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German Pages 256 Year 2020
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 157
Das Gruppeninteresse Eine Untersuchung zum deutschen, ausländischen, europäischen und internationalen Recht
Von
Lukas Wernert
Duncker & Humblot · Berlin
LUKAS WERNERT
Das Gruppeninteresse
Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen
Band 157
Das Gruppeninteresse Eine Untersuchung zum deutschen, ausländischen, europäischen und internationalen Recht
Von
Lukas Wernert
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Wintersemester 2019/2020 als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind auf dem Stand von Juni 2019. Besonders danke ich meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Jan Lieder, LL.M. (Harvard), der eine Auseinandersetzung mit den in dieser Arbeit behandelten Themen angeregt und mich bei der Erstellung der Arbeit zuverlässig unterstützt und beraten hat. Während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl am Institut für Wirtschaftsrecht, Arbeits- und Sozialrecht in Freiburg hat er mir Gelegenheit gegeben, mich an verschiedenen Forschungsprojekten zu beteiligen. Dadurch habe ich ebenso inspirierende wie motivierende Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit erhalten. Weiterhin möchte ich Herrn Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M. (University of Chicago), für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens danken. Ihm sowie den Herren Professoren Fleischer und Spindler danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht“. Das Cusanuswerk hat meine Promotion mit einem Stipendium gefördert. Die Johanna und Fritz Buch Gedächtnis-Stiftung sowie die Wissenschaftliche Gesellschaft in Freiburg im Breisgau haben Fördermittel für die Drucklegung gewährt. Hierfür gebührt diesen Fördereinrichtungen mein herzlicher Dank. Meine wundervolle Freundin Evelina Will hat großen Anteil an der erfolgreichen Absolvierung der Promotion: Sie hat mich nicht nur ermutigt, das „Wagnis“ einer Promotion einzugehen, sondern auch dabei geholfen, den Herausforderungen im Alltag eines Doktoranden adäquat zu begegnen. Zudem hat sie die Arbeit akribisch korrigiert. Für all dies bin ich ihr sehr dankbar. Schließlich danke ich meinen Eltern Sabine und Manfred Wernert, die meinen Werdegang mit großem Interesse sowie der nötigen Portion Geduld begleiten und mir ihre vorbehaltlose Unterstützung in allen Lebenslagen zuteilwerden lassen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Frankfurt am Main, im Januar 2020
Lukas Wernert
Inhaltsübersicht § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Zielsetzungen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verbundenes Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. (Unternehmens-)Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21 24 24 25 26 26 28 29
§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Situation von Konzernen vor 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . II. Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen im Besonderen . . . . . . . . . . . . . B. Das Konzernrecht des Aktiengesetzes von 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verankerung des „Vorrangs des Konzerninteresses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Das Konzerninteresse und die Aktienrechtsnovelle von 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für Konzerne in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Entwicklung des Konzernrechts in der Nachkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung des gesetzgeberischen Umgangs mit dem Konzerninteresse D. Einordnung der rechtsgeschichtlichen Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30 30 31 32 37 37 39 43
§ 3 Das Gruppeninteresse – eine konzeptionelle und terminologische Konturierung A. Möglichkeit und Notwendigkeit einer Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Konzeptionelle Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Vorschlag der High Level Group of Company Law Experts . . . . . . . . . . . III. Der Vorschlag der Reflection Group on the Future of EU Company Law . . . . IV. Der Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups . . . . . . . . . . . . . . V. Der Vorschlag des Club des Juristes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Der Vorschlag der European Company Law Experts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Der Vorschlag der Informal Company Law Expert Group . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Das Gruppeninteresse im Vorschlag für einen European Model Companies Act IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Terminologische Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gibt es das Gruppeninteresse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Weitere Ansätze zur inhaltlichen Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Gesamtfazit zur konzeptionellen und terminologischen Konturierung . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43 44 49 50 51 51 52 53 63 66 72 82 85 88 93 104 105 106 108 109 111 112
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Inhaltsübersicht
§ 4 Die Anerkennung des Gruppeninteresses de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im deutschen Recht . . . . I. Weisungsrecht der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im ausländischen Recht . I. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im Europarecht . . . . . . . . I. Die konzernrechtliche Dimension der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . II. Konzernrechtliche Kodifizierungsansätze in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Kollisionsrechtliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 5 Die Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda . . A. Grundlegendes zur rechtstatsächlichen Situation von Konzernen und den Zielsetzungen des Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Wirtschaftliche Realität versus gesetzgeberisches Leitbild . . . . . . . . . . . . . . . II. Schutzrecht, Organisationsrecht, enabling law? Die Zielsetzungen des Konzernrechts in Deutschland und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Meinungsspektrum bezüglich einer Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entbehrlichkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . II. Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 6 Die Regelungsperspektiven bezüglich einer supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Vorüberlegung: Wettbewerb der Gesetzgeber als taugliche Alternative . . . . . . . . . B. Europarechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 50 II lit. g AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Reichweite und Intensität der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Weisungsrecht der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Flankierende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
114 114 114 122 130 131 137 138 138 138 141 148 148 151 153 153 153 157 179 179 180 186 192 193 196 196 199 199 203 203 207 208 208 214 219 226 226
§ 7 Zusammenfassung aller Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Inhaltsverzeichnis § 1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 A. Zielsetzungen der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 C. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 I. Verbundenes Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 III. (Unternehmens-)Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 § 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 A. Die Situation von Konzernen vor 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 I. Wirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . 31 II. Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen im Besonderen . . . . . . . . . . . . 32 1. Gesetzeslage und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Die These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 a) Die Vertreter und ihre Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Inhaltliche Ausgestaltung des Konzerninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 B. Das Konzernrecht des Aktiengesetzes von 1937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 II. Verankerung des „Vorrangs des Konzerninteresses“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Hintergrund der Implementierung des § 101 III AktG 1937 . . . . . . . . . . . 40 2. Inhaltliche Ausgestaltung des Konzerninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 C. Das Konzerninteresse und die Aktienrechtsnovelle von 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . 43 I. Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für Konzerne in der Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 II. Die Entwicklung des Konzernrechts in der Nachkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung des gesetzgeberischen Umgangs mit dem Konzerninteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1. Referentenentwurf eines Aktiengesetzes aus dem Jahr 1958 . . . . . . . . . . 44 2. Regierungsentwurf eines Aktiengesetzes aus dem Jahr 1960 . . . . . . . . . . 47
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Inhaltsverzeichnis 3. Aktienrechtsnovelle im Jahr 1965 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 D. Einordnung der rechtsgeschichtlichen Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
§ 3 Das Gruppeninteresse – eine konzeptionelle und terminologische Konturierung
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A. Möglichkeit und Notwendigkeit einer Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 B. Konzeptionelle Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 I. Der Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Grundzüge des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht 54 a) Rozenblum-Doktrin als Orientierungsgröße . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 aa) Voraussetzungen der Rozenblum-Doktrin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 bb) Rezeption der Rozenblum-Doktrin im Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 b) Begründung des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 c) Inhalt des Gruppeninteresses nach dem Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Der Vorschlag der High Level Group of Company Law Experts . . . . . . . . . . 63 1. Grundzüge des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der High Level Group . . . . . . . . . . . 64 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Der Vorschlag der Reflection Group on the Future of EU Company Law . . 66 1. Grundzüge des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der Reflection Group . . . . . . . . . . . . 67 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 IV. Der Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups . . . . . . . . . . . . . 72 1. Grundzüge des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Weisungsrecht der Muttergesellschaft gegenüber Servicegesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Weisungsrecht der Muttergesellschaft gegenüber Regulären Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 d) Begründung des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 e) Inhalt des Gruppeninteresses nach dem Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78
Inhaltsverzeichnis
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V. Der Vorschlag des Club des Juristes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 VI. Der Vorschlag der European Company Law Experts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 1. Grundzüge des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der European Company Law Experts 86 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 VII. Der Vorschlag der Informal Company Law Expert Group . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Grundzüge des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der Informal Company Law Expert Group . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 VIII. Das Gruppeninteresse im Vorschlag für einen European Model Companies Act . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Das Konzernrecht des EMCA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Grundzüge des Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 b) Verwirklichung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Weisungsrecht und Folgepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Schutz außenstehender Gesellschafter und Gläubiger . . . . . . . . . . 97 cc) Inhalt des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 c) Rechtstechnische Verwirklichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 2. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 IX. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 C. Terminologische Konturierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 I. Gibt es das Gruppeninteresse? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 1. Ablehnung eines verselbstständigten Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Das Gruppeninteresse als ein höherrangiges Gesamtinteresse der in der Unternehmensgruppe zusammengefassten Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . 107 3. Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 II. Weitere Ansätze zur inhaltlichen Konkretisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 1. Gleichsetzung von Gruppeninteresse und Eigeninteresse der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Verbindung unterschiedlicher Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 D. Gesamtfazit zur konzeptionellen und terminologischen Konturierung . . . . . . . . . . 111 E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112
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Inhaltsverzeichnis
§ 4 Die Anerkennung des Gruppeninteresses de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 A. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im deutschen Recht . . . . 114 I. Weisungsrecht der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 1. Die Rechtslage im Aktienkonzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Vertragskonzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Faktischer Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Die Rechtslage im GmbH-Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 1. Die Verpflichtung auf das Tochtereigeninteresse als Grundsatz . . . . . . . . 122 a) Aktienrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) GmbH-Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Die Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . 127 a) Die Rechtslage im Aktienkonzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Die Rechtslage im GmbH-Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 B. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im ausländischen Recht 130 I. England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 1. Weisungsrecht der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 II. Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 C. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im Europarecht . . . . . . . . 138 I. Die konzernrechtliche Dimension der Niederlassungsfreiheit . . . . . . . . . . . . 138 II. Konzernrechtliche Kodifizierungsansätze in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Maßnahmen zur umfassenden Harmonisierung ab 1974 . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Aktionsplan 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Aktionsplan 2012 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4. Vorschlag für eine Richtlinie u¨ ber Gesellschaften mit beschra¨ nkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter 2014 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 5. Aktionärsrechterichtlinie 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 D. Kollisionsrechtliche Überlegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 E. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Inhaltsverzeichnis § 5 Die Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda
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A. Grundlegendes zur rechtstatsächlichen Situation von Konzernen und den Zielsetzungen des Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Wirtschaftliche Realität versus gesetzgeberisches Leitbild . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Schutzrecht, Organisationsrecht, enabling law? Die Zielsetzungen des Konzernrechts in Deutschland und Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Die Zielsetzungen des deutschen Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 a) Die schutzrechtliche Komponente des Konzernrechts . . . . . . . . . . . . . 158 b) Die organisationsrechtliche Komponente des Konzernrechts . . . . . . . . 163 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. Die Zielsetzungen des Konzernrechts im ausländischen und europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Das ausländische Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 aa) England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 bb) Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 b) Wertungen des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. Fortentwicklung des Konzernrechts zum enabling law . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 B. Meinungsspektrum bezüglich einer Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 I. Entbehrlichkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Zweigniederlassung, grenzüberschreitende und ausländische Konzerngesellschaft als taugliche Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Zweigniederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 b) Grenzüberschreitende Konzerngesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 c) Ausländische Konzerngesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Rechtstatsächliche Gegebenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 II. Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . 186 1. Umfassende Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Versöhnung von Recht und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 3. Optimierung der Kontrollmöglichkeiten innerhalb der Unternehmensgruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 C. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193
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Inhaltsverzeichnis
§ 6 Die Regelungsperspektiven bezüglich einer supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 A. Vorüberlegung: Wettbewerb der Gesetzgeber als taugliche Alternative . . . . . . . . . 196 B. Europarechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 I. Art. 50 II lit. g AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. „Schutzbestimmungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 2. „Den Gesellschaften (…) im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. „Soweit erforderlich“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 II. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 III. Reichweite und Intensität der Harmonisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 I. Weisungsrecht der Muttergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 2. Konkrete Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Formulierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 1. Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Konkrete Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) Formulierungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 b) Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 III. Flankierende Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Anwendungsbereich und Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Transparenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 b) Weitere Schutzmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 D. Zusammenfassung in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 § 7 Zusammenfassung aller Ergebnisse in Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254
Abkürzungsverzeichnis ABl. EU Abs. AcP a.E. AEUV AG AktG AktG 1937 Art. BB BCLC Bd. (Begr.) BGB BGBl. BGH BGHZ Buchst. BVerfGE bzw. CA ca. DB DCGK ders. dies. DK DOK DSGVO DStR EBOR ECFR ECL EG et al. EU EuGH EUV EuZW EWG EWiR
Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Archiv für civilistische Praxis am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft/Die Aktiengesellschaft Aktiengesetz Aktiengesetz von 1937 Artikel Betriebs-Berater Butterworths Company Law Cases Band Begründer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Buchstabe Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise Companies Act circa Der Betrieb Deutscher Corporate Governance Kodex derselbe dieselbe/dieselben Der Konzern Dokument Datenschutz-Grundverordnung Deutsches Steuerrecht European Business Organization Law Review European Company and Financial Law Review European Company Law Europäische Gemeinschaft et alii Europäische Union Europäischer Gerichtshof Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht
18 f., ff. Fn. FS GG GmbH GmbHG GmbHR GPR HGB (Hrsg.) IA IAS IFRS ILF JuS KG KGaA KSzW KWG lit. Ltd m.w.N. NJW Nr. NZG OLG RabelsZ RegE RFHE RG RGZ RIW RL Rn. Rz. SE Sec. SpruchG StGB u. a. UK USA v vgl. WM WpHG WpÜG z. B.
Abkürzungsverzeichnis folgend, folgende Fußnote Festschrift Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht Handelsgesetzbuch Herausgeber Insolvency Act International Accounting Standards International Financial Reporting Standards Institute for Law and Finance Frankfurt am Main Juristische Schulung Kammergericht Kommanditgesellschaft auf Aktien Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Kreditwesengesetz littera Limited Liability Company mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Oberlandesgericht Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Regierungsentwurf Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Randnummer Randziffer Societas Europaea Section/Sections Spruchverfahrensgesetz Strafgesetzbuch unter anderem United Kingdom United States of America versus vergleiche Wertpapier-Mitteilungen Wertpapierhandelsgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz zum Beispiel
Abkürzungsverzeichnis ZEuP ZGR ZHR ZIP ZVglRWiss
Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft
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§ 1 Einleitung Den Ausgangspunkt dieser Untersuchung bildet eine Konfliktlage, die der Struktur einer jeden Unternehmensgruppe, ob klein- oder großformatig organisiert, immanent ist. Die Konzerneinbindung bringt für die abhängige Gesellschaft – neben diversen und an anderer Stelle noch zu behandelnden Vorteilen – die Gefahr einer Fremdsteuerung mit sich.1 Anders als in der konzernfreien Gesellschaft, in der die Gesellschafter regelmäßig inhaltlich vergleichbare, auf die erfolgreiche Geschäftstätigkeit ihrer Gesellschaft gerichtete Interessen verfolgen,2 besteht bei der Integration in eine Unternehmensgruppe das Risiko, dass die herrschende Gesellschaft ihr Handeln an gesellschaftsfremden Sonderinteressen ausrichtet.3 Die zunächst abstrakte Gefahr kann sich durch Vermögensverschiebungen zugunsten der Mutteroder anderer Konzerngesellschaften realisieren.4 Derartige Vermögensverschiebungen können sich in unterschiedlichster Weise vollziehen: Eine Vermögensverschiebung wird etwa bewirkt, wenn die Tochter- zugunsten der Muttergesellschaft oder zugunsten einer anderen Gesellschaft innerhalb des Konzernverbunds auf lukrative Aufträge verzichtet.5 Ein weiteres Beispiel für eine Vermögensverschiebung ist die Berechnung sogenannter Konzernverrechnungspreise.6 Unter einem Konzernverrechnungspreis versteht man den Preis, zu dem der Liefer- und Leistungsverkehr zwischen rechtlich selbstständigen Einheiten eines Konzerns abgerechnet wird.7 Die hierbei zugrundeliegenden Abrechnungsmodalitäten können variieren: 1
Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.12. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 66; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 23; Kropff, in: Rechtsgrundlagen freiheitlicher Unternehmenswirtschaft, 71 (73). Da die erfolgreiche Geschäftstätigkeit letztlich auch den Gläubigern der Gesellschaft dient, bedarf es in konzernfreien Gesellschaften diesbezüglich keines spezifischen Schutzinstrumentariums, vgl. nur Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vorbemerkung zu den §§ 15 ff. Rn. 27. 3 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 66; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 25; Habersack, AG 2016, 691 (692); E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (343); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (20). 4 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 66 f.; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.12; plakativ auch Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 13: „Finanziell können Tochter- und Enkelunternehmen zugunsten der Mutter ausgeplündert werden (…)“; ähnlich dramatisch Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vorbemerkung zu den §§ 15 ff. Rn. 27, wo von einem „Ausbluten von beherrschten Gesellschaften“ die Rede ist. 5 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.12. 6 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.12; ebenfalls gebräuchlich sind die Begriffe „konzerninterne Verrechnungspreise“ oder kurz „Verrechnungspreise“, vgl. Sieker, in: Handbuch der Konzernfinanzierung, § 28 Rn. 28.1. 7 Sieker, in: Handbuch der Konzernfinanzierung, § 28 Rn. 28.1. 2
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§ 1 Einleitung
Die Vergütung für Rohstoffe, Zwischenprodukte und Fertigerzeugnisse erfolgt häufig im Wege der Einzelabrechnung; verwaltungsbezogene Dienstleistungen oder Forschungs- und Entwicklungskosten werden demgegenüber nicht selten durch Konzernumlagen abgegolten.8 In jedem Fall ist die sachgerechte Bewertung der erbrachten Leistung das zentrale Problem.9 Von der skizzierten Gefahr sind Gläubiger sowie Minderheitsgesellschafter der Tochtergesellschaft betroffen.10 Finden Vermögensverschiebungen auf die beschriebene Art und Weise statt, so können die Gläubiger der Tochtergesellschaft nur auf eine reduzierte Vermögensmasse zugreifen.11 Außenstehenden Gesellschaftern, also solchen Gesellschaftern, die weder mit der Mutter identisch sind noch eine wirtschaftliche Verbindung zu selbiger aufweisen, droht eine Beeinträchtigung des Wertes der Beteiligung oder des Umfangs des Gewinnbezugsrechts.12 Diese Gefahrenlage beruht auf dem Wesen der Gruppenstruktur. Eine Unternehmensgruppe besteht aus einer Vielzahl von Einzelgesellschaften. Bei der Gruppenbildung entsteht keine neue Einheit; die einzelnen gruppenangehörigen Gesellschaften bewahren vielmehr ihre rechtliche Selbstständigkeit.13 Die Koexistenz eines Konzernverbundes auf der einen und einer Vielzahl jeweils eigenständiger Gesellschaften auf der anderen Seite generiert ein Spannungsfeld, das sich aus einer (möglichen) Gegenläufigkeit der Interessen der rechtlich selbstständigen Einzelgesellschaften, wozu nicht zuletzt das Interesse der Muttergesellschaft gehört, sowie eines – möglicherweise übergeordneten14 – Gruppeninteresses speist. Ludwig Raiser unterstreicht die Bedeutung der beschriebenen Konfliktlage, wenn er mit Blick auf den Konzern festhält: „Jedenfalls ergibt sich (…) eine Polarität zwischen Einheit des Ganzen und Vielheit der Glieder, die dem Konzern notwendig innewohnt und das zentrale Problem dieses Gebildes darstellt.“15 Das dargestellte Spannungsfeld verweist auf die Frage nach dem Interessenvorrang in konkreten Konfliktlagen. Hierbei stehen zwei Anknüpfungspunkte zur Verfügung: Einerseits könnte man eine grundsätzliche Prävalenz des Gruppeninteresses annehmen; andererseits könnte man – angesichts der rechtlichen Selbst8
Wiedemann/Fleischer, in: Handbuch der Konzernfinanzierung, § 29 Rn. 29.1. Wiedemann/Fleischer, in: Handbuch der Konzernfinanzierung, § 29 Rn. 29.1. 10 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.12; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 13; Schall, in: Spindler/Stilz, AktG, Vorbemerkung zu den §§ 15 ff. Rn. 27. 11 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.12; ähnlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 66 f. 12 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.12; ähnlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 66 f. 13 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 1. 14 So Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 13, die das Rangverhältnis indes nicht weiter begründen. 15 L. Raiser, in: Das Verhältnis der Wirtschaftswissenschaft zur Rechtswissenschaft, Soziologie und Statistik, 51 (54). 9
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ständigkeit der gruppenangehörigen Gesellschaften – deren Eigeninteressen akzentuieren. Der Frage nach dem Interessenvorrang kommt insbesondere bei der Bewertung der Rechtmäßigkeit von Konzernleitungsmaßnahmen eine zentrale Bedeutung zu. Dies betrifft zunächst die Ebene der Muttergesellschaft, deren Management unablässig reflektieren muss, welche Formen der Einflussnahme auf Tochter-, Enkel- und Urenkelgesellschaften zulässig sind. Überdies ist die Frage nach dem Interessenvorrang auch auf Ebene ebenjener Gesellschaften relevant: Die Geschäftsleitung einer Tochter-, Enkel- oder Urenkelgesellschaft muss ihrerseits hinterfragen, ob sie sich im unternehmerischen Alltag an den Interessen der Gruppe oder den gesellschaftsspezifischen Eigeninteressen ausrichtet.16 Interessenkonflikte im Zusammenhang mit Konzernleitungsmaßnahmen können in den verschiedensten Konstellationen auftreten – etwa, wenn die Konzernspitze die Erwartung äußert, dass sich eine bislang europaweit aktive Tochtergesellschaft den Markt mit einer anderen Konzerngesellschaft aufteilt oder wenn eine andere Tochtergesellschaft nach den Vorstellungen der Muttergesellschaft ihren kompletten Vertriebsapparat auf eine dritte Gesellschaft, die sämtliche Vertriebsaktivitäten für alle Konzerngesellschaften durchführt, übertragen soll.17 Die Konzernleitung wird zusätzlich verkompliziert, wenn die Unternehmensgruppe international aufgestellt ist. Erstrecken sich die Aktivitäten einer Unternehmensgruppe auf unterschiedliche Länder, so muss sich die Konzernspitze mit einem Flickenteppich nationaler Vorgaben auseinandersetzen. Denn ein supranationales Regime, das gesellschaftsrechtliche Regelungen für Unternehmensgruppen oder gar Lösungen für Rechtsprobleme im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Konzernleitung bereithält, existiert – wie noch zu zeigen sein wird – bislang nicht. Dieser Befund überrascht nicht nur angesichts der primärrechtlichen Verbürgung des Art. 49 I 2 AEUV, wonach Beschränkungen der Gründung von Tochtergesellschaften grundsätzlich verboten sind, sondern auch mit Blick auf die rechtstatsächliche Bedeutung internationaler Unternehmensgruppen in Europa. „Unternehmensgruppen sind die Protagonisten des Europäischen Binnenmarkts, der Konzern ist die binnenmarktadäquate Organisationsform schlechthin“, konstatiert Holger Fleischer im Rahmen seiner akteurzentrierten Annäherung an das europäische Konzernrecht.18 Der rechtstatsächlichen Situation Rechnung tragend, wandten sich in jüngerer Zeit einerseits Wissenschaftlerkollektive19, andererseits aber auch 16
Eindrücklich E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (343): „Es geht um die besondere Situation, in der sich die Organwalter in Vorstand und Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft befinden, nämlich das Aufeinandertreffen der besonderen Verantwortung für ihr eigenes Unternehmen mit den Interessen, die das herrschende Unternehmen im Rahmen der Konzernleitung verfolgt.“ 17 Diese und weitere Beispiele finden sich bei E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (351 f.). 18 Fleischer, ZGR 2017, 1 (29); vgl. ferner Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 1. 19 Chronologisch: Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (672 ff.); The High Level Group of Company Law Experts, Report, 94 ff.; Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 59 ff.; Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (507 ff.);
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die Europäische Kommission20 konzernrechtlichen Fragestellungen im Allgemeinen und der unter dem Schlagwort der „Anerkennung des Gruppeninteresses“ diskutierten Erleichterung der grenzüberschreitenden Konzernleitung im Speziellen zu.
A. Zielsetzungen der Arbeit Diese Reformvorschläge stehen – gemeinsam mit rechtshistorischen Überlegungen – am Anfang der Untersuchung. Im Rahmen einer Analyse der durch die verschiedenen Wissenschaftlerkollektive verantworteten Abhandlungen soll eine konzeptionelle Konturierung der „Anerkennung des Gruppeninteresses“ gelingen, die durch eine Auseinandersetzung mit dem Terminus „Gruppeninteresse“ ergänzt wird. Darüber hinaus soll diese Arbeit einen Überblick über die im Zusammenhang mit der Konzernleitung existierenden Vorgaben ausgewählter Rechtsordnungen bieten. Die zentrale Zielsetzung der Arbeit besteht in der Ermittlung der rechtspolitischen Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses sowie der Möglichkeiten einer Implementierung dieses Instituts auf supranationaler Ebene. Die Arbeit beschränkt sich auf das Recht der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung sowie ihre jeweiligen ausländischen Entsprechungen; das Personengesellschaftsrecht wird ebenso ausgeklammert wie das Recht der Societas Europaea.
B. Gang der Untersuchung Der Gang der Untersuchung wird durch die Zielsetzungen dieser Arbeit determiniert. Bevor sich die Arbeit der aktuellen rechtspolitischen Debatte zuwendet, fokussiert sie die rechtshistorische Diskussion um den „Vorrang des Konzerninteresses“ und die ihr zugrundeliegenden tatsächlichen sowie rechtlichen Rahmenbedingungen (§ 2). Vielfach offenbart erst der Blick in die Geschichte eines Regelungskomplexes den rechtlichen Fortschritt und die Errungenschaften der modernen Dogmatik.21 Im Rahmen dieser Arbeit bietet sich insbesondere die Gelegenheit, Gemeinsamkeiten und Unterschiede der historischen Kontroverse um den „Vorrang des Konzerninteresses“ und der aktuellen Forderung nach einer Anerkennung des Gruppeninteresses aufzuzeigen. Sodann nimmt die Arbeit die von verschiedenen Wissenschaftlerkollektiven ausgearbeiteten Reformvorschläge in den Blick (§ 3). Auf diese Weise wird ermittelt, welche konzeptionellen Überlegungen sich hinter Le Club des Juristes, Rapport, 9 ff.; European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (1 ff.); The Informal Company Law Expert Group, Report, 1 ff.; vgl. außerdem das 15. Kapitel des European Model Companies Act. 20 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 21 ff.; Aktionsplan COM(2012) 740 final, 17. 21 Lieder, Die rechtsgeschäftliche Sukzession, 12.
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einer Anerkennung des Gruppeninteresses verbergen. Weiterhin erfolgt in diesem Kapitel eine terminologische Konturierung. Die so gewonnenen Erkenntnisse sollen einen Maßstab für die im Anschluss vorzunehmende Untersuchung des geltenden Rechts bilden (§ 4). Hierbei wird zunächst das deutsche Konzernrecht daraufhin überprüft, ob oder in welchen Konstellationen de lege lata eine Orientierung am Gruppeninteresse stattfinden darf. Diese Erwägungen werden von einer überblicksartigen Darstellung der Rechtslage in England und Frankreich sowie einer Analyse des Europarechts flankiert. Außerdem ist in diesem Zusammenhang auf Fragestellungen des Internationalen Privatrechts einzugehen. Die in diesem Kapitel zutage geförderten Ergebnisse werden zeigen, dass es bislang an einer umfassenden Verwirklichung des Gruppeninteresses fehlt. Vor diesem Hintergrund geht die Arbeit im Anschluss der Frage nach der rechtspolitischen Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses auf den Grund (§ 5). Da die Erörterung dieser rechtspolitischen Fragestellung ihrerseits eng mit der rechtstatsächlichen Situation von Konzernen, die im Widerspruch zum gesetzgeberischen Leitbild steht, sowie der Diskussion um die Zielsetzungen des Konzernrechts zusammenhängt, sind zunächst Überlegungen hierzu anzustellen. Erst im Anschluss kann eine fundierte Abwägung der Argumente, die für und wider eine Anerkennung des Gruppeninteresses streiten, erfolgen. Abschließend wird analysiert, auf welche Weise eine Anerkennung des Gruppeninteresses sinn- und wirkungsvoll implementiert werden kann (§ 6). Hierbei ist zwischen rechtstechnischen und konzeptionellen Aspekten zu differenzieren.
C. Terminologie Das deutsche Recht kennt weder den Begriff der (Unternehmens-)Gruppe noch den für diese Untersuchung als Namenspate fungierenden Terminus „Gruppeninteresse“; vielmehr macht es in Gestalt des Aktiengesetzes allein von den Termini des Konzerns (§ 18 AktG) sowie des verbundenen Unternehmens (§§ 15 ff., 291 ff. AktG) Gebrauch.22 Hierbei bildet der Begriff des verbundenen Unternehmens den terminologischen Ausgangspunkt des deutschen Aktienkonzernrechts.23 22 Insofern ist auch der Begriff des „Konzernrechts“ unpräzise, da ein Konzern nur vorliegt, wenn die spezifischen Voraussetzungen des § 18 AktG erfüllt sind. Zutreffender wäre die Bezeichnung „Recht der verbundenen Unternehmen“, vgl. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 2; instruktiv auch Windbichler, NZG 2018, 1241 (1241 ff.), die in ihrem Beitrag die Frage nach der Existenz des Konzernrechts („Konzernrecht: Gibt es das?“) stellt und verneint. Diese Arbeit folgt indes der gängigen Formulierung und spricht auch im Zusammenhang mit rechtlichen Regelungen, die nicht an die spezifischen Regelungen des § 18 AktG anknüpfen, von „Konzernrecht“. Vgl. zur terminologischen Problematik auch Bayer, in: MünchKommAktG, § 15 Rn 6; Hüffer/Koch, AktG, § 15 Rn. 2, die die Verwendung des Begriffes des „Konzernrechts im weiteren Sinne“ vorschlagen, um die Normen der §§ 15 – 22, 291 – 327 AktG, der §§ 290 ff. HGB sowie diejenigen, die an den Oberbegriff der verbundenen Unternehmen anknüpfen, zu umschreiben. Vgl. schließlich J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (232), wonach zum „materiellen Konzernrecht“ auch weite Teile des Umwandlungsrechts
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I. Verbundenes Unternehmen Gemäß § 15 AktG sind verbundene Unternehmen „rechtlich selbständige Unternehmen, die im Verhältnis zueinander in Mehrheitsbesitz stehende Unternehmen und mit Mehrheit beteiligte Unternehmen (§ 16), abhängige und herrschende Unternehmen (§ 17), Konzernunternehmen (§ 18), wechselseitig beteiligte Unternehmen (§ 19) oder Vertragsteile eines Unternehmensvertrags (§§ 291, 292) sind“. Diese sehr weite Definition wird von diversen Vorschriften des Aktiengesetzes in Bezug genommen.24 Rekurs auf § 15 AktG nehmen auch Vorschriften anderer Gesetze, etwa die Abgabenordnung (AO) oder das Beurkundungsgesetz (BeurkG).25 Der Begriff des Unternehmensverbundes spielt aufgrund der weiten Definition – abgesehen von seiner Funktion als Bezugspunkt für andere Vorschriften – nur eine untergeordnete Rolle,26 weshalb er nicht vertieft behandelt werden soll.
II. Konzern Deutlich populärer ist der Begriff des Konzerns. Um von einem Konzern sprechen zu können, müssen spezifische Voraussetzungen vorliegen, die sich aus § 18 AktG ergeben. Die Vorschrift stellt zwar eine grundsätzliche Differenzierung zwischen dem Unterordnungs- und dem Gleichordnungskonzern an,27 normiert aber gleichwohl die Merkmale, die bei beiden Typen vorliegen müssen. Demnach ist ein Konzern jede Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbstständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung. Der Unterordnungskonzern grenzt sich durch die Existenz eines herrschenden und eines abhängigen Unternehmens oder gar mehrerer abhängiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung des herrschenden Unternehmens vom Gleichordnungskonzern ab, in dem keinerlei Abhängigkeitsverhältnisse bestehen, § 18 I 1 AktG. Was unter Abhängigkeit zu verstehen ist, bestimmt sich gemäß § 17 I AktG: Danach sind abhängige Unternehmen rechtlich selbstständige Unternehmen, auf die ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss gehören: „Die Spaltung ist eine Möglichkeit, einen Konzern zu schaffen (Ausgliederung), aber auch eine Konzernverbindung zu kappen (Ab- und Aufspaltung). (…) Die Verschmelzung lässt sich in der Kette faktischer Konzern, Vertragskonzern, Eingliederung als intensivste Form der Kontrolle über ein anderes Unternehmen und der Einbindung in die Organisation eines zuvor herrschenden Unternehmens verstehen.“ 23 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.27; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 59 Rn. 1. 24 Z. B. §§ 71 I Nr. 2, 71a I 2 AktG; vgl. auch die Zusammenstellung bei Windbichler, in: GroßkommAktG, § 15 Rn. 4. 25 Vgl. § 139b II 2 Nr. 4 AO (Identifikationsnummer); § 3 I 1 Nr. 7 BeurkG (Vorbefassung des Notars); vgl. auch die Zusammenstellung bei Windbichler, in: GroßkommAktG, § 15 Rn. 8. 26 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 59 Rn. 1. 27 Bayer, in: MünchKommAktG, § 18 Rn. 1.
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ausüben kann. Die gesetzliche Formulierung des § 17 I AktG indiziert, dass eine abstrakte Gefährdung – die Möglichkeit, Herrschaft auszuüben – für die Bejahung einer Abhängigkeit ausreicht.28 Die Herrschaftsmacht muss – dies ergibt sich bereits aus der gesetzgeberischen Intention, der dieser im Rahmen der Abhängigkeitsvermutung nach § 17 II AktG Ausdruck verleiht – gesellschaftsrechtlich vermittelt sein.29 Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Bewertung dieser Herrschaftsmacht ist die Personalentscheidungsgewalt.30 Letztere manifestiert sich in der Befugnis der herrschenden Gesellschaft, den Aufsichtsrat der beherrschten Gesellschaft mit Vertrauensleuten zu besetzen.31 Diese werden eingedenk der Vermeidung persönlicher Nachteile ihre Geschäftspolitik an den Interessen des herrschenden Unternehmens ausrichten.32 Für die einheitliche Leitung eines Unterordnungskonzerns genügt es, dass diese wenigstens in einem zentralen Bereich der unternehmerischen Tätigkeit ausgeübt wird und hierbei Auswirkungen auf den Konzern insgesamt hat.33 Der Gleichordnungskonzern (§ 18 II AktG) zeichnet sich gegenüber dem Unterordnungskonzern dadurch aus, dass zwei (oder mehrere Schwester-)Unternehmen einheitlich geleitet werden, ohne dass das eine vom anderen abhängig ist.34 Die einheitliche Leitung kann bei dieser Erscheinungsform des Konzerns durch vertragliche Absprachen oder personelle Verflechtungen bewirkt werden.35 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass, obgleich es sich um einen gängigen Begriff handelt, ganz bestimmte Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen müssen, um von einem Konzern sprechen zu können. Die durch das Aktiengesetz vorgenommene Differenzierung zielt – bildlich gesprochen – auf vertikale (Unterordnungskonzern) und horizontale (Gleichordnungskonzern) Unternehmensverbindungen.
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Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 11; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 59 Rn. 15. 29 BGHZ 90, 381 (395 ff.); ebenso: Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 17 Rn. 15; Hüffer/Koch, AktG, § 17 Rn. 8; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 59 Rn. 16. 30 Bayer, in: MünchKommAktG, §17 Rn. 26; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 59 Rn. 16. 31 Bayer, in: MünchKommAktG, §17 Rn. 26; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/ Schürnbrand, Konzernrecht, § 17 Rn. 6 f. Das Erfordernis des § 100 V AktG schränkt die Befugnis bei kapitalmarktorientierten Gesellschaften ein, hierzu ausführlich Bayer, NZG 2013, 1 (10 ff.). 32 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 59 Rn. 16. 33 So die herrschende Meinung (sog. weiter Konzernbegriff), vgl. nur Bayer, in: MünchKommAktG, § 18 Rn. 30, 33 m.w.N. 34 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.34. 35 Bayer, in: MünchKommAktG, § 18 Rn. 52 ff.; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.34.
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III. (Unternehmens-)Gruppe Der Begriff der (Unternehmens-)Gruppe ist im Vergleich mit den Termini „verbundenes Unternehmen“ einerseits und „Konzern“ andererseits unspezifischer.36 Eine normative Verankerung des Gruppenbegriffes findet sich auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts nicht. Dieser Befund gilt aber nicht für alle Teildisziplinen des Wirtschaftsrechts. So findet sich im Bankaufsichtsrecht eine Legaldefinition des Begriffs „Gruppe“. Gemäß § 10a I 1 KWG besteht eine Institutsgruppe, Finanzholding-Gruppe oder gemischte Finanzholding-Gruppe (Gruppe) jeweils aus einem übergeordneten und einem oder mehreren nachgeordneten Unternehmen. Teilweise wird dieser bankaufsichtsrechtliche Gruppenbegriff – je nach Zweck der jeweiligen Vorschrift – variiert.37 Er kann aufgrund seines Charakters als Zweckdefinition und der tatbestandlichen Offenheit indes nicht ohne Weiteres in konzernrechtlichen Zusammenhängen fruchtbar gemacht werden.38 Gleiches wird auch für die in der insolvenzrechtlichen Vorschrift des Art. 2 Nr. 13, 14 EuInsVO39 enthaltene Definition der „Gruppe“ gelten müssen. Ungeachtet der fehlenden normativen Verankerung findet der Gruppenbegriff in der Gesellschaftsrechtswissenschaft großen Zuspruch.40 Diese Tendenz ist auch in der Praxis auszumachen.41 Was die Verwender des Begriffes „(Unternehmens-) Gruppe“ genau meinen, wenn sie von ihm Gebrauch machen, bleibt allerdings häufig unklar.42 In der internationalen Literatur ist der Begriff wohl als Synonym zu dem des Konzerns zu verstehen. Dieser Rückschluss lässt sich daraus ableiten, dass mit einer „groupe de sociétés“ oder „corporate group“ nach ausländischem Verständnis ein 36
So auch Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 2. So erweitert die Vorschrift des § 25a III 2 KWG den Gruppenbegriff des § 10a I 1 KWG im Hinblick auf die Verantwortung der Geschäftsleiter für die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation auf Gruppenebene; vgl. zum Gruppenbegriff im Bankaufsichtsrecht Weber-Rey/ Gissing, AG 2014, 884 (886). 38 Ähnlich Weber-Rey/Gissing, AG 2014, 884 (885 f.), die eine strikte Trennung der Termini „Gruppe(ninteresse)“ und „Konzern(interesse)“ vorschlagen. 39 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren. 40 Wiedemann gebrauchte den Begriff – wie bereits der Titel seiner Studie zeigt – bereits im Jahre 1988; explizit zur Terminologie Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 6 f. 41 Indikator für den Zuspruch sind die Verwendung der Bezeichnung durch bestimmte Unternehmen selbst. Beispiele sind die Lufthansa Group und die Deutsche Börse Group. Raiser/Veil sprechen insofern berechtigterweise von einer „Einbürgerung“ des Begriffes in der Praxis, vgl. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 2. 42 In der Literatur wird der Begriff zumeist synonym zum Begriff des „verbundenen Unternehmens“ verwendet, so wohl Windbichler, in: GroßkommAktG, Vor §§ 15 ff Rn. 12 ff.; eher implizit Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 2. Teil. Gruppenbildungs- und Gruppenleitungskontrolle; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 2; eindeutig Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 6 f. In der Praxis wird der Begriff hingegen eher synonym zum Begriff des „Konzerns“ verwendet. 37
C. Terminologie
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„Konzern“ gemeint ist.43 Die feinsinnige Differenzierung zwischen verbundenen Unternehmen und Konzernen ist anderen Rechtsordnungen schlicht nicht bekannt.44
IV. Zwischenergebnis Da diese Arbeit rechtsvergleichende Elemente enthält und supranationale Regelungsperspektiven abzustecken versucht, kann eine strikte Trennung der erläuterten Begrifflichkeiten nicht durchgehalten werden. Wenngleich aus der fehlenden normativen Verankerung des Gruppenbegriffes eine fehlende Spezifität resultiert, wird er sowohl in der Praxis als auch in der internationalen Gesellschaftsrechtswissenschaft synonym zum Konzernbegriff verwendet. Auch hier soll beiden Begriffen dieselbe Bedeutung zukommen. Dies gilt konsequenterweise auch für die Begriffe des Gruppeninteresses sowie des Konzerninteresses.
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Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 6 f. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die allgemeine und sehr weite Definition einer „transnational group of companies“ bei Renner, in: Encyclopedia of Private International Law, Vol. 1, 411 (411): „A transnational group of companies is a coordinated relationship between companies incorporated in different states and usually under different laws.“ 44
§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte Das Konzerninteresse war bereits in der Vergangenheit, insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts, Gegenstand konzernrechtlicher Diskussionen in Deutschland.1 Wenngleich die im heutigen rechtspolitischen Diskurs vorgeschlagene Anerkennung des Gruppeninteresses als einer legitimen unternehmerischen Zwecksetzung nicht mit dem in der historischen Diskussion postulierten „Vorrang des Konzerninteresses“ gleichzusetzen ist,2 lädt diese Sachlage zu einem Ausflug in die Konzernrechtsgeschichte3 ein. Denn es erscheint nicht ausgeschlossen, dass Erkenntnisse aus der damaligen Zeit für die heutige Diskussion, insbesondere für die konzeptionelle und terminologische Konturierung, fruchtbar gemacht werden können.
A. Die Situation von Konzernen vor 1937 Um die historische Diskussion um das Gruppeninteresse einordnen zu können, bedarf es einer Auseinandersetzung mit den Anfängen der Konzerne.
1 Damals wurde die Thematik unter dem Schlagwort „Vorrang des Konzerninteresses“ diskutiert, vgl. Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 12 ff.; vgl. für eine überblicksartige Darstellung der Entwicklungen in den USA Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 274. 2 Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (7). 3 Vgl. zu dieser auch Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 2, der zwischen drei Entwicklungsabschnitten des Konzernrechts differenziert: Auf eine erste, bis zum Ende der Zwanzigerjahre währende Phase einer Problemaufbereitung, in der die Rechtsprechung eine ganze Reihe konzernspezifischer Einzelprobleme löste, während sich das Schrifttum um eine erste systematisierende Durchdringung des nahezu unüberschaubaren Rechts- und Tatsachenstoffs sowie um konkrete Fragestellungen bemühte, folgte ein Entwicklungsabschnitt, der sich durch erste Kodifikationen auf dem Gebiet des Konzernrechts auszeichnete. In einer dritten Phase nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine grundlegende unternehmensrechtliche Reform vorangetrieben und im Aktiengesetz von 1965 verwirklicht.
A. Die Situation von Konzernen vor 1937
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I. Wirtschaftsrechtliche Rahmenbedingungen im Allgemeinen Ursprüngliche Triebfedern der Konzernbildung waren ökonomische und steuerrechtliche Erwägungen.4 Nachdem im 19. Jahrhundert die Gewerbefreiheit eingeführt und der technische Fortschritt sowie der Übergang vom Handwerks- zum Fabrikationsbetrieb eingeleitet worden war, entstand ein zunehmendes Bedürfnis nach Kapitalgesellschaften.5 War die Gründung einer Aktiengesellschaft ursprünglich noch von einer staatlichen Genehmigung abhängig, wurde dieses Konzessionssystem 1870 abgeschafft.6 Es folgte ein regelrechter Gründungsboom, der allerdings von einigen spektakulären Zusammenbrüchen und einer wachsenden Skepsis gegenüber dem unbeschränkten Wettbewerb überschattet wurde.7 Im Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Wettbewerbsregulierung und -beschränkung wurde die Konzernbildung begrüßt: Man erblickte in einem Konzern die ideale Variante des Kartells, in dem eine Konkurrenz der im Konzern verbundenen Unternehmen von vornherein ausgeschlossen war.8 Zusätzlich erleichtert wurde die Konzernbildung durch die Einführung der GmbH.9 Motiv für die Konzernbildung aus Unternehmersicht war das steuerrechtliche Institut der Organschaft.10 Dieses ermöglichte es, juristisch selbstständige, aber wirtschaftlich abhängige Gesellschaften für bestimmte Steuerarten als unselbstständige Teile der Obergesellschaft anzusehen,11 mithin eine einheitliche Besteuerung aller verbundenen Unternehmen zu bewirken.12 Für die Annahme einer steuerlichen Organschaft verlangte der Reichsfinanzhof neben einer finanziellen, wirtschaftlichen und organisatorischen Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger13 den Abschluss eines Vertrages, durch den sich Organgesellschaft und Organträger auf Gewinnabführung bzw. Verlustdeckung einigten und die Organ4
Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 1 ff.; anschaulich auch J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (234), der in diesem Zusammenhang von „Geburtshelfer[n] außerhalb des Gesellschaftsrechts“ spricht. 5 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 1. 6 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 18 Rn 1; grundlegend zur Aufgabe des Konzessionssystems Lieder, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 1, Kap. 10 Rn. 2 ff.; vgl. ferner die Darstellung bei Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 259 ff. 7 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 1. 8 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 4; J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (234). 9 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 1; vgl. für einen Überblick über Entstehung und Entwicklung der GmbH Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 266 ff. 10 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 5. 11 Nörr, ZHR 150 (1986), 155 (173). 12 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 5. 13 RFHE 22, 183 (187); RFHE 31, 297 (299).
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
gesellschaft den Weisungen des Organträgers unterwarf14.15 Steuerliche Absichten waren es auch, die – gemeinsam mit Rohstoffverknappung und Geldentwertung – in Zeiten der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg die wachsende Zahl und Bedeutung der Konzerne beförderten.16 In der Phase der wirtschaftlichen Stabilisierung war die Konzernbildung vor allem durch Wettbewerbs- und Rationalisierungsüberlegungen motiviert.17 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei der Entstehung von Konzernen im ausgehenden 19. Jahrhundert einerseits ein Bedürfnis nach Wettbewerbsregulierung, andererseits steuerrechtliche Vorzüge Pate standen.18
II. Gesellschaftsrechtliche Rahmenbedingungen im Besonderen Während des skizzierten Zeitraums erfuhr das Konstrukt des Konzerns zwar einen Bedeutungszuwachs; eine hiermit korrespondierende Kodifikation einzelner Regelungen oder gar eines eigenständigen Konzernrechts kann indes nicht ausgemacht werden. Leitbild des Aktiengesetzgebers war vielmehr stets die wirtschaftlich selbstständige Aktiengesellschaft.19 1. Gesetzeslage und Rechtsprechung Das „Gesetz betreffend die Kommanditgesellschaften auf Aktien und die Aktiengesellschaft vom 18. Juli 1884“ konzentrierte die Macht in der Aktiengesellschaft
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RFHE 54, 102 (103). Vgl. zu den durch den Reichsfinanzhof formulierten Voraussetzungen Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 5; Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 59 ff.; J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (234). 16 Nörr, ZHR 150 (1986), 155 (169); Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 121; Schmoeckel/ Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 273. 17 Nörr, ZHR 150 (1986), 155 (169); Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 273. Ende Oktober 1927 waren ca. 60 % des Nominalkapitals der Aktiengesellschaften in Konzernen gebunden, vgl. Statistisches Reichsamt, Wirtschaft und Statistik 1928, 45 (108 ff.). Die Bedeutung der großen Konzerne in dieser Zeit kann mit der Betitelung derselben als „industrielle Herzogtümer“ illustriert werden, vgl. Friedländer, Konzernrecht, 7. 18 Überblicksartig hierzu Altmeppen, ZHR 171 (2007), 320 (321 f.); J. Schmidt, in: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (412 f.). J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (234) merkt treffend an, dass der erste Geburtshelfer – die Förderung von Beschränkungen des Wettbewerbs durch Konzernbildung – seine Tätigkeit nahezu völlig eingestellt habe; der zweite Geburtshelfer – das Steuerrecht – sei demgegenüber nach wie vor aktiv. 19 Friedländer, Konzernrecht, 131. 15
A. Die Situation von Konzernen vor 1937
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bei der Generalversammlung.20 Andere Gesellschaftsorgane hatten lediglich dienende Funktion: Der Vorstand wurde von der Generalversammlung gewählt und unterstand ihren Weisungen;21 der Aufsichtsrat hatte hauptsächlich die Aufgabe, den Vorstand im Interesse der Generalversammlung und der Aktionäre zu überwachen22. Die konsequente Anwendung dieser gesetzlichen Vorgaben führte dazu, dass sämtliche, mithin auch schädliche Mehrheitsbeschlüsse der Generalversammlung hinzunehmen waren.23 Treuepflichten der Mehrheit gegenüber der Gesellschaft oder der Minderheit waren zur damaligen Zeit unbekannt.24 Die Formulierungen des Reichsgerichts in einer Entscheidung aus dem Jahre 1908 veranschaulichen lebhaft, dass zum damaligen Zeitpunkt de lege lata keinerlei Minderheitenschutz existierte: „Soweit sich die Ausführungen des Klägers darauf beziehen, dass (…) die Mehrheit ihre Rechte rücksichtslos ausgenützt und damit die Minderheit und deren Bestrebungen auf das erheblichste geschädigt habe, stehen seine Darlegungen nicht auf dem Boden des zur Zeit in Deutschland geltenden Aktienrechts. Denn um eines der (…) besonders geordneten Minderheitsrechte dreht sich der Streit nicht, und im Übrigen sind die in Angelegenheiten der Gesellschaft mit der erforderlichen Stimmenzahl gefassten Beschlüsse der Mehrheit für die Minderheit auch dann maßgebend, wenn sie dieser als verkehrt, wirtschaftlich nachteilig und die Bestrebungen der Minderheit schädigend erscheinen. Dies ist eine unabwendbare Folge des im Gesetze zur Anerkennung gelangten Grundsatzes, dass die Mehrheit des Aktienbesitzes über die Verwaltung der Gesellschaft und darüber entscheidet, was im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu tun und zu lassen ist.“25
Das Reichsgericht sah die Grenzen der Ausübung einer Mehrheitsmacht erst im Falle von Sittenwidrigkeit überschritten,26 die freilich schwierig nachzuweisen war.27 Das Organ der Generalversammlung war demnach Garant für eine nahezu schrankenlose Ausübung der Mehrheitsmacht. Neben den wirtschaftlichen boten also auch die (gesellschafts-)rechtlichen Rahmenbedingungen einen Nährboden für die Konzernbildung. Selbst größere Wirtschaftsskandale28 – jeweils unter Beteiligung von Konzernen – und darauffolgende Rufe nach einer Regelung des Konzernwesens
20 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 7; J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (234); ausführlich zum Organ der Generalversammlung Spindler, Recht und Konzern, 54 ff. 21 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 7. 22 Eingehend zum Aufsichtsrat des ADHGB 1884 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 137 ff. 23 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 8. 24 J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (234). 25 RGZ 68, 235 (245 f.); vgl. zu dieser Entscheidung und der sich anschließenden Rechtsprechungsentwicklung Spindler, Recht und Konzern, 81 f. 26 RGZ 115, 296 (303). 27 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 8. 28 Ausführlich unter Nennung von Beispielen Friedländer, Konzernrecht, 9. Ausgangspunkt zahlreicher Zusammenbrüche von Konzernen war der Kollaps der Frankfurter Allgemeinen Versicherungsgesellschaft im Jahre 1929, vgl. Nörr, Zwischen den Mühlsteinen, 118.
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
brachten keine grundlegenden Änderungen der rechtlichen Ausgangslage mit sich.29 Dies hängt auch mit dem konzernrechtlichen Fokus der damaligen Zeit zusammen: Im Brennpunkt der Konzernrechtsdebatte stand zunächst nicht die Untergesellschaft im Verbund, sondern die Obergesellschaft und die Auswirkungen der Konzernierung auf selbige.30 2. Die These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ Dem Zeitgeist entsprach die Formulierung einer These vom „Vorrang des Konzerninteresses“. Nach dieser sollte ein dem Konzerninteresse dienendes Management vertretbar, jedenfalls aber nicht haftungsbegründend sein, obwohl es den Interessen der abhängigen Gesellschaft widersprach.31 a) Die Vertreter und ihre Motive Unter Gesellschaftsrechtswissenschaftlern war die These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ verbreitet, wenngleich nicht unumstritten. Fritz Haussmann setzte sich bereits 1926 mit dem „Problem des Verhältnisses einer Konzernmajorität zu einer Minderheitsgesellschaft“ auseinander.32 Er stellte fest, dass das abhängige Unternehmen durch die mehrheitliche Beteiligung des herrschenden Unternehmens „Teil eines größeren wirtschaftlichen Ganzen“ wird.33 Dies führt nach Fritz Haussmann zu dem Ergebnis, dass die als Minderheitsgesellschafter am abhängigen Unternehmen beteiligten Personen sich damit abfinden müssen, dass „der Zweck des Ganzen dem Zweck des Teilbetriebs vorgehen muß“.34 Max Hachenburg konstatierte ähnlich pauschal, dass die Einzelgesellschaft zugunsten der Gesamtheit Opfer 29 Zwar begann nach dem Ersten Weltkrieg eine gesellschaftsrechtswissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Konzern; die naheliegende Frage nach der Konzerngefahr und deren Bändigung wurde dabei indes allenfalls zögerlich gestellt, vgl. J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (235). Eine am 19. September 1931 erlassene Notverordnung führte lediglich zu punktuellen Änderungen, die nicht die konzerntypische Gefährdungslage, sondern den Erwerb von Aktien des herrschenden Unternehmens adressierten, vgl. Altmeppen, in: Bayer/ Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 11; Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 70 f.; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 21 f. 30 Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 14 ff., 19. 31 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 12; J. Schmidt, in: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (413 f.); differenzierter Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 17, der dieses Thema in seiner rechtsgeschichtlichen Dokumentation unter dem Aspekt „Konzernierungsfolgen für die Tochtergesellschaft“ aufgreift und zwischen der Prävalenz des „Gesamtinteresse[s]“ gegenüber „dem isolierten Einzelinteresse der Tochtergesellschaft“ und der „Frage, auf welchem Wege die Muttergesellschaft auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden könne, falls diese sich in der Tochtergesellschaft unzulässig Sondervorteile verschafft habe“ unterscheidet. 32 Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 152 f. 33 Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 153. 34 Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 153.
A. Die Situation von Konzernen vor 1937
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bringen müsse, weil dies „aus dem Wesen des Zusammenschlusses folge“.35 Etwas konkreter wurde Karl Geiler, der bei Maßnahmen, die die Minderheitsgesellschafter der abhängigen Gesellschaft benachteiligten, gegen eine Haftung war: Eine solche Maßnahme sei „nicht so sehr eigensüchtig als volkswirtschaftlich rationell“.36 Derartige Aussagen provozierten auch Widerspruch: So wurde teils vorgeschlagen, schädigende Maßnahmen zulasten der Minderheitsgesellschafter abhängiger Gesellschaften von Abfindungsleistungen abhängig zu machen.37 Die Rechtsprechung bereitete der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ den Boden.38 So billigte sie dem Mehrheitsgesellschafter, der seine Macht in der Generalversammlung konzentrierte, schädigende Maßnahmen bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit zu.39 Zwar stellte das Reichsgericht im Jahre 1931 klar, dass sich aus den Befugnissen des Mehrheitsgesellschafters die Pflicht desselben ergibt, „im Rahmen des Gesamtinteresses auch den berechtigten Belangen der Minderheit Berücksichtigung angedeihen zu lassen und deren Rechte nicht über Gebühr zu verkürzen“.40 Allerdings fehlt es an einer Reichsgerichtsentscheidung, die ein Verbot der Schädigung abhängiger Gesellschaften im Konzern statuiert.41 Die Befürworter der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ erkannten schon vor 1937, dass ein Konzernierungsvorgang die Interessen der abhängigen Gesellschaft in den Hintergrund rücken lässt.42 Aus dieser Erkenntnis leiteten sie eine grundsätzliche Prävalenz der Mehrheitsinteressen – also der Interessen des herrschenden Unternehmens – ab. Ihre Argumentation konnten sie durch Verweis auf das geltende Recht absichern. Letzteres war wohl auch Hintergrund der konzernfreundlichen Rechtsprechung, auch wenn die Anwendung des strengen Sittenwidrigkeitsmaßstabs nicht zwingend vorgesehen war.43
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Hachenburg, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 44 (50). Geiler, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 52 (82). 37 Buchwald, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 89 (102 f.); skeptisch gegenüber der Anerkennung des Konzerninteresses auch Flechtheim, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 5 (32 f.); vgl. hierzu auch Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 17 f. 38 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 14. 39 Dazu § 2 A. II. 1. 40 RGZ 132, 149 (163). Auch zuvor waren in der Rechtsprechung „Ansätze einer vorsichtigen Missbrauchskontrolle“ erkennbar geworden, vgl. Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 68 f. 41 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 14. 42 Stellvertretend Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 153: „Die Richtung eines Unternehmens für sich betrachtet, lässt sich, wenn dasselbe Glied eines großen Ganzen ist, ohne die Zwecke des Ganzen vielfach nicht mehr feststellen.“ 43 Dies zeigt die zaghafte Intensivierung der richterlichen Kontrolle der Mehrheitsmacht nach 1933 durch Betonung der Treuepflicht und des Gleichheitsgrundsatzes; zu dieser Rechtsprechungsentwicklung Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 73 f. 36
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
b) Inhaltliche Ausgestaltung des Konzerninteresses Offen bleibt die Frage, was die Befürworter der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ meinten, wenn sie – ausdrücklich oder implizit – vom Konzerninteresse sprachen. Die Betonung des „großen Ganzen“44 erscheint zu pauschal, um konkrete Leitlinien zur Bestimmung des Inhalts des Konzerninteresses an ihr festzumachen. Dem Großteil der Einlassungen der Gesellschaftsrechtswissenschaft sowie den Entscheidungen des Reichsgerichts lassen sich keine Parameter zur Bestimmung des Konzerninteresses entnehmen. Gleichwohl können aus der Konzeption der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ Rückschlüsse auf den Inhalt des Konzerninteresses gezogen werden. Die Formulierung der These diente der Begründung möglichst weitreichender Eingriffsbefugnisse der herrschenden Gesellschaft. Die Eingriffe sollten auch dann möglich sein, wenn sie die Minderheitsgesellschafter der abhängigen Gesellschaft benachteiligten. Die Akzentuierung der Eingriffsmöglichkeiten der herrschenden Gesellschaft zeigt, dass die Befürworter der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ aus dem Blickwinkel der herrschenden Gesellschaft argumentierten.45 Diese Perspektive legt nahe, dass die Vertreter der These regelmäßig davon ausgingen, dass das Konzerninteresse mit den Interessen der herrschenden Gesellschaft identisch war. So wurde allein der herrschenden Gesellschaft die Deutungshoheit zugestanden, durch welche Maßnahmen die abhängige Gesellschaft in tauglicher Weise „dienstbar“ gemacht werden konnte. Diese Annahme wird durch folgende Erwägung bestätigt: Die Vertreter der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ gestanden der abhängigen Einzelgesellschaft im Konzernverbund kaum mehr ein eigenes Interesse zu.46 Die Negierung der Interessen der abhängigen Einzelgesellschaften führt jedoch dazu, dass innerhalb des Konzernverbunds nur noch ein Interesse existiert, das zum Anknüpfungspunkt für die Bestimmung des Konzerninteresses gemacht werden kann – nämlich das der herrschenden Gesellschaft. Die überwiegende Zahl der Befürworter der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ setzte folglich – jedenfalls implizit – das Konzerninteresse mit dem Interesse der herrschenden Gesellschaft gleich. Die Argumentation unter dem Deckmantel der These diente – zugespitzt – nur einem Ziel: Der Maximierung der Eingriffsbefugnisse der herrschenden Gesellschaft bei gleichzeitiger Minimierung der Rechte außenstehender Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft. 44
Vgl. zu dieser Formulierung Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 153. 45 Exemplarisch Haussmann, der fragte, „inwieweit ein Unternehmen, welches Glied einer anderen Unternehmenszusammenfassung ist, (…) gegenüber einer Minderheit von außenstehenden Aktionären den wirtschaftlich besonders gerichteten Zielen der Zentralgewalt des Konzerns (…) dienstbar gemacht werden darf“, vgl. Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 153. 46 Exemplarisch hierfür steht der Ausspruch Hachenburgs, der von den abhängigen Gesellschaften verlangte, Opfer zu bringen, vgl. Hachenburg, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 44 (50).
B. Das Konzernrecht des Aktiengesetzes von 1937
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Hiervon abweichend klang bei Karl Geiler eine Gleichsetzung von Konzerninteresse und den volkswirtschaftlichen Interessen der Allgemeinheit an.47 Aus seiner Sicht war „ein Vorgehen der Konzernmajorität“ legitim, sofern es sich „unter dem heute so wichtigen Gesichtspunkt der Produktivität betrachtet als rationelle Maßnahme“ darstellte.48 Ausschließlich eigensüchtiges, nicht unter dem Gesichtspunkt der Produktivität gerechtfertigtes Verhalten war aus seiner Sicht nicht schutz-, sondern sanktionswürdig.49 Durch den Rekurs auf Produktivität und volkswirtschaftliche Rationalität führte Karl Geiler Parameter zur Bestimmung des Inhalts des Konzerninteresses ein.
B. Das Konzernrecht des Aktiengesetzes von 1937 Gegenstand der erstmaligen eigenständigen Kodifikation aktienrechtlicher Vorschriften durch das Aktiengesetz von 1937, das einen Schlusspunkt hinter die Reformierungsbemühungen aus der Zeit der Weimarer Republik setzte,50 waren auch einzelne Regelungen zum Konzernrecht. Ein kohärentes konzernrechtliches Regelungsregime wurde durch Einführung der Einzelvorschriften indes nicht geschaffen.51
I. Überblick § 15 AktG 1937 definierte den Begriff des Konzerns: Nach § 15 I AktG 1937 bildeten rechtlich selbstständige Unternehmen einen Konzern, wenn sie zu wirtschaftlichen Zwecken unter einheitlicher Leitung zusammengefasst waren; sie wurden zu sogenannten Konzernunternehmen. Ein Konzern wurde vermutet, wenn „ein rechtlich selbständiges Unternehmen auf Grund von Beteiligungen oder sonst unmittelbar oder mittelbar unter dem beherrschenden Einfluß eines anderen Unternehmens“ stand, § 15 II AktG 1937. Bei dieser Vorschrift handelte es sich um eine Weiterentwicklung einer durch eine Notverordnung 1931 in das HGB eingefügte Norm.52 Die Norm des § 15 AktG 1937 wurde von einigen anderen aktienrechtlichen 47 Geiler, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 52 (82). Auch Zöllner deutet die Einlassungen Geilers in dieser Weise, vgl. Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 84. 48 Geiler, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 52 (82). 49 Geiler, in: Enquete-Ausschuss, Materialband, 52 (82). 50 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 330; Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 276. 51 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 76; J. Schmidt, in: Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (415). 52 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 16.
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
Vorschriften in Bezug genommen.53 Die Eignung der Vorschrift als Referenzpunkt für andere Rechtsgebiete, namentlich für Genossenschafts-, Kreditwesen- und Steuerrecht, sollte sich nach Zweck und Inhalt der Normen der jeweiligen Kodifikationen sowie der Art des Rechtsgebiets richten.54 Neben der Definitionsnorm des § 15 AktG 1937 und den diversen Normen, die auf sie verwiesen, fanden sich im Konzernrecht des Aktiengesetzes von 1937 insbesondere Regelungen zur Konzernpublizität und zum Abschluss von Konzernverträgen. So sah § 112 I 2 AktG 1937 ein Auskunftsrecht des Aktionärs vor, das sich auf die Beziehungen zu einem Konzernunternehmen erstrecken sollte. Dieses Auskunftsrecht wurde indes durch § 112 III AktG 1937 eingeschränkt, der ein Auskunftsverweigerungsrecht statuierte, das griff, wenn „überwiegende Belange der Gesellschaft oder eines beteiligten Unternehmens oder der gemeine Nutzen von Volk und Reich es fordern“. Die Entscheidung darüber, ob diese Voraussetzungen vorlagen, oblag dem Vorstand, der hierüber „nach pflichtgemäßem Ermessen“ zu befinden hatte. Diese Verweigerungsbefugnis führte zu einer Entwertung des Auskunftsrechts.55 Da das Aktiengesetz von 1937 auch auf die Einführung einer obligatorischen Konzernbilanz verzichtete,56 können die Neuerungen auf dem Gebiet der Konzernpublizität als vernachlässigbar qualifiziert werden. Der Abschluss von Unternehmensverträgen wurde durch § 256 AktG 1937 geregelt. Die Vorschrift ordnete eine Mitwirkung der Hauptversammlung an, sobald die vertragliche Vereinbarung eine Gewinnabführung, die den Wert von drei Vierteln des Gesamtgewinns überstieg, eine Betriebspacht, -überlassung oder -führung vorsah.57 All dies zeigt, dass das Aktiengesetz von 1937 kein kohärentes Konzernrecht kodifizierte und über ein punktuelles Aufgreifen konzernrechtlicher Herausforderungen nicht hinauskam. Dies verwundert, wurde doch konstatiert, dass die „mit der Konzernbildung verbundenen Gefahren (…) im Grunde darauf [beruhen], dass Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspraxis auseinanderfallen“58. Trotz Identifikation konzernspezifischer Gefahren und der Bedeutung dieses „Gebilde[s] von stärkster wirtschaftlicher Realität“59 wurde das zentrale Konzernproblem, also die Gefahr für
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Beispielhaft hierfür stehen folgende Vorschriften: Berichtspflicht des Vorstands über Konzernunternehmen: § 95 II 1 AktG 1937; Angaben im Geschäftsbericht zu einem Konzernunternehmen: § 128 II Nr. 8 AktG 1937; Zurechnung von Aktien abhängiger Unternehmen: §§ 51 II 1, 65 V, VI, 114 VI AktG 1937. 54 Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz 1937, § 15 Rn. 2. 55 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 77. 56 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 77. 57 Zur Vergleichbarkeit der auf derartigen Unternehmensverträgen beruhenden Unternehmensverbünden mit dem heutigen Gleichordnungskonzern Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 19. 58 Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz 1937, § 15 Rn. 1. 59 Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz 1937, § 15 Rn. 1.
B. Das Konzernrecht des Aktiengesetzes von 1937
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außenstehende Gesellschafter und Gläubiger, im Aktiengesetz von 1937 nicht behandelt.60
II. Verankerung des „Vorrangs des Konzerninteresses“ Stattdessen hallte die Diskussion um den „Vorrang des Konzerninteresses“ in der Kodifikation von 1937 nach. So sah § 101 I AktG 1937 eine Schadensersatzpflicht desjenigen vor, der „zu dem Zwecke, für sich oder einen anderen gesellschaftsfremde Sondervorteile zu erlangen, vorsätzlich unter Ausnutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft ein Mitglied des Vorstands oder des Aufsichtsrats dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu handeln“.61 Die Schadensersatzpflicht trat nach § 101 III AktG 1937 nicht ein, „wenn der Einfluß benutzt wird, um einen Vorteil zu erlangen, der schutzwürdigen Belangen dient“. Eine vergleichbare Regelung fand sich im Abschnitt über die „Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen (…)“. Nach § 197 II 1 AktG 1937 konnte die Anfechtung eines Hauptversammlungsbeschlusses „darauf gestützt werden, dass ein Aktionär mit der Stimmrechtsausübung vorsätzlich für sich oder einen Dritten gesellschaftsfremde Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft oder ihrer Aktionäre zu erlangen suchte und der Beschluß geeignet ist, diesem Zweck zu dienen“. In § 197 II 2 AktG 1937 fand sich ein Verweis auf § 101 III AktG 1937. Eine ausdrückliche Verankerung des „Vorrangs des Konzerninteresses“ wurde durch die Regelungssystematik zwar nicht bewirkt; gleichwohl war die Berücksichtigung des Konzerninteresses im Rahmen der Prüfung schutzwürdiger Belange, die Schädigungen der Gesellschaft rechtfertigten, intendiert.62 Dementsprechend wurde auch in der damals führenden Kommentierung des Aktiengesetzes63 die konzernrechtliche Dimension des § 101 III AktG 1937 erkannt: „Die schutzwürdigen Belange, deren Wahrung zum Ausschluss der Ersatzpflicht führen kann, brauchen nicht die eigenen Belange desjenigen zu sein, von dem die Beeinflussung ausgeht. (…) Dies ist wichtig für Konzernverhältnisse. Es kann im Gesamtinteresse des Konzerns liegen, wenn gegenüber einer zum Konzern gehörigen AG ein gesellschaftsfremder Sondervorteil erstrebt wird. Eine Handlung, die eine Konzerngesellschaft oder ihre
60
Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 16. Vgl. zu der rechtspolitischen Diskussion, die der Normierung dieser haftungsrechtlichen Generalklausel vorausging, die Ausführungen bei Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 18 f., 24 ff. 62 So die amtliche Begründung zu § 101 AktG 1937, bei Klausing, 87: „Die schutzwürdigen Belange brauchen außerdem nicht notwendig eigene Belange des Handelnden zu sein. Es können auf Grund dieser Vorschrift z. B. auch Konzerninteressen berücksichtigt werden.“ Vgl. hierzu auch Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 27; Hommelhoff, ZGR 2019, 379 (382 f.). 63 Die Einstufung findet sich bei Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 17 f. 61
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte Aktionäre schädigt, kann doch vom Standpunkt des Konzerns aus eine wirtschaftlich gesunde und vernünftige Maßnahme bilden.“64
Festgehalten werden kann demnach, dass im Aktiengesetz von 1937 ein normativer Anknüpfungspunkt für die Berücksichtigung des „Vorrangs des Konzerninteresses“ existierte, wenngleich letzterer nicht explizit verankert wurde. 1. Hintergrund der Implementierung des § 101 III AktG 1937 Dies war angesichts der Entstehungsgeschichte des Aktiengesetzes von 1937 freilich keine Selbstverständlichkeit. § 84 bzw. § 86 der vom Reichsjustizministerium herausgegebenen Aktiengesetzentwürfe von 1930 bzw. 1931 hatten eine mit § 101 III AktG 1937 vergleichbare Regelung noch nicht vorgesehen.65 Auch wenn die Verfasser der Entwürfe erkannt hatten, dass das Schädigungsverbot in Konzernsachverhalten modifizierungsbedürftig war, entschieden sie sich gegen die Festschreibung eines Ausnahmetatbestandes.66 Nach dem Willen der Verfasser der Entwürfe sollte es der Rechtsprechung vorbehalten bleiben, „nach der Lage des einzelnen Falles eine Interessenabwägung zwischen den Interessen des Konzerns und denen jeder seiner Mitgliedsgesellschaften vorzunehmen“.67 Ein Sinneswandel hinsichtlich des Kodifizierungserfordernisses stellte sich wenige Jahre später ein: Im Aktienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht herrschte darüber Einigkeit, dass die Entwürfe gerade in Konzernverhältnissen zu einer „formalistischen Auslegung“ führen könnten, „die an dem einzelnen Fall kleben bleibt und die gesamten Zusammenhänge und gemeinsamen Interessen des Konzerns (…) außer acht lässt“.68 Der Konzernrechtsunterausschuss des Aktienrechtsausschusses unterstützte dies mit Blick auf Fälle, „in denen die Konzernleitung in verantwortungsvoller Würdigung gesamtvolkswirtschaftlicher Interessen berechtigt sein muß, die besonderen nur für ein isoliertes Konzernunternehmen gegebenen Belange vor den größeren Interessen des Konzerns zurückzusetzen“.69 Für die mit der Implementierung des § 101 III AktG 1937 einhergehende Privilegierung von Konzernen wurden nicht zuletzt auch ideologische Argumente ins Feld geführt. Im Aktienrechtsausschuss der Akademie für Deutsches Recht wurde vertreten, dass „gerade der Konzerngedanke, richtig durchgeführt, der nationalsozialistischen Wirtschaftsauffassung“ entspreche.70 64
Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz 1937, § 101 Rn. 9. Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 79. 66 RMJ, AktGE 1930, Erläuternde Bemerkungen, 106. 67 RMJ, AktGE 1930, Erläuternde Bemerkungen, 106 f. 68 Kißkalt, Zweiter Bericht, 15. 69 Ebbecke, Bericht über die Beratungen des Konzernrechtsunterausschusses, 522. 70 Die Vorzugsbehandlung von Konzernen stelle „eine Anwendung des Grundsatzes Gemeinnutz vor Eigennutz“ dar. Außerdem sei der Konzerngedanke in der Lage, „an die Stelle großer und unübersehbarer Mammutunternehmungen kleinere selbständige Gebilde zu setzen (…), die unter selbständiger Leitung an selbständigen Betriebstätten bestimmte Zwecke im 65
B. Das Konzernrecht des Aktiengesetzes von 1937
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Die Kodifikation des § 101 III AktG 1937 führte – auch aufgrund des Verweises in § 197 II 2 AktG 1937 – zu einem Ausschluss von Rechtsmitteln gegen Schädigungen der Interessen abhängiger Konzerngesellschaften, außenstehender Gesellschafter und Gläubiger und ermöglichte damit der Sache nach eine Bereicherung des Konzerns zulasten derselben.71 2. Inhaltliche Ausgestaltung des Konzerninteresses Die über § 101 III AktG 1937 bewirkte Implementierung des „Vorranges des Konzerninteresses“ wirft die Frage nach dem Inhalt des Konzerninteresses auf. So knüpfte der die Ersatzpflicht ausschließende Tatbestand des § 101 III AktG 1937 an das Vorliegen eines schutzwürdigen Belanges an; im Rahmen der Prüfung eines schutzwürdigen Belanges sollte das Konzerninteresse fruchtbar gemacht werden können.72 Ohne Klarheit über die inhaltliche Ausgestaltung des Konzerninteresses war die Geltendmachung des Ausschlusstatbestandes des § 101 III AktG 1937 folglich unmöglich. Gleichwohl wird derjenige, der sich Ansätze für die Bestimmung des Konzerninteresses durch die Jurisprudenz der damaligen Zeit erhofft, enttäuscht. Paradigmatisch hierfür steht die nebulöse Formulierung eines Kommentars von 1937, in dem von einem „höhere[n] Interesse der in dem Konzern zusammengefaßten Gemeinschaft“73 die Rede ist. Trotz Erwähnung der Berücksichtigungsfähigkeit von Konzerninteressen im Rahmen von § 101 III AktG 1937 finden sich auch in der amtlichen Begründung keine Aussagen zum Inhalt des Konzerninteresses. Da § 101 III AktG 1937 den bereits vor 1937 diskutierten „Vorrang des Konzerninteresses“ gesetzlich festschreibt, lassen sich im Hinblick auf das bei Kodifizierung des Aktiengesetzes von 1937 zugrunde gelegte inhaltliche Verständnis des Konzerninteresses indes Parallelen zur oben gezogenen Schlussfolgerung ziehen.74 Die dort hergeleitete These – Identität von Konzerninteresse und Interesse der herrschenden Gesellschaft – bestätigt sich durch die rechtliche Konstruktion der §§ 101 III, 197 II 2 AktG 1937. So schließt § 101 III AktG 1937 die Schadensersatzpflicht trotz gesellschaftsschädigendem Verhalten aus; § 197 II 2 AktG 1937 verhindert die Anfechtung eines gesellschaftsschädigenden Hauptversammlungsbeschlusses. Beide Vorschriften mehren die Befugnisse der herrschenden Gesellschaft und reduzieren die Rechte außenstehender Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft. Letztere zählen jedoch zu den Repräsentanten des Interesses ihrer Gesellschaft. Wer ihre Interessen beschneidet, negiert zugleich die Bedeutung der Interessen der einzelnen Konzerngesellschaften, die möglicherweise ihrerseits – neben den Interessen der herrschenden Gesellschaft – zur Bestimmung eigenen Interesse und in dem des Konzernganzen zu verfolgen die Möglichkeit haben“, vgl. Kißkalt, Zweiter Bericht, 14. 71 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 81. 72 Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz 1937, § 101 Rn. 9. 73 Schlegelberger/Quassowski, Aktiengesetz 1937, § 101 Rn. 9. 74 Dazu § 2 A. II. 2. b).
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
des Konzerninteresses berücksichtigt werden könnten. Die Negierung der Berücksichtigung der Interessen der einzelnen Konzerngesellschaften klang bereits vor 1937 an; die Kodifikation des Aktiengesetzes zurrte diese gesetzlich fest. Damit kam es bei der Anwendung des § 101 III AktG 1937 maßgeblich auf das Interesse der herrschenden Gesellschaft an.75 Lenkt man den Blick vom Konzern und den in ihm verbundenen Gesellschaften weg, so rückt die Möglichkeit, das Konzerninteresse mit den Interessen der Allgemeinheit zu identifizieren, in den Fokus.76 Die Möglichkeit der Identität von Konzerninteresse und volkswirtschaftlichen Belangen wurde bereits 1928 von Karl Geiler angedeutet.77 Der Gedanke schimmerte – ideologisch eingefärbt – auch in einer Einlassung des Vorsitzenden des Konzernrechtsunterausschusses der Akademie für Deutsches Recht durch.78 Wolfgang Zöllner analysierte im Jahre 1963, dass dem Konzern volkswirtschaftlich ein höherer Wert zukommt als der Summe der Einzelunternehmen.79 Trotz Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Existenz von Konzernen auf den Wettbewerb fördere das Konzernwesen die volkswirtschaftliche Produktivität, weshalb es gerechtfertigt sei, „vom Konzerninteresse im Sinne einer – wenigstens praesumptiv – für die Allgemeinheit vorteilhaften Förderung des Konzernunternehmens zu sprechen.“80 3. Zwischenergebnis Ähnlich wie bereits in den Jahren zuvor wurde seit der partiellen Kodifikation des Konzernrechts im Jahre 1937 viel über das Konzerninteresse gesprochen, allerdings keine Leitlinie zur Bestimmung seines Inhalts formuliert. Die rechtliche Konstruktion der §§ 101 III, 197 II 2 AktG 1937 erlaubt indes den Rückschluss auf die Gleichsetzung von Konzerninteresse und Interesse der herrschenden Gesellschaft. Demgegenüber stehen – teils durch die Ideologie des Nationalsozialismus imprägnierte, teils ökonomisch und rechtlich fundierte – Auffassungen, die das Konzerninteresse mit dem Interesse der Allgemeinheit identifizieren. 75 Zöllner sieht die Gefahr einer Verschleierung, wenn die herrschende Gesellschaft eigene Belange unter dem Deckmantel des „Konzerninteresses“ verfolgt und bestätigt damit implizit, dass eine Gleichstellung gängig war, vgl. Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 84. 76 Dies wird von Zöllner zwar erst 1963, gleichwohl auf Grundlage der zu diesem Zeitpunkt noch geltenden Vorschriften der §§ 101 III, 197 II 2 AktG 1937 vertreten, vgl. Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 84. 77 Dazu § 2 A. II. 2. b). 78 Es seien Fälle denkbar, „in denen die Konzernleitung in verantwortungsvoller Würdigung gesamtvolkswirtschaftlicher Interessen berechtigt sein muß, die besonderen nur für ein isoliertes Konzernunternehmen gegebenen Belange vor den größeren Interessen des Konzerns zurückzusetzen“, vgl. Ebbecke, Bericht über die Beratungen des Konzernrechtsunterausschusses, 522. 79 Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 84. 80 Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 85 f.
C. Das Konzerninteresse und die Aktienrechtsnovelle von 1965
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C. Das Konzerninteresse und die Aktienrechtsnovelle von 1965 Die Kodifikation eines Rechts der verbundenen Unternehmen war eine der bedeutendsten Neuerungen, die durch die Aktienrechtsnovelle von 1965 herbeigeführt wurde.81 Der Kodifikation vorangegangen waren intensive Diskussionen über die Rolle von Konzernen in der Wirtschaft im Allgemeinen und dem adäquaten rechtlichen Umgang mit selbigen im Besonderen.
I. Wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen für Konzerne in der Nachkriegszeit Nach dem Kriegsende änderten sich die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen für Konzerne grundlegend.82 Die Siegermächte verboten die übermäßige Konzentration deutscher Wirtschaftskraft mittels Militärgesetz, das durch Entflechtungsmaßnahmen durchgesetzt wurde.83 Darüber hinaus wurden Konzerne unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten kritisch bewertet. Hintergrund dieser Bewertung war der durch die ordoliberale Freiburger Schule ausgelöste Stimmungswandel.84 Die Protagonisten85 dieses Reformlagers86, die die Diskussion um die Bestimmung des richtigen Wirtschaftssystems für das Nachkriegsdeutschland erheblich beeinflussten, hatten den Wettbewerb als höchstes Gut ihrer Wirtschaftsordnung auserkoren.87 Im wirtschaftspolitischen System des Ordoliberalismus waren Konzerne deshalb verpönt, weil sie – ähnlich wie Kartelle – den Wett-
81 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 1. Noch heute – vor allem vor dem Hintergrund der dünnen gesetzgeberischen Basis – wird die außerordentliche Leistung des Gesetzgebers gelobt, vgl. J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (236 f.): Der Gesetzgeber „hat ein dogmatisch fundiertes Konzernrecht geschaffen, das von der Praxis angenommen worden ist und einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des herrschenden Unternehmens und denen der abhängigen Aktiengesellschaft und ihrer Minderheitsaktionäre und Gläubiger geschaffen hat.“ 82 Überblicksartig zur wirtschaftspolitischen Situation für Konzerne in der Nachkriegszeit J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (236). 83 Adressaten der Maßnahmen waren insbesondere die Montanindustrie, Großbanken und die Filmwirtschaft, vgl. die ausführliche Darstellung bei Friedländer, Konzernrecht, 11 ff. 84 Altmeppen, ZHR 171 (2007), 320 (322). 85 Zu diesen gehörten insbesondere Ludwig Ehrhard, Walter Eucken und Franz Böhm, vgl. Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 21 Fn. 49. 86 Ein Überblick über andere Reformlager, die an der Diskussion über Konzerne und das Konzernrecht beteiligt waren, findet sich bei Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 89 ff. 87 Altmeppen, ZHR 171 (2007), 320 (322); Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 21 Fn. 49.
