140 91 4MB
German Pages 280 [282] Year 2012
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 281 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Jonas Knetsch
Haftungsrecht und Entschädigungsfonds Eine Untersuchung zum deutschen und französischen Recht
Mohr Siebeck
Jonas Knetsch, geboren 1982, Studium der Rechtswissenschaften in Köln und Paris; 2011 Promotion zum Dr. iur. und zum Docteur en droit; seit 2012 Maître de conférences am Institut für Rechtsvergleichung der Université Panthéon-Assas (Paris II).
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT. e-ISBN 978-3-16-152165-2 ISBN 978-3-16-151952-9 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2012 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Für Lucie Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand von 2007 bis 2011 als Doktorarbeit in einem deutsch-französischen Cotutelle-Verfahren, an dem die Universität zu Köln und die Université Panthéon-Assas (Paris II) beteiligt waren. Dass dieses Promotionsverfahren im Oktober 2011 mit einer gemeinsamen Disputation in Paris seinen Abschluss finden konnte, verdanke ich an erster Stelle meinen beiden Doktorvätern. Herr Prof. Dr. Yves Lequette und Herr Prof. Dr. Christian Katzenmeier haben durch ihre ausgezeichnete Betreuung des Promotionsvorhabens und ihr Vertrauen maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Ganz besonders möchte ich Herrn Prof. Dr. Christian Katzenmeier danken, der mir das wissenschaftliche Denken und Arbeiten nahe gebracht und in mir das Interesse am Haftungsrecht geweckt hat. Für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens bin ich ebenso Herrn Prof. Dr. Götz Schulze zu großem Dank verpflichtet. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Jürgen Basedow für die Aufnahme der Dissertation in die Schriftenreihe des Max-Planck-Instituts sowie Frau Nadine Schwemmreiter-Vetter und Frau Jana Trispel für die editorielle Hilfe. Nicht zuletzt gilt mein Dank Dr. Hervé Arbousset, Stéphane Bonichot, Anne Coulon, Laure Delescluse, Alice Enderlé, Miriam Keil, Georg Kleemann, Dr. Caroline Kleiner, Thibaut Leleu, Martin Metz, Elise PascalHeuzé, Florian Sertillanges sowie meinem Bruder Florian für die wertvollen Anregungen, das Korrekturlesen und die aufmunternden Worte. Ein ganz besonderer Dank gilt schließlich meinen Eltern für ihre Unterstützung während meiner gesamten Ausbildung sowie meiner Frau Lucie, die mich zur Anfertigung dieser Doktorarbeit ermutigt und durch ihren Rückhalt den Abschluss dieses Vorhabens erst ermöglicht hat. Paris, im September 2012
Jonas Knetsch
IX
Inhaltsübersicht Inhaltsübersicht
Einleitung ................................................................................................1
Erster Teil: Entschädigungsfonds als selbstständiges Modell kollektiver Schadenstragung ...............................................................5 I. Die Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Entschädigungsrecht ..............................................................................5 A. Bestandsaufnahme der Entschädigungsfonds im deutschen und französischen Recht.............................................................................. 6 B. Typologie der Fondslösungen............................................................. 69 C. Terminologisches zum Recht der Entschädigungsfonds ...................... 76 II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen .....................................77 A. Retrospektive Fondslösungen als Modell zur Regulierung von in der Vergangenheit liegenden Großschadensfällen............................... 78 B. Prospektive Fondslösungen als Instrumente zur Lückenfüllung im Haftungsrecht .............................................................................. 101 C. Zusammenfassung: Grenzen der Unterscheidung zwischen prospektiven und retrospektiven Entschädigungsfonds ..................... 123 III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen innerhalb des Entschädigungsrechts...................................................................125 A. Abgrenzung von Fondslösungen zu privatversicherungsrechtlichen Instrumenten .................................................................................... 125 B. Abgrenzung von Fondslösungen zur Sozialversicherung und zur sozialen Hilfe ............................................................................. 139 C. Fondslösungen als Teilelement des sozialen Entschädigungsrechts ....................................................................... 144
X
Inhaltsübersicht
Zweiter Teil: Die Funktionen von Fondslösungen innerhalb des sozialen Entschädigungsrechts ................................................158 I. Schadenskompensation durch Entschädigungsfonds ...........................158 A. Prozessrechtliche Aspekte ................................................................ 159 B. Materiell-rechtliche Aspekte............................................................. 173 II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds...............................182 A. Präventionseinbußen durch Abkopplung des Schadensersatzes von der Schadenszurechnung............................................................ 184 B. Maßnahmen zur Stärkung der Präventionswirkung von Entschädigungsfonds ........................................................................ 187
Dritter Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Gefüge des Entschädigungsrechts ..................................................193 I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht .............................................................................193 A. Die Wahlmöglichkeit des Geschädigten ........................................... 194 B. Das Zusammentreffen von Fondsleistungen und haftungsrechtlichem Schadensersatz................................................. 200 II. Die Koordinierung der Entschädigungsfonds untereinander..............206 A. Hierarchisierung der Entschädigungsregimes nach der lex specialis-Regel...................................................................... 207 B. Perspektiven einer Zusammenführung bestehender Entschädigungsfonds ........................................................................ 210
Schlussbetrachtungen .......................................................................217
Inhaltsverzeichnis
XI
Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis
Vorwort ................................................................................................. VII Inhaltsübersicht....................................................................................... IX Inhaltsverzeichnis ................................................................................... XI Abkürzungsverzeichnis ....................................................................... XVII
Einleitung ................................................................................................1
Erster Teil: Entschädigungsfonds als selbstständiges Modell kollektiver Schadenstragung ...............................................................5 I. Die Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Entschädigungsrecht ..............................................................................5 A. Bestandsaufnahme der Entschädigungsfonds im deutschen und französischen Recht.............................................................................. 6 1. Fondseinrichtungen des deutschen Rechts ....................................... 6 a) Gegenwärtig existierende Entschädigungsfonds ......................... 6 aa) Die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Verkehrsunfallschäden........................................................ 6 bb) Die Einrichtung von Solidarfonds zum Ausgleich von Medizinschäden ................................................................ 10 (1) Die Conterganstiftung für behinderte Menschen............ 10 (2) Die Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“.......................... 13 (3) Die Entschädigungsregelung des Anti-D-Hilfegesetzes......................................................................... 17 (4) Der Hilfsfonds für Dopingopfer der DDR (zum 1. Januar 2008 aufgelöst)...................................... 19 cc) Die Einrichtung von Entschädigungsfonds im Bereich des Umweltrechts ............................................................. 21 (1) Bergschadensausfallkasse ............................................. 21 (2) Klärschlamm-Entschädigungsfonds............................... 24
XII
Inhaltsverzeichnis
(3) Solidarfonds Abfallrückführung (zum 1. Juli 2006 aufgelöst) ...................................................................... 26 dd) Die Einrichtung von Fonds in weiteren Rechtsgebieten.... 28 (1) Sicherungsfonds für die Lebens- und Krankenversicherung und Einlagensicherungsfonds der Banken...... 28 (2) Notarversicherungsfonds............................................... 31 (3) Tierseuchenkassen der Länder....................................... 33 (4) Wildschadensausgleichskassen der Länder .................... 35 b) Geplante, aber nicht realisierte Entschädigungsfonds............... 36 aa) Produkthaftungsfonds....................................................... 36 bb) Fonds für Arzneimittelschäden......................................... 38 cc) Fonds für Umweltschäden ................................................ 41 dd) Fonds für Medizinschäden ............................................... 44 2. Fondseinrichtungen des französischen Rechts................................ 46 a) Überblick über die bestehenden Entschädigungsfonds ............. 46 aa) Der Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages (FGAO)........................................................... 46 bb) Der Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autres infractions (FGTI) ......................... 49 cc) Der Fonds d’indemnisation des victimes de l’amiante (FIVA).............................................................................. 51 dd) Das Office national d’indemnisation des accidents médicaux, des affections iatrogènes et des infections nosocomiales (ONIAM).................................................... 53 ee) Sonstige Entschädigungsfonds.......................................... 59 b) Exkurs: Entwicklung von Fondslösungen als Konkretisierung der „solidarité nationale“?.............................. 61 3. Fondslösungen im internationalen Recht........................................ 65 a) Der Internationale Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden („IOPC Fonds“) ............................. 65 b) Sonstige internationale Entschädigungsfonds........................... 69 B. Typologie der Fondslösungen ............................................................. 69 1. Mögliche Funktionsweisen von Entschädigungsfonds.................... 69 a) Haftungsersetzende und haftungsergänzende Fonds ................. 70 b) Primäre und subsidiäre Fonds .................................................. 72 c) Garantie-, Ergänzungs- und Kompensationsfonds .................... 73 d) Zusammenfassung in schematischer Form ............................... 74 2. Grenzen der entwickelten Typologie.............................................. 74 C. Terminologisches zum Recht der Entschädigungsfonds ...................... 76
Inhaltsverzeichnis
XIII
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen.....................................77 A. Retrospektive Fondslösungen als Modell zur Regulierung von in der Vergangenheit liegenden Großschadensfällen........................... 78 1. Rechtspolitische Erwägungen ........................................................ 79 a) Überblick über die Anwendungsbereiche retrospektiver Fondslösungen ......................................................................... 79 (aa) Deutsches Recht.............................................................. 79 (1) Errichtung der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ als Reaktion auf die Contergan-Katastrophe..... 79 (2) Errichtung der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ als Reaktion auf die Schäden durch HIV-verseuchte Blutprodukte..... 81 (3) Anti-D-Hilfegesetz zur Entschädigung der in der DDR infolge einer Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis C infizierten Frauen........................................ 83 (4) Dopingopfer-Hilfsfonds zur Wiedergutmachung erlittenen DDR-Unrechts ............................................... 84 (bb) Französisches Recht ....................................................... 85 b) Zurechnungszusammenhang zwischen der Schadensverursachung und den Beitragszahlern des Fonds ...... 89 c) Rechtspolitische Zielvorstellungen bei der Errichtung retrospektiver Entschädigungsfonds ......................................... 92 (aa) Kanalisierung von Haftpflichtprozessen außerhalb des Gerichtssystems.......................................................... 92 (bb) Befriedung der Schädiger-Geschädigten-Beziehung durch das Zwischenschalten eines neutralen Entschädigungsorgans ...................................................... 93 2. Merkmale retrospektiver Entschädigungsfonds .............................. 96 a) Primäres Eingreifen der Fonds ................................................. 96 b) Kategorisierung der Geschädigten zur Erleichterung des Schadensausgleichs............................................................ 96 c) Zeitlich begrenzte Entschädigungslösungen ............................. 99 3. Zusammenfassung ....................................................................... 100 B. Prospektive Fondslösungen als Instrumente zur Lückenfüllung im Haftungsrecht .............................................................................. 101 1. Ergänzungsfonds als Mittel zur Ergänzung summenmäßig beschränkter Haftungsregimes ..................................................... 102 a) Kombination aus Haftungshöchstgrenze und Ergänzungsfonds zur Aufteilung eines schwer versicherbaren Schadensrisikos.............................................. 103 b) Deckungs- und Verteilungsprobleme auf Grund zunehmender Schadensvolumina............................................ 106
XIV
Inhaltsverzeichnis
2. Garantiefonds als Substitute bei Ausfall des Haftungsschuldners oder des Haftpflichtversicherers .................................................. 108 a) Verlagerung des Ausfallrisikos auf das Kollektiv der Beitragspflichtigen bei Versagen der Pflichtversicherung ...... 109 b) Anforderungen an die Erbringung des Ausfallnachweises...... 113 3. Kompensationsfonds als Instrumente zur Schadenskompensation in Ermangelung eines Haftpflichtschuldners ................................ 116 a) Ersatzpflicht bei Nichtidentifizierung des Haftpflichtschuldners ............................................................. 117 b) Ersatzpflicht bei fehlender Haftpflicht ................................... 120 C. Zusammenfassung: Grenzen der Unterscheidung zwischen prospektiven und retrospektiven Entschädigungsfonds ..................... 123 III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen innerhalb des Entschädigungsrechts...................................................................125 A. Abgrenzung von Fondslösungen zu privatversicherungsrechtlichen Instrumenten .................................................................................... 125 1. Gemeinsamkeiten zwischen Fondslösungen und Figuren der Privatversicherung................................................................. 127 a) Entschädigungsfonds als Haftpflichtversicherungen? ............. 128 b) Entschädigungsfonds als Sachschadens- oder private Unfallversicherungen? ........................................................... 129 c) Garantiefonds als Personenkautionsversicherungen?.............. 131 2. Unterschiede zwischen Fondslösungen und Figuren der Privatversicherung................................................................. 134 a) Kein privatautonom begründetes Verhältnis zwischen Fonds und Beitragspflichtigen .......................................................... 135 b) Keine individuelle Prämienkalkulation .................................. 136 c) Mangelnde Individualität der Beziehung zwischen Ersatzberechtigten und Beitragspflichtigen ............................ 137 3. Zusammenfassung und Ergebnis.................................................. 138 B. Abgrenzung von Fondslösungen zur Sozialversicherung und zur sozialen Hilfe ............................................................................. 139 1. Komplementarität der Fonds zu Sozialversicherungs- und Sozialhilfeleistungen ................................................................... 140 2. Kausal- vs. Finalprinzip bei der Begründung des Ersatzanspruchs........................................................................... 141 3. Mangelnder Nachweis der Bedürftigkeit oder einer sozialversicherungsrechtlichen Mitgliedschaft ............................. 143
Inhaltsverzeichnis
XV
C. Fondslösungen als Teilelement des sozialen Entschädigungsrechts... 144 1. Schadenstragung durch ein Kollektiv im Falle gesteigerter Verantwortlichkeiten der Allgemeinheit ...................................... 145 a) Rechtsdogmatische Grundlagen des sozialen Entschädigungsrechts............................................................. 145 b) Verortung von Entschädigungsfonds innerhalb des sozialen Entschädigungsrechts............................................................. 148 2. Rechtsfähigkeit des Sondervermögens als konstitutives Element von Entschädigungsfonds?........................................................... 151 a) Entschädigungsfonds als eigenständig organisierte juristische Personen ............................................................... 151 b) Entschädigungsfonds als unselbständige Sondervermögen..... 154 c) Kriterien zur Wahl der Organisationsform des Entschädigungsfonds ............................................................. 156
Zweiter Teil: Die Funktionen von Fondslösungen innerhalb des sozialen Entschädigungsrechts ................................................158 I. Schadenskompensation durch Entschädigungsfonds ...........................158 A. Prozessrechtliche Aspekte ................................................................ 159 1. Ausrichtung des Verfahrens auf die psychosozialen Bedürfnisse der Geschädigten ......................................................................... 160 a) Erkenntnisse aus der Viktimologie über die Bedürfnisse von Deliktsopfern .................................................................. 160 b) Unzureichende Berücksichtigung der Opferbedürfnisse durch Fondseinrichtungen ...................................................... 162 c) Maßnahmen zur Stärkung der Rolle des Geschädigten im Verfahren vor den Fonds................................................... 164 2. Gewährleistung von Verfahrensgrundrechten im Recht der Entschädigungsfonds ............................................................. 167 a) Verfahrens- und Organisationsgarantien während der Prüfung des Entschädigungsantrags ................................. 169 b) Das Recht auf eine Nachprüfung der Fondsentscheidung ....... 172 B. Materiell-rechtliche Aspekte............................................................. 173 1. Die Herausbildung abweichender Schadensersatzregeln .............. 174 a) Ersatz spezifischer Schadenspositionen.................................. 174 b) Sonderregeln zur Bemessung von Schadensersatz für Nichtvermögensschäden......................................................... 177 2. Die Relativierung des Prinzips der Totalreparation im Recht der Entschädigungsfonds ............................................................. 180
XVI
Inhaltsverzeichnis
II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds...............................182 A. Präventionseinbußen durch Abkopplung des Schadensersatzes von der Schadenszurechnung............................................................ 184 B. Maßnahmen zur Stärkung der Präventionswirkung von Entschädigungsfonds ........................................................................ 187 1. Perspektiven einer Übernahme versicherungsrechtlicher Risikosteuerungsinstrumente ....................................................... 188 2. Kollektive Geltendmachung der dem Fonds übertragenen Ersatzansprüche? ......................................................................... 191
Dritter Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Gefüge des Entschädigungsrechts ..................................................193 I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht .............................................................................193 A. Die Wahlmöglichkeit des Geschädigten ........................................... 194 1. Ergänzung, nicht Ersetzung des Haftungsrechts durch Entschädigungsfonds ................................................................... 195 2. Exkurs: Der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz – Hindernis bei der Einrichtung von Fondslösungen? ..................... 198 B. Das Zusammentreffen von Fondsleistungen und haftungsrechtlichem Schadensersatz................................................. 200 1. Die Ursache des Problems: Die Attraktivität haftungsrechtlichen Schadensersatzes gegenüber Fondsleistungen .............................. 202 2. Die Lösung des Problems: Ein notwendiges Kumulierungsverbot .................................................................... 203 II. Die Koordinierung der Entschädigungsfonds untereinander..............206 A. Hierarchisierung der Entschädigungsregimes nach der lex specialis-Regel...................................................................... 207 B. Perspektiven einer Zusammenführung bestehender Entschädigungsfonds ........................................................................ 210
Schlussbetrachtungen .......................................................................217 Literaturverzeichnis ...............................................................................221 Register ................................................................................................. 255
Abkürzungsverzeichnis
XVII
Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis
a. E. a.A. a.a.O a.F. AbfallR ABGB ABl. EG Abs. Abschn. AcP Act. Lég. Dalloz AgrarR AIFO
AMG Anm. ArbGG Art. ArztR AUR BADK-Information BAnz BayVBl. BB Bd. Beschl. BetrAVG BFH BFHE BG BGBl. BGH
am Ende andere Ansicht am angegebenen Ort alte(r) Fassung Zeitschrift für das Recht der Abfallwirtschaft Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch (Österreich) Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abschnitt Archiv für die civilistische Praxis (Zeitschrift) Actualités Législatives Dalloz (Zeitschrift) Zeitschrift für das gesamte Recht der Landwirtschaft, der Agrarmärkte und des ländlichen Raumes Monatszeitschrift über Ätiologie, Diagnostik, Klinik, Therapie, Prophylaxe und Epidemiologie von AIDS und verwandten Viruserkrankungen mit Beiträgen für Gesundheitswesen und Rechtspflege Arzneimittelgesetz Anmerkung Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Arzt- und Arzneimittelrecht (Zeitschrift) Agrar- und Umweltrecht (Zeitschrift) Information der Bundesarbeitsgemeinschaft Deutscher Kommunalversicherer (Zeitschrift) Bundesanzeiger Bayerische Verwaltungsblätter – Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung Betriebs-Berater Band Beschluss Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Bundesfinanzhof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Die Berufsgenossenschaft – Zeitschrift für Arbeitssicherheit und Unfallversicherung Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof
XVIII
Abkürzungsverzeichnis
BGHZ
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bulletin d’information de la Cour de cassation Jahrbuch / Bitburger Gespräche Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesnotarordnung Bundesrechtsanwaltsordnung Verhandlungen des Bundesrates / Drucksachen Verhandlungen des Bundesrates / Stenografische Berichte. Plenarprotokolle Bundessozialgericht Verhandlungen des Deutschen Bundestages / Drucksachen Verhandlungen des Deutschen Bundestages / Stenografische Berichte. Plenarprotokolle Bulletin des assurances (Zeitschrift) Bundesgesundheitsblatt Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Die Gemeinde : BWGZ / Zeitschrift für die Städte und Gemeinden für Stadträte, Gemeinderäte und Ortschaftsräte Code des asurances Code civil Code de l’environnement Code monétaire et financier Code pénal Code de procédure pénale Code rural Code de la santé publique Cour d’appel Cour administrative d’appel Cahiers juridiques de l’électricité et du gaz (Zeitschrift) Conseil constitutionnel Conseil d’Etat chronique Cour de cassation. 1./2. Zivilkammer Commission(s) d’indemnisation des victimes d’infractions commentaire Commission(s) régionale(s) de conciliation et d’indemnisation Cour de cassation. Strafkammer Recueil Dalloz (Zeitschrift) Deutsches Ärzteblatt Deutsches Autorecht (Zeitschrift)
BICC Bitburger Gespräche BKR BNotO BRAO BR-Drucks. BR-Prot. BSG BT-Drucks. BT-Prot. Bull. ass. Bundesgesundheitsbl. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerfGE BWGZ
C. assur. C. civ. C. envir. C. mon. fin. C. pénal C. proc. pén. C. rural C. sant. publ. CA CAA Cah. jur. électr. gaz CC CE chr. Civ. 1 / Civ. 2 CIVI comm. CRCI Crim. D. DÄBl. DAR
Abkürzungsverzeichnis DB dems. ders. dies. DJ DJT DMF DNotZ Doc. AN Doc. Ch. dép. Doc. Sénat doctr. DÖV DR Dr. & Patr. DRiZ DRK Dtl.-Archiv DuR DVBl. DVP EAEG Ebd. EGMR Einl. EMRK Environnement EP EStG EuGH EuGRZ f. FamRZ Fasc. FAZ FCAATA ff. FGAO FGTI FITH FIVA Fn.
XIX
Der Betrieb (Zeitschrift) demselben derselbe(n) dieselbe(n) Deutsche Justiz (Zeitschrift) Deutscher Juristentag Le Droit maritime français (Zeitschrift) Deutsche Notar-Zeitschrift Impressions de l’Assemblée nationale (projets de loi, propositions, rapports) Documents parlementaires de la Chambre des députés Documents parlementaires du Sénat doctrine Die öffentliche Verwaltung (Zeitschrift) Deutsches Recht – Zentralorgan des NationalSozialistischen Rechtswahrerbundes Droit & patrimoine (Zeitschrift) Deutsche Richterzeitung Deutsches Rotes Kreuz Deutschland Archiv – Zeitschrift für das vereinigte Deutschland Demokratie und Recht (Zeitschrift) Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Verwaltungspraxis (Zeitschrift) Einlagensicherungs- und Anlegerentschädigungsgesetz ebenda Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention Environnement – Actualité du droit public, privé et pénal de l’environnement (Zeitschrift) Entsorgungspraxis – Technik-Magazin für die Abfallwirtschaft Einkommensteuergesetz Europäischer Gerichtshof Europäische Grundrechte-Zeitschrift folgende Zeitschrift für das gesamte Familienrecht fascicule Frankfurter Allgemeine Zeitung Fonds de cessation anticipée d’activité des travailleurs de l’amiante fortfolgende Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autres infractions Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles Fonds d’indemnisation des victimes de l’amiante Fußnote
XX
Abkürzungsverzeichnis
FS G. Gaz. Pal. GG GVOBl GuP
Festschrift Gesetz Gazette du Palais (Zeitschrift) Grundgesetz Gesetz- und Verordnungsblatt Gesundheit und Pflege, Rechtszeitschrift für das gesamte Gesundheitswesen Hansa – International maritime journal (Zeitschrift) Herausgeber in der Fassung im eigentlichen Sinne informations rapides insbesondere International Oil Pollution Compensation Informationsdienst Umweltrecht (Zeitschrift) in Verbindung mit JurisClasseur Procédure civile (Loseblattsammlung) JurisClasseur Responsabilité civile et Assurances (Loseblattsammlung) JurisClasseur Rural (Loseblattsammlung) Juristische Ausbildung (Zeitschrift) La Semaine juridique – Entreprise et affaires (Zeitschrift) La Semaine juridique – Edition générale (Zeitschrift) La Semaine juridique – Social (Zeitschrift) Journal du droit international (Zeitschrift) Journal officiel de la République française Journal officiel de la République française – Débats parlementaires, Assemblée nationale, Compte rendu intégral Journal officiel de la République française – Avis et rapports du Conseil économique et social Journal officiel de la République française – Débats parlementaires, Sénat, Compte rendu intégral Juristische Rundschau (Zeitschrift) jurisprudence Juristische Schulung (Zeitschrift) Juristenzeitung (Zeitschrift) Kapitel Kraftfahrzeug-Pflichtversicherungsverordnung Kritische Justiz – Vierteljahresschrift für Recht und Politik Der Kompass – Zeitschrift für Sozialversicherung im Bergbau Kriminologisches Journal Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landgericht Lindenmaier-Möhring (Loseblattsammlung) Luftverkehrsgesetz
Hansa Hrsg. i.d.F. i.e.S. inf. rap. insb. IOPC IUR i.V.m. J.-Cl. Proc. civ. J.-Cl. Resp. civ. assur. J.-Cl. Rural JA JCP E JCP G JCP S JDI JO JO AN, Déb. parl.
JO Avis et rapports du Cons. écon. et soc. JO Sénat, Déb. parl. JR jur. JuS JZ Kap. KfzPflVV KJ Kompass KrimJ KritV LG LM LuftVG
Abkürzungsverzeichnis m.w.N. MDR Méd. & Droit MedR n.F. NeumZ NjW NJW NJW-RR NuR
NVwZ OEG ONIAM
OVG NW Petites Affiches PflVG PharmaInd PharmaR ProdHaftG RabelsZ RdM Rdnr. RDP RDSS Rép. proc. civ. Dalloz Resp. civ. assur. Rev. dr. rural Rev. dr. transp. Rev. fr. domm. corp. Rev. Lamy Dr. civ. Rev. sc. crim. RFD adm. RFD const. RG RGAT RGDM RGZ
XXI
mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für deutsches Recht Médecine & droit (Zeitschrift) Medizinrecht (Zeitschrift) neue(r) Fassung Neumanns Zeitschrift für Versicherungswesen Nieuw juridisch weekblad (Zeitschrift) Neue juristische Wochenschrift Neue juristische Wochenschrift – RechtsprechungsReport Zivilrecht Natur und Recht – Zeitschrift für das gesamte Recht zum Schutze der natürlichen Lebensgrundlagen und der Umwelt Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten Office national d’indemnisation des accidents médicaux, des affections iatrogènes et des infections nosocomiales Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen Les Petites Affiches – La loi (Zeitschrift) Gesetz über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter Die pharmazeutische Industrie (Zeitschrift) Pharma-Recht – Offizielles Organ des Deutschen Pharma-Recht-Tages (Zeitschrift) Produkthaftungsgesetz Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Recht der Medizin (Zeitschrift) Randnummer(n) Revue du droit public et de la science politique en France et à l’étranger (Zeitschrift) Revue de droit sanitaire et social (Zeitschrift) Répertoire de procédure civile Dalloz (Loseblattsammlung) Responsabilité civile et assurances (Zeitschrift) Revue de droit rural (Zeitschrift) Revue de droit des transports (Zeitschrift) Revue française du dommage corporel (Zeitschrift) Revue Lamy droit civil (Zeitschrift) Revue de science criminelle et de droit pénal comparé (Zeitschrift) Revue française de droit administratif (Zeitschrift) Revue française de droit constitutionnel (Zeitschrift) Reichsgericht Revue générale des assurances terrestres (Zeitschrift) Revue générale de droit médical (Zeitschrift) Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
XXII
Abkürzungsverzeichnis
Risques RIW RPG RRJ
Risques – Les cahiers de l’assurance (Zeitschrift) Recht der internationalen Wirtschaft (Zeitschrift) Recht und Politik im Gesundheitswesen (Zeitschrift) Revue de la recherche juridique, droit prospectif (Zeitschrift) Revue trimestrielle de droit civil (Zeitschrift) Seite(n)/Satz siehe Die Sozialgerichtsbarkeit (Zeitschrift) Erstes Buch des Sozialgesetzbuches Fünftes Buch des Sozialgesetzbuches Siebtes Buch des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch des Sozialgesetzbuches Schweizerische Juristenzeitung Cour de cassation. Kammer für Arbeits- und Sozialrecht Spalte Zeitschrift für Sport und Recht Staatsanwaltschaft Der Städtetag – Zeitschrift für kommunale Politik und Praxis Stadt und Gemeinde (Zeitschrift) Strafgesetzbuch Städte- und Gemeindebund (Zeitschrift) Städte- und Gemeinderat – Die Fachzeitschrift für Kommunal- und Landespolitik in Nordrhein-Westfalen Straßenverkehrsrecht (Zeitschrift) Tribunal administratif Tribunal de grande instance Transportrecht (Zeitschrift) Sève – Les tribunes de la santé (Zeitschrift) unter anderem Umwelt und Planungsrecht (Zeitschrift) Urteil Urteilssammlung für die Gesetzliche Krankenversicherung Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts (Zeitschrift) vom/von verbo (Worteintrag) Versicherungsaufsichtsgesetz Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Verwaltungsarchiv (Zeitschrift) vergleiche Vorbemerkung(en) Die Versicherungspraxis (Zeitschrift) Verwaltungsrundschau Vierteljahresschrift für Sozialrecht Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte
RTD civ. S. s. SGb SGB I SGB V SGB VII SGB X SGB XII SJZ Soc. Sp. SpuRt StA Städtetag StG StGB StGBund StGRat SVR TA TGI TranspR Trib. santé u.a. UPR Urt. USK UTR v. v° VAG VersR VerwArch vgl. Vorbem. VP VR VSSR VSWG
Abkürzungsverzeichnis VVDStRL VVG VW VwVfG Wasser & Boden WM WuV ZAP ZEuP ZfB ZfL zfs ZfW ZHR ZLR ZParl ZPO ZRP ZSR ZStW ZUR ZVersWiss
XXIII
Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer Versicherungsvertragsgesetz Versicherungswirtschaft (Zeitschrift) Verwaltungsverfahrensgesetz Wasser & Boden – Zeitschrift für die gesamte Wasserwirtschaft Wertpapier-Mitteilungen (Zeitschrift) Wirtschaft und Verwaltung (Zeitschrift) Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Bergrecht Zeitschrift für Lebensrecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Wasserrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zeitschrift für Parlamentsfragen Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Sozialreform Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Umweltrecht Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft
XXIV
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung Einleitung
Das Recht des Schadensausgleichs ist wie kaum ein anderer Zweig des Bürgerlichen Rechts das Ergebnis sozialer und technologischer Umwälzungen, welche unsere Gesellschaft seit dem 19. Jahrhundert kennzeichnen1. Neuartige technische Risiken haben die Rechtswissenschaft vor die Herausforderung gestellt, neue Strategien zur Bewältigung der daraus erwachsenden Schäden zu suchen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, ist das traditionelle, auf der Verschuldensdoktrin fußende Haftungsrecht um das Institut der Gefährdungshaftung ergänzt worden. Beide Haftpflichtmodelle bilden ein von Esser treffend als „zweispuriges Schadensausgleichsrecht“2 bezeichnetes System, welches in weiten Bereichen von der versicherungsrechtlichen Schadensabnahme überlagert wird3. Der Ausbau der sozialen Sicherungssysteme im modernen Wohlfahrtstaat hat das Entschädigungsrecht zu einem komplexen Gefüge konkurrierender Schadensabnahmesysteme werden lassen. Will man das moderne Recht der Schadenskompensation in seiner Vielschichtigkeit erfassen, so sind neben dem Deliktsrecht daher zwingend auch versicherungs- und sozialrechtliche Regelungsinstrumente zu berücksichtigen, sofern diese zum Ausgleich von Schäden beitragen. Die aus dem Nebeneinander verschiedener Kompensationsinstrumente erwachsenden Koordinierungsprobleme gründen auf der eigenständigen Dogmatik, Terminologie und Prinzipienfindung, die jedem Teilsystem des Entschädigungsrechts immanent ist. Insbesondere führt die Durchbrechung der Trennlinie zwischen Öffentlichem und Bürgerlichem Recht zu Friktionen, die bisher nur ansatzweise einer befriedigenden Regelung zugeführt wurden. Neben der Privatversicherung und dem sozialrechtlichen Schadensausgleich haben im Laufe der vergangenen Jahrzehnte Entschädigungsfonds 1
Zur neueren Geschichte des Deliktsrechts Brüggemeier, Prinzipien des Haftungsrechts, S. 7 ff., Kötz, Sozialer Wandel im Unfallrecht, S. 5 ff.; Heuss, ZVersWiss 1967, 151 sowie v. Caemmerer, in: FS 100 Jahre DJT, Bd. 2, S. 49 ff. In französischer Sprache Viney, Introduction à la responsabilité, Rdnr. 17 ff. 2 Esser, JZ 1953, 129. 3 Frhr. Marschall v. Bieberstein, VersR 1968, 519 spricht daher auch von einer Dreispurigkeit des Haftungsrechts. Siehe auch MüKo-Wagner, Vor § 823, Rdnr. 16 ff. m.w.N.
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Einleitung
als alternative Instrumente zur Schadensabnahme an Bedeutung gewonnen. Fondslösungen treten in der rechtspolitischen Diskussion immer deutlicher als eigenständige Schadenstragungsmodelle in Erscheinung und präsentieren sich im europäischen Vergleich als Ausdruck einer modernen Rechtsordnung4. Kaum ein Jahr vergeht, ohne dass ein Entschädigungsfonds errichtet wird oder der Anwendungsbereich eines bestehenden Fonds auf neue Schadenskategorien ausgedehnt wird. Besonders im Gesundheitsrecht5, im Umweltrecht6 oder zur Regelung von Massenschadensfällen7 erweist sich die Einrichtung von Fondslösungen als ein kommoder Mittelweg zwischen dem Ausbau des tradierten Haftungsrechts und einer sozialrechtlich inspirierten öffentlich-rechtlichen Entschädigungslösung. Auf der Grundlage einer systematischen Darstellung bestehender Fondseinrichtungen sowie der wichtigsten Fondsprojekte soll in der nachfolgenden Untersuchung erörtert werden, inwieweit Entschädigungsfonds zur Lösung von Regelungsproblemen innerhalb des bestehenden Schadensausgleichsrechts beitragen können. Hierbei liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf der rechtlichen Einordnung von Fondslösungen in das Gefüge des Entschädigungsrechts sowie deren Vergleich mit der Schadensabwicklung nach haftungsrechtlichen Maßstäben. Bei der Bearbeitung der einzelnen Themenkreise soll neben dem deutschen Recht besonders das französische Entschädigungsrecht Berücksichtigung finden. In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat der französische Gesetzgeber in einer Vielzahl von Rechtsbereichen Fondslösungen unterschiedlicher Regelungsbreite geschaffen, die neben den in Deutschland errichteten Entschädigungsfonds als Ausgangspunkt dieser Arbeit dienen. 4 Zum kürzlich in Belgien eingerichteten Entschädigungsfonds für Medizinunfallschäden siehe Staquet, Consilio 2010 (Nr. 4), 136 sowie Boone/Lierman/Jocqué, NjW 2011, 158. Zu den österreichischen Patientenentschädigungsfonds, siehe unten S. 46. Vgl. auch zum lettischen Recht BitƗns, in: Koziol/Steininger (Hrsg.), European Tort Law 2009, 2010, S. 360 ff. sowie zum polnischen Recht BagiĔska, in: Koziol/Steininger (Hrsg.), European Tort Law 2010, 2011, S. 451. Entschädigungsfonds sind überdies zur Regulierung von Asbestschäden und Schäden durch HIV-verseuchte Blutprodukte eingerichtet worden. Zum belgischen Entschädigungsfonds für Asbestopfer De Kezel, NjW 2008, 282. Zu den spanischen Fonds für HIV-Geschädigte Seuba Torreblanca, Sangre contaminada, responsabilidad civil et ayudas públicas, 2002. 5 Siehe nur Faure, ZEuP 2000, 575, 584 ff. Weitere Nachweise unten S. 44 f. 6 Ausführlich Ganten, Fonds zum Ausgleich von Umweltschäden, 1988 sowie Hohloch, Entschädigungsfonds auf dem Gebiet des Umwelthaftungsrechts, 1994. Siehe auch unten S. 51 f. m.w.N. 7 Statt vieler v. Bar, in: Gutachten 62. DJT, S. A 1 ff.; H. Koch, in: ders. (Hrsg.), Herausforderungen an das Recht, S. 95 ff.; G. Müller, VersR 1998, 1181; Wagner, in: Casper/Janssen/Pohlmann/Schulze (Hrsg.), Auf dem Weg zu einer europäischen Sammelklage?, S. 41 ff. sowie rechtsvergleichend Brüggemeier, Prinzipien des Haftungsrechts, S. 241 ff. Zuletzt auch Schaub, JZ 2011, 13.
Einleitung
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Beide Rechtsordnungen zeichnen sich durch unterschiedliche haftungsrechtliche Grundprinzipien aus8, welche in die Analyse einbezogen werden müssen. Eine Untersuchung des Rechts der Entschädigungsfonds vor dem Hintergrund des deutschen und französischen Deliktsrechts bietet die Gelegenheit, Vorschläge für die weitere Entwicklung eines „Rechts der Entschädigungsfonds“ zu erarbeiten. Einleitung
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Siehe v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. 1, Rdnr. 13 ff. sowie detailliert in französischer Sprache Berg, RTD civ. 2006, 53.
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Einleitung
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als selbstständiges Modell kollektiver Schadenstragung Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
I. Die Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Entschädigungsrecht I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
Eine rechtsdogmatische Durchdringung des Rechts der Entschädigungsfonds bedarf in einem ersten Schritt einer Darstellung existierender Fondseinrichtungen sowie der von Rechtswissenschaft und -politik diskutierten, jedoch nicht realisierten Fondsmodelle. Hierbei soll im Folgenden nicht etwa detailliert auf die Funktionsweise jedes einzelnen Fonds eingegangen werden1, sondern vielmehr ein Überblick über den Anwendungsbereich des Fonds sowie über die Gründe gegeben werden, welche den Gesetzgeber zur Einrichtung eines Sonderentschädigungsregimes bewogen haben. Eine solche Bestandsaufnahme ermöglicht in einem zweiten Schritt die Erarbeitung einer ersten Typologie der Entschädigungsfonds je nach deren Funktionsweise. Die unterschiedliche Bedeutung der Fonds erklärt sich sowohl durch die Breite der abgedeckten Schadenskategorie als auch durch das Verhältnis der Entschädigungsregelung zum Haftungsrecht. Das Sonderregime kann so ausgestaltet werden, dass es entweder an die Stelle des vom Haftungsschuldner zu leistenden Schadensersatzes oder aber, was der Regelfall ist, neben diesen tritt. Ist Letzteres der Fall, kann die Eintrittspflicht des Fonds, je nach Ausgestaltung, entweder einer Subsidiaritätsklausel unterliegen oder unabhängig von der Durchsetzung des haftungsrechtlichen Ersatzanspruchs geltend gemacht werden.
1 Insoweit kann auf die Nachweise verwiesen werden, welche bei der Darstellung der einzelnen Fondseinrichtungen aufgeführt sind (sogleich S. 6 ff.). Siehe auch Hohloch, Entschädigungsfonds auf dem Gebiet des Umwelthaftungsrechts, S. 22 ff. m.w.N.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
A. Bestandsaufnahme der Entschädigungsfonds im deutschen und französischen Recht Vergleicht man das deutsche und französische Entschädigungsrecht unter dem Blickwinkel existierender Fondslösungen, so wird deutlich, dass deren Stellenwert innerhalb des deutschen Rechts geringer ist als in Frankreich. Auch wenn die Anzahl der in Deutschland errichteten Entschädigungsfonds nicht unerheblich ist, so überwiegt doch bei weitem – was die Breite des Anwendungsbereichs sowie die tatsächliche Inanspruchnahme anbelangt – die Bedeutung der französischen Einrichtungen. Um die Aufarbeitung des Rechts der Entschädigungsfonds zu erleichtern, sollen im Folgenden die Charakteristika der deutschen, französischen und internationalen Kompensationseinrichtungen kurz skizziert werden. Besondere Aufmerksamkeit soll hierbei der Beantwortung folgender Fragen zukommen: Welche Schadenskategorien werden von dem Fonds erfasst? Aus welchen Überlegungen heraus ist der Entschädigungsfonds geschaffen worden? Sind im Gesetzgebungsverfahren alternative Schadenstragungsmodelle erwogen worden? Wie ist die Funktionsweise des Fonds und wer finanziert die Entschädigungsleistungen? 1. Fondseinrichtungen des deutschen Rechts Zur Darstellung der Entschädigungsfonds des deutschen Rechts ist zwischen den gegenwärtig existierenden Fondseinrichtungen und den in der Literatur diskutierten, gesetzgeberisch aber nicht umgesetzten Modellen zu unterscheiden. Letztere sind deshalb von Interesse, da in einigen Rechtsgebieten z.T. überaus detaillierte Entwürfe zur Ausgestaltung sondergesetzlicher Entschädigungsregelungen vorgetragen worden sind. a) Gegenwärtig existierende Entschädigungsfonds Das deutsche Rechtssystem kennt Schadensausgleichsfonds vor allem im Straßenverkehrsunfallrecht sowie auf dem Gebiet des Medizinschadensrechts. Punktuell sind auch Fonds im Umwelt-, Bank-, Jagd- und Agrarrecht sowie im Notariatswesen eingerichtet worden. aa) Die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Verkehrsunfallschäden Der in § 12 PflVG vorgesehene „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ ist eine der ältesten Fondseinrichtungen des deutschen Entschädigungsrechts2. Er übernimmt die Aufgabe, Lücken im System der Kfz-Pflichtversicherung auszufüllen und Verkehrsunfallopfer vor 2
Siehe §§ 12 f. PflVG i.d.F. des Gesetzes über die Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter v. 5.4.1965 (BGBl. 1965, I, 213).
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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unbilliger Härte zu bewahren. Nach Maßgabe von § 13 Abs. 2 PflVG werden die Aufgaben des Fonds seit dem Jahre 19653 durch den im Jahre 1963 gegründeten Verein Verkehrsopferhilfe e.V. wahrgenommen. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Die Fallgruppen, in denen der Verein Verkehrsopferhilfe an Opfer von Verkehrsunfällen eintritt, werden in § 12 Abs. 1 PflVG abschließend aufgezählt. Eine Eintrittspflicht des Vereins besteht demnach, wenn das am Unfall beteiligte Kraftfahrzeug des Schädigers nicht ermittelt werden konnte und das Verkehrsopfer seine dem gegenüber Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer zustehenden Schadensersatzansprüche nicht geltend machen kann (Nr. 1). Neben diesen sog. „Fahrerfluchtfällen“4 erstreckt sich die Ausgleichspflicht auch auf die Fälle, in denen das Fahrzeug nicht wie vorgeschrieben haftpflichtversichert war (Nr. 2)5 oder zu einer vorsätzlichen Schädigung benutzt worden ist (Nr. 3). Zum 1. Januar 2003 sind dem Verkehrsopferhilfe-Verein zudem die Zuständigkeiten des aufgelösten Vereins Solidarhilfe e.V. übertragen worden; seitdem ist nach § 12 Abs. 1 Nr. 4 PflVG die Verkehrsopferhilfe auch dann zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn über das Vermögen des an sich zum Ausgleich verpflichteten Kraftfahrzeughaftpflichtversicherers ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist6. Schließlich nimmt der Fonds auch die Aufgaben der Entschädigungsstelle für die Abwicklung sog. „Auslandsunfälle“ wahr, die durch die 4. KraftfahrzeughaftpflichtRichtlinie (2000/26/EG) maßgeblich erleichtert wurde7. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Anders als im französischen Recht, in dem eine allgemeine Versicherungspflicht für Halter von Kraftfahrzeugen erst 1958 eingeführt wurde, hat der deutsche Gesetzgeber bereits seit dem 1. Juli 1940 Halter eines Kraftfahrzeugs zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung verpflichtet. Die Errichtung eines Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen diente demnach, 3
Siehe § 1 VO über den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen v. 14.12.1965 (BGBl. 1965, I, 2093), geändert durch VO v. 17.12.1994 (BGBl. 1994, I, 3845). 4 § 12 Abs. 1 Nr. 1 PflVG erfasst neben den Fällen der „Fahrerflucht“ bzw. Unfallflucht im Sinne des § 142 StGB auch diejenigen Unfälle, in denen der Fahrer des Fahrzeugs falsche Angaben zum Kennzeichen gemacht, gefälschte Kennzeichen benutzt oder den Unfall gar nicht bemerkt hat. Ausführlich hierzu Weber, DAR 1987, 333, 337 f. sowie Bruck/Möller-Johannsen, Kommentar zum VVG8, Bd. V/1, Anm. B 106. 5 Vgl. auch § 12 Abs. 1 Nr. 2a PflVG, wonach eine Eintrittsverpflichtung des Vereins auch dann besteht, wenn der Halter des Fahrzeugs nach § 2 Abs. 1 Nr. 6 PflVG oder einer entsprechenden Bestimmung eines anderen Mitgliedsstaats der EU von der Versicherungspflicht befreit ist. Hierzu A. Becker, DAR 2008, 187 f. 6 Hierzu näher Becker/Böhme/Biela, Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden, S. 396. 7 Detailliert Lemke-Geis/Müller, SVR 2009, 241, 245; Schröder, SVR 2008, 196, 199; Riedmeyer, zfs 2006, 132 ff. sowie Rödel, ZAP Fach 9, 723, 729 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
anders als in Frankreich8, ausschließlich der Schließung von Schutzlücken, die sich nach Einführung der Versicherungspflicht als regelungsbedürftig erwiesen hatten9. Alternativen zur Fondslösung – Aus den Gesetzesmaterialien ist ersichtlich, dass zum Zeitpunkt der Ausarbeitung des Gesetzesentwurfes alternative Kompensationsinstrumente nicht in Betracht gezogen wurden. Es galt, das bestehende System der Pflichtversicherung zu vervollständigen, um die Entschädigung von Unfallopfern zu verbessern, nicht jedoch das KfzUnfallrecht radikal umzugestalten. In der Begründung des Gesetzesentwurfs führte die Bundesregierung an, dass sich die Entscheidung, „die Entschädigung der Verkehrsopfer nicht durch Maßnahmen im Bereich der staatlichen Fürsorge oder der sozialen Sicherheit, sondern durch Verwendung des privatrechtlichen Instituts der Haftpflichtversicherung zu gewährleisten, […] grundsätzlich als richtig erwiesen“10 habe. Unter Verweis auf Art. 9 des Europäischen Übereinkommens über die obligatorische Haftpflichtversicherung für Kraftfahrzeuge vom 20. April 1959 ist die Entscheidung zugunsten eines Entschädigungsfonds nie ernsthaft diskutiert oder in Frage gestellt worden11. Blickt man auf die Anfänge des Verkehrsunfallrechts zurück, so fällt auf, dass Fondsmodelle in der rechtswissenschaftlichen Diskussion der 1930er und 1940er Jahre auch als Alternative zur Pflichtversicherung Erwähnung fanden12. So wurde zu jener Zeit der Gedanke einer „Reichskasse für Verkehrsunfälle“ zur Abdeckung sämtlicher Verkehrsunfallschäden 8 Der Fonds de garantie automobile trat insbesondere in den Fällen ein, in denen der Schädiger nicht (freiwillig) versichert war und die Entschädigungssumme nicht aus eigenen Mitteln aufbringen konnte. Siehe unten S. 46. 9 Darauf weisen auch die parlamentarischen Materialien hin. Siehe die Begründung des Gesetzesentwurfes durch die Bundesregierung (BT-Drucks. IV/2252, S. 11 u. 24). 10 BT-Drucks. IV/2252, S. 11. 11 Ebd. Anders als dies die Bundesregierung in der Gesetzesbegründung ausführt, verpflichtet das Übereinkommen die Vertragsparteien keinesfalls zur Einführung eines Entschädigungsfonds. In Art. 9 heißt es lediglich, „jede Vertragspartei [werde] entweder die Gründung eines Entschädigungsfonds veranlassen oder sonstige gleichwertige Maßnahmen treffen“ (BGBl. 1965, II, 282, 285). Siehe hierzu den Vergleich der in den einzelnen Ländern geschaffenen Hilfseinrichtungen bei Bott, Der Schutz des Unfallgeschädigten, S. 113 ff. 12 Zusammenfassend zur Diskussion über die seit Beginn der 1900er Jahre entwickelten Fondsmodelle Barner, Die Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter, S. 13 ff. Zur Einrichtung eines Fonds zur Abdeckung von Fahrerflucht- und Schwarzfahrerfällen siehe insb. Lintz, NeumZ 1935, 849, 854; Thees, DJ 1939, 71, 74; Sieg, Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung, S. 275. Vgl. auch Trendel, DAR 1935, 73, 145 (Sp. 289 ff.); Roeder, Die Stellung der Geschädigten in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, S. 63 f. und Ullrich, Bericht des Ausschusses für Versicherungswesen über die Einführung einer Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter, S. 25 f.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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diskutiert, der jedoch überwiegend auf Ablehnung stieß13. Im Vergleich hierzu traf der Vorschlag eines Entschädigungsfonds als Alternative zur versicherungsrechtlichen Schadensabwicklung im französischen Schrifttum jener Zeit auf breitere Zustimmung. Dennoch wurde die Fondsidee ebenso wie die Pflichtversicherungslösung letztlich verworfen14. Funktionsweise des Fonds – Die Funktionsweise des Vereins Verkehrsopferhilfe wird maßgeblich durch die Subsidiarität der Leistungspflicht geprägt. So ist der Fonds nur dann zum Schadensausgleich verpflichtet, wenn der Geschädigte etwaige Ersatzansprüche nicht anderweitig geltend machen kann. Gemäß Art. 12 § 1 Satz 2 bis 5 PflVG hat die Inanspruchnahme von haftpflichtigen Personen, etwa dem Fahrer, Halter oder Eigentümer des Fahrzeugs sowie von Schadensversicherern und Sozialversicherungsträgern Vorrang15. Eine Durchbrechung der Subsidiaritätsklausel ist lediglich für den Fall der Insolvenz des Haftpflichtversicherers vorgesehen. Der Antragsteller wendet sich direkt an den Verein Verkehrsopferhilfe, welcher nach § 10 der Vereinssatzung16 den Antrag zur weiteren Bearbeitung an einen Kfz-Haftpflichtversicherer weiterleitet, sofern dieser nicht „vom Verein wegen ihres geringen Umfangs sofort befriedigt oder wegen offenbarer Unbegründetheit zurückgewiesen“ wird. Kommt es zwischen dem Antragsteller und dem beauftragten Versicherungsunternehmen zu keiner Einigung, so wird die Regulierungskommission des Verkehrsopferhilfe-Vereins befasst, welche einen erneuten Entschädigungsvorschlag unterbreitet. Wird dieser nicht angenommen, muss der Antragsteller zunächst die bei dem Verein eingerichtete Schiedsstelle anrufen17, bevor ein gerichtliches Verfahren gegen den Verein eingeleitet werden kann18.
