 89, S. 28, 35. Vgl. etwa BVerfGE 86, S. 133, 144 ff.; ebenso BVerfGE 98, S. 218, 263 und BVerfG NJW 1996, S. 3202. 72 Zustimmend etwa Waldner, rechtliches Gehör, S. 82 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 82, Rn. 14 jeweils mwN. 73 In diesem Sinne bereits Arndt, NJW 1959, S. 1297, 1298 f.; ebenso Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 233 f. 74 Siehe aber die Definition in BGH NJW 1999, S. 1859, 1860; ähnlich bereits Schönke, FG-Rosenberg, S. 217, 222; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO, § 284 Rn. 73 ff. und MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 18. 75 Diese Definition der Schlüssigkeit findet sich etwa bei BGH NJW-RR 1995, S. 722; ebenso BGH NJW 2005, S. 2710, 2711; aus der Literatur siehe etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO IV, § 253, Rn. 54 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 95, Rn. 19. 76 Eben diese Verbindung von Schlüssigkeit und Erheblichkeit zieht BGH NJW 1999, S. 1859, 1860; ähnlich auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 12, Rn. 35 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284 Rn. 73 ff. 77 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284 Rn. 73. 71
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antrag über eine Tatsache gestellt, die nicht zum Tatbestand einer für die Entscheidung relevanten Rechtsnorm selbst gehört. Vielmehr wird der Nachweis einer anderen Tatsache beantragt, über deren positiven Nachweis sodann auf eine unmittelbare Tatsache geschlossen werden soll.78 Es gilt bei Indizienbeweisen also nicht allein den Zusammenhang zwischen unmittelbarer Tatsache und relevanter Rechtsnorm zu beurteilen, sondern einen zweiten, schwierigeren Zusammenhang im Blick zu haben: Den Schluss von einer Hilfstatsache auf die eigentliche, unmittelbare Tatsache.79 Rechtsprechung und Literatur fordern vom erkennenden Gericht bei der Bestimmung der Entscheidungserheblichkeit einer mittelbaren Tatsache eine Schlüssigkeitsprüfung: Das Gericht muss anhand entsprechender Erfahrungssätze überprüfen, ob ein Schluss von der Hilfstatsache auf die Haupttatsache – also die unmittelbare, im Tatbestand der Rechtsnorm enthaltene Tatsache – möglich ist.80 Falls ein solcher Schluss möglich ist, so liegt die Entscheidungserheblichkeit vor, im Übrigen ist der Beweisantrag abzuweisen.81 Bei dieser Schlüssigkeitsprüfung soll das Gericht in erster Linie auf Natur- und Denkgesetze und sodann auch auf die allgemeine Lebenserfahrung und entsprechende Erfahrungssätze zurückgreifen.82 Letztlich trifft das erkennende Gericht eine Ermessensentscheidung über den in Rede stehenden Zusammenhang zwischen Hilfs- und Haupttatsache.83
3. Rechtsvergleichend: Das Kriterium der relevance in Rule 401–403 FRE Im U.S.-amerikanischen Bundesrecht findet sich mit dem Kriterium der relevance ein ganz ähnliches Zulassungskriterium für Beweisanträge. Dieses Kriterium hat in Rule 401–403 FRE eine ausdrückliche gesetzliche Fundierung gefunden.84 Dieses Kriterium unterteilt sich seinerseits nach Rule 401 FRE in zwei Einzelkriterien: Das Kriterium des probative value weist Parallelen zur Beweiseignung nach deutschem Verständnis auf. Das Pendant der Entscheidungserheblichkeit im deutschen Recht findet sich im Kriterium der materiality.85 Allerdings stehen beide Kriterien in einem engen Zusammenhang zueinander und auch zum Kriterium der Entscheidungserheblichkeit nach deutschem Verständnis. 78 Ausführlich zur Funktionsweise des Indizienbeweises BGHZ 53, S. 245, 260 ff.; aus der Literatur Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 8, 15; ausführlich Nack, NJW 1983, S. 1035 ff. 79 Vgl. wiederum BGHZ 53, S. 245, 260 f. 80 So BGHZ 53, S. 245, 260 f.; in neuerer Zeit siehe BGH NJW 2012, S. 2427, 2431 jeweils mwN; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 8, 15 und Musielak/VoitFoerste, ZPO, § 284, Rn. 7. 81 Vgl. wiederum BGHZ 53, S. 245, 260 f.; ebenso BGH NJW-RR 1993, S. 443. 82 Vgl. BGHZ 53, S. 245, 260 f.; in diese Richtung auch Schönke, FG-Rosenberg, S. 217, 223. 83 Vgl. BGHZ 53, S. 245, 260 f.; zur Überprüfbarkeit dieser Entscheidung siehe BGH NJW 2012, S. 2427, 2431 jeweils mwN. 84 Vgl. dazu bereits § 3 V. 1. 85 Vgl. wiederum § 3 V. 1.
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Die materiality meint den Zusammenhang zwischen der beantragten Beweistatsache und dem konkreten Fall. Diese Frage richtet sich nach U.S.-amerikanischem Verständnis nach dem zu Anfang des Prozesses vorgetragenen Begehren des Klägers und der Verteidigung des Beklagten in Verbindung mit dem materiellen Recht.86 Indes darf man nicht dem Irrtum unterliegen, den Begriff der materiality mit der Erheblichkeit unmittelbarer Beweistatsachen nach deutschem Verständnis gleichzusetzten. Vielmehr wird dieses Kriterium in der Praxis sehr weit ausgelegt. Erfasst werden nicht nur solche Tatsachen, die einen unmittelbaren Zusammenhang zum konkreten Fall aufweisen, sondern auch solche Tatsachen, die der jury ein besseres Verständnis anderer, entscheidungserheblicher Beweisangebote ermöglichen.87 Entscheidungserheblich können daher im Einzelfall auch solche Karten, Diagramme, Video- oder Tonaufnahmen sein, die allein einem besseren Verständnis des Zusammenhanges anderer Beweismittel dienen.88 Somit verläuft die Trennlinie nicht zwischen unmittelbaren und mittelbaren Tatsachen. Allerdings muss das Kriterium der materiality bei der Beurteilung mittelbarer Tatsachen im Zusammenhang mit dem Kriterium des probative value betrachtet werden: Der Begriff des probative value lässt sich am ehesten mit der Beweiseignung im deutschen Recht vergleichen, meint aber speziell die Beurteilung des Zusammenhanges zwischen Hilfs- und Haupttatsachen und den Rückschluss von der einen auf die andere Tatsache. Die Beurteilung des probative value in Rule 401 (a) FRE erfordert auch nach U.S.-amerikanischem Verständnis eine prognostische Entscheidung des Gerichts. Teilweise werden in der U.S.-amerikanischen Literatur mathematische Formeln für eine möglichst exakte Berechnung des hypothetischen Beweiswertes eines Beweisangebotes aufgestellt. Indes wird auch in der Diskussion in den USA letztlich zugegeben, dass das Gericht eine oftmals unsichere, wertende Prognose treffen muss.89 Diese Entscheidung orientiert sich an der allgemeinen Lebenserfahrung des Richters sowie an naturwissenschaftlichen und logischen Grundregeln und Zusammenhängen. Anhand dieser Kriterien gilt es für den Richter zu beurteilen, ob der angebotene Beweis hypothetisch dazu geeignet ist, die zu beweisende Tatsache mehr bzw. weniger wahrscheinlich erscheinen zu lassen.90 Doch auch dieses Kriterium wird in der Praxis sehr weit ausgelegt. Dafür wird gerade der Gesetzeswortlaut Vgl. den Fall Philips v. Western Co. of N. Am., 953 F.2d 923, 930; siehe auch Charles/Broun/ Dix, McCormick I, S. 994 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 174; Fishmann, Jones on Evidence II, S. 260 f. jeweils mwN. 87 Vgl. die Ausführungen des Supreme Court im Fall Old Chief v. United States, 519 U.S. 172, 186 ff.; 117 S.Ct. 644, 136 L.Ed.2d 574; Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 994 f. 88 Siehe Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 994 f. und Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 174 ff. 89 So insbesondere Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 995 ff.; ähnliche Überlegungen finden sich bei Friedman, 34 Hous.L.Rev. 55, 57 ff. 90 Vgl. zu diesen Kriterien Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1004; ähnlich Mueller/Kirk patrick, Evidence, S. 171 f. 86
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angeführt, dass eine geringfügige Wahrscheinlichkeit der Eignung des Beweismittels genügt (any tendency).91 Daher werden Beweisanträge nach diesem Zulassungskriterium nur selten abgelehnt. Problematisch können allein Angebote von Indizienbeweisen (circumstantial evidence) sein, wenn es sich um naturwissenschaftlich zweifelhafte Indizien handelt.92 Insgesamt stellt das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit nach U.S.-amerikanischem Verständnis durch seine weite Auslegung nur eine sehr geringe Zulassungshürde für Beweisanträge dar. Es soll an dieser Stelle der Vollständigkeit halber nicht unerwähnt bleiben, dass Rule 403 FRE ein weiteres Korrektiv der Beweiszulassung normiert. Diese Regelung sieht vor, dass jeder Beweisantrag sich im Rahmen der Prüfung seiner Zulassung einer Kosten-Nutzen-Analyse stellen muss. Diese Regelung hat in Rule 403 FRE die Sicherung der Effizienz der Justiz zum Ziel.93 Aufgrund dieses weiteren Korrektives relativiert sich die weite Auslegung des Kriteriums der Entscheidungserheblichkeit ein Stück weit. Allerdings ist zu der Auslegung dieser Kosten-Nutzen-Analyse wiederum festzuhalten, dass Beweismittel nur im Ausnahmefall abgelehnt werden. Ein Ausschluss kommt nur in Betracht, wenn die Gefahr einer Verzögerung den Nutzen des Beweismittels erheblich übersteigt. Diese Formulierung des Gesetzes spricht auch insoweit eine Zweifelsregel zugunsten der Zulässigkeit von Beweisanträgen aus. Hinzu kommt, dass die Gerichte die Effizienz der Justiz als ein „externes“ Merkmal erachten und dessen Wert deutlich geringer ansetzen, als die Zulassung von Beweismitteln, welche zur Wahrheitserforschung beitragen können.94 Mithin lässt sich für die Praxis festhalten, dass auch nach den Einschränkungsmöglichkeiten im Einzelfall nach Rule 403 FRE Beweisangebote im Zweifel als zulässig angesehen werden.95 Als Quintessenz lässt ist rechtsvergleichend zu konstatieren, dass das U.S.-amerikanische Recht von einer weiten Auslegung des Kriteriums der Entscheidungserheblichkeit ausgeht und Beweisanträge nur im Ausnahmefall von vornherein als unerheblich abgelehnt werden.
Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 170 ff.; kritisch zu dieser weiten Konzeption der Zulässigkeit von Beweismitteln Crump, 34 Hous.L.Rev. 1 ff. und Friedman, 34 Hous.L.Rev. 55 ff. 92 Vgl. zum Indizienbeweis und seinen Zulassungsanforderungen Fishman, Jones on Evidence II, S. 270 ff. und Charles/Broun/Dix, McCormick I, S. 1000 ff.; ausführlich zu den Beweisarten Patterson, 19 Vand.L.Rev. 1 ff. 93 Vgl. Fishmann, Jones on Evidence II, S. 284 f. und S. 312 f.; Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 198 f. 94 Eine sehr ähnliche Schlussfolgerung zieht Fishman, Jones on Evidence II, S. 312 f.; vgl. erneut den Fall United States v. Jamil, 707 F.2d 638, 642 ff. mwN. 95 Zu diesem Ergebnis kommen auch Mueller/Kirkpatrick, Evidence, S. 190 f. und Fishman, Jones on Evidence, S. 283 f. jeweils mwN. 91 Vgl.
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4. Eigene Ansicht: Die Entscheidungserheblichkeit eines Beweisthemas als immanente Grenze des Rechts auf Beweis Die Entscheidungserheblichkeit einer zum Nachweis gestellten Tatsache bildet nach hier vertretener Ansicht die zentrale, immanente Grenze des Rechts auf Beweis. Ein Beweisantrag über eine nicht entscheidungserhebliche Tatsache kann keinerlei Auswirkungen auf den Rechtsnachweis einer Partei und die gerichtliche Entscheidung zeitigen. Eine solche Beweiserhebung hätte nach Sinn und Zweck des Prozesses keinerlei Nutzen für die den Beweis beantragende Partei. Aus dieser generellen Zwecklosigkeit einer solchen Beweiserhebung für den Rechtsnachweis einer Partei folgt zugleich, dass die Entscheidungserheblichkeit eine Grenze darstellt, die dem Recht auf Beweis als solchem immanent ist. Nicht entscheidungserhebliche Beweis anträge nehmen nicht am Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis teil. Diese immanente Grenze des Rechts auf Beweis gilt für alle drei untersuchten Grundrechtsordnungen gleichermaßen. Diese große Bedeutung macht zugleich eine eingehende Analyse des Kriteriums der Entscheidungserheblichkeit erforderlich. Dabei werden Inhalt und Grenzen der Entscheidungserheblichkeit anhand von 4 Einzelpunkten erläutert: Den Informationsrechten der Parteien, der Entscheidungserheblichkeit unmittelbarer und mittelbarer Tatsachen sowie dem Umfang des gerichtlichen Ermessens und seiner Nachprüfbarkeit. a) Informationspflichten des Gerichts über entscheidungserhebliche Tatsachen Die Prozessparteien haben als Teilgehalt des Rechts auf Beweis ein Recht auf Information über die entscheidungserheblichen Tatsachen des konkreten Falles. Mit diesem Recht korrespondiert eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Information der Parteien. Dieses Informationsrecht ist der eigentlichen Bewertung der Entscheidungserheblichkeit eines Beweisantrages vorgelagert und stellt die Basis für entsprechende beweisrechtliche Aktivitäten der Parteien im Zivilprozess dar: Das Gericht muss die Parteien explizit über seine Rechtsansichten im konkreten Fall informieren. Einer nicht rechtsberatenen Partei muss das Gericht zudem konkret aufzeigen, welche Tatsachen als Resultat dieser Rechtsansicht entscheidungserheblich sind. Die rechtsberatene Partei muss ihrerseits durch die Darlegung der Rechtsansichten des Gerichts in die Lage versetzt werden, bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt ohne weiteres zu erkennen, welche Tatsachen entscheidungserheblich sind.96 Indes folgt auch aus dem Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung kein Recht der Parteien auf ein Rechtsgespräch. Das Gericht muss explizit darlegen, welcher Rechtsauffassung es folgt. Es muss sich aber nicht auf eine Diskussion darüber 96
Ganz ähnlich auch die Auffassung von BVerfG und Literatur, siehe oben III. 2 und zum allgemeinen Recht auf Information ausführlich unten § 7 III. 1.
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einlassen, weshalb es dieser Rechtsauffassung folgt.97 Eine kurze Darstellung der Gründe wäre zwar praktisch wünschenswert und würde die Legitimation dieser Rechtsauffassung erhöhen, eine verfassungsrechtliche Pflicht lässt sich an dieser Stelle aus dem Recht auf Beweis indes nicht ableiten. Die Frage weshalb das Gericht einer Rechtsauffassung folgt, wird den Parteien spätestens in den Entscheidungsgründen verdeutlicht werden müssen. Dieses konkrete Informationsrecht aus dem Recht auf Beweis zielt jedoch allein darauf ab, die Parteien in die Lage zu versetzen, die entscheidungserheblichen Tatsachen des Falles zu erkennen und ihre darauffolgenden Beweisanträge daran ausrichten zu können. b) Das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit Eine abstrakte und allgemeine Definition des Kriteriums der Entscheidungserheblichkeit erweist sich als Herausforderung. Rechtsprechung und Literatur haben richtigerweise den Zusammenhang zum Begriff der Schlüssigkeit aufgezeigt: Eine Klage ist schlüssig, wenn die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz das begehrte Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen lässt.98 Gleiches gilt auf der anderen Seite für das Recht der Gegenpartei auf Beweis: wenn also die vorgetragenen Tatsachen in Verbindung mit einem Rechtssatz die begehrte Abweisung bzw. Abwandlung einer Entscheidung rechtfertigen. Ausgehend von dieser Definition der Schlüssigkeit ließe sich die Entscheidungserheblichkeit abs trakt folgendermaßen formulieren: Die Entscheidungserheblichkeit einer Tatsache ist zu bejahen, wenn die gerichtliche Entscheidung im Falle des Nachweises dieser Tatsache anders ausfallen würde als im Falle ihrer Nichterweislichkeit. Diese abstrakte Definition der Entscheidungserheblichkeit muss jeweils für unmittelbare und mittelbare Tatsachen angepasst werden: aa) Entscheidungserheblichkeit unmittelbarer Tatsachen Im Falle unmittelbarer Tatsachen ergibt sich die Entscheidungserheblichkeit direkt aus der im konkreten Fall jeweils relevanten Rechtsnorm des materiellen Rechts. Die zum Nachweis beantragte Tatsache kann hiernach unmittelbar mit den Tatbestandsmerkmalen derjenigen Rechtsnorm abgeglichen werden, die die begehrte Rechtsfolge ermöglicht. Entscheidungserheblichkeit iSd immanenten Grenze des Rechts auf Beweis ist zu bejahen, wenn eine Tatsache zum Beweis beantragt ist, die unmittelbarer Teil der Voraussetzungen desjenigen Rechtssatzes ist, der die begehrte Rechtsfolge ermöglicht.
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Im Ergebnis ebenso auch BVerfG und Literatur, vgl. oben III. 2. Vgl. wiederum BGH NJW-RR 1995, S. 722 und BGH NJW 2005, S. 2710, 2711 jeweils mwN. 98
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bb) Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tatsachen Die Bestimmung der Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tatsachen erweist sich demgegenüber als deutlich schwieriger. Das Problem des Indizienbeweises liegt in dem Schluss von der Hilfstatsache auf die Haupttatsache, also diejenige Tatsache, die unmittelbarer Bestandteil der relevanten Rechtsnorm ist. Das erkennende Gericht muss letztlich eine prognostische Entscheidung treffen. Eine solche Entscheidung birgt allerdings stets das Risiko einer antizipierten Ablehnung eines an sich für die Überzeugungsbildung wertvollen Beweismittels. Gerade im Hinblick darauf, dass sich diese prognostische Entscheidung über die Erheblichkeit einer Tatsache als immanente Grenze des Rechts auf Beweis darstellt, muss diese Grenze im Hinblick auf die Bedeutung dieses Rechts eng gezogen werden. Das Gericht muss sich in seiner Prüfung letztlich darauf beschränken, ob ein Schluss von der Hilfs- auf die Haupttatsache nach den anerkannten Denk- und Naturgesetzen, insbesondere den Gesetzen der Logik von vornherein auszuschließen ist.99 Eine weitergehende Prognose dahingehend, dass diese Hilfstatsache nach der subjektiven Überzeugung und den Erfahrungen des Gerichts in keinem Fall Rückschlüsse auf die Haupttatsache zuließe und daher ungeeignet sei, ist demgegenüber als Form der antizipierten Beweiswürdigung unzulässig und gerade keine immanente Grenze des Rechts auf Beweis. Die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tataschen als immanenter Grenze des Rechts auf Beweis orientiert sich mithin rein faktisch an den Natur- und Denkgesetzen und gerade nicht an den subjektiven Erfahrungen und Vorstellungen des Gerichts. Dabei hat es weiter zu prüfen, ob eine Gesamtschau aller beantragten Indizien zusammengenommen einen Schluss auf die Haupttatsache erlaubt.100 Dieser Versuch einer Orientierung an Naturgesetzen lässt sich in ähnlicher Weise im U.S.-amerikanischen Bundesrecht der Federal Rules of Evidence beobachten.101 Sollte eine Partei mit ihrem Vortrag ernsthafte Zweifel an einem vom Gericht angenommenen Natur- oder Denkgesetz vorbringen, so ist hierüber seinerseits Beweis zu erheben. Im Zweifel ist ein beantragtes Beweismittel zuzulassen und etwaige Zweifel im Rahmen der Beweiswürdigung mit entsprechender Vorsicht zu berücksichtigen. cc) Grundsatz: Ermessensentscheidung des Gerichts Die Entscheidung, ob eine zum Nachweis beantragte Tatsache entscheidungserheblich ist, kann im Einzelfall durchaus komplex sein. Daher kommt dem erkennenden 99 Vgl. zu diesem Maßstab im Rahmen der Überprüfung einer richterlichen Beweiswürdigung etwa BGH NJW 1987, S. 1557, 1558 und BGH NJW 2008, S. 2845 sowie die ausführliche Analyse unten § 11 IV. 100 In diesem Sinne bereits BGHZ 53, S. 245, 261; ebenso BGH NJW 2012, S. 2427, 2431. 101 Ausführlich zu den rechtsvergleichenden Grundlagen der Entscheidungserheblichkeit nach U.S.-amerikanischem Verständnis oben § 3 V. 1. mwN aus Rechtsprechung und Literatur.
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Gericht auch nach hier vertretener Meinung grundsätzlich ein Ermessen in dieser Frage zu. Der Umfang dieses gerichtlichen Ermessens unterscheidet sich je nach Fallkonstellation: Die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit einer zum Nachweis beantragten, unmittelbaren Tatsache bedarf indes regelmäßig keiner umfangreicheren Abwägung. Vielmehr muss sich das Gericht über seine Rechtsansicht klar werden, diese Ansicht den Parteien mitteilen und in der Folge entsprechend dieser Rechtsansicht handeln. Die Entscheidungserheblichkeit einer Tatsache ergibt sich direkt aus der relevanten Rechtsnorm und ihren Tatbestandsmerkmalen, so dass faktisch kein großer Raum für Ermessenserwägungen verbleibt. Etwas anderes kann demgegenüber im Rahmen der Entscheidungserheblichkeit eines Indizienbeweises gelten. Das Gericht hat eine prognostische Entscheidung zu treffen und auch insoweit kommt ihm ein Ermessen zu. Dieses Ermessen ist gleichsam in seinem Umfang beschränkt, wenn man mit der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass die Erheblichkeit eines Indizienbeweises nur abgelehnt werden kann, wenn die Erheblichkeit nach den Natur- und Denkgesetzen auszuschließen ist. Dennoch kann es im Einzelfall fraglos Unsicherheiten geben, ob ein Schluss von einer Hilfs- auf die Haupttatsache noch unter ein Denk- oder Naturgesetz zu subsumieren ist und ein entsprechender Schluss möglich erscheint. Im Hinblick auf diesen prognostischen Charakter der Entscheidung und die Vielfalt möglicher, mittelbarerer Tatsachen erscheint es naheliegend und richtig, dem Gericht eine gewisse Entscheidungsfreiheit in Form eines Ermessens einzuräumen. Das erkennende Gericht hat hiernach in seinem pflichtgemäßen Ermessen allein anhand der Denk- und Naturgesetze die Entscheidungserheblichkeit eines beantragten Indizienbeweises zu beurteilen. dd) Die Grenzen des gerichtlichen Ermessens und seine Überprüfbarkeit Darüber hinaus werden dieser Ermessensfreiheit des erkennenden Gerichts durch eine umfassende Begründungspflicht und die Kontrolle im Instanzenzug weitere Grenzen gesetzt. Aus dem Recht auf Beweis folgen nach hier vertretener Ansicht zum einen umfangreiche Begründungspflichten bei einer Ablehnung von Beweisanträgen als unerheblich durch das erkennende Gericht. Das Gericht muss in seiner Entscheidung detailliert darlegen, weshalb die Tatsache für die Entscheidung von keinerlei Erheblichkeit ist. Es genügt gerade nicht, dass sich diese Begründung der Ablehnung implizit aus der Wahl einer Rechtsansicht ergibt und so von rechtskundigen Parteien gegebenenfalls nachvollzogen werden kann. Ebenso wenig genügt ein pauschaler Hinweis auf die entsprechende Rechtsansicht den Begründungspflichten aus dem Recht auf Beweis. Das Gericht muss auf die Argumente der den Beweis beantragenden Partei im Einzelnen eingehen und darlegen, weshalb es seiner eigenen Rechtsansicht gefolgt ist. Im Rahmen der Beurteilung von Indizienbeweisen muss das Gericht zudem darlegen, auf welche Natur- und Denkgesetze es
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seine Entscheidung stützt. Diese umfassende Begründungspflicht stellt das Gegenstück zu den zurückhaltenden Informationspflichten im eigentlichen Prozess dar, die kein Rechtsgespräch mit den Parteien erfordern.102 Außerdem ist eine solche Begründungspflicht grundlegend für das Verständnis der Parteien über die Entscheidung und damit die Legitimation derselben. Abschließend kann auch eine Kontrolle der gerichtlichen Entscheidung im Instanzenzug nur erfolgen, wenn die Instanzgerichte die Rechtsansichten und Bewertungen des erkennenden Gerichts im Einzelnen nachvollziehen können. Allein über den Weg einer umfassenden Begründung kann eine effektive Kontrolle verwirklicht werden. Zum anderen ist die gerichtliche Ermessensentscheidung über die Entscheidungserheblichkeit eines beantragten Beweismittels zwecks Sicherstellung einer effektiven Kontrolle im Instanzenzug voll justiziabel. Die Überprüfung der Rechtsan sichten des erkennenden Gerichts ist hierbei nach den §§ 545, 546, 513 ZPO die originäre Aufgabe der Instanzgerichte und bedarf als solche keiner weiteren Rechtfertigung.103 Darüber hinaus fordert die effektive Geltung des Rechts auf Beweis nach hier vertretener Auffassung zwar keinen Instanzenzug, aber doch eine Überprüfung der untergerichtlichen Entscheidung über die Ablehnung von Beweisanträgen wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit in einem tatsächlich existierenden Instanzenzug. In diesem Zusammenhang ist nach hier vertretener Ansicht auch die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit mittelbarer Tatsachen vollständig überprüfbar. Die Ermessensentscheidung beruht auf der Anwendung der Natur- und Denkgesetze, welche das erkennende Gericht in seiner Entscheidungsbegründung im Einzelnen darzulegen hat. Diese Gesetze gelten indes nicht nur für das erkennende Gericht, sondern ihrer Art nach universell, so dass sie auch durch die Instanzgerichte ohne weiteres einer Überprüfung unterzogen werden können.104 Die Anwendung dieser Gesetze auf die konkret unter Beweis gestellten Tatsachen und damit das gerichtliche Ermessen sind hiernachvoll überprüfbar. Dieses Zusammenspiel aus umfassenden Begründungspflichten und einer anschließenden, vollständigen Kontrollmöglichkeit in einem tatsächlich existierenden Instanzenzug stellt die effektive Geltung des Rechts auf Beweis sicher und ermöglicht die Korrektur etwaiger Fehler.
102 Ausführlich zu den allgemeinen Begründungspflichten beweisrechtlicher Entscheidungen unten § 7 VII. 103 Zum Prüfungsmaßstab in den Rechtsmittelinstanzen siehe auch Rosenberg/Schwab/Gott wald, ZPR, § 138 Rn. 31 ff. zur Berufung und § 142 Rn. 2 ff. zur Revision. 104 Dieser Maßstab wird auch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung für die Rechtsmittelgerichte angelegt, siehe etwa BGH NJW 1987, S. 1557, 1558; ebenso BGH NJW-RR 2000, S. 686 und BGH NJW 2008, S. 2845.
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IV. Die weiteren immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis Neben dem Kriterium der Entscheidungserheblichkeit ergeben sich nach hier vertretener Auffassung vier weitere immanente Grenzen des Rechts auf Beweis: Die Substantiierung und die fehlende Beweisbedürftigkeit des Beweisthemas, sowie die fehlende Eignung und Erreichbarkeit des Beweismittels. Diese Kriterien lassen sich ihrerseits in zwei Kategorien von Gründen unterteilen, aus denen heraus sie dem Recht auf Beweis als Grenze immanent sind: Die erste Gruppe von Gründen meint die rein faktische Unmöglichkeit der Beweisaufnahme, sei es mangels hinreichender Substantiierung oder faktischer Unerreichbarkeit der Beweismittel, so dass eine Beweisaufnahme schlicht nicht möglich ist und daher von Rechts wegen auch nicht erzwungen werden kann. Die zweite Gruppe immanenter Grenzen wird nach dem Prozesszweck dadurch gezogen, dass die den Beweis beantragende Partei von der Beweiserhebung keinerlei Nutzen hätte: Also diejenigen Fälle, in denen die zum Nachweis beantragte Tatsache keines Beweises bedarf oder aber das beantragte Beweismittel zum Nachweis – wiederum rein faktisch – nicht geeignet ist. Diesen Fallkonstellationen ist weiter gemein, dass sie sich allein auf das beantragte Beweisthema oder das zu erhebende Beweismittel selbst beziehen. Es findet keinerlei Abwägung mit Grundrechten Dritter oder Allgemeingütern gleichen Ranges statt. Eines der zentralen Charakteristika der immanenten Grenzen ist darin zu sehen, dass eine Beweiserhebung von vornherein, sozusagen aus sich selbst heraus abzulehnen ist und keinerlei Abwägung bedarf. Dieses Charakteristikum findet sich ausschließlich bei den Kriterien der Substantiierung des Beweisantrages, der Entscheidungserheblichkeit und Beweisbedürftigkeit des Beweisthemas sowie der Eignung und Erreichbarkeit des Beweismittels. Diese Kriterien bilden die abschließenden immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis.
1. Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC: Maßgeblichkeit des nationalen Rechts Diese weiteren immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis werden in der Rechtsprechung von EGMR und EuGH nicht im Einzelnen behandelt. Vielmehr wird die Zulassung von Beweismitteln explizit den erkennenden, nationalen Gerichten zugewiesen.105 Vorbehalten bleibt auch insoweit allein eine allgemeine Fairnessprüfung anhand des Art. 6 I EMRK bzw. des Art. 47 II S. 1 GRC. In dieser allgemeinen Prüfung der Verfahrensfairness wird eine Ablehnung mangels Substantiierung, Be105 Vgl. wiederum Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 12.09.2003, 35968/97, Van Kück ./. GER, Rn. 47 ff. und den Verweis auf die EMRK durch EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 75 – Steffensen.
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weisbedürftigkeit, Beweiseignung oder -erreichbarkeit soweit ersichtlich nicht behandelt. Auch die Literatur zu den europäischen Grundrechtsordnungen kommt in Bezug auf diese Kriterien über erste Ansätze nicht hinaus.106 Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis folgen aus den zu beweisenden Tatsachen bzw. aus den hierfür benannten Beweismitteln als solchen. Wenn man mit der hier vertretenen Ansicht davon ausgeht, dass der Inhalt des Rechts auf Beweis sich einheitlich anhand des Prozesszweckes der Durchsetzung privater Recht bestimmt, so gelten diese immanenten Grenzen für alle drei Grundrechtsordnungen gleichermaßen. Sie stellen den gemeinsamen Rahmen dar, innerhalb dessen sich das jeweilige Recht auf Beweis nach den einzelnen Grundrechtsordnungen bewegt. Daher werden die weiteren, immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis in ihrem Umfang für alle drei Grundrechtsordnungen gemeinsam herausgearbeitet. Allerdings folgt aus Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC im Rahmen der allgemeinen Prüfung der Verfahrensfairness nach hier vertretener Auffassung zugleich ein gemeinsamer Prüfungsmaßstab der drei Grundrechtsordnungen: Dieser Maßstab ist anzulegen bei der Überprüfung der Entscheidung des erkennenden, nationalen Gerichts über die Ablehnung von Beweismitteln unter Verweis auf die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis. Dieser Gleichlauf lässt sich im Hinblick auf die gemeinsame Fundierung des Rechts auf Beweis in Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten erklären. Auch in seiner Bedeutung für die Effektuierung der Durchsetzung materieller Grundrechte ist das Recht auf Beweis in den europäischen Grundrechtsordnungen gleichermaßen hoch einzuschätzen. Es ist schlicht kein sachlicher Grund erkennbar, weshalb die europäischen Grundrechtsordnungen der EMRK und der Grundrechtecharta in ihrem Gewährleistungsgehalt an dieser Stelle hinter dem deutschen Grundgesetz zurückbleiben sollten. Vielmehr gelten die weiteren, immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis ebenso allgemein in allen drei Grundrechtsordnungen wie der Maßstab ihrer Überprüfbarkeit.
2. Substantiierung eines Beweisantrages Eine weitere immanente Grenze findet das Recht auf Beweis hiernach in der Pflicht einer Prozesspartei zur Substantiierung ihres Beweisantrages.
106 Siehe etwa die kurzen beweisrechtlichen Ausführungen von Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 165 f. und Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 101; ausführlicher, aber ohne Erwähnung der genannten Kriterien Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-La dewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 139 ff.; zu ersten Ansätzen in neuerer Zeit Grabenwarter/ Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69; ebenso verhält es sich im Rahmen der GRC, siehe etwa die Ansätze von Jarass, GRC, Art. 47, Rn. 30 ff. und Meyer-Eser, GRC, Art. 47, Rn. 34.
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a) Die Substantiierungsanforderungen in Rechtsprechung und Literatur Das grundsätzliche Erfordernis einer Substantiierung des eigenen Vortrages ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt und wird auf § 138 II ZPO gestützt.107 Der Umfang dieser Substantiierungspflicht richtet sich dabei nach den Erfordernissen des Einzelfalles und wird anhand einer Reihe von Kriterien bestimmt.108 Die Substantiierungsanforderungen an den ersten Klagvortrag werden dabei regelmäßig gering gehalten: Es genügt in aller Regel die Behauptung von Tatsachen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz das behauptete Recht als in der Person des Klägers entstanden erscheinen lassen, mithin die Schlüssigkeit der Klage.109 Die weiteren Anforderungen richten sich sodann nach dem Umfang und Detailgrad des Vortrages der Gegenpartei: Je detaillierter die Ausführungen der einen Partei ausfallen, desto höher sind nun auch die Substantiierungsanforderungen für die jeweils andere Partei.110 Dieses Wechselspiel der Parteien führt zu stark einzelfallabhängigen Substantiierungsanforderungen. Allerdings sprechen sich Rechtsprechung und Literatur in diesem Rahmen gegen überzogene Substantiierungsanforderungen aus. Der substantiierte Tatsachenvortrag einer Partei müsse das Gericht lediglich in die Lage versetzten, die Schlüssigkeit der Klage und die Erheblichkeit der Beweisanträge beurteilen zu können.111 Indes hat sich in Rechtsprechung und Literatur dieser Warnung zum Trotze noch ein weitergehendes Substantiierungserfordernis entwickelt: So wird in Rechtsprechung und Literatur ein Verbot von sog. Ausforschungsbeweisen vertreten. Ein Beweisantrag „ins Blaue hinein“, der auf Vermutungen basiert und die eigentliche Tatsachenkenntnis der Partei erst herbeiführen soll, ist hiernach verboten.112 Somit 107 Vgl. etwa BGH NJW 1991, S. 2707, 2709 auch zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen und Grenzen der Substantiierungslast; in neuer Zeit siehe BGH NJW 2012, S. 1647, 1648; zur verfassungsrechtlichen Seite siehe auch BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 jeweils mwN; aus der Literatur Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284 Rn. 85 ff. und Vor § 286 Rn. 40 ff.; ausführlich auch Brose, MDR 2008, S. 1315 ff.; grundlegend Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 44 ff. und Mu sielak, Grundlagen der Beweislast, S. 52 ff. jeweils mwN. 108 Vgl. in diesem Sinne BGH NJW 2005, S. 2710, 2711; so auch MüKo-Wagner, ZPO I, Rn. 18 ff. und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138 Rn. 30 ff. 109 So etwa BGH NJW 1984, S. 2888; ebenso BGH NJW 1999, S. 1859; in jüngster Zeit BGH NJW 2012, S. 382. 110 Dieses „Wechselspiel“ der Parteien legt BGH NJW 1999, S. 1859 sehr schön dar; ebenso BGH NJW 2005, S. 2710, 2711; aus der Literatur siehe Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 11, Rn. 15 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 109 Rn. 7 und Dölling, NJW 2013, S. 3121, 3123. 111 Vgl. BGH NJW 1996, S. 394; inhaltlich ebenso BGH NJW 1999, S. 1859, 1860; in neuer Zeit siehe BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10; aus der Literatur etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO III, § 138 Rn. 23 ff. 112 So bereits BGH NJW 1968, S. 1233; ausführlich BGH NJW 1984, S. 2888, 2889 und BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 jeweils mwN.
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muss die Partei detailliert darlegen, was sie sich aus welchem Grunde von einer Beweiserhebung verspricht.113 Allerdings betont die Rechtsprechung zugleich, dass eine Partei Tatsachen als feststehend behaupten darf, obgleich sie (noch) keine unmittelbare Kenntnis hat, sondern diese Tatsachen vielmehr vermutet.114 Diese Sub stantiierungsanforderungen gehen dennoch deutlich über die bloße, schlüssige Darlegung der Tatsachen unter Benennung und Beantragung von Beweismitteln hinaus. Dieses Verbot eines Ausforschungsbeweises wird sodann in Teilen der Literatur durchaus kritisch diskutiert.115 Ihre Begründung findet die Figur des Ausforschungsbeweises nach der Rechtsprechung darin, dass es gerade nicht der Zweck einer Beweiserhebung sein darf, die für den bereits erhobenen Klagantrag erforderlichen Tatsachen überhaupt erst zu gewinnen.116 b) Eigene Ansicht: Substantiierung eines Beweisantrages als immanente Grenze Die Pflicht zur Substantiierung des Beweisantrages stellt nach hier vertretener Ansicht eine der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis dar. Allerdings folgt aus der Bedeutung des Rechts auf Beweis zugleich, dass diese Grenzen eng zu ziehen sind. Die Pflicht zur Substantiierung kann einer Partei im Einzelfall hohe Anforderungen auferlegen, so dass dieser Grundsatz einer engen Auslegung für diese immanente Grenze in besonderem Maße gilt. Die Substantiierung eines Beweisantrages stellt insoweit eine besondere, immanente Grenze des Rechts auf Beweis dar, als sie beide Fallgestaltungen einer immanenten Grenze gleichermaßen betrifft. Eine gewisse Substantiierungspflicht ist gleichermaßen Voraussetzung für die tatsächliche Ermöglichung einer Beweiserhebung und die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit iSe für die Prozesspartei sinnvollen Beweiserhebung: Ein gewisses Minimum an Substantiierung des eigenen Beweisantrags ist zu fordern, um ein Beweismittel überhaupt erheben zu können. So muss eine Partei nun einmal eine ladungsfähige Adresse angeben, um es dem Gericht zu ermöglichen, einen Zeugen zu laden. Auch die Einnahme eines Augenscheins durch das Gericht bedarf zumindest der Beschreibung des Augenscheinsobjektes und seiner Belegenheit. Allerdings zeigt sich an dieser Stelle zugleich die Grenze dieser Substantiierungspflicht als immanenter 113 Ausführlich
zu Inhalt aber insbesondere auch Grenzen dieses Verbotes BGH NJW-RR 1991, S. 888, 891; in neuerer Zeit BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; aus der Literatur Dölling, NJW 2013, S. 3121, 3123. 114 Vgl. BGH NJW-RR 1991, S. 888, 889; ebenso BGH NJW 1996, S. 3147, 3150; BGH NJW 2001, S. 2327, 2328 und BGH VersR 2012, S. 1429; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 mwN. 115 Kritisch gegenüber der Figur des Ausforschungsbeweises äußern sich MüKo-Prütting, ZPO IV, § 284 Rn. 79 f.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284 Rn. 49 f., 54 und Musielak/Voit-Foerste, § 284 Rn. 17 f. jeweils mwN. 116 In diesem Sinne BGH JR 1994, S. 361, 365; hierauf verweisend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284 Rn. 49; ausführlich auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 11 Rn. 9 ff.
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Grenze des Rechts auf Beweis: Ein Beweisantrag ist nur so weit zu substantiieren, wie es für die tatsächliche Erhebung eines beantragten Beweismittels unbedingt erforderlich ist. Eine weitergehende Substantiierungspflicht stellt demgegenüber eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Darüber hinaus erfordert die Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas als immanente Grenze des Rechts auf Beweis ihrerseits ein gewisses Mindestmaß an Substantiierung von Beweisanträgen: Die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit eines Beweisantrages kann durch das erkennende Gericht sinnvollerweise nur dann vorgenommen werden, wenn zumindest die nachzuweisende Tatsache angegeben wird. Im Falle von Indizienbeweisen bedarf es darüber hinaus zumindest einer gewissen Darstellung des Zusammenhanges zwischen Hilfs- und Haupttatsache. Eine Partei muss hiernach diejenigen Tatsachen vortragen, die die Schlüssigkeit ihrer Anträge begründen.117 Doch auch insoweit sind die Grenzen dieser Substantiierungspflicht iSe immanenten Grenze des Rechts auf Beweis vorgezeichnet: Ein Beweisantrag ist ausschließlich so weit zu substantiieren, wie dies für die Beurteilung seiner Entscheidungserheblichkeit durch das erkennende Gericht zwingend erforderlich ist. Weitergehende Substantiierungspflichten sind einmal mehr als rechtfertigungsbedürftige Einschränkungen des Rechts auf Beweis anzusehen. Dies gilt insbesondere für Substantiierungspflichten wie das Verbot sog. Ausforschungsbeweise.118
3. Beweisbedürftigkeit Die nun zu überprüfende Grenze der Beweisbedürftigkeit eines Beweisthemas stellt sich als die wohl umfangreichste, immanente Grenze des Rechts auf Beweis dar. a) Die weitere Unterteilung des Kriteriums der Beweisbedürftigkeit So lässt sich das Kriterium der Beweisbedürftigkeit seinerseits in insgesamt vier Einzelkriterien unterteilen. Die Offenkundigkeit, Erwiesenheit und Unbestrittenheit sowie das Geständnis einer Tatsache stellen allesamt Aspekte der übergeordneten Kategorie der Beweisbedürftigkeit dar.119 Diese einzelnen Teilaspekte eint, dass eine Tatsache im Falle ihres Vorliegens keines Beweises bedarf.
117 In ihrem Grundansatz stimmt diese Auffassung daher mit der h. M. überein, vgl. etwa BGH NJW 2012, S. 382. 118 Ausführlich zu diesem Rechtsinstitut unten § 10 II. 2.–4. 119 Diese Auflistung der Teilaspekte der Beweisbedürftigkeit findet sich insbesondere bei MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 93; ähnlich, wenn auch mit weiteren Teilaspekten Musielak/ Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 20.
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b) Fehlende Beweisbedürftigkeit als immanente Grenze Bevor auf diese Aspekte sogleich im Einzelnen einzugehen ist, soll zunächst geklärt werden, weshalb sich die fehlende Beweisbedürftigkeit als immanente Grenze des Rechts auf Beweis darstellt. Ausgehend von den obigen Ausführungen gibt es zwei Begründungslinien für immanente Grenzen des Rechts auf Beweis: Die faktische Unmöglichkeit der Beweiserhebung und ihr gänzlich fehlender Nutzen für den Rechtsnachweis der diesen Beweis beantragende Partei. Die fehlende Beweisbedürftigkeit lässt sich ersichtlich der zweiten Kategorie zuordnen: Ob eine Tatsache von vornherein aufgrund ihrer Offenkundigkeit keines Beweises bedurfte oder sodann in der Verhandlung nicht bestritten, explizit zugestanden oder vom Gericht als erwiesen angesehen wird: in all diesen Fällen hat die den Beweis beantragende Partei ihr eigentliches Ziel im Prozess bereits erreicht: Die von ihr vorgetragene Tatsache wird vom Gericht seiner Entscheidung als wahr zugrunde gelegt. Weitere Beweisanträge haben für die Partei somit keinerlei Nutzen: Ein „Mehr“ an Rechtsnachweis kann vor Gericht nicht erreicht werden und das Zugrunde legen dieser Tatsache bei der Entscheidungsfindung ist für eine Partei die entscheidende Voraussetzung ihrer Rechtsdurchsetzung. Die Erhebung weiterer Beweismittel würde bestenfalls einer „allgemeinen Wahrheitserforschung“ dienen, schlimmstenfalls nur die private Neugier der Parteien befriedigen. Diese Aspekte haben nach seinem Sinn und Zweck im Zivilprozess indes keinen Raum. Der einigende Hintergrund für sämtliche Teilaspekte der Beweisbedürftigkeit als immanenter Grenze des Rechts auf Beweis ist somit der fehlende Nutzen der Beweiserhebung für die den Beweis beantragende Partei. c) Offenkundigkeit einer Tatsache Das Merkmal der Offenkundigkeit ist ein erster Teilaspekt der fehlenden Beweisbedürftigkeit und lässt sich wiederum in zwei Kategorien unterteilen: Die Allgemeinkundigkeit und die Gerichtskundigkeit. Die Offenkundigkeit hat in § 291 ZPO eine einfachgesetzliche Ausprägung gefunden. Allerdings beschränkt sich diese Norm auf die Benennung der Offenkundigkeit und die Anordnung einer Rechtsfolge dahingehend, dass eine offenkundige Tatsache keines Beweises bedürfe. Der Inhalt der Offenkundigkeit als immanenter Grenze des Rechts auf Beweis wird indes ohnehin durch die jeweiligen Grundrechtsordnungen gezogen und nicht anhand des einfachen Rechts. aa) Das Merkmal der Allgemeinkundigkeit in Rechtsprechung und Literatur Das Merkmal der Allgemeinkundigkeit stellt den ersten Teilaspekt der Offenkundigkeit dar und hat eine in Rechtsprechung und Literatur weitgehend unstreitige Definition gefunden: Allgemeinkundig sind Tatsachen, „von denen verständige und er-
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fahrene Menschen regelmäßig ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich durch Benützung allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen unschwer überzeugen können“.120 Eine allgemeinkundige Tatsache kann sich auf einen weiteren oder auch einen kleineren Bereich beziehen (Ortskundigkeit).121 Auch muss die Allgemeinkundigkeit einer Tatsache nicht auf Dauer „anhaften“, sondern kann ein zeitlich begrenztes Phänomen darstellen.122 Wichtiges Merkmal der Allgemeinkundigkeit ist jedoch, dass sie von einer unbekannten Vielzahl von Menschen gleichermaßen, mithin „allgemein“ als wahr angesehen wird und es gerade nicht auf die individuelle Wahrnehmung und etwaige Unsicherheiten des Einzelnen ankommt, wie etwa im Rahmen von Beweismitteln.123 Beispiele für allgemeinkundige Tatsachen sind statistische Jahrbücher, Kalenderdaten, Ortsentfernungen oder Geschehnisse der Weltgeschichte.124 Das Gericht muss die Parteien darauf hinweisen, dass es eine Tatsache als allgemeinkundig annehmen möchte und der belasteten Partei die Möglichkeit eines Gegenbeweises gegen diese – vermeintlich – allgemeinkundige Tatsache einräumen.125 bb) Das Merkmal der Gerichtskundigkeit in Rechtsprechung und Literatur Die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Tatsache einer Entscheidung als gerichtskundig zugrunde gelegt werden darf, ist demgegenüber zweifelhafter und teilweise auch umstritten. Gerichtskundig sind solche Tatsachen, „die dem Richter kraft seines Amtes, z. B. aus früheren Prozessen, bekannt geworden sind“.126 Entscheidend ist, dass der Richter die Kenntnis dieser Tatsache im Rahmen seiner Tä120 So die ausdrückliche Definition von BVerfGE 10, S. 177, 183; ebenso BGH NJW 1992, S. 2088; zustimmend auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 291 Rn. 4 ff.; tendenziell weitergehend und § 291 ZPO als Ausdruck der Prozessökonomie ansehend Walter, freie Beweiswürdigung, S. 273 ff. jeweils mwN. 121 Ausführlich in diesem Sinne Wieczorek/Schütz-Ahrens, ZPO IV, § 291 Rn. 8 mwN; 122 Diesen Aspekt darstellend Stein/Jonas-Thole, ZPO III, § 291, Rn. 4 mwN; ebenso Wieczorek/Schütz-Ahrens, ZPO IV, § 291 Rn. 8. 123 So MüKo-Prütting, ZPO I, § 291 Rn. 5; dieser Punkt wird auch von Lipp, privates Wissen, S. 61 ff. im Rahmen der Abgrenzung von gerichtskundigen Tatsachen und privatem Wissen des Richters hervorgehoben. 124 Vgl. BGH NJW 1992, S. 2088 (Lebenshaltungsindex der NJW); BGH NJW-RR 1993, S. 1122, 1123 (statistische Jahrbücher) und BVerwG NJW 1987, S. 1431, 1432 f. (Geschehnisse der Weltgeschichte); weitere Beispiele finden sich etwa bei Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 2, Rn. 24. 125 So BGH NJW-RR 1993, S. 1122, 1123; bestätigt von BGH NJW 2007, S. 3211; ausdrücklich mit Verweis auf das Recht auf Beweis Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 312; einschränkend Pantle, MDR 1993, S. 1166, 1167. 126 So wiederum BVerfGE 10, S. 177, 183; in diesem Sinne auch BGH NJW 1987, S. 1021; aus der Literatur siehe Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 291, Rn. 2; MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 9 ff. und Stein/Jonas-Thole, ZPO III, § 291, Rn. 7 ff.; Pantle, MDR 1993, S. 1166, 1167.
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tigkeit als Rechtsprechungsorgan erhält und nicht als Privatperson.127 Die Art des Prozesses, in dessen Rahmen die Kenntnis erlangt wird, spielt demgegenüber nach allgemeiner Ansicht keine Rolle.128 Die Zweifel an der Reichweite der Gerichtskundigkeit beginnen bei der Frage, ob und in welchem Umfang das erkennende Gericht dazu berechtigt ist, sich Aktenwissen anzueignen und dieses so erlangte Wissen im Prozess als gerichtskundige Tatsachen einzuführen. Die Rechtsprechung ist in diesen Fällen sehr großzügig. So ist es nach dem BGH erlaubt, sich als Richter anhand der Gerichtsakten von fremden Prozessen Wissen anzulesen und diese Wissen als gerichtskundig zu betrachten.129 In der Literatur wird die Grenze deutlich enger gezogen: Hiernach muss der erkennende Richter in der Vergangenheit persönlich dieses Wissen erlangt haben.130 Teilweise wird ihm gestattet, dieses Wissen mittels seiner eigenen Akten „aufzufrischen“.131 Teils wird jeder Rückgriff auf Gerichtsakten als unvereinbar mit dem Begriff der Gerichtskundigkeit angesehen.132 Insgesamt wird argumentiert, der BGH verwische die Grenze zum Urkundenbeweis. Jedenfalls wenn der Richter sich anhand fremder Gerichtsakten Wissen von früheren Fällen anlese, so handele es sich um einen Urkundenbeweis, der eines Beweisantrittes bedürfe.133 Weitgehende Übereinstimmung besteht demgegenüber dahingehend, dass gerichtskundige Tatsachen explizit in den Prozess eingeführt werden müssen und auch das Recht auf Führung eines Gegenbeweises unberührt bleibt.134 127 Vgl. BGH NJW 1987, S. 1021; siehe auch Pantle, MDR 1993, S. 1166, 1167; Stackmann, NJW 2010, S. 1409 f.; zur Abgrenzung von gerichtskundigen Tatsachen und privatem Wissen ferner Lipp, privates Wissen, S. 64 f. 128 So etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 291, Rn. 9; MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 12 jeweils mwN. 129 So BGHSt 6, S. 292, 293 f. allerdings zum Strafprozess; zustimmend Thomas/Putzo-Rei chold, ZPO, § 291 Rn. 2; siehe aber in jüngster Zeit BGH NJW 2014, S. 1441, 1443, in dessen Rahmen ein Schluss von einem anderen Verfahren auf den konkreten Fall abgelehnt wird und hiernach eine Anwendung des § 291 ZPO ausscheiden solle. 130 So etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 9 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 291, Rn. 9; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 291 Rn. 12 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 28 jeweils mwN. 131 In diesem Sinne MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 9 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 291, Rn. 2. 132 In diesem restriktiven Sinne Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 291, Rn. 9 und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 291 Rn. 12 ff.; ausführlich zu dieser Fragestellung Stein, privates Wissen des Richters, S. 158 ff. jeweils mwN. 133 In diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 291 Rn. 12 ff. und Musielak/ Voit-Huber, ZPO, § 291, Rn. 2; ähnlich auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 10. 134 Zur Einführung in den Prozess vgl. etwa BGH NJW-RR 1993, S. 1122, 1123 und BVerfGE 48, S. 206, 209; zum Recht auf einen Gegenbeweis siehe die Grundsatzentscheidung BGH NJWRR 1990, S. 1376; bestätigt in BGH NJW 2004, S. 1163 f.; zustimmend die Literatur, so etwa Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 291 Rn. 17; ähnlich Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 291,
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cc) Eigene Ansicht: Offenkundigkeit als immanente Grenze Die Offenkundigkeit stellt als Teilaspekt der fehlenden Beweisbedürftigkeit nach hier vertretener Ansicht eine immanente Grenze des Rechts auf Beweis dar.135 Nach dem Prozesszweck kann eine Partei mit ihren Beweisanträgen nicht mehr erreichen, als die Offenkundigkeit einer Tatsache von sich aus bietet: Das Zugrundelegen dieser Tatsache in der gerichtlichen Entscheidung. Daher stimmt die Rechtsfolge des § 291 ZPO mit den Anforderungen von Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta insoweit überein: Ein Beweisantrag über eine offenkundige Tatsache kann im Einklang mit dem Recht auf Beweis abgelehnt werden. Als immanente Grenze des Rechts auf Beweis ist die Offenkundigkeit aber gleichsam eng auszulegen. Allgemeinkundig sind in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht Tatsachen, „von denen verständige und erfahrene Menschen regelmäßig ohne weiteres Kenntnis haben oder von denen sie sich durch Benützung allgemein zugänglicher, zuverlässiger Quellen unschwer überzeugen können“.136 Die Gerichtskundigkeit kann ebenfalls mit der Rechtsprechung definiert werden als Tatsache, „die dem Richter kraft seines Amtes, z. B. aus früheren Prozessen, bekannt geworden sind“.137 Entscheidend ist somit die amtliche Befassung des Einzelrichters oder der Mehrheit des Kollegiums unabhängig von der Art des Prozesses.138 Allerdings bedarf es zugleich einer persönlichen Befassung des Einzelrichters bzw. der Mehrheit des Kollegiums mit der betreffenden Tatsache.139 Die weitergehende Ansicht der Rechtsprechung ist nach hier vertretener Ansicht abzulehnen. Dabei ergeben sich nicht alleine in Bezug auf die Verwischung der Grenzen von Gerichtskundigkeit und Urkundenbeweis Bedenken.140 Vielmehr erscheint auch die formelle Beweisunmittelbarkeit gefährdet, wenn das erkennende Gericht sich auf Akten anderer Richterinnen und Richter stützt. Die Gewähr für einen eigenen Eindruck der Beweismittel und damit letztlich für eine möglichst korrekte Wahrheitsfindung des erkennenden Gerichts wäre nicht mehr gegeben.141 Die Auffrischung des GedächtRn. 11, 17 jeweils mwN; demgegenüber spricht sich Pantle, MDR 1993, S. 1166, 1167 f. gegen ein Recht auf einen Gegenbeweis aus; so auch Zöller-Greger, ZPO, § 291, Rn. 4. 135 Ähnlich bereits Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 311, der davon spricht, dass das Recht auf Beweis von der Offenkundigkeit einer Tatsache „nicht berührt werde“. 136 So BVerfGE 10, S. 177, 183; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 2, Rn. 23 stellt sogar auf einen „besonnenen, vernünftigen, verständigen und erfahrenen Menschen“ ab. 137 Vgl. etwa BGH NJW 1987, S. 1021. 138 Vgl. Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 291, Rn. 9; MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 12. 139 Ebenso Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 291, Rn. 9; MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 12; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 291 Rn. 11; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 291, Rn. 2 jeweils mwN. 140 In diesem Sinne argumentieren Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 291 Rn. 11 ff. und Musielak-Huber, ZPO, § 291, Rn. 2; ähnlich auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 10. 141 In diese Richtung scheint auch BGH NJW 2014, S. 1441, 1443 mit seinem Verweis auf § 355 ZPO zu tendieren; ähnlich bereits MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 10.
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nisses des erkennenden Gerichts durch die Lektüre eigener, früherer Akten erscheint demgegenüber unproblematisch142: Schließlich geht es lediglich darum, dasjenige aufzufrischen, was bei der Vielzahl bearbeiteter Fälle in den Hintergrund getreten ist und gerade nicht darum, sich anhand einer Akte erstmals einen Eindruck zu verschaffen, den ein Anderer niedergeschrieben hat. Für die Verwendung allgemein, wie auch gerichtskundiger Tatsachen folgt aus dem Recht auf Beweis die Pflicht, diese Tatsachen explizit in den Prozess einzuführen.143 Das erkennende Gericht muss nicht nur die Tatsachen bekanntgeben, sondern den Parteien zugleich erläutern, anhand welcher Kriterien und aus welchen Gründen heraus diese Tatsachen als offenkundig angesehen werden sollen. Eine solche, umfassende Information der Parteien ist erforderlich, um der belasteten Partei eine effektive Führung ihres Gegenbeweises zu ermöglichen. d) Erwiesenheit einer Tatsache Einen weiteren Teilaspekt der fehlenden Beweisbedürftigkeit stellt die Erwiesenheit einer Tatsache dar. aa) Das Kriterium der Erwiesenheit in Rechtsprechung und Literatur Die Ablehnung eines Beweisantrages wegen Erwiesenheit der zum Beweis beantragten Tatsache beinhaltet nach Rechtsprechung und Literatur keine besonderen Schwierigkeiten. Betont wird jedoch stets, dass ein Gegenbeweis der anderen Partei möglich bleiben muss. Die Ablehnung eines Beweisantrages unter Hinweis darauf, das Gegenteil sei bereits erwiesen, stellt nach einhelliger Ansicht eine unzulässige Beweisantizipation dar.144 bb) Eigene Ansicht: Die Erwiesenheit einer Tatsache als immanente Grenze Diese Sichtweise von Rechtsprechung und Literatur verdient Zustimmung. Sobald das Gericht eine Tatsache als erwiesen ansieht, hat eine weitere Beweiserhebung für die beantragende Partei keinerlei Nutzen: Sie kann nicht „mehr“ erreichen als die Überzeugung des Gerichts von der Wahrheit ihrer Tatsachenbehauptungen und sie muss zur Durchsetzung ihrer Rechte auch nicht mehr erreichen. Die Erwiesenheit stellt damit eine immanente Grenze des Rechts auf Beweis dar. Anzumerken ist al-
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So auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 291, Rn. 9 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 291, Rn. 2. Vgl. wiederum BGH NJW 2007, S. 3211 (Allgemeinkundigkeit) und BVerfGE 48, S. 206, 209 (Gerichtskundigkeit). 144 Vgl. etwa BVerfG NJW 1993, S. 254, 255 und BGH NJW-RR 2002, S. 1072, 1072 jeweils mwN; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 100. 143
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lerdings, dass das erkennende Gericht die als erwiesen bezeichnete Tatsache sodann auch konsequent seiner Entscheidung zugrunde legen muss. Die andere Partei hat ein Recht auf Führung eines Gegenbeweises als eine Folgerung aus ihrem jeweiligen Recht auf Beweis.145 Hinzu kommt, dass das erkennende Gericht einen Hinweis zu geben hat, sobald der Gegenbeweis erfolgreich geführt und der Hauptbeweis erschüttert wurde: Das Gericht muss nun die Partei des Hauptbeweises darauf hinweisen, dass weitere Beweisangebote erforderlich und damit nun auch wieder zulässig sind. e) Unbestrittenheit einer Tatsache Die Unbestrittenheit einer Tatsache stellt nach herkömmlicher Lesart ebenfalls einen Teilgehalt der fehlenden Beweisbedürftigkeit dar.146 Die Unbestrittenheit einer Tatsache unterscheidet sich gemeinsam mit dem gerichtlichen Geständnis von den anderen Teilaspekten der Offenkundigkeit dahingehend, dass die fehlende Beweisbedürftigkeit aus einem Verhalten der Parteien resultiert und nicht der Tatsache als solcher „anhaftet“: aa) Die Wahrheitsfiktion unbestrittener Tatsachen als immanente Grenze Die Unbestrittenheit hat in § 138 III und IV ZPO eine gesetzliche Regelung gefunden. § 138 III ZPO normiert eine Fiktion dahingehend, dass sämtliche Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden anzusehen sind.147 § 138 IV ZPO erweitert das Bestreiten für gewisse Situationen um die Erklärung des Nichtwissens einer Partei, die sodann dem Bestreiten einer Tatsache gleichgestellt wird.148 Die fehlende Beweisbedürftigkeit folgt somit aus einer Fiktion des einfachen Rechts, die auf einem bestimmten Verhalten bzw. dem Ausbleiben eines solchen Verhaltens durch die Parteien basiert. Es drängt sich daher die Frage auf, inwieweit eine solche Norm des einfachen Rechts als immanente Grenze des Rechts auf Beweis angesehen werden kann. Die Fiktion des § 138 III ZPO stellt sich hierbei als wesentlicher Ausdruck der Parteiherrschaft im deutschen Zivilprozess dar.149 Die Parteien bestimmen den Gegenstand, Beginn und Ende des Prozesses, sowie letztlich auch seinen Inhalt. Diese 145
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Ohne Verweis auf ein Recht auf Beweis in diesem Sinne etwa BVerfG NJW 1993, S. 254,
Vgl. etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 93 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 2. 147 Die Annahme einer solchen Geständnisfiktion entspricht wohl allgemeiner Meinung, vgl. etwa BGH NJW 1987, S. 499; BGH NJW 1991, S. 1683; MüKo-Wagner, ZPO I, § 138 Rn. 26; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 36 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112 Rn. 22. 148 Ausführlich zu § 138 IV ZPO, Hackenberg, Erklärung mit Nichtwissen. 149 So etwa MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 23; sehr kritisch gegen eine solche Begründung demgegenüber Hackenberg, Erklärung mit Nichtwissen, S. 40 ff. 146
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Parteiherrschaft lässt sich in der Dispositionsmaxime und dem Beibringungsgrundsatz zusammenfassen.150 Auch nach der hier vertretenen Auffassung steht es dem Recht auf Beweis nicht entgegen, dass die Parteien eines Zivilprozesses sich aktiv an dem von ihnen initiierten Prozess beteiligen müssen, um ihre Rechte nachweisen und diesen Zivilprozess gewinnen zu können. Daraus folgt die Fiktion des Zugestehens in § 138 III ZPO im Falle der eigenen Passivität ebenso wie die Möglichkeit eines expliziten Geständnisses. Als problematisch könnte angesehen werden, dass diese Fiktion nicht der Wahrheit entsprechen muss, ja diese Wahrheit noch nicht einmal primär intendiert, sondern vielmehr allein auf einer Handlung der Parteien in Form fehlenden Mitwirkung beruht. Gleiches gilt für das gerichtliche Geständnis, welches nach § 288 ZPO ohne Wahrheitsprüfung dem Urteil zugrunde gelegt werden muss. Diese Abkehr von der Wahrheit als Ziel des Beweises würde durch die Anerkennung einer entsprechenden, immanenten Grenze des Rechts auf Beweis und damit der Beweiserhebung scheinbar weiter unterstützt. Dabei gilt es jedoch zu bedenken, dass die Wahrheitsfindung nach dem bisher Gesagten gerade nicht das Ziel des Prozesses darstellt, sondern vielmehr die Durchsetzung privater Rechte. In diesem Rahmen bewegt sich auch das Recht auf Beweis als Ausfluss des Justizgewährungsanspruches. In einem gedachten Idealbild laufen nach hier vertretener Auffassung der Rechtsnachweis einer Partei und die Wahrheitserforschung „Hand in Hand“ gemeinsam ab. Anknüpfungspunkt des Rechts auf Beweis als prozessualen Grundrechts sind jedoch stets die Parteien des Zivilprozesses als Inhaber dieses Rechts. Bei einem Auseinanderfallen von Rechtsnachweis und Wahrheitserforschung durch eine Fiktion ist daher eine Beurteilung dieser Konstellation am Maßstab des Rechts auf Beweis letztlich auf den Rechtsnachweis der betreffenden Prozesspartei abzustellen. Solange diese Möglichkeit des Rechtsnachweises gesichert ist, wird das Recht auf Beweis grundsätzlich nicht eingeschränkt. bb) Das Kriterium der Unbestrittenheit in Rechtsprechung und Literatur In Rechtsprechung und Literatur orientiert sich die Frage der Unbestrittenheit einer Tatsache eng an § 138 II–IV ZPO. Ausgangspunkt ist die Gestehensfiktion des § 138 III ZPO für den Fall des Nichtbestreitens einer Tatsache. Bestreiten meint das Verlangen einer Partei, die von der Gegenpartei vorgebrachten, erheblichen Behauptungen zum Gegenstand einer Beweisaufnahme zu machen.151 Allerdings genügt dabei nicht in jedem Fall dieses bloße Verlangen eines Nachweises iSe „einfachen Bestreitens“. Vielmehr bedarf es für ein wirksames Bestreiten als Folgerung aus der Pflicht
150 Vgl. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §§ 76 und 77; MüKo-Rauscher, ZPO I, Einleitung, Rn. 290 ff. und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, Vor § 128, Rn. 161 ff. jeweils mwN aus der Literatur. 151 So die Definition bei Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138 Rn. 12.
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sich zu „erklären“ iSd § 138 II eines gewissen Grades an Substantiierung.152 Dieses gegenseitige „Sich-erklären“ ist Teil des gesetzlich gewollten Wechselspiels zwischen Rede und Gegenrede in einem Parteiprozess.153 Welchen Umfang diese Sub stantiierungslast konkret innehat, ist grundsätzliche eine Frage des Einzelfalles.154 Als zweiter Grundsatz wird sodann einhellig eine unmittelbare Korrelation zwischen der jeweiligen Substantiierung der Parteien hergestellt: Je substantiierter der Vortrag der einen Partei ausfällt, desto substantiierter muss auch die Erwiderung der Gegenpartei erfolgen, um als wirksames Bestreiten angesehen zu werden.155 Der Umfang einer Substantiierung kann vom bloßen Bestreiten des konkreten Tatsachenvortrages bis hin zum Erfordernis einer eigenen Gegendarstellung der tatsächlichen Geschehnisse durch die andere Partei reichen.156 Allerdings schränken Rechtsprechung und Literatur diese Anforderungen zugleich dahingehend ein, dass ein substantiiertes Bestreiten der Gegenseite möglich und zumutbar sein muss.157 Die Möglichkeit der Substantiierung setzt eigene Kenntnis über die entsprechenden Tatsachen voraus. Überwiegend wird jedoch die Regel aufgestellt wird, dass die im Wahrnehmungsbereich einer Partei befindlichen Tatsachen grundsätzlich auch Gegenstand einer näheren Substantiierung sein können.158 Einen Ausweg bietet unter bestimmten Voraussetzungen die Erklärung des Nichtwissens in § 138 IV ZPO. Diese Norm ermöglicht es einer Partei, ihr Nichtwissen über Tatsachen zu erklären mit der Rechtsfolge einer Gleichstellung dieser Erklärung mit einem wirksamen Bestreiten. Allerdings ist eine solche Erklärung nach dem Wortlaut grundsätzlich nur für solche Tatsachen möglich, die außerhalb der 152
Vgl. etwa BGH NJW-RR 1986, S. 60; in neuerer Zeit BGH NJW 2010, S. 1358; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 28 ff.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 19 ff.; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 138 Rn. 12 ff.; ausführlich auch Brehm, Bindung des Richters, S. 58 ff. und S. 88 ff. 153 So die Ausführungen von BGH NJW 1999, S. 1859; ausdrücklich auf diese Entscheidung bezugnehmend BGH NJW 2005, S. 2710, 2711; ausführlich Dölling, NJW 2013, S. 3121, 3125 f.; siehe auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 11, Rn. 15 ff. und Brehm, Bindung des Richters, S. 62 ff. und S. 88 ff. 154 Vgl. BGH NJW-RR 2004, S. 1362, 1363; ebenso Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 30; siehe aber auch Blunck, MDR 1969, S. 99 ff., der davon ausgeht, dass ein einfaches Bestreiten grundsätzlich nicht möglich sei. 155 Vgl. etwa BGH NJW 1995, S. 323; BGH NJW 1999, S. 2887 f.; aus der Literatur siehe Ro senberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 21; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 138, Rn. 10 ff.; Ah rens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 11, Rn. 18. 156 Anschaulich BGH NJW 2010, S. 1358; ausführlich auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 11, Rn. 15 ff. und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 30 ff. jeweils mwN. 157 Vgl. BGH NJW 1999, S. 714 f.; BGH NJW-RR 2004, S. 989, 990 f.; BGH NJW 2005, S. 2614, 2615 f.; aus der Literatur siehe Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 138, Rn. 14 und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 31. 158 Für diese st. Rspr. vgl. etwa BGH NJW 1983, S. 687; BGH NJW 1990, S. 3151; BGH NJW 2010, S. 1357, 1358; siehe auch Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 138, Rn. 10 und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 31.
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eigenen Handlungen und Wahrnehmungen einer Partei liegen. Durch diese Ergänzung wird die soeben benannte Rechtsprechung konsistent, die im eigenen Wahrnehmungsbereich ein substantiiertes Bestreiten nach § 138 III ZPO fordert. Das Vergessen eines Sachverhaltes ermöglicht demnach gerade keine Erklärung des Nichtwissens nach § 138 IV ZPO.159 Eine gewisse Ausnahme ist für eigene Handlungen anerkannt, die alltäglicher Natur sind und als solche schnell in Vergessenheit geraten, so dass typischerweise nach kurzer Zeit keine Erinnerung mehr an diese Vorgänge existiert.160 Zurechenbar ist im Zusammenhang mit § 138 IV ZPO nur das Wissen der gesetzlichen Vertreter. § 138 IV ZPO wird als Ausdruck der subjektiven Wahrhaftigkeit einer Partei und gerade nicht einer Wissenszurechnung angesehen.161 Allerdings treffen die Partei selbst gewisse Informationspflichten bei nahestehenden Personen, Angestellten oder auch eigenen Unterlagen, bevor eine Erklärung mit Nichtwissen zulässig ist.162 Abschließend nimmt die Rechtsprechung offenkundig unwahre Tatsachen von der Geständnisfiktion des § 138 III ZPO aus.163 cc) Eigene Ansicht: Die Unbestrittenheit einer Tatsache als immanente Grenze Im Hinblick auf die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis ist für die Fiktion des § 138 III ZPO zwischen den Prozessparteien zu differenzieren: Eine immanente Grenze stellt die Erwiesenheit des Beweisthemas jedenfalls für diejenige Partei dar, zu deren Gunsten eine Tatsache nach § 138 III ZPO als erwiesen angesehen wird. Wenn eine Tatsache der gerichtlichen Entscheidung – und sei es durch eine Fiktion – zugrunde gelegt wird, hat eine weitere Beweiserhebung für die den Beweis beantragende Partei keinerlei Nutzen. Die Ablehnung diesbezüglicher Beweisanträge beeinträchtigt daher nicht das Recht auf Beweis dieser Prozesspartei und insoweit stellt sich § 138 III ZPO als immanente Grenze desselben dar.
159 So Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 24; siehe auch Nicoli, JuS 2000, S. 584, 587; etwas weitergehend wohl Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 138, Rn. 15, die einen langen Zeitablauf genügen lässt. 160 Diese Anforderungen andeuten BGH NJW 1995, S. 130, 131; ausdrücklich sodann BGH NJW-RR 2002, S. 612, 613; zustimmend Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 24; ausführlich zu den Kriterien für das Erklären des Nichtwissens bei „vergessenen“ Tatsachen, Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO III, § 138, Rn. 41. 161 So die Formulierung von MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 29; inhaltlich ebenso BGH NJW 1999, S. 53, 54; eine ausführliche Darstellung bietet auch Hackenberg, Erklärung mit Nichtwissen, S. 148 ff. an, wenn auch mit einer eigenen, engeren Auslegung der Wissenszurechnung. 162 Vgl. etwa BGH NJW 1990, S. 453; BGH NJW 1995, S. 130, 131; ebenso Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 37; ausführlich wiederum Hackenberg, Erklärung mit Nichtwissen, S. 102 ff. 163 Vgl. BGH NJW 1962, S. 1395; ebenso Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO III, § 138, Rn. 37.
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dd) Exkurs: Die Fiktion des § 138 III ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Als kurzer Exkurs sei nun ein Blick auf diejenige Prozesspartei geworfen, zu deren Lasten die Geständnisfunktion des § 138 III ZPO eintritt. Durch diese Fiktion würde eine dieser Partei ungünstige Tatsache der Entscheidung zugrunde gelegt, so dass in dieser Fiktion insoweit eine Einschränkung des Rechts auf Beweis zu sehen sein könnte. Indes verlangt das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung gerade keinen Rechtsnachweis ohne jede Parteiaktivität.164 Die durch § 138 III ZPO belastete Partei kann grundsätzlich durch eigene Aktivität in Form einfachen Bestreitens eine Tatsache streitig stellen. Daher ist § 138 III ZPO für die durch die Geständnisfiktion belastete Partei ist zwar nicht als immanente Grenze des Rechts auf Beweis anzusehen, doch eine Einschränkung dieses Rechts ist in § 138 III ZPO insoweit gleichfalls nicht zu erblicken. Demgegenüber könnte das weitergehende Substantiierungserfordernis als Voraussetzung wirksamen Bestreitens durch Rechtsprechung und Literatur durchaus eine Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen.165 An dieser Stelle soll jedoch die Feststellung genügen, dass § 138 III ZPO sich nur für diejenige Partei, zu deren Gunsten die Fiktion wirkt, als immanente Grenze des Rechts auf Beweis darstellt. f) Geständnis einer Tatsache Der letzte Teilaspekt der fehlenden Beweisbedürftigkeit ist das gerichtliche Geständnis. Diese Rechtsfigur hat in § 288 ZPO eine gesetzliche Normierung gefunden. Die obigen Ausführungen zur Streitigkeit einer Tatsache gelten für das gerichtliche Geständnis in besonderem Maße: Wenn man diese Parteidisposition im Prozess ernst nimmt, so muss es einer Partei auch möglich sein, eine Tatsache für das erkennende Gericht bindend zu gestehen.166 aa) Das Geständnis nach § 288 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Rechtsprechung und Literatur halten sich in ihrer Auslegung des gerichtlichen Geständnisses wiederum eng an der Norm des § 288 ZPO. Als Ausdruck der Parteidisposition ist das gerichtliche Geständnis in seinem Anwendungsbereich auf solche
164 Ausführlich
bereits oben II. 6. soeben unter IV. 3. e. bb. 166 So wohl auch die herrschende Meinung, siehe BGHZ 37, S. 154, 155 f.; BGH VersR 1970, S. 826, 827; aus der Literatur Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 9 ff.; ausführlich auch Brehm, Bindung des Richters; S. 21 ff. und 32 ff.; Pawlowski, MDR 1997, S. 7 ff.; allerdings im Einzelnen sehr streitig – gegen eine Parteidisposition von Tatsachen etwa Bernhard, JZ 1963, S. 245 ff.; Häsemeyer, ZZP 85 (1972), S. 207, 222 ff.; Orfanides, NJW 1990, S. 3174, 3177 f. jeweils mwN. 165 Ausführlich
§ 6 Grundlagen und die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis
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Prozesse beschränkt, die dem Beibringungsgrundsatz unterliegen.167 Voraussetzung eines gerichtlichen Geständnisses ist die entsprechende Erklärung in der mündlichen Verhandlung gegenüber dem Gericht oder zu Protokoll des ersuchten Richters über eine der Partei ungünstige und von der Gegenpartei behauptete Tatsache.168 Diese Erklärung kann auch konkludent abgegeben werden, allerdings sind an die Annahme eines konkludenten Geständnisses durch das erkennende Gericht hohe Anforderungen zu stellen.169 Weiterhin muss die Erklärung subjektiv mit einem entsprechenden Geständniswillen abgegeben werden, konkret mit dem Willen der Partei, dass die zugestandene Tatsache ohne weitere Prüfung der Entscheidung zugrunde gelegt werden soll.170 Fraglich und streitig ist allein die Fragestellung nach dem zulässigen Umfang eines gerichtlichen Geständnisses und in konkreto, ob eine Partei berechtigt ist, ein bewusst unwahres Geständnis abzugeben, mithin also eine Tatsache bindend für wahr zu erklären, die sie entweder nicht kennt oder von deren Gegenteil sie überzeugt ist.171 Teilweise wird ein solches, (bewusst) unwahres Geständnis unter Verweis auf die allgemeine Wahrheitspflicht im Prozess aus § 138 I ZPO abgelehnt.172 Demgegenüber verweisen BGH und weite Teile der Literatur darauf, dass diese Wahrheitspflicht nur solche Tatsachen meint, die für die Partei günstig sind, nicht hingegen ungünstige Tatsachen. Vielmehr sei § 288 ZPO Ausdruck der Parteidisposition und müsse als ein solcher ernst genommen werden. Die Parteidisposition umfasse daher grundsätzlich auch ein Geständnis über eine unwahre Tatsache.173 Die Grenze wird jedoch zum einen beim Geständnis unmöglicher oder offenkundig unrichtiger Tatsachen und zum anderen bei bewusstem Zusammenwirken beider Partei im Rahmen des Geständnisses zur Schädigung eines Dritten gezogen.174 167 Vgl. MüKo-Prütting, ZPO I, § 288, Rn. 14 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 288, Rn. 8 ff. jeweils mwN. 168 Anschaulich BGH NJW 1994, S. 3109; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 288, Rn. 12 ff. und 21 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 288, Rn. 16 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 169 Vgl. bereits BGH JZ 1962, S. 252; BGH NJW 1983, S. 1496, 1497; ausführlich zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen BVerfG NJW 2001, S. 1565 f.; dazu auch Wieczorek/SchützeAssmann, ZPO, § 288, Rn. 36 ff. 170 Vgl. BGH NJW 1991, S. 1683 und BGH NJW 2005, S. 2550, sowie erneut BVerfG NJW 2001, S. 1565 f.; aus der Literatur Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 288, Rn. 24 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 288, Rn. 30. 171 Ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen zu diesem Streit siehe MüKo-Prütting, ZPO I, § 288, Rn. 3 f. 172 In diesem Sinne Bernhard, JZ 1963, S. 245 ff.; Häsemeyer, ZZP 85 (1972), S. 207, 222 ff.; Orfanides, NJW 1990, S. 3174, 3177 f.; Scherer, DRiZ 1996, S. 58 ff. 173 BGHZ 37, S. 154, 155 f.; BGH VersR 1970, S. 826, 827; aus der Literatur Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 9 ff.; ausführlich auch Brehm, Bindung des Richters, S. 21 ff. und 32 ff.; Stickelbrock, Kollision von Prozessmaximen, S. 181 ff.; Pawlowski, MDR 1997, S. 7 ff. 174 Zu unmöglichen und offenkundig unrichtigen Tatsachen vgl. BGH NJW 1962, S. 1395 und BGH NJW 1979, S. 2089; zum kollusiven Zusammenwirken zulasten Dritter BGH NJW 1978, S. 2154, 2155 ff.; aus der Literatur Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 288, Rn. 40 ff.; MüKo-Prütting,
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
Abschließend sei die Möglichkeit des Widerrufes eines gerichtlichen Geständnisses und ihre Regelung in § 290 ZPO erwähnt. Hiernach bedarf ein Widerruf des Nachweises der Unrichtigkeit der zugestandenen Tatsache und zugleich der Veranlassung zu diesem Geständnis durch einen Irrtum. Irrtum meint hierbei die bewusste Unkenntnis des wahren Sachverhaltes, wobei sowohl Rechts- als auch Tatsachenirrtümer unabhängig von einem etwaigen Verschulden erfasst sind – mit Ausnahme des Motivirrtums.175 Ein bewusst unwahres Geständnis ist demgegenüber nicht des Widerrufes nach § 290 ZPO fähig.176 Weitere Widerrufsgründe sind das Einverständnis der Gegenpartei oder der Nachweis einer strafbaren Handlung des gestehenden Vertreters oder der Gegenpartei.177 bb) Eigene Ansicht: Das Geständnis einer Tatsache als immanente Grenze Für die Einordnung des gerichtlichen Geständnisses als immanente Grenze des Rechts auf Beweis bedarf es einer Differenzierung zwischen derjenigen Partei, zu deren Gunsten ein Geständnis wirkt und der gestehenden Partei, zu deren Lasten ihr Geständnis wirkt. Eine durch ein gerichtliches Geständnis zugestandene Tatsache wird nach § 288 ZPO der gerichtlichen Entscheidung als erwiesen zugrunde gelegt. Eine Partei, zu deren Gunsten diese zugestandene Tatsache als erwiesen angesehen wird, könnte durch eine weitere Beweiserhebung keinen weitergehenden Rechtsnachweis erreichen. Nach dem Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte stellt sich das gerichtliche Geständnis mithin als immanente Grenze des Rechts auf Beweis dar. cc) Exkurs: Das Geständnis nach § 288 ZPO als Form des Grundrechtsverzicht Problematischer erscheint die Annahme einer immanenten Grenze des Rechts auf Beweis für diejenige Prozesspartei, zu deren Lasten das Geständnis wirkt. Allerdings weist das gerichtliche Geständnis nach § 288 ZPO die Besonderheit auf, dass eine Tatsache allein aufgrund des eigenen Verhaltens einer Partei zu ihren Lasten als erwiesen angesehen wird. Daher ließe sich insoweit auch für das gerichtliche Geständnis über eine immanente Grenze des Rechts auf Beweis nachdenken. Indes zeichnen sich die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis durch zwei spezielle Merkmale aus: Die Beweiserhebung hat für eine Prozesspartei entweder keinerlei ZPO I, § 288, Rn. 35 ff. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 288, Rn. 55 ff. jeweils mwN; weitergehend Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 187 ff. und Cahn, AcP 198 (1998), S. 35 ff. und 69 ff.; ebenso für offenkundigen Tatsachen Pawlowski, MDR 1997, S. 9 f. 175 Vgl. zu den Voraussetzungen etwa BGH ZInsO, 2005, S. 373, 374; MüKo-Prütting, ZPO I, § 288, Rn. 4 ff.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 288, Rn. 2 jeweils mwN. 176 So bereits BGHZ 37, S. 154, 155 f.; zustimmend etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 288, Rn. 6; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 288, Rn. 2 jeweils mwN. 177 Zu diesen Widerrufsgründen Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 14.
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Nutzen oder die Beweisführung ist mit den beantragten Beweismitteln faktisch nicht möglich. Die Beweisführung über eine mittels gerichtlichem Geständnis zugestandene Tatsache könnte für die gestehende Prozesspartei indes durchaus von Nutzen sein und auch auf die faktische Möglichkeit der Beweisführung hat ein gerichtliches Geständnis grundsätzlich keinerlei Einfluss. Die herausgearbeitete Systematik der immanenten Grenzen würde durch die Anerkennung einer entsprechenden Grenze für die durch ein gerichtliches Geständnis belastete Prozesspartei mithin durchbrochen. Doch auch seinem Wesen nach steht das gerichtliche Geständnis als ein freiwilliger Akt des Zurücktretens der eigenen Beweisführung einem anderen Rechtsinstitut sehr viel näher. Ein gerichtliches Geständnis könnte sich vielmehr als Unterfall des Verzichts auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis darstellen. Ein solcher Verzicht auf das Recht auf Beweis setzt im Ergebnis nach Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta übereinstimmend eine ausdrückliche oder konkludente Erklärung eines frei und umfassend informiert gebildeten Verzichtswillens voraus.178 In diesen Voraussetzungen kommt ein Verzicht den Anforderungen an ein gerichtliches Geständnis nach § 288 ZPO durch Rechtsprechung und Literatur in Form eines ausdrücklich oder konkludent erklärten Geständniswillens sehr nahe. Ein wirksamer Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis würde jedoch weiterhin die freiwillige Bildung des Geständniswillens und insbesondere die umfassende Information des erkennenden Gerichts über die Konsequenzen des gerichtlichen Geständnisses für die prozessuale Situation der gestehenden Partei voraussetzten. Unter Einhaltung dieser weiteren Voraussetzungen und den richtigerweise hohen Anforderungen an die Annahme eines konkludenten Geständniswillens kann sich ein gerichtliches Geständnis nach § 288 ZPO im Einzelfall als Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis darstellen.179 An dieser Stelle soll die Feststellung genügen, dass es sich bei einem gerichtlichen Geständnis nicht um eine immanente Grenze des Rechts auf Beweis der gestehenden Partei handelt. g) Exkurs: Die gesetzliche Vermutung einer Tatsache Die gesetzliche Vermutung einer Tatsache wird regelmäßig als ein weiterer Teilaspekt der fehlenden Beweisbedürftigkeit angesehen.180 Diese Sichtweise wird durch die gesetzliche Normierung des § 292 ZPO grundsätzlich bestätigt. Zwar stellt § 292 ZPO seinem Wortlaut nach lediglich das Recht auf den Gegenteilsbeweis ausdrücklich klar, doch damit geht zugleich einher, dass die vermutete Tatsache bis zur er178 Ausführlich
zum Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis unten § 8 IV. 3. den Anforderungen an einen konkludenten Geständniswillen siehe einmal mehr BGH NJW 1983, S. 1496, 1497; BVerfG NJW 2001, S. 1565 f. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 288, Rn. 36 ff. 180 So ausdrücklich MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 22. 179 Zu
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
folgreichen Führung des Gegenteilsbeweises keines weiteren Beweises bedarf.181 Allerdings unterscheidet sich die gesetzliche Vermutung signifikant von den bisherigen Teilaspekten der fehlenden Beweisbedürftigkeit: Der Ausschluss eines Beweismittels resultierte stets aus dem fehlenden Nutzen für die beantragende Partei im Hinblick auf die anderweitige Erwiesenheit der zum Beweis beantragten Tatsache. Die anderweitige Erwiesenheit war insoweit stets der Tatsache als solcher immanent. Die gesetzliche Vermutung wird demgegenüber abstrakt durch den Gesetzgeber festgelegt. Bei der hier interessierenden Tatsachenvermutung wird typisierend von bestimmten Tatbestandsmerkmalen – der Vermutungsbasis – auf das regelmäßige Bestehen einer anderen Tatsache geschlossen.182 Letztlich handelt es sich damit um eine Regelung der Beweislast, die aus dem materiellen Recht folgt.183 Daher ist an dieser Stelle festzuhalten, dass sich die gesetzliche Vermutung als Beweislastregel von den übrigen Aspekten der fehlenden Beweisbedürftigkeit – unabhängig von der faktisch ähnlichen Rechtsfolge – signifikant unterscheidet. Allein insoweit, als eine Prozesspartei die Vermutungsbasis einer gesetzlichen Vermutung nach § 292 ZPO erfolgreich nachweist und zugleich eine weitere Be weiserhebung zugunsten der sodann nach § 292 ZPO vermuteten Tatsache beantragt, stellt sich die gesetzliche Vermutung als immanente Grenze des Rechts auf Beweis iSe fehlenden Beweisbedürftigkeit dar. In diesem Fall kann die den Beweis beantragende Partei keinen über diese Vermutung hinausgehenden Rechtsnachweis erbringen und daher auch keine diesbezügliche Beweiserhebung qua Recht auf Beweis verlangen. Eine vermutete Tatsache wird einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt, solange der nach § 292 ZPO mögliche Gegenteilsbeweis nicht erfolgreich geführt wurde. Insoweit ist die gesetzliche Vermutung als immanente Grenze des Rechts auf Beweis anzusehen. Demgegenüber soll die Wirkung der gesetzlichen Vermutung für die jeweilige Gegenpartei und insbesondere das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises erst an späterer Stelle eine nähere Darstellung finden.184
181 Ausführlich Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 60 ff. und Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 49 f. 182 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 33 und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 7; ausführlich Musielak/Stadler, Grundfragen, Rn. 244 ff. 183 So die h. M., vgl. Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 5 und Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 49 f. jeweils mwN; demgegenüber wurde § 292 ZPO früher teilweise als Beweisregel verstanden, siehe etwa Wendt, AcP 63 (1880), S. 254, 288 ff.; ähnlich auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 68 ff. 184 Ausführlich unten § 11 IV. 8.
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4. Ungeeignetheit eines Beweismittels Eine weitere, immanente Grenze findet das Recht auf Beweis in der Ungeeignetheit eines beantragten Beweismittels: a) Das Kriterium der Ungeeignetheit in Rechtsprechung und Literatur Dieses Kriterium wird von Rechtsprechung und Literatur als die wohl problematischste Möglichkeit der Ablehnung eines Beweismittels angesehen und mit großer Vorsicht behandelt.185 Die Zurückhaltung wird erklärlich, wenn man sich den Vorgang der Überprüfung der Beweiseignung vor Augen führt: Die Prüfung, ob ein Beweismittel für den Nachweis einer Tatsache geeignet ist, erfolgt im Vorfeld seiner Erhebung. Erforderlich ist somit stets eine prognostische Entscheidung des erkennenden Gerichts über die potentielle Beweiseignung des Beweismittels. Diese prognostische Entscheidung macht die Schwierigkeit des Kriteriums der Beweiseignung aus und rückt die Ablehnung eines Beweismittels als ungeeignet stets in die Nähe einer unzulässigen Beweisantizipation.186 Diese Grenzziehung zwischen einer zulässigen Ablehnung ungeeigneter Beweismittel und einer gegen die prozessualen Grundrechte verstoßenden Beweisantizipation stellt die große Schwierigkeit dieses Kriteriums dar. Eine relativ klare Grenze lässt sich dort ziehen, wo die Eignung eines Beweismittels nach den anerkannten Naturgesetzen ausgeschlossen ist.187 Als Beispiel ließe sich anführen, dass das Zeugnis eines Blinden über ein Bildnis oder eines Tauben über Geräusche beantragt wird (keine Ungeeignetheit liegt indes beim Nachweis mittels anderer Sinneseindrücke vor).188 Ähnliches gilt für einen beantragten Beweis mittels Wahrsagerei oder Wünschelruten.189 Weiterhin wird ein Polygraphentest (sog. Lügendetektortest) als ungeeignetes Beweismittel angesehen.190 In Rechtsprechung und Literatur werden die Grenzen der Beweiseignung indes noch weiter gezogen. Allerdings zeigen bereits die entsprechenden Formulierungs185
So ganz einhellig Rechtsprechung und Literatur, vgl. etwa BGH NJW 2004, S. 767, 768 f.; BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10 und BVerfG NJW 1993, S. 254, 255; aus der Literatur siehe Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 ff.; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21; MüKo-Prüt ting, ZPO I, § 284, Rn. 98 jeweils mwN. 186 In diesem Sinne auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, § 284, Rn. 97 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.; ausführlich Söllner, MDR 1988, S. 363, 364 f. 187 In diese Richtung bereits Söllner, MDR 1988, S. 363 ff.; ähnlich Strömer, JuS 1994, S. 238, 242; hierauf verweisend MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 98 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 98; in der Kommentarliteratur wird einzig diese Fallkonstellation tatsächlich mit Beispielen ungeeigneter Beweismittel unterlegt, vgl. etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 64; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21. 188 Vgl. auch Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21. 189 In diese Richtung BGH NJW 1978, S. 1207 in einem Strafprozess; in diesem Sinne für den Zivilprozess auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 44, Rn. 58 mwN. 190 So für den Zivilprozess BGH NJW 2003, S. 2527, 2528; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 68 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 97.
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versuche auf, welche Schwierigkeiten die damit verbundene Grenzziehung zwischen fehlender Beweiseignung und unzulässiger Beweisantizipation bereitet: So kann nach der Rechtsprechung eine Beweiserhebung unterbleiben, „wenn nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben und die vom Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern könnte.“191 Weitere Formulierungsversuche gehen dahin, dass die Beweiseignung fehle, „wenn es im Einzelfalle vollkommen ausgeschlossen erscheint, dass die Beweisaufnahme irgendetwas Sachdienliches ergeben könnte“192 oder „wenn offensichtlich und unzweifelhaft ist, dass der angebotene Beweis die erhoffte Erkenntnis nicht zulässt“.193 Allerdings finden sich nur in den seltensten Fällen Beispiele für solche Fallkonstellationen – einziges, häufiger gewähltes Beispiel ist die Ablehnung eines Zeugenbeweises, wenn die zu beweisende Tatsache ihrer Art nach nur von einem Sachverständigen festgestellt werden kann.194 Vielmehr wird betont, dass eine geringe Wahrscheinlichkeit der Tatsache gerade nicht genüge und man große Zurückhaltung bei der Annahme eines ungeeigneten Beweismittels üben müsse.195 Solche Beweismittel seien sehr selten und eine Beweisantizipation unzulässig.196 b) Eigene Ansicht: die naturwissenschaftlich belegte Ungeeignetheit eines Beweismittels als immanente Grenze Die Geeignetheit eines Beweismittels stellt nach hier vertretener Sichtweise eine immanente Grenze des Rechts auf Beweis dar. Die fehlende Eignung zum Nachweis einer Tatsache führt dazu, dass eine Beweiserhebung für die den Beweis beantragende Partei keinerlei Nutzen hätte. Die Erhebung kann schlicht keinerlei Einfluss auf die richterliche Überzeugung von einer Tatsache und daher nach dem Maßstab eines effektiven Rechtsnachweises unterbleiben. Das Kriterium der Eignung eines Beweismittels als immanente Grenze des Rechts auf Beweis ist nach hier vertretener Auffassung indes noch enger auszulegen, als dies durch Rechtsprechung und Literatur geschieht. Ein Beweismittel darf nur dann als ungeeignet abgelehnt werden, wenn sich die fehlende Eignung aus den aner191 So BVerfG NJW 1993, S. 254, 255 mit einigen weiteren, diesbezüglichen Formulierungen; siehe auch die Formulierungen von BVerfG NJW 2004, S. 1443 jeweils mwN. 192 So BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10; ebenso MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 98; ganz ähnlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 64 jeweils mwN. 193 So Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 97. 194 So bereits BGH VersR 1958, S. 167, 168; in neuerer Zeit siehe BGH NJW 2007, S. 774, 777; ebenso Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 97 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 64. 195 Vgl. etwa BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007 und BGH NJW-RR 2013, S. 9 jeweils mwN aus der Rechtsprechung; ebenso Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.; Musielak/ Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21. 196 So die Eingangsbemerkung von Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21.
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kannten Denk- und Naturgesetzen ergibt. Allein dieses Kriterium ermöglicht eine saubere, trennscharfe Grenzziehung zwischen fehlender Beweiseignung und unzulässiger Beweisantizipation. Die gesicherten Erkenntnisse über Zusammenhänge unserer Natur aus anderen Disziplinen der Wissenschaft darf und sollte sich die Rechtswissenschaft zu Nutze machen. Darüberhinausgehende Versuche, Kriterien der Beweiseignung zu finden, enden letztlich in einer Betrachtung von Einzelfällen und führen zu schwer handhabbaren Kriterien ohne Anwendungsbereich oder einer unzulässigen Beweisantizipation. Eine ähnliche Herangehensweise wird auch im U.S.-amerikanischen Recht bei der Beurteilung der Eignung von Indizienbeweisen gewählt.197 Das erkennende Gericht hat über diese naturwissenschaftlichen Zusammenhänge gegebenenfalls seinerseits Beweis zu erheben, um sich ein umfassendes Bild zu verschaffen. Sollte eine der Parteien Tatsachen vortragen, die ernsthafte Zweifel an diesen naturgesetzlichen Vorgaben wecken, so hat das Gericht auch auf diese Initiative hin Beweis zu erheben. Außerdem folgt aus dem Recht auf Beweis die Pflicht des erkennenden Gerichts zur Information der Parteien über die Gründe und naturgesetzlichen Zusammenhänge, aus denen heraus ein Beweismittel als ungeeignet abgelehnt wird.
5. Unerreichbarkeit eines Beweismittels Seine letzte, immanente Grenze findet das Recht auf Beweis in der Unerreichbarkeit eines beantragten Beweismittels. In aller Regel betrifft dieser Ablehnungsgrund den Zeugen- und Urkundenbeweis.198 Indes sind letztlich für alle Beweismittel Implikationen mit diesem Ablehnungsgrund denkbar. a) Das Kriterium der Unerreichbarkeit in Rechtsprechung und Literatur Die Unerreichbarkeit wird in Rechtsprechung und Literatur einhellig als Ablehnungsgrund für einen Beweisantrag angesehen.199 Allerdings beinhaltet auch die Unerreichbarkeit eines Beweismittels regelmäßig ein gewisses prognostisches Element. Daher sind an eine Beweisablehnung wegen Unerreichbarkeit des Beweismittels hohe Anforderungen zu stellen.200 Eine Ablehnung kommt etwa in Betracht, wenn der Aufenthaltsort eines Zeugen unbekannt ist. Das Gericht hat im Vorfeld 197
Vgl. Rule 401–403 FRE und die rechtsvergleichende Darstellung in § 3 V. 1. So ausdrücklich Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 59 ff.; inhaltlich ganz ähnlich Wie czorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 99 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 95. 199 Vgl. bereits BGH NJW 1974, S. 188; siehe auch BGH NJW 2006, S. 3416, 3418 allerdings zu einem familiengerichtlichen Verfahren mit Untersuchungsmaxime; ebenso MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 95; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21a und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 99. 200 So etwa BGH NJW 2012, S. 296, 297 und BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10; zustimmend Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 59 und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21a. 198
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einer solchen Ablehnung wegen Unerreichbarkeit zudem eine Aufklärungspflicht und unter Berücksichtigung der Bedeutung des Zeugnisses entsprechende Bemühungen anzustellen, um den Zeugen beizubringen. Erst wenn diese Bemühungen scheitern und keine begründete Aussicht auf Beibringung des Zeugen in absehbarer Zeit besteht, kommt eine Ablehnung in Betracht.201 Ähnliches soll bei einer Krankheit des Zeugen gelten, die ihn im Falle seiner Aussage dem Risiko einer Gesundheitsgefährdung aussetzten würden.202 Bei einem Zeugen im Ausland ist Rechtshilfe zu beantragen oder eine kommissarische Vernehmung zu prüfen.203 Grundsätzlich genügt auch eine mehrfache Verletzung der Zeugnispflicht nicht für einen Ausschluss des Beweismittels.204 Ähnliche Grundsätze dürften für eine Urkunde unbekannten Aufenthalts oder einen weltweit einzigartigen Experten als Sachverständigen gelten.205 Eine Ablehnung wegen hohen finanziellen oder logistischen Aufwandes einer Beweiserhebung kommt in aller Regel nicht in Betracht.206 Im Falle einer dauernden Unerreichbarkeit ist der Partei nach § 356 ZPO eine angemessene Frist für die Beibringung des Beweismittels zu setzten und nach Ablauf der Frist das Beweismittel abzulehnen.207 b) Eigene Ansicht: Die faktische Unerreichbarkeit als immanente Grenze Die Unerreichbarkeit eines Beweismittels ist die letzte immanente Grenze des Rechts auf Beweis und als solche eng zu ziehen. Diese Grenze ist letztlich ein Ausdruck des seit der Antike bekannten Rechtsgrundsatzes, dass Unmögliches nicht vom Recht gefordert werden kann.208 Eine Beweiserhebung scheitert nicht an ihrer fehlenden Nützlichkeit für die beantragende Partei, sondern rein faktisch ihrer feh201 Vgl. bereits BGH NJW 1992, S. 1768, 1769; ausführlich auch BGH NJW 2006, S. 3416, 3418; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 99 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 59 ff. 202 Vgl. OLG Saarbrücken, NJW-RR 1998, S. 1685; ebenso MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 95. 203 Siehe etwa BGH NJW 1992, S. 1768, 1769; vgl. aber auch BGH NJW 1984, S. 2039 mit einem Fall der Ablehnung wegen Unerreichbarkeit eines Zeugen in Ghana; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 60 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 99. 204 Vgl. OLG Köln, MDR 2001, S. 109; in Ansätzen auch BGH NJW 1992, S. 1768, 1769; in diesem Sinne auch Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21a und Stein/Jonas-Thole, § 284 Rn. 59 ff. 205 In diese Richtung auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 95; weitere Beispiele nennt Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 62. 206 Allgemein zu ökonomischen Gründen für eine Beweisablehnung äußert sich BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; tendenziell anders Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 99 mwN. 207 Anschaulich BGH NJW 1974, S. 188 f.; siehe auch BVerfG NJW 1985, S. 3005 f.; aus der Literatur Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 62 und Musielak/Voit-Foerste, § 284, Rn. 21a jeweils mwN. 208 Vgl. auch zur Geschichte dieses Grundsatzes Wagner, Studien zum Recht der Unmöglichkeit, S. 19 ff. mwN.
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lenden Realisierbarkeit. Allerdings zeigt diese sich selbst bedingende Ablehnung der Beweiserhebung zugleich deutlich die Grenzen der Unerreichbarkeit auf: Nach hier vertretener Ansicht ist die Ablehnung eines Beweismittels wegen Unerreichbarkeit ausschließlich unter der Voraussetzung möglich, dass das Beweismittel rein faktisch nicht erreichbar und die Beweiserhebung mithin faktisch unmöglich ist. Unter diese faktische Unmöglichkeit lassen sich etwa Fallkonstellationen subsumieren, in denen eine Urkunde zerstört wurde oder ein Zeuge im Vorfeld seiner Aussage verstorben ist. In diesen Fällen ist es dem erkennenden Gericht schlicht nicht möglich, den beantragten Beweis zu erheben. Gleiches gilt für die beantragte Augenscheinnahme, falls sich der zu besichtigende Ort dergestalt verändert hat, dass das Augenscheinsobjekt als solches zerstört wurde – etwa durch Aufräumarbeiten nach einem Verkehrsunfall.209 Eine weitere Konstellation der Unerreichbarkeit stellt die Unauffindbarkeit eines Beweismittels dar. Grundvoraussetzung einer solchen Beweisablehnung ist allerdings, dass das erkennende Gericht alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel und Wege zum Auffinden des Beweismittels ausgeschöpft hat. Ausschließlich eine dauernde Unauffindbarkeit kann der Unerreichbarkeit eines Beweismittels gleichgesetzt werden. Außerdem kann aus dem Recht auf Beweis je nach Fallkonstellation und Vortrag der Parteien außerdem die Verpflichtung folgen, der beweisbelasteten Partei eine angemessene Zeitspanne zum selbstständigen Auffinden des beantragten Beweismittels zu geben – ähnlich, wie es das Fristsetzungserfordernis des § 356 ZPO einfach-rechtlich bereits vorsieht.210 Die Annahme der Unauffindbarkeit setzt eine prognostische Entscheidung des Gerichts voraus. Als immanente Grenze des Rechts auf Beweis ist diese Annahme eng auszulegen und erfordert größte Zurückhaltung des erkennenden Gerichts. Es müssen rein faktisch alle Informationsmöglichkeiten vollständig ausgeschöpft und jedem Hinweis nachgegangen worden sein, um die Unauffindbarkeit und damit die Unerreichbarkeit eines Beweismittels annehmen zu dürfen. In dieser Prognose spielen ökonomische Gesichtspunkte nach hier vertretener Auffassung keine Rolle. Bei Auslandsberührung hat das Gericht Rechtshilfeersuchen zu stellen und kommissarische Vernehmungen zu versuchen. Etwaige, hohe Kosten – beispielsweise eines Fluges – können für sich genommen eine Zurückweisung des beantragten Beweismittels gerade nicht rechtfertigen. Gleiches gilt für etwaige Schwierigkeiten bei der Ausschöpfung der Informationsquellen des Gerichts. Das Gericht hat die Parteien zudem darüber zu informieren, welche Mittel ausgeschöpft und welche Informationen erlangt wurden. Schließlich muss es 209
Vgl. in diese Richtung BGH VersR 1961, S. 615, 617, allerdings mit der Einordnung dieser Fallkonstellation unter die fehlende Beweiseignung; ebenso Söllner, MDR 1988, S. 363, 364 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 97. 210 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen BVerfG NJW 1985, S. 3005 f.; ausführlich und mit Nachweisen auch MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 1 ff.
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aufzeigen, weshalb ein Beweismittel unauffindbar war.211 Gleiches gilt für die Unerreichbarkeit aufgrund von Zerstörung oder Versterbens eines Zeugen. Gegebenenfalls ist über das Vorliegen der Unerreichbarkeit seinerseits Beweis zu erheben. Die Verhandlungsunfähigkeit eines Zeugen unterfällt nach hier vertretener Auffassung nicht der immanenten Grenzen der Unerreichbarkeit. Eine solche Ablehnung der Zeugeneinvernahme – etwa wegen einer Krankheit des Zeugen – unterscheidet sich deutlich von den bisherigen, immanenten Grenzen: Das Zeugnis könnte für sich betrachtet ein erhebliches und geeignetes Beweismittel für eine beweisbedürftige Tatsache darstellen. Die Ablehnung erfolgt anhand einer Abwägung aufgrund der überwiegenden Rechte eines Dritten – hier des kranken Zeugen. Dieses Abwägungserfordernis stellt den entscheidenden Unterschied zu den hier dargestellten Grenzen dar, die dem Recht auf Beweis als solchem immanent sind. Die Ablehnung der Zeugeneinvernahme aufgrund schwerer Krankheit kommt selbstverständlich auch nach hier vertretener Ansicht in Betracht. Es handelt sich jedoch dogmatisch betrachtet nicht um eine immanente Grenze des Rechts auf Beweis.
6. Die gerichtliche Entscheidung über die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis wurden soeben in ihren Voraussetzungen und ihrem Umfang eingehend skizziert. Die Entscheidung, ob eine solche Grenze im konkreten Fall jeweils einschlägig und ein Beweisantrag dementsprechend abzulehnen ist, liegt indes beim erkennenden Gericht. a) Grundsatz: Gerichtliche Ermessensentscheidung im jeweiligen Einzelfall Es handelt sich dabei nach hier vertretener Ansicht um eine Ermessensentscheidung des Gerichts.212 Eine anderweitige, abstrakte Lösung ist im Hinblick auf die Vielzahl möglicher Fälle schlicht nicht praktikabel und würde zudem die Entscheidungskompetenzen eines Gerichtes zu stark einschränken. Das Gericht entscheidet daher über die Einschlägigkeit einer immanenten Grenze des Rechts auf Beweis im Rahmen einer in Rede stehenden Ablehnung von Beweisanträgen nach pflichtgemäßem Ermessen. Allerdings gilt es bei einem Blick auf die entsprechenden Entscheidungen zu bedenken, dass sich der Umfang des Ermessens in gewissen Grenzen hält. Die Entscheidung über die Eignung und Erreichbarkeit eines Beweismittels erfolgt nach hier vertretener Sichtweise rein faktisch. Es muss also feststehen, dass ein Beweis211
Vgl. zu den entsprechenden Nachforschungspflichten des Gerichts auch § 12 I. 4. c. Diese Entscheidung bezieht sich allein auf die benannten, immanenten Grenzen. Eine allgemeine gerichtliche Ermessensentscheidung über die Ablehnung von Beweismitteln gibt es demgegenüber gerade nicht, wie Musielak/Voit-Forste, § 284, Rn. 14a richtig anmerkt. 212
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mittel nicht erreichbar ist bzw. aufgrund naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten faktisch nicht zum Beweis geeignet ist. Das Gericht muss auch in diesem Rahmen gewisse, prognostische Entscheidungen treffen. Dennoch hält sich dieses Ermessen in engen Grenzen. Ähnliches gilt für die Ablehnungsentscheidung eines Beweismittels als nicht beweisbedürftig: Die Unstreitigkeit einer Tatsache ist ebenso wie das Geständnis allein vom Verhalten der Parteien abhängig. Die Offenkundigkeit stellt ein Rechtsinstitut dar, welches aus der Tatsache selbst folgt und durch das Gericht anhand klar festgelegter Voraussetzungen bestimmt wird. Ein umfangreicheres Ermessen besteht daher allein in den Bereichen der – geringen – Substantiierungsanforderungen an den Beweisantrag einer Partei und der Annahme der dauernden Unauffindbarkeit eines Beweismittels. Die Erwiesenheit einer Tatsache obliegt in der Tat allein der Würdigung durch das Gericht. Allerdings muss sich das Gericht sodann an dieser Sichtweise auch festhalten lassen. b) Begründungspflichten und Überprüfbarkeit der Ablehnungsentscheidung Diese grundsätzliche Ermessensfreiheit des erkennenden Gerichts hat allerdings im Hinblick auf eine effektive Geltung des Rechts auf Beweis ihrerseits gewisse Grenzen: Die erste Grenze ist in einer umfassenden Begründungspflicht zu sehen. Das Gericht muss sich mit jedem Beweisantrag auseinandersetzten und die Gründe für seine Ablehnung detailliert darlegen. Diese Begründung muss es den Parteien ermöglichen, die Beweisablehnung zu überprüfen und gegebenenfalls Rechtsmittel einzulegen. Das Rechtsmittelgericht muss seinerseits in die Lage versetzt werden, anhand dieser Begründung eine vollständige Überprüfung der Ablehnungsgründe vorzunehmen. Die Begründungspflichten müssen insgesamt umso höher ausfallen, je stärker die gerichtliche Entscheidung prognostischer Natur ist: So hat das Gericht hat die Verpflichtung darzulegen, welcher Substantiierungsgrad eines Parteivortrages aus welchen Gründen – auch im Hinblick auf den Vortrag der Gegenpartei – erforderlich gewesen wäre, um eine Beweiserhebung herbeizuführen und inwieweit der tatsächliche Vortrag diesen Anforderungen nicht genügt hat. Auch muss das Gericht begründen, weshalb ein Beweismittel als unerreichbar anzusehen ist. Falls das Gericht ein Beweismittel als unauffindbar ansieht, so muss es darlegen, welche Mittel es zu dessen Auffinden eingesetzt hat und welche Informationen erlangt wurden, welche weiteren Mittel zur Verfügung stehen könnten und weshalb das Beweismittel letztlich als unauffindbar angesehen wurde. Die Ablehnung eines Beweismittels mangels Eignung bedarf aufgrund ihres regelmäßig prognostischen Charakters besonders genauer Begründung. Das Gericht muss die seine Entscheidung stützenden, naturgesetzlichen Zusammenhänge erläutern und die Quellen seines entsprechenden Fachwissens angeben. Sodann muss das Gericht darlegen, weshalb das konkrete Beweismittel unter Geltung dieses Naturgesetzes vollkommen ungeeignet zum Nachweis des Beweisthemas ist. Falls eine Partei Zweifel an den naturgesetzlichen
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Zusammenhängen geäußert hat, muss das Gericht außerdem darlegen, weshalb es diesen Zweifeln nach entsprechender Beweiserhebung keine Bedeutung beimisst bzw. umso detaillierter, weshalb das Gericht auch eine Beweiserhebung bezüglich dieser Zweifel abgelehnt hat. Die zweite Grenze des gerichtlichen Ermessens ist in der umfassenden Überprüfbarkeit dieser Entscheidung im Instanzenzug zu sehen. Im Rahmen des tatsächlich bestehenden Instanzenzuges folgt aus dem Recht auf Beweis eine Verpflichtung zur vollständigen Überprüfung der Ermessensentscheidung der Vorinstanz(en) über die Ablehnung mangels hinreichender Substantiierung eines Beweisantrages, der fehlenden Beweisbedürftigkeit einer Tatsache bzw. der fehlenden Eignung oder Erreichbarkeit eines Beweismittels.213
7. Die weiteren Beweisablehnungsgründe in Rechtsprechung und Literatur Diese Ablehnungsgründe eines Beweisantrages stellen nach hier vertretener Ansicht die abschließenden immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis dar. In Rechtsprechung und Literatur haben sich darüber hinaus indes noch zahlreiche weitere Ablehnungsgründe für Beweisanträge herauskristallisiert – regelmäßig in Anlehnung an § 244 III-V StPO. a) Die Annahme weiterer Ablehnungsgründe durch Rechtsprechung und Literatur Im Einzelnen werden als weitere Ablehnungsgründe eines Beweisantrages in Rechtsprechung und Schrifttum genannt: Die Verspätung des Antrages, die Unzulässigkeit der Beweiserhebung, eine Bindung an anderweitige Tatsachenfeststellungen, eine mögliche Wahrunterstellung, eigene Sachkunde oder ein Ermessen des erkennenden Gerichts. 214 b) Eigene Ansicht: Rechtfertigungsbedürftigkeit weitergehender Einschränkungen Ein Beweisantrag kann auch nach hier vertretener Meinung durchaus mit Verweis auf einen dieser Gründe abgelehnt werden. Allerdings handelt es sich bei diesen Ablehnungsgründen nicht um immanente Grenzen des Rechts auf Beweis. Eine immanente Grenze wohnt dem Recht auf Beweis als solchem inne. Der Ablehnungsgrund folgt aus der Tatsache oder dem Beweismittel selbst und wird nicht „von au213 Zum Prüfungsmaßstab nach der Rechtsprechung siehe wiederum etwa BGH NJW 1987, S. 1557, 1558; ebenso BGH NJW-RR 2000, S. 686 und BGH NJW 2008, S. 2845 jeweils mwN. 214 Vgl. bereits die erstaunlich aktuelle Auflistung von Schönke, FG Rosenberg, S. 217 ff.; siehe sodann die Auflistungen von MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 91 ff.; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 14 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 91 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 40 ff.; ausführlich auch Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 310 ff.
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ßen“ durch die Rechte Dritter hineingetragen. Eine Abwägung mit den Rechten Dritter oder Allgemeingütern ist im Rahmen der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis gerade nicht erforderlich. Dieses Charakteristikum zeigt zugleich auf, weshalb die soeben benannten Ablehnungsgründe keine derartige, immanente Grenze darstellen: Es wird ein Beweismittel abgelehnt, das an und für sich verfügbar und für die beantragende Partei auch nützlich sein könnte. Die Ablehnung erfolgt also gerade nicht „aus sich selbst heraus“, sondern vielmehr in Abwägung mit Rechten Dritter bzw. Allgemeingütern, denen im konkreten Einzelfall ein Vorrang vor dem Recht auf Beweis einzuräumen ist. Die weiteren Beweisablehnungsgründe stellen sich daher nicht als immanente Grenzen, sondern als vielmehr rechtfertigungsbedürftige Einschränkungen des Rechts auf Beweis dar.215
8. Die Möglichkeit einer analogen Anwendung des § 244 StPO im Zivilprozess Abschließend sei noch ein kurzer Blick auf die gesetzliche Normierung der Beweisablehnungsgründe für den Strafprozess in § 244 III–V StPO geworfen. So haben Beweisablehnungsgründe wie die fehlende Beweiseignung oder Beweisbedürftigkeit in § 244 III StPO im Gegensatz zur ZPO eine explizite Normierung erfahren. a) Die Nutzbarmachung des § 244 StPO durch Rechtsprechung und Literatur Der BGH ging in seiner Rechtsprechung bereits früh von einer Anwendbarkeit des § 244 StPO auf den Zivilprozess aus.216 Der Zivilrichter könne sich bei der Ablehnung von Beweisanträgen „an die das Ergebnis jahrzehntelanger Rechtsprechung enthaltende Vorschrift des § 244 Abs. 3 StPO anlehnen“.217 In der Literatur hat diese Sichtweise überwiegend Zustimmung erfahren.218 Ein anderer Teil der Literatur steht einer solchen Anwendung des § 244 III–V StPO auf den Zivilprozess jedoch kritisch gegenüber.219 b) Eigene Ansicht: Keine pauschale Übertragbarkeit des § 244 StPO Diese Kritik an einer pauschalen Übertragung des § 244 StPO auf den Zivilprozess trifft nach hier vertretener Ansicht zu. Eine Analogie bedarf nach allgemeinen 215 Vgl. den Grenzen des Rechts auf Beweis, insbesondere den Voraussetzungen einer Einschränkung § 8 III. 216 Ausführlich bereits BGHZ 53, S. 245, 259 ff. in seiner berühmten „Anastasia“-Entscheidung; seitdem st. Rspr., vgl. etwa in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10 mwN. 217 So wörtlich BGHZ 53, S. 245, 259. 218 Vgl. etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 41; ebenso Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 53 ff.; Kopp, NJW 1988, S. 1708; Strömer, JuS 1994, S. 238, 241. 219 Eine ausführliche Kritik liefert etwa Gamp, die Ablehnung von Beweisanträgen, S. 106 ff.; ähnlich auch Schneider, ZZP 75 (1962), S. 173, 180 ff. jeweils mwN.
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Grundsätzen einer planwidrigen Regelungslücke und einer vergleichbaren Interessenlage.220 Bereits die erste Voraussetzung einer planwidrigen Regelungslücke in der ZPO erscheint zweifelhaft. So wird verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die ZPO durchaus Regelungen zur Ablehnung von Beweismitteln trifft, insbesondere im Bereich der Beweisbedürftigkeit mit den §§ 288 ff. ZPO zu Offenkundigkeit, gerichtlichem Geständnis und gesetzlicher Vermutung.221 Diese Normen treffen teils eine anderweitige Regelung als § 244 StPO, so dass jedenfalls insoweit eine Analogie ausscheiden muss.222 Andererseits finden sich in der ZPO keine allgemeinen Ablehnungsgründe für ungeeignete oder unerreichbare Beweismittel. In diesen Fallkonstellationen könnte eine Analogie zu der expliziten Regelung des § 244 III StPO in Betracht kommen. Indes erscheint auch die zweite Voraussetzung einer Analogie durchaus zweifelhaft: eine vergleichbare Interessenlage in Zivil- und Strafprozess.223 Der Strafprozess ist geprägt von einem Widerstreit zwischen dem Staat auf der einen Seite und der angeklagten Privatperson auf der anderen Seite. In diesem Prozess gilt der Untersuchungsgrundsatz und für den Fall der Nichterweislichkeit einer behaupteten Straftat führt der Grundsatz in dubio pro reo zu einer ganz bestimmten gerichtlichen Entscheidung in Form eines Freispruches zugunsten der Privatperson.224 In einem Zivilprozess stehen sich demgegenüber zwei Privatpersonen gleichrangig gegenüber und streiten vermittelt durch den Staat in Gestalt des erkennenden Gerichts um ihr Recht. Es gilt der Beibringungsgrundsatz und bei Nichterweislichkeit von Tatsachen wird eine Entscheidung anhand von Beweislastgrundsätzen getroffen.225 Insbesondere die Unterschiedlichkeit der Grundkonstellation führt nach hier vertretener Ansicht zu einer gänzlich verschiedenen Interessenlage: Das Gegeneinander von Privatperson und Staat im Strafprozess auf der einen Seite und der Streit zwischen gleichrangigen Privatpersonen im Zivilprozess auf der anderen Seite. Eine allgemein vergleichbare Interessenlage beider Prozessarten lässt sich mithin nicht ausmachen, so dass eine pauschale Analogie des § 244 III–V StPO ausscheidet.226 220 Ausführlich zu den Voraussetzungen einer Analogie Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 191 ff., insbesondere S. 202 ff. und Reimer, Methodenlehre, S. 249 ff. jeweils mwN. 221 Eine ausführliche Untersuchung liefert Gamp, die Ablehnung von Beweisanträgen, S. 103 ff. mwN. 222 In diesem Sinne auch Gamp, die Ablehnung von Beweisanträgen, S. 106 ff. und Schneider, ZZP 75 (1962), S. 173, 180 ff. jeweils mwN. 223 In diesem Sinne auch die Argumentation bei Gamp, die Ablehnung von Beweisanträgen, S. 107 ff. mwN. 224 Vgl. etwa Roxin/Schünemann, StPO, § 15, Rn. 1 ff. (Untersuchungsgrundsatz) und dies., StPO, § 45, Rn. 46 ff. (in dubio pro reo) jeweils mwN. 225 Vgl. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77 Rn. 1 ff. (Beibringungsgrundsatz) und § 115 Rn. 1 ff. (Beweislast) jeweils mwN. 226 So auch Schneider, ZZP 75 (1962), S. 173, 179 ff.; Gamp, die Ablehnung von Beweisanträgen, S. 106 ff.; ebenfalls in diese Richtung Bauer, MDR 1994, S. 953 ff.; demgegenüber für eine
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Die Unterschiedlichkeit der Interessenlagen lässt sich an einem Beispiel sehr schön illustrieren. Das Rechtsinstitut der Wahrunterstellung ermöglicht es dem Gericht im Strafprozess, Tatsachenvortrag des Angeklagten unter bestimmten Voraussetzungen als wahr zu behandeln, um eine Beweisaufnahme über diese Tatsachen zu vermeiden.227 Die Wahrunterstellung erscheint im Hinblick auf den Grundsatz in dubio pro reo durchaus sinnvoll, schließlich muss der Staat die Schuld des Angeklagten nachweisen, so dass eine einseitige Bevorteilung mittels Wahrunterstellung keinen rechtsstaatlichen Bedenken begegnet.228 Allerdings wird dieses Institut durch die Rechtsprechung sogleich auf den Zivilprozess übertragen.229 In einem Zivilprozess streiten indes zwei gleichrangige Privatpersonen um ihr Recht. Eine einseitige Wahrunterstellung von Tatsachenbehauptungen zugunsten einer Partei erscheint im Zivilprozess als eine krasse Benachteiligung der jeweiligen Gegenpartei. Aufgrund dessen gehen die Anhänger einer solchen Wahrunterstellung im Zivilprozess davon aus, dass diese Wahrunterstellung ausschließlich in Betracht kommt, wenn die andere Partei nicht schlechter gestellt wird.230 Die Gegenansicht in der Literatur weist demgegenüber zu Recht darauf hin, dass sodann lediglich solche Fallkonstellationen für eine Wahrunterstellung übrig bleiben, in denen die als wahr unterstellte Tatsache ohnehin nicht entscheidungserheblich gewesen ist.231 Dem übertragenen Institut der Wahrunterstellung verbleibt gegenüber dem allgemeinen Ablehnungsgrund der fehlenden Entscheidungserheblichkeit aufgrund der Andersartigkeit der Interessenlage im Zivilprozess keinerlei eigener Anwendungsbereich. Dieses Beispiel zeigt auf, dass eine Übertragung von Instituten aus dem Strafprozess auf den Zivilprozess großer Vorsicht bedarf und regelmäßig aufgrund verschiedener Interessenlagen ausscheiden muss.
zulässige Beweisablehnung bei Geltung des Beibringungsgrundsatzes im Wege eines Erst-RechtSchlusses aus dem Untersuchungsgrundsatz Störmer, JuS 1994, S. 238, 241. 227 Vgl. zu den Wurzeln dieses Rechtsinstituts im Strafprozess bereits BGHSt 1, S. 137, 138 f. und BGH StV 1994, S. 115; vgl. auch Roxin/Schünemann, StPO, § 45, Rn. 19 ff. mwN. 228 So geht die h.L. im Strafprozess auch davon aus, dass das Institut der Wahrunterstellung aus diesem Grundsatz folge, vgl. Tenckhoff, Wahrunterstellung, S. 115 ff. mwN; die andere Ansicht sieht die Wahrunterstellung als Ausdruck der Prozessökonomie, die allerdings ihre Begrenzung im Grundsatz in dubio pro reo findet, so Roxin/Schünemann, StPO, § 45, Rn.19 mwN. 229 So bereits BGHZ 53, S. 245, 259 f.; ebenso BGH NJW-RR 2005, S. 1051, 1052; bestätigt durch BVerfG NJW 1992, S. 1875, 1876 f.; dem Grunde nach zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 41 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 101. 230 So bereits explizit BGHZ 53, S. 245, 260. 231 In diesem Sinne gegen eine Übertragung des Instituts der Wahrunterstellung sprechen sich aus Schneider, ZZP 75 (1962), S. 173, 207 ff.; Teplitzky, JuS 1968, S. 71, 74; Musielak/Stadler, JuS 1979, S. 721, 724; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 100; in diese Richtung tendierend Bauer, MDR 1994, S. 953, 955; der Kritik an der fehlenden Entscheidungserheblichkeit stimmen ebenfalls Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 77 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 101 zu.
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Denkbar bleibt allenfalls eine Übernahme des Rechtsgedankens des § 244 III–V StPO im Einzelfall. So fehlt es Zivilprozess nun einmal an einer Regelung für die praktisch relevanten Fallkonstellationen der fehlenden Eignung oder Erreichbarkeit eines Beweismittels. Eine Anwendung des § 244 III–V StPO kann daher im Einzelfall auch für den Zivilprozess in Betracht kommen. Allerdings muss eine solche Anwendung des Rechtsgedankens des § 244 III–V StPO stets die Unterschiedlichkeit der Interessenlagen von Zivil- und Strafprozess im Blick haben. Die unterschiedliche Symmetrie des Verhältnisses von Staat gegen Privatperson im Strafprozess und Privatperson gegen Privatperson im Zivilprozess kann zu erheblichen Anpassungen der übernommenen Regelungen zwingen.
V. Zusammenfassung In diesem Paragraphen wurden einige inhaltliche Grundaussagen getroffen, die für das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen Geltung haben: Das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen basiert auf einem gemeinsamen Wertefundament in Form des Rechtsstaatsprinzips und der Grundrechte. Es handelt sich um ein eigenständiges prozessuales Grundrecht aller an einem Zivilprozess beteiligter Parteien. Das Recht auf Beweis hat keinen negativen Gewährleistungsgehalt auf die irgendwie geartete Verhinderung einer Beweiserhebung der anderen Partei. Zudem geht das Recht auf Beweis vom Bild des Zivilprozesses als einem Parteiprozess aus, so dass dieses Recht als eine Gewährleistung aktiver Beweisführung in einem Zivilprozess anzusehen ist und keinen Rechtsnachweis ohne eigene Aktivität der Parteien fordert. Weiter wurde eine Methodik der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis erarbeitet, die allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen gemein ist: Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis orientiert sich in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen am Prozesszweck der jeweiligen nationalen Prozessordnung: Das Recht auf Beweis reicht exakt so weit, wie es für den effektiven Nachweis und die daraus resultierende, effektive Durchsetzung privater Rechte als Zweck des deutschen Zivilprozesses erforderlich ist. Diese inhaltliche Orientierung am Prozesszweck führt in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen gleichermaßen zu gewissen Grenzen, die dem Recht auf Beweis als solchem immanent sind und seinen Gewährleistungsgehalt begrenzen. Als zentrale, immanente Grenze des Rechts auf Beweis wurde das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit herausgearbeitet. Als weitere, immanente Grenzen stellen sich die fehlende Substantiierung eines Beweisantrags, die fehlende Beweisbedürftigkeit eines Beweisthemas sowie die fehlende Eignung und Erreichbarkeit eines Beweismittels dar. Diese immanenten Grenzen lassen sich in zwei Kategorien aufteilen: Die erste Art der immanenten Grenze resultiert aus der faktischen Unmög-
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lichkeit einer beantragten Beweiserhebung – so im Falle fehlender Substantiierung und fehlender Erreichbarkeit. Die zweite Kategorie der immanenten Grenzen zeichnet sich dadurch aus, dass die beantragte Beweiserhebung für den Antragsteller keinerlei Nutzen hätte, den Prozesszweck der Rechtsdurchsetzung mittels Rechtsnachweis also in keiner Weise fördern würden. Hierzu gehören die immanenten Grenzen der fehlenden Entscheidungserheblichkeit und Beweisbedürftigkeit einer Tatsache sowie die fehlende Eignung des Beweismittels. Die Entscheidung über die Voraussetzungen der Ablehnung eines Beweisantrages im Hinblick auf diese immanenten Grenzen liegt im Ermessen des Gerichts. Diese Ermessensentscheidung löst umfangreiche Begründungspflichten aus und ist im Instanzenzug voll justiziabel. Diese immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis sind im Hinblick auf die Bedeutung des effektiven Rechtsnachweises für eine effektive Rechtsdurchsetzung grundsätzlich eng auszulegen.
§ 7
Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC I. Der weitere Gang der Untersuchung: die Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis Nachdem in den vorangegangenen Paragraphen das Recht auf Beweis dogmatisch verortet und in seinen Grundlagen bestimmt wurde, soll sich nun die Herausarbeitung des Inhaltes dieses Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta anschließen. Dabei gilt es zu bedenken, dass es sich bei dem Recht auf Beweis um ein umfassendes, prozessuales Grundrecht auf einen effektiven Rechtsnachweis handelt. Daher soll bereits an dieser Stelle betont werden, dass diese Darstellung nicht den Anspruch erhebt, den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in allen Einzelheiten darstellen zu können. Es liegt vielmehr in der Natur eines jeden Grundrechts, dass es seinen Schutz in einer nahezu unerschöpflichen Vielzahl von Konstellationen gewährt und sich ständig ändernde, neue Konstellationen zu durchdenken sind. Es sollen die wichtigsten und regelmäßig wiederkehrenden Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis dargestellt werden, um eine Vorstellung vom wesentlichen Gehalt dieses Grundrechts zu vermitteln: Das Recht auf Beweis soll den Parteien des Zivilprozesses einen effektiven Nachweis eigener Rechte als Grundlage für die effektive Durchsetzung eigener Rechte ermöglichen. Im Idealbild geht dieses Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht zugleich mit der Erforschung des wahren Sachverhaltes im Zivilprozess einher und führt daher in diesem gedachten Ideal auch zu einem der materiellen Rechtslage entsprechenden Ergebnis. Darüber hinaus soll diese Darstellung die Methodik der Inhaltsbestimmung aufzeigen: Die dogmatische Fundierung in Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten und insbesondere die Orientierung am Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte mittels effektivem Rechtsnachweis. Durch die Darstellung seiner dogmatischen Fundierung und der Methodik seiner Inhaltsbestimmung sowie einer Vielzahl einzelner Gewährleistungsgehalte soll das Recht auf Beweis so weit konkretisiert werden, dass ein handhabbarer Maßstab für die praktische Arbeit mit diesem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta geschaffen wird.
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1. Der Begriff des „Rechts auf Beweis“ in Rechtsprechung und Literatur Im Zusammenhang mit der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis und ihrer geordneten Darstellung gilt es zu bedenken, dass der terminus technicus eines „Rechts auf Beweis“ in Rechtsprechung und Literatur zu allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen nur sehr sporadisch verwendet wird. So findet die Bezeichnung eines „Rechts auf Beweis“ in der Diskussion zu den europäischen Grundrechtsordnungen – soweit ersichtlich – keinerlei Verwendung. Für die Rechtsprechung liegt diese Zurückhaltung insofern nahe, als EGMR und EuGH jeweils als Grundsatz betonen, dass Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC keine Regeln über die Zulässigkeit von Beweisen oder die Art und Weise ihrer Würdigung enthalte.1 Vielmehr seien Fragen der Zulassung von Beweisen, ihrer Erheblichkeit und Verwertbarkeit in erster Linie Sache der Konventions- bzw. Mitgliedstaaten und des erkennenden, nationalen Gerichts.2 Doch auch in der Literatur zu EMRK und europäischer Grundrechtecharta findet sich die Terminologie eines „Rechts auf Beweis“ – soweit ersichtlich – bislang nicht. Allerdings wird auch die Diskussion über beweisrechtliche Gewährleistungen im Grundgesetz nur teilweise unter dem Stichwort eines „Rechts auf Beweis“ geführt. Die Rechtsprechung behandelt diesen terminus technicus sehr zurückhaltend. Es findet sich – soweit ersichtlich – bislang lediglich eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Jena, die explizit von einem „Recht auf Beweis“ spricht.3 Die höchstrichterliche Rechtsprechung leitet beweisrechtliche Gewährleistungen aus anderen prozessualen Grundrechten des Grundgesetzes her. In der Literatur hat die Terminologie eines „Rechts auf Beweis“ in deutlich stärkerem Maße Eingang in die allgemeine Diskussion gefunden. Regelmäßig wird das Recht auf Beweis zur Herleitung beweisrechtlicher Gewährleistungen aus dem Grundgesetz herangezogen.4 Allerdings wird das Recht auf Beweis auch in der Literatur oftmals auf eine bloße Argu1 Für die EMRK siehe etwa EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.; ebenso EGMR, Urteil vom 21.01.1999, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 28 = NJW 1999, S. 2429 f.; EGMR, Urteil vom 05.07.2007, 31930/04, Sarra Lind Eggertsdottir ./. ISL, Rn. 44 jeweils mwN; für die Grundrechtecharta vgl. EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 74 ff. – Steffensen unter ausdrücklicher Berufung auf die Rechtsprechung des EGMR; bestätigt in neuerer Zeit der – wenn auch seinerzeitig noch unverbindlichen – Existenz der GRC durch EuGH Rs. C-404/07, Slg. 2008, I-07607, Rn. 48 f. – Katz. 2 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. N, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.; EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 f.; EGMR Urteil vom 05.07.2007, 31930/04, Sarra Lind Eggertsdottir ./. ISL, Rn. 44 jeweils mwN. 3 Siehe OLG Jena, MDR 2012, S. 542, 543. 4 So bereits Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 ff. in einem namensgleichen Aufsatz; siehe in neuerer Zeit etwa Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257 ff.; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168 ff.; Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 3 ff.; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 45 ff.; außerdem MüKo-Prütting, ZPO I, § 284 Rn. 18 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV,
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mentationslinie für die Fallkonstellation von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten reduziert.5 Teils wird unter einem „Recht auf Beweis“ zudem lediglich ein Sammelbegriff für beweisrechtliche Gewährleistungen verschiedenster Herleitung verstanden.6 Als Quintessenz dieser kurzen Analyse der Terminologie des Rechts auf Beweis lässt sich festhalten, dass die nachfolgende Inhaltsbestimmung sich nicht alleine mit einer Betrachtung des Rechts auf Beweis in seiner Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur begnügen kann. Vielmehr müssen die beweisrechtlichen Gewährleistungen in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur insgesamt in den Blick genommen werden. Erforderlich ist insbesondere eine klare und einheitliche Systematisierung dieser beweisrechtlichen Grundsätze zum Zwecke der Erarbeitung eines in sich stimmigen Rechts auf Beweis im Zivilprozess.
2. Die Systematik der Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis Die konkrete Inhaltsbestimmung des Rechts auf Beweis soll sich mit Blick auf die eben genannten Anforderungen an der gesetzlichen Systematik eines Beweisverfahrens nach der ZPO orientieren. Die Untersuchung beginnt mit einer Analyse von beweisrechtlichen Grundsätzen, die einer gerichtlichen Beweisaufnahme entweder zeitlich vorgelagert sind oder allgemein für jede Art der Beweisaufnahme Geltung beanspruchen. Es folgt eine Betrachtung der einzelnen Stationen eines Beweisverfahrens der ZPO: beginnend beim Recht auf Stellung von Beweisanträgen (1), über die eigentliche Beweisaufnahme gegebenenfalls infolge eines Beweisbeschlusses (2) bis hin zur Würdigung der erhobenen Beweismittel (3) und der Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen (4). Diese Orientierung an der gesetzlichen Systematik der ZPO besitzt den Vorteil, dass ein jedes gedachtes Beweisverfahren diese Punkte enthalten muss und auch die Reihenfolge mehr oder minder feststeht. Daher lassen sich auch die beweisrechtlichen Gewährleistungen der europäischen Grundrechtsordnungen ohne weiteres in dieses Raster einordnen und systematisieren. Auch für das Grundgesetz lassen sich die einzelnen beweisrechtlichen Gewährleistungsgehalte trotz unterschiedlicher Herleitung in Rechtsprechung und Lehre in ein gemeinsames Raster eingeordnet. Auf diese Weise wird ein klar strukturierter Aufbau ermöglicht, der sich – eingedenk der späteren Überprüfung des einfachen Rechts am nachfolgend zu erarbeitenden Maßstab eines Rechts auf Beweis – in der gesamten Untersuchung durchhalten lässt.
§ 284 Rn. 40 jeweils mwN; siehe auch Klamaris, FS Schwab, S. 269, 274 ff. für das griechische Recht. 5 So insbesondere Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 47 ff. 6 In diesem Sinne Muthorst, Beweisverbot, S. 163 mwN.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
3. Die Aufeinanderfolge von GG, EMRK und GRC in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur Die Erarbeitung des Rechts auf Beweis bedarf zu ihrer Vollständigkeit zudem der Einbeziehung des bisherigen Entwicklungsstandes beweisrechtlicher Gewährleistungen in Rechtsprechung und Literatur. Daher soll für jeden einzelnen der hier untersuchten Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis zunächst eine Analyse seiner bisherigen Auslegung in Rechtsprechung und Literatur erfolgen, bevor sich die Entwicklung einer eigenen Ansicht anschließt. Innerhalb der drei vorliegend untersuchten Grundrechtsordnungen soll jeweils mit einer Betrachtung des deutschen Grundgesetzes begonnen werden. Zwar ließe sich mit Recht argumentieren, dass die europäische Grundrechtecharta formal die normhierarchisch stärkste Grundrechtsordnung darstellt – bindet die Grundrechtecharta innerhalb ihres Anwendungsbereiches der Durchführung von Europarecht doch selbst nationales Verfassungsrecht.7 Allerdings handelt es sich bei der Grundrechtecharta um eine vergleichsweise junge Grundrechtsgewährleistung. Das Grundgesetz kann demgegenüber auf eine längere Historie und eine umfängliche Behandlung auch der beweisrechtlichen Gewährleistungen in Rechtsprechung und Literatur zurückblicken. Weiterhin gilt es zu bedenken, dass die nachfolgende Analyse ganz überwiegend Übereinstimmungen oder zumindest Ähnlichkeiten zwischen Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta aufzeigen wird. Hiernach erscheint es sinnvoll mit den intensiv behandelten Gewährleistungen des Grundgesetzes zu beginnen und im Anschluss die Unterschiedlichkeiten in den Gewährleistungen von EMRK und Grundrechtecharta abzuschichten. Innerhalb der europäischen Grundrechtsordnungen soll sodann mit einer Analyse der EMRK begonnen werden und erst zum Abschluss die europäische Grundrechtecharta jeweils in den Blick genommen werden. Dafür spricht zum einen die rechtliche Bindung der Grundrechtecharta an die EMRK in Art. 52 III S. 1 GRC. Eine Abweichung der Grundrechtecharta nach § 52 III S. 2 GRC kommt im hier interessierenden Zivilprozess als einem typischen Beispiel eines mehrpoligen Rechtsverhältnisses oftmals nicht in Betracht, so dass die EMRK in aller Regel zugleich den bindenden Maßstab für die europäische Grundrechtecharta darstellt. Zum anderen fehlt es für die Grundrechtecharta ob ihres jungen Alters bislang regelmäßig an einer entsprechenden Behandlung durch den EuGH, so dass auch insoweit allein auf die Vorbildfunktion der EMRK zurückgegriffen werden kann. Bedenkt man nun noch, dass der tatsächliche Anwendungsbereich der Grundrechtecharta im deutschen Zivilprozess sehr begrenzt ist, so erscheint es für die vorliegende Untersuchung naheliegend, die Analyse der Grundrechtecharta tendenziell kurz zu halten und sich auf die tatsächlich durch den EuGH entschiedenen Fallgestaltungen zu konzentrieren. 7 Ausführlich
bereits oben § 5 V. 2.
§ 7 Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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Die Erarbeitung der eigenen Ansicht schließt sich an die jeweilige Darstellung von Rechtsprechung und Literatur zu Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta an. Im Hinblick auf das gemeinsame Wertefundament des Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen mit den materiellen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip überwiegen auch für das Recht auf Beweis die Gemeinsamkeiten zwischen den drei Grundrechtsordnungen: Das Recht auf Beweis dient stets der effektiven Durchsetzung von (Grund-) Rechten mittels effektivem Nachweis im Zivilprozess. Zugleich ermöglicht erst eine effektive Beweisführung im Zivilprozess einen durch das Rechtsstaatsprinzip geforderten, effektiven Rechtsschutz des Einzelnen. Aufgrund dieser gemeinsamen Wertebasis stimmen sodann auch die wesentlichen Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz überein. So bedarf eine effektive Nachweismöglichkeit in jedem denkbaren Prozess eines Rechts auf Stellung von Beweisanträgen als eigene Initiative der Beweisführung und sodann eines Rechts auf Erhebung dieser beantragten Beweismittel unter bestimmten Voraussetzungen. Insoweit unterscheidet sich das Recht auf Beweis in den einzelnen Grundrechtsordnungen nach hier vertretener Ansicht gerade nicht über eine Verschiedenheit seiner wesentlichen Gewährleistungsgehalte, sondern vielmehr über den Grad des gesetzgeberischen Ermessens bei der Ausgestaltung und gegebenenfalls der Einschränkbarkeit dieser jeweiligen Gewährleistungen. Die europäischen Grundrechtsordnungen geben tendenziell einen gröberen Rahmen vor als das deutsche Grundgesetz und lassen dem Gesetzgeber ein weiteres Ermessen. Die hier dargestellten Gewährleistungsgehalte stellen indes zum allergrößten Teil einen „Mindeststandard“ effektiven Rechtsschutzes im Beweisverfahren dar. Diese Gewährleistungsgehalte weisen naturgemäß in allen drei Grundrechtsordnungen wesentliche Übereinstimmungen auf. Daher wird die eigene Ansicht nachfolgend stets für das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta gemeinsam entwickelt und auf etwaige Unterschiede explizit hingewiesen.
II. Berechtigte und Verpflichtete des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC Vorab soll jedoch geklärt werden, wer in den Genuss der zu beschreibenden Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis kommen soll und wer zur Einhaltung dieses Grundrechts verpflichtet ist. Mithin sind Berechtigte und Verpflichtete des Rechts auf Beweis nach EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz zu definieren.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
1. Grundsatz Wenn man das Recht auf Beweis als prozessuales Grundrecht und Teilgehalt des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. 47 II S. 1 GRC bzw. des Justizgewährungsanspruches aus den materiellen Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) begreift, lassen sich die Berechtigten und Verpflichteten dieses Rechts im Grundsatz ohne weiteres bestimmen: a) Berechtigung aller Parteien eines Zivilprozesses Nach den bisherigen Feststellungen kommt das Recht auf Beweis als prozessuales Grundrecht sämtlichen an einem Zivilprozess beteiligten Parteien zu. Sowohl die klagende, ein durchzusetzendes Recht behauptende Partei als auch die beklagte, sich gegen eine als unberechtigt behauptete Inanspruchnahme wehrende Partei haben jeweils ein eigenes Recht auf Beweis. Diesen Schutz des Rechts auf Beweis können nach hier vertretener Auffassung sowohl natürliche als auch juristische Personen beanspruchen. Für die Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen gehen EGMR und EuGH in ihrer Rechtsprechung richtigerweise vom Kriterium der Wesensgleichheit zwischen natürlicher und juristischer Person aus.8 Eben diese Wesensgleichheit wird auch für das Grundgesetz durch Art. 19 III GG zum Kriterium einer Anwendbarkeit von Grundrechten auf juristische Personen erhoben.9 Das Erfordernis der formalisierten Rechtsdurchsetzung mittels eines Prozesses stellt sich für natürliche wie auch juristische Personen gleichermaßen. Wenn man einer gedachten juristischen Person Rechte zuerkennt, so muss man ihr zugleich die Möglichkeit geben, diese Rechte auch durchzusetzen. Dementsprechend folgt aus den Grundrechten für beide Arten von Personen das Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes. Daher erscheint es überzeugend, mit dem Bundesverfassungsgericht von einer generellen Übertragbarkeit prozessualer Grundrechte auf juristische Personen auszugehen.10 Im Zivilprozess muss auch eine juristische Person ihre behaupteten Rechte zu deren Durchsetzung nachweisen, so dass ein effektiver Rechtsschutz auch für juristische Personen eine effektive Nachweismöglichkeit eigener Rechte voraussetzt. In diesem Sinne ergibt sich eine Wesensgleichheit mit 8
Vgl. für die EMRK etwa EGMR, Urteil vom 16.12.1997, 25528/94, Canea Catholic Church ./. GRE, Rn. 31; ausführlich auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 17, Rn. 5; für die Grundrechtecharta siehe EuGH, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849, Rn. 28 ff. – DEB; siehe auch Jarass, GRC, Art. 51, Rn. 49 ff. mwN. 9 Vgl. bereits die Entscheidung BVerfGE 3, S. 359, 363; siehe auch BVerfGE 4, S. 7, 12; in neuerer Zeit BVerfGE 102, S. 370, 383; BVerfGE 106, S. 28, 42 ff.; aus der Literatur siehe Isensee/ Kirchhof-Isensee, HStR IX, § 199, Rn. 5 ff. und Mertens/Papier-Tettinger, HGR II, § 51, Rn. 6 ff. jeweils mwN. 10 Vgl. bereits BVerfGE 3, S. 359, 363 für Art. 101 I S. 2 und Art. 103 I GG; instruktiv auch BVerfGE 35, S. 348, 352 ff., 360 ff.; aus der Literatur wiederum Isensee/Kirchhof-Isensee, HStR IX, § 199, Rn. 86 ff. und Mertens/Papier-Tettinger, HGR II, § 51, Rn. 16 jeweils mwN.
§ 7 Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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natürlichen Personen. Daher umfasst der Kreis der durch das Recht auf Beweis Berechtigten natürliche und juristische Personen als Parteien des Zivilprozesses gleichermaßen. b) Verpflichtung des Staates Durch das Recht auf Beweis verpflichtet wird der Staat, regelmäßig in Form des jeweils entscheidenden Gerichts als staatlichem Akteur. Die Verpflichtung beschränkt sich nicht auf das mit dem Beweisverfahren befasste erstinstanzliche Gericht. Vielmehr haben auch die Gerichte in der Berufungs- und Revisionsinstanz die grundgesetzliche Verpflichtung, etwaige Verletzungen des Rechts auf Beweis durch die unteren Instanzen zu korrigieren.
2. Ausnahme: Verpflichtung der jeweils anderen Prozesspartei im Rahmen einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis Das hier skizzierte Recht auf Beweis soll den Parteien des Zivilprozesses zugutekommen und einen effektiven Nachweis eigener Rechte ermöglichen. Der Zivilprozess stellt insoweit eine klassische 3-Personen-Konstellation dar, innerhalb derer sich typischerweise zwei Privatpersonen unter Vermittlung des Gerichts als staatlichem Akteur gegenüberstehen. Es stellt sich daher die Frage, ob auch die jeweilige Gegenpartei im Zivilprozess Adressat und Verpflichteter des Rechts auf Beweis einer Prozesspartei sein kann. a) Konstellationen einer unmittelbaren oder mittelbaren Drittwirkung Diese Frage stellt sich für das Recht auf Beweis insbesondere in solchen Konstellationen, in denen die der beweisbelasteten Partei entgegengesetzte Partei zu deren Beweisführung maßgeblich beitragen könnte. So etwa, wenn diese Gegenpartei ein Beweismittel entweder in Besitz hat oder zumindest Informationen über ein solches Beweismittel innehat – zu denken wäre an den Besitz einer Urkunde oder eines Augenscheinsobjektes bzw. die Kenntnis der Anschrift eines Zeugen. In diesen Fallgestaltungen könnte man auf den Gedanken kommen, dass die Gegenpartei diese Beweismittel bzw. Informationen von sich aus herausgeben muss (unmittelbare Drittwirkung) oder zumindest das Gericht eine entsprechende Pflicht zur Anordnung der Herausgabe hat, der die Partei Folge leisten muss (mittelbare Drittwirkung). b) Die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Diese Fragestellung nach einer mittelbaren Drittwirkung führt zu einer der wesentlichen Divergenzen in den Gewährleistungsgehalten des Rechts auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz. Eine solche mittelbare
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
Drittwirkung sieht sich in EMRK und Grundrechtecharta insbesondere kompetenziellen Bedenken gegenüber, die sich für das Grundgesetz gerade nicht stellen. Daher soll in einem ersten Schritt die Frage einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta untersucht werden, bevor sich eine separate Analyse des Grundgesetzes anschließt. aa) Die Ansätze einer Drittwirkung in Rechtsprechung und Literatur Eine Diskussion über eine etwaige Drittwirkung von Grundrechten auf Privatpersonen existiert insbesondere im Rahmen der europäischen Grundrechtecharta. Für die europäische Grundrechtecharta wird in der Literatur sogar eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundrechte diskutiert und zumindest eine mittelbare Drittwirkung mehrheitlich bejaht.11 Argumentativ wird teilweise darauf verwiesen, dass eine Reihe von Grundrechten der Charta, wie etwa Art. 24 II und III GRC sich bereits ihrem Wortlaut nach unmittelbar an Private richten, eine entsprechende Verpflichtung Privater der Charta mithin nicht fremd ist.12 Zudem wird auf die Effektuierung des Grundrechtsschutzes durch eine zumindest mittelbare Bindung von Privaten hingewiesen.13 Auch der EuGH scheint in neuerer Zeit zumindest in die Richtung einer solchen mittelbaren Drittwirkung zu tendieren.14 In der EMRK finden sich nach dem Wortlaut der einzelnen Grundrechtsgewährleistungen kaum Anhaltspunkte für die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung ihrer Grundrechte.15 Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung sodann auch keine ersichtlichen Versuche unternommen, eine solche Drittwirkung unter Privaten zu begründen, sondern vielmehr eine ganze Reihe staatlicher Schutzpflichten entwickelt.16 Schutzpflichten meinen hierbei eine Verpflichtung des jeweiligen Mitgliedetwa Winkler, Grundrechte der EU, S. 162 ff.; im Sinne einer mittelbaren Drittwirkung der GRC auch Jarass, GRC, Art. 51, Rn. 36 ff.; etwas zurückhaltender Meyer-Borowsky, GRC, Art. 51, Rn. 31 ff.; ähnlich Schwarze-Hatje, GRC, Art. 51, Rn. 22 jeweils mwN. 12 In diesem Sinne etwa Meyer-Borowsky, GRC, Art. 51, Rn. 31 mwN. 13 Vgl. Jarass, GRC, Art. 51, Rn. 36 ff.; Meyer-Borowsky, GRC, Art. 51, Rn. 31 ff. jeweils mwN. 14 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-555/07, Slg. 2010, I-00365, Rn. 51 ff. – Kücükdeveci zum Diskriminierungsverbot des Art. 21 GRC; in diese Richtung auch EuGH Rs. C-236/09, Slg. 2011, I-00773, Rn. 15 ff. – Association Belge des Consommateurs Test-Achats; zurückhaltend EuGH, Rs. C-176/12, Rn. 41 ff. – Association de médiation sociale; instruktiv auch die Ausführungen des Generalanwaltes in den Schlussvorträgen Rs. C-282/10 Rn. 83 mwN. 15 Diesem Ausgangspunkt der Überlegungen zu einer Drittwirkung der EMRK wählt auch Gra benwarter/Pabel, EMRK, § 19, Rn. 8. 16 Vgl. zu den justiziellen Grundrechten bereits die Herleitung einer staatlichen Verpflichtung zur Unterstützung der unterlegenen Prozesspartei in EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 20 ff.; siehe auch EGMR, Urteil vom 25.02.1982, 7743/76, Campbell and Cosans ./. GB, Rn. 37; aus der Literatur ausführlich zu den Schutzpflichten der EMRK Szczekalla, Schutzpflichten, S. 712 ff.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 19, Rn. 1 ff. und die kritische Analyse von Krieger, ZaöRV 2014, S. 187 ff. jeweils mwN. 11 Ausführlich
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staates, Grundrechtsbeeinträchtigungen von Privaten durch Private mithilfe aktiver, staatlicher Maßnahmen abzuwehren.17 Im Bereich der justiziellen Grundrechte bedarf es zur Wahrnehmung dieser Gewährleistungen indes seit jeher aktiven staatlichen Handelns in Form der Schaffung eines Gerichtssystems mitsamt entsprechender prozessualer Gewährleistungen als Ausgestaltung der Justizgrundrechte der EMRK.18 Diese Schutzpflichten entfalten ihre Wirkung auch und gerade im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Privatpersonen, so dass sie in ihrer praktischen Wirkweise einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ähneln – wenngleich als Adressat der Schutzpflichten weiterhin allein der jeweilige Mitgliedstaat anzusehen ist.19 bb) Eigene Ansicht: Keine Drittwirkung in EMRK und GRC Nach hier vertretener Ansicht kann eine Verpflichtung von Privaten auch im Hinblick auf eine effektive Geltung des Rechts auf Beweis von großer Bedeutung sein. Man denke beispielsweise an eine etwaige Kenntnis von Beweismitteln oder auch den Besitz von Beweismitteln durch die Gegenpartei oder Dritte im Zivilprozess. Zugleich muss man jedoch für die europäischen Grundrechtsordnungen in besonderem Maße die Souveränität der Konventions- bzw. Mitgliedstaaten und die daraus resultierende Begrenzung der Kompetenzen des EGMR wie auch der Organe der Europäischen Union beachten. Die EMRK und auch die europäische Grundrechtecharta sind als Grundrechtsordnungen zur Regelung des Verhältnisses zwischen Konventionsstaat bzw. der Europäischen Institutionen und den jeweiligen Menschen des Konventions- bzw. Mitgliedstaates geschaffen worden. Die Mitgliedstaaten intendierten durch den Beitritt zu den Grundrechtsordnungen der EMRK und der Grundrechtecharta die Schaffung eines höheren Grundrechtsstandards für die Menschen des jeweiligen Mitgliedstaates. Eine unmittelbare oder auch nur mittelbare Drittwirkung dieser Grundrechtsordnungen könnte jedoch im Einzelfall zu einer höheren Verpflichtung anstelle eines höheren Schutzniveaus führen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass in diesen Konstellationen von Privatpersonen auf beiden Seiten das „Weniger“ an Freiheit der einen Partei zugleich ein „Mehr“ an Freiheit für die andere Partei bedeutet, so wird dem jeweiligen Konventions- bzw. Mitgliedstaat doch die Entscheidung über die Regelung eben dieses Verhältnisses des Grundrechtsschutzes von Privaten zueinander genommen, was die kompetenziellen Probleme deutlich aufzeigt. Es erscheint daher bereits unter kompetenziellen 17 Ausführlich zur Wirkweise der durch den EGMR entwickelten Schutzpflichten Szczekalla, Schutzpflichten, S. 712 ff. und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 19, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 18 Vgl. hierzu auch Szczekalla, Schutzpflichten, S. 777 ff. und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 19, Rn. 1. 19 Ausführlich zur Abgrenzung von Schutzpflichten und einer mittelbaren Drittwirkung einmal mehr Szczekalla, Schutzpflichten, S. 900 ff.; die vergleichbare Wirkung herausstellend auch Gra benwarter/Pabel, EMRK, § 19, Rn. 8 f. jeweils mwN.
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Gesichtspunkten zumindest schwierig, eine Verpflichtung Privater durch die EMRK oder die europäische Grundrechtecharta zu begründen. Hinzu kommt nach hier vertretener Ansicht, dass eine solche Verpflichtung Privater aus praktischer Sicht zumindest ein hinreichendes dogmatisches Grundgerüst voraussetzt, um die Fallgestaltung einer Verpflichtung Privater im Vorhinein hinreichend bestimmbar und für die betreffenden Privaten vorhersehbar zu machen. Es muss jedenfalls gesichert sein, in welchen Konstellationen eine solche Verpflichtung in welchem Umfang eintritt. Diese Herausarbeitung einer Drittwirkung befindet sich für die europäische Grundrechtecharta indes noch in den Anfängen und auch der EGMR hat sich in seiner beschriebenen Rechtsprechung für das Konzept staatlicher Schutzpflichten entschieden. Aufgrund dieser kompetenziellen Bedenken und des fehlenden dogmatischen Unterbaus kommt nach hier vertretener Auffassung die Annahme einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta zumindest nach derzeitigem Stand nicht in Betracht. Denkbar ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des EGMR in einzelnen Konstellationen eine Herleitung von positiven Schutzpflichten, die sich jedoch direkt an den jeweiligen Mitgliedstaat richten. Allerdings bedarf es auch für die Annahme solcher, positiver Verpflichtungen des Konventions- bzw. Mitgliedstaates einer gewissen Zurückhaltung im Hinblick auf die kompetenziellen Grenzen der europäischen Grundrechtsordnungen. c) Die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG Diese Ablehnung einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta lässt sich indes gerade nicht auf das Grundgesetz übertragen. Vielmehr unterscheidet sich die Diskussion in Rechtsprechung und Literatur zum Grundgesetz deutlich von der Debatte zu EMRK und Grundrechtecharta und auch nach hier vertretener Ansicht unterscheidet sich der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis im Grundgesetz ausnahmsweise von demjenigen des Rechts auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta: aa) Die Entwicklung einer mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im GG Die Frage nach der Geltung des Grundgesetzes im Verhältnis zweier Privatpersonen zueinander hat sich bald nach seinem Inkrafttreten gestellt.20 Gerade im Arbeitsrecht hatte sich abgezeichnet, dass die größten Gefährdungen der grundrechtlichen Gewährleistungen weniger in staatlichen Eingriffen als vielmehr in der stark differierenden wirtschaftlichen Wirkmächtigkeit von Arbeitnehmern im Verhältnis zu Ar20 Vgl. wiederum BVerfGE 7, S. 198, 204 f.; BVerfGE 25, S. 256, 263 ff. und BVerfG-K 3, S. 112, 118 ff.; siehe auch BGHZ 13, S. 334, 337 ff. zur Entwicklung des APR als Schutz auch und gerade gegenüber Privatpersonen; ausführlich und mwN auch Merten/Papier-Papier, HGR II, § 55, Rn. 23 ff.
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beitgebern zu sehen war. Daher wurde insbesondere von Seiten des seinerzeitigen Präsidenten des Bundesarbeitsgerichts Nipperdey eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes im Verhältnis privater Akteure zueinander in die Diskussion eingebracht – mithin eine Grundrechtsbindung von Privatpersonen.21 Eine unmittelbare Drittwirkung von Grundrechten hat sich in Rechtsprechung und Schrifttum indes nicht durchsetzen können.22 Unter anderem wurde einer solchen unmittelbaren Drittwirkung entgegengehalten, die Grundrechte sollen Private berechtigen, nicht aber ihrerseits verpflichten – zumal Situationen denkbar seien, in denen eine Privatperson durch ein Grundrecht zugleich berechtigt und verpflichtet werden könnte.23 Dessen ungeachtet stand auch diese herrschende Auffassung vor der Herausforderung, dass eine effektive Geltung der Grundrechte regelmäßig durch das Verhalten von Privatpersonen bedroht wurde und wird. Daher hat das Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung des Schrifttums eine sog. mittelbare Drittwirkung von Grundrechten entwickelt24: Die Zivilgerichte selbst sind über Art. 1 III GG ohne weiteres an die Grundrechte gebunden. Aus dieser Bindung heraus sollten die Zivilgerichte nach dem Bundesverfassungsgericht die existierenden zivilrechtlichen Generalklauseln nutzen, um den Grundrechten zu ihrer effektiven Geltung zu verhelfen. Die Zivilgerichte sollten mithin bei ihrer Auslegung der Generalklauseln die Bedeutung der Grundrechte iSe „objektiven Werteordnung“ gebührend einfließen lassen.25 Durch diese grundrechtskonforme Auslegung werden die vor den Zivilgerichten streitenden Privatpersonen ihrerseits mittelbar an die diese Auslegung beeinflussenden Grundrechte gebunden: Die Bindung erfolgt zusammengefasst über die zivilgerichtliche Entscheidung, die – ob des Einflusses der Grundrechte bei Auslegung der Generalklauseln – auf eine bestimmte Art und Weise ausfällt und die Privatpersonen bindet.26 Grundgedanke dieser mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte ist mithin die Notwendigkeit einer zumindest mittelbaren Einbeziehung von Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 13 ff.; eine ausführliche Darstellung bieten Vogt, Drittwirkung, S. 6 ff. und Canaris, AcP 184 (1984), S. 201 ff.; siehe auch Merten/Papier-Pa pier, HGR II, § 55, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 22 So geht das BVerfG in st. Rspr. von einer solchen „bloß“ mittelbaren Drittwirkung aus, vgl. bereits BVerfGE 7, S. 198, 204 f.; weiterentwickelt durch BVerfGE 25, S. 256, 263 ff. und BVerfGE 89, S. 214, 229 ff.; ausführlich und mwN auch Merten/Papier-Papier, HGR II, § 55, Rn. 16 ff.; Canaris, AcP 184 (1984), S. 201, 203 ff. und Guckelberger, JuS 2003, S. 1151, 1153 f. 23 Ausführlich zu diesem und weiteren Kritikpunkten Merten/Papier-Papier, HGR II, § 55, Rn. 16 ff. und Guckelberger, JuS 2003, S. 1151 ff. jeweils mwN. 24 Die „mittelbare Drittwirkung“ lässt sich begrifflich auf Dürig, FS-Nawiasky, S. 157, 176 ff. zurückführen; ausführlich wiederum Merten/Papier-Papier, HGR II, § 55, Rn. 23 ff. und Guckel berger, JuS 2003, S. 1151 ff. jeweils mwN. 25 Diesen Begriff der „objektiven Werteordnung“ des Grundgesetzes prägte bereits BVerfGE 7, S. 198, 204 f. 26 Instruktiv wiederum BVerfGE 89, S. 214, 229 ff.; siehe auch Dürig, FS-Nawiasky, S. 157 ff. und Merten/Papier-Papier, HGR II, § 55, Rn. 23 ff. mwN. 21 Vgl.
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Privatpersonen zur Gewährleistung einer effektiven Geltung der Grundrechte in der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Praxis.27 bb) Eigene Ansicht: Anerkennung einer mittelbaren Drittwirkung im GG Dieser Grundansatz einer Effektuierung der Grundrechte lässt sich in besonderem Maße für das Recht auf Beweis im Grundgesetz fruchtbar machen. Das Recht auf Beweis regelt seinem Grundsatz nach ausschließlich das Verhältnis einer Partei zum erkennenden Gericht iSd Gewährleistung einer effektiven Nachweismöglichkeit der eigenen Rechte zum Zwecke ihrer Durchsetzung. Die Effektivität dieser Nachweismöglichkeit und damit letztlich die effektive Geltung des Rechts auf Beweis wird jedoch ganz wesentlich durch die Kenntnis und Inhaberschaft von Beweismitteln mitbestimmt. Im Zivilprozess stehen sich stets zwei private Akteure unter Vermittlung des Staates in Form des den Rechtsstreit entscheidenden Gerichts gegenüber. Der Zivilprozess ist mithin ein Paradebeispiel für eine 3-Personen-Konstellation, innerhalb derer die effektive Geltung prozessualer Grundrechte auch die mittelbare Bindung der gegnerischen Partei erfordern kann. Eine solche mittelbare Bindung einer Partei an das Recht auf Beweis der jeweils anderen Partei kann für die effektive Geltung dieses Rechts auf Beweis insbesondere im Hinblick auf die Kenntnisse dieser gebundenen Partei über Beweismittel von großer Bedeutung sein. Zu denken ist etwa an das Wissen einer Partei um die Existenz oder auch die Anschrift eines Zeugen, dessen Aussage der Gegenpartei zum Vorteil gereichen könnte. Ein weiteres Beispiel wäre eine Urkunde oder ein Augenscheinsobjekt im Besitz der Gegenpartei oder eines Dritten unter jeweiliger Verweigerung des Zugangs zu diesem Beweismittel. Die besondere Bedeutung einer mittelbaren Drittwirkung für die effektive Geltung des Rechts auf Beweis folgt somit aus der 3-Personen-Konstellation des Zivilprozesses, die typischerweise eine Interaktion mit anderen Privatpersonen und zugleich das Erfordernis der Kenntnis von Beweismitteln bzw. darüber hinausgehend ihres Besitzes als Grundlage einer Erhebung dieser Beweismittel im Zivilprozess voraussetzt. Nach hier vertretener Ansicht kann das Recht auf Beweis im Grundgesetz dementsprechend in einzelnen Fallkonstellationen eine mittelbare Drittwirkung auf die Parteien des Zivilprozesses entfalten. Der Grundgedanke, dass eine effektive Geltung der Grundrechte letztlich eine zumindest mittelbare Bindung Privater voraussetzt, lässt sich in beispielhafter Weise auf den Zivilprozess und das Recht auf Beweis übertragen. Die Beweismittel sind typischerweise im Besitz der Prozessparteien, jedenfalls haben sie regelmäßig Kenntnis von entsprechenden Beweismitteln. Das Recht auf Beweis sichert originär die Möglichkeit des Rechtsnachweises mit 27 Vgl. BVerfGE 7, S. 198, 204 f.; BVerfGE 89, S. 214, 229 ff.; BVerfG-K 3, S. 112, 118 ff.; ausführlich aus der Literatur etwa Stern, StaatsR III/1, S. 1528 ff.; Merten/Papier-Papier, HGR II, § 55, Rn. 23 ff. jeweils mwN.
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„eigenen“ Beweismitteln gegenüber dem Gericht. Diese Nachweismöglichkeit würde jedoch ihrer Effektivität regelmäßig beraubt, wenn nicht zugleich auch ein Recht auf Erlangung solcher Beweismittel anerkannt würde, die sich im Besitz der gegnerischen Partei befinden bzw. von deren Existenz diese Partei Kenntnis hat. Die Nichteinbeziehung der gegnerischen Prozesspartei würde das Recht auf Beweis in zahlreichen Fallkonstellationen schlicht leerlaufen lassen. Der plakative Satz, „keine Partei ist gehalten, dem Gegner für seinen Prozeßsieg das Material zu verschaffen, über das er nicht schon von sich aus verfügt.“28 kann nach hier vertretener Auffassung aus sich selbst heraus jedenfalls keine Geltung beanspruchen. Es handelt sich hierbei mitnichten um ein Axiom, sondern vielmehr um ein eher überholtes Verständnis des Prozesses als ein „Kampf“ der Parteien.29 Ein Zivilprozess sollte auf eine möglichst effektive Nachweismöglichkeit der Rechte der Prozessparteien abzielen und damit auf eine Verwirklichung der tatsächlich bestehenden, materiell-rechtlichen Rechtslage. Diese Verwirklichung setzt aber eine möglichst effektive Wahrheitserforschung voraus und gerade keine Effektuierung der Verschleierungsmöglichkeiten des Sachverhaltes. Die ganz h. M. geht zu Recht davon aus, dass kein verfassungsrechtliches Recht auf den Prozessgewinn existiert.30 Zugleich muss man aber auch konstatieren, dass es keinen Anspruch darauf gibt, sich einer materiellrechtlich berechtigten Inanspruchnahme durch bewusste Nichtoffenbarung von Beweismitteln pauschal zu entziehen. Die Ablehnung einer Offenlegung bzw. Vorlage von Beweismitteln kann ausschließlich auf das Überwiegen entgegenstehender Grundrechte im Einzelfall gestützt werden – etwa das APR oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen. Der bloße Satz „keine Partei ist gehalten, dem Gegner für seinen Prozeßsieg das Material zu verschaffen“31 kann aus sich selbst heraus hiernach gerade keine Ablehnung einer Offenbarungs- oder Vorlagepflicht rechtfertigen. Dementsprechend kann mit diesem Satz auch keine mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis abgelehnt werden. Zudem stellen sich für das Grundgesetz keine kompetenziellen Probleme in Bezug auf die Annahme einer solchen mittelbaren Drittwirkung. Anders als die europäischen Grundrechtsgewährleistungen kommt dem Grundgesetz für den Zivilprozess in Deutschland eine uneingeschränkte Geltung zu. Außerdem kann die Figur der mittelbaren Drittwirkung von Grundrechten im Grundgesetz auf eine jahrzehntelange Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur zurückblicken, so dass bereits 28 Diese Formulierung verwendet bereits BGH NJW 1958, S. 1491, 1492; st. Rspr., siehe etwa BGH NJW 1990, S. 3151; in neuerer Zeit durch BGH NJW 2007, S. 155, 156 jeweils mwN. 29 Dieser Begriff wird regelmäßig zurückgeführt auf die Schrift von v. Jehring, Kampf um´s Recht, S. 1 ff. und insbesondere S. 35 ff. 30 Vgl. etwa die ausführlichen Darstellungen von Habscheid, ZZP 67 (1954), S. 188 ff. und Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Brehm, ZPO I, Einleitung vor § 1, Rn. 239 ff. jeweils mwN. 31 Vgl. wiederum BGH NJW 1958, S. 1491, 1492 und BGH NJW 2007, S. 155, 156 jeweils mwN.
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eine dogmatische Grundlage gelegt wurde, die es dem Einzelnen ermöglicht, etwaige rechtliche Verpflichtungen gegenüber privaten Dritten zu erkennen. Das Recht auf Beweis erzeugt zusammengefasst in einer Reihe von Fallgestaltungen eine mittelbare Drittwirkung, so dass eine Partei des Zivilprozesses durch das Recht auf Beweis in einzelnen Fällen zugleich verpflichtet werden kann.32
III. Grundlegende Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC Das Recht auf Beweis beinhaltet eine Reihe von Gewährleistungen, die der eigentlichen Beweisaufnahme entweder zeitlich vorgelagert sind oder für das Beweis verfahren insgesamt gelten und jeweils darauf abzielen, eine effektive Beweisaufnahme überhaupt erst möglich zu machen. In Rechtsprechung und Literatur zu Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta finden sich grundsätzlich ähnlich beweisrechtliche Gewährleistungen, die jedoch auf verschiedenste dogmatische Fundierungen gestützt werden.
1. Das Recht der Parteien auf Information Das Recht auf Information ist zeitlich im Vorfeld des Beweisverfahrens und insbesondere der Stellung von Beweisanträgen durch die Parteien anzusiedeln. Es hat in Rechtsprechung und Literatur zu allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen bereits einige Behandlung erfahren: a) Das Recht auf Information im GG Für das Grundgesetz wird ein Recht auf Information allgemein als ein wesentlicher Teilgehalt des Rechts auf rechtliches Gehör in Art. 103 I GG angesehen.33 Das Informationsrecht der Parteien wird als essentielle Voraussetzung für die effektive Wahrnehmung ihres Äußerungsrechts verstanden. Dieser Zusammenhang wird auch und gerade für die effektive Stellung von Beweisanträgen durch die Parteien betont.34 Die Parteien haben ein Recht auf Information über alle Stellungnahmen, Anträge, Schriftsätze und sonstigen Äußerungen der Gegenpartei wie auch des Gerichts mit32
Zu einzelnen Fallkonstellationen siehe insbesondere § 9 II. Vgl. etwa BVerfGE 36, S. 85, 88; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfGE 108, S. 341, 345 f.; aus der Literatur siehe etwa Isensee/Kirchhof-Knemeyer, HStR XIII, § 178, Rn. 29 mit zahlreichen Nachweisen. 34 So etwa BVerfGE 84, S. 188, 190; BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfGE 108, S. 341, 345 f.; ebenso Isensee/Kirchhof-Knemeyer, HStR XIII, § 178, Rn. 29 und Merten/Papier-Graßhof, HGR V, § 133, Rn. 29 f. jeweils mwN. 33
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samt etwaiger Anlagen.35 Das Informationsrecht umfasst außerdem sämtliche Beweisanträge, Beweiserhebungen und Ergebnisse einer Beweisaufnahme.36 Dem erkennenden Gericht wird eine korrespondierende Pflicht auferlegt, die Weiterleitung der Informationen sicherzustellen.37 Letztlich müssen alle relevanten Informationen – auch beweisrechtlicher Natur – den Prozessparteien zur Kenntnis gegeben werden. Darüber hinaus beinhaltet das Informationsrecht der Prozessparteien auch ein Recht auf Einsicht in sämtliche Prozessakten.38 Obgleich diese Gewährleistung in erster Linie für die Einsicht in strafprozessuale Ermittlungsakten Bedeutung entfaltet, gilt das Recht auf Akteneinsicht nach Rechtsprechung und Literatur explizit auch im Zivilprozess.39 Die einfach-rechtliche Normierung eines voraussetzungslosen Akteneinsichtsrechts der Parteien in § 299 ZPO wird daher als direkte Ausprägung des Art. 103 I GG angesehen.40 Einer Abwägung mit etwaigen, verfassungsrechtlichen Gegenrechten bedarf das Einsichtsrecht der Parteien nach wohl herrschender Ansicht regelmäßig nicht.41 b) Das Recht auf Information in der EMRK Der EGMR hat ein Recht der Prozessparteien auf Information dem Grunde nach ebenfalls anerkannt.42 Der EGMR leitet diese Ansprüche in erster Linie aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit als Teilgehalt des Art. 6 I EMRK her: Wenn eine der Parteien keine Kenntnis von den Stellungnahmen der Gegenseite oder des Gerichts erlangt, so verschlechtern sich ihre Möglichkeiten zur Stellungnahme im Verhältnis zur Gegenseite signifikant.43 Außerdem ergeben sich dahin 35 Vgl. zum Umfang der Informationsrechte BVerfGE 6, S. 12, 14; BVerfGE 50, S. 280, 284; BVerfGE 89, S. 28, 35; aus der Literatur siehe wiederum Isensee/Kirchhof-Knemeyer, HStR XIII, § 178, Rn. 29 und Merten/Papier-Graßhof, HGR V, § 133, Rn. 29 f. jeweils mwN 36 Vgl. etwa BVerfGE 89, S. 28, 35; BVerfGE 108, S. 341, 345 f.; Isensee/Kirchhof-Knemeyer, HStR XIII, § 178, Rn. 29 und Merten/Papier-Graßhof, HGR V, Bd. V, § 133, Rn. 30 jeweils mwN. 37 Siehe bereits BVerfGE 7, S. 275, 278 ff.; vgl. auch BVerfG-K 12, S. 346, 352 f.; explizit auch Isensee/Kirchhof-Knemeyer, HStR XIII, § 178, Rn. 29 mwN. 38 Anschaulich BVerfG NJW 2014, S. 1581, 1582. 39 Vgl. etwa BVerfGE 89, S. 28, 35 und BVerfG NJW 2014, S. 1581, 1582; siehe auch MüKoPrütting, ZPO I, § 299, Rn. 1 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 299, Rn. 1 ff.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 299, Rn. 1 ff. 40 In diesem Sinne etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 299, Rn. 1 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 299, Rn. 1 ff.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 299, Rn. 1 ff. 41 In diesem Sinne etwa Prütting, ZZP 106 (1993), S. 427, 456; ebenso Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 299, Rn. 12; MüKo-Prütting, ZPO I, § 299, Rn. 8; Musielak/Voit-Huber, § 299, Rn. 2; für eine Abwägung demgegenüber Wagner, ZZP 108 (1995), S. 193, 217 f. 42 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. AUT, Rn. 23 f.; außerdem EGMR, Urteil vom 28.09.2001, 37292/97, F.R. ./. CH, Rn. 36; EGMR, Urteil vom 27.12.2007, 17309/02, Grozescu ./. RO, Rn. 21; EGMR, Urteil vom 18.01.2008, 12316/04, Asnar ./. F, Rn. 24 ff. jeweils mwN. 43 So etwa in den Fallkonstellationen EGMR, Urteil vom 28.09.2001, 37292/97, F.R. ./. CH,
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gehend Implikationen mit dem Recht auf rechtliches Gehör, dass nur eine informierte Partei in der Lage ist, ihr Recht auf Stellungnahme effektiv auszuüben.44 Die Parteien des Zivilprozesses haben hiernach aus Art. 6 I EMRK das Recht auf Kenntnis aller Schriftsätze, Stellungnahmen und Beweisanträge der Gegenseite, wie auch der Äußerungen des Gerichts sowie aller sonstiger entscheidungserheblicher Umstände.45 Mit diesem subjektiven Recht der Parteien korreliert eine entsprechende Verpflichtung des erkennenden Gerichts, diesen Informationsfluss sicherzustellen.46 In der Literatur werden diese Informationsansprüche der Parteien in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EGMR gleichfalls bejaht.47 Außerdem leitet der EGMR in seiner Rechtsprechung aus Art. 6 I EMRK ein Recht der Parteien auf Einsicht in die Gerichtsakten her.48 Ursprünglich wurde dieses Recht durch den EGMR für den Strafprozess entwickelt. Die Staatsanwaltschaft sollte gezwungen werden, ihre Ermittlungsakten offenzulegen, so dass Anklage und Verteidigung auf dem gleichen Informationsniveau im Prozess gegeneinander antreten konnten.49 Insoweit war das Akteneinsichtsrecht auch ein Ausdruck der prozessualen Waffengleichheit. Heute ist ein Recht auf Einsicht in die Prozessakten auch im Zivilprozess anerkannt – je nach Fallgestaltung unter Herleitung aus dem Grundsatz der Waffengleichheit oder dem Recht auf rechtliches Gehör.50
Rn. 34 ff.; EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. AUT, Rn. 23 f. jeweils mwN. 44 Diesen Zusammenhang stellen insbesondere Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, GG/EMRK I, Kapitel 14 Rn. 99 ff. heraus. 45 Vgl. EGMR, Urteil vom 20. 02.1996, 15764/89, Lobo Machado ./. PORT, Rn. 31; siehe auch EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. AUT, Rn. 23 f.; außerdem EGMR, Urteil vom 28.09.2001, 37292/97, F.R. ./. CH, Rn. 36; EGMR, Urteil vom 27.12.2007, 17309/02, Grozescu ./. RO, Rn. 21; EGMR, Urteil vom 18.01.2008, 12316/04, Asnar ./. FRA, Rn. 24 ff. jeweils mwN. 46 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. AUT, Rn. 29 ff. und EGMR, Urteil vom 28.09.2001, 37292/97, F.R. ./. CH, Rn. 37 ff.; diese Informationspflichten des Gerichts äußert sich bereits darin, die ordnungsgemäße Ladung der Parteien sicherzustellen zu müssen, siehe EGMR, Urteil vom 12.02.2007, 23377/02, Mokrushina ./. RU, Rn. 20 ff.; EGMR, Urteil vom 31.08.2007, 61655/00, Miholapa ./. LT, Rn. 23 ff. 47 Vgl. Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 114 ff.; Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwar ter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 99 f.; Kofmel, Recht auf Beweis, S. 55 f. 48 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz-Mateos ./. ESP, Rn. 63 f. = EuGRZ 1993, S. 453, 457; EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 57 ff. und EGMR, Urteil vom 14.06.2005, 39553/02, Menet ./. FRA, Rn. 43 ff. jeweils mwN. 49 Vgl. zum Strafprozess etwa EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. GB, Rn. 60 ff. und EGMR, Urteil vom 19.06.2001, 36533/97, Alan ./. GB, Rn. 40 jeweils mwN. 50 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz-Mateos ./. ESP, Rn. 63 f. = EuGRZ 1993, S. 453, 457; EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 57 ff. und EGMR, Urteil vom 14.06.2005, 39553/02, Menet ./. FRA, Rn. 43 ff.; so auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 72 f. mwN.
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c) Das Recht auf Information in der GRC Der EuGH hatte ein Informationsrecht für Prozessparteien bereits vor Geltung der Grundrechtecharta insbesondere im Hinblick auf Wettbewerbs- und Kartellverfahren entwickelt. Obgleich diese Verfahren keine Zivilprozesse im engeren Sinne darstellen, lassen sich auch allgemeine Aussagen des EuGH zu Informationsrechten von Prozessparteien und zur Behandlung von Informationsasymmetrien finden und heranziehen: Die Parteien haben hiernach ein umfassendes Recht auf Information über alle Stellungnahmen, Anträge und sonstigen Äußerungen der Gegenpartei und des Gerichts.51 Diese Informationsrechte werden als Grundlage dafür angesehen, dass die Parteien ihre Rechte vor Gericht wirksam wahrnehmen können.52 Die Effektuierung der Möglichkeit zur Stellungnahme führt den EuGH zu einer Herleitung dieser Informationsansprüche der Parteien aus dem Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren.53 Gleichzeitig ergeben sich ebenso deutliche Zusammenhänge zum Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, wenn man die Entwicklung der Informationsrechte vor dem Hintergrund eines Ausgleiches von Informationsasymmetrien zwischen den Parteien bedenkt.54 Die Literatur erkennt gleichfalls ein Recht der Prozessparteien auf Information an. Im Schrifttum wird jedoch mehrheitlich der enge Zusammenhang des Rechts auf Stellungnahme zum Recht auf rechtliches Gehör betont und das Recht auf Information aus selbigem Gehörsrechts iSd Art. 47 II S. 1 GRC hergeleitet.55 Darüber hinaus hat der EuGH ein Recht der Parteien auf Akteneinsicht entwickelt: Hintergrund dieses Rechts war zunächst die Einsicht in die Akten der Kommission, um beiden Prozessparteien den gleichen Informations stand über den streitgegenständlichen Kommissionbescheid zu geben.56 Übertragen auf den Zivilprozess haben die Parteien nach Rechtsprechung und Literatur jedenVgl. bereits EuGH, Rs. C-199/99, Slg. 2003, I-11177, Rn. 19 – Corus UK / Kommission; ausdrücklich in diesem Sinne auch EuGH, Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommissi on / Irland u. a.; siehe auch EuGH, Rs. C-300/11, Rn. 53 ff. – ZZ; und EuGH, Rs. C-472/11, Rn. 29 ff. – Banif Plus Bank; die Einschränkbarkeit dieses Rechts betont EuGH Rs. C-450/06, Slg. 2008, I-00581, Rn. 47 ff. – Varec. 52 Deutlich in diesem Sinne EuGH, Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Irland u.a; ebenso EuGH, Rs. C-300/11, Rn. 55 ff. – ZZ und EuGH, Rs. C-472/11, Rn. 29 ff. – Banif Plus Bank. 53 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-300/11, Rn. 55 ff. – ZZ und EuGH, Rs. C-472/11, Rn. 29 ff. – Banif Plus Bank. 54 Zum Grundsatz der Waffengleichheit siehe EuGH Rs. C-199/11, Rn. 46 ff. und 71 ff. – Otis u. a.; vgl. auch die Betonung der engen Verbindung der Waffengleichheit zum Recht auf ein kon tradiktorisches Verfahren in EuGH Rs EuGH, Rs. C-169/14, Rn. 49 – Sánchez Morcillo und Abril García / Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA. 55 So etwa Jarass, GRC, Art. 47 Rn. 32 f.; ähnlich Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 63; demgegenüber in Richtung der Rechtsprechung tendierend Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 34. 56 Vgl. EuGH, Rs. C-322/81, Slg. 1983, 03461, Rn. 7 – Michelin / Kommission; bestätigt etwa in EuGH, Rs. C-51/92, Slg. 1999, I-04235, Rn. 75 f. – Hercules Chemicals / Kommission; EuGH 51
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falls ein Recht auf Einsicht in die Prozessakten und gegebenenfalls in behördliche Akten.57 Seine dogmatische Fundierung findet dieses Recht auf Akteneinsicht nach Rechtsprechung und Lehre in erster Linie im Recht der Parteien auf rechtliches Gehör.58 Im Hinblick auf seine Zielsetzung eines informationellen Gleichgewichts der Parteien bleibt indes auch die Nähe zum Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit unverkennbar.59 Diese Verpflichtung zur Offenlegung von Akten und der Freigabe von Informationen gilt jedoch auch nach dem EuGH nicht grenzenlos: Vielmehr bedarf es einer Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall.60 Dabei steht auf der einen Seite das Interesse der die Offenlegung von Informationen beantragenden Partei an einer möglichst effektiven Wahrnehmung eigener Rechte vor Gericht. Auf der anderen Seite dieser Abwägung steht das Interesse an einer Geheimhaltung von Informationen, regelmäßig in Form von Geschäftsgeheimnissen oder Persönlichkeitsrechten der Gegenpartei oder eines Dritten.61 d) Eigene Ansicht Das Recht auf Information spielt für das Recht auf Beweis und einen effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess eine wesentliche Rolle: aa) Orientierung am Prozesszweck: Information als Grundlage für die Stellung sachgerechter und zulässiger Beweisanträge Die grundlegende Bedeutung des Informationsrechts zeigt sich mit Blick auf den Prozesszweck der Rechtsdurchsetzung mittels Rechtsnachweis: Der Zivilprozess in Deutschland ist ein Parteiprozess unter Geltung des Dispositions- und Beibringungsgrundsatzes.62 Mithin bedarf es regelmäßig einer Initiative der Prozessparteien zur Herbeiführung einer Beweiserhebung, die ihrerseits gewissen Anforderungen Rs. C-199/99, Slg. 2003, I-11177, Rn. 125 ff. – Corus UK / Kommission; in neuerer Zeit siehe EuGH Rs. C-383/13, Rn. 32 ff. – G. und R./ Staatssecretaris van Veiligheid en Justitie. 57 Vgl. in diese Richtung EuGH, Rs. C-110/10, Slg. 2011, I-10439, Rn. 46 ff. – Solvay SA / Kommission; ebenso EuGH, Rs. C-239/11, Rn. 363 ff. – Siemens / Kommission; aus der Literatur siehe etwa Jarass, NJW 2011, S. 1393, 1396 f.; ebenso Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 34 und Frenz, Handbuch Europarecht, S. 1525. 58 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-85/76, Slg. 1979, 00461, Rn. 9 ff. – Hoffman La Roche / Kommission; siehe auch EuGH, Rs. C-51/92, Slg. 1999, I-04235, Rn. 75 f. – Hercules Chemicals / Kommis sion. 59 In diese Richtung gehen die Ausführungen in EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 69 ff. – Otis u. a. 60 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-219/00, Rn. 68 ff. – Cementir – Cementerie del Tirreno / Kommissi on; ausführlich auch EuGH, Rs. C-450/06, Slg. 2008, I-00581, Rn.45 ff. – Varec jeweils mwN aus der Rechtsprechung. 61 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-51/92, Slg. 1999, I-04235, Rn. 75 f. – Hercules Chemicals / Kom mission; siehe auch EuGH, Rs. C-438/04, Slg. 2006, I-06675, Rn. 40 – Mobistar; ausführlich wiederum EuGH, Rs. C-450/06, Slg. 2008, I-00581, Rn.45 ff. – Varec jeweils mwN. 62 Vgl. etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §§ 76 und 77 mwN aus der Literatur.
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genügen muss. So erfordern bereits die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis einen Beweisantrag über eine entscheidungserhebliche, beweisbedürftige Tatsache. Die Parteien bedürfen somit einer weitreichenden Information, um überhaupt in die Lage versetzt zu werden, sachgerechte und zugleich auch prozessual zulässige Beweisanträge zu stellen. Wenn den Parteien die entscheidenden Informationen fehlen, so kann es passieren, dass ihre Beweisanträge als unzulässig abgewiesen werden und eine Beweisaufnahme überhaupt nicht stattfindet. Die Informationsrechte im Vorfeld eines Beweisverfahrens sind somit essentiell, um die eigentliche Beweisaufnahme und eine Rechtsdurchsetzung auf Basis eines effektiven Nachweises des wahren Sachverhalts überhaupt erst zu ermöglichen. Ein Prozess kann dem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta daher nur genügen, wenn die Parteien soweit informiert sind, dass sie bei bestmöglichem Einsatz eine Möglichkeit haben, ihre Rechte im Prozess nachweisen und somit auch durchsetzen zu können. bb) Informationsrechte im Einzelnen Das Recht auf Beweis gewährleistet den Prozessparteien hiernach einen Anspruch auf Information gegenüber dem Gericht. Mit diesem subjektiven Recht korrespondiert eine entsprechende Pflicht des erkennenden Gerichts zur Information der Parteien. In seinem Umfang orientieren sich diese Informationsansprüche an demjenigen Maß an Information, das erforderlich ist, um ein Beweisverfahren mittels sachgerechter und prozessual zulässiger Beweisanträge beginnen zu können. Im Einzelnen lassen sich folgende, wesentliche Informationsrechte der Prozessparteien herausarbeiten: (1) Information über Anträge, Schriftsätze und sonstige Ausführungen Aus dem Recht auf Beweis folgt ein Recht auf Information über sämtliche Anträge, Schriftsätze und sonstigen Ausführungen der anderen Partei und auch etwaiger Dritter. Außerdem umfasst das Informationsrecht alle Äußerungen des Gerichts. Darüber hinaus haben die Parteien ein Recht auf Einsicht in die Prozessakten sowie aller weiteren, relevanten Akten außerhalb des Prozesses. Den Parteien müssen sämtliche Informationen zur Verfügung gestellt werden, die für eine effektive Beweisführung erforderlich sind. (2) Information über die Ansicht des Gerichts zur Sach- und Rechtslage Außerdem muss das Gericht auf Nachfrage der Parteien Auskunft darüber geben, wie sich der Sach- und Streitstand nach seiner Ansicht im derzeitigen Stadium des Prozesses darstellt. Das Gericht muss seine Rechtsansichten offenlegen, um den Parteien eine Beurteilung zu ermöglichen, welche Tatsachen im konkreten Fall ent-
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scheidungserheblich sind. Ein Recht auf ein Rechtsgespräch folgt aus dem Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht nicht. Das Recht auf Beweis gibt den Parteien die Möglichkeit einer effektiven Beweisführung und damit eines Nachweises ihrer Rechte. Die Frage nach der Auslegung des materiellen Rechts und damit nach der Entscheidungserheblichkeit von Tatsachen bildet indes eher den Rahmen, innerhalb dessen sich der Prozess und damit auch die prozessualen Grundrechte bewegen. Abschließend hat das Gericht die Parteien möglichst frühzeitig über die Beweisbedürftigkeit von Tatsachen zu informieren. Insbesondere, wenn das Gericht eine Tatsache als offenkundig, unbestritten oder stillschweigend zugestanden ansehen möchte, muss es die Parteien so frühzeitig informieren, dass eine etwaige Erwiderung und effektive Beweisführung ermöglicht wird. e) Die gegenseitigen Aufklärungs- und Vorlagepflichten der Prozessparteien Darüber hinaus ergeben sich aus der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis bestimmte Informationsrechte der Prozessparteien untereinander.63 Die weitergehenden Vorlagepflichten der so offenbarten Beweismittel weisen einen so engen Zusammenhang mit den Informationspflichten auf, dass sie ebenfalls an dieser Stelle beleuchtet werden sollen. Eine solche, mittelbare Drittwirkung kommt indes allein dem Recht auf Beweis im Grundgesetz zu, so dass sich die nachfolgenden Ausführungen ausschließlich auf dieses Recht auf Beweis nach dem deutschen Grundgesetz beziehen: aa) Die Aufklärungs- und Vorlagepflichten von Beweismitteln im GG nach Rechtsprechung und Literatur Die Fragestellung, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang die Parteien untereinander zur gegenseitigen Information verpflichtet sind, wird in Rechtsprechung und Literatur in Deutschland seit Jahrzehnten unter dem Stichwort einer allgemeinen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses intensiv diskutiert.64 (1) Teile der Literatur: Anerkennung einer allgemeinen Aufklärungspflicht Ein bedeutender Teil der Literatur spricht sich für die Existenz einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses aus.65 Diese Aufklärungspflicht wurde in erster Linie durch Stürner in seiner Habilitationsschrift
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Zur Herleitung einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis siehe oben II. 2. c. Vgl. beispielhaft BGH NJW 1990, S. 3151 f.; Stürner, Aufklärungspflicht, passim; zusammenfassend in neuerer Zeit etwa Waterstraat, ZZP 118 (2005), S. 459 ff. mwN. 65 Die ausführlichste Analyse bietet Stürner, Aufklärungspflicht; instruktiv auch ders., ZZP 98 (1985), S. 237 ff. 64
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entwickelt.66 Die allgemeine Aufklärungspflicht wird in dieser Arbeit explizit verfassungsrechtlich fundiert und aus dem Justizgewährungsanspruch, konkret dem Recht auf effektiven Rechtsschutz hergeleitet.67 Dieses Recht auf effektiven Rechtsschutz determiniert hiernach den Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte. Eine effektive Rechtsdurchsetzung könne allein auf Basis des tatsächlich geschehenen Sachverhaltes erfolgen. Aus diesen Zusammenhängen leitet Stürner das verfassungsrechtliche Gebot eines „auf Wahrheitsprüfung angelegten Rechtsschutzverfahrens“ ab.68 In seiner konkreten, einfach-rechtlichen Ausgestaltung vertritt Stürner sodann die Herleitung der allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht aus einer Gesamtanalogie zu den gesetzlich geregelten Fällen einer Aufklärungs- bzw. Vorlagepflicht in den §§ 138 I, 138 II, 423, 445 ff., 372a ZPO, sowie den seinerzeitigen §§ 654 ff. ZPO a. F.69 Aus dieser allgemeinen Aufklärungspflicht folgt auf substantiierten Vortrag hin die Verpflichtung der Parteien zur Aufklärung der jeweils anderen Partei über alle relevanten Tatsachen und darüber hinaus über alle Beweismittel, die zum Nachweis dieser Tatsachen dienen könnten. Die Parteien sind einander nach dieser Auffassung in der Folge zudem zur Vorlage dieser Beweismittel verpflichtet – sei es etwa die Benennung der Namen von Zeugen, die Duldung der Besichtigung von Augenscheinsobjekten oder auch die Vorlage von Urkunden.70 Die Parteien sind hiernach zu einer umfassenden Mitwirkung an der Wahrheitserforschung im Zivilprozess qua Verfassung verpflichtet.71 Diese Verpflichtung folge aus dem – auch im Rahmen dieser Arbeit als richtig angesehenen – Zusammenhang zwischen einem der Wahrheit entsprechenden Sachverhalt und einer materiell-rechtlich richtigen Entscheidung und damit der effektiven Rechtsdurchsetzung der Prozessparteien.72 Dieser Lehre einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht haben sich namhafte Teile der Literatur angeschlossen.73 Insbesondere der Zusammenhang zwi66 Vgl. Stürner, Aufklärungspflicht, unter expliziter Orientierung an den Vorüberlegungen durch Peters, Ausforschungsbeweis, S. 103 ff. und v. Hippel, Wahrheitspflicht, S. 282 ff. 67 Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff. und S. 48 ff. 68 So explizit Stürner, Aufklärungspflicht, S. 45; in diese Richtung tendierend auch Schlosser, FS-Sonnenberger, S. 135, 147 f. 69 So Stürner, Aufklärungspflicht, S. 92 ff. 70 Siehe wiederum Stürner, Aufklärungspflicht, S. 138 ff.; zustimmend Schlosser, JZ 1991, S. 599, 603 ff. 71 So Stürner, Aufklärungspflicht, S. 134 ff. 72 Vgl. bereits obigen Ausführungen in § 4 unter Verweis auf Stürner, Aufklärungspflicht, S. 48 ff. 73 Zustimmend Schlosser, JZ 1991, S. 599 ff.; Roth, JZ 1996, S. 805, 812; Greger, JZ 2000, S. 842, 847; Waterstraat, ZZP 118 (2005), S. 459, 477 ff.; vgl. bereits die Vorüberlegungen von Peters, Ausforschungsbeweis, S. 103 ff.; Peters, FS-Schwab, S. 399 ff.; Stadler, ZZP 110 (1997), S. 137, 163; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 138, Rn. 11 jeweils mwN; in diese Richtung tendierend auch Lang, Aufklärungspflicht, S. 96 f.; Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 143 f. und Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 538 ff.
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schen Wahrheitserforschung, materiell-rechtlich richtiger Entscheidung und der Rechtsdurchsetzung wird mit Zustimmung bedacht.74 Darüber hinaus werden die Informationsmöglichkeiten der Parteien des Zivilprozesses in Deutschland als mangelhaft und unbefriedigend befunden.75 Regelmäßig wird rechtsvergleichend auf die sehr viel weitergehenden Informationsrechte in den kontinentaleuropäischen Nachbarrechtsordnungen Frankreichs und Österreichs verwiesen, sowie auf die deutlich weitergehenden Rechte der Prozessparteien im anglo-amerikanischen Rechtskreis in England und insbesondere den USA.76 Diese Sichtweise lehnt insbesondere den Grundsatz ab, niemand müsse seinem Prozessgegner die Waffen zu seinem Prozessgewinn liefern. Dieser alte Grundsatz nemo teneture edere contra se sei in der Allgemeinheit seiner Verwendung ein bloßes Stereotyp, ein ideologischer Kampfbegriff.77 Der Zivilprozess sei weder ein Krieg noch ein prozessdarwinistisches Spiel, in dessen Rahmen die schlauere, anpassungsfähigere Prozesspartei gewinnen solle.78 Vielmehr diene der Zivilprozess der effektiven Durchsetzung subjektiver Rechte und der Verwirklichung des materiellen Rechts. Daher solle schlicht derjenige, der Recht hat, am Ende auch die besten Möglichkeiten haben, sein Recht zu bekommen.79 Teilweise wird auch darauf verwiesen, dass eine solche, allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht lediglich de lege ferenda einführbar, sodann aber sehr wünschenswert und erforderlich sei.80
74 Diesen Zusammenhang bejaht explizit Greger, JZ 2000, S. 842, 847; ähnlich Schlosser, JZ 1991, S. 599, 603. 75 Diese Problematik wird relativ einhellig gesehen, vgl. Schlosser, JZ 1991, S. 599 ff.; Roth, JZ 1996, S. 805, 812; Greger, JZ 2000, S. 842, 847; Peters, Ausforschungsbeweis, S. 103 ff.; Stadler, ZZP 110, S. 137, 163; Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 143; Gottwald, ZZP 92 (1979), S. 364, 366 ff. 76 Rechtsvergleichende Untersuchungen finden sich etwa bei Stürner, FS-Stoll, S. 691, 699 ff. und ders., FS-Stiefel, S. 763 ff.; weitere Analysen finden sich bei Schlosser, FS-Sonnenberger, S. 135 ff.; Roth, ZZP 109 (1996), S. 271, 291 ff.; siehe auch Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 43 ff. 77 So die Formulierung von Stürner/Stadler, JZ 1985, S. 1101; ausführlich auch Stürner, FSStoll, S. 691, 699 ff.; kritisch gegenüber der Allgemeingültigkeit dieses Satzes auch Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 57 ff.; daran anknüpfend Lang, Aufklärungspflicht, S. 96 f. und Schlosser, JZ 1991, S. 599, 600 ff. 78 Diese pointierte Formulierung findet sich bei Stürner, ZZP 104 (1991), S. 208, 217; daran anschließend Greger, BRAK-Mitt. 2005, S. 150, 155 f.; ähnlich auch Wagner, JZ 2007, S. 706, 711 ff. 79 In diesem Sinne Stürner, ZZP 104 (1991), S. 208, 215 ff. und explizit Schlosser, JZ 1991, S. 599, 603; einen Zusammenhang zwischen Justizgewährung und Aufklärungspflicht stellt auch Wagner, JZ 2007, S. 706, 711 her. 80 In diese Richtung Greger, JZ 2000, S. 842, 847 und Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 143 jeweils mwN.
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(2) H.M.: Keine allgemeine Anerkennung von prozessualen Aufklärungsund Vorlagepflichten In der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Mehrheit des Schrifttums hat sich diese Lehre einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht bislang nicht durchsetzen können.81 Vielmehr hat sich der BGH in mehreren Entscheidungen mit dieser prozessualen Aufklärungspflicht beschäftigt und ihr eine klare Absage erteilt. In einer Grundsatzentscheidung wird zu dieser Fragestellung ausgeführt, „das materielle Recht kenne keine allgemeine Aufklärungspflicht. Daher ist es nicht Sache des Prozessrechts, sie einzuführen.“.82 Der BGH beruft sich auch in neuerer Zeit in ständiger Rechtsprechung auf den Grundsatz nemo teneture edere contra se: Keine Partei muss ihrem Prozessgegner die Waffen zu seinem Prozessgewinn liefern. 83 Allerdings hat der BGH die Informationsdefizite des deutschen Rechts gleichfalls als Problem erkannt. So hat der BGH eine ganze Reihe von Rechtsinstituten geschaffen, die im Falle unverschuldeter Beweisprobleme der beweisbelasteten Partei Abhilfe schaffen sollen. Die Bandbreite dieser Rechtsinstitute reicht von der Annahme einer sekundären Darlegungslast über Beweiserleichterungen bei der Beweislastverteilung bis hin zur richterrechtlichen Ausweitung der materiell-rechtlichen Vorlagepflichten.84 Der Umfang dieser Rechte der Prozessparteien lässt die Vertreter der Aufklärungspflicht teils daran zweifeln, dass in der Praxis größere Unterschiede zwischen den Ergebnissen des BGH und einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht bestehen – abgesehen von einer stärkeren dogmatischen und inhaltlichen Konsistenz letzterer.85 Dennoch erhält diese Linie die Zustimmung weiter Teile der (Kommentar-) Literatur, die einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht kritisch gegenübersteht.86 Bereits die Annahme eines verfassungsrechtlichen Gebotes eines auf die 81 Eine explizite Ablehnung hat diese Lehre durch BGH NJW 1990, S. 3151, f. erfahren; ganz ähnlich äußert sich auch Teile der Kommentarliteratur, siehe MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 22; ablehnend auch Ahrens, ZZP 96 (1983), S. 1 ff.; Lücke, JuS 1986, S. 2, f.; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff.; v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 211 ff.; Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime, S. 166 ff. jeweils mwN; zurückhaltend gegenüber einer Aufklärungspflicht der Parteien äußert sich außerdem Leipold, FS-Gerhardt, S. 563, 580 ff. 82 So wörtlich BGH NJW 1990, S. 3151. 83 Vgl. bereits BGH NJW 1958, S. 1491 f.; st. Rspr., siehe etwa BGH NJW 1990, S. 3151 f.; BGH NJW 2000, S. 1108, 1109 jeweils mwN; auch in neuerer Zeit durch BGH NJW 2007, S. 155, 156 bestätigt. 84 Ausführlich zu dieser Entwicklung Lang, Aufklärungspflicht, S. 94 ff. und Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 57 ff.; zu den materiell-rechtlichen Vorlagepflichten siehe BGHZ 93, S. 191, 198 ff.; BGHZ 150, S. 377, 381 ff. und ausführlich v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten; zur sekundären Darlegungslast siehe BGHZ 86, S. 23, 28 ff.; BGHZ 163, S. 209, 214 ff. und zur Beweisvereitelung BGH MDR 1984, S. 48; BGH NJW 2008, S. 982. 85 Diese Ähnlichkeiten zeigt auch Stürner, ZZP 104 (1991), S. 208 auf; ebenso Deubner, JuS 1990, S. 1004 f. 86 Ablehnend äußern sich MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 22; ablehnend auch Ahrens, ZZP
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Erforschung der Wahrheit ausgelegten Zivilprozesses wird kritisiert.87 Jedenfalls würde einem solchen Gebot einer Aufklärungspflicht stets das verfassungsrechtlich verbürgte allgemeine Persönlichkeitsrecht des Prozessgegners entgegenstehen.88 Kritisch wird auch die Betonung der Bedeutung der Wahrheitserforschung für den Zivilprozess gesehen. Die Wahrheitsfindung sei allenfalls ein Nebenzweck des Zivilprozesses respektive ein Mittel zum Zweck.89 Dabei wird allerdings regelmäßig verkannt, dass es den Vertretern der Aufklärungspflicht allein auf den Zusammenhang zwischen Wahrheitserforschung und Rechtsdurchsetzung ankam. Mithin wurde die Ermittlung der Wahrheit gerade nicht zum selbstständigen Prozesszweck erhoben.90 Darüber hinaus wird die Analogiebasis der §§ 138 I, 138 II, 423, 445 ff., 372a und §§ 654 ff. ZPO kritisch gesehen. Nach dem Willen des historischen Gesetzgebers seien diese Normen jede für sich als Ausnahmevorschriften geschaffen worden und daher nicht analogiefähig.91 Die Vertreter der Aufklärungspflicht verweisen auf den möglichen Wandel in der Sichtweise auf Gesetzesvorschiften und die verfassungsrechtlichen Gebote der Wahrheitserforschung.92 Weiterhin wird die Aufklärungspflicht als ein Schritt hin zu mehr Richtermacht und der Einführung einer Untersuchungsmaxime im Zivilprozess angesehen und als unvereinbar mit dem Wesen des Zivilprozesses abgelehnt.93 Auch dieser Ansicht wird von den Vertretern der Aufklärungspflicht entgegengehalten, dass die Unterscheidung zwischen Verhandlungs- und Untersuchungsmaxime lediglich die Frage betreffe, ob Gericht oder Parteien die Aufklärungspflicht durchsetzen. Eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht sei in beiden Systemen denkbar und daher für die Verhandlungsmaxime im Zivilprozess von keinerlei Einfluss.94 Abschließend wird die Aufklärungspflicht von der Literatur unter Verweis auf die Gefahr ausufernder Ausforschungen abgelehnt und auf die Zustände im U.S.-amerikanischen 96 (1983), S. 1 ff.; Lücke, JuS 1986, S. 2 f.; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff.; v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 211 ff.; Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime, S. 166 ff. jeweils mwN; zurückhaltend auch Leipold, FS-Gerhardt, S. 563, 580 ff. 87 Explizit diese Fundierung kritisierend Ahrens, ZZP 96 (1983), S. 1, 10 ff.; ebenso v. Mohren fels, Informationsleistungspflichten, S. 212 f. 88 In diesem Sinne argumentierend v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 212 f., allerdings ohne konkrete Benennung der Verletzung des Persönlichkeitsrechts durch die Wahrheit. 89 Diese Kritik äußern etwa v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 213 und Schön feld, Zur Verhandlungsmaxime, S. 168 f. 90 Klarstellend auch Katzenmeier, JZ 2002, S. 533, 539 mwN. 91 In diesem Sinne Ahrens, ZZP 96 (1983), S. 1, 13 ff.; v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 214. 92 In diesem Sinne bereits die ursprünglichen Ausführungen von Stürner, Aufklärungspflicht, S. 48 ff. und 92 ff.; ders., ZZP 98 (1985), S. 237, 250 f. 93 Diese Kritik wird etwa von Ahrens, ZZP 96 (1983), S. 1, 18 ff.; Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime, S. 168 f.; Lücke, JuS 1986, S. 2, 3 und Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 f. jeweils mwN vorgebracht. 94 Klarstellend bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 62 ff.; ders., ZZP 98 (1985), S. 237, 254 f.
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Zivilprozess unter Geltung der pre-trial discovery verwiesen.95 Eine derart weitgehende Ausforschung der Prozessparteien untereinander sei im deutschen Zivilprozess unter allen Umständen zu vermeiden.96 Die Anhänger einer Aufklärungspflicht halten dieser Warnung den rechtsvergleichenden Blick auf unsere kontinentaleuropäischen Nachbarländer entgegen: Die Zivilprozessordnungen von Österreich und Frankreich sehen eine eben solche Aufklärungspflicht seit langer Zeit gesetzlich vor, ohne mit größeren Problemen der Ausforschung konfrontiert zu sein als etwa das deutsche Recht selbst.97 Insgesamt sei die deutsche Zurückhaltung im Rahmen von Informationsrechten der Parteien des Zivilprozesses in den europäischen Rechtsordnungen die absolute Ausnahme.98 In der Mehrheit des Schrifttums haben diese Argumente indes keinen Widerhall gefunden. Vielmehr wird die Linie des BGH mit seiner Vielzahl an Rechtsinstituten zur Unterstützung der beweisbelasteten Partei mit Zustimmung bedacht und das Institut einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht qua Verfassung abgelehnt.99 bb) Eigene Ansicht: Anerkennung einer Aufklärungs- und Vorlagepflicht als Ausfluss der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG Die Diskussion über eine allgemeine Aufklärungspflicht der Parteien des Zivilprozesses soll an dieser Stelle nicht weiter vertieft werden – obgleich nach hier vertretener Ansicht insbesondere im Hinblick auf den auch in dieser Arbeit betonten Zusammenhang zwischen Rechtsdurchsetzung und Wahrheitserforschung viele Argumente für eine solche Aufklärungspflicht sprechen.100 Eine umfassende, allgemeine Aufklärungspflicht lässt sich aus dem Recht auf Beweis für sich genommen dennoch nicht ableiten – regelt das Recht auf Beweis doch in erster Linie das Verhältnis zwischen Gericht und einer Prozesspartei und gerade nicht das Verhältnis der Prozessparteien untereinander. Indes wurden bereits bei der Argumentation zugunsten einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz eine Vielzahl 95 Diese Gefahr betonen Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff. ähnlich Leipold, FS-Gerhardt, S. 563, 564 ff. mwN; differenzierend die Darstellung von Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 44 ff. 96 Vgl. wiederum Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff.; Leipold, FS-Gerhardt, S. 563, 564 ff. mwN. 97 Rechtsvergleichende Darstellung finden sich etwa bei Stürner, FS-Stoll, S. 691, 699 ff. und Stürner, FS-Stiefel, S. 763 ff.; weitere Analysen finden sich bei Schlosser, FS-Sonnenberger, S. 135 ff.; Roth, ZZP 109 (1996), S. 271, 291 ff.; siehe auch Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 44 ff. 98 Instruktiv die Darstellung von Stürner, FS-Stoll, S. 691, 699 ff. 99 Ablehnend BGH NJW 1990, S. 3151, f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 22; Ahrens, ZZP 96 (1983), S. 1 ff.; Lücke, JuS 1986, S. 2 f.; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff.; v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 211 ff.; Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime, S. 166 ff. jeweils mwN; zurückhaltend auch Leipold, FS-Gerhardt, S. 563, 580 ff. 100 Vgl. bereits die obigen Ausführungen in § 6 II. 5. b. cc.
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an Argumentationslinien behandelt, die parallel zu der Frage nach einer allgemeinen Aufklärungspflicht verlaufen.101 Auch inhaltlich weist das Recht auf Beweis in seiner mittelbaren Drittwirkung gegenüber den Prozessparteien gewisse Schnittmengen mit einzelnen Gewährleistungsgehalten einer solchen, allgemeinen Aufklärungspflicht auf: (1) Inhalt: Aufklärungs- und Vorlagepflicht von Beweismitteln im Zivilprozess Die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis verpflichtet das erkennende Gericht auf Antrag einer Partei zur Anordnung der Kenntnisgabe und Vorlage aller Beweismittel innerhalb der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis gegenüber der jeweils anderen Prozesspartei. Diese Partei wird durch die Anordnung verpflichtet, alle ihr bekannten und für den Rechtsnachweis der jeweils anderen Partei erforderlichen Beweismittel zu offenbaren. Eine weitergehende Verpflichtung zur Offenbarung etwaiger Tataschen lässt sich aus dem Recht auf Beweis iSe effektiven Nachweismöglichkeit eigener Rechte grundsätzlich nicht ableiten. Insoweit unterscheidet sich die mittelbare Drittwirkung zugleich von einer umfassend zu verstehenden, allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht der Parteien. Die grundsätzliche Argumentation des Erfordernisses eines möglichst effektiven Rechtsnachweises und einer möglichst effektiven Wahrheitserforschung zur Gewährleistung einer effektiven Rechtsdurchsetzung weist jedoch zahlreiche Parallelen auf.102 (2) Grenzen: Überwiegende Gegenrechte der anderen Partei oder Dritter Seine Grenze findet die mittelbare Drittwirkung naturgemäß in den Grundrechten der gegnerischen Prozesspartei oder Dritter. Die Kenntnisgabe bzw. Vorlage kann berechtigterweise nur bei Überwiegen entgegenstehender Grundrechte verweigert werden. In Betracht kommen insbesondere das Persönlichkeitsrecht, aber auch Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Demgegenüber rechtfertigt die bloße Möglichkeit der berechtigten gerichtlichen Inanspruchnahme gerade keine Ablehnung eines solchen Kenntnisgabe- oder Vorlageverlangens. Man muss der gegnerischen Prozesspartei hiernach zwar nicht schlechthin die Mittel zum Prozessgewinn an die Hand geben, doch eine Verpflichtung zur Kenntnisgabe und Vorlage von Beweismitteln auf ein entsprechendes Verlangen hin lässt sich aus dem Grundgesetz herleiten. Ausnahmen von dieser Verpflichtung kommen ausschließlich im Fall überwiegender Gegenrechte in Betracht, zu denen die bloße zivilrechtliche Inanspruchnahme nach hier vertretener Auffassung nicht zu zählen ist. Einen analogen Gewährleistungsgehalt zum Schutz vor strafrechtlicher Selbstbelastung aus dem allgemeinen 101 Ausführlich zur argumentativen Herleitung der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis oben II. 2. c. 102 Zu dieser Argumentation bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff. mwN.
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Persönlichkeitsrecht kennt das Grundgesetz für die zivilprozessuale Inanspruchnahme gerade nicht.103
2. Die formelle Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme im Zivilprozess Eine weitere allgemeine Gewährleistung des Rechts auf Beweis betrifft den Zusammenhang zwischen Beweiserhebung und gerichtlicher Entscheidung: Eine Beweiswürdigung und die Entscheidung über den als wahr zugrunde zulegenden Sachverhalt soll ausschließlich durch eine Person erfolgen, die die Beweismittel auch tatsächlich selbst erhoben hat.104 Nach deutschem Verständnis handelt es sich hierbei um den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme.105 a) Die formelle Beweisunmittelbarkeit im GG Im deutschen Zivilprozessrecht hat dieser Grundsatz in § 355 ZPO eine einfach-rechtliche Ausprägung gefunden. Es stellt sich allein die Frage, ob dieser Grundsatz auch eine verfassungsrechtliche Fundierung hat: aa) BVerfG: Kein verfassungsrechtlicher Gehalt der Beweisunmittelbarkeit Das Bundesverfassungsgericht hat bereits früh betont, dass die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme grundsätzlich keinen Verfassungsrang innehat, insbesondere nicht aus Art. 103 I GG abzuleiten sei.106 Diese Entscheidung wurde in neuerer Zeit ausdrücklich bestätigt.107 Die Literatur hat sich dieser Auffassung in weiten Teilen angeschlossen. Dabei wird die Bedeutung der formellen Unmittelbarkeit für die Wahrheitsfindung in aller Regel ausdrücklich herausgestellt und die Wichtigkeit dieses Grundsatzes betont.108 Hieraus soll indes kein verfassungsrechtlicher Schutz derselben folgen, wobei in aller Regel auf die entsprechenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verwiesen wird.109 In diesem Sinne bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 57 ff. Siehe etwa BGHZ 32, S. 233, 236 f.; ausführlich Pantele, Beweisunmittelbarkeit, S. 6 ff. und Koukouselis, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, S. 11 ff.; Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118, S. 359, 367 f. 105 Vgl. wiederum § 355 ZPO und aus der Literatur Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 1 ff. mwN. 106 So BVerfGE 1, S. 418, 429. 107 Ausdrücklich BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244; im Ansatz bereits BVerfGE 62, S. 392, 396 f. 108 Vgl. zur Bedeutung des formellen Unmittelbarkeitsgrundsatzes etwa BGHZ 32, S. 233, 236 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 5 ff.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 1; jeweils mwN. 109 So etwa MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 1 und Saenger, ZZP 121 (2011), S. 139, 153; siehe auch die ausführlichen Analysen von Koukouselis, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, 103 104
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Allerdings hält sich das Verfassungsgericht in seiner Rechtsprechung eine Hintertür offen. So wurde in den diesbezüglichen Entscheidungen betont, dass im Einzelfall zu prüfen sei, ob der konkrete Prozess durch die Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes rechtsstaatlich untragbar würde. Sodann könne auch von einem Verfassungsverstoß ausgegangen werden.110 Somit scheint das Bundesverfassungsgericht von einem engen, verfassungsfesten Kern der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auszugehen. Es wird zugestanden, dass ein vollständiges Fehlen jeglicher unmittelbaren Beweisaufnahme durch das entscheidende Gericht im Einzelfall rechtsstaatlich problematisch sein kann. Allerdings lässt sich anhand von lediglich zwei Entscheidungen kaum absehen, an welchem Punkt das Bundesverfassungsgericht anhand welcher Kriterien diese Grenze einer rechtsstaatlich vertretbaren Beweisaufnahme ziehen möchte. Vielmehr kann an dieser Stelle lediglich festgehalten werden, dass die Verletzung der formellen Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme auch nach dem Bundesverfassungsgericht eine Qualität erreichen kann, die als verfassungsrechtlich problematisch anzusehen ist. bb) Teile der Literatur: Gewährleistung der Beweisunmittelbarkeit im GG In Teilen der Literatur wird dem Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme im Zivilprozess gleichfalls ein gewisser, verfassungsfester Kern zugestanden.111 Dabei wird auf das Willkürverbot des Art. 3 I GG zurückgegriffen: Eine gerichtliche Entscheidung über Beweismittel, die von den entscheidenden Personen niemals unmittelbar zur Kenntnis genommen wurden, würde sich hiernach regelmäßig als willkürlich darstellen.112 In diesem Sinne wird die einzelfallbezogene Prüfung der Rechtsstaatlichkeit eines Prozesses durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich unterstützt. Bei besonders schweren Verstößen gegen den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme käme nach dieser Sichtweise zugleich ein Verfassungsverstoß in Betracht.113 b) Anerkennung der formellen Beweisunmittelbarkeit als Teilgehalt des Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC in Rechtsprechung und Literatur Nach dem EGMR sollen vorgetragene Beweismittel grundsätzlich von demjenigen Richter erhoben und damit wahrgenommen werden, der diese Beweismittel in der S. 11 ff. und Reichel, Unmittelbarkeit in der ZPO, S. 62 ff., die die Bedeutung der formellen Unmittelbarkeit betonen, eine Auseinandersetzung mit dem Verfassungsrecht indes vermissen lassen. 110 Ausdrücklich in diesem Sinne BVerfGE 1, S. 418, 429 und BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244. 111 Zurückhaltend in diese Richtung Baumgärtel, FS-Matscher, S. 29, 32 f.; siehe auch Stürner, FS-Baur, S. 647, 665 jeweils unter Verweis auf die einzelfallbezogene Ansicht des BVerfG. 112 So etwa Stürner, FS-Baur, S. 647, 664 ff. und Baumgärtel, FS-Matscher, S. 29, 32 ff. 113 Vgl. wiederum Stürner, FS-Baur, S. 647, 664 ff. und Baumgärtel, FS-Matscher, S. 29, 32 ff. jeweils mwN.
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Folge auch würdigt und darüber entscheidet.114 Entwickelt wurde dieser Grundsatz für den Strafprozess aus dem allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK. In diesem Prozess gilt die formelle Beweisunmittelbarkeit in ihrer strengen Reinform.115 Doch auch für den Zivilprozess hat der EGMR den Grundsatz der formellen Beweisunmittelbarkeit anerkannt. Allerdings soll dieser Grundsatz aus Sicht des EGMR im Zivilprozess weniger streng gehandhabt werden und mehr Ausnahmen zulassen116: So könne ein häufiger Richterwechsel dadurch kompensiert werden, dass jeder nachfolgende Richter die Aufzeichnungen des vorangegangenen Richters zur Verfügung hat.117 Außerdem prüft der EGMR stets, ob ein entgegen dem Unmittelbarkeitsgrundsatz erhobenes Beweismittel zugleich das einzige und zentrale Beweismittel in einem Fall ist und die Entscheidung allein auf diesem Beweismittel basiert.118 In der juristischen Literatur hat diese Sichtweise des EGMR Zustimmung gefunden.119 Der EuGH hat sich in seiner Rechtsprechung bislang – soweit ersichtlich – noch nicht mit dem Grundsatz der formellen Beweisunmittelbarkeit beschäftigt. Im Hinblick auf die Schutzwirkung der formellen Beweisunmittelbarkeit für die effektive Beweisführung der Prozessparteien ist jedoch für die Grundrechtecharta gem. Art. 52 III S. 1 GRC von einer entsprechenden Bindung an die EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR auszugehen.120 c) Eigene Ansicht Der formellen Beweisunmittelbarkeit kommt auch nach hier vertretener Auffassung im Hinblick auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis eine wesentliche Bedeutung zu:
114 Vgl. zu diesem Grundsatz im Strafprozess vgl. etwa EGMR, Urteil vom 09.07.2002, 37442/97, P.K. ./. FIN; zur Anwendbarkeit des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Zivilprozess siehe EGMR, Urteil vom 09.03.2004, 30508/96, Pitkänen ./. FIN, Rn. 58 ff. jeweils mwN; siehe auch die Ausführungen bei Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 152 und Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165 ff. jeweils mwN. 115 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 09.07.2002, 37442/97, P.K. ./. FIN; EGMR, Urteil vom 08.09. 2014, 40107/04, Beraru ./. RO, Rn. 64 ff.; siehe auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 167 ff. mwN. 116 So EGMR, Urteil vom 09.03.2004, 30508/96, Pitkänen ./. FIN, Rn. 58 ff.; ebenso auch Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. Rn. 152 mwN. 117 Diese Ausnahme vom Unmittelbarkeitsgrundsatz zeigt EGMR, Urteil vom 09.03.2004, 30508/96, Pitkänen ./. FIN, Rn. 65 auf. 118 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 09.03.2004, 30508/96, Pitkänen ./. FIN, Rn. 65. 119 Vgl. Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 152; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165 ff.; ausführlich auch Kofmel, Recht auf Beweis, S. 51 ff. und Wolf, FS-Söllner, S. 1279, 1288 ff. jeweils mwN. 120 Aus der Literatur zustimmend insbesondere Vorwerk, FS-Krämer, S. 551, 557 ff. mwN.
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aa) Orientierung am Prozesszweck: Eigener Eindruck der zu würdigenden Beweismittel als wichtiger Baustein des effektiven Rechtsnachweises Ausgehend vom Prozesszweck handelt es sich bei der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme um einen wichtigen Baustein in einem auf den effektiven Rechtsnachweis und die Wahrheitserforschung ausgelegten Zivilprozess. Eine sachgerechte gerichtliche Würdigung bedarf bei einer Vielzahl von Beweismitteln ihrer unmittelbaren Erhebung. So wurde in der Literatur verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Würdigung einer Zeugen- oder Parteiaussage auch anhand der nonverbalen Kommunikation erfolgt. Die unmittelbare Anschauung der Art und Weise einer Aussage – etwa die Körpersprache eines Zeugen – ist für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit dieser Aussage durch das erkennende Gericht von wesentlicher Bedeutung.121 Eine Augenscheinnahme bedarf bereits begrifflich einer unmittelbaren Anschauung durch das erkennende Gericht. Selbst die Befragung eines Sachverständigen im Prozess kann durchaus wertvolle Hinweise darauf liefern, auf welche Weise der Sachverständige mit Fragen und Kritik zu seinem Gutachten umgeht, insbesondere ob er etwaige von den Parteien recherchierte Fragen und gegenläufige Ansichten wissenschaftlich fundiert entkräften kann. Einzig die Übermittlung des Inhaltes einer Urkunde bedürfte wohl keiner Unmittelbarkeit. Doch selbst das Beweismittel der Urkunde könnte im Rahmen eines Streites über ihre Echtheit die unmittelbare Anschauung des Gerichts verlangen. Mithin ist die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme durch das Gericht ein wesentlicher Faktor für einen effektiven Rechtsnachweis der Parteien wie auch die Wahrheitserforschung im Zivilprozess. bb) Gewährleistung der formellen Beweisunmittelbarkeit Daher gewährleistet das Recht auf Beweis die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Die Parteien haben das Recht auf eine persönliche Durchführung der Beweisaufnahme durch das erkennende und entscheidende Gericht. Das Gericht muss sich einen eigenen, unmittelbaren Eindruck von Beweismitteln im Rahmen ihrer Erhebung verschaffen. Diese Sichtweise wird durch den EGMR ausdrücklich geteilt, und die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme richtigerweise als Ausdruck eines fairen Verfahrens iSd Art. 6 I EMRK angesehen.122 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Rechtsprechung demgegenüber ausgesprochen, dass der Verstoß gegen die Beweisunmittelbarkeit nur im Ausnahmefall zugleich eine Verletzung von Verfassungsrecht darstellen kann.123 Somit geht das 121 Ausführlich zu den Kriterien einer Glaubwürdigkeitsbeurteilung wiederum Bender/Treuer/ Nack, Tatsachenfeststellung, S. 4 ff. und 52 ff. mwN. 122 Ausdrücklich in diesem Sinne auch EGMR, Urteil vom 09.03.2004, 30508/96, Pitkänen ./. FIN, Rn. 58 ff.; diese Sichtweise hat für Art. 47 II S. 1 GRC über Art. 52 III S. 1 GRC rechtliche Verbindlichkeit. 123 Vgl. BVerfGE 1, S. 418, 429 und BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244.
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Verfassungsgericht letztlich von einem im Vergleich zu der hier vertretenen Auffassung umgekehrten Regel-Ausnahme-Verhältnis aus. In diesem Zusammenhang gilt es indes zu bedenken, dass die formelle Beweisunmittelbarkeit in § 355 ZPO eine einfach-rechtliche Ausprägung als Grundsatz gefunden hat. Hieraus folgt, dass wirklich problematische Konstellationen einer Beweisaufnahme ohne unmittelbare Anschauung des erkennenden Gerichts bereits einfach-rechtlich nach der ZPO ausgeschlossen sind und daher im Instanzenzug regelmäßig korrigiert werden, ohne dass diese Fallgestaltungen überhaupt bis zum Bundesverfassungsgericht gelangen. Doch eine solche, einfach-rechtliche Ausgestaltung der formellen Beweisunmittelbarkeit kann nicht von der Fragestellung entbinden, ob die Beweisunmittelbarkeit im Hinblick auf ihre Bedeutung für einen effektiven Rechtsnachweis der Prozessparteien nicht auch einer grundgesetzlichen Absicherung unterliegt. Kehrt man das einfach-rechtliche Regel-Ausnahme-Verhältnis um, so könnten die Zivilgerichte regelmäßig die Beweiserhebung auslagern und Beweismittel anhand von bloßen Protokollaufzeichnungen würdigen. Eine solche Würdigung ohne eigene Anschauung würde nach hier vertretener Ansicht zwangsläufig sehr viel häufiger verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen. Es spricht daher viel für ein Regel-Ausnahme-Verhältnis dahingehend, dass die formelle Beweisunmittelbarkeit als Grundsatz verfassungsrechtlich abgesichert ist und eine Ausnahme von diesem Grundsatz einer entsprechenden Rechtfertigung bedarf. Nach hier vertretener Ansicht gewährleistet das verfassungsrechtliche Recht auf Beweis daher auch nach dem Grundgesetz den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Das Recht auf Beweis iSe Rechts auf eine effektive Beweisführung verpflichtet das Gericht zumindest im Grundsatz dazu, sich ein eigenes Bild von der Beweisführung der Parteien zu machen. Eine effektive Beweisführung der Parteien und insbesondere ihre sachgerechte Beachtung im Rahmen der Beweiswürdigung wären andernfalls kaum denkbar. cc) Ausnahmen: Ermöglichung einer Beweiserhebung als solcher Allerdings ergibt sich nach hier vertretener Ansicht eine Ausnahme von dieser Gewährleistung der formellen Unmittelbarkeit einer jeden Beweisaufnahme: (1) Der Konflikt zwischen Beweisunmittelbarkeit und einer Beweiserhebung Das Erfordernis einer unmittelbaren Beweisaufnahme kann mit dem Recht auf eine Beweiserhebung als solchem kollidieren. Wenn es also nicht um die Frage geht, ob eine unmittelbare oder mittelbare Beweisaufnahme durchgeführt werden soll, sondern lediglich eine mittelbare Beweisaufnahme oder keinerlei Beweisaufnahme zur Wahl stehen.
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(2) Insbesondere: Erhebung im Ausland belegener Beweismittel Dieser Konflikt zwischen unmittelbarer Beweisaufnahme und Beweisaufnahme als solcher kann sich insbesondere bei im Ausland belegenen Beweismitteln ergeben: Eine gerichtliche Beweisaufnahme stellt nach ganz herrschender Meinung einen Akt staatlicher Souveränität dar, der von einem anderen, souveränen Staat nicht geduldet wird.124 Vielmehr bedarf es eines Rechtshilfeersuchens oder einer kommissarischen Vernehmung durch diplomatisches Personal. In dieser Fallkonstellation wäre es dem deutschen Gericht somit nicht möglich, sich einen unmittelbaren Eindruck von den Beweismitteln zu verschaffen. Vielmehr stellt eine mittelbare Beweisaufnahme den einzigen Weg dar, überhaupt eine Beweisaufnahme zu ermöglichen. In dieser Fallkonstellation ist es nach hier vertretener Sichtweise besser, eine mittelbare Beweisaufnahme zuzulassen und das beantragte Beweismittel zu erheben. Die Mängel der Unmittelbarkeit und damit der Glaubwürdigkeit eines Beweismittels können im Rahmen der Beweiswürdigung hinreichende Berücksichtigung finden. Im Hinblick auf den effektiven Rechtsnachweis und gleichermaßen die Erforschung der Wahrheit erscheint es naheliegender, überhaupt eine Beweiserhebung zu ermöglichen, als ein Beweismittel von vornherein abzulehnen. Eine solche, mittelbare Beweisaufnahme kommt allerdings nur in Betracht, wenn eine unmittelbare Beweisaufnahme rein faktisch ausgeschlossen ist. Allein in diesen Fallkonstellationen stellt die mittelbare Beweisaufnahme nach hier vertretener Meinung keine Einschränkung des Gewährleistungsgehaltes der Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme dar.
3. Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme In einem engen Zusammenhang mit dem Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme iSe verpflichtenden Anwesenheit des erkennenden Gerichts steht die Frage nach einem entsprechenden Recht der Prozessparteien auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme und damit nach deutschem Verständnis der Parteiöffentlichkeit einer Beweisaufnahme.125
124 Vgl. etwa Gottwald, FS-Habscheid, S. 119, 124 ff.; ausführlich Bertele, Souveränität und Verfahrensrecht, S. 404 ff. und Geimer, Internationale Beweisaufnahme, S. 11 ff., 111 ff.: innerhalb der EU eröffnet die Europäische Beweisverordnung in diesem Zusammenhang neue Möglichkeiten der Beweisaufnahme im Ausland. 125 Vgl. die einfach-rechtliche Normierung des § 357 ZPO und die Ausführungen zur Ausgestaltung des Teilnahmerechts der Prozessparteien an einer Beweisaufnahme in § 9 V.
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a) Das Teilnahmerecht einer Beweisaufnahme im GG In der ZPO hat der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit einer Beweisaufnahme eine ausdrückliche Normierung in § 357 ZPO erfahren, so dass die Parteiöffentlichkeit in erster Linie in der zivilprozessualen Literatur umfänglich behandelt wurde. aa) Die Auffassung des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht geht grundsätzlich davon aus, dass aus dem Äußerungsrecht des Art. 103 I GG kein Recht auf eine mündliche Verhandlung folgt.126 Vielmehr sei es Sache des Gesetzgebers, ein effektives Äußerungsrecht sicherzustellen, wobei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht die einzig denkbare Ausgestaltung darstelle.127 Allerdings hat das Verfassungsgericht gleichermaßen ausgesprochen, dass jedenfalls im Falle einer gesetzlich vorgesehenen oder tatsächlich durchgeführten, mündlichen Verhandlung aus Art. 103 I GG auch ein Recht der Prozessparteien auf Teilnahme an dieser mündlichen Verhandlung folge.128 Die Teilnahme an einer Beweisaufnahme wird in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich erwähnt, sondern vielmehr allgemein auf die Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung abgestellt. Allerdings wird eine Beweisaufnahme regelmäßig eine mündliche Verhandlung erfordern. Zwar ließen sich als Gegenbeispiele eine schriftliche Zeugeneinvernahme nach § 377 III ZPO oder auch eine schriftliche Gutachtenerstellung anführen, doch selbst in diesen Konstellationen besteht unter bestimmten Umständen das Recht auf eine anschließende, mündliche Verhandlung.129 Daher wird das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme letztlich aus dem allgemeinen Recht auf Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung abzuleiten sein bzw. faktisch von einem solchen Recht auf Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung mitumfasst werden. bb) Die Ansicht der Fachgerichte und der zivilprozessualen Literatur In der Literatur wird das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme als wesentlicher Verfahrensgrundsatz der ZPO angesehen und verfassungsrechtlich als Aus126
Vgl. etwa BVerfG NJW 1977, S. 1443; ebenso BVerfG NJW 2005, S. 659, 660; in neuerer Zeit instruktiv auch BVerfG NJW 2012, S. 2262 f.; aus der Literatur zustimmend Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 39; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 22; v. Mangoldt/Klein/ Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 44 jeweils mwN. 127 Vgl. BVerfG NJW 1977, S. 1443; BVerfG NJW 1994, S. 1053; BVerfG NJW 2012, S. 2262 f. jeweils mwN. 128 In diesem Sinne bereits BVerfG NJW 1977, S. 1443; ebenso auch BVerfG NJW 2012, S. 2262 f.; zustimmend Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 39; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 22; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 52 f. jeweils mwN. 129 Ausführlich dazu § 9 IV. 3. (schriftliche Zeugeneinvernahme) und § 12 II. 5. b. (mündliche Erörterung von Sachverständigengutachten).
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fluss des Art. 103 I GG anerkannt.130 Diese Sichtweise wird auch in der fachgerichtlichen Rechtsprechung der Bundesgerichte weithin geteilt.131 Dieses Teilnahmerecht der Parteien an einem Prozess bedarf nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur einer deutlichen Abgrenzung zum „allgemeinen“ Öffentlichkeitsgrundsatz.132 Während die Parteiöffentlichkeit eine effektive Partizipation der Parteien an dem von ihnen initiierten Zivilprozess ermöglichen soll, dient das Anwesenheitsrecht der „allgemeinen“ Öffentlichkeit einer demokratischen Kontrolle der Justiz insgesamt.133 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass eine verfassungsrechtliche Absicherung des Rechts auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme in Rechtsprechung und Literatur anerkannt ist und im Ergebnis einhellig auf Art. 103 I GG gestützt wird.134 b) Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme nach Art. 6 I EMRK Für die EMRK wird das Recht auf Teilnahme der Parteien am Prozess insgesamt durch EGMR und Literatur als wesentlicher Ausdruck der Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK verstanden.135 Dieser Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren wurde in erster Linie für den Angeklagten in einem Strafprozess entwickelt und in der Folge in abgeschwächter Form insoweit für den Zivilprozess und die Beweisaufnahme anerkannt, als der persönliche Eindruck im konkreten Fall von besonderer 130 Ausführlich Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 20 ff. und Schwartz, Gewährung und Gewährleistung, S. 42 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 1; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 1 und MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 1 jeweils mwN. 131 In diese Richtung bereits BSG MDR 1977, S. 346; ähnlich auch BVerwG NJW 1992, S. 2042; für die Teilnahme an Sachverständigen Ermittlungen auch BVerwG NJW 2006, S. 2058 f.; ausdrücklich für eine Fundierung in Art. 103 I GG, OLG München, NJW-RR 1988, S. 1534, 1535. 132 Ausführlich wiederum Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 17 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 2 und Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 1 jeweils mwN. 133 Vgl. zu diesem jeweiligen Telos Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 17 ff. Stein/ Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 1 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 2 jeweils mwN. 134 In diesem Sinne im Ergebnis BVerfG NJW 2012, S. 2262 f.; Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 39; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 22; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 52 f.; siehe auch BVerwG NJW 1992, S. 2042; BVerwG 2006, S. 2058 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 1 und MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 1 jeweils mwN. 135 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 21.09.1993, 12350/86, Kremzow ./. AUT, Rn. 67 ff.; instruktiv auch EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 18114/02, Hermi ./. ITA, Rn. 58 ff. (jeweils in einem Strafprozess); siehe auch EGMR, Urteil vom 11.07.2002, 36590/97, Göc ./. TR, Rn. 51 f. (Zivilprozess); aus der Literatur siehe Kofmel, Recht auf Beweis, S. 50 f.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 86; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 158 ff.; Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 60 ff.; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 112 ff. jeweils mwN.