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
bewerb durch Konzentration einschränken oder gar entfallen lassen.88 Die Anhänger des Ordoliberalismus präferierten Einheitsunternehmen gegenüber Konzernen.89 Konsequenterweise setzten sie sich für eine gesetzliche Regelung des Konzernrechts ein, durch die die rechtlichen Anforderungen an Konzerne verschärft werden sollten.90 Insgesamt war die wirtschaftspolitische Stimmung gegenüber Konzernen in der Nachkriegszeit sowie in den Anfangsjahren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eher feindselig,91 jedenfalls aber skeptisch. Davon zeugt nicht zuletzt die Begründung des Regierungsentwurfs zum Aktiengesetz von 1965, in der konstatiert wird, dass das Konzernwesen im wirtschaftlichen Leben aller hochindustrialisierten Staaten eine steigende Bedeutung erlangt hat, Konzerne demnach als gegebene Erscheinungsform des Wirtschaftslebens hinzunehmen sind.92
II. Die Entwicklung des Konzernrechts in der Nachkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung des gesetzgeberischen Umgangs mit dem Konzerninteresse Einer der Ausgangspunkte der Kodifikation eines Rechts der verbundenen Unternehmen im Aktiengesetz von 1965 war der 42. Deutsche Juristentag 1957, in dessen Rahmen das Erfordernis gesetzgeberischer Maßnahmen auf dem Gebiet des Konzernrechts nachdrücklich artikuliert wurde.93 1. Referentenentwurf eines Aktiengesetzes aus dem Jahr 1958 Mit dem Referentenentwurf eines Aktiengesetzes aus dem Jahr 195894 wurden die – nicht zuletzt auf dem 42. Deutschen Juristentag – in der Gesellschaftsrechtswissenschaft diskutierten Reformvorschläge zum Konzernrecht aufgegriffen.95 Das 88
Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 21. Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 97. 90 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 21. 91 So Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 21. 92 Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 16. 93 Die Frage nach dem Erfordernis gesetzgeberischer Maßnahmen gesellschaftsrechtlicher Art auf dem Gebiet des Konzernrechts wurde von der 3. Abteilung des 42. Deutschen Juristentages einstimmig bejaht, vgl. dazu Studienkommission des Deutschen Juristentages, Untersuchungen zur Reform des Konzernrechts, 1 ff. Der Abstimmung waren kontroverse Debatten um konkrete Reformen vorausgegangen, vgl. die ausführliche Darstellung bei J. Schmidt, in: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (417 ff.). Die Bedeutung des Deutschen Juristentags für die Fortentwicklung des Konzernrechts betont auch Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 29. 94 Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes. 95 Neben diesen wurden auch spezifisch aktienrechtliche Vorschläge, etwa zur Verbesserung der Stellung der Aktionäre und der Hauptversammlung, in den Entwurf aufgenommen, 89
C. Das Konzerninteresse und die Aktienrechtsnovelle von 1965
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konzernrechtliche Konzept dieses Entwurfs stellte eine fundamentale Richtungsänderung dar. So verfolgte der Referentenentwurf das Ziel, Einflussnahmen im faktischen Konzern praktisch zu unterbinden.96 Diesem Ziel sollte in rechtstechnischer Hinsicht durch die Normierung weitreichender Haftungsbestimmungen Rechnung getragen werden. Exemplarisch für diese Bestrebungen steht § 284 I 1 RefE 1984: „Wer als gesetzlicher Vertreter oder als Inhaber eines herrschenden Unternehmens oder wer als Angestellter im Auftrag des herrschenden Unternehmens eine abhängige Aktiengesellschaft […], ohne daß das herrschende Unternehmen auf Grund eines Unternehmensvertrags berechtigt ist, in den wesentlichen Fragen der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen, durch Weisungen zu einer Maßnahme der Geschäftsführung bestimmt, ist der Gesellschaft zum Ersatz des ihr daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“ Der bisherigen Auffassung, die die einheitliche Leitung im faktischen Konzern für selbstverständlich gehalten hatte, wurde durch diesen Haftungsmechanismus der Rücken gekehrt.97 Hintergrund dieser gesetzgeberischen Kehrtwende war die gewachsene Sensibilität für die Gefahren der Konzernierung für außenstehende Aktionäre und Gläubiger. Diesen sollte dadurch begegnet werden, dass einerseits „Unternehmensverbindungen rechtlich erfaßt und durchsichtig gemacht“ und andererseits „Leitungsmacht und Verantwortlichkeit in Einklang gebracht werden“.98 Der Referentenentwurf wählte zur Verwirklichung dieser Ziele einen radikalen Ansatz, indem er die Ausübung von Konzernmacht ausschließlich beim Vorliegen eines Unternehmensvertrages zuließ.99 Die rechtliche Grundlage für den Abschluss eines Unternehmensvertrages verankerten die Entwurfsverfasser in der Vorschrift des § 270 RefE 1984.100 Der Gläubigerschutz sollte maßgeblich durch die Pflicht zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage (§ 276 RefE 1984) und zur Verlustübernahme (§ 278 RefE 1984) gewährleistet werden. Außenstehende Gesellschafter sollten gemäß § 280 RefE 1984 von einer Ausgleichspflicht bzw. einer Abfindung (§ 281 RefE 1984) profitieren können. Hinzu trat das bereits erwähnte Haftungsregime der §§ 283 ff. RefE 1984. Die Möglichkeit der Geltendmachung des Konzerninteresses wurde im Referentenentwurf durch die Vorschrift des § 283 I RefE 1984 eröffnet. Für den Fall einer durch Unternehmensvertrag eingeräumten Weisungsberechtigung war die Bestimmung zu Maßnahmen, die die vertraglich verpflichtete Gesellschaft oder deren vgl. zur Motivlage der Entwurfsverfasser das Vorwort des Bundesministers der Justiz Schäffer, Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes, VII ff. 96 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 23. 97 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 23. 98 Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes, 387. 99 Der Referentenentwurf sprach von einem „Vertragszwang“, vgl. Bundesministerium der Justiz, Referentenentwurf eines Aktiengesetzes, 387 f.; zu dieser Konzeption J. Schmidt, in: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (429 f.). 100 Einzelheiten zu den Wirksamkeitsanforderungen finden sich in §§ 270 ff. des Referentenentwurfs von 1958, vgl. dazu Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 23.
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
Aktionäre schädigen, durch den Weisungsberechtigten zwar grundsätzlich unzulässig. Eine Ausnahme sollte gemäß § 283 I RefE 1984 a.E. greifen, wenn die „Weisung eigenen schutzwürdigen Belangen des anderen Vertragsteils oder der mit ihm und der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dient“. Es fand damit keine vollständige Abkehr von der Berücksichtigungsfähigkeit des Konzerninteresses, wohl aber von der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ statt. Nach dieser sollte dem Konzerninteresse auch und gerade im faktischen Konzern Rechnung getragen werden.101 Das noch durch § 101 III AktG 1937 anerkannte umfassende Vorrangprinzip sollte nach Vorstellung der Entwurfsverfasser gekürzt werden und lediglich im vertraglich legitimierten, mithin rechtlich erfassten Konzern greifen.102 Der Kodifikationsvorschlag von 1958, insbesondere das Konzernrechtsregime, provozierte indes Widerspruch. So wurde zunächst die durch den Entwurf bewirkte Situation der herrschenden Unternehmen beanstandet, deren Möglichkeiten sich auf den Abschluss von Unternehmensverträgen beschränkten, wenn sie nicht von der umfassenden Haftung des § 284 RefE 1958 bedroht werden wollten.103 Auch im Übrigen wurde die Haftungsvorschrift des § 284 RefE 1958 für besonders kritikwürdig befunden. Die Kritik setzte einerseits bei der durch die Vorschrift vorgesehenen Reichweite der Haftung, die existenzvernichtend wirken konnte, an und nahm andererseits die tatbestandliche Unklarheit des Weisungsbegriffes unter Beschuss.104 Darüber hinaus wurde moniert, dass § 284 RefE 1958 selbst dann zur Anwendung gelangen sollte, wenn die gewiesene Maßnahme als rechtmäßig oder – aus Sicht des Anweisenden – pflichtgemäß zu qualifizieren war.105 Auf Ablehnung stieß schließlich der Umgang des Referentenentwurfs mit außenstehenden Gesellschaftern.106 Statt eines Hinausdrängens des Minderheitsaktionärs aus der abhängigen Gesellschaft solle „eine Regelung erstrebt werden, bei welcher der Minderheitsaktionär in der Gesellschaft bleiben kann und die Wahrung seiner Interessen dadurch gewährleistet ist, daß die abhängige Gesellschaft vor Beeinträchtigungen auf Grund der Abhängigkeit geschützt wird.“ Unter dem Eindruck dieser Kritik107 kam es schließlich zur Rücknahme des Entwurfs durch das Bundesministerium der Justiz.108 Ungeachtet dieser Rücknahme vermag der Vorschlag die wirtschaftspolitische 101
Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 23. Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 23. 103 Flume bezeichnet diese Konstellation als „Zwangslage“, vgl. Flume, Der Referentenentwurf eines AktG, 20 f.; vgl. zu den überwiegend negativen Reaktionen aus Wissenschaft und Praxis auf die Konzeption des „Vertragszwangs“ ferner J. Schmidt, in: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (430 f.). 104 Flume, Der Referentenentwurf eines AktG, 21 ff. 105 Flume, Der Referentenentwurf eines AktG, 21. 106 Flume, Der Referentenentwurf eines AktG, 25. 107 Ausführlich zu den Reaktionen auf das Konzernrecht des Referentenentwurfs Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 244 ff. 108 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 24. 102
C. Das Konzerninteresse und die Aktienrechtsnovelle von 1965
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Skepsis gegenüber Konzernen einerseits sowie die wachsende Sensibilisierung für rechtliche Gefahren der Konzernierung andererseits zu illustrieren. 2. Regierungsentwurf eines Aktiengesetzes aus dem Jahr 1960 Der Regierungsentwurf eines Aktiengesetzes aus dem Jahr 1960 war von einer stärkeren Rücksichtnahme auf Forderungen aus der Großwirtschaft geprägt und übte sich hinsichtlich solcher Bestimmungen, die die Konzernbildung erschwerten, in Zurückhaltung.109 Die Innovationen des Regierungsentwurfs ergaben sich aus einem Abrücken von dem Modell des Vertragszwangs und der damit einhergehenden Flexibilisierung der Organisationsformen.110 Der Regierungsentwurf stellte in Gestalt des Vertragskonzerns (§§ 280 ff. RegE 1960), des faktischen Konzerns (§§ 300 ff. RegE 1960) sowie des Eingliederungskonzerns (§§ 308 ff. RegE 1960) drei Organisationsmodelle zur Verfügung, wobei die Variante der Eingliederung kaum praktische Relevanz gewinnen sollte.111 An der generellen Abkehr von der These des „Vorrangs des Konzerninteresses“ hielt der Regierungsentwurf fest. Gerade die Regelungsvorschläge zum faktischen Konzern wurden von Schutzerwägungen zugunsten der Gläubiger und der außenstehenden Gesellschafter der abhängigen Aktiengesellschaft getragen.112 Diese ließen kaum Platz für die Berücksichtigung des Konzerninteresses. Die nur faktisch abhängige Aktiengesellschaft sollte vielmehr nach ihrem Eigeninteresse geführt werden.113 Bei Veranlassung zu nachteiligen Maßnahmen und Rechtsgeschäften durch die herrschende Gesellschaft, lebte eine durch § 306 I RegE 1960 angeordnete – außerordentlich strenge114 – Ausgleichspflicht auf. Flankiert wurde diese durch eine in §§ 301 ff. RegE 1960 niedergelegte Rechenschaftspflicht, die vorsah, dass der Vorstand der abhängigen Gesellschaft über alle Rechtsgeschäfte mit dem herrschenden Unternehmen oder einem ihm verbundenen Unternehmen sowie alle auf Veranlassung des Unternehmens von dem abhängigen Unternehmen getroffenen oder unterlassenen Maßnahmen berichten und das Verhalten des Unternehmens 109
Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 274. Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 275; ausführlich zu den konzernrechtlichen Neuerungen im Regierungsentwurf J. Schmidt, in: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (433 ff.). 111 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 25. Die Eingliederung bleibt mangels Relevanz für den gesetzgeberischen Umgang mit dem Konzerninteresse im Rahmen der rechtshistorischen Untersuchung außer Betracht; ausführlich zur Konzeption der Eingliederung in den §§ 308 ff. RegE 1960 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 276. 112 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 25. 113 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 25. 114 Der Regierungsentwurf forderte einen die wirtschaftliche Einheit von nachteiligem Rechtsgeschäft bzw. nachteiliger Maßnahme und Vorteilsgewährung, vgl. Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 283. 110
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
rechtfertigen musste.115 An der Möglichkeit, dem Konzerninteresse im Vertragskonzern durch Ausübung des Weisungsrechts gemäß § 297 I RegE 1960 Rechnung zu tragen, änderte sich nichts.116 Auch der Regierungsentwurf von 1960 blieb nicht unbeanstandet. Im Zentrum der Kritik standen die Regelungsvorschläge zum faktischen Konzern, die „nachhaltige Bedenken“ weckten.117 Es wurde gerügt, dass die Regelungen der §§ 300 ff. RegE 1960 jegliche Einflussnahme vereiteln und somit die einheitliche Leitung im faktischen Konzern unmöglich machen würden.118 Die Spitzenverbände der Wirtschaft, die im faktischen Konzern ein attraktives Modell zur unternehmerischen Verwirklichung erblickten, unterbreiteten der Politik vor diesem Hintergrund zahlreiche Änderungsvorschläge.119 Die rechtspolitischen Diskussionen um die Ausgestaltung des faktischen Konzerns und weitere Einzelheiten des im Regierungsentwurf vorgesehenen konzernrechtlichen Regelungsgefüges120 sorgten für signifikante zeitliche Verzögerungen.121 3. Aktienrechtsnovelle im Jahr 1965 Als das Aktiengesetz am 6. September 1965 als das erste europäische Gesetz mit einer detaillierten Regelung des Konzernrechts verkündet wurde,122 enthielt es – gerade im Zusammenhang mit der Kodifikation des faktischen Konzerns – Bestimmungen, die der am Regierungsentwurf von 1960 geäußerten Kritik Rechnung trugen: So war die einheitliche Leitung im faktischen Konzern dadurch flexibilisiert 115 Ausführlich Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 25. Die Regelung der Rechenschaftspflicht wurde von Flume angeregt, vgl. Flume, Der Referentenentwurf eines AktG, 25 f. 116 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 276 ff. 117 Bundesverband der Deutschen Industrie/Bundesverband des privaten Bankgewerbes/ Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände/Deutscher Industrie- und Handelstag/ Gesamtverband der Versicherungswirtschaft, Stellungnahme, 38 ff.; ausführlich zu weiteren Reaktionen auf das Konzernrecht des Regierungsentwurfs Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 289 ff. 118 Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 28. 119 Zusammenfassend Bundesverband der Deutschen Industrie/Bundesverband des privaten Bankgewerbes/Bundesverband der Deutschen Arbeitgeberverbände/Deutscher Industrie- und Handelstag/Gesamtverband der Versicherungswirtschaft, Stellungnahme, 54 f. 120 Der Bundestag und seine Ausschüsse debattierten die konzernrechtlichen Neuerungen ausgiebig, vgl. hierzu Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 308 ff. 121 Eingehend J. Schmidt, in: Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht in den Beratungen des DJT, 407 (437 ff.). 122 J. Vetter, in: 50 Jahre Aktiengesetz, 231 (233). Bis heute ist die systematische Kodifikation eines (Aktien-)Konzernrechts ein „deutsches Spezifikum“, vgl. Kalss, ZHR 171 (2007), 146 (146). Innerhalb der EU verfügt allein Portugal über ein vergleichbares Konzernrechtsregime. In Slowenien, Kroatien, Tschechien sowie in Italien finden sich Teilkodifikationen, vgl. J. Schmidt, DK 2017, 1 (2).
D. Einordnung der rechtsgeschichtlichen Befunde
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worden, dass der Nachteilausgleich nicht mehr in unmittelbarem zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Benachteiligung stehen musste.123 Die These vom „Vorrang des Konzerninteresses“, von der sich bereits der Regierungsentwurf aus dem Jahre 1960 abgewandt hatte, wurde durch das Aktiengesetz – jedenfalls für den faktischen Konzern – verworfen.124 Damit war die einseitig konzentrationsfreundliche Haltung einer differenzierten, die Gefahren der Konzernierung in den Vordergrund rückenden Betrachtungsweise gewichen.125
D. Einordnung der rechtsgeschichtlichen Befunde Die Diskussion um eine Prävalenz des Konzerninteresses ist fast so alt wie die rechtliche Auseinandersetzung mit Konzernen selbst. Die Schlagzeile „Freie Bahn dem Konzernwohl“126 umschreibt den konzernrechtlichen Zeitgeist rund um die Kodifikation des Aktiengesetzes von 1937 in zugespitzter Weise: Es hatte sich ein System rechtlicher Privilegierungsmechanismen entwickelt, was sich nicht zuletzt in der Formulierung des „Vorrangs des Konzerninteresses“ ausdrückte.127 Auch wenn die inhaltlichen Konturen des Konzerninteresses unklar blieben, lässt sich festhalten, dass seine Betonung der Anerkennung weitreichender Eingriffsbefugnisse der herrschenden Gesellschaft diente. Im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses, der in der Verabschiedung des Aktiengesetzes 1965 mündete, wurden die Gefahren des
123 Vgl. § 311 II 1 AktG. Weitere Modifikationen gegenüber dem Regierungsentwurf von 1960 betrafen die Vermutung einheitlicher Leitung im Falle der Mehrheitsbeteiligung – hier kam es zu einer Abmilderung von einer unwiderleglichen in eine widerlegbare Vermutung – sowie Publizitätsregelungen, vgl. dazu Altmeppen, in: Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, Bd. 2, Kap. 23 Rn. 28 ff. 124 Vgl. die insoweit eindeutige Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 17: „Ein besonders schwerwiegendes gesellschaftsrechtliches Problem des Konzernrechts ist die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die Obergesellschaft das Konzerninteresse über die Interessen der abhängigen Gesellschaft stellen darf. Aus der Gleichbehandlung aller Aktionäre folgt, daß es dem Großaktionär nicht gestattet sein darf, allein auf Grund seiner nur quantitativ größeren Beteiligung die freien Aktionäre dadurch zu schädigen, daß er im Konzerninteresse die abhängige Gesellschaft zu für sie nachteiligen Maßnahmen veranlaßt. Eine Ausnahme kann nur dann gemacht werden, wenn die außenstehenden Aktionäre und die Gläubiger auf andere Weise genügend geschützt sind.“ 125 Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 361. 126 Die vollständige Schlagzeile lautete: „Freie Bahn dem Konzernwohl: Schlegelbergers neuer Beitrag zur Aktienrechts-Erörterung“. Der so betitelte Artikel erschien am 17. August 1935 im Frankfurter Handelsblatt und setzte sich kritisch mit einem Werk Schlegelbergers auseinander, in dem dieser sich für die gesetzliche Verankerung Konzernvorrangklausel der ausspricht, vgl. Schlegelberger, Die Erneuerung des deutschen Aktienrechts, 22. 127 Zusammenfassend Dettling, Entstehungsgeschichte des Konzernrechts, 80 f.
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§ 2 Das Konzerninteresse in der Konzernrechtsgeschichte
Konzernierungsvorgangs durchleuchtet, sodass das Konzernrecht vor allem schutzrechtlich ausgerichtet wurde.128 Die heutige rechtspolitische Diskussion um die Anerkennung des Gruppeninteresses weist sowohl Parallelen als auch Unterschiede zur in der frühen Konzernrechtsgeschichte geführten Debatte auf. Exemplarisch für eine gemeinsame Argumentationslinie stehen die Zweifel an der Existenz eines eigenständigen Interesses der Tochtergesellschaft.129 Zugleich werden in der heutigen Diskussion aber Aspekte angesprochen, die in der frühen Konzernrechtsgeschichte keinerlei Rolle spielten. Dazu gehört nicht nur die stärkere Fokussierung auf die Perspektive des Managements der Tochtergesellschaft, sondern auch und vor allem die Betonung des Erfordernisses supranationaler Regelungen zur Erleichterung der Leitung international tätiger Konzerne.
E. Zusammenfassung in Thesen 1. Die Diskussion um eine Prävalenz des Gruppeninteresses blickt auf eine langjährige Geschichte zurück. Bereits vor 1937 wurde unter dem Schlagwort „Vorrang des Konzerninteresses“ die Etablierung weitreichender Privilegierungsmechanismen zugunsten der herrschenden Gesellschaft diskutiert, die schließlich Eingang in das im Jahr 1937 aus der Taufe gehobene Aktiengesetz fanden. Der Gesetzgeber des Aktiengesetzes aus dem Jahr 1965 konzipierte das Konzernrecht demgegenüber vor allem als Schutzrecht, weshalb die Akzentuierung des Konzerninteresses in den Hintergrund rückte. 2. Die heutigen Reformbestrebungen bezüglich einer Anerkennung des Gruppeninteresses unterscheiden sich stark von den Diskussionen der frühen Konzernrechtsgeschichte, weil sie einerseits das Erfordernis supranationaler Regelungen zur Erleichterung der Leitung international tätiger Konzerne betonen und andererseits die Handlungsspielräume der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaften fokussieren. 128
Zuspitzend Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 32: „Dominanter und durchgehender Grundzug des im Aktiengesetz 1965 kodifizierten Rechts der verbundenen Unternehmen ist der Schutz der außenstehenden Aktionäre in der abhängigen Untergesellschaft und der Schutz ihrer Gläubiger; oder knapper: im Aktiengesetz ist Außenseiter-Schutzrecht verwirklicht.“ 129 Stellvertretend für die Haltung der Befürworter der These vom „Vorrang des Konzerninteresses“ in der Konzernrechtsgeschichte Haussmann, Grundlegung des Rechts der Unternehmenszusammenfassungen, 153: „Die Richtung eines Unternehmens für sich betrachtet, lässt sich, wenn dasselbe Glied eines großen Ganzen ist, ohne die Zwecke des Ganzen vielfach nicht mehr feststellen.“ Stellvertretend für die Ansicht der Befürworter einer Anerkennung des Gruppeninteresses auf europäischer Ebene in der heutigen Zeit Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (7): „Es geht aus heutiger und aus europäischer Sicht vor allem um die Erkenntnis, dass eine Konzerngesellschaft als solche überhaupt kein abstrakt definierbares ,Eigeninteresse‘ mehr hat, das sich unabhängig von der Tatsache ihrer Einbindung in den Konzern beschreiben ließe.“
§ 3 Das Gruppeninteresse – eine konzeptionelle und terminologische Konturierung Wenn man einen zeitlichen Sprung in die jüngere Konzernrechtsgeschichte bzw. in die Gegenwart macht, wird erkennbar, dass die Diskussion bezüglich des „Vorrangs des Konzerninteresses“ der rechtspolitischen Forderung nach einer „Anerkennung des Gruppeninteresses“ gewichen ist. In diesem Kapitel wird zunächst ermittelt, was sich hinter dieser Forderung verbirgt. Hierzu sind die seit dem Jahre 1998 durch verschiedene Wissenschaftlerkollektive unterbreiteten Vorschläge, in denen namhafte Gesellschaftsrechtswissenschaftler aus dem In- und Ausland für eine Anerkennung des Gruppeninteresses als Maßnahme der konzernrechtlichen Harmonisierung auf europäischer Ebene eintreten, zu untersuchen. Ferner wird die bereits jahrzehntelang schwelende Diskussion um den schillernden Begriff des Konzerninteresses in den Blick genommen. Auf diese Weise soll eine Konturierung, die den Maßstab für die sich anschließende Untersuchung des geltenden Rechts determiniert, gelingen.
A. Möglichkeit und Notwendigkeit einer Konturierung Während eine konzeptionelle Konturierung grundsätzlich machbar erscheint, könnte man an der Möglichkeit einer terminologischen Konturierung prima facie zweifeln. Denn die abstrakte Definition eines Gruppeninteresses erscheint diffizil.1 Die Schwierigkeiten bei der Formulierung einer allgemeingültigen Definition verdeutlicht der Wortlaut eines Aktionsplans der Europäischen Union aus dem Jahre 2012: Wenn in diesem von einer „besseren Anerkennung des Begriffs Gruppeninteresse“2 die Rede ist, so ist dies missverständlich und offenbar einem Übersetzungsfehler geschuldet.3 Den Urhebern des Aktionsplans ging es um die Verankerung eines Konzepts zur Verbesserung der Konzernleitung im grenzüberschreitenden Kontext. Da eine der Konzernleitung zugrundeliegende gruppenweite Konzernpolitik Ausdruck unternehmerischer Freiheit ist und damit nicht ex ante in juristische Kategorien gepresst werden kann,4 könnte eine terminologische Konturierung von vornherein als aussichtslos zu qualifizieren sein. In diesem Zusammenhang ist al1 2 3 4
Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (5, 8). Aktionsplan COM (2012) 740 final, 17. Zutreffend Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (5). Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (8).
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
lerdings zu differenzieren: Es ist unmöglich, das Gruppeninteresse formelartig zu definieren; es ist indes möglich, Parameter zur Bestimmung des Gruppeninteresses festzulegen und sich dem Terminus hierdurch anzunähern.5 Die Notwendigkeit einer konzeptionellen wie terminologischen Konturierung ergibt sich aus verschiedenen Gründen: Zunächst kann das geltende Recht – in Deutschland, im Ausland und auf supranationaler Ebene – nur dann auf die Verwirklichung (einer Anerkennung) des Gruppeninteresses hin untersucht werden, wenn zuvor maßstabsbildende Kriterien benannt wurden. Diese Untersuchung ist ihrerseits unerlässlich, um das Veränderungs- bzw. Verbesserungspotential des geltenden Rechts auszuloten. Darüber hinaus kann das Gruppeninteresse nur durch eine terminologische Präzisierung operationalisierbar gemacht werden. Wirtschaftsakteure und Gerichte können bei der Rechtsanwendung schließlich nicht auf Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Begriffsbestimmung verwiesen werden.
B. Konzeptionelle Konturierung Die konzeptionelle Konturierung erfolgt – wie bereits angedeutet – anhand einer Untersuchung der Vorschläge ausgewählter Wissenschaftlerkollektive. Während Vorschläge für eine europäische Konzernrechtsharmonisierung um 1965 auf die Initiative einzelner politischer Institutionen und ambitionierter Gesellschaftsrechtswissenschaftler zurückzuführen waren,6 haben sich in jüngerer Zeit Gruppen von Rechtswissenschaftlern zusammengefunden und Regelungsvorschläge erarbeitet.7 Ihr Tätigkeitwerden beruht teils auf eigener Initiative, teils auf einer Einsetzung durch die Europäische Kommission.8 Die Abhandlungen sollen nachfolgend
5
Ähnlich Hoffmann-Becking, in: FS Hommelhoff, 433 (436), der die Definition für „zumindest theoretisch möglich“ hält. 6 Besonders bedeutend ist der Bericht des belgischen Experten van Ommeslaghe, den dieser im Auftrag der Europäischen Kommission verfasst hatte. In dessen Einführung heißt es: „Le présent rapport a pour objet d’introduire le débat sur la coordination éventuelle des législations des pays membres relatives aux groupes de sociétés.“ Der Bericht wurde im Revue pratique des sociétés civiles et commerciales 1965, 153 ff. veröffentlicht; vgl. überdies van Ommeslaghe, ZHR 132 (1969), 201 ff. Überblicksartig zu bedeutenden Protagonisten und deren Bemühungen um eine europäische Konzernrechtsharmonisierung Fleischer, ZGR 2017, 1 (13 f.). 7 Fleischer, ZGR 2017, 1 (13 f.). 8 Fleischer merkt an, dass einzelne Wissenschaftler in mehreren Gruppierungen aktiv sind, und erkennt Parallelen zu dem Phänomen der interlocking directorates im Aktienrecht, vgl. Fleischer, ZGR 2017, 1 (14). Ein Überblick über die verschiedenen wissenschaftlichen Initiativen findet sich bei Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (652 ff.); vgl. ferner die Darstellungen bei Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 35 f. sowie bei Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 20 ff.
B. Konzeptionelle Konturierung
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im Hinblick auf Regelungsvorschläge zur Anerkennung des Gruppeninteresses durchleuchtet werden.9
I. Der Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht Den Ausgangspunkt für die Aktivitäten sämtlicher Wissenschaftlerkollektive markieren die umfangreichen Vorschläge des Forum Europaeum Konzernrecht aus dem Jahre 1998.10 Diese belebten die europäische Konzernrechtsdiskussion nach einer langen Phase des Stillstandes, die aus dem Scheitern der ab 1974 auf europäischer Ebene vorangetriebenen Maßnahmen zur umfassenden Harmonisierung des Konzernrechts11 resultierte.12 Das Forum Europaeum Konzernrecht setzte sich aus Konzernrechtsexperten aus ganz Europa zusammen. Federführend aktiv waren Gesellschaftsrechtswissenschaftler aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Belgien.13 1. Grundzüge des Vorschlags Die Protagonisten des Forum Europaeum Konzernrecht leiteten die Notwendigkeit einer Konzernrechtsharmonisierung aus der wirtschaftlichen Realität Europas ab, in der die Unternehmensgruppe eine zentrale Rolle spielt.14 Sie identifizierten eine Disparität im rechtlichen Umgang mit Unternehmensgruppen in den einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union.15 Diese Erkenntnis stand – den Konzernrechtsexperten zufolge – in einem Kontrast zu dem durch die Europäische Union verfolgten Ziel der Verwirklichung eines Binnenmarktes, das es erforderlich macht, einheitliche Regeln für Konzerne zu schaffen.16 Um dem Grundsatz der Subsidiarität Rechnung zu tragen, zielte der Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht auf eine Kernbereichsharmonisierung des europäischen Konzernrechts.17 Das Konzept
9 An dieser Stelle bleiben die durch europäische Institutionen initiierten Kodifikationsansätze, insbesondere auch die Aktionspläne aus den Jahren 2003 und 2012, außer Betracht; dazu § 4 C. II. 2. und 3. 10 Die Vorschläge sind unter dem Titel „Konzernrecht für Europa“ in ZGR 1998, 672 (672 ff.) abgedruckt. 11 Dazu § 4 C. II. 1. 12 Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (652). 13 Dem steering comittee des Forum Europaeum Konzernrecht gehörten Hommelhoff, Hopt, Lutter, Doralt, Druey und Wymeersch an. 14 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (674 f., 766). 15 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (676 f., 766). 16 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (686, 767). 17 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (685 ff., 767); ausführlich und systematisierend zum Wandel des legislatorischen Konzepts der „themenorientierten Komplettan-
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
der Kernbereichsharmonisierung sah vor, dass nur dort eingegriffen werden soll, „wo Konzerne und fehlendes oder dysfunktionales Konzernrecht von Mitgliedstaaten Grenzen im Binnenmarkt, zumal Marktzutrittsschranken, errichten oder aufrechterhalten“.18 Dementsprechend sollten sich die Harmonisierungsmaßnahmen auf die Themenfelder Gruppenpublizität, ordnungsgemäße Konzerngeschäftsführung, Sonderprüfung, Pflichtangebote, Auskauf und Austritt, Konzern-Erklärung sowie Geschäftsleiterpflichten in der Krise erstrecken.19 Der sich in der Besetzung des steering committee niederschlagende deutsche Einfluss auf die Vorschläge des Forum Europaeum Konzernrecht drückte sich in dem konzernrechtlichen Dualismus von Schutzkomponenten einerseits und Privilegierungs- bzw. Organisationskomponenten andererseits aus.20 Das Forum Europaeum Konzernrecht regte an, den Vorschlägen rechtstechnisch durch Richtlinien und Empfehlungen zur Wirksamkeit zu verhelfen.21 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht Das Gruppeninteresse fand im Zusammenhang mit der Thematisierung ordnungsgemäßer Konzerngeschäftsführung Eingang in den Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht.22 Mit Blick auf die Verwirklichung des Gruppeninteresses gleichung“ zur „problembezogenen Selektivangleichung“ auf europäischer Ebene Merkt, RIW 2004, 1 (2 f.). 18 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (687). 19 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (698 ff.); zusammenfassend zu den einzelnen Themenfeldern Tholen, Europäisches Konzernrecht, 203 ff. 20 Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (652). 21 Darüber hinaus sah das Forum Europaeum Konzernrecht auch andere Möglichkeiten zur Verwirklichung der Harmonisierungsvorschläge, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (767): „(…) Regelungen durch die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten (…), Rechtsfindung durch die Gerichte oder Selbstregelungen der Unternehmen.“ 22 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (704 ff.). Darüber hinaus wird das Gruppeninteresse auch im Vorschlag zu den Geschäftsleiterpflichten in der Krise aufgegriffen, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (752 ff., insbesondere 760 ff.). Das Forum Europaeum Konzernrecht empfiehlt – als Alternative zum Hauptvorschlag, der auf eine Thematisierung des Gruppeninteresses verzichtet – eine Regelung mit folgendem Wortlaut: „(1) Hat eine Muttergesellschaft die Geschäftsleitung einer nachgeordneten Gruppengesellschaft veranlaßt, eine Geschäftspolitik im Gruppeninteresse zu verfolgen, so hat die Mutter, sobald keine vernünftige Aussicht mehr besteht die Auflösung der Gruppengesellschaft aus ihren eigenen Kräften zu vermeiden (Kriseneintritt), unverzüglich entweder deren durchgreifende Sanierung oder deren geordnete Liquidation zu betreiben. (…)“ Dieser Regelungsvorschlag wird hier nicht behandelt, weil durch ihn nicht die Verwirklichung des Gruppeninteresses bewirkt werden soll, sondern Rechtsfolgen an ein Handeln im Gruppeninteresse geknüpft werden. Demnach werden sich aus diesem Regelungsvorschlag weder Erkenntnisse zu dem Begriff des Gruppeninteresses noch zu einem hinter dem Begriff stehenden Konzept ableiten lassen. Aufgrund seines Status als Alternativvorschlag wird die genannte Regelung durch das
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wurde die Existenz einer Diskrepanz zwischen Gruppenpraxis und Gruppenrecht festgehalten.23 Das Wissenschaftlerkollektiv erkannte, dass diese Diskrepanz aus der rechtlichen Orientierung am Eigeninteresse der jeweiligen Gesellschaft, die auch dann stattfindet, wenn selbige in eine Unternehmensgruppe integriert ist, und der mangelnden rechtlichen Berücksichtigungsfähigkeit des Interesses der Unternehmensgruppe resultiert.24 Dieser anhand des geltenden Rechts des Jahres 1998 ermittelte Befund trifft nach Ansicht der Experten des Forum Europaeum Konzernrecht auf eine Vielzahl der europäischen Staaten25 zu und löst ein Bedürfnis nach Korrektur aus.26 Der Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht setzte bei der Konzerngeschäftsführung an, da zuvörderst Geschäftsleiter der innerhalb der Unternehmensgruppe nachgeordneten Gesellschaften, also Tochter- oder Enkelgesellschaften, dem Zielkonflikt zwischen Eigeninteresse der Gesellschaft und Gruppeninteresse ausgesetzt sind: Sie sind grundsätzlich dem Eigeninteresse ihrer Gesellschaft verpflichtet; das Gruppeninteresse ist nur im Ausnahmefall berücksichtigungsfähig.27 a) Rozenblum-Doktrin als Orientierungsgröße Als Musterbeispiel zur Ermöglichung adäquater Konzernleitung wurde eine durch die französische Rechtsprechung entwickelte Figur identifiziert – die sogenannte Rozenblum-Doktrin.28 Diese hat ihren Ursprung in einer Entscheidung des Strafsenats der Cour de Cassation.29 Der Entscheidung zugrunde lagen die Bestimmungen der Art. 425-48, 437-38 des Gesetzes vom 24. Juli 1966, die mittlerweile durch Art. L. 241-3 Nr. 4, 5 bzw. Art. L. 242-6 Nr. 3, 4 des Code de Commerce30 abgelöst wurden. Die Vorschriften normieren ein mit der Untreue (§ 266 StGB) vergleichbares Delikt – den Missbrauch von Gesellschaftsmitteln (abus des biens sociaux).31 Der Straftatbestand bedroht unter anderem den Vorstandsvorsitzenden, Forum Europaeum Konzernrecht außerdem nicht in dem Maße vertieft, dass sie Anlass zur eingehenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung bietet. 23 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (704). 24 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (704). 25 Die Experten des Forum Europaeum Konzernrecht erblickten eine Ausnahme in den deutschen Regelungen zum Vertragskonzern sowie ähnlich gelagerten Regelungen in Portugal, Slowenien und Kroatien, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (704). 26 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (704). 27 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (704). 28 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (704 ff.). 29 Cour de Cassation, Chambre criminelle, du 4 février 1985, 84 – 91.581. 30 Die Vorschriften haben denselben Wortlaut, betreffen aber unterschiedliche Gesellschaftsformen (société anonyme bzw. société à responsabilité limitée). 31 Eingehend zu diesem Delikt Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 137 ff. Der Standort des Straftatbestandes in einer wirtschaftsrechtlichen Kodifikation ist charakteristisch für eine französische Tradition, nach der die Normen der Wirtschaftsgesetze von einem Katalog von Straftatbeständen flankiert werden, vgl. Lutter, in: FS Kellermann, 257 (260, 263 f.).
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Geschäftsführer oder geschäftsführenden Direktor einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit bis zu fünf Jahren Haft, wenn dieser die „Mittel oder die Kreditwürdigkeit der Gesellschaft wider Treu und Glauben auf eine Art und Weise, bei der er [der Handelnde] weiß, dass sie den Interessen der Gesellschaft widerspricht, für eigennützige Zwecke oder um eine andere Gesellschaft oder ein anderes Unternehmen, an dem er direkt oder indirekt beteiligt ist, zu begünstigen, benutzt“.32 Die Vorschrift verbietet im Ergebnis jeden Eingriff in die Interessen einer Gesellschaft – unabhängig davon, ob ebenjene einer Unternehmensgruppe angehört oder nicht.33 Unter der Prämisse der uneingeschränkten Geltung dieses Straftatbestandes in gruppenspezifischen Konstellationen würde ein Geschäftsleiter, der im Interesse der Gruppe agiert, jedenfalls dann strafrechtlich belangt, wenn sein Handeln dem Gesellschaftsinteresse der gruppenangehörigen Gesellschaft, der er vorsteht, zuwiderläuft. Die Cour de Cassation musste sich im Jahre 1985 eines Sachverhalts annehmen, dessen Schauplatz inmitten des durch die gegenläufigen Interessen innerhalb der Unternehmensgruppe generierten Spannungsfeldes lag:34 Der Angeklagte Marc Rozenblum und weitere Mitglieder seiner Familie waren die alleinigen Gesellschafter einer Holding-Gesellschaft, die ihrerseits Allein- oder Mehrheitsgesellschafterin einer großen Zahl der verschiedensten Produktions-, Handels-, Dienstleistungs- und Finanzgesellschaften – eines sogenannten konglomeraten Konzerns – waren.35 Als einzelne Teile der Gruppe in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, wurden Finanzmittel und Sicherheiten zwischen den Gesellschaften hin- und hergeschoben, etwa von den Immobilien- zu den Reisegesellschaften. Später fiel die Gruppe in die Insolvenz; Marc Rozenblum und andere Leitungspersonen wurden wegen abus de bien sociaux herangezogen. Sie bestritten den Sachverhalt nicht, verteidigten sich jedoch mit der Argumentation, dass es sich bei der Gruppe Rozenblum um eine enge und wirtschaftliche Einheit („une unité economique et financière fortement structurée“) gehandelt habe. Die Vermögensverschiebungen hätten einem übergeordneten Gruppeninteresse gedient, was das Delikt des Missbrauchs von Gesellschaftsmitteln ausschließe. Die Cour de Cassation akzeptierte diese Verteidigung in ihrer Entscheidung im Grundsatz und nahm erstmalig36 die Möglichkeit einer Rechtfertigung37 von gegenseitigen Fi32
So die Übersetzung der Norm bei Conac, in: Corporate Governance, 89 (90). Lutter, in: FS Kellermann, 257 (259). 34 Sachverhaltsdarstellung nach Lutter, in: FS Kellermann, 257 (261); Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 80. 35 Die geschäftlichen Aktivitäten des Marc Rozenblum und seiner Mitstreiter umfassten etwa den Betrieb eines Schuhgeschäfts, eines Friseursalons, eines Maklerbüros im Versicherungswesen sowie eines Luxusrestaurants in Paris, vgl. Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 106. 36 Bereits zuvor wurde in der französischen Gesellschaftsstrafrechtswissenschaft die Möglichkeit einer Rechtfertigung in gruppenspezifischen Konstellationen diskutiert, vgl. Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 150 mit Nachweisen zur französischen Literatur. Auch verschiedene Untergerichte hatten versucht, den Interessenkonflikt zwischen Einzelgesellschaft und Gruppenverband auszutarieren, vgl. Falcke, Konzernrecht in Frankreich, 37 m.w.N.; 33
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nanzhilfen innerhalb einer Unternehmensgruppe an, stellte dafür indes verschiedene Voraussetzungen auf, die sie im Falle von Rozenblum als nicht gegeben ansah.38 Diese durch die Rechtsprechung in der Rechtssache Rozenblum formulierten Leitlinien gelten bis heute fort.39 aa) Voraussetzungen der Rozenblum-Doktrin Die durch die Anwendung der Rozenblum-Doktrin bewirkte Rechtfertigung greift, wenn – kumulativ – drei Voraussetzungen erfüllt sind.40 Zunächst muss die in Rede stehende Unternehmensgruppe ein hinreichendes Maß an struktureller Verfestigung und eine Gruppenstrategie aufweisen.41 Die strukturelle Verfestigung kann vgl. zur Rechtsprechungsentwicklung ferner Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 101 ff. 37 Die Rozenblum-Doktrin bezeichnet nach unstreitiger Ansicht einen aus dem Begriff des Konzerns gewonnenen Rechtfertigungsgrund („fait justicatif“). Streit herrscht darüber, ob die Rechtsprechung der Cour de Cassation auf bereits kodifizierte Rechtfertigungsgründe gestützt werden kann oder ob es sich um reines Richterrecht handelt, vgl. dazu Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 154 f. 38 Der Leitsatz der Entscheidung lautete: „In Anwendung der Bestimmungen der Art. 42548 und 437-38 des Gesetzes vom 24. Juli 1966 über die Handelsgesellschaften wird bestraft, wer als rechtlicher oder faktischer Geschäftsleiter einer Gesellschaft einer anderen Gesellschaft derselben Gruppe, an der er direkt oder indirekt beteiligt ist, eine finanzielle Unterstützung gewährt, ohne daß diese durch ein gemeinsames wirtschaftliches, gesellschaftliches oder finanzielles Interesse, beurteilt mit Blick auf eine abgestimmte Politik für die Gesamtheit der Gruppe, begründet ist und die weder ohne Gegenleistung bleiben oder das Gleichgewicht zwischen den gegenseitigen Verpflichtungen der verschiedenen verbundenen Gesellschaften stören, noch die finanziellen Möglichkeiten derjenigen Gesellschaft übersteigen darf, die die finanzielle Unterstützung gewährt.“ Die Übersetzung entstammt Lutter, in: FS Kellermann, 257 (261). 39 Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 149; Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 107. Insgesamt ist die Anzahl der Entscheidungen, in denen die RozenblumDoktrin zur Anwendung kommt, indes überschaubar. Dies ist zunächst darauf zurückzuführen, dass potentielle Kläger und Untersuchungsrichter im Wissen um die liberale Haltung der Gerichte bezüglich gruppeninterner Transaktionen vor der Erhebung von Klagen zurückschrecken. Außerdem verzichten die Gläubiger der Tochtergesellschaften aufgrund tatsächlicher Gegebenheiten, etwa der Insolvenz der gesamten Unternehmensgruppe, der die jeweilige Tochtergesellschaft angehört, häufig auf die Anstrengung gerichtlicher Verfahren. Dazu sowie zu Entscheidungen, in denen der durch die Rozenblum-Doktrin bewirkte Schutzmechanismus gewährt bzw. versagt wurde Conac, in: Corporate Governance, 89 (95 ff.). 40 Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 150 f.; Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (705); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 204. Teilweise wird die dritte Voraussetzung in zwei eigenständige Voraussetzungen zerlegt, vgl. etwa Conac, in: Corporate Governance, 89 (92 f.); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 90 ff.; Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (653); anders allerdings Lutter, in: FS Kellermann, 257 (262), der die ersten beiden Voraussetzungen zusammenzieht; Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 21 identifizieren gar fünf Voraussetzungen. 41 Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 150; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 90 f.; Maul, NZG 1998, 965 (966).
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angenommen werden, wenn ein zur Beherrschung der abhängigen Gesellschaft führender Anteilsbesitz, eine gemeinsame Leitung durch die Muttergesellschaft sowie eine hinreichende wechselseitige Entsprechung im Hinblick auf die Aktivitäten der einzelnen Konzerngesellschaften („complementarité des activités commerciales“) vorliegen.42 Die überdies erforderliche Gruppenstrategie muss durch spezifische Organe der einzelnen Konzerngesellschaften festgesetzt werden.43 Darüber hinaus muss eine kohärente Gruppenpolitik („politique élaborée pour l’ensemble de ce groupe“) existieren, die sich in einem gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen oder finanziellen Interesse der Gesellschaften in der Gruppe manifestiert.44 Eine allein an den persönlichen Interessen des Mehrheitsgesellschafters ausgerichtete Gruppenpolitik genügt diesem Kriterium nicht.45 Die Voraussetzung einer kohärenten Gruppenpolitik erfordert vielmehr das Vorliegen eines langfristig konzipierten Gesamtplans, in den die einzelnen Maßnahmen eingebettet sind.46 Dies bedeutet nicht, dass der Konzernspitze situationsangepasste Reaktionen auf veränderte Wirtschaftsbedingungen unmöglich gemacht werden.47 Kurzfristige Interventionen müssen aber an die mittel- und langfristigen Planungen für die Unternehmensgruppe und die einzelnen Gruppengesellschaften rückgekoppelt werden.48 Die Rozenblum-Doktrin verlangt schließlich, dass ein gruppeninternes Gleichgewicht zwischen Vorteilen und Lasten hergestellt wird.49 Zur Gewährleistung dieses Gleichgewichts darf die Vermögenszuwendung weder ohne Ausgleich bleiben noch die finanziellen Möglichkeiten derjenigen Gesellschaft übersteigen, die die Kosten trägt.50 Während erstgenanntes Kriterium sicherstellen soll, dass den einzelnen konzernangehörigen Gesellschaften mittelfristig Vorteile für erlittene Nachteilszu42
Cour de Cassation, Chambre criminelle, du 4 février 1985, 84 – 91.581; dazu auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 91; Maul, NZG 1998, 965 (966). An dem Kriterium der complementarité des activités commerciales fehlte es im Fall Rozenblum, da zwischen den geschädigten und begünstigten Gesellschaften keine wirtschaftlichen Verbindungen bestanden. Die durch Rozenblum veranlassten Transaktionen gingen ausschließlich zu Lasten bestimmter Immobiliengesellschaften, während die Begünstigten reine Handelsgesellschaften waren. Dazu sowie zu den Problemen bei der Anwendung der Rozenblum-Doktrin auf zentralistisch geführte Unternehmensverbindungen Falcke, Konzernrecht in Frankreich, 44 f. 43 Genannt werden in diesem Zusammenhang Verwaltungsrat, Aufsichtsrat und Hauptversammlung, vgl. Maul, NZG 1998, 965 (966). 44 Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 151; Béjot, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 169 (180); Maul, NZG 1998, 965 (966). 45 Maul, NZG 1998, 965 (966). 46 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 92. 47 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 92. 48 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 92; Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (707). 49 Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 151, 153 f.; Béjot, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 169 (180); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 92 f.; Maul, NZG 1998, 965 (966). 50 Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 151, 153 f.; Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 114.
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fügungen zufließen, soll die Voraussetzung der Nichtüberschreitung der finanziellen Möglichkeiten der benachteiligten Gesellschaft verhindern, dass die betroffene Gesellschaft durch die Nachteilszufügung in wirtschaftliche Schwierigkeiten gerät, bis sie den Ausgleich tatsächlich erhält.51 Die auf Ausgleich gerichtete Leistung muss nicht isoliert erfolgen; es genügt vielmehr, wenn die Nachteile der belasteten Gesellschaft – einer langfristigen Gruppenstrategie Rechnung tragend – nach Jahren durch Vorteile kompensiert werden.52 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die französische Rozenblum-Doktrin dem deutschen Recht des faktischen Konzerns nicht unähnlich ist: Sowohl der Rozenblum-Doktrin als auch den Vorgaben der §§ 311 ff. AktG liegt die Überlegung zugrunde, dass der Muttergesellschaft Benachteiligungen der Tochter gestattet werden können, sofern sie durch einen gleichwertigen Ausgleich kompensiert werden.53 Hinsichtlich der Perspektive unterscheiden sich die beiden Institute indes fundamental: Während die Rozenblum-Doktrin die nachteilige Einzelmaßnahme in einen übergeordneten Bezugsrahmen, der durch das Leitbild einer solidarisch-ausgewogenen Vorteils- und Lastengemeinschaft geprägt ist, einbezieht, ist nach deutschem Recht der konkrete Nachteil sowie der kompensierende Vorteil jeder einzelnen Maßnahme zu erfassen und präzise zu bewerten.54 bb) Rezeption der Rozenblum-Doktrin im Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht Zur Verwirklichung des Gruppeninteresses unterbreitete das Forum Europaeum Konzernrecht einen eng an die Rozenblum-Doktrin angelehnten Regelungsvorschlag: „(1) Verfolgen die Geschäftsleiter einer Gruppengesellschaft in dieser eine Geschäftspolitik im Gruppeninteresse und ist ihr Handeln dabei nicht mehr vom unternehmerischen Ermessen in ihrer eigenen Gesellschaft gedeckt, so handeln die Geschäftsleiter dennoch nicht pflichtwidrig, wenn 1. die Gruppe ausgewogen und verfestigt strukturiert ist und 51
Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 117. Anders, Untreue zum Nachteil der GmbH, 154. Im Falle eines Mietvertrages, der zu günstigen Konditionen mit einer Tochtergesellschaft eingegangen worden war, wurde das Vorliegen einer adäquaten Gegenleistung bejaht (Cour de Cassation, Chambre criminelle, du 8 janvier 1990, Bullentin Joly 1990, 369 f.). Auch im Zusammenhang mit der Gewährung eines Darlehens unterhalb des banküblichen Zinses im Rahmen eines Cash-Managements der Muttergesellschaft wurden die Anforderungen an dieses Kriterium als erfüllt angesehen (vgl. Cour d’appel Paris, 29 Mai 1986, Gazette du Palais 1986, 479 (494)). Dazu sowie zur vorstehend skizzierten Kasuistik Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 116 f. 53 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 94. 54 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 94; vgl. in diesem Zusammenhang auch die Gegenüberstellung bei Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 22. 52
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung 2. die Gruppengesellschaft in eine kohärente und auf Dauer angelegte Gruppenpolitik eingefügt ist und 3. die Geschäftsleiter vernünftigerweise annehmen dürfen, daß die daraus folgenden Nachteile (insbesondere der Entzug von Geschäftschancen) durch Vorteile in überschaubarer Zeit ausgeglichen werden. Zu den ausgleichsfähigen Nachteilen nach Satz 1 zählen jene nicht, die die Existenz der Gruppengesellschaft gefährden (insbesondere der Entzug Überlebens-notwendiger Liquidität). (2) [Dokumentations- und Berichtspflicht] (3) Die Mitgliedstaaten haben für geeignete Sanktionen und Regeln zum Minderheitenschutz für den Fall zu sorgen, daß in einer Gruppengesellschaft eine Geschäftspolitik im Gruppeninteresse verfolgt wird, ohne daß die Voraussetzungen nach Abs. 1 Ziff. 1 – 3 vorliegen. (4) [Sonderpüfung auf Antrag einer qualifizierten Gesellschafterminderheit]“55
Dem Vorschlag sollte nach Vorstellung der Experten des Forum Europaeum Konzernrecht vermöge einer Richtlinie zur Wirksamkeit verholfen werden.56 b) Begründung des Vorschlags Die Vorzüge des Rozenblum-Konzeptes begründete der Vorschlag maßgeblich anhand einer Gegenüberstellung mit dem deutschen Recht.57 Die Experten des Forum Europaeum Konzernrecht waren der Ansicht, dass durch das vorgeschlagene Regelungsprogramm der Blick von der einzelnen Gruppengesellschaft oder Unternehmensverbindung gelöst und auf die Gruppe als Ganzes gelenkt werden kann.58 Die Existenz der Gruppengesellschaft als funktions- und überlebensfähige Teileinheit innerhalb der Gruppe bliebe nicht nur unberührt, sondern werde effektiv gesichert, wobei nicht die isolierte Maßnahme oder das einzelne Geschäft, sondern die Organisation und die Politik der Gesamtgruppe ausschlaggebend seien. Die Anknüpfung an Gruppenorganisation und -politik besticht – nach Auffassung des Wissenschaftlerkollektivs – gerade gegenüber dem Regime der §§ 311 ff. AktG59 durch die Möglichkeit, die jeweilige Transaktion „sachgerecht frühzeitig und um55
Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (712 f.). Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (712). 57 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (709 ff., insbesondere 713 f.). Daneben wurde auch der bereits angedeutete allgemeine Harmonisierungsgedanke zur Begründung des Richtlinienvorschlags ins Feld geführt, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (713), wo es heißt: „Mit Blick auf den einheitlichen Europäischen Binnenmarkt sollte die Union Gruppen, die Binnenmarkt-weit organisiert sind, in allen Mitgliedstaaten legitimieren und zugleich dafür sorgen, daß diese Gruppen auf gesicherter Rechtsgrundlage insgesamt und in ihren einzelnen Gruppengliedern (Mutter-, Tochter- und Enkelgesellschaften) geführt werden können.“ 58 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (713). 59 Dieses bezeichnen die Experten als „atomistisch“, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (711). 56
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fassend“ zu würdigen.60 Insgesamt sollte es dem Geschäftsleiter einer Gruppengesellschaft durch den Regelungsvorschlag ermöglicht werden, seine Gesellschaft mit all ihren Ressourcen und eigenen Interessen der Gesamtgruppe und deren Interessen zugänglich zu machen, ohne der Gefahr einer Sanktionierung – strafrechtlich oder zivilrechtlich – ausgesetzt zu sein.61 c) Inhalt des Gruppeninteresses nach dem Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Begriff des Gruppeninteresses hielt der Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht nicht bereit. Die Konzernrechtsexperten waren sich der terminologischen Unklarheit bewusst, nahmen diese aber in Kauf.62 Hinter der Thematisierung des Gruppeninteresses stand nicht die Intention, einen Begriff zu etablieren und zu definieren. Es sollte vielmehr ein Paradigmenwechsel herbeigeführt werden: Die einzelne Gesellschaft innerhalb der Unternehmensgruppe sowie ihr eigenes Interesse sollten nicht länger im gesetzgeberischen Fokus stehen. Vielmehr hatte sich – dem Forum Europaeum Konzernrecht zufolge – die Unternehmensgruppe mitsamt ihrem Interesse eine intensivere legislatorische Aufmerksamkeit verdient.63 Der Terminus des Gruppeninteresses diente vor diesem Hintergrund als Umschreibung eines Konzeptes zur geschmeidigen Konzerngeschäftsführung in Gestalt eines Privilegierungsmechanismus für Geschäftsleiter von Gruppengesellschaften.64 3. Zusammenfassende Würdigung Die Vorschläge des Forum Europaeum Konzernrecht stießen auf eine breite Resonanz.65 Hierbei fand die rechtstechnische Grundausrichtung – Harmonisierung nur dort, wo diese zur Herstellung eines equal legal playing field unerlässlich ist – 60
Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (713). Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (714). 62 Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (715): „Zwar enthalten die Voraussetzungen im Richtlinienvorschlag eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe; das mag zu Unsicherheiten und zu Unschärfen führen.“ Nach Auffassung des Wissenschaftlerkollektivs ist die tatbestandliche Offenheit ein Kennzeichen rechtspraktischer Effektivität, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (712). 63 Damit ging eine Verschiebung der Akzentuierungen innerhalb des Konzernrechts einher: Über seine Funktion als Schutzrecht hinausgehend sollte es zu einem „Organisations- und Handlungsrecht für die Wirtschaft und ihre Unternehmen“ entwickelt werden, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (681). 64 Vgl. schon die Einleitung des Vorschlags „Konzernrecht für Europa“, in dem die Bedeutung eines facilitating group management für das moderne Konzernrecht herausgestellt wird, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (681). 65 Vgl. nur Hopt, in: Aufbruch nach Europa, 17 (20) m.w.N. 61
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
Zustimmung.66 Die im Zusammenhang mit der ordnungsgemäßen Konzerngeschäftsführung angeregte Rezeption der Rozenblum-Doktrin wurde indes kritisch gesehen.67 Anlass zur Kritik bot zunächst die tatbestandliche Offenheit des Regelungsvorschlags.68 Darüber hinaus wurde gerügt, dass kein Bedarf für Vorschriften besteht, die die Konzernleitung legitimieren.69 Beiden Kritikpunkten wurde die Fähigkeit des Regelungsvorschlags, Gruppenrecht und Gruppenpraxis miteinander zu versöhnen, entgegengehalten.70 Diese Argumentation verdient im Hinblick auf den Einwand des fehlenden Bedarfs der Legitimation der Konzernleitung Zustimmung. Betont man – im Einklang mit dem Forum Europaeum Konzernrecht – die Funktion des Konzernrechts als Organisations- und Handlungsrecht, so führt kein Weg an einer konzernspezifischen Modifikation des Pflichtenkreises der Geschäftsleiter gruppenangehöriger Gesellschaften vorbei. Ob eine Integration der Rozenblum-Doktrin in den Regelungsvorschlag diesem Anliegen tatsächlich Rechnung trägt und dadurch für einen Gewinn an Rechtssicherheit sorgt,71 erscheint allerdings zweifelhaft.72 Die Vorbehalte resultieren hierbei nicht allein aus der fehlenden tatbestandlichen Präzision des Regelungsvorschlags, sondern auch aus den Problemen bei der Einpassung desselben in das Konzernrechtsregime einzelner Mitgliedstaaten.73 Trotz der Kritik an der Rezeption der Rozenblum-Grundsätze war 66
Blaurock, in: Festschrift Sandrock, 79 (79 f.). Blaurock, in: Festschrift Sandrock, 79 (85 ff.); Windbichler, EBOR 2000, 265 (271 ff.); Lübking, Einheitliches Konzernrecht, 293 ff. 68 Windbichler, EBOR 2000, 265 (272 f.). Angesichts der „komplizierten Legitimationsmerkmale“ wurde auch der Mehrwert des Regelungsvorschlags gegenüber dem deutschen Recht bezweifelt, vgl. Blaurock, in: Festschrift Sandrock, 79 (86 f.). Die Vorzüge der deutschen Regelungen zum faktischen Konzern betont auch Habersack, NZG 2004, 1 (7 f.). 69 Diese These wurde aus dem Fehlen derartiger Vorschriften in den meisten anderen Ländern als Deutschland hergeleitet, vgl. Windbichler, EBOR 2000, 265 (271). 70 Hopt, in: Aufbruch nach Europa, 17 (25); hierzu auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 98 f. 71 So das erklärte Ziel des Regelungsvorschlags, vgl. Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (681). 72 Abweichend Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 97 f., die zu bedenken gibt, „dass die Gesamtbewertung von Konzernbinnenbeziehungen notwendigerweise gewisse Unschärfen beinhaltet“ und somit kein Defizit im Hinblick auf die Rechtssicherheit erkennt. Auch dort wird allerdings betont, dass es „[a]us Gründen der Rechtsicherheit sowie eines effektiven Außenseiterschutzes (…) eines klar definierten zeitlichen Rahmens für berücksichtigungsfähige Kompensationsleistungen“ bedarf, wobei der Zeitraum eines Geschäftsjahres (§ 311 II 1 AktG) als Referenz herangezogen wird, vgl. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 101. 73 Zu dem zweiten Aspekt mit Fokus auf England und Frankreich Lübking, Einheitliches Konzernrecht, 294. Gegen diese Überlegung ließe sich einwenden, dass die Rozenblum-Doktrin bereits in mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Union bekannt und teils sogar in innerstaatliches Recht überführt worden ist, mithin konsensfähig zu sein scheint, vgl. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 99; Drygala, AG 2013, 198 (203); Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (709); Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 44. 67
B. Konzeptionelle Konturierung
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das vom Forum Europaeum Konzernrecht vorgeschlagene „Konzernrecht für Europa“ Inspirationsquelle für zahlreiche weitere Abhandlungen.
II. Der Vorschlag der High Level Group of Company Law Experts Eine dieser Untersuchungen wurde im Jahre durch die High Level Group of Company Law Experts (im Folgenden: High Level Group) vorgenommen; der Abschlussbericht wurde im Jahr 2002 unter dem Titel „Report of the High Level Group of Company Law Experts on a modern Regulatory Framework for Company Law in Europe“ veröffentlicht.74 Die Gruppierung wurde durch die Europäische Kommission eingesetzt und bestand aus europäischen Konzernrechtsexperten.75 War sie zunächst lediglich mit der Erarbeitung von Vorschlägen für einen neuen Ansatz für die 13. Richtlinie (Take-over-Richtlinie) betraut, wurde ihr Auftrag im Rahmen einer Zusammenkunft der europäischen Finanzminister im Jahr 2002 erweitert: Die Empfehlungen sollten sich nunmehr auch auf die Verbesserung und Harmonisierung des gesamten Rechts der börsennotierten Gesellschaften in Europa und ihrer Corporate Governance beziehen.76 1. Grundzüge des Vorschlags Der umfangreiche Arbeitsauftrag sorgte dafür, dass sich die High Level Group mit sechs verschiedenen Themenfeldern auseinandersetzte: Corporate Governance, Kapitalbildung und Kapitalerhaltung, Unternehmensgruppen und Pyramidenstrukturen, Unternehmensrestrukturierung und Unternehmensmobilität, Europäische Privatgesellschaft sowie Kooperationsgesellschaften und andere Unternehmensformen. Die Befassung mit diesen Themenfeldern wurde durch eine Einleitung, allgemeine Erwägungen sowie eine Prioritätenliste für die weitere Vorgehensweise flankiert. Maßgebliche konzernrechtliche Implikationen weist allein der fünfte Themenkomplex – Unternehmensgruppen und Pyramidenstrukturen – auf.77 In materieller Hinsicht widmeten sich die Vorschläge zum Konzernrecht der Verbesserung der Transparenz von Konzernstrukturen und -beziehungen sowie den Span-
74 The High Level Group of Company Law Experts, Report; vgl. dazu auch die Stellungnahme der Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 (863 ff.). 75 Chairman der Gruppierung war Winter, weshalb vereinzelt auch von der sogenannten Winter-Gruppe die Rede war. Außerdem gehörten der Gruppe Garcia, Hopt, Rickford, Rossi, Christensen und Simon an. 76 The High Level Group of Company Law Experts, Report, 1. 77 Der englische Titel des entsprechenden Kapitels in dem Report lautete: „Groups and Pyramids“.
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nungen zwischen den Interessen des Konzerns und seiner Teile.78 Überdies wurde angeregt, Unternehmenspyramiden mithilfe von Restriktionen bei der Börsenzulassung stärker zu kontrollieren.79 Bei der thematischen Ausrichtung der Empfehlungen zum Umgang mit Unternehmensgruppen ließ sich die High Level Group von der Erwägung leiten, dass einheitliche Regelungen zum Schutz der außenstehenden Gesellschafter und Gläubiger bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Beliebtheit der Unternehmensgruppe als unternehmerische Gestaltungsform in den Mitgliedstaaten der EU nottun.80 Die Wahl der einzelnen konzernrechtlichen Themenkomplexe lässt eine Orientierung an den Vorarbeiten des Forum Europaeum Konzernrecht erkennen.81 Dies gilt auch für die durch die High Level Group beabsichtigte Verwirklichung der Vorschläge im Wege einer Kernbereichsharmonisierung.82 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der High Level Group Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die High Level Group – im Vergleich zum Vorschlag des Forum Europaeum Konzernrecht allerdings etwas subtiler – die Anerkennung des Gruppeninteresses als Instrument der Konzernleitung empfiehlt: „Die Mitgliedstaaten sollten eine Rahmenbestimmung für Konzerne vorsehen müssen, nach der die Leitung eines Konzernunternehmens eine abgestimmte Konzernpolitik annehmen und umsetzen darf, sofern die Interessen seiner Gläubiger wirkungsvoll geschützt werden und die Vor- und Nachteile im Lauf der Zeit gerecht auf die Aktionäre des Unternehmens verteilt werden. (…)“83
Der Rekurs der Empfehlung auf eine „abgestimmte Konzernpolitik“ belegt eine Wesensverwandtschaft der Empfehlung mit der Rozenblum-Doktrin,84 wenngleich deren Voraussetzungen durch die High Level Group nicht im Einzelnen ausbuch78 The High Level Group of Company Law Experts, Report, Recommendations V.2 und V.3, 18, 95 ff. 79 The High Level Group of Company Law Experts, Report, Recommendations V.4, 18, 98 f. Die High Level Group hatte hierbei Ketten von Holdinggesellschaften im Blick, bei denen die eigentliche Kontrolle dank übermäßig vieler Minderheitsaktionäre auf einer insgesamt niedrigen Investition beruht, vgl. Merkt, RIW 2004, 1 (3, Fn. 15). 80 Die High Level Group sprach ungenau von „specific risks for shareholders and creditors“, vgl. The High Level Group of Company Law Experts, Report, 94. 81 Hopt, ZHR 171 (2007), 199 (213); Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (653). 82 The High Level Group of Company Law Experts, Report, Recommendation V.1, 17, 94. 83 Die Übersetzung entstammt der Stellungnahme der Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 (875 f.). Die Empfehlung lautete im Original: „Member States should be required to provide for a framework rule for groups that allows those concerned with the management of a group company to adopt and implement a co-ordinated group policy, provided that the interest of the company’s creditors are effectively protected and that there is a fair balance of burdens and advantages over time for the company’s shareholders. (…)“, vgl. The High Level Group of Company Law Experts, Report, Recommendation V.3, 18, 96 ff. 84 Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (653).
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stabiert wurden. Begründet wurde die Empfehlung mit ihrer Eignung zur Beseitigung von Hindernissen bei der Unternehmensgruppenbildung und -führung bei gleichzeitiger Wahrung der Interessen der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter der abhängigen Gesellschaft.85 Die Orientierung am Gesellschaftsinteresse der einzelnen gruppenzugehörigen Gesellschaft sei nicht sachgerecht. Der Inhalt des Gruppeninteresses blieb in der Empfehlung der High Level Group ebenso unklar wie die konkrete rechtstechnische Ausformung der Regelung. Auch diesem Vorschlag ging es weniger um den Begriff des Gruppeninteresses, als vielmehr um die Etablierung eines Konzepts zur Erleichterung der Konzernleitung. 3. Zusammenfassende Würdigung Die von der High Level Group formulierten Empfehlungen waren vor allem deshalb von Bedeutung, weil sie im Jahr 2003 in weiten Teilen Eingang in einen Aktionsplan der Europäischen Kommission86 fanden.87 Die deutschen Reaktionen auf die in dem Report abgegebenen Empfehlungen waren unterschiedlich und reichten von völliger Ablehnung bis hin zu uneingeschränkter Zustimmung.88 Die Empfehlung zur Anerkennung des Gruppeninteresses wurde vereinzelt in ihrer Tragweite verkannt,89 im Übrigen jedoch differenziert bewertet: Die Einführung einer Rahmenregelung, die der Festlegung einer zwischen den Gruppenmitgliedern abgestimmten, den jeweiligen Interessen auf oberer und unterer Ebene angemessen Rechnung tragenden Unternehmenspolitik dient, wurde im Grundsatz begrüßt.90 Kritik entzündete sich allerdings an dem im Vorschlag der High Level Group vorgesehenen Erfordernis, die Gruppenpolitik ex ante zu definieren.91 Die Einhaltung dieses Erfordernisses – eine Modifikation der insofern flexibleren RozenblumDoktrin – sei praktisch unmöglich. Insgesamt fehlte den konzernrechtlichen Vor85
The High Level Group of Company Law Experts, Report, 96 f. Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig; dazu § 4 C. II. 2. 87 Habersack, NZG 2004, 1 (2); van Hulle/Maul, ZGR 2004, 484 (486); Wiesner, ZIP 2003, 977 (977). 88 Ausführlich zu den einzelnen Empfehlungen Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 (864 ff.). 89 Angesichts der bereits vorhandenen Möglichkeit einer einheitlichen Leitung im Vertragskonzern wurde vertreten, dass eine Umsetzung der Empfehlung V.3 in Deutschland keinerlei Handlungsbedarf mit sich bringen würde, vgl. Maul, DB 2003, 27 (31); ähnlich Wiesner, BB 2003, 213 (217). Da die Empfehlung – wie ihre Ähnlichkeit mit der Rozenblum-Doktrin zeigt – auf eine weitreichende und von der konkreten rechtlichen Ausgestaltung der Unternehmensgruppe unabhängige Flexibilisierung der Gruppenleitung zielte, belegt der argumentative Rückgriff auf den Vertragskonzern eine Missdeutung der durch die High Level Group abgegebenen Empfehlung V.3. 90 Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 (876). Anders jedoch Habersack, NZG 2004, 1 (7 f.), der der Rozenblum-Doktrin und dem an diese angelehnten Regelungsvorschlag der High Level Group jegliche konzernrechtliche Tauglichkeit abspricht. 91 Arbeitsgruppe Europäisches Gesellschaftsrecht, ZIP 2003, 863 (876). 86
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schlägen der High Level Group im Allgemeinen und der Empfehlung zur Anerkennung des Gruppeninteresses im Speziellen der inhaltliche Tiefgang. Die Oberflächlichkeit kann wohl auch auf den sehr umfangreichen Arbeitsauftrag der High Level Group zurückgeführt werden. Dieser hatte zur Folge, dass die Umsetzung der Empfehlungen en détail den Mitgliedstaaten überantwortet wurde.92 Den – jedenfalls aus deutscher Sicht – ebenso innovativen wie kontroversen Ansatz, mithilfe dessen das Forum Europaeum Konzernrecht das Gruppeninteresse auf europäischer Ebene etablieren wollte, entwickelte die High Level Group nicht fort.
III. Der Vorschlag der Reflection Group on the Future of EU Company Law Auch bei der Reflection Group on the Future of EU Company Law (im Folgenden: Reflection Group) handelte es sich um ein von der Europäischen Kommission eingesetztes Wissenschaftlerkollektiv.93 Seine Aufgabe bestand einerseits darin, die durch die High Level Group und den Aktionsplan der Europäischen Kommission angeregten Neuerungen auf dem Gebiet des europäischen Gesellschaftsrechts zu evaluieren, wobei auch die Finanzkrise der Jahre 2008 und 2009 sowie die sich dieser anschließende Rezession berücksichtigt werden sollten.94 Andererseits sollten weitere gesellschaftsrechtliche Maßnahmen und ihre wirkungsvolle Implementierung in das europäische Regelungsgefüge reflektiert werden.95 Nachdem die Gruppierung ihre Arbeiten zum Ende des Jahres 2010 aufgenommen hatte, wurden die Ergebnisse nur wenige Monate später in einem Report veröffentlicht.96 1. Grundzüge des Vorschlags Die Reflection Group beschäftigte sich – korrespondierend mit dem breit gefächerten Auftrag der Kommission – nicht nur mit konzernrechtlichen Fragestellungen, sondern stellte darüber hinaus umfassende Erwägungen zur grenzüberschreitenden Mobilität von Unternehmen an.97 In einem dritten Abschnitt widmete sich die Reflection Group außerdem dem Beitrag von Corporate Governance und Investoren 92
So konstatierte die High Level Group im Hinblick auf ihre Empfehlung zur Anerkennung des Gruppeninteresses: „The details of the regime can be left to Member States“, vgl. The High Level Group of Company Law Experts, Report, 97. 93 Der Reflection Group gehörten Antunes, Baums, Clarke, Conac, Enriques, Hanák, Hansen, Kluvier, Knapp, Lenoir, Linnainmaa, Soltysinski und Wymeersch an. 94 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 7. 95 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 7 f. 96 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report. 97 Vgl. dazu das zweite Kapitel des Abschlussberichts: Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 13 ff. Eine knappe Zusammenfassung dieses Kapitels findet sich bei J. Schmidt, GmbHR 2011, R177 (R177).
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zur langfristigen Überlebensfähigkeit von Unternehmen.98 Im Zusammenhang mit dem Konzernrecht wurden neben der Anerkennung des Gruppeninteresses zwei weitere Themenfelder – die sogenannte Single Member Company99 sowie die Transparenz von Gruppenstrukturen und -beziehungen100 – aufgegriffen. Die Ausführungen knüpften an die Vorarbeiten des Forum Europaeum Konzernrecht sowie der High Level Group an.101 Diese Anknüpfung manifestierte sich nicht zuletzt darin, dass die Reflection Group für eine Umsetzung ihrer Vorschläge im Wege der Kernbereichsharmonisierung plädierte.102 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der Reflection Group Die Meinungen in Bezug auf die Erforderlichkeit konzernrechtlicher Harmonisierungsmaßnahmen im Allgemeinen sowie einer Anerkennung des Gruppeninteresses im Speziellen waren innerhalb der Reflection Group gespalten.103 Die Heterogenität der in der Reflection Group vertretenen Ansichten führte dazu, dass sich deren Mitglieder lediglich auf einen Minimalkonsens verständigen konnten: „The EU Commission should consider, subject to evidence that it would be a benefit to take action at the EU level, to adopt a recommendation recognizing the interest of group.“104
Trotz aller Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich des adäquaten rechtlichen Umgangs mit dem Gruppeninteresse waren sich die Mitglieder der Reflection Group – ähnlich wie die bereits zuvor tätigen Wissenschaftlerkollektive – darüber einig, dass Konzerne für das unternehmerische Tätigwerden im internationalen Kontext eine tragende Rolle spielen.105 Eine Schlüsselfunktion für den unternehmerischen Erfolg einer nationenübergreifend agierenden Unternehmensgruppe nehme dabei das für die Gruppenstruktur charakteristische flexible Management ein, das sowohl eine zentrale Steuerung als auch die Berücksichtigung lokaler Besonderheiten ermögliche. Die Mehrheit der Mitglieder der Reflection Group erblickte in der su-
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Vgl. dazu das dritte Kapitel des Abschlussberichts: Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 36 ff. Eine knappe Zusammenfassung dieses Kapitels findet sich bei J. Schmidt, GmbHR 2011, R177 (R177 f.). 99 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 66 f. 100 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 68 ff. 101 Hopt, ZGR 2013, 165 (171). 102 So heißt es in der Einleitung des Reports: „Where harmonisation at the Union level is deemed necessary after careful vetting of the facts, the proposed measures should be focused on the particular problem (…).“, vgl. Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 8; vgl. zu diesem Ansatz und seinen Hintergründen auch Drygala, AG 2013, 198 (201). 103 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 60. 104 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 65. 105 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 59.
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pranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses das Potenzial zur Optimierung des grenzüberschreitenden Gruppenmanagements.106 Dementsprechend sollte durch eine Regelung zum Gruppeninteresse ein „sicherer Hafen“ für Geschäftsleiter sowohl der Mutter- wie auch der Tochtergesellschaften geschaffen werden.107 Eine solche Regelung würde den Geschäftsleitern ermöglichen, Maßnahmen zu ergreifen, die zwar für einzelne konzernzugehörige Gesellschaften schädlich, für die Unternehmensgruppe als solche jedoch förderlich sind, ohne sich der Gefahr einer zivil- oder gar strafrechtlichen Haftung auszusetzen.108 Die Erwägungen der Reflection Group wecken Assoziationen zur RozenblumDoktrin,109 wenngleich es an einem ausdrücklichen Rekurs mangelt.110 Für die Muttergesellschaft sollte sich durch die Einführung einer derartigen safe-harbourRegelung nach Vorstellung der Reflection Group kein verbindliches Leitungsrecht, wohl aber die Möglichkeit einer geschmeidigeren Führung ergeben. Nach der Vorstellung der Reflection Group wäre der Geschäftsleiter einer Tochtergesellschaft im Anwendungsbereich der vorgeschlagenen safe-harbour-Regelung nämlich berechtigt, Weisungen und Anregungen der Muttergesellschaft zu befolgen.111 Zwar erkannte die Reflection Group die Verschärfung der Gefahr für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger der Tochtergesellschaften durch die vorgeschlagene Regelung.112 Rechtliche Mechanismen zur Abfederung dieser Gefahr wurden indes kaum thematisiert.113 Die Reflection Group zog in diesem Zusammenhang lediglich 106
Einige Mitglieder der Reflection Group sprachen sich demgegenüber vollständig gegen Maßnahmen der EU zum Konzernrecht aus, vgl. Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 60. Vereinzelt wird vertreten, dass die Uneinigkeit innerhalb der Reflection Group den heutigen europäischen Gesetzgeber zur Vorsicht ermahnt und schnelle sowie weitreichende Reformversuche auf diesem Themenfeld unwahrscheinlich macht, vgl. Krebs/Jung, in: Jung/ Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 27. 107 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 60. 108 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 60. 109 Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (654). 110 Erst im Rahmen einer Zusammenfassung der Rechtslage in ausgewählten Mitgliedstaaten der EU kommt der Report auf die Rozenblum-Doktrin zu sprechen. Die Reflection Group lässt die Bedingungen, die für die Berücksichtigung des Gruppeninteresses erfüllt sein müssen, offen. Im Report dokumentiert sind jedenfalls die Vorbehalte einiger Mitglieder der Reflection Group gegenüber der Rozenblum-Doktrin, vgl. Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 64 f. Teilweise werden die Einlassungen der Reflection Group dahingehend interpretiert, dass sie eine vereinfachte Form der Rozenblum-Doktrin präferiert, vgl. die mit Blick auf den Vorschlag der Reflection Group geäußerten Bewertungen bei Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 16: „kupierte ,Rozenblum‘-Theorie“ und Conac, ECFR 2013, 194 (219 f.): „simplified Rozenblum test“. 111 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 60; vgl. dazu auch Drygala, AG 2013, 198 (203). 112 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 61. 113 So ließ die Reflection Group hinsichtlich Weisungen durch die Muttergesellschaft vage verlauten: „The intention would be to seek a balance beween benefits/losses which would be considered whenever a parent company gives an instruction and for the balance to be weighed in such a way that it would prevent the creditors and other stakeholders of EU subsidiaries from
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die Möglichkeit einer Beschränkung der Anwendbarkeit der safe-harbour-Regelung auf hundertprozentige Tochtergesellschaften in Betracht.114 Dem Vorschlag der Reflection Group wohnte vor allem deshalb innovatives Potenzial inne, weil sie die Idee einer differenzierenden Anwendung der Regelung zum Gruppeninteresse aufwarf. So sollte das Gruppeninteresse in Konstellationen, in denen sich die Tochtergesellschaft in Insolvenznähe befindet, nur unter Einhaltung strenger Voraussetzungen berücksichtigungsfähig sein; in allen anderen Fällen sollten erleichterte Kriterien gelten, um unter Verweis auf das Gruppeninteresse gesellschaftsschädliche Maßnahmen zu rechtfertigen.115 Die Reflection Group wollte den wirksamen Ausgleich einer die Tochtergesellschaft schädigenden Maßnahme im Regelfall schon aufgrund von sich aus der Gruppenzugehörigkeit ergebenden Verbundvorteilen bejahen.116 Ein an das deutsche System der §§ 311 ff. AktG angelehnter Einzelausgleich wurde damit verworfen.117 Die Reflection Group begründete das Erfordernis, eine Regelung zum Gruppeninteresse auf Ebene der EU zu schaffen, zunächst mit der Reduzierung der Kosten bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten.118 Als tragende Argumente für die Einführung einer solchen Regelung wurden zudem die Möglichkeit, die Führung multinationaler Unternehmensgruppen zu flexibilisieren, sowie die Schaffung von Rechtssicherheit für das Management sowohl der Mutter- als auch der Tochtergesellschaften angeführt.119 Auch dem Vorschlag der Reflection Group fehlte es an einer inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses. Anders als die High Level Group stellte die Reflection Group jedoch immerhin Erwägungen zu den rechtstechnischen Möglichkeiten einer Implementierung der Regelung zum Gruppeninteresse an. Demnach sollte dem Gruppeninteresse auf europäischer Ebene mittels einer Empfehlung gemäß Art. 288 V AEUV zum Durchbruch verholfen werden.120 Konkret ging es dem Vorschlag darum, die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung des Pflichtenkreises von
suffering arbitrary and uncompensated prejudices as a result of instructions from a parent company“, vgl. Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 61. 114 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 61. 115 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 64. 116 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 64. 117 Drygala, AG 2013, 198 (203). 118 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 61. 119 Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 61 f. 120 Die Empfehlung der EU sollte nach der Vorstellung der Reflection Group als Denkanstoß fungieren. Man hatte sich erhofft, dass einzelne Mitgliedsstaaten eine derartige Empfehlung zum Anlass nehmen würden, ihr Konzernrechtsregime kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls zu modifizieren, vgl. Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 65.