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So etwa Würdinger, DR 1937, 58, 60 („der Gemeinschaftsgedanke und der soziale Gesichtspunkt [werden] überspitzt“) und Jannott, Kraftfahrzeughaftpflicht-Recht und -Versicherung im In- und Ausland, S. 27. 14 Hierzu ausführlich Fortin-Tunc, Le fonds de garantie en matière d’accidents d’automobiles, Rdnr. 11 ff. In deutscher Sprache s. auch Kleinewefers, Zwangshaftpflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter, S. 60 ff. 15 Detailliert zum Subsidiaritätsprinzip und den einzelnen gesetzlich bestimmten Vorleistungspflichten Weber, DAR 1987, 333, 344 ff. sowie Baumann, Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 42 ff. 16 Die Satzung ist einzusehen unter http://www.verkehrsopferhilfe.de/uploads/ media/Satzung_VOH_02.pdf. 17 Hierzu näher §§ 12 f. der Satzung der Verkehrsopferhilfe. Kritisch zur Rolle der Schiedsstelle Bruck/Möller-Johannsen, Kommentar zum VVG8, Bd. V/1, Anm. B 124. Optimistischer Schmeer, ZVersWiss 1985, 686, 691. Siehe auch Sieg, VersR 1967, 324 f. („Gütestelle“). 18 § 9 VO über den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen und § 11 Abs. 6 der Satzung der Verkehrsopferhilfe. Für den Fall der Eintrittspflicht des
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Finanzierung der Fondsleistungen – Nach § 13 PflVG werden die Beiträge zur Deckung der Entschädigungsleistungen sowie der Verwaltungskosten von den Kfz-Haftpflichtversicherern aufgebracht und zwar „unter Berücksichtigung ihres Anteils am Gesamtbestand der Fahrzeuge und der Art dieser Fahrzeuge“19. § 16 Abs. 1 der Vereinssatzung sieht für die Eintrittspflicht des Fonds bei einem Insolvenzfall vor, dass „die für die Regulierung der Schäden [...] erforderlichen Schadenaufwendungen und -regulierungskosten“ von den Versicherungsunternehmen durch eine besondere Umlage aufgebracht werden, welche sich „nach dem Anteil an der direkten Beitragseinnahme des vergangenen Kalenderjahres in der KraftfahrzeugHaftpflichtversicherung“ bemisst. bb) Die Einrichtung von Solidarfonds zum Ausgleich von Medizinschäden (1) Die Conterganstiftung für behinderte Menschen Die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“, welche durch das Gesetz vom 18. Oktober 2005 in „Conterganstiftung für behinderte Menschen“ umbenannt wurde20, geht auf das Gesetz vom 17. Dezember 1971 zurück, mit welchem der Gesetzgeber auf die sog. „Contergankatastrophe“ reagierte. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Nach § 2 Nr. 1 Conterganstiftungsgesetz21 liegt der Zweck der Stiftung hauptsächlich22 in der Erbringung von Leistungen an behinderte Menschen, „deren Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH […] durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden könFonds bei Insolvenz des Kfz-Haftpflichtversicherers ist kein Verfahren vor der Schiedsstelle vorgesehen (§ 9a VO sowie 15 Abs. 4 der Satzung). 19 Beitragspflichtig sind ebenso die von der Versicherungspflicht befreiten Halter nicht versicherter Fahrzeuge. Im Einzelnen zur Berechnung und Erhebung der Beiträge, siehe § 4 der Satzung des Verkehrsopferhilfevereins. 20 Neben der Namensänderung wurden durch das Gesetz auch die gesetzlichen Regelungen über die Eintrittspflicht der Stiftung und das Verfahren zur Geltendmachung der Ersatzansprüche neu gefasst. Umfassend zu den neuen Regelungen Breuer/Louis, MedR 2007, 223. Zu den jüngsten Änderungen durch das zweite Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes v. 25.6.2009 siehe Czernik, VersR 2010, 744. 21 Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen v. 18.10.2005, zuletzt geändert durch G. v. 25.6.2009. Neufassung durch Bekanntmachung v. 25.6.2009 (BGBl. 2009, I, 1537). 22 Seit 2009 ist neben der Erbringung von Leistungen auch die „Förderung oder Durchführung von Forschungs- und Erprobungsvorhaben“ zur Eingliederung contergangeschädigter Menschen sowie zur Milderung der durch Spätfolgen hervorgerufenen Beeinträchtigungen Aufgabe der Conterganstiftung (§ 2 Nr. 2 ContStifG). Zuvor wurde noch allgemein die Eingliederung behinderter Menschen unter 21 Jahren als Stiftungszweck genannt (§ 2 Nr. 2 ContStifG a.F.). Hierzu Czernik, VersR 2010, 744, 745.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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nen“, sowie unter bestimmten Voraussetzungen an deren Erben23. Laut § 12 des Gesetzes muss die betroffene Person zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Errichtungsgesetzes, also am 31. Oktober 197224, gelebt haben. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Unmittelbarer Anlass der Errichtung der Stiftung im Jahre 1972 war die sog. „Contergankatastrophe“, welche als eine der folgenreichsten Arzneimittelkatastrophen in die deutsche Geschichte eingegangen ist. Die Firma Chemie Grünenthal GmbH in Stolberg entwickelte in den Jahren 1955 bis 1957 ein Beruhigungs- und Schlafmittel auf der Basis des Wirkstoffes Thalidomid, welches unter der Bezeichnung Contergan in den Handel gebracht wurde. Der Hersteller erklärte das Mittel für allgemein ungefährlich und schloss die Einnahme von Contergan während der Schwangerschaft nicht aus. Nachdem Ende des Jahres 1961 erste Pressemeldungen über den Zusammenhang zwischen der Einnahme von Contergan und schweren Missbildungen bei Neugeborenen erschienen waren, zog die Herstellerfirma die Substanz aus dem Handel. Grünenthal selbst geht heute davon aus, dass während der Vermarktung von Contergan in Deutschland etwa 5.000 Kinder mit Fehlbildungen zur Welt gekommen sind25. Der Ruf nach Entschädigung der Betroffenen wurde mit der Errichtung der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ durch das Gesetz vom 17. Dezember 1971 beantwortet. Alternativen zur Fondslösung – Die Schaffung einer Entschädigungslösung zugunsten der „Contergan-Kinder“ ist eng mit dem Strafverfahren verbunden, welches durch die Staatsanwaltschaft Aachen im März 1967 gegen neun leitende Angestellte der Firma Grünenthal eingeleitet wurde. Die Eltern von 220 betroffenen Kindern schlossen sich seinerzeit dem Verfahren als Nebenkläger an. Das Verfahren wurde jedoch mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft eingestellt, nachdem sich Grünenthal bereit erklärt hatte, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht zur Abgeltung etwaig bestehender Schadensersatzansprüche einen Betrag von 100 Millionen DM zu zahlen26. Da dieser Beitrag zur Befriedigung aller Kompensationsansprüche nicht ausgereicht hätte, hat sich der Gesetzgeber zur Errichtung einer Stiftung entschieden, in deren Vermögen die Vergleichssumme –
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§ 13 Abs. 5 S. 2 ContStifG. Zu den Gründen des verzögerten Inkrafttretens des Gesetzes v. Zezschwitz, FamRZ 1972, 625. 25 Von den 5.000 Betroffenen leben zurzeit noch ca. 2.800 in Deutschland. Vgl. die Informationen auf der Internetseite http://www.contergan.grunenthal.info (Rubrik: Die Tragödie – der Verlauf in Westdeutschland). Zu den Schädigungen durch thalidomidhaltige Arzneimittel in anderen Ländern siehe Böhm, Die Entschädigung der ConterganKinder, S. 14. 26 Siehe StA Aachen, Beschl. v. 18.12.1970, DRiZ 1971, 45, 48 f. Kritisch Derleder/Winter, DuR 1976, 260, 268 f. 24
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
nicht ohne juristische Schwierigkeiten27 – überführt wurde28. Trotz anfänglicher Bemühungen des Gesetzgebers, eine nationale Stiftung zugunsten aller behinderten Kinder zu schaffen, ist letztlich lediglich eine „kleine Lösung“ verwirklicht worden29. Funktionsweise des Fonds – Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz werden nach § 16 Abs. 1 S. 1 auf Antrag gewährt. Der Entschädigungsantrag wird durch eine Kommission geprüft, die sich aus medizinischen Sachverständigen verschiedener Fachbereiche zusammensetzt und von einem Vorsitzenden mit Befähigung zum Richteramt geleitet wird. Hierbei obliegt es dem Antragsteller, Informationen und Unterlagen über die Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Firma Grünenthal durch dessen schwangere Mutter sowie den einzelnen Schädigungen einzureichen30. Das Verfahren richtet sich im Weiteren nach den Regelungen des VwVfG und unterliegt gemäß § 23 des Gesetzes der Zuständigkeit des Verwaltungsrechtswegs31. Die Eintrittspflicht der Stiftung unterliegt hierbei keiner Subsidiaritätsregel; eine vorherige Geltendmachung von Ersatzansprüchen ist demnach nicht erforderlich. An die Leistungen der Stiftung ist ebenso wenig ein Anspruchsübergang geknüpft, sodass ein Rückgriff auf etwaige Haftungsschuldner nicht möglich ist32.
27 Zur Verfassungsmäßigkeit der Übernahme der Vergleichsmittel durch die Stiftung BGH, Urt. v. 13.2.1975 – VI ZR 44/74 – BGHZ 64, 30 = VersR 1975, 533 ff. = JuS 1976, 788, Anm. Braun = LM Art. 14 (Ba) GG, Nr. 36, Anm. Steffen und BVerfG, Urt. v. 8.7.1976 – 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1BvR 148/75 – BVerfGE 42, 263 = NJW 1976, 1783 = JA 1976, 765. Hierzu auch unten S. 70 sowie S. 195 ff. 28 Siehe § 10 der Satzung der Conterganstiftung (BAnz 2010, 1048), wonach „ein wesentlicher Zweck der gesetzlichen Regelung darin [besteht], die contergan-geschä-digten Menschen besserzustellen, als sie bei einer Abwicklung des [Vergleichsvertrages] stünden“. 29 Vgl. den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Errichtung einer nationalen Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“ v. 24.2.1970 (abgedruckt bei Böhm, Die Entschädigung der Contergan-Kinder, S. 40 ff.) sowie den Gesetzesentwurf der Bundesregierung v. 30.4.1970 (BT-Drucks. VI/926). Siehe auch die Wortmeldungen der Abg. Henze und Burger in der 2. Lesung vor dem Bundestag (BT-Prot. Nr. 6/130, S. 7587 u. 7590 f.). 30 Vgl. im Einzelnen § 6 der Richtlinien für die Gewährung von Leistung wegen Contergan-Schadensfällen v. 30.6.2009 (BAnz 2009, 2313) sowie den von der Stiftung herausgegebenen Antragsvordruck (http://www.conterganstiftung.de). Insoweit trifft den Antragsteller eine Mitwirkungspflicht i. S. d. § 26 II VwVfG. 31 In § 20 des Gesetzes über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ war noch der ordentliche Rechtsweg zum Zivilgericht vorgesehen. Zur Begründung der Änderung des Rechtswegs durch das Gesetz v. 18.10.2005 siehe Breuer/Louis, MedR 2007, 223, 227. 32 Einen ausdrücklichen Ausschluss des Rückgriffs sah § 23 Stiftungsgesetz noch vor. Diese Bestimmung ist jedoch mit dem Änderungsgesetz von 2005 ersatzlos gestrichen worden. Dass der Gesetzgeber die Stiftung durch diese Änderung zum Rückgriff ermäch-
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Finanzierung der Fondsleistungen – Die bisher erbrachten Leistungen in einer Gesamthöhe von mehr als 460 Mio. Euro33 sind zum großen Teil aus Bundesmitteln finanziert worden. Die Firma Grünenthal hat zum Zeitpunkt der Errichtung der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ 100 Mio. DM und im Jahre 2009 weitere 50 Mio. Euro zur Verfügung gestellt34. Die seinerzeit von der Bundesregierung gehegten Hoffnungen auf maßgebliche Spenden aus der Zivilgesellschaft haben sich nicht erfüllt. Nichtsdestotrotz ist die Conterganstiftung nach wie vor zur Annahme von „Zuwendungen von dritter Seite“ berechtigt35. (2) Die Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ Mit dem Gesetz vom 31. Juli 1995 über die humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (HIV-Hilfegesetz) ist eine Stiftung des öffentlichen Rechts zur Leistung finanzieller Hilfe an betroffene Geschädigte errichtet worden. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Nach §§ 1, 4 HIV-Hilfegesetz ist es Zweck der Stiftung, Leistungen an Personen zu erbringen, „die durch Blutprodukte unmittelbar oder mittelbar mit dem Human Immundeficiency Virus (HIV) oder infolge davon an AIDS erkrankt sind“, sowie an deren unterhaltsberechtigte Angehörige36. Der Kreis der anspruchsberechtigten Personen wird in § 15 des Gesetzes präzise beschrieben. Hiernach ist die Eintrittspflicht der Stiftung auf die Schäden begrenzt, die durch Blutprodukte verursacht wurden, welche vor dem 1. Januar 1988 in den Verkehr gebracht worden waren37. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Die Transfusionsmedizin ist in Deutschland wie auch in anderen Ländern durch die Ausbreitung von HIV nachhaltig beeinflusst worden. Das Risiko einer Übertragung von Krankheitserregern durch den Einsatz von Blut und Blutprodukten in der Medizin ist erst spät erkannt worden, denn erst seit dem tigt hätte, wird durch die Materialien nicht bestätigt. Vielmehr scheint es sich hierbei lediglich um eine redaktionelle Änderung zu handeln. 33 Laut Informationen der Conterganstiftung beläuft sich die Gesamtsumme der bis zum 31. Dezember 2008 erbrachten Leistungen auf einen Betrag von 461,5 Mio. Euro (http://www.conterganstiftung.de/leistungen/). 34 Siehe § 4 Abs. 1 Nr. 2 ContStifG. Hierzu Czernik, VersR 2010, 744, 745. 35 § 4 Abs. 2 ContStifG. 36 Deutsch sieht darin den Einfluss der französischen Fondslösung auf die deutsche Regelung (NJW 1996, 755, 757; vgl. auch unten S. 53 f.). 37 Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Stichtagsregelung BVerwG, Beschl. v. 17.9.2002 – 3 B 2/02 – sowie bereits OVG NW, Urt. v. 28.9.2001 – 8 A 3943/00 – PharmaR 2002, 53; MedR 2002, 255. Siehe auch bereits Teichner, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 37, 39 f.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
1. Oktober 1985 dürfen ausschließlich auf HIV getestete Blutpräparate zu Transfusionszwecken verwendet werden. Nach Schätzungen sind in der Bundesrepublik Deutschland in den 1980er Jahren mehr als 1.300 Hämophile durch die Behandlung mit Blut oder Blutprodukten mit dem HIVirus infiziert worden38. Mit dem Bekanntwerden der AIDS-Katastrophe im Transfusionswesen ist die wirtschaftliche und soziale Absicherung der infizierten Personen ins Blickfeld geraten und zum Gegenstand rechtspolitischer Diskussionen geworden. Alternativen zur Fondslösung – Zu Beginn des Jahres 1987 begannen die Blutproduktehersteller und deren Haftpflichtversicherer nach Verhandlungen mit den Opferverbänden, infizierte Bluter im Vergleichswege zu entschädigen39. Die Ausgleichsbeträge waren jedoch auf den Ersatz materieller Schäden beschränkt40 und beliefen sich im Durchschnitt auf 60.000 DM. Mit Annahme der Entschädigung hatten sich die Geschädigten „für vollständig und endgültig abgefunden“ zu erklären41. Der Verzicht auf die Geltendmachung etwaiger Ersatzansprüche aus Haftpflichtrecht gegenüber den Blutprodukteherstellern sowie deren Haftpflichtversicherern erstreckte sich auch auf „jeden anderen Dritten“, sofern dieser als Gesamtschuldner in Betracht kam. Die Instanzgerichte haben diesen generellen Ausschluss auch auf Amtshaftungsansprüche angewandt42. Parallel anhängige Haftungsklagen von Krankenversicherern wurden mangels Identifizierung des konkret verantwortlichen Blutprodukteherstellers abgewiesen43. 38
Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 198 ff. Andere Erhebungen sprachen von mehr als 1.800 erkrankten Blutern (Bundesgesundheitsamt, Bundesgesundheitsbl. 1993, 444, 446 [Tabelle 8]). Genaue Zahlen von Transfusionsinfektionen bei nicht hämophilen Patienten liegen nicht vor. Zum Zahlenmaterial Brüggemeier, Staatshaftung für HIV-kontaminierte Blutprodukte, S. 12. 39 Von den insgesamt 1346 infizierten Blutern, die sich bei den Versicherern gemeldet hatten, schloss die übergroße Mehrheit einen Vergleichsvertrag (Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 212; zum Drängen der Versicherungswirtschaft auf eine einheitliche Vergleichslösung siehe S. 205 f.). 40 Die Begrenzung der Schadensregulierung erfolgte auf der Grundlage der §§ 84 ff. AMG a.F. 41 Der genaue Wortlaut der Erklärung findet sich u.a. bei Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 212. Siehe jedoch die abweichende Formulierung bei LG Koblenz, Urt. v. 3.3.1994 – 1 O 208/93 – VersR 1995, 577 („endgültig und vorbehaltlos abgefunden“). 42 LG Heidelberg, Beschl. v. 2.9.1994 – 2 O 168/94 – VersR 1995, 575 sowie LG Koblenz, Urt. v. 3.3.1994 – 1 O 208/93 – VersR 1995, 577. Allgemein zur Wirksamkeit der Ausschlussklausel in den Abfindungsverträgen sowie zur Staatshaftung des Bundes Brüggemeier, Staatshaftung für HIV-kontaminierte Blutprodukte, S. 16 ff. sowie Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 213 ff. 43 LG Heidelberg, Urt. v. 31.1.1990 – 3 O 231/89 – NJW 1990, 2941; LG Kleve, Urt. v. 25.10.1990 – 4 O 211/89 – NJW 1991, 761.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Im Oktober 1993 entschied sich der Deutsche Bundestag, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, um die Verantwortlichkeiten im öffentlichen und privaten Bereich festzustellen und Empfehlungen zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit und zur wirtschaftlichen Sicherung der infizierten Personen auszuarbeiten. Noch vor der Veröffentlichung des Abschlussberichts bewilligte das Bundesministerium für Gesundheit finanzielle Mittel zur Gewährung von Leistungen im Rahmen eines Programms der „Humanitären Soforthilfe“44. Ein bei der deutschen Ausgleichsbank eingerichteter Sonderfonds gewährte HIV-Infizierten sowie AIDS-Erkrankten monatliche Zahlungen von 1.000 bzw. 2.000 DM. Auf diese Leistungen bestand jedoch weder ein Rechtsanspruch, noch konnten durch jene Mittel die Ansprüche sämtlicher Betroffener befriedigt werden45. Der parlamentarische Untersuchungsausschuss sprach sich in seinem Abschlussbericht letztlich für eine „sozialstaatliche Entschädigungslösung“46 zugunsten aller Betroffenen aus. Im Einzelnen erwog der Ausschuss drei Kompensationsmodelle: eine Fondslösung nach dem Vorbild der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ mit freiwilligen Beiträgen, eine Fondslösung mit gesetzlicher Beteiligungspflicht sowie eine rein bundesstaatliche Entschädigungslösung mit Regressrecht des Bundes gegenüber den Mitverursachern47. Der Gesetzgeber entschied sich angesichts der Selbstverpflichtung von Pharmaindustrie und Deutschem Roten Kreuz zu einer Stiftungslösung nach dem Vorbild des Contergan-Fonds48. Funktionsweise des Fonds – Das Leistungsverfahren nach dem HIVHilfegesetz ist, wie auch das Verfahren nach dem Conterganstiftungsgesetz, öffentlichrechtlich ausgestaltet. Soweit das Gesetz nicht ein anderes bestimmt, gelten die Vorschriften des VwVfG; dementsprechend sind bei Streitigkeiten zwischen Stiftung und Antragsteller die Verwaltungsgerichte zuständig49, und es gilt gemäß § 24 VwVfG der Ermittlungsgrundsatz. Den Antragsteller trifft jedoch eine Pflicht zur Mitwirkung an der Sachver44 Richtlinie v. 16.3.1993 des Bundesministeriums für Gesundheit für die Gewährung von Leistungen an durch Blut oder Blutprodukte HIV-infizierte oder an AIDS erkrankte Personen durch das Programm „Humanitäre Soforthilfe“ (BAnz 1993, 3309). 45 In diesem Sinne Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 269. 46 Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 270. 47 Detailliert zu den einzelnen Vorschlägen Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 270 f. Hierzu auch Hart, MedR 1995, 61, 66. Vgl. die Stellungnahmen zur „Stiftungslösung“ seitens der Pharmaindustrie, der Ärzteschaft sowie der Blutspendedienste im Zwischenbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BTDrucks. 12/6700, S. 25 f. 48 Siehe BT-Drucks. 13/1298, S. 1. Kritisch zu den Beiträgen der privaten Stifter die Abg. Lohmann u. Knoche (BT-Prot. Nr. 13/47, S. 3803 u. 3808). 49 §§ 18 Abs. 5, 19 HIVHG.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
haltsaufklärung. Im Einzelnen müssen dem Antrag ein Nachweis der HIVInfektion, gegebenenfalls der AIDS-Erkrankung, sowie eine ärztliche Bescheinigung beigefügt werden, aus der die Ursächlichkeit des verabreichten Blutproduktes für die Infektion hervorgeht. Dem Antragsteller kommt allerdings eine in § 15 HIV-Hilfegesetz vorgesehene doppelte gesetzliche Vermutung zu Gute50. Bei Zweifeln am Vorliegen der Voraussetzungen obliegt die Prüfung des Antrags nicht direkt dem Stiftungsvorstand, sondern einer Kommission, die aus einem Juristen und zwei Ärzten zusammengesetzt ist51. Nach dem Vorbild des Conterganfonds ist die Eintrittspflicht der Stiftung nicht subsidiär, sondern primär ausgestaltet, sodass der Antragsteller vor Inanspruchnahme der Stiftung keine anderweitigen Ersatzansprüche geltend machen muss. Gemäß §§ 20 Abs. 1, 23 des Gesetzes erlöschen mit der Gewährung einer Leistung nach dem HIV-Hilfegesetz die Ersatzansprüche gegenüber Bund, Ländern, den Blutspendediensten des Deutschen Roten Kreuzes sowie den Unternehmen, die sich nach § 2 Nr. 2 finanziell an der Stiftung beteiligt haben52. Ein gesetzlicher Übergang verbleibender Ansprüche53 zugunsten der Stiftung ist im Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen. Finanzierung der Fondsleistungen – Die Zusammensetzung der Stiftungsmittel zur Finanzierung der Entschädigungsleistungen ist § 2 HIVHilfegesetz zu entnehmen. Danach haben sich der Bund, verschiedene pharmazeutische Unternehmen, die Blutspendedienste des Deutschen Roten Kreuz sowie die Länder am Anfangsvermögen der Stiftung beteiligt54. 50 Nach Abs. 1 S. 2 ist eine AIDS-Erkrankung immer dann anzunehmen, „wenn entweder eine CD4-Helferzahl von weniger als 200 oder eine CD4-Helferzahl von regelmäßig weniger als 400, verbunden mit einer opportunistischen Infektion, nachgewiesen wird“. Laut Abs. 5 S. 2 genügt es zum Nachweis der Ursächlichkeit zwischen Infektion und Transfusion, „dass im Verlauf einer Behandlung ein Blutprodukt verwendet worden ist, das eine HIV-Infektion verursacht haben kann“. Die zusätzlichen Bedingungen für Antragsteller, die nicht hämophil sind, sowie für infizierte Partner oder Kinder ergeben sich aus Abs. 5 S. 3, Abs. 6 und Abs. 7. Hierzu aus dem Schrifttum Deutsch, NJW 1996, 755, 756 f. sowie im Überblick ders., VersR 1995, 905, 910. 51 § 17 Abs. 2 bis 4 HIVHG. Zum Stiftungsvorstand siehe § 5 der Stiftungssatzung (BAnz 1995, 9281). 52 Kritisch zur Verfassungsmäßigkeit dieses Ausschlusses Deutsch, NJW 1996, 755, 757 f. 53 So z.B. gegenüber Ärzten, Apothekern oder Unternehmen, die nicht zu den Stiftern gehören. Ebenso wenig erfasst der Anspruchsauschluss die Ansprüche gegenüber Unternehmen, die sich nicht an der Stiftungslösung beteiligt haben und im Vergleichswege Entschädigungsleistungen erbracht haben oder noch erbringen werden. Vgl. die Gesetzesbegründung zum insoweit etwas unklar formulierten § 20 Abs. 2 HIVHG (BT-Drucks. 13/1298, S. 12). 54 Von den insg. 250 Mio. DM entfallen 40 % auf den Bund, 36,3 % auf die Pharmaindustrie, 3,7 % auf das DRK und 20 % auf die Länder. Vgl. auch die vom Untersu-
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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In den Jahren 2002 und 2010 haben die Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den anderen Stiftern zu einer Aufstockung des Stiftungsvermögens geführt, da die finanziellen Mittel sich als unzureichend erwiesen hatten55. (3) Die Entschädigungsregelung des Anti-D-Hilfegesetzes Auf eine Arzneimittelkatastrophe56, welche sich auf das Gebiet der ehemaligen DDR beschränkt, reagierte der deutsche Gesetzgeber mit dem AntiD-Hilfegesetz vom 2. August 2000. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Nach § 1 Abs. 1 S. 1 des Gesetzes haben „Frauen, die [auf dem Gebiet der ehemaligen DDR] infolge einer in den Jahren 1978 und 1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe […] mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden, sowie Kontaktpersonen57, die von ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden“ Anspruch auf Krankenbehandlung und eine finanzielle Hilfe. Nach § 1 Abs. 1 S. 2 erhalten auch die Hinterbliebenen der Anspruchsberechtigten eine finanzielle Hilfe. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – In den Jahren 1978 und 1979 sind in der ehemaligen DDR mehrere tausend Frauen im Falle einer Rhesusfaktor-Unverträglichkeit mit Anti-D-Immunglobulinen behandelt worden, welche bei der Herstellung mit Hepatitis C verseucht worden waren. Hierdurch sind mehr als 2.200 Frauen58 an Hepatitis C erkrankt, welche in der DDR und nach der Wiedervereinigung in der Bundesrepublik bereits Leistungen nach den gesetzlichen Vorschriften über Impfschäden erhalten haben. Da mit der Einstufung als Impfgeschädigte lediglich Sachleistungen verbunden waren und angesichts der Tatsache, dass es sich bei den Schädigungen nicht um Impf-, sondern um Arzneimittelschäden handelt, hat sich das Parlament unter Hinweis auf das Conterganstiftungs-
chungsausschluss vorgeschlagenen Beteiligungsquoten in Zwischenbericht des 3. Untersuchungsausschuss, BT-Drucks. 12/6048, S. 19 f. 55 Die ursprünglichen Beteiligungsquoten sind im Großen und Ganzen gewahrt worden. Siehe im Einzelnen den Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit über den Stand der Verhandlungen zur Weiterführung der Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen (Stand: Februar 2010; abrufbar unter http://ro binblood.org/docs/Bericht-Daniel-Bahr.pdf). 56 Die sachsen-anhaltische Ministerin Kuppe sprach während der Gesetzesvorarbeiten von dem „größten Arzneimittelskandal der DDR“ (BR-Prot. Nr. 750, S. 144). 57 Die anspruchsberechtigten „Kontaktpersonen“ werden in § 1 Abs. 2 des Gesetzes legal definiert. 58 Lersch, NJW 2000, 3404, 3405. Der Abg. Schmidbauer sprach während der Gesetzesvorarbeiten noch von 6.800 betroffenen Frauen (BT-Prot. Nr. 14/95, S. 8873).
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
sowie das HIV-Hilfegesetz59 für eine eigenständige Gesetzeslösung ausgesprochen. Alternativen zur Fondslösung – Nach Angaben des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung sind „Überlegungen, als Ergänzung zu den Ansprüchen nach dem bisherigen Recht lediglich eine dem Schmerzensgeld entsprechende Einmalzahlung vorzusehen“, zu Gunsten eines speziellen Hilfegesetzes verworfen worden. Dieses gewährt den Anspruchsberechtigten neben einer Einmalzahlung eine monatliche Rente sowie begleitende Sachleistungen60. Eine Regulierung der Schadensfälle nach dem Staatshaftungsrecht scheiterte daran, dass die Bundesrepublik Deutschland und die Bundesländer keine Rechtsnachfolger der DDR sind61. Weitere haftungsrechtliche Ersatzansprüche gegenüber Privatpersonen oder Amtsträgern waren wegen des Eintritts der Verjährung nicht mehr durchsetzbar. Funktionsweise des Fonds – Genau genommen handelt es sich bei der Regelung über die Leistungen an die Anspruchsberechtigten nicht um Leistungen aus einem eigens errichteten Entschädigungsfonds. Anders als in den Fällen von Contergan und mit HIV verseuchten Blutprodukten entschied sich der Gesetzgeber gegen die Schaffung einer Stiftung, sondern für eine Lösung versorgungsrechtlichen Charakters. Dementsprechend weist § 11 Anti-D-Hilfegesetz die Zuständigkeit zur Prüfung des Antrags denjenigen Landesbehörden zu, welchen auch die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes obliegt62. Das Verfahren richtet sich nach den verfahrensrechtlichen Vorschriften über die Kriegsopferversorgung, sofern das Gesetz nicht ein anderes bestimmt. Zur Geltendmachung der Leistungsansprüche nach dem Anti-D-Hilfegesetz ist ein Antrag an die zuständige Landesversorgungsbehörde zu stellen, die auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen des Antragstellers und einer eigenen Sachverhaltsaufklärung63 feststellt, ob die Voraussetzungen gegeben sind. Insbesondere wird hierbei geprüft, ob die Infektion durch eine Immunprophylaxe mit einer der in § 1 aufgezählten Chargen 59
Siehe nur BT-Drucks. 14/2958, S. 7 f. Zahlreiche weitere Parallelen zum Conterganfonds sowie dem HIV-Hilfe-Gesetz finden sich in den parlamentarischen Beratungen (so z.B. die parlamentarische Staatssekretärin Nickels [BT-Prot. Nr. 14/109, S. 10326] sowie die Abg. Schmidbauer [BT-Prot. Nr. 14/95, S. 8873] und Lohmann [BT-Prot. Nr. 14/109, S. 10327]). 60 BT-Drucks. 14/2958, S. 1. 61 So Lersch, NJW 2000, 3404, 3405. In diesem Sinne auch der Abg. Kahl (BT-Prot. Nr. 14/95, S. 8874). Ausführlich zur Frage der Rechtsnachfolge der DDR siehe Dietlein, Nachfolge im öffentlichen Recht, S. 544 ff. 62 Die zuständigen Landesbehörden bestimmen sich nach Landesrecht. In NordrheinWestfalen sind dies etwa die kommunalen Versorgungsämter (§ 1 VersÄmtEinglG NW). 63 § 11 Abs. 2 Anti-D-Hilfegesetz i.V.m. §§ 6 ff. des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung.
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verursacht wurde. Bei Zweifeln an der Ursächlichkeit kommt dem Antragsteller die Vermutungsregelung des § 1 Abs. 3 BVG zu Gute. Wird dem Antrag stattgegeben, sieht § 9 Anti-D-Hilfegesetz einen Übergang der gegen Dritte bestehenden gesetzlichen Schadensersatzansprüche auf das jeweils zuständige Bundesland vor. Für Streitigkeiten über die Anwendbarkeit des Gesetzes steht nach § 12 Anti-D-Hilfegesetz der Rechtsweg vor dem Sozialgericht offen. Finanzierung der Fondsleistungen – Die Leistungen nach dem Anti-DHilfegesetz werden aus Bundes- und Ländermitteln finanziert. Der Bund trägt mit einem einmaligen Betrag von 15 Mio. DM die Kosten für die Einmalzahlungen; Bund und Länder teilen sich zu gleichen Teilen die Kosten für die anderen Hilfen64. Unter Hinweis auf die recht unkomplizierten Verhandlungen über die Kostentragung unter den einzelnen Ländern wurde seinerzeit auch von einem „positive[n] Beispiel deutsch-deutscher Solidarität“ gesprochen65. (4) Der Hilfsfonds für Dopingopfer der DDR (zum 1. Januar 2008 aufgelöst) Die Aufarbeitung von DDR-Recht hat im Jahre 2002 zur Gründung eines Hilfsfonds für Dopingopfer im Hochleistungs- und Nachwuchssport geführt. Errichtet durch ein Gesetz vom 24. August 200266, wurde der Fonds mit Abwicklung sämtlicher angezeigter Schadensfälle zum Jahresbeginn 2008 aufgelöst67. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Nach § 2 des Gesetzes über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR (DOHG)68 hatten Anspruch auf eine finanzielle Hilfe „Personen, die erhebliche Gesundheitsschäden erlitten haben, weil ihnen [entweder] als Hochleistungssportlern oder -nachwuchssportlern der ehemaligen [DDR] ohne ihr Wissen oder gegen ihren Willen Dopingsubstanzen verabreicht worden sind, [oder] ihrer Mutter während der Schwangerschaft unter [denselben] Bedingungen Dopingsubstanzen verabreicht worden sind“. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Mit der Verabschiedung des Dopingopfer-Hilfegesetzes reagierte der bundesdeutsche Gesetzgeber auf die Folgen der Dopingpraxis im DDR-Hochleistungssport und Hochleistungsnachwuchssport. Zwischen Ende der 1960er Jahre und 64
Detailliert zu den Haushaltsausgaben BT-Drucks. 14/3538, S. 2. So die Ministerin Kuppe vor dem Bundesrat (BR-Prot. Nr. 750, S. 145). 66 Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Doping-Opfer der DDR (DOHG; BGBl 2002, I, 3410). 67 § 9 DOHG. 68 Eingehend zu diesem Gesetz Rixen, SGb 2003, 319 u. Haas/Holla, SpuRt 2002, 221. 65
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der Wiedervereinigung sollen nach Angaben der Opferverbände etwa 10.000 Sportler vom Einsatz sog. „unterstützender Maßnahmen“ betroffen gewesen sein, von denen etwa mehrere Hundert dauernde Schäden davon getragen haben. Da sich die Bemühungen des 1999 gegründeten DopingOpfer-Hilfe-Vereins um eine Entschädigung der Opfer als weitestgehend ergebnislos erwiesen haben, hat sich die Regierungskoalition im Frühjahr 2002 zu einer Gesetzesinitiative entschieden69. Die Einrichtung eines Hilfsfonds wurde dabei explizit als ein notwendiger Schritt zur finanziellen und moralischen Unterstützung der geschädigten Sportler gesehen70. Anders als nach dem Conterganstiftungs- und dem HIV-Hilfegesetz wurde jedoch der Fonds aus Kostengründen nicht als eine eigens geschaffene Einrichtung, sondern als Sondervermögen beim Bundesverwaltungsamt ausgestaltet71. Alternativen zur Fondslösung – Laut Gesetzesentwurf sind keine „Alternativen inhaltlicher Art“ erwogen worden, lediglich eine organisatorische Ausgestaltung des Fonds in Form einer Stiftung ist im Vorfeld bedacht worden72. Eine gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen der betroffenen Sportler scheiterte sowohl an der Verjährung der Ansprüche als auch an der Frage der Rechtsnachfolge der DDR. Ein staatshaftungsrechtliches Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland wurde denn auch von den Zivilgerichten abgewiesen73. Funktionsweise des Fonds – Ansprüche nach dem DopingopferHilfegesetz waren nach § 4 Abs. 1 DOHG an das Bundesverwaltungsamt zu richten74. Zwar folgte die Ermittlung des Sachverhalts dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Ermittlungsgrundsatz, jedoch oblag es nach §§ 4 Abs. 1 u. 6 DOHG dem Antragsteller hieran mitzuwirken. Das Gesetz sah hierfür vor, dass dem Antrag ein fachärztliches Gutachten sowie eine Erklärung über die Umstände des Dopings beizufügen waren. Ergaben sich bei der Prüfung des Antrags Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung einer Hilfe, wurde der Antrag nach § 4 DOHG einem Beirat vorgelegt, welcher anders als die vergleichbaren Kommissionen der Conterganstiftung und der HIV-Hilfe aus Vertretern verschiedenster Fach-
69 Siehe hierzu die Ausführungen des Vorsitzenden des Sportausschusses Beucher (BT-Prot. Nr. 14/243, S. 24496). Zu dem nahezu wortgleichen Gesetzesentwurf von Vertretern der Oppositionsparteien (BT-Drucks. 14/9022), siehe den Bericht des Sportausschusses (BT-Drucks. 14/9440, S. 5 f.). 70 BT-Drucks. 14/9028, S. 1. 71 BT-Drucks. 14/9028, S. 2 f. 72 BT-Drucks. 14/9028, S. 1. 73 Im Einzelnen zu den angestrengten Haftpflichtprozessen siehe unten S. 84 f. 74 Das Verfahren richtete sich daher nach dem VwVfG. Vgl. Rixen, SGb 2003, 319, 325.
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gebiete zusammengesetzt war75. Nach dem Vorbild der zuvor errichteten Fondseinrichtungen ist der Kausalzusammenhang zwischen der Verabreichung von Dopingsubstanzen und dem erheblichen Gesundheitsschaden vermutet worden76. Waren die Voraussetzungen zur Gewährung einer finanziellen Leistung nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz gegeben, stellte § 8 Abs. 1 des Gesetzes klar, dass „Ansprüche wegen desselben Lebenssachverhalts aus anderen Rechtsgründen“ unberührt blieben77. Bei Streitigkeiten über das Vorliegen eines Anspruchs war der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet, da es sich mit dem Bundesverwaltungsamt um eine Behörde der allgemeinen Verwaltung handelt78. Finanzierung der Fondsleistungen – Das beim BVA eingerichtete Sondervermögen wurde mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt in Höhe von 2 Mio. Euro ausgestattet, aus denen die im Gesetz vorgesehenen Leistungen finanziert wurden. Nach langem Zögern erklärten sich auch einige Pharmaunternehmen bereit, Zuwendungen in einer Höhe von insgesamt knapp 35.000 Euro an den Fonds zu leisten79. cc) Die Einrichtung von Entschädigungsfonds im Bereich des Umweltrechts (1) Bergschadensausfallkasse In drei Urteilen vom 16. Februar 1970 hat der Bundesgerichtshof das zu jener Zeit geltende Bergschadensrecht für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt80. Diesen Entscheidungen trug der Gesetzgeber insoweit Rechnung, als dieser anlässlich der Bergrechtsreform im Jahre 1980 eine Berg-
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Siehe § 5 Abs. 2 DOHG („Der Beirat setzt sich zusammen aus einem Vertreter des Bundesministeriums des Innern, zwei Personen mit ärztlicher Approbation, einer Person mit Befähigung zum Richteramt, einem Sporthistoriker, einem Vertreter des DopingOpfer-Hilfe-Vereins, einem Vertreter einer Spitzenorganisation des Deutschen Sports sowie einem Vertreter der Spender. Der Vorsitzende muss die Befähigung zum Richteramt haben.“). 76 § 6 Abs. 2 DOHG. Siehe zu diesem Punkt auch die Ausführungen des Abg. Danckert (BT-Prot. Nr. 14/243, S. 24502) sowie die rechtswissenschaftliche Analyse bei Rixen SGb 2003, 319, 323. 77 Daher ist auch ein Übergang von etwaigen Haftpflichtansprüchen an die Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen. Vgl. hierzu Haas/Holla, SpuRt 2002, 221, 225. 78 Hierzu Rixen, SGb 2003, 319, 328. 79 Zu diesem Punkt detailliert unten S. 84. 80 BGH, Urt. v. 16.2.1970 – III ZR 136/68 – BGHZ 53, 226 = NJW 1970, 747 u. 1047, Anm. Turner = LM Art. 14 (A) GG Nr. 45, Anm. Kreft. Nachweise zu den beiden anderen, im Wesentlichen gleich lautenden Urteilen (Az. III ZR 169/68 u. III. ZR 146/68) finden sich bei Boldt/Weller, BBergG, Vor § 122, Rdnr. 3.
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schadensausfallkasse nach dem Vorbild des preußischen und sächsischen Bergschadensrechts der Vorkriegszeit81 vorsah. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – § 122 des am 13. August 1980 erlassenen Bundesberggesetzes (BBergG) enthält die Ermächtigung des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie zur Errichtung einer Ausfallkasse zur Sicherung von Bergschadensansprüchen. Diese soll bei Bergschäden immer dann an die Stelle des haftpflichtigen Unternehmers oder Bergbauberechtigten treten, wenn von keinem der Ersatzpflichtigen ein Schadensausgleich erlangt werden kann82. Der in § 114 BBergG legal definierte Begriff des Bergschadens ist insoweit auf die Eintrittspflicht der Bergschadensausfallkasse anwendbar83. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – In seinen Urteilen vom 16. Februar 1970 wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass die damalige gesetzliche Entschädigungsregelung des Bergrechts „nicht in allen Stücken als verfassungsgemäß gebilligt werden“ könne. In den dem Urteil zugrunde liegenden Rechtssachen war es den Klägern nicht möglich, Ersatz bergbaulicher Schäden zu erlangen, da sowohl die bergbauberechtigte Gewerkschaft als auch der Pächter des Bergbaubetriebes vermögenslos waren. Laut BGH ist das Fehlen einer Entschädigungslösung mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG unvereinbar; der Gesetzgeber müsse die Durchsetzbarkeit von Ersatzansprüchen der Betroffenen sicherstellen. Alternativen zur Fondslösung – Die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs haben maßgeblich zur Errichtung der bundesdeutschen Bergschadensausfallkasse beigetragen. Das Gericht hatte dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Sicherung des Schadensausgleichs aufgezeigt. Neben der Bildung eines besonderen Fonds84 nach dem Vorbild der sächsischen Bergschadenskasse kamen für das Gericht auch die Pflicht zur Leistung einer ausreichenden Sicherheitsleistung sowie die Gründung einer besonderen Versicherungsgesellschaft in Betracht85. Der Gesetzgeber entschied sich letztlich für die Errichtung einer Ausfallkasse, da die beiden anderen Modelle „ein[en] relativ kontinuierliche[n] Abzug von Kapital und
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Ausführlich Jakob, Die Absicherung des Grundbesitzers, S. 30 ff. m.w.N. § 122 Abs. 2 u. 3 BBergG. 83 Hiernach handelt es sich um Fälle, in denen „infolge der Ausübung einer der in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 [BBergG] bezeichneten Tätigkeiten oder durch eine der in § 2 Abs. 1 Nr. 3 [BBergG] bezeichneten Einrichtungen (Bergbaubetrieb) ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt“ wird. Einschränkungen finden sich in § 114 Abs. 2 BBergG. 84 Ebenso bereits Stossberg, ZfB 109 (1968), 79, 81 f. 85 BGHZ 53, 226, 236 f. = NJW 1970, 747 f. 82
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dessen unnötige Thesaurierung erforderlich“ gemacht hätten, ungeachtet etwaiger auszugleichender Bergschadensfälle86. Funktionsweise des Fonds – Nach eingehenden Beratungen hat der Ausschuss für Wirtschaft des Bundestages die Stellungnahmen der Bergbauwirtschaft berücksichtigt und einen gesetzlichen Vorrang einer privatrechtlich organisierten Selbsthilfeeinrichtung vorgesehen, welcher letztlich auch in die endgültige Gesetzesfassung übernommen wurde. Demnach ist die in § 122 Abs. 1 BBergG vorgesehene Bergschadensausfallkasse nur dann einzurichten, wenn es der Bergbauwirtschaft nicht gelingt, eine vergleichbare Sicherung der Ersatzansprüche zu gewährleisten. Um die Errichtung einer Ausfallkasse in öffentlich-rechtlicher Form zu vermeiden, haben die Unternehmen der verschiedenen Bergbauzweige im November 1987 den Verein „Bergschadensausfallkasse e.V.“ gegründet87. Laut Satzung des Vereins wird der Antrag auf Schadensersatz in der Regel von einem der sieben verschiedenen Regulierungsausschüsse bearbeitet, welcher sich aus gewählten Mitgliedern einer Bergbaugruppe zusammensetzt88. Der Ausschuss prüft sodann, ob die Voraussetzungen zur Entschädigung durch die Bergschadensausfallkasse nach § 122 BBergG gegeben sind, d.h. ob der Antragsteller für einen Bergschaden wegen Zahlungsunfähigkeit oder Unternehmensauflösung von keinem der nach §§ 115 und 116 BBergG Ersatzpflichtigen Schadensausgleich erhalten konnte. Gemäß § 3 Abs. 2 der Satzung muss der Antragsteller der Abtretung der Ersatzansprüche an den Verein in Höhe der erbrachten Leistungen zustimmen. Besondere Vorschriften über die gerichtliche Auseinandersetzung mit dem Verein sind weder im Gesetz noch in der Vereinssatzung enthalten. Finanzierung der Fondsleistungen – Die von den Bergbauunternehmen errichtete Bergschadensausfallkasse wird durch eine Umlagefinanzierung gespeist. Dies bedeutet, dass solange kein Schaden entsteht, auch keine Beiträge gezahlt werden müssen. Sobald ein ausgefallener Bergschadensersatzanspruch angemeldet wird, sind jedoch die Vereinsmitglieder zur Zahlung der zum Schadensausgleich erforderlichen Beträge verpflichtet89. Im Schadensfall werden die nötigen Beträge primär von den Mitgliedern der jeweiligen Gruppe erbracht; wird ein bestimmter Höchstbetrag pro 86
So die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs (BT-Drucks. 8/1315, S. 145). Siehe die umfassende Zusammenstellung zur Entstehungsgeschichte der §§ 122 f. BBergG bei Zydek, BBergG, S. 450 ff. 87 Boldt/Weller, BBergG – Ergänzungsband, Zu § 122, Rdnr. 1 ff. 88 Detailliert hierzu § 10 Satzung des Vereins (abgedruckt in ZfB 130 [1986], 86, 89). 89 § 11 Abs. 1 bis 3 der Satzung i.V.m. der Beitragsordnung der Bergschadensausfallkasse (abgedruckt in ZfB 130 [1986], 91 f.). Zur Aufbringung der Mittel für ausgefallene Bergschadensersatzansprüche gegen Nichtmitglieder siehe § 12 der Satzung.