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Bedeutung ist.136 Die hier interessierende Beweisaufnahme als ein wesentlicher Abschnitt des Prozesses wird hiernach von diesem Teilnahmerecht erfasst. In Teilen der Literatur wird darauf verwiesen, dass die in Art. 6 I EMRK vorgesehene Öffentlichkeit des Prozesses notwendigerweise auch die Parteiöffentlichkeit umfasse und ein Recht auf Teilnahme der Parteien am Prozess daher in einem ErstRecht-Schluss aus diesem allgemeinen Öffentlichkeitsgrundsatz ableitbar sei.137 Überwiegend wird in der Literatur jedoch die Unterschiedlichkeit zwischen der „allgemeinen“ Öffentlichkeit und der Parteiöffentlichkeit eines Prozesses deutlich hervorgehoben.138 Der EGMR tendiert in seinen Entscheidungen ebenfalls in Richtung einer solchen Differenzierung zwischen der explizit genannten allgemeinen Öffentlichkeit iSd Art. 6 I S. 1 und 2 EMRK und der Parteiöffentlichkeit als Ausdruck der allgemeinen Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK.139 Die wesentliche Konsequenz einer solchen Differenzierung ist in der Nichtanwendbarkeit der in Art. 6 I S. 2 HS 2 EMRK genannten Ausschlussgründe zu sehen. Insbesondere für den Strafprozess betont der EGMR, dass der Ausschluss einer Partei nur in absoluten Ausnahmefällen zulässig ist und auch im Zivilprozess wird grundsätzlich ein strenger Maßstab zu fordern sein.140 c) Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme nach Art. 47 II S. 1 GRC Durch den EuGH wurde das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme – soweit ersichtlich – allein in einer neueren Entscheidung bezüglich einer Beweisaufnahme in einem Verwaltungsverfahren thematisiert.141 In diesem Zusammenhang hat der EuGH hervorgehoben, dass auch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens bei Erlass belastender Maßnahmen die Verteidigungsrechte nach der Grundrechtecharta 136
Vgl. für den Strafprozess EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 18114/02, Hermi ./. ITA, Rn. 58 ff.; in einem Zivilprozess siehe etwa EGMR, Urteil vom 11.07.2002, 36590/97, Göc ./. TR, Rn. 51 f.; instruktiv EGMR, Urteil vom 10.05.2007, 78145/01, Kovalev ./. RU, Rn. 30 ff.; ausführlich Wolf, FS-Söllner, S. 1279, 1291 ff.; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 163 f.; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 112 ff. jeweils mwN. 137 In diesem Sinne insbesondere Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/ Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 127; ähnlich auch Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 60 ff. und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 86 ff.; in diese Richtung tendierend auch Moscher/Christ, EuGRZ 2010, S. 272, 273 ff. 138 Diese Differenzierung vornehmend Kofmel, Recht auf Beweis, S. 50 f.; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 158 ff.; Wolf, FS-Söllner, S. 1279, 1291 ff. jeweils mwN. 139 In diesem Sinne insbesondere EGMR, Urteil vom 21.09.1993, 12350/86, Kremzow ./. AUT, Rn. 67 ff. und EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 18114/02, Hermi ./. ITA, Rn. 58 ff.; demgegenüber auf die Gewährleistungen der Öffentlichkeit und der allgemeinen Verfahrensfairness gleichermaßen abstellend EGMR, Urteil vom 10.05.2007, 78145/01, Kovalev ./. RU, Rn. 30 ff. jeweils mwN. 140 Die Bedeutung des Rechts auf Teilnahme hervorhebend etwa EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 18114/02, Hermi ./. ITA, Rn. 58 ff. und EGMR, Urteil vom 10.05.2007, 78145/01, Kovalev ./. RU, Rn. 30 ff. jeweils mwN. 141 In diesem Sinne soweit ersichtlich allein EuGH, Rs. C-276/12, Rn. 38 ff. – Sabou.
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einzuhalten sind.142 Obgleich in der konkreten Fallgestaltung lediglich die Vorbereitung einer belastenden Maßnahme im Raum stand, so lässt sich aus dieser Entscheidung doch schließen, dass der EuGH die Teilnahme an einer Beweisaufnahme grundsätzlich unter die Verteidigungsrechte der Grundrechtecharta und damit letztlich unter Art. 47 II S. 1 und 2 GRC subsumiert.143 In der Literatur wird demgegenüber regelmäßig allein auf die allgemeine Gewährleistung der Öffentlichkeit in Art. 47 II S. 1 GRC verwiesen und keine Differenzierung zur speziellen Parteiöffentlichkeit vorgenommen.144 Jedenfalls über die Anerkennung eines Rechts auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme durch den EGMR und die rechtliche Bindung der Grundrechtecharta an die EMRK über Art. 52 III S. 1 GRC ist von einem entsprechenden Teilnahmerecht nach Art. 47 II S. 1 GRC auszugehen. d) Eigene Ansicht Das Recht der Prozessparteien auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme nimmt naturgemäß auch im Rahmen der Gewährleistungen des Rechts auf Beweis einen exponierten Platz ein: aa) Orientierung am Prozesszweck: Grundlage einer aktiven Mitwirkung der Parteien an einer Beweisaufnahme Die Prozessparteien sind typischerweise zugleich diejenigen Personen, die die bestmögliche Kenntnis über den streitigen Sachverhalt innehaben. Regelmäßig werden die Parteien bei den fraglichen Geschehnissen anwesend oder aufgrund des Bezuges zu ihren eigenen Rechten doch zumindest umfassend informiert gewesen sein. Die Teilnahme an einer Beweisaufnahme ermöglicht es den Parteien, dieses Wissen über den zu erforschenden Sachverhalt mit in die Beweisaufnahme einzubringen. Die Parteien können auf den Verlauf der Beweisaufnahme reagieren und die bisherigen Erkenntnisse mithilfe eigener Eindrücke bestärken oder auch Kritik üben und Widersprüche aufgrund der abweichenden, eigenen Eindrücke aufzeigen. Denkbar wäre eine solche, aktive Teilnahme an einer Beweisaufnahme zwar grundsätzlich auch durch rechtliche Vertreter der Parteien. Indes wird es regelmäßig entscheidend sein, bestimmte Details eines Sachverhaltes genau zu kennen und auf dieser Kenntnis aufbauend situativ reagieren zu können. Eine solche Kenntnis des Sachverhaltes wird in aller Regel selbst bei entsprechender Vorbereitung und Absprache zwischen So die Prüfung durch EuGH, Rs. C-276/12, Rn. 38 ff. – Sabou. Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-276/12, Rn. 38 ff. – Sabou. 144 Vgl. etwa Meyer-Eser, GRC, Art. 47, Rn. 35; Jarass, GRC, Art. 47, Rn. 39 f.; ausführlich auch Peers/Hervey/Kenner/Ward, EU Charter of Fundamental Rights, S. 1265 f. jeweils mwN; demgegenüber für eine Herleitung des Teilnahmerechts an einer mündlichen Verhandlung aus dem Recht auf rechtliches Gehör als Teilgehalt des fairen Verfahrens iSd Art. 47 II S. 1 GRC, Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19, Rn. 63. 142 143
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einer Partei und ihrem rechtlichen Vertreter im Prozess kaum zu erreichen ein. Das Recht auf persönliche Teilnahme an einer Beweisaufnahme ermöglicht daher überhaupt erst eine aktive Mitgestaltung dieser Beweisaufnahme und dient so dem eigenen, effektiven Rechtsnachweis der Parteien und zugleich der Wahrheitserforschung im Zivilprozess durch Einbringung dieses Wissens. bb) Gewährleistung eines Rechts auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme Das Recht auf Beweis gewährleistet dementsprechend nach Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen ein Recht der Prozessparteien auf persönliche Teilnahme an jeglicher Beweisaufnahme im Zivilprozess. Durch dieses Recht wird zugleich die Entsendung eines entsprechend instruierten Vertreters zur Wahrnehmung der eigenen Teilhaberechte mitumfasst. Dieses Recht auf Teilnahme ist nach hier vertretener Ansicht streng von der allgemeinen Gewährleistung der Öffentlichkeit im Prozess zu unterscheiden: Für die EMRK zeigen bereits die Ausschlussgründe des Art. 6 I S. 2 HS 2 EMRK deutlich auf, dass der Ausschluss der „allgemeinen“ Öffentlichkeit auch und gerade aus Gründen des Schutzes der Parteien selbst erfolgen kann. Bereits die gesetzliche Konzeption unterscheidet mithin zumindest in der EMRK zwischen Parteiöffentlichkeit und sonstiger Öffentlichkeit.145 Auch in ihrem Sinn und Zweck unterscheiden sich die Parteiöffentlichkeit iSe aktiven Teilnahme- und Gestaltungsrechts der Prozessparteien und die „allgemeine“ Öffentlichkeit iSe demokratischen Kontrolle des Gerichtsprozesses und der Justiz insgesamt. Das Recht auf Teilnahme an jeglicher Beweisaufnahme im Zivilprozess folgt daher nach hier vertretener Auffassung aus dem Recht auf Beweis als Teilgehalt des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC. Für das Grundgesetz wird eine solche Unterscheidung richtigerweise insbesondere anhand des jeweiligen Telos von Parteiöffentlichkeit und allgemeiner Öffentlichkeit vollzogen: Während die Parteiöffentlichkeit sich als Grundlage einer aktiven Teilnahme der Prozessparteien an einer Beweisaufnahme darstellt, dient die „allgemeine“ Öffentlichkeit einer demokratischen Kontrolle der Justiz.146 Hiernach wird das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme grundsätzlich umfassend gewährleistet. Dieses Teilnahmerecht der Prozessparteien stellt sich als eine grundlegende Gewährleistung für die aktive Mitgestaltung der Beweisaufnahme im Zivilprozess dar, so dass an den Ausschluss von Prozessparteien hohe Anforderungen zu stellen sind.
Vgl. zu dieser Diskussion etwa Kofmel, Recht auf Beweis, S. 50 f. mwN. Zu diesem jeweiligen Sinn und Zweck von allgemeiner Öffentlichkeit und Parteiöffentlichkeit siehe wiederum Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 17 ff. und Wieczorek/SchützeAhrens, ZPO VI, § 357, Rn. 2 jeweils mwN. 145 146
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4. Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens Die Kosten eines Zivilprozesses im Allgemeinen wie auch einer Beweisaufnahme im Speziellen können für Prozessparteien eine hohe Hürde darstellen. Daher verwundert es nicht, dass die finanziellen Voraussetzungen eines Zivilprozesses in Rechtsprechung und Literatur zu allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen bereits eine umfängliche Behandlung erfahren haben. a) Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens im GG Für das Grundgesetz wird im Zusammenhang mit dem Recht auf Zugang zu Gericht und dem Justizgewährungsanspruch seit langer Zeit die Frage prohibitiv hoher Gerichtskosten diskutiert.147 Die ökonomischen Gewährleistungen des Justizgewährungsanspruches lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen: Zum einen gilt es auch das Verhältnis von armen und reichen Prozessparteien untereinander zu betrachten: Insoweit ist vom Grundsatz prozessualer Waffengleichheit ausgehend zu fragen, in welchem Umfang gesetzliche Regelungen eingreifen müssen, um wirtschaftlich starken und schwachen Parteien gleichermaßen den Zugang zu Gericht zu ermöglichen und auch die rechtliche Chancengleichheit von wirtschaftlich ungleichen Parteien vor Gericht zu wahren bzw. überhaupt erst aktiv herzustellen. Zum anderen handelt es sich um eine Frage der Justizgewährung jeder einzelnen Prozesspartei dahingehend, ab welchem Punkt die Höhe der Gerichtskosten für die Rechtsdurchsetzung jeder einzelnen Partei eine prohibitive Höhe erreicht. aa) Anerkennung einer Kostentragungspflicht durch das BVerfG Das Bundesverfassungsgericht hat sich der Problematik ökonomischer Hindernisse im Rahmen der Justizgewährung bereits früh angenommen.148 Der Zugang wirtschaftlich schwacher Parteien zu Gericht wird nach dem Verfassungsgericht über Art. 3 I iVm Art. 20 III GG sichergestellt. Aus diesen Normen folge das Gebot der Rechtsschutzgleichheit.149 Zentrales Instrument zur Sicherung dieses allgemeinen Zuganges zu Gericht ist das Institut der Prozesskostenhilfe.150 Allerdings ist es nach dem Bundesverfassungsgericht nicht zu beanstanden, die Gewährung der Prozess147 Vgl. bereits BVerfGE 10, S. 264, 268; anschaulich auch BVerfGE 85, S. 337, 346 f.; in neuerer Zeit BVerfG NJW 2013, S. 1727 f.; aus der Literatur ausführlich Baumgärtel, Gleicher Zugang, S. 113 ff. 148 Siehe bereits BVerfGE 10, S. 264, 268; BVerfGE 22, S. 83, 86 ff. 149 Zur Rechtsschutzgleichheit siehe etwa BVerfGE 74, S. 78, 94 ff.; BVerfGE 92, S. 122, 124; in neuerer Zeit wiederum ausführlich BVerfG NJW 2013, S. 1727 f. 150 Vgl. etwa BVerfGE 22, S. 83, 87 f. zum seinerzeitigen „Armenrecht“ als Vorgänger der heutigen PKH; siehe auch BVerfGE 74, S. 78, 94; BVerfGE 92, S. 122, 124; BVerfG NJW 2013, S. 1727
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kostenhilfe von einer Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache abhängig zu machen.151 Vielmehr erlaubt das Verfassungsgericht in engen Grenzen sogar eine Beweisantizipation im Rahmen dieser Prüfung.152 Indes betont das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzungen der Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht überdehnt werden dürfen. Wenn nach dem Vortrag und den Beweisangeboten der beantragenden Partei eine Beweisaufnahme in der Hauptsache ernsthaft in Betracht kommt und nicht von vornherein mit einem negativen Beweisergebnis zu rechnen ist, muss die Prozesskostenhilfe gewährt werden.153 Darüber hinaus fordert das Gebot der Rechtsschutzgleichheit auch innerhalb des Prozesses eine möglichst weitgehende Gleichstellung von wirtschaftlich schwächeren und stärkeren Prozessparteien.154 Obgleich eine vollständige Gleichheit nicht zu fordern sei, so müsse die Gleichheit doch so weit wie möglich verwirklicht werden.155 Außerdem folgen aus dem Justizgewährungsanspruch zugleich Gewährleistungen in Bezug auf die Kostentragungspflichten der Parteien des Zivilprozesses. Als Grundsatz hält das Bundesverfassungsgericht jedoch fest, dass eine Kostentragung der Parteien keinen grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet. Die Inanspruchnahme staatlicher Gerichte darf qua Verfassung eine Gebührenerhebung nach sich ziehen.156 Diese Gebühren müssen sich außerdem nicht strikt am Äquivalenzprinzip orientieren, vielmehr darf der Gesetzgeber auch andere Zwecke mit der Gebührenerhebung verfolgen.157 Sodann hält das Bundesverfassungsgericht allerdings als Folgerung des Justizgewährungsanspruches fest, dass die Gerichtskosten nicht so hoch angesetzt werden dürfen, dass es dem Bürger praktisch unmöglich ist, ein Gericht anzurufen.158 Hiernach sind die Gebühren jedenfalls dann mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar, wenn das Kostenrisiko im Prozess die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Einzelnen übersteigt.159 Über diese Minimalanforderung hinaus legt das Verfassungsgericht an die Höhe der Gerichts151
So etwa BVerfGE 81, S. 347, 356 f.; ebenso BVerfG NJW 2013, S. 1727, 1728. Vgl. zu den Anforderungen und Grenzen BVerfG NJW 1997, S. 2745 f.; BVerfG NJW 2008, S. 1060, 1061; BVerfG NJW 2013, S. 1727, 1728. jeweils mwN. 153 Vgl. wiederum BVerfG NJW 2008, S. 1060, 1061 und BVerfG NJW 2013, S. 1727, 1728 jeweils mwN. 154 In diesem Sinne bereits BVerfGE 22, S. 83, 86 ff.; ebenso auch BVerfG NJW 1991, S. 413; BVerfG NJW 2004, S. 1789 jeweils mwN. 155 So wiederum BVerfGE 22, S. 83, 86 ff.; BVerfG NJW 1991, S. 413; BVerfG NJW 2004, S. 1789. 156 In diesem Sinne etwa BVerfGE 10, S. 264, 268; BVerfGE 85, S. 337, 346 ff. 157 Vgl. BVerfGE 80, S. 103, 109; ähnlich BVerfGE 85, S. 337, 348 ff. und BVerfGE 86, S. 52, 58 f. 158 In diesem Sinne BVerfGE 85, S. 337, 346 ff.; ebenso BVerfG NJW 1997, S. 311, 312 jeweils mwN. 159 Vgl. wiederum BVerfGE 85, S. 337, 346 ff. und BVerfG NJW 1997, S. 311, 312 jeweils mwN. 152
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kosten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz an: Unverhältnismäßigkeit ist demnach zu bejahen, „wenn sich das Kostenrisiko zu dem mit dem Verfahren angestrebten wirtschaftlichen Erfolg derart außer Verhältnis steht, dass die Anrufung der Gerichte nicht mehr sinnvoll erscheint.“160 Die Gerichtskosten sind somit insgesamt am Maßstab des Justizgewährungsanspruchs zu messen und bei einer prohibitiv wirkenden Höhe ist von einer Unverhältnismäßigkeit und damit der Verfassungswidrigkeit einer Kostentragungspflicht auszugehen. bb) Weitergehende Ausnahmeerfordernisse nach der Literatur In der Literatur hat diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weitgehende Zustimmung erfahren.161 Die Gerichtskosten werden als ein wesentliches Problem des Zugangs zu Gericht und damit des effektiven Rechtsschutzes wie auch der Gleichbehandlung aller Prozessparteien begriffen.162 Das herrschende Schrifttum stimmt mit dem Bundesverfassungsgericht darin überein, dass die Erhebung von Gerichtsgebühren grundsätzlich verfassungskonform ist.163 Die Literatur verweist in diesem Zusammenhang insbesondere auf den Sinn und Zweck der Erhebung von Gerichtsgebühren: Dieser Zweck erschöpfe sich gerade nicht in der Kostendeckung der Gerichte. Vielmehr solle die Existenz von Gerichtsgebühren missbräuchliches Prozessieren verhindern und zugleich ein Anreiz für die freiwillige und – durch die Vermeidung von Gerichtsgebühren – günstigere Erfüllung von Verbindlichkeiten gesetzt werden.164 Daher wird ein gänzliches Entfallen des Kostenrisikos für die Parteien in aller Regel ebenso kritisch gesehen wie ein zu hohes Kostenrisiko.165 Allerdings werden in der Literatur stets auch die verfassungsrechtlichen Gebote einer verhältnismäßigen Kostenerhebung und der Rechtsschutzgleichheit betont.166
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So wiederum explizit BVerfGE 85, S. 337, 346 ff. und BVerfG NJW 1997, S. 311, 312. Vgl. etwa v. Mangoldt/Klein/Stark-Huber, GG, Bd. I, Art. 19 IV, Rn. 461 ff. und 487 f.; ebenso Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 1, Art. 19 IV, Rn. 104; ausführlich auch Scholz, GS-Gra bitz, S. 725 ff. 162 Ausführlich Baumgärtel, Gleicher Zugang, S. 113 ff.; ebenso wiederum v. Mangoldt/Klein/ Stark-Huber, GG, Bd. I, Art. 19 IV, Rn. 461 ff. und 487 f.; ebenso Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 1, Art. 19 IV, Rn. 104; Scholz, GS-Grabnitz, S. 725 ff. 163 So etwa Baumgärtel, Gleicher Zugang, S. 129 ff.; ebenso Scholz, GS-Grabitz, S. 725, 734 mwN. 164 Ausführlich zum Zweck der Prozesskosten Pawlowski, JZ 1975, S. 197 ff.; siehe auch Baumgärtel, Gleicher Zugang, S. 121 ff. 165 Vgl. Baumgärtel, Gleicher Zugang, S. 129 ff.; anschaulich zu dieser Abwägung der Kostenhöhe auch Pawlowski, JZ 1975, S. 197 ff. 166 Vgl. etwa Pawlowski, JZ 1975, S. 197; ebenso v. Mangoldt/Klein/Stark-Huber, GG, Bd. I, Art. 19 IV, Rn. 461 ff. und 487 f.; allgemein zur Verfassungskonformität von Gebühren, Wilke, Gebührenrecht, S. 242 ff. und S. 319 f. speziell zu Gerichtsgebühren; eine ausführliche, kritische Analyse liefert auch Däubler, BB 1969, S. 545 ff. 161
§ 7 Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
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Darüber hinaus werden im Schrifttum zahlreiche Reformvorschläge diskutiert, die einen effektiven Rechtsschutz des Einzelnen ermöglichen sollen. Hierbei handelt es sich regelmäßig um rechtspolitische Forderungen.167 Vereinzelt wird in der Literatur in diesem Zusammenhang die Forderung nach einem gebührenfreien Zugang zu Gericht erhoben – insoweit jedoch eher als rechtspolitischer Gedanke.168 Teilweise wird eine Einführung einer verpflichtenden Rechtsschutzversicherung im Sinne einer Sozialversicherung angeregt.169 Außerdem wird als Lösungsansatz eine Herabsetzung des Streitwertes oder der Erstattungspflicht der unterliegenden Partei diskutiert. 170 Regelmäßig wird die Lösung des gleichen Zugangs zu Gericht in einer weiteren Reform der Prozesskostenhilfe gesucht.171 Die Problematik der absoluten Höhe des Kostenrisikos wird sodann separat unter Rückgriff auf den Äquivalenzgrundsatz bzw. die Verhältnismäßigkeit der Kostenerhebung diskutiert.172 b) Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens in der EMRK Der EGMR hat sich in seiner Rechtsprechung bereits frühzeitig zu den monetären Aspekten eines Zivilprozesses geäußert und in einer ganzen Reihe von Entscheidungen gewisse diesbezügliche Gewährleistungsgehalte des Art. 6 I EMRK herausgearbeitet: aa) Anerkennung der Prozesskostenhilfe als Ausfluss des Art. 6 I EMRK So hat der EGMR in engem zeitlichem Zusammenhang zur allgemeinen Entwicklung eines Rechts auf Zugang zu Gericht auch die finanziellen Aspekte dieses Zugangsrechts in den Blick genommen.173 Im Fall Airey / IRL war aufgrund des hohen Komplexitätsgrades des konkreten Falles eine anwaltliche Vertretung dringend angezeigt, jedoch in Ermangelung finanzieller Mittel oder entsprechender Hilfen nach dem Verfahrensrecht nicht zu erlangen, so dass der EGMR die eigenständige Verteizu den einzelnen Reformvorschlägen Baumgärtel, Gleicher Zugang, S. 128 ff. In diesem Sinne äußert sich etwa Herrmann, Probleme des Prozesskostenrisikos, S. 95 f.
167 Ausführlich 168
mwN. 169 So insbesondere Baur, JZ 1972, S. 75, 77 f. 170 Vgl. zur Herabsetzung des Streitwertes Däubler, BB 1969, S. 545, 551 und zur Herabsetzung der Erstattungspflicht siehe Baumgärtel, gleicher Zugang, S. 152 ff. 171 In diesem Sinne etwa Baumgärtel, Gleicher Zugang, S. zur Reform des früheren „Armenrechts“; für eine Reform der Prozesskostenhilfe auch Gottwald, FS-Gerhardt, S. 307 ff. 172 Vgl. etwa v. Mangoldt/Klein/Stark-Huber, GG, Bd. I, Art. 19 IV, Rn. 487 f.; Merten/PapierUhle, HGR V, § 129, Rn. 24 jeweils mwN; für eine Annäherung der Kostentragung an das Äquivalenzprinzip, Scholz, GS-Grabitz, S. 725, 374 ff. 173 Vgl. zur allgemeinen Herleitung des Rechts auf Zugang zu Gericht EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. UK, Rn. 26 ff.; zu den finanziellen Aspekten dieses Zugangsrechts sodann erstmals EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 20 ff. eine ausführliche Analyse der finanziellen Aspekte des Zuganges zu Gericht nach Art. 6 I EMRK liefern Diggel mann/Altwicker, DÖV 2012, S. 781 ff. mwN.
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digung der Beschwerdeführerin vor Gericht nicht als einen effektiven Zugang zu Gericht angesehen und eine Verletzung des Art. 6 I EMRK bejaht hat.174 Der EGMR hat weiter ausgeführt, dass aus dem Recht auf Zugang zu Gericht nach Art. 6 I EMRK kein zwingendes Recht auf Prozesskostenhilfe folgt – insbesondere im Hinblick auf die explizite Regelung dieser Frage in Art. 6 III lit. e EMRK für den Strafprozess.175 Allerdings folge aus Art. 6 I EMRK nach dem EGMR die Verpflichtung des Gesetzgebers, einen effektiven Zugang zu Gericht sicherzustellen.176 Allein die Ausgestaltung dieser Verpflichtung zu effektivem Rechtsschutz wird dem Gesetzgeber insoweit freigestellt – sei es über das Institut der Prozesskostenhilfe oder auch eine Vereinfachung des Verfahrens, so dass eine persönliche Vertretung als effektiv angesehen werden kann.177 Entscheidend ist nach dem EGMR allein die Gewährleistung des effektiven Rechtsschutzes als Mindeststandard des Art. 6 I EMRK.178 bb) Das Erfordernis verhältnismäßiger Gerichtskosten nach Art. 6 I EMRK In der Folge hat der EGMR diesen Grundsatz weiterentwickelt und auf die Gerichtskosten selbst bezogen: Der Zugang zu Gericht nach Art. 6 I EMRK kann hiernach durch unangemessen hohe Gerichtskosten verletzt werden.179 Zwar gebietet Art. 6 I EMRK nach dem EGMR keinen kostenfreien Prozess, so dass sich Gerichtskosten nicht per se als Verletzung des Rechts auf Zugang zu Gericht darstellen.180 Allerdings werden Gerichtskosten durch den EGMR ausdrücklich als eine Beeinträchtigung des Zugangsrechts aus Art. 6 I EMRK angesehen, die einem legitimen Ziel dienen und verhältnismäßig sein müssen.181 Als Kriterien bei dieser Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit stellt der Gerichtshof darauf ab, ob die Gerichtsge174
Vgl. EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 20 ff. Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 26. 176 In diesem Sinne die Schlussfolgerung von EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 26 ff. 177 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 20 ff.; ausdrücklich in diesem Sinne auch EGMR, Urteil vom 26.02.2002, 46800/99, Del Sol ./. FRA, Rn. 20 ff. 178 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 09.10.1979, 6289/73, Airey ./. IRL, Rn. 20 ff. und EGMR, Urteil vom 26.02.2002, 46800/99, Del Sol ./. FRA, Rn. 20 ff.; zustimmend zu diesen Grundsätzen Diggelmann/Altwicker, DÖV 2012, S. 781, 782 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 56; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 76 f.; Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 54; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 43 ff. jeweils mwN. 179 Diesen Grundsatz entwickelnd EGMR, Urteil vom 19.06.2001, 28249/95, Kreuz ./. PL, Rn. 52 ff.; ebenso auch EGMR, Rn. 06.04.2006, 46917/99, Stankiewicz ./. PL, 59 ff.; EGMR, Urteil vom 26.10.2010, 46040/07, Marina ./. LT, Rn. 50 ff.; ausführlich wiederum Diggelmann/Altwi cker, DÖV 2012, S. 781, 785 ff. jeweils mwN. 180 Vgl. EGMR, Urteil vom 19.06.2001, 28249/95, Kreuz ./. PL, Rn. 52 ff.; EGMR, Rn. 06.04.2006, 46917/99, Stankiewicz ./. PL, 59 ff. und EGMR, Urteil vom 26.10.2010, 46040/07, Marina ./. LT, Rn. 50 ff. jeweils mwN. 181 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 19.06.2001, 28249/95, Kreuz ./. PL, Rn. 52 ff.; 175
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bühren sich an den tatsächlich anfallenden Kosten orientieren oder darüber hinausgehend rein monetären Zielen dienen und somit an einem besonders strengen Maßstab zu messen sind.182 Außerdem berücksichtigt der EGMR, in welcher Phase des Prozesses die konkrete Gebühr jeweils erhoben wird und ob die betreffende Person im konkreten Fall tatsächlich zur Begleichung dieser Gebühren in der Lage war.183 Hiernach hat der EGMR jedenfalls solche Gerichtsgebühren als unverhältnismäßig angesehen, die die Höhe eines durchschnittlichen Jahreseinkommens in dem betreffenden Land erreichen – in einer späteren Entscheidung wurden „bereits“ vier Monatseinkommen einer mittellosen Person als Gerichtsgebühren für unangemessen erachtet.184 Der EGMR ist sich mithin der faktischen Wirkung von Kostentragungsregeln im Zivilprozess bewusst und legt an die Verhältnismäßigkeitsprüfung dieser Prozesskosten einen strengen Maßstab an.185 c) Finanzielle Voraussetzungen eines Beweisverfahrens in der GRC Die europäische Grundrechtecharta enthält in Art. 47 III GRC die geschriebene Gewährleistung eines Rechts auf Prozesskostenhilfe. Die Erläuterungen zur Grundrechtecharta verweisen für Art. 47 III GRC ausdrücklich auf die entsprechende Rechtsprechungsentwicklung durch den EGMR und „gießen“ diese richterrechtliche Entwicklung in die Gewährleistungen des Art. 47 III GRC.186 Die Grundrechtecharta beinhaltet daher einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe zum Zwecke des effektiven Rechtsschutzes im Zivilprozess. Auf der anderen Seite finden sich bislang nur wenige Entscheidungen des EuGH zu den finanziellen Voraussetzungen eines Zivilprozesses und insbesondere zum Erfordernis verhältnismäßiger Gerichtskosten. In den bislang gefällten Entscheidungen lehnt sich der EuGH explizit an die diesbezügliche Rechtsprechung des EGMR an.187 In einer Entscheidung hat der ebenso auch EGMR, Rn. 06.04.2006, 46917/99, Stankiewicz ./. PL, 59 ff.; EGMR, Urteil vom 26.10.2010, 46040/07, Marina ./. LT, Rn. 50 ff. jeweils mwN. 182 Vgl. zu diesem Kriterium etwa EGMR, Urteil vom 20.12.2007, 21638/03, Paykar Yev Haghtanak Ltd. ./. ARM, Rn. 48 f. und EGMR, Urteil vom 26.10.2010, 46040/07, Marina ./. LT, Rn. 50 ff. jeweils mwN. 183 Siehe EGMR, Urteil vom 26.07.2005, 39199/98, Podbielski and PPU Polpure ./. PL, Rn. 61 ff. und EGMR, Urteil vom 26.10.2010, 46040/07, Marina ./. LT, Rn. 50 ff. jeweils mwN. 184 Vgl. EGMR, Urteil vom 19.06.2001, 28249/95, Kreuz ./. PL, Rn. 52 ff. (Jahreseinkommen) und EGMR, Urteil vom 17.07.2007, 52658/99, Mehmet and Suna Yigit ./. TURK, Rn. 36 ff. (vier Monatseinkommen). 185 Instruktiv etwa EGMR, Urteil vom 26.10.2010, 46040/07, Marina ./. LT, Rn. 50 ff.; diesem Maßstab der Verhältnismäßigkeit für die Gerichtsgebühren zustimmend Diggelmann/Altwicker, DÖV 2012, S. 781 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 56; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 68; Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 54; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 40 jeweils mwN. 186 Siehe zum Werdegang des Art. 47 III GG die Erläuterungen der Grundrechtecharta ABL.EU 2007, Nr. C 303, S. 30 f. 187 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849, Rn. 29 ff. – DEB und EuGH Rs.
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EuGH zudem für die Auslegung einer Vorschrift über den späteren Erlass von Prozesskosten ausgesprochen, dass diese Vorschrift am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu messen ist.188 Der nachträgliche Erlass von Prozesskosten lässt sich als Äquivalent zur anfänglichen Erhebung von Gerichtskosten ansehen, so dass die diesbezügliche Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes letztlich mit der Auffassung des EGMR zur Verhältnismäßigkeit von Gerichtsgebühren übereinstimmend dürfte.189 Daher spricht vieles dafür, dass der EuGH sich auch in seiner weiteren Rechtsprechung an die durch den EGMR entwickelten Grundsätze anlehnen wird.190 Hinzu kommt einmal mehr die rechtlich Kongruenz von Art. 6 I EMRK und Art. 47 II S. 1 GRC über Art. 52 III S. 1 GRC. d) Eigene Ansicht Die Verpflichtung der Prozessparteien zur Tragung der Kosten einer Beweisaufnahme betrifft einen wesentlichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis. Dieser Aspekt scheint auf den ersten Blick eher die praktische Seite eines Beweisverfahrens zu betreffen und weniger rechtliche Aspekte. Allerdings fordert etwa das deutsche Zivilprozessrecht beispielsweise in den §§ 379, 402 ZPO und § 17 I GKG die Zahlung von Auslagen als grundsätzliche Voraussetzung für eine Beweisauf nahme.191 aa) Orientierung am Prozesszweck: Kostenrisiko der Beweisaufnahme als faktisches Zugangshindernis einer durch die Parteien initiierten Beweisaufnahme Ausgehend vom Prozesszweck können sich die Kosten einer Beweisaufnahme daher als ein Hindernis für einen effektiven Nachweis eigener Rechte darstellen. Es handelt sich hierbei nicht allein um ein faktisches Hindernis, sondern auch um eine rechtliche Grenze iSe Zulässigkeitsvoraussetzung der Beweiserhebung. Einer Partei, die im Prozess ihre Rechte nachweisen und durchsetzen kann, werden diese Kosten nach den §§ 91 ff. ZPO erstattet, so dass man an dieser Zulassungshürde zweifeln könnte. Indes kann der Nachweis eigener Rechte auch bei tatsächlicher Durchführung einer Beweisaufnahme stets scheitern – etwa, wenn das erkennende Gericht den Beweismitteln in vertretbarer Art und Weise ihre Glaubwürdigkeit abspricht oder sich von den Beweismitteln der anderen Partei eher überzeugen kann. C-156/12, Rn. 30 ff. – GREP; ausführlich von Art. 47 III GRC zu den Gewährleistungen der EMRK Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19, Rn. 58 ff.; vgl. auch Meyer-Eser, GRC, Art. 47, Rn. 38 ff. 188 In diesem Sinne EuGH Rs C-156/12, Rn. 30 ff. – GREP. 189 Zur Verhältnismäßigkeit von Gerichtskosten nach dem EGMR siehe oben § 7 I. 7. b. 190 Ähnlich auch Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19, Rn. 60. 191 Vgl. dazu etwa MüKo-Damrau, ZPO II, § 379, Rn. 1 ff. mwN.
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Die Parteien tragen mithin selbst bei tatsächlicher Rechtsinhaberschaft ein gewisses Risiko des Prozessverlustes und damit das Risiko der Kostentragung. Die Parteien werden dementsprechend das Kosten-Nutzen-Verhältnis zwischen Beweiserhebung und etwaigem Prozessverlust genau abwägen. Die Kosten einer Beweisaufnahme können daher je nach in Rede stehendem Streitwert eine prohibitive Wirkung auf die Bereitschaft der Parteien zur Initiierung einer Beweisaufnahme ausüben. Daher umfasst der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis iSe effektiven Nachweismöglichkeit der eigenen Rechte in gewissem Umfang auch die Kostenerhebung im Rahmen eines Beweisverfahrens. bb) Grundsatz: Keine Gewährleistung eines kostenfreien Beweisverfahrens Das Recht auf Beweis gewährleistet jedoch nach hier vertretener Auffassung keine grundsätzliche Kostenfreiheit des Beweisverfahrens für die Prozessparteien. Der Zivilprozess wird von den Parteien zum Zwecke der Rechtsdurchsetzung angestrebt und an diesem Zwecke ist der Prozess auch ausgerichtet. Das Beweisverfahren innerhalb dieses Prozesses ermöglicht es den Parteien, die von ihnen vorgebrachten Tatsachen und letztlich auch ihre behaupteten Rechte nachzuweisen und damit durchzusetzen. In einem Prozess, der durch den Dispositions- und Beibringungsgrundsatz geprägt wird, sind es die Parteien, die diese Beweiserhebung einfordern dürfen. Sodann erscheint es aber auch gerechtfertigt, dass die Parteien grundsätzlich gewisse Kostenrisiken einer Beweiserhebung zu tragen haben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn eine Partei ihr Recht ohne zusätzliche Kosten durchsetzen kann, mithin im Falle des Obsiegens gerade keine Kosten zu tragen hat. Diesem Prinzip genügt die ZPO in den §§ 91 ff. ZPO. In diesem Sinne erscheint auch die Ausgestaltung der Kostenerstattung als Zulassungsvoraussetzung einer Beweiserhebung durchaus vertretbar – ändert sie doch gerade nicht die Risiken der Kostentragungspflicht als solche, sondern verlagert lediglich das Insolvenzrisiko der kostenpflichtigen Partei zugunsten des Staates. Das Recht auf Beweis gibt den Parteien mit seinem Gewährleistungsgehalt die Möglichkeit an die Hand, den Prozess mithilfe einer Beweisaufnahme gewinnen zu können. Es schützt indes nicht vor einem Mindestmaß an Kostenrisiken, die sich als logisches Resultat eines Parteiprozesses darstellen und durch die Kostentragungsregel bei Prozessgewinn aufgefangen werden. cc) Gewährleistung äquivalenter und verhältnismäßiger Gebühren Allerdings bewegt sich die Kostentragungspflicht in keinem rechtsfreien Raum. Vielmehr folgen aus dem Recht auf Beweis gewisse Grenzen dieser Kostentragungspflicht, die sich als Hürden eines effektiven Rechtsnachweises darstellen. Zum einen gewährleistet das Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht die Äquivalenz zwischen den Gebühren eines Beweisverfahrens und seinen tatsächlichen Kosten. Der Staat darf die Kosten für die Bereitstellung des konkreten Zivil-
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prozesses, der allein den Interessen der Prozessparteien dient, auch von diesen Parteien erstattet verlangen. Allerdings muss es bei zugleich auch bei dieser Erstattung der tatsächlichen Kosten des konkreten Prozesses verbleiben. Der Zivilprozess als wichtigste Form der privaten Rechtsdurchsetzung sollte keinesfalls als zusätzliche Einnahmequelle des Staates angesehen werden, so dass sich eine Gebührenerhebung über die tatsächlichen Kosten hinaus nach dem Recht auf Beweis verbietet. Soweit das Verfassungsgericht eine Lockerung dieses Äquivalenzprinzips von Gebühren im Zivilprozess vorsieht, handelt es sich hierbei wohl um eine Erhöhung, die einem bestimmten, gleichfalls verfassungsmäßig geschützten Zweck dienen soll – insbesondere der Bekämpfung missbräuchlicher Prozessführung.192 Eine solche Erhöhung von Gebühren zu einem bestimmten Zweck erscheint zwar grundsätzlich denkbar, bedarf allerdings einer Abwägung mit dem Recht auf Beweis. Zum anderen müssen die Gebühren eines Beweisverfahrens auch unabhängig von den tatsächlichen anfallenden Kosten dieses Verfahrens verhältnismäßig sein. Gerade in Fallkonstellationen kleinerer und mittlerer Streitwerte könnte auch von einer an sich äquivalenten Gebührenerhebung eine prohibitive Wirkung ausgehen. Das Recht auf Beweis gewährleistet den Parteien aber auch für kleinere Streitwerte eine effektive Möglichkeit des Nachweises eigener Rechte. An dieser Stelle gehen EGMR und EuGH richtigerweise davon aus, dass sich diese Verhältnismäßigkeit auf zwei Teilaspekte gleichermaßen beziehen muss: Einerseits die Verhältnismäßigkeit der gerichtlichen Gebühren einer Beweisaufnahme als solcher und andererseits die effektive Möglichkeit der Wahrnehmung der eigenen beweisrechtlichen Gewährleistungen durch ein entsprechend einfaches Verfahren oder eine faktisch finanzierbare rechtliche Vertretung.193 Die Höhe der Kosten unterliegt hiernach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Eine genaue Zahl oder Prozentangabe lässt sich einem Grundrecht dabei naturgemäß nicht entnehmen. Vielmehr ist die Grenze im Einzelfall dort zu ziehen, wo die Kosten einer Beweiserhebung so exorbitant hoch angesetzt sind, dass sie auf eine Partei eine prohibitive Wirkung ausüben: Die Pflicht zur Tragung der Kosten eines Beweisverfahrens stellt die Prozessparteien vor ein gewisses Risiko. Ein Beweisverfahren ist nur dann erfolgreich, wenn das Gericht von der zu beweisenden Tatsache überzeugt wird. Sodann muss das Gericht außerdem eine für die Partei günstige Entscheidung erlassen, um von einer Kostentragung befreit zu sein. Es besteht also das Risiko für die Parteien, dass das Gericht sich durch die Erhebung beantragter Beweismittel nicht von der Wahrheit der behaupteten Tatsache überzeugen kann. In diesem Fall würde die Partei auf den Kosten des von ihr beantragten Beweisverfahrens „sitzen“ bleiben. Die Partei muss also abwägen, ob sich ein Antrag auf Erhe192 Vgl. etwa BVerfGE 80, S. 103, 108 f.; BVerfGE 85, S. 337, 348 ff.; BVerfGE 86, S. 52, 58 f.; ausführlich dazu Scholz, GS-Grabitz, S. 725, 734 ff. 193 Ausführlich soeben III. 4. b. und c.
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bung von Beweismitteln im Vergleich zu den Kosten dieses Beweisverfahrens rentiert. Diese Kosten-Nutzen-Abwägung basiert auf einer Vielzahl von Faktoren, wie etwa der Stärke des Beweismittels oder auch der Schwierigkeit des Nachweises einer Tatsache und kann je nach Kosten der Beweiserhebung durchaus negativ ausfallen. Als Grenzwert einer solchen, prohibitiven Wirkung von Kostenrisiken kann es jedenfalls angesehen werden, wenn eine Prozesspartei selbst einfachste Beweisaufnahmen wie eine einzelne Zeugeneinvernahme im Hinblick auf das Kostenrisiko nachvollziehbarerweise scheut und ihr somit faktisch die Beweisführung mit jeglichem Beweismittel unmöglich gemacht wird. Obgleich es sich letztlich um eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles handelt und eine konkrete Zahl kaum zu finden sein wird, so erscheint es doch nach hier vertretener Ansicht sachgerecht, wenn der EGMR Prozesskosten in der Höhe von vier Monatsgehältern einer Person als unangemessen hoch ansieht.194 Ein Prozess kann sich insbesondere dann als Verstoß gegen das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta darstellen, wenn sich eine Partei die Ausübung ihrer durch das Recht auf Beweis gewährleisteten Rechte im Prozess finanziell in keiner Weise leisten kann, so dass diesen Gewährleistungen für ihre Rechtsinhaber keinen praktischen Nutzen mehr hätten. dd) Das Recht finanzschwacher Parteien auf eine effektive Beweisführung Demgegenüber hat der Gesetzgeber bei der Frage einer effektiven Wahrnehmungsmöglichkeit der eigenen beweisrechtlichen Gewährleistungen einen größeren Ausgestaltungsspielraum: Auch an dieser Stelle gehen EGMR und EuGH richtigerweise davon aus, dass letztlich allein die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes als Mindeststandard von Bedeutung ist und weniger die konkrete Ausgestaltung des Verfahrensrechts.195 Ob diese Gewährleistung über eine Prozesskostenhilfe, die vereinfachte Ausgestaltung des Verfahrens oder auch umfassende, richterliche Unterstützung erfolgt, wird auch durch das Recht auf Beweis nicht vorgegeben. Dabei stellt sich die Gewährleistung einer effektiven Wahrnehmung eigener beweisrechtlicher Gewährleistungen grundsätzlich allein als Ausfluss des Rechts auf effektiven Rechtsschutz dar. Jede Partei hat das Recht auf effektiven Rechtsschutz, den sie sich im konkreten Fall auch leisten kann. Diese Gewährleistung bezieht sich insoweit allein auf die jeweilige Prozesspartei und ihre eigene, wirtschaftliche Situation und zwar unabhängig von der jeweils anderen Partei. Allerdings kann das Erfordernis einer rechtlichen Vertretung oder sonstigen Unterstützung regelmäßig aus einer faktischen Überlegenheit der Gegenpartei folgen, die im Einzelfall überlegene wirtschaftliche Möglichkeiten oder auch nur überlegenes Fachwissen aufweist. Daher 194 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 17.07.2007, 52658/99, Mehmet and Suna Yigit ./. TURK, Rn. 36 ff. 195 Vgl. wiederum oben III. 4. b. und c.
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wird diese effektive Wahrnehmung der eigenen, beweisrechtlichen Gewährleistungen ebenso regelmäßig einen Zusammenhang mit dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit als einem weiteren Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC aufweisen. Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt den Grundsatz prozessualer Waffengleichheit grundsätzlich an und leitet hieraus richtigerweise ganz allgemein eine möglichst weitgehende Angleichung von wirtschaftlich schwächeren und stärkeren Parteien ab.196 Im Zusammenspiel mit dem Recht auf Beweis gilt diese Angleichung auch und gerade für das Beweisverfahren. Eine Angleichung von wirtschaftlich schwächeren und stärkeren Parteien muss im Besonderen die Möglichkeit des Nachweises eigener Tatsachenbehauptungen mit einschließen, um eine möglichst weitgehende Angleichung der Chancen einer Rechtsdurchsetzung zu erhalten. Daher folgt aus dem Recht auf Beweis in Verbindung mit dem Grundsatz prozessualer Waffengleichheit, dass auch wirtschaftlich schwächer gestellte Parteien ihr Recht auf Beweis in gleichem Maße ausüben können müssen, wie eine wirtschaftliche stärkere Partei in vergleichbaren Situationen. Ob diese Angleichung mittels einer Verringerung der Gebühren oder der PKH zu erreichen ist, bleibt der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber überlassen. In diesen Konstellationen ergänzen sich diese beiden Teilgewährleistungsgehalte nach hier vertretener Ansicht sodann zu einem einheitlichen Recht auf effektiven Rechtsschutz auch im Verhältnis zu der konkreten Gegenpartei. Im Grundsatz folgt jedoch allein auch aus dem Recht auf Beweis ein Recht auf effektiven Rechtsnachweis und damit die Gewährleistung einer effektiven und auch finanziell möglichen Wahrnehmung eigener beweisrechtlicher Gewährleistungen als Mindeststandard. An diesem Standard ist die jeweilige gesetzgeberische Ausgestaltung zu messen.
5. Beweismaß und das Recht auf Beweis Einen weiteren wesentlichen Baustein des Beweisrechts stellt das Beweismaß dar: Es regelt die Voraussetzungen, unter denen das erkennende Gericht eine Tatsache im Zivilprozess als erwiesen anzusehen hat und seiner Entscheidung zugrunde legen muss.197
196
Vgl. etwa BVerfGE 74, S. 78, 94 ff.; BVerfGE 92, S. 122, 124; BVerfG NJW 2013, S. 1727 f. jeweils mwN. 197 Vgl. Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 5, Rn. 1; ausführlich auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 86 ff.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 105 ff. und Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 58 ff.
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a) Beweismaß und Grundgesetz Die enorme Bedeutung des Beweismaßes für die Ausgestaltung des Zivilprozesses als solchem wie auch für die Parteien im konkreten Prozess, hat zu einer intensiven Behandlung dieses Rechtsinstitutes insbesondere in der zivilprozessualen Rechtsprechung und Literatur mit sehr umfangreichen Kontroversen geführt.198 aa) Grundsatz: Orientierung des Beweismaßes am materiellen Recht Ausgangspunkt ist die Regelung des § 286 I ZPO, der die Freiheit des Gerichts in der Entscheidung formuliert, „ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten sei“. Aufbauend auf dieser Formulierung des § 286 I ZPO hat der BGH bereits früh eine Formel zur richterlichen Überzeugung von der Wahrheit entwickelt: Hiernach müsse der Richter „sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“.199 Die Formel wurde in der Literatur vielfach für ihre geringe Aussagekraft ebenso wie die Annahme einer rein subjektiven Entscheidung des Gerichts kritisiert.200 In der Literatur wurden Versuche einer Verobjektivierung dieser Formel dahingehend unternommen, die Überzeugung von einer Wahrscheinlichkeit als richterliche Überzeugung genügen zu lassen201 bzw. auch rein objektive Theorien vertreten, die ab einer bestimmten Wahrscheinlichkeit von einer determinierten richterlichen Überzeugung ausgehen.202 Die Rechtsprechung hat sich letztlich tendenziell für eine verobjektivierte Theorie entschieden, die die richterliche Überzeugung von der Wahrheit an Denk-, Erfahrungs- und Naturgesetze bindet.203 In jedem Fall gehen Rechtsprechung und herrschende Literatur von einem hohen Regelbeweismaß aus – sei es nun eine Überzeugung von der Wahrheit oder einer an Sicherheit grenzenden Wahr198 Grundlegend BGHZ 53, S. 245, 255 f.; aus der Literatur siehe Huber, Beweismaß, S. 56 ff., 67 ff.; ausführliche Darstellungen finden sich wiederum bei Walter, freie Beweiswürdigung, S. 86 ff.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 105 ff. und Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 58 ff. 199 So explizit BGHZ 53, S. 245, 255; bestätigt etwa in BGH NJW 1994, S. 801 f. 200 Kritisch zu dieser Formulierung etwa Scherzberg, ZZP 117 (2004), S. 163, 179 ff.; eine ausführliche Analyse der verschiedenen Beweismaßtheorien und ihrer Kritik findet sich bei Greger, Wahrscheinlichkeit, S. 75 ff. mwN. 201 Aus der Literatur siehe etwa Huber, Beweismaß, S. 89 ff., 102 ff.; ähnlich Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 115 ff. 202 Vgl. etwa Motsch, rechtsgenügender Beweis, S. 88 ff.; Maassen, Beweismaßprobleme, S. 52 ff.; Kegel, FG-Kronstein, S. 321 ff.; Ekelöf, FS-Baur, S. 343 ff. 203 Deutlich in diese Richtung BGH NJW 2014, S. 71, 72 f. mwN; diesen Anforderungen stimmen weite Teile der Literatur zu, vgl. etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 32 ff. und Musielak/ Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 17; Leipold, FS-Nakamura, S. 301, 309 ff. jeweils mwN.; ausführlich zu den einzelnen Theorien, Schwab, FS-Fasching, S. 451 ff.; aA wohl Scherzberg, ZZP 117 (2004), S. 163, 179 ff.
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scheinlichkeit.204 Das Beweismaß stellt hiernach gewissermaßen einen Teil des ab strakten Rahmens eines jeden Zivilprozesses dar und steht zwecks Rechtssicherheit und Rechtsanwendungsgleichheit ohne Beeinflussung durch (prozessuale) Grundrechte von vornherein fest.205 bb) Ausnahme: Absenkung des Beweismaßes zwecks effektiven Rechtsschutzes Auch diese Grundregel gilt nach der herrschenden Meinung indes nicht ohne gewichtige Ausnahmen: In Rechtsprechung und Literatur ist weitgehend anerkannt, dass eine Absenkung des Regelbeweismaßes zur Verwirklichung des materiellen Rechts in bestimmten Konstellationen erforderlich sein kann.206 Es handelt sich hierbei um Fallgestaltungen, in denen das hohe Regelbeweismaß typischerweise durch die beweisbelastete Partei nicht zu erreichen ist und die Durchsetzung ihrer Rechte ebenso typischerweise scheitern müsste.207 In der älteren Literatur wird dieser Grundsatz noch nicht konsequent auf das Grundgesetz zurückgeführt, aber gerade nach Rechtsprechung und jüngerer Literatur wird deutlich, dass es sich hierbei letztlich um einen Ausdruck des Rechts auf effektiven Rechtsschutz und des Justizgewährungsanspruchs handelt.208 Der BGH betont daher in ständiger Rechtsprechung, dass das erkennende Gericht keine unerfüllbaren Anforderungen an das Beweismaß stellen darf.209 Sodann hat der BGH in Übereinstimmung mit der Literatur mehrere Rechtsinstitute zur Sicherung eines effektiven Rechtsschutzes entwickelt: In einzelnen Fallkonstellationen spricht der BGH eine stillschweigende Senkung des Beweismaßes aus, um das materielle Recht nicht durch das Prozessrecht faktisch leerlaufen zu lassen.210 Darüber hinaus gewährt er im Fall von Beweisvereitelungen „Beweiser204 Grundlegend wiederum BGHZ 53, S. 245, 255 f.; instruktiv auch BGH NJW 2014, S. 71, 72; zustimmend MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 32 ff.; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 17; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 4 ff.; ausführlich auch Greger, Wahrscheinlichkeit, S. 101 ff. jeweils mwN. 205 Explizit Baumgärtel, FS-Matscher, S. 29, 34 f.; in diesem Sinne auch Baumgärtel/Laumen/ Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 5, Rn. 3 und 10. 206 Vgl. aus der Rechtsprechung bereits BVerfG NJW 1974, S. 1499, 1501 f.; aus der Literatur siehe Huber, Beweismaß, S. 136 ff.; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 232 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 125 ff.; Katzenmeier, ZZP 117 (2004), S. 187, 215, Fn. 165; Leipold, Beweismaß und Beweislast, S. 16 f.; Arens, ZZP 88 (1975), S. 1, 32 ff.; demgegenüber für eine differenzierte Überzeugungsbildung eines als einheitlich begriffenen Beweismaßes Greger, Wahrscheinlichkeit, S. 122, 200 f. 207 Vgl. wiederum Walter, freie Beweiswürdigung, S. 232 f.; Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 125 ff. und Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 87 ff. jeweils mwN. 208 Explizit in diesem verfassungsrechtlichen Sinne Heese, ZZP 123 (2010), S. 49, 56 ff., 68 ff. 209 Grundlegend wiederum BGHZ 53, S. 245, 255 f.; bestätigt etwa in BGH NJW 1982, S. 2874 f.; BGH NJW 1998, S. 2969, 2971; BGH NJW 1999, S. 486; zustimmend Stürner, NJW 1979, S. 2334, 2337. 210 Vgl. BGH NJW 1961, S. 777, 779; BGH NJW 2002, S. 3106, 3108 f. (zu § 1006 BGB); BGH NJW 1977, S. 1681 f.; BGH NJW-RR 1987, S. 754 f. (zu § 1004 BGB); ausführlich zu diesen
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leichterungen bis hin zur Beweislastumkehr“.211 Außerdem hat der BGH mit dem Anscheinsbeweis ein entsprechendes Rechtsinstitut einer Beweiserleichterung geschaffen – namentlich für den oftmals schwierigen Nachweis der haftungsbegründenden Kausalität.212Abschließend lässt sich auch der „Beweis des äußeren Bildes“ im Versicherungsrecht letztlich als Ausdruck der ausnahmsweise erfolgenden Einwirkung des Verfassungsrechts auf das Beweismaß im Zivilprozess ansehen.213 cc) Teile der Literatur: Weitergehende Einwirkung durch die Grundrechte In Teilen der Literatur wird das hohe Beweismaß der ZPO insgesamt kritisiert und das Beweismaß der überwiegenden Wahrscheinlichkeit unter rechtsvergleichendem Verweis auf das schwedische und anglo-amerikanische Recht vertreten.214 Als Gründe werden die praktische Unerreichbarkeit der Wahrheit, die Zufälligkeit von Beweislastentscheidungen und die Senkung sozialer Kosten durch fehlerhafte Tatsachenfeststellungen genannt.215 Die ganz herrschende Meinung weist diese Senkung des Regelbeweismaßes kategorisch zurück, u. a. unter Verweis auf die klaren gesetzlichen Regelungen, die einer Beweislastentscheidung innewohnenden Gerechtigkeitsaspekte sowie die strukturelle Benachteiligung des Angegriffenen und seines Besitzstandes durch dieses verringerte Beweismaß.216 Zudem handelt es sich selbst nach Ansicht ihrer Vertreter eher um eine rechtspolitische Forderung de lege ferenda.217 Als ein verfassungsrechtliches Erfordernis wird diese Auffassung – soweit ersichtlich – von keinem ihrer Vertreter angesehen, so dass es für diese Untersuchung bei diesem kurzen Exkurs verbleiben kann. Beweismaßsenkungen Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 5, Rn. 15 f. 211 Siehe etwa BGH NJW 2004, S. 222 und BGH NJW 2006, S. 434, 436 jeweils mwN. 212 Vgl. etwa BGH NJW 1987, S. 2876; BGH NJW 2004, S. 3623 f. und BGH NJW 2006, S. 2262 f. (Anscheinsbeweis) jeweils mwN. 213 Siehe BGH NJW 1995, S. 2169 f. und BGH NJW 2007, S. 372, ff. mwN. (Beweis des äußeren Bildes) jeweils mwN aus der Rechtsprechung; deutlich in dieser Richtung auch Heese, ZZP 123 (2010), S. 49, 56 ff., 68 ff. 214 In diesem Sinne Motsch, rechtsgenügender Beweis, S. 88 ff.; Maassen, Beweismaßprobleme, S. 52 ff.; Kegel, FG-Kronstein, S. 321 ff.; Ekelöf, FS-Baur, S. 343 ff. jeweils mit rechtsvergleichenden Ausführungen. 215 Zusammenfassend Motsch, rechtsgenügender Beweis, S. 247 ff.; Maassen, Beweismaßprobleme, S. 194 ff. 216 Vgl. aus der Rechtsprechung etwa BGH 2006, S. 300 f. und BGH NJW 2012, S. 850 f.; aus der Literatur explizit ablehnend Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 77 ff.; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 167 ff.; eine ausführliche Darstellung findet sich in neuerer Zeit bei Katzenmeier, ZZP 117 (2004), S. 187, 197 ff.; tendenziell verfassungsrechtliche Bedenken sieht Habscheid, FS-Baumgärtel, S. 105, 118. 217 So ausdrücklich Massen, Beweismaßprobleme, S. 54 ff., der die Rechtslage de lege lata als dieser Ansicht entgegenstehend anerkennt und eine Rechtsfortbildung praeter legem vornehmen möchte.
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b) Beweismaß nach EMRK und GRC: Regelungskompetenz der jeweiligen Mitgliedstaaten Für die europäischen Grundrechtsordnungen gehen EGMR und EuGH davon aus, dass die Zulassung und Würdigung von Beweismitteln – und damit letztlich auch die Frage nach dem konkreten Beweismaß – grundsätzlich dem nationalen Prozessrecht unterliegen.218 Allein für einzelne Konstellationen des Verwaltungsverfahrens hat der EuGH entschieden, dass eine bestimmte Beweislastverteilung mit dem unionsrechtlich geforderten effet utile unvereinbar sein kann.219 Entsprechende Entscheidung zur Beweislastverteilungen im Zivilprozess sind demgegenüber nicht ersichtlich. c) Eigene Ansicht Nach hier vertretener Auffassung lassen sich bestimmte Grundzüge des Verhältnisses zwischen Beweismaß und dem Recht auf Beweis für alle drei untersuchten Grundrechtsordnungen gleichermaßen skizzieren: aa) Orientierung am Prozesszweck: Beweismaß als feststehender Rahmen des Prozesses und Maßstab des Rechtsnachweises Ausgangspunkt der Überlegungen soll auch insoweit der Prozesszweck sein: Das Beweismaß hat einen großen Einfluss auf die Erfolgsaussichten eines Rechtsnachweises und somit auch der Rechtsdurchsetzung im Zivilprozess. Je nach Höhe des Beweismaßes ist der Nachweis eigener Rechte umso leichter bzw. schwieriger möglich. Allerdings dient das Beweismaß nicht der Wahrheitsfindung als solcher, sondern legt vielmehr fest, unter welchen Voraussetzungen eine Tatsache als wahr anzusehen ist, mithin der verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsnachweis „Erfolg“ hat. Das Beweismaß stellt dementsprechend eher den Rahmen dar, innerhalb dessen sich Rechtsnachweis und Wahrheitsfindung im Prozess bewegen. In diesem Zusammenhang erscheint es hilfreich, sich erneut die Konzeption des Rechts auf Beweis klarzumachen: Das Recht auf Beweis gewährleistet den Parteien eine effektive Nachweismöglichkeit eigener Rechte im Zivilprozess als Teil effektiven Rechtsschutzes und damit des Justizgewährungsanspruches. Die Parteien müssen somit qua Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta die Möglichkeit erhalten, ihre Rechte mit den ihnen zur Verfügung stehenden Beweismitteln 218
Vgl. für die EMRK insbesondere EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.; ebenso EGMR, Urteil vom 21.01.1999, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 28 = NJW 1999, S. 2429 f.; aus der Literatur zustimmend Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69 ff. mwN; für die europäischen Grundrechte siehe bereits EuGH, Rs C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 67 ff. – Steffensen. 219 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-199/82, Slg. 1983, 03595, Rn. 14 – Amministrazione delle finanze dello Stato / San Giorgio; bestätigt durch EuGH, Rs. C-331/85, Slg. 1988, 01099, Rn. 12 – Bianco und Girad / Directeur général des douanes und droits indirects.
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nachweisen zu dürfen. Demgegenüber gewährleistet das Recht auf Beweis gerade nicht den Erfolg der Beweisführung vor Gericht. Die Parteien bekommen lediglich sämtliche Mittel an die Hand, um den Prozess erfolgreich führen zu können. Diese Unterscheidung ist gerade für den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zum Beweismaß von Bedeutung. bb) Grundsatz: Keine Gewährleistung eines bestimmten Beweismaßes Nach dem eben Gesagten gewährleistet das Recht auf Beweis kein bestimmtes Beweismaß. Das Beweismaß stellt vielmehr grundsätzlich den Rahmen dar, innerhalb dessen sich das Beweisverfahren bewegt. Innerhalb dieses Rahmens gewährleistet das Recht auf Beweis den Parteien eine effektive Beweisführung, um dieses Beweismaß tatsächlich erreichen zu können. Dieser Rahmen unterliegt jedoch grundsätzlich der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber. cc) Ausnahme: Strukturelle Nichterreichbarkeit des Beweismaßes Eine Ausnahme vom diesem Grundsatz wird für das Beweismaß jedoch durch das Erfordernis einer effektiven Geltung der Grundrechte vorgegeben. So muss auch das Recht auf Beweis der Prozessparteien effektiv zur Geltung kommen: Das Beweismaß ist von essentieller Bedeutung für die Rechtsdurchsetzung der Parteien. Je nachdem, welche Voraussetzungen das Beweismaß vorgibt, kann der Nachweis eigener Rechte gelingen oder scheitern. Hieraus folgt aber zugleich die Grenze des Beweismaßes aus dem Recht auf Beweis: Beweisantragsrecht, Beweiserhebung und auch Beweiswürdigung hätten für den Berechtigten wenig Wert, wenn das Beweismaß derart hoch angesetzt würde, dass der Nachweis eigener Rechte stets scheitern würde. Dabei ist gerade nicht auf die konkreten Nachweismöglichkeiten im konkreten Einzelfall abzustellen, sondern vielmehr auf die Frage, ob der Nachweis aufgrund der Höhe des Beweismaßes in jedem denkbaren, vergleichbaren Fall – sozusagen typischerweise – scheitern würde. Es geht also um die Frage, ob eine Partei durch die Höhe des Beweismaßes in derartigen Fallkonstellationen strukturell unterlegen ist und die Inhaber des Rechts auf Beweis ihre Rechte über den Einzelfall hinaus in keinen denkbaren Fall dieser Art mehr nachweisen können. In derartigen, jeweils exakt zu definierenden Fallkonstellationen kann aus dem Gebot effektiver Geltung des Rechts auf Beweis nach hier vertretener Ansicht das Erfordernis einer Senkung des Beweismaßes bzw. sonstiger Anpassungen des Prozessrechts folgen, um eine effektive Rechtsdurchsetzung nicht strukturell unmöglich zu machen. Diese Sichtweise entspricht annäherungsweise der herrschenden Forderung, keine unerfüllbaren Anforderungen an das Beweismaß stellen zu dürfen.220 Vgl. aus der Rechtsprechung bereits BVerfG NJW 1974, S. 1499, 1501 f.; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 232 ff.; ausführlich bereits oben III. 5. a. 220
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6. Beweislast und das Recht auf Beweis In engem Zusammenhang mit dem Beweismaß steht die Beweislast als ein weiterer zu betrachtender Grundsatz des Beweisrechts. Die Beweislast ermöglicht eine Entscheidung im Falle eines sog. non liquet, mithin der Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes im Prozess.221 Somit hat die Beweislast dahingehend eine große prozessuale Bedeutung, dass sie in vielen Fällen eine gerichtliche Entscheidung überhaupt erst ermöglicht.222 Für die Beweislast gilt es in besonderem Maße, verschiedene Begrifflichkeiten zu klären und auseinander zu halten: Die objektive Beweislast wird auch als Feststellungslast bezeichnet. Sie bestimmt als Rechtssatz abstrakt und von vornherein, welche der Prozessparteien das Risiko der Nichterweislichkeit welcher Tatsache zu tragen hat.223 Die subjektive Beweislast (Beweisführungslast) bestimmt demgegenüber, welche Partei in der konkreten prozessualen Situation den Nachweis welcher Tatsache erbringen muss.224 Diese Beweisführungslast kann je nach prozessualer Situation (mehrfach) zwischen den Prozessparteien hin- und her wechseln.225 a) Beweislast und Grundgesetz In der zivilprozessualen Rechtsprechung und Literatur in Deutschland hat die Beweislast ob ihrer Bedeutung für die Entscheidung eines Zivilprozesses eine umfängliche Behandlung erfahren – auch im Hinblick auf etwaige verfassungsrechtliche Anforderungen. aa) Grundsatz: Keine Einwirkung der Grundrechte auf die Beweislast Nach ganz herrschender Auffassung richten sich Beweislastregeln in ihrer Rechtsnatur nach den im jeweiligen Prozess für die Entscheidung einschlägigen Normen. Ganz regelmäßig handelt es sich bei Beweislastnormen daher um solche des materiellen Rechts.226 Die höchstrichterliche Rechtsprechung und weite Teile der Litera221
Vgl. Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 1 ff. So auch Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, der die Beweislast als „Rückgrat des Zivilprozesses“ bezeichnet, Kapitel 9, Rn. 4 mwN; ebenso bereits Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 19. 223 Ausführlich Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 10 ff.; instruktiv auch Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 14 ff. und Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 33 ff. und 267 ff. 224 Siehe wiederum Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 32 ff.; ebenso Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 23 ff. und Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 36 f. 225 Diesen Nachweis hat insbesondere Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 7 ff. und S. 29 f. erbracht. 226 So beispielhaft für die h. M. Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 11, Rn. 16 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 115, Rn. 31 ff.; ausführlich auch Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 26 ff. jeweils mwN; für eine ausschließlich materi222
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tur gehen hiernach davon aus, dass die prozessualen und materiellen Grundrechte grundsätzlich keinen Einfluss auf die Beweislast haben.227 Dies gilt in besonderem Maße für die Verteilung der objektiven Beweislast: Als von vornherein feststehende Verteilung des Risikos der Nichterweislichkeit soll die objektive Beweislast ausschließlich mittels einer Rechtsnorm oder einer entsprechenden richterlichen Rechtsfortbildung zu verändern sein.228 Doch auch die subjektive Beweislast soll nicht ohne weiteres im Einzelfall verändert werden können. Die Rechtsprechung lehnt eine Verteilung der Beweislast nach Billigkeitserwägungen im Einzelfall regelmäßig ab.229 Eine einzelfallabhängige Verteilung würde nach den Befürchtungen von Rechtsprechung und herrschendem Schrifttum die Rechtsanwendungsgleichheit ebenso wie die Rechtssicherheit gefährden.230 Zudem wird in der Literatur kritisch angemerkt, dass sich aus der Verfassung schwerlich eine konkrete Verteilung der Beweislast für den einzelnen Prozess ableiten lasse.231 bb) Ausnahme: Abweichende Verteilung zwecks effektiven Rechtsschutzes Allerdings bleibt dieser Grundsatz keineswegs ohne Ausnahmen. Vielmehr kann ein Abweichen von den Grundsätzen der Beweislastverteilung im Einzelfall bzw. in bestimmten Fallkonstellationen insgesamt geboten sein: Das Bundesverfassungsgericht hat zwar ein Recht der Prozessparteien auf eine gleichmäßige Risikoverteilung als materiellen Gehalt der prozessualen Waffengleichheit mit denkbar knapper Mehrheit abgelehnt.232 Doch auch das Verfassungsgericht erkennt in einzelnen Fallkonstellationen die Notwendigkeit einer bestimmten Beweislastverteilung durchaus ell-rechtliche Rechtsnatur demgegenüber Bruns, ZPO, S. 251; Redeker, NJW 1966, S. 1777, 1780 f.; für eine rein prozessuale Natur von Beweislastnormen Häsemeyer, AcP 188 (1988), S. 140, 165 f.; Rechberger, FS-Baumgärtel, S. 471, 489. 227 Vgl. insbesondere die bekannte Arzthaftungsentscheidung BVerfGE 52, S. 131, 158 ff.; ähnlich BVerfGE 97, S. 169, 179 und BVerfG NJW 2013, S. 3630 ff.; ähnlich auch BGH NJW-RR 1997, S. 892 und BGH NJW-RR 2010, S. 1378, 1379; aus der Literatur siehe etwa Baumgärtel/ Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 23 ff.; Stürner, NJW 1979, S. 2334, 2338 f.; Reinhardt, NJW 1994, S. 93, 96 ff.; Baumgärtel, FS-Matscher, S. 29, 35 ff.; zustimmend für das Verfassungsrecht Krämer, FS-Geiss, S. 437, 441 ff. 228 Ausführlich Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 23 ff.; zur Einordnung von Beweislastnormen siehe auch Heinrich, FS-Musielak, S. 231 ff. 229 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1997, S. 892 und BGH NJW-RR 2010, S. 1378, 1379 jeweils mwN; Kritik an Billigkeitsentscheidungen der Rechtsprechung übt demgegenüber Baumgärtel/ Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 23 ff. 230 Vgl. etwa BGH NJW 1986, S. 2571, 2572; BGH NJW 2004, S. 2011, 2013; ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen auch Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 20; Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 20, 184 ff. 231 In diese Richtung gehen einige Anmerkungen von Stürner, NJW 1979, S. 2335 ff. mwN. 232 In diesem Sinne die die Entscheidung tragenden Stimmen in BVerfGE 52, S. 131, 153 ff.; zustimmend etwa Stürner, NJW 1979, S. 2334, 2338 f.; Baumgärtel, FS-Matscher, S. 29, 35 ff.; Krämer, FS-Geiss, S. 437, 441 ff.
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an. Das Bundesverfassungsgericht hat für verschiedene Grundrechte explizit ausgesprochen, dass die Verteilung der Beweislast eine Durchsetzung und damit die Verwirklichung dieser Rechte nicht faktisch unmöglich machen darf.233 In diesen Konstellationen war es einer Partei aufgrund struktureller Informationsdefizite typischerweise nicht möglich, ihre Rechte positiv nachzuweisen, und aufgrund der zugleich zu tragenden, objektiven und subjektiven Beweislast hätte die Partei den angestrengten Prozess stets verloren und somit faktisch keine Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung erhalten.234 Als Grundregel lässt sich daher festhalten, dass die Grenze der zulässigen Beweislastverteilung dort verläuft, wo das Verfahrensrecht die Durchsetzung des materiellen Rechts faktisch ausschließt oder auch nur unverhältnismäßig erschwert. Hierbei handelt es sich letztlich um eine Folgerung aus dem Recht auf effektiven Rechtsschutz.235 Darüber hinaus hat die Rechtsprechung unter Zustimmung der Literatur in weiteren Konstellationen Veränderungen an der Beweislast vorgenommen: Als Fallgestaltungen zu nennen sind hier grobe Pflichtverletzungen236, die Verletzung von Dokumentationspflichten237 und sonstige Fälle einer (fahrlässigen oder vorsätzlichen) Beweisvereitelung.238 Die beiden erstgenannten Fallkonstellationen werden von der Rechtsprechung lediglich als besondere Fallgestaltungen der Beweisvereitelung angesehen: Der BGH hat explizit darauf abgestellt, dass der zu führende Beweis für die beweisbelastete Gegenpartei durch die grobe Pflichtverletzung bzw. die Dokumentationspflichtverletzung nun schwieriger zu führen sei.239 Aus dieser Verhinderung einer erfolgreichen Beweisführung der anderen Partei wird sodann die Umkehrung des Risikos des Misslingens dieser Beweisführung abgeleitet – jeweils differenzierend nach Vorsatz und Fahrlässigkeit.240 In beiden angesprochenen Konstellationen der Veränderung der Beweislast ist fraglich, ob es sich um die ob233 In diesem Sinne bereits BVerfGE 24, S. 367, 401; bestätigt in BVerfGE 35, S. 348, 361 f. und BVerfG NJW 1974, S. 1499, 1501 f. (Art. 14 GG); BVerfGE 53, S. 30, 65 (Art. 2 II GG) und BVerfG NJW 1983, S. 1179, 1180 (zum APR); zustimmend Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 26; Stürner, NJW 1979, S. 2334, 2336 ff.; Baumgärtel, FS-Matscher, S. 29, 35 ff.; Krämer, FS-Geiss, S. 437, 441 ff.; Reinhardt, NJW 1994, S. 93, 96 ff. 234 Vgl. wiederum BVerfGE 35, S. 348, 361 f.; BVerfG NJW 1974, S. 1499, 1501 f.; BVerfGE 53, S. 30, 65; BVerfG NJW 1983, S. 1179, 1180; in jüngster Zeit sehr instruktiv BVerfG NJW 2013, S. 3630, 3631 ff. 235 In diese Richtung gehen die Entscheidungen BVerfGE 35, S. 348, 361 f.; BVerfG NJW 1974, S. 1499, 1501; BVerfGE 53, S. 30, 65; BVerfG NJW 1983, S. 1179; siehe wiederum BVerfG NJW 2013, S. 3630, 3631 ff. 236 Vgl. etwa BGH NJW 1983, S. 333, 334; BGH NJW 1992, S. 754, 755 jeweils mwN. 237 Siehe etwa BGH NJW 1978, S. 2337, 2338 f.; BGH NJW 1998, S. 79, 80 f. jeweils mwN. 238 Ausführlich zu den Grundlagen der Sanktionierung von Beweisvereitelungen BGH NJW 1986, S. 59, 60 f.; explizit auch BGH NJW 1992, S. 754, 755. 239 Eine sehr schöne Zusammenfassung dieser Sichtweise bietet BGH NJW-RR 2010, S. 1378, 1379. 240 Ausführlich BGH NJW 1986, S. 59, 60 f. und BGH NJW-RR 2010, S. 1378, 1379 f.
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jektive oder subjektive Beweislast handelt. Im Hinblick auf das Erfordernis einer richterlichen Rechtsfortbildung für eine Umkehrung der objektiven Beweislast241, kommt eine Solche wohl nur in Fallgestaltungen typischerweise misslingender Rechtsdurchsetzung in Betracht. Für die Konstellationen einer Beweisvereitelung wird in der Literatur herausgearbeitet, dass die Rechtsprechung regelmäßig lediglich die konkrete Beweisführungslast umkehrt.242 cc) Teile der Literatur: Weitergehende Beweislastverteilung durch das GG In der Literatur wird weitergehend eine ganze Reihe von Kriterien für eine Beweislastverteilung diskutiert. Von einer Ausrichtung der Beweislast an der Billigkeit, an einzelnen Gefahrbereichen bzw. Sphären, dem Kriterium der Effizienz, bis hin zu einer Orientierung der Beweislastverteilung im Zivilprozess an den Grundrechten.243 Nach dieser Ansicht ist die Beweislastverteilung letztlich eine Form der materiell-rechtlichen Risikozuweisung.244 Die Wertungsbasis für diese Beweislastverteilung solle daher explizit in der Verfassung als oberster Wertungsordnung gesucht werden.245 In der Theorie würde die Verteilung der Beweislast sich hiernach an einem materiellen Gehalt der prozessualen Waffengleichheit iSe einer gleichmäßigen Risikoverteilung und am Gewährleistungsgehalt der materiellen Grundrechte orientieren.246 Allerdings führt diese Sichtweise in der Praxis nahezu durchgehend zu einer Bestätigung der Ergebnisse der herrschenden Meinung. Die grundsätzliche Beweislastverteilung solle nicht angetastet werden.247 Eine Veränderung der Beweislastverteilung komme nur dann in Betracht, wenn die Rechtsdurchsetzung vereitelt würde.248 Diese Sichtweise entspricht indes nahezu wortgleich der herrschenden Meinung.
241 Vgl. wiederum Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 9, Rn. 23 ff. mwN. 242 Diesen Aspekt arbeitet Musielak, FG-BGH III, S. 193, 210 ff. anschaulich heraus; ebenso die kritische, nur im Ergebnis zustimmende Analyse von Laumen, NJW 2002, S. 3739, 3741 ff. 243 Für eine Herleitung der Beweislastverteilung aus dem Grundgesetz Schlemmer-Schulte, Beweislast und Grundgesetz, S. 37 ff.; für eine Verteilung nach Gefahrbereichen etwa Prölss, Beweiserleichterungen, S. 65 ff.; für die Verteilung der Beweislast anhand eines Effizienzkriteriums Friedl, Beweislastverteilung, S. 74 ff. 244 In diesem Sinne Schlemmer-Schulte, Beweislast und Grundgesetz, S. 25 f. 245 So Schlemmer-Schulte, Beweislast und Grundgesetz, S. 37 ff. 246 Siehe wiederum Schlemmer-Schulte, Beweislast und Grundgesetz, S. 81 ff. 247 Vgl. die konkreten Ergebnisse der Analyse von Schlemmer-Schulte, Beweislast und Grundgesetz, S. 97 ff. 248 Siehe einmal mehr Schlemmer-Schulte, Beweislast und Grundgesetz, S. 97 ff.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
b) Beweislast nach EMRK und GRC: Regelungskompetenz der jeweiligen Mitgliedstaaten Für die europäischen Grundrechtsordnungen gehen EGMR und EuGH in Übereinstimmung mit dem jeweiligen Schrifttum auch in Bezug auf die Beweislast vom allgemeinen Grundsatz aus, dass die Zulassung und Würdigung von Beweismitteln dem nationalen Prozessrecht unterliegen.249 Konkrete Entscheidungen zu einer bestimmten, durch die EMRK oder die Grundrechtecharta determinierten Beweislastverteilung sind demgegenüber nicht ersichtlich. c) Eigene Ansicht Das Institut der Beweislast weist im Hinblick auf seine Funktion als Regelung für Fallkonstellationen, in denen ein Nachweis der behaupteten Tatsachen mangels Erreichens des gesetzlichen Beweismaßes scheitert, gewisse Verbindungen zum Recht auf Beweis auf: aa) Orientierung am Prozesszweck: Beweislast als weiter, abstrakter Rahmen des Prozesses im Falle der Nichterweislichkeit einer Tatsache Der Nachweis eigener Rechte kann sich im Einzelfall sehr schwierig gestalten, so dass eine Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen ein häufiges Phänomen vor Gericht darstellt und dementsprechend über die Durchsetzung oder Nichtdurchsetzung eigener Rechte entscheidet. Allerdings orientieren sich Beweislastentscheidungen nur sehr indirekt an der Wahrheitsfindung im konkreten Prozess. Beweislastregeln wohnt zwar ein eigener Gerechtigkeitsgehalt inne und regelmäßig orientieren sie sich an der Frage, welcher Sachverhalt in vergleichbaren Konstellationen typischerweise vorliegt.250 Dennoch bilden sie keine Entscheidung anhand des bisherigen Rechtsnachweises der Parteien und damit der Wahrheitsfindung im konkreten Einzelfall ab. Vielmehr handelt es sich um ein Hilfsmittel für Fallkonstellationen, in denen die Wahrheit schlicht unerweislich ist und es somit an einer tatsächlichen Entscheidungsgrundlage mangelt. In diesem Sinne ist die Beweislast dem eigentlichen Beweisverfahren zeitlich nachgelagert und stellt sich wiederum eher als ein Rahmen des Prozesses dar.
249 Vgl. für die EMRK etwa Vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.; ebenso EGMR, Urteil vom 21.01.1999, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 28 = NJW 1999, S. 2429 f.; aus der Literatur Grabenwarter/ Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69 ff. jeweils mwN; für die europäischen Grundrechte siehe bereits EuGH, Rs C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 67 ff. – Steffensen. 250 Ausführlich oben § 7 III. 6. a.
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bb) Grundsatz: Keine Gewährleistung einer bestimmten Beweislastverteilung Hieraus resultiert zugleich ein dem Beweismaß vergleichbarer Grundsatz: Das Recht auf Beweis gewährleistet nach hier vertretener Meinung keine bestimmte Art der Beweislastverteilung. Die Verteilung der Beweislast bildet vielmehr einen Rahmen, der – zumindest in Bezug auf die objektive Beweislast – bereits vor Prozessbeginn abstrakt feststeht und für beide Parteien Geltung beansprucht.251 Erneut muss man sich die Unterscheidung zwischen dem Recht auf Beweis iSe Rechts auf eine effektive Möglichkeit des Rechtsnachweises und einem Recht auf den Prozessgewinn klarmachen. Die Prozessparteien müssen auch unter Geltung des Rechts auf Beweis grundsätzlich damit leben, dass eine behauptete Tatsache vor Gericht möglicherweise unerweislich bleibt und das Gesetz einer von beiden Parteien das Risiko dieser Nichterweislichkeit nach sachlichen Kriterien aufbürdet. Die Ausgestaltung der Beweislast obliegt daher grundsätzlich dem Gesetzgeber. cc) Ausnahme: Strukturelle Unterlegenheit durch die Beweislastverteilung Doch auch die Regelungen über die Beweislast schweben in keinem gänzlich grundrechtsfreien Raum: Vielmehr bedarf die Beweislast einer ähnlichen Grenzziehung, wie bereits das Beweismaß. Das Recht auf Beweis und die Beweislast kollidieren im Hinblick auf das Gebot einer effektiven Rechtsdurchsetzung teilweise miteinander. Insoweit weist die Beweislast einen engen Bezug zum Beweismaß auf: Eine Partei, die die Beweislast für eine Tatsache trägt, wird im Prozess in aller Regel den Nachweis dieser Tatsache versuchen. Wenn diese Partei sodann mit ihrem Nachweis an einem strukturell zu hohen Beweismaß scheitert, so würde eine entsprechende Beweislastentscheidung die problematische Höhe des Beweismaßes sozusagen perpetuieren. Diejenige Partei, die die Beweislast in dieser Fallkonstellation tragen würde, wäre nicht nur im konkreten Einzelfall, sondern in jedem denkbaren Fall dieser Konstellation strukturell an der Durchsetzung ihrer Rechte gehindert. In derartigen Fallgestaltungen kann das Recht auf Beweis iSe effektiven Nachweismöglichkeit eigener Rechte mithin durch die Verteilung der Beweislast verletzt werden und aus dem Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht ausnahmsweise eine von der gesetzlichen Grundstruktur abweichende Beweislastverteilung folgen. Erforderlich ist jedoch auch in dieser Konstellation, dass die Beweislastverteilung die Rechtsdurchsetzung über den Einzelfall hinaus in jeder denkbaren und vergleichbaren Fallgestaltung unmöglich machen würde. Wiederum zeigt sich eine deutliche Nähe zur herrschenden Sichtweise, die von „Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast“ spricht.252
251 252
In diesem Sinne auch die h. M. zur objektiven Beweislast, siehe wiederum § 7 III. 6. a. So etwa BGH NJW 2004, S. 222 und BGH NJW 2006, S. 434, 436 jeweils mwN.
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7. Sicherung von Beweismitteln im Vorfeld einer Beweisaufnahme Eine weitere, grundlegende Fragestellung im Vorfeld einer Beweisaufnahme betrifft die Sicherung der Beweismittel vor einer etwaigen Verschlechterung vom Zeitpunkt ihrer Entstehung bis zu ihrer Erhebung im Zivilprozess. Es stellt sich die Frage, ob den Parteien ein Recht auf Sicherung dieser Beweismittel im Vorfeld des Prozesses oder zumindest im Vorfeld der eigentlichen Beweiserhebung in einem bereits anhängigen Prozess zukommt. a) Die Sicherung von Beweismitteln im GG Diese Fragestellung hat selbst für das deutsche Grundgesetz nur eine sehr zurückhaltende Behandlung in Rechtsprechung und Literatur erfahren. aa) BVerfG: Anerkennung eines Rechts auf effektiven Rechtsschutz Das Bundesverfassungsgericht leitet unter Zustimmung der Literatur aus dem Justizgewährungsanspruch ein Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz ab.253 Dieses Recht auf effektiven Rechtsschutz umfasst unter anderem das bereits dargestellte Recht auf eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Sachverhaltes.254 Dieses Recht bezieht sich allerdings in erster Linie auf die Prüfungskompetenz des Gerichts sowie das Recht der Parteien auf eine solche Prüfung innerhalb des Prozesses und weniger auf die vorgeschaltete Sicherung von Beweismitteln.255 Allerdings gewährleistet das Recht auf effektiven Rechtsschutz darüber hinaus ein Recht auf rechtzeitigen Rechtsschutz.256 Der Grundgedanke lässt sich dahingehend zusammenfassen, dass in bestimmten Fällen nur eine möglichst schnelle gerichtliche Entscheidung als Rechtsschutz gelten kann, da andernfalls durch Zeitablauf unabänderbare Fakten geschaffen werden. In diesem Sinne wird in bestimmten Fallkonstellationen der vorläufige Rechtsschutz verfassungsrechtlich gewährleistet.257 Dieser Gedanke könnte nun auch auf die vorläufige Sicherung der Beweismittel als wesentliche Grundlage für einen effektiven Rechtsnachweis einer jeden Prozesspartei übertragen werden. Die Möglichkeit einer eiligen, vorläufigen Sicherung von Be-
253 In diesem Sinne bereits BVerfGE 60, S. 305, 310; darauf aufbauen BVerfGE 74, S. 228, 233 f.; BVerfG NJW 2011, S. 49 f. jeweils mwN. 254 Vgl. BVerfGE 54, S. 277, 291; BVerfGE 84, S. 366, 369 und BVerfG NJW 1997, S. 311, 312 jeweils mwN. 255 Anschaulich BVerfGE 84, S. 366, 369; ausführlich auch Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 81 ff. 256 In diesem Sinne bereits BVerfGE 35, S. 382, 401 f.; ebenso BVerfGE 94, S. 166, 216; aus der Literatur siehe Uhle, FS-Würtenberger, S. 935, 950 f. und Isensee/Kirchhof-Papier, HStR VIII, § 177, Rn. 95 jeweils mwN. 257 Vgl. wiederum BVerfGE 35, S. 382, 401 f. und BVerfGE 94, S. 166, 216 mwN.
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weismitteln würde sich hiernach als Voraussetzung für den späteren, effektiven Rechtsnachweis und damit eine effektive Rechtsdurchsetzung darstellen. Im einfachen Recht hat dieser Gedanke zumindest im Ansatz seine Ausprägung im selbstständigen Beweisverfahren nach den §§ 485 ff. ZPO gefunden.258 Diese besondere Verfahrensart wird aber soweit ersichtlich in Rechtsprechung und herrschendem Schrifttum ausschließlich nach Maßgabe des einfachen Rechts diskutiert.259 Eine etwaige verfassungsrechtliche Fundierung eines Kernbereiches der präventiven Sicherung von Beweismitteln wird demgegenüber regelmäßig nicht in Betracht gezogen. Vielmehr konzentriert sich die Diskussion auf die nachträgliche Sanktionierung einer fahrlässigen oder vorsätzlichen Verschlechterung von Beweismitteln durch eine Partei oder einen Dritten. Die Diskussion wird mithin rein repressiv unter dem Stichwort der Beweisvereitelung geführt, sodann zumindest in Ansätzen auch im Hinblick auf verfassungsrechtliche Gewährleistungen.260 Es wurde soeben dargestellt, dass Beweismaß und Beweislast keine unerfüllbaren Anforderungen an den Rechtsnachweis stellen dürfen.261 In diesem Sinne darf aber auch das fahrlässige oder vorsätzliche Vereiteln eines Rechtsnachweises nicht zum Rechtsverlust der benachteiligten Partei führen.262 Insoweit erscheint der Schutz einer Prozesspartei vor fahrlässigem oder vorsätzlichem Beweisverlust zumindest repressiv durch etwaige gerichtliche Sanktionen im Grundsatz als verfassungsrechtlich abgesichert. bb) Teile der Literatur: Explizite Gewährleistung einer Beweissicherung Vereinzelt wird in der Literatur auch die präventive, vorprozessuale Beweissicherung im Hinblick auf eine verfassungsrechtliche Fundierung diskutiert.263 So wurde bereits das Beweissicherungsverfahren als Vorläufer des heutigen, selbstständigen Beweissicherungsverfahrens der §§ 485 ff. ZPO als ein Ausfluss des Rechts auf effektiven Rechtsschutz und damit des Justizgewährungsanspruches angesehen.264 Teilweise wird die vorprozessuale Beweissicherung ausdrücklich als Gewährleistungsgehalt eines Rechts auf Beweis betrachtet.265 Diese Gewährleistung stelle sich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 52, Rn. 1 ff. Eine ausführliche einfach-rechtliche Darstellung liefert BGH NJW 2014, S. 789, 790 f.; aus der Literatur siehe Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 52, Rn. 1 ff. 260 Ausführlich Krautstrunk, Beweisvereitelung, S. 113 ff.; explizit für eine verfassungsrechtliche Sanktionierung beweisvereitelnden Verhaltens spricht sich Stürner, NJW 1979, S. 2234, 2236 aus. 261 Vgl. die obigen Ausführungen III. 5. und 6. 262 In diesem Sinne BVerfG NJW 1974, S. 1499, 1501 f. (Beweismaß) und BVerfGE 35, S. 348, 361 f.; BVerfGE 53, S. 30, 65 (Beweislast); ausführlich aus der Literatur Krautstrunkt, Beweisvereitelung, S. 113 ff. 263 Vgl. die Ausführungen von Schilken, ZZP 92 (1979), S. 238, 247 f. und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 67 f. 264 In diesem Sinne Schilken, ZZP 92 (1979), S. 238, 247 f. 265 So Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 67 f., der auf dieser Möglichkeit einer 258 Ausführlich 259
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als wesentliche Sicherung einer späteren Nachweismöglichkeit eigener Rechte im Zivilprozess und damit letztlich als Ausfluss des Justizgewährungsanspruches dar.266 b) Keine Gewährleistung in EMRK und GRC nach Rechtsprechung und Literatur Für die europäischen Grundrechtsordnungen finden sich demgegenüber – soweit ersichtlich – keine Entscheidungen, die auf ein Recht auf Sicherung von Beweismitteln aus der EMRK oder der europäischen Grundrechtecharta schließen lassen und auch in der Literatur hat diese Fragestellung keine vertiefte Behandlung erfahren. c) Eigene Ansicht Nach hier vertretener Auffassung stellt das Recht auf eine vorprozessuale wie auch prozessuale Sicherung von Beweismitteln einen ganz wesentlichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta gleichermaßen dar. aa) Orientierung am Prozesszweck: Sicherung von Beweismitteln als Grundlage eines späteren Rechtsnachweises Die Sicherung von Beweismitteln im Vorfeld ihrer tatsächlichen Erhebung hat eine erkennbar große Bedeutung für die Effektivität des Rechtsnachweises einer Prozess partei. Beweismittel sind die Grundlage der Überzeugungsbildung des Gerichts als neutralen Entscheiders. Diesen Beweismitteln droht allerdings vielfach eine Verschlechterung: Zwischen dem in Streit stehenden Sachverhalt und dem Zivilprozess bzw. der Erhebung von Beweismitteln über diesen Sachverhalt kann je nach Einzelfall einige Zeit verstreichen. Es liegt in der Natur vieler Beweismittel, dass ihre Qualität im Laufe der Zeit abnimmt – zu begutachtende Orte verändern sich, Zeugen vergessen wichtige Details ihrer Beobachtung.267 Neben einem zufälligen Verlust von Beweismitteln kommt außerdem eine fahrlässige oder sogar vorsätzliche Verschlechterung eines Beweismittels durch die Gegenpartei oder einen am Prozessausgang interessierten Dritten in Betracht, mithin die Vereitelung eines Beweises.268 Die frühzeitige Möglichkeit der Sicherung von Beweismittel kann daher einen ganz erheblichen Einfluss auf die Qualität dieser Beweismittel und damit die Beweissicherung die dogmatische Herleitung des Recht auf Beweis im Justizgewährungsanspruch stützt. 266 Vgl. wiederum Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 67 f.; kritisch demgegenüber Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 52, Rn. 13 f. 267 Ausführlich zu den Gefahren, die insbesondere dem Zeugen als Beweismittel mit Zeitablauf drohen, Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 28 ff. mwN. 268 Anschaulich BGH NJW 1986, S. 59, 60 f. und BGH NJW 1997, S. 3311, 3312 f.; siehe auch Baumgärtel, FS-Kralik, S. 63 ff.; ausführlich Baumgärtel/Laumen/Prütting-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 2 ff.
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Möglichkeiten des Rechtsnachweises wie auch der Wahrheitserforschung im anschließenden Zivilprozess haben. bb) Recht der Parteien auf eine effektive Sicherung von Beweismitteln Das Recht auf Beweis gewährleistet nach hier vertretener Auffassung mithin ein Recht auf Sicherung von Beweismitteln im Vorfeld ihrer Erhebung. Eine effektive Möglichkeit der Beweisführung im Prozess setzt insoweit voraus, dass die Beweismittel im Zeitpunkt ihrer Erhebung auch tatsächlich noch existieren und keine Verschlechterung erfahren haben, die ihren Beweiswert mindert bzw. gänzlich ausschließt. Diese Sicherungsmöglichkeit muss dabei das Vorfeld des Prozesses ebenso erfassen, wie das Vorfeld der Beweisaufnahme im Zivilprozess. Den Parteien müssen Instrumente an die Hand gegeben werden, um ihre Beweismittel bis zu diesem Zeitpunkt der Erhebung effektiv zu sichern. Dieser Ansicht lässt sich nicht entgegenhalten, dass eine vorprozessuale Beweissicherung im Widerspruch zum prozessualen Grundrechte eines Rechts auf Beweis stehen würde. Im Rahmen der dogmatischen Einordnung wurde das Recht auf Beweis für das Grundgesetz als Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches eingeordnet, konkret des Rechts auf effektiven Rechtsschutz. Die Gewährleistungen dieses Justizgewährungsanspruches betreffen aber auch und gerade den Zugang zu einem Prozess und damit letztlich das Vorfeld des Prozesses. Gleiches lässt sich für das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC als Grundlage des Rechts auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta konstatieren. So wurde bereits durch den EGMR ein Recht auf effektiven Zugang zu Gericht entwickelt, das sich seinem Wesen nach auf das Vorfeld des eigentlichen Zivilprozesses beziehen muss.269 Dieser Ansatz zeigt richtigerweise auf, dass sich das Recht auf ein faires Verfahren zu seiner effektiven Geltung in gewissem Umfang auch auf das Vorfeld des eigentlichen Zivilprozesses beziehen muss. Die vorläufige Sicherung von Beweismitteln bis zu ihrer Erhebung im eigentlichen Zivilprozess stellt sich insoweit als eine weniger weitgehende Gewährleistung dar. Mithin haben die Prozessparteien als Ausfluss des Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen ein Recht auf eine effektive Sicherungsmöglichkeit ihrer Beweismittel im Vorfeld eines Prozesses wie auch im Vorfeld der Beweisaufnahme innerhalb des Prozesses. Ob diese Sicherung von Beweismitteln präventiv durch ein spezielles Beweisverfahren erreicht werden kann oder eher durch eine repressive Anordnung von Sanktionen im Fall der Beweisverschlechterung durch menschliches Verhalten, ist in erster Linie eine Frage des gesetzgeberischen Ermessens. Die einzige zu beachtende Grenze des Gesetzgebers ist in der Effektivität der angebotenen Sicherungsmöglichkeiten für die Prozessparteien zu sehen. 269
In diesem Sinne die Herleitung durch EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. UK, Rn. 26 ff.
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8. Die weiteren beweisrechtlichen Grundsätze nach Rechtsprechung und Literatur in ihrem Verhältnis zum Recht auf Beweis Neben diesen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis wurden in der jeweiligen Rechtsprechung und Literatur zu allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen weitere Gewährleistungen mit beweisrechtlichem Bezug entwickelt. Diese Gewährleistungen zeichnen sich nach hier vertretener Ansicht jedoch allesamt dadurch aus, dass sie in den Grundsätzen und Gewährleistungen des Rechts auf Beweis vollumfänglich aufgehen. Daher sollen diese Grundsätze in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur lediglich kurz beleuchtet und im Hinblick auf ihr Verhältnis zum Recht auf Beweis eingeordnet werden. a) Das Recht auf eine faire Handhabung des Beweisrechts aus Art. 2 I iVm Art. 20 III GG Das Recht auf ein faires Verfahren wurde durch das Bundesverfassungsgericht aus Art. 2 I GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) hergeleitet.270 Seine Geltung erstreckt sich nach inzwischen ständiger Rechtsprechung auch auf den Zivilprozess.271 Das Recht auf ein faires Verfahren enthält nach dem Bundesverfassungsgericht Anforderungen an das Beweisrecht und die diesbezügliche Verfahrensleitung in Form einer fairen Handhabung des Beweisrechts durch das erkennende Gericht.272 So liegt ein Verstoß gegen diesen Grundsatz vor, wenn das Gericht einen Antrag trotz eigenem Verschulden als verspätet zurückweist.273 Letztlich hat das Gericht hiernach auch im Beweisverfahren Rücksicht auf die Parteien in ihrer konkreten Situation zu nehmen.274 Weiterhin sieht das Bundesverfassungsgericht das Recht auf ein faires Verfahren dann als verletzt an, wenn das Gericht die Richtigkeit bestrittener Tatsachen ohne hinreichende Prüfung bejaht.275 Im konkreten Fall ging es um die Befundtatsachen, auf deren Feststellung ein Sachverständiger sein Gutachten gestützt hatte.276 Die Parteien haben hiernach das Recht, an dieser Prüfung 270 Zur dogmatischen Einordnung vgl. etwa BVerfGE 57, S. 250, 275; BVerfGE 78, S. 123, 126; aus neuer Zeit BVerfG NJW 1991, S. 3140 und BVerfG NJW 2004 S. 1097 jeweils mwN. 271 Vgl. zur Übertragbarkeit dieser Gewährleistungen auf den Zivilprozess BVerfGE 49, S. 220, 225; bestätigt durch BVerfGE 52, S. 131, 145; in neuerer Zeit BVerfGE 117, S. 202, 240 für das familiengerichtliche Verfahren. 272 Im Rahmen von BVerfGE 52, S. 133, 144 f. noch als Minderheitsvotum; in neuerer Zeit ausdrücklich BVerfGE 106, S. 28, 48; BVerfGE 117, S. 202, 240 und BVerfG NJW 2013, S. 3630, 3632 f. 273 Vgl. etwa BVerfGE 69, S. 381, 385 f.; BVerfGE 78, S. 123, 126; dazu auch Merten/PapierUhle, HGR V, Bd. V, § 129, Rn. 61 mwN. 274 So etwa BVerfGE 78, S. 123, 126; siehe auch Tettinger, Fairness, S. 38 ff. und Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 59 ff. jeweils mwN. 275 So BVerfGE 91, S. 176, 181. 276 Vgl. BVerfGE 91, S. 176, 181 ff.
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der konkreten Befundtatsachen mitzuwirken, während den Sachverständigen wie auch das Gericht die Verpflichtung trifft, diese Befundtatsachen zugänglich zu machen.277 Abschließend erfordert die faire Handhabung des Beweisrechts nach dem Bundesverfassungsgericht auch eine faire Handhabung der Beweislastverteilung.278 Zusammenfassend liegt der Kern des Rechts auf ein faires Verfahren darin, die Verfahrensführung des Gerichts im Beweisverfahren in gewisse, faire und vorhersehbare Bahnen zu leiten. Eben diese faire und vorhersehbare Handhabung des Beweisverfahrens ist nach hier vertretener Ansicht als elementare Voraussetzung eines effektiven Rechtsnachweises der Prozessparteien gleichfalls vom Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis abgedeckt. So ist das Recht auf Offenlegung der Tatsachengrundlage eines Sachverständigengutachtens ebenso von den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis umfasst, wie gewisse Anforderungen an die Beweislastverteilung.279 Die bisher in der Rechtsprechung entwickelten Fallkonstellationen des Fairnessgedankens unterfallen nach hier vertretener Auffassung allesamt den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis. Das Verhältnis zwischen dem Recht auf Beweis und dem Recht auf eine faire Handhabung des Beweisrechts lässt sich daher unter Rekurs auf die allgemeine Subsidiarität des Rechts auf ein faires Verfahren sachgerecht lösen: Das Recht auf eine faire Handhabung stellt gegenüber dem spezielleren Recht auf Beweis einen Auffangtatbestand dar. Allerdings sind nach hier vertretener Auffassungen kaum Konstellationen denkbar, in denen das Beweisrecht unfair gehandhabt wird und dennoch das Recht auf einen effektiven Nachweis eigener Rechte gewahrt bleibt. b) Das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren aus Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC Weiterhin im Rahmen der beweisrechtlichen Grundsätze zu nennen ist das Recht auf eine kontradiktorische Beweisaufnahme.280 In seiner Rechtsprechung hat der EGMR den kontradiktorischen Charakter eines Prozesses insgesamt als einen wesentlichen Bestandteile der Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK herausgearbeitet.281 Dieser 277
Vgl. wiederum BVerfGE 91, S. 176, 181 ff. Vgl. bereits BVerfGE 52, S. 131, 145 ff.; in neuerer Zeit explizit BVerfGE 106, S. 28, 48 und BVerfGE 117, S. 202, 240; zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Beweislastverteilung siehe oben III. 6. 279 Siehe III. 6. und zur Offenlegung der Tatsachengrundlage eines Sachverständigengutachtens § 12 II. 5. a. 280 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 20.02.1996, 15764/ 89, Lobo Machado ./. PORT, Rn. 31; EGMR, Urteil vom 12.12.2001, K.S. ./. FIN, Rn. 21; ebenso EGMR, Urteil vom 03.12.2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 56 f.; EMGR, Urteil vom 04.01.2008, 63610/00 und 388692/05 – Forum Maritime S.A. ./. RO, Rn. 147 jeweils mwN. 281 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 28.08.1991, Brandstetter ./. AUT, Rn. 66 ff.; siehe weiter EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. GB, Rn. 60 f.; EGMR, Urteil vom 278
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Grundsatz beansprucht auch und gerade im Zivilprozess seine Geltung.282 Innerhalb des Zivilprozesses umfasst der kontradiktorische Charakter des Prozesses das Beweisrecht in Form eines Rechts auf eine kontradiktorische Beweisaufnahme.283 Konkret gewährleistet dieser Grundsatz den Parteien des Zivilprozesses nach Rechtsprechung und Literatur, dass sie jederzeit die Möglichkeit haben, die Authentizität des Beweismaterials in Frage zu stellen.284 Mithin gibt die EMRK den Parteien nach dem EGMR jeweils das Recht auf Führung eines Gegen(teils-)beweises. Somit erscheinen Rechtsinstitute wie unwiderlegbare gesetzliche Vermutungen jedenfalls nicht ohne weiteres mit der Konvention vereinbar zu sein.285 Der EuGH hat sich dieser Rechtsprechung des EGMR bereits vor Geltung der Grundrechtecharta explizit angeschlossen und den Grundsatz eines kontradiktorischen Verfahrens entwickelt.286 Die Parteien sollen hiernach eine echte Möglichkeit der wirksamen Stellungnahme zu allen Beweismitteln innehaben.287 Dogmatisch dürfte sich dieses Recht im Hinblick auf die Orientierung an der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 I EMRK als Teilgehalt des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC darstellen. Der EuGH betont dieses Recht der Parteien insbesondere bei Beweismitteln aus einem technischen Bereich, in dem das Gericht nicht über hinreichende Sachkunde verfüge und dieses Beweismittel geeignet sei, die Tatsachenwürdigung des Gerichts maßgeblich zu beeinflussen.288 Wenn sich ein Gericht bei seiner Entscheidung also in hohem Maße auf ein Sachverständigengutachten stützt, ohne dass ein Gegengutachten einer der Parteien möglich ist, 23.06.1993, 12952/87, Ruiz-Mateos ./. ESP, Rn. 63 f. = EuGRZ 1993, S. 453; EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 56 f. 282 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz-Mateos ./. ESP, Rn. 63 f. = EuGRZ 1993, S. 453; EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 56 f.; EMGR, Urteil vom 04.01.2008, 63610/00 und 388692/05 – Forum Maritime S.A. ./. RO, Rn. 147 jeweils mwN. 283 So etwa EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz-Mateos ./. ESP, Rn. 63 f. = EuGRZ 1993, S. 453 und EMGR, Urteil vom 04.01.2008, 63610/00 und 388692/05 – Forum Maritime S.A. ./. RO, Rn. 147 jeweils mwN. 284 Vgl. EGMR, Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz-Mateos ./. ESP, Rn. 63 f. = EuGRZ 1993, S. 453; EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 56 f.; EGMR, Urteil vom 20.02.1996, 15764/ 89, Lobo Machado ./. PORT, Rn. 31 jeweils mwN. 285 Instruktiv zur Vereinbarkeit dieser Fallgestaltung unwiderlegbarer gesetzlicher Vermutungen mit der EMRK: EGMR, Urteil vom 22.09.1994, 13616/88, Hentrich ./. F, Rn. 56. 286 Vgl. die Rechtsprechungslinie von EuGH Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 78 ff. – Steffensen; über EuGH, Rs. C-450/06, Slg. 2008, I-00581, Rn. 44 ff. – Varec; EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Ireland u. a.; EuGH Rs. C-472/11, Rn. 29 ff. – Banif Plus Bank = NJW 2013, S. 987, 988; bis hin zu EuGH Rs. C-530/12, Rn. 52 ff. – HABM / National Lottery Commission. 287 Vgl. die Rechtsprechungslinie von EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kom mission / Irland u.a über EuGH Rs. C-472/11, Rn. 29 ff. – Banif Plus Bank = NJW 2013, S. 987, 988 bis hin zu EuGH Rs. C-530/12, Rn. 52 ff. – HABM / National Lottery Commission. 288 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 77 ff. – Steffensen.
§ 7 Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
333
so kann die „blinde Übernahme“ dieses Gutachtens gegen den zwingenden kontradiktorischen Charakter der Beweisaufnahme verstoßen.289 Die Literatur erkennt gleichfalls ein Recht auf eine kontradiktorische Beweisaufnahme an und hat sich insoweit der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen.290 Problematisch im Hinblick auf diesen Grundsatz der kontradiktorischen Beweisaufnahme erscheinen zudem unwiderlegbare Vermutungen qua Gesetz. In diesen Fallgestaltungen wird die Möglichkeit einer effektiven Stellungnahme und Erwiderung der Gegenpartei gerade ausgeschlossen. Der EuGH hat dieses Rechtsinstitut der unwiderlegbaren Vermutung bereits im Hinblick auf das Recht auf effektiven Rechtsschutz und seine möglicherweise abschreckende Wirkung auf eine Klageerhebung geprüft und teilweise einen Verstoß gegen dieses Recht auf effektiven Rechtsschutz angenommen.291 Das Recht auf ein kontradiktorisches Beweisverfahren erschöpft sich nach hier vertretener Auffassung letztlich in einem Recht auf Führung eines Gegenbeweises bzw. eines Beweises des Gegenteils. Es wurde bereits eingehend erörtert, dass es sich bei dem Recht auf Beweis um ein prozessuales Grundrecht aller an einem Zivilprozess beteiligter Parteien handelt.292 Das Recht einer Prozesspartei auf Führung eines Gegenbeweises bzw. eines Beweises des Gegenteils ist daher originärer Gewährleistungsgehalt des Recht auf Beweis. Die Gewährleistungen des Rechts auf ein kontradiktorisches Beweisverfahren gehen hiernach vollumfänglich in dem hier postulierten Recht auf Beweis auf.
IV. Beweisantrag Ein Recht auf Stellung von Beweisanträgen ermöglicht es den Parteien, aktiv an am Beweisverfahren teilzuhaben. Dieses Recht hat bereits in Rechtsprechung und Literatur zu allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen Beachtung erfahren und spielt auch für die hier interessierenden Gewährleistungen des Rechts auf Beweis eine wesentliche Rolle.
So EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 77 ff. – Steffensen. Vgl. etwa Jarass, GRC, Art. 47 Rn. 31; ebenso Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 34; ausführlich auch Peers/Hervey/Kenner/Ward, EU Charter of Fundamental Rights, S. 1254 und S. 1260 ff. mwN. 291 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-222/84, Slg. 1986, I-01651, Rn. 18 ff. – Johnston / Chief Con stable of the Royal Ulster Constabulary; zur Unterscheidung von widerlegbaren und unwiderlegbaren Vermutungen siehe in neuerer Zeit EuGH, Rs. C-93/13, Rn. 46 – Kommission u. a. / Versalis u. a. 292 Vgl. hierzu die obigen Ausführungen § 6 II. 3. 289
290
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
1. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen im GG Das Bundesverfassungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung von einem Beweis antragsrecht der Parteien des Zivilprozesses aus.293 Dogmatisch wird dieses Antragsrecht aus dem Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 I GG als Teilgehalt des Äußerungsrechts abgeleitet.294 Der BGH hat sich dieser klaren Positionierung des Verfassungsgerichts angeschlossen und gleichfalls ein Beweisantragsrecht der Parteien angenommen.295 In der Literatur hat diese Rechtsprechung der obersten Gerichte durchweg Zustimmung erfahren. Den Parteien des Zivilprozesses kommt nach wohl allgemeiner Ansicht ein grundsätzlich umfassendes Beweisantragsrecht zu.296 Dogmatisch wird auch hier das Äußerungsrecht der Parteien als Teilgehalt des Art. 103 I GG herangezogen.297
2. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen in der EMRK Die Existenz eines Rechts der Parteien auf Stellung von Beweisanträgen ist auch für die EMRK in Rechtsprechung und Literatur weithin anerkannt.298 Der EGMR benennt ein solches Beweisantragsrecht allerdings soweit ersichtlich nicht explizit, sondern geht implizit von einem solchen Recht der Prozessparteien aus. So müssen die Parteien nach dem EGMR eine angemessene Gelegenheit erhalten, ihren Fall vor Gericht zu präsentieren.299 Außerdem haben die Parteien ein Recht auf Stellungnah293 Vgl. bereits BVerfGE 1, S. 418, 429; ausdrücklich BVerfGE 36, S. 85, 87; BVerfGE 69, S. 145, 148; ausführlich auch BVerfGE 107, S. 395, 408 f. und BVerfG NJW 2011, S. 49 f. 294 Vgl. etwa BVerfGE 36, S. 85, 87; BVerfGE 69, S. 145, 148 und in neuerer Zeit BVerfG NJW 2011, S. 49 f. 295 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, S. 1362, 1363, auch zum notwendigen Inhalt eines Beweisantrages. 296 Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Waldner, rechtliches Gehör, S. 28 ff.; siehe außerdem Kopp, NJW 1988, S. 1708 f.; zustimmend auch Stürner, FS-Baur, S. 647, 657; v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG Bd. II, Art. 103, Rn. 41; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 28 ff. jeweils mwN. 297 So ausdrücklich Waldner, rechtliches Gehör, S. 28 ff.; Kopp, NJW 1988, S. 1708 f.; Stürner, FS-Baur, S. 647, 657; v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG Bd. II, Art. 103, Rn. 41; Sachs-Degen hart, GG, Art. 103, Rn. 28 ff. 298 Vgl. aus der Rechtsprechung etwa EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff. und EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. AUT, Rn. 23; siehe weiter EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 56 und EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 33; aus der Literatur Kofmel, Recht auf Beweis, S. 43 ff. Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/ GG I, Kapitel 14 Rn. 97 f.; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165 f. jeweils mwN. 299 EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.; EGMR, Urteil vom 18.10.2000, 31430/96, Morel ./. FRAU, Rn. 27; EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 56; EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. AUT, Rn. 23 mwN.
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me zu allen Schriftsätzen, Anträgen und sonstigen Ausführungen der Gegenpartei und des Gerichts inne.300 Diese beiden Rechte – Präsentation des eigenen Falles und umfassende Möglichkeit einer Stellungnahme – zeigen zusammengenommen deutlich, dass ein solches Beweisantragsrecht jedenfalls implizit von der Rechtsprechung angenommen wird. In der Literatur werden diese Formulierungen des EGMR mit Zustimmung bedacht. Außerdem leitet die Literatur regelmäßig ein explizites Recht der Prozessparteien auf Stellung von Beweisanträgen aus Art. 6 I EMRK ab.301
3. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen in der GRC Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung – analog zum EGMR – ein Recht auf Stellung von Beweisanträgen nicht explizit ausgesprochen, setzt dieses Recht in seiner Rechtsprechung jedoch implizit voraus.302 So verlangt der EuGH, dass die Parteien eine effektive Möglichkeit zur Stellungnahme vor Gericht erhalten müssen und räumt ihnen weiter das Recht auf eine umfassende Präsentation ihres Falles ein.303 Diese durch den EuGH anerkannten Grundsätze würden ohne ein Beweisantragsrecht der Parteien kaum praktischen Nutzen entfalten können. Selbst wenn man vor dem Hintergrund dieser Aussagen ein Beweisantragsrecht der Parteien ablehnen würde, so wäre dieses Recht dennoch über Art. 52 III S. 1 GRC unter Rückgriff auf die EMRK und das dortig garantierte Beweisantragsrecht gewährleistet.304 Die Literatur erkennt ein solches Recht auf Stellung von Beweisanträgen aus Art. 47 II S. 1 GRC in aller Regel explizit an und verweist dabei zugleich auf die Rechtsprechung des EuGH.305
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Vgl. etwa EGMR, Urteil vom Urteil vom 23.06.1993, 12952/87, Ruiz-Mateos ./. ESP, Rn. 63 f. = EuGRZ 1993, S. 453, 457 und EGMR, Urteil vom 20.02.1996, 15764/ 89, Lobo Machado ./. PORT, Rn. 31 mwN. 301 Vgl. Kofmel, Recht auf Beweis, S. 43 ff.; Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14 Rn. 97 f.; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Har rendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 96 und Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165 jeweils mwN. 302 Ein solches Recht wird vom Gerichtshof verschiedentlich vorausgesetzt, vgl. etwa EuGH, Rs. C-136/02, Slg. 2004, I-09165, Rn. 76 f. – Mag Instrument / HABM; EuGH, Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommission; EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichische Volksbanken / Kommission.; sehr deutlich in diesem Sinne auch EuGH, Rs. C-239/11, Rn. 321 ff. – Siemens / Kommission. 303 Zum Recht auf eine Stellungnahme siehe etwa EuGH Rs. C-554/13, Rn. 69 – ZH. und O. / Staatssecretaris voor Veiligheid en Justitie; zur Recht auf Präsentation vgl. EuGH, Rs. C-169/14, Rn. 48 f. – Sánchez Morcillo und Abril Garcia / Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA. 304 Vgl. zum Verhältnis von EMRK und GRC nach Art. 52 III S. 1 GRC oben § 5 V. 1. 305 Vgl. etwa Jarass, GRC, Art. 47, Rn. 34 und Meyer-Eser, GRC, Art. 47, Rn. 34 jeweils mwN.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
4. Eigene Ansicht Die Bedeutung des Beweisantragsrechts für einen effektiven Nachweis eigener Rechte erschließt sich bei einer näheren Betrachtung der Struktur des Zivilprozesses wie auch seines Zweckes einer Rechtsdurchsetzung mittels effektiven Rechtsnachweises: a) Orientierung am Prozesszweck: Beweisantrag als Initiativrecht der Parteien zum aktiven Nachweis eigener Rechte Der Zivilprozess ist in Deutschland und einer Vielzahl anderer europäischer Staaten als Parteiprozess ausgestaltet.306 Es obliegt in einem solchen Parteiprozess typischerweise den Parteien des Zivilprozesses, die von ihnen behaupteten Tatsachen nachzuweisen und entsprechende Beweismittel anzubieten.307 Der Beweisantrag einer Prozesspartei ist nach dem Idealbild des Prozesses somit der initiierende Ausgangspunkt einer jeden Beweisaufnahme. Für die beweisbelastete Partei stellt er die primäre Möglichkeit dar, ihrer Beweislast nachzukommen und durch den Nachweis des behaupteten Sachverhaltes ihre Rechte durchzusetzen.308 Das Beweisantragsrecht ermöglicht den Parteien hiernach überhaupt erst eine aktive Teilnahme am Zivilprozess und gibt ihnen mit diesem Initiativrecht eine effektive Möglichkeit an die Hand, ihre Beweismittel in den Prozess einzubringen. Der Beweisantrag der Parteien ist daher regelmäßig der Startpunkt eines Beweisverfahrens und als Initiativrecht der Parteien gleichermaßen ein wichtiger Baustein ihres Rechtsnachweises und der Wahrheitserforschung im Zivilprozess.309 b) Anerkennung eines Rechts auf Stellung von Beweisanträgen Hieraus folgt ein entsprechender Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis: Für die Parteien des Zivilprozesses gewährleistet das Recht auf Beweis ein umfassendes Beweisantragsrecht. Die Verpflichtung zum aktiven Nachweis eigener Rechte im Parteiprozess muss denknotwendig mit der Möglichkeit zur Einleitung dieses eigenen Nachweises derselben einhergehen. Das Recht auf Beweis gewährleistet somit ein umfassendes Recht der Parteien zur Stellung von Beweisanträgen. Ohne ein Beweisantragsrecht würde eine Beweisaufnahme regelmäßig unterbleiben und die zahlreichen diesbezüglichen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis wären obso306
Vgl. zur rechtsvergleichenden Ausgestaltung des Zivilprozesses als Parteiprozess wiederum Stürner, FS-Heldrich, S. 1061 ff. und ders., FS-Kollhosser, Bd. 2, S. 727 ff. jeweils mwN. 307 Vgl. zum Beibringungsgrundsatz etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, §§ 76 und 77 mwN. 308 So auch Söllner, Beweisantrag, S. 1 ff.; ähnlich Kopp, NJW 1988, S. 1708 f. und Stürner, FS-Baur, S. 647, 657. 309 Vgl. zur Bedeutung der Parteien für die Wahrheitserforschung im Zivilprozess auch Stürner, Aufklärungspflicht, S. 56 f.
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let. In diesem Sinne stellt das Beweisantragsrecht der Parteien einen ganz wesentlichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis dar. Er lässt sich zusammenfassend definieren als „das Verlangen einer Prozesspartei, das Gericht möge die Wahrheit einer von ihr behaupteten, vom Gegner bestrittenen Tatsache durch ein Beweismittel feststellen“.310 c) Inhalt: Formlose Antragsstellung in jedem Stadium des Prozesses Das Beweisantragsrecht wird nach hier vertretener Ansicht grundsätzlich umfassend gewährleistet. Die Prozessparteien haben hiernach Recht auf die formlose Stellung von Beweisanträgen in jedem Zeitpunkt des Zivilprozesses. Auf diese Weise ist es allen Parteien – auch juristischen Laien – möglich, zulässige Beweisanträge zu formulieren. Weiterhin wird es den Parteien in zeitlicher Hinsicht ermöglicht, auf etwaige Anträge der Gegenpartei zu reagieren und Beweismittel einzubringen, die bis dato keine Erheblichkeit hatten oder auch erst in einem späteren Zeitpunkt des Prozesses aufgefunden wurden.
V. Beweisaufnahme Die Beweisaufnahme meint diejenige Beweisstation, innerhalb derer die beantragten Beweismittel tatsächlich erhoben werden. Damit avanciert die Beweisaufnahme zum zentralen Teilaspekt des Rechts auf Beweis und bedarf einer ausführlichen Analyse. In diesem Teilabschnitt der Untersuchung werden wiederum nur die grundlegenden Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis in Bezug auf die Beweiserhebung herausgearbeitet. Die Analyse der einzelnen Beweismittel erfolgt insgesamt im Rahmen der konkreten Überprüfung des geltenden Zivilprozessrechts.311
1. Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel Der wohl grundlegenste dieser Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis ist in dem Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel zu erblicken. Die Frage, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen ein beantragtes Beweismittel tatsächlich zu erheben ist, stellt eine zentrale Frage des Rechts auf Beweis dar und hat auch in Rechtsprechung und Literatur bereits umfängliche Beachtung gefunden.
310 So die Definition von Söllner, Beweisantrag, S. 1 f.; ganz ähnlich auch Teblitzky, JuS 1968, S. 71. 311 Eine ausführliche Darstellung dieser Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis findet sich in § 12.
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a) Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel im GG Für das Grundgesetz gilt es in diesem Zusammenhang die jeweiligen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur separat und ausführlich zu analysieren: aa) BGH: Verpflichtung zur Ausschöpfung aller Beweismittel aus § 286 ZPO Der BGH hat in seiner Rechtsprechung eine Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Sachaufklärung als Grundsatz der ZPO entwickelt.312 Hiernach ist das erkennende Gericht grundsätzlich zur vollständigen Ausschöpfung aller beantragten und verfügbaren Beweismittel verpflichtet.313 Dogmatisch hat der BGH diesen Grundsatz aus § 286 ZPO hergeleitet.314 Die Verortung dieser Pflicht zur Sachaufklärung im Grundsatz der freien Beweiswürdigung wird vor dem Hintergrund erklärlich, dass sich eine Beweiswürdigung grundsätzlich auf den gesamten Inhalt der Verhandlung erstrecken, mithin umfassend sein soll.315 Eine korrekte Würdigung aller Umstände des Einzelfalles setzt somit notwendig auch den Grundsatz voraus, dass das Gericht die beantragten Beweismittel der Parteien tatsächlich zu erheben hat. Andernfalls würden erhebliche und potentiell relevante Aspekte der Verhandlung als Würdigungsbasis schlicht fehlen. Der BGH hat somit einfach-rechtlich eine grundsätzliche Verpflichtung der Gerichte zur Erhebung beantragter Beweismittel entwickelt. bb) BVerfG: Anerkennung eines Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts weist gleich mehrere Anknüpfungspunkte für ein verfassungsrechtlich fundiertes Recht der Prozessparteien auf Erhebung beantragter Beweismittel auf: (1) Das Recht auf Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht die soeben skizzierte Rechtsprechung des BGH aufgegriffen: Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts unterliegt die Ausgestaltung des rechtlichen Gehörs iSd Art. 103 I GG dem Gesetzgeber.316 Die von Seiten des BGH aus § 286 ZPO hergeleitete Verpflichtung zur Aus312
Vgl. bereits BGH NJW 1952, S. 931, 933; grundlegend auch BGHZ 53, S. 245, 259 f.; st. Rspr. siehe etwa BGH NJW 1990, S. 3088, 3089; BGH NJW 1992, S. 1768, 1769; BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218 f. 313 Vgl. wiederum BGH NJW 1952, S. 931, 933; BGHZ 53, S. 245, 259 f.; BGH NJW 1990, S. 3088, 3089; BGH NJW 1992, S. 1768, 1769; BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218 f. 314 Vgl. etwa BGHZ 53, S. 245, 259 f.; BGH NJW 1990, S. 3088, 3089; BGH NJW 1992, S. 1768, 1769. 315 Zum Umfang der Beweiswürdigung siehe etwa BGH NJW 1987, S. 1557, 1558; ebenso BGH NJW 1993, S. 935, 937; BGH NJW 1999, S. 3481, 3482 und BGH NJW-RR 2004, S. 425 f. 316 Siehe etwa BVerfGE 60, S. 1, 5 f.; bestätigt in BVerfGE 69, S. 145, 148 f.; BVerfGE 74, S. 228, 233; BVerfGE 119, S. 292, 295 f.; BVerfG-K 10, S. 397, 399 f. jeweils mwN.
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schöpfung der beantragten Beweismittel stellt einen Teil eben dieses Prozessrechts dar. Somit wird die einfach-rechtliche Verpflichtung des § 286 ZPO nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch Art. 103 I GG verfassungsrechtlich „aufgeladen“.317 Die Verbindung dieser beiden Rechtsprechungslinien führt sodann zu dem Ausspruch des Bundesverfassungsgerichts, dass „Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge gebietet“.318 Dieser verfassungsrechtlichen „Aufladung“ der Berücksichtigungspflicht durch das Bundesverfassungsgericht hat sich wiederum der BGH ausdrücklich angeschlossen.319 Allerdings betont das Verfassungsgericht zugleich, Art. 103 solle „keinen Schutz dagegen gewähren, dass das Gericht das Vorbringen eines Beteiligten aus Gründen des materiellen oder formellen Rechts unberücksichtigt lässt“.320 Im Rahmen von Beweisanträgen ist die Schwelle einer Verletzung des Art. 103 I GG erst dann überschritten, wenn „die Nichtberücksichtigung eines von den Fachgerichten als erheblich angesehenen Beweismittels im Prozessrecht keine Stütze mehr findet“.321 Das Recht auf Berücksichtigung von Beweisanträgen der Parteien wird somit nur in demjenigen Umfang verfassungsrechtlich gewährleistet, in dem die einfach-rechtliche Verpflichtung zur Ausschöpfung von Beweismitteln nach der Auslegung des § 286 ZPO durch den BGH besteht. Dabei wird vom einfachen Recht auf das Verfassungsrecht geschlossen, was nach hier vertretener Ansicht die eigentliche Normenhierarchie zwischen Verfassung und einfachem Recht ein Stück weit durchbricht. Darüber hinaus gilt es an dieser Stelle zu untersuchen, wie sich die „Berücksichtigung“ iSd Bundesverfassungsgerichts definiert und welche Rechte den Prozessparteien durch diese Rechtsprechung tatsächlich eingeräumt werden: Im umgangssprachlichen Sinne könnte das Wort „berücksichtigen“ sehr wohl dahingehend verstanden werden, dass eine Verpflichtung zu einer bestimmten Entscheidung des erkennenden Gerichts besteht – in Form der tatsächlichen Erhebung beantragter Beweismittel unter bestimmten Voraussetzungen. In der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts meint dieses Recht auf Berücksichtigung die Verpflichtung des erkennenden Gerichts, die Äußerungen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen.322 In Erwägung ziehen meint dabei wiederum nur die Pflicht 317
Sehr instruktiv die Ausführungen von BVerfGE 50, S. 32, 35 f. Vgl. bereits BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; st. Rspr. siehe BVerfGE 60, S. 247, 249; BVerfGE 65, S. 305, 307; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; BVerfG-K 12, S. 346, 350 f. 319 Vgl. etwa in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218. 320 Siehe etwa BVerfGE 36, S. 92, 97; BVerfGE 69, S. 145, 148 f.; BVerfG-K 3, S. 143, 145 jeweils mwN. 321 Vgl. etwa BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfG NJW 2011, S. 49 f. jeweils mwN. 322 So bereits BVerfGE 11, S. 218, 220; seitdem st. Rspr. vgl. BVerfGE 22. S. 267, 273 f.; BVerfGE 46, S. 315, 319 f.; BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfGE 86, S. 133, 145 f.; in neuer Zeit BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586. 318
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des Gerichts, Vorbringen der Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf seine Erheblichkeit und Richtigkeit zu überprüfen.323 Eine Bescheidung von Äußerungen und speziell von Anträgen in eine bestimmte inhaltliche Richtung scheint demgegenüber nicht zwingend durch Art. 103 I GG gewährleistet zu sein. Wenn man davon ausgeht, dass das Bundesverfassungsgericht den terminus technicus des „Berücksichtigens“ innerhalb des Art.103 I GG für alle Arten von Anträgen einheitlich verwendet, so gilt diese Auslegung auch für das „Berücksichtigen“ von Beweisanträgen der Parteien des Zivilprozesses. In diesem Sinne würde Art. 103 I GG gerade keine inhaltliche Entscheidung über Beweisanträge iSe verpflichtenden Stattgabe des Antrages und einer Erhebung des beantragten Beweismittels gewährleisten. In diese Richtung könnten auch die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts zum beweisrechtlichen Gehalt des Art. 103 I GG deuten: So soll das Recht auf rechtliches Gehör weder das Recht auf ein bestimmtes Beweismittel noch das Recht auf bestimmte Arten von Beweismitteln umfassen.324 In dieser Konzeption würde Art. 103 I GG allein die Einhaltung bestimmter verfahrensmäßiger Schritte zwingend vorsehen, mithin ein bestimmtes Prozedere für die Behandlung der Anträge gewährleisten. Eine zwingende Erhebung beantragter Beweismitteln wäre hiernach jedoch nicht durch die Berücksichtigungspflicht des Art. 103 I GG umfasst. Allerdings wird in der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und BGH im Zusammenhang mit der Berücksichtigungspflicht eine Verletzung des Art. 103 I GG teilweise explizit in der Nichterhebung eines Beweismittels erblickt.325 In diesen Entscheidungen wird die Verpflichtung zur Berücksichtigung von Anträgen mit einer Verpflichtung zur Erhebung von Beweismitteln gleichgesetzt – wenn auch weiterhin stets unter dem Vorbehalt einer entsprechenden, einfach-rechtlichen Verpflichtung im Prozessrecht.326 Ausgehend von diesen Entscheidungen kann in Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO doch unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf Erhebung von Beweismitteln nach der Rechtsprechung konstatiert werden. Die Annahme dieses Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel würde zudem in Einklang mit der vom Bundesverfassungsgericht betonten Bedeutung des Art. 103 I GG als „prozessualem Urrecht“ des Menschen stehen.327 Eine bloße Prü323 In diesem Sinne die weitere Definition des „Erwägens“ bei Dreier-Schule-Fielitz, GG, Bd. III, Art. 103 I GG, Rn. 63 und Jarass/Pieroth-Pieroth, GG, Art. 103, Rn. 31 jeweils mwN. 324 Vgl. bereits BVerfGE 1, S. 418, 429; ausdrücklich BVerfGE 57, S. 250, 273 ff.; bestätigt in BVerfGE 63, S. 45, 60; BVerfG NJW 1996, S. 3145, 3146; BVerfG NJW 1998, S. 1939. 325 Instruktiv BGH NJW 1979, S. 413, 414 und BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; demgegenüber Verweist BVerfG NJW 1993, S. 254 f. für die Erhebung von Beweismitteln auf Art. 103 I GG und das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz gleichermaßen; aus der fachgerichtlichen Rechtsprechung in diesem Sinne auch BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218 f. jeweils mwN. 326 Vgl. wiederum BVerfG NJW 1979, S. 413, 414; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 und BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218 f. 327 Diese Formulierung entspricht der st. Rspr. siehe etwa BVerfGE 107, S. 395, 408 f. und BVerfG-K 11, S. 203, 206 jeweils mwN.
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fungspflicht von Beweisanträgen ohne die Verpflichtung des Gerichts zu einer bestimmten Bescheidung des Antrages unter bestimmten Voraussetzungen wäre für die Prozessparteien von keinem großen Wert für eine effektive Äußerung im Prozess. Daher lässt sich zusammenfassend konstatieren, dass aus der Berücksichtigungspflicht des Art. 103 I GG nach der Rechtsprechung – trotz terminologischer Unklarheiten – unter gewissen Voraussetzungen ein Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel folgen kann. (2) Das Recht auf tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes Das Bundesverfassungsgericht hat zudem weitere prozessuale Gewährleistungen für die Parteien des Zivilprozesses aus dem Justizgewährungsanspruch abgeleitet. Der Justizgewährungsanspruch folgt nach dem Verfassungsgericht aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG).328 Ein wesentlicher Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches ist in dem Recht auf effektiven Rechtsschutz zu sehen. Dieses Recht auf effektiven Rechtsschutz gibt den Parteien nach dem Bundesverfassungsgericht das Recht auf „eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Sachverhaltes durch das Gericht“.329 Das Bundesverfassungsgericht hat an dieser Stelle nicht den Weg einer bloßen Organisationsgarantie für das Gericht dahingehend beschritten, dass ein Gericht qua Gesetz die Möglichkeit einer umfassenden Sachverhaltsprüfung haben müsse, ohne an bestimmte Tatsachenfeststellungen – insbesondere durch die Verwaltung – gebunden zu sein. Vielmehr hat das Verfassungsgericht durch die Verortung im Justizgewährungsanspruch ein echtes subjektives Recht der Parteien auf eine umfassende Prüfung des Sachverhalts geschaffen.330 Dieses Recht auf umfassende Prüfung des Sachverhaltes zeigt seinerseits deutliche Überschneidungen mit dem Rechts auf eine Beweiserhebung. Einem solchen Recht auf umfassende Prüfung des Sachverhaltes erscheint nur dann wirksam Rechnung getragen, wenn die Parteien im Prozess nicht nur Beweisanträge stellen dürfen, sondern eine Beweisaufnahme über die von ihnen zu beweisenden Tatsachen unter bestimmten Voraussetzungen auch tatsächlich erzwingen können. Gerade die neuere Entwicklung in der Rechtsprechung hin zu einem umfassenden, 328
So bereits BVerfGE 80, S. 103, 107; st. Rspr. vgl. etwa BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfGE 88, S. 118, 123; BVerfGE 107, S. 395, 401; BVerfGE 112, S. 185, 207. 329 So bereits BVerfGE 54, S. 277, 291; seitdem st. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 84, S. 366, 369; BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfGE 97, S. 169, 185; BVerfGE 107, S. 395, 401; BVerfGE 112, S. 185, 207. 330 Konsequenterweise ging das BVerfG sodann von einer entsprechenden Verletzung des Justizgewährungsanspruches in Form des Rechts auf effektiven Rechtsschutz aus, vgl. insbesondere BVerfGE 84, S. 366, 369 f. und BVerfG NJW 2013, S. 3630, 3631 f.; siehe auch zu einer unzulässigen Einengung des eigenen Prüfungsmaßstabes durch das erkennende Gericht BVerfGE 101, S. 275, 294 ff.; demgegenüber Art. 103 I GG und das Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz gleichermaßen heranziehen BVerfG NJW 1993, S. 254 f.
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übergeordneten Recht auf effektiven Rechtsschutz331 lässt einen entsprechenden Gehalt des Justizgewährungsanspruches als naheliegend erscheinen. Zudem betont das Verfassungsgericht im Zusammenhang mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz die Bedeutung der Wahrheitserforschung auch und gerade für den Zivilprozess.332 Diese Verknüpfung der Effektivität des Rechtsschutzes mit der Wahrheitserforschung im Prozess legt ebenfalls nah, dass die Parteien das Recht haben, das erkennende Gericht zur tatsächlichen Erhebung der beantragten Beweismittel verpflichten zu können. Die Erforschung der Wahrheit im Prozess ist schließlich allein durch die Erhebung von Beweismitteln denkbar.333 cc) Literatur: Anerkennung eines Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel In der Literatur findet die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich Zustimmung. Die beiden soeben dargestellten Ansätze des Verfassungsgerichts über Art. 103 I GG bzw. den Justizgewährungsanspruch werden in der Literatur aufgegriffen und diskutiert. (1) Kommentarliteratur: Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 I GG hat insbesondere in der Kommentarliteratur zum Grundgesetz Zustimmung erfahren.334 Doch auch über die Kommentarliteratur hinaus hat die Formulierung, dass „Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge gebietet“ in der Literatur Zustimmung erfahren.335 Ausgehend von dieser Formel wird in Teilen der Literatur das Recht auf Beweis aus Art. 103 I GG hergeleitet.336 Allerdings wird gerade die äußerst relevante Frage nach dem Inhalt der „Berücksichtigungspflicht“ vergleichsweise selten thematisiert und kaum konkretisiert. Vielmehr begnügt man sich regelmäßig mit der bloßen Wiederholung der Definition der „Berücksichtigung“ als „zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen“. Dieses Manko 331
Vgl. bereits die Ausführungen in § 5 IV. 3. c. und ausdrücklich diesen Zusammenhang betonend BVerfGE 106, S. 28, 49 f.
332 Ausführlich
mwN. 333 In diesem Sinne auch Stürner, Aufklärungspflicht, S. 42 f. und Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff. 334 So etwa Sachs-Degenhart, GG, Art. 103 Rn. 28; ebenso Merten/Papier-Graßhof, HGR V, Bd. V, § 133, Rn. 66; Schmidt-Bleibtreu/Hoffman/Henneke-Schmahl, GG, Art. 103, Rn. 9; Dreier-Schulze-Fielitz, GG Bd. 3, Art. 103, Rn. 48; aus der zivilprozessualen Kommentarliteratur siehe Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 14. 335 Zustimmend etwa Waldner, rechtliches Gehör, S. 66 ff.; in diesem Sinne auch Frohn, richterliche Entscheidung, S. 87 ff.; Hertel, Urkundenprozess, S. 35 ff.; Fink, Verwertbarkeit im Zivilprozess, S. 76 f. 336 Siehe bereits die Darstellung in § 5 II. 2. b.; für ein Recht auf Beweis aus Art. 103 I GG insbesondere Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 57 ff.; Frohn, richterliche Entscheidung, S. 87 f. und Hertel, Urkundenprozess, S. 36 f.; ähnlich auch Fink, Verwertbarkeit im Zivilprozess, S. 76 f.
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gilt selbst für Vertreter einer Herleitung des Rechts auf Beweis aus Art. 103 I GG.337 Insoweit lässt sich nur mutmaßen, dass diese Auffassung das Recht auf „Berücksichtigung“ von Beweisanträgen der Prozessparteien als ein Recht auf tatsächliche Erhebung von Beweismitteln unter bestimmten Voraussetzungen definieren.338 Teilweise wird in diesem Zusammenhang außerdem die Sichtweise vertreten, bereits das Äußerungsrecht des Art. 103 I GG umfasse die tatsächliche Erhebung der Beweismittel.339 Eine „Äußerung“ in Form eines Beweisantrages wäre demnach nur dann eine vollständige Äußerung, wenn das beantragte Beweismittel bereits erhoben wurde und damit quasi als „Teil“ der Äußerung dem Gericht zur Würdigung vorliegt. Obgleich diese Auslegung auf den ersten Blick durchaus kreativ erscheint, wird doch der Wortlaut des „Äußerungsrechts“ durch diese weite Auslegung sehr strapaziert, zumal im System des Art. 103 I GG nach Rechtsprechung und überwiegendem Schrifttum auch ein Recht auf Berücksichtigung vorgesehen ist. Ein solches „Berücksichtigen“ könnte in diesem Zusammenhang zwar in der Beweiswürdigung des Gerichts zu sehen sein. Dennoch erscheint es in grammatischer wie auch systematischer Hinsicht deutlich naheliegender, in der Erhebung eines Beweismittels eine „Berücksichtigung“ des diesbezüglichen Antrages zu erblicken. Zumal sodann eine Ablehnung von Beweisanträgen, etwa wegen Unerheblichkeit, bereits eine Einschränkung des Äußerungsrechtes darstellen und in den Kerngehalt des Art. 103 I GG eingreifen würde. Mithin erscheint eine solche Sichtweise im Hinblick auf die etablierte Dogmatik des Art. 103 I GG nicht ohne damit einhergehende, tiefgreifende Änderungen realisierbar. (2) H.L.: Herleitung aus dem Justizgewährungsanspruch Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur verortet das Recht auf Beweis im Justizgewährungsanspruch in seiner Herleitung aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG).340 Während die ältere Literatur zum Recht auf 337 Mit dieser allgemeinen Formulierung begnügt sich etwa Hertel, Urkundenprozess, S. 35 ff.; Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 47 ff. spricht diese Fragestellung indes gar nicht erst an; ähnliches gilt für Frohn, richterliche Entscheidung, S. 87 ff. 338 In diese Richtung tendiert Zuck, NJW 2005, S. 3753, 3755 f.; ähnlich wohl Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 157 ff. der von einem absoluten Vorrang der Beweisverwertung gegenüber etwaigen Gegenrechten ausgeht. 339 In diesem Sinne sind wohl die Formulierungen von Waldner, rechtliches Gehör, S. 29 zu verstehen. 340 So bereits Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f.; ebenso Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f., allerdings jeweils mit der Prämisse, dass der Justizgewährungsanspruch seine dogmatische Fundierung selbst in Art. 103 I GG finde; ausführlich zur Herleitung des Rechts auf Beweis auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 296 ff., der die Frage der Fundierung des Justizgewährungsanspruchs wiederum bewusst offen lässt; in neuer Zeit für eine diesbezügliche Herleitung des Rechts auf Beweis: Bruns, FS-Stürner, Bd. 1, S. 257 ff., insbesondere S. 265; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 165 ff.; Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f.; Diakonis,
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Beweis die dogmatische Heimat des Justizgewährungsanspruches wiederum in Art. 103 I GG verortete341, bleibt doch die Argumentationslinie zur Herleitung des Rechts auf Beweis in dieser Literaturansicht insgesamt identisch: Das staatliche Gewaltmonopol setzt als Ausgleich für den Verzicht auf die Selbsthilfe eine anderweitige Möglichkeit der Rechtsdurchsetzung voraus. Diese Möglichkeit wird von Seiten des Staates in Form des Zivilprozesses als formalisierte Art der Rechtsdurchsetzung geschaffen. Innerhalb dieses Prozesses müssen die Parteien nach seiner Grundkonzeption ihre behaupteten Rechte nachweisen. Daher muss ihnen aus dem Justizgewährungsanspruch eben diese Möglichkeit des Nachweises ihrer Rechte, sprich das Recht auf Beweis, zwingend gewährt werden.342 Insbesondere der enge Zusammenhang zwischen Wahrheitserforschung und effektiver Rechtsdurchsetzung im Prozess wird sehr deutlich hervorgehoben und betont.343 Hieraus wird sodann gefolgert, dass die Parteien die Möglichkeit erhalten müssen, eben diese Erforschung der Tatsachengrundlage voranzutreiben und zu gewährleisten.344 Der Justizgewährungsanspruch müsse daher auch als rechtlich verbürgte Möglichkeit der Parteien zu hinreichender Sachverhaltserforschung angesehen werden.345 Ergänzend wird zudem auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zum Recht auf effektiven Rechtsschutz als materiellem Teilgehalt des Justizgewährungsanspruches rekurriert, die das Recht der Parteien auf eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Sachverhaltes postuliert.346 Ausgehend von diesen Argumentationssträngen haben die Vertreter dieser Sichtweise keine Schwierigkeiten mit der Herleitung eines Rechtes auf Erhebung beantragter Beweismittel. Dieses Recht der Parteien des Zivilprozesses auf eine Beweiserhebung wird vielmehr als zentraler Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff.; Klamaris, FS Schwab, S. 269 ff.; außerdem MüKoPrütting, § 284 Rn. 18 und Stein/Jonas-Thole, § 284 Rn. 40 jeweils mwN. 341 So insbesondere Baur, AcP 153 (1954), S. 394, 396 ff.; dieser Ansicht folgend Söllner, Der Beweisantrag, S. 77; Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f. und Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f. 342 Ausführlich § 5 II. 2. c.; in diesem Sinne argumentieren bereits Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff. und Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff.; ebenso Dütz, rechtsstaatliche Gerichtsschutz, S. 119 ff. und Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f. und Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 f.; in neuerer Zeit siehe auch Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f. und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff. jeweils mwN 343 Diesen Zusammenhang betont insbesondere Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff. und S. 48 ff. mwN. 344 So insbesondere Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff. und Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff., 48 ff.; ebenso Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f.; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168 ff. und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 70 f. 345 In diesem Sinne Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff.; Stürner, Aufklärungspflicht, S. 48 ff.; Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168 ff. Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 4 f.; und Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 70 f. 346 Hierauf verweisend Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168; ähnlich Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 70 f.; in diese Richtung bereits Dütz, rechtsstaatliche Gerichtsschutz, S. 119 ff.
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Bestandteil dieses Rechts auf Beweis angesehen.347 Das Recht auf eine Beweiserhebung soll grundsätzlich alle beantragten und möglichen Beweismittel umfassen.348 dd) Exkurs: die materielle Beweisunmittelbarkeit im Zivilprozess In einem gewissen Zusammenhang zum Recht auf Erhebung von Beweismitteln steht zudem der Grundsatz der materiellen Beweisunmittelbarkeit. Nach diesem Grundsatz hat sich das erkennende Gericht auf die Erhebung der „sachnächsten“ Beweismittel unter Zurückweisung „sachferner“ Beweismittel zu konzentrieren.349 So wäre die beantragte Einvernahme eines Zeugen der Verlesung eines Protokolls einer früheren Vernehmung vorzuziehen. Die Erhebung des „sachferneren“ Beweismittels der Verlesung einer Urkunde wäre insoweit zugunsten der Erhebung des „sachnäheren“ Beweismittels abzulehnen.350 Die ganz herrschende Meinung verneint bereits die einfach-rechtliche Geltung der materiellen Beweisunmittelbarkeit im Zivilprozess – ganz zu schweigen von einer etwaigen verfassungsrechtlichen Fundierung.351 Es wird darauf verwiesen, dass dieser Grundsatz im Zivilprozess anders als im Strafprozess keinerlei gesetzliche Normierung erfahren habe.352 Außerdem seien auch mittelbare Beweismittel durchaus geeignet, wertvolle Indizien zu erbringen, die den Eindruck des unmittelbaren Beweismittels unterstützen oder auch berechtigte Zweifel an dessen Beweiswert offenbaren könnten.353 Etwaigen Zweifeln am Beweiswert mittelbarer Beweismittel könne auf Ebene der Beweiswürdigung hinreichend Rechnung getragen werden.354 In diesem Sinne ausdrücklich Stürner, Aufklärungspflicht, S. 31 ff., 42 f.; Walter, freie Beweiswürdigung, S. 301 ff. und Dütz, rechtsstaatliche Gerichtsschutz, S. 119 ff.; ebenso Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168 f.; Schwab, ZZP 81 (1968), S. 412, 416 f.; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff. und Reichenbach, § 1004 als Grundlage, S. 4 f. 348 So etwa Walter, freie Beweiswürdigung, S. 303 ff. und Stürner, Aufklärungspflicht, S. 42 f.; ebenso Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 168; Dütz, rechtsstaatliche Gerichtsschutz, S. 119 ff.; Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306 ff.; Diakonis, Grundfragen der Beweiserhebung, S. 68 ff. 349 Ausführlich etwa BGH NJW 1995, S. 2856, 2857; siehe auch Reichel, Unmittelbarkeit in der ZPO, S. 66 ff.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 1; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 355, Rn. 5 jeweils mwN. 350 Vgl. etwa Reichel, Unmittelbarkeit in der ZPO, S. 66 ff.; ähnlich auch das Beispiel von Völz mann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 367. 351 Gegen den Grundsatz der materiellen Unmittelbarkeit sprechen sich unter anderem aus: MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 1; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 29; Musielak/ Voit-Stadler, § 355, Rn. 5 jeweils mwN; ausdrücklich auch BGH NJW 1995, S. 2856, 2857. 352 In diesem Sinne Reichel, Unmittelbarkeit in der ZPO, S. 67 ff.; ebenso Koukouselis, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, S. 80 f. und Pantle, Beweisunmittelbarkeit, S. 26 ff. 353 In diese Richtung Kern, ZZP 125 (2008), S. 53, 67 f. 354 In diesem Sinne auch BGH NJW 1995, S. 2856, 2857; ebenso Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 355, Rn. 5; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 29 und Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 4, Rn. 12. 347
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Vereinzelt wird die materielle Beweisunmittelbarkeit als Grundsatz des Zivilprozesses angesehen.355 Allerdings wird dieser Grundsatz teilweise dahingehend verstanden, dass die materielle Beweisunmittelbarkeit lediglich verbiete, unmittelbare Beweismittel zugunsten einer alleinigen Erhebung mittelbarer Beweismittel abzulehnen.356 Die gleichzeitige Pflicht zur Erhebung der unmittelbaren Beweismittel wird indes von keiner Auffassung bezweifelt357, so dass diese Sichtweise eher auf einer anderen Interpretation der materiellen Beweisunmittelbarkeit zu beruhen scheint. b) Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel in der EMRK Die EMRK vermittelt den Parteien nach EGMR und Schrifttum als Grundsatz ein subjektives Recht auf Berücksichtigung ihrer beantragten Beweismittel.358 Diese Berücksichtigungspflicht durch das Gericht umfasst nach Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich auch die Pflicht zur tatsächlichen Erhebung von Beweismitteln.359 Die Herleitung dieses Rechts auf eine Beweiserhebung durch den EGMR ist nicht immer ganz klar: Es ergeben sich in den Formulierungen gleichermaßen Schnittmengen mit dem Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren und dem Grundsatz der Waffengleichheit.360 Letztlich wird vom EGMR jedoch regelmäßig auf eine Herleitung aus dem allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK zurückgegriffen.361 Voraussetzung einer solchen Erhebung von Beweismitteln ist nach dem EGMR stets die Entscheidungserheblichkeit der zu beweisenden Tatsa355 Für
eine einfach-rechtliche Verankerung des Grundsatzes der materiellen Beweisunmittelbarkeit Rohwer, materielle Unmittelbarkeit, S. 63 ff. und S. 90; in neuerer Zeit Bachmann, ZZP 118 (2005), S. 133, 140 ff.; in Ansätzen auch Kern, ZZP 125 (2012), S. 53, 65 ff. 356 Diese Sichtweise vertritt Rohwer, materielle Unmittelbarkeit, S. 63 ff. und S. 90. 357 So auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 29; Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 367 f. 358 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 19.04.1993, 13942/88, Kraska ./. CH, Rn. 30 ff.; ebenso in EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 ff.; deutlich in diese Richtung auch EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 63566/00, Pronina ./. UKR, Rn. 25; aus der Literatur siehe Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165; ähnlich auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69 ff.; zurückhaltender Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Lade wig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 96 ff. und 139 ff. jeweils mwN. 359 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff.; ebenso EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzecu ./. RO, Rn. 63 ff. jeweils mwN; aus der Literatur Kofmel, Recht auf Beweis, S. 43 ff.; in diese Richtung tendieren auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 165 und Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 69 ff. jeweils mwN. 360 Vgl. die Formulierungen zum Grundsatz der Waffengleichheit, in EGMR, Urteil vom 03.12. 2003, Walston (No. 1) ./. NOR, Rn. 56 f. und zum Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren in EGMR, Urteil vom 20.02.1996, 15764/89, Lobo Machado ./. PORT, Rn. 31 jeweils mwN die diese Formulierungen bestätigen. 361 So etwa in den benannten Fällen EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff. und EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzecu ./. RO, Rn. 63 ff.
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che.362 Die Literatur erkennt ein solches Recht der Parteien auf Berücksichtigung und Erhebung ihrer entscheidungserheblichen Beweismittel ebenfalls an und schwankt in seiner dogmatischen Herleitung gleichfalls zwischen dem Recht auf rechtliches Gehör und dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit.363 c) Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel in der GRC Der EuGH gibt den Prozessparteien grundsätzlich ein subjektives Recht auf Berücksichtigung ihrer Beweisanträge.364 Dabei deutet sich in dieser Rechtsprechung teilweise an, dass eine Pflicht zur Berücksichtigung das erkennende Gericht unter gewissen Umständen zur tatsächlichen Erhebung zwingend kann.365 Wesentliche Voraussetzung dieses Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel ist jedoch auch nach dem EuGH die Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas.366 Eine klare dogmatische Fundierung ergibt sich aus diesen Tendenzen indes nicht: Vielmehr ergeben sich bei Formulierungen zum rechtlichen Gehör, dem Recht auf ein kontradiktorisches Beweisverfahren und auch dem Grundsatz der Waffengleichheit jeweils Schnittmengen zu einem solchen Recht der Prozessparteien auf Erhebung beantragter Beweismittel.367 Insgesamt ist die Rechtsprechung des EuGH zu dieser Grundsatzfrage noch stärker in Ansätzen befindlich als diejenige des EGMR. In der Literatur wird eine solche grundsätzliche Pflicht zur Beweiserhebung regelmäßig bejaht.368 Teils stützt man sich dabei auf das Recht auf rechtliches Gehör, teil362
Siehe hierzu bereits oben § 6 III. 1. Für eine Herleitung aus dem Recht auf rechtliches Gehör unter gleichzeitiger Nennung des Grundsatzes der Waffengleichheit: Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165 und Graben warter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 72 f.; für das Recht auf rechtliches Gehör Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 96; für ein Recht auf Beweisführung im Strafprozess, Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 628 f. 364 In diese Richtung EuGH, Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommission und EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichische Volksbanken / Kommis sion; deutlicher in diese Richtung tendierend EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Irland u.a; zum Begriff des Berücksichtigens Frenz, Handbuch Europarecht S. 1526 f. und Jarass, NJW 2011, S. 1393, 1397. 365 Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommission und EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichische Volksbanken / Kommission und insbesondere EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Irland u. a. 366 Vgl. wiederum EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichische Volksbanken / Kommissi on; EuGH Rs. C-239/11, Rn. 321 ff. – Siemens / Kommission. 367 Vgl. zu den einzelnen Teilgehalten des Rechts auf ein faires Verfahren und ihrem gemeinsamen Zweck einer effektiven Verteidigung der Parteien EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 69 ff. – Otis u. a.; instruktiv auch EuGH, Rs. C-169/14, Rn. 48 f. – Sánchez Morcillo und Abril Garcia / Banco Bilbao Vizcaya Argentaria SA. 368 In diese Richtung Frenz, Handbuch Europarecht, S. 1526 f.; ähnlich Jarass, NJW 2011, S. 1393, 1396 f.; deutlich in diesem Sinne auch Peers/Hervey/Kenner/Ward, EU Charter of Fundamental Rights, S. 1262. 363
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weise wird sogar explizit auf ein Recht auf Beweis der Prozessparteien verwiesen.369 Auch an dieser Stelle gilt es die rechtliche Bindung der Grundrechtecharta an die EMRK aus Art. 52 III S. 1 GRC zu bedenken: Das Recht der Parteien auf Erhebung von Beweismitteln durch das erkennende Gericht hat für einen effektiven Rechtsnachweis der Parteien eine ganz wesentliche Bedeutung. Beide Parteien profitieren von diesem prozessuale Gewährleistungsgehalt gleichermaßen, so dass eine etwaige Ablehnung dieses Rechts kein „mehr“ an Schutz für die Gegenpartei iSd Art. 52 III S. 2 GRC darstellen würde, sondern vielmehr beiden Parteien jeweils ein „weniger“ an prozessualem Grundrechtsschutz gewähren würde. Die rechtliche Verbindung von EMRK und Grundrechtecharta führt dementsprechend nach Art. 52 III S. 1 GRC auch in der Grundrechtecharta zwingend zu einem subjektiven Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel. d) Eigene Ansicht Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel stellt nach hier vertretener Auffassung einen der wichtigsten Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar: aa) Orientierung am Prozesszweck: Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel als wesentliche Grundlage effektiven Rechtsnachweises Nach dem Prozesszweck der Rechtsdurchsetzung mittels effektiven Rechtsnachweises spielt die Beweiserhebung eine ganz zentrale Rolle. Es ist das Konzept eines Zivilprozesses, dass die Entscheidung über private Rechte durch einen neutralen Entscheider in Form des Gerichts getroffen werden sollen. In diesem Sinne liegt es in der Natur der Sache, dass das erkennende Gericht den unklaren oder streitigen Sachverhalt gerade nicht selbst miterlebt hat. Das Gericht muss sich mithin seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der behaupteten Tatsachen mithilfe eines bestimmten Mediums bilden: Dieses Medium der Wahrheitserforschung sind im Zivilprozess die Beweismittel. Der Nachweis eigener Rechte kommt im Zivilprozess nur in Betracht, wenn das Gericht die angebotenen und beantragten Beweismittel auch tatsächlich erhebt. Das Gericht kann sich nur dann eine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit von Tatsachen bilden, wenn es die Nachweismöglichkeiten dieser Tatsachen wahrnimmt. Insoweit dient das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel dem effektiven Rechtsnachweis und der Wahrheitserforschung im Zivilprozess gleichermaßen. 369 Für eine Verortung im Recht auf rechtliches Gehör Frenz, Handbuch Europarecht, S. 1526 f.; ähnlich Jarass, NJW 2011, S. 1393, 1396 f.; deutlich in diesem Sinne auch Peers/Hervey/Kenner/ Ward, EU Charter of Fundamental Rights, S. 1262.
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bb) Subjektives Recht auf Erhebung aller beantragten Beweismittel Aus diesen Überlegungen resultiert ein ganz zentraler Gewährleistungsgehalt des Recht auf Beweis: Die Prozessparteien haben nach hier vertretener Ansicht ein subjektives Recht auf Erhebung der von ihnen beantragten Beweismittel. Für das Gericht folgt aus dem Recht auf Beweis eine mit diesem Recht korrespondierende Verpflichtung zur tatsächlichen Erhebung beantragter Beweismittel. Die Parteien haben grundsätzlich ein Recht auf Nutzung jeder denkbaren Erkenntnisquelle zum Nachweis eigener Rechte. Dieses Recht auf eine Beweiserhebung wird den Parteien innerhalb der benannten, immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis gewährleistet. Die Beweismittel müssen also hinreichend substantiierten, erreichbar und geeignet zum Nachweis der entscheidungserheblichen und beweisbedürftigen Tatsache sein. Auch können sich aus der Abwägung mit anderen Rechten und Prinzipien im Einzelfall einige weitere Ablehnungsgründe für einen Antrag auf Beweiserhebung ergeben. Der Grundsatz bleibt ungeachtet dieser Ausnahmen bestehen: Die Parteien des Zivilprozesses haben ein subjektives Recht auf Erhebung ihrer Beweismittel, als Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta. Das Recht auf Erhebung von beantragten Beweismitteln stellt eine wesentliche Grundvoraussetzung eines effektiven Rechtsnachweises dar und erweist sich daher als ein Kernbestandteil jedes Rechts auf Beweis, das seine Fundierung in den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip findet und der Effektuierung dieser Grundrechte, wie auch einem effektiven Rechtsschutz dient. Das Bundesverfassungsgericht hat ein solches Recht auf Erhebung von Beweismitteln grundsätzlich anerkannt und gleichermaßen auf den Justizgewährungsanspruch wie auch Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO gestützt.370 EGMR und EuGH haben sich nicht für alle Beweismittel explizit in diesem Sinne geäußert, tendieren jedoch nach der hier untersuchten Rechtsprechung gleichfalls sehr deutlich in Richtung eines allgemeinen Rechts auf Erhebung beantragter Beweismittel unter bestimmten Voraussetzungen. 371 cc) Verhältnis des Rechts auf Beweis zur materiellen Beweisunmittelbarkeit Weiterhin stellt sich die Frage, ob dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweiserhebung eine Beschränkung auf das sachnächste Beweismittel immanent ist. Nach deutschem Verständnis mithin die Frage nach einem dem Recht auf Beweis 370 Ausführlich
und mwN zu dieser Rechtsprechung oben V. 1. a. Für die EMRK siehe etwa EGMR, Urteil vom 19.04.1993, 13942/88, Kraska ./. CH, Rn. 30 ff.; ebenso in EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 ff.; für die Grundrechtecharta in diese Richtung tendierend insbesondere EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Irland u. a. 371
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immanenten Grundsatz der materiellen Beweisunmittelbarkeit.372 Diese Fragestellung lässt sich wiederum im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsnachweises beantworten. Ein unmittelbares Beweismittel trägt ohne Zweifel eine höhere Wahrscheinlichkeit für seine Authentizität in sich. Je mehr Stationen zwischen die eigentliche Anschauung des Sachverhaltes und eine Beweiserhebung vor Gericht „zwischengeschaltet“ werden, desto höher ist die Gefahr einer absichtlichen oder unabsichtlichen Verfälschung dieser Anschauung. Doch auch mittelbare Beweismittel erfüllen eine wichtige Funktion im Prozess. Gerade im Hinblick auf den vermeintlich hohen Beweiswert eines unmittelbaren Beweismittels können solche mittelbaren Beweise ein notwendiges Korrektiv darstellen. Mittelbare Beweismittel können die unmittelbaren Beweise stützten und weiter erhärten, vor allem aber können sie Zweifel an vermeintlich sicheren Beweismitteln offenbaren und zu weiteren Untersuchungen der Parteien und des Gerichts anregen. Ein solcher, vermeintlicher Erfahrungssatz, dass sachnähere Beweismittel der Wahrheitsfindung am besten dienen, wird durch die Vielfalt der einzelnen Fälle und möglichen Sacherhalte widerlegt. Vielmehr stellt sich die Erhebung mittelbarer Beweismittel als eine wesentliche Unterstützung eines effektiven Rechtsnachweises dar und kann zugleich im Einzelfall der Wahrheitsfindung dienlich sein. Die Schwäche mittelbarer Beweismittel lässt sich ihrerseits im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung berücksichtigen. Dem Recht auf Beweis ist daher nach hier vertretener Ansicht keinerlei Grundsatz der materiellen Beweisunmittelbarkeit immanent. Vielmehr wäre eine so begründete Beweisablehnung kritisch anhand des Rechts auf Beweis zu prüfen.
2. Verbot einer antizipierten Beweiswürdigung Einen Zusammenhang mit den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis weist auch antizipierte Beweiswürdigung auf. Diese Figur beschreibt die Ablehnung eines Beweisantrages aufgrund einer Bewertung und der Verneinung des Beweiswertes eines Beweismittels im Vorfeld seiner eigentlichen Erhebung aufgrund von vermeintlichem Erfahrungswissen.373 a) Das Verbot antizipierter Beweiswürdigung im GG In Rechtsprechung und Literatur zum Grundgesetz hat die Beweisantizipation eine ausführliche Diskussion erfahren.
372 Ausführlich zu diesem Grundsatz etwa Rohwer, materielle Beweisunmittelbarkeit, S. 11 ff. mwN. 373 Grundlegend BGHZ 53, S. 245, 260 f.; siehe auch BVerfG NJW-RR 1995, S. 441; aus der Literatur Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.
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aa) Grundsatz: Striktes Verbot einer antizipierten Beweiswürdigung Als Grundsatz formulieren Rechtsprechung und Literatur einhellig ein Verbot jeglicher antizipierter Beweiswürdigung.374 Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung von einem einfach-rechtlichen Verbot einer solchen antizipierten Beweiswürdigung aus.375 Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Rechtsprechung explizit angeschlossen und eine Beweisablehnung mittels antizipierter Beweiswürdigung als Verstoß gegen Art. 103 I GG angesehen. Wiederum hat das Verfassungsgericht dieses einfach-rechtliche Verbot verfassungsrechtlich „aufgeladen“, indem es die Ablehnung eines Beweisantrages mittels antizipierter Beweiswürdigung als Nichtberücksichtigung angesehen hat, die im Prozessrecht keine Stützte findet.376 Der BGH hat sich seinerseits dieser verfassungsrechtlichen „Aufladung“ des Verbotes einer Beweisantizipation angeschlossen.377 Diese Rechtsprechung hat in der Literatur Zustimmung erfahren. Regelmäßig wird das Verbot der Beweisantizipation als ein aus sich selbst heraus verständlicher Grundsatz angesehen, der keiner weiteren Erklärung bedarf.378 Vielmehr verweist die Literatur auf die in der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze eines Verbotes der antizipierten Beweiswürdigung.379 Das Verbot einer Beweisantizipation betrifft in aller Regel Konstellationen des Zeugenbeweises. In diesen Fallgestaltungen wird die Beweiserhebung unter Verweis auf die Unglaubwürdigkeit des Zeugen mit verschiedensten Formulierungen abgelehnt.380 Das Verbot gilt indes ausdrücklich für jede Art von Beweismitteln. Eine Ablehnung von Beweisanträgen allein gestützt auf eine Vermutung über dessen
374 Vgl. etwa BVerfG NJW 1993, S. 254, 255 und BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007; siehe auch BGHZ 53, S. 245, 260 und BGH NJW-RR 2009, S. 244, 245; aus der Literatur siehe Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.; ebenso MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 98; Musielak/ Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 89; Schnei der, MDR 1969, S. 268 f.; Söllner, MDR 1988, S. 363, 364 f. 375 Vgl. bereits BGHZ 5, S. 285, 287 f.; BGHZ 53, S. 245, 260; BGH ZZP 72 (1959), S. 198, 199; BGH NJW-RR 2002, S. 1072, 1073; in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2009, S. 244, 245 jeweils mwN. 376 In diesem Sinne BVerfG NJW 1993, S. 254, 255; ausdrücklich auch BVerfG NJW-RR 1995, S. 441; BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007 jeweils mwN. 377 In diesem Sinne BGH NJW-RR 2008, S. 696; ebenso BGH NJW-RR 2009, S. 244, 245 jeweils mwN. 378 Zustimmend und etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 98; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 89, Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21. 379 Auf die Rechtsprechung verweisend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.; MüKoPrütting, ZPO I, § 284, Rn. 98; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 89; Musielak/ Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 21. 380 Vgl. zur Beweisantizipation iRd Zeugenbeweises und den verschiedenen Formulierungen der Instanzgerichte etwa BGH ZZP 72 (1959), S. 198, 199; BGH NJW 2004, S. 767, 768 f. und BGH NJW-RR 2009, S. 244, 245.
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hypothetischen Beweiswert wird generell als unzulässig angesehen.381 Abzugrenzen ist das Verbot der Beweisantizipation zudem von der Ablehnung eines Beweisantrages mangels Geeignetheit des Beweismittels.382 bb) Ausnahmen: Prozesskostenhilfe und Schadensschätzung nach § 287 ZPO Darüber hinaus wurden in Rechtsprechung und Literatur zwei Ausnahmen des grundsätzlichen Verbotes einer Beweisantizipation anerkannt: Zum ersten darf nach Rechtsprechung und Teilen der Literatur die Prüfung der Erfolgsaussichten im PKH-Verfahren nach § 118 ZPO in eng begrenztem Umfang mittels antizipierter Beweiswürdigung erfolgen.383 Zum zweiten darf das erkennende Gericht im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO nach seinem Ermessen entscheiden, ob die bisher erhobenen Beweismittel eine Schadensschätzung zulassen und bejahendenfalls die Erhebung weiterer Beweismittel zugunsten einer solchen Schätzung ablehnen.384 b) Das Verbot antizipierter Beweiswürdigung in der EMRK Die Literatur zur EMRK stand einer antizipierten Beweiswürdigungen durch das erkennende Gericht stets kritisch gegenüber und hat darin einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK gesehen.385 Diese Sichtweise scheint auch beim EGMR auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein: In neueren Entscheidungen geht der Gerichtshof davon aus, dass eine antizipierte Beweiswürdigung in der Regel einen Verstoß gegen die Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK darstellt.386 Auch die Rechtsprechung zur Konventionskonformität einer Ablehnung des Zeugnisses aufgrund zu langer Zeitdauer wurde durch den EGMR in neuer Zeit 381 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2008, S. 696 zur unzulässigen Antizipation eines Sachverständigenbeweises; siehe auch BVerfG NJW 1993, S. 254, 255; BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007 und BGHZ 53, S. 245, 260; BGH NJW-RR 2009, S. 244, 245; aus der Literatur siehe Stein/JonasThole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.; ebenso MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 98; Musielak/VoitFoerste, ZPO, § 284, Rn. 21; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 89; Schneider, MDR 1969, S. 268 f.; Söllner, MDR 1988, S. 363, 364 f. 382 Ausführlich zu den Fallgestaltungen fehlender Beweiseignung oben § 6 IV. 4. 383 Ausführlich zu dieser Ausnahme BVerfG NJW 2003, S. 2976, 2977; BVerfG NJW 2010, S. 288 f. siehe auch BGH NJW 1988, S. 266, 267 mit einer Begrenzung der Beweisantizipation für den Zeugenbeweis. 384 Vgl. die instruktive, teils kritische Darstellung von BVerfG NJW 2010, S. 1870, 1871; siehe auch BGH NJW 1996, S. 2501, 2502; zur Kritik gegenüber dieser Ausnahmevorschrift außerdem Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 287, Rn. 9 mwN; zur Überprüfung des § 287 ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis siehe § 11 IV. 9. 385 In diese Richtung, aber unter Verweis auf Art. 6 III lit. d EMRK für den Strafprozess Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 626 ff. und Peukert, EuGRZ 1980, S. 247, 267. 386 So etwa im Fall EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff.
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augenscheinlich aufgegeben.387 Daher lässt sich festhalten, dass die heutige Rechtsprechung und Lehre eine antizipierte Beweiswürdigung als einen Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK betrachtet. c) Das Verbot antizipierter Beweiswürdigung in der GRC Der EuGH hat sich zu dieser Fragestellung nur selten geäußert. Allerdings hat er in einer dieser wenigen Entscheidungen die Zurückweisung eines Beweismittels unter der Begründung geduldet, das erkennende Gericht spreche diesem Beweismittel jede Beweiskraft ab.388 Dabei könnte man an eine Zurückweisung des besagten Beweismittels aufgrund fehlender Geeignetheit denken. Indes findet sich kein diesbezüglicher Hinweis in dieser Entscheidung, vielmehr wird allein die Aussage des erkennenden Gerichts über die fehlende Beweiskraft als Ablehnungsgrund durch den EuGH akzeptiert. Somit rückt der EuGH in dieser älteren Entscheidung in die Nähe einer antizipierten Beweiswürdigung. Doch selbst, wenn man davon ausgehen würde, dass der EuGH eine derartige Zurückweisung von Beweismitteln auch unter Geltung der Grundrechtecharta akzeptieren wollte, so wäre dies mit der rechtlichen Verbindung zur EMRK in Art. 52 III S. 1 GRC wohl unvereinbar. Der EGMR hat in seiner Rechtsprechung zu Art. 6 I EMRK in neuer Zeit klargestellt, dass eine antizipierte Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht einen Verstoß gegen die Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK darstellt.389 Dieser Gewährleistungsgehalt der EMRK gilt über Art. 52 III S. 1 GRC auch für die Gewährleistungen des Art. 47 II S. 1 GRC. d) Eigene Ansicht Die Figur der Beweisantizipation iSe Ablehnungsmöglichkeit von beantragten Beweismitteln anhand ihres prognostischen Beweiswertes weist ein erkennbares Spannungsverhältnis zum hier entwickelten Recht auf Beweis auf: aa) Orientierung am Prozesszweck: Antizipierte Beweiswürdigung als Hindernis eines effektiven Nachweises insbesondere atypischer Sachverhalte Im Hinblick auf den Prozesszweck eines effektiven Rechtsnachweises der Parteien stellt die Beweisantizipation in erster Linie eine große Gefahr dar. Es erscheint bequem und zeitsparend, ein Beweismittel im Hinblick auf den eigenen Erfahrungs387 In diesem Sinne lässt sich der Verweis auf die Möglichkeit einer Vernehmung von Zeugen über 50 Jahre zurückliegende Ereignisse durch EGMR, Urteil vom 29.05.2001, 63716/00, Sawo niuk ./. GB. Verstehen. 388 So in der Entscheidung EuGH, Rs. C-53/92, Slg. 1994, I-00667, Rn. 44 ff. – Hilti / Kommis sion. 389 Vgl. wiederum beispielhaft EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff.
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schatz als Gericht zurückweisen zu können. Indes gibt es Konstellationen, in denen noch so nahestehende Personen die Wahrheit sagen und zugleich andere Konstellationen, in denen vermeintlich unbeteiligte Dritte absichtlich die Unwahrheit sagen. Es lassen sich schlicht keine wissenschaftlich valide abgesicherten Sätze formulieren, in welchen Fallgestaltungen ein Mensch stets die Wahrheit oder Unwahrheit sagt. Eine antizipierte Beweiswürdigung könnte allenfalls annäherungsweise Konstellationen benennen, in denen eine Falschaussage aufgrund bestimmter Umstände, wie etwa persönlicher Sympathien oder Antipathien mehr oder weniger wahrscheinlich erscheint. Indes würde eine auf diesen Wahrscheinlichkeitsberechnungen basierende, antizipierte Ablehnung von Beweisanträgen den Rechtsnachweis einer Prozesspartei in ungewöhnlichen Fallkonstellationen gänzlich vereiteln. In einem von den abstrakt aufgestellten Regeln über den Beweiswert abweichenden Sachverhalten könnte eine Partei ihre Rechte schlicht nicht nachweisen. Bereits dieser Gedanke zeigt die Problematik einer antizipierten Beweiswürdigung im Hinblick auf das Recht auf Beweis deutlich auf. bb) Gewährleistung eines strikten Verbots antizipierter Beweiswürdigung Daher gewährleistet das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK, und europäischer Grundrechtecharta nach hier vertretener Meinung gleichermaßen ein striktes Verbot jeder antizipierten Beweiswürdigung. Eine Beweisablehnung darf qua Recht auf Beweis keinesfalls mit einer vorweggenommenen Beurteilung des Beweiswertes eines Beweismittels begründet werden. Vielmehr haben die Prozessparteien ein subjektives Recht auf Erhebung auch vermeintlich unsicherer Beweismittel. Der Unsicherheit eines Beweismittels kann im Rahmen der Beweiswürdigung hinreichend Rechnung getragen werden – basierend auf den gesicherten Erkenntnissen der tatsächlichen Erhebung eben dieses Beweismittels. Im Grundsatz ist dieses Verbot der Beweisantizipation in Rechtsprechung und Literatur gleichermaßen anerkannt.390 cc) Abgrenzung: Fehlende Beweiseignung und antizipierte Beweiswürdigung Das Abgrenzungskriterium zwischen einer hiernach verbotenen Beweisantizipation und der fehlenden Beweiseignung als immanenter Grenze des Rechts auf Beweis ist in der Art und Weise der Erkenntnis zu sehen, auf der diese Beurteilung beruht. Die fehlende Geeignetheit eines Beweismittels als immanente Grenze des Rechts auf Beweis ist nach hier vertretener Ansicht allein anhand der Denk- und Naturgesetze zu beurteilen, während die verbotene Beweisantizipation auf vermeintlichen Erfah390 Vgl. etwa BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007 und BGHZ 53, S. 245, 260; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 63 f.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 89 jeweils mwN.
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rungssätzen über den Beweiswert eines Beweismittels zurückgreift.391 Die Naturgesetze haben nach unserem menschlichen Erkenntnisstand eine universelle Geltung für jeden Einzelfall, während Erfahrungssätze diese Gewissheit gerade nicht liefern können. Vielmehr kann dieser vermeintliche Erfahrungssatz in jedem konkreten Einzelfall im wahrsten Sinne „Lügen gestraft werden“.
3. Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote Das Recht der Prozessparteien auf Erhebung der von ihnen beantragten Beweismittel weist außerdem Überschneidungen zur Frage nach einer Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozess auf. a) Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote im GG Insbesondere für das deutsche Grundgesetz und auch das Beweisrecht der ZPO handelt es sich hierbei um eine der meistdiskutierten Fragestellungen in Rechtsprechung und Literatur: aa) Abgrenzung: Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot In einem ersten Schritt ist jedoch der Problemkreis eines Beweisverwertungsverbotes nach deutschem Verständnis abzugrenzen vom verwandten Rechtsinstitut des Beweiserhebungsverbotes: Ein Beweiserhebungsverbot ist dem Beweisverwertungsverbot zeitlich vorgelagert und bezieht sich auf die Zulässigkeit der Beweiserhebung durch das erkennende Gericht. Es handelt sich um eine gesetzliche Regelung, die eine Erhebung bestimmter Beweismittel für bestimmte Fälle ausschließt.392 Ein solcher Ausschluss ist etwa in den §§ 595 II, 605 I, 605a ZPO für den Urkundenprozess zu sehen oder auch in den Regelungen über Zeugnisverweigerungsrechte in den §§ 383 ff. ZPO.393 Demgegenüber meint ein Beweisverwertungsverbot die Fragestellung, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen das erkennende Gericht die Verwertung eines rechtswidrig erlangten Beweismittels vornehmen darf.394 Das Beweisverwertungsverbot umfasst hierbei die Konstellation einer vorprozessual rechtswidrigen Erlangung von Beweismitteln, wie auch eine rechtswidrige Erhe391 Vgl. zur Geeignetheit als immanenter Grenze des Rechts auf Beweis § 6 IV. 4. und zur Beurteilung der weitergehenden Ansicht der h. M. siehe § 11 IV. 3. 392 In diesem Sinne siehe auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 63; ähnlich auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 10 ff.; eine etwas andere Akzentuierung wählt Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 15 ff. 393 Eine umfangreiche Auflistung findet sich bei siehe auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 63. 394 Ausführlich Muthorst, Beweisverbot, S. 92 ff.; siehe auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 64 ff. und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 44 ff.
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bung von Beweismitteln im eigentlichen Prozess – etwa unter Verstoß gegen ein Beweiserhebungsverbot.395 Im Falle der vorprozessualen Rechtswidrigkeit der Erlangung des Beweismittels durch eine Partei oder Dritte steht bereits die gerichtliche Erhebung des Beweismittels in Frage. Wenn die Rechtswidrigkeit demgegenüber aus der Erhebung des Beweismittels resultiert, stellt sich sodann die Frage nach der Zulässigkeit einer Würdigung und damit der weiteren Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels durch das erkennende Gericht.396 Die beiden Rechtsinstitute weisen erkennbar einen engen Bezug zueinander auf. So kann aus der Verletzung eines Beweiserhebungsverbotes durchaus ein entsprechendes Beweisverwertungsverbot folgen.397 Regelmäßig werden beide Konstellationen unter dem Oberbegriff des Beweisverbotes zusammengefasst.398 bb) TvA: Generelle Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel In Teilen der Literatur wird die generelle Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel vertreten.399 Als Argument wird in der älteren Literatur die Trennung zwischen materiellem Recht und dem Prozessrecht herausgestellt. Die materiellrechtliche Wertung der Rechtswidrigkeit einer Erlangung von Beweismitteln sei für das Prozessrecht hiernach ohne Bedeutung. 400 In der neueren Literatur verlagert sich die Argumentation hin zur Bedeutung der Wahrheitserforschung für Prozessparteien und zugleich für die materielle Richtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung.401 Das Recht auf Beweis wird hierbei explizit als Argumentationslinie herangezogen: Die Herleitung des Rechts auf Beweis aus einigen der grundlegendsten Prinzipen unserer Verfassung zeige seine Wertigkeit deutlich auf. Daher müsse dem Recht auf Erhebung der Beweismittel ein genereller Vorrang gegenüber etwaigen Gegenrechten der anderen Prozesspartei oder Dritter zukommen.402 Eine konkrete Inhaltsbestimmung des Rechs auf Beweis wird von dieser Ansicht im Schrifttum zu diesen beiden Fallkonstellationen Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 17 ff. 396 In diesem Sinne siehe auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 63 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 17 ff.; anders wiederum Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 15 ff. 397 Vgl. etwa Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 10, 13 ff. 398 Ausführlich wiederum Muthorst, Beweisverbot, S. 6 ff.; ebenso MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 62. 399 In diese Richtung tendierend bereits Sauer, Prozessrechtslehre, S, 138; ebenso Roth, JR 1950, S. 715; Lang, Ton- und Bildträger, S. 131 ff.; in neuerer Zeit Werner, NJW 1988, S. 993, 998 ff. und Brinkmann, AcP 206 (2006), S. 746, 759 ff. 400 Vgl. etwa Lang, Ton- und Bildträger, S. 131 f.; Werner, NJW 1988, S. 993, 999; siehe auch Brinkmann, AcP 206 (2006), S. 746, 751. 401 Eine ausführliche Bearbeitung erfährt dieser Gedanke durch Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 45 ff. und S. 157 ff.; ähnlich auch Brinkmann, AcP 206 (2006), S. 746, 749. 402 In diesem Sinne Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 157 ff. 395 Vgl.
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indes nicht vorgenommen. Insoweit „verkommt“ das Recht auf Beweis zu einer bloßen Argumentationslinie im Rahmen der speziellen Problematik von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten.403 cc) TvA: Generelle Unverwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel Ein anderer Teil der Literatur geht demgegenüber von einem generellen Verbot der Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel im Zivilprozess aus.404 Als erste Argumentationsbasis dient die Einheit der Rechtsordnung: Ein nach materiellem Recht rechtswidriges Verhalten müsse auch im Prozessrecht als rechtswidrig eingestuft werden, um Widersprüche zu vermeiden.405 Außerdem wird angeführt, dass die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel einen Anreiz für rechtswidriges Verhalten darstellen würde. Einem generellen Beweisverwertungsverbot würde daher generalpräventive Wirkung zukommen.406 dd) H.M.: Erfordernis einer Abwägung der betroffenen Rechte im Einzelfall In Rechtsprechung und herrschender Literatur wird eine vermittelnde Auffassung vertreten.407 Eine generelle Verwertbarkeit von rechtswidrig erlangten Beweismitteln würde selbst massive Grundrechtsbeeinträchtigungen außer Betracht lassen.408 Insbesondere im Hinblick auf den Kerngehalt des APR aus Art. 1 I GG erscheint diese Pauschalität nicht haltbar. Zudem zeige die ZPO in zahlreichen Vorschriften – etwa den Zeugnisverweigerungsrechten – deutlich, dass die Wahrheitserforschung nicht um jeden Preis geboten ist.409 Die Gegenposition einer generellen Unverwert403 Eine diesbezügliche Heranziehung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz als Argumentationslinie findet sich insbesondere bei Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 45 ff. 404 In diesem Sinne äußern sich bereits Kellner, JR 1950, S. 270, 271; Pleyer, ZZP 69 (1956), S. 321, 334 ff.; Siegert, NJW 1957, S. 689 ff.; in neuerer Zeit Reichenbach, § 1004 BGB als Grundlage, S. 226 f.; aus der Rspr. tendenziell in diese Richtung LG Frankfurt, NJW 1982, S. 1056 und LAG Berlin, JZ 1982, S. 258 jeweils mwN. 405 Vgl. bereits Kellner, JR 1950, S. 270, 271; ähnlich Siegert, NJW 1957, S. 689, 690. 406 In diese Richtung insbesondere Kaissis, Verwertungsverbot, S. 120 ff.; ebenso Siegert, NJW 1957, S. 689, 690; tendenziell auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 87 und BGH NJW 1970, S. 1848, 1849. 407 Instruktiv aus der Rechtsprechung BVerfG NJW 2002, S. 3619, 3623 ff.; siehe auch BGH NJW 1982, S. 277 f.; BGH NJW 2003, S. 1123, 1124 f.; BGH NJW 2006, S. 1657, 1658 ff.; zustimmend die Kommentarliteratur, vgl. MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 64 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 42 ff.; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 6 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 31 ff.; ebenso bereits Dichler, AcP 158 (1959/1960), S. 469, 495; Zeiss, ZZP 89 (1976), S. 377, 395 f.; Schwab, FS-Hubmann, S. 425, 427 ff.; Baumgärtel, FS-Klug, S. 477, 480 ff.; Habscheid, GS-Peters, S. 840, 855 ff.; in neuerer Zeit Keithe, MDR 2005, S. 965, 966 ff. und Balzer/Nugel, NJW 2014, S. 1622, 1623 ff. jeweils mwN. 408 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 42; ähnlich MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 66; siehe bereits Habscheid, GS-Peters, S. 853; Peters, ZZP 76 (1963), S. 148. 409 In diesem Sinne auch Habscheid, GS-Peters, S. 840, 856 ff.; ausführlich zur Abwägung zwi-
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barkeit verkenne demgegenüber die Unterschiedlichkeit von Prozessrecht und materiellem Recht.410 Zudem wird eine rechtswidrige Erlangung teilweise durch das Strafrecht sanktioniert und zieht regelmäßig Schadensersatzansprüche nach sich, so dass jede rechtswidrige Beweiserlangung eine hinreichende Reaktion des Staates zeitigt.411 In erster Linie verkenne diese Auffassung allerdings die Geltung der Grundrechte in Form des Rechts der beweisführenden Prozesspartei auf Erhebung beantragten Beweismittel.412 Daher gehen Rechtsprechung und herrschende Literatur von dem Erfordernis einer Abwägung der betroffenen (Grund-) Rechte im Einzelfall aus.413 Die jeweils in Rede stehenden Grundrechtspositionen müssen im Wege praktischer Konkordanz in einen Ausgleich gebracht werden, so dass sämtliche jeweils betroffenen Grundrechte zur Geltung kommen.414 Regelmäßig wird zur Konkretisierung dieser Abwägung eine Orientierung am Schutzzweck der jeweils verletzten Norm vertreten.415 b) Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote in der EMRK Für die EMRK ist diese Fragestellung weniger durch einen Diskurs verschiedener Ansichten zwischen EGMR und Literatur als vielmehr durch ein Nachzeichnen und Systematisieren der umfangreichen Rechtsprechung durch das Schrifttum geprägt. aa) Grundsatz: Keine expliziten Regeln der Beweiserhebung und -verwertung Der EGMR übt sich dem Grunde nach einmal mehr in Zurückhaltung: Die EMRK enthalte keine Regelungen über die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Beweismitteln. Die Klärung dieser Fragen sei allein den nationalen Gerichten vorbehalten
schen Beweisinteresse und APR die Entscheidung BVerfG NJW 2002, S. 3619, 3622 ff.; siehe auch die Darstellung von Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 2 ff. 410 So bereits Dichler, AcP 158 (1959/1960), S. 469, 470 f.; zustimmend Zeiss, ZZP 89 (1976), S. 377, 382; ausführlich auch MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 66 und Muthorst, Beweisverbot, S. 92 f.; in diese Richtung auch BGH NJW 1982, S. 277, 278. 411 So auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 26 mwN; kritisch gegenüber dieser Argumentation Kodek, rechtswidrig erlangte Beweismittel, S. 106 ff.; ausführlich auch Mut horst, Beweisverbot, S. 105 f. 412 Zu dieser Kritik siehe auch Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 8 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 66 jeweils mwN. 413 In diesem Sinne etwa BVerfG NJW 2002, S. 3619, 3623 ff.; siehe auch BGH NJW 1982, S. 277 f.; BGH NJW 2003, S. 1123, 1124 f.; BGH NJW 2006, S. 1657, 1658 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 64 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 42 ff.; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 6 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 31 ff. jeweils mwN. 414 Vgl. etwa die ausführliche Abwägung von BVerfG NJW 2002, S. 3619, 3622 ff. 415 In diese Richtung BGH NJW 2003, S. 1123, 1125; zustimmend etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 45 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 66 und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 6 jeweils mwN.
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und richte sich nach den Regelungen des nationalen Rechts.416 Der EGMR könne die Frage der Verwertbarkeit von Beweismitteln nicht grundsätzlich und abstrakt beantworten, sondern allenfalls für den konkreten Fall klären.417 bb) EGMR: Abwägung anhand aller Umstände des Einzelfalles Allerdings behält sich der EGMR auch in Bezug auf die Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Beweismitteln eine Prüfung vor, ob das Verfahren insgesamt, einschließlich der Verwertung dieser Beweismittel, fair iSd Art. 6 I EMRK war.418 Somit führt der Gerichtshof auch im Bereich der Beweisverwertung eine umfassende Prüfung am Maßstab der EMRK durch die „Hintertür“ der allgemeinen Fairnessprüfung des Verfahrens iSd Art. 6 I EMRK ein. Dieser Einzelfallprüfung anhand des Art. 6 I EMRK stellt der EGMR in dieser Fallkonstellation eine abstrakte, grundsätzliche Äußerung voran: Die nach nationalem Recht widerrechtliche oder auch konventionswidrige Erlangung von Beweismitteln führt hiernach nicht zwangsläufig zu einem Verbot der Verwertung dieser Beweismittel.419 Vielmehr ist eine Abwägung der betroffenen Interessen im Einzelfall erforderlich. Diese Abwägung stellt einen wesentlichen Ausdruck der Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK dar und erfolgt zwischen dem Beweisinteresse der den Beweis beantragenden Partei und den durch die Verwertung des Beweismittels verletzten Rechten der Gegenpartei bzw. auch eines Dritten.420 Diese Abwägung ist auch für die Anerkennung eines Recht auf Beweis durch den EGMR von großem Interesse: Indem der EGMR das Beweisinteresse der den Beweis beantragenden Partei in eine Abwägung einstellt, erkennt er denknotwendig zugleich ein eigenes Gewicht dieser Beweiserhebung an. Ein solches Recht auf Verwertung von Beweismitteln vor Gericht erscheint insoweit als Teilgehalt eines Rechts auf Beweis. 416 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 12.07.1988, 10862/84, Schenk ./. CH, Rn. 46 ff.; ebenso EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 49 ff.; in neuer Zeit siehe EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 29002/06, Schlumpf ./. CH, Rn. 51 ff.; ausführlich auch Lu big/Sprenger, ZIS 2008, S. 433 ff. 417 Vgl. EGMR, Urteil vom 18.03.1997, 21397/93, Mantonanelli ./. FR, Rn. 34 ff.; ausführlich und mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 161 ff. 418 So EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 161 ff.; EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 29002/06, Schlumpf ./. CH, Rn. 51 ff.; EGMR, Urteil vom 18.03.1997, 21397/93, Mantonanelli ./. FR, Rn. 34 ff. 419 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom Urteil vom 12.07.1988, 10862/84, Schenk ./. CH, Rn. 46 ff. und EGMR, Urteil vom 04.10.2000, 35394/97, Khan ./. GB, Rn. 34 ff. = JZ 2000, S. 993 ff. mwN aus der Rechtsprechung. 420 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 10.03.2009, 4378/02, Bykov ./. RU, Rn. 89 ff. = NJW 2010, S. 213, 215; siehe auch EGMR, Urteil vom 04.10.2000, 35394/97, Khan ./. GB, Rn. 34 ff. = JZ 2000, S. 993 ff.; aus der Literatur Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Har rendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 141 ff. und ausführlich Lubig/Sprenger, ZIS 2008, S. 433 ff. mwN.
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Für die Frage einer Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel lässt sich als abstrahierter Gewährleistungsgehalt der EMRK nach dem EGMR festhalten: Eine pauschale Zulassung oder Ablehnung rechtswidrig erlangter Beweismittel kommt nicht in Betracht. Vielmehr bedarf es einer Abwägung zwischen dem Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel und den durch die Verwertung tangierten Rechten der Gegenpartei bzw. eines Dritten. cc) Abwägungskriterien nach dem EGMR In dieser Abwägung kommt eine ganze Reihe von Rechten in Betracht, die im Einzelfall bei der Erlangung der Beweismittel verletzt worden seien können und deren Verletzung durch eine Verwertung im Prozess weiter perpetuiert würde. Besondere Relevanz entfaltet im Zivilprozess in der Regel der Widerstreit des Rechts auf Beweis iSd Art. 6 I EMRK mit dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens in Art. 8 EMRK. Der EGMR wägt zunächst die betroffenen Rechte gegeneinander ab und fragt, ob die durch die Verwertung zu erwarten Rechtsverletzungen derart gravierend sind, dass eine Verwertung unterbleiben muss.421 Ergänzend bezieht der EGMR in die Fairnessprüfung weitere Kriterien mit ein: So prüft er, ob die von der Verwertung betroffene Partei im Prozess in der Lage war, die Zulässigkeit der Verwertung des rechtswidrigen Beweismittels anzugreifen und weiter, ob es sich bei dem rechtswidrigen Beweismittel um das einzige Beweismittel für die zu erweisende Tatsache handelt.422 In der Praxis entscheidet der EGMR die Abwägung und Fairnessprüfung nur in den seltensten Fällen zugunsten eines Beweisverwertungsverbotes.423 c) Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote in der GRC Für die europäische Grundrechtecharta lassen sich bisher nur wenige diesbezügliche Entscheidungen des EuGH finden, so dass nachfolgend keine gefestigte Rechtsprechungslinie analysiert, sondern eher Tendenzen aufgezeigt werden können:
421 Vgl. EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20524/92, Doorson ./. NL, Rn. 70 ff. zur Verwertbarkeit anonymer Zeugenaussagen; ebenso in EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 53 ff.; siehe auch EGMR, Urteil vom EGMR 10.03.2009, 4378/02, Bykov ./. RU, Rn. 91 ff. zur Zulässigkeit von Hörfallen und EGMR, Urteil vom 25.12.2001, 44787/98, P.G. and J.H. ./. GB, Rn. 76 ff. zur Verwertbarkeit Abhörprotokollen jeweils vor dem Hintergrund einer möglichen Verletzung des Art. 8 EMRK. 422 In diesem Sinne etwa EGMR, Urteil vom 25.12.2001, 44787/98, P.G. and J.H. ./. GB, Rn. 79 f.; ebenso EGMR, Urteil vom 04.10.2000, 35394/97, Khan ./. GB, Rn. 35 ff. = JZ 2000, S. 993 ff. jeweils mwN. 423 So hat der EGMR in den vorgenannten Entscheidungen nur in EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 56 ff. ein Beweisverwertungsverbot angenommen.
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aa) Grundsatz: Keine expliziten Regeln der Beweiserhebung und -verwertung Als Grundsatz betont auch der EuGH, dass die Grundrechtecharta keine Regelungen über die Zulässigkeit und Verwertbarkeit von Beweismitteln enthalte. Die Klärung dieser Frage sei vielmehr Sache des erkennenden nationalen Gerichts. Der Gerichtshof könne die Zulässigkeit eines Beweismittels nicht grundsätzlich und abstrakt ausschließen.424 In dieser zurückhaltenden Linie orientiert sich der EuGH explizit an der Rechtsprechung des EGMR.425 bb) EuGH: Abwägung aller Umstände des Einzelfalles nach Art. 47 II S. 1 GRC Zugleich behält sich jedoch auch der EuGH eine allgemeine Prüfung der Verfahrensfairness vor: Hiernach ist zu prüfen, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich der Verwertung der in Rede stehenden Beweismittel, fair iSd Art. 47 II S. 1 GRC war.426 Somit erfolgt auch nach dem EuGH eine umfassende Prüfung der Zulässigkeit rechtswidrig erlangter Beweismittel im konkreten Einzelfall anhand der „Hintertür“ der allgemeinen Verfahrensfairness. Es erfolgt letztlich eine Abwägung im Einzelfall zwischen dem Recht auf eine Verwertung beantragter Beweismittel und den einer Verwertung entgegenstehenden Rechten.427 Diese Anerkennung eines Eigenwertes der Erhebung beantragter Beweis zeigt auch für den EuGH die Nähe zu einem Recht auf Beweis deutlich auf. Als Gegenrechte in der Abwägung kommen wiederum insbesondere die Persönlichkeitsrechte der Gegenpartei bzw. eines Dritten aus Art. 7 GRC in Betracht. Der EuGH bezieht in diese Abwägung der Verfahrensfairness allerdings nicht allein etwaige materielle Grundrechte der anderen Partei bzw. eines Dritten mit ein, sondern ausdrücklich auch die prozessualen Grundrechte der Gegenpartei.428 So prüft der EuGH einen möglichen Verstoß gegen das Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren, falls die andere Partei bei Zulassung des rechtswidrig erlangten Beweismittels keine angemessene Möglichkeit einer Erwiderung innehatte.429
In diesem Sinne EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen. So EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen unter explizitem Verweis auf die entsprechende Rechtsprechung des EGMR zur EMRK; in diese Richtung geht auch EuGH Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 40 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kommission. 426 Vgl. EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen und EuGH Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 40 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kommission. 427 Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen und EuGH Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 40 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kommission. 428 So EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen. 429 Vgl. wiederum EuGH Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen. 424 425
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d) Eigene Ansicht Die praktisch überaus bedeutende Frage, ob das erkennende Gericht ein Beweismittel erheben bzw. weiter verwerten darf, weist einen engen Bezug zum Recht auf Beweis auf. An dieser Stelle sollen die gesetzlichen Beweiserhebungsverbote indes ausgeklammert und ob ihrer klaren gesetzlichen Regelungen im Zuge der Überprüfung des geltenden Zivilprozessrechts analysiert werden. Die nachfolgende Analyse konzentriert sich auf solche Beweismittel, deren Erlangung vorprozessual oder auch prozessual einen Eingriff in die Grundrechte der gegnerischen Prozesspartei oder auch Dritter darstellen. Im Falle einer derartigen, vorprozessualen Erlangung stellt sich bereits die Frage nach einer möglichen gerichtlichen Verwertung iSe Erhebung dieses Beweismittel, während die Konstellation einer prozessual rechtswidrigen Erhebung eines Beweismittels demgegenüber die Frage nach der weiteren Verwertung iSe Einbeziehung dieses Beweismittels in die Beweiswürdigung aufwirft. Beide Konstellationen sollen an dieser Stelle gemeinsam unter dem Stichwort der Beweisverwertungsverbote behandelt werden. Nach hier vertretener Ansicht handelt es sich bei der Problematik etwaiger Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote um eine von vielen Facetten des Rechts auf Beweis. Eine herausgehobene Stellung kommt dieser Thematik indes nicht zu. Im Rahmen der inhaltlichen Ausformung des Rechts auf Beweis können letztlich nur einige grundsätzliche Aussagen zur Behandlung von Beweiserhebungsund Beweisverwertungsverboten sowie etwaiger Gegenrechte getroffen und Krite rien dieser Abwägung herausgearbeitet werden. aa) Grundsatz: Erfordernis einer Abwägung der betroffenen Rechte im Einzelfall Als Grundsatz lässt sich festhalten, dass die vom Recht auf Beweis geforderte Erhebung der Beweismittel und etwaige, einer Erhebung entgegenstehende Grundrechte und Allgemeingüter im Rang von Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta gleichwertig sind. Allerdings stellt die Erhebung von Beweismitteln im Zivilprozess den Grundsatz dar, während die Nichterhebung stets unter dem Vorbehalt des Nachweises überwiegender Gegenrechte steht. Die Parteien müssen grundsätzlich die Möglichkeit eines effektiven Nachweises eigener Rechte mithilfe aller zur Verfügung stehender Beweismittel erhalten, um einen hinreichenden Ausgleich zum staatlichen Gewaltmonopol zu schaffen. Wenn nun diese Möglichkeit des im Rahmen der gerichtlichen Rechtsdurchsetzung geforderten Rechtsnachweises gleichfalls durch den Staat eingeschränkt wird, so muss es sich hierbei um eine Ausnahme handeln, die ihrerseits einer Rechtfertigung bedarf – etwa durch überwiegende Grundrechte der Gegenpartei oder Dritter. Der Ausgangspunkt ist somit in der grundsätzlichen Erhebung und Verwertung von beantragten Beweismitteln als Ausfluss des Rechts auf Beweis zu sehen. Innerhalb einer etwaigen, konkreten Abwägung stellen sich das Recht auf Beweis und etwaigen Gegenrechten sodann als
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grundsätzlich gleichwertig dar, so dass für den Nachweis überwiegender Gegenrechte alle Umstände des Einzelfalles herangezogen werden müssen. In der Literatur zum deutschen Recht wird das Recht auf Beweis mit dieser Argumentation herangezogen, um einen generellen Vorrang der Beweiserhebung- und Beweisverwertungsverbote zu vertreten.430 Eine Abwägung im Einzelfall wäre hiernach nicht mehr erforderlich. Vielmehr würde die Bedeutung des Rechts auf Beweis die Gegenrechte in jedem denkbaren Fall überwiegen.431 Eine solche Sichtweise hat im Ansatz die Argumente der Praktikabilität und der Rechtssicherheit für sich. Indes würde eine Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ ihrerseits eine Vielzahl anderer Grundrechte in Gefahr bringen. Die Ausschöpfung jeder denkbaren Form von Beweismitteln könnte verschiedenste Grundrechte bis hin zu der Würde des Menschen in Art. 1 I GG im Hinblick auf das Verbot jeder Art von Folter beeinträchtigen.432 Eine solche Ansicht verkennt daher grundsätzlich die Komplexität der Problematik und der zu entscheidenden Lebenssachverhalte. Es lässt sich schlechterdings nicht begründen, weshalb Grundrechte wie das APR im Rahmen eines gerichtlichen Prozesses plötzlich keinerlei Gewicht mehr haben sollen. Ebenso wenig ließe sich erklären, weshalb das Recht einer Prozesspartei auf Nachweis eigener Rechte im Falle kollidierender Persönlichkeitsrechte oder sonstiger Gegenrechte pauschal zurücktreten sollte. Vielmehr machen die Vielzahl der betroffenen Rechte und die Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte eine Abwägung der betroffenen Rechte im Einzelfall erforderlich. Allein eine solche Abwägung kann alle relevanten Faktoren berücksichtigen und somit den Besonderheiten des jeweiligen, konkreten Falles gerecht werden. Daher ist auch nach hier vertretener Auffassung in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Schrifttum zu Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen eine Abwägung unter Einschluss aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmen.433 Dabei ist nach deutschem Verständnis zwischen den in Widerstreit stehenden Grundrechten ein In diesem Sinne argumentiert insbesondere Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 144, S. 157 ff. Diese Sichtweise einer pauschalen Verwertbarkeit wurde insbesondere in früherer Zeit vertreten, vgl. Sauer, Prozessrechtslehre, S. 138; Roth, JR 1950, S. 715; allerdings finden sich auch in neuer Zeit noch Anhänger dieser Meinung, so insbesondere Tresenreuter, Verwertbarkeit, S. 144 und S. 157 ff.; ähnlich auch Brinkmann, AcP 206 (2006), S. 746, 750 ff. mit einer Lösung über nachfolgende Schadensersatzansprüche bei rechtswidriger Erlangung und Verwertung von Beweismitteln. 432 Vgl. zum Verbot der Folter aus Art. 1 I GG etwa BVerfG NJW 2005, S. 656, 657; aus der Literatur siehe Sachs-Höfling, GG, Art. 1, Rn. 20 ff. jeweils mwN. 433 Für die EMRK siehe EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 161 ff.; für die Grundrechtecharta vgl. wiederum EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen und EuGH Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 40 ff. – Salzgitter Mannes mann / Kommission; für das Grundgesetz siehe etwa BVerfG NJW 2002, S. 3619, 3623 ff.; und BGH NJW 2006, S. 1657, 1659 f.; zustimmend die Kommentarliteratur, vgl. MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 64 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 42 ff.; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 6 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 6, Rn. 31 ff. 430
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Ausgleich in Form praktischer Konkordanz herzustellen.434 Die konkurrierenden Grundrechte sind hiernach miteinander in Einklang zu bringen, so dass beide Grundrechte bestmöglich zur Geltung kommen.435 bb) Ausgangspunkt: Gleichwertigkeit von Beweiserhebung und Gegenrechten Allerdings muss man sich nach hier vertretener Ansicht stets den Ausgangspunkt dieser Abwägung klarmachen: Eine Prozesspartei hat aufgrund ihres Rechts auf Beweis grundsätzlich ein nach Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gewährleistetes Recht auf die Erhebung beantragter Beweismittel. Die Erhebung eines Beweismittels bildet mithin den Grundsatz, während dessen Nichterhebung eine rechtfertigungsbedürftige Ausnahme darstellt. Auf Basis dieses Regel-Ausnahmeverhältnisses hat die Gegenpartei bzw. ein Dritter seine Rechte geltend zu machen und darzulegen, weshalb ausnahmsweise eine Beweisverwertung unterbleiben muss. In diesem Zusammenhang erscheint eine verschiedentlich vertretene Auffassung des Bundesverfassungsgerichts durchaus problematisch: Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung ist das Erfordernis einer Abwägung der betroffenen Grundrechte im Einzelfall. Allerdings spricht das Verfassungsgericht im Rahmen dieser Abwägung aus, dass das „schlichte Beweisinteresse“ einer Prozesspartei an der Beweiserhebung dem entgegengesetzten allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Gegenpartei gerade nicht gleichwertig gegenüber steht.436 Vielmehr müssten weitere Umstände des Einzelfalles hinzutreten, um eine Verwertung von beantragten Beweismitteln zu rechtfertigen.437 Diese neu geschaffene Kategorie des „schlichten Beweisinteresses“ führt somit faktisch zu einer Umkehrung des hier vertretenen Regel-Ausnahme-Verhältnisses. Der Grundsatz ist nun nicht mehr in der Erhebung von Beweismitteln zu sehen, sondern vielmehr in dessen Nichterhebung im Falle einer Beeinträchtigung anderer Grundrechte. Diese Umkehrung wird jedoch von Seiten des Bundesverfassungsgerichts weder explizit thematisiert noch in größerem Umfang erläutert. Nach hier vertretener Ansicht verbleibt es bei den Grundsätzen der Grundrechtslehre: Es stehen zwei verschieden Grundrechte in Rede: Das Recht auf Erhebung des beantragten Beweismittels aus dem Justizgewährungsanspruch auf der einen Seite und ein etwaiges Gegenrecht – wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht – auf der anderen Seite. Die Frage, welchem Grundrecht der Vorrang einzuräumen ist, muss mitZur Konzeption der sog. „praktischen Konkordanz“ siehe insbesondere Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, Rn. 72 und Rn. 317 ff.; ähnlich bereits BVerfGE 28, S. 243, 260 f.; seitdem st. Rspr. vgl. BVerfGE 81, S. 278, 292; BVerfGE 83, S. 130, 142 f.; BVerfGE 93, S. 1, 21; BVerfG NJW 2010, S. 220 ff.; aus der Literatur ausführlich Merten/Papier-Bethge, HGR III, § 72, Rn. 1 ff. 435 Vgl. wiederum BVerfGE 52, S. 223, 246; ausdrücklich BVerfGE 81, S. 278, 292; BVerfGE 93, S. 1, 21 und BVerfG NJW 2010, S. 220 ff. 436 So ausdrücklich BVerfG NJW 2002, S. 3619, 3624. 437 In diesem Sinne wiederum BVerfG NJW 2002, S. 3619, 3624. 434
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tels einer Abwägung im Einzelfall geklärt werden. Dabei ist jedoch stets zu beachten, dass die Beweiserhebung im Zivilprozess nach der Konzeption der Justizgewährung den Regelfall darstellt und für den effektiven Rechtsnachweis und damit die Rechtsdurchsetzung unerlässlich ist. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis ohne weitere Begründung oder Eingrenzung umzukehren erscheint zumindest diskussionsbedürftig. Selbst wenn man als Fallgruppe einer solchen Umkehrung die Rechtswidrigkeit der Erlangung eines Beweismittels anführen wollte, so würden sich im Zivilprozess erhebliche Probleme doch offenbaren, falls die rechtswidrige Erlangung durch einen mit den Prozessparteien nicht verbundenen Dritten erfolgt ist. So ließe sich die Frage stellen, ob eine Prozesspartei aufgrund einer rechtswidrigen Handlung Dritter ihr grundrechtlich gewährleistetes Recht auf effektiven Rechtsnachweis verlieren soll. Doch auch wenn eine Partei selbst die rechtswidrige Erlangungshandlung begangen hat, stellt sich doch die Frage, weshalb ihr – gerade im Fall einer tatsächlich existenten Rechtsposition – die faktische Möglichkeit ihrer Rechtsdurchsetzung vollständig abgeschnitten werden sollte. Nach hier vertretener Ansicht sind alle diese Aspekte in eine umfassende Abwägung einzustellen. Ausgangspunkt ist jedoch der Regelfall einer Beweiserhebung, die ausnahmsweise aufgrund überwiegender Gegenrechte unterbleiben kann. cc) Kriterien der Einzelfallabwägung Die Problematik eines Beweisverwertungsverbotes lässt sich somit auch nach hier vertretener Ansicht nur durch eine Abwägung der betroffenen Rechte im Einzelfall entscheiden, so dass sich die Frage nach den Kriterien eben dieser Abwägung stellt. Als Kriterien sind unter anderem einzustellen: Die abstrakte Bedeutung der jeweils in Rede stehenden Grundrechte bzw. Grundprinzipien im Gesamtsystem der jeweiligen Grundrechtsordnung. Sodann das Verhalten der Prozessparteien im konkreten Fall. Sei es eine etwaige eigene Mitwirkung einer Partei oder ihr nahestehender Dritter an Grundrechtsbeeinträchtigungen der jeweils anderen Partei oder auch ein etwaiges Mitverschulden der anderen Partei an der Beweisnot einer Partei. Die Art und Weise der Erlangung des Beweismittels, insbesondere die Intensität der Grundrechtsverletzung und eine etwaige, weitere Perpetuierung der Verletzung durch die gerichtliche Erhebung des Beweismittels. Die Bedeutung des jeweiligen Beweismittels für den Rechtsnachweis der Prozesspartei im konkreten Fall, insbesondere eine etwaige Beweisnot dieser Partei. Abschließend auch die Bedeutung des Rechtsstreits und der Rechtsdurchsetzung für die jeweilige Prozesspartei insgesamt. Weiterhin werden sich in jedem Einzelfall eine ganze Reihe von Besonderheiten ergeben, die ihrerseits in diese Abwägung einzustellen sind. Entscheidend ist jedenfalls, dass eine Abwägung unter Einstellung aller in Rede stehenden Grundrechte und sämtlicher sonstigen Umstände des konkreten Einzelfalles stattfindet.
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VI. Beweiswürdigung In der Phase der Beweiswürdigung wird aus den erhobenen Beweismitteln die richterliche Überzeugung von der Wahrheit der behaupteten Tatsachen gewonnen. Die von Seiten der Parteien vorgebrachten Beweismittel werden in einen von der Überzeugung des Gerichts getragenen Sachverhalt „umgesetzt“. Die Gewinnung desjenigen Sachverhaltes, der einer gerichtlichen Entscheidung letztlich zugrunde gelegt wird, ist von großer Bedeutung für die Prozessparteien und damit auch in gewissem Umfang Gegenstand der Gewährleistungen des Rechts auf Beweis.
1. Die Anforderungen des GG an eine Beweiswürdigung In der deutschen ZPO gilt nach § 286 I ZPO einfach-rechtlich der Grundsatz der freien Beweiswürdigung als Resultat einer langen, historischen Entwicklung.438 In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, des BGH und auch der juristischen Literatur hat die Beweiswürdigung indes nur vereinzelt einen verfassungsrechtlichen Bezug erhalten. a) Die Verpflichtung zur Würdigung erhobener Beweismittel Im ersten Schritt stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob das erkennende Gericht überhaupt qua Grundgesetz verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung vorzunehmen – unabhängig von den etwaigen Kriterien dieser Würdigung. aa) BVerfG: Implizite Herleitungsmöglichkeit aus dem Justizgewährungsanspruch iVm dem Willkürverbot Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu der konkreten Fragestellung einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Zivilgerichte, eine Beweiswürdigung durchzuführen, kaum geäußert. Seine Entscheidungen konzentrieren sich unter Zustimmung der verfassungsrechtlichen Literatur in erster Linie auf die Vollständigkeit der Würdigungsbasis des Gerichts und die Willkürfreiheit der anschließenden Beweiswürdigung.439 Teilweise wurde eine Verletzung des Art. 103 I GG in Fallkonstellationen angenommen, in denen das erkennende Gericht ersichtlich einzelne Beweismittel bzw. einzelnen Vortrag von Parteien in seiner Würdigung schlicht vergessen hat.440 Allerdings handelt es sich bei der Nichtberücksichtigung einzelner Beweismittel 438
Eine ausführliche Darstellung findet sich im historischen Teil dieser Arbeit in § 2. Vgl. wiederum etwa BVerfG NJW 2011, S. 49 f. (Vollständigkeit) und BVerfG NJW 1994, S. 2279 f. (Willkürverbot). 440 In diese Richtung bereits BVerfGE 22, S. 267, 273 f.; in neuerer Zeit BVerfG NJW 2005, S. 1487 und BVerfG NJW 2011, S. 49 f. jeweils mwN; siehe auch aus der Literatur Sachs-Degen hart, GG, Art. 103, Rn. 28 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke-Schmahl, GG, Art. 103 439
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bzw. Schriftsätze der Parteien eher um eine Frage der Vollständigkeit der Würdigungsbasis als um die Durchführung der Würdigung als solche. Dennoch erscheint die Annahme einer solchen Verpflichtung im Hinblick auf zwei Rechtsprechungslinien des Bundesverfassungsgerichts zwingend: den Justizgewährungsanspruch und das Willkürverbot. Der Justizgewährungsanspruch umfasst als zentralen Gewährleistungsgehalt das Recht der Prozessparteien auf eine gerichtliche Entscheidung als solche.441 Dieses Recht alleine vermag die verfassungsrechtliche Verpflichtung zu einer Beweiswürdigung indes nicht zu tragen. Schließlich könnte das erkennende Gericht eine Entscheidung per se auch ohne jede Würdigung der Beweismittel fällen – sei es durch Raten, Würfeln oder andere, zufällige Entscheidungsmethoden. An dieser Stelle kommt jedoch Art. 3 I GG ins Spiel. Das Bundesverfassungsgericht hat aus diesem Artikel ein Verbot willkürlicher Entscheidungen staatlicher Akteure abgeleitet.442 Willkür ist indes nicht bei jedem einfachen Rechtsfehler des Gerichts anzunehmen. Vielmehr muss hinzukommen, „dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruht“.443 Die Annahme eines bestimmten Sachverhaltes ohne jegliche Erwägungen zu den erhobenen Beweismitteln oder sonstigen Ansatzpunkten des Verfahrens würde auf purem Zufall basieren und damit auf eben solchen, sachfremden Erwägungen. Eine gerichtliche Entscheidung ohne jede Beweiswürdigung wäre hiernach schlechterdings willkürlich iSd Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.444 Zusammengenommen lässt sich somit aus der Rechtsprechung zum Justizgewährungsanspruch und zum Willkürverbot auf eine Verpflichtung der Zivilgerichte zur Durchführung einer Beweiswürdigung schließen. Rn. 27; Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 133, Rn. 61 ff.; Waldner, rechtliches Gehör, S. 71, 78 ff. jeweils mwN. 441 In diesem Sinne bereits BVerfGE 54, S. 277, 291; ebenso BVerfGE 85, S. 337, 345; BVerfG NJW 1997, S. 311, 312; aus der Literatur Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 28 ff.; ausführlich auch Sachs-Sachs, GG, Art. 20, Rn. 162 ff. jeweils mwN. 442 Vgl. allgemein bereits BVerfG 2, S. 266, 280 f. und BVerfGE 4, S. 144, 155; speziell zu gerichtlichen Entscheidungen siehe bereits BVerfGE 4, S. 1, 6 f.; zur Anwendung des Willkürverbotes auf die Beweiswürdigung BVerfG NJW 1983, S. 809; BVerfG NJW 1984, S. 2147, 2148 und insbesondere BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; ausführlich aus der Literatur Isensee/Kirchhof-Kirch hof, HStR IX, § 181, Rn. 232 ff. 443 So bereits BVerfGE 4, S. 1, 6 f.; ausführlich sodann BVerfGE 42, S. 64, 72 ff.; siehe auch BVerfGE 62, S. 189, 192; BVerfGE 87, S. 273, 278 f.; BVerfG NJW 1994, S. 2279, 2280; aus der Literatur Isensee/Kirchhof-Kirchhof, HStR IX, § 181, Rn. 232 ff. 444 Vgl. wiederum insbesondere BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; in diese Richtung tendieren auch BVerfGE 54, S. 117, 124 f.; BVerfGE 69, S. 248, 254 ff.; aus der Literatur siehe etwa Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 28 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke-Schmahl, GG, Art. 103 Rn. 27; für ein spezielles Willkürverbot aus Art. 103 I GG Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 133, Rn. 65; explizit auch Brüggemann, Begründungspflicht, S. 106.
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bb) BGH und Literatur: einfach-gesetzliches Gebot des § 286 I ZPO Der BGH leitet eine entsprechende Verpflichtung zur Würdigung von Beweismitteln in Übereinstimmung mit der zivilprozessualen Literatur einfach-rechtlich aus § 286 ZPO ab.445 Im Hinblick auf diese klare gesetzliche Regelung wird eine weitergehende, verfassungsrechtliche Fundierung dieser gerichtlichen Verpflichtung zur Beweiswürdigung kaum diskutiert. Insbesondere die zivilprozessuale Literatur geht gleichsam mit dem Bundesverfassungsgericht davon aus, dass aus dem Justizgewährungsanspruch die Verpflichtung zu einer gerichtlichen Entscheidung folgt und eine willkürliche gerichtliche Entscheidung eine Verletzung des Art. 3 I GG darstellt.446 b) Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im GG Sodann stellt sich die Frage, ob das Grundgesetz in gewissem Umfang die Art und Weise einer Beweiswürdigung determiniert – etwa durch die Gewährleistung der Freiheit einer gerichtlichen Beweiswürdigung iSd § 286 ZPO. aa) H.M.: keine verfassungsrechtliche Absicherung der freien Beweiswürdigung Auch diese Frage harrt – soweit ersichtlich – noch ihrer Beantwortung durch die verfassungsgerichtliche Judikatur und wird in der verfassungsrechtlichen Literatur gleichfalls kaum behandelt. Die inhaltliche Überprüfung unterliegt nach dem Verfassungsgericht sehr engen Grenzen. Grundsätzlich wird die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes allein als Sache der Fachgerichte angesehen.447 Die Grenze richterlicher Entscheidungsfreiheit ist jedoch nach allgemeinen Grundsätzen mit dem Willkürverbot des Art. 3 I GG gesetzt – in konkreto insbesondere bei erkennbar widersprüchlichen Angaben im Rahmen der Beweiswürdigung.448 Eine weitergehende Inhaltskontrolle anhand des Maßstabes der Freiheit der Beweiswürdigung wurde indes wohl noch nicht vorgenommen. In einigen Entscheidungen scheint das
445 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2000, S. 686; BGH GRUR 2004, S. 936, 937; in neuerer Zeit BGH NJW 2010, S. 3230, 3231 und BGH NJW 2014, S. 71, 73; aus der Literatur MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 7 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 10 ff.; Baumgärtel/Laumen/Prütting-Lau men, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 4, Rn. 12. 446 Ausführlich in diesem Sinne MüKo-Rauscher, ZPO I, Einleitung, Rn. 250 ff. (Willkür) und Rn. 256 ff. (Justizgewährung); ebenso Stein/Jonas-Brehm, ZPO I, Einleitung, Rn. 293 (Willkür) und Rn. 289 ff. (Justizgewährung); Musielak/Voit-Musielak, ZPO, Einleitung, Rn. 33 (Willkür) und Rn. 6 ff. (Justizgewährung) jeweils mwN. 447 In diesem Sinne bereits BVerfGE 18, S. 85, 92; zustimmend Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 133, Rn. 67. 448 Vgl. zu einer willkürlichen zivilprozessualen Beweiswürdigung insbesondere BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.
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Bundesverfassungsgericht die Freiheit der Beweiswürdigung allerdings tendenziell eher als einen rein einfach-rechtlichen Grundsatz zu begreifen.449 Der BGH geht seinerseits in Übereinstimmung mit weiten Teilen der zivilprozessualen Literatur vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung aus. Der BGH hat verschiedentlich sog. ungeschriebene Beweisregeln der Gerichte als mit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung unvereinbar angesehen.450 Indes wird dieser Grundsatz allein mithilfe der einfach-rechtlichen Normierung des § 286 ZPO begründet.451 Diese klare gesetzgeberische Entscheidung zugunsten des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung in § 286 ZPO lässt eine weitergehende Diskussion etwaiger verfassungsrechtlicher Fundierungen der Freiheit der Beweiswürdigung regelmäßig zurücktreten. Beweisregeln werden allein an diesem einfach-rechtlichen Grundsatz gemessen, so dass sich die Frage nach einer Vereinbarkeit mit höherrangigem (Verfassungs-) Recht aus Sicht von Rechtsprechung und Literatur regelmäßig nicht mehr stellt. In der Tendenz lässt jedoch auch diese Nichtbehandlung der verfassungsrechtlichen Fragen der freien Beweiswürdigung durch BGH und zivilprozessuale Literatur darauf schließen, dass die Freiheit der Beweiswürdigung in erster Linie als ein einfach-rechtlicher Grundsatz angesehen wird. bb) TvA: Gewährleistung eines Kerngehaltes freier Beweiswürdigung im GG Allerdings gibt es in der Literatur auch Stimmen, die sich für die verfassungsrechtliche Absicherung eines Kerngehaltes freier Beweiswürdigung aussprechen.452 Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist der Justizgewährungsanspruch und teilweise explizit das Recht auf Beweis.453 In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf 449 In diese Richtung BVerfGE 106, S. 28, 49, in dessen Rahmen gerade der Kontrast zwischen der einfach-rechtlichen Freiheit der Beweiswürdigung in § 286 ZPO und der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des rechtlichen Gehörs in Art. 103 I GG dargestellt wird. 450 Vgl. insbesondere die grundlegenden Entscheidungen BGH NJW 1974, S. 2283 („Rheinschifffahrtsgerichte“) und BGH NJW 1988, S. 566, 567 („Beifahrerrechtsprechung“); ähnlich auch BGH NJW 1995, S. 955 f.; aus der Literatur siehe etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 2; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 13 ff.; eine ausführliche Analyse der Rechtsprechung liefert auch Walter, freie Beweiswürdigung, S. 88 ff. mwN. 451 In diesem Sinne BGH NJW 1974, S. 2283, 2284; BGH NJW 1988, S. 566 und BGH NJW 1995, S. 955; eine verfassungsrechtliche Diskussion findet sich in diesem Zusammenhang auch in der Kommentarliteratur grundsätzlich nicht, siehe etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 13 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 1 ff.; demgegenüber unter Bezug auf die das verfassungsrechtliche Recht auf Beweis, Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 15, Rn. 6 – allerdings ausschließlich zur Vollständigkeit der Würdigungsbasis. 452 In diesem Sinne insbesondere die ausführliche Untersuchung von Walter, freie Beweiswürdigung, S. 304 ff.; in diese Richtung tendierend bereits Couture, ZZP 67 (1954), S. 128, 149; in neuerer Zeit zustimmend auch Maniotis, ZZP 125 (2012), S. 41 ff.; 453 Ausdrücklich zum Recht auf Beweis Walter, freie Beweiswürdigung, S. 304 ff. und Manio tis, ZZP 125 (2012), S. 41 ff.; einen grundsätzlichen, verfassungsrechtlichen Schutz bejaht auch Couture, ZZP 67 (1954), S. 128, 149.
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die Wirkweise starrer Beweisregeln als Gegenentwurf zu einer freien Beweiswürdigung hingewiesen: Die Festlegung eines abstrakten Beweiswertes bzw. die Aberkennung eines solchen Beweiswertes würde dazu führen, dass ein Beweismittel regelmäßig ohne Rücksicht auf den Einzelfall abgewiesen werden müsste.454 Eine solche Zurückweisung von Beweismitteln, die im Einzelfall durchaus dem Rechtsnachweis wie auch der Wahrheitsfindung dienlich sein könnten, wird als unvereinbar mit dem Justizgewährungsanspruch angesehen: Die Parteien müssen das Recht haben, ihre Rechte im konkreten Einzelfall tatsächlich nachweisen zu können.455 c) Verfassungsrechtliche Anforderungen an den Inhalt der Beweiswürdigung Nichtsdestoweniger haben auch Rechtsprechung und Literatur eine ganze Reihe verfassungsrechtlicher Anforderungen an die Beweiswürdigung im Zivilprozess entwickelt. aa) Vollständigkeit der Würdigungsbasis Der wohl wichtigste Gewährleistungsgehalt nach dem Bundesverfassungsgericht betrifft die Vollständigkeit der Würdigungsbasis. Regelmäßig wird in Fallkonstellationen eine Verletzung des Art. 103 I GG angenommen, in denen das erkennende Gericht ein erhobenes Beweismittel oder auch einen eingereichten Schriftsatz der Parteien bei der Beweiswürdigung schlicht übersehen hat.456 Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung zu § 286 I ZPO davon aus, dass der gesamte Inhalt der Verhandlung unter Einschluss aller erhobenen Beweismittel, aber auch alle Schriftsätze und sonstiges Verhalten der Parteien in der Verhandlung umfasst und in der Würdigung bedacht werden müssen.457 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung aufgegriffen und über Art. 103 I GG erneut verfassungsrechtlich „aufgeladen“.458 Dieser Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts haben sich wiederum
454 So Walter, freie Beweiswürdigung, S. 304 ff. und Maniotis, ZZP 125 (2012), S. 41 ff.; die Bedeutung der freien Beweiswürdigung für das Recht auf Beweis im schweizerischen Recht diskutierend und eine entsprechende Fundierung im Ergebnis ablehnend Kofmel, Recht auf Beweis, S. 98 ff. 455 Vgl. wiederum Walter, freie Beweiswürdigung, S. 304 ff. und Maniotis, ZZP 125 (2012), S. 41 ff.; im Ergebnis ähnlich Couture, ZZP 67 (1954), S. 128, 149. 456 Vgl. bereits BVerfGE 22, S. 267, 273 f.; in neuerer Zeit BVerfG NJW 2005, S. 1487 und BVerfG NJW 2011, S. 49 f. jeweils mwN; aus der Literatur wiederum Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 28 ff.; Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke-Schmahl, GG, Art. 103 Rn. 27; Merten/ Papier-Uhle, HGR V, § 133, Rn. 61 ff.; Waldner, rechtliches Gehör, S. 71, 78 ff. jeweils mwN. 457 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2000, S. 686 f. und BGH NJW-RR 2014, S. 1147, 1148 f. jeweils mwN. 458 Vgl. wiederum BVerfGE 22, S. 267, 273 f.; BVerfG NJW 2005, S. 1487 und BVerfG NJW 2011, S. 49 f. jeweils mwN; zustimmend Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 133, Rn. 66 f.
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der BGH und auch die Literatur einhellig angeschlossen.459 Die Vollständigkeit der Würdigungsbasis wird als eine wichtige Absicherung der korrekten Abwägung im Rahmen der Beweiswürdigung angesehen. Die Überzeugung des erkennenden Gerichts im Einzelnen lässt sich kaum höchstrichterlich überprüfen, so dass zumindest die Sicherung einer vollständigen Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles gegeben sein muss.460 bb) Willkürverbot als allgemeine Grenze freier Beweiswürdigung Der Inhalt der gerichtlichen Beweiswürdigung als solcher soll einer verfassungsrechtlichen Überprüfung weitgehend entzogen sein. So geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes allein der Fachgerichtsbarkeit obliegt.461 Indes stellt auch die richterliche Beweiswürdigung keinen rechtsfreien Raum dar. Vielmehr hat das Verfassungsgericht aus Art. 3 I GG ein allgemeines Willkürverbot für staatliche Entscheidungen entwickelt.462 Diese allgemeine Grenze staatlicher Handlungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung der Literatur auch auf die Beweiswürdigung durch die Zivilgerichte gezogen.463 Willkür liegt nicht bereits bei jedem Rechtsfehler des Gerichts vor, vielmehr muss die Handlung des Gerichtes derart unvertretbar sein, dass „sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht“.464 Der BGH hat sich dieser Rechtsprechung zum Willkürverbot aus Art. 3 I GG angeschlossen und zugleich weitere, einfach-rechtliche Kriterien entwickelt: Eine gerichtliche Beweiswürdigung könne durch die Rechtsmittelinstanzen jedenfalls auf ihre Vereinbarkeit mit den Denk- und Naturgesetzten sowie zwingenden Erfahrungssätzen überprüft werden.465 Die Beweiswürdigung muss hiernach insbesondere frei von inneren Widersprüchen sein.466 459 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2009, S. 1291 f. und BGH NZG 2011, S. 997, 998; aus der Literatur siehe Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 15, Rn. 6. 460 In diesem Sinne BGH NJW 1987, S. 1557, 1558; BGH NJW 1999, S. 3481; BGH NJW-RR 2004, S. 425. 461 Vgl. wiederum BVerfGE 18, S. 85, 92. 462 In diesem Sinne etwa BVerfGE 54, S. 117, 124 f.; BVerfGE 69, S. 248, 254 ff. und BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; ausführlich Isensee/Kirchhof-Kirchhof, HStR IX, § 181, Rn. 232 ff. mwN. 463 Vgl. etwa BVerfGE 57, S. 39, 42; BVerfG NJW 1986, S. 575; BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; aus der Literatur siehe etwa MüKo-Rauscher, ZPO I, Einleitung, Rn. 252 ff.; ausführlich, allerdings unter Verweis auf Art. 103 I GG Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 133, Rn. 63 ff. jeweils mwN. 464 Instruktiv zu dieser Definition und den Voraussetzungen der Willkür BVerfG NJW 1976, S. 1391 ff.; ebenso BVerfG NJW 1994, S. 2279; ausführlich Isensee/Kirchhof-Kirchhof, HStR IX, § 181, Rn. 232 ff. jeweils mwN. 465 Vgl. etwa BGH NJW 1992, S. 1967, 1968; ebenso BGH NJW 2010, S. 3230, 3231 und BGH NJW-RR 2014, S. 1147, 1148; zustimmend aus der Literatur MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 23; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 33 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 15, Rn. 51 ff. jeweils mwN. 466 Vgl. insbesondere BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; gleichfalls die Widerspruchsfreiheit der
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d) Einzelne Fallkonstellationen einer Beeinträchtigung der Beweiswürdigung Abschließend sollen einige Fallkonstellationen Erwähnung finden, in denen Rechtsprechung und Literatur typischerweise eine verfassungsrechtliche Dimension der zivilprozessualen Beweiswürdigung diskutieren. aa) Würdigung eines Sachverständigengutachtens Die erste Fallgestaltung betrifft die Beweiswürdigung eines Sachverständigengutachtens. Sachverständige werden hinzugezogen, wenn sich der Prozess um die Klärung schwieriger Tatsachenfragen dreht, die einer Expertenmeinung bedürfen.467 Hieraus folgt aber zugleich, dass das erkennende Gericht gerade keine Expertise für das sachverständig zu begutachtende Gebiet aufweist und die Gefahr besteht, das erkennende Gericht könne ein Sachverständigengutachten ohne weitere Prüfung seinem Urteil zugrunde legen. Das Bundesverfassungsgericht verlangt indes im Rahmen einer ordnungsgemäßen Beweiswürdigung die eigenständige, kritische Prüfung des Sachverständigengutachtens durch das erkennende Gericht.468 Diese Verpflichtung zu einer solchen eigenständigen Beweiswürdigung entnimmt das Verfassungsgericht dem Recht auf ein faires Verfahren. Ein Verstoß gegen die Verfahrensfairness ist hiernach anzunehmen, wenn das Gericht ein Sachverständigengutachten pauschal und ungeprüft in der Entscheidung übernimmt.469 Diese Prüfungspflicht gilt umso mehr, wenn eine Partei Einwendungen geltend macht und insbesondere bei Vorlage eines abweichenden Privatgutachtens.470 BGH und Literatur haben sich diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen explizit angeschlossen.471 bb) Annahme eigener Sachkunde des erkennenden Gerichts Die spiegelbildliche Konstellation einer Beweiswürdigung ohne Einholung sachverständigen Rates ist jedoch gleichfalls verfassungsrechtlichen Grenzen unterworfen. Grundsätzlich ist es dem erkennenden Gericht erlaubt, im Hinblick auf seine Beweiswürdigung fordert etwa BGH NJW 2010, S. 3230, 3231 und BGH NJW-RR 2014, S. 1147, 1148 aus der Literatur Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 35 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 113, Rn. 1 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 23 jeweils mwN; ausführlich wiederum Ahrens, der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 15, Rn. 51. 467 Vgl. allgemein Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, Vor §§ 402, Rn. 1. 468 Ausführlich BVerfG NJW 1995, S. 40 f.; bestätigend und zusammenfassend BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 469 Vgl. wiederum BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 470 So BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f.; zum Privatgutachten siehe BGH NJW-RR 2010, S. 711 f. und in jüngster Zeit BGH NJW 2015, S. 1311. 471 In diesem Sinne BGH NJW 2001, S. 2791 f.; BGH NJW 2010, S. 3230, 3231; BGH NJWRR 2012, S. 1473, 1474; ausführlich aus der Literatur Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 49, Rn. 9 ff.; siehe auch Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 11; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 8 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 19.
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eigene Sachkunde auf die Einholung sachverständigen Rates zu verzichten und einen entsprechenden Beweisantrag abzulehnen. Allerdings verstößt eine Beweiswürdigung ohne den hinreichenden Nachweis dieser eigenen Sachkunde nach verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung gegen Art. 103 I GG.472 BGH und Literatur sehen in einer solchen Beweiswürdigung neben der Verletzung des Art. 103 I GG zugleich einen Verstoß gegen § 286 ZPO.473 cc) Abweichende Würdigung von Beweismitteln in der Berufungsinstanz Die dritte zu behandelnde Fallkonstellation betrifft die Beweiswürdigung in der Berufungsinstanz. Dem Berufungsgericht ist es innerhalb seines Prüfungsumfanges nach § 529 ZPO möglich, eine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen, die von der erstinstanzlichen Beweiswürdigung abweichen kann.474 Nach dem Bundesverfassungsgericht sind an eine abweichende Würdigung des Zeugenbeweises indes bestimmte, verfassungsrechtliche Anforderungen zu stellen: So muss das Berufungsgericht die Parteien rechtzeitig genug über die Absicht einer abweichenden Beweiswürdigung informieren, um eine Äußerung zu ermöglichen.475 Darüber hinaus wird grundsätzlich eine erneute, eigenständige Erhebung des Zeugenbeweises durch das Berufungsgericht im Hinblick auf Art. 103 I GG verlangt.476 Diese Verpflichtung einer erneuten Zeugeneinvernahme in der Berufungsinstanz wurde durch den BGH entwickelt und sodann von Seiten des Bundesverfassungsgerichts durch die Gewährleistungen des Art. 103 I GG verfassungsrechtlich „aufgeladen“.477 Die abweichende Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen durch das Berufungsgericht ist nur ausnahmsweise ohne erneute Einvernahme zulässig, wenn sich „seine abweichende Würdigung auf solche Umstände stützt, die weder die Urteilsfähigkeit, das Erinnerungsvermögen oder die Wahrheitsliebe des Zeugen noch die Vollständigkeit
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Vgl. etwa BVerfGE 54, S. 86, 91 ff.; BVerfG NJW 1999, S. 3623, 3624; BVerfG NJW 2003, S. 125, 127 jeweils mwN. 473 Zustimmend etwa BGH MDR 1982, S. 45; BGH NJW-RR 2007, S. 357, 358; in jüngster Zeit BGH NJW 2015, S. 1311; aus der Literatur Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 49, Rn. 26; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 8 ff. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 11 jeweils mwN. 474 Ausführlich zu den rechtlichen Voraussetzungen und Möglichkeiten einer abweichenden Würdigung in der Berufungsinstanz BGH NJW 2005, S. 1583, 1584 f. und BGH NJW 2007, S. 2919, 2921; aus der Literatur MüKo-Rimmelspacher, ZPO II, § 529, Rn. 15 ff.: Musielak/VoitBall, ZPO, § 529, Rn. 4 ff.; in einzelnen Punkten kritisch gegenüber der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts Stein/Jonas-Althammer, ZPO VI, § 529, Rn. 11 ff. 475 Vgl. etwa BVerfG NJW 1992, S. 678 f.; ebenso BVerfG NJW 2003, S. 2524 jeweils mwN. 476 In diesem Sinne etwa BVerfG NJW 2005, S. 1487; BVerfG NJW 2011, S. 49 f. jeweils mwN. 477 Vgl. bereits BGH NJW 1981, S. 1378 f.; darauf bezugnehmend sodann BVerfG NJW 1992, S. 678 f.; in neuerer Zeit BVerfG NJW 2011, S. 49 f. unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung in BGH NJW-RR 1993, S. 510; BGH NJW 2007, S. 372, 374 und BGH NJW-RR 2009, S. 1291.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
und Widerspruchsfreiheit seiner Aussage betreffen“.478 Diese Sichtweise wird auch in der Literatur weithin geteilt.479
2. Die Anforderungen der EMRK an eine Beweiswürdigung In Rechtsprechung und Literatur zur EMRK hat die Phase der Beweiswürdigung nur eine sporadische Behandlung erfahren. a) Grundsatz: weites Ermessen der nationalen Gerichte Der EGMR ist mit Ausführungen zur Beweiswürdigung der erkennenden nationalen Gerichte sehr vorsichtig. Er betont als Grundsatz, dass die Feststellung des Sachverhaltes und damit auch die Würdigung von Beweismitteln eine originäre Aufgabe und Kompetenz der nationalen Gerichte seien.480 Diese Zurückhaltung erscheint im Hinblick auf den Vorgang der Beweiswürdigung seiner Bedeutung zum Trotz durchaus naheliegend: Die Frage, ob einem vernommen Zeugen oder einer Partei zu glauben ist, hängt grundlegend mit dem persönlichen Eindruck in einer Vernehmung zusammen. Gleiches gilt etwa für die Beurteilung der Einnahme eines Augenscheins durch das erkennende Gericht. Der EGMR hat zwar nach Art. 38 EMRK die Kompetenz zur Durchführung eigener Tatsachenermittlungen und zur Feststellung des Sachverhaltes. In der Praxis werden diese Möglichkeiten jedoch eher selten genutzt.481 Diese konkrete Situation aus der räumlichen und oftmals auch zeitlichen Distanz im Detail nachzuvollziehen und darüber ein Urteil zu fällen, wäre für den EGMR eine große Herausforderung. Daher erscheint die Zurückhaltung des EGMR durchaus verständlich. Der EGMR verlangt jedoch vom erkennenden Gericht, dass die beantragten Beweismittel auch gewürdigt werden.482 Hieraus lässt sich ableiten, dass der EGMR wohl von einem gewissen Maß an Freiheit der Gerichte bei der Beweiswürdigung ausgeht – schließlich würde es sonst keinerlei Spielraum für eine gerichtliche Wür478 In diesem Sinne wiederum BVerfG NJW 2011, S. 49 f. unter Berufung auf BGH NJW-RR 1993, S. 510; BGH NJW 2007, S. 372, 374 und BGH NJW-RR 2009, S. 1291. 479 Vgl. etwa Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 15, Rn. 52 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 12 jeweils mwN. 480 So etwa EGMR, Urteil vom 19.04.1993, 13942/88, Kraska ./. CH, Rn. 30 ff.; bestätigt in EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 f.; in neuerer Zeit ausführlich und mit Rechtsprechungsnachweisen vgl. EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 161 ff. 481 In diesem Sinne Frowein/Peukert-Frowein, EMRK, Art. 38 Rn. 2 ff., der aber auf eine steigende Tendenz eigener Tatsachenermittlungen hinweist; ähnlich Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 72. 482 So etwa EGMR, Urteil vom 19.04.1993, 13942/88, Kraska ./. CH, Rn. 30 ff. und EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 f.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 72 f. mwN.