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Geschäftsleitern zur Berücksichtigung konzernrechtlicher Besonderheiten anzuhalten.121 3. Zusammenfassende Würdigung Wenngleich die Reflection Group vor dem Hintergrund ihrer pluralistischen Zusammensetzung Schwierigkeiten bei der Formulierung ihrer Empfehlungen hatte, wurden diese in nicht geringer Zahl durch die Europäische Kommission in einem Aktionsplan aufgegriffen.122 Der Vorschlag der Reflection Group zum Gruppeninteresse wurde differenzierend bewertet: Die Eignung zur Sensibilisierung der Mitgliedstaaten für rechtliche Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Management einer (grenzüberschreitenden) Unternehmensgruppe wurde den Anregungen nicht abgesprochen;123 gleichwohl bot die Empfehlung auch Anlass zur Kritik. Gerügt wurde zunächst die Unklarheit des Terminus „Gruppeninteresse“.124 In diesem Zusammenhang wurde die Divergenz zwischen dem deutschen Ansatz, der in §§ 311 ff. AktG einen weiten Interessenbegriff zugrunde lege,125 und der französischen Rozenblum-Doktrin, die aufgrund ihrer Orientierung an der Gruppenpolitik auf Tatbestandsseite engere Anforderungen postuliere, herausgestellt.126 Der Vorschlag der Reflection Group kombiniere beide Ansätze in einer die – gegebenenfalls vorhandenen – Minderheitsgesellschafter der Tochtergesellschaft beeinträchtigenden Weise. So tendiere die Reflection Group dazu, auf Tatbestandsebene keinerlei Anforderungen an die Legitimität des Gruppeninteresses zu stellen, akzeptiere in der Rechtsfolge zugleich aber jeden Vorteil aus der Zugehörigkeit zur Unternehmensgruppe.127 Den Kritikern zufolge kann eine derartig liberale Regelung nicht nur den Wert der Beteiligung eines Minderheitsgesellschafters an der Tochtergesellschaft schmälern, sondern auch Gläubigern derselben zum Verhängnis werden.128 Die Überlegung der Reflection Group, die Gefährdung der Gläubiger durch die Einschränkung der Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses im Falle der Insolvenznähe der Tochtergesellschaft einzufangen, ist demnach als untauglich zu qualifizieren.129 So wird die Einstufung einer Gesellschaft als „close to insolvency“ 121 Im Anschluss an diesen Vorschlag wurde eine Ergänzung der deutschen Regelung des § 93 I AktG vorgeschlagen, vgl. Drygala, AG 2013, 198 (203). Für eine „konzerndimensionale ,Business Judgment Rule‘“ plädiert auch Teichmann, AG 2013, 184 (195 ff.). 122 Aktionsplan COM(2012) 740 final; dazu § 4 C. II. 3. 123 Drygala, AG 2013, 198 (203 f.); eher implizit Teichmann, AG 2013, 184 (189 f.). 124 Drygala, AG 2013, 198 (204). 125 Dazu Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 308; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 43. 126 Drygala, AG 2013, 198 (204). 127 Auf diese Weise wird die weitreichende Rechtsfolge der französischen RozenblumDoktrin rezipiert, vgl. Drygala, AG 2013, 198 (204). 128 Drygala, AG 2013, 198 (204 f.). 129 Drygala, AG 2013, 198 (204 f.).
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in den Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich ausfallen; eine europaweit einheitliche Definition des insolvenzauslösenden Zeitpunkts ist angesichts dieser Unterschiede nahezu unmöglich.130 Der vorstehend skizzierten Skepsis gegenüber dem Vorschlag der Reflection Group könnte man entgegenhalten, dass sie die Schutzerfordernisse zugunsten der außenstehenden Gesellschafter einerseits und der Gläubiger andererseits einseitig betont. Dem organisations- und handlungsrechtlichen Gehalt des Konzernrechts, der spätestens seit den durch das Forum Europaeum Konzernrecht unterbreiteten Vorschlägen im Fokus steht, wird durch eine derartige Akzentuierung der Schutzerfordernisse in nur geringem Maße Rechnung getragen.131 Gleichwohl ist zuzugeben, dass die Fortentwicklung des Konzernrechts unter Fokussierung der organisations- und handlungsrechtlichen Funktion kein Selbstzweck sein darf. Will man das Management einer grenzüberschreitend aktiven Unternehmensgruppe flexibilisieren, so darf man die rechtlichen Mechanismen, die dem Schutz der in der Unternehmensgruppe in besonderem Maße gefährdeten Akteure dienen, nicht aus dem Blick verlieren. Diesbezüglich wies der Vorschlag der Reflection Group die genannten Defizite auf. Neben den Erwägungen zum Schutz der in der Unternehmensgruppe gefährdeten Personengruppen wurde auch der unklare Anwendungsbereich des Vorschlags der Reflection Group kritisiert.132 Die Reflection Group ließ in ihrem Report offen, ob die Flexibilisierung der Organpflichten nur für Einmanngesellschaften zugelassen werden kann. Die Unterscheidung zwischen Tochtergesellschaften mit nur einem Gesellschafter und solchen mit außenstehenden Gesellschaftern ist indes entscheidend, um die dargelegten Schutzerfordernisse zu konkretisieren.133 Schließlich ist der Wirkungsgrad der von der Reflection Group vorgeschlagenen Regelung zu bezweifeln. Die Zweifel ergeben sich zunächst aus der Konzeption der Regelung.134 Da die von der Reflection Group angedachte Regelung lediglich auf die Neuausrichtung der Pflichten von Geschäftsleitern gruppenzugehöriger Gesellschaften zielte, wird die verfolgte Zielsetzung einer erleichterten grenzüberschreitenden Konzernleitung nur in beschränktem Maße erreicht.135 Eine signifikante 130 Drygala verweist exemplarisch auf das eher früh eingreifende deutsche Regime sowie auf das sehr spät reagierende englische System des wrongful trading, vgl. Drygala, AG 2013, 198 (205); dazu auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 127 f.; Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (658). 131 Auch die Reflection Group betont diese Funktion, wenn sie Folgendes konstatiert: „Any EU legislation and/or recommendation on groups of companies should seek to maintain and enhance the flexibility of the management of groups in its international business activities.“, vgl. Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 59. Für eine Fortentwicklung des Konzernrechts vom Schutzrecht zu einem sogenannten enabling law vehement plädierend Teichmann, AG 2013, 184 (189 ff.). 132 Drygala, AG 2013, 198 (205). 133 Drygala, AG 2013, 198 (205); vgl. dazu auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 27. 134 Drygala, AG 2013, 198 (203 f.). 135 Drygala, AG 2013, 198 (203).
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Verbesserung der „Group Corporate Governance“ ist aber nicht ohne die Anerkennung eines Weisungsrechts der Muttergesellschaft denkbar.136 Darüber hinaus erscheint fraglich, ob die durch die Reflection Group angeregte legislative Form einer Empfehlung geeignet ist, um der angestrebten europaweiten Anerkennung des Gruppeninteresses zur Wirksamkeit zu verhelfen.137 Empfehlungen sind gemäß Art. 288 V AEUV unverbindlich. Zwar lässt sich aus der Unverbindlichkeit einer Empfehlung nicht ihre rechtliche Bedeutungslosigkeit ableiten;138 diese legislative Handlungsoption kann vielmehr zur „weichen“, influenzierenden Steuerung eingesetzt werden.139 Zudem kann sie eine psychologisch-politische Wirkung zeitigen.140 Allerdings würde eine Empfehlung vermutlich keine nachhaltige Wirkung entfalten. Für die wirkungsvolle Implementierung prädestiniert wäre nach überzeugender Ansicht eine Richtlinie nach Art. 288 III AEUV.141 Mithilfe dieser Handlungsform könne die Anerkennung des Gruppeninteresses in Gestalt einer Neuausrichtung der Organpflichten von Geschäftsleitern gruppenangehöriger Gesellschaften als Zielsetzung formuliert und durch die einzelnen Mitgliedstaaten flexibel umgesetzt werden.
IV. Der Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups Ein weiterer Vorschlag mit Relevanz für das Gruppeninteresse wurde im Jahre 2015 durch das Forum Europaeum on Company Groups unterbreitet.142 Im Unterschied zur High Level Group und der Reflection Group handelte es sich bei dem Forum Europaeum on Company Groups um einen privat organisierten Arbeitskreis.143 136 Diese würde allerdings flankierende Regelungen zum Gläubiger- und Minderheitenschutz erfordern. Ob ein derartig umfassendes Regelungskonzept auf europäischer Ebene konsensfähig ist, wird bezweifelt, vgl. Drygala, AG 2013, 198 (203 f.). 137 Dies bejahend Conac, ECFR 2013, 194 (213); zweifelnd indes Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (342 f.). 138 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 95; Schweitzer/Hummer/ Obwexer, Europarecht, Rn. 312. 139 Ruffert, in: Grundlagen des Verwaltungsrechts, Rn. 37. 140 Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 288 AEUV Rn. 208; Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht, Rn. 314. Diese Wirkung schwebte wohl auch der Reflection Group vor, als sie von einer Anregung („incentive“) sprach, vgl. Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 65. 141 Teichmann, AG 2013, 184 (197); skeptischer gegenüber der rechtspolitischen Eignung von Richtlinien im europäischen Konzernrecht Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (68); Teichmann, ZGR 2017, 485 (501 ff.). 142 Die Vorschläge sind unter dem Titel „Eckpunkte für einen Rechtsrahmen zur erleichterten Führung von grenzüberschreitenden Unternehmensgruppen in Europa“ in ZGR 2015, 507 (507 ff.) abgedruckt. 143 Diesem gehörten Conac, Druey, Forstmoser, Habersack, Hansen, Hommelhoff, Kalss, Krieger, Lennarts, Lutter, Teichmann, von Werder und Wymeersch an.
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1. Grundzüge des Vorschlags Das Forum Europaeum on Company Groups fokussierte in seinem Vorschlag – wie bereits der Titel desselben zeigte – rechtliche Fragestellungen im Zusammenhang mit der Leitung einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe. Der Zuschnitt des Forschungsvorhabens war damit deutlich enger als der von den bislang dargestellten Wissenschaftlerkollektiven gewählte. Die Leitung einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe wollte das Forum Europaeum on Company Groups durch die Formulierung von Eckpunkten, namentlich zur Anerkennung des Gruppeninteresses sowie zur Herstellung von Transparenz, operationalisierbar machen.144 Beweggrund für die Unterbreitung eines Regelungsvorschlags zum europäischen Konzernrecht war die bestehende Rechtsunsicherheit in Europa. Das Forum Europaeum on Company Groups erblickte in der Schaffung gesetzlicher Regeln für die grenzüberschreitende Unternehmensgruppe in Europa „eine gewichtige Herausforderung für die Rechtspolitik“,145 der die Europäische Union nicht in hinreichendem Maße Rechnung getragen hatte. Die vorgebrachten Anregungen sollten nach Vorstellung des Forum Europaeum on Company Groups im Wege der Kernbereichsharmonisierung umgesetzt werden.146 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups Zentrales Instrument zur Verwirklichung des Gruppeninteresses ist ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft. Nach dem Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups sollen Tochtergesellschaften grundsätzlich verpflichtet sein, den Weisungen der Muttergesellschaft Folge zu leisten – selbst dann, wenn die Weisung dem Tochtereigeninteresse zuwiderläuft.147 Dieser Grundsatz gilt freilich nicht uneingeschränkt. Die Reichweite des Weisungsrechts ist vielmehr an das Vorliegen spezifischer Voraussetzungen geknüpft.148 Um der Konzernrealität gerecht zu werden, differenziert das Forum Europaeum on Company Groups bei der Formulierung dieser Voraussetzungen zwischen sogenannten Servicegesellschaften sowie Regulären Tochtergesellschaften.149
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Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (509). Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (509). 146 Dies bringt der Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups eher implizit zum Ausdruck, wenn er statuiert: „Daher strebt der hier vorgelegte Vorschlag auf keinen Fall danach, eine umfassende Gesamtregelung für die Unternehmensgruppe wiederzubeleben (…)“, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (510); in diesem Sinne auch Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (4). 147 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (511). 148 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (511). 149 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (511 ff.). 145
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
Nach der Definition des Forum Europaeum on Company Groups müssen drei Tatbestandsvoraussetzungen kumulativ erfüllt sein, um eine Tochtergesellschaft als Servicegesellschaft zu qualifizieren: „In ihren Aktivitäten muss sich die Tochter ausschließlich auf Hilfsleistungen innerhalb der Unternehmensgruppe beschränken; sie dient allein den Interessen anderer Gruppengesellschaften und erbringt ihnen Leistungen beispielsweise bei der Finanzierung oder Vermögensverwaltung, beim Vertrieb und Service oder in Zentralfunktionen wie Personalwirtschaft, Unternehmensplanung oder Rechtsdiensten. In ihrer Größe darf die Tochtergesellschaft nicht zwei der drei EU-Grenzwerte für mittelgroße Unternehmen überschreiten: Sie darf nicht mehr als 250 Arbeitnehmer beschäftigen oder nicht mehr als 40 Mio. Euro Umsatz jährlich erlösen oder keine Bilanzsumme von mehr als 20 Mio. Euro aufweisen. Ihre Anteile müssen vollständig von einer oder mehreren Gruppengesellschaften gehalten werden.“150
Als Reguläre Tochtergesellschaften gelten diejenigen Tochtergesellschaften, die die an Servicegesellschaften gestellten tatbestandlichen Anforderungen nicht erfüllen.151 Darüber hinaus steht es Servicegesellschaften frei, den Status einer Regulären Tochtergesellschaft zu wählen.152 a) Weisungsrecht der Muttergesellschaft gegenüber Servicegesellschaften Das Weisungsrecht der Muttergesellschaft gegenüber Servicegesellschaften ist weitreichend: Die als Servicegesellschaft qualifizierte Tochtergesellschaft muss alle Mutterweisungen befolgen; ausgenommen sind Weisungen, die die Tochtergesellschaft außerstande setzen, ihre innerhalb von zwölf Monaten nach der Weisung fällig werdenden Verbindlichkeiten gegenüber gruppenfremden Dritten zu erfüllen.153 Diese Ausnahme greift nicht, sofern die Mutter-, eine andere Gruppengesellschaft oder ein Dritter eine nachweisbare dynamische Garantie für alle Tochteraußenverbindlichkeiten übernommen hat.154 Eine rote Linie zieht der Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups bei existenzgefährdenden Weisungen: Diese dürfen unter keinen Umständen befolgt werden.155
150
Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512). Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512). 152 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512 f.): Sogenanntes opting in. 153 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512). 154 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512). Vertiefend zu dieser Liquiditätsgarantie Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (335 f.). 155 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512). 151
B. Konzeptionelle Konturierung
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b) Weisungsrecht der Muttergesellschaft gegenüber Regulären Tochtergesellschaften Reguläre Tochtergesellschaften werden nach dem Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups einem qualifizierten Schutzregime unterstellt.156 Dieses Regime erkennt einer Regulären Tochtergesellschaft einen Bereich eigenständig zu gestaltender Unternehmenspolitik und einen entsprechenden Verantwortungsbereich zu ihrer Umsetzung zu.157 Die Formulierung der an dieses Schutzregime gestellten Anforderungen orientiert sich an der Rozenblum-Doktrin.158 Demnach erfordert das qualifizierte Schutzregime eine gefestigte und durchsichtige Gruppenstruktur sowie eine ausgewogen abgestimmte Gruppenpolitik.159 Das Schutzsystem soll nach der Vorstellung des Forum Europaeum on Company Groups auch rechtliche Mechanismen für related party transactions160 bereithalten, sofern die in Rede stehende Transaktion nicht zum gewöhnlichen Geschäft der Tochter gehört: In solchen Fällen muss ein unabhängiger Sachverständiger eine Fairness Opinion erstellen, die die Vor- und Nachteile vor dem Hintergrund der langfristigen Gruppenpolitik bewertet.161 Eine für ihre Gesellschaft unbillige Transaktion dürfen die Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft nicht durchführen.162 Bei Wahrung der Anforderungen an das qualifizierte Schutzregime steht der Muttergesellschaft ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Regulären Tochtergesellschaft zu.163
156
Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512 f.). Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (513). 158 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (513). 159 Während die Gruppenstruktur der einzelnen Tochtergesellschaft Freiräume bei gleichzeitiger Einbindung in die Gruppenstruktur einräumen soll, dient die ausgewogen abgestimmte Gruppenpolitik dem planmäßigen Ausgleich der Einzelinteressen der einzelnen Gruppengesellschaften, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (513). 160 Unter dem Schlagwort related party transaction werden Konzepte zur Regulierung bestimmter Geschäfte mit der Gesellschaft Nahestehenden wie etwa Mitgliedern ihrer Geschäftsleitung oder ihres Aufsichtsorgans, aber auch mit verbundenen Unternehmen diskutiert, vgl. Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (66); vgl. zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (Richtlinie 2017/828/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre), die eine Regulierung von related party transactions vorsieht, im Referentenentwurf aus dem Jahre 2018 Lieder/Wernert, ZIP 2018, 2241 (2241 ff.). Eine knappe Gegenüberstellung des Vorschlags des Forum Europaeum on Company Groups sowie des Richtlinienentwurfs 2015 (Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Einbeziehung der Aktionäre sowie der Richtlinie 2013/34/EU in Bezug auf bestimmte Elemente der Erklärung zur Unternehmensführung) findet sich bei Böckli, in: Corporate Governance, 363 (383). 161 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (513). 162 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (513). 163 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (511). 157
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
c) Zwischenergebnis Das abgestufte Konzept, das das Forum Europaeum on Company Groups vorschlug, ermöglicht die Berücksichtigung des Gruppeninteresses in unterschiedlicher Intensität: Servicegesellschaften weisen aufgrund ihrer dienenden Funktion kein nennenswertes Eigeninteresse auf, weshalb sie gänzlich in den Dienst der Unternehmensgruppe gestellt werden dürfen. Regulären Tochtergesellschaften wird demgegenüber ein gewisses Maß an Eigenständigkeit – mithin auch ein schutzwürdiges Eigeninteresse – zugestanden, das nur dann durch das Gruppeninteresse überlagert werden darf, wenn die dargestellten Voraussetzungen erfüllt sind. Die Konzeption zur Anerkennung des Gruppeninteresses mithilfe eines Weisungsrechts wird durch Offenlegungspflichten flankiert. So müssen Servicegesellschaften ihre Einbeziehung in eine bestimmte Unternehmensgruppe und ihre konkrete Unterstützungsfunktion nicht allein in ihrer Firma, sondern darüber hinaus auch in ihrer Geschäftskorrespondenz deutlich machen.164 Für Reguläre Tochtergesellschaften sind jährlich zwei durch einen unabhängigen Sachverständigen geprüfte Sonderberichte zu veröffentlichen: Ein Strukturbericht der Muttergesellschaft, der die Unternehmensverbindungen innerhalb der Gruppe sowie die im Berichtszeitraum zur Anwendung gebrachten Prinzipien der Gruppenleitung und -kontrolle erläutert, sowie ein Transaktionsbericht der Tochtergesellschaft.165 Das Forum Europaeum on Company Groups regte eine Umsetzung seiner Vorschläge auf supranationaler Ebene an. Demnach sollte die Europäische Union die Regelungssysteme zur Servicegesellschaft einerseits sowie zur Regulären Tochtergesellschaft andererseits in einer Richtlinie kodifizieren.166 Allein das legislative Handlungsinstrument der Richtlinie sei in der Lage, das angestrebte Harmonisierungsniveau zu erreichen und somit die Bildung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen zu erleichtern. Bei der Wahl einer wirkungsvollen Sanktionierung im Falle von Verstößen gegen die vorgeschlagenen Regelungen sollte die Europäische Union den Mitgliedstaaten nach Vorstellung des Forum Europaeum on Company Groups Handlungsspielräume einräumen.167
164
Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514). Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514). 166 Das Forum Europaeum on Company Groups schlug in diesem Zusammenhang vor, die Anregungen zu den Servicegesellschaften mit den Arbeiten an einer SUP-Richtlinie zu verknüpfen und das Regelungsregime für Reguläre Tochtergesellschaften in einem eigenständigen Gesetzgebungsprozess zu behandeln, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); dazu auch Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (332 f., 344). 167 Dabei wurden nicht nur zivilrechtliche Regelungen, sondern auch solche des Verwaltungs- und Strafrechts als taugliche Sanktionierungsmechanismen identifiziert, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514). 165
B. Konzeptionelle Konturierung
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d) Begründung des Vorschlags Das Forum Europaeum on Company Groups verfolgte mit seinem Vorschlag vier Zielsetzungen:168 Zunächst erachtete es die Tätigkeit europaweit, mithin grenzüberschreitend aktiver Unternehmensgruppen als förderungswürdig, weshalb ihre Bildung, Umstrukturierung und gefestigte Führung erleichtert werden sollten. Die einzelnen Tochtergesellschaften sollten in ihrem Status als eigenständige Rechtssubjekte jedoch unbeeinträchtigt bleiben. Weiterhin sollte ein Konzernrechtsregime geschaffen werden, mithilfe dessen sich die rechtliche Situation einer Mehrzahl von Tochtergesellschaften in unterschiedlichen Mitgliedstaaten variantenlos einheitlich beurteilen lässt. Überdies sollten durch den Regelungsvorschlag kleine und mittlere Unternehmensgruppen in den gesetzgeberischen Fokus rücken und dadurch zur Bildung grenzüberschreitender Gruppenstrukturen ermutigt werden.169 Schließlich sollte ein leicht anwendbares, damit gerade auch für kleine und mittlere Unternehmensgruppen problemlos zu adaptierendes Rechtsregime angeboten werden. e) Inhalt des Gruppeninteresses nach dem Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups Auch das Forum Europaeum on Company Groups unternahm keinen Versuch einer inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses. Die „Anerkennung des Gruppeninteresses“ wurde vielmehr als rechtspolitisches Stichwort verstanden, hinter dem sich die Konzeption eines Konzernorganisationsrechts, das sich zuvörderst der Leitung und Lenkung des Konzerns im europäischen Binnenmarkt widmet, verbirgt.170 Die Schaffung derartiger Mechanismen zur Konzernleitung dient darüber hinaus den Geschäftsleitern der Tochtergesellschaften, die – wenn man mit dem Forum Europaeum on Company Groups ein weitreichendes Weisungsrecht der Muttergesellschaft etabliert – von ihrer Verpflichtung gegenüber dem Eigeninteresse der Tochtergesellschaft partiell entbunden werden.171 168 Dazu und zum Folgenden Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (510 f.). 169 Zur wirtschaftlichen Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmensgruppen und ihrer damit einhergehenden Förderungswürdigkeit Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (326); Ott, in: Corporate Governance, 433 (436). Warum grenzüberschreitende Aktivitäten gerade für kleine und mittlere Unternehmensgruppen essentiell sind, erläutert beispielhaft Teichmann, RIW 2010, 120 (120). 170 Hommelhoff, in: Corporate Governance, 357 (357); Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (5 f.). 171 Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (64); Teichmann, in: Corporate Governance, 3 (6).
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
3. Zusammenfassende Würdigung Dem Forum Europaeum on Company Groups gelang es aufgrund seiner klaren thematischen Fokussierung auf die Gruppenleitung im grenzüberschreitenden Konzern, prägnante Ergebnisse zu formulieren. Die Vorschläge wurden – gerade auch durch Vertreter der Konzernrechtspraxis – grundsätzlich begrüßt.172 Allerdings riefen die Anregungen auch Kritiker auf den Plan, die die vorgeschlagene Konzeption für optimierungsbedürftig hielten. Die Verwirklichung des Gruppeninteresses durch ein Weisungsrecht mit divergierender Reichweite – das Herzstück und zugleich zentrales Evolutionsmerkmal des Vorschlags des Forum Europaeum on Company Groups – wurde hierbei nicht infrage gestellt. Dies überrascht zunächst, da sich die zuvor aktiven Wissenschaftlerkollektive jedenfalls nicht explizit zu einem derartigen Weisungsrecht bekannt hatten. Außerdem existiert in Gestalt der sogenannten Personalschiene ein alternativer Leitungsmechanismus.173 Unter der „Personalschiene“ versteht man die rechtlich fundierte Möglichkeit der Konzernmutter, die Positionen in der Tochtergeschäftsleitung zu besetzen.174 Da der Tochtergeschäftsleitung jederzeit eine begründungslose Abberufung oder auch eine Versagung der Wiederbestellung droht, werden deren Mitglieder auf Gruppenkurs gehalten und gegenüber den Lenkungs- und Führungsimpulsen der Konzernmutter geöffnet.175 Wenngleich die sogenannte Personalschiene die rechtliche Basis für den faktischen Konzern des deutschen Aktiengesetzes bildet,176 bietet sie – insbesondere im internationalen Kontext177 – keine taugliche Alternative für das Weisungsrecht der Mutter- und die mit diesem korrespondierende Folgepflicht der Tochtergesellschaft: Die auf der „Personal172 Exemplarisch für die grundsätzlich positive Bewertung durch die Konzernrechtspraxis steht der Beitrag von Franzmann, in: Corporate Governance, 393 (393 ff.); vgl. außerdem Böckli, in: Corporate Governance, 363 (392): „Klarsichtige und weiterführende Analyse“; Ott, in: Corporate Governance, 433 (447): „Gerade im Interesse der Praxis erscheint es unumgänglich, einen europaweit einheitlichen Rahmen zu schaffen, der einerseits dem legitimen Leitungsinteresse der Muttergesellschaft Rechnung trägt, andererseits indes einen ,safe harbour‘ schafft, der es dem Tochter-Geschäftsführer ermöglicht, Verbundinteressen unter europaweit einheitlich definierten Voraussetzungen zu berücksichtigen (…)“; Raiser, in: Corporate Governance, 461 (461): „Insbesondere teile ich die Ansicht, (…) eine im Zivilrecht verankerte strukturelle Lösung vorzusehen, nach welcher das Gruppeninteresse als Leitmaxime für das unternehmerische Handeln der Organe sowohl des herrschenden wie auch der abhängigen Unternehmen anerkannt, darauf gestützte Weisungen des herrschenden Unternehmens legalisiert und damit die zentrale Steuerung einer Unternehmensgruppe mit Tochtergesellschaften im (europäischen) Ausland formalrechtlich ermöglicht wird“. 173 Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (338 f.). 174 Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (338). 175 Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (338). 176 Bayer, in: MünchKommAktG, § 17 Rn. 26; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 59 Rn. 16. 177 Dies ergibt sich schon aus der Divergenz der Abberufungsmöglichkeiten in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, vgl. Ziegler, Konzernleitung im Binnenmarkt, 22.
B. Konzeptionelle Konturierung
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schiene“ beruhenden Einflüsse bewirken Intransparenz und Überforderung der Tochtergeschäftsleiter.178 Außerdem höhlen sie die Kontrollfunktion dieser Geschäftsleiter aus und schwächen im Ergebnis auch die Stakeholder der Tochter.179 Das Weisungsrecht der Muttergesellschaft, dessen Fehlen im Zusammenhang mit dem Vorschlag der Reflection Group noch moniert worden war, ist demgegenüber berechtigterweise als zweckmäßiges Instrument zur Gruppenleitung zu würdigen. Kontroverse Diskussionen resultierten jedoch aus dem Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups, die Reichweite des Weisungsrechts an spezifische Voraussetzungen zu knüpfen. Der Ausgangspunkt des Forum Europaeum on Company Groups, das der Konzernrealität Rechnung tragend zwischen unterschiedlichen Tochtergesellschaftstypen differenziert, wurde dabei positiv bewertet.180 Gravierende Zweifel wurden jedoch hinsichtlich der Richtigkeit der Wahl des Differenzierungskriteriums geäußert. Die durch das Forum Europaeum on Company Groups vorgenommene Abgrenzung zwischen Servicegesellschaften und Regulären Tochtergesellschaften anhand der oben dargestellten Merkmale, die unter anderem dem europäischen Bilanzrecht entnommen sind,181 wurde überwiegend als untauglich qualifiziert.182 Es wurde vorgeschlagen, im Rahmen der Prüfung der Anwendbarkeit des vereinfachten Rechtsregimes stattdessen an die Qualifikation als Ein-PersonenGesellschaft anzuknüpfen.183 Der Anwendungsbereich dieses Regimes könnte nach dieser Auffassung – wie vom Forum Europaeum on Company Groups angeregt – 178
Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 175; Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (338). 179 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 175; Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (338). 180 Franzmann, in: Corporate Governance, 393 (399). 181 Der Vorschlag knüpft an Art. 3 III der EU-Bilanz-RL (Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates) an, wird indes sprachlich leicht variiert; kritisch zu dieser Variation J. Schmidt, in: Corporate Governance, 467 (469 f.). 182 Franzmann, in: Corporate Governance, 393 (404 f.); Ott, in: Corporate Governance, 433 (452); Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 31; sehr knapp und eher implizit Böckli, in: Corporate Governance, 363 (365); zustimmend demgegenüber Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 101 f., die die Differenzierung aufgreift, terminologisch indes leicht abwandelt und von „eigenständigen Gesellschaften“ sowie von „Hilfsgesellschaften“ spricht. J. Schmidt, in: Corporate Governance, 467 (467 ff.) billigt das durch das Forum Europaeum on Company Groups vorgeschlagene Differenzierungskriterium jedenfalls implizit. 183 Franzmann, in: Corporate Governance, 393 (404 f.); Ott, in: Corporate Governance, 433 (452); Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 31. Differenzierend Raiser, der allein an die „formalen und daher sicherer zu handhabenden Merkmale der Größe einer Servicegesellschaft und des Fehlens außenstehender Gesellschafter“, nicht aber an die Erbringung von Serviceleistungen anknüpfen will, vgl. Raiser, in: Corporate Governance, 461 (462).
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
zusätzlich auf Mehrpersonen-Gesellschaften erstreckt werden, deren Anteile in ausschließlichem Gruppenbesitz stehen.184 Das Forum Europaeum on Company Groups rechtfertigte das von ihm gewählte Abgrenzungskriterium unter Verweis auf die reduzierte Bedeutung des Stakeholder-Schutzes in Servicegesellschaften.185 Wegen ihres relativ geringen Gewichts innerhalb der Servicegesellschaften seien Arbeitnehmer sowie das übrige Umfeld der Gesellschaft durch nationales Arbeits-, Umwelt- und Steuerrecht hinreichend geschützt. Ein darüber hinaus gehender gruppenspezifischer Schutz sei nicht erforderlich. Allerdings konzedierte auch das Forum Europaeum on Company Groups, dass für die Möglichkeit einer Reduktion des Schutzniveaus in Servicegesellschaften – neben den Erwägungen zum Stakeholder-Schutz – das Fehlen von Minderheitsgesellschaftern entscheidend ist.186 Vor diesem Hintergrund wäre der Verzicht auf Anleihen im europäischen Bilanzrecht durchaus plausibel gewesen. Für einen Rekurs auf die Gesellschafterzusammensetzung bei der Prüfung der Anwendbarkeit des vereinfachten Rechtsregimes sprechen nicht nur die größere Reichweite einer derartigen Anknüpfung und die damit einhergehende Erleichterung der Gruppenleitung.187 Auch würde die Abgrenzung zwischen den unterschiedlichen Tochtergesellschaftstypen handhabbar gemacht. Die durch das Forum Europaeum on Company Groups vorgeschlagene Definition der Servicegesellschaft stellt sich – insbesondere wegen des tätigkeitsbezogenen Tatbestandsmerkmals der internen Serviceerbringung – als problematisch dar.188 So überschätzt der Regelungsvorschlag die Bedeutung von ausschließlich Serviceleistungen erbringenden Gesellschaften innerhalb der Unternehmensgruppe und verkennt zugleich die Bedeutung sogenannter Shared Services-Gesellschaften, also Gesellschaften, die zwar gruppenweit Serviceleistungen erbringen, ihre Leis-
184
Ott, in: Corporate Governance, 433 (452). Stellvertretend für das Forum Europaeum on Company Groups: Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (331). 186 Stellvertretend für das Forum Europaeum on Company Groups: Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (331). 187 Franzmann, in: Corporate Governance, 393 (404 f.), der die vorgeschlagene Regelung als „konzernrechtliche De-Minimis-Ausnahme“, die keine taugliche Lösung für integrierte Unternehmensgruppen darstellt, qualifiziert, bei seiner Argumentation indes jegliches Eigeninteresse der Tochtergesellschaften in der Unternehmensgruppe negiert. Damit verkennt Franzmann eine der durch das Forum Europaeum on Company Groups formulierten Prämissen, in der es heißt: „Die Interessen der Muttergesellschaft sind ebenso zu berücksichtigen wie die der einzelnen Tochtergesellschaften und ihrer stakeholder.“, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (510); vgl. außerdem Ott, in: Corporate Governance, 433 (451 f.) sowie Böckli, in: Corporate Governance, 363 (365), der die Größenbeschränkung der vorgeschlagenen Regelung für „nicht sinnvoll“ befindet. 188 Ott, in: Corporate Governance, 433 (450); ähnlich auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/ Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 31, die befürchten, dass sich der Ansatz des Forum Europaeum on Company Groups mangels Möglichkeiten einer sauberen Grenzziehung zwischen Servicegesellschaften und Regulären Tochtergesellschaften nicht rechtssicher umsetzen lässt. 185
B. Konzeptionelle Konturierung
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tungen allerdings zugleich extern am Markt anbieten.189 Die Definition des Forum Europaeum on Company Groups leidet vor diesem Hintergrund an tatbestandlicher Unschärfe, da sie keine Anhaltspunkte dafür liefert, wann sich die Tätigkeit einer „Tochter ausschließlich auf Hilfsleistungen innerhalb der Unternehmensgruppe“ beschränkt, sondern sich in der Aufzählung einiger Regelbeispiele erschöpft.190 Den Kritikern des durch das Forum Europaeum on Company Groups gewählten Differenzierungskriteriums ist daher beizupflichten; eine Anknüpfung an die hundertprozentige Gruppenzugehörigkeit würde die Praxistauglichkeit des Regelungsvorschlags erhöhen. Akzeptiert man die vom Forum Europaeum on Company Groups postulierte Differenzierung zwischen Servicegesellschaften und Regulären Tochtergesellschaften, so rückt das qualifizierte Rechtsregime, das seinerseits die RozenblumDoktrin rezipiert, in den Fokus der Kritik. In diesem Zusammenhang wurde zunächst die generelle Eignung der Rozenblum-Doktrin für die Bewertung konzernrechtlicher Sachverhalte in Zweifel gezogen.191 Die Rozenblum-Doktrin böte aufgrund ihrer strafrechtlichen Provenienz lediglich einen groben, nicht aber den für das Gesellschaftsrecht erforderlichen feinen Ansatz.192 Dies manifestiere sich nicht zuletzt darin, dass die Doktrin nicht zwischen hundertprozentigen Tochtergesellschaften und solchen, an denen außenstehende Gesellschafter beteiligt sind, differenziert. Außerdem wurde dem qualifizierten Schutzsystem das Potenzial zur Behinderung der Führung hundertprozentiger Tochtergesellschaften im grenzüberschreitenden Verhältnis attestiert.193 Begründet wurde dies nicht nur mit der Orientierung an einem ungeeigneten, dem französischen Strafrecht entstammenden Modell,194 sondern auch mit der Undurchführbarkeit des durch das Forum Europaeum on Company Groups vorgesehenen geschäftsplanmäßigen Ausgleichs.195 So existiere zwischen hundertprozentigen Tochtergesellschaften innerhalb grenzüberschreitender Unternehmensgruppen regelmäßig ein Geflecht wertrelevanter Beziehungen, Transaktionen, kurz- oder mittelfristiger Schuld- und Forderungsverhältnisse, immaterieller Wert189 Ausführlich dazu Ott, in: Corporate Governance, 433 (450 ff.), der auch Beispiele für Shared-Service-Gesellschaften liefert. So offerierten insbesondere IT- oder Facility Management-Gesellschaften, die grundsätzlich in Gruppenstrukturen eingebunden sind, auch gruppenfremden Dritten ihre Dienste. Eine vergleichbare Ambivalenz ergäbe sich im Hinblick auf Finanzierungsgesellschaften, die einerseits das Cash-Management einer Unternehmensgruppe übernehmen, andererseits jedoch auch als Vehikel zur Begebung von Anleihen oder anleiheähnlichen Fremdfinanzierungsinstrumenten fungieren. 190 Ähnlich Ott, in: Corporate Governance, 433 (451). 191 Böckli, in: Corporate Governance, 363 (381 ff.). 192 Vgl. zu diesem Kritikpunkt Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 96, die in dem strafrechtlichen Ursprung der Rozenblum-Doktrin kein Problem erblickt, sondern die Austrahlungswirkung der Doktrin über das französische Strafrecht hinaus betont. 193 Böckli, in: Corporate Governance, 363 (385 ff.). 194 Eingehend zum „Doppelleben“ der Rozenblum-Doktrin in Deutschland und Frankreich Böckli, in: Corporate Governance, 363 (386 f.). 195 Böckli, in: Corporate Governance, 363 (387 ff.).
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ströme und unsichtbarer Vor- und Nachteile der Zugehörigkeit zum Gesamtunternehmen; dieses Geflecht mache in Verbindung mit den rasch wechselnden internationalen wirtschaftlichen Verhältnissen einen Ausgleich schwer plan- und realisierbar.196 Ferner gebe die Offenlegung des Strukturplans, durch die das Ausgleichsystem nach Vorstellung des Forum Europaeum on Company Groups abgesichert werden soll, die Geschäftsgeheimnisse der Unternehmensgruppe preis.197 Überdies fehle es an wirkungsvollen Instrumenten, um die Einhaltung der Verpflichtung zum Ausgleich durchzusetzen.198 Während der Kritik an der RozenblumDoktrin grundsätzlich beigepflichtet werden kann,199 wird nicht deutlich, inwieweit die Undurchführbarkeit des im Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups vorgesehenen Ausgleichs mit der Gesellschafterzusammensetzung in der Tochtergesellschaft zusammenhängt. Diesem Kritikpunkt würde freilich der Nährboden entzogen, wenn man ein anderes Differenzierungskriterium wählen und daran anknüpfen würde, ob die Anteile an einer Tochtergesellschaft zu hundert Prozent durch Gruppengesellschaften – inklusive der Muttergesellschaft – gehalten werden oder nicht.200 Aller Kritik zum Trotz kann abschließend festgehalten werden, dass der Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups die durch vorangegangene Wissenschaftlerkollektive vorangetriebene Entwicklung des europäischen Konzernrechts auf eine neue Stufe hob. Dies gelang insbesondere durch die präzise Formulierung eines in sich schlüssigen Regelungskonzepts zur Erleichterung der Leitung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen.
V. Der Vorschlag des Club des Juristes Ebenfalls im Jahr 2015 entstand eine Abhandlung des Club des Juristes, einer juristischen Denkfabrik aus Frankreich, mit dem Titel „Vers une reconnaissance de l’intérêt de groupe dans l’Union européenne?“.201 Auch diese Gruppierung wählte für 196
Böckli, in: Corporate Governance, 363 (388). Böckli, in: Corporate Governance, 363 (388 f.). 198 Böckli, in: Corporate Governance, 363 (389). 199 Dazu § 3 B. I. 3. 200 Dies schwebt wohl auch Böckli vor, wenn er Folgendes konstatiert, vgl. Böckli, in: Corporate Governance, 363 (390): „(…) die 100 %ige Tochtergesellschaft [bietet] den schutzwürdigen Interessenträgern – unter ihnen vor allem den Gläubigern – den ihnen gebührenden Schutz durch die residuale Eigenwirtschaftlichkeit und die Einhaltung der zwingenden Rechtsordnung. Ein darüber hinausgehendes System des längerfristigen Ausgleichs unter den einzelnen 100 %igen Tochtergesellschaften ist weder praktikabel noch notwendig zum Schutz der Gläubiger und der anderen lokalen Stakeholder. (…)“ 201 Le Club des Juristes, Rapport. Federführend aktiv waren Outin-Adam, Martin sowie Conac. Ebenfalls an der Erstellung des Rapports beteiligt waren Arnaud-Faraut, Reita-Tran, Allain, Baret, Brosses, Ceintre, Elbaz, Guillaume, Jacquiot, Rognon, Teichmann, UrbainParléani und Valuet. 197
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ihre Forschungen einen engen, auf die „Anerkennung des Gruppeninteresses“ zugeschnittenen Ansatz. Der Club des Juristes sah sich im Zusammenhang mit den Arbeiten der Reflection Group202 sowie dem durch die Europäische Kommission erstellten Aktionsplan203 veranlasst, die Entwicklungen im europäischen Konzernrecht insbesondere aus praktischer Sicht zu beleuchten und einen eigenen Regelungsvorschlag beizusteuern.204 Hierbei hob er die Notwendigkeit einer flexiblen und rechtssicheren Ausgestaltung der Gruppenleitung, namentlich im grenzüberschreitenden Kontext, sowie die große ökonomische Bedeutung von Unternehmensgruppen hervor.205 Der Club des Juristes orientierte sich bei der Formulierung seines Regelungsvorschlags an zuvor erarbeiteten Anregungen anderer Wissenschaftlerkollektive und rezipierte dementsprechend – wie die zentrale Passage des Vorschlags zeigt – die Rozenblum-Kriterien: „L’intérêt de groupe pourrait être reconnu tant sur le plan de la responsabilité pénale que civile, à l’égard des dirigeants de filiales comme de sociétés mères; pour être caractérisé, il nécessiterait la réunion des conditions suivantes: *
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appartenance à un même groupe, du fait de l’existence de liens structurels entre les sociétés et de la mise en œuvre d’une stratégie commune; conformité de la décision à l’intérêt du groupe, sans mise en péril de la société qui en supporte la charge; existence d’une contrepartie au bénéfice de cette dernière.
Dans le cas de filiales à 100 %, le seul critère d’absence de mise en péril pourrait être suffisant.“206
Diese Vorschrift sollte durch rechtliche Mechanismen, die außenstehende Gesellschafter sowie Gläubiger informieren und schützen, ergänzt werden.207 Auch der Club des Juristes tendierte dazu, die Vorschriften zum Gruppeninteresse auf su202
Dazu § 3 B. III. Aktionsplan COM(2012) 740 final; dazu § 4 C. II. 3. 204 Le Club des Juristes, Rapport, 9 ff. 205 Le Club des Juristes, Rapport, 9 f. 206 Le Club des Juristes, Rapport, 13 f. In der englischen Version des Rapports hieß es wörtlich: „The group interest could be recognised at the level of criminal and civil liability, for the leaders of subsidiaries and parent companies; for it to be characterised, the following conditions must be fulfilled: belonging to a same group, based on the existence of structural links between the companies and the implementation of a common strategy; conformity of the decision to the group interest, with no endangering of the company that bears the charge of it; existence of a compensation to the benefit of the latter. In the case of wholly-owned subsidiaries, the sole criterion of not being put into danger could be enough.“ 207 Le Club des Juristes, Rapport, 14. 203
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pranationaler Ebene zu kodifizieren, dabei jedoch auf ein umfassendes Regelungsregime („droit des groupes“) zu verzichten.208 Als adäquates rechtliches Instrument wurde die Empfehlung nach Art. 288 V AEUV identifiziert, deren Eignung sich – den Experten des Club des Juristes zufolge – nicht nur aus ihrer Flexibilität, sondern auch aus dem vergleichsweise unkomplizierten legislatorischen Prozess, der der Verabschiedung einer Empfehlung vorausgeht, ergibt.209 Soweit es um die Würdigung der rechtstechnischen Implementierung geht, sei auf die Bewertung des Regelungsvorschlags der Reflection Group verwiesen.210 In der Sache entbehren die Anregungen des Club des Juristes jeglicher Innovation, da sie sich im Wesentlichen auf die Reproduktion bereits entwickelter Leitlinien beschränken.211 Dies zeigt sich maßgeblich in der konkreten Ausgestaltung des Regelungsvorschlags, der darauf zielt, dass Geschäftsleiter der Gesellschaften einer Unternehmensgruppe auch das Gruppeninteresse zum Maßstab ihres Handelns machen können, wenn spezifische, an der Rozenblum-Doktrin orientierte Voraussetzungen erfüllt sind. Auch die vom Club des Juristes vorgetragenen Begründungsansätze212 deuten darauf hin, dass er sich bei seiner Konzeption insbesondere von den Arbeiten der Reflection Group inspirieren ließ. Der Club des Juristes hebt sich partiell dadurch von den zuvor aktiven Wissenschaftlerkollektiven ab, dass er die Möglichkeit einer vereinfachten Anwendung der Rozenblum-Kriterien bei hundertprozentigen Tochtergesellschaften in Betracht zieht.213 Allerdings verzichtet er darauf, die Voraussetzungen für eine derartige Anwendung zu spezifizieren. Im Ergebnis bleibt der der Vorschlag des Club des Juristes sehr vage, weshalb er weder einen Beitrag zur Ermittlung des Begriffes oder der Konzeption des Gruppeninteresses noch zur Entwicklung des europäischen Konzernrechts leistet.
208
Le Club des Juristes, Rapport, 16. Le Club des Juristes, Rapport, 21 f. 210 Dazu § 3 B. III. 3. 211 Eine Ausnahme gilt für den – nur knapp ausgeführten – Vorschlag, eine weiße Liste an erlaubten Handlungen einzuführen, um die Rechtssicherheit zu erhöhen, vgl. dazu Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 24 f. 212 Le Club des Juristes, Rapport, 19 f.: Réduire les coûts de gestion; Faciliter la gestion interne des groups transfrontaliers; Mieux sécuriser les opérations intra-groupe. 213 Vgl. die oben zitierte Passage sowie Le Club des Juristes, Rapport, 24: „En présence de filiales à 100 %, on pourrait même envisager l’applicabilité d’un test Rozenblum simplifié, se limitant à la vérification de l’absence de mise en péril de la société.“ Dazu auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 24 f. sowie die eher kritische Betrachtung bei Böckli, in: Corporate Governance, 363 (382 f.). 209
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VI. Der Vorschlag der European Company Law Experts In Gestalt der European Company Law Experts bezog im Jahre 2016 eine weitere privat organisierte Gruppierung europäischer Wissenschaftler Stellung zum europäischen Konzernrecht.214 1. Grundzüge des Vorschlags In ihrem Regelungsvorschlag arbeiteten die European Company Law Experts zunächst die gesetzgeberischen Arbeiten der Europäischen Union im Zusammenhang mit Unternehmensgruppen sowie die durch das Forum Europaeum Konzernrecht und das Forum Europaeum on Company Groups unterbreiteten Regelungsvorschläge auf.215 Diesen Ausführungen schloss sich eine Analyse der für die rechtliche Behandlung der Unternehmensgruppe relevanten Themenfelder an.216 Hierbei zeichneten die Experten ein rechtsvergleichendes Panorama der gesetzlichen Handhabung des Gruppeninteresses einerseits und der related party transactions andererseits.217 Im Hinblick auf die Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses in den verschiedenen Rechtsordnungen identifizierten die European Company Law Experts drei unterschiedliche Ansätze:218 Das deutsche Aktienkonzernrecht, das mit seinem umfangreichen Regime und der Unterscheidung zwischen dem faktischen Konzern und dem Vertragskonzern ein kodifikatorisches Unikat bildet,219 wurde in diesem Zusammenhang von der Möglichkeit einer umfassenden Berücksichtigung des Gruppeninteresses nach Vorbild der Rozenblum-Doktrin sowie einem insolvenzrechtlich geprägten britischen Modell abgegrenzt.220 Überdies erörterten die European Company Law Experts Mechanismen sowohl zum Schutz von Minderheitsgesellschaftern als auch von Gläubigern.221 Die deskriptiven und vergleichenden Ausführungen wurden von einer Auseinandersetzung mit der Situation der Geschäftsleiter gruppenangehöriger Gesellschaften beschlossen.222 Die überblicksartige Darstellung bildete die Grundlage für insgesamt fünf sogenannte „Policy 214 Die Vorschläge sind unter dem Titel „A proposal for the Reform of Group Law in Europe“ in EBOR 2017, 1 (1 ff.) abgedruckt. Dem Wissenschaftlerkollektiv gehörten Böckli, Davies, Ferran, Ferrarini, Garrido Garcia, Hopt, Opalski, Pietrancosta, Roth, Skog, Soltynsinski, Winter, Winner, Wymeersch an. 215 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (3 ff.). 216 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (8 ff.). 217 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (8 ff.). 218 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (16 ff.). 219 Ein nach deutschem Vorbild konzipiertes Regime existiert lediglich in Portugal, vgl. J. Schmidt, DK 2017, 1 (2). 220 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (16 ff.). Eine ähnliche Differenzierung findet sich bei Conac, ECFR 2013, 194 (199 ff.). 221 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (27 ff.). 222 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (39 ff.).
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
Recommendations“.223 Die Experten plädierten in ihrer ersten Empfehlung für legislatorische Zurückhaltung auf supranationaler Ebene, erkannten zugleich jedoch die Notwendigkeit der Schaffung eines level playing field für grenzüberschreitend tätige Unternehmensgruppen.224 Damit pflichteten die European Company Law Experts implizit den zuvor aktiven Wissenschaftlerkollektiven bei, die sich für eine Kernbereichsharmonisierung ausgesprochen hatten. 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der European Company Law Experts In den übrigen Empfehlungen unterstützten die Experten zuvörderst Maßnahmen zur supranationalen Regulierung der related party transactions. Der Zusammenhang zwischen der Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses und der Regulierungsbedürftigkeit dieser konzerninternen Transaktionen wurde in der zweiten Empfehlung hergestellt: „(…) One could sensibly characterise the group relationship – between parent and subsidiary, but also between other group entities or with controlling shareholders – as essentially reflecting a conflict of interest between the group, or the controlling shareholders and the interest of the subsidiary. The conflict may be prejudicial to the subsidiary but not necessarily so, or it may even be beneficial. In the latter case, the relationship should not be analysed as a conflict of interest but as part of the parent’s economic or financial policy. Although most legal systems have adopted provisions dealing with conflicts of interest between a director and the company, the group dimension is generally not included. Several sources indicate that the legal regime relating to conflicts of interest within the group context usually focus on transactions between group entities, their directors and shareholders, which is usually referred to as ,Related Party Transactions‘ (RPTs) (…).“225
Nach Ansicht der European Company Law Experts werden die Interessenkonflikte innerhalb einer Unternehmensgruppe sinnvoll aufgelöst, wenn related party transactions adäquat reguliert werden.226 Im Rahmen der Bewertung der Legitimität einer related party transaction soll das Gruppeninteresse grundsätzlich berücksichtigungsfähig sein, wenn zugleich die Interessen außenstehender Gesellschafter sowie der Gläubiger geschützt sind.227 223
European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (41 ff.). European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (41 f.): „No need for a fully-fledged European law on groups of companies.“ 225 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (42). Die Expertengruppe rekurriert in diesem Zusammenhang unter anderem auf eine Studie der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) aus dem Jahr 2012, vgl. OECD, Related Party Transactions and Minority Shareholders Rights. 226 Da eine adäquate Regulierung auch durch die neu geschaffene Aktionärsrechterichtlinie nicht bereitgehalten wird, verlangen die European Company Law Experts mannigfaltige Anpassungen, vgl. European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (43 ff.). 227 European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (45). 224
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Die Vorschläge der European Company Law Experts entbehren einer inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses. Das Gruppeninteresse und seine Anerkennung werden nur am Rande thematisiert. Stattdessen werden Vorschläge zur optimierten Regulierung von related party transactions unterbreitet, wobei das Gruppeninteresse als rechtfertigendes Kriterium vorgesehen ist. Ebenfalls unklar bleibt die durch die Expertengruppierung präferierte rechtstechnische Ausgestaltung der Regelungsvorschläge.228 Da sich diese jedoch maßgeblich auf eine Anpassung der Aktionärsrechterichtlinie beziehen, liegt der Rückschluss nahe, dass den European Company Law Experts eine Implementierung mittels Richtlinie gemäß Art. 288 III AEUV vorschwebt. 3. Zusammenfassende Würdigung Im Unterschied zu zuvor vorgebrachten Regelungsvorschlägen verschob der Beitrag der European Company Law Experts die Akzente: Während vorangegangene Wissenschaftlerkollektive die erleichterte Führung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen, mithin die organisationsrechtliche Funktion des Konzernrechts in den Vordergrund rückten, betonten die European Company Law Experts an vielen Stellen ihres Vorschlags das Erfordernis des wirksamen Schutzes von außenstehenden Gesellschaftern und Gläubigern in Konzernsachverhalten. Das Gruppeninteresse, das nach Auffassung anderer Expertengruppierungen als Instrument der geschmeidigen Leitung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen dienen soll, spielte im Vorschlag der European Company Law Experts die beschriebene, eher untergeordnete Rolle.229 Der Vorschlag ließ zudem offen, wie sich die Verschraubung von related party transactions und Gruppeninteresse im Einzelnen vollziehen soll.230 Damit gelang es den European Company Law Experts im Unterschied zu anderen Wissenschaftlerkollektiven nicht, das Gruppeninteresse in plausibler Weise operationalisierbar zu machen. In rechtstechnischer Hinsicht ist der Anknüpfungspunkt zu kritisieren: Die Aktionärsrechterichtlinie, die durch die Vorschläge der European Company Law Experts angepasst werden soll, richtet sich an börsennotierte Akti-
228 Die European Company Law Experts sprechen vage von einem „EU instrument“, vgl. European Company Law Experts, EBOR 2017, 1 (45). 229 Ähnlich die Bewertung bei Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 33. 230 Da die „Policy Recommendations“ der European Company Law Experts eher als Denkanstöße denn als konkrete legislatorische Handlungsoptionen formuliert waren, war die fehlende Präzisierung wohl intendiert. Für eine sinnvolle Verschleifung der „Konzernrechtsinstrumente“ Gruppeninteresse, related party transactions und der – ebenfalls auf europäischer Ebene disktutierten – Societas Unius Personae plädiert Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 83 ff.: Dort wird vorgeschlagen, die „Doktrin des Gruppeninteresses“ als Konzernleitungsstruktur, das Instrument der Societas Unius Personae als Konzernleitungsschranke und die Regulierung der related party transactions als Konzernorganisationsakt zu begreifen und dadurch in ein sinnvolles Verhältnis zu setzen.
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
engesellschaften, während die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Konzernleitung unabhängig von Rechtsform und Börsennotierung bestehen.231
VII. Der Vorschlag der Informal Company Law Expert Group Bei der Informal Company Law Expert Group handelt es sich – ungeachtet ihrer insoweit missverständlichen Bezeichnung – um ein von der Europäischen Kommission eingesetztes Wissenschaftlerkollektiv, das sich im Jahr 2016 in einem umfangreichen Report zu der „Anerkennung des Gruppeninteresses“ äußerte.232 1. Grundzüge des Vorschlags Die Informal Company Law Expert Group beleuchtete in ihrem Bericht zunächst den legislatorischen status quo, wobei sie zwischen der europarechtlichen und der mitgliedstaatlichen Ebene differenzierte.233 Im Zusammenhang mit der Erörterung der bisherigen europäischen Gesetzgebung fokussierte die Gruppierung nicht nur das Gesellschafts-, sondern auch das Wettbewerbsrecht sowie das Recht der Finanzmärkte und -dienstleistungen. Dabei stellte die Informal Company Law Expert Group heraus, dass die Betrachtung der Unternehmensgruppe als Gesamtheit außerhalb des Gesellschaftsrechts und insbesondere für haftungsrechtliche Fragestellungen eine bedeutende Rolle spielt.234 Mit Blick auf die gesellschaftsrechtliche Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union skizzierte das Wissenschaftlerkollektiv einen kodifikatorischen Flickenteppich.235 Es gelangte zu der Erkenntnis, dass das Gruppeninteresse in einigen Mitgliedstaaten als Rechtsinstitut – freilich in unterschiedlicher Ausprägung – anerkannt 231
Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 33. Der Gruppierung gehörten neben Conac, der im Auftrag des Kollektivs federführend mit der Erstellung des Reports beauftragt war, Armour, Bartkus, Clarke, de Kluiver, Fleischer, Fuentes Naharro, Hansen, Knapp, Lamandini, Radwan, Teichmann, van het Kaar und Winner an. Ein knapper Überblick über die Vorschläge der Gruppierung findet sich bei Bayer/ J. Schmidt, BB 2017, 2114 (2119 f.). Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 38 weisen darauf hin, dass der offizielle Auftrag der Europäischen Kommission die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die durch dieses Wissenschaftlerkollektiv erarbeiteten Vorschläge besondere Chancen auf eine Berücksichtigung in der europäischen Gesetzgebung haben. 233 The Informal Company Law Expert Group, Report, 12 ff., 20 ff. 234 The Informal Company Law Expert Group, Report, 12 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Teichmann, ZGR 2017, 485 (492), der konstatiert: „Während es dem europäischen Gesetzgeber bis heute nicht gelungen ist, gesellschaftsrechtliche Regeln für Konzerne bereitzustellen, schaffen andere Rechtsgebiete Fakten. Das Aufsichtsrecht der Finanzinstitute (…) und das europäische Kartellrecht (…) nehmen die Konzernspitze für das Wohlergehen und das Fehlverhalten der gesamten Unternehmensgruppe in die Pflicht.“ 235 The Informal Company Law Expert Group, Report, 20 ff. 232
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ist;236 das Geflecht unterschiedlicher gesetzgeberischer Ansätze237 führt nach Einschätzung der Informal Company Law Expert Group aber zu mannigfaltigen Problemen: Hierher gehört zunächst eine Rechtsunsicherheit für Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften, die insbesondere im grenzüberschreitenden Kontext auftritt.238 Daneben wurden erhöhte Kosten bei grenzüberschreitenden Unternehmungen, Hürden beim Management von Finanzinstitutionen sowie Defizite bei gruppeninternen Finanzierungsmaßnahmen gerügt.239 Um diesen Herausforderungen Rechnung zu tragen, unterbreitete die Informal Company Law Expert Group der Europäischen Kommission nicht nur Empfehlungen zur Anerkennung des Gruppeninteresses im Gesellschaftsrecht, sondern auch zur Optimierung bestehender Regelungen zum Management von Finanzinstitutionen sowie zur Entwicklung eines unionsrechtlichen Regimes zum cash pooling.240 In rechtstechnischer Hinsicht sprach sich die Informal Company Law Expert Group gegen die Einführung eines umfassenden Rechtsrahmens auf supranationaler Ebene aus.241 Sie befürchtete, dass ein aufoktroyiertes Konzernrechtsregime rechtspolitische Verwerfungen auslösen könnte und begnügte sich mit einem Vorschlag zur Harmonisierung des Rechts der hundertprozentigen Tochtergesellschaften innerhalb grenzüberschreitend aktiver Unternehmensgruppen.242 2. Das Gruppeninteresse im Vorschlag der Informal Company Law Expert Group Das Gruppeninteresse sollte nach Vorstellung der Informal Company Law Expert Group als Einfallstor für die erleichterte Führung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen dienen: „Recommendation 3: The Commission should consult on whether there should be an action at the EU level recognizing the interest of the group for 100 % owned subsidiaries. Such recognition would take the form of a safe harbour and could go along the lines of the 236
Laut Informal Company Law Expert Group gehören hierzu Belgien, Dänemark, Estland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Malta, Niederlande, Polen, Spanien, Schweden, Tschechien, Ungarn, das Vereinigte Königreich sowie Zypern, vgl. The Informal Company Law Expert Group, Report, 22 ff. 237 Zu den Mitgliedstaaten, die das Gruppeninteresse nicht anerkennen, zählt die Informal Company Law Expert Group Bulgarien, Deutschland, Finnland, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Österreich, Portugal, Slowakei sowie Slowenien, vgl. The Informal Company Law Expert Group, Report, 24 f. 238 The Informal Company Law Expert Group, Report, 29 ff. 239 The Informal Company Law Expert Group, Report, 29 ff. 240 The Informal Company Law Expert Group, Report, 47: Recommendations 1, 2. 241 The Informal Company Law Expert Group, Report, 40 f.; zur diesbezüglichen Vergleichbarkeit der Vorschläge des Forum Europaeum on Company Groups und der Informal Company Law Expert Group vgl. Schüßler, NZG 2017, 1046 (1048). 242 The Informal Company Law Expert Group, Report, 40 f.
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung ,Rozenblum‘ formula. (…) The consultation should cover whether an action at the EU level should include the right of the parent company to give instructions to the subsidiary and whether this right as well as the recognition of the group interest should be an option for Member States or rather an option for companies themselves.“243
Die Informal Company Law Expert Group identifizierte drei legislatorische Optionen, die der Grundidee einer Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses zur Wirksamkeit verhelfen können.244 Nach der ersten Option soll es Geschäftsleitern hundertprozentiger Tochtergesellschaften gestattet sein, die Interessen anderer gruppenangehöriger Gesellschaften bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen.245 Die zweite Option sieht die Berücksichtigungsfähigkeit der Interessen anderer gruppenangehöriger Gesellschaften durch Geschäftsleiter hundertprozentiger Tochtergesellschaften vor, solange die jeweilige Entscheidung einem Bilanztest standhält, das Nettoaktivvermögen oder der ausschüttungsfähige Gewinn infolge der Entscheidung also nicht unter die in Art. 17 I-III der Kapital-Richtlinie246 festgesetzten Grenzwerte sinken.247 Die dritte Option differenziert zwischen public limited companies und private limited companies: Während für Tochtergesellschaften, die als public limited companies zu klassifizieren sind, die zweite Option gilt, hat der Geschäftsleiter einer als private limited company klassifizierten Tochtergesellschaft im Rahmen seiner Entscheidung einen Solvenztest durchzuführen.248 In Ergänzung der genannten Optionen erwog die Informal Company Law Expert Group die Einführung einer White List, die generell zulässige gruppeninterne Transaktionen – etwa Vereinbarungen bezüglich des cash pooling, kurz- und langfristige zinslose oder zinsgünstige konzerninterne Darlehen sowie Management- und Managementhonorarverträge – aufzählt und damit ein das Gruppeninteresse anerkennendes Regelungsregime flankiert.249 Zudem wurde angeregt, den Mitglied243
The Informal Company Law Expert Group, Report, 46. Vgl. dazu auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 41. 245 The Informal Company Law Expert Group, Report, 41. 246 Richtlinie 2012/30/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 54 Absatz 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten. 247 The Informal Company Law Expert Group, Report, 42. 248 Der Geschäftsleiter darf das Gruppeninteresse bei seiner Entscheidung demnach nur berücksichtigen, wenn er zur Auffassung gelangt, dass die Gesellschaft mindestens in den auf die Entscheidung folgenden sechs Monaten in der Lage sein wird, ihre Schulden bei Fälligkeit im normalen Geschäftsgang zu begleichen, vgl. The Informal Company Law Expert Group, Report, 43. 249 The Informal Company Law Expert Group, Report, 43 f. 244
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staaten die Erstreckung der Vorschläge auf Tochtergesellschaften mit außenstehenden Gesellschaftern zu ermöglichen.250 Durch die Anerkennung des Gruppeninteresses wollte die Informal Company Law Expert Group der oben umschriebenen Probleme, namentlich der Rechtsunsicherheit für die Leitungsorgane der Tochtergesellschaften, Herr werden.251 Ganz generell erblickte sie in der Einführung der vorgeschlagenen Regelungen das Potenzial zur Förderung der Niederlassungsfreiheit.252 Die Informal Company Law Expert Group unternahm in ihrem Regelungsvorschlag keinen Versuch einer inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses. Auch ihr ging es nicht um eine terminologische Positionierung, sondern um die Einführung eines Konzeptes, das die Situation von Geschäftsleitern hundertprozentiger Tochtergesellschaften rechtssicher ausgestaltet. Um dieses Konzept zu verwirklichen, wollte die Informal Company Law Expert Group ihre Anregungen in den zur damaligen Zeit diskutierten Vorschlag für eine Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter253 implementieren.254
250
Die hierfür maßgebliche „Recommendation 4“ lautet folgendermaßen: „The Commission should consult on whether there should be an action at the EU level allowing non wholly-owned subsidiaries to take account of the interests of the group provided that the group applies a conditioned system of good group governance. The consultation should also cover the possible legal framework of good group governance. This could go along the lines of the ,Rozenblum‘ formula, including a coherent group structure, an elaborated group strategy and a protection of the subsidiary against the risk that decisions taken in the interest of the group may incur insolvency of the subsidiary. (…)“, vgl. The Informal Company Law Expert Group, Report, 47. 251 The Informal Company Law Expert Group, Report, 29 ff. 252 The Informal Company Law Expert Group, Report, 38. 253 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, COM(2014) 212 final; der Richtlinienvorschlag wurde mittlerweile zurückgenommen, vgl. ABl. EU vom 4. 7. 2018, C233/7; dazu § 4 C. II. 4. 254 The Informal Company Law Expert Group, Report, 45. Nach der Interpretation Schüßlers steht die Informal Company Law Expert Group dem Erlass einer Richtlinie eher kritisch gegenüber, vgl. Schüßler, NZG 2017, 1046 (1050). Gegen eine Andockung der Regelungen zur Anerkennung des Gruppeninteresses an diese Richtlinie plädierte Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (345) bereits im Jahre 2017. Hommelhoffs Idee, nach Verabschiedung der Richtlinie über Gesellschaften mit beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter sogleich die Arbeiten an einer novellierenden Ergänzung aufzunehmen, um diese neue Gesellschaftsform als Baustein für international aktive Unternehmensgruppen zu ertüchtigen, hat angesichts der Rücknahme des Richtlinienvorschlags freilich an Aktualität eingebüßt.
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3. Zusammenfassende Würdigung Die Informal Company Law Expert Group griff in ihrem Vorschlag einige bereits zuvor vorgebrachten Ideen auf.255 Auffallend ist allerdings, dass sie hierbei strikt zwischen einem Weisungsrecht der Muttergesellschaft und der Anerkennung des Gruppeninteresses differenzierte.256 Laut Informal Company Law Expert Group könne es sich zwar als nützlich erweisen, ein derartiges Weisungsrecht auf supranationaler Ebene zu regeln; allerdings sei politischer Widerstand derjenigen Mitgliedstaaten, deren nationales Recht ein solches Institut nicht kennt, zu befürchten. Die Expertengruppe regte vor diesem Hintergrund eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Schaffung einer Regelung, die es hundertprozentigen Tochtergesellschaften ermöglicht, in ihren Satzungen ein Weisungsrecht zu verankern, an.257 In dem Verzicht auf ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft manifestiert sich eine dem Vorschlag der Informal Company Law Expert Group innewohnende Zurückhaltung, die in generellen Bedenken bezüglich der rechtspolitischen Durchsetzbarkeit konzernrechtlicher Regelungen auf europäischer Ebene wurzelt.258 Wenngleich die Bedenken ihre Berechtigung haben mögen, fehlt es dem Vorschlag dadurch an Durchschlagskraft: Das Gruppeninteresse kann nur durch ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft wirkungsvoll durchgesetzt werden.259 Die sogenannte Personalschiene bietet in diesem Zusammenhang keine taugliche Alternative.260 Die Differenzierung zwischen hundertprozentigen Tochtergesellschaften und Tochtergesellschaften mit Minderheitsgesellschaften, die der Vorschlag der Informal Company Law Expert Group – anders als das Forum Europaeum on Company Groups – einschränkungslos vorsieht, ist zu begrüßen.261 Da die Informal Company Law Expert Group keine konkreten Regelungsvorschläge zum Umgang mit gruppenangehörigen Gesellschaften, in denen Minderheitsgesellschafter existieren, unterbreitet, bleibt ihr Entwurf fragmentarisch.262 Im Hinblick auf die drei vorgeschlagenen Optionen zur Anerkennung des Gruppeninteresses wäre die zweite Option zu präferieren. Sie stellt sich als sys255 Ein Vergleich der Arbeiten der Informal Company Law Expert Group einerseits und des Forum Europaeum on Company Groups andererseits findet sich bei Schüßler, NZG 2017, 1046 (1048 ff.). 256 The Informal Company Law Expert Group, Report, 45. 257 Hierbei darf die Weisungserteilung nicht zur Insolvenz der Tochtergesellschaft führen, vgl. The Informal Company Law Expert Group, Report, 45. 258 Ähnlich Schüßler, NZG 2017, 1046 (1050). 259 J. Schmidt, DK 2017, 1 (8); kritisch auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 43. 260 Dazu § 3 B IV. 3.; im Ergebnis ebenso, allerdings mit Sympathien für die Gegenansicht Schüßler, NZG 2017, 1046 (1050). 261 J. Schmidt, DK 2017, 1 (8); Schüßler, NZG 2017, 1046 (1050). 262 J. Schmidt, DK 2017, 1 (8). In diesem Zusammenhang wird jedoch auch betont, dass bereits die Einführung eines Regelungsregimes für hundertprozentige Tochtergesellschaften „ein wertvoller Anfang“ wäre, vgl. Schüßler, NZG 2017, 1046 (1050).
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temkohärentes Konzept dar, da sie zum einen – im Unterschied zur ersten Option – der Notwendigkeit einer Kapitalerhaltung, mithin des wirksamen Gläubigerschutzes Rechnung trägt263 und zum anderen – im Unterschied zur dritten Option – keine ungerechtfertigte Differenzierung zwischen unterschiedlichen Typen der Kapitalgesellschaft postuliert. Innovationspotenzial verbirgt sich hinter dem Vorschlag zur Einführung einer White List generell zulässiger gruppeninterner Transaktionen.264 Sie bietet nicht nur Geschäftsleitern, sondern auch Gerichten bei der Beurteilung der Legitimität von Entscheidungen, die auf das Gruppeninteresse gestützt werden, eine Hilfestellung.265 Die Bewertung der Arbeiten der Informal Company Law Expert Group fällt folglich ambivalent aus: Während die klare Differenzierung zwischen hundertprozentigen Tochtergesellschaften und Tochtergesellschaften mit außenstehenden Gesellschaftern sowie der Vorschlag einer White List positiv zu würdigen sind, sorgt der Verzicht auf ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft für eine Schwächung der Durchschlagskraft der Vorschläge.266
VIII. Das Gruppeninteresse im Vorschlag für einen European Model Companies Act Der jüngste Vorschlag mit Relevanz für das Gruppeninteresse – der European Model Companies Act (im Folgenden: EMCA) – wurde im Jahre 2017 von einem Wissenschaftlerkollektiv mit Mitgliedern aus ganz Europa267 (im Folgenden: EMCA Group) veröffentlicht. Im Unterschied zu den vorstehend dargestellten Regelungsvorschlägen wählte der EMCA einen ganzheitlichen Ansatz und präsentierte Modellregelungen für das gesamte Kapitalgesellschaftsrecht. Bei der Konzeption des EMCA fungierte der US-amerikanische Model Business Corporation Act als Vorbild.268 Diese bereits im Jahre 1946 zum Leben erweckte Modellkodifikation ist im Kontext der föderalen US-amerikanischen Staatengemeinschaft sehr erfolgreich, weil sie gemeinsame Regeln für Kapitalgesellschaften bereitstellt, die allein kraft ihrer inhärenten Überzeugungskraft und nicht aufgrund autoritativer Vorgaben 263
Vgl. dazu auch J. Schmidt, DK 2017, 1 (8). J. Schmidt, DK 2017, 1 (8); Schüßler, NZG 2017, 1046 (1051). 265 Schüßler, NZG 2017, 1046 (1051). 266 Darüber hinaus wird auch die durch die Informal Company Law Expert Group vorgenommene starke Betonung des Finanzsektors kritisiert, vgl. Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/ Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 43. 267 Der European Model Companies Act wurde maßgeblich von Krüger Andersen und Baums aus der Taufe gehoben. Eine Auflistung aller Mitglieder der Gruppierung findet sich in der veröffentlichten Version, vgl. European Model Companies Act, Introduction, 3. 268 European Model Companies Act, Introduction, 1. Ausführlich zur Entwicklung und Funktionsweise des Model Business Corporation Act Kahnert, Rechtsetzung, 217 ff.; Teichmann, in: FS Baums, 1227 (1231 ff.). 264
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
Eingang in die Gesetzgebung der einzelnen Staaten finden.269 Eine ähnliche Rolle dachten seine Urheber dem europäischen Pendant des Model Business Corporation Act zu, als sie konstatierten: „The EMCA is designed as a free-standing general company statute that can be enacted by Member States either substantially in its entirety or by the adoption of selected provisions.“270
Mit dem EMCA sollte den Mitgliedstaaten der Europäischen Union demnach ein Modellgesetzbuch präsentiert werden, dessen Regelungsvorschläge diese im jeweils präferierten Umfang als Orientierungsgröße heranziehen können. 1. Das Konzernrecht des EMCA Der EMCA widmet sich in seinem 15. Kapitel der Unternehmensgruppe und der mit ihr einhergehenden rechtlichen Fragestellungen.271 a) Grundzüge des Vorschlags Die Modellregelungen des EMCA zum Konzernrecht konstituieren – bereits zuvor vorgebrachten Vorschlägen nicht unähnlich – kein umfassendes Regelungsregime, sondern widmen sich den elementaren Herausforderungen der Konzernrealität.272 Zu diesen zählt die EMCA Group273 die Vereinfachung sowie Flexibilisierung von Gründung, Organisation und Arbeitsweise der Unternehmensgruppe.274 Das Wissenschaftlerkollektiv beabsichtigte mit seinen Modellregelungen, den Gesetzgebungsorganen in Europa einen Vorschlag zu unterbreiten, um die – häufig grenzüberschreitend agierende – Unternehmensgruppe als vorherrschende Form unternehmerischer Betätigung mit einem modernen Rechtsrahmen auszustatten.275 269
Teichmann, in: FS Baums, 1227 (1227). Die Bedeutung des Model Business Corporation Act für das Gesellschaftsrecht der USA beleuchtet außerdem L. Schmidt, RIW 2016, 718 (720 ff.). Klausner weist darauf hin, dass neben dem Model Business Corporation Act noch weitere Modellkodifikation, etwa das Gesellschaftsrecht des Staates Delaware sowie die unter der Federführung des American Law Institute entworfenen Priniciples of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, bedeutsam für das US-Gesellschaftsrecht sind, vgl. Klausner, in: FS Baums, 665 (665). 270 European Model Companies Act, Introduction, 1; vgl. zu dieser Zielsetzung auch Möllers, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, § 18 Rn. 202. 271 European Model Companies Act, Chapter 15, 369 ff. Ein Überblick über andere Kapitel sowie eine Analyse ausgewählter Regelungsaspekte finden sich bei J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (48 ff.). 272 European Model Companies Act, Chapter 15, General Comments, 373. 273 An der Ausarbeitung der Modellregelungen zum Konzernrecht waren Conac, Antunes und Urbain-Parleani beteiligt. 274 European Model Companies Act, Chapter 15, General Comments, 373. 275 European Model Companies Act, Chapter 15, General Comments, 371 ff.
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Das 15. Kapitel des EMCA gliedert sich in vier Teile: Der erste Teil des Kapitels enthält Definitionen bedeutender Termini (Sec. 15.01 – 15.08).276 Da die EMCA Group das Gruppenmanagement als „issue on the heart of group reality“ identifizierte,277 finden sich im zweiten Teil des konzernrechtlichen Abschnitts Regelungen zu diesem Themenfeld (Sec. 15.09 – 15.11). Flankiert werden diese von Vorschriften zum Schutze der Gesellschafter der Muttergesellschaft einerseits (Sec. 15.12) sowie der (außenstehenden) Gesellschafter und Gläubiger der Tochtergesellschaften andererseits (Sec. 15.13 – 15.17). b) Verwirklichung des Gruppeninteresses In den allgemeinen Kommentaren des 15. Kapitels hielt die EMCA Group zunächst große Unterschiede hinsichtlich des gesetzgeberischen Umgangs der einzelnen Mitgliedstaaten mit Unternehmensgruppen im Allgemeinen sowie mit dem Gruppeninteresse im Besonderen fest.278 Die EMCA Group positionierte sich klar auf Seiten der Befürworter einer „Anerkennung des Gruppeninteresses“.279 Dieses sollte als Instrument eines verbesserten und flexibilisierten Gruppenmanagements fruchtbar gemacht werden.280 aa) Weisungsrecht und Folgepflicht Um das Gruppeninteresse als einen in Konzernierungssachverhalten berücksichtigungsfähigen Parameter zu etablieren, verankerte die EMCA Group zunächst ein Weisungsrecht in Sec. 15.09 des EMCA. Mit diesem Weisungsrecht soll gemäß Sec. 15.09 II des EMCA eine Folgepflicht des Geschäftsleiters der Tochtergesellschaft korrespondieren: 276 Definiert werden u. a. die Begriffe Gruppe, Mutter- und Tochterunternehmen, hundertprozentiges Tochterunternehmen sowie verschiedene Arten der Beherrschung („Control“); zu dem von der EMCA Group favorisierten „concept of control“, das an die Vorgaben des IAS 27 a.F. bzw. des IFRS 10 angelehnt ist J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (82 f.). 277 European Model Companies Act, Chapter 15, General Comments, 373. 278 Die EMCA Group machte in diesem Zusammenhang vier Ansätze aus: Eine umfassende gesellschaftsrechtliche Regulierung von Unternehmensgruppen, eine partielle Regulierung von Unternehmensgruppen, ein durch „flexible case law“ geprägter Umgang mit Unternehmensgruppen sowie keinerlei gesetzliche oder durch Rechtsprechung formulierte gesellschaftsrechtliche Regulierung; dazu ausführlich European Model Companies Act, Chapter 15, General Comments, 371. Vergleichbare Systematisierungsversuche finden sich bereits im Vorschlag der European Company Law Experts sowie bei bei Conac, ECFR 2013, 194 (199 ff.). 279 European Model Companies Act, Chapter 15, General Comments, 372: „The EMCA group has chosen to recognize the group interest.“ Die Positionierung resultierte zumindest auch aus einer Gegenüberstellung des deutschen und des französischen Ansatzes, bei der das deutsche Recht als „too rigid to serve as a model fort he EMCA“ qualifiziert wurde, vgl. Conac, ECFR 2016, 301 (303). 280 European Model Companies Act, Chapter 15, General Comments, 373.
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung „(1) A parent company, acting as a shareholder in the general shareholders’ meeting or through its board of directors or senior management, has the right to give instructions to the organ of management of its subsidiaries. A subsidiary may receive instructions from any parent company, including a foreign parent company. (2) (…) the organ of management of a subsidiary shall comply with the instructions issued by its parent. (…)“
Mit dieser Modellregelung wollte die EMCA Group der ihrer Auffassung nach vorherrschenden Konzernpraxis, in der die Weisung der Mutter- an die Tochtergesellschaft ein gängiges Vehikel zur Durchsetzung unternehmerischer Entscheidungen der Konzernspitze ist, Rechnung tragen.281 Die Vorschrift gilt unterschiedslos in allen Unternehmensgruppen; eine mit dem deutschen Recht vergleichbare Differenzierung zwischen Vertrags- und faktischem Konzern ist nicht vorgesehen.282 Begrenzt wird die Folgepflicht nach Sec. 15.09 II des EMCA, mithin auch das Weisungsrecht der Muttergesellschaft, durch Sec. 15.16 des EMCA („Interest of the Group“): „(1) If the management of a subsidiary, whether or not as a result of an instruction issued by the parent company, acts in a way contrary to the interests of the subsidiary, a director or manager shall not be deemed to have acted in breach of their fiduciary duties if (a) the decision is in the interests of the group as a whole, and (b) the management, acting in good faith on the basis of the information available to them and that would be available to them if they complied with their fiduciary duties before taking the decision, may reasonably assume that the loss/damage/disadvantage will, within a reasonable period, be balanced by benefit/gain/advantage, and (c) the loss/damage/disadvantage, referred to in the first sentence hereof, is not such as would place the continued existence of the company in jeopardy. (2) If the subsidiary is wholly-owned, paragraph (1)(b) does not apply. (3) The management of the subsidiary may refuse to comply with instructions from the parent company if the conditions set in paragraph (1) are not satisfied.“
Die Vorschrift – in den Abschnitt zum Schutz der Gesellschafter und Gläubiger der Tochtergesellschaft integriert – ist als Haftungsfreistellung konzipiert: Geschäftsleiter einer Tochtergesellschaft haften nicht für dem Eigeninteresse der Gesellschaft widersprechende Entscheidungen, sofern die in der Vorschrift aufgeführten spezifischen Voraussetzungen gewahrt sind. Die abschließende Enumeration dieser Voraussetzungen im zweiten Absatz veranschaulicht, dass es sich bei Sec. 15.16 des EMCA – jedenfalls teilweise – um eine Rezeption der Rozenblum281
European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.09, 379 f. Motiv der Einführung eines Weisungsrechts war damit die Versöhnung von Praxis und Recht, vgl. Conac, ECFR 2016, 301 (309). Vereinzelt wird aber darauf hingewiesen, dass das im EMCA vorgesehene Weisungsrecht bei Spartenkonzernen an Grenzen stößt, vgl. Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/ Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 35. 282 European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.09, 379.