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Gruppe überschritten, übernehmen die Mitglieder der anderen Bergbaugruppen den Fehlbetrag90. (2) Klärschlamm-Entschädigungsfonds Zum 1. Januar 1999 ist die auf der Grundlage von § 11 Düngegesetz91 erlassene Verordnung über den Klärschlamm-Entschädigungsfonds in Kraft getreten. Zielstellung des Fonds ist es, die Bereitschaft der Landwirte zu erhöhen, Klärschlamm auf ihren Feldern zu verwerten, indem die damit verbundenen Restrisiken abgesichert werden. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Der Entschädigungsfonds leistet nach § 11 Abs. 1 Düngegesetz Ersatz der „durch die landbauliche Verwertung von Klärschlämmen entstehenden Schäden an Personen und Sachen sowie sich daraus ergebende[r] Folgeschäden“. Damit sollen insbesondere die Fälle abgedeckt werden, in denen der Klärschlammhersteller die schädigende Beschaffenheit des Schlamms nicht erkennen konnte92 und der Landwirt die dadurch verursachten Beeinträchtigungen der Böden sowie der landwirtschaftlichen Produkte selbst zu tragen hätte. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Anlass für die Einrichtung des Fonds war die sinkende Bereitschaft der Landwirtschaft, Klärschlamm auf ihren Feldern aufzubringen. Wissenschaftliche Untersuchungen hatten Ende der 1970er Jahre gezeigt, dass Klärschlamm zum Teil hohe Schwermetallkonzentrationen aufweisen kann und auf diesem Wege landwirtschaftliche Produkte verseucht werden können. Da die landbauliche Verwertung von Klärschlamm gegenüber der Entsorgung durch Verbrennung oder Deponierung jedoch ökonomisch und ökologisch für sinnvoll erachtet wird93, galt es, die Vorbehalte der Landwirte durch die Absicherung der Restrisiken zu überwinden. Alternativen zur Fondslösung – Die geltende Rechtslage erlaubt es den Landwirten nicht, die Klärschlammhersteller ohne den Nachweis eines Verschuldens haftbar zu machen94. Der Gesetzgeber hat sich im Laufe der
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§ 11 Abs. 4 der Satzung. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung § 9 Düngemittelgesetz. 92 BT-Drucks. 13/9977, S. 8. 93 Die Landwirte benötigen weniger mineralische Düngemittel, zudem wird Deponieraum für die Klärschlammentsorgung eingespart. Nach Angaben der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. wurden im Jahre 2003 in Deutschland 56 % der aus kommunalen Kläranlagen stammenden Klärschlämme als Düngemittel in der Landwirtschaft und im Landschaftsbau eingesetzt (DWA, Stand der Klärschlammbehandlung und -entsorgung in Deutschland, S. 30 ff.). 94 Vgl. Landsberg, StG 1993, 167. Eine verschuldensunabhängige Haftung nach dem ProdHaftG scheitert regelmäßig daran, dass es sich bei landwirtschaftlich genutzten Böden nicht um eine Sache, die „ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Ge- oder 91
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Diskussion auch stets gegen eine Haftungserleichterung zugunsten klärschlammgeschädigter Landwirte ausgesprochen. Ferner erklärten sich auch die Versicherer der Kommunalverbände nicht bereit, einen ausreichenden Versicherungsschutz bei einzelvertraglicher Haftungsverschärfung anzubieten95. Zur Lösung des Haftungsproblems haben sich Ende der 1980er Jahre die kommunalen Spitzenverbände sowie Vertreter der Abwasserwirtschaft und der Landwirte auf die Gründung eines sog. freiwilligen Klärschlammentschädigungsfonds verständigt. Dieser hatte mit seiner Errichtung zum 1. Januar 1990 die Aufgabe, an Klärschlammabnehmer in Schadensfällen, die von der gesetzlichen Haftung der Klärschlammhersteller nicht erfasst wurden, Entschädigungsleistungen auszuzahlen96. Allerdings gewährte der freiwillige Fonds Ersatzleistungen nur auf Kulanzbasis. Zahlreiche Hersteller von Klärschlamm scheuten darüber hinaus den Beitritt, da dieser mit Beitragskosten verbunden war. Auf Grund dieser Unzulänglichkeiten97 sah sich der Gesetzgeber gezwungen, einen gesetzlichen Fonds zu schaffen und den Landwirten einen verbindlichen Rechtsanspruch auf Entschädigung zuzubilligen98. Funktionsweise des Fonds – Der Antrag auf Ersatz klärschlammbedingter Schäden oder Folgeschäden ist an die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung zu richten, die mit der Verwaltung des Fonds betraut ist. Laut Gesetzesmaterialien hat der Antragsteller nicht nur einen Personenoder Sachschaden99 darzulegen, sondern auch die Ursächlichkeit zwischen dem geltend gemachten Schaden und der landbaulichen Verwertung von Klärschlamm. Besondere Beweiserleichterungen sehen weder § 11 Düngegesetz noch die Klärschlamm-Entschädigungsfondsverordnung vor. Gemäß § 2 Abs. 2 der Verordnung werden die Entscheidungen über Entschädigungsanträge durch den Fondsbeirat getroffen, welcher aus Vertretern des
Verbrauch bestimmt und hierzu von dem Geschädigten hauptsächlich verwendet worden ist“ (§ 1 Abs. 1 a.E. ProdHaftG). 95 Vgl. Schmeken/Schwade, Klärschlammverordnung, S. 144 f. 96 Ausführlich zur Funktionsweise des freiwilligen Klärschlammfonds W. Müller, VR 1996, 217, 222 f.; Schmeken/Schwade, Klärschlammverordnung, S. 145 ff. (dort auch der Wortlaut des zur Absicherung nötigen Treuhand- und Klärschlammaufbringungsvertrag); Schmeken, StGRat 1990, 311; Gosch, StGBund 1990, 319 sowie ders., BADK-Information 4/1989, 80. 97 Siehe jedoch Landsberg, StG 1994, 136, 137 („funktionierendes praktikables Element“). 98 BT-Drucks. 13/9977, S. 8 f. Zum Problem der Vermögensüberleitung vom freiwilligen zum gesetzlichen Fonds siehe Rautenstengel/Vollmer, BWGZ 1999, 167, 168 f. 99 Reine Vermögensschäden (z.B. sog. „reine Vermarktungsschäden“) sind nicht ersatzfähig. Siehe BT-Drucks. 13/9977, S. 12 sowie Hess, VW 1999, 55.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Bundes, der Länder, der Klärschlammhersteller, der Landwirte sowie aus drei Sachverständigen zusammengesetzt ist. Der Antragsteller ist nicht gehalten, vor Inanspruchnahme des Fonds gegen den Klärschlammproduzenten vorzugehen. Auch wenn dieser nach allgemeinem Haftungsrecht ersatzpflichtig ist, kann der Antragsteller vom Entschädigungsfonds Ersatz erhalten. Durch den in § 12 der Verordnung verfügten Anspruchsübergang wird jedoch sichergestellt, dass der Antragsteller nicht doppelt entschädigt wird und der Fonds gegen den Schädiger anschließend im Regresswege vorgehen kann100. Finanzierung der Fondsleistungen – § 11 Düngegesetz ordnet die Beitragspflicht aller Hersteller von Klärschlämmen an, „soweit diese den Klärschlamm zur landbaulichen Verwertung abgeben“. Höhe und Zahlung des Beitrags sowie die Nachschusspflicht im Falle der Erschöpfung der Fondsmittel werden in §§ 4 ff. Klärschlamm-Entschädigungsfondsverordnung näher geregelt101. Die von einem Kommunalverband und einem privaten Abwasserbetrieb erhobenen Verfassungsbeschwerden gegen die Beitragspflicht wurden mit Beschluss vom 18. Mai 2004 vom Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen102. (3) Solidarfonds Abfallrückführung (zum 1. Juli 2006 aufgelöst) Durch das Basler Übereinkommen vom 22. März 1989, welches am 20. Juli 1995 in Deutschland in Kraft getreten ist, wurde die Problematik der grenzüberschreitenden Abfallentsorgung und -verbringung erstmals umfasend geregelt. Zur Umsetzung der Anforderungen des Übereinkommens richtete die Bundesrepublik Deutschland eine Anstalt „Solidarfonds Abfallrückführung“ ein, die jedoch am 30. Juni 2006 auf Grund zweier Entscheidungen des EuGH und des BVerfG aufgelöst wurde103. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Aufgabe des Solidarfonds Abfallrückführung war es, diejenigen Kosten der Rückführung und der schadlosen Verwertung oder gemeinwohlverträglichen Beseitigung von illegal ins Ausland verbrachten Abfällen zu übernehmen, welche die Bundesrepublik 100
BT-Drucks. 13/9977, S. 12 f. sowie dazu auch Hess, VW 1999, 55 f. Siehe auch die näheren Ausführungen zur Beitragsberechnung auf der Internetseite der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (http://www.ble.de/nn_1164466/ DE/01__Marktangelegenheiten/03__Fonds/03__Klaerschlammentschaedigungsfond/Klae rschlammEntschaedigung__node.html). 102 BVerfG, Beschl. v. 18.5.2004 – 2 BvR 2374/99 – BVerfGE 110, 370 = NuR 2005, 243 = JuS 2004, 931, Anm. Selmer. Zu diesem Urteil auch Ossenbühl, DVBl. 2005, 667; Lohse, DVP 2005, 345; Scheier/Mornhinweg, AbfallR 2005, 68; Scheier/Mangold, ZfW 2005, 79 sowie Gärditz, AbfallR 2004, 284. 103 Art. 4 Abs. 2 des Gesetzes v. 20.10.2005 zur Änderungen des Abfallverbringungsgesetzes sowie zur Auflösung und Abwicklung der Anstalt Solidarfonds Abfallrückführung (s. Bekanntmachung v. 13.6.2006, BGBl. 2006, I, 1313). 101
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Deutschland immer dann zu tragen hat, wenn der Exporteur nicht selbst in Anspruch genommen werden kann. Der Solidarfonds übernimmt die Kosten der Rückführung, die in solchen Fällen gemäß Art. 8 S. 1 und Art. 9 Abs. 2 Buchst. a des Basler Übereinkommens dem Ausfuhrstaat obliegt104. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Die Errichtung eines Fonds auf Bundesebene ist während des Gesetzgebungsverfahrens kontrovers diskutiert und erst im Vermittlungsausschuss vereinbart worden. Ziel war es, die Entsorgungswirtschaft in die Tragung der Kosten für die Rückführung illegal verbrachter Abfälle einzubeziehen und zu vermeiden, dass einzelne Länder durch die staatliche Kostentragungspflicht finanziell stärker belastet werden105. Zwar war zunächst seitens des Bundesverbandes der Entsorgungswirtschaft eine freiwillige Fondslösung erwogen worden, mangels Umsetzung sah sich jedoch der Gesetzgeber letztlich gezwungen, einen „Zwangsfonds“ zu errichten. Alternativen zur Fondslösung – Zunächst sah der Entwurf des Abfallverbringungsgesetzes (AbfVerbrG) lediglich eine Verpflichtung des Abfallexporteurs zur Leistung einer Sicherheit vor. Danach durfte eine Genehmigung für die Verbringung von Abfällen nur dann erteilt werden, wenn der Antragsteller finanziell für die Kosten einer erforderlich werdenden Rückführung der Abfälle vorsorgte106. In den Fällen, in denen die illegale Verbringung des Abfalls nicht notifiziert wurde und daher keinem Exporteur zugeordnet werden konnte, war vorgesehen, dass der Staat die nötigen Kosten zu tragen hat107. Dies entspricht nach Auflösung des Solidarfonds Abfallrückführung auch der derzeitigen Rechtslage108. Funktionsweise des Fonds – Die Entscheidung über die Kostenübernahme durch den Solidarfonds Abfallrückführung wurde von einem bei der Anstalt eingerichteten Verwaltungsrat getroffen, der aus Vertretern der Bundesregierung, der Länder sowie der Wirtschaft zusammengesetzt war109. § 13 der Satzung des Solidarfonds regelte die vom Verwaltungsrat 104 Siehe auch Art. 33 Abs. 2 der Verordnung 259/93/EWG. Die Pflicht zur Kostentragung wurde in § 6 Abs. 3 AbfVerbrG a.F. in nationales Recht umgesetzt. 105 BR-Drucks. 304/1/93, S. 20 f. Die Rücknahmeverpflichtung obliegt in Zweifelsfällen stets dem Land, „das bei sukzessiver Zuordnung dieser Fälle zu der alphabetisch geordneten Liste der Länderbezeichnungen als nächstes zuständig ist“ (§ 8 Abs. 4 i.V.m. § 8 Abs. 1 S. 3 AbfVerbrG). 106 Siehe auch § 7 AbfVerbrG a.F. 107 Genauer das Land, das die Verbringungsgenehmigung erteilt hat oder hierfür zuständig gewesen wäre, oder, wenn eine Zuständigkeit nicht feststellbar ist, das Land des Grenzübertritts. Siehe § 4 Abs. 1 S. 2 des Regierungsentwurfs (BR-Drucks. 304/93, S. 11). 108 Siehe § 8 Abs. 1 AbfVerbrG. 109 §§ 5, 8 Abs. 1 Nr. 6 Verordnung v. 20.5.1996 über die Anstalt Solidarfonds Abfallrückführung (BGBl. 1996, I, 694).
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zu prüfenden Voraussetzungen. Zur Bearbeitung des von der zuständigen Landesbehörde gestellten Kostenübernahmeantrags konnte sich der Solidarfonds jedoch eines Dritten bedienen. § 8 Abs. 4 AbfVerbrG a.F. sah vor, dass nach Kostenübernahme die Erstattungsansprüche auf den Solidarfonds übergehen und dieser auf dieser Grundlage vom nachträglich identifizierten Rückführpflichtigen Aufwendungsersatz verlangen kann. Finanzierung der Fondsleistungen – Der Solidarfonds wurde aus Abgaben der Abfallexporteure finanziert, welche in § 8 Abs. 1 AbfVerbrG a.F. als „Mitgliedsbeiträge“ bezeichnet wurden. Die Höhe der Abgaben richtete sich nach Menge und Art der ins Ausland verbrachten Abfälle. Die bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisierte Finanzierungslösung ist letzlich vom EuGH und vom BVerfG als verfassungs- und europarechtswidrig abgelehnt worden. Der EuGH entschied in einem Urteil vom 27. Februar 2003, dass es sich bei den „Mitgliedsbeiträgen“ um Abgaben zollgleicher Wirkung i.S.v. Art. 25 EG-Vertrag a.F. handelte110. Das BVerfG erkannte in den Beiträgen Sonderabgaben, die den spezifischen verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen nicht entsprachen, und erklärte die Gesamtregelung des Solidarfonds Abfallrückführung für nicht verfassungskonform111. dd) Die Einrichtung von Fonds in weiteren Rechtsgebieten (1) Sicherungsfonds für die Lebens- und Krankenversicherung und Einlagensicherungsfonds der Banken Seit dem Beginn der 1990er Jahre haben die Bemühungen des europäischen und bundesdeutschen Gesetzgebers, Anleger und Versicherungsnehmer besser abzusichern, zur Gründung mehrerer gesetzlicher Ausfallfonds geführt. Eine gemeinsame Darstellung der Fonds im Kredit- und Wertpapiergewerbe sowie in der Versicherungswirtschaft rechtfertigt sich durch die vergleichbare Regelungsintention des Gesetzgebers112.
110 EuGH, Urt. v. 27.2.2003 – Rs. C-389/00 – RIW 2003, 962. Zu diesem Urteil Hagmann, AbfallR 2003, 148. Ausführlich zur Frage der Europarechtskonformität der Finanzierungsregelung Kraßer, Die grenzüberschreitende Abfallverbringung, S. 101 ff. 111 BVerfG, Urt. v. 6.7.2005 – 2 BvR 2335/95 u. 2391/95, NVwZ 2005, 1171 = JuS 2005, 1136, Anm. Selmer. Hierzu auch H.-J. Koch, NVwZ 2005, 1153; Kloepfer, ZUR 2005, 479; Gärditz, AbfallR 2006, 34 sowie ausfürlich bereits Kraßer, Die grenzüberschreitende Abfallverbringung, S. 114 ff. Vgl. auch Kloepfer, UPR 1997, 81; Koch/Reese, DVBl. 1997, 85; Ossenbühl, BB 1995, 1805 und Lerche, DB 1995 (Beilage Nr. 10), 1. 112 Jedoch auf die unterschiedliche Ausgangslage hinweisend Präve, VersR 2005, 1023, 1024.
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Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Die 1998 errichteten gesetzlichen Entschädigungseinrichtungen113 sowie die Mitte der 1990er Jahre gegründeten freiwilligen Sicherungsfonds der Bankwirtschaft114 treten immer dann ein, wenn Kreditinstitute auf Grund finanzieller Schwierigkeiten nicht in der Lage sind, Einlagen zurückzuzahlen oder Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften zu erfüllen, und eine spätere Rückzahlung oder Erfüllung unwahrscheinlich ist115. Die Eintrittspflicht ist auf die Sicherung von Ansprüchen von Privatpersonen, Personengesellschaften oder kleineren Kapitalgesellschaften beschränkt116. Die für die Lebens- und substitutive Krankenversicherung eingerichteten Sicherungsfonds haben die Aufgabe, die von den Versicherungsnehmern abgeschlossenen Verträge im Fall eines Konkurses des Versicherers fortzuführen und die Auszahlung von Leistungen im Versicherungsfall zu garantieren117. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Die Einführung eines zusätzlichen Insolvenzschutzes zugunsten von Versicherungsnehmern und Einlegern in Form eines Sicherungsfonds wurde im Laufe der 1980er und 1990er Jahre intensiv diskutiert118. So hatte die Bundesregierung geltend gemacht, dass die Entwicklung des Wettbewerbs im Bankenund Versicherungsgewerbe die Wirtschaftsaufsicht erschwere und die Solidarität zwischen den Unternehmen schwäche. Die Einführung eines Konkurssicherungsfonds empfehle sich auch deshalb, weil die Lockerung versicherungs- und bankenaufsichtsrechtlicher Vorgaben durch den europäischen Gesetzgeber die Gefahr einer Insolvenz deutlich erhöht habe. Dies rechtfertigte die 1998 erfolgte Gründung der Entschädigungseinrichtungen in der Bankwirtschaft119. Angesichts der finanziellen Notlage der Mann-
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§ 6 Abs. 1 EAEG verfügt die Gründung von drei Entschädigungseinrichtungen je nach Rechtsnatur des Kreditinstituts (öffentlich-rechtliche Kreditinstitute, private Institute und „andere Institute“). 114 Es handelt sich im Einzelnen um den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken, den Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands, den Garantiefonds und Garantieverbund des Bundesverbandes der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken, dem Bausparkassen-Einlagensicherungsfonds, der Entschädigungseinrichtung der Wertpapierhandelsunternehmen sowie der dreistufigen Sicherungsmodell der Sparkassen. 115 § 6 Abs. 3 EAEG. 116 Siehe im Einzelnen die Ausschlussliste in § 3 Abs. 2 EAEG. 117 § 126 Abs. 2 S. 2 VAG. 118 Zahlreiche Nachweise zur Diskussion finden sich bei Präve, VersR 2005, 1023 (dort Fn. 5 u. 7) und Sethe, in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, § 25, Rdnr. 10 ff. 119 Zur Rolle der Insolvenz der Herstatt-Bank im Jahre 1974 bei der Stärkung des Einund Anlegerschutzes Kaserer, VSWG 87 (2000), 166, 173 ff.
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heimer Lebensversicherung AG im Jahre 2003120 sah sich der Gesetzgeber schließlich auch auf dem Gebiet der Lebens- und privaten Krankenversicherung zum Handeln gezwungen und errichtete eine gesetzliche Fondslösung. Alternativen zur Fondslösung – Unter Bezugnahme auf das Prinzip von Wettbewerb und Marktwirtschaft, welches die „gemeinsame Zuordnung von Risiken und Chancen auf die im Wettbewerb operierenden Marktteilnehmer“121 voraussetze, sprach sich die Wirtschaft grundsätzlich gegen die Einrichtung eines gesetzlichen Sicherungsfonds aus. Das Banken- und Versicherungsgewerbe sorge bereits durch das Bestehen freiwilliger Sicherungseinrichtungen für das nötige Vertrauen der Kunden in die Funktionsfähigkeit der Unternehmen. Da der Schutz durch freiwillige Sicherungseinrichtungen für unzureichend erachtet wurde122, entschied sich der Gesetzgeber jedoch für eine gesetzliche Lösung und richtete Fonds in Form von Sondervermögen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau ein123. Funktionsweise des Fonds – Die Eintrittspflicht der Sicherungsfonds für die Kranken- und Lebensversicherung unterscheidet sich insofern von den Sicherungseinrichtungen des Banken- und Wertpapiergewerbes, als sie primär darauf gerichtet ist, die bestehenden Versicherungsverträge weiterzuführen und nur im Versicherungsfall Leistungen an Versicherungsnehmer auszuzahlen124. Die Wahrnehmung der Aufgaben des Sicherungsfonds für die Lebensversicherung wurde durch Rechtsverordnung der Protektor Lebensversicherungs-AG übertragen125. Diese tritt immer dann in die Rechtsposition des Versicherers, wenn die Aufsichtsbehörde eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit nach § 89 Abs. 1 S. 1 VAG festgestellt hat. Der Übergang der Rechte und Pflichten des Versicherungsunternehmens erfolgt ohne die Mitwirkung oder Zustimmung der
120 Hierzu im Einzelnen Hirmstedt, Protektor Lebensversicherungs-AG: Erfahrungen im Fall Mannheimer, S. 8 ff. 121 Farny, Ein Konkurssicherungsfonds in der Versicherungswirtschaft – Ei des Kolumbus oder Windei?, S. 33. Vgl. auch zur Einlagensicherung Schöner, Einlagensicherung und Wettbewerb, S. 66 ff. m.w.N. 122 Nach § 12 EAEG reicht jedoch in Einzelfällen der Schutz durch sog. institutssichernde Einrichtungen aus. 123 § 6 Abs. 1 S. 1 EAEG und § 126 Abs. 1 S. 1 VAG. 124 § 125 Abs. 2 bis 6 VAG. 125 § 127 VAG i.V.m. Verordnung v. 11. Mai 2006 über die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen eines Sicherungsfonds für die Lebensversicherung an die Protektor Lebensversicherungs-AG (BGBl. 2006, I, 1170). Vgl. für die substitutive Krankenversicherung die Verordnung vom gleichen Tage über die Übertragung an die Medicator AG (BGBl. 2006, I, 1171).
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Versicherten, denen jedoch gegen die Anordnung der Aufsichtsbehörde der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten offen steht126. Die Entschädigungseinrichtungen des Banken- und Wertpapiergewerbes sind – anders als die Sicherungsfonds der Versicherungswirtschaft – direkt zur Auszahlung von Entschädigungsleistungen verpflichtet127. Die Eintrittspflicht der Kreditanstalt für Wiederaufbau ist gegeben, wenn ein Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstituts nicht in der Lage ist, Einlagen zurückzuzahlen oder Verbindlichkeiten aus Wertpapiergeschäften zu erfüllen. Die Feststellung des Entschädigungsfalls wird im Bundesanzeiger veröffentlicht und den Gläubigern des Instituts unverzüglich mitgeteilt128. Diese können daraufhin binnen eines Jahres einen Entschädigungsanspruch geltend machen, den die Entschädigungseinrichtung „unverzüglich“ zu prüfen hat129. Gemäß § 5 Abs. 5 EAEG gehen bei Erfüllung des Entschädigungsanspruchs die Ansprüche des Gläubigers auf die Entschädigungseinrichtung über. Nach § 3 Abs. 4 EAEG ist bei Streitigkeiten zwischen den Sicherungseinrichtungen und den Gläubigern des Kreditinstituts der Zivilrechtsweg gegeben. Finanzierung der Fondsleistungen – Sowohl die Mittel der Sicherungsfonds der Versicherungswirtschaft als auch jene der Sicherungseinrichtungen des Banken- und Wertpapiergewerbes werden durch Beiträge der gesicherten Unternehmen erbracht. Die Finanzierung setzt sich im Einzelnen aus Jahresbeiträgen und eventuell anfallenden Sonderbeiträgen zur Deckung des im Konkursfalle bestehenden Bedarfs an zusätzlicher Mittel zusammen130. (2) Notarversicherungsfonds Zur Ergänzung des notariellen Haftpflichtversicherungsschutzes haben sich die Notarkammern der Bundesrepublik im Jahre 1981 zur Einrichtung eines Vertrauensschadensfonds entschlossen, der seit dem 22. Juni 2009 die Bezeichnung „Notarversicherungsfonds“ trägt. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Der Versicherungsfonds hat den Zweck, Kompensationsleistungen für Schäden zu erbringen, welche nicht 126 Nach § 128 Abs. 8 VAG haben weder Widerspruch noch Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. 127 Die Leistungen bestimmen sich in Höhe und Umfang nach den Vorgaben v. § 4 EAEG. Vgl. auch Art. 7 Abs. 1 u. 1a der Richtlinie 94/19/EG (zuletzt geändert durch Richtlinie 2009/14/EG v. 11.3.2009 zur Änderung der Richtlinie 94/19/EG über Einlagensicherungssysteme im Hinblick auf die Deckungssumme und die Auszahlungsfrist). Hierzu zuletzt Böttger, BKR 2011, 485. 128 § 5 Abs. 1 S. 4 u Abs. 2 S. 1 EAEG. 129 § 5 Abs. 4 S. 1 EAEG. 130 § 129 Abs. 5 S. 5 u. Abs. 5a S. 2 VAG sowie § 8 Abs. 3a EAEG.
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durch die Haftpflichtversicherung des Notars gedeckt sind. Insbesondere wird das individuell nicht versicherbare Risiko einer Schädigung durch vorsätzliche Amtspflichtverletzung des Notars erfasst. Der auf der Grundlage von § 67 Abs. 3 Nr. 3 BNotO131 errichtete Fonds versteht sich als Ergänzung der von den Notarkammern abgeschlossenen Vertrauensschadensversicherungen, welche Schäden bis zu einem Höchstbetrag von 255.650 Euro je Schadensfall abdecken132. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Die Notarkammern haben sich zur Errichtung eines Vertrauensschadensfonds entschlossen, um einer Verpflichtung zum Abschluss von Vertrauensschadensversicherungen mit höheren Deckungssummen zu entgehen. Der Gesetzgeber hatte im Vorfeld der Verabschiedung des Ersten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung133 über die Abdeckung vorsätzlich verursachter Schädigungen durch Notare beraten und angesichts sich häufender Haftungsfälle eine Verbesserung der bisherigen Rechtslage gefordert134. Insbesondere galt es, durch eine Stärkung der Position der Geschädigten das Vertrauen der Öffentlichkeit in den Notarstand zu festigen135. Alternativen zur Fondslösung – Der Gesetzgeber hat auf die Festlegung einer höheren Mindestversicherungssumme bei der Vertrauensschadensversicherung verzichtet, da die Notarkammern die Errichtung eines Ergänzungsfonds in Aussicht stellten. Eine über den derzeitigen Höchstbetrag hinausgehende Versicherungsdeckung wird im Schrifttum auch als eine insgesamt teurere Lösung gesehen136. Die Alternative, die Staatshaftung auf die Fälle der Vertrauensschäden auszuweiten, stieß ebenso auf Bedenken, da das Gebührenaufkommen der Notartätigkeit den Notaren verbleibt. Eine Abwälzung des Haftungsrisikos auf die Allgemeinheit sei daher nicht sachgemäß, da sie dem Grundsatz zuwiderlaufe, nach dem Lasten derjenigen Gemeinschaft aufzubürden sind, die auch den Nutzen für sich in Anspruch nimmt137. 131
Hierzu BGH, Beschl. v. 25.10.1982 – NotZ 8/82 – DNotZ 1983, 119 = LM § 67 BNotO, Nr. 2, Anm. Rössler. 132 Die Mindestdeckungssumme von 500.000 DM wurde auch bei der Novellierung der BNotO im Jahre 1998 entgegen dem Votum des Bundesrates nicht erhöht. Siehe hierzu BT-Drucks. 13/4184, S. 46 u. 51. 133 Ausführlich zu den Neuerungen dieses Gesetzes Zimmermann, DNotZ 1982, 4 u. 90. 134 Stüer, DVBl. 1989, 1137; Wolff, VersR 1993, 272, 273. 135 So auch §1 Abs. 1 des Statuts des Notarversicherungsfonds (http://www.vsfnotarkammern.de/Statut2010.html; das zuvor geltende Statut ist abgedruckt bei Weingärtner, Notarrecht8, Nr. 620. Hierzu Zimmermann, DNotZ 1982, 89; Hertel, in: Ganter/Hertel/Wöstemann, Handbuch der Notarhaftung, Rdnr. 258 ff. sowie, mit dem Versicherungssystem des Anwaltsstandes vergleichend, Terbille, MDR 1999, 1426. 136 Stüer, DVBl. 1989, 1137, 1143. 137 Ebd.
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Funktionsweise des Fonds – Der Eintritt des Notarversicherungsfonds im Falle eines Vertrauensschadensfalls erfolgt ausdrücklich ohne Rechtspflicht138. Der Geschädigte meldet im Regelfall den Schaden bei der betroffenen Notarkammer an, welcher nach § 13 Abs. 1 der Fondssatzung eine umfassende Meldepflicht gegenüber dem Fonds obliegt. Der Entschädigungsantrag kann auch direkt beim Fonds gestellt werden. Die Geschäftsführung oder der Verwaltungsrat des Fonds prüfen den Antrag und unterbreiten nach Aufklärung des Sachverhalts den betroffenen Notarkammern einen Entscheidungsvorschlag139. Die Ersatzleistungen aus Mitteln des Fonds werden im Namen der betroffenen Notarkammer gegen Abtretung der Ersatzansprüche gewährt140. Eine gerichtliche Auseinandersetzung ist mangels gesetzlicher Eintrittspflicht des Fonds nicht vorgesehen141. Finanzierung der Fondsleistungen – Das Fondsvermögen, ein zweckgebundenes, nicht rechtsfähiges Sondervermögen der Notarkammern142, wird durch Beiträge der verschiedenen Notarkammern aufgebracht. Diese bemisst sich nach der Zahl der Kammermitglieder und wird zusätzlich durch Einmalbeiträge für alle neu aufgenommenen Notare vervollständigt. Das BVerfG und der BGH haben in zwei Entscheidungen die Verfassungsmäßigkeit der Beiträge bestätigt143. (3) Tierseuchenkassen der Länder Den von den Ländern auf der Grundlage von §§ 66 ff. Tierseuchengesetz (TierSG) eingerichteten Tierseuchenkassen kommt die Aufgabe zu, Tierverluste bei der Bekämpfung von Tierseuchen zu entschädigen und auf diese Weise Tierhalter möglichst reibungsarm in das System der staatlichen Seuchenbekämpfung zu integrieren. 138 § 67 Abs. 4 Nr. 3 BNotO, § 2 Abs. 1 S. 1 des Fonds-Statuts. Kritisch hierzu Wolff, VersR 1993, 272, 275 f. („Es liegt deshalb nahe, daß wie im Falle der Vertrauensschadensversicherung auch durchsetzbare Leistungsansprüche eines Geschädigten gegen den Fonds existieren. Anderenfalls hätten die Notarkammern die Möglichkeiten der Geschädigten durch Gründung des Fonds zumindest erheblich verkürzt.“). 139 Die Regulierung des Schadensfalls umfasst sowohl den vom Vertrauensschadensversicherer zu übernehmenden Schadensanteil als auch den darüber hinausgehenden von der Versicherung nicht gedeckten Anteil. Vgl. § 2 Abs. 2 Buchst. b) des Fonds-Statuts. 140 § 14 Abs. 2 des Fonds-Statuts. 141 Siehe jedoch Wolff, VersR 1993, 272, 275 f., der eine gerichtliche Überprüfbarkeit der Fonds-Entscheidungen zumindest unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes annimmt. 142 § 1 Abs. 4 des Fonds-Statuts. 143 Siehe BGH, Beschl. v. 30.7.1990 – NotZ 2/90 – NJW 1991, 2290 sowie bereits BVerfG, Nichtannahmbeschl. v. 21.4.1983 – 1 BvR 10/83 – DNotZ 1983, 502. Hierzu Stüer, DVBl. 1989, 1137, 1141 ff.
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Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Ein Entschädigungsanspruch gegen die Tierseuchenkassen besteht nur für Tiere, die auf der Grundlage einer behördlichen, zur Seuchenabwehr bestimmten Tötungsanordnung verendet sind. Die Höhe der Entschädigungszahlungen und Ausschlusstatbestände sind detailliert in §§ 66 ff. TierSG geregelt 144. Gründe für die Einrichtung des Fonds. Alternativen zur Fondslösung – Die Entschädigung von Tierbesitzern durch Tierseuchenkassen soll die Mitarbeit der Tierbesitzer bei der Seuchenbekämpfung fördern und wirtschaftliche Verluste im Seuchenfall begrenzen. Im Einzelnen sind Besitzer von Tierbeständen aufgerufen, bei der Eingrenzung von ausgebrochenen Tierseuchen mitzuwirken und kontaminierte oder gefährdete Bestände einer geordneten Tötung zuzuführen. Die ersten Tierseuchenfonds sind bereits nach Inkrafttreten des Viehseuchengesetzes vom 26. Juni 1909 errichtet worden145. Alternative Entschädigungslösungen sind in jüngerer Zeit nicht diskutiert worden. Funktionsweise des Fonds – Nach Maßgabe von § 71 Abs. 1 TierSG haben die Länder sog. Tierseuchenkassen als nicht rechtsfähige Sondervermögen errichtet146. Der Tierhalter ist verpflichtet, die Tierkörper umgehend nach der Tötung von einem beamteten Tierarzt untersuchen zu lassen147. Der Entschädigungsantrag ist sodann an die zuständige Landesbehörde zu richten, welche die Gesamtzahl der betroffenen Tiere ermittelt und den Wert der getöteten Tiere schätzt148. Auf der Grundlage dieser Erhebungen setzt die Geschäftsführung der Tierseuchenkasse die Entschädigung durch schriftlichen Bescheid fest149. Bei Zahlung einer Entschädigungsleistung geht der Kompensationsanspruch insoweit auf die Tierseuchenkasse über, sodass die übergeordnete Landesbehörde diesen Anspruch Dritten gegenüber geltend machen kann150. Bei Streitigkeiten über Entschädigungsansprüche nach §§ 66 ff. TierSG ist laut § 72b des Gesetzes der Verwaltungsrechtsweg gegeben.
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Hierzu ausführlich Vohleitner, AgrarR 1991, 272. S. auch Steiling/Winterhoff, AUR 2006, 113, 115 ff. 145 Zur geschichtlichen Entwicklung von Tierseuchenkassen auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens, siehe die detaillierte Darstellung auf http://www.ndstsk.de/ index.php?bereich=6&topic_id=486&akk=6&akv=. 146 So etwa § 5 Satz 1 AG TierSG TierNebG NW. Siehe auch den Überblick über die bestehenden Tierseuchenkassen auf http://www.tierseuchenkassen.de mit Verweisen auf die einzelnen landesrechtlichen Vorschriften. 147 § 15 AG TierSG TierNebG NW. 148 § 16 Satz 2 u. 3 AG TierSG TierNebG NW. Zu dem Verfahren siehe auch Nolte/Plöhn, ZLR 2002, 433, 434 f. 149 § 21 AG TierSG TierNebG NW. 150 § 72a Abs. 1 Satz 1 TierSG.
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Finanzierung der Fondsleistungen – Die Leistungen der Tierseuchenkasse werden hauptsächlich durch Beiträge der Tierbesitzer finanziert, die nach Tiergruppen getrennt zu erheben sind. Die Höhe des Beitrags richtet sich nach der Anzahl der gehaltenen Tiere151. Darüber hinaus werden die Kassen auch aus Erstattungszahlungen der Bundesländer sowie aus dem Ertrag angelegter Rücklagen gespeist152. (4) Wildschadensausgleichskassen der Länder Nach § 29 Abs. 4 Bundesjagdgesetz (BJagdG) können die Länder nach eigenem Ermessen Ausgleichskassen für den Ersatz von Wildschäden einrichten. Zwar sehen zahlreiche Landesjagdvorschriften Ermächtigungsvorschriften zur Gründung von Wildschadensausgleichskassen durch das zuständige Landesministerium vor153, jedoch sind derartige Einrichtungen bisher lediglich in Mecklenburg-Vorpommern geschaffen worden154. Vom Fonds erfasste Schadensfälle – Die Ausgleichskassen haben den Zweck, „Wildschäden zu verhindern und von Rot-, Dam- und Schwarzwild verursachte Wildschäden auszugleichen“155. Typischerweise handelt es sich um den Ausgleich von Schäden an landwirtschaftlich genutzten Grundstücken. Die besondere Zuständigkeit der errichteten Ausgleichskassen gilt demnach nicht für sonstige Wildschäden, zum Beispiel durch Wild aus Gehege oder Schalenwild, für welche die allgemeinen Regelungen des Jagdrechts gelten156. Gründe für die Einrichtung des Fonds. Alternativen zur Fondslösung – Durch die Errichtung von Wildschadensausgleichskassen werden mehrere aneinandergrenzende Jagdbezirke zusammengefasst und ein überörtlicher Wildschadensausgleich sichergestellt157. Ziel ist es, auf diesem Wege das Haftungsrisiko der Jagdpächter zu reduzieren und auch ortsansässigen, weniger finanzkräftigen Jägern die Pacht zu ermöglichen. In den Bundesländern, in denen keine Ausgleichskassen existieren, werden Wildschäden entweder direkt durch den Jagdpächter oder durch die örtliche Jagdgenossenschaft ersetzt158. 151
So etwa § 13 Abs. 1 AG TierSG TierNebG NW. § 12 Abs. 1 AG TierSG TierNebG NW. 153 Siehe die Übersicht bei Schuck-Stamp, BJagdG, § 29, Rdnr. 54. Vgl. auch aus dem älteren Schrifttum Mitzschke/Schäfer, BJagdG, S. 417. 154 § 27 Landesjagdgesetz M-V i.V.m. Verordnung v. 12. Juli 2000 über die Mustersatzungen für Wildschadensausgleichskassen. Hierzu näher Schuck-Stamp, BJagdG, § 29, Rdnr. 53. 155 § 27 Abs. 2 LJagdG M-V. 156 § 29 ff. BJagdG (Ausgleich durch die Jagdgenossenschaft, den Jagdpächter oder den Aufsichtspflichtigen des Geheges). 157 Skeptisch Köhne, AUR 2006, 418, 420. 158 Siehe im Einzelnen Schuck-Stamp, BJagdG, § 29, Rdnr. 21 ff. 152
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Funktionsweise des Fonds – Die Wildschadensausgleichskasse tritt bei Vorliegen eines durch Rot-, Dam- und Schwarzwild verursachten Wildschadens an die Stelle des Ersatzpflichtigen und gleicht bis zu 90 Prozent des entstandenen Schadens aus159. Hat der Ersatzpflichtige bereits an den Geschädigten gezahlt, so kann insoweit ein Erstattungsanspruch gegen die Ausgleichskasse geltend gemacht werden. In jedem Fall muss jedoch der Wildschaden nach den Vorgaben des Landesjagdgesetzes im Feststellungsverfahren vor der zuständigen Ordnungsbehörde verhandelt werden160. Finanzierung der Fondsleistungen – Zur Erfüllung ihrer Aufgaben erheben die Wildschadensausgleichskassen sowohl finanzielle als auch Sachbeiträge. Finanziell beitragspflichtig sind neben Jagdgenossenschaften auch Jagdpächter und Eigenjagdbesitzer161. Die Beitragshöhe richtet sich nach den zu erwartenden und bereits erstatteten Wildschäden in den Jagdbezirken162. Sachbeitragspflichtig sind Landwirte, die die Jäger über Aussaat und Ernte der landwirtschaftlichen Kulturen informieren, Hilfe beim Aufstellen und Umsetzen von Jagdeinrichtungen und Zäunen leisten sowie eine sorgfältige Ernte sicherstellen sollen163. b) Geplante, aber nicht realisierte Entschädigungsfonds Seit den 1960er Jahren sind in Wissenschaft und Politik Fondslösungen beraten, letztlich aus verschiedenen Gründen aber positivrechtlich nicht verwirklicht worden. Im Folgenden soll ein kurzer Überblick über die verschiedenen Reformprojekte gegeben werden. aa) Produkthaftungsfonds Dem Erlass der Richtlinie vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG) gingen intensive Diskussionen über die Ausgestaltung des Entschädigungsregimes voraus. Insbesondere wurde in den Vorarbeiten zur Richtlinie thematisiert, ob nicht die Einrichtung eines „Produkthaftungsfonds“164 als Alternativmodell zu einer rein haftungs159 § 13 Abs. 1 der Hauptsatzung der Wildschadensausgleichskassen M-V (abgedruckt in GVOBl M-V 2000, 327). 160 § 13 Abs. 2 Buchst. b der Hauptsatzung der Wildschadensausgleichskassen M-V. 161 Siehe im Einzelnen § 2 der Beitragssatzung der Wildschadensausgleichskassen MV (abgedruckt in GVOBl M-V 2000, 331). 162 § 4 der Beitragssatzung der Wildschadensausgleichskassen M-V. 163 § 3 der Beitragssatzung der Wildschadensausgleichskassen M-V. Kritisch Köhne, AUR 2006, 418, 420. 164 Art. 11 des Europäischen Übereinkommens v. 27.1.1977 über die Produkthaftpflicht bei Personenschäden und Tod stellt es den Beitrittsstaaten frei, die Haftung des
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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rechtlichen Sonderregelung vorzugswürdig sei. Nach der Befassung des 47. Deutschen Juristentages mit der Frage, ob und in welchem Sinne die Produzentenhaftung einer Neuordnung zugeführt werden soll, wurde in der rechtswissenschaftlichen Literatur mit Nachdruck vertreten, dass es notwendig sei, die Schäden bei Realisierung von Entwicklungsgefahren mittels eines Fonds auf die Allgemeinheit zu übertragen165. Alternativ ist auch ein Fondsmodell vorgeschlagen worden, welches ausschließlich von Herstellern bestimmter besonders gefahrenträchtiger Produkte finanziert würde166. Warum bei der Ausarbeitung der EG-Produkthaftungsrichtlinie der Gedanke eines Fonds nicht aufgegriffen wurde, lässt sich den seinerzeit hervorgebrachten ablehnenden Reaktionen entnehmen. So wurde die Einrichtung eines Fonds stets auch als politisch motivierter Vorschlag zur Kollektivierung bestimmter Wirtschaftsrisiken verstanden167. In diesem Sinne haben die Verfechter einer Individualhaftung auf den nötigen Bruch mit der dem Bürgerlichen Recht immanenten freiheitlichen Werteordnung hingewiesen168. Auch wenn das Europäische Parlament die Kommission noch im Jahre 1979 zu einem Bericht über die Zweckmäßigkeit der Einrichtung eines Produkthaftungsfonds aufforderte169, ist das Modell eines Fonds nach Inkrafttreten der Richtlinie 85/374/EWG nicht wieder zum Gegenstand von Reformdiskussionen geworden170. Produzenten „durch die Haftung eines Garantiefonds oder durch eine andere Form kollektiver Garantie zu ersetzen“. 165 In diesem Sinne Simon, in: Sitzungsberichte 47. DJT, S. M 28 (allerdings erscheint dem Autor „die Zeit für ein gesetzgeberisches Eingreifen vielleicht noch nicht reif“); v. Caemmerer, in: FS Y. J. Hakulinen, S. 75, 80; ders., in: FS Rheinstein, Bd. 2, S. 659, 670 sowie Landau, in: Duden/Külz (Hrsg.), Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 117, 120 ff. 166 Simitis, in: Gutachten 47. DJT, S. C 81 ff. 167 So ist der wohl detaillierteste Vorschlag zu einem „Produkthaftungsfonds“ auf dem Rechtspolitischen Kongress der SPD vom 5. bis 7. Mai 1972 vorgetragen worden (siehe Landau, in: Duden/Külz (Hrsg.), Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 117, 120 ff.). 168 Ficker, FS v. Caemmerer, S. 343, 357 (dort Fn. 57); ders., in: Tilmann (Hrsg.), Ansätze und Leitlinien für ein europäisches Zivilrecht, S. 40 f.; Taschner/Frietsch, Produkthaftungsgesetz und EG-Produkthaftungsrichtlinie, Einführung, Rdnr. 166. Siehe auch Weitnauer, NJW 1968, 1593, 1600 („erhebliche praktische Schwierigkeiten“). Differenzierend Krämer, EWG-Verbraucherrecht, Rdnr. 321. 169 ABl. EG 1979, C 127/61. 170 Zum Spielraum der Mitgliedsstaaten nach dem Erlass der Produkthaftungsrichtlinie Taschner, Produkthaftung, Art. 1, Rdnr. 11 ff. („jede Entwicklung in Richtung auf eine Fondslösung […] unterbunden“). Vgl. in diesem Zusammenhang auch zur Diskussion über das Arzneimittelhaftungsrecht Riedel/Karpenstein, MedR 1996, 193, 198 f. („streng individualistische[r] Ansatz des europäischen Produkthaftungsrechts“). Siehe auch Zurawka/Siegel, JuS 1998, 766.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
bb) Fonds für Arzneimittelschäden Im Zuge der Diskussion um die Entschädigung der ConterganGeschädigten sprachen sich zahlreiche Stimmen für die Einführung eines allgemeinen Entschädigungsfonds für Schäden durch fehlerhafte Arzneimittel aus171. Die Contergan-Katastrophe hatte allzu deutlich die Mängel des bis dato geltenden Arzneimittelrechts aufgezeigt und eine umfassende Neuordnung der Zulassungs- und Entschädigungsregelungen nötig gemacht. Dazu wurde im Dezember 1973 vom Bundesgesundheitsministerium ein Referentenentwurf vorgelegt, welcher neben strengeren Vorschriften über die Zulassung von Arzneimitteln ein Entschädigungssystem auf der Grundlage einer Gefährdungshaftung des Arzneimittelherstellers, einer obligatorischen Haftpflichtversicherung sowie eines subsidiär eintretenden „Arzneimittel-Entschädigungsfonds“ vorsah172. Dieser Fonds sollte immer dann eintreten, wenn der Geschädigte „glaubhaft macht, daß er weder von einem Ersatzpflichtigen noch von einem Versicherungsunternehmen einen angemessenen Schadensersatz zu erlangen vermag“173, d.h. immer dann, wenn die Realisierung eines Ersatzanspruchs an der Vermögenslosigkeit des Ersatzpflichtigen oder an einem mangelnden Kausalitätsnachweis scheitert174. Die Finanzierung der Entschädigungsleistungen sollte durch Beiträge der Arzneimittelhaftpflichtversicherer sowie von Bund und Ländern sichergestellt werden175. Ein zweiter Referentenentwurf bestätigte diese Neuorientierung und wies dem angedachten Arzneimittel-Entschädigungsfonds insbesondere auch die Aufgabe der Abdeckung von Spitzenund Langzeitschäden zu176. Der Vorschlag des Ministeriums stieß zunächst auf Skepsis, letztlich auf heftige Ablehnung der Arzneimittelindustrie177. So sprach der Bundesverband der Pharmaindustrie von einem „Verstoß gegen marktwirtschaftliche Grundsätze“178, gar von einer „zwangsweisen Vergemeinschaftung“179, und gab zu Bedenken, dass die Einführung des neuen Entschädigungssystems zu einer zusätzlichen finanziellen Belastung der Unternehmer führen wür171
Umfassend zu den Reformüberlegungen der 1970er Jahre Wolter, ZRP 1974, 260; ders., DB 1976, 2001; Weitnauer, ArztR 1977, 100, 131 f. (s. insb. Fn. 39) sowie zusammenfassend Beyer, Grenzen der Arzneimittelhaftung, S. 296 ff. 172 § 74 ff. RefE AMG v. 12.12.1973 (abgedruckt in PharmaInd 1974, 1, 14 f.). 173 § 85 Abs. 1 a.E. RefE AMG 1973 174 Zweifelnd aber Wolter, ZRP 1974, 260, 265. 175 § 84 Abs. 3 S. 1 RefE AMG 1973. 176 § 82 Abs. 1 RefE AMG 1974 (abgedruckt in PharmaInd 1974, 406, 422). 177 Vgl. die vorläufigen Stellungnahmen des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie e. V. zum 1. Referentenentwurf (PharmaInd 1974, 161, 163 u. 175 sowie 313 ff.). 178 PharmaInd 1974, 313, 315. 179 Ebd.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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de180. Hiernach nahm die Bundesregierung im Kabinettsentwurf vom 17. Juli 1974 beträchtliche Änderungen an den haftungsrechtlichen Regelungen vor. Der Kabinettsentwurf sah zwar nach wie vor die Einführung eines Arzneimittelentschädigungsfonds vor, jedoch sollte dieser nun immer dann eintreten, wenn der zur Haftung des Herstellers nötige Verschuldensnachweis nicht erbracht werden kann181. Die Abkehr von der verschuldensunabhängigen Herstellerhaftung der Referentenentwürfe hin zur verschuldensbasierten Haftung des Kabinettsentwurfs hätte mithin eine erhebliche Akzentverschiebung hin zu einer kollektiven Entschädigungslösung zur Folge gehabt182. Der Kritik seitens der Pharmaindustrie an einer Kollektivierung der Entschädigung wurde dieser neue Entwurf aber kaum gerecht. Zuletzt entschied sich die Regierungskoalition aus SPD und FDP dann doch für ein Entschädigungssystem auf der Grundlage einer Gefährdungshaftung des Unternehmers, verbunden mit der Verpflichtung zur Deckungsvorsorge. Die endgültige Fassung des Gesetzes sah die Einrichtung eines subsidiär eintretenden Entschädigungsfonds nun nicht mehr vor183. Obgleich ein derartiger Fonds als die für die Pharmaindustrie kostengünstigere Lösung angesehen wurde, erhielt eine versicherungsrechtliche Deckung den Vorzug, da diese den Vorteil habe, die verbraucherfreundlichere Option zu sein184 und „im Einklang mit den ordnungspolitischen Vorstellungen einer freien, vom Wettbewerb geprägten Wirtschaftsordnung“ zu stehen185. Zudem erklärte sich die Versicherungsindustrie nach langem Zögern bereit, ein Schadensrisiko von 200 Millionen DM zu übernehmen, was von der Bundesregierung als eine ausreichende Deckungssumme akzeptiert wurde186. Die 1974 durch den Gesetzgeber statuierte zweistufige Haftungsregelung (Gefährdungshaftung des Herstellers und obligatorische Deckungs180
PharmaInd 1974, 161, 175. Dies ergibt sich aus § 80 Abs. 3 KabE AMG (BT-Drucks. 7/3060, S. 32), welcher Ansprüche gegen den Fonds dann ausschließt, „wenn ein anderer für den Schaden haftet und soweit der Geschädigte von diesem Ersatz seines Schadens zu erlangen vermag“. 182 Kritisch Wolter, ZRP 1974, 260, 267 („nicht vereinbar […] mit dem Grundsatz der unternehmerischen Einstandspflicht für seinen betrieblichen Risikobereich“; Hervorhebung im Original). 183 Siehe §§ 84 ff. AMG 1974. 184 Bei einer Versicherungslösung obliege die Schadensregulierung von Vornherein dem Haftpflichtversicherer des pharmazeutischen Unternehmens. Eine vorherige, erfolglose Inanspruchnahme des Unternehmens, wie sie mit einem subsidiär eintretenden Fonds notwendig gewesen wäre, sei nicht nötig. Hierzu BT-Drucks. 7/5091, S. 10. 185 BT-Drucks. 7/5091, S. 10. Siehe auch die Diskussionsbeiträge im Parlament (Nachweise bei Wolter, DB 1976, 2001 [dort Fn. 7]). 186 Siehe insb. Der Spiegel Nr. 18/1976, S. 86 ff. Zur Rolle des sog. Pharmapools (Pharma-Rückversicherungs-Gemeinschaft) siehe insb. Deutsch/Spickhoff, Arztrecht, Arzneimittelrecht und Medizinprodukterecht, Rdnr. 1525. 181
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
vorsorge) gilt auch heute noch187. Allerdings ist auch nach der Neufassung der arzneimittelrechtlichen Entschädigungsregelungen die Diskussion über die Notwendigkeit einer Fondslösung fortgeführt worden. So ist im Zuge der Abwicklung von HIV-Schadensfällen durch verseuchte Blutpräparate erneut die Forderung nach einem allgemeinen Entschädigungsfonds für Arzneimittelschäden laut geworden. Der 1993 eingesetzte Untersuchungsausschuss des Bundestages sprach sich dafür aus, „mittelfristig […] zu überlegen, ob für Fälle ungeklärter Kausalität und für Fälle, in denen Arzneimittel ohne Zulassung und ohne Deckungsvorsorge in den Verkehr gebracht werden, entweder durch einen Entschädigungsfonds nach dem Vorbild desjenigen für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen oder durch eine kollektive Selbstversicherung der Pharmaunternehmen Vorsorge getroffen werden sollte“188. Nachdem eine interministerielle Arbeitsgruppe zur Arzneimittelhaftung Fondslösungen für ungeeignet erklärt hatte189 und aus Wissenschaft und Wirtschaft mehrheitlich ablehnende Stellungnahmen zu vernehmen waren190, wurden die Anregungen des Untersuchungsausschusses im Jahre 1998 von der Opposition in Form eines Gesetzentwurfes neu aufgegriffen191. Dieser ist jedoch vom Parlament nicht angenommen worden. Zuletzt ist durch den Bundesrat im Zuge der Debatte um den Gesetzentwurf zur Änderung schadensersatzrechtlicher Vorschriften (2. SRÄG) die Einrichtung eines Fonds für den Fall fehlender Deckungsvorsorge oder Arzneimittelzulassung sowie bei ungeklärter Kausalität angeregt wor187
Vgl. die grundlegenden Erörterungen bei Kullmann, in: Kullmann/Pfister (Hrsg.), Produzentenhaftung, Nr. 3800, S. 1 ff.; Voit/Moelle, in: Dieners/Reese (Hrsg.), Handbuch PharmaR, § 13 sowie Deutsch/Spickhoff, Arztrecht, Arzneimittelrecht und Medizinprodukterecht, Rdnr. 1473 ff. Siehe auch Geiger, Deutsche Arzneimittelhaftung und EGProdukthaftung, S. 184 ff. 188 Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, BT-Drucks. 12/8591, S. 258. Vgl. auch die Empfehlungen des Gesundheitsausschusses des Bundesrates in BR-Drucks. 465/1/95, S. 11. 189 Siehe BR-Drucks. 1012/96, S. 42 ff. 190 Schilling, VW 1994, 1470, 1473. Zum selben Ergebnis kommen in Hinblick auf die europarechtliche Vereinbarkeit Riedel/Karpenstein, MedR 1996, 193, 198 f. Differenzierend Hart, in: Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht (Hrsg.), Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 47, 58 ff. Anders jedoch Reinelt, ZRP 1994, 333, 335, welcher die Initiative begrüßt. Einen Überblick über die Diskussion bietet auch Funke, Die Arzneimittelhaftung des pharmazeutischen Herstellers, S. 182 ff. 191 BT-Drucks. 13/10019, S. 1 ff. Hiernach hätte ein Entschädigungsfonds „für alle Schäden einzutreten, die […] dem Verletzten nicht ersetzt werden, weil der Ersatzpflichtige bei mehreren möglichen Verursachern nicht ermittelbar ist“ (S. 2). Zu diesem Gesetzesentwurf Reinelt, ZRP 1999, 150. Skeptisch Wagner, VersR 2001, 1334, 1335 und 1345 ff. sowie im Anschluss daran Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte, S. 274 ff. und Bérézowsky, Ansprüche des Arzneimittelgeschädigten, S. 94 ff.