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digung geben. Somit verlangt der EGMR tendenziell die Freiheit der Beweiswürdigung und erteilt einer vollständig durch Beweisregeln disponierten Entscheidung insoweit eine Absage.483 Zudem lässt sich aus diesen Formulierungen auch auf eine Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur tatsächlichen Durchführung einer Beweiswürdigung schließen. b) Anforderungen an die gerichtliche Ermessensausübung nach dem EGMR Dieses gerichtliche Ermessen im Rahmen der Beweiswürdigung wird durch den EGMR grundsätzlich respektiert. Die erkennenden nationalen Gerichte haben bei der Würdigung der Beweismittel ein weites Ermessen. Allerdings bedarf die Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts im Hinblick auf die Verfahrensfairness nach Art. 6 I EMRK zumindest einer angemessenen Begründung.484 Der Umfang dieser Begründung richtet sich grundsätzlich nach den Umständen des Einzelfalles. Indes fordert eine Ermessensentscheidung nach dem EGMR regelmäßig einen erhöhten Begründungsaufwand, um die Gedanken des Gerichts im Verlaufe dieser Würdigung als Partei nachvollziehen zu können.485 Außerdem hat der EGMR eine Beweiswürdigung teilweise als Verstoß gegen die Verfahrensfairness gewertet, wenn die Würdigung offensichtlich in sich widersprüchlich war.486 Diese Prüfung der Würdigung umfasst jedoch lediglich eine Evidenzkontrolle und fordert nicht einmal die Plausibilität der Erwägungen des erkennenden Gerichts.487 In einigen Fallkonstellationen verlangt der EGMR demgegenüber eine besonders strenge und kritische Würdigung der Beweismittel zur Wahrung der Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK, so etwa bei der gerichtlichen Verwertung eines Zeugnisses vom Hörensagen.488
483
In diese Richtung gehend EGMR, Urteil vom 20.03.2001, 33501/96, Telfner ./. AUT, Rn. 15 ff. zu gesetzlichen Vermutungen; bestätigt in EGMR, Urteil vom 04.10.2007, 28183/03, Anghel ./. RO, Rn. 60. 484 Vgl. EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff.; ausdrücklich in EGMR, Urteil vom 04.10.2007, 28183/03, Anghel ./. RO, Rn. 65; siehe auch Frowein/Peukert-Peu kert, EMRK, Art. 6 Rn. 166. 485 Vgl. zum erhöhten Begründungsaufwand bei Ermessensentscheidungen EGMR, Urteil vom 23.06.1994, 16997/90, De Moor ./. B, Rn. 55; ausführlich auch EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff.; zustimmend Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 76 und Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 182 jeweils mwN. 486 So in der Konstellation EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff. 487 In diesem Sinne wohl der gerade benannte Fall EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38. 488 Vgl. EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20542/92, Doorson ./. NL, Rn. 76; bestätigt in EGMR, Urteil vom 14.02.2002, 26668/95, Visser ./. NL, Rn. 44.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
3. Die Anforderungen der GRC an eine Beweiswürdigung Im Bereich der Beweiswürdigung existiert vergleichsweise reichhaltige Rechtsprechung des EuGH. Daher erscheinen insoweit ausnahmsweise die prozessualen Gewährleistungen in der Grundrechtecharta durch die Rechtsprechung des EuGH tendenziell weiter entwickelt und stärker ausdifferenziert als ihr Pendant in der EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR. a) EuGH: Geltung der freien Beweiswürdigung im Gemeinschaftsrecht Diese umfangreiche Rechtsprechung zeigt sich bereits bei der Postulierung des Grundsatzes: Der EuGH geht in ständiger Rechtsprechung von der Geltung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung im Gemeinschaftsrecht aus.489 Einziger Maßstab für die Beurteilung von Beweismitteln ist hiernach ihre Glaubhaftigkeit.490 Dieser Maßstab der freien Beweiswürdigung wurde in erster Linie für Prozesse vor dem EuGH und dem EuG bestätigt. Allerdings gibt es keinen Hinweis darauf, dass dieser Grundsatz für Prozesse vor nationalen Gerichten bei einem entsprechenden Bezug zum Europarecht keine Geltung haben sollte. Vielmehr handelt es sich ja bei der Entscheidung von Streitigkeiten mit Bezug zum Europarecht auch um eine Ausführung des Gemeinschaftsrechts.491 Zudem hat der EuGH diesen Grundsatz für das gesamte Gemeinschaftsrecht in einer Vielzahl von Entscheidungen formuliert und bestätigt.492 Im Gemeinschaftsrecht nach der Grundrechtecharta kann daher von der Geltung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung gesprochen werden. Diese Sichtweise des EuGH steht nach Art. 52 III S. 1 GRC im Einklang mit den parallelen Tendenzen in der Rechtsprechung des EGMR.493 Vor dem Hintergrund dieser starken Betonung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung erscheinen gesetzliche Beweisregeln tendenziell als ein rechtfertigungsbedürftiges Institut.494
489 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-407/04, Slg. 2007, I-00829, Rn. 49 und 63 – Dalmine SpA / Kom mission, sowie EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 43 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kommission; sodann ausdrücklich in diesem Sinne EuGH, Rs. C-239/11, Rn. 128 ff. – Siemens / Kommission. 490 Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-407/04, Slg. 2007, I-00829, Rn. 49 und 63 – Dalmine SpA / Kommission; EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 43 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kom mission und EuGH, Rs. C-239/11, Rn. 128 ff. – Siemens / Kommission. 491 Vgl. zum Anwendungsbereich der Grundrechtecharta § 5 V. 2. a. 492 Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-407/04, Slg. 2007, I-00829, Rn. 49 und 63 – Dalmine SpA / Kommission; EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 43 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kom mission und EuGH, Rs. C-239/11, Rn. 128 ff. – Siemens / Kommission. 493 Zu den Tendenzen in der Rechtsprechung des EGMR zur EMRK siehe VI. 2. 494 Regelmäßig prüft der EuGH diese Beweisregeln besonders im Hinblick auf die Effektivität des Unionsrechts, vgl. etwa EuGH, Rs. C-497/13, Rn. 58 ff. – Faber; siehe auch EuGH Rs. C-589/12, Rn. 46 – GMAC UK.
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Die Postulierung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung verschafft den erkennenden Gerichten einen weiten Ermessensspielraum bei der Würdigung von Tatsachen im Einzelfall. Der EuGH respektiert diesen Ermessensspielraum der Gerichte ausdrücklich und lässt bei der Überprüfung der jeweiligen Tatsachenwürdigung im Einzelfall große Vorsicht walten.495 Die Würdigung von Tatsachen ist dem Gerichtshof hiernach im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich verschlossen. Der EuGH sieht sich weder für die Tatsachenfeststellung zuständig noch zur Überprüfung der Beweise befugt, auf die sich diese Tatsachenfeststellung stützt.496 b) Prüfung der gerichtlichen Beweiswürdigung anhand bestimmter Kriterien Die große Ermessensfreiheit der Gerichte im Rahmen der Beweiswürdigung ist indes nicht gleichbedeutend mit dem gänzlichen Fehlen einer Überprüfung durch den EuGH. Vielmehr hat der Gerichtshof zwei Kriterien entwickelt, anhand derer er sich die Prüfung der Beweiswürdigung vorbehält: Seit jeher überprüft der EuGH die Entscheidungen auf eine bewusste Verfälschung von Beweismitteln.497 In jüngerer Zeit hat der EuGH seinen Prüfungsumfang dahingehend erweitert, dass Entscheidungen auch auf eine offensichtliche Unrichtigkeit der Sachverhaltsfeststellungen hin geprüft werden.498 Dabei müssen sich sowohl die bewusste Verfälschung als auch die offensichtliche Unrichtigkeit jeweils aus den Prozessakten ergeben, ohne dass eine weitere Beweiserhebung durch den EuGH erforderlich wäre.499 Hiernach umfasst die Kontrolle der Tatsachenfeststellungen insbesondere die rechtliche Qualifikation der Beweismittel und die Einhaltung des Beweisverfahrens und der Regelungen der Beweislast.500 Der EuGH führt somit eine Missbrauchskontrolle des gerichtlichen 495 Vgl. etwa EuGH Rs. C-204/00, Rn. 46 ff. – Aalborg Portland u. a. / Kommission; EuGH Rs. C-411/04, Rn. 55 – Salzgitter Mannesmann / Kommission. 496 St. Rspr., siehe bereits EuGH, Rs. C-403/04, Slg. 2007, I-00729, Rn. 38 f. – Sumitomo Metal Industries / Kommission; ebenso auch EuGH Rs. C-89/11, Rn. 64 – E.ON Energie / Kommission und EuGH Rs. C-231/14, Rn. 59 f. – Inno Lux / Kommission jeweils mwN aus der Rechtsprechung. 497 Vgl. bereits EuGH Rs. C-136/92, Slg. 1994, I-01982, Rn. 48 f. und 66 – Kommission / Braz zelli Lualdi u. a.; ausführlich jeweils EuGH, Rs. C-236/05, Slg. 2007, I-06557, Rn. 57 ff. – Indu strias Quimicas del Vallés / Kommission und EuGH, Rs. C-239/11 Rn. 38 ff. – Siemens / Kommis sion jeweils mwN aus der Rechtsprechung. 498 In diesem etwa EuGH, Rs. C-326/05, Slg. 2009, I-00133, Rn. 57 ff. – Industrias Quimicas del Vallés / Kommission.; instruktiv auch EuGH, Rs. C-229/05, Slg. 2007, I-00439, Rn. 35 ff. – PKK und KNK / Rat, in dessen Rahmen die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz detailliert analysiert und mit den vorhandenen Beweismitteln abgeglichen werden, woraufhin der EuGH von unzutreffenden Tatsachenfeststellungen spricht. 499 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-399/08, Slg. 2010, I-07831, Rn. 63 f. – Kommission / Deutsche Post; ebenso EuGH, Rs. C-260/09, Slg. 2011, I-00419, Rn. 53 – Aktivision Blizzard Germany / Kommis sion jeweils mwN. 500 In diesem Sinne etwa EuGH, Rs. C-113/04, Slg. 2006, I-08831, Rn. 83 – Technische Unie / Kommission; ebenso EuGH, Rs. C-90/09, Slg. 2011, I-00001, Rn. 71 f. – General Quimica u. a. / Kommission jeweils mwN.
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Ermessens auf eine vorsätzliche Verfälschung von Beweismitteln durch. Außerdem prüft der EuGH die Würdigung in neuerer Zeit auch auf offensichtliche Fehler in der Tatsachenfeststellung und damit auf Fehler, die einem Gericht „lediglich“ (grob-) fahrlässig unterlaufen sind.501 In einzelnen Fallkonstellationen verlangt der EuGH außerdem eine besonders gründliche und strenge Beweiswürdigung, wie etwa im Rahmen der Verwendung anonymer Zeugenaussagen als Beweismittel vor Gericht.502 Zudem stellt der EuGH an Ermessensentscheidungen höhere Begründungsanforderungen, die umso schärfer sind, je weiter das jeweilige Ermessen reicht.503 Zusammengefasst hat der EuGH eine Reihe von Kriterien entwickelt, die eine deutlich detailliertere Überprüfung der richterlichen Beweiswürdigung erlauben, als es etwa nach der EMRK in Auslegung des EGMR der Fall ist. Eine solche, detaillierte Prüfung des Ermessens stellt für die Betroffenen ein „Mehr“ an Grundrechtsschutz dar, ohne dass die Rechte der jeweils anderen Prozesspartei beeinträchtigt werden und somit ein höheres Schutzniveau in einem solchen 2-Personen-Verhältnis nach Art. 52 III S. 2 GRC grundsätzlich möglich erscheint.
4. Eigene Ansicht Die Beweiswürdigung als diejenige Phase innerhalb derer sich das erkennende Gericht tatsächlich seine Überzeugung von den durch die Parteien nachzuweisenden Tatsachen bildet, hat auch für das Recht auf Beweis eine erkennbar große Bedeutung: a) Orientierung am Prozesszweck: Freie Würdigung erhobener Beweismitteln als Grundlage eines effektiven Nachweises eigener Rechte im Einzelfall Eine Beweiswürdigung kann auf verschiedenen Konzepten basieren: Im Rahmen der historischen Untersuchungen hat sich gezeigt, dass die Beweiswürdigung den Gerichten in früherer Zeit oftmals sehr streng vorgegeben wurde. Die Gerichte hatten eine Entscheidung anhand eines vorab festgelegten Beweiswertes einzelner Beweismittel unabhängig vom Einzelfall zu treffen.504 Dieser gebundenen Beweiswürdigung lag zum einen der Wunsch zugrunde, eine Entscheidung vorhersehbar zu machen und jedes Detail rechtlich regeln und ordnen zu können. Zum anderen kam 501 Deutlich im Sinne einer Missbrauchskontrolle EuGH, Rs. C-239/11, Rn. 44 – Siemens / Kommission; siehe auch die Ausführungen in EuGH, Rs. C-229/05, Slg. 2007, I-00439, Rn. 35 ff. – PKK und KNK / Rat. 502 So ausdrücklich EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 44 ff. – Salzgitter Mannes mann/ Kommission. 503 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-258/90, Slg. 1992, I-02901, Rn. 26 – Pesquerias De Bermeo und NavieraLaida / Kommission; bestätigt in EuGH, Rs. C-269/90, Slg. 1991, I-05469, Rn. 14 – Tech nische Universität München / Hauptzollamt München-Mitte. 504 Vgl. zur Beweiswürdigung die rechtshistorische Analyse in § 2.
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in dieser Bindung des Gerichts zugleich das Misstrauen gegenüber den Gerichten insgesamt zum Ausdruck – teils aufgrund tatsächlich bestehender Korruption des Justizapparates – in aller Regel jedoch aufgrund des Machtanspruches eines einzelnen, absoluten Herrschers.505 Im Ausgangspunkt können Beweisregeln also durchaus hehre Ziele verfolgen und es spricht zugleich vieles dafür, dass eine durch den Gesetzgeber geschaffene Beweisregel eine höhere demokratische Legitimation aufweist als ein höchstrichterlich aufgestellter Erfahrungssatz. Dennoch zeigt ein Blick auf die Historie gleichsam die negativen Seiten starrer Beweisregeln. Die Beweisregeln mussten mit fortlaufender Zeit der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte Tribut zollen. Die Beweisregeln wurden hiernach immer kleinteiliger, unübersichtlicher und regelmäßig in sich widersprüchlich.506 Es spricht auch mit Blick auf diese rechtshistorische Analyse viel dafür, dass die abstrakte Regelung jedes einzelnen Lebenssachverhaltes im konkreten Zivilprozess auf Ebene des Gesetzgebers nicht zu leisten ist und letztlich auch nicht die Aufgabe des Gesetzgebers darstellt. In neuerer Zeit hat sich sodann das Konzept der freien richterlichen Beweiswürdigung durchgesetzt und ist durch § 286 ZPO einfach-rechtlich fest verankert. Der diesbezügliche Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis lässt sich wiederum unter Orientierung am Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte mithilfe des effektiven Nachweises dieser Rechte im Einzelfall finden. Eine durch Beweisregeln determinierte Beweiswürdigung würde letztlich allein durch den Gesetzgeber vorgenommen. Dem Gericht würde für jeden denkbaren Einzelfall eine entsprechende gesetzgeberische Würdigung in Form einer Beweisregel vorgegeben. Der Gesetzgeber kann selbstverständlich nicht jeden Einzelfall behandeln, so dass sich derartige, abstrakte Beweisregeln in aller Regel an Wahrscheinlichkeiten orientieren. Eine Beweisregel enthält daher eine abstrakte Würdigung des Gesetzgebers anhand eines typischen Geschehensablaufes.507 Der Gesetzgeber erklärt somit einen regelmäßig auf eine bestimmte Art und Weise ablaufenden Lebenssachverhalt abstrakt für alle derartigen Sacherhalte für wahr. Im Rahmen von solchen, abstrakten Beweisregeln stellt sich jedoch die Problematik, dass unwahrscheinliche oder untypisch abgelaufene Sachverhalte nur schwerlich in das starre Schema einer Beweisregel einzupassen sind. Ein effektiver Rechtsnachweis kann jedoch nicht allein in atypischen Sachverhalten durch starre Beweisregeln vereitelt werden: Vielmehr können starre Beweisregeln auch in Konstellationen zu einem Hindernis werden, in denen eine Partei im Einzelfall tatsächlich Beweismittel aufbringen kann, diese Beweismittel jedoch qua abstrakter Wertung des Gesetzgebers nicht den geforderten Beweiswert erreichen, obgleich sie das erkennende Gericht im Einzelfall ohne weiteres überzeugen würden und den tatsächlichen Sachverhalt aufdecken könnten. Der 505
Vgl. die Schlussfolgerungen der rechtshistorischen Analyse in § 2 V. 4. Die historische Entwicklung von Beweisregeln ausführlich nachzeichnend § 2. 507 Vgl. allgemein zu Beweisregeln Britz, ZZP 110 (1997), S. 61, 65 ff. 506
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Rechtsnachweis würde mittels einer abstrakten Regelung unabhängig vom konkreten Einzelfall unmöglich gemacht. Doch auch die umgekehrte Fallgestaltung würde sich als überaus problematisch darstellen: Eine Partei hat mithilfe ihr zur Verfügung stehender Beweismittel den erforderlichen, abstrakten Beweiswert erreicht, obgleich die Beweismittel erkennbar unglaubwürdig und manipuliert sind, so dass das erkennende Gericht sehenden Auges auf Basis eines unwahren Sachverhaltes entscheiden müsste. Hieraus lässt sich bereits ableiten, dass eine abstrakte Bestimmung der Beweiswürdigung, die gänzlich mithilfe von Beweisregeln abläuft, kaum mit dem Ziel einer Rechtsdurchsetzung mittels Rechtsnachweis vereinbar sind und auch die Erforschung es wahren Sachverhaltes im Einzelfall unmöglich gemacht werden kann. Vielmehr gibt alleine eine freie Beweiswürdigung dem erkennenden Gericht dasjenige Instrument an die Hand, um jeden Einzelfall als solchen behandeln zu können. Nur auf diese Weise kann das Gericht sich an der Erforschung der Wahrheit orientieren – so unwahrscheinlich der Geschehensablauf auch sein mag. Allein diese Konzentration auf den konkreten Einzelfall ermöglicht zudem eine Berücksichtigung der beweisrechtlichen Aktivitäten der Prozessparteien in diesem Einzelfall und damit eine Verwirklichung des Rechts auf Beweis. Die Erstellung von Beweisregeln folgt durchaus hehren Zielen, wenn sie eine Beweiswürdigung vorhersehbar machen und subjektivem Missbrauch entziehen möchte. Allerdings kann der Gesetzgeber mit seinem Instrumentarium abstrakt-genereller Regelungen nun einmal nicht jeden Einzelfall abbilden. Vielmehr werden die unwahrscheinlichsten Geschichten durch das Leben geschrieben, so dass eine bloße Orientierung an Wahrscheinlichkeiten in vielen Fällen kein befriedigendes Ergebnis bereithält und dem Recht auf Beweis nicht gerecht wird. Allerdings erwächst aus der Subjektivität dieser Entscheidung zugleich die Gefahr des Missbrauches, der historisch die Einführung von Beweisregeln initiierte. Mithin bedarf es qua Recht auf Beweis bestimmter Anforderungen an die Beweiswürdigung, um die Subjektivität der Entscheidung in geordnete Bahnen zu lenken. b) Gewährleistung einer freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts Diese Orientierung am Prozesszweck zeigt deutlich den entsprechenden Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis auf: Als Grundsatz wird nach hier vertretener Ansicht die freie Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht gewährleistet. Zwar kann die freie Beweiswürdigung eine missbrauchsfreie Berücksichtigung aller Parteiaktivitäten zu ihrem Rechtsnachweis wie auch das Auffinden der Wahrheit gleichfalls nicht in jedem denkbaren Einzelfall gewährleisten. Doch gibt die Freiheit zur Berücksichtigung des konkreten Einzelfalles dem erkennenden Gericht das bestmögliche Instrumentarium für diesen effektiven Rechtsnachweis und die Wahrheitsfindung an die Hand. Allein auf diese Weise kann das erkennende Gericht als
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sachnächstes Organ auch den Nachweis unwahrscheinlicher, atypischer Lebenssachverhalte und die Durchsetzung diesbezüglicher Rechte ermöglichen. Auch die Berücksichtigung etwaiger Details des Einzelfalles, die nicht unter eine abstrakte, gesetzliche Beweisregel fallen würde, wird durch die Freiheit der Beweiswürdigung ermöglicht. Nach hier vertretener Ansicht gewährleistet das Recht auf Beweis daher nach Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen die Freiheit der Beweiswürdigung. Diese Freiheit der Beweiswürdigung wird auch von Seiten des EuGH explizit als Ausdruck der Verfahrensfairness iSd Art. 47 II S. 1 GRC angesehen.508 Der EGMR äußert sich in diesem Zusammenhang zurückhaltender, tendiert jedoch gleichfalls in Richtung einer freien Beweiswürdigung.509 Die zurückhaltende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes wird nach hier vertretener Ansicht durch die einfach-rechtliche Gewährleistung der freien Beweiswürdigung in § 286 ZPO erklärlich. Der BGH unterzieht insbesondere ungeschriebene Beweisregeln der unteren Gerichte einer strengen Prüfung.510 Extreme Fallkonstellationen starrer Beweisregeln, die einen verfassungsrechtlichen Ausspruch zur Freiheit der Beweiswürdigung erforderlich machen, werden so bereits auf Ebene der Fachgerichte einfach-rechtlich gelöst. Doch der einfach-rechtliche Grundsatz des § 286 ZPO kann nicht von einer Überlegung zur verfassungsrechtlichen Absicherung der freien Beweiswürdigung entbinden. Eine simple Änderung des einfachen Rechts zugunsten starrer Beweisregeln würde diese Fragestellung virulent werden lassen. Sodann erscheint es nach hier vertretener Ansicht naheliegend, dass auch das Bundesverfassungsgericht im Falle einer abstrakten Festlegung des Wertes von Beweismitteln ohne Beachtung des Einzelfalles und der Auswirkungen auf die Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten der Prozessparteien gewisse verfassungsrechtliche Problemstellungen konstatieren würde. In Ansätzen zeigt sich diese Sichtweise in seiner Rechtsprechung, die ein striktes Verbot antizipierter Beweiswürdigung vorsieht.511
508 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-407/04, Slg. 2007, I-00829, Rn. 49 und 63 – Dalmine / Kommis sion; sodann ausdrücklich in diesem Sinne EuGH, Rs. C-239/11, Rn. 128 ff. – Siemens / Kommis sion. 509 In diese Richtung EGMR, Urteil vom 20.03.2001, 33501/96, Telfner ./. AUT, Rn. 15 ff. über die Zulässigkeit gesetzlicher Vermutungen; bestätigt von EGMR, Urteil vom 04.10.2007, 28183/03, Anghel ./. RO, Rn. 60. 510 Vgl. etwa BGH NJW 1974, S. 2283 („Rheinschifffahrtsgerichte“) und BGH NJW 1988, S. 566, 567 („Beifahrerrechtsprechung“). 511 In diesem Sinne etwa BVerfG NJW-RR 1995, S. 441 und BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007.
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c) Korrespondierende Verpflichtung zur tatsächlichen Würdigung erhobener Beweismittel Diese Freiheit der Beweiswürdigung korrespondiert zugleich mit einer Verpflichtung des erkennenden Gerichts zu einer tatsächlichen Durchführung eben dieser Würdigung im Einzelfall aus dem Recht auf Beweis. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen und eine tatsächliche Erhebung der beantragten Beweismittel hätte für die Parteien wenig Wert, wenn die spätere Würdigung und damit die Umsetzung dieser Beweismittel in einen der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt unterbleiben würden. Die Freiheit der Beweiswürdigung meint daher lediglich die Möglichkeit des Gerichtes, alle Beweismittel und sonstigen Umstände des Prozesses im Einzelfall zu würdigen. Indes ist das Gericht nicht frei zu entscheiden, ob es überhaupt eine Würdigung vornimmt. Vielmehr folgt aus dem Recht auf Beweis die Verpflichtung zu einer solchen, freien Beweiswürdigung. d) Umfang freier Beweiswürdigung Diese Verpflichtung bezieht sich zudem nicht allein auf die Beweiswürdigung als solche, sondern auch auf ihren Umfang: Das Recht auf Beweis gewährleistet den Prozessparteien weiterhin ein Recht auf Einbeziehung sämtlicher erhobenen Beweismittel und aller sonstigen Umstände des Einzelfalles. Mit diesem Recht der Prozessparteien korrespondiert eine entsprechende Verpflichtung des erkennenden Gerichts. Es ist gerade der Sinn und Zweck einer freien Beweiswürdigung, sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und aus dieser Einzelfallprüfung den wahrheitsgemäßen Sachverhalt „herausdestillieren“ zu können. Daraus ergeben sich jedoch wiederum das Recht der Parteien und die Verpflichtung des Gerichts, sämtliche Umstände des Einzelfalles auch tatsächlich mit einzubeziehen. Die Freiheit der Beweiswürdigung kann nur dann ein Instrument des effektiven Rechtsnachweises darstellen, wenn die Möglichkeit der Einbeziehung aller Umstände des konkreten Falles auch tatsächlich erfolgt. Es handelt sich hierbei um eine der wesentlichen Eingrenzungen der Subjektivität der gerichtlichen Beweiswürdigung und damit um eine wichtige Sicherung effektiver Rechtsdurchsetzung mittels sachgerechter Beweiswürdigung. Diese Würdigung sämtlicher Umstände umfasst auch die kritische Würdigung der Wortlautdokumentationen sämtlicher Vernehmungen von Zeugen und Parteien. Die Dokumentationspflichten des Rechts auf Beweis bestehen für eben diese, korrekte Würdigung von Aussagen und sind daher in eine freie richterliche Beweiswürdigung einzubeziehen.512
512
Zur Herleitung von Dokumentationspflichten aus dem Recht auf Beweis siehe § 12 I. 5. h. und III. 5. d.
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e) Grenzen freier Beweiswürdigung Die freie richterliche Überzeugungsbildung stellt sich als ein Vorgang dar, der nur eingeschränkt überprüfbar ist.513 Diese Freiheit des erkennenden Gerichts wäre wenig Wert, wenn die im konkreten Einzelfall gewonnene Überzeugung ohne weiteres einer Aufhebung unterliegen würde. Andererseits kann das erkennende Gericht seine Freiheit nicht ohne jede Rückbindung und ohne jede Kontrolle ausüben. Die Freiheit der Beweiswürdigung soll letztlich allein den Prozessparteien und ihrer Rechtsdurchsetzung mittels effektivem Rechtsnachweis dienen. Daher folgen aus dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zwei weitere Sicherungen der Beweiswürdigung zugunsten der Prozessparteien: Die umfassende Begründung der Beweiswürdigung und ihres Ergebnisses, sowie die Überprüfbarkeit dieser gerichtlichen Entscheidung in einem tatsächlich existierenden Instanzenzug. Die Begründungserfordernisse dienen der Selbstreflektion des erkennenden Gerichts und ermöglichen erst eine detaillierte Kontrolle im Instanzenzug. Die Überprüfung im Instanzenzug kann nach dem eben Gesagten wiederum nicht ohne Grenzen erfolgen. Andernfalls würde die Freiheit der Beweiswürdigung zur bloßen Makulatur verkommen. Das Instanzgericht ist daher auch unter Geltung des Rechts auf Beweis grundsätzlich nicht dazu berechtigt, die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts durch seine eigene, als inhaltlich richtiger angesehene Würdigung zu ersetzt. Auf der anderen Seite kann auch die sehr restriktive Linie der europäischen Gerichte im Ergebnis nicht überzeugen: Der EGMR beschränkt den Prüfungsmaßstab auf eine reine Evidenzkontrolle.514 Etwas weitergehend prüft der EuGH ein bewusstes Verfälschen oder eine offensichtliche Unrichtigkeit, kommt letztlich aber auch nicht über eine sehr pauschale Plausibilitätskontrolle hinaus.515 Eine solchermaßen eingeschränkte Überprüfbarkeit der Beweiswürdigung würde den Gewährleistungen eines effektiven Rechtsschutzes wiederum nicht gerecht werden. Vielmehr ist im Instanzenzug die Würdigung des erstinstanzlichen Gerichts auf Basis der Entscheidungsbegründung und des Parteivortrages zu überprüfen. Die Überprüfung muss nach hier vertretener Auffassung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH die Vollständigkeit und Widerspruchsfreiheit der Beweiswürdigung sowie ihre Vereinbarkeit mit den Denk- und Naturgesetzten umfassen.516
zur Qualität einer richterlichen Beweiswürdigung, siehe ausführlich Walter, freie Beweiswürdigung, S. 88 ff. und S. 133 ff.; in neuer Zeit ausführlich Scherzberg, ZZP 117 (2004), S. 163 ff. und S. 182 ff. 514 In diesem Sinne für die EMRK, EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff. 515 Vgl. in diesem Sinne EuGH, Rs. C-239/11 Rn. 38 ff. – Siemens / Kommission und EuGH, Rs. C-326/05, Slg. 2009, I-00133, Rn. 57 ff. – Industrias Quimicas del Vallés / Kommission 516 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2000, S. 686; BGH NJW 2008, S. 2845. 513 Allgemein
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VII. Beweisbegründung Die vorangegangene Erabeitung einer Vielzahl an Gewährleistungsgehalten des Rechts auf Beweis führt zugleich dazu, dass ein Gericht in einem Prozess vielfältige Entscheidungen mit beweisrechtlichen Bezügen fällen muss. Sei es nun eine Entscheidung über die Vorlage eines Beweismittels oder auch die spätere Erhebung eines beantragten Beweismittels. Für all diese Entscheidungen mit beweisrechtlichem Bezug stellt sich die Frage nach einem Recht der Prozessparteien auf eine gerichtliche Begründung eben dieser Entscheidungen.
1. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen im GG Die Begründung einer beweisrechtlichen Entscheidung durch ein Gericht stellt nach deutschem Verständnis einen Teil der Urteilbegründung iSd § 313 III ZPO dar.517 Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und dem Schrifttum lassen sich eine Reihe von Gewährleistungen zur Begründung gerichtlicher Entscheidungen und den Kriterien ihres Umfanges entnehmen. a) Die Verpflichtung zur Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen Im ersten Schritt stellt sich die Frage, ob sich aus der Verfassung überhaupt eine Verpflichtung der Gerichte zur Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen ableiten lässt. aa) BVerfG: Begründungspflicht aus dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 103 I GG Die Rechtsprechung hat eine solche Begründungspflicht aus der Verfassung dem Grunde nach bejaht.518 Dabei hat sich das Bundesverfassungsgericht dogmatisch auf zwei verschiedene Quellen gestützt: Zum einen hat das Verfassungsgericht bereits früh aus dem Rechtsstaatsprinzip einen allgemeinen Grundsatz dahingehend hergeleitet, dass jede belastende, staatliche Entscheidung mit Gründen versehen sein muss.519 Diese Entwicklung zielte ursprünglich primär auf eine Begründungspflicht des Handelns der Verwaltung ab.520 Hintergrund dieser Entwicklung war insbesondere die aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Gewährleistung einer sachgerechten Verteidigung, die ihrerseits zwingend die Kenntnis der Gründe einer Ent-
517 Vgl. etwa MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 15 ff. und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 17 f. 518 Vgl. bereits BVerfGE 47, S. 182, 187 f.; BVerfG NJW 1994, S. 2279; siehe BGH NJW-RR 1997, S. 688 (§ 313 III ZPO) und BGH NJW-RR 2011, S. 98, 99 (zur Rechtsprechung des BVerfG). 519 Vgl. bereits BVerfGE 6, S. 32, 44; ebenso BVerfGE 40, S. 276, 286. 520 So die Entwicklung in BVerfGE 6, S. 32, 44 und BVerfGE 40, S. 276, 286.
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scheidung voraussetzt.521 Dieser allgemeine Grundsatz hat auch für Akte der Judikative seine Geltung.522 Die Entscheidung eines Zivilgerichts als staatlichen Akteurs stellt sich in aller Regel für mindestens eine Privatperson als eine belastende Entscheidung dar. Mithin bedarf eine solche Entscheidung als Folgerung aus dem Rechtsstaatsprinzip einer Begründung.523 Zum anderen hat das Bundesverfassungsgericht eine spezielle Begründungspflicht für gerichtliche Entscheidungen aus dem Recht auf rechtliches Gehör iSd Art. 103 I GG entwickelt.524 Das rechtliche Gehör gewährleistet nicht nur eine informierte Äußerungsmöglichkeit der Parteien, sondern auch die Berücksichtigung dieser Äußerung durch das erkennende Gericht.525 Eine solche Berücksichtigung iSe Kenntnisnahme und Erwägung wird wiederum erst durch eine entsprechende Behandlung in Form der Begründung einer jeden Entscheidung sichtbar. Daher folgt die Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen aus der Verpflichtung zur Berücksichtigung des Parteivortrages.526 In praktischer Hinsicht lässt sich diese Gleichung dahingehend umdrehen, dass das Bundesverfassungsgericht bei einer durchgehenden Nichterwähnung aller – auch erheblicher – Äußerungen in der Urteilsbegründung davon ausgeht, dass der Parteivortrag gerade nicht berücksichtigt wurde und somit ein Verstoß gegen Art. 103 I GG vorliegt.527 Der BGH hat für die Begründung von Entscheidungen gleichfalls Art. 103 I GG herangezogen.528 bb) Literatur: Anerkennung einer entsprechenden Begründungspflicht Die Literatur hat sich dieser verfassungsrechtlichen Fundierung einer Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen einhellig angeschlossen.529 Dabei wird regel521 In diesem Sinne argumentiert BVerfGE 50, S. 287, 289 f.; siehe auch BVerfG NJW 2001, S. 2161 f. 522 In diese Richtung BVerfGE 50, S. 287, 289 f. und BVerfG NJW 2001, S. 2161 f. allerdings jeweils unter explizitem Ausschluss einer mit Rechtsmitteln nicht weiter anfechtbaren, gerichtlichen Entscheidung. 523 Vgl. wiederum BVerfGE 50, S. 287, 289 f. und BVerfG NJW 2001, S. 2161 f. 524 Vgl. bereits BVerfGE 47, S. 182, 189; ebenso BVerfGE 54, S. 43, 45 f.; BVerfGE 58, S. 353, 356 f.; BVerfG 86, S. 133, 146; BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; BVerfG NJW 1996, S. 2785. 525 Vgl. etwa BVerfGE 47, S. 182, 189; BVerfG 86, S. 133, 146; BVerfG NJW 1994, S. 2279 f. jeweils mwN. 526 In diesem Sinne etwa BVerfG 86, S. 133, 146; BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; BVerfG NJW 1996, S. 2785. 527 Vgl. wiederum BVerfGE 47, S. 182, 189; ebenso BVerfGE 54, S. 43, 46; BVerfGE 58, S. 353, 357; BVerfG 86, S. 133, 146; BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; BVerfG NJW 1996, S. 2785 f. jeweils mwN. 528 Vgl. insbesondere die neuere Rechtsprechung, BGH NJW 2009, S. 2139 f. und BGH NJWRR 2011, S. 98 f. 529 Vgl. etwa Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 221 und Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 76 f.; etwas zurückhaltender Sachs-Sachs, GG, Art. 20, Rn. 164, explizit aber Sachs-Degenhart, Art. 103, Rn. 40; mit Bezügen zur Willkürfreiheit v. Mangoldt/Klein/
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mäßig auf die entsprechende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verwiesen.530 Die dogmatische Fundierung der Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen wird in der Literatur gleichfalls im Rechtstaatsprinzip531 wie auch in Art. 103 I GG gesucht.532 b) Umfang der Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen Im Anschluss stellt sich nun die Frage nach dem Umfang dieser verfassungsrechtlichen Begründungspflicht, insbesondere bezüglich beweisrechtlicher Entscheidungen eines Gerichts. aa) Zurückhaltende Auffassung des BVerfG Das Bundesverfassungsgericht hat eine verfassungsrechtliche Begründungspflicht gerichtlicher Entscheidungen im Grundsatz anerkannt, allerdings unter großer Zurückhaltung bei der Bestimmung des Umfanges dieser Verpflichtung qua Grundgesetz: (1) Umfang verfassungsrechtlicher Begründungspflichten Die spezielle Begründungspflicht aus Art. 103 I GG umfasst nach dem Bundesverfassungsgericht ausschließlich eine Begründung der wesentlichen Streitfragen.533 Erst wenn eine Frage von zentraler Bedeutung für den Prozess – mithin der Kern des Tatsachenvortrages der Parteien – ohne Erwähnung bleibt, könne von einer Verletzung des Art. 103 I GG gesprochen werden.534 Hiernach sind zumindest die wesentStark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 306 und v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 57; siehe auch Kopp, AöR 106 (1981), S. 604, 626 f. mwN. 530 In diesem Sinne die benannte Kommentarliteratur, siehe Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 221 und Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 76 f.; etwas zurückhaltender Sachs-Sachs, GG, Art. 20, Rn. 164, explizit aber Sachs-Degenhart, Art. 103, Rn. 40; und v. Mangoldt/Klein/Stark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 306 und v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 57; ebenso Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 48 jeweils mwN. 531 Eine Begründungspflicht aus dem Rechtsstaatsprinzip bejahen Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 221; v. Mangoldt/Klein/Stark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 306; etwas zurückhaltender Sachs-Sachs, GG, Art. 20, Rn. 164; ausführlich in diesem Zusammenhang auch Brüggemann, Begründungspflicht, S. 130 ff. 532 Explizit für eine Begründungspflicht aus Art. 103 I GG, Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 76 f.; Sachs-Degenhart, Art. 103, Rn. 40; v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 20, Rn. 57; Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 133, Rn. 66 f. jeweils mwN. 533 Vgl. die zurückhaltenden Formulierungen von BVerfGE 54, S. 43, 46; BVerfGE 86, S. 133, 146; BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; BVerfG NJW 1996, S. 2785; BVerfG NJW 1997, S. 1433; in neuerer Zeit BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 f.; ähnlich zurückhaltend sind auch die Formulierungen von BVerfGE 50, S. 287, 289 f. 534 In diesem Sinne BVerfGE 86, S. 133, 146; BVerfG NJW 1994, S. 2279; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 f.
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lichen Tatsachenvorträge und auch die entscheidungserheblichen Beweisanträge von dieser Begründungspflicht umfasst. Allerdings führt das Verfassungsgericht weiter aus, dass das erkennende Gericht sich gerade nicht mit jedem Sachvortrag der Parteien in den Entscheidungsgründen befassen muss.535 So hat das Bundesverfassungsgericht explizit ausgesprochen, „Art. 103 I GG verpflichtet die Gerichte nicht, sich in den Entscheidungsgründen auch mit abwegigem Sachvortrag auseinanderzusetzten“.536 (2) Keine Begründungspflicht letztinstanzlicher Entscheidungen Eine weitere Einschränkung der verfassungsrechtlichen Begründungspflicht nimmt das Bundesverfassungsgericht für solche Entscheidungen vor, die mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr anfechtbar sind – insbesondere Revisionsentscheidungen.537 Solche gerichtlichen Entscheidungen unterliegen nach dem Verfassungsgericht gerade keiner Begründungspflicht aus dem Grundgesetz.538 Als Begründung wird der Sinn und Zweck der Begründungspflicht angeführt: Die allgemeine Verpflichtung zur Begründung belastender Entscheidungen solle eine effektive Rechtsverteidigung ermöglichen. Dieses Erfordernis entfalle aber bei solchen Entscheidungen, die gerade keine weitere Rechtsverteidigung erlauben.539 Die Grenze des gerichtlichen Begründungsverzichts ist in dem Verbot willkürlicher Entscheidungen zu sehen.540 Allerdings lässt das Bundesverfassungsgericht selbst kurze Begründungen zum Ausschluss der Willkür genügen, wie die Entscheidung über die Begründung der Erfolgsaussichten einer Revision im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH eindrücklich bewiesen hat.541
535
St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 86, S. 133, 146; ebenso BVerfG NJW 1994, S. 2279 f.; BVerfG NJW-RR 1995, S. 1033, 1034; siehe auch BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 f. jeweils mwN. 536 So ausdrücklich BVerfG NJW 1996, S. 2785; ebenso für Konstellationen „abwegiger“ Rechtsansichten BVerfG NJW 1997, S. 1433 f. 537 In diesem Sinne bereits BVerfGE 50, S. 287, 289 f.; bestätigt von BVerfGE 94, S. 166, 210; ausführlich BVerfG NJW 2004, S. 1371, 1372 jeweils mwN. 538 Vgl. wiederum BVerfGE 50, S. 287, 289 f.; BVerfGE 94, S. 166, 210; BVerfG NJW 2004, S. 1371, 1372. 539 In diesem Sinne argumentiert insbesondere BVerfGE 50, S. 287, 289 f.; siehe auch BVerfGE 94, S. 166, 210. 540 Diese Einschränkung formuliert explizit BVerfGE 55, S. 205, 206 zur Frage des Begründungsverzichtes bei der Ablehnung von Nichtannahmebeschwerden durch den BGH; anschaulich auch BVerfGE 71, S. 122, 135 f. 541 In diesem Sinne bestätigt BVerfG NJW 1997, S. 3484, 3485 die Praxis des BGH, die Erfolgsaussichten der Revision in einem einzigen Satz zu verneinen; ebenso BVerfG NJW 1999, S. 207 f.
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bb) H.L.: Herleitung von Mindestanforderungen aus dem GG Von Seiten des herrschenden Schrifttums wird diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in Teilen zustimmend und in Teilen kritisch begleitet: (1) Grundsatz: Keine umfassenden Begründungspflichten aus dem GG Die grundsätzliche Zurückhaltung beim Umfang der verfassungsrechtlichen Begründungspflichten wird in der Literatur mehrheitlich geteilt.542 Die Literatur lehnt sich hierbei regelmäßig an die Formulierungen des Verfassungsgerichts an: Die wesentlichen Gesichtspunkte der Entscheidung bedürfen einer Begründung, allerdings müsse keinesfalls jeder Parteivortrag ausdrückliche Erwähnung finden.543 Innerhalb der Literatur sind insbesondere die Beiträge von Praktikern durch eine große Zurückhaltung gegenüber der Annahme von Begründungspflichten geprägt. Eine Urteilsbegründung solle vielmehr so knapp und prägnant wie möglich ausfallen.544 Die literarischen Stimmen aus der Wissenschaft betonen regelmäßig den Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Begründungspflichten und damit auch ihre Bedeutung für das Rechtsstaatsprinzip: Eine Begründung diene der Legitimation von Entscheidungen, sie ermögliche die Selbstkontrolle des erkennenden Gerichts, eine demokratische Kontrolle durch die Öffentlichkeit und schlussendlich auch eine effektive Einlegung von Rechtsmitteln und die Überprüfung von Entscheidungen im Instanzenzug.545 Hieraus wird das verfassungsrechtliche Erfordernis eines Mindestmaßes an gerichtlicher Entscheidungsbegründung abgeleitet.546 (2) Ablehnung einer Ausnahme für letztinstanzliche Entscheidungen Divergenzen zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts lassen sich in der Literatur in erster Linie zu der Frage eines Begründungsverzichts bei letztinstanzlichen Gerichtsentscheidungen feststellen.547 Das Meinungsspektrum reicht von einer 542 Vgl. Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 76 f.; Sachs-Degenhart, Art. 103, Rn. 40 und v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 57 jeweils mwN; teilweise weitergehende Begründungspflichten anmahnend Waldner, rechtliches Gehör, S. 73 ff. 543 In diesem Sinne die Darstellungen von Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 76 f.; Sachs-Degenhart, Art. 103, Rn. 40 und v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 57. 544 In diesem Sinne äußern sich etwa Balzer, NJW 1995, S. 2448 ff. und Heitmann, NJW 1997, S. 1826 ff., allerdings jeweils ohne jeden Bezug zum Verfassungsrecht. 545 Vgl. etwa Kroitzsch, NJW 1994, S. 1032 ff. und Zuck, NJW 2008, S. 479, 480 f. 546 Anschaulich Gottwald, ZZP 98 (1985), S. 112 ff. und 127 ff.; ähnlich Schneider, ZIP 1996, S. 487 und Kroitzsch, NJW 1994, S. 1032 ff. 547 Ablehnend insbesondere die zivilprozessuale Literatur, vgl. etwa Kroitzsch, NJW 1994, S. 1032 ff.; Schneider, ZIP 1996, S. 487; Zuck, NJW 2008, S. 479 ff.; Stein/Jonas-Jacobs, ZPO VI, § 544, Rn. 33; aber auch Teile der verfassungsrechtlichen Literatur, ausführlich etwa Kischel, Begründung, S. 176 ff. und Lücke, Begründungszwang, S. 170 ff. und 184 ff. jeweils mwN; dieser Rechtsprechung zustimmend demgegenüber die verfassungsrechtliche Kommentarliteratur, siehe
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eher zurückhaltenden Kritik an fehlenden Ausnahmen zu dieser Rechtsprechung bis hin zu ihrer deutlichen Ablehnung unter Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip.548 Ein Teil der Literatur sieht in dem Verzicht auf eine Begründung letztinstanzlicher Entscheidungen eine Gefährdung des Rechtsstaatsprinzips, teils sogar eine Rückkehr in vordemokratische Zeiten der aristokratischen Gerichtsbarkeit.549 Nach der herrschenden Literatur genügt mithin ein Mindestmaß an Begründung gerichtlicher Entscheidungen, welches jedoch für alle gerichtlichen Entscheidungen bis hin zu den obersten Gerichtshöfen gleichermaßen Geltung beansprucht. cc) TvA: Anerkennung weitergehender Begründungserfordernisse aus dem GG In Teilen der Literatur wird diese Zurückhaltung bei der Annahme verfassungsrechtlicher Begründungspflichten kritisch gesehen.550 Die Bedeutung der Begründungspflichten als wesentliches Element des Rechtsstaatsprinzips sei nicht zu unterschätzen: Insbesondere der vielfältige Sinn und Zweck einer Begründung zeige deutlich, dass diese Begründung grundsätzlich umfassend zu erfolgen habe.551 Eine Entscheidung könne nur Legitimation erzeugen und einer effektiven Kontrolle durch Öffentlichkeit und den Instanzenzug unterliegen, wenn alle relevanten Punkte und Erwägungen durch das erkennende Gericht erläutert werden müssen.552 Diese Sichtweise fordert mithin eine umfassende Begründung, die ohne weiteres auch die wesentlichen, beweisrechtlichen Entscheidungen umfassen würde.
Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 77; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 40 und v. Mangoldt/Klein/Stark-Nolte, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 57. 548 Zurückhaltend etwa Stein/Jonas-Jacobs, ZPO VI, § 544, Rn. 33; sehr kritisch äußern sich Kroitzsch, NJW 1994, S. 1032 ff.; Schneider, ZIP 1996, S. 487 und Zuck, NJW 2008, S. 479 ff. jeweils mwN. 549 In diesem Sinne die pointierte Kritik von Kroitzsch, NJW 1994, S. 1032 ff. 550 Vgl. die ausführlichen Analysen von Lücke, Begründungszwang, S. 111 ff., 170 ff. und 184 ff.; Kischel, Begründung, S. 63 ff. und 177 ff. und Brüggemann, Begründungspflicht, S. 92 ff. und 157 ff.; tendenziell auch Gottwald, ZZP 98 (1985), S. 112 ff. und 127 ff.; Schneider, ZIP 1996, S. 487; Zuck, AnwBl 2006, S. 773, 774 ff. 551 Ausführlich zu den Zwecken einer Begründung, Lücke, Begründungszwang, S. 37 ff.; Ki schel, Begründung, S. 39 ff. und Brüggemann, Begründungspflicht, S. 130 ff.; zum rechtsstaatlichen Hintergrund einer Begründung siehe Gottwald, ZZP 98 (1985), S. 112 ff.; Schneider, ZIP 1996, S. 487; Zuck, AnwBl 2006, S. 773, 774 ff. 552 Vgl. wiederum Kischel, Begründung, S. 63 ff. und 177 ff. und insbesondere zu den Rechtsansichten des Gerichts, Brüggemann, Begründungspflicht, S. 157 ff.; einzelne Ausnahmevorschriften von Begründungspflichten analysiert Lücke, Begründungszwang, S. 170 ff. und 184 ff.; in Richtung eines umfänglicheren Begründungszwanges tendieren auch Gottwald, ZZP 98 (1985), S. 112, ff. und 127 ff.; Schneider, ZIP 1996, S. 487 und Zuck, AnwBl 2006, S. 773, 774 ff.
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dd) BGH: Weitergehende einfach-rechtliche Begründungspflichten der ZPO Der BGH hat sich dem Bundesverfassungsgericht angeschlossen und insbesondere aus der Berücksichtigungspflicht des Art. 103 I GG das Erfordernis eines Mindestmaßes an Begründung gerichtlicher Entscheidungen hergeleitet.553 Hiernach müssen die wesentlichen, tragenden Erwägungen einer Entscheidung begründet werden.554 Eine umfassende Begründung der eigenen revisionsrechtlichen Entscheidungen, insbesondere der Ablehnung von Nichtzulassungsbeschwerden, unterbleibt demgegenüber regelmäßig.555 Der BGH hat über die verfassungsrechtlichen Vorgaben hinaus eine weitergehende, einfach-rechtliche Begründungspflicht aus den einfach-rechtlichen Normen zur Entscheidungsbegründung nach § 313 III ZPO und insbesondere der Begründung der Beweiswürdigung nach § 286 I S. 2 ZPO entwickelt.556 Die hier interessierende Beweiswürdigung bedarf hiernach zumindest in besonderem Maße einer nachvollziehbaren, widerspruchsfreien Begründung.557
2. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen in der EMRK Die Begründung gerichtlicher Entscheidungen hat in der Rechtsprechung des EGMR verschiedentlich Beachtung erfahren, so dass sich auch für die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen gewisse Grundsätze herausarbeiten lassen: a) Grundsatz: Herleitung von Begründungspflichten aus Art. 6 I EMRK In der Rechtsprechung des EGMR und auch dem Schrifttum wird die angemessene Begründung von Gerichtsentscheidungen als ein wesentlicher Teilgehalt der Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK angesehen.558 Die Begründung macht den Parteien als juristischen Laien eine gerichtliche Entscheidung hiernach erst verständlich und schafft durch die Erklärung einer Entscheidung zugleich eine Legitimation derselben. Außerdem ist eine Begründung von Entscheidungen elementar für die Möglichkeit einer Überprüfung und ggf. einer Korrektur im Rahmen eines Instanzen
553
Vgl. in neuerer Zeit BGH NJW 2009, S. 2139 f. und BGH NJW-RR 2011, S. 98, 99. In diesem Sinne wiederum BGH NJW 2009, S. 2139 f. und BGH NJW-RR 2011, S. 98, 99. 555 Vgl. etwa BGH NJW 2004, S. 1531; BGH NJW-RR 2006, S. 63, 64. 556 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1997, S. 688, 689 (§ 313 III ZPO); BGH NJW-RR 1988, S. 524; BGH NJW 1992, S. 2080, 2082; BGH NJW-RR 2004, S. 45, 46 und BGH NJW-RR 2013, S. 1240 f. (jeweils zu § 286 I 2 ZPO). 557 In diesem Sinne in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2009, S. 35 f.; BGH NJW 2013, S. 1226, 1227 und BGH NJW-RR 2013, S. 1240 f. jeweils mwN; ausführlich auch unten § 13. 558 Vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.1999, 30544/96, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 26 ff.; bestätigt in EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff. jeweils mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen; aus der Literatur siehe Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 76 und Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 103 ff. 554
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zuges. Daher leiten Rechtsprechung und Literatur eine entsprechende Pflicht der Gerichte aus Art. 6 I EMRK her.559 b) Umfang: Bestimmung im Einzelfall anhand bestimmter Kriterien Die Frage nach dem Umfang einer angemessenen Begründung lässt sich nach Rechtsprechung und Literatur nicht abstrakt, sondern allein anhand aller Umstände des Einzelfalles beantworten.560 Allerdings hat der EGMR eine ganze Reihe von Kriterien entwickelt, um den Umfang der Angemessenheit einer Begründung zu bestimmen: Die Gerichte haben in ihre Erwägungen unter anderem den Umfang des Vortrages der Prozessparteien, die Schwierigkeit und Umstrittenheit des konkreten Rechtsfalles in Rechtsprechung und Lehre im Hinblick auf die gesetzlichen Regelungen sowie Gewohnheitsrechte und die entsprechenden Rechtsansichten in Rechtsprechung und Literatur im betreffenden Konventionsstaat einzubeziehen.561 Der EGMR betont weiter, dass nicht jeder Vortrag und jede Äußerung der Parteien einer expliziten Erwähnung in der Entscheidungsbegründung bedarf.562 Dennoch lässt sich festhalten, dass der EGMR die Begründungspflicht von Entscheidungen ernst nimmt und den Umfang der Begründungen durch die erkennenden Gerichte regelmäßig als unangemessen ansieht. Der EGMR nimmt daher oftmals eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK aufgrund unzureichender Begründungen an.563 Der EGMR leitet aus Art. 6 I EMRK somit eine umfangreiche Begründungspflicht ab, die in ihrem Umfang zumindest eine Stellungnahme zu den relevanten Punkten einer Entscheidung und die Darlegung der Gedanken und Rechtsansichten des Gerichts verlangt.
559 Ausführlich zum Telos einer Begründung nach der EMRK: EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, S. 425. 560 Siehe etwa EGMR, Urteil vom EGMR, Urteil vom 09.12.1994, 18390/91, Ruiz Torija ./. ESP, Rn. 29 und EGMR, Urteil vom 25.12.2001, 49684/99, Hirvisaari ./. FIN, Rn. 30; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 103 ff. 561 So EGMR, Urteil vom 09.12.1994, 18064/91, Hiro Balani ./. ESP, Rn. 27; bestätigt in EGMR, Urteil vom 09.12.1994, 18390/91, Ruiz Torija ./. ESP, Rn. 29 und in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff. 562 Vgl. EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 61; bestätigt in EGMR, Urteil vom 21.01.1999, 30544/96, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 26; siehe auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 182. 563 So hat der EGMR von den benannten Fällen in EGMR, Urteil vom 09.12.1994, 18390/91, Ruiz Torija ./. ESP, Rn. 29 ff.; EGMR, Urteil vom 09.12.1994, 18064/91, Hiro Balani ./. ESP, Rn. 27 ff.; EGMR, Urteil vom 25.12.2001, 49684/99, Hirvisaari ./. FIN, Rn. 30 ff. und EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff. eine Verletzung des Art. 6 I EMRK aufgrund einer unangemessenen Begründung angenommen; ähnlich auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 76 und Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 182 ff.
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3. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen in der GRC Die Begründung gerichtlicher Entscheidungen hat in der Rechtsprechung des EuGH ebenfalls eine vergleichsweise intensive Behandlung erfahren. a) Grundsatz: Anerkennung von Begründungspflichten aus Art. 47 II S. 1 GRC Als Grundsatz lässt sich festhalten, dass der EuGH wie auch das Schrifttum die angemessene Begründung einer jeden gerichtlichen Entscheidung fordern.564 Die Begründung einer Entscheidung wird als ein ganz wesentlicher Teilgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC angesehen.565 In dieser Anerkennung eines zwingenden Begründungserfordernisses steht der EuGH in einer Linie mit der nach Art. 52 III S. 1 GRC als Mindeststandard maßgeblichen Rechtsprechung des EGMR zur EMRK. b) Betonung der Bedeutung von Begründungspflichten durch den EuGH Der EuGH arbeitet in seiner Rechtsprechung außerdem detailliert den Sinn und Zweck des Begründungserfordernisses heraus, um sodann einen Maßstab für den Umfang einer Begründung zu gewinnen.566 Die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung trägt nach dem EuGH zum einen maßgeblich zur Nachvollziehbarkeit einer Entscheidung durch die Betroffenen und somit letztlich zur Legitimation dieser Entscheidung bei.567 Zum anderen ermöglicht erst eine angemessene Begründung der durch die Entscheidung beschwerten Partei eine Prüfung der Erfolgsaussichten etwaiger Rechtsmittel gegen diese Entscheidung.568 564 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-202/07, Slg. 2009, I-02369, Rn. 29 f. – France Télécom / Kommis sion; ebenso EuGH, Rs. C-90/09, Slg. 2011, I-00001, Rn. 59 – General Química u. a. / Kommission und EuGH, Rs. C-652/11, Rn. 29 ff. – Mindo / Kommission jeweils mwN aus der Rechtsprechung; aus der Literatur siehe Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 46; ebenso Jarass, GRC, Art. 47 Rn. 38 und Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, S. 1529 f. 565 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-276/11, Rn. 34 – Viega / Kommission; ebenso EuGH, Rs. C-120/14, Rn. 39 –Klein / Kommission jeweils mwN aus der Rechtsprechung; aus der Literatur vgl. etwa Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 34; ebenso Jarass, GRC, Art. 47 Rn. 46. 566 In diesem Sinne entwickelt den Begründungsumfang EuGH, Rs. C-302/13, Rn. 51 f. – fly LAL-Lithuanian Airlines; aus der Literatur siehe Peers/Hervey/Kenner/Ward, EU Charter of Fundamental Rights, S. 1264 f. und Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 66 f. 567 In diese Richtung EuGH, Rs. C-440/07, Slg. 2010, I-00073, Rn.135 – Kommission / Schnei der Electric; bestätigt von EuGH, Rs. C-583/08, Slg. 2010, I-04469, Rn. 30 – Gogos / Kommission; aus der Literatur siehe Peers/Hervey/Kenner/Ward, EU Charter of Fundamental Rights, S. 1264 f. und Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 66 f. 568 In diesem Sinne, EuGH, Rs. C-619/10, Rn. 52 ff. – Trade Agency; aus der Literatur Peers/ Hervey/Kenner/Ward, EU Charter of Fundamental Rights, S. 1264 f.; Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 66 f. und Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, S. 1529 f.
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c) Umfang: Bestimmung im Einzelfall anhand der Kriterien des EGMR Auf diesen Gedanken zum Telos des Begründungserfordernisses basiert die Rechtsprechung zur Angemessenheit des Umfanges einer Begründung: Grundsätzlich ist die Frage nach dem Umfang einer Begründung stets unter Einbeziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalles zu treffen.569 Kriterien in dieser Prüfung sind die Art der in Rede stehenden Entscheidung und die Frage, welcher Umfang einer Begründung erforderlich ist, um den betroffenen Parteien eine zweckdienliche und wirksame Prüfung zu ermöglichen, ob die Einlegung eines Rechtsmittels sinnvoll ist.570 Dabei muss das Gericht indes auch nach dem EuGH nicht auf alle Streitfragen in der Begründung eingehen. 571 Die Angemessenheitsprüfung orientiert sich vielmehr strikt am Sinn und Zweck des Begründungserfordernisses als solchem.
4. Eigene Ansicht Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen zählt streng genommen nicht zu den Stationen eines Beweisverfahrens, sondern stellt vielmehr einen Teil der Urteilsbegründung dar. Allerdings handelt es sich um einen ganz wesentlichen Teilgehalt des Rechts auf Beweis, so dass eine Behandlung im Zusammenhang mit den weiteren, bereits herausgearbeiteten Gewährleistungen des Beweisverfahrens sachgerecht erscheint. a) Orientierung am Prozesszweck: Effektuierung des Rechtsnachweises durch Begründungspflichten Ausgangspunkt der Überlegungen soll auch insoweit der Prozesszweck einer Rechtsdurchsetzung mittels effektiven Rechtsnachweises sein. Der Rechtsnachweis der Parteien wie auch die Wahrheitsfindung im Prozess werden nach hier vertretener Auffassung durch eine umfassende Begründungspflicht in mehrerlei Hinsicht unterstützt: Eine umfassende Begründung dient der Selbstreflektion des erkennenden Ge-
569 Sehr deutlich in diese Richtung EuGH, Rs. C-619/10, Rn. 60 – Trade Agency; bestätigt von EuGH, Rs. C-302/13, Rn. 51 f. – flyLAL-Lithuanian Airlines. 570 Sehr ähnliche Kriterien hat der EuGH bereits früher an die Begründung von Kommissionsentscheidungen angelegt, siehe etwa EuGH Rs. C-413/06, Slg. 2008, I-04951, Rn. 166 f. – Bertels mann und Sony Corporation of America / Impala; explizit für gerichtliche Entscheidungsbegründungen fordert diese Kriterien in neuerer Zeit EuGH, Rs. C-619/10, Rn. 60 – Trade Agency; wiederum bestätigt durch EuGH, Rs. C-302/13, Rn. 51 f. – flyLAL-Lithuanian Airlines; aus der Literatur siehe Meyer-Eser, GRC, Art. 47 Rn. 34. 571 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-583/08, Slg. 2010, I-04469, Rn. 30 – Gogos / Kommission; ebenso EuGH, Rs. C-47/10, Slg. 2010, I-10707, Rn. 104 – Österreich / Scheuer-Fleisch u. a. und EuGH, Rs. C-120/14, Rn. 39 – Klein / Kommission jeweils mwN; aus der Literatur siehe Jarass, GRC, Art. 47, Rn. 46.
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richts ebenso wie der Nachvollziehbarkeit und Überprüfbarkeit seiner Entscheidung im Instanzenzug. Eine Begründung zwingt das Gericht, seine Entscheidung nach außen zu rechtfertigen und damit auch für sich selbst zu durchdenken. Das Gericht muss sich selbst fragen, weshalb es seine Entscheidung auf diese Weise getroffen hat und ob diese Gründe das Urteil auch gegenüber einem außenstehenden Betrachter tragen würden. Diese Überprüfung der eigenen Entscheidung dient insbesondere einer Selbstkon trolle der Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht. Die Abfassung der Urteilsgründe erfolgt idealerweise unmittelbar im Anschluss an die Würdigung der Beweismittel und die Fällung einer Entscheidung. Das Gericht muss die Entscheidung über die Glaubwürdigkeit der erhobenen Beweismittel daher nicht alleine für sich selbst treffen, sondern nach außen offenbaren, weshalb es diese Entscheidung getroffen hat. Eine solchermaßen begründete Entscheidung dürfte sich sodann regelmäßig als das Ergebnis einer intensiven Überlegung darstellen, um die Entscheidung nach außen rechtfertigen zu können. Ein solcher Zwang zu intensiven Überlegungen und Rechtfertigungen ist gleichfalls keine Garantie für eine der materiellen Rechtslage entsprechende Entscheidung, aber doch eine wesentliche prozessuale Sicherung. Die Beweisaufnahme ist im Zeitpunkt der Abfassung der Entscheidungsgründe denknotwendig bereits abgeschlossen, so dass eine Selbstreflektion über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung von Beweisanträgen für den laufenden Prozess nicht mehr in Betracht kommt. Doch auch die Pflicht zur Begründung dieser Entscheidungen führt dazu, dass sich das Gericht vergegenwärtigt, mit der Erhebung von Beweismitteln bzw. deren Ablehnung eine Entscheidung über Grundrechte zu treffen, die einer eingehenden Überlegung und Abwägung bedarf. Darüber hinaus ermöglicht erst eine umfassende Begründung die Überprüfbarkeit von Entscheidungen im Instanzenzug. Irren ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft und jedem Gericht kann in seinen Entscheidungen ab und an ein Fehler unterlaufen. Der Instanzenzug ermöglicht die nochmalige Prüfung und Korrektur etwaiger Fehler. Eine solche Korrektur kann jedoch nur geschehen, wenn der Fehler auch entdeckt wird. Die Frage, ob eine Entscheidung rechtlich vertretbar oder fehlerhaft ist, hängt regelmäßig auch und gerade davon ab, ob das Gericht in seiner Entscheidung alle Umstände des Einzelfalles bedacht und in seine Überlegungen einbezogen hat. Entscheidend ist jedenfalls eine korrekte durchgeführte, nachvollziehbare Abwägung unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles. Eine umfassende Begründung eröffnet die Gedankenwelt des erkennenden Gerichts bei seiner Entscheidung für die Außenwelt und ermöglicht damit die Überprüfbarkeit derselben. Diese Gedankenwelt wird zudem nicht allein für etwaige Rechtsmittelgerichte eröffnet, sondern insbesondere auch für die Prozessparteien selbst. Eine umfassend begründete Entscheidung wird für die Prozessparteien nachvollziehbar und diese Nachvollziehbarkeit kann einen wesentlichen Beitrag zur Legitimation einer Entscheidung leisten. So wird die unterlegene Partei ob des Prozessverlustes weiterhin
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unzufrieden sein, aber typischerweise eine Entscheidung eher akzeptieren können, wenn sie auf objektiv nachvollziehbaren Gründen beruht – selbst, wenn die Partei diese Gründe subjektiv nicht teilt. Außerdem ermöglicht eine solche Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen es den Parteien, die konkreten beweisrechtlichen Anforderungen des erkennenden Gerichts nachzuvollziehen und sich für ihre weiteren Interaktionen im Rechtsverkehr an eben diesen Anforderungen im Hinblick auf etwaige, künftige Prozesse zu orientieren. b) Umfassende Begründungspflichten des erkennenden Gerichts Das Recht auf Beweis gewährleistet daher ein Recht der Prozessparteien auf eine umfassende Begründung jeder beweisrechtlichen Entscheidung des erkennenden Gerichts. Mit diesem Recht auf Begründung aus dem jeweiligen Recht auf Beweis der Parteien korrespondiert eine entsprechende Verpflichtung des erkennenden Gerichts zu einer umfassenden Begründung. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen hat nach hier vertretener Auffassung insbesondere für die Effektuierung des Rechts auf Beweis Bedeutung und stellt sich als eine wesentliche Sicherung seiner praktischen Geltung dar. Die beschriebene Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts und der herrschenden Literatur in Bezug auf die Herleitung von Begründungspflichten aus dem Grundgesetz kann nach hier vertretener Ansicht nicht geteilt werden.572 Die Pflicht zur umfassenden Begründung gerichtlicher Entscheidungen ist ein wesentlicher Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips. Ein rechtsstaatlicher Prozess sollte in seinem Idealbild gerade nicht mit einer bloßen „Ja“ oder einem „Nein“-Entscheidung enden, sondern sich etwaigen Fragen und Bedenken der Parteien in Form einer Begründung stellen. Es wurde in der Literatur bereits darauf hingewiesen, dass der tatsächliche Mehraufwand einer umfassenden Begründung tendenziell eher gering sein dürfte.573 Das Absehen von einer umfassenden Begründung entbindet das erkennende Gericht schließlich nicht von einer umfassenden Prüfung und Abwägung. Diese Würdigung der Beweismittel und Findung einer materiell-rechtlich richtigen Entscheidung stellt den eigentlichen Aufwand des Gerichts dar. Der Aufwand einer Fixierung dieser Gedanken mittels eines Diktiergerätes erscheint demgegenüber zu vernachlässigen.574 Mithin lassen sich auch in praktischer Hinsicht kaum überzeugende Gründe gegen eine solche Pflicht zur umfassenden Begründung anführen. Demgegenüber wird der Nutzen einer solchen umfassenden Begründung für die praktische Effektuierung der Grundrechte nach hier vertretener Auffassung regelmäßig vernachlässigt: Die Verpflichtung zu einer umfassenden und eben nicht bloß 572
Siehe hierzu die obige Darstellung unter VII. 1. In diesem Sinne Schneider ZIP 1996, S. 487; zum umgekehrten Mehraufwand jedes Begründungsverzichts siehe Zuck, NJW 2008, S. 479 ff. 574 Vgl. wiederum Schneider, ZIP 1996, S. 487. 573
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formelhaften Begründung zwingt das erkennende Gericht, die tatsächlichen Gründe für seine Entscheidung im konkreten Einzelfall offen zu legen und auch für sich selbst noch einmal zu reflektieren. Es handelt sich um eine wesentliche Sicherung für die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Vorgaben von EMRK, Grundrechtecharta und Grundgesetz, die ihrerseits die Rechtsstaatlichkeit eines jeden Zivilprozesses sicherstellen möchten. Die praktische Einhaltung dieser Mindestanforderungen kann nur beurteilt werden, wenn und soweit die Entscheidungsgründe umfassend dargelegt und veröffentlicht werden müssen. Diese Effektuierung gilt für alle in einem Prozess behandelten Grundrechte – sei es die in Streit stehenden materiellen Grundrechte oder die den Prozess prägenden prozessualen Grundrechte. Für das hier interessierende Recht auf Beweis lässt sich festhalten, dass eine umfassende Begründungspflicht die wohl wichtigste prozessuale Sicherung für die effektive Geltung des Rechts auf Beweis in gerichtlichen Prozessen darstellt. Diese besondere Bedeutung von Begründungspflichten wird insbesondere durch EGMR und EuGH geteilt, die in der Begründung von gerichtlichen Entscheidungen einen wesentlichen Ausdruck der Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC erblicken.575 Dieses Recht der Parteien auf eine Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen bzw. diese Verpflichtung des erkennenden Gerichts umfasst im Wesentlichen folgende Teilgehalte: aa) Begründung der Ablehnung von Beweisanträgen Die Ablehnung eines Antrages auf Erhebung eines Beweismittels durch eine Partei bedarf einer detaillierten Begründung. Diese Begründungspflicht gilt sowohl für eine Ablehnung aufgrund der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis als auch für sämtliche sonstigen Ablehnungsgründe in Form einer gerechtfertigten Einschränkung des Rechts auf Beweis. Das Gericht muss darlegen, auf welchen Ablehnungsgrund es sich mit welcher Argumentation stützt. Etwaige Abwägungen zwischen verschiedenen (Grund-) Rechten müssen mit allen für die Abwägung erheblichen Umständen dargestellt werden. Außerdem muss das Gericht detailliert darlegen, aus welchen Erwägungen heraus die Abwägung in die jeweilige Richtung ausgefallen ist. Die betroffene Prozesspartei muss auf Grundlage dieser Begründung in die Lage versetzt werden zu verstehen, weshalb der eigene Beweisantrag gescheitert ist und ob die Einlegung eines entsprechenden Rechtsmittels sinnvoll erscheint.
575 Für die EMRK siehe EGMR, Urteil vom 21.01.1999, 30544/96, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 26 ff.; bestätigt in EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff.; für die Grundrechtecharta vgl. EuGH, Rs. C-276/11, Rn. 34 – Viega / Kommission; ebenso EuGH, Rs. C-120/14, Rn. 39 – Klein / Kommission.
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bb) Dokumentation der Beweiserhebung Darüber hinaus hat das Gericht jede Beweiserhebung mitsamt ihren Ergebnissen zu dokumentieren. Das Gericht muss darstellen, welche Beweismittel auf welche Art und Weise erhoben worden sind. Außerdem hat das Gericht etwaige Wortlautprotokolle der Vernehmung von Zeugen oder Parteien der Entscheidungsbegründung anzufügen. cc) Dokumentation der Beweiswürdigung und Begründung ihres Ergebnisses Die Beweiswürdigung bedarf als eine notwendigerweise subjektive Entscheidung des erkennenden Gerichts nach hier vertretener Ansicht einer besonders gründlichen, detaillierten Begründung. Insoweit stellt sich der erhöhte Begründungsaufwand der Entscheidung als notwendiges Korrektiv der größeren Entscheidungsfreiheit des Gerichts und als wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis der Prozessparteien dar. Im ersten Schritt hat das Gericht darzustellen, welche Inhalte der Verhandlung es in seine Würdigung einbezogen hat – seien es nun erhobene Beweismittel, das Verhalten der Prozessparteien oder Dritter oder sonstige Anhaltspunkte. Das Gericht muss mithin seine Würdigungsbasis den Prozessparteien offenlegen. Weiterhin hat das Gericht in den Entscheidungsgründen auszuführen, anhand welcher Kriterien es die Würdigung dieser Verhandlungsinhalte vollzogen hat. Es muss etwaige Erfahrungssätze und sonstige Grundsätze offenlegen, anhand derer die Beweiswürdigung erfolgt ist. Abschließend muss das Gericht den Zusammenhang zwischen der Würdigungsbasis und der Kriterien der Würdigung darlegen. Es muss hiernach deutlich werden, weshalb das erkennende Gericht im Rahmen der Beweiswürdigung welchem Beweismittel Glauben geschenkt und daraufhin eine Tatsache als wahr zugrunde gelegt hat. Die Parteien müssen auf Basis dieser Begründung in die Lage versetzt werden, die Beweiswürdigung des Gerichts nachvollziehen und einer eigenen Kontrolle unterwerfen zu können. Dabei soll nicht verkannt werden, dass es sich bei der Überzeugungsbildung letztlich um einen subjektiven, oftmals schwer zu beschreibenden Prozess handelt. Allerdings wird auch in Rechtsprechung und Literatur zum deutschen Recht richtigerweise angemerkt, dass die Beweiswürdigung nicht gänzlich subjektiv verstanden werden darf, sondern sich vielmehr im Rahmen objektiver Grenzen zu halten und zu vollziehen hat.576 Die Darstellung der Würdigungsbasis und der Kriterien der Würdigung als Ausgangspunkt und der Verlauf des Würdigungsprozesses ermöglichen in gewissem Umfang eine weitere Objektivierung der Beweiswürdigung. Es genügt 576 Vgl. insbesondere BGH NJW 2014, S. 71, 72 f. mwN; zustimmend Leipold, FS-Nakamura, S. 301, 309 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 32 ff. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 17 jeweils mwN.
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sodann eben kein bloßes Gefühl, vielmehr bedarf jede Überzeugung einer gewissen Begründung, die den Weg der Überzeugungsbildung darstellt und die daraus gewonnene Überzeugung für Dritte als zumindest nachvollziehbar erscheinen lassen muss. So beschwerlich eine solche Begründungspflicht für das erkennende Gericht zunächst erscheinen mag, so wichtig ist sie für die Prozessparteien zum Zwecke der Prüfung und Nachvollziehbarkeit einer sie betreffenden Entscheidung. Die umfassende Begründung der Beweiswürdigung ist ein wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis iSe effektiven Rechtsnachweises und eine wichtige prozessuale Sicherung der Wahrheitserforschung im Einzelfall. dd) Erhöhte Begründungspflichten bei Ermessensentscheidungen Abschließend stellt die Begründungspflicht regelmäßig die Kehrseite der Freiheit einer gerichtlichen Entscheidung dar. Hiernach ergibt sich ein entsprechender Zusammenhang zwischen Freiheit der Entscheidung und Begründungsumfang: Je freier das Gericht in seiner konkreten Entscheidung ist, desto umfangreicher fällt die gerichtliche Pflicht zur Begründung dieser Entscheidung aus.577 Die Begründungspflichten sind somit gerade für die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis als Ablehnungsgründe beantragter Beweismittel und die diesbezüglichen Ermessensentscheidungen des Gerichts besonders umfangreich. Auch im Rahmen der Beweiswürdigung besteht dieser Zusammenhang zwischen Freiheit der Entscheidung und Umfang der Begründung in besonderem Maße. Über diese Beispiele hinaus handelt es sich allerdings auch um einen allgemeinen Zusammenhang zwischen Entscheidungsfreiheit und Begründungspflicht, der insbesondere von EGMR und EuGH richtigerweise ausgesprochen wurde.578
VIII. Zusammenfassung In diesem Paragraphen wurden die wesentlichen Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta herausgearbeitet. Die Inhaltsbestimmung orientierte sich methodisch am Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte mittels eines effektiven Rechtsnachweises sowie an der gemeinsamen Wertebasis des Rechts auf Beweis in den materiellen Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip. Als Systematik der Inhaltsbestimmung wurde der 577 Vgl. allgemein zu diesem Zusammenhang EGMR, Urteil vom 23.06.1994, 16997/90, De Moor ./. B, Rn. 55 und EuGH, Rs. C-47/10, Slg. 2010, I-10707, Rn. 104 – Österreich / ScheuerFleisch u. a. 578 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 23.06.1994, 16997/90, De Moor ./. B, Rn. 55; EGMR, Urteil vom 24.07.2003, 37801/97, Suominen ./. FIN, Rn. 34 ff.; EuGH, Rs. C-47/10, Slg. 2010, I-10707, Rn. 104 – Österreich / Scheuer-Fleisch u. a. und EuGH, Rs. C-120/14, Rn. 39 – Klein / Kommission.
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Aufbau eines Beweisverfahrens nach den gesetzlichen Regelungen der ZPO gewählt. Die Untersuchung hat daher mit der Betrachtung von beweisrechtlichen Grundsätzen begonnen, die dem eigentlichen Beweisverfahren entweder zeitlich vorgelagert waren oder allgemeine Geltung für das Beweisverfahren zeitigten. Sodann folgte die Prüfung des Beweisantragsrechts, der Beweisaufnahme sowie der Beweiswürdigung und der Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen. Die Untersuchung der jeweiligen Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis wurde mit einer eingehenden Analyse des bisherigen Standes von Rechtsprechung und Literatur begonnen. Aufbauend auf den bisherigen Erkenntnissen in Rechtsprechung und Schrifttum zu Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta wurde sodann eine eigene Ansicht zum jeweiligen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen entwickelt. Als Ergebnis dieser Inhaltsbestimmung lassen sich die nachfolgenden Gewährleistungen als wesentlicher Gehalt des Rechts auf Beweis festhalten: Das Recht auf Beweis berechtigt die Parteien des Zivilprozesses und verpflichtet den Staat, insbesondere in der Form des erkennenden Gerichts. Eine weitergehende Wirkung des Rechts auf Beweis zwischen den Parteien des Zivilprozesses ist für die EMRK und europäische Grundrechtecharta mit Blick auf ihre begrenzten Kompetenzen fraglich und nach hier vertretener Ansicht aufgrund des aktuellen Entwicklungsstandes der Grundrechtsordnungen zumindest derzeit nicht anzunehmen. Demgegenüber umfasst das Recht auf Beweis im Grundgesetz eine mittelbare Drittwirkung, die im Einzelfall zu einer Verpflichtung der Parteien des Zivilprozesses durch das Recht auf Beweis der jeweils anderen Prozesspartei führen kann. Ausfluss dieser mittelbaren Drittwirkung ist insbesondere das Recht auf Anordnung einer Kenntnisgabe über und Vorlage von Beweismitteln durch die jeweils andere Partei. Das Recht auf Beweis umfasst eine ganze Reihe grundlegender Gewährleistungsgehalte, die für das gesamte Beweisverfahren Geltung beanspruchen. Beginnend mit einem umfassenden Recht der Prozessparteien auf Information und Akteneinsicht, über die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme sowie ein Recht auf Teilnahme an jeder Beweisaufnahme. Darüber hinaus folgen aus dem Recht auf Beweis gewisse Grenzen des Beweismaßes und der Beweislast. Abschließend umfassen die grundlegenden Gewährleistungen des Rechts auf Beweis ein Recht auf Sicherung von Beweismitteln und die Verhältnismäßigkeit der Gebühren einer Beweisaufnahme sowie eine gleichberechtigte Wahrnehmung des Rechts auf Beweis für alle Prozessparteien. Darüber hinaus gewährleistet das Recht auf Beweis ein umfassendes, formloses Beweisantragsrecht der Prozessparteien in jedem Zeitpunkt des Prozesses. Im Rahmen der eigentlichen Beweisaufnahme wird den Parteien des Zivilprozesses durch das Recht auf Beweis innerhalb seiner immanenten Grenzen ein Recht auf Erhebung aller beantragten Beweismittel gewährleistet. Damit korrespondiert eine entsprechende Pflicht des erkennenden Gerichts aus dem Recht auf Beweis. Flankierend
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gewährleistet das Recht auf Beweis ein grundsätzliches Verbot jeder antizipierten Beweiswürdigung. Die Annahme eines Beweiserhebungs- oder Verwertungsverbotes bedarf hiernach einer Abwägung anhand aller Umstände des Einzelfalles. Weiterhin gewährleistet das Recht auf Beweis den Grundsatz der freien Beweiswürdigung. Als Korrelat dieser Freiheit verpflichtet das Recht auf Beweis das erkennende Gericht auf der anderen Seite zu einer tatsächlichen Vornahme der Beweiswürdigung im Einzelfall. Diese Würdigung muss unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles, mithin des gesamten Inhaltes der Verhandlung und unter Offenlegung der Kriterien der Würdigung erfolgen. Diese Freiheit der Beweiswürdigung wird zudem durch umfassende Begründungspflichten und eine Überprüfbarkeit im Instanzenzug rückgekoppelt. Abschließend gewährleistet das Recht auf Beweis den Prozessparteien ein umfassendes Recht auf Begründung aller beweisrechtlichen Entscheidungen. Diese Begründung muss im Hinblick auf die Ziele der Selbstreflektion des erkennenden Gerichts und der Überprüfbarkeit seiner Entscheidung im Instanzenzug sehr detailliert ausfallen. Es ergibt sich hierbei eine Korrelation zwischen der Entscheidungsfreiheit des erkennenden Gerichts und dem Umfang seiner anschließenden Begründungspflichten.
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Die Grenzen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC I. Grundlagen Nachdem nun der Inhalt des Rechts auf Beweis in Form seiner abstrakten Gewährleistungsgehalte in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta entwickelt wurde, soll sich nachfolgend die Herausarbeitung der abstrakten Grenzen dieses Rechts auf Beweis anschließen. Die bisherige Darstellung seiner Gewährleistungsgehalte kann letztlich nur als „Idealzustand“ des Rechts auf Beweis angesehen werden. In der Praxis ist eine vollständige Übereinstimmung mit diesem Gewährleistungsgehalt kaum zu erreichen und erscheint ob der Vielzahl verschiedener Grundrechte und Allgemeingüter auch nicht sachgerecht: Die vollständige Verwirklichung aller Gewährleistungsgehalte eines Grundrechts oder Allgemeinguts würde regelmäßig auf Kosten der Geltung anderer Grundrechte oder Allgemeingüter vollzogen werden. Vielmehr müssen die gegenläufigen Allgemeingüter und Grundrechte miteinander in Einklang gebracht werden. Diese Problematik einer Kollision gegenläufiger Grundrechte bzw. Allgemeingüter gilt auch und gerade im Zivilprozess, der bereits strukturell die Konkurrenz zweier grundrechtsberechtigter Parteien aufweist. Die Prozessparteien haben nach der obigen Analyse ein umfassendes Recht auf einen effektiven Nachweis eigener Rechte im Zivilprozess. Eine grenzenlose Geltung dieses Rechts auf Beweis im Zivilprozess würde indes einen ganz erheblichen, zeitlichen Mehraufwand bedeuten und damit dem Recht der Parteien auf Rechtsschutz in angemessener Zeit1 zuwiderlaufen – um nur ein einziges, gegenläufiges Grundrecht zu nennen. Das Recht auf Beweis kann im Einzelfall in Konkurrenz zu einer ganzen Reihe anderer Grundrechte bzw. Allgemeingüter treten. Mithin bedarf es nachfolgend auch einer Untersuchung der abstrakten Grenzen des Rechts auf Beweis, um das abstrakte Recht auf Beweis in Gänze abzubilden. Diese Untersuchung der Grenzen des Rechts auf Beweis soll mit der Frage beginnen, unter welchen Voraussetzungen überhaupt von einer Begrenzung der Gewährleistungen des Rechts auf Beweis iSe rechtfertigungsbedürftigen Eingriffs gespro1 Vgl. etwa BVerfG NJW 2013, S. 3432 f.; EGMR, Urteil vom 10.01.2008, 25706/03, Glesmann ./. GER, Rn. 77 ff. und EuGH Rs. C-385/07, Slg. 2009, I-06155, Rn. 176 ff. – Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland / Kommission jeweils mwN.
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chen werden kann. Sodann schließt sich eine Analyse der Voraussetzungen der beiden denkbaren Grenzen der Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in Form einer zwangsweisen Einschränkung bzw. eines freiwilligen Verzichts an. Am Anfang steht dabei eine Betrachtung der jeweiligen Fragestellung in Rechtsprechung und Literatur in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta, bevor sich die Erarbeitung einer eigenen Ansicht zum Recht auf Beweis anschließt. Für die Analyse von Rechtsprechung und Literatur gilt es zu beachten, dass sich für die drei zu untersuchenden Grundrechtsordnungen teilweise eine etwas differierende Terminologie entwickelt hat, die jedoch nicht darüber hinwegtäuschen sollte, dass auch in Rechtsprechung und Literatur zu den Grenzen von Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta eine ganz überwiegende, inhaltliche Übereinstimmung vorherrscht. Es wird daher nachfolgend versucht, diese Ansichten unter einem gemeinsamen Topos jeweils kurz darzustellen. Für das Verhältnis von EMRK und Grundrechtecharta kommt auch in Bezug auf die Grenzen der jeweiligen Grundrechte Art. 52 III GRC besonderes Gewicht zu. Der EuGH hat sich in seiner Rechtsprechung zur Grundrechtecharta für eine Anwendung des Art. 52 III GRC auf die Schranken und die Schranken-Schranken der EMRK ausgesprochen.2 Der Gerichtshof hat wiederholt die Einschränkungsmöglichkeiten mitsamt deren Grenzen in ihrer Auslegung durch den EGMR seiner Rechtsprechung zugrunde gelegt.3 Diese Sichtweise deckt sich mit dem überwiegenden Schrifttum. Es wird davon ausgegangen, dass die von Art. 52 III GRC intendierte Kohärenz zwischen EMRK und Grundrechtecharta zu ihrer effektiven Geltung auch eines Gleichlaufes der Grenzen der Grundrechte bedarf.4 Ausgehend vom Telos des Art. 52 III GRC – namentlich einer Harmonisierung der beiden europäischen Grundrechtsordnungen – erscheint die Erstreckung der rechtlichen Verbindung des Art. 52 III GRC auf die Grenzen der jeweiligen Grundrechte durch EuGH und Literatur konsequent und richtig: Die Weite des Eingriffsbegriffes wie auch die Voraussetzungen einer Rechtfertigung von Eingriffen können großen Einfluss auf die Reichweite des Grundrechtschutzes haben. Ein harmonisierter Grundrechtsschutz von EMRK und Grundrechtecharta kann nur unter Geltung des Art. 52 III GRC erreicht werden. Dementsprechend ist die rechtliche Verbindung des Art. 52 III GRC nach hier vertretener Ansicht ebenfalls auf die Grenzen des Rechts auf Beweis anzuwenden.5 2 Vgl. etwa EuGH Rs. C-400/10, Slg. 2010 I-08965, Rn. 53 – McB / L.E.; in jüngster Zeit EuGH Rs. C-419/14, Rn. 70 – WebMindLicenses jeweils mwN. 3 Vgl. wiederum EuGH Rs. C-400/10, Slg. 2010, I-08965, Rn. 53 – McB / L.E.; in jüngster Zeit EuGH Rs C-419/14, Rn. 70 – WebMindLicenses jeweils mwN. 4 In diesem Sinne etwa Jarass, GRC, Art. 52 Rn. 59 ff.; Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 14 ff.; Vedder/Heintschel von Heinegg-Folz, GRC, Art. 52 Rn. 7; ausführlich Ibing, Einschränkung, S. 337 ff. 5 Allgemein in diesem Sinne auch Rechtsprechung und Literatur, vgl. wiederum etwa EuGH Rs. C-419/14, Rn. 70 – WebMindLicenses; Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz
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Abschließend soll auch die Ausarbeitung der eigenen Ansicht zu den Grenzen des Rechts auf Beweis im Hinblick auf die großen Übereinstimmungen und das gemeinsame Wertefundament des Rechts auf Beweis für alle drei Grundrechtsordnungen gemeinsam erfolgen.
II. Die Definition eine Eingriffes in das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC Die Definition eines Eingriffes wird dahingehend erschwert, dass es sich bei dem Recht auf Beweis nach den bisherigen Feststellungen um ein prozessuales Grundrecht handelt.6 Für ein solches Grundrecht ist in einem ersten Schritt die Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung erforderlich, bevor sich eine Analyse der Eingriffsvoraussetzungen anschließt.
1. Abgrenzung: Ausgestaltung von und Eingriff in prozessuale Grundrechte Ein prozessuales Grundrecht weist signifikante Unterschiede zu einem klassischen Freiheitsrecht auf: Ein Freiheitsrecht ist historisch als Abwehrrecht konzipiert worden. Freiheitsrechte, wie etwa die Meinungsfreiheit zeichnen sich dadurch aus, dass sie einen „natürlichen“ Freiheitsraum schützen, den jeder einzelne Grundrechtsberechtigte ohne Zuhilfenahme des Staates selbstständig ausfüllen kann.7 Der Staat kann in diese „natürliche“ Freiheitssphäre auf vielfältige Art und Weise eingreifen und den individuellen Freiheitsgebrauch einschränken. An diesem Punkt zeigt sich der wesentliche Unterschied zu den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis: Es existiert kein „natürliches“ Gerichtssystem, das von jedem Grundrechtsberechtigten unabhängig von staatlichem Handeln als Freiheitsgebrauch genutzt werden könnte. Vielmehr ist ein Gerichtssystem originärer Ausdruck staatlichen Handelns iSe staatlichen Ausgestaltung des Rechtslebens. Die Ausübung des Rechts auf Beweis durch den einzelnen Grundrechtsberechtigten bedarf vorab zwingend eines aktiven staatlichen Handelns in Form der Schaffung eines Gerichtssystems. Zwar ist der Staat in seiner Entscheidung nicht frei, sondern vielmehr qua Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta zur Schaffung eines Gerichtssystems verpflichtet. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass der Staat dieser Verpflichtung zur Schaffung eines Gerichtssystems auf vielfältige Art und Weise gerecht werden kann. Der Staat muss (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 14 ff.; Vedder/Heintschel von Heinegg-Folz, GRC, Art. 52 Rn. 7; ausführlich Ibing, Einschränkung, S. 337 ff. 6 Ausführlich oben § 6 II. 2. 7 Vgl. etwa die ausführliche Darstellung von Merten/Papier-Degenhart, HGR III, § 61, Rn. 18 ff.; instruktiv auch Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 200, Rn. 62 ff. jeweils mwN.
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also nicht vielfältige Eingriffe in einen „natürlichen“ Freiheitsraum unterlassen, sondern seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Schaffung des Freiheitsraumes auf eine von vielen Arten nachkommen. Wenn das Grundrecht aber erst durch diese staatliche Handlung operationalisierbar wird, so stellt sich die Frage, ob jede Ausgestaltung des Rechts auf Beweis zugleich einen Eingriff in dasselbe darstellt oder auf welche Art und Weise sich Ausgestaltung und Eingriff voneinander abgrenzen lassen. a) BVerfG: Justizgewährungsanspruch und Art. 103 I GG als Leistungsgrundrechte Für die Analyse von Rechtsprechung und Literatur zum Grundgesetz gilt es insbesondere die Diskussion zum Justizgewährungsanspruch als dogmatischer Fundierung des Rechts auf Beweis zu beachten: Teile des Schrifttums schließen aus den Unterschieden zwischen Leistungs- und Freiheitsgrundrechten, dass die klassische abwehrrechtliche Eingriffsdogmatik auf den Justizgewährungsanspruch als Leistungsgrundrecht nicht anwendbar sei.8 Nach dieser Auffassung legt das Grundgesetz einen bestimmten Mindeststandard an Leistungen – etwa an prozessualen Gewährleistungen – fest, dessen Unterschreitung unmittelbar zu einer Verletzung dieses Leistungsgrundrechts führt.9 Hiernach gibt es nicht die klassischen Kategorien eines Eingriffes oder einer Rechtfertigung. Vielmehr wäre der Gesetzgeber in seiner Ausgestaltung des Prozessrechts vollkommen frei, solange ein verfassungsrechtlich garantiertes Mindestmaß an prozessualen Gewährleistungen eingehalten würde.10 Das Bundesverfassungsgericht greift demgegenüber unter Zustimmung des überwiegenden Schrifttums auf die bewährte Grundrechtsdogmatik zurück.11 Grundsätzlich betont auch das Verfassungsgericht in seiner Rechtsprechung den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.12 Allerdings gibt das Grundgesetz das Mindestmaß an Grundrechtsschutz vor, welches der Gesetzgeber einzuhalten hat. Die Ausgestaltung gibt dem Gesetzgeber hiernach zwar einen weiten Gestaltungsspielraum, bezieht sich aber allein auf die Art und Weise der konkreten Gewährleistung des verfassungsrechtlich vergebenen Ziels, effektiven Rechtsschutz bereitzustellen.13 Dieser Gewährleistungsgehalt wird verfassungsrechtlich vorgegeben und le8 In diese Richtung Maurer, FS-BVerfG, S. 467, 489 ff.; tendenziell auch Merten/Papier-De genhart, HGR III, § 61, Rn. 29; kritisch auch Störring, Untermaßverbot, S. 204 ff. 9 Vgl. wiederum Maurer, FS-BVerfG, S. 467, 489 ff.; Merten/Papier-Degenhart, HGR III, § 61, Rn. 29 und auch Störring, Untermaßverbot, S. 204 ff. jeweils mwN. 10 In diesem Sinne Maurer, FS-BVerfG, S. 467, 489 ff.; Störring, Untermaßverbot, S. 204 ff. 11 Explizit zum Justizgewährungsanspruch BVerfGE 88, S. 118, 123 ff.; ebenso BVerfGE 93, S. 99, 107 f.; BVerfGE 101, S. 106, 122 ff.; BVerfG-K 4, S. 137, 140; zustimmend insbesondere Literatur Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 200, Rn. 62 ff. und Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 1, Art. 19 IV, Rn. 80 f. und 84; zustimmend auch Stern/Becker-Stern, GG, Einleitung Rn. 153 ff. 12 Vgl. etwa BVerfGE 88, S. 118, 123 ff.; BVerfGE 93, S. 99, 107 f.; BVerfGE 116, S. 1, 18 f. 13 In diesem Sinne etwa BVerfG-K 4, S. 137, 140; in jüngster Zeit BVerfGE 133, S. 1, 23 zu Art. 19 IV GG.
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diglich die Art und Weise seiner Einhaltung steht im gestalterischen Ermessen des Gesetzgebers. Eine Ausgestaltung, die diesen Gewährleistungsgehalt unterschreitet, stellt somit einen Eingriff in den Justizgewährungsanspruch dar und bedarf einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.14 Auch insoweit wenden Bundesverfassungsgericht und Literatur die allgemeine Schrankendogmatik und insbesondere den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz mit gewissen Modifikationen an.15 Auch merken Teile der Literatur in diesem Zusammenhang an, dass die Einteilung in Abwehr- und Leistungsgrundrechte insofern angreifbar erscheint, als dass jedes Leistungsgrundrecht zugleich als Abwehrgrundrecht formuliert werden könnte.16 b) EGMR und EuGH: gesetzgeberisches Ermessens bei der Ausgestaltung prozessualer Grundrechte Der EGMR sieht in Art. 6 EMRK in Übereinstimmung mit der Literatur ein Teilhaberecht. Dem Staat wird aufgegeben, den Berechtigten aktiv gewisse grundrechtlich gewährleistete Möglichkeiten einzuräumen und nicht lediglich ihre selbst auszufüllende Freiheitssphäre zu achten.17 So ist der Zugang zu Gericht iSd Art. 6 I EMRK wie auch die Gewährleistung eines fairen Verfahrens iSd Art. 6 I EMRK nicht denkbar, ohne dass der Staat überhaupt einen solchen Prozess unter Einschluss eines Prozessrechts bereitstellt. Eine solche Verfahrensordnung wird durch die EMRK nicht im Einzelnen vorgegeben, sondern vielmehr die bestehende Verfahrensordnung auf ihre Vereinbarkeit mit den Anforderungen der EMRK überprüft. Mithin bedarf es einer Abgrenzung zwischen der Ausgestaltung des Verfahrens und einem rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Garantien des Art. 6 I EMRK.18 Die nicht rechtfertigungsbedürftige Ausgestaltung beschränkt sich allerdings nach dem EGMR darauf, dass den Konventionsstaaten ein gewisses Ermessen bei der Erfüllung der grundrechtlichen Standards der EMRK eingeräumt wird.19 Der Konven14
Vgl. BVerfGE 101, S. 106, 123 f. (zu Art. 19 IV GG); BVerfGE 118, S. 168, 207 f. und insbesondere in jüngster Zeit die Ausführungen von BVerfGE 133, S. 1. 23. 15 Vgl. wiederum BVerfGE 88, S. 118, 123 ff.; ebenso BVerfGE 93, S. 99, 107 f.; BVerfGE 101, S. 106, 123 f.; BVerfG-K 4, S. 137, 140; zustimmend insbesondere Literatur Isensee/Kirchhof-Hill gruber, HStR IX, § 200, Rn. 62 ff. und Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 1, Art. 19 IV, Rn. 80 f. und 84 jeweils mwN. 16 In diesem Sinne äußert sich Dreier-Schultze-Fielitz, GG, Bd. 1, Art. 19 IV, Rn. 84 mwN. 17 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 57 = EUGRZ 1986, S. 8, 12; vgl. in neuerer Zeit auch EGMR, Urteil vom 21.01.2016, 11578/08, Tovmasya ./. ARM, Rn. 27; siehe aus der Literatur Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 30 f. jeweils mwN. 18 Dazu bereits EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. UK, Rn. 38 ff. = EuGRZ 1975, S. 91, 98 ff.; fortgeführt von EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; aus der Literatur siehe Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 28 ff.; Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 64 ff. jeweils mwN. 19 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. =
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tionsstaat hat demnach die Freiheit, sich zwischen mehreren Möglichkeiten der effektiven grundrechtlichen Ausgestaltung des Prozessrechts zu entscheiden, ohne dass der EGMR seine eigene Einschätzung über diejenige des Mitgliedsstaates stellt.20 Mithin wird nach dem EGMR keine bestimmte Prozessordnung determiniert, doch jede konkrete Ausgestaltung iSd konventionsstaatlichen Erschaffung dieses Prozessrechts ist an den Grundrechtsstandards des Art. 6 EMRK zu messen.21 Der EuGH hat sich zu dieser Fragestellung – soweit ersichtlich – noch nicht explizit geäußert. Allerdings folgt aus der rechtlichen Verbindung des Art. 52 III S. 1 GRC auch für diese Bestimmung der Einschränkbarkeit des Art. 47 II S. 1 GRC ein Gleichlauf mit der EMRK. c) Eigene Ansicht: Das Recht auf Beweis als Leistungsgrundrecht Das Recht auf Beweis stellt sich auch nach hier vertretener Ansicht als ein Leistungsgrundrecht dar: Es gibt kein Gerichtssystem, das von Natur aus ohne jede staatliche Aktivität existiert. Ein Gerichtsverfahren ist vielmehr wesentlicher Ausdruck eines Staates und des Gewaltmonopols als einer seiner grundlegenden Eigenschaften. Daher sind auch die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis nicht ohne staatliche Aktivitäten für die Berechtigten nutzbar. Der Staat muss einen Zivilprozess bereitstellen und innerhalb dieses Prozesses die Möglichkeit der Parteien vorsehen, ihre jeweiligen Rechte effektiv nachweisen zu können. Eben dieses Erfordernis der Ausgestaltung des Rechts auf Beweis zwecks Nutzbarmachung für die Berechtigten unter Vorgabe eines Mindestmaßes an Schutz ist ein klassisches Merkmal eines Leistungsgrundrechts. Eine Ausgestaltung iSe Nutzbarmachung des Rechts auf Beweis für die Berechtigten stellt aber gerade keinen Eingriff in den Gewährleistungsgehalt desselben dar, so dass es einer Abgrenzung zwischen Eingriff und Ausgestaltung bedarf: Ausgangspunkt ist das gemeinsame Gebot der effektiven Geltung der Grundrechte in allen drei Grundrechtsordnungen. Eine Ausgestaltung des Rechts auf Beweis darf hiernach gerade nicht zu einer Minderung seines in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta vorgesehenen Gewährleistungsgehaltes führen. Dieser Gewährleistungsgehalt stellt das vorgegebene Mindestmaß an effektivem Rechtsschutz dar, welches der Gesetzgeber in eine Prozessordnung zu gießen hat. Die Abgrenzung lässt sich daher letztlich relativ klar anhand dieses Mindeststandards vollziehen: EUGRZ 1986, S. 8, 12; in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 12.04.2016, 33883/06, Dumitru Gheorghe ./. RO, Rn. 25 ff. 20 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; siehe auch EGMR, Urteil vom 21.01.2016, 11578/08, Tovmasya ./. ARM, Rn. 27 ff. 21 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; st. Rspr., siehe etwa EGMR, Urteil vom 12.04.2016, 33883/06, Dumitru Gheorghe ./. RO, Rn. 25 ff. mwN.
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Eine Ausgestaltung des Rechts auf Beweis bezieht sich demnach allein auf die Art und Weise, wie dieser vorgegebene Grundrechtsstandard in eine Prozessordnung umzusetzen ist. Jede Unterschreitung dieses Mindeststandards stellt demgegenüber einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das prozessuale Grundrecht dar. Diese Sichtweise gibt dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum, ohne dass zugleich die effektive Geltung des Rechts auf Beweis im Gewande einer „Ausgestaltung“ bis zu einem gewissen Grad reduziert werden kann. Zudem handelt es sich um eine klare und handhabbare Grenzziehung. So kann die Information über Beweismittel etwa durch förmliche Zustellung des Gerichts oder auch formlos per Post erfolgen. Diese Ausgestaltung obliegt hiernach dem Gesetzgeber. Das Recht auf Beweis fordert allein die effektive Information der Prozessparteien über eben diese Beweismittel – unabhängig von der Art und Weise seines Vollzuges.
2. Die Definition eines Eingriffes in das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC Im zweiten Schritt kann nun die Definition eines Eingriffs in das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtacharta herausgearbeitet werden. a) Der Eingriff in den Justigewährungsanpruch des GG Für das Grundgesetz wurde bereits herausgearbeitet, dass das Bundesverfassungsgericht in Übereinstimmung mit dem ganz überwiegenden Schrifttum von der Anwendung der allgemeinen Eingriffsdogmatik auf den Justizgewährungsanspruch ausgeht.22 Ein Eingriff ist nach dem klassischen Eingriffsbegriff zu definieren als „ein rechtsförmiger Vorgang, der unmittelbar und gezielt (final) durch ein vom Staat verfügtes, erforderlichenfalls zwangsweise durchzusetzendes Ge- oder Verbot, also imperativ, zu einer Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten führt“.23 Allerdings haben sich mit der Zeit weitere Handlungsformen des Staates entwickelt, die gleichfalls im Ergebnis zu einer Grundrechtsbeeinträchtigung führen konnte, so dass dieser Eingriffsbegriff sukzessive weiter gefasst und insbesondere um mittelbar-faktisches Handeln des Staates ergänzt.24 Diese Definition entfernte sich dabei von einer 22
Siehe oben II. 1. a. So die zusammenfassende Definition von BVerfGE 105, S. 279, 299 ff.; aus der Literatur ausführlich zu den einzelnen Merkmalen Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 175 ff. und Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 42 ff.; siehe auch Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 200, Rn. 89 ff. und Merten/Papier-Peine, HGR III, § 57, Rn. 19 ff. jeweils mwN; zur Historie des Eingriffsbegriffes siehe Roth, faktische Eingriffe, S. 7 ff. 24 Diese Entwicklung vollzog das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungen BVerfGE 105, S. 252, 273 ff. und BVerfGE 105, S. 279, 299 ff.; zum Informationshandeln der Bundesregierung siehe BVerfGE 113, S. 63, 76 f.; ausführlich Roth, faktische Eingriffe, S. 33 ff.; zustimmend 23
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Betrachtung der Art und Weise des staatlichen Handelns hin zu einem Abstellen auf die Wirkung dieses Handelns für den Grundrechtsberechtigten: Ein Eingriff nach dem modernen Eingriffsbegriff lässt sich daher definieren als jede dem Staat zurechenbare Verkürzung von Grundrechten.25 Ein Eingriff in den Justizgewährungsanspruch wird in Rechtsprechung und Literatur nicht immer explizit und exakt definiert. Dennoch lässt sich ein Eingriff vor dem Hintergrund der allgemeinen dogmatischen Überlegungen unter Zugrundelegung der Aussagen des Bundesverfassungsgerichts entwickeln: Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Verletzung des Justizgewährungsanspruches vor, wenn „die tatsächlich wirksame, gerichtliche Kontrolle in einer dem Rechtsuchenden unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert wird“.26 Während die Formulierung „unzumutbar, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigend“ die Ebene der Rechtfertigung betrifft, behandelt das „erschweren“ der „tatsächlich wirksamen gerichtlichen Kontrolle“ die Ebene des Eingriffes. Ein Eingriff in den Justizgewährungsanspruch liegt hiernach vor, wenn die Effektivität des Rechtsschutzes durch eine gesetzliche Regelung oder deren Auslegung im Einzelfall verkürzt wird.27 b) EGMR: Anerkennung eines weiten Eingriffsbegriffes iRd Art. 6 I EMRK Ein Eingriff in die Gewährleistungen eines Konventionsrechts wird durch den EGMR traditionell weit ausgelegt.28 Hintergrund ist die Effektuierung des Grundrechtsschutzes, die gerade nicht an formellen Voraussetzungen wie den Anforderungen an einen Eingriff scheitern soll.29 Ein Eingriff in die Gewährleistungen der auch Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 200, Rn. 89 ff. und Merten/Papier-Peine, HGR III, § 57, Rn. 29 ff.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 125 ff. 25 In diesem Sinne BVerfGE 105, S. 279, 300; vgl. bereits Eckhoff, Grundrechtseingriff, S. 270 ff. und auch Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 72 ff.; ähnlich in neuerer Zeit Merten/ Papier-Peine, HGR III, § 57, Rn. 98; Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 200, Rn. 89; Stern/ Becker-Stern, GG, Einleitung, Rn. 148 jeweils mwN. 26 So ausdrücklich BVerfGE 107, S. 395, 413 mwN; st. Rspr., siehe bereits BVerfGE 69, S. 381, 385 f.; BVerfGE 88, S. 118, 124; BVerfGE 93, S. 99, 108; zustimmend aus der Literatur etwa Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 12; Isensee/Kirchhof-Papier, HStR VIII, § 176, Rn. 16; Sachs-Sachs, GG, Art. 103, Rn. 12 ff.; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 1, Art. 19, Rn. 84 jeweils mwN. 27 In diese Richtung BVerfGE 107, S. 395, 412 f.; ganz ähnlich Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 1, Art. 19, Rn. 84 allgemein in diesem Sinne auch Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 200, Rn. 65 ff. 28 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 26.03.1987, 9248/81, Leander ./. SWE, Rn. 48 und EGMR, Urteil vom 27.09.1995, 18984/91, McCann and others ./. UK, Rn. 146 ff.; aus der Literatur ausführlich Roth, faktische Eingriffe, S. 58 ff.; zustimmend auch Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 10 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18 Rn. 5 f. 29 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 13.05.1980, 6694/74, Artico ./. ITA, Rn. 33; ebenso EGMR, Urteil vom 23.03.1995, 15318/89, Loizidou ./. TURK, Rn. 72.
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EMRK kann daher in einer rechtlichen, wie auch einer faktischen Handlung gesehen werden.30 Erfasst wird weiter ein aktives Handeln, ebenso wie das Unterlassen der Herstellung eines hinreichenden Schutzniveaus durch den jeweiligen Konventionsstaat.31 Mithin sind die Anforderungen an einen Eingriff nach Rechtsprechung und Literatur zur EMRK denkbar gering. c) EuGH: Anerkennung eines weiten Eingriffsbegriffes iRd Art. 47 II S. 1 GRC Der EuGH ging bereits vor Schaffung der europäischen Grundrechtecharta von einem weiten Eingriffsbegriff aus.32 Ein Eingriff erschöpft sich hiernach nicht in einer final-imperativen Maßnahme des Staates.33 Vielmehr kann ein Eingriff auch in einer mittelbaren oder faktischen Maßnahme des Staates zu sehen sein.34 Auch muss ein Eingriff nach neuerer Rechtsprechung des EuGH keine bestimmte Intensitätsschwelle überschreiten.35 Im Rahmen der Grundfreiheiten hat der EuGH teilweise eine gewisse Nähebeziehung zwischen Maßnahme und beeinträchtigender Wirkung iSe Zurechenbarkeit gefordert.36 Ob diese Rechtsprechung auf die Grundrechte zu übertragen ist, erscheint unklar – jedenfalls dürfen die Anforderungen mit Blick auf Art. 52 III S. 1 GRC und den weiten Eingriffsbegriff des EGMR nicht überspannt werden. Insgesamt wird jedoch auch von Seiten des EuGH unter Zustimmung des 30 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 13.07.2000, 25735/94, Elsholz ./. GER, Rn.43 ff. (rechtliche Handlung) und EGMR, Urteil vom 27.09.1995, 18984/91, McCann and others ./. UK, Rn. 146 ff. (faktische Handlung). 31 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom Urteil vom 13.07.2000, 25735/94, Elsholz ./. GER, Rn.43 ff. (aktives Handeln) und EGMR, Urteil vom 09.12.1994, 16798/90, Lopez Ostra ./. ESP, Rn. 51 ff. = EuGRZ 1995, S. 530, 532 f. (zum Unterlassen bei Schutzpflichten); Dörr/Grote/Marauhn-Mar auhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 10 ff. 32 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-84/95, Slg. 1996, I-03953, Rn. 19 ff. – Bosphorus / Minister for Transport, Energy and Communications, u. a. und EuGH Rs. C-465/00, Slg. 2003, I-04989, Rn. 73 ff. – Österreichischer Rundfunk u. a.; zustimmend aus der Literatur siehe Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, S. 149 f.; ausführlich Kober, Grundrechtsschutz der Europäischen Union, S. 188 ff. 33 Instruktiv zu final-imperativen Eingriffen etwa EuGH Rs. C-293/12, Rn. 32 ff. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a.; aus der Literatur ausführlich Kober, Grundrechtsschutz der Europäischen Union, S. 188 ff. mwN. 34 Vgl. bereits EuGH, Rs. C-84/95, Slg. 1996, I-03953, Rn. 19 ff. – Bosphorus / Minister for Transport, Energy and Communications, u. a.; siehe auch EuGH Rs. C-404/92, Slg. 1994, I-04737, Rn. 23 – X / Kommission und EuGH Rs. C-465/00, Slg. 2003, I-04989, Rn. 73 ff. – Österreichi scher Rundfunk u. a.; siehe wiederum Kober, Grundrechtsschutz der Europäischen Union, S. 188 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, S. 149 f. und Callies/Ruffert-Kingreen, GRC, Art. 52, Rn. 55 ff. jeweils mwN. 35 In diesem Sinne äußert sich EuGH Rs. C-293/12, Rn. 33 – Digital Rights Ireland und Seitlin ger u. a. 36 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-44/98, Slg. 1999, I-06269, Rn. 16 – BASF mwN; für eine Übertragung auf die Grundrechte Ehlers, Jura 2002, S. 468, 475; dagegen Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, § 7, Rn. 517.
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Schrifttums ein weiter Eingriffsbegriff vertreten, der sich mit dem entsprechenden Begriff der EMRK deckt. d) Eigene Ansicht: Die Definition eines Eingriffs in das Recht auf Beweis Die Definition eines Eingriffes hat für die praktische Geltung des Rechts auf Beweis große Bedeutung: Die Reichweite des Grundrechtsschutzes lässt sich nicht allein anhand der Weite des Gewährleistungsgehaltes eines Grundrechts bemessen. Vielmehr hat die Definition der Voraussetzungen eines Eingriffes und dessen Rechtfertigung eine ähnlich große Bedeutung für die praktische Geltung des Grundrechtsschutzes für den Berechtigten. Ein weiter Gewährleistungsgehalt kann durch einen engen Eingriffsbegriff und weitreichende Rechtfertigungsmöglichkeiten jeden Wert verlieren, während ein enger, aber kaum zu beschränkender Gewährleistungsgehalt demgegenüber im Einzelfall einen höheren Grundrechtsschutz bieten kann. Die tatsächliche Reichweite des Grundrechtsschutzes des Rechts auf Beweis wird mithin erst im Zusammenspiel von Inhalt und Grenzen des Rechts auf Beweis bestimmt. Als Quintessenz der bisherigen Analyse lässt sich festhalten, dass Rechtsprechung und Literatur zu allen drei Grundrechtsordnungen von einem weiten Eingriffsbegriff ausgehen: EGMR und EuGH haben bereits frühzeitig den Eingriff von seiner Wirkung des staatlichen Handelns für den einzelnen Grundrechtsberechtigten her gedacht. Daher war seit jeher jedes – auch mittelbar-faktische – staatliche Handeln als Eingriff qualifizierbar.37 Diese Entwicklung hat das Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung der Literatur in jüngerer Zeit gleichfalls vollzogen.38 Die Vielfältigkeit staatlichen Handelns hat richtigerweise zu einer Abkehr vom klassischen Eingriffsbegriff und seiner Fixierung auf die staatliche Handlungsform hin zu einer Betrachtung der Wirkung staatlichen Handelns geführt. Vor dem Hintergrund dieser Vorüberlegungen lässt sich nun auch die Definition eines Eingriffes in das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäische Grundrechtecharta wagen: Der Eingriffsbegriff geht zum Zwecke der effektiven Geltung des Rechts auf Beweis von einer Betrachtung der Wirkung staatlichen Handelns für den Grundrechtsberechtigten aus39: Ein Eingriff in das Recht auf Beweis ist hiernach zu definieren als jede unmittelbare, rechtliche oder mittelbar-faktische Verkürzung des in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gewährleisteten Mindeststandards effektiven Nachweises eigener Rechte im Zivilprozess durch zurechenbares staatliches Handeln oder Unterlassen.
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Siehe II. 2. b. und c. Vgl. II. 2. a. 39 Allgemein in diesem Sinne auch EGMR, EuGH und BVerfG, siehe oben II.2. a. – c. 38
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III. Die Voraussetzungen einer zwangsweisen Einschränkung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC Nachdem soeben herausgearbeitet wurde, unter welchen Voraussetzungen in den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis eingegriffen wird, stellt sich im Anschluss die Frage nach einer etwaigen Rechtfertigung eines solchen Eingriffes und damit der eigentlichen Grenzen des Rechts auf Beweis. Die erste Grenze ist in der zwangsweisen Einschränkung des Rechts auf Beweis und ihrer Rechtfertigung unter bestimmten Voraussetzungen zu erblicken.
1. Die Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis Den etwaigen Voraussetzungen einer Rechtfertigung vorgelagert ist zu fragen, ob das Recht auf Beweis in den drei untersuchten Grundrechtsordnungen überhaupt Einschränkungen unterliegt. a) Die Einschränkbarkeit des Justizgewährungsanspruches im GG Für das Grundgesetz gilt es hiernach zu untersuchen, ob Einschränkungen des Justizgewährungsanspruch als dogmatische Fundierung des Rechts auf Beweis grundsätzlich zulässig sind. Der Justizgewährungsanspruch gewährleistet den Zugang zu Gericht und die Effektivität des Rechtsschutzes in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten. In dieser Eigenschaft stellt er sich als zivilprozessuales Pendant zur geschriebenen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG für das öffentliche Recht dar.40 Das Bundesverfassungsgericht betont diese Parallelität der Gewährleistungen des Art. 19 IV GG und des Justizgewährungsanspruches.41 Art. 19 IV GG enthält keinerlei ausdrücklichen Gesetzesvorbehalt, stellt mithin ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht dar. Für den Justizgewährungsanspruch wird die vorbehaltlose Gewährleistung durch das Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich ausgesprochen, sie ergibt sich indes aus der aufgezeigten Parallelität zu Art. 19 IV GG.42 Der Justizgewährungsanspruch ist daher nach Rechtsprechung und Literatur ein vorbehaltlos gewährleistetes prozessuales Grundrecht.
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Vgl. etwa BVerfGE 107, S. 395, 406 f. und BVerfGE 110, S. 339, 342; aus der Literatur in struktiv Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 4 und 26 ff. mwN. 41 Vgl. BVerfGE 107, S. 395, 401 ff.; zustimmend Isensee/Kirchhof-Papier, HStR VIII, § 176, Rn. 17; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 13; tendenziell auch Maurer, FS-BVerfG, S. 467, 491 ff. 42 Vgl. wiederum BVerfGE 107, S. 395, 401 ff.; ausdrücklich in diesem Sinne Isensee/Kirchhof-Papier, HStR VIII, § 176, Rn. 17; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 13; Maurer, FSBVerfG II, S. 467, 491 ff. jeweils mwN.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
aa) Keine Anerkennung einer Schrankenleihe Allerdings wird der Justizgewährungsanspruch aus den Grundrechten iVm dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) hergeleitet.43 Vor diesem Hintergrund der Effektivierung des jeweiligen materiellen Grundrechts wird teils über eine Anwendung der Schranken des jeweiligen materiellen Grundrechts bzw. die allgemeine Schranke des Art. 2 I GG sinniert.44 Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch ein solches Modell der sog. Schrankenleihe bereits in anderen Konstellationen explizit abgelehnt.45 Das Verfassungsgericht geht unter Zustimmung des überwiegenden Schrifttums davon aus, dass ein Grundrecht grundsätzlich nur durch diejenigen Schranken begrenzt werden können, die es ausdrücklich vorsieht. Eine ungeschriebene Ausweitung dieser Schranken würde den Gewährleistungsgehalt der Grundrechte ohne Legitimation und entgegen der Systematik des Grundgesetzes verkürzen.46 bb) BVerfG: Einschränkbarkeit vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte Indes können auch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte nach dem Bundesverfassungsgericht und der Literatur keinen uneingeschränkten Vorrang beanspruchen.47 Vielmehr setzt die Verfassung selbst diesen Grundrechten ihre Grenzen: Der Gewährleistungsgehalt vorbehaltloser Grundrechte kollidiert regelmäßig mit anderen Grundrechten und Allgemeingütern von Verfassungsrang. Im Falle einer solchen Kollision innerhalb der Verfassung selbst finden auch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte ihre Grenzen.48 Somit ist der Justizgewährungsanspruch durch kollidierende Grundrechte bzw. Allgemeingüter von Verfassungsrang einschränkbar.
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Zu den dogmatischen Hintergründen siehe § 5 II. 3. In diesem Sinne äußert sich Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 27 mwN. 45 Vgl. BVerfGE 30, S. 173, 191 ff. und BVerfGE 47, S. 327, 368 ff. (Kunstfreiheit); BVerfGE 52, S. 223, 246 f. (Religionsfreiheit). 46 Vgl. wiederum BVerfGE 30, S. 173, 191 ff. und BVerfGE 52, S. 223, 246 f.; aus der Literatur zustimmend Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 139; ebenso Merten/Papier-Bethge, § 72, Rn. 47; explizit zum Justizgewährungsanspruch eine Schrankenleihe ablehnend Maurer, FS-BVerfG II, S. 467, 493 jeweils mwN. 47 Instruktiv bereits BVerfGE 28, S. 243, 260 f.; siehe auch BVerfGE 116, S. 1, 18 f.; ausführlich aus der Literatur, Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 13 ff. und Enders, FS-Wahl, S. 283 ff.; vgl. auch Merten/Papier-Degenhart, HGR III, § 61, Rn. 67 f.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 139 ff.; jeweils mwN. 48 Vgl. wiederum BVerfGE 28, S. 243, 260 f.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 139 ff.; ausführlich auch Merten/Papier-Bethge, HGR III, § 72, Rn. 45 ff.; die Einschränkbarkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht als allgemeinen, ungeschriebenen Gesetzesvorbehalt begreifend Bum ke, Grundrechtsvorbehalt, S. 171 ff. 44
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b) Die Einschränkbarkeit des Art. 6 I EMRK Das Recht auf Beweis folgt für die EMRK aus dem Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK. Die Frage nach einer möglichen Einschränkbarkeit des Art. 6 I EMRK bedarf einer Differenzierung zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Schranken der EMRK: aa) Die allgemeinen Schranken des Art. 6 I S. 2 und des Art. 15 EMRK Eine ausdrückliche, geschriebene Schranke findet sich in Art. 15 EMRK und in Art. 6 I S. 2 EMRK: Die spezielle Schranke des Art. 6 I S. 2 EMRK ist jedoch in ihrem Anwendungsbereich eingeschränkt. Sie bezieht sich erkennbar allein auf die Einschränkbarkeit des Rechts auf ein öffentliches Verfahren und eine öffentliche Verkündung der Entscheidung – mithin die Abwägung zwischen der demokratischen Kontrolle des Verfahrens und etwaigen Geheimhaltungsrechten der Prozessparteien oder Dritter.49 Eine Ausweitung dieser Schranke auf das Recht auf ein faires Verfahren erscheint ob des klaren, entgegenstehenden Wortlautes kaum zu rechtfertigen.50 Art. 15 EMRK stellt demgegenüber eine allgemeine Schranke im Fall des Notstandes eines Vertragsstaates insgesamt dar.51 In einer Fallgestaltung, die den Konventionsstaat insgesamt bedroht – und damit letztlich auch die dauerhafte Geltung der EMRK in diesem Staat – sollen zwischenzeitliche Einschränkungen der Konvention möglich sein. Angenommen wurde ein solcher Notstand in der Geschichte der EMRK nur in wenigen Ausnahmefällen kriegerischer oder terroristischer Handlungen.52 Die vorliegende Untersuchung möchte indes die Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis im Regelfall eines geordneten Zivilprozesses in Friedenszeiten untersuchen. Daher soll eine eingehendere Untersuchung der Schranke des Art. 15 EMRK vorliegend außer Betracht bleiben. bb) EGMR: Anerkennung einer ungeschriebenen Einschränkbarkeit des Rechts auf Zugang zu Gericht nach Art. 6 I EMRK Einer geschriebenen Schranke unterliegt das Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK mithin nicht. Allerdings hat der EGMR aus Art. 6 I EMRK ein unge-
49 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 24.04.2001, 36337/97, B. and P. ./. UK, Rn. 37 ff.; ausführlich aus der Literatur Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 89 ff.; siehe auch Frowein/Peukert-Peu kert, EMRK, Art. 6, Rn. 198 f. 50 In diesem Sinne bereits ausführlich Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 692 f. mwN. 51 Ausführlich etwa Dörr/Grote/Marauhn-Krieger, EMRK/GG I, Kapitel 8, Rn. 1 ff. mwN. 52 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 01.07.1961, 332/57, Lawless ./. UK (No. 3), Rn. 23 ff.; in neuerer Zeit zurückhaltender EGMR, Urteil vom 19.02.2009, 3455/05, A. and others ./. UK, Rn. 126 ff.; aus der Literatur siehe wiederum Dörr/Grote/Marauhn-Krieger, EMRK/GG I, Kapitel 8, Rn. 6 ff. jeweils mwN.
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schriebenes Recht auf Zugang zu Gericht entwickelt.53 Diese Entwicklung eines ungeschriebenen Zugangsrechtes ging einher mit seiner gleichzeitigen Begrenzung: Das Recht auf Zugang zu Gericht gilt hiernach nicht absolut. Es ist vielmehr durch eine Regelung einschränkbar, die ein legitimes Ziel verfolgt und ein angemessenes Verhältnis zwischen dem mit der Regelung verfolgten Ziel und dem eingeschränkten Zugangsrecht aufweist.54 In diesem Fall ist eine Einschränkung gerechtfertigt und ein Eingriff in Art. 6 I EMRK ausgeschlossen.55 cc) EGMR: Übertragbarkeit auf das Recht auf ein faires Verfahren Diese Einschränkbarkeit des Art. 6 I EMRK wurde in der Folge durch den EGMR auf andere Teilgehalte des Rechts auf ein faires Verfahren übertragen – insbesondere in Fallgestaltungen kollidierender Konventionsrechte56: So hat der EGMR in einer Reihe von Entscheidungen den Grundsatz der Waffengleichheit unter besonders strengen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit für einschränkbar erklärt.57 Auch das Recht auf rechtliches Gehör wurde teilweise einer Einschränkbarkeit unterworfen: So hat der EGMR insbesondere das Recht der Prozessparteien auf Information für nicht absolut befunden.58 In diesen Konstellationen kam dem Schutz konkurrierender Konventionsrechte, wie dem Persönlichkeitsrecht aus Art. 8 EMRK, besondere Bedeutung zu.59 Aber auch andere Ziele – etwa die Sicherung 53
Diese Entwicklung beginnend EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. UK, Rn. 26 ff. = EuGRZ 1975, S. 91, 92 ff.; instruktiv auch EGMR, Urteil vom 18.02.1999, 26083/94, Waite and Kennedy ./. GER, Rn. 50 ff.; in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 07.04.2009, 28426/06, Mendel ./. SWE, Rn. 41 ff. jeweils mwN; aus der Literatur siehe Grabenwarter/Pabel, § 24, Rn. 51 ff.; Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 51 ff. 54 Diese Grenzen entwickelte bereits EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; siehe auch EGMR, Urteil vom 19.07.2007, 71140/01, Freitag ./. GER, Rn. 35 ff. mwN; aus der Literatur Dörr/Grote/Marauhn-Grabenwarter/Pabel, EMRK/GG I, Kapitel 14, Rn. 74 ff.; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/ Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 36 ff.; Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 64 ff. jeweils mwN. 55 Instruktiv und explizit in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 12.07.2001, 42527/98, Prince Hans-Adam II of Lichtenstein ./. GER, Rn. 43 ff.; siehe auch EGMR, Urteil vom 01.02.2007, 78041/01, Paljic ./. GER, Rn. 42 ff. 56 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20524/92, Doorson ./. NL, Rn. 70 (rechtliches Gehör) und EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. UK, Rn. 60 ff. (Waffengleichheit). 57 Deutlich in diesem Sinne EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. UK, Rn. 60 ff. und EGMR, Urteil vom 27.04.2004, 62543/00, Gorraiz Lizarraga and others ./. ESP, Rn. 56 ff.; aus der Literatur siehe Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 31 und Karpenstein/ Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6 Rn. 119. 58 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20524/92, Doorson ./. NL, Rn. 70 und EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. UK, Rn. 60 ff. jeweils mwN; aus der Literatur siehe Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 122 ff. mwN. 59 So insbesondere EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20524/92, Doorson ./. NL, Rn. 70.
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des Ermittlungserfolges im strafrechtlichen Bereich – wurden als legitim durch den EGMR anerkannt.60 Allerdings vollzieht der EGMR diese Abwägung oftmals eher implizit im Rahmen der Gesamtabwägung, ob überhaupt eine Verletzung der Verfahrensfairness vorliegt. In diesem Sinne prüft der EGMR – trotz Anerkennung der Einschränkbarkeit – regelmäßig bereits auf der Ebene des Gewährleistungsgehaltes, ob die Verfahrensfairness betroffen ist. Verhältnismäßigen Einschränkungen wurden auch die strafprozessualen Verteidigungsrechte des Art. 6 III EMRK durch EGMR und Literatur unterworfen.61 Insbesondere für das Recht auf Ladung und Befragung von Zeugen iSd Art. 6 III lit. d EMRK wurde seine Einschränkbarkeit ausgesprochen.62 Diese Einschränkbarkeit des Art. 6 III lit. d EMRK ist im Hinblick auf die Übertragung der Gewährleistungen des Art. 6 III lit. d EMRK auf den Zivilprozess von großer Bedeutung.63 Eine solche Einschränkung des Art. 6 III lit. d EMRK wurde gerade im Fall kollidierender Konventionsrechte angenommen: So wurde Zeugen bei Gefahr für Leib und Leben ihre Anonymität im Prozess zugesichert oder auch Kinder von der Zeugnispflicht entbunden, die als Zeugen in einem Missbrauchsprozess aussagen sollten.64 dd) Teile der Literatur: Ablehnung einer ungeschriebenen Einschränkbarkeit Teile der Literatur stehen der Annahme einer ungeschriebenen Einschränkbarkeit des Art. 6 I EMRK insgesamt kritisch gegenüber.65 Eine über die geschriebenen Schranken der Art. 6 I S. 2 und 15 EMRK hinausgehende Einschränkbarkeit würde ohne Not und ohne Legitimation den konventionsrechtlichen Grundrechtsschutz aushöhlen und sei daher abzulehnen.66 60 In diesem Sinne wiederum EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. UK, Rn. 60 ff. 61 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 51 ff.; siehe auch EGMR, Urteil vom 17.11.2005, 73047/01, Monika Haas ./. GER = NJW 2006, S. 2753 ff. jeweils mwN; ausführlich auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 683 ff. mwN aus der Literatur. 62 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 51 ff.; siehe auch EGMR, Urteil vom 14.02.2002, 26668/95, Visser ./. NL, Rn. 43 ff.; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 685 f. 63 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff.; ausdrücklich EGMR, Urteil vom 18.06.2002, 24541/94, Wierzbicki ./. PL, Rn. 39 ff. 64 Vgl. EGMR, Urteil vom 20.12.2001, 33900/96, P.S. ./. GER, Rn. 21 ff. = NJW 2003, S. 2893, 2894 und in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 28.09. 2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 53 ff. jeweils mwN. 65 Die Nichteinschränkbarkeit feststellend Weigend, ZStW 116 (2004), S. 275, 279; für eine abschließende Regelung der Einschränkungen durch die geschriebene EMRK aus dem schweizerischen Schrifttum Bischofberger, Verfahrensgarantien, S. 40; weitere Nachweise bei Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 691. 66 Vgl. wiederum Bischofberger, Verfahrensgarantien, S. 40 f. und Weigend, ZStW 116 (2004), S. 275, 279; weitere Nachweise finden sich bei Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 326 ff. und S. 691.
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c) Die Einschränkbarkeit des Art. 47 II S. 1 GRC über Art. 52 I GRC Der EuGH hat die prozessualen Grundrechte bereits vor Geltung der europäischen Grundrechtecharta verhältnismäßigen Einschränkungen unterworfen.67 Die europäische Grundrechtecharta weist dahingehend eine Besonderheit auf, dass Art. 52 I GRC ausdrücklich eine allgemeine Schranke normiert. Diese geschriebene Schranke des Art. 52 I GRC hat der EuGH explizit auch auf das prozessuale Grundrecht des Art. 47 II S. 1 GRC angewendet und somit eine Einschränkbarkeit des Rechts auf ein faires Verfahren anerkannt.68 d) Eigene Ansicht Das Recht auf Beweis unterliegt nach hier vertretener Auffassung in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen einer grundsätzlichen Einschränkbarkeit. Zwar handelt es sich bei dem Recht auf Beweis um einen fundamentalen Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips und der materiellen Grundrechte zum Zwecke einer effektiven Durchsetzung von (Grund-) Rechten. Dennoch kann auch dem Recht auf Beweis kein unbedingter Vorrang gegenüber anderen Grundrechten und Grundprinzipien gleichen Ranges zukommen. Vielmehr ist das Recht auf Beweis integraler Bestandteil der jeweiligen Grundrechtsordnung und muss sich als solcher auch im Einklang mit den weiteren grundrechtlichen Gewährleistungen bewegen. An einer grundsätzlichen Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis ist im Hinblick auf die Vielzahl möglicher Grundrechtskollisionen daher nicht zu zweifeln. Im Einzelnen gilt es jedoch zwischen der geschriebenen Schranke der Grundrechtecharta und den ungeschriebenen Möglichkeiten einer Einschränkung in Grundgesetz und EMRK zu differenzieren: aa) Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis in der GRC durch Art. 52 I GRC Für die europäische Grundrechtecharta sieht Art. 52 I GRC eine ausdrückliche Schranke vor. Seinem Wortlaut nach gibt es keinerlei Begrenzung des Art. 52 I GRC auf bestimmte Arten von Grundrechten oder gar eine irgendwie geartete Ausnahme für ungeschriebene Grundrechte. Vielmehr spricht auch die systematische Stellung des Art. 52 I GRC in den „Allgemeinen Bestimmungen“ des Kapitel VII der Grundrechtecharta für eine allgemeine Geltung und seine Anwendbarkeit auf prozessuale Grundrechte. Und auch nach seiner Ratio lässt sich an der Anwendbarkeit des Art. 52 I GRC auf prozessuale Grundrechte kaum zweifeln. Jede Grundrechtsord67
Vgl. vor Geltung der Grundrechtecharta EuGH, Rs. C-28/05, Slg. 2006, I-05431, Rn. 74 ff. – Doktor u. a. 68 Zur Einschränkung von Art. 47 GRC durch Art. 52 I GRC siehe EuGH, Rs. C-584/10, Rn. 100 ff. – Kommission u. a. / Kadi und Grabenwarter-Pabel, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 19 Rn. 14 ff.
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nung sieht sich mit dem Problem konfrontiert, dass eine Vielzahl weitreichender Grundrechte gewährleistet wird, die im Einzelfall miteinander in Konflikt geraten können. Eine geschriebene Schranke ermöglicht somit einen Ausgleich zwischen verschiedenen kollidierenden Grundrechten im Einzelfall und dient daher der inneren Konsistenz einer Grundrechtsordnung. Dieser Telos könnte jedoch nicht erreicht werden, wenn bestimmte Arten von Grundrechten von eben dieser Schranke ausgenommen wären. Zusammenfassend ist mit dem EuGH von einer Anwendbarkeit des Art. 52 I GRC auf das Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC auszugehen und die Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis in der europäischen Grundrechtecharta hiernach zu bejahen.69 bb) Die ungeschriebenen Schranken des Rechts auf Beweis in GG und EMRK Die oben genannten Erwägungen lassen sich nun auch für die Frage nach einer Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis in Grundgesetz und EMRK fruchtbar machen: Auch in Grundgesetz und EMRK kann das Recht auf Beweis mit anderen Grundrechten bzw. Allgemeingütern gleichen Ranges kollidieren. Ein unbedingter Vorrang des Rechts auf Beweis lässt sich auch insoweit nicht begründen. Vielmehr bedarf es zur Aufrechterhaltung der inneren Konsistenz und Widerspruchsfreiheit von Grundgesetz und EMRK der grundsätzlichen Möglichkeit einer Einschränkung des Rechts auf Beweis. Für die EMRK hat der EGMR daher richtigerweise eine ungeschriebene Einschränkbarkeit des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK entwickelt.70 Das Recht auf Beweis als Teilgehalt des Art. 6 I EMRK ist auch nach hier vertretener Ansicht grundsätzlich zugunsten anderer Grundrechte bzw. Allgemeingüter gleichen Ranges einschränkbar. Für das deutsche Grundgesetz geht das Bundesverfassungsgericht richtigerweise davon aus, dass es sich bei dem Justizgewährungsanspruch dem Grunde nach um ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht handelt.71 Der Justizgewährungsanspruch stellt sich als Pendant zur Rechtsschutzgarantie gegen Akte der öffentlichen Gewalt in Art. 19 IV GG dar.72 Eine allgemeine Rechtsschutzgewährleistung im Bereich bürgerlich-rechtlicher Streitigkeiten wurde bei Schaffung des Grundgesetzes für diesen historisch gewachsenen Rechtsweg als selbstverständlich angesehen und
Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-584/10, Rn. 100 ff. – Kommission u. a. / Kadi. Siehe einmal mehr EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. UK, Rn. 26 ff. = EuGRZ 1975, S. 91, 92 ff. und EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. UK, Rn. 60 ff. 71 Vgl. wiederum BVerfGE 107, S. 395, 401 ff.; ausdrücklich in diesem Sinne Isensee/Kirchhof-Papier, HStR VIII, § 176, Rn. 17; Sachs-Degenhart, GG, Art. 103, Rn. 13 jeweils mwN. 72 Siehe bereits oben III. 1. a. 69 70
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damit auf eine explizite Normierung verzichtet.73 Doch auch im Hinblick auf die Ratio des Art. 19 IV GG und des Justizgewährungsanspruches erscheint ein inhaltlicher Gleichlauf konsistent. Für den jeweiligen Grundrechtsberechtigten geht es um die Durchsetzung seiner (Grund-) Rechtspositionen. Ob diese Durchsetzung gegenüber dem Staat oder einem anderen Privaten erfolgt, ist für den Berechtigten und den Schutz seiner Rechte von geringerem Interesse. Daher wird berechtigterweise ein inhaltlicher Gleichlauf zwischen dem explizit normierten Art. 19 IV GG und dem implizit aus Rechtsstaatsprinzip und Grundrechten hergeleiteten Justizgewährungsanspruch und allgemein ein effektiver Rechtsschutz für die Durchsetzung aller (Grund-) Rechtspositionen gegenüber dem Staat, wie auch gegenüber Privaten angenommen.74 Dieser Gleichlauf der Rechtsschutzgewährleistung muss sodann jedoch nicht allein den Gewährleistungsgehalt, sondern vielmehr auch die Grenzen von Art. 19 IV GG und dem Justizgewährungsanspruch umfassen. Art. 19 IV GG beinhaltet keine geschriebene Schranke. Es handelt sich daher nach wohl allgemeiner und richtiger Auffassung um ein vorbehaltlos gewährleistetes prozessuales Grundrecht.75 Dementsprechend stellen sich auch der Justizgewährungsanspruch und das daraus folgende Recht auf Beweis als vorbehaltlos gewährleistete prozessuale Grundrechte dar. In seiner vorbehaltlosen Gewährleistung spiegelt sich zudem die Bedeutung des Rechts auf Beweis im Gesamtsystem des Grundgesetzes als einer wesentlichen Grundlage für die effektive Durchsetzung eigener (Grund-) Rechte wider. Dieses vorbehaltlos gewährleistete Recht auf Beweis unterliegt jedoch wiederum einer ungeschriebenen Schranke zum Zwecke der Auflösung von Grundrechtskollisionen: Auch für das Grundgesetz gilt es seine innere Konsistenz und Widerspruchsfreiheit zu wahren. Das Recht auf Beweis im Grundgesetz ist hiernach durch kollidierende Grundrechte bzw. Allgemeingüter von Verfassungsrang einschränkbar. Einer weitergehenden Einschränkbarkeit durch eine Schrankenleihe hat das Bundesverfassungsgericht demgegenüber richtigerweise eine Absage erteilt.76 Das Grundgesetz beinhaltet eine differenzierte Schrankensystematik mit einer Vielzahl geschriebener Schranken. Die Normierung eines Grundrechtes ohne geschriebene Schranke ist daher eine bewusste Entscheidung des Verfassungsgebers, so dass eine „analoge“ Anwendung von Schranken auf andere Grundrechte dieser Systematik widerspricht.
73 Ausführlich zur Historie des Justizgewährungsanspruches Uhle, FS-Würtenberger, S. 935 ff. und Maurer, FS-BVerfG II, S. 467 ff. jeweils mwN. 74 Siehe wiederum die obigen Nachweise III. 1. a. 75 Siehe ausführlich oben III. 1. a. 76 Vgl. wiederum BVerfGE 30, S. 173, 191 ff. und BVerfGE 47, S. 327, 368 ff. (Kunstfreiheit); BVerfGE 52, S. 223, 246 f. (Religionsfreiheit).
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2. Die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC Nachdem nun die grundsätzliche Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis herausgearbeitet wurde, sollen in der Folge die formellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer solchen Einschränkung in den Blick genommen werden. a) Die Einschränkung des Justizgewährungsanspruches im GG Für das Grundgesetz gilt es daher auch insoweit die Anforderungen von Rechtsprechung und Literatur an eine Einschränkung des Justizgewährungsanspruches zu beleuchten. aa) Erfordernis einer hinreichend bestimmten, gesetzlichen Regelung Das Bundesverfassungsgericht geht in Übereinstimmung mit dem Schrifttum davon aus, dass auch vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte einer gesetzlichen Regelung ihrer Einschränkung bedürfen.77 In der Literatur wird insbesondere mit einem ErstRecht-Schluss argumentiert: Wenn bereits diejenigen Grundrechte, die expliziten Einschränkungen unterliegen, einer solchen gesetzlichen Regelung ihrer Einschränkungen bedürfen, so müsse dies erst recht für solche Grundrechte gelten, die qua Verfassung grundsätzlich keinerlei – geschriebenen – Einschränkungen unterliegen.78 Das Bundesverfassungsgericht hat für die Einschränkbarkeit vorbehaltloser Grundrechte gleichfalls eine gesetzliche Regelung dieser Einschränkung gefordert.79 Hintergrund ist nach dem Verfassungsgericht, dass jede Einschränkung vorbehaltloser Grundrechte einer Abwägung kollidierender Grundrechte bzw. Allgemeingüter bedarf. Diese Befugnis, kollidierende Verfassungsgüter miteinander in Einklang zu bringen, sei primär dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber zugewiesen.80 Sodann gilt es die konkreten Anforderungen an diese gesetzliche Regelung zu klären. Wenn man mit dem Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass die Befugnis zur Abwägung kollidierender Verfassungsgüter in erster Linie dem Gesetzgeber zugewiesen ist, so liegt es nahe, vom Erfordernis eines Parlamentsvorbehaltes 77
In diesem Sinne etwa BVerfGE 108, S. 282, 297; ebenso BVerfG NVwZ 2008, S. 547, 549 und BVerfGE 122, S. 89, 107; BVerfGE 128, S. 1, 41 f.; zustimmend Merten/Papier-Bethge, HGR III, § 72, Rn. 47 ff.; Isensee/Kirchhof-Isensee, HStR IX, § 190, Rn. 172; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 141 ff. jeweils mwN. 78 In diesem Sinne Lübbe-Wolff, Eingriffsabwehrrechte, S. 94 ff.; ebenso Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 141 ff.; ähnlich Mertens/Papier-Bethge, HGR III, § 72, Rn. 68 ff., der jedoch davon ausgeht, dass der Gesetzgeber die von der Verfassung selbst gezogenen Grenzen in seinem Gesetz lediglich „nachzeichnen“ würde. 79 In diesem Sinne BVerfGE 108, S. 282, 311 f.; BVerfG NVwZ 2008, S. 547, 548 f.; BVerfGE 122, S. 89, 107. 80 Vgl. wiederum BVerfGE 108, S. 282, 311 f.; BVerfG NVwZ 2008, S. 547, 548 f.
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auszugehen.81 Eine gesetzliche Regelung unterliegt außerdem dem Gebot der hinreichenden Normenklarheit und -bestimmtheit.82 Der Bestimmtheitsgrundsatz fordert nach Rechtsprechung und Literatur, dass eine gesetzliche Regelung so klar formuliert sein muss, dass der Betroffene die Regelung – gegebenenfalls unter Einholung von Rechtsrat – verstehen und sein Verhalten an diesem Ge- bzw. Verbot ausrichten kann.83 Allerdings ist es dem Gesetzgeber auch nach dem Bundesverfassungsgericht erlaubt, unbestimmte Rechtsbegriff und Generalklauseln in seinen Gesetzen zu verwenden, sofern diese Regelungen zumindest einer Auslegung und Konkretisierung durch die Gerichte zugänglich sind.84 Generell sind die Anforderungen an die Bestimmtheit umso höher, je intensiver eine gesetzliche Regelung in den Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts eingreift.85 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht bereits früh die sog. Wesentlichkeitslehre als eine weitere Anforderung an die Bestimmtheit von Parlamentsgesetzen entwickelt.86 Der parlamentarische Gesetzgeber hat hiernach im grundrechtsrelevanten Bereich die wesentlichen Entscheidungen über die Ausgestaltung und Einschränkung von Grundrechten in seinen gesetzlichen Regelungen selbst zu treffen.87 Zwar wurde die Wesentlichkeitslehre in erster Linie im Hinblick auf eine Beschränkung der Delegation grundrechtsrelevanter Fragen an die Verwaltung entwickelt.88 Doch erscheint diese Lehre grundsätzlich für alle Fallgestaltungen einer Abwägung kollidierender Verfassungsgüter einschlägig. Nach dem Verfassungsge81
Siehe erneut BVerfGE 108, S. 282, 311 f.; BVerfG NVwZ 2008, S. 547, 548 f. Vgl. bereits BVerfGE 31, S. 255, 264; ausführlich BVerfGE 131, S. 88, 122 f.; aus der Literatur siehe Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 128 ff.; v. Mangoldt/Klein/ Stark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 289 f.; Sachs-Sachs, Art. 20, Rn. 123 ff. jeweils mwN. 83 Vgl. BVerfGE 31, S. 255, 264; BVerfGE 84, S. 133, 149; BVerfGE 131, S. 88, 122 f.; SachsSachs, GG, Art. 20, Rn. 123 ff.; v. Mangoldt/Klein/Stark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 289 ff.; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 128 ff. 84 In diesem Sinne bereits BVerfGE 31, S. 255, 264; ebenso BVerfGE 84, S. 133, 149; zustimmend Sachs-Sachs, GG, Art. 20, Rn. 123 ff.; v. Mangoldt/Klein/Stark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 290; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 133 ff. 85 Diesen Zusammenhang betont bereits BVerfGE 59, S. 104, 114; in jüngster Zeit BVerfGE 131, S. 88, 123 mwN aus der Rechtsprechung; zustimmend v. Mangoldt/Klein/Stark-Sommer mann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 291; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 135. 86 Grundlegend bereits BVerfGE 33, S. 125, 158 ff.; seitdem st. Rspr., siehe etwa BVerfGE 101, S. 1, 34; BVerfGE 108, S. 283, 311 f. und in neuerer Zeit BVerfGE 123, S. 39, 78 f.; zustimmend aus der Literatur etwa Sachs-Sachs, GG, Art. 20, Rn. 86 und 117; v. Mangoldt/Klein/Stark-Som mermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 273 ff. und 291; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113 ff. jeweils mwN. 87 Vgl. BVerfGE 33, S. 125, 158 ff.; instruktiv auch BVerfGE 108, S. 282, 311 f. 88 So etwa in BVerfGE 33, S. 125, 158 ff. zu einer Rechtssetzung von Körperschaften; zur Entwicklung der Wesentlichkeitslehre v. Mangoldt/Klein/Stark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 186 f. und 273 ff. und Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113 ff. 82
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richt ist stets eine Regelung der wesentlichen, grundrechtsrelevanten Abwägungen durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber selbst zu fordern.89 bb) Weitere formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Einschränkung Darüber hinausgehend bedarf eine einschränkende gesetzliche Regelung nach Rechtsprechung und Literatur in formeller Hinsicht der Einhaltung des Dreiklanges von Zuständigkeit, Verfahren und Form: Die Zuständigkeit für eine gesetzliche Regelung des Zivilprozessrechts als Teil des „gerichtlichen Verfahrens“ iSd Art. 74 I Nr. 1 GG liegt unstreitig in der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes, welcher von seiner Kompetenz für die großen Kodifikationen der ZPO, VwGO und StPO abschließend Gebrauch gemacht hat.90 In verfahrensrechtlicher Hinsicht sind die Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren der konkurrierenden Gesetzgebung in den Art. 76 ff. GG zu beachten. Die gesetzliche Regelung muss unter Einhaltung der wesentlichen Verfahrensschritte im Grundgesetz und in der jeweiligen Geschäftsordnung mit entsprechender Mehrheit des Bundestages und – je nach Gesetz – auch des Bundesrates beschlossen werden.91 Als Formerfordernisse bedarf jedes Parlamentsgesetz nach Art. 82 I S. 1 GG der Unterzeichnung und Ausfertigung durch den Bundespräsidenten. Darüber hinaus werden die Gesetze nach Art. 82 I S. 1 GG im Bundesgesetzblatt verkündet und damit der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.92 Die weitergehenden Formerfordernisse eines Verbotes von Einzelfallgesetzen nach Art. 19 I S. 1 GG und des Zitiergebotes nach Art. 19 I S. 2 GG finden demgegenüber nach dem Bundesverfassungsgericht auf vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte keine Anwendung.93
89 In diesem Sinne BVerfGE 83, S. 130, 142; ebenso die instruktive Entscheidung in BVerfGE 108, S. 282, 311 f. und in neuerer Zeit BVerfG NVwZ 2008, S. 547, 548 f.; zustimmend v. Mangoldt/Klein/Stark-Sommermann, GG, Bd. 2, Art. 20, Rn. 291; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 2, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 113 ff. jeweils mwN. 90 Vgl. BVerfGE 37, S. 191, 198 für die VwGO; siehe auch BVerfGE 113, S. 348, 370 ff.; die Zivilprozessordnung unterfällt als Regelungsgegenstand unstreitig Art. 74 I Nr. 1 ZPO, siehe etwa Sachs-Degenhart, GG, Art. 74, Rn. 22 f.; v. Mangoldt/Klein/Stark-Oeter, GG, Bd. 2, Art. 74, Rn. 26 f.; Dreier-Wittreck, GG, Bd. 2, Art. 74, Rn. 23. 91 Ausführlich zum Gesetzgebungsverfahren Frenzel, JuS 2010, S. 27 ff. und 119 ff. 92 Zu den allgemeinen Formerfordernissen siehe Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 37 ff. und Merten/Papier-Degenhart, HGR III, § 61, Rn. 74; zu den Anforderungen des Art. 82 I GG siehe Dreier-Bauer, GG, Bd. 2, Art. 82, Rn. 8 ff. und Sachs-Nierhaus, GG, Art. 82, Rn. 3 ff. 93 Vgl. BVerfGE 25, S. 371, 398 zu Art. 19 I S. 1 GG; bestätigt in BVerfGE 95, S. 1, 17; BVerfGE 24, S. 367, 396 f. zu Art. 19 I S. 2 GG; bestätigt etwa in BVerfGE 64, S. 72, 79 f. und BVerfGE 83, S. 130, 154; etwas andere Akzente setzt demgegenüber BVerfGE 85, S. 386, 403 f.; zustimmend insbesondere das Teile des älteren Schrifttums, siehe Kilian, Zitiergebot, S. 19 ff.; aA demgegenüber die neuere Literatur, siehe etwa Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 40; Merten/Papier-Lege, HGR III, § 66, Rn. 13 jeweils mwN.
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b) Die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 6 I EMRK Im Anschluss sind nun die formellen Anforderungen an eine Einschränkung des Rechts auf ein faires Verfahrens aus Art. 6 I EMRK in Rechtsprechung und Literatur zu analysieren. aa) Erfordernis einer gesetzlichen Regelung der Einschränkung Dieses Erfordernis einer gesetzlichen Regelung von Einschränkungen wird etwa durch die geschriebenen Schranken der Art. 8 II und 10 II EMRK ausdrücklich vorgesehen. Ein solches, geschriebenes Erfordernis einer gesetzlichen Regelung findet sich für Einschränkungen des Art. 6 I EMRK gerade nicht. Allerdings betont der EGMR stets die große Bedeutung des Rechts auf Zugang zu einem fairen Verfahren für eine rechtsstaatliche Demokratie insgesamt.94 Ausgehend von dieser Bedeutung tendiert der EGMR in einigen Entscheidungen zum Erfordernis einer gesetzlichen Regelung jeder Einschränkung des Art. 6 EMRK.95 Indes hat der EGMR in seiner bisherigen Rechtsprechung zu den geschriebenen Gesetzesvorbehalten der Art. 8 II und 10 II EMRK keine hohen Anforderungen an ein solches Gesetz gestellt: Es genügt hiernach jede Regelung, die sich nur entfernt auf ein Parlamentsgesetz zurückführen lässt.96 Die Zurückhaltung des EGMR bei der Ausfüllung des Gesetzesvorbehaltes wird insbesondere im Hinblick auf die Mitgliedschaft von common law Staaten in der EMRK erklärlich.97 bb) Hinreichende Bestimmtheit und allgemeine Zugänglichkeit der Regelung Ausgehend von diesen Staaten hat der EGMR jedoch zugleich weitere Anforderungen an ein Gesetz iSd Art. 8 II und Art. 10 II EMRK entwickelt und in der Folge explizit auf alle Konventionsstaaten erstreckt: Ein solches Gesetz muss allgemein zugänglich und hinreichend bestimmt sein.98 Zugänglichkeit meint die Möglichkeit der Grundrechtsberechtigten, sich ohne größere Schwierigkeiten darüber informie94 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 10.01.2006, 48140/99, Teltronic-Catv ./. PL, Rn. 63; und EGMR, Urteil vom 19.05.2015, 23257/04, Falie ./. RO, Rn. 21 jeweils mwN. 95 In diesem Sinne insbesondere EGMR, Urteil vom 15.10.2009, 32921/03, Kohlhofer and Minarik ./. Czech, Rn. 94 ff.; ausführlich aus der Literatur Riekhoff, Vorbehalt des Gesetzes, S. 143 ff. 96 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 26.04.1979, 6538/74, Sunday Times ./. UK, Rn. 46 ff. = EuGRZ 1979, S. 386, 387; siehe auch die ausführliche Analyse von Weiß, Gesetz, S. 57 ff.; ebenfalls ausführlich Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 23 ff. jeweils mwN. 97 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 26.04.1979, 6538/74, Sunday Times ./. UK, Rn. 46 ff. = EuGRZ 1979, S. 386, 387; ähnlich Riekhoff, Vorbehalt des Gesetzes, S. 145 ff.; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 720 ff. 98 Vgl. wiederum die Ausführungen von EGMR, Urteil vom 26.04.1979, 6538/74, Sunday Times ./. UK, Rn. 49 ff. = EuGRZ 1979, S. 386, 387 f. für einen common law Staat; bestätigt in EGMR, Urteil vom 15.11.1996, 17862/91, Contoni ./. FRA, Rn. 29 ff. für einen civil law Staat;
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ren zu können, welchen Regelungen sie konkret unterworfen sind.99 Die hinreichende Bestimmtheit eines Gesetzes fordert darüber hinaus, dass die dem Gesetz Unterworfenen zumindest unter Zuhilfenahme von Rechtsrat in der Lage sind zu erkennen, welche Handlungsanforderungen die Regelung an sie stellt, um ihr Verhalten danach ausrichten zu können.100 Allerdings stellt der EGMR insoweit keine hohen Anforderungen. Vielmehr wird gerade für Parlamentsgesetze das Erfordernis von Generalklauseln und ein gewisses Maß an Unbestimmtheit abstrakt-genereller Regelungen anerkannt.101 c) Die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 47 II S. 1 GRC Weiterhin sind auch die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 47 II S. 1 GRC in Rechtsprechung und Literatur zu untersuchen. aa) Erfordernis einer hinreichend bestimmten und zugänglichen Regelung Nach der geschriebenen Schranke des Art. 52 I GRC erfordert jede gerechtfertigte Grundrechtsbeschränkung eine gesetzliche Regelung dieser Einschränkung. Das Erfordernis einer solchen gesetzlichen Regelung wurde durch den EuGH bereits früh nach dem Vorbild der EMRK entwickelt.102 Die Literatur geht in Anlehnung an den EGMR und im Hinblick auf die common law Staaten davon aus, dass letztlich ein Gesetz im materiellen Sinne dem Gesetzesvorbehalt genügt.103 Erforderlich ist eine zustimmend Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 720 ff. und Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 29 ff. jeweils mwN. 99 So wiederum EGMR, Urteil vom 26.04.1979, 6538/74, Sunday Times ./. UK, Rn. 49 ff. = EuGRZ 1979, S. 386, 387 f.; siehe auch EGMR, Urteil vom 28.03.1990, 10890/84, Groppera Radio AG and others ./. CH, Rn. 65 ff. = EuGRZ 1990, S. 255, 257 f.; ausführlich auch Weiß, Gesetz, S. 103 ff. 100 Vgl. erneut EGMR, Urteil vom 26.04.1979, 6538/74, Sunday Times ./. UK, Rn. 49 ff. = EuGRZ 1979, S. 386, 387 f.; EGMR, Urteil vom 15.11.1996, 17862/91, Contoni ./. FRA, Rn. 29 ff.; siehe auch Weiß, Gesetz, S. 141 ff. 101 In diese Richtung äußert sich etwa EGMR, Urteil vom 15.11.1996, 17862/91, Contoni ./. FRA, Rn. 29 ff.; siehe auch EGMR, Urteil vom 24.05.1988, 10737/84, Müller and others ./. CH, Rn. 29 ff.; zustimmend Weiß, Gesetz, S. 141 mwN aus der Rechtsprechung. 102 Dieses Erfordernis wurde bereits entwickelt in EuGH, Rs. C-46/87, Slg. 1989, 02859, Rn. 19 – Hoechst / Kommission; ausführlich zu dieser Entwicklung Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 75 ff. mwN. 103 Vgl. den Verweis auf die Rechtsprechung des EGMR in EuGH, Rs. C-274/99, Slg. 2001, I-01611, Rn. 42 – Conolly / Kommission und EuGH Rs. C-465/00, Slg. 2003, I-04989, Rn. 77 – Österreichischer Rundfunk u. a.; ausführlich Ibing, Einschränkung, S. 343 ff. und Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 75 ff.; zustimmend auch Grabenwarter-Cornils, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 5 Rn. 91 ff.; Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, S. 172 ff. jeweils mwN.; ähnlich Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 26 ff., der eine Parlamentsbeteiligung grundsätzlich als verzichtbar ansieht unter Verweis auf EuGH, Rs. C-130/10, Rn. 83 f. – Parlament / Rat.
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abstrakt-generelle Regelung, die sich zumindest auf ein Parlamentsgesetz zurückführen lässt.104 Als weitere Voraussetzungen fordert der EuGH in Anlehnung an den EGMR die Zugänglichkeit und hinreichende Bestimmtheit der gesetzlichen Regelung: Das Merkmal der Zugänglichkeit meint die Möglichkeit des Grundrechtsberechtigten, sich über die gesetzliche Regelung zu informieren.105 Die hinreichende Bestimmtheit erfordert weitergehend, dass es dem Berechtigten – ggf. unter Zuhilfenahme von Rechtsrat – möglich ist zu erkennen, welche Ge- bzw. Verbote die gesetzliche Regelung aufstellt, um sein Verhalten hiernach ausrichten zu können.106 Der EuGH stellt jedoch gleichfalls keine hohen Anforderungen an die Bestimmtheit gesetzlicher Regelungen. Vielmehr hat der Gerichtshof betont, dass ein gewisses Maß an Unbestimmtheit in der Natur von Gesetzen als abstrakt-generellen Regelungen liegt und der Gesetzgeber auch mit weiten Tatbestandsmerkmalen arbeiten darf.107 bb) EuGH: Entwicklung einer Wesentlichkeitstheorie Auf der anderen Seite hat der EuGH in seiner Rechtsprechung angedeutet, dass die wesentlichen Entscheidungen einer Einschränkung von Grundrechten durch den parlamentarischen Gesetzgeber in der gesetzlichen Regelung selbst getroffen werden müssen.108 Der Gesetzgeber kann mithin weite Tatbestandsmerkmale verwenden, darf aber grundrechtsrelevante Fragen nicht ausschließlich einer etwaigen Ausformung durch Exekutive und Judikative überlassen, sondern muss diese Fragen selbst regeln.109 Diese Entwicklung durch den EuGH weist deutliche Parallelen zur Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts auf.110 Diese höheren Anforderungen an die Einschränkbarkeit von Grundrechten im Vergleich zur EMRK dürfin diesem Sinne Kober, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S. 196 f.; ähnlich auch Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 75 ff. 105 Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-274/99, Slg. 2001, I-01611, Rn. 42 – Conolly / Kommission und EuGH Rs. C-465/00, Slg. 2003, I-04989, Rn. 77 – Österreichischer Rundfunk u.a; zustimmend Ibing, Einschränkung, S. 349 f. und Bühler, Einschränkung von Grundrechte, S. 85 ff. jeweils mwN. 106 In diesem Sinne erneut EuGH, Rs. C-274/99, Slg. 2001, I-01611, Rn. 42 – Conolly / Kom mission und EuGH Rs. C-465/00, Slg. 2003, I-04989, Rn. 77 – Österreichischer Rundfunk u.a; unter Zustimmung von Ibing, Einschränkung, S. 349 f. und Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 85 ff. jeweils mwN. 107 Instruktiv die Ausführungen von EuGH, Rs. C-133/85, Slg. 1987, 00289, Rn. 31 – Rau / BALM; ausführlich auch Hammer-Strnad, Bestimmtheitsgebot, S. 59 ff. und 144 ff.; siehe auch Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 85 ff. jeweils mwN. 108 Vgl. in neuerer Zeit EuGH, Rs. C-355/10, Rn. 64 – Parlament/ Rat mwN; ausführlich Rö der, europäische Wesentlichkeitstheorie, S. 208 ff. mwN; zustimmend auch Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52, Rn. 20a. 109 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-355/10, Rn. 64 – Parlament/ Rat; ebenso Röder, europäische Wesentlichkeitstheorie, S. 208 ff. mwN. 110 Vgl. die obige Darstellung III. 2. a. 104 Ausdrücklich
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ten nach Art. 52 III S. 2 GRC grundsätzlich zulässig sein – fraglich erscheint dies jedoch für multipolare Rechtsverhältnisse. Insoweit gilt es die zukünftigen Rechtsprechungstendenzen von EGMR und EUGH abzuwarten. d) Eigene Ansicht Aufbauend auf diesen Erkenntnissen aus Rechtsprechung und Literatur sollen nun die formellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta als eigene Ansicht entwickelt werden. aa) Erfordernis einer gesetzlichen Regelung jeder Einschränkung Die wesentliche formelle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist auch nach hier vertretener Auffassung in einer hinreichend bestimmten und allgemein zugänglichen gesetzlichen Regelung einer Einschränkung des Rechts auf Beweis zu sehen. Dafür spricht insbesondere, dass eine Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis nach den bisherigen Feststellungen in allen drei Grundrechtsordnungen allein durch kollidierende Grundrechte bzw. Allgemeingüter gleichen Ranges möglich ist. Es bedarf somit im Rahmen einer jeden Einschränkung des Rechts auf Beweis einer Abwägung zwischen verschiedenen Grundrechten bzw. Allgemeingütern von Verfassungsrang. Dem Bundesverfassungsgericht ist in seiner Forderung zuzustimmen, dass solche grundlegenden Abwägungen zwischen Grundrechten bzw. Allgemeingütern entsprechenden Ranges grundsätzlich allein dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber vorbehalten sind und jede Einschränkung einer gesetzlichen Regelung bedarf.111 Der Gesetzgeber weist die höchste demokratische Legitimation auf und repräsentiert daher den Willen der durch das Grundgesetz Berechtigten. In diesem Sinne ist er dazu berufen, etwaige Grundrechtskollisionen aufzulösen und entsprechende Abwägungsentscheidungen zu treffen. Hinzu kommt, dass eine gesetzliche Regelung ein hohes Maß an Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit für die von der Grundrechtskollision betroffenen Grundrechtsberechtigten schafft. Weiterhin spricht auch die Bedeutung des Rechts auf Beweis im Gesamtsystem der jeweiligen Grundrechtsordnung für das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung. Das Recht auf Beweis gewährleistet eine effektive Nachweismöglichkeit der eigenen Rechte vor Gericht und bildet damit einen wichtigen Baustein zur Durchsetzung eigener (Grund-) Rechte. Daher dient das Recht auf Beweis der Effektuierung aller materiellen Grundrechte und nimmt nach hier vertretener Ansicht einen zentralen Platz im System der jeweiligen Grundrechtsordnung iSe Gewährleistung effektiven Grundrechtsschutzes ein. Auch im Hinblick auf diese skizzierte Bedeutung erscheint es
111
Vgl. etwa BVerfGE 108, S. 282, 311 f.; ausführlich oben III. 2. a.
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angemessen, eine Einschränkung des Rechts auf Beweis vom Erfordernis einer gesetzlichen Regelung abhängig zu machen. Diese Argumente für das grundsätzliche Erfordernis einer gesetzlichen Regelung lassen zugleich Rückschlüsse auf die Art der gesetzlichen Regelung zu: Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis bedarf grundsätzlich eines Parlamentsgesetzes bzw. der Anwendung eines Parlamentsgesetzes im Einzelfall. Dem Recht auf Beweis als ein vorbehaltlos gewährleistetes Grundrecht sind Abwägungen kollidierenden Verfassungsrechts im Rahmen der Frage seiner Einschränkbarkeit zwangsläufig immanent. Eine solche Abwägung kann richtigerweise allein durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber getroffen werden.112 Eine Ausnahme von diesem Parlamentsvorbehalt erscheint allein für diejenigen Konventions- bzw. Mitgliedstaaten von EMRK und Grundrechtecharta angemessen, die einer common law Tradition und damit einer auf Richterrecht basierenden Rechtsentwicklung folgen.113 Unterschiedliche Rechtstraditionen werden von den beiden europäischen Gerichtshöfen richtigerweise respektiert, so dass für die common law Staaten als gesetzliche Regelung ausnahmsweise ein Gesetz im materiellen Sinne zu fordern ist.114 Für das vorliegend primär interessierende, deutsche Rechtssystem und die ZPO verbleibt es jedoch bei dem Grundsatz, dass jede Einschränkung des Rechts auf Beweis nach Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta auf einem Parlamentsgesetz basieren, mithin durch oder aufgrund einer abstrakt-generellen Regelung des demokratisch legitimierten Gesetzgebers erfolgen muss. bb) Wesentlichkeitstheorie Die gesetzliche Regelung einer Einschränkung des Rechts auf Beweis muss zudem auch nach hier vertretener Ansicht allgemein zugänglich und hinreichend bestimmt sein.115 Die Zugänglichkeit fordert, dass die Grundrechtsberechtigten sich über eine einschränkende Regelung informieren können. Allerdings genügt eine entsprechende Veröffentlichung in einem öffentlich zugänglichen Gesetzesblatt, so dass diese Anforderung bei formellen Gesetzen in aller Regel eingehalten sein wird. Die hinreichende Bestimmtheit möchte den Grundrechtsberechtigten in die Lage versetzten, erkennen zu können, welche Einschränkungen eine Regelung beinhaltet und welche Anforderungen an ihn gestellt werden. Dabei muss jedoch an dieser Stelle umgekehrt auf die civil law Staaten Rücksicht genommen werden: Abstraktgenerelle Regelungen mitsamt etwaiger Generalklauseln sind auch nach diesem Kriterium möglich. Entscheidend ist, dass der Grundrechtsberechtigte die Einschränkungen erkennen und sein Verhalten an der Regelung ausrichten kann. Weitergehend 112
In diesem Sinne auch das Bundesverfassungsgericht, siehe oben III. 2. a. Vgl. hierzu die Rechtsprechung von EGMR und EuGH oben III. 2. b. und c. 114 Vgl. wiederum oben III. 2. a. und b. 115 Siehe hierzu die Nachweise oben III. 2. a.–c. 113
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fordert die grundlegende Bedeutung des Rechts auf Beweis auch die Geltung der Wesentlichkeitstheorie iSe Normierung der wesentlichen grundrechtsrelevanten Fragen durch den Gesetzgeber innerhalb der gesetzlichen Regelung einer Einschränkung. Insbesondere muss aus dem Gesetz selbst ersichtlich sein, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang eine Einschränkung stattfindet.116 cc) Einhaltung der weiteren, formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen des GG Die gesetzliche Regelung einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta durch den deutschen Gesetzgeber muss auch die weiteren formellen Rechtmäßigkeitsanforderungen erfüllen, die insbesondere das Grundgesetz an jede gesetzliche Regelung stellt: Die Einhaltung von Zuständigkeit, Verfahren und Form. Die Zuständigkeit zur Regelung des Zivilprozessrechts unterfällt nach richtiger Ansicht dem „gerichtlichen Verfahren“ iSd Art. 74 I Nr. 1 GG und damit der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes, welcher von dieser Kompetenz abschließend Gebrauch gemacht hat.117 Das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren richtet sich nach den Art. 76 ff. GG. Es sind die wesentlichen Verfahrensvorschriften dieser Artikel wie auch der Geschäftsordnung des Bundestages einzuhalten. Es bedarf einer parlamentarischen Mehrheit für den Gesetzesentwurf und – je nach Gesetz – einer ordnungsgemäßen Beteiligung des Bundesrates.118 Die allgemeinen Anforderungen an jedes Parlamentsgesetz folgen aus Art. 82 GG. Ein Gesetz bedarf der Unterschrift des Bundespräsidenten sowie seiner Ausfertigung und Verkündung im Bundesgesetzblatt. Mit dieser Veröffentlichung wird zugleich den Anforderungen an die Zugänglichkeit der gesetzlichen Regelung Genüge getan.119 Außerdem spricht nach hier vertretener Auffassung viel für eine Anwendung der speziellen Formerfordernisse des Art. 19 I S. 1 und 2 GG auf vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte wie das Recht auf Beweis.120 Allein der Wortlaut des Art. 19 I S. 1 und 2 GG mit seiner Forderung nach einer Einschränkung „durch oder aufgrund eines Gesetzes“ erscheint entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht als hinreichende Argumentationslinie, da die fehlende explizite Einschränkbarkeit einem vorbehaltlos gewährleisteten Grundrecht naturgemäß immanent ist und ihre Einschränkbarkeit dennoch zum Zwecke der Konsistenz des Grundgesetzu dieser Frage auch Röder, europäische Wesentlichkeitstheorie, S. 208 ff. Vgl. die Nachweise oben III. 2. a. bb. 118 Siehe wiederum III. 2. a. bb. 119 Vgl. zu diesen Anforderungen nach Rechtsprechung und Literatur oben III. 2. a.–c. 120 So auch die h.L. siehe etwa Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 40; Merten/ Papier-Lege, HGR III, § 66, Rn. 13; Sachs-Sachs, Art. 19, Rn. 16 ff.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Art. 19 I, Rn. 11 (Art. 19 I 1 GG) und Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 44 f.; Merten/Papier-Axer, HGR III, § 67, Rn. 25 f.; Sachs-Sachs, Art. 19, Rn. 29 f.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Art. 19 I, Rn. 27 f. (Art. 19 I 2 GG) jeweils mwN. 116 Ausführlich 117
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zes von vornherein in der Verfassung angelegt ist.121 Vielmehr spricht insbesondere der Telos der Norm klar für eine Anwendung des Art. 19 I S. 1 und 2 GG auf vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte: Dem Schrifttum ist darin zuzustimmen, dass eine Nichtanwendung dahingehend widersprüchlich erschiene, dass vorbehaltlos gewährleistete Grundrechte in letzter Konsequenz unter weniger strengen formellen Voraussetzungen einschränkbar wären, als Grundrechte mit einem geschriebenen Gesetzesvorbehalt.122 Mithin finden auch die Formerfordernisse des Art. 19 I S. 1 und 2 GG auf eine einschränkende gesetzliche Regelung des deutschen Gesetzgebers für das Recht auf Beweis Anwendung.
3. Die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC Abschließend sollen nun auch die materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer einschränkenden gesetzlichen Regelung des Rechts auf Beweis analysiert werden. a) Die Einschränkung des Justizgewährungsanspruches im GG Für das Grundgesetz gibt es nach Rechtsprechung und Literatur zwei zentrale Voraussetzungen der materiellen Rechtmäßigkeit einer Einschränkung zu beachten: Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG. aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Das Bundesverfassungsgericht wendet auf die einschränkende gesetzliche Regelung des Justizgewährungsanspruches die allgemeine Grundrechtsdogmatik an.123 Die erste Grenze einer jeden Einschränkung des Justizgewährungsanspruches ist daher nach allgemeinen Grundsätzen in der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erblicken. (1) Modifizierte Anwendbarkeit auf den Justizgewährungsanspruch Das Bundesverfassungsgericht verwendet in seinen Entscheidungen zum Justizgewährungsanspruch teils explizit den Terminus des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, teils auch die Formulierung einer „unangemessenen, aus Sachgründen nicht mehr zu 121
In diesem Sinne aber die Argumentation von BVerfGE 64, S. 72, 79 f. So insbesondere Merten/Papier-Lege, HGR III, § 66, Rn. 1 und Singer, DÖV 2007, S. 496, 498 jeweils mwN. 123 Vgl. etwa zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Entscheidungen, BVerfGE 88, S. 118, 123 ff.; BVerfGE 93, S. 99, 107 f.; BVerfGE 101, S. 106, 124 f.; BVerfG-K 4, S. 137, 140; BVerfGE 116, S. 1, 18 f. 122
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rechtfertigenden Einschränkung“.124 Inhaltlich entspricht diese Formulierung dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.125 Allerdings modifiziert das Verfassungsgericht die Prüfung teilweise und lässt insbesondere einzelne Prüfungsschritte entfallen.126 In den ausführlicheren Prüfungen zeigt sich jedoch, dass das Verfassungsgericht die allgemeinen Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrund satzes inhaltlich gleichermaßen auf den Justizgewährungsanspruch anwendet: Jede einschränkende Regelung muss somit ein legitimes Ziel verfolgen, zu dessen Erreichen geeignet und erforderlich sein und abschließend ein angemessenes Verhältnis zwischen angestrebtem Ziel und verwendetem Mittel aufweisen.127 (2) Erfordernis eines legitimen Zieles Ein legitimes Ziel einer einschränkenden Regelung kann für den Justizgewährungsanspruch nur in kollidierenden Grundrechten bzw. Allgemeingütern von Verfassungsrang zu sehen sein.128 Diese Ziele müssen klar anhand der einzelnen Verfassungsbestimmungen herausgearbeitet werden. Eine Formulierung allgemeiner Ziele genügt hiernach nicht.129 (3) Geeignetheit und Erforderlichkeit einer Einschränkung Eine einschränkende Regelung muss auch geeignet und erforderlich sein, das legitime Ziel zu erreichen. Geeignet ist ein Mittel, wenn es die Erreichung des legitimen Zieles fördert, wobei nach Rechtsprechung und Literatur bereits ein Minimum an Förderung genügt, solange die Erreichung überhaupt möglich ist.130 Selbst ein teil124 St. Rspr., vgl. etwa BVerfGE 69, S. 381, 385 f.; BVerfGE 85, S. 337, 347; in neuerer Zeit siehe BVerfG-K 10, S. 258, 260 f. und BVerfG-K 11, S. 48, 53 jeweils mwN. 125 Besonders deutlich zeigt sich die Identität in Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht diese Formulierungen synonym verwendet, so insbesondere in BVerfGE 88, S. 118, 124 und BVerfGE 93, S. 99, 107 f. 126 Vgl. wiederum BVerfGE 88, S. 118, 124 (Beschränkung auf legitimes Ziel und Angemessenheit) und BVerfGE 93, S. 99, 107 (Beschränkung auf eine Gesamtabwägung iSd Angemessenheit) 127 Eine ausführliche Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Bezug auf den Justizgewährungsanspruch findet sich in BVerfGE 101, S. 106, 124 ff.; allgemein zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz siehe bereits BVerfGE 16, S. 194, 201 f.; instruktiv BVerfGE 118, S. 168, 193; aus der Literatur ausführlich Merten/Papier-Merten, HGR III, § 68, Rn. 1 ff. und Isensee/Kirchhof-Hill gruber, HStR IX, § 201, Rn. 51 ff. jeweils mwN. 128 Vgl. bereits BVerfGE 28, S. 243, 260 f.; ebenso BVerfGE 81, S. 278, 292 f.; in neuerer Zeit BVerfGE 126, S. 1, 24 f.; ausführlich Stern, FS-BVerfG II, S. 1, 14 ff.; zustimmend auch Merten/ Papier-Papier, HGR III, § 64, Rn. 17 ff.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 139 ff. mwN. 129 Instruktiv in diesem Sinne BVerfGE 81, S. 278, 292 f. mwN. 130 Vgl. bereits BVerfGE 17, S. 306, 315 ff.; BVerfGE 63, S. 88, 115; BVerfGE 101, S. 106, 128 f.; BVerfGE 110, S. 141, 164; in jüngster Zeit BVerfGE 125, S. 260, 317 f.; zustimmend Merten/Papier-Merten, HGR III, § 68, Rn. 65; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb. Rn. 147 jeweils mwN.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
weises Erreichen des Zieles genügt zur Bejahung der Geeignetheit.131 Außerdem kommt dem Gesetzgeber nach dem Bundesverfassungsgericht bei der Prognose der Eignung ein Einschätzungsspielraum zu.132 Eine Einschränkung ist nur dann erforderlich, wenn es kein gleich wirksames Mittel gibt, welches das in Rede stehende Grundrecht nicht oder doch weniger stark einschränkt.133 Die Frage nach einem milderen Mittel als Alternative steht mithin unter dem Vorbehalt gleicher Wirksamkeit.134 Dem Gesetzgeber kommt nach dem Bundesverfassungsgericht auch für diese Prognose ein Beurteilungsspielraum zu.135 Kriterien für den Umfang dieses Spielraumes sind die „Eigenart des in Rede stehenden Sachbereiches“, die „Möglichkeit, sich ein hinreichend sicheres Urteil zu bilden“ und die „auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter“.136 Teilweise wird der Beurteilungsspielraum durch das Verfassungsgericht sehr weit ausgedehnt, so dass dieser Spielraum für gesetzgeberische Prognosen erst überschritten ist, „wenn sie vernünftigerweise keine Grundlage für derartige Maßnahmen abgeben können“.137 (4) Angemessenheit einer einschränkenden Regelung Abschließend muss eine einschränkende Regelung auch angemessen sein. Im Allgemeinen betrifft die Angemessenheit die Zweck-Mittel-Relation: Die Angemessenheit einer einschränkenden Regelung ist zu bejahen, wenn die einschränkende Maßnahme nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck steht.138 Es handelt sich um 131 In diesem Sinne etwa BVerfGE 67, S. 157, 175 f.; ebenso BVerfGE 96, S. 10, 23; BVerfGE 109, S. 279, 336. 132 Vgl. etwa BVerfGE 90, S. 145, 172 f.; BVerfGE 103, S. 293, 307 f.; BVerfGE 109, S. 279, 336 ff.; zustimmend Merten/Papier-Merten, HGR III, § 68, Rn. 65; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 147. 133 Vgl. etwa BVerfGE 90, S. 145, 172; BVerfGE 102, S. 197, 217 ff.; in neuerer Zeit BVerfGE 126, S. 112, 144 f.; zustimmend Merten/Papier-Merten, HGR III, § 68, Rn. 66 f.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 148. 134 Vgl. insbesondere BVerfGE 30, S. 292, 319 und BVerfGE 81, S. 70, 91. 135 In diesem Sinne etwa BVerfGE 81, S. 70, 90 f.; BVerfGE 90, S. 145, 172 f. in neuerer Zeit BVerfGE 117, S. 163, 189 und BVerfGE 120, S. 274, 321; ausführlich auch Isensee/Kirchhoff-Hill gruber, HStR IX, § 201, Rn. 66 ff. mwN. 136 Zu diesen Kriterien siehe BVerfGE 90, S. 145, 173; ebenso BVerfGE 117, S. 163, 189 jeweils mwN. 137 So BVerfGE 110, S. 141, 157 f. und BVerfGE 117, S. 163, 189 für den gesetzgeberischen Spielraum bei der Einschätzung von Gefahren der Allgemeinheit; kritisch zur Weite dieses Einschätzungs- und Prognosespielraumes äußern sich Isensee/Kirchhoff-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 70 f. und Sachs-Sachs, GG, Art. 20, Rn. 153 jeweils mwN. 138 Vgl. bereits BVerfGE 9, S. 338, 345 f.; ausdrücklich diese Abwägung entwickelnd BVerfGE 30, S. 292, 316 f.; BVerfGE 76, S. 1, 51; BVerfGE 92, S. 277, 327; in neuerer Zeit siehe BVerfGE 115, S. 320, 345 f. und BVerfGE 118, S. 168, 195; aus der Literatur siehe etwa Merten/Papier-Mer ten, HGR III, § 68, Rn. 71 ff. und Isensee/Kirchhoff-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 72 ff. jeweils mwN.
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eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles, wobei als Kriterien unter anderem die Schwere und das Gewicht des Eingriffs sowie die Dringlichkeit der rechtfertigenden Gründe einzustellen sind.139 Im Falle einer Angemessenheitsprüfung kollidierender Grundrechte bzw. Allgemeingüter von Verfassungsrang hat das Bundesverfassungsgericht die Figur der praktischen Konkordanz entwickelt.140 Hiernach darf die Abwägung zwischen Grundrechten bzw. Allgemeingütern nicht einseitig zugunsten einer der beiden verfassungsrechtlichen Positionen aufgelöst werden. Vielmehr bedarf es eines schonenden Ausgleiches zwischen dem kollidierenden Verfassungsrecht, der beiden Grundrechten bzw. Allgemeingütern eine bestmögliche Geltung im konkreten Fall ermöglicht.141 Letztlich handelt es sich erneut um eine Gesamtabwägung, ausgehend von der abstrakten Wertigkeit der jeweiligen Verfassungsposition im Gesamtsystem und sodann unter Zugrundelegung aller Umstände des Einzelfalles – mit der Besonderheit, dass im Ergebnis beide Verfassungsgüter in gewissem Umfang Bestand haben müssen.142 bb) Die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG Die zweite Grenze der Einschränkbarkeit des Justizgewährungsanspruches bildet die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG. Die überwiegende Auffassung im Schrifttum geht von einem absoluten Wesensgehalt des Art. 19 II GG aus.143 Dieser Wesensgehalt soll zudem auch im Einzelfall als Schranken-Schranke wirken, mithin subjektive Wirkung entfalten und dem einzelnen Grundrechteberechtigten im konkreten Fall zu Gute kommen.144 Teile der Literatur gehen demgegenüber davon 139 In diesem Sinne etwa BVerfGE 90, S. 145, 173; BVerfGE 113, S. 167, 260; BVerfGE 118, S. 165, 195; aus der Literatur Isensee/Kirchhoff-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 72 ff. auch mit Kritik an einem fehlenden Maßstab der Angemessenheitsprüfung. 140 Vgl. bereits BVerfGE 28, S. 243, 260 f.; bestätigt in BVerfGE 41, S. 29, 50 f.; BVerfGE 52, S. 223, 246 f.; in neuerer Zeit siehe BVerfGE 122, S. 89, 107; instruktiv zum Justizgewährungsanspruch BVerfGE 116, S. 1, 21 f.; aus der Literatur zustimmend Stern, FS-BVerfG II, S. 1, 14 ff.; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 159 f.; ausführlich auch Merten/Papier-Bethge, HGR III, § 72, Rn. 45 ff. jeweils mwN. 141 Instruktiv bereits BVerfGE 28, S. 243, 260 f.; explizit zum Justizgewährungsanspruch BVerfGE 88, S. 118, 124 f.; aus der Literatur ausführlich Merten/Papier-Bethge, HGR III, § 72, Rn. 61 ff.; Dreier-Dreier, GG, Bd.1, Vorb., Rn. 159 f.; Stern, FS-BVerfG II, S. 1, 14 ff. jeweils mwN. 142 In diese Richtung etwa BVerfGE 47, S. 327, 368 ff. und BVerfGE 97, S. 169, 176 f. 143 In diesem Sinne bereits Dürig, AöR 81 (1956), S. 117, 136 ff. unter deutlicher Betonung des Menschenwürdebezuges des Art. 19 II GG; ebenso Merten/Papier-Leisner-Egensperger, HGR III, § 70, Rn. 28 ff.; ebenso Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 98 ff.; ausführlich zum Ganzen auch v. Mangoldt/Klein/Stark-Huber, GG, Bd. 1, Art. 19, Rn.137 ff. jeweils mwN. 144 Für eine subjektive Wirkung sprechen sich aus Merten/Papier-Leisner-Egensperger, HGR III, § 70, Rn. 18 ff.; ebenso Isensee/Kirchhof-Hillgruber, HStR IX, § 201, Rn. 102 ff. und v. Mangoldt/Klein/Stark-Huber, GG, Bd. 1, Art. 19, Rn.173 f. jeweils mwN.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
aus, dass Art. 19 II GG lediglich eine „relative“ Garantie des Wesensgehaltes normiere.145 Das Bundesverfassungsgericht tendiert nach dem Wortlaut seiner Entscheidungen klar zu einer absoluten Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 II GG, die zudem subjektive Wirkung entfaltet.146 In aller Regel grenzt das Verfassungsgericht diese Garantie explizit vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ab und erkennt damit ihre eigenständige Bedeutung an.147 Allerdings ist die Rechtsprechung in ihrer Auslegung des Art. 19 II GG nicht ganz eindeutig, wie in Teilen der Literatur angemerkt wird.148 Die Bestimmung des Wesensgehaltes muss für jedes Grundrecht individuell anhand „seiner besonderen Bedeutung im Gesamtsystem der Grundrechte“ vorgenommen werden.149 Für den Wesensgehalt des hier interessierenden Justizgewährungsanspruches hat das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung einige Anhaltspunkte gegeben: Hiernach kann der Wesensgehalt eines Grundrechts angegriffen sein, wenn jeglicher Störungsabwehranspruch „materiell-rechtlich beseitigt oder wenn verfahrensrechtlich verwehrt wird, ihn wirkungsvoll geltend zu machen“.150 b) Die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 6 I EMRK Diese soeben skizzierten Voraussetzungen kommen denjenigen Anforderungen nahe, die Rechtsprechung und Literatur an eine Einschränkung des Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 6 I EMRK stellt: aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die erste Grenze jeder Einschränkung ist auch nach dem EGMR im Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu sehen. In diesem Zusammenhang gilt es erneut den Charakter des Art. 6 I EMRK als Teilhabegrundrecht zu beachten: Die Wahrnehmung des Zuganges zu einem fairen Zivilprozess bedarf vorab einer entsprechenden staatlichen Ausgestaltung der Zivilgerichtsbarkeit und des Zivilprozessrechts.151 145 In diesem Sinne Dreier-Dreier, Art. 19 II, Rn. 15 ff.; Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 234 ff., differenzierend demgegenüber S. 325 ff.; ähnlich auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 267 ff. jeweils mwN. 146 Sehr deutlich bereits BVerfGE 16, S. 194, 201 f.; ähnlich auch BVerfGE 34, S. 238, 245; BVerfGE 61, S. 82, 113 f. und BVerfGE 80, S. 367, 373 f.; eine Verletzung des Wesensgehalte nimmt BVerfGE 22, S. 180, 219 f. an. 147 In diesem Sinne etwa BVerfGE 22, S. 180, 219 f.; ähnlich BVerfGE 80, S. 367, 373 f.; unklar demgegenüber BVerfGE 109, S. 133, 156 f. 148 So etwa in der Entscheidung BVerfGE 109, S. 133, 156 f. mit einer Verknüpfung von Wesensgehalt und Verhältnismäßigkeit; kritisch zur Rechtsprechung äußert sich Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Art. 19 II, Rn. 17; ähnlich Sachs-Sachs, GG, Art. 19, Rn. 41 f.; dieser Sichtweise widersprechend Merten/Papier-Leisner-Egensperger, HGR III, § 70, Rn. 18 ff. 149 So bereits BVerfGE 22, S. 180, 219; in neuerer Zeit ebenso BVerfGE 109, S. 133, 156 mwN. 150 In diesem Sinne äußert sich explizit BVerfGE 61, S. 82, 113. 151 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 21.02.1975, 4451/70, Golder ./. UK, Rn. 38 ff. =
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(1) Besonderheiten der Einschränkbarkeit prozessualer Grundrechte Der EGMR hat den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz indes auch auf das prozessuale Grundrecht des Art. 6 EMRK angewendet.152 Den Besonderheiten des Art. 6 EMRK wird durch die Abgrenzung zwischen einer Ausgestaltung und einer Einschränkung des Gewährleistungsgehaltes Rechnung getragen, die sich letztlich in einem größeren Ermessensspielraum der Konventionsstaaten ausdrückt.153 Im Übrigen verbleibt es bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.154 Demgegenüber wird diese Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Teilen der Literatur im Hinblick auf die Besonderheiten eines Teilhabegrundrechts kritisch gesehen und eine besondere Prüfung der Art der Ausgestaltung gefordert.155 (2) Legitimes Ziel Eine einschränkende gesetzliche Regelung muss im ersten Schritt einem legitimen Ziel dienen.156 Die Herausarbeitung des Zieles der einschränkenden Regelung ist für die weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung ein ganz entscheidender Ausgangspunkt. Der EGMR hat als ein legitimes Ziel insbesondere den Schutz von Rechten angesehen, die gleichfalls von der Konvention geschützt werden.157 Doch auch darüber hinaus hat der EGMR eine Vielzahl von Zielen als legitime Einschränkung des Art. 6 EMRK angesehen und insoweit eine relativ weite Auslegung zugelassen: So wurde nicht allein der Schutz von Individualrechten als legitimes Ziel anerkannt, EuGRZ 1975, S. 91, 98 f. und EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 12.04.2016, 33883/06, Dumitru Gheorghe ./. RO, Rn. 25 ff. 152 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 12.04.2016, 33883/06, Dumitru Gheorghe ./. RO, Rn. 25 ff. 153 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12 und EGMR, Urteil vom 12.04.2016, 33883/06, Dumitru Gheorghe ./. RO, Rn. 25 ff. 154 Im Ergebnis zustimmend aus der Literatur etwa Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 704 ff.; ähnlich auch Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6, Rn. 37 ff.; Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6, Rn. 53 ff. jeweils mwN. 155 Kritisch insbesondere Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 64 ff. 156 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EuGRZ 1986, S. 8, 12; in neuerer Zeit siehe EGMR, Urteil vom 22.03.2012, 19508/07, Granos Organicos Nacionales S.A. ./. GER, Rn. 45 mwN aus der Rechtsprechung; ausführlich auch Weiß, Gesetz, S. 122 ff. 157 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 25.03.1985, 8734/79, Barthold ./. GER, Rn. 50 f.; siehe auch EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 52 ff. und EGMR, Urteil vom 10.11.2005, 54789/00, Boccos-Cuesta ./. NL, Rn. 68 ff.; ausführlich auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 697 ff. mwN; kritisch gegenüber einem solchen Ansatz Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 19.
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sondern vielmehr auch ausdrücklich der Schutz von Allgemeininteressen.158 Mithin könnte eine einschränkende Regelung auch der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Justizsystems insgesamt dienen. Zurückhaltend zeigt sich der EGMR bei einschränkenden Regelungen, die alleine monetären Zielsetzungen dienen, mithin der Kostensenkung im Justizsystem. Im Grundsatz wurde auch diese Zielsetzung in Rechtsprechung und Literatur als legitim anerkannt, allerdings unter Annahme höherer Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit dieser Einschränkung.159 (3) Umfassende Abwägung aller Umstände des Einzelfalles In einem zweiten Schritt erfolgt die eigentliche Überprüfung der einschränkenden Regelung anhand auf ihre Verhältnismäßigkeit. Diese Verhältnismäßigkeitsprüfung nimmt das Verhältnis zwischen der einschränkenden Regelung und dem angestrebten Ziel in den Blick.160 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung erfordert eine umfassende Abwägung der betroffenen Rechte unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles. Insbesondere muss eine Balance zwischen den kollidierenden Grundrechten bzw. Allgemeingütern vorgenommen werden.161 Letztlich muss also eine angemessene Zweck-Mittel-Relation bestehen. Diese Prüfung des EGMR weist Parallelen zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nach deutschem Verständnis auf. Allerdings muss man diese Parallelität dahingehend relativieren, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EGMR keinem streng systematischen Schema folgt. Feststehende Prüfungspunkte sind lediglich das Erfordernis eines legitimen Zieles und die Vornahme einer Gesamtabwägung. Einzelne Aspekte der deutschen Verhältnismäßigkeitsprüfung, etwa die Geeignetheit oder Erforderlichkeit einer Einschränkung, kommen in Entscheidungen des EGMR lediglich vereinzelt vor.162 Trotz dieser ge158
Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 18.02.1999, 26083/94, Waite and Kennedy ./. GER, Rn. 59 ff. (Funktionsfähigkeit internationaler Organisationen) oder EGMR, Urteil vom 21.11.2001, 37112/97, Fogart ./. UK, Rn. 33 ff. (Souveränität ausländischer Staaten); ausführlich wiederum Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 699 ff. 159 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 26.07.2005, 39199/98, Podbielski and PPU Polpure ./. PO, Rn. 65; bestätigt etwa von EGMR, Urteil vom 31.07.2007, 38736/04, FC Mretebi ./. GEO, Rn. 47 f. mwN. 160 St. Rspr., vgl. bereits EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 12.04.2016, 33883/06, Dumitru Gheorghe ./. RO, Rn. 25 ff. mwN; aus der Literatur ausführlich Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 43 ff.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 14 ff. jeweils mwN. 161 Vgl. wiederum bereits EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8, 12; ausführlich auch EGMR, Urteil vom 01.03.2010, 32921/03, Kohlhofer and Minarik ./. CZECH, Rn. 99 ff. und EGMR, Urteil vom 26.03.2015, 11239/11, Momcilovic ./. CRO, Rn. 41 ff.; ausführlich aus der Literatur Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 48 ff. mwN. 162 In Richtung einer Geeignetheitsprüfung tendierend EGMR, Urteil vom 28.03.1990, 10890/84, Groppera Radio AG and others ./. CH, Rn. 65 ff. = EuGRZ 1990, S. 255, 258; zur Erfor-
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ringen Systematisierung weist zumindest die Gesamtabwägung deutliche Parallelen zur Angemessenheitsprüfung des Bundesverfassungsgerichts auf.163 bb) Wesensgehaltsgarantie Eine weitere Grenze findet die Einschränkbarkeit des Rechts auf ein faires Verfahren in der Wesensgehaltsgarantie. Der EGMR geht unter Zustimmung der Literatur in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine Einschränkung unzulässig ist, sobald der Wesensgehalt (very essence) eines Konventionsrechts im Einzelfall angetastet wird.164 Der EGMR hat eine solche Verletzung des Wesensgehaltes im Rahmen des Zugangsrechts zu Gericht angenommen, wenn eine gerichtliche Entscheidung grundsätzlich verweigert wurde oder eine Zugangsregelung den Rechtsschutz faktisch ausgeschlossen hat.165 Beachtenswert ist, dass der Wesensgehalt eines Grundrechts nach der Rechtsprechung des EGMR gerade keine abstrakte Grenze ist, die erst angetastet wird, sobald eine Regelung die Grundrechtsausübung jedes Grundrechtsberechtigten insgesamt betrifft, sondern vielmehr als konkrete Grenze der Einschränkbarkeit im Einzelfall und für den einzelnen Grundrechtsberechtigten gilt.166 cc) EGMR: Ausgleichsmöglichkeit von Einschränkungen im Einzelfall Abschließend hat der EGMR im Rahmen der Einschränkbarkeit der Verteidigungsrechte des Art. 6 III EMRK die Möglichkeit eines Ausgleichs einer Beschränkung einzelner prozessualer Gewährleistungen durch die Ausweitung anderer prozessualer Gewährleistungen entwickelt.167 Im Falle einer an sich unverhältnismäßigen Einschränkung eines Verteidigungsrechtes prüft der EGMR regelmäßig, ob diese Einderlichkeit siehe EGMR, Urteil vom 07.12.1976, 5493/72, Handyside ./. UK, Rn. 58; aus der Literatur Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 48 ff. 163 In diesem Sinne auch Dörr/Grote/Marauhn-Marauhn/Merhof, EMRK/GG, Kapitel 7, Rn. 52 ff. 164 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 28.05.1985, 8225/78, Ashingdane ./. UK, Rn. 56 ff. = EUGRZ 1986, S. 8 ff.; ebenso EGMR, Urteil vom 26.07.2007, 35787/03, Walchli ./. FRA, Rn. 28 ff.; aus der Literatur ausführlich Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 723 ff.; Dörr/Grote/Marauhn-Mar auhn/Merhof, EMRK/GG I, Kapitel 7, Rn. 55 ff.; rechtsvergleichend aus deutscher Sicht auch Hä berle, Wesensgehaltsgarantie, S. 271 ff. jeweils mwN. 165 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 16.11.2000, 39442/98, Sotiris and Nikos Koutras Attee ./. GRE, Rn. 20 ff.; für eine Wesensgehaltsverletzung bei übertriebenem Formalismus EGMR, Urteil vom 26.07.2007, 35787/03, Walchli ./. FRA, Rn. 28 ff.; aus der Literatur Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 723 ff. 166 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 16.11.2000, 39442/98, Sotiris and Nikos Koutras Attee ./. GRE, Rn. 20 ff.; zur Diskussion im deutschen Rechte siehe III. 3. a. bb. 167 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 20.11.1989, 11454/85, Kostovski ./. NL, Rn. 41 ff.; EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 51 ff.; in neuerer Zeit ausführlich EGMR, Urteil vom 15.12.2011, 26766/05, AL-Kahawaja and Tahery ./. NL, Rn. 140 ff.; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 727 ff.
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schränkung durch andere prozessuale Schutzmechanismen ausgeglichen werden kann. So hat der EGMR die Einschränkung des Vorladungs- und Fragerechts nach Art. 6 III lit. d EMRK im Falle eines Zeugnisses vom Hörensagen durch die Schutzmechanismen einer besonders vorsichtigen, gründlichen Beweiswürdigung und eines Verbots der Entscheidung allein auf Basis dieses Beweismittels ausgleichen lassen.168 Letztlich könnte man solche Ausgleichsmechanismen auch in der Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigen. Der EGMR hat sich jedoch für eine eigene Prüfung dieser Ausgleichsmöglichkeiten entschieden. c) Die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung des Art. 47 II S. 1 GRC Für die europäische Grundrechtecharta besteht die Besonderheit einer expliziten Normierung der materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Einschränkung in Art. 52 I GRC. aa) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz aus Art. 52 I GRC Eine einschränkende gesetzliche Regelung muss nach Art. 52 I S. 1 GRC den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Im Falle einer Grundrechtseinschränkung wird der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz durch den EuGH regelmäßig ausführlich geprüft.169 Eine einschränkende Regelung muss demnach ein legitimes Ziel verfolgen, zu dessen Erreichen geeignet und erforderlich sein und abschließend ein angemessenes Verhältnis zwischen der Einschränkung und dem verfolgten Ziel wahren.170 (1) Legitimes Ziel Als erste Voraussetzung und Bezugspunkt der weiteren Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes normiert Art. 52 I S. 2 GRC die Verfolgung eines legitimen Zieles durch die einschränkende Maßnahme. Als legitime Ziele werden durch Art. 52 I S. 2 GRC „von der Union anerkannte Gemeinwohlziele“ und der „der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“ genannt:
168 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen and others ./. NL, Rn. 51 ff. und EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20524/92, Doorson ./. NL, Rn. 68 ff.; Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 730 ff. mwN. 169 Vgl. bereits vor Geltung der Grundrechtecharta etwa EuGH, Rs. C-435/02, Slg. 2004, I-08663, Rn. 47 ff. – Springer; besonders ab Geltung der GRC finden sich intensivere Verhältnismäßigkeitsprüfungen, instruktiv etwa EuGH Rs. C-293/12, Rn. 38 ff. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a. mit einer umfangreichen Prüfung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. 170 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-584/10, Rn. 100 ff. – Kommission u. a. / Kadi (Art. 47 GRC); in jüngster Zeit EuGH, Rs. C-237/15, Rn. 55 – PPU / Lanigan jeweils mwN aus der Rechtsprechung.
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Die anerkannten Gemeinwohlziele der Union stellen eine sehr weit gefasste Bandbreite an legitimen Zielen dar. In der Literatur wird zur Konkretisierung regelmäßig auf die in Art. 3 EUV niedergelegten Ziele der Union verwiesen, ohne diese Aufzählung als abschließend zu verstehen.171 Der EuGH hat eine Vielzahl verschiedener Ziele als legitim anerkannt.172 So wurde eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs zum Zwecke des Schutzes der öffentlichen Gesundheit als legitim anerkannt.173 Allgemein hat der EuGH etwa den Verbraucherschutz, den Schutz des Wettbewerbs oder auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung als legitime Ziele anerkannt.174 Auch verfassungsrechtliche Zielsetzungen der Mitgliedstaaten können als gemeinsame Verfassungsüberlieferungen über Art. 6 III EUV als legitime Ziele einfließen.175 Der Schutz der Rechte und Freiheiten anderer soll die Lösung von Grundrechtskollisionen ermöglichen.176 Die zu schützenden Rechte sind daher insbesondere solche, die von der Grundrechtecharta ihrerseits geschützt werden. Art. 52 I S. 2 GRC stellt insoweit klar, dass ein Grundrecht der Charta zugunsten eines anderen eingeschränkt werden kann. (2) Geeignetheit und Erforderlichkeit Eine einschränkende gesetzliche Regelung muss auch zur Erreichung des legitimen Zieles geeignet und erforderlich sein. Diese Anforderung folgt aus dem Wortlaut des Art. 52 I S. 2 GRC, der verlangt, dass die Einschränkungen den Zielsetzungen „tatsächlich“ entsprechen.177 Die Geeignetheit ist bereits zu bejahen, wenn die Maßnahme das erstrebte Ziel in irgendeiner Weise fördert.178 Der EuGH betont, dass er seine eigenen etwaigen Zweckmäßigkeitserwägungen gerade nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen kann und möchte, so dass es sich nicht um die wirkungsvollste 171 Vgl. etwa Callies/Ruffert-Kingreen, GRC, Art. 52, Rn. 67; Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52, Rn. 21 ff.; für eine weite Auslegung auch Frenz, Handbuch Europarecht, Bd. 4, S. 194 ff. 172 Vgl. etwa EuGH Rs. C-293/12, Rn. 38 ff. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a. (Öffentliche Sicherheit); EuGH Rs. C-234/85, Slg. 1986, 02897, Rn. 14 f. – Keller (Verbraucherschutz); EuGH, Rs. C-28/05, Slg. 2006, I-05431, Rn. 74 ff. – Doktor u. a. (Öffentliche Gesundheit). 173 In diesem Sinne EuGH, Rs. C-28/05, Slg. 2006, I-05431, Rn. 74 ff. – Doktor u. a. 174 Vgl. insbesondere EuGH, Rs. C-293/12, Rn. 38 ff. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a. mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung zum Ziel der öffentlichen Sicherheit und Ordnung; EuGH, Rs. C-46/87, Slg. 1989, 02859, Rn. 25 f. – Hoechst / Kommission; siehe auch Callies/Ruffert-Kingreen, GRC, Art. 52, Rn. 67 mwN. 175 In diesem Sinne auch Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52, Rn. 21. 176 Sehr deutlich EuGH, Rs. C-12/11, Rn. 61 f. – McDonagh und in jüngster Zeit EuGH, Rs. C-419/14, Rn. 69 ff. – WebMindLicenses; zustimmend auch Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 32; Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52, Rn. 22. 177 Zu dieser Herleitung siehe etwa Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52, Rn. 21a und Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 37 ff. 178 In diesem Sinne etwa die Prüfung von EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 53 – Sky Österreich; instruktiv auch EuGH, Rs. C-101/12, Rn. 36 ff. – Schaible; zustimmend Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 37 f.
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Maßnahme zur Zweckerreichung handeln muss.179 Die Anforderungen an die Geeignetheit sind hiernach denkbar gering und erschöpfen sich in einem Minimum an Zweckfördern – ähnlich der deutschen Auslegung dieses Merkmals.180 Eine Einschränkung ist erforderlich, wenn es kein gleich geeignetes Mittel gibt, das weniger stark belastend in die Grundrechte der Berechtigten eingreift.181 Mithin erfolgt ein Vergleich mit anderen möglichen Maßnahmen anhand der jeweiligen Intensität der Grundrechtseinschränkung. Indes gilt es zu beachten, dass die Erforderlichkeit gerade keine Abwägung zwischen der Wirksamkeit und der Belastung einer Maßnahme darstellt. Ähnlich dem deutschen Verständnis der Erforderlichkeit kommt eine weniger belastende, aber zugleich weniger wirksame Alternativmaßnahme gerade nicht in Betracht.182 Die Erforderlichkeit ist ausschließlich bei Existenz weniger invasiver Maßnahmen gleicher Wirksamkeit zu verneinen. Der EuGH analysiert regelmäßig etwaige Alternativen zu den in Rede stehenden Einschränkungen. Allerdings gibt er dem Gesetzgeber einen gewissen Ermessenspielraum in Bezug auf die Beurteilung der Wirksamkeit seiner Maßnahmen.183 (3) Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne Zudem erfordert eine verhältnismäßige Einschränkung nach EuGH und Schrifttum auch die Angemessenheit der einschränkenden Regelung.184 Im Rahmen dieses Merkmales wird schlussendlich die Relation zwischen dem zu erreichenden Ziel und dem eingesetzten Mittel überprüft. Es handelt sich um eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles.185 In der frühen Rechtsprechung des EuGH ging die Prüfung dieses Merkmales regelmäßig in den Tatbestandsmerkmalen der Geeignetheit und Erforderlichkeit auf oder wurde – unter starker Kritik der Literatur – keiner Prüfung bedacht.186 Teilweise wurde die Angemessenheit durch den EuGH 179 Deutlich in diesem Sinne etwa EuGH Rs. C-189/01, Slg. 2001, I-05689, Rn. 81 ff. – Jippes u. a.; ebenso EuGH, Rs. C-37/06, Slg. 2008, I-00069, Rn. 36 – Viamex Agrar Handel und ZVK. 180 Vgl. dazu § 15 I. 4. b. 181 In diesem Sinne etwa EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 50 – Sky Österreich und EuGH, Rs. C-291/12, Rn. 46 ff. – Schwarz; jeweils mwN. 182 Explizit EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 57 – Sky Österreich; zum deutschen Recht siehe III. 3. a. aa. (3). 183 Vgl. etwa die Analysen in EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 54 ff. – Sky Österreich und EuGH, Rs. C-291/12, Rn. 46 ff. – Schwarz wiederum jeweils mwN aus der Rechtsprechung. 184 Vgl. etwa die Abwägung in EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 58 ff. – Sky Österreich; EuGH Rs. C-293/12, Rn. 52 ff. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a.; aus der Literatur Meyer-Borows ky, GRC, Art. 52, Rn. 22b; Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 41 f.; Callies/Ruffert-Kingreen, GRC, Art. 52, Rn. 70 ff. jeweils mwN. 185 Vgl. insbesondere die Prüfung von EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 58 ff. – Sky Österreich; ausführlich Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 111 ff.; zustimmend auch Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52, Rn. 22b; Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 41 f.; Callies/Ruffert-Kingreen, GRC, Art. 52, Rn. 70 ff. jeweils mwN. 186 Vgl. etwa die beschränkte Prüfung einer „offensichtlichen Ungeeignetheit“ durch EuGH,
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auch „abstrakt“ geprüft, mithin durch eine generelle Vorrangregelung einzelner Grundrechte oder Prinzipien ohne Beachtung der Umstände des Einzelfalles.187 Die Prüfung von Grundrechtseinschränkungen umfasst jedoch seit langem relativ ausführliche Erwägungen zur Angemessenheit einer Einschränkung.188 In der jüngeren Rechtsprechung seit Geltung der Grundrechtecharta zeichnet sich zudem ab, dass der EuGH die Verhältnismäßigkeitsprüfung insgesamt intensiviert und auch die Angemessenheit nun in aller Regel explizit prüft.189 bb) Wesensgehaltsgarantie des Art. 52 I GRC Abschließend setzt jede Rechtfertigung der Einschränkung nach Art. 52 I S. 1 GRC die Achtung des Wesensgehaltes eines Grundrechtes voraus. Diese Wesensgehaltsgarantie der Grundrechtecharta grenzt sich ob ihrer ausdrücklichen Normierung in Art. 52 I S. 1 GRC erkennbar vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 52 I S. 2 GRC ab. Diese Abgrenzung wurde vom EuGH gerade in seiner frühen Rechtsprechung kaum vollzogen.190 Die neuere Rechtsprechung des EuGH geht demgegenüber zusammen mit dem herrschenden Schrifttum davon aus, dass der Wesensgehalt eine eigenständige, vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verschiedene Garantie darstellt.191 Erst nach der Feststellung, dass diese absolute Grenze des Wesensgehaltes nicht überschritten ist, wird die Verhältnismäßigkeitsprüfung relevant.192 In einigen Entscheidungen hat der EuGH mögliche Verletzungen des Wesensgehaltes einzelner
Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-04973, Rn. 90 – Deutschland / Rat und EuGH, Rs. C-37/06, Slg. 2008, I-00069, Rn. 36 – Viamex Agrar Handel und ZVK; zur Kritik Pache, EuR 2001, S. 475, 487 ff.; Grabenwarter-Cornils, Europäischer Grundrechtsschutz (EnzEuR Bd. 2), § 5 Rn. 6 f.; Callies/Ruffert-Kingreen, GRC, Art. 52, Rn. 70 ff. jeweils mwN. 187 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-183/95, Slg. 1997, I-04315, Rn. 42 f. – Affish / Rijksdienst voor de keuring van Vee en Vlees; ebenso EuGH, Rs. C-86/03, Slg. 2005, I-10979, Rn. 96 – Griechenland / Kommission jeweils mwN. 188 Vgl. wiederum bereits vor Geltung der Grundrechtecharta die Entscheidungen EuGH, Rs. C-435/02, Slg. 2004, I-08663, Rn. 47 ff. – Springer und EuGH, Rs. C-28/05, Slg. 2006, I-05431, Rn. 74 ff. – Doktor u. a. 189 In diesem Sinne insbesondere die ausführlichen Prüfungen in EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 58 ff. – Sky Österreich; EuGH Rs. C-293/12, Rn. 52 ff. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a. 190 Vgl. bereits die Formulierung in EuGH, Rs. C-4/73, Slg. 1974, I-7493, Rn. 14 – Nold; ebenso EuGH, Rs. C-5/88, Slg. 1989, 02609, Rn. 18 – Wachauf / Bundesamt für Ernährung und Forst wirtschaft; EuGH, Rs. C-62/90, Slg. 1992, I-02575, Rn. 23 – Kommission / Deutschland; ausführlich aus rechtsvergleichender Sicht wiederum Häberle, Wesensgehaltsgarantie, S. 266 ff. mwN. 191 In diesem Sinne Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 28 f.; Meyer-Borowsky, GRC, Art. 52, Rn. 23 ff.; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, § 7, Rn. 445 ff.; in diese Richtung tendiert auch Callies/Ruffert-Kingreen, GRC, Art. 52, Rn. 64 jeweils mwN. 192 Eine eigene Prüfung des Wesensgehaltes findet sich in jüngster Zeit etwa in EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 48 f. – Sky Österreich; EuGH, Rs. C-293/12, Rn. 39 f. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a.; EuGH, Rs. C-129/14, Rn. 56 ff. – Spasic.
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Grundrechte skizziert.193 Als Quintessenz erscheint der Wesensgehalt eines Grundrechtes erst angegriffen, wenn dem Berechtigten im Einzelfall kein sinnvoller Gehalt seines Grundrechts mehr verbleibt. Der EuGH stellt hierbei auf den jeweiligen Einzelfall und damit explizit auf den einzelnen Grundrechtsberechtigten ab. Teile der Literatur sehen demgegenüber auch in der Wesensgehaltsgarantie des Art. 52 I GRC lediglich eine „relative“ Garantie dahingehend, dass ein Grundrecht nicht unverhältnismäßig eingeschränkt werden darf.194 d) Eigene Ansicht Aufbauend auf dieser Analyse von Rechtsprechung und Literatur soll nun eine eigene Ansicht zu den materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta entwickelt werden. Es hat sich gezeigt, dass die materiellen Voraussetzungen einer Einschränkung für alle drei untersuchten Grundrechtsordnungen nach Rechtsprechung und Literatur große Übereinstimmungen aufweisen. Diese Konvergenz in den Anforderungen an die materielle Rechtmäßigkeit einer Einschränkung lässt sich auch für das Recht auf Beweis konstatieren. Daher sollen diese materiellen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis für Grundgesetz, EMRK und europäische Grundrechtecharta gemeinsam herausgearbeitet und auf etwaige Besonderheiten explizit hingewiesen werden. aa) Anwendbarkeit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Die zentrale Rechtmäßigkeitsvoraussetzung einer Einschränkung des Rechts auf Beweis ist auch nach hier vertretener Auffassung in dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu erblicken. Die Möglichkeit einer Anwendung dieses bewährten Grundsatzes auf prozessuale Grundrechte wird durch Rechtsprechung und Literatur richtigerweise bejaht.195 Für eine Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes spricht insbesondere, dass dieses Prüfungsschema auf eine jahrzehntelange praktische Rechtsanwendung zurückblicken kann und zugleich eine ähnlich lange, wissenschaftliche Bearbeitung erfahren hat. Der nachfolgend entwickelte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiert sich in erster Linie an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Grundgesetz. Das Verfassungsgericht hat diesen Grundsatz bereits in den Anfangszeiten des Grundgesetzes entwickelt und durch die stetige Befassung in seiner Rechtsprechung und dem Schrifttum haben 193 Vgl. wiederum EuGH, Rs. C-283/11, Rn. 48 f. – Sky Österreich; EuGH, Rs. C-293/12, Rn. 39 f. – Digital Rights Ireland und Seitlinger u. a.; EuGH, Rs. C-129/14, Rn. 56 ff. – Spasic. 194 In diesem Sinne etwa Pernice, NJW 1990, S. 2408, 2416; in diese Richtung tendierend auch Bühler, Einschränkung von Grundrechten, S. 114 ff.; die frühe Rechtsprechung zusammenfassend Koch, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, S. 231 ff. jeweils mwN. 195 Vgl. die Darstellung zu Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta oben III. 3. a.–c.
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sich auch EGMR und EuGH diesen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Vorbild genommen.196 Eine einschränkende gesetzliche Regelung des Rechts auf Beweis muss hiernach einem legitimen Ziel dienen, zu dessen Erreichen geeignet und erforderlich sein sowie ein angemessenes Verhältnis zwischen Einschränkung und dem verfolgten Ziel wahren. (1) Definition legitimer Ziele Im ersten Schritt bedarf eine Einschränkung somit eines legitimen Zieles. In diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, dass das Recht auf Beweis in Grundgesetz und EMRK vorbehaltlos gewährleistet wird. Seine einzige Grenze findet das Recht auf Beweis insoweit in kollidierenden Grundrechten bzw. Allgemeingütern gleichen Ranges. Mit dieser Grenze des Rechts auf Beweis wird zugleich auch der Kreis der legitimen Ziele einer Einschränkung abgesteckt: Allein kollidierende Grundrechte oder Allgemeingüter von gleichem Rang können als legitimes Ziel einer Einschränkung des Rechts auf Beweis in Grungesetz und EMRK dienen. Kollisionen des Rechts auf Beweis sind insbesondere mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (APR) der gegnerischen Prozesspartei oder Dritter aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG oder auch dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit denkbar.197 Für die europäische Grundrechtecharta gibt die geschriebene Schranke des Art. 52 I GRC mit „den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer“ in Übereinstimmung mit Grundgesetz und EMRK ebenfalls das legitime Ziel einer Auflösung von Grundrechtskollisionen vor. Allerdings erweitert Art. 52 I GRC den Kreis legitimer Ziele einer Einschränkung um „von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen.“ Diese Gemeinwohlbelange des Art. 52 I GRC sind wiederum auf das Europäische Primärrecht begrenzt. Die Ziele der Union lassen sich insbesondere, aber nicht ausschließlich aus Art. 3 EUV gewinnen. Es stellt sich zudem die Frage, ob auch Gemeinwohlbelange der nationalen Verfassungen als legitimes Ziel einer Einschränkung des Rechts auf Beweis fungieren können. Dafür ließe sich anführen, dass die verfassungsrechtlich geschützten Gemeinwohlbelange für die jeweiligen Mitgliedstaaten eine große Bedeutung innehaben. Dagegen spricht jedoch, dass sich die Anforderungen an die legitimen Ziele durch die Vielfalt der europäischen Verfassungen stark zergliedern würden. Die Zielsetzung eines einheitlichen europäischen Grundrechtsschutzes wäre durch diese Abhängigkeit von den jeweiligen nationalen Verfassungen gefährdet. Daher können 196 Instruktiv bereits BVerfGE 19, S. 348 ff.; zum Vorbildcharakter dieser Rechtsprechung insbesondere für den EuGH siehe etwa v. Danwitz, EWS 2003, S. 393 f. und Kischel, EuR 2000, S. 380, 381 ff. 197 Vgl. zum Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts etwa BVerfG NJW 2001, S. 1921 ff. und zum Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit siehe BVerfG NJW 2013, S. 3432 f. jeweils mwN.
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einzelne Verfassungsgüter nach hier vertretener Ansicht für sich genommen grundsätzlich kein legitimes Ziel einer Einschränkung darstellen. Allerdings erhebt Art. 6 III EUV die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten zu einem Teil des Primärrechts, die als legitimes Ziel einer Einschränkung dienen können. Durch diesen Weg über die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen wird zugleich die Kohärenz des europäischen Grundrechtsschutzes gewahrt und eine Verfolgung der wichtigsten, gemeinsamen Verfassungsziele der Mitgliedstaaten der Union ermöglicht. Für das deutsche Grundgesetz hat insbesondere die Kollision zwischen dem Recht auf Beweis und der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege als Allgemeingut erhebliche Bedeutung – wie die nachfolgende Untersuchung des einfachen Rechts zeigen wird. Im Hinblick auf die rein faktische Begrenztheit staatlicher Ressourcen und die in dieser Arbeit ebenfalls hervorgehobene Bedeutung einer funktionsfähigen, effektiven Zivilrechtspflege erscheint es auch nach hier vertretener Auffassung sachgerecht, der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege als Gemeinwohlaufgabe Verfassungsrang zuzubilligen.198 Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis kann daher grundsätzlich auf das Allgemeingut der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gestützt werden. Allerdings bedarf dieser Grundsatz bereits an dieser Stelle einer deutlichen Einschränkung: Die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege wird regelmäßig durch staatliche Sparmaßnahmen reduziert – insbesondere in Form von Personaleinsparungen. Wenn nun eine Einschränkung des Rechts auf Beweis auf die Wiederherstellung eben dieser Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege gestützt wird, so würde das Recht auf Beweis mittelbar rein monetären Sparzielen unterworfen. Dieser Zusammenhang kann jedoch nach hier vertretener Auffassung nur in begrenztem Maße eine Einschränkung des Rechts auf Beweis rechtfertigen. Dabei soll nicht verkannt werden, dass das „Gut“ der Zivilrechtspflege ein knappes ist. Dennoch muss es für die monetär bedingte Reduktion dieses Gutes eine Grenze geben. Andernfalls könnte über die faktische Reduktion der Funktionsfähigkeit durch Sparmaßnehmen mittelbar die Rechtsstaatlichkeit des Zivilprozesses immer weiter ausgehöhlt werden. Das Zurverfügungstellen einer funktionsfähigen Zivilrechtspflege ist indes eine der elementarsten staatlichen Aufgaben. Zudem darf der Staat gerade nicht irgendeinen Zivilprozess bereitstellen, sondern muss vielmehr rechtsstaatliche Mindeststandards einhalten. Die allgemeine Grenze wird jedenfalls dort erreicht sein, wo die Zweck/ Mittel-Relation im Rahmen der Angemessenheitsprüfung unter Beachtung des dargestellten Hintergrundes einer bewussten Einschränkung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege negativ ausfällt. Doch auch darüber hinaus kann allein das Ziel monetärer Einsparungen den – mittelbaren – Eingriff in das Recht auf Beweis nicht recht198
In diesem Sinne auch BVerfGE 106, S. 28, 49 ff.; für EMRK siehe EGMR, Urteil vom 21.11.2001, 35763/97, Al-Adsani ./. GB, Rn. 46 ff. (Rechtsstaatsprinzip).
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fertigen. Vielmehr muss eine einschränkende gesetzliche Regelung neben dem Ziel monetärer Einsparungen zumindest auch einen anderen Aspekt der funktionsfähigen Zivilrechtspflege im Blick haben – etwa die Verkürzung der Dauer von Zivilprozessen. Eine aus rein monetären Gründen bewusst herbeigeführte Verringerung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege kann nicht als legitimes Ziel einer Einschränkung des Rechts auf Beweis dienen. (2) Geeignetheit und Erforderlichkeit Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis muss zudem auch nach hier vertretener Ansicht zur Erreichung dieses legitimen Zieles geeignet und erforderlich sein. Die Geeignetheit ist bereits dann zu bejahen, wenn eine Einschränkung das verfolgte Ziel – auch nur geringfügig – fördert, solange die Erreichung überhaupt möglich ist.199 Die Geeignetheit soll lediglich solche Regelungen aussondern, die keinerlei Wirkungszusammenhang zwischen einschränkender Regelung und verfolgtem Ziel aufweisen. Die Erforderlichkeit meint in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur die Betrachtung etwaiger Alternativen zu der in Rede stehenden Einschränkung. Die Erforderlichkeit ist hiernach zu bejahen, wenn keinerlei alternatives Mittel zu der einschränkenden Regelung ersichtlich ist, das bei gleicher Eignung eine geringere Grundrechtsbeeinträchtigung darstellt. Dem Gesetzgeber kommt für die Beurteilung der Wirksamkeit etwaiger Alternativen, wie auch der Stärke der jeweiligen Beeinträchtigung ein Einschätzungs- und Prognosespielraum zu.200 Allerdings kann sich die gerichtliche Kontrolle trotz Anerkennung dieses Spielraumes im Hinblick auf das Gebot effektiver Geltung der Grundrechte nicht auf eine Evidenzkontrolle beschränken. Vielmehr müssen etwaige Alternativen im Einzelfall ebenso wie die Einschätzungen des Gesetzgebers konkret überprüft werden. Außerdem gilt es für die Erforderlichkeitsprüfung im Zusammenhang mit dem Recht auf Beweis als prozessualem Grundrecht gewisse Besonderheiten zu beachten: So spielt etwa die Abgrenzung zwischen einer Ausgestaltung des Rechts auf Beweis und einem Eingriff eine besondere Rolle. Daher sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass mildere Alternativen nur in Bezug auf einen Eingriff geprüft werden dürfen. Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis lässt dem Gesetzgeber bei der Art und Weise der Verwirklichung des Grundrechtsstandards im Prozessrecht grundsätzlich freie Hand. Selbst wenn also eine grundrechtsfreundlichere Ausgestaltung evident möglich wäre, so liegt die Ausgestaltung innerhalb des verfassungsrechtlich geforderten Mindeststandards allein in den Händen des Gesetzgebers. Solange dieser Mindest199
So auch Rechtsprechung und Literatur, siehe oben III. 3. a. aa. (3), b. aa. (3), c. aa. (2). In diesem Sinne wiederum Rechtsprechung und Literatur, vgl. III. 3. a. aa. (3), b. aa. (3), c. aa. (2). 200
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standard im Rahmen der konkreten gesetzgeberischen Ausgestaltung eingehalten wird, ist die Frage nach milderen oder wirksameren Alternativen nicht zu stellen. (3) Angemessenheit: Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung kollidierender Grundrechte bzw. Allgemeingüter von gleichem Rang stehen naturgemäß auf beiden abzuwägenden Seiten Güter gleichen Ranges. Daher gehen Rechtsprechung und Literatur zu Recht davon aus, dass diese Güter auf beiden Seiten angemessen zu berücksichtigen sind und keines der Grundrechte bzw. Allgemeingüter per se einen Vorrang beanspruchen darf. Der schonende Ausgleich der widerstreitenden Interessen anhand des Grundsatzes praktischer Konkordanz ist auch nach hier vertretener Ansicht das Idealbild einer Abwägung kollidierenden Verfassungsrechts.201 Allerdings gilt es zu beachten, dass es im Wesen einer Kollision liegt, dass die widerstreitenden Interessen einander grundsätzlich unvereinbar gegenüberstehen. Sofern im konkreten Fall eine Entscheidung möglich ist, die beide Verfassungsgüter nur in Teilen einschränkt und auf diese Weise nebeneinander zur Geltung kommen lässt, so ist diese Lösung zu wählen. Indes wird eine Kollision diametral entgegengesetzter Interessen oftmals mit einer Entscheidung zugunsten eines der beiden Verfassungsgüter im konkreten Fall enden müssen. So liegt es in der Natur der Entscheidung über die Erhebung eines beantragten Beweismittels, dass grundsätzlich nur die Erhebung des Beweismittels bzw. dessen Ablehnung aufgrund überwiegender Gegenrechte denkbar erscheint. Ein Kompromiss – etwa die Erhebung eines Beweismittels unter Aussparung der entscheidungserheblichen Anteile – erscheint demgegenüber kaum denkbar. Daher kann es auch bei der Angemessenheitsprüfung kollidierender Grundrechte bzw. Allgemeingüter von Verfassungsrang regelmäßig nur darum gehen, eine besonders gründliche Gewichtung der gegenläufigen Verfassungsgüter vorzunehmen und die Wertungen des Gesamtsystems der Verfassung wie auch aller Umstände des Einzelfalles einzubeziehen.202 Somit handelt es sich bei der Angemessenheitsprüfung kollidierender Verfassungsgüter letztlich um eine Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalles mit dem Idealziel eines schonenden Ausgleiches beider Verfassungsgüter und nötigenfalls einer Vorrangentscheidung im konkreten Fall. Als Kriterien für eine solche Entscheidung sind hiernach sowohl die abstrakten Wertungen der jeweiligen Grundrechtsordnung einzubeziehen als auch die Umstände des Einzelfalles: Die Betrachtung des Gesamtsystems der Grundrechtsordnung soll seine anderen Bestimmungen in den Blick nehmen. So gilt es zu bedenken, welchen Platz die in Rede stehenden 201
Vgl. einmal mehr III. 3. a. aa. (4), b. aa. (3), c. aa. (3). In diesem Sinne bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 182 für § 384 I Nr. 2 ZPO und die dieser Norm zugrundeliegenden verfassungsrechtlichen Abwägungen nach dem deutschen Grundgesetz. 202
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Grundrechte bzw. Allgemeingüter in diesem System einnehmen, etwa ob sie vorbehaltlos gewährleistet werden oder ausdrücklich einschränkbar sind. Ein weiteres Indiz kann sich daraus ergeben, ob sich der Gewährleistungsgehalt bzw. der Grundgedanke eines Verfassungsgutes in weiteren Bestimmungen findet und daher besonders hervorgehoben wird. Allerdings können diese – abstrakten – Wertungen lediglich ein Indiz für die Wertigkeit der kollidierenden Verfassungsgüter darstellen. Die eigentliche Abwägung erfolgt anhand aller Umstände des Einzelfalles. Einzubeziehen ist insbesondere das jeweilige Verhalten der Grundrechtsberechtigten im konkreten Fall. Etwa, ob die Grundrechtsberechtigten mit ihrem Verhalten zu der Kollision beigetragen haben oder die Kollision bereits in der jeweiligen Grundrechtsordnung angelegt ist. Außerdem müssen auch die Konsequenzen in den Blick genommen werden, die die jeweilige Abwägungsentscheidung für die betroffenen Grundrechtsberechtigten haben würde. Neben diesen Kriterien sind alle weiteren Umstände des Einzelfalles in die Gesamtabwägung einzubeziehen, um eine möglichst schonende, ausgleichende Regelung der Kollision zu finden. bb) Garantie des Wesensgehalts des Rechts auf Beweis Die zweite Grenze einer jeden Einschränkung des Rechts auf Beweis ist auch nach hier vertretener Auffassung in der Wesensgehaltsgarantie zu sehen. Die Wesensgehaltsgarantie ist richtigerweise als eine absolute, subjektiv zugunsten des jeweiligen Grundrechtsinhabers im konkreten Einzelfall wirkende Grenze jeder Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis anzusehen.203 Für eine absolute Wirkung der Wesensgehaltsgarantie lässt sich anführen, dass allein auf diese Weise eine Abgrenzung zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz möglich erscheint. Die subjektive Wirkung zugunsten des einzelnen Grundrechtsberechtigten im konkreten Fall erscheint ihreseits im Hinblick auf den Sinn und Zweck der ausdrücklich normierten Wesensgehaltsgarantien in Art. 19 II GG und Art. 52 I GRC wie auch den Sinn und Zweck der Grundrechte insgesamt naheligend und richtig. Die Grundrechte aller drei untersuchten Grundrechtsordnungen selbst sind explizit als subjektive, einklagbare Grundrechte geschaffen worden. Eine rein objektiv wirkende Wesensgehaltsgarantie würde dem einzelnen Grundrechtsberechtigten in keiner Weise zu Gute kommen. Es hat für den Grundrechtsberechtigten, der im konkreten Fall seines Grundrechtsschutzes gänzlich verlustig geht, wenig Wert zu wissen, dass das Grundrecht als solches bestehen bleibt. Bei Annahme eines objektiven Prinzips würde die Wesensgehaltsgarantie erst eingreifen, wenn nur noch ein Grundrechtsberechtigter verbleibt und diesem letzten Berechtigten seine grundrechtlichen Gewährleistungen genommen werden sollten. Allein dieses Beispiel zeigt, dass eine solche Auslegung kaum vertretbar wäre. Nach hier vertretener Ansicht verlangt daher insbesondere das Ge203
So auch die Rechtsprechung und das überwiegende Schrifttum zu Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta, siehe oben III. 3. a. bb., b. bb. und c. bb.
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bot effektiver Geltung der Grundrechte ein Verständnis der Wesensgehaltsgarantie als subjektiv wirkende, absolute Grenze der Einschränkbarkeit im Einzelfall. Die konkrete Darstellung des Wesensgehaltes eines Grundrechtes stellt sich naturgemäß als schwierig dar. Rechtsprechung und Literatur gehen richtigerweise davon aus, dass der Wesensgehalt für jedes Grundrecht individuell herausgearbeitet werden muss.204 Nachfolgend sollen jedoch zumindest einige Gedanken zum Wesensgehalt des Rechs auf Beweis dargestellt werden: Das Recht auf Beweis hat die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes durch effektiven Nachweis eigener Rechte zum Ziel. In diesem Sinne würde der Wesensgehalt des Rechts auf Beweis beispielsweise angetastet, wenn keinerlei Beweisanträge in einem Zivilprozess gestellt werden dürften oder generell keine Beweismittel bzw. ausschließlich solche Beweismittel im Zivilprozess zulässig wären, die faktisch keinem Grundrechtsberechtigten zur Verfügung stehen könnten. Der Wesensgehalt würde wohl zudem angetastet, wenn keine Beweiswürdigung mehr vorgesehen wäre, sondern vielmehr im Anschluss an die Erhebung der Beweismittel eine zufällige oder gänzlich sachfremde Entscheidung getroffen werden müsste. Wenn dem einzelnen Grundrechtsberechtigten mithin jede effektive Nachweismöglichkeit seiner Rechte von vornherein genommen wäre, könnte der Wesensgehalt des Rechts auf Beweis betroffen sein.
IV. Die Voraussetzungen eines Verzichts auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC Zum Abschluss gilt es nun den Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta als die zweite wesentliche Grenze des Rechts auf Beweis in den Blick zu nehmen.
1. Der Verzicht auf die Gewährleistungen des Justizgewährungsanspruches des GG Für das deutsche Grundgesetz ist hiernach zu fragen, ob und bejahendenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Verzicht auf die Gewährleistungen des Justizgewährungsanspruches nach Rechtsprechung und Literatur in Betracht kommt. a) Disponibilität des Justizgewährungsanspruches Die grundsätzliche Möglichkeit der Einwilligung in einen Eingriff in den Justizgewährungsanspruch wird in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend bejaht.205 Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer frühen Entscheidung zu 204 205
Siehe etwa BVerfGE 22, S. 180, 219 und BVerfGE 109, S. 133, 156. Vgl. bereits BVerfGE 9, S. 194, 198 f.; aus der Literatur ausführlich Bethge, Grundrechtsver-
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Art. 19 IV GG geäußert und die Möglichkeit einer Einwilligung in einen Eingriff ausdrücklich für zulässig erachtet.206 Im Hinblick auf den vom Verfassungsgericht postulierten Gleichlauf des Art. 19 IV GG mit dem Justizgewährungsanspruch liegt es nahe, insoweit auch die Möglichkeit einer Einwilligung zu bejahen. Vereinzelt wird in der Literatur die Disponibilität der Rechtsschutzgewährleistung unter Hinweis auf ihre Bedeutung für das Rechtsstaatsprinzip indes verneint.207 Das herrschende Schrifttum verweist demgegenüber auf den subjektiven Kern der Rechtsschutzgarantie, dessen Verzicht in einem konkreten Einzelfall keinen Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des Gerichtssystems wecken könne.208 b) Die Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung Diese Einwilligung wird im Hinblick auf ihre Rechtswirkung als Eingriffsausschluss an strenge Voraussetzungen gebunden: Eine wirksame Einwilligung bedarf einer freiwilligen, informierten Einwilligungserklärung und eines einwilligungsfähigen Grundrechts: aa) Ausdrückliche oder konkludente Einwilligungserklärung Im ersten Schritt ist eine Einwilligungserklärung iSe nach außen getragenen Willens erforderlich. Die Abgabe einer solchen Erklärung setzt zunächst voraus, dass der Erklärende auch Inhaber des Grundrechts und zu dessen Disposition befugt ist.209 Die eigentliche Einwilligung kann sodann ausdrücklich oder auch konkludent erklärt werden.210 An die Annahme einer konkludenten Einwilligung und insbesondere eines entsprechenden Willens des Berechtigten sind jedoch strenge Anforderungen zu stellen.211 Die Möglichkeit einer fingierten Einwilligung wird sehr kritisch zicht, S. 316 ff. und Isensee/Kirchhof-Bethge, HStR IX, § 203, Rn. 130; allgemein für eine Dis ponibilität von Grundrechte im Hinblick auf die Selbstbestimmung der Berechtigten, Sachs-Sachs, GG, Vor Art. 1, Rn. 57 und Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 132 f. jeweils mwN; grundsätzlich gegen eine bindende Disponibilität von Grundrechten Sturm, FS-Geiger, S. 173, 197 f. 206 In dieser Entscheidung verwendete das Bundesverfassungsgericht noch den Terminus eines „Verzichts“ auf die Gewährleistungen des Art. 19 IV GG, siehe BVerfGE 9, S. 194, 198 f. 207 In diesem Sinne Bauer, Gerichtsschutz, S. 61 f. und Lorenz, Rechtsschutz des Bürgers, S. 212 f. 208 Vgl. insbesondere Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 317 f. mit zahlreichen Nachweisen aus dem Schrifttum. 209 Diese Voraussetzungen werden insbesondere in der Literatur diskutiert, vgl. Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 130 ff.; siehe auch Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 16 ff.; Isensee/ Kirchhof-Bethge, HStR I, § 203, Rn. 119; aus der Rechtsprechung in diese Richtung BVerfGE 128, S. 282, 301 ff. 210 Instruktiv BVerfGE 106, S. 28, 45 ff.; siehe auch Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 128 f.; Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 19 und Isensee/Kirchhof-Bethge, HStR IX, § 203, Rn. 120 ff. jeweils mwN. 211 Vgl. wiederum BVerfGE 106, S. 28, 45 ff.; ebenso Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 128 f.;
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betrachtet und – wenn überhaupt – nur unter strengen Anforderungen an die Annahme des mutmaßlichen Willens zur Einwilligung zugelassen.212 bb) Freiwilligkeit der Einwilligung Außerdem muss der Wille zu einer Einwilligung frei gebildet und mittels einer Einwilligungserklärung freiwillig abgegeben werden: Die Freiwilligkeit der Einwilligung meint in erster Linie das Fehlen jeglicher staatlich zurechenbarer Anwendung von Zwang, Drohungen oder Täuschungen.213 Der Staat darf dem Berechtigten bei seiner Entscheidung keinerlei Nachteile androhen, die nicht im Ausbleiben der Einwilligung selbst zwangsläufig angelegt waren.214 Freiwilligkeit scheidet nach dem Bundesverfassungsgericht zudem aus, wenn der Berechtigte von mehreren vermeintlichen Wahlmöglichkeiten sinnvollerweise nur eine dieser Möglichkeiten treffen kann.215 Die Freiwilligkeit einer Einwilligung verlangt nach dem Bundesverfassungsgericht, dass der Berechtigte über die Konsequenzen seiner Entscheidung vorab hinreichend informiert wird.216 In der Literatur hat diese Sichtweise ganz überwiegend Zustimmung gefunden, obgleich teilweise darauf hingewiesen wird, dass eine alle möglichen Konsequenzen umfassende Information im Einzelfall kaum zu leisten sein wird.217
Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 19 und Isensee/Kirchhof-Bethge, HStR IX, § 203, Rn. 120 ff. 212 Vgl. zur fingierten Einwilligung BVerfGE 115, S. 118, 157; grundsätzlich gegen eine fingierte Einwilligung Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 129 und Isensee/Kirchhof-Bethge, HStR IX, § 203, Rn. 121 ff.; die grundsätzliche Möglichkeit bejahend Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 20 jeweils mwN. 213 Vgl. BVerfG NJW 1982, S. 375; siehe auch neuerer Zeit auch BVerfGE 128, S. 282, 300 ff.; aus der Literatur ausführlich Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 142 ff.; Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 21 f.; Sachs-Sachs, GG, Vor Art. 1, Rn. 56 jeweils mwN. 214 So insbesondere BVerfGE 128, S. 282, 300 ff. zu einem Fall der Verweigerung einer Einwilligung in eine ärztliche Behandlung und die damit verbundene, körperliche Beeinträchtigung; zustimmend Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 165 ff. mwN. 215 So zur Frage der Freiwilligkeit der Einwilligung eines Angeklagten zu einem sog. Lügendetektortest, vgl. BVerfG NJW 1982, S. 375 unter Verweis auf Sturm, FS-Geiger, S. 173, 183 f.; ausführlich und mit Nachweisen wiederum Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 168 ff. 216 In diese Richtung bereits BVerfGE 9, S. 194, 198 f.; ähnlich BVerfGE 129, S. 269, 282 ff.; ausführlich Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 143 ff.; und Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 21 jeweils mwN. 217 Diese Einschränkung merkt – bei grundsätzlicher Zustimmung – Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 143 ff. an; zustimmend Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 21; Sachs-Sachs, GG, Vor Art. 1, Rn. 56.