B. Konzeptionelle Konturierung
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Doktrin handelt.283 Dem Wortlaut von Sec. 15.16 I des EMCA („whether or not as a result of an instruction issued by the parent company“) ist zu entnehmen, dass die Haftungsfreistellung nicht nur im Falle einer Weisung, sondern auch in anderen Konstellationen greifen kann. Die Vorschrift weist somit den Charakter einer Generalklausel auf, die es Geschäftsleitern gruppenangehöriger (Tochter-)Gesellschaften ermöglicht, das Gruppeninteresse im Rahmen ihrer Entscheidungen zu berücksichtigen. Sind die in Sec. 15.16 I des EMCA formulierten Anforderungen nicht erfüllt, hat der Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft das Recht, die Weisung der Muttergesellschaft zurückzuweisen, Sec. 15.16 III des EMCA. Leistet er der Weisung Folge, profitiert er nicht von der in Sec. 15.16 I des EMCA angeordneten Haftungsfreistellung.284 Geschäftsleiter hundertprozentiger Tochtergesellschaften können die Haftungsfreistellung gemäß Sec. 15.16 I, II des EMCA auch dann beanspruchen, wenn sie nicht annehmen durften, dass der durch ihre Entscheidung bewirkte Verlust/Schaden/ Nachteil („loss/damage/disadvantage“) durch einen späteren Gewinn/Ertrag/Vorteil („benefit/gain/advantage“) kompensiert würde. bb) Schutz außenstehender Gesellschafter und Gläubiger Die Wirkung der – jedenfalls aus Sicht der in Unternehmensgruppen besonders gefährdeten Personen – einschneidenden Modellregelungen wird durch verschiedene Mechanismen abgefedert. Hierher gehört zunächst die in Sec. 15.09 IV des EMCA angelegte Transparenz bezüglich der Weisungserteilung. Adressaten dieser Modellregelung sind die Tochtergesellschaften. Die Vorschrift sieht einerseits die Offenlegung von Weisungen der Muttergesellschaft an nicht hundertprozentige Tochtergesellschaften vor. Andererseits statuiert sie eine Verpflichtung zur Offenlegung einer hundertprozentigen Beteiligung; die Weisungserteilung wird in dieser Konstellation vermutet. Aus der Handelsregistereintragung lassen sich keinerlei weitergehende Rechte ableiten, da sie lediglich informatorischer, nicht aber konstitutiver Natur ist.285 Die Anteilsinhaber der Muttergesellschaft werden gemäß Sec. 15.12 des EMCA durch ein Informationsrecht sowie das Recht auf Einsetzung eines Sonderprüfers 283 Die EMCA Group ließ sich bei der Schaffung von Sec. 15.16 des EMCA zwar durch die Rozenblum-Doktrin inspirieren, nahm diese allerdings nicht wortgenau in die Modellregelung auf. Stattdessen implementierte sie die Doktrin in vereinfachter Form in Sec. 15.16 des EMCA, was sich insbesondere im Verzicht auf das Erfordernis einer ausgewogenen und gefestigten Gruppenstruktur manifestiert, vgl. European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 386; vgl. außerdem Conac, ECFR 2016, 301 (312); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 103 f. 284 Dazu sowie zu den Unterschieden der Ausgestaltung gegenüber dem deutschen Recht des Vertragskonzerns European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 386. 285 European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.09, 380: „(…) simply a matter of transparency.“
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
geschützt.286 Diese Rechte sind bereits in den Modellregelungen zur Hauptversammlung287 sowie zum Minderheitenschutz288 verankert, erfahren durch Sec. 15.12 des EMCA allerdings eine konzernrechtliche Präzisierung. Der Schutz der Gesellschafter der Tochtergesellschaft soll durch ein Verbot der Ausnutzung von Geschäftschancen nicht hundertprozentiger Tochtergesellschaften (Sec. 15.13 des EMCA), ein Recht auf Einsetzung eines Sonderprüfers (Sec. 15.14 des EMCA) sowie ein Sell-out-Recht (Sec. 15.15 des EMCA) gewährleistet werden. Für die Zwecke des Gläubigerschutzes bringt die EMCA Group eine durch das englische Recht inspirierte konzerndimensionale wrongful-tradingHaftung289 in Stellung. Anders als im englischen Original trifft die in Sec. 15.17 des EMCA angeordnete Haftung allerdings nicht das Leitungsorgan der jeweiligen Gesellschaft, sondern die Muttergesellschaft.290 Die Haftung greift, wenn eine nach Weisungen der Muttergesellschaft geleitete Tochtergesellschaft in eine Krise gerät, die eine grundlegende Restrukturierung oder eine Liquidation dieser Gesellschaft durch die Muttergesellschaft erforderlich macht.291 Sie umfasst gemäß Sec. 15.17 II des EMCA alle nach Eintritt der Krise begründeten Verbindlichkeiten.292 Die Muttergesellschaft haftet gemäß Sec. 15.17 III des EMCA außerdem für sämtliche Verbindlichkeiten, die der Tochtergesellschaft infolge einer unter Verletzung des Gruppeninteresses („violation of the interest of the group“) erteilten nachteiligen Weisung entstehen.
286
Ausführlich zu den Hintergründen dieser Regelungen Conac, ECFR 2016, 301 (315 f.). Sec. 11.23 des EMCA: Shareholders’ Right to Information; dazu J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (73). 288 Sec. 11.32 des EMCA: Special Examiner; dazu J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (74). 289 Die Modellregelung knüpft an Sec. 214 des Insolvency Act 1986 an, vgl. European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.09, 388. Die für ein Eingreifen dieses Instituts zentrale haftungsbegründende Pflichtwidrigkeit liegt in der Weiterführung der Gesellschaft durch den Direktor, obwohl dieser wusste oder hätte erkennen können, dass keine begründete Hoffnung auf eine Abwendung der Insolvenz besteht; Rechtsfolge des Sec. 214 des Insolvency Act 1986 ist eine persönliche Haftung des Direktors gegenüber der Gesellschaft, wobei der zu zahlende Betrag gerichtlich festgesetzt werden kann; vgl. hierzu Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Internationales Gesellschaftsrecht Rn. 166 ff.; Habersack/ Verse, ZHR 168 (2004), 174 (182 ff.). 290 European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.17, 388. 291 Der den Pflichtenkreis der Muttergesellschaft determinierende erste Absatz von Sec. 15.17 des EMCA lautet wörtlich: „Whenever a subsidiary company, which has been managed according to instructions issued by its parent in the interest of the group, has no reasonable prospect, by means of its own resources, of avoiding a winding-up (crisis point), the parent company is obliged without delay to effect a fundamental restructuring of the subsidiary or to initiate its winding-up procedure.“ 292 Zu der Diskussion um eine im Entwurfsstadium vorgeschlagene Regelung, die Verbindlichkeiten vor Eintritt der Krise zum Gegenstand der Haftung machen wollte, vgl. Conac, ECFR 2016, 301 (319 f.). 287
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cc) Inhalt des Gruppeninteresses Eine inhaltliche Konkretisierung des Gruppeninteresses hält der EMCA nicht bereit. Zur Begründung des Verzichts auf eine Definition verweist die EMCA Group auf Schwierigkeiten bei der Eingrenzung des Terminus „Gruppeninteresse“.293 Sie will es den Gerichten überlassen, den unbestimmten Begriff von Fall zu Fall („on a case-by-case basis“) zu präzisieren. Die Zielsetzung einer „Anerkennung des Gruppeninteresses“ ist nach Vorstellung der Urheber des EMCA demnach weniger eine terminologische, sondern vielmehr eine konzeptionelle Herausforderung. Die EMCA Group umschreibt mithilfe des Schlagworts einen Ansatz zur flexiblen, den Bedürfnissen der Rechtsanwender Rechnung tragenden Gruppenleitung. Dementsprechend ermöglicht das Zusammenspiel von Sec. 15.09 des EMCA und Sec. 15.16 des EMCA die zielgerichtete Durchsetzung von Entscheidungen der Konzernspitze. c) Rechtstechnische Verwirklichung Während die bislang vorgestellten Wissenschaftlerkollektive – soweit sie konkrete Handlungsempfehlungen formulierten – ihre Regelungsvorschläge durch Rechtsakte der Europäischen Union umgesetzt sehen wollten, beschritt die EMCA Group einen „dritten Weg“: Es handelt sich beim EMCA weder um eine Maßnahme der supranationalen Harmonisierung noch um eine aus dem Wettbewerb der Rechtsordnungen resultierende nationalstaatliche Kodifikation.294 Der EMCA stellt sich vielmehr als Modellstatut dar, das durch die Mitgliedstaaten gänzlich, teilweise oder in modifiziertem Umfang umgesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob das Werk als Instrument des soft law295 zu qualifizieren ist.296 Festzuhalten ist jedenfalls, dass es sich beim EMCA um das Resultat privater Rechtserzeugung handelt.297
293
European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 386. Kahnert, Rechtsetzung, 223; J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (44). 295 Eingehend zur Bedeutung des soft law im Privatrecht Schwartze, in: Ökonomische Analyse, 130 (135 ff.). 296 Hierfür plädierend Kahnert, Rechtsetzung, 223 ff. Da der EMCA durch die Wesensmerkmale privater Regelgebung und mangelnder rechtlicher Verbindlichkeit charakterisiert werde, erfülle er die für die Qualifikation als soft law maßgeblichen Kriterien. Ein engeres soft law-Verständnis findet sich bei Krüger Andersen, in: Company Law, 303 (306 f.). Nach Krüger Andersen, einem der geistigen Väter des EMCA, zeichne sich soft law dadurch aus, dass es an die Rechtsanwender gerichtet sei. Modellgesetze, die sich allein an die legislatorischen Instanzen der Mitgliedstaaten richten, seien hiervon abzugrenzen. 297 Dies zeigt sich dadurch, dass an der Normgebung Fachkreise, nicht aber die zuständigen politischen Stellen beteiligt waren, vgl. Drobnig, in: Aufbruch nach Europa, 745 (745 f.). 294
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
Der Rückgriff auf eine derartige private Rechtserzeugung kann zunächst durch die schwerfällige Rechtsetzung auf Ebene der Europäischen Union erklärt werden.298 Die private Normierung bietet darüber hinaus mannigfaltige Vorzüge. So werden durch Modellkodifikationen, die durch privat organisierte Wissenschaftlerkollektive aus der Taufe gehoben werden, Kosten gespart, weil eine grundsätzlich dem Staat zuzuordnende Aufgabe durch Private erfüllt wird.299 Da die im Wege privater Rechtsetzung aufbereiteten Werke Raum für Experimente bieten,300 die ihrerseits als Vorstufe staatlicher Gesetzgebung fungieren können, werden ferner die im Rahmen des traditionellen Gesetzgebungsverfahrens anfallenden Such- und Informationskosten reduziert.301 Neben dem Effekt einer Kostenreduzierung bietet die private Rechtsetzung eine Möglichkeit flexibler und reaktionsschneller Regulierung.302 Vorteile privater Rechtsetzung ergeben sich auch in rechtssoziologischer Hinsicht.303 Hinter privat entwickelten Kodifikationen steht regelmäßig der kondensierte Sachverstand spezialisierter Gremien, weshalb die Zulassung solcher Werke Wissen und Lernfähigkeit des Rechtssystems insgesamt erhöht.304 Die staatliche Rechtsetzung wird zudem – nicht nur finanziell – entlastet, wenn mittels privater Rechtsetzung durch ideologische und politische Grabenkämpfe errichtete Regulierungsblockaden durchbrochen werden.305 2. Zusammenfassende Würdigung Nach alledem stellt sich der EMCA vor allem in rechtstechnischer Hinsicht als Innovation dar. Für die im EMCA verankerten konzernrechtlichen Ansätze kann 298 Kahnert, Rechtsetzung, 241. Dieser Position steht eine Überlegung Pate, nach der Politik-, Staats- und Rechtsversagen private Rechtsetzung fördern, vgl. Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (512); Mertens, AG 1982, 29 (34 f.). 299 Kahnert, Rechtsetzung, 241; vgl. auch Wymeersch, ZGR 2001, 294 (307), nach dem der US-amerikanische Model Business Corporation Act „für den Versuch [steht], ein gutes, erprobtes Gesellschaftsrecht einzuführen, ohne dass der Gesetzgeber die Kosten für die Entwicklung eines eigenen Gesetzeswerks aufbringen müsste.“ 300 Auf einen experimentellen Umgang mit den im EMCA verankerten Modellregelungen zielten auch dessen Urheber, vgl. European Model Companies Act, Introduction, 1. 301 Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (512). 302 Kahnert, Rechtsetzung, 242; Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (512). Die Schaffung eines anpassungsfähigen Regimes ist ein Anliegen des EMCA, vgl. European Model Companies Act, Introduction, 1: „The EMCA can be regarded as a tool for better regulation in the EU since it provides a coherent, dynamic and responsive European legislative framework. (…) The EMCA may be viewed as a dynamic piece of legislation capable of being continuously developed in response to the changing environment and market conditions that modern businesses face.“ Vgl. dazu auch Krüger Andersen, in: Company Law, 303 (309 f.). 303 Eingehend Kahnert, Rechtsetzung, 242 f.; Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (512 f.). 304 Kahnert, Rechtsetzung, 242 f.; Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (512 f.); ähnlich – unter Fokussierung von Corporate Governance-Kodizes – auch Borges, ZGR 2003, 508 (536 f.). 305 Baums, ILF Working Paper Series No. 75, 4; Köndgen, AcP 206 (2006), 477 (513); Schwartze, in: Ökonomische Analyse, 130 (155).
B. Konzeptionelle Konturierung
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dieser Befund jedenfalls keine umfassende Geltung beanspruchen.306 Die EMCA Group verbindet lediglich eine Vielzahl bereits vorgeschlagener Rechtsmechanismen sowie Regelungsansätze mitgliedstaatlicher Provenienz zu einem konzernrechtlichen Gesamtkonzept. Dieses – und darin ist das Verdienst der konzernrechtlichen Abteilung dieses Wissenschaftlerkollektivs zu erblicken – weist jedoch ein hohes Maß an Kohärenz auf307 und ist grundsätzlich geeignet, die Leitung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen rechtssicherer zu gestalten. Positiv fällt auf, dass die EMCA-Konzeption der Vielgestaltigkeit grenzüberschreitender Unternehmensgruppen Rechnung trägt, indem sie ein sowohl auf hundertprozentige als auch auf alle anderen Tochtergesellschaften anwendbares Regelungsregime bereitstellt. Hierzu differenziert der EMCA allerdings nicht strikt zwischen diesen beiden Erscheinungsformen einer Tochtergesellschaft,308 sondern modifiziert die Anwendung der Modellregelungen – etwa in Sec. 15.16 II des EMCA – punktuell. Begrüßenswert ist ferner die Modellregelung zur Einführung eines Weisungsrechts als unverzichtbares Element der Unternehmensgruppenleitung. Durch den Verzicht auf einige der Rozenblum-Kriterien im Rahmen der mit dem Weisungsrecht korrespondierenden Folgepflicht werden tatbestandliche Unschärfen vermieden und die Handhabbarkeit des Regelungskonzepts erhöht. Demgegenüber wirft der Rekurs auf eine konzerndimensional ausgelegte wrongful-trading-Haftung für die Zwecke des Gläubigerschutzes – ähnlich wie bei der Bewertung der Vorschläge der Reflection Group309 – die Frage nach der Verallgemeinerbarkeit dieser Figur auf. In England, dem Herkunftsland der wrongful-trading-Haftung, ist jene nur selten Gegenstand gerichtlicher Verfahren.310 Dies mag auch mit der abschreckenden Wirkung dieser Norm zusammenhängen.311 Vor allem kann die mangelnde Bereitschaft, eine potentielle wrongful-trading-Haftung gerichtlich durchzusetzen, jedoch auf die tatbestandliche und rechtsfolgenseitige Unschärfe der Norm zurückgeführt werden.312 Es erscheint wenig sinnvoll, ein mit derartigen Unsicherheiten behaftetes
306
Anders jedoch J. Schmidt, DK 2017, 1 (11); J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (85). So auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 37. 308 So aber beispielsweise der Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (510 ff.). Dort wird freilich vorausgesetzt, dass eine hundertprozentige Tochtergesellschaft zusätzlich die an sogenannte Servicegesellschaften gestellten Anforderungen erfüllt; dazu § 3 C. IV. 2. a). 309 Dazu § 3. B. III. 3.; auf die Arbeit der Reflection Group bezog sich die EMCA Group bei der Implementierung dieses Haftungsinstituts, vgl. European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.17, 388. 310 Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Internationales Gesellschaftsrecht Rn. 171. 311 Schall, ZIP 2005, 965 (967). 312 Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174 (180 f.). 307
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Haftungsinstitut in Modellregelungen zu implementieren, die für den Einsatz in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vorgesehen sind.313 Jenseits der Bewertung der einzelnen konzernrechtlichen Mechanismen zur Verwirklichung des Gruppeninteresses ist die rechtstechnische Herangehensweise des EMCA als originell zu würdigen. Dies zeigt sich nicht nur in der durch den EMCA präsentierten umfassenden rechtsvergleichenden Aufarbeitung des Gesellschaftsrechts im Allgemeinen und des Konzernrechts im Speziellen.314 In seiner Eigenschaft als Modellgesetz kann der EMCA darüber hinaus als Prüfstein für bereits existente Regelungen sowie als Baustein für künftige legislatorische Maßnahmen fungieren.315 Diese Funktionen unterstreichen, dass der EMCA weniger als Harmonisierungsinstrument, sondern vielmehr als Triebfeder des regulativen Wettbewerbs zwischen den mitgliedstaatlichen Gesetzgebern geeignet ist.316 Ob hierdurch das übergeordnete Ziel eines verbesserten und flexibilisierten Gruppenmanagements erreicht werden kann, darf freilich bezweifelt werden. Da Unternehmensgruppen häufig grenzüberschreitend aktiv sind, profitieren sie von einem durch ein Modellstatut intensivierten Wettbewerb der Gesetzgeber nur geringfügig.317 Anders als Einzelgesellschaften können Unternehmensgruppen häufig nicht in Rechtsordnungen abwandern, die das Modellgesetz umfassend oder dessen für sie attraktive Bestandteile übernommen haben.318 Ein supranationales Regelungsregime, das etwa in einer Richtlinie gemäß Art. 288 III AEUV verankert ist, böte grenzüberschreitenden Unternehmensgruppen ein höheres Maß an Rechtssicherheit. Dies gilt auch deshalb, weil die Bedingungen für einen Erfolg des EMCA – jedenfalls nicht vollständig – vorliegen. Im Gegensatz zu seinem US-amerikanischen Vorbild wurde der EMCA zu einer Zeit, in der das Gesellschaftsrecht, mithin auch der rechtliche Umgang mit Unternehmensgruppen, bereits umfassend ausgeprägt war, ins Leben gerufen.319 Die Bereitschaft, die über Jahrzehnte gewachsene mitgliedstaatliche Rechtspraxis zugunsten einer nicht erprobten Modellkodifikation aufzugeben, wird überschaubar
313
Kritisch wohl auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 104; anders jedoch J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (86), nach deren Ansicht „der Grundansatz einer wrongfultrading-Haftung äußerst reizvoll“ ist. 314 Kahnert, Rechtsetzung, 261 f. Die EMCA Group verfolgte bei ihren Arbeiten den Anspruch, möglichst alle Mitgliedstaaten zu beteiligen, was sich nicht zuletzt in der Besetzung des Wissenschaftlerkollektivs – (mindestens) ein Experte pro Mitgliedstaat – zeigt, vgl. Baums, ILF Working Paper Series No. 75, 5. 315 Eingehend zu diesen Funktionen Drobnig, in: Aufbruch nach Europa, 745 (750 ff.); vgl. außerdem Baums, ILF Working Paper Series No. 75, 5. 316 Kahnert, Rechtsetzung, 263 f. Seine Urheber verfolgen mit dem EMCA beide Zwecke, vgl. European Model Companies Act, Introduction, 1; Krüger Andersen, in: Company Law, 303 (304 f.). 317 Dazu § 6 A. 318 Zu dieser Möglichkeit Kahnert, Rechtsetzung, 264. 319 Kahnert, Rechtsetzung, 265.
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ausfallen.320 Die mitgliedstaatliche Adaption der Modellregeln des EMCA wird darüber hinaus deshalb gehemmt, weil eine friktionslose Übernahme in das mitgliedstaatliche Recht angesichts der in Europa vorherrschenden Divergenz von Rechtstraditionen, kulturellen Prägungen und Sprachen nicht uneingeschränkt möglich ist.321 Die Urheber des US-amerikanischen Model Business Corporation Act konnten demgegenüber auf einer Ähnlichkeit der gesellschaftsrechtlichen Strukturen und Regelungsphilosophien in den einzelnen Bundesstaaten aufbauen und sahen sich ferner mit nur einer einzigen Rechtskultur sowie einer einheitlichen Rechtssprache konfrontiert.322 Die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer friktionslosen Übernahme durch nationale Gesetzgeber ließen sich allenfalls durch einen Verzicht auf Regelungstiefe sowie eine weitgehende Beschränkung auf abstrakte Regeln auflösen.323 Modellgesetze im Allgemeinen und das Konzernrecht des EMCA im Speziellen befinden sich daher in einem Dilemma: Werden detailreiche, den Bedürfnissen der Praxis entsprechende324 Regelungen vorgehalten, sinkt die Kompatibilität der Regelungen mit den nationalstaatlichen Rechtsordnungen. Abstrakte Regelungen bringen ihrerseits keinen Mehrwert für die Rechtsentwicklung in den Mitgliedstaaten.325 Dieses Dilemma, das pointiert mit dem Ausspruch „one size does not fit all“ umschrieben werden kann, ist auch den übrigen Regelungsvorschlägen nicht fremd. Da diese jedoch nach Vorstellung ihrer jeweiligen Urheber mittels supranationalen Rechtsakts umgesetzt werden sollen, bestehen aus Perspektive der Mitgliedstaaten keine Möglichkeiten, sich legislatorischen Maßnahmen zu entziehen.326 Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich das Konzernrecht des EMCA bei dem Versuch einer Etablierung von Grundsätzen zur rechtsicheren Leitung grenzüberschreitend aktiver Unternehmensgruppen in Gestalt der wrongful trading-Haftung eines kritikwürdigen Rechtsmechanismus bedient. Gleichwohl überzeugt das vorgeschlagene Regime aufgrund seiner Kohärenz. Allerdings wird es – so steht jedenfalls zu befürchten – keine mit einer Richtlinie vergleichbare Wirkung
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Kahnert, Rechtsetzung, 265. Dieser zieht darüber hinaus die Möglichkeit in Erwägung, ein Modellstatut als Referenzrahmen für neue Mitgliedstaaten oder Beitrittskandidaten zu verwenden, gibt in diesem Zusammenhang aber zu bedenken, dass Beitrittsländer sich in besonders hohem Maße durch heterogene Rahmenbedingungen und Bedürfnisse auszeichnen, denen durch ein einheitliches Modellgesetz nicht hinreichend Rechnung getragen werden kann. 321 Kahnert, Rechtsetzung, 269 f. Ähnliche Überlegungen stellt Huber im Zusammenhang mit der Diskussion um ein einheitliches europäisches Kaufrecht an, vgl. Huber, in: FS Everling, 493 (505). 322 Ebke, in: FS Großfeld, 189 (198 f.); Gower, in: European Business Law, 307 (311 f.). 323 Kahnert, Rechtsetzung, 271; Mertens, in: FS Bärmann, 651 (660). Ähnlich auch Schwartze, in: Ökonomische Analyse, 130 (150 f.). 324 Mertens, in: FS Bärmann, 651 (660). 325 Kahnert, Rechtsetzung, 271 f. 326 Zur Freiwilligkeit als Charakteristikum unverbindlicher Regelwerke Kahnert, Rechtsetzung, 279 ff.
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
entfalten, da es am Vorliegen einiger für den Erfolg einer Modellkodifikation maßgeblichen Bedingungen fehlt.
IX. Fazit Die vorgestellten Wissenschaftlerkollektive – so unterschiedlich ihre Regelungsvorschläge im Detail ausfallen – begreifen das Gruppeninteresse allesamt als Konzeption zur supranationalen Verwirklichung einer rechtssicheren, zugleich aber flexibilisierten Unternehmensgruppenleitung. Ausgangspunkt aller wissenschaftlichen Aufarbeitungen mit Relevanz für das Gruppeninteresse war das verdienstvolle Werk des Forum Europaeum Konzernrecht, das deshalb einen maßstabsbildenden Charakter aufweist, weil es durch die Betonung der organisationsrechtlichen Komponente des Konzernrechts einen Paradigmenwechsel einleitete.327 Die Aktionspläne der Jahre 2003328 und 2012329 wirkten sich wie Katalysatoren auf die Forschungen zu einem auf grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen fokussierten enabling law aus. Resultat dieser Entwicklung ist eine Vielzahl von Regelungsvorschlägen, die sich nicht nur in ihrer Qualität, sondern auch in ihrem Umfang stark voneinander unterscheiden. Einige der Vorschläge – hierher gehören namentlich die Arbeiten des Forum Europaeum on Company Groups sowie der European Model Companies Act Group – sind nicht nur elaboriert, sondern auch ganzheitlich konzipiert. Andere Wissenschaftlerkollektive behandeln konzernrechtliche Fragestellungen entsprechend ihres globalen Arbeitsauftrags nur am Rande, weshalb die von ihnen unterbreiteten Regelungsvorschläge einen fragmentarischen Charakter haben. Auffallend ist der gebetsmühlenartige Rekurs auf die Rozenblum-Doktrin, der nahezu allen Arbeiten gemein ist und ihre Innovationskraft schmälert.330 Das Verdienst der Wissenschaftlerkollektive ist in der Belebung der europäischen Konzernrechtsdiskussion zu erblicken,331 wenngleich diese mangels Reformwillens bedeutsamer Akteure, namentlich der Europäischen Kommission,332 327 Zu den organisationsrechtlichen Erwägungen des deutschen Gesetzgebers im Aktienkonzernrecht Habersack, AG 2016, 691 (692); vgl. hierzu außerdem Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 6. 328 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig. 329 Aktionsplan COM(2012) 740 final. 330 Dies mag auch darauf zurückzuführen sein, dass einige Wissenschaftler in mehreren Gruppen vertreten sind. Dies bemerkt auch Fleischer, ZGR 2017, 1 (14). 331 Ähnlich Schüßler, NZG 2017, 1046 (1052). 332 Darauf deutet eine Antwort der Europäischen Kommission, mit der diese mehrere Anfragen zur Doktrin des Gruppeninteresses aus der Mitte des Europäischen Parlaments beantwortete, vom 24. September 2015 hin: „The Commission does not plan any specific horizontal action regarding the ,group interest‘ at this stage. In the area of financial services the group interest has already been indirectly recognised. The Banking Recovery and Resolution Directive (BRRD) of 15 May 2014 organises the regime
C. Terminologische Konturierung
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bereits wieder zu versanden droht.333 Die Lethargie der Europäischen Kommission ist weder angesichts der sich in der Quantität der Regelungsvorschläge manifestierenden Vehemenz der Forderung eines Rechtsrahmens für grenzüberschreitende Unternehmensgruppen noch vor dem Hintergrund der praktischen Relevanz des Themas334 nachzuvollziehen. Unabhängig von der konkreten Analyse der generellen Notwendigkeit legislatorischer Maßnahmen,335 ist zu konstatieren, dass die einzelnen Wissenschaftlerkollektive einen wertvollen rechtspolitischen Beitrag auf dem Gebiet des europäischen Konzernrechts leisten.
C. Terminologische Konturierung Während sämtliche Wissenschaftlerkollektive gedankenreiche Ausführungen zur konzeptionellen Implementierung einer „Anerkennung des Gruppeninteresses“ auf supranationaler Ebene anstellen, verzichten sie auf eine terminologische Auseinandersetzung mit dem Gruppeninteresse. Dies ist problematisch, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Wissenschaftlerkollektive das Gruppeninteresse vielfach zum Dreh- und Angelpunkt ihrer Regelungsvorschläge machen: Das Agieren im Gruppeninteresse – sei es durch die Muttergesellschaft oder aber durch Geschäftsleiter der gruppenangehörigen Gesellschaften – soll legitimiert werden, weshalb of intra group financial support in cross-border situations in case one of the entities to the agreement would meet the condition for an early intervention, i. e. would face rapidly deteriorating financial conditions. Recital 38 of this directive explains why an EU intervention was necessary in this field: ,It is, therefore, appropriate to set out under which conditions financial support may be transferred among entities of a cross-border group of institutions with a view to ensuring the financial stability of the group as a whole without jeopardising the liquidity or solvency of the group entity providing the support‘. Any horizontal action concerning the group interest would have to provide for the protection of the interests of creditors and a fair balance of burdens and advantages over time for shareholders as stated in Commission 2003 Action Plan. Such appropriate safeguards would have to be carefully designed.“ Vgl. Joint answer given by Ms Jourová on behalf of the Commission, Written questions: E-011602/15, E-011604/15, E-011603/15, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getAllAnswers.do?reference=E-2015-011603&langu age=EN (Abrufdatum: 25. 7. 2019); detailliert zu den vorangegangenen Fragen Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 25 f. 333 Amstutz kommt vor diesem Hintergrund zum Ergebnis, „dass es kurz- und mittelfristig der Konzernrechtswissenschaft obliegt, die Konturen der Doktrin des Gruppeninteresses zu definieren“, vgl. Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 26. 334 Vgl. nur Teichmann, ECL 2016, 150 (150): „In crossborder circumstances, the corporate group is the most common and the most appropriate way to organize the business.“ Die Bedeutung von Unternehmensgruppenstrukturen im Bereich kleiner und mittlerer Unternehmen betonen Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (326); Ziegler, Konzernleitung im Binnenmarkt, 1. 335 Fleischer merkt treffend an, dass die organisationsrechtliche Dimension des europäischen Konzernrechts „[g]rößeres Entwicklungs-, aber auch Streitpotential bietet“, vgl. Fleischer, ZGR 2017, 1 (34).
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
regelmäßig tatbestandlich an das Gruppeninteresse angeknüpft wird.336 Diese Anknüpfung macht es zwingend erforderlich, das Gruppeninteresse in terminologischer Hinsicht zu konturieren.337
I. Gibt es das Gruppeninteresse?338 Wer dies unternimmt, muss – im Gegensatz zu den Wissenschaftlerkollektiven, die die Existenz des Gruppeninteresses implizit voraussetzen – zunächst reflektieren, ob es überhaupt ein Gruppeninteresse gibt. Dies ist keineswegs selbstverständlich, da die Unternehmensgruppe als solche im Unterschied zu den ihr zugehörigen Gesellschaften keinerlei Rechtspersönlichkeit aufweist.339 1. Ablehnung eines verselbstständigten Gruppeninteresses Aus dieser Gegebenheit wird die Schlussfolgerung gezogen, dass ein Gruppeninteresse, „etwa im Sinne des Interesses des Unternehmensverbands in seiner Gesamtheit“ nicht existiert.340 Wenn im Zusammenhang mit § 308 I 2 AktG zusammenfassend von einem „Konzerninteresse“ die Rede ist, muss man sich des Umstandes bewusst sein, dass es dieser Vorschrift entsprechend immer nur um die Interessen des herrschenden Unternehmens oder der mit diesem und der Gesellschaft im Sinne des § 18 I AktG konzernverbundenen Unternehmen geht.341
336
Das Fehlen einer konkreten Definition bemängelt auch Schön, ZGR 2019, 343 (367). Als Grundlage dieser Analyse soll die – etwas unübersichtliche – Diskussion um das „Konzerninteresse“ im deutschen (Aktien-)Konzernrecht dienen. Die supranationale Dimension der Diskussion um die Anerkennung des Gruppeninteresses schmälert die Tauglichkeit dieses Rückgriffs nicht, da die zum deutschen Recht vertretenen Ansätze auf jedwede Unternehmensgruppe, mithin auch auf die grenzüberschreitend aktive, übertragen werden können. 338 Vgl. den ähnlich betitelten Beitrag („Gibt es das Konzerninteresse“) von HoffmannBecking, in: FS Hommelhoff, 433 (433 ff.). 339 Ballerstedt, in: Die Konzentration in der Wirtschaft, 603 (630 f.): „(…) der paradoxe Fall eines Unternehmens, das als solche überhaupt keine Rechtsform hat“; Hoffmann-Becking, in: FS Hommelhoff, 433 (438); Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, 2. In diese Richtung argumentierte bereits Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 83; ähnlich auch Semler, Leitung und Überwachung, 221. 340 So Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 25; vgl. außerdem Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 Rn. 47; Hüffer/Koch, AktG, § 308 AktG Rn. 16; Kiefner/Schürnbrand, AG 2013, 789 (792); ähnlich auch Löbbe, Unternehmenskontrolle im Konzern, 48 ff. 341 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 25. Im Zusammenhang mit dieser Vorschrift wird angemerkt, dass der Erwähnung der mit dem herrschenden Unternehmen verbundenen Unternehmen bei Lichte besehen keine eigenständige Bedeutung zukommt, da nachteilige Weisungen, die einem verbundenen Unternehmen nützen – zumindest mittelbar – auch das herrschende Unternehmen begünstigen, vgl. Hoffmann-Becking, in: FS Hommelhoff, 337
C. Terminologische Konturierung
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2. Das Gruppeninteresse als ein höherrangiges Gesamtinteresse der in der Unternehmensgruppe zusammengefassten Gemeinschaft In Übereinstimmung mit der betriebswirtschaftlichen Überlegung, nach der die Unternehmensgruppe ein Gesamtunternehmen darstellt,342 begreifen einige Autoren das Gruppeninteresse als korporatives Gesamtinteresse aller Gliedunternehmen des Konzerns.343 Wenngleich die Umschreibungen dieses Phänomens unterschiedlich ausfallen,344 lässt sich festhalten, dass die Protagonisten dieser Auffassung von der Prämisse ausgehen, dass die Unternehmensgruppe als solche Trägerin von Interessen sein kann.345 3. Würdigung Die beiden dargelegten Standpunkte werden typischerweise im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 308 I 2 AktG eingenommen. Der zweitgenannte Ansatz kann sich zunächst darauf stützen, dass die Fähigkeit, als Interessenträger zu fungieren, grundsätzlich unabhängig von der Rechtsträgereigenschaft bewertet werden kann.346 Gleichwohl bleibt unklar, welche Kriterien zur Bestimmung des Gesamtinteresses diesem Ansatz zufolge herangezogen werden sollen. Die zitierten Um433 (441 f.); Hüffer/Koch, AktG, § 308 AktG Rn. 16; Kiefner/Schürnbrand, AG 2013, 789 (792). 342 Vgl. nur Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 104; vgl. in diesem Zusammenhang auch die anschauliche Parallele zur Chemie bei Lutter, ZGR 1987, 324 (333): „Gesellschaften sind wie Atome, die sich im Molekül des Konzerns zu immer komplizierteren Gebilden verbinden können. Wie aber das Molekül mehr und anderes ist als die Summe seiner Atome, so ist der Konzern mehr und anderes als die Summe seiner einzelnen Gesellschaften.“ 343 Bälz, in: FS Raiser, 287 (320, 324); Geßler, ZHR 140 (1976), 433 (437 f.); Immenga, ZHR 140 (1976), 301 (304 f.); Lutter in: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, § 4 Rn. 147; eher implizit Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 104; Langenbucher, in: K. Schmidt/ Lutter, AktG, § 308 Rn. 27. 344 Exemplarisch hierfür stehen folgende Formulierungen: Für Bälz wird im Konzerninteresse „(…) der von den einzelnen Unternehmensgliedern verfolgte Unternehmenszweck zu einem gemeinsamen Zweck zusammengefasst (…).“ Interessenträger ist demnach „nicht die Obergesellschaft, sondern der Verbund der Unternehmensglieder (…)“, vgl. Bälz, in: FS Raiser, 287 (324). Geßler spricht von einem „nicht nur gegenüber der abhängigen Gesellschaft, sondern auch gegenüber dem Eigeninteresse des herrschenden Unternehmens übergreifenden Konzerninteresse“, vgl. Geßler, ZHR 140 (1976), 433 (437). Immenga bezeichnet das Konzerninteresse als das „Interesse der übergeordneten, im Konzern verkörperten Unternehmenseinheit“, vgl. Immenga, ZHR 140 (1976), 301 (304 f.). Lutter konstatiert schließlich, dass „Maßstab des Vorstandshandelns im Konzern (…) das Konzerninteresse [ist], die Förderung des Unternehmensverbundes als Ganzem“, vgl. Lutter in: Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, § 4 Rn. 147. 345 So die zutreffende Analyse dieser Ansicht von Hoffmann-Becking, in: FS Hommelhoff, 433 (435). 346 Hoffmann-Becking hält ganz allgemein fest: „Bei jeder Gruppe, die zusammenarbeiten will oder muss, gibt es ein gemeinsames Interesse, und sei es nur entsprechend dem kleinsten gemeinsamen Nenner“, vgl. Hoffmann-Becking, in: FS Hommelhoff, 433 (435).
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
schreibungen leisten jedenfalls keinen Beitrag zur Operationalisierbarkeit. Im Ergebnis kann auch der zweitgenannte Ansatz ausschließlich an die Interessen der Muttergesellschaft einerseits sowie an jene der übrigen gruppenangehörigen Gesellschaften andererseits anknüpfen, da andere Orientierungsgrößen schlicht nicht existieren. Eine andere Deutung lässt der Rekurs auf die Glieder der Unternehmensgruppe, den einige der Vertreter des zweiten Ansatzes zum Gegenstand ihrer Argumentation machen,347 nicht zu. Nach alledem kann jenseits der divergierenden Auffassungen hinsichtlich einer potentiellen Verselbstständigung des Gruppeninteresses kaum ein Unterschied348 zwischen den beiden Ansätzen ausgemacht werden: Das Gruppeninteresse wird demnach durch die Interessen der Mutter- sowie der übrigen gruppenangehörigen Gesellschaften determiniert.349
II. Weitere Ansätze zur inhaltlichen Konkretisierung Das diffuse Meinungsbild zur inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses wird durch zwei weitere Ansätze vervollständigt.
347 Bälz, in: FS Raiser, 287 (324); Langenbucher, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 308 Rn. 27; ähnlich auch Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 104. 348 Unterschiede ergeben sich letztlich nur dann, wenn man mit Geßler ein alles – auch das Interesse des herrschenden Unternehmens – übergreifendes Gruppeninteresse anerkennt, vgl. Geßler, ZHR 140 (1976), 433 (437 f.); ähnlich Immenga, ZHR 140 (1976), 301 (304 f.). Eine derartige Betrachtungsweise kann freilich weder sinnvoll begründet noch operationalisierbar gemacht werden, vgl. auch Hoffmann-Becking, in: FS Hommelhoff, 433 (440). 349 Exemplarisch für die Vertreter einer Ablehnung eines verselbstständigten Gruppeninteresses: Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 Rn. 47. Exemplarisch für diejenigen, die das Gruppeninteresse als ein höherrangiges Gesamtinteresse der in der Unternehmensgruppe zusammengefassten Gemeinschaft begreifen: Langenbucher, K. Schmidt/Lutter, AktG, § 308 Rn. 27 f. Ein zusätzliches Problem erwächst dem deutschen Aktienkonzernrecht durch die Differenzierung zwischen Vertragskonzernen und faktischen Konzernen: Es wird diskutiert, ob im Rahmen des § 308 I 2 AktG auch die Interessen einer Schwestergesellschaft berücksichtigungsfähig sind, wenn zwischen dieser und der Muttergesellschaft lediglich eine faktische Konzernverbindung besteht. Dies wird von dem ganz überwiegenden Teil des deutschen Schrifttums bejaht, vgl. Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 Rn. 47; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 18; Langenbucher, K. Schmidt/Lutter, AktG, § 308 Rn. 28; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 25; einschränkend Altmeppen, Haftung des Managers, 21; Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 109 f.
C. Terminologische Konturierung
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1. Gleichsetzung von Gruppeninteresse und Eigeninteresse der Muttergesellschaft Einige Autoren setzen das Gruppeninteresse mit dem Interesse der Muttergesellschaft gleich.350 Die Vertreter dieses Ansatzes reflektieren nicht, ob ein verselbstständigtes Gruppeninteresse anzuerkennen ist. Sie setzen die Verselbstständigung stattdessen implizit voraus und das Gruppeninteresse sodann mit dem Interesse der Muttergesellschaft gleich. Die Berücksichtigungsfähigkeit der Interessen anderer gruppenangehöriger Gesellschaften bleibt hiernach unklar. Dies wird typischerweise ohne Auswirkungen bleiben, da sich das Gruppeninteresse regelmäßig mit dem Eigeninteresse der herrschenden Gesellschaft deckt.351 2. Verbindung unterschiedlicher Ansätze Vereinzelt wird vorgeschlagen, das Gruppeninteresse aus den Interessen „der originären Interessenträger Anteilseigner, Mitarbeiter und Leitungsorgane“ abzuleiten.352 Eine Gleichsetzung des Gruppeninteresses mit dem Eigeninteresse der herrschenden Gesellschaft sei ebenso abzulehnen wie die Annahme eines verselbstständigten Gruppeninteresses.
III. Fazit Die Beantwortung der Vorfrage nach einer inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses stellt sich jedenfalls aus einer dogmatischen Perspektive als 350 Hirte, in: GroßkommAktG, § 308 Rn. 51; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 247 f.; Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (289) („Interesse der Gruppe, wie es von der Mutter repräsentiert wird“). 351 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 103; Flume, in: Gesammelte Schriften, Bd. 2, 169 (174). Hoffmann-Becking erkennt demgegenüber bei Holding-Konzernen ein Konfliktpotenzial, vgl. Hoffmann-Becking, in: FS Hommelhoff, 433 (437 f.): Die Holding ist grundsätzlich „im Eigeninteresse an einer rentablen Entwicklung der Konzerntöchter interessiert (…).“ Allerdings kann es sich für die Holding als sinnvoll erweisen, „eine große Tochtergesellschaft, die nach Größe, Arbeitnehmerzahl und vielleicht auch weiteren Kriterien ein erhebliches Gewicht besitzt, zu veräußern, weil die Holding aufgrund ihrer Finanzlage Kapital freisetzen muss oder weil der Vorstand der Holding meint, er könne die in der Tochtergesellschaft gebundenen Mittel ertragreicher in einer anderen Gesellschaft einsetzen. Bei solchen Entscheidungen kann das Interesse der Konzernobergesellschaft mit einem Gesamtinteresse aller vorhandenen Konzernglieder kollidieren. So kann in dem angesprochenen Beispielsfall die Tochtergesellschaft intensiv am Fortbestand der Konzernverbindung interessiert sein, weil ihre Belegschaft und vielleicht auch ihr Management den Verkauf an einen anderen Konzern fürchten (…). Ein Interesse der Konzerntochter an ihrer unveränderten Zugehörigkeit zum Konzern ist jedoch nicht maßgeblich für das Interesse der Konzernobergesellschaft, das ausschließlich darauf gerichtet ist, eine bestmögliche Investition der zur Verfügung stehenden Mittel zu gewährleisten.“ 352 Semler, Leitung und Überwachung, S. 220 ff.
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
diffizil dar. Ausgehend von der Diskussion im deutschen Konzernrecht lässt sich jedoch festhalten, dass die Auswahl an Orientierungswerten limitiert ist: Einerseits lässt sich das Gruppeninteresse aus den Eigeninteressen der Muttergesellschaft ableiten; andererseits können die Interessen aller anderen gruppenangehörigen Gesellschaften fruchtbar gemacht werden.353 Ein über diese beiden Anknüpfungspunkte hinausgehendes Gesamtinteresse ist nicht bestimmbar.354 Doch was bedeutet dieser Befund mit Blick auf die Operationalisierbarkeit im konkreten Einzelfall? Hier lässt sich eine Parallele zur Diskussion um die Leitmaxime des Verwaltungshandelns in der Aktiengesellschaft ziehen. Die herrschende Meinung im deutschen Schrifttum355 sowie der zuletzt im Mai 2019 novellierte DCGK erblicken im „Unternehmensinteresse“ den Fixpunkt des Verwaltungshandelns. Gleichwohl muss der Versuch einer präzisen inhaltlichen Bestimmung dieser Rechtsfigur als gescheitert gelten.356 Denn beim „Unternehmensinteresse“ handelt es sich weniger um eine feste Größe, sondern vielmehr um eine Zielmarke, die vom Vorstand der jeweiligen Aktiengesellschaft im Rahmen seiner Leitungsbefugnis fortlaufend neu definiert werden muss.357 Völlig frei ist der Vorstand bei der Präzisierung des „Unternehmensinteresses“ allerdings nicht: Er muss im Rahmen der Ausübung seiner Leitungsbefugnis äußere Grenzen beachten.358 So hat der Vorstand etwa für die dauerhafte Rentabilität der jeweiligen Aktiengesellschaft Sorge zu tragen.359 Weiterhin darf er weder die Belange der Anteilseigner noch die der Arbeitnehmer360 außer Acht lassen, wenn er Leitungsentscheidungen trifft.361 Gläubigerinteressen oder öffentliche Interessen sind bei der fortlaufenden Definition der Zielmarke „Unternehmensinteresse“ ebenfalls zu berücksichtigen.362
353 Die verschiedenen Ansätze zur Bestimmung der Interessen einer Gesellschaft werden vor allem im Zusammenhang mit der Ermittlung der Leitmaxime des Verwaltungshandelns diskutiert; dazu § 4 A. II. 1. 354 Eine ähnliche Überlegung findet sich bei Schön, ZGR 2019, 343 (355): „Das Gruppeninteresse steht (…) als heuristische Abbreviatur für das gemeinsame Interesse aller Gesellschafter der Obergesellschaft sowie aller an weiteren Konzerngesellschaften beteiligter (Minderheits-)Gesellschafter an einer Maximierung des Werts ihres gesamten – vermögensrechtlich auf die Muttergesellschaft und die Tochtergesellschaften verteilten – Investments.“ 355 Dazu § 4 A. II. 1. a). 356 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 813. 357 Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 36; Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 813. 358 Ausführlich Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 814 ff. 359 Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 34; Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 814 f. 360 Soziale, an die Arbeitnehmer gerichtete Leistungen müssen aber stets mit der aus § 93 I AktG resultierenden Sorgfaltspflicht eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sein, was nicht der Fall ist, wenn die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft solche Leistungen nicht zulässt oder sie sich ihrer Höhe nach nicht mehr im Rahmen des Vertretbaren halten, vgl. Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 103. 361 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 815 ff. 362 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 817 f.
D. Gesamtfazit
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Diese Überlegungen lassen sich fruchtbar machen, um den Begriff des Gruppeninteresses zu einer operationalisierbaren Größe zu entwickeln: Eine Orientierung am Gruppeninteresse eröffnet der Geschäftsleitung der einzelnen gruppenangehörigen Gesellschaft – nicht zuletzt und insbesondere der Muttergesellschaft363 – einen Handlungsspielraum. Dieser kennt ebenso Grenzen wie die im Zusammenhang mit der Präzisierung des „Unternehmensinteresses“ bestehenden Freiheiten des Vorstandes einer konzernfreien Aktiengesellschaft. Die skizzierten Grenzen beanspruchen grundsätzlich auch in Gruppensachverhalten Geltung, sind aber jeweils konzerndimensional aufzuladen. Beruft sich die Geschäftsleitung einer gruppenangehörigen Gesellschaft bei der Ausübung seiner Tätigkeit auf den durch das Gruppeninteresse eingeräumten Handlungsspielraum, so hat sie beispielsweise nicht nur die Rentabilität der einzelnen Gesellschaft, sondern die der gesamten Unternehmensgruppe in den Blick zu nehmen. Besonderheiten gelten aufgrund der konzernspezifischen Risiken für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger.364 Die Interessen dieser beiden Gruppierungen markieren in Gruppensachverhalten besonders bedeutsame Grenzen.
D. Gesamtfazit zur konzeptionellen und terminologischen Konturierung Die Vorfrage nach der terminologischen Konkretisierung des Gruppeninteresses darf indes nicht den Blick auf die konzeptionelle Tragweite einer supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses verstellen.365 Hinter der konzeptionell verstandenen Anerkennung des Gruppeninteresses zeichnen sich die Konturen eines Reformprojektes zur supranationalen Verwirklichung einer rechtssicheren, zugleich aber flexibilisierten Unternehmensgruppenleitung ab.366 Hierbei spielen zwei ver-
363
Vgl. in diesem Zusammenhang Schön, ZGR 2019, 343 (369), der die Definitionskompetenz des Gruppeninteresses ausschließlich dem Management der Obergesellschaft zuordnen möchte. 364 Dazu § 1. 365 Ähnlich – unter Bezugnahme auf den Aktionsplan der Europäischen Kommission aus dem Jahr 2012 (Aktionsplan COM(2012) 740 final) – auch Schubel, in: FS Müller-Graff, 305 (306). 366 In diesem Sinne hält Ekkenga mit Blick auf den Aktionsplan der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2012 (Aktionsplan COM(2012) 740 final) fest, dass es bei der Anerkennung des Gruppeninteresses um das Ziel geht, „der Konzernspitze einer grenzüberschreitend aktiven Unternehmensgruppe Steuerungsmöglichkeiten an die Hand zu geben, die nicht durch Verbotsschranken und Abwehrregeln der nationalen Rechtsordnungen beeinträchtigt werden (…)“. Damit wird „eines der Kernanliegen einer Konzernorganisationslehre, die die Schutzinteressen der Konzerntöchter dort, wo es nötig ist, in den Hintergrund treten lässt und das von der Konzernspitze determinierte Gruppeninteresse in den Mittelpunkt rückt“ akzentuiert, vgl. Ekkenga, AG 2013, 181 (182).
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§ 3 Gruppeninteresse – konzeptionelle und terminologische Konturierung
schiedene rechtliche Mechanismen eine zentrale Rolle.367 So soll zunächst ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft, das die Durchsetzung unternehmerischer Entscheidungen der Gruppenleitung im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe ermöglicht, verankert werden.368 Ferner soll sich die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft zuvörderst am Gruppeninteresse orientieren dürfen.369
E. Zusammenfassung in Thesen 1. Eine konzeptionelle Konturierung der rechtspolitischen Forderung nach einer Anerkennung des Gruppeninteresses ist notwendig, da erst sie eine Überprüfung des geltenden Rechts möglich macht. Zugleich bedarf es aber auch einer terminologischen Eingrenzung, um die Anknüpfung an das Gruppeninteresse operationalisierbar zu machen. 2. Die in den letzten Jahren aktiven Wissenschaftlerkollektive – so unterschiedlich ihre Regelungsvorschläge im Detail ausfallen – begreifen das Gruppeninteresse allesamt als Konzeption zur supranationalen Verwirklichung einer rechtssicheren, zugleich aber flexibilisierten Unternehmensgruppenleitung. Ausgangspunkt aller wissenschaftlichen Aufarbeitungen mit Relevanz für das Gruppeninteresse war das Werk des Forum Europaeum Konzernrecht, das deshalb einen maßstabsbildenden Charakter aufweist, weil es durch die Betonung der organisationsrechtlichen Komponente des Konzernrechts einen Paradigmenwechsel einleitete. Die Forschungen der Wissenschaftlerkollektive zu einem auf grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen fokussierten enabling law leisten – insbesondere vor dem Hintergrund der Lethargie der Entscheidungsträger auf Ebene der Europäischen Union – einen wertvollen rechtspolitischen Beitrag zur Fortentwicklung des Konzernrechts. 3. Die Beantwortung der Vorfrage nach einer inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses stellt sich jedenfalls aus einer dogmatischen Perspektive als diffizil dar. Ausgehend von der Diskussion im deutschen Aktienkonzernrecht lässt sich jedoch festhalten, dass die Auswahl an Orientierungswerten limitiert ist: Einerseits lässt sich das Gruppeninteresse aus den Eigeninteressen der Muttergesellschaft ableiten; andererseits können die Interessen aller anderen gruppenangehörigen Gesellschaften fruchtbar gemacht werden. Ein über diese beiden 367 Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (64 f.); Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (657 ff.). Teichmann, ECL 2016, 150 (157); ähnlich auch Schubel, in: FS Müller-Graff, 305 (309); ausführlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 47 ff.; vgl. schließlich Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 23 Fn. 79, 87 f., der insofern von einem „,Doppelgehalt‘ der Doktrin des Gruppeninteresses“ spricht. 368 Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (64 f.); Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (657 f.); Teichmann, ECL 2016, 150 (157). 369 Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (64); Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (659 f.); Teichmann, ECL 2016, 150 (157).
E. Zusammenfassung in Thesen
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Anknüpfungspunkte hinausgehendes Gesamtinteresse der Unternehmensgruppe ist nicht bestimmbar. 4. Hinter einer konzeptionell verstandenen Anerkennung des Gruppeninteresses verbirgt sich ein Reformprojekt zur supranationalen Verwirklichung einer rechtssicheren, zugleich aber flexibilisierten Unternehmensgruppenleitung. Im Zusammenhang mit der Erreichung dieses rechtspolitischen Ziels wird über die Implementierung zweier Instrumente mittels supranationaler Rechtsetzung diskutiert. So soll ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft, das die Durchsetzung unternehmerischer Entscheidungen der Gruppenleitung im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe ermöglicht, verankert werden. Ferner soll sich die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft maßgeblich am Gruppeninteresse orientieren dürfen.
§ 4 Die Anerkennung des Gruppeninteresses de lege lata Wenn man die Anerkennung des Gruppeninteresses im geltenden Recht anhand des durch die konzeptionelle und terminologische Konturierung gebildeten Maßstabs herausarbeiten will, sind die in diesem Zusammenhang diskutierten konzernrechtlichen Instrumente in den Blick zu nehmen. Die Untersuchung des deutschen Rechts wird von einem rechtsvergleichenden Rundblick, der die Rechtslage in Frankreich und England fokussiert, sowie einer Analyse des Europarechts flankiert. Abschließend wird auf internationalprivatrechtliche Fragestellungen einzugehen sein.
A. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im deutschen Recht Für die Untersuchung des deutschen Rechts ist zwischen zwei Perspektiven zu differenzieren: Einerseits gilt es, den Blickwinkel der Muttergesellschaft einzunehmen und die Möglichkeiten, Weisungen gegenüber Tochtergesellschaften zu erteilen, zu erörtern; andererseits muss analysiert werden, ob es Geschäftsleitern von Tochtergesellschaften de lege lata offensteht, das Gruppeninteresse zu berücksichtigen.1
I. Weisungsrecht der Muttergesellschaft Im Ausgangspunkt muss bei der Untersuchung des Weisungsrechts der Muttergesellschaft im deutschen Recht zwischen dem kodifizierten Aktienkonzernrecht und dem nicht kodifizierten GmbH-Konzernrecht differenziert werden. Die Eingliederung gemäß §§ 319 ff. AktG stellt sich als – hier nur kursorisch zu behandelnder2 – konzernrechtlicher Sonderfall dar. Nach § 323 I 1 AktG ist die Hauptgesellschaft im Falle einer Eingliederung berechtigt, dem Vorstand der eingliederten Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Dieses Weisungsrecht ist umfassender Natur und gestattet der Hauptgesellschaft die Erteilung selbst solcher nachteiliger Wei1
Ähnlich bereits Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 46 ff.; 157 ff. Zur geringen praktischen Bedeutung dieser Konzernierungsform Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 55. 2
A. Verwirklichung des Gruppeninteresses im deutschen Recht
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sungen, die nicht durch Belange der Hauptgesellschaft oder eines mit ihr verbundenen Unternehmens gedeckt sind.3 Sogar existenzgefährdende Weisungen sind – nach überwiegender Auffassung – zulässig, da einerseits keine Minderheitsaktionäre existieren, deren Interessen zu bedenken wären, und andererseits die Vorschriften der §§ 321 III, 322, 324 III AktG sowie die Regeln des Insolvenzverfahrens einen zureichenden Gläubigerschutz bewirken.4 Einigkeit besteht dagegen hinsichtlich der Unzulässigkeit gesetzes-, sitten- sowie satzungswidriger Weisungen.5 Darüber hinaus sieht § 323 II AktG vor, dass Leistungen der eingegliederten Gesellschaft an die Hauptgesellschaft nicht als Verstoß gegen §§ 57, 58, 60 AktG gelten. Hierdurch wird die aktienrechtliche Kapitalbindung aufgehoben und der Hauptgesellschaft Zugriff auf das Vermögen der eingegliederten Gesellschaft selbst insoweit eingeräumt, als dieses zur Deckung des Grundkapitals erforderlich ist.6 Angesichts der weitreichenden Befugnisse der Muttergesellschaft kann die eingegliederte Gesellschaft aus kaufmännischer Sicht als Betriebsabteilung der Hauptgesellschaft qualifiziert werden, obwohl sie als selbstständiges Rechtssubjekt bestehen bleibt.7 1. Die Rechtslage im Aktienkonzernrecht Das sonstige Aktienkonzernrecht zerfällt in zwei Teilbereiche: Das Vertragskonzernrecht auf der einen und das Recht des faktischen Konzerns auf der anderen Seite. a) Vertragskonzern Gemäß § 308 I 1 AktG ist das herrschende Unternehmen bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages berechtigt, dem Vorstand der Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Grundsätzlich können auch Weisungen erteilt werden, die für die Gesellschaft nachteilig sind, wenn sie den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm und der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dienen, § 308 I 2 AktG. Im Zusammenspiel mit §§ 291 III, 57 I 3 AktG ermöglicht diese Vorschrift eine Veranlassung der abhängigen Gesellschaft zu verdeckten Gewinnausschüttungen.8 3
Grunewald, in: MünchKommAktG, § 323 Rn. 2; Habersack, in: Emmerich/Habersack/ Schürnbrand, Konzernrecht, § 323 AktG Rn. 2; vgl. außerdem den Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 427. 4 Vgl. nur Grunewald, in: MünchKommAktG, § 323 Rn. 3; Habersack, in: Emmerich/ Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 323 AktG Rn. 2. 5 Grunewald, in: MünchKommAktG, § 323 Rn. 5; Habersack, in: Emmerich/Habersack/ Schürnbrand, Konzernrecht, § 323 AktG Rn. 2; Singhof, in: Spindler/Stilz, AktG, § 323 Rn. 2. 6 Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 323 AktG Rn. 3. 7 So bereits die Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 429. 8 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 160; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 31; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht,
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§ 4 Die Anerkennung des Gruppeninteresses de lege lata
Der Begriff der Weisung ist in diesem Zusammenhang weit auszulegen und umfasst auch die nicht rechtsgeschäftliche Einflussnahme in Form von Anordnungen, Direktiven oder als verbindlich gedachten Empfehlungen.9 Da sich das Weisungsrecht auf sämtliche Maßnahmen, die an sich gemäß § 76 I AktG in den Zuständigkeitsbereich des Vorstands des abhängigen Unternehmens fallen, bezieht, kann die Weisung sowohl auf den Abschluss einzelner Geschäfte als auch auf grundlegende Angelegenheiten der Geschäftsführung, etwa die Unternehmensplanung und die Personalpolitik, gerichtet sein.10 Vom Weisungsrecht umfasst sind auch innerkorporative Angelegenheiten sowie bilanzpolitische Entscheidungen bei der Aufstellung des Jahresabschlusses.11 Träger des Weisungsrechts ist das herrschende Unternehmen.12 Die Ausübung obliegt den organschaftlichen Vertretern dieses Unternehmens, die die Weisungsbefugnis ihrerseits an leitende Angestellte oder andere Bevollmächtigte delegieren können.13 Empfänger einer Weisung ist gemäß § 308 I 1 AktG der Vorstand der abhängigen Gesellschaft. Aufgrund des eindeutigen Wortlauts ist die Zulässigkeit von Weisungen an andere Organe der abhängigen Gesellschaft zu verneinen.14 Liegt ein entsprechendes Einverständnis des Vorstands der abhängigen Gesellschaft vor, wird man indes auch direkte Weisungen an nachgeordnete Stellen zulassen können.15 Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens kennt freilich Grenzen. Ausweislich des § 308 I 2 AktG kann es eine erste Beschränkung durch den zwi§ 308 AktG Rn. 44; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 37; E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (369 f.). 9 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 24; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 10; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 35; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 5. 10 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 35; ausführlich auch Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 87 ff. 11 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 87 ff.; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 159; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 40 ff.; E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (369) gegen eine Erstreckung auf finanzverfassungsrechtliche Angelegenheiten hingegen Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 21. 12 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 42. 13 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 42; zu weiteren Möglichkeiten einer Delegation bzw. Übertragung des Weisungsrechts sowie damit einhergehenden Problemen Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 12 ff.; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 4 ff.; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 12 ff. 14 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 160; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/ Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 17; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 43. 15 So bereits die Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 403, wo es heißt: „Der Vorstand kann aber die Angestellten anweisen, unmittelbare Weisungen des herrschenden Unternehmens zu befolgen.“ Nicht geklärt ist hingegen die Frage, in welchem Umfang der Vorstand andere Mitarbeiter der Gesellschaft anweisen kann, direkt an sie gerichtete Weisungen des herrschenden Unternehmens zu befolgen, dazu eingehend Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 73 ff.
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schen Mutter- und Tochtergesellschaft abgeschlossenen Beherrschungsvertrag erfahren. Dieser kann das Weisungsrecht somit zwar nicht erweitern, wohl aber einschränken.16 Darüber hinaus beschränkt der Tatbestand des § 308 I 2 AktG das Weisungsrecht der Muttergesellschaft.17 Die Vorschrift sieht vor, dass für die Tochtergesellschaft nachteilige Weisungen nur angeordnet werden können, „wenn sie den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm und der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dienen“. Diesem Erfordernis wird bereits genügt, wenn die begünstigte Gesellschaft mit der Muttergesellschaft durch ein faktisches Abhängigkeitsverhältnis verbunden ist.18 Nach der mit dieser Vorschrift korrespondierenden Norm des § 308 II 2 AktG ist der Vorstand der Tochtergesellschaft indes „nicht berechtigt, die Befolgung einer Weisung zu verweigern, weil sie nach seiner Ansicht nicht den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm und der Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dient, es sei denn, dass sie offensichtlich nicht diesen Belangen dient“. Diese Regelung verlagert die Darlegungsund Beweislast für die tatsächlichen Voraussetzungen einer berechtigten Weigerung auf den Vorstand der Tochtergesellschaft19 und nimmt der einschränkenden Formulierung des § 308 I 2 AktG dadurch ihr Gewicht20. Als Einschränkung des Weisungsrechts stellt sich darüber hinaus die Notwendigkeit einer Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Erteilung nachteiliger Weisungen dar: Die Nachteile für die Tochtergesellschaft dürfen danach nicht außer Verhältnis zu den Vorteilen für die Unternehmensgruppe oder die einzelnen gruppenangehörigen Gesellschaften stehen.21 Als Grenze des Weisungsrechts der Muttergesellschaft wird weiterhin die Existenzfähigkeit der abhängigen Gesellschaft diskutiert. Hierbei ist zwischen Weisungen, die während der Vertragsdauer zur Existenzgefährdung oder -vernichtung führen, und solchen, die erst nach Beendigung des Beherrschungsvertrags dem 16
Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 13; ausführlich zu Auslegung dieser Einschränkungsmöglichkeit Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 151 f. 17 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 161; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 28. 18 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 161; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 28; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 18; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 25; einschränkend Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 110. 19 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 155; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 22; für eine Beweislast des herrschenden Unternehmens allerdings Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 53c. 20 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 28. 21 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 161; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 17; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 51; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 149; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 26; gegen die Notwendigkeit einer Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 114 ff.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 39.
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Fortbestand der Gesellschaft entgegenstehen, zu differenzieren.22 Nach herrschender Meinung sind Weisungen, durch die die Lebensfähigkeit der abhängigen Gesellschaft hic et nunc unmittelbar bedroht wird, unzulässig.23 Diese Auffassung trägt der Gesetzessystematik Rechnung, die in den §§ 302 ff. AktG offenkundig vom Fortbestand der abhängigen Gesellschaft trotz Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ausgeht.24 Flankierend ist zu bemerken, dass Beherrschungsverträge im Kern Geschäftsbesorgungsverträge im Sinne des § 675 I BGB sind, aus denen sich beiderseitige Treue- und Rücksichtspflichten ergeben; die Erteilung von Weisungen, in deren Rahmen eine Vernichtung der abhängigen Gesellschaft in Kauf genommen wird, ist mit diesen Pflichten unvereinbar.25 Gefahren für die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft nach Beendigung des Beherrschungsvertrags sind dagegen nicht geeignet, das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens noch während des Bestehens des Vertragskonzerns zu begrenzen.26 Einerseits wäre eine praktikable Grenzziehung nicht möglich, weil man in diesem Zusammenhang auf unsichere Prognosen angewiesen wäre; andererseits vermittelt § 303 AktG nach Beendigung des Beherrschungsvertrags – jedenfalls für die Gläubiger der abhängigen Gesellschaft – hinreichenden Schutz.27 Eine weitere Grenze des Weisungsrechts der Muttergesellschaft konstituieren statutarische Bestimmungen der Tochtergesellschaft, die dem Weisungsrecht entzogen sind.28 Vor diesem Hintergrund sind Weisungen, die auf eine Änderung des Unternehmensgegenstands oder auf ein Tätigwerden außerhalb desselben zielen, unwirksam.29 Eingriffe dieser Art kann das herrschende Unternehmen aber durchsetzen, indem es mittels seiner Mehrheitsmacht in der Hauptversammlung eine Satzungsänderung bewirkt.30
22 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 162 f.; zweitgenannter Aspekt wird häufig im Zusammenhang mit einem übergeordneten Konzept des Konzernausgangsschutzes disktutiert, vgl. Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 19. 23 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 119 ff.; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 61; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 19; Seibt/Cziupka, AG 2015, 721 (724); Sina, AG 1991, 1 (7); andere Ansicht Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 39; Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 31. 24 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 61; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 19. 25 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 61. 26 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 65; Seibt/Cziupka, AG 2015, 721 (724); Servatius, in: Grigoleit, AktG, § 308 Rn. 22 f. 27 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 65; Servatius, in: Grigoleit, AktG, § 308 Rn. 22. 28 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 40. 29 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 27; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 149 f.; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 40; Seibt/ Cziupka, AG 2015, 721 (723); Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, § 308 Rn. 29. 30 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 40.
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Beschränkt wird das Weisungsrecht schließlich durch zwingende gesetzliche Vorschriften.31 So kann der Vorstand nicht angewiesen werden, Bestimmungen des Steuer-, Wettbewerbs- oder Umweltrechts, mithin seine Legalitätspflicht zu missachten.32 Ebenso unzulässig sind Weisungen, die zu Verstößen gegen zwingende gesellschaftsrechtliche Vorschriften, etwa über den Erwerb eigener Aktien oder über die Grenzen des Bezugsrechtsausschlusses, führen.33 Weisungen, die darauf zielen, den Verlustausgleich nach § 302 AktG nicht geltend zu machen, fallen ebenfalls in diese Kategorie.34 Der Ausschluss von Weisungen, durch die ein Unternehmensvertrag geändert, aufrechterhalten oder beendet werden soll, wird durch § 299 AktG explizit angeordnet. b) Faktischer Konzern Im Recht des faktischen Konzerns existiert keine mit § 308 AktG vergleichbare Regelung. Wenngleich die Vorschriften der §§ 311 ff. AktG eine Einbindung der Tochtergesellschaft in eine übergeordnete Gruppenorganisation ermöglichen, verbleibt die Führungsverantwortung für die Tochtergesellschaft bei deren Vorstand.35 Die Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit dieses Vorstands wird durch § 311 ff. AktG weder eingeschränkt noch durchbrochen.36 Mangels Weisungsrecht ist das herrschende Unternehmen auf informelle Durchsetzungsmöglichkeiten, die sich auf die Stimmenmehrheit in der Hauptversammlung und auf den damit verbundenen Einfluss auf die Besetzung von Aufsichtsrat und Vorstand stützen, verwiesen.37 Zwar reichen die durch §§ 311 ff. AktG eingeräumten Befugnisse in der Praxis aus, um eine Unternehmensgruppe erfolgreich zu koordinieren und zu leiten;38 31 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 163; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 27; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 58; Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 14; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 40; Seibt/Cziupka, AG 2015, 721 (723). 32 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 58; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 40. 33 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 40. 34 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 308 Rn. 95; Emmerich, in: Emmerich/Habersack/ Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 AktG Rn. 58; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 40. 35 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 164. 36 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 164; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 1; Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 311 AktG Rn. 10, 78; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 48; aus der Rechtsprechung: KG, ZIP 2003, 1042 (1049). 37 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 2; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 61 Rn. 8; ausführlich zu alternativen Herrschaftsinstrumenten Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 173 ff. 38 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 61 Rn. 8, die auf die Möglichkeiten einer konzernweiten Geschäfts-, Personal- und Finanzplanung hinweisen.
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die alternativen Herrschaftsinstrumente entfalten gleichwohl keine mit einem Weisungsrecht vergleichbare Durchschlagskraft.39 2. Die Rechtslage im GmbH-Konzernrecht Auch im GmbH-Konzernrecht ist zwischen Vertragskonzernen und faktischen Konzernen zu differenzieren. Bei Vorliegen eines GmbH-Vertragskonzerns gelangt das Weisungsrecht über eine analoge Anwendung des § 308 AktG zur Anwendung.40 Besonderheiten gelten jedoch für den Fall einer Kollision zwischen dem Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens und dem aus § 37 I GmbHG abgeleiteten Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung41: Sofern das herrschende Unternehmen analog § 308 AktG von seinem Weisungsrecht Gebrauch macht, haben diese Weisungen Vorrang vor etwaigen entgegenstehenden Weisungen der Gesellschafterversammlung.42 Erteilt das herrschende Unternehmen keine Weisungen, kann die Gesellschafterversammlung weiterhin Weisungen aussprechen.43 Im faktischen GmbH-Konzern ist das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung das zentrale Herrschaftsinstrument. Da es grundsätzlich der Gesellschaftergesamtheit und nicht dem einzelnen Gesellschafter zusteht, erfordert seine rechtmäßige Ausübung einen nach § 47 I GmbHG mit einfacher Mehrheit zu fassenden Gesellschafterbeschluss.44 Die Muttergesellschaft verfügt also nur dann über ein eigenes, jederzeit flexibel einsetzbares Weisungsrecht, wenn sie Alleingesellschafterin der Tochter-GmbH ist.45 In anderen Konstellationen besteht die Möglichkeit, ein selbstständiges Weisungsrecht der Muttergesellschaft im Gesellschaftsvertrag zu verankern.46 Die Grenze der grundsätzlich weitreichenden Wei39
Dazu § 6 C. I. 1. Vgl. nur Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 Rn. 10. 41 Dazu Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 33; Hommelhoff, ZGR 1978, 119 (121); Schneider/Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 37; Zöllner/Noack, in: Baumbach/ Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 20. 42 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 Rn. 10a; Liebscher, in: MünchKommGmbHG, Anhang § 13 Rn. 792; aus der Rechtsprechung: BGHZ 105, 324 (331); OLG Stuttgart, NZG 1998, 601 (602). 43 Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 308 Rn. 10a; anders Liebscher, in: MünchKommGmbHG, Anhang § 13 Rn. 793: Für Weisungen der Gesellschafterversammlung verbleibt nach Abschluss eines Beherrschungsvertrages „im Geschäftsführungsbereich kein Raum mehr“. 44 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 165; Hommelhoff, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 91 (101); Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 17; Schneider/ Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 38. 45 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 165; Hommelhoff, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 91 (101). 46 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 165. 40
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sungsbefugnis47 beginnt dort, wo die Geschäftsführer die im Allgemein- und vor allem im Gläubigerinteresse bestehenden Gesetzespflichten zu erfüllen haben.48 So sind beispielsweise Weisungen, die gegen die Pflichten zur Kapitalerhaltung oder zur rechtzeitigen Stellung des Insolvenzantrags verstoßen, nichtig.49 Eine bedeutsame Grenze des Weisungsrechts aus § 37 I GmbHG markiert außerdem die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht.50 Dieses – grundsätzlich konzernrechtsunspezifische – Institut verbietet es dem Mehrheitsgesellschafter strikt, die Interessen der Gesellschaft zum Schaden der Gesellschafterminderheit zu beeinträchtigen.51 Sofern in der GmbH keine Minderheit existiert oder sämtliche Minderheitsgesellschafter mit der schädigenden Einflussnahme einverstanden sind, ist die GmbH selbst nicht durch die Treuepflicht geschützt;52 das Weisungsrecht der Muttergesellschaft wird in dieser Konstellation nicht durch die Treuepflicht limitiert.53 3. Zwischenergebnis Ein umfassendes Weisungsrecht sieht das deutsche Recht nur für den Vertragskonzern und die für die Rechtspraxis eher unbedeutende Eingliederung vor. Wird in einem faktischen Konzern eine Aktiengesellschaft als Tochtergesellschaft eingesetzt, so steht der Muttergesellschaft de lege lata keine Weisungsbefugnis zu, sodass sie auf den Einsatz alternativer Herrschaftsinstrumente angewiesen ist. Der Rückgriff auf eine Tochter-GmbH vermittelt der Muttergesellschaft hingegen in jedem Fall Weisungsbefugnisse.
47 Nach zutreffender Ansicht ist es sogar zulässig, wenn die Gesellschafter ihre Weisungen derart intensivieren, dass sie dadurch die Geschäftsführer zum reinen Exekutivorgan herabstufen, vgl. Altmeppen, in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37 Rn. 4; Schneider/Schneider, in: Scholz, GmbHG, § 37 Rn. 46; Stephan/Tieves, in: MünchKommGmbHG, § 37 Rn. 117; dagegen allerdings Hommelhoff, ZGR 1978, 119 (127 ff.); Kleindiek, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rn. 18a; Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 18. 48 Altmeppen, in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37 Rn. 6; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 166; Stephan/Tieves, in: MünchKommGmbHG, § 37 Rn. 118; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (16). 49 Altmeppen, in Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37 Rn. 6. 50 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 166; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 62; Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anhang § 13 Rn. 39 ff.; aus der Rechtsprechung: BGHZ 65, 15 (18 ff.); 95, 330 (340). 51 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 62; Beispiele für schädigende Handlungen finden sich bei Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 30 Rn. 13 f. 52 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 71; BGHZ 95, 330 (340); BGHZ 122, 333 (336); anders dagegen Ziemons, Haftung der Gesellschafter, 94 ff. 53 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 166.
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II. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften Die Etablierung eines Regelungskonzepts zur Anerkennung des Gruppeninteresses würde nach Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften verlangen. Ob dies schon nach geltendem Recht möglich ist, muss im Folgenden untersucht werden. 1. Die Verpflichtung auf das Tochtereigeninteresse als Grundsatz De lege lata ist der Geschäftsleiter einer Gesellschaft auf das Eigeninteresse derselben verpflichtet. Für das Aktienrecht lässt sich dieser Befund anhand der Vorschrift des § 76 I AktG begründen. Danach hat der Vorstand die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Im Verhältnis des Vorstands zur Gesellschaft konstituiert § 76 I AktG eine organschaftliche Pflicht zur Geschäftsleitung.54 Im Rahmen der Leitung hat der Vorstand die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden, § 93 I 1 AktG. Darüber hinaus wird man den gesetzlichen Leitungsauftrag nicht nur als eine Rechtspflicht, sondern auch als ein Pflichtrecht einordnen können.55 Pflichtrechte sind nach der Lehre der subjektiven Rechte jene Rechtspositionen, welche von vornherein mit einer Pflichtbindung versehen und vornehmlich im Fremdinteresse auszuüben sind.56 Die Unternehmensleitung, die dem Vorstand zur treuhänderischen Wahrnehmung anvertraut ist,57 stellt eine derartige Rechtsposition dar.58 Richtschnur allen Vorstandhandelns ist vor diesem Hintergrund das Gesellschaftsinteresse.59 Das GmbH-Recht sieht hingegen keine eigenverantwortliche Leitung der Gesellschaft durch den GmbH-Geschäftsführer vor; sein Pflichtenkreis wird vielmehr durch die Gesellschafter determiniert.60 Da die Gesellschafter ihrerseits das Ge-
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Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 10; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 44; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14 Rn. 12. 55 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 10; Fleischer, ZIP 2003, 1 (2); Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung, 9. 56 Fleischer, ZIP 2003, 1 (2). 57 E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (344). 58 Fleischer, ZIP 2003, 1 (2); vgl. in diesem Zusammenhang auch die Amtliche Begründung zum AktG 1937, bei Klausing, 58 f.: „Aus dem Recht des Vorstands zur Leitung der Gesellschaft folgt seine Pflicht, für das Wohl der Gesellschaft, zu dem auch die Belange der Aktionäre gehören, zu sorgen und sich für dieses Ziel tatkräftig einzusetzen.“ 59 E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (344). 60 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 11 Rn. 9. Systematisierend lassen sich in diesem Zusammenhang zwei Arten von Pflichten festhalten: Eine Pflicht zur Unternehmensleitung sowie eine Loyalitätspflicht, vgl. Schneider, in: Handbuch Managerhaftung, § 2 Rn. 2.13.
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sellschaftsinteresse bestimmen,61 ist auch für das Handeln des Geschäftsführers das Gesellschaftsinteresse maßgeblich. Für die Bestimmung des Gesellschaftsinteresses ist anhand der Rechtsform der Tochtergesellschaft zu differenzieren. a) Aktienrecht So gilt die Diskussion darum, ob der Vorstand einer Aktiengesellschaft die Geschicke seiner Gesellschaft ausschließlich mit Blick auf die Belange der Anteilseigner (shareholder) oder auch auf die anderer Interessengruppen (stakeholder62) zu leiten hat, als „aktienrechtliches Jahrhundertproblem“.63 Ziel einer shareholdervalue-orientierten Unternehmenspolitik ist die größtmögliche Steigerung des Unternehmenswertes, verstanden als Wert des Eigenkapitals.64 Eine ausschließliche Ausrichtung auf die Vermögensinteressen der Anteilseigner wird zunächst durch die Logik des Kapitalmarkts herausgefordert: Um beständig neue Anleger anzusprechen, ist der kontinuierliche Anstieg des Marktwertes erforderlich.65 Daneben ist ein steigender Kurs eine optimale Versicherung gegen feindliche Übernahmen.66 Die alleinige Orientierung am shareholder value birgt indes auch Risiken, da sie kurzfristiges Denken fördert und in Verbindung mit aktienbasierter Vergütung Anreize für übertrieben risikoreiches Verhalten von Managern setzt.67 Kritisiert wird darüber
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Dazu § 4 A. II. 1. b). Zum Terminus stakeholder aus ökonomischer Perspektive von Werder, in: Handbuch Corporate Governance, 3 (9): „(…) [Z]u den Stakeholdern [sind] alle (Gruppen von) natürlichen Personen und Institutionen zu zählen, die auf der Grundlage unvollständiger Verträge Transaktionen mit dem Unternehmen durchführen und aus diesem Grund ein (in weiterem Sinne) ökonomisches Interesse am Unternehmensgeschehen haben. (…) Zu denken ist namentlich an die Anteilseigner (…), die Fremdkapitalgeber (…), die Arbeitnehmer (…), das Management selbst (…), die Lieferanten (…), die Allgemeinheit in Form des Staates (…) sowie die Kunden (…).“ 63 Fleischer, in: Handbuch Corporate Governance, 185 (212); plakativ schon Hommelhoff, in: Festschrift Lutter, 95 (103): „Dieser Interessenwiderstreit, angereicht um die Frage nach möglichen eigenen Interessen der Aktiengesellschaft und ihres Unternehmens, markiert in der Geschichte des deutschen Aktienrechts ein fundamentales, ein Jahrhundertproblem (…)“; vgl. ferner auch die überblicksartigen Darstellungen bei Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 812 f. sowie Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 33 ff. 64 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 29. 65 Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 34. 66 Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 34; Ulmer, AcP 202 (2002), 143 (145). 67 Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 34 f.; vgl. zum zweitgenannten – im US-amerikanischen Recht unter dem Stichwort equity compensation diskutierten – Aspekt auch Coffee, 89 Cornell Law Review, 269 (275 ff.). 62
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hinaus die Verkürzung von Managementaufgaben auf die Steigerung des Marktwertes.68 Nach dem stakeholder-value-Ansatz hat der Vorstand die Aufgabe, sämtliche in der Gesellschaft zusammentreffenden Interessen im Wege praktischer Konkordanz zu einem bestmöglichen Ausgleich zusammenzuführen.69 Der Ansatz stützt sich auf die Erwägung, dass die Wertschöpfung eines Unternehmens nicht nur von der Finanzierung durch ihre Eigenkapitalgeber abhängt, sondern das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengung aller hieran Beteiligten ist.70 Vor diesem Hintergrund sind auch die Interessen der stakeholder schutzwürdig und im Rahmen der Unternehmensleitung zu berücksichtigen.71 Unterstützt werden kann die Argumentation mit einem Verweis auf Art. 14 II GG, der die Sozialbindung jeglichen Eigentums verlangt.72 Auch der stakeholder-value-Ansatz sieht sich Vorbehalten ausgesetzt: Die Ausrichtung an den Interessen der stakeholder sorgt zunächst für eine Erweiterung des Ermessensspielraums des Vorstandes; klare Zielvorgaben lassen sich einer derartigen Orientierung indes nicht entnehmen.73 Die Zielpluralität des stakeholdervalue-Ansatzes kann dafür sorgen, dass der Vorstand die einzelnen stakeholderBelange geschickt gegeneinander ausspielt, um hierbei eigene Interessen zu verfolgen.74 Ferner wird dem stakeholder-value-Ansatz vorgehalten, dass dieser die unterschiedlichen Risikopositionen der beteiligten Interessenträger verkennt: Während Fremdkapitalgeber, Arbeitnehmer und Lieferanten Festbetragsbeteiligte sind, übernehmen Eigenkapitalgeber als Restbetragsbeteiligte ein größeres Risiko, was ihre Vorrangstellung rechtfertigt.75 Der Schutz der stakeholder kann durch ar68 Anschaulich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 26 II c), 768: „Die Handlungspflichten des Vorstands leiten sich nur noch sekundär aus seinen operativen Funktionen in der Branche des Unternehmens her (…), sondern aus der Attraktivität der Aktien am Kapitalmarkt. Der typische, an der Maximierung seines Einsatzes interessierte Anleger wird so zum Träger der das Vorstandshandeln bestimmenden Interessen. Produktqualität und kommerzieller Erfolg des Unternehmens auf ,seinem‘ Markt verkümmern zu bloßen Elementen des einzigen Markts, der den Shareholder Value bestimmt: des Anlegermarkts, dem außer einer guten operativen Darstellung des Unternehmens unablässig ,Kursphantasien‘ vorgezeigt werden müssen. (…) Richtig scheint, dass Shareholder Value (…) nicht Selbstzweck, sondern nur Indikator für den Unternehmenserfolg sein darf.“ 69 Hopt, ZGR 2002, 333 (360); Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 33; Klöhn, ZGR 2008, 110 (111, 118); Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14 Rn. 14. 70 Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 35 f.; eingehend zu der aus dem US-amerikanischen Recht stammenden Idee der team production Klöhn, ZGR 2008, 110 (139 f.). 71 Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 36. 72 Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 66; vgl. ferner BVerfGE 50, 290, 315 f. 73 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 21 Rn. 28; Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 36 f.; pointiert Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 34: „Ein Diener vieler Herren ist am Ende aller ledig und niemandem mehr verantwortlich.“ 74 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 50; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 21 Rn. 28; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 34. 75 Fleischer, in: Handbuch Corporate Governance, 185 (192).