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den192. Auch dieser Vorschlag ist von der Bundesregierung und den Fraktionen der Koalitionsparteien mit der Begründung abgewiesen worden, die bisherige Rechtslage sei ausreichend193. cc) Fonds für Umweltschäden Mit der Wahrnehmung des Umweltschutzes als nicht bloß politisches, sondern auch rechtliches Problem hat sich in Deutschland seit Anfang der 1980er Jahre eine breite Diskussion um die Einführung von Umwelthaftungsfonds entspannt. Ausgangspunkt war die Frage, ob nicht der Staat nach den Vorschriften des Staatshaftungsrechts zum Ersatz von Waldschäden verpflichtet sei194. Da dies sowohl vom BGH als auch vom BVerfG mit Hinweis auf die Entscheidungsprärogativen des Gesetzgebers verneint wurde195, ist in der Literatur verstärkt auf die Alternativlösung eines sog. „Waldschadensfonds“ hingewiesen worden196. Zweck des Fonds sollte insbesondere die Entschädigung von Waldeigentümern durch den Ersatz der am Forstbestand verursachten Schäden sowie der von den Eigentümern zu tragenden Aufwendungen zur Schadensminderung oder -vorbeugung sein. Der Fonds sollte durch die Erhebung von Beiträgen auf umweltschädigendes Verhalten gespeist werden. Aufbauend auf einer frühen Abhandlung von Westermann197 und unter Hinweis auf ausländische Modelle198 weitete sich die Debatte auf den Aus192 BT-Drucks. 14/7752, S. 48. Siehe auch BT-Drucks. 14/8799, S. 1 ff. Zu den parlamentarischen Diskussionen vgl. Trimbach, NJ 2002, 393, 394. 193 BT-Drucks. 14/7752, S. 55. 194 Unter den zahlreichen Publikationen siehe z.B. R. Schmidt, ZRP 1987, 345 m.w.N. Umfassend Leisner, Waldsterben – Öffentlichrechtliche Ansprüche, S. 43 ff. sowie Suhr, Immissionsschäden vor Gericht, S. 19 ff. 195 BVerfG, Beschl. v. 14.9.1983 – 1 BvR 920/83 – NJW 1983, 2931 (hierzu v. Hippel, NJW 1985, 30) sowie BGH, Urt. v. 18.12.1987 – III ZR 220/86 – BGHZ 102, 350 = NJW 1988, 482, Anm. v. Hippel. Anders als das BVerfG wies das BGH darauf hin, dass die geltend gemachten Schäden dem Grunde nach entschädigungswürdig seien und der Gesetzgeber aufgerufen sei, eine Entschädigungslösung auszuarbeiten. 196 Ausführlich Bohlken, Waldschadensfonds im EG-Recht, S. 129 ff. Siehe auch Ebersbach, NuR 1985, 165, 167 ff. sowie ders., AgrarR 1984, 214, 216; v. Hippel, NJW 1988, 482; ders., ZRP 1986, 233; ders., NJW 1985, 30 u. 32 sowie von Dörnberg, NuR 1986, 45, 50 (mit Hinweis auf Parallelen zur Bergschadenskasse). 197 Welche gesetzlichen Maßnahmen zur Luftreinhaltung und zur Verbesserung des Nachbarrechts sind erforderlich?, S. 67 ff. Siehe in der Folge auch Bullinger, VersR 1972, 599, 605 f. sowie Simitis, VersR 1972, 1087, 1090. 198 Einen umfassenden Überblick bieten Bothe/Gündling, Tendenzen des Umweltrechts, S. 54 ff.; Ganten, Fonds zum Ausgleich von Umweltschäden, S. 5 ff. sowie Hohloch, Entschädigungsfonds auf dem Gebiet des Umwelthaftungsrechts, S. 115 ff. Im Einzelnen siehe Lambrichts, NuR 1990, 97 sowie von Bar/van Veldhuizen, UTR 12 (1990), 367.
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gleich sämtlicher Umweltschäden aus. So wurde von Ende der 1980er bis Mitte der 1990er Jahre in einer kaum überschaubaren Fülle an Publikationen die Zweckmäßigkeit der Einrichtung eines Umweltschadensfonds erörtert. Für eine kollektive Ausgleichslösung umwelttypischer Distanz- und Summationsschäden199 wurde insbesondere angeführt, dass bei einem Festhalten am bürgerlichen Haftungsrecht die Realisierung potenzieller Ersatzansprüche stets an der Unbestimmbarkeit des Anspruchsgegners scheitere. In der Tat zeichnen sich die typischen Umweltschäden dadurch aus, dass sich die schädigenden Einwirkungen in einer relativen Unaufklärbarkeit verlieren, sei es aus Gründen der Distanz zwischen Schädiger und Geschädigtem oder wegen eines kaum individualisierbaren Summationseffektes. Um das Verursacherprinzip zu wahren, müsse eine kollektive Lösung so ausgestaltet werden, dass die Kosten des Schadensausgleichs von denen getragen würden, welche als Hauptverantwortliche für die Umweltverschmutzung gelten. Neben einer Fondslösung wurden auch anders geartete kollektive Ausgleichsmodelle erwogen, etwa eine staatliche Entschädigung aus allgemeinen Steuermitteln oder Mitteln einer eigens einzurichtenden Umweltabgabe200 oder ein genossenschaftliches Kompensationssystem in Anlehnung an die gesetzliche Unfallversicherung201. Konkrete Gesetzesentwürfe wurden insbesondere von der Bundestagsfraktion „Die Grünen“202, den Vertretern Hessens im Bundesrat203 sowie dem Ausschuss des Bundesrates für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (sog. „Hamburger Entwurf“)204 vorgelegt. Alle drei Regelungsvorschläge sahen die Errichtung eines allgemeinen Umweltschadensfonds vor, der nicht auf einen speziellen Schadensbereich begrenzt war, worin sich diese Entwürfe von den in der Literatur vorgestellten und diskutierten Fondslösungen unterschieden, welche
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Zu beiden Begriffen siehe insb. Reiter, Entschädigungslösungen, S. 20 ff.; G. Sailer, Die summierte Immission, S. 7 ff. sowie Kinkel, ZRP 1989, 293; ders., Bitburger Gespräche 1989, 103, 104 f. 200 Ganten/Lemke, UPR 1989, 1, 11 f. Hierzu auch Kinkel, Bitburger Gespräche 1989, 103, 107 ff. sowie G. Sailer, Die summierte Immission, S. 149 ff. 201 Wagner, Kollektives Umwelthaftungsrecht auf genossenschaftlicher Grundlage, S. 104 ff.; ders., ZfU 1994, 261, 264 ff. Ausdrücklich ein solches Modell ablehnend Knebel, UTR 5 (1988), 261, 279 f. und Marburger, AcP 192 (1992), 1, 34. 202 BT-Drucks. 11/4247, S. 1 ff. Hierzu Brüggemeier, in: Donner (Hrsg.), Umweltschutz zwischen Staat und Markt, S. 325 ff. sowie Köck, KritV 1991, 311. 203 BR-Drucks. 100/87, S. 1 ff. 204 BR-Drucks. 127/1/90, S. 1 ff. (besprochen von Salje, KritV 1991, 324). Sehr kritisch zu diesem Entwurf Ladeur, VersR 1993, 257. Siehe auch die Stellungnahme der baden-württembergischen Landesregierung bei Vetter, in: Nicklisch/Assmann (Hrsg.), Prävention im Umweltrecht, S. 133, 138 u. 140.
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sich hauptsächlich auf die Regulierung bestimmter Schadenstypen (Luft-, Wasserverschmutzungsschäden, Altlasten) beschränkten205. Trotz zahlreicher Regelungsvorschläge und einer aktiven Unterstützung durch Regierung und Parlament haben sich die Bemühungen um die Einrichtung von Entschädigungsfonds im Umweltrecht nicht durchsetzen können. So haben die Verfasser des ersten Entwurfs eines Umweltgesetzbuches die Idee eines umfassenden Entschädigungsfonds verworfen und dabei insbesondere auf finanzverfassungsrechtliche Unsicherheiten hingewiesen206. Über weitere Gründe für die Abkehr von einem Fondsmodell, etwa den Widerstand der Industrie207 oder Bedenken hinsichtlich der Finanzierbarkeit208, kann allenfalls spekuliert werden. Die Verfechter von Fondslösungen unterstreichen, dass durch die Passivität des Gesetzgebers das Kernproblem der Entschädigung von Distanz- und Summationsschäden nach wie vor nicht gelöst sei, in absehbarer Zeit aber auch keiner kollektiven Ausgleichslösung zugeführt werden dürfte209. Abschließend ist auf Entwürfe zur Einrichtung eines Entschädigungsfonds in weiteren Teilbereichen des Umweltrechts hinzuweisen. So wurde
205 Umfassende Entwürfe bei Lummert/Thiem, Rechte des Bürgers, S. 195 ff.; Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 364 ff.; Gütersloh, Umwelthaftungsfonds, S. 45 ff.; S. Winter, Fondslösungen im Umweltrecht, S. 124 ff.; Hohloch, Entschädigungsfonds auf dem Gebiet des Umwelthaftungsrechts, S. 232 ff. (siehe auch ders., IUR 1992, 73 sowie im Überblick ders., EP 5/1994, 112 ff.); Reiter, Entschädigungslösungen, S. 194 ff. sowie Domeyer, Die Auswirkungen eines veränderten Umwelthaftungsrechts, S. 138 ff. Für die Einrichtung eines Umweltschadensfonds auch Brüggemeier, KJ 1989, 209, 222 ff.; Ganten/Lemke, UPR 1989, 1, 11 f.; Leonhard, Der ökologische Schaden, S. 374 ff.; Loser, Kausalitätsprobleme, S. 276 ff. sowie Gerlach, Privatrecht und Umweltschutz, S. 364 ff. 206 Kloepfer/Rehbinder/Schmidt-Aßmann, UGB-Professorenentwurf, S. 416. Vgl. hierzu auch Wolfrum/Langenfeld, Umweltschutz durch internationales Haftungsrecht, S. 255 und Köck, KritV 1991, 311, 320 ff. Gegen eine Fondslösung im Umweltschadensrecht auch Cremer, VP 1988, 137 ff.; Schilling/Mack, in: FS Steffen, S. 413, 426 f. und Wagner, in: Schmidt (Hrsg.), Das Umweltrecht der Zukunft, S. 209, 225 ff. Skeptisch Diederichsen, in: FS Lukes, S. 41, 52 ff.; ders., Bitburger Gespräche 1989, 47, 67 ff.; ders./Scholz, WuV 1984, 23, 29 f. sowie Medicus, NuR 1990, 145, 152 f. 207 So Kloepfer, NuR 1990, 337, 349 = UTR 11 (1990), S. 75, 90. 208 Einen Überblick uber die Positionen verschiedener Vertreter der Zivilgesellschaft findet sich bei Feess-Dörr/Prätorius/Steger, Umwelthaftungsrecht, S. 145 ff. u. 163 ff. 209 Siehe insb. v. Hippel, NJW 1998, 3254, 3255 („kaum mehr damit zu rechnen, daß der Gesetzgeber Abhilfe schaffen wird“); Klass, UPR 1997, 134, 139 („legislatorische Aktivität […] nach wie vor nicht zu erkennen“) u. Ganten, in: FS Herber, S. 343, 360 f. Vgl. aber Kloepfer, Umweltschutzrecht, § 4, Rdnr. 137, der die Schaffung kollektiver Haftungsmodelle „etwa in Gestalt von Fondslösungen“ nach wie vor für erforderlich hält (skeptischer aber noch ders., Umweltrecht, 2. Aufl. 1998, Rdnr. 192), sowie Rehbinder, in: Hansmann/Sellner (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, Rdnr. 3.324 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
in Anlehnung an die US-amerikanische Superfund-Gesetzgebung210 die Errichtung eines Altlastenfonds211 erwogen. Ebenso werden Fondslösungen für Schäden durch Atomenergie212 oder neuerdings auch für Schäden durch Gentechnik213 diskutiert. dd) Fonds für Medizinschäden Auf dem Gebiet des Medizinrechts sind im deutschen Sprachraum vor allem Versicherungslösungen Gegenstand der rechtspolitischen Debatte über alternative Kompensationsmodelle. Auf Vorarbeiten zum US-amerikanischen Recht aufbauend214, wird die Einführung einer Heilbehandlungsrisikoversicherung als Ansatz zur Lösung der „Krise der Arzthaftpflicht“ angeregt und in Schrifttum und Politik intensiv diskutiert215. Durch die Zuerkennung eines Direktanspruchs gegen den Versicherer werde die Rechtssituation des Patienten gestärkt, da der Ersatz des Heilbehandlungsschadens nicht vom streitig geführten Verschuldensnachweise abhänge, sondern allein von der Bedürftigkeit des Geschädigten. Die Ablösung oder faktische Verdrängung des Haftpflichtrechts stabilisiere überdies die durch die steigende Zahl an Haftpflichtprozessen zunehmend fragilere Arzt-
210
Hohloch, Entschädigungsfonds auf dem Gebiet des Umwelthaftungsrechts, S. 193
ff. 211
Sander, UTR 5 (1988), 281 sowie Enders, Die zivilrechtliche Verantwortlichkeit für Altlasten, S. 169 ff. 212 Däubler, Haftung für gefährliche Technologien, S. 53 u. 113 ff. Vgl. auch Art. 8 ff. der schweizerischen Kernenergiehaftpflichtverordnung (Nuklearschadenfonds). 213 Förster, Internationale Haftungsregeln, S. 365 ff.; Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, 1193, 1196 sowie Damm, JZ 1989, 561, 568. Rechtsvergleichend B. Koch, in: ders. (Hrsg.), Economic Loss Caused by Genetically Modified Organisms, S. 653 ff. 214 Siehe Ehrenzweig, Univ. Chicago Law Review 34 (1964), 279. Siehe nachfolgend Tunc, in: Ordre national des médecins (Hrsg.), Deuxième congrès international de morale médicale, 1966, Bd. 1, S. 39, 42. 215 Grundlegend Weyers, in: Gutachten 52. DJT 1978, S. A 98 ff. Eine solche Lösung befürwortend Baumann, JZ 1983, 167, 171 ff.; Dinslage, VersR 1981, 310; Radau, Ersetzung der Arzthaftung durch Versicherungsschutz, S. 217 ff.; Barta, Medizinhaftung, S. 34 ff.; im Ergebnis auch Pichler, Rechtsentwicklungen zu einer verschuldensunabhängigen Entschädigung im Medizinbereich, Bd. 1, S. 462 (mit einer ausführlichen Darstellung der rechtspolitischen Debatte in den skandinavischen Ländern [S. 147 ff.]); grundsätzlich zustimmend v. Hippel, in: Fleming/Hellner/ders. (Hrsg.), Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz, S. 40, 55 ff.; einschränkend Klingmüller, VersR 1980, 694, 696. Ablehnend Laufs, NJW 1981, 1289, 1290 sowie allgemeiner ders., Unglück und Unrecht – Ausbau oder Preisgabe des Haftungssystems?, S. 24 ff. Abwägend zuletzt Katzenmeier, Arzthaftung, S. 261 ff.; ders., VersR 2007, 137 sowie ders., MedR 2011, 201, 207 ff. Rechtsvergleichend Köhler/v. Maydell (Hrsg.), Arzthaftung – „Patientenversicherung“ – Versicherungsschutz im Gesundheitssektor, 1997 sowie Dute/Faure/Koziol (Hrsg.), No-Fault Compensation in the Health Care Sector, 2004.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Patienten-Beziehung und erspare sowohl dem Arzt als auch dem Patienten langwierige und kostenintensive Gerichtsverfahren216. Zwar sind Patientenversicherungslösungen und Entschädigungsfonds in ihrer Rolle als alternative Schadensmodelle wesensverwandt217, gleichwohl unterscheiden sich beide Instrumente in ihrer Funktionsweise und den zugrunde liegenden rechtspolitischen Prämissen218. In der rechtswissenschaftlichen Diskussion sind Fondslösungen im Medizinrecht zunächst nur für ganz bestimmte Schadenskategorien des Medizinrechts erwogen worden. So wird etwa gefordert, die Problematik der pränatalen Schädigungen dem Haftpflichtrecht zu entziehen und den vom BGH in ständiger Rechtsprechung zugesprochenen Unterhaltsaufwand für ein unerwünscht geborenes Kind durch Leistungen eines „pränatalen Hilfsfonds“ zu ersetzen219. Über konkrete Ausgestaltung eines Fonds und die finanzielle Ausstattung herrscht freilich Uneinigkeit. Durch den Blick auf ausländische Rechtsordnungen220 haben Fondslösungen in jüngerer Zeit auch für den Bereich der allgemeinen Heilbehandlungsschäden zunehmend Aufmerksamkeit erhalten. In der rechtspolitischen Diskussion wird neben den erwähnten Versicherungslösungen nun auch die Errichtung eines Entschädigungsfonds als eigenständiges Lösungsmodell wahrgenommen221. So forderte die SPD-Fraktion in einem Antrag vom 3. März 2010 die Bundesregierung auf, „die Einrichtung alternativer Entschädigungssysteme wie etwa ein Entschädigungsfonds oder eine verschuldensunabhängige Entschädigung“ zu prüfen222. Der Patientenbeauftragte hatte daraufhin Ende des Jahres 2010 die Gründung eines Entschädigungsfonds nach dem Modell der in Österreich existierenden 216 Vgl. etwa Barta, in: Köhler/v. Maydell (Hrsg.), Arzthaftung – „Patientenversicherung“ – Versicherungsschutz im Gesundheitssektor, 1997, S. 249, 269 ff. 217 Zu einem detaillierten Vergleich zwischen Entschädigungsfonds und versicherungsrechtlichen Lösungen siehe unten S. 125 ff. 218 Ebd. 219 Angestoßen wurde die Diskussion durch den Schlussbericht der EnqueteKommission „Recht und Ethik in der modernen Medizin“ v. 14.5.2002 (BT-Drucks. 14/9020), in welchem vorgeschlagen wurde, „das lebensfeindlich wirkende Haftungsrecht durch eine andere Konstruktion [zu ersetzen], z.B. durch eine an die Patientin gebundene Versicherung oder eine Fondslösung, die die zusätzliche Belastung durch Krankheit oder Behinderung des Kindes kompensiert“ (S. 82, li. Sp.). Siehe im Anschluss daran Schimmelpfeng-Schütte, MedR 2003, 401; Weber, ZfL 2004, 74, 82 sowie ausführlich Katzenmeier, in: FS Jayme, 2004, S. 1277, 1286 ff. und ders./Knetsch, in: FS Deutsch, 2009, S. 247, 274 ff. Ähnlich auch Stürner, JZ 2003, 155, 157 („Vorzügswürdigkeit einer [sozial]versicherungsrechtlichen Lösung“). 220 Siehe die Nachweise oben S. 1 (Fn. 4). 221 Vgl. Faure, ZEuP 2000, 575, 584 ff. sowie für den Bereich der Umweltschäden ders./Hartlief, RECIEL 1993, 321. 222 BT-Drucks. 17/907, S. 6.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Fondseinrichtungen angeregt223; dieser Vorschlag ist jedoch im späteren Entwurf des Patientenrechtegesetzes unter Berücksichtigung der Kritik von Ärztevertretern nicht wieder aufgenommen worden224. 2. Fondseinrichtungen des französischen Rechts Entschädigungsfonds haben im französischen Recht in den letzten Jahrzehnten erheblich an Bedeutung gewonnen. Dabei hat der Gesetzgeber die Errichtung von Fonds stets als legislative Ausformung des verfassungsrechtlich verankerten Prinzips der „solidarité nationale“ verstanden. Nach einem kurzen Überblick über die im französischen Recht existierenden Fondseinrichtungen soll auf den Gedanken der nationalen Solidarität als deren rechtspolitische Grundlage eingegangen werden. a) Überblick über die bestehenden Entschädigungsfonds aa) Der Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages (FGAO) Als Fonds de garantie automobile im Jahre 1951 errichtet, nimmt der heutige Fonds de garantie des assurances obligatoires des dommages (Garantiefonds der obligatorischen Schadensversicherer) eine zentrale Stellung im französischen Recht der Entschädigungsfonds ein. Im Laufe der Zeit ist der Anwendungsbereich der Fondslösung erheblich erweitert worden, sodass aktuell nicht weniger als sieben verschiedene Schadenskategorien vom Garantiefonds abgedeckt werden. Von den Fonds abgedeckte Schadensfälle – Neben den klassischen Fällen der Kraftfahrzeugunfallschäden225 werden seit 1966 auch Schäden durch Jagdunfälle226 sowie seit 1977 auch Schäden durch Unfälle im öffentlichen Straßenverkehr ohne Beteiligung eines Kraftfahrzeugs227 erfasst. Im Jahre 2003 erfuhr der Garantiefonds eine erhebliche Ausdehnung seiner Kompetenzen. Nunmehr übernimmt der Fonds in bestimmten Fällen auch von Tieren im Straßenverkehr verursachte Schadensfälle228, Bergschä223
DÄBl. 2011, A-5. Hierzu Plagemann, GuP 2011, 22, 24 f. – Detailliert zur Funktionsweise der österreichischen Fondseinrichtungen Kalchschmid, in: Barta (Hrsg.), Rechtstatsachenforschung heute, 2008, S. 151 ff. sowie dies./Trabucco, in: Barta (Hrsg.), Patientenentschädigungsfonds oder Medizinhaftung?, 2009, S. 15 ff. Im Überblick Bernat, MedR 2004, 310; Pitzl/Huber, RdM 2003, 100 sowie Kossak, RdM 2002, 110. 224 Siehe Krüger-Brand, DÄBl. 2011, A-683; Wagner, VersR 2012, 789, 799 f. sowie Katzenmeier, SGb 2012, 125, 127. 225 Art. L. 421-1, I C. assur. 226 Art. L. 421-8 C. assur. 227 Art. L. 421-1, II 1. Alt. C. assur. 228 Art. L. 421-1, II 2. Alt. C. assur.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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den229 sowie Schäden aus Industriekatastrophen230. Der Gesetzgeber hat überdies den bereits seit Beginn bestehenden Schutz des Unfallopfers vor einer Insolvenz des Kraftfahrzeugversicherers auf die Haftungsgläubiger aller Pflichtversicherer ausgedehnt231. Rechtspolitische Hintergründe der Einrichtung des Fonds – Die Gründe, die den französischen Gesetzgeber zur Errichtung des Garantiefonds und zur Ausweitung seiner Kompetenzen bewogen haben, sind vielschichtig und differieren je nach erfasster Schadenskategorie. Was den Bereich der Straßenverkehrsunfallschäden anbelangt, kann auf die Ausführungen zum deutschen Kraftfahrzeugunfall-Entschädigungsfonds verwiesen werden232. Konkreter Anlass zur Schaffung eines spezifischen Entschädigungsregimes für Industriekatastrophen war der schwere Unfall in der Chemiefabrik AZF in der Nähe von Toulouse am 21. September 2001. Die durch die Explosion verursachten Sach- und Personenschäden verdeutlichten die Mängel der bis dato geltenden Vorschriften und drängten den Gesetzgeber zu einer Kompensationslösung233. Geschädigten, denen mangels Versicherungsschutz lediglich die gerichtliche Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen offen stünde234, ist demnach ein rechtlicher Anspruch auf eine Minimalentschädigung zugesprochen werden. Die Ausweitung der Kompetenzen des Garantiefonds auf den Ersatz von Bergschäden geht auf die Initiative einiger Parlamentarier Lothringens zurück, welche die bestehenden Entschädigungsregelungen des französischen Berggesetzbuchs (Code minier) für unzureichend erachteten235. Alternativen zur Fondslösung – Im Bereich der Verkehrsunfallschäden war die Errichtung des Fonds de garantie automobile seinerzeit eine Kompromisslösung, ausgehandelt zwischen den Vertretern einer Pflichtversicherungslösung und eines allgemeinen Entschädigungsfonds für Kraftfahrzeugunfallschäden236. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Gesetzes über den Garantiefonds wurde die Einführung einer Versicherungspflicht wegen Meinungsverschiedenheiten bei der Festlegung des Versicherungs229
Art. L. 421-17 C. assur. Art. L. 421-16 C. assur. 231 Art. L. 421-9 ff. C. assur. 232 Siehe oben S. 6 ff. 233 Hierzu ausführlich Guégan-Lécuyer, D. 2004, 17; Gory, Gaz. Pal. 2003, 2739. Vgl. auch die Gesetzesbegründungen in Doc. Sénat 2002-03 (Nr. 143 und 154). 234 Der Strafprozess gegen die Betreibergesellschaft des AZF-Werkes sowie den Fabrikdirektor Biechlin ist am 23. Februar 2009, also mehr als sieben Jahre nach dem Unglück, eröffnet worden. 235 Siehe die Begründung des Änderungsantrages in JO Sénat, Déb. parl. v. 5. Februar 2003, S. 662 sowie JO AN, Déb. parl. v. 6. März 2003, S. 1740 f. 236 Zur Diskussion siehe ausführlich Picard/Besson, Traité général des assurances terrestres, Bd. 3, Rdnr. 282 u. 286 sowie Fortin-Tunc, Le fonds de garantie, Rdnr. 11 ff. 230
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
umfangs sowie der Notwendigkeit einer „weit reichenden Verwaltungsund Polizeiaufsicht“ abgelehnt237. Erst mit dem Gesetz vom 27. Februar 1958 ist in Frankreich eine umfassende Versicherungspflicht für Kraftfahrzeughalter eingeführt worden. Eine alternative Entschädigungslösung für Opfer von Industriekatastrophen ist während der parlamentarischen Beratungen kaum diskutiert worden. Einzig im Schrifttum wurden bereits einige Jahre zuvor eine Versicherungslösung sowie die Einführung einer staatlichen Entschädigungslösung diskutiert238. Funktionsweise des Fonds – Die Eintrittspflicht des Fonds de garantie ist in den meisten Fällen subsidiär. So gewährt der Fonds im Bereich der Verkehrs- und Jagdunfallschäden Ersatzleistungen nur für solche Schäden, „die einen Ersatzanspruch begründen und nicht anderweitig ersetzt werden können“239. Der Antragsteller hat nachzuweisen, dass weder die Haftpflichtversicherung des ersatzpflichtigen Schädigers noch die Sozialversicherung oder eine private Unfallversicherung des Geschädigten den Schaden vollständig übernommen haben. Bei fehlendem Versicherungsschutz muss der Antragsteller überdies nachweisen, dass die Umstände der Schädigung eine Haftpflicht begründen. Bei Insolvenz eines Pflichtversicherers tritt der Fonds in die Stellung des Versicherers, wenn ein Übergang der Versicherungsverträge auf eine andere Versicherungsgesellschaft240 gescheitert ist. Ist dies der Fall, leistet der Fonds direkt die dem Versicherungsnehmer geschuldeten Leistungen. Die Entschädigung von Opfern von Industrieunfällen und Bergschäden ist dem Grundsatz der Subsidiarität nicht unterworfen, beschränkt sich aber auf einen summenmäßig begrenzten Ersatz von Schäden an nicht versichertem Grundeigentum241. Bei Industrieunfällen kann die Entschädigung zudem nur nach Bestätigung des Katastrophenzustandes durch ministeriellen Erlass erfolgen242. Ungeachtet der einschlägigen Schadenskategorie gehen etwaig bestehende Haftpflichtansprüche des Geschädigten gegenüber Dritten auf den Fonds über. Finanzierung der Fondsleistungen – Die Finanzierung der Fondsleistungen variiert je nach Schadenskategorie. Die Ersatzleistungen auf dem Gebiet der Verkehrsunfall- und Jagdschäden werden durch Beiträge der betroffenen Haftpflichtversicherer, der nicht versicherten Ersatzpflichtigen sowie der Versicherten aufgebracht243. Aus diesen Geldern werden auch 237
Vgl. Besson, JCP G 1952, I, Nr. 1027 sowie Ewald, Risques 1992 (Nr. 12), 59, 71. Camproux-Duffrène, Gaz. Pal. 1997, doctr. 337, 339 f. 239 Art. L. 421-1 C. assur. 240 Zur „procédure de transfert de portefeuille“ siehe Bigot, Traité de droit des assurances, Bd. 1, Rdnr. 105 ff. 241 Art. L. 421-16 Abs. 2 C. assur. (Industrieunfälle) sowie Art. L. 421-17, II C. assur. (Bergschäden). 242 Siehe Art. L. u. R. 128-1 C. assur. 243 Vgl. im Detail die Regelungen in Art. R. 421-27 u. 421-28 C. assur. 238
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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die Leistungen zugunsten der Opfer von Industrieunfällen oder Bergschäden erbracht. Der durch den Fonds de garantie gewährte Insolvenzschutz der Pflichtversicherer wird durch Beiträge von Versicherungsunternehmen, die Pflichtversicherungsschutz anbieten, finanziert244. bb) Der Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autres infractions (FGTI) Anders als im deutschen Recht, in dem die Entschädigung von Opfern von Straftaten eine Kernkompetenz des Versorgungsrechts ist, übernimmt diese Aufgabe in Frankreich der 1990 errichtete Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autres infractions (Garantiefonds für Opfer von Terrorismus und sonstigen Straftaten). Zwischen 1977 und 1990 erhielten Geschädigte Kompensationszahlungen direkt vom Staat. Von den Fonds abgedeckte Schadensfälle – Neben Opfern von Terrorakten245 gewährt der Garantiefonds auch denjenigen Personen Ersatzleistungen, deren Schäden „durch vorsätzliche oder nicht vorsätzliche Handlungen verursacht wurden, welche alle materiellen Voraussetzungen einer Straftat erfüllen“246. Neben Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit werden hiervon seit 1981 auch einige abschließend aufgezählte Vermögensdelikte erfasst247. Seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. Juli 2008 tritt der Garantiefonds darüber hinaus bei einigen von der Ersatzpflicht des Fonds nicht erfassten Straftaten in Vorschuss, indem er dem Geschädigten einen Betrag in Höhe von bis zu 3.000 Euro leistet und diesem insoweit das Prozessrisiko abnimmt248. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Während der parlamentarischen Beratungen zum Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Straftaten249 wurde insbesondere die Rolle des Staates als Garant der Sicherheit der Bürger hervorgehoben und darauf hingewiesen, dass 99 % aller Straftäter insolvent seien250. In der Literatur wurde das Gesetz überwiegend positiv aufgenommen, da seit 1951 und 1966 Opfer von Straßenverkehrs- und Jagdunfällen durch einen Garantiefonds abgesichert waren, für die zumindest ebenso schützenswerten Verbrechensopfer jedoch
244
Art. R. 421-27, 1° u. 2° i.V.m. Art. R. 421-24-8 C. assur. sehen insoweit eine gesonderte Buchführung vor. 245 Art. L. 126-1 i.V.m. Art. L. 422-1 ff. C. assur. 246 Art. 706-3 Abs. 1 C. proc. pén. 247 Art. 706-14 f. C. proc. pén 248 Art. 706-15-1 f. C. proc. pén 249 Gesetz Nr. 77-5 v. 3. Januar 1977 (JO v. 4.1.1977, S. 77). 250 Doc. Sénat 1975/76 (Nr. 277), S. 2 sowie den Redebeitrag des damaligen Justizministers Guichard in JO AN, Déb. parl. v. 25.11.1976, S. 8683.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
keine Sicherung der Ersatzansprüche vorgesehen war251. Mit der Entschädigungsregelung zugunsten der Opfer von Terrorakten hat der Gesetzgeber auf die in den 1970er und 1980er Jahren in Frankreich verübten Attentate reagiert. In der Tat hatte sich das Verfahren zur Entschädigung bei Straftaten für Opfer von Terrorakten als zu restriktiv herausgestellt. Alternativen zur Fondslösung – Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 6. Juli 1990 erfolgte die Entschädigung von Verbrechensopfern nicht durch einen Fonds, sondern direkt durch den französischen Staat. Der Antragsteller hatte bis zur Errichtung des Garantiefonds seinen Antrag auf Kompensation an eine gerichtliche Kommission zu stellen, die nach Prüfung des Sachverhalts dem Geschädigten einen bestimmten Schadensersatzbetrag zusprach. Begründet wurde dies damit, dass die Entschädigung Pflicht des Staates sei und demnach auch die Ersatzbeträge aus öffentlichen Mitteln beglichen werden müssten252. – Für die Entschädigung von Opfern von Terrorakten entschied sich das Parlament für die Errichtung eines Garantiefonds und somit gegen eine öffentlich-rechtliche Entschädigung durch den Staat und gegen eine Versicherungslösung, in der neben Sachschäden auch Personenschäden automatisch von bestehenden Versicherungsverträgen abgedeckt worden wären253. Funktionsweise des Fonds – Die Voraussetzungen zum Eintritt des Garantiefonds unterscheiden sich maßgeblich danach, ob es sich bei der angezeigten Straftat um einen Terrorakt oder eine sonstige Straftat handelt254. Bei Terrorismusfällen richtet der Geschädigte seinen Entschädigungsantrag direkt an den Garantiefonds, der bei tatsächlichem Vorliegen eines Terrorakts dem Antragsteller innerhalb einer Frist von drei Monaten ein Entschädigungsangebot unterbreiten muss255. Handelt es sich um eine sonstige Straftat, so ist für die Prüfung des Antrages und die Bemessung des Ersatzbetrages seit dem Gesetz v. 9. März 2004 (sog. „loi Perben II“) ebenso der Garantiefonds zuständig. Den ursprünglich hierfür bei den Zivilgerichten eingerichteten Entschädigungskommissionen (commissions d’indemnisation des victimes d’infractions) kommt vielmehr nur noch eine 251 Maestre, D. 1977, chr. 145. Zum Zustandekommen des Gesetzes siehe auch Deghilage, JCP G 1977, I, Nr. 2854; Doll, Gaz. Pal. 1977, doctr. 120 sowie Jestaz, RTD civ. 1977, 364, 385. 252 Siehe die Äußerungen Tailhades’ während der parlamentarischen Beratungen zum Gesetz v. 3.1.1977 (JO AN, Déb. parl. v. 2.6.1976, S. 1516). 253 Zu den diskutierten Alternativmodellen ausführlich Renoux, L’indemnisation publique des victimes d’attentats, Rdnr. 230 ff. Siehe auch J. Pradel, D. 1987, chr. 39, 49. 254 Kritisch zu diesem Verfahrensdualismus Favard/Guth, JCP G 1990, I, Nr. 3466, Rdnr. 17. 255 Zu den Verfahrensregeln detailliert statt vieler Barrois/Casson, J.-Cl. Resp. civ. assur., Fasc. 558, Rdnr. 105 ff.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Residualkompetenz bei Streitigkeiten zwischen Fonds und Antragsteller zu256. In beiden Fällen leistet der Garantiefonds ohne Rücksicht auf etwaige andere Möglichkeiten zur Erlangung von Schadensersatz257, kann jedoch übergangene Ersatzansprüche des Geschädigten auf dem Regresswege geltend machen258. Finanzierung der Fondsleistungen – Die Ersatzleistungen des Fonds werden nach Art. R. 422-4 C. assur. durch einen Zusatzbeitrag zur Prämie von Sachschadensversicherungen finanziert. Seit einem Gesetz vom 15. November 2001 kommen auch die zur Bekämpfung von Terrorstraftaten verhängten finanziellen Sanktionen dem Garantiefonds zu Gute259. cc) Der Fonds d’indemnisation des victimes de l’amiante (FIVA) Der französische Gesetzgeber entschied mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Finanzierung der Sozialversicherung vom 23. Dezember 2000, eine außergerichtliche Entschädigungslösung zugunsten der durch den Kontakt mit Asbeststaub erkrankten Personen zu errichten. Der Entschädigungsfonds für Asbestopfer (Fonds d’indemnisation des victimes de l’amiante) hat mit Inkrafttreten des décret vom 23. Oktober 2001 seine Tätigkeit aufgenommen. Von den Fonds abgedeckte Schadensfälle – Nach Art. 53, I des Gesetzes vom 23. Dezember 2000 können diejenigen Personen Schadensersatz erhalten, welche an einer Berufskrankheit leiden, die von der Sozialversicherung als durch Asbest verursacht anerkannt wurde. Darüber hinaus sind auch all jene Geschädigten erfasst, die nachweisen können, dass sie unmittelbar durch die Einwirkung von Asbest Gesundheitsschäden erlitten haben, etwa durch Umweltbelastungen. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Der weitaus größte Anteil an Asbestschädigungen ist beruflicher Natur, d.h. der Geschädigte ist im Rahmen seiner Arbeitstätigkeit mit Asbeststaub in Kontakt gekommen. Schätzungen gehen davon aus, dass in Frankreich durch das erst spät verhängte Verbot von asbesthaltigen Produkten260 bis zum Jahre 2025 etwa 100.000 Personen an durch Asbest verursachten Pathologien sterben wer-
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Hierzu Lasbordes de Virville, Rev. Lamy Dr. civ. 2007 (Nr. 37), 63. Eine Ausnahme sieht das Gesetz für die Entschädigung von Sachschäden und leichten Körperverletzungen vor (siehe die Subsidiaritätsregel in Art. 706-14 Abs. 1 C. proc. pén.). Vgl. ebenso Art. 716-15-1 ff. C. proc. pén. 258 Art. 706-11 C. proc. pén. 259 Art. 422-7 C. pénal. 260 Zu den Gründen dieser Verzögerung siehe Dériot/Godefroy, Rapport d’information sur le bilan et les conséquences de la contamination par l’amiante, Doc. Sénat 2005-06 (Nr. 37), S. 84. 257
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
den261. Der Großteil dieser Opfer hätte ohne die Errichtung eines spezifischen Entschädigungsfonds lediglich Anspruch auf die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung, welche auch in Frankreich nicht dem Prinzip der Totalreparation unterliegen und insbesondere kein Schmerzensgeld umfassen. Allein eine Klage auf Feststellung eines unentschuldbaren Fehlers des Arbeitgebers262 vermag dem geschädigten Arbeitnehmer Ersatzleistungen zu verschaffen, die dem haftungsrechtlichen Schadensersatz zumindest nahe kommen. Ein gesetzliches Sonderentschädigungsregime war auch deshalb nötig geworden, weil nicht alle potentiellen Asbestgeschädigten von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst waren. Insbesondere Handwerker, die mangels freiwilliger Beitragszahlungen keinen Versicherungsschutz erworben haben, konnten Ersatzansprüche nur durch langwierige Gerichtsverfahren gegen Dritte oder gegen den Staat geltend machen. Alternativen zur Fondslösung – Um die Situation der Asbestgeschädigten zu verbessern, wurde im Juni 2000 vom französischen Parlament die Errichtung eines Entschädigungsfonds nach dem Modell des 1991 errichteten Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles erwogen263. Eine Alternativlösung ist ausweislich der parlamentarischen Vorarbeiten nicht in Betracht gezogen worden. Kritik an der Errichtung eines Fonds ist lediglich von einigen Abgeordneten geübt worden, welche in der Diskussion über die Entschädigung von Asbestgeschädigten die Gelegenheit sahen, das Regime der gesetzlichen Unfallversicherung umfassend zu reformieren und im Besonderen die Höhe der Ersatzleistungen an das schadensrechtlichen Prinzip der Totalreparation (réparation intégrale) anzupassen264. Funktionsweise des Fonds – Der Antrag auf Entschädigung nach Art. 53 des Gesetzes vom 23. Dezember 2000 ist direkt an den Fonds einzureichen, zusammen mit einer ärztlichen Bescheinigung über die Asbestschädigung. Die Entschädigungsvoraussetzungen gelten dann als erbracht, 261
Siehe Dériot/Godefroy, Rapport d’information sur le bilan et les conséquences de la contamination par l’amiante, Doc. Sénat 2005-06 (Nr. 37), S. 49 sowie die Statistiken bei Evin, Doc. AN 2000-01 (Nr. 2633), Bd. 2, S. 64. 262 Zur action en faute inexcusable siehe auf deutscher Sprache Namgalies, Das französische Arbeitsunfallrecht, S. 147 ff. sowie zur jüngeren Entwicklung der Rechtsprechung der Cour de cassation zur Frage der „unentschuldbaren Fahrlässigkeit“ Pabst, BG 2003, 568. 263 Über die Hintergründe dieser Gesetzesinitiative siehe Dériot/Godefroy, Rapport d’information sur le bilan et les conséquences de la contamination par l’amiante, Doc. Sénat 2005-06 (Nr. 37), S. 131. 264 Siehe etwa den Redebeitrag des Abg. Neuwirth (JO Sénat, Déb. parl. v. 30.11.2000, S. 6920) sowie den Bericht des französischen Rechnungshofs (Cour des comptes), La gestion du risque accidents du travail et des maladies professionnelles, 2002, S. 153 ff. Vgl. auch Dupeyroux/Borgetto/Lafore, Droit de la sécurité sociale, Rdnr. 834.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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wenn die Gesundheitsschädigung vom Sozialversicherungsträger als asbestverursachte Berufskrankheit anerkannt wurde. Anderenfalls entscheidet eine fondsinterne Kommission über das Vorliegen der Entschädigungsvoraussetzungen265. Ein Anspruch des Geschädigten gegen den Fonds besteht unabhängig von der Geltendmachung anderweitiger Ersatzansprüche gegenüber Dritten. Allenfalls werden bereits in Anspruch genommene Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung auf die vom Fonds gewährte Entschädigungssumme angerechnet266. Eine Subsidiarität der Eintrittspflicht des Fonds besteht jedoch nicht. Der Antragsteller ist zwar berechtigt, neben dem laufenden außergerichtlichen Entschädigungsverfahren haftungsrechtliche Ansprüche vor Gericht durchzusetzen, muss jedoch bei Annahme des vom Fonds angebotenen Entschädigungsbetrags seine Klage zurückziehen267. Der ausgezahlte Entschädigungsbetrag bewirkt ferner einen gesetzlich angeordneten Anspruchsübergang zugunsten des Fonds, welcher insbesondere auf Feststellung eines unentschuldbaren Fehlers des Arbeitgebers klagen kann. Finanzierung der Fondsleistungen – Die Entschädigungsleistungen werden maßgeblich aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung, also durch Arbeitgeberbeiträge, sowie in geringerem Maße aus allgemeinen Steuergeldern finanziert268. Regresszahlungen tragen nur zu einem kleinen Teil zur Finanzierung der Leistungen bei269. dd) Das Office national d’indemnisation des accidents médicaux, des affections iatrogènes et des infections nosocomiales (ONIAM) Seit seiner Errichtung im Zuge der umfassenden Reform des Gesundheitssystems im Jahre 2002 hat sich das Office national d’indemnisation des accidents médicaux, des affections iatrogènes et des infections nosocomiales (ONIAM) als bedeutendste Entschädigungseinrichtung auf dem Gebiet des Medizinrechts etabliert. Von den Fonds abgedeckte Schadensfälle – Die Hauptaufgabe der Entschädigungsstelle ist der Ausgleich von Medizinunfallschäden, welche nicht von der in Art. L. 1142-1, I Abs. 1 S. 1 Code de la santé publique vorgesehenen Verschuldenshaftung oder bei Krankenhausinfektionen oder fehlerhaften Medizinprodukten der verschuldensunabhängigen Haftung 265 Zur Rolle der commission d’examen des circonstances de l’exposition de l’amiante siehe Civ. 2, Urt. v. 21.12.2006, D. 2007, 227, Anm. Cortot. 266 Art. 53, IV Abs. 1 S. 2 des Gesetzes v. 23.12.2000. 267 Art. 53, IV Abs. 3 des Gesetzes v. 23.12.2000. 268 Art. 53, VII des Gesetzes v. 23.12.2000. 269 Siehe FIVA-Jahresbericht 2008, S. 49. Siehe die Übersicht auf http://www.fiva.fr/ fiva-adm/financement.php.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
von Heilberuflern oder medizinischen Einrichtungen erfasst werden270. Es handelt sich demnach bei den auszugleichenden Schäden um Fälle, die weder einem Verschulden zugerechnet noch auf den Gesundheitszustand des Patienten zurückgeführt werden können271. Die Regelung beschränkt sich auf den Ersatz von Schädigungen, welche einen bestimmten Schweregrad übersteigen, der durch Rechtsverordnung auf eine Körperbehinderung von 24 % festgelegt wurde272. Das Gesetz sieht ebenso einen Ausgleich von Schäden aus Pflichtimpfungen vor. Das ONIAM leistet zudem seit dem Gesetz vom 30. Dezember 2002 Kompensationszahlungen an Opfer von schweren nosokomialen Infektionen273 sowie an Probanden, denen im Rahmen klinischer Prüfungen von Medikamenten ein Schaden entstanden ist, welcher nicht von der Verschuldenshaftung des Sponsors erfasst wird274. In diesem Zusammenhang ist auch der Ausgleich von Schäden durch die Verabreichung von Wachstumshormonen an Kinder und Jugendliche dem ONIAM zugewiesen worden275. Im Jahre 2004 entschloss sich zudem der Gesetzgeber, den im Zuge der HIV-Katastrophe im französischen Bluttransfusionswesen errichteten Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles (FITH) aufzulösen und dessen Aufgaben dem ONIAM zu übertragen276. Seit Inkrafttreten des Gesetzes vom 17. Dezember 2008 werden durch das ONIAM auch Schädigungen kompensiert, welche durch die Transfusion mit Hepatitis-Cverseuchten Blutprodukten verursacht worden sind277. Schließlich gewährt
270
Hierzu detailliert in deutscher Sprache Nitschmann, Arzt-Patient-Verhältnis im „modernen“ Gesundheitssystem, S. 287 ff. sowie zusammengefasst dies., MedR 2008, 133, 138. 271 Die französische Literatur spricht insoweit vom aléa thérapeutique, dem therapeutischen Zufallsschaden, welcher geradezu schicksalhaft den Patienten erfasse. Hierzu auf deutscher Sprache Nitschmann, Arzt-Patient-Verhältnis im modernen Gesundheitssystem, S. 288 f. Siehe ausführlich Reboul-Maupin, in: Laude/Mouralis/Pontier (Hrsg.), Lamy Droit de la santé, Nr. 525, Rdnr. 15 ff. 272 Kritisch hierzu Courtieu, Resp. civ. assur. 2003, chr. 6; verhaltener Saison, RGDM 2003 (Nr. 10), 317. 273 Art. L. 1142-1-1 C. sant. publ. Zu den Umständen der Verabschiedung des Gesetzes vom 30. Dezember 2002 siehe ausführlich Mondielli, RGDM 2003 (Nr. 11), 137 sowie Dubouis, RDSS 2003, 353. Die Versicherer drohten seinerzeit mit einem Rückzug aus dem Versicherungsgeschäft, sollte der Gesetzgeber die Haftungsregelungen bei Krankenhausinfektionen verschärfen. 274 Art. L. 1142-3 Abs. 2 C. sant. publ. 275 Art. L. 1142-22 Abs. 3 C. sant. publ. Hierzu Jonquet/Vialla, D. 2004, 3211 sowie Vialla, in: Leca/Vialla (Hrsg.), Le risque épidémique, S. 447 ff. 276 Art. L. 3122-1 C. sant. publ. 277 Art. L. 1221-14 C. sant. publ.