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2. Der Verzicht auf die Gewährleistungen des Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC Die Rechtsprechung des EuGH zu einem Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC stützt sich ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EGMR zu einem Verzicht auf die Gewährleistungen des Art. 6 I EMRK. Daher erscheint eine gemeinsame Darstellung dieser übereinstimmenden Voraussetzungen sachgerecht. a) Grundsatz: Disponibilität des Rechts auf ein faires Verfahren Die grundsätzliche Möglichkeit eines Grundrechtsverzichtes ist in Rechtsprechung und Literatur weithin anerkannt.218 Ein solcher Verzicht wird insbesondere im Hinblick auf die hier in Rede stehenden Gewährleistungen des Art. 6 I und III EMRK regelmäßig diskutiert.219 Die grundsätzliche Möglichkeit eines solchen Verzichtes setzt voraus, dass keine öffentlichen Interessen entgegenstehen.220 Das fragliche Grundrecht muss mithin allein im Interesse des Grundrechtsberechtigten bestehen und darf nicht zugleich übergeordnete Allgemeininteressen schützen.221 Im Falle des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I und III EMRK gehen EGMR und Literatur einhellig davon aus, dass ein Verzicht auf dieses privaten Interessen dienende Grundrecht möglich ist.222 In Übereinstimmung mit dieser Rechtsprechung hat der EuGH entschieden, dass ein Verzicht auf das Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 47 II S. 1 GRC in Ermangelung entgegenstehender öffentlicher Interessen zulässig ist.223
218
In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 27.02.1980, 6903/75, Deweer ./. B, Rn. 49 ff.; instruktiv in neuerer Zeit EGMR, Urteil vom 28.12.2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 69 ff.; aus der Literatur ausführlich Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 741 ff.; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 32 f. jeweils mwN. 219 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 28.12.2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 69 ff. mwN aus der Rechtsprechung; so insbesondere Grabenwarter/Pabel, EMRK, Rn. 32 f. 220 So etwa EGMR, Urteil vom 21.02.1990, 11855/85, Hakansson and Sturesson ./. SWE, Rn. 66 ff. und EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 18114/02, Hermi ./. ITA, Rn. 73 ff.; siehe auch Gra benwarter/Pabel, EMRK, Rn. 33 und Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 746 f. jeweils mwN. 221 Weitergehend EGMR, Urteil vom 21.02.1990, 11855/85, Hakansson and Sturesson ./. SWE, Rn. 66 ff., der sogar einen Verzicht auf die Öffentlichkeit eines Prozesses erlaubt; siehe allgemein auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 746 f. mwN. 222 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 28.12.2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 69 ff. mwN aus der Rechtsprechung; zustimmend Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 32 f. und Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 747 ff. jeweils mwN. 223 So in der Entscheidung EuGH, Rs. C-399/11, Rn. 49 – Melloni.
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b) Voraussetzungen eines wirksamen Grundrechtsverzichts Die Wirksamkeit eines solchen Verzichts wird sodann an eine Reihe von Vorau ssetzungen geknüpft: Erforderlich ist ein freiwilliger Verzicht mittels einer unzweideutigen Verzichtserklärung bei gleichzeitiger Geltung gewisser prozessualer Sicherungen.224 aa) Freiwilligkeit des Verzichts Die Freiwilligkeit des Grundrechtsverzichtes meint in erster Linie die Bildung eines Verzichtswillens beim Grundrechtsinhaber ohne jede zurechenbare Beeinflussung durch den betreffenden Staat.225 Der Staat darf keinerlei Form von Druck ausüben oder sonstig auf die Entscheidungsfindung des zum Verzicht Berechtigten einwirken. Der Nachweis dieser Nichtbeeinflussung wird überdies dem betroffenen Staat auferlegt.226 bb) Unzweideutige Verzichtserklärung Darüber hinaus muss die Erklärung des Verzichts unzweideutig sein. Es muss der klare Wille zum Ausdruck kommen auf sein Grundrecht verzichten zu wollen.227 Der Verzicht muss nach dem EGMR nicht zwingend ausdrücklich erklärt werden, vielmehr kommt auch eine stillschweigende Verzichtserklärung in Betracht. Allerdings muss insbesondere die stillschweigende Verzichtserklärung den Verzichtswillen hinreichend deutlich machen und zeigen, dass die Bedeutung des Grundrechtsverzichts verstanden worden ist – die Beweislast trägt wiederum der betroffene Staat.228 224 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 27.02.1980, 6903/75, Deweer ./. B, Rn. 49 ff. (Freiwilligkeit); EGMR, Urteil vom 25.02.1992, 10802/84, Pfeifer and Plankl ./. AUT, Rn. 37 ff. (unzweideutig Verzichtserklärung) und EGMR, Urteil vom 28.12.2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 70 ff. (Prozessuale Sicherungen); für die Voraussetzungen nach der europäischen Grundrechtecharta siehe EuGH, Rs. C-399/11, Rn. 49 – Melloni. 225 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 27.02.1980, 6903/75, Deweer ./. B, Rn. 49 ff.; in neuerer Zeit, EGMR, Urteil vom 22.12.2009, 5962/03, Makarenko ./. RUS, Rn. 135; siehe auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 744 ff. mwN; für die Grundrechtecharta siehe wiederum EuGH, Rs. C-399/11, Rn. 49 – Melloni. 226 Hierauf weist Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 742 hin. 227 Vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 25.02.1992, 10802/84, Pfeifer and Plankl ./. AUT, Rn. 35 ff.; siehe wiederum EGMR, Urteil vom 28.12.2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 69 ff. mwN.; aus der Literatur Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 33 und Gaede, Fairness als Teilhabe, Rn. 742 ff. jeweils mwN; für die Grundrechtecharta vgl. erneut EuGH, Rs. C-399/11, Rn. 49 – Mel loni; ebenso Jarass, GRC, Art. 52, Rn. 18. 228 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 25.02.1992, 10802/84, Pfeifer and Plankl ./. AUT, Rn. 37 ff.; EGMR, Urteil vom 22.12.2009, 5962/03, Makarenko ./. RUS, Rn. 135; zur Beweislast wiederum Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 742.
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cc) Gewährleistungen eines Mindestmaßes an prozessualen Sicherungen Abschließend bedarf es für die Wirksamkeit eines Grundrechtsverzichtes nach Rechtsprechung und Literatur zu EMRK und Grundrechtecharta eines gewissen Mindestmaßes an prozessualen Sicherungen.229 Diese Schutzmechanismen sollen insbesondere sicherstellen, dass der Verzichtende klar vor Augen geführt bekommt und versteht, welche Konsequenzen ein Verzicht für seine Stellung im Prozess haben wird.230 Im Hinblick auf die Wirksamkeit der Grundrechte soll auf diese Weise sichergestellt werden, dass ein Verzicht nicht nur freiwillig, sondern vor allem auch umfassend informiert vollzogen wird.231
3. Eigene Ansicht: Der Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis Zum Abschluss sollen nun die Voraussetzungen eines wirksamen Verzichts auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta als eigene Ansicht entwickelt werden. a) Grundsatz: Disponibilität des Rechts auf Beweis Ein Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis ist auch nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich möglich.232 Der Verzicht auf die Inanspruchnahme des Schutzes der grundrechtlichen Gewährleistungen im Einzelfall ist – unter gewissen Voraussetzungen – ein Ausdruck der freien Selbstbestimmung eines Grundrechtsberechtigten und damit letztlich ein elementarer Teilgehalt jeder Grundrechtsordnung.233 Es ist gerade die Dialektik zwischen Grundrechten und Grundpflichten, die aufzeigt, dass der grundrechtliche Schutz einem Berechtigten nicht „aufgezwungen“ werden kann. Es existiert grundsätzlich gerade keine Verpflichtung, sich schützen lassen zu müssen. Die prozessualen Grundrechte sind die Sicherung bestimmter Strukturen im Prozess, die eine unparteiische Entscheidungsfin229 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom 25.02.1992, 10802/84, Pfeifer and Plankl ./. AUT, Rn. 37; ebenso EGMR, Urteil vom 28.12.2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 70 jeweils mwN; siehe auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 33: für die Grundrechtecharta siehe einmal mehr EuGH, Rs. C-399/11, Rn. 49 – Melloni. 230 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 09.09.2003, 30900/02, Jones ./. UK und EGMR, Urteil vom 22.12.2009, 5962/03, Makarenko ./. RUS, Rn. 135; aus der Literatur Gaede, Fairness als Teilhabe, Rn. 745 f. 231 In diese Richtung äußert sich EGMR, Urteil vom 06.10.2015, 4941/07, Coniac ./. RO, Rn. 50 ff.; Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 33. 232 So auch Rechtsprechung und Literatur zu Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta, siehe oben IV. 1.–3. 233 In diesem Sinne etwa EGMR, Urteil vom 28.12.2010, 40156/07, A.S. ./. FIN, Rn. 69 ff. und EuGH, Rs. C-399/11, Rn. 49 – Melloni.
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dung sicherstellen und insbesondere eine möglichst umfassende Beteiligung der Prozessparteien ermöglichen sollen. In diesem Sinne soll auch das Recht auf Beweis allein die Beteiligung der Prozessparteien am Beweisverfahren in ihrem jeweiligen Interesse sicherstellen. Hiernach ist der Verzicht auf dieses „Angebot“ der Beteiligung am Zivilprozess ein Ausdruck der freien Selbstbestimmung über die eigene prozessuale Situation. Ein entgegenstehendes öffentliches Interesse könnte allein im Rechtsstaatsprinzip zu sehen sein: Aus diesem Fundamentalprinzip lassen sich eine ganze Reihe von Anforderungen an einen Zivilprozess ableiten, die einen „rechtsstaatlichen“ Prozess ausmachen. In diesem Sinne ließe sich argumentieren, dass ein Prozess, in dessen Rahmen auf diese rechtsstaatlichen Sicherungen verzichtet werden kann, dem öffentlichen Interesse an einem solchen, rechtsstaatlichen Ablauf dieses Prozesses zuwiderlaufen würde. Indes verkennt eine solche Argumentation, dass der Verzicht seinerseits an bestimmte, rechtsstaatliche Voraussetzungen gebunden ist. Die Beachtung des freien Willens der Prozessparteien, auf ihre prozessualen Grundrechte verzichten zu können, wird ihrerseits durch das Rechtsstaatsprinzip an gewisse Voraussetzungen gebunden und damit in rechtsstaatlichen Bahnen gelenkt. Daher läuft ein wirksamer prozessualer Verzicht gerade nicht dem Rechtsstaatsprinzip zuwider, sondern stellt sich vielmehr in seinen Voraussetzungen als Ausdruck eines rechtsstaatlich organisierten Prozesses dar. Hiernach ist ein Verzicht auf das Recht auf Beweis auch im Hinblick auf die Beachtung öffentlicher Interessen grundsätzlich möglich. b) Terminologie: Verzicht auf einzelne Gewährleistungen im konkreten Fall Terminologisch ist der Begriff des „Grundrechtsverzichts“ vorliegend mit dem Schrifttum insbesondere zum deutschen Grundgesetz als Verzicht auf einzelne Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis anzusehen.234 Ein vollständiger und dauerhafter Grundrechtsverzicht iSe „Totalverzichts“ scheidet demgegenüber richtigerweise aus.235 c) Abgrenzung: Förmlicher Verzicht und faktische Nichtausübung Inhaltlich bedarf ein rechtsförmiger Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zudem der Abgrenzung von einer bloßen Nichtausübung seiner Gewähr-
234 Allgemein in diesem Sinne Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 1 f., 48 ff.; SachsSachs, GG, Vor. Art. 1, Rn. 53; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 131; ausführlich Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 37 ff. mwN. 235 Gegen einen „Totalverzicht“ Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 1 f. und 48 ff.; Sachs-Sachs, GG, Vor. Art. 1, Rn. 53; Dreier-Dreier, GG, Bd. 1, Vorb., Rn. 131.; Isensee/Kirchhof-Bethge, HStR IX, § 203, Rn. 104 ff.
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leistungen.236 Die Grundrechte umfassen neben der positiven Freiheit eine Handlung zu vollziehen richtigerweise auch die negative Freiheit diese Handlung gerade nicht auszuführen.237 Die Prozessparteien haben etwa ein Recht auf Stellung von Beweisanträgen, jedoch keine korrespondierende grundrechtliche Verpflichtung zur Stellung von Beweisanträgen. Problematisch für den hier interessierenden Zivilprozess erscheint, dass die prozessuale Untätigkeit einer Partei einerseits als bloße Nichtausübung der eigenen, verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, andererseits aber auch als konkludenter, rechtsförmiger Verzicht auf diese Gewährleistungen verstanden werden könnte.238 Die Abgrenzung wird in der Literatur richtigerweise in erster Linie anhand der Rechtsfolgenseite vollzogen: Die bloße Nichtausübung einer grundrechtlichen Freiheit kann jederzeit nachgeholt werden, während ein rechtsförmiger Verzicht – im Falle seiner Wirksamkeit – die Ausübung dieser konkreten Freiheit für die Zukunft ausschließt.239 Für die Beurteilung im konkreten Einzelfall wird im Hinblick auf die weitergehenden Voraussetzungen des Grundrechtsverzichts letztlich auf den erkennbaren Willens des Berechtigten abzustellen sein.240 d) Voraussetzungen eines wirksamen Verzichts Die Voraussetzungen eines wirksamen Verzichts auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis laufen kongruent zu den Anforderungen von Rechtsprechung und Literatur an einen Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK und Art. 47 II S. 1 GRC bzw. auf die Gewährleistungen des Justizgewährungsanspruches: Es bedarf auch nach hier vertretener Auffassung eines frei und informiert gebildeten Verzichtswillens, der mittels einer unzweideutigen Verzichtserklärung nach außen getragen wird.241
236 Allgemein zu dieser Abgrenzung Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 29 ff.; siehe auch Merten/ Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 1 ff. und Isensee/Kirchhof-Bethge, HStR IX, § 203, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 237 Vgl. insbesondere Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 29 ff.; instruktiv auch Merten/PapierMerten, HGR III, § 73, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 238 Vgl. etwa die Ausführungen in BVerfGE 106, S. 28, 45 ff.; siehe auch Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 31 f. 239 Vgl. Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 31 f.; Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 3 ff. jeweils mwN. kritisch gegenüber den verschiedenen Abgrenzungsvarianten Sturm, FS-Geiger, S. 173, 185 f. 240 Vgl. wiederum Bethge, Grundrechtsverzicht, S. 31 f.; Merten/Papier-Merten, HGR III, § 73, Rn. 3 ff.; instruktiv auch Sachs-Sachs, GG, Vor Art. 1, Rn. 53 ff. jeweils mwN; allgemein kritisch gegenüber einem bindenden Grundrechtsverzicht Sturm, FS-Geiger, S. 173, 197 ff. 241 In diesem Sinne auch die jeweilige Rechtsprechung und Literatur, siehe oben IV. 1. und 2.
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2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
aa) Freie und informierte Bildung des Verzichtswillens Der Verzichtswille meint die Entscheidung des Grundrechtsberechtigten, den Schutz der grundrechtlichen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis bewusst nicht in Anspruch zu nehmen. Die diesbezügliche Willensbildung des Grundrechtsinhabers ist nur frei, wenn keinerlei staatlich zurechenbarer Zwang ausgeübt wird. Insbesondere muss jede Form von physischer oder psychischer Gewalt bzw. Drohung ausgeschlossen sein. Gleiches gilt für eine bewusste Täuschung des Grundrechtsberechtigten. Eine „Drohung“ mit einem Nachteil ist nur insoweit zulässig, als der Nachteil eine zwangsläufige Folge des Verzichtes ist und das Gericht den Berechtigten über diesen zwingend eintretenden Nachteil informieren muss.242 Die Entscheidung darf mit keinerlei prozessualen oder sonstigen Nachteilen für den Fall des Aufrechterhaltens des Grundrechtsschutzes verbunden werden. Jede der benannten Arten staatlicher Einflussnahme führt zur unheilbaren Unwirksamkeit des Verzichts. Die Bildung des Verzichtswillens kann zudem nach hier vertretener Ansicht sinnvollerweise nur erfolgen, wenn der Grundrechtsberechtigte sich auch über die Konsequenzen seines Verzichts im Klaren ist. Daher muss das erkennende Gericht den Berechtigten über die etwaigen Konsequenzen seines Verzichts im konkreten Einzelfall, insbesondere über die Auswirkungen auf seine prozessuale Stellung und seine Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung umfassend aufklären. Richtigerweise sind prozessuale Sicherungen erforderlich, um diese Aufklärung des Grundrechtsberechtigten sicherzustellen.243 bb) Unzweideutige Verzichtserklärung Abschließend muss der frei und informiert gebildete Verzichtswille mittels einer entsprechenden Verzichtserklärung durch den Grundrechtsberechtigten nach außen kundgetan werden. Inhaber des Rechts auf Beweis sind die jeweiligen Parteien des Zivilprozesses. Eine Einschränkung ihrer Dispositionsbefugnis in Bezug auf das Recht auf Beweis erscheint nach hier vertretener Ansicht kaum denkbar. Die Parteien können über ihre beweisrechtliche Stellung im Prozess grundsätzlich frei verfügen. Der Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis kann ausdrücklich erklärt werden, sich aber auch konkludent aus dem Verhalten des Berechtigten ergeben. In jedem Fall muss der Verzichtswille deutlich nach außen hin erkennbar werden. Insbesondere an die Annahme einer konkludenten Verzichtserklärung sind strenge Anforderungen in Form objektiver Anhaltspunkte zu stellen.244
242
Vgl. insbesondere BVerfGE 128, S. 282, 300 ff. in diesem Sinne auch EGMR und EuGH, siehe oben IV. 2. b. cc. 244 In diesem Sinne äußern sich wiederum EGMR und EuGH, siehe IV. 2. b. bb. 243 Allgemein
§ 8 Die Grenzen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC
455
cc) Rechtsfolge: Rechtfertigung eines Eingriffes in das Recht auf Beweis Rechtsfolge eines wirksamen Verzichts ist die Rechtfertigung eines Eingriffes in das Recht auf Beweis. Die Einwilligung des Grundrechtsberechtigten ändert nichts an der grundsätzlichen Verkürzung seiner effektiven Nachweismöglichkeiten im Einzelfall und damit eines Eingriffes in den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis. Allerdings kann ein solcher Eingriff mit Einwilligung des Grundrechtsberechtigten keine Verletzung des Rechts auf Beweis darstellen. Daher wird ein Eingriff in den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis durch die wirksame Einwilligung des Berechtigten im Ergebnis gerechtfertigt.245
VI. Zusammenfassung: Die Grenzen des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC In diesem Paragraphen wurden die Grenzen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta herausgearbeitet. Systematisch galt es in dieser Untersuchung zwischen dem Eingriff in die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis und der Rechtfertigung einer solchen Einschränkung zu unterscheiden. Den Beginn bildete auch in diesem Paragraphen eine Analyse von Rechtsprechung und Literatur zu den jeweiligen Fragestellungen in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta. Es zeigte sich bereits bei dieser Betrachtung eine ganz erhebliche Übereinstimmung in Rechtsprechung und Literatur zu den drei untersuchten Grundrechtsordnungen in Bezug auf die Eingriffsdefinition und die Grenzen der grundrechtlichen Gewährleistungen des Justizgewährungsanspruches im Grundgesetz bzw. des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC. Aufbauend auf dieser Kongruenz von Rechtsprechung und Literatur wurden sodann auch die Grenzen des Rechts auf Beweis für Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta gemeinsam entwickelt: Ein Eingriff in das Recht auf Beweis wurde definiert als jede unmittelbare, rechtliche oder mittelbar-faktische Verkürzung des in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gewährleisteten Mindeststandards des effektiven Nachweises eigener Rechte im Zivilprozess durch zurechenbares staatliches Handeln oder Unterlassen. Die erste untersuchte Grenze bildete die zwangsweise Einschränkung des Rechts auf Beweis. Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis ist grundsätzlich für alle drei Grundrechtsordnungen möglich. Allerdings folgte aus der vorbehaltlosen Gewährleistung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz und EMRK wie auch aus 245 In diese Richtung auch Hufen, StR II, § 6, Rn. 42 f. mwN, der aber weitergehend zwischen Grundrechtsverzicht und Einwilligung differenziert; in Richtung eines Eingriffsausschlusses tendierend demgegenüber die h. M. siehe etwa BVerfGE 85, S. 386, 398 und BVerfGE 128, S. 282, 300 ff.
456
2. Hauptteil: Das Recht auf Beweis in GG, EMRK und GRC
Art. 52 I GRC, dass eine solche Einschränkung nur durch kollidierende Grundrechte bzw. Allgemeingüter gleichen Ranges aufgrund eines hinreichend bestimmten und allgemein zugänglichen Parlamentsgesetzes zulässig ist. In formeller Hinsicht muss der Gesetzgeber die wesentlichen grundrechtsrelevanten Fragestellungen durch das Parlamentsgesetz selbst regeln und zudem die Anforderungen an Zuständigkeit, Verfahren und Form insbesondere nach dem Grundgesetz einhalten. In materieller Hinsicht ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch die Einschränkung zu wahren. Mithin ist ein legitimes Ziel zu verfolgen, zu dessen Erreichen die einschränkende gesetzliche Regelung auch geeignet und erforderlich ist sowie abschließend die Angemessenheit iSe Gesamtabwägung nach dem Maßstab der praktischen Konkordanz wahrt. Zudem darf auch der Wesensgehalt des Rechts auf Beweis als eine subjektive, absolut wirkende Grenze jeder Einschränkung nicht angetastet werden. Als zweite Grenze wurde abschließend der Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in den Blick genommen. Ein solcher Verzicht auf einzelne Gewährleistungen des Rechts auf Beweis ist grundsätzlich möglich. Den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips wird durch die Einhaltung bestimmter Voraussetzungen Genüge getan. Ein wirksamer Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis setzt einen frei und informiert gebildeten Verzichtswillen voraus, der mittels einer unzweideutigen Verzichtserklärung durch den Inhaber des Rechts auf Beweis nach außen kundgetan wird. Rechtsfolge ist die Rechtfertigung eines Eingriffes in das Recht auf Beweis.
3. Hauptteil
Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der deutschen Zivilprozessordnung
§ 9
Beweisrechtliche Grundsätze I. Einleitung Im Rahmen der bisherigen Untersuchung wurde das Recht auf Beweis in seinem Gewährleistungsgehalt, wie auch seinen Grenzen in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta herausgearbeitet. Es wurde mithin das „abstrakte“ Recht auf Beweis als prozessuales Grundrecht umfassend analysiert und dargestellt. Allerdings soll sich diese Arbeit nicht in der abstrakten Ausarbeitung des Rechts auf Beweis auf Ebene der drei untersuchten Grundrechtsordnungen erschöpfen. Vielmehr lebt das Recht von seiner Anwendung und kann sich nur in dieser konkreten Anwendung in jeder einzelnen Fallkonstellation als sachgerecht erweisen. In diesem dritten Hauptteil soll daher der herausgearbeitete Maßstab des Rechts auf Beweis für eine Überprüfung des deutschen Zivilprozessrechts herangezogen werden.
1. Die Prüfung der ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis Das Recht auf Beweis als prozessuales Grundrecht umfasst in seinem konkreten Anwendungsbereich eine kaum zu übersehende Fülle möglicher Anwendungsfälle. In Betracht kommt seine Anwendung auf die bekannten Fallkonstellationen des Beweisrechts wie auch eine Vielzahl noch unbekannter Fallgestaltungen. Daher gilt es im ersten Schritt, einige Gedanken auf Gegenstand und Umfang dieser Untersuchung der deutschen ZPO zu verwenden. a) Prüfungsgegenstand Diese Arbeit soll nachfolgend die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der geltenden Zivilprozessordnung überprüfen und damit die Frage, inwiefern der grundrechtlich vorgegebene Mindeststandard des Rechts auf Beweis in dieser Prozessordnung verwirklicht worden ist. Außerdem gilt es zu prüfen, inwieweit ein etwaiges Unterschreiten dieses Mindeststandards und damit Einschränkungen des Rechts auf Beweis durch einzelne Normen der ZPO nach den drei untersuchten Grundrechtsordnungen gerechtfertigt sind. Diese Prüfung orientiert sich aus Gründen der Einfachheit und Übersichtlichkeit erneut an der Systematik der ZPO. Das Hauptaugenmerk liegt – neben allgemeinen Normen – auf einer Darstellung des Zivilprozesses
460
3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
vor dem Landgericht in erster Instanz, den die ZPO als Blaupause für die weiteren Arten von Zivilprozessen vorsieht.1 Ausgehend von diesem Prozess werden auch die Eigenarten des amtsgerichtlichen Zivilprozesses in der ZPO analysiert. b) Prüfungsumfang im Einzelfall Bereits im Rahmen der abstrakten Ausarbeitung wurde betont, dass eine Darstellung des prozessualen (Grund-) Rechts auf Beweis keine praktische Möglichkeit bietet, alle denkbaren Fallkonstellationen abzubilden. Dieser Punkt ist für die konkrete Überprüfung der deutschen ZPO in besonderem Maße herauszustellen: Eine Untersuchung der konkreten Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in jeder möglichen Fallkonstellation und in jedem Detail der ZPO ist auch im Rahmen einer monographischen Untersuchung nicht denkbar. Darüber hinaus erscheint eine so kleinteilige Analyse auch gar nicht erforderlich. Es ist gerade der Sinn und Zweck abstrakter Systembildung, eine vorhersehbare und gleichmäßige Anwendung auf jeden denkbaren, noch unbekannten Einzelfall zu ermöglichen. Die abstrakte Ausarbeitung des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen sollte eine ebensolche Rechtsanwendung ermöglichen. Nichtsdestoweniger sollen nachfolgend die wesentlichen Regelungen der ZPO auf ihre Übereinstimmung mit dem grundrechtlichen Maßstab eines Rechts auf Beweis überprüft werden. Die Untersuchung konzentriert sich hierbei auf eine Überprüfung der wesentlichen Gesetzesnormen in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Schrifttum. Innerhalb dieser konkreten Auslegung der ZPO wird der Fokus auf die herrschende Auffassung bzw. im Streitfalle auf die wesentlichen Ansichten in Rechtsprechung und Literatur gerichtet. Eine Darstellung jeder gesetzlichen Vorschrift mit einer noch so kleinen Schnittmenge zum Recht auf Beweis soll im Hinblick auf die Praktikabilität der Untersuchung ebenso wenig erfolgen, wie eine Analyse jeder einzelnen Ansicht im Schrifttum.
2. Der Gang der Untersuchung Den Beginn dieser Untersuchung bildet die Frage nach der Ausgestaltung der beweisrechtlichen Grundsätze des Rechts auf Beweis im geltenden Zivilprozessrecht. Es folgt eine Überprüfung der einzelnen Schritte eines Beweisverfahrens: die Stellung eines Beweisantrages, die anschließende Beweisaufnahme unter Einschluss von Beweiswürdigung und Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen. Anschließend wird der Prozess vor den Amtsgerichten und den Rechtsmittelgerichten und ihre Ausgestaltung in der ZPO anhand des Rechts auf Beweis überprüft. Den Abschluss soll eine kurze Darstellung der Rechtsschutzmöglichkeiten des einzelnen Grundrechtsberechtigten im Falle einer Verletzung des Rechts auf Beweis bilden. 1
Siehe zu dieser gesetzlichen Systematik etwa Schilken, ZPR, § 21, Rn. 768.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
461
Dieser Paragraph beginnt mit der Untersuchung beweisrechtlicher Grundsätze, die durch das Recht auf Beweis gewährleistet werden. Es handelt sich um Gewährleistungen, die der eigentlichen Beweisaufnahme entweder zeitlich vorgelagert sind oder die gesamte Beweisaufnahme betreffen und daher vorab zu untersuchen sind. Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis sind im Bereich dieser Grundsätze besonders umfangreich, so dass sich ein solcher Grundsatz regelmäßig in einer ganzen Reihe verschiedener Normen der ZPO verwirklicht. Es handelt sich bei diesen Normen in aller Regel ihrerseits um sehr weit gefasste Vorschriften, so dass im Rahmen der beweisrechtlichen Grundsätze die Untersuchung einer Auslegung dieser Normen in Übereinstimmung mit dem Recht auf Beweis im Vordergrund steht. Erst wenn eine solche Auslegung nicht den Mindeststandard des Rechts auf Beweis erreicht, stellt sich die Problematik einer etwaigen Rechtfertigung von Eingriffen. Die Darstellung der eigenen Ansicht beginnt in Übereinstimmung mit der bisherigen Reihenfolge dieser Arbeit mit den Anforderungen des Rechts auf Beweis im deutschen Grundgesetz, bevor sich der gemeinsame Maßstab von EMRK und europäischer Grundrechtecharta anschließt. Dafür spricht insbesondere die Erkenntnis des vorangegangenen Hauptteils, dass das Recht auf Beweis im Grundgesetz in einzelnen Gewährleistungsgehalten über den Maßstab von EMRK und europäischer Grundrechtecharta hinausgeht und auch allgemein der Ermessensspielraum des jeweiligen Konventions- bzw. Mitgliedstaates nach EMRK und Grundrechtecharta weiter gefasst ist.2 Es erscheint daher für die Überprüfung der ZPO sachdienlich, mit einer Überprüfung am Maßstab des stärksten grundrechtlichen Gewährleistungsgehaltes zu beginnen und sodann die möglichen Abweichungen nach den anderen Grundrechtsordnungen darzustellen.
II. Das Recht der Prozessparteien auf Information Der erste beweisrechtliche Grundsatz des Rechts auf Beweis ist im Recht auf Information zu erblicken. Im Rahmen der Untersuchung des Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis wurde ausführlich dargelegt, dass eine effektive Beweisführung im Prozess ein umfassendes Informationsbild der Parteien voraussetzt.3 Daher stellt sich nun die Frage, welche Normen der ZPO als Ausgestaltung dieser Informationsrechte in Betracht kommen und ob der Mindeststandard des Rechts auf Beweis durch diese Normen gewahrt wird.
2
Siehe hierzu § 7 I. 2. und II. 2. zu diesem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis § 7 III. 1.
3 Ausführlich
462
3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
1. Die gerichtliche Hinweispflicht des § 139 I und II ZPO Eine der wohl wichtigsten Vorschriften des Rechts der Parteien auf Information ist zugleich eine Zentralnorm der ZPO: Die materielle Prozessleitung des Gerichts in § 139 ZPO und insbesondere die richterliche Hinweispflicht, deren Voraussetzungen und Umfang in § 139 I und II ZPO normiert werden. a) Die Auslegung des § 139 I und II ZPO Diese Norm wird regelmäßig als die „Magna Charta“ der ZPO bezeichnet.4 Sie spielt bei der Ausgestaltung der Informationsrechte der Prozessparteien aus ihrem Recht auf Beweis eine wesentliche Rolle. Daher soll diese Vorschrift in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur und speziell in Bezug auf das Beweisrecht eingehend analysiert werden: aa) Grundlagen der Hinweispflicht nach § 139 I und II ZPO Die richterliche Hinweispflicht lässt sich in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen insgesamt auf § 139 I und II ZPO zurückführen. In § 139 III ZPO findet sich eine Hinweispflicht auf solche Punkte, die von Amts wegen zu beachten sind, während § 139 IV und V ZPO die weiteren Modalitäten der Hinweispflicht regeln.5 Es handelt sich bereits dem Wortlaut nach um eine echte Verpflichtung des Gerichts, die Parteien bei ihre Prozessführung unter bestimmten Umständen zu unterstützten.6 Außerdem ist es im Hinblick auf Systematik und Telos der Norm heute weitgehend anerkannt, dass die richterliche Hinweispflicht im Partei- und Anwaltsprozess gleichermaßen Geltung hat.7 Allerdings wird teilweise eine Differenzierung des Umfanges dieser Verpflichtung je nach Art des Prozesses befürwortet.8 Indes sind sich Rechtsprechung und Literatur weitgehend einig, dass den Parteien nicht das Risiko der Anwaltswahl aufgebürdet werden darf, sondern vielmehr der Fokus auf die ef4 Vgl. etwa Prütting, FS-Musielak, S. 397, 399 und Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 1 jeweils mwN. 5 Ausführlich in neuerer Zeit Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 342 ff. (§ 139 II ZPO) und S. 393 ff. (§ 139 I S. 1 und 2 ZPO); siehe auch MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 22 ff. 6 Vgl. etwa BGH NJW 1982, S. 580; aus der Literatur Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 27 und MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 3 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77, Rn. 15 ff. jeweils mwN. 7 Vgl. etwa BGH NJW 1995, S. 399, 401; ebenso BGH NJW 2002, S. 3317, 3320 und BGH NJW 2007, S. 2414, 2416; zustimmend auch Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 266 ff.; Schneider, NJW 1986, S. 971 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77, Rn. 16; MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 4 ff. und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 25 f. jeweils mwN; im Grundsatz auch Bahlmann, ZPO-Reform, S. 96 ff. 8 In diesem Sinne äußert sich Bahlmann, ZPO-Reform, S. 96 ff.; ähnlich Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 6; zurückhaltender in diese Richtung Piekenbrock, NJW 1999, S. 1360, 1362.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
463
fektive Rechtsverwirklichung gesetzt werden muss, so dass bei erkennbarer Unkenntnis in jedem Fall ein Einschreiten erforderlich wird.9 Die richterliche Hinweispflicht wird regelmäßig in Konflikt zum Gebot richterlicher Neutralität gesetzt. Eine zu weitreichende Gewährung von Hinweisen könne berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Gerichts auslösen.10 Teile der Literatur halten dieser Sichtweise entgegen, dass dieser Konflikt bereits durch die Schaffung einer gesetzlichen Regelung der Hinweispflicht aufgelöst worden ist. Eine Anwendung der gesetzlichen Vorschrift des § 139 ZPO könne daher bei einem nach Art. 1 III GG an Recht und Gesetz gebundenen Gericht niemals die Besorgnis der Befangenheit auslösen.11 Dem hält die herrschende Ansicht entgegen, dass der Wortlaut des § 139 I und II ZPO sehr weit gefasst sei und gerade diese Weite eine exakte Bestimmung der Grenzen der Hinweispflicht erschwere und zu diesem Konflikt führe. Eine exakte Grenze ist auch nach der herrschenden Auffassung abstrakt kaum zu ziehen. Annäherungsweise lässt sich sagen, dass ein Gericht einen Hinweis zu erteilen hat, wenn eine Partei ihr ersichtlich angestrebtes Prozessziel mit dem gewählten Weg nicht erreichen kann, aber gerade nicht selbstständig auf einen neuen Weg hinweisen darf.12 Eine anderweitige Information der Prozesspartei, etwa durch die Gegenseite, ist grundsätzlich denkbar. Allerdings werden nach herrschender Auffassung hohe Anforderungen gestellt. Ein solcher Hinweis muss für die betreffende Partei klar und deutlich sein und muss erkennbar verstanden werden.13 Das Gericht darf sich nicht zu früh und einfach von seiner Pflicht entlastet fühlen.14 Im Einzelnen enthält § 139 I und II ZPO folgende Regelungen: § 139 I S. 1 ZPO normiert die Erörterungspflicht des Gerichts zum Sach- und Streitstand. Die Parteien müssen vorab durch das Gericht auf die aus seiner Sicht wesentlichen Fragestellungen und Streitpunkte hingewiesen werden, auf die es im konkreten Prozess ankommt.15 Sinn und Zweck ist es, den Parteien eine effektive Dispositionsmöglichkeit 9 Vgl. BGH NJW 2007, S. 2414, 2416; zum effektiven Rechtsschutz im Anwaltsprozess auch BGH MDR 2010, S. 648 f.; ausführlich Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 266 ff.; in diese Richtung auch MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 4 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 77, Rn.17; anders wohl Bahlmann, ZPO-Reform, S. 97 f. 10 Ausführliche diesen Zusammenhang beleuchtend bereits BGH NJW 1979, S. 1925, 1927; in neuerer Zeit BGH NJW 2004, S. 164 f.; ausführlich Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 86 ff. 11 In diesem Sinne insbesondere MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 9 f.; Deubner, FS-Schiedermair, S. 79, 85 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 16; ähnlich Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 20 f. jeweils mwN. 12 In diese Richtung BGH NJW 2004, S. 164 f.; ausführlich aus der Literatur Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 89 ff.; zustimmend auch Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 5 jeweils mwN. 13 Vgl. BGH NJW-RR 2008, S. 581; aus der Literatur ausführlich und kritisch Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 271 ff.; im Grundsatz zustimmend MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 18 f. jeweils mwN. 14 In diese Richtung gehend BGH NJW-RR 2008, S. 581; explizit auch MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 19. 15 Ausführlich Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 393 ff.; siehe auch MüKo-Wagner, ZPO I,
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
an die Hand zu geben, um auf Basis dieser Informationen die eigene Prozessführung effektiv ausrichten zu können.16 § 139 I S. 2 ZPO regelt sodann die eigentliche Mitwirkungspflicht des Gerichts an der Prozessführung der Parteien. Das Gericht muss hiernach aktiv auf eine sachdienliche Prozessführung, insbesondere eine entsprechende Antragstellung und Beweisführung hinwirken.17 Das Kriterium der Sachdienlichkeit ist im Hinblick auf seinen Sinn und Zweck nach herrschender Auffassung subjektiv zu verstehen und bezieht sich demnach auf die erkennbaren Prozessziele der jeweiligen Partei.18 In seiner aktuellen Fassung seit der ZPO-Reform von 2001 sieht § 139 I S. 2 ZPO ausdrücklich eine Verpflichtung des Gerichts zur Mitwirkung an der Bezeichnung von Beweismitteln vor – neben der ohnehin bestehenden, allgemeinen Verpflichtung zum Mitwirken bei der Erklärung über alle erheblichen Tatsachen. Das erkennende Gericht muss also auch und gerade im Beweisrecht die Parteien informieren und aktiv in ihrer Beweisführung unterstützten.19 § 139 II ZPO enthält abschließend ein Verbot von Überraschungsentscheidungen und damit letztlich eine Forderung, die Rechtsprechung und Literatur aus Art. 103 I GG ableiten.20 Teilweise wird § 139 II ZPO als Spezialnorm zur allgemeinen Hinweispflicht des § 139 I ZPO angesehen, nach wohl herrschender Meinung indes als Ergänzung zu § 139 I ZPO begriffen.21 Das Gericht muss hiernach auf alle Gesichtspunkte hinweisen, die eine Partei bzw. ihr Vertreter erkennbar übersehen (§ 139 II S. 1 ZPO) oder die vom Gericht anders beurteilt werden, als von beiden Parteien
§ 139, Rn. 24 ff.; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 28 ff.; Wieczorek/Schütz-Smid, ZPO III, § 139, Rn. 69 ff. 16 Vgl. bereits Spohr, richterliche Aufklärungspflicht, S. 152 f.; ähnlich Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 251 ff. jeweils mwN. 17 Vgl. etwa BGH NJW 2003, S. 3626, 3628; in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2010, S. 70; aus der Literatur Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 274 ff.; siehe auch MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 19; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 41 ff. und Wieczorek/Schütz-Smid, ZPO III, § 139, Rn. 82 ff. 18 Ausführlich in diesem Sinne Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 275 ff.; ebenso Bahlmann, ZPO-Reform, S. 72 f.; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 47 ff.; aA demgegenüber MüKo-Wag ner, ZPO I, § 139, Rn. 26. 19 Eine ausführliche Darstellung dieser Veränderungen durch die ZPO-Reform von 2001 bietet Bahlmann, ZPO-Reform, S. 73 ff. und 85 ff.; siehe auch Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 331 ff. 20 Vgl. zur verfassungsrechtlichen Fundierung etwa BVerfG NJW 1991, S. 2823; hierauf Bezug nehmend etwa BGH NJW-RR 2010, S. 70; zustimmend Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 342 ff.; Bahlmann, ZPO-Reform, S. 37 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 57 ff.; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 17 ff. 21 Für eine Spezialität spricht sich aus: Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 430 ff.; demgegenüber für ein Verständnis als Ergänzung des § 139 I ZPO: Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 17 f.; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 57 ff.; ausführlich auch Wieczorek/Schütz-Smid, ZPO III, § 139, Rn. 195 ff. jeweils mwN.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
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gemeinsam (§ 139 II S. 2 ZPO).22 In seiner neuen Fassung gilt diese Hinweispflicht nun ausdrücklich auch für tatsächliche Gesichtspunkte und damit die hier interessierenden Fragen des Beweisrechts.23 Die Hinweispflicht zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen nach § 139 II ZPO ist dabei als Ausfluss des Art. 103 I GG grundsätzlich unabhängig von einem etwaigen Verschulden der Unkenntnis durch die Parteien – ungeachtet einer möglichen Präklusion von anschließendem Vorbringen wegen eines schuldhaften Verstoßes gegen die Prozessförderungspflichten nach § 296 II ZPO.24 Ein gerichtlicher Hinweis muss in allen Fällen des § 139 I und II ZPO ausdrücklich erteilt und klar formuliert werden.25 Ein allgemein gehaltener Hinweis auf etwaige Fehler genügt nicht, vielmehr muss das Gericht ganz spezifisch einen bestimmten Mangel benennen, so dass die Partei mit der gebotenen Sorgfalt erkennen kann, welche Handlungsanweisungen für sie aus diesem Hinweis folgen.26 Außerdem muss ein Hinweis nach § 139 IV ZPO so früh wie möglich erteilt und nötigenfalls die Verhandlung für eine hinreichende Reaktionsmöglichkeit unterbrochen (§ 139 V ZPO) oder sogar wiedereröffnet werden.27 bb) Die Hinweispflicht des § 139 I und II ZPO im Beweisrecht Diese hier skizzierte Hinweispflicht ist auch im Beweisrecht von großer Bedeutung. In der Rechtsprechung des BGH hat sich eine Vielzahl von Fallkonstellationen mit beweisrechtlichem Bezug herausgebildet, in denen eine gerichtliche Aktivität nach § 139 I und II ZPO gefordert wird. Die wesentlichen Fallgestaltungen der richterlichen Hinweispflicht nach Rechtsprechung und Literatur sollen im Folgenden kurz dargestellt werden: So haben die Gerichte ganz allgemein einen Hinweis auf die Anforderungen zu erteilen, die sie an eine beantragte Beweisaufnahme stellen.28 Ein 22 Ausführlich wiederum Liu, richterlich Hinweispflicht, S. 354 ff.; siehe auch Wieczorek/ Schütz-Smid, ZPO III, § 139, Rn. 195 ff. jeweils mwN. 23 Zu dieser Veränderung siehe Bahlmann, ZPO-Reform, S. 100 ff.; ausführlich auch Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 354 ff. 24 Vgl. allgemein wiederum BVerfG NJW 1991, S. 2823 f.; auf die Präklusionsmöglichkeit verweisend etwa MüKo-Fritsche, ZPO I, § 139, Rn. 42 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 22 jeweils mwN. 25 In diesem Sinne ausdrücklich BGH NJW 1995, S. 399, 401; ebenso BGH NJW 2003, S. 3626, 3628; zustimmend Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 392 f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 20 jeweils mwN. 26 Vgl. wiederum BGH NJW 1995, S. 399, 401; ebenso BGH NJW 2003, S. 3626, 3628; ebenso Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 392 f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 20. 27 Ausdrücklich zum Erfordernis der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung BGH NJW-RR 1997, S. 441; in neuerer Zeit BGH NZBau 2013, S. 631 f.; aus der Literatur siehe allgemein zu den beweisrechtlichen Fallkonstellationen der Hinweispflicht Liu, richterlichen Hinweispflicht, S. 331 ff. 28 Vgl. etwa BVerfG NJW-RR 1995, S. 828; ebenso BGH NJW 1998, S. 155 f.; in diese Richtung auch Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 331 ff. mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
solcher Hinweis ist insbesondere in Bezug auf die Substantiierungsanforderungen an einen Beweisantrag erforderlich, so dass eine Partei erkennen kann, ob ihr Beweisantrag im Hinblick auf ihren Vortrag zulässig ist.29 Weiterhin muss das Gericht seine Rechtsansichten so weit offenlegen, dass die Parteien die entscheidungserheblichen Tatsachen erfassen können und nötigenfalls explizit auf die Entscheidungserheblichkeit hinweisen.30 Ein solcher Hinweis auf die Entscheidungserheblichkeit von Tatsachen ist insbesondere dann erforderlich, wenn sich die Rechtsauffassung des Gerichts im Verlaufe des Prozesses verändert.31 Außerdem ist ein gerichtlicher Hinweis erforderlich, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen dass eine Partei einen gewollten Beweisantritt übersehen hat oder fälschlicherweise von einer bereits erfolgten Antragstellung auszugehen scheint.32 Weiterhin muss das Gericht explizit auf die Folgen einer Beweisvereitelung hinweisen, bevor es die entsprechenden Rechtsfolgen für die Prozessparteien eintreten lässt.33 Auch ein Hinweis auf die Verteilung der Beweislast kann im Einzelfall vom erkennenden Gericht nach § 139 I und II ZPO gefordert sein.34 Eine Hinweispflicht kann abschließend im Rahmen der gerichtlichen Beweiswürdigung bestehen. So muss das Gericht auf seine Beweiswürdigung hinweisen, wenn sich eine Partei erkennbar in Unkenntnis dieser Würdigung befindet.35 Eines zwingenden Hinweises bedarf außerdem eine abweichende Beurteilung der Beweiswürdigung in der Berufungsinstanz.36 b) Eigene Ansicht Die richterliche Hinweispflicht des § 139 I und II ZPO spielt auch nach hier vertretener Auffassung für die Informationsrechte der Prozessparteien aus dem Recht auf Beweis eine zentrale Rolle. In ihrem Wortlaut ist § 139 I und II ZPO weit gefasst, so 29 Ausführlich BGH NJW 1998, S. 155 f.; siehe auch BGH NJW 1999, S. 3716 und BGH NJWRR 2004, S. 281, 282 jeweils mwN; aus der Literatur Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 8; MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 22 f. und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 29 ff. 30 Instruktiv zum Hinweis auf die Entscheidungserheblichkeit BGH NJW 2003, S. 3626, 3628; siehe auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 80 ff. und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 29 ff. 31 In diesem Sinne BGH NJW 2002, S. 3317, 3320; ebenso BGH NJW 2007, S. 2414, 2416. 32 Vgl. etwa BGH NJW 1986, S. 428, 429; zustimmend MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 45; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 41; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 139, Rn. 128 f. 33 In diesem Sinne BGH NJW 1986, S. 2371, 2372 f. 34 In diese Richtung gehend BGH NJW 1991, S. 2707, 2708 f.; ebenso Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 14; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 139, Rn. 128 f.; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 43. 35 Siehe BGH NJW 1989, S. 2756, 2757; zustimmend Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 336 ff. 36 Vgl. aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 2003, S. 2524; siehe auch BGH NJW 2005, S. 3284 und in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2010, S. 70 f.; aus der Literatur MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 47 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 14 jeweils mwN.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
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dass eine Auslegung dieser Norm anhand des Maßstabes des Rechts auf Beweis in weitem Umfange möglich ist. Es gilt nun zu prüfen, ob eine solche Auslegung der richterlichen Hinweispflicht in § 139 I und II ZPO die Mindestanforderungen aus dem Recht auf Beweis der Prozessparteien erfüllen kann. Es ist eine entsprechende Auslegung dieser Norm zu entwickeln und darüber hinaus zu prüfen, ob die § 139 I und II ZPO in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur diesem Maßstab gleichfalls gerecht werden. aa) § 139 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Die Parteien müssen im ersten Schritt die Rechtsansichten des Gerichtes kennen, um entsprechend dieser Ansichten die entscheidungserheblichen, zu beweisenden Tatsachen herausfiltern und darauf zielende Beweisanträge stellen zu können. Erst die Kombination aus dem Sachvortrag der Gegenpartei, den eigenen Ausführungen und der Kenntnis der Rechtsansichten des Gerichtes ermöglicht eine effektive Beweisführung im Zivilprozess.37 Eine solche Verpflichtung zur Offenlegung der eigenen Rechtsansichten lässt sich nach hier vertretener Ansicht zwanglos unter die Formulierung der Erörterung des „Sach- und Streitverhältnisses“ iSd § 139 I S. 1 ZPO subsumieren. Im Falle eines nicht entscheidungserheblichen Beweisantrages oder im umgekehrten Falle des Fehlens eines Beweisantrages zu einer entscheidungserheblichen Tatsache ist das Gericht zu einem entsprechenden Hinweis nach § 139 I S. 2 ZPO verpflichtet. Ein solcher Hinweis ist umso mehr erforderlich, falls sich die zuvor geäußerten Rechtsansichten des Gerichtes im Verlaufe des Prozesses verändern. Auf eine solche Änderung hat das Gericht nach § 139 I S. 2 ZPO explizit hinzuweisen. Sodann hat das Gericht ganz allgemein mittels eines Hinweises offenzulegen, welche Anforderungen nach seiner Ansicht an einen zulässigen Beweisantrag zu stellen sind, um eine Beweiserhebung zu ermöglichen. In dieser Hinweispflicht verwirklicht sich nach hier vertretener Ansicht das Hinwirken auf „sachdienliche“ Beweisanträge und damit das Anliegen des § 139 I S. 2 ZPO. Durch die Einfügung des „Bezeichnens der Beweismittel“ lässt sich diese grundrechtliche Anforderung wiederum ohne Probleme unter § 139 I S. 2 ZPO subsumieren. Die Hinweispflicht gilt insbesondere in Bezug auf das erforderliche Maß an Substantiierung eines Beweisantrages. Sollte ein solcher Antrag nach Ansicht des Gerichts nicht hinreichend substantiiert sein, so ist ein expliziter Hinweis erforderlich. Weiterhin hat das Gericht – zumindest auf Nachfrage der Parteien – mitzuteilen, ob es eine entscheidungserhebliche Tatsache als erwiesen ansieht oder nicht. Das Gericht muss jedenfalls auf Nachfrage seine Beweiswürdigung so weit offenlegen, dass die Parteien wissen, ob ein weiterer Beweisantritt von ihrer Seite aus erforderlich ist. Die Parteien sind als Außenstehende gerade nicht in der Lage, den inneren 37
Diesen Zusammenhang betont auch Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 238 f. mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Prozess der Würdigung von Beweismitteln durch das Gericht nachzuvollziehen. Doch gerade der Stand der Beweiswürdigung ist für das weitere prozessuale Verhalten und den effektiven Rechtsnachweis unerlässlich. Daher müssen die Parteien die Möglichkeit an die Hand bekommen, den derzeitigen Stand der Sachlage zu erörtern, wie auch § 139 I S. 1 ZPO seinem Wortlaut nach gewährleistet. Das Gericht muss darüber hinaus selbst aktiv werden, wenn eine Partei ihre beweisrechtliche Situation erkennbar falsch bewertet und von einer falschen Einschätzung des bisherigen Verlaufes der Beweisaufnahme ausgeht. Das Gericht hat sodann mittels eines Hinweises nach § 139 I S. 2 ZPO seine bisherige Beweiswürdigung soweit offenzulegen, dass die Partei ihre beweisrechtliche Situation zutreffend einschätzen kann. Eine abweichende Beweiswürdigung in der Berufungsinstanz bedarf ebenfalls eines ausdrücklichen Hinweises des erkennenden Gerichts nach § 139 I S. 2 ZPO. Weiterhin hat das Gericht nach § 139 I S. 2 ZPO darauf hinzuweisen, ob Beweisanträge in erster Instanz durch seine veränderte Rechtsansicht entscheidungserheblich werden und ob ein erneuter Antrag erforderlich ist. Allgemein muss das Gericht mit seinen Erörterungen nach § 139 I S. 1 ZPO und seinen Hinweisen und Fragen nach § 139 I S. 2 ZPO zu einer effektiven Beweisführung der Parteien aktiv beitragen. Es muss die Parteien auf etwaige Fehler und Lücken in ihrer Beweisführung hinweisen. Das Verbot von Überraschungsentscheidungen nach § 139 II ZPO stellt nach hier vertretener Ansicht eine Ergänzung zur allgemeinen Hinweispflicht des § 139 I ZPO dar.38 Das Gericht hat hiernach einen Hinweis zu erteilen, wenn eine Partei – und sei es aus eigenem Verschulden – in Unkenntnis tatsächlicher oder rechtlicher Gesichtspunkte ist (§ 139 II S. 1 ZPO) oder sich beide Parteien übereinstimmend in Unkenntnis der gerichtlichen Auffassung befinden (§ 139 II S. 2 ZPO). Dieser Regelungsgehalt ließe sich auch unter die allgemeine Hinweispflicht des § 139 I ZPO subsumieren, so dass § 139 II ZPO als eine Ergänzung derselben erscheint. Im Hinblick auf die ausdrückliche Normierung eben dieser Fallkonstellationen ist § 139 II ZPO indes als lex specialis vorrangig anzuwenden. Die Hinweispflicht im Falle einer erkennbaren, einseitigen oder beiderseitigen Unkenntnis der Parteien über tatsächliche Gesichtspunkte folgt als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis sodann aus § 139 II ZPO. Die gerichtlichen Hinweise müssen klar, deutlich und präzise sein. Sie müssen den konkreten Mangel ansprechen und der Partei aufzeigen, welcher Fehler vorliegt, ohne dass ein eigenständiger Lösungsvorschlag des Gerichts erforderlich wäre. Darüber hinaus normiert § 139 IV ZPO richtigerweise, dass dieser Hinweis so früh wie möglich erteilt werden muss, um als Partei effektiv darauf reagieren zu können. Erforderlichenfalls muss die Verhandlung nach § 139 V ZPO unterbrochen werden. Auch eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung kann im Hinblick auf den 38
In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 139, Rn. 17 f.; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 57 ff. jeweils mwN.
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effektiven Nachweis eigener Rechte geboten sein, wenn eine effektive Reaktionsmöglichkeit der Partei zeitlich nicht möglich war. Diese Erörterungs- und Hinweispflicht nach § 139 I und II ZPO gilt auch nach hier vertretener Ansicht im Partei-, wie auch im Anwaltsprozess.39 Das Recht auf Beweis fordert eine effektive Nachweismöglichkeit der eigenen Rechte unabhängig von der Wahl eines anwaltlichen Beistandes. Sinn und Zweck ist ein effektiver Rechtsschutz der Prozessparteien und nicht die Sanktionierung etwaiger anwaltlicher Fehler auf Kosten dieser Partei. Die richterliche Neutralitätspflicht kann nach hier vertretener Auffassung im Rahmen des Beweisrechts kaum mit der richterlichen Hinweispflicht kollidieren. Das Gericht gibt den Parteien Hinweise auf die Anforderung der Beweisführung und etwaige Fehler in ihrer jeweiligen Beweisführung. Damit weist das Gericht die Parteien aber bildlich gesprochen lediglich auf die Anforderungen des von ihnen gewählten Weges und etwaige Fehler hin, die einem Erreichen der eigenen prozessualen Ziele mit dem gewählten Weg entgegenstehen. Durch beweisrechtliche Hinweise wird den Parteien hiernach „lediglich“ die tatsächliche Seite umfassend dargelegt und gerade kein neuer, rechtlicher Weg zum Erfolg aufgezeigt. Allenfalls der Hinweis auf ein vollkommen neues, bislang nicht erwähntes Beweismittel könnte im Hinblick auf die Neutralität des Gerichtes problematisch sein.40 Denn sobald eine Partei in ihren Schriftsätzen ein Beweismittel auch nur andeutet, ist ein entsprechender Hinweis im Hinblick auf die effektive Beweisführung unproblematisch möglich. Allerdings stellt sich sodann die Frage, in welcher Konstellation das Gericht Kenntnis von einem Beweismittel haben sollte, das nicht einmal den Prozessparteien bekannt ist. In dieser – sehr unwahrscheinlichen – Konstellation wäre an der Neutralität des Gerichts wohl nicht allein wegen des richterlichen Hinweises, sondern vielmehr aufgrund des offenkundigen, persönlichen Wissens um den konkreten Fall zu zweifeln. Im Übrigen ist kaum eine Kollision der richterlichen Hinweispflicht mit dem Recht auf Beweis denkbar. Zusammengefasst ermöglicht die weite Auslegung der richterlichen Hinweispflicht aus § 139 I und II ZPO eine umfassende Information der Prozessparteien, die dem Mindeststandard des Rechts auf Beweis im Grundgesetz Genüge tut. Die Auslegung des § 139 I und II ZPO nach Rechtsprechung und Literatur kommt dieser Sichtweise bereits sehr nahe. Lediglich in einzelnen Mitteilungspflichten geht das Recht auf Beweis zum Zwecke einer effektiven Beweisführung über die herrschende Ansicht hinaus.
So auch die ganz h. M. siehe etwa BGH NJW 2007, S. 2414, 2416; Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 266 ff.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 139, Rn. 4 ff. und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 139, Rn. 25 f. jeweils mwN. 40 Siehe allgemein zu diesem Kriterium nach h. M. BGH NJW 2004, S. 164 f.; ausführlich auch Liu, richterliche Hinweispflicht, S. 89 ff. mwN. 39
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
bb) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Das Recht auf Information nach der EMRK und der europäischen Grundrechte charta weist in weiten Teilen eine Übereinstimmung mit dem Recht auf Information nach dem Grundgesetz auf. Es wurde bereits geklärt, dass diese Nähe aus der Übereinstimmung der Grundwerte folgt, aus denen sich das Recht auf Beweis herleitet. Die Ermöglichung eines effektiven Rechtsnachweises als Ausgleich für das staatliche Gewaltmonopol ist allen drei Grundrechtsordnungen als Grundgedanke und Grundwertung immanent. Eine Unterscheidung kommt – abgesehen von einigen wenigen grundsätzlichen Gewährleistungen – lediglich in Bezug auf die Weite des staatlichen Ermessens bei der Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in Betracht. Allen drei Grundrechtsordnungen ist hiernach ein umfassendes Recht auf Information als wesentliche Voraussetzung einer effektiven Beweisführung im Zivilprozess immanent. Die obige Auslegung des § 139 I und II ZPO lässt sich daher in gleichem Maße für die EMRK und die europäische Grundrechtecharta fruchtbar machen.
2. Das Recht auf Einsicht in die Prozessakten nach § 299 ZPO Das Recht auf Information in der ZPO wird vervollständigt durch das Recht auf Akteneinsicht als Ausfluss des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen. Ein vollständiges Bild des Zivilprozesses eröffnet sich für eine Prozesspartei nur, wenn sie Kenntnis der Sichtweise der Gegenseite, wie auch des Gerichts erlangen kann. Ein Recht auf Einsicht in die Prozessakten wird als wesentlicher Bestandteil dieses Akteneinsichtsrechtes in § 299 ZPO explizit normiert. Darüber hinaus ist die Zuziehung weiterer Akten denkbar, insbesondere Behörden- oder Gerichtsakten aus anderen Prozessen. Für diese Akten existieren regelmäßig spezielle Einsichtsrechte, wie etwa § 29 VwVfG für die Einsichtnahme in Behördenakten, die ihrerseits im Lichte des Rechts auf Beweis auszulegen sind. Der Fokus soll jedoch an dieser Stelle auf einer Analyse des ausdrücklich normierten Einsichtsrechtes des § 299 I ZPO liegen. a) Das Akteneinsichtsrecht in Rechtsprechung und Literatur In Rechtsprechung und Literatur wird § 299 ZPO einhellig als Ausprägung verfassungsrechtlicher Vorgaben des Grundgesetzes für den Zivilprozess angesehen: In aller Regel wird für die Fundierung des Akteneinsichtsrechts auf Art. 103 I GG verwiesen.41 Allerdings wird teilweise auch der Zusammenhang zur Teilhabe der Parteien an einer effektiven Wahrheitserforschung und damit zum effektiven Rechts41 In diesem Sinne in jüngster Zeit BVerfG NJW 2014, S. 1581, 1582 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 299, Rn. 1; MüKo-Prütting, ZPO I, § 299, Rn. 1 ff.; Wagner, ZZP 108 (1995), S. 193, 217; Werner, FS-Kim, S. 311, 327 ff. jeweils mwN.
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schutz hervorgehoben.42 Aufgrund dieses verfassungsrechtlichen Hintergrundes wird das Akteneinsichtsrecht regelmäßig weit ausgelegt: Hiernach umfasst dieses Recht alle vorbereitenden und bestimmenden Schriftsätze der Gegenpartei, wie auch alle Verfügungen, Beschlüsse, Protokolle und sonstigen Äußerungen des Gerichts.43 Ausgenommen sind nach § 299 IV ZPO lediglich die gerichtsinternen Entscheidungsentwürfe. Teilweise wird auch auf eine teleologische Auslegung des Akteneinsichtsrechts nach § 299 I ZPO verwiesen: Demnach müssen einer Partei alle Akten zugänglich gemacht werden, die sie benötigt, um sich über den Stand des Prozesses wie auch die Entscheidungsgrundlage zu informieren.44 Keine Einsicht ist demgegenüber in die Handakten der gegnerischen Partei zu gewähren.45 Gleiches gilt für Urkunden, die als Beweismittel vorgelegt wurden, da diese Urkunden den Parteien zurückzugeben sind.46 Beigezogene Akten von Behörden und Gerichten sind insoweit einsichtsfähig, als die jeweilige Behörde bzw. das jeweilige Gericht der Einsichtnahme zugestimmt hat. Eine eigenmächtige Einsichtsgewährung wird demgegenüber ganz herrschend abgelehnt.47 Allerdings wird zugleich betont, dass eine gerichtliche Verwertung dieser Akten im Falle der Einsichtsverweigerung gerade nicht in Betracht kommt.48 Seinem Wortlaut nach ermöglicht § 299 I ZPO keine Berücksichtigung von Rechten der vorlagepflichtigen Gegenpartei. In Teilen der Literatur wird im Hinblick auf das Prozessverhältnis und die Bedeutung der Kenntnis der Prozessakten sodann ein ebensolches, vorbehaltloses Einsichtsrecht der Prozessparteien untereinander angenommen.49 Das Bundesverfassungsgericht hat dieser Sichtweise in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Schrifttum widersprochen und die Berücksichtigung etwaiger Gegenrechte angemahnt.50 Allerdings folgt auch nach dieser herrschenden 42
So explizit BVerwG NJW 1988, S. 1280; zustimmend Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 299, Rn. 2. 43 Ausführlich zum Inhalt des Akteneinsichtsrechts bereits BGH NJW 1952, S. 305 f.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 299, Rn. 12 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 299, Rn. 4 ff.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 299, Rn. 2; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 299, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 44 In diesem Sinne äußert sich Schneider, MDR 1984, S. 108, 109. 45 Vgl. Schneider, MDR 1984, S. 108, 109 mwN. 46 Siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 299, Rn. 45 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 299, Rn. 6. 47 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1952, S. 305 f.; hierauf in jüngster Zeit bezugnehmend BVerfG NJW 2014, S. 1581, 1582; zustimmend MüKo-Prütting, ZPO IV, § 299, Rn. 6 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 299, Rn. 2 jeweils mwN; ähnlich Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 299, Rn. 47 ff., der auf ein Einsichtsrecht unmittelbar aus Art. 103 I GG verweist. 48 So ausdrücklich BVerfG NJW 2014, S. 1581, 1582; zustimmend wiederum Stein/JonasThole, ZPO IV, § 299, Rn. 47 ff.; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 299, Rn. 6 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 299, Rn. 2 jeweils mwN. 49 So Prütting, ZZP 106 (1993), S. 427, 456 mwN. 50 Siehe wiederum BVerfG NJW 2014, S. 1581, 1582; zustimmend Wagner, ZZP 108 (1995), S. 193, 217 f.; Prütting/Gehrlein-Deppenkemper, ZPO, § 299, Rn. 4.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Meinung aus der Verweigerung einer Einsichtsgewährung die Unverwertbarkeit einer Akte.51 b) Eigene Ansicht: § 299 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Recht auf Beweis gewährleistet in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen eine umfassende Information der Prozessparteien zum Zwecke einer effektiven Beweisführung. Die Kenntnis aller Schriftsatz und sonstigen prozessrelevanten Äußerungen des Gerichts und aller anderen Beteiligten stellt hierbei das absolute Minimum notwendiger Informationen dar, um einen rechtsstaatlichen Prozess zu gewährleisten, in dessen Rahmen die Parteien effektiv ihre Rechte wahrnehmen können. Die Parteien haben daher ein umfassendes Recht auf Einsicht in alle für den jeweiligen Prozess relevanten Akten.52 Dieser Gewährleistungsgehalt lässt sich einfach-rechtlich über eine weite Auslegung des § 299 I ZPO ausgestalten: Die Parteien haben hiernach über § 299 I ZPO in Auslegung durch das Recht auf Beweis ein Recht auf Einsicht in alle für den jeweiligen Prozess angefertigten und sonstig relevanten Schriftstücke inne. Etwaige Gegenrechte sind auch im Rahmen des Akteneinsichtsrechts nach § 299 I ZPO zu berücksichtigen. Allerdings ist eine umfassende Information der Parteien als Grundvoraussetzung für eine effektive Beweisführung anzusehen, so dass im Regelfall eine Einsichtnahme zu gewähren ist. Dies gilt umso mehr für solche Akten, die allein für den konkreten Prozess angefertigt worden sind. Die Parteien müssen zumindest in Bezug auf offizielle Schriftstücke des konkreten Prozesses auf einem gemeinsamen Informationsniveau sein, um eine effektive Prozessführung überhaupt erst zu ermöglichen. Eine diesbezügliche Verweigerung des Akteneinsichtsrechts aus § 299 I ZPO kommt daher nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht. Nicht zu den einsichtsfähigen Akten iSd Rechts auf Beweis zählt die Handakte der gegnerischen Prozesspartei. Diese Akte ist gerade nicht für das offizielle Einbringen im Prozess gedacht, sondern enthält vielmehr die Zusammenfassung der eigenen Rechtsansichten und Prozessstrategien einer Partei, die sich sodann für die Gegenpartei in den Handlungen dieser Partei zeigen.53 Urkunden, die als Beweismittel in den Prozess eingebracht werden, zählen gleichfalls nicht zu den Akten iSd § 299 I ZPO in Auslegung durch das Recht auf Beweis. Eine mögliche Vorlage von Urkunden wird im Hinblick auf ihren Charakter als Beweismittel des Strengbeweises durch das Gesetz vielmehr in § 142 ZPO und den §§ 422 ff. ZPO geregelt. Das Recht auf Beweis gewährleistet zudem keine bestimmte Art und Weise der Einsichtsgewährung. Eine Einsichtnahme kann über das Anfertigen von Kopien oder 51 Vgl. wiederum BVerfG NJW 2014, S. 1581, 1582; ebenso Prütting/Gehrlein-Deppenkemper, ZPO, § 299, Rn. 4; unklar demgegenüber Wagner, ZZP 108 (1995), S. 193, 217 f. 52 Siehe zu diesem Gewährleistungsgehalt oben § 7 III. 1. 53 Siehe hierzu auch Schneider, MDR 1984, S. 108, 109 mwN.
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auch die Einsichtsgewährung in der Geschäftsstelle des Gerichts iSd § 299 I ZPO geschehen. Einzige durch das Recht auf Beweis gezogene Grenze ist die Effektivität der Einsichtsgewährung.
III. Die Ausgestaltung der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG Diese Informationspflichten durch das staatliche Gericht stehen in engem Zusammenhang mit der weitergehenden Fragestellung, ob die Parteien des Zivilprozesses einander qua Recht auf Beweis dazu verpflichtet sind, Informationen offenzulegen und Beweismittel vorzulegen.
1. Grundlagen: Die Auslegung der §§ 141, 142 und 144 ZPO Bereits im abstrakten Teil dieser Untersuchung wurde herausgearbeitet, dass das Recht auf Beweis zu seiner effektiven Geltung einen gewissen Informationsaustausch zwischen den Prozessparteien voraussetzt. Die Parteien wissen über den aufzuklärenden Sachverhalt regelmäßig am besten Bescheid, indes ebenso regelmäßig nicht in gleichem Maße. Diese Informationsasymmetrie zwischen den Prozessparteien erschwert für die unterlegene Partei in hohem Maße eine effektive Beweisführung. Das Recht auf Beweis entfaltet daher eine mittelbare Drittwirkung auf die Parteien des Zivilprozesses.54 Eine mittelbare Drittwirkung lässt sich nach den bisherigen Feststellungen jedoch nur für das Grundgesetz annehmen, so dass sich die nachfolgenden Darstellungen ausschließlich auf das Recht auf Beweis im Grundgesetz beziehen. Eine solche, mittelbare Drittwirkung vollzieht sich nach deutschem Grundrechtsverständnis über die Auslegung des einfachen Rechts und insbesondere die einfach-rechtlichen Generalklauseln.55 Eine mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis würde die Herausgabe von Informationen und Beweismitteln zwischen den Parteien unter Vermittlung durch das Gericht zum Ziel haben. Als Auslegungsbasis für eine solche Drittwirkung bieten sich in erster Linie die §§ 141 ff. ZPO an: Ihrem Wortlaut nach regeln diese Normen ausschließlich die amtswegige Aufklärung und Beweismittelbeschaffung durch das Gericht. Doch bereits durch einzelne Normen der ZPO werden diese Regelungen mit der Beweiserhebung der Prozessparteien verknüpft, etwa in § 371 II S. 1 ZPO und § 428 ZPO. Außerdem ermöglichen diese Normen in ihrem generalklauselartigen Aufbau eine Anordnung des Gerichts über die Beweismittel der Urkundenvorlage, des Augen54 Ausführlich zu diesem Gewährleistungsgehalt einer mittelbaren Drittwirkung oben § 7 II. 2. und III. 1. e. 55 Zur Wirkungsweise einer mittelbaren Drittwirkung siehe wiederum § 7 II. 2. und III. 1. e.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
scheins und der sachverständigen Begutachtung in den §§ 142, 144 ZPO sowie einen Zugriff auf die Informationen der Prozessparteien nach § 141 ZPO. Ein wesentlicher Teil der Beweismittel des Strengbeweises der ZPO ist somit durch diese Normen erfasst. Daher eigenen sie sich für eine verfassungskonforme Auslegung am Maßstab des Rechts auf Beweis und seiner mittelbaren Drittwirkung auf die Prozessparteien. § 143 ZPO erfasst demgegenüber allein die Vervollständigung der Gerichtsakten und gerade nicht die Vorlage von Beweismitteln.56 In diesem Sinne sichert § 143 ZPO die Information des Gerichts, wie auch der Parteien weiter ab. Für die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis spielt diese Norm indes keine Rolle. Vorab sei kurz die zu untersuchende Konstellation dargestellt: Die Auslegung der §§ 141, 142 und 144 ZPO bezieht sich allein auf Fallgestaltungen, in denen eine Prozesspartei einen Antrag auf Vorlage des begehrten Beweismittels an das Gericht stellt. Es geht also gerade nicht um eine amtswegige Beweiserhebung, sondern allein um einen parteiinitiierten und parteigewollten Zugriff auf Beweismittel, die sich im Besitz der gegnerischen Partei oder eines Dritten befinden und daher einer Vorlage durch die beweisbelastete Prozesspartei vordergründig entzogen scheinen. Eine amtswegige Beweiserhebung wird an dieser Stelle nicht untersucht. Die Parteiinitiative wird durch die umfassenden Informations- und Hinweispflichten des Gerichts sichergestellt. Eine solchermaßen informierte Partei kann sich sodann entscheiden, ob sie auf eine Beweismittelvorlage dringt oder nicht. Das Recht auf Beweis möchte den Parteien des Zivilprozesses eine effektive Möglichkeit des Rechtsnachweises an die Hand geben. Eine Pflicht zum Rechtsnachweis, iSe Verpflichtung zur effektiven Beweisführung und umfassenden Wahrheitserforschung wird den Parteien jedoch nicht aufoktroyiert.
2. Die Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 141 ZPO Den Beginn der Untersuchung bildet die Regelung über die Anordnung des persönlichen Erscheinens in § 141 ZPO und damit die Fragestellung, inwieweit die Angaben der Parteien selbst als Beweismittel angesehen und verwertet werden können: a) § 141 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die Anordnung persönlichen Erscheinens in § 141 ZPO wird von Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich streng vom Beweismittel der Parteivernehmung in den §§ 445 ff. ZPO getrennt.57 Die persönlich erschienene Partei soll nach § 141 ZPO im 56 Vgl. Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 143, Rn. 1 ff. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 143, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 57 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2006, S. 672 f.; ausführlich aus der Literatur bereits Polyzogopou los, Parteianhörung, S. 118 ff.; ebenso Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 141, Rn. 3 f.; Wieczorek/
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Grundsatz lediglich informell befragt werden, um Unklarheiten aufzuklären und die Sammlung des Streitstoffes voranzutreiben.58 Die Angaben der Parteien nach § 141 ZPO haben hiernach keinen Beweiswert und können nach ganz herrschender Meinung auch nicht als Geständnis iSd § 288 ZPO gewertet werden, sondern allenfalls eine Tatsachenbehauptung nach § 138 III ZPO unstreitig stellen.59 In dieser Auslegung verläuft eine klare Trennlinie zwischen der informellen Befragung der erschienenen Partei nach § 141 ZPO und dem formalen Beweismittel der Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO. Allerdings wird diese Grenzziehung in der Rechtsprechung und teilweise auch im Schrifttum zusehends dahingehend verwischt, dass auch die informellen Parteiaussagen als Teil des „gesamten Inhaltes der Verhandlung“ in die Würdigung nach § 286 I ZPO einbezogen werden.60 Im Hinblick auf die Abgrenzung zwischen einer Parteianhörung nach § 141 ZPO und den eigentlichen Vorschriften über die Beweiserhebung einer Parteiaussage in den §§ 445 ff. ZPO erscheint diese Würdigung nach § 286 I ZPO zumindest diskussionsbedürftig.61 Die Parteianhörung nach § 141 ZPO wird insbesondere in der speziellen Konstellation eines Vier-Augen-Gespräches über § 286 I ZPO mit einem Beweiswert versehen. In diesem Fall ist zwischen den Prozessparteien eine Tatsache streitig, die sich aus einem Gespräch mit nur zwei anwesenden Personen ergibt. Typischerweise kann eine der Parteien die anwesende Person – beispielsweise ihren Mitarbeiter – als Zeugen benennen, während die andere Partei nur selbst anwesend war, jedenfalls aber nur die eigene Aussage als Beweismittel anbieten kann.62 Auch und gerade vor dem Hintergrund der EMRK in Auslegung durch den EGMR ist in Rechtsprechung und Literatur für diese Konstellation weitgehend anerkannt, dass die vermeintlich beweislose Partei berechtigt sein muss, eine Äußerung mit Beweiswert treffen zu können. Dabei wird in der Rechtsprechung ausdrücklich auf die Parteianhörung nach § 141 ZPO und ihre WürdiSchütze-Smid, ZPO III, § 141, Rn. 1 ff.; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 141, Rn.2 und aus praktischer Sicht Lang, NJW 2002, S. 476, 477 ff. jeweils mwN; kritisch demgegenüber Schöpflin, NJW 1996, S. 2134 ff. 58 Vgl. explizit BGH NJW 2002, S. 2247, 2248; ebenso MüKo-Wagner, ZPO I, § 141, Rn. 1; Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 141, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III § 141, Rn. 1 jeweils mwN. 59 Vgl. zur fehlenden Geständniswirkung BGH NJW-RR 2006, S. 672 f.; zustimmend MüKoWagner, ZPO I, § 141, Rn. 3; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 141, Rn. 2 jeweils mwN. 60 Vgl. BGH NJW-RR 1991, S. 983; ebenso BGH NJW-RR 1992, S. 920; siehe auch BGH NJW-RR 2006, S. 672, 673 f.; weitergehend Schöpflin, NJW 1996, S. 2134 ff. 61 Kritisch Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 141, Rn. 3 und MüKo-Wagner, ZPO I, § 141, Rn. 4 jeweils mwN. 62 Vgl. zu den typischen Konstellationen eine Vier-Augen-Gespräches BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BGH NJW 2003, S. 3636; im Anschluss an EGMR, Urteil vom EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.; ausführlich Schöpflin, NJW 1996, S. 2134 ff.; Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 141, Rn. 5 ff. und Wieczorek/ Schütze-Smid, ZPO III, § 141, Rn. 1 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
gung nach § 286 I ZPO als Alternative zu einer förmlichen Parteivernehmung verwiesen.63 Insbesondere in einer solchen Konstellation wird der Parteianhörung nach § 141 ZPO daher durch die herrschende Meinung qua Verfassung eine beweisrechtliche Funktion zugeschrieben. b) Eigene Ansicht: § 141 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Beweismittel der Parteivernehmung in seinem formellen Rahmen durch die §§ 445 ff. ZPO ist auch nach hier vertretener Auffassung streng von einer bloß informellen Befragung der Partei nach § 141 ZPO zu unterscheiden.64 Allerdings wird im Rahmen der weiteren Untersuchung die Subsidiarität der Parteivernehmung als nach hier vertretener Ansicht mit dem Recht auf Beweis unvereinbar herausgearbeitet.65 Somit ist es einer Prozesspartei ohne weiteres möglich, ihre eigene Vernehmung herbeizuführen und der eigenen Aussage Beweiskraft zu verleihen. Insoweit bedarf es keiner Korrektur des einfachen Rechts über eine Vermischung von Parteianhörung nach § 141 ZPO und Parteivernehmung nach den §§ 445 ff. ZPO. Denkbar ist allenfalls eine gewisse, mittelbare Drittwirkung des § 141 ZPO dahingehend, dass eine Prozesspartei sich für die mündliche Verhandlung die Beantragung einer Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei vorbehalten möchte. Die Herbeiführung der Anwesenheit der gegnerischen Partei würde somit eine Vorbereitung der eigentlichen Beweisaufnahme und das Bereitstellen eines Beweismittels darstellen. Denkbar ist eine solche, mittelbare Drittwirkung indes nur dann, wenn eine Partei berechtigterweise in Unkenntnis über die Erforderlichkeit einer etwaig zu beantragenden Parteivernehmung ist – so etwa, wenn nur wenige Beweismittel auf beiden Seiten zur Verfügung stehen, deren konkrete Beurteilung zudem stark von ihrer Erhebung abhängen. Etwaige Gegenrechte der jeweiligen Gegenpartei sind im Rahmen einer Abwägung im Einzelfall zu berücksichtigen.
3. Die Anordnung der Urkundenvorlage nach § 142 ZPO In seiner originären Ausprägung ermöglicht § 142 ZPO eine amtswegige Vorlageanordnung für Urkunden durch das erkennende Gericht. In diesem Zusammenhang werden in der Literatur eine Vielzahl von Einzelfragen über das Verhältnis des § 142 ZPO zum Beibringungsgrundsatz der ZPO diskutiert.66 Für diese Untersuchung ist 63
In diesem Sinne bereits BGH NJW 1998, S. 306 f.; ausführlich sodann BGH NJW 1999, S. 363, 364 f. und BGH NJW 2003, S. 3636 jeweils mwN; siehe auch die kritische Analyse von Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 141, Rn. 5 ff. mwN. 64 In diesem Sinne insbesondere Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 141, Rn. 3 mwN. 65 Ausführlich zu dieser Fragestellung § 12 III. 5. a. und b. 66 Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 67 ff.; siehe auch Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 145 ff.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 142, Rn. 2 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 1 jeweils mwN.
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indes von einem entsprechenden Antrag der beweisbelasteten Prozesspartei auf Anordnung einer Urkundenvorlage gegenüber der Gegenpartei oder Dritten auszugehen. Eine Vorlageanordnung auf alleinige Initiative einer Partei erübrigt etwaige Diskussionen um die Einhaltung des Beibringungsgrundsatzes und stellt sich vielmehr als Ausprägung desselben dar. § 142 ZPO ist als eine ganz wesentliche Norm für die Umsetzung der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis anzusehen: Sie erlaubt es dem Gericht, zum Zwecke des Rechtsnachweises einer Partei eine Anordnung gegenüber der anderen Partei zu treffen. Der Charakter einer Drittwirkung ist dieser Norm daher seit jeher immanent. Zusammen mit seinem offenen Wortlaut eignet sich § 142 ZPO für eine entsprechende Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis und seiner Drittwirkung im Hinblick auf die Pflichten der Parteien zur Beweismittelvorlage und konkret zur Vorlage von Urkunden. Zu Beginn soll erneut die Auslegung des § 142 I und II ZPO in Rechtsprechung und Literatur kurz skizziert werden, bevor sich die Entwicklung der eigenen Ansicht anschließt: a) § 142 I S. 1 Alt. 1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die Vorlagepflichten der gegnerischen Prozesspartei für Urkunden nach § 142 I S. 1 Alt. 1 ZPO wurde durch die ZPO-Reform von 2001 neu gefasst und in Teilen erweitert. In der Literatur hat dies zu deutlicher Kritik bis hin zur Furcht vor einem mit der U.S.-amerikanischen pre-trial discovery vergleichbaren Missbrauchspotential geführt.67 Teile der Literatur sind so weit gegangen, der Urkundenvorlage nach § 142 I ZPO eine Beweisfunktion abzusprechen.68 Demgegenüber erkennen der BGH und das herrschende Schrifttum vor dem Hintergrund des klaren gesetzgeberischen Willens eine eng begrenzte, prozessuale Vorlageanordnung nach § 142 I ZPO grundsätzlich an.69 Allerdings stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach einer Harmonisierung der Vorlageanordnung von Amts wegen mit der Vorlageanordnung als Beweisantritt einer Prozesspartei nach den §§ 421 ff. ZPO: Die prozessuale Vorlagepflicht des § 142 I ZPO lässt es ihrem Wortlaut nach genügen, dass eine der Prozessparteien sich auf eine Urkunde bezieht, während § 423 ZPO ausdrücklich eine Bezugnahme der gegnerischen Prozesspartei verlangt und damit eine deutlich engere Grenze zieht. Bedeutende Teile der Literatur lösen diese Fragestellung dahingehend auf, dass eine Vorlageanordnung nach § 142 I S. 1 Alt. 1 ZPO die weiteren Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO erfülKritisch äußert sich etwa Leipold, FS-Gerhardt, S. 563 ff.; einen kurzen, klärenden Rechtsvergleich bieten demgegenüber Zekoll/Bolt NJW 2002, S. 3129, 3133 ff. und Prütting, AnwBl 2008, S. 153 ff. allerdings jeweils mit der Maßgabe einer sehr zurückhaltenden Auslegung des § 142 ZPO. 68 In diesem Sinne Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 311 ff. 69 So BGH NJW 2007, S. 2989, 2991 f.; zustimmend etwa Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 142, Rn. 1 ff.; im Ergebnis ebenso Wagner, JZ 2007, S. 706, 709 f. ausführlich Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 60 ff. jeweils mwN. 67
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len muss und somit zugunsten einer engeren Auslegung der prozessualen Vorlagepflicht.70 Der BGH geht mit Teilen der Literatur demgegenüber von einer Vorlageanordnung allein unter den Voraussetzungen des § 142 ZPO aus.71 Hintergrund ist neben dem klaren gesetzgeberischen Willen vor allem die Unterschiedlichkeit in den Rechtsfolgen dahingehend, dass § 142 I ZPO eine Ermessensentscheidung des Gerichts darstellt.72 Vorzulegen sind unter diesen Voraussetzungen Urkunden und sonstige Unterlagen, zu deren Spezifizierung auf die frühere Rechtslage und damit beispielhaft auf Stammbäume, Pläne, Risse und sonstige Zeichnungen verwiesen wird.73 Diese Urkunden und Unterlagen müssen sich im Besitz einer Partei befinden, wobei mittelbarer Besitz nach ganz herrschender Meinung genügen soll.74 Darüber hinaus müssen im Falle eines Parteiantrages auf Erlass einer Vorlageanordnung auch die allgemeinen Anforderungen an einen Beweisantrag, insbesondere eine hinreichende Substantiierung erfüllt sein.75 Die Grenzen der Vorlagepflicht einer Prozesspartei sind in § 142 I und II ZPO nicht ausdrücklich normiert. Der BGH hat unter Zustimmung der Literatur das Zumutbarkeitserfordernis in Bezug auf Dritte aus § 142 II S. 1 ZPO analog auf die Prozessparteien angewendet.76 Teilweise plädiert der BGH auch für eine unmittelbare Berücksichtigung etwaiger Gegenrechte im Rahmen des Vorlageermessens in § 142 I ZPO durch das erkennende Gericht.77 Ob in dieser leicht abweichenden Verortung der Prüfung der Gegenrechte ein inhaltlicher Unterschied zu sehen ist, darf indes bezweifelt werden. Es erfolgt sodann eine Abwägung der widerstreitenden Rechte im Einzelfall, wobei als Gegenrechte insbesondere das APR nach Art. 2 I iVm Art. 1 I GG, aber auch Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse 70 In diesem Sinne insbesondere Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 142, Rn. 19 ff.; ebenso Wieczorek/Schütze-Smid, § 142, Rn. 12 f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 144, Rn. 10; Schreiber, JR 2008, S. 1, 5 jeweils mwN. 71 So ausdrücklich BGH NJW 2007, S. 2989, 2991 f.; zustimmend etwa Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 62 ff.; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn.7; Zekoll/Bolt, NJW 2002, S. 3129, 3130 jeweils mwN. 72 Vgl. wiederum BGH NJW 2007, S. 2989, 2991 f. und Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 63 ff. 73 Ausführlich Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 77 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Alt hammer, ZPO II, § 142, Rn. 12 ff. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 2 jeweils mwN. 74 Siehe erneut Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 104 ff.; ebenso Stein/Jonas-Altham mer, ZPO II, § 142, Rn. 16; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 3 jeweils mwN; aA Kraayvan ger/Hilgard NJ 2003, S. 572. 75 Vgl. BGH NJW 2007, S. 2989, 2992; ebenso BGH NJW-RR 2008, S. 865, 868; zustimmend etwa Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 89 ff.; ebenso Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 142, Rn. 9 ff. und Wagner, JZ 2007, S. 706, 712 jeweils mwN. 76 So BGH NJW-RR 2007, S. 106, 107; zustimmend MüKo-Wagner, ZPO I, § 144, Rn. 11; ausführlich zu den einzelnen Lösungsansätzen auch Becker, MDR 2008, S. 1309, 1311 ff. 77 In diesem Sinne die unwesentlich jüngere Entscheidung BGH NJW 200, S. 2989, 2991 f.; zustimmend Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 146 ff. und Zekoll/Bolt NJW 2002, S. 3129, 3131 jeweils mwN.
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nach Art. 12 GG in Betracht kommen. Das Risiko des Prozessverlustes soll jedoch gerade keine Rolle bei dieser Vorlageentscheidung spielen.78 Eine Urkundenvorlage ist nach dem Konzept des § 142 ZPO gegenüber einer Partei nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar. Vielmehr wird eine Weigerung nach Rechtsprechung und Literatur im Rahmen der §§ 286, 427 ZPO frei gewürdigt.79 b) § 142 I S. 1 Alt. 2 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die Anordnung der Urkundenvorlage gegenüber Dritten in § 142 I S. 1 Alt. 2 ZPO wurde durch die ZPO-Reform von 2001 neu eingefügt und die prozessualen Vorlagepflichten damit deutlich erweitert.80 Eine Anwendung der §§ 422 ff. ZPO auf die Vorlagepflicht Dritter kommt nach herrschendem Schrifttum – anders als im Rahmen der Parteivorlage – aufgrund der expliziten Normierung eines Beweisantrittes durch einen Antrag auf Vorlageanordnung in § 428 ZPO nicht in Betracht.81 Vielmehr genügen die Bezugnahme einer der Prozessparteien und der zumindest mittelbare Besitz des Dritten an der Urkunde.82 Darüber hinaus sind im Falle eines Parteiantrages wiederum die allgemeinen Anforderungen insbesondere an die Substanti ierung des Antrages und die genaue Bezeichnung der vorzulegenden Urkunde einzuhalten.83 Im Hinblick auf die Furcht vor einer Ausforschung werden auch die Vorlagepflichten des Dritten durch die herrschende Meinung tendenziell hohen Voraussetzungen unterworfen.84 Die Grenzen der Vorlagepflichten Dritter werden sodann durch § 142 II ZPO ausdrücklich normiert. Es zeigt sich hierbei, dass die Vorlagepflicht Dritter in Anlehnung an die allgemeine Zeugnispflicht entworfen worden ist. Für die speziellen Grenzen der Vorlagepflicht wird auf die Weigerungsrechte eines Zeugen in den §§ 383–385 ZPO verwiesen. Ergänzt werden diese speziellen Weigerungsrechte 78 So bereits BGH MDR 1984, S. 48; zustimmend Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 130. 79 In diesem Sinne in jüngster Zeit BGH WM 2014, S. 1611, 1613; zustimmend etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 142, Rn. 35 ff.; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 7; Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 188 ff. 80 Ausführlich zu den Veränderungen durch die ZPO-Reform 2001 Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 17 ff. und 55 ff.; siehe auch Zekoll/Bolt NJW 2002, S. 3129 ff. und Kraayvanger/ Hilgard, NJ 2003, S. 572. 81 Vgl. Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 62 ff.; ebenso Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 142, Rn. 25; MüKo-Wagner, ZPO I, § 144, Rn. 12; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 8 f. jeweils mwN. 82 Vgl. wiederum Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 89 ff. Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 142, Rn. 9 ff. und 25; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 8 f. jeweils mwN. 83 Siehe etwa Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 89 ff. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 8 f. jeweils mwN. 84 Zur Zurückhaltung mahnen etwa Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 8 f.; ebenso Prütting/Gehrlein-Prütting, ZPO, § 142, Rn. 13 und mit Bezug zur Praxis Saenger, ZZP 121 (2008), S. 139, 152 f. jeweils mwN.
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um ein allgemeines Zumutbarkeitserfordernis als Generalklausel für die Berücksichtigung etwaiger Gegenrechte Dritter.85 Die etwaigen Kosten der Vorlage werden inzwischen über § 23 II JVEG vergütet, so dass dieser Aspekt ausschließlich im Falle exorbitant hoher Kosten ohne hinreichende Erstattung berücksichtigt werden könnte.86 c) Eigene Ansicht: § 142 I S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Im Anschluss an diese Darstellung des § 142 ZPO in Rechtsprechung und Literatur soll diese Vorschrift nun im Lichte des Rechts auf Beweis untersucht werden. Im Zentrum dieser Überlegungen steht die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis und damit die Frage nach einer Beweismittelvorlage von Urkunden durch die Gegenpartei wie auch Dritte. Ausgangspunkt ist auch für die konkreten Anwendung der Drittwirkung des Rechts auf Beweis die Feststellung, dass der überkommene Satz, keine Partei müsse der anderen die Mittel für ihren Prozesssieg liefern, zumindest in dieser Absolutheit nach hier vertretener Ansicht schlicht nicht zutrifft.87 Der Zivilprozess ist gerade kein sozialdarwinistischer Kampf zweier Prozessparteien ohne größere Regeln, bei dem die gewieftere und trickreichere Partei gewinnen soll. Es handelt sich vielmehr um eine formalisierte Art der Rechtsdurchsetzung, deren Ausgestaltung streng durch den Wertekanon des Grundgesetzes vorgegeben ist und den Parteien daher insbesondere einen effektiven Rechtsschutz und damit eine effektive Nachweismöglichkeit eigener Rechte gewähren muss. Vor diesem Hintergrund werden auch Beweisvorlagepflichten erklärlich: Die Beweismittel für den Rechtsnachweis werden sich regelmäßig in den Händen der Prozessparteien als sachnächster Personen befinden, jedoch gerade nicht zwingend in den Händen derjenigen Partei, die qua materiellem Recht zum Nachweis mithilfe dieses Beweismittels verpflichtet ist. Daher bedarf das Recht auf Beweis iSe Rechts auf einen effektiven Rechtsnachweis einer gewissen Ausdehnung auf die gegnerische Prozesspartei und auch auf nahestehende Dritte, die gleichfalls Beweismittel für den konkreten Zivilprozess im Besitz haben können. Andernfalls liefe der verfassungsrechtlich gewährleistete Rechtsschutz und Rechtsnachweis leer, obgleich die dafür erforderlichen Beweismittel eigentlich vorhanden wären. Der bloße Satz vom Zivilprozess als Kampf der Parteien kann eine solche Einschränkung der Rechtsdurchsetzung und damit der Verwirklichung individueller Rechte nach hier vertretener Auffassung keinesfalls rechtfertigen. Vielmehr bedarf es einer Beweismittelvorlagepflicht als Ausfluss eben dieser Drittwir85
Ausführlich zum Kriterium der Zumutbarkeit und für eine enge Auslegung desselben plädierend Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 134 ff.; siehe auch Schneider, MDR 2004, S. 1 ff. 86 Zu diesem Kriterium siehe Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 139 mwN. 87 Ausführlich zu den Hintergründen der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG § 7 II. 2.
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kung des Rechts auf Beweis. Die Auslegung des § 142 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im Grundgesetz ermöglicht eine solche Vorlagepflicht zumindest für das Beweismittel der Urkunde. aa) § 142 I S. 1 Alt. 1 ZPO Den Beginn soll eine mögliche Urkundenvorlagepflicht der Gegenpartei auf Antrag der beweisbelasteten Partei nach § 142 I S. 1 Alt. 1 ZPO bilden. Eine solche Vorlagepflicht bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf Urkunden und sonstige Unterlagen. Eine Urkunde lässt sich für die ZPO allgemein definieren als jede schriftliche, verkörperte Gedankenerklärung, d. h. jede Aufzeichnung von Gedanken in üblichen oder vereinbarten Wortzeichen.88 Sonstige Unterlagen sind dem Wortlaut nach weit gefasst, allerdings muss man bedenken, dass sich die §§ 142, 144 ZPO insoweit ergänzen: Eine jede Unterlage, die keine Qualität iSd § 142 I ZPO inne hat, kann zumindest als Augenscheinsobjekt nach § 144 I ZPO als Beweismittel nutzbar gemacht werden. Daraus folgt nach hier vertretener Ansicht eine tendenziell enge Auslegung des Begriffes der sonstigen Unterlagen, die zumindest eine gewisse Urkundenähnlichkeit aufweisen müssen. Die in § 142 I ZPO geforderte Bezugnahme einer Partei auf die Urkunde oder Unterlage ist bereits in dem entsprechenden Parteiantrag auf Vorlage zu sehen. Darüber hinaus muss die vorlagepflichtige Partei ihrerseits in der Lage sein, diese Verpflichtung erfüllen zu können. Sie muss daher im Besitz der Urkunde sein, wobei mittelbarer Besitz iSe Verschaffungsmöglichkeit auch nach hier vertretener Auffassung genügt.89 Allerdings sollte das erkennende Gericht im Hinblick auf die Möglichkeit einer Vorlageanordnung an Dritte nach § 139 I ZPO darauf hinweisen, dass auch ein Vorlageantrag gegenüber dem unmittelbaren Besitzer der Urkunde der Einfachheit halber möglich ist. Ein solcher Antrag auf Urkundenvorlage muss darüber hinaus die allgemeinen Antragserfordernisse erfüllen, insbesondere einen hinreichenden Grad an Substantiierung aufweisen.90 Für die Urkundenvorlage muss es nach hier vertretener Auffassung genügen, eine Urkunde so genau zu bezeichnen, dass ihre Identifizierung für das erkennende Gericht, wie auch die vorlagepflichtige Partei ermöglicht wird. Die Anforderungen an die Substantiierung dürfen vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis nicht überspannt werden. Weitere Anforderungen, insbesondere die Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO sind nach hier vertretener Ansicht für eine Anordnung der Urkundenvorlage auf 88 Vgl. bereits BGH NJW 1976, S. 294; ausdrücklich im Sinne dieser Definition sodann BGH NJW 1998, S. 58, 60; ebenso auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 415, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 89 Allgemein in diesem Sinne Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 104 ff.; Stein/JonasAlthammer, ZPO II, § 142, Rn. 16; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 3 jeweils mwN 90 Ausführlich zu den Substantiierungsvoraussetzungen im Lichte des Rechts auf Beweis § 10 II.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Parteiinitiative hin gerade nicht zu beachten. Eine Harmonisierung zwischen § 142 ZPO und den §§ 422 ZPO muss im Hinblick auf die Anforderungen des Rechts auf Beweis dahingehend erfolgen, dass § 142 ZPO als gemeinsamer Maßstab anzusehen ist. Diese Auslegung des § 142 ZPO läuft – insbesondere im Zusammenspiel mit der sogleich dargestellten Ermessensreduktion bei einem Parteiantrag – zugegebenermaßen auf eine Reduktion der gesetzlichen Anforderungen der §§ 422 ff. ZPO hinaus. Allerdings ermöglicht diese Auslegung eine Harmonisierung zwischen § 142 ZPO und den §§ 422 ff. ZPO, die zugleich den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Rechts auf Beweis genügt. Den Prozessparteien wird eine prozessuale Vorlagepflicht als wesentliches Mittel des Rechtsnachweises und damit der Rechtsdurchsetzung an die Hand gegeben. Allein eine solche Vorlagepflicht für tatsächlich vorhandene Beweismittel, die sich lediglich in den Händen der anderen Prozesspartei oder Dritter befinden, ermöglicht einen effektiven Rechtsnachweis im Zivilprozess und wird dementsprechend den Vorgaben des Rechtsstaatsprinzips wie auch der materiellen Grundrechte gerecht. Seinem Wortlaut nach gibt § 142 I ZPO dem erkennenden Gericht ein Ermessen bezüglich der Anordnung einer Urkundenvorlage. Dieses Vorlageermessen wird jedoch nach hier vertretener Auffassung im Falle eines entsprechenden Antrages der beweisbelasteten Partei durch die Drittwirkung des Rechts auf Beweis auf null reduziert. Das Gericht ist mithin auf Parteiinitiative hin grundsätzlich dazu verpflichtet, eine Urkundenvorlage anzuordnen. Allerdings sind im Rahmen der Urkundenvorlagepflicht auch die Rechte der anderen Prozesspartei zu beachten. Nach hier vertretener Ansicht lassen sich die Gegenrechte ohne weiteres in die Ermessensprüfung des Gerichts integrieren, so dass einer Analogie die Grundlage fehlen würde.91 In jedem Fall sind die kollidierenden Rechte der gegnerischen Prozesspartei zu beachten und dem Recht auf Beweis der beantragenden Partei in einer Abwägung gegenüberzustellen. Indes folgt die Vorlagepflicht nach § 142 I ZPO unmittelbar aus dem Recht auf Beweis, so dass die einschränkenden Gegenrechte ebenfalls Verfassungsrang haben müssen. In Betracht kommt insbesondere das APR der Gegenpartei aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG, aber auch Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse nach Art. 12 I GG. Kein Faktor in dieser Abwägung darf richtigerweise die Gefahr des durch die Vorlage drohenden Prozessverlustes sein.92 Es gibt auch nach hier vertretener Auffassung kein verfassungsmäßiges Recht gegen eine berechtigte Inanspruchnahme bzw. eine berechtigte Rechtsverteidigung als solche. Sodann bedarf es einer Abwägung der kollidierenden Verfassungsrechte im Einzelfall. Dabei ist auch an dieser Stelle zu beachten, dass die Beweiserhebung und damit auch die Vorlage von Beweismitteln zwecks Erhebung den Regelfall im Zivilprozess darstellen, während deren Nichterhebung und Nicht91 In diese Richtung tendierend BGH NJW 200, S. 2989, 2991 f.; zustimmend Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 146 ff. und Zekoll/Bolt NJW 2002, S. 3129, 3131 jeweils mwN 92 Vgl. wiederum BGH MDR 1984, S. 48 und Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 130.
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vorlage eines überwiegenden Gegenrechtes bedarf. Faktoren in dieser Einzelfallabwägung können etwa die Bedeutung des Beweismittels für die beweisbelastete Partei, mögliche alternative Beweismittel die zur Verfügung stehen sowie Art und Bedeutung der Gegenrechte für die andere Partei sein. bb) § 142 I S. 1 Alt. 2 ZPO Im Anschluss wird nun die Urkundenvorlagepflicht eines Dritten analysiert und damit die Auslegung des § 142 I S. 1 Alt. 2 ZPO im Lichte der Drittwirkung des Rechts auf Beweis. Eine solche Vorlagepflicht bedarf auch nach hier vertretener Auffassung zumindest mittelbaren Besitzes der Urkunde durch den Dritten. Eine Bezugnahme iSd § 142 I S. 1 ZPO ist in dem Parteiantrag auf Anordnung der Urkundenvorlage zu sehen.93 Dieser Antrag muss wiederum die allgemeinen Anforderungen erfüllen, insbesondere eine hinreichende Substantiierung der Urkunde erkennen lassen. Die Urkunde muss für das erkennende Gericht, wie auch den Dritten identifizierbar sein, ohne dass diese Anforderungen überspannt werden dürfen. Die weiteren Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO sind aufgrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Rechts auf Beweis auch für die Vorlagepflicht des Dritten nicht zu beachten. Die Ermessensentscheidung des Gerichts in § 142 I ZPO bedarf ebenfalls einer Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis. Ein Parteiantrag auf Anordnung der Urkundenvorlage gegenüber einem Dritten führt grundsätzlich zu einer Ermessensreduktion auf null. Das Gericht ist unter den oben genannten Voraussetzungen zu einer Anordnung der Urkundenvorlage gegenüber dem Dritten verpflichtet. Allerdings werden in § 142 II ZPO umfangreiche Gegenrechte des Dritten explizit normiert. Für die Anwendbarerklärung der §§ 383–385 ZPO nach § 142 II S. 1 ZPO sei auf die spätere Behandlung dieser Zeugnisverweigerungsrechte und die dortige Auslegung anhand des Rechts auf Beweis verwiesen.94 Darüber hinaus sind die sonstigen Gegenrechte des Dritten im Rahmen des Zumutbarkeitserfordernisses des § 142 II S. 1 ZPO zu berücksichtigen. Allerdings müssen auch die Gegenrechte des Dritten Verfassungsrang haben, um eine Einschränkung der Drittwirkung des Rechts auf Beweis zu rechtfertigen. Sodann bedarf es auch im Falle des Dritten einer Abwägung im Einzelfall. Ausgangspunkt und Regelfall ist das Recht auf Erhebung von Beweismitteln im Zivilprozess und damit die Anordnung ihrer Vorlage zwecks Beweiserhebung. Allerdings gilt es in dieser Abwägung einer Drittvorlagepflicht zu bedenken, dass der Dritte gerade kein Teil des Prozesses ist und ihn mithin weniger ausgeprägte Pflichten treffen als die Gegenpartei. Faktoren in dieser Abwägung können sein: Die Bedeutung des Beweismittels für die beweisbelastete Partei 93 In diesem Sinne zu den Voraussetzungen des § 142 I S. 1 Alt. 2 ZPO auch Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 89 ff.; Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 142, Rn. 9 ff. und 25; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 8 f. jeweils mwN. 94 Vgl. die ausführliche Analyse in § 12 I. 5. a.-f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
unter Einschluss möglicher Alternativen, Art und Umfang der Gegenrechte sowie die Nähe des Dritten zum Prozess und den jeweiligen Parteien. cc) Die Rechtsfolgen der Nichtvorlage durch eine Partei oder Dritte Abschließend gilt es auch die Rechtsfolgen einer Nichtvorlage durch eine Partei oder einen Dritten im Lichte des Rechts auf Beweis zu betrachten. Die Rechtsfolgen sind hierbei für die gegnerische Prozesspartei und Dritte aufgespalten: Nach dem Konzept des Gesetzes kann die Vorlagepflicht gegenüber der anderen Prozesspartei nicht unmittelbar durchgesetzt werden. Vielmehr fließt eine verweigerte Urkundenvorlage nach den §§ 286 I, 427 ZPO entsprechend in die freie Beweiswürdigung des Gerichts ein.95 Im Hinblick auf das Recht auf Beweis wäre eine tatsächliche Durchsetzbarkeit der Urkundenvorlage auch gegenüber einer Partei der beste Weg für einen Rechtsnachweis, der mit der Wahrheitserforschung im Zivilprozess einhergeht. Auf diesem Wege ließe sich der Inhalt der Urkunde tatsächlich überprüfen und zu Beweiszwecken heranziehen. Allerdings kommt dem Gesetzgeber auch nach dem Grundgesetz ein Spielraum bei der Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Maßstabes des Rechts auf Beweis zu. Der Gesetzgeber hat in diesem Fall eine indirekte Durchsetzung der Vorlagepflicht mittels einer entsprechenden Beweiswürdigung gewählt. Wenn eine Partei hiernach davon ausgeht, dass eine Urkunde keine für sie negativen Tatsachen aufdeckt, so könnte sie diese Urkunde vorlegen, um eine negative Beweiswürdigung zu vermeiden – etwaige Gegenrechte dieser Partei wurden demgegenüber bereits im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Vorlageanordnung bedacht. Wenn die Partei eine Vorlage im Hinblick auf den für sie im Prozess nachteilhaften Inhalt verweigert, so wird durch eine entsprechende negative Beweiswürdigung zumindest im Ergebnis der Rechtsnachweis und die Rechtsdurchsetzung der durch die Verweigerung benachteiligten Partei ermöglicht. Es handelt sich beim Recht auf Beweis um ein subjektives prozessuales Grundrecht der Prozessparteien auf einen effektiven Rechtsschutz, so dass im Verhältnis zur Wahrheitserforschung letztlich in erster Linie der effektive Nachweis und die Durchsetzung eigener Rechte von Bedeutung sind. Dem effektiven Rechtsschutz wird daher auch nach diesem Konzept Genüge getan, so dass diese Ausgestaltung mit dem Recht auf Beweis vereinbar ist. Die Vorlagepflichten eines Dritten lassen sich demgegenüber durch den Verweis des § 142 II S. 2 ZPO auf § 390 ZPO qua gesetzlichem Konzept mit Zwangsmitteln durchsetzen. Diese tatsächliche Durchsetzung und damit die tatsächliche Kenntnisgabe des Urkundeninhaltes ermöglicht einen effektiven Rechtsnachweis in Verbindung mit einer bestmöglichen Wahrheitserforschung im Prozess. Mithin ist diese 95 Siehe wiederum für die h. M. BGH WM 2014, S. 1611, 1613; Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 142, Rn. 35 ff.; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 142, Rn. 7 und Hamelmann, Urkundenvorlagepflichten, S. 188 ff.
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Ausgestaltung der Rechtsfolgen nach § 142 II S. 2 ZPO umso mehr mit dem Recht auf Beweis vereinbar.
4. Die Anordnung des Sachverständigen- und Augenscheinsbeweises nach § 144 ZPO Die Befugnis des erkennenden Gerichts zur Anordnung einer Urkundenvorlage aus § 142 I ZPO wird in § 144 I ZPO um eine entsprechende Anordnungsbefugnis für den Augenscheins- und Sachverständigenbeweis ergänzt. Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auch im Rahmen für die Auslegung des § 144 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis allein auf Fallgestaltungen einer Vorlageanordnung auf Parteiinitiative. a) Die Anordnung gegenüber den Parteien Grundsätzlich ist ein Beweisantrag auf Erhebung eines Sachverständigenbeweises durch Benennung der zu begutachtenden Fragen nach § 403 ZPO und ein Antrag auf Erhebung des Augenscheinsbeweises durch Angabe der in Augenschein zu nehmenden Tatsachen nach § 371 I ZPO den Parteien ohne weiteres möglich. Problematisch erscheint dieser Beweisantritt jedoch, wenn sich die zu begutachtenden oder in Augenschein zu nehmenden Objekte im Besitz der gegnerischen Partei oder eines Dritten befinden: Für den Augenscheinsbeweis ordnet § 371 II S. 1 ZPO insoweit ausdrücklich einen Beweisantritt durch einen Antrag auf Vorlageanordnung nach § 144 an. Allerdings wird in § 371 II S. 2 ZPO erneut auf die weiteren Voraussetzungen der §§ 422– 432 ZPO verwiesen. Nach einem Teil der Literatur müsste der beantragenden Partei wiederum ein materiell-rechtlicher Vorlageanspruch iSd § 422 ZPO zustehen oder die gegnerische Partei auf das Augenscheinsobjekt nach § 423 ZPO Bezug genommen haben.96 Indes geht die wohl herrschende Meinung im Hinblick auf die Gesetzesmaterialien davon aus, dass die zusätzlichen Anforderungen der §§ 422–432 ZPO ausschließlich für den Beweisantritt nach § 371 II S. 1 Alt. 1 ZPO gelten sollen.97 Zudem wird darauf hingewiesen, dass zwei alternative Möglichkeiten des Beweisantrittes mit identischen Voraussetzungen für die Prozessparteien keinerlei Nutzen hätten.98 Für den Sachverständigenbeweis wird eine entsprechende Anwendung der §§ 422 ff. ZPO demgegenüber – soweit ersichtlich – nicht diskutiert. Vielmehr setzt eine Vorlageanordnung hiernach grundsätzlich allein den – zumindest mittel96
In diesem Sinne Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 19 f. und MüKo-Wagner, ZPO I, § 144, Rn. 23. 97 Ausführlich Adloff, Vorlagepflichten, S. 202 f.; ebenso Binder, ZZP 122 (2009), S. 187, 223 jeweils mwN. 98 In diesem Sinne insbesondere Adloff, Vorlagepflichten, S. 202 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
baren – Besitz der gegnerischen Prozesspartei voraus.99 Im Übrigen sind erneut die allgemeinen Antragsvoraussetzungen einzuhalten, insbesondere die hinreichende Substantiierung zwecks Vermeidung einer Ausforschung.100 Die Berücksichtigung etwaiger Gegenrechte der vorlagepflichtigen Partei wird auch in § 144 ZPO nicht ausdrücklich normiert. In Betracht kommt erneut eine analoge Anwendung des Zumutbarkeitserfordernisses in § 144 II S. 1 ZPO – gerade im Hinblick auf die explizite Normierung eines Zumutbarkeitskriteriums in § 371 III – bzw. eine Berücksichtigung dieser Gegenrechte im Rahmen des Vorlageermessens nach § 144 I S. 1 ZPO.101 Eine Vorlage kann nach § 144 I S. 3 ZPO insbesondere im Falle eines unbeweglichen Gegenstandes durch die Duldung der Einnahme des Augenscheins bzw. der Begutachtung ersetzt werden. Ausgenommen ist nach dem Wortlaut der Norm jedoch die Wohnung einer Partei im Hinblick auf Art. 13 GG.102 Obgleich diese Regelung in der Literatur grundsätzliche Zustimmung erfahren hat, wird dennoch im Falle einer unberechtigten Weigerung der gegnerischen Prozesspartei regelmäßig eine negative Würdigung nach §§ 286, 371 III ZPO vertreten.103 Auch nach § 144 ZPO kann die Vorlage von beweglichen Gegenständen durch die gegnerischen Prozesspartei nicht erzwungen werden. Vielmehr verbleibt es für diese Weigerung gleichfalls bei der Sanktion einer entsprechenden gerichtlichen Beweiswürdigung nach §§ 286 I, 371 III ZPO.104 b) Die Anordnung gegenüber Dritten Diese Vorlagepflicht für eine sachverständige Begutachtung und die Einnahme eines Augenscheins wird in § 144 I ZPO außerdem auf Dritte ausgeweitet. Erforderlich sind einmal mehr der zumindest mittelbare Besitz des Dritten und die Bezugnahme durch eine Prozesspartei.105 Darüber hinaus müssen die allgemeinen Anforderungen an einen Vorlageantrag mitsamt hinreichender Substantiierung eingehalten werden.106 Eine Anwendung der weitergehenden Voraussetzungen nach den 99
Vgl. etwa Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 3 mwN. Vgl. Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 14; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 3; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 144, Rn. 10. 101 Vgl. zu diesen Alternativen Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 22 f., der weitergehend für eine Anwendung des § 371 II S. 2 iVm §§ 422, 432 ZPO plädiert. 102 Vgl. auch zum Wohnungsbegriff BGH NJW 2013, S. 2687 f. mwN. 103 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 31 f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 144, Rn. 25; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 10; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 144, Rn. 16 ff. jeweils mwN. 104 Vgl. etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 31; MüKo-Wagner, ZPO I, § 144, Rn. 27 jeweils mwN. 105 Vgl. Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 3 mwN. 106 So insbesondere Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 14; zurückhaltend wiederum Adloff, Vorlagepflichten, S. 217 jeweils mwN. 100
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§§ 422 ff. ZPO auf die Vorlagepflichten des Dritten werden soweit ersichtlich nicht vertreten.107 Die Grenzen der Vorlagepflicht werden wiederum nach § 144 II S. 1 ZPO durch die entsprechende Anwendung der speziellen Zeugnisverweigerungsrechte und ein allgemeines Zumutbarkeitserfordernis normiert.108 In § 144 I S. 3 ZPO wird die Vorlagepflicht um eine Duldungspflicht erweitert, wobei auch für Dritte eine Duldung der Begutachtung und der Einnahme eines Augenscheins der Wohnung vom Gesetzgeber ausgeschlossen wird.109 Eine Vorlagebzw. Duldungsanordnung ist im Falle der unberechtigten Weigerung des Dritten durch die Verweisung des § 144 II S. 2 ZPO auf den § 390 ZPO mit Zwangsmitteln durchsetzbar.110 c) Eigene Ansicht: § 144 I ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Die Verpflichtung zur Beweismittelvorlage und ihre Anordnung werden in § 144 ZPO um den Augenscheins- und den Sachverständigenbeweis ergänzt. Zugleich muss man bedenken, dass die Parteivernehmung ohne weiteres durch eine Prozesspartei initiiert werden kann und im Rahmen des Zeugenbeweises die Angabe von Namen und ladungsfähiger Adresse zum Beweisantritt genügen. Daher werden die in ihrer Erhebung etwaig problematischen Beweismittel durch die Vorlagepflichten der §§ 142, 144 ZPO in weiten Teilen abgedeckt. aa) Die Anordnung gegenüber der anderen Prozesspartei Den Beginn dieser Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis im Grundgesetz bildet erneut die Vorlageanordnung gegenüber der gegnerischen Prozesspartei in § 144 I ZPO. Diese Vorlagemöglichkeit für Augenscheinsgegenstände in § 144 I S. 1 ZPO wird um eine Duldungsverpflichtung in § 144 I S. 3 ZPO ergänzt – insbesondere im Hinblick auf unbewegliche Gegenstände. Die Voraussetzungen einer Vorlage- bzw. Duldungsanordnung ähneln denjenigen der Urkundenvorlage nach § 142 I ZPO: Erforderlich ist stets der – zumindest mittelbare – Besitz der gegnerischen Partei, so dass ihr eine solche Vorlage bzw. Duldung überhaupt möglich ist.111 Das etwaige Erfordernis der Bezugnahme einer Partei als Reminiszenz an den Beibringungsgrundsatz ist jedenfalls in einem entsprechenden Antrag der beweisbelasteten Prozesspartei auf Vorlage bzw. Duldung zu sehen. Abschließend bedarf es eines Adloff, Vorlagepflichten, S. 211 mwN. wiederum Adloff, Vorlagepflichten, S. 294 ff. und 330 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Alt hammer, ZPO II, § 144, Rn. 22 f. jeweils mwN. 109 Vgl. zur Duldungsanordnung etwa Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 144, Rn. 15 ff. 110 Vgl. Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 32; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 9 jeweils mwN. 111 In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 14; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 3; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 144, Rn. 10 jeweils mwN. 107 Ausführlich 108 Vgl.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
hinreichend substantiierten Antrages.112 Doch auch im Rahmen der Einnahme des Augenscheins nach § 144 ZPO dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Es genügt, dass eine Partei den Gegenstand und seinen Belegenheitsort eindeutig benennen, so dass der Gegenstand für das Gericht und die vorlagepflichtige Partei ohne weiteres zu identifizieren ist. Allerdings stellt sich für den Augenscheinsbeweis in § 144 I ZPO in besonderem Maße die Frage, ob weitere Voraussetzungen und speziell die Anwendung der §§ 422 ff. ZPO zu fordern sind: Hintergrund dieser Diskussion ist die in § 371 II S. 1 ZPO normierte Möglichkeit, über einen Antrag auf Vorlage – bzw. Duldungsanordnung einen Parteibeweis anzutreten. In diesem Zusammenhang wird sodann über § 371 II S. 2 ZPO die Anwendung der §§ 422 ff. ZPO normiert. Daher erscheint eine Auslegung, die für eine Anordnung der Vorlage bzw. der Duldung des Augenscheins die weiteren Voraussetzungen der §§ 422 ff. ZPO fordert, zumindest nicht fernliegend. Allerdings ergibt sich bereits bei einer einfach-rechtlichen Auslegung, dass diese Sichtweise zumindest nicht zwingend ist. Der Gesetzgeber hat zum einen in den Materialien für § 144 I ZPO gerade die Möglichkeit einer rein prozessualen Vorlage- bzw. Duldungsanordnung vorgesehen.113 Stärker noch als diese einfach-rechtlichen Zweifel wiegt indes die Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis. Durch die Verknüpfung der eigentlich amtswegigen Vorlage- bzw. Duldungsanordnung nach § 144 I ZPO mit dem Parteibeweis in § 371 II S. 1 ZPO handelt es sich für die Prozessparteien um die einzige Möglichkeit, einen Augenscheinsbeweis für Gegenstände herbeizuführen, die sich nicht in ihrem Besitz befinden. Ein Beweisantrag darf jedoch nicht an der – möglicherweise höchst zufälligen – Frage scheitern, ob die beweisbelastete Prozesspartei nun den Besitz an einem Augenscheinsgegenstand innehat oder die Gegenpartei. Solange die Einnahme eines Augenscheins tatsächlich möglich ist, fordert das Recht auf Beweis iSe effektiven Nachweismöglichkeit eigener Rechte eben diese Einnahme des Augenscheins. Die zusätzlichen Anforderungen der §§ 422 ff. ZPO würden diese Vorlagemöglichkeiten empfindlich einengen und regelmäßig eine Einnahme des Augenscheins ohne Not verhindern. Daher fordert nicht nur die Auslegung des einfachen Rechts, sondern insbesondere die Drittwirkung des Rechts auf Beweis eine Auslegung des § 371 II S. 2 ZPO dahingehend, dass der Verweis auf die §§ 422 ff. ZPO sich nur auf die erste Alternative von § 371 II S. 1 ZPO erstreckt und ein Antrag auf Vorlageanordnung nach § 144 ZPO gerade ohne weitere Voraussetzungen möglich ist. Alleine eine so geschaffene, prozessuale Vorlagepflicht der gegnerischen Prozesspartei kann dem Recht auf Beweis in seiner Drittwirkung Genüge tun.
112 So auch die h. M. siehe wiederum Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 14; Musielak/ Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 3; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 144, Rn. 10. 113 Vgl. hierzu die Materialien in BT-Drs. 14/3750, S. 54 und insbesondere S. 63.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
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Für den Sachverständigenbeweis existiert kein vergleichbarer Verweis auf die §§ 422 ff. ZPO. Daher ist § 144 I ZPO für den Sachverständigenbeweis dahingehend auszulegen, dass die allgemeinen Anforderungen für eine Vorlage- bzw. Duldungsanordnung genügen: Die gegnerische Prozesspartei muss zumindest mittelbaren Besitz an dem zu begutachtenden Gegenstand haben, auf den sich die beweisbelastete Prozesspartei mit ihrem Antrag auf Vorlage bzw. Duldung bezogen hat.114 Der Antrag muss darüber hinaus soweit substantiiert werden, dass es dem Gericht und der vorlagepflichtigen Partei möglich ist, diesen Gegenstand zu identifizieren. Weiter Anforderungen sind weder an die Substantiierung im Speziellen noch an die Vorlage- bzw. Duldungsanordnung im Allgemeinen zu stellen. Das Ermessen des erkennenden Gerichts bei der Vorlage- bzw. Duldungsanordnung reduziert sich im Falle eines entsprechenden Parteiantrages aufgrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Rechts auf Beweis erneut auf null. Auf Parteiinitiative hin ist das Gericht zu einer entsprechenden Vorlage- bzw. Duldungsanordnung qua Recht auf Beweis verpflichtet. Die Gegenrechte sind nach hier vertretener Auffassung wiederum im Rahmen eben dieses Anordnungsermessens des erkennenden Gerichts zu berücksichtigen. Im Falle überwiegender Gegenrechte reduziert sich das Ermessen dahingehend, dass eine Vorlage bzw. Duldung gerade nicht angeordnet werden darf. Als Gegenrechte kommen im Hinblick auf die dadurch erfolgende Einschränkung des Rechts auf Beweis einmal mehr allein solche Rechtspositionen in Betracht, die gleichsam vom Grundgesetz selbst gewährleistet werden. Auch im Rahmen des § 144 ZPO ist eine Abwägung der widerstreitenden Verfassungspositionen im Einzelfall erforderlich, wobei Ausgangspunkt die grundsätzliche Verpflichtung zur Beweiserhebung aus dem Recht auf Beweis ist. bb) Die Anordnung gegenüber einem Dritten Sodann stellt sich auch die Frage nach einer entsprechenden Auslegung des § 144 ZPO in Bezug auf eine Vorlage- bzw. Duldungsanordnung gegenüber einem Dritten im Lichte des Rechts auf Beweis. Auch in Bezug auf Dritte ergeben sich große Ähnlichkeiten zwischen den Vorschriften der §§ 142 und 144 ZPO. Voraussetzung ist hiernach für die Einnahme des Augenscheins wie auch die sachverständige Begutachtung der zumindest mittelbare Besitz des zur Vorlage bzw. Duldung verpflichteten Dritten.115 Im Antrag der beweisbelasteten Partei ist die Bezugnahme zu sehen. Darüber hinaus muss der Antrag wiederum die allgemeinen Anforderungen erfüllen, insbesondere hinreichend substantiiert sein, mithin die Identifizierbarkeit des Gegenstandes durch das Gericht, wie auch den Dritten erlauben. Weitere Voraussetzungen, insbesondere die §§ 422 ff. ZPO, sind für die Vorlage – bzw. Duldungspflicht des Dritten nicht im Hinblick auf das Recht auf Beweise nicht zu fordern. Auch im 114 Allgemein 115
in diesem Sinne etwa Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 3 mwN. Vgl. wiederum Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 3 mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Falle der Vorlage- bzw. Duldungsanordnung gegenüber einem Dritten ist § 371 II S. 2 ZPO dahingehend auszulegen, dass der Verweis auf die §§ 422 ff. ZPO ausschließlich die erste Alternative des § 371 II S. 1 ZPO betrifft, um eine prozessuale Vorlagepflicht und damit einen effektiven Rechtsnachweis der Prozessparteien zu ermöglichen. In dieser Auslegung genügt § 144 I ZPO den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Drittwirkung des Rechts auf Beweis. Das gerichtliche Ermessen zur Anordnung der Vorlage bzw. Duldung des Augenscheins wie auch der sachverständigen Begutachtung wird im Falle eines Parteiantrages wiederum auf null reduziert. Das erkennende Gericht ist bei Vorliegen der obigen Voraussetzungen verpflichtet, eine Vorlage- bzw. Duldungsanordnung zu erlassen. Allerdings können einer solchen Anordnung die entsprechenden Rechte des Dritten entgegenstehen. Ein spezieller Schutz wird dem Dritten auch in § 144 II S. 1 ZPO durch die entsprechender Anwendbarerklärung der Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 383–385 ZPO eingeräumt. Darüber hinaus werden sonstige Gegenrechte im Rahmen des allgemeinen Zumutbarkeitserfordernisses in § 144 II S. 1 ZPO berücksichtigt. Als Grundsatz dieser Abwägung ist einmal mehr das Recht auf eine Erhebung von Beweismitteln im Zivilprozess anzusehen, während die Nichterhebung aufgrund überwiegender Gegenrechte die Ausnahme bildet. Doch zugleich gilt es auch für § 144 ZPO zu bedenken, dass der Dritte nicht in gleicher Weise in Anspruch genommen werden kann, wie eine Prozesspartei. Die Duldungspflichten des Dritten zugunsten der Parteien eines Zivilprozesses sind grundsätzlich geringer, wenngleich auch Objekte im Besitz eines Dritten von grundlegender Bedeutung für den Rechtsnachweis einer Prozesspartei sein können, so dass das Recht auf Beweis in hohem Maße für eine Vorlageanordnung streitet. Letztlich handelt es sich auch im Rahmen des § 144 ZPO um eine Abwägung der kollidierenden Verfassungsgüter anhand aller Umstände des Einzelfalles. cc) Die Anordnung nach § 144 I S. 3 ZPO in Bezug auf die Wohnung Eine Besonderheit gilt für die Einnahme des Augenscheins bzw. die sachverständige Begutachtung der Wohnung, deren Duldung nach § 144 I S. 3 ZPO vollständig ausgeschlossen wird. Der Gesetzgeber hat damit für die kollidierenden Grundrechte der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 I GG und des Rechts auf Beweis eine eindeutige Entscheidung zugunsten des Art. 13 I GG getroffen. Eine solche Abwägungsentscheidung und die Herstellung praktischer Konkordanz kollidierender Grundrechte obliegt in einem solchen Fall nach den obigen Ausführungen grundsätzlich dem Gesetzgeber und ist als solche zu respektieren. Allerdings muss der Gesetzgeber sich auch an den Anforderungen praktischer Konkordanz im Sinne einer bestmöglichen Geltung beider kollidierender Grundrechte messen lassen.116 In diesem Fall hat der Gesetzgeber seine Entscheidung pauschal zugunsten der Unver116 Ausführlich
zur Einschränkbarkeit des Rechts auf Beweis im GG oben § 8 III.
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letzlichkeit der Wohnung getroffen und keinen Raum für eine abweichende Beurteilung in bestimmten Einzelfällen gelassen. So ließe sich an Fallkonstellationen denken, in denen die Wohnung sich als einziges Beweismittel der beweisbelasteten Partei zu einer existenzbedrohenden Fragestellung darstellt, wohingegen die Gegenpartei kaum Bezug zu dieser Wohnung hat. Zumindest in einer solch extremen Fallkonstellation erscheint eine pauschale Ablehnung jeder nach dem Recht auf Beweis geforderten Beweiserhebung verfassungsrechtlich zweifelhaft. Allerdings wird in der Literatur regelmäßig für eine indirekte Lösung plädiert: Die Wohnung bleibt als Objekt des Augenscheins und der Begutachtung selbst unzulässig. Doch das erkennende Gericht wird dennoch zu einer Prüfung ermächtigt, ob die Verweigerung der Duldung zulässig war.117 Mithin erfolgt die übliche Abwägung der widerstreitenden Interessen und im Falle einer unberechtigten Verweigerung der Duldung eine entsprechende Berücksichtigung im Rahmen der Beweiswürdigung nach §§ 286 I, 371 III ZPO. Auch in diesem Fall würde eine tatsächliche Beweiserhebung dem Zusammenspiel von effektivem Rechtsnachweis und Wahrheitserforschung besser zu Gesicht stehen. Doch mit Blick auf die klare gesetzgeberische Entscheidung erscheint diese indirekte Berücksichtigung der Zulässigkeit einer Weigerung als adäquate Auslegung, um die Verfassungskonformität des § 144 I S. 3 ZPO zu erhalten. Durch diese indirekte Berücksichtigung des Rechts auf Beweis werden die verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen eingehalten. Indes erscheint diese Lösung über eine entsprechende Beweiswürdigung allein für die Weigerung der gegnerischen Prozesspartei praktikabel. Im Falle der Weigerung eines Dritten sieht das Gesetz in § 144 II S. 2 ZPO zum einen grundsätzlich eine direkte Durchsetzung der Anordnung mit Zwangsmitteln vor und zum anderen lassen sich aus einem ablehnenden Verhalten eines Dritten im Vergleich zu einer Prozesspartei sehr viel weniger eindeutige Schlüsse ziehen. So muss die Ablehnung eines nicht am Prozessausgang interessierten Dritten nicht aus Gründen der Beweisvereitelung erfolgen, sondern kann schlicht aus seinen Interessen an einer Privatsphäre folgen. Daher kann sich die pauschale Ablehnung einer etwaigen Duldung der Begutachtung oder Augenscheinnahme der Wohnung eines Dritten nach § 144 I S. 3 ZPO im Einzelfall als mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz unvereinbar darstellen. dd) Die Rechtsfolgen einer Weigerung durch eine Partei oder Dritte Die Rechtsfolgen der Verweigerung einer Vorlage bzw. Duldung differieren auch für bewegliche Gegenstände nach § 144 ZPO zwischen der gegnerischen Prozesspartei und Dritten: Eine Erzwingung der Vorlage bzw. Duldung ist im Rahmen des § 144 117 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Althammer, ZPO II, § 144, Rn. 25 f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 144, Rn. 25; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 144, Rn. 10; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 144, Rn. 16 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
ZPO für die Prozesspartei nicht vorgesehen. Stattdessen wird die unzulässige Weigerung wiederum indirekt im Rahmen der Beweiswürdigung nach §§ 286 I, 371 III ZPO berücksichtigt. Auch insoweit ist im Ergebnis der effektive Rechtsschutz der beweisbelasteten Partei gewahrt, so dass sich diese Ausgestaltung durch den Gesetzgeber im vorgegebenen Rahmen des Rechts auf Beweis bewegt. Einer Verweigerung der Duldung bzw. Vorlage durch den Dritten wird über die Verweisung des § 144 II S. 2 ZPO auf § 390 ZPO mit Zwangsmitteln begegnet. Die Vorlage bzw. Duldung kann daher gegenüber dem Dritten unmittelbar durchgesetzt werden, so dass diese Ausgestaltung auch für § 144 ZPO mit den Anforderungen des Rechts auf Beweis übereinstimmt.
5. Die Verpflichtung der Parteien zur Erklärung über die Kenntnis von Beweismitteln Die vorstehenden Auslegungen der §§ 142, 144 ZPO ermöglichen es den Parteien, eine umfassende Beweismittelvorlage von Urkunden, Augenscheinsgegenständen und zu begutachtenden Gegenständen zu verlangen. Somit können sämtliche Beweismittel, die an einen Anschauungsgegenstand gebunden sind, auch bei Besitz der gegnerischen Prozesspartei oder Dritter im Prozess verwertet werden. Doch diese Beweismittelvorlagepflichten betreffen stets die Fallgestaltung, dass die beweisbelastete Prozesspartei bereits eine umfassende Kenntnis aller Beweismittel innehat. Allein auf Basis diese Informationen kann eine Partei neben der Vorlage von Urkunden und Gegenständen auch die Ladung von Zeugen und die Befragung von Parteien verlangen. In diesem Zusammenhang stellt sich sodann die Frage, ob die Drittwirkung des Rechts auf Beweis auch einen gewissen Informationsaustausch zwischen den Prozessparteien über Beweismittel verlangt, um darauf basierend eine effektive Beweisführung möglich zu machen: a) H.M: Ablehnung einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht Der BGH hat in Übereinstimmung mit dem herrschenden Schrifttum eine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht ausdrücklich abgelehnt unter Verweis auf den bereits benannten Grundsatz, keine Partei müsse der anderen Seite die Mittel für ihren Prozesssieg zur Verfügung stellen.118 Insgesamt reagieren Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf gegenseitige Informations- und Vorlagepflichten sehr zurückhaltend. Dieser Zurückhaltung steht jedoch die Entwicklung einer Reihe von Rechtsinstituten gegenüber, die eine ebensolche Verbesserung der Informationslage 118 Explizit ablehnend BGH NJW 1990, S. 3151, f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 22; Ah rens, ZZP 96 (1983), S. 1 ff.; Lücke, JuS 1986, S. 2, f.; Gruber/Kießling, ZZP 116 (2003), S. 305, 312 ff.; v. Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 211 ff.; Schönfeld, Zur Verhandlungsmaxime, S. 166 ff. jeweils mwN.
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der Prozessparteien zum Ziel haben: Sei es nun die Ausweitung der materiell-rechtlichen Aufklärungspflichten durch die Rechtsprechung119 oder auch die Schaffung einer sekundären Darlegungslast.120 Auch eine Verpflichtung zur Nennung der Namen von Zeugen hat der BGH im Falle der Unkenntnis der beweisbelasteten Partei bei gleichzeitiger Kenntnis der Gegenseite angenommen.121 Insofern scheint sich die Rechtsprechung der praktischen Probleme einer unbefriedigenden Informationslage der Parteien des Zivilprozesses durchaus bewusst zu sein. Doch zu einer einheitlichen prozessualen Informationsverpflichtung konnten sich Rechtsprechung und herrschendes Schrifttum bislang nicht durchringen. Vielmehr bleibt es bei einer Vielzahl einzelner Abhilfen. Dennoch erscheint der frühere Befund von Stürner durchaus zutreffend, dass die einzelnen Institute der herrschenden Meinung bei Informations- und Beweisnot einer allgemeinen prozessualen Aufklärungspflicht – auch und gerade nach heutiger Rechtslage – inhaltlich sehr nahe kommen, ohne jedoch ein festes dogmatisches Fundament zu besitzen.122 b) Eigene Ansicht: Die mittelbare Drittwirkung des Rechts auf Beweis im GG Es wurde bereits dargelegt, dass eine effektive Beweisführung letztlich darauf basiert, dass die Prozessparteien Kenntnis von allen relevanten Beweismitteln haben oder erlangen können. Andernfalls kommt bereits ein entsprechender Vorlageantrag mangels Kenntnis nicht in Betracht. Die Frage nach einer prozessualen Informationspflicht der Parteien über Beweismittel ist daher für die effektive Geltung des Rechts auf Beweis von großer Bedeutung. Es handelt sich sozusagen um den ersten Baustein des „Gebildes“ Recht auf Beweis im konkreten Zivilprozess. Wenn man nun noch bedenkt, dass die Drittwirkung des Rechts auf Beweis sich als Ausfluss der effektiven Geltung dieses Grundrechts darstellt, so kommt man nach hier vertretener Ansicht auch im Bereich der gegenseitigen Information zu einer solchen Drittwirkung: Die Prozessparteien haben daher auf Nachfrage hin als Ausfluss ihres Rechts auf Beweis ein gegenseitiges Recht auf Information über alle Beweismittel, die der anderen Partei bekannt sind. Ein solches Informationsrecht ist eine weitreichende Forderung gegenüber der einzelnen Prozesspartei. Sie lässt sich jedoch nach hier vertretener Auffassung im Hinblick auf die eminente Bedeutung dieser Informationen für eine effektive Geltung des Rechts auf Beweis und damit einen effektiven Zivilrechtsschutz rechtfertigen. Dieses Recht auf Information kommt beiden Prozessparteien als Ausfluss ihres 119 Vgl. zu materiell-rechtlichen Aufklärungspflichten etwa BGHZ 93, S. 191, 198 ff.; BGHZ 150, S. 377, 381 ff.; allgemein zu dieser Entwicklung in Rechtsprechung und Literatur siehe Lang, Aufklärungspflicht, S. 94 ff. und Lorenz, ZZP 111 (1998), S. 35, 57 ff. jeweils mwN. 120 Vgl. zur sekundären Darlegungslast etwa BGHZ 86, S. 23, 28 ff.; BGHZ 163, S. 209, 214 ff. jeweils mwN. 121 In diesem Sinne BGH NJW 1960, S. 821. 122 So bereits Stürner, allgemeine Aufklärungspflicht, S. 144 ff.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
jeweiligen Rechts auf Beweis gleichermaßen zugute. Beide Parteien profitieren davon, dass sie umfassend über alle Beweismittel informiert sind und somit ihre Sicht des Sachverhaltes bestmöglich nachweisen können. Diese Gegenseitigkeit ist eine Selbstverständlichkeit mit Blick auf das jeweilige Recht auf Beweis und doch nach hier vertretener Ansicht ein weiterer Faktor für die Legitimation einer solchen Verpflichtung. Eine Partei muss eben nicht nur ihrerseits alle Beweismittel offenlegen, sondern kann selbiges auch von der gegnerischen Partei verlangen. Diese Informationspflicht stellt sich letztlich als die konsequente Fortentwicklung des Gedankens dar, dass der Zivilprozess kein sozialdarwinistischer Kampf der Parteien ist, sondern vielmehr ein sehr unmittelbarer Ausdruck der grundgesetzlichen Wertungen. Zudem lässt sich nach hier vertretener Auffassung keinerlei verfassungsrechtlicher Schutz vor einer berechtigten Inanspruchnahme oder auch einer berechtigten Rechtsverteidigung aus dem Grundgesetz ableiten. Die Durchsetzung der materiellen Rechtslage ist vielmehr Ausdruck und Ziel des grundgesetzlich determinierten Zivilprozesses und dient regelmäßig zugleich der Durchsetzung der materiellen Grundrechte. In ihrer konkreten Ausgestaltung lassen sich die Informationspflichten in verschiedenen Normen der Zivilprozessordnung verorten. Eine allgemeine, gegenseitige Informationspflicht ließe sich etwa über eine Auslegung des § 138 II ZPO verwirklichen. Hiernach würde die wahrheitsgemäße „Erklärung über Tatsachen“ auch eine solche Erklärung über etwaige Nachweismöglichkeiten dieser Tatsachen beinhalten. Dieser Weg lässt sich insbesondere für den Zeugenbeweis gangbar machen, da dieses Beweismittel gerade keinen Eingang in die Vorlageanordnungen der §§ 142, 144 ZPO gefunden hat. Die Informationspflicht bedarf allerdings nach hier vertretener Ansicht stets einer ersten Initiative durch eine Partei in Form der Nachfrage gegenüber der anderen Partei. Eine Partei hat hiernach auf Nachfrage die Informationen über alle ihr bekannten Zeugen zu den konkret in Rede stehenden Tatsachen zu benennen. Insbesondere sind Name und ladungsfähige Adresse mitzuteilen, um einen Beweisantritt und damit eine Erhebung des Zeugenbeweises zu ermöglichen. Für die Beweismittel der Urkunde, des Augenscheins und des Sachverständigengutachtens lassen sich diese Informationspflichten demgegenüber speziell in den § 142, 144 ZPO verorten. Die Informationspflichten stellen sich insoweit als notwendige Voraussetzung und damit als Annex zu den Vorlagepflichten der gegnerischen Prozesspartei dar. Ergänzend käme auch insoweit ein Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 138 II ZPO in Betracht. Der Beweis durch Parteivernehmung bedarf im Hinblick auf den formalen Parteibegriff der ZPO demgegenüber keinerlei Information. Es ergibt sich vielmehr bereits aus den Schriftsätzen, wer im jeweiligen Prozess Partei ist. Als Rechtsfolge sieht das Gesetz gegenüber den Prozessparteien regelmäßig eine indirekte Durchsetzung vor. Im Hinblick auf dieses gesetzliche System erscheint es naheliegend und richtig, auch für Verstöße gegen die Informationspflichten eine solche Sanktion zu wählen. Im Falle des Verstoßes gegen die Informationspflichten
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kann das Gericht daher das Verhalten der jeweiligen Prozesspartei nach §§ 286 I, 371 III, 427 ZPO entsprechend würdigen. Etwaige Gegenrechte der zur Information verpflichteten Partei sind im Rahmen eben dieser Würdigung zu berücksichtigen. Eine berechtigte Weigerung mit Blick auf überwiegende Gegenrechte kann daher keinerlei negative Beweiswürdigung nach sich ziehen. Allerdings erscheint es fraglich, welche Gegenrechte bei der bloßen Benennung von Beweismitteln betroffen sein könnten. Diese Gegenrechte werden eher im Falle einer Anordnung der Beweismittelvorlage oder ihrer Erhebung beeinträchtigt. In jedem Fall ist die bloße Gefahr des Prozessverlustes durch die Mitteilung von Informationen gerade kein in diese Abwägung einzustellender Faktor.
IV. Der Grundsatz der formellen Beweisunmittelbarkeit in der ZPO Als weiteren, wesentlichen Grundsatz des Beweisrechts stellt sich die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme dar. In der Rechtsprechung von EGMR und EuGH hat dieser Grundsatz seine Anerkennung gefunden, während das Bundesverfassungsgericht mit dem herrschenden Schrifttum davon ausgeht, dass das Grundgesetz keine entsprechende Gewährleistung vorsieht.123 Im Rahmen des zweiten Hauptteils wurde die hier vertretene Ansicht herausgearbeitet, der zufolge die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme als Teilgehalt des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen gewährleistet wird.124
1. § 355 I S. 1 ZPO als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis Obgleich ihre verfassungsrechtliche Verankerung überwiegend bestritten wird, hat die formelle Beweisunmittelbarkeit in § 355 I S. 1 ZPO doch eine einfach-rechtliche Normierung erfahren. Hiernach darf eine Beweisaufnahme ausschließlich vor dem erkennenden Gericht – sei es vor dem Einzelrichter oder dem voll besetzten Kollegialgericht – stattfinden. Die formelle Beweisunmittelbarkeit wird in der Literatur als einer der fundamentalsten Grundsätze des Beweisrechts anerkannt – der Ablehnung ihrer verfassungsrechtlichen Fundierung zum Trotz.125 Insbesondere der Zu123
Vgl. BVerfGE 1, S. 418, 429 und BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244; ausführlich die Darstellung in § 9 II. 3. 124 Siehe die ausführliche Herleitung dieses Gewährleistungsgehaltes in § 7 III. 2. 125 In diesem Sinne bereits RGZ 14, S. 383, 387; ausführlich Pantle, Beweisunmittelbarkeit, S. 1 ff. und Koukouselis, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, S. 8 ff.; siehe auch Völzmann-Sti ckelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 368 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 5 ff.; MüKoHeinrich, ZPO II, § 355, Rn. 1 und aus rechtsvergleichender Sicht Stürner, FS-Blaurock, S. 435, 438 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
sammenhang einer unmittelbaren Anschauung des erkennenden Gerichts und einer sachgerechten Beweiswürdigung wird deutlich hervorgehoben.126 Die explizite Normierung des Grundsatzes der formellen Beweisunmittelbarkeit steht als Ausgestaltung des Prozessrechts in harmonischem Einklang mit dem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta. Der Gewährleistungsgehalt der formellen Beweisunmittelbarkeit ist daher grundsätzlich in der ZPO verwirklicht worden. Auch dem Erfordernis einer gesetzlichen Regelung jeder Einschränkung dieses Gewährleistungsgehaltes wird durch § 355 I S. 2 ZPO in vollem Umfange Rechnung getragen.
2. Die Delegation einer Beweiserhebung in Rechtsprechung und Literatur Eine wichtige Einschränkung der formellen Unmittelbarkeit stellt die Delegation der Beweisaufnahme auf einen ersuchten oder beauftragten Richter (§§ 361, 362 ZPO) dar. Eine gesetzliche Regelung iSd § 355 I S. 2 ZPO findet sich in den jeweiligen Vorschriften für jedes einzelne Beweismittel des Strengbeweises, wobei sich für die nachfolgende Darstellung eine Differenzierung zwischen der Delegation einer Aussage (Zeugen-, Sachverständigen- und Parteibeweis) und sonstiger Beweismitteln (Augenschein- und Urkundenbeweis) anbietet: a) Die Delegation der Erhebung von Aussagen Die Delegation des Zeugenbeweises hat ihre explizite Normierung in § 375 ZPO erfahren. Diese Norm wird über die §§ 402, 451 ZPO gleichsam für den Sachverständigenbeweis und den Beweis durch Parteivernehmung für anwendbar erklärt. Über die Delegation der mündlichen Vernehmung des Sachverständigen kommt nach § 405 ZPO auch die vollständige Delegation seiner Ernennung und Überwachung in Betracht. Allerdings geht die Literatur einhellig davon aus, dass eine solche Delegation nur unter den Voraussetzungen des § 375 ZPO erfolgen darf.127 § 375 ZPO stellt an eine Delegation an den ersuchten, wie auch den beauftragten Richter strenge Anforderungen und bedarf nach ganz überwiegender Auffassung in der Literatur zudem einer engen Auslegung im Hinblick auf die Bedeutung der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.128 Als allgemeine Voraussetzung normiert § 375 I ZPO, es müsse von vornherein abzusehen sein, dass die Ergebnisse der zu diesem Zusammenhang Koukouselis, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, S. 8 ff.; vgl. auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 5 und Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 355, Rn. 1 jeweils mwN. 127 Vgl. etwa Koukouselis, Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, S. 25 ff.; ebenso Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 402, Rn. 1, § 405, Rn. 1 und § 451, Rn. 2; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 402, Rn. 3, § 405, Rn. 2 und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 451, Rn. 2. 128 In diesem etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 1; ebenso MüKo-Damrau, ZPO II, § 375, Rn. 1; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 375, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 126 Instruktiv
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Beweisaufnahme auch ohne unmittelbare Eindruck sachgemäß zu würdigen ist. Diese Voraussetzung kann nach herrschender Auslegung nur dann bejaht werden, wenn es sich um eine einfache Fragestellung handelt, die keine Vorhaltungen und Nachfragen nach sich ziehen wird, und zudem keine widersprüchlichen Zeugenaussagen oder Gegenüberstellungen und Vorhaltungen zu erwarten sind.129 Darüber hinaus muss eine der drei Alternativen des § 375 I ZPO vorliegen: Nach § 375 I Nr. 1 ZPO kann eine Delegation erfolgen, wenn die Vernehmung an einem anderen Ort als dem Gericht dienlich erscheint. Als Beispiel wird regelmäßig angeführt, ein Zeuge solle seine Beobachtungen am Unfallort schildern, um diese Aussagen ins Verhältnis zu den örtlichen Gegebenheiten und Beobachtungsmöglichkeiten zu stellen.130 Nach § 375 I Nr. 2 ZPO kommt eine Delegation in Betracht, wenn ein Zeuge am persönlichen Erscheinen gehindert ist. Eine solche Verhinderung kann regelmäßig nur bei einer schweren Krankheit des Zeugen bejaht werden.131 Abschließend wird nach § 375 I Nr. 3 ZPO eine Delegation bei großer Entfernung des Zeugen vom Ort des Gerichts erlaubt. Die Entfernung meint hierbei weniger die Anzahl der Kilometer, sondern vielmehr die Fahrtdauer und die Beschwerlichkeit der Anreise.132 In der Literatur wird betont, dass in der aktuellen Fassung des § 375 I Nr. 3 ZPO explizit die Bedeutung der Rechtssache in die Abwägung einzustellen ist und damit wiederum hohe Anforderungen zu stellen sind und eine Delegation nur bei großen Entfernungen anzudenken ist.133 Eine Besonderheit stellt § 375 I a ZPO dar, der eine Delegation allein anhand des Kriteriums der Zweckmäßigkeit erlaubt. Es handelt sich um eine Delegationsmöglichkeit aus rein prozessökonomischen Gesichtspunkten, die in der Literatur regelmäßig kritisch gesehen und im Hinblick auf die Bedeutung der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme einer engen Auslegung unterzogen wird.134 Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Delegation des Zeugenbeweises nach § 375 ZPO mit seinen ohnehin hohen Anforderungen einer engen Auslegung unter129 Vgl. wiederum die Beispiele von Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 10 f. Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 375, Rn. 2 und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 375, Rn. 4 jeweils mwN. 130 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 6 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 375, Rn. 2 f. jeweils mwN. 131 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 9 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 15 f. jeweils mwN. 132 Siehe erneut Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 10 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 17 ff. jeweils mwN. 133 Diesen Punkt hervorhebend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 10 und Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 18; ähnlich Prütting/Gehrlein, ZPO, § 375, Rn. 8 jeweils mwN. 134 Kritisch äußert sich etwa MüKo-Heinrich, ZPO II, § 375, Rn. 1; ähnlich Völzmann-Stickel brock, ZZP 118 (2005), S. 359, 369 f.; die geringe Bedeutung betont auch Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 375, Rn. 4 unter Verweis auf die §§ 348, 348a ZPO.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
zogen, die sodann explizit auf die Delegation des Beweises durch Sachverständige und Parteivernehmung nach den §§ 402, 451 ZPO übertragen wird.135 b) Die weitere Delegation des Augenscheins- bzw. Urkundenbeweises Eine Delegationsmöglichkeit sieht das Gesetz auch für den Augenscheinsbeweis in § 372 II ZPO und für den Urkundenbeweis in § 434 ZPO vor. § 372 II ZPO stellt in diesem Zusammenhang jedoch keine weiteren Voraussetzungen für eine solche Delegation auf, insbesondere wird nicht auf die Voraussetzungen des § 375 ZPO verwiesen. Die herrschende Meinung geht ebenfalls von vergleichsweise niedrigen Voraussetzungen aus, verlangt aber zumindest eine Entscheidung über die Delegation nach pflichtgemäßem Ermessen.136 Eine Delegation des Urkundenbeweises auf den ersuchten oder beauftragten Richter wird demgegenüber in § 434 ZPO unter strenge Voraussetzungen gestellt. Hintergrund ist nach der Literatur der Umstand, dass eine Urkunde im Allgemeinen ohne weiteres eine Vorlage vor dem gesamten Gericht erlaubt.137 Nach § 434 ZPO setzt eine Delegation erhebliche Hindernisse bei einer Vorlage oder die Besorgnis des Verlustes oder der Beschädigung einer besonderes wichtigen Urkunde voraus, wobei diese Alternativen sich regelmäßig überschneiden werden.138 Als Fallbeispiel wird oftmals die Vorlage der Originale von Grundbuchakten angeführt, wenngleich darauf hingewiesen wird, dass nach § 435 ZPO oftmals eine beglaubigte Abschrift zum Nachweis genügen würde und somit kein Grund für eine Delegation bestünde.139 Als Anwendungsfälle sind daher insbesondere Privaturkunden denkbar, die nach § 420 ZPO im Original vorzulegen sind.140 Mithin erfährt auch die Delegation des Urkundenbeweises eine enge Auslegung durch die herrschende Meinung. c) Eigene Ansicht: Die Delegationsnormen im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Diese gesetzlichen Delegationsmöglichkeiten einer Beweisaufnahme in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur sind nun am Maßstab des Rechts auf Beweis zu messen. Das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung in § 355 I S. 2 ZPO wird nach den §§ 372 II, 375, 402, 405, 434, 451 ZPO für alle Beweismittel des Strengbeweises eingehalten, so dass die formellen Voraussetzungen einer Ein135 In diesem Sinne Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 13 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 375, Rn. 1 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 136 Vgl. BGH NJW 1990, S. 2936 f.; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 372, Rn. 3 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 372, Rn. 8. 137 Diese Begründung findet sich bei Kern, ZZP 125 (2012), S. 53, 56 f. 138 Ein solches, typischerweise kumulatives Vorliegen nimmt etwa Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 434, Rn. 2 an; ebenso Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 434, Rn. 2 an. 139 Vgl. zu diesem Beispiel Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 434, Rn. 2. 140 Vgl. Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 434, Rn. 1; ähnlich Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 434, Rn. 2.
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schränkung des Rechts auf Beweis als erfüllt angesehen werden können und allein die Frage nach ihrer materiellen Rechtmäßigkeit zu stellen ist. aa) Die Delegation der Beweiserhebung von Aussagen Die Delegation von Zeugenaussagen wird nach § 375 ZPO strengen Voraussetzungen unterworfen, die über §§ 402, 405, 451 ZPO auch für den Beweis durch Sachverständige und Parteivernehmung Anwendung finden. Daher ist zu fragen, inwieweit diese Anforderungen nach § 375 ZPO mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz konformgehen. Eine Delegation der Beweiserhebung auf den beauftragten wie auch den ersuchten Richter dient dahingehend der Prozessökonomie, dass lediglich ein Richter aus einem Kollegium bei einer Beweisaufnahme gebunden wird. Die Prozessökonomie als solche ist kein verfassungsrechtlicher Grundsatz, allerdings kommt dem Allgemeingut der „Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege“ Verfassungsrang zu. Eine Grenze dieser Einschränkbarkeit wurde bereits in den abstrakten Ausarbeitungen dahingehend getroffen, dass die aus Sparzwängen herbeigeführte Funktionsunfähigkeit der Zivilrechtspflege gerade keine Einschränkungen rechtfertigen kann.141 Indes handelt es sich bei der Frage, ob alle Richter aus einem Kollegium an einer gegebenenfalls auswärtigen Beweiserhebung teilnehmen müssen, selbst bei unbegrenzten Ressourcen der Rechtspflege eher um eine Frage des effizienten Einsatzes dieser Ressourcen und damit um ein legitimes Ziel einer Einschränkung der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Im Rahmen dieser Abwägung stellt die gesetzliche Ausgestaltung des § 375 ZPO eine ganze Reihe strenger Voraussetzungen auf. Bereits die allgemeine Voraussetzung des § 375 ZPO dahingehend, dass eine Delegation nur dann zulässig ist, wenn eine sachgemäße Beweiswürdigung keines unmittelbaren Eindruckes bedarf, führt bei sachgerechter – enger – Auslegung dazu, dass lediglich solche Fälle einer Delegation zugänglich sind, in denen das Prinzip der formellen Unmittelbarkeit bereits nach seinem Telos eher einschränkbar ist. Allerdings sind bei einer engen Auslegung dieser Voraussetzung nur wenige Fallkonstellationen denkbar, in denen die Delegation einer Aussage überhaupt in Betracht kommen könnte – so etwa bei einfachen Nebenfragen, die ein Zeuge ohnehin nur aus seinen Unterlagen beantworten könnte. Sobald etwaige Nachfragen, Vorhaltungen, Gegenüberstellungen des Zeugen möglich, oder auch widersprüchliche Aussagen zu erwarten sind, wird eine Delegation in Auslegung des Rechts auf Beweis von vornherein an diesem Kriterium scheitern.142
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Siehe bereits oben § 8 III. 3. d. aa. (1). In diesem Sinne auch die Auslegung der h. M. siehe etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 10 f. Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 375, Rn. 2 und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 375, Rn. 4 jeweils mwN. 142
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Darüber hinaus verlangt § 375 I ZPO das Vorliegen von zumindest einer von drei möglichen Alternativen, um eine Delegation zu rechtfertigen: Nach § 375 I Nr. 1 ZPO kann eine Delegation erfolgen, wenn eine Beweisaufnahme am Ort des Geschehens sachgerecht erscheint, etwa bei der Schilderung der Beobachtungen eines Unfallzeugen am Unfallort, um so einen unmittelbaren Eindruck von den Beobachtungsmöglichkeiten vor Ort zu erlangen.143 Damit dient § 375 I Nr. 1 ZPO einem effektiveren Rechtsnachweis und einer besseren Wahrheitsfindung im Einzelfall, „erkauft“ diese Verbesserung allerdings zugleich mittels einer Durchbrechung der formellen Unmittelbarkeit. Allerdings ließe sich dieser Effekt einer verbesserten Wahrheitsfindung auch bei Teilnahme des gesamten Kollegiums erzielen. Der Hintergrund einer Delegation dürfte daher eher in der zeitlichen Belastung des Gerichts durch einen auswärtigen Ortstermin liegen. In dieser Abwägung zwischen Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege und Recht auf Beweis bedarf § 375 I Nr. 5 ZPO einer engen Auslegung: Eine Delegation kommt hiernach ausschließlich bei besonders großen Entfernungen des Ortes der Beweisaufnahme in Betracht. Ähnlich stellt sich die Situation in § 375 I Nr. 2 ZPO dar, der eine Delegation bei Verhinderung des Zeugen erlaubt – so etwa bei einer schweren Krankheit.144 Wiederum könnte das gesamte Kollegium grundsätzlich am Krankenbett erscheinen, so dass eine Delegation allein der Arbeitsentlastung geschuldet ist. Daher bedarf auch diese Alternative einer engen Auslegung, so dass eine Delegation nur bei besonders großen Entfernungen des Ortes der Beweisaufnahme in Betracht kommt. § 375 I Nr. 3 ZPO berücksichtigt sodann ganz allgemein die Entfernung des Ortes der Beweisaufnahme, allerdings in diesem Fall explizit zugunsten der zu vernehmenden Aussageperson. Eingestellt werden nach dem Gesetz die Entfernung des Gerichtes auf der einen Seite und die Bedeutung der Aussage aus der anderen Seite. Dabei wird mit der herrschenden Meinung weniger auf die räumliche Distanz, sondern vielmehr den Zeitaufwand der Anreise abzustellen sein.145 In diesem Fall würden hiernach die allgemeine Handlungsfreiheit der Aussageperson aus Art. 2 I GG und das Recht auf Beweis miteinander abgewogen. Im Hinblick auf seine Fundierung in Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten wird hierbei regelmäßig dem Recht auf Beweis und damit der Rechtsdurchsetzung der Prozessparteien ein Vorrang vor der bloßen Unannehmlichkeit einer Reise einzuräumen sein. Eine Delegation nach § 375 I Nr. 3 ZPO kommt hiernach ausschließlich bei exorbitant großer Entfernung auf der einen Seite und einer reinen Bagatellsache auf der anderen Seite in Betracht. 143
Zu diesem Beispiel siehe etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 6 ff. mwN Siehe hierzu etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 15 f. mwN. 145 In diesem Sinne Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 10 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 375, Rn. 17 ff. jeweils mwN. 144
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Außerdem sieht § 375 I ZPO in allen drei Alternativen die Möglichkeit einer Videovernehmung nach § 128a ZPO und damit eine mildere Alternative zu einer Delegation vor. Im Hinblick auf die – bereits im Zeitpunkt der Verfassung dieser Arbeit – sehr guten Darstellungsmöglichkeiten einer Videoübertragung über Distanzen und den weiteren technischen Fortschritt, dürfte diese Alternative zunehmen an Bedeutung gewinnen und perspektivisch einen ähnlich unmittelbaren Eindruck ermöglichen, wie die tatsächliche Anwesenheit vor Gericht. Daher ist vor einer Delegation in jedem Fall die Möglichkeit einer Videovernehmung nach § 128a ZPO zu prüfen. In dieser engen Auslegung unter Berücksichtigung der Videovernehmung sind die Delegationsvorschriften des § 375 I Nr. 1–3 ZPO mit dem Recht auf Beweis vereinbar.146 Allerdings normiert § 375 Ia ZPO eine weitere Delegationsmöglichkeit anhand des Kriteriums der Zweckmäßigkeit. Die Delegation begründet sich allein auf Erwägungen der Prozessökonomie im jeweiligen Einzelfall. Als zusätzliche Voraussetzung muss auch in diesem Fall eine sachgemäße Beweiswürdigung ohne unmittelbaren Eindruck zu erwarten sein. Dennoch ist diese Delegationsmöglichkeit deutlich kritischer zu sehen. Ein Überwiegen der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege anhand bloßer Zweckmäßigkeitserwägungen gegenüber dem Recht auf Beweis wird nur in den seltensten Ausnahmefällen zu bejahen sein. Eine Lösung bietet sich mithilfe einer besonders engen Auslegung ihrer Voraussetzungen an: Der Fall muss dergestalt beschaffen sein, dass es für die Beweiswürdigung ausnahmsweise keine Rolle spielt, ob die Vernehmung vor dem gesamten Kollegium stattgefunden hat. Denkbar wäre allein eine objektiv nachprüfbare Frage, die der Zeuge ohnehin nur durch Ablesen eines Schriftstückes beantworten könnte. In einer so engen Auslegung sind einzelne Fälle einer verfassungskonformen Anwendung des § 375 Ia ZPO denkbar.147 bb) Die Delegation des Augenscheins- bzw. Urkundenbeweises In den §§ 372 II und 434 ZPO wird die Delegationsmöglichkeit der weiteren Beweismittel des Augenscheins und der Urkundenvorlage gesetzlich geregelt. Die Delegation des Augenscheins erfolgt nach § 372 II ZPO ohne weitere Voraussetzungen. Die voraussetzungslose Delegationsmöglichkeit des Augenscheins überrascht insoweit, als es sich bei der Einnahme eines Augenscheins um die wohl unmittelbarste Möglichkeit des Gerichts handelt, sich einen Eindruck von Tatsachen im Rahmen der Beweisaufnahme zu verschaffen. Als Hintergrund der Regelung kommt wiede146
Für eine enge Auslegung auch die h. M. siehe etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 375, Rn. 1; ebenso MüKo-Damrau, ZPO II, § 375, Rn. 1; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 375, Rn. 1 ff. jeweils mwN 147 Zur Kritik an dieser Vorschrift siehe wiederum MüKo-Heinrich, ZPO II, § 375, Rn. 1 und Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 369 f. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
rum allein die möglicherweise große Entfernung des Ortes der Einnahme des Augenscheins vom Gericht in Betracht. Daher bedarf es im Rahmen der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung des Gerichts über die Delegation einer Abwägung zwischen der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und dem Recht auf Beweis. Im Hinblick auf diese Eigenart des Augenscheins als besonders unmittelbare Form des Beweises, sollte gerade diese Beweiserhebung nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich durch das gesamte Prozessgericht erfolgen. Eine Delegation kommt in Auslegung des § 372 II ZPO hiernach lediglich in absolut unproblematischen Fällen in Betracht, in denen sich die Beobachtungen ohne weiteres protokollieren lassen. Bei komplexeren Einnahmen eines Augenscheins scheidet eine Delegation demgegenüber mit Blick auf das Recht auf Beweis aus. Eine Delegation des Urkundenbeweises wird in § 434 ZPO an strenge Voraussetzungen gebunden. In der Regel eine Urkundenvorlage vor dem erkennenden Gericht ohne Probleme möglich sein, so dass diese strengen Anforderungen an eine Delegation durchaus angemessen erscheinen. Die Voraussetzungen des § 434 ZPO dienen hierbei in erster Linie dem Schutz der Urkunde durch das Belassen an ihrem ursprünglichen Belegenheitsort.148 Allerdings ist auch in diesem Fall die Frage zu stellen, ob die Besichtigung der Urkunde nicht durch das gesamte Prozessgericht erfolgen kann. Eine Delegation dient auch hier im Ergebnis allein der Reduktion des Arbeitsaufwandes und damit der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Die Voraussetzungen des § 434 ZPO müssen nach hier vertretener Auffassung kumulativ vorliegen, wobei die Gefahr einer Beschädigung oder des Verlustes einer wichtigen Urkunde als Sonderfall eines erheblichen Hindernisses angesehen werden kann.149 Eine Delegation kommt hiernach ggf. bei besonders wertvollen Originalurkunden in Betracht, die zu ihrem Erhalt luftdicht verschlossen werden müssten und deren Besichtigung nur durch eine Einzelperson in Frage kommt. Im Falle von öffentlichen Urkunden wird zudem regelmäßig eine beglaubigte Abschrift nach § 435 ZPO genügen.150 Bei enger Auslegung des § 434 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis sind daher nur wenige Fälle einer Delegation des Urkundenbeweises denkbar. d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme stellt einen wesentlichen Grundsatz eines jeden Beweisverfahrens nach allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen dar. Die diesbezüglichen Anforderungen des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta decken sich daher nach hier vertretener Auffassung mit denjenigen des Grundgesetzes. Somit fordert auch das Recht auf Beweis in 148
Vgl. für Beispielsfälle des § 434 ZPO Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 434, Rn. 2. Eine solche Kumulation rein faktisch als Regelfall annehmend etwa Prütting/GehrleinPreuß, ZPO, § 434, Rn. 2 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 434, Rn. 2 an. 150 In diesem Sinne bereits Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 434, Rn. 2. 149
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EMRK und Grundrechtecharta eine enge Auslegung der Delegationsvorschriften der ZPO, die mit den obigen Ausführungen zum Recht auf Beweis im Grundgesetz grundsätzlich übereinstimmen. e) Exkurs: § 372 I ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Eine besondere Konstellation der Delegation betrifft die Tatsachenfeststellung durch einen Sachverständigen nach § 372 I ZPO. Es stellt sich die Frage, in welchem Umfang ein Sachverständiger anstelle des Gerichts Tatsachen ermitteln und diese Tatsachen sodann seinem Gutachten, aber auch dem Prozess insgesamt zugrunde legen darf.151 In der ersten denkbaren Fallkonstellation stellt der Sachverständige sog. Befundtatsachen fest. Hierbei handelt es sich um solche Tatsachen, die allein der Sachverständige aufgrund seines Spezialwissens, nicht aber das Gericht selbst feststellen kann.152 In diesem Fall fehlt es nach hier vertretener Auffassung bereits an einer zurechenbaren Beeinträchtigung des Rechts auf Beweis. Es bleibt den Parteien in diesem Zusammenhang allein die Wahl zwischen einer Tatsachenfeststellung durch den Sachverständigen oder dem gänzlichen Unterbleiben dieser Tatsachenfeststellung. Aufgrund der sachverständigen Ermittlung werden den Prozessparteien somit neue Nachweismöglichkeiten an die Hand gegeben, die bei einer unmittelbaren Erhebung durch das Gericht selbst schlicht nicht zu ermitteln wären. Ein ähnliches Bild zeichnet sich bei der Ermittlung solcher Tatsachen ab, die für das erkennende Gericht aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unerreichbar wären. Paradebeispiele sind das Wrack auf dem Meeresgrund oder der steile Fabrikschornstein.153 Allerdings wäre ein solcher Tauchgang bzw. ein Klettergang zumindest faktisch möglich, so dass es sich hierbei weniger um eine Unmöglichkeit der Tatsachenermittlung, als vielmehr um eine Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis und der körperlichen Unversehrtheit der Mitglieder des erkennenden Gerichts handelt. Insoweit gilt es zu bedenken, dass ein Gericht weder als Tiefseetaucher noch als Extremkletterer ausgebildet sein muss. Daher wird diese Abwägung regelmäßig zugunsten der körperlichen Unversehrtheit ausfallen und die Tatsachenermittlung allein durch ausgebildete Experten stattfinden. Denkbar wäre auch hier eine Videoaufzeichnung, um zumindest einen annähernd unmittelbaren Eindruck zu gewinnen. Die Grenze dieser Abwägung dürfte jedoch bei reiner Bequemlichkeit erreicht sein. So wird es auch den Mitgliedern eines Gerichts möglich sein, einen 50 Meter hohen Hügel zu erklimmen. 151 Instruktiv zu dieser Konstellation BGH NZM 2011, S. 786 f.; ausführlich auch Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 372, Rn. 3 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 372, Rn. 2 ff. 152 In diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 372, Rn. 5 f. und MüKo-Zimmer mann, ZPO II, § 372, Rn. 3 jeweils mwN. 153 Vgl. Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 372, Rn. 8 f.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 372, Rn. 4 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 371, Rn. 14 f. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Eine vergleichbare Abwägung ist im Falle der rechtlichen Unmöglichkeit zu treffen. Als Beispiel wird regelmäßig eine intime Untersuchung angeführt, die allein einem Arzt als Experten vorbehalten ist.154 Insbesondere bei solchen Eingriffen in die Intimsphäre würde die eigenständige Ermittlung des Gerichts durch Art. 1 I GG ausgeschlossen, so dass auch hier die Tatsachenermittlung durch Experten als einzig zulässige Möglichkeit verbleibt. In diesen Konstellationen lässt sich die Einschränkung der formellen Unmittelbarkeit daher dahingehend rechtfertigen, dass andernfalls keinerlei Tatsachenermittlung möglich wäre. In sonstigen Konstellationen darf der Sachverständige etwaige eigene Tatsachenermittlungen allenfalls ergänzend zum Beweisantritt der Prozessparteien durchführen und muss sie zudem in seinem Gutachten offenlegen.155 Die Vernehmung eines Zeugen durch einen Sachverständigen hat indes nach hier vertretener Ansicht keinen Einfluss auf den Beweisantritt der Parteien. Die Parteien haben auf ihre Initiative hin das Recht, eine unmittelbare Erhebung dieser Beweismittel vor dem gesamten Prozessgericht herbeizuführen. Somit bleiben die effektiven Nachweismöglichkeiten der Parteien auch bei sachverständigen Ermittlungen gewahrt.
3. Die schriftliche Einvernahme von Zeugen nach § 377 III ZPO Eine weitere Fragestellung im Zusammenhang mit der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist die in § 377 III ZPO eröffnete Möglichkeit der schriftlichen Befragung eines Zeugen durch das Prozessgericht. a) Die Auslegung des § 377 III ZPO in Rechtsprechung und Literatur In Teilen der Literatur wird ein Zusammenhang zwischen der schriftlichen Zeugenbefragung nach § 377 III ZPO und dem Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme in § 355 I S. 1 ZPO verneint.156 Nach der Konzeption des Gesetzes bleibe die schriftliche Aussage ein Zeugenbeweis und diese Aussage sei für alle Mitglieder des Prozessgerichts gleichermaßen zugänglich, so dass die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme gewahrt sei.157 Demgegenüber geht die herrschende Meinung aus teleologischer Sicht von einem solchen Zusammenhang zwischen Schriftlichkeit der Zeugenbefragung und formeller Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme aus.158 Eine schriftliche Aussage ermöglicht gerade keine unmittel154
Siehe erneut Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 372, Rn. 9 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 371, Rn. 14 f. jeweils mwN. 155 Ausführlich zu diesen Anforderungen an den Sachverständigenbeweis § 12 II. 5. a. 156 In diesem Sinne Stadler, ZZP 110 (1997), S. 137, 144 ff. mwN. 157 So die Argumentation von Stadler, ZZP 110 (1997), S. 137, 144 ff. mwN. 158 Ausführlich Koch, schriftliche Zeugenaussage, S. 29 f.; siehe auch Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 370 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 377, Rn. 24; MüKo-Damrau, ZPO II, § 377, Rn. 7; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 377, Rn. 30 ff. jeweils mwN.
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bare Anschauung des Zeugen im Zeitpunkt seiner Aussage, so dass der wesentliche Sinn der formellen Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme umgangen würde.159 Auch im Hinblick auf die mögliche Fälschung einer solchen Aussage werden verschiedentlich Bedenken geäußert.160 Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 377 III ZPO richten sich an die zu stellende Beweisfrage und die Person des schriftlich zu befragenden Zeugen gleichermaßen. In der Literatur wird regelmäßig verlangt, dass es sich um ein einfaches Beweisthema handeln muss, das ohne Probleme eine Verschriftlichung der eigenen Aussage erlaube.161 Außerdem müsse der Zeuge zu einer angemessenen Verschriftlichung seiner Aussage intellektuell befähigt sein.162 In diesem Zusammenhang wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass die Beurteilung dieser Fragen im Vorfeld der eigentlichen Beweiserhebung durch das Gericht kaum möglich ist.163 Daher wird die schriftliche Befragung eines Zeugen eng ausgelegt und in erster Linie als Möglichkeit der zusätzlichen Informationsgewinnung für eine Güteverhandlung angesehen.164 b) Eigene Ansicht: § 377 III ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Eine schriftliche Zeugenaussage nach § 377 III ZPO weist auch nach hier vertretener Auffassung durchaus einen Zusammenhang zur formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme auf. Die eigentlichen Vorteile einer unmittelbaren Vernehmung sind in der Begutachtung der Art und Weise einer Aussage zu sehen – insbesondere der Mimik und Gestik der aussagenden Person. Diese Aspekte sind für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage von großer Bedeutung und lassen sich nur auf der Grundlage eines Schriftstückes schlicht nicht beurteilen.165 Allein etwaige Widersprüche in der schriftlichen Aussage können erkannt werden, doch eben solche Widersprüche werden gerade bei einer wohlformulierten Falschaussage kaum 159 Vgl. Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 370 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 377, Rn. 24; MüKo-Damrau, ZPO II, § 377, Rn. 7; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 377, Rn. 30 ff. jeweils mwN. 160 In diesem Sinne Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 377, Rn. 10. 161 Ausführlich zu diesen Kriterien Koch, schriftliche Zeugenaussage, S. 111 ff.; ebenso Stein/ Jonas-Berger, ZPO V, § 377, Rn. 25; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 377, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 377, Rn. 34 f. 162 Vgl. wiederum Koch, schriftliche Zeugenaussage, S. 122 ff.; ebenso Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 377, Rn. 25; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 377, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 377, Rn. 36 ff. jeweils mwN. 163 Ausführlich zu dieser Problematik Koch, schriftliche Zeugenaussage, S. 122 mwN. 164 Vorteil ist die Möglichkeit der schriftlichen Befragung im Vorfeld der eigentlichen Beweiserhebung, siehe Prütting/Gehrlein-Trautstein, ZPO, § 377, Rn. 7; eine enge Auslegung betont auch Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 370 f. 165 In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 370 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 377, Rn. 24; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 377, Rn. 30 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
auftauchen. Die schriftliche Zeugeneinvernahme nach § 377 III ZPO stellt daher eine Einschränkung des Grundsatzes der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme mit dem Ziel der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege dar. In Lichte des Rechts auf Beweis nach allen drei Grundrechtsordnungen ist diese Vorschrift zur Rechtfertigung dieser Einschränkung eng auszulegen. Es muss sich daher um eine einfach gelagerte Beweisfrage handeln, die ohne weiteres durch die konkrete Person des Aussagenden verschriftlich werden kann.166 In Betracht kommen insoweit wohl allein objektiv nachprüfbare Angaben, die die aussagende Person ohnehin von einem mitgebrachten Schriftstück im Prozess hätte ablesen müssen. Doch selbst in diesem Fall könnte die Möglichkeit einer unmittelbaren Nachfrage bessere Erkenntnismöglichkeiten bereitstellen. Daher bedarf es im Falle einer schriftlichen Zeugenaussage nach § 377 III ZPO zugleich einer entsprechenden Auslegung des § 398 ZPO. Eine erneute Befragung des Zeugen iSd § 398 ZPO ist hiernach auf Antrag einer Partei zwingend anzuordnen, wenn die erste Befragung des Zeugen nach § 377 III ZPO schriftlich erfolgt ist. Auf diese Weise wird es den Parteien ermöglicht, eine unmittelbare Befragung des Zeugen vor dem Gericht herbeizuführen. Dieser Auslegung ließe sich zwar entgegenhalten, dass der von § 377 III ZPO intendierte Beschleunigungseffekt regelmäßig verpuffen könnte. Doch bedenkt man weiterhin das Fragerecht der Prozessparteien nach § 397 ZPO, dessen Ausübung ebenfalls schriftlich zu erfolgen hätte, so würde dieser Zeitvorteil insbesondere bei mehreren Nachfragen ohnehin gänzlich konterkariert. Demgegenüber wäre eine Versagung dieses Fragerechts und damit der Initiative der Prozessparteien vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis nach hier vertretener Ansicht kaum zu rechtfertigen. In diesem Fall wären die äußersten rechtsstaatlichen Grenzen der Einschränkbarkeit der Parteirechte zugunsten der Prozessökonomie erreicht. Mithin führt diese Auslegung zu einem verfassungskonformen Zustand, ohne den Zeitfaktor übermäßig zu belasten. Vielmehr zeigt sich hier, dass die schriftliche Befragung nach § 377 III ZPO bei verfassungskonformer Auslegung lediglich in ausgewählten Fällen in Betracht kommt – so ist sie insbesondere zur Informationsgewinnung für die Güteverhandlung denkbar.167 Gegen eine solche Auslegung der Zulässigkeit einer schriftlichen Befragung in gewissen Fällen bei gleichzeitigem Recht auf Herbeiführung einer unmittelbaren Vernehmung ließe sich jedoch einwenden, dass eine vorab getätigte, schriftliche Aussage bereits die spätere unmittelbare Aussage verändern kann. Insofern stehen sich der Vorteil eines ruhigeren Nachdenkens über den Geschehensverlauf und der Nachteil einer möglichen Beeinflussung oder gedanklichen Verfälschung des Geschehens gegenüber. Eine Antwort auf diese Frage lässt sich indes aus der Verfas166 Vgl. die insoweit gleichlaufende h. M. siehe insbesondere Koch, schriftliche Zeugenaussage, S. 111 ff. mwN. 167 In diesem Sinne auch die h. M. vgl. Prütting/Gehrlein-Trautstein, ZPO, § 377, Rn. 7.
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sung nach hier vertretener Ansicht nicht mehr ableiten. Vielmehr verbleibt es insoweit beim gestalterischen Ermessen des Gesetzgebers. Eine enge Auslegung des § 377 III ZPO bei gleichzeitiger, weiter Auslegung des § 398 ZPO genügt insoweit dem Mindeststandard des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta.
4. Die Verwertbarkeit von Beweiserhebungen aus einem vorangegangenen Verfahren Eine weitere Fragestellung der formellen Unmittelbarkeit nach § 355 I S. 1 ZPO erhebt sich im Hinblick auf die Verwertbarkeit einer Beweiserhebung aus einem vorhergehenden Prozess oder auch einem sonstigen (Ermittlungs-) Verfahren. Diese Frage stellt sich insbesondere im Zusammenhang mit verschriftlichten Aussagen von Zeugen und Parteien nach § 411a ZPO, jedoch auch hinsichtlich der Verwertbarkeit von Sachverständigengutachten. a) Die Verwertbarkeit protokollierter Zeugen- und Parteiaussagen Im ersten Schritt soll nun die Verwertbarkeit von Zeugen- und Parteiaussagen aus anderen Gerichtsprozessen, aber auch etwaigen Ermittlungsverfahren beleuchtet werden aa) H.M.: Anerkennung einer Verwertbarkeit im Wege des Urkundenbeweises In Rechtsprechung und Literatur ist die Verwertbarkeit von protokollierten Aussagen im Grundsatz anerkannt.168 Allerdings geht diese herrschende Meinung davon aus, dass die Verwertung von Protokollen im Wege des Urkundenbeweises zu erfolgen hat, protokollierte Zeugenaussagen mithin gerade keinen Zeugenbeweis darstellen.169 Zudem wird eine Bewertung der Glaubwürdigkeit der Aussageperson nur insoweit möglich erachtet, als entsprechende Anhaltspunkte zu dieser Frage explizit im Protokoll festgehalten worden sind.170 Letztlich werden Aussagen aus vorangegangenen Prozessen somit als mittelbare Beweismittel angesehen, welche im Folgeprozess der freien Würdigung des erkennenden Gerichts unterliegen und eine unmittelbare Erhebung dieser Beweismittel auf Antrag nicht ausschließen können.171 168 Vgl. bereits BGHZ 7, S. 116, 121 f.; st. Rspr siehe BGH NJW 1985, S. 1470; BGH NJW-RR 1996, S. 638 und in jüngster Zeit BGH MDR 2013, S. 1184 f. jeweils mwN; zustimmend MüKoHeinrich, ZPO II, § 355, Rn. 10 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 9. 169 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1470 und BGH MDR 2013, S. 1184 f.; aus der Literatur siehe etwa MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 10 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 9. 170 Vgl. BGH NJW-RR 1992, S. 1214, 1215 f.; ebenso BGH NJW 2000, S. 1420, 1421; zustimmend MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 10 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 9. 171 Ausführlich in jüngster Zeit BGH MDR 2013, S. 1184 f.; ebenso MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 10 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 9 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
bb) Eigene Ansicht: Die Verwertbarkeit früherer Aussagen im Lichte des Rechts auf Beweis Die Frage nach der Verwertbarkeit von protokollierten Aussagen früherer Prozesse und Verfahren wirft im Hinblick auf das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung keine größeren Probleme auf. Der herrschenden Meinung ist darin zuzustimmen, dass diese Aussagen in der Form eines Urkundenbeweises grundsätzlich verwertbar sind.172 Eine Bewertung der Glaubwürdigkeit einer Aussage allein anhand solcher, protokollierter Aussagen ist zwar kaum sinnvollerweise möglich. Indes berührt diese Verwertung der Aussagen im Wege des Urkundenbeweises nicht das Recht der Prozessparteien, eine unmittelbare Vernehmung der betreffenden Personen herbeizuführen. Die Einbringung von verschriftlichten Aussagen aus früheren Prozessen ergänzt die Beweisführung lediglich und kann gerade nicht zur Ablehnung eines beantragten, unmittelbaren Beweises durch die betreffenden Aussagepersonen berechtigen. Diese Verwertbarkeit steht im Einklang mit dem Recht auf Beweis iSe Rechts auf effektiven Rechtsnachweis. Dieses Recht der Parteien auf einen effektiven Rechtsnachweis wird durch die Möglichkeit eines Abgleiches heutiger Aussagen mit früheren Protokollen nochmals erweitert. Die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme wird ihrerseits sichergestellt durch die unmittelbare Wahrnehmung der protokollierten Aussagen des Prozessgerichtes und die Möglichkeit einer unmittelbaren Vernehmung auf Parteiinitiative hin. b) Die Verwertbarkeit früherer Sachverständigengutachten nach § 411a ZPO Eine besondere Regelung in diesem Zusammenhang trifft § 411a ZPO. Diese Norm ermöglicht eine Verwertbarkeit von Sachverständigengutachten aus früheren Prozessen oder Ermittlungsverfahren. Das Gutachten wird im Folgeprozess – anders als protokollierte Aussagen früherer Prozesse oder Verfahren – explizit als Sachverständigenbeweis behandelt. aa) Die Auslegung des § 411a ZPO in Rechtsprechung und Literatur § 411a ZPO dient nach herrschender Meinung in erster Linie der Prozessökonomie, indem eine wiederholte Begutachtung vermieden werden soll.173 Die gesetzlichen Voraussetzungen des § 411a ZPO sind insoweit denkbar gering, als es sich bei dem zu verwertenden Gutachten lediglich um ein Gutachten aus einem vorangegangenen Gerichtsprozess oder um ein staatsanwaltschaftlich angeordnetes Gutachten handeln muss. Sodann steht die Verwertung im gerichtlichen Ermessen. Diese Voraus172 Für die h. M. siehe etwa BGH MDR 2013, S. 1184 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 10 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 9 jeweils mwN. 173 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411a, Rn. 1 f.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411a, Rn. 1 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411a, Rn. 1 f. jeweils mwN.
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setzungen werden in Rechtsprechung und Literatur dahingehend konkretisiert, dass sich für eine Verwertbarkeit das Beweisthema der vorangegangenen Begutachtung und des heutigen Prozesses decken muss, wobei gegebenenfalls ein Ergänzungsgutachten einzuholen ist.174 Außerdem müssen die Rechte der Prozessparteien in Bezug auf die Begutachtung unangetastet bleiben, insbesondere die Möglichkeit einer Ablehnung des Gutachters wegen Befangenheit.175 Sollte das Gericht im Folgeprozess Zweifel an der Qualität des Gutachtens haben, so muss grundsätzlich eine neue Begutachtung erfolgen.176 bb) Eigene Ansicht: § 411a ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Die Verwertbarkeit eines Gutachtens aus einem früheren Prozess als Sachverständigenbeweis im Folgeprozess erscheint mit Blick auf den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit aus dem Recht auf Beweis deutlich problematischer als eine Verwertung von protokollierten Aussagen im Wege des Urkundenbeweises. In jedem Fall ist mit der herrschenden Meinung eine exakte Überschneidung des Beweisthemas zu fordern und auch ein Ergänzungsgutachten kommt nur in Betracht, wenn bereits erstellte Gutachten signifikante Übereinstimmungen mit dem Beweisthema aufweisen, so dass lediglich einzelne (Neben-) Aspekte ergänzt werden müssen.177 Andernfalls ist der Zeitgewinn der Verwertung so gering, dass die Abwägung zugunsten der Unmittelbarkeit der Beweiserhebung iSd Erstellung eines neuen Gutachtens ausfallen muss. Ein weiterer Ausgleich der Parteien kann darin gesehen werden, dass sie den Gutachter in der mündlichen Verhandlung zu seinem Gutachten und etwaigen Zweifeln befragen können. Im Falle der Verwertung eines Gutachtens nach § 411a ZPO ist daher § 411 III ZPO dahingehend auszulegen, dass das Gericht auf Antrag einer Partei dazu verpflichtet ist, den Gutachter in der mündlichen Verhandlung zur unmittelbaren Erläuterung und Befragung zu laden.178 Die Problematik des § 411a ZPO wird außerdem dahingehend entschärft, dass aus dem Recht auf Beweis der durch das verwertete Gutachten benachteiligten Partei 174 In diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411a, Rn. 11 ff.; Prütting/GehrleinKatzenmeier, ZPO, § 411a, Rn. 5 jeweils mwN; einschränkend MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411a, Rn. 5, der bei fehlender Deckungsgleichheit indes den Sinn einer Verwertung verneint; für eine Berücksichtigung im Ermessen Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 411a, Rn. 8 ff.; allein auf die Übereinstimmung der Beweisfrage des Gutachtens abstellend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411a, Rn. 10 f. 175 Vgl. noch zur alten Rechtslage BGH NJW 2000, S. 3072, 3073; zustimmend nach neuer Rechtslage Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411a, Rn. 22 ff.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411a, Rn. 10 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411a, Rn. 15 jeweils mwN. 176 Vgl. allgemein BGH NZM 2011, S. 786, 787; siehe auch MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411a, Rn. 4. 177 Vgl. wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411a, Rn. 11 ff.; Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 411a, Rn. 5 jeweils mwN 178 Ebenso Völzmann-Stickelbrock, ZZP 118 (2005), S. 359, 381 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
unter bestimmen Umständen das Recht auf eine weitere Begutachtung aus § 412 ZPO folgt.179 Insbesondere in Fallgestaltungen der Verwertung fremder Gutachten nach § 411a ZPO ist es den Parteien auf ihre Initiative hin regelmäßig möglich, eine unmittelbare Begutachtung herbeizuführen.
5. Die Verwertung von Beweisergebnissen nach einem Richterwechsel in erster Instanz Zum Abschluss dieser Analyse der formellen Beweisunmittelbarkeit und ihrer Ausgestaltung im geltenden Recht ergibt sich im Hinblick auf die Person des Richters eine weitere Problematik: Der Wechsel eines Einzelrichters oder eines Richters aus einem Kollegium im Anschluss an die Beweisaufnahme und im Vorfeld der eigentlichen Urteilsfindung. In diesem Fall stellt sich die Frage, in welchem Umfang die bisherige Beweiserhebung des ausscheidenden Richters durch den nun zur Entscheidung berufenen Richter im Hinblick auf den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit einer Beweisaufnahme verwertet werden darf a) Rechtsprechung und Literatur: Verwertbarkeit als Grundsatz Der BGH geht zusammen mit dem herrschenden Schrifttum von der grundsätzlichen Verwertbarkeit einer Beweiserhebung im Anschluss an einen Richterwechsel in erster Instanz aus.180 Als Begründung führt der BGH § 309 ZPO ins Feld: Hiernach ist zur Wahrung der Unmittelbarkeit auf die Besetzung des Gerichts im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung abzustellen, nicht aber auf die Besetzung im Zeitpunkt der Beweisaufnahme.181 Zudem würden bereits die Regelungen über die Delegation einer Beweiserhebung auf den ersuchten oder beauftragten Richter zeigen, dass der ZPO Durchbrechungen des Prinzips der formellen Unmittelbarkeit nicht fremd sind.182 Im Schrifttum wird dieser Rechtsprechung mehrheitlich zugestimmt, letztlich unter Verweis auf die Vielzahl an Richterwechseln in der Praxis und die entsprechende Rechtsprechung.183 Eine Einschränkung wird von der herrschenden Meinung dahingehend vertreten, dass eine Würdigung der Glaubwürdigkeit einer Person nur insoweit in Betracht kommt, als entsprechende Anhaltspunkte protokolliert worden sind.184 179 Ausführlich
zu einem Recht auf erneute Begutachtung § 12 II. 5. c. Grundlegend BGHZ 53, S. 245, 256 ff.; st. Rspr. vgl. BGH NJW 1979, S. 2518; BGH NJW 1991, S. 1180; zustimmend MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 6 f.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 6; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 355, Rn. 26 ff. jeweils mwN. 181 So die Begründung von BGHZ 53, S. 245, 256 ff.; ebenso BGH NJW 1979, S. 2518. 182 So wiederum BGHZ 53, S. 245, 256 ff. und BGH NJW 1979, S. 2518. 183 In diesem Sinne MüKo-Heinrich, ZPO II, § 355, Rn. 6 f.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 6; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 355, Rn. 26 ff. 184 Vgl. wiederum BGHZ 53, S. 245, 256 ff. und BGH NJW 1979, S. 2518; ebenso MüKo-Hein 180
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Das Bundesverfassungsgericht hat in einer neueren Entscheidung eine Konstellation des Richterwechsels untersucht und ist dabei von einer Verwertbarkeit der protokollierten Aussagen im Wege des Urkundenbeweises ausgegangen.185 Eine darüber hinausgehende Verwertung soll jedoch gegen den Grundsatz der Unmittelbarkeit in § 355 I S. 1 ZPO verstoßen.186 Allerdings geht das Verfassungsgericht auch in dieser Entscheidung davon aus, dass die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme keinen grundrechtlichen Charakter hat und ihre Verletzung nur dann zugleich einen Verfassungsverstoß darstellt, wenn die Verletzung so schwerwiegend ist, dass der rechtsstaatliche Charakter des Prozesses insgesamt beeinträchtigt wird.187 Teile der Literatur sehen die Verwertbarkeit der Beweiserhebung nach einem Richterwechsel demgegenüber insgesamt kritisch.188 Die Parteien hätten eine unmittelbare Beweiserhebung beantragt und auch durchführen lassen, würden aber letztlich nach dem Richterwechsel lediglich die Erhebung im Wege eines – mittelbaren – Urkundenbeweises erhalten.189 Eine solche Umdeutung eines anderen Beweismittels in einen Urkundenbeweis sei unzulässig.190 b) Eigene Ansicht: Die Verwertbarkeit von Beweisergebnissen nach einem Richterwechsel im Lichte des Rechts auf Beweis Eine Verwertbarkeit der Beweiserhebung nach einem Richterwechsel erster Instanz erscheint im Lichte des Rechts auf Beweis durchaus als problematisch. In diesem Fall wirkt an einer Entscheidung zumindest ein Richter mit, der keine unmittelbare Anschauung der Beweismittel hatte, so dass die formelle Unmittelbarkeit der Beweiserhebung beeinträchtigt wird. Als legitimes Ziel einer solchen Einschränkung kommt die Prozessökonomie und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege in Betracht. Insbesondere mit Blick auf die Vielzahl möglicher Gründen für einen solchen Wechsel in der Besetzung eines Gerichtes – sei es nun eine Beförderung, Versetzung oder auch Erkrankung des erkennenden Richters – kommt dieser Fragestellung für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ein gewisses Gewicht zu. Indes erscheint bereits die gesetzliche Grundlage einer solchen Einschränkung problematisch. § 309 ZPO regelt den allgemeinen Unmittelbarkeitszusammenhang rich, ZPO II, § 355, Rn. 6 f.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 355, Rn. 6; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 355, Rn. 26 ff. 185 Vgl. die Entscheidung BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244. 186 Siehe BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244. 187 Vgl. BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244 unter Verneinung einer solchen Verletzung im konkreten Fall. 188 In diesem Sinne insbesondere Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 11 f.; tendenziell ähnlich auch Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 355, Rn. 5. 189 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 11 f. 190 Siehe wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 355, Rn. 11 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
iSe möglichst zusammenhängenden Hauptverhandlung und darauffolgenden Entscheidungsfindung. Die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung ist demgegenüber in § 355 ZPO spezialgesetzlich geregelt, so dass § 309 ZPO für das Beweisrecht keinerlei Aussage trifft und auch keine Ermächtigung für eine Verwertung von Beweisergebnissen im Falle eines Richterwechsels an die Hand gibt. Eine analoge Anwendung der Delegationsvorschriften erscheint fernliegend, da ja gerade keine von vornherein geplante Beweiserhebung durch eine andere Gerichtsperson stattfindet, sondern sich vielmehr im Anschluss an eine ordnungsgemäß besetzte Beweiserhebung eben diese Besetzung ändert. Doch selbst, wenn man diese Vorschriften in gänzlich analoger Anwendung als gesetzliche Grundlage ansehen würde, so wäre die Rechtmäßigkeit einer Verwertung fraglich. Das Bundesverfassungsgericht geht in seiner Entscheidung richtigerweise davon aus, dass eine Beweiserhebung protokollierter Aussagen nach allgemeinen Regeln im Wege des Urkundenbeweises erfolgen müsste. Wenn ein externer Richter im Anschluss an die Beweiserhebung zum Zwecke der Entscheidungsfindung dazukommt, ist diese Konstellation vergleichbar mit der Verwertung der Beweisergebnisse aus einem anderen Verfahren. Es erscheint daher eine sachgerechte Lösung, auch im Falle des Richterwechsels von einer Verwertbarkeit der bisherigen, protokollierten Beweiserhebung im Wege des Urkundenbeweises und gerade nicht im Wege der jeweils beantragten Beweisart auszugehen.191 Als Konsequenz dieser Sichtweise können die Parteien auf ihre Initiative hin eine erneute unmittelbare Beweiserhebung der jeweiligen Beweismittel einfordern, wenn sie dies wünschen. Das Gericht muss auf diese Möglichkeit einer erneuten Vernehmung auf Antrag explizit hinweisen, so dass die Parteien bei Verzicht auf eine erneute Vernehmung umfassend über die prozessualen Konsequenzen ihrer Handlung informiert sind. Ein Richterwechsel stellt ein außerhalb des Verantwortungsbereiches der Prozessparteien liegendes Ereignis dar. Dementsprechend dürfen ihre Rechte unter Verweis auf die Prozessökonomie nur in geringem Maße eingeschränkt werden. Es obliegt nach hier vertretener Auffassung in erster Linie dem Staat, eine sachgerechte, rechtsstaatliche Organisation seiner Gerichte zu schaffen und erforderlichenfalls einzelne Teile des Prozesses zu wiederholen. Eine Verwertung der bisherigen Beweisaufnahme kommt im Falle eines Richterwechsels somit nach allgemeinen Regeln allein im Wege des Urkundenbeweises in Betracht.
191 Allgemein
in diesem Sinne BVerfG NJW 2008, S. 2243, 2244.
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V. Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme in der ZPO In einem engen Zusammenhang mit dem Grundsatz der formellen Beweisunmittelbarkeit steht das Recht der Prozessparteien auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme als ein weiterer, wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta.192
1. Der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit in § 357 ZPO Dieses Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme hat in dem Grundsatz der Parteiöffentlichkeit nach § 357 ZPO eine ausdrückliche, einfach-rechtliche Ausgestaltung gefunden. Seinem Wortlaut nach gestattet § 357 I ZPO den Prozessparteien die Teilnahme an jeder gerichtlichen Beweisaufnahme. Diese einfach-rechtliche Gewährleistung der Parteiöffentlichkeit nach § 357 I ZPO soll nun in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur eingehend analysiert werden, bevor sich auf dieser Grundlage eine Überprüfung am Maßstab des Rechts auf Beweis anschließt: a) § 357 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Der in § 357 I ZPO normierte Grundsatz der Parteiöffentlichkeit wird in Rechtsprechung und Literatur als ein wesentlicher Verfahrensgrundsatz des Zivilprozesses angesehen, der letztlich aus den Gewährleistungen des Rechts auf rechtliches Gehör in Art. 103 I GG folge.193 Daher wird ganz überwiegend eine weite Auslegung des § 357 I ZPO vertreten, so dass die Parteien ein Recht auf Teilnahme an jeder Beweisaufnahme innehaben – unabhängig davon, ob die Beweisaufnahme am Ort des Gerichts oder auswärtig stattfindet.194 Den Parteien muss – auch mittels einer frühzeitigen Benachrichtigung – die Teilnahme an jeder Beweisaufnahme in jedem Verfahren grundsätzlich ermöglicht werden.195 Eine Beweiserhebung unter Verstoß gegen den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit in § 357 I ZPO wird grundsätzlich als 192
Vgl. zu diesem Gewährleitungsgehalt oben § 7 III. 3. Vgl. BVerfG NJW 2012, S. 2262 f.; Merten/Papier-Uhle, HGR V, § 129, Rn. 39; Sachs-De genhart, GG, Art. 103, Rn. 22; Dreier-Schulze-Fielitz, GG, Bd. 3, Art. 103, Rn. 52 f.; siehe auch BVerwG NJW 1992, S. 2042; BVerwG 2006, S. 2058 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 1 und MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 1 jeweils mwN 194 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 2 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 14 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 2 ff. und Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 195 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 3; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 34 ff.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 11 und Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 8 jeweils mwN. 193
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
unverwertbar angesehen und eine Wiederholung der betreffenden Beweisaufnahme gefordert.196 Die Regelung einer Beweisaufnahme im Ausland, die dem erkennenden Gericht nach § 364 IV S. 2 ZPO ein Ermessen bei unterbliebener Benachrichtigung einer Prozesspartei einräumt, wird in der Literatur kritisch betrachtet, soweit möglich eine Wiederholung der Beweisaufnahme gefordert und im Übrigen die Unverwertbarkeit der Beweisergebnisse angenommen.197 Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme kann jedoch im Einzelfall mit entgegenstehenden Grundrechten kollidieren, die dem Teilnahmerecht ihrerseits Grenzen setzten.198 Diese Grenzen der Parteiöffentlichkeit sind sodann auch für die Frage nach den Rechtsfolgen einer verweigerten Herstellung der Parteiöffentlichkeit von Bedeutung: Wenn die Teilnahme an einer Beweisaufnahme durch die den Beweis beantragende, beweisbelastete Partei selbst verhindert wird – etwa durch Verweigerung des Zugangs zu ihrem Grundstück gegenüber der Gegenpartei – so erfolgt ggf. eine Fristsetzung nach § 356 ZPO und im Übrigen unterbleibt die beantragte Beweisaufnahme, so dass die Partei beweisfällig bleibt.199 Wenn demgegenüber die jeweilige Gegenpartei die Teilnahme einer Partei an einer Beweisaufnahme durch etwaige Verweigerung verhindert, so kann dieses Verhalten nach Rechtsprechung und Literatur als Fall der Beweisvereitelung angesehen und etwaige Sanktionen verhängt werden.200 Allerdings stellt sich eine solche Verweigerung nur dann als Beweisvereitelung dar, wenn die Weigerung nicht durch überwiegende Gegenrechte gerechtfertigt ist, die einem Teilnahmerecht der jeweils anderen Prozesspartei entgegenstehen.201 Indes wird das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme ganz 196
In diesem Sinne BGH VersR 1984, S. 946, 947; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 21; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 39 ff.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 12; Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 9 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 357, Rn. 8 jeweils mwN. 197 Kritisch insbesondere Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 364, Rn. 4 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 364, Rn. 4 ff.; zu den Kriterien der Ermessensentscheidung nach § 364 IV S. 2 ZPO siehe BGHZ 33, S. 63, 65; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 364, Rn. 13 und MüKo-Hein rich, ZPO II, § 364, Rn. 3 jeweils mwN. 198 Vgl. zu den Ausnahmen vom Grundsatz der Parteiöffentlichkeit Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 14 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 25 ff.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 9; Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 6 f. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 357, Rn. 9 jeweils mwN. 199 In diesem Sinne BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996 f.; ebenso auch Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 357, Rn. 18 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 2 unter Verweis auf das mögliche Erfordernis einer Fristsetzung nach § 356 ZPO jeweils mwN. 200 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996 f.; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 2; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 18 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 10; Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 5 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 357, Rn. 4 jeweils mwN. 201 In diesem Sinne BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996 unter Verweis auf das in der Rechtsprechung entwickelte Erfordernis einer „vorwerfbaren und missbilligenswerten“ Beweisvereitelung; zustimmend Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 5 mwN.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
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herrschend als ein wesentlicher Verfahrensgrundsatz begriffen, dessen Einschränkung nur ganz ausnahmsweise durch überwiegende Gegenrechte zu rechtfertigen ist – etwa bei medizinischen Untersuchungen, die den Persönlichkeitskern betreffen, schwerlich jedoch bei bloßen Grundstücksbesichtigungen.202 b) Eigene Ansicht: § 357 ZPO als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis Das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme stellt auch nach hier vertretener Auffassung eine wesentliche Gewährleistung des Rechts auf Beweis iSe Rechts der Parteien auf eine effektive, aktive Nachweismöglichkeit eigener Rechte dar. Die Normierung des Grundsatzes der Parteiöffentlichkeit in § 357 ZPO gestaltet diesen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis grundsätzlich auf rechtmäßige Art und Weise einfach-rechtlich aus. Das Teilnahmerecht des § 357 I ZPO ist im Lichte des Rechts auf Beweis umfassend zu verstehen und gewährleistet hiernach die Teilnahme der Parteien an jeglicher gerichtlicher Beweisaufnahme – sei es am Ort des Gerichts oder extern.203 Auch eine Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter nach den §§ 361 f. ZPO wird von dem Teilnahmerecht des § 357 I ZPO mit Blick auf das Recht auf Beweis erfasst – was sich einfach-rechtlich bereits in den speziellen Benachrichtigungspflichten des § 357 II ZPO widerspiegelt. Die Parteien sollen durch das Recht auf Beweis im Rahmen jeglicher gerichtlicheren Beweisaufnahme die Möglichkeit eigener, aktiver Mitgestaltung zum effektiven Nachweis ihrer Rechte erhalten. Die Anwesenheit der Partei selbst oder eines entsprechend instruierten Vertreters ihrer Wahl ist für diese aktive Teilhabe an einer Beweisaufnahme von großer Bedeutung, so dass Einschränkungen dieses Teilnahmerechts nur in absoluten Ausnahmefällen aufgrund überwiegender Gegenrechte der anderen Partei oder Dritter in Betracht kommen. Denkbar sind mit der herrschenden Meinung insbesondere medizinische Untersuchungen, die die Intimsphäre und damit letztlich den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 iVm Art. 1 I GG betreffen, während die Besichtigung eines Grundstückes nur in besonderen Konstellationen hinreichend gewichtige Grundrechte betreffen kann, die eine Einschränkung der Parteiöffentlichkeit rechtfertigen.204 Keine Einschränkung des 202 Ausführlich
zu den entsprechenden Grenzen der Teilnahme an sachverständigen Ermittlungen, Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 104 ff.; ebenfalls instruktiv zur Teilnahme an einer Wohnungsbesichtigung im Hinblick auf Art. 13 GG, Janowski, NJW 1997, S. 3347 ff.; siehe allgemein auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 10 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 25 ff. jeweils mwN. 203 In diesem Sinne auch die ganz h. M. siehe etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 2 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 14 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 204 Vgl. zu diesen Wertungen wiederum Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 104 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 10 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 25 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Rechts auf Beweis liegt in einer faktischen Unmöglichkeit der Teilnahme, etwa bei dem viel zitierten Beispielsfall eines Schiffswracks auf dem Meeresgrund oder auch dem für Laien lebensgefährlichen Erklimmen eines steilen Berges – allerdings muss in diesen Fällen die Möglichkeit der Teilnahme eines entsprechend qualifizierten Vertreters stets geprüft werden.205 Die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit für die Verwertbarkeit von Beweisergebnissen sind mit Blick auf das jeweils in Rede stehende Recht auf Beweis und weitere Grundrechte der Prozessparteien dahingehend differenziert zu betrachten, welche Person die Herstellung der Parteiöffentlichkeit verhindert: In der ersten denkbaren Konstellation wird die Parteiöffentlichkeit durch die den Beweis beantragende Prozesspartei selbst verhindert, etwa durch Verweigerung des Zutritts zu einem in Augenschein zu nehmenden Grundstück gegenüber der jeweiligen Gegenpartei. Sodann bedarf es im ersten Schritt einer Abwägung zwischen dem Recht der Gegenpartei auf Teilnahme an der Beweisaufnahme und den Gegenrechten der den Beweis beantragenden Prozesspartei. Obgleich eine Abwägung im Einzelfall erforderlich ist, sind hohe Anforderungen an die überwiegenden Gegenrechte zu stellen, so dass ein Ausschluss des Teilnahmerechts – auch eingedenk der diesbezüglichen Duldungspflichten von Prozessparteien – nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht kommt. Im Falle eines berechtigten Ausschlusses der Gegenpartei bedarf es für die Frage nach einer Erhebung und Verwertung sodann einer weiteren Abwägung zwischen den ausnahmsweise kollidierenden Rechten auf Beweis beider Prozessparteien: Das Recht auf Beweis der beweisbelasteten Prozesspartei streitet für eine Erhebung und Verwertung des beantragten Beweismittels, während das Recht auf Beweis der Gegenpartei in Ermangelung einer Teilnahme und aktiven Mitgestaltung der Beweisaufnahme gegen diese Erhebung und Verwertung spricht. Indes wurde das Recht auf Teilnahme bereits im Rahmen der ersten zu treffenden Abwägung umfassend eingepreist. Es erscheint inkonsequent, wenn die Anwesenheit der Gegenpartei aufgrund überwiegender Gegenrechte rechtmäßig ausgeschlossen werden könnte, die eigentliche Beweisaufnahme jedoch in der Folge unterbleiben müsste und die beweisbelastete Partei somit trotz überwiegender eigener Rechte keine ihr günstige Beweiserhebung verlangen könnte.206 Auf diese Weise würde ein – zumindest indirekter – Druck auf die beweisbelastete Partei ausgeübt, trotz überwiegender Gegenrechte eine Anwesenheit der Gegenpartei zu erlauben, um nicht einen Prozessverlust in Ermangelung einer Beweisaufnahme zu riskieren. Daher wird nach hier vertretener Auffassung in diesen speziellen Konstellationen der ausnahmsweise Ausschluss einer Partei wegen überwiegender Gegenrechte der anderen Prozesspartei wertungsmäßig in der Regel mit einem Überwiegen des Rechts auf eine Beweiserhebung zusammenfallen. 205 206
In diesem Sinne insbesondere Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 10. Ähnlich auch Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 357, Rn. 4 mwN.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
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In einer zweiten denkbaren Fallgestaltung wird die Teilnahme der beweisbelasteten Partei demgegenüber durch eine Weigerung der jeweiligen Gegenpartei verhindert. In dieser Konstellation sehen Rechtsprechung und Literatur eine Fallgruppe der Beweisvereitelung und sanktionieren die Vereitelung indirekt durch die Gewährung von Beweiserleichterungen bis hin zu einer Beweislastumkehr zugunsten der den Beweis beantragenden Partei.207 Das Recht auf Beweis bezweckt in seiner gedachten Idealgestaltung einen Rechtsnachweis der Prozessparteien, der mit der Erforschung des wahren Sachverhalts zusammenfällt. Dieser Konzeption wäre durch eine tatsächliche Erhebung von Beweismitteln grundsätzlich am besten gedient, während Beweiserleichterungen oder auch eine Beweislastumkehr stets eine gewisse Fiktion bedeuten. Eingedenk des Charakters des Rechts auf Beweis als subjektiven Rechts der Prozessparteien genügt es jedoch auch in dieser Konstellation, wenn der Rechtsnachweis durch eine indirekte Sanktion, wie etwa Beweiserleichterungen, herbeigeführt wird. Insoweit handelt es sich um eine rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis. Im Falle überwiegender Gegenrechte ist die Verweigerung gerechtfertigt und eine Beweisvereitelung scheidet aus. Allerdings sind auch an die überwiegenden Gegenrechte der jeweiligen Gegenpartei im Rahmen der Prüfung einer berechtigten Verweigerung hohe Anforderungen zu stellen. Besondere Probleme bereitet die dritte denkbare Konstellation in Form der verweigerten Teilnahme an einer Beweisaufnahme durch einen Dritten – etwa durch den verweigerten Zutritt einer oder beider Parteien zu einem Grundstück dieses Dritten. Auch in dieser Fallgestaltung ist im ersten Schritt eine Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis der jeweiligen Prozesspartei(en) und den möglichen Gegenrechten des Dritten zu treffen. Dabei sind die weniger intensiven Duldungspflichten eines Dritten ebenso zu bedenken, wie die konkrete Bedeutung der Teilnahme an dieser Beweisaufnahme für die Parteien. Diese Abwägung liegt letztlich auch dem gerichtlichen Ermessen über eine Anordnung der Duldung einer Beweisaufnahme durch den Dritten in § 144 ZPO zugrunde.208 Wenn die Teilnahme einer oder beider Parteien an der Beweisaufnahme ausnahmsweise aufgrund überwiegender Gegenrechte berechtigt verweigert wird, stellt sich im zweiten Schritt wiederum die Frage nach einer möglichen Erhebung und Verwertung dieses beantragten Beweismittels. Erneut kollidieren in dieser Konstellation die jeweiligen Rechte auf Beweis der Prozessparteien: Das Recht auf Beweis der den Beweis beantragenden, beweisbelasteten Prozesspartei gebietet grundsätzlich eine Erhebung und Verwertung des beantragten Beweismittels, während das Recht auf Beweis der von einer Teilnahme ausgeschlossenen Prozesspartei die Unverwertbarkeit mangels aktiver Mitwir207
Vgl. BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996 f.; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 2; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO VI, § 357, Rn. 18 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 10; Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 5 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 357, Rn. 4 jeweils mwN. 208 Ausführlich bereits oben III. 4. c.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
kungsmöglichkeit fordert. In diesem Fall wurde das Recht auf Teilnahme an der Beweisaufnahme lediglich gegen die überwiegenden Gegenrechte des Dritten abgewogen, so dass das Ergebnis dieser zweiten Abwägung der kollidierenden Rechte auf Beweis – anders als in der ersten hier benannten Konstellation – weniger stark prädisponiert ist. Vielmehr wird eine Beweiserhebung ohne aktive Mitwirkungsmöglichkeit der Gegenpartei nur schwer zu rechtfertigen sein. Denkbar ist eine solche Rechtfertigung insbesondere in Konstellationen, in denen die Erhebung des Beweismittels für die beweisbelastete Partei auf der einen Seite von besonders großer Bedeutung ist und die aktive Teilnahme der Gegenpartei auf der anderen Seite durch eine umfassende Protokollierung und weitreichende Frage- und Äußerungsmöglichkeiten in der späteren mündlichen Verhandlung über die Beweisergebnisse ausgeglichen werden kann. Das Recht auf Teilnahme der Prozessparteien gilt grundsätzlich auch für eine Beweisaufnahme im Ausland. § 364 IV S. 1 ZPO normiert diesbezüglich besondere Mitteilungspflichten der beweisführenden Prozesspartei gegenüber der Gegenpartei und setzt mithin ein Teilnahmerecht beider Prozessparteien voraus. Das gerichtliche Ermessen über die Rechtsfolgen einer unterbliebenen Benachrichtigung nach § 364 IV S. 2 ZPO stellt sich in diesem Zusammenhang als Einfallstor für die erforderlichen Abwägungen der widerstreitenden Grundrechte dar. Einmal mehr kollidieren die jeweiligen Rechte auf Beweis der Prozessparteien, die für eine Verwertung des beantragten Beweismittels bzw. für seine Unverwertbarkeit mangels aktiver Mitwirkungsmöglichkeit an der Erhebung streiten. Wenn man in diese Abwägung mit einbezieht, dass die beweisführende Partei nach § 364 IV S. 1 ZPO besondere Mitteilungspflichten zugunsten der Gegenpartei treffen, geht die Literatur richtigerweise davon aus, dass das Recht auf Teilnahme der Gegenpartei grundsätzlich überwiegen wird und eine Wiederholung der Beweisaufnahme erforderlich ist.209 Allein im Falle einer faktischen Unmöglichkeit erneuter Beweiserhebung – etwa aufgrund natürlicher Veränderungen des Beweisobjektes – kommt die Erhebung des – wenn auch nur im Ausland – tatsächlich vorhandene Beweismittels iSe möglichst effektiven Rechtsnachweises und einer umfassenden Wahrheitserforschung ausnahmsweise in Betracht. Indes kommt eine Beweiserhebung auch in dieser Konstellation mit Blick auf die große Bedeutung des Teilnahmerechts der Gegenpartei für eine aktive Mitgestaltung der Beweisaufnahme nur ausnahmsweise in Betracht.
209 Eine Wiederholung der Beweisaufnahme fordern etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 364, Rn. 13; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 364, Rn. 4 ff.; Prütting/Gehrlein-Linder, ZPO, § 364, Rn. 4 jeweils mwN.
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2. Die Tatsachenermittlung durch Sachverständige bzw. Augenscheinsmittler Besonderheiten gelten für die Teilnahme der Prozessparteien an sachverständigen Ermittlungen. Ein Sachverständiger kann in zweierlei Konstellationen selbstständige Ermittlungen von Tatsachen durchführen: Zum einen wird der Sachverständige zur Erstellung seines Gutachtens regelmäßig eigene Ermittlungen anstellen, um die erforderliche Tatsachenbasis – soweit nicht bereits durch die bisherige Beweisaufnahme festgestellt – in dem durch das Gericht festgelegten Umfang zu erforschen. Zum anderen kann ein Sachverständiger auch bei der Einnahme eines gerichtlichen Augenscheins als sog. Augenscheinsmittler hinzugezogen werden, wenn allein durch die Hinzuziehung dieser sachverständigen Hilfe eine sachgerechte Augenscheinnahme möglich erscheint.210 Mit Blick auf die besondere Bedeutung sachverständiger Ermittlungen für die gerichtliche Überzeugungsbildung stellt sich die Frage nach einem Teilnahmerecht der Prozessparteien jedoch in besonderem Maße: a) H.M.: Anerkennung eines Teilnahmerechts der Parteien Weitgehende Einigkeit besteht darin, dass die gutachterliche Ermittlungstätigkeit als solche gerade keine gerichtliche Beweisaufnahme darstellt, sondern vielmehr erst in der unmittelbaren Kenntnisnahme des Gutachtens bzw. der Befragung des Gutachters durch das Gericht eine solche Beweisaufnahme zu sehen ist und § 357 ZPO daher auf die sachverständigen Ermittlungen keine unmittelbare Anwendung finden kann.211 Die Behandlung des sachverständigen Tätigwerdens im Rahmen des Augenscheinsbeweises als sog Augenscheinsmittler des Gerichts ist demgegenüber streitig: Teilweise wird diese gutachterliche Ermittlungstätigkeit als Stellvertretung des Gerichts und somit weiterhin als gerichtliche Beweisaufnahme in Form eines Augenscheinsbeweises angesehen, so dass § 357 ZPO unproblematisch Anwendung findet.212 Demgegenüber sieht eine andere Auffassung die ausschließliche Erkenntnismöglichkeit des Sachverständigen im Rahmen der Augenscheinnahme als klassisches Merkmal eines Sachverständigenbeweises an und qualifiziert den Augen210 Ausführlich zu dieser Konstellation etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 371, Rn. 13 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 372, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 211 In diesem Sinne BVerwG NJW 2006, S. 2058 f. zur vergleichbaren Fragestellung für die VwGO; ausführlich Druschke, Anwesenheitsrecht der Verfahrensbeteiligten, S. 31 ff.; siehe auch Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 65 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 8; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 20; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 8 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 357, Rn. 2 jeweils mwN. 212 Für eine Vertretung des Gerichts durch den Augenscheinsmittler, Bruns, Zivilprozessrecht, § 34, Rn. 178; für eine eigene Wahrnehmung des Gerichts vermittelt durch den Augenscheinsmittler, Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 372, Rn. 4.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
scheinsmittler daher insgesamt als Sachverständigenbeweis, so dass sich auch insoweit die Frage nach einem Teilnahmerecht der Prozessparteien stellen würde.213 Ein Teilnahmerecht der Prozessparteien an sachverständigen Ermittlungen wird durch Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend anerkannt.214 Teilweise wird hierbei auf eine analoge Anwendung des § 357 ZPO abgestellt und insbesondere die Vergleichbarkeit der Interessenlage besonders betont.215 So wird argumentiert, dass ein Sachverständigengutachten nur bei fehlender Sachkunde des Gerichts erforderlich sei und eben diese Sachkunde je nach Gericht mehr oder weniger zufällig differieren könne. Daher würde es gleichsam vom Zufall abhängen, ob eine Beweisaufnahme gänzlich vor dem erkennenden Gericht unter unmittelbarer Geltung des § 357 ZPO stattfinden würde oder sachverständige Hilfe erforderlich sei, ohne dass § 357 ZPO direkte Anwendung finden würde.216 Teilweise wird für die Begründung eines Anwesenheitsrechts der Parteien auch auf die Neuregelung des § 404a IV ZPO abgestellt, die allein den Umfang des Teilnahmerechts an sachverständigen Ermittlungen in das gerichtliche Ermessen stellt und somit ein Teilnahmerecht der Parteien als solches gedanklich voraussetzen würde.217 Nach ganz überwiegender Auffassung kommt den Prozessparteien ein umfassendes Teilnahmerecht an allen sachverständigen Ermittlungen von Tatsachen zu – nicht hingegen bei der Erarbeitung von Fachwissen zur Verwendung der ermittelten Tatsachen.218 Vereinzelt wird dieses Teilnahmerecht durch bestimmte Kriterien wie die „Erforderlichkeit“ oder „Sachdienlichkeit“ zu begrenzen versucht.219 213
In diese Richtung Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 371, Rn. 15 ff.; Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 372, Rn. 3 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 371, Rn. 3 f. jeweils mwN. 214 Implizit ein solches Recht voraussetzend, BGH ZZP 67 (1954), S. 295, 297; ausführlich in diesem Sinne Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 65 ff. und Schnapp, FS-Menger, S. 557 ff.; zustimmend auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 9 f.; Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 357, Rn. 20 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 8; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 357, Rn. 2 jeweils mwN; aA demgegenüber Druschke, Anwesenheitsrecht der Verfahrensbeteiligten, S. 152 f. und 169 f. 215 In diesem Sinne Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 9; ähnlich auch Musielak/Voit-Stad ler, ZPO, § 357, Rn. 2; die konkrete Begründung offenlassend MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 8; für eine Anwendung des Rechtsgedankens des § 357 ZPO auch Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 71 – allerdings vor Einführung des § 404a IV ZPO. 216 In diesem Sinne insbesondere Schnapp, FS-Menger, S. 557, 564 ff.; Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 69 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 9 jeweils mwN. 217 Für eine Herleitung aus § 404a IV ZPO insbesondere Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 404a, Rn. 32; tendenziell ebenso auch Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 404a, Rn. 6 jeweils mwN. 218 In diesem Sinne Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 404a, Rn. 15; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 404a, Rn. 29 ff.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 404a, Rn. 11; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 404a, Rn. 6 jeweils mwN; ausführlich zu Umfang und Grenzen des Anwesenheitsrechts bei sachverständigen Ermittlungen Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 71 f. und Schnapp, FS-Menger, S. 557 ff. 219 Das Anwesenheitsrecht durch das Kriterium der Zumutbarkeit beschränkend etwa Prütting/
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b) Eigene Ansicht: Das Recht auf Teilnahme an jeder Beweiserhebung Das Recht auf Beweis gewährleistet nach allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen ein umfassendes Recht auf Teilnahme an jeder Beweisaufnahme. Dieses Recht gilt auch für sachverständige Ermittlungen, die eine besondere Bedeutung für die richterliche Überzeugungsbildung haben. Das Gericht bedient sich ja gerade in Konstellationen eigener Unkenntnis sachverständiger Hilfe, so dass sich das Gericht regelmäßig auf eben diese sachverständigen Ermittlungsergebnisse stützten wird. Daher ist eine aktive Mitwirkung und Einbringung der eigenen Auffassung im Rahmen sachverständiger Ermittlungen für die Parteien von besonderer Wichtigkeit. Im Ausgangspunkt gehen Rechtsprechung und Literatur richtigerweise davon aus, dass eine sachverständige Ermittlung gerade keine gerichtliche Beweisaufnahme iSd § 357 ZPO, sondern vielmehr eine Vorstufe derselben darstellt.220 Sodann erscheinen zwei Wege zur Ausgestaltung dieses Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis in der ZPO als gangbar: Eine analoge Anwendung des § 357 ZPO auf sachverständige Ermittlungstätigkeiten oder eine entsprechende Auslegung des § 404a IV ZPO. Bedenkt man nun, dass eine planwidrige Regelungslücke als Grundvoraussetzung einer jeden Analogie anerkannt ist221, so liegt es nahe, eine Auslegung des § 404a IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis in den Blick zu nehmen: § 404a IV ZPO gibt dem erkennenden Gericht seinem Wortlaut nach lediglich ein Ermessen über den konkreten Umfang der Teilnahmerechte der Prozessparteien an den sachverständigen Ermittlungen. Daher folgt die Anerkennung eines Rechts auf Teilnahme an sachverständigen Ermittlungen bereits implizit aus der gesetzlichen Konzeption des § 404a IV ZPO.222 Das gerichtliche Ermessen über den Umfang dieses Teilnahmerechts stellt sich einmal mehr als Einfallstor für die einfach-rechtliche Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar. Als Grundsatz ist das Ermessen des § 404a IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis dahingehend auszulegen, dass den Prozessparteien die umfassende Teilnahme an allen sachverständigen Ermittlungen von Tatsachen zu gestatten ist. Zugleich kann § 404a IV ZPO als Einfallstor für die Abwägung mit etwaigen Gegenrechten fungieren, die einer solchen, umfassenden Teilnahme der Parteien im Einzelfall entgegenstehen können. Einschränkungen oder gar ein Ausschluss des Teilnahmerechts einer Partei kommen jedoch nur im Falle überwiegender GegenGehrlein-Linder, ZPO, § 357, Rn. 4; einschränkend auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 404a, Rn. 29 ff. 220 Vgl. wiederum Druschke, Anwesenheitsrecht der Verfahrensbeteiligten, S. 31 ff.; siehe auch Höffmann, Grenzen der Parteiöffentlichkeit, S. 65 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 8 jeweils mwN. 221 Vgl. allgemein zu den Anforderungen an eine Analogie Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 191 ff., insbesondere S. 202 ff.; instruktiv auch Reimer, Methodenlehre, S. 249 ff. jeweils mwN. 222 In diesem Sinne auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 404a, Rn. 32 ff. mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
rechte in Betracht. Bedenkt man auch hier die besondere Bedeutung des Teilnahmerechts für die aktive Mitgestaltung der Beweisaufnahme durch die Prozessparteien, so kommt ein solches Überwiegen von Gegenrechten nur in absoluten Ausnahmefällen in Betracht – denkbar etwa bei medizinischen Untersuchungen im Intimbereich. Doch auch in dieser Konstellation gilt es für das Gericht zu prüfen, ob eine fachkundige Vertretung der Partei durch einen von ihr ausgewählten Experten als verhältnismäßige Alternative möglich erscheint. Ähnliches gilt für Fälle der fak tischen Unmöglichkeit, wie dem Tauchgang zu einem Schiffswrack auf dem Meeresgrund, in dessen Rahmen gleichfalls eine etwaige Vertretung der Prozesspartei zu prüfen ist.223 In Bezug auf die Qualifizierung eines Sachverständigen als sog. Augenscheinsmittler des Gerichts bedarf es nun keiner Entscheidung, ob es sich um eine Vertretung des Gerichts im Rahmen eines Augenscheins oder eine eigene Untersuchung im Rahmen eines Sachverständigenbeweises handelt.224 In jedem Fall kommt den Prozessparteien – sei es über § 357 ZPO oder eine entsprechende Auslegung des § 404a IV ZPO – ein umfassendes Teilnahmerecht an dieser Beweisaufnahme zu, so dass den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis grundsätzlich Genüge getan ist. Für etwaige Einschränkungen dieses Anwesenheitsrechts im Falle eines Augenscheinsmittlers gelten die allgemeinen Grundsätze einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles.
VI. Die vorprozessuale und prozessuale Beweissicherung in der ZPO Beweismittel können sich auf vielfältige Art und Weise verschlechtern, bevor die Möglichkeit ihrer rechtswirksamen Erhebung im Zivilprozess besteht. Denkbar ist zum einen die zufällige Verschlechterung von Beweismitteln. So kann ein Zeuge erkranken oder ein Augenscheinsobjekt durch ein Naturereignis verändert werden. Ebenso möglich und relevant ist zum anderen auch eine Verschlechterung, die auf schuldhaftes menschliches Verhalten zurückzuführen ist – sei es die fahrlässige Veränderung eines Beweismittels oder gar seine vorsätzliche Vernichtung. Das Recht auf Beweis gewährleistet den Schutz von Beweismitteln im Vorfeld ihrer Erhebung. Die Parteien müssen auf ihre Initiative hin in der Lage sein, Beweismittel bis zu ihrer tatsächlichen Nutzbarmachung im Zivilprozess zu konservieren und sich die Nachweismöglichkeit eigener Rechte zu erhalten.225 Im Folgenden sind nun die Re223
Diese Möglichkeit anmerkend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 10. Vgl. zum Streitstand wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 371, Rn. 15 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 372, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 225 Ausführlich zu diesem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in GG, EMRK und GRC in § 7 III. 7. 224
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gelungen der Beweissicherung in der ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis zu überprüfen.
1. Das selbstständige Beweisverfahren der §§ 485 ff. ZPO Eine wesentliche Form der Beweissicherung wird in der ZPO durch das selbstständige Beweisverfahren nach den §§ 485 ff. ZPO geregelt, so dass diese Normen als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in den Fokus rücken. Im Hinblick auf diesen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis ist sowohl die vorprozessuale- als auch die prozessuale Sicherung von Beweismitteln für ihre spätere Erhebung in den Blick zu nehmen. Allerdings dient das selbstständige Beweisverfahren nicht in allen Alternativen des § 485 ZPO der Beweissicherung: § 485 I Alt. 1 ZPO ermöglicht ein selbstständiges Beweisverfahren im Falle einer entsprechenden Zustimmung der Gegenpartei. Dieses gemeinsame Beweissicherungsverfahren dient primär der gemeinschaftlichen Informationsbeschaffung der Prozessparteien und soll durch diese gemeinsame Informationsbasis die vorprozessuale Vergleichsbereitschaft – in Ermangelung streitiger Tatsachen – erhöhen.226 Damit dient § 485 I Alt. 1 ZPO aber gerade nicht in erster Linie der Beweissicherung und gibt einer Prozesspartei zudem kein einseitiges Recht auf eine Beweissicherung an die Hand, so dass es als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis ausscheidet. § 485 II ZPO gibt den Parteien das Recht auf die vorprozessuale Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zu bestimmten Tatsachen. Eine solche Begutachtung ausgewählter Tatsachenfragen soll wiederum die vorprozessuale Möglichkeit einer gütlichen Streitbeilegung fördern.227 Somit dient auch das Beweisverfahren nach § 485 II ZPO nicht der Beweissicherung. Zudem beschränkt sich die Beweissicherung auf eine schriftliche Begutachtung zu ganz bestimmten Tatsachen, so dass auch diese Norm als Ausgestaltung der hier interessierenden Beweissicherung ausscheidet. a) § 485 I Alt. 2 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die hier interessierende, einseitige Berechtigung zur Sicherung von Beweismitteln hat vielmehr allein das selbstständige Beweisverfahren nach § 485 I Alt. 2 ZPO zum Gegenstand.228 Voraussetzung der Anordnung eines solchen, selbstständigen Beweisverfahrens ist nach § 485 I Alt. 2 ZPO die Besorgnis des Verlustes eines Be226 Vgl. allgemein zu § 485 ZPO MüKo-Schreiber, ZPO II, § 485, Rn. 1 und Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 485, Rn. 1 jeweils mwN. 227 Vgl. etwa MüKo-Schreiber, ZPO II, § 485, Rn. 1; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 485, Rn. 10 ff.; siehe auch Willer, NJW 2014, S. 22, 24 jeweils mwN. 228 Vgl. zur Beweissicherungsfunktion MüKo-Schreiber, ZPO II, § 485, Rn. 1; Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 485, Rn. 10 ff.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 485, Rn. 1 f. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
weismittels oder der Erschwerung seiner Benutzung. Als Beispielsfälle werden in Rechtsprechung und Literatur die Erkrankung eines Zeugen oder eine längere Auslandsreise genannt, ebenso wie die mögliche Veränderung eines Augenscheins- oder Begutachtungsobjektes.229 Die Anforderungen an dieses Tatbestandsmerkmal dürfen nach herrschender Meinung nicht überspannt werden. Insbesondere muss das Gericht keine Prognose über die weitere Lebensdauer einer Aussageperson anstellen.230 Die Anordnung eines solchen Verfahrens ist nach § 485 I Alt. 2 ZPO während oder außerhalb eines Streitverfahrens möglich. Während eines Streitverfahrens gilt im Grundsatz jedoch der Vorrang einer Beweiserhebung vor dem Prozessgericht – auch und gerade im Hinblick auf die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach § 355 I ZPO.231 Denkbar ist ein selbstständiges Beweisverfahren etwa bei einer Unterbrechung des Verfahrens, innerhalb derer der Beweismittelverlust droht.232 Relevanter ist ein selbstständiges Beweisverfahren nach § 485 I Alt. 2 ZPO demgegenüber für die vorprozessuale Sicherung von Beweismitteln. Ein solches Verfahren kommt nach dem Wortlaut des § 485 I Alt. 2 ZPO und auch seinem Telos insbesondere vor Anhängigkeit eines Zivilprozesses bei drohendem Verlust eines Beweismittels für diesen angestrebten Prozess in Betracht.233 Seinem Wortlaut nach gilt das selbstständige Beweisverfahren zur Sicherung von Zeugen-, Sachverständigen- und Augenscheinsbeweisen. Die Nichterfassung des Urkundenbeweises wird teils damit begründet, dass dieses Beweisverfahren allein der äußeren Wahrnehmung von Beweisobjekten dienen solle.234 Regelmäßig wird zudem darauf hingewiesen, dass die Urkunde durch das Gericht in Augenschein genommen und so die Echtheit wie auch der Inhalt der Urkunde zumindest über den Augenscheinsbeweis erfasst werden könnten.235 Die Nichtaufnahme der Parteivernehmung in den Kreis der zu sichernden Beweismittel wird teils als Anachronismus aus Zeiten des Parteieides kritisiert und mithilfe einer Analogie zum Zeugenbeweis aufgelöst.236 229 Ausführlich
zu diesen Beispielen MüKo-Schreiber, ZPO II, § 485, Rn. 8 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 485, Rn. 10 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 485, Rn. 10 jeweils mwN. 230 So ausdrücklich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 54, Rn. 28 mwN; strengere Anforderungen stellt demgegenüber Zöller-Herget, ZPO, § 485, Rn. 5. 231 Diesen Aspekt betont bereits die Gesetzesbegründung, siehe BT-Drs. 11/3621, S. 23; in diesem Sinne auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 54, Rn. 9 ff. 232 Vgl. Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 54, Rn. 10 f. und Adloff, Vorlagepflichten, S. 349. 233 In diese Richtung Adloff, Vorlagepflichten, S. 348 f. 234 So argumentiert insbesondere Willer, NJW 2014, S. 22, 24 f. 235 Vgl. etwa Adloff, Vorlagepflichten, S. 350; ebenso MüKo-Schreiber, ZPO II, § 485, Rn. 9 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 485, Rn. 4 f. 236 Diese Regelung als „Anachronismus“ bezeichnend, Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 52, Rn. 6; weitergehend für eine analoge Zulassung der Parteivernehmung Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 485, Rn. 6; ähnlich äußert sich Adloff, Vorlagepflichten, S. 353 f. jeweils unter Hin-
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Die Rechte der Gegenpartei werden über eine Beiladung nach § 491 I ZPO und ein entsprechendes Verwertungsverbot einer Beweisaufnahme ohne Beiladung nach § 493 II ZPO gesichert.237 Eine Spezialregelung bei unverschuldet unbekannter Gegenpartei findet sich in § 494 II ZPO mitsamt der entsprechenden Beiordnung eines Vertreters.238 b) Eigene Ansicht: § 485 I Alt. 2 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Das Recht auf Beweis im Grundgesetz gewährleistet den Prozessparteien eine effektive Möglichkeit zur Sicherung von Beweismitteln. Zugleich gewährleistet das Recht auf Beweis jedoch auch die formelle Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Insbesondere eine vorprozessuale Beweisaufnahme zum Zwecke der Beweissicherung wird regelmäßig vor einem anderen Gericht stattfinden als der Hauptprozess. Eine personelle Identität wäre im Hinblick auf das Recht auf Beweis wünschenswert, allerdings unter Beachtung des Rechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 I S. 2 GG überaus problematisch. Daher bewegt sich die Auslegung der Beweissicherung nach § 485 I Alt. 2 ZPO im Spannungsfeld zwischen diesen beiden Polen des Rechts auf Beweis. Die in § 485 I Alt. 2 ZPO normierten Voraussetzungen einer Besorgnis des Verlustes eines Beweismittels oder der Erschwerung seiner Benutzung müssen im Hinblick auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis grundsätzlich eng ausgelegt werden. Es genügt, wenn eine Partei plausibel darlegt, dass ein Beweismittel voraussichtlich nicht bis zur tatsächlichen Beweiserhebung in einem Zivilprozess zur Verfügung stehen wird. Richtigerweise fordert die herrschende Meinung, dass das erkennende Gericht keine Prognose über die weitere Lebenserwartung einer Aussageperson treffen soll.239 Im Hinblick auf den Grundsatz der formellen Unmittelbarkeit kommt eine sichernde Beweiserhebung indes nur in Betracht, wenn das Beweismittel nicht mehr oder zumindest nicht mehr in der gleichen Qualität zur Verfügung stehen würde. In diesen Konstellationen haben die Parteien nur die Wahl zwischen einer vorprozessualen Beweissicherung unter Einschränkung der formellen Unmittelbarkeit oder einem gänzlichen Verlust des Beweismittels. Wenn eine Partei also nur die Wahl zwischen dieser Art von Nachweismöglichkeit und einem vollständigen Verlust der Nachweismöglichkeit hat, so geht die Sicherung eines Beweismittels nach hier vertretener Ansicht vor. Die Beweissicherung wird nach dem Recht auf Beweis mithin auf Fallkonstellationen eines tatsächlich drohenden Beweis auf die veränderte Gesetzeslage bei Ersetzung des formalen Parteieides durch die frei zu würdigende Parteivernehmung. 237 Ausführlich zu den Rechten der Gegenpartei, Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 55, Rn. 44 ff. mwN. 238 Vgl. wiederum Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 55, Rn. 111 ff. mwN. 239 In diesem Sinne insbesondere Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 54, Rn. 28 mwN.
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weismittelverlustes beschränkt. Die Anforderungen an den Nachweis eines solchen, tatsächlichen Beweismittelverlustes sind demgegenüber eng auszulegen und dürfen nicht überspannt werden, um eine effektive Beweissicherung zu ermöglichen.240 Darüber hinaus gewährleistet § 485 I Alt. 2 ZPO richtigerweise eine vorprozessuale wie auch eine prozessuale Beweissicherung. Während eines anhängigen Prozesses sollte ein selbstständiges Beweisverfahren allerdings die Ausnahme bleiben und nur im Falle einer Unterbrechung des Prozesses in Betracht kommen. Sodann sollte das selbstständige Beweisverfahren durch das – bereits feststehende – Prozessgericht der Hauptsache durchgeführt werden, wie es auch § 486 I ZPO nahelegt. In seinem Umfang ermöglicht das selbstständige Beweisverfahren nach dem Wortlaut des § 485 I Alt. 2 ZPO lediglich eine Sicherung des Zeugen-, Sachverständigen- und Augenscheinsbeweises. Die Sicherung des Urkundenbeweises kann über eine beantragte Einnahme des Augenscheins ermöglicht werden.241 Eine solche – mittelbare – Sicherung der Urkunde liegt nach hier vertretener Ansicht noch im Ermessen des ausgestaltenden Gesetzgebers. Allerdings bedarf es sodann einer ausführlichen Protokollierung des Augenscheins bezüglich der Echtheit der Urkunde und auch ihres Inhaltes, um eine spätere Einführung in den Prozess zu ermöglichen. Die Nichtaufnahme der Parteivernehmung erscheint auf den ersten Blick unproblematisch – kommt der fragliche Prozess doch nur zu Stande, wenn er von der besagten Partei eingeleitet wird, so dass sie auch für eine Vernehmung im Prozess bereitsteht. Allerdings sind Konstellationen denkbar, in denen die gegnerische Prozesspartei umfangreiches Wissen über den Sachverhalt hat und dieses Wissen nicht an ihren Rechtsnachfolger weitergibt.242 So geht im Falle des Versterbens einer Prozesspartei ihr eingeklagtes Recht auf ihren Rechtsnachfolger über, während ihr Wissen und damit ein mögliches Beweismittel verloren geht. Im Hinblick auf eine effektive Beweissicherung erscheint in solchen Konstellationen die analoge Anwendung des § 485 I Alt. 2 ZPO auf die Parteivernehmung erforderlich. Das Recht auf Beweis verlangt eine Möglichkeit der Sicherung aller im Prozess einsetzbaren Beweismittel. Wenn im Prozess eine Parteivernehmung als Beweismittel anerkannt wird, so muss auch die entsprechende Sicherung einer solchen Aussage zum Zwecke der späteren Beweisführung möglich sein. Daher muss die Beweissicherung nach § 485 I Alt. 2 ZPO auch das Beweismittel der Parteivernehmung umfassen.243 In dieser Auslegung ermöglicht § 485 I Alt. 2 ZPO die umfassende vorprozessuale und prozessuale Sicherung aller Beweismittel und entspricht daher den Anforderungen des Rechts auf Beweis im Grundgesetz. 240 In diesem Sinne insbesondere Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 54, Rn. 28 mwN. 241 Vgl. bereits Adloff, Vorlagepflichten, S. 350 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 485, Rn. 4 f. jeweils mwN. 242 In diesem Sinne argumentiert auch Adloff, Vorlagepflichten, S. 353 f. 243 Ebenso Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 485, Rn. 6 und Adloff, Vorlagepflichten, S. 353 f.