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beits- und sozialrechtliche Bestimmungen, Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsregeln, Verbraucherschutzgesetze und Umweltschutzvorschriften in hinreichendem Maße geleistet werden.76 In der deutschen Diskussion werden beide Standpunkte prominent vertreten, wobei die Anhänger des stakeholder-value-Ansatzes77 den Befürwortern einer shareholder-value-Orientierung78 wohl zahlenmäßig überlegen sind. Auch die Regierungskommission DCGK steht auf der Seite des stakeholder-Ansatzes, was sich nicht zuletzt im Wortlaut der Präambel des im Mai 2019 novelllierten DCGK79 manifestiert. Dort heißt es: „Der Kodex verdeutlicht die Verpflichtung von Vorstand und Aufsichtsrat, im Einklang mit den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft unter Beru¨ cksichtigung der Belange der Aktiona¨ re, der Belegschaft und der sonstigen dem Unternehmen verbundenen Gruppen (Stakeholder) fu¨ r den Bestand des Unternehmens und seine nachhaltige Wertscho¨ pfung zu sorgen (Unternehmensinteresse).“ Die Vorschrift wird durch den „Grundsatz 1“ im Kapitel A. Leitung und Überwachung, Unterkapitel I. Aufgaben und Verantwortlichkeiten ergänzt: „Der Vorstand leitet das Unternehmen in eigener Verantwortung im Unternehmensinteresse. (…)“ Aufgrund des Rückgriffs auf den Begriff „Unternehmensinteresse“, der in der Präambel im Sinne des stakeholder-Ansatzes definiert wird, dürften sich keine substanziellen Änderungen bei der Bestimmung des Pflichtenkreises des Vorstands nach dem reformierten DCGK ergeben. Entschärft wird Diskussion um die Leitmaxime des Vorstandshandelns durch zwei Gegebenheiten: Einerseits müssen die beiden Ansätze nicht zwingend zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen.80 Während sich Interessengegensätze bei Betrachtung eines schmalen Zeitfensters nicht leugnen lassen, kann auf lange Sicht regelmäßig ein Gleichklang der Interessen beobachtet werden.81 Andererseits werden die beiden grundsätzlich konträren Positionen durch Vertreter eines enlighted shareholder approach miteinander verbunden.82 Diese greifen die im Zusammen76
Fleischer, in: Handbuch Corporate Governance, 185 (192); vgl. aus der US-amerikanischen Literatur Hansmann/Kraakman, 89 Georgetown Law Journal, 439 (441): „(…) other corporate constituencies, such as creditors, employees, suppliers, and customers, should have their interests protected by contractual and regulatory means rather than through participation in corporate governance (…)“. 77 Hopt, ZGR 2002, 333 (360); Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 30 ff.; Kort, AG 2012, 605 (605 ff.); Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 14 Rn. 14; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 28 II 1 a), 805 f. 78 Mülbert, ZGR 1997, 129 (129 ff.); moderater dagegen Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 37 f.; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23. 79 Eine zwiespältige Bewertung des reformierten DCGK findet sich bei von Werder, DB 2019, 41 (41 ff.). 80 Fleischer, in: Handbuch Corporate Governance, 185 (203); Thaten, Ausstrahlung des Aufsichts- auf das Aktienrecht, 37. 81 Fleischer, in: Handbuch Corporate Governance, 185 (203). 82 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 38; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23; in diese Richtung auch Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 21 Rn. 28:
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hang mit dem shareholder-value-Ansatz geäußerten Bedenken auf, indem sie – bei grundsätzlichem Vorrang der Aktionärsinteressen – die Belange der stakeholder für berücksichtigungsfähig erklären, sofern der Vorstand dadurch einer gesellschaftlichen Erwartung entspricht und den Ruf der Aktiengesellschaft als good corporate citizen83 pflegt.84 Abschließend lässt sich festhalten, dass die Diskussion viel von ihrer anfänglichen Erregtheit verloren hat; im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum finden sich immer seltener Positionen, die die Interessen aller an einer Gesellschaft beteiligten Personengruppen ausblenden und sich ausschließlich am shareholdervalue orientieren wollen.85 b) GmbH-Recht Im GmbH-Recht existiert keine vergleichbar kontroverse Diskussion. Das Gesellschafsinteresse wird in der GmbH allein durch die Gesellschafter bestimmt.86 Gleichwohl sind Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen zum Nachteil der Gläubiger nur oberhalb des Stammkapitals, in den Grenzen der §§ 30 f. GmbHG sowie unter Wahrung der Grundsätze zur Existenzvernichtungshaftung zulässig, sodass zumindest insofern ein verselbstständigtes Vermögensinteresse der Gesellschaft anzuerkennen ist.87 Im Einzelfall ist es trotz dieser Ausrichtung auf die Interessen der Gesellschafter denkbar, dass der Geschäftsführer einer GmbH zur Berücksichtigung von stakeholder-Belangen verpflichtet ist.88 Im Zweifel bleibt es jedoch bei einem Vorrang der Gesellschafterinteressen.89 „Vorstand und Aufsichtsrat müssen die Interessen der Aktionäre berücksichtigen. Sie sind aber nicht deren kurzfristigen Renditeerwartungen verpflichtet, sondern einer nachhaltigen Unternehmenspolitik. Im Rahmen des unternehmerischen Ermessens dürfen auch Stakeholder-Interessen angemessen berücksichtigt werden.“ 83 Kritisch zu dieser Figur Kort, NZG 2012, 926 (927 f.). 84 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 38; Seibt, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 76 Rn. 23. 85 Lieder, Der Aufsichtsrat im Wandel der Zeit, 813. 86 So die ganz herrschende Ansicht, vgl. Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rn. 42; Fleischer, in: MünchKommGmbHG, § 43 Rn. 16 ff.; Schneider/Crezelius, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 68; aus der Rechtsprechung: BGHZ 119, 257 (262); BGH, NZG 2003, 528 (528); andere Ansicht (für ein verselbstständigtes Interesse der GmbH) Ziemons, Haftung der Gesellschafter, 86 f, 94 ff.; im Spezialfall der mitbestimmten GmbH sprechen sich einige für eine Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen aus, vgl. dazu Fleischer, GmbHR 2010, 1307 (1309 f.). 87 BGHZ 179, 344 (355 f., Rz. 36 f.); Bayer, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 14 Rn. 42; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 52; kritisch Weller, DStR 2007, 1166 (1168). 88 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 52; Schneider/Crezelius, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 68; vgl. außerdem Fleischer, in: MünchKommGmbHG, § 43 Rn. 19, der in diesem Zusammenhang eine Parallele zum enlighted shareholder approach im Aktienrecht zieht: „Nicht ausgeschlossen ist (…), dass [der Geschäftsführer] von Fall zu Fall berechtigt ist, Stakeholder-Interessen bei seiner Entscheidungsfindung zu berücksichtigen, weil die GmbH – wenn auch regelmäßig in geringerem Umfang als die AG – auf den Rückhalt ihrer Belegschaft und die gesellschaftliche Akzeptanz als ,good corporate citizen‘ angewiesen ist“.
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2. Die Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses Nach alledem lässt sich festhalten, dass – jedenfalls nach herrschender Meinung – für die Bestimmung des Gesellschaftsinteresses im aktienrechtlichen Kontext die Belange der stakeholder und in GmbH-rechtlichen Zusammenhängen jene der shareholder maßgeblich sind. Ausgehend von diesem Befund ließe sich argumentieren, dass Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften das Gruppeninteresse bereits de lege lata berücksichtigen können. So fließt das Interesse der regelmäßig als Mehrheitsgesellschafterin, teils sogar als Alleingesellschafterin agierenden Muttergesellschaft nach den erläuterten Methoden in das Interesse der Tochtergesellschaft mit ein.90 Eine derartige Sichtweise verkennt indes zwei Aspekte: Zunächst ist eine pauschale Gleichsetzung des Gesellschaftsinteresses der Muttergesellschaft mit dem Gruppeninteresse verfehlt. Wenngleich das Eigeninteresse der Mutter das Gruppeninteresse in aller Regel maßgeblich prägen wird, existieren weitere Interessen, etwa das Gesellschaftsinteresse anderer gruppenangehöriger Gesellschaften, die das Gruppeninteresse ebenfalls determinieren können.91 Selbst bei Unterstellung einer solchen Gleichsetzung kann der Geschäftsleiter das Gruppeninteresse de lege lata nicht in jedem Fall berücksichtigen: Das Interesse des Mehrheits- oder Alleingesellschafters ist häufig nicht der einzige von den Geschäftsleitern zu berücksichtigende Belang und zeitigt gegenüber den übrigen Aspekten, aus denen sich das Tochtereigeninteresse konstituiert, keine Verdrängungswirkung.92 Vor diesem Hintergrund bedarf die Frage, ob – und wenn ja unter welchen Voraussetzungen und innerhalb welcher Grenzen – es Geschäftsleitern von Tochtergesellschaften gestattet ist, das Tochtereigeninteresse zugunsten des Gruppeninteresses zurückzustellen, einer eingehenden Untersuchung.93 Für die Ermittlung einer Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses ist wiederum rechtsformspezifisch zu differenzieren. a) Die Rechtslage im Aktienkonzernrecht Im aktienkonzernrechtlichen Sonderfall der Eingliederung wird die eigenverantwortliche, am Eigeninteresse der Tochtergesellschaft ausgerichtete Leitung durch den Vorstand – jedenfalls partiell94 – eingeschränkt. Sofern eine Weisung im Sinne 89 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 52; Schneider/Crezelius, in: Scholz, GmbHG, § 43 Rn. 68. 90 Vgl. zu dieser Erwägung auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 67; Ekkenga, AG 2013, 181 (182); Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (64). 91 Dazu § 3 C., 89 ff. 92 Unter Rückgriff auf niederländische Rechtsprechung Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 67; ähnlich auch Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (64). 93 Vgl. dazu auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 68 ff. 94 Ergeht keine Weisung im Sinne des § 323 I 1 AktG, so hat der Vorstand seine Entscheidungen nach herrschender Ansicht am Tochtereigeninteresse auszurichten, vgl. Grunewald, in: MünchKommAktG, § 323 Rn. 10; Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 323 Rn. 7; Hüffer/Koch, AktG, § 323 Rn. 4.
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des § 323 I 1 AktG an den Vorstand der eingegliederten Gesellschaft erteilt wird, trifft diesen die Pflicht, die Weisung zu befolgen, §§ 323 I 2, 308 II 1 AktG. Die Folgepflicht korrespondiert hierbei mit der mit der Zulässigkeit der Weisung.95 Auch im Vertragskonzernrecht ist der Vorstand der Tochtergesellschaft verpflichtet, Weisungen, die den Belangen des herrschenden Unternehmens oder anderer gruppenangehöriger Gesellschaften dienen, Folge zu leisten, § 308 II 1 AktG. Zur Verweigerung der Befolgung einer entsprechenden Weisung ist er gemäß § 308 II 2 AktG nur berechtigt, wenn die Weisung offensichtlich nicht den Belangen des herrschenden Unternehmens oder anderer gruppenangehöriger Gesellschaften dient. Die Vorschrift des § 308 AktG bewirkt demzufolge eine Einschränkung der in § 76 AktG angeordneten eigenverantwortlichen Leitung.96 Im Falle einer zulässigen Weisung überlagert das Gruppeninteresse das Eigeninteresse der Tochtergesellschaft.97 Nicht ausdrücklich geregelt, vom vertragskonzernrechtlichen Weisungsregime aber vorausgesetzt wird die Pflicht des Vorstandes zur Überprüfung der Weisungen des herrschenden Unternehmens.98 Im weisungsfreien Raum bleibt es grundsätzlich bei der Anwendung des § 76 AktG; der zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft abgeschlossene Beherrschungsvertrag begründet indes eine Pflicht zu „konzernfreundlichem Verhalten“.99 Diese manifestiert sich in einer Pflicht des Vorstands, wichtige Angelegenheiten dem herrschenden Unternehmen so rechtzeitig zu unterbreiten, dass dessen Vertretungsorgan entscheiden kann, ob und in welchem Sinn die Weisung erteilt werden soll.100 Die Situation im faktischen Konzern stellt sich anders dar: Die Vorschriften der §§ 311 ff. AktG lassen die Pflicht des Vorstandes der abhängigen Gesellschaft zur eigenverantwortlichen Leitung sowie zur Ausrichtung am Tochtereigeninteresse unberührt.101 Die im Falle einer faktischen Konzernierung weiterhin geltenden §§ 76 I, 93 AktG werden durch §§ 311 I, 318 I AktG lediglich dahingehend modifiziert, dass es dem Vorstand der abhängigen Aktiengesellschaft gestattet ist, nachteiligen Einflüssen des herrschenden Unternehmens nachzugeben, wenn die
95 Habersack, in: in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 323 Rn. 6; dazu § 4 A. I. 96 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 45. 97 Ähnlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 69 f. 98 Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 20; Maßstab ist hierbei die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (§ 310 I AktG), vgl. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 46. 99 Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 20; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 62 Rn. 44; andere Ansicht Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 46. 100 Hüffer/Koch, AktG, § 308 Rn. 20. 101 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 71; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 48; Raiser/ Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 61 Rn. 10; E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (347); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (15).
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Nachteile rechtzeitig ausgeglichen werden.102 Der Vorstand ist daher nach Maßgabe der business judgment rule berechtigt, aber nicht verpflichtet, den Vorgaben des herrschenden Unternehmens Folge zu leisten, sofern sie den Interessen seines Unternehmens nicht zuwiderlaufen.103 In diesem Zusammenhang muss er stets prüfen, ob und auf welche Weise das herrschende Unternehmen Einfluss nimmt, ob daraus Nachteile entstehen und wie diese ausgeglichen werden können.104 Zur Kontrolle dieser Aspekte bedarf es personeller und organisatorischer Vorkehrungen, namentlich der Einrichtung eines geeigneten Informations- und Frühwarnsystems.105 Jenseits der in §§ 311 ff. AktG niedergelegten Leitungsmechanismen kommt der Einflussnahme über die Personalschiene im faktischen Konzern zentrale Bedeutung zu.106 Die aus einer Mehrheitsbeteiligung resultierenden Möglichkeiten der Einflussnahme sorgen regelmäßig dafür, dass der Tochtervorstand ungeachtet seiner formal fortbestehenden Eigenverantwortlichkeit sowie seiner Prüfungspflicht den Veranlassungen der Muttergesellschaft Folge leistet.107 b) Die Rechtslage im GmbH-Konzernrecht Da das Weisungsrecht des § 308 AktG im GmbH-Vertragskonzern analoge Anwendung findet, ergeben sich keine grundlegenden Abweichungen gegenüber dem Aktienkonzernrecht: Die grundsätzlich am Eigeninteresse der Tochtergesellschaft orientierte Leitung derselben wird im Falle einer zulässigen Weisung eingeschränkt und am Gruppeninteresse ausgerichtet. Die Bewertung der Situation des Geschäftsführers einer Tochter-GmbH richtet sich mangels Anwendbarkeit der §§ 311 ff. AktG108 nach allgemeinem Gesellschaftsrecht. Hierbei kommt insbesondere dem in § 37 I GmbHG verankerten Weisungsrecht eine zentrale Bedeutung zu, da der Tochtergeschäftsführer allen zulässigen Weisungen109 Folge zu leisten hat. Sofern das Weisungsrecht rechtmäßig
102 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 61 Rn. 10; aus der Rechtsprechung: BGHZ 179, 71 (78 f., Rz. 13 f.); BGHZ 190, 7 (20, Rz. 32). 103 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 61 Rn. 10; E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (345). 104 Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 311 Rn. 78; Raiser/ Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 61 Rn. 10. 105 BGHZ 179, 71 (79, Rz. 14). 106 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 71; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 109; vgl. dazu bereits die Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 373. 107 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 71, die insbesondere auf die Vorschriften der §§ 84 I 1 und 101 I AktG hinweist. 108 Dazu BGHZ 95, 330 (340); BGHZ 149, 10 (16); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 29 Rn. 7; Emmerich, in: Scholz, GmbHG, Anhang § 13 Rn. 12; Liebscher, in: MünchKommGmbHG, Anhang § 13 Rn. 360 ff. 109 Dazu § 4. A. I. 2.
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ausgeübt wurde110 und der Inhalt der Weisung zulässig ist,111 trifft den Tochtergeschäftsführer die Folgepflicht selbst dann, wenn die Weisung offensichtlich unzweckmäßig oder der abhängigen Gesellschaft wirtschaftlich abträglich ist.112 Der Einsatz einer Tochter-GmbH eröffnet daher die Möglichkeit, das Eigeninteresse der Tochter dem Gruppeninteresse recht umfassend unterzuordnen.113 Dieser Befund wird dadurch untermauert, dass sich das Gesellschaftsinteresse einer GmbH nach ganz herrschender Auffassung ausschließlich aus den Interessen ihrer Gesellschafter ergibt.114 Die Interessen der Muttergesellschaft, die das Gruppeninteresse in der Regel maßgeblich prägen, sind demnach in jedem Fall fester Bestandteil des Tochtereigeninteresses und konstituieren zugleich einen Bezugspunkt für die Aktivitäten des Tochtergeschäftsführers.115 3. Zwischenergebnis Das deutsche Recht buchstabiert die Möglichkeiten zur Berücksichtung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften nur fragmentarisch aus. Lediglich im Vertragskonzern wird der Grundsatz der Orientierung am Eigeninteresse der Gesellschaft zugunsten des Gruppeninteresses eingeschränkt. Partielle Durchbrechungen dieses Grundsatzes ergeben sich darüber hinaus im GmbH-Konzernrecht.
B. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im ausländischen Recht Im Rahmen eines rechtsvergleichenden Rundblicks ist zu analysieren, ob die bislang für das deutsche Recht untersuchten Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses in den Rechtsordnungen von England und Frankreich existieren. Wenngleich das deutsche Modell eines systematisch kodifizierten Konzernrechts
110 Nichtige oder schwebend unwirksame Beschlüsse brauchen die Geschäftsführer nicht auszuführen; ob selbiges auch für anfechtbare Beschlüsse gilt, ist unklar, vgl. Zöllner/Noack, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, § 37 Rn. 22 f. 111 Insbesondere begründen existenzgefährdende Weisungen grundsätzlich keine Folgepflicht, vgl. Altmeppen, in: Roth/Altmeppen, GmbHG, § 37 Rn. 7; Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (520). 112 Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (520 f.); Stephan/Tieves, in: MünchKommGmbHG, § 37 Rn. 120. 113 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 74. 114 Dazu § 4 A. II. 1. b). 115 Ähnlich (mit Fokus auf Tochtergesellschaften im Alleinbesitz) Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 74.
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nahezu einzigartig ist,116 hat sich der Gedanke, dass der Konzern eine bedeutsame und insbesondere auch legale Form der Organisation ist, in den meisten Rechtsordnungen durchgesetzt.117 Die Regelungsvorstellungen bleiben gleichwohl verschieden: Während einige Rechtsordnungen dem Konzernphänomen mit Teilkodifikationen begegnen, versuchen andere, gruppenrechtliche Herausforderungen ausschließlich mithilfe der allgemeinen Institute des Zivil-, Gellschafts- und Insolvenzrechts zu bewältigen.118
I. England Dem englischen Recht sind konzernrechtliche Vorschriften nicht völlig unbekannt. Soweit vorhanden, sind diese allerdings nicht in einem eigenständigen Gesetz(esabschnitt) verankert, sondern finden sich hauptsächlich in den Abschnitten des CA 2006, der auch die korrespondierenden Vorschriften für unverbundene Unternehmen enthält.119 Von konzernrechtlicher Relevanz sind darüber hinaus einige im CA 2006 anzutreffende Begriffsbestimmungen. Dort findet sich zwar keine allgemeinverbindliche Definition des Terminus group oder corporate group; allerdings wird in Sec. 1164 (4) CA 2006 sowie in Sec. 1165 (5) CA 2006 – bei den Vorschriften handelt es sich um Normen des Sonderkonzernrechts der Versicherungs- und Bankenkonzerne – statuiert: „Group here means a parent undertaking and its subsidiary untertakings“. Die Gruppe wird folglich als die Gesamtheit eines Mutterunternehmens und all seiner Tochter- und Enkelunternehmen qualifiziert.120 Da die Konzernrechtsdiskussion von dem Konzern als ebendieser Gesamtheit ausgeht, wird man diese Begriffsbestimmung praktisch als allgemeine Definition ansehen können.121 Darüber hinaus nimmt der CA 2006 in Sec. 1159 eine Klassifikation von Gesellschaften (subsidiary, holding sowie wholly-owned subsidiary)122 sowie in Sec. 1162 eine Klassifikation von Unternehmen (subsidiary untertaking und parent untertak116
Zu dem nach deutschem Vorbild kodifizierten portugiesischen Konzernrecht Lutter/ Overrath, ZGR 1991, 394 (394 ff.); zu weiteren Nationen mit (teil-)kodifiziertem Konzernrecht Teichmann, ZGR 2014, 45 (50 ff.). 117 J. Schmidt, DK 2017, 1 (2). 118 Mit Verweisen auf die jeweils einschlägigen nationalen Vorschriften J. Schmidt, DK 2017, 1 (2); Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarkrecht, Rn. 12.5; vgl. ferner die überblicksartigen Darstellungen bei Lieder, The Journal of Comparative Private Law of the Korean Association of Comparative Private Law 23 (2016), 1271 (1290) und Windbichler, NZG 2018, 1241 (1242). 119 Ein Vergleich der Regelungsstrukturen findet sich bei Tholen, Europäisches Konzernrecht, 136 f. 120 Beck, in: Corporate Governance, 19 (22). 121 Beck, in: Corporate Governance, 19 (22). 122 Vgl. dazu Korom, in: Schall, Companies Act, Sec. 1159 Rn. 2; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 80.
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ing) vor.123 Diese Einordnungen sind für einzelne Vorschriften des CA 2006 von Bedeutung.124 Zu konstatieren ist schließlich, dass die Entscheidungspraxis der englischen Gerichte den Rückschluss auf eine Sensibilität im Umgang mit Konzernsachverhalten zulässt: So tragen einzelne Gerichtsentscheidungen den besonderen Umständen in der Unternehmensgruppe Rechnung und sorgen für eine gruppenrechtliche Einfärbung des einfachen britischen Gesellschaftsrechts.125 Die Untersuchung des englischen Rechts im Hinblick auf ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft einerseits sowie Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften andererseits bleibt von vornherein auf die factual group und die ihr zugrunde liegenden allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Bestimmungen beschränkt, da ein britisches Vertragskonzernrecht nicht existiert. 1. Weisungsrecht der Muttergesellschaft Der CA 2006 statuiert kein gesetzliches Weisungsrecht der Gesellschafter gegenüber den directors.126 Allerdings kann ein solches Weisungsrecht statutarisch verankert werden.127 Diese Möglichkeit wird in der britischen Unternehmenspraxis rege genutzt.128 Ein Weisungsrecht findet sich auch in Sec. 4 (1) der offiziellen Mustersatzung (model articles for private companies limited by shares), wo es heißt: „The shareholders may, by special resolution, direct the directors to take, or refrain from taking, specified action.“ Da sich der Wortlaut der Regelung nicht auf konkret 123 Eingehend Beck, in: Corporate Governance, 19 (23 ff.). Das Verhältnis der unterschiedlichen Klassifikationen wird in einer Entscheidung neueren Datums beleuchtet, vgl. Farstad Supply A/S v Enrico Ltd [2011] UKSC 16: „There are many situations in which company law takes account of groups of companies (…) They include financial reporting, the control of transactions between a company and its directors, or of the purchase of a company’s own shares. It is plainly important and necessary to define what is meant by a ,subsidiary‘ for these and other purposes. There is a special definition for accounting purposes in section 1162 and schedule 7 of the 2006 Act, previously in section 258 and schedule 10 A of the 1985 Act (inserted by the Companies Act 1989). The definition for general purposes is in section 1159 and schedule 6 of the 2006 Act, previously in sections 736 and 736 A of the 1985 Act as amended by the Companies Act 1989.“ Vgl. zu den Unterschieden der beiden Klassifikationen ferner Tholen, Europäisches Konzernrecht, 80 f. 124 Beck, in: Corporate Governance, 19 (29), Korom, in: Schall, Companies Act, Sec. 1159 Rn. 2 Fn. 7. 125 Beck, in: Corporate Governance, 19 (30 f.). 126 Beck, in: Corporate Governance, 19 (40); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 167; Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (522); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 133; Servatius, in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Internationales Gesellschaftsrecht Rn 144. 127 Beck, in: Corporate Governance, 19 (40); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 167; Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (522). 128 Beck, in: Corporate Governance, 19 (40); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 168; Kershaw, Company Law in Context, 194; Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (522).
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bevorstehende Handlungen bezieht, lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass die model articles in Sec. 4 (1) ein allgemeines Weisungsrecht festschreiben.129 Flankiert wird diese Regelung von einem zweiten Absatz, in dem klargestellt wird, dass abgeschlossene Handlungen der directors von nachträglich gefassten Gesellschafterbeschlüssen unberührt bleiben („No such special resolution invalidates anything which the directors have done before the passing of the resolution“). Aufschluss über die Voraussetzungen einer special resolution gibt Sec. 283 (1) CA 2006.130 Danach verlangt ein derartiger Gesellschafterbeschluss eine Dreiviertelmehrheit. Auch ein wirksam implementiertes Weisungsrecht kennt freilich Grenzen, die ihrerseits durch die Mechanismen des Minderheiten- und Gläubigerschutzes131 determiniert werden.132 Macht die Muttergesellschaft von ihrem Weisungsrecht umfassend Gebrauch, ergibt sich für sie ferner die Gefahr, dass sie als shadow director qualifiziert wird und damit denselben Haftungsrisiken unterliegt wie ein ordnungsgemäß bestellter Geschäftsführer.133 Nach Sec. 251 (1) CA 2006 ist shadow director eine Person, auf deren Anweisungen hin die Direktoren einer Gesellschaft gewohnt sind, zu handeln.134 Bereits der Wortlaut macht deutlich, dass es um eine gewohnte – also nicht lediglich einmalige – Befolgung gehen muss.135 Außerdem stellt Sec. 251 (3) CA 2006 klar, dass ein body corporate136 nicht schon deshalb als shadow director seiner Tochtergesellschaft anzusehen ist, weil die directors der Tochtergesellschaft regelmäßig die Anweisungen ihrer Muttergesellschaft befolgen. Trotz dieser Klarstellung ist der Umgang mit der Figur des Schattendirektors diffizil, was vor allem auf die nur spärlich vorhandene und uneinheitliche Rechtsprechung zurückzuführen ist.137 Ursprünglich verlangten die Gerichte ein sehr hohes Maß an Einflussnahme: „[T]he shadow director must be, in effect, the puppet-master controlling the actions of the board. The directors must be (to use a different phrase) the
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Beck, in: Corporate Governance, 19 (42). Vgl. die Erläuterungen bei Siems, in: Schall, Companies Act, Sec. 283 Rn. 1 f. 131 Dazu § 5 II. 2. a) aa). 132 Ähnlich auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 168; Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (522), die auf die Rechtsordnung und allgemeine Grundsätze abstellen; vgl. ferner Hadden, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 329 (333 f.). 133 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 168; Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (523). 134 So die Übersetzung bei Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 251 Rn. 1; Erläuterungen zur Figur des shadow director finden sich bei Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16-8 ff.; Kershaw, Company Law in Context, 326 ff.; vgl. zur Abgrenzung des shadow director vom – auch im deutschen Recht bekannten – faktischen Geschäftsführer Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (11 f.). 135 Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 251 Rn. 1; Beck, in: Corporate Governance, 19 (39); aus der Rechtsprechung: Re Unisoft Group Ltd (No 3) [1994] 1 BCLC 609 (620). 136 Vgl. Sec. 1173 (1) CA 2006. 137 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 123; eine systematisierende Darstellung älteren Datums findet sich bei Fleischer, AG 1999, 350 (356 ff.). 130
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,cat’s paw‘ of the shadow director“.138 So wurde geprüft, ob ein Verhaltensmuster vorlag, nach dem die Direktoren der Tochter nicht mehr von ihrem eigenen Ermessen Gebrauch machten, sondern in Übereinstimmung mit den Anweisungen anderer handelten.139 Das Bild des puppet-master wurde schließlich als zu restriktiv verworfen.140 Mittlerweile ist es entscheidend, denjenigen ausfindig zu machen, von dem der wirkliche Einfluss auf die directors ausgeht.141 Verbleibt der Tochtergesellschaft ein eigenständiger Ermessensspielraum, steht dies einer Einordnung als shadow director nicht zwangsläufig entgegen.142 Etwas anderes gilt für den Fall einer lediglich punktuellen oder zeitlich begrenzten Einflussnahme.143 Eine Muttergesellschaft kann folglich nicht ausschließlich deshalb als shadow director angesehen werden, weil sie ihrer Tochtergesellschaft vereinzelt Anweisungen erteilt, ihr operative Leitlinien vorgibt oder sich bei bedeutsamen Entscheidungen die Zustimmung vorbehält.144 Ungeachtet des Abstraktionsgrades der Regelung und des Schlingerkurses der Rechtsprechung erscheint es keineswegs falsch, die konzernrechtliche Behandlung des shadow director folgendermaßen auf den Punkt zu bringen: Je mehr Weisungen die Muttergesellschaft erteilt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von englischen Gerichten als shadow director qualifiziert wird und entsprechend haftet.145 2. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften Für die Untersuchung der Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses auf Ebene der Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften ist Sec. 172 CA 2006 von zentraler Bedeutung. Diese Vorschrift statuiert eine an den director adressierte „Duty to promote the success of the company“. Nach Sec. 172 (1) CA 2006 haben Direktoren auf Grundlage ihrer subjektiven, unbefangenen und auf sorgfältiger Basis getroffenen Einschätzung im guten Glauben im Interesse der Gesellschaft zu agieren.146 In dieser Verpflichtung drückt sich die Stellung des Geschäftsleiters als
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Re Unisoft Group Ltd (No 3) [1994] 1 BCLC 609 (620). Re Hydordan (Corby) Ltd (In Liquidation) [1994] 2 BCLC 180 (183); vgl. dazu Tholen, Europäisches Konzernrecht, 124. 140 Secretary of State for Trade and Industry v Deverell [2001] Ch. 340 (355); vgl. dazu Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 170; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 124. 141 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 170; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 124. 142 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 170; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 124. 143 Secretary of State for Trade and Industry v Becker [2003] 1 BCLC 555 (572). 144 Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 9-7; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 170; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 124. 145 So Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 168; Rodewald/Paulat, GmbHR 2013, 519 (523). 146 So die freie Übersetzung bei Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 2. 139
B. Verwirklichung des Gruppeninteresses im ausländischen Recht
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fiduciary aus, wonach die Interessenwahrung der eigenen Gesellschaft die Leitmaxime der Geschäftsführung ist.147 Sec. 172 CA 2006 legt zugleich fest, an welchen Parametern das Gesellschaftsinteresse auszurichten ist. So betont die Vorschrift zunächst, dass der Geschäftsleiter bei seinen Handlungen die langfristigen Konsequenzen seiner Entscheidungen in den Blick zu nehmen hat (Sec. 172 (1) (a) CA 2006). Darüber hinaus muss er die Interessen der Arbeitnehmer (Sec. 172 (1) (b) CA 2006), die Förderung der Beziehungen der Gesellschaft zu Lieferanten, Kunden und sonstigen Personen (Sec. 172 (1) (c) CA 2006), die Auswirkungen der Tätigkeit der Gesellschaft auf das Gemeinwesen und die Umwelt (Sec. 172 (1) (d) CA 2006), die Reputation der Gesellschaft (Sec. 172 (1) (e) CA 2006) sowie die Notwendigkeit einer fairen Behandlung der Gesellschafter (Sec. 172 (1) (f) CA 2006) berücksichtigen.148 Die Norm kodifiziert im Ergebnis den englighted shareholder value approach.149 Der director ist folglich verpflichtet, im Rahmen ihrer Entscheidungen stakeholderBelangen Rechnung zu tragen, wenngleich diese den Interessen der shareholder stets untergeordnet sind.150 Da die Belange der Gläubiger in dem dargestellten Katalog nicht vorkommen, sind sie nicht zu beachten, solange die Gesellschaft nicht insolvent ist oder in der insolvenznahen Krise steht.151 Die Berücksichtigungsfähigkeit von Gläubigerinteressen in diesen Konstellationen ist als common law rule anerkannt152 und wird nunmehr auch in Sec. 172 (3) CA 2006 statuiert, wo es heißt: „The duty imposed by this section has effect subject to any enactment or rule of law requiring directors, in certain circumstances, to consider or act in the interests of creditors of the company“.153 Die „Duty to promote the success of the company“ entfaltet ihre Wirkung nicht im Verhältnis zwischen den directors und den Gesellschaftern; sie ist vielmehr als Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft selbst ausgestaltet.154 Diese Konzeption 147 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 75; Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 2; vgl. ferner Nolan, Cambridge Law Journal 2009, 68 (2), 293 (293 ff.); zu den Unterschieden zwischen der jetzigen Regelung und der Ausgestaltung im zuvor geltenden common law Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16 – 37. 148 Der Katalog ist nicht abschließend, vgl. Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 4. 149 Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 2; dazu § 4 A. II. 1. a). 150 Davies, Introduction to Company Law, 155 („shareholder-centred statement“); Davies/ Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16 – 38; ausführlich zur legislativen Entwicklung Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 53 ff. 151 Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 8. 152 Dazu § 5 A. II. 2. a) aa). 153 Vgl. dazu Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16 – 49; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 55 f.; Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 18 ff. 154 Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16-4; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 75; Kindler, ZHR 179 (2015), 330 (362); Teichmann, AG 2013, 184 (192); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (10).
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§ 4 Die Anerkennung des Gruppeninteresses de lege lata
steht in engem Zusammenhang mit einem bedeutsamen Grundsatz des englischen Gesellschaftsrechts, wonach es sich bei der Gesellschaft um eine selbstständige, streng von den Gesellschaftern zu trennende rechtliche Einheit (seperate legal entity) handelt.155 Von der ausschließlichen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft als solcher wird auch in Gruppenkonstellationen nicht abgewichen.156 Es bestehen folglich keine Loyalitätspflichten der directors einer Tochtergesellschaft gegenüber der Muttergesellschaft.157 Eine Unterordnung des Interesses der eigenen Gesellschaft unter das Konzerninteresse darf grundsätzlich nicht stattfinden.158 Etwas anderes kann sich ergeben, wenn das Gruppeninteresse das Wohl der Tochtergesellschaft maßgeblich beeinflusst: In der Entscheidung Charterbridge Corporation Ltd v Lloyds Bank Ltd and Another159 verneinte das Gericht die Pflichtverletzung eines Geschäftsleiters, der Vermögen seiner Gesellschaft verwendet hatte, um eine Verbindlichkeit der Muttergesellschaft zu besichern, weil die drohende Insolvenz der Muttergesellschaft – im Interesse der Tochtergesellschaft – unbedingt verhindert werden musste.160 Letztlich liegt die Entscheidung aber auf einer Linie mit dem dargestellten grundsätzlichen Verbot einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses,
155 Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 2-1; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 75; Kershaw, Company Law in Context, 30 ff.; Prentice, in: Konzernrecht im Ausland, 93 (98); prägend ist insofern die Leitentscheidung Salomon v A Salomon & Co Ltd [1897], AC 22, HL. 156 Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16 – 47; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 75; Hadden, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 329 (333); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (10). 157 Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16 – 47; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 75 f.; Kindler, ZHR 179 (2015), 330 (362); Prentice, in: Konzernrecht im Ausland, 93 (98); Teichmann, AG 2013, 184 (192). Besonders deutlich wird dies in der Entscheidung Charterbridge Corporation Ltd v Lloyds Bank Ltd and Another [1970] Ch 62 artikuliert: „Each company in the group is a seperate legal entity and the directors of a particular company are not entitled to sacrifice the interest of that company.“ 158 Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 107; Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 16 – 47; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 76; Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 15; Hadden, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 329 (333); Lübking, Einheitliches Konzernrecht, 161; Prentice, in: Konzernrecht im Ausland, 93 (98 f.); Teichmann, AG 2013, 184 (192); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 92. 159 Charterbridge Corporation Ltd v Lloyds Bank Ltd and Another [1970] Ch 62. 160 Dazu Beck, in: Corporate Governance, 19 (47); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 76; Teichmann, AG 2013, 184 (192). In einer anderen Entscheidung (Extrasure Travel Insurances Ltd and another v Scattergood and Another [2003] 1 BCLC 598) wurde indes festgestellt, dass sich die directors nie die Frage gestellt hatten, ob das Überleben der Muttergesellschaft für die Tochter entscheidend war. Ferner wurde entschieden, dass kein vernünftiger director angenommen hätte, das Überlegen der Mutter könne durch von der Tochter bereitgestellte Leistungen gesichert werden. Dazu sowie zur Entscheidung Charterbridge Corporation Ltd v Lloyds Bank Ltd and Another instruktiv Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 172 Rn. 15 Fn. 31.
B. Verwirklichung des Gruppeninteresses im ausländischen Recht
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da dem Gruppeninteresse hier nur gleichzeitig mit dem Eigeninteresse der Tochtergesellschaft Genüge getan wird.161
II. Frankreich Das französische Recht kennt ebenfalls kein kodifiziertes Konzernrecht, sodass die Rechtsprechung bei der Behandlung von Konzernsachverhalten auf allgemeine zivil-, gesellschafts- sowie strafrechtliche Rechtsinstitute verwiesen ist.162 Mit der Rozenblum-Doktrin163 hat die Cour de Cassation einen grundsätzlich positiv wahrgenommenen, flexibel handhabbaren Mechanismus zur Konzernleitung geschaffen.164 Im Übrigen erfassen Art. L. 233-3 und Art. L. 233-16 des Code de Commerce verschiedene Varianten der Kontrollausübung der Muttergesellschaft gegenüber der Tochtergesellschaft. Kontrolle meint in diesem Zusammenhang recht allgemein die Ausübung eines bestimmenden Einflusses über die Geschäftsführung einer anderen Gesellschaft.165 Sie kann nach der Vorstellung des französischen Gesetzgebers etwa bei Vorliegen einer Kapitalbeteiligung der Muttergesellschaft, die eine Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft garantiert (contrôle de droit) oder aber in Fallgestaltungen, in denen die Muttergesellschaft die Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung der Tochtergesellschaft auf Grundlage einer Vereinbarung mit anderen Gesellschaftern inne hat (contrôle conjoint), angenommen werden.166 In den letzten Jahren wurde der Verzicht auf gruppenspezifische Regelungen allerdings hinterfragt. So unterbreiteten im Jahre 2014 sozialistische Abgeordnete der französischen Nationalversammlung einen Gesetzesvorschlag mit dem Ziel, den Schutz von Minderheitsgesellschaftern in nicht börsennotierten Gesellschaften zu stärken, wobei man sich an dem Schutzkonzept des deutschen Vertragskonzerns orientierte.167 Ein andere aktuelle Reformbestrebung betrifft die Pflicht von Mut161 Beck, in: Corporate Governance, 19 (47) spricht insofern zutreffend von „kongruente[n] Maßnahmen“. 162 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 83; Guyon, in: Konzernrecht im Ausland, 76 (76 f.); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (12). 163 Dazu § 3 B. I. 2. a). 164 Conac, in: Corporate Governance, 89 (98). Ähnlich wie in England ließe sich wohl auch in Frankreich ein Weisungsrecht statutarisch verankern; allerdings existiert hierzu kein Fallmaterial, vgl. Conac, ECFR 2015, 139 (161). 165 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 84; vgl. zum Kontrollbegriff ferner Falcke, Konzernrecht in Frankreich, 28 ff. 166 Vgl. dazu Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 84. 167 Eingehend zu dem Gesetzesvorschlag (Proposition de loi visant à protéger les petites et moyennes entreprises et les entreprises de taille intermédiaire) Conac, in: Corporate Governance, 89 (99 f.).
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§ 4 Die Anerkennung des Gruppeninteresses de lege lata
tergesellschaften zur Überwachung ihrer Tochtergesellschaften sowie eine mit dieser Pflicht korrespondierende Haftung.168 Während erstgenannter Vorschlag nicht über das Entwurfsstadium hinaus kam,169 wurde die Pflicht von Muttergesellschaften zur Überwachung ihrer Tochtergesellschaften nach kontroverser rechtspolitischer Diskussion tatsächlich gesetzlich festgeschrieben.170 Gesellschaften sind nunmehr verpflichtet, einen Überwachungsplan zum Schutz von Mensch und Umwelt zu erstellen, der neben den eigenen Aktivitäten auch die von Tochtergesellschaften und Lieferanten dokumentiert; Verstöße hiergegen können Schadensersatzansprüche auslösen.171
III. Zwischenergebnis Weder die englische noch die französische Rechtsordnung halten gruppenrechtliche Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses bereit. Die Konzernleitung stützt sich in beiden Ländern auf zumeist nicht gruppenspezifisch ausgeformte Regelungen sowie hierzu ergangene Gerichtsentscheidungen.
C. Instrumente zur Verwirklichung des Gruppeninteresses im Europarecht Nach der Evaluation der Rechtslage in ausgewählten Staaten widmet sich die Untersuchung im folgenden Abschnitt der Verwirklichung des Gruppeninteresses auf europäischer Ebene. Hierbei ist zwischen der konzernrechtlichen Dimension der primärrechtlichen Verbürgung in Art. 49, 54 AEUV sowie konzernrechtlichen Kodifizierungsansätzen zu differenzieren.
I. Die konzernrechtliche Dimension der Niederlassungsfreiheit Nach der bereits in der Einleitung zitierten Vorschrift des Art. 49 I AEUV sind „Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats (…) verboten. Das Gleiche gilt für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften (…)“. Art. 54 I AEUV ordnet eine Gleichstellung der nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren 168
Conac, in: Corporate Governance, 89 (100). Zu den Hintergründen des Scheiterns Conac, in: Corporate Governance, 89 (100). 170 Loi n8 2017-399 du 27 mars 2017 relative au devoir de vigilance des sociétés mères et des entreprises donneuses d’ordre. 171 Eingehend zu diesem Gesetz Fleischer/Danninger, DB 2017, 2849 (2849 ff.). 169
C. Verwirklichung des Gruppeninteresses im Europarecht
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satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, und natürlichen Personen an. Die konzernrechtliche Dimension dieser Grundfreiheit zeigte sich in jüngerer Vergangenheit in einer Entscheidung des EuGH.172 Dieser lag die Vorlagefrage eines portugiesischen Gerichts zugrunde, mit der jenes wissen wollte, ob Art. 49 AEUV nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die Muttergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat von der Anwendung des Grundsatzes der gesamtschuldnerischen Haftung der Muttergesellschaften gegenüber den Gläubigern ihrer Tochtergersellschaften ausschließen.173 Hintergrund der Rechtsstreitigkeit174 war der Abschluss eines Vertrages zwischen der portugiesischen Gesellschaft Impacto Azul und einer anderen portugiesischen Gesellschaft, die ihrerseits Tochtergesellschaft des multinationalen Bouygues-Konzerns war. Nachdem letztere aufgrund der Wirtschaftskrise beschlossen hatte, von dem vereinbarten Projekt Abstand zu nehmen, erhob Impacto Azul in Portugal Klage wegen Nichterfüllung – und zwar auch gegen die französische Muttergesellschaft Bouygues Immobilier SA. Als Grundlage für die Haftung der Konzernmutter stützte sich Impacto Azul auf Art. 501, 491 des portugiesischen Código das Sociedades Comerciais, wonach die Muttergesellschaft im Falle vollständiger Beherrschung für die Verpflichtungen der Tochtergesellschaft haftet. Art. 481 des Código das Sociedades Comerciais beschränkt den Anwendungsbereich dieser Vorschriften allerdings auf Gesellschaften mit Sitz in Portugal.175 Impacto Azul erblickte in der durch diese Limitierung bewirkten Ungleichbehandlung von Muttergesellschaften mit Sitz in Portugal und solchen mit Sitz außerhalb Portugals einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Das Tribunal Judicial de Braga befasste den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV sodann mit der dargestellten Frage. In seiner Entscheidung schloss sich der EuGH der Argumentation der Gesellschaft Impacto Azul nicht an und verneinte einen Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit. Der EuGH hielt vielmehr fest, dass „[d]ie Unanwendbarkeit einer Regelung wie der des Art. 501 [des Código das Sociedades Comerciais] auf Unternehmen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat aufgrund einer Regelung wie der in Art. 481 Abs. 2 [des Código das Sociedades Comerciais] vorgesehenen (…) nicht 172 Eine knappe Zusammenfassung weiterer Entscheidungen, die sich an der Schnittstelle zwischen dem Bilanz- und Steuerrecht einerseits und dem Konzernrecht andererseits befinden, findet sich bei Schön, ZGR 2019, 343 (352 ff.). 173 EuGH, 20. 6. 2013 – C-186/12, Impacto Azul, Rz. 31. 174 Sachverhaltsdarstellung nach J. Schmidt, GPR 2014, 40 (40). 175 Aus deutscher Sicht ungewöhnlich ist insbesondere, dass das portugiesische Konzernrecht die hundertprozentige Beteiligung und den Beherrschungsvertrag in allen Belangen gleichstellt. Außerdem wird der Gläubigerschutz stark akzentuiert. So ist die herrschende Gesellschaft nicht nur gegenüber der Tochtergesellschaft zum Verlustausgleich verpflichtet, sondern haftet darüber hinaus unmittelbar und gesamtschuldnerisch gegenüber Dritten für die während der Gruppenzugehörigkeit entstehenden Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft. Dazu sowie zur Systematik der konzernrechtlichen Vorschriften in Portugal Teichmann, ZGR 2014, 45 (46, 51 ff.).
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§ 4 Die Anerkennung des Gruppeninteresses de lege lata
geeignet [ist], die Ausübung der (…) Niederlassungsfreiheit für Muttergesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat weniger attraktiv zu machen“.176 Da die Aussicht, von einer Haftungsnorm, die ausschließlich für Gesellschaften mit Sitz in Portugal gilt, verschont zu bleiben, die Attraktivität der Niederlassung eher steigern als verringern dürfte, leuchtet die Entscheidung unmittelbar ein.177 Der EuGH stufte den vorgebrachten Sachverhalt als einen Fall der unionsrechtlich zulässigen Inländerdiskriminierung ein.178 Der Fall Impacto Azul illustriert nicht nur die konzernrechtliche Dimension der Niederlassungsfreiheit; er wirft darüber hinaus ein Schlaglicht auf die zerklüftete europäische Konzernrechtslandschaft179 und unterstreicht das Fehlen von Sekundärrechtsakten auf dem Gebiet des Konzernrechts180. Die Entscheidung des EuGH leidet allerdings an ihrem Fokus auf das Element der Haftung, der entweder Resultat der zu eng gefassten Vorlagefrage oder aber eines zu einseitigen Konzernrechtsverständnisses ist.181 So verkennt der EuGH, dass mit Haftung die Legitimation von Leitungsmacht einhergeht.182 Diese Leitungsmacht, die sich beispielsweise in einem Weisungsrecht gegenüber Tochtergesellschaften manifestieren kann, bleibt ausländischen Muttergesellschaften nach portugiesischem Recht vorenthalten, da Art. 481 des Código das Sociedades Comerciais in einer solchen Konstellation nicht nur die Haftungsnorm, sondern den gesamten Abschnitt über das Konzernrecht für unanwendbar erklärt.183 Damit erhalten inländische Muttergesellschaften Organisationsmöglichkeiten, die ausländischen Muttergesellschaften nicht zugänglich sind.184 Die Möglichkeit eines hierdurch bewirkten Verstoßes gegen die Niederlassungsfreiheit wurde vom EuGH im Fall Impacto Azul allerdings nicht erörtert.185
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EuGH, 20. 6. 2013 – C-186/12, Impacto Azul, Rz. 36. Teichmann, ZGR 2014, 45 (48); kritisch aber J. Schmidt, GPR 2014, 40 (40 f.). 178 J. Schmidt, GPR 2014, 40 (40). Teichmann, ZGR 2014, 45 (49); vgl. zur Inländerdiskriminierung im Kontext der Niederlassungsfreiheit Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 55 f. 179 Teichmann, ZGR 2014, 45 (49). 180 So wird in der Entscheidung festgehalten, dass „[i]m Hinblick auf die fehlende Harmonisierung der Regelungen betreffend Unternehmensgruppen auf Unionsebene (…) festzustellen [ist], dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich weiterhin für die Bestimmung des auf eine Verbindlichkeit eines verbundenen Unternehmens anwendbaren Rechts zuständig sind“, vgl EuGH, 20. 6. 2013 – C-186/12, Impacto Azul, Rz. 35; das Fehlen konzernrechtlicher Bestimmungen im Unionsrecht betonen auch Fleischer, ZGR 2017, 1 (12); Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (651). 181 Teichmann, ZGR 2014, 45 (49, 63). 182 Teichmann, ZGR 2014, 45 (63). 183 Teichmann, ZGR 2014, 45 (63). 184 Teichmann, ZGR 2014, 45 (49, 68). 185 Teichmann, ZGR 2014, 45 (49); hierzu auch Lieder, The Journal of Comparative Private Law of the Korean Association of Comparative Private Law 23 (2016), 1271 (1292). 177
C. Verwirklichung des Gruppeninteresses im Europarecht
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II. Konzernrechtliche Kodifizierungsansätze in Europa Das Europarecht hat bislang keine genuin konzernrechtlichen Rechtsakte hervorgebracht. Allerdings sind einige Kodifizierungsansätze mit jeweils unterschiedlich starker Relevanz für die Anerkennung des Gruppeninteresses zu verzeichnen.186 1. Maßnahmen zur umfassenden Harmonisierung ab 1974 In den Jahren 1974 und 1975 legte die Kommission einen zweiteiligen Vorentwurf einer Konzernrechtsrichtlinie vor.187 Der Vorentwurf basierte auf dem Modell der organischen Konzernverfassung, das sich als „Abkehr von den deutschen Differenzierungen zwischen Abhängigkeitsverhältnis und Konzern einerseits sowie Vertrags- und faktischem Konzern andererseits“188 verstand.189 Mit diesem Modell wurde das Ziel eines wirksamen Schutzes von Gesellschaftern und Gläubigern in Gruppensachverhalten verfolgt.190 Der Vorentwurf wollte diesen Schutz durch die Bereitstellung von Abfindungs- und Ausgleichsansprüchen zugunsten außenstehender Gesellschafter sowie die Verankerung einer Haftung des herrschenden Konzernunternehmens für Verbindlichkeiten der abhängigen Konzerngesellschaft verwirklichen.191 Die Schutzmechanismen sollten ipso iure ausgelöst werden, sobald das Tatbestandsmerkmal der einheitlichen Leitung erfüllt war.192 Das Modell der organischen Konzernverfassung sah sich scharfer Kritik aus verschiedenen Mitgliedstaaten ausgesetzt.193 Vor diesem Hintergrund legte die Kommission im Jahre 1984 einen grundlegend überarbeiteten, nunmehr am deutschen Konzernrecht orientierten Vorentwurf für eine Richtlinie zur Angleichung des Konzernrechts vor.194 Dieser unterschied zwischen dem durch Beherrschungsvertrag begründeten Konzern, der Eingliederung und vertragslosen Abhängigkeits- und Konzernverhältnis-
186 Eingehend zu dem hier außer Betracht bleibenden SE-Konzernrecht Hommelhoff/ Lächler, AG 2014, 257 (257 ff.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 166 ff. 187 Vorentwurf einer Richtlinie auf der Grundlage des Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des EWGVertrags zur Angleichung des Konzernrechts, I. Teil DOK Nr. XI/328 74-D, II. Teil DOK Nr. XI/593 75-D, abgedruckt bei Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 187 ff. 188 So treffend Hommelhoff/Lächler, AG 2014, 257 (260). 189 Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 10; J. Schmidt, DK 2017, 1 (1); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 199. 190 Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 10. 191 J. Schmidt, DK 2017, 1 (1). 192 Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 10; J. Schmidt, DK 2017, 1 (1). 193 Eingehend Fleischer, ZGR 2017, 1 (6 f.). 194 Vorentwurf einer Richtlinie auf der Grundlage des Art. 54 Abs. 3 Buchst. g des EWGVertrags über die Verbindungen zwischen Unternehmen, insbesondere über Konzerne, DOK Nr. III/1639/84, abgedruckt in ZGR 1985, 446 (446 ff.).
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sen.195 Weil ein nach deutschem Vorbild kodifiziertes Konzernrecht für die meisten Mitgliedstaaten ein Fremdkörper darstellte, den sie sich nicht aufoktroyieren lassen wollten, und bestimmte Details des Vorentwurfs – namentlich die Ausweitung des Kreises der Schutzadressaten auf die Arbeitnehmer – selbst in Deutschland auf Kritik stießen, gelangte auch dieser Kommissionsvorschlag nicht über das Entwurfsstadium hinaus.196 Im Rahmen der beiden Kodifizierungsansätze wurde eine umfassende Harmonisierung des Konzernrechts beabsichtigt;197 die Entwürfe aus den Jahren 1974 und 1975 sowie aus dem Jahre 1984 unterscheiden sich damit wesentlich von den später unterbreiteten Vorschlägen vieler Wissenschaftlerkollektive, die sich im Hinblick auf die Harmonisierungsreichweite mit einer Kernbereichsharmonisierung begnügen wollen. Die schutzrechtliche Konzeption der beiden Kodifizierungsansätze198 ließ wenig Raum für Regelungen zur Unternehmensgruppenleitung, deren Schaffung das Ziel einer Anerkennung des Gruppeninteresses ist. 2. Aktionsplan 2003 Nach langen Jahren einer „Krise des Konzernrechts“199, in der sich die Europäische Kommission als das auf europäischer Ebene maßgebliche Initiativorgan200 maßgeblich dem Konzernbilanz- und dem Konzernkapitalmarktrecht zuwandte,201 nahm sie in ihrem Aktionsplan im Jahre 2003 zu Themenfeldern des Kernkonzernrechts Stellung.202 In diesem Aktionsplan, der den Titel „Modernisierung des Gesellschaftsrechts und Verbesserung der Corporate Governance in der Europa¨ ischen Union“ trug, wurden viele Vorschläge der High Level Group of Company Law Experts203 aufgegriffen.204 Die Europäische Kommission verfolgte mit dem Aktionsplan zwei rechtspolitische Zielsetzungen: Einerseits sollten Gesellschaf-
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Fleischer, ZGR 2017, 1 (7); eingehend zu den Unterschieden zwischen dem Vorentwurf und dem deutschen Recht Tholen, Europäisches Konzernrecht, 199 ff. 196 J. Schmidt, DK 2017, 1 (1); vgl. ferner Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 10; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 12; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 155 f., 202. 197 Vgl. dazu auch Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 9 ff. 198 Nicht nur das im Vorentwurf aus 1974/75 verwirklichte Modell einer organischen Konzernverfassung war von Schutzerwägungen durchdrungen; auch der Vorentwurf aus 1984 ging in einzelnen Punkten über das deutsche Schutzniveau hinaus, vgl. Fleischer, ZGR 2017, 1 (7). 199 Dazu Drygala, AG 2013, 198 (198 ff.). 200 Nach Art. 17 II 1 EUV darf – soweit in den Verträgen nichts anderes festgelegt ist – ein Gesetzgebungsakt der Union nur auf Vorschlag der Kommission erlassen werden. 201 Dazu Fleischer, ZGR 2017, 1 (18 f., 24 ff.). 202 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig. 203 Dazu § 3 B. II. 204 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 208 f.
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terrechte verstärkt und der Schutz Dritter verbessert werden;205 andererseits sollten Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gefördert werden.206 In konzeptioneller Hinsicht bemerkenswert ist, dass sich die Europäische Kommission in diesem Aktionsplan mit Blick auf das europäische Konzernrecht für eine Kernbereichsharmonisierung aussprach und damit zugleich das Vorhaben einer sämtliche Facetten des Konzernrechts erfassenden Richtlinie endgültig aufgab.207 So wurde festgehalten, dass kein gesonderter Rechtsakt über Unternehmensgruppen erlassen werden soll; gruppenspezifische Probleme sollten vielmehr durch gesellschaftsrechtliche Bestimmungen in bestimmten Bereichen adressiert werden.208 Neben einer Erhöhung der Transparenz von Unternehmensgruppen209 und einer Regulierung von Pyramidenstrukturen210 strebte die Kommission laut Aktionsplan eine Rahmenbestimmung, „wonach die Leitung eines Konzernunternehmens eine abgestimmte Konzernpolitik festlegen und umsetzen darf, sofern die Interessen seiner Gla¨ ubiger wirkungsvoll geschu¨ tzt (…) und die Vor- und Nachteile im Lauf der Zeit gerecht auf die Aktiona¨ re des Unternehmens verteilt werden“, an.211 Damit wurde der von der High Level Group of Company Law Experts unterbreitete Vorschlag zur Etablierung eines supranationalen Konzernleitungsmechanismus beinahe wortwörtlich im Aktionsplan übernommen. Wie die Vorbildregelung212 nahm auch der Kommissionsvorschlag Anleihen bei dem französischen Rozenblum-Konzept.213 Nachdem sich im November 2004 ein Wechsel in der Leitung der Generaldirektion Binnenmarkt vollzogen hatte, entschied man sich jedoch gegen eine schnelle Umsetzung des Aktionsplans; im Rahmen einer stattdessen durchgeführten öffentlichen Befragung sowie einer öffentlichen Anhörung über die künftigen Prioritäten des Aktionsplans sprach sich eine Mehrheit der konsultierten Interessengruppen gegen konzernrechtliche Maßnahmen auf europäischer Ebene aus.214 Vor diesem Hinter205 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 9: „Im Zentrum jedes gesellschaftsrechtlichen Konzepts muss die Gewa¨ hrleistung eines wirksamen und angemessenen Schutzes von Aktiona¨ ren und Dritten stehen.“ 206 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 11: „Effizienz und Wettbewerbsfa¨ higkeit der Unternehmen sind fu¨ r das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitspla¨ tzen von zentraler Bedeutung und ha¨ ngen von vielen Faktoren, u. a. von soliden gesellschaftsrechtlichen Rahmenbedingungen ab.“ 207 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 21 f.; dazu auch Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 14; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 209. 208 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 22; vgl. zur Methodik des Aktionsplans auch Merkt, RIW 2004, 1 (3, 5). 209 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 22 f.; dazu Habersack, NZG 2004, 1 (7); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 209 f. 210 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 23; dazu Habersack, NZG 2004, 1 (8 f.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 210 f. 211 Aktionsplan KOM(2003) 284 endgültig, 23. 212 Dazu § 3 B. II. 2. 213 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 210; kritisch hierzu Habersack, NZG 2004, 1 (8). 214 Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 14 f.; Fleischer, ZGR 2017, 1 (8); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 209. Dieser Befund darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass
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grund verwundert es nicht, dass die Kommission das Konzernrecht zunächst unangetastet ließ.
3. Aktionsplan 2012 Fast ein Jahrzehnt später veröffentlichte sie einen weiteren Aktionsplan; dieser trug den Titel: „Europa¨ isches Gesellschaftsrecht und Corporate Governance – ein moderner Rechtsrahmen fu¨ r engagiertere Aktiona¨ re und besser u¨ berlebensfa¨ hige Unternehmen“.215 Hierin erläuterte die Kommission Initiativen, die sie „im Hinblick auf die Modernisierung des Gesellschaftsrechts und die Verbesserung des Corporate Governance-Rahmens zu ergreifen gedenkt“.216 Die Kommission führte in diesem Zusammenhang drei Hauptaktionsbereiche – „Verbesserte Transparenz“, „Einbeziehung der Aktionäre“, „Förderung des Wachstums von Unternehmen und ihrer Wettbewerbsfähigkeit“ – auf. Konzernrechtsthemen wurden vor allem217 dem dritten Hauptaktionsbereich zugewiesen. Hier fand sich nicht nur die Ankündigung, an einem „Follow-up zum SPE-Vorschlag zu arbeiten, um die grenzüberschreitenden Möglichkeiten für KMU zu verbessern“,218 sondern auch die bereits im Zusammenhang mit der Möglichkeit sowie Notwendigkeit einer Konturierung219 angesprochene Einlassung zum Gruppeninteresse: „2014 wird die Kommission eine Initiative für verbesserte Informationen über Gruppen und eine bessere Anerkennung des Begriffs ,Gruppeninteresse‘ vorlegen.“ Dass es der Kommission hier nicht lediglich um den Terminus „Gruppeninteresse“ als solchen ging, verdeutlicht schon der Seitenblick in die englische Sprachfassung des Aktionsplans, in dem von einer „recognition of the concept of ,group interest‘“ die Rede war.220 Das Aufgreifen konzernrechtlicher Themen wurde im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum ebenso begrüßt wie die Beschränkung der Harmonisierungsbestrebungen auf einzelne gruppenspezifische Teilbereiche.221 Wie bereits an anderer Stelle hervorgehoben zahlreiche europäische Rechtsakte zum Wirtschaftsrecht auf den Aktionsplan aus 2003 zurückgehen, vgl. Hopt, ZGR 2013, 165 (169 f.). 215 Aktionsplan COM(2012) 740 final. 216 Aktionsplan COM(2012) 740 final, 4 f. 217 Das Thema related party transactions, das durchaus konzernrechtliche Revelanz aufweist, wurde in der Rubrik „Einbeziehung der Aktionäre“ behandelt. Die Kommission hielt hierzu fest: „Die Kommission wird 2013 (möglicherweise unter Änderung der Richtlinie über Aktionärsrechte) eine Initiative vorschlagen, mit der die Kontrolle der Transaktionen mit nahe stehenden Unternehmen und Personen durch die Aktionäre verbessert werden soll“, vgl. Aktionsplan COM(2012) 740 final, 11. 218 Aktionsplan COM(2012) 740 final, 15 f.; vgl. dazu Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 22 f. 219 Dazu § 3 A. 220 Kritisch aber Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 22: „Die wohl nur als labil zu qualifizierende Begrifflichkeit, derer sich diese Aussage bedient, offenbart, wie unausgegoren sich die doctrine of the group interest im Aktionsplan ausnahm.“ 221 Hopt, ZGR 2013, 165 (211 f.); vorsichtiger Müller-Graff, ZHR 177 (2013), 563 (569).
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wurde,222 hat die Kommission ihren Worten – jedenfalls im Hinblick auf das Gruppeninteresse – bislang allerdings keine Taten folgen lassen. 4. Vorschlag für eine Richtlinie u¨ ber Gesellschaften mit beschra¨ nkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter 2014 Anders sah es zunächst in Bezug auf die Ankündigung eines Vorschlags für ein „Follow-up zum SPE-Vorschlag“ aus. So veröffentlichte die Kommission im Jahre 2014 den Richtlinienvorschlag einer Societas Unius Personae (im Folgenden: SUP).223 Als neue nationale Gesellschaftsform sollte die SUP neben die bereits bestehenden Kapitalgesellschaftsformen treten und sowohl von natürlichen als auch von juristischen Personen gegründet werden können.224 Die SUP hätte sich als Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit und beschränkter Haftung – jedenfalls im Grundsatz – für den Aufbau von Gruppenstrukturen geeignet.225 Die Leitung von Unternehmensgruppen sollte durch Schaffung eines umfassenden Weisungsrechts des einzigen Gesellschafters gegenüber dem Leitungsorgan der SUP (Art. 23 I des ursprünglichen Richtlinienvorschlags) erleichtert werden. Der Vorschlag der Kommission enthielt damit zumindest eines der beiden Regelungsinstrumente, die die Anerkennung des Gruppeninteresses in konzeptioneller Hinsicht charakterisieren. Er sah sich allerdings massiver Kritik – insbesondere aus Deutschland – ausgesetzt.226 Die italienische Ratspräsidentschaft nahm dies zum Anlass, um im November 2014 einen Kompromissentwurf zur SUP-Richtlinie zu veröffentlichen.227 Auch dieser Initiative blieb der Erfolg versagt: Nachdem sich die Verhandlungen auf Ebene der Mitgliedstaaten mühsam gestaltet hatten und das Gesetzgebungsvorhaben im Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments nicht vorangetrieben worden war, nahm die Kommission den Vorschlag Mitte 2018 offiziell zurück.228 Stattdessen findet sich die Societas Privata Europaea (SPE), deren Einführung bereits 2008 durch die Europäische Kommission vorgeschlagen worden war, nach jahrelangen Verhandlungen aber – nicht zuletzt am Widerstand Deutschlands, das eine Umge222
Dazu § 3 B. IX. Vorschlag fu¨ r eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates u¨ ber Gesellschaften mit beschra¨ nkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter, COM(2014) 212 final. 224 Zusammenfassend zur Konzeption der SUP nach dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag Harbarth, GmbHR 2018, 657 (659 f.); vgl. zur Errichtung der SUP ferner die Art. 8, 9 des ursprünglichen Richtlinienvorschlags. 225 Harbarth, GmbHR 2018, 657 (659); Teichmann, GmbHR 2018, 713 (714); eingehend zur konzernrechtlichen Dimension des Richtlinienvorschlags Teichmann, ECFR 2015, 202 (202 ff.); Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (47 ff.). 226 Zusammenfassend Harbarth, GmbHR 2018, 657 (660); Kindler, ZHR 179 (2015), 330 (335). 227 Dazu eingehend Kindler, ZHR 179 (2015), 330 (330 ff.). 228 ABl. EU vom 4. 7. 2018, C233/7. 223
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hung der unternehmerischen Mitbestimmung fürchtete – scheiterte, erneut auf der rechtspolitischen Agenda.229 Ob der Ausspruch „Die SUP ist tot, es lebe die SPE“230 tatsächlich gilt, mag angesichts des Scheiterns der bisher in diesem Bereich initiierten Gesetzgebungsvorhaben bezweifelt werden. In Deutschland scheint man dem Projekt „SPE 2.0“ indes offen gegenüberzustehen. So formuliert der aktuelle Koalitionsvertrag: „Wir setzen uns für (…) die Europa¨ ische Privatgesellschaft (SPE) unter Wahrung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich der Unternehmensmitbestimmung, der Gla¨ ubiger und der Minderheitsgesellschafter ein.“231 Eine mit einer konzernrechtlichen Grundausstattung versehene „SPE 2.0“ könnte als Konzernbaustein fungieren und hierbei zugleich zur Verwirklichung des Gruppeninteresses auf supranationaler Ebene beitragen.232 5. Aktionärsrechterichtlinie 2017 Bei der Aktionärsrechterichtlinie 2017233 handelt es sich streng genommen nicht um einen Kodifizierungsansatz. Das Gesetzgebungsverfahren gestaltete sich zwar langwierig234 und wurde von kontroversen Diskussionen235 begleitet; im Unterschied zur SUP-Richtlinie und den auf Vollharmonisierung abzielenden Maßnahmen ab 1974 wurde die Aktionärsrechterichtlinie aber am 17. Mai 2017 verabschiedet. Sie musste in Deutschland bis zum 10. Juni 2019 umgesetzt werden.236 Aus konzernrechtlicher Perspektive sind die in der Aktionärsrechterichtlinie 2017 statuierten Regelungen gleichwohl als fragmentarisch zu qualifizieren. Konzernrechtliche Relevanz weist vor allem die in Art. 9c dieser Richtlinie vorgesehene Regulierung von related party transactions auf. Mit dieser verfolgt der Unionsgesetzgeber das ¨ berfu¨ hrung von Wirtschaftsgu¨ tern und Ertra¨ gen des Unternehmens in das Ziel, eine U Vermo¨ gen beherrschender Anteilseigner und von Mitgliedern der Leitungsorgane zu 229 Zur rechtspolitischen Ausgangslage Harbarth, GmbHR 2018, 657 (657 ff.); zur inhaltlichen Konzeption einer SPE 2.0 Teichmann, GmbHR 2018, 713 (713 ff.). 230 Harbarth, GmbHR 2018, 657 (661). 231 CDU/CSU/SPD, Koalitionsvertrag, Zeilen 6151 ff. 232 Teichmann, GmbHR 2018, 713 (719 ff.). 233 Richtlinie (EU) 2017/828 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 2007/36/EG im Hinblick auf die Förderung der langfristigen Mitwirkung der Aktionäre. 234 Bereits am 9. 4. 2014 veröffentlichte die Europäische Kommission einen ersten Vorschlag für eine Richtlinie zur Änderung der Aktionärsrechterichtlinie (COM(2014) 213 final). 235 Zusammenfassend zur insbesondere im deutschen Schrifttum vorgetragenen Kritik Lieder/Wernert, ZIP 2018, 2441 (2241). 236 Mittlerweile liegt ein von der Bundesregierung verantworteter Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der zweiten Aktiona¨ rsrechterichtlinie (ARUG II) vor. Dieser sowie der bereits im Oktober 2018 veröffentlichte Referentenentwurf können auf der Website des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz abgerufen werden: https://www.bmjv.de/Sha redDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Aktionaersrechterichtlinie_II.html (Abrufdatum: 25. 7. 2019); eingehend zum Regierungsentwurf Lieder/Wernert, ZIP 2019, 989 (989 ff.).
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vermeiden, um die berechtigten Interessen der Aktiengesellschaft und ihrer (Minderheits-)Gesellschafter angemessen zu schu¨ tzen.237 Integrale Bestandteile des unionsrechtlichen Regelungskonzepts sind zwei Schutzmechanismen: Eine Zustimmungs- sowie eine Bekanntmachungspflicht, die jeweils bei Vorliegen eines wesentlichen Geschäfts der Aktiengesellschaft mit einer related party aktiviert werden.238 Hierbei stellt sich die Frage, ob die Regelungen zu related party transactions einer konzeptionell verstandenen Anerkennung des Gruppeninteresses vorgreifen.239 Dies könnte sich dadurch ergeben, dass die in Art. 9c der Aktionärsrechterichtlinie 2017 verankerten Pflichten lediglich auf die Belange der Aktiengesellschaft sowie der außenstehenden Aktionäre verweisen.240 Nach der Konzeption dieser Vorschrift darf das Interesse der Gruppe bei einer Transaktion mit anderen Konzerngesellschaften also nur insoweit berücksichtigt werden, wie es sich mit den Interessen dieser Schutzadressaten deckt.241 In dieser Konzeption manifestiert sich aber keine pauschale Ablehnung des Gesetzgebungsprojekts Anerkennung des Gruppeninteresses.242 Zwar dürfte feststehen, dass die Zustimmungserteilung, die nach Art. 9c IV der Aktionärsrechterichtlinie 2017 grundsätzlich bei jedem wesentlichen Geschäft mit einer nahestehenden Person oder einem nahestehenden Unternehmen erforderlich ist, eine im Allgemeinen ausgewogene Konzernpolitik unter Beru¨ cksichtigung aller Gruppengesellschaften nicht zu rechtfertigen vermag;243 hieraus resultiert freilich kein Widerspruch zur Anerkennung des Gruppeninteresses. Denn der Anwendungsbereich des Art. 9c der Aktionärsrechterichtlinie 2017 beschränkt sich in personaler Hinsicht auf börsennotierte Gesellschaften244 und hängt in sachlicher Hinsicht vom Vorliegen eines wesentlichen Geschäfts mit einer related party ab. Vor diesem Hintergrund werden längst nicht alle konzerninternen Transaktionen von der Regulierung erfasst.245 Andererseits darf nicht übersehen werden, dass die Richtlinienvorschrift den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnet, Gruppensachverhalte von der Regulierung auszunehmen.246 Hierin drückt sich nicht nur eine Sensibilität des Unionsgesetzgebers im Umgang mit konzernrechtlichen Fragestellungen aus; der Unionsgesetzgeber lässt durch die Verankerung der entsprechenden Bereichsausnahme auch Raum für ein suprana237
Erwägungsgrund 42 der Richtlinie (EU) 2017/828. Ausführlich zu Regelungsanliegen und -konzept Lieder/Wernert, ZIP 2018, 2241 (2242). 239 So Tarde, ZGR 2017, 360 (387 f.); ähnlich auch Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (661). 240 Tarde, ZGR 2017, 360 (382). 241 Tarde, ZGR 2017, 360 (382). 242 In diese Richtung aber Tarde, ZGR 2017, 360 (387 f.). 243 Tarde, ZGR 2017, 360 (382). 244 Vgl. Art. 1 I der Aktionärsrechterichtlinie 2017. 245 Dies konzediert auch Tarde, wenn er festhält, dass die Aktionärsrechterichtlinie 2017 „[i]n ihrem Anwendungsbereich (…) flexiblen Ausgleichssystemen im Konzern (…) einen Riegel“ vorschiebt, vgl. Tarde, ZGR 2017, 360 (387). 246 Eingehend Lieder/Wernert, ZIP 2018, 2241 (2246 ff.). 238
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tionales Regelungskonzept, das die Konzernleitung flexibilisiert und zugleich rechtssicher ausgestaltet.247 Mit der Regulierung von related party transactions in der Aktionärsrechterichtlinie 2017 nimmt der Unionsgesetzgeber also keine Weichenstellung im Hinblick auf die Anerkennung des Gruppeninteresses vor.
III. Zwischenergebnis Die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 I, 54 I AEUV verbietet im Grundsatz Beschränkungen bei der Gründung ausländischer Tochtergesellschaften. Der EuGH hat sich aber bislang nicht dazu positioniert, ob dieses Verbot berührt ist, wenn inländische Muttergesellschaften Organisationsmöglichkeiten erhalten, die ausländischen Muttergesellschaften verwehrt sind. Der Überblick über die europäischen Kodifizierungsansätze seit 1974 hat gezeigt, dass es dem Unionsgesetzgeber bislang nicht gelungen ist, ein gesellschaftsrechtliches Konzept für Unternehmensgruppen zu etablieren. Andere sekundärrechtlich überformte Teildisziplinen des Wirtschaftsrechts, namentlich das Aufsichtsrecht der Finanzinstitute sowie das europäische Kartellrecht248, schaffen demgegenüber Fakten, indem sie die Konzernspitze für das Wohlergehen und das Fehlverhalten der gesamten Unternehmensgruppe in die Pflicht nehmen.249
D. Kollisionsrechtliche Überlegungen Die Frage nach dem anwendbaren Recht ist für die Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses nicht unerheblich. Will beispielsweise eine ausländische Muttergesellschaft auf das im deutschen Vertragskonzernrecht vorgesehene umfassende Weisungsrecht zurückgreifen, um ihre deutsche Tochtergesellschaft zu kontrollieren, so ist sie auf die Anwendbarkeit des deutschen Konzernrechts angewiesen. 247 Ähnlich Schön, ZGR 2019, 343 (357 f.); vgl. in diesem Zusammenhang auch Amstutz, Globale Unternehmensgruppen, 83 ff. Dort werden die drei Themengebiete Anerkennung des Gruppeninteresses, SUP und Regulierung von related party transactions nach einer „Dogmatik der wechselseitigen Verschleifung“ im Rahmen der Formulierung einer unionskonzernrechtlichen Vision miteinander verbunden. 248 Vgl. in diesem Zusammenhang die überblicksartige Darstellung zu den konzernrechtlichen Einflüssen des europäischen Kartellrechts sowie des Finanzaufsichtsrechts bei Krebs/ Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 16; 18. 249 Teichmann, ZGR 2017, 485 (492), der insofern „[d]unkle Wolken am Horizont des Konzernrechts“ ausmacht; vgl. ferner Poelzig, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 83 (84), die in diesem Zusammenhang auch die Nachhaftung für den Rückbau von Atomkraftanlagen und die Debatte um eine Haftung der Muttergesellschaft für Menschenrechtsverstöße durch ausländische Tochtergesellschaften nennt; eingehend schließlich The Informal Company Law Expert Group, Report, 12 ff.; dazu § 5 B. II. 3., 173 ff.
D. Kollisionsrechtliche Überlegungen
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Hierzulande geht man nahezu einhellig davon aus, dass das Internationale Gesellschaftsrecht für Konzernbeziehungen eine Anwendung des Gesellschaftsstatuts der abhängigen Gesellschaft vorsieht.250 Deutsches Konzernrecht findet – unabhängig von der Art der Konzernierung – folglich immer dann Anwendung, wenn eine deutsche Gesellschaft von einer ausländischen Muttergesellschaft kontrolliert wird.251 Diese Grundregel gilt aber nicht nur für deutsche Tochtergesellschaften. Nach einer ungeschriebenen richterlichen Kollisionsregel, die in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anerkannt ist, soll im Verhältnis zur herrschenden Gesellschaft stets das Recht der abhängigen Gesellschaft Anwendung finden.252 Sofern eine deutsche Gesellschaft im Konzern als herrschendes Unternehmen agiert, gilt für ihre ausländischen Tochtergesellschaften also deren eigenes Personalstatut.253 Ausnahmen werden aber für „Holzmüller“-Konstellationen254, in denen die Muttergesellschaft wesentliche Geschäftsbereiche auf eine Tochtergesellschaft überträgt, erwogen: In diesem Zusammenhang soll zur Wahrung der Rechte der Hauptversammlung der Muttergesellschaft deren Personalstatut anwendbar sein.255 Auch solche Rechtsinstitute des Konzernrechts, die den Schutz des herrschenden
250 Grundlegend Wiedemann, in: FS Kegel, 187 (203 ff.); aus jüngerer Zeit Altmeppen, in: MünchKommAktG, Einleitung zu §§ 291 ff. Rn. 38; Altmeppen, NJW 2004, 97 (103); Einsele, ZGR 1996, 40 (40); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 11 Rn. 30, § 24 Rn. 24; Renner, ZGR 2014, 452 (461 ff.); Teichmann, ZGR 2014, 45 (71); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 165 f.; eine Übersicht zum Meinungsstand findet sich bei Kindler, in: MünchKommBGB, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 681 ff.; der BGH setzt diese Auffassung in seinen Entscheidungen implizit voraus, ohne kollisionsrechtliche Erwägungen anzustellen, vgl. BGHZ 119, 1. 251 Renner, ZGR 2014, 452 (461). 252 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (23); vgl. auch Erwägungsgrund 15 der SE-Verordnung (Verordnung 2157/2001/EG vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE)): „Die Rechte und Pflichten hinsichtlich des Schutzes von Minderheitsaktionären und von Dritten, die sich für ein Unternehmen aus der Kontrolle durch ein anderes Unternehmen, das einer anderen Rechtsordnung unterliegt, ergeben, bestimmen sich gemäß den Vorschriften und allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts nach dem für das kontrollierte Unternehmen geltenden Recht (…)“; vgl. außerdem Renner, ZGR 2014, 452 (463); eher beiläufig BGH, NZG 2005, 214 (215), in der sich dieser materiell-rechtlich mit einem Anspruch aus existenzvernichtendem Eingriff gegen einen ausländischen Gesellschafter auseinandersetzen musste und zur Frage des anwendbaren Rechts äußerte, dass „hier wie auch im internationalen Konzernrecht“ die Rechtsordnung maßgeblich sei, der die abhängige Gesellschaft unterstehe. 253 Renner, ZGR 2014, 452 (463); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 166; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (23); für den Vertragskonzern: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 11 Rn. 32; vgl. ferner Altmeppen, in: MünchKommAktG, Einleitung zu §§ 291 ff. Rn. 42, der in diesem Zusammenhang von einer „allseitigen Kollisionsnorm“ spricht. 254 Hierzu BGHZ 83, 122 sowie nachfolgend BGHZ 159, 30. 255 Altmeppen, in: MünchKommAktG, Einleitung zu §§ 291 ff. Rn. 43 f.; Kindler, in: MünchKommBGB, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 681; Renner, ZGR 2014, 452 (463).