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die Einrichtung seit 2011 auch Kompensationsleistungen für Schädigungen durch die Einnahme benfluorexhaltiger Arzneimittel (sog. Mediator)278. Rechnet man noch zwei weitere marginale Schadensgruppen279 hinzu, so ergibt sich eine stark zergliederte Zuständigkeit des ONIAM für insgesamt neun Schadenskategorien, von denen jedoch die unverschuldeten Medizinunfallschäden mit Abstand die größte Bedeutung haben. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Bei der Darstellung des rechtspolitischen Hintergrunds der Errichtung der Entschädigungsstelle sowie den diversen dem ONIAM zugewiesenen Regimes gilt es, zwischen den diversen Schadenskategorien zu unterscheiden. Im Folgenden soll jedoch nur auf die wichtigsten dieser Fallgruppen eingegangen werden. In der Gesamtschau handelt es sich bei der komplexen und vielschichtigen Regelung um das Ergebnis jahrzehntelanger Diskussionen in Rechtswissenschaft und Politik. So wurde bereits in den 1960er Jahren erstmals der Gedanke eines vom Haftungsrecht unabhängigen Entschädigungssystems diskutiert280. Sah man ein solches Kompensationsmodell zunächst als Perspektive zur Bewältigung der Beweisschwierigkeiten seitens des Patienten, so wurden die Überlegungen im Laufe der Zeit auch auf die Schädigungen ausgeweitet, die nicht auf einer schuldhaften Pflichtverletzung beruhen und bei denen sich der Geschädigte lediglich auf die allgemeinen Leistungen der Sozialversicherung berufen kann281. Die Errichtung des 2004 im ONIAM aufgegangenen Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles geht auf die „affaire du sang contaminé“, dem französischen Pendant zur AIDS-Katastrophe im deutschen Blutspendewesen282, zurück. Nach Schätzungen sind in Frankreich in den 1980er Jahren mehrere Tausende Menschen durch die Verabreichung von
278 Art. L. 1142-21-1 ff. C. sant. publ. – Zu diesen Regelungen siehe Knetsch, Resp. civ. assur. 2011, étude 14. 279 Von Art. L. 1142-1-1 C. sant. publ. werden ebenso die Schäden erfasst, welche unter außergewöhnlichen Umständen von außerhalb des Kompetenzbereichs agierenden Heilberuflern verursacht werden. Ferner ist eine Eintrittspflicht des ONIAM auch bei Schäden gegeben, die bei der Durchführung eines Notfallplans zur Abwehr einer schweren sanitären Krise entstehen (Art. L. 3131-4 C. sant. publ.). 280 Tunc, in: Ordre national des médecins (Hrsg.), Deuxième congrès international de morale médicale, 1966, Bd. 1, S. 39, 42. Vgl. auch Penneau, Faute et erreur en matière de responsabilité médicale, 1973, S. 385 ff. 281 Gleiches gilt für die Schädigungen von Probanden, welche nicht von der Verschuldenshaftung des Sponsors erfasst werden. Für Impfschäden bestand bereits seit 1964 eine verschuldensunabhängige Entschädigung durch Staatsmittel, welche nunmehr vom ONIAM übernommen wird. Hierzu Lambert-Faivre, Droit du dommage corporel4, Rdnr. 601 m.w.N. 282 Siehe hierzu oben S. 13 ff. sowie unten S. 81 f.
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Blut oder Blutprodukten mit dem HI-Virus infiziert worden283. Ein im September 1991 veröffentlichter Untersuchungsbericht284 offenbarte, in welchem Umfang Entscheidungsträger aus Politik, Verwaltung und Medizin zu dieser HIV-Katastrophe beigetragen haben285. Der Druck aus den Reihen der Gesellschaft führte in der Folge zu Überlegungen, wie eine adäquate Entschädigungslösung zugunsten der Betroffenen gefunden werden könnte. Wie schon in der „affaire du sang contaminé“ zuvor sind bei der Aufklärung der Gesundheitsbeeinträchtigungen bei Kindern und Jugendlichen nach einer Behandlung mit Wachstumshormonen (hormones de croissance) Nachlässigkeiten des Verwaltungsapparats festgestellt worden286. Nach der Insolvenz des verantwortlichen Vereins Association France Hypophyse wurde der Ruf nach einer Entschädigung durch den Staat immer lauter. Mit der Zuweisung an das ONIAM hat der französische Gesetzgeber eine Ausgleichsregelung zugunsten der noch nicht entschädigten Opfer gefunden. Die Kompensationsregelung zugunsten der durch Mediator-Geschädigten beruht auf vergleichbaren Überlegungen. Hier war es vor allem das fahrlässige Verhalten des pharmazeutischen Unternehmens Servier, welches den Ruf nach einer staatlichen Entschädigung begründete. Die staatlichen Aufsichtsbehörden hatten erst mehrere Jahre nach Bekanntwerden der Nebenwirkungen des Medikaments dessen Zulassung zurückgenommen. Alternativen zur Fondslösung – Im Laufe der mehrere Jahrzehnte währenden Debatte über die Entschädigung von Medizinunfallschäden sind sowohl aus den Reihen der Rechtswissenschaft als auch seitens der Politik sehr unterschiedliche Reformentwürfe vorgetragen worden287. Neben Vorschlägen zur Einführung einer Patientenunfallversicherung288 und der Errichtung von Schlichtungsstellen als Korrektiv einer zu starr empfundenen
283
Einen bedeutenden Anteil an der Aufklärung des HIV-Skandals hatte die französische Presse, die dem Zusammenhang zwischen den Infektionen und den Bluttransfusionen nachging. Siehe insb. Nau, Le Monde 26.4.1989, S. 19 f. sowie Casteret, Evénement du Jeudi 25.4.1991, S. 52. 284 Lucas, Transfusion sanguine et sida en 1985, Bericht der Inspection générale des affaires sociales, 1991. Vgl. auch Hermitte, Le sang et le droit, 1996. 285 Vergleichbare HIV-Skandale haben neben Deutschland und Frankreich auch andere Länder erschüttert. Einer Analyse zufolge war jedoch in keinem Land die Reaktion in Politik und Medien so heftig wie in Frankreich. Zu den Gründen siehe Steffen, in: Feldman/Bayer (Hrsg.), Blood feuds, S. 95. 286 Siehe hierzu die Nachweise oben in Fn. 275. 287 Einen Überblick über die einzelnen Vorschläge bietet etwa Morlaas-Courties, L’indemnisation des victimes d’accidents médicaux, 1999, S. 436 ff. 288 Siehe hierzu Ewald, Le problème français des accidents thérapeutiques, 1992, S. 110 u. 233. Siehe bereits oben S. 44 f.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Verschuldenshaftung289 ist auch immer wieder die Idee einer Fondslösung in die Diskussion eingebracht worden. Diese gewann über die Jahre an Konturen und setzte sich schließlich gegenüber den Alternativvorschlägen durch290. Gleichwohl sieht die durch das Gesetz vom 4. März 2002 umgesetzte Reform keinen umfassenden Entschädigungsfonds vor, welcher bei jeder Schädigung im Zuge einer medizinischen Behandlung eintritt, sondern ein Mischsystem aus Verschuldenshaftung und einer verschuldensunabhängigen Entschädigung durch einen Fonds. Anders als im Falle der staatlichen Entschädigungsstelle für Medizinunfälle gingen der Einrichtung des Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles im Zuge der HIV-Katastrophe keine umfangreichen Vorüberlegungen zu möglichen alternativen Kompensationsmodellen voraus. Vertreter von Blutspendeorganisationen, Versicherungsunternehmen sowie der Opferverbände einigten sich bereits im Jahre 1989 auf die Gründung zweier Solidarfonds. Diese leisteten jedoch lediglich eine Soforthilfe in Höhe von 170.000 Franc und dies auch nur gegen Verzicht auf eine Klage zur Geltendmachung haftungsrechtlicher Ersatzansprüche291. Obgleich diese Hilfeleistungen von den meisten Betroffenen in Anspruch genommen wurden, hat sich der Gesetzgeber unter dem Druck der Öffentlichkeit sowie der Opferverbände schließlich zugunsten einer umfassenden Entschädigungsregelung entschieden292. Funktionsweise des Fonds – Die Funktionsweise des ONIAM hängt maßgeblich von der einschlägigen Schadenskategorie ab, der der Antrag des Betroffenen zugeordnet werden kann. Im Regelfall prüft das Office zunächst nicht selbst das Vorliegen der Entschädigungsvoraussetzungen; dies ist Aufgabe der regionalen Entschädigungs- und Schlichtungskommissionen (commissions régionales de conciliation et d’indemnisation [CRCI]). Hierbei prüfen die Kommissionen zunächst, ob der Schaden des Antragstellers den gesetzlichen Schweregrad überschreitet. Ist dies nicht 289
Mac Aleese, Rapport du groupe de travail sur la responsabilité médicale, 1980 (abgedruckt in Rev. hosp. Fr. 1980, 1091 ff.). Daneben wurde ebenso die Einführung einer Gefährdungshaftung (Lambert-Faivre, Droit du dommage corporel3, Rdnr. 623 u. 641) oder einer Haftung auf Grund vermuteten Verschuldens (Rapport du Médiateur de la République, 1990, S. 19) gefordert. 290 Die maßgeblichen Impulse für das Gesetz vom 4. März 2002 setzten der Bericht des Conseil économique et social (Evin, Rapport sur les droits de la personne malade, JO Avis et rapports du Cons. écon. et soc. 1996 [Nr. 16], S. 155) sowie der gemeinsame Bericht der Inspection générale des affaires sociales und der Inspection générale des services judiciaires (Rapport sur la responsabilité et l’indemnisation de l’aléa thérapeutique, Nr. 16/99, 1999). 291 Siehe zu diesen Fonds Soulier, Transfusion et Sida, S. 132 ff. sowie Bettati, Responsables et coupables, S. 228 f. 292 So sieht Art. L. 3122-1 Abs. 3 C. sant. publ. eine umfassende Entschädigung (réparation intégrale) zugunsten der Betroffenen vor.
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der Fall, kann der Betroffene keinen Schadensersatz über das außergerichtliche Entschädigungsverfahren erhalten, sondern muss sich an die Gerichte wenden. Anderenfalls wird in einem zweiten Schritt geprüft, ob die Schädigung durch ein Verschulden medizinischen Personals verursacht wurde oder unter die Tatbestände der verschuldensunabhängigen Arzt- und Krankenhaushaftung des Art. L. 1122-1, I Abs. 1 C. sant. publ. fällt. Von dieser Einschätzung hängt das anzuwendende Entschädigungsregime ab, d.h. ob der Haftpflichtversicherer des Heilberuflers oder der medizinischen Einrichtung einsteht oder das ONIAM zur Leistung verpflichtet ist. Ist Letzteres der Fall, wird der Entschädigungsantrag dem ONIAM zugeführt, welches auf der Grundlage der Stellungnahme der Kommission dem Geschädigten ein Entschädigungsangebot unterbreitet293. Die Eintrittspflicht des ONIAM ist demnach subsidiär, da eine Ersatzleistung nur dann in Betracht kommt, wenn kein haftungsrechtlicher Ersatzanspruch gegen einen Dritten besteht294. In bestimmten Fällen sieht der Gesetzgeber jedoch ausdrücklich kein Subsidiaritätserfordernis vor. So hat das Gesetz vom 30. Dezember 2002 im Falle besonders schwerer nosokomialer Infektionen eine Einstandspflicht des ONIAM unabhängig von der Begründung etwaiger haftungsrechtlicher Schadensersatzansprüche vorgesehen295. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass mit der Übernahme der Aufgaben des Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles das seit 1991 bestehende Entschädigungsregime für Opfer HIV-verseuchter Blutprodukte296 übernommen worden ist. Seit 2004 ist der Entschädigungsantrag direkt an das ONIAM zu richten, eine Vorprüfung durch eine regionale Entschädigungskommission findet nicht statt. Der Antragsteller hat lediglich seine HIV-Infektion sowie die Verabreichung von Blutprodukten darzulegen; der Ursachenzusammenhang zwischen beiden wird vermutet297. Auch hier besteht eine autonome Ersatzpflicht des Fonds, unabhängig von der Geltendmachung haftungsrechtlicher Ersatzansprüche. 293 Die Rechtsprechung hat die Stellungnahmen der Regionalkommissionen für nicht verbindlich erklärt. Demnach kann sich das ONIAM über die Einschätzung der Kommission hinweg setzen. Hierzu in deutscher Sprache Nitschmann, Arzt-Patient-Verhältnis im modernen Gesundheitssystem, S. 296 f. 294 Art. L. 1142-1, II C. sant. publ. 295 Art. L. 1142-1-1 C. sant. publ. Dies trifft ebenso zu für die Entschädigung von Impfschäden, von Schädigungen durch die Einnahme von Wachstumshormonen, von transfusionsbedingten Hepatitis-C-Infektionen sowie von Schäden bei der Durchführung eines sanitären Notfallplans. Zu diesen Nebenkompetenzen, siehe oben S. 53 f. 296 Hierzu in deutscher Sprache Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, S. 87 ff. sowie Despeux, RPG 1999, 63. Allgemein zur Haftung der französischen Blutspendeeinrichtungen Deutsch, AIFO 1993, 153. 297 Art. 3122-2 Abs. 1 C. sant. publ. Hierzu ausführlich Pontier, Act. Lég. Dalloz 1992, 35 sowie le Tourneau, Droit de la responsabilité et des contrats, Rdnr. 8502 ff.
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In jedem Fall gehen nach Maßgabe der geleisteten Kompensationszahlungen bestehende Ersatzansprüche gegen Dritte an das ONIAM über, wobei der Regressweg in bestimmten Fällen nur bei Vorliegen eines Verschuldens des Dritten offen steht298. Finanzierung der Fondsleistungen – Das Budget des ONIAM wird hauptsächlich durch Gelder aus der gesetzlichen Krankenversicherung gespeist, d.h. indirekt durch die von Arbeitgeber und Arbeitnehmer geleisteten Sozialbeiträge299. Bis zur Übernahme des FITH durch das ONIAM im Jahre 2004 wurde die Entschädigung von Opfern transfusionsbedingter HIV-Infektionen durch allgemeine Steuermittel und einen bei Errichtung des Fonds von der Versicherungsindustrie geleisteten Einmalbetrag in Höhe von 1,2 Milliarden Franc finanziert300. ee) Sonstige Entschädigungsfonds Bereits 1964 ist der Fonds national de garantie des calamités agricoles (FNGCA) zum Ausgleich von Ernteausfallschäden durch Unwetterereignisse errichtet worden301. Den Fonds trifft jedoch nur dann eine Eintrittspflicht, wenn per Ministerialerlass für das betroffene Gebiet der Katastrophenzustand ausgerufen302 und der Antrag von einer kommunalen Kommission und einem comité départemental d’expertise positiv beschieden wurde303. Ist dies der Fall, erhält der Antragsteller304 Schadensersatz in Höhe von bis zu 75 % des tatsächlich erlittenen Vermögensschadens305. Die nötige Finanzierung der Ersatzleistungen wird durch zusätzliche Beiträge auf die Prämien von Agrarversicherungen sowie aus Steuermitteln gewährleistet306. Seit dem Gesetz vom 27. Juli 2010 führt der neu errichte298 So beschränkt Art. L. 3122-4 C. sant. publ. den Rückgriff des ONIAM gegen Dritte nach der Entschädigung von Opfern HIV-verseuchter Blutprodukte auf die Fälle des Verschuldens. 299 Art. L. 1142-23 Abs. 3 C. sant. publ. Siehe auch die Übersicht auf der Internetseite des ONIAM (http://www.oniam.fr/oniam/mieux-connaitre-l-oniam/son-budget/). 300 Detailliert hierzu der Jahresbericht des FITH 2001/2002, S. 19. 301 Loi n° 64-706 organisant un régime de garantie contre les calamités agricoles (JO v. 12.7.1964, S. 6202 ff.). 302 Art. L. 361-3 C. rural a.F. 303 Detailliert zur Funktionsweise des Fonds Pitaud/Rochard, J.-Cl. Rural, Fasc. Calamités agricoles; Bertheuil, Les mécanismes de protection du revenu en agriculture, S. 23 ff. sowie Billet, Rev. dr. rur. 2006, étude 11. 304 Neben Landwirten sind auch Eigentümer zerstörter landwirtschaftlicher Gebäude sowie beeinträchtigter Bodenflächen antragsberechtigt. Siehe im Einzelnen Art. L. 361-6 C. rural a.F. 305 Art. L. 361-7 C. rural a.F. 306 Art. L. 361-5 C. rural a.F. sowie die Neuregelung ähnlichen Inhalts in Art. L. 3612 C. rural n.F.
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te Fonds national de gestion des risques en agriculture die Aufgaben des FNGCA weiter307. Wie auch im deutschen Recht308 ist die Frage nach einem Ausgleich von Wildschäden mit einem kollektiven Entschädigungsmodell beantwortet worden. Das seit 1968 geltende Verbot zum Abschuss von Wildschweinen und anderem Großwild außerhalb der jagdrechtlichen Erlaubnistatbestände hatte eine Entschädigungsregelung zugunsten betroffener Landwirte notwendig gemacht. Seit dem Jahre 2000 sind hierfür die auf DépartementEbene organisierten Jagdverbände (Fédérations départementales des chasseurs) zuständig, die den Entschädigungsantrag prüfen und aus den Verbandsgeldern Schadensersatz leisten309. Im Elsass sowie im Département Moselle übernehmen diese Aufgabe jeweils ein Fonds départemental d’indemnisation des dégâts de sangliers310. In beiden Fällen werden die Entschädigungszahlungen durch Beiträge von Jägern aufgebracht. Die Kompetenzen des Fonds de garantie des risques liés à l’épandage agricole des boues urbaines et industrielles (FGEAB) sind mit denen des deutschen Klärschlamm-Entschädigungsfonds zu vergleichen. Das Gesetz vom 30. Dezember 2006311 sieht vor, dass der Fonds diejenigen Schäden ausgleicht, welche Landwirten und Eigentümern land- oder forstwirtschaftlich genutzten Grundbesitzes durch die Ausbringung von Klärschlamm entstehen könnten312. Die Eintrittspflicht des Fonds ist jedoch auf unvorhersehbare und nicht versicherbare Schäden beschränkt sowie durch eine Entschädigungshöchstsumme begrenzt313. Anders als bei anderen Fonds ist jedoch mit der Leistungspflicht des Fonds kein gesetzlicher Anspruchsübergang verbunden. Vergleichbar mit den Sicherungseinrichtungen der Banken- und Versicherungswirtschaft des deutschen Rechts314, übernehmen der Fonds de garantie des dépôts315 und der Fonds de garantie des assurés contre la 307
Zu den Kompetenzen des Fonds national de gestion des risques en agriculture, siehe Billet, Rev. dr. rural 2010, étude 25. Zu den Ausführungsvorschriften siehe Art. D. 361-1 ff. C. rural n.F. 308 Siehe oben S. 35 f. 309 Art. L. 426-1 ff. C. envir. Hierzu detailliert de Malafosse, J.-Cl. Rural, v° Chasse, Fasc. 60, Rdnr. 96 ff. sowie Guilbaud/Colas-Belcour, La chasse et le droit, Rdnr. 1087 ff. 310 Art. L. 429-23 ff. C. envir. Nähere Ausführungen zum lokalen Entschädigungsregime bei de Malafosse, J.-Cl. Rural, v° Chasse, Fasc. 60, Rdnr. 77 ff. und Spach/Sonnenmoser, La police de la chasse et les dégâts de gibier, Rdnr. 194 ff. 311 Vgl. Art. L. 425-1 C. assur. sowie Art. R. 424-1 ff. C. assur. 312 Art. L. 425-1, I Abs. 1 C. assur. 313 Art. L. 425-1, I Abs. 3 und 4 C. assur. 314 Siehe oben S. 28 f. 315 Art. L. 423-1 ff. C. assur. Zum Entschädigungsverfahren detailliert Bigot, JCP G 1999, I, Nr. 166, Rdnr. 17 ff. und Marly, Banque & Droit 2008 (Nr. 122), 11, 15.
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défaillance de sociétés d’assurance de personnes316 die Sicherung von Einlegern und Versicherungsnehmern vor den Folgen einer Insolvenz. Eine Entschädigungspflicht besteht nur dann, wenn präventive Schutzmaßnahmen wie die Übertragung betroffener Verträge auf ein anderes Unternehmen fehlgeschlagen sind317. Die Ersatzleistungen sind darüber hinaus an die behördliche Feststellung der Insolvenz geknüpft318. Das Fondsvermögen, aus denen die Leistungen erbracht werden, wird durch Beiträge der gesicherten Versicherungsunternehmen und Kreditinstitute gespeist319. b) Exkurs: Entwicklung von Fondslösungen als Konkretisierung der „solidarité nationale“? Die Errichtung von Entschädigungsfonds ist im französischen Recht eng mit dem Begriff der „solidarité nationale“ verbunden. Sowohl in den parlamentarischen Vorarbeiten320 als auch in der juristischen Literatur321 erhebt sich die nationale Solidarität als die der Einstandspflicht des Kollektivs für Individualschäden zugrunde liegende ratio. Die Schadensabnahme durch einen Fonds sei Ausdruck des nationalen Solidargedankens, welcher nicht bloß staatsphilosophisches Schlagwort sei, sondern darüber hinaus normativen Charakter habe. Angesichts der Bedeutung der „solidarité nationale“ für die theoretische Durchdringung der Entschädigungsfonds ist es notwendig, kurz auf Ursprung, Entwicklung und Inhalt des Begriffs einzugehen und dessen Rolle innerhalb des französischen Rechtssystems näher zu bestimmen. Analysiert man die geschichtlichen Hintergründe des Begriffs der nationalen Solidarität, so wird deutlich, dass die Idee eines gewissen Zusammenhalts innerhalb der Nation auf das Zusammentreffen zweier staatstheoretischer Strömungen zurückgeht, die das intellektuelle Wirken des 19.
316
Art. L. 312-4 ff. C. mon. fin. Näheres bei Léguevaques, Banque & Droit 1999 (Nr. 68), 9 sowie dems., Droit des défaillances bancaires, Rdnr. 345 ff. 317 Siehe Art. L. 423-2 C. assur. sowie Art. L. 312-5, II C. mon. fin. 318 Die Entscheidung obliegt der Autorité de contrôle des assurances im Bereich der Versicherungswirtschaft sowie der Commission bancaire. 319 Siehe Art. L. 423-7 C. assur. und Art. L. 312-7 C. mon. fin. 320 Während der Plenardebatten zu den verschiedenen Entschädigungsgesetzen wird der Begriff regelmäßig zur Begründung der Fondseinrichtung herangezogen. Siehe JO AN, Dép. parl. v. 9.12.1991, S. 7395, 7437 u. 7464 (Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles); JO Sénat, Déb. parl. v. 2.6.1976, S. 1516 (FGTI); JO AN, Déb. parl. v. 27.10.2000, S. 7682 (FIVA); JO AN Déb. parl. v. 4.3.2003, S. 1552 u. 1558 (Entschädigungsregime für Industriekatastrophen). Siehe auch Art. L. 1142-1, II C. sant. publ. („réparation […] au titre de la solidarité nationale“). 321 Siehe nur Rémond-Gouilloud, Du droit de détruire, S. 169; Olmer-Brin/Borel, Gaz. Pal. 2003, 31 sowie d’Hauteville, RGAT 1987, 329.
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Jahrhunderts in Frankreich nachhaltig beeinflusst haben322. Es ist das Verdienst der Philosophen Leroux, Comte und Durkheim, den Begriff der Solidarität von den benachbarten Begriffen der Brüderlichkeit (fraternité) sowie dem in der christlichen Soziallehre gebrauchten Ausdruck der Barmherzigkeit (charité) abgegrenzt und als eigene philosophische Idee gefördert zu haben323. Aufbauend auf diesen Vorarbeiten entwickelte sich im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert die geistige Strömung des Solidarismus324. Unter Fouillée und Bourgeois ist dem Begriff der Solidarität erstmals ein normativer Charakter zugewiesen worden, der eine „dette sociale“, also eine Schuld der Gesellschaft gegenüber dem Einzelnen, begründe325. In diesem Sinne seien freie Schulbildung sowie die Einrichtung eines sozialen Hilfsfonds („fonds social d’assistance“) konkrete Handlungspflichten der Gesellschaft gegenüber seinen schwächsten Gliedern326. Zeitgleich mit der theoretischen Aufbereitung des Solidargedankens wurde die Idee des Nationalstaates Gegenstand staatsphilosophischer Debatten. Deren Ausstrahlungswirkung führte letztlich auch zum Begriff der nationalen Solidarität. Die angespannten politischen Beziehungen zwischen der Französischen Republik und dem Deutschen Kaiserreich nach dem Krieg 1870/71 führten zu einem unterschiedlichen Verständnis der Idee des Nationalstaates327. Vor diesem Hintergrund wurde der Begriff der
322 Allgemein zum Begriff der „solidarité nationale“ s. Borgetto, La notion de fraternité en droit public français, S. 190 ff. u. 421 ff.; Hounieu, La solidarité nationale en droit public français, 2003; Dubreuil, in: Gaudemet (Hrsg.), Le préambule de la Constitution de 1946, S. 197 ff.; Lochak, in: Beguin/Charlot/Laidé (Hrsg.), La solidarité en droit public, S. 305 ff.; Pontier, RDP 1983, 899 und ders., in: Conac/Prétot/Teboul (Hrsg.), Le Préambule de la Constitution de 1946, S. 283 ff. Aus dem Zivilrecht etwa Belorgey, Risques 1992 (Beiheft zu Nr. 10), 52; Bigot, RGDA 2002, 802; zur Rolle der „solidarité“ im Zivilrecht siehe Mignot, RRJ 2004, 2152. 323 Siehe insbesondere Leroux, De l’humanité, de son principe ou de son avenir, 1840 (hierzu Blais, La solidarité : histoire d’une idée, S. 85 ff. sowie Le Bras-Chopard, in: CURAPP [Hrsg.], La solidarité : un sentiment républicain, S. 55 ff.); Comte, Cours de philosophie politique, Bd. 4, S. 425 ff. sowie Durkheim, De la division du travail, S. 101 ff. Zu letzterem siehe die zusammenfassende Darstellung bei Aron, Les étapes de la pensée sociologique, S. 319 ff. 324 Zu dieser Strömung Borgetto, La notion de fraternité en droit public français, S. 363 ff. 325 Bourgeois, in: ders./Croiset (Hrsg.), Essai d’une philosophie de la solidarité, S. 1, 92 sowie ders., Solidarité5, S. 181. Vgl. dazu Hounieu, La solidarité nationale en droit public français, S. 93. 326 Fouillée, La propriété sociale et la démocratie, S. 67 u. 145. 327 Wurde von deutschen Philosophen (z.B. von Mommsen) die ethnische und kulturelle Zugehörigkeit hervorgehoben, so verteidigten Fustel de Coulanges und Renan den Willen zum Zusammenleben als zentrales Element der Nation, also ein volontaristisches
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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„solidarité nationale“ in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts auch zum ersten Mal in der politischen Diskussion gebraucht. Einige Abgeordneten rechtfertigten den Ruf nach speziellen Entschädigungsregimes zugunsten von Opfern einzelner Natur- und Industriekatastrophen mit dem Prinzip der „solidarité nationale“328. Erst mit Beginn des ersten Weltkrieges jedoch wurde das Konzept der nationalen Solidarität auch einer rechtswissenschaftlichen Analyse unterzogen. Renommierte Juristen wie Hauriou und Carré de Malberg untersuchten, inwieweit dem Begriff ein normativer Inhalt zu entnehmen sei und dieser als rechtliche Grundlage für eine Kompensationsregelung für Kriegsschäden dienen könne329. Auf der Grundlage dieser Arbeiten, erließ der französische Gesetzgeber am 17. April 1919 einen Gesetzesakt, in dem „die Republik die Gleichheit und Solidarität aller Franzosen gegenüber den Lasten des Krieges verkündet“330. Im Laufe der Zeit wandelte sich der Begriff der „solidarité nationale“ zum rechtspolitischen Schlagwort, welches 1946 in die Präambel der Verfassung der Vierten Republik aufgenommen wurde. So verkündet Absatz 12 der Verfassungspräambel nach dem Muster des Gesetzes von 1919 „die Solidarität und die Gleichheit aller Franzosen gegenüber den Lasten, die aus nationalen Katastrophen erwachsen“331. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich der Begriffs der „solidarité nationale“, insbesondere im Zuge des Inkrafttretens von Entschädigungsgesetzen, weiter verbreitet332. Immer häufiger berufen sich Personen aus Politik und der Zivilgesellschaft auf die nationale Solidargemeinschaft, wenn auch mit unterschiedlichen Intentionen. Opferverbände reklamieren, z.T. getragen von der öffentlichen Meinung, die Mobilisierung Verständnis. Der Ideenkonflikt ist insbesondere vor dem Hintergrund der Annexion Elsass-Lothringens in der Folge des Deutsch-Französischen Krieges zu sehen. 328 Siehe Doc. Ch. dép. 1894 (Annex zu Nr. 963), S. 1580, Sp. 3. Im Folgenden siehe auch Doc. Ch. dép. 1907 (Annex zu Nr. 674), S. 67: „Le principe de solidarité nationale qui décida le vote de secours à l’occasion des sinistres analogues de Bourbon-Dancy et de Mamers (lois du 14 juillet 1904) paraît devoir s’appliquer également dans la circonstance.“ 329 Unter den zahlreichen Veröffentlichungen des Nationalen Aktionskomitees für den vollständigen Ausgleich der Kriegsschäden (CNARIDG) siehe insbesondere Hauriou, Publications du CNARIDG, Fasc. C, 1915 sowie Carré de Malberg, Publications du CNARIDG, Fasc. H, 1915. 330 JO v. 18.4.1919, S. 4050. 331 Hierzu insbesondere Hounieu, La solidarité nationale en droit public français, 2003, S. 179 ff.; Dubreuil, in: Gaudemet (Hrsg.), Le préambule de la Constitution du 27 octobre 1946, S. 197 ff.; Pontier, in: Conac/Prétot/Teboul (Hrsg.), Le Préambule de la Constitution de 1946, S. 283 ff. 332 In diesem Sinne insbesondere Pontier, in: Conac/Prétot/Teboul (Hrsg.), Le Préambule de la Constitution de 1946, S. 283, 307.
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der nationalen Solidarität, um bestimmte Schadensfälle einem Sonderentschädigungsregime zuzuführen und den Geschädigten somit möglichst zügig und unkompliziert Ersatzleistungen zu gewähren333. Der Begriff der nationalen Solidarität verkommt, manchen Autoren zufolge, zunehmend zu einem bloßen „Leitmotiv, welches dazu bestimmt ist, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen und der Anstrengung des Einzelnen einen Sinn zu geben“334. Es verwundert daher nicht, dass der französische Gesetzgeber in einigen Legislativakten verfügt hat, bestimmte Schäden „unterlägen der solidarité nationale“, ohne dass dieser Aussage ein konkreter normativer Inhalt zugewiesen worden wäre335. Trotz der Verankerung in Abs. 12 der Präambel der Verfassung vom 26. April 1946 ist darauf hinzuweisen, dass aus dem Grundsatz der nationalen Solidarität kein subjektives Recht abzuleiten sei336, was die Gerichte auch stets bestätigt haben337. Die legislatorische Proklamation der „solidarité nationale“ allein weist dem ausfüllbedürftigen Begriff also noch keinen konkreten normativen Inhalt zu. Es obliegt dem Gesetzgeber zu konkretisieren, was genau mit einer gemeinschaftlichen Verteilung der Lasten gemeint ist338. Anderenfalls beschränkte sich das Gesetz lediglich auf eine Absichtserklärung, genauer auf eine symbolische
333
Hierzu Mekki, in: FS Viney, S. 739, 752. Die Rolle von Opfervertretern bei der Ausarbeitung von Entschädigungsgesetzen ist nicht immer exakt nachvollziehbar. Allerdings lässt sich angesichts der Vorarbeiten mancher Gesetze ein Einfluss gewiss nicht leugnen (siehe etwa Dériot, Rapport d’information sur la gestion des fonds de l’amiante, Doc. Sénat 2004-05 [Nr. 301], S. 7, 12 u. 56; Soulier, Transfusion et sida, S. 134 sowie Delbrel/Mathieu, Le dossier noir de l’hormone de croissance, S. 99). Allgemein zum Einfluss von Interessengruppen auf die Gesetzgebung Mekki, JCP G 2009, Nr. 370 u. 392 m.w.N. 334 Pontier, RDP 1983, 899, 900. 335 So etwa Art. 1 des Gesetzes v. 4.3.2002 über die Reform des Gesundheitswesens, wonach Schäden des unerwünscht behindert geborenen Kindes von der „solidarité nationale“ abgedeckt sind. Zu den Umständen dieser in Reaktion auf die PerrucheGesetzgebung erlassene Regelung siehe in deutscher Sprache Knetsch, VersR 2006, 1050. Eine weitere Proklamation jener Art findet sich z.B. in Art. 1 des Gesetzes v. 26.12.1961 über die Hilfe zugunsten der aus den ehemaligen französischen Kolonien und Protektoraten rückgeführten Personen. 336 Vedel/Rivero, in: de Laubadère/Mathiot/dies. (Hrsg.), Pages de doctrine, Bd. 1, S. 93, 109 u. 140; Pelloux, RDP 1947, 347, 384; Terneyre, RFD const. 1990, 339, 342; ders., in: Duhamel/Mény, Dictionnaire constitutionnel, S. 318 sowie Renoux/de Villiers, Code constitutionnel, S. 344. 337 CE, Urt. v. 10.12.1962, Rec. 1962, 676 sowie Urt. v. 29.11.1968, Rec. 1968, 607. Vgl. auch CE, Urt. v. 28.5.1971, Cah. jur. électr. gaz 1971, jur. 235, Anm. Théry sowie aus neuerer Zeit Urt. v. 22.1.1997, D. 1997, inf. rap. 73. 338 Hierzu siehe CC, Urt. v. 30.12.1987, Rdnr. 22 sowie Urt. v. 14.8.2003, Rdnr. 7.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Anerkennung der Lasten Einzelner und der daraus folgenden moralischen Beistandspflicht der Gesellschaft339. Unter all diesen Gesichtspunkten fällt es schwer, in dem Begriff der „solidarité nationale“ eine juristisch fundierte Grundlage des Rechts der Entschädigungsfonds zu sehen. Die nationale Solidarität erscheint mithin als bloßer politischer Leitgedanke, welcher im Laufe der Zeit an Schlagkraft verloren und zu keiner Zeit einen selbstständigen, präzise konturierten juristischen Inhalt erhalten hat. Schließlich stößt sich das Recht des 21. Jahrhunderts auch an der Begrenzung der Solidarität auf die Nationalgemeinschaft, d.h. auf die Gemeinschaft der Personen, denen die Zugehörigkeit zur Nation rechtlich zugewiesen wurde, sei es durch Geburt oder durch nachträglichen Erwerb der Staatsangehörigkeit. Untersucht man das Recht der Entschädigungsfonds unter dem Blickwinkel einer national begrenzten kollektiven Schadensabnahme, so ergeben sich mehrere Unstimmigkeiten. Einerseits kann nicht davon ausgegangen werden, dass allein die Personen der Staatengemeinschaft für den Ersatz bestimmter Schadenskategorien aufkommen. Die Regeln über die Finanzierung von Entschädigungsfonds unterscheiden keinesfalls nach der Staatsangehörigkeit des Beitragspflichtigen. Andererseits ist auch der Bezug von Fondsleistungen nicht an eine bestimmte Staatsangehörigkeit des Antragstellers gebunden. Unter dem Druck des Europarechts ist das französische Recht der Entschädigungsfonds in mehreren Punkten dergestalt verändert worden, dass ungeachtet ihrer Nationalität auch ausländische Geschädigte Leistungen von Entschädigungsfonds in Anspruch nehmen können340. 3. Fondslösungen im internationalen Recht Auch im supranationalen Recht sind Entschädigungsfonds als Instrumente zum außergerichtlichen Schadensausgleich verwirklicht worden. Insbesondere im Seerecht dienen Fondseinrichtungen zur Abdeckung von Spitzenschäden. a) Der Internationale Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden („IOPC Fonds“) Der im überstaatlichen Recht bei weitem bedeutendste Entschädigungsfonds ist der durch das Brüsseler Übereinkommen vom 18. Dezember 1971 339 Zum „soft law“ im französischen Recht sowie zu symbolischen Gesetzen ohne normativen Inhalt siehe weiterführend Pomart, RRJ 2004, 1679, 1683 sowie der Bericht des Conseil d’Etat aus dem Jahre 1992 zum Thema „Sécurité juridique“ (dort S. 32). 340 EuGH, Urt. v. 2.12.1989, C-186/87, insb. Rdnr. 16 sowie Urt. v. 5.6.2008, C164/07, Rdnr. 16. Siehe auch Civ. 2, Urt. v. 3.2.2005, D. 2005, 1981, Anm. Bodénès.
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errichtete Internationale Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden (sog. IOPC Fonds)341. Jenes Übereinkommen ergänzt die Regelungen des Internationalen Übereinkommens v. 29. November 1969 über die zivilrechtliche Haftung für Ölverschmutzungsschäden. Vom Fonds abgedeckte Schadensfälle – Erfasst werden von der Entschädigungspflicht des Fonds sog. „Verschmutzungsschäden“, die in Art. 1 Nr. 6 des Haftungsübereinkommen von 1969 (wie auch in der revidierten Fassung von 1992) als „Verluste oder Schäden, die außerhalb des das Öl befördernden Schiffes durch eine auf das Abfließen oder Ablassen von Öl aus dem Schiff zurückzuführende Verunreinigung hervorgerufen werden“, definiert werden. Der Anwendungsbereich beider Regelwerke ist insoweit deckungsgleich, als dass der IOPC Fonds nur für jene Schäden eintritt, für welche prinzipiell auch eine Einstandspflicht des Reeders nach dem Haftungsübereinkommen gegeben ist. Anlass und Gründe für die Einrichtung des Fonds – Der Unfall des Tankers „Torrey Canyon“ vor der Küste Englands hat der internationalen Gemeinschaft die Unzulänglichkeiten der bis dahin geltenden Entschädigungsregelungen aufgezeigt. 118.000 Tonnen ausgetretenes Rohöl hatten an den betroffenen Küstenabschnitten zu Schäden unbekannten Ausmaßes geführt, deren Ausgleich nicht von den am Transport beteiligten Unternehmen übernommen wurde und wohl auch im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens nur höchst partiell hätte durchgesetzt werden können. Unter dem Druck der Öffentlichkeit begannen zwei Jahre nach dem Unglück internationale Verhandlungen unter der Leitung der Zwischenstaatlichen Beratenden Seeschifffahrtsorganisation (IMCO) mit dem Ziel, ein neues Entschädigungsregime für Ölverschmutzungsschäden auszuarbeiten342. Die zu jener Zeit geltenden internationalen Übereinkommen zum Seehandelsrecht erwiesen sich für die allermeisten Fragen im Zusammenhang mit der juristischen Aufarbeitung von Tankerunglücken als kein brauchbares Regelungsinstrument343. Alternativen zur Fondslösung – Die Verhandlungen zur Ausarbeitung des neuen Entschädigungsregimes wurden durch eine äußerst kontrovers geführte Diskussion über die Form der Reederhaftung erschwert. Während 341 Das Übereinkommen ist von der Bundesrepublik Deutschland am 30.12.1976 ratifiziert worden und am 16.12.1978 in Kraft getreten (Bekanntmachung v. 28.8.1978, BGBl. 1975, II, 1211). 342 Wer haftet für die Schäden derjenigen Personen, die vertraglich weder mit dem Schiffsreeder noch mit dem Ausrüster oder dem Eigentümer der Schiffsladung verbunden sind? Wer ist demnach Anspruchsgegner der betroffenen Personen? Welches Recht ist auf die Haftungsklage anwendbar? Welche Gerichte sind hierfür zuständig? 343 Ausführlich zum Verlauf der Verhandlungen Herber, RabelsZ 34 (1970), 223 sowie Ganten, Internationales Übereinkommen über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden, 1973, S. 7 ff.
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eine Gruppe der teilnehmenden Staaten eine verschuldensunabhängige Haftungsregelung verteidigte, wünschten Regierungsvertreter anderer Staaten ein Festhalten am Grundsatz der Verschuldenshaftung, allenfalls abgeschwächt durch eine Verschuldensvermutung zugunsten der Betroffenen. Zunächst wurden auch ein Pflichtversicherungssystem sowie eine staatliche Entschädigungsregelung als alternative Schadensausgleichsmodelle diskutiert344, diese jedoch letztlich verworfen. Als Kompromisslösung gewann schließlich der Vorschlag der kanadischen Regierung an Konturen, einen von der Ölindustrie gespeisten Entschädigungsfonds einzurichten. Über die konkrete Ausgestaltung des Fonds konnte jedoch unter den Delegationen zunächst keine Übereinstimmung erzielt werden345. Mangels Einigung über die Funktion des Fonds verständigte man sich im Jahre 1969 zunächst auf die Festschreibung einer summenmäßig begrenzten Gefährdungshaftung des Reeders, verabschiedete jedoch als Zugeständnis an die Gegner dieser Lösung eine Resolution über die Einrichtung eines ergänzenden Fonds. Auf einer zweiten Konferenz wurde dann relativ zügig Einvernehmen über die Aufgaben des Internationalen Fonds erzielt. Dieser sollte sowohl betroffenen Personen, die wegen des Überschreitens der Haftungshöchstgrenzen nur teilweise Schadensersatz erhalten konnten, ergänzenden Ausgleich leisten als auch den in die Pflicht genommenen Reedern einen Teil der geleisteten Kompensationszahlungen zurückerstatten. Funktionsweise des Fonds – Wie auch das Haftungsübereinkommen von 1969 ist das Fondsübereinkommen von 1971 im Jahre 1992 einer umfassenden Revision unterzogen worden346. Durch ein Änderungsprotokoll wurden die geltenden Entschädigungshöchstsummen modifiziert und zur Bearbeitung neuer Schadensfälle ein zweiter Entschädigungsfonds errichtet, der bis zur endgültigen Abwicklung der Altschadensfälle autonom neben dem ursprünglich geschaffenen Fonds funktioniert347. Angesichts steigender Schadensdimensionen haben sich zudem einige Vertragsparteien im Jahre 2003 zur Gründung eines zusätzlichen Ergänzungsfonds entschlossen348. Die seit 1971 geschaffenen Fondseinrichtungen nehmen sowohl eine Ergänzungs- als auch eine Garantiefunktion wahr. So tritt der Fonds an die Stelle des eigentlich haftpflichtigen Reeders, wenn dieser mangels Versi344
Hierzu Chauveau, D. 1969, chr. 191, 192. Herber, RabelsZ 34 (1970), 233. 346 Protokoll v. 27.11.1992 (BGBl. 1995, II, 974). 347 Dieser zweite Fonds übernimmt nunmehr nur noch die Aufgabe der Leistung von Schadensersatz an geschädigte Personen. Anlässlich der Revision wurde die ursprünglich vereinbarte Erstattungsfunktion aufgegeben. 348 Protokoll v. 16.5.2003 (BGBl. 2004, II, 1290). 345
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cherungsschutz nicht in der Lage ist, seiner Schadensersatzpflicht nachzukommen, oder wenn der Reeder einen Entlastungsbeweis nach Art. 3 Abs. 2 des Haftungsübereinkommens führen kann349. Die 1971 und 1992 gegründeten Fonds leisten zudem ergänzenden Schadensersatz, wenn der tatsächliche Schaden die Haftungshöchstsumme übersteigt350. Der 2003 errichtete Ergänzungsfonds tritt wiederum dann ein, wenn der auf den Fonds von 1992 anwendbare Entschädigungshöchstbetrag überschritten wird351. Der Geschädigte kann sich mit seinem Entschädigungsantrag sowohl an den Reeder und dessen Versicherer als auch an das ständige Sekretariat des IOPC Fonds wenden. Zur effizienteren Bearbeitung der Anträge haben die Versammlung und der Exekutivausschuss des Fonds allgemeine Kriterien erarbeitet, die es nach Angaben des Fonds jedoch erlauben, die Besonderheiten jedes Schadensfalls zu berücksichtigen352. Zusammen mit den P&IClubs, den von den Reedern initiierten Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, prüft der IOPC Fonds den Antrag und gewährt bei Vorliegen der Voraussetzungen Kompensation für entschädigungsfähige Schadenspositionen. Mit Zahlung des Ersatzbetrages erwirbt der Fonds im Wege der Legalzession insoweit die Ansprüche des Geschädigten auf Ersatz des Schadens353. Finanzierung der Fondsleistungen – Die Entschädigungsleistungen der Fonds werden durch die Beitragszahlungen der Personen finanziert, welche mehr als 150.000 Tonnen Öl pro Jahr über dem Seewege importieren354. 349 Zu den Entlastungstatbeständen zählen insbesondere die klassische „force majeure“-Ausnahme (Kriegs- und Bürgerkriegshandlungen sowie unvorhersehbare Naturereignisse) sowie die ausschließliche Verursachung des Schadens durch einen Dritten in Schädigungsabsicht. Hierzu siehe etwa Herber, Seehandelsrecht, S. 193. 350 Die Haftungshöchstsumme variiert je nach Größe des Schiffes, ist jedoch auf einen Maximalbetrag von knapp 59,7 Mio. Sonderziehungsrechten (SZR) pro schädigendes Ereignis beschränkt (Art. 5 Abs. 1 des Haftungsübereinkommens von 1992). 351 Seit 2003 beträgt der Höchstbetrag, dem die Entschädigung durch den IOPC Fonds unterliegt, maximal 203 Mio. SZR pro schädigendes Ereignis (entspricht einem Betrag von ca. 222 Mio. Euro). Siehe Art. 4 Abs. 4 des revidierten Fondsübereinkommens von 1992. Der Ergänzungsfonds leistet Entschädigung bis zu einem Höchstbetrag von 750 Mio. SZR, ca. 819 Mio. Euro. 352 Siehe hierzu das vom Fonds veröffentlichte Entschädigungshandbuch (http://en. iopcfund.org/npdf/2008 claims manual_e.pdf). 353 Art. 9 des Fondsübereinkommens. Ein Beispiel eines Rückgriffes durch den IOPC Fonds erwähnt Kappet, Tankerunfälle und der Ersatz ökologischer Schäden, S. 57 (dort Fn. 356). 354 Den Empfängern von maritimen Öltransporten obliegt eine Meldepflicht gegenüber den Behörden ihres Sitzstaates. Die Staaten leiten dann die Daten an die Fondsverwaltung weiter. Vgl. auch die Statistiken zur Verteilung der Beiträge bei Jacobsson, DMF 2007, 968.
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Daneben fließt in geringerem Umfang auch der im Regresswege geltend gemachte Schadensersatz in das Fondsbudget355. b) Sonstige internationale Entschädigungsfonds Nach dem Vorbild der auf Öltransporte anwendbaren Haftungs- und Fondsübereinkommen wurde im Jahre 1996 das Internationale Übereinkommen über die Haftung und Entschädigung für Schäden bei der Beförderung gefährlicher und schädlicher Stoffe auf See (sog. HNS-Übereinkommen) unterzeichnet356. Dieses sieht einen Entschädigungsfonds nach dem Vorbild des IOPC Fonds vor, der bis zu einem Höchstbetrag von 250 Mio. SZR ergänzenden Ersatz von Personen- und Sachschäden durch die Beförderung gefährlicher Güter zur See leistet. Anders als bei der Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden ist die Funktionsweise nach Gefahrgruppen unterteilt, was die Berechnung der von den Empfängern der Güter zu leistenden Beiträge entsprechend komplex gestaltet. Mangels Inkrafttreten des Übereinkommens hat der HNS-Fonds seine Arbeit allerdings bisher nicht aufgenommen357. B. Typologie der Fondslösungen Die Darstellung der untersuchten Entschädigungsfonds hat bereits die zum Teil erheblichen Unterschiede zwischen der Funktionsweise der Einrichtungen erkennen lassen. Um das Recht der Entschädigungsfonds systematisch zu erfassen, soll im Folgenden eine schematische Typologie anhand der verschiedenen Funktionsweisen von Entschädigungsfonds erarbeitet und untersucht werden, inwieweit die bestehenden Fonds sich in diese Typologie einfügen. 1. Mögliche Funktionsweisen von Entschädigungsfonds Die denkbaren Funktionsweisen von Entschädigungsfonds werden im Folgenden kurz skizziert und, soweit möglich, anhand von Beispielen veranschaulicht. 355
Siehe hierzu Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See,
S. 52. 356
Zu den einzelnen Regelungen und den Parallelvorschriften zum soeben gesehenen Fondsübereinkommen siehe u.a. Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See, S. 68 ff.; Ganten, TranspR 1997, 397; Herber, Seehandelsrecht, S. 199; de Wilde, TranspR 1995, 278 sowie Renger, in: 36. Deutscher Verkehrsgerichtstag, S. 281 ff. 357 Zu den Gründen siehe Bonassies/Scapel, Droit maritime, Rdnr. 477 sowie Herber, Seehandelsrecht, S. 199. Zum Änderungsprokoll v. 29.4.2010, welches derzeit zur Unterzeichnung ausliegt, siehe die Informationen auf der Seite http://www.hnsconvention.org.