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c) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Die Anforderungen des Rechts auf Beweis nach EMRK und der europäischen Grundrechtecharta decken sich in weiten Teilen mit denjenigen des Grundgesetzes. Es ist gleichfalls eine Abwägung zwischen der Beweissicherung und der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme erforderlich. Im Hinblick auf den weiteren Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers nach EMRK und Grundrechtecharta genügt auch hier die Inaugenscheinnahme einer Urkunde und die entsprechende Protokollierung bezüglich Echtheit und Inhalt. Die Parteivernehmung wurde nach hier vertretener Auffassung auch für EMRK und Grundrechtecharta als wichtiges Beweismittel anerkannt.244 Daher fordert auch das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta eine analoge Anwendung des § 485 I Alt. 2 ZPO auf die Parteivernehmung, um eine Sicherung dieses Beweismittels zu ermöglichen.
2. Die Sanktionierung einer Beweisvereitelung nach der ZPO Ein Beweismittel kann jedoch nicht nur durch natürliche, zufällige Ereignisse in seiner späteren Existenz und Nutzbarkeit gefährdet werden. Vielmehr ist eine Verschlechterung durch menschliches Verhalten ebenso denkbar – sei es durch ein fahrlässiges Verhalten oder gar eine vorsätzliche Beweisvereitelung. Eine effektive Beweissicherung in Übereinstimmung mit dem Recht auf Beweis verlangt daher zugleich einen Schutz der Prozessparteien vor einer solchen, verschuldeten Verschlechterung ihrer Nachweismöglichkeiten im Zivilprozess. a) Die gesetzlichen Fälle einer Beweisvereitelung in Rechtsprechung und Literatur In der ZPO werden Fälle der Beweisvereitelung in den §§ 371 III, 427, 441 III S. 3, 444, 446, 453 II, 454 ZPO normiert. Allerdings haben diese Regelungen eher fragmentarischen Charakter und umfassen ausschließlich die Beweismittel des Augenscheins (§ 371 III ZPO), der Urkunde (§§ 427, 441 III S. 3, 444 ZPO) und der Parteivernehmung (§§ 446, 453 II, 454 ZPO).245 In § 371 III ZPO wird die Vereitelung des Augenscheins einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung unterworfen. Tatbestandlich setzt § 371 III ZPO die Vereitelung einer zumutbaren Einnahme des Augenscheins durch die gegnerische Prozesspartei voraus. Das Kriterium der Zumutbarkeit ermöglicht hierbei eine Berücksichtigung der etwaigen Gegenrechte der anderen Prozesspartei, die eine Vereitelung
244 Ausführlich
sogleich § 12 III. 4. zu den Regelungen der Beweisvereitelung in der ZPO BGH NJW 1986, S. 59, 60; siehe auch Adloff, Vorlagepflichten, S. 288 f.; Schatz, Beweisvereitelung in der ZPO, S. 2 f. und Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 6 f. jeweils mwN. 245 Allgemein
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der Einnahme eines Augenscheins rechtfertigen könnte.246 In Betracht kommt etwa die körperliche Unversehrtheit bei einer vorzunehmenden Untersuchung oder auch das APR aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG.247 Als Rechtsfolge ordnet § 371 III ZPO eine gewisse Lenkung der freien Beweiswürdigung dahingehend an, dass das Gericht im Hinblick auf diese Beweisvereitelung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu entscheiden hat, ob die Tatsache, deren Nachweis die vereitelte Beweiserhebung dienen sollte, als bewiesen anzusehen ist.248 Das Gesetz ordnet mithin keine Fiktion oder Beweislastumkehr an, sondern verlangt explizit eine Berücksichtigung in der – im Übrigen weiterhin freien – Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts. Der Vereitelung eines Urkundenbeweises hat in den §§ 427, 441 III S. 3 und 444 ZPO eine ganze Reihe von Regelungen erfahren. Die zentrale Norm – auch im Hinblick auf die Entwicklung eines allgemeinen Rechtsgedankens der Beweisvereitelung – ist hierbei § 444 ZPO.249 Voraussetzung ist die Entziehung, Beseitigung oder das untauglich Machen, mithin jede nachteilige Veränderung einer Urkunde, die die Beweisführung unmöglich macht.250 Weitere, ungeschriebene Voraussetzung des § 444 ZPO ist das Bestehen eines Vorlageanspruches der Urkunde nach den §§ 422, 423 ZPO, denn nur in diesem Fall könnte eine Prozesspartei die Urkunde tatsächlich zu Beweiszwecken nutzen und eben diese Benutzung vereitelt werden.251 Demgegenüber spielen die Eigentumsverhältnisse der Urkunde für die Berechtigung ihrer Beseitigung im Hinblick auf § 444 ZPO gerade keine Rolle.252 Subjektiv ist nach dem Wortlaut des § 444 ZPO Absicht und damit Vorsatz erforderlich. Dieser Vorsatz muss sich auf einen doppelten Anknüpfungspunkt beziehen: Es ist Vorsatz bezüglich der Beseitigung der Urkunde wie auch der Beseitigung ihrer Beweisfunktion
246 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 371, Rn. 39 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 371, Rn. 27 f. jeweils mwN. 247 Vgl. dazu MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 371, Rn. 27 f.; kritisch gegenüber der Zulässigkeit einer körperlichen Untersuchung demgegenüber Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 371, Rn. 40 f. 248 In diesem Sinne die ganz überwiegende Literatur, siehe etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 371, Rn. 42; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 371, Rn. 27 jeweils mwN; demgegenüber für ein Verständnis des § 371 III ZPO als Beweisregel Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 371, Rn. 20 und Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 36. 249 Die Bedeutung des § 444 ZPO herausstellend bereits BGH NJW 1963, S. 389, 390; ebenso BGH NJW 2002, S. 825, 827; aus der Literatur siehe Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 27 f.; Ger hardt, AcP 169 (1969), S. 288, 296; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 10 f. und MüKo-Schrei ber, ZPO II, § 444, Rn. 6 jeweils mwN. 250 Vgl. Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 2 f. 251 Vgl. etwa MüKo-Schreiber, ZPO II, § 444, Rn. 2; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 1; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 444, Rn. 2 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 3 jeweils mwN. 252 Vgl. wiederum MüKo-Schreiber, ZPO II, § 444, Rn. 2 und Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 28 jeweils mwN.
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erforderlich.253 Rechtsfolge ist wiederum eine Lenkung der freien Beweiswürdigung dahingehend, dass Behauptungen der beweisbelasteten Partei über Beschaffenheit und Inhalt der Urkunde, deren Erhebung vereitelt wurde, als erwiesen angesehen werden können, wobei im Falle der absichtlichen Beweisvereitelung nach § 444 ZPO in aller Regel von einer entsprechenden Beweiswürdigung zu Lasten der vereitelnden Partei ausgegangen wird.254 Die Regelung des § 427 ZPO ähnelt derjenigen des § 444 ZPO. Allerdings bezieht sich § 427 ZPO auf die Verletzung einer Vorlagepflicht nach den §§ 422, 423 und 142 ZPO.255 Wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass eine Urkunde sich im Besitz einer vorlagepflichtigen Partei befindet und diese Vorlage trotz gerichtlicher Anordnung verweigert wird, so greift § 427 ZPO ein.256 Rechtsfolge ist erneut eine Lenkung der freien Beweiswürdigung dahingehend, dass auch eine bloße Abschrift ohne Urkundenqualität als richtig angesehen werden kann bzw. sogar die Behauptungen der beweisbelasteten Partei über Echtheit und Inhalt der Urkunde als richtig angesehen werden können.257 § 441 III S. 3 ZPO regelt sodann den Spezialfall der Vorlage einer Vergleichsschrift zum Zwecke des Echtheitsnachweises einer Urkunde. Insoweit ergänzt § 441 III S. 3 ZPO die Sanktion der Vorlageverweigerung des § 427 ZPO dahingehend, dass einer Urkunde nur im Falle des Nachweises ihrer Echtheit ein Beweiswert zukommt und die vorgelagerte Frage des Echtheitsnachweises daher für die nachgelagerte Beweisführung von großer Bedeutung ist.258 Erforderlich ist wiederum die Verpflichtung der gegnerischen Prozesspartei zur Vorlage einer Vergleichsschrift nach den §§ 422, 423, 142 ZPO und ihre Verweigerung.259 Rechtsfolge ist die Lenkung der Beweiswürdigung dahingehend, dass eine Urkunde als echt angesehen werden kann und damit diejenige Rechtsfolge eintritt, die durch die Vereitelung verhindert werden sollte.260 253 Siehe etwa BGH NJW 2004, S. 222; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 4. 254 Ausführlich in diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 14 ff.; regelmäßig von einer Wirkung zugunsten des Beweisführers ausgehend auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 3. 255 Ausführlich Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 427, Rn. 1 ff. und Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 25 f. 256 Siehe wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 427, Rn. 1 ff.; Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 25 f. 257 Vgl. zu den Rechtsfolgen BGH NJW-RR 1992, S. 1072, 1073 und BGH DNoTZ 2014, S. 837, 838 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 427, Rn. 3 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 427, Rn. 3 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 427, Rn. 2 ff. 258 Allgemein zum Echtheitsnachweis durch Schriftenvergleich siehe Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 441, Rn. 1 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 441, Rn. 1 ff. 259 Vgl. Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 441, Rn. 15 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 441, Rn. 7. 260 Vgl. bereits Gerhardt, AcP 169 (1969), S. 288, 295 f.; siehe auch MüKo-Schreiber, ZPO II,
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Abschließend wird die Vereitelungen einer Parteivernehmung in den §§ 446, 453 II, 454 ZPO geregelt. Das Gesetz beginnt mit dem Fall der Vereitelung einer beantragten Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei nach § 446 ZPO. Erforderlich ist die Verpflichtung der gegnerischen Prozesspartei zur Vernehmung nach § 445 ZPO und deren Verweigerung durch eine explizite Ablehnung oder die vollständige Untätigkeit der verpflichteten, gegnerischen Prozesspartei.261 Rechtsfolge ist nach dem Konzept der ZPO ein indirekter Zwang der Partei zur Aussage durch die entsprechende Berücksichtigung der Weigerung im Rahmen der freien Beweiswürdigung. Das Gericht hat anhand aller Umstände des Einzelfalles und insbesondere der möglichen Weigerungsrechte einer Partei zu beurteilen, ob es aus der Verweigerung negative Schlüsse ziehen und die behauptete Tatsache als erweisen ansehen kann.262 § 453 II ZPO stellt eine parallele Regelung für die Vernehmung der beweisbelasteten Partei selbst auf. Wiederum muss eine Verpflichtung zur Vernehmung bestehen, die durch die Partei verweigert wird.263 Rechtsfolge ist auch nach § 453 II ZPO ein indirekter Zwang in Form einer Berücksichtigung der Weigerung im Rahmen der freien Beweiswürdigung.264 Eine ergänzende Regelung zu § 453 II ZPO trifft § 454 ZPO für diejenige Fallkonstellation, dass die zu vernehmende Prozesspartei dem Prozess gänzlich fernbleibt und so ihre Vernehmung rein faktisch verhindert. Die ZPO kennt keinerlei Sanktion oder Kostenregelung für das persönliche Nichterscheinen einer Partei, so dass diese Sanktionsregelung für die beweisrechtlich relevante Vernehmung einer Partei erforderlich wird.265 Dabei hat das erkennende Gericht im Einzelfall anhand der vorgebrachten Gründe für das Nichterscheinen abzuwägen, ob in dem Nichterscheinen zugleich eine Aussageverweigerung zu sehen ist und § 453 II ZPO zur Anwendung kommt.266 Das erstmalige Nichterscheinen soll
§ 441, Rn. 3; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 441, Rn. 15; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 441, Rn. 3. 261 Zu den Voraussetzungen siehe Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 446, Rn. 1 f.; Stein/ Jonas-Berger, ZPO V, § 446, Rn. 1 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 446, Rn. 1 f. 262 Vgl. zu den Rechtsfolgen BGH NJW 1991, S. 2500, 2501; aus der Literatur siehe Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 15 f.; für eine enge Auslegung der Weigerungsgründe einer Partei, Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 446, Rn. 6 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 446, Rn. 4 und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 446, Rn. 3. 263 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 453, Rn. 6 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 453, Rn. 5 f. 264 Siehe Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 16; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 453, Rn. 6 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 453, Rn. 5 f. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 453, Rn. 2. 265 Vgl. Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 454, Rn. 2 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 454, Rn. 1 f.; zur Unterscheidung von §§ 454 und 141 ZPO siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 454, Rn. 1 f. 266 Vgl. BGH NJW 2001, S. 1500, 1501; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 454, Rn. 6 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 454, Rn. 6 ff.
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nach herrschender Meinung grundsätzlich nicht als Aussageverweigerung angesehen werden können.267 b) Die ungeschriebenen Sanktionen von beweisvereitelndem Verhalten Die dargestellten gesetzlichen Regelungen zeigen deutlich auf, dass die Sanktionierung beweisvereitelnden Verhaltens der ZPO nicht per se fremd ist. Allerdings finden sich keinerlei Regelungen für die – praktisch ebenfalls denkbare und relevante – Vereitelung eines Zeugen- oder Sachverständigenbeweises. Diese Rechtslage wurde von Rechtsprechung und Literatur seit jeher als unbefriedigend empfunden und durch die Entwicklung einer allgemeinen Regelung der Beweisvereitelung aufgefangen.268 Im Grundsatz stimmen Rechtsprechung und Literatur darin überein, dass beweisvereitelndes Verhalten einer Prozesspartei oder ggf. auch eines Dritten einer prozessualen Sanktion bedarf, wobei die einzelnen Tatbestandsmerkmale in der Literatur weithin umstritten sind.269 So wird bereits die Frage nach einer möglichen Rechtsgrundlage für die Sanktionierung beweisvereitelnden Verhaltens mit Verve debattiert.270 Allerdings hat sich inzwischen eine herrschende Meinung dahingehend herausgebildet, dass der Anknüpfungspunkt in den bestehenden gesetzlichen Regelungen der §§ 371 III, 427, 441 III S. 3, 444, 446, 453 II, 454 ZPO zu suchen ist, die als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines allgemeinen Rechtsgedankens und einer allgemeinen Rechtsregel zur Beweisvereitlung anzusehen sind.271 In der Rechtsprechung werden zudem das Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB analog wie auch allgemeine Billigkeitserwägungen regelmäßig mit herangezogen.272 267 In diesem Sinne MüKo-Schreiber, ZPO II, § 454, Rn. 3; ebenso Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 454, Rn. 14; bei mehrfachem Fehlen kommt die Anwendung des § 454 ZPO jedoch auch dann in Betracht, wenn jeweils andere Entschuldigungsgründe für das Fehlen angegeben werden, vgl. BGH NJW 2001, S. 1500, 1501 f. 268 Vgl. zum allgemeinen Rechtsgedanken der Beweisvereitelung bereits BGH NJW 1963, S. 389, 390; instruktiv auch BGH NJW 1986, S. 59, 60 f.; BGH NJW 1998, S. 79, 81; BGH NJW 2006, S. 434, 436; aus der Literatur siehe den Versuch einer Rechtsprechungsanalyse von Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 40 ff.; ausführlich zur allgemeinen Regelung der Beweisvereitelung Adloff, Vorlagepflichten, S. 289 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 ff.; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 5 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 444, Rn. 6; einen historischen Hintergrund der Beweisvereitelung liefert Paulus, AcP 197 (1997), S. 136 ff. 269 Anschaulich Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 1. 270 Eine gute Zusammenfassung liefern etwa Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 9 ff.; siehe auch Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 7 ff. jeweils mwN zu den einzelnen Ansichten. 271 Vgl. etwa BGH NJW 1986, S. 59, 60 f.; BGH NJW 1998, S. 79, 81; BGH NJW 2006, S. 434, 436; zustimmend Schatz, Beweisvereitelung in der ZPO, S. 54 ff.; Krapoth, Rechtsfolgen der Beweisvereitelung, S. 18 ff. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 272 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1960, S. 821; ebenso BGH NJW 2006, S. 434, 436 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Obgleich diese allgemeine Regelung der Beweisvereitelung in ihren Voraussetzungen und Rechtsfolgen im Einzelnen sehr umstritten ist, hat sich doch eine relativ klare Struktur herausgebildet. Eine Beweisvereitelung liegt nach herrschender Meinung in Fallkonstellationen vor, in denen eine Partei ihrem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung schuldhaft unmöglich gemacht hat.273 Anders gesagt lässt sich Beweisvereitelung definieren als ein Tun oder Unterlassen, ohne welches die Klärung des Sachverhaltes möglich gewesen wäre.274 Aus diesen Definitionen lassen sich eine Reihe von objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen als Voraussetzung einer Beweisvereitelung ableiten: Erfasst wird hiernach jedes Verhalten, sei es nun ein positives Tun oder ein Unterlassen.275 Ein solches Verhalten muss außerdem pflichtwidrig gewesen sein. Mithin muss eine Verpflichtung der gegnerischen Prozesspartei zur Erhaltung bzw. zur Vorlage des in Rede stehenden Beweismittels bestanden haben, um von einer Beweisvereitelung sprechen zu können.276 Im Rahmen dieses Merkmales werden sodann die jeweiligen Rechte der beweisbelasteten Partei auf Erhaltung bzw. Vorlage mit den etwaigen Gegenrechten der gegnerischen Partei abgewogen.277 In der Rechtsprechung wird diese Abwägung regelmäßig auch anhand des weiteren Merkmals des Rechtsmissbrauches einer Vereitelung geprüft.278 Eine Beweisvereitelung kann ausscheiden, wenn es der beweisbelasteten Partei möglich gewesen wäre, das nicht mehr verfügbare Beweismittel vorab zu sichern.279 Demgegenüber scheiden rein prozesstaktische Erwägungen als rechtfertigende Gegenrechte von vornherein 273
Vgl. etwa BGH NJW 1986, S. 59, 60 f.; ebenso BGH NJW 1997, S. 3311, 3312 f. und BGH NJW 2002, S. 825, 827; zustimmend aus der Literatur Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6. 274 In diesem Sinne Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 5 und Adloff, Vorlagepflichten, S. 292 jeweils mwN; zu beiden Definitionsarten siehe Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 2. 275 Instruktiv BGH NJW 1986, S. 59, 60 f.; ebenso BGH NJW 1998, S. 79, 81 und BGH NJW 2009, S. 360, 361 f.; zustimmend Adloff, Vorlagepflichten, S. 292 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 5; siehe auch Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 64 ff. jeweils mwN. 276 Vgl. BGH NJW-RR 1996, S. 1534; ebenso BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 6 f. und Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 32 f. jeweils mwN. 277 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 1996, S. 1534 und BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996; ebenso Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 6 f.; Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 32 f. jeweils mwN.; ähnlich Adloff, Vorlagepflichten, S. 294 ff. 278 Vgl. bereits BGH NJW 1967, S. 2012 f.; ebenso BGH WM 1983, S. 653, 655 und BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996; zustimmend Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 32 f. 279 In diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 6 und Musielak/Voit-Hu ber, ZPO, § 444, Rn. 2 jeweils mwN.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
533
aus.280 Subjektiv kommen Vorsatz und jede Form der Fahrlässigkeit in Betracht.281 Allerdings bedarf es nach ganz herrschender Meinung stets eines doppelten Anknüpfungspunktes: Der Vernichtung des Beweismittels und zugleich der Aufhebung seiner Beweisfunktion im Prozess.282 Insbesondere im Falle der fahrlässigen Beweisvereitelung muss zumindest erkennbar gewesen sein, dass der zerstörte Gegenstand in einem laufenden oder sich anbahnenden Zivilprozess als Beweismittel in Frage kommen könnte.283 Eine Zurechenbarkeit des Verhaltens Dritter wird ganz herrschend bei kollusivem Zusammenwirken von Prozesspartei und Dritten angenommen und im Übrigen werden die Zurechnungsnormen der §§ 278 und 831 BGB für diese Fallkonstellationen herangezogen.284 Eine weitere Debatte entzündet sich über die Rechtsfolgen einer Beweisvereitelung. Insbesondere in der Literatur wird eine Vielzahl an Lösungsvorschlägen entwickelt und diskutiert.285 Das herrschende Schrifttum vertritt als Rechtsfolge eine Berücksichtigung des vereitelnden Verhaltens im Rahmen der freien Beweiswürdigung des erkennenden Gerichts, um einen flexiblen Maßstab zu erhalten und alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.286 Die Rechtsprechung hat mit ihrer Formel der „Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast“ einen ganz ähnlichen Maßstab entwickelt.287 Auch nach dieser Formel werden die Rechtsfolgen 280 Vgl. bereits BGH NJW 1967, S. 2012 f.; bestätigt in BGH WM 1983, S. 653, 655; instruktiv auch BGH NJW-RR 1996, S. 1534; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 11. 281 Vgl. BGH NJW 1986, S. 59, 60 f.; ebenso BGH NJW 1998, S. 79, 81 und BGH NJW 2009, S. 360, 361 f.; zustimmend Adloff, Vorlagepflichten, S. 293 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6; Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 28 ff. jeweils mwN; weitergehend anhand des Gedankens des venire contra factum proprium Schneider, MDR 1969, S. 4, 9 f.; ähnlich wohl Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 6. 282 Vgl. BGH NJW 1994, S. 1595; ausdrücklich auch BGH NJW 2004, S. 222 und BGH NJW 2008, S. 982, 985; zustimmend Adloff, Vorlagepflichten, S. 293 f.; Stein/Jonas-Berger ZPO V, § 444, Rn. 8; Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 28 ff. jeweils mwN. 283 Vgl. BGH NJW 2004, S. 222; ebenso BGH NJW 2009, S. 360, 361 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 8 und Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 28 ff.; für eine enge Auslegung des Fahrlässigkeitsvorwurfes Adloff, Vorlagepflichten, S. 293 f. 284 Ausführlich Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 183 ff.; zustimmend Schneider, MDR 1969, S. 4, 5 und Gerhardt, AcP 169 (1969), S. 288, 313 ff. jeweils mwN. 285 Eine ausführliche Darstellung der Diskussion bietet wiederum Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 34 ff. mwN zu den jeweiligen Lösungsansätzen; sehr ausführlich auch Krapoth, Rechtsfolgen der Beweisvereitelung, S. 43 ff. mwN. 286 In diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 14 ff.; ähnlich Schatz, Beweisvereitelung in der ZPO, S. 114 ff. jeweils mwN; weitergehend für die regelmäßige Annahme einer Beweislastumkehr Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 9. 287 Vgl. etwa BGH NJW 1998, S. 79, 81; ebenso BGH NJW 2004, S. 222; BGH NJW 2006, S. 434, 436; BGH NJW 2009, S. 982, 985 und in neuerer Zeit BGH NJW 2011, S. 778, 780 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
beweisvereitelnden Verhaltens flexibel anhand aller Umstände des Einzelfalles durch das erkennende Gericht beurteilt. Diese allgemeine Regel der Beweisvereitelung gilt nach Rechtsprechung und Literatur für alle Beweismittel der ZPO, insbesondere auch für den Zeugen- und Sachverständigenbeweis.288 Als Fallkonstellationen werden die Nichtbenennung von Name und Adresse eines Zeugen, die Anstiftung zur Absetzung eines Zeugen ins Ausland oder auch die Zerstörung eines sachverständig zu begutachtenden Gegenstandes diskutiert.289 c) Eigene Ansicht: Beweisvereitelung im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Eine effektive Nachweismöglichkeit eigener Rechte kann durch die Einwirkung auf die Beweismittel vor ihrer rechtswirksamen Erhebung im Zivilprozess ganz erheblich geschmälert werden. Daher gewährleistet das Recht auf Beweis auch nach hier vertretener Ansicht nicht nur die Möglichkeit einer präventiven Sicherung von Beweismitteln, sondern verlangt zugleich die Sanktionierung von Verhaltensweisen, die negativ auf ein Beweismittel einwirken und die Nachweismöglichkeiten der jeweiligen Prozesspartei schmälern. Dieses Verhalten wird regelmäßig von der gegnerischen Prozesspartei oder auch von Dritten ausgehen, so dass die Sanktionierung der Beweisvereitelung einmal mehr Bezüge zu einer Drittwirkung des Rechts auf Beweis aufweist. Indes richtet sich die Forderung nach einer Sanktionierung von Verhaltensweisen, die den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis angreifen, in erster Linie gegen den Staat. Im Vordergrund steht also der effektive Schutz von Beweismitteln einer Prozesspartei durch den Staat, dessen etwaige Sanktionen sodann auch auf einen anderen Privaten infolge seines Verhaltens gegenüber dem Inhaber des Rechts auf Beweis einwirken können. Die Darstellung beginnt erneut mit der Analyse des Rechts auf Beweis im Grundgesetz, wobei inhaltlich die Aufteilung in eine vorsätzliche und fahrlässige Beweisvereitelung im Hinblick auf ihre Rechtsfolgen sinnvoll erscheint: aa) Der Schutz vor einer vorsätzlichen Beweisvereitelung Eine Beweisvereitelung lässt sich mit der herrschenden Meinung definieren als jedes schuldhafte Verhalten, das dem beweispflichtigen Gegner die Beweisführung unmöglich macht oder wesentlich erschwert.290 In dieser weiten Definition der Be288
Instruktiv etwa BGH NJW 1986, S. 59, 60 f. und BGH NJW 1998, S. 79, 81; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 5 mwN. 289 Vgl. etwa BGH NJW 2006, S. 434, 436 (Nichtaufbewahrung des zu begutachtenden Gegenstandes); BGH NJW 1960, S. 821 (Verweigerung der Herausgabe von Namen und Anschrift eines Zeugen); weitere Beispiele bei Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 32 ff. und Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 444, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 290 Vgl. wiederum BGH NJW 1986, S. 59, 60 f. und BGH NJW 2002, S. 825, 827; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 mwN.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
535
weisvereitelung finden sich bereits eine Reihe von objektiven und subjektiven Merkmalen, die im Lichte des Rechts auf Beweis auszulegen sind: Ein beweisvereitelndes Verhalten kann sowohl in einem positiven Tun wie auch einem pflichtwidrigen Unterlassen der gegnerischen Prozesspartei liegen. Zeitlich kann dieses Verhalten vor einem Zivilprozess oder auch während des Prozesses stattfinden. Entscheidend sollte weniger die Verhaltensweise der beweisvereitelnden Partei sein, sondern vielmehr der tatsächliche Effekt auf diejenige Partei, deren Nachweismöglichkeiten vereitelt werden.291 Darüber hinaus verlangt die herrschende Meinung für die Annahme einer Beweisvereitelung das Merkmal der Pflichtwidrigkeit.292 Eine solche Pflichtwidrigkeit stellt sich jedoch lediglich als Kausalitätserfordernis dar. Die Vereitelung einer Nachweismöglichkeit kommt nur dann in Betracht, wenn die den Beweis beantragende Partei auch tatsächlich das Recht auf eine Vorlage bzw. Erhebung dieses Beweismittels hatte, mithin diese Nachweismöglichkeit auch tatsächlich bestand. Insoweit gilt es zu bedenken, dass die Reichweite der Nachweismöglichkeiten ebenfalls durch das Recht auf Beweis festgelegt wird. Wenn also aus dem Recht auf Beweis im konkreten Fall keine Gewährleistung der Beweiserhebung abzuleiten ist, so stellt die „Vereitelung“ dieses nicht zu erhebenden Beweismittels ebenfalls keine Beeinträchtigung des Rechts auf Beweis dar. Der Umfang dieser Beweiserhebung richtet sich nach dem Recht auf Beweis, wobei insbesondere die oben bereits dargestellten Vorlagepflichten der jeweiligen Prozessparteien in diesem Rahmen zu beachten sind.293 In dem weiteren, objektiven Tatbestandsmerkmal der missbräuchlichen Vereitelung werden nach Rechtsprechung und Literatur etwaige Gegenrechte der anderen Prozesspartei und damit mögliche Rechtfertigungen eines im Übrigen beweisvereitelnden Verhaltens berücksichtigt.294 Eine solche Abwägung der widerstreitenden Interessen hat bereits im Rahmen der Pflichtwidrigkeit und damit etwaiger Vorlage- bzw. Erhaltungspflichten der Prozessparteien stattgefunden. Daher erscheint es fraglich, inwieweit eine weitere Abwägung zu einem anderen Ergebnis führen könnte. Sollten sich indes weitere Gegenrechte ergeben, so sind diese Rechte mit dem Recht auf Beweis im Einzelfall abzuwägen. Ob diese Abwägung im Rahmen des objektiven Tatbestandes anhand des Merkmals der missbräuchlichen Vereitelung stattfinden oder eher in der Beweiswürdigung eine umfassende Berücksichtigung finden sollte, kann von Verfassungs wegen dahinstehen. Jedenfalls stellen die Merkmale der Pflichtwidrigkeit bzw. des 291
In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa BGH NJW 1986, S. 59, 60 f.; BGH NJW 2009, S. 360, 361 f.; Adloff, Vorlagepflichten, S. 292 f. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 f. jeweils mwN. 292 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 f. jeweils mwN. 293 Ausführlich hierzu oben § 7 III. 1. e. 294 Siehe wiederum BGH NJW-RR 2009, S. 995, 996 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Missbrauches die Einfallstore für eine Abwägung zwischen der durch das Recht auf Beweis grundsätzlich gebotenen Sanktionierung von beweisvereitelndem Verhalten und etwaigen Gegenrechten dar. Subjektiv verlangt die vorsätzliche Beweisvereitelung richtigerweise einen doppelten Vorsatz, um ihre Rechtsfolgen für die Gegenpartei rechtfertigen zu können: Der Vorsatz muss sich auf die Vernichtung des Beweisobjektes und auf die Vereitelung seiner Beweisfunktion gleichermaßen beziehen.295 Indes wird der Vorsatz in Bezug auf Vereitelung der Beweisfunktion bei einer vorsätzlichen Vernichtung von Beweisobjekten, die in einem sich anbahnenden Zivilprozess relevant sind, kaum zu bezweifeln sein. Daher sollten die Anforderungen an das Merkmal der vorsätzlichen Vereitelung der Beweisfunktion nicht überspannt werden, um die effektive Sanktionierung vorsätzlicher Beweisvereitlungen nicht leerlaufen zu lassen. Außerdem ist im Hinblick auf eine effektive Sanktionierung von Beweisvereitelungen auch das Verhalten Dritter in den Blick zu nehmen. Ein effektiver Schutz vor einer Beweisvereitelung kann nur bestehen, wenn sich eine Prozesspartei unter gewissen Voraussetzungen das Verhalten Dritter zurechnen lassen muss. Auf der anderen Seite ist indes auch das Recht auf Beweis der anderen Prozesspartei mit zu bedenken: Eine sehr weitgehende Zurechnung von Handlungen Dritter würde dieser Prozesspartei durch die entsprechenden Sanktionen ihre eigenen Nachweismöglichkeiten nehmen. Es bedarf daher eines gewissen Ausgleiches zwischen den jeweiligen Rechten auf Beweis der Prozessparteien. Eine Zurechnung ist jedenfalls im Falle eines kollusiven Zusammenwirkens zwischen der Prozesspartei und dem Dritten möglich. Im Übrigen ist mit der herrschenden Meinung auf die bewährten Zurechnungsregeln der §§ 278 und 831 BGB zurückzugreifen, um den geforderten Ausgleich zu schaffen und eine dogmatisch gefestigte Basis für eine Zurechnung des beweisvereitelnden Verhaltens Dritter zu erhalten.296 Als Rechtsfolge einer vorsätzlichen Beweisvereitelung erscheint mit Rechtsprechung und Literatur eine Berücksichtigung im Rahmen der Beweiswürdigung sinnvoll.297 Auf diesem Wege kann das Gericht alle Umstände des Einzelfalles einbeziehen und die jeweiligen Rechte gegeneinander abwägen. Eine pauschale Beweislastumkehr könnte im Einzelfall das Recht auf Beweis der vereitelnden Prozesspartei ihrerseits beeinträchtigen. Indes stellt die vorsätzliche Beweisvereitelung eine ganz erhebliche Einwirkung auf die Nachweismöglichkeiten einer Prozesspartei dar. Daher wird in der Regel zum effektiven Schutz der Prozesspartei zumindest eine Umkehr der konkreten Beweisführungslast zu bejahen sein. Sodann umfasst das Recht 295 Vgl. zu diesem doppelten Vorsatz wiederum BGH NJW 2004, S. 222 und Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 16, Rn. 28 ff. jeweils mwN. 296 In diesem Sinne auch die h. M. siehe wiederum Fröhlich, Beweisvereitelung, S. 183 ff.; Schneider, MDR 1969, S. 4, 5 und Gerhardt, AcP 169 (1969), S. 288, 313 ff. jeweils mwN 297 Vgl. für die h. M. BGH NJW 2011, S. 778, 780 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 14 ff. jeweils mwN.
§ 9 Beweisrechtliche Grundsätze
537
auf Beweis der so sanktionierten Gegenpartei wiederum das Recht auf Führung dieses aus ihrer konkreten Beweisführungslast nun folgenden Beweises. In dieser Auslegung erfüllt der allgemeine Rechtsgedanke einer Beweisvereitelung in seiner Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur die Anforderungen des Rechts auf Beweis nach dem Grundgesetz in Bezug auf die vorsätzliche Beweisvereitelung. bb) Der Schutz vor einer fahrlässigen Beweisvereitelung Die fahrlässige Beweisvereitelung stimmt in ihrem objektiven Tatbestand auch im Lichte des Rechts auf Beweis mit den Voraussetzungen der vorsätzlichen Beweisvereitelung überein: Erforderlich ist hiernach ein Tun oder Unterlassen, das die rechtlich zulässige und tatsächlich mögliche Beweisführung der beweisbelasteten Prozesspartei mit einem Beweismittel unmöglich macht oder erschwert und nicht durch überwiegende Gegenrechte der vereitelnden Prozesspartei zu rechtfertigen ist.298 Subjektiv genügt für eine fahrlässige Beweisvereitelung jede Form der Fahrlässigkeit. Das Recht auf Beweis fordert einen effektiven Schutz der Nachweismöglichkeiten einer Prozesspartei auch vor einem bloß nachlässigen Verhalten der jeweils anderen Prozesspartei. Daher genügt selbst ein geringfügiger Verschuldensvorwurf an die gegnerische Prozesspartei. Anknüpfungspunkt ist für die fahrlässige Beweisvereitelung ebenfalls die Vernichtung des Beweisobjektes und die Vereitelung ihrer Beweisfunktion gleichermaßen, wobei auch nach hier vertretener Auffassung in Bezug auf beide Merkmale ein Fahrlässigkeitsvorwurf genügt.299 Entscheidend ist, dass es für die vereitelnde Prozesspartei zumindest erkennbar war, dass es sich bei dem jeweils in Rede stehenden Gegenstand um ein Beweisobjekt handelt bzw. es zu einem solchen Beweisobjekt werden könnte und die Nachweismöglichkeiten einer anderen Partei durch seine Vernichtung oder Vorenthaltung geschmälert werden. Ein gänzlicher Verzicht auf ein Verschuldenserfordernis wird nach hier vertretener Auffassung durch das Recht auf Beweis nicht gefordert. Vielmehr erscheint die Sanktionierung einer Beweisvereitelung ohne jeden subjektiven Vorwurf für die so sanktionierte Partei ihrerseits als ein Eingriff in ihr Recht auf Beweis iSe Rechts auf effektive Nachweismöglichkeit ohne Beweisnachteile, die nicht auf eigenem Verschulden beruhen. Rechtsfolge ist auch im Falle einer fahrlässigen Beweisvereitelung richtigerweise eine Berücksichtigung im Rahmen der freien Beweiswürdigung durch das erken-
298 In diesem Sinne auch die h. M. vgl. etwa BGH NJW 2002, S. 825, 827; zustimmend aus der Literatur Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 444, Rn. 6. 299 So im Ergebnis auch die h. M. siehe BGH NJW 2008, S. 982, 985; zustimmend Adloff, Vorlagepflichten, S. 293 f.; Stein/Jonas-Berger ZPO V, § 444, Rn. 8 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
nende Gericht.300 Auf diese Weise lässt sich ein flexibler Maßstab etablieren, der eine angemessene Abwägung der Umstände des Einzelfalles erlaubt. Grundsätzlich sollte das erkennende Gericht in erster Linie versuchen zu rekonstruieren, welchen Einfluss das Beweismittel im Falle seiner tatsächlichen Erhebung mutmaßlich gehabt hätte. Im Zusammenspiel mit anderen Indizien und Beweisen wird eine entsprechende Beweiswürdigung im Sinne der beweisbelasteten Partei durchaus naheliegen. Indes muss eine entsprechende Beweiswürdigung im Einzelfall auch ohne weitere Indizien möglich sein, da andernfalls gerade diejenige Partei besonders belastet würde, deren einziges Beweismittel fahrlässig vereitelt wurde. Eine fahrläs sige Beweisvereitelung sollte jedoch in aller Regel nicht zu einer pauschalen Umkehr der konkreten Beweisführungslast führen. Insbesondere im Falle leichter und mittlerer Fahrlässigkeit erscheint diese Sanktion für die Gegenpartei mit Blick auf ihr jeweiliges Recht auf Beweis als zu weitgehend. Allenfalls im Falle grober Fahrlässigkeit kann eine solche Sanktion den Regelfall darstellen. Letztlich bedarf es einer Abwägung im jeweiligen Einzelfall. Abschließend kommt der Gegenpartei auch im Falle einer fahrlässigen Beweisvereitelung das Recht auf Führung des nun aus ihrer konkreten Beweisführungslast folgenden Beweises zu. d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Die Anforderungen des Rechts auf Beweis nach EMRK und europäischer Grundrechtecharta entsprechen auch für die Beweissicherung annährungsweise denjenigen des Grundgesetzes. Allerdings kommt dem nationalen Gesetzgeber auch in diesem Zusammenhang ein größerer Gestaltungsspielraum zu. Wenn nun die Ausgestaltung der vorsätzlichen und fahrlässigen Beweisvereitelung nach Rechtsprechung und Literatur in der oben dargestellten Weise bereits den Anforderungen des Grundgesetzes genügt, so gilt dies für EMRK und Grundrechtecharta nach hier vertretener Ansicht gleichermaßen. Die Regelungen über die präventive Beweissicherung nach § 485 I Alt. 2 ZPO und die Sanktionierung einer Beweisvereitelung durch Rechtsprechung und Literatur genügen somit dem Mindeststandard des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta.
300
Ebenso auch Rechtsprechung und Literatur, siehe BGH NJW 2011, S. 778, 780 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 444, Rn. 14 ff. jeweils mwN.
§ 10
Beweisantrag Eine Beweisaufnahme beginnt im deutschen Zivilprozess in aller Regel mit einer Initiative der Parteien in Form eines Beweisantrages. Die ZPO kennt den Begriff des Beweisantrages nicht ausdrücklich. Allerdings ergibt sich die Existenz dieses Rechtsinstitutes aus einer Vielzahl von Normen der ZPO. Insbesondere der Beibringungsgrundsatz verlangt eine Initiative der Parteien bei der Tatsachenfeststellung, so dass ein entsprechendes Antragsrecht der Parteien dessen zwingende Konsequenz darstellt.1 Ein Beweisantrag lässt sich hiernach definieren als Willenserklärung einer Partei, das Gericht möge bestimmte, behauptete Tatsachen durch bestimmte, vorgetragene Beweismittel feststellen.2 Die Anforderungen an die Stellung von Beweisanträgen in der ZPO und ihre Auslegung in Rechtsprechung und Schrifttum sind nun anhand des Maßstabes des Rechts auf Beweis zu überprüfen. Im Einzelnen lassen sich formale, inhaltliche und zeitliche Anforderungen an einen Beweisantrag unterscheiden:
I. Die formalen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO Im ersten Schritt soll untersucht werden, auf welche Art und Weise ein Beweisantrag nach der ZPO zu stellen ist und welche weiteren, formalen Antragsvoraussetzungen einzuhalten sind.
1. Die Form von Beweisanträgen nach der ZPO Aus der ZPO ergeben sich mangels expliziter Erwähnung des Beweisantrages keine ausdrücklichen Regelungen über seine Voraussetzungen. Formale Anforderungen an die Stellung von Anträgen werden in erster Linie durch § 297 ZPO normiert. Allerdings gilt § 297 ZPO nach wohl allgemeiner Ansicht nur für Sachanträge, mithin solche Anträge, die auf eine Beeinflussung der gerichtlichen Sachentscheidung 1 Ausführlich Söllner, Beweisantrag, S. 1 ff.; siehe auch Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 70 f.; ebenso Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 12, Rn. 17 ff. 2 In diesem Sinne Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 70 f.; ähnlich auch Söllner, Beweisantrag, S. 1 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 31; jeweils mwN.
540
3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
selbst abzielen.3 Ein Beweisantrag hat demgegenüber zum Ziel, das erkennende Gericht zu einem bestimmten prozessualen Verhalten – einer Beweisaufnahme – zu bewegen, so dass es sich hierbei qua Definition um einen Prozessantrag handelt, der gerade nicht den strengen Anforderungen des § 297 ZPO unterfällt.4 Vielmehr kann ein Beweisantrag bereits vorprozessual in den vorbereitenden Schriftsätzen, aber auch mündlich in der eigentlichen Verhandlung gestellt werden, so dass keine besonderen Formerfordernisse zu beachten sind.
2. Die Benennung von Beweismitteln in der Klageschrift § 130 Nr. 5 ZPO fordert die Benennung der zu erhebenden Beweismittel in den vorbereitenden Schriftsätzen bzw. bereits in der Klageschrift, § 253 IV ZPO iVm § 130 Nr. 5 ZPO. Das Gericht soll durch diese frühzeitige Benennung in die Lage versetzt werden, den Termin und insbesondere die Erhebung etwaiger Beweismittel vorzubereiten.5 Allerdings handelt es sich bei § 130 Nr. 5 ZPO lediglich um eine Soll-Vorschrift, so dass ein Abweichen im Einzelfall möglich ist. Daher steht § 130 Nr. 5 ZPO einer Stellung von Beweisanträgen in der mündlichen Verhandlung nicht entgegen. Diese Vorschrift möchte eine bestmögliche Vorbereitung ermöglichen, jedoch kein zwingendes Formerfordernis für Beweisanträge normieren.
3. Eigene Ansicht: Die Formerfordernisse im Lichte des Rechts auf Beweis Die Formerfordernisse der ZPO erlauben den Prozessparteien eine mündliche, wie auch schriftliche Stellung von Beweisanträgen. Somit sind alle denkbaren Arten der Antragstellung zugleich auch rechtlich zulässig. Die Benennung von Beweismitteln in den vorbereitenden Schriftsätzen nach § 130 Nr. 5 ZPO dient einer bestmöglichen Vorbereitung der Beweiserhebung und damit letztlich dem effektiven Rechtsnachweis der Parteien. Allerdings bedarf § 130 Nr. 5 ZPO einer wortlautgetreuen Auslegung dahingehend, dass diese Norm einer späteren, mündlichen Antragstellung im Prozess nicht entgegensteht. In dieser Auslegung stellen diese Formerfordernisse eine zulässige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis dar.
3
Vgl. BGH NJW 2012, S. 1292, 1293; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 297, Rn. 5 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 297, Rn. 3; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 297, Rn. 1 jeweils mwN. 4 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 297, Rn. 13; MüKo-Prütting, ZPO I, § 297, Rn. 4; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 297, Rn. 2 jeweils mwN. 5 Siehe etwa MüKo-Wagner, ZPO I, § 130, Rn. 9 und Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 130, Rn. 12.
§ 10 Beweisantrag
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II. Die inhaltlichen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO Allerdings ergeben sich aus der ZPO eine Reihe inhaltlicher Anforderungen an einen zulässigen Beweisantrag. Rechtsprechung und Literatur gehen einhellig von einer Verpflichtung zur Substantiierung von Beweisanträgen aus.6 Eine Partei muss also nicht nur das zu erhebende Beweismittel und das Beweisthema benennen, sondern auch das Beweisthema näher darlegen. Dieses Substantiierungserfordernis wird regelmäßig aus der Wahrheitspflicht des § 138 I ZPO und der Vollständigkeitspflicht des § 138 II ZPO hergeleitet.7 Außerdem wird oftmals auf die jeweiligen Beweisantrittsvoraussetzungen der einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in den §§ 371, 373, 403, 420, 445 ZPO verwiesen.8 Diese inhaltlichen Anforderungen lassen sich hierbei in allgemeine Substantiierungsanforderungen und die spezielle Problematik der Behandlung von sog. Ausforschungsbeweisen untergliedern:
1. Die Substantiierung von Beweisanträgen in Rechtsprechung und Literatur In Rechtsprechung und Literatur ist das Erfordernis eines gewissen Mindestmaßes an Substantiierung von Beweisanträgen anerkannt, so dass in der Konsequenz eine Ablehnung solcher Anträge mangels hinreichender Substantiierung für zulässig erachtet wird.9 Der BGH geht in seiner Rechtsprechung jedoch sehr zurückhaltend mit den Anforderungen an eine Substantiierung von Beweisanträgen um.10 Grundsätzlich genügt der schlüssige Vortrag einer Prozesspartei: Es müssen hiernach Tatsachen vorgetragen werden, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das behauptete Recht als in der Person des Antragstellers entstanden erscheinen zu lassen.11 Für die Substantiierung eines Beweisantrages bedarf es nach dem BGH so6
Vgl. bereits BGH NJW 1962, S. 1394 f.; instruktiv BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; in neuerer Zeit siehe BGH NJW 2011, S. 3291 f.; BGH NJW 2012, S. 382; ausführlich aus der Literatur Chu doba, ausforschender Beweisantrag, S. 32 ff.; Peters, Ausforschungsbeweis, S. 53 ff. und Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 145 ff. siehe auch MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 7 In diesem Sinne BGH NJW-RR 2004, S. 1362, 1363; zustimmend MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 5 ff.; Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO III, § 138, Rn. 9 ff. 8 Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 110, Rn. 31 f.; ähnlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 31 f. 9 Instruktiv wiederum BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; BGH NJW-RR 1997, S. 270; BGH NJW-RR 2003, S. 491 f.; ebenso Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 32 ff. und Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 145 ff. 10 Vgl. etwa BGH NJW 1992, S. 1967, 1968; BGH NJW 1995, S. 2111, 2112; BGH NJW-RR 2002, S. 1433, 1435; in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2013, S. 296; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f.; Kiethe, MDR 2003, S. 1325, 1326 f. 11 Vgl. bereits BGH NJW 1962, S. 1394 f.; ebenso BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; BGH NJW
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
dann zweierlei: Das Beweismittel muss so genau benannt werden, dass seine Erhebung möglich ist.12 Außerdem muss das Beweisthema so genau bezeichnet werden, dass eine Beurteilung über die Entscheidungserheblichkeit der zu beweisenden Tatsache möglich ist.13 Teilweise wird in Rechtsprechung und Literatur weitergehend gefordert, dass ein Beweisantrag einen solchen Grad an Substantiierung aufweisen muss, dass die gegnerische Prozesspartei sich auf den Antrag einstellen und ihre Gegenrechte effektiv geltend machen kann.14 Letztlich wird auch der erforderliche Grad an Substantiierung von Beweisanträgen als Frage des Einzelfalles angesehen.15 In den Instanzgerichten und Teilen der Literatur werden regelmäßig weitergehende Substantiierungserfordernisse vertreten: So werden oftmals spezifische Angaben über die Herkunft des eigenen Wissens oder auch die Benennung von Ort und Zeit des zu beweisenden Sachverhaltes gefordert.16 Der BGH weist diese weitergehenden Substantiierungsanforderungen regelmäßig mit deutlichen Worten zurück: Weitergehende Substantiierungserfordernisse seien grundsätzlich nicht zu verlangen, insbesondere bedürfe es keiner Benennung von Ort und Zeit des zu beweisenden Sachverhaltes.17 Auch auf die Wahrscheinlichkeit der zu beweisenden Tatsachen nach allgemeiner Lebenserfahrung komme es für die Zulässigkeit eines Beweisantrages über diese Tatsachen gerade nicht an.18 Der BGH fordert im Grundsatz ausschließlich die Identifizierbarkeit des Beweismittels und die Möglichkeit einer Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit des Beweisthemas.19 Das Schrifttum stimmt dieser Sichtweise ganz überwiegend zu und sieht in den weitergehenden 2005, S. 2710, 2711; BGH NJW 2012, S. 382; zustimmend Peters, Ausforschungsbeweis, S. 63 ff. und Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 147 f. 12 Vgl. BGH NJW-RR 1988, S. 1529 f. (Zeugenbeweis); zustimmend Kiethe, MDR 2003, S. 1325, 1327; ebenso Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 12, Rn. 22 ff. 13 Instruktiv BGH NJW 1984, S. 2888, 2889 und BGH NJW-RR 2004, S. 1362, 1363; siehe auch BGH NJW-RR 1998, S. 712, 713; BGH NJW 2012, S. 382; vgl. wiederum Peters, Ausforschungsbeweis, S. 63 ff. und Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 147 f. Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f.; MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 18 jeweils mwN. 14 Vgl. BGH NJW 1999, S. 1859, 1860; ebenso BGH NJW 2005, S. 2710, 2711; dazu auch Dölling, NJW 2013, S. 3121, 3123. 15 Instruktiv BGH NJW 1996, S. 1826, 1827; ebenso BGH NJW-RR 1998, S. 712, 713 und BGH NJW-RR 2004, S. 1362, 1363; zustimmend Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 12, Rn. 23; MüKo-Wagner, ZPO I, § 138, Rn. 18 jeweils mwN. 16 Zu diesen Rechtsprechungstendenzen der unteren Gerichte siehe Kiethe, MDR 2003, S. 1325, 1327; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f.; einen Einblick in die andere Sichtweise der Instanzgerichte gibt demgegenüber Meyke, NJW 2000, S. 2230. 17 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1968, S. 1234 f.; ausführlich wiederum BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; ebenso BGH NJW 1999, S. 1859, 1860; BGH NJW 2011, S. 3291; Stein/Jonas-Tho le, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f. 18 Vgl. etwa BGH NJW 1992, S. 3106 und BGH NJW-RR 2003, S. 491; zu den verfassungsrechtlichen Aspekten siehe BVerfG NJW 2003, S. 2976, 2977; zustimmend Peters, Ausforschungsbeweis, S. 65 f. 19 Vgl. wiederum die ausführlichen Darstellungen in BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; BGH
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Substantiierungserfordernissen der unteren Gerichte regelmäßig eine unzulässige Arbeitserleichterung durch Vermeidung von Beweisaufnahmen unter Berufung auf vermeintliche Substantiierungsmängel.20
2. Das Verbot von Ausforschungsbeweisen in Rechtsprechung und Literatur Eine weitergehende inhaltliche Anforderung an einen Beweisantrag ist in dem Verbot von sog. Ausforschungsbeweisen zu sehen. Obgleich die ZPO kein geschriebenes Verbot von Ausforschungsbeweisen kennt, ist dieses Rechtsinstitut in langjähriger Rechtsprechung entwickelt worden und auch im Schrifttum ganz überwiegend anerkannt.21 Teilweise wurde ein solches Verbot unter Verweis auf die Wahrheitspflicht des § 138 I ZPO begründet, teils mit Blick auf den Beibringungsgrundsatz hergeleitet.22 Die Rechtsprechung und das überwiegende Schrifttum behandeln dieses Rechtsinstitut in engem Zusammenhang mit dem Gebot der Substantiierung von Beweisanträgen.23 Die eigentliche Herleitung wird jedoch in aller Regel auf den Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB analog und das daraus resultierende Verbot eines Rechtsmissbrauches gestützt.24 Auch der Gedanke, dass keine Partei seinem Gegner die Waffen für dessen Prozessgewinn liefern muss, klingt in diesem Zusammenhang immer wieder an.25 Der BGH ist im Hinblick auf die Annahme eines Ausforschungsbeweises – trotz grundsätzlicher Anerkennung dieses Rechtsinstituts – äußerst zurückhaltend und stellt für eine diesbezügliche Ablehnung von Beweisanträgen ausdrücklich hohe Anforderungen.26 In aller Regel behandelt der BGH dieses NJW-RR 1988, S. 1529 f. und BGH ZIP 2013, S. 1474 jeweils mwN; dazu auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f. 20 Siehe erneut die kritischen Darstellungen von Kiethe, MDR 2003, S. 1325, 1327 und Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f. jeweils mwN. 21 Vgl. bereits BGH NJW 1968, S. 1233 f.; st. Rspr. siehe BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; BGH NJW 1995, S. 2111, 2112; BGH NJW 2005, S. 2710, 2711 f.; BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; ausführlich auch zur historischen Entwicklung des Ausforschungsbeweises Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 21 ff. und Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 35 ff. siehe auch Stein/JonasThole, ZPO IV, § 284, Rn. 48 ff. jeweils mwN. 22 Unter Verweis auf die Wahrheitspflicht RG JW 1936, S. 2228; eine ausführliche Darstellung von Rechtsprechung und Literatur zum Ausforschungsverbot bietet Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 29 ff. 23 In diesem Sinne etwa BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; BGH NJW 1995, S. 2111, 2112; BGH NJW 2005, S. 2710, 2711 f.; BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; ähnlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 48 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 62 ff. jeweils mwN. 24 In diesem Sinne etwa BGH NJW 1996, S. 394; ebenso BGH NJW-RR 2000, S. 208; BGH NJW-RR 2003, S. 491; aus verfassungsrechtlicher Sicht siehe BVerfG NJW 2003, S. 2976, 2977; ausführlich zu dieser Frage Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 154 ff. mwN. 25 In diesem Sinne ausdrücklich BGH NJW 1958, S. 1491, 1492; dazu auch Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 29 f. mwN. 26 Vgl. etwa BGH NJW 1992, S. 1967, 1968; BGH NJW 1995, S. 2111, 2112; BGH NJW-RR
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Rechtsinstitut im Zusammenhang mit der Aufhebung untergerichtlicher Entscheidungen wegen eines Verstoßes gegen die hohen Anforderungen einer diesbezüglichen Beweisablehnung.27 Die Literatur stimmt dieser engen Auslegung des Ausforschungsbeweises unter grundsätzlicher Anerkennung seiner Existenz ganz überwiegend zu.28 Allerdings wird insbesondere im Rahmen monographischer Bearbeitungen auch das Institut des Ausforschungsbeweises als solches einer kritischen Analyse unterzogen und teilweise sogar seinem Grunde nach abgelehnt.29 Innerhalb dieser Bearbeitungen wird der Ausforschungsbeweis regelmäßig im Hinblick auf seine Vereinbarkeit mit zivilprozessualen Grundprinzipen wie der Wahrheitspflicht des § 138 I ZPO, der Verhandlungsmaxime oder auch dem Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB analog untersucht und dargelegt, dass sich dieses Verbot auf keines dieser Prinzipen stützten kann.30 Vielmehr verbleibt allein die Abwägung des Rechts auf eine Beweiserhebung mit etwaigen Gegenrechten der „auszuforschenden“ Prozesspartei als mögliche Rechtfertigung für eine Beweisablehnung bestehen.31 Insoweit wird indes angemerkt, dass eben diese Abwägung gerade keine Besonderheit iSe eigenen Rechtsinstitutes des Ausforschungsbeweises darstellt, sondern vielmehr im Rahmen jeder beantragten Beweiserhebung zu bedenken ist.32 Bei näherer Betrachtung lassen sich zwei Formen des Ausforschungsbeweises mit ihren jeweiligen Besonderheiten unterscheiden: a) Verbot von Beweisermittlungsanträgen Als erste Variante sind den Parteien sog. Beweisermittlungsanträge verboten. Ein solcher Antrag zeichnet sich dadurch aus, dass eine Prozesspartei keine Tatsachen beweisen möchte, sondern im Rahmen der Beweiserhebung auf die Entdeckung
2002, S. 1433, 1435; in neuerer Zeit BGH NJW 2012, S. 382 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f.; Kiethe, MDR 2003, S. 1325, 1326 f. 27 So etwa in BGH NJW 1992, S. 1967, 1968; BGH NJW 1995, S. 2111, 2112; BGH NJW-RR 2002, S. 1433, 1434 f.; BGH NJW 2012, S. 382 f.; zu dieser Tendenz in der höchstrichterlichen Rechtsprechung ausführlich Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 31 ff.; siehe auch Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 51 f. und Kiethe, MDR 2003, S. 1325, 1327. 28 Ausführlich Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 173 ff.; zustimmend auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 48 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. 29 In diesem Sinne die kritischen Zusammenfassungen von Peters, Ausforschungsbeweis, S. 120 ff. und Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 186 ff.; ähnlich auch Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 254 f. 30 In diesem Sinne Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 88 ff. und 119 ff. und Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 156 ff. und 189 ff. jeweils mwN. 31 Ausführlich Peters, Ausforschungsbeweis, S. 88 ff. mwN. 32 In diese Richtung auch Peters, Ausforschungsbeweis, S. 124 ff.
§ 10 Beweisantrag
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neuer Tatsachen hofft, um weiteren Sachvortrag erst zu ermöglichen.33 Die Ablehnung eines Antrages wird teilweise damit begründet, ein solcher Antrag verfehle den Zweck einer Beweisaufnahme: Eine Beweisaufnahme solle den Nachweis von Tatsachen ermöglichen, nicht aber der Entdeckung neuer Tatsachen dienen.34 In aller Regel wird jedoch auch für den Beweisermittlungsantrag auf das Verbot des Rechtsmissbrauches verwiesen.35 Allerdings äußert sich der BGH auch in dieser Fallgruppe zurückhaltend: Ein solcher Beweisermittlungsantrag könne erst in dem – praktisch kaum relevanten – Fall des Fehlens jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte für die behauptete Tatsache zu bejahen sein.36 b) Verbot von Beweisanträgen „ins Blaue hinein“ Die zweite Variante des unzulässigen Ausforschungsbeweises stellen Beweisanträge dar, die ohne validen Hinweis auf ihren Beweiswert „ins Blaue hinein“ oder „aufs Geratewohl“ gestellt werden.37 In dieser Konstellation hofft die beantragende Prozesspartei lediglich auf eine entsprechende Nachweismöglichkeit, obgleich sie diese Chancen als äußerst gering einschätzt oder gar vom Misslingen des Beweisantrittes überzeugt ist.38 In dieser Fallgestaltung wird eine mögliche Ablehnung des Beweisantrages ebenfalls im Hinblick auf das Verbot eines Rechtsmissbrauches und insbesondere die missbräuchliche Verzögerung des Rechtsstreits diskutiert.39 In der Rechtsprechung gehen beide Fallgruppen teilweise ineinander über, so dass die konkrete Abgrenzung im Einzelfall Probleme bereiten kann.40
33 Vgl. zu dieser Konstellation etwa BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; BGH NJW-RR 1987, S. 415; BGH NJW-RR 2007, S. 1483, 1486; aus der Literatur Anhalt, Verfahrensgrundsätze und Ausforschungsbeweis, S. 79 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 48 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 jeweils mwN. 34 Explizit in diesem Sinne Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 49 mwN. 35 In diese Richtung BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; ähnlich BGH NJW 1996, S. 1541, 1542; 36 Vgl. BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; BGH NJW-RR 1987, S. 415; BGH NJW 2001, S. 2327, 2328; BGH NJW-RR 2007, S. 1483, 1486; zustimmend MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. mwN. 37 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1991, S. 888, 891; BGH NJW 1995, S. 2111, 2112; BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; BGH NJW 2013, S. 2514; aus der Literatur Anhalt, Verfahrensgrundsätze und Ausforschungsbeweis, S. 88 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 53 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. 38 Vgl. Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 53 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. jeweils mwN. 39 Vgl. etwa BGH NJW 1984, S. 2888, 2889; ebenso BGH NJW-RR 1987, S. 415; BGH NJW 1996, S. 394; ausführlich Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 154 ff. zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 53 und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 17 f. jeweils mwN. 40 Überschneidungen dieser beiden Fallgruppen finden sich etwa in BGH NJW-RR 2002, S. 1433, 1435.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Auch für diese Ablehnungsmöglichkeit von Beweisanträgen mahnt der BGH zu großer Zurückhaltung.41 Ein Beweisantrag „ins Blaue hinein“ liegt hiernach nicht bereits dann vor, wenn eine Partei die unter Beweis gestellten Tatsachen lediglich vermutet. Vielmehr gestatten BGH und Literatur explizit den Vortrag von bloß vermuteten Tatsachen, solange für diese Tatsache zumindest irgendein Anhaltspunkt vorgetragen wird.42 Von einem Beweisantrag „ins Blaue“ hinein könne erst dann gesprochen werden, wenn jegliche tatsächlichen Anhaltspunkte für den Wert des Beweismittels fehlten und der Antrag sich als „offensichtlich willkürlich“ darstelle.43 In der Praxis ist eine solche Konstellation kaum denkbar und in der überwiegenden Zahl von Fällen weist der BGH eine entsprechenden Ablehnungen von Beweisanträgen durch die unteren Gerichte mit deutlichen Worten zurück.44
3. H.M.: Entwicklung einer sekundären Darlegungslast Die Darstellung der Substantiierungserfordernisse wird vervollständigt durch die Analyse der sog. sekundären Darlegungslast als einem weiteren in Rechtsprechung und Literatur entwickelten Rechtsinstitut.45 Es handelt sich um Fallkonstellationen, in denen die beweisbelastete Partei zu einer substantiierten Antragstellung mangels eigener Informationen nicht in der Lage ist, die Gegenpartei diese Informationen jedoch besitzt bzw. ohne größeren Aufwand beschaffen könnte und ihr die Herausgabe zuzumuten ist.46 In dieser Fallkonstellation trifft die gegnerische Prozesspartei aufgrund ihres Informationsvorsprunges eine sekundäre Darlegungslast: Sie darf den unsubstantiierten Vortrag der beweisbelasteten Partei nicht wie sonst üblich ohne hohe Anforderungen an ihre eigene Substantiierung bestreiten. Vielmehr muss sie ihre eigenen Kenntnisse substantiiert darstellen, um den Vortrag der beweisbelasteten Partei wirksam zu bestreiten und die Fiktionswirkung des § 138 III ZPO zu 41 In diesem Sinne etwa BGH NJW 1991, S. 2707, 2709; BGH NJW-RR 2003, S. 491 f.; BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 54; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 17 f. jeweils mwN. 42 Instruktiv BGH NJW 1995, S. 2111, 2112; ebenso BGH NJW 2001, S. 2327, 2328; in neuerer Zeit BGH VersR 2011, S. 1432; aus der Literatur siehe zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 53 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 17 f. jeweils mwN. 43 Die Formulierung „offensichtlich willkürlich“ verwendet etwa BGH NJW 1996, S. 3147, 3150; BGH NJW 2001, S. 2327, 2328; BGH VersR 2012, S. 1429, 1431; zustimmend Stein/JonasThole, ZPO IV, § 284, Rn. 53 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. 44 Vgl. etwa die scharfe Zurückweisung in BGH NJW 1980, S. 633, 634 f.; siehe auch Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 48 ff. und 53 ff. mwN. 45 Ausführlich zu diesem Rechtsinstitut Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 28 ff. und MüKoWagner, ZPO I, § 138, Rn. 21 f. jeweils mwN. 46 Vgl. bereits BGH NJW 1961, S. 826, 828; BGH NJW 1983, S. 687, 688; ausführlich auch BGH NJW 1990, S. 3151 f. und in neuerer Zeit BGH WRP 2014, S. 851, 853; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 2013, S. 3630, 3633 jeweils mwN.
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vermeiden.47 Im Rahmen der Zumutbarkeit findet sodann eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der beweisbelasteten Partei und ihrer Gegenpartei statt.48 Zusammengefasst durchbricht die sekundäre Darlegungslast das übliche Verhältnis der jeweiligen Substantiierungslast zwischen den Parteien und verlangt für die beweisbelastete Partei eine geringe Substantiierungslast bei gleichzeitiger Erhöhung der Anforderungen an die Substantiierung der Gegenpartei. Allerdings ermöglicht dieses Rechtsinstitut nur indirekt die Erfüllung des nach Rechtsprechung und Literatur geforderten Grades an Substantiierung eines Beweisantrages: Zur Vermeidung der Rechtsfolgen des § 138 III ZPO soll die gegnerische Prozesspartei ihr Wissen offenlegen, so dass es der beweisbelasteten Partei ermöglicht wird, substantiiert vorzutragen und einen zulässigen Beweisantrag zu stellen. Sollte die Gegenpartei diesen Substantiierungslasten nicht nachkommen, so wären zwar die Tatsachenbehauptungen der beweisbelasteten Partei nach § 138 III ZPO als wahr zu unterstellen – die Stellung zulässiger Beweisanträge und die Erhebung der beantragten Beweismittel würde indes nicht ermöglicht.
4. Eigene Ansicht: Die inhaltlichen Anforderungen im Lichte des Rechts auf Beweis Diese inhaltlichen Anforderungen an einen nach der ZPO zulässigen Beweisantrag sind nun am Maßstab des Rechts auf Beweis zu überprüfen. Die allgemeinen Anforderungen lassen sich hierbei für alle drei Grundrechtsordnungen gleichermaßen beurteilen. Allein das spezielle Verbot des Ausforschungsbeweises soll zunächst am Maßstab des Rechts auf Beweis im Grundgesetz analysiert werden, bevor sich EMRK und Grundrechtecharta anschließen. a) Die Substantiierung eines Beweisantrages Die allgemeinen Mindestanforderungen an die Substantiierung eines Beweisan trages nach Rechtsprechung und Literatur lassen sich dahingehend zusammenfassen, dass eine spezifische Benennung des Beweismittels und eine Substantiierung des Beweisthemas zur Beurteilung seiner Entscheidungserheblichkeit erforderlich sind.49 Die genaue Bezeichnung des Beweismittels stellt eine Grundvoraussetzung dafür dar, um ein Beweismittel überhaupt erheben zu können. Ein Zeuge kann nur geladen werden, wenn Name und Adresse bekannt sind. Die Einnahme eines Augenscheins bedarf einer spezifischen Bezeichnung des zu untersuchenden Gegenstandes – gleiches gilt für die sachverständige Begutachtung. Es handelt sich bei diesem 47 Instruktiv BGH WRP 2014, S. 851, 853; siehe auch Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 138, Rn. 30 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 138, Rn. 21 f. 48 Ausführlich BGH NJW 1983, S. 687, 688 f.; siehe auch BGH NJW 1992, S. 1817, 1819. 49 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1988, S. 1529 f. und BGH NJW-RR 2004, S. 1362, 1363.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Grad an Substantiierung somit um ein praktisches Erfordernis, um ein Beweismittel überhaupt erheben zu können. In diesem Umfang wurde das Substantiierungserfordernis als immanente Grenze des Rechts auf Beweis herausgearbeitet.50 Allerdings muss nach ganz herrschender Meinung weitergehend auch das Beweisthema so genau bezeichnet werden, dass eine Beurteilung seiner Entscheidungserheblichkeit ermöglicht wird. Auch dieses Substantiierungserfordernis wurde im Grundsatz als immanente Grenze des Rechts auf Beweis erarbeitet.51 Das Recht auf Beweis folgt aus den Grundrechten, deren effektive Geltung in Form ihrer gerichtlichen Nachweisbarkeit sichergestellt werden soll. Mit diesem subjektiven Bezug wird aber zugleich klargestellt, dass die Parteien kein umfassendes Nachweisrecht über alle möglicherweise abstrakt interessanten Tatsachen, sondern vielmehr ein spezifisches Recht auf Nachweis derjenigen Tatsachen haben, die für ihre Rechtsdurchsetzung erforderlich sind.52 Das einfach-rechtliche Substantiierungserfordernis zur Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit deckt sich hiernach ausnahmsweise mit den Anforderungen an die Eröffnung des Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis. Am Maßstab des Rechts auf Beweis sind ausschließlich solche Beweisanträge zu messen, die den Nachweis eines entscheidungserheblichen Beweisthemas zu Ziel haben. Die Prozesspartei muss also die Entscheidungserheblichkeit ihres Beweisthemas darlegen, um überhaupt den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zu eröffnen. Dieses Minimum an Substantiierung ist somit auch qua Recht auf Beweis zu fordern und stellt keine Einschränkung, sondern vielmehr ein Erfordernis der Geltung des Rechts auf Beweis dar.53 In der Praxis sollte dieses Mindestmaß an Substantiierung jedoch kaum einmal zum Scheitern eines Beweisantrags führen – zumal auch insoweit die richterliche Hinweispflicht nach § 139 I ZPO Geltung beansprucht. b) Das Institut des Ausforschungsbeweises Das weitergehende Verbot eines Ausforschungsbeweises macht demgegenüber eine zulässige Stellung von Beweisanträgen vom Wissensstand bzw. den subjektiven Zielen der den Beweis beantragenden Prozesspartei abhängig und erscheint insoweit deutlich problematischer als die soeben analysierten, allgemeinen Substantiierungserfordernisse an einen Beweisantrag. Das Recht auf Beweis gewährleistet in Bezug auf entscheidungserhebliche Beweismittel ein umfassendes Recht auf Beweiserhebung, so dass sich das Verbot eines Ausforschungsbeweises als rechtferti50 Vgl. den Voraussetzungen einer Substantiierung als immanente Grenze des Rechts auf Beweis § 6 IV. 2. 51 Ausführlich wiederum § 6 III. 4. 52 Zur Herleitung der immanenten Grenze der Entscheidungserheblichkeit siehe einmal mehr § 6 III. 4. 53 Zum Spezialfall der Indizienbeweise vgl. § 6 III. 4. b. bb.
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gungsbedürftiger Eingriff in das Recht auf Beweis nach dem Grundgesetz darstellt. Problematisch erscheint in diesem Zusammenhang bereits die mögliche gesetzlich Grundlage einer solchen Einschränkung des Rechts auf Beweis: Ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht des § 138 I ZPO wird von der ganz herrschenden Meinung richtigerweise dahingehend abgelehnt, dass § 138 I ZPO lediglich ein Verbot bewusst unwahrer Behauptungen aufstellt und diese Konstellation nur einen sehr kleinen Teil des Spektrums des Ausforschungsbeweises abdecken könnte.54 Auch die Verhandlungsmaxime lässt sich für ein Verbot von Ausforschungsbeweisen kaum ins Feld führen. In einem Beweisantrag liegt ja gerade eine Initiative der Prozesspartei, während die tatsächliche Erhebung von Beweismittel auch bei sonstigen Beweisanträgen letztlich durch das erkennende Gericht erfolgt – ohne den Vorwurf der Ausforschung.55 Argumentieren könnte man mit der Verhandlungsmaxime allenfalls gegen Beweisermittlungsanträge im Hinblick auf die gleichzeitige Ermittlung von Tatsachen. Sodann müsste aber auch bei vermeintlich zulässigen, substantiierten Beweisanträgen jede zufällige Entdeckung weiterer Tatsachen im Rahmen einer Beweiserhebung ausgeschlossen sein bzw. die Beweiserhebung im Nachhinein unzulässig werden. Diese Sichtweise wird jedoch – soweit ersichtlich – weder in Rechtsprechung noch in Literatur vertreten und wäre zugleich mit Blick auf das Recht auf Beweis in höchstem Maße problematisch. In der Regel wird das Verbot eines Ausforschungsbeweises auf das Verbot des Rechtsmissbrauches und damit im Ergebnis auf das Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB analog gestützt.56 Somit könnte § 242 BGB analog eine entsprechende Rechtsgrundlage darstellen, wobei sodann nach einem etwaigen, verfassungsrechtlich fundierten Ziel zu fragen ist. Argumentieren ließe sich mit der Vermeidung einer Verzögerung des Rechtsstreits durch rechtsmissbräuchlich gestellte Beweisanträge, mithin also der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und dem Recht der Gegenpartei auf Rechtsschutz in angemessener Zeit als verfassungsrechtlich geschützte Güter. Allerdings sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass selbst diese Argumentation dahingehend angreifbar ist, dass jedem Beweisantrag bereits seiner Natur nach eine ungewisse Erfolgsaussicht anhaftet. Auch ein vermeintlicher „Ausforschungsbeweis“ kann zum erfolgreichen Nachweis einer Tatsache führen, während einer Beweiserhebung auf Basis eines vermeintlich gut substantiierten Beweisantrags im Einzelfall jeder Erkenntnisgewinn fehlen kann. Die Wahrscheinlichkeit für das Gelingen eines solchen Beweisantrages mag geringer sein, doch gerade dieses Kriterium wird auch von der herrschenden Meinung für die Beurteilung von 54 Siehe dazu etwa Peters, Ausforschungsbeweis, S. 67 ff. und Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 88 ff. 55 In diesem Sinne bereits Esser, der Ausforschungsbeweis, S. 156 ff. und Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 128 ff. jeweils mwN. 56 Siehe etwa BGH NJW-RR 2003, S. 491; BVerfG NJW 2003, S. 2976, 2977 und Chudoba, ausforschender Beweisantrag, S. 154 ff. jeweils mwN.
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Beweisanträgen richtigerweise zurückgewiesen.57 Insofern erscheint es in höchstem Maße fraglich, weshalb ein Ausforschungsbeweis zu einer unzulässigen Verfahrensverzögerung und Mehrbelastung des Gerichts führen solle. Die eigentliche Frage einer etwaigen Rechtfertigung im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz soll nun für die beiden Varianten des Ausforschungsbeweises jeweils separat geprüft werden: aa) Das Verbot von Beweisermittlungsanträgen Die erste Alternative eines Ausforschungsbeweises stellen die sog. Beweisermittlungsanträge dar. Eine Partei möchte in dieser Konstellation mit ihrem Beweisantrag keine ihr bekannten Tatsachen nachweisen, sondern vielmehr mithilfe des zu erhebenden Beweismittels neue Tatsachen für ihren weiteren Sachvortrag ermitteln.58 Der herrschenden Meinung ist insoweit zuzugeben, dass das Beweisrecht qua Definition dem Nachweis von Tatsachen und damit der Überzeugungsbildung des Gerichts dienen soll, nicht aber der Ermittlung neuer Tatsachen. Allerdings lässt sich der Nachweis von Tatsachen nach hier vertretener Ansicht gerade nicht so einfach von der Entdeckung neuer Tatsachen trennen, wie es die herrschende Meinung regelmäßig suggeriert: In der ersten, denkbaren Fallkonstellation möchte die Prozesspartei eine ihr bekannte oder zumindest aufgrund von Anhaltspunkten vermutete Tatsache nachweisen und gleichzeitig weitere, neue Tatsachen entdecken. Rein äußerlich ist diese Situation vergleichbar mit einem zufälligen Entdecken neuer Tatsachen im Rahmen einer substantiierten Beweiserhebung und in subjektiver Hinsicht möchte die Prozesspartei zumindest auch Beweis antreten, so dass selbst unter Zugrundelegung der herrschenden Meinung kein unzulässiger Beweisermittlungsantrag zu bejahen sein dürfte. In der zweiten Fallgestaltung möchte die Prozesspartei ausschließlich neue Tatsachen ermitteln und nutzt die Beweisaufnahme als Vehikel für die Tatsachenerforschung. Doch auch an dieser Stelle lässt sich nach hier vertretener Auffassung schlicht keine Grenze zwischen der Tatsachenermittlung und dem Tatsachennachweis ziehen: Wenn ein Beweismittel im Rahmen seiner Erhebung zur Ermittlung weiterer Tatsachen führt, so stellt dieses Beweismittel denknotwendig zugleich einen Teil des Nachweises dieser Tatsachen dar. Die einzig denkbare Konsequenz eines Beweisermittlungsantrages ist somit ein Nebeneinander von Tatsachenermittlung und -nachweis. Das Verbot von „Beweisermittlungsanträgen“ würde einer Pro57
Vgl. wiederum BGH NJW 1992, S. 3106; BGH NJW-RR 2003, S. 491; BVerfG NJW 2003, S. 2976, 2977 und Peters, Ausforschungsbeweis, S. 65 f. jeweils mwN. 58 Vgl. für die h. M. etwa BGH NJW-RR 2007, S. 1483, 1486; Anhalt, Verfahrensgrundsätze und Ausforschungsbeweis, S. 79 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 48 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 jeweils mwN.
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zesspartei daher eine Nachweismöglichkeit ihrer Rechte abschneiden, die zugleich weitere Informationen in den Prozess einführt und damit in hohem Maße dem weiteren Rechtsnachweis, wie auch der Wahrheitsfindung im Prozess dienlich wäre und zwar allein unter Verweis auf die subjektive Motivation der Stellung des Beweisantrages. Selbst unter Beachtung des Erfordernisses einer Abwägung im Einzelfall erscheint kaum eine Konstellation denkbar, in der die Ablehnung eines sog. „Beweisermittlungsantrages“ als Eingriff in das Recht auf Beweis gerechtfertigt werden könnte. Das Verbot des Beweisermittlungsantrages stellt sich insgesamt weniger als Vermeidung rechtsmissbräuchlicher Verzögerungen des Prozesses, sondern vielmehr als Fortführung des Gedankens dar, dass keine Partei der Gegenseite die Waffen zum Prozesssieg an die Hand geben muss. Die Unhaltbarkeit dieser These vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen des effektiven Rechtsschutzes und insbesondere des Rechts auf Beweis wurde bereits verschiedentlich herausgearbeitet und zeigt sich auch an dieser Stelle in aller Deutlichkeit.59 Den Parteien des Zivilprozesses muss eine rechtsförmige Möglichkeit der Informationsgewinnung und des Nachweises ihrer Rechte eingeräumt werden, um den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips und der materiellen Grundrechte gerecht zu werden. Einzig die Entwicklung des Institutes der sekundären Darlegungslast könnte als Reduktion dieser Substantiierungserfordernisse eine Rechtfertigung des Verbotes von Beweisermittlungsanträgen rechtfertigen. Allerdings findet dieses Rechtsinstitut ausschließlich in bestimmten Konstellationen akuter Beweisnot Anwendung und steht zudem unter einem Zumutbarkeitsvorbehalt.60 Eine umfassende Information und Nachweismöglichkeit wird den Parteien mithin nicht gewährt. Hinzu kommt, dass die sekundäre Darlegungslast bei Weigerung des sekundär Belasteten in ihrer Rechtsfolge lediglich zu der Fiktion nach § 138 III ZPO führt und gerade keine tatsächliche Erhebung von Beweismitteln zur Wahrheitserforschung ermöglicht. Die sekundäre Darlegungslast kann daher in ihrem Anwendungsbereich für Rechtfertigung einer Beweisablehnung von Beweisermittlungsanträgen im Einzelfall eine Rolle spielen. In aller Regel wird indes die tatsächliche Erhebung eines Beweismittels der effektiveren Gewährleistung des Rechts auf Beweis am ehesten gerecht. bb) Das Verbot von Beweisanträgen „ins Blaue hinein“ Die zweite Fallgruppe des Ausforschungsbeweises stellt das Verbot von Beweisanträgen „ins Blaue hinein“ dar. Es fehlt der beantragenden Prozesspartei mithin an der konkreten Kenntnis über einen etwaigen Beweiswert des von ihr beantragten 59
Siehe bereits die ausführliche Darstellung in § 7 II. 2. c. Siehe zu dieser Auslegung nach h. M. etwa BGH NJW 1961, S. 826, 828; BGH NJW 1983, S. 687, 688; BGH NJW 1990, S. 3151 f. und BGH WRP 2014, S. 851, 853 jeweils mwN. 60
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Beweismittels. In dieser Konstellation ist sich die Partei daher nicht nur über das – allgemeine – Risiko im Unklaren, ob das von ihr beantragte Beweismittel das erkennende Gericht überzeugen kann, vielmehr fehlt der Partei selbst die Überzeugung vom Beweiswert ihres beantragten Beweismittels.61 In dieser Fallgestaltung lässt sich somit deutlich eher an einen missbräuchlichen Beweisantrag denken, der die Zeit der Gegenpartei und die Ressourcen des Gerichts verschwendet. Allerdings muss man sich auch für diese Fallgruppe klarmachen, dass das Risiko eines Fehlschlages für jedes zu erhebende Beweismittel in der Natur der Sache liegt. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen hält, dass ein – idealtypischer – Zivilprozess mit einer Entscheidung zugunsten einer der beiden streitenden Parteien endet. Das Gericht wird sich daher in jeder denkbaren Konstellation allenfalls vom Tatsachenvortrag einer der beiden Prozessparteien überzeugen, während die Beweiserhebung zum Tatsachenvortrag der anderen Prozesspartei zwangsläufig im Ergebnis keinen Erfolg verspricht. Es liegt in der Natur der Sache, dass die beweisführenden Parteien erst durch die gerichtliche Entscheidung sichere Kenntnis davon erlangen, ob ihre angeführten Beweismittel Erfolg hatten. Eine erfolglose Beweisaufnahme ist also selbst in einem idealtypisch gedachten Zivilprozess vorgesehen, so dass diese „Verzögerung“ durch erfolglose Beweisanträge ein ebenso natürlicher Teil eines jeden Zivilprozesses ist. Der Unterschied zwischen einer erfolglosen Beweiserhebung und einer Konstellation des Ausforschungsbeweises könnte daher allein in der unterschiedlichen Erfolgswahrscheinlichkeit der beantragten Beweismittel liegen. Wenn eine Prozesspartei nicht einmal selbst vom Wert ihres Beweismittels überzeugt ist, so ließe sich argumentieren, dass der Misserfolg dieses Beweismittels absehbar sei. Indes geht auch die herrschende Meinung richtigerweise davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit einer Tatsache bzw. ihres Nachweises mit dem beantragten Beweismittel für die Beurteilung des Beweisantrages keine Rolle spielen kann und darf.62 Andernfalls würde eine Partei im Falle eines ungewöhnlichen, sich aber tatsächlich ereignenden Sachverhaltes von vorherein ihre Rechte einbüßen müssen – in Ermangelung der Möglichkeit zulässiger Beweisanträge. Auch insoweit gilt es zu beachten, dass das Leben die unwahrscheinlichsten Geschichten schreibt. Somit erscheint es erneut fraglich, wie sich die Ablehnung eines solchen Beweisantrages zu einem entscheidungserheblichen Beweisthema – und sei es „ins Blaue hinein“ – vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis rechtfertigen lässt. In der Konstellation eines solchen Beweisantrages ergibt sich kaum eine Verzögerung des Prozesses, die nicht als allgemeines Risiko einer jeden Beweiserhebung ohnehin vorgesehen ist, so dass die Ablehnung eines Beweisantrages „ins Blaue hinein“ in 61 Vgl. zu dieser Fallgestaltung etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 53 ff. und MüKoPrütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. jeweils mwN. 62 Vgl. wiederum BGH NJW 1992, S. 3106; BGH NJW-RR 2003, S. 491; BVerfG NJW 2003, S. 2976, 2977 und Peters, Ausforschungsbeweis, S. 65 f. jeweils mwN.
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aller Regel einen Verstoß gegen das Recht auf Beweis im Grundgesetz darstellen wird. Denkbar ist eine Rechtfertigung allenfalls in extremen Ausnahmefällen, so dass die Anforderungen des BGH in Form der „offensichtlichen Willkür“ einen guten Fingerzeig bilden.63 Im Rahmen des Ausforschungsbeweises sind jedoch zumindest die etwaigen Gegenrechte zu berücksichtigen, die gegen eine Beweiserhebung streiten können – so etwa das APR bei kompromittierenden Aussagen oder der Schutz von Geschäftsgeheimnissen. Allerdings handelt es sich hierbei um eine allgemeine Abwägung, die jeder Beweiserhebung vorausgeht und gerade kein Spezifikum des Ausforschungsbeweises darstellt, wie Teile der Literatur richtigerweise anmerken.64 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass auch die zweite Fallkon stellation des Ausforschungsbeweises eine Beweisablehnung und die damit verbundene Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz nur in extremen Ausnahmefällen zu rechtfertigen vermag. Vor dem Hintergrund der ebenfalls sehr restriktiven Rechtsprechung des BGH erscheint nach hier vertretenen Ansicht das Rechtsinstitut des Ausforschungsbeweises insgesamt fraglich. Die Vielzahl aufgehobener Urteile der Instanzgerichte zeigt auf, dass ein erhebliches Potential für Fehlanwendungen und sogar eventuellen Missbrauch besteht. Die denkbaren Fälle einer am Maßstab des Rechts auf Beweis zulässigen Ablehnung von „ausforschenden“ Beweisanträgen ließen sich anhand des allgemeinen Willkürverbotes sachgerecht auflösen, so dass eine Aufgabe des Ausforschungsbeweises als Rechtsinstitut nach hier vertretener Ansicht zumindest diskutabel erscheint. c) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Der Maßstab des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta entspricht erneut im Wesentlichen dem deutschen Grundgesetz. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen und Erhebung von Beweismittel stellt gleichfalls einen zentralen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar. Daher ergeben sich für den Ausforschungsbeweis im Hinblick auf das Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta dem Recht auf Beweis im Grundgesetz vergleichbare Bedenken. Allerdings gilt es den größeren Gestaltungsspielraum des nationalen Rechts im Rahmen des Rechts auf Beweis nach EMRK und Grundrechtecharta zu beachten. Daher erscheint es nach hier vertretener Auffassung denkbar, dass eine enge Auslegung des Ausforschungsbeweises bei gleichzeitiger, weiter Auslegung der sekundären Darlegungslast gleichsam den Mindestanforderungen des Rechts auf Beweis 63 Siehe wiederum BGH NJW 1996, S. 3147, 3150; BGH NJW 2001, S. 2327, 2328; BGH VersR 2012, S. 1429, 1431; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 53 ff. und MüKoPrütting, ZPO I, § 284, Rn. 79 f. 64 In diese Richtung auch Peters, Ausforschungsbeweis, S. 124 ff.
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in EMRK und Grundrechtecharta genügt. Eine weitreichendere Verpflichtung zu einer tatsächlichen Beweiserhebung lässt sich vor dem Hintergrund des größeren nationalen Gestaltungsspielraumes aus dem „gröberen“ Raster des Rechts auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta letztlich nicht herleiten. Die sekundäre Darlegungslast ist sodann dergestalt auszulegen, dass sie jeden Fall der typischen Unkenntnis und Beweisnot einer Prozesspartei erfasst, während der Ausforschungsbeweis auf wenige Fallkonstellationen insbesondere einer willkürlichen erscheinenden Stellung von Beweisanträgen zu begrenzen ist. d) Exkurs: Die Möglichkeiten der Informationsgewinnung durch die Parteien des Zivilprozesses in Deutschland Als ein kurzer Exkurs sollen abschließend einige Gedanken zu den grundsätzlichen Möglichkeiten der Informationsgewinnung durch die Parteien des Zivilprozesses in Deutschland dargestellt werden. Es ist nach hier vertretener Auffassung durchaus denkbar, dass eine Prozesspartei unverschuldet keine hinreichenden Informationen innehat, um ihre Rechte effektiv nachzuweisen und durchzusetzen. Eine vorprozessuale Informationsgewinnung gestaltet sich für die Partei des Zivilprozesses jedoch schwierig. Wenn eine Partei offen Informationen sammelt, etwa Zeugen befragt, so setzt sie sich der Gefahr aus, dass den Informationen und vor allem den diesbezüglichen Beweismitteln der Vorwurf einer vorprozessualen Beeinflussung anhaftet. Sollte eine Partei demgegenüber heimlich Informationen sammeln – etwa durch Abhören eines Zeugen – so wird die Verwertbarkeit im anschließenden Prozess in aller Regel umso zweifelhafter sein. Wenn die Partei nun auf Basis ihrer – noch mangelhaften – Informationen Klage erhebt und diese Informationsdefizite im Zivilprozess auf rechtsförmigem Wege beheben möchte, so sieht sie sich dem Vorwurf der Ausforschung ausgesetzt. Sollte eine Prozesspartei also keinen materiell-recht lichen Anspruch auf Informationsherausgabe haben, so erscheint es für diese Partei kaum möglich, die entsprechenden Informationen, geschweige denn entsprechende Beweismittel auf verwertbarem Wege zu erlangen. Dieser Mangel an rechtmäßigen, gesetzlich geregelten Wegen der Informationsgewinnung erschwert den Rechtsnachweis der Parteien des Zivilprozesses nach hier vertretener Auffassung ganz erheblich, ohne dass eine irgendwie geartete, hinreichende Legitimation dieser Zurückhaltung vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta zu konstatieren wäre.
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III. Die zeitlichen Anforderungen an einen Beweisantrag in der ZPO Das Recht auf Beweis beinhaltet nach den vorangegangenen Ausarbeitungen auch ein Recht auf Stellung von Beweisanträgen in jedem Zeitpunkt des Prozesses. In der ZPO ist der Stellung von Beweisanträgen eine zeitliche Grenze in Form der Präklusionsvorschrift des § 296 I und II ZPO gezogen worden. Ausdrücklich regelt diese Norm die Zurückweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln, deren Definition sich in § 282 I ZPO findet: Hiernach umfassen die Angriffs- und Verteidigungsmittel insbesondere Beweismittel und Beweiseinreden und damit die hier interessierenden Beweisanträge. Im Übrigen enthält § 296 I und II ZPO zwei eigenständige Zurückweisungsgründe für Angriffs- und Verteidigungsmittel, die jeweils gesondert zu untersuchen sind. Außerdem hat der enge Bezug des § 296 ZPO zum Verfassungsrecht eine umfangreiche Diskussion über seine Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz nach sich gezogen, die vorab dargestellt werden soll.
1. Die Vereinbarkeit des § 296 I und II ZPO mit dem GG Rechtsprechung und Literatur gehen nahezu einhellig von der grundsätzlichen Verfassungskonformität des § 296 I und II ZPO aus.65 Das Bundesverfassungsgericht betont in diesem Zusammenhang einmal mehr, dass die Ausgestaltung des Prozessrechts in erster Linie dem Gesetzgeber obliege.66 Die Präklusionsvorschriften sollen eine möglichst rasche Entscheidung ermöglichen und stellen mithin eine Abwägung des Rechts auf Rechtsschutz in angemessener Zeit mit dem Recht auf rechtliches Gehör sowie der materiellen Richtigkeit einer Entscheidung dar, die der Gesetzgeber grundsätzlich in verfassungskonformer Weise getroffen habe.67 Allerdings betonen Bundesverfassungsgerichts und BGH einhellig, dass die Präklusionsvorschriften eine Ausnahmevorschrift darstellen, die einer besonders engen Auslegung bedürfe.68 Hieraus resultiert gleichermaßen ein Analogieverbot für die 65 Grundlegend BVerfG NJW 1982, S. 1453 f.; ebenso BVerfG NJW 1985, S. 1150 f.; in neuerer Zeit BVerfG NJW 2000, S. 945, 946; zustimmend etwa BGH NJW 2012, S. 2808 f.; aus der Literatur ausführlich Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 9 ff.; ebenso Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 12 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 3 ff.; MüKoPrütting, ZPO I, § 296, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 66 Vgl. bereits zu den früheren Präklusionsvorschriften BVerfG NJW 1974, S. 133 f.; in diese Richtung sodann auch BVerfG NJW 1982, S. 1453 f.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 3 ff. mwN. 67 Vgl. BVerfG NJW 1985, S. 1150 f.; ebenso BVerfG NJW 2000, S. 945, 946; BGH NJW 1980, S. 2355 f. 68 So ausdrücklich BVerfG NJW 1985, S. 1150 f. und BVerfG NJW 2000, S. 945, 946; zustimmend BGH NJW 1991, S. 2773 f.; aus der Literatur siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 3 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 10 ff. jeweils mwN.
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Präklusionsvorschriften, so dass eine Anwendung dieser Norm auf weitere, nicht geregelte Fälle zugunsten einer Verfahrensbeschleunigung generell ausscheidet.69 Zudem wurden von Rechtsprechung und Literatur weitere Voraussetzungen entwickelt, um den Tatbestand der Präklusionsvorschriften einzugrenzen, und zugleich eine Reihe von Fallkonstellationen entschieden, in denen eine Präklusion qua Grundgesetz ausscheiden muss.70 Diese Entwicklung zeigt das Bemühen um einen möglichst sachgerechten Ausgleich zwischen Verfahrensbeschleunigung und den Nachweismöglichkeiten der Prozessparteien mit dem Ergebnis einer engen Auslegung der Präklusionsvorschriften des § 296 ZPO.
2. Die Auslegung des § 296 I ZPO § 296 I ZPO regelt die Zurückweisung wegen eines Verstoßes gegen eine besondere Prozessförderungspflicht in Form der Versäumung einer gerichtlich gesetzten Frist.71 Diese Fristen werden in § 296 I ZPO abschließend aufgezählt und lediglich um einige Fälle der Anwendbarerklärung in der ZPO selbst erweitert, so etwa in den §§ 340 III, 697 III S. 2 ZPO.72 Ein verspätetes Vorbringen nach § 296 I ZPO kommt nur im Falle einer wirksam gesetzten Frist in Betracht, die ihrerseits eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen muss: Die Frist muss durch das zuständige Gericht gesetzt und ordnungsgemäß zugestellt worden sein.73 Außerdem stellt die Rechtsprechung im Hinblick auf die einschneidenden Konsequenzen des § 296 I ZPO hohe Anforderungen an die Klarheit und Verständlichkeit der Fristsetzung.74 Weiterhin muss eine Frist zu ihrer Wirksamkeit eine angemessene Zeitdauer umfassen, die sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der Komplexität der Sache richtet.75 Als Mindestdauer sieht § 296 I iVm 277 III ZPO zwei Wochen vor, wobei Rechtsprechung und Literatur 69 Vgl. etwa BGH NJW 1981, S. 1217 f. und BVerfG NJW 1982, S. 1635; zustimmend Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 9 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 25 ff. jeweils mwN. 70 Eine ausführliche Darstellung bietet etwa Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 67 ff.; siehe auch Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 21 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 71 Vgl. wiederum Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 121 ff.; siehe auch Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 14 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 40 ff. 72 Vgl. etwa BGH NJW 1981, S. 1218; anschaulich auch BGH NJW 1982, S. 1533, 1534; zustimmend Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 122 ff. mwN. 73 Instruktiv BGH NJW 1980, S. 1167 f.; siehe auch BGH NJW 1990, S. 2389 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 22 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 69 f. jeweils mwN. 74 Vgl. bereits BVerfG NJW 1982, S. 1453 f.; ausführlich auch BGH NJW 1983, S. 822, 823 f. und BGH NJW 1990, S. 2389, 2390 jeweils mwN; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 25 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 70 jeweils mwN. 75 Ausführlich BGH NJW 1994, S. 736; aus der Literatur zustimmend Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 247 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 70 und Wieczorek/Schütze-Weth, ZPO IV, § 296, Rn. 85 jeweils mwN.
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betonen, dass in der Regel eine längere Dauer erforderlich sein wird.76 Eine unangemessen kurz bemessene Frist setzt zudem mit Blick auf die fehlende Rechtsklarheit keine angemessene Frist in Gang.77 Abschließend bedarf es einer umfassenden Belehrung über die Folgen der Fristversäumung. Die Rechtsprechung stellt strenge Anforderungen an eine ordnungsgemäße Belehrung und verlangt vom erkennenden Gericht, dem Betroffenen die Konsequenzen eines verspäteten Vorbringens „sinnfällig vor Augen zu führen“.78 Sodann lässt sich eine Verspätung des Vorbringens einer Partei im Rahmen des § 296 I ZPO ohne weiteres bestimmen: Eine Verspätung ist in der Versäumung des fristgerechten Vortrages zu sehen.79 Schwieriger zu beurteilen ist demgegenüber die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein verspätetes Vorbringen auch zu einer Verzögerung des Rechtsstreits geführt hat: Der BGH vertritt unter Zustimmung weiter Teile der Literatur einen sog. absoluten Verzögerungsbegriff.80 Eine Verzögerung ist hiernach zu bejahen, wenn der Rechtsstreit bei Zulassung des verspäteten Vorbringens länger dauern würde als bei dessen Zurückweisung.81 Als Argument für diesen Verzögerungsbegriff wird in erster Linie seine Praktikabilität angeführt. Das Gericht kann die Voraussetzungen in aller Regel ohne eine aufwendige Prognose beantworten und die Zurückweisungsvorschriften entsprechend anwenden.82 In Teilen der Literatur wird dieser Verzögerungsbegriff indes als verfassungswidrig abgelehnt und ein sog. relativer (hypothetischer) Verzögerungsbegriff vertreten.83 Nach dieser Auffassung ist zu fragen, ob der Rechtsstreit bei rechtzeitigem Vorbringen (hypothetisch) schneller 76
In diesem Sinne etwa BGH NJW 1994, S. 736, 737; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 25 f. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 296, Rn. 85 jeweils mwN. 77 Zu einer solchen Fallgestaltung vgl. BGH NJW 1994, S. 736, 737; zustimmend Stein/JonasThole, ZPO IV, § 296, Rn. 26. 78 So die Definition von BGH NJW 1983, S. 822, 824; ebenso BGH NJW 1991, S. 2773, 2775; aus verfassungsrechtlicher Sicht instruktiv BVerfG NJW 1982, S. 1453 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 24; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 71 f. und Wieczorek/Schütze-Weth, ZPO IV, § 296, Rn. 90 ff. jeweils mwN. 79 Vgl. etwa Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 21 und Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 121. 80 Vgl. bereits BGH NJW 1979, S. 1988; bestätigt in BGH NJW 1980, S. 945; BGH NJW 1983, S. 575, 576; in neuerer Zeit siehe BGH NJW 2012, S. 2808, 2809; aus der Literatur zustimmend Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 216 ff.; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 76 ff.; im Grundsatz auch Geisler, AnwBl 2006, S. 524, 525 f. und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 46 ff. 81 Zu dieser Definition bereits BGH NJW 1979, S. 1988; ebenso BGH NJW 1980, S. 945 f.; BGH NJW 1983, S. 575, 576; BGH NJW 1989, S. 719 f.; ausführlich auch Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 216 ff. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 79 ff. jeweils mwN. 82 Ausführlich BGH NJW 1979, S. 1988; siehe auch in neuerer Zeit BGH NJW 2012, S. 2808, 2809 f. mwN. 83 In diesem Sinne etwa Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 87 ff.; ebenso Pieper, FS-Wassermann, S. 773 jeweils mwN.
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hätte beendet werden können als bei verspätetem Vorbringen.84 Mit diesem Verzögerungsbegriff werden insbesondere Konstellationen erfasst, in denen ein Vorbringen nach Fristende, aber längere Zeit vor dem eigentlichen Prozesstermin eintrifft und eine Vorbereitung noch denkbar wäre. Das Bundesverfassungsgericht hat den absoluten Verzögerungsbegriff im Grundsatz als verfassungskonform bestätigt, allerdings zugleich mit der Einschränkung versehen, dass eine Zurückweisung qua Verfassung ausscheiden muss, wenn offensichtlich ist, dass der Prozess auch bei rechtzeitigem Vorbringen nicht schneller hätte beendet werden können.85 In der Literatur wird regelmäßig darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Verzögerungsbegriffe eher die Kausalität zwischen Verspätung des Vorbringens und der Verzögerung des Rechtsstreits betreffen und daher explizit als eine solche Frage behandelt werden sollten.86 Unter dem Stichwort der Kausalität werden in Rechtsprechung und Literatur zudem Fallkonstellationen diskutiert, in denen die Verzögerung nicht allein auf das Verhalten der verspätet vorbringenden Partei zurückzuführen ist, sondern zugleich einen Zusammenhang zum Verhalten des Gerichts oder Dritter aufweist.87 Allerdings hat der BGH teilweise eine Differenzierung zwischen Kausalität im oben verstandenen Sinne und Zurechenbarkeit einer Verzögerung vorgenommen.88 Das erkennende Gericht hat nach Rechtsprechung und Literatur die Verpflichtung, eine durch verspätetes Vorbringen drohende Verzögerung des Rechtsstreits durch die gesetzlich vorgesehenen Maßnahmen (insbesondere die Anordnungen nach § 273 II ZPO) abzuwenden.89 Bei Verletzung dieser gerichtlichen Verpflichtung kommt eine Zurückweisung nicht in Betracht, wobei die Grenze dieser Pflicht anhand des Merkmals der Zumutbarkeit entsprechender Maßnahmen gezogen wird.90 Grundsätzlich gilt, dass das Gericht einfache Beweisaufnahmen eigenständig vorzubereiten hat, jedoch keine Eilanordnungen treffen oder komplexen Beweisverfahren anordnen muss.91 So wurde die Zumutbarkeit in einzelnen Entscheidungen bei der Ladung Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 87 ff. und Pieper, FS-Wassermann, S. 773, 774 ff. 85 Vgl. bereits BVerfG NJW 1987, S. 2733, 2734 f.; ebenso BVerfG NJW 1992, S. 679, 680. 86 In diesem Sinne insbesondere Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 52 f. 87 Vgl. etwa BGH NJW 1983, S. 2030, 2031 (Gericht) und BGH NJW 1982, S. 2559, 2661 (Dritte); eine ausführliche Untersuchung von Kausalitätsfragen im Zusammenhang mit den Präklusionsvorschriften bietet Mackh, Präklusion verspäteten Vorbringens, S. 25 ff. mwN. 88 In diese Richtung äußert sich insbesondere BGH NJW 1987, S. 502, 503. 89 Vgl. bereits BGH NJW 1979, S. 1988; ebenso BGH 1980, S. 945, 946; BGH NJW 1983, S. 1495 f.; in neuerer Zeit BGH NJW 2002, S. 290, 291; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 1990, S. 2373 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 66 ff. und MüKo-Prüt ting, ZPO IV, § 296, Rn. 120 ff. 90 Instruktiv BGH NJW 2002, S. 290, 291 und BVerfG NJW 1990, S. 2373, 2374; ausführlich auch Mackh, Präklusion verspäteten Vorbringens, S. 138 ff. jeweils mwN. 91 Vgl. etwa BGH NJW 1984, S. 1964 f.; BGH NJW 1996, S. 528, 529; BGH NJW 2002, S. 290, 291; siehe auch Mackh, Präklusion verspäteten Vorbringens, S. 138 ff. jeweils mwN. 84 Vgl.
§ 10 Beweisantrag
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von bis zu 6 Zeugen bejaht, demgegenüber in einem anderen Fall bei der erforderlichen Ladung von 8 Zeugen verneint.92 Die Frage der Zumutbarkeit entscheidet sich daher anhand aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der konkreten Prozesslage.93 Außerdem treffen das Gericht strenge Hinweispflichten, um eine Verzögerung abwenden zu können.94 Auch das Verhalten Dritter kann den Zurechnungszusammenhang unterbrechen: Wenn ein Zeugen, bei ordnungsgemäßer Ladung trotz verspätet beantragter Vernehmung im Prozess nicht erscheint, so kommt nach dem BGH eine Zurückweisung nicht in Betracht.95 Im Hinblick auf die ordnungsgemäße Ladung sei diese Verzögerung gerade nicht der verspätet vortragenden Prozesspartei anzulasten, vielmehr verwirkliche sich hierin ein allgemeines Prozessrisiko, das nicht auf eine Prozesspartei abgewälzt werden dürfe.96 Abschließend muss die Partei an der Verspätung ihres Vorbringens ein Verschulden treffen, wobei das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters nach § 51 II ZPO und das Verschulden des Anwaltes nach § 85 II ZPO zugerechnet wird.97 Diese Erfordernis der subjektiven Vorwerfbarkeit ist nach dem Bundesverfassungsgericht elementare Voraussetzung für die Verfassungskonformität einer Präklusionsvorschrift: Wenn eine Partei die ihr gegebenen Möglichkeit eigenen Sachvortrages vorwerfbar nicht wahrgenommen hat, so komme eine Zurückweisung in Übereinstimmung mit Art. 103 I GG in Betracht.98 Im Rahmen des § 296 I ZPO genügt bereits einfache Fahrlässigkeit, wobei für die Prozesspartei herrschend ein subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff angelegt wird, während im Anwaltsprozess ein objektiver Maßstab Geltung haben soll.99
92 Bejaht von BGH NJW 1987, S. 260, 261 und BGH NJW 2002, S. 290, 291 (6 Zeugen); demgegenüber verneint durch BGH NJW MDR 1999, S. 1400 f. (8 Zeugen). 93 Ausführlich wiederum Mackh, Präklusion verspäteten Vorbringens, S. 138 ff. 94 Vgl. etwa BGH NJW 1989, S. 717, 718; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 1987, S. 2003 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 73 f. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 124 ff. 95 In diesem Sinne insbesondere BGH NJW 1982, S. 2559, 2560 f.; ebenso BGH NJW 1987, S. 502 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 76 ff.; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 130 ff. 96 So BGH NJW 1982, S. 2559, 2560 f. und BGH NJW 1987, S. 502 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 76 ff.; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 130 ff. jeweils mwN. 97 Vgl. etwa BGH NJW 1985, S. 1710, 1711 (§ 85 II ZPO); zustimmend Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 111 und Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 270; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 86 ff.; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 133 f. 98 Ausdrücklich in diesem Sinne BVerfG NJW 1987, S. 2003 f. und BVerfG NJW 1992, S. 680, 681. 99 Vgl. zum Verschuldensmaßstab eines Rechtsanwaltes BGH NJW 1985, S. 1710, 1711; ausführlich Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 115 ff. siehe auch Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 271 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 133 f. und Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 255 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 296 I ZPO werden durch das Gericht nach seinem freien Ermessen festgestellt, wobei eine Partei etwaige Entschuldigungsgründe vortragen darf und zumindest glaubhaft machen muss.100 Rechtsfolge des § 296 I ZPO ist die zwingende Zurückweisung des verspäteten Vortrages.101
3. Die Auslegung des § 296 II ZPO iVm § 282 I und II ZPO Die Präklusionsvorschrift des § 296 II ZPO ermöglicht demgegenüber die fakulta tive Zurückweisung von Beweisanträgen bei Verletzung der allgemeinen Prozessförderungspflicht, die ihre Normierung in § 282 I und II ZPO erfahren hat.102 Diese allgemeine Prozessförderungspflicht wird in § 282 I und II ZPO sehr offen formuliert, so dass der Anwendungsbereich des § 296 II ZPO deutlich weiter reicht als derjenige des § 296 I ZPO.103 Hinzu kommt, dass die Feststellung des verspäteten Vorbringens in Form der Verletzung dieser allgemeinen Pflicht deutlich schwieriger zu bestimmen ist als die Versäumung einer konkret gesetzten Frist. § 282 I ZPO normiert die Verpflichtung der Prozessparteien zum rechtzeitigen Vorbringen der eigenen Angriffs- und Verteidigungsmittel. Die Parteien sollen möglichst frühzeitig ihre Beweisanträge stellen und die Beweismittel gerade nicht „tröpfchenweise“ im Verlaufe des Prozesses einführen.104 Die Anforderungen des § 282 I ZPO bestimmen sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere der konkreten Prozesslage und dem jeweiligen Vorbringen beider Parteien.105 Dennoch lassen sich zumindest einige grundlegende Aussagen herausfiltern: So sind die Prozessparteien nach herrschender Meinung nicht verpflichtet, etwaiges Vorbringen der gegnerischen Prozesspartei zu antizipieren und bereits vorsorglich Beweismittel vorzubringen.106 Außerdem meint § 282 I ZPO den Vortrag in der mündlichen Verhandlung, so dass ein Vorbringen im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung 100 Ausführlich BGH NJW 1986, S. 3193, 3194; die Glaubhaftmachung als Mindestanforderung im Hinblick auf den Sanktionscharakter des § 296 ZPO herausstellend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 95 ff. mwN. 101 Vgl. etwa Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 283 ff. und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 99 ff. jeweils mwN. 102 Ausführlich Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 191 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 102 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 135 ff. jeweils mwN. 103 Vgl. Otto, FG-BGH III, S. 161, 176. 104 Dieses Ziel wird bereits in der Gesetzesbegründung formuliert, siehe BT-Drs. 7/2729, S. 37 ff.; ausführlich BGH NJW 1993, S. 1926, 1927 und BGH NJW 2003, S. 200, 201 f.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 102 ff. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 135 ff. jeweils mwN. 105 Sehr ausführlich zu den Anforderungen an die Prozessförderungspflicht Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 128 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 282, Rn. 9 ff.; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 282, Rn. 4 ff. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 282, Rn. 5 ff. 106 In diesem Sinne BVerfG NJW 1984, S. 2203 und BVerfG NJW 1991, S. 2275, 2276; Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 282, Rn. 14 f. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 282, Rn. 11 ff. jeweils mwN.
§ 10 Beweisantrag
561
niemals verspätet iSd § 296 II iVm § 282 I ZPO sein kann.107 Zudem wird in Rechtsprechung und Literatur anhand des Merkmals der Zumutbarkeit des Vorbringens über Fallkonstellationen diskutiert, in denen ein Zurückhalten von Beweismitteln gerechtfertigt sein kann: So etwa beim Nachweis kränkender Behauptungen oder allgemein bei einem vernünftigen Grund des Zurückhaltens. 108 So wurde ein Verstoß gegen § 282 I ZPO in einer Fallgestaltung verneint, in der eine Partei ein besonders kostspieliges Beweismittel (Meinungsforschungsgutachten) vermeiden wollte und zunächst den Versuch eines Nachweises mithilfe kostengünstigerer Beweismittel angetreten hat.109 Indes genügen rein prozesstaktische Erwägungen nach herrschender Meinung im Hinblick auf den Gesetzeszweck gerade nicht als Rechtfertigung.110 § 282 II ZPO verlangt weitergehend die rechtzeitige Mitteilung von etwaig vorzubringenden Angriffs- und Verteidigungsmitteln, um der Gegenpartei eine entsprechende Vorbereitung ihres Vortrages zu ermöglichen.111 Die Anforderungen des § 282 II ZPO an den Vortrag einer Partei sind wiederum in erster Linie von den Besonderheiten des Einzelfalles und der konkreten Prozesslage abhängig.112 Grundsätzlich soll die Partei ihre Beweismittel jedoch möglichst umfassend ankündigen, um Überraschungen und daraus resultierende Verzögerungen im Prozess zu vermeiden.113 Im Falle einer Verspätung nach § 296 II iVm § 282 II ZPO ist zudem § 283 ZPO zu beachten. Nach herrschender Meinung muss die gegnerische Prozesspartei auch im Falle einer vom Gericht intendierten Zurückweisung nach § 296 II iVm § 282 II ZPO der anderen Partei eine schriftsätzliche Gelegenheit zur Stellungnahme geben.114 Sollte diese Partei jedoch einzelne, verspätet vorgetragene Tatsachen 107 Vgl. etwa BGH NJW 1987, S. 260, 261; in neuerer Zeit siehe BGH NJW 2009, S. 2120, 2121 und BGH NJW 2012, S. 3787, 3788; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 103 und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 139 jeweils mwN. 108 In diese Richtung BGH NJW 1991, S. 493, 494 f. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 68, Rn. 41 mwN. 109 In diesem Sinne BGH NJW 1991, S. 493, 494 f. in einer entsprechenden Fallkonstellation. 110 Vgl. etwa BGH NJW 2003, S. 200, 201 f.; ebenso BGH NJW-RR 2011, S. 211, 212 f. jeweils mwN. 111 Vgl. insbesondere BGH NJW 1999, S. 2446 f., mit der Klarstellung, dass § 282 II ZPO ausschließlich der Vorbereitung der Prozesspartei, nicht aber des Gerichts dient; siehe auch Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 106 ff. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 140 ff. jeweils mwN. 112 Ausführlich Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 193 ff.; siehe auch Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 106 ff. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 140 ff. jeweils mwN. 113 In diesem Sinne BGH NJW 1999, S. 2446 f.; siehe MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 140 ff. mwN. 114 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1539, 1543 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 108; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 144 ff. und Wieczorek/Schütze-Weth, ZPO IV, § 296, Rn. 160 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
unstreitig stellen, so kommt bezüglich des unstreitig gewordenen Vorbringens eine Zurückweisung gerade nicht mehr in Betracht.115 Darüber hinaus sind auch im Rahmen des § 296 II ZPO die Kausalitäts- und Zurechenbarkeitserfordernisse zu beachten, die bereits im Rahmen des § 296 I ZPO herausgearbeitet worden sind.116 Der Verschuldensmaßstab ist in § 296 II ZPO die grobe Nachlässigkeit einer Prozesspartei. Die höheren Anforderungen an die subjektive Verantwortlichkeit lassen sich mit dem größeren Anwendungsbereich und der allgemeineren Verhaltensanforderung des § 296 II iVm § 282 I und II ZPO erklären.117 Eine grobe Nachlässigkeit ist hiernach zu bejahen, wenn eine Prozesspartei ihre Pflicht zur Prozessführung in besonders grobem Maße verletzt, wenn sie also dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen.118 Die Voraussetzungen werden wiederum durch das erkennende Gericht nach freiem Ermessen festgestellt.119 Rechtsfolge des § 296 II ZPO ist nach ganz herrschender Meinung eine gerichtliche Ermessensentscheidung über die Zurückweisung im Einzelfall.120
4. Eigene Ansicht: § 296 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Diese soeben skizzierte Auslegung des § 296 ZPO ist nun am Maßstabes des Rechts auf Beweis, das nach allen drei Grundrechtsordnungen ein Recht der Parteien auf Stellung von Beweisanträgen in zu jedem Zeitpunkt des Prozesses vorsieht. Eine Zurückweisung von Beweisanträgen, die nach Ablauf eines bestimmten Zeitpunktes im Prozess gestellt werden, ist daher als Einschränkung des Rechts auf Beweis anzusehen. Diese Einschränkung hat in § 296 I und II ZPO ihre gesetzliche Regelung erfahren. Sinn und Zweck der Präklusionsvorschriften des § 296 I und II ZPO ist die 115 Vgl. wiederum BGH NJW 1985, S. 1539, 1543 f.; zustimmend MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 45 mwN. 116 Ausführlich Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 261 ff.; ebenso Stein/JonasThole, ZPO IV, § 296, Rn. 111 und Wieczorek/Schütze-Weth, ZPO IV, § 296, Rn. 163. 117 In diesem Richtung BGH NJW 1982, S. 1533, 1534; explizit auch Otto, FG-BGH III, S. 161, 176. 118 So etwa BGH NJW 1987, S. 501, 502; ebenso BGH NJW 1991, S. 493, 494 und BGH NJW 2003, S. 200, 202; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 1985, S. 1149; zustimmend Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 271 f.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 112 ff. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 149 jeweils mwN. 119 Ausführlich BVerfG NJW 1987, S. 2733, 2735 und BGH NJW 1989, S. 717, 718; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 120 ff. und Wieczorek/Schütze-Weth, ZPO IV, § 296, Rn. 164 jeweils mwN. 120 Vgl. etwa BGH NJW 1981, S. 2255; ebenso BGH NJW 1982, S. 1533, 1534; siehe auch BVerfG NJW 1987, S. 2733 f.; aus der Literatur Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 123 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 180 f. jeweils mwN; für eine zwingende Zurückweisung spricht sich demgegenüber Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 289 ff. aus, unter Verweis auf die prozessuale Waffengleichheit der Parteien.
§ 10 Beweisantrag
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Beschleunigung des Zivilprozesses, so dass die Einschränkung mit dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit und der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege gleichermaßen legitime, wie verfassungsrechtlich fundierte Ziele verfolgt. a) Die obligatorische Zurückweisung von Beweisanträgen nach § 296 I ZPO § 296 I ZPO normiert eine obligatorische Zurückweisung im Falle der Versäumung bestimmter prozessualer Fristen. Diese Fristen sind in § 296 I ZPO bzw. anderen Vorschriften der ZPO explizit benannt. Diese ausdrückliche Normierung der von § 296 I ZPO umfassten Fristen trägt maßgeblich zur hinreichenden Bestimmtheit der einschränkenden Norm bei, so dass diesbezüglich keine Bedenken bestehen. Die scharfe Sanktion der Zurückweisung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln erscheint zudem geeignet, um das Ziel einer Verfahrensbeschleunigung zu erreichen. Außerdem ist diese Sanktion ob ihrer Schärfe auch wirksamer als etwaige mildere Alternativen, so dass § 296 I ZPO – eingedenk der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers – eine erforderliche Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellt. Fraglich ist somit einzig die Angemessenheit der Präklusionsvorschrift des § 296 I ZPO im Hinblick auf das Recht auf Beweis im Grundgesetz: Das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit stellt auch nach hier vertretener Ansicht einen wesentlichen Bestandteil des Rechts auf effektiven Rechtsschutz dar. Die Parteien müssen auch in zeitlicher Hinsicht eine Perspektive der Rechtsdurchsetzung aufgezeigt bekommen. Dieses Recht auf eine möglichst schnelle Rechtsdurchsetzung steht jedoch in diametralem Gegensatz zum Recht auf Beweis iSe möglichst effektiven, umfassenden Nachweismöglichkeit eigener Rechte der Prozessparteien. In § 296 ZPO tritt der grundsätzliche Konflikt zwischen diesen beiden Grundrechten besonders augenfällig zu Tage. Insoweit lässt sich auch kein genereller Vorrang des Rechts auf Beweis vor dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit feststellen. Vielmehr bedarf es eines Ausgleiches der beiden kollidierenden Rechte im Wege praktischer Konkordanz. Allerdings sei bereits an dieser Stelle angemerkt, dass eine möglichst schnelle gerichtliche Entscheidung mit einem materiell-rechtlich falschen Ergebnis für die Prozessparteien letztlich keinen Nutzen aufweist. Dabei lässt sich zwar naturgemäß kein Zusammenhang dahingehend herstellen, dass eine schnelle Entscheidung stets fehlerhaft und eine nach vielen Jahren getroffene Entscheidung stets materiell-rechtlich richtig ist. Doch gerade die formale Zurückweisung von Beweismitteln verringert regelmäßig die Chancen auf einen effektiven Rechtsnachweis der Parteien, wie auch die Findung des wahren Sachverhaltes und damit letztlich die Chance auf eine materiell-rechtlich richtige Entscheidung. Dennoch lässt sich nach hier vertretener Ansicht festhalten, dass die Präklusionsvorschrift des § 296 I ZPO nicht per se gegen das Recht auf Beweis verstößt. Allerdings bedarf es einer entsprechenden Auslegung, um einen Ausgleich zwischen dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit und dem Recht auf Beweis zu finden:
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
In ihrer Auslegung des § 296 I ZPO gehen Rechtsprechung und Literatur richtigerweise davon aus, dass strenge Anforderungen an die Wirksamkeit der Fristsetzung zu stellen sind. Neben den obligatorischen Voraussetzungen der Zuständigkeit und Zustellung muss die Dauer der Frist einen effektiven Rechtsnachweis ermöglichen und auch die Belehrung muss derart erfolgen, dass eine Partei unmissverständlich vor Augen geführt bekommt, welche Initiative von ihr erwartet wird und welche Konsequenzen ein Verstoß nach sich zieht.121 Weiterhin bedarf es zwingend einer kausalen Verbindung zwischen dem verspäteten Vorbringen einer Partei und der Verzögerung des Rechtsstreits. Die entsprechende Anpassung des Verzögerungsbegriffes durch das Bundesverfassungsgericht erscheint auch für das Recht auf Beweis zwingend.122 Nach hier vertretener Auffassung verlangt das Recht auf Beweis im Hinblick auf die Bedeutung des Rechtsnachweises für die Parteien jedoch weitergehend, dass zwingend eine kausale Verbindung zwischen Verspätung und Verzögerung besteht und nicht lediglich, dass eine Zurückweisung ausscheidet, wenn es an einer solchen Verbindung offensichtlich fehlt, wie es das Verfassungsgericht ausgesprochen hat.123 Ein Ausschluss eigener Beweisanträge lässt sich nur aufgrund eines kausalen Verhaltens der entsprechenden Prozesspartei rechtfertigen. Eine Partei muss stets die Möglichkeit haben, dieser Rechtsfolge durch ihr eigenes Verhalten zu entgehen. In diesem Sinne fordert die herrschende Meinung richtigerweise auch die Zurechenbarkeit der Verzögerung gegenüber der verspätet vortragenden Prozesspartei.124 Jedes Dazwischentreten des Gerichts oder Dritter schließt eine Zurückweisung aus. Insoweit sind an die Zumutbarkeit gerichtlicher Maßnahmen zur Vermeidung der Verzögerung hohe Anforderungen zu stellen. Die Zumutbarkeit kann nur im Ausnahmefall bei besonders komplexen Sachverhalten mit umfangreicher Beweisaufnahme und gleichzeitig vollständiger Untätigkeit der beweisbelasteten Prozesspartei trotz entsprechenden Hinweisen verneint werden. Das erkennende Gericht ist über Art. 1 III GG an das Recht auf Beweis der Prozesspartei gebunden und muss daher grundsätzlich alle Möglichkeiten ausschöpfen, um der Partei einen eigenen Vortrag und Rechtsnachweis zu ermöglichen. Auch ein Dazwischentreten Dritter lässt die Zurückweisung ausscheiden. Insbesondere geht der BGH richtigerweise davon aus, dass die Präklusionsvorschriften den Gerichten keine „Abwälzung“ allgemeiner Prozessrisiken auf die Parteien erlauben – etwa das Nichterscheinen eines Zeugen trotz ordnungsgemäßer Ladung.125
121 122
680.
123
Vgl. etwa BGH NJW 1983, S. 822, 824 und BVerfG NJW 1982, S. 1453 f. In diesem Sinne etwa BVerfG NJW 1987, S. 2733, 2734 f. und BVerfG NJW 1992, S. 679,
Vgl. wiederum BVerfG NJW 1987, S. 2733, 2735 und BVerfG NJW 1992, S. 679, 680. insbesondere BGH NJW 1987, S. 502, 503. 125 Vgl. wiederum So BGH NJW 1982, S. 2559, 2560 f. und BGH NJW 1987, S. 502 f.; zustim124 Ausführlich
§ 10 Beweisantrag
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Abschließend ist auch der Aussage des Bundesverfassungsgerichts zuzustimmen, dass die zentrale Rechtfertigung einer Präklusionsvorschrift in der persönlichen Verantwortlichkeit der verspätet vortragenden Prozesspartei zu sehen ist.126 Die schuldhafte Nichtwahrnehmung der bestehenden Möglichkeit eigenen Vortages ist für die Rechtfertigung der Einschränkung des Rechts auf Beweis gleichfalls eine wesentliche Argumentationslinie: Das Recht auf Beweis verlangt eine effektive Nachweismöglichkeit der Parteien des Zivilprozesses. Die Parteien müssen mithin die Möglichkeit erhalten, ihre Rechte mittels eigener Initiative nachweisen und letztlich durchsetzen zu können. Nicht ganz so zwingend erscheint indes, ob die Parteien diese Nachweismöglichkeit immer wieder aufs Neue erhalten müssen, selbst wenn die Partei ihre geforderte Initiative schuldhaft verletzt. Die Parteien müssen die Möglichkeit des Rechtsnachweises erhalten, doch wird ihnen das Erfordernis eigener Initiative gerade nicht abgenommen. Vielmehr bedarf es auch nach dem Recht auf Beweis einer gewissenhaften Wahrnehmung dieser Nachweismöglichkeit im Prozess.127 Auf der anderen Seite gilt es bei dieser Abwägung der kollidierenden Grundrechte zu bedenken, dass das Recht auf Beweis bei Zurückweisung verspäteter Beweisanträge gänzlich zurücktritt, während demgegenüber das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit „lediglich“ in seiner Wirksamkeit beeinträchtigt wird. Ein gänzliches Zurücktreten dieses Rechts könnte wohl nur bei einer sehr langfristigen Verzögerung des Prozesses angenommen werden. Doch auch der Umstand, dass eine Zurückweisung von Beweismitteln stets einer Findung des wahren Sachverhaltes zuwiderläuft, zeigt auf, dass die Zurückweisung von Beweisanträgen nach § 296 I ZPO auch vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis einer sehr engen Auslegung bedarf und der Ausnahmefall bleiben sollte. Der Gesetzgeber hat diese Abwägung im Allgemeinen bereits durch die Schaffung des § 296 I und II ZPO getroffen. Doch entbindet die Schaffung eines abstrakten Rahmens mit § 296 I und II ZPO gerade nicht von dem Erfordernis einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. Vielmehr ergibt sich bereits aus der Norm hierarchie zwischen Grundgesetz und einfachem Bundesrecht, dass die abstrakten gesetzgeberischen Abwägungen in § 296 I und II ZPO in jedem Einzelfall den Anforderungen des Grundgesetzes genügen müssen und daher einer einzelfallbezogenen Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis und dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit bedürfen. Als Anknüpfungspunkt für diese konkrete Abwägung und die Herstellung der Verhältnismäßigkeit bietet sich nach hier vertretener Ansicht insbesondere die Entschuldigungsmöglichkeit des § 296 I ZPO an. Die Rechtsfolgen des § 296 I ZPO sind in ihrem Wortlaut klar vorgegeben, während die Entmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 76 ff.; MüKo-Prütting, ZPO IV, § 296, Rn. 130 ff. jeweils mwN. 126 In diesem Sinne BVerfG NJW 1987, S. 2003 f. 127 Siehe allgemein zu dem Verständnis des Rechts auf Beweis als einem Recht auf eigenständige Aktivitäten der Prozessparteien, § 6 II. 6.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
schuldigungsmöglichkeit die Zurückweisung an den Grad der subjektiven Verantwortlichkeit bindet und daher einen Raum für Abwägungen lässt. Nach dem Wortlaut des § 296 I ZPO muss eine genügende Entschuldigung geliefert werden, so dass bereits einfaches Verschulden für eine Zurückweisung von Beweisanträgen genügt. Die subjektive Verantwortlichkeit für die Verspätung eigenen Vorbringens ist auch nach hier vertretener Ansicht die zentrale Argumentationslinie für die Rechtfertigung einer möglichen Zurückweisung von Beweisanträgen im Hinblick auf das Recht auf Beweis. In der Abstufung der einzelnen Verschuldensgrade lassen sich gewisse Tendenzen für die Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis und dem Recht auf Rechtschutz in angemessener Zeit finden: Im Falle einer vorsätzlichen Verspätung des Vorbringens liegt auch nach hier vertretener Ansicht eine Rechtfertigung der Zurückweisung regelmäßig nahe. Eine Partei, die in erster Linie darauf abzielt den Rechtsstreit zu verzögern und allenfalls als Nebeneffekt ihre eigenen Rechte nachweisen möchte, ist auch im Hinblick auf das Recht auf Beweis kaum schutzwürdig. Ähnliches lässt sich für eine grob nachlässige Prozesspartei feststellen. Wer als Prozesspartei einen Rechtsstreit führt und seine ihm angebotenen Nachweismöglichkeiten grob vernachlässigt, muss mit entsprechenden Nachteilen rechnen, falls er vorher auf dieselben hingewiesen worden ist. Im Falle einer grob nachlässigen Versäumung der gesetzten Fristen wird daher die Verhältnismäßigkeit einer Zurückweisung regelmäßig zu bejahen sein. Fraglich erscheint jedoch, ob dies auch für alle Fälle der Fahrlässigkeit gelten kann. Insbesondere in den Konstellationen – richtigerweise subjektiv zu bestimmender128 – leichter und mittlerer Fahrlässigkeit einer Partei erscheint es zweifelhaft, ob ein gänzliches Zurücktreten des Rechts auf Beweis regelmäßig verhältnismäßig sein kann. In die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung im Einzelfall sind zudem alle relevanten Umstände einzubeziehen. Auch die Dauer der Verzögerung und des Prozesses insgesamt, eventuelles Verhalten des Gerichts, der gegnerischen Prozesspartei oder Dritter sind mögliche Kriterien. So sind Fallgestaltungen denkbar, in denen ein ohnehin langer Rechtsstreit nur um eine kurze Zeitdauer verzögert würde und die Verspätung lediglich auf leichter Fahrlässigkeit einer Partei beruht. In solchen Fällen erscheinen die zwingende Zurückweisung von Beweisanträgen und ein etwaiger, gänzlicher Verlust der Nachweismöglichkeiten einer Prozesspartei als unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf Beweis. Ein Ausweg ist nach hier vertretener Auffassung in der verfassungskonformen Auslegung des Verschuldensmaßstabes des § 296 I ZPO dahingehend zu sehen, dass in solchen Konstellationen der Unverhältnismäßigkeit geringere Anforderungen an die Entschuldigung nach § 296 I ZPO zu stellen sind. Die subjektive Vorwerfbarkeit einer Verzögerung 128 Für den Parteiprozess ebenso auch die h. M. siehe etwa BGH NJW 1985, S. 1710, 1711; Fuhrmann, Zurückweisung im Zivilprozess, S. 115 ff. Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 271 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 296, Rn. 133 f. und Leipold, ZZP 93 (1980), S. 237, 255 f. jeweils mwN.
§ 10 Beweisantrag
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stellt sich hierbei als Einfallstor für eine Abwägung der widerstreitenden Grundrechte und damit eine Möglichkeit zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall dar. Insbesondere der offene Wortlaut des § 296 I ZPO dahingehend, dass eine Verzögerung „genügend entschuldigt“ werden müsse, ermöglicht eine entsprechende Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis. Eine solche Handhabung des Verschuldensmaßstabes muss in besonderem Maße für das Vorbringen neu entdeckter Beweismittel einer Prozesspartei gelten. Die Parteien trifft eine Pflicht zur Nachforschung über mögliche Beweismittel, doch darf diese Pflicht durch das Gericht nicht überspannt werden. Wenn eine Prozesspartei ein später aufgefundenes Beweismittel schnellstmöglich in den Prozess einbringt, sollte diese Nachweismöglichkeit der Prozesspartei nur im Ausnahmefall ausgeschlossen werden. b) Die fakultative Zurückweisung von Beweisanträgen nach § 296 II ZPO Im Anschluss gilt es auch die fakultative Zurückweisung von Beweisanträgen nach § 296 II ZPO bei Verstoß gegen die allgemeinen Prozessförderungspflichten des § 282 I und II ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis im Grundgesetz zu messen. Diese Präklusionsvorschrift ist aufgrund ihrer Verknüpfung mit der Generalklausel des § 282 I und II ZPO in ihrem Anwendungsbereich noch einmal deutlich weiter gefasst als § 296 I ZPO. Dennoch erscheint diese Vorschrift aufgrund der umfangreichen Rechtsprechung und Literatur zur Prozessförderungspflicht des § 282 ZPO als eine hinreichend bestimmte gesetzliche Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis. Die allgemeinen Ausführungen zum Verhältnis von Recht auf Beweis und Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit sind auch auf § 296 II ZPO zu übertragen. Die Präklusionsvorschrift des § 296 II ZPO verstößt nicht per se gegen das Recht auf Beweis, bedarf aber zu ihrer Verfassungskonformität einer engen Auslegung: Als erste Voraussetzung bedarf es auch im Rahmen von § 296 II ZPO eines verspäteten Vorbringens durch eine Prozesspartei. Die Verbindung des Merkmals der Verspätung des Vorbringens mit der Verletzung einer allgemein formulierten Prozessförderungspflicht erschwert indes die Feststellung einer Verspätung. § 282 I ZPO fordert von den Prozessparteien ein möglichst zeitiges Vorbringen von Beweismitteln, mithin die frühzeitige Stellung von Beweisanträgen im Prozess. Auch im Rahmen des § 296 II ZPO ist zu beachten, dass das Recht auf Beweis den Prozessparteien in erster Linie eine Nachweismöglichkeit als solche gewährleisten möchte, während ein Recht auf Stellung von Beweismitteln zu jedem Zeitpunkt im Hinblick auf etwaige Nachlässigkeiten einer Prozesspartei sehr viel eher Einschränkungen zulässt. Allerdings dürfen die Anforderungen des § 282 I ZPO an die Prozessparteien gleichfalls nicht überspannt werden. Richtigerweise geht die herrschende Meinung davon aus, dass eine Prozesspartei weder vorsorglich Beweisanträge stellen muss noch eine Zurückweisung im ersten Termin der mündlichen Verhandlung er-
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
folgen darf.129 Grundsätzlich kann von den Prozessparteien jedoch – auch unter Geltung des Rechts auf Beweis – das möglichst frühzeitige Vorbringen von Beweismitteln verlangt werden. Auch die Verpflichtung zur Mitteilung von einzubringenden Beweismitteln nach § 282 II ZPO begegnet im Hinblick auf das Recht auf Beweis keinen grundsätzlichen Bedenken. Nach den bisherigen Feststellungen fordert das Recht auf Beweis seinerseits gewisse gegenseitige Mitteilungspflichten der Prozessparteien über Beweismittel.130 Dennoch sollte das erkennende Gericht auch die Mitteilungspflichten als Grundlage einer Zurückweisung von Beweisanträgen nicht überspannen. Die Parteien sollten jedenfalls die wesentlichen, für ihren Rechtsnachweis bzw. ihre Rechtsverteidigung zentralen Beweismittel ankündigen müssen, so dass eine Vorbereitungsmöglichkeit für das Gericht und die Gegenpartei besteht. Im Übrigen sind die für § 296 I ZPO entwickelten Voraussetzungen auf § 296 II ZPO anzuwenden: Richtigerweise bedarf es einer Kausalität zwischen verspätetem Vorbringen und Verzögerung des Rechtsstreits, die außerdem der verspäteten Partei zurechenbar sein muss.131 Aufgrund des größeren Pflichtenkreises der Prozessparteien ist insoweit auch eine erhöhte Verpflichtung des erkennenden Gerichts anzunehmen: Das Gericht muss in besonderem Maße Hinweise auf die nach der ZPO geforderten Verhaltensweisen geben und darf eine Partei keinesfalls sehenden Auges in eine Präklusion laufen lassen. Es muss zudem alle denkbaren Maßnahmen zur Abwendung einer drohenden Verzögerung ergreifen. Die Grenzen der Zumutbarkeit des § 296 II ZPO sind nochmals enger zu ziehen als diejenigen des § 296 I ZPO. Abschließend normiert § 296 II ZPO mit der groben Nachlässigkeit konsequenterweise einen schärferen Verschuldensmaßstab als Ausgleich für den erweiterten Pflichtenkreis der Prozessparteien. Die grobe Nachlässigkeit ist nach hier vertretener Auffassung in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur zu bejahen, wenn eine Prozesspartei dasjenige unterlässt, was nach dem Stand des Verfahrens jeder Partei als notwendig hätte einleuchten müssen.132 Allerdings bedarf die Rechtfertigung einer Einschränkung des Rechts auf Beweis auch im Rahmen des § 296 II ZPO einer Abwägung im Einzelfall. § 296 II ZPO normiert als Rechtsfolge eine Ermessensentscheidung des erkennenden Gerichts über die Ablehnung, die sich als Einfallstor für diese verfassungsrechtliche Abwägung anbietet. Einer entsprechenden Anpassung des Verschuldensmaßstabes bedarf es daher im Rahmen des § 296 II ZPO nicht. Diese Abwägung erfolgt wiederum 129
Vgl. für die h. M. etwa BGH NJW 2012, S. 3787, 3788; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 282, Rn. 14 f. und MüKo-Prütting, ZPO IV, § 282, Rn. 11 ff. jeweils mwN. 130 Siehe insbesondere § 7 III. 1. e. 131 In diesem Sinne auch die h. M. vgl. Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 261 ff.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 66 ff. und Wieczorek/Schütze-Weth, ZPO IV, § 296, Rn. 163 jeweils mwN. 132 Vgl. etwa BGH NJW 2003, S. 200, 202; BVerfG NJW 1985, S. 1149; Weth, Zurückweisung verspäteten Vorbringens, S. 271 f. und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 296, Rn. 112 ff. jeweils mwN.
§ 10 Beweisantrag
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anhand aller Umstände des konkreten Falles. Als Kriterien dieser Zurückweisungsentscheidung kommen der Grad der Verletzung der Prozessförderungspflicht, insbesondere etwaiges Verhalten des Gerichts, der Gegenpartei oder Dritter ebenso in Betracht, wie die subjektive Verantwortung der verspätet vorbringenden Partei und der Umfang der entstandenen Verzögerung – auch im Hinblick auf die Gesamtdauer des Prozesses – in Betracht. Tendenziell kann eine grob nachlässige Verzögerung des eigenen Beweisantrittes bzw. seiner Ankündigung – bei Erkennbarkeit der Rechtsfolgen – nach hier vertretener Ansicht durchaus eine Einschränkung des Rechts auf Beweis und damit die Zurückweisung von Beweisanträgen rechtfertigen. Dies gilt umso mehr im Falle einer bewussten Verzögerung des Vorbringens bzw. seiner Mitteilung. Unverhältnismäßig kann eine Zurückweisung sein, wenn die Verzögerung – gerade im Vergleich zur Gesamtdauer des Prozesses – besonders gering ist und die Zurückweisung in Ermangelung weiterer Beweismittel den Prozessverlust zur Folge hätte. In diesem Zusammenhang werden sich die Folgen für den Rechtsnachweis der Parteien auch im Rahmen des § 296 II ZPO regelmäßig als unverhältnismäßig darstellen. Einmal mehr ist zu beachten, dass die Zurückweisung eines Beweisantrages das Recht auf Beweis gänzlich zurücktreten lässt und daher die Ausnahme bleiben sollte. Insbesondere im Falle neu entdeckter Beweismittel sind strenge Anforderungen an das Verschulden des verspäteten Vorbringens und vor allem die verspätete Mitteilung von Beweismitteln zu stellen. Die Nachforschungspflichten der Prozessparteien für eigene Beweismittel dürfen auch insoweit nicht zulasten des effektiven Rechtsnachweises überspannt werden. Abschließend hat jede Prozesspartei im Rahmen des § 296 II ZPO gleichfalls das Recht, Beweismittel für ihre Entschuldigung vorzubringen.
5. Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Diese Auslegung der § 296 I und II ZPO anhand des Rechts auf Beweis im Grundgesetz genügt grundsätzlich auch dem Recht auf Beweis in EMRK und der europäischen Grundrechtecharta. Der weitere Gestaltungsspielraum des Rechts auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta erlaubt es dem Gesetzgeber auch insoweit, Präklusionsvorschriften als rechtmäßige Einschränkungen des Rechts auf Beweis einzuführen. Etwaige mildere Alternativen, die die Erforderlichkeit entfallen lassen könnten, sind aufgrund des größeren Spielraumes der nationalen Gesetzgeber gerade für die europäischen Grundrechtsordnungen nicht ersichtlich. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung bedarf es für das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta gleichfalls einer Abwägung der kollidierenden Grundrechte bzw. Allgemeingüter im Einzelfall. Zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit kann es erforderlich sein, in einzelnen Fallkonstellationen den Verschuldensmaßstab des § 296 I ZPO anzupassen. Obgleich dieser Maßstab nicht die Intensität des Grundgesetzes
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
erreicht, so kann sich eine Zurückweisung von Beweismitteln bei geringer Verzögerung und geringem Verschulden der verspätet vorbringenden Partei auch nach EMRK und europäischer Grundrechtecharta als unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen. Bei der Ausgestaltung der allgemeinen Prozessförderungspflichten hat der nationale Gesetzgeber im Vergleich zu den Anforderungen des Grundgesetzes einmal mehr ein weiteres Ermessen, so dass die Auslegung nach Rechtsprechung und Literatur diesen Anforderungen regelmäßig genügen wird. Allerdings fordert das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta eine Einzelfallabwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Zurückweisung, so dass sich eine Ablehnung von Beweismitteln bei geringer Verzögerung und gleichzeitig drohendem Prozessverlust auch nach EMRK und Grundrechtecharta als unverhältnismäßig darstellen kann.
§ 11
Grundlagen der Beweisaufnahme Der soeben skizzierte Beweisantrag einer Partei verpflichtet das erkennende Gericht unter bestimmten Voraussetzungen zum Eintritt in die Beweisaufnahme – sei es formlos oder mittels eines Beweisbeschlusses nach § 358 ZPO. Im Rahmen der Beweisaufnahme findet die eigentliche Erhebung der Beweismittel statt, so dass sie sich als zentrale Station eines jeden Beweisverfahrens darstellt. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen ein umfassendes Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel gewährleistet. Es handelt sich um einen zentralen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis, so dass die Beweisaufnahme auch im Rahmen der konkreten Überprüfung des geltenden Zivilprozessrechts in Deutschland eine exponierte Stellung einnimmt.
I. Der Grundsatz des Strengbeweises im Lichte des Rechts auf Beweis Im ersten Schritt stellt sich nun die Frage, welche Beweismittel die deutsche ZPO überhaupt kennt und welche Erkenntnisquellen den Prozessparteien für ihren Rechtsnachweis dementsprechend eröffnet werden. Als Ausgangspunkt sieht die ZPO als Regelbeweisverfahren den sog. Strengbeweis vor, der in den §§ 355 ff. ZPO eine ausführliche Regelung erfahren hat.1 Wesensmerkmal des Strengbeweises ist die nach herrschender Meinung abschließende Aufzählung zulässiger Beweismittel: Die fünf Beweismittel des Augenscheins, des Zeugen-, Sachverständigen- und Urkundenbeweises sowie der Parteivernehmung erfahren eine ausführliche gesetzliche Regelung in den §§ 371 ff. ZPO, bilden jedoch zugleich den numerus clausus zulässiger Beweismittel im Zivilprozess.2
1 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 5; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 26 ff. jeweils mwN. 2 Siehe wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 5; MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 26 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 38 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
1. Grundlagen In der Überprüfung des Strengbeweises am Maßstab des Rechts auf Beweis ist zugleich die Definition des weiteren Untersuchungsgegenstandes zu sehen: Je nachdem, ob sich die Beweismittel des Strengbeweises vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis als zulässige Typisierung aller denkbaren Erkenntnisquellen darstellen, kann sich die Untersuchung auf diese Beweismittel des Strengbeweises konzentrieren bzw. eine darüber hinausgehende Analyse weiterer, nicht erfasster Erkenntnisquellen erforderlich sein.
2. Der Grundsatz des Strengbeweises in Rechtsprechung und Literatur In Rechtsprechung und Literatur wird der Strengbeweis zumeist in Abgrenzung zu den weiteren Beweisarten der Glaubhaftmachung und des Freibeweises diskutiert. Die Glaubhaftmachung meint hierbei eine besondere Art der Beweiserhebung nach § 294 ZPO für bestimmte, im Gesetz explizit angeordnete Fallgestaltungen.3 Aufgrund dieses vergleichsweise kleinen Anwendungsbereiches sowie im Hinblick auf das geringere Beweismaß nach § 294 I ZPO stellt die Glaubhaftmachung keinen Ersatz für das Regelbeweisverfahren, sondern eine eng begrenzte Alternative dar und soll an dieser Stelle keine weitergehende Behandlung erfahren. In der Regel konzentriert sich die Diskussion über den Strengbeweis auf seine Abgrenzung zum Freibeweis. Der Freibeweis zeichnet sich hierbei – dem Namen entsprechend – durch die Ungebundenheit des erkennenden Gerichts bei der Wahl der Erkenntnisquellen sowie der Art und Weise ihrer Erhebung aus: Es sind alle denkbaren Erkenntnisquellen verwertbar, wobei insbesondere die Regelungen der Unmittelbarkeit (§ 355 ZPO) und der Parteiöffentlichkeit (§ 357 ZPO) einer Beweisaufnahme keine Geltung haben.4 Im Gesetz hat der Freibeweis in § 284 S. 2–4 ZPO eine ausdrückliche Normierung erfahren. Hiernach kann bei entsprechendem Einverständnis beider Prozessparteien jede Tatsache freibeweislich ermittelt werden.5 Die Rechtsprechung geht in einer Reihe von Konstellationen von der Anwendbarkeit des Freibeweises aus, insbesondere zur Feststellung von Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage oder einzelner Prozesshandlungen.6 Als Begründung für 3 Ausführlich zu den Besonderheiten der Glaubhaftmachung, Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 294, Rn. 1 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 294, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 294, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 4 Instruktiv BGH NJW 2011, S. 778, 779 und BGH NJW 2008, S. 1531, 1533; aus der Literatur ausführlich zum Freibeweis Reißmann, JR 2012, S. 182 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 6 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 26 ff. jeweils mwN. 5 Ausführlich zu dieser Neuregelung Sanger, ZZP 121 (2008), S. 139, 153 ff. mwN. 6 Vgl. etwa BGH NJW 2011, S. 778, 779 (Prozessfähigkeit) und BGH NJW 1994, S. 2549, 2550 (Prozessführungsbefugnis); eine vollständige Auflistung findet sich wiederum bei Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 7 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 26 ff. jeweils mwN.
§ 11 Grundlagen der Beweisaufnahme
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die Geltung des Freibeweises werden in erster Linie Erwägungen der Prozessökonomie angeführt.7 Auch in Teilen der Literatur wird eine weitreichende Anwendung des Freibeweises befürwortet.8 Das überwiegende Schrifttum steht dem Freibeweis indes kritisch gegenüber.9 Es wird herausgearbeitet, dass in einigen Konstellationen eines Freibeweises entweder überhaupt keine Beweisaufnahme stattfindet oder aber die Erhebung solcher Beweismittel im Raum steht, die sich auch unter die Beweismittel des Strengbeweises subsumieren ließen.10 In den verbleibenden Konstellationen eines Freibeweises sei wiederum nicht ersichtlich, weshalb grundlegende Prinzipien wie die Unmittelbarkeit oder die Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme aus bloßen Praktikabilitätserwägungen und ohne gesetzliche Regelung nicht beachtet werden sollten.11 Vielmehr wird der Strengbeweis mit seinen festgelegten Verfahrensweisen als ein wesentlicher Garant für die Wahrheitserforschung im Zivilprozess angesehen und eine möglichst enge Auslegung des Freibeweises gefordert.12 Vereinzelt wird der Strengbeweis in der Literatur explizit am Maßstab des Rechts auf Beweis gemessen: Teilweise wird der gänzliche Ausschluss einer möglichen Erkenntnisquelle im Zivilprozess als mit dem Recht auf Beweis unvereinbar angesehen.13 Hieraus wird gefolgert, dass der Strengbeweis lediglich als eine typisierende Darstellung zu verstehen ist und gerade keine Ausschlussfunktion iSe numerus clausus der Beweismittel erfüllt.14 Demgegenüber wird von einer weiteren Stimme in der Literatur bereits das Vorliegen einer Einschränkung des Rechts auf Beweis durch den numerus clausus des Strengbeweises in der ZPO verneint.15 Begründet wird diese Ansicht dahingehend, dass schlicht keine Erkenntnisquelle denkbar sei, die sich nicht unter die fünf typisierten Beweismittel des Strengbeweises subsumieren lasse.16 Daher werden lediglich alle denkbaren Erkenntnisquellen bestimmten gemeinsamen Regeln unterworfen – etwa den Grundsätzen der Unmittelbarkeit und der Parteiöffentlichkeit einer Beweisaufnahme. Die Kategorisierung der Erkennt7 Ausdrücklich
in diesem Sinne BGH NJW 1987, S. 2875, 2876. in diesem Sinne Müller, Freibeweis im Zivilprozessrecht, S. 37 ff.; weitere Nachweise finden sich bei Peters, Freibeweis, S. 77 ff. 9 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 24 ff.; sehr kritisch auch Peters, Freibeweis, S. 96 ff.; ähnlich MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 28; Baumgärtel/Prütting/Laumen-Lau men, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 2, Rn. 27 ff.; Reißmann, JR 2012, s. 182, 185 jeweils mwN. 10 In diesem Sinne insbesondere Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 20 ff. mwN. 11 In diese Richtung argumentieren insbesondere Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 24; Baumgärtel/Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 2, Rn. 27 ff.; Reißmann, JR 2012, S. 182, 185 jeweils mwN. 12 Den Wert des Strengbeweises für die Wahrheitsfindung stellt insbesondere Peters, Frei beweis, S. 113 f. heraus. 13 In diesem Sinne äußert sich Walter, freie Beweiswürdigung, S. 303 ff. 14 So wiederum Walter, freie Beweiswürdigung, S. 303. 15 In diesem Sinne Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 312 f. 16 Vgl. Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 312 f. 8 Ausführlich
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
nisquellen als solche schließe jedoch keine dieser Erkenntnisquellen aus, so dass im Strengbeweis keine Einschränkung des Rechts auf Beweis zu erblicken sei.17
3. Der Grundsatz des Strengbeweises im Lichte des Rechts auf Beweis Nach den bisher erarbeiteten abstrakten Grundsätzen des Rechts auf Beweis ist zu fragen, ob der Strengbeweis iSe numerus clausus zulässiger Beweismittel im Zivilprozess eine Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellt und bejahendenfalls, ob diese Einschränkung gerechtfertigt werden kann. Insoweit nähert sich die hier vertretene Auffassung der letztgenannten Ansicht von Habscheid an.18 a) Die Erkenntnisquellen einer Beweiserhebung nach den §§ 355 ff. ZPO Wenn das Gesetz die Zahl der zulässigen Erkenntnisquellen auf lediglich fünf Beweismittel festlegt, so erscheint auf den ersten Blick die Annahme einer Einschränkung des Rechts auf Beweis naheliegend. Allerdings kann jedes im Gesetz typisierte Beweismittel des Strengbeweises eine Vielzahl verschiedener Erkenntnisquellen in sich vereinigen. Eine Einschränkung stellt dieser numerus clausus der zulässigen Beweismittel daher nur dann dar, wenn einzelne Erkenntnisquellen unter keines der fünf Beweismittel zu subsumieren sind und den Parteien eine Nachweismöglichkeit im Zivilprozess mit dieser Erkenntnisquelle generell verwehrt wird. Sollte der Strengbeweis demgegenüber alle denkbaren Erkenntnisquellen umfassen und diese Erkenntnisquellen lediglich bestimmten gesetzlichen Regelungen unterwerfen, so würde der Strengbeweis als solcher eine rechtmäßige, einfach-rechtliche Ausgestaltung des Rechts auf Beweis darstellen. Daher sollen nun die fünf Beweismittel des Augenscheins, des Zeugen-, Sachverständigen- und Urkundenbeweises sowie der Parteivernehmung auf die jeweils zugrundeliegenden Erkenntnisquellen untersucht werden. Dabei lassen sich diese Beweismittel in einzelne Kategorien aufteilen: So umfasst der Beweis durch Vernehmung von Zeugen, Sachverständige und Parteien die Einführung sämtlicher menschlicher Wahrnehmungen in den Zivilprozess. Die Wahrnehmungen jedes Dritten können über den Zeugenbeweis im Prozess erhoben werden, während die Wahrnehmungen der Prozessparteien über die Parteivernehmung Beweiskraft erhalten. Sollte eine Tatsache durch einen Experten wahrgenommen worden bzw. ausschließlich durch einen Experten wahrnehmbar sein, so kommt die Beweiserhebung durch Vernehmung eines sachverständigen Zeugen bzw. eines Augenscheinsgehilfen im Prozess in Betracht.19 Mit dem Urkundenbeweis wird eine spezielle Form von Schriftstücken als Erkenntnisquelle explizit geregelt, die aufgrund der Art ihre Erstellung oder auch der Person ihres Erstellers Siehe wiederum Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 312 f. Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 312 f. 19 Zur Überprüfung dieser Beweismittel im Einzelnen siehe unten § 12 I. und II. 17
18 Vgl.
§ 11 Grundlagen der Beweisaufnahme
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eine besonders hohe Gewähr für ihre Glaubwürdigkeit bietet und daher vom Gesetz besonders behandelt wird.20 Als Erkenntnisquelle umfasst der Urkundenbeweis dementsprechend nur bestimmte Schriftstücke und ihre Einführung in den Zivilprozess. Allerdings lassen sich sämtliche anderen Schriftstücke, die nicht dem Urkundenbegriff unterfallen, ohne weiteres als Objekte eines gerichtlichen Augenscheins erachten. Der Augenscheinsbeweis kann hierbei als eine Art „Generalklausel“ für die Erhebung einer Vielzahl verschiedener Erkenntnisquellen im Zivilprozess angesehen werden: Wenn es nicht um die Wahrnehmung Dritter in einer ganz bestimmten Situation geht bzw. die Wahrnehmung durch einen Experten erfolgen muss, so kann das Gericht grundsätzlich sämtliche Gegenstände selbst in Augenschein nehmen und sich aus unmittelbarer Anschauung eine Überzeugung bilden. Der Begriff des „Gegenstandes“ in § 371 I ZPO lässt sich in diesem Zusammenhang sehr weit verstehen.21 Bestimmte Örtlichkeiten sind als unbewegliche Gegenstände ebenso erfasst, wie eine nahezu undefinierbare Vielzahl beweglicher Gegenstände. Unter die Augenscheinnahme lassen sich auch „technische“ Beweismittel wie eine Tonbandoder Videoaufnahme subsumieren, oder auch die Betrachtung von Daten an einem Computer – sei es auf einem mitgebrachten Laptop oder per Datenübertagung. Für diese „neuen“ Medien ist allein die Abgrenzung zwischen Augenscheins- und Urkundenbeweis von Bedeutung, die in den §§ 371a, 371b ZPO durch das Gesetz differenziert beantwortet wird. Unabhängig von der konkreten Einordnung lassen sich auch diese „modernen“ Erkenntnisquellen unter die Beweismittel des Strengbeweises subsumieren. In Bezug auf die beispielhaft genannten Beweismittel des Freibeweises zeigt sich zudem, dass diese Erkenntnisquellen ohne Probleme auch unter die Beweismittel des Strengbeweises subsumiert werden könnten.22 So handelt es sich bei dem oft benannten Beispiel23 einer Vernehmung mittels Telefon oder Email lediglich um eine Zeugeneinvernahme ohne Geltung des Grundsatzes der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme.24 Weitere, eigenständige Erkenntnisquellen des Freibeweises, die nicht allein die Art und Weise ihrer Erhebung betreffen, sind nach hier vertretener Ansicht gerade nicht ersichtlich.
20
Siehe zum Urkundenbeweis § 12 IV. Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO IV, Vor § 371, Rn. 4 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO I, § 284, Rn. 2 ff. 22 In diese Richtung etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 20 ff.; instruktiv auch die Ausführungen von BGH NJW 1987, S. 2875, 2876 zu den tatsächlichen Veränderungen durch den Freibeweis. 23 Dieses Beispiel anführend etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 355, Rn. 6; Baumgärtel/ Prütting/Laumen-Laumen, Hdb. d. Beweislast I, Kapitel 2, Rn. 25 jeweils mwN. 24 In diesem Sinne bereits Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 312 f. 21
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
b) Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis durch den Strengbeweis Im Ergebnis findet sich zumindest nach hier vertretener Auffassung und dem derzeitigen Stand der Technik keine Erkenntnisquelle, die durch die fünf Beweismittel des Strengbeweises ausgeschlossen würde.25 Wenn nun aber alle denkbaren Erkenntnisquellen im Prozess durch die Parteien in Form des einen oder anderen Beweismittels herangezogen werden können, so liegt im Grundsatz des Strengbeweises keine Einschränkung des Rechts auf Beweis, sondern vielmehr eine rechtmäßige, einfachrechtliche Ausgestaltung desselben. Die möglichen Erkenntnisquellen werden durch die typisierende Einteilung in die Kategorien der fünf Beweismittel des Strengbeweises lediglich einer einfach-rechtlichen Regelung über ihre Erhebung im Zivilprozess unterworfen. Der Strengbeweis umfasst neben vielen weiteren Regelungen insbesondere die Geltung des Grundsatzes der formellen Unmittelbarkeit (§ 355 ZPO) und der Parteiöffentlichkeit (§ 357 ZPO) einer jeden Beweisaufnahme. Diese Grundsätze zählen nach den bisherigen Erkenntnissen zugleich zum Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis.26 Bereits an dieser Stelle zeigt sich, dass eine Ausgestaltung des Beweisrechts durch den Strengbeweis dem Idealbild des Rechts auf Beweis sehr viel eher entspricht, als eine etwaige Ausgestaltung anhand des Freibeweises. Dieser Befund wird durch die Untersuchung der Verfahrensgestaltung nach billigem Ermessen iSd § 495a ZPO im weiteren Verlaufe dieser Arbeit erhärtet.27 Wenn dem erkennenden Gericht eine Beweisaufnahme ohne Geltung des Strengbeweises erlaubt ist, so wird in nicht wenigen Fällen eine stark an der Prozessökonomie orientierte Verfahrensweise gewählt, die jedoch den beweisrechtlichen Gewährleistungen des Rechts der Prozessparteien auf Beweis in keiner Weise entspricht. In diesem Sinne stellt der „Strengbeweis“ keine Einschränkung der zulässigen Erkenntnisquellen dar, sondern normiert vielmehr für alle denkbaren Erkenntnisquellen bestimmte einheitliche Regeln ihrer Erhebung im Zivilprozess. So verstanden schützt der Strengbeweis die Einhaltung bestimmter beweisrechtlicher Grundsätze, die sich zugleich als Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis darstellen. Insoweit gehen der Grundsatz des Strengbeweises und die Gewährleistung des Rechts auf Beweis mithin Hand in Hand nebeneinander her. Allerdings muss man sich zugleich auch eines denkbaren Divergenzpunkt zwischen dem Grundsatz des Strengbeweises und dem Recht auf Beweis Gewahr sein: Durch den numerus clausus zulässiger Beweismittel erscheint es zumindest vorstellbar, dass zukünftig einzelne Erkenntnisquellen nicht von diesen fünf Beweismitteln des Strengbeweises erfasst werden. Insbesondere aufgrund der rasanten technischen Entwicklung ist es durchaus denkbar, dass weitere Erkenntnisquellen hinzukommen, die sich nicht mehr unter die traditionellen Beweismittel des Strengbeweises In diesem Sinne wiederum Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 312 f. Siehe bereits oben § 7 III. 2. und 3. 27 Ausführlich zu § 495a ZPO unten in § 15. 25 26
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subsumieren lassen und daher grundsätzlich von der Erhebung im Zivilprozess ausgeschlossen wären. Ein gänzlicher Ausschluss bestimmter Nachweismöglichkeit einer Partei im Zivilprozess würde eine gravierende Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen. Eine etwaige Rechtfertigung müsste sodann durch eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalles erfolgen. Doch erscheint es nach hier vertretener Auffassung kaum denkbar, den pauschalen Ausschluss eines geeigneten und erreichbaren Beweismittels zu einer entscheidungserheblichen Tatsache als Einschränkung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta zu rechtfertigen. Indes lässt sich zumindest für den heutigen Stand der Technik und das geltende Recht festhalten, dass der Strengbeweis keine Erkenntnisquelle als solche ausschließt und sich als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta erweist. Damit ist zugleich der weitere Untersuchungsgegenstand der Beweisaufnahme dahingehend definiert, dass die fünf Beweismittel des Strengbeweises in ihren einzelnen Regelungen am Maßstab des Rechts auf Beweis zu überprüfen sind. Die grundsätzliche Zulässigkeit einer Einteilung der Erkenntnisquellen in die fünf Beweismittel des Strengbeweises sagt naturgemäß noch nichts über die Zulässigkeit der einzelnen Regelungen der jeweiligen Beweismittel in der ZPO aus. c) Sonderfall: Die amtliche Auskunft als Erkenntnisquelle der ZPO Der Vollständigkeit halber bedarf im Zusammenhang mit den Erkenntnisquellen der ZPO außerdem die amtliche Auskunft einer Betrachtung. Im Gesetz hat die amtliche Auskunft lediglich eine kurze Erwähnung in den §§ 273 II Nr. 2, 358a Nr. 2 ZPO erfahren. In Rechtsprechung und Literatur hat sich über die dogmatische Einordnung und den Anwendungsbereich der amtlichen Auskunft verschiedentlich Streit entzündet – sicherlich auch vor dem Hintergrund ihrer eher kursorischen, gesetzlichen Regelung. aa) Die amtliche Auskunft in Rechtsprechung und Literatur Weitgehende Einigkeit besteht in heutiger Zeit dahingehend, dass der amtlichen Auskunft überhaupt Beweiskraft zukommen kann.28 Die Ansichten über ihre konkrete dogmatische Einordnung reicht dabei von einem „Ersatzbeweismittel“29, über eine Zuordnung zum Freibeweis30, bis hin zum sechsten Beweismittel des Strengbe28 Vgl. etwa BGH WM 1957, S. 1193, 1195 f.; BGH WM 1964, S. 202, 204 und BGH NJW 1979, S. 266, 268; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44; Wieczorek/SchützeAhrens, ZPO VI, Vor § 373, Rn. 113; MüKo-Prütting, ZPO I, § 273, Rn. 22; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 122, Rn. 4 jeweils mwN. 29 So die Formulierung von Peters, Freibeweis, S. 123 f. 30 In diesem Sinne äußert sich noch BGH WM 1957, S. 1193, 1195 f.; ausdrücklich auch Wiec-
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weises.31 Dieser Streit über die dogmatische Einordnung der amtlichen Auskunft setzt sich sodann bei der Frage nach ihrem Umfang fort: Teilweise wird ihr Anwendungsbereich sehr weit gespannt. Hiernach ist eine Auskunft über Akten- und Registereinträge ebenso erfasst, wie dienstliche Äußerungen einzelner Sachbearbeiter und die Erstellung schriftlicher Beurteilungen durch eine Behörde in Form eines sog. Behördengutachtens.32 Die wohl herrschende Auffassung sieht einen derart weit gefassten Anwendungsbereich im Hinblick auf die Grundsätze der Unmittelbarkeit und Parteiöffentlichkeit einer Beweisaufnahme kritisch.33 Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen allein unter Verweis auf den Umstand, dass eine Behörde tätig wird bzw. die Aussageperson einer Behörde zugeordnet ist, wird regelmäßig abgelehnt.34 Vielmehr wird in einer dienstlichen Äußerung, die ausschließlich durch einen speziellen Sachbearbeiter getätigt werden kann, ein Zeugenbeweis und in dem Behördengutachten ein Sachverständigenbeweis gesehen.35 Teile der Literatur reduzieren die amtliche Auskunft daher auf ihren eigentlichen Kernbereich. Als amtliche Auskunft wird lediglich die Erteilung einer Auskunft über einen vorab erstellten Akten- oder Registereintrag angesehen.36 Wesensmerkmal einer amtlichen Auskunft ist es hiernach, dass entsprechende Akten oder Register von der Behörde amtlich geführt werden und die vom Gericht verlangte Auskunft gerade unabhängig vom Wissen des einzelnen Sachbearbeiters ist und grundsätzlich durch jede Person der Behörde erteilt werden könnte.37 bb) Eigene Ansicht: Die amtliche Auskunft im Lichte des Rechts auf Beweis Im Hinblick auf das Recht auf Beweis widerspricht die amtliche Auskunft als Erkenntnisquelle ein Stück weit der soeben gefundenen Erkenntnis, dass der Strengbezorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 44 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 29 jeweils mwN. 31 In diese Richtung tendiert sodann BGHZ 89, S. 114, 119 f.; ausdrücklich in diesem Sinne Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 358a, Rn. 9 jeweils mwN. 32 So Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 21, Rn. 1 ff.; ähnlich MüKo-Heinrich, ZPO II, § 358a, Rn. 6. 33 Ausführlich Hohlfeld, amtliche Auskünfte, S. 84 ff. und 129 ff.; kritisch äußern sich auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 122, Rn. 3 ff.; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 358a, Rn. 9 jeweils mwN. 34 Vgl. Hohlfeld, amtliche Auskünfte, S. 129 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 122, Rn. 3 ff. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 358a, Rn. 9. 35 Siehe wiederum Hohlfeld, amtliche Auskünfte S. 97 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 122, Rn. 3 ff. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 358a, Rn. 9. 36 In diesem Sinne insbesondere Hohlfeld, amtliche Auskünfte S. 26 ff. und 97 ff. 37 Vgl. wiederum Hohlfeld, amtliche Auskünfte, S. 26 ff. und 97 ff.
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weis alle denkbaren Erkenntnisquellen in sich vereint. Im ersten Schritt bedarf es jedoch einer Konkretisierung des Umfanges der amtlichen Auskunft: Denn einzelne Erkenntnisquellen, die unter dem Stichwort der amtlichen Auskunft diskutiert werden, lassen sich einmal mehr unter die Beweismittel des Strengbeweises subsumieren. So stellt die dienstliche Äußerung eines Sachbearbeiters, die nur durch diesen speziellen Sachbearbeiter erfolgen kann, eine schlichte Zeugeneinvernahme dar. Weiterhin ist nicht ersichtlich, inwieweit ein behördliches Gutachten sich von einem Sachverständigenbeweis iSd Strengbeweises unterscheiden soll. Eine Ausnahme von den Prinzipien des Strengbeweises, insbesondere der Unmittelbarkeit und Parteiöffentlichkeit der Beweisaufnahme, stellt eine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar und dürfte – in aller Regel – allein unter Verweis auf eine Behördeneigenschaft kaum zu rechtfertigen sein. Insofern liegt es nahe, die dienstliche Äußerung und das Behördengutachten mit der herrschenden Meinung unter die Beweismittel des Strengbeweises zu subsumieren.38 Dennoch verbleibt auch nach hier vertretener Ansicht für die amtliche Auskunft ein eigenständiger, beweisrechtlicher Kerngehalt: Die Auskunft über den Inhalt einer bereits vor der Anfrage erstellten Akte bzw. eines bereits vorab geführten Registers der Behörde, die unabhängig von einem konkreten Sachbearbeiter durch jede Person der Behörde erteilt werden könnte.39 Die Akten könnten die Prozessparteien im Rahmen ihres oben beschriebenen Informationsanspruches auch auf dem Wege der Vorlage vor Gericht zum Beweismittel machen. Doch gerade für die Einsicht in amtlich geführte Register eröffnet sich der amtlichen Auskunft ein eigener Anwendungsbereich. Im Hinblick auf die Bedeutung solcher amtlichen Register, etwa dem Grundbuch oder dem Handelsregister, und ihren öffentlichen Glauben im materiellen Recht nach den §§ 892 ff. BGB bzw. § 15 HGB ist der Beweiswert einer solchen Auskunft für die Prozessparteien nicht zu unterschätzen. Auf diesen Kerngehalt ist die amtliche Auskunft nach hier vertretener Auffassung zu beschränken und innerhalb dieses Gehaltes kommt ihr sodann auch eine Beweisfunktion zu.40 Daher unterfällt die amtliche Auskunft insoweit dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis. Die gesetzlichen Normierungen in den §§ 273 II Nr. 2, 358a ZPO geben dem Gericht die Möglichkeit einer entsprechenden Anordnung der amtlichen Auskunft als Ermessensentscheidung, die ihrerseits einmal mehr das Einfallstor für eine Auslegung durch das Recht auf Beweis bildet. Auf Antrag einer Partei sind die §§ 273 II Nr. 2, 358a ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis dahingehend auszule38 Vgl. Hohfeld, amtliche Auskünfte, S. 97 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 122, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 39 In diesem Sinne bereits Hohlfeld, amtliche Auskünfte, S. 26 ff. und 97 ff. 40 Allgemein in diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa BGH NJW 1979, S. 266, 268; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 373, Rn. 113; MüKo-Prütting, ZPO I, § 273, Rn. 22; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 122, Rn. 4 jeweils mwN.
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gen, dass sich das Ermessen zugunsten einer zwingenden Anordnung der amtlichen Auskunft auf null reduziert. Das Gericht wird hiernach zu einer Anordnung verpflichtet und auch die Behörde ist – neben dem Grundsatz der Amtshilfe in Art. 35 I GG – als Teil der vollziehenden Gewalt nach Art. 1 III GG an das Recht auf Beweis gebunden und somit gleichfalls zur Vorlage verpflichtet. Im Rahmen der jeweiligen Ermessensentscheidungen sind sodann etwaige Gegenrechte der Gegenpartei oder Dritter zu berücksichtigen, an die das Gericht und die Behörde gleichfalls nach Art. 1 III GG gebunden sind. Der Grundsatz ist auch für diese Konstellation in der Erhebung von Beweismitteln zu erblicken, während die Nichterhebung einer Rechtfertigung durch überwiegende Gegenrechte bedarf. Als Besonderheit können bei der amtlichen Auskunft auch Gegenrechte des Staates existieren – etwa staatliche Geheimhaltungsinteressen. Die Abwägung erfolgt anhand aller Umstände des Einzelfalles. Allerdings sind an staatliche Geheimhaltungsinteressen dahingehend besonders hohe Anforderungen zu stellen, dass die Nachweismöglichkeiten einer Privatperson in einem Zivilprozess zugunsten der Rechte desjenigen Staates beeinträchtigt werden, der von eben dieser Partei zugleich den Nachweis ihrer Rechte im Zivilprozess fordert. Abschließend könnte die amtliche Auskunft mit Blick auf die bloße Mitteilung des Akten- bzw. Registerinhaltes an das erkennende Gericht in Konflikt mit der formellen Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme nach § 355 ZPO geraten. Allerdings weist die hier vertretene, enge Auslegung der amtlichen Auskunft eine deutliche Parallele zu § 377 III ZPO auf.41 Wenn die Auskunft durch jede beliebige Person der Behörde allein auf Basis des Akten- bzw. Registerinhaltes erfolgen kann, so kommt es weniger auf die persönliche Glaubwürdigkeit der die Auskunft weiterleitenden Person als vielmehr auf die unmittelbare Wahrnehmung dieser Auskunft durch das Gericht an. Insofern lässt sich der Rechtsgedanke des § 377 III ZPO in besonders starkem Maße heranziehen, da es hier nicht einmal um das – ausschließlich mittels der Unterlagen in Erinnerung zu rufende – Spezialwissen einer bestimmten Aussageperson geht, sondern um die Kenntnisse einer Behörde insgesamt, die lediglich durch eine Person innerhalb der Behörde übermittelt werden. Die formelle Unmittelbarkeit wird daher unter Zugrundelegung dieser Auslegung der amtlichen Auskunft am Maßstab des Rechts auf Beweis durch die unmittelbare, gerichtliche Wahrnehmung dieser Auskunft gewahrt. In dieser Auslegung deckt sich die amtliche Auskunft mit den Anforderungen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta. Auch steht diese Auslegung der amtlichen Auskunft mit der obigen Feststellung zur Rechtmäßigkeit des Strengbeweises nach hier vertretener Auffassung dahingehend nicht in Wider41 Diesen Umstand hebt bereits Peters, Freibeweis, S. 127 ff. hervor; ebenso Hohlfeld, amtliche Auskünfte, S. 132 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44 jeweils mwN; zu § 377 III ZPO siehe bereits § 9 IV. 3.
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spruch, dass die amtliche Auskunft als Beweismittel in der ZPO eine – zumindest rudimentäre – Normierung erfahren hat. Daher lässt sich die amtliche Auskunft nach hier vertretener Ansicht als weitere, gesetzlich anerkannte Erkenntnisquelle neben den anderen Beweismitteln des Strengbeweises ansehen.42
II. Die weiteren Beweismittel der ZPO Die ZPO normiert außerdem mit dem Eid und der eidesstattlichen Versicherung weitere Beweismittel, die einer kurzen Analyse bedürfen.
1. Die Eidesleistung in der ZPO Die Eidesleistung ist in der ZPO für sämtliche möglichen Aussagepersonen im Zivilprozess vorgesehen: Es besteht die Möglichkeit der Vereidigung von Zeugen nach § 391 ff. ZPO und von Parteien nach § 452 ZPO sowie die obligatorische Vereidigung von Sachverständigen nach § 410 ZPO. Hinzu kommen allgemeine Vorschriften über die Zulässigkeit und Formerfordernisse des Eides in den §§ 478 ff. ZPO. a) Der Beweiswert eines Eides in Rechtsprechung und Literatur In Rechtsprechung und Literatur spielt die Eidesleistung als Beweismittel in heutiger Zeit keine größere Rolle mehr.43 In der Literatur wird der Wert einer Eidesleistung für die Wahrheitserforschung in der Regel mit der erhöhten Strafandrohung des § 154 StGB und der Pönalisierung einer fahrlässigen Begehung nach § 161 StGB begründet.44 Diese Argumentation wird in einer neueren Untersuchung dahingehend kritisiert, dass aus kriminologischer Sicht weniger die Höhe der Strafandrohung als vielmehr das Risiko der Entdeckung und Bestrafung entscheidend ist.45 Letztlich wird in dieser Untersuchung auch die geringe praktische Bedeutung des Eides in heutiger Zeit deutlich aufgezeigt.46 In einer Untersuchung zum Recht auf Beweis 42
In diese Richtung tendierend auch BGHZ 89, S. 114, 119 f.; ausdrücklich in diesem Sinne Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 44 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 358a, Rn. 9 jeweils mwN. 43 So stammt die letzte höchstrichterliche Entscheidung soweit ersichtlich aus den 70er Jahren, siehe BGH NJW 1972, S. 584 f.; sehr ausführlich zur Eidesleistung äußert sich BGH NJW 1965, S. 1530 ff.; eine ausführliche Untersuchung liefert in jüngster auch Zeit Dölling, NZFam 2014, S. 112 ff. mwN zu Rechtsprechung und Literatur. 44 Vgl. etwa MüKo-Damrau, ZPO II, § 391, Rn. 4 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 391, Rn. 1. 45 In diesem Sinne Dölling, NZFam 2014, S. 112, 113 mwN. 46 Vgl. wiederum Dölling, NZFam 2014, S. 112 ff. mwN.
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nach schweizerischem Recht wird der Beweis durch Eidesleistung als sog. „irrationales Beweismittel“ bezeichnet und die Rechtsfolge einer vollen Beweiskraft des Eides als mit dem Recht auf Beweis unvereinbar angesehen.47 b) Eigene Ansicht Die Existenz des Eides in der ZPO lässt sich nach hier vertretener Auffassung in erster Linie historisch erklären. Im Rahmen des historischen Teils dieser Untersuchung wurde herausgearbeitet, dass der Eid im frühen römischen Recht, in erster Linie jedoch im germanischen Recht fest verwurzelt war.48 In den frühen Rechtskulturen existierte eine stark ausgeprägte religiöse Überzeugung, die sich im Alltag und insbesondere im Rechtsleben bemerkbar machte. Zur Aufklärung eines Sachverhaltes, jedenfalls aber im Falle seiner Unaufklärbarkeit wurde die Hilfe höherer Wesen beschworen. Ausgehend von einem sehr viel konkreteren Götterglauben, der eine Einwirkung der göttlichen Wesen auf den Alltag der Menschen vorsah, stellte der Eid eine vermeintliche Erkenntnisquelle dar. Sollten die Worte des Eidesleistenden nicht der Wahrheit entsprechen, so würden ihn die gerechten Götter einer unmittelbaren Bestrafung zuführen – unabhängig von den empfindlichen Strafen eines Meineides im Diesseits. Die Beweisführung durch Eid basierte mithin auf der rein formalen Ableistung dieses Eides bei gleichzeitigem Vertrauen auf eine entsprechende Hilfe höherer Wesen im Falle eines Meineides. Einen über die eigentliche Aussage hinausgehenden Wert für die Wahrheitserforschung kam dem Eid mithin von Anfang an nicht zu.49 Die Begründung des Rechts auf Beweis weist jedoch nach hier vertretener Auffassung einen engen Zusammenhang zur Wahrheitsfindung im Zivilprozess auf: Der Nachweis eigener Rechte soll im gedachten Idealbild mit der Aufklärung des wahren Sachverhaltes einhergehen. Der Nachweis nicht existierender Rechte und die unberechtigte Inanspruchnahme bzw. Rechtsverteidigung wird durch das Recht auf Beweis gerade nicht geschützt.50 Insofern lässt sich der Eid als rein formales Beweismittel in diese Argumentationslinie kaum einordnen: Zwar kann auch eine Beweisführung durch Eidesleistung den Nachweis des tatsächlichen Sachverhaltes ermöglichen, indem er einer korrekten Aussage höheres Gewicht verleiht. Doch ist dieser Zusammenhang zwischen Beweismittel und Wahrheitserforschung aufgrund seines rein formalen Charakters gerade nicht zwingend. Eine Aussage vor Gericht entspricht allein durch Ableistung eines Eides noch nicht in höherem Maße der So Kofmel, Recht auf Beweis, S. 246 ff. Siehe die ausführliche Darstellung der historischen Entwicklung des Eides in § 2. 49 Vgl. zum Ganzen wiederum § 2. 50 Ausführlich § 6 II. 5. b. cc.; zum Verhältnis von Zeugeneid und Recht auf Beweis siehe bereits Kofmel, Recht auf Beweis, S. 154 f., die eine Einteilung in rationale und irrationale Beweismittel vornimmt. 47 48
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Wahrheit. Lediglich etwaige Falschaussagen könnten durch den religiösen Bezug, wie auch die erhöhte Strafandrohung bei einem Meineid ggf. ausgeschlossen werden. Allerdings muss man sich klarmachen, dass diese Strafandrohung keinerlei Wirkung für solche Aussagen zeitigt, die auf einer fehlerhaften Wahrnehmung der Aussageperson beruhen. Es wurde bereits verschiedentlich darauf hingewiesen, dass die Wahrnehmungsfähigkeiten des Menschen sehr begrenzt sind und Fehler bei dieser Wahrnehmung daher in vielen Fällen denkbar sind.51 In diesen Konstella tionen wäre die Person jedoch von ihren Beobachtungen subjektiv überzeugt und würde aus dieser Überzeugung heraus wohl auch den Eid nicht scheuen. Somit würde durch den Eid gerade keine fehlerhafte Aussage vermieden, sondern vielmehr einer falschen Beobachtung besonderes Gewicht verliehen und der Wahrheitserforschung im Prozess gerade nicht gedient. Doch auch in Bezug auf vorsätzliche Meineide wurden in der Literatur richtigerweise Bedenken dahingehend angemeldet, dass nach den Erkenntnissen der Kriminologie weniger die Höhe der Strafe als vielmehr das Risiko der Entdeckung und Verurteilung entscheidend sind.52 Zudem besteht ebenso die Gefahr, dass die Drucksituation der Eidesleistung eine zweifelnde Aussageperson von ihrer inhaltlich der Wahrheit entsprechenden Aussage abbringen könnte, während eine zur Lüge entschlossene Person demgegenüber auch das – geringe – Entdeckungsrisiko eines Meineides in Kauf nehmen könnte. Zudem erscheint fraglich, ob juristische Laien sich die Feinheiten einer erhöhten Strafbarkeit zwischen dem Vergehen einer Falschaussage in § 153 StGB und dem Verbrechen des Meineides in § 154 StGB wirklich im Vorfeld ihrer Aussage vor Augen führen. Diskutabel wäre diese Unterscheidung allenfalls für Personengruppen, die im Falle einer Verurteilung wegen eines Verbrechens besondere rechtliche Konsequenzen zu fürchten hätte: Sollte die Aussageperson in einem Beamtenverhältnis stehen, so normiert § 41 I Nr. 1 BBG mit der rechtskräftigen Verurteilung zugleich die Beendigung des Beamtenverhältnisses als Rechtswirkung. Insofern wäre die Auswirkung eines Meineides für diese Berufsgruppe von besonderer Bedeutung. Indes würde eine Untersuchung der Eidesleistung allein für Aussagepersonen in Beamtenverhältnissen das Ziel der Darstellung des Regelverfahrens nach hier vertretener Auffassung verfehlen. Daher soll der Eid als formales Beweismittel in Ermangelung eines zwingenden Zusammenhanges zwischen seiner Erhebung und der Förderung der Wahrheitsfindung im Zivilprozess insgesamt keine weitere Behandlung in der vorliegenden Untersuchung erfahren.
51 Ausführlich zu den einzelnen Fehlerquellen Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 1 ff. mwN. 52 In diesem Sinne bereits Dölling, NZFam 2014, S. 112, 113 mwN.
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2. Das Beweismittel der eidesstattlichen Versicherung im Rahmen des § 294 I ZPO Diese Bedenken gegen eine Eidesleistung sind zwar grundsätzlich auch für die eidesstattliche Versicherung angebracht, allerdings handelt es sich hierbei um einen Sonderfall: Das Gesetz lässt in bestimmten, explizit genannten Fallkonstellationen die Glaubhaftmachung einer Tatsache genügen.53 Es handelt sich typischerweise um Konstellationen einer eilbedürftigen und zugleich lediglich vorläufigen Entscheidung des Gerichts oder aber eine Entscheidung über prozessuale Fragestellungen.54 In diesen Konstellationen normiert § 294 ZPO für die Glaubhaftmachung dreierlei: Erstens wird das Beweismaß auf die überwiegende Wahrscheinlichkeit einer Tatsache abgesenkt. Zweitens sind nach § 294 II ZPO im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Entscheidung ausschließlich präsente Beweismittel zulässig. Drittens sind alle denkbaren Erkenntnisquellen zulässig, wobei das Gesetz in § 294 I ZPO die eidesstattliche Versicherung als weiteres Beweismittel der Glaubhaftmachung ausdrücklich hervorhebt.55 In diesem Rahmen stellt sich die eidesstattliche Versicherung als eine besondere Form der Parteivernehmung dar, die der Eilbedürftigkeit geschuldet ist und den Eid einer Partei bei gleichzeitiger, erhöhter Strafandrohung im Falle einer falschen Versicherung nach § 156 StGB ersetzt.56 Die eidesstattliche Versicherung kommt daher ausschließlich in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen der Glaubhaftmachung in Betracht. Im Rahmen der sonstigen Entscheidungen im Zivilprozess kommt den Äußerungen einer Prozesspartei über das Beweismittel der Parteivernehmung Beweiskraft zu. Im Hinblick auf die besonderen Fallgestaltungen ihrer Anwendbarkeit erscheint es nach hier vertretener Auffassung sehr viel naheliegender, dass die eidesstattliche Versicherung den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis unterfällt. Für die hier interessierende Untersuchung der Beweisaufnahme im Prozess vor den Landgerichten soll dieses Beweismittel jedoch gleichfalls außer Betracht bleiben.
III. Der weitere Gang der Untersuchung Im ersten Schritt werden nun solche allgemeine Ablehnungsgründe einer Beweisaufnahme in der ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis überprüft. Sodann schließt 53 Ausführlich
wiederum Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 294, Rn. 3 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 294, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 294, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 54 Vgl. etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 294, Rn. 2 und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 294, Rn. 2; zurückhaltender bezüglich eines einheitlichen Grundsatzes MüKo-Prütting, ZPO I, § 294, Rn. 3. 55 Instruktiv zu diesen drei Veränderungen BGH NJW 2003, S. 3558; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 294, Rn. 1 f. 56 Ausführlich insbesondere MüKo-Prütting, ZPO IV, § 284, Rn. 18 mwN.
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sich die Untersuchung der einzelnen Beweismittel des Strengbeweises an. Aufgrund der Herausarbeitung des Strengbeweises als rechtmäßiger Ausgestaltung des Rechts auf Beweis, stellen die Beweismittel des Augenscheins, des Zeugen- Sachverständigen- und Urkundenbeweises sowie der Parteivernehmung in der Folge den wesentlichen Untersuchungsgegenstand dar. Daher soll zunächst der abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Bezug auf diese einzelnen Beweismittel analysiert und erarbeitet werden, um das abstrakte Bild des Rechts auf Beweis zu komplettieren, bevor sich eine Überprüfung der gesetzlichen Regelungen dieser einzelnen Beweismittel anhand eben dieses Maßstabes des Rechts auf Beweis anschließt.
IV. Die allgemeinen Gründe für die Ablehnung einer Beweisaufnahme in der ZPO Im Folgenden sind nun diejenigen Ablehnungsgründe, die für alle Beweismittel gleichermaßen Geltung beanspruchen, mithin allgemein gelten, am Maßstab des Rechts auf Beweis zu überprüfen.
1. Die allgemeinen Ablehnungsgründe in Rechtsprechung und Literatur Durch den BGH wird zur Begründung solcher, allgemeiner Ablehnungsgründe in ständiger Rechtsprechung auf die diesbezüglichen Rechtsgedanken des Strafprozess rechtes rekurriert, die in § 244 III StPO eine ausdrückliche Normierung erfahren haben und für den Zivilprozess nutzbar gemacht werden sollen.57 Als Zurückweisungsgründe kommen hiernach insbesondere die fehlende Erheblichkeit oder Beweisbedürftigkeit des Beweisthemas bzw. die fehlende Eignung oder Erreichbarkeit des Beweismittels in Betracht.58 In der Literatur finden diese Ablehnungsgründe im Ergebnis nahezu einhellige Zustimmung.59 Allerdings wird der Rückgriff auf § 244 III StPO regelmäßig dahingehend kritisiert, dass die ZPO eigene, teils abweichende Regelungen treffe.60 Zudem werden in der Literatur weitere Ablehnungsgründe ver-
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Grundlegend BGHZ 53, S. 245, 259 ff.; in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10 mwN. wiederum BGHZ 53, S. 245, 259 ff. 59 Vgl. etwa die Kommentarliteratur, Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 40 ff.; MüKo-Prüt ting, ZPO I, § 284, Rn. 91 ff.; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 14 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 91 ff. jeweils mwN. 60 In diesem Sinne insbesondere die ausführliche Untersuchung von Gamp, die Ablehnung von Beweisanträgen, S. 106 ff.; ähnlich bereits Schneider, ZZP 75 (1962), S. 173, 180 ff. jeweils mwN. 58 Ausführlich
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treten: So könne eine Beweiserhebung wegen präjudizieller Bindungen des erkennenden Gerichts61 oder auch im Falle eines Rechtsmissbrauches abgelehnt werden.62
2. Eigene Ansicht: Allgemeine Ablehnungsgründe und das Recht auf Beweis Nach hier vertretener Ansicht umfasst der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen ein Recht der Prozessparteien auf Erhebung aller beantragten Beweismittel.63 Daher handelt es sich bei den allgemeinen Ablehnungsgründen für Beweismittel grundsätzlich um rechtfertigungsbedürftige Einschränkungen des Rechts auf Beweis. Zugleich wurde im zweiten Hauptteil herausgearbeitet, dass dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis gewisse Grenzen immanent sind. Eine Ablehnung innerhalb dieser immanenten Grenzen stellt gerade keine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Indes zeigte sich weiterhin, dass die immanente Grenze der Ungeeignetheit und Unerreichbarkeit eines Beweismittels nicht kongruent zur entsprechenden Auslegung dieser Kriterien durch Rechtsprechung und Literatur verläuft, sondern vielmehr deutlich enger zu ziehen ist.64 Die weitergehende Anwendung dieser Ablehnungsgründe durch Rechtsprechung und Literatur stellt daher eine nachfolgend zu analysierende, rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Darüber hinaus finden sich nach hier vertretener Ansicht eine Reihe weiterer Konstellationen, in denen die Erhebung aller denkbaren Beweismittel allgemein abgelehnt wird. Diese Fallgestaltungen sind daher gleichfalls am Maßstab des Rechts auf Beweis zu überprüfen.
3. Die Ablehnung einer Beweiserhebung mangels Eignung des Beweismittels Der erste zu untersuchende Ablehnungsgrund einer Beweiserhebung ist hiernach die fehlende Eignung des beantragten Beweismittels: a) Die fehlende Beweiseignung als immanente Grenze des Rechts auf Beweis Diese fehlende Eignung als immanente Grenze des Rechts auf Beweis beschränkt sich auf die nach naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten feststehende Unge-
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In diesem Sinne Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 80 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 97. 62 Vgl. insbesondere Stein/Jonas-Leipold, ZPO IV, 22. Auflage 2008, § 284, Rn. 84 f. mwN. 63 Siehe bereits § 8 V. 1. 64 Siehe wiederum § 6 IV. 4. und 5.
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eignetheit eines beantragten Beweismittels.65 Jede weitergehende Ablehnung eines Beweismittels unter Hinweis auf seine fehlende Eignung stellt sich als Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. b) Abgrenzung zur fehlenden Beweiseignung nach Rechtsprechung und Literatur Der Ablehnungsgrund der fehlenden Eignung eines Beweismittels wurde in seiner Auslegung durch Rechtsprechung und Schrifttum bereits ausführlich behandelt.66 Die nach den Naturgesetzen feststehende Ungeeignetheit wird als eine Fallgestaltung der fehlenden Eignung angesehen.67 Allerdings gehen Rechtsprechung und Literatur in ihren Formulierungen dieses Ablehnungsgrundes über diesen Umfang hinaus: So soll eine Beweisablehnung auch in Betracht kommen, „wenn nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß der übergangene Beweisantrag Sachdienliches ergeben und die vom Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern könnte“68 oder auch „wenn es im Einzelfalle vollkommen ausgeschlossen erscheint, dass die Beweisaufnahme irgendetwas Sachdienliches ergeben könnte“.69 Diese offenen Formulierungen zeigen auf, dass Rechtsprechung und Literatur den Begriff der Ungeeignetheit über die nach den Naturgesetzen feststehende, fehlende Eignung hinaus um Fallkonstellationen erweitern, in denen nach der antizipierten Einschätzung und Lebenserfahrung des erkennenden Gerichts prognostisch kein Beweiswert des beantragten Beweismittels zu erwarten ist.70 c) Eigene Ansicht Diese weitergehende Auslegung des Kriteriums der Ungeeignetheit eines Beweismittels stellt eine Form der Beweisantizipation dar. Das Rechts auf Beweis umfasst in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen ein striktes Verbot antizipierter Beweiswürdigung.71 Selbst, wenn man eine analoge Anwendung des § 244 III StPO als gesetzliche Grundlage und die Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege wie auch das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit als legitime Ziele einer solchen 65 Ausführlich
zu Herleitung und Umfang dieser immanenten Grenze, § 6 IV. 4. Siehe wiederum § 6 IV. 4. 67 Ausdrücklich in diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 284, Rn. 98 und Söll ner, MDR 1988, S. 363 f.; ähnlich auch Störmer, JuS 1994, S. 238, 242 jeweils mwN. 68 So BGH NJW 1956, S. 1480; ähnlich BVerfG NJW 1993, S. 254, 255 jeweils mwN. 69 So die Formulierung von BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10; ebenso MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 98; eine ganz ähnliche Formulierung findet sich auch bei Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 64 jeweils mwN. 70 Sehr anschaulich zum prognostischen Charakter dieser Entscheidung BVerfG NJW 2004, S. 1443 mwN. 71 Ausführlich § 7 V. 2. 66
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Einschränkung ansehen wollte, so müsste eine solche Beweisantizipation auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Dabei erscheint bereits fraglich, ob diese Einschränkung des Rechts auf Beweis überhaupt geeignet ist, diesen Zielen zu dienen. Es liegt in der Natur der Sache, dass eine sichere Beurteilung der Frage, ob ein beantragtes Beweismittel einen Beweiswert hat, allein retrospektiv im Anschluss an seine Erhebung möglich ist. Daher ließe sich lediglich eine gewisse Zeitersparnis durch die Nichterhebung als solche konstatieren. Allerdings erscheint es sodann umso schwerer, die Angemessenheit dieser Einschränkung zu bejahen: Eine antizipierte Ablehnung von Beweismitteln, die nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auf einer Prognose anhand der Lebenserfahrung basiert, kann nur in geringem Umfang für den jeweiligen Einzelfall nutzbar gemacht werden. Wenn ein beantragtes Beweismittel nach der Lebenserfahrung in 9 von 10 Fällen keinerlei Beweiswert hat, so sagt diese „Erkenntnis“ doch nichts darüber aus, ob dem Beweismittel in dem einzig interessierenden, konkreten Einzelfall ein Beweiswert zukommt. Eine solche Beweisablehnung würde somit zugunsten einer Verkürzung des konkreten Prozesses allein auf abstrakte Erkenntnisse und Prognosen zurückgreifen. Es kann also lediglich dann „ausgeschlossen“ werden, dass die Beweiserhebung „etwas Sachdienliches“ erbringt, wenn sich das erkennende Gericht auf entsprechende, wissenschaftliche Erkenntnisse stützen kann.72 In dieser Auslegung würden die Formeln der herrschenden Ansicht jedoch exakt den vorliegend definierten, immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis entsprechen. Eine weitergehende Beweisablehnung aufgrund vermeintlich fehlender Eignung des Beweismittels lässt sich am Maßstab des Rechts auf Beweis – selbst unter Beachtung des Gebotes einer Einzelfallabwägung – grundsätzlich nicht rechtfertigen.
4. Die Ablehnung einer Beweiserhebung mangels Erreichbarkeit des Beweismittels Die Unerreichbarkeit weist als Ablehnungsgrund eines Beweismittels einige Parallelen zur fehlenden Beweiseignung auf: Wiederum fallen die hier vertretene Definition der Unerreichbarkeit als immanente Grenze des Rechts auf Beweis und die Auslegung der Unerreichbarkeit durch Rechtsprechung und Literatur in ihrem Umfang auseinander: a) Die Unerreichbarkeit als immanente Grenze des Rechts auf Beweis Die Unerreichbarkeit stellt sich nach hier vertretener Auffassung ausschließlich insoweit als immanente Grenze des Rechts auf Beweis dar, als die Beweiserhebung 72
Zu der zitierten Formel siehe wiederum BGH NJW 1956, S. 1480; BGH NJW-RR 2013, S. 9, 10 jeweils mwN.
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rein faktisch ausgeschlossen ist – etwa durch die Zerstörung einer Urkunde oder eines Augenscheinsobjektes.73 Die Beweiserhebung scheitert in dieser Konstellation allein an den faktischen Gegebenheiten und gerade nicht an einem Ausschluss aus einer normativen Abwägung heraus. In diesem Umfang handelt es sich bei der Unerreichbarkeit um eine immanente Grenze des Rechts auf Beweis. b) Abgrenzung zur Auffassung in Rechtsprechung und Literatur In seiner Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur umfasst dieser Ablehnungsgrund weitere Konstellationen über die faktische Nichterreichbarkeit eines Beweismittels hinaus: aa) Allgemein: Die Unerreichbarkeit in Rechtsprechung und Literatur Die Unerreichbarkeit eines Beweismittels kann sich hiernach auch normativ als Resultat einer Abwägung widerstreitender Rechte ergeben. So ist eine Aussageperson unerreichbar, wenn es ihr krankheitsbedingt nicht möglich ist, den Gerichtssaal zum Zwecke ihrer Vernehmung zu erreichen.74 Auch im Falle eines besonders zeitaufwendigen Verfahrens der Beweisaufnahme – beispielsweise im Wege der Rechtshilfe – oder einer besonders langen Zeitdauer bis zum Beginn der Beweisaufnahme – etwa bei Unkenntnis über die Anschrift eines Zeugen – kommt eine Ablehnung des beantragten Beweismittels als Resultat einer Abwägung zwischen dem Recht auf eine Beweiserhebung und dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit in Betracht.75 In allen diesen Konstellationen findet eine Abwägung zwischen der grundsätzlich möglichen, durch das Recht auf Beweis gebotenen Beweiserhebung und etwaigen Gegenrechten statt. Insbesondere diese Abwägung zeigt deutlich auf, dass diese Fallgestaltungen über die immanente Grenze der Unerreichbarkeit hinausgehen und sich als rechtfertigungsbedürftige Einschränkungen des Rechts auf Beweis darstellen. bb) Im Speziellen: Die weitergehenden Anforderungen des § 356 ZPO Eine gesetzliche Regelung für eine Reihe von Konstellationen der Unerreichbarkeit eines Beweismittels findet sich außerdem in § 356 ZPO. Nach Rechtsprechung und Literatur handelt es sich ausdrücklich um eine Interessenabwägung zwischen dem Recht der beweisführenden Partei auf eine Beweiserhebung und dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit der Gegenpartei.76 Erforderlich ist nach § 356 73 Ausführlich
§ 6 IV. 5. Vgl. etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 284, Rn. 95 mwN. 75 Vgl. BGH NJW 2006, S. 3416, 3418; ausführlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 60 f. mwN. 76 Instruktiv BGH NJW 1972, S. 1133, 1134; ebenso BGH NJW 1993, S. 1926, 1928; zustim74
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
ZPO ein behebbares Hindernis, andernfalls ist der Beweisantrag nach allgemeinen Grundsätzen abzulehnen.77 Das Gericht hat der den Beweis beantragenden Prozesspartei sodann nach § 356 ZPO eine wirksame Frist von angemessener Länge zur Behebung des Hindernisses zu setzten.78 Die Angemessenheit beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei die Frist im Interesse der beweisbelasteten Partei so bemessen sein soll, dass das Hindernis grundsätzlich behoben werden kann, ohne dabei die Interessen der Gegenpartei zu vergessen.79 Der BGH hat eine Frist von über einem Jahr als verfassungskonform angesehen, während das Bundesverfassungsgericht die Frist von unter einem Monat im Falle eines Rechtshilfeersuchens als unangemessen kurz beurteilt hat.80 § 356 ZPO kommt nach herrschender Ansicht auch in Konstellationen eines durch die beweisbelastete Prozesspartei verschuldeten Hindernisses zur Anwendung – etwa im Falle der Weigerung einer beantragten, gutachterlichen Untersuchung der eigenen Person.81 Allerdings kann das Verschulden die Länge der zu setzenden, angemessenen Frist beeinflussen und verkürzen.82 Außerdem spricht sich die herrschende Auffassung für eine analoge Anwendung des § 356 ZPO auf Fallgestaltungen aus, in denen die Dauer des Hindernisses bekannt ist, wobei diese Zeitspanne sogleich auf ihre Zumutbarkeit zu überprüfen ist.83
mend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 356, Rn. 1 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 1 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 77 Vgl. etwa BGH NJW 1993, S. 1926, 1928; ebenso Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 356, Rn. 6 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 3 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 16 ff. jeweils mwN. 78 Vgl. zu den Anforderungen des § 356 wiederum BGH NJW 1993, S. 1926, 1928; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 356, Rn. 11 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 10 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 38 ff. jeweils mwN. 79 Vgl. BGH NJW 1974, S. 188 f.; siehe auch MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 10 f. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 38 ff. jeweils mwN; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 356, Rn. 12 spricht sich in einem eigenen Ansatz für eine Orientierung dieser Fristsetzung an den Verjährungsfristen aus. 80 In diesem Sinne BGH NJW 1987, S. 893, 894 (Zeitdauer von über 1 Jahr) und BVerfG NJWRR 1994, S. 700 (Zeitdauer von wenigen Wochen). 81 Vgl. zu dieser Fallkonstellation BGH NJW 1972, S. 1133, 1134; ebenso BGH NJW 1981, S. 1319; aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 2000, S. 945, 946; zustimmend Stein/ Jonas-Berger, ZPO V, § 356, Rn. 10; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 10 ff. und Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 22 ff.; differenzierend MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 82 In diesem Sinne etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 24 und Stein/JonasBerger, ZPO V, § 356, Rn. 10 jeweils mwN. 83 In diesem Sinne insbesondere die Literatur, siehe etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 356, Rn. 8 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 356, Rn. 4 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 19 f. jeweils mwN.
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c) Eigene Ansicht Die Unerreichbarkeit eines Beweismittels als Ablehnungsgrund stellt sich – soweit sie die immanente Grenze der faktischen Nichterreichbarkeit eines Beweismittels überschreitet – als Einschränkung des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen dar. Allerdings bezweckt diese normativ bestimmte Unerreichbarkeit eines Beweismittels den Schutz konkreter Rechte der gegnerischen Prozesspartei oder Dritter, so dass eine Rechtfertigung dieses Ablehnungsgrundes durch eine Abwägung im Einzelfall sehr viel eher denkbar erscheint als im vorangegangenen Falle einer antizipierten Beurteilung der Beweiseignung. Als erste Fallkonstellation kommt die Ablehnung eines Beweismittels als unerreichbar aufgrund einer Krankheit der Aussageperson in Betracht. In diesem Falle wäre eine Vernehmung vor dem erkennenden Gericht zwar faktisch möglich, würde jedoch mit einer Gefährdung der Gesundheit dieser Aussageperson einhergehen. Obgleich die Abwägung letztlich anhand aller Umstände des Einzelfalles erfolgen muss, lassen sich doch gewisse Tendenzen skizzieren. Nach hier vertretener Ansicht hat das Recht auf körperliche Unversehrtheit in Art. 2 II S. 1 GG einen hohen Stellenwert. Eine Aussageperson – insbesondere ein unbeteiligter Dritter als Zeuge – muss gegebenenfalls Unannehmlichkeiten und Unwohlsein in Kauf nehmen. Die Gefahr einer schwerwiegenden und/oder dauerhaften Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit wird man von einer Aussageperson demgegenüber nicht verlangen können. In diese Abwägung einzustellen ist auch die Bedeutung der Streitsache und die etwaige Nähe der Aussageperson zum Prozess. Dennoch erscheint eine Rechtfertigung der normativ bestimmten Unerreichbarkeit und damit ein Überwiegen der körperlichen Unversehrtheit der Aussageperson regelmäßig denkbar. Allerdings muss das erkennende Gericht vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis seinerseits etwaige Alternativen zu einer Vernehmung im Gerichtssaal in Betracht ziehen – beispielsweise eine Vernehmung am Wohnort der kranken Aussageperson oder auch eine Videoübertragung der Vernehmung in den Gerichtssaal. Das Gericht muss sich unter Prüfung aller denkbaren Alternativen um eine Ausschöpfung der beantragten Erkenntnisquelle bemühen. Als weitere Konstellation einer normativ bestimmten Unerreichbarkeit eines Beweismittels ist eine besonders lange Zeitdauer bis zu dessen Erhebung anzusehen. Die Abwägung vollzieht sich zwischen dem Recht auf Beweis und dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit. Einmal mehr ist zu betonen, dass auch die gegnerische Prozesspartei keinen ewig andauernden Schwebezustand des Prozesses erdulden muss. Dennoch bleibt auch in dieser Konstellation die Erkenntnis, dass die Ablehnung des Beweismittels das Recht auf Beweis gänzlich zurückdrängen würde, während eine längere Zeitdauer des Prozesses das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit weniger stark beeinträchtigt. In der Regel sollte dementsprechend eine inhaltlich richtige Entscheidung auf Basis aller denkbaren und beantragten Er-
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
kenntnisquellen den Vorrang vor einer möglichst schnellen Entscheidung haben. Die Rechtsprechung hat daher zu Recht ausgesprochen, dass gerade in Prozessen mit Auslandsberührung eine längere Zeitdauer bis zur Beweiserhebung zumutbar sein muss.84 Die Abwägung erfolgt letztlich anhand aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles. Dennoch kommt die Ablehnung eines Beweismittels als unerreichbar vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis nur in Betracht, wenn die Zeitdauer bis zu dessen Erhebung gänzlich ungewiss ist oder jedenfalls so lange dauern würde, dass die gerichtliche Entscheidung für die Gegenpartei ihrerseits keinerlei Nutzen mehr hätte. Die Vorgehensweise des erkennenden Gerichts wird hierbei durch § 356 ZPO vorgezeichnet. Im Falle eines faktischen oder rechtlichen Hindernisses der Beweiserhebung ist der den Beweis beantragenden Prozesspartei eine wirksame Frist von angemessener Länge zur Behebung des Hindernisses zu setzen.85 In der Angemessenheit dieser Frist kommt zugleich die Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis und dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit zum Ausdruck. Die Frist ist daher nach hier vertretener Auffassung großzügig zu bemessen – insbesondere in Fallgestaltungen mit Auslandberührung und Rechtshilfeersuchen. Aus der Bindung an das Recht auf Beweis folgt nach hier vertretener Auffassung zudem, dass das Gericht seinerseits alle rechtlichen Möglichkeiten zur Behebung des Hindernisses auszuschöpfen hat – etwa eine entsprechende Duldungsanordnung. Abschließend soll nun die Ablehnung wegen Unerreichbarkeit aufgrund von hohen Kosten einer solchen Beweiserhebung behandelt werden. So könnte man im Falle einer Beweiserhebung mit Auslandsberührung etwa über eine Abwägung zwischen den Kosten des Einfliegens eines Zeugen und dem Streitwert nachdenken.86 Allerdings fehlt es für einen solchen Ablehnungsgrund nach hier vertretener Auffassung bereits an einem legitimen Ziel. Die Prozessökonomie und damit die Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege sind insoweit nicht betroffen, als es gerade nicht um einen erhöhten Zeitaufwand der Beweiserhebung, sondern lediglich um die Ressourcen zu dessen Ermöglichung geht. Das Bundesverfassungsgericht hat richtigerweise ausgesprochen, dass eine Beweiserhebung nicht unter Verweis auf ihre hohen Kosten im Vergleich zum Streitwert der Sache abgelehnt werden darf.87 Die Kostentragung einer Beweiserhebung ist Sache der Parteien und betrifft nicht die Ressourcen des Gerichts, zumal der Prozess bis zur Beweiserhebung im Zweifel gerade nicht weitergeführt wird und daher keine Kapazitäten des Gerichts gebunden werden. Die Annahme der Unerreichbarkeit eines Beweismittels aufgrund der Kosten
84
In diesem Sinne äußert sich BVerfG NJW-RR 1994, S. 700 f. In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa BGH NJW 1993, S. 1926, 1928; Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 356, Rn. 11 f. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 356, Rn. 38 ff. jeweils mwN. 86 In diese Richtung äußert sich Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 284, Rn. 99 mwN. 87 Ausdrücklich in diesem Sinne BVerfGE 50, S. 32, 35 f. 85
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seiner Erhebung kommt daher vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis nach hier vertretener Ansicht nicht in Betracht.
5. Die Ablehnung einer Beweiserhebung wegen entgegenstehender Rechtskraft Als weiterer, allgemeiner Ablehnungsgrund von Beweisanträgen kommt die Bindung des erkennenden Gerichts an eine vorangegangene Entscheidung einer anderen staatlichen Stelle in Betracht. Insbesondere zu nennen ist hierbei die präjudizielle Wirkung einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung nach § 322 I ZPO. Daher gilt es nun, eben dieses Verhältnis der Rechtskraft zivilprozessualer Entscheidungen und des Rechts auf Beweis zu beleuchten. a) Inhalt und Grenzen der Rechtskraft in Rechtsprechung und Literatur Die Rechtskraft ist in ihrem Inhalt, wie auch ihren Grenzen schwer zu bestimmen und in Rechtsprechung und Literatur teils sehr umstritten. Zu unterscheiden sind jedenfalls die formelle und materielle Rechtskraft einer Entscheidung in ihren objektiven, subjektiven und zeitlichen Grenzen: aa) Die materielle Rechtskraft in ihren objektiven Grenzen nach § 322 I ZPO Die Voraussetzung der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung ist im Eintritt ihrer formellen Rechtskraft zu sehen.88 Die formelle Rechtskraft meint nach § 705 ZPO die Unanfechtbarkeit einer Entscheidung mit ordentlichen Rechtsmitteln und zielt daher auf den Bestand der konkreten Entscheidung selbst.89 Die materielle Rechtskraft baut auf der formellen Rechtskraft auf und bewirkt eine Bindung der staatlichen Organe an diese Entscheidung, so dass sie mithin auf die Absicherung einer formell rechtskräftigen Entscheidung im Hinblick auf spätere gerichtliche Entscheidungen abzielt.90 Der dementsprechende Sinn und Zweck der materiellen Rechtskraft ist in der Herstellung von Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu sehen.91 Schwierigkeiten bereitet indes die Bestimmung des konkreten Umfanges der mate88
Vgl. etwa BGH NJW 2004, S. 1805, 1806; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 8; MüKo-Gottwald, ZPR I, § 322, Rn. 24 und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 13 jeweils mwN. 89 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 4; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 1 und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 2 jeweils mwN. 90 Vgl. etwa BGH NJW 1985, S. 1711, 1712; ausführlich Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 9 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 12 jeweils mwN. 91 Vgl. etwa BGH NJW 1985, S. 1711, 1712; ebenso BGH NJW 1993, S. 2942, 2943; in jüngster Zeit BGH NJW 2014, S. 314, 315; zustimmend auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 27 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 2 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 12 jeweils mwN
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
riellen Rechtskraft. In der Regel wird sich der Inhaltsbestimmung über die Grenzen der Rechtskraft angenähert. Für die Frage nach einer Beweisablehnung sind insbesondere die objektiven Grenzen der Rechtskraft von Bedeutung: Ausgangspunkt dieser Inhaltsbestimmung der materiellen Rechtskraft und ihrer objektiven Grenzen ist nach Rechtsprechung und Literatur der Wortlaut des § 322 I ZPO: In Rechtskraft erwächst hiernach ausschließlich die Entscheidung über den „Anspruch“.92 Der Gesetzgeber zielte mit dieser Formulierung auf eine eng begrenzte materielle Rechtskraft ab, die grundsätzlich keine Tatsachenfeststellungen umfassen sollte.93 Allerdings gehen Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass unter „Anspruch“ iSd § 322 I ZPO der prozessuale Anspruch zu verstehen ist.94 Dieser prozessuale Anspruch soll nach dem BGH durch die Urteilsformel und – im Falle von Unklarheiten – deren Auslegung unter Zuhilfenahme des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe mitsamt des Parteivortrages ermittelt werden.95 Letztlich bestimmt sich der prozessuale Anspruch nach dem Streitgegenstand eines Prozesses und insbesondere dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt.96 Die so beschriebene materielle Rechtskraft entfaltet zwei verschiedene Arten von rechtlichen Wirkungen: Im Falle einer Identität der Streitgegenstände des Vorprozesses und des nachfolgenden Prozesses stellt sich die materielle Rechtskraft als negative Prozessvoraussetzung dar: Bei vollständiger Identität von Klagantrag und zugrundeliegendem Lebenssachverhalt bewirkt die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses die Unzulässigkeit der nachfolgenden Klage.97 Deutlich häufiger als die vollständige Identität sind Fallkonstellationen anzutreffen, in denen die aufgrund eines zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhaltes getroffene, gerichtliche Rechtsfolge eines Erstprozesses für einen späteren Prozess
92 Vgl. zu diesem Ausgangspunkt bereits BGHZ NJW 1961, S. 917 f.; aus der Literatur Zeuner, FG-BGH III, S. 337, 345 ff.; Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 66 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 83 f. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 114 jeweils mwN. 93 In diesem Sinne auch BGH NJW 1995, S. 967; ausführlich Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 69 ff.; zustimmend MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 83 f. jeweils mwN. 94 Vgl. etwa BGH NJW 1992, S. 1172, 1173; ausdrücklich in neuerer Zeit BGH NJW 2010, S. 2210, 2211; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 88 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 110 ff. und Prütting/Gehrlein-Völzmann-Stickelbrock, ZPO, § 322, Rn. 18 jeweils mwN. 95 Vgl. bereits BGH NJW 1961, S. 917 f.; ebenso BGH NJW 1990, S. 1795, 1796; zustimmend Musielak/Voit-Musielak, ZPO, § 322, Rn. 16 jeweils mwN. 96 Ausdrücklich in diesem Sinne BGH NJW 1995, S. 1757 f.; ebenso BGH NJW 2004, S. 1252, 1253; zustimmend auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 90 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 110 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 50 ff. jeweils mwN. 97 Vgl. zu dieser Wirkung etwa BGH NJW 1995, S. 1757; ausführlich auch BGH NJW 2004, S. 1252, 1253; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 185 ff.; MüKoGottwald, ZPO I, § 322, Rn. 39 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 50 ff. jeweils mwN.
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vorgreiflich (präjudiziell) ist.98 Im Hinblick auf die Formulierung des § 322 I ZPO und die zugrundeliegende, gesetzgeberische Intention geht die Rechtsprechung in Übereinstimmung mit dem überwiegenden Schrifttum davon aus, dass tatsächliche Feststellungen im Rahmen einer gerichtlichen Entscheidung im Zivilprozess grundsätzlich nicht in Rechtskraft erwachsen und keinerlei Bindungswirkung erzeugen können.99 Allerdings geht auch diese herrschende Meinung davon aus, dass ein gänzliches Fehlen jeglicher Bindungswirkung der Rechtskraft in Bezug auf solche Folgeprozesse, die zwar einen vom Erstprozess differierenden Streitgegenstand, aber einen nahezu identischen, zur Entscheidung gestellten Lebenssachverhalt aufweisen, die Gefahr einer „Aushöhlung“ der materiellen Rechtskraft insgesamt in sich tragen würde.100 Daher erwächst nach herrschender Meinung zwar „lediglich“ eine gerichtliche Rechtsfolge in Rechtskraft. Diese rechtskraftfähige Rechtsfolge wird jedoch mithilfe des vorgetragenen Tatsachenkomplexes konkretisiert. Eben diese Rechtsfolge entfalten sodann eine präjudizielle Wirkung und darf im Folgeprozess nicht mehr in Frage gestellt werden.101 In diesen Fallkonstellationen der Präjudizialität führt die Rechtskraft der im Erstprozess entschiedenen Rechtsfolge zur hier interessierenden Ablehnung von Beweisanträgen in einem Folgeprozess. Diese Vorfrage steht für den Folgeprozess bindend fest, so dass es entsprechenden Beweisanträgen nach der nebis-in-idem Lehre an ihrer Entscheidungserheblichkeit fehlt.102 Die konkrete Bestimmung eben dieser rechtskraftfähigen Rechtsfolge aufgrund des zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplexes ist jedoch eine Herausforderung. Ausgangspunkt der Beurteilung, welche rechtskraftfähige Entscheidung das Gericht im Erstprozess getroffen hat, ist nach dem BGH die Urteilsformel. Der Tatbestand und die Entscheidungsgründe sind erst dann ergänzend heranzuziehen, wenn die Urteilformel allein nicht ausreicht, „um zu erkennen, welche Entschei98 Ausführlich etwa BGH NJW 1995, S. 967, 968; instruktiv auch BGH NJW 2003, S. 3058, 3059; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 194 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 51 ff.; Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 66 ff. und Musielak/ Voit-Musielak, ZPO, § 322, Rn. 10 ff. jeweils mwN – auch zur praktischen Häufigkeit dieser beiden Rechtskraftwirkungen. 99 Vgl. etwa BGH NJW 1976, S. 1095 f.; ebenso BGH NJW 1995, S. 967, 968; in jüngster Zeit BGH NJW-RR 2013, S. 757, 758; aus der Literatur zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 77 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 17 jeweils mwN. 100 Ausdrücklich zur Problematik der „Aushöhlung“ der Rechtskraft BGH NJW 1993, S. 2684, 2685; ausführlich auch BGH NJW 1995, S. 967, 968; siehe auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 194 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 51 f. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 66 ff. jeweils mwN. 101 Vgl. wiederum BGH NJW 1995, S. 967, 968 und BGH NJW 2003, S. 3058, 3059; siehe auch BGH NJW 2004, S. 294, 295 f.; aus der Literatur Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 217 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 51 f. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 66 ff. jeweils mwN. 102 Instruktiv zu diesem Zusammenhang zwischen Rechtskraft und der Ablehnung von Beweisanträgen insbesondere Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 284, Rn. 80 ff.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
dung das Gericht in einem rechtskräftigen Urteil getroffen hat“.103 Der BGH stellt für diese Beurteilung auf eine natürliche Betrachtungsweise ab: Maßgeblich sei „das ganze einem Klageantrag zugrundeliegende tatsächliche Geschehen, das bei natürlicher Betrachtungsweise nach der Verkehrsauffassung zusammengehört“.104 Teile der Literatur sprechen sich für eine weitergehende Rechtskraft aus, die insbesondere im Falle von Ausgleichszusammenhängen oder Sinnzusammenhängen auch Tatsachenfeststellungen umfassen soll.105 Die Rechtsprechung und das überwiegende Schrifttum lehnen eine solche Ausweitung im Hinblick auf die Gesetzgebungshistorie und den Wortlaut des § 322 I ZPO, aber auch unter Verweis auf die praktischen Schwierigkeiten einer Bestimmung der Rechtskraft anhand solcher Kriterien ab.106 bb) Die subjektiven und zeitlichen Grenzen der materiellen Rechtskraft nach den §§ 325 ff. ZPO und § 767 II ZPO Die materielle Rechtskraft wird jedoch nicht allein durch ihre objektiven Grenzen bestimmt. Vielmehr ist die materielle Rechtskraft auch in subjektiver und zeitlicher Hinsicht Grenzen unterworfen: Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft werden durch die §§ 325 ff. ZPO gezogen. Die Rechtskraft wirkt nach § 325 I ZPO grundsätzlich nur zwischen den Parteien des konkreten Zivilprozesses bzw. ihren Rechtsnachfolgern.107 Erfasst werden alle Arten der Rechtsnachfolge, sei es rechtsgeschäftlicher, gesetzlicher oder hoheitlicher Art.108 Eine weitergehende Rechtskrafterstreckung wird ganz überwiegend abgelehnt: Insbesondere mit Blick auf Art. 103 I GG komme eine Bindungswirkung gegenüber solchen Personen, die keinerlei Beteiligungsmöglichkeit im Prozess hatten, nicht in Betracht.109 103
So wörtlich BGH NJW 1995, S. 967 f.; in diesem Sinne bereits BGH NJW 1976, S. 1095 f. So BGH NJW 1995, S. 967, 968; ebenso BGH NJW-RR 1996, S. 826, 827 jeweils mwN; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 222 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 139 ff. und Thole, ZZP 124 (2011), S. 45, 48 ff. jeweils mwN; eine ausführliche Kritik liefert Musielak, NJW 2000, S. 3593, 3594 ff. 105 In diesem Sinne insbesondere Zeuner, objektive Grenzen der Rechtskraft, S. 72 ff.; weitere Nachweise finden sich bei Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 227 ff. und MüKo-Gott wald, ZPO I, § 322, Rn. 53 ff. 106 Ausdrücklich ablehnend BGH NJW 2003, S. 3058, 3059 f.; ebenso BGH NJW 2010, S. 2210, 2211 f.; siehe auch MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 53 ff.; in Ansätzen weitergehend demgegenüber Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 227 ff. 107 Ausführlich bereits BGH NJW 1952, S. 178; instruktiv auch BGH NJW-RR 2005, S. 338, 339; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 325, Rn. 1 ff. und MüKo-Gottwald, ZPO I, § 325, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 108 Vgl. bereits BGH NJW 1957, S. 1111; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 325, Rn. 21; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 325, Rn. 19 und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 325, Rn. 23 jeweils mwN. 109 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1952, S. 178; ausführlich Jauernig, ZZP 101 (1988), S. 361, 372 ff.; zustimmend auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 325, Rn. 1 ff.; MüKo-Gott 104
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In zeitlicher Hinsicht ist die Rechtskraft nach Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich auf den letzten Zeitpunkt beschränkt, in dem die Prozessparteien die Möglichkeit zum Tatsachenvortrag innehatten – regelmäßig handelt es sich hierbei um die letzte mündliche Tatsachenverhandlung.110 Die herrschende Meinung verweist für diese zeitlichen Grenzen der Rechtskraft regelmäßig auf § 767 II ZPO.111 Seinem Wortlaut nach normiert § 767 II ZPO die zulässigen Einwendungen im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage. Doch ergibt sich aus der Bestimmung des Entstehungszeitpunktes für zulässige Einwendungen gegen eine rechtskräftige Entscheidung zugleich, bis zu welchem Zeitpunkt die rechtskräftige Entscheidung ihrerseits Wirkung entfaltet.112 Die präjudizielle Wirkung tritt in diesem Zeitpunkt zudem unabhängig von einer etwaigen Kenntnis der Prozessparteien über die so erfassten Tatsachen oder Beweismittel ein.113 Diese Präklusion von Beweismitteln unabhängig von einer Kenntnis und der daraus resultierenden Möglichkeit einer Geltendmachung ist für die Untersuchung anhand des Rechts auf Beweis von besonderem Interesse. b) Eigene Ansicht: Die entgegenstehende Rechtskraft und das Recht auf Beweis Die präjudizielle Bindungswirkung der Rechtskraft nach § 322 I ZPO resultiert in der Ablehnung von Beweismitteln aller Art in einem Folgeprozess und bedarf insoweit einer Überprüfung am Maßstab des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta. Die Wirkungen der materiellen Rechtskraft sind indes vielfältig, so dass es im ersten Schritt einer Herausarbeitung der konkreten Einschränkungen des Rechts auf Beweis bedarf, bevor sich die Frage nach einer etwaigen Rechtfertigung anschließt.
wald, ZPO I, § 325, Rn. 1 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 325, Rn. 4 jeweils mwN; weitergehend demgegenüber Schwab, ZZP 77 (1964), S. 124, 137 ff. und Martens, ZZP 79 (1966), S. 404, 427 ff. 110 In diese Richtung BGH NJW 1985, S. 2481, 2482; ebenso Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 232 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 172 jeweils mwN. 111 Vgl. bereits BGH NJW 1985, S. 2481, 2482; ausdrücklich sodann BGH NJW 2004, S. 1252, 1253 f.; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 232 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 136 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 172 jeweils mwN. 112 Vgl. wiederum BGH NJW 2004, S. 1252, 1253 f.; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 232 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 136 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 172 ff. jeweils mwN; aus dogmatischer Sicht kritisch demgegenüber Thole, ZZP 124 (2011), S. 45, 55 ff. 113 Vgl. etwa BGH NJW 1960, S. 1460; ebenso BGH NJW 1973, S. 1328 und BGH NJW 2004, S. 1252, 1253 f.; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 230 f.; einschränkend demgegenüber MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 53 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
aa) Die Herausarbeitung möglicher Einschränkungen des Rechts auf Beweis Der Maßstab einer Einschränkung des Rechts auf Beweis ist in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen identisch, so dass auch nachfolgend eine gemeinsame Erarbeitung erfolgen kann.114 Als Einschränkung des Rechts auf Beweis iSe umfassenden Nachweismöglichkeit eigener Rechte kommt in erster Linie die präjudizielle Wirkung der Rechtskraft in Betracht. Allerdings ließe sich argumentieren, dass eine präjudizielle Wirkung nur im Falle einer rechtskräftigen Entscheidung eintreten kann, mithin eine Prozesspartei in diesem Erstprozess ihre Beweismittel vollständig einbringen durfte und eine Einschränkung des Rechts auf Beweis ausscheidet. Ob das Recht auf Beweis auch eine wiederholte Erhebung desselben Beweismittels gewährleistet, lässt sich nach hier vertretener Auffassung nicht pauschal beantworten, sondern bedarf vielmehr einer Herleitung nach seinem Telos. Wenn eine wiederholte Erhebung einen konkreten Mehrwehrt für den Rechtsnachweis einer Prozesspartei verspricht, so erscheint eine solche, erneute Beweiserhebung durchaus vom Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis umfasst. In den Konstellationen der Präjudizialität handelt es sich insofern nicht um eine erneute Erhebung identischer Beweismittel, als die Präjudizialität iSd § 322 I ZPO gerade voraussetzt, dass lediglich eine Teilidentität zwischen dem in Rede stehenden Anspruch in Erst- und Zweitprozess besteht.115 Im Falle einer Identität würde die Klage vielmehr als unzulässig abgewiesen. Daher hatte die Prozesspartei streng genommen eben nicht die Möglichkeit, im Erstprozess in Bezug auf dieses konkrete Recht ihre Beweismittel vorzubringen. Dies gilt umso mehr, als die Rechtskraft in sachlicher und zeitlicher Hinsicht für die Präklusionswirkung lediglich auf das Entstehen von Beweismitteln abstellt. Somit würde eine Partei mit ihren Beweismitteln im Zweitprozess auch dann ausgeschlossen, wenn sie im Erstprozess unverschuldet keine Kenntnis von diesen Beweismitteln und mithin gerade keine Möglichkeit des Nachweises eigener Rechte mit diesen Beweismitteln hatte. Insbesondere diese Fallkonstellation zeigt auf, dass die präjudizielle Wirkung der Rechtskraft nach § 322 I ZPO einen allgemeinen Ablehnungsgrund für Beweismittel und damit eine Einschränkung des Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen darstellt. Die subjektiven und zeitlichen Grenzen der Rechtskraft lassen demgegenüber keine weitere Einschränkung des Rechts auf Beweis erkennen: Die Rechtskraft wirkt nach den §§ 325 ff. ZPO ausschließlich zwischen den Prozessparteien und ihren Rechtsnachfolgern. Diese Rechtsnachfolge ist eine Anordnung des materiellen Rechts, die keine Einschränkung des Rechts auf Beweis impliziert. Bis zum Eintritt der Rechtsnachfolge hatte der Rechtsvorgänger das Recht auf Beweis inne und mit 114
Zur Definition einer Einschränkung des Rechts auf Beweis siehe § 8 II. 2. In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa auch BGH NJW 2003, S. 3058, 3059; Stein/JonasAlthammer, ZPO IV, § 322, Rn. 194 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 51 ff. jeweils mwN. 115
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dem Eintritt der Rechtsnachfolge hat sogleich sein Rechtsnachfolger ein entsprechendes Recht auf Beweis im konkreten Prozess erhalten. Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis ist damit nicht erkennbar. Die zeitlichen Grenzen der Rechtskraft nach § 767 II ZPO orientieren sich an der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung. Mithin fällt die zeitliche Grenze der Rechtskraft grundsätzlich mit dem letzten Äußerungszeitpunkt der Prozessparteien zusammen und entspricht daher im Grundsatz dem Recht auf Beweis. Einzig das Abstellen auf die Entstehung von Tatsachen und Beweismittel unabhängig von etwaigen Einbringungsmöglichkeiten stellt nach dem eben Gesagten eine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. bb) Die Rechtfertigung von Einschränkungen des Rechts auf Beweis im GG Die benannten Einschränkungen des Rechts auf Beweis bedürfen nach allgemeinen Regeln einer Rechtfertigung: Die Rechtskraft hat in § 322 I ZPO eine ausdrückliche gesetzliche Regelung erfahren und dient nach allgemeiner Ansicht der Schaffung von Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit durch die endgültige und bindende Beendigung eines Rechtsstreits.116 Die Rechtskraft stellt einen zentralen Baustein des Rechtsstaatsprinzips dar und verfolgt als Einschränkung des Rechts auf Beweis mithin ein legitimes Ziel. Im Rahmen der Güterabwägung gilt es zu bedenken, dass die Rechtskraft nach deutschem Verständnis sehr engen Grenzen unterworfen ist.117 Beweisanträge werden in einem Folgeprozess lediglich insoweit abgelehnt, als sie der eng gefassten, rechtskraftfähigen Rechtsfolge des Vorprozesses widersprechen. Die Rechtskraftfähigkeit der Rechtsfolge einer Entscheidung stellt auch nach hier vertretener Auffassung allein denjenigen engen Kernbereich rechtskraftfähiger Feststellungen dar, der erforderlich ist, um das Institut der materiellen Rechtskraft nicht gänzlich zu konterkarieren.118 Die Rechtskraft ist daher bereits in ihrer gesetzlichen Ausgestaltung und ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur auf ein Mindestmaß beschränkt. Hinzu kommt, dass eine präjudizielle Wirkung grundsätzlich eine Ablehnung von solchen Beweismitteln bewirkt, die im Erstprozess bereits vorgebracht werden konnten. Zwar erfolgt dieses Vorbringen nicht zum gänzlich identischen Recht des Zweitprozesses, so dass weiterhin eine Einschränkung des Rechts auf Beweis vorliegt. Dennoch kann nicht außer Acht gelassen werden, dass eine präjudizielle Wirkung nach dem engen Verständnis der materiellen Rechtskraft in Deutschland ausschließlich in solchen Konstellationen in Betracht kommt, in denen eine wesentliche Übereinstimmung von Erst- und Zweitprozess in tatsächlicher Hinsicht vorliegt. In aller Regel konnten sämtliche Beweismittel somit bereits im 116 Vgl. zu diesem Telos wiederum BGH NJW 1985, S. 1711, 1712; BGH NJW 2014, S. 314, 315; zustimmend auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 322, Rn. 27 ff.; MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 2 ff. und Wieczorek/Schütze-Büscher, ZPO V/1, § 322, Rn. 12 jeweils mwN. 117 Allgemeine Ansicht, vgl. etwa BGH NJW 1995, S. 967 f.; ausführlich auch Stein/Jonas-Alt hammer, ZPO IV, § 322, Rn. 66 ff. und MüKo-Gottwald, ZPO I, § 322, Rn. 83 f. jeweils mwN. 118 In diesem Sinne richtigerweise bereits BGH NJW 1995, S. 967 f.
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Vorprozess zu ganz ähnlichen, tatsächlichen Fragen vorgebracht werden. Es ließe sich sogar überlegen, ob das Recht auf Beweis selbst ein gewisses Maß an Bindungswirkung der Beweisergebnisse fordert, um die Beweiserhebung in einem Zivilprozess nicht zu entwerten. Bedenkt man weiterhin die enge Auslegung der materiellen Rechtskraft, so stellt die präjudizielle Wirkung dieses Tatsachenkerns dasjenige Minimum an Bindungswirkung dar, welches zur Erreichung des Zieles der Rechtssicherheit und Rechtsgewissheit erforderlich ist. Die präjudizielle Wirkung in Bezug auf solche Beweismittel, die im Erstprozess tatsächlich vorgebracht werden konnten, ist daher als Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz gerechtfertigt. Schwieriger erscheint die Rechtfertigung in Bezug auf solche Beweismittel, die einer Prozesspartei im Erstprozess unverschuldet unbekannt waren und daher im Zweitprozess ausgeschlossen sind, ohne dass erstmalig eine Einbringungsmöglichkeit bestand. In dieser Konstellation war die Prozesspartei zu keinem Zeitpunkt in der Lage, ihre Beweismittel im Zivilprozess einzubringen. Doch auch in dieser Konstellation muss man nach hier vertretener Auffassung bedenken, dass sich die präjudizielle Wirkung der materiellen Rechtskraft nach § 322 I ZPO auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß der durch das Gericht im Erstprozess ausgesprochenen Rechtsfolge begrenzt ist. Eine weitere Beschränkung der Rechtskraft würde ihre Rechtswirkung insgesamt in Frage stellen und daher die Werte von Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit gänzlich zurückdrängen. Zu bedenken ist weiterhin, dass das Gesetz in § 580 Nr. 7 ZPO zumindest für den Urkundenbeweis eine Durchbrechung der Rechtskraft bei späterem Auffinden bereits entstandener, aber (noch) unbekannter Beweismittel vorsieht.119 Aufgrund seiner Beschränkung auf den Urkundenbeweis kann § 580 Nr. 7 ZPO keine alleinige Rechtfertigung ermöglichen, doch trägt diese Vorschrift zumindest zu einer Rechtfertigung der fraglichen Konstellation bei. Mit Blick auf die engen Grenzen der präjudiziellen Wirkung der Rechtskraft, ihrer Bedeutung für Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit sowie der Durchbrechungsmöglichkeit des § 580 Nr. 7 ZPO erscheint auch die Ablehnung von solchen Beweismitteln, die einer Prozesspartei im Erstprozess unverschuldet unbekannt waren, nach hier vertretener Auffassung mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz vereinbar. cc) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Eine Rechtfertigung der präjudiziellen Wirkung der materiellen Rechtskraft anhand des strengeren Maßstabes des Rechts auf Beweis im Grundgesetz gibt bereits einen Fingerzeig für das Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta. Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit zählen auch nach den europäischen Grundrechtsordnungen zu den zentralen Elementen des Rechtsstaatsprinzip und sind daher 119
Eine ausführliche, kritische Analyse zu diesem 2006 neu eingefügten Restitutionsgrund liefert Braun, NJW 2007, S. 1620 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Jacobs, ZPO VI, § 580, Rn. 25 ff. mwN.
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als Schutzgüter von EMRK und Grundrechtecharta anerkannt.120 Die obigen Ausführungen zur Rechtfertigung der präjudiziellen Wirkung der materiellen Rechtskraft gelten daher auch hier: Der Gesetzgeber hat nach EMRK und Grundrechtecharta einen noch weiteren Gestaltungsspielraum inne. Somit erscheint die gesetzgeberische Abwägung zwischen Rechtsfrieden und Rechtsgewissheit auf der einen Seite und dem Recht auf Beweis auf der anderen Seite in Form der Regelungen der materiellen Rechtkraft in der ZPO als gerechtfertigte Einschränkung des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta in Bezug auf die Ablehnung aller bekannten und unbekannten Beweismittel in einem Zweitprozess.
6. Die Ablehnung einer Beweiserhebung aufgrund einer Interventionswirkung Neben der soeben untersuchten Rechtskraft findet sich mit der Interventionswirkung in § 68 ZPO eine weitere Rechtswirkung, die einer Erhebung jeder Art von Beweismittel entgegenstehen kann und sich als allgemeiner Ablehnungsgrund für Beweismittel darstellt. Die Interventionswirkung nach § 68 ZPO kann als Rechtsfolge einer Nebenintervention nach den §§ 66 ZPO, wie auch einer Streitverkündung nach den §§ 72 ff. ZPO eintreten. Daher sollen beide Rechtsinstitute kurz anhand ihrer Voraussetzungen und Rechtswirkungen beleuchtet werden, bevor sich eine Überprüfung am Maßstab des Rechts auf Beweis anschließt. a) Die Nebenintervention nach den §§ 66 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die Nebenintervention ermöglicht einem Dritten nach § 66 ZPO den Beitritt zu einem anhängigen Prozess mit dem Zwecke der Unterstützung einer der Prozessparteien, deren Prozesssieg im rechtlichen Interesse des Dritten steht.121 Voraussetzung ist nach § 66 II ZPO, dass es sich bei dem Nebenintervenienten um einen Dritten handelt, mithin weder um eine Prozesspartei, noch um deren Vertreter.122 Außerdem muss der betreffende Prozess bereits anhängig und noch nicht beendet sein, wobei nach ganz herrschender Meinung keine Rechtshängigkeit zu fordern ist.123 Weiter120 Vgl. für die EMRK etwa EGMR, Urteil vom 03.12.2009, 8917/05, Kart ./. TURK, Rn. 79; allgemein zu den legitimen Zielen siehe Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 18, Rn. 12 ff.; für die Grundrechtecharta siehe etwa EuGH, Rs. C-169/14, Rn. 34 – Sanchez Marcillo und Abril Garcia; ausführlich auch Meyer-Borowsky, GRC, Art. 47, Rn. 21 ff. jeweils mwN. 121 Ausführlich etwa Lammenett, Nebenintervention, S. 42 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 66, Rn. 1 ff.; MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 1 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 50, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 122 Ausführlich für den Fall der Streitverkündung bereits BGH NJW 1953, S. 420, 421; siehe auch Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 66, Rn. 12 ff. und MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 4 jeweils mwN. 123 Ausführlich BGH NJW 1985, S. 328, 329 f.; zustimmend MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 3 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 50, Rn. 5 ff.; differenzierend für eine Analogie der
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hin bedarf es nach § 66 I ZPO eines rechtlichen Interesses des Dritten (Interventionsgrund). Dieser Begriff ist nach Rechtsprechung und Schrifttum im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Norm weit auszulegen.124 Ein rechtliches Interesse ist nach dem BGH immer dann zu bejahen, „wenn der Nebenintervenient zu der unterstützten Partei oder dem Gegenstand des Rechtsstreits in einem Rechtsverhältnis steht, auf das die Entscheidung des Rechtsstreits durch ihren Inhalt oder ihre Vollstreckung unmittelbar oder auch nur mittelbar rechtlich einwirkt“.125 Es muss sich hierbei um ein eigenes Interesse des Dritten handeln, wobei rein wirtschaftliche oder ideelle Interessen nicht genügen sollen.126 Ein solches Interesse kann nach ganz herrschender Auffassung sowohl in einer ungünstigen Wirkung im Falle des Unterliegens der Hauptpartei als auch in einer günstigen Wirkung im Falle ihres Obsiegens zu sehen sein.127 Rechtsfolge einer zulässigen Nebenintervention ist die Interventionswirkung des § 68 ZPO. Nach einhelliger Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum umfasst diese Interventionswirkung alle rechtlichen und tatsächlichen Feststellungen, auf denen das Urteil im Erstprozess beruht und führt zu einer diesbezüglichen Bindungswirkung in einem Zweitprozess.128 Allein solche Feststellungen, auf denen die Entscheidung gerade nicht beruht (überschießende Feststellungen), sind von der Interventionswirkung ausgenommen, wobei es zur Beurteilung des Überschießens nach ganz herrschender Meinung auf die objektive Rechtslage ankommt.129 Weiter ist die Interventionswirkung für solche Feststellungen ausgeschlossen, die das Gericht in seiner Entscheidung hätte treffen müssen, aber tatsächlich nicht getroffen hat.130 Diese Bindung tritt zudem nach herrschender Auffassung ausschließlich zu§§ 66 ff. vor Rechtshängigkeit in bestimmten Fällen Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 66, Rn. 6 ff. jeweils mwN. 124 Vgl. etwa BGH GRUR 2006, S. 438 f. und BGH NJW-RR 2011, S. 907, 908; zustimmend auch MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 5 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 50, Rn. 13 f. jeweils mwN. 125 So die Definition von BGH NJW-RR 2011, S. 907, 908; ganz ähnlich MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 7 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 50, Rn. 13 jeweils mwN. 126 Vgl. wiederum BGH GRUR 2006, S. 438 f. und BGH NJW-RR 2011, S. 907, 908; aus der Literatur MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 5 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, § 50, Rn. 13 f. jeweils mwN. 127 In diesem Sinne Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 66, Rn. 16 f. und MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 9; aA demgegenüber Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 50, Rn. 13 f. jeweils mwN. 128 Vgl. bereits BGH NJW 1953, S. 420, 422; ebenso BGH NJW 1969, S. 1480, 1481; BGH NJW 1998, S. 79, 80; in jüngster Zeit BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560; ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 131 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 68, Rn. 5 ff. und MüKo-Schul tes, ZPO I, § 68, Rn. 6 ff. jeweils mwN. 129 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560; ausdrücklich zur Bestimmung anhand der objektiven Rechtslage BGH MDR 2004, S. 465; ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 147 ff.; zustimmend auch MüKo-Schultes, ZPO I, § 66, Rn. 9 jeweils mwN. 130 So ausdrücklich BGH NJW 1983, S. 820, 821; zustimmend MüKo-Schulte, ZPO I, § 68, Rn. 15 mwN.