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Unternehmens, seiner Gesellschafter sowie Gläubiger bezwecken, sollen außerhalb der Anknüpfungsregel stehen.256 Betrachtet man die kollisionsrechtliche Grundregel aus einer deutschen Perspektive, so leuchtet das aus ihrer Anwendung resultierende Ergebnis – jedenfalls mit Blick auf den faktischen Konzern, in dem die ausländische Konzernmutter notwendigerweise Gesellschafterin der abhängigen Gesellschaft ist – unmittelbar ein: In dieser Konstellation besteht zwischen Mutter und Tochter ein korporationsrechtliches Verhältnis, das dem Gesellschaftsstatut unterfällt.257 Im Vertragskonzern258 ist die gesellschaftsrechtliche Verbindung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft nicht selbstverständlich, da ein Beherrschungsvertrag grundsätzlich auch dann abgeschlossen werden kann, wenn die herrschende Gesellschaft nicht an der abhängigen Gesellschaft beteiligt ist.259 Vor diesem Hintergrund wurde vereinzelt die Möglichkeit einer parteiautonomen Rechtswahl im Beherrschungsvertrag befürwortet.260 Mittlerweile hat sich aber die Ansicht durchgesetzt, dass es auch bei Vorliegen eines Beherrschungsvertrags einer objektiven Anknüpfung bedarf.261 Weil sich der Beherrschungsvertrag in erster Linie auf die abhängige Gesellschaft sowie deren außenstehende Gesellschafter und Gläubiger, mithin auf korporationsrechtlich zu qualifizierende Rechtsverhältnisse auswirkt, ist er dem Gesellschaftsstatut zu unterstellen.262 Es besteht demnach kein Raum für abweichende individualvertragliche Vereinbarungen.263 In dieser Begründung zeigt sich das zentrale Argument des deutschen Schrifttums für die Anwendung des Personalstatuts der abhängigen Gesellschaft: Eine abhängige Gesellschaft mit Sitz in Deutschland muss schon im Interesse ihrer Gesellschafter und Gläubiger in den Genuss des Schutzes, der durch das nationale Konzernrecht vermittelt wird, kommen.264 Darüber hinaus streiten aber auch organisationsrecht256 Dies betrifft beispielsweise die Vorschrift des § 293 II AktG, vgl. Kindler, in: MünchKommBGB, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 681; vgl. hierzu auch Einsele, ZGR 1996, 40 (49 f.). 257 Renner, ZGR 2014, 452 (461); ähnlich auch Altmeppen, in: MünchKommAktG, Einleitung zu §§ 291 ff. Rn. 40; eingehend zu alternativen Begründungsansätzen Einsele, ZGR 1996, 40 (41 ff.). 258 Grundlegend zum grenzüberschreitenden Beherrschungsvertrag Bayer, Der grenzüberschreitende Beherrschungsvertrag, 20 ff. 259 Bayer, Der grenzüberschreitende Beherrschungsvertrag, 66 f.; Renner, ZGR 2014, 452 (462 f.). 260 Neumayer, ZVglRWiss 83 (1984), 129 (160 f.). 261 Vgl. nur Kindler, in: MünchKommBGB, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 699. 262 Bayer, Der grenzüberschreitende Beherrschungsvertrag, 66 ff.; Renner, ZGR 2014, 452 (463). 263 Bärwaldt/Schabacker, AG 1998, 182 (186); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 11 Rn. 33; Kindler, in: MünchKommBGB, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 699. 264 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 11 Rn. 30; zu weiteren in der Literatur vertretenen Begründungsansätzen eingehend Kindler, in: MünchKommBGB, Internationales Gesellschaftsrecht, Rn. 688 ff.
E. Zusammenfassung in Thesen
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liche Wertungen für eine Anwendung des Personalstatuts der abhängigen Gesellschaft: Entschließt sich eine Muttergesellschaft für die Errichtung einer Tochtergesellschaft, so manifestiert sich darin die Entscheidung, unternehmerische Ziele in Form einer rechtlich selbstständigen Gesellschaft zu verfolgen.265 Es erscheint vor diesem Hintergrund naheliegend, dass sich der Einfluss der Mutter auf die Aktivitäten der Tochter in den Bahnen des für die Tochtergesellschaft maßgeblichen Gesellschaftsrechts vollziehen muss.266 Das Gruppeninteresse ist folglich berücksichtigungsfähig, wenn sich aus dem Rückgriff auf die dargestellte kollisionsrechtliche Grundregel die Anwendung eines nationalen Konzern- oder Gesellschaftsrechtsregimes ergibt, das seinerseits eine Orientierung am Gruppeninteresse zulässt.
E. Zusammenfassung in Thesen 1. Untersucht man das deutsche Recht hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Anerkennung des Gruppeninteresses diskutierten konzernrechtlichen Instrumente, so gelangt man zu einem ambivalenten Ergebnis: Während im Vertragskonzern nicht nur ein umfassendes Weisungsrecht der Muttergesellschaft vorgesehen ist, sondern auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft auch eine Einschränkung des Grundsatzes der Orientierung am Eigeninteresse der Tochtergesellschaft stattfindet, verzichtet das Recht des faktischen Konzerns auf die Einräumung weitreichender Konzernleitungsmechanismen. Eine – zumindest partielle – Verwirklichung des Gruppeninteresses ist zu beobachten, sofern eine Tochter-GmbH eingesetzt wird. 2. Die Rechtsordnungen Englands und Frankreichs halten kein systematisch kodifiziertes Konzernrecht bereit, weshalb sich die rechtliche Handhabung von Unternehmensgruppen im Allgemeinen sowie die Konzernleitung im Speziellen auf nicht gruppenspezifisch ausgeformte Regelungen sowie hierzu ergangene Gerichtsentscheidungen stützen. 3. Die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 I, 54 I AEUV verbietet im Grundsatz Beschränkungen bei der Gründung ausländischer Tochtergesellschaften. Eine höchstrichterliche Klärung der Frage, ob dieses Verbot berührt ist, wenn inländische Muttergesellschaften Organisationsmöglichkeiten erhalten, die ausländischen Muttergesellschaften verwehrt sind, steht noch aus. Auf sekundärrechtlicher Ebene existiert wenig konzernrechtliches Material: Die Europäische Kommission stieß in den letzten Jahrzehnten zwar zahlreiche Projekte von konzernrechtlicher Relevanz an; aus keinem der Projekte erwuchs allerdings ein gesellschaftsrechtliches Konzept für Unternehmensgruppen.
265 266
Teichmann, ZGR 2014, 45 (72). Teichmann, ZGR 2014, 45 (72).
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4. Das Gruppeninteresse ist internationalprivatrechtlich berücksichtigungsfähig, wenn sich aus dem Rückgriff auf eine kollisionsrechtliche Grundregel, nach der im Verhältnis zur herrschenden Gesellschaft stets das Recht der abhängigen Gesellschaft Anwendung findet, die Anwendung eines nationalen Konzern- oder Gesellschaftsrechtsregimes, das seinerseits eine Orientierung am Gruppeninteresse zulässt, ergibt.
§ 5 Die Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda Die Analyse des vorangegangenen Kapitels zeigt, dass es im geltenden deutschen, ausländischen und europäischen Recht an einer umfassenden Verwirklichung des Gruppeninteresses fehlt. Die vorhandenen Kodifikationen und Urteile haben nur fragmentarischen Charakter und buchstabieren die für eine Anerkennung des Gruppeninteresses maßgeblichen Regelungsinstrumente nicht aus. Dieser Befund verweist auf die Frage nach einer rechtspolitischen Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses. Die Erörterung dieser rechtspolitischen Fragestellung fußt ihrerseits auf der rechtstatsächlichen Situation von Konzernen, die im Widerspruch zum gesetzgeberischen Leitbild steht, sowie der Diskussion um die Zielsetzungen des Konzernrechts.
A. Grundlegendes zur rechtstatsächlichen Situation von Konzernen und den Zielsetzungen des Konzernrechts Um die Basis für die Diskussion um die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses zu schaffen, sind zunächst die für die Realität der Unternehmensgruppen maßgeblichen rechtstatsächlichen Rahmendaten dem gesetzgeberischen Leitbild gegenüberzustellen. Sodann sind die Zielsetzungen des Konzernrechts zu ermitteln.
I. Wirtschaftliche Realität versus gesetzgeberisches Leitbild In Deutschland sind fast drei Viertel der Aktiengesellschaften und ungefähr die Hälfte der Gesellschaften mit beschränkter Haftung in Konzernverbindungen involviert.1 Von einer Konzernstruktur machen dabei nicht nur große, sondern auch mittelständische Unternehmen Gebrauch.2 Viele der in einer Konzernstruktur figurierenden deutschen Unternehmen sind grenzüberschreitend aktiv und verfügen über 1
Altmeppen, in: MünchKommAktG, Einleitung zu §§ 291 ff. Rn. 19; Krebs/Jung, in: Jung/ Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 9. 2 Ott, in: Corporate Governance, 433 (435); Teichmann, AG 2013, 184 (184); Weller/Bauer, ZEuP 2015 6 (7); mit besonderem Fokus auf mittelständische Unternehmen Hommelhoff, in: Corporate Governance, 325 (326 ff.); Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (289); Ziegler, Konzernleitung im Binnenmarkt, 1.
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Vertretungen im europäischen und außereuropäischen Ausland.3 Der Zuspruch, den die Unternehmensgruppe als Organisationsform findet, ist im gesamten europäischen Binnenmarkt auszumachen.4 Hintergrund der Konzernbildung innerhalb des europäischen Binnenmarkts ist häufig die Expansion inländischer Unternehmen in andere Mitgliedstaaten.5 Im Rahmen einer solchen Expansion gründen inländische Muttergesellschaften Tochtergesellschaften der ausländischen Rechtsordnung.6 Typischerweise bedienen sich die Muttergesellschaften hierbei der kleinen Kapitalgesellschaftsform.7 Jenseits der Expansionsmöglichkeiten, die die Konzernbildung offeriert, existiert eine Reihe weiterer wirtschaftlicher Vorzüge, die der Vorgang der Konzernbildung mit sich bringt, sodass die Vielzahl der Unternehmensgruppen nicht überrascht. So ermöglicht die Konzernbildung in ambivalenter Weise zugleich Dezentralisierung und Zentralisierung.8 Während das operative Geschäft regelmäßig bei den Toch3 Teichmann, AG 2013, 184 (184); anschaulich Ott, in: Corporate Governance, 433 (435 f.), der internationale Konzernverflechtungen anhand dreier Beispiele illustriert. Seinen Angaben zufolge verfügt die Siemens AG als Muttergesellschaft des Siemens-Konzerns nach dem Konzernabschluss 2014 über mehr als 600 weltweit operierende Tochtergesellschaften, von denen 80 % ihren Sitz im Ausland haben. Die Muttergesellschaft der Freudenberg Group, die stellvertretend für das Segment der großen, nicht börsennotierten Familienunternehmen steht (Freudenberg SE), verfügt laut dem Geschäftsbericht für das Jahr 2014 über ca. 400 Tochtergesellschaften. Hiervon sind über 80 % (ca. 330 Gesellschaften) im Ausland ansässig. Schließlich führt Ott die Renolit-Gruppe an, die er in den Bereich des gehobenen deutschen Mittelstands einordnet und deren Muttergesellschaft (Renolit SE) über 35 Tochtergesellschaften verfügt, die zu beinahe 90 % im Ausland sitzen. 4 Conac, ECFR 2013, 194 (195); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 9; Grundmann, Europäisches Gesellschaftsrecht § 27 Rn. 1006; Kropff, in: Rechtsgrundlagen freiheitlicher Unternehmenswirtschaft, 71 (71); Lübking, Einheitliches Konzernrecht, 311; Lutter, in: liber amicorum Volhard, 105 (105); Teichmann, ZGR 2014, 45 (70); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (7, 29). 5 Weller/Bauer, ZEuP 2015 6 (7 f.). Gerade kleine und mittlere Unternehmen sind aufgrund ihrer Spezialisierung auf bestimmte Produkte oder Dienstleistungen auf die Expansion in das (europäische) Ausland angewiesen, vgl. Teichmann, RIW 2010, 120 (120); Ziegler, Konzernleitung im Binnenmarkt, 1. 6 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 11; Ott, in: Corporate Governance, 433 (437); Teichmann, AG 2013 (185); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (7 f.); Ziegler, Konzernleitung im Binnenmarkt, 1. 7 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 11; Teichmann, AG 2013, 184 (190); Weller/ Bauer, ZEuP 2015, 6 (7 f.); Ziegler, Konzernleitung im Binnenmarkt, 1; differenzierend Ott, in: Corporate Governance, 433 (438), der anmerkt, dass die kleine Kapitalgesellschaftsform der überwiegend, keineswegs aber ausschließlich anzutreffende Baustein in internationalen Konzernen ist. In Frankreich seien Konzerngesellschaften vielfach nicht in der Rechtsform einer der GmbH entsprechenden Sociétè à responsabilité limitée, sondern als Sociétè par actions simplifièe, die der vereinfachten Form einer Aktiengesellschaft entspricht, organisiert. Dieser Befund gelte auch für Italien. 8 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 10; ähnlich auch Lutter, in: liber amicorum Volhard, 105 (105); Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 11; aus rechtsökonomischer Perspektive Engert, in: FS Baums, 385 (393 ff.).
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tergesellschaften verbleibt, bestimmt die „Konzernzentrale“ die strategische Ausrichtung der Unternehmensgruppe.9 Diese Dezentralisierung kann der wirtschaftlichen Lage, dem Bedürfnis sowie der „Unternehmensphilosophie“ entsprechend variiert werden.10 Demgegenüber besteht die Möglichkeit, finanzielle Reserven und Gewinne der einzelnen Gliedunternehmen abzuschöpfen und bei der Muttergesellschaft durch Einrichtung eines Finanzmanagements zu zentralisieren.11 Auch Umstrukturierungen, insbesondere durch Veräußerung einzelner Konzerngesellschaften oder deren Anteile sowie den Erwerb anderer Unternehmen und die anschließende Integration in den Konzern, werden in einer Konzernstruktur begünstigt.12 Außerdem lassen sich mithilfe einer Konzernstruktur Haftungsrisiken etwa dadurch minimieren, dass riskante Geschäfte in ganz bestimmten Tochtergesellschaften konzentriert werden.13 Verwirklicht sich ein Risiko, so bleibt es innerhalb der einzelnen Konzerntochter-, -enkel- oder -urenkelgesellschaft eingemauert und reißt nicht den gesamten Konzern in den Abgrund.14 Wie bereits erwähnt, kann die Konzernbildung darüber hinaus Grundlage eines Größenwachstums sein.15 Die für die Konzernbildung maßgebliche Herrschaft kann in der Regel durch den Erwerb von etwas über 50 % der Anteile bewirkt werden, womit – anders als beim käuflichen Erwerb des anderen Unternehmens oder der Verschmelzung – ein verhältnismäßig geringer finanzieller Aufwand ausreicht.16 Ein solches Größenwachstum kann seinerseits durch die Nutzung von Synergieeffekten motiviert sein.17 Häufig sind auch marktstrategische, von Effizienzerwägungen getragene Überlegungen ausschlaggebend, etwa beim Zukauf von Produktionskapazitäten oder Know-How.18 Schließlich dient die unternehmerische Aktivität in einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe in den Worten Marcus Lutters der „Überwindung der Divergenz zwischen der Nationalität des Rechts und der internationalen Handlungsfreiheit, der Divergenz zwi-
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Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 29 Rn. 6. Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 10. 11 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 10; Ziegler, Konzernleitung im Binnenmarkt, 1. 12 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 10. 13 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 29 Rn. 4; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.6; Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 12; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (8); mit besonderem Fokus auf die GmbH als Konzernbaustein: Hommelhoff, ZGR 2012, 535 (536); Wiedemann, GmbHR 2011, 1009 (1010). 14 Hommelhoff, ZGR 2012, 535 (536); Hommelhoff, ZIP 1990, 761 (767 ff.); zum rechtstatsächlichen Nachweis eines Trends zur Haftungssegmentierung: Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, 1048 (1053). 15 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 11. 16 Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.6; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 11. 17 Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, § 58 Rn. 11. 18 Renner, ZGR 2014, 452 (455). 10
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schen nationalem Charakter des Korporationsrechts und der Internationalität des Marktes“.19 Trotz der aus mannigfaltigen Vorteilen resultierenden, statistisch nachweisbaren Bedeutung der Unternehmensgruppe, orientieren sich die gesellschaftsrechtlichen Organisationsgesetze an der unabhängigen Einzelgesellschaft.20 Das gesetzgeberische Leitbild der unabhängigen Einzelgesellschaft ist hierbei kein deutsches Alleinstellungsmerkmal, sondern in zahlreichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzutreffen.21 Es wird auch dann aufrechterhalten, wenn eine Gesellschaft Teil eines Konzernverbundes ist.22 Dies mag zwar aus rechtlicher, nicht aber aus ökonomischer Perspektive einleuchten.23 Unter Ausblendung der ökonomischen Realität berufen sich zahlreiche Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf zwei Dogmen, die der gesetzlichen Legitimation des Phänomens der Unternehmensgruppe entgegenstehen: Demnach streite nicht nur das erwähnte Dogma der in ihrer Willensbildung unabhängigen, mithin nicht den Weisungen anderer Gesellschaften unterstellten Einzelgesellschaft gegen den Konzern,24 sondern auch der Grundsatz, dass die Geschäftsleitung eines Unternehmens an dessen Eigeninteressen auszurichten sei25. Somit bleiben eine Vielzahl von Konflikten, die grenzüberschreitende Unternehmensgruppen im Allgemeinen und ihre Leitung im Besonderen aufwerfen, ungelöst; die bereits im Zusammenhang mit der Aktienrechtsreform im Jahre 1965 identifizierte „Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit“26 ist auch heute noch existent.27
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Lutter, in: liber amicorum Volhard, 105 (105 f.). Aus deutscher Perspektive: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 1, 23; Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.1; K. Schmidt, in: FS Druey, 551 (555). 21 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 18 f.; Lieder, The Journal of Comparative Private Law of the Korean Association of Comparative Private Law 23 (2016), 1271 (1272); Lübking, Einheitliches Konzernrecht, 312; Schubel, in: FS Müller-Graff, 305 (307); aus französischer Perspektive: Béjot, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 169 (169 ff.). 22 Dieser Befund wird auch durch die Existenz konzernrechtlicher Vorschriften im AktG nicht widerlegt, vgl. K. Schmidt, in: FS Druey, 551 (555): Das deutsche Konzernrecht „bildet Konzernstrukturen nicht ab, nicht ihre Entstehung, nicht die Konzernführung, nicht die Konzernüberwachung und nicht die Konzernfinanzierung.“ 23 Conac, ECFR 2013, 194 (195); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 18; Teichmann, ECFR 2015, 202 (212 f.). 24 Dazu Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 19; Geßler, in: Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, 12 (20); Lübking, Einheitliches Konzernrecht, 312; Lutter, Gutachten H zum 48. Deutschen Juristentag, H 26. 25 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 19; Geßler, in: Recht und Steuer der internationalen Unternehmensverbindungen, 12 (20); Lutter, Gutachten H zum 48. Deutschen Juristentag, H 26. 26 Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 373. 27 So auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 18 ff.; ähnlich außerdem Schön, ZGR 2019, 343 (345). 20
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II. Schutzrecht, Organisationsrecht, enabling law? Die Zielsetzungen des Konzernrechts in Deutschland und Europa Das gesetzgeberische Leitbild der unabhängigen Einzelgesellschaft steht in einem engen Zusammenhang mit den Zielsetzungen des Konzernrechts. Ausgehend von diesem Leitbild sowie den mit dem Konzernierungsvorgang einhergehenden Gefahren28 könnte das Konzernrecht einerseits den Schutz außenstehender Gesellschafter sowie der Gesellschaftsgläubiger bezwecken; andererseits könnte es auch auf die Ordnung der unternehmerischen Aktivitäten innerhalb der Unternehmensgruppe zielen, mithin einen organisationsrechtlichen Gehalt aufweisen.29 Ob eine der beiden Zielsetzungen Vorrang genießt oder ob beide gleichwertig nebeneinander stehen, wird im Folgenden zu klären sein. Außerdem stellt sich die Frage, welche Bedeutung dem in jüngerer Zeit in die konzernrechtliche Diskussion eingeführten Begriff des enabling law zukommt.
1. Die Zielsetzungen des deutschen Konzernrechts Die genannten Zielsetzungen werden in Deutschland vielfach nicht als sich diametral entgegenstehende Ansätze, sondern als zwei Seiten derselben Medaille wahrgenommen.30 Der Konsens bezüglich dieser Wahrnehmung kann vor allem auf eine von Marcus Lutter begründete konzernrechtliche Schule31 zurückgeführt werden.32 28
Dazu § 1. Aus deutscher Perspektive: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 17 f.; vgl. auch eine von Lutter in: liber amicorum Volhard, 105 (106) formulierte Leitfrage zu dieser Problemstellung: „Sieht das Recht den Konzern als Fremdkörper und antwortet daher nur auf als untypisch gedachte Unfälle oder akzeptiert es den Konzern in seiner Gestalt und seinen Besonderheiten und versteht ihn so, wie er sich selbst versteht, als Form und Organisation unternehmerischen Handelns und ordnet ihn aus dieser Sicht?“ 30 Beck, DK 2012, 301 (303); Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 29 Rn. 5 ff.; Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (63); Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 6; Lutter, in: liber amicorum Volhard, 105 (113 f.); Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, Vorbemerkungen §§ 291 ff., Rn. 5 ff.; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (22); lediglich implizit Raiser/Veil, Kapitalgesellschaftsrecht, § 58 Rn. 15, § 60 Rn. 13; hinsichtlich der organisationsrechtlichen Funktion des Konzernrechts zurückhaltender Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 17 f.; Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, Einleitung Rn. 1, 12; differenzierend K. Schmidt, in: FS Lutter, 1167 (1169): „Beide Seiten dieser Medaille kommen aus verschiedenen Prägewerkstätten, so sehr sie am Ende zusammenpassen müssen.“; anders jedoch Hirte, Kapitalgesellschaftsrecht, Rn. 8.10: Die gesetzliche Regelung (des Aktiengesetzes) ist „anders als das allgemeine Gesellschaftsrecht kein Organisationsrecht“. 31 Grundlegend Lutter, in: FS Westermann, 347 (347 ff.); energisch außerdem Lutter, in: St. Galler Konzerngespräch, 225 (228): „Die an mich gerichtete Frage lautet: Konzernrecht als Missbrauchsschutz oder Organisationsrecht. Meine Antwort lautet: Missbrauchsschutz und Organisationsrecht.“; Lutter folgend und weiterführend Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 35 ff.; Schneider, BB 1981, 249 (249 ff.); Timm, AG 1980, 172 (172 ff.). 29
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a) Die schutzrechtliche Komponente des Konzernrechts Der Gläubiger- und Minderheitenschutz wird traditionell als zentrale Aufgabe des Konzernrechts erachtet.33 Die beiden Personengruppen gelten bereits im konventionellen, also dem sich am Leitbild der unabhängigen Gesellschaft orientierenden Kapitalgesellschaftsrecht als besonders gefährdet.34 Im Rahmen des Konzernierungsvorgangs steigert sich das Gefährdungsszenario.35 Der auf adäquaten Schutz zielende konzernrechtliche Ansatz trägt der Gefährdungslage Rechnung, indem er in den §§ 291 ff. AktG Schutzmechanismen bereitstellt.36 Der Schutz erstreckt sich hierbei lediglich auf die negativen Auswirkungen der Konzernierung; das Konzernrecht verfolgt nicht das Anliegen, die Konzernbildung zu verhindern oder existierende Konzerne zu zerschlagen.37 Bei der Analyse der gesetzlich verankerten Schutzmechanismen empfiehlt es sich, zwischen dem Vertragskonzern einerseits und dem faktischen Konzern andererseits zu unterscheiden. Die weitreichenden Befugnisse der Muttergesellschaft im Vertragskonzern korrespondieren mit einem strengen Schutzregime, das die Interessen der Gläubiger und außenstehender Gesellschafter wahrt.38 So sorgen die §§ 300 bis 303 AktG für eine Sicherung des bilanzmäßigen Anfangsvermögens.39 Von besonderer Bedeutung ist § 302 AktG, der der abhängigen Gesellschaft einen Anspruch auf Verlustausgleich einräumt und zur Folge hat, dass es bei dieser während der Vertragsdauer nicht mehr zu einem Jahresfehlbetrag und damit zu einer Überschuldung kommen kann.40 Mit der Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zur Verlustübernahme schafft § 302 AktG ein eigenständiges System des Gläubigerschutzes für den Vertrags-
32 Veil, in: Spindler/Stilz, AktG, Vorbemerkungen §§ 291 ff., Rn. 6; K. Schmidt, in: FS Lutter, 1167 (1168). 33 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 18; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (20); anschaulich auch die Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 16: „Entsprechend der allgemeinen Aufgabe des Aktienrechts, die Aktionäre und Gläubiger der einzelnen Gesellschaft angemessen zu schützen und die Verhältnisse der Gesellschaft durch Publizitätsvorschriften durchsichtig zu machen, muß es sich auf konzernrechtlichem Gebiet darauf beschränken, die Unternehmensverbindungen rechtlich zu erfassen, sie durch Publizitätsvorschriften durchsichtig zu machen und Schutzvorschriften für die außenstehenden Aktionäre und Gläubiger der verbundenen Unternehmen zu treffen.“ 34 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (20). 35 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (20); ähnlich auch Kropff, in: Rechtsgrundlagen freiheitlicher Unternehmenswirtschaft, 71 (76 f.); für faktisch konzernierte Tochter- und Enkelgesellschaften in Form der GmbH Hommelhoff, ZGR 2012, 535 (538 f.); dazu § 1. 36 Beck, DK 2012, 301 (303); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (21). 37 Beck, DK 2012, 301 (303); Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 16, 374. 38 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 20 Rn. 3; Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 14; zum Verhältnis zwischen Macht und Verantwortung im Konzern Beck, DK 2012, 301 (305). 39 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 20 Rn. 1. 40 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 20 Rn. 1, 34.
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konzern.41 Auch die Position außenstehender Gesellschafter im Vertragskonzern ist gesichert: §§ 304 ff. AktG statuieren Ausgleichs- und Abfindungsansprüche, die außenstehende Aktionäre dafür entschädigen, dass ihr Unternehmen im Vertragskonzern fortan nicht mehr in ihrem gemeinsamen Interesse betrieben wird.42 Die Vorschriften werden durch ein Verfahren zur Überprüfung der Angemessenheit von Ausgleich und Abfindung flankiert, § 1 Nr. 1 SpruchG. Darüber hinaus begründen die Vorschriften der §§ 309, 310 AktG eine Haftung der Organe des herrschenden Unternehmens sowie der abhängigen Gesellschaft, sofern diese im Zusammenhang mit einer gemäß § 308 AktG grundsätzlich zulässigen Weisung pflichtwidrig agieren. Auch die Vorschriften zum faktischen Konzern enthalten Mechanismen zum Schutz von Gläubigern und außenstehenden Gesellschaftern. Die Vorschriften der §§ 311 ff. AktG setzen der Konzernleitung im faktischen Konzern Grenzen,43 ohne faktische Konzerne als solche zu missbilligen.44 Zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Norm des § 311 AktG zu, die die nachteilige Einflussnahme sowie den Nachteilsausgleich regelt. Gemäß § 311 I AktG „darf ein herrschendes Unternehmen seinen Einfluss nicht dazu benutzen, eine abhängige Aktiengesellschaft oder Kommanditgesellschaft auf Aktien zu veranlassen, ein für sie nachteiliges Rechtsgeschäft vorzunehmen oder Maßnahmen zu ihrem Nachteil zu treffen oder zu unterlassen, es sei denn, dass die Nachteile ausgeglichen werden.” Das Erfordernis der ursächlichen45 Einflussnahme wird hierbei weit verstanden, sodass nicht nur direkte Anweisungen, sondern auch Anregungen, Ratschläge oder Erwartungen erfasst sind.46 Aus dieser Einflussnahme muss ein „Nachteil“ resultieren, wobei dieser Begriff vor dem Hintergrund des schutzrechtlichen Charakters der Vorschrift ebenfalls weit ausgelegt wird47 und jede Minderung oder konkrete Gefährdung der Vermögens- oder Ertragslage der Gesellschaft ohne Rücksicht auf Quantifizierbarkeit – soweit sie als Abhängigkeitsfolge eintritt – einschließt.48 Als 41 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 20 Rn. 36; dazu auch BGHZ 168, 285 (288 ff., Rz. 8 ff.). 42 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 20 Rn. 2; Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 15. 43 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 15. 44 Heutzutage ist nach ganz überwiegender Ansicht von der Zulässigkeit faktischer Konzerne auszugehen, vgl. BGH, NZG 2008, 831 Rz. 17; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 14 m.w.N.; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 4 m.w.N. 45 Vgl. zu diesem auf das Tatbestandsmerkmal „veranlassen“ zurückzuführenden Erfordernis nur Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, § 311 Rn. 17. 46 Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 13; Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 11; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 12. 47 Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 311 Rn. 39; Hüffer/ Koch, AktG, § 311 Rn. 24; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 27. 48 BGHZ 141, 79 (84); BGHZ 179, 71 (75, Rz. 8); BGHZ 190, 7 (20 f., Rz. 37); BGH NZG 2013, 233 Rz. 32; Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 311 Rn. 39; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 24; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 27.
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Abhängigkeitsfolge gilt eine Beeinträchtigung der Vermögens- oder Ertragslage nur dann, wenn sich ein ordentlicher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft anders verhalten hätte.49 Das Vorliegen der skizzierten Voraussetzungen aktiviert eine Pflicht des herrschenden Unternehmens zum Nachteilsausgleich, § 311 I AktG a.E. Die Art und Weise des Nachteilsausgleichs regelt § 311 II AktG; diese Vorschrift erklärt insbesondere den gestreckten Nachteilsausgleich für zulässig.50 Die gesetzlich angeordnete Pflicht zum Nachteilsausgleich wird durch eine Haftung des herrschenden Unternehmens (§ 317 I AktG) sowie seiner Organe (§ 317 III AktG) abgesichert. Der Anspruch steht gemäß § 317 I 2 AktG auch den Aktionären zu, „soweit sie, abgesehen von einem Schaden, der ihnen durch Schädigung der Gesellschaft zugefügt worden ist, geschädigt worden sind.“ Ersatzfähig ist demnach nur der unmittelbare, über den durch die Mitgliedschaft vermittelten Reflexschaden hinausgehende Eigenschaden des Aktionärs.51 Auch Gläubiger können über §§ 317 IV, 309 IV 3 AktG an der Haftung der herrschenden Gesellschaft und ihrer Organe partizipieren.52 Überschreitet das herrschende Unternehmen die Grenzen der nach § 311 AktG erlaubten Einflussnahme und fügt es der abhängigen Gesellschaft einen nicht quantifizierbaren Nachteil oder Schaden zu, so haftet es in entsprechender Anwendung der §§ 302, 303 AktG auf Verlustausgleich und kann in der Insolvenz der abhängigen Gesellschaft unmittelbar von den Gläubigern in Anspruch genommen werden.53 Der durch das Zusammenspiel von § 311 AktG und § 317 AktG bewirkte Schutz wird dadurch ergänzt, dass der Vorstand der abhängigen Gesellschaft zur Erstellung eines Berichts über die Beziehungen zwischen der Gesellschaft und dem herrschenden Unternehmen verpflichtet ist, § 312 AktG. Dieser Abhängigkeitsbericht ist durch den Abschlussprüfer (§ 313 AktG) und den Aufsichtsrat der abhängigen Gesellschaft (§ 314 AktG) zu überprüfen. Ferner kann eine Sonderprüfung gerichtlich angeordnet werden, wenn
49 BGHZ 141, 79 (88 f.); BGHZ 175, 365 (368, Rz. 11); BGHZ 179, 71 (75, Rz. 9 f.); Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 311 Rn. 40; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 25; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 28; anders jedoch Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn 162 ff. 50 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 9. 51 Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 317 Rn. 13a; Grigoleit, in: Grigoleit, AktG, § 317 Rn. 15. 52 Dazu Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 317 Rn. 28; Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 12. 53 Vgl. dazu nur die ausführliche Darstellung Emmerich/Habersack, Konzernrecht, §§ 28 Rn. 5 ff. Zwar ist die hier dargestellte Ansicht nicht unbestritten; gleichwohl würde es den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Einzelheiten dieser Kontroverse auszuleuchten, zumal Einigkeit hinsichtlich des Schutzbedürfnisses der Gläubiger (und der gegebenenfalls vorhandenen außenstehenden Gesellschafter) im Falle einer sog. qualifizierten Nachteilszufügung besteht, vgl. nur (stellvertretend für die Befürworter einer analogen Anwendung der §§ 302, 303 AktG) Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, Vorbemerkungen §§ 311 ff. Rn. 25 ff. sowie (stellvertretend für die Gegner einer analogen Anwendung der §§ 302, 303 AktG) Hüffer/Koch, AktG, § 1 Rn. 29 f.
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dies durch einen Aktionär beantragt wird und die Voraussetzungen des § 315 AktG erfüllt sind. Schutzmechanismen zugunsten der durch die Konzerngefahr bedrohten Akteure sind schließlich im GmbH-Konzernrecht von Bedeutung. Die Gefährdung ist angesichts der die Konzernleitung begünstigenden Organisations- und Finanzverfassung der GmbH besonders hoch, wenn eine solche als Tochtergesellschaft eingesetzt wird.54 Mangels einer Kodifikation des GmbH-Konzernrechts wird diese Gefährdungslage teils mithilfe gesellschaftsrechtlicher Grundsätze, teils unter Rückgriff auf das Aktienkonzernrecht bewältigt.55 Letzteres gilt insbesondere für den Fall, dass eine GmbH als abhängige Gesellschaft einen Unternehmensvertrag im Sinne der §§ 291, 292 AktG eingeht, wobei vor allem Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge praktische Relevanz aufweisen.56 Hier wird vielfach mit Analogien operiert, die immer dann denkbar sind, wenn die Situation bei der GmbH mit der bei einer Aktiengesellschaft vergleichbar ist und der Analogie nicht vorrangige GmbHrechtliche Wertungen entgegenstehen.57 So finden die für den Gläubigerschutz maßgeblichen Vorschriften der §§ 300 ff. AktG, insbesondere die Pflicht zur Verlustübernahme nach § 302 AktG sowie zur Sicherheitsleistung gemäß § 303 AktG analoge Anwendung, wenn eine GmbH als abhängige Gesellschaft einen Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsvertrag abgeschlossen hat.58 Gleiches gilt für die in §§ 309, 310 AktG angeordnete spezielle Organhaftung.59 Die analoge Anwendung der auf den Schutz außenstehender Gesellschafter zugeschnittenen Vorschriften der §§ 304, 305 AktG hingegen steht in engem Zusammenhang mit den Anforderungen an die Zustimmung zum Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages.60 Bejaht man die Erforderlichkeit einer Zustimmung aller Gesellschafter,61 so erscheint der Rückgriff auf weitere Regelungen zum Schutze außenstehender Gesellschafter entbehrlich.62 Ein anderes ergibt sich, wenn man sich ge54
Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 29 Rn. 3 f. Für außenstehende Gesellschafter ergibt sich darüber hinaus die Möglichkeit, Schutzmechanismen statutarisch zu verankern und somit für einen hinreichenden Eigenschutz zu sorgen, vgl. hierzu Hommelhoff, ZGR 2012, 535 (551 ff.); Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/ Hommelhoff, GmbHG, Anhang § 13 Rn. 28 ff. 56 Vgl. zu anderen Unternehmensverträgen Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 52 ff. 57 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 4. 58 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 36, 51.; BGHZ 95, 330 (346); BGHZ 105, 168 (183); BGHZ 116, 37 (39). 59 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 37 f. 60 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 25 f.; vgl. zu dieser durch die Rechtsprechung bislang nicht entschiedenen Frage auch Lutter/Hommelhoff, in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, Anhang § 13 Rn. 65 f. 61 Die Befürworter dieser Ansicht knüpfen an § 33 I 2 BGB sowie § 53 III GmbHG an, vgl. – stellvertretend für die Vertreter dieser Auffassung – Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 14 ff. m.w.N. 62 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 25. 55
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nerell oder im Einzelfall mit einer niedrigeren Mehrheit begnügt63 oder die außenstehenden Gesellschafter auf Grund ihrer Treuepflicht zur Zustimmung zu dem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag verpflichtet sind64. Durch den Rückgriff auf die im AktG verankerten konzernrechtlichen Instrumente wird ein hohes Schutzniveau für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger einer abhängigen GmbH im Vertragskonzern erreicht. Die Situation im faktischen Konzern stellt sich anders dar: Die Vorschriften der §§ 311 ff. AktG, die ihrem Wortlaut zufolge eine abhängige AG oder KGaA voraussetzen, können nach ganz herrschender Ansicht nicht entsprechend auf die GmbH angewandt werden.65 Den Gefahren der Abhängigkeit und der Einbindung in einen faktischen Konzern kann in der mehrgliedrigen GmbH vielmehr durch Rückgriff auf allgemeine Grundsätze und Institute des GmbH-Rechts begegnet werden.66 Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Beschlusskontrolle, die mitgliedschaftliche Treupflicht und der Grundsatz der Gleichbehandlung.67 Im Zusammenwirken mit der actio pro socio, dem Auskunfts- und Einsichtsrecht nach §§ 51a, 51b GmbHG sowie den Stimmverboten des § 47 IV GmbHG sorgen diese Institute für einen effektiven Schutz der Gesellschaft und damit zugleich (reflexartig) für den Schutz der auf das Gesellschaftsinteresse bedachten Minderheit und der Gläubiger.68 Für einen solchen reflexartigen Gläubigerschutz ist indes kein Raum, wenn keine Minderheitsgesellschafter existieren oder sämtliche Minderheitsgesellschafter mit der schädigenden Einflussnahme durch das herrschende Unternehmen einverstanden sind.69 Zwar gewährleisten die §§ 30, 31 GmbHG in dieser Situation den Schutz des Gesellschaftsvermögens; dieser erfasst allerdings nur das Stammkapital sowie Nachteile, die sich unmittelbar bilanziell niederschlagen, ohne sich beispielsweise auf den Abzug von Führungskräften, Know-How oder den Entzug von Geschäftschancen durch die herrschende Gesellschaft zu deren eigenem Vorteil zu erstrecken.70 Vor dem Hintergrund des unzureichenden Schutzes der Gläubiger hat der BGH eine – mittlerweile konzernneutrale – Existenzvernichtungshaftung entwickelt,71 die sich 63 Die Befürworter dieser Ansicht rücken § 293 I AktG und § 53 II 1 GmbHG in den Vordergrund, vgl. – stellvertretend für die Vertreter dieser Auffassung – Halm, NZG 2001, 728 (729 ff.) m.w.N. 64 Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn das Überleben der abhängigen Gesellschaft allein durch den Abschluss des Unternehmensvertrages sichergestellt werden kann, vgl. Emmerich, JuS 1992, 102 (104); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 32 Rn. 17, 26. 65 Dazu § 4 A. II. 2. b). 66 Ausführlich Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 30 Rn. 2 ff.; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (15 f.). 67 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 29 Rn. 8. 68 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 29 Rn. 8. 69 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 31 Rn. 1; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (16 f.). 70 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 31 Rn. 2; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (16); Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung, 134 ff. 71 Zu der Rechtsprechungsentwicklung Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 31 Rn. 6 ff.; Lieder, in: FS Pannen, 439 (445).
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nach den Voraussetzungen des § 826 BGB richtet.72 Demnach sind schädigende Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen nur bei insolvenzverursachendem Charakter und bei eigennütziger Überleitung in die Gesellschaftersphäre auszugleichen.73 Der vielfach als zentrale Zielsetzung des Konzernrechts identifizierte schutzrechtliche Charakter zeigt sich vielerorts. So prägen Schutzerwägungen nicht nur die gesetzlichen Regelungen des Aktienkonzernrechts, sondern auch die Handhabung konzernrechtlicher Fragestellungen im Recht der GmbH. b) Die organisationsrechtliche Komponente des Konzernrechts Wie bereits angedeutet,74 wird die Existenz einer organisationsrechtlichen Komponente des Konzernrechts mittlerweile kaum mehr bestritten. Dies ist folgerichtig, da sich eine entsprechende Zielsetzung bereits den Motiven entnehmen lässt, wenn in diesen davon die Rede ist, dass die Vorschriften der §§ 291 ff. AktG als „Grundzüge einer Konzernverfassung angesehen werden müssen“75. Der organisationsrechtliche Charakter zeigt sich immer dann, wenn eine Regelung die Ausübung der Konzernleitung zulässt oder in bestimmter Weise ausgestaltet.76 Neben den hier zu untersuchenden Vorschriften des Aktienkonzernrechts spielen bei der Koordination der Unternehmensgruppe auch informelle Strukturen eine gewichtige Rolle.77 Lässt sich eine Gesellschaft auf einen Unternehmensvertrag im Sinne der §§ 291, 292 AktG ein, so geht damit eine tiefgreifende Veränderung der Organisation der abhängigen Gesellschaft einher.78 Besonders weitreichende organisationsrechtliche Wirkungen zeitigen Beherrschungs-und Gewinnabführungsverträge, die nicht zuletzt wegen der an sie geknüpften steuerrechtlichen Konsequenzen79 die größte praktische Relevanz aufweisen. So sorgt das in § 308 AktG verankerte Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens für eine Verdrängung des in § 76 I AktG normierten Prinzips der eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft.80 Darüber hinaus gelten Leistungen der Gesellschaft gemäß § 291 III AktG bei Bestehen eines Beherrschungs- oder eines Gewinnabführungsvertrags nicht als Verstoß gegen die §§ 57, 58 und 60 AktG. Diese als Konzernprivileg bezeichnete Regelung weicht – im 72
BGHZ 173, 246 (251 ff., Rz. 15 ff.). Eingehend Weller, ZIP 2007, 1681 (1684 ff.). 74 Dazu § 5 II. 1. 75 Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 374. 76 Ähnlich Renner, ZGR 2014, 452 (460); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (22). 77 Zu derartigen informellen Strukturen können Absprachen, eingeübte Praktiken und interne Streitschlichtungsverfahren gehören, vgl. Renner, ZGR 2014, 452 (471 f.). 78 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 18. 79 Vgl. dazu nur Emmerich, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 291 Rn. 5 f.; Hüffer/Koch, AktG, § 291 Rn. 38 f. 80 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 18; Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 13 f. 73
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Zusammenspiel mit §§ 57 I 3, 71a I 3 AktG sowie § 30 I 2 GmbHG – bedeutsame Regeln der Kapitalerhaltung auf und ermöglicht damit eine Zentralisierung des Finanzmanagements einer Unternehmensgruppe durch ein cash pooling-System.81 Die skizzierten, durch Eingehung eines Unternehmensvertrages, namentlich eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages, aktivierten Regelungen lassen eine flexibilisierte, zugleich aber rechtssichere Unternehmensleitung zu und illustrieren somit den organisationsrechtlichen Gehalt des Rechts des Vertragskonzerns. Demgegenüber zeigt sich die organisationsrechtliche Komponente in den Vorschriften zum faktischen Konzern deutlich subtiler. Insbesondere § 311 AktG stellt sich prima facie als Schutzvorschrift dar.82 Dieser Befund greift allerdings zu kurz: Die Regelungen der §§ 311 ff. AktG statuieren nicht nur Schutzmechanismen, sondern formulieren zugleich Bedingungen, unter denen die konzernmäßige Leitung einer faktischen Unternehmensgruppe möglich ist.83 Zentrale Bedeutung kommt insofern der Möglichkeit eines gestreckten Nachteilsausgleichs nach § 311 II AktG zu.84 Danach hat der Nachteilsausgleich durch die herrschende Gesellschaft grundsätzlich innerhalb des jeweiligen Geschäftsjahres tatsächlich zu erfolgen. Ist dies nicht geschehen, „so muss spätestens am Ende des Geschäftsjahrs, in dem der abhängigen Gesellschaft der Nachteil zugefügt worden ist, bestimmt werden, wann und durch welche Vorteile der Nachteil ausgeglichen werden soll“, § 311 II 1 AktG. Gemäß § 311 II 2 AktG ist der abhängigen Gesellschaft ein Rechtsanspruch auf die zum Ausgleich bestimmten Vorteile zu gewähren. Der Ausgleich, eine Kompensationsleistung sui generis,85 kann demzufolge entweder tatsächlich oder durch Einräumung eines Rechtsanspruchs auf Nachteilsausgleich gewährt werden. Das Instrument des gestreckten Nachteilsausgleichs räumt der herrschenden Gesellschaft zeitliche Spielräume ein und bewirkt dadurch eine Flexibilisierung der Konzernleitung.86 Diese Flexibilisierung manifestiert sich auch in der verdrängenden Wirkung, die die Vorschriften der §§ 311 ff. AktG nach zutreffender Auffassung gegenüber den Kapitalerhaltungsregeln der §§ 57, 60, 62 AktG entfalten.87 Die Ver81 Eingehend und die Entwicklung der Vorschrift einbeziehend Emmerich, in: Emmerich/ Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 291 Rn. 74 ff. 82 Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 8. 83 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 1 Rn. 18, § 24 Rn. 25; Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 8 ff.; Müller, in: Spindler/Stilz, AktG, Vorbemerkungen §§ 311 ff. Rn. 2. 84 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 25 ff.; Habersack, AG 2016, 691 (692); Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 8. 85 Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 37; J. Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 311 Rn. 105. 86 Hierbei sind jedoch die Grenzen des Ausgleichsmodells zu beachten. Dieses setzt einerseits voraus, dass ein Ausgleich überhaupt möglich ist; andererseits muss die nachteilige Maßnahme im Interesse des herrschenden Unternehmens oder eines anderen mit ihm verbundenen Unternehmens liegen, vgl. nur Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 42 f. 87 BGHZ 179, 71 (77, Rz. 11); BGHZ 190, 7 (24, Rz. 48); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 26; Habersack, in: Emmerich/Habersack/Schürnbrand, Konzernrecht, § 311 Rn. 82; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 49; Langenbucher, ILF Working Paper Series
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drängungswirkung erstreckt sich auch auf § 71a AktG.88 Würde man einen Vorrang der allgemeinen Kapitalerhaltungsregeln bejahen, wäre eine Vielzahl konzerninterner Vermögensverlagerungen, namentlich Umsatzgeschäfte zu Konzernverrechnungspreisen, unzulässig.89 Dies könnte mit der „konzernoffenen“ Konzeption der §§ 311 ff. AktG nicht in Einklang gebracht werden. Die Verdrängungswirkung greift indes nur bei Rechtfertigung der nachteiligen Maßnahme, ist mithin ihrerseits an die Wahrung der Voraussetzungen des § 311 AktG geknüpft.90 Darüber hinaus überlagern die §§ 311 ff. AktG nach umstrittener Ansicht die allgemeinen Haftungstatbestände des § 117 AktG sowie des § 280 BGB in Verbindung mit der mitgliedschaftlichen Treupflicht.91 Auch dadurch tritt der privilegierende Charakter der §§ 311 ff. AktG zutage. Wird eine GmbH als Tochtergesellschaft eingesetzt und durch einen Unternehmensvertrag analog §§ 291, 292 AktG mit dem herrschenden Unternehmen verbunden, so ergeben sich dieselben organisationsrechtlichen Konsequenzen wie bei der vertraglichen Konzernierung einer AG. Dies folgt daraus, dass die für die Konzernleitung maßgeblichen Vorschriften auf den GmbH-Konzern anwendbar sind. So gilt das Weisungsrecht analog § 308 AktG auch für eine durch Beherrschungsvertrag mit einem anderen Unternehmen verbundene GmbH.92 Darüber hinaus manifestiert sich die organisationsrechtliche Komponente im Recht des GmbH-Vertragskonzerns in § 30 I 2 GmbHG. Die Vorschrift lockert die grundsätzlich strenge Kapitalerhaltung in der GmbH, indem sie statuiert, dass das Auszahlungsverbot des § 30 I 1 GmbHG „bei Leistungen, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags erfolgen“, nicht gilt. Eine andere Situation ergibt sich für die faktisch konzernierte GmbH: Da §§ 311 ff. keine Anwendung finden, soweit es um eine abhängige GmbH geht, können GmbH-Konzerne nicht an der privilegierenden Wirkung der §§ 311 ff. AktG teilhaben.93 Hier bleibt die herrschende Gesellschaft auf das durch die Gesellschafterversammlung ausgeübte Weisungsrecht aus § 37 GmbHG verwiesen.94 No. 147, 9; stellvertretend für die Vertreter der Gegenansicht Altmeppen, ZIP 1996, 693 (695 ff.). 88 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 26; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 49; Riegger, ZGR 2008, 233 (240). 89 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 26. 90 BGHZ 179, 71 (77, Rz. 11); BGHZ 190, 7 (24, Rz. 48); Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 26; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 49; Langenbucher, ILF Working Paper Series No. 147, 10. 91 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 28; Habersack, in: Emmerich/Habersack/ Schürnbrand, Konzernrecht, § 311 Rn. 88; Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 52; Müller, in Spindler/Stilz, AktG, § 311 Rn. 67; J. Vetter, in: K. Schmidt/Lutter, AktG, § 311 Rn. 126; stellvertretend für die Vertreter der Gegenansicht Zöllner, ZHR 162 (1998), 235 (244 f.). 92 Dazu § 4 A. I. 2. 93 Vgl. nur Hüffer/Koch, AktG, § 311 Rn. 53. 94 Dazu § 4 A. I. 2.
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Nach alledem zeigt sich, dass bereits de lege lata Gestaltungsoptionen für die Konzernleitung existieren, die organisationsrechtliche Komponente mithin fester Bestandteil des deutschen Konzernrechts ist.95 c) Zwischenergebnis Die schutz- und organisationsrechtlichen Zielsetzungen stehen im geltenden deutschen Konzernrecht gleichberechtigt nebeneinander. Marcus Lutter ist zuzustimmen, wenn er hinsichtlich der Konzeption dieses Rechtsgebiets konstatiert, dass „jedes Ding (…) zwei Seiten“96 hat. 2. Die Zielsetzungen des Konzernrechts im ausländischen und europäischen Recht Ob diese Sichtweise sich mit Blick auf die englische und französische Rechtsordnung sowie das Europarecht aufrechterhalten lässt, erscheint schon deshalb zweifelhaft, weil das ausdifferenzierte deutsche Konzernrecht ein Unikum ist.97 a) Das ausländische Recht aa) England Wenngleich es im englischen Recht an einer mit dem Regelungsregime der §§ 291 ff. AktG vergleichbaren Kodifikation fehlt, wird der rechtliche Umgang mit Unternehmensgruppen auch in England sowohl durch schutz- als auch organisationsrechtliche Komponenten gekennzeichnet.98 Der durch das englische Konzernrecht gewährleistete Schutz außenstehender Gesellschafter ist facettenreich. Ein Mechanismus zum Schutz der Minderheit kann zunächst in der Normierung von directors‘ duties erblickt werden.99 Diese verpflichten den Direktor einer private company oder einer public company unter anderem, den Erfolg der Gesellschaft im Interesse aller Gesellschafter zu fördern100 und Interessenkonflikte zu vermeiden101. Diese Pflichten lassen sich – dies wurde bereits an anderer Stelle herausgestellt102 – konzernrechtlich dergestalt aufladen, dass sie eine Unterordnung des Interesses der eigenen Gesellschaft unter das Konzerninteresse und damit einhergehende Be95
So auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 39 ff. Lutter, in: liber amicorum Volhard, 105 (107). 97 Dazu § 4 B. 98 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 133 ff. 99 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 91 ff. 100 Duty to promote the success of the company, Sec. 172 CA 2006. 101 Duty to avoid conflicts of interests, Sec. 175 CA 2006. 102 Dazu § 4 B. I. 2. 96
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nachteiligungen durch die Muttergesellschaft – jedenfalls im Grundsatz – verbieten. Die Geltendmachung etwaiger Pflichtverletzungen kann gemäß Sec. 260 – 264 CA 2006 im Rahmen einer derivative claim durch die Minderheitsgesellschafter erfolgen.103 Das auf den ersten Blick gelungene Konzept eines Minderheitenschutzes wird durch die Möglichkeit des herrschenden Gesellschafters, Pflichtverletzungen bereits im Voraus (authorisation)104 oder aber im Nachhinein (ratification)105 mittels eines Beschlusses der von ihm kontrollierten Gesellschafterversammlung zu heilen, signifikant geschwächt.106 Nur in seltenen Ausnahmefällen, in denen der herrschende Gesellschafter und der pflichtwidrig agierende Direktor identisch oder als miteinander verbunden zu qualifizieren sind, wird die Heilungsmöglichkeit versagt.107 Eine deutlich wichtigere Rolle nimmt der Schutz der Minderheit bei unlauterer Benachteiligung (unfair prejudice), der in Sec. 994 ff. CA 2006 verankert ist, ein.108 Gemäß Sec. 994 (1) CA 2006 kann ein Gesellschafter das Gericht zum Erlass einer Anordnung mit der Begründung anrufen, dass entweder die Geschäfte der Gesellschaft in einer Weise geführt wurden oder werden, die die Gesellschafter insgesamt oder einen Teil von ihnen unlauter benachteiligt oder dass ein gegenwärtiges oder zukünftiges Handeln oder Unterlassen der Gesellschaft sie in gleicher Weise benachteiligt. Die Rechtsprechung wendet die Vorschrift seit der Leitentscheidung Nicholas v Soundcraft Electronics Ltd109 auf konzernrechtliche Sachverhalte an.110 Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass Handlungen einer Muttergesellschaft in ihrem eigenen Interesse als „Geschäfte der (Tochter-)Gesellschaft“ angesehen werden, wenn die Mutter Kontrolle über die Angelegenheiten ihrer Tochter hat und die finanziellen Angelegenheiten der beiden Gesellschaften wie die einer einzigen führt.111 Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Verfahrens nach Sec. 994 ff. CA 2006 auf Konzernsachverhalte sagt jedoch nichts über die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Einzelfall aus. Dies zeigt die oben zitierte Leitentscheidung, in der unfair prejudice abgelehnt wurde, als sich die Muttergesellschaft weigerte, eine Forderung der Tochtergesellschaft zu begleichen, da dies im Interesse des Konzerns insgesamt sei.112 Gleichwohl ist zu konstatieren, dass den Vorschriften der Sec. 994 ff. CA 2006 dank ihrer Offenheit sowohl auf Tatbestands- als auch auf
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Eingehend Tholen, Europäisches Konzernrecht, 95 ff. Sec. 180 (4) CA 2006. 105 Sec. 239 CA 2006. 106 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 97. 107 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 97. 108 Ringe, in: Schall, Companies Act, vor Sec. 994 ff. Rn. 2; zu den Voraussetzungen des Rechtsbehelfs ausführlich Tholen, Europäisches Konzernrecht, 98 ff. 109 Nicholas v Soundcraft Electronics Ltd [1993] BCLC 360. 110 Moordene Ltd v Trans Global Chartering Ltd [2006] EWHC 1407 (Ch); Re Grandactual Ltd [2006] BCC 73. 111 Ringe, in: Schall, Companies Act, Sec. 994 ff. Rn. 25. 112 Nicholas v Soundcraft Electronics Ltd [1993] BCLC 360. 104
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Rechtsfolgenseite113 zentrale Bedeutung für den Schutz außenstehender Gesellschafter im Konzern zukommt.114 Abgerundet wird der Minderheitenschutz im englischen Konzernrecht durch die – im Vergleich mit dem Rechtsbehelf aus Sec. 994 ff. CA 2006 eher unbedeutenden – Möglichkeiten einer Auflösung der Gesellschaft aus Billigkeitsgründen nach Sec. 122 (1) (g) IA 1986 (winding up on just and equitable ground),115 Austrittsrechte116 sowie Sonderregeln für börsennotierte Gesellschaften117. Auffallend ist, dass das englische Recht keine Instrumente zur Gewinnung von Informationen, die für die Ausübung der Schutzmechanismen relevant sind, kennt.118 Ausgangspunkt für den Gläubigerschutz im englischen Konzernrecht ist der grundsätzliche Ausschluss jeglicher Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten.119 Dieses Haftungsprivileg prägt die englische Rechtsprechung seit der Leitentscheidung Salomon v Salomon & Co Ltd120 aus dem Jahre 1897.121 Die Salomon-Doktrin lässt grundsätzlich wenig Raum für eine Durchgriffshaftung.122 Eine Durchbrechung des Haftungsprivilegs zu Lasten der Gesellschafter (piercing of the corporate veil) findet nur in wenigen Ausnahmefällen statt – dann etwa, wenn besondere Umstände nahelegen, dass die Gesellschaft reine Fassade ist und die gewählte Konstruktion lediglich der Umgehung rechtlicher Beschränkungen oder der Aushebelung von Rechten und Ansprüchen Dritter dient.123 Eine Haftung der Muttergesellschaft kann sich allerdings ergeben, wenn sie als shadow director zu qualifizieren ist.124 Nimmt die Mutter stetig und andauernd in einer Weise Einfluss, die zu einer durchgehenden Unterordnung der Geschäftsleiter unter die fremden
113 Das Gericht kann jede Maßnahme anordnen, die ihm zur Abhilfe geeignet erscheint, vgl. Sec. 996 (1) CA 2006. 114 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 105 f. 115 Ausführlich Tholen, Europäisches Konzernrecht, 106 ff.; zur Abgrenzung zum unfair prejudice-Verfahren Ringe, in: Schall, Companies Act, vor Sec. 994 ff. Rn. 8; Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 20 – 21 f. 116 Vgl. dazu Beck, in: Corporate Governance, 19 (58). 117 Hiermit sind vor allem Vorschriften zu related party transactions, die sich in den von der Financial Service Authority erlassenen Listing Rules finden, angesprochen, vgl. dazu Tholen, Europäisches Konzernrecht, 108 ff. 118 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 111. 119 Dähnert, Konvergenz der Konzernhaftung, 19 f.; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (10 f.). 120 Salomon v A Salomon & Co Ltd [1897], AC 22, HL. 121 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (11). 122 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 114. 123 Dähnert, Konvergenz der Konzernhaftung, 80 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 114 ff.; ein Meilenstein bei der Etablierung des Rechtsinstituts des lifting the corporate veil war die Entscheidung Woolfson and Another v Strathclyde Regional Council [1978], SLT 159, 38 P & CR 521; zu weiteren Ansätzen zur Durchbrechung des Trennungsprinzips Fleischer, AG 1999, 350 (353 ff.). 124 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (11); dazu § 4 B. I. 1.
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Anweisungen führt,125 so kann sie in den Anwendungsbereich des insolvenzrechtlichen Haftungstatbestandes des wrongful trading einbezogen werden.126 Danach ist eine Haftung der als shadow director qualifizierten Muttergesellschaft denkbar, wenn diese die Einleitung eines Sanierungs- oder Abwicklungsverfahrens trotz Kenntnis der drohenden Insolvenz verzögert hat.127 Kaum Eignung zur Gewährleistung eines konzernspezifischen Gläubigerschutzes weist hingegen die Regelung zum fraudulent trading in Sec. 213 IA 1986 auf.128 Die Haftung wegen fraudulent trading entspricht der deutschen Haftung aus § 823 II BGB in Verbindung mit § 263 StGB sowie aus § 826 BGB.129 Konzernspezifischen Gläubigerschutz vermag die Regelung zunächst deshalb nicht zu leisten, weil sie strenge subjektive Tatbestandsvoraussetzungen normiert.130 Der Nachweis einer betrügerischen Absicht der Muttergesellschaft gegenüber den Gesellschaftsgläubigern wird – angesichts oft undurchsichtiger Konzernstrukturen – nur selten gelingen.131 Außerdem werden bloße Einflussnahmen und Weisungen, wie sie in Konzernen typischerweise vorkommen, nicht erfasst.132 Ein weiteres Instrument des Gläubigerschutzes ist eine aus der common law rule resultierende Pflicht der Direktoren, im Rahmen ihrer gesellschaftsrechtlichen Treupflicht die Interessen der Gläubiger bei ihrer Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.133 Dieses Haftungsinstitut kann zwar grundsätzlich für Konzernsachverhalte von Relevanz sein, weist allerdings kaum eigenständige Bedeutung auf, weil es – sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite
125 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (12); vgl. außerdem Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 9 – 7. In diesem Zusammenhang sei jedoch erneut auf Sec. 251 (3) CA 2006 hingewiesen, wo es heißt, dass ein body corporate nicht schon deswegen zum shadow director seiner Tochtergesellschaften wird, weil die Direktoren der Tochtergesellschaften gewohnt sind, Anweisungen der Muttergesellschaft zu folgen; dazu § 4 B. I. 1. 126 Sec. 214 (7) IA 1986. 127 Zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des wrongful trading ausführlich Habersack/ Verse, ZHR 168 (2004), 174 (182 ff.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 121 ff. 128 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 121. 129 Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174 (177 f.). 130 Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 117 ff.; Fleischer, AG 1999, 350 (355); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 120 f.; vgl. außerdem die bis heute viel zitierte Entscheidung Re Patrick an Lyon Ltd. [1933] Ch. 786 (790), die „actual dishonesty, involving real moral blame“ voraussetzt. 131 Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 120; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 121; zu einer mit Sec. 213 IA 1986 vergleichbaren (Vorgänger-)Regelung Prentice, in: Groups of Companies in European Laws, 99 (110). 132 Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 119 f.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 121. 133 West Mercia Safetywear v Dodd [1988] BCLC 250 CA; ausführlich dazu Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 108 ff.; Davies/Worthington, Gower’s Principles of Modern Company Law, Rn. 9 – 11 ff.; Prentice, in: Konzernrecht im Ausland, 93 (107 f.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 117 ff.
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– der Haftung wegen wrongful trading stark ähnelt.134 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die insolvenzrechtliche Haftung der Direktoren wegen wrongful trading, die auch die Muttergesellschaft als shadow director treffen kann, im Zentrum des konzernrechtlichen Gläubigerschutzes steht.135 Da dieses Institut verschiedene Defizite und deshalb kaum praktische Relevanz aufweist,136 können die Mechanismen des Gläubigerschutzes im englischen Konzernrecht als insgesamt unzureichend bewertet werden. Im englischen Recht existiert kein mit dem deutschen Recht vergleichbares Gleichgewicht schutz- und organisationsrechtlicher Komponenten. Stattdessen nimmt das englische Recht grundsätzlich die Perspektive eines Schutzrechts ein.137 Mechanismen, die die Ausübung der Konzernleitung zulassen und ausgestalten, mithin einen organisationsrechtlichen Gehalt aufweisen, sind zwar vorhanden, stellen sich aber als Reflex dar: Sie sind dort auszumachen, wo für bestimmte gruppeninterne Verhaltensweisen ein niedriges Schutzniveau vorgesehen ist.138 Entsprechend des schutzrechtlichen Ansatzes des englischen Konzernrechts ist der Abschluss eines Beherrschungsvertrages zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft grundsätzlich unzulässig.139 Die Erteilung rechtlich verbindlicher Weisungen durch die Muttergesellschaft ist zwar gesetzlich nicht vorgesehen; allerdings wird die Möglichkeit einer statutarischen Verankerung eines Weisungsrechts von der englischen Wirtschaftspraxis rege genutzt.140 Darüber hinaus kann die Muttergesellschafter durch Ausübung der Personalhoheit oder die Vergabe von Vorstandsdoppelmandaten Einfluss auf die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft nehmen.141 Zarte Ansätze eines Gruppenorganisationsrechts finden sich dort, wo bestimmte gruppeninterne Vermögensübertragungen privilegiert werden.142 So statuiert Se. 192 CA 2006 Ausnahmen von dem in Sec. 190 CA 2006 angeordneten Zustimmungserfordernis der Gesellschafter bei der Übertragung wesentlicher bzw. bedeutender Gesellschaftsgüter (substantial property transactions) innerhalb der Unternehmensgruppe. Diese Vorschrift ermöglicht Geschäfte zwischen Schwester134 Habersack/Verse, ZHR 168 (2004), 174 (200 f.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 119; vgl. außerdem Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 113 ff., der darauf hinweist, dass dem Haftungsinstitut dann eigenständige Bedeutung zukommen kann, wenn Sec. 214 IA 1986 mangels Insolvenzverfahren nicht greift. 135 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 149. 136 Problematisch ist insbesondere die tatbestandliche und rechtsfolgenseitige Unschärfe der Haftung wegen wrongful trading; dazu § 3 B. VIII. 2. 137 Beck, in: Corporate Governance, 19 (63). 138 Beck, in: Corporate Governance, 19 (63); ähnlich auch Tholen, Europäisches Konzernrecht, 133 f., der die Wechselwirkung zwischen schutz- und organisationsrechtlichen Aspekten betont. 139 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 133. 140 Dazu § 4 B. I. 1. 141 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 134. 142 Beck, in: Corporate Governance, 19 (53 ff.; 63).
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gesellschaften, wenn beide dieselbe 100 %-Muttergesellschaft haben, sowie Geschäfte zwischen Mutter- und hundertprozentiger Tochtergesellschaft.143 In der Summe bleiben die Möglichkeiten einer Konzernleitung im englischen Recht gleichwohl limitiert. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass das englische Konzernrecht auf Basis des einfachen Gesellschaftsrechts entwickelt wird, das seinerseits primär von Schutzerwägungen durchdrungen ist.144 bb) Frankreich Da das französische Recht kein kodifiziertes Konzernrecht vorweisen kann,145 sind bei der Ermittlung schutz- und organisationsrechtlicher Komponenten die allgemeinen zivil-, gesellschafts- und strafrechtlichen Rechtsinstitute in den Blick zu nehmen. Aus schutzrechtlicher Perspektive sind vor allem Schutzmechanismen zugunsten außenstehender Gesellschafter im Straf- und Zivilrecht von Relevanz. Minderheitsgesellschafter abhängiger Gesellschaften können auf zwei unterschiedliche Schutzmechanismen zurückgreifen: Einerseits können sie Geschäftsleiter, die die abhängige Gesellschaft schädigen, zur Verantwortung ziehen; andererseits haben sie die Option, Ansprüche gegen die – im Vergleich mit den Geschäftsleitern finanziell leistungsfähigere – Muttergesellschaft geltend zu machen.146 Die Verantwortlichkeit der Geschäftsleiter ergibt sich ihrerseits aus den strafrechtlichen abus de gestion (Geschäftsleitungsdelikte) sowie der allgemeinen zivilrechtlichen Geschäftsleiterhaftung.147 Die strafrechtlichen abus de gestion148 kommen auch dann zum Einsatz, wenn Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft die Interessen der von ihnen geführten Gesellschaft schädigen (contraire à l’intérêt social), um hieraus resultierende Vorteile einem verbundenen Unternehmen, etwa der Mutter- oder einer Schwestergesellschaft, zugutekommen zu lassen.149 In einem solchen Fall haben die Minderheitsgesellschafter der abhängigen Gesellschaft die Möglichkeit, Anzeige zu erstatten und im Rahmen einer Adhäsionsklage, der action civile, vor den Strafgerichten Schadensersatz für Vermögensschäden einzuklagen.150 143 Doralt, in: Schall, Companies Act, Sec. 192 Rn. 2; ausführlich Beck, in: Corporate Governance, 19 (53 ff.). 144 Beck, in: Corporate Governance, 19 (63). 145 Dazu § 4 B. II. 146 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 85 ff. 147 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 85; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (12 f.). 148 Dazu § 3 B. I. 2. a); vgl. ferner die ausführliche Darstellung der objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen bei Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 86 ff. 149 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 86. 150 Vgl. Art. 2 des Code de procédure pénale, wo es heißt: „L’action civile en réparation du dommage causé par un crime, un délit ou une contravention appartient à tous ceux qui ont personnellement souffert du dommage directement causé par l’infraction“; eingehend zu der –
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Vor diesem Hintergrund ist es für außenstehende Gesellschafter von Vorteil, dass nicht nur die Geschäftsleiter der abhängigen Gesellschaft, sondern auch faktische Geschäftsleiter (dirigeant de fait) und Teilnehmer mithilfe der abus de gestion zur Verantwortung gezogen werden können.151 Die Figur des dirigeant de fait erlaubt prinzipiell eine Einbeziehung der Geschäftsleiter der Muttergesellschaft sowie der Muttergesellschaft selbst in den Kreis der Haftungsadressaten.152 Allerdings ist die französische Rechtsprechung im Umgang mit dieser Rechtsfigur recht zurückhaltend, sodass außenstehende Gesellschafter selten von einer Haftung der Geschäftsleiter der Muttergesellschaft oder gar der Muttergesellschaft selbst profitieren können.153 Einfacher ist es demgegenüber, gegen Geschäftsleiter des herrschenden Unternehmens vorzugehen, wenn diese als Teilnehmer154 an einem abus de gestion zu qualifizieren sind.155 Neben der strafrechtlichen Verantwortlichkeit, die mittels Adhäsionsklage zu einer Schadensersatzhaftung transformiert werden kann, existiert auch eine zivilrechtliche Geschäftsleiterhaftung.156 Gemäß Art. L. 225-251 des Code de Commerce (für die Société anonyme) sowie Art. L. 223-22 des Code de Commerce (für die Société à responsabilité limitée) können außenstehende Gesellschafter Schadensersatz von den Geschäftsleitern fordern, wenn diese eine Pflichtverletzung begangen haben und der von ihnen geleiteten Gesellschaft dadurch ein Schaden entsteht.157 Anders als bei den strafrechtlichen abus de gestion können faktische Geschäftsleiter nicht in den Anwendungsbereich der zivilrechtlichen Geschäftsleiterhaftung einbezogen werden.158 Die Geltendmachung von Ansprüchen gegen Geschäftsleiter wird durch Mechanismen zur Informationsgewinnung erleichtert. So können außenstehende Gesellschafter sich zum einen auf einen speziellen handelsrechtlichen Anspruch zur Anfertigung von Gutachten über die Geschäftsleitung159 berufen und zum anderen allgemeine zivilprozessuale Beweiserim Vergleich mit den oft langwierigen Zivilprozessen – attraktiven Möglichkeit einer action civile Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 124 ff. 151 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 91. 152 Als dirigeant de fait können natürliche und juristische Personen, die kontinuierlich Aufgaben von Geschäftsleitern wahrnehmen, ohne tatsächlich Geschäftsleiter zu sein, qualifiziert werden, vgl. Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 91 ff.; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (13). 153 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 93 f.; vgl. außerdem D. Schmidt, ZGR 1982, 276 (281), der darauf hinweist, dass der Nachweis der Rolle eines faktischen Geschäftsführers „äußerst schwer“ sei. 154 Im Rahmen der Teilnahme (complicité) erfolgt nach französischem Strafrecht keine Differenzierung zwischen Beihilfe und Anstiftung, vgl. Art. 121-7 des Code pénal. 155 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 94. 156 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 96. 157 Ausführlich zu den Haftungsvoraussetzungen (Pflichtverletzung, Schaden und Kausalität) Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 97 f. 158 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 100. 159 Vgl. Art. L. 225-231 des Code de Commerce (für die Société anonyme) sowie Art. L. 223-37 des Code de Commerce (für die Société à responsabilité limitée).
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hebungsvorschriften aktivieren, um sich über Fragen mit konzernrechtlichem Haftungsbezug zu informieren.160 Machen sich die Geschäftsleiter der abhängigen Gesellschafter nach den abus de gestion strafbar, so kommt – jenseits einer Konstruktion über die Figur des dirigeant de fait – eine Haftung der Muttergesellschaft gegenüber den Minderheitsgesellschaftern der abhängigen Gesellschaft in Betracht, wenn sie als Hehlerin qualifiziert werden kann.161 Da sich auch juristische Personen wegen Hehlerei (recel) strafbar machen können, können Minderheitsgesellschafter etwaige Schäden, die sich dadurch ergeben, dass Geschäftsleiter der abhängigen Gesellschafter der Muttergesellschaft Vorteile gewähren, mittels action civile liquidieren.162 Ferner ist eine Haftung der Muttergesellschaft denkbar, wenn die Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft als Verrichtungsgehilfen agieren.163 Eine französische Besonderheit ist das Institut der Vertragskontrolle (conventions réglementées), das zwar zum generellen gesellschaftsrechtlichen Instrumentarium zählt, in Gruppenkonstellationen aber von gesteigerter Bedeutung ist.164 Diese Bedeutung resultiert aus einer Reform der maßgeblichen Vorschriften aus dem Jahre 2001, durch die der Anwendungsbereich des Kontrollsystems auf Vereinbarungen zwischen Gesellschaften und Gesellschaftern, mithin auch auf solche zwischen herrschendem Unternehmen und abhängiger Gesellschaft erstreckt wurde.165 Durch den Kontrollmechanismus soll sichergestellt werden, dass konzerninterne Rechtsgeschäfte einem Drittvergleich standhalten.166 Hierzu fasst die Geschäftsleitung eines abhängigen Unternehmens jährlich alle mit anderen Konzernunternehmen getätigten Rechtsgeschäfte167 zusammen.168 Ein Wirtschaftsprüfer fertigt einen Bericht über diese Transaktionen an und macht ihn sämtlichen Gesellschaftern, auch den außenstehenden, zugänglich.169 Stellen diese eine nicht angemessene Preisgestaltung fest, so können sie zivilgerichtlich Schadensersatzforderungen geltend machen.170 Diese Möglichkeit ist für außenstehende Gesellschafter wegen der für sie negativen Beweislast- und Kostenverteilung allerdings unattraktiv.171 Schließlich 160
Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 120 ff.; Maul, NZG 1998, 965 (970). Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 137 ff. 162 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 138 f. 163 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 139 ff. 164 Guyon, Droit des Affaires, Rn. 620 und 425; Kircher, Kompensationsleitungen für erzwungene Rechtsverluste, 338. 165 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 142; Kircher, Kompensationsleitungen für erzwungene Rechtsverluste, 338. 166 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 152. 167 Grundsätzlich sind alle rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen erfasst; ausgeschlossen sind lediglich Vereinbarungen des laufenden Geschäftsbetriebs zu regulären Bedingungen, vgl. Art. L. 225-39 des Code de Commerce. 168 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 152. 169 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 152. 170 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 152 f.; Kircher, Kompensationsleitungen für erzwungene Rechtsverluste, 339. 171 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 153. 161
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steht außenstehenden Gesellschaftern die Möglichkeit zur Verfügung, Entscheidungen von Kollektivorganen (Gesellschafterversammlungen, Verwaltungs- oder Aufsichtsrat) hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Gesellschaftsinteresse und der Gleichbehandlung aller Gesellschafter unter Rückgriff auf das Institut des abus de majorité einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.172 Dieses Institut wurde durch die Rechtsprechung entwickelt173 und besagt, dass der Mehrheitsgesellschafter seine Stellung nicht dazu missbrauchen darf, um einer abhängigen Gesellschaft Leistungen abzuverlangen, die ihren Interessen (intérêt social) zuwiderläuft.174 Wenngleich Einzelheiten umstritten und durch eine unübersichtliche Kasuistik geprägt sind,175 lassen sich zwei Voraussetzungen, die zur Annahme eines abus de majorité führen, herausdestillieren: Einerseits muss die Beschlussfassung dem Gesellschaftsinteresse zuwiderlaufen; andererseits muss der Beschluss allein der Benachteiligung der Minderheit auf Kosten der Mehrheit dienen.176 Die konzernrechtlichen Szenarien, in denen das Institut zum Einsatz kommen kann, sind vielfältig: Zu denken ist etwa an die Vergabe konzerninterner Darlehen, die Übernahme von Schulden oder den Abschluss von cash pooling-Verträgen.177 Ein abus de majorité eröffnet außenstehenden Gesellschaftern auf Rechtsfolgenseite die Möglichkeit, den Beschluss, auf dem der Mehrheitsmissbrauch beruht, für nichtig erklären zu lassen.178 Ebenfalls denkbar sind der Einsatz eines provisorischen Verwalters zur Führung der Geschäfte sowie die Forderung von Schadensersatz.179 Die organisationsrechtliche Komponente zeigt sich in Frankreich nicht im kodifizierten Recht, sondern vielmehr in den von der Cour de Cassation im Fall Rozenblum entwickelten Leitlinien. Die Rozenblum-Doktrin privilegiert die Konzernleitung, wenn spezifische Voraussetzungen erfüllt sind.180 Sie stellt sich als Reaktion der Rechtsprechung auf die umfassende strafrechtliche Geschäftsleiterhaftung, die eine Etablierung der Konzernleitung in Frankreich nahezu unmöglich macht, dar.181 Damit kann mit Blick auf das französische Konzernrecht konstatiert werden, dass einige schutzrechtliche Komponenten normativ verankert sind. Der zentrale organisationsrechtliche Aspekt ist demgegenüber eine Schöpfung der Rechtsprechung. 172
Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 153; Maul, NZG 1998, 965 (967). Grundlegend war eine Entscheidung der Cour de Cassation aus dem Jahre 1961, vgl. dazu Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 154. 174 Maul, NZG 1998, 965 (967). 175 Ausführlich Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 154 ff.; zur Kasuistik Falcke, Konzernrecht in Frankreich, 146 ff. 176 Falcke, Konzernrecht in Frankreich, 143; Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 154. 177 Maul, NZG 1998, 965 (967). 178 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 159; Maul, NZG 1998, 965 (968). 179 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 159 f.; Maul, NZG 1998, 965 (968). 180 Dazu § 3 B. I. 2. a), 36 ff. 181 Gräbener, Schutz außenstehender Gesellschafter, 100; zur Entwicklung der Rechtsprechung auch Conac, in: Corporate Governance, 89 (90 f.). 173
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b) Wertungen des Europarechts Explizite Wertungen hinsichtlich der Zielsetzungen des Konzernrechts sind dem Europarecht nicht zu entnehmen. Allerdings lässt sich mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit eine Manifestation des traditionellen Gläubiger- und Minderheitenschutzgedankens in Art. 50 II lit. g AEUV feststellen.182 Diese Vorschrift richtet einen Handlungsauftrag183 an Organe der Europäischen Union, demzufolge Schutzbestimmungen zu koordinieren sind, um ein unionsweites gesellschaftsrechtliches level playing field zu schaffen. Jenseits dieses primärrechtlichen Handlungsauftrags existieren vereinzelt konzernrechtliche Vorschriften, die das Phänomen der Unternehmensgruppe hauptsächlich aus einer schutzrechtlichen Perspektive184 betrachten.185 So fördert die in Art. 9 I der Transparenzrichtlinie186 angeordnete Beteiligungstransparenz, die durch § 33 WpHG in das deutsche Recht transformiert wurde, nicht zuletzt auch die konzernrechtlich relevante Transparenz der Machtverhältnisse in der Gesellschaft.187 Für eine Dokumentation konzerninterner Transaktionen sorgt das europäische Bilanzrecht.188 Von konzernrechtlicher Bedeutung ist schließlich Art. 5 der Übernahmerichtlinie189 : Diese Vorschrift verpflichtet einen Aktionär, der die Kontrolle über eine börsennotierte Gesellschaft erlangt, den übrigen Aktionären den Kauf ihrer Aktien anzubieten und bewirkt dadurch einen Konzerneingangsschutz der Minderheit, die sich mit einem neuen kontrollierenden Mehrheitsaktionär nicht abfinden muss.190 Das Pflichtangebot – in Deutschland in § 35 WpÜG kodifiziert – erweist sich funktional als Austrittsrecht der Minderheitsgesellschafter.191 Die skizzierten Regelungen schützen nicht nur außenstehende Gesellschafter, sondern – jedenfalls mittelbar – auch Gläubiger.192 Ein umfassendes konzernrechtliches Schutzregime halten sie indes nicht bereit. 182
Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 32; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (20). Wegen seines an Art. 50 I AEUV anknüpfenden Wortlauts enthält die Vorschrift keinen eigenständigen Kompetenztitel, sondern richtet Handlungsaufträge als Ermessensdirektiven an Parlament, Rat und Kommission, vgl. Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50, Rn. 10. 184 Zu den organisationsrechtlichen Bemühungen auf europäischer Ebene Hommelhoff, in: Konzernrecht im Ausland, 55 (62). 185 Eingehend zu dem hier außer Betracht bleibenden SE-Konzernrecht Hommelhoff/ Lächler, AG 2014, 257 (257 ff.). 186 Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG. 187 Teichmann, AG 2013, 184 (186 f.). 188 Ausführlich Teichmann, AG 2013, 184 (187). 189 Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote. 190 Teichmann, AG 2013, 184 (187). 191 Teichmann, AG 2013, 184 (188). 192 Teichmann, AG 2013, 184 (188). 183
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Vielmehr stellen Transparenz- und Übernahmerichtlinie nicht verallgemeinerungsfähige Sonderregeln für börsennotierte Gesellschaften auf. c) Zwischenergebnis Im englischen und französischen Recht können sowohl schutz- als auch organisationsrechtliche Komponenten ausgemacht werden. Dieser Befund darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass konzernrechtliche Schutzaspekte im europäischen Ausland deutlich stärker als organisationsrechtliche Mechanismen akzentuiert werden. Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass es in den beiden dargestellten Ländern an einem kodifizierten Konzernrecht fehlt, Privilegierungsmechanismen mithin – wenn überhaupt – reflexhaft oder durch richterliche Rechtsfortbildung entstehen. Das europäische Recht hält nur wenige Regelungen mit konzernrechtlicher Relevanz vor, die ebenfalls hauptsächlich eine schutzrechtliche Position einnehmen. 3. Fortentwicklung des Konzernrechts zum enabling law In der neueren Konzernrechtsdiskussion, die durch die oben dargestellten Aktivitäten zahlreicher Wissenschaftlerkollektive maßgeblich vorangetrieben wurde,193 wird nachdrücklich für eine Fortentwicklung des Konzernrechts zum enabling law eingetreten. Der Gebrauch dieses Begriffs wirft Fragen nach seiner Bedeutung in konzernrechtlichen Zusammenhängen, seinem Verhältnis zu dem – jedenfalls partiell vorhandenen – Konzernorganisationsrecht sowie der Notwendigkeit seiner Etablierung auf. Der Terminus enabling law wurde erst in jüngerer Zeit in die deutsche und europäische Konzernrechtsdiskussion eingeführt.194 Vielfach wird hierbei auf Brian R. Cheffins’ Klassifizierung der unterschiedlichen unternehmensrechtlichen Vorschriften (The Classification of Company Law Rules)195 rekurriert. Dort wird zwischen drei Normkategorien differenziert: Permissive (,may‘) rules, presumptive (,may waive‘) rules und mandatory (,must‘ oder ,must not‘) rules.196 Der Typus der permissive rules zeichnet sich dadurch aus, dass durch sie Konstellationen legitimiert werden, die anderenfalls nicht gültig wären.197 Permissive rules können vor diesem 193
Dazu § 3 B. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 33 ff.; Hommelhoff, ZGR 2012, 535 (538); Teichmann, AG 2013, 184 (190); zum enabling law im Ausland, insbesondere im Vereinigten Königreich, den USA und Kanada Cheffins, Company Law, 252 f.; Latty, 50 Cornell Law Review, 599 (599 ff.). 195 Cheffins, Company Law, 217 ff. 196 Cheffins, Company Law, 217; zu dieser Differenzierung auch Bachmann et al., Regulating the Closed Corporation, 18 ff. 197 „Most often, permissive rules legitimize arrangements that otherwise might not be valid“, vgl. Cheffins, Company Law, 218, 250. 194
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Hintergrund auch als enabling provisions bezeichnet werden.198 Laut Cheffins werden permissive rules typischerweise durch ein Unternehmen aktiviert (opt in), das sodann in den Genuss der durch das jeweilige Rechtsregime eingeräumte Privilegierung kommt.199 Ein bedeutsames gesellschaftsrechtliches Beispiel für enabling legislation, also die Schaffung von enabling law, ist das Institut der beschränkten Haftung: Dieses stellt sich als Angebot an all diejenigen, die eine persönliche Haftung scheuen, dar.200 Wird es in Anspruch genommen, so sind zugleich die damit verbundenen Formalien zu respektieren.201 Festhalten lässt sich damit, dass Regelungen dann als enabling law bezeichnet werden können, wenn sie bestimmte rechtliche Strukturen zugänglich machen.202 Projiziert man das enabling law-Konzept auf das Konzernrecht, so erscheint fraglich, inwieweit es von dem organisationsrechtlichen Ansatz des Konzernrechts unterscheidbar ist. In konzernrechtlichen Zusammenhängen umschreibt der Begriff des enabling law – wie bereits die Analyse der Vorschläge ausgewählter Wissenschaftlerkollektive zeigte – die Aufgabe des Konzernrechts, ein rechtssicheres Fundament zur Etablierung und zum Betrieb von Unternehmensgruppen bereitzustellen.203 Da damit wirksame Mechanismen der Konzernleitung angesprochen werden, wohnt einer Betonung des enabling law aus deutscher Perspektive kaum Innovationspotenzial inne. Etwas anderes gilt indes für Länder, in denen die organisationsrechtliche Komponente des Konzernrechts nur schwach ausgeprägt ist. So würde die Einführung eines konzernrechtlichen enabling law in Frankreich und England durchaus zu einer Akzentverschiebung führen.204 Neu ist zudem, dass mit dem Stichwort des enabling law die grenzüberschreitende, insbesondere europäische Dimension konzernrechtlicher Herausforderungen in den Blick genommen wird. Aus einer europäischen Perspektive stellt sich schließlich die Frage, ob die Etablierung eines supranationalen konzernrechtlichen enabling law nottut. Wie bereits dargestellt, sind schutzrechtliche Mechanismen sowohl im In- als auch im Ausland in großer Zahl vorhanden. Dieser Befund kann – jedenfalls mit Blick auf börsennotierte Gesellschaften – sogar auf die europäische Ebene erstreckt werden. Zwar weichen die mitgliedstaatlichen Regelungsansätze hinsichtlich ihrer Kon198
Cheffins, Company Law, 218, 250. Cheffins, Company Law, 218, 250. 200 Bachmann et al., Regulating the Closed Corporation, 130; Cheffins, Company Law, 218, 250; Teichmann, AG 2013, 184 (190). 201 Teichmann, AG 2013, 184 (190). 202 Vgl. die Definition bei Bachmann et al., Regulating the Closed Corporation, 130: „(…) statutory provisions on legal forms containing limited liability can (…) be classified as enabling or facilitating law, i. e. as rules which enable access to certain advantageous legal structures in the first place.“ 203 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 33 ff.; Hommelhoff, ZGR 2012, 535 (538); Teichmann, AG 2013, 184 (190). 204 Zur konzernrechtlichen Situation in Italien Dominke, Einheitliches Gruppenleitung, 42 f. 199
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zeption sowie ihrer rechtspraktischen Umsetzung voneinander ab; eine funktionale Betrachtung zeigt indes, dass die Unterschiede überwiegend formeller Natur sind.205 Der Schutzfunktion des Konzernrechts wird folglich auf mitgliedstaatlicher Ebene Rechnung getragen. Darin sollte sich das Regelungsprogramm eines modernen Konzernrechts allerdings nicht erschöpfen; anderenfalls entstünde der Eindruck, Unternehmensgruppen seien, wenn nicht bereits als illegale, so doch zumindest als zu domestizierende Phänomene anzusehen.206 Eine solche Sichtweise wird der Unternehmensgruppe als bedeutsames Instrument zur Organisation unternehmerischer Aktivitäten nicht gerecht207 und blendet zugleich die wirtschaftliche Realität aus. Vor diesem Hintergrund muss ein modernes Konzernrecht neben negativen, abwehrenden Schutzmechanismen auch positive, verfassungsgestaltende Elemente bereitstellen.208 Unterstrichen wird dieses Erfordernis durch aktuelle wirtschaftspolitische Herausforderungen: Das Zusammenspiel von Digitalisierung und Globalisierung209 macht es notwendig, gesellschaftsrechtliche Gesetzgebung nicht nur auf nationaler, sondern vielmehr auch auf supranationaler Ebene zu betreiben. Anschauungsmaterial für die positiven Effekte einer enabling legislation bietet die Einführung der beschränkten Haftung: Nachdem der Rückgriff auf Haftungsbeschränkungen in England ab 1855 ermöglicht worden war, wuchs die Zahl der Unternehmensgründungen signifikant.210 Der Erfolg der company limited by shares – kurz: Limited – blieb in Frankreich und Deutschland nicht unbemerkt, weshalb diese beiden Nationen vergleichbare Gesellschaftsformen einführten.211 Schlägt man einen Bogen von der Einführung der Limited und ihrer französischen und deutschen Entsprechungen zur heutigen konzernrechtlichen Situation in Europa, so werden Parallelen sichtbar: Damals fehlte – ähnlich wie heute – ein rechtssicherer Rahmen, um unternehmerischen Herausforderungen adäquat zu begegnen. Während damals ein Bedürfnis nach Limitierung der persönlichen und unbeschränkten Gesellschafterhaftung vorherrschte, liegt der heutige unternehmerische Fokus auf der grenzüberschreitend aktiven Unternehmensgruppe. Mit der Etablierung eines supranationalen konzernrechtlichen enabling law würde dieser Ausrichtung Rechnung ge205
Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 34; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (21); vgl. außerdem Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 64, wo es heißt: „Therefore, on a preliminary view, it appears that Member States take different approaches to the reality of groups of companies and more precisely to the protection of minority shareholders and/or creditors of subsidiaries. Taking a more functional approach, differences among European countries might be more technical than fundamental, as regards protection of creditors.“ 206 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 34; Hommelhoff, in: FS Fleck, 125 (149). 207 Hommelhoff, in: FS Fleck, 125 (149). 208 Chiappetta/Tombari, ECFR 2012, 261 (268); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 34; Hommelhoff, in: FS Fleck, 125 (150). 209 Zu unternehmensrechtlichen Herausforderungen im Zusammenhang mit der Globalisierung eingehend Hommelhoff, in: FS Lutter, 95 (95 ff.). 210 Cheffins, Company Law, 250; Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 266. 211 Schmoeckel/Maetschke, Rechtsgeschichte der Wirtschaft, Rn. 266 ff.