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a) Haftungsersetzende und haftungsergänzende Fonds Begreift man Entschädigungsfonds als alternative Kompensationsinstrumente, so kann eine Typologie der Fondslösungen auf der summa divisio zwischen haftungsersetzenden und haftungsergänzenden Fonds aufbauen. Zur Einordnung in eine der beiden Kategorien kommt es darauf an, ob der Gesetzgeber mit der Errichtung der Fondslösung einen Ausschluss von Haftungsansprüchen angeordnet hat oder dem Geschädigten neben der Inanspruchnahme des Fonds auch das Haftungsrecht als Weg zur Schadenskompensation offen steht358. Darauf, ob die gesetzlich eingeführte Entschädigungslösung nicht juristisch, sondern lediglich faktisch haftungsverdrängend wirkt, ist für die Qualifikation zunächst ohne Bedeutung359. Zweifellos sind die Konsequenzen eines gesetzlich vorgesehenen Erlöschens haftungsrechtlicher Ansprüche weitreichender als die Einrichtung eines Fonds, welcher die Handlungsoptionen des Geschädigten lediglich erweitert360. Entschädigungsfonds
Haftungsersetzende Fondslösungen
Haftungsergänzende Fondslösungen
Haftungsersetzenden Fondsmodellen kommt sowohl im deutschen als auch französischen Recht nur eine untergeordnete Rolle zu. Lediglich im Umwelthaftungs- sowie im Arzneimittelrecht sind derartige Entschädigungsregimes ernsthaft diskutiert wurden361. Zwar sah § 23 Conterganstiftungsgesetz das Erlöschen zivilrechtlicher Ansprüche der Contergan-Geschädigten gegen die Firma Grünenthal vor, sodass die eingangs beschriebene Stiftungslösung362 durchaus als Beispiel einer Haftungsersetzung angesehen werden kann. Grund für den Anspruchsausschluss war jedoch die Absicht, die Ansprüche aus dem zwischen der Firma Grünenthal und den Opfern geschlossenen Vergleichs in eine öffentlich-rechtliche Ersatzregelung 358 Vgl. auch die von Lindner erarbeiteten Regelungsoptionen (DVBl. 2005, 1227, 1229). 359 Zu diesem Phänomen, siehe näher unten S. 92 f. 360 Insbesondere muss bei einem Anspruchsausschluss geprüft werden, ob die Regelung mit dem Verfassungsrecht vereinbar ist. Hierzu näher unten S. 195 ff. 361 Zur Conterganstiftung für behinderte Menschen, siehe oben S. 38 ff. 362 Siehe oben S. 10 f.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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umzuwandeln363. Mit Neufassung des Gesetzes ist dieser Anspruchsausschluss ersatzlos gestrichen worden. Ein größerer Stellenwert ist der Haftungsersetzung in einem anderen Bereich des kollektiven Schadenausgleichs beizumessen. So sieht sowohl das deutsche als auch das französische Arbeitsunfallrecht einen Ausschluss des Haftpflichtanspruchs gegen den Arbeitgeber vor364; der Arbeitgeber genießt hierdurch eine gewisse Immunität. Einzelne ausländische Rechtsordnungen sehen darüber hinaus eine gesetzliche Haftungsersetzung durch fondsähnliche Versicherungslösungen für Teilbereiche wie dem Verkehrsunfallrecht oder dem Recht der Medizinschäden vor365. Einzig das neuseeländische Recht hat den Anwendungsbereich des Haftpflichtrechts radikal beschnitten und dieses durch ein umfassendes haftungsunabhängiges Entschädigungsrecht (Accident Compensation Corporation) ersetzt366. Je nach Ausgestaltung kann die Haftungsersetzung vollständig oder nur teilweise erfolgen. Eine teilweise Haftungsersetzung ist gegeben, wenn einzelne Schadenspositionen, etwa Schmerzensgeld, von der Kompensationsregelung ausgenommen und der herkömmlichen Schadensregulierung (Haftpflichtprozess oder außergerichtliche Einigung mit dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer) zugewiesen sind. Eine vollständige Haftungsersetzung liegt vor, wenn der Ausschluss des Haftungsrechts den primären Haftpflichtanspruch des Geschädigten komplett umfasst. In diesem Fall sieht der Gesetzgeber regelmäßig einen Regressanspruch des Entschädigungsfonds oder einer sonstigen Einrichtung gegen den Haftpflichtschuldner vor.
363 Lindner spricht insoweit von einer „qualifizierten Novation“ (DVBl. 2005, 1227, 1230). 364 Im deutschen Recht sieht dies § 104 Abs. 1 SGB VII („Unternehmer sind den Versicherten […] nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben.“) vor. Deutlicher noch Art. L. 251-1 des frz. Sozialversicherungsgesetzbuches: „Sofern sich aus den Art. L. 452-1 bis L. 452-5, L. 454-1, L. 455-1, L. 455-1-1 und L. 455-2 nichts anderes ergibt, ist eine Klage des Geschädigten oder dessen Hinterbliebenen auf Ersatz der Schäden aus Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten nach allgemeinem [Haftungs-]Recht unzulässig.“ Einen Überblick über die einzelnen Rechtssysteme bietet etwa Magnus (Hrsg.), The Impact of Social Security Law on Tort Law, 2003 (jeweils Punkt III.1. der verschiedenen Länderberichte sowie die zusammenfassende Analyse S. 280 ff.). 365 Zu den Regelungen einzelner nordamerikanischer und australischer Partikularrechtsordnungen sowie des israelischen Rechts s. im Überblick Fleming, The Law of Torts, S. 445 ff. sowie aus dem älteren Schrifttum Tunc, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. XI, Kap. 14, S. 9 ff. Zu den Lösungsmodellen im Bereich der Patientenschäden, siehe oben S. 44 m.w.N. 366 Ausführlich zur neuseeländischen Gesetzeslage und deren Entwicklung Bitterich, RabelsZ 67 (2003), 494 sowie Deutsch, RabelsZ 44 (1980), 487.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
b) Primäre und subsidiäre Fonds Nahezu alle dargestellten Fondseinrichtungen sind haftungsergänzende Entschädigungslösungen367. Es steht dem Geschädigten dem Grunde nach frei, einen bestehenden haftungsrechtlichen Ausgleichsanspruch gerichtlich oder außergerichtlich gegen den Schädiger geltend zu machen oder direkt vom Fonds Entschädigungsleistungen zu verlangen. Haftungsergänzende Fonds können überdies nach primären und subsidiären Entschädigungsfonds unterschieden werden. Haftungsergänzende Fondslösungen
Primäre Entschädigungsfonds
Subsidiäre Entschädigungsfonds
Bei einem subsidiären Entschädigungsfonds ist die Wahlmöglichkeit zwischen haftungsrechtlichem Schadensersatz und der Inanspruchnahme des Fonds durch eine Subsidiaritätsregel eingeschränkt, nach der der Antragsteller zunächst versuchen muss, nach Maßgabe des Haftungsrechts Schadensersatz zu erhalten. Primäre Entschädigungsfonds treten hingegen zur Beschleunigung der Schadensregulierung in Vorabzuständigkeit und gewähren Kompensationsleistungen unabhängig davon, ob der Antragsteller sich zuvor anderweitig um Schadensersatz bemüht hat. Je nach Ausgestaltung können primäre Fonds in Anschluss an die Schadensabnahme bei dem Schädiger Rückgriff nehmen. Unter den primär wirkenden Fondslösungen sind insbesondere die Einrichtungen hervorzuheben, die Betroffenen eines Großschadensfalls schnell und unbürokratisch Entschädigungsleistungen zahlen368.
367
Zum Anspruchauschluss bei der Regulierung der Conterganschäden siehe oben S. 70 f. 368 Ausführlicher zur Kategorie der „retrospektiven“ Fonds und den Regelungsintentionen des Gesetzgebers, siehe unten S. 78 ff.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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c) Garantie-, Ergänzungs- und Kompensationsfonds Innerhalb der Kategorie der subsidiären Entschädigungsfonds ist es möglich, eine zusätzliche Untergliederung nach dem Typus des Subsidiaritätskriteriums vorzunehmen. Subsidiäre Entschädigungsfonds, die in den Fällen der Insolvenz, des fehlenden Haftpflichtversicherungsschutzes369 oder des Überschreitens von Haftungshöchstgrenzen370 eingreifen, knüpfen stets an bestehende haftungsrechtliche Ansprüchen an und stellen deren „Verlängerung“ dar. Dementsprechend eng ist die Verbindung zwischen diesen Fondseinrichtungen und dem traditionellen Entschädigungsrecht. Die Begriffe „Garantiefonds“ und „Ergänzungsfonds“ machen die Nähe zum Haftungsrecht terminologisch deutlich, denn die Eintrittspflicht garantiert oder ergänzt lediglich einen zuvor bestehenden Schadensersatzanspruch371. Anders hingegen liegen die Fälle, in denen Fonds Schäden begleichen, die von herkömmlichen, auf der Schädiger-Geschädigten-Relation beruhenden Kompensationsinstrumenten nicht erfasst werden können. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um solche Schäden, welche keinem bestimmten Schädiger zugeordnet werden können, da sie entweder von einer Vielzahl von Individuen zu verantworten, von einem Unbekannten verursacht372 oder gar ausschließlich auf zufällige Schadensereignisse oder natürliche Phänomene zurückzuführen sind373. Kurz gesagt handelt es sich um solche Schadensgruppen, denen gemein ist, auf die Handlung keines identifizierten oder identifizierbaren Schädigers zurückgeführt werden zu können. Um eine Abgrenzung zu dem allgemeinen Begriff der „Entschädi-
369
Dies war im deutschen Recht bis zum 30.6.1994 Aufgabe des Vereins Solidarhilfe. Bei Zahlungsunfähigkeit eines Kfz-Haftpflichtversicherers tritt nunmehr auch der Verein Verkehrsopferhilfe als Entschädigungsfonds für die Schäden aus Verkehrsunfällen ein (siehe oben S. 6). Ebenso ist der Notarversicherungsfonds als Garantiefonds zu qualifizieren. 370 Der Internationale Entschädigungsfonds für Ölverschmutzungsschäden ergänzt die vom Schiffeigentümer geschuldete, einer Höchstgrenze von etwa 90 Millionen Sonderziehungsrechten (ca. 112 Mio. Euro; Stand: 24.7.2012) unterlegenen Entschädigung. Siehe im Einzelnen oben S. 65 f. 371 Siehe auch Rehbinder, in: Endres/Rehbinder/Schwarze (Hrsg.), Haftung und Versicherung für Umweltschäden, S. 120, 142. 372 Vgl. die Zuständigkeiten des deutschen und französischen „Fahrerfluchtfonds“ (siehe oben S. 6 f. und S. 46 f.) 373 Dies ist der dem französischen Fonds zum Ausgleich von Ernteausfallschäden durch Unwettereignisse sowie den Entwürfen zur Einrichtung eines Umwelthaftungsfonds oder eines Arzneimittelhaftungsfonds zugrundeliegende Gedanke (siehe oben resp. S. 59, 41 und 38).
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
gungsfonds“ zu gewährleisten, kann für diese Fondskategorie der Ausdruck „Kompensationsfonds“ gebraucht werden374. d) Zusammenfassung in schematischer Form In schematischer Form lassen sich die vorstehenden Erläuterungen wie folgt zusammenfassen.
Entschädigungsfonds
Haftungsersetzende Fondslösungen
Ergänzungsfonds (Überschreiten von Haftungshöchstgrenzen)
Garantiefonds (Insolvenz oder fehlender Versicherungsschutz)
Haftungsergänzende Fondslösungen
Kompensationsfonds (kein identifizierter oder identifizierbarer Schädiger vorhanden)
2. Grenzen der entwickelten Typologie In der Realität lassen sich freilich nicht alle Entschädigungsfonds zweifelsfrei in das erarbeitete Schema einordnen, da sie oftmals Charakterzüge verschiedener Fondstypen in sich vereinen. So können zwar die meisten der beschriebenen deutschen Fondslösungen einem einzigen Fondstypus zugeordnet werden, allerdings lassen sich die wichtigsten französischen Entschädigungseinrichtungen sowie einige deutsche Fonds unter mehrere Kategorien subsumieren. So nehmen vor allem in der Kategorie der subsidiären Fondsmodelle mehrere Fondseinrichtungen sowohl die Rolle eines Garantiefonds als auch die eines Kompensations- oder Ergänzungsfonds ein. Das Bild, welches sich nach einer systematischen Bestandsaufnahme der Entschädigungsfonds zeichnet, ist daher weit komplexer, als es die entwickelte Typologie zu vermitteln mag. 374 Dieselbe Terminologie wählt im Bereich des Umweltrechts Rehbinder, in: Endres/Rehbinder/Schwarze (Hrsg.), Haftung und Versicherung für Umweltschäden, S. 120, 142.
I. Bedeutung von Fondslösungen im deutschen und französischen Recht
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Ein besonders deutliches Beispiel einer Fondseinrichtung mit unterschiedlich ausgeprägter Eintrittspflicht stellt die im französischen Recht durch das Gesetz vom 4. März 2002 errichtete staatliche Entschädigungsstelle für Medizinunfälle (ONIAM) dar. Wie bereits erwähnt375, wurden diesem Fonds im Laufe der Zeit unterschiedliche Annexkompetenzen zugewiesen, so etwa die Entschädigung von Opfern HIV- oder Hepatitis Cverseuchter Blutprodukte sowie von Kindern und Jugendlichen, deren Schädigung auf eine Behandlung mit Wachstumshormonen zurückzuführen sind. Für jene Fallgruppen leistet die Entschädigungsstelle primäre Ausgleichszahlungen. Es kommt also nicht darauf an, dass die Geschädigten nicht auch auf andere Weise Schadensausgleich hätten erhalten können. Neben dieser Rolle als primärem Entschädigungsfonds liegt die Hauptzuständigkeit der Entschädigungsstelle allerdings im Ausgleich von Medizinunfallschäden sowie von durch nosokomiale Infektionen verursachte Schäden, wenn diese keinem bestimmten Verursacher zugeordnet werden können376. Demnach nimmt das ONIAM in diesen Fällen die Rolle eines Kompensationsfonds ein. Ferner ist das ONIAM als Garantiefonds in denjenigen Fällen zuständig, in denen der von den CRCI ermittelte Haftungsschuldner nicht haftpflichtversichert ist oder der Versicherer sich weigert, dem Opfer ein Entschädigungsangebot zu unterbreiten377. Schließlich tritt die Entschädigungsstelle auch als Ergänzungsfonds ein, sollte der Schaden die Deckungshöchstgrenze des Versicherungsvertrags überschreiten378. Ähnliche Mehrfachkompetenzen finden sich auch bei dem deutschen Entschädigungsfonds für Schäden aus Verkehrsunfällen379 sowie dem in-
375
Siehe oben S. 53 ff. So ausdrücklich der Wortlaut von Art. L. 1142-1, II C. sant. publ. („Falls ein Angehöriger der Heilberufe, eine Einrichtung […] nicht haftet, berechtigt ein medizinischer Unfall den Patienten zum Schadensersatz durch die Solidargemeinschaft […].“). Hierzu auf deutscher Sprache vor allem Nitschmann, Das Arzt-Patient-Verhältnis, S. 287 ff. 377 Art. L. 1142-15 Abs. 1 C. sant. publ. 378 Art. L. 1142-15 Abs. 1 a. E. C. sant. publ. – Siehe auch den 2011 errichteten Fonds de garantie des dommages consécutifs à des actes de prévention, de diagnostic ou de soins dispensés par des professionnels de santé, welcher immer dann eintritt, wenn der geltend gemachte Schaden die Deckungssumme der Berufshaftpflichtversicherung eines niedergelassenen Arzes überschreitet (art. L. 426-1 u. R. 427-1 ff. C. assur.). Zu der Funktionsweise dieses Fonds siehe Katzenmeier/Knetsch, in: GS Hübner (im Erscheinen). 379 Wie bereits dargestellt (oben S. 6 f.) ist der Verein Verkehrsopferhilfe zuständig sowohl für sog. Fahrerfluchtfälle (Kompensationsfonds) als auch für die Fälle fehlenden Haftpflichtversicherungsschutzes und einer etwaigen Insolvenz des Kfz-Haftpflichtversicherers (Garantiefonds). Siehe § 12 Abs. 1 PflVG. 376
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
ternationalen Entschädigungsfonds für Ölverschmutzungsschäden (IOPC Fonds)380. C. Terminologisches zum Recht der Entschädigungsfonds Auch in terminologischer Hinsicht bietet die Thematik der Entschädigungsfonds ein uneinheitliches Erscheinungsbild. Besonders im deutschen Recht werden wenige Kompensationsmechanismen ausdrücklich als „Entschädigungsfonds“ bezeichnet381. Vielmehr überwiegen die Begriffe „Solidarfonds“382, „Hilfsfonds“383 sowie Bezeichnungen, die sich unmittelbar an der Organisationsform des Fonds orientieren384. Auch das französische Recht der Entschädigungsfonds ist von einer vielfältigen Terminologie geprägt 385. Hierin zeigt sich nicht allein die Unsicherheit des Gesetzgebers über die rechtliche Einordnung jener Entschädigungseinrichtungen386, sondern auch der Umstand, dass Fondslösungen vielmehr als vereinzelte Regelungen denn als Teil eines in sich schlüssigen Rechtsgebiets verstanden werden. Mehr noch als die spezialgesetzlichen Haftungsgrundlagen erscheint das Recht des Entschädigungsfonds als ein „parzelliertes, unvollständiges und zusammenhangloses Werk“, gleich einem „Aggregat von Gelegenheitsgesetzen“387. Die vom Gesetzgeber gewählten Bezeichnungen werden daher 380 Gemäß Art. 4 Abs. 1 des Fondsübereinkommen v. 18.12.1971 (geändert durch das Protokoll v. 27.12.1992) ergänzt der IOPC Fonds die Entschädigungssumme für den Fall, dass „der Schaden die Haftung des Eigentümers übersteigt“ (Buchstabe c) sowie bei Zahlungsunfähigkeit des Eigentümers (Buchstabe b). Insofern tritt der Fonds sowohl als Ergänzungs- als auch als Garantiefonds ein. Siehe oben S. 65 f. 381 Ausnahmen stellen insoweit der Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen und der Klärschlamm-Entschädigungsfonds dar. Die geplante Fondslösung im Bereich der Arzneimittelschäden wurde in den Gesetzesmaterialien als „Entschädigungsfonds für Arzneimittelschäden“ bezeichnet. 382 So der Solidarfonds Abfallrückführung sowie der Solidarfonds der Lebensversicherungen. 383 So der Dopingopfer-Hilfsfonds. Siehe auch das Anti-D-Hilfe-Gesetz, welches lediglich von Hilfsleistungen, aber nicht von einer Fondslösung spricht. 384 So die als Stiftungen verfassten Fondslösungen für Conterganopfer („Conterganstiftung für behinderte Menschen“) und für Opfer HIV-infizierter Blutprodukte („Stiftung Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen). Vgl. auch die Bezeichnungen „Bergschadensausfallkasse“ und „Tierseuchenkassen“. 385 Neben den explizit als „fonds de garantie“ oder „fonds d’indemnisation“ bezeichneten Entschädigungseinrichtungen sind insbesondere das Office national d’indemnisation des accidents médicaux („Entschädigungsstelle“) sowie die für Wildschäden zuständigen Fédérations départementales des chasseurs (auf Département-Ebene organisierte Jagdverbände) zu nennen. Vgl. auch den Fonds de compensation des risques de l’assurance de la construction (Kompensationsfonds für Bauversicherungsrisiken). 386 Hierzu näher unten S. 125 ff. 387 So Leduc, Resp. civ. assur. 2001 (Sonderausgabe), 50, Rdnr. 16.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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auch nicht durch rechtssystematische Vorüberlegungen getragen, sondern vielmehr durch Zufall und die Absicht bestimmt, das neue Gesetz der Bevölkerung möglichst verständlich zu vermitteln. Gleichwohl wäre die Forderung nach einer einheitlichen Bezeichnung von Entschädigungsfonds, die systematisch deren Wirkungsweise beschreibt, verfehlt, da eine eindeutige Zuordnung eben nicht immer möglich ist. Zumindest in der juristischen Literatur sollte jedoch ein einheitlicher Oberbegriff gebraucht werden, um die Entschädigungsfonds von verwandten Rechtsinstituten abgrenzen zu können. Hierfür ist der Begriff „Entschädigungsfonds“ am besten geeignet, da die Funktion des Schadensausgleichs der Einrichtungen deutlich hervorgehoben wird, was bei dem weniger konturierten Begriff „Fondslösungen“388 nicht der Fall ist. Der Gebrauch der Bezeichnung „Haftungsfonds“389 ist besonders kritisch zu sehen, da suggeriert wird, der Fonds selbst „hafte“ für den geltend gemachten Schaden. Es ist aber gerade die Besonderheit von Fondslösungen, dass keine Schadenszurechnung vorgenommen und für die Kompensation allein am Schaden angesetzt wird. Ein Zurechnungszusammenhang zwischen Schaden und Ersatzpflichtigem, wie er jeder Haftung immanent ist390, liegt damit bei Entschädigungsfonds nicht vor391.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
Auf der Grundlage der soeben dargestellten Typologie kann die systematische Darstellung der Entschädigungsfonds vertieft werden. Eine Gesamtschau der bestehenden Einrichtungen sowie die Gegenüberstellung ihrer jeweiligen Anwendungsbereiche zeigen, dass sich Fondsmodelle anhand der von ihnen erfassten Schadensbereiche in zwei Kategorien einordnen lassen. Einige Entschädigungsfonds haben die Aufgabe, die Folgen eines Schadenfalls größeren Ausmaßes zu regulieren, dessen Auslöser in der Vergan388 S. Winter, Fondslösungen im Umweltrecht, 1993; Bohlken, Waldschadensfonds im EG-Recht, S. 56 ff. sowie Rehbinder, in: Endres/Rehbinder/Schwarze, Haftung und Versicherung von Umweltschäden, S. 120 ff. 389 So etwa Gütersloh, Umwelthaftungsfonds, 1999. 390 Statt vieler Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 2 („Der Schaden [ist] nur dann zu ersetzen, wenn der Schädiger einen Grund der Zurechnung gesetzt hat […]“). 391 Zahlreiche Urteile haben dies klar gestellt und eine Verurteilung von Entschädigungsfonds auf Leistung einer Entschädigungszahlung auf derselben Grundlage wie die Verurteilung des Haftungsschuldners oder gar als Gesamtschuldner mit dem Haftpflichtigen stets abgelehnt. Siehe etwa für den französischen Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftverkehrsunfällen CA Paris, Urt. v. 9.9.2002, Petites affiches 2.2.2004, 8, Anm. Casson (weitere Nachweise bei Casson, Fonds de garantie, Rdnr. 236).
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
genheit liegt und dessen Opferzahl zwar erheblich, aber dennoch zahlenmäßig begrenzt ist. Bei diesen „retrospektiven“ Fondsmodellen, deren Zweck die Regulierung vergangener Großschädensfälle ist, wird bewusst auf eine vorherige erfolglose Geltendmachung der Ersatzansprüche verzichtet, um den Geschädigten eine möglichst rasche Entschädigung zu ermöglichen. Anderen Fondsmodellen hingegen wird eine dauerhafte Regelungsaufgabe zugewiesen, die sich nicht auf die Entschädigung einer durch den Bezug auf ein bestimmtes Schadensereignis fest umrissenen Geschädigtengruppe beschränkt. Im Gegensatz zu retrospektiven Fonds wird versucht, Lücken im Haftungsrecht nachhaltig zu schließen, indem in bestimmten Fallgruppen die Möglichkeiten, Schadensersatz zu erhalten, erweitert werden. Diese „Lückenfüllfunktion“392 begründet daher auch die grundsätzliche Subsidiarität dieser „prospektiven“ Fonds gegenüber dem herkömmlichen individuellen Schadensausgleich. Eine solche zusätzliche Einteilung der Fondsmodelle in retrospektive und prospektive Entschädigungsfonds erfolgt insbesondere mit dem Ziel, die Systembildung393 auf dem Gebiet des Entschädigungsrechts weiterzuentwickeln. Gerade in einer Rechtsmaterie, die von einer so großen Vielfalt gekennzeichnet ist wie das Recht der Entschädigungsfonds, ist es ratsam, die im Gesetz zu findenden Regelungen möglichst exakt in das Gefüge des Zivilrechts einzuordnen sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten noch deutlicher hervortreten zu lassen394. Dabei beruht die noch näher zu entwickelnde Abgrenzung zwischen retrospektiven und prospektiven Entschädigungsfonds auf der Tatsache, dass eng umrissene Fondseinrichtungen, wie die Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIVinfizierte Personen“, und weit gefasste Fonds, wie der für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen, hinsichtlich Regelungsbreite und rechtspolitischen Intentionen deutliche Unterschiede aufweisen. A. Retrospektive Fondslösungen als Modell zur Regulierung von in der Vergangenheit liegenden Großschadensfällen Retrospektive Entschädigungsfonds zeichnen sich durch eine ähnliche Funktionsweise und durch die gleichgelagerten gesetzgeberischen Rege392
So schon Schmidt-Salzer, Internationales Umwelthaftungsrecht II, Rdnr. 54 f. Allgemein zum Ziel der Systembildung in der Rechtswissenschaft Larenz, Methoden der Rechtswissenschaft, S. 437 ff. Aus neuerer Zeit s. insb. Ernst, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 3, 39 ff. In französischer Sprache Bergel, Méthodologie juridique, S. 112 ff. Vgl. auch Roubier, Théorie générale du droit, S. 16. 394 Zur juristischen Konstruktion als Instrument der Systembildung näher auch Hassold, AcP 181 (1981), 131. 393
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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lungsintentionen aus. Analysiert man die Entstehungsgeschichte dieser Fondslösungen, so lässt sich stets ein gewisser Zusammenhang zwischen der Verursachung des erfassten Großschadensfalls und staatlichem Fehlverhalten (seltener dem Fehlverhalten Privater) feststellen. Dieser Zusammenhang kann allerdings nicht mit einer Schadenszurechnung im haftungsrechtlichen Sinne gleichgesetzt werden, vielmehr bewegt sich dieser in einem außerjuristischen Bereich. Die mit der Einrichtung eines Fonds verfolgten rechtspolitischen Ziele schlagen sich außerdem in den Charakteristika retrospektiver Fonds nieder. 1. Rechtspolitische Erwägungen Zunächst sind die mit der Einrichtung eines retrospektiven Fonds verbundenen rechtspolitischen Ziele und Erwägungen darzustellen. Insbesondere ist zu erörtern, ob den Regelungen über die Finanzierung des Entschädigungsregimes Erkenntnisse über die Existenz eines Zusammenhangs zwischen den Beitragspflichtigen und den erfassten Schadensfällen entnommen werden können. Hierzu sollen im Folgenden kurz die Ausgangssituationen geschildert werden, in denen sich der Gesetzgeber zur Einrichtung eines retrospektiven Fonds entschlossen hat. Im Gegensatz zur Darstellung der Fondslösungen zu Beginn dieser Arbeit395 werden schwerpunktmäßig die Vorarbeiten für das Entschädigungsgesetz sowie Maßnahmen zur Aufklärung der Schadensverursachung dargestellt. a) Überblick über die Anwendungsbereiche retrospektiver Fondslösungen (aa) Deutsches Recht Im deutschen Recht kamen retrospektive Entschädigungsfonds bisher in vier Fällen als Instrument zur Regulierung von Massenschadensfällen zum Einsatz. Bei dem folgenden Überblick stehen weniger Funktionsweise, Finanzierung und Entwicklung des Fonds396, sondern vielmehr die Rolle des Fonds bei der Bewältigung der Katastrophen im Vordergrund. (1) Errichtung der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ als Reaktion auf die Contergan-Katastrophe Das erste Beispiel für die Einrichtung eines Fonds zur Bewältigung eines Massenschadens im deutschen Recht ist die Gründung der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ durch ein Gesetz vom 17. Dezember 1971. Es handelt sich hierbei, wie bereits beschrieben397, um eine Entschädigungs395
Siehe oben S. 6 ff. Hierzu bereits oben S. 6 ff. 397 Siehe oben S. 10 f. 396
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
regelung zugunsten der so genannten „Contergan-Kinder“, die durch eine Einnahme des von dem Unternehmen Chemie Grünenthal hergestellten Medikaments Contergan Leibesschädigungen bereits im embryonalen Status erlitten haben. Die Gesamtzahl der durch das Medikament missgebildeten lebenden Kinder wurde seinerzeit auf etwa 2.500 geschätzt398. Unmittelbar nach Bekanntwerden der Contergan-Katastrophe wurde ein Untersuchungsverfahren gegen die Geschäftsführung und leitende Angestellte der Firma Grünenthal eingeleitet, welches jedoch mit Beschluss vom 18. Dezember 1970 eingestellt wurde. Die Staatsanwaltschaft sah die ihr wesentlich erscheinenden Prozessziele erreicht, da sich Grünenthal während des Verfahrens bereit erklärte, einen Beitrag von 100 Millionen DM zugunsten der contergangeschädigten Kinder zur Verfügung zu stellen, und deren Schadensersatzansprüche nach Ansicht der Staatsanwaltschaft schneller und weitergehend befriedigt würden als im Rahmen eines Haftungsprozesses399. Diese Summe wurde sodann im Rahmen eines Vergleichs zwischen Grünenthal und den Eltern der betroffenen Kinder400 drei Treuhändern überwiesen und schließlich in das Vermögen der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ überführt401. Im Laufe der Zeit wurde allerdings deutlich, dass nicht nur das Fehlverhalten der Firma Chemie Grünenthal, sondern auch das Zögern und die Unentschlossenheit der Gesundheitsbehörden von Bund und Ländern402 zur Contergan-Katastrophe führten. So waren seinerzeit Entwicklung, Produktion und Vertrieb von Arzneimitteln der nahezu ausschließlichen Verantwortung der Hersteller überlassen. Im Rückblick war die ConterganKatastrophe der Auslöser einer umfassenden Reform des Arzneimittelrechts, die maßgeblich dazu geführt hat, dass die staatliche Überwachung zum Garanten für Wirksamkeit und Sicherheit der vertriebenen Arzneimit-
398 So Böhm, Die Entschädigung der Contergan-Kinder, S. 14. Von den 2500 Fällen entfielen laut Böhm 180 auf ausländische Staaten. Die Anklageschrift ging noch von einer weitaus höheren Zahl aus. 399 Siehe StA Aachen, Beschl. v. 18.12.1970, DRiZ 1971, 45, 48 f. Kritisch zu diesem Argument Derleder/Winter, DuR 1976, 260, 268 f. 400 Der Wortlaut des Vergleichs findet sich bei Böhm, Die Entschädigung der Contergan-Kinder, S. 140 (dort auch weitere Materialien). 401 Die mit der Überführung in das Stiftungsvermögen verbundenen Probleme werden von Derleder/Winter, DuR 1976, 260 (273 f.); Böhm, NJW 1974, 842 und v. Zezschwitz, FamRZ 1972, 476 (477 f.) allgemein erläutert. Zur Verfassungsmäßigkeit der Übernahme der Vergleichsmittel durch die Stiftung BGH, Urt. v. 13.2.1975 – VI ZR 44/74 – BGHZ 64, 30 = VersR 1975, 533 ff. = JuS 1976, 788, Anm. Braun = LM Art. 14 (Ba) GG, Nr. 36, Anm. Steffen und BVerfG, Urt. v. 8.7.1976 – 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 – BVerfGE 42, 263 = NJW 1976, 1783 = JA 1976, 765. Hierzu auch de Lazzer, JZ 1977, 78. 402 Böhm, Die Entschädigung der Contergan-Kinder, S. 15.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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tel geworden ist403. Zu einem staatlichen Fehlverhalten wurde in einer Sitzung des Rechtsausschusses des Bundestages vor Verabschiedung des Gesetzes ausgeführt, dass, „wenn überhaupt ein Verschulden vorhanden sei, es neben der Firma Grünenthal auch die Bundesrepublik Deutschland [treffe]“ und durch die mangelhafte Arzneimittelgesetzgebung „eine moralische Verpflichtung, ein Quasi-Verschulden entstanden“ sei404. Der Bundesjustizminister sprach in einer Presseerklärung anlässlich der Verabschiedung des Gesetzentwurfs im Kabinett von einer „besonderen gesellschaftlichen Verantwortung für die contergangeschädigten Kinder“405. Die Ausstattung der durch das Gesetz vom 17. Dezember 1971 gegründeten Stiftung spiegelt die Erkenntnisse über die Verantwortlichkeit der Firma Grünenthal und des Staates für die Contergan-Schäden wider. Neben den 100 Millionen DM, zu deren Zahlung sich Grünenthal „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“406 verpflichtet hatte, wurde das Stiftungsvermögen durch den Bund mit weiteren 100 Millionen DM ausgestattet407 und im Laufe der Zeit weiter aufgestockt408. (2) Errichtung der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ als Reaktion auf die Schäden durch HIV-verseuchte Blutprodukte Anders als in Frankreich hat die durch HIV-verseuchtes Blut und Blutprodukte verursachte Arzneimittelkatastrophe in Deutschland eine geringe mediale Aufmerksamkeit erhalten. Die durch ein Gesetz vom 24. Juli 1995 errichtete Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIVinfizierte Personen“ wurde in der juristischen Literatur nur wenig bespro403 So Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Gesundheitsbericht 1971, Rdnr. 246 f. Umfassend zur Rolle der Contergan-Katastrophe für die Entwicklung des Arzneimittelrechts Beyer, Grenzen der Arzneimittelhaftung, S. 290 ff. 404 Arndt, Stenographisches Protokoll des Rechtsausschusses 6. Wahlperiode (19691972), 19. Sitzung, S. 12. 405 Presseerklärung v. 30.4.1970, abgedruckt bei Böhm, Die Entschädigung der Contergan-Kinder, S. 54 f. 406 So die Begründung des Gesetzesentwurfes durch die Bundesregierung (BT-Drucks. VI/926, S. 6). 407 Während der Beratungen im Rechtsausschuss des Bundestages hielt der Abg. Arndt die Speisung des Fonds durch Haushaltsmittel für eine „verkappte, aber notwendige Art der Amtshaftung“ (Stenographisches Protokoll des Rechtsausschusses 6. Wahlperiode [1969-1972], 25. Sitzung, S. 24) 408 So sprechen Breuer/Louis, MedR 2007, 223 (224) von einer Summe von 220 Millionen DM, die von Seiten des Bundes bereit gestellt wurde. Hoffnungen der Bundesregierung auf finanzielle Zuwendungen an die Stiftung aus Wirtschaft, Politik und Öffentlichkeit (BT-Drucks. VI/926, S. 6) wurden nicht erfüllt. Hierzu siehe bereits oben S. 13. Vgl. auch zur ähnlichen Problematik bei der Entschädigungsregelung zugunsten der Opfer staatlichen Zwangsdopings in der DDR unten S. 85.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
chen. Im Gegensatz zu seinem französischen Pendant, dem Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles, gab die deutsche Entschädigungseinrichtung nur wenig Anlass zu einer weiter gehenden Beschäftigung durch die Gerichte und die Wissenschaft. Ob dies daran lag, dass das Gesetz für „gut lesbar und weitgehend gut anwendbar“ eingeschätzt wurde409, mag dahinstehen. Tatsache ist, dass trotz einer vergleichbaren Ausgangslage die deutsche Politik das Problem der Entschädigung der Opfer HIV-verseuchter Blutkonserven effizienter gelöst hat als die französische Regierung. Der gesetzlichen Entschädigungslösung ging die Einrichtung des Programms „Humanitäre Soforthilfe“ voraus, welcher einen Beitrag zum Ausgleich von immateriellen Beeinträchtigungen leisten sollte. Aus diesem einige Monate vor Verkündung des HIV-Hilfe-Gesetzes gebildeten Soforthilfeprogramm410, auf dessen Leistungen kein Rechtsanspruch bestand, konnte jedoch aus finanziellen Gründen nur eine unzureichende Entschädigung gewährt werden. Bereits zuvor strengten zahlreiche durch die Verabreichung von verseuchtem Blut oder Blutprodukten HIV- oder AIDSinfizierte Personen Haftpflichtklagen gegen behandelnde Ärzte, Kliniken oder Krankenhausträger sowie Produzenten der Blutprodukte an411. In den meisten Fällen endeten diese Prozesse mit außergerichtlichen Abfindungsvergleichen zwischen Geschädigten und den betroffenen Haftpflichtversicherern, die durch die Bemühungen der Hämophilieverbände auch anderen geschädigten Blutern zu Gute kamen412. Der vom Bundestag eingesetzte parlamentarische Untersuchungsausschuss gelangte zu der Schlussfolgerung, dass „pharmazeutische Unternehmer, Ärzte, Blutspendedienste und Krankenhäuser […] sowie das [Bundesgesundheitsamt] und mit diesem die Bundesrepublik Deutschland Mitverantwortung an der HIV-Infektion [tragen]“413. Es ist nur folgerichtig, dass die Mittel für den Entschädigungsfonds denn auch von Bund,
409
Deutsch, NJW 1996, 755, 758 sowie ders., VersR 1997, 905, 910. Richtlinie v. 16.3.1993 des Bundesministeriums für Gesundheit für die Gewährung von Leistungen an durch Blut oder Blutprodukte HIV-infizierte oder an AIDS erkrankte Personen durch das Programm „Humanitäre Soforthilfe“ (BAnz 1993, 3309). 411 Zu den verschieden Haftungskonstellationen Deutsch, VersR 1997, 905, 906 ff. 412 Zu diesen Vergleichen Brüggemeier, Staatshaftung für HIV-kontaminierte Blutprodukte, S. 13 ff. 413 Schlussbericht des 3. Untersuchungsausschusses, S. 268. Die Mitglieder des Ausschusses konnten ebenso „ein Fehlverhalten der alten Bundesländer als Träger von Behandlungszentren bzw. Blutspendeeinrichtungen“ feststellen, waren jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen daran gehindert, eingehendere Untersuchungen vorzunehmen. Siehe bereits oben S. 13 f. 410
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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Ländern, pharmazeutischen Unternehmen und Blutspendediensten des Deutschen Roten Kreuzes aufgebracht wurden414. (3) Anti-D-Hilfegesetz zur Entschädigung der in der DDR infolge einer Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis C infizierten Frauen Frauen, die in den 1970er Jahren in der DDR infolge einer Anti-DImmunprophylaxe an dem Hepatitis-C-Virus erkrankt sind, können seit dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 2. August 2000 eine Entschädigung erhalten. Wie bei den Katastrophen um Contergan sowie HIV-verseuchte Blutkonserven und -produkte erfolgte auch hier eine Entschädigungsregelung durch Gesetz. Im Gesetzgebungsverfahren wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich eine unterschiedliche Behandlung von Opfern Hepatitis-C-verseuchter Anti-D-Immunglobuline einerseits und Opfern von Contergan und HIV-infiziertem Blut oder Blutprodukten andererseits verbiete415. Zum Zeitpunkt der Beratung des Gesetzentwurfs stand außer Zweifel, dass die Verunreinigung der Immunprophylaxe-Chargen durch schuldhaftes Verhalten des Instituts für Blutspende- und Transfusionswesen des Bezirks Halle verursacht worden war416. Der damals zuständige leitende Arzt und Apotheker wurden noch vor der Wiedervereinigung durch das Bezirksgerichts Halle strafrechtlich verurteilt417. Wie im Zuge der beiden anderen Arzneimittelkatastrophen entschied sich die Bundesregierung zu einer eigenständigen Rechtsgrundlage der Kompensationsleistungen, verzichtete aber auf die Errichtung eines separaten Fonds mit Rechtspersönlichkeit. Ohne sich das staatliche Fehlverhalten selbst zuzurechnen, tragen sowohl der Bund als auch die Bundesländer die Kosten für die gewährten Rentenzahlungen418. Einmalzahlungen in Höhe von bis zu 30.000 DM, ausschließlich durch Gelder des Bundes finanziert,
414 Die genaue Verteilung der Mittel folgt dem Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages v. 28.6.1995 (BT-Drucks. 13/1847, S. 2). Vgl. auch § 3 Satzung der Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ (BAnz 1995, 9281). 415 So die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 14/2958, S. 7). 416 Der Abgeordnete Schmidbauer sprach während der Beratungen des Gesetzentwurfs vom „größten Arzneimittelskandal der DDR“ und zitierte aus einer geheimen Verschlusssache des Ministeriums der Staatssicherheit der DDR, wonach die DDR-Staatsführung intern eine „staatliche Haftung“ anerkannte (BT-Prot. Nr. 14/95, S. 8872 f.). 417 BezG Halle, Urt. v. 7.12.1979 – 4 Bs 13/79, zitiert von Lersch, NJW 2000, 3404, 3405. 418 Die genaue Aufschlüsselung der Kosten für Bund und Länder findet sich in BTDrucks. 14/2958, S. 8.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
sollen dem Schmerzensgeldgedanken Rechnung tragen und den „humanitären Hilfeaspekt für die Vergangenheit abgelten“419. (4) Dopingopfer-Hilfsfonds zur Wiedergutmachung erlittenen DDR-Unrechts Schätzungen zufolge waren im Zeitraum von 1970 bis 1989 etwa 10.000 Sportler von dem durch DDR-Sportfunktionäre staatlich verordneten Doping betroffen420. Einige dieser Personen haben dadurch erhebliche gesundheitliche Schäden erlitten. Das Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Doping-Opfer der DDR hat den schwer geschädigten ehemaligen Hochleistungs- oder Nachwuchssportlern oder deren Kindern knapp zwölf Jahre nach der Wiedervereinigung einen Entschädigungsanspruch zugesprochen421. Der im Jahre 1999 gegründete Doping-Opfer-Hilfe e.V. vertritt die Interessen dieser zahlenmäßig vergleichsweise begrenzten Gruppe unter den Opfern des DDR-Regimes und hat nicht zuletzt die rechtliche Aufarbeitung des Zwangsdopings vorangetrieben. Neben Straf- und Schadensersatzklagen geschädigter Sportler gegen ehemalige Trainer und Sportärzte422 ist auch die Verantwortlichkeit von Sportdachverbänden sowie der Bundesrepublik Deutschland Gegenstand von Gerichtsverfahren geworden. Eine Ersatzpflicht der Bundesrepublik für die durch die DDR-Führung verursachten Schädigungen wurde jedoch von den Instanzgerichten abgelehnt423. Wie auch in den Fällen der Anti-D-Immunpro-phylaxe-Schäden scheiterten Ersatzansprüche an der mangelnden Rechts-nachfolge der Bundesrepublik in die Rechte und Pflichten der DDR424. Die Frage nach der Haftung von gesamtdeutschen Sportverbänden für die durch die DopingPraxis in der DDR verursachten Schäden blieb hiervon jedoch unberührt. In einem Urteil aus dem Jahre 2003 wurde entschieden, dass das Nationale Olympische Komitee aufgrund der Vereinigung mit dem NOK der ehemaligen DDR und der damit verbundenen Übernahme des verbliebenen Rest419
BT-Drucks. 14/2958, S. 8. Eine geschichtliche Aufarbeitung der Thematik bieten Spitzer, Doping in der DDR, 1998 sowie Berendonk, Doping-Dokumente, 1991. 421 Zum Gesetz v. 24.8.2002 siehe bereits oben S. 19 f. 422 Siehe die Nachweise bei Haas/Holla, SpuRt 2002, 221, 222 (dort Fn. 8) sowie die abgedruckten Urteile bei Marxen/Werle (Hrsg.), Strafjustiz und DDR-Unrecht, Bd. 7: Gefangenenmisshandlung, Doping und sonstiges DDR-Unrecht, S. 107 ff. sowie die Urteilsübersicht S. 532 ff. 423 OLG Dresden, Urt. v. 29.2.1996 – 4 U 1226/95 – SpuRt 1997, 132, 133 = DtZ 1997, 291, 293 und bereits in der Vorinstanz LG Dresden, ohne Datum – 6 O 2436/94 – unveröffentlicht. 424 Hierzu ausführlich Ulmen, Pharmakologische Manipulationen (Doping) im Leistungssport der DDR, S. 161 ff. Anders noch Lehner/Freibüchler, SpuRt 1995, 2, 6. 420
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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vermögens für einen Schmerzensgeldanspruch ehemaliger Athleten einzustehen hat425. Angestoßen durch eine Petition betroffener Sportler, hat sich der Gesetzgeber „aus humanitären und sozialen Gründen“426 zu einer Entschädigungslösung entschlossen. Der eingerichtete Hilfsfonds wurde hierfür mit 2 Millionen Euro aus Bundesmitteln ausgestattet, jedoch wurde durch § 1 Abs. 1 DOHG klargestellt, dass „die finanzielle Hilfe nicht in Anerkennung einer Rechtspflicht gezahlt [werde]“ und „die moralische Verpflichtung, einen Beitrag zur Unterstützung der Doping-Opfer der DDR zu leisten, gesamtgesellschaftlicher Natur [sei]“. Bei den nach § 1 Abs. 2 DOHG möglichen Zuwendungen Dritter wurde insbesondere an die Sportdachorganisationen und die Pharmaindustrie gedacht. Allerdings weigerten sich der Deutsche Sportbund und das Nationale Olympische Komitee, einen Beitrag zum Hilfsfonds zu leisten427; einige Nachfolgeunternehmen der damals für die Herstellung der Dopingpräparate verantwortlichen Pharmabetriebe erklärten sich erst nach langem Zögern zu einer Beteiligung bereit428. (bb) Französisches Recht Im französischen Recht sind drei sondergesetzliche Entschädigungsregelungen erlassen worden, mit denen Entschädigungsfonds zur Regulierung von in der Vergangenheit liegenden Massenschadensfällen geschaffen wurden. Der Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles (FITH) wurde als legislatorische Reaktion auf die „affaire du sang contaminé“, den Skandal um verseuchte Blutprodukte, errichtet429. Bereits im Juli 1989, 425
OLG Frankfurt, Urt. v. 17.2.2003 – 8 W 27/02 – OLGR Frankfurt 2003, 140. So die Begründung des Gesetzentwurfs der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen v. 14.5.2002 (BT-Drucks. 14/9028, S. 1). Vgl. Knecht, Dtl.-Archiv 2001, 568, 569 f. 427 Erst im Dezember 2006 kam es zu einer Einigung zwischen den Vertretern des Doping-Opfer-Hilfevereins und Vertretern der Sportorganisation. Aus einem Gesamtbetrag von insgesamt 1,5 Millionen Euro – finanziert zu zwei Dritteln aus Geldern des Bundes und zu einem Drittel durch den Deutschen Olympischen Sportbund – werden Einmalzahlungen von jeweils 9.250 Euro an die Dopingopfer ausgezahlt (Reinsch, Anerkennung mit Schlußstrich? 1,5 Millionen für Dopingopfer, FAZ 14.12.2006, S. 33). Sehr kritisch Rüttenauer, Dtl.-Archiv 2007, 8, 9. 428 Das Pharmaunternehmen Schering beteiligte sich am Hilfsfonds mit einer Einmalzahlung in Höhe von 25.000 Euro (vgl. Schering-Konzern hilft Dopingopfern, FAZ 20.10.2002, S. 22). Das Unternehmen Jenapharm entschloss sich im Jahre 2006 – wie einige Tage zuvor der Deutsche Olympische Sportbund – zur Zahlung eines Betrags von jeweils 9.250 Euro an die Opfer (vgl. Jenapharm zahlt an Dopingopfer, FAZ 22.12.2006, S. 32). 429 Siehe bereits oben S. 53 f. 426
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
also zweieinhalb Jahre vor Inkrafttreten des Gesetzes vom 31. Dezember 1991, wurden in Frankreich mit den Beiträgen von den Haftpflichtversicherern der Blutspendeeinrichtungen sowie mit öffentlichen Geldern zwei Fonds gebildet, aus denen Geschädigte Hilfsleistungen von bis zu 170.000 Francs erhalten konnten430. Zur selben Zeit waren vor den französischen Gerichten Schadensersatzprozesse anhängig, die in den meisten Fällen mit einer Verurteilung von Gesundheitseinrichtungen, Blutspendeeinrichtungen, Ärzten sowie des Staates endeten431. Eine detaillierte Aufarbeitung der Geschehnisse, die zu den HIV-Infektionen führten432, geschah jedoch erst durch die Generalinspektion für soziale Angelegenheiten des Gesundheitsministeriums, welche in einem Bericht vom September 1991 Versäumnisse und Fehlverhalten der Verantwortlichen des französischen Blutspendesystems detailliert beschrieb und damit die Gerichtsurteile indirekt bestätigte433. Die Verantwortlichkeit der öffentlichen und privaten Entschädigungsträger kommt denn auch in der Finanzierung des FITH zum Ausdruck. Die finanzielle Grundausstattung des Fonds besteht je zur Hälfte aus staatlichen Geldern sowie aus Beiträgen der Haftpflichtversicherer von Kliniken, Ärzten und privaten Blutspendeorganisationen434. Der durch ein Gesetz vom 23. Dezember 2000 geschaffene Fonds d’indemnisation des victimes de l’amiante (FIVA)435 bietet Opfern von Asbestschäden eine Entschädigungsmöglichkeit. Zwar wurden Asbestfasern bereits in den 1950er Jahren als gesundheitsgefährdend eingeschätzt, jedoch entschied sich der französische Gesetzgeber, auch aus wirtschaftlichen Gründen, erst 1997 für ein Totalverbot der Verwendung von Asbest436. Die weite Verbreitung von Asbestfasern in Gebäuden sowie deren bergbauliche 430 Zur genauen Rolle beider Fonds, siehe Bettati, Responsables et coupables, S. 228. Die genaue Funktionsweise des mit öffentlichen Geldern finanzierten Hilfsfonds wurde in einem Erlass (arrêté) v. 17.7.1989 beschrieben (Journal officiel v. 19.7.1989, 9015). 431 Einen Überblick über die Rechtsprechung der Zivil- und Verwaltungsgerichte findet sich etwa bei Lambert-Faivre/Porchy-Simon, Droit du dommage corporel, Rdnr. 613. 432 Schätzungen gehen davon aus, dass im Jahre 1984 etwa jeder zweite Bluterkranke mit HIV infiziert gewesen ist. Fünf Jahre später manifestierten sich AIDS-Symptome bei knapp einem Fünftel aller französischen Bluterkranken. Siehe Soulier, Transfusion et Sida, S. 74. 433 Der Bericht der Inspection générale des affaires sociales mit dem Titel „Transfusion sanguine et sida en 1985 : chronologie des faits et des décisions pour ce qui concerne les hémophiles“ (Ref. SS66/91080) wurde unter Leitung des Arztes Lucas redigiert (sog. „Rapport Lucas“). 434 S. in deutscher Sprache Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, S. 88. 435 Siehe bereits oben S. 51 f. 436 Ein chronologischer Überblick der Gesetzgebung bis hin zu einem totalen Asbestverbot findet sich u. a. bei Le Garrec, Risques et conséquences de l’exposition à l’amiante, Doc. AN 2006 (Nr. 2884), S. 26 ff.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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Förderung auf der Insel Korsika lassen auf eine Gesundheitskatastrophe erheblichen Ausmaßes schließen. Schätzungen gehen von einer Zahl von bis zu 100.000 asbestverursachten Todesfällen bis zum Jahr 2025 aus437. Ungeachtet der Möglichkeit einer Frühverrentung, deren Kosten von einem speziellen Fonds438 übernommen werden, haben einige Geschädigte nach den Vorschriften des Staatshaftungsrechts439 oder des Arbeitsunfallrechts Schadensersatzklagen gegen asbestproduzierende oder -verarbeitende Unternehmen440 erhoben, welchen in den allermeisten Fällen auch entsprochen wurde. Zeitgleich bestätigten mehrere Untersuchungskommissionen das Vorliegen krassen Fehlverhaltens nicht nur staatlicher Entscheidungsträger in den Jahren vor der Verhängung des Totalverbots, sondern auch der Asbestproduzenten sowie öffentlicher und privater Arbeitgeber441. Auf diesen Erkenntnissen aufbauend, wird der Entschädigungsfonds z. T. durch staatliche Gelder, überwiegend jedoch aus Mitteln der Arbeitgeberbeiträge zur Arbeitsunfall- und Berufskrankheitsversicherung finanziert442. Seit 2002 übernimmt die staatliche Entschädigungsstelle für Medizinunfälle (ONIAM) den Ausgleich der durch die Verabreichung von Somatropin, einem aus Hypophysen von Toten gewonnenen Wachstumshormon, verursachten Gesundheitsschäden. Bevor sich das französische Parlament für diese Entschädigungsregelung entschied, hatte die Regierung zunächst eine Sonderkommission eingesetzt, deren Aufgabe darin bestand, die Angehörigen der durch Somatropin an Creutzfeldt-Jakob erkrankten und ver-
437 So die im Gesetzgebungsverfahren von Evin zitierten Zahlen (Doc. AN 2000-01 [Nr. 2633], Bd. II, S. 64). Ebenso Goldberg in einem Untersuchungsbericht des französischen Senats (Le drame de l’amiante en France, 2005, S. 49). 438 Der Fonds de cessation d’activité des travailleurs de l’amiante (FCAATA) wird überwiegend durch Mittel aus der Tabaksteuer finanziert. Hierzu Art. 41 des Gesetzes v. 23.12.1998 über die Finanzierung der Sozialversicherung. 439 TA Marseille, Urt. v. 30.5.2000, Petites Affiches 4.9.2000, 12, Anm. Villeneuve; CAA Marseille, Urt. v. 18.10.2001, Petites Affiches 27.5.2002, 18, Anm. Gossement sowie in letzter Instanz CE, Urt. v. 3.3.2004, D. 2004, 973, Anm. Arbousset. 440 Im französischen Arbeitsunfallrecht hat der Geschädigte im Falle einer unentschuldbaren groben Fahrlässigkeit (faute inexcusable) seit dem Urteil des Verfassungsrats vom 18.6.2010 nicht nur ein Anspruch auf eine ergänzende Entschädigungszahlung, sondern auf Entschädigung sämtlicher Schadensposten. Auf eine faute inexcusable im Zusammenhang mit der Verwendung von Asbest ist u. a. in 29 Urteilen der Cour de cassation desselben Tages erkannt worden (Soc., Urt. v. 28.2.2002, Environnement 2002, comm. Nr. 73, Anm. Benoit). 441 Neben den parlamentarischen Untersuchungsberichten (siehe oben S. 80 [Fn. 436 f.]) ist Got, Rapport sur la gestion politique et administrative du problème de santé publique posé par l’amiante en France (abrufbar unter http://www.sante-publique.org/amiante/ rapportgot1998/gotrapport.htm) besonders aufschlussreich. 442 Zur genauen Verteilung der Gelder s. FIVA, Rapport d’activité 2008, S. 49.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
storbenen Kinder zu entschädigen443. Wie in den Fällen der Asbest- und HIV-Schäden wurden auch hier Schadensersatzklagen nach dem allgemeinen Haftungsrecht angestrengt, die zu einer Verurteilung des Institut Pasteur sowie des mit der Sammlung von Hypophysen betrauten, staatlich kontrollierten Vereins Association France-Hypophyse führte444. Der Veröffentlichung eines Berichts der Generalinspektion für soziale Angelegenheiten des Gesundheitsministeriums445 folgte denn auch das Eingeständnis der damaligen Sozialministerin Simone Weil, dass es „an sämtlichen Stellen des für die therapeutische Verabreichung von Somatropin aufgebauten Systems Nachlässigkeiten gegeben“ habe und dass neben dem Institut Pasteur und der Association France-Hypophyse auch staatlichen Stellen Fehlverhalten vorzuwerfen sei446. Die mit Gesetz vom 30. Dezember 2002 erlassene Entschädigungsregelung ist dem ONIAM als Sonderzuständigkeit zugewiesen worden, allerdings ohne eine separate Finanzierung. Die Kompensationsleistungen werden demnach vom allgemeinen Budget des ONIAM abgedeckt, welches durch Mittel der gesetzlichen Krankenversicherung sowie aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert wird447. Seit 2011 übernimmt die Entschädigungsstelle nun auch den Ausgleich von Schäden, welche durch die Einnahme benfluorexhaltiger Arzneimittel, meist des Medikaments Mediator, verursacht wurden. Im Vorfeld hatten zahlreiche Betroffene gegen das pharmazeutische Unternehmen Servier Strafverfahren angestrengt und einen Ausgleich ihrer Schäden auf gerichtlichem Wege angestrebt. Auf Grund der Weigerung des Unternehmens, einen umfassenden Schadensersatz auf Vergleichswege zu gewähren, und nach den Erkenntnissen über staatliches Mitverschulden bei dieser jüngsten Arzneimittelkatastrophe448 entschloss man sich abermals für eine Entschädigungslösung durch das ONIAM. Die Ersatzpflicht der staatlichen Entschädigungsstelle greift jedoch nur dann, wenn der Hersteller des Me-
443
Die Annahme jener Entschädigungsleistungen wurde rechtlich als Vergleichsschluss qualifiziert. Klagen gegen öffentlich-rechtliche Stellen waren somit ausgeschlossen. Hierzu Delbrel/Mathieu, Le dossier noir de l’hormone de croissance, 2002, S. 99. 444 TGI Montpellier, Urt. v. 9.7.2002, JCP G 2002, II, Nr. 10158, Anm. Vialla. Siehe auch TGI Paris, Urt. v. 14.1.2009, D. 2009, 1459, Anm. CEERDS Montpellier. 445 Clément/Lalande/Reyrole/Viossat, Rapport sur l’hormone de croissance et la maladie de Creutzfeldt-Jakob, S. 83 ff. 446 Vgl. das Schreiben der Ministerin für soziale Angelegenheiten an den Premierminister v. 7.10.1993, zitiert nach Delbrel/Mathieu, Le dossier noir de l’hormone de croissance, S. 84. 447 Hierzu siehe oben S. 59. 448 Siehe nur den Abschlussbericht der Inspection générale des affaires sociales „Enquête sur le MEDIATOR“ (S. 44 ff.).