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gunsten der unterstützten Hauptpartei ein, nicht aber zu deren Lasten.131 Diese Sichtweise wird gerade in neuerer Zeit unter Verweis auf die prozessuale Waffengleichheit kritisiert.132 Diese Bindungswirkung der Nebenintervention ist wesentlich umfangreicher, als die entsprechende Bindung durch die Rechtskraft einer Entscheidung nach § 322 I ZPO. Dieser Umfang der Interventionswirkung wird durch die Einrede mangelhafter Prozessführung nach § 68 HS 2 ZPO in drei möglichen Alternativen wieder eingefangen: Eine Interventionswirkung scheidet insoweit aus, als der Dritte entweder aufgrund des Zeitpunktes seines Beitrittes zur Nebenintervention (§ 68 HS 2, Alt. 1 ZPO) oder aufgrund entgegenstehender Handlungen der Hauptpartei (§ 68 HS 2, Alt. 2 ZPO) seine Einflussmöglichkeiten nicht geltend machen konnte. Außerdem wird die Interventionswirkung nach § 68 HS 2, Alt. 3 ZPO bei Unkenntnis des Dritten über Angriffs- und Verteidigungsmittel und absichtlicher bzw. grob verschuldeter Nichtgeltendmachung durch die Hauptpartei ebenfalls ausgeschlossen. Die ersten zwei Alternativen des § 68 HS 2 ZPO werden in Rechtsprechung und Literatur weit ausgelegt und als Grundsatz dahingehend verstanden, dass eine Interventionswirkung in einem solchen Umfang eintreten kann, in dem der Dritte tatsächlich zu einer Einflussnahme auf den Prozess imstande war.133 Dieser Grundsatz wird regelmäßig auf das Recht auf rechtliches Gehör des Dritten aus Art. 103 I GG zurückgeführt.134 Die dritte Alternative des § 68 HS 2 ZPO stellt demgegenüber insoweit eine reine Billigkeitsentscheidung dar, als die Nichtgeltendmachung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln aufgrund eigener Unkenntnis auch in einem eigenen Zivilprozess des Dritten zu seinen eigenen Risiken gehören würde.135 Daher ist § 68 HS 2, Alt. 3 ZPO in diesem Umfang kein Ausfluss des Rechts auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG, so dass tendenziell eine enge Auslegung vertreten wird.136
131 Ausführlich zu dieser Streitfrage BGH NJW 1987, S. 1894, 1985; bestätigt in BGH NJW 1997, S. 2386 f.; zustimmend Wieser, ZZP 79 (1966), S. 246, 285 ff.; MüKo-Schulte, ZPO I, § 68, Rn. 9 ff.; Musielak/Voit-Weth, ZPO, § 68, Rn. 5 jeweils mwN. 132 So etwa Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 57 mwN. 133 Vgl. bereits BGH NJW 1976, S. 292, 293 f.; ebenso BGH NJW 1982, S. 281, 282; BGH NJW 1998, S. 79, 80; ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 137 ff.; siehe auch Stein/JonasJacoby, ZPO I, § 68, Rn. 13 ff. und MüKo-Schultes, ZPO I, § 68, Rn. 19 ff. jeweils mwN 134 Ausführlich wiederum Ziegert, Interventionswirkung, S. 137 ff.; instruktiv auch Wieser, ZZP 79 (1966), S. 246, 262 ff.; Marotzke, ZZP 100 (1987), S. 164 ff. und MüKo-Schultes, ZPO I, § 68, Rn. 19 ff. jeweils mwN. 135 Ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 180; siehe auch MüKo-Schultes, ZPO I, § 68, Rn. 22 jeweils mwN; nach Wieser, ZZP 79 (1966), S. 246, 263 f. genügt demgegenüber bereits grobe Unkenntnis des Dritten. 136 Siehe wiederum Ziegert, Interventionswirkung, S. 180 und Wieser, ZZP 79 (1966), S. 246, 263 f.
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b) Die Streitverkündung nach den §§ 72 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die Streitverkündung nach den §§ 72 ff. ZPO ermöglicht es den Prozessparteien, ihrerseits die Feststellungen des Erstprozesses auch für Dritte mit bindender Wirkung in einem Folgeprozess festzuschreiben.137 Durch diese Bindung wird vermieden, dass eine Prozesspartei aufgrund der engen Auslegung der materiellen Rechtskraft zwei Prozesse verliert, von denen die Partei zumindest einen gewinnen müsste.138 Die Streitverkündung bezweckt daher die Vermeidung unnötiger Prozesse und insbesondere widersprüchlicher Entscheidungen verschiedener Gerichte.139 Eine Streitverkündung muss nach § 72 I ZPO in einem anhängigen – nicht rechtshängigen – Rechtsstreit gegenüber einem Dritten – mithin weder Partei, noch ihr Vertreter – erklärt werden.140 Außerdem bedarf es auch nach § 72 I ZPO eines bestimmten Grundes für die Streitverkündung: In Betracht kommt als erste Alternative ein Regress gegen einen Dritten im Falle eines ungünstigen Prozessausganges, sei es im Wege der Gewährleistung oder des Schadensersatzes.141 Erfasst wird außerdem der spiegelbildliche Fall des drohenden Regresses eines Dritten im Falle eines ungünstigen Prozessausganges – denkbar insbesondere bei Geltendmachung eines Anspruches durch die Prozesspartei für eben diesen Dritten.142 In Rechtsprechung und Literatur werden diese Gründe für eine Streitverkündung ihrem Sinn und Zweck nach weit ausgelegt.143 Außerdem hat die Rechtsprechung unter mehrheitlicher Zustimmung der Literatur das Institut der Streitverkündung auf Fallkonstellationen sog. Alternativansprüche erstreckt144: Eine Streitverkündung ist hiernach zulässig, wenn eine alternative Inanspruchnahme aus rechtlichen Gründen – von mehreren mögli137 Ausführlich bereits BGH NJW 1953, S. 420, 421 f.; in neuerer Zeit instruktiv BGH NJW 2012, S. 674, 675, siehe auch Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 72, Rn. 1 f.; MüKo-Schultes, ZPO I, § 72, Rn. 1 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 51, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 138 In diesem Sinne etwa BGH NJW 1992, S. 1698, 1699; ebenso BGH NJW 2009, S. 1488, 1490; ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 116 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 51, Rn. 1 jeweils mwN. 139 Vgl. bereits BGH NJW 1962, S. 387 f.; instruktiv auch BGH NJW 2009, S. 1488, 1490; ausführlich wiederum Ziegert, Interventionswirkung, S. 116 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 51, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 140 Ausführlich bereits BGH NJW 1953, S. 420, 421 (Dritter) und BGH NJW 1985, S. 328, 329 f. (Anhängigkeit); zustimmend Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 72, Rn. 3 ff. und MüKo-Schultes, ZPO I, § 72, Rn. 3 f. jeweils mwN. 141 Vgl. etwa BGH NJW 1976, S. 39, 40; instruktiv auch BGH NJW 1992, S. 1698, 1699; ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 115 f.; siehe auch Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 72, Rn. 9 ff. und MüKo-Schultes, ZPO I, § 72, Rn. 5 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 51, Rn. 12 ff. jeweils mwN. 142 Vgl. BGH NJW 1992, S. 1698, 1699; siehe auch Ziegert, Interventionswirkung, S. 115 f.; Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 72, Rn. 12 und MüKo-Schultes, ZPO I, § 72, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 143 Vgl. wiederum BGH NJW 1698, 1699; zustimmend Ziegert, Interventionswirkung, S. 120 ff.; MüKo-Schultes, ZPO I, § 72, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 144 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1952, S. 420, 421 f.; ebenso BGH NJW 1989, S. 521,
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chen Schuldnern muss jedenfalls eine Person haften – oder aus tatsächlichen Gründen – von mehreren möglichen Schadensursachen war zumindest eine auf jeden Fall ursächlich – in Betracht kommt.145 Die Beurteilung eines möglichen Regressanspruches erfolgt hierbei aus Sicht der streitverkündenden Partei, wobei es nach ganz herrschender Meinung genügt, wenn die Partei „naheliegende Gründe“ für einen solchen Regressanspruch vorweisen kann.146 Als Rechtsfolge verweist § 74 III ZPO auf die Interventionswirkung des § 68 ZPO. Nach Rechtsprechung und Literatur umfasst diese Interventionswirkung im Rahmen der Streitverkündung alle tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen, auf denen die Entscheidung im Erstprozess beruht.147 Ausgenommen sind wiederum überschießende Feststellungen sowie solche, die das Gericht hätte treffen müssen, aber faktisch nicht getroffen hat.148 Die Interventionswirkung gilt im Falle der Streitverkündung nach ganz herrschender Meinung ausschließlich zulasten des Dritten, was sich aus dem Wortlaut „gegen den Dritten“ in § 74 III ZPO ergibt.149 Die Einwendung mangelhafter Prozessführung nach § 68 HS 2 ZPO orientiert sich gleichfalls an der Nebenintervention: Die Interventionswirkung gilt hiernach nur soweit, wie der Dritte tatsächlich in der Lage war, die gerichtliche Entscheidung zu beeinflussen.150 c) Eigene Ansicht: Die Interventionswirkung und das Recht auf Beweis im GG Diese Interventionswirkung führt zu einer Bindungswirkung im Folgeprozess, die im Ansatz der präjudiziellen Wirkung der materiellen Rechtskraft nach § 322 I ZPO ähnelt. Allerdings umfasst die Interventionswirkung auch sämtliche tatsächlichen 522; instruktiv in jüngster Zeit BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560; zustimmend Ziegert, Interventionswirkung, S. 120 ff. und MüKo-Schultes, ZPO I, § 72, Rn. 9 ff. jeweils mwN. 145 Vgl. etwa BGH NJW 1989, S. 521, 522 (rechtliche Gründe) und BGH NJW 1978, S. 643 (tatsächliche Gründe); zusammenfassend BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560; zustimmend Ziegert, Interventionswirkung, S. 120 ff. mwN. ähnlich MüKo-Schultes, ZPO I, § 72, Rn. 9 ff. unter Einschränkung für Fallkonstellationen subsidiärer Haftung. 146 So die Definition von BGH NJW 1976, S. 39, 40; ebenso BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560 jeweils mwN. 147 Vgl. bereits BGH NJW 1953, S. 420, 422; ebenso BGH NJW 1969, S. 1480, 1481; BGH NJW 1998, S. 79, 80; in jüngster Zeit BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560; ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 131 ff.; zustimmend Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 74, Rn. 9 f. und MüKoSchultes, ZPO I, § 74, Rn. 6 ff. jeweils mwN. 148 Vgl. BGH NJW 1983, S. 820, 821 und zusammenfassend BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560; zustimmend MüKo-Schulte, ZPO I, § 74, Rn. 6 ff. mwN. 149 Ausführlich zu dieser Fragestellung BGH NJW 1987, S. 1894, 1895 und BGH NJW 1987, S. 2874. 150 Vgl. wiederum BGH NJW 1976, S. 292, 293 f.; ebenso BGH NJW 1982, S. 281, 282; BGH NJW 1998, S. 79, 80; ausführlich Ziegert, Interventionswirkung, S. 137 ff.; siehe auch Stein/JonasJacoby, ZPO I, § 74, Rn. 5 und MüKo-Schultes, ZPO I, § 74, Rn. 5 ff. jeweils mwN.
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Feststellungen des Erstprozesses151, so dass diese Bindungswirkung deutlich weiter reicht, als die materielle Rechtskraft. Daher sind die Institute der Nebenintervention und der Streitverkündung jeweils am Maßstab des Rechts auf Beweis zu messen, beginnend mit dem Grundgesetz. aa) Die Nebenintervention im Lichte des Rechts auf Beweis Im ersten Schritt stellt sich auch an dieser Stelle die Frage nach einer Einschränkung des Rechts auf Beweis im Hinblick auf die etwaige Möglichkeit der Beweiserhebung im Erstprozess. Es ließe sich auch für die Interventionswirkung argumentieren, dass das Recht auf Beweis lediglich eine einmalige Erhebungsmöglichkeit gewährleiste. Doch auch für die Interventionswirkung gilt, dass der Folgeprozess sich zwar in der Regel um einen weitgehend identischen Sachverhalt drehen wird, die in Rede stehenden Rechte jedoch im Regressprozess ebenso regelmäßig differieren werden und daher eine Beweiserhebung über dieses Recht im Vorprozess strenggenommen eben nicht möglich war. Die Abgrenzung der Interventionswirkung anhand der Einflussmöglichkeiten der Parteien im Erstprozess kann daher die Einschränkung des Rechts auf Beweis nicht ausschließen. Eine gesetzliche Regelung der Einschränkung ist in § 68 ZPO zu sehen. Die Nebenintervention dient der Vermeidung weiterer Zivilprozess über denselben Sachverhalt, wie auch der Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen und somit gleichsam der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und dem Rechtsfrieden als Allgemeingütern von Verfassungsrang. Im Rahmen der Angemessenheit gilt es zu beachten, dass eine Interventionswirkung nach ganz herrschender Auffassung nur soweit reicht, wie ein Nebenintervenient sich im Erstprozess tatsächlich äußern konnte.152 Die Prozesspartei konnte ihre Beweismittel somit grundsätzlich im früheren Prozess vorbringen. Eine Interventionswirkung bezüglich solcher Beweismittel, deren Einbringung möglich war, im Erstprozess jedoch nicht genutzt wurde, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Das Recht auf Beweis möchte den Prozessparteien eine verbindliche Möglichkeit zu eigenen Aktivitäten und damit zum eigenen Rechtsnachweis geben, jedoch gerade keinen unbegrenzten Schutz bei eigener Inaktivität im Prozess gewähren. Hinzu kommt, dass die Nebenintervention als solche stets vom Intervenienten selbst ausgeht. Zwar wird man einen wirksamen Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in dem Beitritt zu einem Prozess aufgrund der hohen Voraussetzungen eines solchen Verzichts nur ganz ausnahmsweise erblicken können. Schließlich soll die Nebenintervention ja gerade der Unterstützung einer anderen Person zur Verbesserung, nicht aber der Verschlechterung der eigenen Situation dienen. Den151 In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa BGH NJW-RR 2015, S. 559, 560; ausführlich auch Ziegert, Interventionswirkung, S. 131 ff. jeweils mwN. 152 Vgl. wiederum BGH NJW 1998, S. 79, 80 und Ziegert, Interventionswirkung, S. 137 ff. jeweils mwN.
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noch spielt auch die Freiwilligkeit dieser Beteiligung an einem Prozess als Nebenintervenient im Wissen um die mögliche Bindungswirkung in die Gesamtabwägung hinein. Letztlich ist diese Abwägung eine Frage des Einzelfalles. Dennoch lässt sich nach hier vertretener Auffassung festhalten, dass die Beweisablehnung aufgrund einer Interventionswirkung grundsätzlich so weit gerechtfertigt ist, wie eine Prozesspartei ihre Beweismittel im Vorprozess als Nebenintervenient vorbringen durfte.153 Die Auslegung der herrschenden Meinung begegnet daher mit Blick auf das Recht auf Beweis im Grundgesetz keinen grundsätzlichen Bedenken. bb) Die Streitverkündung im Licht des Rechts auf Beweis Das Rechtsinstitut der Streitverkündung in den §§ 72 ff. ZPO weist auf den ersten Blick weitgehende Parallelen zur Nebenintervention auf: Die Frage nach einer etwaig fehlenden Einschränkung des Rechts auf Beweis mit Blick auf die Nachweismöglichkeiten im Erstprozess lässt sich auch hier mit dem formal verschiedenen Streitgegenstand des Zweitprozesses beantworten. Weiterhin verweist die gesetzliche Regelung dieser Einschränkung des Rechts auf Beweis in § 74 III ZPO auf die Interventionswirkung des § 68 ZPO. Die Regelung der Streitverkündung dient daher ebenfalls der Vermeidung unnötiger Prozesse und dem Schutz vor widersprechenden Entscheidungen als legitimem Ziel. In diesem Punkt lassen sich jedoch zugleich die Unterschiedlichkeiten von Streitverkündung und Nebenintervention aufzeigen: Während die Nebenintervention die Interessen der intervenierenden Person im Blick hat, dient die Streitverkündung in erster Linie dem Streitverkünder selbst.154 Die Streitverkündung ermöglicht eine Bindungswirkung tatsächlicher und rechtlicher Feststellung zur Vermeidung widersprechender Entscheidungen zu seinen Lasten. Demgegenüber wird der Streitverkündete in einen Prozess mit bindender Wirkung für einen Folgeprozess hineingezogen. Daher erscheint die bindende Interventionswirkung der Streitverkündung und die daraus resultierende Ablehnung von Beweismitteln im Folgeprozess als deutlich schärfere Einschränkung des Rechts auf Beweis im Vergleich zur Wirkung der Nebenintervention. Allerdings geht die ganz herrschende Auffassung auch für die Streitverkündung richtigerweise davon aus, dass die Interventionswirkung nur soweit reichen darf, wie der Streitverkündete sich im Erstprozess tatsächlich äußern konnte.155 Zudem dient die Streitverkündung den berechtigten Interessen des Streitverkünders dahin153
In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa BGH NJW 1976, S. 292, 293 f.; BGH NJW 1998, S. 79, 80; Ziegert, Interventionswirkung, S. 137 ff.; Stein/Jonas-Jacoby, ZPO I, § 68, Rn. 13 ff. jeweils mwN. 154 Instruktiv zu diesem Telos der Streitverkündung BGH NJW 2009, S. 1488, 1490; siehe auch Ziegert, Interventionswirkung, S. 116 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 51, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 155 Siehe einmal mehr BGH NJW 1998, S. 79, 80 und Ziegert, Interventionswirkung, S. 137 ff. jeweils mwN.
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gehend, dass widersprechende Entscheidungen zu seinen Lasten vermieden werden. Insoweit stellt sich die Streitverkündung als logische Folge und als Korrelat zur eng verstandenen Rechtskraft im deutschen Zivilprozess dar. Letztlich handelt es sich bei der Abwägung wiederum um eine Frage des Einzelfalles. Dennoch erscheint die Auslegung der herrschenden Meinung einmal mehr als richtiger Ausgangspunkt: Die Interventionswirkung darf ausschließlich so weit reichen, wie der Streitverkündete im Erstprozess die tatsächliche Möglichkeit hatte, Beweismittel einzubringen.156 Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Inhaber des Rechts auf Beweis zumindest in einem Prozess die Möglichkeit hatte, seine Beweismittel umfassend vorzubringen. Die Bindungswirkung der Streitverkündung als Einschränkung des Rechts auf Beweis lässt sich sodann mit Blick auf ihre Bedeutung für die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und insbesondere die effektive Rechtsdurchsetzung des Streitverkünders in der Regel rechtfertigen. d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Diese Auslegung der Interventionswirkung von Nebenintervention und Streitverkündung genügt nach hier vertretener Auffassung auch dem Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta. Auch nach diesen beiden Grundrechtsordnungen ist die tatsächliche, effektive Möglichkeit des Rechtsnachweises im Erstoder Zweitprozess zu berücksichtigen. Der Gesetzgeber hat einen weiten Gestaltungsspielraum, so dass nach EMRK und Grundrechtecharta umso weniger festgelegt ist, ob die Nachweismöglichkeit zwingend im Erst- oder Zweitprozess stattfinden muss bzw. eine Aufteilung dieser Nachweismöglichkeit zulässig ist. Die Beweisablehnung aufgrund einer Interventionswirkung von Nebenintervention und Streitverkündung ist daher mit dem Recht auf Beweis nach EMRK und Grundrechtecharta insoweit vereinbar, als die Interventionswirkung sich auf solche Beweismittel beschränkt, deren Einbringung im Erstprozess der Partei des Folgeprozesses tatsächlich möglich war.
7. Die Ablehnung einer Beweiserhebung im Anschluss an eine Parteiänderung Eine weitere Form der Bindung einer Prozesspartei kann sich als Konsequenz einer Parteiänderung ergeben. Eine Parteiänderung kommt in Betracht, wenn sich im Laufe eines Prozesses herausstellt, dass auf Kläger- oder Beklagtenseite die falsche Partei am Prozess teilnimmt – bedingt durch eine fehlerhafte Bewertung der Sach- oder
Vgl. wiederum BGH NJW 1998, S. 79, 80 und Ziegert, Interventionswirkung, S. 137 ff. jeweils mwN. 156
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Rechtslage.157 Abzugrenzen ist die Parteiänderung von einer bloßen Parteiberichtigung: Eine solche Berichtung kommt in Betracht, wenn eine Partei in der Klageschrift ungenau bezeichnet wurde und durch Auslegung zu ermitteln ist. Entscheidend für eine Berichtigung ist, dass Identität zwischen der subjektiv gemeinten Partei und der durch Auslegung der Klageschrift zu ermittelnden Partei besteht.158 Die Auslegung erfolgt hierbei anhand des objektivierten Empfängerhorizontes des Gerichts und der Gegenpartei.159 Die Parteiänderung meint sowohl den Wechsel einer Partei als auch die Erweiterung des Prozesses um eine Partei und dient in erster Linie der Prozessökonomie.160 Die bisher investierte Zeit und die bereits erhobenen Beweismittel sollen nach diesem Konzept weiter verwertet werden und der Prozess in der bisherigen Lage mit denjenigen Parteien fortgeführt werden, denen nach der Sach- und Rechtslage das streitige Recht zustehen kann. Aus diesem Ansatz resultiert auch der Konflikt zum Recht auf Beweis: Ein Parteiwechsel dient nur dann der Prozessökonomie, wenn die neu eintretende Partei an die bisherigen Ergebnisse des Prozesses gebunden werden kann und diese Ergebnisse somit weiterhin verwertet werden können.161 Hieraus folgt jedoch zugleich, dass etwaige Beweisanträge der neu hinzutretenden Prozesspartei regelmäßig unter Verweis auf die Bindung an eine vor ihrem Eintritt erfolgte Beweiserhebung abgelehnt werden. Daher sind die einzelnen Konstellationen einer Parteiänderung in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur herauszuarbeiten und am Maßstab des Rechts auf Beweis zu überprüfen. a) Der Parteiwechsel in Rechtsprechung und Literatur Der Parteiwechsel hat in der ZPO nur eine sehr eingeschränkte Regelung erfahren.162 Daher sind seine dogmatischen Grundlagen und teils auch seine Voraussetzungen in Rechtsprechung und Literatur umstritten: In der Rechtsprechung wird der etwa Gofferjé, gewillkürte Parteiänderung, S. 1 ff. und Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 1 ff. 158 Vgl. etwa BGH NJW 1981, S. 1453 f.; ebenso BGH NJW 1987, S. 1946, 1947; ausführlich zu dieser Abgrenzung Burbulla, MDR 2007, S. 439, 440 ff. 159 Vgl. wiederum BGH NJW 1981, S. 1453; ebenso BGH NJW 1987, S. 1946, 1947 und aus der Literatur Burbulla, MDR 2007, S. 439, 440 ff. 160 In diesem Sinne etwa BGH NJW 2003, S. 2172, 2173; ausführlich etwa Gofferjé, gewillkürte Parteiänderung, S. 24 ff.; zustimmend auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 40; MüKoBecker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 67 f. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 120 jeweils mwN. 161 Vgl. insbesondere Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 40, der in der Verwertbarkeit von Prozessergebnissen eine Voraussetzung der zulässigen Parteiänderung erblickt; ähnlich Putzo, FGBGH III, S. 149, 152 jeweils mwN. 162 Vgl. bereits BGH NJW 1995, S. 1393 f.; instruktiv BGH NJW 1976, S. 239, 240; in neuerer Zeit siehe BGH NJW 2007, S. 769, 770 jeweils mwN; ausführlich zu dieser Rechtsprechung, Put zo, FG-BGH III, S. 149, 151 ff. 157 Ausführlich
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Parteiwechsel als eine Form der subjektiven Klageänderung verstanden und daher in analoger Anwendung der §§ 263, 264 ZPO behandelt (sog. Klageänderungstheorie).163 Die Zulässigkeit eines Parteiwechsels setzt hiernach entweder die Zustimmung aller drei Parteien oder alternativ die Sachdienlichkeit des Wechsels voraus.164 Die Sachdienlichkeit bestimmt sich in diesem Zusammenhang nach den allgemeinen Regeln des § 263 ZPO anhand der Prozessökonomie: Sachdienlichkeit ist zu bejahen, wenn der Prozessstoff des alten und des neuen Prozesses zumindest teilweise übereinstimmen, mithin die Entstehung eines weiteren Prozesses vermieden werden kann.165 In der Literatur wird die gewillkürte Klageänderung mehrheitlich als ein Rechtsinstitut eigener Art angesehen.166 Dieses Rechtsinstitut soll inhaltlich mithilfe der Wertung bestehender gesetzlicher Vorschriften der ZPO ausgefüllt werden, namentlich den gesetzlichen Regelungen des Parteiwechsels in den §§ 265, 266 ZPO, den Regelungen der Klageänderung in den §§ 263, 264 ZPO und den Regelung über die Klagerücknahme in § 269 I ZPO.167 Divergenzen mit der Rechtsprechung entzünden sich in erster Linie über die Voraussetzungen einer Bindung der der Parteien an die bisherigen Prozessergebnisse: So verlangt das Schrifttum grundsätzlich die Zustimmung aller Prozessparteien für eine wirksame Bindung.168 Eine Verweigerung dieser Zustimmung kann jedoch nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein.169 Ein Rechtsmissbrauch ist nach der Literatur insbesondere in zwei Fallkonstellationen denkbar:170 Zum einen, wenn die neue Partei bereits auf den bisherigen Prozess einen so großen 163 Ausführlich
BGH NJW 1974, S. 750 f. und BGH NJW 1976, S. 239, 240. Vgl. wiederum BGH NJW 1974, S. 750 f. und BGH NJW 1976, S. 239, 240; ausführlich Putzo, FG-BGH III, S. 149, 151 ff. 165 Instruktiv bereits BGH NJW 1951, S. 311, 312; siehe auch BGH NJW 1962, S. 633, 634 ff. und BGH NJW 1975, S. 1228, 1229 jeweils mwN. 166 Grundlegend De Boor, Lehre vom Parteiwechsel, S. 89 ff.; zustimmend Wieczorek/SchützeAssmann, ZPO IV, § 263, Rn. 123 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 42, Rn. 20; Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 83 ff. und 189 ff. jeweils mwN. 167 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 123 f.; Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 189 ff.; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 67 f. jeweils mwN. 168 Ausführlich zu diesem Erfordernis Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 111 ff.; zu diesem Erfordernis in den einzelnen Fallkonstellationen siehe Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 49 ff.; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 70 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 127 ff. jeweils mwN. 169 Vgl. bereits BGH NJW 1951, S. 1598, 1599; in neuerer Zeit instruktiv BGH NJW-RR 2008, S. 176 f.; eine ausführliche Herausarbeitung der einzelnen Fallgruppen liefert Roth, NJW 1988, S. 2977, 2980 ff.; eine ausführliche Analyse bietet auch Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 156 ff.; siehe auch MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 70 ff. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 127 ff. jeweils mwN. 170 In diesem Sinne Roth, NJW 1988, S. 2977, 2980 ff. mit einer ausführlichen Herausarbeitung der Fallgruppen einer rechtsmissbräuchlichen Verweigerung der Zustimmung; siehe auch die Analyse von Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 156 ff. jeweils mwN. 164
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Einfluss nehmen konnte, dass der Prozess faktisch von ihr geführt wurde.171 Zum anderen, wenn keinerlei Schlechterstellung der zu bindenden Prozesspartei zu erwarten ist.172 Teilweise wird darüber hinaus eine rechtsmissbräuchliche Verweigerung angenommen, wenn die Prozesspartei in jedem Fall an die Ergebnisse des Prozesses gebunden wäre – etwa durch eine Rechtskrafterstreckung.173 Im Einzelnen sind die Fallgestaltungen eines Parteiwechsels auf Kläger- und Beklagtenseite jeweils in erster und zweiter Instanz zu unterscheiden: aa) Der Wechsel auf Klägerseite in erster und zweiter Instanz Der Wechsel des Klägers bedarf nach der Rechtsprechung grundsätzlich der Zustimmung aller drei beteiligten Parteien.174 Allerdings kann diese Zustimmung im Falle des alten Klägers und Beklagten in erster und auch zweiter Instanz durch eine Sachdienlicherklärung ersetzt werden.175 Die herrschende Literaturauffassung verlangt stets die Zustimmung des alten Klägers und Beklagten, deren Verweigerung im Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein kann.176 In Bezug auf den neuen Kläger stimmen Rechtsprechung und Literatur dahingehend überein, dass dessen Zustimmung als Grundvoraussetzung für seinen Eintritt in einen Prozess iSe Rechtsschutzbegehrens erforderlich ist.177 bb) Der Wechsel auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz Im Falle des Beklagtenwechsels in erster Instanz zeichnet sich ein ähnliches Bild ab: Nach der Rechtsprechung bedarf es entweder einer Zustimmung aller Beteiligter oder einer Sachdienlicherklärung, die nunmehr ausdrücklich auch für den neuen Beklagten möglich sein soll.178 Das Schrifttum verlangt demgegenüber die Zustimmung aller Beteiligter, deren Verweigerung nur jedoch Einzelfall rechtsmissbräuch171 Vgl. zu dieser Fallgruppe bereits BGH NJW 1951, S. 1598, 1599; ebenso BGH NJW 1984, S. 2104 f.; eine ausführliche Herausarbeitung der Fallgruppen rechtsmissbräuchlicher Zustimmungsverweigerung liefert Roth, NJW 1988, S. 2977, 2980 ff.; siehe auch die Analyse von Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 156 ff. jeweils mwN. 172 In diese Sinne insbesondere BGH NJW-RR 1986, S. 356; ebenso BGH NJW 1997, S. 2885, 2886 f.; ausführlich einmal mehr Roth, NJW 1988, S. 2977, 2982 jeweils mwN. 173 In diesem Sinne Roth, NJW 1988, S. 2977, 2980 f. mwN. 174 Vgl. etwa BGH NJW 1996, S. 2799; ebenso BGH NJW 2003, S. 2172, 2173 jeweils mwN. 175 Vgl. wiederum BGH NJW 1996, S. 2799; ebenso BGH NJW 2003, S. 2172 jeweils mwN. 176 Ausführlich Wahl, Bindung an Prozesslagen S. 46 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 49 ff.; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 70 ff. und Wieczorek/Schütze-Ass mann, ZPO IV, § 263, Rn. 127 f. jeweils mwN. 177 Vgl. BGH NJW 2003, S. 2172, 2173; zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 49 ff.; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 70 ff. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 127 f. jeweils mwN. 178 Instruktiv bereits BGH NJW 1962, S. 347; ebenso BGH NJW 1979, S. 239, 240 jeweils mwN.
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lich sein kann.179 Dieses Zustimmungserfordernis soll insbesondere für den neuen Beklagten gelten, dessen Bindung an die bisherigen Prozessergebnisse mit Blick auf das Recht auf rechtliches Gehör in Art. 103 I GG problematisiert wird.180 In zweiter Instanz fordern Rechtsprechung und Schrifttum übereinstimmend die Zustimmung des neuen Beklagten bzw. eine Rechtsmissbräuchlichkeit seiner Verweigerung, um den Verlust einer Tatsacheninstanz vor dem Grundgesetz rechtfertigen zu können.181 b) Die Parteierweiterung in Rechtsprechung und Literatur Die Parteierweiterung ist in ihrer dogmatischen Einordnung und ihren Voraussetzungen ebenfalls Gegenstand von Kontroversen: Die Rechtsprechung sieht in der Parteierweiterung einmal mehr eine Klageänderung und wendet die §§ 263, 264 ZPO analog auf diese Konstellation an.182 Die Zustimmung der Beteiligten kann daher auch insoweit durch eine Sachdienlicherklärung der Erweiterung ersetzt werden.183 In der Literatur wird die Parteierweiterung demgegenüber als ein Fall der subjektiven Klagehäufung angesehen, so dass die Vorschriften über die Streitgenossenschaft in den §§ 59, 60 ZPO zur Anwendung kommen sollen.184 Die einfachen Streitgenossen führen ihre jeweiligen Prozesse grundsätzlich unabhängig voneinander, so dass die Parteierweiterung als solche hiernach keiner Zustimmung der Parteien bedarf, eine Bindung an bisherige Prozessergebnisse auch aber in dieser Konstellation eine Zustimmung bzw. deren rechtsmissbräuchliche Verweigerung voraussetzt.185 179
Vgl. Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 54 ff.; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 77 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 129 ff. und Rosenberg/Schwab/Gott wald, ZPR, § 42, Rn. 24 jeweils mwN. 180 In diesem Sinne Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 55 und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 150 f. jeweils mwN. 181 Vgl. bereits BGH NJW 1951, S. 1598, 1599; ebenso BGH NJW 1974, S. 750 f.; allgemein zur Zurückhaltung in dieser Fallkonstellation mahnt BGH NJW 1984, S. 2104 f.; ebenso BGH NJW 1989, S. 3225, 3226; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 60 ff.; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 77 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 129 ff.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 42, Rn. 24 und Putzo, FG-BGH III, S. 149, 156 ff. jeweils mwN. 182 Instruktiv BGH NJW 1976, S. 239, 240; siehe auch BGH NJW 1962, S. 633, 634 f.; BGH NJW 1989, S. 3225 f. jeweils mwN. 183 Vgl. wiederum BGH NJW 1976, S. 239, 240; BGH NJW 1962, S. 633, 634 f.; BGH NJW 1989, S. 3225 f. jeweils mwN. 184 Vgl. etwa MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 84 f.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 112 ff. und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 42, Rn. 21 f. jeweils mwN; differenzierend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 67 ff. 185 Siehe wiederum MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 84 f.; Wieczorek/Schütze-Ass
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aa) Die Erweiterung auf Klägerseite in erster und zweiter Instanz Die Parteierweiterung auf Klägerseite wird in erster und zweiter Instanz analog zur Parteiänderung beurteilt: Die Rechtsprechung verlangt eine Zustimmung des alten Klägers und Beklagten, die durch Sachdienlicherklärung ersetzt werden kann.186 Nach dem Schrifttum handelt es sich um eine nachträgliche Streitgenossenschaft, die anhand der Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO zu beurteilen ist und daher grundsätzlich keine Zustimmung voraussetzt.187 Der neu hinzutretende Kläger muss nach übereinstimmender Auffassung von Rechtsprechung und Literatur seinem Bei tritt und insbesondere seiner Bindung an die bisherigen Prozessergebnisse zustimmen, ohne Möglichkeit einer Ersetzung dieser Zustimmung.188 bb) Die Erweiterung auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz Die Parteierweiterung auf Beklagtenseite führt einmal mehr zum Kern des Streits zwischen Rechtsprechung und Literatur: Die Rechtsprechung geht in erster Instanz davon aus, dass die Zustimmung des neu hinzutretenden Beklagten durch eine Sachdienlicherklärung ersetzt werden kann.189 Die Literatur vertritt für die Zulässigkeit dieser Parteierweiterung als solcher überwiegend von einer Streitgenossenschaft unter den Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO, wobei eine Bindungswirkung der bisherigen Prozessergebnisse eine Zustimmung oder deren rechtsmissbräuchliche Verweigerung voraussetze.190 In zweiter Instanz kommt nach der Rechtsprechung eine Sachdienlicherklärung nur in Bezug auf den alten Kläger und Beklagten in Betracht.191 Die Literatur legt auch insoweit die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO zugrunde.192 Für den neuen
mann, ZPO IV, § 263, Rn. 112 ff. jeweils mwN; ähnlich auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 67 ff. 186 Vgl. BGH NJW 1976, S. 239, 240; ebenso BGH NJW 1989, S. 3225, 3226 f. jeweils mwN. 187 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 112 ff. ähnlich Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 42, Rn. 21 f. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 263, Rn. 23 f.; ebenfalls mit leichten Abwandlungen Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 69 f. jeweils mwN. 188 In diese Richtung BGH NJW 1989, S. 3225, 3226; ausführlich Gofferjé, gewillkürte Parteiänderung, S. 172 ff.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 112 ff. Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 69 f. und MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 84 f. jeweils mwN. 189 Vgl. BGH NJW 1964, S. 44 f.; ebenso BGH NJW 1976, S. 239, 240; BGH NJW 1996, S. 196 f. jeweils mwN. 190 Ausführlich wiederum Gofferjé, gewillkürte Parteiänderung, S. 227 ff.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 112 ff. und Stein/Jonas-Roth, ZPO IV, § 263, Rn. 71 jeweils mwN. 191 Vgl. BGH NJW 1962, S. 633, 635; ebenso BGH NJW 1999, S. 62 f. jeweils mwN. 192 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 263, Rn. 112 ff.; Rosenberg/Schwab/ Gottwald, ZPR, § 42, Rn. 21 f.; MüKo-Becker-Eberhard, ZPO I, § 263, Rn. 84 f. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Beklagten gehen Rechtsprechung und Literatur einhellig von einem nicht zu ersetzenden Zustimmungserfordernis aus.193 c) Eigene Ansicht: Die Parteiänderung im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Die Parteiänderung soll in ihren verschiedenen Konstellationen nun am Maßstab des Rechts auf Beweis gemessen werden – beginnend mit dem Grundgesetz. Im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der einzelnen Konstellationen bedarf es einer genauen Analyse der jeweiligen Einschränkung des Rechts auf Beweis und ihrer Rechtfertigung. aa) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis In jeder Konstellation einer Parteiänderung sind drei Parteien involviert: Die bisherigen Parteien auf Kläger- und Beklagtenseite sowie ein neuer Kläger bzw. Beklagter. In Bezug auf die bisherigen Prozessparteien erscheint eine Einschränkung des Rechts auf Beweis fraglich. Die Parteien hatten im Rahmen ihrer bisherigen Prozessführung nach allgemeinen Regeln ein Recht auf Beweis inne und waren daher zur Einbringung sämtliche Beweismittel berechtigt. Eine Einschränkung konnte allenfalls darin zu sehen sein, dass diese vorgebrachten Beweismittel infolge der Parteiänderung ggf. keinerlei Bindungswirkung auf die neu hinzutretende Partei im Prozess erzeugen können. Indes gewährleistet das Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht zwar eine umfassende Nachweismöglichkeit eigener Rechte, jedoch grundsätzlich keine bestimmte Wirkung der eigenen Beweismittel im Prozess. Sollte die bisherige Beweisaufnahme keinerlei Bindungswirkung erzeugen, so steht es auch den bisherigen Prozessparteien nach dem Recht auf Beweis frei, ihre Beweismittel einmal mehr vorbringen zu dürfen. Ein weitergehendes Recht auf eine bestimmte Bindungswirkung umfasst das Recht auf Beweis jedoch nach hier vertretener Ansicht nicht. Eine Einschränkung erfährt allein das Recht auf Beweis der eintretenden Prozesspartei dahingehend, dass eine Bindungswirkung an bisherige Prozessergebnisse zu einer Ablehnung von Beweisanträgen unter Hinweis auf eine bereits erfolgte Erhebung dieser Beweismittel führen kann. Zwar ließe sich argumentieren, das Beweismittel sei tatsächlich erhoben worden und werde damit der Entscheidung des Gerichts zugrunde gelegt. Indes gewährleistet das Recht auf Beweis eine eigene Einflussmöglichkeit der Prozesspartei auf das Beweisverfahren. Eine Prozesspartei muss in die Lage versetzt werden, die Beweiserhebung mit Fragen und Anmerkungen aktiv mitzugestalten. Dieser Aspekt spielt eine umso größere Rolle, als im Falle 193 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1951, S. 1598, 1599; instruktiv auch BGH NJW 1962, S. 633, 634 f.; ebenso Gofferjé, gewillkürte Parteiänderung, S. 254 ff.; Wieczorek/Schütze-Ass mann, ZPO IV, § 263, Rn. 112 ff. und Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 75 jeweils mwN.
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des Parteiwechsels regelmäßig eine Person fälschlicherweise klagte oder verklagt wurde und somit mangels eigener Kenntnis des Sachverhaltes kaum eine aktive Teilnahme an der Beweisführung betrieben haben wird. In der Bindung an bisherige Prozessergebnisse ist daher eine Einschränkung des Rechts auf Beweis zu erblicken. bb) Zustimmung der jeweiligen Parteien als Grundrechtsverzicht Die Parteiänderung auf Klägerseite setzt nach übereinstimmender Auffassung von Rechtsprechung und Literatur die Zustimmung des neuen Klägers voraus, ohne dass eine Ersetzung dieser Zustimmung durch Sachdienlicherklärung möglich wäre.194 Der Kläger muss mithin ausdrücklich darin einwilligen, den Prozess in demjenigen Stadium zu übernehmen bzw. ihm beizutreten, in dem dieser Prozess sich im jeweiligen Zeitpunkt befand. In dieser Zustimmung kann grundsätzlich eine Verzichtserklärung auf die entsprechenden Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen erblickt werden. Nach den allgemeinen Grundsätzen bedarf ein solcher Verzicht einer ausdrücklichen oder konkludenten Erklärung durch eine umfassend informierte Partei.195 Das Gericht muss den neu eintretenden Kläger mithin umfassend darüber in Kenntnis setzten, dass bei seinem Eintritt eine Bindung an die bisherigen Prozessergebnisse erfolgt und welche Prozessergebnisse bisher vorliegen. Infolge eines wirksamen Verzichts wird die Einschränkung des Rechts auf Beweis in Form der Bindung des neuen Klägers an die bisherigen Prozessergebnisse in erster wie auch in zweiter Instanz gerechtfertigt. cc) Die Rechtfertigung einer unfreiwilligen Bindungswirkung der Parteiänderung Daher verbleiben letztlich zwei Fallkonstellationen, in denen sich die Parteiänderung als unfreiwillige, rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz darstellt: Der Parteiwechsel und die Parteierweiterung auf Beklagtenseite, jeweils in erster und zweiter Instanz. In diesen Konstellationen kann das Erfordernis der Zustimmung des neuen Beklagten nach der Rechtsprechung durch Sachdienlicherklärung bzw. nach Rechtsprechung und Literatur aufgrund von Rechtsmissbräuchlichkeit entfallen und eine unfreiwillige Bindung an bisherige Prozessergebnisse eintreten. Für die Rechtfertigung dieser Bindung ist zwischen den einzelnen Konstellationen des Parteiwechsels und der Parteierweiterung zu differenzieren: (1) Der Parteiwechsel auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz Die Rechtfertigung eines Parteiwechsels auf Beklagtenseite stellt sich bereits in Bezug auf die gesetzliche Regelung dieser Einschränkung als problematisch dar. Eine 194 Ausführlich 195
und mit Nachweisen zu den einzelnen Ansichten IV. 7. a. aa. und b. aa. Zu Voraussetzungen und Rechtswirkungen eines Verzichts siehe § 8 IV. 3.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
ausdrückliche Normierung des Parteiwechsels lässt sich in der ZPO nicht auffinden, so dass eine gesetzliche Regelung mit Rechtsprechung und Literatur allein über einen Analogieschluss zu bejahen ist: Übereinstimmung herrscht in Bezug auf die analoge Anwendung der §§ 263, 264 ZPO, wenngleich die Literatur zusätzlich die §§ 265, 266, 269 I ZPO heranziehen würde.196 Der Parteiwechsel dient nach dem oben Gesagten allein der Prozessökonomie und damit letztlich der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege als einem legitimen Ziel.197 Denkbar ist zudem ein Heranziehen des Rechts auf Rechtsschutz in angemessener Zeit der bisherigen Prozessparteien im Hinblick auf die zeitsparende Verwertung bisheriger Prozessergebnisse. Problematisch erscheint eine Rechtfertigung der Bindungswirkung eines Parteiwechsels mit Blick auf die Angemessenheit dieser Regelung. Diese Abwägung ist letztlich eine Frage des Einzelfalles, dennoch lassen sich nach hier vertretener Auffassung eine Reihe von Wertungsgesichtspunkten festhalten: Durch die Bindungswirkung gelten bestimmte Beweismittel als erhoben und eine erneute Erhebung von Beweismitteln ist nach der ZPO als Ausnahme ausgestaltet: So steht eine erneute Zeugeneinvernahme nach § 398 ZPO im Ermessen des erkennenden Gerichts. Gleiches gilt über die § 485 ZPO für die Parteivernehmung und auch die erneute Einvernahme eines Sachverständigen bzw. eine erneute Begutachtung steht nach den §§ 402, 412 ZPO im gerichtlichen Ermessen. Diese Bindungswirkung wird der neuen Prozesspartei allein aus Gründen der Zeitersparnis aufgebürdet. Die hineingezogene Prozesspartei hat durch keine eigene Handlung zu dieser für sie nachteiligen Bindungswirkung beigetragen. Vielmehr dient diese Bindungswirkung allein dem Gericht und den bisherigen Prozessparteien und damit denjenigen Akteuren, die einen Parteiwechsel durch eine falsche Einschätzung der Sach- und Rechtslage typischerweise überhaupt erst erforderlich gemacht haben. Diese Bindungswirkung stellt einen Eingriff in das Recht auf Beweis des neuen Beklagten dar, der umso schwerer wiegt, je weiter der Prozess bereits fortgeschritten ist und je umfassender die Prozessergebnisse bereits feststehen. Insbesondere ein bindender Beklagtenwechsel in zweiter Instanz erscheint mit Blick auf die Einschränkung der Berufung als Tatsacheninstanz regelmäßig als unverhältnismäßig. Doch auch bei einem frühzeitigen Parteiwechsel ist nach hier vertretener Auffassung fraglich, ob eine Bindung des bis dato unbeteiligten, neuen Beklagten als angemessen zu rechtfertigen ist. Denkbar erscheint eine solche Rechtfertigung allenfalls unter besonderen Umständen, insbesondere in den von der Literatur benannten Fallgruppen einer rechtsmissbräuchlichen Verweigerung der Zustimmung. Wenn eine Partei also ohnehin an die Ergebnisse dieses Prozesses gebunden wäre, wenn sie bereits faktisch die Prozessführung übernommen hatte oder wenn eine Verschlechterung ihrer prozessualen Si196 Ausführlich
und mit Nachweisen oben IV. 7. a. bb. und b. bb. Vgl. wiederum BGH NJW 2003, S. 2172, 2173 f. und Gofferjé, gewillkürte Parteiänderung, S. 24 ff. mwN. 197
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tuation nicht denkbar ist.198 Allerdings ist auch in diesen Fallgestaltungen eine Rechtfertigung der Bindungswirkung nur sehr zurückhaltend anzunehmen: So ist eine Rechtskrafterstreckung regelmäßig an weitere Voraussetzungen gebunden, gerade weil die betroffene Person den Prozess nicht selbst führen durfte, während eine Bindung an die bisherigen Prozessergebnisse ohne Weiteres in einer diese Partei treffenden, rechtskraftfähigen Entscheidung münden kann. Auch die Annahme einer bereits faktischen Prozessführung der neu hinzutretenden Partei kann nur zu einer Rechtfertigung führen, wenn für das Gericht evident ist, dass diese neue Prozesspartei auch die bisherige Beweisführung übernommen hat. In Betracht kommt eine Rechtfertigung in erster Linie, wenn keine Verschlechterung der prozessualen Situation des neuen Beklagten denkbar ist. So etwa, wenn der Parteiwechsel in einem so frühen Stadium des Prozesses stattgefunden hat, dass noch keinerlei Beweisführung erfolgt ist und daher auch keine diesbezügliche Bindungswirkung eintreten kann. Abgesehen von diesen Konstellationen erscheint es nach hier vertretener Ansicht jedoch fraglich, wie eine Verschlechterung der prozessualen Situation des neuen Beklagten durch die Bindung an bisherige Prozessergebnisse zu verneinen sein soll. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass ein Parteiwechsel auf Beklagtenseite grundsätzlich eine Zustimmung des neuen Beklagten voraussetzt. Eine weitergehende, zwangsweise Bindung an bisherige Prozessergebnisse erscheint in erster, wie insbesondere in zweiter Instanz regelmäßig als mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz unvereinbar. (2) Die Parteierweiterung auf Beklagtenseite in erster und zweiter Instanz Die Parteierweiterung auf Beklagtenseite als Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz findet ihre gesetzliche Regelung nach der Rechtsprechung in einer Analogie zu den §§ 263, 264 ZPO bzw. nach der Literatur in einer Anwendung der §§ 59, 60 ZPO und dient nach allgemeiner Ansicht der Prozessökonomie und damit letztlich der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege als legitimen Ziel.199 Auch in den Konstellationen einer Parteierweiterung erscheint eine zwangsweise Bindung des neu hinzutretenden Beklagten bereits in erster Instanz kaum verhältnismäßig: Wiederum würde die neue Partei aufgrund einer Fehleinschätzung der bisherigen Parteien bzw. des Gerichts an Prozessergebnisse gebunden und in ihrer Beweisführung massiv eingeschränkt. Sie hat das Hineinziehen in einen laufenden Prozess regelmäßig nicht durch eigenes Fehlverhalten verschuldet und sieht sich einem umso stärkeren Eingriff in ihr Recht auf Beweis ausgesetzt, je umfassender der Prozess mit bindender Wirkung fortgeschritten war. Eine Rechtfertigung kommt auch 198 Ausführlich zu den einzelnen Fallgruppen insbesondere Roth, NJW 1988, S. 2977, 2980 ff. und Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 156 ff. jeweils mwN. 199 Siehe wiederum BGH NJW 2003, S. 2172, 2173; Gofferjé, gewillkürte Parteiänderung, S. 24 ff. und Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 263, Rn. 40 jeweils mwN.
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im Falle einer Parteierweiterung allein in solchen Konstellationen in Betracht, in denen ohnehin eine Bindung durch Rechtskrafterstreckung eintreten würde, die neue Partei den bisherigen Prozess mitsamt der Beweiserhebung faktisch selbst geführt hat oder keinerlei Verschlechterung ihrer prozessualen Situation eintritt.200 Doch auch bei der Rechtfertigung einer Parteierweiterung sind diese Fallgruppen mit großer Zurückhaltung anzuwenden. Daher bedarf auch die Parteierweiterung nach hier vertretener Ansicht grundsätzlich einer umfassend informierten Zustimmung des neuen Beklagten iSe wirksamen Verzichts auf das Recht auf Beweis. Eine zwangsweise Bindung an bisherige Prozessergebnisse und insbesondere eine bereits erfolgte Beweiserhebung stellt sich in erster wie auch zweiter Instanz regelmäßig als unverhältnismäßige Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta lässt dem Gesetzgeber regelmäßig einen weiteren Gestaltungsspielraum als das Grundgesetz. Doch die umfassende Bindung einer Prozesspartei an Prozessergebnisse, die ohne jegliche Einflussmöglichkeiten dieser Partei erzielt worden sind, betrifft grundlegende Gewährleistungen des Rechts auf Beweis. Daher kommt dem Gesetzgeber auch nach EMRK und Grundrechtecharta nur ein geringer Gestaltungsspielraum zu und eine Rechtfertigung allein anhand des Zieles der Prozessökonomie und damit der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege muss regelmäßig als unverhältnismäßig scheitern. Denkbar ist eine Rechtfertigung dieser Einschränkung grundsätzlich nur durch die informierte Zustimmung der alten und neuen Prozessparteien iSe wirksamen Verzichts auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis. Eine zwangsweise Bindung kann allenfalls unter zurückhaltender Anwendung der oben herausgearbeiteten Fallgruppen einer Rechtskrafterstreckung, faktischen Prozessführung oder ausbleibenden Verschlechterung der prozessualen Situation in Betracht kommen.201
8. Die Ablehnung einer Beweiserhebung nach § 292 ZPO Eine gewisse Form der Bindungswirkung ergibt sich für das erkennende Gericht zudem aus einer gesetzlichen Vermutung nach § 292 ZPO. Insbesondere der Ausschluss eines Gegenteilsbeweises im Falle einer unwiderlegbaren Vermutung legt insoweit eine Einschränkung des Rechts auf Beweis nahe. Dabei gilt es, zwischen den verschiedenen Varianten der gesetzlichen Vermutung zu unterscheiden:
200 Siehe Roth, NJW 1988, S. 2977, 2980 ff. und Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 156 ff. jeweils mwN. 201 Vgl. Roth, NJW 1988, S. 2977, 2980 ff. und Wahl, Bindung an Prozesslagen, S. 156 ff. jeweils mwN.
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a) Die gesetzliche Vermutung nach § 292 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Als Ausgangspunkt bietet sich die ausdrückliche Regelung der gesetzlichen Vermutung in § 292 ZPO an. Ihrem Wortlaut nach stellt diese Norm jedoch lediglich die grundsätzliche Möglichkeit des Gegenteilsbeweises klar, solange das Gesetz denselben nicht ausdrücklich ausschließt. Hiernach lässt sich die gesetzliche Vermutung in die widerlegbare und unwiderlegbare Vermutung unterteilen, wobei § 292 ZPO nach ganz herrschender Meinung ausschließlich die widerlegbare Vermutung zum Regelungsinhalt hat.202 Die widerlegbare Vermutung iSd § 292 ZPO stellt den gesetzlich normierten Schluss von einer bestimmten Tatsache (Vermutungsbasis) auf eine andere Tatsache als Teil eines gesetzlichen Tatbestandes dar.203 Mithin verschiebt sich das Beweisthema vom gesetzlichen Tatbestand auf diejenigen Tatsachen, die die Voraussetzungen der gesetzlichen Vermutung darstellen und ihrerseits von der beweisbelasteten Partei nachgewiesen werden müssen.204 Als Rechtsfolge die Beweisbedürftigkeit der vermuteten Tatsache, so dass diese Tatsache vom erkennenden Gericht seiner Entscheidung ohne Beweiswürdigung zugrunde zu legen ist.205 Die wesentliche Rechtswirkung der gesetzlichen Vermutung ist somit in der Ersetzung eines materiell-rechtlichen Tatbestandsmerkmales durch ein anderes Tatbestandsmerkmal zu sehen. Aufgrund dieser Einwirkung auf die gerichtliche Entscheidung wird die widerlegbare gesetzliche Vermutung überwiegend als Beweislastregelung eingeordnet.206 Der Nachweis der Vermutungsbasis erfolgt nach allgemeinen Regelungen, insbesondere steht der Gegenpartei die Möglichkeit offen, den Nachweis dieser Tatsachen mithilfe eines Gegenbeweises zu erschüttern.207 Im Hin202 In diesem Sinne etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 9; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 2 jeweils mwN. 203 Instruktiv bereits BGH NJW 1951, S. 397 f.; ebenso BGH NJW 2010, S. 363, 364; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 5 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 11 ff. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 20 ff. jeweils mwN. 204 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1951, S. 397, 398; zustimmend etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 5 f.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 3; Prütting/GehrleinLaumen, ZPO, § 292, Rn. 3 f. und Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 9, Rn. 40 f. jeweils mwN 205 In diesem Sinne BGH MDR 1959, S. 114 f.; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 19; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 22; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 28 f.; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 3 f.; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 34 jeweils mwN 206 In diesem Sinne MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 26; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 3 f.; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 34 jeweils mwN; ganz ähnlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 5 f. mit der weiteren Differenzierung zwischen materiellem Recht und Prozessrecht je nach Einordnung des vermuteten Tatbestandsmerkmals. 207 Vgl. Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 13; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 20; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 18 jeweils mwN.
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blick auf die vermutete Tatsache hat die hierdurch belasteten Prozesspartei demgegenüber nach § 292 ZPO allein die Möglichkeit eines Gegenteilbeweis.208 Die unwiderlegbare Vermutung findet sich im Gesetz nur an wenigen Stellen und wird dogmatisch in die Nähe der gesetzlichen Fiktion gerückt.209 Eine Unterscheidung wird allein anhand der gesetzgeberischen Intention vollzogen: Eine unwiderlegbare Vermutung ist hiernach zu bejahen, wenn der Gesetzgeber die Rechtsfolge unabhängig davon eintreten lassen möchte, ob eine Tatsache im Einzelfall dem wahren Sachverhalt entspricht oder nicht.210 Im Rahmen einer Fiktion geht der Gesetzgeber demgegenüber davon aus, dass die fingierte Tatsache gerade nicht der tatsächlichen Sachlage entspricht und ordnet als Konsequenz ihr fiktives Vorliegen zur Herbeiführung bestimmter Rechtsfolgen an.211 Diese Einwirkung auf den materiellrechtlichen Tatbestand einer Norm durch verbindliche Feststellung eines Tatbestandsmerkmals führt nach ganz überwiegender Ansicht zu einer Einordnung der unwiderlegbaren Vermutung als Norm des materiellen Rechts.212 b) Eigene Ansicht: § 292 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Für die Überprüfung anhand des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen ist zwischen der widerlegbaren und unwiderlegbaren Vermutung zu unterscheiden: Die widerlegbare Vermutung ersetzt den Nachweis eines Tatbestandsmerkmales durch den Nachweis anderer Tatsachen, von deren Vorliegen typischerweise auf eben dieses Tatbestandsmerkmal geschlossen werden kann. Letztlich verschieben sich daher lediglich diejenigen Tatsachen, die für den Rechtsnachweis einer Prozesspartei erforderlich sind. In diesem Sinne handelt es sich bei der widerlegbaren Vermutung richtigerweise um eine Beweislastnorm.213 Es wurde bereits 208
Siehe wiederum Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 21 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 23 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 30 ff. jeweils mwN. 209 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1965, S. 584; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 3 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 9 jeweils mwN. 210 Vgl. Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 6; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 4 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 9 und Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 2 jeweils mwN 211 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 3 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 4 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 9; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 2 jeweils mwN 212 Ausführlich Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 82 f.; in diesem Sinne auch MüKoPrütting, ZPO I, § 292, Rn. 4 ff.; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 9; Prütting/ Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 2 und Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 9, Rn. 42 jeweils mwN; differenzierend je nach Rechtsfolge der Vermutung Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 3 f. und Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 2. 213 Vgl. wiederum MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 26; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 3 f.; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 292, Rn. 4; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 112, Rn. 34 jeweils mwN.
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im zweiten Hauptteil herausgearbeitet, dass die Beweislast grundsätzlich Teil desjenigen Rahmens ist, der das Recht auf Beweis als solches begrenzt. Nach diesen allgemeinen Reglungen wird das Recht auf Beweis durch eine unterschiedliche Verteilung der Beweislast grundsätzlich nicht beeinträchtigt.214 Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis könnte lediglich dann zu bejahen sein, wenn der Rechtsnachweis über den konkreten Einzelfall hinaus typischerweise nicht möglich ist und daher in allen vergleichbaren Fallkonstellationen scheitern muss. Sodann kommen Beweiserleichterungen bis hin zur Umkehr der Beweislast in Betracht.215 An diesem Maßstab muss sich jede widerlegbare gesetzliche Vermutung im Einzelfall messen lassen. Der Nachweis der Vermutungsbasis unterliegt im Übrigen den allgemeinen Regeln des Rechts auf Beweis: Die Vermutungsbasis kann grundsätzlich mithilfe aller verfügbaren Beweismittel nachgewiesen werden. Zugleich genügt für die Widerlegung der Vermutungsbasis die Führung eines Gegenbeweises, mithin die Erschütterung der Überzeugung des Gerichts von der Vermutungsbasis.216 Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis lässt sich für den Nachweis wie auch die Widerlegung der Vermutungsbasis insoweit nicht feststellen. c) Eigene Ansicht: Die unwiderlegbare Vermutung im Lichte des Rechts auf Beweis Demgegenüber scheint die unwiderlegbare gesetzliche Vermutung auf den ersten Blick das Recht auf Beweis zu tangieren – schließt eine solche Vermutung doch jeglichen Gegenteilsbeweis aus. Allerdings wird die unwiderlegbare Vermutung von der herrschenden Meinung richtigerweise in die Nähe einer gesetzlichen Fiktion gerückt: Der Gesetzgeber trifft letztlich eine materiell-rechtliche Entscheidung, wenn bestimmte Merkmale eines gesetzlichen Tatbestandes des materiellen Rechts durch andere Tatbestandsmerkmale ersetzt werden.217 Das Recht auf Beweis gewährleistet nach hier vertretener Ansicht indes keine bestimmte Ausgestaltung des materiellen Rechts, sondern vielmehr nachgelagert das Recht auf effektiven Nachweis eben dieser materiell-rechtlichen Voraussetzungen des eigenen Rechts im Rahmen seiner Durchsetzung. Das Recht auf Beweis möchte den materiellen Rechten der Prozessparteien zum prozessualen Durchbruch verhelfen, trifft jedoch gerade keine Aussage darüber, wie die Anforderungen des 214 Ausführlich zum Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Bezug auf die Beweislast § 10 III. 6. 215 Siehe oben § 10 III. 6. 216 In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 18; MüKoPrütting, ZPO I, § 292, Rn. 20; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 3, 28 f. jeweils mwN. 217 Zu dieser Einordnung siehe wiederum BGH NJW 1965, S. 584; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 3 f.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 292, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 9 jeweils mwN
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materiellen Rechts beschaffen sein müssen. Eine etwaige Überprüfung des materiellen Rechts kommt allein anhand der materiellen Grundrechte von Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta in Betracht. Anhand dieser Überlegung zeigt sich, dass das Recht auf Beweis durch die Normierung einer unwiderlegbaren Vermutung nicht eingeschränkt wird: Der Gesetzgeber greift zu einer gesetzlichen Vermutung, wenn die vermutete Tatsache typischerweise, aber nicht in jedem Einzelfall tatsächlich vorliegt, jedoch im Hinblick auf den gesetzlichen Tatbestand unabhängig von diesem Zweifel im Einzelfall stets bejaht werden soll.218 Der Gesetzgeber hätte dieses Ergebnis auch durch eine anderslautende Formulierung des materiell-rechtlichen Tatbestandes erreichen können. Allein die Formulierung als unwiderlegbare Vermutung führt jedoch nicht zu einer Einordnung als prozessuale Regelung und damit als Einschränkung des Rechts auf Beweis. Vielmehr handelt es sich bei der unwiderlegbaren Vermutung richtigerweise um eine materiell-rechtliche Regelung, die konsequenterweise auch keine Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellt.
9. Die Ablehnung von Beweisanträgen aufgrund richterlichen Ermessens nach § 287 ZPO Ein weiterer allgemeiner Ablehnungsgrund einer Beweisaufnahme findet sich in § 287 I und II ZPO in Form eines dem erkennenden Gericht eingeräumten Ermessens über die Erhebung von Beweismitteln jeder Art in bestimmten Fallkonstellationen. a) § 287 I und II ZPO in Rechtsprechung und Literatur § 287 ZPO hat die Linderung der Beweisnot eines beweisbelasteten Geschädigten in einem Schadensersatzprozess zum Ziel. Der Ersatz eines Schadens meint die Herstellung desjenigen Zustandes, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. Es liegt daher in der Natur eines Schadensersatzprozesses, dass der Geschädigte hypothetische Geschehensverläufe nachweisen muss und dabei typischerweise Beweisschwierigkeiten auftreten können.219 Diese Schwierigkeiten ließen Schadensersatzprozesse im früheren gemeinen Recht in aller Regel leerlaufen, so dass aus dieser Erkenntnis die Einführung des § 287 ZPO resultierte.220 218 In diesem Sinne auch die h. M. vgl. etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 292, Rn. 3 f.; MüKoPrütting, ZPO I, § 292, Rn. 4 ff. und Wieczorek/Schütze-Assmann, ZPO IV, § 292, Rn. 9 jeweils mwN. 219 Instruktiv bereits BGH NJW 1951, S. 405; ausführlich zum Telos des § 287 ZPO auch Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 1 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 220 Ausführlich zur Historie Gottwald, Schadensschätzung, S. 1 ff. und 37 ff. mwN.
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§ 287 I ZPO setzt einen Schaden iSe unfreiwilligen Vermögenseinbuße voraus.221 § 287 I ZPO erfasst nach Rechtsprechung und Literatur jede Art des Schadensersatzes, sei es nun qua Vertrag, Gesetz oder auch eine verschuldensunabhängige Haftung.222 Problematisch und streitig ist demgegenüber die Frage, auf welche Tatbestandsmerkmale sich die Beweiserleichterungen des § 287 I ZPO konkret erstrecken, mithin der Anwendungsbereich des § 287 I ZPO: Der BGH und die überwiegende Ansicht im Schrifttum vollziehen die Abgrenzung zwischen dem Anwendungsbereiches des § 287 I ZPO und dem allgemeinen Maßstab des § 286 ZPO dahingehend, dass der Haftungsgrund unter Einschluss der haftungsbegründenden Kausalität – mithin das „Ob“ eines Schadensersatzanspruches – zur vollen richterlichen Überzeugung iSd § 286 I ZPO nachzuweisen ist, während für die Höhe des Schadens mitsamt der haftungsausfüllenden Kausalität die Erleichterungen des § 287 I ZPO eingreifen.223 Allerdings ist die Abgrenzung zwischen haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität ihrerseits im Einzelfall durchaus schwierig und streitig. Diese Abgrenzung wird durch den BGH unter Zustimmung von Teilen des Schrifttums dahingehend vollzogen, dass dem Nachweis nach § 286 ZPO unterfällt, ob ein Ereignis den Geschädigten tatsächlich „betroffen“ hat.224 In der Literatur werden teils abweichende Lösungsvorschläge erarbeitet, wie etwa eine Abgrenzung von § 286 ZPO und § 287 ZPO anhand von einzelnen Haftungstatbeständen oder auch eine Einbeziehung der haftungsbegründenden Kausalität in den Anwendungsbereich des § 287 I ZPO.225 In seinem Anwendungsbereich gewährt § 287 I ZPO als Rechtsfolge drei verschiedene Erleichterungen der Beweisführung: Zum ersten verringert § 287 I ZPO die Anforderungen an die Substantiierung von Parteivortrag dahingehend, dass insbesondere im Falle des Vortrages hypothetischer Tatsachen und Geschehensverläufe – abweichend von den allgemeinen Anforderungen – kein zwingender Schluss auf 221
Vgl. Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 4 f. mwN. Vgl. etwa BGH NJW 1993, S. 201 (Vertrag); BGH NJW 2004, S. 777, 778 f. (Delikt) und BGH NJW-RR 1992, S. 997 f. (§ 945 ZPO); aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 4 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 12 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 223 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1952, S. 301, 302; ebenso BGH NJW 1993, S. 3073, 3075 f.; instruktiv auch BGH NJW 2004, S. 777, 778 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 12 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 1 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 224 Vgl. zu diesem Merkmal bereits BGH NJW 1952, S. 301, 302; ebenso BGH NJW 1987, S. 705, 706 und BGH NJW-RR 1996, S. 781; zustimmend Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 13 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 16 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 9 ff. jeweils mwN; zur Kritik an der Unbestimmtheit dieses Maßstabes siehe Arens, ZZP 88 (1975), S. 1, 7 ff. 225 Für eine Abgrenzung nach Haftungstatbeständen Arens, ZZP 88 (1975), S. 1, 20 ff.; für eine Anwendung des § 287 ZPO auf haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität Gott wald, Schadenszurechnung, S. 78 ff. 222
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
den behaupteten Schaden oder die Höhe der Forderung erforderlich ist.226 Allerdings wird in Rechtsprechung und Literatur gleichermaßen betont, dass die Partei nichtsdestoweniger einen ihr möglichen und zumutbaren Grad an Substantiierung auch tatsächlich zu leisten und das erkennende Gericht auf diese Substantiierung unter Ausübung seines Fragerechts nach § 139 I ZPO hinzuwirken hat.227 Kern der Beweiserleichterung des § 287 I ZPO ist zum zweiten die Möglichkeit des erkennenden Gerichts zur Schätzung der Schadenshöhe unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung: Wenn der Nachweis eines Schadens zur vollen richterlichen Überzeugung iSd § 286 I ZPO auf Basis der vorgebrachten und erhobenen Beweismittel nicht möglich ist, so darf das erkennende Gericht nicht direkt anhand von Beweislastgrundsätzen entscheiden, sondern muss nach § 287 I ZPO vielmehr prüfen, ob die Schätzung eines (Mindest-) Schadens möglich ist.228 Grundgedanke des § 287 I ZPO ist es insoweit, dass der Geschädigte nicht gänzlich leer ausgehen soll, zumal die typischerweise bestehenden Beweisprobleme des Schadensersatzprozesses ja gerade durch die Handlungen des Schädigers verursacht wurden die ihrerseits als Haftungsgrund zur vollen richterlichen Überzeugung iSd § 286 I ZPO feststehen.229 Allerdings bedarf eine solche Schadenschätzung nach Rechtsprechung und Literatur einer gewissen Grundlage in Form vorgetragener und nachgewiesener Anknüpfungstatsachen.230 Die Schätzung darf gerade nicht gänzlich in der Luft hängen und zu einer reinen Billigkeitsentscheidung im Einzelfall verkommen.231 Allerdings werden in Rechtsprechung und Literatur an diese Basis der Anknüpfungstatsachen im Hinblick auf den Telos des § 287 I ZPO keine hohen Anforderungen gestellt.232 226 Instruktiv etwa BGH NJW-RR 1988, S. 410; ebenso BGH NJW 1996, S. 2924, 2925; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 32 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 28 f. und Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 287, Rn. 19 jeweils mwN. 227 In diesem Sinne insbesondere BGH NJW 1981, S. 1454; zustimmend MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 1 ff. mwN. 228 Instruktiv etwa BGH NJW 1991, S. 3277, 3278 und BGH NJW 2013, S. 2584, 2585 f.; ausführlich zur Qualifizierung der Art dieser Entscheidung Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S. 378 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 30 ff.; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 48 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 17 f. und Prütting/ Gehrlein-Laumen, ZPO, § 287, Rn. 19 jeweils mwN. 229 Diesen Gedanken darstellend insbesondere BGH NJW 2004, S. 777, 778 f. mwN. 230 Vgl. bereits BGH NJW 1951, S. 405; ebenso auch BGH NJW 1995, S. 1023, 1024 und BGH NJW 2013, S. 2584, 2585 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 1 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 231 Siehe wiederum BGH NJW 1951, S. 405; BGH NJW 1995, S. 1023, 1024 und BGH NJW 2013, S. 2584, 2585 f.; ausführlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 1 ff.; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 1 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 232 So ausdrücklich BGH NJW-RR 1990, S. 171, 172 und BGH NJW 1991, S. 3277, 3278; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 48 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 28 f. jeweils mwN.
§ 11 Grundlagen der Beweisaufnahme
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Von besonderem Interesse für die vorliegende Untersuchung ist jedoch die dritte Beweiserleichterung in Form eines Beweiserhebungsermessens des erkennenden Gerichts. Nach § 287 I S. 2 ZPO ist dem Gericht gestattet, im Übrigen zulässige Beweisanträge nach seinem Ermessen abzulehnen, wenn bereits hinreichende Anknüpfungstatsachen für eine Schadensschätzung vorliegen.233 BGH und herrschendes Schrifttum sehen § 287 I S. 2 ZPO als weitere Beweiserleichterung der Prozessparteien an.234 Demgegenüber weist ein Teil der Literatur darauf hin, dass diese Beweisablehnung nach § 287 I S. 2 ZPO eher den Interessen des Gerichts iSe Verfahrensvereinfachung dient und auch das Bundesverfassungsgericht hat in einer Entscheidung ausgesprochen, dass § 287 I S. 2 ZPO die Vereinfachung des Verfahrens zum Ziel hat und gerade keine Beweiserleichterung bei Beweisnot iSd § 287 I S. 1 ZPO darstellt.235 Diese Regelung einer ermessenabhängigen Beweisablehnung nach § 287 I S. 2 ZPO hat teils deutliche Kritik erfahren: Insbesondere der Zusammenhang zwischen einer Beweiserleichterung bei typischerweise bestehender Beweisnot und der gleichzeitigen Zurückweisung tatsächlich vorhandener Beweismittel wird kritisch hinterfragt.236 Doch auch diese Regelung des § 287 I S. 2 ZPO hat als gesetzgeberische Entscheidung in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend Akzeptanz erfahren.237 Allerdings wurden zugleich eine Reihe von Einschränkungen dieses Beweisablehnungsermessens aufgestellt: So soll es ermessensfehlerhaft sein, ein als wesentliche Grundlage der Schadensschätzung erkanntes Beweismittel dennoch zurückzuweisen und auch an die Zurückweisung von Sachverständigenbeweisen unter Annahme eigener Sachkunde des erkennenden Gerichts werden strenge Anforderungen gestellt.238 Zudem soll ein Beweisangebot des beweisbelasteten 233 Instruktiv BGH NJW 1991, S. 1412, 1413 und BGH NJW 1996, S. 2501, 2502; ausführlich Werner, Beweiswürdigung im Schadensersatzprozess, S. 135 ff.; zur Art dieser Entscheidung vgl. wiederum Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S. 393 ff.; siehe auch Stein/ Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 30 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 51 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 23 jeweils mwN. 234 Vgl. zur grundsätzlichen Akzeptanz des § 287 I S. 2 ZPO etwa BGH NJW 1992, S. 1412, 1413; BGH NJW 1996, S. 2501, 2502; ebenso auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 30 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 51 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 23. 235 Ausdrücklich in diesem Sinne BVerfG NJW 2003, S. 1655 f.; in diese Richtung aus der Literatur Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 287, Rn. 6 und 10. 236 Kritik äußerst insbesondere Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 456; tendenziell kritisch auch Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 287, Rn. 6 und 10; Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S. 396 ff. jeweils mwN. 237 Vgl. BGH NJW 1992, S. 1412, 1413; BGH NJW 1996, S. 2501, 2502; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 30 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 51 ff. und MüKo-Prüt ting, ZPO I, § 287, Rn. 23. 238 Vgl. BGH VersR 1976, S. 389, 390 und BGH NJW 2008, S. 1519 (wesentliche Grundlagen der Schadensschätzung); BGH VersR 1988, S. 466, 467 und BVerfG NJW 2003, S. 1655 f. (Sachverständigenbeweis); ausführlich Werner, Beweiswürdigung im Schadensersatzprozess, S. 135 ff. und Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S. 396 ff., die jeweils auf die Parallelen zu den allgemeinen Beweisablehnungsgründen hinweisen; siehe auch Stein/Jonas-Thole,
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Geschädigten zum Nachweis des eigenen Schadens gerade nicht zugunsten einer bloß hypothetischen Schätzung zurückgewiesen werden dürfen – im Hinblick auf den Telos des § 287 I ZPO als Beweiserleichterung.239 Dennoch soll es dem erkennenden Gericht nach herrschender Meinung durch § 287 I S. 2 ZPO grundsätzlich erlaubt sein, Beweismittel unter vorweggenommener Würdigung ihres Beweiswertes zurückzuweisen, wenn bereits eine Schätzungsgrundlage besteht und die weiteren Beweismittel prognostisch lediglich einen geringen Beweiswert inne haben werden, der die bisherigen Feststellungen voraussichtlich nicht erschüttern kann.240 § 287 I S. 3 ZPO ermöglicht demgegenüber lediglich eine Parteivernehmung von Amts wegen ohne das Erfordernis der weitergehenden Voraussetzungen der §§ 445 ff. ZPO.241 § 287 II ZPO erweitert die Befugnisse des § 287 I S. 1 und 2 ZPO auf andere Arten von Vermögensschäden und ermöglicht eine rein prozessökonomische Abwägung zwischen dem Wert der nachzuweisenden Sache und den Kosten der dazu erforderlichen Beweisaufnahme.242 b) Eigene Ansicht: § 287 I und II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Diese Schadensschätzung nach § 287 I und II ZPO weist in ihrer soeben skizzierten Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur eine ganze Reihe von Berührungspunkten mit den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis im Grundgesetz auf. Im Hinblick auf die Verschiedenartigkeit der einzelnen Regelungen des § 287 I und II ZPO erscheint es angezeigt, im ersten Schritt mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis herauszuarbeiten: aa) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis erscheint dahingehend fraglich, als dass § 287 I und II ZPO ja gerade die Erleichterung der Beweisführung einer Prozesspartei im Falle typischerweise auftretender Beweisnot zum erklärten Ziel hat.243 Der ZPO IV, § 287, Rn. 33 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 51 ff. und MüKo-Prüt ting, ZPO I, § 287, Rn. 23 f. 239 In diesem Sinne BGH NJW 1992, S. 2427, 2428; weitergehend mit dem allgemeinen Gedanken, dass eine Anwendung des § 287 I ZPO nicht zulasten des Geschädigten gehen dürfe, BGH NJW-RR 2002, S. 1072, 1073. 240 Ausdrücklich im Sinne einer antizipierten Beweiswürdigung etwa BGH NJW 1996, S. 2501, 2502; die Grenze markiert jedoch das Verbot willkürlicher Entscheidungen, vgl. BVerfG NJW 2010, S. 1870, 1871; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 30 ff.; Wieczorek/SchützeAhrens, ZPO V, § 287, Rn. 52 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 23 jeweils mwN. 241 Vgl. etwa Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 36 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 58 f. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 25 f. 242 Instruktiv BGH NJW 2005, S. 2074 f.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 24 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 60 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 19 ff. jeweils mwN. 243 Vgl. zum Telos des § 287 I und II ZPO wiederum BGH NJW 1951, S. 405; ausführlich auch
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Grundgedanke des § 287 I dahingehend, dass die Durchsetzung des materiellen Rechts nicht durch die Anforderungen des Prozessrechts unmöglich gemacht werden darf, stellt auch einen Grundgedanken des Rechts auf Beweis und seiner Gewährleistungen dar. Die Beweiserleichterungen einer Absenkung der Substantiierungslast wie auch des erforderlichen Beweismaßes für den typischerweise schwierigen Nachweis hypothetischer Geschehensverläufe stellt sich hiernach weniger als Einschränkung, denn vielmehr als eine notwendige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis dar. Durch § 287 I S. 1 ZPO wird die Beweisnot der Prozessparteien im Schadensersatzprozess gelindert und damit im Ergebnis auch den Gewährleistungen ihres Rechts auf Beweis entsprochen.244 Daher stellt § 287 I S. 1 ZPO für die beweisbelastete Prozesspartei keine Einschränkung ihres Rechts auf Beweis dar. Für die jeweilige Gegenpartei gilt es zu bedenken, dass das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung keinerlei negativen Gewährleistungsgehalt iSe Verhinderung des Rechtsnachweises der jeweils anderen Prozesspartei enthält.245 Mithin stellt eine Beweiserleichterung für die beweisbelastete Partei keinerlei Einschränkung des Rechts auf Beweis der jeweiligen Gegenpartei dar, so dass auch insoweit eine Einschränkung des Rechts auf Beweis durch § 287 I S. 1 ZPO zu verneinen ist. Gleiches gilt zudem für § 287 I S. 3 ZPO, der eine Ausschöpfung des Beweismittels der Parteivernehmung unter geringeren Voraussetzungen als nach den §§ 445 ff. ZPO zulässt und daher ebenfalls eine rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis darstellt. Demgegenüber weicht die Regelung § 287 I S. 2 ZPO ganz erheblich von den Beweiserleichterungen des § 287 I S. 1 und 3 ZPO ab. Es werden keine geringeren Anforderungen an die Beweisführung einer in Beweisnot befindlichen Prozesspartei gestellt, sondern vielmehr die Beweisführung der Partei selbst in das Ermessen des erkennenden Gerichts gestellt. Die ermessensabhängige Ablehnung im Übrigen zulässiger Beweisanträge unter antizipierter Würdigung ihres potentiellen Beweiswertes stellt eine ganz erhebliche, rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. In der Ausweitung dieser ermessensabhängigen Beweisablehnungsmöglichkeit auf weitere Konstellationen von Vermögensschäden unter Abwägung des Wertes der Streitsache für die Parteien mit Gesichtspunkten der Prozessökonomie durch § 287 II ZPO ist sodann gleichfalls eine ganz wesentliche Einschränkung des Rechts auf Beweis zu erblicken.
Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 1 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 244 Zum Verhältnis von Beweismaß und Recht auf Beweis siehe oben § 7 III. 5. 245 Ausführlich zu dieser Frage bereits oben in § 6 II. 4.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
bb) Die Rechtfertigung einer Beweisablehnung nach § 287 I S. 2, II ZPO Eine hinreichend bestimmte, gesetzliche Regelung als erste Voraussetzung einer Rechtfertigung dieser Einschränkung des Rechts auf Beweis ist in § 287 I S. 2 und II ZPO zu sehen. Fraglich ist demgegenüber bereits das legitime Ziel dieser Regelung. § 287 I und II ZPO hat nach Rechtsprechung und Literatur die Linderung einer typischerweise bestehenden Beweisnot im Schadensersatzprozess zum Ziel.246 In diesem Sinne dient § 287 I und II ZPO letztlich sogar der Effektuierung des Rechts auf Beweis selbst. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht richtigerweise herausgearbeitet, dass § 287 I S. 2 ZPO ersichtlich aus diesem Rahmen herausfällt und weniger der Linderung einer Beweisnot als vielmehr der Vereinfachung und Straffung des Beweisverfahrens dient.247 § 287 I S. 2 ZPO weist auch nach hier vertretener Auffassung allenfalls einen losen Zusammenhang zu den weiteren Regelungen des § 287 I S. 1 und 3 ZPO auf und dient in erster Linie der Arbeitsersparnis des erkennenden Gerichts und damit im Ergebnis der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege als legitimem Ziel. Wollte man weitergehend die Linderung einer Beweisnot gleichfalls als legitimes Ziel des § 287 I S. 2 ZPO anerkennen, so würde eine Rechtfertigung nach hier vertretener Ansicht bereits an der fehlenden Geeignetheit dieser Regelung scheitern: Die ermessenabhängige Ablehnungsmöglichkeit zulässiger und zur Erhebung beantragter Beweismittel dient nach hier vertretener Auffassung in keiner Weise der Linderung einer Beweisnot, sondern verschlimmert vielmehr die bereits bestehende Beweisnot einer Partei durch weitergehende Ablehnungsmöglichkeiten der wenigen, tatsächlich vorhandenen Beweismittel. Einzig zur Entlastung des Gerichts und damit zur Sicherung der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege erscheint § 287 I S. 2 ZPO geeignet zu sein. Im Hinblick auf die harsche Möglichkeit einer weitgehenden Beweisablehnung im Ermessen des Gerichts sind mildere und gleichermaßen effektive Mittel ebenfalls nicht ersichtlich, so dass die Regelung auch erforderlich ist. Demgegenüber erscheint die Angemessenheit des § 287 I S. 2 ZPO äußerst problematisch: So erschließt sich bereits der grundlegende Zusammenhang zwischen dem gesetzgeberischen Ziel einer Linderung der typischerweise im Schadensersatzprozess auftretenden Beweisnot und der Ablehnung der wenigen, tatsächlich verbliebenen Beweismittel zumindest nach hier vertretener Ansicht nicht.248 Man könnte einzig argumentieren, dass § 287 I S. 2 ZPO Konstellationen betrifft, die 246
Vgl. einmal mehr BGH NJW 1951, S. 405; ausführlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 287, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 287, Rn. 1 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 287, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 247 In diesem Sinne insbesondere BVerfG NJW 2003, S. 1655 f.; ähnlich auch Musielak/ Voit-Foerste, ZPO, § 287, Rn. 6 und 10. 248 Kritisch auch Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, S. 456; Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 287, Rn. 10 ff. und Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S. 396 ff. jeweils mwN.
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aufgrund ihres hypothetischen Charakters ohnehin nicht gänzlich aufklärbar sind und daher in jedem Fall eine Prognose des Gerichts erforderlich machen, so dass es auch diesem Gericht obliegen soll, den erforderlichen Grad an Anknüpfungstatsachen festzulegen. Indes erscheint diese Argumentation vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis äußerst angreifbar: Ein effektiver Rechtsnachweis erfordert gerade im Falle eines besonders schwierigen Nachweises umso mehr die Ausschöpfung der tatsächlich vorhandenen und zur Erhebung beantragten Beweismittel. Der Rechtsprechung ist insoweit zuzustimmen, wenn sie eine gewisse Schätzungsgrundlage in Form nachgewiesener Anknüpfungstatsachen fordert.249 Allein auf Basis möglichst umfassender Anknüpfungstatsachen kann eine sachgerechte Schadenschätzung erfolgen, die dem tatsächlichen Schadensumfang zumindest so nahe kommt, wie es praktisch möglich ist. Daher fordert das Recht auf Beweis insbesondere im Falle typischer Beweisnot das Ausschöpfen aller vorhandenen und beantragten Beweismittel. Dieser Erhebung der tatsächlich vorhandenen Beweismittel kommt gerade aufgrund der Beweisschwierigkeiten ein besonderes Gewicht zu. Eine Argumentation dahingehend, dass das Gericht in Ermangelung der Möglichkeit eines exakten Nachweises, anstelle der Ausschöpfung aller Erkenntnisquellen sodann auch ein Ergebnis „raten“ darf, lässt sich demgegenüber nach hier vertretener Ansicht mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Rechts auf Beweis nicht im Ansatz in Einklang bringen. Diese Argumentation gilt umso mehr für die nach § 287 II ZPO ermöglichte, ermessensabhängige Beweisablehnung anhand einer Abwägung des Wertes der Streitsache mit prozessökonomischen Gesichtspunkten. Die Ablehnung eines im Übrigen zulässigen Beweisantrages allein aus Gründen der Prozessökonomie erscheint bereits im Rahmen des allgemeinen Rechtsnachweises nach § 286 ZPO äußerst fraglich. Ein jedes zu erhebende Beweismittel verlängert die Dauer eines Prozesses und bindet Arbeitskraft des erkennenden Gerichts, so dass unter rein prozessökonomischen Gesichtspunkten stets eine Beweisablehnung denkbar wäre. Indes würde die Ablehnung von Beweismitteln allein aus Gründen der Prozessökonomie den Zivilprozess insgesamt im Ergebnis ad absurdum führen. Der Prozess wird von einer Partei zur Durchsetzung ihrer Rechte bzw. der Abwehr unberechtigter Ansprüche eingeleitet und sodann in ihrem Interesse geführt. Wenn nun aber dieser Rechtsnachweis unter Verweis auf prozessökonomische Gesichtspunkte verweigert werden könnte, so würde die Führung des Prozesses insgesamt obsolet. Eine Argumentation zugunsten der Beweisablehnung aus rein prozessökonomischen Gesichtspunkten scheitert bereits für die allgemeine Beweisführung daran, dass der Zivilprozess nicht aus sich selbst heraus zu rechtfertigen ist, sondern allein zur Durchsetzung privater Rechte existiert. Dies gilt umso mehr im Falle der Beweisnot einer Prozesspartei. 249
Vgl. wiederum BGH NJW 1951, S. 405; ebenso auch BGH NJW 1995, S. 1023, 1024 und BGH NJW 2013, S. 2584, 2585 f. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Die Ablehnung derjenigen Beweismittel, die einer Partei in Beweisnot verbleiben, lässt sich nach hier vertretener Auffassung im Hinblick auf ihr Recht auf Beweis grundsätzlich nicht aus rein prozessökonomischen Gründen rechtfertigen. Im Falle der Beweisnot kommt dem Recht auf Erhebung vorhandener und zum Beweis beantragter Beweismittel ein besonderes Gewicht zu, so dass eine Rechtfertigung der Beweisablehnung unter alleinigem Verweis auf die Prozessökonomie in aller Regel scheitern muss. Allerdings gibt § 287 I S. 2 ZPO dem erkennenden Gericht ein Ermessen über die Ablehnung von beantragten Beweismitteln. Dieses pflichtgemäße Ermessen stellt sich als Einfallstor für eine Auslegung am Maßstab des Rechts auf Beweis dar, welches diesem Ermessen nach hier vertretener Auffassung enge Grenzen setzt. Die Regelung des § 287 I S. 2 ZPO ist mithin nicht per se verfassungswidrig, bedarf aber einer strikten, verfassungskonformen Auslegung des gerichtlichen Ermessens über die Beweisablehnung. Eine Ablehnung beantragter Beweismittel kommt nach hier vertretener Ansicht allein anhand der allgemeinen Grundsätze in Betracht. Zu denken wäre in diesem Zusammenhang insbesondere an die fehlende Entscheidungserheblichkeit eines Sachverständigenbeweises im Hinblick auf die nachgewiesene, eigene Sachkunde des erkennenden Gerichts oder auch die Ungeeignetheit eines (Indizien-) Beweises nach naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Eine weitergehende Ablehnungsbefugnis des Gerichts in Bezug auf beantragte Beweismittel aus § 287 I S. 2 ZPO lässt sich im Hinblick auf das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung nicht rechtfertigen.250 Im Falle der Beweisnot einer Prozesspartei kommt dem Recht auf Erhebung der vorhandenen Beweismittel ein besonderes Gewicht zu. Dies gilt umso mehr, als die vollständige Erhebung der vorhandenen Beweismittel wesentlich zur Schaffung einer möglichst exakten Grundlage der Schadensschätzung in Form nachgewiesener Anknüpfungstatsachen und damit letztlich zum effektiven Rechtsnachweis der Prozessparteien beiträgt. Die Schadenschätzung kommt nach dieser Auslegung des § 287 I S. 2 ZPO subsidiär im Anschluss an die Erhebung der vorhanden und zum Beweis beantragten Beweismittel der Prozessparteien in Betracht. Obgleich die Angemessenheitsprüfung stets einer Abwägung im Einzelfall bedarf, lässt sich eine weitergehende Ablehnung von Beweismitteln unter antizipierter Würdigung ihres potentiellen Beweiswertes nach hier vertretener Ansicht in aller Regel nicht rechtfertigen. In der Auslegung des § 287 I und II ZPO als Beweiserleichterung im Falle typischerweise auftretender Beweisnot im Schadensersatzprozess unter vollständiger Erhebung beantragter Beweismittel zur Schaffung einer hinreichenden Schätzungsgrundlage stellt sich § 287 I und II ZPO sodann als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dar. 250 Auf einen Zusammenhang zwischen der Auslegung des § 287 I S. 2 ZPO in Rechtsprechung und Literatur und den allgemeinen Ablehnungsgründen hinweisend auch Stickelbrock, Inhalt und Grenzen richterlichen Ermessens, S. 396 ff. mwN.
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c) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Diese Wertungen lassen sich grundsätzlich auch auf die europäischen Grundrechtsordnungen übertragen. Das Recht auf Beweis in EMRK und der europäischen Grundrechtecharta beinhaltet als zentralen Gewährleistungsgehalt ein Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel und umfasst ein ebenso striktes Verbot der Beweisantizipation. Die grundlegende Bedeutung dieser Gewährleistungsgehalte zieht dem weiten Ermessen des nationalen Gesetzgebers ausnahmsweise enge Grenzen. Nach hier vertretener Auffassung lässt sich eine Ablehnung der tatsächlich vorhandenen Beweismittel im Falle der Beweisnot einer Partei auch nach EMRK und europäischer Grundrechtecharta als Einschränkung des Rechts auf Beweis in aller Regel schlicht nicht rechtfertigen. Vielmehr werden dem gerichtlichen Ermessen des § 287 I S. 2 ZPO auch insoweit enge Grenzen gesetzt, so dass beantragte Beweismittel grundsätzlich nach allgemeinen Regeln zu erheben sind.
10. Sonderfall: Der Nachweis von Förmlichkeiten (§ 165 ZPO) und mündlichen Parteivorbringens (§ 314 S. 2 ZPO iVm § 165 S. 1 ZPO) Als letzter allgemeiner Ablehnungsgrund für beantragte Beweismittel soll nun der Nachweis von Förmlichkeiten bzw. des mündlichen Parteivorbringens betrachtet werden. Dem Sitzungsprotokoll wie auch dem Urteilstatbestand kommt nach § 165 S. 1 ZPO bzw. § 314 S. 2 ZPO eine besondere Beweiskraft zu. In beiden Fallkonstellationen ist zu fragen, ob diese Beweiskraft einen Gegenbeweis mit allen der jeweiligen Prozesspartei zur Verfügung stehenden Beweismitteln zulässt. Sitzungsprotokoll und Urteilstatbestand nehmen für den Rechtsschutz in Form einer Überprüfung in den Rechtsmittelinstanzen eine zentrale Rolle ein, so dass etwaige Nachweismöglichkeiten für die Parteien von großer Bedeutung sein können.251 a) Der Nachweis von Förmlichkeiten in Rechtsprechung und Literatur § 165 S. 1 ZPO enthält eine Beweisregel iSd § 286 II ZPO zum Nachweis der ordentlichen Förmlichkeiten eines Prozesses.252 Die Beweiskraft des Protokolls wird für bestimmte, in § 165 S. 1 ZPO genannte Teile des Sitzungsprotokolls über die allgemeine Beweiskraft einer Urkunde in den §§ 415 ff. ZPO hinaus erhöht.253 Ein Gegenbeweis kann grundsätzlich mit allen zur Verfügung stehenden Beweismitteln geführt werden, allerdings bedarf es nach § 165 S. 2 ZPO zur Entkräftung der Be251
So auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 1 mwN. Vgl. Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 1 jeweils mwN. 253 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 2 ff. und Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 252
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
weiskraft des Protokolls eines Nachweises seiner Fälschung.254 Eine Fälschung lässt sich definieren als eine anfängliche, wissentlich falsche Beurkundung oder die nachträgliche, vorsätzliche Verfälschung des Protokolls.255 Es genügt insoweit weder der Nachweis einer fahrlässig falschen Protokollierung, noch die Wahrscheinlichkeit einer Fälschung.256 Auf der anderen Seite dürfen die Anforderungen an diesen schwierig zu führenden Beweis nach dem BGH nicht überspannt werden, da eine Partei zum Nachweis einer Fälschung typischerweise auf Indizien angewiesen ist.257 b) Der Nachweis mündlichen Parteivorbringens in Rechtsprechung und Literatur Eine weitere Beweisregel über die Beweiskraft des Urteilstatbestandes für das mündliche Vorbringen der Prozessparteien findet sich in § 314 S. 1 ZPO, mitsamt eines Ausschlusses bestimmter Beweismittel für die Führung des Gegenbeweises in § 314 S. 2 ZPO.258 Der Urteilstatbestand iSd § 314 S. 1 umfasst als Beweisregel nicht nur den formellen Tatbestandsbegriff des § 313 I Nr. 5, II ZPO, sondern außerdem die Tatbestandsfeststellungen in den Entscheidungsgründen.259 § 314 S. 2 ZPO lässt gegen diese Beweisregel des § 314 S. 1 ZPO einen Gegenbeweis grundsätzlich zu, beschränkt denselben aber auf den Nachweis mittels des Sitzungsprotokolls. Ein Nachweis mit anderen, den Parteien etwaig zur Verfügung stehenden Beweismitteln wird durch § 314 S. 2 ZPO explizit ausgeschlossen.260 Als weitere Handlungsalternative verbleibt einer Prozesspartei allein der Antrag auf Urteilsberichtigung nach § 320 ZPO. Diese Norm soll nach ihrem Sinn und Zweck einen Ausgleich zur Beweisregel des § 314 ZPO und der erhöhten Beweiskraft des Urteilstatbestandes bilden.261 Daher entspricht der Anwendungsbereich des § 320 ZPO dem Umfang des 254 Vgl. BGH NJW 1985, S. 1782, 1783; zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 14 mwN. 255 In diesem Sinne die Definitionen bei Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 14 und MüKoFritsche, ZPO I, § 165, Rn. 11; ähnlich Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 18. 256 Vgl. etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 14 f. und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 11 jeweils mwN. 257 In diesem Sinne BGH NJW 1985, S. 1782, 1783 f.; ähnlich auch BGH NJW-RR 2008, S. 804, 805; zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 14 f. und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 11 jeweils mwN. 258 Vgl. etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Rensen, § 314, Rn. 1 jeweils mwN. 259 Vgl. BGH NJW 2000, S. 3007; BGH NJW 2003, S. 2158, 2159 f.; Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1 § 314, Rn. 1 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 314, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 260 Vgl. etwa BGH NJW 1993, S. 1851, 1852; ebenso BGH NJW 1994, S. 517, 519; siehe auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 16 und MüKo-Musielak, ZPO I, § 314, Rn. 7 jeweils mwN. 261 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1956, S. 1480; ebenso BGH NJW 1983, S. 2030, 2030 f.; zustimmend Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1 § 320, Rn. 5 ff. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 314, Rn. 1 jeweils mwN
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mündlichen Parteivorbringens iSd § 314 S. 1 ZPO und seiner erhöhten Beweiskraft.262 Allerdings normiert § 320 IV S. 1 ZPO explizit ein Berichtigungsverfahren ohne jede Beweisaufnahme. Die Entscheidung wird von den Richtern des Hauptprozesses anhand des Sitzungsprotokolls und ihrer eigenen Aufzeichnungen und Erinnerungen gefällt.263 Mithin bleiben die Prozessparteien auch im Rahmen des § 320 ZPO mit ihren Beweismitteln ausgeschlossen. c) Eigene Ansicht: § 165 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis § 165 S. 1 ZPO gibt dem Sitzungsprotokoll einen festgelegten Beweiswert, den das erkennende Gericht seiner Entscheidung zugrunde zu legen hat. Es handelt sich somit um eine klassische Beweisregel iSd § 286 II ZPO, die im späteren Verlauf dieser Arbeit ihrerseits zu überprüfen sein wird.264 Die Festlegung eines bestimmten Beweiswertes könnte zugleich als Ausschluss etwaiger anderer Beweismittel verstanden werden. Indes stellt § 165 S. 2 ZPO das Recht der Gegenpartei auf Führung eines Gegenbeweises ausdrücklich klar. Zugleich normiert § 165 S. 2 ZPO mit dem Nachweis der Fälschung hohe Anforderungen an diesen Gegenbeweis. Die Beweisführung bleibt jedoch – in Übereinstimmung mit dem Recht auf Beweis – unter Zuhilfenahme aller verfügbaren Beweismittel möglich. Die Anforderungen an das Beweismaß bilden auch für den Gegenbeweis grundsätzlich den Rahmen des Rechts auf Beweis. Nach allgemeinen Grundsätzen unterfällt eine solche Regelung erst dann dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis, wenn das Beweismaß so hoch angesetzt ist, dass eine Beweisführung über den Einzelfall hinaus typischerweise in allen vergleichbaren Konstellationen scheitern muss.265 Der Nachweis einer Fälschung ist jedoch grundsätzlich nur schwer zu führen, insbesondere im Hinblick auf den Nachweis des subjektiven Tatbestandes des Vorsatzes. Daher erscheint es sachgerecht, wenn Rechtsprechung und Literatur in Bezug auf § 165 S. 2 ZPO anmahnen, die Anforderungen an diesen Nachweis nicht zu überspannen.266 Prinzipiell ausgeschlossen ist ein solcher Nachweis jedoch nach hier vertretener Ansicht nicht – zumal die Beweisführung unter Ausschöpfung aller verfügbaren Beweismittel möglich ist. Je nach den Umständen des Einzelfalles können weitere Beweiserleichterungen durch das Recht auf Beweis gefordert sein. Im Grundsatz stellt § 165 262 Vgl. wiederum BGH NJW 1956, S. 1480 und BGH NJW 1983, S. 2030, 2030 f.; ebenso Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1 § 314, Rn. 1 ff. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 320, Rn. 4 f. jeweils mwN. 263 Vgl. bereits BGH NJW 1963, S. 46; instruktiv auch BGH NJW 2002, S. 1426, 1428; siehe auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 320, Rn. 19 ff. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 320, Rn. 9 jeweils mwN. 264 Siehe hierzu § 13 II. 2. 265 Ausführlich zum Verhältnis von Beweismaß und Recht auf Beweis in § 7 III. 5. 266 Vgl. wiederum BGH NJW 1985, S. 1782, 1783 f.; BGH NJW-RR 2008, S. 804, 805; Stein/ Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 14 f. und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 11 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
S. 1 und 2 ZPO jedoch keine Einschränkung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar. d) Eigene Ansicht: § 314 S. 2 ZPO iVm § 165 S.1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Demgegenüber enthält die Beweisregel des § 314 S. 1 ZPO in Bezug auf mündliches Parteivorbringen im Urteilstatbestand einen expliziten Ausschluss bestimmter Beweismittel in § 314 S. 2 ZPO. aa) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis Im ersten Schritt stellt sich die Frage, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang § 314 S. 2 ZPO das Recht auf Beweis der Prozessparteien einschränkt. Seinem Wortlaut nach werden für den Nachweis mündlichen Parteivorbringens alle Beweismittel mit Ausnahme des Sitzungsprotokolls ausgeschlossen. Somit kommt nach dem eben Gesagten über § 165 S. 2 ZPO ein Gegenbeweis mit allen verfügbaren Beweismitteln in demjenigen Umfang in Betracht, in dem das Sitzungsprotokoll entsprechende Feststellungen beinhaltet. Die Prozesspartei erhält daher über das Sitzungsprotokoll indirekt eine umfassende Möglichkeit des eigenen Rechtsnachweises für ihr mündliches Parteivorbringen nach § 314 S. 2 ZPO. In diesem Umfang stellt § 314 S. 2 ZPO somit keine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Der weitergehende Ausschluss sämtlicher Beweismittel einer Prozesspartei zum Nachweis ihres mündlichen Parteivorbringens, über diese Feststellungen des Sitzungsprotokolls hinaus ist demgegenüber als eine Einschränkung des Rechts auf Beweis anzusehen. bb) Die Rechtfertigung einer Beweismittelbeschränkung nach § 314 S. 2 ZPO Diese Einschränkung hat in § 314 S. 2 ZPO eine gesetzliche Regelung erfahren. Sie dient dem Schutz des Urteils als einer bindenden Entscheidung und damit letztlich dem Rechtsfrieden und der Rechtsgewissheit als legitimem Ziel. Der Urteilstatbestand enthält nach § 313 II ZPO eine zusammenfassende Darstellung des gesamten Prozesses. Umfasst werden der Sachverhalt, die Anträge und die wesentlichen Angriffs- und Verteidigungsmittel der Prozessparteien unter Einschluss ihrer beweisrechtlichen Aktivitäten im Prozess. Diese Feststellungen haben insbesondere für die weitere Rechtsverfolgung in den Rechtsmittelinstanzen eine wesentliche Bedeutung, so dass die Möglichkeit ihres Nachweises für die Prozessparteien von großer Bedeutung sein kann. § 314 S. 2 ZPO schneidet den Prozessparteien die Beweisführung mit jeglichen Beweismitteln pauschal ab. § 320 ZPO ermöglicht zwar die Überprüfung in einem weiteren Verfahren, jedoch auch in diesem Rahmen nach § 320 IV S. 1 ZPO ohne jede Einflussmöglichkeit der Parteien mit ihren etwaigen
§ 11 Grundlagen der Beweisaufnahme
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Beweismitteln. Die Einschränkung des Rechts auf Beweis der jeweiligen Prozesspartei hat mithin ein beachtliches Gewicht. Auf der anderen Seite darf auch der Sinn und Zweck einer bindenden Feststellung des Urteilstatbestandes nicht außer Acht gelassen werden: Die Feststellungen im Verlaufe eines Zivilprozesses unterliegen nach § 160 ZPO strengen Protokollierungserfordernissen und müssen nach § 313 ZPO auch im Rahmen der eigentlichen Entscheidung in eine strenge Form gebracht werden. In dieser Form müssen diese Feststellungen jedoch auch eine bestimmte Rechtswirkung erzeugen, damit eine gerichtliche Entscheidung in der Lage ist, ihre streitentscheidende Funktion erfüllen zu können. Wenn im Anschluss an einen Zivilprozess trotz Einhaltung aller Förmlichkeiten erneut mit allen Beweismitteln des eigentlichen Prozesses über die Behauptung einer fehlerhaften Verschriftlichung des Verlaufes eben dieses Prozesses gestritten werden könnte, so würde faktisch ein zweiter Hauptprozess entstehen und jegliche Bindungswirkung würde konterkariert. In diesem Sinne hat der Gesetzgeber eine Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis und dem Rechtsfrieden treffen müssen. Er hat strenge Formerfordernisse für Protokollierung und Urteilsform normiert, die allein im Falle ihrer Einhaltung eine besondere Beweiskraft ermöglichen. Eine Vielzahl an Feststellungen des Sitzungsprotokolls lassen sich über § 165 S. 2 ZPO mit allen verfügbaren Beweismitteln angreifen und für die sonstigen Feststellungen ist zumindest eine weitere Überprüfung nach § 320 ZPO vorgesehen – wenngleich ohne Beweiserhebungsmöglichkeit nach § 320 IV S. 1 ZPO. Wenn man diese strengen Anforderungen an eine formal korrekte Protokollierung und Entscheidungsfindung und zugleich die Bedeutung dieses Beweismittelausschlusses für eine endgültige, streitbeendende Entscheidung bedenkt, so erscheint die Regelung des § 314 S. 2 ZPO auch vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis als angemessen. Allein durch besondere Umstände kann diese Wertung im Einzelfall anders ausfallen – etwa bei weiteren, evidenten und gravierenden Fehlern im eigentlichen Prozess in Bezug auf die Nachweismöglichkeiten der Prozessparteien. Im Grundsatz ist die Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz durch den Beweismittelausschluss des § 314 S. 2 ZPO gerechtfertigt. e) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Für das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta gilt es auch an dieser Stelle festzuhalten, dass dem Gesetzgeber ein größerer Gestaltungsspielraum zukommt. Wenn die Abwägung zwischen Rechtsfrieden und dem Recht auf Beweis in der Regelung des § 314 S. 2 ZPO somit den Anforderungen des Grundgesetzes genügt, so gilt dies umso mehr für die Anforderungen von EMRK und Grundrechtecharta. Daher ist der Beweismittelausschluss des § 314 S. 2 ZPO auch als Einschränkung des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta im Grundsatz gerechtfertigt.
§ 12
Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO Im Anschluss an diese Analyse allgemeiner Beweisablehnungsgründe sollen nun die einzelnen Beweismittel in den Blick genommen werden. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass der Grundsatz des Strengbeweises in der ZPO alle denkbaren Erkenntnisquellen umfasst und daher mit dem Recht auf Beweis vereinbar ist.1 Daher bilden diese Beweismittel des Strengbeweises ihrerseits den Gegenstand der konkreten Überprüfung am Maßstab des Rechts auf Beweis. In einem ersten Schritt soll für das jeweilige Beweismittel die Erarbeitung des abstrakten Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis in den drei untersuchten Grundrechtsordnungen finalisiert werden: Zunächst werden Rechtsprechung und Literatur auf etwaige Gewährleistungsgehalt zum jeweiligen Beweismittel in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta untersucht, bevor sich die Entwicklung einer eigenen Ansicht in Form der Erarbeitung des jeweiligen Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis anschließt. Im zweiten Schritt folgt sodann die Anwendung des so erarbeiteten Maßstabes auf das einfache Recht und somit die Überprüfung der ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis.
I. Zeugenbeweis Die Untersuchung der einzelnen Beweismittel beginnt mit dem Zeugenbeweis, der als zahlenmäßig häufigstes Beweismittel im Zivilprozess eine große praktische Bedeutung hat und aufgrund dessen zugleich einen wesentlichen Faktor effektiven Rechtsnachweises darstellt.2
1 Ausführlich
§ 11 I. 3. In diesem Sinne betont bereits BVerfGE 38, S. 105, 115 ff. in einem Strafprozess die Bedeutung des Zeugenbeweises als ein wesentliches Mittel der Wahrheitserforschung; ebenso Musielak/ Voit-Huber, ZPO, § 373, Rn. 1; aus der Praxis siehe auch Jäckel, Beweisrecht der ZPO, S. 91 f. und Schneider/Thiel, Zivilprozessuales Beweisrecht, Rn. 99 f. jeweils mwN. 2
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Zeugenbeweis Die praktische Bedeutung des Zeugenbeweises schlägt sich gleichsam in einer umfänglichen Rechtsprechung des EGMR und einer eingehenden Behandlung in der Literatur nieder. Zudem enthält die Konvention in Art. 6 III lit. d EMRK eine explizite Regelung zum Zeugenbeweis im Strafprozess, die gleichsam für den Zivilprozess gewisse Bedeutung erlangt hat: a) Das Recht der Parteien auf Benennung und Befragung eigener Zeugen Als Grundsatz lässt sich festhalten, dass EGMR und Literatur das Recht der Prozessparteien anerkennen, eigene Zeugen im Prozess benennen zu dürfen.3 Darüber hinaus haben die Parteien ein Fragerecht: Sie dürfen jeden im Prozess vernommenen Zeugen befragen – ganz gleich, ob er von der Partei selbst oder der Gegenpartei benannt worden ist.4 Diese beiden Rechte werden für den Zivilprozess in erster Linie aus dem Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK und seinen Teilgewährleistungsgehalten hergeleitet. So weist das Recht, eigene Zeugen benennen zu können, deutliche Zusammenhänge zum Recht auf rechtliches Gehör und dem Grundsatz der Waffengleichheit auf.5 Demgegenüber lässt sich das Fragerecht der Parteien aus dem Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren herleiten.6 Darüber hinaus ist zur Herleitung dieser beiden Rechte auch Art. 6 III lit. d EMRK heranzuziehen: Seinem Wortlaut nach gilt diese Norm ausschließlich für den Strafprozess. Indes hat der EGMR diese Norm unter Zustimmung der Literatur im Zivilprozess insoweit für anwendbar erklärt, als er die Gewährleistungen des Art. 6 III lit. d EMRK in das allgemein Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK hineingelesen hat.7 Hiernach führt der EGMR den von ihm entwickelten Grundgedan3 Vgl. EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL, Rn. 33; ebenso EGMR, Urteil vom 18.06.2002, 24541/94, Wierzbicki ./. PL, Rn. 39 ff.; EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff.; aus der Literatur siehe ausdrücklich Frowein/ Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6, Rn. 165; zurückhaltender Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 141 ff. 4 Vgl. dazu etwa die – strafprozessualen – Entscheidungen EGMR, Urteil vom 26.04.1991, 12398/86, Asch ./. AUT, Rn. 27 und EGMR, Urteil vom 20.12.2001, 33900/96, P.S. ./. GER, Rn. 22 ff. = NJW 2003, S. 2893 f. 5 Vgl. EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 33 und EGMR, Urteil vom 18.02.1997, 18990/91, Nideröst-Huber ./. AUT, Rn. 23 f. jeweils mwN aus der Rechtsprechung. 6 Siehe EGMR, Urteil vom 20.02.1996, 15764/89, Lobo Machado ./. PORT, Rn. 31 und EGMR, Urteil vom 28.09.2001, 37292/97, F.R. ./. CH, Rn. 36 wiederum jeweils mwN aus der Rechtsprechung. 7 Siehe bereits EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff.; diesen Gedanken fortentwickelnd EGMR, Urteil vom 18.06.2002, 24541/94, Wierzbicki ./. PL, Rn. 39 ff.; ausführlich Matscher, FS-Henckel, S. 593, 602 f.; zustimmend Frowein/Peukert-Peu kert, Art. 6 Rn. 165, Fn. 392 jeweils mwN.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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ken, dass die Gewährleistungen des Art. 6 III EMRK lediglich eine besondere Ausprägung des allgemeinen Rechts auf ein faire Verfahren iSd Art. 6 I EMRK seien, konsequent fort.8 Art. 6 III lit. d EMRK enthält schon seinem Wortlaut nach ein Recht auf Zeugenbenennung, wie auch ein umfassendes Fragerecht. Diesen Gewährleistungsgehalt hat der EGMR für den Strafprozess ausdrücklich bestätigt.9 Durch die Anwendbarerklärung des Art. 6 III lit. d EMRK im Zivilprozess lässt sich diese strafprozessuale Judikatur – mit der gebotenen Vorsicht – auf den Zivilprozess übertragen. Jedenfalls ergänzend spricht der Art. 6 III lit. d EMRK auch für den Zivilprozess sehr deutlich für ein Recht der Parteien auf Zeugenbenennung und -befragung. b) Tatsächliche oder rechtliche Hinderungsgründe der Zeugeneinvernahme Das Recht der Parteien auf Benennung eigener Zeugen im Prozess gilt nach dem EGMR indes nicht absolut.10 Vielmehr hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung eine Reihe von Fallgruppen entwickelt, in denen dieses Recht konventionskonform beschränkt werden kann. Dabei lassen sich die Gruppen der tatsächlichen und der rechtlichen Hinderungsgründe einer Zeugeneinvernahme unterscheiden11: Als tatsächliche Hindernisse der Vernehmung eines Zeugen kommen nach der Rechtsprechung insbesondere der unbekannte Aufenthalt eines benannten Zeugen bzw. seine Nichterreichbarkeit im Ausland trotz hinreichenden Bemühungen des Gerichtes12, Krankheit oder letztlich auch der zwischenzeitliche Tod eines Zeugen in Betracht.13 Rechtliche Hinderungsgründe sind etwaige Zeugnisverweigerungsrechte nach nationalem Recht14 oder auch die Immunität des zu vernehmenden Zeugen, speziell bei Diplomaten oder hohen Regierungsmitgliedern.15 Der EGMR hat in seiner Recht8 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 18.10.2001, 37225/97, N.F.B. ./. GER = NJW 2003, S. 2297, 2298; ebenso EGMR, Urteil vom 17.11.2005, 73047/01, Monika Hass ./. GER = NJW 2006, S. 2753, 2755 jeweils mwN. 9 Siehe etwa EGMR, Urteil vom 18.10.2001, 37225/97, N.F.B. ./. GER = NJW 2003, S. 2297, 2298 zum Fragerecht und EGMR, Urteil vom 07.07.1989, Bricmont ./. B, Rn. 87 ff. zur Benennung von Zeugen. 10 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 13.12.1983, 8945/80, S. ./. GER, S. 48 f.; EGMR, Urteil vom 24.11.1986, 9120/80, Unterpertinger ./. AUT, Rn. 30 ff.; ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 161 ff. 11 In diesem Sinne etwa Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 132 ff. 12 Ausführlich wiederum EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 163; ebenso bereits in EGMR, Urteil vom 17.07.2001, 29900/96, Sadakandothers ./. TU, Rn. 65 ff. jeweils mwN. 13 Vgl. die Konstellation in EGMR, Urteil vom 08.09.2006, 60018/00, Bonev ./. BUL, Rn. 43 f. und EGMR, Urteil vom 07.07.1989, Bricmont ./. B, Rn. 88. 14 Vgl. bereits EGMR, Urteil vom 24.11.1986, 9120/80, Unterpertinger ./. AUT, Rn. 30 ff.; ebenso auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, § 24, Rn. 132 mwN. 15 Vgl. hierzu etwa EGMR, Urteil vom 07.07.1989, Bricmont ./. B, Rn. 88 zur Frage der möglichen prozessualen Vernehmung eines Mitgliedes der belgischen Königsfamilie.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
sprechung anerkannt, dass solche Hinderungsgründe konventionskonform sein können. Allerdings wird zugleich in Rechtsprechung und Literatur betont, dass es sich um eine Beschränkung des Rechts auf Benennung von Zeugen handelt, die einer entsprechenden Rechtfertigung bedarf. 16 c) Anforderungen an das Zeugnis vom Hörensagen Eine besondere Fragestellung des Zeugenbeweises ergibt sich in Form des sog. Zeugnisses vom Hörensagen. Dabei wird eine Person als Zeuge vernommen, die den in Rede stehenden Geschehensablauf nicht mit eigenen Sinnen erlebt hat, sondern vielmehr die unmittelbaren Sinneseindrücke eines Dritten geschildert bekommen hat und darüber aussagen soll.17 Diese Konstellation ist ersichtlich dahingehend problematisch, dass keine unmittelbare Vernehmung desjenigen erfolgt, der das Geschehen tatsächlich erlebt hat. Somit ergibt sich das Risiko von Übermittlungsfehlern durch das „Zwischenschalten“ des Zeugen vom Hörensagen.18 Der EGMR erteilt einem generellen Ausschluss des Zeugnisses vom Hörensagen dennoch eine Absage: Ein solches Zeugnis sei nicht von vornherein mit dem Recht auf ein faires Verfahren unvereinbar.19 Dabei setzt der EGMR ein Zeugnis vom Hörensagen mit der Konstellation der Aussage eines anonymen Zeugen gleich.20 Allerdings stellt die Rechtsprechung unter Zustimmung der Literatur strenge Anforderungen an die Verwertung eines solchen Zeugnisses vom Hörensagen: So muss die Beweiswürdigung dieses Zeugnisses die besondere Situation des Hörensagens beachten und besonders gründlich und vorsichtig erfolgen.21 Außerdem darf eine gerichtliche Entscheidung sich nicht ausschließlich auf das Beweismittel eines Zeug-
16 In diese Richtung gehen die ausführlichen Erläuterungen von Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 161 ff.; ausdrücklich in diesem auch Sinne Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 629 jeweils mwN. 17 Allgemein zur Konstellation des Zeugnisses vom Hörensagen, siehe Musielak-Huber, ZPO, § 373 Rn. 2. 18 Vgl. zu dieser Problematik etwa BVerfG NJW 1996, S. 448, 449 (Strafprozess); Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 31, Rn. 74 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 373, Rn. 2 f. jeweils mwN. 19 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 29.07.2009, 15065/05, Dzevdet Dzelili ./. GER; ausführlich zu dieser Konstellation auch EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 214 ff. mwN. 20 In diesem Sinne bereits EGMR, Urteil vom26.03.1996, 20524/92, Doorson ./. NL, Rn. 68 ff.; ausdrücklich sodann EGMR, Urteil vom 29.07.2009, 15065/05, Dzevdet Dzelili ./. GER. 21 Vgl. EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20542/92, Doorson ./. NL, Rn. 76; bestätigt in EGMR, Urteil vom 14.02.2002, 26668/95, Visser ./. NL, Rn. 44 und EGMR, vom 17.11.2005, 73047/01, Monika Hass ./. GER = NJW 2006, S. 2753, 2755; ausführlich zu dieser Beweiswürdigung und kritisch zu ihrer praktischen Umsetzung Karpenstein/Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6 Rn. 209 ff.; siehe auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 309 f.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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nisses vom Hörensagen stützten. Vielmehr muss ein so gewonnener Sachverhalt durch weitere Beweismittel erhärtet werden.22
2. Die Gewährleistungen der GRC zum Zeugenbeweis In der Rechtsprechung des EuGH finden sich kaum Äußerungen zum Zeugenbeweis. Hintergrund ist insbesondere die Historie des EuGH als Gericht für Wettbewerbs- und Kartellfragen in seinen früheren Jahren. In diesen Prozessen spielt der Zeugenbeweis – wie der EuGH selbst betont hat – nur eine untergeordnete Rolle.23 a) Das Recht der Parteien auf Einvernahme von Zeugen Die grundlegende Frage, ob die Parteien ein subjektives Recht auf Ladung und Befragung von Zeugen im Zivilprozess innehaben, wird durch den EuGH – soweit ersichtlich – bisher nicht explizit beantwortet. Für eine solche Sichtweise lässt sich die allgemeine Tendenz des EuGH anführen, den Parteien ein Recht auf Zulassung ihrer entscheidungserheblichen Beweismittel einzuräumen.24 Jedenfalls vor dem Hintergrund des Art. 52 III S. 1 GRC könnte ein solches Recht auf Erhebung des Zeugenbeweises zwingend sein. Der EGMR hat ein subjektives Recht der Parteien auf Ladung und Befragung von beantragten Zeugen grundsätzlich anerkannt.25 Problematisch an einer Anwendung des Art. 52 III S. 1 GRC könnte indes die Herleitung dieses Rechts sein: Der EGMR hat das Recht auf Erhebung des Zeugenbeweises wahlweise auf Art. 6 I EMRK oder aber eine analoge Anwendung des Art. 6 III lit. d EMRK auf den Zivilprozess gestützt.26 Die rechtliche Verbindung von EMRK und Grundrechtecharta setzt nach Art. 52 III S. 1 GRC ein „Entsprechen“ der jeweiligen Grundrechtsartikel voraus. In diesem Zusammenhang „entspricht“ Art. 6 I EMRK dem Art. 47 II S. 1 GRC. Eine „Entsprechung“ des Art. 6 III lit. d EMRK mit der Grundrechtecharta existiert indes nach dem Wortlaut gerade nicht. Allerdings gewährleistet Art. 48 II GRC die Verteidigungsrechte im Strafprozess in ähnlichem Wortlaut wie Art. 6 III 22 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom Urteil vom 26.03.1996, 20542/92, Doorson ./. NL, Rn. 76; bestätigt durch EGMR, Urteil vom 23.04.1997, 21363/93, Van Mechelen ./. NL, Rn. 55; EGMR, Urteil vom 31.01.2002, 47023/99, Solakov ./. MAC, Rn. 57; aus der Literatur siehe Karpenstein/ Mayer-Meyer, EMRK, Art. 6 Rn. 209. 23 So ausdrücklich EuGH Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 42 – Salzgitter Mannesmann / Kommission. 24 Ausführlich bereits in § 7 V. 1. c. 25 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL, Rn. 33; ebenso EGMR, Urteil vom 18.06.2002, 24541/94, Wierzbicki ./. PL, Rn. 39 ff.; EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff. 26 Vgl. insbesondere EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff.; diesen Gedanken explizit fortführend EGMR, Urteil vom 18.06.2002, 24541/94, Wierzbicki ./. PL, Rn. 39 ff.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
EMRK und auch die Erläuterungen zur Grundrechtecharta gehen insoweit von einem „Entsprechen“ des Art. 6 III und des Art. 48 II GRC aus.27 Daher findet auch Art. 6 III lit. d EMRK in Art. 48 II GRC sein entsprechendes Pendant iSd Art. 52 III S. 1 GRC. Die Anwendbarkeit des Art. 6 III lit. d EMRK auf den Zivilprozess konnte jedoch auch durch den EGMR nur mittels Analogieschluss bzw. einem „Hineinlesen“ dieser Gewährleistungen in den allgemeinen Art. 6 I EMRK vollzogen werden.28 Es ließe sich also fragen, ob die rechtliche Verbindung von EMRK und Grundrechtecharta nach Art. 52 III S. 1 GRC auch die Zugrundelegung einer solchen, erweiternden Rechtsprechungsauslegung durch den EGMR erfasst. Wenn man nun Rechtsprechung und Literatur zu den Unionsgrundrechten betrachtet, so wurde bereits vor der Geltung der Grundrechtecharta stets die EMRK in ihrer konkreten Auslegung durch den EGMR zugrunde gelegt.29 Diese Einbeziehung der Rechtsprechung des EGMR wurde auch unter Geltung der Grundrechtecharta explizit fortgeführt.30 Es spricht also vieles dafür, dass auch eine solche, erweiternde Auslegung des EGMR, wie diejenige zu Art. 6 III lit. d EMRK, in der Grundrechtecharta aufgrund des Art. 52 III S. 1 GRC Geltung beanspruchen kann. Hinzu kommt, dass die Grundrechtecharta die „Verteidigungsrechte“ nicht allein dem Angeklagten im Strafprozess vorbehält, sondern in Art. 47 II S. 2 GRC ganz allgemein von einem Recht, sich verteidigen zu lassen, spricht. Auch hat der EuGH in seiner Rechtsprechung auf den Begriff der Verteidigungsrechte oftmals außerhalb des Strafprozesses zurückgegriffen.31 Eine Anwendbarkeit von Verteidigungsrechten wie etwa Art. 6 III lit. d EMRK erscheint daher unter Geltung der Grundrechtecharta sogar naheliegender, als nach der EMRK selbst. Somit ist über die rechtliche Verbindung des Art. 52 III S. 1 GRC davon auszugehen, dass das Recht auf Erhebung des Zeugenbeweises aus Art. 6 I EMRK und Art. 6 III lit. d EMRK auch in Art. 47 II S. 1 und S. 2 GRC zwingende Geltung beanspruchen kann.
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So ausdrücklich die Erläuterungen zur GRC, ABL. 2007, Nr. C 303/02, S. 30. Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 18.10.2001, 37225/97, N.F.B. ./. GER = NJW 2003, S. 2297, 2298; ebenso EGMR, Urteil vom 17.11.2005, 73047/01, Monika Hass ./. GER = NJW 2006, S. 2753, 2755 jeweils mwN. 29 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-174/98, Slg. 2000, I-00001, Rn. 14 ff. – Niederlande und Van der Wal / Kommission; ebenso EuGH, Rs. C-276/01, Slg. 2003, I-03735, Rn. 72 ff. – Steffensen; EuGH Rs. C-305/05, Slg. 2007, I-05305, Rn. 29 ff. – Ordre des barreaux francophones und germanophone u. a. 30 Sehr deutlich EuGH, Rs. C-279/09, Slg. 2010, I-13849, Rn. 29 ff. – DEB und EuGH, Rs. C-400/10, Slg. 2010, I-08965, Rn. 53 ff. – McB. / L.E. 31 Vgl. etwa EuGH, Rs. C-199/99, Slg. 2003, I-11177, Rn. 19 ff. – Corus UK / Kommission; ebenso EuGH, Rs. C-204/00, Slg. 2004, I-00123, Rn. 63 ff. – Aalborg Portland u. a. / Kommission; EuGH, Rs. C-394/07, Slg. 2009, I-02563, Rn. 28 ff. – Gambazzi; zum Gewährleistungsgehalt der Verteidigungsrechte unter Geltung der Charta siehe etwa EuGH, Rs. C-399/11, Slg. Rn. 49 ff. – Melloni / Ministerio Fiscal. 28
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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b) Tatsächliche und rechtliche Hinderungsgründe einer Zeugeneinvernahme Dieses Recht auf Erhebung des Zeugenbeweises gilt in der EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR indes nicht ohne Schranken. Vielmehr hat der EGMR eine Reihe von faktischen und rechtlichen Hinderungsgründen entwickelt, die diesem Recht entgegenstehen können, allen voran die Zeugnisverweigerungsrechte.32 Der EuGH hat in einigen Entscheidungen zumindest die Geltung von Zeugnisverweigerungsrechten angedeutet. Eine Verweigerung des Zeugnisses sei hiernach zum Schutz vor Selbstbezichtigung des Zeugen und außerdem aufgrund des Vertrauensverhältnisses von Anwalt und Mandant und des Bankgeheimnisses grundsätzlich möglich.33 Der EGMR hat diese Weigerungsrechte gleichfalls anerkannt, so dass die EMRK keinen weitergehenden Schutz des Rechts auf Zeugeneinvernahme gewährt und Art. 52 III S. 1 GRC gewahrt ist. Demgegenüber könnte man fragen, ob der EuGH in seiner Rechtsprechung die Grenzen dieser Weigerungsrechte enger ziehen könnte, als der EGMR unter Verweis auf einen weitergehenden Schutz des Rechts auf Zeugeneinvernahme nach Art. 52 III S. 2 GRC. Indes würde der höhere Schutz der den Beweis beantragenden Partei in diesem Fall zugleich ein Absenken des Schutzes des nun zur Aussage gezwungenen Zeugen bedeuten. In dieser 3-Personen-Konstellation kann ein höheres Schutzniveau der Grundrechtecharta nicht eindeutig bestimmt werde, so dass es bei der grundsätzlichen Verbindung von EMRK und Grundrechtecharta nach Art. 52 III S. 1 GRC verbleiben muss. Die Zeugnisverweigerungsrechte der Grundrechtecharta haben sich somit an den entsprechenden Weigerungsrechten der EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR zu orientieren. Ähnliches dürfte für den rechtlichen Weigerungsgrund der Immunität eines Zeugen gelten.34 Die tatsächlichen Hinderungsgründe einer Zeugenaussage, wie etwa Krankheit, Unerreichbarkeit oder Tod des Zeugen werden vom EuGH nicht explizit behandelt. Allerdings handelt es sich hierbei um rein faktische Gründe, die einer Zeugenaussage per se entgegenstehen. Somit könnte allein die Frage der Zumutbarkeit im Krankheitsfalle diskutiert werden bzw. die Anforderungen an die Nachforschungen des erkennenden Gerichts bei Nichterreichbarkeit eines Zeugen. Die Frage der Zumutbarkeit einer Aussage im Krankheitsfall stellt wiederum eine 3-Personen-Konstellation dar, so dass sich die Grundrechtecharta nach Art. 52 III S. 1 GRC strikt an der EMRK in ihre Auslegung durch den EuGH zu orientieren hat. 32
Zu den einzelnen Fallgruppen und Nachweisen siehe I. 1. b. Zum Vertrauensverhältnis von Anwalt und Mandant siehe EuGH Rs. C-155/79, Slg. 1982, 01575, S. 1610 ff. – AM & S / Kommission; das Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutz vor Selbstbezichtigung erkennt EuGH Rs. C-374/87, Slg.1989, 03283, Rn. 29 ff. – Orkem / Kommission an; zum Bankgeheimnis vgl. EuGH, Rs. C-580/13, Rn. 29 ff. – Coty Germany GmbH / Stadtparkasse Magdeburg. 34 Zur entsprechenden Rechtsprechung des EGMR siehe oben I. 1. b. 33
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
c) Anforderungen an das Zeugnis vom Hörensagen Eine Entscheidung des EuGH zum Zeugnis vom Hörensagen im Zivilprozess steht – soweit ersichtlich – noch aus. Allerdings hatte der EuGH in der Vergangenheit bereits Fallkonstellationen im Kartell- und Wettbewerbsrecht zu entscheiden, in denen sich die Kommission bei der Tatsachenbasis ihrer Bescheide auf Dokumente und Aussagen anonymer Informanten aus den Unternehmen gestützt hat.35 In diesen Fallkonstellationen hat der EuGH ein Zeugnis vom Hörensagen nicht generell als Beweismittel ausgeschlossen.36 Letztlich greift auch an dieser Stelle erneut die rechtliche Verbindung von EMRK und Grundrechtecharta über Art. 52 III S. 1 GRC ein. Der EGMR hat ein anonymes Zeugnis unter engen Voraussetzungen als Beweismittel im Zivilprozess zugelassen.37 Der EuGH hat sich in den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Zeugnisses vom Hörensagen an den Kriterien des EGMR orientiert: Hiernach fordert der EuGH vom erkennenden Gericht eine Berücksichtigung der Anonymität des Zeugnisses im Rahmen einer besonders gründlich durchzuführenden Beweiswürdigung. Außerdem dürfe eine Verurteilung nicht ausschließlich auf ein Zeugnis vom Hörensagen gestützt werden, sondern erfordere weiterer, verstärkender Beweismittel.38 Somit ergibt sich auch an dieser Stelle ein Gleichlauf in der Rechtsprechung von EGMR und EuGH.
3. Die Gewährleistungen des GG zum Zeugenbeweis Der Zeugenbeweis in seiner Behandlung durch die Fachgerichte ist ein sehr regelmäßiger Gegenstand bundesverfassungsrechtlicher Überprüfung. In der verfassungsrechtlichen Literatur werden demgegenüber weniger die einzelnen Beweismittel der ZPO, sondern vielmehr die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts analysiert und systematisiert, um allgemeine Aussagen über die prozessualen Grundrechte treffen zu können. Die konkrete Analyse des Zeugenbeweises und seiner verfassungsrechtlichen Verbindungen obliegt demgegenüber in erster Linie dem zivilprozessualen Schrifttum. Daher lässt sich allein aus einer Zusammenschau all dieser Ansichten eine Reihe von grundgesetzlichen Gewährleistungen zum Zeugenbeweis herausfiltern:
Vgl. insbesondere EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 43 ff. – Salzgitter Mannes mann / Kommission; siehe auch EuGH, Rs. C-450/06, Slg. 2008, I-00581, Rn. 47 ff. – Varec. 36 So EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 43 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kommis sion. 37 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 26.03.1996, 20542/92, Doorson ./. NL, Rn. 76; bestätigt in EGMR, Urteil vom 14.02.2002, 26668/95, Visser ./. NL, Rn. 44. 38 Diese vom erstinstanzlichen Gericht angelegten Kriterien bestätigt EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 43 ff. – Salzgitter Mannesmann / Kommission ausdrücklich. 35
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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a) Grundsatz: Das Recht auf Erhebung des Zeugenbeweises Als Grundsatz gehen Rechtsprechung und Literatur von einem grundgesetzlichen Recht der Prozessparteien auf Erhebung beantragter Zeugenbeweise in Form von Ladung und gerichtlicher Befragung aus.39 Das Bundesverfassungsgericht hat seine allgemeine Herleitung eines Rechts auf Berücksichtigung von Beweisanträgen aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO in zahlreichen Entscheidungen für den Zeugenbeweis bestätigt.40 Die Verpflichtung zur Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge gilt hiernach explizit auch für einen beantragten Zeugenbeweis.41 Zugleich gelten auch die allgemeinen Einschränkungen dieser Rechtsprechung für den Zeugenbeweis: Die Ablehnung eines Antrages auf Zeugeneinvernahme ist mit Art. 103 I GG vereinbar, wenn sie im Prozessrecht eine entsprechende Stütze findet.42 Diese Rechtsprechung hat durch BGH und Literatur einhellige Zustimmung erfahren.43 BGH und Schrifttum gehen gleichfalls von einem grundsätzlichen Recht der Prozessparteien auf Erhebung beantragter Zeugenbeweise aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO aus.44 b) Das Fragerecht der Parteien Über dieses Recht auf Ladung und gerichtliche Befragung hinaus leiten Rechtsprechung und Literatur aus Art. 103 I GG auch ein Recht der Prozessparteien auf Stellung eigener Fragen an den Zeugen ab.45 In der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird diese Fragestellung regelmäßig nur für den Beweis durch Sachverständigengutachten relevant: Das Recht der Prozessparteien auf Ladung und eigenständige 39 Vgl. etwa BVerfGE 60, S. 1, 5 f. und BVerfG NJW 2000, S. 1327; BGHZ 53, S. 245, 259 f. und BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218 f.; aus der Literatur siehe Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 84 und Merten/Papier-Graßhof, HGR V, § 133, Rn. 66 jeweils mwN. 40 Vgl. bereits BVerfGE 60, S. 1, 5 f.; bestätigt in BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfG NJW 2000, S. 1327 und BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007 jeweils mwN. 41 Vgl. etwa BVerfGE 60, S. 1, 5 f.; BVerfG NJW 2000, S. 1327 jeweils mwN. 42 Vgl. wiederum BVerfGE 60, S. 1, 5 f.; BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfG NJW 2000, S. 1327 jeweils mwN. 43 Grundlegend bereits BGHZ 53, S. 245, 259 f.; ebenso in neuerer Zeit BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218 f.; zustimmend aus der Literatur ausführlich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1 Rn. 84 ff.; zustimmend Waldner, rechtliches Gehör, S. 66 ff. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 14; allgemein zu allen Beweismitteln die verfassungsrechtliche Literatur, siehe etwa Dreier-Schulze-Fielitz, GG Bd. 3, Art. 103, Rn. 67 ff. und Merten/Papier-Graßhof, HGR V, § 133, Rn. 66 jeweils mwN. 44 Vgl. wiederum BGHZ 53, S. 245, 259 f.; BGH NJW-RR 2010, S. 1217, 1218 f.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 1, Rn. 84 und Merten/Papier-Graßhof, HGR V, § 133, Rn. 66 jeweils mwN. 45 In einem Fall der verweigerten Befragung eines Sachverständigen nach §§ 402, 397 ZPO, BVerfG NJW 1998, S. 2273 f.; zustimmend BGH NJW-RR 2007, S. 1294 und BGH NJW-RR 2009, S. 409 f.; ausführlich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 99 und Musielak/ Voit-Huber, ZPO, § 397, Rn. 1 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Befragung eines Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung wird von den Fachgerichten teilweise in Frage gestellt und sodann durch Bundesverfassungsgericht und BGH unter Zustimmung der Literatur bestätigt.46 Das Recht der Prozessparteien auf eigenständige Befragung eines Zeugen aus Art. 103 I GG erscheint demgegenüber als allgemein akzeptierte Auffassung.47 c) Das Recht auf wiederholte Einvernahme eines Zeugen Außerdem folgt aus Art. 103 I GG nach Rechtsprechung und Literatur in bestimmten Fallkonstellationen ein Recht der Prozessparteien auf die wiederholte Vernehmung eines Zeugen.48 Eine solche, grundgesetzliche Gewährleistung wurde insbesondere in Fallgestaltungen einer abweichenden Beurteilung von Zeugenaussagen in der Berufungsinstanz gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung angenommen.49 Ein solches Erfordernis kann das Berufungsgericht in zwei Konstellationen treffen: Zum Ersten im Falle einer abweichenden Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen in der Berufungsinstanz.50 Die Glaubwürdigkeit eines Zeugen kann sinnvollerweise nur aufgrund eines persönlichen Eindruckes beurteilt werden. Wenn das Berufungsgericht also in eben dieser Frage von der erstinstanzlichen Beurteilung abweichen möchte, so fordert Art. 103 I GG zwingend eine erneute Vernehmung des Zeugen.51 Zum Zweiten im Falle eines abweichenden Verständnisses des Protokolls einer Zeugenaussage durch das Berufungsgericht.52 Auch die Frage, wie eine Zeu46
In diesem Sinne etwa die Konstellationen in BVerfG NJW 1998, S. 2273 f.; BGH NJW-RR 2007, S. 1294 und BGH NJW-RR 2009, S. 409 f.; zustimmend zum Zeugenbeweis Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 99; ebenso Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 397, Rn. 1 jeweils mwN. 47 Vgl. etwa Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 99. 48 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1990, S. 3088, 3089 f.; ebenso in neuerer Zeit BGH NJWRR 2009, S. 1291 f. und BVerfG NJW 2011, S. 49 f.; aus der Literatur ausführlich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 110 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 398, Rn. 4 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 398, Rn. 4 f. jeweils mwN. 49 Vgl. etwa BVerfG NJW 2011, S. 49 f. und BGH NJW-RR 2009, S. 1291 f.; ausführlich Ah rens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 110 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 398, Rn. 4 f. jeweils mwN. 50 Vgl. zu dieser Konstellation BVerfG NJW 2011, S. 49 f. und BGH NJW-RR 2009, S. 1291 f.; zustimmend Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 121 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 398, Rn. 4 f. und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 398, Rn. 5 jeweils mwN. 51 Vgl. wiederum BVerfG NJW 2011, S. 49 f. und BGH NJW-RR 2009, S. 1291 f.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 121 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 398, Rn. 4 f. jeweils mwN. 52 Vgl. BGH NJW 2011, S. 1364 f. (Präzisierungsbedürftigkeit des Protokolls) und BGH NJWRR 2012, S. 704 (Abweichende Würdigung des Protokolls); ausführlich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 121 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 398, Rn. 4 f. und Musielak/ Voit-Huber, ZPO, § 398, Rn. 5 jeweils mwN.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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genaussage im Einzelnen zu verstehen ist, kann nur unter Zuhilfenahme von Mimik und Gestik sowie etwaigen Nachfragen zweifelsfrei beantwortet werden. Daher folgt aus Art. 103 I GG auch insoweit eine zwingende Wiederholung der Zeugeneinvernahme in der Berufungsinstanz.53 Eine solche, wiederholte Vernehmung kann bereits in erster Instanz zwingend geboten sein, wenn die Verwertbarkeit der ersten Aussage aufgrund eines Verfahrensfehlers ohne Heilungsmöglichkeit nach § 295 ZPO ausgeschlossen ist.54 d) Das Recht auf Erhebung eines Zeugnisses vom Hörensagen Ein Sonderfall des Rechts auf Erhebung des Zeugenbeweises ist auch im Rahmen der grundgesetzlichen Gewährleistung das Zeugnis vom Hörensagen. Mithin die Wiedergabe der unmittelbaren Wahrnehmung eines Zeugen über die ihm berichtete, unmittelbare Wahrnehmung eines Dritten über eine entscheidungserhebliche Tatsache.55 Das Zeugnis vom Hörensagen wird durch die Rechtsprechung unter Zustimmung des Schrifttums grundsätzlich als Beweismittel zugelassen.56 Allerdings wird zugleich die geringere Zuverlässigkeit des Zeugnisses vom Hörensagen mit Blick auf die Verdopplung etwaiger Fehlerquellen bei der Wahrnehmung einer Tatsache durch „Zwischenschaltung“ einer weiteren Person betont.57 Die Erhebung eines Zeugnisses vom Hörensagen müsse daher unter besonderer Berücksichtigung dieser Unzuverlässigkeit und daraus resultierend einer besonders kritischen Beweiswürdigung erfolgen.58 Außerdem darf die gerichtliche Überzeugung von einer Tatsache hiernach nicht allein auf ein solches Zeugnis vom Hörensagen gestützt werden: 53 In diesem Sinne wiederum BGH NJW 2011, S. 1364 f. und BGH NJW-RR 2012, S. 704; zustimmend Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 121 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 398, Rn. 4 f. jeweils mwN. 54 Vgl. zu dieser Fallkonstellation etwa BGH NJW 1994, S. 941, 942 (Fehlende Vereidigung eines Dolmetschers); siehe auch BGH NJW 2000, S. 2024, 2025 (fehlerhaft durchgeführte Beweisaufnahme); ausführlich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 39, Rn. 121 ff. und MüKoDamrau, ZPO II, § 398, Rn. 4 f. jeweils mwN. 55 Vgl. bereits BGH NJW 1962, S. 1876 f.; instruktiv auch BVerfG NJW 2001, S. 2245, 2246 f. (jeweils zum Strafprozess); aus der Literatur siehe Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 15, Rn. 40; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 373, Rn. 2 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 373, Rn. 3 jeweils mwN. 56 Vgl. bereits BGH NJW 1952, S. 153; BVerfG NJW 2001, S. 2245, 2246 f. (Strafprozess) und BGH NJW 1992, S. 1899, 1900; BGH NJW-RR 2002, S. 1433, 1435 (Zivilprozess); zustimmend etwa Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 15, Rn. 40 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 396, Rn. 3 jeweils mwN. 57 Instruktiv etwa BVerfG NJW 1996, S. 448, 449; aus der Literatur siehe Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 31, Rn. 74; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 373, Rn. 17; MüKo-Damrau, ZPO II, § 373, Rn. 3 jeweils mwN. 58 Vgl. etwa BVerfG NJW 1996, S. 448, 449; BVerfG NJW-RR 2001, S. 2245, 2246 f. und BGH NJW 2006, S. 3416, 3417 f.; zustimmend Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 31, Rn. 74; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 373, Rn. 17 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Vielmehr müssen weitere Indizien für die Wahrheit eben dieser Tatsache sprechen, um eine gerichtliche Überzeugung begründen zu können.59 Diese Voraussetzungen wurden durch die Rechtsprechung zunächst für den Strafprozess entwickelt, sodann aber ausdrücklich auf den Zivilprozess übertragen60 Bei dieser Entwicklung haben sich Bundesverfassungsgericht und BGH explizit an der Rechtsprechung des EGMR zum Zeugnis vom Hörensagen orientiert.61 Es zeigen sich also auch für die einzelnen Beweismittel deutliche Übereinstimmungen zwischen allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen.
4. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Zeugenbeweis Abschließend soll nun der abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zum Zeugenbeweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta als eigene Ansicht herausgearbeitet werden. a) Orientierung am Prozesszweck: Zeugenbeweis als häufigstes Beweismittel und wesentliche Grundlage eines effektiven Rechtsnachweises Den Ausgangspunkt dieser Überlegungen bildet erneut der Prozesszweck einer Rechtsdurchsetzung mittels effektiven Rechtsnachweises. Der Zeugenbeweis stellt in der Praxis nach einhelliger Auffassung das zahlenmäßig häufigste Beweismittel dar.62 Regelmäßig wird der Beweis durch das Zeugnis Dritter sogar das einzig verfügbare Mittel des Rechtsnachweises im Zivilprozess sein: Die Prozessparteien sind in aller Regel juristische Laien und juristische Schwierigkeiten sind zudem nicht immer absehbar, so dass schriftliche Aufzeichnungen oftmals unterbleiben werden. Auch etwaige Objekte des Augenscheins oder einer Begutachtung sind – je nach Art der streitigen Tatsache – kaum zu erlangen. Demgegenüber erscheint es durchaus wahrscheinlich, dass ein Dritter – sei es nun beabsichtigt oder zufällig – zumindest über Teile des streitigen Sachverhaltes eigene Wahrnehmungen erlangt hat. Der Zeugenbeweis hat somit aufgrund seiner hohen Verfügbarkeit eine große Bedeutung für die Beweisführung der Parteien wie auch die Wahrheitsfindung im Zivilprozess. 59 Vgl. BVerfG NJW 1996, S. 448, 449 und BVerfG NJW-RR 2001, S. 2245, 2246 f. (Strafprozess) jeweils mwN. 60 Vgl. zum Zeugnis vom Hörensagen im Zivilprozess etwa BGH NJW 1984, S. 2039 f.; BGH NJW-RR 1990, S. 1276 und BGH NJW 2006, S. 3416, 3417 f.; aus der Literatur siehe Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 31, Rn. 74 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 373, Rn. 17 jeweils mwN 61 In diesem Sinne insbesondere BVerfG NJW 2001, S. 2246, 2247 f. mit ausführlichen Nachweisen zur Rechtsprechung des EGMR. 62 Vgl. wiederum Jäckel, Beweisrecht der ZPO, S. 91 f. und Schneider/Thiel, Zivilprozessuales Beweisrecht, Rn. 99 f. jeweils mwN.
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Zugleich weist die menschliche Wahrnehmungs- und Erinnerungsfähigkeit eine ganze Reihe von Schwächen auf, die im Rahmen der Gewährleistung eines effektiven Rechtsnachweises und der Wahrheitsfindung im Prozess durch das Recht auf Beweis ebenfalls Berücksichtigung finden müssen.63 Diese unzweifelhaft vorhandenen Schwächen des Zeugenbeweises können seine abstrakte, rechtliche Bedeutung für die Parteien des Zivilprozesses jedoch nicht mindern. Jedes Beweismittel trägt die Gefahr seiner Fehlerhaftigkeit oder auch bewusster Manipulation in sich. Hieraus kann jedoch kein genereller oder auch nur teilweiser Ausschluss eines regelmäßig relevanten Beweismittels hergeleitet werden. Die diesbezügliche, immanente Grenze des Rechts auf Beweis ist ausschließlich bei der völligen Ungeeignetheit eines Beweismittels zu ziehen. Etwaigen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit einer Aussage ist vielmehr im Rahmen der Beweiswürdigung Rechnung zu tragen. b) Das Recht auf Ladung und Vernehmung beantragter Zeugen Als wesentlichen Grundsatz gewährleistet das Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen gleichermaßen ein Recht auf Erhebung beantragter Zeugenbeweise. Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis umfasst hiernach die gerichtliche Ladung und Vernehmung von sämtlichen zum Beweis beantragten Zeugen. Dem erkennenden Gericht wird aus dem Recht auf Beweis eine korrespondierende Pflicht zur Ladung beantragter Zeugen und ihre Vernehmung zu den beantragten Tatsachen auferlegt. Dieses Recht auf Ladung und Vernehmung von Zeugen ist ein grundlegender Ausdruck des Rechts auf Beweis, der durch das Bundesverfassungsgericht über Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO hergeleitet wird und als Ausdruck der Verfahrensfairness iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC auch von Seiten des EGMR und des EuGH anerkannt wird.64 Dieses Recht auf Beweiserhebung bildet den verfassungsrechtlichen Mindeststandard, welcher durch die Schaffung des einfachen Rechts und seine Anwendung im Einzelfall verwirklicht wird. Dabei muss sich das einfache Recht an diesem Mindeststandard orientieren und darf nicht umgekehrt den verfassungsrechtlichen Mindeststandard prädisponieren.65 Eine jede Unterschreitung des Mindeststandards des 63 Vgl. zu den Schwächen menschlicher Wahrnehmung wiederum die Untersuchung von Ben der/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 1 ff. (Irrtumslehre) und S. 52 ff. (Glaubhaftigkeitslehre) mwN. 64 Vgl. für das GG etwa BVerfG NJW 2000, S. 1327 und BVerfG NJW-RR 2001, S. 1006, 1007; für die EMRK, EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. NL, Rn. 33; ebenso EGMR, Urteil vom 18.06.2002, 24541/94, Wierzbicki ./. PL, Rn. 39 ff.; EGMR, Urteil vom 05.07.2004, 40847/ 98, Tamminen ./. FIN, Rn. 38 ff.; für die Grundrechtecharta tendiert in diese Richtung insbesondere EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Irland u. a. 65 Diese Problematik ergibt sich regelmäßig im Falle einer Herleitung des Rechts auf eine Beweiserhebung aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO, vgl. zu dieser Einordnung etwa BVerfGE 69, S. 141, 143 f.; BVerfG NJW 2000, S. 1327; aus der Literatur siehe Waldner, rechtli-
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Rechts auf eine Beweiserhebung stellt eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. c) Nachforschungspflichten des Gerichts bei unbekanntem Aufenthalt von Zeugen Problematischer erscheint demgegenüber die Frage, ob und bejahendenfalls in welchem Umfang das Gericht die Parteien bei einem unbekannten Aufenthalt eines beantragten Zeugen im Hinblick auf das Recht auf Beweis unterstützten muss. Ein Gericht könnte die Nachforschungen über den Aufenthalt des beantragten Zeugen als staatliches Organ in vielfältiger Weise vorantreiben: Insbesondere könnte es von staatlichen Behörden amtliche Auskünfte über etwaige Informationen zu dem gesuchten Zeugen anfordern. Fraglich erscheint allein, ob eine so weitreichende Pflicht der nationalen Gerichte als Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis mit den kompetenziellen Grenzen insbesondere der europäischen Grundrechtsordnungen zu vereinbaren ist. Für das Grundgesetz lässt sich eine solche Verpflichtung des Gerichts im Hinblick auf seine unmittelbare Grundrechtsbindung aus Art. 1 III GG herleiten. Das Gericht hat aufgrund dieser Bindung die individuelle Verwirklichung des Rechts auf Beweis der Prozessparteien zu fördern und damit letztlich auch alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzten, um eine Beweiserhebung überhaupt erst möglich zu machen. Beispielhaft lässt sich die Unkenntnis einer Partei über die ladungsfähige Adresse eines Zeugen anführen, die das erkennende Gericht verpflichtet, alle Möglichkeiten der Informationsbeschaffung auszuschöpfen. Insbesondere muss sich das Gericht in Form der Amtshilfe an die Exekutive wenden, um etwaige Informationen aus Akten und Registern einzuholen und den Aufenthaltsort eines zur Einvernahme beantragten Zeugen ausfindig zu machen, um seine Ladung zu ermöglichen. Allerdings kann im Einzelfall eine Abwägung des Rechts auf Beweis mit etwaigen Datenschutzbestimmungen als Ausfluss des Persönlichkeitsrechts des Zeugen erforderlich sein. Für die EMRK und die europäische Grundrechtecharta erscheint eine solche Verpflichtung demgegenüber in Ermangelung einer dem Art. 1 III GG vergleichbaren, umfassenden Bindungswirkung schwieriger zu begründen.66 Für einen solchen Gewährleistungsgehalt aus EMRK und europäischer Grundrechtecharta lässt sich anführen, dass die Effektivität des Rechtsschutzes nach den europäischen Grundrechtsordnungen einen ganz wesentlichen Ausdruck der Verfahrensfairness insgesamt darstellt. Wenn das Gericht sich dazu in der Lage sieht Informationen zu ermitteln, die eine Beweiserhebung überhaupt erst ermöglichen, so dient die Einholung dieser Informationen in hohem Maße der effektiven Verwirklichung des Rechts ches Gehör, S. 66 ff. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 284, Rn. 14 und Merten/Papier-Graßhof, HGR V, § 133, Rn. 66 jeweils mwN. 66 Ausführlich zum Verhältnis von EMRK und GRC zum GG in § 5 V. 1.
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auf Beweis. Letztlich wird durch den effektiven Rechtsnachweis sodann auch die Durchsetzung der materiellen (Grund-) Rechte der Prozessparteien als wesentliche Gewährleistungen von EMRK und Grundrechtecharta unterstützt. Hinzu kommt, dass grenzüberschreitende Sachverhalte mit unbekannten Aufenthalten von Zeugen typische Anwendungsfälle der europäischen Grundrechtsordnungen darstellen. Für die europäische Grundrechtecharta ist ein grenzüberschreitender Bezug sogar der Regelfall ihres Anwendungsbereiches.67 Vor diesem Hintergrund wäre es kaum verständlich, dass gerade die europäischen Grundrechtsordnungen keinerlei Gewährleistungen für den Fall eines unbekannten Aufenthaltes von Zeugen beinhalten. Nach hier vertretener Ansicht umfasst somit auch der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta die Verpflichtung des erkennenden Gerichts, die Parteien bei einem unbekannten Aufenthalt von Zeugen zu unterstützen. Das erkennende Gericht muss alle seine Möglichkeiten ausschöpfen, um ein Auffinden und somit eine Ladung des beantragten Zeugen zu ermöglichen. d) Das Recht der Parteien auf Befragung von Zeugen Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis beschränkt sich jedoch nicht allein auf die bloße Erhebung des Zeugenbeweises durch das erkennende Gericht. Vielmehr erfordert eine effektive Beweisführung durch die Parteien auch ein gewisses Maß an Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Zeugenvernehmung. Daher gewährleistet das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen ein umfassendes Fragerecht. Ein eigenes Fragerecht ermöglicht den Prozessparteien eine aktive Beteiligung an der Beweiserhebung. Die Parteien können ihr eigenes Wissen über den streitigen Sachverhalt mithilfe ihrer Fragen einfließen lassen und auf diese Weise den eigenen Rechtsnachweis und die Wahrheitsfindung im Prozess gleichermaßen verwirklichen. So kann die den Beweis beantragende Partei mit ihrem eigenen Kenntnisstand die Aussage des Zeugen bestärken bzw. die Gegenpartei etwaige Zweifel und Widersprüche zu dieser Zeugenaussage mithilfe ihrer Fragen aufdecken. Darüber hinaus ermöglichen die Fragen der Prozessparteien eine noch detailliertere Aussage des Zeugen und nach den Kriterien der Vernehmungslehre eine bessere Beurteilung seiner Glaubwürdigkeit, so dass die Fragen auch auf diese Weise zum effektiven Rechtsnachweis der Prozessparteien beitragen. e) Das Recht auf Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen auf Antrag Abschließend stellt sich die Frage, in welchem Umfang das Recht auf Beweis dem Gericht eine Dokumentationspflicht der Zeugenvernehmung auferlegt. Wenn man 67
Siehe bereits die Darstellung des Anwendungsbereiches der GRC oben § 5 V. 2. a.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
sich an den Erkenntnissen der Vernehmungslehre orientiert, so hängt die Effektivität des Zeugenbeweises vor Gericht nicht nur in erheblichem Maße vom Erfordernis eines unmittelbaren Eindruckes des Zeugen ab, sondern auch von einer umfangreichen Dokumentation dieser Vernehmung für ihre spätere Würdigung.68 Insbesondere eine wortgetreue Protokollierung der Fragen an den Zeugen und seiner Antworten wird für die effektive Würdigung und damit die Verwertung einer Zeugenaussage als wesentlich angesehen.69 Wenn das Gericht weder die von ihm gestellte Frage, noch die Antwort des Zeugen im Wortlaut kennt, so ist ein Auffinden von Widersprüchen und Lücken in einer solchen Aussage schlicht nicht mehr möglich.70 Eine zusammenfassende Dokumentation kann diesen Zweck nicht erfüllen, da das erkennende Gericht etwaige Lücken und Widersprüche unterbewusst und automatisch durch eigene Gedanken zu einem in sich stimmigen Ganzen ergänzen würde.71 Die effektive Verwertung einer Zeugenaussage hängt somit in erheblichem Maße von einer wortlautgetreuen Dokumentation dieser Aussage ab. Diese Dokumentationserfordernisse sind ein Resultat der bereits benannten Schwächen der menschlichen Sinnesorgane, denen auch das Gericht selbst unterliegt und zugleich einer dem organisatorischen Ablauf geschuldeten Trennung von Beweisaufnahme und – sehr viel später erfolgender – gerichtlicher Entscheidung.72 Daher gewährleistet das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung das Recht auf eine Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen auf Antrag einer Prozesspartei hin. Dieser Gewährleistungsgehalt lässt sich für das Recht auf Beweis im Grundgesetz nach hier vertretener Ansicht allein im Hinblick auf den Nutzen dieser Dokumentation für einen effektiven Rechtsnachweis und damit die effektive Geltung des Rechts auf Beweis begründen, an deren Gewährleistungen das erkennende Gericht nach Art. 1 III GG unmittelbar gebunden ist. Hiernach ist das Gericht bereits im Rahmen der Erhebung eines Beweismittels verpflichtet, eine möglichst sachgerechte Würdigung dieser Beweiserhebung im späteren Verlauf des Prozesses vorzubereiten.73 Es ließe sich einzig die Frage stellen, ob eine solch konkrete Gewährleistung 68 Ausführlich Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 269 ff.; diese Fragestellung im Zusammenhang mit dem Recht auf Beweis betrachtend bereits Lübke, Dokumentation von Zeugenaussagen, S. 154 ff. jeweils mwN. 69 Zur Sicherstellung einer effektiven Beweiswürdigung in diesem Zusammenhang für eine umfassende Protokollierung mittels Tonbandaufnahmen plädierend Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 273 ff. 70 In diesem Sinne Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 270 ff. 71 Vgl. einmal mehr Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 271 f. 72 Vgl. allgemein wiederum Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 271 ff. 73 In diesem Sinne bereits Lübke, Dokumentation von Zeugenaussagen, S. 165 f., der aus dem Recht auf Beweis ein Recht auf die Feststellung des dem Beweismittel im Einzelfall beizumessenden Beweiswertes ableitet und hieraus das erkennende Gericht alternativ zur Einhaltung der formellen Beweisunmittelbarkeit oder einer umfassenden Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen verpflichtet sieht.
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tatsächlich den abstrakten Aussagen des Grundgesetzes zu den prozessualen Grundrechten zu entnehmen ist. Indes wurde ausführlich dargelegt, dass das Recht auf Beweis iSe effektiven Nachweismöglichkeit eigener Rechte im Zivilprozess einen wesentlichen Ausfluss des Grundgesetzes darstellt. Von dieser abstrakten Anforderung einer effektiven Nachweismöglichkeit eigener Rechte ist der Schritt hin zu einer Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen zum Zwecke einer sachgerechten Beweiswürdigung und Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen nach hier vertretener Auffassung lediglich eine naheliegende Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Anforderungen.74 Für die Herleitung dieser Dokumentationspflichten aus dem Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta stellen sich demgegenüber weitergehende Fragen nach den kompetenziellen Grenzen dieser europäischen Grundrechtsordnungen. Indes lässt sich außer dem etwaigen praktischen Aufwand für das erkennende Gericht, nach hier vertretener Ansicht kein weiteres Gegenargument finden: Vielmehr stellen Dokumentations- und Begründungspflichten auch nach EMRK und Grundrechtecharta in ihrer jeweiligen Auslegung durch EGMR und EuGH einen ganz wesentlichen Teilaspekt eines fairen Verfahrens iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC dar.75 Somit handelt es sich bei der Gewährleistung einer Wortlautdokumentation gerade nicht um eine gänzlich neue Aufgabe der Gerichte, sondern vielmehr um eine gewisse Intensivierung der ohnehin bestehenden Anforderungen. Hinzu kommt, dass eine Erhebung des Zeugenbeweises ohne das benannte Erfordernis einer Wortlautdokumentation regelmäßig keine sinnvollen Resultate erbringen kann und die Erhebung des Zeugenbeweises für die Parteien somit keinen Wert hätte.76 Ein effektiver Rechtsschutz im Bereich des Beweisrechts bedarf daher entsprechender Dokumentationspflichten des erkennenden Gerichts, um eine effektive Verwertung des Zeugenbeweises zu ermöglichen. Nach hier vertretener Ansicht umfasst das Recht auf Beweis daher auch in EMRK und europäischer Grundrechtecharta das Recht der Parteien auf eine Wortlautdokumentation einer Zeugenaussage auf Antrag einer Partei, korrespondierend mit einer entsprechenden Dokumentationspflicht des erkennenden Gerichts.
5. Die Ausgestaltung des Zeugenbeweises in der ZPO Nachdem der abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis für den Zeugenbeweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta herausgearbeitet wurde, schließt sich nun die Überprüfung der entsprechenden Regelungen der ZPO am Maßstab dieses Rechts auf Beweis an. Ein ganz wesentlicher GewährleisÄhnlich bereits Lübke, Dokumentation von Zeugenaussagen, S. 201 f. Vgl. für die EMRK, EGMR, Urteil vom 21.01.1999, 30544/96, Garcia Ruiz ./. ESP, Rn. 26 ff. und für die Grundrechtecharta, EuGH, Rs. C-120/14, Rn. 39 – Klein / Kommission. 76 In diesem Sinne auch Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 269 ff. mwN. 74 75
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
tungsgehalt des Rechts auf Beweis ist das Recht der Prozessparteien auf Erhebung beantragter Zeugenbeweise. Allerdings muss neben die Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Beweiserhebung stets auch eine Aussagepflicht des jeweiligen Zeugen. Die ZPO sieht als Grundsatz daher eine allgemeine Zeugnispflicht vor.77 Insoweit wirkt das Recht auf Beweis iSe effektiven Nachweismöglichkeit eigener Rechte einmal mehr auf den Zeugen als privaten Dritten ein. Indes finden zugleich etwaige Gegenrechte des Zeugen als einer gleichfalls grundrechtsberechtigten Person ihre Berücksichtigung: Der Gesetzgeber hat in Abwägung der widerstreitenden Rechte zwischen den beweisbedürftigen Prozessparteien und der Aussageperson eine Reihe von Zeugnisverweigerungsrechten in den §§ 383 ff. ZPO geschaffen. In diesen gesetzlich beschriebenen Situationen fällt die Abwägung nach der gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten des Zeugen aus und gibt ihm das Recht zur Verweigerung der Aussage vor Gericht an die Hand.78 Die Beweiserhebung wird mithin ausgeschlossen und das Recht auf Beweis der beweisbeantragenden Prozesspartei in erheblichem Maße eingeschränkt. Die Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 383 ff. ZPO bedürfen daher einer eingehenden Prüfung am Maßstab des Rechts auf Beweis. Darüber hinaus gilt es das Fragerecht der Prozessparteien in seiner Ausgestaltung durch § 397 ZPO ebenso zu analysieren wie die Gewährleistung einer umfassenden Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen auf Antrag einer Prozesspartei. a) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichem Grund in Rechtsprechung und Literatur Die Zeugnisverweigerungsrechte werden nach ihrer gesetzlichen Systematik in Weigerungsrechte aus persönlichem und sachlichem Grund unterteilt und durch gewisse Rückausnahmen nach § 385 ZPO abgerundet. Die Zeugnisverweigerungsrechte aus persönlichem Grund in § 383 ZPO ermöglichen es dem Zeugen, eine Aussage vor Gericht in Gänze zu verweigern. Das Weigerungsrecht basiert gerade nicht auf einem sachlich begrenzten Themenfeld, dessen Beantwortung dem Zeugen Unannehmlichkeiten bereiten könnte, sondern vielmehr auf einer typisierten, persönlichen Verbindung zu einer Partei, die einer Aussage insgesamt entgegensteht – mit gewissen Einschränkungen dieses Grundsatzes im Rahmen des § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO.79 Es lassen sich auch im Rahmen des § 383 ZPO verschiedene Arten von 77 Ausführlich zur Zeugnispflicht bereits BVerfG NJW 1979, S. 32 und BVerfG NJW 1988, S. 897, 898 f. (jeweils zum Strafprozess); instruktiv bereits BGHZ 41, S. 318, 324; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 373, Rn. 18 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 373, Rn. 75 ff. jeweils mwN. 78 Vgl. etwa BGH NJW 2005, S. 1948, 1949; BGH NJW 2007, S. 155, 156 und BGH NJW-RR 2013, S. 159; aus der Literatur siehe etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 1. 79 Differenzierend auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 383, Rn. 2 ff. und Stein/JonasBerger, ZPO V, § 383, Rn. 20 und 28; ähnlich Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 383, Rn. 1 und 15.
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persönlichen Beziehungen unterscheiden, die zu einer Aussageverweigerung berechtigen: aa) Ehegatten und Verwandte nach § 383 I Nr. 1–3 ZPO § 383 I Nr. 1–3 ZPO gibt einer Aussageperson aufgrund von Verlöbnis, Ehe bzw. Lebenspartnerschaft oder Verwandtschaft zu einer der Prozessparteien ein Zeugnisverweigerungsrecht. Der jeweilige Begriff von Verlöbnis, Ehe, Lebenspartnerschaft bzw. Verwandtschaft richtet sich hierbei nach den Regelungen des materiellen Rechts in den §§ 1297 ff., 1589 ff. BGB bzw. für bis zum 30.09.2017 geschlossene Lebenspartnerschaften nach den §§ 1 ff. LPartG.80 Sinn und Zweck des Weigerungsrechtes ist die Auflösung eines Interessenkonfliktes: Ein Zeuge ist vor Gericht unter Strafandrohung nach den §§ 153 ff. StGB zu einer wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet, doch eben diese Aussage kann zugleich erhebliche Nachteile für die eigene Verwandtschaft hervorrufen und das Verhältnis des Zeugen zu seiner Familie belasten.81 Dieser Konflikt wird durch den Gesetzgeber in § 383 I Nr. 1–3 ZPO zugunsten der Familie aufgelöst, indem der Zeuge ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht erhält. Der Gesetzgeber geht hierbei – typisierend – davon aus, dass bis zu einem gewissen Grad an Verwandtschaft regelmäßig ein Näheverhältnis besteht, innerhalb dessen der beschriebene Interessenkonflikt auftreten kann und bis zu diesem Verwandtschaftsgrad ein Zeugnisverweigerungsrecht daher gerechtfertigt erscheint.82 Demgegenüber findet § 383 I Nr. 1–3 ZPO nach herrschender Auffassung weder direkte, noch analoge Anwendung auf eine nichteheliche Lebensgemeinschaft.83 Zwar wird in Teilen der Literatur deutlich gemacht, dass auch im Rahmen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft ein ebenso inniges Näheverhältnis bestehen und somit ein entsprechender Interessenkonflikt entstehen kann, so dass die Anerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechtes auf die nichteheliche Lebensgemeinschaft als zeitgemäßer Schritt zugunsten gesellschaftlicher Realitäten erscheine.84 80 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 383, Rn. 9 ff. und 23 ff.; Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 383, Rn. 26 f. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 13 ff. jeweils mwN. 81 Vgl. zum Sinn und Zweck eines Zeugnisverweigerungsrechtes von Angehörigen BVerfG NJW 2010, S. 287 f. (Strafprozess); ausführlich auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 383, Rn. 6 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 1 und Musielak/Voit-Damrau, ZPO, § 383, Rn. 1 jeweils mwN. 82 Ausführlich BGH NJW 1959, S. 445, 446 (Strafprozess); ähnlich auch MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 1. 83 Vgl. etwa MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 15; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 27; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 383, Rn. 11; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 120, Rn. 20 jeweils mwN. 84 In diesem Sinne insbesondere Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 14 ff.; Grzi wotz, Nichteheliche Lebensgemeinschaft, § 11, Rn. 84 und Coester-Waltjen, NJW 1988, S. 2085, 2087 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Die herrschende Meinung hält dem entgegen, dass diese Nähebeziehung bei nicht ehelichen Lebensgemeinschaften eine Frage des jeweiligen Einzelfalles sei, während der Gesetzgeber im Rahmen der ehelichen Lebensgemeinschaft berechtigterweise davon ausgehe, dass diese Nähebeziehung typischerweise bestehe, mithin auf formale Kriterien abstellt.85 Für eine direkte wie analoge Anwendung des § 383 I Nr. 1–3 ZPO sei daher aufgrund der klaren gesetzgeberischen Entscheidung kein Raum.86 Ein Zeugnisverweigerungsrecht lässt die Zeugnispflicht im Rahmen des § 383 I Nr. 1–3 ZPO gänzlich entfallen. Insbesondere soll eine Berücksichtigung dieser Aussageverweigerung im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO nicht möglich sein.87 Der Sinn und Zweck des § 383 I Nr. 1–3 ZPO sei ja gerade im Schutz der Familie und der entsprechenden, persönlichen Nähebeziehung zu erblicken, so dass auch etwaige Nachteile „durch die Hintertür“ einer negativen Beweiswürdigung unterbleiben müssten.88 bb) Die Ausnahmen des § 385 I ZPO Dieses umfassende Zeugnisverweigerungsrecht des § 383 I Nr. 1–3 ZPO findet in § 385 I ZPO eine gewisse Begrenzung. In § 385 I ZPO werden bestimmte Situationen beschrieben, in denen der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die persönliche Verwandtschaftsbeziehung kein überwiegendes Gewicht haben und das Zeugnisverweigerungsrecht als Ausnahme von der allgemeinen Zeugnispflicht daher keine Geltung beanspruchen kann.89 § 385 I Nr. 1 ZPO enthält eine Ausprägung des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens90: Wenn eine Partei explizit zum Zwecke des Nachweises an einem Rechtsgeschäft teilnimmt, so muss sie mit dem eigenen Zeugnis über diese Wahrnehmungen im Prozess rechnen und kann ihr Zeugnis daher nach § 385 I Nr. 1 ZPO auch 85
Vgl. zu dieser Argumentation MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 15; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 27 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 120, Rn. 20 jeweils mwN. 86 Vgl. wiederum MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 15; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 27; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 383, Rn. 11; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 120, Rn. 20 jeweils mwN. 87 Vgl. etwa BGH NJW 1994, S. 197 f.; ebenso in neuerer Zeit BGH NJW 2012, S. 296, 297 f.; zustimmend auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 89 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 21; etwas weitergehend für eine vorsichtige Berücksichtigung demgegenüber Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 16. 88 In diese Richtung BGH NJW 1994, S. 197 f. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 89. 89 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 1 f.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 1 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 1 jeweils mwN. 90 In diesem Sinne etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 5; MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 2 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 2 jeweils mwN.
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nicht verweigern. Erforderlich ist jedoch, dass eine Partei explizit zum Nachweis eines Rechtsgeschäftes herangezogen wurde und nicht lediglich bei dessen Abschluss gelegenheitshalber beiwohnte.91 § 385 I Nr. 2 ZPO geht davon aus, dass den Familienmitgliedern die eigenen Familienverhältnisse gut bekannt und entsprechende Aussagen regelmäßig auch zumutbar sein werden, so dass Angaben zum Familienstand vom Zeugnisverweigerungsrecht ausgeschlossen werden. Der Richtigkeit von entsprechenden, staatlichen Familienregistern wird insoweit der Vorrang eingeräumt.92 Allerdings umfasst der Ausnahmetatbestand des § 385 I Nr. 2 ZPO ausschließlich die Angaben zum Familienstand als solche, nicht aber weitergehende Angaben zu den Umständen, aufgrund derer diese Familienverhältnisse zustande gekommen sind.93 Eine weitere Ausnahme wird in § 385 I Nr. 3 ZPO für solche Vermögenangelegenheiten normiert, die durch das Familienverhältnis bedingt sind. In diesen Konstellationen geht der Gesetzgeber davon aus, dass solche vermögensrechtlichen Fragen regelmäßig allein innerhalb der Familie geregelt werden und daher auch allein den Familienmitgliedern bekannt sind. Somit würde ein Dritter vor besonderen Beweisschwierigkeiten stehen, denen sodann durch eine entsprechende Ausnahme vom Zeugnisverweigerungsrecht Rechnung getragen wird.94 Die Ausnahme erstreckt sich wiederum nur auf solche Vermögensangelegenheiten, die einen inneren Zusammenhang zur Familie aufweisen, nicht aber auf allgemeine Rechtsgeschäfte durch ein Familienmitglied ohne Bezugspunkte zur Familie.95 § 385 I Nr. 4 ZPO enthält eine weitere, allgemeine Ausnahme von den Zeugnisverweigerungsrechten des § 383 I Nr. 1–3 ZPO: Wenn eine Person bereits als Vertreter oder Rechtsvorgänger an einem Rechtsgeschäft beteiligt ist, so soll er aufgrund dieser besonderen Stellung auch im Prozess über seine diesbezüglichen Handlungen generell aussagepflichtig sein.96 Diese Ausnahme ist nach ganz herrschender Meinung auf die Aussage über eigenen Handlungen des Zeugen als Vertreter bzw. 91
Vgl. wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 5; MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 2 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 2 jeweils mwN. 92 In diesem Sinne insbesondere Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 8 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 3 jeweils mwN. 93 Vgl. bereits RGZ 169, S. 48, 49 f.; explizit für eine solche, enge Auslegung des § 385 I Nr. 2 ZPO Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 3; zustimmend auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 8 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 3 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 3 jeweils mwN. 94 Zu diesem Telos des § 385 I Nr. 3 ZPO bereits RGZ 40, S. 345, 347; siehe auch Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 16 ff. mwN. 95 Vgl. zu dieser Voraussetzung Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 19 ff.; MüKoDamrau, ZPO II, § 385, Rn. 4; ähnlich auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 5 jeweils mwN. 96 Vgl. etwa MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 4; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 6 f., und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 5; kritisch zu § 385 I Nr. 4 ZPO mit Blick auf die diesbezüglich veränderte Gesetzeslage zur Parteivernehmung demgegenüber Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 385, Rn. 30 jeweils mwN.
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Rechtsvorgänger beschränkt, während für etwaige weitergehende Wahrnehmungen wiederum das Zeugnisverweigerungsrecht des § 383 I Nr. 1–3 ZPO Geltung beansprucht.97 cc) Berufsgeheimnisträger nach § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO In § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO wird ein Zeugnisverweigerungsrecht für bestimmte Berufsgruppen normiert, deren sachgemäße Berufsausübung ein besonderes Vertrauensverhältnis zu den von ihnen betreuten Personen voraussetzt.98 Eine ausdrückliche Regelung in § 383 I Nr. 4 ZPO hat der Geistlichen in seelsorgerischer Funktion erfahren. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Geistlichen und denjenigen Personen, die sich ihm anvertrauen, wird als wesentliche Grundlage für eine seelsorgerische Tätigkeit angesehen und daher eine diesbezügliche Ausnahme von der allgemeinen Zeugnispflicht zugestanden.99 Der Begriff des Geistlichen iSd § 383 I Nr. 4 ZPO ist weit zu verstehen und umfasst auch kirchliche Laien, die in seelsorgerischer Funktion in der kirchlichen Gemeinschaft tätig werden, solange nur ein entsprechendes Vertrauensverhältnis die Basis dieser Tätigkeit darstellt.100 § 383 I Nr. 6 ZPO enthält einen umfangreichen Katalog von Zeugnisverweigerungsrechten aufgrund von Amt, Stand oder Gewerbe, die zu ihrer sachgemäßen Ausübung eben dieses spezifische Vertrauensverhältnis zu der betreuten Person voraussetzten.101 Eine erste Orientierung stellen diejenigen Berufe dar, denen nach § 203 StGB eine strafrechtlich bewehrte Schweigepflicht obliegt, wie etwa Ärzten, Zahnärzten, Steuer- und Wirtschaftsprüfern. Wenn das Strafrecht eine pönalisierte Schweigepflicht vorsieht, so muss auch das Zivilprozessrecht die Möglichkeit gewähren, sich im Einklang mit dieser Strafnorm zu verhalten, so dass die nach § 203 StGB mit Strafe bedrohten Berufe zugleich ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 I Nr. 6 ZPO innehaben.102 Hinzu kommen spezielle Schweigepflichten wie 97
Vgl. bereits RGZ 53, S. 111 f.; zustimmend MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 5 und Stein/ Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 6 f. jeweils mwN. 98 Vgl. zu diesem Telos der Zeugnisverweigerungsrechte des § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 383, Rn. 28; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 28; MüKoDamrau, ZPO II, § 383, Rn. 2 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 1 jeweils mwN. 99 Ausführlich zum Sinn und Zweck des entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechtes im Strafprozess BVerfG NJW 2007, S. 307, 308; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 30; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 2 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 1 jeweils mwN. 100 In diesem Sinne BVerfG NJW 2007, S. 307, 308; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 31 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 22 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 5 jeweils mwN. 101 Ausführlich zum Sinn und Zweck der Zeugnisverweigerungsrechte des § 383 I Nr. 6 ZPO bereits Leckner, NJW 1965, S. 321 f.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 47 ff. mwN. 102 Die Auflistung des § 203 StGB heranziehend MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 31; Mu-
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§ 18 BnotO für Notare oder § 43a BRAO für Rechtsanwälte.103 Grundlage eines solchen Zeugnisverweigerungsrechts ist stets die besondere Vertrauensbeziehung als Basis für eine sachgemäße Ausübung des Amtes, Standes oder Gewerbes.104 Nicht erforderlich ist demgegenüber ein expliziter Ausspruch der Vertraulichkeit einer Tatsache. Vielmehr genügt es nach ganz herrschender Meinung, wenn die anvertrauende Person sinnvollerweise davon ausgehen durfte, dass die anvertraute Tatsache auch vertraulich behandelt würde.105 Den Gehilfen des Inhabers eines solchen Zeugnisverweigerungsrechtes nach § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO kommt gleichfalls ein Weigerungsrecht zu.106 dd) Die Ausnahmen des § 385 II ZPO Eine Ausnahme zu den Zeugnisverweigerungsrechten des § 383 I Nr. 6 ZPO findet sich in § 385 II ZPO. Diese Norm zeigt deutlich auf, dass die Zeugnisverweigerungsrechte des § 383 I Nr. 6 ZPO nach der gesetzgeberischen Konzeption in erster Linie dem Schutz desjenigen dienen, der sich dem Berufsträger anvertraut: Im Falle einer Entbindung von der Schweigepflicht durch diesen Geheimnisherrn entfällt das Zeugnisverweigerungsrecht und der Berufsträger ist nach allgemeinen Grundsätzen zur Aussage verpflichtet.107 Die Entbindung von der Schweigepflicht kann vor Gericht wie auch außergerichtlich erteilt werden.108 Sie kann ausdrücklich oder auch konkludent erfolgen, wobei in der Benennung eines Zeugen durch den beweisbelassielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 6 und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 383, Rn. 19 jeweils mwN zu den einzelnen Berufen. 103 Ausführlich zu diesen Verschwiegenheitspflichten BGH NJW 2005, S. 1948, 1949 f. (Notare) und BGH NJW 2011, S. 1077, 1078 (Rechtsanwälte); siehe auch die weitergehenden Auflistungen von Berufen durch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 48 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 52 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 37 ff. und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 6 jeweils mwN. 104 Instruktiv zu diesem Zusammenhang BGH NJW 2005, S. 1948, 1949; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 46 ff. mwN. 105 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1964, S. 449, 450 f.; ebenso BGH NJW 1984, S. 2983, 2984 und BGH NJW 2005, S. 1948, 1949; zustimmend auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 61 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 33 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 4 jeweils mwN. 106 Vgl. etwa BGH MDR 1985, S. 597 und BGH NJW 2005, S. 2406, 2410 (jeweils zum Strafprozess); zustimmend für den Zivilprozess Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 49; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 51 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 34 und Musielak/ Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 6 jeweils mwN. 107 Vgl. zu dieser Wirkung des § 385 II ZPO etwa BGH NJW 1964, S. 449, 450; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 38 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 9 jeweils mwN. 108 Vgl. BAG NJW 2015, S. 365, 367; zustimmend MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 10 und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 385, Rn. 10; für eine Erklärungsmöglichkeit allein gegenüber dem Dritten demgegenüber Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 50 jeweils mwN.
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teten Geheimnisherrn eine solche, konkludente Entbindung von der Schweigepflicht zu sehen ist.109 Die Entbindung des Gehilfen von seiner jeweiligen Verschwiegenheitspflicht ist gleichfalls dem Geheimnisherrn vorbehalten.110 Der einmal geäußerte Wille des Geheimnisherrn ist nach ganz herrschender Meinung grundsätzlich auch nach dem Tod des Geheimnisherrn im Hinblick auf sein postmortales Persönlichkeitsrecht zu respektieren.111 Fehlt es an einer entsprechenden Willensäußerung, so ist der mutmaßliche Wille des verstorbenen Geheimnisherrn zu ergründen.112 Eine Vererblichkeit dieser Entbindungsmöglichkeit kommt nach herrschender Meinung ausschließlich für vermögensrechtliche Angelegenheiten, nicht aber höchstpersönliche Fragen in Betracht.113 Das Zeugnisverweigerungsrecht für Geistliche aus § 383 I Nr. 4 ZPO wird in § 385 II ZPO ebenfalls ausdrücklich genannt. Allerdings folgt nach wohl allgemeiner Ansicht aus Art. 9 des Reichskonkordats vom 20.07.1933 ein absolutes Zeugnisverweigerungsrecht, welches selbst im Falle der Entbindung von einer Verschwiegenheitspflicht nach § 385 II ZPO seine Wirkung bewahrt und sich überdies auf die Seelsorger anderer unter § 383 I Nr. 4 ZPO fallender Glaubensgemeinschaften erstreckt.114 Die Verweigerung der Entbindung von einer Schweigepflicht ist vom erkennenden Gericht nach § 286 I ZPO frei zu würdigen und kann als Beweisvereitelung angesehen und entsprechend sanktioniert werden.115 Eine Beweisvereitelung scheidet nur dann aus, wenn die die Verweigerung der Entbindung aus triftigen Gründen erfolgt, so dass die Verweigerung nicht auf einem missbilligenswerten Motiv be109 Vgl. zur konkludenten Entbindungserklärung wiederum BAG NJW 2015, S. 365, 368; zustimmend MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 10; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 50 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. jeweils mwN. 110 In diesem Sinne BGH NJW 2005, S. 2406, 2410; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 44 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 7 jeweils mwN. 111 Ausführlich BGH NJW 1983, S. 2627, 2628 f.; bestätigt in BGH NJW 1984, S. 2893, 2894; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 55 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 19 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 8 f. jeweils mwN. 112 Vgl. BGH NJW 1984, S. 2983, 2985; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 56; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 19 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 8 f. jeweils mwN. 113 In diesem Sinne BGH NJW 1983, S. 2627, 2628 ff.; ebenso Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 55 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 19 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 7 jeweils mwN. 114 Ausführlich Pietsch, Berufliche Privilegien, S. 95 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 11 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 42 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 6 jeweils mwN. 115 Vgl. bereits BGH NJW 1967, S. 2012 f.; instruktiv auch BGH NJW-RR 1996, S. 1534; zustimmend MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 12; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 385, Rn. 13 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 6; differenzierend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 385, Rn. 54 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 20 jeweils mwN.
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ruht.116 Ein solcher Grund wird etwa im Falle der berechtigten Besorgnis einer einseitigen Aussage eines am Prozessausgang interessierten Zeugen angenommen, nicht jedoch bei rein prozesstaktischen Erwägungen.117 ee) Sonderfall: Presse und Rundfunk nach § 383 I Nr. 5 ZPO Einen Sonderfall der Zeugnisverweigerungsrechte normiert § 385 I Nr. 5 ZPO: Dieses Weigerungsrecht soll weniger die individuellen Rechte einer Person schützen, als vielmehr der Funktionsfähigkeit der Presse als Institution und damit letztlich dem Demokratieprinzip selbst dienen, dessen Entfaltung entscheidend auf einer freie Presse fußt.118 Die Presse ist zu ihrer Funktionsfähigkeit auf die Mitarbeit von Informanten angewiesen, um Einblicke in verschiedenste Vorgänge zu erhalten, sodann weiter recherchieren und schlussendlich darüber berichten zu können. Ein solcher Einblick wird durch Informanten jedoch regelmäßig nur unter der Zusicherung strikter Anonymität ermöglicht – aufgrund befürchteter Sanktionen bei Weitergabe sensibler Informationen an die Presse.119 Dieses Vertrauensverhältnis zwischen Informant und Presse führt zu einem Konflikt mit der strafbewehrten Wahrheitspflicht des Journalisten im Zivilprozess, der durch Anerkennung eines Zeugnisverweigerungsrechtes in dem nach § 383 I Nr. 5 ZPO bestimmten Umfang zugunsten der Institution der Presse aufgelöst wird.120 Die Presse soll über den konkreten Einzelfall hinaus besonders geschützt werden, so dass § 385 II ZPO keine Möglichkeit einer Entbindung von dieser Verschwiegenheitspflicht im Einzelfall vorsieht.121 Geschützt werden Produktionen in Rundfunk und Fernsehen ebenso wie periodisch erscheinende Druckerzeugnisse, wobei ein regelmäßiges, sechsmonatiges Erscheinen genügen soll.122 Geschützt wird grundsätzlich allein der redaktionelle Teil 116
Zu diesem Kriterium BGH NJW-RR 1996, S. 1534; zustimmend insbesondere Prütting/ Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 385, Rn. 13 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 6 jeweils mwN. 117 Zur Einschränkung prozesstaktischer Erwägungen siehe BGH NJW 1967, S. 2012 f.; und BGH MDR 1984, S. 48; zur Rechtfertigung aufgrund der Besorgnis einer einseitigen Zeugenaussage BGH NJW-RR 1996, S. 1534. 118 Ausführlich zum Telos des § 383 I Nr. 5 ZPO, BVerfG MDR 1982, S. 635 f.; instruktiv auch BVerfG NJW 2002, S. 592 f.; BGH NJW-RR 2013, S. 159, 160; aus der Literatur Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 38; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 31 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 25 jeweils mwN. 119 Ausführlich BVerfG NJW 2002, S. 592 f. und BGH NJW-RR 2013 S. 159, 160; zustimmend zu diesem Zusammenhang insbesondere Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 38 mwN. 120 Vgl. wiederum BVerfG NJW 2002, S. 592 f.; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 383, Rn. 38; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 31 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 25 jeweils mwN. 121 In diesem Sinn Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 38; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 7; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 385, Rn. 8 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 30 jeweils mwN. 122 So MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 26 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 32 ff.
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einer Veröffentlichung, nicht aber der wirtschaftliche Teil – etwa das Schalten von Anzeigen.123 Erfasst sind alle redaktionellen Mitarbeiter unter Einschluss Ehrenamtlicher, soweit deren Tätigkeit als berufsmäßig anzusehen ist.124 Der Schutz des Zeugnisverweigerungsrechtes beschränkt sich auf den Informanten. Eigene Recherchen des Journalisten sind demgegenüber grundsätzlich nicht nach § 383 I Nr. 5 ZPO von einem Zeugnisverweigerungsrecht erfasst.125 Ein entsprechender Schutz kommt jedoch in Betracht, wenn die Recherche mit den Informationen des Informanten eine untrennbare Einheit bildet, etwa wenn der Informant aufgrund umfangreicher Recherchen überhaupt erst ausfindig gemacht wurde und diese Recherchen somit seine Identität enthüllen würden.126 Falls der Schutzzweck des Weigerungsrechtes aufgrund einer anderweitigen Offenlegung der Informationen nicht mehr zu erreichen ist, so entfällt auch das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 I Nr. 3 ZPO insgesamt.127 b) Das Zeugnisverweigerungsrecht aus sachlichem Grund in Rechtsprechung und Literatur In § 384 ZPO hat eine weitere Kategorie an Zeugnisverweigerungsrechten ihre Normierung erfahren: Die Zeugnisverweigerungsrechte aus sachlichem Grund nach § 384 ZPO zeichnen sich dadurch aus, dass sie gegenständlich auf die Verweigerung der Beantwortung bestimmter Fragen beschränkt sind. Der Weigerungsgrund reicht im Rahmen dieser Zeugnisverweigerungsrechte gerade nicht so weit, dass ein Zeugnis insgesamt verweigert werden darf, sondern vielmehr nur bestimmte, besonders beeinträchtigende Fragen.128 jeweils unter Verweis auf die Definition „periodischer Druckwerke“ in den jeweiligen Landespressegesetzten. 123 Ausführlich BVerfG NJW 1984, S. 1101 f. auch zur etwaigen Herleitung eines Zeugnisverweigerungsrechtes unmittelbar aus Art. 5 I S. 2 GG; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 42; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 38 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 27 jeweils mwN. 124 Ausführlich Löffler, NJW 1978, S. 913 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 37 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 28 jeweils mwN. 125 Instruktiv BVerfG NJW 1988, S. 329, 331 f. (Strafprozess); zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 40 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 43; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 29 jeweils mwN. 126 Ausführlich BGH NJW 1990, S. 525, 526 (Strafprozess); ebenso auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 41; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 43 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 29 jeweils mwN. 127 Vgl. BVerfG NJW 2002, S. 592, 593; siehe auch BGH NJW-RR 2013, S. 159, 160; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 40 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 43; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 29 und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 383, Rn. 18 jeweils mwN. 128 Vgl. etwa BGH NJW 1994, S. 197 f.; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Ahrens,
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aa) Die Gefahr von Vermögensschäden nach § 384 I Nr. 1 ZPO iVm § 385 I ZPO § 384 I Nr. 1 ZPO regelt einen weiteren Interessenkonflikt und stellt sich insoweit als eine Erweiterung zum Zeugnisverweigerungsrecht des § 383 I Nr. 1–3 ZPO dar. Im Rahmen des § 384 I Nr. 1 ZPO muss die verwandtschaftlich verbundene Person anderes als in § 383 I Nr. 1–3 ZPO gerade nicht Partei eines Zivilprozesses sein, sondern lediglich durch die Aussage im Prozess einen unmittelbaren vermögensrechtlichen Nachteil erleiden.129 Ein solcher Schaden iSd § 384 I Nr. 1 ZPO ist insbesondere anzunehmen, wenn ein rechtliches Vorgehen gegen den Zeugen oder seine nach § 383 I Nr. 1–3 ZPO erfassten Verwandten ermöglicht oder zumindest die Anspruchsdurchsetzung erleichtert wird.130 Der Fokus liegt hierbei auf der Unmittelbarkeit des vermögensrechtlichen Schadens, wobei sich eine reichhaltige Kasuistik herausgebildet hat.131 Wesentlich erscheint, dass der Zusammenhang zwischen der wahrheitsgemäßen Beantwortung der betreffenden Frage und dem vermögensrechtlichen Schaden so eng ist, dass sich die Aussage als Selbstschädigung bzw. als Schädigung enger Verwandter darstellt und damit der Interessenkonflikt besteht, dessen Auflösung § 384 I Nr. 1 ZPO bezweckt.132 § 384 I Nr. 1 ZPO wird von den Ausnahmeregelungen des § 385 I ZPO erfasst, so dass in dem oben dargestellten Rahmen die Aussage nicht verweigert werden darf.133 Eine Berücksichtigung der Zeugnisverweigerung im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO ist nach Rechtsprechung und überwiegendem Schrifttum im Rahmen des § 384 I Nr. 1 ZPO grundsätzlich möglich.134
ZPO VI, § 384, Rn. 1; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 1 f. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 2 jeweils mwN. 129 Vgl. insbesondere MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 6 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 1. 130 Ausführlich BGH NJW 2007, S. 155 f.; zustimmend auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 24 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 3 f. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 7 jeweils mwN. 131 Vgl. etwa die zahlreichen Nachweise in BGH NJW 2007, S. 155 f. und Wieczorek/SchützeAhrens, ZPO VI, § 384, Rn. 24 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 3 f.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 7. 132 In diese Richtung BGH NJW 2007 S. 155 f.; ausführlich auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 21 ff. mwN. 133 Siehe oben I. 5. a. dd. 134 Ausdrücklich in diesem Sinne BGH NJW 1994, S. 197 f.; ausführlich Peters, ZZP 77 (1964), S. 444 ff.; eine zurückhaltende Beweiswürdigung anmahnend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 19; MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 4 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 384, Rn. 2; kritisch gegenüber einer Berücksichtigung Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 19 ff. jeweils mwN.
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bb) Die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung nach § 384 I Nr. 2 ZPO Ein ähnlicher und doch schwerwiegenderer Interessenkonflikt hat seine Regelung in § 384 I Nr. 2 ZPO erfahren: Eine Aussage kann hiernach gegenständlich begrenzt verweigert werden, wenn sich der Zeuge durch eine wahrheitsgemäße Aussage der Gefahr einer staatlichen Verfolgung wegen Straftaten, Ordnungswidrigkeiten oder Dienstvergehen aussetzt. Weitergehend kann der Zeuge eine Aussage nach § 384 I Nr. 2 ZPO selbst dann verweigern, wenn ihm die Beantwortung zur Unehre gereichen würde. Das Recht eines Menschen, sich nicht selbst zu belasten und somit nicht zugunsten der staatlichen Strafverfolgung bei der eigenen Verurteilung mitzuwirken, wird vom Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung der Literatur als Ausfluss des APR aus Art. 1 I iVm Art. 2 I GG angesehen.135 Dieser Grundsatz gilt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wie auch im anschließenden Strafprozess und wird durch § 384 I Nr. 2 ZPO auf den Zivilprozess übertragen. Der Zeuge steht auch hier vor dem Interessenkonflikt, die Verfolgung einer bereits begangenen Straftat durch seine wahrheitsgemäße Aussage zu ermöglichen oder durch eine nicht wahrheitsgemäße Aussage im Zivilprozess eine weitere Straftat zu begehen.136 Die Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit muss bereits vor der Aussage begangen worden sein, kann mithin gerade nicht in einer falschen Aussage in erster Instanz selbst liegen.137 Außerdem muss diese Tat noch verfolgbar sein, so dass ein Weigerungsrecht bei dauerhaften Strafverfolgungshindernissen wie etwa dem Eintritt der Verjährung ausgeschlossen ist.138 Unehre iSd § 384 I Nr. 2 ZPO meint nach Rechtsprechung und Literatur die spürbare Herabsetzung des gesellschaftlichen Ansehens einer Person.139 Maßstab hierfür ist weder das subjektive Empfinden des Zeugen selbst, noch einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe, sondern vielmehr das sittliche Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft insgesamt unter dem Grundgesetz.140 Dem Zeugen ist es nach Recht135
Vgl. bereits BVerfG NJW 1975, S. 103, 104 (Strafprozess); ebenso auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 30 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 1 jeweils mwN. 136 Instruktiv auch BGH NJW 2008, S. 2038, 2039. 137 Ausführlich BGH NJW 2008, S. 2038, 2039 f. auch zu einem etwaigen Zeugnisverweigerungsrecht in zweiter Instanz; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 32 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 7 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 9 ff. jeweils mwN. 138 Vgl. etwa BVerfG NStZ 1985, S. 277 (Strafprozess); ausführlich auch BGH NJW 2008, S. 2038, 2039; aus der Literatur siehe wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 32 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 7 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 9 ff. jeweils mwN. 139 In diesem Sinne etwa die Definition von Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 40; MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 8 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 384, Rn. 4 jeweils mwN. 140 Vgl. wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 40; MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 8 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 384, Rn. 4 und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 383, Rn. 5 jeweils mwN.
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sprechung und herrschenden Schrifttum weitergehend erlaubt, die Frage nach dem Weigerungsrecht als solche unbeantwortet zu lassen, wenn bereits eine irgendwie geartete Antwort dem Zeugen zur Unehre gereichen könnte.141 In Teilen der Literatur wird diese Zurückhaltung mit Blick auf die Möglichkeiten eines praktischen Nachweises eines solchen Weigerungsrechtes im Zivilprozess scharf kritisiert.142 Die Inanspruchnahme eines Zeugnisverweigerungsrechtes nach § 384 I Nr. 2 ZPO kann im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO Berücksichtigung finden.143 cc) Berufsgeheimnisse nach § 384 I Nr. 3 ZPO iVm § 385 II ZPO analog Abschließend erlaubt § 384 I Nr. 3 ZPO die gegenständlich beschränkte Zeugnisverweigerung, wenn der Zeuge andernfalls im Rahmen einer wahrheitsgemäßen Aussage Betriebs-, Geschäfts- oder Kunstgeheimnisse aufdecken müsste. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse im Schutzbereich des Art. 12 I GG werden vom Bundesverfassungsgericht definiert als „alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsvorgänger ein berechtigtes Interesse hat“.144 Wesentlich für ein Geheimnis iSd § 384 I Nr. 3 ZPO ist, dass diese Tatsache durch Dritte gerade nicht ohne größeren Aufwand selbst herausgefunden werden kann.145 Außerdem muss ein – materielles oder ideelles – Interesse an der Geheimhaltung bestehen. Ein solches Geheimhaltungsinteresse ist in der Regel zu bejahen, wenn das Geheimnis für den konkreten Beruf einen Vorteil verspricht, so dass vernünftigerweise von einer Geheimhaltung ausgegangen werden kann.146 Sodann unterfallen dem Schutz des § 384 I Nr. 3 ZPO nach herrschender Meinung sowohl die Geheimnisse des Zeugen selbst als auch Geheimnisse Dritter,
141
In diesem Sinne bereits BGH NJW 1958, S. 826, 827; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 19; MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 4 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 384, Rn. 2 jeweils mwN. 142 Deutliche Kritik übt Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 2 ff. mwN. 143 In diesem Sinne wiederum BGH NJW 1994, S. 197 f.; Peters, ZZP 77 (1964), S. 444 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 19; MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 4 und Musielak/ Voit-Huber, ZPO, § 384, Rn. 2; kritisch erneut Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 19 ff. jeweils mwN. 144 So die Definition von BVerfG NVwZ 2006, S. 1041, 1042; ähnlich Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 384, Rn. 52 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 4 jeweils mwN und teils unter Zuhilfenahme der Definition des § 17 UWG; siehe dazu etwa BGH NJW 2009, S. 1420 f. 145 Vgl. BVerfG NVwZ 2006, S. 1041, 1042; instruktiv auch BGH NJW 2009, S. 1420 f.; zustimmend insbesondere Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 52 ff. mwN. 146 Vgl. BGH NJW-RR 2003, S. 618, 620 und BGH NJW 2009, S. 1420 f. sowie wiederum BVerfG NVwZ 2006, S. 1041, 1042; aus der Literatur Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 52 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
zu deren Verschwiegenheit der Zeuge verpflichtet ist.147 Allerdings kommt im Rahmen dieser Anwendung des § 384 I Nr. 3 ZPO zugleich eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht nach § 385 II ZPO analog in Betracht.148 Das Kunstgeheimnis iSd § 384 I Nr. 3 ZPO wird in Rechtsprechung und Literatur regelmäßig nicht ausdrückliche definiert. Soweit das Kunstgeheimnis dennoch eine Behandlung erfährt, wird in der Literatur eine weite Auslegung dieses Begriffes vertreten.149 c) Sonderfall: Vernehmung bei Amtsverschwiegenheit nach § 376 ZPO Einen Sonderfall im Zusammenhang mit den Zeugnisverweigerungsrechten stellt die Vernehmung von Personen dar, die in einem irgendwie gearteten öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis stehen: Die öffentlich-rechtlichen Vorschriften enthalten in aller Regel eine Verschwiegenheitspflicht über Tatsachen, die im Zusammenhang mit einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst erlangt worden sind. Eben diese umfassenden Verschwiegenheitspflichten stehen in erkennbarem Konflikt zur allgemeinen Zeugnispflicht im Zivilprozess. aa) § 376 ZPO iVm den gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten § 376 ZPO löst diesen Widerstreit durch einen Verweis auf die entsprechenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften auf. Anders als die §§ 383 ff. ZPO enthält § 376 ZPO mithin kein eigenständiges Zeugnisverweigerungsrecht, sondern stellt vielmehr lediglich eine Blankettnorm dar, die entsprechende öffentlich-rechtliche Verschwiegenheitspflichten in den Zivilprozess implementiert.150 Diese Verschwiegenheitspflichten kehren das Wechselspiel von allgemeiner Zeugnispflicht und den Zeugnisverweigerungsrechten der §§ 383 ff. ZPO dahingehend um, dass eine Aussage einer Person des öffentlichen Dienstes grundsätzlich ausgeschlossen ist und einer Genehmigung im Einzelfall bedarf.151 Diese Genehmigung stellt einen Verwaltungsakt dar, so dass eine umfassende gerichtliche Überprüfung dieser Entschei147 Ausführlich Stürner, JZ 1985, S. 453, 454 ff.; in diesem Sinne auch MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 13; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 384, Rn. 5; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 384, Rn. 8; anders Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 13 ff.; kritisch gegenüber der herrschenden Meinung auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 62 f. jeweils mwN. 148 In diesem Sinne Stürner, JZ 1985, S. 453, 454; diesem Teilaspekt tendenziell zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 13 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 62 f.; anders MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 13 jeweils mwN. 149 Ausführlich Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 56 ff.; für einen Gleichlauf mit § 2 UrhG demgegenüber Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 11. 150 Vgl. zu dieser Rechtsnatur des § 376 ZPO etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 4 ff.; ähnlich MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 1 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 25 jeweils mwN. 151 Ausführlich zu diesem Verfahren Ziegler, Aussagegenehmigung, S. 85 ff.; Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 376, Rn. 1 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 1 und Prütting/Gehrlein-Traut wein, ZPO, § 376, Rn. 1 jeweils mwN.
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dung möglich ist.152 Außerdem gehen Rechtsprechung und herrschendes Schrifttum davon aus, dass eine Aussage ohne vorherige Genehmigung im Zivilprozess dennoch verwertbar bleibt, da die Verschwiegenheitspflicht durch die einmal getätigte Aussage ihren eigentlichen Sinn bereits verloren hat und in der Folge gerade keine weiteren Nachteile für die Prozessparteien nach sich ziehen soll.153 § 376 ZPO benennt ausdrücklich bestimmte Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes und verweist zudem als Blankettvorschrift auf eine weitere Einzelnormen, die Verschwiegenheitspflichten für weitere Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes beinhalten: Richter iSd § 376 ZPO meint Berufsrichter und ehrenamtliche Richter iSd § 1 DRiG mitsamt der speziellen Verschwiegenheitspflicht in § 46 DRiG iVm §§ 67, 68 BBG.154 Beamte iSd § 376 ZPO sind die Beamten des Bundes und der Länder sowie der öffentlich-rechtlich organisierten Körperschaften, Anstalten und Stiftungen, deren Zeugnisverweigerungsrechte sich in den §§ 67, 68 BBG und in § 37 BeamtStG finden.155 Hinzu kommt eine Reihe spezieller Verschwiegenheitspflichten für bestimmte Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes.156 Ein spezielles, verfassungsrechtliches Zeugnisverweigerungsrecht gilt für Abgeordnete des deutschen Bundestages nach Art. 47 GG iVm § 376 II ZPO und Bundesminister nach § 6 II BMinG iVm § 376 II ZPO. Gleiches gilt für Landtagsabgeordnete und Mitglieder der Landesregierungen nach den jeweiligen Landesverfassungen und landesrechtlichen Vorschriften.157 Abschließend normiert § 376 IV ZPO ein ausdrückliches Zeugnisverweigerungsrecht für den Bundespräsidenten.
152 Vgl. bereits BVerwG NJW 1964, S. 1088 f.; bestätigt in BVerwG NJW 1983, S. 638; zustimmend etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 8 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 14 jeweils mwN. 153 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 10; MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 17; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 376, Rn. 7 unter Verweis auf BGH NJW 1952, S. 151 f.; kritisch gegenüber dem Verweis, aber im Ergebnis zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 47 jeweils mwN. 154 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 15 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 17 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 3 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 376, Rn. 2 jeweils mwN. 155 Siehe Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 12 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 21 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 4 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 376, Rn. 2 jeweils mwN. 156 Vgl. die ausführlichen Auflistungen in Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 19 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 24 ff.; MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 157 Ausführlich Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 37 ff.: siehe auch Stein/JonasBerger, ZPO V, § 376, Rn. 35 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
bb) Die Verschwiegenheitspflicht von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes Die Blankettnorm des § 376 ZPO verweist auf eine Vielzahl an Einzelnormen für die jeweiligen Gruppen von Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Eine Analyse jeder einzelnen Gruppe und ihrer jeweiligen Verschwiegenheitspflichten würde indes den Rahmen der vorliegenden Bearbeitung sprengen. Daher soll an dieser Stelle exem plarisch die Verschwiegenheitspflicht von Beamte und Angestellten des öffentlichen Dienstes als praktisch wichtigster Anwendungsfall des § 376 ZPO ausführlicher untersucht werden: Beamte haben in den §§ 67, 68 BBG sowie in § 37 BeamtStG eine ausdrückliche gesetzliche Regelung ihrer Verschwiegenheitspflichten erfahren. Die Genehmigung einer Aussage vor Gericht darf nach § 68 I BBG jedoch nur verweigert werden, wenn der Bund oder ein Land durch diese Aussage Nachteile zu fürchten hat oder die Erfüllung ihrer Aufgaben ernstlich gefährdet oder erheblich erschwert wird. § 68 I BBG stellt somit das Einfallstor für die Gesamtabwägung zwischen den Rechten der den Zeugenbeweis beantragenden Prozesspartei und dem Staatswohl des Bundes bzw. der Länder dar.158 Die Verweigerung einer Aussagegenehmigung und damit die Unzulässigkeit der Erhebung des beantragten Zeugenbeweises wird in Rechtsprechung und Literatur regelmäßig an Art. 103 I GG gemessen.159 Schwieriger zu beantworten ist demgegenüber die Frage nach der Verschwiegenheitspflicht von sonstigen Angestellten des öffentlichen Dienstes. Die Kontroverse dreht sich insbesondere um die Frage, ob für Angestellte des öffentlichen Dienstes eine hinreichende gesetzliche Regelung dieser Einschränkung des Art. 103 I GG vorliegt – als wesentliche Voraussetzung ihrer Verfassungskonformität.160 Einigkeit besteht, dass § 376 ZPO als Blankettnorm lediglich auf entsprechende öffentlich-rechtliche Vorschriften verweist und daher gerade keine eigenständige gesetzliche Regelung einer solchen Einschränkung darstellen kann und auch die beamtenrechtlichen Vorschriften keine analoge Anwendung finden.161 Weiter stimmt die Literatur darin überein, dass eine Regelung der Verschwiegenheitspflichten in der Tarifordnung A für Angestellte im öffentlichen Dienst (TAO) und der Allgemeinen Tarifordnung für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst (ATO) als Rechtsverordnung 158 Instruktiv zu dieser Abwägung zwischen Geheimhaltungsinteressen und Wahrheitserforschung im Prozess BVerfG NJW 1981, S. 1719, 1721 ff. (Strafprozess); ausführlich auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 4 ff.; Feller, JZ 1961, S. 628, 631; Haas/Beckmann, FS-Schumann, S. 171, 188 jeweils mwN. 159 Vgl. wiederum BVerfG NJW 1981, S. 1719, 1721 ff. (Strafprozess); Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 376, Rn. 4 ff.; Feller, JZ 1961, S. 628, 631; Haas/Beckmann, FS-Schumann, S. 171, 188 jeweils mwN. 160 Ausführlich zu dieser Streitfrage Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 19 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 24 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5 jeweils mwN. 161 Einhellig in diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 19 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 25 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5 jeweils mwN.
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eine hinreichende gesetzliche Grundlage dargestellt haben, jedoch heute nicht mehr in Kraft sind.162 In Teilen der Literatur wird daher vertreten, dass der Verweis auf „andere Personen des öffentlichen Dienstes“ in § 376 I ZPO ins Leere läuft und Angestellte des öffentlichen Dienstes in Ermangelung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung ihrer Verschwiegenheitspflicht im Zivilprozess zur Aussage verpflichtet sind.163 Die wohl herrschende Auffassung im Schrifttum geht demgegenüber mit unterschiedlichen Begründungen von einer hinreichenden gesetzlichen Regelung dieser Verschwiegenheitspflicht aus: Teilweise wird auf das Verpflichtungsgesetz mitsamt entsprechender Verschwiegenheitspflichten im Rahmen der Ablegung des Amtseides abgestellt.164 Teils werden die entsprechenden Regelungen von Verschwiegenheitspflichten im Rahmen der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes im Zusammenspiel mit § 376 I ZPO als hinreichende gesetzliche Grundlage für eine Verschwiegenheitspflicht im Zivilprozess angesehen.165 d) Eigene Ansicht: Das Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichem Grund im Lichte des Rechts auf Beweis Diese Zeugnisverweigerungsrechte in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur gilt es nun im Lichte des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta zu betrachten. Die Zeugnisverweigerungsrechte dienen grundsätzlich dem Schutz bestimmter Grundrechte des Zeugen oder Dritter bzw. bestimmter Allgemeingütern von Verfassungsrang. Diese spezifischen Schutzgüter sind für das jeweilige Zeugnisverweigerungsrecht separat zu analysieren und zu bestimmen. In diesem Zusammenhang erscheint zudem ein rechtsvergleichender Blick auf das U.S.-amerikanische Bundesrecht der Federal Rules of Civil Procedure und der Federal Rules of Evidence lohnenswert: Es wurde im rechtsvergleichenden Teil dieser Untersuchung herausgearbeitet, dass der Wahrheitserforschung im U.S.-amerikanischen Zivilprozess ein hoher Eigenwert zugesprochen wird. Zeugnisverweigerungsrechte werden daher als rechtfertigungsbedürftige Einschränkungen eben dieses Grundsatzes angesehen. Hieraus folgt eine starke Orientierung des Feller, JZ 1961, S. 628 f.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 22 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 26 jeweils mwN. 163 In diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 25 ff. und Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 376, Rn. 24 ff., wobei letzterer zugleich für eine weite Auslegung der §§ 383 I Nr. 6, 384 I Nr. 3 ZPO plädiert. 164 In diese Richtung BGH NJW 1980, S. 846 für die parallele Regelung im Strafprozess; zustimmend für den Zivilprozess MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5; ähnlich Musielak/Voit-Hu ber, ZPO, § 376, Rn. 2 jeweils mwN. 165 In diese Richtung Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann-Hartmann, ZPO, § 376, Rn. 5 unter Verweis auf LG Göttingen, NJW-RR 2003, S. 117 f.; kritisch gegenüber dieser Herleitung Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 25 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5 jeweils mwN. 162 Ausführlich
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Umfanges eines solchen Weigerungsrechtes an seinem jeweiligen Sinn und Zweck. Ein Zeugnisverweigerungsrecht darf ausschließlich so weit reichen, wie sein jeweiliger Telos dies unbedingt erfordert.166 Diese teleologische Sichtweise auf Zeugnisverweigerungsrechte klingt auch in der Rechtsprechung in Deutschland immer wieder an.167 Dieser Grundgedanke lässt sich im Rahmen der nachfolgenden Überprüfung der Zeugnisverweigerungsrechte am Maßstab des Rechts auf Beweis fruchtbar machen und sollte zur Bestimmung der Reichweite eines Zeugnisverweigerungsrechtes im Einzelfall herangezogen werden. Auf dieser Grundlage soll nun die Rechtfertigung des § 383 I Nr. 1–3 ZPO als Einschränkung des Rechts auf Beweis geprüft werden, beginnend mit dem Grundgesetz. Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO gewährt ein Recht auf vollständige Verweigerung jeglichen Zeugnisses und schließt die Erhebung eines beantragten Zeugenbeweises generell aus. Es handelt sich daher um eine besonders intensive Einschränkung des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen. aa) § 383 I Nr. 1–3 ZPO iVm § 385 I ZPO § 383 I Nr. 1–3 ZPO löst den Konflikt zwischen der Verpflichtung zu einer wahrheitsgemäßen Aussage und einer durch diese Aussage bedingten Belastung des eigenen Ehe- bzw. Lebenspartners oder eines engen Familienmitgliedes als Partei dieses Prozesses dahingehend auf, dass dem Zeugen das Recht zur Verweigerung seiner Aussage zugestanden wird. Die in § 383 I Nr. 1–3 ZPO gesetzlich geregelte Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dient somit dem Schutz der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft oder der Familie vor Konflikten aus Art. 6 I GG und damit einem legitimen Ziel von Verfassungsrang. Fraglich sind allein die Verhältnismäßigkeit und insbesondere die Angemessenheit dieser Einschränkung des Rechts auf Beweis. Im Rahmen des § 383 I Nr. 1–3 ZPO trifft der Gesetzgeber in der Abwägung zweier kollidierender Grundrechte in bestimmtem Umfang eine Entscheidung zugunsten von Ehe und Familie iSd Art. 6 I GG. Diese gesetzgeberische Entscheidung in § 383 I Nr. 1–3 ZPO ist im Grundsatz mit dem Grundgesetz vereinbar. Allerdings bedarf es für die Entscheidung dieser Frage in jedem Einzelfall der Abwägung aller Umstände dieses jeweiligen Einzelfalles. Es lassen sich jedoch einige Grundsätze dieser Abwägung zwischen Art. 6 I GG und dem Recht auf Beweis der Prozesspartei festhalten: Ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 I Nr. 1–3 ZPO ermöglicht eine umfassende Aussageverweigerung und verhindert somit in Gänze die Erhebung eines beantragten Zeugenbeweises, so dass das Recht auf Beweis in weitem Umfange gegenüber dem Schutz der Ehe bzw. Lebenspartnerschaft und Familie zurücktreten muss. Der rechtsuchen166 Ausführlich
zu diesen rechtsvergleichenden Erkenntnissen § 3 IV. 4. In diese Richtung für das Zeugnisverweigerungsrecht von Presseangehörigen die Ausführungen von BVerfG NJW 1974, S. 356, 358. 167
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den Prozesspartei werden ihr Rechtsnachweis und damit regelmäßig auch ihre Rechtsdurchsetzung allein aufgrund der persönlichen Beziehungen eines Zeugen erschwert oder gar unmöglich gemacht. Es zeigt sich bereits an diesen Überlegungen deutlich, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht eine schwerwiegende Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellt und seinem Umfang nach auf den Sinn und Zweck der Vermeidung familiärer Konfliktsituationen zu begrenzen ist. Auf der anderen Seite finden sich in § 385 I ZPO eine Reihe von Ausnahmevorschriften zu diesem Weigerungsrecht, die für eine Rechtfertigung streiten. So hat der Gesetzgeber in § 385 I Nr. 3 ZPO das Weigerungsrecht im Falle einer besonders schwierigen Beweislage der beweisbelasteten Prozesspartei explizit eingeschränkt.168 Allerdings verbleibt eine ganze Reihe an Konstellationen, die gerade nicht unter § 385 I ZPO fallen und daher einer weitergehenden Rechtfertigung bedürfen. Weiterhin gilt es zu bedenken, dass sich das Weigerungsrecht des § 383 I Nr. 1–3 ZPO bewusst auf einen engen Familienkreis und den eigenen Ehe- bzw. Lebenspartner beschränkt sind und damit lediglich solche Familienbande umfasst, die typischerweise als besonders eng anzusehen sind und deren Belastung besonders starke Konflikte für den Zeugen aufgrund seiner persönlichen Sympathien auslösen würden. Weiter ist zu bedenken, dass der Zeuge letztlich als unbeteiligter Dritter an einem Prozess anzusehen ist und somit weniger weitreichende Duldungspflichten hat als die Prozessparteien. Es erscheint somit auch vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis nicht gänzlich abwegig, dass ein Zeuge seinen Familienfrieden und die persönliche Beziehung zu seinen Familienmitgliedern nicht dadurch verschlechtern muss, dass er zu ihrem Nachteil und zugunsten eines Fremden eine Aussage trifft. Wenngleich man in diesem Zusammenhang stets bedenken muss, dass es sich bei der rechtmäßigen Verurteilung aufgrund der wahrheitsgemäßen Aussage eines Familienmitgliedes um eine Belastung handelt, die ja gerade im Einklang mit der materiellen Rechtslage steht. Dennoch stellt sich das Zeugnisverweigerungsrecht des § 383 I Nr. 1–3 ZPO nicht per se als mit dem Recht auf Beweis unvereinbar dar. Seine verfassungskonforme Existenz ist jedoch eine Frage der Abwägung aller Umstände des Einzelfalles. So ist es durchaus denkbar, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht ausscheiden muss, wenn die typisierte gesetzliche Familienbeziehung faktisch nicht besteht und auf der anderen Seite die Zeugenaussage das einzige Beweismittel in einem Prozess von wirtschaftlich existenzieller Bedeutung für die beweisbelastete Partei darstellt. Im Grundsatz ist das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 I Nr. 1–3 ZPO bei enger Auslegung am Telos der Norm jedoch als mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz vereinbar anzuerkennen.
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Vgl. zu den einzelnen Konstellationen I. 5. a. bb. mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
bb) § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO iVm § 385 II ZPO Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO regelt einen weiteren Interessenkonflikt zwischen kollidierenden Grundrechten: Die Verpflichtung zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Aussage im Zivilprozess kollidiert mit der Verpflichtung zur Verschwiegenheit des Zeugen über Tatsachen, die ihm qua seines Amtes, Standes oder Gewerbes anvertraut worden sind. Dieser Akt des Anvertrauens setzt hierbei seinerseits das Vertrauen in die Verschwiegenheitspflicht des Geheimnisträgers voraus.169 Das legitime Ziel der gesetzlich geregelten Einschränkung des Rechts auf Beweis in § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO ist daher zum einen im Schutz der jeweiligen Grundrechte der anvertrauenden Person zu sehen. Zum anderen ermöglicht dieses Anvertrauen und die Kenntnis der anvertrauten Informationen regelmäßig erst die sachgemäße Berufsausübung des Geheimnisträgers, so dass die Norm gleichsam der Berufsfreiheit des Berufsgeheimnisträgers aus Art. 12 I GG dient. Im Rahmen des Zeugnisverweigerungsrechts des Geistlichen in § 383 I Nr. 4 ZPO kommt zudem die freie Religionsausübung aus Art. 5 I GG als geschütztes Recht hinzu. § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO regelt den Konflikt zwischen dem Rechtsnachweis im Zivilprozess und dem Schutz der soeben skizzierten Grundrechte dahingehend, dass letzteren durch ein Zeugnisverweigerungsrecht in dem Umfang des § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO ein Vorrang eingeräumt wird. Dieses Zeugnisverweigerungsrecht stellt wiederum eine ganz erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dar. Die betreffenden Tatsachen wurden dem Geheimnisträger nicht ohne Grund anvertraut. Die Offenlegung solcher Tatsachen würde regelmäßig einen maßgeblichen Einfluss auf den Ausgang des betreffenden Prozesses haben. In diesem Sinne spitzt sich der Konflikt zwischen Rechtsnachweis und Rechtsdurchsetzung auf der einen Seite und den Gegenrechten auf Schutz bestimmter Informationen auf der anderen Seite gerade in der Regelung des § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO in besonderem Maße zu. Vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis stellt sich die Frage, ob eine wesentliche Quelle des effektiven Rechtsnachweises, wie auch der Wahrheitserforschung im Zivilprozess gänzlich außer Acht gelassen werden darf. Dies gilt umso mehr, wenn diese Informationsquelle durch die gegnerische Prozesspartei als anvertrauender Geheimnisherr ausgeschlossen wird: In diesem Zusammenhang gilt es zu bedenken, dass die Informationen regelmäßig nicht ohne Grund vertraulich behandelt werden und dem Geheimnisträger nur auf Basis der Verschwiegenheitspflicht anvertraut sind. Diese anvertrauten Tatsachen können gerade im Rahmen einer Beichte oder einer ärztlichen Untersuchung in die Intimsphäre hineinreichen, und ihre Offenbarung könnte für die anvertrauende Person enorme persönliche Folgen haben. Wenngleich auch hier zu beachten ist, 169 Ausführlich zu diesem Sinn und Zweck etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 383, Rn. 28; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 28 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 2 jeweils mwN.
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dass diese Daten der gegnerischen Prozesspartei ausschließlich im Falle ihrer Entscheidungserheblichkeit zu erheben sind und somit einen engen Zusammenhang zu diesem Prozess aufweisen. Auf der anderen Seite können eben diese Tatsachen für die beweisbelastete Partei von enormer Bedeutung sein. Diese Tatsachen wurden von der anvertrauenden Prozesspartei in der Regel nur aufgrund der Verschwiegenheitspflicht ihres Gegenübers offenbart, so dass andere Beweismittel typischerweise nicht zur Verfügung stehen werden. Die beweisbelastete Prozesspartei verliert daher möglicherweise ihr eigenes Recht aufgrund des fehlenden Nachweises einer Tatsache, deren Nichterweislichkeit ironischerweise allein auf ein Weigerungsrecht zurückzuführen ist über dessen Fortbestehen die gegnerische Prozesspartei entscheidet. Es entsteht in dieser Konstellation mithin ein gewisser Interessenkonflikt zwischen dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Person und ihrer Stellung als Prozesspartei. Es sind hiernach Fallgestaltungen denkbar, in denen die gegnerische Prozesspartei den Schutz durch ihr APR dazu nutzen könnte, um die eigenen Verstöße gegen die Wahrheitspflicht im Prozess zu verdecken und die berechtigte Rechtsdurchsetzung ihres Gegners zu vereiteln. In einer solchen Fallkon stellation wäre ein pauschales Zeugnisverweigerungsrecht des Geheimnisträgers einer Prozesspartei wohl mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz unvereinbar. Indes ist in dieser verfassungsrechtlichen Abwägung auch § 385 II ZPO in seiner Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur mit zu bedenken. Eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch den Geheimnisherrn lässt die Zeugnispflicht des Berufsinhabers wieder aufleben. Rechtsprechung und Literatur legen § 385 II ZPO dahingehend aus, dass die Verweigerung einer Entbindung durch die gegnerische Prozesspartei grundsätzlich als Beweisvereitelung anzusehen und daher mit Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr für die jeweils andere Prozesspartei zu sanktionieren ist. Die Entbindung kann hiernach nur ausnahmsweise verweigert werden, wenn ein anerkennenswerter Grund besteht.170 Diese Auslegung führt zu einer Verlagerung der Abwägung von § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO hin zu § 385 II ZPO und der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer verweigerten Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht. In dieser Abwägung äußert sich somit der oben skizzierte Interessenkonflikt zwischen Schutz des Persönlichkeitsrechts und missbräuchlichem Nutzen zum eigenen Prozessgewinn. Das Recht auf Beweis fordert nach hier vertretener Ansicht eine enge Auslegung dieser anerkennenswerten Gründe einer Zeugnisverweigerung. Denkbar ist eine nicht sanktionierte Verweigerung hiernach nur in Ausnahmefällen überwiegender Gegenrechte. Ziel der gegnerischen Prozesspartei muss es sein, das eigene Persönlichkeitsrecht zu schützen und nicht mithilfe des Persönlichkeitsrechts berechtigte Forderungen der Gegenpartei abzu-
170
Vgl. wiederum BGH NJW-RR 1996, S. 1534; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 385, Rn. 13 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 6 jeweils mwN.
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blocken. Denkbar ist ein solches Überwiegen wohl nur bei Fragen, die erkennbar den Persönlichkeitskern der gegnerischen Prozesspartei betreffen. Zudem zeigt sich auf Ebene der Rechtsfolge erneut der Ansatz der herrschenden Meinung, eine Beweiserhebung nicht zu erzwingen, sondern vielmehr aus der Verweigerung indirekt Schlüsse zu ziehen.171 Bei Verweigerung einer Aussage wird mithilfe einer bestimmten Beweiswürdigung ein entsprechendes Ergebnis der Beweiserhebung „fingiert“. Ob eine solche Beweiswürdigung im Einzelfall der wahren Sachlage entspricht, kann durchaus zweifelhaft sein. Für die Wahrheitsfindung im Prozess wäre die tatsächliche Erhebung eines Beweismittels erkennbar der bessere Weg. Indes schützt das Recht auf Beweis als prozessuales Grundrecht den Rechtsnachweis der Prozessparteien und nicht die Wahrheitsfindung um ihrer selbst willen. Daher ist dieser Ansatz in der oben skizzierten Auslegung grundsätzlich zu respektieren und stimmt nach hier vertretener Auffassung mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz überein. Eine etwas andere Interessenlage ergibt sich, wenn der anvertrauende Geheimnisherr nicht die gegnerische Prozesspartei, sondern ausnahmsweise ein Dritter ist. Sodann gilt es wiederum zu bedenken, dass dem Dritten weniger intensive Duldungspflichten zukommen als den Prozessparteien. Die Aufdeckung sensibelster, privater Informationen zugunsten des Prozessgewinnes eines Fremden erscheint hiernach nicht zwingend, zumal in diesem Fall grundsätzlich kein Interessenkonflikt zwischen Persönlichkeitsrecht und Prozessgewinn besteht. Die Abwägung bedarf auch in diesem Fall der Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles und auch in dieser Abwägung kommt dem Recht auf Beweis ein großes Gewicht zu. Doch erscheint das Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutze des Persönlichkeitskerns eines Dritten als Einschränkung des Rechts auf Beweis eher einer Rechtfertigung zugänglich zu sein. Allerdings ist auch im Rahmen dieser Abwägung zu beachten, in welchem Verhältnis der Dritte zur gegnerischen Prozesspartei steht. Je enger die Verbindung zu dieser Prozesspartei ist, desto stärker tritt der skizzierte Interessenkonflikt erneut auf den Plan, so dass auch für den Dritten höhere Anforderungen an die Rechtfertigung seines Weigerungsrechts zu stellen sind. cc) Der Sonderfall des § 383 I Nr. 5 ZPO Das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 I Nr. 5 ZPO stellt insofern einen Sonderfall dar, als diese gesetzliche Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis keinen kollidierenden Individualinteressen dient, sondern den Schutz der Institution der Presse in ihrer Bedeutung für eine funktionierende Demokratie als Allgemeingüter von Verfassungsrang zum legitimen Ziel hat. Den Zusammenhang zwischen 171 Vgl. zu dieser Rechtsfolge etwa BGH NJW-RR 1996, S. 1534; MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 12; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 385, Rn. 13 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 6 jeweils mwN.
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einer funktionsfähigen, kritischen Presse und der Funktionsfähigkeit einer Demokratie als solcher wurde durch das Bundesverfassungsgericht richtigerweise herausgestellt.172 Dennoch muss das Recht auf Beweis des Einzelnen auch zugunsten solcher, fundamentaler Allgemeingüter nicht gänzlich zurücktreten, sondern vielmehr in einen schonenden Ausgleich gebracht werden: So muss auch das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 I Nr. 5 ZPO in seinem Umfang strikt durch seinen Sinn und Zweck beschränkt werden: den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Journalisten und ihren Informanten. Ein Weigerungsrecht muss richtigerweise jedenfalls dann ausscheiden, wenn die Daten eines Informanten bereits offenbart wurden und der Schutzzweck des Weigerungsrechtes daher nicht mehr zu erreichen ist.173 Letztlich handelt es sich auch im Rahmen des § 383 I Nr. 5 ZPO um eine Abwägung anhand aller Umstände des Einzelfalles. In der Regel folgt aus der elementaren Bedeutung einer funktionsfähigen Presse und des Demokratieprinzips nach hier vertretener Ansicht die Rechtfertigung einer Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz. Dennoch bedarf auch § 383 I Nr. 5 ZPO grundsätzlich einer engen Auslegung. Insbesondere in Fallkonstellationen einer besonderen Bedeutung des Beweismittels für den Nachweis eines besonders wichtigen Individualgutes bei gleichzeitiger, geringer Gefahr für das Vertrauensverhältnis zwischen Journalist und Informant ist auch eine Gewichtung zugunsten des Rechts auf Beweis denkbar. dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Die getroffenen Abwägungen zwischen dem Recht auf Beweis und den jeweiligen Gegenrechten gelten grundsätzlich auch für das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta. Das Recht auf Erhebung von Beweismitteln ist nach den europäischen Grundrechtsordnungen gleichfalls ein ganz wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis. Insoweit steht dem Gesetzgeber kein erheblich größerer Gestaltungsspielraum zu als hinsichtlich des Rechts auf Beweis im Grundgesetz. Die Zeugnisverweigerungsrechte sind wiederum nach ihrem Sinn und Zweck zu begrenzen und in ihrer Konformität abhängig von einer Abwägung im Einzelfall. Eine Grundrechtsabwägung, die dem Recht auf Beweis im Grundgesetz standhält, wird indes regelmäßig auch in Übereinstimmung mit dem Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta stehen.
172 Ausführlich
BVerfG NJW 1960, S. 29 ff.; siehe auch BVerfG NJW 1974, S. 358 f. jeweils mwN. 173 In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa BVerfG NJW 2002, S. 592, 593; BGH NJW-RR 2013, S. 159, 160; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 40 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 43 jeweils mwN.
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e) Eigene Ansicht: Das Zeugnisverweigerungsrecht aus sachlichem Grund im Lichte des Rechts auf Beweis Die Zeugnisverweigerungsrechte aus sachlichem Grund nach § 384 ZPO stehen einer Erhebung des Zeugenbeweises in Bezug auf einzelne Fragen zu bestimmten Beweisthemen entgegen. Diese Zeugnisverweigerungsrechte stellen daher in diesem Umfang eine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar, die nach allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen einer Rechtfertigung bedarf. aa) § 384 I Nr. 1 ZPO iVm § 385 I ZPO § 384 I Nr. 1 ZPO dient als gesetzliche Regelung dieser Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dem Schutz vor einem mit der wahrheitsgemäßen Aussage einhergehenden, unmittelbaren Vermögensschaden. Legitimes Ziel der Norm ist daher der Schutz des Zeugen vor einer Schädigung seiner selbst bzw. naher Angehöriger iSd § 383 I Nr. 1–3 ZPO und damit letztlich seines APR aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG bzw. der Familie nach Art. 6 I GG. Demgegenüber schützt § 384 I Nr. 1 ZPO nach hier vertretener Auffassung gerade nicht das Eigentumsrecht, denn gegen die Abwehr begründeter Ansprüche im Zivilprozess kann Art. 14 I GG nicht in Stellung gebracht werden. Die Verfolgung dieses legitimen, verfassungsrechtlich fundierten Zieles müsste jedoch auch verhältnismäßig und insbesondere angemessen sein. Hierfür lässt sich anführen, dass die Einschränkung der Beweiserhebung im Rahmen des § 384 I ZPO gegenständlich beschränkt ist – wenngleich eben diese verweigerten Teile einer Aussage iRd § 384 I ZPO regelmäßig den eigentlich relevanten Kern einer Aussage bilden dürften. Zudem wird das Zeugnisverweigerungsrecht durch das Kriterium der Unmittelbarkeit des vermögensrechtlichen Schadens und die anzuwendende Ausnahmevorschrift des § 385 I ZPO weiter eingegrenzt. Außerdem ist einmal mehr zu berücksichtigen, dass der Zeuge als Dritter grundsätzlich geringere Duldungspflichten hat als die Parteien eines Zivilprozesses. Letztlich bedarf es nach hier vertretener Auffassung für die Frage der Rechtfertigung des § 384 I Nr. 1 ZPO einer Differenzierung zwischen dem drohenden Vermögensschaden der Angehörigen iSd § 383 I Nr. 1–3 ZPO und der drohenden Selbstschädigung: Der drohende Vermögensschaden für Angehörige führt zu einem dem § 383 I Nr. 1–3 ZPO ähnlichen Interessenkonflikt. Das Familienverhältnis und der Schutz eigener Angehöriger stehen für den Zeugen im Widerstreit zu seiner strafbewehrten Verpflichtung zu einer wahrheitsgemäßen Aussage im Prozess. Im Gegensatz zu § 383 I Nr. 1–3 ZPO ist der Angehörige im Rahmen des § 384 I Nr. 1 ZPO jedoch nicht zwingend als Partei am Prozess beteiligt, so dass umso mehr eine diesbezügliche Rechtfertigung möglich erscheint. Das Weigerungsrecht des § 384 I Nr. 1 ZPO ist daher nach hier vertretener Meinung in Bezug auf Angehörige in einem dem § 383 I Nr. 1–3 ZPO ähnlichen Umfang mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz
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vereinbar.174 Demgegenüber erscheint die Rechtfertigung eines Zeugnisverweigerungsrechtes im Falle der Gefahr einer rein zivilrechtlichen Selbstschädigung deutlich problematischer. Denkbar wäre diese Rechtfertigung in einer Fallkonstellation dergestalt, dass der Zeuge tatsächlich keinerlei Verbindung zu den Prozessparteien aufweist und durch seine Aussage einen unmittelbaren Vermögensschaden zugunsten des Prozesssieges einer wildfremden Partei erleiden soll. Indes wird eine Aussage des Zeugen regelmäßig nur dann zu einem unmittelbaren vermögensrechtlichen Schaden iSd § 384 I Nr.1 ZPO führen können, wenn bereits vorprozessuale eine gewisse Verbindung zu den Prozessparteien besteht und der Zeuge somit nicht als gänzlich fremder Dritter angesehen werden kann. Ein vermögensrechtlicher Schaden durch eine Aussage im Prozess ist insbesondere in Konstellationen etwaiger Regressansprüche oder der sonstigen Haftung für eigenes Verhalten des Zeugen gegenüber den Prozessparteien denkbar. In diesen Konstellationen erscheint es jedoch gerade nicht gerechtfertigt, den Zeugen von seiner Aussagepflicht zu entlasten. Vielmehr begegnet bereits die Grundkonzeption des § 384 I Nr. 1 ZPO dahingehend Bedenken, dass ein vermögensrechtlicher Schaden nach dem materiellen Recht regelmäßig eine entsprechende Verhaltensweise des späteren Schuldners voraussetzt. Weshalb nun aufgrund dieses Verhaltens und einer hieraus möglicherweise resultierenden, berechtigten Inanspruchnahme des Zeugen in einem späteren Prozess eine Prozesspartei in ihrem Zivilprozess auch die Möglichkeit des Rechtsnachweises und der Durchsetzung ihrer Rechte verlieren soll, erscheint nach hier vertretener Auffassung kaum einsichtig. Daher kommt die Rechtfertigung eines Zeugnisverweigerungsrechtes des Zeugen in Bezug auf eine Selbstschädigung nach § 384 I Nr. 1 ZPO als Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz nur ganz ausnahmsweise in Betracht. bb) § 384 I Nr. 2 ZPO § 384 I Nr. 2 ZPO regelt einen ganz ähnlichen Interessenkonflikt, dessen Dimension sich durch die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung anstelle zivilrechtlicher Inanspruchnahme jedoch deutlich erhöht. Einmal mehr soll der Zeuge durch ein Zeugnisverweigerungsrecht vor dem Konflikt zwischen der strafbewehrten Verpflichtung zu einer wahrheitsgemäßen Aussage und der aus dieser Aussage resultierenden Gefahr einer staatlichen Verfolgung von Taten des Zeugen oder seiner Angehörigen iSd § 383 I Nr. 1–3 ZPO geschützt werden. § 384 I Nr. 2 ZPO stellt sich daher als gesetzliche Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis dar, welche dem legitimen Zieles des Schutzes des APR aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG bzw. der Familie aus Art. 6 I GG dient. Die Frage der Verhältnismäßigkeit dieser Einschränkung bedarf einer weiteren Differenzierung zwischen der Gefahr der Unehre und einer Strafverfolgung sowie der Gefahr für den Zeugen selbst bzw. für seine Angehörigen: 174
Siehe hierzu die Argumentationslinien unter I. 5. d.