B. Meinungsspektrum bzgl. einer Anerkennung de lege ferenda
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tragen, was zu einer Belebung der grenzüberschreitenden Aktivitäten von Unternehmensgruppen und damit auch zu einer Stärkung des europäischen Binnenmarkts führen könnte.
III. Fazit Entgegen der ökonomischen Realität, die von grenzüberschreitend agierenden Unternehmensgruppen geprägt wird, orientiert sich der Gesetzgeber am Leitbild der unabhängigen Einzelgesellschaft. Ausgehend von diesem Leitbild zeigen sich im Konzernrecht Deutschlands, Englands und Frankreichs mannigfaltige Mechanismen, die auf den Schutz außenstehender Gesellschafter sowie der Gläubiger abhängiger Gesellschaften zielen. Darüber hinaus existieren – vor allem im umfassend kodifizierten deutschen Konzernrecht – auch Komponenten, die Organisation und Leitung der Unternehmensgruppe ermöglichen. Den Anforderungen an ein modernes Konzernrecht wird dadurch indes nicht genügt. Ein solches erfordert die Fortschreibung der organisationsrechtlichen Komponente durch Schaffung eines supranationalen konzernrechtlichen enabling law. Aus diesem Erfordernis lässt sich zugleich ein erstes Argument für die Anerkennung des Gruppeninteresses auf europäischer Ebene ableiten: Diese – verstanden als Konzept zur Implementierung eines Weisungsrechts sowie zur konzerndimensionalen Öffnung der Geschäftsleiterpflichten – schafft einen rechtssicheren Rahmen zur Leitung eines grenzüberschreitend agierenden Konzerns. Durch eine Anerkennung des Gruppeninteresses würden Unternehmensgruppen Instrumente zur Strukturierung ihrer grenzüberschreitenden Aktivitäten zur Verfügung gestellt. Gegenwärtig vereitelt der Flickenteppich mitgliedstaatlicher Regelungen eine adäquate Konzernleitung, weshalb man insoweit – und etwas überspitzt – auch von disabling law sprechen könnte. Dieser Zustand würde durch die Anerkennung des Gruppeninteresses auf supranationaler Ebene überwunden.
B. Meinungsspektrum bezüglich einer Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda Jenseits der Erwägungen zur Schaffung eines enabling law lassen sich sowohl Argumente, die für eine rechtspolitische Verwirklichung des Gruppeninteresses sprechen als auch solche, die ein derartiges Gesetzgebungsprojekt obsolet erscheinen lassen, ausmachen.
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§ 5 Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda
I. Entbehrlichkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses 1. Zweigniederlassung, grenzüberschreitende und ausländische Konzerngesellschaft als taugliche Alternative Die Anerkennung des Gruppeninteresses wäre obsolet, wenn das geltende Recht Alternativen zur rechtssicheren Organisation und Leitung einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe bereithielte. In diesem Zusammenhang kommen Gestaltungen unter Rückgriff auf Zweigniederlassungen, grenzüberschreitende oder ausländische Konzerngesellschaften in Betracht. a) Zweigniederlassung Zweigniederlassungen unterliegen als unselbstständige Einheiten der Hauptniederlassung grundsätzlich dem Recht, in dem jene belegen ist.212 Die einheitliche Leitung der Zweigniederlassung wird dadurch begünstigt, dass die dort eingesetzten Personen an Weisungen des Managements der Muttergesellschaft gebunden sind.213 Art. 49 I 2 AEUV, der gemäß Art. 54 AEUV auch auf Gesellschaften angewandt werden kann, verbietet allerdings Beschränkungen der Gründung sowohl von Zweigniederlassungen als auch von Tochtergesellschaften. Da die Vorschrift keine Differenzierung hinsichtlich der Form der sekundären Niederlassungsfreiheit erkennen lässt, stehen die unterschiedlichen Formen gleichberechtigt nebeneinander.214 Die Diskriminierung einer Form der Sekundärniederlassung kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass einer Gesellschaft andere Formen der Niederlassungsfreiheit offen stehen.215 Eine Muttergesellschaft muss sich vor diesem Hintergrund nicht auf die Gründung von Zweigniederlassungen verweisen lassen.216 Die Gründung ausländischer Zweigniederlassungen ist darüber hinaus unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten keine taugliche Alternative zur Gründung ausländischer Tochtergesellschaften. So fällt beim Einsatz von Zweigniederlassungen einer der bedeutsamsten Vorteile der Konzernbildung – die Haftungssegmentierung – weg: Mangels eigenständiger Rechtspersönlichkeit der Zweigniederlassung haftet stets die (inländische) Gesellschaft, die diese unterhält.217 Daneben ruft die Kom212
Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 20; Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2710). Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2710). 214 EuGH, NJW 1987, 569 (570, Rz. 22); Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 49 AEUV Rn. 23; Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (59); dies schließt nicht aus, dass im Sekundärrecht unterschiedliche Rechtsfolgen für verschiedene Formen der Sekundärniederlassung gelten, vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 49 AEUV Rn. 64. 215 EuGH, NJW 1987, 569 (570, Rz. 22); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 49 AEUV Rn. 61; Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (59). 216 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 21. 217 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 22; Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2710); Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (60); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (8). 213
B. Meinungsspektrum bzgl. einer Anerkennung de lege ferenda
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bination aus Inlandsgesellschaft und ausländischer Zweigniederlassung das Problem der Doppelbesteuerung auf den Plan: Regelmäßig sind die in der Zweigniederlassung erwirtschafteten Einkünfte nicht nur in deren Tätigkeitsstaat, sondern auch im Sitzstaat der Gesellschaft zu versteuern.218 Dieses Problem lässt sich zwar mithilfe zahlreicher Doppelbesteuerungsabkommen abfedern; die Berufung auf diese erfordert jedoch Beratungsaufwand und ist daher kostenintensiv.219 Ein ähnlicher Kostenaufwand entsteht durch die Notwendigkeit der Einhaltung europarechtlicher Publizitätsvorschriften.220 Ein weiterer Nachteil der Zweigniederlassung ergibt sich aus rechtlichen Unklarheiten, die in Bezug auf das anwendbare Recht auftreten können. So wird sich häufig keine trennscharfe Linie zwischen dem Gesellschaftsrecht des Gründungsstaates und dem auch auf Zweigniederlassungen anwendbaren Recht des Aufnahmestaates ziehen lassen, weshalb innerhalb einer Gesellschaft zwei unterschiedlich Rechtssysteme zur Anwendung gelangen.221 Schließlich erschwert die Errichtung von Zweigniederlassungen im Ausland die Integration in den ausländischen Markt, weil sie – anders die Gründung ausländischer Tochtergesellschaften – eine nach außen sichtbare Identifikation mit dem Zielmarkt vermissen lässt.222 Gründung und Betrieb einer ausländischen Zweigniederlassung verursachen im Ergebnis nahezu denselben Aufwand wie das Tätigwerden mit einer ausländischen Tochtergesellschaft, ohne dabei dieselben Vorteile zu bieten.223 Vor allem die fehlende Möglichkeit einer gezielten Beschränkung der Haftung auf einzelne Tätigkeitsbereiche, etwa für unternehmerisches Tätigwerden im Ausland, wiegt schwer. Vor diesem Hintergrund mag die Zweigniederlassung ein taugliches Vehikel für befristete und übersichtliche Auslandsaktivitäten sein; ein darüberhinausgehendes unternehmerisches Engagement macht aber den Rückgriff auf Tochtergesellschaften erforderlich.224
218 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 21; Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (925); Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2710); Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (61); eingehend zur Doppelbesteuerung Reith, in: MünchHdbGesR, Internationales Gesellschaftsrecht, § 31 Rn. 35 ff. 219 Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2710); Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (61). 220 Vgl. hierzu die Richtlinie 2017/1132/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts; zur alten Rechtslage Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 21; Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2710); Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (60); eine Fallstudie zum (Kosten-)Aufwand bei Gründung einer Zweigniederlassung findet sich bei Becht/Enriques/Korom, in: Perspectives in Company Law and Financial Regulation, 91 (91 ff.). 221 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 21; Teichmann, ECFR 2015, 202 (218). 222 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 21 f.; Gutsche, in: FS Hommelhoff, 285 (287); Hommelhoff, ZGR 2012, 535 (537); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (8). 223 Teichmann, in: Societas Unius Personae, 37 (61). 224 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 22; Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2714); tendenziell andere Ansicht Bormann, in: Societas Unius Personae, 23 (25); Bormann/König, RIW 2010, 111 (112).
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b) Grenzüberschreitende Konzerngesellschaft Möglicherweise können die Anforderungen an eine verlässliche Konzernleitung indes erfüllt werden, wenn selbstständige Tochtergesellschaften nach der Heimatrechtsordnung der Muttergesellschaft gegründet und im Ausland eingesetzt werden. Durch dieses Vorgehen gelingt jedenfalls eine Haftungssegmentierung.225 Eine derartige Gestaltung ist darüber hinaus attraktiv, weil sich durch sie der gesamte multinationale Konzern einem einheitlichen Gesellschaftsrecht unterwerfen lässt.226 Allerdings birgt auch diese Handlungsoption Fallstricke: So ist die identitäts- und rechtsformwahrende Verlegung des Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet. Nach der Rechtsprechung des EuGH227 wird eine solche Verlegung von der in Art. 49, 54 AEUV verankerten Niederlassungsfreiheit erfasst, sofern der Gründungsstaat den Wegzug gestattet.228 Deutschen Gesellschaften wird durch die Neufassung der §§ 5 AktG, 4a GmbHG229 die Möglichkeit eingeräumt, eine identitätswahrende Verlegung des Verwaltungssitzes vorzunehmen.230 Eine derartige Gestattung genügt indes noch nicht, um mittels einer grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft im Ausland zu operieren: Für die Anerkennung einer Tochtergesellschaft als Gesellschaft der Heimatrechtsordnung muss nämlich neben dem Wegzugs- auch der Zuzugsstaat der Gründungstheorie folgen.231 Aufgrund der uneinheitlichen Interpretation der Rechtsprechung des EuGH folgen aber noch zahlreiche Mitgliedstaaten der Sitztheorie.232 Selbst wenn die Heimatrechtsordnung der Muttergesellschaft zur Anwendung gelangt, ist deren verlässliche Interpretation nicht gewährleistet.233 Die mit dem Einsatz einer grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft einhergehenden rechtlichen Unwägbarkeiten verschärfen sich durch den 225
Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 23. Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 23; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 169. 227 EuGH, 9. 3. 1999 – C-212/97, Centros; EuGH, 5. 11. 2002 – C-208/00, Überseering; EuGH, 30. 9. 2003 – C-167/01, Inspire Art. 228 Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 21, 35 ff.; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 23; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 169; ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 13 ff.; J. Schmidt, ZVglRWiss 116 (2017), 313 (319 ff.). 229 Die Vorschriften wurden durch Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23. 10. 2008 (BGBl. I, 2026 ff.) modifiziert. 230 Vgl. nur Heinze, in: MünchKommGmbHG, § 4a Rn. 2 sowie Heider, in: MünchKommAktG, § 5 Rn. 4. 231 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 23; Teichmann, RIW 2010, 120 (121). 232 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 24; Teichmann, RIW 2010, 120 (121); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 170. 233 Plakativ Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (928): „Wer seine spanische Tochtergesellschaft in Form einer GmbH organisiert, kann nicht ausschließen, dass in einem Rechtsstreit mit spanischen Gläubigern das Provinzgericht Malaga die Existenzvernichtungshaftung des deutschen GmbH-Rechts zur Anwendung bringt.“ 226
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bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (Brexit). Die Bewertung gesellschaftsrechtlicher Fragestellungen mit Bezug zum UK wird maßgeblich von dem künftigen Verhältnis zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union abhängen. Dieses Verhältnis ist trotz intensiver Verhandlungen der politischen Entscheidungsträger in den zurückliegenden Jahren noch nicht abschließend geklärt. Grundsätzlich lassen sich die mit dem Brexit-Referendum verfolgten Ziele – insbesondere die Lösung von Grundfreiheiten – nicht mit einer Mitgliedschaft des UK im Europäischen Wirtschaftsraum oder einem Beitritt zur Europäischen Freihandelsassoziation in Einklang bringen.234 Die daher prinzipiell folgerichtige vollständige Dissoziierung des Vereinigten Königreichs würde aber dafür sorgen, dass die Niederlassungsfreiheit im Verhältnis zum Vereinigten Königreich nicht mehr gilt. In Deutschland würde das UK nach einem solchen „harten Brexit“ kollisionsrechtlich als Drittstaat zu behandeln sein.235 Für solche judiziert die Rechtsprechung auf Grundlage der Sitztheorie.236 Diese knüpft zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts an den tatsächlichen Verwaltungssitz der Gesellschaft an.237 Durch die Anwendung der Sitztheorie werden ausländische Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland als Personengesellschaft angesehen, ihre Gesellschafter dadurch beträchtlichen Haftungsrisiken ausgesetzt.238 Eine abweichende gesellschaftsrechtliche Bewertung könnte sich freilich ergeben, wenn die politischen Verhandlungen über ein Austrittsabkommen erfolgreich verlaufen.239 Jenseits der Verwerfungen des Internationalen Privatrechts macht der Einsatz grenzüberschreitender Konzerngesellschaften die Überwindung weiterer Hürden erforderlich. Die Gefahr einer Besteuerung der Gesellschaft sowohl am Register- als auch am Verwaltungssitz ist zwar regelmäßig durch bilaterale Doppelbesteuerungsabkommen gebannt; allerdings muss für die zumeist im Staat der Hauptverwaltung erfolgende Besteuerung neben der deutschen Handelsbilanz auch eine ausländische Steuerbilanz nach den dort geltenden Regeln erstellt werden, was zusätzliche Rechnungslegungskosten verursacht.240 Außerdem ist eine grenzüberschreitende Konzerngesellschaft geeignet, das Misstrauen potentieller Geschäfts234
Vgl. dazu auch Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 165 (167 f.). Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 165 (169). 236 BGHZ 178, 192; BGH, ZIP 2009, 2385. 237 Eingehend Kindler, in: MünchKommBGB, Internationales Handels- und Gesellschaftsrecht, Rn. 420 ff. 238 Ausführlich und kritisch Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 165 (169 ff.). 239 ¨ bergangszeitraum nach dem Nach § 1 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes fu¨ r den U Austritt des Vereinigten Ko¨ nigreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europa¨ ischen Union wird das UK für die Zeit eines geordneten Austrittsverfahrens im Rahmen der Anwendung von Bundesrecht als EU-Mitgliedstaat behandelt. Im Falle eines Austritts ohne substanzielles Austrittsabkommen finden die Sondervorschriften des Übergangsgesetzes keine Anwendung, vgl. Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805 (809). 240 Bicker, Gläubigerschutz in der grenzüberschreitenden Konzerngesellschaft, 25; Teichmann, RIW 2010, 120 (121 f.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 171. 235
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partner im ausländischen Markt zu erregen.241 Mit den Reputationsproblemen werden vor allem die nationalen Rechtsformen, die nur über einen geringen Bekanntheitsgrad verfügen, zu kämpfen haben.242 Bei Verwendung von Gesellschaftsformen aus kleineren und jüngeren Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird häufig unausgesprochen die Frage im Raum stehen, aus welchen Gründen nicht die nationale Rechtsform des Inlandes verwendet wird.243 Auf diese Weise wird der Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen zuungunsten dieser Mitgliedstaaten verzerrt und das dem europäischen Binnenmarkt zugrundeliegende Leitbild eines level playing field beschädigt.244 Schließlich ist festzuhalten, dass der Rückgriff auf eine grenzüberschreitende Konzerngesellschaft die Defizite des nationalen Rechts nicht überwindet: Die untersuchten mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen lassen – wie oben gezeigt wurde245 – eine am Gruppeninteresse ausgerichtete Konzernleitung nicht oder nur eingeschränkt zu. Wer beispielsweise eine grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppe mithilfe deutscher Kapitalgesellschaften strukturiert, ist – selbst wenn die Herausforderungen des internationalen Privatrechts bewältigt werden – an die Restriktionen des deutschen Konzernrechts gebunden. c) Ausländische Konzerngesellschaft Der Einsatz ausländischer Konzerngesellschaften durch Errichtung selbstständiger Tochtergesellschaften im Ausland hilft zwar den dargestellten Reputationsproblemen ab, schafft zugleich aber neue Konfliktlagen. So wird das jeweils anwendbare Gesellschaftsrecht von Tochtergesellschaft zu Tochtergesellschaft variieren, was eine Rechtszersplitterung innerhalb der Unternehmensgruppe zur Folge hat.246 Eine derartige Gestaltung leidet nicht nur an dem aus der Rechtzersplitterung resultierenden Kapitalbedarf; auch eine adäquate Gruppenleitung lässt sich auf diese Weise nicht bewerkstelligen.247
241 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 24 f.; Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (927); Teichmann, RIW 2010, 120 (122); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 171. 242 Hierzu gehört beispielsweise die polnische Entsprechung der deutschen GmbH, die Spółka z ograniczona˛ odpowiedzialnos´cia˛, vgl. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 25; Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (927). 243 Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (927). 244 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 25; Hommelhoff/Teichmann, DStR 2008, 925 (927); Teichmann, RIW 2010, 120 (122). 245 Dazu § 4 A. und B. 246 Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2708). 247 Münch/Franz, BB 2010, 2707 (2708).
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d) Zwischenergebnis Weder Zweigniederlassungen noch grenzüberschreitende oder ausländische Konzerngesellschaften sind taugliche Vehikel zur rechtssicheren Organisation und Leitung einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe. Diese Gestaltungsoptionen lassen eine Anerkennung des Gruppeninteresses folglich nicht obsolet werden, sondern unterstreichen vielmehr die rechtspolitische Notwendigkeit einheitlicher Standards zur Leitung multinationaler Unternehmensgruppen. 2. Rechtstatsächliche Gegebenheiten Möglicherweise lässt sich aus den oben skizzierten rechtstatsächlichen Gegebenheiten ein Argument gegen die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses ableiten. So ließe sich argumentieren, dass bereits heute zahlreiche europäische Unternehmensgruppen in der Lage sind, ihr wirtschaftliches Potential trotz national divergierender Regelungskonzepte binnenmarktweit zu entfalten.248 Die Kodifikation konzernrechtlicher Vorgaben könnte gar dem Wesen des Konzerns, der sich durch Flexibilität und die Vielgestaltigkeit seiner Erscheinungsformen auszeichnet, widersprechen.249 Die normative Verankerung einer Anerkennung des Gruppeninteresses auf supranationaler Ebene wäre demnach als Störfaktor, der die Errichtung individuell ausgestalteter und flexibel veränderbarer Gruppenorganisationen erschwert, zu bewerten.250 In diesem Zusammenhang sind indes verschiedene Aspekte zu beachten: Zunächst lassen sich durch Flexibilität alleine keine dauerhaften Wettbewerbsvorteile erzielen.251 Die sich aus dem Mangel an supranationaler Regelungsmaterie ergebende Anpassungsfähigkeit grenzüberschreitend aktiver Unternehmensgruppen ist für diese zwar essentiell; ihr kommt aber regelmäßig weniger eine dominante, sondern eher eine flankierende Funktion zu.252 Außerdem soll mit einer Anerkennung des Gruppeninteresses das flexible unternehmerische Tätigwerden in der Unternehmensgruppe keineswegs beschnitten werden: Die durch Anerkennung des Gruppeninteresses bewirkte Möglichkeit einer rechtssicheren Gruppenleitung in grenzüberschreitenden Sachverhalten stärkt die Flexibilität durch Erweiterung der
248
Vgl. zu dieser Erwägung auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 1, 17; Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (289). 249 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 27; Hommelhoff, in: Gesellschaftsrecht der Konzerne, 91 (119 ff.); Lutter, in: liber amicorum Volhard, 105 (111 f.). 250 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 27; eingehend die Bedeutung privatautonomer Gestaltungen im Konzern fokussierend Rittner, AcP 183 (1983), 295 (307 ff.). 251 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 27; Hommelhoff, in: St. Galler Konzerngespräch, 107 (127). 252 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 27; Hommelhoff, in: St. Galler Konzerngespräch, 107 (127).
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Handlungsoptionen.253 Bei den Vorschriften zur Anerkennung des Gruppeninteresses handelt es sich – wie bereits an anderer Stelle erörtert254 – um enabling law, das durch Unternehmensgruppen aktiviert werden kann und sodann Mechanismen zur adäquaten Gruppenleitung bereitstellt. Die Kodifikation entsprechender Vorschriften konstituiert kein regulatorisches Korsett, sondern steigert die Akzeptanz der Gesellschaftsgruppe als legale und ökonomisch ebenso sinnvolle wie erforderliche Gestaltungsform.255 Wer mit Blick auf rechtstatsächliche Gegebenheiten den Erfolg multinationaler Unternehmensgruppen in Europa betont, läuft Gefahr, die Realität zu verklären: Marktstellung und Wettbewerbskraft einiger europäischer Großunternehmen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Großteil der europäischen Unternehmen von kleiner oder mittlerer Größe ist.256 Die Anerkennung des Gruppeninteresses ist geeignet, den europäischen Binnenmarkt gerade auch zugunsten solcher Unternehmen zu öffnen.257
II. Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses Die Erwägungen, die prima facie gegen die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses auf supranationaler Ebene zu sprechen scheinen, können im Ergebnis allesamt widerlegt werden. Darüber hinaus streiten verschiedene Aspekte für eine solche Notwendigkeit. 1. Umfassende Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV Die in Art. 49, 54 AEUV verbürgte Niederlassungsfreiheit erlaubt es Wirtschaftsteilnehmern, eine dauerhafte operative Tätigkeit in jedem beliebigen Mitgliedstaat zu verfolgen und verbietet diesbezügliche Beschränkungen oder Diskriminierungen.258 Trotz der Verankerung dieser Grundfreiheit existieren im europäischen Binnenmarkt erhebliche Hindernisse bei der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Unternehmensgruppen.259 Diese manifestieren sich zunächst in der mit Rechtsunsicherheiten behafteten Stellung des Managements der jeweiligen Tochtergesellschaften: Die meisten 253 Ähnlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 27 f.; Lübking, Konzernrecht für Europa, 291. 254 Dazu § 5 A. II. 3. 255 Dazu bereits Lutter, ZGR 1987, 324 (368). 256 Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (289). 257 Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (289). 258 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 49 Rn. 2; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (22). 259 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (22).
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Mitgliedstaaten der Europäischen Union sehen zwar grundsätzlich vor, dass sich ein Geschäftsleiter am Eigeninteresse seiner Gesellschaft zu orientieren hat; ob und inwieweit die Interessen der Muttergesellschaft oder anderer gruppenangehöriger Gesellschaften berücksichtigt werden dürfen, wird durch die einzelnen Rechtsordnungen aber unterschiedlich geregelt.260 Folgt der Geschäftsleiter einer ausländischen Tochtergesellschaft den Maßgaben der Konzernzentrale, so agiert er in einer rechtlichen Grauzone.261 Er setzt sich damit nicht nur der Gefahr einer zivilrechtlichen Haftung aus, sondern kann – wie das Beispiel des französischen Rechts zeigt – sogar strafrechtlich belangt werden.262 Widersetzt sich die Geschäftsleitung einer Tochtergesellschaft dem Einfluss der Muttergesellschaft, riskiert sie, sich bei der herrschenden Gesellschaft in Verruf zu bringen, was personelle Konsequenzen nach sich ziehen kann.263 Darüber hinaus sieht sich auch die Muttergesellschaft mit Problemen konfrontiert. Sie kann sich bei der Führung ihrer Tochtergesellschaften im europäischen Ausland nicht auf die Anwendbarkeit inländischer Prinzipien und Leitlinien verlassen.264 Hintergrund ist die bereits anderenorts beschriebene allgemeingültige Kollisionsregel, nach der im Verhältnis zur herrschenden Gesellschaft stets das Recht der abhängigen Gesellschaft Anwendung zu finden hat.265 Da somit für die einzelnen ausländischen Tochtergesellschaften unterschiedliche Standards hinsichtlich der höchstens zulässigen Einflussnahme gelten, wird die einheitliche Konzernleitung im Binnenmarkt erschwert.266 Das Fortbestehen eigenständiger nationaler Rechtsordnungen, das gewisse Rechtsunterschiede bedingt, gehört zwar zum europäischen Integrationskonzept, mithin auch zum europäischen Binnenmarkt;267 problematisch wird es allerdings, wenn der Grenzübertritt für Unternehmen mit erheblichen Schwierigkeiten, Kosten und Risiken einhergeht.268 Dies ist bei der Organisation einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe der Fall: Der Umgang mit dem konzernrechtlichen Flickenteppich innerhalb Europas macht regelmäßig die Inanspruchnahme kostenintensiver Rechtsberatung erforderlich.269 Verzichten die Unternehmen auf adäquaten Rechtsrat und werden dennoch im Ausland aktiv, so setzen sie damit sowohl die entsandten Führungskräfte als auch sich selbst hohen Haf260
Teichmann, AG 2013, 184 (191 ff.); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (22 f.). Teichmann, AG 2013, 184 (191); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (23). 262 Teichmann, AG 2013, 184 (195). 263 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (25). 264 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (24). 265 Dazu § 4 D. 266 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (24); ähnlich auch Chiappetta/Tombari, ECFR 2012, 261 (271); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 35; Lübking, Einheitliches Konzernrecht, 312 f. 267 Vgl. nur Art. 67 I AEUV, wonach im „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (…) die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten geachtet werden“. 268 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (25); ähnlich auch Teichmann, ECFR 2015, 202 (222). 269 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 35; Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (24). 261
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tungsrisiken aus.270 Während diese Situation für große, multinational operierende Unternehmensgruppen verkraftbar erscheint, ist die Aussicht auf signifikante Beratungskosten oder beträchtliche Haftungssummen geeignet, kleine und mittlere Unternehmen von vornherein von einer Expansion in das europäische Ausland abzuhalten.271 Die Enthaltsamkeit des europäischen (Sekundär-)Rechts auf dem Gebiet des Konzernrechts erweist sich insofern als Markzutrittsschranke.272 Die supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses würde den Weg zur rechtssicheren Leitung grenzüberschreitender Unternehmensgruppen ebnen und die bislang existierende Marktzutrittsschranke beseitigen.273 Die uneingeschränkte Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV verlangt demzufolge nach einer Anerkennung des Gruppeninteresses.274 2. Versöhnung von Recht und Wirklichkeit Darüber hinaus ist die Anerkennung des Gruppeninteresses geeignet, Diskrepanzen zwischen Recht und Wirklichkeit zu beseitigen.275 Wie oben dargestellt,276 ist die Konzernorganisation im gesamten europäischen Binnenmarkt gelebte Realität. Zwar muss angesichts der im Rahmen der Untersuchung des geltenden Rechts erzielten Ergebnisse277 bezweifelt werden, ob die Anerkennung des Gruppeninteresses als ius commune angesehen werden kann;278 unbestreitbar ist jedoch, dass mit einer Verwirklichung des Gruppeninteresses Mechanismen zur Gruppenleitung geschaffen würden, die den Bedürfnissen der Konzernpraxis Rechnung tragen. Auf diese Weise käme es zu einer Versöhnung von Gruppenpraxis und Gruppenrecht;279 die bei Aktienrechtsreform im Jahre 1965 identifizierte „Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit“280 würde – jedenfalls partiell – geschlossen. Die Aufrechterhaltung des 270
Teichmann, AG 2013, 184 (185); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (24). Teichmann, AG 2013, 184 (185); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (24); ausführlich zu der Situation kleiner und mittlerer Unternehmen Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 36 f. 272 Teichmann, ZGR 2014, 45 (65); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (24); ähnlich auch Schön, ZGR 2019, 343 (351), der mit Blick auf die europarechtlichen Vorgaben festhält, dass es grundsätzlich „möglich sein [muss], für das grenzüberschreitende Engagement die Rechtsform der Tochtergesellschaft zu wählen und dennoch ein einheitliches Unternehmen zu betreiben“. 273 Ähnlich Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (25), die insofern von einem „Harmonisierungsdesiderat“ sprechen. 274 Vgl. auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 38, die in diesem Zusammenhang insbesondere die Öffnung des Binnenmarkts für Unternehmen aus wirtschaftlich schwachen Mitgliedstaaten betont. 275 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 19 f.; dazu auch Tholen, Europäisches Konzernrecht, 195. 276 Dazu § 5 A. I. 277 Dazu § 4 E. Thesen 1 und 2. 278 So aber Conac, ECFR 2013, 194 (208 f.); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 18 f. 279 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 19 f. 280 Begründung zum Regierungsentwurf, bei Kropff, 373. 271
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status quo wäre demgegenüber ein Plädoyer für eine rechtliche Grauzone, in der die Leitung einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe dem Gang durch vermintes Gelände gleicht.281 3. Optimierung der Kontrollmöglichkeiten innerhalb der Unternehmensgruppe Schließlich drängt sich – insbesondere aus der Perspektive von großen Unternehmensgruppen – die Frage nach den Implikationen eines supranational anerkannten Gruppeninteresses auf die Bereiche Compliance und Risikomanagement auf.282 Namentlich das öffentliche Recht erblickt in der Konzernspitze tendenziell den letztverantwortlichen Entscheidungsträger und nimmt auf die rechtliche Selbstständigkeit der Einzelgesellschaften und die Verantwortlichkeit ihrer Leitungsorgane wenig Rücksicht.283 Ungeachtet dogmatisch berechtigter Einwände in der gesellschaftsrechtlichen Literatur,284 wird die Unternehmensgruppe sowohl in der Judikatur des EuGH285 als auch in der internationalen Rechtspraxis diverser Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden als Einheit angesehen.286 Die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft sieht sich angesichts der Reichweite einer potentiellen Haftung sowie des internationalen Anwendungsbereichs der maßgeblichen Sankti-
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Plakativ Teichmann, NJW 2014, 3561 (3564): „Man schickt die Unternehmen auf vermintes Gelände und erzählt ihnen erst hinterher, wo die Minen lagen. Ein verantwortlicher Gesetzgeber ist dafür zuständig, die Minen vorher wegzuräumen.“ 282 Vgl. dazu etwa Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 29 f.; Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (662 ff.); Teichmann, ZGR 2017, 485 (498 ff.); Tröger, in: German and Nordic Perspectives, 157 (193). 283 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 29; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 33 Rn. 7; Teichmann, ZGR 2017, 485 (498 ff.); anschaulich auch Poelzig, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 83 (85): „Paradigmatisch für diese Tendenz hin zu einer Konzernverantwortung, die blind für die Grenzen des Gesellschaftsrechts ist, sind (…) das Finanzmarktaufsichtsrecht, das Kartellrecht und das Kapitalmarktrecht.“ 284 Vgl. etwa Koch, WM 2009, 1013 (1020), der vorschlägt, die Muttergesellschaft für Rechtsverstöße in der Tochtergesellschaft nur dann zur Verantwortung zu ziehen, wenn sie als Urheberin der Gefahr erscheint und zugleich über die Möglichkeit verfügt, auf die Gefahrenquelle einzuwirken. 285 EuGH, 10. 9. 2009 – C-97/08 P, Akzo Nobel. Der EuGH entschied, dass kartellrechtswidriges Verhalten einer Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann, wenn die Tochtergesellschaft trotz eigener Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im Wesentlichen die Weisungen der Muttergesellschaft befolgt. Für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Einheit und des maßgeblichen Einflusses bestehe eine widerlegliche Vermutung, wenn eine Muttergesellschaft 100 % des Kapitals der Tochtergesellschaft hält, vgl. hierzu die zusammenfassende und kritische Würdigung bei Lieder/Kliebisch, EWiR 2010, 149 (149 f.); vgl. ferner Fleischer, ZGR 2017, 1 (12 f.) sowie Hommelhoff, ZGR 2019, 379 (404 ff.); vgl. zur Konzernverantwortung im deutschen und europäischen Kartellrecht schließlich Poelzig, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 83 (87 ff.). 286 Teichmann, ZGR 2017, 485 (499).
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onstatbestände287 mit einer Pflicht zur konzernweiten Aufsicht konfrontiert.288 Besonders problematisch ist hierbei die Loslösung der Aufsichtspflicht der Muttergesellschaft von ihren gesellschaftsrechtlichen Kompetenzen.289 Wenn das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht sowohl nationale als auch gesellschaftsrechtliche Grenzen überschreitet, so ergibt sich für die Muttergesellschaft die praktische Notwendigkeit einer möglichst umfassenden Einflussnahme auf ihre Tochtergesellschaften.290 De lege lata muss sich die Muttergesellschaft hierbei an die konkrete, durch das nationale Gesellschaftsrecht der Tochtergesellschaft vorgegebene Kompetenzordnung halten.291 Auf europäischer Ebene ist dieser Zustand unbefriedigend: Die Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten lassen Gruppenleitungsmaßnahmen nur teilweise und in sehr unterschiedlichem Umfang zu.292 Hieraus resultiert ein Widerspruch zwischen den sektoralen europarechtlichen Vorschriften, die dem Konzern eine Gesamtverantwortung zuweisen, und dem europäischen Gesellschaftsrecht, das keinen organisatorischen Rahmen bereithält, um dieser Gesamtverantwortung gerecht zu werden.293 In diesem Zusammenhang könnte einem supranational anerkannten Gruppeninteresse Bedeutung zukommen: Die mit einer derartigen Anerkennung einhergehende Etablierung von Leitungsmechanismen würde die Errichtung eines effizienten Compliance-Systems und dessen Durchsetzung innerhalb der Unternehmensgruppe erleichtern, dabei zugleich Schutz vor haftungsrechtlicher Inanspruchnahme bieten.294 Ein Allheilmittel zur Implementierung eines gruppendimensional wirkungsvollen Compliance-Systems ist die Anerkennung des Gruppeninteresses freilich nicht. Den durch aufsichtsrechtliche 287 Vgl. den US-amerikanischen Foreign Corrupt Practices Act sowie den UK Bribery Act, die jeweils weltweite Geltung beanspruchen. 288 Teichmann, ZGR 2017, 485 (499 f.); ausführlich (mit teils divergierender dogmatischer Herleitung) Bicker, AG 2012, 542 (548); Habersack, in: Corporate Governance, 269 (270 ff.); Paefgen, WM 2016, 433 (441 f.); Verse, ZHR 175 (2011), 401 (407 ff.); in dogmatischer Hinsicht tritt in diesem Zusammenhang die Diskussion um Inhalt und Grenzen einer Konzernleitungspflicht zutage, vgl. hierzu etwa Schockenhoff, ZHR 180 (2016), 197 (200 ff.); die konzernweite Compliance-Pflicht fand bislang in Ziff. 4.1.3. DCGK eine normative Verankerung: „Der Vorstand hat für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen und der unternehmensinternen Richtlinien zu sorgen und wirkt auf deren Beachtung durch die Konzernunternehmen hin (Compliance).“ In der novellierten Fassung des DCGK wird eine vergleichbare Vorgabe unter „A. Leitung und Überwachung, I. Aufgaben und Verantwortlichkeiten“ als „Grundsatz 5“ statuiert. Dort ist zwar nicht mehr explizit von Konzernunternehmen die Rede; die Präambel des reformierten DCGK stellt allerdings klar, dass „in Regelungen des Kodex, die nicht nur die Gesellschaft selbst, sondern auch ihre Konzernunternehmen betreffen, (…) der Begriff ,Unternehmen‘ statt ,Gesellschaft‘ verwendet“ wird. 289 Teichmann, ZGR 2017, 485 (500); ähnlich auch Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (662 f.). 290 Teichmann, ZGR 2017, 485 (500). 291 Paefgen, WM 2016, 433 (442); Teichmann, ZGR 2017, 485 (500). 292 Teichmann, ZGR 2017, 485 (500). 293 Teichmann, ZGR 2017, 485 (500). 294 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 29; Teichmann, ECFR 2015, 202 (213); ähnlich auch Poelzig, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 83 (108 f.).
B. Meinungsspektrum bzgl. einer Anerkennung de lege ferenda
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Anforderungen nach einem gruppenweiten Risikomanagement und einer gruppenweiten Compliance geprägten spezifischen Konzernsteuerungsbedürfnissen der Finanzbranche könnte die Anerkennung des Gruppeninteresses beispielsweise nur unvollkommen Rechnung tragen.295 Aufsichts- und Gesellschaftsrecht sollten diesbezüglich indes nicht gegeneinander ausgespielt werden; stattdessen wäre eine durch die supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses bewirkte Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts, die aktuellen Compliance-Anforderungen Rechnung trägt, angezeigt. Vereinzelte Friktionen ließen sich durch den harmonisierenden Abgleich des Gesellschaftsrechts mit aufsichtsrechtlichen Vorgaben beseitigen.296 4. Zwischenergebnis Die drei voranstehend beleuchteten Aspekte sprechen in Zusammenschau mit der dargelegten Notwendigkeit einer Fortentwicklung des europäischen Konzernrechts zum enabling law für eine supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses. Doch selbst wenn man die schutzrechtliche Komponente des Konzernrechts in den Vordergrund der Überlegungen rückt, erscheint die Anerkennung des Gruppeninteresses auf supranationaler Ebene geboten. Internationalprivatrechtliche Vorgaben führen grundsätzlich dazu, dass es von dem Recht des Staates, in dem die Tochtergesellschaft beheimatet ist, abhängt, ob und welche Schutzmechanismen zugunsten der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter greifen. Gerade die Staaten, die kein kodifiziertes Konzernrecht vorweisen können, erlegen gruppenangehörigen Gesellschaften häufig geringere Verhaltens- und Organisationspflichten auf als Staaten, die sich dem Konzernphänomen mit spezifischen Regelungen annehmen.297 Hieraus resultiert ein Schutzgefälle, das es der Muttergesellschaft prinzipiell ermöglicht, sich strenger inländischer Gläubiger- und Minderheitenschutzvorschriften zu entziehen, indem sie bedeutende Unternehmensteile in Mitgliedstaaten mit großzügigen gesellschaftsrechtlichen Regelungen verlagert.298 Die Urheber des Entwurfs für eine Konzernrechtsrichtlinie hatten diese Problemlage bereits im Jahr 1984 identifiziert und versuchten, mithilfe dieser Kodifikation ein einheitliches Schutzniveau für Gläubiger und Minderheitsgesellschafter in sämtlichen Mitgliedstaaten zu etablieren.299 Durch die mit einer supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses geschaffenen Gruppenleitungsmechanismen würde eine Balance zwischen Organisation und Schutz in der grenzüberschreitenden Unternehmens295
Ausführlich Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (662 ff.). So auch Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (666); Poelzig, in: Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 83 (108). 297 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 32 f.; Hommelhoff, in: Konzernrecht im Ausland, 55 (64). 298 Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (21); dazu bereits Hommelhoff, in: Konzernrecht im Ausland, 55 (64). 299 Teichmann, AG 2013, 184 (186); Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (21). 296
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§ 5 Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda
gruppe hergestellt und zugleich die Konzerngefahr eingehegt.300 Einheitliche Leitungsmechanismen innerhalb Europas würden das Ausnutzen eines Schutzgefälles obsolet werden lassen. Damit wäre auch die Gefahr eines gesellschafts- und konzernrechtlichen race to the bottom301 gebannt. Diese Argumentation zeigt, dass die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses auch aus der Schutzfunktion des Konzernrechts hergeleitet werden kann.302
III. Fazit Die für die rechtspolitische Notwendigkeit einer supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses streitenden Argumente überwiegen jene, die eine solche Anerkennung – zumindest auf den ersten Blick – obsolet erscheinen lassen. Die Fortentwicklung des Konzernrechts zu einem die Leitung einer grenzüberschreitenden Unternehmensgruppe privilegierenden enabling law erscheint unausweichlich, wenn das Gesellschaftsrecht mit anderen Teilbereichen des Wirtschaftsrechts Schritt halten will. So wird die Unternehmensgruppe nicht nur im europäischen Kartellrecht als Einheit betrachtet; auch die seit Mai 2018 geltende DSGVO knüpft im Zusammenhang mit der Verhängung von Geldbußen (Art. 83 DSGVO) an die gesamte Unternehmensgruppe an.303 Daraus folgt eine Haftung der Muttergesellschaften für Datenschutzverstöße anderer Konzerngesellschaften sowie die Heranziehung des Konzernumsatzes als Grundlage für die Berechnung der prozentualen Bußgeldobergrenze.304 Hinzu tritt das Bedürfnis, Unternehmensgruppen mit einer individuellen Organisationsstruktur zu versehen, wobei häufig auf Matrixstrukturen zurückgegriffen wird.305 Von einer derartigen Struktur kann gesprochen werden, wenn innerhalb einer Gesellschaft oder unternehmensübergreifend im Konzern ein Organisationsaufbau gewählt wird, bei dem die Zuständigkeiten ohne Rücksicht auf 300
Ähnlich Conac, ECFR 2013, 194 (212); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 33. Hierzu Hommelhoff, in: Konzernrecht im Ausland, 55 (64); ausführlich zum Wettbewerb der Gesetzgeber Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545 (545 ff.). 302 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 33; in diesem Zusammenhang ist allerdings zu bedenken, dass sich auch ohne Harmonisierungsmaßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten der einzelnen Mitgliedstaaten ein annähernd gleichwertiges Schutzniveau für die besonders gefährdeten Konzernbeteiligten herausgebildet hat, vgl. Weller/Bauer, ZEuP 2015, 6 (21); ähnlich auch Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 64; anschaulich außerdem Teichmann, AG 2013, 184 (186 ff.), der nachweist, dass das konzernrechtliche Regelungsprogramm des Richtlinienentwurfs von 1984 sich – jedenfalls partiell – in verschiedenen Regelungen des heutigen EU-Gesellschaftsrechts wiederfindet. 303 Der in der Vorschrift des Art. 83 Datenschutzgrundverordnung verwendete Begriff des „Unternehmens“ ist insofern parallel zum europäischen Kartellrecht auszulegen, vgl. die dogmatisch überzeugende Begründung bei Uebele, EuZW 2018, 440 (443); vgl. zu diesbezüglichen terminologischen Unklarheiten ferner Frenzel, in: Paal/Pauly, DSGVO, BDSG, Art. 83 DSGVO Rn. 20. 304 Uebele, EuZW 2018, 440 (446). 305 Harbarth, in: FS Bergmann, 243 (243). 301
C. Zusammenfassung in Thesen
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die gesellschafts- und arbeitsrechtlichen Verantwortlichkeiten mehrdimensional an bestimmten Merkmalen oder Fachbereichen – etwa Produktgruppen, Regionen, Funktionen oder Projekten – orientiert werden.306 Die bereits thematisierte Tendenz, Unternehmensgruppen in verschiedensten Rechtgebieten als Einheit anzusehen307, ist nicht grundsätzlich infrage zu stellen, trägt sie doch der ökonomischen Realität Rechnung. Allerdings muss sich auch das Gesellschaftsrecht dieser Sichtweise stellen. Dabei muss weder mit dem Dogma der in ihrer Willensbildung unabhängigen Einzelgesellschaft noch mit dem Grundsatz, dass die Geschäftsleitung einer Gesellschaft an ihren Eigeninteressen auszurichten ist,308 vollständig gebrochen werden. Eine behutsame, die berechtigten Interessen außenstehender Gesellschafter und Gläubiger würdigende Etablierung von Mechanismen zur Gruppenleitung wäre ausreichend, um den Anforderungen anderer Teilrechtsgebiete zu begegnen und zugleich das Konzernrecht zu modernisieren. Hierbei ist ein supranationaler Ansatz zwingend. Jean Nicolas Druey konstatierte bereits im Jahre 1994 treffend: „Ein internationalerer Sachverhalt als der Konzern lässt sich kaum denken. Das Zusammenrücken, das in Europa geschieht, ist längerfristig ohne eine Synthese im Konzernrecht kaum vorstellbar.“309 Nationale Kodifikationen können keine auch nur annähernd so effizienten Mechanismen zur Gruppenorganisation vorhalten wie vergleichbare Regelungen auf europäischer Ebene; allein eine supranationale Herangehensweise ermöglicht es, grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen einem einzigen Konzernrecht zu unterstellen.310 Die Feststellung Peter Hommelhoffs: „In der Gemeinschaft tut Konzernrecht not“311 erweist sich demnach als zeitloser, noch heute Geltung beanspruchender Befund.
C. Zusammenfassung in Thesen 1. Die wirtschaftliche Realität in Deutschland und Europa wird durch grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen geprägt. Die Organisation in einer Unternehmensgruppe bietet eine Reihe wirtschaftlicher Vorteile, namentlich Expansionsmöglichkeiten durch Gründung von Tochtergesellschaften, Zentralisierung des Finanzmanagements, Haftungssegmentierung in einzelnen Tochtergesellschaften sowie Optionen für ein kostengünstiges Größenwachstum. Trotz der aus mannigfaltigen Vorteilen resultierenden, statistisch nachweisbaren Bedeutung der Unternehmensgruppe, orientieren sich die gesellschaftsrechtli306 307 308 309 310 311
Harbarth, in: FS Bergmann, 243 (247 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang auch § 56 IV 2 GwG. Dazu § 5 A. I. Druey, in: Konzernrecht im Ausland, 310 (311). Tholen, Europäisches Konzernrecht, 195. Hommelhoff, ZGR 1992, 121 (134).
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§ 5 Anerkennung des Gruppeninteresses de lege ferenda
chen Organisationsgesetze in Deutschland und zahlreichen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union allein an der unabhängigen Einzelgesellschaft. Hieraus resultiert eine Diskrepanz zwischen Realität und Recht. 2. Soweit Konzernrecht existiert, kann es einerseits als Schutzrecht, das die mit dem Konzernierungsvorgang einhergehenden Gefahren für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger fokussiert, und andererseits als die unternehmerischen Aktivitäten innerhalb der Unternehmensgruppe ordnendes Organisationsrecht ausgestaltet sein. Im geltenden deutschen Konzernrecht stehen schutz- und organisationsrechtliche Zielsetzungen gleichberechtigt nebeneinander. In England und Frankreich dominieren Schutzerwägungen das ohnehin nur fragmentarisch vorhandene Konzernrecht. Auf europäischer Ebene existieren nur wenige Regelungen mit konzernrechtlicher Relevanz; diese nehmen ebenfalls zuvörderst eine schutzrechtliche Position ein. Den Anforderungen an ein modernes Konzernrecht wird durch den gegenwärtigen Regelungsbestand nicht genügt. Ein solches verlangt nach der Schaffung eines supranationalen konzernrechtlichen enabling law. Durch eine Anerkennung des Gruppeninteresses würden Unternehmensgruppen Instrumente zur Strukturierung ihrer grenzüberschreitenden Aktivitäten zur Verfügung gestellt. Der derzeitige, durch – überspitzt formuliert – disabling law geprägte konzernrechtliche status quo würde damit überwunden. 3. Die Erwägungen, die zunächst gegen die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses auf supranationaler Ebene zu sprechen scheinen, sind im Ergebnis nicht stichhaltig. Sowohl die Errichtung von Zweigniederlassungen als auch der Einsatz grenzüberschreitender oder ausländischer Konzerngesellschaften sind mit verschiedenen Nachteilen verbunden. Diese Optionen lassen eine Anerkennung des Gruppeninteresses folglich nicht obsolet werden. Auch rechtstatsächliche Gegebenheiten können nicht ins Feld geführt werden, um die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses zu negieren. Durch die Kodifikation entsprechender Vorschriften würde die bestehende Flexibilität bei der Strukturierung von Unternehmensgruppen nicht eingeschränkt, sondern die Akzeptanz der Unternehmensgruppe als legale und ökonomisch ebenso sinnvolle wie erforderliche Gestaltungsform gesteigert. Durch die Anerkennung des Gruppeninteresses würde der europäische Binnenmarkt gerade auch zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen geöffnet. 4. Für die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses spricht weiterhin die hierdurch bewirkte umfassende Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV. Weiterhin würden Gruppenpraxis und Gruppenrecht miteinander versöhnt; die viel zitierte „Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit“ würde – jedenfalls partiell – geschlossen. Die durch eine Anerkennung des Gruppeninteresses bewirkte Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts würde schließlich ermöglichen, aktuellen Compliance-Anforderungen Rechnung zu tragen. Betrachtet man die Diskussion allein aus einer
C. Zusammenfassung in Thesen
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schutzrechtlichen Perspektive, so spricht ebenfalls viel für die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses: Die Etablierung einheitlicher Leitungsmechanismen würde ein Ausnutzen des zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten existierenden Schutzgefälles fruchtlos werden lassen und damit zugleich die Gefahr eines gesellschafts- und konzernrechtlichen race to the bottom im Keim ersticken. 5. Im Ergebnis ist eine Anerkennung des Gruppeninteresses zu fordern. Die dadurch bewirkte Fortentwicklung des Konzernrechts sorgt dafür, dass das Gesellschaftsrechts mit anderen Teilbereichen des Wirtschaftsrechts Schritt hält. Dabei ist ein supranationaler, bei der Europäischen Union angesiedelter Ansatz zwingend.
§ 6 Die Regelungsperspektiven bezüglich einer supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses Das Plädoyer für eine Anerkennung des Gruppeninteresses führt zur Frage nach der konkreten Ausgestaltung. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel dargelegt, ist die supranationale Verankerung des Instituts eine Prämisse. Marcus Lutter trat bereits im Jahre 1987 dafür ein, bei der Konzeption konzernrechtlicher Regelungsstrukturen einen länderübergreifenden Blickwinkel einzunehmen: „(…) [D]ie Rechtswissenschaft [sollte] versuchen, nicht nur in nationalrechtlichen Kategorien zu denken. Kaum ein Rechtsgebiet ist fu¨ r eine gemein-europa¨ ische Entwicklung durch Wissenschaft eher geeignet als das Konzernrecht; denn der Konzern verwirklicht sich in hohem Maße u¨ ber die Grenzen hinweg; und keine der nationalen Rechtsordnungen hat bereits ein vollsta¨ ndiges System gefunden, in nahezu allen aber finden sich fruchtbare Ansa¨ tze, die durchaus zu einem lus Commune Europae des Konzerns gefu¨ gt werden ko¨ nnten.“1 Das Zitat unterstreicht nicht nur die Diskrepanz zwischen der durch grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen geprägten ökonomischen Realität und der legislatorischen Enthaltsamkeit; es deutet darüber hinaus auch die Fruchtlosigkeit eines Wettbewerbs der nationalen Gesetzgeber2 auf dem Gebiet des Konzernrechts an.
A. Vorüberlegung: Wettbewerb der Gesetzgeber als taugliche Alternative Im Ausgangspunkt steht hinter dem Wettbewerb der Gesetzgeber die Idee, dass sich in Konstellationen, die durch die Existenz konkurrierender rechtlicher Angebote einzelner Gesetzgeber geprägt sind, das „beste“ Recht durchsetzt (race to the top).3 In 1
Lutter, ZGR 1987, 324 (369). Dazu § 3 B. VIII. 2. 3 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 179; vgl. hierzu auch Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545 (547); vgl. in diesem Zusammenhang ferner Kötz, RabelsZ 50 (1986), 1 (12): „Zu den Kosten der Rechtsvereinheitlichung gehört vor allem die Einbuße des Nutzens, den Rechtsvielfalft hat. Denn nur dort, wo Rechtsvielfalt erlaubt ist, bleibt dem parlamentarischen Kräftespiel ,vor Ort‘ die Chance zu eigener rechtspolitischer Gestaltung. Nur dort können sich unterschiedliche Lösungen entwickeln, nur dort können sie miteinander in Wettbewerb treten, und nur dort bilden sich jener Erfahrungsschatz und jene Lösungsvielfalt, deren auch der Einheitsgesetz2
A. Wettbewerb der Gesetzgeber als taugliche Alternative
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gesellschaftsrechtlichen Zusammenhängen droht allerdings die Gefahr eines Delaware-Effekts.4 Mit diesem wird die systematische Deregulierung des Gesellschaftsrechts eines Gliedstaats mit dem Ziel, möglichst viele Gesellschaften anzuziehen, umschrieben.5 Im rechtsökonomischen Schrifttum werden drei Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb der Gesetzgeber genannt: Zunächst müssen die Rechtssubjekte, die spezifische Normen nachfragen, so mobil sein, dass sie die Möglichkeit haben, zwischen verschiedenen gesetzgeberischen Angeboten zu wählen.6 Weiterhin müssen diese Nachfrager die Möglichkeit haben, ihre Entscheidung informiert zu treffen.7 Schließlich ist auf Seiten der Gesetzgeber als Anbieter erforderlich, dass diese Veränderungen in der Akzeptanz ihres Angebots wahrnehmen und interpretieren können, um das Angebot – falls notwendig – entsprechend der Vorstellungen der Nachfrager zu variieren.8 Ausgehend von den Wahlmöglichkeiten der Nachfrager wird zwischen dem direkten und indirekten Wettbewerb der Gesetzgeber differenziert.9 Der direkte Wettbewerb zeichnet sich dadurch aus, dass Rechtsregeln unmittelbar – also unabhängig von einem bestimmten Standort oder Produkt – gewählt werden können.10 Im indirekten Wettbewerb der Gesetzgeber können Rechtsregeln hingegen nur mittelbar, etwa durch die Wahl eines bestimmten Standorts oder Produkts, gewählt werden.11 Liegen die skizzierten Voraussetzungen vor, entfaltet der dadurch bewirkte Wettbewerb der Gesetzgeber unterschiedliche Wirkungen.12 So fördert er zunächst
geber bedarf, wenn eines Tages ein wirkliches Bedürfnis für einheitliches Recht gegeben sein sollte.“ 4 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 179. 5 Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545 (547, 549 ff.). 6 Grundmann, ZGR 2001, 783 (794); Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 11, 57 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 364 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 180. 7 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 11, 60 f.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 180; die Rolle von Informationen im Wettbewerb der Gesetzgeber beleuchtet ferner Grundmann, ZGR 2001, 783 (799 f.). 8 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 11, 61 ff.; Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 375 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 180. 9 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 12 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 180; vgl. ferner Grundmann, ZGR 2001, 783 (794), der zwischen mittelbarer und unmittelbarer Wahlfreiheit unterscheidet. 10 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 14 f.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 181. 11 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 12 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 180 f. 12 Ausführlich Tholen, Europäisches Konzernrecht, 181 ff.
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
die innovative Rechtsentwicklung13 und sorgt für die Möglichkeit einer Befriedigung heterogener Interessen14. Außerdem zeitigt ein Wettbewerb der Gesetzgeber, bei dem diese als Anbieter jederzeit mit der Abwahl ihres institutionellen Arrangements rechnen müssen, wenn jenes nicht den Bedürfnissen der Nachfrager entspricht, kontrollierende Wirkung gegenüber den Gesetzgebern.15 Neben diesen grundsätzlich positiven Wirkungen wohnt einem Wettbewerb der Gesetzgeber – wie bereits angedeutet – allerdings stets die Gefahr einer systematischen Deregulierung inne.16 Gerade im Gesellschaftsrecht, in dem regelmäßig das Management oder ein Mehrheitsaktionär über die Wahl oder Abwahl einer Rechtsordnung entscheidet, steht zu befürchten, dass die Gesetzgeber im Wettbewerb um das attraktivste Gesellschaftsrecht zuvörderst deren Interessen und Bedürfnisse im Blick haben.17 Demgegenüber drohen die Interessen der Minderheitsaktionäre, Gläubiger und Arbeitnehmer vernachlässigt zu werden.18 Vor diesem Hintergrund wird das Erfordernis von Rahmenregeln für den Wettbewerb der Gesetzgeber betont.19 Aus einer konzernrechtlichen Perspektive ist das Vorliegen der Voraussetzungen für einen funktionierenden Wettbewerb der Gesetzgeber zu bezweifeln. Ein direkter Wettbewerb, der durch die Möglichkeit einer freien Wahl der für den Nachfrager interessanten Rechtsregeln charakterisiert wird, existiert schon deshalb nicht, weil die isolierte Wahl eines bestimmten Konzernrechts nicht möglich ist.20 Ähnliches gilt für den indirekten Wettbewerb: Die Wahl eines spezifischen Standorts sorgt nicht für die Anwendbarkeit eines bestimmten konzernrechtlichen Regimes.21 Vor diesem Hintergrund kommt ein funktionierender Wettbewerb der Gesetzgeber auf dem
13 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 32 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 181 f. 14 Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 34 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 181 f. 15 Streit, in: FS Mestmäcker, 521 (524 ff.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 182. 16 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 181 f. 17 Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 376; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 181; allgemein zu diesem Phänomen Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 68: „Wird die Entwicklung der Rechtsordnung von der durch Wahlhandlungen ausgedrückten Präferenz bestimmt, und können nicht alle Rechtsunterworfenen ihre Präferenzen durchsetzen, so besteht die Gefahr, dass nur die Präferenzen einzelner oder einer Gruppe von Individuen (immer besser) erfüllt werden, während die Präferenzen anderer immer weniger Berücksichtigung finden.“ 18 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 181 f. 19 Grundmann, ZGR 2001, 783 (800): „Zurückdrängen von Marktversagen“; Kieninger, Wettbewerb der Privatrechtsordnungen, 32, 65 f., 71 f.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 182; anschaulich Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, 381: „Demnach gehört zu einem effizienten Wettstreit der Gesetzgeber auch ein effizient arbeitender Schiedsrichter, der notfalls korrigierend eingreifen kann.“ 20 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 187. 21 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 193.
B. Europarechtliche Rahmenbedingungen
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Gebiet des Konzernrechts von vornherein nicht in Betracht.22 Dieser Befund unterstreicht die Notwendigkeit, auf der Ebene der Europäischen Union aktiv zu werden und supranationale Regelungsstrukturen zu schaffen.
B. Europarechtliche Rahmenbedingungen Im Rahmen einer Erörterung der europarechtlichen Rahmenbedingungen ist zunächst zu klären, auf welche Kompetenzgrundlage supranationale Regelungen zum Konzernrecht gestützt werden können. Darüber hinaus ist zu ermitteln, ob die Voraussetzungen einer solchen Kompetenzgrundlage für die Anerkennung des Gruppeninteresses erfüllt sind. Schließlich ist die konkrete rechtstechnische Ausgestaltung einer legislatorischen Maßnahme zur Anerkennung des Gruppeninteresses zu diskutieren, wobei Harmonisierungsreichweite und -intensität zu fokussieren sind.
I. Art. 50 II lit. g AEUV Zunächst müssten der Europäischen Union gesetzgeberische Aktivitäten auf dem Gebiet des Konzernrechts gestattet sein. Nach Art. 5 I 1 EUV gilt für die Abgrenzung der Zuständigkeiten der Union der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung. Dies bedeutet konkret, dass „die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig wird, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben“, Art. 5 II 1 EUV. Alle der Union nicht übertragenen Zuständigkeiten verbleiben gemäß Art. 4 I, Art. 5 II 2 EUV bei den Mitgliedstaaten. Für jeden verbindlichen Rechtsakt der Europäischen Union bedarf es also einer ausdrücklichen Kompetenzgrundlage.23 Auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts ist die in Art. 50 II lit. g AEUV verankerte Vorschrift von zentraler Bedeutung.24 Obwohl die Vorschrift keine eigenständige Kompetenzgrundlage enthält, sondern lediglich Handlungsaufträge als Ermessensdirektiven an Parlament, Rat und Kommission richtet, lag die Vorschrift in der Vergangenheit zahlreichen gesellschaftsrechtlichen Rechtsakten zugrunde.25 22 Ausführlich zum Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsgesetzgeber Tholen, Europäisches Konzernrecht, 184 ff.; eingehend zu den Unterschieden zwischen der Ausgangslage in Europa und der US-amerikanischen Situation Merkt, RabelsZ 59 (1995), 545 (554 ff.). 23 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 5 EUV Rn. 9. 24 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 172. 25 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 21; eine Auflistung findet sich bei Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 18 ff. Die Vorschrift erlaubt allerdings lediglich Maßnahmen zur Rechtsangleichung und bietet folglich keine Grundlage für die Schaffung supranationaler Gesellschaftsformen; die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft sowie die Verordnung über das Statut der Europäischen Genossen-
200
§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
Art. 50 II lit. g AEUV fordert Parlament, Rat und Kommission auf, soweit erforderlich die Schutzbestimmungen zu koordinieren, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Art. 54 II AEUV im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten. Die Vorschrift konkretisiert – wie auch die anderen Vorschriften in dem Katalog des Art. 50 II AEUV – den Anwendungsbereich der Kompetenzgrundlage aus Art. 50 I AEUV, wonach Richtlinien „zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit“ erlassen werden können.26 Sofern ihre Voraussetzungen im Zusammenhang mit der supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses erfüllt sind, ist die Vorschrift des Art. 50 II lit. g AEUV eine taugliche Grundlage, um Koordinierungsmaßnahmen zu ergreifen und eine entsprechende Richtlinie zu erlassen.27 1. „Schutzbestimmungen“ In Art. 50 II lit. g AEUV ist von „Schutzbestimmungen“ die Rede, was darauf hindeutet, dass ausschließlich schutzrechtliche Mechanismen auf diesen Handlungsauftrag gestützt werden können. Ein enges Begriffsverständnis würde dazu führen, dass ein organisationsrechtliches, gar dem enabling law zuzuordnendes Institut wie die Anerkennung des Gruppeninteresses nicht unter die Vorschrift subsumiert werden könnte. Da sich im Gesellschaftsrecht indes keine befriedigende Abgrenzung zwischen Schutzbestimmungen und nichtschützenden Vorschriften vornehmen lässt, wird der Terminus weit ausgelegt.28 Neben der Angleichung von Schutzmechanismen können die Mitgliedstaaten auf Grundlage des Art. 50 II lit. g AEUV folglich auch zur Einführung neuer Gestaltungsinstrumente verpflichtet werden.29 Beispielhaft hierfür stehen die im Zusammenhang mit der Konzernrechtsrichtlinie diskutierten und auf Art. 50 II lit. g AEUV gestützten Regelungen über den Vertragskonzern, die primär die organisatorische Freiheit des herrschenden Unternehmens erweitern und nur sekundär dem Schutz von Gesellschaftern und schaft wurden daher ausschließlich auf Art. 352 AEUV gestützt, vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 11. 26 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 4; MüllerGraff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 10. 27 Anders Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 3, 66, die die Kompetenz der Europäischen Union aus Art. 50 II lit. f AEUV herleiten. Der Rückgriff auf diese Vorschrift scheint bereits mit Blick auf die Rechtssetzungspraxis der Europäischen Union, die im Gesellschaftsrecht maßgeblich auf Art. 50 II lit. g AEUV basiert, ungewöhnlich. Außerdem lässt sich festhalten, dass Art. 50 II lit. f AEUV sowohl den Wortlaut als auch die Wertungen des Art. 49 AEUVaufgreift, vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 10. Ein eigenständiger Anwendungsbereich dürfte dieser Vorschrift vor diesem Hintergrund schwerlich verbleiben. 28 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 13; Habersack/ Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 59; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 173; ähnlich Schön, ZHR 160 (1996), 221 (225). 29 Schön, ZHR 160 (1996), 221 (226); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 173.
B. Europarechtliche Rahmenbedingungen
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Gläubigern dienen.30 Letzlich bleibt es den nach Art. 50 AEUV zuständigen Organen der Europäischen Union überlassen, den Begriff „Schutzbestimmung“ im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative zu definieren.31 Gemessen an diesem großzügigen Maßstab sind auch Regelungen im Kontext mit einer Anerkennung des Gruppeninteresses, die zuvörderst Gestaltungsspielräume bei der grenzüberschreitenden Konzernleitung eröffnen sollen, subsumtionsfähig.32 2. „Den Gesellschaften (…) im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben“ Art. 50 II lit. g AEUV setzt weiter voraus, dass es um die Koordinierung von Schutzbestimmungen geht, die Gesellschaften33 in den Mitgliedstaaten im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind. Die Gesellschaften müssen demnach die Adressaten der Vorschriften sein, die koordiniert werden sollen.34 Mit der Etablierung des Instituts der Anerkennung des Gruppeninteresses sollen Konzernleitungsmechanismen innerhalb der Europäischen Union angeglichen werden. Da die Vorgaben zur Konzernleitung Gesellschaften, insbesondere Kapitalgesellschaften, adressieren, ist diese Voraussetzung erfüllt. Fraglich erscheint allerdings, ob derartige Vorschriften auch im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind. Für die Bestimmung desjenigen, der Dritter im Sinne des Art. 50 II lit. g AEUV sein kann, ist maßgeblich, ob er – anders als die Gesellschafter, die sich prinzipiell im Einklang mit den Interessen der Gesellschaft befinden – in einem grundsätzlichen Interessenwiderstreit zu der Gesellschaft stehen kann.35 Dies trifft hauptsächlich auf die Gläubiger der Gesellschaft, aber auch auf potentielle Kapitalanleger zu.36 Sofern in den Mitgliedstaaten konzernrechtliche Vorgaben existieren, fokussieren diese nicht zuletzt die Interessen der Minderheitsgesellschafter und Gläubiger. Im Rahmen der Kodifikation von supranationalen Konzernleitungsmechanismen können diese Vorgaben angeglichen werden. 30
Tholen, Europäisches Konzernrecht, 173 f. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 13; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 174. 32 Vgl. in diesem Zusammenhang auch Teichmann, ZGR 2017, 485 (501), der mit Blick auf die Voraussetzungen des Art. 50 II lit. g AEUV festhält: „Konzernrechtliche Regelungen sind der klassische Fall derartiger Schutzbestimmungen.“ 33 Konkret geht es um Gesellschaften im Sinne des Art. 54 II AEUV. Der dort verwendete Gesellschaftsbegriff ist denkbar weit und erfasst jedenfalls alle Personen- und Kapitalgesellschaften, vgl. Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 54 AEUV Rn. 3; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 174. 34 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 14; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 174. 35 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 15. 36 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 23; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 174. 31
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
3. „Soweit erforderlich“ Nach Art. 50 II lit. g AEUV muss sich eine auf diesen Handlungsauftrag gestützte Maßnahme zur Angleichung des Gesellschaftsrechts als „erforderlich“ erweisen. Während der Bezugspunkt der Erforderlichkeitsprüfung früher umstritten war,37 hat sich mittlerweile die Auffassung durchgesetzt, dass es ausreicht, wenn einem auf Art. 50 II lit. g AEUV gestützten Sekundärrechtsakt Relevanz für die Niederlassungsfreiheit innewohnt.38 Durch eine Angleichung konzernrechtlicher Teilbereiche, namentlich der Konzernleitung, würde eine Aufhebung von Niederlassungshemnissen bewirkt.39 Der durch die Formulierung „soweit erforderlich” angezeigte Bezug zur Niederlassungsfreiheit läge in jedem Fall vor. 4. Rechtsfolge Da im Zusammenhang mit der Anerkennung des Gruppeninteresses alle Voraussetzungen des Art. 50 II lit. g AEUV erfüllt sind, kann die Europäische Union diesbezüglich Maßnahmen zur Koordinierung in die Wege leiten. Mit Koordinierung ist eine Angleichung der Unterschiede zwischen den nationalen Rechtsordnungen gemeint.40 Ähnlich wie bei Art. 114 I AEUV, der den Terminus „Angleichung“ verwendet, ermöglicht Art. 50 II lit. g AEUV dem Unionsgesetzgeber, legislatorische Maßnahmen zur sachbezogenen Annäherung mitgliedstaatlicher Vorschriften an unionsrechtlich vorgegebene Standards, mit denen nationale Rechtsunterschiede und dadurch bewirkte Markteingriffe beseitigt werden sollen, zu ergreifen.41 Die Entscheidung über die Intensität der Angleichung obliegt dem Unionsgesetzgeber. Aus dem Erforderlichkeitskriterium des Art. 50 II lit. g AEUV ergeben sich hierbei keinerlei Restriktionen.42
37 Die Kommission ließ ursprünglich jede Maßnahme zur Koordination genügen; die Literatur vertrat eine restriktive Position und verlangte eine Notwendigkeit des avisierten Sekundärrechtsakts zur Aufhebung von Niederlassungsbeschränkungen, vgl. die ausführliche Darstellung bei Tholen, Europäisches Konzernrecht, 175 f. 38 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 24 („sogenanntes Erfordernis der Niederlassungsrelevanz“); Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 16; ähnlich auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 17; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 61. 39 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 176 hält dies für eine Angleichung des Konzernrechts in toto fest. 40 Forsthoff, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 50 AEUV Rn. 17; Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 24. 41 So die Definition der Angleichung bei Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 22. 42 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 176 f.
B. Europarechtliche Rahmenbedingungen
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II. Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit Nach Art. 5 I 2 EUV gelten für die Ausübung der Zuständigkeiten der Union die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Art. 5 III EUV präzisiert den Subsidiaritätsgrundsatz: „Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend verwirklicht werden können, sondern vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser zu verwirklichen sind.“ Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt gemäß Art. 5 IV EUV, dass „Maßnahmen der Union inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der Ziele der Verträge erforderliche Maß hinaus[gehen]“. Weder dem Subsidiaritäts- noch dem Verhältnismäßigkeitsprinzip kommen im Zusammenhang mit einer auf Art. 50 II lit. g AEUV gestützten Maßnahme zur Rechtsangleichung eigenständige Bedeutung zu.43 Qualifiziert man eine Maßnahme zur Rechtsangleichung als „erforderlich“ im Sinne des Art. 50 II lit. g AEUV, so steht zugleich fest, dass sich das angestrebte Ziel durch koordinierte einzelstaatliche Regelungen nicht mit derselben Effektivität verwirklichen lässt.44 Ähnliches gilt mit Blick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz: Der Gehalt des Art. 5 IV EUV geht nicht über die in Art. 50 II lit. g AEUV postulierte Erforderlichkeitskeitsschranke hinaus.45 In diesem Kontext kann vielmehr eine Aussage Christoph Teichmanns aus dem Jahre 2014 fruchtbar gemacht werden, wonach „Konzernrecht (…) eine zu komplexe Materie [ist], um sich bei der Konzeption grenzüberschreitender Gruppenstrukturen allein auf den Abwehrmaßstab der Niederlassungsfreiheit zu verlassen. Dies ist vielmehr ein Fall, in dem nach der Konzeption des Primärrechts ,zur Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit‘ eine Ergänzung durch Sekundärrecht geboten ist.“46
III. Reichweite und Intensität der Harmonisierung Der Rückgriff auf Art. 50 II lit. g AEUV schränkt die rechtstechnischen Auswahlmöglichkeiten ein, da diese Vorschrift die Kompetenzgrundlage des Art. 50 I AEUV, die ihrerseits ausschließlich von Richtlinien spricht, konkretisiert. Vor diesem Hintergrund können weder Verordnungen noch Beschlüsse auf Grund-
43
Schön, ZHR 160 (1996), 221 (229 f.); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 177 f.; ausschließlich für den Subsidiaritätsgrundsatz Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 62. 44 Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 3 Rn. 62. 45 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 178.; Schön, ZHR 160 (1996), 221 (230). 46 Teichmann, ZGR 2014, 45 (70).