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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dikaments und sein Haftpflichtversicherer dem Betroffenen innerhalb einer bestimmten Frist kein Entschädigungsangebot unterbreiten449. b) Zurechnungszusammenhang zwischen der Schadensverursachung und den Beitragszahlern des Fonds Ausgehend von der Schilderung der Umstände, in denen sich der deutsche und französische Gesetzgeber für die Errichtung eines Entschädigungsfonds entschieden hat, können allgemeine Aussagen über den Entstehungsprozess retrospektiver Fondslösungen formuliert werden. Zunächst ist zu beobachten, dass den Geschädigten in einem ersten Schritt Soforthilfe-Leistungen gewährt werden, die jedoch ausdrücklich nicht zu einem vollständigen Schadensausgleich führen sollen. Es handelt sich vielmehr um die Auszahlung eines pauschalierten Betrags, der sich nicht oder nur in geringem Maße am tatsächlich entstandenen Schaden orientiert450. Alternativ werden den Betroffenen auch anderweitige Hilfsmaßnahmen wie die Möglichkeit der Frühverrentung im Falle der Asbestschäden451 gewährt. Es besteht nicht notwendigerweise ein Rechtsanspruch auf diese humanitären Leistungen452. Die in dieser ersten Phase getroffenen Hilfsmaßnahmen können demzufolge auch kaum die Erwartungen der Geschädigten erfüllen und sind nicht geeignet, dem Ruf nach einer gesetzgeberischen Entschädigungsregelung entgegen zu kommen und den medialen Druck auf den Gesetzgeber zu senken. Die weitaus bedeutendere Erkenntnis besteht in dem erkennbar werdenden Zusammenhang zwischen den zur Finanzierung verpflichteten Beitragszahlern des Fonds und der Verursachung der vom Fonds erfassten Schäden. So beruht die Beitragspflicht auf einer anerkannten oder vermuteten Schadensverursachung durch die beitragspflichtigen öffentlichen oder privaten Akteure. Der Zusammenhang zwischen Beitragspflicht und Schadensverursachung stellt jedoch keinen Zurechnungszusammenhang im Sinne des allgemeinen Haftungsrechts dar. Vielmehr entsteht die paradoxe Situation, dass mit der Begründung der Finanzierungsverpflichtung der 449
Art. L. 1142-24-7 C. sant. publ. So konnten durch Blut oder Blutprodukte HIV-infizierte oder an AIDS-erkrankte Personen lediglich eine monatliche Zahlung von bis zu 2000 DM aus dem Programm „Humanitäre Soforthilfe“ der Bundesregierung erhalten (§ 3 der Richtlinie v. 16.3.1998), die sich angesichts der Lebenserwartung der betroffenen Personen kaum mit dem tatsächlich erlittenen Schaden deckte. Vgl. auch die Leistungen der französischen Solidarfonds im selben Fall (bis zu 170.000 Francs); s. oben S. 85. 451 Zu den Leistungen des FCAATA zugunsten von Asbest-Geschädigten, siehe insbesondere Tauran, Rev. dr. sanit. soc. 2007, 135. 452 Laut der Richtlinie v. 16.3.1998 für die Gewährung von Leistungen durch das Programm „Humanitäre Soforthilfe“ bestand auf Zahlungen aus dem Fonds „kein Rechtsanspruch“. 450
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Anschein einer (Mit-)Verursachung für die Schäden erweckt wird, die Finanzierer gleichzeitig aber ausdrücklich nicht als Schädiger im Rechtssinne behandelt werden453. Die mangelnde juristische Greifbarkeit dieses Zusammenhangs zeigt sich deutlich bei der Frage nach der konkreten finanziellen Inpflichtnahme bestimmter Privatpersonen. Während in der Speisung des Fonds mit öffentlichen Geldern ein gewisses Eingeständnis staatlichen Verschuldens oder zumindest einer Mitverursachung gesehen werden kann454, ist die Feststellung einer Beitragspflicht privater Personen weitaus komplexer. Wie geschildert, werden häufig parallel zur Einrichtung des Fonds Gerichtsverfahren geführt, die in der Regel auch mit einer Verurteilung zur Leistung von Schadensersatz enden. Da sich die Rechtskraft dieser Urteile jedoch nur auf das Verhältnis zwischen den Parteien erstreckt455, kann die gerichtlich anerkannte Schadensersatzpflicht nicht ohne weiteres in eine Pflicht zur Finanzierung eines Entschädigungsfonds umgedeutet werden. Ist somit die judizielle Feststellung von Ersatzansprüchen im Einzelfall als unmittelbare rechtliche Grundlage für die Einbeziehung Privater in die Finanzierung des Fonds untauglich, so dient sie doch dem Gesetzgeber als Orientierung bei der Wahl der Beitragspflichtigen456. Verweigern die betroffenen Personen die Leistung eines finanziellen Beitrags zum geplanten Fonds, so kann der Gesetzgeber allenfalls unter Berufung auf die gerichtliche Tatsachenfeststellung an deren „moralische“ Pflicht appellieren457. Da dies nicht immer zu der gewünschten finanziellen Unterstützung führt, ist eine völlige Übereinstimmung von Beitragspflichtigen und den Verursachern des Großschadensfalls nicht zwingend der
453
Vgl. zur Contergankatastrophe Derleder/Winter, DuR 1976, 260, 280. So die Worte des Abg. Evin während der Beratung des Gesetzentwurfs über die Errichtung des Entschädigungsfonds für Asbestgeschädigte: „Ce fonds d’indemnisation est l’expression de la reconnaissance de la responsabilité de la société, non seulement des acteurs économiques mais aussi des pouvoirs publics.“ („Dieser Entschädigungsfonds ist Ausdruck der gesellschaftlichen Verantwortung, nicht allein der Wirtschaft, sondern auch der öffentlichen Gewalt.“). 455 Statt vieler Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 156, Rdnr. 1. 456 Im Falle der Gesundheitsschädigungen durch das Wachstumshormon Somatropin scheint das Urteil des TGI Montpellier v. 9.7.2002 (oben Fn. 444) das gesetzgeberische Handeln direkt beeinflusst zu haben. Siehe Leca, in: Abeille (Hrsg.), Le risque médical, S. 75. 457 Bei den Beratungen über die Entschädigung der Opfer staatlichen Dopings in der DDR wurde an die „moralische Verantwortung“ der Pharmaunternehmen appelliert. Die „herzliche Bitte“ eines Parlamentariers (Danckert, BT-Plenarprot. 14/243 v. 14.6.2002, S. 24502 C) verhallte weitgehend unerhört. Hierzu Rixen, SGb 2003, 319, 324 und oben S. 85. 454
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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Fall458. Eine Finanzierung der Fondsleistungen durch systematisch erhobene Regressklagen kann wegen des hiermit verbundenen Aufwands nur teilweise zu einer befriedigenden Lösung führen459. Die staatliche Beteiligung an der Finanzierungslösung ist nicht nur Ausdruck des Gedankens gesamtgesellschaftlicher Solidarität460 zugunsten einer bestimmten Opfergruppe, sondern auch eine Art Abgeltung staatlichen Fehlverhaltens. Sämtliche untersuchten Schadensfälle sind durch parlamentarische Enquêtekommissionen oder verwaltungsinterne Ermittlungsstellen auf eine staatliche Mitverursachung und Mitverantwortung untersucht worden. Freilich ist es nicht Aufgabe dieser Organe, der Verwaltung ein juristisches Verschulden zu attestieren, obliegt doch diese Funktion allein der rechtsprechenden Gewalt. Gleichwohl werden in diesem Rahmen politische Verantwortlichkeiten ausgesprochen. In den vorgenannten Fällen ist regelmäßig ein nachlässiger administrativer und gesetzgeberischer Umgang mit potenziell gesundheitsgefährdenden Situationen festgestellt worden, sei es in Form einer mangelhaften Gesetzgebung, einer unzureichenden Überwachung oder einer bewussten Inkaufnahme von Schädigungen aus ökonomischem Interesse. Der Vorwurf politischer Verantwortlichkeit lässt sich nur schwer in das juristische Normensystem integrieren, da es sich nicht um einen juristisch substanziierten Begriff, sondern allenfalls um eine Vorstufe der Haftung im rechtlichen Sinne handelt461. Politische Verantwortung bedeutet Einstehenmüssen für staatliches Handeln, jedoch nicht auf Grund rechtlicher Kriterien, sondern auf der Grundlage von Faktoren, die sich einer juristischen Bewertung entziehen und eher auf der sozialethischen Ebene verortet sind462.
458
So insb. bei dem Dopingopfer-Hilfsfonds sowie dem französischen Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles (Beteiligung aller Versicherer unabhängig davon, ob Haftpflichtversicherungsschutz von Kliniken oder Blutspendezentren angeboten wurde oder nicht). 459 Siehe hierzu unten S. 191 ff. 460 Zum Begriff der „solidarité nationale“ siehe oben S. 61 ff. 461 Zum Begriff der politischen Verantwortlichkeit und der Abgrenzung zwischen politischer Verantwortung und juristischer Haftung siehe Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 55 f. Vgl. auch Nicolaus, ZParl 2000, 391. 462 Vgl. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 56. Eine „politische Verantwortung“ des Gesetzgebers erwähnend BVerfG, Beschl. v. 8.8.1978, BVerfGE 49, 89, 129 – Kalkar I sowie aus neuerer Zeit Beschl. v. 26.6.2002, BVerfGE 105, 252, 275 – Glykol.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
c) Rechtspolitische Zielvorstellungen bei der Errichtung retrospektiver Entschädigungsfonds Mit der Errichtung restrospektiver Fondslösungen verfolgt der Gesetzgeber neben der Verbesserung der Rechtssituation der Geschädigten weitere rechtspolitische Ziele: Einerseits die Kanalisierung463 potenzieller Haftpflichtprozesse außerhalb des Gerichtssystems, andererseits die Befriedung der Schädiger-Geschädigten-Beziehung durch das Zwischenschalten eines neutralen Entschädigungsorgans. (aa) Kanalisierung von Haftpflichtprozessen außerhalb des Gerichtssystems Sondergesetzliche Entschädigungsfonds kanalisieren die Schadensersatzansprüche der Geschädigten auf einen Anspruchsgegner, um deren gerichtliche Geltendmachung wenn nicht ausschließlich, so doch zumindest faktisch zu verdrängen. Dies wird dadurch ermöglicht, dass die vom Entschädigungsfonds erfassten Schäden außerhalb des Haftungsrechts, also ohne vorherige Ermittlung des Schadensverursachers, ausgeglichen werden. Der eigentliche Haftungsschuldner und der tatsächliche Ersatzleistende fallen im Recht der retrospektiven Entschädigungsfonds auseinander. Bei Großschadensfällen wie der Asbestkatastrophe in Frankreich oder dem Contergan-Skandal in Deutschland bietet eine solche außergerichtliche Schadensliquidation den Vorteil, massenhafte Schadensersatzklagen und die damit einhergehende Belastung bestimmter Gerichte zu vermeiden464. Neben abgeschlossenen Großschadensfällen (zum Beispiel Contergan-Schäden) betrifft dies auch Schadensfälle, bei denen sich zurückliegende Schäden und im Laufe der Zeit hinzutretende Neuschäden zu einem Gesamtschadensfall zusammenfügen (zum Beispiel Asbestschäden). Die Zusammenführung der Ersatzansprüche bei einer eigens geschaffenen Kompensationseinrichtung hält das Entschädigungsverlangen der Op463
Zur Methode der Kanalisierung im (besonderen) Haftungsrecht, siehe insb. die Ausführungen zum Atomrecht bei Däubler, Haftung für gefährliche Technologien, S. 12 ff.; Kanno, Gefährdungshaftung und rechtliche Kanalisierung im Atomrecht, S. 9 ff. sowie Weitnauer, Atomhaftungsrecht, S. 146 ff. 464 Mit Blick auf die Asbestkatastrophe in Frankreich wurde seinerzeit von einer Zeitbombe, einer bombe à retardement, gesprochen (Arbousset, RRJ 2001, 873). Hinsichtlich der geschätzten Zahl von 100.000 asbestverursachten Todesfällen bis 2025 würde eine gerichtliche Aufarbeitung aller Schadensfälle umfangreiche Ressourcen des bereits weitestgehend ausgelasteten französischen Gerichtssystems binden. Im Jahre 2002 rechnete man mit einer durchschnittlichen Verfahrensdauer im Bereich der potentiell von der Berufshaftpflicht abgedeckten Körperschäden von 19,6 Monaten (Blanco, La loi du 4 mars 2002 et les CRCI, S. 233). Zu diesem Thema generell auch Guinchard/Montagnier/Varinard, Institutions juridictionnelles, Rdnr. 219 ff.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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fer von den Gerichten fern und trägt zu einer zügigen Schadensabwicklung bei. Gerade bei komplex gelagerten Fällen wie Arzneimittelschäden ist dies ein besonders zentrales Anliegen, da eine gerichtliche Aufarbeitung des gesamten Schadenshergangs eine umfangreiche Beweiserhebung voraussetzt, die durch die Verquickung öffentlicher und privater Verantwortlichkeiten zusätzlich erschwert wird. Die Errichtung eines Entschädigungsfonds erscheint daher zunächst als ein geeignetes Mittel, um das Gerichtssystem vor massenhaften Haftungsklagen zu schützen. Allerdings kann eine solche Maßnahme auch als gesetzgeberische Strategie zur Vermeidung einer öffentlichen Diskussion staatlichen Fehlverhaltens interpretiert werden. Durch die Abkopplung der Entschädigung von der Ermittlung bestimmter Haftungsschuldner wird die Aufklärung einer unabhängigen gerichtlichen Untersuchung entzogen. Eine solche Intention des Gesetzgebers ist anhand der Gesetzgebungsmaterialien nur im Ansatz nachweisbar und lässt sich allenfalls anhand beiläufiger Kommentare von Abgeordneten der Opposition und in der juristischen Fachliteratur schemenhaft nachzeichnen465. Wenn die Vermeidung einer gerichtlichen Aufarbeitung der Schadensfälle tatsächlich eine signifikante Rolle bei der Gesetzgebung spielt, so hat sich diese Strategie jedoch als ineffizient erwiesen. In sämtlichen beschriebenen Fällen hat die Einrichtung eines Entschädigungsfonds die Geschädigten nicht davon abgehalten, den straf- oder zivilgerichtlichen Verfahrensweg zu beschreiten466. (bb) Befriedung der Schädiger-Geschädigten-Beziehung durch das Zwischenschalten eines neutralen Entschädigungsorgans Anlassbezogene Entschädigungsfonds konnten sich auch deshalb seit den 1970er Jahren entwickeln, weil der Gesetzgeber sich das Befriedungspotenzial dieser Instrumente zunutze gemacht hat. Die Errichtung sondergesetzlicher Fondslösungen nimmt häufig eine zentrale Rolle innerhalb einer „Entemotionalisierungsstrategie“467 ein, die die öffentliche Meinung besänftigen und dem Ruf der Gesellschaft nach einer Hilfsmaßnahme zu465 So bemerkte der Abg. Preel im Gesetzgebungsverfahren zum Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles (FITH): „Cette loi a-t-elle pour but de masquer les responsabilités […] ?“ (Bezweckt dieses Gesetz, die Verantwortlichkeiten zu verschleiern?). S. auch den Bericht eines interministeriellen Komitees zur Somatropin-Katastrophe (zitiert von Vialla, in: Leca/ders. [Hrsg.], Le risque épidémique, S. 447) : „Le Ministère des affaires sociales […] propose une indemnisation sur des bases transactionnelles qui aurait l’avantage d’éviter que la responsabilité de l’Etat ne soit invoquée une nouvelle fois devant les tribunaux.“ (Der Minister für soziale Angelegenheiten schlägt eine Entschädigung auf Vergleichsbasis vor, welche den Vorteil böte, eine erneute gerichtliche Auseinandersetzung der staatlichen Verantwortung zu vermeiden.). 466 Näher zu diesem Punkt und zu den Gründen unten S. 159 ff. 467 Derleder/Winter, DuR 1975, 260, 281.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
gunsten der Geschädigten nachkommen soll. Die Wiederherstellung des sozialen Friedens steht dabei ebenso im Vordergrund wie die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Opfer und vermuteten Schädigern468. Dass diese rechtspolitischen Ziele nur undeutlich aus den Gesetzesmaterialien herausgelesen werden kann, vermag – wie bei der Frage nach einer „Vertuschungsintention“ des Gesetzgebers – nicht zu überraschen. Anhand von Äußerungen einiger Politiker über die Bewältigung von Arzneimittelkatastrophen wird jedoch der Stellenwert dieses Anliegens deutlich. So empfahl seinerzeit die sozialistische Sozialministerin Veil dem französischen Premierminister durch eine Entschädigungslösung die entbrannte öffentliche Debatte über die Schädigungen durch das Wachstumshormon Somatropin zu beenden, da diese „inopportun“ sei469. An anderer Stelle wurde ausdrücklich zu einer „Beschwichtigung“ (apaisement) angehalten470, wobei nicht immer feststellbar ist, inwieweit die Wiederherstellung der sozialen Harmonie oder das Abkürzen einer unbequemen öffentlichen Diskussion über schuldhaftes Handeln der staatlichen Stellen primäres Ziel der Entschädigungsregelung gewesen ist. Diese Befriedungsfunktion greift auch bei der Wiedergutmachung von historischem, den aktuellen staatlichen Stellen nicht zurechenbarem Unrecht. Die Regulierung von Großschadensfällen durch Fondslösungen und die Wiedergutmachung zurückliegender, meist politisch motivierter Schadensvorgänge weisen deutliche Parallelen auf. So wurde im Zuge der Debatte über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern seitens des Bundes und der deutschen Unternehmen gewünscht, die „bisherigen Wiedergutmachungsregelungen noch einmal [zu] ergänzen und ein in finanzieller Hinsicht abschließendes Zeichen ihrer moralischen Verantwortung für die damaligen Geschehnisse [zu] setzen“471. Es galt, die „unangenehme Diskussion um die Verantwortung [deutscher Unternehmen] endgültig zu beenden“472, anders gesagt den sozialen Frieden wiederherzustellen. 468
Hohloch behauptet sogar, die Befriedungsfunktion sei „eines der wesentlichsten und positivsten Elemente der Fondslösungen“ (Entschädigungsfonds, S. 210). Diesem zufolge gilt dies ebenso, wenn auch „in geringerem Maße“, für die Fonds, mit denen die Lücken des Haftungsrechts gefüllt werden. 469 Vgl. das Schreiben der Ministerin für soziale Angelegenheiten an den Premierminister v. 7.10.1993, zitiert nach Delbrel/Mathieu, Le dossier noir de l’hormone de croissance, S. 84. 470 Siehe den Jahresbericht 1994 über die Entschädigungsregelung zugunsten der Opfer der HIV-Katastrophe (Rapport annuel sur le dispositif d’indemnisation des hémophiles et transfusés), S. 40. 471 So die Beschlussempfehlung und der Bericht des Innenausschusses zum Entwurf des Zwangsarbeiterentschädigungsgesetzes (BT-Drucks. 14/3758, S. 1 f.). 472 Safferling, KJ 2001, 208, 209. Umfassend zu diesem Thema Levin, Erinnerung? Verantwortung? Zukunft?, 2007 sowie Koller, Die Entschädigung ehemaliger NSZwangsarbeiter, 2006.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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Die Situation der von derartigen Wiedergutmachungsregelungen erfassten Opfergruppen ist in mancherlei Hinsicht mit der Lage von Geschädigten vergleichbar, zu deren Gunsten ein retrospektiver Entschädigungsfonds errichtet wurde. In beiden Fällen geht es den Geschädigten neben dem materiellen Schadensausgleich auch um eine symbolhafte Geste, eine öffentliche Anerkennung ihrer Opfersituation sowie ein Eingeständnis staatlichen Fehlverhaltens473. Schließlich ähnelt sich auch die Organisation der Entschädigung, da es sich in beiden Fällen um mehr oder minder institutionalisierte Strukturen handelt, die ein aus staatlichen und privaten Geldern zusammengesetztes Budget verwalten und in einem vereinfachten Verfahren Leistungen an die Anspruchsberechtigten auszahlen474. Angesichts dieser Gemeinsamkeiten stellt sich die Frage, wo die Wiedergutmachung historischen Unrechts endet und die Entschädigung aktueller Großschadensfälle beginnt. Allein der Umstand, dass es sich bei retrospektiven Fondslösungen um Entschädigungsregelungen für in der Vergangenheit verursachte Massenschäden handelt, vermag noch nicht aus jeder Arzneimittelkatastrophe ein „historisches Unrecht“ zu machen. Die Wiedergutmachung der Opfer von Shoah und Sklaverei sowie die Entschädigung anderer benachteiligter Bevölkerungsgruppen betreffen zwar ideologisch motivierte politische Entscheidungen475, jedoch kann auch dieses Kriterium nicht durch Klarheit und Trennschärfe überzeugen. In diesem Lichte erscheint die Entscheidung, das Anti-D-Hilfegesetz und den Dopingopfer-Hilfsfonds zusammen mit anderen retrospektiven Fondseinrichtungen zu untersuchen, als grenzwertig, denn zum Zeitpunkt der Einrichtung der Fonds konnte in beiden Fällen bereits von „historischem Unrecht“ gesprochen werden. Die Qualifikation von Entschädigungsfonds als Maßnahme zum Ausgleich aktuellen oder historischen Unrechts ist vom Blickwinkel des Betrachters, insbesondere des Betroffenen selbst, abhängig.
473
Zu den von der Viktimologie herausgearbeiteten psychosozialen Bedürfnissen der Geschädigten s. unten S. 160 ff. 474 So wurde bei der wissenschaftlichen Behandlung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ häufig auf die Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ (heute: „Conterganstiftung für behinderte Menschen“) hingewiesen. Siehe Safferling, KJ 2001, 208, 212 ff. 475 Ein Überblick über die verschiedenen Wiedergutmachungsregelungen in Europa und Übersee bieten de Greiff (Hrsg.), Handbook of Reparations, 2006 und Barkan, Völker klagen an, 2002. Siehe auch die am 16.11.2011 geschlossene Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung, Finanzierung und Verwaltung des Fonds „Heimerziehung in der Bundesrepublik Deutschland in den Jahren 1949 bis 1975“ sowie den zum 1.7.2012 errichteten Fonds „Heimerziehung in der DDR“. Zu beiden Entschädigungsregelungen siehe http://www.fonds-heimerziehung.de/.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
2. Merkmale retrospektiver Entschädigungsfonds Die soeben erörterten rechtspolitischen Zielvorstellungen schlagen sich in den gemeinsamen Merkmalen retrospektiver Fonds nieder. a) Primäres Eingreifen der Fonds Retrospektive Entschädigungsfonds sind in der Regel476 primär eingreifende Kompensationseinrichtungen. Ihre Eintrittspflicht ist also nicht davon abhängig, ob der Geschädigte Schadensersatz auf andere Weise hätte erlangen können. Eine erfolglose Schadensersatzklage ist im Gegensatz zu anderen Entschädigungsfonds nicht notwendig. Diese Eigenschaft gründet auf der Absicht des Gesetzgebers, die Schadensfälle möglichst zügig abzuwickeln. Eine vorherige Klageerhebung liefe der Wiederherstellung des sozialen Friedens sowie der Entlastung des Gerichtssystems zuwider. Nach der Auszahlung der Kompensationsleistungen an den Geschädigten ermächtigt in der Regel ein gesetzlich angeordneter Forderungsübergang den Fonds, sich im Regresswege bei dem eigentlichen Schädiger schadlos zu halten477. Die Entscheidung für einen primären Entschädigungfonds ist mit einer zusätzlichen Kostenbelastung verbunden, da der Fonds in Vorleistung treten muss und somit das Risiko der Insolvenz des Haftungsschuldners sowie die Verfahrenskosten trägt478. Diese Mehrkosten für Staat und Beitragszahler werden jedoch in Kauf genommen, um eine schnelle und für den Geschädigten möglichst unkomplizierte Abwicklung zu erreichen. b) Kategorisierung der Geschädigten zur Erleichterung des Schadensausgleichs Retrospektive Fondslösungen zeichnen sich durch einen eng gefassten Anwendungsbereich aus, da sie anlassbezogen errichtet werden. Lediglich die Folgen eines bestimmten Schadensereignisses sind Gegenstand der 476
Bemerkenswerte Ausnahme ist die Entschädigung der Opfer benfluorexhaltiger Arzneimittel (Mediator) im französischen Recht (siehe oben S. 56 und 88 f.). Das subsidiäre Eintreten des ONIAM beruht hier auf der gesetzgeberischen Absicht, vorrangig den Medikamentenhersteller Servier für die Schäden einstehen zu lassen. 477 Hierzu siehe unten S. 188 ff. 478 Parallel zu den primär eingreifenden Entschädigungsfonds entwickelte sich in der französischen Versicherungspraxis die garantie avance sur recours, eine auch als assurance directe bezeichnete private Unfallversicherung, die jedoch nicht wie üblich als Summenversicherung pauschalierte Entschädigung leistet, sondern sich am konkreten Bedarf orientiert. Zur Frage der abstrakten und konkreten Bedarfsdeckung in der privaten Unfallversicherung vgl. Bruck/Möller-Wagner, Kommentar zum VVG8, Bd. 6/1, Anm. B 11 ff. In französischer Sprache ausführlich Russo, De l’assurance de responsabilité à l’assurance directe, Rdnr. 381 ff. u. 420 ff.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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gesetzlichen Regelung. Die Gruppe der Anspruchsberechtigten wird vom Gesetzgeber exakt definiert, sodass von einer „Kategorisierung“ der Geschädigten gesprochen werden kann. Die Entschädigungsvoraussetzungen werden präzise formuliert, da gesetzgeberisches Ziel ist, dass ausschließlich die Geschädigten den Fonds in Anspruch nehmen können, die auch Opfer des fondsbegründenden Schadensereignisses geworden sind. Die Gruppe der Anspruchsberechtigten soll so exakt wie möglich mit der Gruppe der effektiv vom Großschadensfall betroffenen Personen übereinstimmen. Ein besonders aussagekräftiges Beispiel einer solchen Kategorienbildung bietet das Anti-D-Hilfegesetz vom 2. August 2000 zur Entschädigung der in der DDR infolge einer Anti-D-Immunprophylaxe mit Hepatitis C infizierten Frauen479. Gemäß Artikel 1 dieses Gesetzes erhalten allein „Frauen, die […] infolge einer in den Jahren 1978 und 1979 durchgeführten Anti-D-Immunprophylaxe mit den Chargen des Bezirksinstituts für Blutspende- und Transfusionswesen des Bezirkes Halle Nrn. 080578, 090578 […] und 221278 mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden […], aus humanitären und sozialen Gründen Krankenbehandlung und eine finanzielle Hilfe“. Die Einschränkung des Anwendungsbereichs der Entschädigungslösung wird hier durch eine äußerst präzise Abgrenzung der Geschädigtenkategorie mittels der Aufzählung von Identifikationsnummern der verabreichten Substanzen erreicht. In anderen Fällen wird der Anwendungsbereich der Entschädigungslösung ähnlich genau durch zeitliche oder örtliche Kriterien abgegrenzt480. Die Kategorisierung der Anspruchsberechtigten bietet den Vorteil eines erleichterten Nachweises der Entschädigungsvoraussetzungen. Es genügt, dass der Geschädigte darlegt, er falle unter die gesetzlich beschriebene Kategorie. Dazu reicht etwa bei Massenschädensfällen im Bereich des Gesundheitsrechts ein Nachweis der Erkrankung, die Vornahme einer medizinischen Handlung oder die Einnahme eines Medikaments in einem bestimmten Zeitraum aus. Der Beweis weitergehender Elemente wie des Kausalzusammenhangs zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Schaden oder der Zurechenbarkeit des schädigenden Ereignisses und des 479
Hierzu bereits oben S. 17 f. sowie 83 f. S. die tatbestandliche Begrenzung der Entschädigung der Opfer des Wachstumshormons Somatropin in Artikel L. 1142-22 Abs. 3 C. sant. publ. („Patienten, die zwischen 1973 und 1988 mit Somatropin behandelt wurden“). Ebenso im deutschen Recht § 13 des Gesetzes v. 17.12.1971 zur Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für das behinderte Kind“ („wenn die Fehlbildungen mit der Einnahme thalidomid-haltiger Präparate der Firma Chemie-Grünenthal GmbH in Stolberg in Verbindung gebracht werden können“). Vgl. auch § 2 Doping-Opferhilfegesetz („der Deutschen Demokratischen Republik“, also eine indirekte zeitliche Begrenzung auf den Zeitraum bis zum 2.10.1990) und § 15 Abs. 1 HIV-Hilfegesetz („vor dem 1. Januar 1988“). 480
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Schadens zu einem bestimmten Anspruchsgegner wird nicht verlangt. Trotz vielfacher Beweiserleichterungen im Haftungsrecht (zum Beispiel in der Form von Beweislastumkehrungen oder Beweismaßreduktionen481) ist die Inanspruchnahme eines Entschädigungsfonds für den Geschädigten vorteilhafter als die Durchsetzung haftungsrechtlicher Ansprüche, da jedenfalls auf eine Zuordnung des haftungsbegründenden Ereignisses zu einem bestimmten Anspruchsgegner entfällt. Die Kategorisierung der Anspruchsberechtigten macht überdies deutlich, dass zwischen retrospektiven und prospektiven Fondslösungen nicht immer trennscharf unterschieden werden kann. Verzichtet man auf eine zeitliche Beschränkung des Anwendungsbereichs, kann es vorkommen, dass ein ursprünglich zur Liquidierung bereits abgeschlossener Schadensfälle errichteter Fonds trotz gegensätzlicher Gesetzgebungsintention auch zukünftige Schadensfälle erfasst. Im Vorfeld der Errichtung des französischen Fonds zugunsten der Opfer HIV-verseuchter Blutprodukte wurde zum Beispiel in Erwägung gezogen, eine Stichtagsregelung vorzusehen, sodass allein eine Kontaminierung nach dem 1.10.1984 und vor dem 1.1.1990 zur Inanspruchnahme des Fonds berechtigt482. Letztlich wurde auf eine solche zeitliche Limitierung verzichtet, da eine Begrenzung auf „Schäden, die sich aus der durch die Transfusion von Blutprodukten […] auf dem Gebiet der Französischen Republik verursachten Kontamination mit HIV ergeben“483, für ausreichend erachtet wurde. Neben der nahezu abgeschlossenen Entschädigung der Opfer der HIV-Katastrophe der 1980er und 1990er Jahre ist die staatliche Entschädigungsstelle für Medizinunfälle ONIAM, in der der Fonds im Jahre 2002 aufgegangen ist, heute auch für aktuelle Fälle zuständig, in denen eine Kontaminierung wegen der sog.
481 So wird insbesondere bei Schädigungen durch die Einwirkung pathogener Substanzen (Asbestfasern, Thalidomid, kontaminierte Blutprodukte etc.) der Zurechnungszusammenhang zwischen deren Einnahme bzw. Einwirkung und der geltend gemachten Schädigung vermutet. Der angerufenen Fondseinrichtung obliegt es insoweit, den Gegenbeweis zu erbringen. Vgl. § 15 HIV-Hilfegesetz, § 6 der Richtlinien für die Gewährung von Leistung wegen Contergan-Schadensfällen sowie § 6 Abs. 2 DOHG. Siehe hierzu Gergaut/Stegers, ZRP 1995, 31, 32 u. Rixen SGb 2003, 319, 323. – Vgl. auch § 1 Abs. 1 S. 1 Anti-D-Hilfe-Gesetz (Gewährung von Leistungen an „Kontaktpersonen [infizierter Frauen], die von ihnen mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Hepatitis-C-Virus infiziert wurden“). 482 Vgl. die Debatte zu diesem Punkt während des Gesetzgebungsverfahrens (JO AN, Déb. parl. 9.12.1991, 7454 sowie 18.12.1991, 8190; JO Sénat, Déb. parl. 17./18.12.1991, 5448 sowie 20.12.1991, 5719). 483 So Art. L. 3122-1 C. sant. publ. Der Text erfasst neben der Transfusion auch die Injektion von Derivatprodukten aus menschlichem Blut („injection de produits dérivés du sang“).
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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„diagnostischen Lücke“484 nicht hatte festgestellt werden können. Auf Grund der fehlenden zeitlichen Beschränkung ist dieses Entschädigungsregime in geringem Maße also auch prospektiv ausgerichtet. Je restriktiver der Kreis der Anspruchsberechtigten definiert wird, desto schwieriger kann der Fonds einen Geschädigten, der die Voraussetzungen erfüllt, mit dem Argument zurückweisen, der Schaden sei auf andere Weise verursacht worden. Besteht in der französischen Entschädigungsregelung für Opfer HIV-verseuchter Blutprodukte noch die Möglichkeit, die Kausalitätsvermutung zu widerlegen485, so besteht diese Möglichkeit für andere Fondseinrichtungen nicht oder nur äußerst beschränkt486. Gleichzeitig sinkt mit einem eng gesteckten Kriterienkatalog das Risiko, dass „Trittbrettfahrer“ von der Entschädigungslösung ungerechtfertigt profitieren487. c) Zeitlich begrenzte Entschädigungslösungen Wegen des engen Anwendungsbereichs retrospektiver Fondslösungen und auf Grund der Besonderheit, dass es sich um Schadensfälle handelt, deren Verursachung in der Vergangenheit liegt, wird regelmäßig eine direkte oder indirekte zeitliche Begrenzung des Entschädigungsregimes vorgenommen. Sobald die Zahl der vom Fonds erfolgreich entschädigten Personen in etwa der Gesamtzahl der vom Großschadensfall betroffenen Opfer entspricht488, drängt sich eine Entscheidung über die Zukunft des Fonds auf. Angesichts der Kosten für die Verwaltung eines Entschädigungsregimes ist bei Erreichen des Gesetzeszwecks die Regelung an die rückläufige Zahl der Anträge anzupassen. So wurde der französische Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles (FITH), auch auf Drängen des 484 Als „diagnostische Lücke“ oder „diagnostisches Fenster vor der Serokonversion“ bezeichnet man in der Medizin den Zeitraum zwischen der Infektion und dem Moment, ab dem die Erkrankung durch einen spezifischen Test sicher nachgewiesen werden kann. 485 Jedoch hat auch hier der Kassationsgerichtshof festgestellt, dass es zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung nicht ausreicht darzulegen, dass der Antragsteller einer Risikogruppe angehört (Drogenabhängige, Prostituierte etc.). Vgl. Civ.1, Urt. v. 20.12. 2007, Resp. civ. et assur. 2008, comm. Nr. 80, Anm. Radé. S. auch Civ. 2, Urt. v. 10.6. 1999, Dr. & Patr. 2000 (Nr. 10), 99, Anm. Chabas. 486 Zum Entschädigungsfonds für Asbestgeschädigte Civ. 2, Urt. v. 21.12.2006, Resp. civ. et assur. 2007, comm. Nr. 16, Anm. Groutel und Urt. v. 25.10.2007, JCP S 2008, Nr. 1018, Anm. Asquinazi-Bailleux. 487 Zur „Trittbrettfahrer“-Problematik im Zusammenhang mit Fondslösungen im Umweltrecht Schmidt-Salzer, Internationales Umwelthaftungsrecht II, Rdnr. 252. 488 Es wäre illusorisch zu glauben, das Haftungsrecht oder Fondslösungen könnten sämtliche Ansprüche von Betroffenen eines Großschadensfalls regulieren. Auch mit umfangreichen Informationsmaßnahmen lässt sich nicht verhindern, dass einige Geschädigte Schadensersatz weder über das allgemeine Haftungsrecht noch über sondergesetzliche Entschädigungsregelungen verlangen.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Verwaltungsrats des Fonds489, mit Gesetz vom 9.8.2004 in die staatliche Entschädigungsstelle für Medizinunfälle übergeleitet. Seither werden die Anträge Transfusionsgeschädigter von einer eigenständigen Abteilung des ONIAM bearbeitet490. Bei einer überschaubaren Opferzahl kann der Gesetzgeber auch von vornherein das Erlöschen des Fonds nach einem bestimmten Zeitraum anordnen491. So sah das Gesetz vom 24.8.2002 über die Entschädigung der Opfer staatlichen Dopings in der DDR die Auflösung des Hilfsfonds nach einem Zeitraum von fünf Jahren vor. Um sicherzustellen, dass die Schadensabwicklung in diesem Zeitraum abgeschlossen ist, waren Entschädigungsanträge innerhalb von sechs Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes einzureichen. Die in § 4 DOHG normierte materielle Ausschlussfrist führte dann auch zu einer Abwicklung von insgesamt 308 Anträgen weit vor dem Außerkrafttreten des Gesetzes zum 31.12.2007492. Diese beiden Beispiele zeigen die Kurzlebigkeit retrospektiver Entschädigungsfonds und illustrieren die Art und Weise, mit der der Gesetzgeber auf eine nahezu vollständige Abwicklung des Großschadensfalls und den damit einhergehenden Rückgang der Antragszahlen reagiert. Für die in Deutschland errichtete Conterganstiftung sollte überlegt werden, ob die bloße Verwaltung der Rentenzahlungen an die Opfer die laufenden Kosten rechtfertigt oder ob eine Überführung der laufenden Aktivitäten in eine andere Einrichtung angezeigt ist493. 3. Zusammenfassung Retrospektive Fonds sind entschädigungsrechtliche Instrumente, deren Ziele vorrangig die Kanalisierung der aus bereits abgeschlossenen Schadensfällen entstehenden Ersatzansprüche und die vereinfachte Regulierung von Schäden einer präzise abgegrenzten Opfergruppe sind. Vergleicht man die Anwendungsbereiche anlassbezogener Fonds, so sucht man vergebens nach einer schlüssigen gesetzgeberischen Gesamtstrategie. Vielmehr ist in der Vielfalt der Fonds das Ergebnis spontaner politischer Impulse zu sehen. Wie ließe sich sonst erklären, dass innerhalb 489
Siehe die Tätigkeitsberichte des FITH für die Jahre 2001 und 2002 (Rapports d’activité au Gouvernement), resp. S. 39 u. S. 55: „La raréfaction des demandes nouvelles conduit à envisager une adaptation des moyens.“ („Die rückläufige Zahl neuer Anträge führt dazu, eine Anpassung der Mittel in Betracht zu ziehen.“). 490 Hierzu ONIAM, Rapport d’activité 1er semestre 2008, S. 16. 491 Vgl. § 14 HIV-Hilfegesetz („Die Stiftung wird aufgehoben, wenn der Stiftungszweck erfüllt ist oder die Mittel für die finanzielle Hilfe erschöpft sind.“). 492 Bereits am 12. September 2005 vermeldete das Bundesinnenministerium, dass die Entschädigungszahlungen zugunsten von 193 DDR-Dopingopfern aus dem Hilfsfonds abgeschlossen seien (Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern v. 12.9.2005). 493 Siehe in diesem Zusammenhang Czernik, VersR 2010, 744, 745.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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der letzten 35 Jahre Fonds zur Regulierung von so unterschiedlichen Schadensfällen wie die Folgen von Contergan, HIV-verseuchter Blutkonserven und in der DDR an Schwangere verabreichte Hepatitis-C-verseuchter Impfseren (Anti-D-Hilfe-Gesetz) errichtet, andere weniger medienwirksame Schadensfälle aber keiner spezifischen Entschädigungsregelung zugeführt worden sind494? Retrospektive Entschädigungsfonds werden als Alternative zu einer gerichtlichen Schadensregulierung dort eingesetzt, wo zuvor im Rahmen einer gerichtlichen oder außergerichtlichen Diskussion die Frage nach der Verantwortlichkeit (nicht notwendigerweise aber nach der juristischen Haftung) für die Schadensursache erörtert wurde. Ob diese Tatsachenaufklärung wie im Fall der Conterganopfer in einem Strafverfahren oder wie in Frankreich in Haftungsprozessen vor den Verwaltungs- und Zivilgerichten (kontaminierte Blutkonserven, Asbestschäden) betrieben wird, ist dabei eher von nachrangiger Bedeutung. Die durch den Gesetzgeber geschaffenen Fondslösungen konkretisieren insoweit die gerichtlich oder außergerichtlich festgestellten juristischen oder politischen Verantwortlichkeiten. B. Prospektive Fondslösungen als Instrumente zur Lückenfüllung im Haftungsrecht Prospektive Entschädigungsfonds gewähren Ersatzleistungen an Geschädigte, deren Beeinträchtigungen einer vom Gesetzgeber näher definierten Schadenskategorie entsprechen und nicht oder nur unzureichend nach Maßgabe des Haftungsrechts ausgeglichen werden können. Anders als bei retrospektiven Fondseinrichtungen befassen sich prospektive Entschädigungsfonds aber nicht mit der entschädigungsrechtlichen Aufarbeitung von Massenschäden, sondern betreffen die Regulierung isoliert auftretender Schadensfälle, die mit großer Wahrscheinlichkeit auch in der Zukunft eintreten werden. Kurzfristige rechtspolitische Überlegungen, denen bei den retrospektiven Fonds ein erhebliches Gewicht zukommt, treten hier zugunsten einer mittel- und langfristigen Regelungsperspektive zurück. Im Gegensatz zu den anlassbezogen operierenden retrospektiven Fonds liegt die Funktion der prospektiven Fondseinrichtungen weniger in einer unter öffentlichem Druck entstandenen Sonderlösung für Geschädigte bestimmter Katastrophenschäden, sondern in dem Bestreben, eine dauerhafte Schließung von Lücken des bestehenden Entschädigungsrechts zu erreichen.