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Die Gefahr einer Herabsetzung des Ansehens auf der einen Seite erscheint im ersten Augenblick verglichen mit einer staatlichen Verfolgung in Ermangelung einer Sanktionierung als weniger einschneidend. Allerdings muss man sich gewahr sein, dass eine solche Herabsetzung des Ansehens bis hin zu einer faktischen gesellschaftlichen Ächtung reichen kann und für den Betroffenen auch ohne staatliche Sanktion gravierende Folgen denkbar sind. Zudem muss dieser Ansehensverlust nicht zwingend auf eine vorwerfbare Verhaltensweise zurückzuführen sein, sondern kann sich vielmehr auch aus Vorurteilen ergeben, die in der Gesellschaft verbreitet sind. So ist die individuelle sexuelle Orientierung sogar grundgesetzlich vor Nachteilen geschützt und doch kann es in der gesellschaftlichen Realität zu einem Ansehensverlust führen.175 Zudem ist auch das Weigerungsrecht nach § 384 I Nr. 2 Alt. 1 ZPO gegenständlich beschränkt, so dass die Aussage grundsätzlich nicht in Gänze verweigert werden darf – obgleich auch dieses Weigerungsrecht in aller Regel die besonders bedeutsamen Teile der Aussage umfassen dürfte. Auf der anderen Seite wird das Recht auf Beweis durch ein Zeugnisverweigerungsrecht in ganz erheblichem Maße eingeschränkt. Dies gilt umso mehr, wenn es um den Nachweis von Tatsachen geht, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Wirkung für das Ansehen einer Person regelmäßig geheim gehalten werden, so dass kaum andere Beweismittel zu finden sein werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 384 I Nr. 2 Alt. 1 ZPO muss daher auf Fallgestaltungen eines besonders starken Ansehensverlustes beschränkt sein und daher im Falle eines vorwerfbaren Verhaltens regelmäßig ausscheiden. Dabei erscheint eine Rechtfertigung des Weigerungsrechtes zugunsten naher Angehöriger iSd § 383 I Nr. 1–3 ZPO in erster Linie denkbar, wenn der Zeuge in eine besonders starke, familiäre Konfliktsituation geraten kann und gezwungen wäre, engen Angehörigen empfindliche Nachteile zu bereiten. Demgegenüber bedarf es zu einer Rechtfertigung des Zeugnisverweigerungsrechts bei einem eigenen Ansehensverlust des Zeugen durch seine Aussage besonders hoher Anforderungen, um sein APR gegenüber dem Recht auf Beweis der Prozesspartei überwiegen zu lassen. Es erscheint nur im Ausnahmefall zu rechtfertigen, die Rechtsdurchsetzung mittels Rechtsnachweis einer Prozesspartei dadurch zu erschweren bzw. unmöglich zu machen, dass die Aussage zu eigenen, ansehensgefährdenden und zugleich vorwerfbaren Verhaltensweisen verweigert werden darf. § 384 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO gewährt zudem ein Zeugnisverweigerungsrecht, wenn die Aussage des Zeugen die Gefahr staatlicher Verfolgung für den Zeugen selbst oder seine in § 383 I Nr. 1–3 ZPO genannten Angehörigen bergen würde. Zur Zeugnisverweigerung berechtigen soll nach § 384 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO die Gefahr einer Verfolgung von Straftaten, wie auch Ordnungswidrigkeiten. Die staatliche Verfol175 Vgl. zum verfassungsrechtlichen Schutz der sexuellen Orientierung etwa BVerfG NJW 2010, S. 2783, 2785; ausführlich auch Merten/Papier-Uerpmann-Wittzack, HGR V, § 128, Rn. 51 f. jeweils mwN.
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gung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten birgt zugleich die Gefahr einer entsprechenden, staatlichen Sanktionierung, so dass der Konflikt zwischen Recht auf Beweis und Schutz vor Selbstschädigung als Ausdruck des Persönlichkeitsrechtes in § 384 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO seinen Höhepunkt erreicht. Einmal mehr ist zugunsten der Rechtfertigung einer solchen Einschränkung des Rechts auf Beweis zu bedenken, dass ein Zeuge geringere Duldungspflichten innehat, als die Prozessparteien und sein Zeugnisverweigerungsrecht gegenständlich beschränkt ist. Allerdings handelt es sich bei diesem Zeugnisverweigerungsrecht zugleich auch um eine wesentliche Beschränkung des Rechts auf Beweis: Das Zeugnisverweigerungsrecht wird auch im Rahmen des § 384 I Nr. 2 Alt. 1 ZPO regelmäßig den wesentlichen Teil einer Zeugenaussage umfassen und weitere Beweismittel werden der beweisbelasteten Prozesspartei – aufgrund der typischerweise zu erwartenden Geheimhaltung strafbaren Verhaltens durch den Betroffenen – oftmals nicht zur Verfügung stehen. Hinzu kommen auch im Rahmen des § 384 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO grundsätzliche Bedenken. Es erscheint einmal mehr nicht ganz einsichtig, weshalb eine Prozesspartei ihre Möglichkeit des Rechtsnachweises und damit letztlich der Rechtsdurchsetzung aufgrund des strafbaren Verhaltens eines Dritten verlieren soll.176 Der Konflikt wird im Rahmen des § 384 I Nr. 2 Alt. 2 ZPO dahingehend verschärft, dass im deutschen Strafrecht eine strenge Verbindung zwischen dem Umfang von Schuld und daraus resultierender Strafe besteht.177 Somit besteht eine direkte Korrelation zwischen der Bedeutung der in Rede stehenden Strafverfolgung für den Zeugen und der Schwere seiner Verfehlungen. Je größer also das Interesse an einer Zeugnisverweigerung, desto größer muss im Vorhinein das vorwerfbare Verhalten ausgefallen sein. Die Gefahr der staatlichen Verfolgung ist somit stets in dem Maße ihrer Bedeutung für den Zeugen zugleich auch selbst verschuldet. Es erscheint fraglich, weshalb eine Prozesspartei aufgrund strafbaren Verhaltens eines Dritten nun gleichsam ihr Recht bzw. seine Nachweismöglichkeit verlieren soll. Zweifelhaft erscheint diese Rechtfertigung insbesondere für strafbare Handlungen des Zeugen selbst. Indes sollte der Zusammenhang zwischen Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechtes für den Zeugen und Umfang seines vorwerfbaren Verhaltens nicht als einziger Punkt in der Abwägung dienen. Vielmehr erscheint eine Durchbrechung dieses Zusammenhanges zumindest für die Gefahr einer Verfolgung besonders schwerer Straftaten denkbar. Die Gefahr einer mehrjährigen Freiheitsstrafe aufgrund der Aussage im Zivilprozess zugunsten der zivilrechtlichen Durchsetzung von Ansprüchen Dritter stellt sich auch nach hier vertretener Auffassung als mögliche Grenze eines Überwiegens des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dar. In diesem Fall wird das Interesse des Zeugen an der Vermeidung einer Selbstschädigung so groß, dass seinem Persönlich176 Eine ausführliche, kritische Analyse findet sich bereits bei Stürner, Aufklärungspflicht, S. 180 ff. mwN. 177 Vgl. etwa BVerfG NJW 1979, S. 1039 f. und BVerfG NJW 1998, S. 443 f. jeweils mwN.
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keitsrecht regelmäßig der Vorrang vor dem Recht auf Beweis der beweisbelasteten Prozesspartei eingeräumt werden muss. Demgegenüber kann die Gefahr einer Verfolgung wegen leichterer Straftaten und gar Ordnungswidrigkeiten nach hier vertretener Auffassung in der Regel keine Einschränkung des Rechts auf Beweis rechtfertigen. In diesen Konstellationen erscheint es nicht einsichtig, weshalb die Prozesspartei die Möglichkeit ihres Rechtsnachweises aufgrund des vorwerfbaren Verhaltens eines Dritten verlieren soll.178 Im Falle naher Angehöriger stellt sich dieses Problem zwar ebenfalls dahingehend, dass die Angehörigen des Zeugen durch eigenes Verschulden in die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung geraten sind. Dennoch hat der Zeuge selbst kein entsprechendes Verhalten gezeigt und steht in einem echten Interessenkonflikt zwischen wahrheitsgemäßer Aussage und Schutz naher Angehöriger. Auch in diesen Fallgestaltungen erscheint es nicht zwingend, dass eine Prozesspartei in der Effektivität ihres Rechtsnachweises aufgrund strafbarer Handlungen Dritter eingeschränkt wird. Dennoch gilt es zu bedenken, dass das Zeugnisverweigerungsrecht in diesem Fall primär dem Schutz des Zeugen und nur indirekt dem Schutz desjenigen dient, der tatsächlich eine strafbare Handlung begangen hat. Daher wird nach hier vertretener Auffassung zumindest die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung in der Einzelfallabwägung regelmäßig eine Einschränkung des Rechts auf Beweis rechtfertigen können. cc) § 384 I Nr. 3 ZPO iVm § 385 II ZPO analog Abschließend normiert § 384 I Nr. 3 ZPO ein Zeugnisverweigerungsrecht als Auflösung des Konfliktes zwischen der Verpflichtung des Zeugen zu einer wahrheitsgemäßen Aussage auf der einen Seite und dem Schutz von Gewerbe- oder Kunstgeheimnissen auf der anderen Seite. Wenn man mit der herrschenden Meinung davon ausgeht, dass Geheimnisse des Zeugen, wie auch Geheimnisse Dritter vom Schutz des § 384 I Nr. 3 ZPO erfasst werden, so dient diese Norm als gesetzliche Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis dem legitimen Ziel der Berufs- und Kunstfreiheit des Zeugen aus Art. 12 I und 5 I GG bzw. dem Persönlichkeitsrecht des Zeugen für Geheimnisse des Dritten.179 In ihrem Telos weist diese Regelung somit deutliche Parallelen zu § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO auf. Für die Verhältnismäßigkeit und insbesondere die Angemessenheit dieser Regelung streitet der Umstand, dass die Wahrung von Geheimnissen von großer Bedeutung für die effektive Ausübung der Berufs- bzw. Kunstfreiheit sein kann. Eine Offenbarung von Geheimnissen kann durchaus zu gravierenden Nachteilen für die wirtschaftliche Ausübung eines Berufes- oder eines Kunsthandwerkes führen und so letztlich die Ausübung als solche erschweren. Geheimnisse Dritter werden wiedeÄhnlich bereits Stürner, Aufklärungspflicht, S. 184 ff. Für die h. M. siehe etwa MüKo-Damrau, ZPO II, § 384, Rn. 13; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 384, Rn. 5; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 384, Rn. 8 jeweils mwN. 178 179
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rum regelmäßig durch Verschwiegenheitspflichten geschützt, deren Verletzung zivilrechtliche- und teils auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Einzustellen ist auch hier die gegenständliche Beschränkung des Weigerungsrechtes eines mit geringeren Duldungspflichten belasteten Zeugen im Zivilprozess. Auf der anderen Seite kann auch die Frage nach der Offenbarung eines solchen Geheimnisses von zentraler Bedeutung für den Rechtsnachweis einer Prozesspartei sein. Das Zeugnisverweigerungsrecht des § 384 I Nr. 3 ZPO greift einmal mehr in hohem Maße in das Recht auf Beweis der Prozesspartei ein. Es liegt in der Natur eines Geheimnisses, dass wenige Menschen davon Kenntnis haben und ein diesbezüglicher Rechtsnachweis ohnehin mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, so dass der Wegfall eines weiteren Beweismittels eine besondere Belastung darstellt. Daher kommt auch im Rahmen des § 384 I Nr. 3 ZPO eine Rechtfertigung des Zeugnisverweigerungsrechts nur in engem Rahmen unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles in Betracht. Indes löst die herrschende Meinung diesen Konflikt erneut dahingehend auf, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht grundsätzlich anzuerkennen ist, seine Ausübung aber im Rahmen der Beweiswürdigung eine Berücksichtigung findet und entsprechende Schlüsse gezogen werden dürfen.180 Diese indirekte Förderung des Rechtsnachweises ist einmal mehr aufgrund der individualschützenden Ausrichtung des Rechts auf Beweis mit dem Grundgesetz vereinbar. Dennoch ist nach hier vertretener Auffassung auch im Rahmen des § 384 I Nr. 3 ZPO anzumerken, dass eine tatsächliche Erhebung von Beweismitteln insbesondere der Wahrheitsfindung im Zivilprozess dienlich wäre und damit das gedachte Idealbild des Rechts auf Beweis bestmöglich zur Geltung bringen würde. Für den Schutz von Geheimnissen Dritter geht die herrschende Meinung richtigerweise von einer analogen Anwendung des § 385 II ZPO aus.181 Die Abwägung verlagert sich daher erneut auf die Fragestellung, ob die Nichtentbindung von einer Schweigepflicht gerechtfertigt ist. Diese Rechtfertigung kann nur im Ausnahmefall bejaht werden. Insbesondere die gegnerische Prozesspartei als zur Entbindung berechtigter Geheimnisherr hat im Hinblick auf den Interessenkonflikt zwischen Persönlichkeitsschutz und Prozessgewinn hohe Duldungspflichten einzuhalten. Wenn der Geheimnisherr keine Prozesspartei ist, so ist in die Abwägung speziell die jeweilige Nähe des Dritten zur gegnerischen Prozesspartei mit einzustellen.182 Letztlich bedarf es auch in diesem Fall einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles.
180 Vgl. allgemein für die h. M. wiederum BGH NJW-RR 1996, S. 1534; MüKo-Damrau, ZPO II, § 385, Rn. 12; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 385, Rn. 13 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 385, Rn. 6 jeweils mwN. 181 In diesem Sinne Stürner, JZ 1985, S. 453, 454; ähnlich auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 384, Rn. 13 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 384, Rn. 62 f. 182 Vgl. bereits die obigen Ausführungen zu § 383 I Nr. 4 und 6 ZPO, I. 5. d. bb.
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dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Die soeben gefundenen Wertungen lassen sich einmal mehr auf das Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta übertragen. Die Stellung des Rechts auf Erhebung von Beweismitteln als wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis fordert auch in diesem Fall, dass Zeugnisverweigerungs rechte eine Ausnahme bleiben müssen. Das umfassendere, gesetzgeberische Ermessen lässt nach hier vertretener Ansicht jedoch zumindest eine etwas andere Beurteilung des § 384 I ZPO dahingehend zu, dass die Gefahr der Verfolgung von Straftaten, wie auch Ordnungswidrigkeiten im Rahmen des § 384 I Nr. 2 ZPO ein weitergehendes Zeugnisverweigerungsrecht als gesetzgeberische Entscheidung rechtfertigen kann. Dennoch bedürfen auch die einzelnen Alternativen des § 384 I ZPO einer engen Auslegung, um dem Gewicht des Rechts auf Erhebung von Beweismitteln in EMRK und europäischer Grundrechtecharta Rechnung zu tragen. f) Eigene Ansicht: Die Vernehmung bei Amtsverschwiegenheit im Lichte des Rechts auf Beweis Abschließend gilt es den Sonderfall einer Vernehmung bei Amtsverschwiegenheit anhand des Rechts auf Beweis zu überprüfen. § 376 ZPO verbietet iVm öffentlichrechtlichen Zeugnisverweigerungsrechten eine Vernehmung von Bediensteten in einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis ohne vorherige Genehmigung. Ein solches Vernehmungsverbot unter Erlaubnisvorbehalt stellt eine wesentliche Einschränkung des Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen dar. aa) § 376 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Die beantragte Vernehmung eines Zeugen im Falle seiner Amtsverschwiegenheit weist eine Besonderheit dahingehend auf, dass die Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis der beantragenden Prozesspartei und einem Allgemeininteresse an der Verschwiegenheit staatlicher Akteure erfolgt. Diese Verschwiegenheit soll es dem Staat ermöglichen, bestimmte Themenbereiche durch seine Bediensteten ruhig und konzentriert ohne öffentliche Aufregung zu bearbeiten und damit letztlich der Funktionsfähigkeit des Staates als Allgemeingut dienen. Darüber hinaus weist auch die Regelung des § 376 ZPO Besonderheiten auf: (1) § 376 ZPO iVm den gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten Seiner Konzeption nach verweist § 376 I und II ZPO lediglich auf entsprechende Verschwiegenheitspflichten und Zeugnisverweigerungsrechte des öffentlichen Rechts und erklärt diese Weigerungsrecht im Zivilprozess für anwendbar. § 376 I und II ZPO regelt keinerlei eigene Voraussetzungen bzw. den Umfang eines Zeug-
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nisverweigerungsrechtes und stellt sich mithin als Blankettnorm dar. Ein eigenes Weigerungsrecht findet sich allein für den Bundespräsidenten in § 376 IV ZPO. Die ganz herrschende Meinung geht daher richtigerweise davon aus, dass § 376 I und II ZPO für sich genommen keine hinreichende gesetzliche Grundlage für eine Einschränkung verfassungsmäßiger Rechte und damit auch für eine Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellt.183 Vielmehr bedarf es stets eines gesetzlich normierten Zeugnisverweigerungsrechts des öffentlichen Rechts, auf das in § 376 ZPO mit hinreichender Bestimmtheit verwiesen wird. Hieraus folgt zugleich, dass § 376 I und II ZPO auf eine Vielzahl öffentlich-rechtlicher Regelungen für verschiedene Gruppen von Bediensteten verweist, deren einzelne Untersuchung den Rahmen der vorliegenden Bearbeitung sprengen würde. Daher sollen nachfolgend einige allgemeine Grundgedanken zu den kollidierenden Grundwerten und den Kriterien der Abwägung entwickelt werden, die für alle von § 376 ZPO erfassten Zeugnisverweigerungsrechte gleichermaßen Bedeutung haben: Die Abwägung erfolgt stets zwischen dem Recht auf Beweis der Prozesspartei auf der einen Seite und dem Interesse des Staates an einer Verschwiegenheit seiner Bediensteten zum Zwecke seiner Funktionsfähigkeit auf der anderen Seite. Es gibt sicher eine Reihe von Themenfeldern, die einer solchen Verschwiegenheit bedürfen, um eine sachliche und ruhige Bearbeitung zu ermöglichen. Dennoch sollte der Staat seinen Bürgern dem Grundgedanken nach zu Offenheit und Transparenz verpflichtet sein. Hiernach darf eine solche Verschwiegenheitspflicht niemals Selbstzweck sein, sondern darf nur soweit reichen, wie diese Verschwiegenheit der Funktionsfähigkeit staatlicher Arbeit tatsächlich von Nutzen ist. Somit muss die Verschwiegenheit immer an diesem Sinn und Zweck bemessen werden und stets einen konkreten Allgemeinwohlbezug aufweisen, um überhaupt eine Rechtfertigung darstellen zu können. Diese Grundgedanken gelten in besonderem Maße für die hier betreffende Konstellation, einer gesetzlich angeordneten Verschwiegenheitspflicht staatlicher Bediensteter, die nicht nur den allgemeinen Informationsfluss der Öffentlichkeit betrifft, sondern ganz konkret die Nachweismöglichkeiten einer Partei im Zivilprozess einschränkt. Der Staat gewährleistet die Existenz privater Rechte, schränkt ihre Durchsetzbarkeit mittels Selbsthilfe jedoch ganz erheblich ein und verweist die Prozessparteien auf den Rechtsweg, innerhalb dessen sie ihre behaupteten Rechte als Voraussetzung ihrer Durchsetzung nachweisen müssen.184 Derjenige Staat, der einen Rechtsnachweis von den Prozessparteien fordert, schränkt hiernach eben diese Möglichkeiten der Parteien zu seinem Vorteil ein. Dieser Gedankengang zeigt deutlich auf, dass Verschwiegenheitspflichten staatlicher Bediensteter im Zivilprozess in einem starken Spannungsverhältnis zum Selbsthilfeverbot aus dem Rechtsstaats183 Für die h. M. siehe etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 4 ff.; ähnlich MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 1 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 25 jeweils mwN. 184 Ausführlich zu diesem Zusammenhang, der zugleich die zwingende Existenz eines Rechts auf Beweis zur Folge hat oben § 4.
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prinzip und der Forderung nach einem effektiven Rechtsnachweis im Zivilprozess als staatlich organisierter Rechtsdurchsetzung stehen. Die Verweigerung der staatlichen Mithilfe an einem Rechtsnachweis der Parteien des Zivilprozesses muss somit die absolute Ausnahme bleiben und bedarf besonders hoher Anforderungen zu ihrer Rechtfertigung. Die Genehmigung einer Aussage muss vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis im Grundgesetz in aller Regel erteilt werden und darf nur dort unterbleiben, wo die Geheimhaltungspflichten unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalles besonderes Gewicht haben und für die Funktionsfähigkeit des Staates von besonderer Bedeutung sind. Diese Sichtweise spiegelt sich bereits in Teilen der gesetzlichen Ausgestaltung der Zeugnisverweigerungsrechte wider: So geht § 68 I BBG davon aus, dass eine Genehmigung grundsätzlich zu erteilen ist, wenn nicht ausnahmsweise besonders gewichtige Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen. Diesen Grundgedanken eines bestimmten Regel-Ausnahme-Verhältnisses von Aussagegenehmigung und ihrer Verweigerung, gilt es vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis für die Fälle der Amtsverschwiegenheit nach § 376 ZPO insgesamt zu beachten. (2) Die Verschwiegenheitspflicht von Beamten und Angestellten des öffentlichen Dienstes Im Anschluss an diese Grundgedanken sollen nun beispielhaft die Zeugnisverweigerungsrechte von Beamten und anderen Angestellten des öffentlichen Dienstes als ein wesentlicher Anwendungsfall des § 376 ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis im Grundgesetz untersucht werden. Ein Zeugnisverweigerungsrecht für Beamte findet sich in den §§ 67, 68 BBG für Beamte des Bundes und im nahezu gleichlautenden § 37 BeamtStG für Beamte der Länder. In Verbindung mit dem Verweis in § 376 I ZPO stellen diese Normen eine hinreichende gesetzliche Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Im Rahmen der Abwägung ist zu beachten, dass § 68 I BBG und § 37 IV BeamtStG als Regelfall jeweils eine Genehmigung der Aussage eines Beamten anordnen, die nur unter strengen Voraussetzungen an die Bedeutung der Geheimhaltung verweigert werden darf. Dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis entspricht grundsätzlich den oben herausgearbeiteten Anforderungen des Rechts auf Beweis. Dennoch bedarf es einer Abwägung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles, um eine Aussageverweigerung ausnahmsweise zu rechtfertigen. Schwieriger gestaltet sich demgegenüber die Rechtfertigung eines Zeugnisverweigerungsrechtes für sonstige Angestellte des öffentlichen Dienstes. In der Literatur wird insbesondere das Bestehen einer gesetzlichen Regelung dieser Einschränkung diskutiert.185 § 376 I ZPO selbst kann als Blankettnorm nach den bisherigen Feststellungen gerade keine hinreichende gesetzliche Grundlage darstellen, sondern 185 Ausführlich
zu dieser Diskussion etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376,
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bedarf eines geschriebenen, öffentlich-rechtlichen Zeugnisverweigerungsrechtes für die betreffende Gruppe der Bediensteten. Entsprechende Verschwiegenheitspflichten in Tarifverträgen werden vom überwiegenden Schrifttum in Ermangelung ihrer Allgemeinverbindlichkeit richtigerweise nicht als hinreichende gesetzliche Grundlage angesehen.186 Dies gilt umso mehr für eine Einschränkung des vorbehaltlos gewährleisteten Rechts auf Beweis im Grundgesetz. Denkbar ist daher allein ein Verweis des § 376 I ZPO auf das Gesetz über die förmliche Verpflichtung nichtbeamteter Personen (VerpflG).187 Aufgrund seines Charakters als formelles Gesetz könnte das VerpflG iVm § 376 I ZPO durchaus eine hinreichende gesetzliche Grundlage bilden. Problematisch erscheint jedoch die hinreichende Bestimmtheit dieser Verbindung dahingehend, dass auch § 1 VerpflG keine konkrete Verschwiegenheitspflicht normiert und kein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt. Vielmehr müsste eine solche Verschwiegenheitspflicht mitsamt einem Zeugnisverweigerungsrecht aus der Verpflichtung zur „gewissenhaften Erfüllung seiner Obliegenheiten“ iSd § 1 I VerpflG abgeleitet werden, ggf. in Verbindung mit entsprechenden Pflichten aus den Tarifverträgen.188 Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Verschwiegenheit eines Angestellten des öffentlichen Dienstes zu den grundlegenden Amtspflichten gehört, so erscheint es sehr fraglich, ob § 376 I ZPO iVm § 1 VerpflG eine hinreichend bestimmte, gesetzliche Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen kann. Zwar liegt es in der Natur der Blankettvorschrift des § 376 I ZPO, dass ihr eigentlicher Inhalt nur unter Zuhilfenahme einer weiteren Norm hinreichend bestimmt werden kann. Doch mit Blick auf eben diese ohnehin bestehende Unbestimmtheit des § 376 I ZPO bedarf diejenige Norm, auf die verwiesen wird, nach hier vertretener Ansicht umso mehr einer hinreichenden Bestimmtheit. Zumindest sollte eine solche gesetzliche Regelung Existenz, Voraussetzungen und Umfang eines Zeugnisverweigerungsrechtes ausdrücklich normieren. Eben diese Anforderungen erfüllt § 1 VerpflG gerade nicht. Daher fehlt es nach hier vertretener Auffassung an einer hinreichend bestimmten, gesetzlichen Regelung für die Amtsverschwiegenheit sonstiger Angestellter des öffentlichen Dienstes nach § 376 I ZPO. Dem Gesetzgeber steht es jedoch frei, eine entsprechende gesetzliche Regelung zu schaffen.189 Allerdings muss diese Regelung aufgrund des Rechts auf Beweis der Rn. 19 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 24 ff. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5 jeweils mwN. 186 Vgl. wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 376, Rn. 19 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 25 und MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5 jeweils mwN. 187 In diese Richtung tendieren BGH NJW 1980, S. 846 für den Strafprozess; zustimmend für den Zivilprozess MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5; ähnlich auch Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 376, Rn. 2 jeweils mwN. 188 Ausführlich in diesem Sinne MüKo-Damrau, ZPO II, § 376, Rn. 5. 189 Ebenso auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 376, Rn. 24 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 376, Rn. 19 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Prozessparteien die Verweigerung der Aussagegenehmigung nach hier vertretener Auffassung als Ausnahme ausgestalten und an strenge Voraussetzungen binden. bb) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Diese Wertungen des Rechts auf Beweis im Grundgesetz zur Amtsverschwiegenheit nach § 376 ZPO lassen sich auf das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta grundsätzlich übertragen. Die europäischen Grundrechtsordnungen haben in erster Linie den Schutz des Einzelnen im Blick und weniger die Funktionsfähigkeit des jeweiligen Staates. Auf der anderen Seite beanspruchen EMRK wie auch die europäische Grundrechtecharta in einer ganzen Reihe verschiedenen Staaten Geltung, so dass den jeweiligen Staaten zu ihrer Funktionsfähigkeit ein entsprechendes Ermessen eingeräumt werden muss. Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis ist daher im Widerstreit dieser beiden Grundrechte bzw. Allgemeingüter nach hier vertretener Ansicht auf einem dem deutschen Grundgesetz vergleichbaren Niveau anzusiedeln. Hiernach ist ein Zeugnisverweigerungsrecht bei Amtsverschwiegenheit im Grundsatz zu rechtfertigen. Die Aussagegenehmigung muss jedoch als Regelfall normiert werden und darf nur aufgrund von besonders wichtigen, staatlichen Geheimhaltungsinteressen verweigert werden. Allerdings stellen EMRK und Grundrechtecharta nicht die gleichen Anforderungen an eine gesetzliche Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis und ihre hinreichende Bestimmtheit. Daher erscheint die gesetzliche Regelung einer Verschwiegenheitspflicht für Angestellte des öffentlichen Dienstes aus § 376 I ZPO iVm § 1 I VerpflG unter Zuhilfenahme der Tarifverträge als hinreichend bestimmte Regelung der Einschränkung des Rechts auf Beweis. Indes fordert das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta auch insoweit, dass eine Aussagegenehmigung im Regelfall zu erteilen ist. g) Das Recht der Prozessparteien auf Befragung von Zeugen Ein weiterer Gewährleitungsgehalt des Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen ist das Recht der Prozessparteien, Fragen an jeden gerichtlich vernommenen Zeugen stellen zu dürfen. Dieses Fragerecht ist als wesentlicher Ausdruck des Rechts auf aktive Beteiligung der Prozessparteien an der von ihnen initiierten Beweisaufnahme anzusehen und hat in § 397 ZPO eine einfach-rechtliche Ausgestaltung erfahren. aa) § 397 ZPO iVm § 383 III ZPO in Rechtsprechung und Literatur § 397 ZPO wird als Ausprägung des Rechts der Prozessparteien auf Beteiligung iSd Art. 103 I GG verstanden.190 Nach seiner Konzeption gewährt § 397 ZPO den Pro190
Vgl. etwa BVerfG NJW 1998, S. 2273 f. und BGH NJW-RR 2007, S. 1294 jeweils zum pa
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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zessparteien selbst allerdings nur ein subsidiäres und indirektes Fragerecht: Im ersten Schritt erfolgt die Zeugeneinvernahme nach § 396 ZPO durch das erkennende Gericht, bevor sich subsidiär etwaige Fragen der Prozessparteien anschließen. Ein obligatorisches Fragerecht steht nach § 397 II ZPO allein dem Prozessvertreter einer Partei zu, während das eigene Fragerecht der Partei nach § 397 II ZPO im Ermessen des Gerichts steht.191 Außerdem erfährt das Fragerecht der Parteien nach herrschender Meinung eine Reihe gegenständlicher Beschränkungen: So werden Fragen, die keinen Bezug zu Beweisthema oder Streitgegenstand aufweisen oder eine Wertung des Zeugen voraussetzten ebenso als unzulässig angesehen wie ausforschende Fragen und Suggestivfragen.192 Hinzu kommt eine weitere, gesetzliche Beschränkung des Fragerechts durch § 383 III ZPO. Diese Norm verbietet es dem erkennenden Gericht im Rahmen der Vernehmung eines Zeugen, der ein Weigerungsrecht nach § 383 I Nr. 4–6 ZPO innehat und dennoch aussagebereit ist, auf die Offenbarung von Tatsachen hinzuwirken, die erkennbar einer Verschwiegenheitspflicht eben dieses Zeugen unterfallen würden.193 Diese Regelung möchte vermeiden, dass sich das erkennende Gericht aktiv an einer – möglicherweise strafrechtlich relevanten – Verletzung einer Verschwiegenheitspflicht beteiligt und dient mithin der Absicherung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 383 I Nr. 4–6 ZPO und der jeweils dahinterstehenden Verschwiegenheitspflicht.194 Aus diesem Telos des § 383 III ZPO wird zugleich ein Verbot des erkennenden Gerichts hergeleitet, entsprechende Fragen der Prozessparteien zuzulassen, die eine ebensolche Verletzung der Verschwiegenheitspflicht nach sich ziehen könnten.195 Allerdings gehen Rechtsprechung und herrschendes Schrifttum zugleich davon aus, dass aus § 383 III ZPO kein Verwertungsverbot für solche Tatsachen folgt, die entgegen der Verschwiegenheitspflicht und dem Vernehmungsverbot rallellaufenden Fragerecht gegenüber einem gerichtlichen bestellten Sachverständigen nach §§ 402, 397 ZPO; zustimmend auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 3 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 397, Rn. 1 jeweils mwN. 191 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 397, Rn. 2 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 4 f. und MüKo-Damrau, ZPO II, § 397, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 192 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 397, Rn. 6; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 12; MüKo-Damrau, ZPO II, § 397, Rn. 5 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 397, Rn. 2 jeweils mwN 193 Instruktiv zu den Voraussetzungen des § 383 III ZPO etwa BGH NJW 1994, S. 2220, 2225; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 397, Rn. 6 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 12 jeweils mwN. 194 In diese Richtung BGH NJW 1994, S. 2220, 2225; ausdrücklich zum Telos des § 383 III ZPO auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 72 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 83 f. jeweils mwN. 195 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 397, Rn. 6; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 12; MüKo-Damrau, ZPO II, § 397, Rn. 5 und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 397, Rn. 4 jeweils mwN
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
des § 383 III ZPO im Prozess offenbart werden, ohne dass der Zeuge hierzu durch verfahrenswidrige Maßnahmen bestimmt wurde.196 bb) Eigene Ansicht: § 397 ZPO iVm § 383 III ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Diese Auslegung des Fragerechts in § 397 ZPO mitsamt dem Vernehmungsverbot des § 383 III ZPO bedarf nun einer Überprüfung am Maßstab des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta. (1) Das Fragerecht des § 397 ZPO § 397 ZPO stellt grundsätzlich die einfach-rechtliche Ausgestaltung und Verwirklichung des Fragerechts der Prozessparteien als Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis dar. In der Subsidiarität des Fragerechts der Parteien gegenüber der richterlichen Vernehmung ist nach hier vertretener Ansicht keine Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz zu erblicken. Vielmehr ist die parteiinitiierte, richterliche Vernehmung eines Zeugen über ein bestimmtes Beweisthema die Ausgestaltung des Rechts auf Erhebung des Zeugenbeweises und damit letztlich eines weiteren Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis. Problematisch stellt sich demgegenüber die eigentliche Ausgestaltung des Fragerechts in § 397 ZPO dar: Die Parteien müssen ihre Fragen nach § 397 I ZPO grundsätzlich durch das Gericht stellen lassen und haben ein eigenes Fragerecht nach § 397 II ZPO lediglich „delegiert“ durch ihre Prozessvertreter inne. Ein eigenes Fragerecht der Partei selbst steht nach § 397 II ZPO demgegenüber im Ermessen des Gerichts. Indes ist auch der Anwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege zugleich der Interessenvertretung seines Mandanten verpflichtet und wird daher in aller Regel etwaige durch die Partei genannte Fragen an den Zeugen stellen. Zudem ist es der Partei jederzeit möglich, seine diesbezüglichen Interessen mithilfe eines Anwaltswechsels durchzusetzen. Außerdem sollte das gerichtliche Ermessen vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis regelmäßig dahingehend ausfallen, dass eine Prozesspartei auch persönlich Fragen an einen Zeugen richten darf, wenn keine entgegenstehenden Rechte ersichtlich sind. Sollte es sich nicht um einen Anwaltsprozess handeln und auch keine anwaltliche Vertretung vorliegen, so muss das Fragerecht mit Blick auf das Recht auf Beweis zwingend der Prozesspartei selbst zugestanden werden. Das Recht auf Beweis gewährleistet ein eigenständiges Fragerecht, das den Parteien eine Beteiligung an der Beweiserhebung iSe Befragung mit eige196
In diesem Sinne bereits BGH NJW 1977, S. 1198, 1199; ausdrücklich bestätigt durch BGH NJW 1994, S. 2220, 2225; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 73; MüKo-Dam rau, ZPO II, § 383, Rn. 42 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 9; für eine Unverwertbarkeit demgegenüber Geißler, NJW 1977, S. 1185 f.; Habscheid, GS-Peters, S. 840, 869 f. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 85 f. jeweils mwN.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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nen Worten ermöglicht. Die Vorenthaltung dieses Rechts würde eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen, dessen legitimes Ziel iRd § 397 ZPO nach hier vertretener Ansicht nicht zu erkennen ist. Fraglich ist zudem, in welchem Umfang die Begrenzung des Kreises zulässiger Fragen durch die herrschende Meinung in das Recht auf Beweis der Prozessparteien eingreift. Der Kreis dieser unzulässigen Fragen deckt sich jedoch regelmäßig mit den immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis: So unterfallen Fragen, die keine Relevanz für das Beweisthema aufweisen bereits der immanenten Grenze der Entscheidungserheblichkeit. Gleiches gilt für Fragen, die eine Wertung des Zeugen vor aussetzten, welche allein dem Gericht selbst obliegt. Suggestivfragen werden demgegenüber regelmäßig für die Beweisführung ungeeignet sein. Lediglich soweit eine solche Frage ausnahmsweise entscheidungserheblich und für die Beweisführung geeignet ist, unterfällt sie dem Recht auf Beweis und ist sodann grundsätzlich zuzulassen. Für vermeintlich ausforschende Fragestellungen gelten die oben herausgearbeiteten Grundsätze zum Ausforschungsbeweis.197 Eine Ablehnung dieser Frage kommt nur ausnahmsweise bei überwiegenden Gegenrechten in Betracht. In aller Regel fordert das Recht auf Beweis eine Zulassung entsprechender Fragen durch die Prozessparteien. (2) Das Vernehmungsverbot des § 383 III ZPO Das Vernehmungsverbot des § 383 III ZPO verbietet es dem Gericht, bestimmte Fragen zu stellen bzw. entsprechende Fragen der Parteien zuzulassen und stellt somit eine Einschränkung des Fragerechts der Parteien und des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dar. Die gesetzliche Regelung dieser Einschränkung in § 383 III ZPO dient dem Schutz der Zeugnisverweigerungsrechte aus § 383 I Nr. 4–6 ZPO und den dahinterstehenden Grundrechten, insbesondere dem APR der anvertrauenden Personen aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG und der Berufsfreiheit der anvertrauten Personen aus Art. 12 I GG. Fraglich ist daher allein die Verhältnismäßigkeit des § 383 III ZPO und im Speziellen seine Angemessenheit: Im ersten Schritt ist zu berücksichtigen, dass § 383 III ZPO nur zur Anwendung kommt, wenn tatsächlich ein Zeugnisverweigerungsrecht aus § 383 I Nr. 4–6 ZPO besteht – mithin die entsprechende Grundrechtsabwägung zwischen dem Recht auf Beweis und den Gegenrechten bereits zugunsten letzterer ausgefallen ist. Daher könnte diese Einschränkung des Fragerechtes ebenfalls als angemessen anzusehen sein. Allerdings stellt sich die Situation im Rahmen des § 383 III ZPO insoweit anders dar, als ein Zeugnisverweigerungsrecht tatsächlich gewährt wurde, der geschützte Berufsträger aber dennoch aussagen möchte und daher grundsätzlich ein weiteres Mittel des Rechtsnachweises und der Wahrheitserforschung im Prozess zur Verfügung steht würde. Daher ließe sich argumentieren, dass 197 Ausführlich
zum Ausforschungsbeweis § 10 II. 4. b.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
die Parteien als Ausfluss ihres Rechts auf Beweis auch ein Recht auf aktive Beteiligung an der Beweisaufnahme dieses sich bietenden Beweismittels durch Ausübung ihres Fragerechtes innehaben. Indes sollte die vorangegangen Wertung des Überwiegens der Gegenrechte als Voraussetzung für das Bestehen des Zeugnisverweigerungsrechts nicht gänzlich konterkariert werden. Hinzu kommt, dass durchaus zu Recht angemerkt wird, ein Gericht solle sich nicht durch Zulassung von Fragen aktiv an einem – möglicherweise strafwürdigen – Bruch einer Verschwiegenheitspflicht beteiligen.198 Zumal in der Konstellation eines entgegen seiner Verschwiegenheitspflicht zur Aussage bereiten Geheimnisträgers regelmäßig davon auszugehen ist, dass derselbe eine umfassende Aussage tätigen wird und die dementsprechende Bedeutung des Fragerechtes tendenziell geringer ist. Zugleich wird richtigerweise davon ausgegangen, dass etwaige Aussagen des Zeugen im Prozess sodann verwertbar sein müssen.199 Dieser Kompromiss erscheint auch und gerade vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis sachgerecht: Das erkennende Gericht und die Partei dürfen im Falle eines Zeugnisverweigerungsrechtes nicht aktiv auf eine Nutzung des so gewonnenen Beweismittels hinwirken, sind aber zur Verwertung der Erkenntnisse dieses Beweismittels zugunsten eines effektiven Rechtsnachweises und der Wahrheitsfindung im Prozess berechtigt. In dieser Auslegung stimmt das Vernehmungsverbot des § 383 III ZPO nach hier vertretener Auffassung mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz überein. cc) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Das Fragerecht der Prozessparteien wird auch durch das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta umfassend gewährleistet. § 397 ZPO stellt für diesen Gewährleistungsgehalt ebenfalls eine hinreichende Ausgestaltung dar. Die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis gelten nach der hier vertretenen Auffassung für alle drei Grundrechtsordnungen gleichermaßen, so dass Fragen ohne Bezug zum Beweisthema oder Fragen zu Wertungen nicht vom Schutz des Rechts auf Beweis umfasst sind. Gleiches gilt für Suggestivfragen, die hiernach nur zuzulassen sind, soweit sie entscheidungserheblich und geeignet sind. Vermeintlich ausforschende Fragen sind auch nach dem Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta grundsätzlich zuzulassen. Weiterhin stellt § 383 III ZPO in seiner Auslegung als ein Vernehmungsverbot bei gleichzeitiger Verwertbarkeit etwaiger Beweismittel einen Kompromiss dar, der auch mit dem Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta übereinstimmt. 198
Vgl. wiederum für die h. M. BGH NJW 1994, S. 2220, 2225; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 383, Rn. 72 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 383, Rn. 83 f. jeweils mwN. 199 In diesem Sinne wiederum BGH NJW 1994, S. 2220, 2225; zustimmend Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 383, Rn. 73; MüKo-Damrau, ZPO II, § 383, Rn. 42 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 383, Rn. 9 jeweils mwN.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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h) Das Recht der Parteien auf eine Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen Abschließend gewährleistet das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta nach hier vertretener Auffassung zudem das Recht auf eine Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen auf Antrag einer Prozesspartei.200 Als einfach-rechtlicher Anknüpfungspunkt für diesen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis kommt insbesondere die Protokollierungspflicht des Gerichts nach § 160 ZPO in Betracht. Eine diesbezügliche Fundierung des Rechts auf eine Wortlautdokumentation hat für die Prozessparteien den Vorteil einer hohen Beweiskraft nach § 165 ZPO. Zudem ist seine Anfertigung für das Gericht nach § 159 I ZPO ohnehin obligatorisch, so dass die weitere Arbeitsbelastung des erkennenden Gerichts in überschaubaren Bahnen verbleibt. aa) Die Protokollierungspflichten des § 160 III Nr. 4, IV ZPO in Rechtsprechung und Literatur Eine Protokollierung von Zeugenaussagen ist nach § 160 III Nr. 4 ZPO durch das Gericht von Amts wegen vorzunehmen. Der exakte Umfang dieser Protokollierungspflicht ist jedoch im Einzelnen umstritten: In der Regel wird in Rechtsprechung und Literatur betont, dass eine möglichst wortgetreue Protokollierung von Zeugenaussagen sinnvoll und wünschenswert ist – sei es nun in direkter oder indirekter Rede.201 Auch die Bedeutung einer Tonband- oder Videoaufnahme der Vernehmung wird mit Blick auf den aktuellen Stand der Technik und ihre ausdrückliche rechtliche Zulässigkeit nach § 160a ZPO immer wieder hervorgehoben.202 Eine strikte rechtliche Verpflichtung zu einer Wortlautdokumentation wird jedoch regelmäßig nicht anerkannt.203 Vielmehr wird eine möglichst genaue Zusammenfassung als hinreichend angesehen – wenngleich teilweise mit der Anmerkung, dass in der Praxis eine wortgetreue Dokumentation verbreitet sei.204 Der bloße Vermerk, dass zu diesem Gewährleistungsgehalt oben I. 4. e.; ähnlich auch Lübke, Dokumentation von Zeugenaussagen, S. 154 ff. und insbesondere S. 201 f. 201 Für eine ausführliche Wiedergabe in direkter Rede MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 8; eine ebenfalls ausführliche Wiedergabe in indirekter Rede lassen Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 8 genügen, jeweils mwN. 202 Für eine entsprechende Nutzung dieser Technik bereits Scheuerle, ZZP 66 (1953), S. 306, 307; ausführlich in diese Richtung Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung, S. 273 ff.; siehe auch MüKo-Stadler, ZPO I, § 160, Rn. 8 und Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 jeweils mwN. 203 Explizit in diesem Sinne Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 160, Rn. 15; eine ausführliche Zusammenfassung genügt auch nach Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19; Wieczorek/ Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 8; ähnlich MüKo-Stadler, ZPO I, § 160, Rn. 8. 204 Diese Anmerkung zur Praxis trifft Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19; tendenziell für eine weitgehende Protokollierung auch BGH MDR 1978, S. 826. 200 Ausführlich
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
überhaupt eine Aussage stattgefunden hat, soll indes keinesfalls genügen.205 Teilweise wird in der Literatur aus dem Recht auf Beweis ein Recht auf Feststellung des einem Beweismittel im Einzelfall beizumessenden Beweiswertes abgeleitet, welches sodann grundsätzlich auch eine Wortlautdokumentation umfassen soll.206 § 160 IV ZPO gibt den Prozessparteien die Möglichkeit an die Hand, mit ihren Anträgen eine eigene Protokollierung von Vorgängen und Erklärungen herbeiführen zu können. Vorgänge werden hierbei definiert als alle zur Beurteilung der Verhandlung erheblichen Zwischenfälle und Reaktionen.207 Äußerungen iSd § 160 IV S. 1 ZPO meint Erklärungen jeglicher Art.208 Dem Antrag auf Protokollierung ist nach § 160 IV S. 2 ZPO grundsätzlich stattzugeben, es sei denn die Vorgänge bzw. Äußerungen haben für den Prozess keine Relevanz. Diese Entscheidung über eine entsprechende Protokollierung und ihre Voraussetzungen hat das erkennende Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen.209 bb) Eigene Ansicht: Die Auslegung des § 160 III Nr. 4, IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Ein Recht auf Wortlautdokumentation von Zeugenaussagen wird nach hier vertretener Auffassung durch das Recht auf Beweis gewährleistet, setzt allerdings einen entsprechenden Antrag einer Prozesspartei voraus: Wenn eine Partei die von ihr beantragte Zeugenaussage als besonders wichtig bzw. die Glaubwürdigkeit des Zeugen als besonders kontrovers ansieht, so obliegt es ihrer Initiative, auf eine bessere Beurteilung der Glaubwürdigkeit mittels einer auf dem Wortlaut der Aussage beruhenden Beweiswürdigung hinzuwirken. § 160 III Nr. 4 ZPO sieht eine Protokollierung von Amts wegen vor, die nach herrschender Meinung zwar möglichst umfassend und authentisch sein soll, jedoch nicht bis hin zu einem Wortlautprotokoll reicht.210 Zudem bedarf die Protokollierung nach § 160 III Nr. 4 ZPO keines Partei205 Ausdrücklich
zu dieser Fallkonstellation BGH NJW-RR 2010, S. 63 f.; ausdrücklich zustimmend Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 8; ähnlich Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40. 206 In diesem Sinne Lübke, Dokumentation von Zeugenaussagen, S. 165 f. und insbesondere S. 201 f., der allerdings als Alternative zu einer Wortlautdokumentation grundsätzlich auch die strikte Einhaltung der formellen Beweisunmittelbarkeit genügen lassen möchte. 207 So die Definition von Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 56; ähnlich auch Stein/ Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 31 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 14 jeweils mwN. 208 Vgl. wiederum Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 56; Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 31 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 14 jeweils mwN. 209 Siehe Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 58 f. und Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 32. 210 Siehe wiederum Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 160, Rn. 15; ähnlich Stein/JonasRoth, ZPO III, § 160, Rn. 19 und Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40; tendenziell weitergehend in Bezug auf § 160 III Nr. 4 ZPO; Lübke, Die Dokumentation von Zeugenaussagen, S. 201 f. jeweils mwN.
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antrages, so dass sich diese Norm nicht als Anknüpfungspunkt für eine parteiinitiierte Wortlautdokumentation eignet. Als zentraler Anknüpfungspunkt für dieses Recht auf eine Wortlautdokumentation stellt sich vielmehr § 160 IV ZPO dar – soll diese Norm es den Prozessparteien doch ermöglichen, die Protokollierung im Prozess aktiv mitzugestalten. Der genaue Wortlaut einer Zeugenaussage lässt sich hierbei unter die Erläuterungen iSd § 160 IV S. 1 ZPO subsumieren, während die sonstige Mimik und Gestik einer Aussageperson richtigerweise zu den Vorgängen iSd § 160 IV S. 1 ZPO zählt.211 Weitere Voraussetzung ist nach § 160 IV S. 2 ZPO die Relevanz der zu protokollierenden Erläuterungen bzw. Vorgängen. Diese Anforderung deckt sich mit den immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis, insbesondere der zu fordernden Entscheidungserheblichkeit einer zum Beweis beantragten Tatsache. Die zu protokollierende Zeugenaussage muss daher entscheidungserheblich sein, um überhaupt am Schutz des Rechts auf Beweis teilzunehmen. Sodann gewährleistet das Recht auf Beweis eine effektive Erhebung und Würdigung des entscheidungserheblichen Beweismittels. In diesem Zusammenhang zeigt sich die besondere Relevanz des Wortlautprotokolls dahingehend, dass diese Dokumentation eine wesentliche Grundlage für die effektive Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Zeugen und damit die effektive Würdigung seiner Aussage darstellt.212 In diesem Sinne ist ein solches Wortlautprotokoll stets als relevant für die Entscheidung iSd § 160 IV S. 2 ZPO anzusehen. Daher ist das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts nach § 160 IV S. 2 ZPO im Hinblick auf das Recht auf Beweis dahingehend auszuüben, dass ein solcher Parteiantrag auf eine Wortlautdokumentation stets den Anforderungen des § 160 IV S. 2 ZPO genügt und das Gericht zu einer entsprechenden Protokollierung verpflichtet ist. Die Art der Protokollierung wird durch das Recht auf Beweis grundsätzlich nicht vorgeschrieben. Allerdings spricht aus praktischer Sicht der heutige Stand der Technik für eine Dokumentation mittels Tonband- oder Videoaufnahme, deren Zulässigkeit § 160a ZPO explizit normiert. Die Nutzung dieser Techniken anstelle einer schriftlichen Dokumentation wird durch das Recht auf Beweis nicht vorgeschrieben, stellt jedoch nach hier vertretener Auffassung die bestmögliche Verwirklichung seines Gewährleistungsgehaltes dar.
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So auch die h. M. siehe etwa Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 56; ähnlich auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 31 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 14 jeweils mwN. 212 Vgl. die Ausführungen zum diesbezüglichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis oben I. 4. e.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
II. Sachverständigenbeweis Als zweites zu untersuchendes Beweismittel schließt sich nun der Sachverständigenbeweis an. Auch für dieses Beweismittel soll zunächst der abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis herausgearbeitet und in der Folge als Maßstab für die Überprüfung der konkreten Ausgestaltung des Sachverständigenbeweises in der ZPO herangezogen werden.
1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Sachverständigenbeweis Der Sachverständigenbeweis hat in Gerichtsprozessen ebenfalls eine große Bedeutung erlangt: In Zeiten zunehmender Spezialisierung und Technisierung ist es für den Richter als Juristen eine immer größere Herausforderung, spezielle wissenschaftliche Fragestellungen im Rahmen der Sachverhaltsaufklärung eigenständig zu klären. In diesem Zusammenhang kommt der Einbindung von Experten in die Gerichtsverhandlungen auch nach dem EGMR eine immer prominentere Rolle zu.213 a) Grundsatz: Gleichstellung mit dem Zeugenbeweis In der EMRK wird der Sachverständigenbeweis teilweise in die Nähe des Zeugenbeweises gerückt: Die Europäische Menschenrechtskommission wendet die benannten Regelungen des Art. 6 III lit. d EMRK ausdrücklich auf den Sachverständigenbeweis an.214 Der EGMR beschreitet demgegenüber tendenziell den Weg, die Gewährleistungen des Art. 6 III lit. d EMRK als bloßen Teilgehalt des Art. 6 I EMRK anzusehen und die Anerkennung des Rechts auf Benennung und Befragung von Sachverständigen über Art. 6 I EMRK zu vollziehen.215 b) Die Rechte der Parteien in Bezug auf den Sachverständigenbeweis Die Rechte der Prozessparteien in Bezug auf den Sachverständigenbeweis gleichen somit denjenigen Rechten des Zeugenbeweises: Die Parteien haben das Recht auf Bestellung eines Sachverständigen.216 Außerdem sind die Parteien berechtigt, den 213
Instruktiv zur Bedeutung des Sachverständigenbeweises EGMR, Urteil vom 05.07.2007, 31930/04, Sara Lind Eggertsdottir ./. ISL, Rn. 43 ff.; ausführlich zum Verhältnis von Richter und Sachverständigen auch Stamm, ZZP 124 (2011), S. 433 ff. mwN. 214 Vgl. EMRK, 8658/79, Bönisch ./. AUT, Rn. 95 ff.; so wohl auch Grabenwarter/Pabel, EMRK, S. 452. 215 In diese Richtung EGMR, Urteil vom 06.05.1985, 8658/79, Bönisch ./. AUT, Rn. 29 ff.; auch in neuer Zeit stellt der EGMR weiter auf Art. 6 I EMRK ab, siehe etwa EGMR, Urteil vom 13.07.2000, 25735/94, Elsholz ./. GER, Rn. 66; siehe auch Gaede, Fairness als Teilhabe, S. 276 mwN. 216 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 12.06.2003, 35968/97, Van Kück ./. GER, RN. 57; bestätigt in EGMR, Urteil vom 08.01.2009, 29002/06, Schlumpf ./. CH, Rn. 57; ausführlich zum
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Gutachter vor Gericht zu laden und persönlich zu befragen.217 Dieses Fragerecht würde indes ohne eine hinreichende Informationsgrundlage aufgrund der Komplexität der in Rede stehenden Sachverhalte regelmäßig leerlaufen: Daher erkennt der EGMR auch ein Recht auf Offenlegung der Datengrundlage des Sachverständigengutachtens an.218
2. Die Gewährleistungen der GRC zum Sachverständigenbeweis Der Sachverständigenbeweis hat in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH keine größere Rolle gespielt. Daher bedarf die Analyse dieser Entscheidungen erneut einer Ergänzung durch die EMRK über Art. 52 III GRC. a) Grundsatz: Gleichlauf von Zeugen- und Sachverständigenbeweis Der EuGH hat sich zu einem Recht der Parteien auf Einholung eines Sachverständigengutachtens im Zivilprozess – soweit ersichtlich – noch nicht explizit geäußert. Allerdings hat das Gericht der Europäischen Union (EuG) in einer Entscheidung bestimmte Anforderungen an die Substantiierung eines solchen Antrages festgelegt: Das erkennende Gericht hatte die Einholung eines Sachverständigengutachtens mit der Begründung abgelehnt, die Klage enthalte nicht den geringsten Beweis für das Vorliegen ihrer tatsächlichen Prämissen. Diese Sichtweise wurde vom EuG unter Verweis auf eine diesbezügliche Entscheidung des EuGH bestätigt.219 Diese Substantiierungsanforderungen dürften indes eher die Anforderungen an eine Klageerhebung betreffen und im Rahmen des Sachverständigenbeweises im Hinblick auf die EMRK als Mindeststandard nicht überdehnt werden. Der EGMR liest die Gewährleistungen des Art. 6 III lit. d EMRK auch für den Sachverständigenbeweis in das allgemeine Recht auf ein faires Verfahren aus Art. 6 I EMRK hinein.220 Diese Auslegung des EGMR ist nach Art. 52 III S. 1 GRC auch für die Grundrechtecharta maßgeblich.
Recht auf Sachverständigenbenennung erneut EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 190 ff. 217 Vgl. EGMR, Urteil vom 05.07.2007, 17995/02, Stoimenov ./. MAC, Rn. 38 ff.; ausdrücklich in diesem Sinne auch EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 190 ff. 218 Vgl. EGMR, Urteil vom 18.03.1997, 21397/93, Mantonanelli ./. FR, Rn. 32 ff.; in diesem Sinne auch Frowein/Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 179. 219 Vgl. EuG, Rs. T-13/12, Rn. 68 – Andechser Molkerei Seitz / Kommission; das Rechtsmittel wurde abgewiesen durch EuGH, Rs. C-682/13, Rn. 66 – Andechser Molkerei Seitz / Kommission. 220 Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 06.05.1985, 8658/79, Bönisch ./. AUT, Rn. 29 ff. und EGMR, Urteil vom 13.07.2000, 25735/94, Elsholz ./. GER, Rn. 66.
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b) Die Rechte der Parteien in Bezug auf den Sachverständigenbeweis Ausgehend von der EMRK haben die Prozessparteien somit auch in der europäischen Grundrechtecharta ein subjektives Recht auf Hinzuziehung eines Sachverständigen und weitergehend auf seine Befragung im Prozess inne. Außerdem muss der Sachverständige die Datengrundlage seines Gutachtens gegenüber den Parteien offenlegen, um eine effektive Befragung und Prüfung zu ermöglichen.221
3. Die Gewährleistungen des GG zum Sachverständigenbeweis Der Sachverständigenbeweis hat in Rechtsprechung und Literatur zum Grundgesetz einige Beachtung erfahren und es wurde eine ganze Reihe von verfassungsrechtlichen Gewährleistungen entwickelt. a) Das Recht der Prozessparteien auf sachverständige Begutachtung Als Grundsatz ist das Recht der Prozessparteien auf eine sachverständige Begutachtung in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt. Hergeleitet wird dieses Recht einmal mehr aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO.222 So hat das Bundesverfassungsgericht explizit ausgesprochen, dass dieses Recht auf sachverständige Begutachtung den Prozessparteien unabhängig von den Kosten einer solchen Begutachtung im Verhältnis zum Streitwert des Prozesses zukommt.223 Diese Herleitung aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO durch Rechtsprechung und Literatur führt auch im Rahmen des Sachverständigenbeweises zu einer Abhängigkeit dieses Rechts von den einfach-rechtlichen Regelungen der ZPO.224 Das Recht auf sachverständige Begutachtung der Parteien wird außerdem dahingehend weiter eingeschränkt, dass ein solches Recht ausscheidet, wenn das Gericht seine eigene Sachkunde auf dem betreffenden Gebiet nachweisen kann.225
221 Ausführlich
etwa EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 190 ff. Vgl. etwa BVerfGE 79, S. 51, 62; bestätigt in neure Zeit in BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; zustimmend unter Rekurs auf ein „Recht auf Beweis“ Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 402, Rn. 29 ff. und Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 403, Rn. 1; den Parteiantrag als eine bloße „Anregung“ der Parteien betrachtend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 403, Rn. 2 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 403, Rn. 2 jeweils mwN. 223 So ausdrücklich BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; siehe aber auch zu zwei gleich geeigneten, unterschiedlich aufwendigen Beweismittel BGH NJW 1962, S. 2149, 2151 f. 224 Vgl. wiederum BVerfGE 79, S. 51, 62 und BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586. 225 Vgl. etwa BGH NJW 2000, S. 1946, 1947; ebenso BGH NJW-RR 2007, S. 357, 358; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 402, Rn. 29 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 403, Rn. 2 ff.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 403, Rn. 2 und Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 403, Rn. 5 jeweils mwN. 222
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b) Das Recht auf Offenlegung der Datengrundlage Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht ein Recht der Prozessparteien auf Offenlegung der Datengrundlage eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens entwickelt.226 Das Verfassungsgericht leitet dieses Recht aus dem Recht der Parteien auf effektiven Rechtschutz her und geht davon aus, dass eine effektive Überprüfung gerichtlicher Sachverständigengutachten in aller Regel die Kenntnis der konkreten Datengrundlage voraussetzt.227 Allerdings seien auch etwaige Gegenrechte der andere Prozesspartei und Dritter zu beachten, die durch eine Offenlegung der Datengrundlage eines Gutachtens betroffen sein könnten.228 Indes geht das Verfassungsgericht davon aus, dass das Recht auf Offenlegung dieser Daten in der Regel überwiegen wird und in Zweifelsfällen zumindest Stichproben durch den Gutachter herauszugeben sind.229 Wenn eine Offenlegung aus überwiegenden Gegenrechten unterbleiben muss, so trifft das Gericht dennoch die Verpflichtung, sich unter Ausschöpfung aller rechtlichen Möglichkeiten über die Datengrundlage zu informieren, insbesondere mittels Befragung des Gutachters.230 Über die Verwertung des Gutachtens oder einzelner Teile muss im Falle der verweigerten Offenlegung der Datengrundlage unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles entschieden werden.231 Dieser Rechtsprechung haben sich BGH und Literatur im Grundsatz angeschlossen.232 Allerdings leiten BGH und Schrifttum aus Art. 103 I GG weitergehend die Unverwertbarkeit eines Sachverständigengutachtens bei verweigerter Offenlegung der Datengrundlage ab.233 c) Das Recht auf Anhörung und Befragung des Gutachters Außerdem folgt aus Art. 103 I GG nach dem Bundesverfassungsgericht ein Recht auf Befragung des Gutachters.234 Dieses Fragerecht der Parteien impliziert nach dem Verfassungsgericht jedoch kein Recht auf Ladung des Gutachters zu einer 226 Ausführlich und instruktiv BVerfG NJW 1995, S. 40 f.; bestätigt von BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 227 Vgl. BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 228 Siehe wiederum BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 229 So BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909. 230 Vgl. einmal mehr BVerfG NJW 1995, S. 40, 41 und BVerfG NJW 1997, S. 1909. 231 So BVerfG NJW 1995, S. 40, 41 und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 232 Ausführlich BGH NJW 1994, S. 2899; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 404a, Rn. 9 ff.; und Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 404a, Rn. 12 jeweils mwN. 233 Vgl. BGH NJW 1994, S. 2899; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 404a, Rn. 9 ff.; demgegenüber für die differenzierende Ansicht des BVerfG Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 404a, Rn. 12 jeweils mwN. 234 Vgl. etwa BVerfG NJW 1998, S. 2273 f.; ebenso in neuerer Zeit BVerfG NJW 2012, S. 1346 f. und BVerfG NJW-RR 2013, S. 626, 627.
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mündlichen Verhandlung – hierbei handle es sich so wörtlich „um die nächstliegende, aber nicht die einzig mögliche Behandlung eines derartigen Antrages“.235 Seine Grenze findet dieses Fragerecht hiernach in einer verspäteten oder rechtsmissbräuchlichen Antragstellung durch die Parteien.236 Dieser Rechtsprechung hat im Grundsatz die Zustimmung von BGH und Literatur gefunden.237 Allerdings gehen BGH und Schrifttums davon aus, dass Art. 103 I GG ein Recht auf Ladung und Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung umfasst.238 d) Die Anforderungen an die Würdigung eines Gutachtens Abschließend hat das Bundesverfassungsgericht aus dem Rechtsstaatsprinzip gewisse Anforderungen an die richterliche Würdigung eines Sachverständigengutachtens abgeleitet: Dem erkennenden Gericht ist es hiernach verwehrt, seiner Entscheidung ein sachverständiges Gutachten ungeprüft zugrunde zu legen.239 Vielmehr bedarf es einer eigenen, kritischen Prüfung des Gutachtens durch das Gericht, um eine valide Urteilsgrundlage zu erhalten und die eigentliche Entscheidung über den Rechtsstreit in den Händen des Gerichts zu belassen, dem diese Entscheidung qua Rechtsstaatsprinzip anvertraut ist.240 BGH und Literatur haben sich dieser Ansicht angeschlossen und eine Reihe von konkreten Anforderungen an die richterliche Beweiswürdigung von Sachverständigengutachten entwickelt.241
4. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Sachverständigenbeweis Im Anschluss an diese Darstellung von Rechtsprechung und Literatur soll nun auch zum Sachverständigenbeweis der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta als eigene Ansicht entwickelt werden. Dieses Beweismittel wird in Rechtsprechung und Literatur zu den 235
So wörtlich BVerfG NJW 1998, S. 2273 f.; ebenso auch BVerfG NJW-RR 2013, S. 626, 627. Vgl. wiederum BVerfG NJW BVerfG NJW 1998, S. 2273 f.; BVerfG NJW 2012, S. 1346 f. und BVerfG NJW-RR 2013, S. 626, 627 jeweils mwN. 237 Vgl. in jüngster Zeit BGH NJW-RR 2014, S. 295; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 411, Rn. 15 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 7 f.; MüKo-Zimmer mann, ZPO II, § 411, Rn. 11 f. und Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 397, Rn. 5 jeweils mwN. 238 Vgl. BGH NJW-RR 2014, S. 295; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 15 ff.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 11 f. jeweils mwN; demgegenüber für die einschränkende Ansicht des BVerfG Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 7 f. und Prütting/GehrleinTrautwein, ZPO, § 397, Rn. 5. 239 Diese Anforderungen stellt BVerfG NJW 1995, S. 40 f. auf; ebenso auch BVerfG NJW 1997, S. 1909. 240 Vgl. wiederum BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909. 241 Grundlegend BGH BB 1970, S. 1381, 1382; aus der Literatur ausführlich Zuck, NJW 2010, S. 3622, 3623 f.; siehe auch MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 10. 236
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EMRK und Grundrechtecharta in engem Zusammenhang mit dem Zeugenbeweis gesehen und ganz ähnlichen Regelungen unterworfen.242 Nach hier vertretener Sichtweise bestehen indes einige deutliche Unterschiede zwischen Zeugen- und Sachverständigenbeweis, so dass die einzelnen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Sachverständigenbeweis nun eigenständig herauszuarbeiten sind. a) Orientierung am Prozesszweck: Effektivität des Nachweises komplexer Tatsachen und naturwissenschaftlicher Zusammenhänge im Zivilprozess Als Ausgangspunkt soll auch insoweit der Prozesszweck einer Rechtsdurchsetzung mittels effektiven Rechtsnachweises dienen. Aufgrund der fortschreitenden wissenschaftlichen Entwicklung und der weiteren Spezialisierung der Wissenschaft ergeben sich in der heutigen Gesellschaft regelmäßig Fragestellungen von hoher Komplexität, die allein mit Alltagswissen nicht zu beantworten sind und einer sachverständigen Begutachtung bedürfen. Der Sachverständigenbeweis ermöglicht es dem Gericht somit, sich eine fundierte Meinung über komplexe Fragen und Zusammenhänge zu verschaffen und überhaupt in den Prozess des Rechtsnachweises und der Wahrheitsfindung zu diesen Fragestellungen eintreten zu können. Der Sachverständigenbeweis stellt daher in Zivilprozessen über komplexe tatsächliche Fragen eine Grundbedingung für die gerichtliche Wahrheitserforschung und Entscheidungsfindung dar und ermöglicht den Prozessparteien erst ihren diesbezüglichen Rechtsnachweis. Zugleich zeigt diese enorme Bedeutung auch die Risiken des Sachverständigenbeweises deutlich auf: Das Gericht nimmt den Sachverständigenbeweis in Fallgestaltungen in Anspruch, in denen es gerade keine eigene Sachkunde über die betreffenden Fragestellungen innehat. Sodann fällt es dem Gericht jedoch naturgemäß schwer, die sachverständige Begutachtung ihrerseits zu überprüfen und etwaige Mängel festzustellen. Mit der fehlenden eigenen Sachkunde des Gerichts gehen somit die hohe Überzeugungskraft einer sachverständigen Begutachtung und die Gefahr einer sehr dominanten Stellung des Sachverständigenbeweises im konkreten Prozess einher. Daher müssen die Parteien im Hinblick auf ihr jeweiliges Recht auf Beweis nicht nur die Möglichkeit einer sachverständigen Begutachtung erhalten, sondern zugleich das Recht auf eine eigene Überprüfung des Gutachtens und auf Äußerung zu diesem Gutachten. In diesem Spannungsfeld bewegen sich nach hier vertretener Auffassung die einzelnen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Sachverständigenbeweis.
242
In diesem Sinne vor allem die Kommission für Menschenrechte, vgl. EMRK, 8658/79, Bönisch ./. AUT, Rn. 95 ff.; allerdings tendiert auch der EGMR in dieser Richtung einer Gleichstellung von Zeugen- und Sachverständigenbeweis, wenn auch über Art. 6 I EMRK, siehe EGMR, Urteil vom 13.07.2000, 25735/94, Elsholz ./. GER, Rn. 66; siehe auch die einfach-rechtliche Regelung des § 402 ZPO.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
b) Das Recht auf Einholung eines Sachverständigengutachtens Das Recht auf Beweis gewährleistet den Parteien hiernach das Recht auf Einholung eines Sachverständigengutachtens. Ein effektiver Rechtsschutz kann nur gewährleistet sein, wenn die Parteien auch die Möglichkeit haben, komplexe Sachverhaltsfragen nachweisen zu können. Dieses Recht der Parteien korrespondiert mit einer entsprechenden Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Einholung eines gerichtlichen Sachverständigengutachtens. Ein solches Recht auf Einholung eines Gutachtens wird auch in der Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und EGMR anerkannt.243 Die Begrenzung dieses Rechts dahingehend, dass die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei vorhandener Sachkunde des erkennenden Gerichts ausscheide244, stellt sich als ein Anwendungsfall der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis dar: Wenn das erkennende Gericht über die hinreichende Sachkunde zur Beurteilung komplexer, in Rede stehender Tatsachenfragen verfügt, so fehlt dem Beweisantrag auf ein Sachverständigengutachten die Entscheidungserheblichkeit, so dass dieser Beweisantritt nicht den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis unterfällt.245 Allerdings bedarf diese Annahme eigener Sachkunde mit Blick auf die Bedeutung des Sachverständigenbeweises für den Rechtsnachweis im Zivilprozess nach hier vertretener Auffassung besonders hoher Anforderungen an die Darlegung dieser Sachkunde im Rahmen der Entscheidungsbegründung. c) Das Recht auf Bestimmung der Themen des Gutachtens Ein solches Gutachten ist stets an ein bestimmtes Thema gebunden. Eine effektive Beweisführung erfordert die Festlegung eben dieses Themas des beantragten Gutachtens. Daher umfassen die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis auch das Recht der den Beweis beantragenden Prozesspartei auf Bestimmung des Gutachtenthemas. Fraglich ist demgegenüber, ob dieses Bestimmungsrecht auch die konkrete Fragestellung an den Sachverständigen umfasst. Dafür ließe sich anführen, dass die Partei den Beweis beantragt hat und nach dem Beibringungsgrundsatz letztlich auch für den Nachweis bestimmter Tatsachen verantwortlich ist. Daher könnte man ein solches Bestimmungsrecht der Partei als Ausfluss ihres Rechts auf Erhebung dieses Beweises ansehen. Indes handelt es sich bei einem Gutachter eher um eine Hilfsperson des Gerichts als um einen von einer Partei beauftragten Gehilfen – in Abgren243 Vgl. etwa BVerfGE 79, S. 51, 62 und BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; in diesem Sinne auch EGMR, Urteil vom 12.06.2003, 35968/97, Van Kück ./. GER, RN. 57 und EGMR, Urteil vom 08.01.2009, 29002/06, Schlumpf ./. CH, Rn. 57 zur EMRK; eine Erstreckung auf die Grundrechtecharta erfolgt über Art. 52 III GRC. 244 Vgl. dazu etwa BGH NJW 2000, S. 1946, 1947 und BGH NJW-RR 2007, S. 357, 358. 245 Allgemein zur immanenten Grenze der Entscheidungserheblichkeit siehe § 6 III. 4.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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zung zu einem Privatgutachten mit einem anderen Beweiswert.246 Daher ist die Neutralität des Gutachters wesentliche Voraussetzung für eine Begutachtung. Das Gutachten soll nach bestem Wissen und Gewissen anhand wissenschaftlich anerkannter Standards zur Unterstützung der Wahrheitsfindung des Gerichts und gerade nicht für eine bestimmte Partei erstellt werden. Außerdem besteht bei einem Bestimmungsrecht der Parteien die Gefahr von Suggestivfragen an den Gutachter, die den Wert des Gutachtens deutlich mindern könnten. Eine solche Bestimmung der konkreten Fragen an einen Gutachter würde das Recht auf Beweis wiederum in die Nähe eines gerade nicht gewährleisteten Rechts auf den Prozessgewinn rücken. Zudem handelt es sich bei der konkreten Bestimmung der einzelnen Fragen an den Gutachter letztlich eher um die organisatorische Art und Weise der Beweiserhebung. Die Organisation der Beweiserhebung obliegt jedoch grundsätzlich dem erkennenden Gericht. Einen Einfluss auf die Beweiserhebung selbst könnte nur zu bejahen sein, wenn das Gericht seinerseits Suggestivfragen stellt, die das Gutachten erkennbar in eine bestimmte Richtung lenken sollen. In einem solchen Fall könnte eine Verletzung des Rechts auf Beweis vorliegen, die eine erneute Einholung des Gutachtens erforderlich machen würde. Im Übrigen gewährleistet das Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht kein konkretes Bestimmungsrecht über die dem gerichtlichen Gutachten zugrundeliegenden Fragestellungen. d) Das Recht auf Offenlegung der Datengrundlage Ein wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zum Sachverständigenbeweis betrifft die Überprüfung des Gutachtens durch die Parteien zum Zwecke einer effektiven Beweisführung. Die wirksame Überprüfung eines Sachverständigengutachtens setzt – neben eigener oder extern hinzugezogener Sachkunde – in erster Linie die Kenntnis der entsprechenden Datengrundlage eines Gutachtens voraus. Allein auf Basis dieser Daten können die Rechenoperationen, Ergebnisse und Schlussfolgerungen eines gerichtlichen Gutachters nachvollzogen und etwaige Mängel oder Zweifel aufgedeckt werden. Auf der anderen Seite kann auch eine Bestärkung des Sachverständigen nur auf Basis dieser Datengrundlage erfolgen, so dass die effektive Beweisführung jeder Prozesspartei die Offenlegung der Datengrundlage voraussetzt. Dieses Recht wird auch von Seiten des EGMR und des Bundesverfassungsgerichts richtigerweise anerkannt.247 Diese Offenlegung ermöglicht erst eine effektive Befragung des Sachverständigen und eine Konfrontation mit etwaigen Zweifeln und Unklarheiten. Sie muss nach hier vertretener Ansicht zwingend im Vorfeld einer Befragung des Sachverständigen im Prozess stattfinden. Die 246 Ausführlich zu Stellung und Aufgaben des gerichtlichen Sachverständigen, Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 44, Rn. 1 ff. und 36 ff. mwN. 247 Vgl. BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. und EGMR, Urteil vom 18.03.1997, 21397/93, Mantonanelli ./. FR, Rn. 32 ff.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Parteien werden ihrerseits regelmäßig Laien auf dem betreffenden Fachgebiet sein, so dass eine effektive Beweisführung die frühzeitige Offenlegung der Datengrundlage voraussetzt, damit den Parteien eine angemessene Zeitdauer zwischen Offenlegung und Befragung des Gutachters zur Vorbereitung der eigenen Beweisführung verbleibt. e) Das Recht auf Befragung eines Gutachters im Prozess Aufbauend auf dem eben Gesagten folgt aus dem Recht auf Beweis insbesondere ein Recht der Prozessparteien auf Ladung und Befragung eines jeden gerichtlichen Sachverständigen. Dem Gericht obliegt eine korrespondierende Verpflichtung zur Ladung des Sachverständigen zwecks Ermöglichung seiner Befragung. Ein Sachverständigengutachten dient in erste Linie dazu, dem Gericht mithilfe sachverständiger Beratung eine hinreichende Fachkenntnis zur fundierten Entscheidung über komplexe Fragestellungen im Zivilprozess zu vermitteln. Daher obliegt es dem erkennenden Gericht, den Gutachter auszuwählen und die zu begutachtende Fragestellung zu formulieren. In dieser Phase des Sachverständigenbeweises kommt den Prozessparteien somit eine vergleichsweise geringe Beteiligungsmöglichkeit zu. Im Kontrast dazu kann die Bedeutung eines solchen Sachverständigengutachtens für den Nachweis der begutachteten Fragestellung kaum hoch genug eingeschätzt werden. Daher müssen die Parteien zum Zwecke der effektiven Beweisführung zumindest insoweit an einem Sachverständigenbeweis beteiligt werden, als sie ein Recht auf Befragung des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung innehaben. Wenn die Auswahl von Sachverständigen und Fragestellung dem Gericht obliegt, so müssen die Parteien das hieraus resultierende Gutachten als Korrektiv zumindest im Nachhinein überprüfen und etwaige Mängel aufzeigen dürfen. Die Ladung und Befragung des Gutachters stellt sich als logische und notwendige Fortsetzung des Rechts auf Offenlegung der Datengrundlage dar. Die Befragung in der mündlichen Verhandlung ermöglicht es den Parteien, über ihre Anfangsfragen hinaus weitere Anschlussfragen zu stellen. Zudem erhält das erkennende Gericht einen Eindruck von der Mimik und Gestik des Sachverständigen und seinem Umgang mit kritischen Nachfragen. Zwar tritt der Sachverständige im Prozess als neutraler Experte auf, dessen Glaubwürdigkeit – anders als im Rahmen des Zeugenbeweises – regelmäßig nicht in Frage steht bzw. über die Ablehnung wegen Befangenheit sichergestellt werden kann. Dennoch lassen die Beobachtung der Art und Weise, wie der Sachverständige sich in einer Befragung durch die Parteien verhält, durchaus Rückschlüsse auf seine individuelle Fachkompetenz zu. Eine solche Befragung des Sachverständigen durch die Prozessparteien wird regelmäßig zum Rechtsnachweis und der Wahrheitsfindung gleichermaßen beitragen: Die Parteien haben ein unmittelbares Interesse am Ausgang des Prozesses, der maßgeblich durch das Sachverständigengutachten beeinflusst wird. Daher werden die Parteien
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dieses Gutachten mit besonderer Sorgfalt prüfen und regelmäßig mehr Zeit verwenden darauf, als es dem Gericht selbst möglich ist, und so die Prüfungspflichten des erkennenden Gerichts effektiv ergänzen. f) Das Recht auf Erstellung eines Gegengutachtens Abschließend gewährleistet das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung das Recht einer Prozesspartei auf eine erneute Begutachtung. Die Herangehensweise der Wissenschaft iSe kritischen Überprüfung der eigenen Ergebnisse führt regelmäßig zu verschiedenen Auffassungen innerhalb einer wissenschaftlichen Disziplin. Das Ergebnis einer Begutachtung kann daher durchaus von der Wahl des jeweiligen Sachverständigen beeinflusst werden. Ein solches Sachverständigengutachten hat jedoch in aller Regel zugleich einen großen Einfluss auf die gerichtliche Entscheidung über die betreffende Fragestellung und den Rechtsstreit insgesamt. Daher sollte ausgeschlossen werden, dass dieses Ergebnis je nach Auswahl des Sachverständigen variieren könnte und den Parteien mithin das Recht auf Einholung einer zweiten Meinung zugestanden werden. Hinzu kommt, dass die Parteien regelmäßig selbst Laien auf dem betreffenden Fachgebiet sind und eine effektive Beweisführung iSe Überprüfung des Gutachtens ohne weitere, sachverständige Hilfe kaum in Betracht kommt. Aus diesen Erwägungen heraus gewährleistet das Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung das Recht der Prozessparteien auf eine erneute, sachverständige Begutachtung. Allerdings wurde bereits verschiedentlich dargestellt, dass aus dem Recht auf Beweis gerade kein „Recht auf den Prozessgewinn“ folgt. Daher haben die Prozessparteien kein Recht auf weitere sachverständige Begutachtungen, bis schlussendlich einmal eine für die jeweilige Partei positive Begutachtung zustande kommt. Vielmehr ist das Recht auf eine weitere Begutachtung iSe Rechts auf Einholung einer zweiten Meinung zu verstehen und erschöpft sich zugleich in dieser Kontrolle durch eine zweite Meinung. Allein im Falle von Divergenzen zwischen beiden Gutachten kann eine weitere Begutachtung zur Klärung der Widersprüche erforderlich werden. Im Falle einer Übereinstimmung der beiden Gutachten folgt aus dem Recht auf Beweis nach hier vertretener Auffassung kein Recht auf eine weitere Begutachtung.
5. Die Ausgestaltung des Sachverständigenbeweises in der ZPO Im Anschluss an diese Herausarbeitung der wesentlichen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta soll dieser so gefundene Maßstab nun auf die Ausgestaltung des Sachverständigenbeweises in der ZPO angewendet werden. Zu prüfen ist, ob der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in der ZPO eine grundrechtskonforme Ausgestaltung gefunden hat und ob etwaige Einschränkungen des Rechts auf Beweis gerechtfertigt sind.
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a) Die Offenlegung der Datengrundlage nach § 404a IV ZPO Erster zu überprüfender Gewährleistungsgehalt ist das Recht auf Offenlegung der Datengrundlage eines Sachverständigengutachtens und seine Ausgestaltung in der ZPO. aa) § 404a IV ZPO in Rechtsprechung und Literatur Für das Grundgesetz wurde ein Recht der Prozessparteien auf Offenlegung der Datengrundlage eines Sachverständigengutachtens durch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich anerkannt und aus dem Recht auf effektiven Rechtsschutz hergeleitet.248 Dieser Sichtweise haben sich BGH und Literatur einhellig angeschlossen und als einfach-rechtlichen Anknüpfungspunkt regelmäßig eine entsprechende Auslegung des § 404a IV ZPO gewählt.249 Die Verpflichtung des Gerichts zur Bestimmung derjenigen Tatsachen, die der Sachverständige seinem Gutachten zugrunde legen muss bzw. derjenigen Tatsachen, die der Sachverständige selbst zu ermitteln hat, umfasst hiernach auch die entsprechende Information der Parteien über die Datengrundlage des Gutachtens.250 In diesem Zusammenhang wird durch BGH und Literatur auf Art. 103 I GG und das daraus folgende Recht der Prozessparteien auf Information über und Äußerung zu Beweismitteln rekurriert, welches die Verwertung eines Sachverständigengutachtens ohne Offenlegung der Datengrundlage ausschließen soll.251 Das Bundesverfassungsgericht hat demgegenüber die Abwägung mit etwaigen Gegenrechten als Grenze des Rechts auf Offenlegung anerkannt.252 Allerdings soll das Recht auf Offenlegung die Gegenrechte regelmäßig überwiegen oder zumindest durch die Offenlegung von Stichproben teilweise gewahrt werden.253 Die generelle Unverwertbarkeit eines Gutachtens wird vom Verfassungsgericht indes nicht aus einer verweigerten Offenlegung gefolgert, sondern vielmehr ausnahmsweise eine Verwertung zugelassen, wenn der Offenlegung überwiegende Gegenrechte entgegenstehen, die Unverwertbarkeit aber gleichzeitig zur Beweislosigkeit der beweisbelasteten Prozesspartei führen würde.254 Sodann soll das erkennende Gericht im 248
Vgl. einmal mehr BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. Vgl. bereits BGH NJW 1984, S. 2899; eine entsprechende Kommentierung im Rahmen des § 404a ZPO findet sich bei Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 404a, Rn. 9 ff. und Prütting/Gehrlein-Kat zenmeier, ZPO, § 404a, Rn. 12 jeweils mwN. 250 Ausführlich BGH NJW 1984, S. 2899; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 404a, Rn. 9 ff. und Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 404a, Rn. 12 jeweils mwN. 251 Vgl. wiederum BGH NJW 1984, S. 2899; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 404a, Rn. 9 ff. und Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 404a, Rn. 12 jeweils mwN. 252 Ausführlich BVerfG NJW 1995, S. 40 f.; siehe auch BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 253 Vgl. BVerfG NJW 1995, S. 40, 41. 254 In diesem Sinne ausführlich BVerfG NJW 1995, S. 40 f.; ebenso BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 249
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Vorfeld der Verwertung des Gutachtens vielmehr verpflichtet sein, sich über die Datengrundlage des Gutachtens soweit möglich zu informieren – insbesondere durch Befragung des Gutachters.255 bb) Eigene Ansicht: § 404a IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Diese Sichtweise in Rechtsprechung und Literatur nähert sich den hier skizzierten Anforderungen des Rechts auf Beweis sehr stark an. Eine effektive Beweisführung verlangt, dass jedes Beweismittel überprüfbar sein muss. Im Rahmen des Sachverständigenbeweises erfordert diese Überprüfbarkeit in erster Linie die Offenlegung der Datengrundlage eines jeden Gutachtens. Denn auch eine individuelle Aneignung von Kenntnissen über wissenschaftliche Methoden und Verfahrensweisen im Bereich des Gutachtens hätte für die Parteien keinen Wert, wenn sie die konkrete Datengrundlage nicht kennen. Ohne diese Daten ist eine Überprüfung des konkreten Gutachtens weder mit eigenen Mittel noch mit weiterer, sachverständiger Hilfe möglich. Die Nichtoffenbarung der Datengrundlage stellt daher eine wesentliche Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Eine gesetzliche Regelung dieser Einschränkung ist in § 404a IV ZPO dahingehend zu sehen, dass die Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Offenlegung der Datengrundlage nach § 404a IV ZPO aufgrund überwiegender Gegenrechte der anderen Prozesspartei oder Dritter unterbleiben kann. Als Gegenrechte und legitimes Ziel einer Einschränkung des Rechts auf Beweis kommen einmal mehr in erster Linie entgegenstehende Grundrechte in Betracht. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt eine Abwägung anhand aller Umstände des Einzelfalles. Aufgrund der besonderen Bedeutung der Offenlegung für die Überprüfung des Gutachtens ist richtigerweise davon auszugehen, dass eine Offenlegung in der Regel erfolgen muss.256 Insbesondere die Prozessparteien haben im Rahmen dieser Abwägung höhere Duldungspflichten: Entscheidet die Berufung auf entsprechende Gegenrechte doch auch in diesem Zusammenhang zugleich über die effektive Überprüfung eines Gutachtens und damit die Beweisführung der Gegenpartei. Ein Überwiegen dieser Rechte gegenüber dem Recht auf Beweis kann daher in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht nur im Ausnahmefall angenommen werden.257 Demgegenüber erscheint das Überwiegen von Rechten Dritter tendenziell eher denkbar. Doch auch für diese Abwägung gilt, dass die Überprüfung eines Gutachtens eine wesentliche Grundlage für eine effektive Beweisführung bildet und daher ein hohes Gewicht einnimmt. Regelmäßig sollte auch bei 255
Vgl. einmal mehr BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. So auch die h. M. vgl. etwa BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. und BGH NJW 1984, S. 2899; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, § 404a, Rn. 9 ff. und Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 404a, Rn. 12 jeweils mwN. 257 In diesem Sinne auch BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 256
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
dieser Abwägung das Recht auf Beweis überwiegen und eine Offenlegung der Datengrundlage erfolgen. Im Falle einer verweigerten Offenlegung der Datengrundlage aufgrund überwiegender Gegenrechte geht das Bundesverfassungsgericht richtigerweise davon aus, dass die Verwertung des Gutachtens eine Frage des Einzelfalles ist.258 In dieser Konstellation kommt es ausnahmsweise zu einer Kollision der jeweiligen Rechte auf Beweis der Prozessparteien: Das Recht der beweisbelasteten Prozesspartei auf Beweis streitet für die Verwertung des Gutachtens, während das Recht der Gegenpartei auf Beweis für eine Unverwertbarkeit mangels effektiver Überprüfung und Beweisführung spricht. Diese beiden Rechte auf Beweis müssen in einer Einzelfallabwägung zu einem Ausgleich gebracht werden. Dabei muss zwischen der Verweigerung einer Partei und der Verweigerung eines Dritten differenziert werden: Scheitert die Offenlegung der Datengrundlage an der Weigerung einer Prozesspartei, so geht das Recht auf Beweis der jeweils anderen Prozesspartei regelmäßig vor. Eine Verwertung des Gutachtens trotz nicht offengelegter Datengrundlage bedarf überwiegender Gegenrechte der sich weigernden Partei bei gleichzeitigem Überwiegen ihres Rechts auf Erhebung des Sachverständigenbeweises. Im Hinblick auf die große Bedeutung der Datengrundlage für eine effektive Nachprüfung eines Gutachtens kann ein solches Überwiegen von Gegenrechten nur im absoluten Ausnahmefall angenommen werden. Bei der nachfolgenden Abwägung zwischen den jeweiligen Rechten auf Beweis ließe sich argumentieren, dass die verweigernde Prozesspartei ihre jeweilige Beweisführung durch die Gestattung der Offenlegung selbst herbeiführen könnte. Indes ist zu berücksichtigen, dass auf eine Prozesspartei, die eine Offenlegung aufgrund überwiegender Gegenrechte berechtigt verweigert, kein indirekter Zwang dahingehend ausgeübt werden darf, dass im Falle berechtigter Verweigerung zugleich eine Verwertung des Gutachtens unterbleibt und die Partei somit den Prozessverlust riskiert. Dennoch kommt auch im Rahmen dieser Abwägung eine Verwertung des betreffenden Gutachtens in Betracht. Im Falle einer verweigerten Offenlegung aufgrund überwiegender Rechte Dritter bedarf es gleichfalls einer Abwägung im Einzelfall. Eine solche Verweigerung kommt im Hinblick auf die geringeren Duldungspflichten eines Dritten im Prozess sehr viel eher in Betracht, als die berechtigte Verweigerung durch eine Prozesspartei. Für die Frage einer Verwertung ohne Offenlegung der Datengrundlage gilt es im Anschluss jedoch zu bedenken, dass diese verweigerte Offenlegung der Datengrundlage die effektive Überprüfung eines Gutachtens weitgehend verhindert. Eine Verwertbarkeit des Sachverständigengutachtens muss daher die Ausnahme bleiben. Dabei ist in die Abwägung einmal mehr einzubeziehen, in welchem Verhältnis der Dritte zu den Prozessparteien steht und insbesondere, ob er ein Näheverhältnis zu derjenigen Prozesspartei aufweist, die trotz verweigerter Offenlegung eine Verwertung des Gutachtens herbeiführen möchte. Die Verwertung eines Gutachtens ohne 258
Vgl. erneut BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f.
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Offenlegung der Datengrundlage kommt nach hier vertretener Ansicht in erster Linie dann in Betracht, wenn das Interesse an der Datengrundlage auf der einen Seite gering ist und die beweisbelastete Partei ohne dieses Gutachten auf der anderen Seite beweislos gestellt wäre.259 b) Das Recht auf Ladung und Anhörung eines Gutachters Das Recht der Prozessparteien auf Befragung des Gutachters stellt sich ebenfalls als wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis und als logische Fortsetzung der Offenlegung der Datengrundlage eines Gutachtens dar. Das Fragerecht ermöglicht die Konfrontation des Gutachters mit etwaigen Unklarheiten, Zweifeln oder sogar Widersprüchen, die von den Prozessparteien infolge der Überprüfung des offen gelegten Gutachtens herausgearbeitet wurden. Die Überprüfung des Sachverständigengutachtens durch die Parteien und das Gericht hat in § 411 III ZPO und in den §§ 402, 397 ZPO verschiedene gesetzliche Ausprägungen erfahren. aa) § 411 III ZPO iVm § 286 I ZPO in Rechtsprechung und Literatur Das erkennende Gericht hat grundsätzlich die Wahl zwischen den gleichwertigen Alternativen der mündlichen Erstattung eines Gutachtens und einer schriftlichen Begutachtung.260 Im Falle einer schriftlichen Begutachtung ermöglicht es § 411 III ZPO, das Erscheinen des Sachverständigen von Amts wegen zwecks Befragung und Erläuterung seines Gutachtens anzuordnen. Im Unterschied zum Recht der Prozessparteien auf Ladung und Befragung eines Sachverständigen aus §§ 402, 397 ZPO bedarf es nach § 411 III ZPO keines Antrages der Prozessparteien und auch im Falle einer Präklusion dieses Antrages kann eine gerichtliche Anordnung von Amts wegen ergehen.261 Die Entscheidung liegt nach § 411 III ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des erkennenden Gerichts. Dieses Ermessen kann sich jedoch nach Rechtsprechung und Literatur in bestimmten Fallkonstellationen zu einer entsprechenden Pflicht des Gerichts zur Ladung und Befragung des Sachverständigen verdichten.262 Diese Ver259 Ganz ähnlich auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, vgl. wiederum BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BVerfG NJW 1997, S. 1909 f. 260 Diese Wahlmöglichkeit wird bereits durch § 411 I ZPO illustriert; instruktiv BGH NJW 1952, S. 1214 vgl. auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 3; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411, Rn. 3 jeweils mwN. 261 Instruktiv zur Abgrenzung von § 411 III ZPO und den § 402, 397 ZPO bereits BGH NJW 1952, S. 1214 f.; siehe auch BGH NJW 1997, S. 802 f.; aus der Literatur ausführlich Pantle, MDR 1989, S. 312, 315 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 13 ff.; Wieczorek/SchützeAhrens, ZPO VI, § 411, Rn. 9 ff. jeweils mwN. 262 Ausführlich BGH NJW 1992, S. 1459 f.; siehe auch BGH NJW-RR 1998, S. 1527, 1528; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411, Rn. 3; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 10 f. jeweils mwN.
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dichtung des Ermessens im Rahmen des § 411 III ZPO steht in engem Zusammenhang mit den allgemeinen Anforderungen, die nach herrschender Auffassung aus § 286 I ZPO an die Würdigung eines Gutachtens durch das Gericht herzuleiten sind: So darf ein Sachverständigengutachten einer Entscheidung durch das erkennende Gericht nicht ungeprüft zugrunde gelegt werden.263 Vielmehr muss das Gericht im Rahmen der ihm möglichen Kompetenz, insbesondere anhand der Denkgesetz und der Gesetze der Logik, eine Prüfung des Gutachtens auf mögliche Unklarheiten und Widersprüche durchführen.264 Sollte diese Prüfung entsprechende Zweifel des Gerichts am Gutachten wecken, so verdichtet sich das Ermessen des § 411 III ZPO zu einer entsprechenden Verpflichtung zur Ladung des Gutachters zwecks Befragung und Erläuterung seines Gutachtens.265 Diese Pflichten treffen das erkennende Gericht von Amts wegen und sind unabhängig von etwaigen Rechten der Prozessparteien auf Initiierung einer weiteren Überprüfung des gerichtlichen Sachverständigengutachtens, so dass sich § 411 III ZPO nicht als Anknüpfungspunkt des subjektiven Rechts der Prozessparteien auf Ladung und Befragung des Sachverständigen darstellt. bb) §§ 402, 397 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Ein solches Recht ergibt sich nach Rechtsprechung und Literatur vielmehr aus den §§ 402, 397 ZPO als Ausdruck des Rechts auf rechtliches Gehör iSd Art. 103 I GG.266 Dieses Recht umfasst nach dem Bundesverfassungsgericht die Befragung des Sachverständigen, jedoch nicht zwingend in der mündlichen Verhandlung.267 Demgegenüber folgern BGH und Literatur in einer weitergehenden Auslegung der §§ 402, 397 ZPO und des Art. 103 I GG ein Recht der Prozessparteien auf Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung und auf Befragung desselben.268 263
Vgl. einmal mehr BVerfG NJW 1995, S. 40 f. und BGH BB 1970, S. 1381, 1382. In diese Richtung BGH NJW 1980, S. 2751 f.; ausführlich zur historischen Entwicklung und den Kriterien der Würdigung von Sachverständigengutachten Olzen, ZZP 93 (1980), S. 66, 74 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 412, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 265 Vgl. wiederum BGH NJW 1992, S. 1459 f.; BGH NJW-RR 1998, S. 1527, 1528; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 3 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411, Rn. 3 und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 10 f. jeweils mwN. 266 Vgl. etwa BVerfG NJW 1998, S. 2273 f.; BVerfG NJW-RR 2013, S. 626, 627 und BGH NJW-RR 2014, S. 295; aus der Literatur ausführlich Meyer, Sachverständigenbeweis, S. 121 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 15 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411, Rn. 13 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 10 jeweils mwN; kritisch gegenüber einem obligatorischen Fragerecht der Parteien allein Schrader, NJW 1984, S. 2806 ff.; eine kritische Erwiderung zu dieser Ansicht äußert Ankermann, NJW 1985, S. 1204 f. 267 In diesem Sinne BVerfG NJW 1998, S. 2273 f. und BVerfG NJW-RR 2013, S. 626, 627; zustimmend Prütting/Gehrlein-Katzenmeier, ZPO, § 397, Rn. 5 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 411, Rn. 7 f. 268 Instruktiv BGH NJW-RR 2010, S. 10, 11; ebenso BGH NJW-RR 2014, S. 295; ausführlich 264
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Dieses Recht auf Befragung besteht hiernach unabhängig von einer etwaigen Überzeugung des erkennenden Gerichts von der Richtigkeit und Vollständigkeit des Gutachtens.269 Auch bedarf es keiner Vorlage etwaiger Fragen durch die Prozessparteien im Vorfeld der Befragung, vielmehr soll lediglich die thematische Richtung der Fragen deutlich werden.270 Als Grenze dieses Rechts werden die rechtsmissbräuchliche Nutzung des Fragerechts oder seine zeitliche Präklusion anerkannt.271 Eine rechtsmissbräuchliche Befragung kann nur in engen Grenzen bejaht werden – etwa bei nicht entscheidungserheblichen Fragen oder dem völligem Fehlen einer Begründung des Fragerechts.272 cc) Eigene Ansicht: §§ 402, 397 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Recht auf Befragung eines Sachverständigen stellt als Gewährleistung des Recht auf Beweis ein wesentliches Instrument effektiver Beweisführung dar und ermöglicht es den Parteien, das von ihnen geprüfte Gutachten aktiv zu bestätigen bzw. anzugreifen und so ihre jeweils eigene Sichtweise darzustellen. Das Recht auf Beweis gewährleistet daher grundsätzlich ein Recht auf Ladung und Befragung eines Gutachters in der mündlichen Verhandlung. Die Verweisung des § 402 ZPO auf das Fragerecht im Rahmen des Zeugenbeweises in § 397 ZPO stellt eine einfach-rechtliche Ausgestaltung dieses Gewährleistungsgehaltes dar. Es ist in Übereinstimmung mit dem BGH und der Literatur davon auszugehen, dass die Parteien explizit ein Recht auf Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung innehaben und die §§ 402, 397 ZPO qua Recht auf Beweis dahingehend auszulegen sind, dass auf Antrag zwingend eine Ladung des Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung erfolgen muss.273 Auch ist dieses Recht richtigerweise unabhängig von der Ansicht des Gerichts zu dem betreffenden Gutachten ist und eine VorankündiAnkermann, NJW 1985, S. 1204; zustimmend auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 15 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 11 f. jeweils mwN. 269 Vgl. etwa BVerfG NJW-RR 1996, S. 183, 184; BGH NJW 1997, S. 802; BGH NJW-RR 2001, S. 1431, 1432; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 17; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 7 f.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 11; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 397, Rn. 5 jeweils mwN. 270 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2007, S. 1294; ebenso BGH NJW-RR 2011, S. 704 f.; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 8; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 11; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 397, Rn. 5 jeweils mwN. 271 Vgl. etwa BVerfG NJW 1998, S. 2273 f.; BVerfG NJW-RR 2013, S. 626, 627 und BGH NJW-RR 2007, S. 1294; aus der Literatur ausführlich Pantle, MDR 1989, S. 312 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 17; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 7 f.; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 11; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 397, Rn. 5 jeweils mwN. 272 Instruktiv die beispielhafte Auflistung von BVerfG NJW-RR 1996, S. 183, 184 f.; ausführlich auch Pantle, MDR 1989, S. 312 f. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 12 jeweils mwN. 273 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 2010, S. 10, 11; BGH NJW-RR 2014, S. 295 f.; ausführlich Ankermann, NJW 1985, S. 1204 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 411, Rn. 15 ff. jeweils mwN.
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gung konkreter Fragen nicht erforderlich ist.274 Angaben zur Art der Fragen sind praktisch jedoch sinnvoll, um eine Vorbereitung des Gutachters zu ermöglichen und so eine bestmögliche Wahrheitsfindung sicherzustellen. In seinem konkreten Umfang entspricht dieses Fragerecht demjenigen des Zeugenbeweises: Innerhalb der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis – insbesondere der Entscheidungserheblichkeit und Geeignetheit – sind entsprechende Fragen der Prozessparteien durch das Gericht grundsätzlich zuzulassen.275 c) Das Recht auf Erstellung eines Gegengutachtens Das Recht auf Beweis gewährleistet zudem das Recht auf eine erneute Begutachtung iSd Einholung einer zweiten Meinung. Es stellt sich die Frage, inwieweit die Regelung des § 412 ZPO als hinreichende Ausgestaltung dieser Gewährleistung anzusehen ist. aa) § 412 I ZPO in Rechtsprechung und Literatur Eine erneute sachverständige Begutachtung liegt nach § 412 I ZPO grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen des erkennenden Gerichts und kommt in Betracht, wenn das Gericht das Erstgutachten für ungenügend erachtet. Rechtsprechung und Literatur konkretisieren diese Ermessensentscheidung dahingehend, dass das gerichtliche Ermessen sich in einer Reihe von Fallkonstellationen zu einer obligatorischen Anordnung der erneuten Begutachtung verdichten kann.276 Eine solche Verpflichtung zur erneuten Begutachtung kommt in Betracht, wenn das Erstgutachten von einer falschen Tatsachengrundlage ausgeht, sich als widersprüchlich darstellt oder sonst grobe Mängel aufweist.277 Außerdem wurde eine solche Verpflichtung vereinzelt angenommen, wenn sich das zu begutachtende Beweisthema als besonders schwierig darstellt oder der Zweitgutachter überlegende Forschungsmittel anwenden kann.278 Diese Überprüfung des Gutachtens auf etwaige Mängel ist eine amtswegige 274 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 2007, S. 1294; BGH NJW-RR 2011, S. 704 f.; zustimmend Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 397, Rn. 8; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 411, Rn. 11. 275 Vgl. dazu bereits Ausführungen zum Fragerecht im Rahmen des Zeugenbeweises, oben I. 5. g. bb. und cc. 276 Vgl. bereits BGH NJW 1981, S. 2009, 2010; instruktiv auch BGH NJW 1999, S. 1778 f. und BGH NJW-RR 2011, S. 1459, 1460; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 412, Rn. 15 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 412, Rn. 24 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 412, Rn. 5 f. jeweils mwN. 277 Vgl. etwa BGH 1999, S. 1778 f. (falsche Tatsachengrundlage und grobe Mängel); BGH NJW 2001, S. 1787, 1788 (Widersprüchlichkeit) ausführlich auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 412, Rn. 9 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 412, Rn. 15 ff. jeweils mwN. 278 Vgl. BGH NJW 1999, S. 1778 f. (überlegene Forschungsmittel) und BGH NJW 1978, S. 751, 752 (besondere Schwierigkeit); ausführlich wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 412, Rn. 24 ff. mwN.
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Verpflichtung des erkennenden Gerichts. Etwaig festgestellte Mängel sind durch Befragung des Sachverständigen nach § 411 III ZPO und Anordnung einer Ergänzung des Gutachtens auszuräumen.279 Das Ermessen des § 412 I ZPO kann sich nur dann zu einer erneuten Begutachtung verdichten, wenn diese Befragung und Ergänzung des Erstgutachtens keinen Erfolg zeitigt und die Zweifel des Gerichts am Erstgutachten bestehen bleiben.280 Zweifel an einem Gutachten können auch durch die Parteien aufgeworfen werden – insbesondere unter Zuhilfenahme der gutachterlichen Einschätzung eines Privatgutachters.281 bb) Eigene Ansicht: § 412 I ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Das Recht auf Beweis im Grundgesetz gewährleistet grundsätzlich ein Recht der Prozessparteien auf eine weitere sachverständige Begutachtung iSd Einholung einer zweiten Meinung. Hintergrund dieser Gewährleistung ist zum einen die Komplexität und der Spezialisierungsgrad wissenschaftlicher Disziplinen in der heutigen Zeit, die zu den unterschiedlichsten Ansichten von anerkannten Experten zu ein und demselben Thema führen kann und zum anderen die typischerweise sehr hohe Bedeutung eines Sachverständigengutachtens für die Überzeugungsbildung eines Gerichts. Die Ermessensregel des § 412 I ZPO verdichtet sich nach Rechtsprechung und Literatur jedoch nur zu einem Recht auf erneute Begutachtung, wenn die beantragende Partei Widersprüche oder grobe Mängel im Erstgutachten aufzeigen kann.282 Diese weiteren Anforderungen der herrschenden Meinung stellen sich als eine Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dar. Diese Einschränkung findet ihre gesetzliche Grundlage in einer Auslegung des § 412 I ZPO und dient letztlich der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit als legitimen Ziel: Die Erstellung eines Fachgutachtens nimmt regelmäßig eine längere Zeit in Anspruch. Gutachter sind oftmals ausgelastet, insbesondere wenn hiernach mehrere verschiedene Gutachter zu einem speziellen Thema erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund erscheint die Aufstellung weiterer Voraussetzungen durch die herrschende Meinung durchaus als sachgerecht. Auf der anderen Seite gilt es zu bedenken, dass ein Gutachten großen Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts ausübt und somit auch für den effektiven Rechtsnachweis beider Prozess279 Instruktiv zur Verfahrensweise bei einem mangelhaften Gutachten etwa BGH NJW 2001, S. 1787, 1788 f. 280 Vgl. wiederum BGH NJW 2001, S. 1787, 1788 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 412, Rn. 12 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 412, Rn. 24 ff. jeweils mwN. 281 Instruktiv zur Bedeutung eines Privatgutachtens BGH NJW-RR 1998, S. 1527, 1528; ausführlich auch Meyer, Sachverständigenbeweis, S. 125 ff.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 412, Rn. 15 f. jeweils mwN. 282 Vgl. wiederum BGH 1999, S. 1778 f. (falsche Tatsachengrundlage und grobe Mängel); BGH NJW 2001, S. 1787, 1788 (Widersprüchlichkeit); ausführlich auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 412, Rn. 9 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 412, Rn. 15 ff. jeweils mwN.
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parteien von eminenter Bedeutung ist. Daher wird die durch das Erstgutachten benachteiligte Prozesspartei regelmäßig mithilfe eines eigenen Privatgutachtens eine Überprüfung des Erstgutachtens herbeiführen – zumal es einer Partei für eine eigene Überprüfung typischerweise an entsprechenden Fachwissen fehlt. Ein solches Privatgutachten bedarf nach der Rechtsprechung nun seinerseits einer gründlichen Beachtung durch das erkennende Gericht. Sollte dieses Privatgutachten etwaige Mängel aufzeigen, die sich nicht durch eine Befragung des Erstgutachters oder eine Gegenüberstellung beider Gutachter auflösen lassen, so bedarf es auch nach der herrschenden Meinung nach § 412 I ZPO zwingend einer weiteren Begutachtung.283 Im Ergebnis wird also auch nach herrschender Meinung regelmäßig ein weiteres Gutachten einzuholen sein – wenn auch mit dem „Zwischenschritt“ einer privaten Begutachtung. Problematisch an eben diesem „Zwischenschritt“ erscheint nach hier vertretener Auffassung, dass einem Privatgutachten aufgrund der Beauftragung und Bezahlung durch eine der Prozessparteien immer ein gewisser Zweifel anhaftet. Zudem kostet dieser auch die Erstellung eines Privatgutachtens nochmals weitere Zeit. Durch die obligatorische Zulassung einer weiteren Begutachtung ließe sich eben dieser „Zwischenschritt“ vermeiden. Ein gänzlich voraussetzungsloses Recht auf eine weitere Begutachtung könnte auf der anderen Seite zu einer Beantragung dieses Zweitgutachtens „auf gut Glück“ führen, was dem Ausgleich zwischen Recht auf Beweis und Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit gleichfalls nicht gerecht würde. Als Kompromiss bietet es sich daher nach hier vertretener Auffassung an, die Kriterien der herrschenden Meinung grundsätzlich zu übernehmen, an ihre Erfüllung jedoch keine hohen Anforderungen zu stellen. Es muss daher genügen, wenn eine Partei aus ihrer Laiensicht eventuelle Widersprüche und Unklarheiten aufdeckt oder durch eigene Recherche aufzeigt, dass alternative, wissenschaftliche Methoden diskutiert oder praktiziert werden.284 Zudem ist auch das erkennende Gericht verpflichtet, das Gutachten genau zu prüfen und die benachteiligte Partei bei ihrer Überprüfung nach Kräften zu unterstützten. Sollten nach einer Befragung des Gutachters auch nur Zweifel am Erstgutachten verbleiben, so folgt aus dem Recht auf Beweis eine Verdichtung des Ermessens nach § 412 I ZPO hin zu einem Recht der durch das Erstgutachten benachteiligten Partei auf Einholung eines Zweitgutachtens. cc) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Das Recht auf eine weitere, sachverständige Begutachtung stellt zugleich einen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grund283 Vgl. wiederum BGH NJW 2001, S. 1787, 1788 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 412, Rn. 15 ff. und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 412, Rn. 24 ff. jeweils mwN. 284 Vgl. zu diesen Kriterien für die h. M. etwa BGH NJW 1999, S. 1778 f. (überlegene Forschungsmittel) und BGH NJW 1978, S. 751, 752 (besondere Schwierigkeit).
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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rechtecharta dar. Daher lassen sich die soeben aufgezeigten Wertungen zum Recht auf Beweis im Grundgesetz grundsätzlich übertragen, wenngleich dem Gesetzgeber einmal mehr ein weiterer Gestaltungsspielraum zukommt. In Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis und dem Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit können daher die Voraussetzungen der herrschenden Meinung zur erneuten Begutachtung übernommen werden.285 Doch auch nach dem Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta dürfen an die zu weckenden Zweifel am Erstgutachten keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Sollten nach einer Befragung des Erstgutachters Zweifel verbleiben, so verpflichtet das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta gleichfalls zu einer zweiten Begutachtung in Auslegung des § 412 I ZPO. d) Die Gutachtenverweigerungsrechte aus § 408 I ZPO Abschließend sei noch das Recht des Gutachters auf Verweigerung der Gutachtenerstellung aus § 408 ZPO in den Blick genommen. § 408 I ZPO verweist hierbei auf die Zeugnisverweigerungsrechte des Zeugen aus den §§ 383, 384 ZPO, während § 408 II ZPO der Regelung über die Amtsverschwiegenheit in § 376 ZPO ähnelt. Aufgrund dieses Verweises orientieren sich die herrschende Meinung an den entsprechenden Auslegungen und Wertungen der §§ 376, 383, 384 ZPO und auch nach hier vertretener Auffassung kann grundsätzlich auf die obigen Ausführungen zurückgegriffen werden.286 Allerdings ergeben sich für den Sachverständigen im Gegensatz zum Zeugen zumindest gewisse Wertungsunterschiede: So gilt es in der Abwägung zu berücksichtigen, dass der Sachverständige – anders als ein Zeuge – die Begutachtung im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit durchführt und ob seiner grundsätzlichen Bereiterklärung zu einer gutachterlichen Tätigkeit vor Gericht nach hier vertretener Auffassung intensivere Duldungspflichten hat, als ein Zeuge.
III. Beweis durch Parteivernehmung Die Aussage der Prozessparteien selbst ist als eine weitere Erkenntnisquelle im Zivilprozess anzusehen. Zunächst soll der diesbezügliche, abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis herausgearbeitet werden, welcher sodann als Maßstab für die Überprüfung der ZPO zugrunde gelegt wird.
285
Vgl. einmal mehr zu diesen Kriterien BGH NJW 1999, S. 1778 f. (überlegene Forschungsmittel) und BGH NJW 1978, S. 751, 752 (besondere Schwierigkeit). 286 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 408, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 408, Rn. 1 ff. und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 408, Rn. 1 ff. jeweils mwN; ausführlich zum Zeugenbeweis oben I. 5. a.–f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Beweis durch Parteivernehmung Die Parteivernehmung hat in Rechtsprechung und Literatur zur EMRK eine gewisse Beachtung erfahren. Der EGMR hat sich in einer beachtenswerten Entscheidung zu den Modalitäten einer Parteivernehmung iSe Parteiaussage mit Beweiswert im Prozess geäußert: a) Grundsatz: Kein Anhörungsrecht der Parteien Als Grundsatz wurde durch den EGMR ausgesprochen, dass die Prozessparteien kein Recht innehaben, in eigener Sache als Zeuge gehört zu werden.287 Somit könnten die Parteien vor Gericht lediglich Aussagen als Partei treffen. Diesen Aussagen würde jedoch keinerlei Beweiswert zukommen, vielmehr wären sie ihrerseits beweisbedürftig. b) Ausnahme: Die Sicherstellung der prozessualen Waffengleichheit Dieser Grundsatz wird jedoch von Seiten des EGMR nicht als absolut angesehen: Vielmehr wurde an den EGMR ein Fall herangetragen, dessen Ausgang entscheidend von der Feststellung des Inhaltes eines Vier-Augen-Gespräches abhing: In diesem Fall waren zu den Verhandlungen über einen neuen Kreditvertrag lediglich ein leitender Angestellter der beklagten Bank und ein Gesellschafter der klagenden Gesellschaft anwesend. Der Ausgang der Verhandlungen war zwischen den Parteien streitig, so dass die Bank ihren Mitarbeiter als Zeugen benannt hat und dieser auch antragsgemäß vernommen wurde. Der Gesellschaft war dieser Schritt indes verwehrt. Ihr Antrag auf Einvernahme des Gesellschafters wurde vielmehr unter Hinweis darauf abgelehnt, dass der benannte Gesellschafter selbst Partei sei.288 In diesem Fall hat der EGMR die Ungleichbehandlung der beiden Prozessparteien allein aufgrund des Status ihrer jeweils an den Verhandlungen beteiligten Vertretern als Verstoß gegen den Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit angesehen.289 Wenn man diesen Gedanken nun abstrahiert, so könnte man festhalten: Die Parteien des Zivilprozesses haben ein Recht auf die Erhebung des Beweismittels der Parteivernehmung, wenn kein anderes Beweismittel zur Verfügung steht und die Partei den Prozess andernfalls zwingend verlieren würde. Somit würde die Parteivernehmung in der EMRK hiernach als ein subsidiäres Beweismittel gewährleistet. 287
In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 06.03.1964, 1092/61, X ./. GER; ähnlich auch Frowein/ Peukert-Peukert, EMRK, Art. 6 Rn. 165 f. jeweils mwN. 288 Diese Konstellation lag EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. N, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff. zugrunde; ähnlich auch der Fall einer verweigerten Vernehmung der Ehefrau einer Partei bei gleichzeitiger Vernehmung von Zeugen der Gegenpartei EGMR, Urteil vom 23.10.1996, 17748/91, Ankerl ./. CH, Rn. 35 ff. 289 So EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. N, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.
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2. Die Gewährleistungen der GRC zum Beweis durch Parteivernehmung Die Parteivernehmung als Beweismittel fristet in der Rechtsprechung des EuGH ein Schattendasein, so dass auf die Rechtsprechung des EGMR zurückgegriffen werden muss: a) Grundsatz: Kein Anhörungsrecht der Parteien Hiernach hat der EGMR den Grundsatz entwickelt, dass eine Partei nach der EMRK kein Recht gewährt wird, Zeuge in eigener Sache zu sein.290 Diese Sichtweise würde nach Art. 52 III S. 1 GRC grundsätzlich auch für die Grundrechtecharta Geltung beanspruchen. b) Ausnahme: Die Sicherstellung der prozessualen Waffengleichheit Dieser Gleichlauf nach Art. 52 III S. 1 GRC würde in der Folge jedoch auch für die durch den EGMR zugelassene Ausnahme eines subsidiären Rechts auf Parteivernehmung aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit im Einzelfall gelten.291 c) Abweichungsmöglichkeit nach Art. 52 III S. 2 GRC Im Anschluss stellt sich jedoch die Frage, ob der EuGH an diese Sichtweise des EGMR im Hinblick auf Art. 52 III S. 2 GRC zwingend gebunden wäre: Die Zulassung der Parteivernehmung würde einer Prozesspartei ein weiteres Beweismittel an die Hand geben. Diese Zulassung der Parteivernehmung betrifft grundsätzlich allein das Verhältnis zwischen der beantragenden Partei und dem erkennenden Gericht. Eine Prozesspartei wird durch die Zulassung der Beweiserhebung ihrer Gegenpartei gerade nicht in ihrem Recht auf Beweis verletzt.292 Daher handelt es sich bei der Frage einer Zulassung der Parteivernehmung dem Grunde nach um ein 2-PersonenVerhältnis, innerhalb dessen der EuGH frei wäre, die Parteivernehmung iSe höheren Schutzniveaus nach Art. 52 III S. 2 GRC ohne die Einschränkung ihrer Subsidiarität zu gewährleisten. Einzige Schranke könnte – je nach Parteiaussage – eine Beeinträchtigung der (Persönlichkeits-) Rechte der Gegenpartei oder eines Dritten sein, so dass sich eine 3-Personen-Konstellation ergeben würde, die einer Anwendbarkeit des Art. 52 III S. 2 GRC entgegenstünde.
290
Vgl. wiederum EGMR, Urteil vom 06.03.1964, 1092/61, X ./. GER. Vgl. EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. N, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff. 292 Ausführlich zu diesem Grundsatz § 6 II. 4. 291
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
3. Die Gewährleistungen des GG zum Beweis durch Parteivernehmung Die Parteivernehmung hat in Rechtsprechung und Literatur zum Grundgesetz eine gewisse Beachtung erfahren – insbesondere im Anschluss an die Rechtsprechung des EGMR. a) Das Recht der Prozessparteien auf eine Parteivernehmung Die verfassungsrechtliche Debatte konzentrierte sich vor dem Hintergrund der hohen Zulassungsvoraussetzungen dieses Beweismittels in der ZPO auf die Frage nach einem Recht der Prozessparteien auf Durchführung einer Parteivernehmung als solchem.293 aa) H.M.: Verfassungskonformität der Parteivernehmung in der ZPO Das Rechtsprechung sieht in der Parteivernehmung eines der fünf Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO, so dass die allgemeinen Regelungen über die Beweiserhebung im Grundgesetz Anwendung finden.294 Somit folgt aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO ein Recht der Prozessparteien auf eine Parteivernehmung.295 Allerdings verstößt die Nichterhebung eines Beweismittels nach allgemeinen Regeln nur gegen Art. 103 I GG, sofern sie im Prozessrecht keine Stützte findet.296 Die Pateivernehmung hat indes in der ZPO eine ganze Reihe von strengen Voraussetzungen und Restriktionen erfahren. Diese Voraussetzungen einer Parteivernehmung werden von der Rechtsprechung unter Zustimmung von Teilen der Literatur als verfassungskonform angesehen, so dass in diesem Umfang die Ablehnung einer Parteivernehmung im Hinblick auf Art. 103 I GG zulässig wäre.297 bb) Sonderfall: Konstellationen eines sog. Vier-Augen-Gespräches Ausnahmen von diesem Grundsatz ergeben sich nach der eben dargestellten Auffassung in der Konstellation eines sog. Vier-Augen-Gespräches: Dieser Begriff beschreibt die Fallgestaltung eines Gespräches zwischen zwei Personen, in dessen 293 Den bisherigen Verlauf der Diskussion zusammenfassend etwa Foerste, GS-Schindhelm, S. 227 ff. mwN. 294 Ausführlich zur Parteivernehmung und insbesondere dem Spezialfall eines Vier-Augen-Gespräches BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f. jeweils mwN. 295 Explizit in diesem Sinne BGH IBR 2015, S. 462; eine etwas andere Formulierung wählen BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f. jeweils mwN. 296 In diesem Sinne für die Parteivernehmung BGH IBR 2015, S. 462. 297 Allgemein für die Verfassungskonformität der geltenden Regelungen BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f.; explizit unter Verweis auf die Grenzen des Art. 103 I GG BGH IBR 2015, S. 462; zustimmend Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 445 Rn. 4 ff. und § 448, Rn. 8; Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 327 f.; Foerste, GS-Schindhelm, S. 228, 237 ff.; ähnlich Lange, NJW 2002, S. 476, 481 f.
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Verlauf entscheidungserhebliche Tatsachen besprochen oder vereinbart wurden und dessen Inhalt sodann zwischen den Prozessparteien streitig ist und allein durch Vernehmung dieser beiden Personen nachgewiesen werden kann. Die Besonderheit dieser Konstellation besteht darin, dass die beiden Gesprächspartner sich in ihrer prozessualen Stellung unterscheiden und daher auch in ihrer Zulassung als Beweismittel differieren können: Handelt es sich bei dem einen Gesprächspartner um einen Angestellten, so kann er im Prozess als Zeuge vernommen werden, während der Geschäftsführer einer juristischen Person im Prozess Partei ist und somit den strengeren Zulassungsvoraussetzungen der Parteivernehmung unterliegen würde.298 Aufgrund der formal unterschiedlichen Einteilung der Personen durch das Prozessrecht würde dementsprechend von beiden Gesprächspartnern trotz gleichberechtigter Gesprächsführung regelmäßig nur eine Person im Prozess als Beweismittel zugelassen.299 In dieser Konstellation hat der EGMR aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit das Recht auf eine Verwertung der Aussage beider Gesprächspartner im Prozess hergeleitet.300 Der BGH hat seine Rechtsprechung aufgrund dieser Vorgaben der EMRK dahingehend angepasst, dass in diesen Konstellationen eine Anhörung der benachteiligten Prozesspartei von Amts wegen nach § 141 ZPO durchzuführen ist.301 Diese Anhörung kann als Teil der mündlichen Verhandlung in die Würdigung des „gesamten Inhaltes der Verhandlung“ nach § 286 I S. 1 ZPO einbezogen werden bzw. zur Erlangung der Anfangswahrscheinlichkeit iSd § 448 ZPO dienen, um die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung von Amts wegen zu schaffen.302 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Rechtsprechung als mit dem Grundgesetz vereinbar gebilligt.303 Die Rechtsprechung greift in diesen Konstellationen gleichermaßen auf das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG und das Recht auf effektiven Rechtsschutz zurück, um das Recht einer Prozesspartei auf Verwertung ihrer Parteiaussage zu begründen.304 Das Recht auf Verwertung ihrer Aussage steht der benachteiligten Prozesspartei mithin aufgrund ihrer Beweisnot unabhängig von einem durch den 298 Instruktiv zur Konstellation eines Vier-Augen-Gesprächs und etwaigen Abgrenzungen BGH NJW-RR 2006, S. 61, 63; zur Fallgestaltung eines Sechs-Augen-Gespräches siehe BGH NJW 2013, S. 2601 f.; ausführlich auch BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f. jeweils mwN. 299 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 2006, S. 61, 63; BGH NJW 2013, S. 2601 f. jeweils mwN. 300 In diesem Sinne EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, Dombo Beheer B.V. ./. NL, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff. 301 Vgl. BGH NJW 1999, S. 363, 364 im Anschluss an und unter Verweis auf die Entscheidung des EGMR; bestätigt von BGH NJW 2003, S. 3636. 302 In diesem Sinne bereits BGH NJW-RR 1990, S. 1061, 1063; sodann diese Rechtsprechung auf die Entscheidung des EGMR beziehend BGH NJW 1999, S. 363, 364; ebenso BGH NJW 2003, S. 3636. 303 Explizit zu dieser Rechtsprechung BVerfG NJW 2001, S. 2531 f.; ebenso auch BVerfG NJW 2008, S. 2170 f. 304 Vgl. wiederum BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit geforderten Vergleich zur gegnerischen Prozesspartei zu.305 In der Literatur wird diese Rechtsprechung regelmäßig im Hinblick auf die Verwischung der Grenzen zwischen den Instituten der Parteianhörung nach § 141 ZPO und der Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO kritisiert und nur im Ergebnis mit Zustimmung bedacht.306 cc) H.L.: Unvereinbarkeit der Restriktionen einer Parteivernehmung mit dem GG Im Schrifttum werden überwiegend weitergehende Anforderungen des Grundgesetzes an die Parteivernehmung vertreten.307 Die Prozessparteien sind hiernach als sachnächste Personen des streitigen Sachverhaltes eine wesentliche Erkenntnisquelle und daher zur Herbeiführung einer Parteivernehmung berechtigt.308 Dogmatisch wird für die Herleitung dieses Recht auf eine Parteivernehmung regelmäßig Art. 103 I GG herangezogen309, teils auch explizit auf ein Recht auf Beweis der Prozessparteien rekurriert.310 Die einfach-rechtlichen Voraussetzungen und Restriktionen der Parteivernehmung durch die ZPO werden hiernach als Einschränkungen des Art. 103 I GG bzw. des Rechts auf Beweis angesehen, deren Rechtfertigung regelmäßig sehr kritisch betrachtet oder sogar abgelehnt wird.311 b) Das Fragerecht der Prozessparteien Ein Fragerecht der gegnerischen Prozesspartei bzw. des Prozessvertreters der vernommenen Partei steht nicht im Mittelpunkt der Diskussion zur Parteivernehmung und wird doch überwiegend als ein selbstverständlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf rechtliches Gehör iSd Art. 103 I GG im Zusammenhang mit der Partei305
So verzichtet BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. ausdrücklich auf eine Prüfung der prozessualen Waffengleichheit mangels weitergehender Erfolgsaussicht gegenüber Art. 103 I GG und dem Recht auf effektiven Rechtsschutz; hierauf verweisend auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff. 306 Ausführlich zur dogmatischen Kritik bereits Polyzogopoulos, Parteianhörung, S. 118 ff.; kritisch auch Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 141, Rn. 3 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff. jeweils mwN. 307 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 466 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 291 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 314 ff.; Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2138 jeweils mwN; aus rechtsvergleichender Sicht instruktiv Stürner, FS-Ishikawa, S. 529 ff. 308 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 320 ff. jeweils mwN. 309 So insbesondere Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 468 ff. 310 So ausdrücklich Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 30 f. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 320 ff. jeweils mwN. 311 Zur Kritik siehe wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 314 ff.; und Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2138 jeweils mwN.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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vernehmung angesehen.312 In diesem Sinne läuft das Fragerecht der Parteien im Rahmen einer Parteivernehmung parallel zu den entsprechenden Fragerechten im Rahmen von Zeugen- und Sachverständigenbeweis.313
4. Eigene Ansicht: Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zum Beweis durch Parteivernehmung Im Anschluss an diese Darstellung von Rechtsprechung und Literatur zu den grundrechtlichen Gewährleistungen der Parteivernehmung soll die Herausarbeitung einer eigenen Ansicht zu den Gewährleistungsgehalten des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta in Bezug auf die Parteivernehmung erfolgen. a) Orientierung am Prozesszweck: Parteivernehmung als Mittel der aktiven Teilnahme einer Partei am Beweisverfahren Ausgehend vom Prozesszweck der Rechtsdurchsetzung mittels effektivem Rechtsnachweis im Prozess stellt die Parteivernehmung insofern ein ambivalentes Beweismittel dar, als dieser Rechtsnachweis im hier gedachten Ideal mit der Wahrheitsfindung im Prozess einhergehen soll. Es wird allgemein und richtigerweise auf das Paradoxon der Parteivernehmung dahingehend hingewiesen, dass eine Partei ihre Behauptungen mittels ihrer eigenen Aussage nachweisen soll.314 Andererseits handelt es sich bei den Parteien ebenso typischerweise um die sachnächsten Personen, die über den streitigen Sachverhalt bestmöglich Auskunft geben und damit grundsätzlich einen wesentlichen Beitrag zur Wahrheitsfindung im Prozess leisten können. Die mündliche Befragung einer Partei kann weitere Details enthüllen, die in Schriftsätzen nicht genannt werden, Aussagen bekräftigen, aber auch Widersprüche aufdecken. Für den Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis ist jedoch entscheidend, dass die Vernehmung der Parteien überhaupt einen Beitrag zur Wahrheitsfindung und zum Rechtsnachweis im Prozess leisten kann. Eben dieser Beitrag der Parteivernehmung ist dem Grunde nach wohl nicht zu bezweifeln.315 Zwar dient 312 So spricht Prütting/Gehrlein-Müller-Christian, ZPO, § 451, Rn. 1 von einer „selbstverständlichen“ Anwendung; inhaltlich ähnlich, unter Verweis auf die entsprechenden Ausführungen zum Zeugenbeweis etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 451, Rn. 5 und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 451, Rn. 5 f. 313 Siehe zu diesen Fragerechten I. 3. b. und II. 3. c. mwN aus Rechtsprechung und Literatur. 314 Vgl. etwa Musielak/Stadler, Grundfragen, Rn. 155 mwN und Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, Rn. 1498; siehe aber auf der anderen Seite Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 123, Rn. 2 ff.; diese Dialektik der Parteivernehmung stellt MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 1 sehr schön und mwN dar. 315 Die Bedeutung der Parteivernehmung für die Wahrheitsfindung betonend etwa Rosenberg/ Schwab/Gottwald, ZPR, § 123, Rn. 2; instruktiv auch BGH NJW 1960, S. 1950, 1951 und Gehr lein, ZZP 110 (1997), S. 451, 470 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
die Parteivernehmung der Wahrheitsfindung nur, wenn keine unbewusste oder auch vorsätzliche Falschaussage vorliegt, doch dieses Problem eines Fehlers oder einer Täuschung haftet letztlich jedem Beweismittel an. Der Unterschied zwischen Parteivernehmung und den übrigen Beweismitteln liegt allein in der – ob des Eigeninteresses der Parteien – potentiell höheren Wahrscheinlichkeit für einen solchen Fehler. Aus diesem naturgemäß bestehenden Konflikt der aussagenden Partei lässt sich jedoch nach hier vertretener Auffassung gerade nicht auf eine gänzliche Ungeeignetheit der Parteivernehmung als Beweismittel iSe naturwissenschaftlich belegbaren Fehlens eines Beweiswertes schließen.316 Vielmehr sind die Besonderheiten der Parteivernehmung nach allgemeinen Regeln im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen. Zudem gilt es zu bedenken, dass das Recht auf Beweis als subjektives Recht der Parteien letztlich in erster Linie den effektiven Rechtsnachweis zum Ziel hat. In diesem Zusammenhang ermöglicht die Parteivernehmung den Prozessparteien eine aktive Teilnahme an einem Beweisverfahren und das Einbringen der eigenen Kenntnisse zum streitigen Sachverhalt mit Beweiswert. Daher dient das Beweismittel der Parteivernehmung in hohem Maße einem effektiven Rechtsnachweis im Prozess. Zugleich wird das Idealbild eines Zusammenfallens von Rechtsnachweis und Wahrheitserforschung durch die Anerkennung von Gewährleistungen zur Parteivernehmung nach hier vertretener Auffassung nicht per se beeinträchtigt. Allerdings zeigt sich zugleich, dass aus dem Recht auf Beweis der jeweils anderen Prozesspartei bestimmte Sicherungen für die Überprüfung einer Parteiaussage und die Beweisführung der jeweiligen Gegenpartei folgen müssen. b) Das Recht der Prozessparteien auf eine Parteivernehmung Zentraler Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta ist hiernach das Recht auf Erhebung des Beweismittels der Parteivernehmung iSe Parteiaussage mit Beweiskraft im Zivilprozess. aa) Das Recht auf Einvernahme jeder beteiligten Parteien Die Parteivernehmung stellt nach hier vertretener Ansicht eine legitime Erkenntnisquelle im Zivilprozess dar. Die Prozessparteien haben daher nach allgemeinen Grundsätzen das Recht auf Erhebung dieses Beweismittels zum Zwecke ihres Rechtsnachweises. In diesem Zusammenhang kann die Aussage jeder der beiden Parteien für sich genommen als Beweismittel dem Rechtsnachweis jeder der beiden Parteien dienen. In der zivilprozessualen Literatur wird zudem richtigerweise darauf hingewiesen, dass gerade die Vernehmung beider Parteien im Kontrast zueinander
316
Zu diesem Kriterium einer immanenten Grenze des Rechts auf Beweis siehe § 6 IV. 4.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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in erheblichem Maße zur Wahrheitserforschung im Prozess beitragen kann.317 Das Recht auf Beweis gewährleistet daher das Recht einer Prozesspartei auf eine eigene Vernehmung, wie auch eine Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei. Eine irgendwie geartete Subsidiarität der Parteivernehmung wohnt diesem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis demgegenüber in keiner der drei untersuchten Grundrechtsordnungen inne. Die Zurückhaltung der ZPO gegenüber dem Beweismittel der Parteivernehmung lässt sich vielmehr historisch erklären.318 Die ZPO normierte in ihrer ursprünglichen Fassung als Relikt des gemeinen Rechts den Parteieid, der die formale Feststellung von Tatsachen ohne Rücksicht auf andere Beweismittel oder eine entsprechende Würdigung des erkennenden Gerichts ermöglichte. Dieses Beweismittel wurde bereits bei Schaffung der ZPO kritisch hinterfragt und als Konsequenz dieser Kritik an strenge Zulassungsvoraussetzungen gebunden.319 Dieser Parteieid wurde im Rahmen einer späteren Reform durch die Parteivernehmung ersetzt. Diese Parteivernehmung unterlag den gleichen, strengen Zulassungsvoraussetzungen des früheren Parteieides, obgleich die Parteivernehmung nach § 453 I ZPO ausdrücklich der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO unterstellt wurde, so dass die Begründung für diese Zulassungsvoraussetzungen mithin entfallen war.320 Die Subsidiarität der Parteivernehmung ist ein Resultat dieser gesetzgeberischen Entwicklung. Als solches kann sie jedoch keineswegs einen irgendwie gearteten Verfassungsrang beanspruchen. Ähnliches lässt sich für die zurückhaltende Rechtsprechung des EGMR und dem diesbezüglich aufgestellten Grundsatz konstatieren, eine Partei habe kein Recht „als Zeuge in eigener Sache gehört zu werden“.321 Diese Sichtweise trifft insofern nicht den entscheidenden Punkt, als die Tatsache, dass eine Aussage von einer Partei getroffen wird, auch nach dem Recht auf Beweis zwingend in die gerichtliche Beweiswürdigung einzubeziehen ist. Eine Partei wird daher gerade nicht dem Zeugen gleichgestellt. Vielmehr schließt das Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht allein die antizipierte Würdigung einer Parteivernehmung und die daraus hergeleitete Subsidiarität dieses Beweismittels aus. Das Recht auf Beweis stellt sich nach 317 In diesem Sinne Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPR, § 123, Rn. 21 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 448, Rn. 5; aus der Praxis Lange, NJW 2002, S. 476, 478 ff. 318 Ausführlich zur Historie von Parteieid und Parteivernehmung seit dem Altertum, Münks, Parteieid, S. 49 ff. mwN; siehe auch die Darstellung im historischen Teil dieser Arbeit in § 2. 319 Ausführlich Münks, Parteieid, S. 130 ff. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 301 ff.; zusammenfassend auch Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2136 ff. und Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 270 ff. jeweils mwN. 320 Vgl. wiederum Münks, Parteieid, S. 130 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 301 f.; Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2136 ff. und Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 270 ff. jeweils mwN. 321 Im Sinne dieses Grundsatzes insbesondere EGMR, Urteil vom 06.03.1964, 1092/61, X ./. GER.; vgl. wiederum auch EGMR, Urteil vom 27.10.1993, 14448/88, DomboBeheer B.V. ./. N, Rn. 31 ff. = NJW 1995, S. 1413 ff.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen als ein Recht auf effektiven Nachweis eigener Recht mit allen zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen dar. Das Einbringen der eigenen Kenntnisse einer Partei mit Beweiswert ist als eine ebensolche Erkenntnisquelle anzusehen und darf daher nach dem Recht auf Beweis nicht von vornherein mittels antizipierter Würdigung ihres Beweiswertes als subsidiär betrachtet werden. Demgegenüber muss der Umstand, dass eine Aussage von einer Prozesspartei getätigt wird, auch nach dem Recht auf Beweis in die gerichtliche Beweiswürdigung mit einfließen.322 bb) Weigerungsrechte aufgrund überwiegender Gegenrechte Die eigene Vernehmung kann eine Prozesspartei durch ihren eigenen Willensentschluss herbeiführen. Die Vernehmung der gegnerischen Partei kann demgegenüber ausnahmsweise verweigert werden, wenn überwiegende Gegenrechte für eine solche Verweigerung streiten. Allerdings kommen einer Prozesspartei grundsätzlich hohe Duldungspflichten zu. Wenn also ein Zeuge als prozessfremder Dritter seine Aussage nach den bisherigen Feststellungen nur ausnahmsweise verweigern darf, so muss dies umso mehr für die Parteien des Zivilprozesses selbst gelten. Daher kommt ein Überwiegen der Gegenrechte gegenüber dem Recht auf eine Parteivernehmung nach hier vertretener Ansicht nur ganz ausnahmsweise in Betracht. c) Das Fragerecht einer Partei bei Vernehmung der jeweils anderen Partei Einen weiteren wesentlichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zur Parteivernehmung stellt das Fragerecht der Prozessparteien dar. Im Rahmen der Parteivernehmung kommt der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage besondere Bedeutung zu. Das Fragerecht ermöglicht es den Prozessparteien mithilfe ihres Wissens über den Sachverhalt entsprechende Fragen zu stellen, um insbesondere bei der Befragung der gegnerischen Prozesspartei Widersprüche und Unklarheiten aufzudecken. Das Fragerecht stellt sich daher als ein wesentliches Instrument der Glaubwürdigkeitsprüfung und als Korrektiv einer umfassenden Zulassung der Parteivernehmung insgesamt dar. Diese aktive Teilhabe an der Beweisaufnahme durch das Fragerecht ist für die Parteien im Rahmen der Parteivernehmung mithin von besonderer Bedeutung. d) Die Verpflichtung zur Wortlautdokumentation auf Antrag Abschließend gewährleistet das Recht auf Beweis eine Wortlautdokumentation von Aussagen der Parteien im Rahmen einer Parteivernehmung auf Antrag. Die Bedeutung einer Wortlautdokumentation für eine sachgerechte und kritische Würdigung der Glaubwürdigkeit einer Aussage wurde bereits für den Zeugenbeweis herausge322
Siehe zum diesbezüglichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis § 7 VI. 4.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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arbeitet.323 Dieser kritischen Prüfung der Glaubwürdigkeit einer Aussage kommt für die Parteivernehmung eine umso größere Bedeutung zu. Daher erfordert eine effektive Nachweismöglichkeit eigener Rechte im Rahmen der Parteivernehmung umso mehr ein solches Wortlautprotokoll. Mithin gewährleistet das Recht auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz nach hier vertretener Ansicht das Recht auf eine Wortlautdokumentation auf Antrag einer Prozesspartei.
5. Die Ausgestaltung des Beweises durch Parteivernehmung in der ZPO Diese abstrakten Gewährleistungsgehalte des Rechts auf Beweis zur Parteivernehmung sollen nunmehr als Maßstab für die Überprüfung der einfach-rechtlichen Regelungen der Parteivernehmung in der ZPO dienen. Die Regelungen der ZPO weisen eine ganze Reihe an Voraussetzungen für eine eigene Vernehmung einer Partei, wie auch eine Vernehmung der gegnerischen Partei auf. Daher steht nachfolgend ausnahmsweise das Recht auf eine Parteivernehmung als solches im Vordergrund der Überprüfung. a) Das Recht einer Prozesspartei auf Befragung der gegnerischen Prozesspartei Im ersten Schritt soll die einfach-rechtliche Ausgestaltung des Rechts der Prozessparteien auf Vernehmung der jeweils anderen Partei in den Blick genommen werden. aa) Die §§ 445, 448 ZPO in der Rechtsprechung Die Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei auf Antrag einer Partei hat in § 445 ZPO ihre gesetzliche Normierung erfahren. Darüber hinaus erlaubt es § 448 ZPO dem erkennenden Gericht, eine Vernehmung jeder Prozesspartei von Amts wegen anzuordnen. Ausgangspunkt im Rahmen der Untersuchung des Rechts auf Beweis soll jedoch die Parteivernehmung auf Initiative der Prozessparteien nach § 445 ZPO sein: Seinem Wortlaut nach enthält § 445 ZPO eine ganze Reihe an Voraussetzungen für die Zulassung einer beantragten Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei. Ein solcher Antrag muss nach § 445 I ZPO zwingend durch diejenige Partei gestellt werden, welche die Beweislast für die mittels Parteivernehmung zu beweisende Tatsache trägt.324 Weiterhin ist eine Parteivernehmung nach § 445 I ZPO nur zulässig, wenn im Vorfeld alle anderen verfügbaren Beweismittel erhoben worden sind und 323 Ausführlich wiederum Bender/Treuer/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, S. 269 ff.; für eine entsprechende Gewährleistung der Wortlautdokumentation für den Zeugenbeweis Lübke, Dokumentation des Zeugenbeweises, S. 154 ff. und insbesondere S. 201 f. jeweils mwN und oben I. 4. e. 324 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 445, Rn. 7 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 8 f.; implizit auch BGH NJW 1999, S. 363, 364 durch den expliziten Hinweis auf die Irrelevanz
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
keine Überzeugung des Gerichts herbeiführen konnten.325 Das Beweismittel der Parteivernehmung stellt sich nach § 445 I ZPO mithin als subsidiär gegenüber allen anderen Beweismitteln dar.326 Eine wesentliche Einschränkung des Anwendungsbereiches der Parteivernehmung normiert außerdem § 445 II ZPO für solche Tatsachen, deren Gegenteil das Gericht als erwiesen erachtet: § 445 II ZPO enthält einen gesetzlich angeordneten Fall einer vorweggenommenen Beweiswürdigung dahingehend, dass die Führung des Gegenbeweises mit der Parteivernehmung ausgeschlossen sein soll.327 Telos des § 445 II ZPO ist die Auflösung eines Interessenkonfliktes: Die Befragung der gegnerischen Partei zur Führung des Gegenbeweises würde dazu führen, dass die befragte Partei ggf. gezwungen wäre, aufgrund der Wahrheitspflicht im Rahmen ihrer Aussage eine bereits erlangte, für sie günstige Prozesslage durch eine wahrheitsgemäße Aussage wieder zu gefährden.328 Dieser Interessenkonflikt zwischen Prozessgewinn und Wahrheitspflicht soll der Partei durch § 445 II ZPO erspart werden.329 Die Voraussetzungen der Parteivernehmung auf Antrag nach § 445 I und II ZPO sind nach Rechtsprechung und Teilen der Literatur mit dem Grundgesetz vereinbar.330 Die Anordnung einer Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei ist außerdem über § 448 ZPO von Amts wegen denkbar, unterliegt jedoch ihrerseits einer Reihe von Voraussetzungen: Eine Parteivernehmung kommt auch nach § 448 nur subsidiär in Betracht, wenn das Gericht sich aufgrund der bisherigen Ergebnisse von Verhandlung und Beweisaufnahme keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache bilden konnte.331 Außerdem setzt die Anordnung einer Parteivernehder Beweislast im Rahmen des § 448 ZPO; kritisch gegenüber dieser Verknüpfung von Parteivernehmung und Beweislast Nagel, FS-Habscheid, S. 195, 196 ff. 325 Vgl. etwa BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; siehe auch Wieczorek/Schütze-VölzmannStickelbrock, ZPO VI, § 445, Rn. 4 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 6 f. jeweils mwN. 326 Ausdrücklich in diesem Sinne BGH NJW 2012, S. 2427, 2431; zustimmend Wieczorek/ Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 445, Rn. 4 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 6 f.; jeweils mwN. 327 Instruktiv BGH IBR 2015, S. 462; Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 445, Rn. 21 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 10; Prütting/Gehrlein-Müller-Christian, ZPO, § 445, Rn. 7 jeweils mwN. 328 In diesem Sinne äußern sich Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 445, Rn. 22 und Prütting/Gehrlein-Müller-Christian, ZPO, § 445, Rn. 7 jeweils mwN. 329 So wiederum Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 445, Rn. 22 und Prütting/Gehrlein-Müller-Christian, ZPO, § 445, Rn. 7 jeweils mwN. 330 Vgl. allgemein BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f.; explizit unter Verweis auf die Grenzen des Art. 103 I GG BGH IBR 2015, S. 462; zustimmend auch Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 445 Rn. 4 ff. und § 448, Rn. 8; Walter, ZZP 96 (1983), S. 306, 327 f.; Lange, NJW 2002, S. 476, 481 f.; Foerste, GS-Schindhelm, S. 228, 237 ff. jeweils mwN. 331 Vgl. etwa BGH NJW 1997, S. 1988; ebenso Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 5; Prütting/Gehrlein-Müller-Christian, ZPO, § 448, Rn. 2; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 448, Rn. 2 jeweils mwN.
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mung nach § 448 ZPO eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit für die mittels Parteivernehmung zu beweisende Tatsache voraus.332 Die Behauptungen der Prozessparteien dürfen sich daher nicht gänzlich beweislos gegenüber stehen.333 Als weitere Voraussetzung darf eine Parteivernehmung nach Rechtsprechung und Literatur im Rahmen des § 448 ZPO nur angeordnet werden, wenn sich das Gericht prognostisch einen Überzeugungswert von der Aussage der Partei verspricht, der über die allgemeine Geeignetheit eines Beweismittels hinausgeht.334 Die Beurteilung dieser Voraussetzungen steht nach § 448 ZPO im pflichtgemäßen Ermessen des erkennenden Gerichts – gleiches gilt für die Anordnung einer Parteivernehmung von Amts wegen als solche.335 Anträgen auf Vernehmung der gegnerischen Partei haben im Rahmen des § 448 ZPO demgegenüber lediglich die Wirkung einer Anregung.336 Besonderheiten gelten jedoch auch nach Rechtsprechung und Literatur für die Konstellation eines Vier-Augen Gespräches: Der BGH fordert in diesen Fallgestaltungen die Verwertung der Aussage einer benachteiligten Partei – wahlweise durch eine Parteianhörung nach § 141 ZPO oder die Anordnung einer Parteivernehmung nach § 448 ZPO.337 Die Aussagen im Rahmen einer Parteianhörung nach § 141 ZPO unterfallen der Würdigung des gesamten Inhaltes der Verhandlung iSd § 286 I S. 1 ZPO.338 Zudem können diese Aussagen als Anhaltspunkt für die Annahme einer Anfangswahrscheinlichkeit iSd § 448 ZPO ansehen werden, wobei der BGH 332 Ausführlich
BGH NJW 1989, S. 3222, 3223; instruktiv auch BGH NJW 1999, S. 363, 364; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 8 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 3; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 448, Rn. 3; Lange, NJW 2002, S. 476, 481 f. jeweils mwN. 333 Vgl. BGH NJW 1999, S. 363, 364; in diesem Sinne auch Habscheid, ZZP 96 (1983), S. 306, 327 f.; Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 8 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 3. 334 Vgl. BGH WM 1968, S. 406, 407; zustimmend Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 16 f.; in diese Richtung gehend auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 11 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 4; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 448, Rn. 3 jeweils mwN. 335 Vgl. wiederum BGH NJW 1999, S. 363, 364; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 13 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 445, Rn. 3 jeweils mwN; aA demgegenüber Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 18 ff. 336 In diese Richtung BGH NJW 1999, S. 363, 364; ausdrücklich auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 13. 337 Instruktiv BGH NJW 1999, S. 363, 364; zusammenfassend BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BGH NJW 2003, S. 3636; aus der Literatur ausführlich Schöpflin, NJW 1996, S. 2134 ff. und in jüngster Zeit zusammenfassend Foerste, GS-Schindhelm, S. 227 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 448, Rn. 22 ff.; Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 27 ff. jeweils mwN. 338 In diesem Sinne BGH NJW 1999, S. 363, 364 und BGH NJW 2003, S. 3636; zustimmend BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f.; ausführlich Foerste, GS-Schindhelm, S. 227 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 22 ff.; Wieczorek/Schütze-VölzmannStickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 27 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
betont, dass die Beweisnot der Partei alleine keine geringeren Anforderungen an die Anfangswahrscheinlichkeit rechtfertigt.339 Allerdings kann sich das gerichtliche Ermessen bei Vorliegen dieser Anfangswahrscheinlichkeit im Falle eines VierAugen-Gespräches auf null reduzieren und eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO zwingend geboten sein.340 Dieser Lösungsansatz wurde durch das Bundesverfassungsgericht gebilligt und hat auch in Teilen der Literatur Unterstützung gefunden.341 Regelmäßig wird indes die Entwicklung des § 141 ZPO hin zu einem Beweismittel mit Blick auf das Verschwimmen der Grenzen zwischen der Parteianhörung nach § 141 ZPO und der Parteivernehmung nach §§ 445 ff. ZPO in der Literatur kritisiert.342 Welche Partei im Rahmen des § 448 ZPO zu vernehmen ist, liegt im pflichtgemäßen Ermessen des erkennenden Gerichts und soll sich unter Anderem nach dem vermuteten, jeweiligen Kenntnisstand der Parteien wie auch der Beurteilung ihrer persönlichen Glaubwürdigkeit anhand aller Umstände des Einzelfalles richten.343 bb) Die §§ 445, 448 ZPO im herrschenden Schrifttum Im Schrifttum wird die restriktive Haltung der ZPO gegenüber der Parteivernehmung in den §§ 445, 448 ZPO überwiegend kritisch gesehen.344 Es wird darauf hingewiesen, dass die Restriktionen der Parteivernehmung in den §§ 445, 448 ZPO sich mit dem Vorgängerinstitut des Parteieides in der ZPO auch heute noch weitgehend decken.345 Im Rahmen der Umstellung vom Parteieid auf die Parteivernehmung durch eine Reform im Jahr 1933 wurden die Voraussetzungen dieser Institute beibehalten, obgleich sich ihre Wirkungen fundamental unterschieden: Während der Par339 So ausdrücklich BGH NJW 1990, S. 1721 f.; zustimmend Wieczorek/Schütze-VölzmannStickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 19. 340 Für eine Verwertung von Parteiäußerungen BGH NJW 1999, S. 363, 364, wobei die Entscheidung zwischen Parteianhörung und Parteivernehmung offengelassen wird; ebenso auch BGH NJW 2003, S. 3636. 341 In diesem Sinne BVerfG NJW 2008, S. 2170 f. allerdings mit der Forderung nach einem entsprechenden Parteiantrag zum Zwecke der Gleichbehandlung beider Parteien; zustimmend Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 27 ff.; Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 40, Rn. 59 ff.; 342 Vgl. zu dieser Kritik wiederum Polyzogopoulos, Parteianhörung, S. 118 ff.; Stein/JonasKern, ZPO II, § 141, Rn. 3; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff. jeweils mwN. 343 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 17 f.; Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickel brock, ZPO VI, § 448, Rn. 21 ff. jeweils mwN. 344 Vgl. bereits Polyzogopoulos, Parteianhörung, S. 118 ff.; kritisch auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 314 ff.; Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2138 jeweils mwN. 345 Zu dieser historischen Erklärung der restriktiven Ausgestaltung der Parteivernehmung siehe etwa Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2136 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 270 ff. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 301 ff. jeweils mwN.
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teieid eine formale Beweiswirkung hatte, unterlag die Parteivernehmung von Anfang an der freien richterlichen Beweiswürdigung.346 Der Zusammenhang zwischen restriktiver Anwendung und formaler Beweiswirkung des Parteieides war somit für die Parteivernehmung nicht mehr gegeben, so dass diese Restriktionen im heutigen Recht überwiegend als gesetzgeberisch verfehlt und nicht gerechtfertigt angesehen wird.347 In ihrer heutigen Gesetzesfassung sei die Vernehmung der Prozessparteien als sachnächster Personen zum streitigen Sachverhalt ein wichtiges Beweismittel, dessen Schwächen sich im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO begegnen ließe.348 Hinzu kommt nach dieser Ansicht, dass den Parteien ein verfassungsmäßiges Recht auf Erhebung von Beweismitteln unter Einschluss der Parteivernehmung zukommt.349 In Teilen der Literatur wird dieses Recht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung auf Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO zurückgeführt, während andere Teile der Literatur explizit das Recht auf Beweis heranziehen.350 Die Restriktionen des Rechts auf Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei in § 445 I und II ZPO werden mithin als rechtfertigungsbedürftige Einschränkungen des rechtlichen Gehörs bzw. des Rechts auf Beweis angesehen und eine Rechtfertigung wird zumindest kritisch betrachtet.351 Es wird zugegeben, dass die Parteien ein Eigeninteresse am Ausgang des Prozesses haben, zugleich aber angemerkt, dass auch Zeugen als Aussagepersonen ihr zu offenbarendes Wissen regelmäßig nur deshalb erlangt haben, weil sie ihrerseits einer der beiden Prozessparteien nahestehen.352 Eine formale Ablehnung der Vernehmung bestimmter nahestehender Personen als Zeugen werde jedoch richtigerweise allgemein als zu weitgehend zurückgewiesen und eine solche Aussage vielmehr der freien richterlichen 346 Vgl. wiederum Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2136 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 270 ff. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 301 ff. jeweils mwN. 347 Kritisch zur gesetzgeberischen Leistung im Rahmen der Einführung der Parteivernehmung äußern sich etwa Nagel, FS-Habscheid, S. 195, 196 ff. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 303 ff.; in der Sache ähnlich Polyzogopoulos, Parteianhörung, S. 63 ff. jeweils mwN. 348 In diesem Sinne bereits Polyzogopoulos, Parteianhörung, S. 65 f.; ähnlich Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 470 f.; instruktiv auch die rechtsvergleichende Betrachtung von Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 300 ff.; 349 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 314 ff.; Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2138 jeweils mwN. 350 Für eine Herleitung aus dem Recht auf Beweis Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 30 f.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 320 ff.; dem Grunde nach ähnlich auch Foerste, GS-Schindhelm, S. 227, 232 ff.; tendenziell eher unter Berufung auf Art. 103 I GG Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 468 ff. 351 So übereinstimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 314 ff.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff. jeweils mwN. 352 In diesem Sinne insbesondere Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 470 f.; ähnlich Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 40, Rn. 18 f.; diesen Aspekt erkennt auch Lange, NJW 2002, S. 476 f. an.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Beweiswürdigung unterworfen – ein Gedanke, der auf die Parteivernehmung übertragen werden solle.353 Die Aussage einer am Prozessausgang interessierten Partei bedarf hiernach einer kritischen Würdigung durch das Gericht, doch die Erhebung des Beweises als solchem dürfe nicht von den hohen Anforderungen des § 445 ZPO abhängig gemacht werden.354 Die Restriktionen des § 445 I und II ZPO werden in weiten Teilen der Literatur somit kritisch bewertet und eine Veränderung de lege ferenda gefordert355 bzw. sogar ihre Verfassungswidrigkeit de lege lata vertreten.356 cc) Eigene Ansicht: § 445 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG In dieser Auslegung durch Rechtsprechung und Teile der Literatur enthält § 445 ZPO eine ganze Reihe an Voraussetzungen für die Vernehmung der gegnerischen Partei. Diese Anforderungen sind nun am Maßstab des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dahingehend zu überprüfen, ob sie eine Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen und bejahendenfalls eine entsprechende Rechtfertigung möglich ist. (1) Mögliche Einschränkungen des Rechts auf Beweis Als erste Voraussetzung des § 445 I ZPO kann eine Vernehmung der gegnerischen Partei ausschließlich durch die beweisbelastete Partei beantragt werden. Dabei stellt sich die Frage, welche Art der Beweislast § 445 I ZPO als Anforderung zugrunde legt. Während die objektive Beweislast bereits vor dem Prozess abstrakt feststeht und sich in seinem Verlauf nicht ändert, wechselt die subjektive Beweislast (Beweis führungslast) in Abhängigkeit von der Überzeugung des Gerichts von einer Tatsache zwischen den Parteien hin und her.357 In Rechtsprechung und Literatur wird § 445 I ZPO ganz überwiegend dahingehend verstanden, dass die subjektive Beweislast gemeint ist.358 Für diese Sichtweise spricht nach hier vertretener Auffassung bereits im einfachen Recht die Existenz des § 445 II ZPO und der darin normierte Ausschluss der Führung eines Gegenbeweises mittels Vernehmung der gegnerischen Partei: Sollte im Rahmen des § 445 I ZPO die objektive Beweislast gemeint sein, so würde diese Last nicht zwischen den Parteien hin- und her wechseln. Die Führung eines Vgl. wiederum Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 318 ff. mwN. Explizit von der Verfassungswidrigkeit dieser Anforderungen ausgehend und eine verfassungskonforme Auslegung des § 448 ZPO vorschlagend Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 31 f. 355 Für eine Veränderung de lege ferenda Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 321 ff.; Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2138 jeweils mwN. 356 Das Erfordernis einer verfassungskonformen Auslegung de lege lata sehen insbesondere Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff. und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 31 f. jeweils mwN. 357 Ausführlich zu den verschiedenen Arten der Beweislast etwa Musielak, Grundlagen der Beweislast, S. 32 ff. und Prütting, Gegenwartsprobleme, S. 5 ff. jeweils mwN. 358 Vgl. insbesondere Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 445, Rn. 7. 353 354
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Gegenbeweises wäre somit bereits aufgrund der starr festgelegten Beweislast nach § 445 I ZPO regelmäßig nicht möglich, da es an einem entsprechenden Wechsel der Beweislast fehlen würde. Hinzu kommt, dass eine solche Auslegung des § 445 I ZPO auch dem Recht auf Beweis entspricht: Das Zusammenfallen von Beweislast und Recht auf Beweiserhebung ermöglicht den Rechtsnachweis gerade im relevanten Zeitpunkt. Das Recht auf Beweis gewährleistet nach hier vertretener Auffassung einen effektiven Nachweis eigener Rechte, nicht hingegen eine vorsorgliche Beweisführung im Vorfeld seiner Erforderlichkeit für den Rechtsnachweis. Wenn § 445 I ZPO die Beweisführung somit an die subjektive Beweislast bindet und eine Partei stets zur Beweisführung berechtigt ist, wenn sie das Risiko der Nichterweislichkeit dieser Tatsache trägt, so ist in dieser Verknüpfung keine Einschränkung des Rechts auf Beweis zu sehen. Daher erscheint diese Auslegung des § 445 I ZPO auch verfassungsrechtlich geboten. Als zweite Voraussetzung nennt § 445 I ZPO die Subsidiarität der Parteivernehmung dahingehend, dass die Vernehmung der gegnerischen Prozesspartei nur in Betracht kommt, wenn alle anderen Beweismittel vorab erhoben worden sind. Wiederum stellt sich die Frage, ob in dieser Voraussetzung eine Einschränkung des Rechts auf Beweis zu erblicken ist: Grundsätzlich gewährleistet das Recht auf Beweis iSe effektiven Nachweismöglichkeit allein die tatsächliche Erhebung aller beantragten Beweismittel. Ob dieser Gewährleistungsgehalt jedoch auch die Wahl einer bestimmten Reihenfolge der Erhebung umfasst, erscheint fraglich. Dafür ließe sich anführen, dass die Präsentation von Beweismitteln in einer bestimmten Reihung ggf. einen größeren psychologischen Effekt erzielen und damit einen effektiveren Nachweis ermöglichen könnte. Indes soll das Recht auf Beweis nach der hier vertretenen Konzeption einen Nachweis tatsächlich bestehender Rechte ermöglichen und gerade nicht unabhängig von der materiellen Wahrheit den Prozessgewinn fördern. Rechtsdurchsetzung und materielle Rechtslage sollen nach diesem Ideal weitestmöglich zusammenfallen, so dass etwaige psychologische Tricks zum Prozessgewinn dem Gewährleistungsgehalt dieses Rechts auf Beweis fremd sind. Entscheidend ist allein, dass alle beantragten Beweismittel durch das Gericht erhoben werden. Wenn das Gericht also qua gesetzlicher Regelung eine Reihung dahingehend vorzunehmen hat, dass die Parteivernehmung als Beweismittel zwingend am Ende einer Beweiserhebung zu stehen hat, sodann aber tatsächlich zu erheben ist, so kann hierin keine Einschränkung des Rechts auf Beweis erblickt werden. Vielmehr handelt es sich um eine legitime gesetzgeberische Ausgestaltung des Rechts auf Beweis. Demgegenüber schließt § 445 II ZPO die Vernehmung der gegnerischen Partei als Beweismittel zur Führung des Gegenbeweises kategorisch aus. Die pauschale Verweigerung eines im Übrigen zulässigen Beweismittels zur Führung des eigenen Rechtsnachweises stellt eine erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen dar. Zudem wurde in Rechtsprechung und Literatur als weitere Voraussetzung für die Einvernahme der Parteien
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
teils ein besonderer Überzeugungswert der Parteiaussage gefordert, der über die Geeignetheit eines Beweismittels hinausgeht.359 Während die Geeignetheit als immanente Grenze des Rechts auf Beweis eine selbstverständliche Voraussetzung für die Erhebung eines Beweismittels ist, stellt die Forderung eines weitergehenden Überzeugungswertes eine antizipierten Beweiswürdigung und damit gleichfalls eine erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. (2) Der Ausschluss des Gegenbeweises nach § 445 II ZPO § 445 II ZPO ist als hinreichende gesetzliche Regelung dieser Einschränkung anzusehen. Fraglich ist jedoch bereits, ob § 445 II ZPO ein legitimes Ziel verfolgt. In Rechtsprechung und Literatur wird als Telos des § 445 II ZPO der Schutz der zu vernehmenden Prozesspartei vor einem Gewissenskonflikt angegeben: Die zu vernehmende Partei kann aufgrund der Verknüpfung von Beweislast und Antragsrecht nur vernommen werden, wenn sich das erkennende Gericht bereits zu seinen Gunsten eine Überzeugung von der Wahrheit seiner Behauptungen gefunden hat und die zu vernehmende Partei soll durch die – strafbewehrte – Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage nicht gezwungen werden, diese günstige Prozesslage wieder aufgeben zu müssen.360 Ein Gewissenskonflikt zwischen der Wahrheitspflicht und Nachteilen für die eigene Person wird regelmäßig unter den Gewährleistungsgehalt des APR aus Art. 2 I iVm Art. 1 I GG subsumiert, was sich als legitimes Ziel einer gesetzlichen Einschränkung darstellen würde. Doch erscheint es äußerst fraglich, ob dieser „Gewissenskonflikt“ des § 445 II ZPO tatsächlich dem Schutzbereich des APR unterfällt: In den bisher betrachteten Konstellationen zum Zeugenbeweis entstand ein solcher Gewissenskonflikt immer dann, wenn eine Zeuge als prozessfremder Dritter seine eigenen, über den konkreten Prozess hinausgehenden Rechte durch eine wahrheitsgemäße Aussage zugunsten einer Prozesspartei gefährden würde – etwa derjenige Zeuge, der sich durch seine Aussage der Gefahr einer Strafverfolgung aussetzt.361 In der hier interessierenden Fallgestaltung handelt es sich bei der Aussageperson indes um eine der Prozessparteien. Eine wahrheitsgemäße Aussage dieser Partei würde somit – je nach materieller Rechtslage – entweder die bereits bestehende Prozesslage bestätigen oder eine unberechtigt bestehende Prozesslage aufdecken und somit zu einer materiell-rechtlich richtigen Entscheidung führen. Der einzig denkbare Nachteil einer wahrheitsgemäßen Aussage dieser Partei wäre mithin der 359 Vgl. wiederum BGH WM 1968, S. 406, 407 und Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickel brock, ZPO VI, § 448, Rn. 16 f. jeweils mwN. 360 Zu diesem Telos des § 445 II ZPO siehe insbesondere Wieczorek/Schütze-VölzmannStickelbrock, ZPO VI, § 445, Rn. 22 und Prütting/Gehrlein-Müller-Christian, ZPO, § 445, Rn. 7 jeweils mwN. 361 Siehe insbesondere oben I. 5. e. bb.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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„Verlust“ einer unberechtigten Prozesslage zugunsten dieser Partei. Das APR als Grundlage des § 445 II ZPO würde somit entweder eine fehlerhafte, unrechtmäßig erlangte Prozesslage oder im schlimmsten Fall einen vorsätzlichen Prozessbetrug der zu vernehmenden Partei schützten. Es erscheint äußerst fraglich, ob ein solcher Gewährleistungsgehalt dem Grundgesetz tatsächlich zu entnehmen sein soll. Nach hier vertretener Auffassung umfasst das APR keinen diesbezüglichen Gewährleistungsgehalt, sodass § 445 II ZPO keinem legitimen Zweck dient. Selbst wenn man einen solchen Schutzgehalt des APR anerkennen wollte, so könnte dieser Schutz nach hier vertretener Auffassung allenfalls in sehr geringem Maße bestehen. Auf der anderen Seite schränkt der pauschale Ausschluss eines Beweismittels eine zentrale Gewährleistung des Rechts auf Beweis ein. Die entsprechende Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit müsste daher in nahezu jedem denkbaren Fall zugunsten des Rechts auf Beweis ausfallen. § 445 II ZPO hatte seine Berechtigung im Rahmen der Regelungen des Parteieides: Eine auf der Erhebung von Beweismitteln beruhende Überzeugung des Gerichts sollte nicht durch das formale Beweismittel des Eides widerlegt werden.362 In diesem Sinne diente § 445 II ZPO der Wahrheitsfindung. Doch diese Funktion hat § 445 II ZPO im Rahmen der frei zu würdigende Parteivernehmung gänzlich verloren, so dass sich die pauschale Übernahme der Voraussetzungen des Parteieides auf die Parteivernehmung als gesetzgeberische Fehlentscheidung darstellt und eine Regelung hervorbringt, die vor dem Hintergrund des Grundgesetzes in kaum einem denkbaren Fall zu rechtfertigen ist. Abschließend gilt es noch, das Erfordernis einer besonderen Überzeugungskraft der Parteiaussage als Voraussetzung einer Parteivernehmung zu prüfen. Es wurde bereits verschiedentlich herausgearbeitet, dass jede Form der Beweisantizipation mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz grundsätzlich unvereinbar ist.363 Eine Rechtfertigung fällt auch für das Erfordernis der besonderen Überzeugungskraft schwer. Es ist bereits fraglich, welchem legitimen Zweck eine solche Einschränkung dienen soll. Die Grenze zwischen den Minimalanforderungen an die Qualität eines Beweismittels zum Zwecke der Beschleunigung eines Rechtsstreits auf der einen Seite und dem Recht auf Erhebung von beantragten Beweismitteln auf der anderen Seite verläuft anhand des Merkmales der Geeignetheit. Der legitime Zweck eines weitergehenden Erfordernisses ist schwer zu begründen, jedenfalls aber erscheint eine Beweisantizipation als unangemessene Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz. Die Anforderungen an eine Parteivernehmung erschöpfen sich daher aufgrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Rechts auf Beweis im Merkmal der Geeignetheit.
362 363
Zur Historie von Parteieid und Parteivernehmung siehe die obigen Ausführungen III. 4. b. Siehe § 7 V. 2.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Der Maßstab einer Einschränkung des Rechts auf Beweis ist für alle drei Grundrechtsordnungen identisch.364 Daher stellen die Voraussetzungen der Beweislast und der Subsidiarität nach § 445 I ZPO gleichfalls keine Einschränkung des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar. Der pauschale Ausschluss der Vernehmung der gegnerischen Partei zur Führung des Gegenbeweises in § 445 II ZPO kann auch nach EMRK und Grundrechtecharta keinen Schutz erfahren. Eine unrechtmäßig erlangte Rechtsposition soll im Prozess gerade korrigiert und nicht noch perpetuiert werden. Selbst wenn man ein entsprechendes Ziel als legitim anerkennen wollte, so stellt das Recht auf Erhebung von Beweismitteln auch nach EMRK und Grundrechtecharta einen ganz wesentlichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis dar. Eine Abwägung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit müsste somit auch insoweit regelmäßig zugunsten des Rechts auf Beweis ausfallen. Abschließend ist eine Beweisantizipation auch mit dem Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta grundsätzlich unvereinbar. Die diesbezüglichen Anforderungen an eine Parteivernehmung erschöpfen sich vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis in EMRK und Grundrechtcharta gleichfalls im allgemeinen Merkmal der Geeignetheit. b) Das Recht einer Prozesspartei auf Herbeiführung ihrer eigenen Befragung Sodann ist das Recht einer Partei auf ihre Vernehmung im Zivilprozess als Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis in seiner einfach-rechtlichen Ausgestaltung durch die ZPO zu untersuchen: aa) Die Auslegung der §§ 447, 448 ZPO iVm § 141 ZPO in der Rechtsprechung Die Vernehmung einer Partei auf ihren Antrag hin hat in § 447 ZPO ihre gesetzliche Ausgestaltung gefunden. Außerdem sind in diesem Zusammenhang die Vernehmung Amts wegen nach § 448 ZPO und die Parteianhörung nach § 141 ZPO zur Verwertung der eigenen Aussage einer Prozesspartei zu beachten. § 447 ZPO erlaubt eine beantragte Vernehmung einer Partei im Falle der Einwilligung durch die gegnerische Partei. Obgleich diese Einwilligung regelmäßig nicht erteilt wird und § 447 ZPO daher kaum praktische Bedeutung erlangt hat, werden diese Voraussetzung in Rechtsprechung und Literatur kaum in Zweifel gezogen.365 Vielmehr wird 364 Ausführlich
§ 8 II. 2. Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 447, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-VölzmannStickelbrock, ZPO VI, § 447, Rn. 1 ff.; zur praktischen Bedeutung dieser Vorschrift siehe Kluth/ Böckmann, MDR 2002, S. 616, 619; einzig Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2137 fordert soweit ersichtlich einen Verzicht auf das Einwilligungserfordernis im Rahmen des § 447 ZPO unter Verweis auf die Vorgaben der EMRK. 365
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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die beantragte Vernehmung der eigenen Partei im Hinblick auf die Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO diskutiert: Im Grundsatz geht die Rechtsprechung unter Zustimmung von Teilen der Literatur davon aus, dass die Voraussetzungen der Subsidiarität und der Anfangswahrscheinlichkeit in § 448 ZPO mit dem Grundgesetz übereinstimmen und daher uneingeschränkte Anwendung finden müssen.366 Besonderheiten gelten nach dieser Auffassung ausschließlich im Falle eines Vier-Augen-Gespräches: In dieser Konstellation hat die benachteiligte Prozesspartei nach dem BGH das Recht auf eine Parteianhörung nach § 141 ZPO und die Verwertung der eigenen Aussage mittels Würdigung nach § 286 I S. 1 ZPO bzw. Nutzung als Anhaltspunkt für die Anfangswahrscheinlichkeit im Rahmen des § 448 ZPO.367 Wenn das erkennende Gericht die erforderliche Anfangswahrscheinlichkeit annimmt, kommt auch eine zwingende Anordnung der Vernehmung der beantragenden Partei nach § 448 ZPO in Betracht.368 Diese Auffassung wird ebenfalls durch das Bundesverfassungsgericht und Teile der Literatur gebilligt.369 bb) Die Auslegung § 448 ZPO im herrschende Schrifttum Im Schrifttum wird auch die restriktive Haltung der ZPO zur Vernehmung einer Partei auf ihren Antrag hin überwiegend kritisch betrachtet.370 Die Diskussion konzentriert sich hierbei ebenfalls auf die Anordnung einer Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO: Ausgangspunkt ist das verfassungsmäßige Recht der Parteien auf eine Parteivernehmung aus Art. 103 I GG bzw. dem Recht auf Beweis.371 Die Subsidiarität der Beweiserhebung wie auch das Erfordernis einer Anfangswahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache werden als Einschränkungen des Rechts auf eine Parteivernehmung angesehen.372 Es wird auch für die Vernehmung 366 Vgl. etwa BGH NJW 1999, S. 363, 364; BGH NJW 2003, S. 3636; bestätigend auch BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f.; aus der Literatur zustimmend Wieczorek/ Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 8 ff.; Lange, NJW 2002, S. 476, 481 f.; ähnlich auch Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 40, Rn. 59 ff. jeweils mwN. 367 Vgl. BGH NJW 1999, S. 363, 364 und BGH NJW 2003, S. 3636. 368 Siehe einmal mehr BGH NJW 1999, S. 363, 364 und BGH NJW 2003, S. 3636. 369 Vgl. BVerfG NJW 2001, S. 2531 f. und BVerfG NJW 2008, S. 2170 f.; zustimmend auch Wieczorek/Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 448, Rn. 8 ff.; Lange, NJW 2002, S. 476, 481 f. und Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 40, Rn. 59 ff. jeweils mwN. 370 Diese Auffassung auch für die Vernehmung der eigenen Partei vertretend Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 448, Rn. 29 ff.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 314 ff.; Schöpflin, NJW 1996, S. 2134, 2138 jeweils mwN 371 Für eine Herleitung aus dem Recht auf Beweis wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 30 f.; Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 320 ff.; ähnlich auch Foerste, GS-Schindhelm, S. 227, 232 ff.; für eine Fundierung in Art. 103 I GG, Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 468 ff 372 So insbesondere Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 31 f. und Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
der eigenen Partei darauf verwiesen, dass etwaige Unsicherheiten dieses Beweismittels durch die freie Würdigung des erkennenden Gerichts ausreichende Berücksichtigung finden können.373 Die Forderung nach einer Anfangswahrscheinlichkeit wird demgegenüber als eine verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden, antizipierte Beweiswürdigung angesehen.374 Teilweise wird eine Abschaffung der Subsidiarität, wie auch der Anfangswahrscheinlichkeit de lege ferenda gefordert – regelmäßig wird eine verfassungskonforme Auslegung des § 448 ZPO hin zu einer verpflichtenden Anordnung der Vernehmung der eigenen Partei auf Antrag vertreten.375 cc) Eigene Ansicht: § 448 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Ausgangspunkt für das Recht einer Partei auf ihre Vernehmung im Zivilprozess als Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis soll die Auslegung des § 448 ZPO sein. Die Vernehmung auf Antrag wird zwar einfach-rechtlich in § 447 ZPO normiert, bedarf allerdings nach dem klaren Wortlaut der Norm einer Einwilligung der gegnerischen Prozesspartei. Für die Verwirklichung des Rechts auf Beweis bietet sich daher eine Auslegung der flexibleren Vorschrift des § 448 ZPO an. Die nachfolgenden Ausführungen sollen jedoch stets die Fallgestaltung des Antrages einer Prozesspartei auf ihre Vernehmung zum Inhalt haben. Es geht mithin allein um die Konstellation einer Beweisinitiative der Prozesspartei und eine diesbezügliche Auslegung des § 448 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im Grundgesetz. Als erste Voraussetzung sieht auch § 448 ZPO die Subsidiarität der Parteivernehmung vor. Allerdings stellt diese Reihung der zu erhebenden Beweismittel dahingehend, dass die Parteivernehmung den Abschluss einer Beweiserhebung bildet, gleichfalls keine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Entscheidend ist allein, dass die beantragte Vernehmung tatsächlich durchgeführt wird. Weiterhin setzt § 448 ZPO für die Vernehmung einer Prozesspartei eine Anfangswahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache voraus. Die Durchführung der Parteivernehmung wird somit von einer Würdigung des bisherigen Verhandlungsstandes abhängig gemacht. Diese Ablehnung einer Parteivernehmung mangels Anfangswahrscheinlichkeit stellt eine rechtfertigungsbedürftige Einschränkung des Rechts auf Beweis dar, deren gesetzliche Regelung in § 448 ZPO zu sehen ist. Doch auch für § 448 ZPO stellt sich die Frage, ob diese Regelung ein legitimes Ziel ver373 Vgl. wiederum Polyzogopoulos, Parteianhörung, S. 65 f. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 300 ff. 374 In diesem Sinne in erster Linie Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 31 f. und Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.; kritisch auch Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 314 ff. 375 Für eine Änderung de lege ferenda Coester-Waltjen, ZZP 113 (2000), S. 269, 289 ff. und Oberhammer, ZZP 113 (2000), S. 295, 321 ff.; demgegenüber für eine verfassungskonforme Auslegung des § 448 ZPO de lege lata Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 31 f. und Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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folgt. Es ist bereits fraglich, welches Ziel das Erfordernis der Anfangswahrscheinlichkeit in § 448 ZPO überhaupt verfolgt: Die erhöhten Anforderungen an eine Parteiaussage mit Beweiswirkung zur Untermauerung der eigenen Behauptungen könnte dem Recht auf Beweis der jeweils anderen Partei iSe Verhinderung zweifelhafter Beweiserhebungen dienen. Indes wurde bereits herausgearbeitet, dass das Recht auf Beweis keinen negativen Gewährleistungsgehalt dahingehend beinhaltet, dass die Nichterhebung eines Beweismittels geschützt wird.376 Das Recht auf Beweis kommt als legitimes Ziel nicht in Betracht und auch andere Rechte der gegnerischen Prozesspartei sind nicht ersichtlich. Zu denken wäre allein an den Schutz der Rechtspflege vor unzuverlässigen Beweismitteln durch Nachweis der Eignung einer eigenen Parteiaussage mittels einer Anfangswahrscheinlichkeit. Indes wird allgemein anerkannt, dass es sich bei der Parteivernehmung dem Grunde nach um ein geeignetes Beweismittel handelt.377 Wenn dieser Zusammenhang ausnahmsweise nicht besteht, so unterfällt eine solche Parteivernehmung bereits den immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis. In aller Regel ist eine Parteivernehmung jedoch zur Förderung der Wahrheitserforschung und zum Rechtsnachweis der Parteien geeignet. Vielmehr zeigt sich auch für § 448 ZPO, dass die Übernahme der Voraussetzungen des Parteieides auf die Parteivernehmung gesetzgeberisch verfehlt war. Im Rahmen des Parteieides konnte die Anfangswahrscheinlichkeit als Versuch angesehen werden, das formale Beweismittel des Eides vom Vorliegen weiterer Beweismittel abhängig zu machen und so der Wahrheitserforschung zu dienen. Im Rahmen der frei zu würdigenden Parteivernehmung trägt dieser Gedanke jedoch nicht, so dass § 448 ZPO nach hier vertretener Auffassung keinem legitimen Ziel dient. Das Erfordernis einer Anfangswahrscheinlichkeit iSd § 448 ZPO ist daher insgesamt mit dem Recht auf Beweis unvereinbar. Als letzte Hürde einer beantragten Parteivernehmung stellt sich nach § 448 ZPO das diesbezügliche gerichtliche Ermessen dar. Im Falle des Antrages einer Partei auf Vernehmung der eigenen Partei folgt aus dem Recht auf Beweis nach hier vertretener Ansicht eine Ermessensreduktion auf null. Das Recht auf Beweis fordert eine Erhebung beantragter Beweismittel und diese Auslegung des § 448 ZPO ermöglicht es, eben dieses verfassungsmäßige Recht der Prozessparteien zur Geltung zu bringen. Dem Antrag einer Partei auf Vernehmung der eigenen Partei nach § 448 ZPO ist daher grundsätzlich stattzugeben.378
376 Ausführlich
in § 6 II. 4. Vgl. insbesondere BGH NJW 1960, S. 1950, 1951; ähnlich auch Rosenberg/Schwab/Gott wald, ZPR, § 123, Rn. 2 und Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 470 f. 378 In diesem Sinne auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 448, Rn. 31 f.; Gehrlein, ZZP 110 (1997), S. 451, 465 ff. 377
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
dd) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Diese Wertungen lassen sich auf das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta übertragen. Die Subsidiarität der Parteivernehmung stellt auch nach den europäischen Grundrechtsordnungen keine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Demgegenüber bedarf die Voraussetzung einer Anfangswahrscheinlichkeit auch nach EMRK und Grundrechtecharta eines legitimen Ziels. Ein solches Ziel ist für die europäischen Grundrechtsordnungen gleichfalls nicht ersichtlich und das Ziel der Anfangswahrscheinlichkeit ist daher mit denselben unvereinbar. Abschließend folgt auch aus EMRK und der europäischen Grundrechtecharta nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich ein Recht auf eine Parteivernehmung. Das Ermessen des § 448 ZPO reduziert sich daher auf Antrag einer Partei auch nach EMRK und der Grundrechtecharta auf null. Das Gericht ist somit nach § 448 ZPO grundsätzlich zur Vernehmung der Partei auf ihren Antrag hin verpflichtet. c) Das Fragerecht einer Partei bei Befragung der jeweils anderen Partei Ein weiterer zu betrachtender Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis ist das Fragerecht der Prozessparteien als Möglichkeit einer aktiven Teilhabe an der Beweiserhebung. aa) Die §§ 451, 397 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Das Fragerecht der Prozessparteien im Rahmen einer Parteivernehmung wird durch die Verweisung des § 451 ZPO auf § 397 ZPO normiert. Dieses Recht wird überwiegend in Übereinstimmung mit dem Fragerecht der Parteien zum Zeugenbeweis ausgelegt, ohne dass wesentliche Besonderheiten hervorgehoben werden.379 bb) Die §§ 451, 397 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Recht auf Beweis gewährt nach allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen ein umfassendes Fragerecht beider Prozessparteien, wobei sich eine Auslegung der §§ 451, 397 ZPO als hinreichende, einfach-rechtliche Ausgestaltung darstellt. Das Fragerecht ermöglicht es insbesondere der jeweils anderen Prozesspartei, ihr Wissen über den Sachverhalt in Frageform zu artikulieren und die Glaubwürdigkeit der vernommenen Partei durch diese Fragen zu erschüttern. Daher wird das Fragerecht innerhalb der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis grundsätzlich umfassend gewährleistet.380 Als Besonderheit der Parteivernehmung ist hervorzuheben, dass die Prozessparteien typischerweise umfängliche Kenntnisse des Sachverhaltes inne379 Vgl. etwa die Kommentierungen von Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 451, Rn. 5; Wieczorek/ Schütze-Völzmann-Stickelbrock, ZPO VI, § 451, Rn. 6 und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 451, Rn. 5 f. 380 Siehe die obigen Ausführungen I. 5. g.
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haben und diese Kenntnis auch im Beweisverfahren einbringen dürfen. Daher sollte das erkennende Gericht den Prozessparteien im Hinblick auf ihr Recht auf Beweis in der Regel ein eigenes, persönliches Fragerecht nach §§ 451, 397 II ZPO gestatten. d) Die Verpflichtung zur Wortlautdokumentation auf Antrag Abschließend gewährleistet das Recht auf Beweis in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen eine umfassende Dokumentation von Parteivernehmungen zur sachgerechten Würdigung und Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Aussage. Als Ansatzpunkt für dieses Recht auf eine Wortlautdokumentation kommt erneut die Protokollierungspflicht des erkennenden Gerichts nach § 160 III Nr. 4, IV ZPO in Betracht: aa) Die Protokollierungspflichten des § 160 III Nr. 4, IV ZPO in Rechtsprechung und Literatur § 160 III Nr. 4 ZPO verpflichtet das Gericht nach Rechtsprechung und Literatur zu einer möglichst umfassenden Protokollierung der wesentlichen Aussagen einer Partei im Rahmen ihrer Vernehmung – je nach Auffassung in direkter oder indirekter Rede.381 Eine Verpflichtung zur Führung eines Wortlautprotokolls wird auch für die Parteivernehmung überwiegend verneint.382 Die Äußerungen einer Partei im Rahmen der Parteianhörung nach § 141 ZPO sollen demgegenüber keiner Protokollierung bedürfen.383 Die beantragte Protokollierung von Vorgängen oder Äußerungen nach § 160 IV ZPO steht auch für die Vernehmung der Parteien im pflichtgemäßen Ermessen des erkennenden Gerichts und wird parallel zur entsprechenden Protokollierung von Zeugenaussagen ausgelegt.384
381 Instruktiv zum Umfang der Protokollierung einer Parteivernehmung BGH NJW 1963, S. 2070, 2071; eine ausführliche Wiedergabe in direkter Rede fordert MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 8 auch im Rahmen einer Parteivernehmung; eine ausführliche Wiedergabe in indirekter Rede genügt nach Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 8. 382 Ausdrücklich Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 160, Rn. 15; ähnlich auch Stein/JonasRoth, ZPO III, § 160, Rn. 19; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 und Musielak/ Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 8. 383 In diesem Sinne BGH VersR 1962, S. 281; ebenso BGH FamRZ 1989, S. 157, 158; zustimmend etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 42 jeweils mwN. 384 Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 58 f. und Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 31 f.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
bb) Eigene Ansicht: Die Auslegung des § 160 III Nr. 4, IV ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Als Anknüpfungspunkt für die Gewährleistung eines Wortlautprotokolls stellt sich für Aussagen im Rahmen einer Parteivernehmung die Protokollierung auf Parteiantrag gleichfalls § 160 IV ZPO dar. Ähnlich dem Zeugenbeweis lassen sich Aussagen einer Partei unter Erläuterungen iSd § 160 IV S. 1 ZPO fassen, während Mimik und Gestik einer Partei unter die Vorgänge iSd § 160 IV S. 1 ZPO zu subsumieren sind.385 Die Relevanz der wortlautgetreuen Protokollierung ist in der Ermöglichung einer sachgerechten Beweiswürdigung und der Beurteilung der Glaubwürdigkeit einer Parteiaussage zu sehen, welche für die Parteivernehmung von besonderer Bedeutung ist. Innerhalb der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis sind Äußerungen im Rahmen einer Parteivernehmung daher stets relevant iSd § 160 IV S. 2 ZPO. Aus dem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta folgt somit auch für die Parteivernehmung eine Reduktion des gerichtlichen Ermessens in § 160 IV S. 2 ZPO hin zu einer grundsätzlichen Verpflichtung zur wortgetreuen Protokollierung auf Antrag einer Prozesspartei. Die Art und Weise der Protokollierung ist für die Parteivernehmung nicht ebenfalls vorgeschrieben, doch auch in diesen Konstellationen stellt sich eine Verwendung von Tonband- oder Videoaufnahmen als bestmögliche praktische Ausgestaltung des Rechts auf Beweis dar.
IV. Urkundenbeweis Der Urkundenbeweis bildet ein weiteres Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO. Dieses Beweismittel wird in Rechtsprechung und Literatur übereinstimmend als das wohl zuverlässigste Beweismittel bezeichnet und genießt bereits qua gesetzlicher Regelungen in der ZPO einen hohen Beweiswert.386 Die Untersuchung beginnt mit der Herausarbeitung des abstrakten Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis zum Urkundenbeweis als Maßstab für die sodann erfolgende Überprüfung des geltenden Zivilprozessrechts in Deutschland.
1. Die Gewährleistungen der EMRK zum Urkundenbeweis Der Urkundenbeweis fristet in der Rechtsprechung und Literatur zur EMRK ein Schattendasein. Der EGMR hat bislang nur wenige Aussagen zum Urkundenbeweis getroffen. 385
Siehe die obigen Ausführungen I. 5. h. BGH NJW 1976, S. 294; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 1; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 1 ff.; Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 415, Rn. 8; ähnlich auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 415, Rn. 18 jeweils mwN. 386 Ausführlich
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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a) Das Recht auf Einbringung von Urkunden Die Frage nach einem Recht der Parteien auf Einbringung von Urkunden im Zivilprozess hat der EGMR – soweit ersichtlich – noch nicht beantwortet. Von Interesse sind jedoch einige strafprozessuale Entscheidungen: Für den Strafprozess hat der EGMR Art. 6 III lit. d EMRK dahingehend ausgelegt, dass die Gewährleistungen dieses Artikels auch den Urkundenbeweis umfassen sollen.387 Dogmatisch handelt es sich tendenziell um eine Rechtsfortbildung, spricht doch der Wortlaut des Art. 6 III lit. d EMRK von Zeugen (witnesses) und gerade nicht von Urkunden (documen tary evidence). Diese Ausweitung des Art. 6 III lit. d EMRK könnte auch für den Zivilprozess herangezogen werden, da der EGMR die speziellen Gewährleistungen des Art. 6 III lit. d EMRK auch auf den Zivilprozess übertragen hat – unter Herleitung aus dem allgemeinen Recht auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK.388 Nun stellt sich jedoch die Frage, ob diese Auslegung des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK auch die Ausweitung der Gewährleistungen des Art. 6 III lit. d EMRK auf den Urkundenbeweis umfasst. Dagegen ließe sich einwenden, dass bereits das „Hineinlesen“ der Gewährleistungen des Art. 6 III lit. d EMRK in Art. 6 I EMRK im Zivilprozess eine weitreichende Rechtsfortbildung darstellt, die im Hinblick auf die kompetenziellen Grenzen der EMRK in ihrer Auslegung durch den EGMR möglichst restriktiv gehandhabt werden sollte. Für eine Ausweitung dieser Rechtsprechung durch den EGMR auf den Zivilprozess lässt sich anführen, dass der EGMR mit dem Sachverständigenbeweis auch die bisherige Ausweitung des Art. 6 III lit. d EMRK auf den Zivilprozess übertragen hat.389 Außerdem trägt die seinerzeitige Argumentation für die Erweiterung der Gewährleistungen des Zivilprozesses aus Art. 6 I EMRK auch in dieser Frage: Wenn Art. 6 III lit. d EMRK lediglich eine spezielle Ausprägung des allgemeinen Fairnessgrundsatzes darstellt und letztlich alle Gewährleistungen auf Art. 6 I EMRK zurückzuführen sind, so gilt dies für eine rechtsschöpferische Erweiterung des Art. 6 III lit. d EMRK in gleichem Maße. Im Zivilprozess erscheint diese Sichtweise zudem dogmatisch noch überzeugender: In Art. 6 I EMRK wird lediglich von dem Erfordernis der Verfahrensfairness gesprochen, so dass der Wortlaut der Vorschrift im Gegensatz zu Art. 6 III lit. d EMRK offen ist und eine „Ausweitung“ der Gewährleistungen auf den Urkundenbeweis sich im Rahmen einer Auslegung des Art. 6 I EMRK hält. Hinzu kommt, 387 In diese Richtung bereits EGMR, Urteil vom 06.05.2003, 48898/99, Perne ./. I, Rn. 25 ff. = NJW 2004, S. 265 f.; sodann ausdrücklich EGMR, Urteil vom 09.08.2003, 59506/00, Georgios Papageorgiou ./. GRE, Rn. 35 ff.; ausführlich dazu wiederum EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 156 ff. 388 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 20.11.1989, 11454/85, Kostovski ./. NL, Rn. 39; bestätigt in EGMR, Urteil vom 16.02.2000, 28901/95, Rowe and Davis ./. GB, Rn. 59. 389 Siehe etwa EGMR, Urteil vom 04.02.2009, 72596/01, Balsyte-Lideikiene ./. LIT, Rn. 62 f. und erneut die ausführliche Analyse in EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 156 ff. mwN;
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
dass diese Rechtsprechung im Hinblick auf die Effektivität des Rechtsschutzes begrüßenswert erscheint: Der Urkundenbeweis spielt im Hinblick auf schriftlichen Geschäftsverkehr auch und gerade im Zivilprozess eine Rolle. Daher liegt ein Recht der Parteien auf Einbringung von Urkunden unter teleologischen Gesichtspunkten nahe – sei es infolge einer Rechtsfortbildung des Art. 6 III lit. d EMRK oder durch eine entsprechende Auslegung des allgemeinen Rechts auf ein faires Verfahren in Art. 6 I EMRK. Zusammengefasst spricht vieles dafür, dass die Rechtsprechung des EGMR zum Recht auf Einbringung von Urkunden im Strafprozess auf den Zivilprozess übertragen werden kann. b) Die weiteren Rechte in Bezug auf den Urkundenbeweis Darüber hinaus hat der EGMR unter Zustimmung der Literatur weitere Rechte der Prozessparteien in Bezug auf den Urkundenbeweis in der EMRK herausgearbeitet: So haben die Parteien in jeder Phase des Prozesses das Recht, die Authentizität einer von der Gegenseite oder auch dem Gericht eingebrachten Urkunde in Frage zu stellen.390 Dieses Recht steht in engem Zusammenhang mit dem allgemeinen Recht auf ein kontradiktorisches Verfahren iSd Art. 6 I EMRK.391 Es handelt sich nach hier vertretener Auffassung letztlich um das Recht auf Führung eines Gegenbeweises. Außerdem fordert der EGMR, dass beim Antritt des Urkundenbeweises vor Gericht grundsätzlich das Original der Urkunde vorzulegen ist.392 Sollte eine Kopie der Urkunde vorgelegt werden, so hat das erkennende Gericht die Pflicht, im Rahmen der Beweiswürdigung besonders gründlich und kritisch zu prüfen, ob die Kopie tatsächlich authentisch ist.393 Somit bezieht der EGMR diese Anforderung eher auf die Gerichte und postuliert eine entsprechende Pflicht zur kritischen Würdigung. Daher haben die Parteien nach der Rechtsprechung über die besonderen Anforderungen an die Zulassung von Kopien lediglich indirekt ein „Recht“ auf Vorlage der Originalurkunde.
2. Die Gewährleistungen der GRC zum Urkundenbeweis Der Urkundenbeweis kann als einziges Beweismittel auf eine gewisse Zahl von Entscheidungen des EuGH zurückblicken, da dieses Beweismittel in Wettbewerbs390
Vgl. EGMR, Urteil vom 03.06.2000, 35376/97, Krcmar and others ./. CHZ, Rn. 40 ff.; So auch EGMR, Urteil vom 03.06.2000, 35376/97, Krcmar and others ./. CHZ, Rn. 40 ff. 392 Vgl. EGMR, Urteil vom 13.04.2000, 23531/94, Timurtas ./. TURK, Rn. 65 ff.; bestätigt in EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzescu ./. RO, Rn. 68 ff.; ebenso Meyer-Ladewig/ Nettesheim/von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 157. 393 So EGMR, Urteil vom 13.04.2000, 23531/94, Timurtas ./. TURK, Rn. 65 ff. und in EGMR, Urteil vom 24.08.2005, 61302/00, Buzescu ./. RO, Rn. 68 ff.; ebenso Meyer-Ladewig/Nettesheim/ von Raumer-Meyer-Ladewig/Harrendorf, EMRK, Art. 6 Rn. 157. 391
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
741
und Kartellprozessen eine große Rolle spielt und der Gerichtshof so bereits in frühen Entscheidungen mit diesem Beweismittel in Kontakt kam.394 a) Das Recht auf Einbringung von Urkunden In der Rechtsprechung des EuGH zeichnet sich tendenziell ab, dass die Prozessparteien ein subjektives Recht auf Einbringung von Urkunden in den Prozess innehaben.395 Diese Sichtweise deckt sich mit den dargestellten Tendenzen in der Rechtsprechung des EGMR zur EMRK, die einmal mehr nach Art. 52 III S. 1 GRC als nicht zu unterschreitender Mindeststandard auch für die Grundrechtecharta Geltung beansprucht.396 b) Die weiteren Rechte in Bezug auf den Urkundenbeweis Darüber hinaus hat auch der EuGH den Grundsatz anerkannt, dass die Originalurkunde zum Beweisantritt vorzulegen ist.397 Etwas anders gilt nach dem EuGH indes, wenn das Gericht in der Lage ist, die Echtheit einer Kopie zweifelsfrei festzustellen.398 Außerdem folgert der EuGH aus dem Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, dass die Parteien in jedem Stadium des Prozesses das Recht haben, die Authentizität einer jeden Urkunde anzuzweifeln.399
3. Die Gewährleistungen des GG zum Urkundenbeweis In Rechtsprechung und Schrifttum zum Grundgesetz erfährt der Urkundenbeweis – ähnlich den europäischen Grundrechtsordnungen – selten eine ausdrückliche Behandlung. Es gibt nur wenige verfassungsgerichtliche Entscheidungen zu Gewährleistungen des Grundgesetzes zum Urkundenbeweis und auch die Literatur konzen394 Ausdrücklich
zur zentralen Bedeutung des Urkundenbeweises im Wettbewerbsprozessen, EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 42 – Salzgitter Mannesmann / Kommission. 395 In diese Richtung deuten die Ausführungen von EuGH, Rs. C-238/99, Slg. 2002, I-03875, Rn. 392 ff. – LimburgseMaatschappij u. a. / Kommission; zur amtswegigen Berücksichtigung von Urkunden siehe EuGH, Rs. C-472/11, Rn. 29 ff. – Banif Plus Bank. 396 Zu diesen Tendenzen in der Rechtsprechung siehe wiederum EGMR, Urteil vom 06.05.2003, 48898/99, Perne ./. I, Rn. 25 ff. = NJW 2004, S. 265 f.; EGMR, Urteil vom 09.08.2003, 59506/00, Georgios Papageorgiou ./. GRE, Rn. 35 ff. und EGMR, Urteil vom 05.06.2009, 6293/04, Mirilashvili ./. RUS, Rn. 156 ff. 397 Instruktiv zu den entsprechenden Kriterien EuG, Rs. T-25/95, Slg. 2000, II-00491, Rn. 1838 – Cimenteries CBR / Kommission; insgesamt bestätigt durch EuGH, Rs. C-204/00, Slg. 2004, I-00123 – Aalborg Portland u. a. / Kommission; siehe auch EuG Rs. T-44/02, Rn. 121 f. – Com merzbank / Kommission mwN aus der Rechtsprechung. 398 In diese Richtung gehen die Ausführungen von EuGH, Rs. C-182/99, Slg. 2003, I-10761, Rn. 41 ff. – Salzgitter / Kommission mwN. 399 Ausdrücklich in diesem Sinne EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 71 f. – Otis u. a.
742
3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
triert sich regelmäßig auf die Analyse des einfachen Rechts. Dennoch lassen sich einige Gewährleistungen des Grundgesetzes zum Urkundenbeweis herausarbeiten: a) Das Recht auf Einbringen von Urkunden Ein wesentlicher Gewährleistungsgehalt ist das Recht der Prozessparteien auf Erhebung von ihnen beantragter Urkundenbeweise. Es wurde bereits verschiedentlich dargestellt, dass Rechtsprechung und Literatur allgemein von einem Recht der Prozesspartei auf Berücksichtigung ihrer beantragten Beweismittel aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO ausgehen.400 Für den Urkundenbeweis findet sich – soweit ersichtlich – keine explizite Entscheidung unter Bezugnahme auf diese Grundsätze. Indes wird dieses Recht der Prozessparteien stets allgemein auf alle Beweismittel der ZPO bezogen, ohne dass eine Unterscheidung erkennbar würde.401 Daher ist davon auszugehen, dass dieses Recht auf Berücksichtigung erheblicher Beweismittel auch den Urkundenbeweis umfasst und aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO ein Recht auf Berücksichtigung beantragter und erheblicher Urkundenbeweise folgt. Das Fehlen diesbezüglicher, höchstrichterlicher Entscheidungen lässt sich ggf. mit Blick auf den hohen Beweiswert von Urkunden bei gleichzeitig geringem Arbeitsaufwand ihrer Erhebung erklären, so dass ein angebotener Urkundenbeweis kaum einmal eine Ablehnung durch die Gerichte erfahren wird. b) Das Recht auf Einsichtnahme in zum Beweis erhobene Urkunden Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht unter Zustimmung von BGH und Literatur aus Art. 103 I GG ein Recht der Prozessparteien auf Kenntnisnahme und Äußerung zu allen erhobenen Beweismitteln als Voraussetzung ihrer Verwertbarkeit hergeleitet.402 In einzelnen Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht diese Rechtsprechung dahingehend auf den Urkundenbeweis bezogen, dass die Prozessparteien ein Recht auf Kenntnis einer Urkunde und ihres Inhaltes als Grundlage für die Verwertbarkeit dieses Beweismittel haben.403 Mithin folgt aus Art. 103 I GG ein Recht der Prozessparteien auf Einsichtnahme in jede erhobene Urkunde zum Zwe-
400 Vgl. allgemein bereits BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; st. Rspr. siehe BVerfGE 60, S. 247, 249; BVerfGE 65, S. 305, 307; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; BVerfG-K 12, S. 346, 350 f. 401 Vgl. wiederum BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; BVerfG-K 12, S. 346, 350 f.; siehe auch zur einfach-rechtlichen Verpflichtung zur Beweiserhebung BGH NJW 1988, S. 2741. 402 Vgl. zu diesem Grundsatz bereits BVerfGE 50, S. 280, 284; ebenso auch BVerfGE 55, S. 95, 98 f.; BVerfG NJW 1991, S. 2757; BVerfG NJW 2006, S. 2248, 2249 jeweils mwN. 403 In diesem Sinne insbesondere BVerfG NJW 1995, S. 40 im Rahmen der Erörterung des Rechts auf Offenlegung der Datengrundlage eines Sachverständigen.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
743
cke einer effektiven Äußerung zu ihrem Inhalt. Die Literatur stimmt einem solchen Einsichtsrecht als Ausfluss des Art. 103 I GG einhellig zu.404 c) Das Recht auf Erbringung des Gegenbeweises Das Recht der jeweils anderen Prozesspartei auf Führung des Gegenbeweises gegen einen Urkundenbeweis hat regelmäßig allein eine einfach-rechtliche Betrachtung erfahren und wurde nur ganz ausnahmsweise im Lichte grundgesetzlicher Gewährleistungen betrachtet.405 Das Bundesverfassungsgericht hat in diesem Zusammenhang ausgesprochen, dass ein solcher Gegenbeweis nach allgemeinen Regeln mit allen Beweismitteln geführt werden darf, soweit dieser Beweis einfach-rechtlich zugelassen ist.406
4. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Urkundenbeweis Den Abschluss soll nun die Herausarbeitung des Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta als eigene Ansicht bilden. Es lässt sich als Quintessenz der vorangegangenen Analyse festhalten, dass der Urkundenbeweis im Zivilprozess insbesondere in Rechtsprechung und Literatur zu EMRK und europäischer Grundrechtecharta eher sporadisch Erwähnung gefunden hat. Allein in Wettbewerbsverfahren weist die Rechtsprechung des EuGH gewisse Berührungspunkte mit diesem Beweismittel auf.407 Daher bedarf der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Bezug auf den Urkundenbeweis einer eingehenden Untersuchung und Darstellung. a) Orientierung am Prozesszweck: Der Urkundenbeweis als zuverlässige Möglichkeit eines effektiven Rechtsnachweises Ausgangspunkt dieser Überlegungen soll auch für die Bestimmung dieses Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis die Rechtsdurchsetzung mittels effektivem Rechtsnachweis als Zweck des Zivilprozesses sein. Die Zuweisung eines besonderen, formalen Beweiswertes für Urkunden hat mehrere Hintergründe: Sie ist zum einen historisch gewachsen als ein Weg zur Eindämmung von Korruption im spätrö404
Unter ausdrücklichem Verweis auf Art. 103 I GG zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 420, Rn. 8; ähnlich auch MüKo-Fritsche, ZPO I, § 134, Rn. 4 und Adloff, Vorlagepflichten, S. 201 f. 405 In diese Richtung tendierend BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085 durch die Verknüpfung von Beweiswirkung einer Urkunde und Anforderungen an den Gegenbeweis. 406 In diesem Sinne äußert sich BVerfG NJW 1993, S. 254, 265 407 So ausdrücklich EuGH, Rs. C-411/04, Slg. 2007, I-00959, Rn. 42 – Salzgitter Mannesmann / Kommission.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
mischen Gerichtswesen.408 Zum anderen gehen Rechtsprechung und Literatur richtigerweise davon aus, dass eine Urkunde als besonders zuverlässiges Beweismittel anzusehen ist.409 Die Verschriftlichung von Gedanken ermöglicht ihre dauerhafte, unveränderte Konservierung bei gleichzeitiger Erkennbarkeit etwaiger Manipulationen und auch die beurkundenden Personen sind regelmäßig ohne weiteres identifizierbar.410 Zudem werden die Parteien bereits aufgrund des formalen Vorganges der Beurkundung in besonderem Maße darauf achten, dass die von ihnen abgegebenen Erklärungen mit der wahren Sachlage übereinstimmen. Die so geschaffenen Urkunden bieten somit eine erhöhte Gewähr für ihre Zuverlässigkeit. Dieser besondere Beweiswert einer Urkunde hat auch für das Recht auf Beweis iSe Rechts auf effektiven Rechtsnachweis besondere Bedeutung. Der Urkundenbeweis ermöglicht es den Prozessparteien, durch entsprechende Dokumentation im Vorfeld eines Rechtsstreits zuverlässige Beweismittel zu aufzudecken und ihre eigene, beweisrechtliche Situation auf diese Weise zu verbessern. Daher handelt es sich beim Urkundenbeweis um ein wesentliches Instrument des Rechtsnachweises wie auch der Wahrheitserforschung im Zivilprozess. Zugleich muss jedoch das Recht auf Beweis der jeweils anderen Prozesspartei besondere Beachtung finden. Der hohe Beweiswert, welcher einer Beweisführung mithilfe von Urkunden beigemessen wird, erfordert gleichsam gewisse Sicherungen, um eine effektive Beweisführung der Gegenpartei zu gewährleisten. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die nachfolgend zu entwickelnden Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta. b) Das Recht auf Einbringung und Erhebung von Urkunden Als Grundsatz umfasst der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis das Recht der Prozessparteien auf Einbringung sämtlicher zum Beweis beantragter Urkunden. Mit diesem Recht korrespondiert eine entsprechende Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Erhebung dieser eingebrachten Urkunden. c) Das Recht auf Einsichtnahme in Urkunden und Anfechtung der Echtheit Außerdem haben die Parteien ein Recht auf Einsicht in alle zum Beweis erhobenen Urkunden. Dieses Einsichtsrecht stellt sich als elementare Grundlage für die effektive Führung eines Gegenbeweises durch die jeweils andere Prozesspartei dar. Die 408
Zur historischen Entwicklung des formellen Beweiswertes von Urkunden siehe § 2. Vgl. insbesondere BGH NJW 1976, S. 294; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 1; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 1 ff.; Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 415, Rn. 8; ähnlich auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 415, Rn. 18 jeweils mwN. 410 Ausführlich wiederum BGH NJW 1976, S. 294 f.; instruktiv zur Erkennbarkeit von Mängeln auch BGH NJW 1966, S. 1657, 1658; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 1 jeweils mwN. 409
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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Einsichtnahme in eine Urkunde ermöglicht es, sich ein Bild von ihrem Inhalt zu machen und zugleich die Echtheit dieser Urkunde zu überprüfen. Nur auf diese Weise ist eine Partei in der Lage, etwaige Unklarheiten, Widersprüche oder sonstige Mängel einer Urkunde aufzuzeigen. Im Falle des Urkundenbesitzes einer Partei ist das so skizzierte Einsichtsrecht in erster Linie für die jeweils andere Prozesspartei von Bedeutung. Allerdings ist es nach den §§ 142, 144 ZPO ebenso möglich, eine Urkundenvorlage gegenüber Dritten anzuordnen, so dass eine Urkunde ggf. beiden Parteien unbekannt ist. Daher kommt dieses Einsichtsrecht nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich allen Prozessparteien gleichermaßen zu. d) Die Beweisführung über die Echtheit einer Urkunde Infolge einer Anfechtung der Authentizität einer zum Beweis beantragten Urkunde ist der Nachweis ihrer Echtheit erforderlich.411 Dieser Gewährleistung einer Echtheitsprüfung wird insbesondere durch EGMR und EuGH ausdrücklich anerkannt.412 Für den Nachweis der Echtheit einer Urkunde gelten die allgemeinen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis der jeweiligen Prozessparteien. Jede Partei darf in dieser Streitfrage Beweisanträge stellen und hat das Recht auf Erhebung ihrer Beweismittel nach allgemeinen Regeln. Letztlich handelt es sich lediglich um eine Verlagerung des allgemeinen Streits über eine entscheidungserhebliche Tatsache hin zum streitigen Nachweis der Echtheit einer Urkunde, die im Falle des Echtheitsnachweises ihrerseits Beweis für die entscheidungserhebliche Tatsache erbringt. e) Das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises Weiterhin gewährleistet das Recht auf Beweis der jeweiligen Gegenpartei in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises gegen einen Urkundenbeweis. Jede Prozesspartei ist grundsätzlich dazu berechtigt, mithilfe aller ihr zur Verfügung stehenden Beweismittel gegen die erfolgreiche Führung des Urkundenbeweises durch die jeweils andere Prozesspartei vorzugehen. Letztlich handelt es sich hierbei um einen allgemeinen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis der jeweiligen Gegenpartei, dessen Betonung an dieser Stelle allein aus dem hohen Beweiswert resultiert, der einer Urkunde beigemessen wird. Eine antizipierte Beweiswürdigung dahingehend, dass ein Gegenteilsbeweis aufgrund eines vermeintlich hohen Beweiswertes einer Urkunde ausgeschlossen sei, wird vom Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis nicht umfasst. Vielmehr gewährleistet das Recht der jeweiligen Gegenpartei und mit Nachweisen zu diesem Prozedere im deutschen Zivilprozess, Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, Kapitel 27, Rn. 27 ff.; vgl. auch BGH ZIP 2013, S. 384, 385 f. 412 In diesem Sinne für die EMRK, EGMR, Urteil vom 03.06.2000, 35376/97, Krcmar and others ./. CHZ, Rn. 40 ff.; für die Grundrechtecharta ausdrücklich EuGH, Rs. C-199/11, Rn. 71 f. – Otis u. a. 411 Ausführlich
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
auf Beweis eben dieses Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises als wesentliche Grundlage ihres effektiven Rechtsnachweises. Wenn also eine Urkunde dem erkennenden Gericht zum Nachweis einer Tatsache genügt, so wird der hierdurch belasteten Partei ein umfassendes Recht zum Nachweis des Gegenteils gewährleistet. f) Das Recht auf Urkundenvorlage durch die jeweilige Gegenpartei Abschließend hat die Drittwirkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz für die Gewährleistungen des Urkundenbeweises eine besondere Bedeutung. Eine effektive Beweisführung der Prozessparteien kommt nur in Betracht, wenn eine Partei auf Antrag auch die Vorlage und Erhebung von Urkunden verlangen kann, die sich im Besitz der gegnerischen Prozesspartei oder Dritter befinden. Im Hinblick auf ihre Errichtung werden zwar regelmäßig sämtliche Prozessparteien Kenntnis von einer Urkunde haben. Doch ist es durchaus denkbar, dass diese Urkunden einer der Parteien zur Aufbewahrung überlassen wurden. Ebenso ist auch eine weitergehende, einseitige Dokumentation durch eine der Prozessparteien oder auch Dritte zu Beweiszwecken vorstellbar. Hiernach ist ein Auseinanderfallen von Beweislast und Besitz an einer Urkunde regelmäßig möglich. Die Drittwirkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz gewährleistet daher im Rahmen des Urkundenbeweises ein Recht auf Vorlage von Urkunden im Besitz der Gegenpartei oder Dritter im Prozess – wobei stets eine Abwägung mit etwaigen Gegenrechten erforderlich ist.413
5. Die Ausgestaltung des Urkundenbeweises in der ZPO Dieser abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis zum Urkundenbeweis soll nunmehr als Maßstab für die Überprüfung der einfach-rechtlichen Regelungen der ZPO herangezogen werden. a) Die §§ 142, 144 ZPO und die §§ 421 ff. ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Ein zentraler Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis ist in dem Recht auf Erhebung eines beantragten Urkundenbeweises zu sehen. Nach den §§ 421 ff. ZPO verlangt ein solcher Beweisantritt die Vorlage der im Besitz der beantragenden Partei befindlichen Urkunde bzw. den Antrag auf Anordnung der Vorlage einer Urkunde im Besitz der gegnerischen Partei oder Dritter. Wenn eine Prozesspartei die Urkunde im Besitz hat bzw. diesen Besitz rechtmäßig erlangen kann, so erfolgt der Beweisantritt nach § 420 ZPO. Das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen gewährleistet sodann ein Recht auf Erhebung dieser Urkunde. Im Falle eines Urkun413
III. 3.
Siehe zu diesem Gewährleistungsgehalt bereits die obige Analyse des § 142 ZPO in § 9
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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denbesitzes der gegnerischen Prozesspartei oder Dritter stellen die §§ 421 ff. ZPO weitere Anforderungen an das Recht auf Vorlage und damit an das Recht auf Erhebung eines beantragten Urkundenbeweises. Es wurde bereits Stelle herausgearbeitet, dass dem Recht auf Beweis im Grundgesetz eine mittelbare Drittwirkung zukommt und daher unter gewissen Voraussetzungen ein Recht der Parteien auf Vorlageanordnung in Auslegung des § 142 ZPO besteht.414 Unter Berücksichtigung dieser Auslegung des § 142 ZPO stellen sich auch die §§ 421 ff. ZPO als eine rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dar. Für das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta stellen diese Voraussetzungen der §§ 421 ff. ZPO demgegenüber in Ermangelung einer mittelbaren Drittwirkung bereits keinerlei Einschränkung dar. b) Das Recht auf Einsichtnahme in eingebrachte Urkunden Ein weiterer, wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis ist in dem Recht der Prozessparteien auf Einsichtnahme in eine eingebrachte Urkunde zu erblicken. Als Anknüpfungspunkt im einfachen Recht kommt insbesondere § 134 ZPO in Betracht: aa) § 134 II ZPO in Rechtsprechung und Literatur § 134 I ZPO regelt die Verpflichtung einer Prozesspartei zur Hinterlegung in ihrem Besitz befindlicher Urkunden auf der Geschäftsstelle des erkennenden Gerichts zum Zwecke allseitiger Einsichtnahme. § 134 II ZPO gibt der jeweils anderen Prozesspartei ein Recht auf Einsichtnahme innerhalb einer Frist von drei Tagen. In Rechtsprechung und Literatur wird der Zusammenhang zwischen der Einsichtnahme und einer effektiven Prüfung der Echtheit einer Urkunde besonders hervorgehoben.415 Zudem wird auf die Besonderheit des § 134 I und II ZPO dahingehend hingewiesen, dass diese Norm eine Einsichtnahme im Vorfeld der mündlichen Verhandlung und somit eine ausführliche Prüfung der Urkunde ermöglicht.416 Ergänzend hierzu verpflichtet § 131 I ZPO die Parteien, bereits in den vorbereitenden Schriftsätzen Abschriften von in ihren Händen befindlichen Urkunden beizufügen.417
414
Siehe wiederum § 9 III. 3. in diese Richtung BVerfG NJW 1995, S. 40; siehe auch MüKo-Fritsche, ZPO I, § 134, Rn. 1. 416 Vgl. Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO III, § 134, Rn. 1 f.; die Möglichkeit eigener Initiative zur Einsicht betont zudem Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 134, Rn. 1. 417 Vgl. zum Zusammenspiel dieser beiden Normen etwa Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO III, § 134, Rn. 1; Stein/Jonas-Kern, ZPO II, § 134, Rn. 1 und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 134, Rn. 1 jeweils mwN. 415 Allgemein
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
bb) Eigene Ansicht: § 134 II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Recht der Parteien auf Einsichtnahme ermöglicht eine Überprüfung von Inhalt und Echtheit einer Urkunde und damit eine effektive Geltendmachung von Einwendungen gegen einen beantragten Urkundenbeweis. Diese Überlegung zeigt zugleich, dass gerade eine frühzeitige Möglichkeit der Einsichtnahme diesen Gewährleistungsgehalt bestmöglich zur Geltung bringt. Die Parteien haben auf diese Weise ausreichend Zeit, um das Äußere wie auch den Inhalt der betreffenden Urkunde in Ruhe zu studieren und ihre jeweilige Beweisführung vorzubereiten.418 § 134 ZPO ermöglicht eine Einsichtnahme der Parteien im Vorfeld der mündlichen Verhandlung und stellt sich daher als geeigneter Anknüpfungspunkt für eine Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis dar. § 134 II S. 1 ZPO gibt den Parteien eine Frist von drei Tagen zur Einsicht, wobei eine nach § 134 II S. 2 ZPO beantragte Verlängerung dieser Frist vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis regelmäßig erfolgen muss – insbesondere bei frühzeitiger Einsichtnahme ohne Verzögerung der späteren Verhandlung. Ein Einsichtsrecht kommt den Prozessparteien auch für solche Urkunden zu, die erst im Laufe des Prozesses als Beweismittel eingebracht werden. Während § 134 ZPO seinem Wortlaut nach auf ein vorprozessuales Einsichtsrecht beschränkt ist, kommt als Anknüpfungspunkt für ein prozessuales Einsichtsrecht die Äußerungspflicht des § 439 I und II ZPO in Betracht: Eine Äußerung über die Echtheit einer Urkunde kann von einer Partei nur dann sachgerecht getroffen werden, wenn die Partei auch Einsicht in die betreffende Urkunde hatte. Daher erscheint eine Verknüpfung des Einsichtsrechts mit § 439 I und II ZPO naheliegend. Denkbar ist auch eine Ableitung des Einsichtsrechts unmittelbar aus dem Recht auf Beweis. Seinem Wortlaut nach gilt das Einsichtsrecht des § 134 I ZPO darüber hinaus nur bei Urkundenbesitz der Prozessparteien. Allerdings haben die Parteien auch und gerade für Urkunden im Besitz Dritter ein Recht auf Einsichtnahme – im Vorfeld wie auch im Verlaufe der mündlichen Verhandlung. In Ermangelung einer expliziten gesetzlichen Regelung erscheint eine Herleitung dieses Rechts unmittelbar aus dem Recht auf Beweis selbst denkbar. Dieses Recht auf Einsicht in eine Urkunde kann seinerseits in Konflikt mit den Grundrechten der jeweiligen Gegenpartei oder Dritter geraten. Zu denken ist etwa an Unterlagen, die Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse enthalten und dem Schutz des Art. 12 I GG unterfallen. Daher bedarf es auch im Rahmen des Einsichtsrechts einer Abwägung mit etwaigen Gegenrechten. Allerdings wird dem Recht auf Beweis im Hinblick auf die Bedeutung dieser Einsichtnahme für die effektive Beweisführung der Prozessparteien regelmäßig ein Vorrang in dieser Abwägung einzuräumen sein. Im Falle der verweigerten Einsicht stellt sich sodann auch für den Urkundenbeweis die Frage nach der Verwertbarkeit einer Urkunde – analog zur Fragestellung 418 Auf
diese Besonderheit des § 134 ZPO hinweisend auch Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO III, § 134, Rn. 1 f.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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der Offenlegung der Datengrundlage eines Sachverständigengutachtens.419 In diesem Fall kommt es einmal mehr zu einem Konflikt der jeweiligen Rechte auf Beweis der beiden Prozessparteien: Das Recht auf Beweis der beweisbelasteten Partei streitet für die Verwertbarkeit der Urkunde, während das Recht auf Beweis der Gegenpartei mangels Einsichtnahme in die Urkunde und effektiver Führung des Gegenbeweises gegen eben diese Verwertbarkeit spricht. Die Abwägung muss unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles erfolgen. Indes spricht vieles dafür, dass dem Recht auf Einsichtnahme als Grundlage einer effektiven Gegenbeweisführung regelmäßig ein Vorrang zukommt muss. Denkbar ist eine Verwertbarkeit einer Urkunde ohne Einsichtsgewährung im Einzelfall allenfalls, wenn das Interesse an der Einsichtnahme gering ist – etwa aufgrund vorangegangener Kenntnis des Inhaltes bei Erstellung der Urkunde – und die beweisbelastete Prozesspartei auf der anderen Seite ohne diese Urkunde gänzlich beweislos wäre. c) Die Führung eines Gegenteilsbeweises in Bezug auf öffentliche Urkunden Außerdem gewährleistet das Rechts auf Beweis auch das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises durch die jeweils andere Prozesspartei. Die Regelungen der ZPO zum Urkundenbeweis enthalten in den §§ 415 ff. ZPO eine Reihe von Beweisregeln iSd § 286 II ZPO, die der jeweiligen Urkunde eine festgelegte, formelle Beweiskraft geben.420 Diese Beweisregeln werden ihrerseits im Rahmen der nachfolgenden Untersuchung der Beweiswürdigung als Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis einer Überprüfung unterzogen.421 Allerdings lassen sich die Beweiswirkungen einer Urkunde zugunsten der beweisbelasteten Partei nicht gänzlich von der Frage eines etwaigen Gegenteilsbeweises der anderen Prozesspartei trennen. Daher sollen die Voraussetzungen und Beweiswirkungen der verschiedenen Arten von Urkunden bereits an dieser Stelle eine kurze Behandlung erfahren, soweit dies für die Analyse des Rechts auf Beweis der Gegenpartei relevant ist. Im Einklang mit der ZPO bietet sich für diese Analyse eine Differenzierung zwischen öffentlichen und privaten Urkunden an. Zunächst sollen jedoch einige allgemeine Grundsätze dargestellt werden, die für alle Arten von Urkunden in den §§ 415 ff. ZPO gleichermaßen gelten: Eine Urkunde iSd ZPO lässt sich definieren als jede schriftliche, verkörperte Gedankenerklärung, d. h. jede Aufzeichnung von Gedanken in üblichen oder vereinbarten Wortzeichen.422 Die weiteren, allgemeinen Voraussetzungen für die Beweiswirkung einer Urkunde sind mit Blick auf die Gründen für ihre Zuverlässigkeit er419 Ausführlich
oben II. 5. a. Vgl. etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 1 mwN. 421 Siehe sogleich § 13 II. 1. 422 Vgl. zu dieser Definition bereits BGH NJW 1976, S. 294; ausdrücklich im Sinne dieser Definition BGH NJW 1998, S. 58, 60; ebenso auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 415, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 2 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 5 ff.; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 415, Rn. 4 ff. und Teske, Urkundenbeweis, S. 113 f. jeweils mwN. 420
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
klärbar: Eine Urkunde lässt ihren Aussteller identifizierbar erkennen, gibt ihren Inhalt verlässlich wieder und eine nachträgliche Veränderung diesen Inhaltes tritt in der Regel deutlich zu Tage.423 Hieraus resultieren konsequenterweise die Echtheit (§§ 437 ff. ZPO) und Mangelfreiheit (§ 419 ZPO) einer Urkunde als weitere, allgemeine Voraussetzungen für eine entsprechende Beweiswirkung von erhobenen Urkunden: Eine Urkunde ist echt iSd § 437 ff. ZPO, wenn sie nach Erscheinungsform und Inhalt von demjenigen herrührt, der nach dem Vorbringen des Beweisführers oder – bei Erhebung des Beweises von Amts wegen – aufgrund der Behauptung der durch den Inhalt der Urkunde begünstigten Partei, ihr Aussteller ist.424 Als Mängel einer Urkunde nennt § 419 ZPO beispielhaft Durchstreichungen, Radierungen und Einschaltungen, lässt aber auch alle anderen, äußeren Mängel genügen. Die Beweiswirkung einer Urkunde entfällt durch § 419 ZPO bereits dann, wenn eine solche Veränderung nach dem Erscheinungsbild der Urkunde nur möglich ist.425 Sodann unterliegt die Urkunde nach § 419 insgesamt der freien Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht.426 aa) § 415 I und II ZPO in Rechtsprechung und Literatur Als erste Kategorie der öffentlichen Urkunden trifft § 415 ZPO eine Regelung über solche Urkunden, die eine Erklärung Dritter beinhalten, welche vor einer Behörde bzw. Urkundsperson abgegeben worden ist.427 § 415 I ZPO enthält hierbei eine Legaldefinition der öffentlichen Urkunde anhand von drei Voraussetzungen: Die Urkunde muss von einer Behörde innerhalb ihrer Amtsbefugnisse und in der vorgeschriebenen Form erstellt worden sein.428 Eine echte und mangelfreie Urkunde, die diese weiteren Voraussetzungen erfüllt, entfaltet nach § 415 I ZPO eine formelle Beweiskraft und damit „vollen Beweis für den beurkundeten Vorgang“. § 415 I ZPO 423 Vgl. zu diesen Eigenschaften als Grundlage für die Zuverlässigkeit des Urkundenbeweises wiederum BGH NJW 1976, S. 294 f. und BGH NJW 1966, S. 1657, 1658 jeweils mwN. 424 Vgl. BGH NJW 1980, S. 893; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 437, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 437, Rn. 5 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 437, Rn. 1 jeweils mwN. 425 Vgl. bereits BGH NJW 1966, S. 1657, 1658; bestätigt in BGH NJW 1980, S. 893; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 419, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 419, Rn. 1 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 419, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 426 Vgl. BGH NJW 1966, S. 1657, 1658; BGH NJW 1994, S. 2768 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 419, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 419, Rn. 5; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 419, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 427 Vgl. etwa BGH NJW-RR 2007, S. 1006 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 19 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 1 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 8 ff. jeweils mwN. 428 Vgl. bereits BGHZ 45, S. 362, 366; ebenso auch BGHZ 78, S. 36, 39; BGH NJW-RR 2007, S. 1006 f.; aus der Literatur siehe wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 4 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 12 jeweils mwN.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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begründet daher vollen Beweis für die Abgabe der Erklärung und ihren beurkundeten Inhalt sowie für die Begleitumstände dieser Abgabe wie Zeit und Ort.429 Indes besagt § 415 I ZPO nichts über die inhaltliche Richtigkeit dieser Erklärung. Die Frage, ob diese Erklärung tatsächlich der Wahrheit entspricht (sog. materielle Beweiskraft) wird durch das Gericht in freier Beweiswürdigung entschieden – wenngleich eine beweiskräftige Urkunde regelmäßig eine entsprechende, tatsächliche Vermutung auslöst.430 § 415 II ZPO gestattet der jeweils anderen Prozesspartei den Nachweis der unrichtigen Beurkundung. Während die Beweiswirkung des § 415 I ZPO somit allein die formelle Richtigkeit einer abgegebenen Erklärung umfasst, ermöglicht § 415 II ZPO den Gegenteilsbeweis gegen eben diese richtige Beurkundung, so dass Beweiswirkung und Gegenteilsbeweis im Rahmen des § 415 I und II ZPO übereinstimmen.431 Zur Führung dieses Gegenteilsbeweises einer unrichtigen Beurkundung iSd § 415 II ZPO ist die volle richterliche Überzeugung erforderlich.432 bb) Eigene Ansicht: § 415 II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Das Recht auf Beweis im Grundgesetz gibt jeder Prozesspartei das Recht auf effektiven Nachweis eigener Rechte. Hieraus folgt das Recht der jeweils anderen Prozesspartei, die Beweiskraft einer erhobenen Urkunde mittels Führung eines Gegenteilsbeweises zu widerlegen. Die Führung des Gegenteilsbeweises stellt sich in diesem Zusammenhang als das Spiegelbild zur Führung des Hauptbeweises dar, so dass diese Beweisführung mithilfe aller zur Verfügung stehenden Beweismittel einen ganz wesentlichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis bildet. Dieses Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises ist grundsätzlich allgemein anerkannt. Einzig im Rahmen des Urkundenbeweises verbleiben Zweifel an diesem Recht – resultierende aus dem mittels Beweisregeln festgelegten, formalen Beweiswert von Urkunden. Dabei ist mit der ganz herrschenden Ansicht davon auszugehen, dass § 415 I ZPO allein eine formale Beweiskraft entfaltet, jedoch keine 429 Vgl. BGH NJW 1994, S. 320, 321; BGH NJW-RR 2007, S. 1006 f.; zustimmend Teske, Urkundenbeweis, S. 126 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 19 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 26 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 26 f. jeweils mwN. 430 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1993, S. 1379, 1380; instruktiv auch BGH NJW-RR 2012, S. 649 f.; aus der Literatur Teske, Urkundenbeweis, S. 126 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 25 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 26 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 26 f. jeweils mwN. 431 In diese Richtung tendiert bereits BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085; deutlich in diesem Sinne auch BGH MDR 1965, S. 818; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 27 ff.; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 34 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 28 f. jeweils mwN. 432 Vgl. BGH MDR 1965, S. 818; zustimmend auch Teske, Urkundenbeweis, S. 127; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 27 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 34 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 28 f. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Aussage über die inhaltliche Richtigkeit dieser Feststellungen trifft.433 Hiernach ist zu differenzieren: Obgleich eine Erklärung mit formaler Beweiskraft nach § 415 I ZPO als von einer Partei abgegeben anzusehen ist, bleibt es der benachteiligten Partei unbenommen, etwaige subjektive Abweichungen von dem objektiv Erklärten nachzuweisen – beispielsweise eine irrtumsbedingte Anfechtung. In diesem Umfang kommt ein Nachweis mit allen Beweismitteln und aufgrund freier Würdigung durch das erkennende Gericht in Betracht, so dass insoweit keine Einschränkung des Rechts auf Beweis erkennbar ist. Schwieriger könnte eine Rechtfertigung demgegenüber für die formale Beweiswirkung des § 415 I ZPO sein. Allerdings sieht § 415 II ZPO ausdrücklich die Möglichkeit eines Nachweises unrichtiger Beurkundung vor. Wenn man nun davon ausgeht, dass die positive, formale Beweiskraft des § 415 I ZPO nur soweit reicht, dass eine Erklärung bestimmten Inhaltes aufgrund richtiger Beurkundung als von einer Partei abgegeben anzusehen ist, so stellt der Nachweis der Unrichtigkeit dieser Beurkundung in § 415 II ZPO den spiegelbildlichen Gegenteilsbeweis gegen die positive Beweiskraft des § 415 I ZPO dar. Das Recht der jeweils anderen Prozesspartei auf Führung eines Gegenteilsbeweises reicht mithin exakt so weit, wie die Beweiskraft der Urkunde zu ihrem Nachteil wirkt. Diese Kongruenz von Beweiswirkung und Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweis ist von entscheidender Bedeutung. Denn aufgrund dieser Kongruenz bleibt für die jeweils andere Prozesspartei ein Gegenteilsbeweis gegen den Urkundenbeweis stets vollumfänglich möglich, so dass ihr Recht auf Beweis gewahrt wird. In einem Punkt unterscheidet sich der Gegenteilsbeweises des § 415 II ZPO jedoch von den allgemeinen Regeln: Ein Gegenbeweis ist grundsätzlich geführt, sobald die richterliche Überzeugung von einer Tatsache erschüttert ist, während § 415 II ZPO den Nachweis der Unrichtigkeit iSe vollen richterlichen Überzeugung verlangt und somit letztlich einen Nachweis des Gegenteils darstellt.434 Mithin unterscheidet sich das erforderliche Beweismaß im Rahmen des § 415 II ZPO von den allgemeinen Regeln über den Gegenbeweis. Indes wurde bereits an anderer Stelle herausgearbeitet, dass das Recht auf Beweis grundsätzlich keine Gewährleistungen in Bezug auf das Beweismaß beinhaltet.435 Das Beweismaß stellt einen vorgege benen Rahmen dar, innerhalb dessen sich das Recht auf Beweis der Parteien bewegt. Ausnahme ist jedoch ein derart hohes Beweismaß, dass der Rechtsnachweis über den konkreten Einzelfall hinaus regelmäßig zum Scheitern verurteilt ist. Diese Frage 433 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 2012, S. 649 f.; aus der Literatur Teske, Urkundenbeweis, S. 126 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 25 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 26 ff. jeweils mwN. 434 In diesem Sinne bereits BGH MDR 1965, S. 818; zustimmend auch Teske, Urkundenbeweis, S. 127; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 27 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 34 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 28 f. jeweils mwN. 435 Ausführlich zum Verhältnis von Beweismaß und Recht auf Beweis § 7 III. 5.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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lässt sich grundsätzlich nur anhand aller Umstände des Einzelfalles beantworten. Im Falle des Urkundenbeweises spricht jedoch viel dafür, dass diese Erhöhung des Beweismaßes des Gegenbeweises keine Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellt: Die Beweiswirkung einer Urkunde ist an die Voraussetzungen der Echtheit und Mangelfreiheit gebunden, so dass bereits die Führung des Hauptbeweises mithilfe einer Urkunde zusätzlichen Voraussetzungen unterliegt, die eine besondere Gewähr für die Richtigkeit der Urkunde bieten. Wenn nun die Anforderungen an die Führung des Hauptbeweises heraufgesetzt werden, so erscheint es konsequent, auch die spiegelbildlichen Anforderungen an die Beweisführung der Gegenpartei zu erhöhen. Zudem wird die weitere Untersuchung der Beweiswirkung einer Urkunde zeigen, dass die Merkmale der Echtheit und Mangelfreiheit die wesentlichen Anknüpfungspunkte für die Führung eines Hauptbeweises und des Gegenbeweises bilden, so dass im Rahmen des Urkundenbeweises letztlich eher eine Verschiebung der für einen Rechtsnachweis erforderlichen Tatbestandsmerkmale stattfindet – ähnlich dem Fall einer gesetzlichen Vermutung.436 Mithin stellt sich § 415 II ZPO grundsätzlich als legitime Ausgestaltung des Rechts auf Beweis dar. cc) § 418 I und II ZPO in Rechtsprechung und Literatur Eine weitere Kategorie von Urkunden hat in § 418 ZPO ihre Normierung erfahren: die sog. Zeugnisurkunden enthalten die Erklärung einer Behörde oder Urkundsperson über eigene Handlungen oder sonstige eigene Wahrnehmungen.437 Die wesentliche Voraussetzung einer solchen Zeugnisurkunde nach § 418 I ZPO ist mithin in der eigenen Wahrnehmung der beurkundeten Tatsachen durch die Behörde zu sehen.438 Eine Identität zwischen wahrnehmender und beurkundender Person innerhalb der Behörde ist jedoch nach überwiegender Auffassung nicht erforderlich.439 Eine weitergehende Beweiswirkung für Tatsachen ohne eigene Wahrnehmung der Behörde bedarf nach § 418 III ZPO der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung durch Bundes- oder Landesgesetze – als Hauptanwendungsfall dieser Regelung ist § 54 PStG anzusehen.440 Die formelle Beweiskraft des § 418 I ZPO erstreckt sich 436 Siehe zu diesem Zusammenhang von Echtheit und Mangelfreiheit einer Urkunde und ihrer Beweiskraft sogleich unten § 13 II. 1. 437 Instruktiv BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085 und BGH NJW 2014, S. 292, 293; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 418, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 418, Rn. 1 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 418, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 438 Dieses Erfordernis stellen insbesondere BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085; BGH NJW 2004, S. 2386, 2387 und BGH NJW 2014, S. 292, 293 heraus; zustimmend wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 4 ff.; MüKoSchreiber, ZPO II, § 415, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 439 In diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 4 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 4 ff. jeweils mwN 440 Vgl. wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 26 f. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 5 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
auf die wahrgenommenen und beurkundeten Tatsachen sowie die etwaigen Begleitumstände wie Ort und Zeit.441 Weitergehende, subjektive Eindrücke der beurkundenden Person werden nicht von der Beweiskraft des § 418 I ZPO erfasst.442 Ein Gegenteilsbeweis ist nach § 418 II ZPO grundsätzlich zulässig und bezieht sich auf die Unrichtigkeit der beurkundeten Tatsachen. Während § 418 I ZPO somit der Beurkundung einer Behörde bzw. Urkundsperson über wahrgenommene Tatsachen einen formellen Beweiswert zugesteht, ermöglicht § 418 II ZPO die Widerlegung eben dieser Tatsachen mit allen verfügbaren Beweismitteln unter freier Würdigung durch das erkennende Gericht, so dass sich einmal mehr die Reichweite von formeller Beweiswirkung und zugelassenem Gegenteilsbeweis decken.443 Der Ausschluss des Gegenteilsbeweises nach § 418 II ZPO durch entsprechende Bundesoder Landesgesetze wurde nur in seltenen Fällen tatsächlich praktiziert: Die wesentlichen Beispiele eines einschränkenden Bundesgesetzes finden sich in den §§ 165 S. 2, 314 S. 2 ZPO sowie in § 80 ZVG.444 Der Beweis der Unrichtigkeit in § 418 II ZPO ist nach Rechtsprechung und Literatur ebenfalls als Beweis des Gegenteils anzusehen und daher die volle richterliche Überzeugung von der Unrichtigkeit erforderlich.445 Allerdings hat der BGH insbesondere im Falle der Beweisnot ausgesprochen, dass an diesen Nachweis keine überzogenen Anforderungen gestellt werden dürfen.446 dd) Eigene Ansicht: § 418 II ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Die Beweiswirkung des § 418 I ZPO umfasst die formale Feststellung bestimmter Tatsachen, die von Behörden oder Urkundspersonen wahrgenommen worden sind. Der Gegenteilsbeweis des § 418 II ZPO ermöglicht den Nachweis der Unrichtigkeit eben dieser wahrgenommenen und formal als richtig festgestellten Tatsachen. 441 Ausführlich BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085; siehe auch BGH NJW 2004, S. 2386, 2387 und BGH NJW 2014, S. 292, 293; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 418, Rn. 5 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 418, Rn. 18 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 418, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 442 In diesem Sinne insbesondere Teske, Urkundenbeweis, S. 128; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 418, Rn. 19 und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 418, Rn. 3 jeweils mwN. 443 Instruktiv zu dieser Verbindung aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085; ausdrücklich in diesem Sinne auch BGH NJW 2014, S. 292, 293; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 418, Rn. 4 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 418, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 444 Zur Überprüfung der §§ 165 S. 2, 314 S. 2 ZPO am Maßstab des Rechts auf Beweis siehe bereits § 13 II. 2. und 3.; zu weiteren Anwendungsfällen des § 418 II ZPO vgl. etwa MüKo-Schrei ber, ZPO II, § 418, Rn. 9. 445 Vgl. BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085 und BGH NJW 2014, S. 292, 293; ebenso auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 418, Rn. 12 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 418, Rn. 21 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 418, Rn. 8 f. jeweils mwN. 446 Vgl. etwa BGH NJW 2007, S. 603; ebenso in jüngster Zeit BGH NJW-RR 2014, S. 179 jeweils mwN.