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
lage des Art. 50 AEUV erlassen werden.47 Etwas anderes soll aufgrund eines ErstRecht-Schlusses für Empfehlungen und Stellungnahmen gelten.48 Geht man davon aus, dass Empfehlungen und Stellungnahmen dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung aus Art. 5 I 1, II EUV unterliegen,49 können diese auf Basis des Art. 50 AEUV erlassen werden.50 Sofern sich die Wissenschaftlerkollektive in ihren Vorschlägen zur rechtstechnischen Ausgestaltung äußern, machen sie sich teils für eine Verwirklichung einer Anerkennung des Gruppeninteresses mittels Richtlinie, teils für die Handlungsform der Empfehlung stark.51 Die Forderungen bewegen sich also grundsätzlich innerhalb des durch europarechtliche Vorgaben abgesteckten Rahmens. Richtlinien und Empfehlungen unterscheiden sich im Hinblick auf ihren Wirkungsgrad fundamental: Während eine Richtlinie gemäß Art. 288 III AEUV für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich ist, entfalten Empfehlungen nach Art. 288 V AEUV keinerlei verbindliche Wirkung. Zwar sind Empfehlungen rechtlich nicht bedeutungslos und können Rechtswirkung beispielsweise insofern erzeugen, als nationale Gerichte Empfehlungen dann bei Entscheidungen über bei ihnen anhängige Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen haben, wenn die Empfehlung Aufschluss über die Auslegung nationaler oder unionsrechtlicher Bestimmungen gibt;52 allerdings wurde bereits an anderer Stelle dargelegt, dass die Etablierung supranationaler Konzernleitungsmechanismen unter Rückgriff auf eine unverbindliche Empfehlung nicht gelingen kann.53 Ruft man sich das Scheitern der Maßnahmen zur umfassenden konzernrechtlichen Harmonisierung, die ab 1974 durch die Europäische Kommission initiiert wurden, in Erinnerung, so könnte man darüber hinaus auch die Durchsetzung konzernrechtlicher Reformen mittels Richtlinie als wenig Erfolg versprechend 47
Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 9. Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 9. 49 So die herrschende Meinung, vgl. Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 288 AEUV Rn. 200; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 97; Schroeder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 288 AEUV Rn. 129, 132. 50 Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 50 AEUV Rn. 9. 51 Dazu § 3 B. I. – VIII. 52 EuGH, 13. 12. 1989 – C-322/88, Grimaldi/Fonds des maladies professionelles; vgl. zur rechtlichen Relevanz von Empfehlungen ferner Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 288 AEUV Rn. 206. 53 Dazu § 3 B. III. 3.; vgl. in diesem Zusammenhang auch Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (298): „Was sollte namentlich jene Mitgliedstaaten, die einer unionsrechtlichen Gruppenorganisation im Ministerrat widersprechen würden, dazu bringen, eine parallele Kommissionsempfehlung in ihr nationales Recht zu überführen? Das Ergebnis wäre ein bunter Teppich unterschiedlicher Regelungen im Binnenmarkt und damit die Aufgabe des Konzepts individuell-einheitlicher Gruppenorganisation in Europa“; vgl. außerdem Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (662), der darauf hinweist, dass eine Empfehlung keine Einpassung der Anerkennung des Gruppeninteresses in das unionale Regelungsumfeld leisten könnte; vgl. hierzu schließlich Schön, ZGR 2019, 343 (376 f.). 48
B. Europarechtliche Rahmenbedingungen
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qualifizieren.54 Diesen Befund könnte man mit dem tiefgreifenden Einfluss supranationaler konzernrechtlicher Regelungen auf Kerngebiete des nationalen Gesellschaftsrechts und den daraus resultierenden Akzeptanzproblemen auf mitgliedstaatlicher Ebene begründen.55 Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, im konzernrechtlichen Kontext auf das Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit zurückzugreifen.56 Die Verstärkte Zusammenarbeit ist in Art. 20 EUV sowie in Art. 326 ff. AEUV normativ verankert. Sie kann stattfinden, wenn sich mindestens neun Mitgliedstaaten bereitfinden, europäisches Sekundärrecht zu verabschieden, an das zunächst nur die teilnehmenden Mitgliedstaaten gebunden sind, wobei sich andere Mitgliedstaaten jederzeit anschließen können.57 Gemäß Art. 329 AEUV bedarf die Einleitung eines Verfahrens zur Verstärkten Zusammenarbeit der Zustimmung von Kommission, Rat und Parlament. Vor einer Bewertung der Eignung der unterschiedlichen rechtstechnischen Mechanismen ist zunächst die hinter einer supranationalen Anerkennung des Gruppeninteresses stehende Zielsetzung zu rekapitulieren: Mit der Etablierung dieses Instituts soll die Leitung von Unternehmensgruppen – insbesondere in grenzüberschreitenden Konstellationen – erleichtert werden. Eine derartige Erleichterung kann freilich nur gelingen, wenn die im Zusammenhang mit der Anerkennung des Gruppeninteresses diskutierten konzernrechtlichen Instrumente auf supranationaler Ebene kodifiziert werden. Die Einführung eines europaweit einsetzbaren Konzernbausteins kommt allenfalls als flankierende Regelung in Betracht. Der Rückgriff auf das Verfahren zur Verstärkten Zusammenarbeit erscheint aber ausschließlich für die Einführung eines solchen Konzernbausteins sinnvoll. Denn die an einer Verstärkten Zusammenarbeit beteiligten Mitgliedstaaten könnten den Konzernbaustein nach dem Prinzip der Gegenseitigkeit jeweils nur für den Einsatz durch ihre eigenen Gesellschaften und auf ihrem eigenen Territorium vorsehen.58 Eine derart behutsame Einführung einer als Konzernbaustein verwendbaren neuen Gesellschaftsform würde den Mitgliedstaaten, die sich an der Verstärkten Zusammenarbeit nicht beteiligen, einerseits die Sorge nehmen, dass ihr nationales Recht tangiert werden könnte und andererseits einen Anreiz schaffen, sich dem Verfahren zu einem späteren Zeitpunkt anzuschließen.59 Um die im Kontext mit der Anerkennung des Gruppeninteresses diskutierten Mechanismen für eine rechtssicher ausgestaltete, zugleich aber flexibilisierte Konzernleitung wirkungsvoll zu implementieren, ist aber eine Richtlinie das Mittel
54
In diese Richtung Teichmann, ZGR 2017, 485 (503 f.). So Teichmann, ZGR 2017, 485 (503). 56 Teichmann, ZGR 2017, 485 (502 ff.). 57 Teichmann, ZGR 2017, 485 (502); ausführlich zu den Voraussetzungen Thomale, ZEuP 2015, 517 (522 f.). 58 Teichmann, ZGR 2017, 485 (503). 59 Teichmann, ZGR 2017, 485 (503). 55
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
der Wahl.60 Damit einer Richtlinie, die eine Anerkennung des Gruppeninteresses vorsieht, nicht ein vergleichbares Schicksal blüht wie den konzernrechtlichen Vorschlägen der Europäischen Kommission aus den Jahren 1974 und 1975 sowie 1984, die jeweils nicht über das Entwurfsstadium hinauskamen, muss sorgfältig geprüft werden, wie weitreichend und intensiv die durch eine solche Richtlinie bewirkte Harmonisierung ausgestaltet sein muss.61 Mit Harmonisierungsreichweite wird der Umfang einer Harmonisierungsmaßnahme umschrieben.62 Hierbei ist zwischen einer Regelung von Einzelaspekten sowie der Konzeption einer auf umfassende Angleichung der jeweiligen Rechtsmaterie gerichteten Gesamtkodifikation zu differenzieren.63 Mit Blick auf das Konzernrecht im Allgemeinen erscheint allein eine auf Einzelaspekte konzentrierte Angleichung erstrebenswert.64 Diese Auffassung wird von sämtlichen Wissenschaftlerkollektiven, die seit 1998 Vorschläge von konzernrechtlicher Relevanz vorgebracht haben, geteilt. Kernbereichsharmonisierung statt Vollharmonisierung lautet seit der Veröffentlichung des Aktionsplans aus dem Jahre 2003 auch die Leitmaxime der Europäischen Kommission.65 Eine supranationale Kodifikation von Konzernleitungsmechanismen im Rahmen der Anerkennung des Gruppeninteresses trägt dieser Maßgabe Rechnung, da sie sich auf auf spezifische Bereiche des Konzernrechts konzentriert. Die thematische Konzentration auf die Konzernleitung darf selbstverständlich nicht dazu führen, dass Regelungen zum Schutz der in Gruppensachverhalten besonders gefährdeten Akteure vernachlässigt werden.66 Ein supranationaler Rechtsakt zur Erleichterung der Konzernleitung muss daher auch den 60 Vgl. zum Verhältnis zwischen einer richtlinienbasierten Harmonisierung und der Verstärkten Zusammenarbeit Thomale, ZEuP 2015, 517 (543), der Bezug nehmend auf den mittlerweile zurückgenommenen Vorschlag für eine Richtlinie u¨ ber Gesellschaften mit beschra¨ nkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter die Handlungsform der Richtlinie „als schonende, internationale Vermittlung von Einheit und Verschiedenheit“ bezeichnet. 61 Vgl. in diesem Zusammenhang Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (68): „Bei der Anerkennung des Gruppeninteresses (…) liegen die Schwierigkeitenin erster Linie in der andauernden (Ab)Scheu vieler Akteure im europäischen Gesetz- und Regelgebungsverfahren vor einer Revitalisierung der 9. Konzernrechts-Richtlinie (…).“ 62 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 197. 63 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 197; vgl. dazu auch Tietje, in: Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Recht der EU, Art. 114 AEUV Rn. 36, der im Zusammenhang mit Art. 114 AEUV darauf hinweist, dass eine Rechtsangleichungsmaßnahme von vornherein auf einzelne Aspekte begrenzt ist, da die Europäische Union im Rahmen der Rechtsangleichung keine Gesamtkodifikation anstrebt bzw. anstreben kann. 64 Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 44 („Teilregelung“); Tholen, Europäisches Konzernrecht, 197. 65 Vgl. dazu Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, § 4 Rn. 17; Hopt, ZHR 171 (2007), 199 (201) (Aktionsplan als „Programmschrift für die Kernbereichsharmonisierung“). 66 Lieder, The Journal of Comparative Private Law of the Korean Association of Comparative Private Law 23 (2016), 1271 (1305); ähnlich auch Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (291 f.) („mit der schlichten, also voraussetzungslosen, Anerkennung des Gruppeninteresses ist es nicht getan“).
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konzernspezifischen Risiken, die bereits in der Einleitung dieser Arbeit angeklungen sind,67 Rechnung tragen. Im Hinblick auf die Harmonisierungsintensität – also dem Verhältnis zwischen Unionsgesetzgebung und mitgliedstaatlichen Handlungsspielräumen – kann grundsätzlich zwischen zwei verschiedenen Methoden, nämlich der vollständigen und der teilweisen Harmonisierung, unterschieden werden.68 Die teilweise Harmonisierung wird darüber hinaus noch in optionelle und fakultative Harmonisierung sowie Mindestharmonisierung unterteilt.69 Eine vollständige Harmonisierung zeichnet sich dadurch aus, dass für die Mitgliedstaaten innerhalb des jeweiligen Regelungsbereichs kein Spielraum mehr für die Schaffung oder Beibehaltung abweichender Regelungen besteht.70 Hiervon sind die unterschiedlichen Formen der Teilharmonisierung zu unterscheiden, denen gemein ist, dass sie Abweichungen von den Vorgaben des unionalen Rechtsakts zulassen.71 Gegen eine Maßnahme, die für eine lediglich partielle Harmonisierung sorgt, ist einzuwenden, dass sie bestehende rechtliche Unsicherheiten nicht beseitigt.72 So würde etwa eine Maßnahme zur Mindestharmonisierung den Fortbestand der unterschiedlichen mitgliedstaatlichen Regelungen ermöglichen, sofern diese den durch eine entsprechende Richtlinie gesetzten Mindeststandard nicht unterschreiten.73 Nur eine Maßnahme zur vollständigen Harmonisierung schafft die Voraussetzungen dafür, dass grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen einem einheitlichen Konzernrecht unterstellt und dadurch effizient organisiert werden können.74
IV. Zwischenergebnis Die europarechtlichen Vorgaben bilden einen tauglichen Rahmen für eine Kodifikation der Anerkennung des Gruppeninteresses. Bei der Umsetzung dieses Gesetzgebungsprojekts bietet sich ein Rückgriff auf das Instrument der Richtlinie an. Ein derartiger, auf Art. 50 II lit. g AEUV fußender Rechtsakt sollte sich grund67
Dazu § 1. Tholen, Europäisches Konzernrecht, 197 f.; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 114 AEUV Rn. 38. 69 Ausführlich Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 48 ff.; ähnlich auch Korte, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 29 ff., der – terminologisch leicht abweichend – zwischen optioneller und fakultativer Angleichung sowie der Mindestangleichung differenziert. 70 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 46; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 198; Tietje, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 114 AEUV Rn. 39. 71 Schröder, in: Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 48. 72 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 198. 73 Für das Konzernrecht im Allgemeinen Tholen, Europäisches Konzernrecht, 198. 74 Tholen, Europäisches Konzernrecht, 198; implizit auch Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (299). 68
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
sätzlich auf die Angleichung von Konzernleitungsmechanismen konzentrieren, mithin eine Maßnahme zur Kernbereichsharmonisierung darstellen. Um dem Anliegen einer Optimierung der Leitung grenzüberschreitend aktiver Unternehmensgruppen zu entsprechen, ist eine vollständig harmonisierende Richtlinie anzustreben.75 Die hierdurch bewirkte Reduzierung mitgliedstaatlicher Handlungsspielräume stellt einen hohen Wirkungsgrad des Rechtsakts sicher.
C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses Wer Erwägungen zur konzeptionellen Ausgestaltung einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses anstellt, kommt an den durch verschiedene Wissenschaftlerkollektive erarbeiteten Regelungsvorschlägen nicht vorbei. Besonders instruktiv – dies wurde bereits an anderer Stelle herausgestellt76 – sind die konzernrechtlichen Ideen des Forum Europaeum on Company Groups sowie der EMCA Group, die die Grundlage der nachfolgenden Konzeptionierung bilden. In diesem Zusammenhang wird zwischen den beiden für die Konzernleitung bedeutsamen Ebenen differenziert und die konzeptionelle Ausgestaltung eines Weisungsrechts der Muttergesellschaft einerseits sowie einer Berücksichtigungsmöglichkeit des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften andererseits reflektiert. Außerdem erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Notwendigkeit einer Einführung flankierender Regelungen.
I. Weisungsrecht der Muttergesellschaft Zwar wurde im Rahmen dieser Untersuchung bereits die Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses in toto betont;77 die Konzeptionierung konkreter Konzernleitungsmechanismen, insbesondere eines Weisungsrechts der Muttergesellschaft, verlangt darüber hinaus aber nach einer substantiierten Herleitung. 1. Herleitung Einer durch die Anerkennung des Gruppeninteresses bewirkten Einführung eines konzernspezifischen Weisungsrechts bedarf es nur, wenn keine alternativen Me-
75 76 77
Im Ergebnis ebenso Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (299). Dazu § 3 IX. Dazu § 5.
C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie
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chanismen existieren, die eine ebenso rechtssichere wie flexible Leitung im grenzüberschreitenden Kontext ermöglichen.78 Die Eignung der Personalschiene – also der Einflussnahme der Muttergesellschaft über ihre Personalkompetenz79 – als gleichwertiger Leitungsmechanismus wurde schon im Rahmen der Würdigung des Regelungsvorschlags des Forum Europaeum on Company Groups negiert.80 An dieser Stelle sei nochmals festgehalten, dass die Personalschiene im Gegensatz zu einem normativ verankerten Weisungsrecht intransparent und schwer kontrollierbar ist, ein derartiges Weisungsrecht mithin nicht obsolet werden lässt.81 Mit der Einflussnahme über die Personalschiene wesensverwandt ist die Herstellung personeller Verflechtungen innerhalb einer Unternehmensgruppe durch Doppelmandate, vor allem auf Ebene der operativen Leitung.82 Hierzulande wird dieses Thema unter dem Stichwort „Vorstandsdoppelmandate“ vor allem für das Aktienrecht diskutiert.83 Dabei kann zwischen Konstellationen, in denen Vorstandsvorsitzende der Tochtergesellschaften auch im Vorstand der Mutter vertreten sind, sowie jenen, in denen Vorstandsmitglieder der Obergesellschaft zugleich ein Mandat als Tochtervorstand wahrnehmen, differenziert werden.84 Beide Varianten – sowohl die Doppelmandatschaft „von unten nach oben“ als auch jene „von oben nach unten“ – werden in der Praxis zur Erleichterung der Konzernleitung genutzt.85 Hinsichtlich ihrer generellen aktienrechtlichen Zulässigkeit bestehen keine Bedenken, sofern die nach § 88 I 2 AktG erforderliche Einwilligung des Aufsichtsrats
78 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 172. Die Darstellung konzentriert sich hierbei auf das deutsche Recht. Wenn es bereits hier an tauglichen alternativen Leitungsmechanismen fehlt, erscheint die rechtssichere Leitung von Unternehmensgruppen im grenzüberschreitenden Kontext von vornherein ausgeschlossen. 79 Paradigmatisch hierfür steht die Möglichkeit einer Abberufung des Geschäftsführers einer GmbH, die gemäß § 38 I, 46 Nr. 5 GmbHG jederzeit und ohne Angabe von Gründen möglich ist; anschaulich hierzu Liebscher, in: MünchKommGmbHG, Anhang § 13 Rn. 109: „Denn die Erfahrung lehrt, dass die Möglichkeit zur Berufung und Abberufung der Geschäftsführungsorgane ein probates Herrschaftsmittel ist, denn: ,Wes Brot ich fress, des Lied ich sing‘.“ 80 Dazu § 3 B. IV. 3. 81 Ebenso Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 175. 82 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 176; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 2; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 151. 83 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 95 ff.; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 2; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 105; E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (346) weist auf die weite Verbreitung derartiger Doppelmandate in der Versicherungswirtschaft hin. 84 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 95 f.; Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 176; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 105. 85 Zu den unterschiedlichen Einsatzfeldern Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 95 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 105.
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
vorliegt.86 Trotz der rechtspraktischen Bedeutung und der grundsätzlichen Zulässigkeit ist festzuhalten, dass Vorstandsdoppelmandate Konfliktpotenzial in sich bergen, da der betroffene Vorstand den Interessen zweier Gesellschaften verpflichtet ist.87 Um diesem Problem in Konfliktsituationen Herr zu werden, rekurriert die herrschende Meinung auf in der Rechtsprechung – zunächst zu Aufsichtsratsdoppelmandaten – entwickelte Grundsätze:88 Demnach hat der Doppelmandatsträger bei seiner Entscheidung stets die Interessen desjenigen Pflichtenkreises zu berücksichtigen, in dem er gerade tätig ist.89 Liegen dauerhafte und intensive Interessenkonflikte vor, ist der Betroffene verpflichtet, eines der Mandate niederzulegen.90 Vor diesem Hintergrund sind die Möglichkeiten einer Einflussnahme durch Vorstandsdoppelmandate erheblichen Einschränkungen ausgesetzt.91 Die rechtssichere Leitung einer Unternehmensgruppe kann durch den Einsatz von Vorstandsdoppelmandaten nicht gewährleistet werden.92 Ähnliches gilt für die Möglichkeit einer Einflussnahme durch eine Anstellung bei der Muttergesellschaft. Hierbei handelt es sich um eine Konstellation der Drittanstellung, die sich grundsätzlich dadurch auszeichnet, dass das Anstellungsverhältnis mit einer anderen Gesellschaft als der Gesellschaft, deren Geschäftsleitung die Person angehört, besteht.93 Weil der Leiter einer Tochtergesellschaft bei einer derartigen Anstellung nicht nur seine Abberufung, sondern auch seine Kündigung fürchten muss, wenn er den Direktiven der Konzernspitze nicht folgt, ermöglicht der Rückgriff auf diese Figur eine weitreichende Einflussnahme der Mutter- auf die Tochtergesellschaft.94 Die Figur der Drittanstellung steht aber in der Kritik, weil sie 86 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 95 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 106; Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 54; Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 53; aus der Rechtsprechung: BGHZ 180, 105 (110, Rz. 14). 87 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 177 f.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 107; vgl. hierzu auch die Einlassung der Reflection Group on the future of EU Company Law, Report, 73: „In fact, the organisation of a group often leads to the practice consisting in a same person sitting on the boards of directors (or others boards) of several interconnected companies: such interlocks allow a better cohesion and coordination of group management but they may also increase the risk for conflicts of interests.“ 88 BGHZ 36, 296 (306); BGH, NJW 1980, 1629 (1629 f.); explizit zu Vorstandsdoppelmandaten aber BGHZ 180, 105 (111, Rz. 16), wo es unter anderem heißt: „Allerdings ergibt sich aus dieser Konstellation trotz der mit Vorstandsdoppelmandaten verbundenen Einflussmöglichkeiten des herrschenden Unternehmens und des mit dem gleichzeitigen Einsatz bei zwei Gesellschaften verbundenen Loyalitätskonflikts, der im Konzernverbund eine besondere Zuspitzung erfährt, kein ,Freibrief‘ zugunsten der Konzernspitze.“ 89 Altmeppen, in: MünchKommAktG, § 311 Rn. 99.; Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 107; Hüffer/Koch, AktG, § 76 Rn. 54; Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 54. 90 Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 76 Rn. 110; Hoffmann-Becking, ZHR 150 (1986), 570 (577); Spindler, in: MünchKommAktG, § 76 Rn. 57. 91 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 180. 92 Ebenso Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 180 f. 93 E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (346). 94 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 175.
C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie
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auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft erhebliche Loyalitätskonflikte hervorrufen kann.95 Außerdem ist ihre aktienrechtliche Zulässigkeit96 heftig umstritten.97 Die Möglichkeit einer Anstellung der Geschäftsleiter einer Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft ist folglich ebenfalls mit schwerwiegenden rechtlichen Unsicherheiten behaftet und konstituiert im Ergebnis keinen brauchbaren alternativen Leitungsmechanismus.98 „Kamingespräche“, in denen der Geschäftsleitung einer Tochtergesellschaft klar gemacht wird, welche Entscheidungen von ihr erwartet werden,99 stellen ebensowenig eine taugliche Alternative für ein konzernspezifisches Weisungsrecht dar wie die Einrichtung von Gesprächskreisen, gemeinsamen Ausschüssen und Komitees innerhalb einer Unternehmensgruppe.100 Derartige Arten der Einflussnahme leiden nicht nur an ihrer fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit;101 sie sorgen darüber hinaus – ähnlich wie die Einflussnahme über die Personalschiene – für einen Mangel an Transparenz und Kontrolle. Die Methode, die Geschäftsleitung einer Tochtergesellschaft finanziell auf die Interessen der Muttergesellschaft auszurichten, indem man sie an deren wirtschaftlichem Erfolg beteiligt, hat in jüngerer Zeit einen Bedeutungszuwachs erfahren.102 Eine derartige Konstruktion provoziert indes gravierende Interessenkonflikte auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft.103 Sie schafft Anreize, die die Gefahren für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger einer Tochtergesellschaft verschärfen.104 Außerdem ist wiederum die fehlende rechtliche Verbindlichkeit zu bemängeln: Ein zugunsten des Managements der Tochtergesellschaft konzipiertes Beteiligungsprogramm mag die Motivation steigern, den Erfolg der Muttergesellschaft zu fördern; eine rechtssicherer Mechanismus zur Konzernleitung wird hierdurch allerdings nicht geschaffen.105 95
Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 175; E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (346). Die Zulässigkeit der Drittanstellung eines GmbH-Geschäftsführers wird demgegenüber bejaht, vgl. nur BGH, NJW 1985, 585 (585). 97 Vgl. nur Hüffer/Koch, AktG, § 84 Rn. 17 m.w.N. zu den unterschiedlichen Auffassungen. 98 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 176. 99 Dazu Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 2. 100 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 181 ff. 101 Für „Kamingespräche“ ebenso Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 181. Im Hinblick auf die Einrichtung von Gesprächskreisen, gemeinsamen Ausschüssen und Komitees hält sie überzeugend fest, dass sich „[e]ine effektive Konzernführung (…) wegen des hierbei bestehenden starken Widerstandspotentials der Tochtergeschäftsleiter (…) nicht erzielen“ lässt, vgl. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 183. 102 Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 2; zur Konzernführung durch Motivation auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 181 f. 103 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 182; Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 31 Rn. 3; E. Vetter, ZHR 171 (2007), 342 (346). 104 Ähnlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 182. 105 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 182. 96
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
Ein ähnlicher Befund lässt sich schließlich für Konzernrichtlinien und Controlling-Maßnahmen innerhalb der Unternehmensgruppe festhalten.106 Konzernrichtlinien postulieren zwar abstrakte Grundsätze sowie Vorgaben und erleichtern damit die allgemeine Koordinierung der Gruppengesellschaft; solche Richtlinien sind aber nicht rechtsverbindlich und lassen ein konzernspezifisches Weisungsrecht als Konzernleitungsinstrument nicht entbehrlich werden.107 Das Konzern-Controlling ist lediglich in der Lage, Handlungsbedarf für die Muttergesellschaft aufzuzeigen, nicht jedoch, eine effektive Konzernleitung sicherzustellen.108 Die vorstehende Analyse zeigt, dass in Deutschland – außerhalb des Vertragskonzernrechts – kein Mechanismus existiert, der die Leitung einer Unternehmensgruppe auf eine rechtssichere und zugleich flexible Weise ermöglicht und damit eine brauchbare Alternative für ein normativ verankertes Weisungsrecht darstellt.109 Die Notwendigkeit der Einführung eines konzernspezifischen Weisungsrechts – dies wurde an anderer Stelle bereits angedeutet110 – lässt sich überdies auf die Zielsetzungen des Konzernrechts stützen: Begreift man das Konzernrecht als enabling law, so ist die Bereitstellung eines rechtssicheren Rahmens zur Leitung grenzüberschreitend agierender Unternehmensgruppen geboten. Ein Weisungsrecht stellt sich als notwendiger Bestandteil eines derartigen Rechtsrahmens dar. Denn derzeit ist die Rechtslage in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union undurchsichtig; die Einflussnahme einer Muttergesellschaft durch Weisungen kann regelmäßig eine zivil-, teils gar eine strafrechtliche Haftung begründen.111 Auch in schutzrechtlicher Hinsicht bringt die Einführung eines Weisungsrechts Vorteile mit sich: Durch sie würde die Einflussnahme der Muttergesellschaft kanalisiert und von spezifischen Anforderungen abhängig gemacht, weshalb gleichsam reflexartig ein Schutz der in Gruppensachverhalten gefährdeten Personengruppen gewährleistet würde.112 2. Konkrete Ausgestaltung In Ansehung der in der Herleitung vorgebrachten Argumente wird hier für die Einführung eines Weisungsrechts der Muttergesellschaft gegenüber ihren Tochtergesellschaften im Rahmen einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses plädiert. 106 107 108 109
173 ff. 110
Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 183 ff. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 184. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 185. Ähnliches gilt für England und Italien, vgl. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung,
Dazu § 5 A. III., 162 f. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 186; Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (290); vgl. zu den Interessen der Konzernmuttergesellschaften auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 48 f. 112 Ähnlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 187. 111
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a) Formulierungsvorschlag Bei der Konzeptionierung des Richtlinienwortlauts wäre eine Orientierung an Sec. 15.09 des EMCA sinnvoll, weshalb eine Regelung folgendermaßen lauten sollte: „Art. 1 Weisungsrecht der Muttergesellschaft (1) Eine Muttergesellschaft hat das Recht, der Geschäftsleitung ihrer Tochtergesellschaften Weisungen zu erteilen. Eine Tochtergesellschaft kann von jeder Muttergesellschaft, einschließlich einer ausländischen Muttergesellschaft, Weisungen erhalten. (2) Die Geschäftsleitung hat die Weisungen der Muttergesellschaft vorbehaltlich abweichender Bestimmungen zu befolgen. (3) Adressaten der Weisungen sind ausschließlich die durch die Muttergesellschaft bestellten Mitglieder der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft. (4) Nicht hundertprozentige Tochtergesellschaften sind verpflichtet, Transparenz hinsichtlich ihrer Weisungsgebundenheit herzustellen. Hundertprozentige Tochtergesellschaften sind verpflichtet, Transparenz hinsichtlich ihres Status herzustellen. Die Weisungsgebundenheit wird im Falle hundertprozentiger Tochtergesellschaften widerleglich vermutet.“
b) Begründung Im ersten Absatz des Formulierungsvorschlags wird ein – auch und gerade im grenzüberschreitenden Kontext eingreifendes – Weisungsrecht der Muttergesellschaft statuiert; im zweiten Absatz findet sich eine mit diesem korrespondierende Folgepflicht. Der Begriff der Weisung sollte – ähnlich wie im deutschen Vertragskonzernrecht – weit verstanden werden.113 Das durch die EMCA Group entwickelte Weisungsrecht besticht aufgrund seiner Schlichtheit, die die Handhabbarkeit erhöht. So greift das Weisungsrecht unabhängig von der Art der Konzernierung und kann – jedenfalls im Ausgangspunkt – dazu genutzt werden, sämtliche Tochtergesellschaften unter die Leitung der Muttergesellschaft zu stellen. Dass ein derart umfassender Leitungsmechanismus durch Regelungen, die die Gläubiger und Minderheitsgesellschafter der Tochtergesellschaft schützen, eingehegt werden muss, versteht sich von selbst. Art. 1 IV des Formulierungsvorschlags enthält vor diesem Hintergrund einige durch Sec. 15.09 IV des EMCA inspirierte Vorgaben zur Herstellung von Transparenz bezüglich der Weisungsgebundenheit der Tochtergesellschaften.114 Anders als die Vorbildregelung im EMCA lässt der Formulierungsvor113
Dazu § 4 A. I. 1. a); vgl. in diesem Zusammenhang auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/ Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 70 ff., die im Rahmen des von ihnen entworfenen Regelungskonzepts nicht von Weisungen, sondern von Leitungsentscheidungen sprechen. 114 Vgl. zu der Transparenzregelung in Sec. 15.09 IV des EMCA die Ausführungen bei J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (83 f.). Ähnliche Regelungen schlägt auch das Forum Euro-
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schlag offen, ob die Transparenz durch Bekanntmachung im Handelsregister oder über alternative Kanäle, die die maßgeblichen Informationen über die Weisungsgebundenheit einem breiten Publikum zugänglich machen, hergestellt wird.115 Die Regelung zur Herstellung von Transparenz genügt dem Schutzbedürfnis der durch die Integration in eine Unternehmensgruppe gefährdeten Personengruppen freilich nicht; vielmehr sind hierfür weitere Einschränkungen des Weisungsrechts notwendig. Diese sollen aber in separaten Regelungen verankert werden. Die in Art. 1 III des Formulierungsvorschlags vorgesehene Begrenzung des Adressatenkreises ist an die – deutlich detaillierteren – Vorgaben in Sec. 15.09 IV des EMCA angelehnt.116 Eine solche Regelung trägt dem Umstand Rechnung, dass die Muttergesellschaft in ihren Tochtergesellschaften regelmäßig nicht sämtliche Geschäftsleiter bestellen kann.117 Das Weisungsrecht darf aber nur gegenüber denjenigen Geschäftsleitern, die durch die Muttergesellschaft bestellt wurden, ausgeübt werden, um zwingende gesetzliche Vorgaben zur Zusammensetzung der Geschäftsleitung oder durch Minderheitsgesellschafter ausgehandelte Zugriffsrechte nicht zu konterkarieren.118
II. Möglichkeiten einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften Zwischen der Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft und der Ausgestaltung des Weisungsrechts der Muttergesellschaft besteht ein enger Zusammenhang: Wo Weisungen durch die Muttergesellschaft erteilt werden, werden die Handlungsspielräume der Geschäftsleiter der Tochtergesellschaft eingeschränkt und deren grundsätzlich am Gesellschaftsinteresse ausgerichtete Pflichten überlagert. Über die Reichweite der mit dem Weisungsrecht korrespondierenden Folgepflicht lässt sich paeum on Company Groups vor. Dort wird verlangt, dass Servicegesellschaften ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Unternehmensgruppe sowie ihre konkrete Unterstützungsfunktion offenlegen, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); diesem Ansatz – unter Einbeziehung von Wertungen des italienischen Rechts – folgend Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 115 f. 115 Das Forum Europaeum on Company Groups regt – mit Blick auf Servicegesellschaften – eine Offenlegung in der Geschäftskorrespondenz an, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); dazu auch Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (67 f.). 116 Dort werden die Mitglieder, die nicht an ein durch die Muttergesellschaft ausgeübtes Weisungsrecht gebunden sind, explizit benannt. Eine derartige Auflistung sorgt allerdings für eine Überfrachtung der Regelung zum Weisungsrecht; kritisch zur Legislativtechnik auch J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (84). 117 Conac, ECFR 2016, 301 (311); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 188 f.; vgl. dazu ferner Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 35. 118 Conac, ECFR 2016, 301 (311); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 188 f.
C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie
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steuern, ob, und falls ja, in welchem Umfang das Gruppeninteresse durch die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft berücksichtigt werden kann. Der Auseinandersetzung mit der konzeptionellen Ausgestaltung einer entsprechenden Regelung muss aber eine Herleitung derselben vorangehen. 1. Herleitung Orientiert sich die Geschäftsleitung einer Tochtergesellschaft nicht an dem Interesse der Gesellschaft, der sie vorsteht, sondern an den Interessen der Unternehmensgruppe, so drohen ihr zivil- oder strafrechtliche Sanktionen.119 Da die Tatbestandsvoraussetzungen der Sanktionsnormen zumeist unscharf formuliert und dem Ermessen nationaler Gerichte überlassen sind, wird die bestehende Rechtsunsicherheit potenziert.120 Auch aus Sicht der Muttergesellschaft erscheint eine konzernspezifische Konkretisierung der Geschäftsleiterpflichten lohnenswert, da sie das Weisungsrecht sinnvoll ergänzt und Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit abbaut.121 Eine Regelung, die die Möglichkeit einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses durch Geschäftsleiter von Tochtergesellschaften vorsehen würde, wäre hinsichtlich ihrer Wirkung folglich janusköpfig: Sie würde den Geschäftsleitern der Tochtergesellschaften einen safe harbour zur Verfügung stellen, der sie unter bestimmten Voraussetzungen vor Haftungsrisiken schützt;122 außerdem würde sie der Muttergesellschaft ermöglichen, einheitliche Standards zur Konzernleitung zu entwickeln.123 2. Konkrete Ausgestaltung Die Kodifikation konzerndimensional ausgeformter Geschäftsleiterpflichten stellt sich demnach nicht allein als rechtspolitisch wünschenswert dar; eine entsprechende Regelung bildet vielmehr auch ein Gegenstück zu einem normativ verankerten Weisungsrecht. a) Formulierungsvorschlag Im Rahmen der Formulierung einer solchen kann erneut auf den EMCA – konkret: Sec. 15.16 des EMCA – zurückgegriffen werden. Die als Haftungsfreistellung konzipierte Regelung sollte folgendermaßen lauten:
119
Dazu § 5 B. II. 1. Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 86; Teichmann, AG 2013, 184 (195). 121 Dazu § 5 B. II. 1. 122 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 87; Drygala, AG 2013, 198 (202). 123 Drygala, AG 2013, 198 (202); allgemeiner Conac, ECFR 2013, 194 (210); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 87. 120
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„Art. 2 Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses (1) Agiert die Geschäftsleitung einer Tochtergesellschaft nicht im Interesse dieser Gesellschaft, so gilt dies nicht als Pflichtverletzung, wenn (a) es sich um eine im Interesse der Unternehmensgruppe liegende unternehmerische Entscheidung handelt und (b) die Geschäftsleitung, die gutgläubig auf Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Information handelt, vernünftigerweise annehmen durfte, dass der Nachteil innerhalb eines angemessenen Zeitraums durch einen Vorteil ausgeglichen wird, und (c) der Nachteil nicht geeignet ist, den Fortbestand des Unternehmens zu gefährden. (2) Handelt es sich bei der Tochtergesellschaft um eine hundertprozentige Tochtergesellschaft, so findet Abs. 1 Buchst. b keine Anwendung. (3) Abs. 1 gilt unabhängig davon, ob die Muttergesellschaft von ihrem Recht aus Art. 1 Gebrauch macht oder nicht. (4) Die Geschäftsleitung einer Tochtergesellschaft kann die Befolgung von Weisungen der Muttergesellschaft verweigern, wenn die in Abs. 1 genannten Bedingungen nicht erfüllt sind.
b) Begründung Wie die Vorbildregelung im EMCA handelt es sich – dies manifestiert sich in Art. 2 III des Formulierungsvorschlags124 – um eine Generalklausel, die unabhängig von der konkreten Weisungserteilung durch die Muttergesellschaft Geltung beansprucht. Die Voraussetzungen der Haftungsfreistellung sind – jedenfalls teilweise – durch die Rozenblum-Doktrin inspiriert, greifen aber auch Formulierungen, die dem Rechtsanwender aus dem Umgang mit § 93 I 2 AktG geläufig sein dürften, auf. So wird anders als in der Parallelregelung im EMCA, in der lediglich von einer „decision“ die Rede ist, in Art. 2 I lit. a des Formulierungsvorschlags auf das Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung, die im Gruppeninteresse liegen muss, abgestellt. Wenngleich die Bedeutung dieses Begriffs alles andere als abschließend geklärt ist,125 bietet die hier gewählte Formulierung gegenüber dem offeneren Begriff der „decision“ Vorteile. Diese resultieren nicht zuletzt daraus, dass die business judgment rule, der diese Formulierung entlehnt ist, als Institut gesellschaftsrechtlicher Provenienz in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannt ist,126 124 Die Parallelregelung findet sich in Sec. 15.16 I des EMCA („whether or not as a result of an instruction issued by the parent company“); im Formulierungsvorschlag wurde die Regelung aus Gründen der Übersichtlichkeit in einem eigenständigen Absatz verankert. 125 Vgl. nur die Darstellung zu § 93 I 2 AktG bei Fleischer, in: Spindler/Stilz, AktG, § 93 Rn. 67 ff. 126 Teichmann, AG 2013, 184 (196). Dies konzediert außerdem Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 95, die sich gleichwohl gegen eine Übertragung von Wertungen der business
C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie
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weshalb die zu diesem Terminus vorhandene Kasuistik in diesem Zusammenhang fruchtbar gemacht werden kann. Art. 2 des Formulierungsvorschlags verzichtet zwar auf eine Definition des Gruppeninteresses; anders als im Vorschlag der EMCA Group, der bewusst von einer terminologischen Präzisierung absieht,127 wird hier für die Einführung einer Begriffsbestimmung eingetreten. Diese sollte allerdings – zusammen mit anderen Begriffsbestimmungen – in einer separaten Norm verortet werden, um die Regelung zur Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses nicht zu überfrachten. Wie das Regelungsvorbild in Sec. 15.16 des EMCA orientieren sich die Vorgaben in Art. 2 I lit. b, c des Formulierungsvorschlags an der Rozenblum-Doktrin. Allerdings werden die grundsätzlich sehr komplexen Voraussetzungen dieser Doktrin, die für Unübersichtlichkeit und Unschärfe sorgen,128 vereinfacht129 und mit Wertungen der business judgment rule angereichert. Die beiden Institute sind keine Antagonisten,130 sondern können im Rahmen der Konzeptionierung einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses jeweils gewinnbringend eingesetzt werden. Durch die Vereinfachung der Rozenblum-Voraussetzungen und die Verknüpfung mit Wertungen der business judgment rule werden die zentralen Nachteile einer nahezu unveränderten Übernahme der Rozenblum-Doktrin, wie sie beispielsweise durch das Forum Europaeum Konzernrecht vorgeschlagen worden war, kompensiert: Sowohl die Handhabbarkeit als auch – damit zusammenhängend – die Akzeptanz der Regelung werden gesteigert. In Abweichung von der Regelung in Sec. 15.16 I lit. b des EMCA, nach der es darauf ankommt, dass „the loss/damage/disadvantage (…) will be balanced by benefit/gain/advantage“, ist nach Art. 2 I lit. b des Formulierungsvorschlags maßgeblich, dass ein „Nachteil (…) durch einen Vorteil ausgeglichen wird“. Der Verzicht auf die Verwendung von jeweils drei Termini nach dem Vorbild des Regelungsvorschlags des EMCA empfiehlt sich nicht nur unter regelungsästhetischen Gesichtspunkten; die drei Begriffe im EMCA-Vorschlag lassen sich außerdem nicht voneinander abgrenzen und schränken daher die Praxistauglichkeit der Vorschrift insgesamt ein. Für die Konkretisierung der unbestimmten Rechtsbegriffe „Vorteil“ und „Nachteil“ kann auf Wertungen des deutschen Aktienkonzernrechts, das diese in § 311 AktG verwendet, zurückgegriffen werden. Die bloße Gruppenzugehörigkeit sollte in diesem Zusammenhang nicht ausreichen, um einen Vorteil zu begründen. Die Formulierung „innerhalb eines angemessenen Zeitraums“ eröffnet einen recht großen Interpretationsspielraum. Die Parallelregelung im EMCA – sie hat den Wortlaut: „within a reasonable period“ – wird durch die EMCA Group nicht präjudgment rule im Rahmen des Gesetzgebungsprojekts zur Anerkennung des Gruppeninteresses ausspricht. 127 European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 386. 128 Dazu § 3 B. I. 3. 129 So wird sowohl auf das Vorliegen einer strukturellen Verfestigung als auch einer Gruppenstrategie verzichtet, vgl. European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 386. 130 So aber Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 89 ff.; Teichmann, AG 2013, 184 (196).
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zisiert. Man wird allerdings davon ausgehen können, dass ein Zeitraum von über zwölf Monaten unangemessen ist. Eine ähnliche Wertung liegt dem Liquiditätsschutzkonzept für Servicegesellschaften im Regelungsvorschlag des Forum Europaeum on Company Groups zugrunde.131 Neben dem deutschen Aktienkonzernrecht132 verdeutlicht auch die bilanzrechtliche going concern-Beurteilung133, dass eine zuverlässige Prognose der Unternehmenssituation für die nächsten zwölf Monate grundsätzlich gelingen kann. Art. 2 I lit. c des Formulierungsvorschlags schließt die Zulässigkeit existenzgefährdender Weisungen aus.134 Der Zeitpunkt der Existenzgefährdung ist zwar auslegungsbedürftig; eine Anknüpfung an die Insolvenznähe – wie sie beispielsweise die Reflection Group vorschlug – böte aber weitaus mehr Interpretationsmöglichkeiten, weshalb der Rekurs auf den Zeitpunkt der Existenzgefährdung sachgerecht erscheint.135 Der zweite Absatz des Formulierungsvorschlags sieht eine Flexibilisierung der Voraussetzungen der Haftungsfreistellung bei hundertprozentigen Tochtergesellschaften vor. Eine solche Regelung trägt nicht nur dem auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaften, sondern vor allem auch dem auf Ebene der Geschäftsleitung der Muttergesellschaft bestehenden Bedürfnis nach mehr Freiheit bei der Führung hundertprozentiger Tochtergesellschaften Rechnung.136 Durch den vierten Absatz des Formulierungsvorschlags erfährt das Weisungsrecht der Muttergesellschaft eine bedeutsame Einschränkung. Die dortige Regelung räumt der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft das Recht ein, Weisungen, die nicht im Einklang mit dem ersten Absatz stehen zu verweigern, und schützt damit Gläubiger und Minderheitsgesellschafter der Tochtergesellschaft. Die Regelung ist
131 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512); diesem Konzept folgt außerdem Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 104 f. 132 In § 311 II AktG ist niedergelegt, dass der Nachteilsausgleich grundsätzlich innerhalb des Geschäftsjahres zu erfolgen hat. 133 In IAS 1.26 heißt es unter anderem: „In assessing whether the going concern assumption is appropriate, management takes into account all available information about the future, which is at least, but is not limited to, twelve months from the end of the reporting period (…)“; vgl. hierzu auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 104 f. 134 Eine vergleichbare Regelung findet sich auch im Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514). 135 Ähnlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 127 f.; kritisch aber Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (658); dazu § 3 B. III. 3. 136 Vgl. zur Vorbildregelung European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 386. Eine ähnliche Überlegung liegt auch dem Regelungsvorschlag des Forum Europaeum on Company Groups zugrunde, vgl. Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (512). Allerdings hängt das Eingreifen des unaufwendig einfachen Systems nach diesem Regelungsvorschlag von der Qualifikation einer Tochtergesellschaft als Servicegesellschaft ab, wodurch Abgrenzungsprobleme verursacht werden; dazu § 3 B. IV. 3.
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mit der Vorschrift des § 308 II 2 AktG verwandt, verzichtet allerdings auf das dort statuierte Offensichtlichkeitserfordernis.137
III. Flankierende Regelungen Die vorstehend hergeleiteten und formulierten Regelungen sollten das Herzstück einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses bilden. Allerdings erscheint es notwendig, die durch eine solche Richtlinie eingeführten Konzernleitungsmechanismen in ein Regelungsgeflecht, das terminologische Klarheit schafft und Schutzbestimmungen zugunsten der Gläubiger und Minderheitsgesellschafter der Tochtergesellschaften statuiert, einzubetten.138 Ob in diesem Zusammenhang zusätzlich eine Angleichung der europaweit divergierenden Geschäftsleiterpflichten erfolgen sollte, ist indes zu bezweifeln.139 Die Notwendigkeit einer solchen Angleichung könnte man aus der Divergenz der mitgliedstaatlichen Regelungskonzepte, die der notwendigen Vereinheitlichung von Strukturen innerhalb einer Unternehmensgruppe entgegenstehen, herleiten.140 Allerdings birgt eine derartige Erweiterung des Gesetzgebungsprojekts zur Anerkennung des Gruppeninteresses die Gefahr der Uferlosigkeit in sich. Die Akzeptanzprobleme, die eine supranationale konzernrechtliche Kodifikation auf Ebene der Mitgliedstaaten auszulösen droht, würden höchstwahrscheinlich gesteigert, wenn diese Kodifikation zusätzlich eine Vereinheitlichung sämtlicher Geschäftsleiterpflichten vorsehen würde. Ein derart aufgeblähtes Gesetzgebungsprojekt wäre schwerlich mit der nahezu einhellig vertretenen Aufassung, auf dem Gebiet des europäischen Konzernrechts eine auf Einzelaspekte konzentrierte Angleichung – kurz: Kernbereichsharmonisierung – als hinreichend zu akzeptieren, in Einklang zu bringen. Vor diesem Hintergrund ist eine umfassende Angleichung der Geschäftsleiterpflichten im Rahmen einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses abzulehnen. Eine solche Richtlinie sollte sich stattdessen auf die Einführung von Konzernleitungsmechanismen fokussieren. Einige Ideen für ein diese Mechanismen begleitendes Regelungsgeflecht sollen im Folgenden skizziert werden.
137
Vgl. zur Vorbildregelung European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 387. 138 Vor allem das Erfordernis von Schutzmechanismen betonend Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 107; Drygala, AG 2013, 198 (203); Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (66); Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (660). 139 Für eine solche Angleichung aber Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 129 ff. 140 Ausführlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 129 ff., insbesondere 140 f.; vgl. zu dieser Erwägung außerdem Drygala, AG 2013, 198 (202); Gutsche, in: FS Hommelhoff, 285 (288).
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1. Anwendungsbereich und Definitionen Eine Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses müsste zunächst Vorgaben zu ihrem Anwendungsbereich sowie Definitionsnormen enthalten. Beschränkungen des Anwendungsbereichs – etwa auf nicht börsennotierte Gesellschaften – sind hierbei abzulehnen.141 Eine entsprechende Richtlinie sollte stattdessen uneingeschränkte Geltung gegenüber gruppenangehörigen Kapitalgesellschaften entfalten. Im Übrigen sollte der Anwendungsbereich durch die Präzisierung zentraler Termini determiniert werden. Bei der Definition der Begriffe „Unternehmensgruppe“ sowie „Mutter- und Tochtergesellschaft“ könnte sich der Unionsgesetzgeber an Sec. 15.01 und Sec. 15.02 des EMCA142 orientieren. Diesen Definitionen liegt das control concept, das auch im englischen Recht und in europäischen Richtlinien herangezogen wird, zugrunde.143 Konkret wird eine mittlerweile in IFRS 10 verankerte Definition rezipiert.144 Der Rückgriff auf Vorgaben der internationalen Rechnungslegung im Zusammenhang mit konzernrechtlich relevanten Kodifikationen auf europäischer Ebene ist nicht ungewöhnlich, wie das aktuelle Beispiel der Aktionärsrechterichtlinie 2017, die für die Definition des Begriffs „nahestehende Person“ in Art. 2 lit. h auf entsprechende Regelungen verweist,145 dokumentiert. Der EMCA hält in Sec. 15.03 überdies eine Definition des Begriffs „wholly-owned subsidiary“ bereit.146 Eine derartige Klarstellung kann sich insofern als sinnvoll erweisen, als die hier vorgeschlagenen Regelungen – ebenso wie die Vorbildregelungen des EMCA – Erleichterungen vorsehen, sobald es um die Leitung einer hundertprozentigen Gesellschaft geht. Eine weitere Abschichtung, etwa durch die Einführung des Begriffs „Servicegesellschaft“ nach dem Vorbild des Regelungsvorschlags des Forum Europaeum on Company Groups, ist aber nicht angezeigt.147
141 Mit Blick auf die Vorschläge der Reflection Group ebenso Drygala, AG 2013, 198 (205); mit Sympathien für eine derartige Einschränkung offenbar Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (661). 142 Nach Sec. 15.01 des EMCA – hier frei übersetzt – handelt es sich bei einer Unternehmensgruppe um ein Gebilde („entity“), das die Muttergesellschaft und alle ihre in- und ausländischen Tochtergesellschaften umfasst, sofern nichts anderes bestimmt ist. Eine „Tochtergesellschaft“ ist gemäß Sec. 15.02 des EMCA „ein Unternehmen, das der Kontrolle (…) durch ein anderes Unternehmen, die ,Muttergesellschaft‘, direkt oder indirekt durch eine andere Tochtergesellschaft unterliegt.“ 143 Conac, ECFR 2016, 301 (306); J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (82 f.); vgl. ferner European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.04, 376. 144 J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (82 f.). 145 Dazu J. Schmidt, NZG 2018, 1201 (1208 f.). 146 Unter einer solchen versteht man demnach – wiederum in freier Übersetzung – „eine Gesellschaft, die außer ihrer Muttergesellschaft oder einer anderen Tochtergesellschaft ihrer Muttergesellschaft oder im Namen ihrer Muttergesellschaft oder dieser Tochtergesellschaften handelnden Personen, keine anderen Gesellschafter hat“; dazu Conac, ECFR 2016, 301 (307). 147 So aber Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 101 f.
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Mit Blick auf Art. 2 I lit. a des Formulierungsvorschlags, der die Haftungsfreistellung der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft vom Vorliegen einer unternehmerischen Entscheidung im Gruppeninteresse abhängig macht, ist überdies eine Definition des Gruppeninteresses notwendig. Der EMCA enthält sich zu diesem Zentralbegriff allerdings ebenso wie alle anderen von Wissenschaftlerkollektiven erarbeiteten Regelungsvorschläge. In Ansehung der im Rahmen der terminologischen Konturierung herausgearbeiteten Bezugspunkte148 könnte eine Definition folgendermaßen lauten: „Definition des Gruppeninteresses Für die Bestimmung des Gruppeninteresses sind die Interessen aller gruppenangehörigen Gesellschaften, insbesondere aber die der Muttergesellschaft, maßgeblich. Die Bestimmung der Interessen der einzelnen Gesellschaften richtet sich nach mitgliedstaatlichem Recht.“
Die Definition unterstreicht die Notwendigkeit, das Gruppeninteresse aus den Interessen der einzelnen gruppenangehörigen Gesellschaften zu entwickeln. Prägend für das Gruppeninteresse – diesem Umstand trägt der Einschub im ersten Satz der Definition Rechnung – wird regelmäßig das Interesse der Muttergesellschaft sein. Die Ermittlung des Gesellschaftsinteresses wird in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union traditionell unterschiedlich gehandhabt. Eine Änderung dieser Sachlage sollte nicht das Ziel einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses sein. 2. Schutzmechanismen Neben Regelungen zum Anwendungsbereich sowie Begriffsbestimmungen müsste eine solche Richtlinie auch Schutzmechanismen enthalten. In diesem Kontext werden die Einführung einiger Regelungen zur Herstellung von gruppeninterner und -externer Transparenz einerseits sowie die Verankerung diverser zusätzlicher Institute – Recht auf Sonderprüfung, konzernspezifische Austrittsrechte, Sanktionstatbestände – andererseits diskutiert. a) Transparenz Die Herstellung von Transparenz ist ein in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzendes Instrument zur Gewährleistung des Schutzes außenstehender Gesellschafter und Gläubiger in Gruppensachverhalten.149 Diese Erwägung liegt bereits Art. 1 IV des Formulierungsvorschlags zugrunde: Die Vorschrift macht es erforderlich, die Weisungsunterworfenheit einer Tochtergesellschaft oder aber ihre 148
Dazu § 3 C. Conac, ECFR 2013, 194 (216); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 107 f; implizit auch Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (660); die Bedeutung des Themas Transparenz für das europäische Konzernrecht unterstreicht ferner Tholen, Europäisches Konzernrecht, 220 f. 149
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
hundertprozentige Zugehörigkeit zu einer bestimmten Unternehmensgruppe nach außen hin zu dokumentieren. Um gruppeninterne Informationsflüsse zu gewährleisten, hat der Unionsgesetzgeber zu reflektieren, ob den einzelnen gruppenangehörigen Gesellschaften Informationsansprüche einzuräumen sind. Vorbildhaft für einen entsprechenden Anspruch der Muttergesellschaft gegenüber nachgeordneten gruppenangehörigen Gesellschaften steht die Regelung in Sec. 15.03 des EMCA („Right of Access to Information at the Level of the Subsidiary“).150 Der dort statuierte Informationsanspruch wird durch zwingende Vorgaben des nationalen Rechts limitiert.151 Die Einführung eines Informationsanspruchs der Muttergesellschaft wäre sinnvoll, weil dieser anderenfalls die korrekte Ausübung ihres Weisungsrechts erschwert würde.152 Aus einem ähnlichen Grund bietet sich auch die Verankerung eines Informationsanspruchs der Tochter- gegen die Muttergesellschaft an: Die Überlagerung der Geschäftsleiterpflichten durch das Gruppeninteresse auf Ebene der Tochtergesellschaft macht es erforderlich, dass deren Geschäftsleitung die maßgeblichen Informationen von der Gruppenspitze erhält.153 Darüber hinaus könnte die gruppeninterne Transparenz durch eine an Sec. 15.08 des EMCA angelehnte Regelung bereichert werden.154 Im ersten Absatz findet sich eine an die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft adressierte Pflicht, die Tochtergesellschaft über den Erwerb oder Beseitigung der Kontrolle zu informieren. Der zweite Absatz sieht korrespondierende Informationspflichten einer Tochtergesellschaft gegenüber ihrer Muttergesellschaft vor, die nicht zuletzt die Funktion haben, der Muttergesellschaft eine Feststellung der Dimension der Unternehmensgruppe zu ermöglichen.155 Überdies könnte der Unionsgesetzgeber die Schaffung eines durch den Vorschlag des Forum Europaeum on Company Groups inspirierten Berichtssystems156 in Erwägung ziehen.157 Nach diesem Vorschlag sind für Reguläre Tochtergesellschaften zwei jährliche Sonderberichte – ein Strukturbericht der Muttergesellschaft, der über sämtliche Unternehmensverbindungen innerhalb der Gruppe sowie die Prinzipien der Gruppenleitung aufklärt sowie ein Transaktionsbericht der Tochtergesellschaft, der die der Abwicklung gruppeninterner Transaktionen zugrundeliegenden Grund150
Zu der Entstehungsgeschichte der Vorschrift Conac, ECFR 2016, 301 (316). Ein Beispiel für derartige Vorgaben wäre nach der Vorstellung der EMCA Group das Bankgeheimnis, vgl. European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.10, 381. 152 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 118 f. 153 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 117 f.; Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (65); Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (660). 154 Für eine ähnliche, unter Rückgriff auf eine Empfehlung der Informal Company Law Expert Group konzipierte Regelung plädiert auch Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 117 f. 155 European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.08, 378; dazu J. Schmidt, ZHR 181 (2017), 43 (83). 156 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); dazu § 3 B. IV. 2. c). 157 Dafür Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 108 ff.; Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (297); Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (66); dagegen aber Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (660). 151
C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie
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sätze beschreibt – zu erstatten.158 Da die durch das Forum Europaeum on Company Groups gewählte Differenzierung zwischen Regulären Tochtergesellschaften und Servicegesellschaften abzulehnen ist159 und in dem hier präsentierten Regelungsvorschlag nicht aufgegriffen wird, müsste das Berichtssystem allerdings variiert werden. Die vorzugswürdige Lösung wäre in diesem Zusammenhang eine Erstreckung des Berichtssystems auf sämtliche Tochtergesellschaften.160 Zur Absicherung dieses Berichtssystems bietet sich sowohl die Anordnung einer Prüfung der Berichte durch einen unabhängigen Sachverständigen als auch die Normierung einer Veröffentlichungspflicht an.161 Abzulehnen ist demgegenüber die Verankerung einer Pflicht der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft zur Dokumentation sämtlicher im Interesse der Unternehmensgruppe gefällten Entscheidungen.162 Eine derartige Verpflichtung ist zu aufwendig und zu formalistisch.163 b) Weitere Schutzmechanismen Ein weiterhin in Betracht kommender Schutzmechanismus ist ein konzerndimensionales Sonderprüfungsrecht.164 Ein solches würde gewährleisten, dass außenstehende Gesellschafter die detaillierte Untersuchung einzelner verdächtiger Ereignisse veranlassen können.165 Um die Ausübung eines derartigen Rechts nicht zu erschweren, bietet sich eine supranationale Ausgestaltung an.166 Die Befugnis, einen Antrag auf eine Sonderprüfung zu stellen, sollte von der Erfüllung eines bestimmten 158
Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514). Dazu § 3 B. IV. 3. 160 Auf eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Tochtergesellschaftstypen verzichtet auch Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (297); Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (66). 161 Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); ausführlich Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 111 ff.; vgl. dazu ferner Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (297); Hommelhoff, KSzW 2014, 63 (66); ähnlich offenbar auch Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 97. 162 Für eine fortlaufende Dokumentations- und Berichtspflicht plädierte das Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (712, 715, 769). Für eine Dokumentationspflicht der Muttergesellschaft hinsichtlich aller Leitungsentscheidungen mit Auswirkung auf Tochtergesellschaften ohne Minderheitsgesellschafter sprechen sich Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 86 aus. 163 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 113 ff.; European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.16, 386. 164 Für die Einführung eines solchen Instituts European Model Companies Act, Chapter 15, Sec. 15.12, Sec. 15.14, Chapter 11, Sec. 11.32; Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (719, 724 f.); The High Level Group of Company Law Experts, Report, 58; ebenso Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 119 ff.; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 221 f.; eher vage aber Krebs/Jung, in: Jung/Krebs/Stiegler, Gesellschaftsrecht in Europa, § 35 Rn. 96. 165 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 119; Tholen, Europäisches Konzernrecht, 221. 166 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 119; dafür, den Mitgliedstaaten die Ausgestaltung zu überlassen aber Forum Europaeum Konzernrecht, ZGR 1998, 672 (719, 724 f.); The High Level Group of Company Law Experts, Report, 58. 159
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
Quorums abhängig gemacht werden.167 Der Unionsgesetzgeber müsste ferner erwägen, ob an die Begründung der Notwendigkeit einer Sonderprüfung spezifische Anforderungen zu stellen sind.168 Dies wäre angesichts der Gefahr einer missbräuchlichen Handhabung dieses Schutzinstruments angezeigt. Überdies erscheint die Einführung eines konzernspezifischen Austrittsrechts sinnvoll.169 Ein derartiges Institut findet sich in verschiedenen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen,170 so etwa im deutschen Vertragskonzernrecht.171 Die Vorschrift des § 305 AktG gewährt der Gesellschafterminderheit die Möglichkeit, gegen Abfindung aus der vertraglich konzernierten Gesellschaft auszuscheiden.172 Ein an dieser Regelung orientiertes Austrittsrecht, das an einen Abfindungsanspruch des austretenden Gesellschafters gegenüber der Muttergesellschaft geknüpft ist,173 dürfte einen wichtigen Beitrag zum Minderheitenschutz in der grenzüberschreitend aktiven Unternehmensgruppe leisten. Schließlich ist zu reflektieren, ob das Regelungsprogramm einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses von einem Sanktionsregime abgerundet werden sollte. Ein solches könnte Kompensationen bei Verstößen gegen die hier vorgeschlagenen Regelungen zur Konzernleitung vorsehen.174 Für eine derartige Regelung spricht, dass unter Gesichtspunkten des Minderheiten- und Gläubigerschutzes ein einheitlicher Standard in allen Mitgliedstaaten geboten sein könnte.175 Dagegen spricht aber, dass Sanktionen für Pflichtverstöße der Mitglieder der Geschäftsleitung typischerweise nicht Regelungsaufgabe des europäischen Gesetzgebers sind, sondern die der mitgliedstaatlichen.176 Angesichts der unterschiedlichen 167 Der EMCA spricht den Minderheitsgesellschaftern eine Antragsbefugnis zu, wenn diese mindestens 10 % des Gesellschaftskapitals auf sich vereinen, vgl. Sec. 11 32 III des EMCA; diesem Vorschlag folgend Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 121; gegen ein Quorum Tholen, Europäisches Konzernrecht, 222. 168 Dafür Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 121, die für das Erfordernis einer konkreten Bezeichnung der verdächtigen Umstände, die Darlegung eines begründeten Verdachts sowie die Voraussetzung einer groben Pflichtverletzung eintritt; gegen derart hohe Anforderungen Tholen, Europäisches Konzernrecht, 222. 169 Für die Einführung eines solchen Instituts European Model Companies Act, Chapter 15, Sec. 15.15; Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); ebenso Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 122 ff. 170 European Model Companies Act, Chapter 15, Comments Sec. 15.15, 385. 171 Ausführungen zur italienischen Konzeption finden sich bei Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 122 ff. 172 Dazu Drygala/Staake/Szalai, Kapitalgesellschaftsrecht, § 32 Rn. 42 f. 173 Ebenfalls für eine ausschließliche Verpflichtung der Muttergesellschaft Sec. 15.15 I, II des EMCA; Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 127. 174 In diese Richtung beispielsweise Sec. 15.17 des EMCA; dazu § 3 B. VIII. 1. b) bb). 175 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 128. 176 Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 128; Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); dies konzediert auch Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (297 f.), der sich
C. Konzeptionelle Ausgestaltung einer Richtlinie
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mitgliedstaatlichen Rechtstraditionen – Verstöße werden teils zivil-, teils strafrechtlich geahndet – gibt es Stimmen, die dafür plädieren, dass sich der Unionsgesetzgeber zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer Ahndung („Ob“) bekennen, die konkrete Ausformung („Wie“) indes den Mitgliedstaaten anheimstellen sollte.177 Gerade die Vielfalt an rechtlichen Reaktionsmechanismen deutet jedoch auf ein Regelungsbedürfnis hinsichtlich dieser Fragestellung hin. Für eine Ausgestaltung der Kompensationsregelung auf supranationaler Ebene streitet auch die Relevanz dieser Frage: Zulässigkeit und Kompensation konzernleitender Maßnahmen sollten aufeinander abgestimmt werden, schließlich sind die beiden Aspekte untrennbar miteinander verbunden.178 Bei der Konzeptionierung des Sanktionsregimes sollte der Unionsgesetzgeber einen allgemeinen Haftungsdurchschlag von vornherein nicht in Erwägung ziehen.179 Denn dadurch würde einer der zentralen Vorzüge der Konzernstruktur – die Haftungssegmentierung – entwertet. Vielmehr sollte er sich am deutschen Recht des faktischen Konzerns orientieren.180 Bleibt der nach dem hier entwickelten Regelungsvorschlag gemäß Art. 2 I lit. b erforderliche rechtzeitige Nachteilsausgleich aus, könnte eine mit § 317 AktG vergleichbare Regelung eingreifen. Diese Vorschrift ordnet eine Haftung des herrschenden Unternehmens (§ 317 I AktG) sowie seiner Organe (§ 317 III AktG) an, an der auch außenstehende Gesellschafter und Gläubiger teilhaben können.181 Die Implementierung einer solchen Vorschrift würde den Umgang mit kompensationslosen nachteiligen Transaktionen innerhalb einer Unternehmensgruppe erleichtern und darüber hinaus eine nicht zu unterschätzende präventive Wirkung182 entfalten. Mit einem am deutschen Vorbild des faktischen Konzerns orientierten Sanktionsregime würde daher ein Minimum an Schutz zugunsten der außenstehenden Gesellschafter einerseits sowie der Gläubiger andererseits gewährleistet. Ein solches Sanktionsregime würde das Regelungsprogramm einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses in sinnvoller Weise vervollständigen.
gleichwohl für eine Nachteilsausgleichspflicht der Muttergesellschaft bei entsprechenden Verstößen stark macht. 177 So Dominke, Einheitliche Gruppenleitung, 128; Forum Europaeum on Company Groups, ZGR 2015, 507 (514); (noch) restriktiver Mülbert, ZHR 179 (2015), 645 (659), der in diesem Zusammmenhang festhält, dass „sowohl die Anordnung einer (…) Haftung von Geschäftsleitern und gruppenangehörigem Einflussnehmer wie auch deren nähere Ausgestaltung in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verbleiben können“. 178 Ähnlich Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (297 f.); Schön, ZGR 2019, 343 (371 f., 378). 179 Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (298). 180 Schön, ZGR 2019, 343 (371 f.); vager Hommelhoff, in: FS Stilz, 287 (298): „In Betracht kommen ein (…) sofort fälliger Zahlungsanspruch gegen das Mutterunternehmen oder ein weitergehender Verlustausgleichsanspruch der nachgeordneten Gruppengesellschaft.“ 181 Dazu § 5 A. II. a). 182 Zur präventiven Wirkung des § 317 AktG Hüffer/Koch, AktG, § 317 Rn. 1.
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§ 6 Supranationale Anerkennung des Gruppeninteresses
IV. Fazit Die hier unterbreiteten Vorschläge für ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft sowie die Möglichkeit einer Berücksichtigung des Gruppeninteresses auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaften würden für eine Flexibilisierung der Konzernleitung im grenzüberschreitenden Kontext sorgen. Um den Schutzbedürfnissen der in Gruppensachverhalten gefährdeten Akteure Rechnung zu tragen, sollte die Einführung der beiden Mechanismen von Schutzbestimmungen flankiert werden. Aus einer deutschen Perspektive betrachtet, rührt die Frage nach einer Anerkennung des Gruppeninteresses in der hier vorgeschlagenen Weise vor allem deshalb an den Grundfesten des Konzernrechts, weil sie die strenge Differenzierung zwischen dem faktischen Konzern und dem Vertragskonzern durch Einführung eines allgemeingültigen Weisungsrechts aufweicht. Eine solche Betrachtung ist freilich zu eindimensional: Die auf Ebene der Europäischen Union vorangetriebene Entwicklung eines bestimmten Rechtsgebiets wird die Mitgliedstaaten stets zu Zugeständnissen zwingen. Den berechtigten mitgliedstaatlichen Interessen kann durch Zurückhaltung des Unionsgesetzgebers, vorliegend etwa im Hinblick auf die Angleichung der europaweit divergierenden Geschäftsleiterpflichten, begegnet werden.
D. Zusammenfassung in Thesen 1. Die Voraussetzungen eines funktionierenden Wettbewerbs der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber liegen für das Konzernrecht nicht vor. Es besteht vielmehr die Notwendigkeit, diesbezüglich auf der Ebene der Europäischen Union aktiv zu werden und supranationale Regelungsstrukturen zu schaffen. 2. Die europarechtlichen Vorgaben bilden einen tauglichen Rahmen für die Kodifikation einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses. Im Rahmen der Konzeptionierung dieses auf Art. 50 II lit. g AEUV fußenden Rechtsakts sollte sich die Europäische Union grundsätzlich auf die Angleichung von Konzernleitungsmechanismen konzentrieren, mithin eine Maßnahme zur Kernbereichsharmonisierung kreieren. Um einen hohen Wirkungsgrad des Rechtsakts sicherzustellen, ist hierbei eine vollständig harmonisierende Richtlinie anzustreben. 3. Eine Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses sollte in konzeptioneller Hinsicht ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft sowie eine Regelung, die die Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaften vorsieht, bereithalten. Das Zusammenspiel dieser beiden Mechanismen ermöglicht die rechtssichere und zugleich flexible Leitung einer grenzüberschreitend aktiven Unternehmensgruppe. Hinzutreten müssen Vorschriften, die den Schutzbedürfnissen der in Gruppensachverhalten gefährdeten Akteure Rechnung tragen.
§ 7 Zusammenfassung aller Ergebnisse in Thesen 1.
Die Diskussion um eine Prävalenz des Gruppeninteresses blickt auf eine langjährige Geschichte zurück. Bereits vor 1937 wurde unter dem Schlagwort „Vorrang des Konzerninteresses“ die Etablierung weitreichender Privilegierungsmechanismen zugunsten der herrschenden Gesellschaft diskutiert, die schließlich Eingang in das im Jahr 1937 aus der Taufe gehobene Aktiengesetz fanden. Der Gesetzgeber des Aktiengesetzes aus dem Jahr 1965 konzipierte das Konzernrecht demgegenüber vor allem als Schutzrecht, weshalb die Akzentuierung des Konzerninteresses in den Hintergrund rückte.
2.
Die heutigen Reformbestrebungen bezüglich einer Anerkennung des Gruppeninteresses unterscheiden sich stark von den Diskussionen der frühen Konzernrechtsgeschichte, weil sie einerseits das Erfordernis supranationaler Regelungen zur Erleichterung der Leitung international tätiger Konzerne betonen und andererseits die Handlungsspielräume der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaften fokussieren.
3.
Eine konzeptionelle Konturierung der rechtspolitischen Forderung nach einer Anerkennung des Gruppeninteresses ist notwendig, da erst sie eine Überprüfung des geltenden Rechts möglich macht. Zugleich bedarf es aber auch einer terminologischen Eingrenzung, um die Anknüpfung an das Gruppeninteresse operationalisierbar zu machen.
4.
Die in den letzten Jahren aktiven Wissenschaftlerkollektive – so unterschiedlich ihre Regelungsvorschläge im Detail ausfallen – begreifen das Gruppeninteresse allesamt als Konzeption zur supranationalen Verwirklichung einer rechtssicheren, zugleich aber flexibilisierten Unternehmensgruppenleitung. Ausgangspunkt aller wissenschaftlichen Aufarbeitungen mit Relevanz für das Gruppeninteresse war das Werk des Forum Europaeum Konzernrecht, das deshalb einen maßstabsbildenden Charakter aufweist, weil es durch die Betonung der organisationsrechtlichen Komponente des Konzernrechts einen Paradigmenwechsel einleitete. Die Forschungen der Wissenschaftlerkollektive zu einem auf grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen fokussierten enabling law leisten – insbesondere vor dem Hintergrund der Lethargie der Entscheidungsträger auf Ebene der Europäischen Union – einen wertvollen rechtspolitischen Beitrag zur Fortentwicklung des Konzernrechts.
5.
Die Beantwortung der Vorfrage nach einer inhaltlichen Konkretisierung des Gruppeninteresses stellt sich jedenfalls aus einer dogmatischen Perspektive als diffizil dar. Ausgehend von der Diskussion im deutschen Aktienkonzernrecht
228
§ 7 Zusammenfassung aller Ergebnisse in Thesen
lässt sich jedoch festhalten, dass die Auswahl an Orientierungswerten limitiert ist: Einerseits lässt sich das Gruppeninteresse aus den Eigeninteressen der Muttergesellschaft ableiten; andererseits können die Interessen aller anderen gruppenangehörigen Gesellschaften fruchtbar gemacht werden. Ein über diese beiden Anknüpfungspunkte hinausgehendes Gesamtinteresse der Unternehmensgruppe ist nicht bestimmbar. 6.
Hinter einer konzeptionell verstandenen Anerkennung des Gruppeninteresses verbirgt sich ein Reformprojekt zur supranationalen Verwirklichung einer rechtssicheren, zugleich aber flexibilisierten Unternehmensgruppenleitung. Im Zusammenhang mit der Erreichung dieses rechtspolitischen Ziels wird über die Implementierung zweier Instrumente mittels supranationaler Rechtssetzung diskutiert. So soll ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft, das die Durchsetzung unternehmerischer Entscheidungen der Gruppenleitung im Interesse der gesamten Unternehmensgruppe ermöglicht, verankert werden. Ferner soll sich die Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft maßgeblich am Gruppeninteresse orientieren dürfen.
7.
Untersucht man das deutsche Recht hinsichtlich der im Zusammenhang mit der Anerkennung des Gruppeninteresses diskutierten konzernrechtlichen Instrumente, so gelangt man zu einem ambivalenten Ergebnis: Während im Vertragskonzern nicht nur ein umfassendes Weisungsrecht der Muttergesellschaft vorgesehen ist, sondern auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaft auch eine Einschränkung des Grundsatzes der Orientierung am Eigeninteresse der Tochtergesellschaft stattfindet, verzichtet das Recht des faktischen Konzerns auf die Einräumung weitreichender Konzernleitungsmechanismen. Eine – zumindest partielle – Verwirklichung des Gruppeninteresses ist zu beobachten, sofern eine Tochter-GmbH eingesetzt wird.
8.
Die Rechtsordnungen Englands und Frankreichs halten kein systematisch kodifiziertes Konzernrecht bereit, weshalb sich die rechtliche Handhabung von Unternehmensgruppen im Allgemeinen sowie die Konzernleitung im Besonderen auf nicht gruppenspezifisch ausgeformte Regelungen sowie hierzu ergangene Gerichtsentscheidungen stützen.
9.
Die Niederlassungsfreiheit aus Art. 49 I, 54 I AEUV verbietet im Grundsatz Beschränkungen bei der Gründung ausländischer Tochtergesellschaften. Eine höchstrichterliche Klärung der Frage, ob dieses Verbot berührt ist, wenn inländische Muttergesellschaften Organisationsmöglichkeiten erhalten, die ausländischen Muttergesellschaften verwehrt sind, steht noch aus. Auf sekundärrechtlicher Ebene existiert wenig konzernrechtliches Material: Die Europäische Kommission stieß in den letzten Jahrzehnten zwar zahlreiche Projekte von konzernrechtlicher Relevanz an; aus keinem der Projekte erwuchs allerdings ein gesellschaftsrechtliches Konzept für Unternehmensgruppen.
10. Das Gruppeninteresse ist internationalprivatrechtlich berücksichtigungsfähig, wenn sich aus dem Rückgriff auf eine kollisionsrechtliche Grundregel, nach der
§ 7 Zusammenfassung aller Ergebnisse in Thesen
229
im Verhältnis zur herrschenden Gesellschaft stets das Recht der abhängigen Gesellschaft Anwendung findet, die Anwendung eines nationalen Konzernoder Gesellschaftsrechtsregimes, das seinerseits eine Orientierung am Gruppeninteresse zulässt, ergibt. 11. Die wirtschaftliche Realität in Deutschland und Europa wird durch grenzüberschreitend aktive Unternehmensgruppen geprägt. Die Organisation in einer Unternehmensgruppe bietet eine Reihe wirtschaftlicher Vorteile, namentlich Expansionsmöglichkeiten durch Gründung von Tochtergesellschaften, Zentralisierung des Finanzmanagements, Haftungssegmentierung in einzelnen Tochtergesellschaften sowie Optionen für ein kostengünstiges Größenwachstum. Trotz der aus mannigfaltigen Vorteilen resultierenden, statistisch nachweisbaren Bedeutung der Unternehmensgruppe, orientieren sich die gesellschaftsrechtlichen Organisationsgesetze in Deutschland und zahlreichen anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union allein an der unabhängigen Einzelgesellschaft. Hieraus resultiert eine Diskrepanz zwischen Realität und Recht. 12. Soweit Konzernrecht existiert, kann es einerseits als Schutzrecht, das die mit dem Konzernierungsvorgang einhergehenden Gefahren für außenstehende Gesellschafter und Gläubiger fokussiert, und andererseits als die unternehmerischen Aktivitäten innerhalb der Unternehmensgruppe ordnendes Schutzrecht ausgestaltet sein. Im geltenden deutschen Konzernrecht stehen schutz- und organisationsrechtliche Zielsetzungen gleichberechtigt nebeneinander. In England und Frankreich dominieren Schutzerwägungen das ohnehin nur fragmentarisch vorhandene Konzernrecht. Auf europäischer Ebene existieren nur wenige Regelungen mit konzernrechtlicher Relevanz; diese nehmen ebenfalls zuvörderst eine schutzrechtliche Position ein. Den Anforderungen an ein modernes Konzernrecht wird durch den gegenwärtigen Regelungsbestand nicht genügt. Ein solches verlangt nach der Schaffung eines supranationalen konzernrechtlichen enabling law. Durch eine Anerkennung des Gruppeninteresses würden Unternehmensgruppen Instrumente zur Strukturierung ihrer grenzüberschreitenden Aktivitäten zur Verfügung gestellt. Der derzeitige, durch – überspitzt formuliert – disabling law geprägte konzernrechtliche status quo würde damit überwunden. 13. Die Erwägungen, die zunächst gegen die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses auf supranationaler Ebene zu sprechen scheinen, sind im Ergebnis nicht stichhaltig. Sowohl die Errichtung von Zweigniederlassungen als auch der Einsatz grenzüberschreitender oder ausländischer Konzerngesellschaften sind mit verschiedenen Nachteilen verbunden. Diese Optionen lassen eine Anerkennung des Gruppeninteresses folglich nicht obsolet werden. Auch rechtstatsächliche Gegebenheiten können nicht ins Feld geführt werden, um die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses zu negieren. Durch die Kodifikation entsprechender
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§ 7 Zusammenfassung aller Ergebnisse in Thesen
Vorschriften würde die bestehende Flexibilität bei der Strukturierung von Unternehmensgruppen nicht eingeschränkt, sondern die Akzeptanz der Unternehmensgruppe als legale und ökonomisch ebenso sinnvolle wie erforderliche Gestaltungsform gesteigert. Durch die Anerkennung des Gruppeninteresses würde der europäische Binnenmarkt gerade auch zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen geöffnet. 14. Für die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses spricht weiterhin die hierdurch bewirkte umfassende Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit aus Art. 49, 54 AEUV. Weiterhin würden Gruppenpraxis und Gruppenrecht miteinander versöhnt; die viel zitierte „Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit“ würde – jedenfalls partiell – geschlossen. Die durch eine Anerkennung des Gruppeninteresses bewirkte Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts würde schließlich ermöglichen, aktuellen Compliance-Anforderungen Rechnung zu tragen. Betrachtet man die Diskussion allein aus einer schutzrechtlichen Perspektive, so spricht ebenfalls viel für die rechtspolitische Notwendigkeit einer Anerkennung des Gruppeninteresses: Die Etablierung einheitlicher Leitungsmechanismen würde ein Ausnutzen des zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten existierenden Schutzgefälles fruchtlos werden lassen und damit zugleich die Gefahr eines gesellschafts- und konzernrechtlichen race to the bottom im Keim ersticken. 15. Im Ergebnis ist eine Anerkennung des Gruppeninteresses zu fordern. Die dadurch bewirkte Fortentwicklung des Konzernrechts sorgt dafür, dass das Gesellschaftsrechts mit anderen Teilbereichen des Wirtschaftsrechts Schritt hält. Dabei ist ein supranationaler, bei der Europäischen Union angesiedelter Ansatz zwingend. 16. Die Voraussetzungen eines funktionierenden Wettbewerbs der mitgliedstaatlichen Gesetzgeber liegen für das Konzernrecht nicht vor. Es besteht vielmehr die Notwendigkeit, diesbezüglich auf der Ebene der Europäischen Union aktiv zu werden und supranationale Regelungsstrukturen zu schaffen. 17. Die europarechtlichen Vorgaben bilden einen tauglichen Rahmen für die Kodifikation einer Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses. Im Rahmen der Konzeptionierung dieses auf Art. 50 II lit. g AEUV fußenden Rechtsakts sollte sich die Europäische Union grundsätzlich auf die Angleichung von Konzernleitungsmechanismen konzentrieren, mithin eine Maßnahme zur Kernbereichsharmonisierung kreieren. Um einen hohen Wirkungsgrad des Rechtsakts sicherzustellen, ist hierbei eine vollständig harmonisierende Richtlinie anzustreben. 18. Eine Richtlinie zur Anerkennung des Gruppeninteresses sollte in konzeptioneller Hinsicht ein Weisungsrecht der Muttergesellschaft sowie eine Regelung, die die Berücksichtigungsfähigkeit des Gruppeninteresses auf Ebene der Geschäftsleitung der Tochtergesellschaften vorsieht, bereithalten. Das Zusammenspiel dieser beiden Mechanismen ermöglicht die rechtssichere und zugleich
§ 7 Zusammenfassung aller Ergebnisse in Thesen
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flexible Leitung einer grenzüberschreitend aktiven Unternehmensgruppe. Hinzutreten müssen Vorschriften, die den Schutzbedürfnissen der in Gruppensachverhalten gefährdeten Akteure Rechnung tragen.
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Stichwortverzeichnis Aktionärsrechterichtlinie 75, 86 f., 144, 146 ff. Aufsichtspflicht der Muttergesellschaft 190 Aufsichtsrecht der Finanzinstitute 88, 148 Bankaufsichtsrecht 28 Business judgment rule 70, 129, 216 f. Cash pooling 89, 90, 164, 174 Compliance 189 ff., 194 Delaware-Effekt 197 Deutscher Corporate Governance Kodex (DCGK) 110, 125, 190 Directors’ duties 166 Dirigeant de fait 172 f. Eigentumsfreiheit 124 Empfehlung (im Sinne des Art. 288 V AEUV) 54, 69, 72, 84, 204 Enabling law 71, 104, 112, 157, 176 ff., 186, 191, 192, 194, 200, 212, 229 Enlighted shareholder-value 125 f. Europäische Kommission 24, 52, 63, 65, 66, 70, 83, 89, 104, 105, 111, 141 ff., 151, 175, 199 f., 202, 204 ff., 228 Finanzkrise
66
Geschäftsleiterpflichten 54, 215, 219, 222, 226 Gesellschaftsinteresse 56, 65, 122 ff., 127, 130, 174, 214, 221 Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung 199 Haftungsfreistellung 96 f., 215 ff. Harmonisierungsreichweite 142, 199, 206 Holding 28, 56, 64, 109, 131 Holzmüller 149
Impacto Azul 138 ff. Insolvenzrecht 28, 85, 169 f. Insolvenzverursachender Charakter
163
Kapitalmarktrecht 142, 189 Kartellrecht 88, 148, 189, 192 Kernbereichsharmonisierung 53 f., 64, 142, 206, 208, 219, 226, 230 Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) 77, 144, 154, 188 Konglomerater Konzern 56 Konzernrechtsrichtlinie 141, 191 Konzernverrechnungspreis 21 f., 165 Level playing field
61, 86, 175, 184
Matrixstruktur 192 f. Model Business Corporation Act 93 f., 100, 103 Nachteilsausgleich
159 f., 164, 218, 225
Ordoliberalismus 43 f. Organisationsrecht – Akzentuierung durch Wissenschaftlerkollektive 77, 87, 104 f., 227 – Ausländisches Konzernrecht 170, 171, 174, 176 – Deutsches Konzernrecht 157, 163 ff., 194, 229 – Europarecht 175, 200 – Internationales Privatrecht 150 f. – Vergleich zum enabling law 177, 179 Personalschiene 78, 129, 209, 211 Piercing of the corporate veil 168 Race to the bottom 192, 195, 230 Race to the top 196 Related party transactions 75, 85, 86 f., 144, 146 ff., 168
Stichwortverzeichnis Richtlinie (im Sinne des Art. 288 III AEUV) 54, 60, 61, 63, 72, 91, 102 f., 143, 200, 203 ff., 208 ff. Rozenblum-Doktrin – organisationsrechtlicher Gehalt 174 – Rezeption durch die Europäische Kommission 143 – Rezeption durch Wissenschaftlerkollektive 59 ff., 65 f., 68, 70, 75, 81 ff., 85, 90 f., 96 f., 101, 104 – Rezeption in einem Richtlinienvorschlag 216 f. – Voraussetzungen 57 ff. – zugrundeliegender Sachverhalt 55 ff. Safe harbour 68 f., 78, 89, 215 Sanktionsregime 224 f. Schutzrecht – Ausländisches Konzernrecht 170, 171, 174, 177, 194, 229 – Deutsches Konzernrecht 50, 158 ff., 177, 194, 227, 229
255
– Europarecht 142, 175 f., 177, 191, 194 f., 200 – Fortentwicklung zum enabling law 61, 71 Shadow director 133 f., 168 ff. Shareholder-value 123 ff. Societas Privata Europaea 145 f. Societas Unius Personae 87, 145 f. Soft law 99 Solvenztest 90 Stakeholder-value 123 ff. Subsidiaritätsprinzip 203 Treuepflicht
33, 35, 121, 162
Unternehmensinteresse
110 f., 125
Verstärkte Zusammenarbeit 205 Vorstandsdoppelmandat 209 f. Wettbewerb der Gesetzgeber/Rechtsordnungen 99, 102, 184, 196 ff. Wrongful trading 71, 98, 101 ff., 169 f.