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Rechtsprechung und Literatur gehen daher richtigerweise davon aus, dass sich die Reichweite von Beweiswirkung des § 418 I ZPO und zugelassenem Gegenteilsbeweis nach § 418 II ZPO decken.447 Aufgrund dieser Kongruenz von Beweis und Gegenteilsbeweis ist in § 418 II ZPO grundsätzlich keine Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz zu erblicken. Zu beachten ist jedoch auch im Rahmen des § 418 II ZPO das erhöhte Beweismaß des Nachweises der Unrichtigkeit der in der Urkunde bezeugten Tatsache. Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis kann dieses Beweismaß des § 418 II ZPO nur in extremen Ausnahmefällen darstellen. § 418 I ZPO sieht gleichfalls als Voraussetzung für seine formale Beweiswirkung die Echtheit und Mangelfreiheit der Urkunde vor, deren Inhalt sich zudem allein auf eigene Wahrnehmungen einer Behörde beziehen darf. Diese erhöhten Anforderungen an die Führung eines Hauptbeweises mittels einer Urkunde nach § 418 I ZPO lassen das Erfordernis der Führung eines Gegenteilsbeweises grundsätzlich als vertretbar erscheinen – vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalles. Somit stellt auch § 418 II ZPO dem Grunde nach eine rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz dar. ee) § 417 ZPO in Rechtsprechung und Literatur § 417 ZPO umfasst als dritte Kategorie der öffentlichen Urkunden die Beurkundung von Erklärungen, die durch die betreffende Behörde selbst abgegeben wurden. Gegenstand der Beurkundung kann jede nach außen gerichtete Erklärung der Behörde sein – sei es eine Anordnung, Verfügung oder Entscheidung iSd § 417 ZPO.448 Eine solche Urkunde entfaltet – ihre Echtheit und Mangelfreiheit vorausgesetzt – eine formelle Beweiswirkung dahingehend, dass diese Erklärung durch die Behörde abgegeben wurde.449 Die inhaltliche Richtigkeit dieser Erklärung wird jedoch auch im Rahmen des § 417 ZPO nicht nachgewiesen.450 Einen Gegenteilsbeweis gegen diese formelle Beweiswirkung sieht § 417 ZPO jedoch nicht vor. Nach überwiegender Auffassung handelt es sich um eine klare gesetzgeberische Entscheidung, die als solche zu respektieren ist und darauf basiert, dass es sich um eine Erklärung der Behörde handelt, die sich unmittelbar aus der Urkunde selbst ergibt und eine Falsch447 Vgl. zu dieser Feststellung wiederum BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085; BGH NJW 2014, S. 292, 293; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 418, Rn. 4 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 418, Rn. 4 ff. jeweils mwN 448 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 417, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 417, Rn. 1 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 417, Rn. 2 ff.; Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 417, Rn. 1 ff. jeweils mwN. 449 Vgl. BGH NJW-RR 2012, S. 823, 824; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 417, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 417, Rn. 1 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 417, Rn. 4 f.; Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 417, Rn. 4 jeweils mwN. 450 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 2012, S. 823, 824 und Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 417, Rn. 2 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 417, Rn. 6 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 417, Rn. 6 jeweils mwN.
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beurkundung daher kaum denkbar ist.451 In Teilen der Literatur wird demgegenüber darauf verwiesen, dass auch Erklärungen im Rahmen des § 417 ZPO sehr wohl fehlerhaft beurkundet werden können und die Zulassung eines Gegenteilsbeweises in analoger Anwendung der §§ 415 II, 418 II ZPO daher geboten ist.452 ff) Eigene Ansicht: § 417 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG § 417 ZPO unterscheidet sich von den bisher untersuchten Ausgestaltungen des Urkundenbeweises in den §§ 415, 418 ZPO dahingehend, dass ein Gegenteilsbeweis durch § 417 ZPO gerade nicht vorgesehen wird. Die formale Beweiswirkung des § 417 ZPO kann durch die jeweils andere Prozesspartei somit grundsätzlich nicht widerlegt werden. Ein solcher, pauschale Ausschluss des Rechts auf Führung eines Gegenteilsbeweises stellt eine ganz erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis der jeweiligen Gegenpartei dar. Die gesetzliche Regelung dieser Einschränkung ist in der Normierung eines formalen Beweiswertes einer Urkunde ohne jede Möglichkeit einer Widerlegung desselben durch § 417 ZPO zu sehen. Als legitimes Ziel der formalen Beweisregeln des Urkundenbeweises in den §§ 415 ff. ZPO insgesamt wird in der Literatur die Schaffung von Rechtssicherheit benannt.453 Der Ausschluss des Gegenteilsbeweises würde sich hierbei als Absicherung eben dieser vorgezeichneten Balance zwischen Voraussetzungen und Beweiswirkungen des Urkundenbeweises darstellen und die Einschränkung des Rechts auf Beweis damit dem legitimen Ziel der Rechtssicherheit dienen. Indes ließe sich einwenden, dass die Rechtssicherheit in erster Linie durch das Zusammenspiel von Voraussetzungen des Urkundenbeweises und sodann festgelegtem Beweiswert dieses Beweismittels hergestellt wird. Die Möglichkeit der Führung eines Gegenteilsbeweises gegen eine bestimmte Überzeugung des Gerichts wird einer Partei auch im Rahmen der anderen Beweismittel der ZPO gewährt, so dass nicht ersichtlich ist, weshalb diese Möglichkeit für den Urkundenbeweis zu einer verstärkten Rechtsunsicherheit führen sollte. Erkennt man dennoch die Rechtssicherheit als legitimes Ziel des Ausschlusses eines Gegenteilsbeweises im Rahmen des § 417 ZPO an, so stellt sich die Frage nach der Angemessenheit dieser Regelung. Die Fallgestaltung einer weitgehenden Einschränkung des Gegenteilsbeweises wurde im Laufe dieser Untersuchung bereits für die §§ 165 S. 2, 314 S. 2 ZPO geprüft und in diesen Konstellationen als mit dem Recht auf Beweis vereinbar anerkannt.454 Diese Analyse zeigt, dass EinschränIn diesem Sinne äußern sich Teske, Urkundenbeweis, S. 128; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 417, Rn. 4 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 417, Rn. 7; Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 417, Rn. 4 jeweils mwN. 452 Für eine solche Analogie zu den §§ 415 II, 418 II ZPO spricht sich insbesondere Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 417, Rn. 8 f. mwN aus. 453 Ausführlich in diesem Sinne Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 1; ähnlich auch BGH NJW 1976, S. 294 f. jeweils mwN. 454 Siehe § 11 IV. 10. 451
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kungen des Rechts auf Führung eines Gegenteilsbeweises grundsätzlich mit dem Recht auf Beweis vereinbar sein können. Weiterhin eignet sich auch die Interessenlage der §§ 165 S. 2, 314 S. 2 ZPO als Vergleichsmaßstab für den hier interessierenden Ausschluss des Gegenteilsbeweises in § 417 ZPO: Die Einschränkung der Beweisführung nach § 314 S. 2 ZPO fand ihre Rechtfertigung zum einen darin, dass eine Beweisführung mithilfe des Gerichtsprotokolls möglich war und der Inhalt dieses Protokolls wiederum mit allen Beweismitteln nachgewiesen werden konnte und so eine mittelbare Nachweismöglichkeit auch im Rahmen des § 314 S. 2 ZPO bestand. Zum anderen hat der Urteilstatbestand eine besondere Bedeutung für die Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden inne. Eine Beweisführung unter Einschluss aller Beweismittel würde auf eine erneute Prüfung des gesamten Prozessstoffes hinauslaufen und dem Ziel einer abschließenden Entscheidung widersprechen. Zu bedenken war weiterhin, dass sämtliche Beweismittel bereits im Rahmen des eigentlichen Prozesses erhoben werden konnten. Demgegenüber schließt § 417 ZPO bereits die erstmalige Erhebung von Beweismitteln zur Führung eines Gegenteilsbeweises pauschal aus, ohne dass eine besondere Bedeutung für den verbindlichen Abschluss eines Prozesses ersichtlich wäre. Ein solcher Ausschluss von Beweismitteln stellt eine ganz erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Eine Rechtfertigung ließe sich mit Teilen der Literatur allenfalls dahingehend andenken, dass eine Falschbeurkundung im Rahmen des § 417 ZPO aufgrund der Identität von behördlicher Erklärung und der Urkunde ausgeschlossen sei, so dass es an einem Anknüpfungspunkt für den Gegenteilsbeweis fehle.455 Indes erscheint es fraglich, aus welchem Grund die Beurkundung einer Erklärung durch die Behörde selbst von jeder Fehlerhaftigkeit befreit sein sollte. Die Gefahr, dass eine durch die Behörde getroffene Entscheidung aufgrund eines Tippfehlers oder einer sonstigen Nachlässigkeit nicht in der korrekten Form in die Urkunde gegossen wird, besteht nach hier vertretener Auffassung grundsätzlich in gleichem Maße, wie etwa im Rahmen der Beurkundung fremder Erklärungen durch die Behörde nach § 415 ZPO. In beiden Konstellationen werden Erklärungen durch eine Behörde beurkundet, so dass dieser Vorgang auch in gleichem Maße anfällig für etwaige Fehler erscheint. Das Bedürfnis, solche Fehler im Prozess nachweisen zu dürfen, besteht für die jeweilige Partei daher auch im Rahmen des § 417 ZPO. Ein pauschaler Ausschluss des Rechts auf den Gegenteilsbeweis lässt sich nach hier vertretener Auffassung nicht mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz vereinbaren. Vielmehr fordert das Recht auf Beweis auch im Rahmen des § 417 ZPO eine Kongruenz von formeller Beweiswirkung und Recht auf Führung eines Gegenteils-
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In diesem Sinne insbesondere MüKo-Schreiber, ZPO II, § 417, Rn. 7 und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 417, Rn. 6 jeweils mwN.
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beweises. Zur Verwirklichung dieser verfassungsrechtlichen Forderung bietet sich eine Analogie zu den §§ 415 II, 418 II ZPO an.456 gg) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises stellt sich zugleich als ein wesentlicher Gewährleistungsgehalt Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar – spiegelbildlich zum Recht auf Führung eines Hauptbeweises. Daher hat der Gesetzgeber für die Einschränkung dieses Gewährleistungsgehaltes allenfalls einen im Vergleich zum Grundgesetz geringfügig größeren Ermessensspielraum inne. Die Forderung nach einer Kongruenz zwischen formaler Beweiswirkung und einem Recht auf Führung eines Gegenbeweises lässt sich auch für das Recht auf Beweis in EMRK und Grundrechtecharta fruchtbar machen. Der pauschale Ausschluss eines Gegenteilsbeweises im Rahmen des § 417 ZPO erscheint daher nach EMRK und Grundrechtecharta als unangemessen, so dass eine analoge Anwendung der §§ 415 II, 418 II ZPO gleichfalls geboten ist. d) Die Führung eines Gegenteilsbeweises in Bezug auf private Urkunden Als zweite Art von Urkunden sieht die ZPO privaten Urkunden vor, die ihre gesetzliche Ausgestaltung in § 416 ZPO erfahren haben. Privat iSd § 416 ZPO sind nach allgemeiner Auffassung alle Urkunden, die keine öffentlichen Urkunden sind.457 Mithin alle schriftlichen verkörperten Gedankenerklärungen, d. h. Aufzeichnungen von Gedanken in üblichen oder vereinbarten Wortzeichen, die nicht die besonderen Voraussetzungen einer öffentlichen Urkunde nach § 415 I ZPO erfüllen.458 aa) § 416 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die zentrale Voraussetzung einer Privaturkunde ist nach § 416 ZPO die Unterzeichnung durch ihre Aussteller. Die Unterschrift hat hierbei den Sinn und Zweck, eine Gewähr für den Inhalt des Textes und die Identifizierbarkeit ihrer Aussteller zu schaffen.459 Der Name der Aussteller muss nach Rechtsprechung und Literatur unter dem Text stehen und diesen Text räumlich abschließen.460 Eine Signatur oberhalb 456
So bereits Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 417, Rn. 8 f. mwN. Vgl. zu dieser Unterscheidung bereits BGH NJW 1962, S. 1149, 1151 und BGH NJW 1998, S. 58, 60; ausdrücklich in diesem Sinne Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 1; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 416, Rn. 1; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 3 jeweils mwN. 458 Vgl. insbesondere BGH NJW 1998, S. 58, 60; aus der Literatur Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 416, Rn. 1 und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 3 jeweils mwN. 459 Instruktiv BGH NJW 1991, S. 487; ausführlich auch Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 6 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 460 Vgl. BGH NJW 1991, S. 487; ebenso Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 3 ff.; Wieczo457
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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des Textes (Oberschrift) oder neben dem Text (Nebenschrift) ermöglicht gerade keinen sichtbaren Abschluss des Textes und genügt mithin nicht den Anforderungen des § 416 ZPO.461 Die Unterschrift muss nicht mit dem Familiennamen erfolgen, vielmehr genügen Vorname oder auch Künstlername, solange eine eindeutige Identifizierung möglich ist.462 Die Unterschrift muss zudem weder handschriftlich, noch persönlich erfolgen.463 Unter den weiteren, allgemeinen Voraussetzungen der Echtheit und Mangelfreiheit entfaltet auch eine Privaturkunde nach § 416 ZPO eine formale Beweiswirkung dahingehend, dass die Erklärung als durch den Aussteller willentlich in den Verkehr gebracht anzusehen ist.464 Weitergehende Begleitumstände wie Ort und Zeit werden demgegenüber Auffassung nicht von der Beweiswirkung des § 416 ZPO erfasst.465 Auch bietet § 416 ZPO keine Gewähr für die inhaltliche Richtigkeit der in Verkehr gebrachten Erklärung, welche vielmehr im Wege freier Beweiswürdigung zu beurteilen ist.466 Ein Gegenteilsbeweis ist durch § 416 ZPO grundsätzlich nicht vorgesehen. Indes haben Rechtsprechung und Schrifttums überwiegend ein ungeschriebenes Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises dahingehend anerkannt, dass die jeweils andere Partei das Abhandenkommen der Urkunde behaupten und nachweisen darf.467 Aufgrund der Beschränkung der Beweiswirkung des § 416 ZPO auf das willentliche Inverkehrbringen einer Erklärung stellt die rek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 6 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 461 Siehe wiederum BGH NJW 1991, S. 487; ebenso Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 3 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 6 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 462 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 7; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 5 und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 416, Rn. 8 f. jeweils mwN 463 Vgl. BGH NJW-RR 1988, S. 881; ebenso auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 5 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 8 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 5 f. jeweils mwN. 464 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1989, S. 1323 f.; BGH NJW 2013, S. 3306, 3308 und BGH NJWRR 2015, S. 819, 820 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 10 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 15 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 9 f. jeweils mwN. 465 Vgl. BGH NJW-RR 1990, S. 737, 738; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 12; Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 15 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 9 f. jeweils mwN. 466 Vgl. etwa BGH NJW 1986, S. 3086; in jüngster Zeit auch BGH NJW-RR 2015, S. 819, 820 f.; siehe aber zu einer tatsächlichen Vermutung bei Beweisführung mittels eines schriftlichen Kaufvertrages, BGH NJW 1980, S. 1680, 1681; aus der Literatur Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 13 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 15 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 9 f. jeweils mwN. 467 Ausdrücklich in diesem Sinne BGH NJW-RR 2006, S. 847, 848 f.; zustimmend auch Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 32 ff. und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 416, Rn. 20; ähnlich Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 17 ff., der im Nachweis des Abhandenkommens jedoch den Nachweis der Unechtheit der Privaturkunde erblickt; einen Gegenbeweis im Rahmen
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Nachweismöglichkeit des Abhandenkommens den spiegelbildlichen Gegenteilsbeweis dar.468 Von einigen Vertretern der Literatur wird zur Herleitung dieses Gegenteilsbeweises auf eine Analogie zu § 415 II ZPO rekurriert.469 Dieser Nachweis des Abhandenkommens bedarf nach Rechtsprechung und Literatur ebenfalls der vollen richterlichen Überzeugung.470 bb) Eigene Ansicht: § 416 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Recht auf Beweis gewährleistet auch für die Beweisführung durch Privaturkunden das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises. Ein eben solches Recht sieht § 416 ZPO gegen die Beweiswirkung einer Privaturkunde gerade nicht vor. Der Ausschluss eines Gegenteilsbeweises stellt eine erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Diese Einschränkung hat in § 416 eine gesetzliche Regelung gefunden, die – analog zu § 417 ZPO – dem legitimen Ziel der Rechtssicherheit durch Absicherung des festgelegten Beweiswertes von Privaturkunden dient.471 Ein solcher, pauschaler Ausschluss des Gegenteilsbeweises erscheint auch im Rahmen des § 416 ZPO kaum als angemessen zu rechtfertigen. Als Argumentationslinie könnte allein die Überlegung dienen, dass eine Privaturkunde durch die Partei als Aussteller geschaffen wird und eine Falschbeurkundung daher durch die beiderseitige Mitwirkung und das Unterschrifterfordernis ausgeschlossen werden könnte.472 Indes zielt bereits die Beweiswirkung des § 416 ZPO allein auf den Nachweis des willentlichen Inverkehrbringens einer Erklärung und nicht auf ihre inhaltliche Richtigkeit. Daher ist richtigerweise davon auszugehen, dass ein Nachweis des Abhandenkommens iSe mit der Beweiswirkung des § 416 ZPO kongruenten Gegenteilsbeweises möglich sein muss.473 Das Recht auf Führung eines Gegenteilsbeweises im Rahmen des § 416 ZPO wird auch durch das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta zwingend gefordert, wobei sich als einfach-rechtlicher Anknüpfungspunkt eine Analogie zu den §§ 415 II, 418 II ZPO anbietet. Eine analoge Anerkennung des Rechts auf Führung eines Gegenteilsbeweises durch die jeweils andes § 416 ZPO insgesamt ablehnend demgegenüber MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 11 jeweils mwN. 468 Vgl. Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 32 ff. und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 416, Rn. 20. 469 In diesem Sinne insbesondere Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 32 ff. und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 416, Rn. 20 jeweils mwN. 470 Vgl. wiederum Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 32 ff. und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 416, Rn. 20 jeweils mwN. 471 Siehe allgemein zum Ziel der Schaffung von Rechtssicherheit Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, Vor § 415, Rn. 1 und BGH NJW 1976, S. 294 f. jeweils mwN. 472 In diesem Sinne die Argumentation von MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 11 mwN. 473 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 2006, S. 847, 848 f.; zustimmend auch Wieczorek/SchützeAhrens ZPO VI, § 416, Rn. 32 ff. und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 416, Rn. 20 jeweils mwN.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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dere Prozesspartei lässt § 416 ZPO sodann als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis erscheinen.
V. Augenscheinsbeweis Als letztes Beweismittel des Strengbeweises ist nun der gerichtliche Augenschein zu untersuchten. Der Augenschein unterscheidet sich von den Beweismitteln des Zeugen, Sachverständigen und der Vernehmung einer Partei dahingehend, dass das erkennende Gericht eine unmittelbare, eigene Wahrnehmung des Augenscheinsobjektes erhält und so ein eigener Schluss auf die zum Beweis beantragte Tatsache ermöglicht wird. Aufgrund des Wegfalls von Mittelspersonen wie Zeugen, Sachverständigen und Parteien in der Anschauung entscheidungserheblicher Tatsachen, wird der Beweis durch Augenschein als sehr zuverlässiges Beweismittel angesehen.474 Eine vorgelegte Urkunde unterliegt zwar ebenfalls der unmittelbaren Wahrnehmung durch das erkennende Gericht, doch handelt es sich hierbei um eine spezielle Gedankenerklärung, die in einer bestimmten, vorgeschriebenen Form fixiert wurde475 Allerdings hat der Augenscheinsbeweis eine eher sporadische Behandlung in Rechtsprechung und Literatur erfahren, so dass insbesondere der Erarbeitung einer eigenen Ansicht zum diesbezüglichen Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta große Bedeutung zukommt, bevor der so erarbeitete Maßstab zur Überprüfung des einfachen Rechts herangezogen wird.
1. Die Gewährleistungen von EMRK und GRC zum Augenscheinsbeweis Die Problematik fehlender Behandlung des Augenscheinsbeweises zeigt sich insbesondere im Rahmen der europäischen Grundrechtsordnungen. Spezielle Entscheidungen von EGMR und EuGH zum Beweismittel des Augenscheins nach deutschem Verständnis sind – soweit ersichtlich – bislang nicht getroffen worden und auch in der Literatur findet dieses Beweismittel keine besondere Beachtung. Ausgehend von den allgemeinen Äußerungen von EGMR und EuGH zum Recht auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC in Bezug auf die Beweisführung im Zivilprozess liegt es jedoch nahe, dass auch für das Beweismittel 474 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 371, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 371, Rn. 4; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 371, Rn. 7 ff.; ausführlich zu den Vorzügen und Gefahren des Augenscheinsbeweises bereits Döhring, Erforschung des Sachverhaltes, S. 314 ff. jeweils mwN. 475 Zur Abgrenzung zwischen Augenschein und den anderen Beweismitteln siehe etwa Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 371, Rn. 14 ff. und Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 371, Rn. 3 ff. jeweils mwN.
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des Augenscheins ein grundsätzliches Recht auf seine Erhebung gewährleistet wird.476
2. Die Gewährleistungen des GG zum Augenscheinsbeweis In Rechtsprechung und Literatur zeigt sich in Bezug auf etwaige Gewährleistungen des Grundgesetzes zum Augenscheinsbeweis ein ähnlich zurückhaltendes Bild. Das Bundesverfassungsgericht hat sich lediglich in einer kleinen Zahl von Fällen ausdrücklich zum Augenscheinsbeweis geäußert und auch in der Literatur wird dieses Beweismittel im Zusammenhang mit dem Grundgesetz kaum behandelt. Dennoch lassen sich einige verfassungsrechtliche Gewährleistungen zum Augenscheinsbeweis herausarbeiten: a) Das Recht der Parteien auf Einnahme eines Augenscheins Als zentralen Gewährleistungsgehalt stellt sich auch in diesem Zusammenhang das Recht auf Erhebung beantragter Augenscheinsbeweise dar. Das Bundesverfassungsgericht hat ein solches Recht auf Einnahme eines beantragten Augenscheins in einer Entscheidung angedeutet.477 BGH und Schrifttum gehen übereinstimmend davon aus, dass der Beweis durch Augenschein den allgemeinen Regelungen der Beweisaufnahme unterworfen ist und eine beantragte Beweisaufnahme daher auch nur nach den allgemeinen Regelungen abgelehnt werden darf.478 Diese Aussagen zeigen deutlich auf, dass Rechtsprechung und Literatur nach eben diesen allgemeinen Regeln ein Recht auf Erhebung beantragter Augenscheinsbeweise aus Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO herleiten.479
476 Vgl. etwa EGMR, Urteil vom 19.04.1993, 13942/88, Kraska ./. CH, Rn. 30 ff.; EGMR, Urteil vom 19.04.1994, 16034/90, Van de Hurk ./. NL, Rn. 59 ff. und EGMR, Urteil vom 18.10.2006, 63566/00, Pronina ./. UKR, Rn. 25 zu den Gewährleistungen der EMRK und EuGH, Rs. C-189/02, Slg. 2005, I-05425, Rn. 66 ff. – Danks Rorindustri u. a. / Kommission und EuGH Rs. C-137/07, Rn. 318 ff. – Österreichische Volksbanken / Kommission und EuGH Rs. C-89/08, Slg. 2009, I-11245, Rn. 50 ff. – Kommission / Irland u.a zur den entsprechenden Gewährleistungen der europäischen Grundrechtecharta. 477 In diese Richtung tendierend BVerfGE 46, S. 315, 319 f. 478 In diesem Sinne bereits BGH VersR 1961, S. 801, 802 f.; ebenso auch BGH VersR 1963, S. 192, 193; ausdrücklich zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 371, Rn. 30 ff.; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 371, Rn. 51; Prütting/Gehrlein-Trautwein, ZPO, § 371, Rn. 8; MüKoHuber, ZPO II, § 371, Rn. 3 jeweils mwN. 479 Siehe allgemein zu dieser Gewährleistung des Grundgesetzes etwa BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586 und BVerfG-K 12, S. 346, 350 f. jeweils mwN.
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b) Das Recht auf Teilnahme an einer gerichtlichen Augenscheinnahme Zudem haben die Prozessparteien nach Rechtsprechung und Literatur ein Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme aus Art. 103 I GG inne.480 Das Bundesverfassungsgericht bezieht ein solches Recht auf Teilnahme in einer Entscheidung auch auf die Einnahme des Augenscheins durch das erkennende Gericht.481 In der Literatur wird gleichfalls die besondere Bedeutung dieses Rechts auf Teilnahme für den Augenschein betont, da eine solche Einnahme des Augenscheins regelmäßig am Belegenheitsort des Augenscheinsobjektes und damit gerade nicht in den üblichen Gerichtsräumen stattfindet.482 c) Das Recht auf Äußerung zum Ergebnis einer gerichtlichen Augenscheinnahme Abschließend spricht vieles dafür, dass den Prozessparteien auch ein Recht auf Äußerung zu den Ergebnissen eines Augenscheins zugestanden wird: Rechtsprechung und Literatur haben aus Art. 103 I GG ein Recht auf Äußerung abgeleitet und die Verwertbarkeit von Beweismitteln an eben diese Äußerungsmöglichkeit gebunden.483 Dieser allgemeine Grundsatz lässt sich auch auf den Augenscheinsbeweis beziehen, so dass die Parteien hiernach ein Recht auf Äußerung zu den Ergebnissen einer Einnahme des Augenscheins hätten.
3. Eigene Ansicht: Die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis zum Augenscheinsbeweis Zum Abschluss dieser abstrakten Ausführungen soll nun der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz zum Augenscheinsbeweis als eigene Ansicht eingehend analysiert und herausgearbeitet werden. a) Orientierung am Prozesszweck: Der Augenschein als unmittelbare Erkenntnisquelle des Gerichts Die Ermittlung der einzelnen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis soll auch für den Augenscheinsbeweis unter Zugrundelegung des Prozesszweckes der Rechts480 Vgl. wiederum BVerfG NJW 2012, S. 2262 f.; BVerwG 2006, S. 2058 f.; Stein/Jonas-Ber ger, ZPO V, § 357, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 1 und die ausführliche Analyse in § 9 V. 481 Diesen Bezug herstellend BVerfG NJW 1995, S. 40 f. als Vergleichsbasis für die Herleitung eines Rechts auf Offenlegung der Datengrundlage eines Sachverständigen. 482 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 2 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 14 f.; MüKo-Heinrich, ZPO II, § 357, Rn. 2 ff.; siehe wiederum § 9 V. 483 Vgl. zu diesem Grundsatz bereits BVerfGE 50, S. 280, 284; ebenso auch BVerfGE 55, S. 95, 98 f.; BVerfG NJW 1991, S. 2757; BVerfG NJW 2006, S. 2248, 2249 jeweils mwN.
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durchsetzung mittels effektiven Rechtsnachweises erfolgen. Die Einnahme eines Augenscheins ermöglicht die unmittelbare Anschauung des Gerichts von entscheidungserheblichen Tatsachen und wird aufgrund des Entfallens von Mittelspersonen dieser Anschauung richtigerweise als ein besonders zuverlässiges Beweismittel angesehen.484 Die Parteien erhalten durch dieses Beweismittel die Möglichkeit, von ihnen behauptete Tatsachen auf unmittelbare Art und Weise dem erkennenden Gericht zu präsentieren. Hinzu kommt, dass der Begriff des Augenscheinsobjektes eine weite Auslegung iSe Wahrnehmung von Objekten durch das Gericht mithilfe aller zur Verfügung stehenden Sinnesorgane erlaubt und somit eine effektive Beweisführung mit einer Vielzahl verschiedener Erkenntnisquellen ermöglicht. Daher handelt es sich beim Augenscheinsbeweis um ein ganz wesentliches Instrument des effektiven Rechtsnachweises der Parteien wie auch der Wahrheitsfindung im Zivilprozess gleichermaßen. Auf der anderen Seite wird das erkennende Gericht durch diese eigene, unmittelbare Wahrnehmung von Tatsachen anfällig für die allgemeinen Fehlerquellen einer sinnlichen Wahrnehmung des Menschen.485 Im Rahmen der Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Parteien als Beweismittel kommt dem Gericht im Rahmen seiner Würdigung die Kontrolle eben dieser Fehlerquellen einer Aussage zu. Diese Kontrolle wird jedoch erschwert, wenn Wahrnehmung von Tatsachen und Kontrolle dieser Wahrnehmung in einer Person zusammenfallen. Daher bedarf es zugleich einer Reihe von Sicherungen, um eine effektive Beweisführung aller Prozessparteien im Rahmen des Augenscheinsbeweises gewährleisten. b) Das Recht auf Einnahme eines Augenscheins durch das Gericht Der Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis umfasst in allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen ein Recht der Prozessparteien auf Einnahme des Augenscheins aller zum Beweis beantragten Tatsachen durch das erkennende Gericht. Mit diesem Recht korrespondiert eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Einnahme des Augenscheins beantragter Tatsachen. Diese Pflicht des Gerichts ist im Rahmen des Augenscheinsbeweises besonders zu betonen: Schließlich wird nicht allein die tatsächliche Erhebung der vorgebrachten Beweismittel verlangt, sondern eine eigenständige, aktive Wahrnehmung von Augenscheinsobjekten durch das erkennende Gericht. Die Parteien haben ein Recht, das Gericht durch einen entsprechenden Beweisantrag zu eben diesem Handeln zu verpflichten.
484 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, Vor § 371, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 371, Rn. 4; Musielak/Voit-Huber, ZPO, § 371, Rn. 7 ff. und Döhring, Erforschung des Sachverhaltes, S. 314 ff. jeweils mwN. 485 Auf diesen Aspekt weist insbesondere Döhring, Erforschung des Sachverhalts, S. 314 ff. hin.
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c) Das Recht der Parteien auf Anwesenheit Außerdem gewährleistet das Recht auf Beweis ein Recht auf Anwesenheit bei der Einnahme des Augenscheins durch das erkennende Gericht.486 Die Parteien müssen in die Lage versetzt werden, das Augenscheinsobjekt in gleichem Umfange wie das erkennende Gericht anzusehen. Allein auf diese Weise wird es den Parteien ermöglicht, das Gericht in seiner Wahrnehmung zu bestärken oder auch etwaige Fehler in der Wahrnehmung des Gerichts zu bemerken und eine alternative Darstellung des Augenscheinsobjektes anzubieten. Mithin stellt sich das Anwesenheitsrecht der Parteien als wesentliche Voraussetzung einer effektiven Beweisführung dar. Aus dem jeweiligen Recht der Parteien auf Beweis folgt somit ein Recht auf Anwesenheit. Die Effektuierung dieses Anwesenheitsrechts erfordert außerdem eine entsprechende Verpflichtung des Gerichts zur frühzeitigen Information der Parteien über den geplanten Zeitpunkt der Einnahme des Augenscheins. d) Die Informationspflichten des Gerichts Eine effektive Beweisführung verlangt weiterhin ein Recht der Parteien auf Information über die subjektiven Eindrücke des Gerichts. Das Gericht ist hiernach verpflichtet darzulegen, welche Eindrücke es bei der Einnahme des Augenscheins gewonnen hat und welche Auswirkungen diese Eindrücke für seine Überzeugungsbildung zu welchen Tatsachen haben. Allein auf Basis dieser Informationen ist es den Parteien möglich, gezielt die relevanten Punkte des Augenscheins anzusprechen und etwaige Abweichungen zwischen dem Eindruck der Parteien und dem Eindruck des Gerichts deutlich zu machen. Das Recht auf Beweis gewährleistet daher ein Recht auf Information über die Eindrücke eines gerichtlichen Augenscheins. Gerade die durch den Augenscheinsbeweis belastete Gegenpartei erhält durch diese Gewährleistungen die Möglichkeit einer effektiven Vorbereitung eines Gegenbeweises. e) Das Recht der Parteien auf Äußerung Abschließend gewährleistet das Recht auf Beweis den Parteien jeweils ein Recht auf Äußerung. Ein solches Äußerungsrecht ist in erster Linie für diejenige Partei von Bedeutung, zu deren Nachteil der gerichtliche Augenschein ausgefallen ist. Doch auch die andere Partei muss die Möglichkeit erhalten, die Ergebnisse des Augenscheins mit eigenen Äußerungen nochmals zu bestärken. Ein solches Äußerungsrecht ist für die Parteien insbesondere im Rahmen der eigentlichen Durchführung des Augenscheins von Bedeutung. Wenn die Anmerkungen der Parteien unmittelbar im Zeitpunkt der gerichtlichen Augenscheinnahme erfolgen, so ist es dem erkennenden Gericht möglich, sich das Augenscheinsobjekt auf Grundlage dieser Äußerungen erneut anzuschauen und seine ersten Eindrücke kritisch zu überprüfen. Dieses 486
Zum allgemeinen Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme siehe bereits § 9 V.
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Äußerungsrecht im Rahmen der Durchführung des Augenscheins ist für eine effektive Beweisführung der Prozessparteien daher von besonderer Bedeutung. Darüber hinaus hat auch ein späteres Äußerungsrecht zu den Ergebnissen des Augenscheins im weiteren Verlauf des Prozesses ein eigenes Gewicht für die Beweisführung der Parteien. So ist es den Parteien im Anschluss an den eigentlichen Augenschein möglich, in Ruhe über die Art und Weise seiner Durchführung nachzudenken und etwaige Fehlerquellen der gerichtlichen Wahrnehmung aufzuzeigen – ggf. unter Einholung fachkundigen Rates. Daher gewährleistet das Rech auf Beweis nach hier vertretener Auffassung ein Recht beider Parteien auf Äußerung im Rahmen der Durchführung einer Augenscheinnahme, wie auch im weiteren Prozessverlauf im Anschluss an die eigentliche Einnahme des Augenscheins. Darüber hinaus wird das Recht auf Führung eines Gegenbeweises wie auch eines Gegenteilsbeweises gewährleistet. Eine etwaige Äußerung des Gerichts dahingehend, dass es aufgrund der eigenen Anschauung eine nicht mehr zu erschütternde Überzeugung von einer Tatsache gewonnen habe, stellt eine antizipierte Beweiswürdigung dar, die als wesentliche Einschränkung des Rechts auf Beweis kaum zu rechtfertigen wäre. Selbst wenn die Einnahme eines Augenscheins zu einer entsprechenden Überzeugung des Gerichts geführt hat, so muss das Gericht auch eine etwaig darauf folgende Beweisführung der jeweiligen Gegenpartei nach allgemeinen Regeln grundsätzlich zulassen.
4. Die Ausgestaltung des Beweises durch Augenschein in der ZPO Dieser abstrakte Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta soll nun als Maßstab für die Überprüfung des einfachen Rechts dienen. Indes sind die Regelungen des Augenscheins in der ZPO – gerade im Vergleich zu den anderen Beweismitteln des Strengbeweises – sehr vereinzelt. Die nachfolgende Untersuchung wird sich daher weniger um die Überprüfung der ZPO in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur als vielmehr um das Auffinden passender einfach-rechtlicher Anknüpfungspunkte für eine Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis drehen. a) Eigene Ansicht: Das Recht auf Einnahme eines Augenscheins nach § 371 ZPO iVm § 144 ZPO Zentraler Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta ist das Recht auf Erhebung beantragter Augenscheinsbeweise. Im Falle von Augenscheinsobjekten im Besitz der beantragenden Partei stellt § 371 I ZPO den einfach-rechtlichen Anknüpfungspunkt dieses Gewährleistungsgehaltes dar. Eine Partei kann den Beweis durch Angabe des Augenscheinsobjektes und der zu beweisenden Tatsache antreten. Das erkennende Gericht ist
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durch das Recht auf Beweis grundsätzlich verpflichtet, diesem Beweisantrag stattzugeben und den beantragten Augenschein einzunehmen. Befindet sich das Augenscheinsobjekt im Besitz des Prozessgegners oder Dritter, so verweist § 371 II ZPO auf die Vorlageanordnung des § 144 ZPO. Der Beweis wird hiernach durch einen Antrag auf Anordnung der Vorlage des Augenscheinsobjektes bzw. der Duldung seiner Besichtigung angetreten. Diese Vorlageanordnung nach § 144 ZPO wurde bereits eingehend am Maßstab des Rechts auf Beweis geprüft. Das erkennende Gericht ist aufgrund der mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz zur Anordnung der Vorlage bzw. Duldung auf Antrag verpflichtet, wenn keine überwiegenden Gegenrechte der anderen Prozesspartei oder Dritter entgegenstehen.487 In dieser Auslegung stimmen die Regelungen über den Beweisantritt in § 371 I und II ZPO iVm § 144 ZPO mit dem Recht auf Beweis im Grundgesetz überein. In Ermangelung einer mittelbaren Drittwirkung werden entsprechende Vorlageanordnungen durch das Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta gerade nicht gewährleistet, so dass § 371 I und II ZPO insoweit auch ohne eine entsprechende Auslegung des § 144 ZPO als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis anzusehen ist. In Rechtsprechung und Literatur werden teils höhere Anforderungen an die Erforderlichkeit eines Augenscheinsbeweises gestellt und eine Ablehnung von Beweisanträgen für zulässig erachtet, wenn sich das erkennende Gericht auch auf anderem Wege einen hinreichenden Eindruck von den zum Augenschein beantragten Tatsachen bilden kann – etwa durch Fotografien.488 In diesen Fallgestaltungen soll eine Erhebung des beantragten Augenscheinsbeweises nur in Betracht kommen, wenn die beantragende Partei Abweichungen von den aus der Ferne gewonnenen Eindrücken gelten macht, die eine tatsächliche Einnahme des Augenscheins erforderlich machen.489 Eine solche, weitere Voraussetzung der Beweiserhebung begegnet vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis Bedenken: Innerhalb seiner immanenten Grenzen gewährleistet das Recht auf Beweis als Grundsatz die Erhebung von Beweismitteln. Die Ablehnung einer Einnahme des Augenscheins aufgrund eines bereits bestehenden Bildes durch andere Quellen könnte sich als Konstellation fehlender Entscheidungserheblichkeit darstellen. Indes zeigt bereits die Erhebung der Fotografie zu Beweiszwecken, dass das Beweisthema als solches durch das Gericht durchaus für entscheidungserheblich erachtet wird. Lediglich die tatsächliche, per487
Siehe zu § 144 ZPO bereits die obige Analyse in § 9 III. 4. Vgl. zu dieser Konstellation BGH NJW-RR 1987, S. 1237, 1238 wenngleich die Ablehnung einer Ortsbesichtigung in dieser Entscheidung letztlich auf die Unstreitigkeit der Fotographien gestützt wird; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 371, Rn. 31; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 371, Rn. 52; MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 371, Rn. 3 jeweils mwN. 489 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 1987, S. 1237, 1238; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 371, Rn. 31; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 371, Rn. 52 und MüKo-Zimmermann, ZPO II, § 371, Rn. 3 jeweils mwN. 488
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
sönliche Einnahme des Augenscheins soll durch die Betrachtung von anderen Quellen ersetzt werden. Anknüpfungspunkt für eine Ablehnung von Beweisanträgen kann daher ausschließlich die fehlende Beweisbedürftigkeit einer Tatsache aufgrund anderweitiger Überzeugungsbildung sein. Allerdings kann dieser Ablehnungsgrund nur insoweit fruchtbar gemacht werden, als die Überzeugungsbildung zugunsten der den Beweis beantragenden Person ausgefallen ist. Demgegenüber stellt die Ablehnung eines Beweisantrages mit der Begründung, das Gericht sei aufgrund der Fotografie vom Gegenteil des beantragten Beweisthemas überzeugt, eine antizipierte Beweiswürdigung dar, die mit dem Recht auf Beweis grundsätzlich unvereinbar ist. Doch auch dem Grunde nach vermag eine bloße Fotografie den persönlichen Eindruck durch eine Einnahme des Augenscheins nicht zu ersetzten. Eine Fotografie stellt eine Momentaufnahme in einem ganz bestimmten Blickwinkel dar und kann ein umfassendes, unmittelbares Bild des Augenscheinsobjektes grundsätzlich nicht ersetzen. Vielmehr haben die Parteien ein Recht auf Erhebung eines beantragten Augenscheinsbeweises iSe Rechts auf unmittelbare Wahrnehmung des Augenscheinsobjektes durch das erkennende Gericht. b) Eigene Ansicht: Das Recht auf Teilnahme und Äußerung Weiterhin gewährleistet das Recht auf Beweis iSe Rechts auf effektive Beweisführung ein Recht der Prozessparteien auf Teilnahme an der Durchführung eines gerichtlichen Augenscheins und ein Recht auf Äußerung im Rahmen dieser Einnahme des Augenscheins. aa) Das Recht auf Teilnahme nach § 357 ZPO Das Recht auf Teilnahme an der Einnahme eines Augenscheins stellt sich als Unterfall des allgemeinen Rechts auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme dar. Dieser Teilgehalt des Rechts auf Beweis hat in § 357 ZPO eine umfassende, einfach-rechtliche Ausgestaltung gefunden. Den Parteien kommt hiernach grundsätzlich ein Recht auf Teilnahme an der Durchführung eines Augenscheins zu. Dieses Recht bedarf der Abwägung mit etwaigen Gegenrechten der anderen Prozesspartei und Dritter, wobei der Ausschluss einer Prozesspartei nur in absoluten Ausnahmefällen mit dem Recht auf Beweis vereinbar sein kann.490 bb) Das Recht auf Äußerung nach § 357 ZPO Darüber hinaus verlangt das Recht auf Beweis auch ein Recht der Parteien auf Äußerung im Rahmen dieser Einnahme des Augenscheins zum Zwecke der aktiven Teilhabe an der Beweisaufnahme. Ein solches Äußerungsrecht lässt sich einfachrechtlich als Annex zum Recht auf Teilnahme an der Beweisaufnahme nach § 357 490
Siehe bereits die ausführliche Untersuchung in § 9 V. 2.
§ 12 Die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in der ZPO
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ZPO ansehen.491 Im Übrigen kommt auch eine Herleitung dieses Äußerungsrechts unmittelbar aus dem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta in Betracht. c) Eigene Ansicht: Das Recht auf Information nach § 139 I und II ZPO Weiterhin gewährleistet das Recht auf Beweis ein Recht der Prozessparteien auf Information über die subjektiven Eindrücke des erkennenden Gerichts als Ergebnis des Augenscheins. Im Rahmen des Augenscheinsbeweises erhält das Gericht einen unmittelbaren Eindruck des Augenscheinsobjektes durch eigene Wahrnehmung, so dass ein solches Recht auf Information für die Prozessparteien von besonderer Bedeutung ist. Es handelt es sich letztlich um einen Ausfluss des allgemeinen Rechts der Parteien auf Information über alle Ergebnisse einer Beweisaufnahme. Anknüpfungspunkt für ein solches Recht auf Information ist daher einmal mehr die Erörterungs- und Hinweispflicht des Gerichts in § 139 I und II ZPO.492 Das erkennende Gericht muss insbesondere deutlich machen, welche Eindrücke über welche Tatsachen es gewonnen hat und welche Konsequenzen diese Eindrücke für seine Überzeugungsbildung haben. Allein auf Basis dieser Informationen ist den Prozessparteien eine effektive Beweisführung möglich. d) Eigene Ansicht: Das Recht auf Äußerung und Führung des Gegenbeweises Abschließend gewährleistet das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen ein Recht beider Prozessparteien auf Äußerung zu den Ergebnissen des Augenscheins und das Recht auf Führung eines Gegenbeweises. aa) Das Recht auf Äußerung nach § 285 I ZPO Das Äußerungsrecht der Parteien zu den Ergebnissen des Augenscheins lässt sich unter die Verhandlung zu den Ergebnissen der Beweisaufnahme nach § 285 I ZPO subsumieren.493 Die Parteien müssen insbesondere die Möglichkeit erhalten, ihre eigenen Eindrücke im Rahmen des Augenscheins darzustellen, um das Gericht zu bestärken bzw. etwaige Fehlerquellen und Zweifel aufzuzeigen. Aufgrund der unmittelbaren Wahrnehmung des Augenscheinsobjektes durch das Gericht selbst, wird dem Augenscheinsbeweis regelmäßig ein besonders hoher Beweiswert zukommen, 491
Diesen Zusammenhang zwischen Parteiöffentlichkeit und Äußerungsrecht diskutieren etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 357, Rn. 1 und Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 357, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 492 Siehe allgemein zum Recht auf Information § 7 III. 1. und § 9 II. 493 Vgl. zum Inhalt des § 285 etwa BGH NJW 1974, S. 2322 und BGH NJW 2004, S. 1732 f.; siehe außerdem zu den Konsequenzen einer Missachtung des § 285 I ZPO, BGH NJW 2012, S. 2354; aus der Literatur ausführlich Schneider, MDR 2001, S. 781 f.; siehe auch Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 285, Rn. 2 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 285, Rn. 1 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
so dass dieses Äußerungsrecht gleichfalls von besonderer Bedeutung für die effektive Beweisführung der Prozessparteien ist. Daher findet dieses Äußerungsrecht seine einzige Begrenzung in den in den immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis. bb) Das Recht auf Führung des Gegenbeweises Abschließend muss es der durch das Ergebnis des Augenscheins benachteiligten Prozesspartei möglich sein, die so gewonnene Überzeugung des Gerichts wieder zu erschüttern. Dieser Prozesspartei kommt daher nach allgemeinen Regeln das Recht auf Führung eines Gegenbeweises zu. Dem erkennenden Gericht bleibt es im Rahmen seiner freien Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO unbenommen, dem Beweis durch Augenschein aufgrund seiner unmittelbaren Wahrnehmungsmöglichkeit im Einzelfall einen besonders hohen Beweiswert beizumessen. Dennoch stellt eine Ablehnung von weiteren Beweisanträgen unter Verweis auf eine bereits gebildete Überzeugung des Gegenteils eine mit dem Recht auf Beweis grundsätzlich unvereinbare, antizipierte Beweiswürdigung dar. Dies gilt umso mehr, als im Rahmen des Augenscheinsbeweises eine Identität zwischen wahrnehmender und kontrollierender Person besteht und die Führung eines Gegenbeweises in gewissem Umfang eben diese Kontrollmechanismen ersetzt. Eine antizipierte Beweiswürdigung würde somit eine ganz erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen, die vor dem Hintergrund der Bedeutung des Rechts auf Führung eines Gegenbeweises nach hier vertretener Auffassung mit dem Grundgesetz, der EMRK und der Grundrechtecharta gleichermaßen unvereinbar wäre.
§ 13
Beweiswürdigung Nach dem Abschluss der Untersuchung der Beweisaufnahme am Maßstab des Rechts auf Beweis soll nun – analog zum Prozessverlauf nach der ZPO – die gerichtliche Beweiswürdigung einer Analyse unterzogen werden. In diese Phase des Beweisverfahrens bildet sich das erkennende Gericht aus den bisherigen Ergebnissen der Verhandlung seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit der entscheidungserheblichen Tatsachen. Mithin findet in dieser Phase die eigentliche Überzeugungsbildung des Gerichts statt, so dass die Bedeutung für die Wahrheitsfindung im Prozess und den Rechtsnachweis der Prozessparteien kaum hoch genug eingeschätzt werden kann. Daher umfasst das Recht auf Beweis eine Reihe von Gewährleistungsgehalten zur gerichtlichen Beweiswürdigung.1
I. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung im Lichte des Rechts auf Beweis Als wesentlicher Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis hat sich das Recht der Parteien auf Vornahme einer umfassenden und freien Würdigung von Beweismitteln durch das erkennende Gericht herauskristallisiert. Die Gewährleistung der freien Beweiswürdigung soll eine am konkreten Einzelfall orientierte Überzeugungsbildung des Gerichts und damit letztlich auch die Möglichkeit des Rechtsnachweises der Parteien im konkreten Einzelfall gewährleisten.2 In einem ersten Schritt sollen daher die einfach-rechtliche Ausgestaltung dieses Grundsatzes, sein Umfang und auch seine Grenzen in der ZPO untersucht werden:
1. § 286 I S. 1 ZPO als Ausgestaltung des Rechts auf Beweis Der Gesetzgeber hat sich in der ZPO explizit für die Geltung der freien Beweiswürdigung entschieden und diesen Grundsatz in § 286 I S. 1 ZPO normiert. Hiernach hat das Gericht nach seiner freien Überzeugung über die Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsache zu entscheiden. § 286 ZPO stellt sich insoweit als ausdrückliche Ab1 Ausführlich 2
bereits § 7 VI. 4. Vgl. wiederum § 7 VI. 4. a. und b.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
kehr von einer legalen Beweistheorie und der Geltung von festgeschriebenen Beweisregeln dar. Bereits im historischen Teil dieser Arbeit zeigte sich die Geschichte des Beweisrechts auch als eine Geschichte des Aufs und Ab der freien Beweiswürdigung. Doch insbesondere im gemeinen Recht vor Einführung der ZPO galt lange Zeit eine legale Beweistheorie mitsamt einer nahezu unüberschaubaren Vielzahl an Beweisregeln, die das Gericht in seiner Überzeugungskraft gebunden haben.3 Mit der ZPO hat der Gesetzgeber einer legalen Beweistheorie zugunsten der freien Beweiswürdigung eine Absage erteilt. Diese Normierung des Grundsatzes freier richterlicher Beweiswürdigung in § 286 I S. 1 ZPO stellt sich als eine rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis dar.
2. Die Verpflichtung zur umfassenden Würdigung erhobener Beweismittel Das Recht auf Beweis gewährleistet diese Freiheit der Beweiswürdigung indes nicht als Selbstzweck. Vielmehr haben die Parteien ein Recht auf Vornahme einer solchen Würdigung durch das Gericht unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles zum Zwecke einer bestmöglichen richterlichen Überzeugungsbildung und damit letztlich auch eines effektiven Rechtsnachweises der Parteien. a) § 286 I S. 1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Eine einfach-rechtliche Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Vornahme einer Beweiswürdigung aus § 286 I S. 1 ZPO ist in Rechtsprechung und Literatur einhellig anerkannt.4 Die Würdigung wird als selbstverständlicher Teil der gerichtlichen Entscheidungsfindung und damit letztlich als eine ebenso selbstverständliche Aufgabe des Gerichts angesehen.5 Diese obligatorische Würdigung umfasst nach § 286 I S. 1 ZPO ausdrücklich nicht nur die Ergebnisse der Beweisaufnahme, sondern auch den gesamten Inhalt der Verhandlung. Die Ergebnisse der Beweisaufnahme sind jedoch nur insoweit in die Würdigung einzubeziehen, als eine Partei sich auf diese Ergebnisse berufen hat.6 Außerdem können dieser Einbeziehung eines Be3 Ausführlich zur Historie der Beweiswürdigung Walter, freie Beweiswürdigung, S. 7 ff. und oben § 2. 4 Vgl. etwa BGH NJW 1995, S. 966 f.; BGH NJW-RR 2000, S. 686 f.; BGH NJW-RR 2014, S. 1147, 1148 f.; aus der Literatur unter Verweis auf das Recht auf Beweis Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO V, § 286, Rn. 6; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 1 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 7 f.; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 19 f.; Fetzer, MDR 2009, S. 602, 604 jeweils mwN. 5 Eine ausdrückliche Befassung mit dieser Verpflichtung des Gerichts findet sich etwa bei Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 286, Rn. 6; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 1 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 7 f. und Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 19 f.; Fetzer, MDR 2009, S. 602, 604 jeweils mwN. 6 Vgl. zum Umfang der Beweiswürdigung wiederum BGH NJW-RR 2000, S. 686 f. und BGH
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weismittels im Einzelfall überwiegende Rechte der Gegenpartei oder Dritter entgegenstehen, so dass sich die Einbeziehung als unzulässig darstellen kann.7 Der gesamte Inhalt der Verhandlung meint das sonstige Verhalten der Parteien und Dritter, insbesondere etwaige Widersprüche in diesem Verhalten.8 Der Verhandlungsinhalt ist wiederum nur insoweit mit einzubeziehen, als die Parteien sich hierauf berufen haben, wenngleich der BGH davon ausgeht, dass eine Partei auf für sie günstige Vorgänge regelmäßig auch stillschweigend Bezug nehmen kann.9 Die Würdigung von Indizien muss zunächst für jedes Indiz einzeln erfolgen, bevor sich eine Würdigung der Gesamtheit aller Indizien und ihrer Wechselwirkungen anschließt.10 b) § 286 I S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Recht auf Beweis gewährleistet ein Recht der Prozessparteien auf Vornahme einer Beweiswürdigung, korrespondierend mit einer entsprechenden Verpflichtung des erkennenden Gerichts. Ein wesentlicher Aspekt des Rechtsnachweises einer jeden Prozesspartei ist die tatsächliche Bildung einer gerichtlichen Überzeugung im Prozess. Ohne den erzwingbaren Vorgang dieser Überzeugungsbildung im Rahmen der Beweiswürdigung wären sämtliche vorangegangenen Gewährleistungen ohne Wert für die Parteien. Die Verpflichtung zur Durchführung einer Beweiswürdigung hat bereits im Wortlaut des § 286 I S. 1 ZPO durch die Wortwahl „hat … zu entscheiden“ eine erste Ausprägung gefunden. Weiterhin ist mit der übereinstimmenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur eine entsprechende, gerichtliche Verpflichtung zur Vornahme einer Beweiswürdigung als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis aus § 286 I S. 1 ZPO abzuleiten.11 Diese Würdigung des Gerichts soll dem Rechtsnachweis der Parteien und im hier vertretenen Idealbild zugleich der Wahrheitsfindung im Prozess dienen. Daher geNJW-RR 2014, S. 1147, 1148 f.; ausführlich Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 14; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 286, Rn. 4 ff.; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 5 ff.; MüKoPrütting, ZPO I, § 286, Rn. 7 ff. und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 7 Diese mögliche Einschränkung merkt Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 6 ff. mwN an. 8 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1995, S. 1340, 1341; BGH NJW 2010, S. 2525, 2526; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 13 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 286, Rn. 9 ff.; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 7 ff. und Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 9 In diesem Sinne bereits BGH NJW 1991, S. 1541, 1542; ebenso auch BGH NJW-RR 2014, S. 1147, 1148 f. und BGH NJW 2015, S. 2125, 2126; zustimmend auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 14 und Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 7 jeweils mwN. 10 Vgl. etwa BGH NJW 1991, S. 1894, 1895; ebenso auch BGH NJW 1997, S. 2757, 2759 und BGH NJW 2007, S. 3067 f.; aus der Literatur siehe Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 286, Rn. 15 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 11 Siehe für die h. M. etwa BGH NJW-RR 2000, S. 686 f.; BGH NJW-RR 2014, S. 1147, 1148 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO V, § 286, Rn. 6 und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 1 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
währleistet das Recht auf Beweis die umfassende Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles in diesen Prozess der Wahrheitsfindung und des Rechtsnachweises. Dementsprechend gehen Rechtsprechung und Literatur richtigerweise davon aus, dass nach § 286 I S. 1 ZPO grundsätzlich alle Ergebnisse der Beweisaufnahme und sämtliche sonstigen Inhalte der Verhandlung und Umstände des Einzelfalles in die Würdigung des Gerichts aufzunehmen sind, soweit sich die Parteien hierauf bezogen haben.12 Die Grenzen des Umfanges der Beweiswürdigung werden daher einerseits durch die Bezugnahme der Parteien selbst und andererseits durch die immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis gezogen – insbesondere die Entscheidungserheblichkeit und Beweiseignung von etwaig einzustellenden Umständen. An dieser Stelle werden zudem Beweisverwertungsverbote erneut relevant. Die Einbeziehung in die Würdigung stellt die Verwertung von erhobenen Beweismitteln dar und kann nur ausgeschlossen werden, wenn überwiegende Gegenrechte entgegenstehen. Es handelt sich hierbei um eine Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis, das für eine Verwertung streitet, und etwaigen Gegenrechten, deren Verletzung im Rahmen der Erhebung von Beweismittel durch die Einbeziehung in die Beweiswürdigung im Einzelfall weiter perpetuiert werden könnte. Als Grundsatz ist auch an dieser Stelle die Einbeziehung von erhobenen Beweismittels in die Beweiswürdigung als Ausfluss des Rechts auf Beweis zu betonen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz bedarf mithin der ausdrücklichen Feststellung des Überwiegens von Gegenrechten im Einzelfall.13
3. Die Kriterien einer Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO Die Freiheit der Beweiswürdigung in § 286 I ZPO bezieht sich in erster Linie auf die Freiheit des erkennenden Gerichts von gesetzlich festgelegten Beweisregeln, die einen konkreten Sachverhalt vorab einer abstrakten Regelung unterwerfen wollen.14 Allerdings meint auch die freie Beweiswürdigung nach § 286 I ZPO keine gänzliche Freiheit von jeglichen Kriterien und Kontrollen der Beweiswürdigung iSe richterlichen Willkürentscheidung.15 Vielmehr bedarf die richterliche Beweiswürdigung auch und gerade vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis eines Ausgleiches 12 Wobei mit dem BGH richtigerweise stets eine stillschweigende Inbezugnahme günstigen Vorbringens zu prüfen ist, vgl. wiederum BGH NJW-RR 2014, S. 1147, 1148 f. und BGH NJW 2015, S. 2125, 2126 jeweils mwN. 13 Ausführlich zu Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten bereits § 10 V. 3. 14 Vgl. zu dieser historischen Funktion des § 286 I ZPO etwa MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 27; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 18 und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 14 jeweils mwN; in diese Richtung deutet auch die Entscheidung BGH NJW-RR 2005, S. 1024 f. 15 Ausführlich zur Intention des historischen Gesetzgebers bei Schaffung des § 286 ZPO Hee scher, Untersuchungen, S. 59 ff.; ähnlich auch Foerste, NJW 2001, S. 321, 325 f. jeweils mwN.
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zwischen der freien, subjektiven Überzeugungsbildung des Gerichts im Einzelfall und einem für die Parteien objektiv nachvollziehbaren und überprüfbaren Ergebnis. a) Die richterliche Überzeugungsbildung in Rechtsprechung und Literatur Im Rahmen der Beweiswürdigung fordern Rechtsprechung und überwiegendes Schrifttum ein bestimmtes Maß an subjektiver Überzeugung (Beweismaß), welches sich in seiner Herausbildung und in seiner Begründung jedoch nach § 286 I S. 2 ZPO an objektiven Kriterien orientieren muss.16 Als Kriterien dieser Würdigung werden die Denk- und Naturgesetze und insbesondere die Gesetze der Logik genannt, die jeweils durch Erfahrungssätze abzurunden sind.17 Durch solche objektiven Kriterien als Grundlage einer Begründung der Beweiswürdigung nach § 286 I S. 2 ZPO soll die Überzeugungsbildung für Außenstehende nachvollziehbar und in den Rechtsmittelinstanzen kontrollierbar gemacht werden.18 b) Die richterliche Überzeugungsbildung im Lichte des Rechts auf Beweis Diese Kriterien der Beweiswürdigung und ihre Kontrolle müssen nun auch dem Maßstab des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und der europäischen Grundrechtecharta standhalten. Das Recht auf Beweis soll den Prozessparteien einen Nachweis eigener Rechte ermöglichen, der im Idealzustand mit der Erforschung des wahren Sachverhaltes einhergeht. Bereits dieser Gedankengang zeigt auf, dass die Gewährleistung einer freien Beweiswürdigung als Teil dieses Rechts auf Beweis keine freie Beweiswürdigung iSe willkürlichen Entscheidung, sondern vielmehr den Rechtsnachweis mittels Erforschung der Wahrheit ermöglichen möchte. Daher bedarf eine richterliche Beweiswürdigung – auch und gerade nach dem Recht auf Beweis – bestimmter Kriterien, anhand derer das Gericht sich seine Überzeugung im konkreten Einzelfall bilden muss. Die vollständige, alle Umstände des Einzelfalles einbeziehende Beweiswürdigung muss sich auch nach hier vertretener Auffassung in erster Linie an den anerkannten Denk- und Naturgesetzen orientieren.19 Die16 Instruktiv zu den Anforderungen an eine Beweiswürdigung BGH MDR 2013, S. 868 f.; ausführlich zur praktischen Durchführung einer Beweiswürdigung Döhring, Erforschung des Sachverhaltes, S. 429 ff. mwN. 17 Vgl. etwa BGH NJW 1987, S. 1557, 1558; BGH NJW-RR 2000, S. 686; BGH NJW 2008, S. 2845 und BGH MDR 2013, S. 868 f.; aus der Literatur ausführlich zu den Kriterien der Überzeugungsbildung Heescher, Untersuchungen, S. 82 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 34 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 286, Rn. 27 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 18 Instruktiv BGH NJW 1998, S. 2969, 2971 und BGH GRUR 2003, S. 507, 508; ausführlich Heescher, Untersuchungen, S. 158 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 31 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 286, Rn. 111 und MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 21 f. jeweils mwN. 19 In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa BGH NJW 2008, S. 2845 und BGH MDR 2013,
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
se Regelungen wurden durch die Wissenschaft als Ergebnis einer langen Reihe empirischer Beobachtungen aufgestellt und sollen allgemeingültige Aussagen über bestimmte Zustände und Zusammenhänge in der Natur ermöglichen. Die Einhaltung dieser allgemeingültigen Gesetzmäßigkeiten stellt eine Grundvoraussetzung für die Ermittlung der Wahrheit in jedem Einzelfall dar. Die Würdigung eines Lebenssachverhaltes wird stets diffizil sein und es ist in jedem Einzelfall denkbar, dass sich die Bewertung auch bei korrekter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles im Nachhinein als fehlerhaft darstellt. Diese Gefahr falscher Bewertungen haftet einer Beweiswürdigung in jedem denkbaren Fall an und lässt sich niemals gänzlich ausschließen. Doch eine Beweiswürdigung, die nicht mit den allgemein anerkannten und allgemeingültigen Denk- und Naturgesetzen übereinstimmt, ist von vornherein in jedem denkbaren Fall fehlerhaft und kann nicht der Wahrheit entsprechen. Die Begründung für die – sozusagen a priori – bestehende Geltung der Denk- und Naturgesetze ist somit in der Zielsetzung der freien Beweiswürdigung zu sehen, dem Rechtsnachweis und der Wahrheitserforschung der Parteien zu dienen.20 Die Gewährleistung einer freien Beweiswürdigung soll kein Selbstzweck sein, sondern nur Geltung haben, soweit sie ihrerseits die bestmögliche Gewähr für den effektiven Rechtsnachweis der Parteien und die damit idealerweise einhergehende Wahrheitserforschung im Zivilprozess bietet, so dass sich die Bindung an die Denk- und Naturgesetze als zwingender Bestandteil der Gewährleistung einer freien Beweiswürdigung darstellt. Problematischer erscheint diese Argumentation indes für die Erfahrungssätze, die nach ganz herrschender Meinung gleichfalls als Kriterium einer richterlichen Beweiswürdigung anzulegen sind.21 Soweit es sich bei diesen Erfahrungssätzen um allgemein anerkannte und naturwissenschaftlich fundierte Sätze handelt, so werden diese Erfahrungssätze regelmäßig zugleich zu den Denk- und Naturgesetzen zu rechnen sein und als Kriterium keinen Eigenwert entfalten. Soweit die Erfahrungssätze demgegenüber allein auf der individuellen Lebenserfahrung des erkennenden Gerichts beruhen, erscheint ihre Legitimation als Kriterium und Leitlinie der Beweiswürdigung durchaus fraglich. Denn das erkennende Gericht soll ja gerade ohne Bindung an – auch ungeschriebene – Beweisregeln eine Bewertung des konkreten Einzelfalles vornehmen und sich für diesen Einzelfall eine Überzeugung bilden. Legitim erscheint das Kriterium der Erfahrungssätze daher nach hier vertretener S. 868 f.; Heescher, Untersuchungen, S. 82 ff. und Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 35 ff. jeweils mwN. 20 In diesem Sinne argumentiert bereits Heescher, Untersuchungen, S. 89 ff. mwN. 21 Vgl. etwa BGH NJW 1987, S. 1557, 1558; BGH NJW-RR 2000, S. 686; BGH NJW 2008, S. 2845 und BGH MDR 2013, S. 868 f.; siehe auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 213 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 286, Rn. 27 ff. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 10 ff. jeweils mwN; ausführlich zu den Erfahrungssätzen als Kriterium der Überzeugungsbildung wiederum Heescher, Untersuchungen, S. 101 ff.
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Auffassung nur insoweit, als es sich um besonders deutliche, empirisch nachvollziehbare Zusammenhänge handelt und ein solcher Erfahrungssatz evident und allgemein anerkannt ist. Zu denken ist insbesondere an solche Gesetzmäßigkeiten, die aufgrund ihrer empirischen Häufigkeit einer naturgesetzlichen Regel gleichkommen, jedoch aufgrund der Alltäglichkeit dieser Konstellation bislang keine wissenschaftliche Betrachtung gefunden haben und somit nicht ausdrücklich als Denkoder Naturgesetz postuliert wurden. Erfahrungssätze können daher nur insoweit die Beweiswürdigung leiten, als sie sich als Äquivalent zu Denk- und Naturgesetzen in Alltagssituationen darstellen. Diejenigen Erfahrungssätze, die einer Beweiswürdigung als Kriterium zugrunde liegen, müssen durch das erkennende Gericht ausdrücklich benannt und offen gelegt werden, um die Würdigung für die Parteien nachvollziehbar und in den Rechtsmittelinstanzen kontrollierbar zu machen. Dieser Kontrolle durch die Rechtsmittelinstanzen kommt für die praktische Geltung des Rechts auf Beweis und insbesondere die Einhaltung dieser Kriterien der Beweiswürdigung besondere Bedeutung zu. Gerade der subjektive Vorgang einer Überzeugungsbildung bedarf des Korrektives objektiver Kriterien und einer entsprechenden Kontrolle im Instanzenzug.22
II. Die gesetzlichen Beweisregeln iSd § 286 II ZPO Die gesetzliche Regelung der freien Beweiswürdigung in § 286 I ZPO stellt sich hiernach als eine rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis dar. Allerdings erklärt § 286 II ZPO formelle Beweisregeln insoweit für rechtmäßig, als sich diese Beweisregeln aus der ZPO selbst ergeben. Darüber hinaus sollte die ZPO bei ihrer Schaffung nach allgemeiner Ansicht lediglich die seinerzeitigen, landesrechtlichen Beweisregeln außer Kraft setzten, während die Beweisregeln in den damaligen Reichsgesetzen und heutigen Bundesgesetzen unabhängig von § 286 ZPO ihre Geltung behalten sollten.23 Beispielhaft zu nennen sind insbesondere die Beweisregeln des § 190 StGB, der §§ 60, 66 PStG und der §§ 32, 35 GBO.24 Die nachfolgende Untersuchung konzentriert sich indes auf die wesentlichen Beweisregeln der ZPO. Zu analysieren sind insbesondere die Regelungen der §§ 415 ff. ZPO, die dem Beweis durch Urkunden einen bestimmten Beweiswert zuweisen und 22
Vgl. zum ähnlich verlaufenden Prüfungsmaßstab des BGH in den Rechtsmittelinstanzen etwa BGH NJW 1987, S. 1557, 1558; ebenso BGH NJW-RR 2000, S. 686 und BGH NJW 2008, S. 2845 jeweils mwN. 23 Zu dieser historischen Funktion des § 286 I ZPO siehe MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 27; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 18 und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 14 jeweils mwN 24 Vgl. wiederum MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 27; Prütting/Gehrlein-Laumen, ZPO, § 286, Rn. 18 und Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 14 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
weiterhin § 165 S. 1 ZPO bzw. § 314 S. 1 ZPO, als Beweisregeln für das gerichtliche Protokoll bzw. den gerichtlichen Urteilstatbestand. Diese Regelungen sollen nun beispielhaft am Maßstab des Rechts auf Beweis iSe Rechts auf eine freie Würdigung von Beweismitteln im Einzelfall gemessen werden.
1. Die Beweiskraft öffentlicher und privater Urkunden nach den §§ 415 ff. ZPO Wesentlich für das Verständnis der §§ 415 ff. ZPO sind der Umfang der gesetzlich festgelegten Beweiskraft als Einschränkung der freien Beweiswürdigung und die Voraussetzungen für den Eintritt eben dieser formellen Beweiskraft. a) Die Beweisregeln der §§ 415 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur Für die gesetzlich festgelegte Beweiskraft differenzieren die §§ 415 ff. ZPO zwischen öffentlichen Urkunden in den §§ 415, 417, 418 ZPO und privaten Urkunden in § 416 ZPO: Öffentliche Urkunden nach § 415 begründen den vollen Beweis für die Abgabe einer Erklärung vor einer Behörde bzw. einer sonstigen, mit öffentlichem Glauben versehenen Urkundsperson und für ihren Inhalt, mitsamt etwaiger Begleitumstände wie Ort und Zeit, nicht aber für die inhaltliche Richtigkeit dieser Erklärung.25 Öffentliche Urkunden über Erklärung einer Behörde nach § 417 ZPO erbringen vollen Beweis für die Abgabe dieser Erklärung durch die Behörde und ihren Inhalt, nicht aber die inhaltliche Richtigkeit der Erklärung selbst.26 Abschließend normiert § 418 ZPO eine formelle Beweiskraft für die sonstigen Wahrnehmungen einer Behörde oder mit öffentlichem Glauben versehenen Urkundsperson unter Einschluss etwaiger Begleitumstände, jedoch nicht für weitergehende, subjektive Eindrücke der beurkundenden Person.27 § 416 ZPO regelt sodann die Beweiskraft von Privaturkunden. Diesen Urkunden kommt nach § 416 ZPO eine formelle Beweiskraft dahingehend zu, dass eine Erklärung durch den Aussteller willentlich in den Verkehr gebracht wurde, nicht jedoch für Begleitumstände oder die inhaltliche Richtigkeit der Erklärung.28 In diesem jeweiligen Umfang normieren die §§ 415 ff. 25 Vgl. etwa BGH NJW 1994, S. 320, 321; BGH NJW-RR 2007, S. 1006 f.; zustimmend Teske, Urkundenbeweis, S. 126 f.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 19 ff.; Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 415, Rn. 26 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 26 f. jeweils mwN. 26 Vgl. BGH NJW-RR 2012, S. 823, 824; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 417, Rn. 2 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 417, Rn. 6 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 417, Rn. 6 jeweils mwN. 27 Vgl. BVerfG NJW-RR 1992, S. 1084, 1085; siehe auch BGH NJW 2004, S. 2386, 2387 und BGH NJW 2014, S. 292, 293; zustimmend Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 418, Rn. 5 ff.; Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 418, Rn. 18 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 418, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 28 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1989, S. 1323, 1324; BGH NJW-RR 1990, S. 737, 738 und BGH NJW-RR 2015, S. 819, 820 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 416, Rn. 12 ff.;
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ZPO eine bindende Beweiskraft, die einer freien richterlichen Überzeugungsbildung nach § 286 I S. 1 ZPO im Einzelfall entgegensteht. b) Die Voraussetzungen der §§ 419, 440 ff. ZPO in Rechtsprechung und Literatur Diese formelle Beweiskraft ist in ihrem Eintritt jedoch an weitere Voraussetzungen gebunden. Als spezielle Voraussetzung für das Vorliegen einer öffentlichen Urkunde muss die Ausstellung nach § 415 I ZPO durch eine Behörde oder andere Urkundsperson innerhalb ihres gesetzlich zugewiesenen Zuständigkeitsbereiches und unter Einhaltung der gesetzlichen Formerfordernisse erfolgen.29 Eine Privaturkunde bedarf ihrerseits nach § 416 ZPO der Unterschrift durch ihren Aussteller.30 Darüber hinaus müssen für jede Art von Urkunden als allgemeine Voraussetzung ihrer Beweiswirkung die Mangelfreiheit (§ 419 ZPO) und die Echtheit der Urkunde (§§ 437 ff. ZPO) feststehen: § 419 ZPO normiert als Voraussetzung für die Anerkennung eines bestimmten Beweiswertes einer Urkunde die Freiheit der betreffenden Urkunde von äußerlichen Mängeln. Die Norm zählt beispielhaft Durchstreichungen, Radierungen oder Einschaltungen auf, lässt jedoch ausdrücklich Raum für weitere Arten äußerlicher Mängel.31 Urkunden gründen ihre besondere Zuverlässigkeit darauf, dass ihr Inhalt schriftlich fixiert wird und etwaige Veränderung bereits äußerlich leicht zu erkennen sind, so dass die besondere Beweiskraft einer Urkunde konsequenterweise entfallen muss, wenn eine ebensolche, sichtbare Veränderung der Urkunde vorliegt.32 § 419 ZPO greift bereits ein, wenn eine Veränderung der äußeren Form nur als möglich erscheint.33 Sodann unterliegt die Würdigung der Urkunde nach § 419 ZPO der freien Beweiswürdigung nach § 286 I S. 1 ZPO.34 Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 416, Rn. 15 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 9 f. jeweils mwN. 29 Vgl. BGH NJW-RR 2007, S. 1006 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 415, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 415, Rn. 4 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 415, Rn. 12 jeweils mwN. 30 Ausführlich BGH NJW 1991, S. 487 f.; siehe auch Stein/Jonas-Berger ZPO V, § 416, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens ZPO VI, § 416, Rn. 6 ff. und MüKo-Schreiber, ZPO II, § 416, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 31 Instruktiv etwa BGH NJW 1966, S. 1657, 1658 und BGH NJW 1980, S. 893; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 419, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 419, Rn. 6 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 419, Rn. 12 und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 419, Rn. 2 f. jeweils mwN. 32 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 419, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 419, Rn. 1 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 419, Rn. 12 und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 419, Rn. 1 jeweils mwN. 33 Vgl. BGH NJW 1966, S. 1657, 1658 und BGH NJW 1980, S. 893; zustimmend Wieczorek/ Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 419, Rn. 1 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 419, Rn. 2 f. jeweils mwN. 34 Siehe BGH NJW 1966, S. 1657, 1658 und BGH NJW 1980, S. 893; zustimmend Stein/ Jonas-Berger, ZPO V, § 419, Rn. 1 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 419, Rn. 1 ff.; MüKoSchreiber, ZPO II, § 419, Rn. 4 und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 419, Rn. 6 jeweils mwN.
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Kein Fall des § 419 ZPO ist demgegenüber eine solche Veränderung der Urkunde, welche die Formerfordernisse dieser Veränderung einhält, da die formgerechte Veränderung ihrerseits das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Urkunde bewahrt.35 Die weitere, allgemeine Voraussetzung einer Beweiswirkung ist in der Echtheit einer Urkunde nach den §§ 437 ff. ZPO zu sehen: Echt ist eine Urkunde nach der ZPO, wenn sie von demjenigen stammt, den die beweisführende Partei als Aussteller der Urkunde angibt, bzw. – bei Erhebung von Amts wegen – von demjenigen stammt, den die jeweils beweisbelastete Partei als Aussteller angibt.36 Die Echtheit ist grundsätzlich anhand aller verfügbaren Beweismittel zur freien Überzeugung des erkennenden Gerichts iSd § 286 I S. 1 ZPO nachzuweisen bzw. zu widerlegen.37 Allerdings enthalten die §§ 437 ff. ZPO ihrerseits eine Reihe gesetzlicher Vermutungen für die Echtheit einer Urkunde: So wird nach § 437 I ZPO die Echtheit einer inländischen öffentlichen Urkunde vermutet, die ihrer Form und ihrem Inhalt nach von einer Behörde oder öffentlichen Urkundsperson stammt.38 Die Echtheit einer Privaturkunde wird nach § 440 II ZPO im Falle der notariellen Beurkundung oder des Nachweises der Echtheit einer Unterschrift von Privaturkunden vermutet.39 c) Eigene Ansicht: Die §§ 415 ff. ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis im GG Diese Beweisregeln der §§ 415 ff. ZPO sind nun am Maßstab des Rechts auf Beweis zu messen, beginnend mit dem Grundgesetz. Als Ausgangspunkt gilt es auf den Sinn und Zweck der Gewährleistung einer freien Beweiswürdigung als Teilgehalt des Rechts auf Beweis zu rekurrieren: Die freie Beweiswürdigung soll den Rechtsnachweis der Parteien wie auch die Wahrheitserforschung durch das erkennende Gericht im Einzelfall sicherstellen: Beweisregeln stellen typisierte Erfahrungssätze auf, die von den bisherigen Erfahrungen und Erkenntnissen in einer Vielzahl von Fällen auf den nun zu entscheidenden, konkreten Einzelfall schließen wollen. Solche Beweisregeln machen eine gerichtliche Tatsachenfeststellung berechenbar und wurden historisch gesehen als Konsequenz des Gesetzgebers auf korrupte und willkürliche 35 Vgl. BGH NJW 1974, S. 1083, 1084; siehe auch Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 419, Rn. 10 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 419, Rn. 3 und Prütting/Gehrlein-Preuß, ZPO, § 419, Rn. 4 jeweils mwN. 36 Vgl. für Privaturkunden BGH NJW 1980, S. 893; siehe allgemein auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 437, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 437, Rn. 5 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 437, Rn. 1 jeweils mwN. 37 Vgl. Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 437, Rn. 3 ff. und § 440 Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Ah rens, ZPO VI, § 437, Rn. 5 ff. und § 440 Rn. 4 f.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 437, Rn. 5 und § 440, Rn. 2 jeweils mwN. 38 Vgl. zu dieser Vermutung etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 437, Rn. 3 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 437, Rn. 5 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 437, Rn. 2 f. jeweils mwN. 39 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 440, Rn. 2 ff.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO VI, § 440, Rn. 6 ff.; MüKo-Schreiber, ZPO II, § 440, Rn. 2 jeweils mwN.
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Entscheidungen von Gerichten eingeführt.40 Allerdings besteht in atypischen Fallkonstellationen stets die Gefahr, dass Beweisregeln der Ermittlung des wahren Sachverhalts aufgrund ihrer starren Typisierung entgegenstehen. Eine Prozesspartei wäre hiernach schlimmstenfalls trotz Vorhandensein von Beweismitteln an einem Rechtsnachweis im konkreten Einzelfall gehindert, da die typisierenden Anforderungen der Beweisregeln aufgrund der Atypizität des konkreten Falles nicht erfüllt werden könnten. Eine solche Vereitelung der Überzeugungsbildung und des Rechtsnachweises im Einzelfall ist mit dem Recht auf Beweis unvereinbar und hieraus resultiert die Gewährleistung der freien Beweiswürdigung. Die Parteien müssen in jeder noch so untypischen, unwahrscheinlichen Fallgestaltung die Möglichkeit erhalten, ihre Beweismittel vorzubringen und mit diesen Beweismitteln auf die Überzeugungsbildung des erkennenden Gerichts zu ihren Gunsten einwirken zu dürfen. Vor diesem Hintergrund sind nun die Beweisregeln der §§ 415 ff. ZPO zu betrachten: Diese Beweisregeln geben dem Beweis durch Urkunden einen bestimmten, vorab festgelegten Beweiswert, allerdings stets unter den Voraussetzungen der Mangelfreiheit und Echtheit einer Urkunde. Sodann muss man sich die konkrete Situation im Zivilprozess vor Augen führen: Eine Beweisführung mittels Urkunde erfordert nach § 420 ZPO die Vorlage der Urkunde zur entsprechenden Einsichtnahme durch das Gericht und die Gegenpartei. Die Frage nach dem Beweiswert einer Urkunde stellt sich also grundsätzlich nur, wenn das erkennende Gericht diese Urkunde tatsächlich vor sich liegen hat. Diese Tatsache des Vorhandenseins einer Urkunde mit einem bestimmten Inhalt kann mithin bereits aufgrund der Anforderungen an den Beweisantritt des Urkundenbeweises als solchen nicht zweifelhaft sein. Die Beweisführung der Parteien muss sich vielmehr denknotwendig darauf konzentrieren, von welchen Personen diese real existierende Urkunde tatsächlich stammt und ob der ursprüngliche Inhalt dieser Urkunde gegebenenfalls nachträglich verändert wurde. Diese Fragestellungen entsprechen jedoch exakt den Kriterien der Mangelfreiheit und der Echtheit einer Urkunde und stellen sich daher als Voraussetzungen für den Eintritt der Beweiskraft einer Urkunde dar. Die Beweisregeln der §§ 415 ff. ZPO lenken die Beweisführung der Parteien in ihren Voraussetzungen mithin auf diejenigen Merkmale, die ohnehin einzig in Frage stehen können: Ob eine Urkunde tatsächlich von den behaupteten Personen stammt und ob ihr Inhalt gegebenenfalls verändert wurde. Allein diese Fragen können denknotwendig streitig sein und mit Beweismitteln angegriffen werden, nicht aber die Existenz einer dem Gericht vorliegenden Urkunde. Sodann beschränkt sich der formale Beweiswert der §§ 415 ff. ZPO jeweils auf die Existenz der in einer Urkunde enthaltenen Aussage und gegebenenfalls ihrer Begleitumstände. Die inhaltliche Richtigkeit dieser Aussagen wird jedoch nach allgemeiner Meinung gerade nicht nachgewiesen.41 Die eigentlich rele40 Ausführlich 41 Ausführlich
dazu im historischen Teil § 2, insbesondere I. 2. d. und mit Nachweisen oben II. 1. a.
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vanten Vorfragen der Echtheit und Mangelfreiheit einer Urkunde sind demgegenüber mit allen Beweismitteln nachzuweisen und unterliegen der freien richterlichen Beweiswürdigung nach § 286 I S. 1 ZPO. In diesem Sinne weist ein Teil der Literatur insoweit korrekterweise darauf hin, dass zwischen den Beweisregeln der §§ 415 ff. ZPO und gesetzlichen Vermutungen eine gewisse Parallele besteht.42 Indes erscheint es zu weitgehend, die Existenz gesetzlicher Beweisregeln insgesamt zugunsten der Annahme gesetzlicher Vermu tungen zu verneinen.43 Trotz bestehender Ähnlichkeiten erkennt das Gesetz in § 286 II ZPO die Existenz gesetzlicher Beweisregeln als eigene Kategorie an und differenziert zwischen Beweisregeln iSd § 286 II ZPO und gesetzlichen Vermutungen nach § 292 ZPO. Demgegenüber wird richtigerweise darauf hingewiesen, dass ein Gericht die Aussagen einer tatsächlich existierenden, dem Gericht vorliegenden Urkunde bei nachgewiesener Echtheit und Mangelfreiheit denknotwendig nicht mehr in Zweifel ziehen kann.44 Insofern normieren die §§ 415 ff. ZPO durch die Voraussetzungen der Echtheit und Mangelfreiheit mit anschließender Beweisregel nichts anderes, als eine gesetzliche Fallgestaltung der Bindung der Beweiswürdigung an die Natur- und Denkgesetze. Diese Kriterien sind nach den obigen Ausführungen jedoch ihrerseits als Grundvoraussetzungen einer freien richterlichen Beweiswürdigung iSe Rechtsnachweises im Zusammenspiel mit der Wahrheitserforschung im Prozess anzusehen. Wenn also die Echtheit und Mangelfreiheit als Voraussetzungen der formellen Beweiswirkung der §§ 415 ff. ZPO ihrerseits der freien Beweiswürdigung nach § 286 I S. 1 ZPO unterliegen, so stellen diese Beweisregeln keine Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Vielmehr handelt es sich um eine rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis iSe Rechts auf einen Rechtsnachweis mittels Wahrheitserforschung, dessen Teilgehalt die freie Beweiswürdigung unter Einhaltung der Denk- und Naturgesetze ist. Problematisch könnte allein der Umstand sein, dass der Echtheitsnachweis von Urkunden jeder Art in den §§ 437 ff. ZPO seinerseits durch gesetzliche Vermu tungen iSd § 292 ZPO unterstützt wird. Indes wurde bereits herausgearbeitet, dass solche, widerlegbaren gesetzlichen Vermutungen allein die Verteilung der Beweislast betreffen und daher grundsätzlich nicht dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis unterfallen. Das Recht auf Beweis wäre nur dann betroffen, wenn ein Rechtsnachweis durch die Beweislastverteilung über den Einzelfall hinaus strukturell unmöglich gemacht wird.45 Indes ist die Vermutung der Echtheit inländischer, öffentlicher Urkunden nach § 437 I ZPO an die Einhaltung von Form und Inhalt einer solchen Urkunde gebunden, so dass die Überzeugungsbildung des Gerichts In diesem Sinne insbesondere Britz, ZZP 110 (1997), S. 61 ff. So aber Britz, ZZP 110 (1997), S. 61 ff. 44 In diesem Sinne auch die Überlegungen von Britz, ZZP 110 (1997), S. 61, 82 f. zu § 416 ZPO. 45 Siehe zum Verhältnis von Beweislast und Recht auf Beweis bereits § 7 III. 6. und speziell zur Überprüfung von gesetzlichen Vermutungen § 11 IV. 8. 42 43
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eher verlagert als verringert wird. Ähnliches gilt für den Nachweis der Unterschrift, der sodann nach § 440 II ZPO eine Vermutung für die Echtheit einer privaten Urkunde liefert. Auch hier wird der Nachweis lediglich auf die Unterschrift verlagert und eine gewisse Indizwirkung einer Unterschrift unter einer Urkunde lässt sich kaum verneinen. Daher erscheinen auch diese widerleglichen Vermutungen grundsätzlich nicht als Einschränkung des Rechts auf Beweis – obgleich in extremen Einzelfällen eine solche Einschränkung aufgrund der Verbindung von gesetzlicher Vermutung der Echtheit mit der daraus resultierenden Beweiskraft einer Urkunde durchaus denkbar ist. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Beweisregeln der §§ 415 ff. ZPO aufgrund ihrer Voraussetzungen der Mangelfreiheit und Echtheit einer Urkunde keine Einschränkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz darstellen. d) Die Besonderheiten des Rechts auf Beweis in EMRK und GRC Diese Ausführungen zum Grundgesetz lassen sich auch für das Recht auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta fruchtbar machen. Die freie Beweiswürdigung wird nach hier vertretener Auffassung zur Ermöglichung eines Rechtsnachweises im konkreten Einzelfall auch nach EMRK und Grundrechtecharta als Grundsatz gewährleistet. Doch auch das Recht auf Beweis in den europäischen Rechtsordnungen geht von dem Ideal eines möglichst weitgehenden Zusammenfallens von effektivem Rechtsnachweis der Parteien und Wahrheitserforschung aus, so dass die freie Beweiswürdigung ebenso grundsätzlich an die objektiven Kriterien der Denk- und Naturgesetze gebunden ist. Solange die freie Würdigung der Echtheit nach § 419 ZPO und der Mangelfreiheit einer Urkunde nach den §§ 437 ff. ZPO gewährleistet sind, handelt es sich bei den §§ 415 ff. ZPO gleichfalls um rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in EMRK und europäischer Grundrechtecharta.
2. Die gesetzliche Beweiskraft des gerichtlichen Protokolls nach § 165 S. 1 ZPO Eine weitere gesetzliche Beweisregel findet sich in § 165 S. 1 ZPO und in Form eines festgelegten Beweiswertes des gerichtlichen Protokolls. a) § 165 S.1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Das Protokoll erbringt hiernach vollen Beweis der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten. Nach übereinstimmender Auffassung in Rechtsprechung und Literatur umfasst diese Formulierung jedenfalls die nach § 160 I ZPO zu protokollierenden Angaben sowie diejenigen Angaben nach § 160 II ZPO, die den äußeren
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Ablauf des Verfahrens beschreiben.46 In welchem Umfange das Sitzungsprotokoll nach § 160 III ZPO an der Beweiskraft des § 165 S. 1 ZPO teilnimmt, ist indes schwierig zu beurteilen und im Einzelnen umstritten: Nach Rechtsprechung und Literatur nimmt jedenfalls § 160 III Nr. 2 und 7 ZPO an der Beweiskraft des § 165 S. 1 ZPO teil.47 § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO sollen umfasst sein, soweit es sich um die Erhebung der Beweise als solche und nicht den Inhalt der Beweiserhebung handelt.48 Einseitige Prozesshandlungen nach § 160 III Nr. 1, 3, 8, 9 ZPO nehmen demgegenüber grundsätzlich ebenso wenig an der Beweiskraft des § 165 S. 1 ZPO teil, wie § 160 III Nr. 10 ZPO.49 In Teilen der Literatur werden einseitige Prozesshandlungen nach § 160 III Nr. 1, 3, 8 und 9 ZPO jedoch insoweit von § 165 S. 1 ZPO erfasst angesehen, als es um die Vornahme dieser Prozesshandlungen als solche und nicht ihren Inhalt oder ihre Wirksamkeit geht.50 Dem Protokoll kommt nach Rechtsprechung und Literatur eine positive und negative Beweiskraft zu: Tatsächlich protokollierte Förmlichkeiten des Verfahrens sind als eingehalten anzusehen, während solche Förmlichkeiten, über die das Protokoll schweigt, demgegenüber als nicht eingehalten anzusehen sind.51 Voraussetzungen dieser Beweiskraft ist die Einhaltung der formellen Anforderungen der §§ 159 ff. ZPO an ein gerichtliches Protokoll.52 Zudem entfällt die Beweiskraft nach § 165 S. 1
46 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1990, S. 342 (§ 160 I ZPO) und BGH NJW 1990, S. 121, 122 (§ 160 II ZPO); zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 8 ff.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 10 f.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 3 ff. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 165, Rn. 2 jeweils mwN. 47 Vgl. etwa BAG NJW 1991, S. 1630, 1631 (§ 160 III Nr. 2 ZPO) und BGH NJW 1999, S. 794 (§ 160 III Nr. 7 ZPO); ebenso Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 11; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 3 ff. und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 165, Rn. 2 jeweils mwN. 48 In diesem Sinne Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 11; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 11; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 4 jeweils mwN; zur Nichterfassung des Inhalts des jeweiligen Beweismittels siehe etwa BGH NJW 1982, S. 1052, 1053; ebenso auch BGH NJW-RR 1994, S. 386, 387. 49 In diesem Sinne BGH NJW 1984, S. 1465, 1466; anderes für den Fall eines Rechtsmittelverzichts BGH NJW-RR 1994, S. 386; gegen eine entsprechende Beweiskraft des Rechtsmittelverzichts demgegenüber in neuerer Zeit wiederum BGH NJW-RR 2007, S. 1451; zustimmend auch Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 165, Rn. 2 mwN. 50 Vgl. Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 11; Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 165, Rn. 2 und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 51 In diesem Sinne BGH NJW 1990, S. 121, 122; ebenso auch BGH NJW 1991, S. 2084, 2085 und in neuerer Zeit BGH NJW 2012, S. 2354; zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 12 f.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 2 ff.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 7 f. jeweils mwN. 52 Vgl. wiederum Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 12 f.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 2 ff.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 7 f. und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 165, Rn. 1 jeweils mwN
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ZPO zugunsten der freien Beweiswürdigung, wenn das Protokoll in sich widersprüchlich ist oder sonstige offensichtliche Mängel aufweist.53 Die Beweisführung der Gegenpartei ist nach § 165 S. 2 ZPO auf den Nachweis der Fälschung des Protokolls begrenzt. Fälschung meint in diesem Zusammenhang die wissentlich falsche Beurkundung oder die vorsätzliche, nachträgliche Verfälschung.54 Es genügt weder der Nachweis eines Irrtums bei der Protokollierung, noch eine – sei es auch hohe – Wahrscheinlichkeit einer Fälschung, wenngleich der BGH auf der anderen Seite zugleich anmahnt, dass keine überhöhten Anforderungen an diesen Nachweis zu stellen sind und insbesondere kein Strafurteil über die falsche Beurkundung zu verlangen sei.55 b) Eigene Ansicht: § 165 S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Die Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO weist gewisse Parallelen zu den Regelungen der §§ 415 ff. ZPO auf. Wiederum liegt das in Streit stehende Protokoll dem erkennenden Gericht tatsächlich und mit einem bestimmten Inhalt vor. Diese Existenz eines Protokolls mit bestimmtem Umfang lässt sich nicht bezweifeln, so dass sich die jeweilige Beweisführung auch im Rahmen des § 165 S. 1 ZPO auf die Fragen der Echtheit, Vollständigkeit, Fehlerfreiheit und Unverfälschtheit des Protokolls konzentrieren muss. Dennoch erscheint die Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis als sehr viel problematischer: § 165 S. 1 ZPO sieht gegen seine Beweiskraft nach S. 2 allein den Nachweis der Fälschung vor. Denkbar ist indes auch der Fall einer fahrlässigen Falschbeurkundung iSe Irrtums des protokollierenden Gerichts, die jedoch bei der Beweisführung nach § 165 S. 1 und 2 ZPO gerade keine Rolle spielt. Die Beweiskraft entfällt vielmehr über den Nachweis der Fälschung hinaus allein im Falle der Widersprüchlichkeit oder sons tiger offensichtlicher Mängel.56 Die Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO verlagert daher nicht nur – den §§ 415 ff. ZPO vergleichbar – die Beweisführung, sondern schließt für bestimmte Fallkonstellationen eine Beweisführung und freie Beweiswürdigung explizit aus. Zwar sieht § 164 ZPO für diese Fallgestaltungen irrtümlich falscher Protokollierungen die Protokollberichtigung als Abhilfemöglichkeit vor. Indes 53 Vgl. bereits BGH NJW 1958, S. 711, 712; ebenso BGH NJW 1990, S. 121, 122; zustimmend auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 7; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 15 ff.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 9 und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 165, Rn. 3 jeweils mwN. 54 Vgl. etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 14 f.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 18 f.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 11 und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 165, Rn. 3 jeweils mwN. 55 So ausdrücklich BGH NJW 1985, S. 1782, 1783 f.; ebenso BGH NJW-RR 2008, S. 804, 805; zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 14 f.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 18 f.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 11 und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 165, Rn. 3 jeweils mwN. 56 Vgl. etwa BGH NJW 1990, S. 121, 122; Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 165, Rn. 7; Wieczorek/ Schütze-Smid, ZPO III, § 165, Rn. 15 ff. und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 165, Rn. 9 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
kommt es in diesem Verfahren zu keiner Erhebung von Beweismitteln der Parteien, so dass auch eine freie richterliche Würdigung und Überzeugungsbildung ausscheidet. § 164 ZPO kann daher den Ausschluss einer freien Beweiswürdigung in bestimmten Fallgestaltungen nicht verhindern. Eben dieser Ausschluss freier Beweiswürdigung durch die Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO stellt sich als Einschränkung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar, die einer Rechtfertigung bedarf. Eine hinreichende gesetzliche Regelung dieser Einschränkung bildet § 286 II ZPO iVm § 165 ZPO. Die Normierung einer formellen Beweiskraft des Protokolls soll eine verbindliche Möglichkeit des Nachweises des Inhaltes eines Zivilprozesses ermöglichen und mithin der Beendigung des Rechtsstreits ohne weitere Möglichkeit eines nachfolgenden Streits über den Inhalt des Protokolls dienen.57 Diese Beweisregel hat somit die Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden zum legitimen Ziel. Fraglich sind daher allein die Verhältnismäßigkeit und insbesondere die Angemessenheit dieser Regelung. Eine vergleichbare Abwägung wurde bereits für § 165 S. 2 ZPO im Rahmen der Untersuchung allgemeiner Beweisablehnungsgründe getroffen.58 Der Nachweis von Förmlichkeiten durch die Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO ist von großer Bedeutung für eine effektive Kontrolle der Rechtsmittelinstanzen insgesamt und damit letztlich auch für die Kontrolle der Einhaltung des Rechts auf Beweis. Die Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO mit seiner abstrakt festgelegten, positiven und negativen Beweiskraft stellt daher eine erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Allerdings muss auf der anderen Seite herausgestellt werden, dass diese Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO der Vermeidung eines weiteren Streites über den Inhalt eines Protokolls und damit gegebenenfalls eines weiteren Prozesses mit erneuter Aufnahme identischer Beweise dient. Die Festlegung eines bestimmten Beweiswertes des Protokolls ermöglicht den verbindlichen Nachweis bestimmter Inhalte und damit zugleich die effektive Vermeidung eines erneuten Rechtsstreits mitsamt der Gefahr einer Instrumentalisierung des gerichtlichen Protokolls für eine Wiederholung der Beweisaufnahme. Das Gesetz sieht zudem in den §§ 159 ff. ZPO eine Reihe von Förmlichkeiten als Voraussetzung für die Beweiskraft des gerichtlichen Protokolls. Zu bedenken ist außerdem das Entfallen der Beweisregel bei Widersprüchen oder sonstigen Mängeln des Protokolls. Zudem sieht das Gesetz in § 164 ZPO für die in Rede stehenden Konstellationen der irrtümlich fehlerhaften Protokollierung zumindest ein Verfahren der Berichtigung vor. Mangels Beweisaufnahme und freier Beweiswürdigung kann die Protokollberichtigung nach § 164 ZPO eine Einschränkung der freien Beweiswürdigung nicht ausschließen, aber doch zumindest einen Mosaikstein in der Rechtfertigung dieser Einschränkung darstellen. Abschließend 57 Ausführlich 58
zu diesem Telos des § 165 ZPO bereits § 11 IV. 10. Siehe wiederum § 11 IV. 10.
§ 13 Beweiswürdigung
787
geht der BGH richtigerweise davon aus, dass die Anforderungen an den Nachweis der Fälschung des Protokolls in § 165 S. 2 ZPO nicht überspannt werden dürfen.59 Wenn man nun diese Teilaspekte zusammennimmt, so erscheint es vertretbar, dass der Gesetzgeber die Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis iSe Rechts auf eine freie Beweiswürdigung und der Rechtssicherheit sowie dem Rechtsfrieden zugunsten letzterer auflöst. Daher ist die Beweisregel des § 165 S. 1 ZPO als Einschränkung des Rechts auf Beweis nach hier vertretener Ansicht gerechtfertigt.
3. Die gesetzliche Beweiskraft des Urteilstatbestandes nach § 314 S. 1 ZPO Abschließend enthält auch § 314 S. 1 ZPO eine Beweisregel, die dem Urteilstatbestand einen abstrakt festgelegten Beweiswert zuspricht und daher ihrerseits am Maßstab des Rechts auf Beweis zu messen ist: a) § 314 S. 1 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Eine Beweiskraft kommt nach § 314 S. 1 ZPO dem als Tatbestand gekennzeichneten Teil eines Urteils zu. Allerdings meint § 314 S. 1 ZPO nach Rechtsprechung und Literatur nicht den Tatbestand im formalen Sinne, vielmehr können auch Feststellungen zum Parteivorbringen in den Entscheidungsgründen an der Beweiskraft des § 314 S. 1 ZPO teilhaben.60 Im Falle eines Widerspruches zwischen Tatbestand und Entscheidungsgründen geht indes der Tatbestand nach der klaren Entscheidung § 314 S. 1 ZPO vor.61 Die Beweiskraft kann auch schriftsätzliches Vorbringen umfassen, wenn die Parteien hierauf nach § 137 III ZPO in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen haben.62 Eine negative Beweiskraft kommt § 314 S. 1 ZPO indes nach neuerer Rechtsprechung und überwiegendem Schrifttum nicht zu.63 Der Tatbestand soll nach der neuen Fassung des § 313 II ZPO nur den wesentlichen Inhalt der Verhandlung wiedergeben, so dass gerade keine vollständige Darstellung allen mündlichen Vortrages gewährleistet ist und der Tatbestand mangels Vollstän59
So BGH NJW 1985, S. 1782, 1783 f. und BGH NJW-RR 2008, S. 804, 805. Vgl. etwa BGH NJW 1999, S. 1339 f.; instruktiv auch BGH NJW-RR 2007, S. 1434, 1435; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 2 ff.; Wieczorek/Schütze-Ren sen, ZPO V/1, § 314, Rn. 5 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 314, Rn. 4 f. und Prütting/GehrleinThole, ZPO, § 314, Rn. 4 f. jeweils mwN. 61 In diesem Sinne BGH NJW 1989, S. 898; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 2 und Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 314, Rn. 4 jeweils mwN. 62 Vgl. etwa BGH NJW 1983, S. 885 f.; ebenso auch BGH NJW 2004, S. 3777, 3778; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 3 ff. und Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 314, Rn. 3 f. jeweils mwN. 63 Ausführlich zu dieser Konstellation BGH NJW 2004, S. 1876, 1879; bestätigt durch BGH MDR 2012, S. 1184; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 9 f.; Wieczorek/ Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 314, Rn. 5 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 314, Rn. 4 jeweils mwN; ähnlich Prütting/Gehrlein-Thole, ZPO, § 314, Rn. 4 f. 60
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
digkeit keine negative Beweiskraft entfalten kann.64 Eine Beweiswirkung des § 314 S. 1 ZPO scheidet zugunsten der freien Beweiswürdigung aus, wenn der Tatbestand in sich unklar, widersprüchlich oder sonstig lückenhaft ist.65 Eine Entkräftung der Beweisregel des § 314 S. 1 ZPO ist nach S. 2 nur durch das Sitzungsprotokoll möglich. Das Gesetz löst somit den möglichen Widerstreit der beiden Beweisregeln des § 165 S. 1 ZPO und des § 314 S. 1 ZPO zugunsten des gerichtlichen Protokolls auf – soweit dessen Umfang reicht.66 Im Falle eines irrtümlich fehlerhaften Tatbestandes ermöglicht § 320 ZPO eine Berichtigung, allerdings erfolgt in diesem Verfahren keine Beweiserhebung und somit auch keine freie Würdigung von Beweismitteln der Prozessparteien durch das Gericht.67 b) Eigene Ansicht: § 314 S. 1 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Die Beweisregel des § 314 S. 1 ZPO erweist sich mit Blick auf das Recht auf Beweis als gleichfalls als problematisch. Auch in der Fallgestaltung des § 314 S. 1 ZPO liegt dem erkennenden Gericht ein Urteilstatbestand bestimmten Inhaltes vor, so dass sich die beiderseitige Beweisführung der Parteien auf die Vollständigkeit, Fehlerfreiheit und Unverfälschtheit dieses tatsächlich existierenden Urteilstatbestandes konzentrieren muss. Der Gegenbeweis wird nach § 314 S. 2 ZPO an die Feststel lungen des gerichtlichen Protokolls gekoppelt, so dass auch die Beurteilung fahrlässig falscher Beurkundungen iSe Irrtums nicht der freien Beweiswürdigung unterliegt. Dabei sieht § 320 ZPO auch für den Urteilstatbestand ein Berichtigungsverfahren vor, jedoch analog zu § 164 ZPO ohne jede Beweisaufnahme und freie Beweiswürdigung. Daher handelt es sich auch bei der Beweisregel des § 314 S. 1 ZPO um eine Einschränkung des Rechts auf Beweis. Eine hinreichende gesetzliche Regelung dieser Einschränkung bildet § 286 II ZPO iVm § 314 ZPO. Die Regelung der Beweiskraft des Urteilstatbestandes in § 314 S. 1 ZPO dient der Nachweisbar-
64 Vgl. wiederum BGH NJW 2004, S. 1876, 1879 und BGH MDR 2012, S. 1184; dieser Argumentation zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 9 f. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 314, Rn. 4; ähnlich argumentierend auch Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 314, Rn. 5 ff.; jeweils mwN. 65 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1995, S. 1058, 1060; BGH NJW 1999, S. 641, 642 und BGH NJW 2011, S. 1513, 1514; zustimmend Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 314, Rn. 9; MüKo-Mu sielak, ZPO I, § 314, Rn. 5 und Prütting/Gehrlein-Thole, ZPO, § 314, Rn. 7 jeweils mwN. 66 Vgl. BGH NJW 1993, S. 3067; siehe auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 314, Rn. 14 f. Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 314, Rn. 12 f. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 314, Rn. 6 f. jeweils mwN. 67 Auf diese Möglichkeit hinweisend etwa BGH NJW-RR 2007, S. 1434, 1435; BGH NJW 2011, S. 1513, 1514; instruktiv aus verfassungsrechtlicher Sicht BVerfG NJW 2005, S. 657, 658 f.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 314, Rn. 10 f.; Prütting/Gehrlein-Thole, ZPO, § 314 Rn. 7 f. jeweils mwN.
§ 13 Beweiswürdigung
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keit und damit der Absicherung einer gerichtlichen Entscheidung. Mithin dient auch § 314 S. 1 ZPO dem legitimen Ziel der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens.68 Doch auch für die Einschränkung des § 314 S. 1 ZPO stellt sich die Frage nach ihrer Verhältnismäßigkeit und insbesondere der Angemessenheit. Die Begrenzung des Nachweises mündlichen Vortrages durch § 314 S. 1 ZPO betrifft insbesondere etwaige Anträge der Parteien in dieser Verhandlung und ihre Behandlung. Die Einschränkung der freien Beweiswürdigung erschwert in diesem Zusammenhang einen Nachweis und damit eine effektive Kontrolle in den Rechtsmittelinstanzen. Das mündliche Vorbringen in der Verhandlung iSd § 314 S. 1 ZPO kann insbesondere auch Beweisanträge der Parteien und ihre Behandlung betreffen, so dass diese Regelung eine deutliche Einschränkung der effektiven Kontrolle der Einhaltung des Rechts auf Beweis in den Rechtsmittelinstanzen bedeutet. Für eine Rechtfertigung streitet auch im Rahmen des § 314 S. 1 ZPO die Bedeutung der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Die Anerkennung eines festgelegten, hohen Beweiswertes des Urteilstatbestandes verhindert einen erneuten Rechtsstreit über diese Fragen und die Instrumentalisierung einer Streitigkeit über den Urteilstatbestand für eine Wiederholung von Beweisaufnahmen. § 314 S. 1 ZPO ist insoweit im Zusammenhang mit § 165 ZPO zu sehen. Diese Verbindung wird über die Bindung des Gegenbeweises an das Sitzungsprotokoll in § 314 S. 2 ZPO hergestellt und zeigt, dass es sich bei den Beweisregeln der §§ 165 S. 1, 314 S. 1 ZPO um ein abgestimmtes System der Beweisregeln zur Schaffung von Rechtssicherheit und Rechtsfrieden handelt. Hieraus folgt zugleich, dass § 314 S. 1 ZPO letztlich die Wirkungen des § 165 S. 1 ZPO perpetuiert, so dass die dortigen Überlegungen auch hier fruchtbar zu machen sind: Die Beweiskraft des gerichtlichen Tatbestandes ist seinerseits an die Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten nach den §§ 313 ff. ZPO gebunden. Die Beweiskraft ist darüber hinaus bei Widersprüchen innerhalb des Tatbestandes oder sonstigen Mängeln ausgeschlossen. Weiterhin bietet § 320 ZPO auch für den Urteilstatbestand die Möglichkeit der Berichtigung und damit ein Verfahren zur Behebung von fahrlässigen Fehlern der Beurkundung an. Abschließend ist auch für den Gegenbeweis nach § 314 S. 2 ZPO zu bedenken, dass sich der BGH richtigerweise gegen überhöhte Anforderungen an den Nachweis der Fälschung des Protokolls nach § 165 S. 2 ZPO ausspricht.69 Letztlich handelt es sich bei § 314 S. 1 ZPO um eine konsequente Fortführung der Gedanken des § 165 ZPO im System der ZPO. Wenn der Gesetzgeber also die Abwägung zwischen dem Recht auf Beweis auf der einen Seite und der Rechtssicherheit sowie dem Rechtsfrieden auf der anderen Seite im Rahmen des § 165 ZPO berechtigterweise zugunsten Letzterer ausfallen lässt, so muss diese Wertung nach hier vertretener Auffassung auch für § 314 S. 1 ZPO gelten. Die Be-
68 Ausführlich 69
zu diesem Telos bereits § 11 IV. 10. d. Vgl. wiederum BGH NJW 1985, S. 1782, 1783 f. und BGH NJW-RR 2008, S. 804, 805.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
weisregel des § 314 S. 1 ZPO ist daher als Einschränkung des Rechts auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen gerechtfertigt.
§ 14
Beweisbegründung Den Abschluss dieser Untersuchung des gerichtlichen Beweisverfahrens bildet die Begründung von Entscheidungen mit einem beweisrechtlichen Bezug. Das Recht auf Beweis beinhaltet nach allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen gewisse, diesbezügliche Gewährleistungsgehalte. Die Begründung einer Entscheidung erfüllt auch im Beweisrecht eine Reihe verschiedener Funktionen. So zwingt die Begründung das erkennende Gericht im Rahmen seiner Entscheidungsfindung zur Selbstkontrolle der eigenen Überlegungen. Weiterhin wird eine Entscheidung erst durch eine Begründung für Dritte nachvollziehbar und damit zugleich kontrollierbar. Daher stellt sich das Begründungserfordernis als Grundvoraussetzung jeder Entscheidungskontrolle in den Rechtsmittelinstanzen dar. Abschließend erlaubt es eine Begründung auch den Prozessparteien, die Entscheidung nachzuvollziehen und verstehen zu können. Die Entscheidung gewinnt hierdurch an Legitimation gegenüber den so informierten Parteien und ermöglicht es ihnen zugleich aus der Entscheidung zu lernen und ihr weiteres Verhalten im Rechtsverkehr an diese aufgestellten, beweisrechtlichen Anforderungen anzupassen.1 Basierend auf diesen Grundgedanken gewährleistet das Recht auf Beweis ein Recht auf eine umfassende Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen mitsamt einer korrespondierenden Verpflichtung des erkennenden Gerichts als Maßstab für die nachfolgende Überprüfung des einfachen Rechts:
I. Die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen im Lichte des Rechts auf Beweis Die ZPO enthält in erster Linie zwei Anknüpfungspunkte für die Begründung von zivilprozessualen Entscheidungen: Zum einen die Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur Erstellung eines Protokolls der Verhandlung und Beweisaufnahme in den §§ 159 ff. ZPO und zum anderen die eigentliche, gerichtliche Entscheidung, insbesondere den Urteilstatbestand nach § 313 I Nr. 5, II ZPO und die Entscheidungsgründe nach § 313 I Nr. 6, III ZPO. Im ersten Schritt soll nun herausgearbeitet werden, in welchem Umfang das gerichtliche Protokoll, der Urteilstatbestand und 1 Ausführlich
zu diesen Funktionen von Begründungspflichten bereits in § 7 VII. 4. a.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
die Entscheidungsgründe in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur zur Begründung welcher beweisrechtlichen Entscheidung beitragen. Sodann soll sich eine Analyse der einfach-rechtlichen Vorschriften zu Protokoll, Urteilstatbestand und Entscheidungsgründen im Lichte des Rechts auf Beweis anschließen. Dabei gilt es insbesondere, eine Auslegung der §§ 159 ff. und der §§ 313 ff. ZPO vorzunehmen und für die einzelnen Begründungen beweisrechtlicher Entscheidungen diejenige Stellung in Protokoll, Tatbestand oder Entscheidungsgründen zu finden, die eine bestmögliche Ausgestaltung der Gewährleistungen des Rechts auf Beweis erlaubt.
1. Die Protokollierungspflichten des § 160 II, III Nr. 2, 4, 5 ZPO in Auslegung Rechtsprechung und Literatur Das Gericht ist nach § 159 I ZPO grundsätzlich zur amtswegigen Erstellung eines Protokolls in dem nach den §§ 160, 161 ZPO normierten Umfang verpflichtet.2 Für den hier interessierenden Umfang der Protokollierung einer Beweisaufnahme ist § 160 II, III Nr. 2, 4 und 5 ZPO von besonderer Bedeutung: Nach § 160 II ZPO muss das Protokoll die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung umfassen. Hierbei handelt es sich insbesondere um die Einhaltung des äußeren Ablaufes der Verhandlung, wie etwa der Erörterung der Beweisergebnisse nach § 285 I ZPO.3 In der Literatur werden regelmäßig auch die Beweisanträge der Parteien als wesentlicher Vorgang iSd § 160 II ZPO und damit als protokollierungsbedürftig angesehen.4 Der genaue Umfang der Protokollierungspflichten nach § 160 II ZPO soll sich nach den Umständen des Einzelfalles richten und am Telos einer effektiven Kontrolle in den Rechtsmittelinstanzen orientieren.5 § 160 III Nr. 2 ZPO sieht die amtswegige Protokollierung von Parteianträgen vor. Allerdings soll diese Norm nach herrschender Meinung ausschließlich Sachanträge der Parteien umfassen – mithin solche Anträge, die auf eine Beeinflussung des Er2 Vgl. zu den Modalitäten der Anfertigung BGH NJW 1999, S. 794; siehe auch zur Protokollierungspflicht Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 159, Rn. 9 ff. und Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 159, Rn. 3 ff. jeweils mwN. 3 Vgl. etwa BGH NJW 1999, S. 121, 122 (Verhandlung über die Ergebnisse einer Beweisaufnahme); BGH NJW 2006, S. 60, 62 (Hinweiserteilung); BVerwG NVwZ 2012, S. 512, 513 (Be weisantrag); siehe auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 5 ff.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 16 ff.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 3 und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 5 ff. jeweils mwN. 4 So auch BVerwG NVwZ 2012, S. 512, 513 für den auf die ZPO verweisenden Verwaltungsprozess; zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 6; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 3 und 5; Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 8 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 3 jeweils mwN. 5 In diesem Sinne BGH NJW 1999, S. 121, 122; zustimmend Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 16; ähnlich auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 5 und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 3 jeweils mwN.
§ 14 Beweisbegründung
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gebnisses des Prozesses insgesamt abzielen.6 Beweisanträge sollen demgegenüber nach überwiegender Auffassung nicht unter den Begriff der „Anträge“ nach § 160 III Nr. 2 ZPO fallen, wenngleich regelmäßig auf eine Protokollierung als wesentlicher Vorgang iSd § 160 II ZPO verwiesen wird.7 Weiterhin sind nach § 160 III Nr. 4 ZPO die Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Parteien im Rahmen einer gerichtlichen Vernehmung zu protokollieren. § 160 III Nr. 4 ZPO verlangt – anders als § 160 II ZPO – eine Protokollierung des Inhaltes dieser Beweiserhebungen und damit von Inhalten der Verhandlung.8 Die Aussagen sind nach ganz überwiegender Auffassung so ausführlich und genau wie möglich zu protokollieren, obgleich keine Wortlautdokumentation verlangt wird.9 Eine solche, umfassende Protokollierung der Beweisaufnahme soll die Grundlage für eine Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen und Parteien bilden und stellt sich auch für komplexe Fragen im Rahmen einer Begutachtung als unerlässlich dar.10 Eine Protokollierung nach § 160 III Nr. 4 ZPO kann auch durch Verweis auf einen Vermerk des Berichterstatters oder desjenigen Richters, der die Beweisaufnahme tatsächlich durchgeführt hat, erfolgen.11 Allerdings verlangen Rechtsprechung und Literatur, dass dieser Vermerk den Parteien schnellstmöglich zugänglich gemacht wird, wenn der Vermerk zur Entscheidung herangezogen werden soll und die Parteien mithin nach Art. 103 I GG eine effektive Äußerungsmöglichkeit erhalten müssen.12 Abschließend bedarf nach § 160 III Nr. 5 ZPO auch die Durchführung eines gerichtlichen Augenscheins zwingend einer Protokollierung. Das Protokoll muss den Ort und den Gegenstand des Augenscheins enthalten.13 Außerdem muss das Gericht seine gewonnenen Sinnes6
Für die h. M. siehe Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 34 ff.; ebenso auch BVerwG NJW 1988, S. 1228; unter explizitem Verweis auf § 160 II ZPO zustimmend Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 16; aA Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 6 und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 13 jeweils mwN. 7 In diesem Sinne Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 16; ähnlich auch MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 5. 8 Vgl. etwa BGH NJW-RR 1993, S. 1034 f.; siehe auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19 ff.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 ff.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 8 f. jeweils mwN. 9 Für eine umfassende Protokollierung sprechen sich etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19 ff.; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 ff.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 8 f. jeweils mwN aus. 10 Ausführlich Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19 ff. und Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 ff. jeweils mwN. 11 Vgl. etwa BGH NJW 1972, S. 1673; ebenso auch BGH NJW 1991, S. 1547, 1548 f.; zustimmend etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 19 Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 ff. und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 18 jeweils mwN. 12 So etwa BGH NJW 1972, S. 1673 unter Verweis auf Art. 103 I GG; einschränkend für den Fall, dass die Parteien keinen Einfluss mehr auf die Entscheidung nehmen können, BGH NJW 1991, S. 1547, 1548 f.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 40 ff. und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 18 jeweils mwN. 13 Vgl. etwa zum Protokollierungserfordernis nach § 160 III Nr. 5 ZPO BGH GRUR 2013,
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
eindrücke und Wahrnehmungen zu Protokoll geben – nicht aber etwaige gezogene oder zu ziehende Schlussfolgerungen.14
2. Die Urteilsbegründung nach § 313 II und III ZPO in Rechtsprechung und Literatur Eine Auflistung der einzelnen Bestandteile eines gerichtlichen Urteils findet sich in § 313 I ZPO. Für die Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen sind insbesondere der Urteilstatbestand nach § 313 I Nr. 5, II ZPO und die Entscheidungsgründe eines Urteils nach § 313 I Nr. 6, III ZPO von Interesse: Der Tatbestand eines Urteils wird in seinem Umfang nach § 313 II ZPO dahingehend definiert, dass die erhobenen Ansprüche und die Angriffs- und Verteidigungsmittel der Parteien in ihrem wesentlichen Inhalt knapp wiedergegeben werden sollen. Dieses Gebot knapper Ausführungen wird insbesondere in Beträgen aus der Praxis regelmäßig betont.15 Als äußerste Grenze dieses Gebotes der Knappheit in § 313 II ZPO wird jedoch überwiegend die Nachvollziehbarkeit und Verständlichkeit der Ausführungen im Tatbestand angesehen.16 Dabei müssen erhobene Ansprüche der Parteien grundsätzlich so genau gekennzeichnet werden, dass sie sich von anderen Ansprüchen unterscheiden lassen.17 Die Angriffs- und Verteidigungsmittel müssen ihrem Wesen nach hervorgehoben und im Einzelnen dargestellt werden.18 Der tatsächliche Prozessstoff soll umfassend und auf die Weise wiedergegeben werden, wie er sich zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung darstellt.19 Im Urteilstatbestand nach § 313 II ZPO darzustellen sind weiterhin erhebliche Beweisanträge, die aus einem bestimmten Grund abgelehnt wurden – etwa aufgrund der Erwiesenheit des Beweisthemas.20 S. 1052, 1054 f.; siehe auch siehe auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 24; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 45 f.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 10 f. und Musielak/Voit-Stad ler, ZPO, § 160, Rn. 9 jeweils mwN. 14 Eine Schilderung der subjektiven Eindrücke fordern etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 24; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 45 f. und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 19; die Abgrenzung zur Beweiswürdigung betont insbesondere MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 10 f. 15 In diesem Sinne insbesondere Balzer, NJW 1995, S. 2448 ff. mwN. 16 Vgl. etwa Huber, Zivilurteil, S. 83 ff. und Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 388 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 30 f. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 17 In diesem Sinne BGH MDR 1977, S. 480. 18 Vgl. wiederum BGH MDR 1977, S. 480; siehe auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 31; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 17 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 19 Vgl. etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 31; Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 382 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 17 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 10 ff. jeweils mwN 20 Ausführlich zu dieser Frage Puhle, JuS 1990, S. 296 ff. mit einer Erwiderung durch Weitzel,
§ 14 Beweisbegründung
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Demgegenüber bedürfen unerhebliche Beweisanträge nach ganz überwiegender Auffassung keinerlei Erwähnung im Tatbestand.21 Die Einzelheiten des Tatbestandes können nach § 313 II S. 2 ZPO durch eine Bezugnahme auf das Protokoll, Schriftsätze oder sonstige Unterlagen ersetzt werden. Die Bezugnahme muss sich jedoch nach herrschender Meinung auf konkrete Unterlagen richten, die für Parteien und Rechtsmittelgericht zweifelsfrei erkennbar sind und den in Bezug genommenen Sach- und Streitstand vollständig und richtig wiedergeben.22 Die Entscheidungsgründe umfassen nach § 313 III ZPO eine kurze Zusammenfassung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf denen das Urteil beruht. In den Entscheidungsgründen erfolgt die eigentliche Feststellung streitiger Tatsachen und ihre Begründung durch das Gericht.23 Das Gericht muss die wahren Gründe angeben, die es zu seiner Entscheidung bewogen haben, wohingegen bloße Floskeln oder vorgeschobene Begründungen gerade nicht erlaubt sind.24 Das Gericht soll sich hierbei auf die wesentlichen Erwägungen konzentrieren dürfen, so dass es nach übereinstimmender Auffassung von Rechtsprechung und Literatur keines Eingehens auf jedes einzelne Beweismittel bedarf.25 Die Grenze der Verknappung ist jedoch auch für die Entscheidungsgründe in der Nachvollziehbarkeit zu sehen: die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen müssen so ausführlich dargestellt werden, dass die Entscheidung in ihren Gründen der Kontrolle durch Rechtsmittelgerichte zugänglich wird.26 Zusammenfassend leitet das Bundesverfassungsgericht aus Art. 103 I GG eine Verpflichtung des erkennenden Gerichts dahingehend ab, JuS 1990, S. 923 f.; siehe auch Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 394 ff. und Stein/Jonas-Altham mer, ZPO IV, § 313, Rn. 36 ff. 21 In diesem Sinne etwa Puhle, JuS 1990, S. 296 ff.; ebenso auch Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 20; ähnlich MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 11; differenzierend Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 396 f.; weitergehend Weitzel, JuS 1990, S. 923 f. jeweils mwN. 22 Vgl. etwa BGH MDR 1977, S. 480; ausführlich Schwöbbermeyer, NJW 1990, S. 1451 ff.; zustimmend auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 51 ff. und Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 393 ff.; kritisch demgegenüber Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 18 f. jeweils mwN. 23 Ausführlich Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 414 ff. und Huber, Zivilurteil, S. 109 ff. 24 Vgl. etwa BGH MDR 2000, S. 323, 324 f.; zustimmend Foerste, JZ 2007, S. 122, 133 f.; ähnlich auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 62 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 17 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 10 ff. jeweils mwN. 25 Vgl. zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Art. 103 I GG, BVerfG NJW 1982, S. 30; siehe auch BGH NJW 2009, S. 2139 f.; zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 65 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 21 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 14 f. jeweils mwN; eine ausführliche und kritische Analyse des § 313 III ZPO anhand der verfassungsrechtlichen Anforderungen liefert auch Lücke, Begründungszwang, S. 161 ff. 26 In diesem Sinne etwa BGH NJW-RR 1998, S. 1117 und BGH MDR 2000, S. 323, 324 f. (jeweils konkret zur Beweiswürdigung); zustimmend für die Entscheidungsgründe auch zustimmend Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 68 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 21 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 14 f.; ausführlich wiederum Lücke, Begründungszwang, S. 161 ff. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
dass die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Verteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden müssen.27 Für die Beweiswürdigung normiert § 286 I S. 2 ZPO ausdrücklich die Forderung, das Gericht müsse im Urteil diejenigen Gründe angeben, die für seine Überzeugungsbildung leitend waren. Während nach dem Wortlaut § 313 III ZPO eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Erwägungen genügt, so fordert § 286 I S. 2 ZPO eine ausführliche Darstellung der leitenden Erwägungen des Gerichts im Rahmen der Beweiswürdigung.28 Das Gericht muss seine subjektive Überzeugungsbildung durch Angabe von Gründen verobjektivieren und so für die Parteien, wie auch die Rechtsmittelgerichte nachvollziehbar und kontrollierbar machen.29 Dabei muss das Gericht nach ganz herrschender Meinung auch im Rahmen des § 286 I S. 2 ZPO nicht auf jedes Beweismittel explizit eingehen, sondern kann sich vielmehr auf die wesentlichen Erwägungen konzentrieren.30 Doch auch eine Begründung nach § 286 I S. 2 ZPO darf sich keinesfalls in Floskeln oder sonstigen, formelhaften Wendungen und vorgeschobenen Begründungen erschöpfen.31 Bei der Würdigung von Indizienbeweisen, deren Beweiswirkung ambivalent gesehen werden kann, muss die Begründung auf eben diese Ambivalenz besonders eingehen und sich damit auseinandersetzten.32
3. Zusammenfassung: Die Begründungspflichten des Rechts auf Beweis Diese Auslegung des gerichtlichen Protokolls nach den §§ 159 ff. ZPO, des Urteils tatbestandes nach § 313 I Nr. 5, II ZPO und der Entscheidungsgründe nach § 313 I Nr. 6, III ZPO soll nun darauf untersucht werden, welche Bestandteile der Begründungspflichten des Rechts auf Beweis in welchem Umfange und an welcher Stelle in Protokoll, Urteilstatbestand und den Entscheidungsgründen zu verorten sind. Zu diesem Zwecke sollen die Begründungspflichten nochmals zusammengefasst werden: Das Gericht ist zu einer Darstellung aller durch die Parteien gestellten Beweis27
Vgl. etwa BVerfGE 54, S. 43, 46; ebenso auch BVerfG NJW 1982, S. 30. Instruktiv BGH NJW-RR 1998, S. 1117; ausführlich auch Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 17 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 286, Rn. 111; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 21 f. jeweils mwN. 29 Vgl. wiederum BGH NJW-RR 1998, S. 1117; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 17 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 286, Rn. 111; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 21 f. jeweils mwN. 30 In diesem Sinne bereits BGHZ 3, S. 162, 175; ebenso auch BGH NJW-RR 2005, S. 568, 569; zustimmend wiederum Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 17 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 286, Rn. 111; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 21 f. jeweils mwN. 31 Vgl. etwa BGH NJW 1998, S. 2969, 2971 und BGH MDR 2000, S. 323; zustimmend Huber, Zivilurteil, S. 132 f.; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 17 f. und MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 21 f. jeweils mwN. 32 Vgl. BGH NJW 1991, S. 1894, 1895 f.; siehe auch BGH NJW 1994, S. 2289, 2292 f.; zustimmend auch Musielak/Voit-Foerste, ZPO, § 286, Rn. 67. 28
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anträge und einer Begründung ihrer Ablehnung verpflichtet. Außerdem bedarf es einer vollständigen Dokumentation der Beweisaufnahmen und ihrer Ergebnisse als Grundlage für die Nachvollziehbarkeit der späteren Beweiswürdigung des Gerichts. Abschließend hat das Gericht sämtliche tatsächlichen Feststellungen zu begründen, die seiner Entscheidung zugrunde liegen. Insbesondere die Beweiswürdigung bedarf einer ausführlichen Begründung zur Verobjektivierung der subjektiven Überzeugungsbildung des Gerichts und zum Verständnis der tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidung.33
4. Eigene Ansicht: Die Protokollierungspflichten des § 160 II, III Nr. 2, 4, 5 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Im gerichtlichen Protokoll sind nach seiner gesetzlichen Konzeption in den §§ 159 ff. ZPO diejenigen Vorgänge festzuhalten, die sich im Verlaufe des Prozesses abspielen. Daher liegt es nahe, das Stellen von Beweisanträgen durch die Parteien mit dem überwiegenden Schrifttum als einen wesentlichen Vorgang des Verfahrens iSd § 160 II ZPO zu definieren und eine entsprechende Dokumentation von Beweisanträgen an dieser Stelle zu verorten.34 Denkbar wäre eine Protokollierung von gestellten Beweisanträgen auch im Hinblick auf § 160 III Nr. 2 ZPO, wenn man den Begriff der „Anträge“ im Gegensatz zur überwiegenden Literatur weit auslegt und auch Beweisanträge als Prozessanträge unter § 160 III Nr. 2 ZPO subsumiert.35 Ein Beweisantrag ist der initiative Schritt einer Partei zur Einbringung ihrer Beweismittel und führt bei seiner Stattgabe zum Erfordernis einer Beweisaufnahme als besonderem Verfahrensabschnitt. Angesichts dieser prozessualen Wirkung liegt die Einordnung eines Beweisantrages als wesentlicher Vorgang iSd § 160 II ZPO durchaus nahe.36 Die Ergebnisse der Beweisaufnahme müssen vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis als Grundlage des Verständnisses einer späteren Beweiswürdigung grundsätzlich umfassend dokumentiert werden. Die Aussagen von Zeugen und Parteien sind zur Beurteilung ihrer Glaubwürdigkeit auf Antrag im Wortlaut zu protokollie33 Ausführlich
zu den einzelnen Begründungspflichten bereits § 7 VII. In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 6; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 3 und 5; Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 8 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 3 jeweils mwN; zustimmend auch BVerwG NVwZ 2012, S. 512, 513. 35 In diese Richtung tendierend Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 6 und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 13; für die h. M. siehe Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 160, Rn. 34 ff.; ebenso BVerwG NJW 1988, S. 1228; unter Einschränkungen zustimmend auch Stein/ Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 16 jeweils mwN. 36 So auch die h. M. siehe wiederum Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 160, Rn. 6; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 160, Rn. 3 und 5; Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 160, Rn. 8 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 160, Rn. 3 jeweils mwN; zustimmend auch BVerwG NVwZ 2012, S. 512, 513. 34
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
ren.37 Das Gesetz sieht in § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO eine weitreichende Protokollierungspflicht von Beweisaufnahmen vor. Hiernach sind die Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Parteien im Rahmen ihrer Vernehmung ebenso zu protokollieren, wie die gerichtliche Augenscheinnahme. Somit wird durch § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO die Dokumentation aller Beweismittel des Strengbeweises mit Ausnahme des Urkundenbeweises gesetzlich normiert. Eine solche Dokumentation der Beweisaufnahme im gerichtlichen Protokoll weist nach hier vertretener Auffassung den wesentlichen Vorteil auf, dass die Dokumentation unmittelbar mit Vornahme der Beweiserhebung erfolgt und sich somit auf einen frischen Eindruck des Gerichts stützten kann. Zu fordern ist eine möglichst umfassende und authentische Dokumentation der Aussage von Zeugen und Parteien. Das Recht auf eine Wortlautdokumentation folgt demgegenüber nach hier vertretener Meinung aus § 160 IV ZPO auf Antrag einer Partei.38 Die Aussagen von Sachverständigen sind grundsätzlich nicht auf ihre Glaubwürdigkeit zu überprüfen, so dass es weniger auf die Wortlautdokumentation ankommt. Doch auch für den Sachverständigenbeweis ist eine möglichst umfassende Dokumentation zu fordern, um die Kompetenz des Sachverständigen und seine Kenntnis von den konkreten Fragestellungen beurteilen zu können. Die Dokumentation muss aufzeigen, ob Unklarheiten und etwaige Widersprüche beseitigt und alle Streitfragen des Gutachtens geklärt werden konnten. Ein ausschließlich mündlich erstattetes Gutachten bedarf umso mehr einer umfassenden, schriftlichen Fixierung im gerichtlichen Protokoll. Die gerichtliche Einnahme eines Augenscheins ist gleichfalls nach § 160 III Nr. 5 ZPO umfassend zu protokollieren. Diese Dokumentation ist für die Parteien von besonderer Bedeutung, da das Gericht im Rahmen des Augenscheins eigene, unmittelbare Eindrücke gewinnt und das Verständnis etwaiger Schlussfolgerungen des Gerichts in ganz wesentlichem Maße von der Kenntnis eben dieser subjektiven Eindrücke abhängt. Das Gericht ist daher zu einer umfassenden Dokumentation des Augenscheinobjektes, der Rahmenbedingungen des Augenscheins und der erlangten, subjektiven Eindrücke verpflichtet. Eine Dokumentation des Urkundenbeweises findet sich demgegenüber nicht in § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO. Indes kann der Inhalt einer Urkunde von den Parteien selbst erfasst werden, so dass sich nach hier vertretener Auffassung das Beifügen der Urkunde als Anlage zum Protokoll iSd § 160 V ZPO als direkteste Form der Dokumentation dieser Beweiserhebung anbietet.
37 38
Ausführlich zu diesem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis § 12 I. 4. e. und III. 4. d. Zur Einordnung dieses Gewährleistungsgehaltes siehe wiederum § 12 I. 4. e. und III. 4. d.
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5. Eigene Ansicht: Die Urteilsbegründung im Lichte des Rechts auf Beweis Die Dokumentation von Beweisanträgen und den Ergebnissen der Beweisaufnahme stellt jedoch nur die Vorbereitung der eigentlichen Begründungen beweisrechtlicher Entscheidungen dar. Für die weiteren Begründungspflichten des Rechts auf Beweis gilt es nun den Urteilstatbestand nach § 313 I Nr. 5, II ZPO und die Entscheidungsgründe nach § 313 I Nr. 6, III ZPO in den Blick zu nehmen. Der Urteilstatbestand ist nach § 313 II ZPO als eine Darstellung des Verhandlungsverlaufes und der jeweiligen Ausführungen und Aktivitäten der Parteien anzusehen, während in den Entscheidungsgründen die eigentliche Tatsachenfeststellung durch das erkennende Gericht getroffen und erläutert werden.39 Im Tatbestand lassen sich daher insbesondere diejenigen, beweisrechtlichen Initiativen der Parteien darstellen, die gerade keinen Einfluss auf die eigentliche Tatsachenfeststellung und Entscheidungsfindung des Gerichts innehatten. Daher sind im Tatbestand in Übereinstimmung mit der Literatur abgelehnte Beweisanträge aufzuführen und ihre Ablehnung zu begründen.40 Das Gericht muss nach hier vertretener Ansicht für jeden Beweisantrag der Parteien einzeln darstellen, auf welchen Ablehnungsgrund es sich stützt und aus welchen Erwägungen heraus der Beweisantrag im konkreten Fall abgelehnt worden ist. Der Umfang dieser Begründung richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles: Wenn etwa die fehlende Entscheidungserheblichkeit eines beantragten Beweismittels evident ist, so bedarf es lediglich einer kurzen Benennung der betreffenden Rechtsansicht und der daraus resultierenden Irrelevanz des Beweisantrages. Demgegenüber bedarf eine Beweisablehnung bei komplexen Abwägungsfragen – etwa der Ablehnung von Beweisanträgen aufgrund überwiegender Gegenrechte – einer umfangreichen Begründung. Das Gericht muss im Einzelnen darstellen, aus welchen Erwägungen heraus die Gegenrechte das Recht auf Beweis im konkreten Einzelfall überwogen haben und eine Beweiserhebung ausnahmsweise unterbleiben musste. Diese Begründungspflicht gilt ausdrücklich auch für solche Ablehnungsgründe, die sich aus den immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis ergeben: So kommt einem Beweisantrag auf Erhebung eines nicht entscheidungserheblichen Beweismittels kein Schutz durch das Recht auf Beweis zu und seine Ablehnung ist als rechtmäßig anzusehen. Dennoch bedarf der Umstand, dass ein Beweisantrag nicht unter den Schutz des Rechts auf Beweis fällt, seinerseits einer Begründung. Das Gericht darf sich also nicht damit begnügen, dass sich die fehlende Entscheidungserheblichkeit implizit aus den gewählten Rechtsansichten ergibt, sondern muss eine ausdrückliche – wenn auch je nach Fallgestaltung zu dieser Abgrenzung Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 382 mwN. Siehe wiederum Puhle, JuS 1990, S. 296 ff. mit der Erwiderung durch Weitzel, JuS 1990, S. 923 f.; Furtner, Urteil im Zivilprozess, S. 394 ff. und Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 36 ff. jeweils mwN. 39 Ausführlich 40
800
3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
durchaus kurze – Begründung geben.41 Eine Partei muss zur Legitimation einer Entscheidung einen nachvollziehbaren Eindruck davon erhalten, weshalb die konkrete Entscheidung in einer bestimmten Weise ausgefallen ist. Ein wesentlicher Teil dieser Legitimation ist in der Begründung der Ablehnung eigener beweisrechtlicher Initiativen dieser Partei zu sehen. Eine Begründung trägt insbesondere für juristische Laien in hohem Maße zur Verständlichkeit und Legitimation einer Entscheidung bei und ist daher unerlässlicher Bestandteil des Rechts auf Beweis. In den Entscheidungsgründen sind nach § 313 III ZPO sodann die tatsächlichen Feststellungen des Gerichts zu begründen. Hierzu zählen insbesondere die Beweiswürdigung, aber auch sonstige, tatsächliche Feststellungen des Gerichts – etwa die Offenkundigkeit einer Tatsache. Während § 313 III ZPO seinem Wortlaut nach eine kurze Zusammenfassung genügen lässt, fordert das Recht auf Beweis als Grenze dieser Knappheit jedenfalls eine so ausführliche Begründung, dass die Entscheidung für die Parteien nachvollziehbar wird.42 Über diese Grenze hinaus verknappte Entscheidungsgründe haben für die Parteien keinerlei Mehrwert, so dass auch Aufwand für die Erarbeitung dieser Entscheidungsgründe seinerseits ad absurdum geführt würde. Einer umfassenden Begründung bedarf die gerichtliche Beweiswürdigung. Das Gesetz fordert in § 286 I S. 2 ZPO eine Darstellung der leitenden Gründe der Überzeugungsbildung durch das Gericht, ohne sich auf eine Verknappung iSd „kurzen Zusammenfassung“ nach § 313 III ZPO zu beschränken. Daher kann § 286 I S. 2 ZPO als Ausgangspunkt für eine weitere Auslegung im Lichte des Rechts auf Beweis erachtet werden: Die Parteien haben nach hier vertretenen Auffassung das Recht auf eine umfassende Begründung der Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht. Es muss umfassend dargestellt werden, welche Beweisergebnisse das Gericht in die Würdigung einbezogen hat, auf welche Natur- und Denkgesetze sowie Erfahrungssätze bei der Durchführung der Würdigung zurückgegriffen wurde und aus welchen Erwägungen heraus das Gericht welchen Beweisergebnissen den Vorrang eingeräumt und zu seiner Überzeugung von der Wahrheit gelangt ist. Das Gericht muss in diesem Zusammenhang grundsätzlich auf alle erhobenen Beweismittel eingehen und weiterhin eine Begründung liefern, falls einzelne erhobene Beweismittel in seinen Erwägungen keine Rolle gespielt haben. Die Würdigung muss sich nicht dahingehend als allgemeingültig darstellen, dass keinerlei gegenteilige Wertung in Betracht käme. Maßstab ist in Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur vielmehr, dass die Beweiswürdigung für die Parteien, wie auch etwaige Rechtsmittelgerichte nachvollziehbar wird und einer Kontrolle unterzogen wer41 Anders demgegenüber die h. M. siehe etwa Puhle, JuS 1990, S. 296 ff.; ebenso Wieczorek/ Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 20; ähnlich auch MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 11. 42 Ähnlich auch BGH NJW-RR 1998, S. 1117 und BGH MDR 2000, S. 323, 324 f.; Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313, Rn. 62 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313, Rn. 21 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 313, Rn. 14 f.; ausführlich auch Lücke, Begründungszwang, S. 161 ff. jeweils mwN.
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den kann.43 Die Parteien müssen in die Lage versetzt werden, zu verstehen, auf welcher Basis das Gericht mit welcher Argumentation welche Entscheidung getroffen hat. Für die Würdigungsbasis kann das Gericht in seiner Begründung jedoch auf etwaige Ergebnisse der Beweisaufnahme im gerichtlichen Protokoll zurückgreifen und hierauf verweisen – soweit dieselben umfassend dokumentiert sind. Entscheidend ist allein die umfassende Begründung des Weges und der Gründe für die Überzeugungsbildung des Gerichts. Das Gericht darf sich nicht hinter vorgeschobenen Begründungen und Floskeln verstecken, sondern muss vielmehr seine eigene Würdigung für den konkreten Einzelfall umfassend offenlegen. In dieser Auslegung stellen sich die §§ 286 I S. 2, 313 I Nr. 6, III ZPO als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta dar.
II. Die gesetzlichen Ausnahmen von Begründungspflichten in den §§ 161, 313a ZPO Die ZPO normiert in den §§ 161, 313a ZPO zudem eine Reihe von Fallkonstellationen, in denen das erkennende Gericht von einer Protokollierung bzw. der Erstellung von Urteilstatbestand und Entscheidungsgründen absehen darf. Diese gesetzlichen Ausnahmevorschriften vom Protokollierungs- bzw. Begründungserfordernis sollen in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur analysiert und am Recht auf Beweis gemessen werden:
1. Der Verzicht auf eine gerichtliche Protokollierung nach § 161 ZPO § 161 ZPO bezieht sich allein auf die gerichtlichen Protokollierungspflichten nach § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO. Hierbei handelt es sich um die Protokollierung der Aussagen von Zeugen, Sachverständigen und Parteien im Rahmen ihrer Vernehmung sowie um die Einnahme des gerichtlichen Augenscheins. Mithin ermöglicht § 161 ZPO unter bestimmten Voraussetzungen den Verzicht auf eine Dokumentation weiter Teile der Beweisaufnahme, die ihrerseits von den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis umfasst sind.
43 Siehe für die h. M. BGH NJW-RR 1998, S. 1117; Stein/Jonas-Thole, ZPO IV, § 286, Rn. 17 f.; Wieczorek/Schütze-Ahrens, ZPO IV, § 286, Rn. 111; MüKo-Prütting, ZPO I, § 286, Rn. 21 f. jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
a) § 161 ZPO in Rechtsprechung und Literatur Die Regelung des § 161 ZPO ermöglicht es dem Gericht, in zwei verschiedenen Fallgestaltungen von einer Protokollierung nach § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO abzusehen: Das Gericht kann nach § 161 I Nr. 1 ZPO von einer Protokollierung iSd § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO absehen, wenn die entsprechende Beweiserhebung durch das Prozessgericht selbst erfolgt ist und das darauf beruhende Endurteil des Gerichts keiner Rechtsmittelkontrolle durch Berufung oder Revision unterliegt. Hintergrund dieser Ausnahmevorschrift ist die Funktion des gerichtlichen Protokolls, eine Entscheidung durch umfassende Dokumentation für Dritte nachvollziehbar zu machen und somit auch eine Kontrolle durch die Rechtsmittelgerichte zu eröffnen. Wenn eine Entscheidung jedoch keinen Rechtsmitteln unterliegt, so entfällt mit dieser Funktion des Protokolls nach Maßgabe des § 161 ZPO auch die Verpflichtung zur Erstellung desselben.44 § 161 I Nr. 1 ZPO ist jedoch nur anwendbar, wenn unzweifelhaft feststeht, dass keine Berufung oder Revision statthaft oder zulässig ist.45 So schließt die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde eine Anwendung des § 161 I Nr. 1 ZPO ebenso aus, wie eine nachträgliche Klageerweiterung über die nach § 511 II Nr. 2 ZPO erforderliche Berufungssumme von 600 € hinaus, so dass im Zweifel eine Protokollierung vorzunehmen ist.46 Ein Absehen von der Protokollierung ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 161 ZPO kann sich nach der Rechtsprechung allerdings ausnahmsweise dann als rechtmäßig erweisen, wenn sich der festzuhaltende Inhalt der Beweisaufnahme mit hinreichender Klarheit aus dem Urteilstatbestand oder den Entscheidungsgründen ergibt.47 Nach § 160 I Nr. 2 ZPO bedarf es außerdem keiner Protokollierung, wenn die gerichtliche Entscheidung aufgrund von Handlungen der Parteien nicht in einem streitigen Endurteil besteht, sondern in einer konsensualen Form der Entscheidung, wie einem Anerkenntnis, Verzicht, einer Klagerücknahme oder einem Vergleich.48 In diesen Konstellationen haben sich 44 Vgl. bereits die ausführliche und kritische Auseinandersetzung mit § 161 ZPO durch BGH NJW 1956, S. 1355; zum Sinn und Zweck des § 161 ZPO siehe auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 1 und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 1 f. jeweils mwN. 45 In diese Richtung BGH NJW 2003, S. 3057 f.; ausdrücklich eine zurückhaltende Anwendung des § 161 I Nr. 1 ZPO anmahnend auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 3 ff. und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 46 Vgl. zur Einbeziehung der Nichtzulassungsbeschwerde BGH NJW 2003, S. 3057 f.; ebenso auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 3 ff. und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 2 ff. jeweils mwN. 47 Vgl. bereits BGH NJW 1987, S. 1200 f.; ebenso auch BGH NJW 2003, S. 3057 f.; zurückhaltend gegenüber dieser Rechtsprechung Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 12 und MüKo-Frit sche, ZPO I, § 161, Rn. 9. 48 Für eine analoge Anwendung des § 161 ZPO auf die weiteren Formen der nicht-streitigen Prozessbeendigung sprechen sich etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 5 f.; Wieczorek/
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die Parteien nach ihrem Willen auf eine bestimmte Entscheidung geeinigt, so dass es in Ermangelung streitiger Tatsachen gerade keiner Protokollierung der Beweisaufnahme mehr bedarf.49 In Übereinstimmung mit dem Grundgedanken des § 161 I Nr. 1 ZPO bedarf es zudem keiner Protokollierung, wenn die Rechtsmittelkontrolle durch freiwilligen Verzicht der Prozessparteien entfällt.50 Allerdings bedarf die Durchführung der Beweisaufnahme als solche nach § 161 II ZPO eines Vermerkes im Protokoll. Letztlich dient § 161 ZPO allein der Arbeitsentlastung des Gerichts und der Justiz insgesamt.51 In der Literatur wird verschiedentlich auf die geringe Einsparungswirkung des § 161 ZPO hingewiesen und eine zurückhaltende Anwendung dieser Ausnahmevorschrift angemahnt, um insbesondere eine spätere, sachgerechte Beweiswürdigung zu ermöglichen.52 b) Eigene Ansicht: § 161 ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Im ersten Schritt stellt sich die Frage, ob in § 161 ZPO überhaupt eine Einschränkung des Rechts auf Beweis zu sehen ist. Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen die Dokumentation der Beweisaufnahme als Basis für das Verständnis der gerichtlichen Beweiswürdigung gewährleistet. Soweit die Prozessparteien im Falle von Vergleich, Anerkenntnis, Verzicht und Klagerücknahme iSd § 161 I Nr. 2 ZPO freiwillig auf eine weitere Beweisaufnahme und Beweiswürdigung verzichten, sind die allgemeinen Grund sätze über den Verzicht auf das Recht auf Beweis anzuwenden.53 Die Parteien müssen umfassend über die Konsequenzen des Verzichts informiert werden – in diesem Zusammenhang insbesondere das Absehen von einer Protokollierung – und auf Basis dieser Informationen freiwillig einen Verzicht auf Rechtsmittel und – gegebenenfalls konkludent – eine Protokollierung erklären. Sodann ist § 161 I Nr. 2 ZPO nach hier vertretener Auffassung als eine gerechtfertigte Einschränkung des Rechts auf Beweis anzusehen. Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 5; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 5 und Musielak/Voit-Stad ler, ZPO, § 161, Rn. 4 jeweils mwN aus. 49 Siehe zu diesem Telos des § 161 I Nr. 2 ZPO, MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 5 und Musielak/Voit-Stadler, ZPO, § 161, Rn. 1. 50 Vgl. zum Sinn und Zweck des § 161 I Nr.1 ZPO wiederum Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 1 und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 1 f. jeweils mwN. 51 Ausführlich und kritisch zum Sinn und Zweck des § 161 ZPO bereits BGH NJW 1956, S. 1355; siehe auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 1 und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 1 f. jeweils mwN. 52 In diesem Sinne etwa Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 4; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 3 ff.; MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 2 ff. und Prütting/Gehrlein-Dörr, ZPO, § 161, Rn. 1 jeweils mwN. 53 Ausführlich zu Voraussetzungen und Rechtswirkung eines Verzichtes § 8 IV. 3.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Problematischer erscheint das Absehen von einer Protokollierung nach dem Ermessen des Gerichts bei fehlender Rechtsmittelfähigkeit der Entscheidung nach § 161 I Nr. 2 ZPO. Das Begründungserfordernis dient nach hier vertretener Auffassung einer Mehrzahl an Funktionen. Die Ermöglichung einer Kontrolle in den Rechtsmittelinstanzen entfällt als Sinn und Zweck der Protokollierung bei fehlender Rechtsmittelfähigkeit einer Entscheidung. Daneben sollen die Protokollierung und damit letztlich die Begründung einer Entscheidung jedoch auch der Selbstkontrolle des Gerichts dienen und zudem den Prozessparteien ein kritisches Verständnis der Entscheidung ermöglichen. Insbesondere die Selbstkontrolle des Gerichts ist bei solchen Entscheidungen, die keinen Rechtsmitteln unterliegen, von besonderer Bedeutung. Das Gericht entscheidet abschließend und ist daher umso mehr gehalten, diese abschließende Entscheidung in besonderem Maße selbst zu reflektieren. Insoweit lässt sich in diesen Anforderungen an die Selbstkontrolle des letztentscheidenden Gerichts ein Ausgleich für die fehlende Fremdkontrolle durch höhere Instanzen erblicken. Das Erfordernis einer Entscheidungsbegründung ist als wesentlicher Bestandteil eben dieser Selbstkontrolle des Gerichts anzusehen. Hinzu kommt, dass die Parteien dieses Recht auf eine Begründung von Entscheidungen innehaben, um deutlich erkennen zu können, in welchem Maße ihre eigenen, beweisrechtlichen Initiativen den Ausgang des Prozesses mit beeinflusst haben. Auf diese Weise wird die Entscheidung nicht nur legitimiert, vielmehr wird es den Parteien außerdem ermöglicht, sich an diesen beweisrechtlichen Anforderungen für ihr zukünftiges Verhalten im Rechtsverkehr zu orientieren. Mithin erfüllt auch die Begründung von nicht rechtsmittelfähigen Entscheidungen wesentliche Funktionen, so dass sich auch diese Begründung nach hier vertretener Ansicht als Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis darstellt. Ein Absehen von der Protokollierung weiter Teile der Beweisaufnahme nach § 160 III Nr. 4 und 5 ZPO durch § 161 I Nr. 1 ZPO würde das Verständnis einer Entscheidung wesentlich erschweren und sich daher als erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellen. Indes verlangt das Recht auf Beweis seinerseits keine bestimmte Verortung dieser Dokumentation einer Beweisaufnahme. Eine solche Dokumentation kann sich gleichfalls im Tatbestand einer Entscheidung oder sogar in den Entscheidungsgründen selbst finden, ohne das Recht auf Beweis zu beschränken. Wesentlich ist allein, dass eine umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme und ihrer Ergebnisse erfolgt und für die Parteien zur Verfügung steht, um die betreffende Entscheidung nachvollziehen und überprüfen zu können. Das Gericht kann mithin im Einzelfall von § 161 I Nr. 1 ZPO Gebrauch machen und von einer Protokollierung der Beweisaufnahme absehen, solange sich diese umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme in Tatbestand oder Entscheidungsgründen findet. Demgegenüber würde ein gänzliches Entfallen der Dokumentation der Beweisaufnahme als Einschränkung des Rechts auf Beweis nur schwer zu rechtfertigen sein. § 161 I Nr. 1 ZPO stellt eine hinreichende gesetzliche Regelung dar und dient der Funktionsfähigkeit der Justiz
§ 14 Beweisbegründung
805
als einem legitimen Ziel.54 Doch die geringfügige Entlastungswirkung der Gerichte durch § 161 I Nr. 1 ZPO steht einer erheblichen Erschwerung der Nachvollziehbarkeit einer Entscheidung als Ausfluss des Rechts auf Beweis gegenüber und könnte somit nach hier vertretener Auffassung regelmäßig keine hinreichende Rechtfertigung darstellen. Die Vereinbarkeit des § 161 I Nr. 1 ZPO mit dem Recht auf Beweis ist daher eng verknüpft mit der tatsächlichen Durchführung der erforderlichen Dokumentationen und ihrer jeweiligen Verortung durch das erkennende Gericht. Hierauf wird auch im Rahmen der Überprüfung des § 313a ZPO sogleich zurückzukommen sein.
2. Der Verzicht auf Tatbestand und Entscheidungsgründe nach § 313a ZPO § 313a ZPO folgt einem dem § 161 ZPO ähnlichen Grundgedanken und erlaubt es dem Gericht, unter bestimmten Voraussetzungen vom Verfassen des Urteilstatbestandes und der Entscheidungsgründe abzusehen. a) § 313a ZPO in Rechtsprechung und Literatur Nach § 313a I S. 1 ZPO ist das erkennende Gericht berechtigt, auf das Verfassen eines Urteilstatbestandes nach § 313 I Nr. 5, II ZPO zu verzichten, wenn das Urteil unzweifelhaft keinen Rechtsmitteln unterliegt. Als Grundgedanke lässt sich für § 313a ZPO gleichfalls festhalten, dass auch der Urteilstatbestand die Nachvollziehbarkeit einer Entscheidung und damit letztlich ihre Kontrolle in den Rechtsmittel instanzen ermöglichen soll. Bei Entfallen dieser Kontrolle soll daher nach § 313a I S. 1 ZPO zugleich das Erfordernis eines Urteilstatbestandes entfallen.55 Allerdings fordern Rechtsprechung und Literatur auch im Rahmen einer Anwendung des § 313a I S. 1 ZPO eine vorhergehende Versicherung des Gerichts von Amts wegen über das unzweifelhafte Fehlen jeglicher Rechtsmittel, einschließlich etwaiger Nichtzulassungsbeschwerden.56 § 313a I S. 2 ZPO erlaubt weitergehend in zwei Fallkonstellationen einen Verzicht auf die Entscheidungsgründe nach § 313 I Nr. 6, III ZPO: Nach § 313a I S. 2 54 Vgl. für die h. M. etwa BGH NJW 1956, S. 1355; siehe auch Stein/Jonas-Roth, ZPO III, § 161, Rn. 1; Wieczorek/Schütze-Smid, ZPO III, § 161, Rn. 1 und MüKo-Fritsche, ZPO I, § 161, Rn. 1 f. jeweils mwN. 55 Vgl. zum Telos des § 313a ZPO Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313a, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 1 ff. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 313a, Rn. 1 jeweils mwN. 56 In diesem Sinne BGH NJW-RR 2012, S. 1535; zustimmend auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313a, Rn. 6; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 1 ff. und MüKo-Mu sielak, ZPO I, § 313a, Rn. 1 jeweils mwN; starke verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber § 313a I ZPO insgesamt äußert Lücke, Begründungszwang, S. 184 ff.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Alt. 1 ZPO bedarf es keiner Entscheidungsgründe, wenn keine Rechtsmittel zulässig sind und beide Parteien auf die Entscheidungsgründe verzichtet haben. In der Literatur wurde jedoch verschiedentlich auf die geringe praktische Relevanz dieser Alternative mit dem Argument hingewiesen, dass Parteien, die bis zu einer streitigen Entscheidung prozessieren, regelmäßig auch die Gründe für eben diese Entscheidung kennen möchten.57 Einen ähnlichen Verzichtsgrund liefert § 313a II ZPO dahingehend, dass ein Stuhlurteil keiner Entscheidungsgründe bedarf, wenn die Parteien auf das Einlegen von Rechtsmitteln innerhalb der Frist des § 313a III ZPO verzichten.58 Demgegenüber erlaubt § 313a I S. 2 Alt. 2 ZPO ein Absehen von den Entscheidungsgründen unabhängig von den Prozessparteien, wenn keine Rechtsmittel zulässig sind und der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe in das Protokoll aufgenommen wurde. Die Anforderungen an den „wesentlichen Inhalt der Entscheidungsgründe“ im Protokoll entsprechen nach der Literatur jedoch regelmäßig den Anforderungen der Entscheidungsgründe selbst, die nach § 313 III ZPO ja ihrerseits lediglich eine „kurze Zusammenfassung“ der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen fordern.59 Die Arbeitsersparnis des § 313a I S. 2 Alt. 2 ZPO liegt hiernach allein in der Vermeidung einer doppelten Darstellung wesentlicher Erwägungen in Protokoll und Entscheidungsgründen, nicht aber in einer Verkürzung dieser Darstellung als solcher.60 Der Sinn und Zweck des § 313a ZPO wird – analog zu § 161 ZPO – allein in der Arbeitsentlastung der Justiz gesehen.61 Bei einem Verzicht auf den Urteilstatbestand wie auch die Entscheidungsgründe, kann sich das praktische Problem der Verständlichkeit einer Entscheidung stellen. Hinzu kommt, dass auch die Bestimmung des Umfanges der Rechtskraft gewisser Konkretisierungen in den anderen Urteilsbestandteilen bedarf.62 In der Literatur wird abschließend darauf hingewiesen, dass § 313a ZPO dem Gericht ein Ermessen einräumt und in der Abfassung von Urteilstatbestand und Entscheidungsgründen trotz Möglichkeit eines Verzichts nach
57
Diese praktische Irrelevanz hervorhebend etwa MüKo-Musielak, ZPO I, § 313a, Rn. 1. Vgl. allgemein zu den Anforderungen an einen Rechtsmittelverzicht BGH NJW 1985, S. 2335 f.; ausführlich zu den Anforderungen des § 313a II ZPO Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 11 ff.; MüKo-Musielak, ZPO I, § 313a, Rn. 4 f. und Prütting/Gehrlein-Thole, ZPO, § 313a, Rn. 4 ff. jeweils mwN. 59 Diese Kongruenz der inhaltlichen Anforderungen betont insbesondere Stein/Jonas-Altham mer, ZPO IV, § 313a, Rn. 15 mwN. 60 Die Entlastungswirkung des § 313a I S. 2 Alt. 2 ZPO als gering ansehend auch Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313a, Rn. 15. 61 Vgl. Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313a, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 1 ff. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 313a, Rn. 1; ähnlich Prütting/Gehrlein-Thole, ZPO, § 313a, Rn. 1 jeweils mwN. 62 Zu diesen praktischen Erfordernissen siehe Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 14 und MüKo-Musielak, ZPO I, § 313a, Rn. 6 jeweils mwN. 58
§ 14 Beweisbegründung
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§ 313a ZPO kein Rechtsfehler zu sehen ist, sondern teilweise auch ein praktisches Erfordernis der Übersichtlichkeit und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen.63 b) Eigene Ansicht: § 313a ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Es bedarf auch im Rahmen der Überprüfung des § 313a ZPO der Herausarbeitung etwaiger Einschränkungen des Rechts auf Beweis. In diesem Zusammenhang ist zwischen den verschiedenen Varianten des § 313a ZPO zu unterscheiden: Soweit das Absehen von Tatbestand und Entscheidungsgründen auf einer entsprechenden Handlung der Prozessparteien beruht, finden die allgemeinen Grundsätze über den Verzicht auf das Recht auf Beweis Anwendung.64 Ein wirksamer Verzicht auf die Entscheidungsgründe nach § 313a I S. 2 Alt. 1 ZPO kommt hiernach in Betracht, wenn die Parteien über die Wirkungen dieses Verzichtes umfassend informiert wurden und eine freiwillige Verzichtserklärung vorliegt. Ein Verzicht auf Rechtsmittel im Rahmen eines Stuhlurteils nach § 313a II ZPO beinhaltet nicht zwingend zugleich einen Verzicht auf die Entscheidungsgründe, wie in der Literatur richtigerweise betont wird.65 Vielmehr muss die Partei auch im Rahmen des § 313a II ZPO umfassend über die weitergehenden Konsequenzen eines Rechtsmittelverzichts in Form des Absehens von Entscheidungsgründen informiert werden und auf dieser Informationsbasis eine freiwillige Verzichtserklärung abgeben, die zumindest konkludent auch die Entscheidungsgründe erfasst. Sodann stellt sich § 313a I S. 2 Alt. 1, II ZPO nach hier vertretener Auffassung als eine gerechtfertigte Einschränkung des Rechts auf Beweis dar. Demgegenüber ermöglicht § 313a I S. 1 ZPO das Absehen von einem Urteilstatbestand allein unter der Voraussetzung einer unzweifelhaften Unzulässigkeit von Rechtsmitteln gegen das Urteil. Doch auch im Rahmen des § 313a I ZPO gilt es zu beachten, dass eine Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen mehreren Zwecken dient und allein das Entfallen der Kontrollfunktion durch Rechtsmittelgerichte den entsprechenden Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis gerade nicht entfallen lässt. Im Urteilstatbestand nach § 313 I Nr. 5, II ZPO sind nach hier vertretener Auffassung abgelehnte Beweisanträge der Parteien aufzuführen und ihre Ablehnung umfassend zu begründen. Ein ersatzloses Entfallen dieser Begründung würde die Parteien über die zentrale Frage der Behandlung ihrer Beweisinitiativen durch das Gericht gänzlich uninformiert „im Dunkeln“ tappen lassen. Selbst unter Einholung juristischen Rates wäre es den Parteien nicht zwingend möglich, die genauen Ablehnungsgründe herauszuarbeiten, wenn man die Knappheit der Entscheidungs63 Auf
dieses richterliche Ermessen hinweisend etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313a, Rn. 13; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 16 und MüKo-Musielak, ZPO I, § 313a, Rn. 7 jeweils mwN. 64 Siehe hierzu einmal mehr die Ausführungen in § 8 IV. 3. 65 In diese Richtung Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 11 mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
gründe in § 313 I Nr. 6, III ZPO bedenkt. Die Parteien wären somit nicht in der Lage, die Entscheidung für sich selbst zu kontrollieren und etwaige Schlüsse für Beweis initiativen in zukünftigen Zivilprozessen zu ziehen. Auch eine Selbstkontrolle des Gerichts über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung von Beweisanträgen würde nicht stattfinden. Das gänzliche Entfallen des Urteilstatbestandes nach § 313a I S. 1 ZPO wäre daher ein sehr schwerwiegender Eingriff in das Recht auf Beweis. In § 313a I S. 1 ZPO ließe sich eine hinreichende gesetzliche Regelung erblicken, die mit der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege einem legitimen Ziel dient.66 Indes sind die Entlastungswirkungen durch das Entfallen des nach § 313 II ZPO ohnehin knapp zu fassenden Urteilstatbestandes nach hier vertretener Ansicht nur gering einzustufen, so dass einer wesentlichen Einschränkung des Rechts auf Beweis nur ein geringfügiger Effekt zugunsten der Funktionsfähigkeit der Justiz gegenübersteht. Obgleich die Abwägung anhand aller Umstände des Einzelfalles erfolgen muss, würde sie nach hier vertretener Ansicht ob des pauschalen Entfallens des Tatbestandes regelmäßig keine Rechtfertigung dieser Einschränkung erlauben. Demgegenüber sagt das Recht auf Beweis nichts darüber aus, ob die Begründung einer Ablehnung von Beweisanträgen zwingend im Rahmen des Urteilstatbestandes erfolgen muss. Zwar entspricht diese Verortung nach hier vertretener Auffassung der gesetzlichen Systematik von Tatbestand und Entscheidungsgründen, doch auch eine Begründung im Rahmen des gerichtlichen Protokolls oder der Entscheidungsgründe würde dem Recht auf Beweis Genüge tun, solange die Parteien überhaupt eine nachvollziehbare Begründung erhalten. § 313a I S. 1 ZPO ist daher nur insoweit mit dem Recht auf Beweis vereinbar, als das Absehens vom Urteilstatbestand nicht zu einem gänzlichen Entfallen der Begründung von abgelehnten Beweisanträgen durch das erkennende Gericht führt.67 Dieser Gedanke wird vom Gesetz selbst in § 313a I S. 2 Alt. 2 ZPO aufgegriffen: So normiert § 313a I S. 2 Alt. 2 ZPO als Voraussetzung für ein solches Absehen von Entscheidungsgründen, dass ihr wesentlicher Inhalt bereits im gerichtlichen Protokoll aufgenommen worden ist. Allerdings gilt es zu bedenken, dass § 313 III ZPO seinerseits als Umfang der Entscheidungsgründe nur eine „kurze Zusammenfassung“ wesentlicher Erwägungen fordert. Daher bedarf § 313a I S. 2 Alt. 2 ZPO in Auslegung des Rechts auf Beweis einer Präzisierung dahingehend, dass die wegfallenden Entscheidungsgründe und das sie ersetzende Protokoll in ihrem jeweiligen Umfang übereinstimmen müssen.68 Die kurz 66
In diesem Sinne auch die h. M. siehe etwa Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313a, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Rensen, ZPO V/1, § 313a, Rn. 1 ff. und MüKo-Musielak, ZPO I, § 313a, Rn. 1 jeweils mwN. 67 Dieser Gedanke einer zwingend erforderlichen Begründung, die an verschiedenen Stellen erfolgen kann, ist in der Rechtsprechung bereits spiegelbildlich für die Entbehrlichkeit einer Protokollierung bei hinreichenden Feststellungen in Urteilstatbestand und den Entscheidungsgründen entwickelt worden, vgl. hierzu BGH NJW 1987, S. 1200 f. und BGH NJW 2003, S. 3057 f. 68 In diese Richtung äußert sich bereits Stein/Jonas-Althammer, ZPO IV, § 313a, Rn. 15 mwN.
§ 14 Beweisbegründung
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gefassten Entscheidungsgründe nach § 313 III ZPO stellen bereits die Mindestanforderungen an eine nachvollziehbare Begründung dar. Die Entlastungswirkung des § 313a I S. 2 Alt. S. 2 ZPO ist nach dieser Auslegung allein in einer Vermeidung doppelter Ausführungen in Protokoll und Entscheidungsgründen zu sehen. Eine weitere Beschränkung des Umfanges der Begründungsanforderungen wäre mit dem Recht auf Beweis nur schwer zu vereinbaren. Ein Mindestmaß an Begründung gerichtlicher Entscheidungen ist rechtsstaatlich geboten und die Entscheidungsgründe sind für das Verständnis einer Entscheidung von zentraler Bedeutung. Eine Einschränkung dieser Begründungserfordernisse über das Mindestgebot ihrer Nachvollziehbarkeit hinaus wäre nur schwerlich mit dem Recht auf Beweis zu vereinbaren. Es würde sich nach hier vertretener Auffassung sogar die grundsätzliche Frage ergeben, ob eine solche Arbeitsentlastung der Justiz über rechtsstaatlich gebotene Mindestanforderungen hinaus, nicht sogar die Legitimität dieser Zielsetzung insgesamt in Frage stellen könnte.69 Weiterhin bedarf § 313a I S. 2 Alt. 2 ZPO nach dem Recht auf Beweis einer Auslegung dahingehend, dass ein Absehen von den Entscheidungsgründen nur zulässig ist, wenn ihr Inhalt tatsächlich in das gerichtliche Protokoll aufgenommen wurde. An dieser Stelle gilt es, die Wechselwirkungen zwischen den Ausnahmetatbeständen des § 161 ZPO und des § 313a ZPO im Blick zu behalten: Wenn das Gericht von einer Protokollierung nach § 161 ZPO absieht, so kommt nach hier vertretener Auffassung ein weiteres Absehen von den Entscheidungsgründen gerade nicht in Betracht. Es bleibt bei der grundsätzlichen Feststellung, dass sämtliche Dokumentations- und Begründungspflichten des Rechts auf Beweis als rechtsstaatlich gebotenes Mindestmaß an Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen zu wahren sind. Dabei ist nicht die jeweilige Verortung der einzelnen Dokumentationen und Begründungen von Bedeutung, sondern einzig ihre tatsächliche Vornahme und Offenlegung, so dass die Entscheidung für die Prozessparteien nachvollziehbar wird. Es erscheint jedoch sachgerecht, die gesetzliche Systematik der ZPO zu beachten und bei der Verortung der einzelnen Dokumentations- und Begründungspflichten hiernach zu verfahren. Nach diesem Verständnis am Maßstab des Rechts auf Beweis erlaubt es § 313a I S. 1 und 2 Alt. 2 ZPO dem Gericht zwar grundsätzlich, einzelne Begründungspflichten außerhalb des Tatbestandes bzw. der Entscheidungsgründe zu verorten, doch sollte von dieser Möglichkeit mit Blick auf die gesetzliche Systematik nur zurückhaltend Gebrauch gemacht werden.
69
Vgl. zu dieser Einschränkung des legitimen Ziels der Funktionsfähigkeit der Justiz bereits § 8 III. 3. d. aa. (1).
§ 15
Der Zivilprozess vor dem Amtsgericht I. Das Recht auf Beweis im Zivilprozess vor den Amtsgerichten nach § 495a ZPO Mit der Analyse der Beweisbegründung wurde die Überprüfung des Zivilprozesses vor dem Landgericht am Maßstab des Rechts auf Beweis abgeschlossen. Obgleich die ZPO den Prozess vor dem Landgericht als „Blaupause“ für alle anderen Prozess arten ansieht, so haben doch auch die Zivilprozesse vor den Amtsgerichten – ob ihrer Anzahl – eine große praktische Bedeutung. Eine Untersuchung etwaiger Besonderheiten des Prozesses vor den Amtsgerichten hat daher für eine umfassende und effektive Geltung des Rechts auf Beweis gleichfalls Gewicht. Im Grundsatz verweist § 495 ZPO für den amtsgerichtlichen Zivilprozess auf die allgemeinen Vorschriften der ZPO über den Prozess vor den Landgerichten, soweit sich aus den §§ 495a ff. ZPO keine Abweichungen ergeben. Sodann normiert § 495a ZPO für Zivilprozesse mit einem Streitwert bis einschließlich 600 € die Möglichkeit eines Verfahrens nach billigem Ermessen. Die Besonderheiten dieses Verfahrens nach § 495a ZPO sollen nun in ihrer Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur herausgearbeitet und sodann am Maßstab des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta überprüft werden.
1. Die Verfahrensgestaltung nach § 495a ZPO in Rechtsprechung und Literatur Der Sinn und Zweck des § 495a ZPO ist nach der Literatur ausschließlich in einer Entlastung der Gerichtsbarkeit in Konstellationen geringeren Streitwertes durch Ermöglichung eines vereinfachten Verfahrensablaufes zu sehen.1 Die Streitwertgrenze bis einschließlich 600 € ist nach den allgemeinen Regeln der Streitwertbestimmung in den §§ 2 ff. ZPO zu ermitteln.2 Wenn diese Grenze im weiteren Verlaufe des Prozesses – etwa aufgrund einer Klageerweiterung – überschritten wird, scheidet eine Ausführlich etwa Fricker, amtsgerichtliches Verfahren, S. 4 ff. und Kunze, Bagatellverfahren, S. 63 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 1 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 1 ff.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 1 und Prütting/GehrleinSchelp, ZPO, § 495a, Rn. 1 jeweils mwN. 2 Vgl. Fricker, amtsgerichtliches Verfahren, S. 40 ff. siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, 1
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
weitere Anwendung des § 495a ZPO aus, wenngleich die überwiegende Ansicht davon ausgeht, dass die bisherigen Verfahrensergebnisse verwertbar bleiben.3 Dem Gericht kommt im Rahmen des § 495a ZPO ein doppeltes Ermessen zu: Im ersten Schritt hat das Gericht nach seinem Ermessen zu entscheiden, ob überhaupt ein Verfahren nach § 495a ZPO stattfinden soll und sodann bestimmt das Gericht – nach Information der Parteien – die eigentliche Verfahrensgestaltung nach billigem, d. h. pflichtgemäßem Ermessen.4 § 495a ZPO war in der Vergangenheit regelmäßiger Gegenstand verfassungsrechtlicher Diskussionen und insbesondere das Absehen von Tatbestand und Entscheidungsgründen im inzwischen aufgehobenen § 495a II ZPO a. F. sah sich dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit ausgesetzt.5 Heute entspricht es wohl allgemeiner Meinung, dass § 495a ZPO als solcher verfassungskonform ist – allerdings in erster Linie aufgrund der Erwägungen, dass der weite Wortlaut des § 495a ZPO eine verfassungskonforme Auslegung problemlos zulässt und ein grundgesetzwidriges Verfahren durch ein nach Art. 1 III GG dem Grundgesetz unterworfenes Gericht niemals dem billigen Ermessen des § 495a ZPO entsprechen kann.6 Hiernach sind Umfang und Grenzen des § 495a ZPO gleichermaßen skizziert: Die Vorgaben des Grundgesetzes sind nach allgemeiner Ansicht in vollem Umfang einzuhalten.7 Das Beweisverfahren wird regelmäßig als Hauptanwendungsbereich des § 495a ZPO angesehen, doch auch in diesem Bereich zieht die Verfassung nach Ansicht von Rechtsprechung und Literatur dem billigen Ermessen enge Grenzen8: So hat das § 495a, Rn. 14 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 9 ff. und MüKo-Deppenkem per, ZPO II, § 495a, Rn. 9 ff. 3 In diesem Sinne etwa Kunze, Bagatellverfahren, S. 83 f.; Fischer, MDR 1994, S. 978, 979 f.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 23 ff.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 11 ff. und Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 3 jeweils mwN. 4 Ausführlich Fricker, amtsgerichtliches Verfahren, S. 71 ff. und Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 25 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 18 ff. und MüKoDeppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 12 f. jeweils mwN. 5 Eine ausführliche verfassungsrechtliche Analyse des § 495a ZPO insgesamt liefert Kunze, Bagatellverfahren, S. 163 ff. – mit dem Ergebnis einer Verfassungswidrigkeit des § 495a II ZPO a. F.; im Ergebnis zustimmend auch Stollmann, NJW 1991, S. 1719, 1720 f.; mit einer Erwiderung durch Hennrichs, NJW 1991, S. 2815 f. 6 Auf diesen offenen Wortlaut des § 495a ZPO explizit hinweisend Stollmann, NJW 1991, S. 1719 f.; allgemeine Ansicht, siehe auch Fischer, MDR 1994, S. 978, 980; Wieczorek/SchützeReuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 6 ff.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 2 und Prütting/ Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 6 jeweils mwN. 7 In diesem Sinne bereits BVerfG 1993, S. 1319; ebenso auch BVerfG NJW 2006, S. 2248, 2249 und BVerfG NJW-RR 2009, S. 562 f.; aus der Literatur ausführlich Fricker, amtsgerichtliches Verfahren, S. 76 ff. und Kunze, Bagatellverfahren, S. 163 ff.; siehe auch Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 24 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 6 ff.; MüKo-Deppenkem per, ZPO II, § 495a, Rn. 18 ff. jeweils mwN. 8 So ausdrücklich Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 74 f.; ähnlich auch Fri cke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 76 f.; Kunze, Bagatellverfahren, S. 163 f.; Stein/Jonas-Berger,
§ 15 Der Zivilprozess vor dem Amtsgericht
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erkennende Gericht alle erheblichen Beweisanträge nach Art. 103 I GG iVm den Grundsätzen der ZPO auch im Rahmen des § 495a ZPO vollumfänglich zu berücksichtigen, so dass ein Beweisantrag nach allgemeinen Regeln in Rechtsprechung und Literatur nur abgelehnt werden darf, wenn diese Ablehnung eine Stütze im geltenden Zivilprozessrecht findet.9 Auch das Recht der Prozessparteien auf Information wird vollumfänglich gewährleistet und das Gericht muss die Parteien über alle entscheidungserheblichen Vorgänge – insbesondere die Ergebnisse einer Beweisaufnahme – informieren, ohne dass sich aus § 495a ZPO irgendwie geartete Ausnahmen oder Einschränkungen ergeben könnten.10 Den größten Ermessensspielraum iSd § 495a ZPO genießt das erkennende Gericht nach überwiegender Auffassung im Rahmen der eigentlichen Beweisaufnahme und ihrer Modalitäten: Die formelle Beweisunmittelbarkeit wird hiernach nur im Ausnahmefall als verfassungsrechtlich fundiert angesehen, so dass eine Beweisaufnahme durch telefonische Zeugenvernehmung oder auch die Einholung von Auskünften via Email als vom billigen Ermessen des Gerichtes gedeckt erachtet wird.11 Doch weisen Rechtsprechung und Literatur gleichfalls auf die verfassungsrechtlichen Grenzen einer solchen Beweisaufnahme hin, insbesondere die Gewährleistungen des rechtlichen Gehörs der Prozessparteien, wie etwa Anwesenheits- und Fragerechte, jedenfalls aber die Kenntnisgabe der Ergebnisse einer Beweisaufnahme und ein diesbezügliches Äußerungsrecht als Bedingung ihrer Verwertbarkeit.12 Aufgrund dieser engen Begrenzung des billigen Ermessens wird sodann selbst die Möglichkeit einer telefonischen Zeugenbefragung oder ähnlicher Modifikationen im Ergebnis regelmäßig als wenig kosteneffizient und in der Tendenz sogar arbeitsaufwendi-
ZPO V, § 495a, Rn. 24 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 6 ff.; MüKo-Deppen kemper, ZPO II, § 495a, Rn. 18 ff. und Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 6 jeweils mwN. 9 Vgl. allgemein BVerfGE 50, S. 32, 35 f.; BVerfG NJW 2009, S. 1585, 1586; BVerfG-K 12, S. 346, 350 f.; speziell zu § 495a ZPO siehe etwa Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 108 ff.; Kunze, Bagatellverfahren, S. 183 f.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 23; Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 10; tendenziell weitergehend bzgl. der Ablehnung von Sachverständigengutachten aufgrund unverhältnismäßiger Kosten Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 40 f.; aA soweit ersichtlich allein Städing, NJW 1996, S. 691, 694. 10 Siehe wiederum Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 84 ff.; Kunze, Bagatellverfahren, S. 169 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 24 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 52 f. und MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 22 jeweils mwN. 11 Ausführlich zu den einzelnen Vereinfachungsmöglichkeiten des Beweisverfahrens iRd § 495a ZPO siehe Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 114 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 37 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 49 ff.; MüKo-Deppenkem per, ZPO II, § 495a, Rn. 33 ff. und Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 10 jeweils mwN. 12 Ausführlich Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 114 ff.; Kunze, Bagatellverfahren, S. 169 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 37 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 49 ff.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 33 ff. und Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 10 jeweils mwN.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
ger angesehen.13 Die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung bleibt nach Rechtsprechung und Literatur in einem Prozess nach § 495a ZPO ebenso unangetastet, wie das Beweismaß der vollen richterlichen Überzeugung.14 Abschließend verbleibt es nach allgemeiner Meinung für die Begründung einer Entscheidung in einem Prozess iSd § 495a ZPO bei der Geltung der allgemeinen Grundsätze, da der Gesetzgeber durch die Aufhebung der Spezialvorschrift des § 495a II ZPO a. F. deutlich gemacht hat, dass allein die allgemeinen Ausnahmevorschriften der §§ 313a und 313b ZPO Geltung haben sollen.15 Zusammengefasst wird der Entlastungseffekt des § 495a ZPO in der Literatur regelmäßig als vergleichsweise gering angesehen, während zugleich rechtsstaatliche Bedenken an einer Verfahrensgestaltung nach billigem Ermessen geäußert werden und insbesondere Kritik an einer Entlastung auf Kosten rechtsstaatlicher Grundsätze geübt wird.16
2. Eigene Ansicht: § 495a ZPO im Lichte des Rechts auf Beweis Das Recht auf Beweis gewährleistet den Parteien des Zivilprozesses ein umfassendes Recht auf Nachweis eigener Rechte. Als zwingende Konsequenz des staatlichen Gewaltmonopols und des Verweises auf den Rechtsweg kann diesem Recht auf Beweis gerade keine Begrenzung auf eine bestimmte Art von Prozessen oder einen bestimmten Wert dieser nachzuweisenden Rechte entnommen werden. Vielmehr gelten die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in vollem Umfang für die nachzuweisenden Rechte jeden Wertes im Zivilprozess vor den Amtsgerichten. Es ist mit Rechtsprechung und Literatur daher davon auszugehen, dass den Anforderungen von Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta in einem Prozess nach § 495a ZPO vollumfänglich Rechnung getragen werden muss.17 13 Eine Entlastungswirkung in diesem Zusammenhang ausdrücklich anzweifelnd auch Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 119; im Befund ähnlich, wenn auch anderen Konsequenzen ziehend Städing, NJW 1996, S. 691. 14 Vgl. etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 40; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 58 und Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 10 jeweils mwN. 15 Vgl. zur Begründungspflicht im Rahmen des § 495a ZPO bereits BVerfG NJW 1995, S. 2911 f.; ausführlich, allerdings unter Geltung des § 495a II ZPO a. F. Kunze, Bagatellverfahren, S. 184 ff.; zur Rechtslage nach Wegfall des § 495a II ZPO a. F. siehe etwa Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 42 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 82 ff.; MüKo-Deppenkem per, ZPO II, § 495a, Rn. 44 ff. jeweils mwN. 16 Kritisch zum Verhältnis von Entlastungswirkung und Rechtsstaatlichkeit iRv § 495a ZPO äußern sich etwa Kunze, NJW 1995, S. 2750, 2752 f.; Hennrichs, NJW 1991, S. 2815 f.; ausführlich und mit sehr grundsätzlichen Erwägungen auch Redeker, NJW 1996, S. 1870 ff. 17 Siehe für das GG etwa BVerfG NJW 1993, S. 1319; ebenso auch BVerfG NJW 2006, S. 2248, 2249 und BVerfG NJW-RR 2009, S. 562 f.; ausführlich Fricker, amtsgerichtliches Verfahren, S. 76 ff. Kunze, Bagatellverfahren, S. 163 ff.; siehe auch Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 6 ff.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 18 ff. jeweils mwN.
§ 15 Der Zivilprozess vor dem Amtsgericht
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Der Telos des § 495a ZPO wird allgemein in einer Entlastung der Amtsgerichte durch eine in ihr Ermessen gestellte Vereinfachung des Verfahrens bei geringen Streitwerten gesehen.18 Vor dem Hintergrund der vollumfänglichen Geltung des Rechts auf Beweis stellt sich § 495a ZPO letztlich als eine Generalklausel für die Abwägung zwischen den prozessualen Grundrechten, insbesondere dem Recht auf Beweis einerseits und dem Entlastungseffekt iSe Förderung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege andererseits dar. § 495a ZPO ist hiernach als generalklauselartige, gesetzliche Regelung von Einschränkungen des Rechts auf Beweis mit dem grundsätzlich legitimen Ziel der Funktionsfähigkeit der Zivilrechtspflege anzusehen. Der generalklauselartige Begriff einer Verfahrensgestaltung „nach billigen Ermessen“ stellt insoweit das eigentliche Einfallstor für die Abwägung der widerstreitenden Grundrechte bzw. Grundprinzipien im Einzelfall dar. Indes soll bereits an dieser Stelle klargestellt werden, dass nach hier vertretener Auffassung allein aufgrund eines geringeren Streitwertes keine niedrigeren Anforderungen an die Rechtfertigung einer Einschränkung des Rechts auf Beweis zu stellen sind. Diese Abwägung gilt es nun für die wesentlichen, beweisrechtlichen Einschränkungen nach § 495a ZPO näher zu analysieren: Das Recht der Parteien auf Stellung von Beweisanträgen und auf Erhebung beantragter Beweismittel wird auch für einen Zivilprozess nach § 495a ZPO innerhalb der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis vollumfänglich gewährleistet.19 Ausnahmen kommen ausschließlich nach den allgemeinen Grundsätzen in Betracht, insbesondere im Falle überwiegender Gegenrechte der anderen Prozesspartei oder Dritter. Es erscheint bereits fraglich, ob die Beantragung und Erhebung von Beweismitteln überhaupt mit dem Argument eingeschränkt werden kann, es handle sich „lediglich“ um ein streitiges Recht von geringem Wert. Gehört die Ermittlung des Sachverhaltes doch zu den grundlegendsten Aufgaben eines Gerichts in jedwedem rechtsstaatlichen Zivilprozess. Ein Ausschluss des Rechtsnachweises für Rechte der Parteien bis 600 € würde einer Verweigerung des Rechtsschutzes in eben dieser Höhe gleichkommen und wäre allein durch Sparzwänge in der Justiz nach hier vertretener Auffassung schlicht nicht zu rechtfertigen. Auch das Recht der Parteien auf Information wird richtigerweise vollumfänglich gewährleistet, wobei das Recht auf Beweis weniger eine bestimmte Art der Übermittlung als vielmehr das Ergebnis einer umfassenden und effektiven Information der Parteien fordert.20 etwa Fricker, amtsgerichtliches Verfahren, S. 4 ff. und Kunze, Bagatellverfahren, S. 63 ff.; obgleich bereits über die Annahme einer „Bagatellgrenze“ von 600 € durchaus eine kritische Diskussion möglich erscheint, siehe etwa Bergerfurth, NJW 1991, S. 961 und Redeker, NJW 1996, S. 1870, 1871 f. 19 Vgl. etwa Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 108 ff.; Kunze, Bagatellverfahren, S. 183 f.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 23; Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 10 jeweils mwN. 20 In diesem Sinne auch Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 84 ff.; Kunze, Bagatellverfah18 Vgl.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Zudem gewährleistet das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen die formelle Beweisunmittelbarkeit als wesentlichen Faktor des effektiven Rechtsnachweises, wie auch der Wahrheitserforschung im Zivilprozess.21 Die Einholung von Aussagen oder Auskünften per Telefon oder auch per Email stellen sich hiernach als rechtfertigungsbedürftige Einschränkung eben dieses Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis dar. Die Rechtfertigung einer solchen, formlosen Beweisaufnahme sieht sich jedoch einem Dilemma ausgesetzt: Eine starke Entlastungswirkung zugunsten der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege kann nur bei Entfallen wesentlicher prozessualer Gewährleistungen, wie etwa dem Anwesenheits- und Fragerecht der Parteien oder auch dem Recht auf Information über die Ergebnisse einer solchen Befragung erreicht werden. Eine solch weitgehende Einschränkung jeglicher Beteiligungsmöglichkeiten an einer Beweisaufnahme lässt sich jedoch nach hier vertretener Auffassung nicht mit dem Recht auf Beweis vereinbaren.22 Wenn demgegenüber diese prozessualen Mindeststandards wie Anwesenheits-, Frage- und Informationsrechte der Parteien auch in einem Prozess nach § 495a ZPO gewährleistet werden müssen, so ist der Entlastungseffekt durch formlose Beweisaufnahmen – bestenfalls – als gering ausgeprägt anzusehen.23 Dieser geringfügigen Förderung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege steht jedoch weiterhin eine ganz erhebliche Einschränkung des Rechts auf Beweis gegenüber – in Form der fehlenden Möglichkeit einer effektiven Glaubwürdigkeitsbeurteilung mangels Kenntnis von Mimik und Gestik der Aussageperson. Eine Rechtfertigung dieser Einschränkung erscheint daher allenfalls in wenigen Ausnahmefällen möglich. Zu denken wäre etwa an eine einfach zu beantwortende Tatsachenfrage, die Zeuge ohne jede Wertung beantworten soll. Sodann mag die telefonische Befragung iRd § 495a ZPO aufgrund der Möglichkeit unmittelbarer Nachfragen Vorteile gegenüber der schriftlichen Zeugenbefragung nach § 377 III ZPO aufweisen – solange das Anwesenheits- und Fragerecht der Parteien gewährleistet ist. Somit kommt eine Vereinfachung des Verfahrens iSd § 495a ZPO aufgrund der vollumfänglichen Geltung des Rechts auf Beweis nach hier vertretener Auffassung nur ausnahmsweise in Betracht – etwa, wenn die Parteien ohnehin bereits mündlich verhandeln und es einer weiteren, kurzen Auskunft bedarf. ren, S. 169 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 24 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 52 f. und MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 22 jeweils mwN. 21 Ausführlich zu diesem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis bereits § 7 III. 2. 22 Vgl. auch Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 114 ff.; Kunze, Bagatellverfahren, S. 169 ff.; Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 37 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 49 ff.; MüKo-Deppenkemper, ZPO II, § 495a, Rn. 33 ff. und Prütting/Gehrlein-Schelp, ZPO, § 495a, Rn. 10 jeweils mwN. mit ähnlichen Ergebnissen unter Zugrundelegung des Art. 103 I GG 23 Einen Entlastungseffekt unter Maßgabe dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben als überaus gering erachten auch Fricke, amtsgerichtliches Verfahren, S. 119 und Städing, NJW 1996, S. 691, 694.
§ 15 Der Zivilprozess vor dem Amtsgericht
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Abschließend sind auch in Zivilprozessen nach § 495a ZPO keine Ausnahmen vom Grundsatz der freien Beweiswürdigung und der verpflichtenden Begründung dieser Entscheidung denkbar. Mit Rechtsprechung und Literatur ist davon auszugehen, dass eine Entscheidungsbegründung allein nach den allgemeinen Ausnahmevorschriften der §§ 313a und 313b ZPO erfolgen kann – was durch das Entfallen der entsprechenden Spezialvorschrift des § 495a II ZPO a. F. deutlich wird.24
II. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass einer Verfahrensgestaltung nach billigem Ermessen iSd § 495a ZPO aufgrund des Rechts auf Beweis der Prozessparteien auch für das Beweisverfahren enge Grenzen gezogen werden. Die geringfügige Entlastungswirkung des § 495a ZPO kann keine erheblichen Einschränkungen des Rechts auf Beweis rechtfertigen. Vielmehr erscheint insgesamt fraglich, ob die gesetzgeberisch gewünschte Entlastungswirkung durch § 495a ZPO und ähnliche Vorschriften stets mit weiteren Einschränkungen eines rechtsstaatlichen Verfahrens einhergehen muss. Denkbar wäre nach hier vertretener Auffassung auch eine konsequentere Nutzung neuer technischer Möglichkeiten, wie etwa der Ausweitung von Videokonferenzen in hoher Bildqualität, um Gerichtsverfahren ortsunabhängiger und damit bei gleichzeitiger Einhaltung rechtsstaatlicher Verfahrensabläufe effizienter zu machen. Ob indes eine regelmäßig eher geringfügige Arbeitsentlastung das stete Rütteln an rechtsstaatlichen Grundsätzen Wert erscheinen lässt, ist nach hier vertretener Ansicht auf lange Sicht doch zumindest zweifelhaft.
24 Vgl. bereits BVerfG NJW 1995, S. 2911 f.; aus der Literatur siehe Stein/Jonas-Berger, ZPO V, § 495a, Rn. 42 ff.; Wieczorek/Schütze-Reuschle, ZPO VI, § 495a, Rn. 82 ff.; MüKo-Deppenkem per, ZPO II, § 495a, Rn. 44 ff. jeweils mwN.
§ 16
Ergebnisse der Untersuchung Zum Abschluss sollen nun die die wichtigsten Ergebnisse dieser Arbeit kurz zusammengefasst werden. Eine prägnante Darstellung ist ob des Umfanges dieser Untersuchung naturgemäß schwierig, und doch sollen die wesentlichen Erkenntnisse zum Recht auf Beweis im Zivilprozess nachgezeichnet werden.
I. Die historischen und rechtsvergleichenden Grundlagen des Rechts auf Beweis Die Untersuchung nahm ihren Anfang mit einer historischen Betrachtung des Beweisrechts anhand seiner Grundprinzipien und großen Leitlinien in der jeweiligen Epoche. Es zeigte sich für eine ganze Reihe dieser Grundprinzipien ein stetes Hin und Her zwischen divergierenden Prinzipien. In den frühen Rechtskulturen war die irrationale Entscheidung von Streitigkeiten durch Anrufung der Götter verbreitet. Dieses formale Beweisrecht zielte gerade nicht auf einen Nachweis des wahren Sachverhaltes nach unserem heutigen Verständnis, sondern auf die formale Einhaltung von Spruchformeln oder Ritualen als Grundlage eines Beweises. Doch bereits im römischen Recht setzte sich frühzeitig ein rationales, an der Wahrheitserforschung orientiertes Beweisrecht durch, obgleich sich einige wenige Elemente früherer Zeit, wie etwa der Eid, bis in die heutige ZPO erhalten haben. Es hat sich gezeigt, dass dieses römische Recht insbesondere in seiner rezipierten Form den größten Einfluss auf das heutige Beweisrecht ausgeübt hat. Dennoch fällt es schwer, konkrete Schlussfolgerungen für das heutige Beweisrecht aus der historischen Analyse herzuleiten. Vielmehr lassen sich allein gewisse Tendenzen aus der geschichtlichen Entwicklung des Beweisrechts ableiten. So zeigt sich ein rudimentärer Zusammenhang zwischen dem Grad an Freiheit des Beweisrechts zugunsten der Wahrheitserforschung durch die Parteien und der Freiheitlichkeit einer Gesellschaft bzw. ihrer Herrschaftsform insgesamt. Dieser historischen Betrachtung schloss sich ein Rechtsvergleich an, dessen thematische Auswahl auf das U.S.-amerikanische Recht gefallen ist, um neue Eindrücke aus einer Analyse dieser gänzlich anderen, durch das common law geprägten Rechtskultur zu erhalten. Die Untersuchung der US-amerikanischen Bundesverfassung offenbarte die prozessuale Generalklausel des due process of law, die den Par-
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teien des Zivilprozesses im Einzelfall einen umfassenden Schutz gewähren kann. Doch zugleich zeigten sich deutliche Grenzen dieser Gewährleistungen in Form einer Kosten-Nutzen-Analyse und einer daraus resultierenden, starken Einzelfallabhängigkeit des jeweiligen Schutzniveaus. Als namensgebendes Wesenselement des U.S.-amerikanischen adversary system stellte sich sodann eine stark ausgeprägte Herrschaft der Parteien des Zivilprozesses dar. Ein weiteres, prägendes Element des U.S.-amerikanischen Zivilprozesses ist in der herausgehobenen Bedeutung der Wahrheitsfindung zu sehen. Die Parteien haben bereits in der Phase der pre-trial discovery im Vorfeld des eigentlichen Zivilprozesses umfangreiche Rechtsinstrumente zur Erlangung von Informationen der gegnerischen Partei und Dritter. Hintergrund ist die Vorstellung, dass eine umfassende Wahrheitserforschung der materiellen Gerechtigkeit am besten dient und die Kenntnis aller Informationen durch die Parteien zugleich ihre Bereitschaft zu einer gütlichen Einigung steigert. Der Zivilprozess orientiert in der Folge sich an den Gewährleistungen des due process of law und zugleich am verfassungsmäßigen Recht auf eine Entscheidung über Tatsachen durch eine jury. Die Parteien haben nach Rule 402 FRE ein Recht auf Einbringung von entscheidungserheblichen und geeigneten Beweismitteln. Allerdings enthalten die Federal Rules of Evidence zugleich eine Vielzahl an Beweisregeln und Ablehnungsgründen von Beweismitteln, um eine Verwirrung oder unzulässige Beeinflussung der jury zu verhindern. In diesem Zusammenhang wird das Recht auf Beweis in der Diskussion der U.S.-amerikanischen Literatur als ein Instrument zur Überprüfung und ggf. der Aufhebung von zahlreichen Beweisregeln iSe Liberalisierung des Beweisrechts angesehen.
II. Das Recht auf Beweis im Zivilprozess Im zweiten Hauptteil dieser Untersuchung wurde auf der Grundlage der historischen und rechtsvergleichenden Erkenntnisse nun das eigentliche Recht auf Beweis im Zivilprozess postuliert und in seinem Gewährleistungsgehalt, wie auch seinen Grenzen herausgearbeitet. Das Recht auf Beweis stellt sich für das Grundgesetz als eine zwingende Folgerung des staatlichen Gewaltmonopols dar: Der Staat beansprucht die alleinige Entscheidung über und die Durchsetzung der von ihm gewährleisteten, subjektiven Rechte für sich und stellt hierfür die Zivilgerichtsbarkeit als formale Durchsetzungsmöglichkeit zur Verfügung. Innerhalb eines Zivilprozesses ist der Einzelne dazu verpflichtet, seine Rechte nachzuweisen, so dass mit dieser Verpflichtung zum Nachweis eigener Rechte zwingend auch die kongruente Möglichkeit zur Führung dieses Nachweises einhergehen muss, sprich die Parteien des Zivilprozesses ein Recht auf Beweis innehaben. Für die EMRK und die europäische Grundrechte
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charta ist diese Argumentation mangels eigener Aussagen zum Staatsaufbau nicht in Gänze vergleichbar zu führen. Allerdings folgt aus EMRK und Grundrechtecharta gleichfalls ein Recht auf effektiven Rechtsschutz als wesentliche Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips. Zudem enthalten beide europäische Grundrechtsordnungen eine Vielzahl materieller Grundrechte, deren Wert sich für den Einzelnen letztlich anhand ihrer Durchsetzbarkeit beurteilt. Das Recht auf Beweis ist Ausdruck des effektiven Rechtsschutzes und in diesem Sinne gleichermaßen wesentliche Grundvor aussetzung des Nachweises und der effektiven Durchsetzung materieller (Grund-) Rechte. Dieser Argumentation folgend erscheint die Existenz des Rechts auf Beweis auch für EMRK und europäische Grundrechtecharta als zwingend. In der Folge wurde die dogmatische Einordnung dieses postulierten Rechts auf Beweis in EMRK, europäischer Grundrechtecharta und Grundgesetz vorangetrieben und eine ganze Reihe verschiedener Anknüpfungspunkte untersucht. Die Analyse von EMRK und Grundrechtecharta zeigte für das Recht auf Beweis in seinen hier skizzierten Gewährleistungen zahlreiche Überschneidungen mit existierenden prozessualen Grundrechten auf, insbesondere dem Recht auf rechtliches Gehör. Eine gänzliche Übereinstimmung mit den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis konnte jedoch für kein bestehendes prozessuales Grundrecht konstatiert werden, so dass das Recht auf Beweis als eigenständiger Teilgewährleistungsgehalt des Rechts auf ein faires Verfahren iSd Art. 6 I EMRK bzw. Art. 47 II S. 1 GRC eingeordnet wurde. Für das Grundgesetz ließ sich das Recht auf Beweis als Teilgehalt des allgemeinen Justizgewährungsanspruches und speziell des Rechts auf effektiven Rechtsschutz verorten. Die Herleitung des Justizgewährungsanspruches aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) iVm den Grundrechten als Äquivalent zum staatlich beanspruchten Gewaltmonopol zeigte deutliche Parallelen zur Herleitung des Rechts auf Beweis auf. In diesem Sinne gewährleistet das Recht auf Beweis die praktische Wirksamkeit der Rechtsdurchsetzung durch seine umfassende Gewährleistung eines effektiven Rechtsnachweises der Parteien. Darüber hinaus wurde diese Herleitung des Rechts auf Beweis aus dem Rechtsstaatsprinzip iVm den durch dasselbe nachzuweisenden Grundrechten auch inhaltlich als naheliegend und sachgerecht herausgearbeitet. Auf der Basis dieser dogmatischen Einordnung zeigte sich, dass das Recht auf Beweis in allen drei Grundrechtsordnungen ein gemeinsames Wertefundament in Form seiner Fundierung im Rechtsstaatsprinzip und der Effektuierung der materi ellen Grundrechte aufweist. Aufbauend auf dieser Erkenntnis konnten eine Reihe von Grundsätzen aufgestellt werden, die dem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen innewohnen. In diesem Rahmen wurde das Recht auf Beweis als ein eigenständiges Grundrecht der Parteien des Zivilprozesses skizziert, dessen Gewährleistungen auf einen effektiven Nachweis eigener Rechte im Prozess abzielen. Insbesondere wurde herausgearbeitet, dass das Recht auf Beweis ein Stück weit von seiner Herleitung aus den materiellen
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(Grund-)Rechten dahingehend zu abstrahieren ist, dass es sich um ein prozessuales Grundrecht handelt, dessen Charakteristika darin besteht, sämtlichen an einem Zivilprozess beteiligten Parteien zuzustehen. Dieses Recht umfasst den Nachweis eigener Rechte, wie auch die jeweilige Führung des Gegenbeweises und des Beweises des Gegenteils. Demgegenüber gibt das Recht auf Beweis gerade kein Recht auf ein bestimmtes Ergebnis iSe Prozessgewinnes und auch ein Rechtsnachweis ohne eigene Aktivitäten der Parteien wird nicht gewährleistet. Weiterhin wurde erarbeitet, dass dem Recht auf Beweis kein negativer Gewährleistungsgehalt iSe Rechts auf Verhinderung einer Beweisaufnahme der Gegenpartei innewohnt. Aus diesen Grundsätzen ließ sich zugleich eine Methodik der Inhaltsbestimmung am Prozesszweck der Durchsetzung privater Rechte mithilfe eines effektiven Rechtsnachweises erarbeiten. Das Recht auf Beweis wird hiernach soweit gewährleistet, wie es für den effektiven Rechtsnachweis der Parteien erforderlich ist. Dieser Rechtsnachweis soll in dem hier gedachten Ideal einhergehen mit der Erforschung des wahren Sachverhaltes im Zivilprozess, so dass das Recht auf Beweis der Durchsetzung tatsächlich existierender Rechte bzw. der Rechtsverteidigung gegen eine tatsächlich unberechtigte Inanspruchnahme dienen soll. Aus diesen Überlegungen resultierte sodann die Entwicklung gewisser Grenzen, die dem Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis selbst immanent sind. Die Geltung der Gewährleistungen des Rechts auf Beweis setzt hiernach die Entscheidungserheblichkeit und Beweisbedürftigkeit des Beweisthemas ebenso voraus, wie die Geeignetheit und Erreichbarkeit beantragter Beweismittel sowie ein gewisses Mindestmaß an Substantiierung von Beweisanträgen. Diese Voraussetzungen wohnen dem Recht auf Beweis als subjektivem Recht der Parteien auf effektiven Rechtsnachweis a priori inne und wurden daher als immanente Grenzen des Rechts auf Beweis definiert. Eine Ablehnung von Beweisanträgen aus diesen Gründen bedarf jedoch zur Effektuierung des Rechts auf Beweis einer umfassenden Begründung der Ablehnungsentscheidung und ihre Kontrolle im Instanzenzug Diesen Vorüberlegungen hat sich die eigentliche, abstrakte Ausarbeitung des Gewährleistungsgehalts des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta angeschlossen. Die jeweilige Untersuchung begann mit einer Analyse von Rechtsprechung und Literatur zu den bisher anerkannten, beweisrechtlichen Gewährleistungen in den drei Grundrechtsordnungen, bevor sich die Entwicklung des Gewährleistungsgehaltes des Rechts auf Beweis als eigene Meinung angeschlossen hat. Aus dem Recht auf Beweis folgt eine Reihe allgemeiner Gewährleistungen, die einem Beweisverfahren entweder zeitlich vorgelagert sind oder das Beweisverfahrens insgesamt betreffen: So haben die Parteien ein umfassendes Recht auf Information bis hin zu gewissen, gegenseitigen Informationspflichten aufgrund einer mittelbaren Drittwirkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz. Hinzu kommen Gewährleistungen wie das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme, die formelle Beweisunmittelbarkeit und in gewissem Umfang auch die Be-
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weissicherung. Abschließend ergeben sich aus dem Recht auf Beweis gewisse Grenzen der freien Ausgestaltung von Beweismaß und Beweislast im Zivilprozess wie auch die Verhältnismäßigkeit der Kostentragungspflicht. Diese Gewährleistungen zielen allesamt darauf ab, die Rahmenbedingungen für eine effektive Geltung des Rechts auf Beweis im eigentlichen Zivilprozess überhaupt erst zu schaffen und in diesem Prozess sodann eine effektive Beweisführung zu ermöglichen. Ein Beweisantragsrecht der Parteien stellt sich als wesentliche Grundlage einer eigenen beweisrechtlichen Initiative der Prozessparteien dar und wird daher durch das Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta umfassend gewährleistet. Durch diese Initiative der Parteien in Form eines Beweisantrages erfolgt unter gewissen Voraussetzungen der Eintritt in die Phase der Beweisaufnahme. In diesem Rahmen haben die Parteien ein Recht auf Erhebung aller beantragten Beweismittel als zentralen Gewährleistungsgehalt ihres Rechts auf Beweis inne. Dieses Recht der Prozessparteien wird innerhalb der immanenten Grenzen des Rechts auf Beweis umfassend gewährleistet und jede Ausgestaltung des einfachen Rechts muss sich an dieser Gewährleistung messen lassen. Zudem kommt diesem Recht auf Erhebung von Beweismitteln in einer etwaigen Abwägung mit kollidierenden Grundrechten bzw. Allgemeingüter von entsprechendem Rang ein hohes Gewicht zu. Eine solche Abwägung beginnt mit der Maßgabe, dass die Erhebung beantragter Beweismittel im Zivilprozess als Grundsatz anzusehen ist, während die Nichterhebung einer Rechtfertigung durch überwiegende Gegenrechte bedarf. Im Rahmen einer solchen Abwägung sind die kollidierenden Grundrechte bzw. Allgemeingüter sodann als gleichwertig anzusehen und eine ausgleichende Entscheidung anhand aller Umstände des Einzelfalles zu treffen. Diese Grundsätze gelten insbesondere für die Problematik von Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverboten. Flankiert wird dieses Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel durch ein striktes Verbot antizipierter Beweiswürdigung als Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta gleichermaßen. Darüber hinaus gewährleistet das Recht auf Beweis die Freiheit der Beweiswürdigung, bei gleichzeitiger Verpflichtung des erkennenden Gerichts zur umfassenden Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles zum Zwecke eines effektiven Rechtsnachweises im jeweiligen Einzelfall. Ebenfalls den Gewährleistungen des Rechts auf Beweis unterfällt ein Recht auf umfassende Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen. Dieses Recht hat die Selbstkontrolle des Gerichts und die Fremdkon trolle durch Parteien und eventuelle Rechtsmittelinstanzen zum Ziel. Diesem Gewährleistungsgehalt kommt für die effektive Geltung des Rechts auf Beweis in der Praxis eine erhebliche Bedeutung zu. Die Erarbeitung des Rechts auf Beweis beschränkte sich jedoch nicht alleine auf die Definition seiner Gewährleistungsgehalte, sondern hat vielmehr auch seine Grenzen nach Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta eingehend
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in den Blick genommen: Eine Einschränkung des Rechts auf Beweis wurde nach allen drei untersuchten Grundrechtsordnungen gleichermaßen ergebnisorientiert definiert und lässt sich zusammenfassen als jede staatlich zurechenbare Verkürzung des durch das Recht auf Beweis gewährleisteten Mindeststandards an effektiven Nachweismöglichkeiten eigener Rechte im Zivilprozess. Einschränkungen des Rechts auf Beweis bedürfen nach allen drei Grundrechtsordnungen einer gesetzlichen Grundlage, müssen ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sein. Hinzu kommt die Wesensgehaltsgarantie als eine weitere, subjektive Grenze jeder Einschränkbarkeit im Einzelfall. Ein Verzicht auf die Gewährleistungen des Rechts auf Beweis ist im Einzelfall grundsätzlich möglich. Voraussetzung ist jedoch eine freiwillige Verzichtserklärung, die auf einem umfassend informierten Willensent schluss des Berechtigten basiert.
III. Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO Die so herausgearbeiteten, abstrakten Gewährleistungen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechtecharta wurden sodann als Maßstab für die Überprüfung der deutschen ZPO herangezogen und die wesentlichen Regelungen der ZPO an diesem Recht auf Beweis gemessen. Die allgemeinen Gewährleistungen des Rechts auf Beweis fanden in der Regel einfach-rechtliche Anknüpfungspunkte in den Normen der ZPO. Durch eine entsprechende Auslegung am Maßstab des Rechts auf Beweis stellten sich diese Vorschriften als hinreichende Ausgestaltung des Rechts auf Beweis iSe Mindeststandards für das geltende Zivilprozessrecht dar. So ließ sich das Recht auf Information durch eine weite Auslegung der richterlichen Hinweispflichten des § 139 ZPO verwirklichen und die Drittwirkung des Rechts auf Beweis im Grundgesetz durch eine entsprechende Auslegung der gerichtlichen Vorlageanordnungen in den §§ 141 ff. ZPO umsetzten. Auch die Sicherung von Beweismitteln konnte über eine Auslegung der §§ 485 ff. ZPO und das durch Rechtsprechung und Literatur geschaffene Institut der Beweisvereitelung in Einklang mit dem Recht auf Beweis gebracht werden. Eine Reihe von Gewährleistungen des Rechts auf Beweis hat zudem eine ausdrückliche, einfach-rechtliche Ausgestaltung in der ZPO erfahren. So wurde die Beweisunmittelbarkeit in § 355 ZPO und das Recht auf Teilnahme an einer Beweisaufnahme in § 357 ZPO jeweils einfach-rechtlich als Grundsatz ausgestaltet, dessen wenige, gesetzlich normierte Ausnahmen in enger Auslegung mit dem Recht auf Beweis vereinbar waren. Das Recht auf Stellung von Beweisanträgen findet sich in der ZPO zumindest implizit verankert. Die grundlegenden Substantiierungserfordernisse entsprechen insoweit dem Recht auf Beweis, als eine effektive Beweisaufnahme überhaupt erst ermöglicht wird. Die Entwicklung weitergehender Substantiierungsanforderungen
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in Rechtsprechung und Literatur in Form des sog. Ausforschungsbeweises konnte demgegenüber vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis nicht überzeugen und kann nur im absoluten Ausnahmefall eine Einschränkung desselben rechtfertigen. Die zeitliche Grenze der Stellung von Beweisanträgen in Form der Präklusionsvorschriften nach §§ 296, 282 ZPO ist als Einschränkung mit dem Recht auf Beweis iSe Rechts auf aktive Beweisführung der Parteien vereinbar, bedarf jedoch im Einzelfall einer sehr engen Auslegung Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel bedarf einer entsprechenden Ausgestaltung in der ZPO, für die sich § 286 ZPO in seiner Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur als Anknüpfungspunkt erwiesen hat. Dabei ermöglichen die fünf Beweismittel des Strengbeweises eine umfassende Erhebung aller denkbaren Erkenntnisquellen bei gleichzeitiger Einhaltung der geltenden, beweisrechtlichen Grundsätze, so dass der Strengbeweis sich als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis darstellt. Das Recht auf Erhebung beantragter Beweismittel wird in der ZPO somit dem Grunde nach gewährleistet. Allerdings existieren in der ZPO zugleich eine Reihe allgemeiner Ablehnungsgründe, die eine Zurückweisung aller Arten beantragter Beweismittel ermöglichen und das Recht auf Beweis in erheblichem Maße einschränken. In diesem Zusammenhang zeigte sich, dass insbesondere jede Form der antizipierten Beweiswürdigung mit dem Recht auf Beweis grundsätzlich unvereinbar ist und auch eine entsprechende Beweisablehnung sich als eine kaum zu rechtfertigende Einschränkung des Rechts auf Beweis darstellt. Zu nennen sind beispielhaft etwaige Beweisantizipationen bei der Ablehnung aufgrund vermeintlicher Ungeeignetheit bzw. Unerreichbarkeit eines Beweismittels, aber auch die Beweisablehnung im gerichtlichen Ermessen nach § 287 I und II ZPO. Darüber hinaus ist einzelnen Rechtsinstituten wie der Rechtskraft oder auch der Nebenintervention eine Bindungswirkung immanent, die in einer Ablehnung beantragter Beweismittel resultieren kann. Diese Einschränkung des Rechts auf Beweis hat sich jedoch im Hinblick auf ihre restriktive Ausgestaltung im geltenden Recht und ihre erhebliche Bedeutung für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden als gerechtfertigt erwiesen. Gleiches lässt sich für die eingeschränkten Nachweismöglichkeiten von gerichtlichem Protokoll nach § 165 S. 2 ZPO und gerichtlicher Entscheidung nach § 314 S. 2 ZPO konstatieren. In der Folge wurden die einzelnen Beweismittel des Strengbeweises in den Blick genommen und der jeweilige Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis herausgearbeitet. Dieser Gewährleistungsgehalt des Rechts auf Beweis diente sodann einmal mehr als Maßstab für eine umfassende Überprüfung der Ausgestaltung dieser Beweismittel in der ZPO. So müssen Zeugen grundsätzlich in Anwesenheit und unter Einbeziehung der Parteien befragt und ihre Aussage zwecks sachgerechter Beweiswürdigung auf Antrag im Wortlaut protokolliert werden. In der ZPO stellten sich insbesondere die Regelungen über die Zeugnisverweigerung in den §§ 383 ff. ZPO als Einschränkung des Rechts auf Beweis dar, die zum Zwecke ihrer Rechtfer-
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tigung einer strikten Orientierung am Telos des jeweiligen Weigerungsrechtes und einer engen Auslegung bedürfen. Dabei erwiesen sich speziell solche Weigerungsrechte als problematisch, die auf einer vorwerfbaren Handlung des Zeugen beruhten und durch ihre Ausübung zugleich den Rechtsnachweis einer Prozesspartei ausschließen konnten. Sachverständige müssen im Hinblick auf das Recht auf Beweis die Datengrundlage ihres Gutachtens offenlegen und haben ihr Gutachten auf Parteiantrag hin in der mündlichen Verhandlung zu erläutern. Außerdem gewährleistet das Rech auf Beweis eine erneute Begutachtung iSd Einholung einer zweiten Meinung. Die Offenlegung der Datengrundlage hat in Rechtsprechung und Literatur weitgehende Anerkennung gefunden und über § 404a IV ZPO einen einfach-rechtlichen Anknüpfungspunkt erhalten, dessen Auslegung den Anforderungen des Rechts auf Beweis Genüge tut. Auch ein Recht der Parteien auf Ladung und Befragung des Sachverständigen ist in der Rechtsprechung des BGH unter Zustimmung der Literatur anerkannt und als hinreichende Ausgestaltung des Rechts auf Beweis anzusehen. Allein das Recht auf erneute Begutachtung wird in Rechtsprechung und Literatur von der Mangelhaftigkeit des Erstgutachtens abhängig gemacht. Diese Kriterien der Mangelhaftigkeit bedürfen im Hinblick auf das Recht auf Beweis einer engen Auslegung, so dass bereits Zweifel am Erstgutachten zu einer weiteren Begutachtung berechtigen. Eine Partei kann als Ausfluss ihres Rechts auf Beweis die eigene Vernehmung, wie auch die Vernehmung der Gegenpartei mit entsprechendem Beweiswert auf Antrag hin erzwingen. Hinzu kommen ein Fragerecht und eine Wortlautdokumentation auf Antrag zur Absicherung eines effektiven Rechtsnachweises der Parteien. Für die Ausgestaltung der Parteivernehmung in der ZPO hat eine historische Betrachtung dieser Vorschriften ergeben, dass die Parteivernehmung den früheren Parteieid ersetzten sollte, sich diese beiden Rechtsinstitute bei inhaltsgleichen Voraussetzungen jedoch in ihrer Rechtswirkung fundamental unterscheiden. Die Übernahme der Voraussetzungen des formalen Parteieides bei der Normierung der frei zu würdigenden Partievernehmung hat erhebliche Widersprüche zur Folge gehabt, so dass einzelne Regelungen der Parteivernehmung sich als nicht zu rechtfertigende Einschränkungen des Rechts auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und europäischer Grundrechte charta herausgestellt haben. Während eine Bindung an die Beweislast, wie auch eine Durchführung der Parteivernehmung im Anschluss an die Erhebung aller übrigen Beweismittel, keine Einschränkung des Rechts auf Beweis beinhalten, so ist ein pauschaler Ausschluss der Parteivernehmung zur Führung eines Gegenbeweises nach § 445 II ZPO vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis nicht zu rechtfertigen. Urkunden müssen nach dem Recht auf Beweis beiden Parteien zugänglich gemacht werden. Sie unterliegen bei Besitz der gegnerischen Partei oder Dritter einer weitgehenden Editionspflicht, die nur durch überwiegende Gegenrechte verneint werden kann. Weiterhin wird auch die Führung des Gegenbeweises nach allgemeinen Regeln gewährleistet. Die Regelungen der ZPO haben eine Editionspflicht in
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entsprechender Auslegung der §§ 141 ff. ZPO ebenso ermöglicht, wie ein Recht auf Einsichtnahme in Auslegung des § 439 ZPO. Allein das Recht auf Gegenbeweis bedarf zu seiner Verwirklichung für öffentliche Urkunden nach § 417 ZPO und private Urkunden nach § 416 ZPO einer analogen Anwendung des jeweils ausdrücklich normierten Rechts auf Führung eines Gegenbeweises in den §§ 415, 418 ZPO. Ein pauschaler Ausschluss des Rechts auf Führung eines Gegenbeweises wäre demgegenüber mit dem Recht auf Beweis in Grundgesetz, EMRK und Grundrechtecharta unvereinbar. Für den Beweis durch Augenschein gewährleistet das Recht auf Beweis ein umfassendes Recht der Parteien auf Information als Grundlage für die weitergehenden Rechte auf Anwesenheit und Stellungnahme bei der Einnahme des Augenscheins. Die so gewonnenen, subjektiven Eindrücke des Gerichts bedürfen der Offenlegung und auch ein Recht auf Führung eines Gegenbeweises folgt aus dem Recht auf Beweis der Prozessparteien. Die Ausgestaltung dieser Gewährleistungsgehalte bedarf aufgrund der sporadischen Regelungen der ZPO zum Augenschein eines Rückgriffes auf die allgemeinen Normen der ZPO. So lässt sich das Recht auf Information über die Eindrücke des Augenscheins aus § 139 ZPO herleiten, das Recht auf Teilnahme an einem Augenschein einfach-rechtlich in § 357 ZPO verorten und auch eine Stellungnahme der Parteien über eine Auslegung des § 285 ZPO sicherstellen. Der Systematik eines Beweisverfahrens in der ZPO folgend wurde nach dem Abschluss dieser Analyse der Beweisaufnahme die Phase der Beweiswürdigung in den Blick genommen. Die Freiheit der Beweiswürdigung wird durch § 286 ZPO einfach-rechtlich ebenso gewährleistet, wie ein Recht der Parteien auf Durchführung einer Beweiswürdigung durch das erkennende Gericht unter Einbeziehung aller Umstände des Einzelfalles, so dass sich § 286 ZPO als rechtmäßige Ausgestaltung des Rechts auf Beweis darstellt. Die Kriterien der Beweiswürdigung sind die Bindung an die Denk- und Naturgesetze im Hinblick auf die das Idealbild eines Rechtsnachweises in Übereinstimmung mit der Wahrheitserforschung im Prozess. Demgegenüber sind Erfahrungssätze nur insoweit einzubeziehen, als sie ein Äquivalent zu eben diesen allgemeingültigen Denk- und Naturgesetzen darstellen. Beweisregeln nach § 286 II ZPO sind insbesondere die §§ 415 ff. ZPO mit der Normierung eines formalen Beweiswertes von Urkunden. Diese Beweisregeln sind jedoch im Ergebnis lediglich als eine Verlagerung der freien Beweiswürdigung auf die Prüfung von Echtheit und Mangelfreiheit einer Urkunde anzusehen. Im Hinblick auf die Eigenarten des Urkundenbeweises können einzig diese Punkte im Prozess streitig sein, so dass diese Verlagerung des Rechtsnachweises auf eben diese Merkmale der Echtheit und Mangelfreiheit keine Einschränkung des Rechts auf Beweis beinhaltet. Die Regelungen über eine festgelegte Beweiskraft von Protokoll und Urteil in den §§ 165, 314 ZPO schränken das Recht auf Beweis grundsätzlich ein, lassen sich jedoch im Hinblick auf ihre große Bedeutung für Rechtssicherheit und Rechtsfrieden als verhältnismäßig rechtfertigen.
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3. Hauptteil: Die Ausgestaltung des Rechts auf Beweis in der ZPO
Den Abschluss dieser Untersuchung des Beweisverfahrens vor dem Landgericht bildete die Überprüfung der einfach-rechtlichen Begründungspflichten beweisrechtlicher Entscheidungen. Diese Gewährleitung einer umfassenden Begründung wird in der ZPO durch das Zusammenspiel des gerichtlichen Protokolls in den §§ 159 ff. und der eigentlichen, gerichtlichen Entscheidung in Form des Urteilstatbestands in § 313 I Nr. 5, II ZPO und der Entscheidungsgründe in § 313 I Nr. 6, III ZPO umfassend sichergestellt. Das Protokoll ermöglicht in einer entsprechenden Auslegung des Rechts auf Beweis die umfassende Dokumentation der Beweisaufnahme unter Einschluss etwaiger Wortlautprotokolle. Tatbestand und Entscheidungsgründe erlauben in diesem Zusammenhang bei entsprechend weiter Auslegung durch das Recht auf Beweis eine umfassende Begründung beweisrechtlicher Entscheidungen im Prozess, insbesondere eine Begründung ablehnender Entscheidungen über Beweisanträge. Über die Spezialvorschrift des § 286 I S. 2 ZPO wird außerdem eine detaillierte Begründung der Beweiswürdigung in Form einer Darstellung von Würdigungsbasis, Kriterien und Ergebnis dieser Würdigung gesichert. Die Ausnahmevorschriften der §§ 161, 313a ZPO sind demgegenüber nur soweit mit dem Recht auf Beweis vereinbar, als sie zum Zwecke der Vermeidung von Dopplungen eine Verlagerung einzelner Begründungserfordernisse innerhalb von Protokoll, Tatbestand und Entscheidungsgründen ermöglichen. Abgerundet wurde diese Untersuchung des Beweisverfahrens vor dem Landgericht durch eine Betrachtung der Besonderheiten des Zivilprozesses vor den Amtsgerichten. Der Maßstab des Rechts auf Beweis beansprucht für den Zivilprozess vor dem Amts- und Landgericht gleichermaßen Geltung. Daher wird die Verfahrensgestaltung nach pflichtgemäßem Ermessen in § 495a ZPO in hohem Maße durch das Recht auf Beweis prädisponiert. § 495a ZPO kommt hiernach allein die Funktion einer Generalklausel für Abwägungen zwischen dem Recht auf Beweise und der Prozessökonomie iSd Funktionsfähigkeit der Rechtspflege zu. Diese Abwägung im Einzelfall erfolgt sodann jedoch nach allgemeinen Grundsätzen, so dass die geringen Einsparpotentiale des § 495a ZPO nur ebenso geringfügige Einschränkungen des Rechts auf Beweis rechtfertigen können. Insbesondere die diesbezüglich in Rede stehende formelle Beweisunmittelbarkeit und die Parteiöffentlichkeit lassen ob ihrer Bedeutung im Gefüge des Rechts auf Beweis allenfalls geringfügige Einschränkungen zu. Die ZPO stimmt in ihrer heutigen Ausgestaltung und Auslegung durch Rechtsprechung und Literatur bereits in weiten Teilen mit dem Recht auf Beweis überein. Erforderlichenfalls erlaubt der weitgefasste Wortlaut zahlreicher Normen eine entsprechende Auslegung durch das Recht auf Beweis. Es zeigt sich, dass das Recht auf einen effektiven Rechtsnachweis als solches in Rechtsprechung und Literatur auch ohne eine ausführliche Diskussion über das Recht auf Beweis durchaus präsent ist und selbst ohne umfassende, diesbezügliche Systembildung regelmäßige Ergebnisse in Übereinstimmung mit den Vorgaben von Grundgesetz, EMRK und euro
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päischer Grundrechtecharta entwickelt werden. Es finden sich nichtsdestoweniger eine ganze Reihe von Vorschriften bzw. Auslegungen in Rechtsprechung und Literatur, die vor dem Hintergrund des Rechts auf Beweis kritisch zu hinterfragen sind. Zentraler Mehrwehrt dieser Arbeit soll jedoch die Erarbeitung des Rechts auf Beweis als ein kohärentes Wertsystem und damit als umfassender Prüfungsmaßstab für das Beweisrecht der ZPO und beweisrechtliche Entscheidungen im Zivilprozess sein. In dieser Arbeit wurde eine exakte dogmatische Einordnung in das bestehende System der Grundrechte, eine Herausarbeitung von Inhalt und Grenzen des Rechts auf Beweis und schlussendlich die praktische Überprüfung zahlreicher Normen des geltenden Rechts mit dem Anspruch vorgenommen, einen handhabbaren Maßstab für die sachgerechte Bewertung einer jeden beweisrechtlichen Fallgestaltung im Zivilprozessrecht zu schaffen.
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Sachregister Akteneinsichtsrecht 281 f., 470 ff. Amtsverschwiegenheit 666 ff., 682 ff., 713 Aufklärungspflicht, allgemeine 286 ff., 291 ff., 492 ff. Augenschein, siehe Beweismittel Ausforschungsbeweis 89 f., 236 ff., 543 ff., 547 ff., 689 Auskunft, amtliche 577 ff., 650 Äußerungsrecht 151 ff., 157, 161, 181, 281 f., 299, 334, 339 ff., 699, 704, 742 f., 763, 765 f., 768 ff., 813 Begründung, siehe Beweis~ Best evidence rule 129 f. Bestimmtheit einschränkender Regelungen 419 ff., 422 ff., 426 f., 563, 682 f., 685 f. Beweisantrag – Form 337, 537 f. – Substantiierung 235 ff., 246 ff., 466 ff., 478 ff., 486 ff., 541 ff., 547 ff., 623 ff. – Teilgehalt des Rechts auf Beweis 140, 204, 269, 333 ff., 336 f., 446 – Zeitpunkt 337, 555 ff., 562 ff. – siehe auch Präklusion Beweisbedürftigkeit – Allgemeinkundigkeit 239 f. – Erwiesenheit 243 f. – Gerichtskundigkeit 240 ff. – Unbestrittenheit 244 ff., 247 f. Beweisbegründung – Begründung einer Beweiswürdigung 375, 377 f., 383, 397 f., 775 – Teilgehalt des Rechts auf Beweis 140, 204, 269, 393 ff. – Umfang der ~ 232 f., 259 f., 384 ff., 390 ff., 393 ff., 700, 791 ff., 801 ff., 814 Beweiserhebung – Teilgehalt des Rechts auf Beweis 140, 348 f. – Recht auf eine ~ 113 ff., 160 f., 175 f.,
183 f., 210 f., 337 ff., 348 f. 649 f., 700, 720 ff., 744 f., 764 f. – ~ sverbot 355 f., 362 Beweiserreichbarkeit 255 ff., 588 ff., siehe auch immanente Grenzen Beweisgeeignetheit 253 ff., 586 ff., siehe auch immanente Grenzen Beweislast 150, 251 f., 320 ff., 324 f., 331, 730, 732, 746, 782 Beweismaß 314 ff., 318 ff., 572, 584, 627, 633, 752 f., 755, 814 Beweismittel – Zeuge – Fragerecht 638 f., 641 f., 645 f., 651, 686 ff. – Recht auf Vernehmung eines ~n 638 f., 641 f., 645 ff., 649 f. – Weigerungsrecht 654 ff., 669 ff., 676 ff., 682 ff. – Sachverständiger – Fragerecht 694 f., 695 f., 967 f., 702 f., 707 ff. – Gegengutachten 703, 710 ff. – Offenlegung der Datengrundlage 697, 701 f., 704 ff. – Recht auf Hinzuziehung eines ~ 694 f., 695 f., 696, 699 ff., 707 ff. – Urkunde – Echtheit einer ~ 740, 741, 744 f., – Gegenbeweis 743, 744 f., 752 f., 758 – Gegenteilsbeweis 745 f., 749 f., 751 ff., 754 f., 756 ff., 760 f. – Recht auf Einbringung einer ~ 739 f., 741, 742, 744, 746 ff. – Augenschein – Äußerungsrecht 763, 765 f., 768, 769 f. – Offenlegung der Ergebnisse eines ~ 765, 769 – Recht auf Einnahme eines ~s 761 f., 762, 764, 766 ff.
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Sachregister
– Teilnahmerecht 763, 765, 768 – Parteivernehmung – Anfangswahrscheinlichkeit 717, 724 ff., 732 ff., 734 f. – Fragerecht 718 f., 722, 736 f. – Recht auf eine ~ 714 f., 716 ff., 720 ff., 723 ff., 728 ff., 732 ff., 734 f., – Vernehmung von Amts wegen 723 ff., 728 ff., 732 ff., 734 f. – Weigerungsrecht 722 Beweissicherung 161, 175, 184, 326 ff., 328 ff., 522 ff., 525 f. Beweisvereitelung – fahrlässige ~ 537 f. – Herleitung der Sanktionierung einer ~ 316 f., 322 f., 326 f., 514, 517, 527 ff., 660, 673 – vorsätzliche ~ 534 ff. Beweisverwertungsverbot 355 ff., 362 ff., 774 Beweisunmittelbarkeit – formelle ~ 162, 293 f., 295 ff., 495 ff., 813 f., 816 – Delegation einer Beweisaufnahme 496 ff., 498 ff., 503 f. – schriftliche Zeugenvernehmung 503 f., 505 ff. – Verwertung protokollierter Aussagen 507 ff., 509 ff. – materielle ~ 345 f., 349 f. Beweiswürdigung – Teilgehalt des Rechts auf Beweis 140, 204, 378 ff. – Freiheit der ~ 368 ff., 374 f., 376 f., 378 ff., 771 f. – Historische Entwicklung der ~ 17, 20, 23 ff., 30 ff., 38, 43 f., 52 f., 59 ff. – Verpflichtung zur Vornahme einer ~ 366 f., 374 f., 376 f., 382, 772 ff. – Kriterien der ~ 370 f., 377 f., 774 ff. – ~ und Beweisregeln 777 ff., 783 ff., 787 ff. – antizipierte ~ 350 ff., 353 ff., 587 f., 627, 630, 729 f., 734, 768, 770 Delegation einer Beweiserhebung 496 ff., 498 ff., 510, 512, siehe auch Beweisunmittelbarkeit Discovery 83 f., 85 ff., 105 ff., 291, 477 Disponibilität, siehe Verzicht Dokumentation, siehe Wortlaut~
Drittwirkung – mittelbare ~ 273 ff., 276 ff., 286 ff. – ~ des Rechts auf Beweis 278 ff., 291 ff., 473 ff., 476, 480 f., 487 ff., 493 ff., 534, 746 f., 767 Due process clause 74 ff., 81, 145 Echtheit einer Urkunde, siehe Beweismittel Eid 16 f., 20, 25, 30 ff., 36 ff., 51, 59 ff., 581 ff. Eidesstattliche Versicherung 584 Effektiver Rechtsschutz – Herleitung 154 f., 164 f. – Verhältnis zum Recht auf Beweis 157 ff., 162 ff., 200 ff. Einschränkbarkeit, siehe Grenzen Entscheidungserheblichkeit 88 f., 114 ff., 221 ff., 229 ff., 349, 467 f., 547 f., 595, siehe auch immanente Grenzen Faires Verfahren – Gewährleistungen des Rechts auf ein ~ 149 f., 169 ff., 172 f., 179 ff., 330 f., 346 ff. – Verhältnis zum Recht auf Beweis 156, 159 f., 175 ff., 183 ff. Fishing expeditions 89 f. Förmlichkeiten, siehe Protokoll Fragerecht – Parteien 714 f., 718 f., 722, 736 f. – Sachverständige 694 f., 697 f., 702 f. 707 ff. – Zeugen 173, 506, 638 f., 641 f., 645 f., 651, 686 ff. Gegenbeweis 242 ff., 333, 619 ff., 631 ff., 724, 728 f., 730 f., 740, 743, 752 f., 769 f., siehe auch Beweismittel Gegenteilsbeweis 251 f., 618 ff., 745 f., 749 f., 751 f., 754 ff., 758 ff., 766, siehe auch Beweismittel Germanisches Recht – Frühzeit 27 ff., 29 ff. – Frühmittelalter 35 ff., 38 f. – Hoch- und Spätmittelalter 39 ff., 41 ff. Geständnis 50 ff., 106 f., 248 ff., 474 f. Grenzen des Rechts auf Beweis – Einschränkbarkeit 411 f., 413 ff., 416 ff. – formelle Voraussetzungen 419 ff., 422 f., 423 f., 425 ff. – materielle Voraussetzungen 428 ff., 432 ff., 436 ff., 440 ff.
Sachregister Gutachten, siehe Beweismittel Immanente Grenzen des Rechts auf Beweis 199, 219 ff., 221 ff., 234 ff., 238 ff., 253 ff., 255 ff., 258 ff., siehe auch Beweisbedürftigkeit; Beweiserreichbarkeit; Beweisgeeignetheit; Entscheidungserheblichkeit; Substantiierung und Beweisantrag Information – Recht der Parteien auf ~ 151 f., 174, 229 f., 280 ff., 284 ff., 461 ff., 466 ff., 473 ff., 554, 769, 812 f. – Verpflichtung des Gerichts zur ~ 224 f., 229 f., 255, 285, 467 ff., 650 f., 765, 812 f. – siehe auch Aufklärungspflicht und Vorlagepflichten Indizienbeweis 116, 225 f., 228, 632, 648, 773, 796 Justizgewährungsanspruch – Gewährleistungen des ~es 154 f., 157 ff. 164 f., 341 ff., 348 f. – Herleitung des ~es 154 ff., 162 ff. – Verhältnis zum Recht auf Beweis 137 ff., 157 ff., 162 ff. – siehe auch Rechtsstaatsprinzip Kontradiktorisches Verfahren 182 ff., 283, 331 ff., 361, 638, 740 Kostentragungspflicht – Grundsatz der ~ 304 ff., 310 f., 442 f. – Prozesskostenhilfe 304 ff., 307 f., 309 f., 313 f. – Verhältnismäßigkeit der ~ 308 f., 309 f., 311 ff. Leading Questions 129 f. Leges 26 ff., 35 ff. Leistungsgrundrecht 403 ff., 406 f. Mehrpolige Grundrechtsverhältnisse 184, 190 f., 196 Nebenintervention 601 ff., 605 ff. Offenkundigkeit siehe Beweisbedürftigkeit Parteiöffentlichkeit – Herleitung des Rechts auf ~ 299 ff., 302 f.
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– Gewährleistungen des Rechts auf ~ 303, 513 ff., 515 ff., 519 ff. Parteivernehmung, siehe Beweismittel Parteiwechsel 608 ff., 614 ff. Präklusion 48 f., 555 ff., 562 ff., 709, siehe auch Beweisantrag Privileges – Reichweite von ~ 90 ff., 669 f. – qua common law und Gesetz, 95 ff., 102 ff. – qua Verfassung 93 ff. Protective orders 87 f., 110 f. Protokoll – Nachweis von Förmlichkeiten 631 f., 633 f. – Nachweis mündlichen Parteivorbringens 632 f., 634 f. – Umfang des gerichtlichen ~s 691 ff., 737 f. Prozesskostenhilfe, siehe Kostentragungspflicht Prozesszweck 164, 201 ff., 211, 213 ff., 216 ff. Rechtliches Gehör – Gewährleistungen des Rechts auf ~ 151 ff., 156 f., 174 f., 181 f. – Verhältnis zum Recht auf Beweis 156 f., 160 ff., 175 ff., 183 ff., 338 ff., 342 f. Rechtsstaatsprinzip – Gewährleistungen des ~s 154 f., 157 ff., 162 ff., 341 f., 343 f., 348 f., 384 f., 395 – Verhältnis zum Recht auf Beweis 137 ff., 143 ff., 165 ff., 200 ff., 205 ff. – siehe auch Justizgewährungsanspruch Relevance 88 f., 114 ff., 226 ff. Richterwechsel 295, 510 ff. Römisches Recht – Formularprozess 10, 12 f., 14, 16 f., 20 f. – Kognitionsprozess 17 ff., 21 ff. – Legisaktionenprozess 10 ff., 13 ff. – Rezeption 39 f., 44 ff., 54 f., 67 Schadensschätzung 352, 622 ff., 626 ff. Sachverständiger, siehe Beweismittel Sekundäre Darlegungslast 289, 492 f., 546 f., 551, 553 f. Streitverkündung 601, 604 f., 607 f. Substantiierung, siehe Beweisantrag Teilnahme an einer Beweisaufnahme, siehe Parteiöffentlichkeit
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Sachregister
Unmittelbarkeit, siehe Beweis~ Urkunde, siehe Beweismittel Vereitelung, siehe Beweis~ Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 405, 414 f., 416, 428 ff., 432 ff., 436 ff., 440 ff. Vermutung, gesetzliche 251 f., 332 f., 618 ff., 620 ff. Verschwiegenheitspflicht 659 ff., 665 f., 666 ff., 672 f., 680 f., 682 ff., 686 ff. Verzicht – Disponibilität des Rechts auf Beweis 446 f., 449, 451 ff. – Voraussetzungen eines ~s 447 f., 450 f., 453 ff. – Konstellationen eines möglichen ~s 251 f., 512, 606, 615, 618, 803, 806 f. Vier-Augen-Gespräch 172, 475, 714, 716 ff., 725 f., 733 Vorlagepflichten – Herleitung von ~ 278 f., 286 ff., 291 ff. – ~ von Urkunden 476 ff., 480 ff., 528 ff., 746 f., 767, 781 – ~ von sonstigen Beweismitteln 485 ff., 487 ff., 492 ff. Waffengleichheit, prozessuale 171 ff., 181 f., 282 ff., 304, 313 f., 321 ff., 346 f., 603, 638 f., 714 ff., 741
Weigerungsrecht, siehe Zeugnisverweigerungsrecht Wesensgehaltsgarantie 431 f., 435, 439 f., 445 f. Wesentlichkeitstheorie 420 f., 424 f., 426 f. Work product rule Wortlautdokumentation – Recht auf eine ~ 382, 397, 651 ff., 722 f., 797 f. – ~ von Parteivernehmungen – ~ von Zeugenaussagen 651 ff., 691 ff., 737 f. Würdigung, siehe Beweiswürdigung Zeugnisverweigerungsrecht – Reichweite von ~en 90 ff., 669 f. – ~ aus persönlichen Gründen 654 ff., 669 ff. – ~aus sachlichen Gründen 662 ff., 676 ff. – siehe auch Verschwiegenheitspflichten Zugang zu Gericht – Gewährleistungen des Rechts auf ~ 170 f., 179 f., 304 ff. – Herleitung des Rechts auf ~ 154 f., 164 f., 170 f. 179 f. – Verhältnis zum Recht auf Beweis 162 ff., 170 f., 179 f.