494 So wird derzeit eine gesetzliche Entschädigung von Opfern von durch Lösemittel verursachten Polyneuropathien oder Enzephalopathien gefordert. Siehe hierzu Elsner, Bundesgesundheitsbl. 2008, 281 ff. Zur Gleichheitsproblematik siehe unten S. 198 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Im Folgenden wird die Kategorie der prospektiven Fondslösungen näher erläutert und deren Beziehung zum traditionellen Haftungsrecht anhand der weiter oben entwickelten Typologie495 näher beleuchtet. 1. Ergänzungsfonds als Mittel zur Ergänzung summenmäßig beschränkter Haftungsregimes Der Anwendungsbereich von Ergänzungsfonds liegt im Bereich der vom Gesetzgeber summenmäßig begrenzten Gefährdungshaftungsregimes. Allerdings werden nur einige dieser „gedeckelten“ Haftungsregimes für den Fall, dass der tatsächliche Schaden die gesetzliche festgelegte Höchstsumme überschreitet, durch eine Fondseinrichtung ergänzt. In den meisten Fällen hat der Geschädigte den nicht gedeckten Schadensanteil selbst zu tragen, es sei denn er hat sich durch (Unfall-)Versicherungsschutz zusätzlich abgesichert. Auch außerhalb gesetzlich begrenzter Haftungsregimes können Fondseinrichtungen als Ergänzungsfonds eintreten, etwa wenn sich eine Haftungsbegrenzung aus vertraglichen Regelungen ergibt. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der entstandene Schaden nicht vollständig vom bestehenden Versicherungsschutz des Haftpflichtschuldners abgedeckt wird. Zwar haftet für den überschießenden Schadensanteil in einem solchen Fall grundsätzlich der Schädiger, allerdings kann eine Durchsetzung des (Restschadens-)Ersatzanspruchs an dessen Insolvenz scheitern. Zur Stärkung der Geschädigtenrechte ergänzt daher im französischen Recht die staatliche Entschädigungsstelle für Medizinschäden (ONIAM)496, auch ohne den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit des Haftungsschuldners, den vom Haftpflichtversicherer ausgezahlten Schadensersatz um den verbleibenden Schadensanteil497. Eine ähnliche Ergänzungsfunktion übernehmen auch der Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages und der Fonds de garantie des assurés für den Fall der Insolvenz des Versicherers bei einer nur teilweisen Übertragung der Verträge an einen Ersatzversicherer498. Alles in allem handelt es sich hierbei aber um Annexkompetenzen, die jene Fondseinrichtungen nur im Ausnahmefall zu Ergänzungsfonds werden lassen.
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Siehe oben S. 69 ff. Seit 1.1.2012 nun auch der Fonds de garantie des dommages consécutifs à des actes de prévention, de diagnostic ou de soins dispensés par des professionnels de santé, dessen Zuständigkeiten in Art. L. 426-1 C. assur. geregelt sind. Hierzu in deutscher Sprache Katzenmeier/Knetsch, in: GS Hübner (im Erscheinen). 497 Siehe Art. L. 1142-15 C. sant. publ. Vgl. auch oben S. 53 f. 498 Hierzu Art. L. 421-92-2 sowie L. 432-3 Abs. 1 C. assur. Vgl. auch oben S. 46 f. und S. 60. 496
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher ausschließlich auf die Entschädigungsfonds, deren Hauptfunktion die Ergänzung von Kompensationsleistungen ist. Am Beispiel des Internationalen Entschädigungsfonds für Ölverschmutzungsschäden (IOPC Fonds)499 sollen der Zusammenhang zwischen der Versicherbarkeit von Haftungsrisiken und der Errichtung eines Ergänzungsfonds sowie aktuelle Problemstellungen dieses Fondstyps näher erläutert werden. a) Kombination aus Haftungshöchstgrenze und Ergänzungsfonds zur Aufteilung eines schwer versicherbaren Schadensrisikos Die Einschränkung auf eine bestimmte Haftungshöchstsumme wird in der deutschen Literatur in der Regel als Wesensmerkmal spezialgesetzlich geregelter Gefährdungshaftungsregimes dargestellt500. Besonders im deutschen Recht ist eine Deckelung der Schadensersatzpflicht in vielen Haftpflichtgesetzen vorgesehen501. Anders als im französischen Recht, welches dem Prinzip der Gefährdungshaftung traditionell aufgeschlossener gegenübersteht502, wird eine verschuldensunabhängige Haftung ohne Haftungsbegrenzung eher als eine die Regel bestätigende Ausnahme gesehen503. Das Prinzip einer Haftungsbegrenzung im Bereich der Gefährdungshaftung ist im Zuge der Reform durch das Zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz vom 19. Juli 2002 bestätigt worden, indem die Haftungshöchstgrenzen der diversen Gefährdungshaftungstatbestände vereinheitlicht wurden504. 499
Das Internationale Übereinkommen v. 3.5.1996 über Haftung und Entschädigung für Schäden bei der Beförderung gefährlicher und schädlicher Stoffe auf See (HNSÜberkommen) sieht vor, einen Ergänzungsfonds nach dem Muster des IOPC Fonds zu errichten. Mangels ausreichender Ratifizierungen ist der Vertrag bisher nicht in Kraft getreten. Zu den einzelnen Regelungen dieses Übereinkommens siehe oben S. 69 f. m.w.N. 500 Die Ursprünge der summenmäßigen Haftungsbegrenzung im deutschen Recht ausmachend Kötz, AcP 170 (1970), 1, 36 ff. 501 Siehe z.B. §§ 12 f. StVG, § 88 AMG, §§ 37, 46 LuftVG und § 10 ProdHaftG. 502 Das französische Recht kennt – wie die meisten Rechtssysteme des romanischen Rechtskreises – kaum sondergesetzlich geregelte Gefährdungshaftungstatbestände und damit nur in geringem Maße Haftungshöchstgrenzen. Die weitaus bedeutendere Gefährdungshaftung des Code civil sowie des Gesetzes v. 5.7.1985 über Verkehrsunfallschäden sieht keine Haftungsbeschränkung vor. Im Allgemeinen hat sich in ausländischen Rechtsordnungen die Limitierung der Gefährdungshaftung nur in sehr begrenzten Bereichen durchgesetzt. Hierzu Kötz, AcP 170 (1970), 1, 37. 503 So Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 84 I 1 e und Deutsch, Allgemeines Deliktsrecht, Rdnr. 531 (zur unbeschränkten Tierhalterhaftung und zur Haftung nach dem Wasserhaushaltsgesetz). Bereits in diesem Sinne Larenz, VersR 1963, 593, 599. Anders aber v. Caemmerer, RabelsZ 42 (1978), 5, 15, nach dem die Haftungsbegrenzungen zu einem Wesensmerkmal der Gefährdungshaftung „hochstilisiert“ worden sind. 504 Eine Übersicht bieten u.a. Jaeger/Luckey, MDR 2002, 1168, 1174.
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Zugunsten einer Beschränkung der Haftung des Schädigers wird in der Literatur vorgetragen, das Risiko würde erst durch eine summenmäßige Begrenzung versicherbar, was Voraussetzung für die wirtschaftliche Betätigung auf dem Gebiet gefährlicher Technologien sei505. Allerdings scheint die Haftungslimitierung vielmehr das Ergebnis einer Abwägung zwischen den Interessen der potenziellen Ersatzpflichtigen, der Haftpflichtversicherer sowie des Staates zu sein. Gerade den in internationalen Übereinkommen vereinbarten Haftungshöchstgrenzen haftet der Verdacht einer Privilegierung einzelner Gruppen von Haftpflichtigen an506, die sich mit Hilfe ihrer Versicherer des zweifelhaften Arguments der Versicherbarkeit507 bedient haben, um eine unbegrenzten Haftung zu vermeiden. Ergänzungsfonds nehmen bei Überschreitung der Haftungshöchstgrenzen hinsichtlich der nicht gedeckten Schadensspitzen die Rolle des Haftpflichtversicherers ein und gewähren dem Geschädigten insoweit ergänzenden Schadensersatz. So tritt der IOPC Fonds immer dann in die Rolle des den Schiffseigentümer versichernden P&I-Clubs, wenn Spitzenschäden die Haftungslimitierung von etwa 90 Millionen Sonderziehungsrechten (SZR) pro Schadensereignis508 überschreiten. Die „Auffangfunktion“ des Fonds hat durch die steigende Zahl an Spitzenschäden an Bedeutung gewonnen und greift nunmehr nahezu systematisch bei jedem größeren Tankerunfall ein. Dass die Höchstgrenze der Haftung auf 90 Millionen SZR beschränkt ist, lässt sich auf die Entstehungsgeschichte des internationalen Haftungsübereinkommens zurückführen. Da sich die Delegationen uneins über die 505
Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 703. So besonders deutlich Larenz, VersR 1963, 593, 599 („Die Haftungshöchstsummen […] machen vielmehr die in der Gefährdungshaftung gelegene Risikozurechnung erst wirtschaftlich tragbar und damit zumutbar.“) sowie Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 107 („Korrektivmittel gegenüber ruinösen Unglückszurechnungen“). Skeptischer Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 84 I 1 e. Eine Haftungslimitierung ablehnend Kötz, AcP 170 (1970), 1, 36 ff.; Taschner, in: Schlechtriem/Leser (Hrsg.), Zum deutschen und internationalen Schuldrecht, S. 75 ff.; Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 319 ff. sowie v. Caemmerer, Reform der Gefährdungshaftung, S. 23. 506 In diesem Sinne schon Oftinger, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. 1, S. 253. Siehe auch Wolfensberger, Die summenmässige Beschränkung der Haftung, S. 83 ff. 507 Kötz legt überzeugend dar, dass das Ziel, die Kalkulierbarkeit des Haftungsrisikos zu ermöglichen und sich gegen die wirtschaftlichen Folgen eines Haftungsfalls durch tragbare Versicherungsprämien abzusichern, nicht ausschließlich in der Gefährdungs-, sondern auch in der Verschuldenshaftung von Bedeutung sei. Ferner sei auch bemerkenswert, dass die unbeschränkten ausländischen Gefährdungshaftungsregimes nicht auf den „Einwand der Untragbarkeit des Prämienaufwandes“ gestoßen sind (AcP 170 [1970], 1, 38 ff.). Vgl. auch Will, Quellen erhöhter Gefahr, S. 305 ff. 508 Dies entspricht umgerechnet einem Betrag von etwa 112 Millionen Euro (Kurs v. 24.7.2012).
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Art der zu kodifizierenden Haftung waren, diente eine summenmäßige Beschränkung der Gefährdungshaftung als Kompromisslösung509. Die Vertreter des Vereinigten Königreichs, die für eine Verschuldenshaftung eintraten, führten eine Studie über die Grenzen des britischen Seeversicherungsmarkts in die Diskussion ein, wonach bei Überschreiten einer bestimmten Höchstsumme die Haftpflicht unversicherbar würde. Das in der Studie angegebene Zahlenmaterial über die Grenzen einer versicherbaren Haftpflichtregelung ging dann ohne weiterführende Diskussion oder Überprüfung in das Übereinkommen ein. Die Vereinbarung einer Haftungshöchstgrenze war überdies ein bequemes Mittel, die Versicherungsprämien niedrig zu halten und die Last des Schadensersatzes wenigstens zum Teil auf die den IOPC Fonds finanzierenden Erdölimporteure abzuwälzen510. Ergänzungsfonds, welche eine summenmäßig begrenzte Gefährdungshaftung vervollständigen, sind geeignete Instrumente, um das begrenzt versicherbare Risiko511 auf verschiedene Personengruppen zu verteilen. Während Schäden, die den Haftungshöchstbetrag nicht erreichen, komplett von den gesetzlich designierten Haftungsschuldnern getragen werden, wird die Entschädigungslast bei Spitzenschäden durch die teilweise Schadensbegleichung nach Maßgabe des Haftungsübereinkommens auf die Gruppe der Haftpflichtigen und durch die teilweise Schadensbegleichung durch den Fonds auf das Kollektiv der Beitragszahler des Ergänzungsfonds aufgeteilt512. Unter diesem Blickwinkel ist es nur konsequent, dass die Ressourcen der Fonds nicht von denselben Personen aufgebracht werden, welche bereits als Haftungsschuldner einen Teil des Risikos tragen. Die Wirkung eines von den Haftpflichtigen selbst finanzierten Ergänzungsfonds könnte nämlich ebenso durch die Anhebung der Haftungshöchstgrenzen erreicht werden, denn die dadurch bedingte Erhöhung der Versicherungsprämien übertrüge sich auf die gesamte Gruppe der potenziellen Haftungsgläubiger. Sinn und Zweck eines Ergänzungsfonds ist es jedoch gerade, die Schadenstragungslast auf den Schultern zweier verschiedener Kollektive zu verteilen. 509
Zu den Verhandlungen über das Haftungs- und das Fondsübereinkommen, siehe insbesondere Herber, RabelsZ 34 (1970), 223, 226 ff.; Ganten, Internationales Übereinkommen über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzungsschäden, S. 7 ff. sowie ders., Hansa 1972, 372. 510 Herber, RabelsZ 34 (1970), 223, 232 ff. 511 Oder besser gesagt: ein Risiko, welches als begrenzt versicherbar wahrgenommen wird. 512 Eine ähnliche Regelung findet man auch im Atomrecht, in dem jedoch nicht ein Ergänzungsfonds, sondern der Staat für die Kompensation der Schadensspitzen eintritt. Siehe § 31 AtomG i.V.m. Art. 7 a) des Pariser Übereinkommens v. 29.7.1960 i.d.F. des Protokolls v. 12.2.2004 (BGBl. 2008, II, 902, 910).
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
b) Deckungs- und Verteilungsprobleme auf Grund zunehmender Schadensvolumina Die im positiven Recht vorgesehenen Ergänzungsfonds bieten keine unbeschränkte Deckung der von der Haftung des Erstschuldners nicht erfassten Schadensspitzen. So sehen die Regelungen des IOPC Fonds eine Beschränkung auf einen Gesamtumfang von 750 Millionen SZR je Schadensereignis513 vor. Abzüglich der 90 Millionen SZR, die der Schiffseigentümer maximal als Kompensationszahlung an die Geschädigten leisten muss, wird der durch den IOPC Fonds gewährte Schadensersatz somit auf einen Betrag von 660 Millionen SZR begrenzt514. Neben dem vom Haftpflichtigen zu leistenden Schadensersatz ist demnach ebenso die Ersatzpflicht der Ergänzungsfonds begrenzt, was zur Folge hat, dass der Geschädigte beim Überschreiten der Gesamtschadenssumme i.d.R. einen Teil des Schadens selbst tragen muss515. Wenn auch die Höchstsummen auf den ersten Blick ausreichend erscheinen, so darf nicht vergessen werden, dass es sich um Gesamtschadenssummen handelt, d.h. um den Gesamtbetrag sämtlicher aus einem Schadensereignis entstehender Ersatzansprüche. So überrascht es nicht, dass sich die Vertragsparteien des FondsÜbereinkommens während des 40-jährigen Bestehens des IOPC Fonds trotz Revisionsklausel und internationaler Währungseinheiten gezwungen sahen, den Entschädigungshöchstbetrag dem immer verheerenderen Ausmaß von Tankerunfällen anzupassen. So stieg der im Fonds-Übereinkommen von 1971 ursprünglich vereinbarte Höchstbetrag von 450 Millionen Goldfranken516 im Laufe der Zeit auf 203 Millionen SZR517. Auf Druck der Europäischen Kommission518 wurde im Jahre 2005 die Einrich513
Dieser Betrag entspricht etwa 930 Millionen Euro (Stand: 24.7.2012). Der in der HNS-Konvention vorgesehene Ergänzungsfonds ist auf eine Gesamtschadenssumme von 250 Millionen SZR beschränkt. 515 Ein anderes kann sich nur aus eigenem Versicherungsschutz des Geschädigten ergeben. 516 Artikel 4 Abs. 4 lit. b des Internationalen Übereinkommens über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden (FondsÜbereinkommen) v. 18.12.1971 (BGBl. 1975, II, 320, 325). 517 Artikel 4 Abs. 4 lit. b des Fonds-Übereinkommens von 1992 (BGBl. 1975, II, 686), geändert durch den Beschluss des Rechtskomitees der Internationalen SeeschifffahrtsOrganisation (IMO) v. 18.10.2000. 518 Nach dem Tankerunglück der Erika drängte die Kommission auf eine möglichst rasche Behebung des Problems der zu niedrigen Entschädigungsgrenzen und schlug hierzu die Errichtung eines zusätzlichen europäischen Entschädigungsfonds (sog. COPEFonds) vor, der den Entschädigungsumfang auf bis zu 1 Milliarde Euro erhöht hätte (s. Art. 5 Abs. 5 des Vorschlags für eine Verordnung über die Errichtung eines Fonds zur Entschädigung für Ölverschmutzung in europäischen Gewässern [2000/0326(COD)]). Nach der Ausarbeitung des Textes zur Schaffung eines Supplementary Fund im Rahmen 514
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tung eines Supplementary Fund beschlossen, welcher die maximale Entschädigungsgrenze auf 750 Millionen SZR erhöhte519. Trotz der mehrmals angepassten Höchstbeträge konnten bei der Regulierung der durch die Tankerunglücke der Erika und der Prestige verursachten Schäden lediglich Entschädigungsquoten von 50 % und 15 % erreicht werden520. Angesichts dieser Statistiken erscheint die Anpassung der im Vertragswerk vereinbarten Beträge „immer einen Unglücksfall zu spät“ zu erfolgen521. Angesichts der Unzulänglichkeiten des IOPC Fonds bei der Regulierung von Ölverschmutzungsschäden ist zu hinterfragen, ob nicht eine unbegrenzte Entschädigungspflicht von Ergänzungsfonds den in allen Bereichen steigenden Schadensvolumina gerechter würde. Dass dies wirtschaftlich machbar ist, zeigt das Beispiel der US-Gesetzgebung, die sich im Bereich der Tankerunfälle vom System des IOPC Fonds gelöst und mit dem Oil Pollution Act vom 18. August 1990 ein unbegrenztes Entschädigungssystem geschaffen hat522. Wie Berechnungen zeigen, würde sich eine Aufhebung der Limitierung des IOPC Fonds auch nur marginal auf die Beitragszahler auswirken, da diese die verbundene Erhöhung der Beiträge auf deren Vertragspartner abwälzen können523. Die Einführung eines unbeschränkten Ergänzungsfonds oder die „Deplafonierung“ eines bestehenden Ergänzungsfonds erschwert jedoch die gerechte Schadensverteilung unter den Haftungsschuldnern einerseits und den Beitragspflichtigen des Fonds andererseits. Wie eingangs erwähnt wurde, ist die Errichtung eines Ergänzungsfonds nicht nur ein Instrument zur Erleichterung der Schadenskompensation zugunsten der Geschädigten, sondern vor allem ein Mittel zur Verteilung der Schadenslast auf zwei Kollektive. Dementsprechend muss bei einer Anhebung der Entschädigungslimitierung darauf geachtet werden, gleichzeitig die Höchstgrenzen sowohl der IMO sah die Europäische Kommission schließlich von einer eigenen Regelung ab. Hierzu Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See, S. 121 sowie in französischer Sprache Stefaniuk, JDI 2003, 1013, 1050 ff. und Beurier/Ndendé, in: J.-Cl. Environnement, Fasc. 4860, Rdnr. 33. 519 Siehe hierzu das Änderungsprotokoll v. 16.5.2003 zum Internationalen Übereinkommen von 1992 über die Errichtung eines Internationalen Fonds zur Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden (BGBl. 2004, II, 1291). 520 Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See, S. 79 ff. Zur Schadensregulierung im Fall der Erika vgl. Jacobsson, DMF 2007, 968, 977. 521 So Vialard, Droit maritime, Rdnr. 172. Die unzureichende Anpassung der Höchstsummen ist auch darauf zurückzuführen, dass eine Änderung der internationalen Übereinkommen die Zustimmung aller Vertragsparteien voraussetzt. 522 Hierzu umfassend Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See, S. 87 ff. Vgl. auch aus früherer Zeit Anderson/Wethmar, RIW 1991, 1001 sowie rechtsvergleichend Dumont de Chassart, European transport law 1991, 232. 523 In diesem Sinne auch Le Couviour, La responsabilité civile à l’épreuve des pollutions majeures, Rdnr. 862 sowie dies., JCP G 2008, I, Nr. 126, Rdnr. 20.
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des Haftungsregimes als auch des Entschädigungsfonds anzupassen. Anderenfalls käme es zu einer Veränderung der jeweiligen Schadenstragungsanteile. Welche Auswirkungen eine Veränderung des Verteilungsschlüssels hat, wird anhand der Entwicklung des IOPC Fonds deutlich. Durch die sukzessive Anhebung der Haftungs- und Entschädigungshöchstgrenzen hat sich der vom Schiffseigentümer getragene Anteil eines Schadens, welcher sowohl die Haftungs- als auch die Fondslimitierung überschreitet, im Laufe der Jahre von 47 % auf 12 % verringert524. Um die Bevorteilung der Schiffseigentümer gegenüber der den Fonds finanzierenden Ölimporteure auszugleichen, entschlossen sich die P&I Clubs und Schiffseigentümer im Jahre 2006 zu einer freiwilligen Vereinbarung (sog. TOPIA- und STOPIAAbkommen), nach der die Schiffseigentümer dem IOPC Fonds einen Teil der gezahlten Ergänzungsentschädigung zurückerstatten525. 2. Garantiefonds als Substitute bei Ausfall des Haftungsschuldners oder des Haftpflichtversicherers Neben den Ergänzungsfonds sind auch Garantiefonds eng mit der Kompensationsfunktion des Haftungsrechts verbunden. Beide Fondstypen bilden eine Art Verlängerung des traditionellen Schadensersatzrechts, da eine Inanspruchnahme der Fonds die vorherige Begründung eines haftungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs voraussetzt. Garantiefonds greifen dann ein, wenn der Haftungsschuldner oder dessen Haftpflichtversicherer finanziell außerstande sind, ihrer Ersatzpflicht gegenüber dem Geschädigten nachzukommen. Hierzu zählen im deutschen Recht der Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen, der Internationale Fonds für Ölverschmutzungsschäden (IOPC Fonds), der Notarversicherungsfonds, die Solidarfonds der Lebens- und Krankenversicherer sowie der Einlagensicherungsfonds526. Dreh- und Angelpunkt der Entschädigung durch einen Garantiefonds ist neben dem Nachweis der haftungsrechtlichen Anspruchsvoraussetzungen die Darlegung der Insolvenz, an welche die Sicherungsfunktion des Fonds 524 Bei Inkrafttreten des Haftungs- und des Fondsübereinkommens belief sich die Haftungshöchstgrenze auf 210 Millionen Goldfranken bei einer Gesamtentschädigungssumme von 450 Millionen Goldfranken. Aktuell ist die Haftung der Schiffseigentümer auf 90 Millionen SZR, die gesamte Entschädigung (inkl. der Leistungen des IOPC Fonds) jedoch auf 750 Millionen SZR limitiert. Das Verhältnis beträgt nunmehr 1 : 8, wohingegen ursprünglich ein Quotient von etwa 1 : 2 bestand und beabsichtigt war. 525 Hierzu Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See, S. 126 sowie in französischer Sprache Bonassies/Scapel, Droit maritime, Rdnr. 474 u. Ndendé, Rev. dr. transp. 2008, dossier 3, Rdnr. 55. 526 Siehe oben S. 6 ff., 65 ff., 31 f. sowie 28 ff.
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geknüpft ist. Diese Bedingung ist verschiedenartig ausgestaltet, da sie maßgeblich von der Situation des Geschädigten, den finanziellen Vorgaben des Fonds sowie den weiteren von der Insolvenz ausgehenden Rechtsfolgen abhängt. Dabei variieren die gesetzlichen Vorgaben über den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit zwischen einem öffentlich-rechtlichen Feststellungsverfahren und einer Insolvenzvermutung zur Beschleunigung des Entschädigungsprozesses. Bevor jedoch die Anforderungen an die Erbringung des Ausfallnachweises systematisch zu erörtern sind, soll zunächst der Zusammenhang zwischen Garantiefonds und dem Institut der Pflichtversicherung untersucht werden. Im Regelfall tritt ein Garantiefonds nämlich als nachrangiges Instrument zum Schutz vor Insolvenz des Haftungsschuldners hinter der Versicherungspflicht zurück. a) Verlagerung des Ausfallrisikos auf das Kollektiv der Beitragspflichtigen bei Versagen der Pflichtversicherung Im Gegensatz zur Vertragshaftung ist es kaum möglich, sich von vornherein gegen das Risiko der Vermögenslosigkeit des deliktischen Haftpflichtschuldners individuell abzusichern527. Der Abschluss von Sicherheiten oder einer Kreditversicherung kann nur dort ein wirksames Mittel zur Sicherung von Ansprüchen sein, wo die Existenz dieser Ansprüche vom potenziellen Gläubiger auch vorhergesehen werden kann. Im Bereich des außervertraglichen Schadensersatzrechts wird die Schädigung jedoch regelmäßig nicht antizipiert werden können, sodass das damit verbundene Risiko der Insolvenz des Schädigers der Initiative des Gläubigers zur Anspruchssicherung entzogen ist. Lediglich im Bereich der Körperschäden können der Krankenversicherungsschutz sowie eine vom Schädiger abgeschlossene private Unfallversicherung dem Geschädigten teilweise Befriedigung verschaffen, garantieren jedoch nicht vollumfänglich den originären Ersatzanspruch. Um das Risiko der Insolvenz des deliktischen Haftpflichtschuldners zu verringern, hat sich in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen gegen Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Institut der Pflichtversicherung und speziell der obligatorischen Haftpflichtversicherung herausgebildet528. So wird potenziellen Schädigern in den verschiedensten Bereichen die Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung auferlegt. 527
Deutsch, VersR 1993, 1041, 1042 begreift die mangelnde Bonität des Haftungsschuldners als ein gewisses „allgemeines Lebensrisiko“. 528 Zur geschichtlichen Entwicklung der Pflichtversicherung von Puskás, in: Farny (Hrsg.), Handwörterbuch der Versicherung, S. 513 sowie Graf v. d. Schulenberg, in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens (Hrsg.), Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall, S. 13, 20 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Diese bietet dem Schädiger Schutz vor den potenziell ruinösen Konsequenzen einer Haftung und dem Geschädigten einen Anspruchsgegner, der finanziell weitaus solider ist als der eigentliche Haftpflichtschuldner. Privatrechtliche Pflichtversicherungen nehmen insoweit – genau wie sozialrechtliche Versicherungspflichten – eine „Gemeinschaftsaufgabe“ wahr und dienen der Daseinsfürsorge529. Seit der Einführung der Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter zum 1. Januar 1940 haben die Vorzüge obligatorischen Haftpflichtversicherungsschutzes zu einer weitgehend systemlosen Entwicklung von Zwangshaftpflichtversicherungen geführt. Von einem „verwirrenden Bild“ der unterschiedlichen Bereiche wird gesprochen530, von der Unmöglichkeit, „auch nur Spuren eines […] Systems zu erkennen“531. Die Rechtsbereiche, in denen eine Pflicht zum Abschluss einer Haftpflichtversicherung besteht, sind kaum mehr zu überblicken532. Die Erarbeitung einer überzeugenden Systematik ist wenig aussichtsreich. Vielmehr ist dieser Partikularismus der Versicherungspflichten533 auf Forderungen der Öffentlichkeit, zum Beispiel nach einem größeren Schadensfall, zurückzuführen oder durch das Ziel zu erklären, einzelnen Wirtschaftssektoren eine gesteigerte Professionalität auszustellen534. Eine der Schwachstellen des privatrechtlichen Pflichtversicherungssystems liegt darin, dass ohne eine lückenlose Überwachung der Versicherungspflicht ein umfassender Schutz vor Insolvenz des Haftpflichtschuld529
So schon Manes, Die Haftpflichtversicherung, S. 62 f. („altruistisches Moment“). Siehe auch L. Raiser, JZ 1958, 1, 4 (dort Fn. 20); Deiters, in: FS R. Schmidt, S. 379 f.; Sieg, Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung, S. 62 ff. sowie Büchner, Zur Theorie der obligatorischen Haftpflichtversicherungen, S. 36. 530 Büchner, a.a.O., S. 28. 531 Michels, in: Hamburger Gesellschaft zur Förderung des Versicherungswesens (Hrsg.), Pflichtversicherung – Segnung oder Sündenfall, S. 1, 5. Vgl. aber die von Deiters, in: FS R. Schmidt, S. 379, 392 f. entwickelten Voraussetzungen, die die Unübersichtlichkeit dieses Bereichs allerdings nicht zu erklären vermögen. 532 Die von Prölss/Martin veröffentlichte Liste der Pflichtversicherungen (VVG, Vorbem V, Rdnr. 1 ff) spart die zahlreichen Versicherungspflichten auf Grund von Landesrecht aus. Eine umfassende Übersicht bietet BT-Drucks. 16/5497, S. 6 ff. 533 Siehe nur die extrem eng gefassten Anwendungsbereiche einzelner Versicherungspflichten. Siehe etwa § 1 Schaustellerhaftpflichtverordnung („Versicherungspflichtig sind: […] 3. Schaufahren mit Kraftfahrzeugen, Steilwandbahnen […]“) und § 8 der Verordnung über Bodenabfertigungsdienste auf Flugplätzen i.V.m. Anlage 3 Nr. 2 Abschn. B Abs. 6. 534 Reiff, TranspR 2006, 15, 20 und Teichler, Berufshaftpflichtversicherungen, S. 379 f. Aus dem französischsprachigen Schrifttum vgl. de Rode/Collignon, Bull. ass. 2001 (Dossier Nr. 7), 47, 62 sowie Thourot, Risques 1992 (Nr. 12), 9, 10. Insofern zeigen sich Parallelen zu den gesetzgeberischen Motiven bei der Errichtung retrospektiver Entschädigungsfonds (siehe oben S. 93 ff.).
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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ners nicht zu erreichen ist535. So sind insbesondere im Bereich der obligatorischen Berufshaftpflichtversicherungen die Kontrollmaßnahmen unzureichend536, wo weder Aufsicht noch Strafandrohungen den Fortbestand des Versicherungsschutzes garantieren können. In diesen Fällen, in denen die Haftpflichtversicherung mangels Versicherungsschutz des Haftungsschuldners nicht eingreift, kann die Einrichtung eines Garantiefonds den Haftungsgläubiger vor der Insolvenz des Schuldners schützen. Angesichts der Vielzahl obligatorischer Haftpflichtversicherungen überrascht es, dass nur in den Anwendungsbereichen weniger Pflichtversicherungen auch Garantiefonds errichtet wurden, um den Geschädigten gegen die Insolvenz des Haftpflichtschuldners im Falle einer Nichtbeachtung der Versicherungspflicht oder des Bestehens einer versicherungsrechtlichen Schutzlücke (etwa bei vorsätzlich zugefügten Schäden) abzusichern. Im deutschen Recht werden allein die Bereiche der Kraftfahrzeugschäden537, der durch Notare verursachte Vertrauensschäden538 sowie der maritimen Ölverschmutzungsschäden539 durch Garantiefonds erfasst. In allen anderen Fällen trägt der Geschädigte bei fehlendem Haftpflichtversicherungsschutz das Risiko der Vermögenslosigkeit des Haftpflichtschuldners allein. Selbst wenn der Schädiger haftpflichtversichert ist, kann die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs, etwa über die Geltendmachung eines Direktanspruchs gegen den Versicherer540, daran scheitern, dass der Haftpflichtversicherer selbst insolvent ist und daher die gegen ihn gerichtete Forderung nicht erfüllen kann. Um zu verhindern, dass der Geschädigte neben dem Insolvenzrisiko des Haftpflichtschuldners auch das Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des Versicherers trägt und bei gleichzeitiger Vermögenslosigkeit des Versicherungsnehmers entschädigungslos bleibt, hat der Gesetzgeber spezielle Fondseinrichtungen geschaffen oder die Kompetenzen bestehender Ergänzungsfonds erweitert. Obgleich das Risiko der Insolvenz eines Versicherers durch ein immer umfassenderes Versicherungs-
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Ebenso Deiters, in: FS R. Schmidt, S. 379, 380. So sehen die Gesetzestexte regelmäßig vor, dass ein Nachweis der Berufshaftpflichtversicherung vor Aufnahme der betreffenden Tätigkeit den zuständigen Behörden oder Stellen vorgelegt werden muss (so z.B. § 12 Abs. 2 BRAO). Auf Kontrollmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Berufshaftpflichtversicherung wird in den allermeisten Fällen verzichtet. Hierzu Foussat, Risques 1992 (Nr. 12), 19, 22. 537 Näheres zur Wirkungsweise des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen s. oben S. 6 ff. 538 Detailliert zur Rolle des Notarversicherungsfonds siehe oben S. 31 f. 539 Zum IOPC Fonds s. oben S. 65 ff. 540 Siehe im deutschen Recht § 115 Abs. 1 Satz 1 VVG. 536
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
aufsichtsrecht541 gering ist, steht die öffentliche Gewalt dennoch in der Pflicht, mit der Einrichtung von Garantiefonds die Effektivität der Haftpflichtversicherung zum Schutz von Schädiger und Geschädigtem zu optimieren542. Die Errichtung eines Garantiefonds verfolgt zudem das Ziel, nicht dem Versicherten die Konsequenzen mangelhafter Betriebsführung des Versicherungsunternehmens aufzubürden. Anders als im französischen Recht, in dem der FGAO seit 2003 in sämtlichen Fällen der Insolvenz eines Pflichtversicherers eintritt543, besteht im deutschen Recht mit dem Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen allein für die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung eine derartige Schutzeinrichtung544. Im Bereich der Lebensversicherung wurde durch das Gesetz vom 15. Dezember 2004 zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes den Versicherungsunternehmen die Pflicht auferlegt, einem Insolvenzsicherungsfonds anzugehören545. Mit dieser Reform gab der Gesetzgeber Stimmen im Schrifttum nach, die bereits in den 1980er Jahren einen verstärkten Schutz der Versicherten, insbesondere bei Verbraucherverträgen, forderten546. Die wirtschaftliche Krise des Versicherungsmarkts seit dem Jahre 2002 erklärt, warum sich der deutsche Gesetzgeber im Jahre 2004 schließlich zur Errichtung eines Insolvenzsicherungsfonds durchgerungen hat547. Es bleibt letztlich die Frage, ob derartige Garantiefonds zum Schutz der Versicherten nicht auch in den Bereichen der Nichtlebensversicherung notwendige Sicherungsmechanismen darstellen548. 541
Zur Rolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) als Aufsichtsbehörde der Versicherungsunternehmen und zu deren alleiniger Kompetenz, den Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens zu stellen, siehe §§ 81 ff. VAG. 542 Allgemein zum Schutz des Versicherungsnehmers gegen Insolvenz des Versicherers Sieg, in: FS Möller, S. 463. 543 G. v. 1.8.2003. Hierzu näher Bigot, JCP G 2003, I, Nr. 177, Rdnr. 18 ff. sowie Pansier/Charbonneau, Gaz. Pal. 2003, 2262, 2276 f. 544 Zu dieser Funktion des Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen und zur Rolle des Solidarhilfevereins siehe die Nachweise oben bei Fn. 6. 545 Hierzu umfassend Plath, Das Lebensversicherungsunternehmen in der Insolvenz, S. 193 ff. Dieselbe Pflicht trifft auch den Bereich der privaten Krankenversicherung (§ 124 Abs. 1 VAG). Die Gewährleistung der betrieblichen Altersversorgung im Falle der Vermögenslosigkeit des Arbeitsgebers ist Aufgabe des Pensions-Sicherungs-Vereins (§ 14 BetrAVG). 546 Siehe die zahlreichen Nachweise bei Präve, VersR 2005, 1023 (dort Fn. 5 bis 7). 547 Der in Frankreich und Deutschland errichtete Einlagensicherungsfonds (Fonds de garantie des dépôts) sichert die Einleger gegen die Insolvenz von Kreditinstituten. Hierzu siehe die Nachweise oben bei Fn. 118 a.E. und 316. 548 Zu dieser Fragestellung umfassend Farny, Ein Konkurssicherungsfonds in der Versicherungswirtschaft, S. 16 f.; Oehmke, Gläubigerschutz durch Insolvenzsicherungsfonds, S. 183 ff. sowie aus dem neueren Schrifttum Heidel, Die Regelung im VAG über Sicherungsfonds, S. 179 ff. Ablehnend Fricke, VersR 2005, 161 (dort Fn. 7).
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b) Anforderungen an die Erbringung des Ausfallnachweises Die enge Verbindung zwischen Garantiefonds und allgemeinem Haftungsrecht wird an den Voraussetzungen zur Inanspruchnahme der Entschädigungseinrichtungen deutlich. Als Ausfallfonds konzipiert, übernehmen Garantiefonds nur dann die Ersatzpflicht des insolventen Haftpflichtschuldners, wenn auch tatsächlich die Tatbestandsvoraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen. Ob der schuldrechtliche Anspruch bereits zuvor in einem separaten Verfahren nachgewiesen wurde oder dies zum ersten Mal im Laufe des Verfahrens vor dem Garantiefonds geschieht, ist dabei irrelevant. Neben den Tatbestandsvoraussetzungen des Schadensersatzanspruches muss der Gläubiger lediglich den Nachweis der Insolvenz des Schuldners führen. Ein Überblick über die bestehenden Regelungen im deutschen und französischen Recht offenbart, dass sich die Anforderungen an den Ausfallnachweis je nach Fonds deutlich unterscheiden. Je nachdem, ob der Nachweis der Vermögenslosigkeit des Haftungsschuldners oder des Haftpflichtversicherers erbracht werden muss, unterscheiden sich die Fondsregelungen teils erheblich. Auch unabhängig von der Person, deren Insolvenz Auslöser für das Eingreifen des Fonds ist, zeigt sich, dass der Subsidiaritätsgedanke der Garantiefonds vielfältig ausgeformt ist. Die Bandbreite reicht von einer gesetzlichen Quasivermutung der Insolvenz bis hin zur Feststellung der Insolvenz in einem öffentlich-rechtlichen Verfahren. So wird für die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen nach § 12 PflVG verlangt, dass der Geschädigte „glaubhaft macht“, dass er vom nicht versicherten Halter, Eigentümer oder Fahrer des Fahrzeugs keinen Ersatz seines Schadens erlangen kann. Durch eine im Vergleich mit dem französischen Recht deutlich restriktivere Subsidiaritätsanordnung549 wird sicher gestellt, dass der Fonds nur dann eintritt, wenn der Ersatzpflichtige – ähnlich wie bei der Amtshaftung für Fahrlässigkeit nach § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB – nicht auf andere Weise Schadensersatz erhält550. Unklarheit besteht allerdings darüber, wie der Ersatzpflichtige die Vermögenslosigkeit des Haftungsschuldners nachzuweisen hat. Die amtliche Begründung des Gesetzes vom 5. April 1965 merkt hierzu an, dass die Subsidiarität nicht bedeutet, 549
Die in § 12 PflVG kodifizierte Subsidiarität des Fonds verweist den Geschädigten auf die vorrangige Ersatzpflicht nicht nur des eigentlichen Haftpflichtschuldners, sondern auch eines etwaig bestehenden Schadensversicherers, eines Sozialversicherungsträgers, sowie auf Ersatzleistungen von Versorgungsträgern und auf Schadensersatz im Rahmen der Amtshaftung. Ausführlich Baumann, Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 44 ff. 550 Zu den Parallelen zwischen § 12 Abs. 1 Satz 2 PflVG und § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB schon Baumann, Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 16 f.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
dass „zuvor ohne Erfolg eine Zwangsvollstreckung versucht worden sein muss“551. Das Schrifttum sieht in dieser Aussage jedoch keinen Grund, dem Fonds das Recht (sowie in bestimmten Fällen die Pflicht) abzusprechen, den Antragsteller auf eine Schadensersatzklage und den Versuch einer Vollstreckung zu verweisen. Die zu § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB herausgebildeten Maßstäbe auf die Frage der anderweitigen Ersatzmöglichkeit wurden von der Literatur für auf das Verfahren gegen den Entschädigungsfonds anwendbar erklärt552. Eine ähnliche Regelung sieht auch Art. 4 Abs. 1 lit. b des Fonds-Übereinkommens von 1992 zur Subsidiarität des IOPC Fonds vor553. Mit diesen Regelungen setzt sich das deutsche Recht der Entschädigungsfonds deutlich vom französischen Recht ab. Dort ist der Insolvenznachweis für den Ausgleich von Verkehrsunfallschäden, Medizinunfällen oder Schäden aus Straftaten entweder abbedungen oder zumindest deutlich erleichtert worden. So genügt es seit der Reform des französischen Kraftfahrzeughaftpflichtrechts aus dem Jahre 1985 zur Inanspruchnahme des als Garantiefonds eintretenden FGAO, dass der Geschädigte nachweist, dass der Haftpflichtschuldner der Pflicht zur Versicherung nicht Folge geleistet hat554. Dem Anspruchsteller kommt also eine Art Insolvenzvermutung zu Gute. Es obliegt dem Fonds nach der Gewährung der Ausgleichsleistungen zu überprüfen, ob der nicht versicherte Haftpflichtige nicht doch zahlungsfähig ist und die geleisteten Zahlungen im Regresswege von diesem zurückverlangt werden können.
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BT-Drucks. IV/2252, S. 24. So stellen zukünftige ungewisse Möglichkeiten keinen Ersatz auf andere Weise dar. Ebenso ist eine anderweite Ersatzmöglichkeit auch dann nicht gegeben, wenn die Befriedigung zwar wahrscheinlich, der ersatzpflichtige Dritte aber zur Leistung in absehbarer Zeit wirtschaftlich nicht in der Lage ist. Grundlegend zur Verweisungsklausel BGH, Urt. v. 20.11.1980 – III ZR 31/78 –, BGHZ 79, 26. Weitere Nachweise bei MüKoPapier, § 839, Rdnr. 318. 553 Nach dieser Vorschrift gilt der haftpflichtige Schiffseigentümer dann „als finanziell nicht in der Lage, seine Verpflichtungen zu erfüllen, […] wenn es dem Geschädigten, nachdem er alle zumutbaren Maßnahmen im Hinblick auf die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe getroffen hat, nicht möglich war, den vollen ihm nach dem Haftungsübereinkommen zustehenden Entschädigungsbetrag zu erlangen“. 554 Hierzu Chabas, Le droit des accidents de la circulation, Rdnr. 213. Zur vergleichbaren Entwicklung im Bereich der Entschädigung von Opfern von Straftaten Renaut, Gaz. Pal. 1988, doctr. 1028 sowie aus neuerer Zeit Pignoux, La réparation des victimes d’infractions pénales, Rdnr. 327. Im Bereich der Medizinunfälle wurde während der Gesetzesvorarbeiten kein einziges Mal die Frage nach dem Nachweis der Vermögenslosigkeit des nichtversicherten Heilberuflers gestellt. Art. L. 1142-15 C. sant. publ. erwähnt denn auch für das Eintreten des ONIAM als Garantiefonds lediglich den Nachweis fehlenden Haftpflichtversicherungsschutzes. 552
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Mit der konkreten Ausgestaltung der Anforderungen an den Insolvenznachweis kann der Gesetzgeber die Inanspruchnahme des Garantiefonds erleichtern oder erschweren und somit auch den Umfang der übernommenen Ersatzleistungen bestimmen. Sieht das Gesetz vor, dass der Geschädigte zunächst mittels einer Haftungsklage versuchen muss, Entschädigung vom Haftpflichtigen zu erlangen, so wird der Fonds auch nur in denjenigen Fällen eintreten, in denen tatsächlich eine Insolvenz vorliegt. Gleichfalls steigt das Risiko einer doppelten Begutachtung des Sachverhalts, denn der Fonds überprüft in einigen Fällen neben dem Insolvenznachweis auch die Tatbestandsvoraussetzungen des originären Ersatzanspruchs. Dieser Doppelbefassung kann jedoch durch eine verstärkte Zusammenarbeit von Gericht und Fonds begegnet werden555. Sieht die gesetzliche Regelung jedoch Beweiserleichterungen vor, so erhöhen sich sowohl die Zahl der Ersatzberechtigten556 als auch die Kosten des Fonds, da die Geltendmachung von Regressansprüchen einen nicht unerheblichen Verwaltungsaufwand erfordert und das Prozessrisiko auf den Fonds, d.h. auf das Kollektiv der Beitragspflichtigen, übertragen wird557. Der Gesetzgeber muss demnach entscheiden, ob und inwieweit die Erleichterung der Entschädigung für sozialpolitisch sinnvoll und notwendig erachtet wird, und die Regressregelungen und die Finanzierungsquellen entsprechend anpassen. Eine andere Problemstellung eröffnet sich im Falle der Insolvenz eines Versicherungsunternehmens. Wegen der weitreichenden Konsequenzen der Zahlungsunfähigkeit eines Versicherers ist es für den Insolvenznachweis nicht zweckmäßig, zunächst jedem einzelnen Betroffenen die erfolglose Zwangsvollstreckung in das Versicherungsvermögen oder eine Haftungsklage gegen den Haftpflichtschuldner aufzuerlegen. Die komplizierte Liquidierung des Versicherungsvermögens und die notwendige Überführung der Verträge in ein anderes Unternehmen können zentral wesentlich effektiver geregelt werden558. Dies erklärt auch, warum das Eintreten des Sicherungsfonds der Lebens- und Krankenversicherer sowie des Entschädi555
Zu diesem Problem im Zusammenhang mit Fondsmodellen im Bereich des Umweltrechts Gütersloh, Umwelthaftungsfonds, S. 72 f. und in Anklängen bereits Ladeur, VersR 1993, 257, 260 f. Zur Zusammenarbeit zwischen Gerichten und Fondsmodellen bei der Geltendmachung von Regressansprüchen, siehe auch unten S. 191 f. 556 So stieg die Zahl der vom FGTI entschädigten Personen nach Wegfall des Insolvenznachweises für Straftaten mit Körperverletzungen sprunghaft an. Siehe G. Roujou de Boubée, Act. Lég. Dalloz 1984, comm. 49. 557 Derart ausgestaltete Garantiefonds nähern sich insoweit den primären Entschädigungsfonds an. Siehe hierzu oben S. 73. 558 Zu den spezifischen Zielsetzungen der Sanierung und der Liquidierung von Versicherungsunternehmen Backes, Die Insolvenz des Versicherungsunternehmens, S. 104 ff.; Plath, Das Lebensversicherungsunternehmen in der Insolvenz, S. 111 ff. sowie grundlegend Sieg, VersR 1964, 693.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
gungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen eng an die versicherungsaufsichtsrechtlichen Regulierungsmaßnahmen geknüpft ist559. 3. Kompensationsfonds als Instrumente zur Schadenskompensation in Ermangelung eines Haftpflichtschuldners Kompensationsfonds, die den dritten und letzten Typ prospektiver Fondsmodelle bilden, zeichnen sich durch eine besondere Beziehung zum allgemeinen Haftungsrecht aus. Sie treten immer dann ein, wenn das bestehende Schadensersatzrecht den Schaden wegen des fehlenden Haftpflichtschuldners nicht erfassen und der Geschädigte grundsätzlich keinen Anspruch auf Schadensausgleich geltend machen kann560. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Schaden keinem bestimmten Schädiger zugerechnet werden kann. Der Gesetzgeber macht daher die unmögliche Schadenszurechnung zum konstituierenden Merkmal eines Kompensationsfonds. Geschädigten wird ein Ersatzanspruch zugesprochen, obgleich deren erlittene Schäden durch eine nichtidentifizierbare Person verursacht worden sind oder keiner Person zugewiesen werden können. Insoweit verlagern Kompensationsfonds auch Schäden, die nach dem Grundsatz casum sentit dominus eigentlich der Verletzte selbst zu tragen hätte561, in die Sphäre entschädigungsrechtlich erfasster Sachverhalte. Im Gegensatz zu den Ergänzungs- und Garantiefonds stellen Kompensationsfonds also keine Verlängerung des haftungsrechtlichen Ersatzanspruchs dar, sondern ergänzen das Schadensersatzrecht um Entschädigungstatbestände, die dem traditionellen Haftungsrecht fremd sind. Die Entschädigung ist demnach nur an den Nachweis geknüpft, dass der Schaden im gesetzlich näher bestimmten Kontext entstanden ist, ohne dass ein Zurechnungszusammenhang zwischen dem Schaden und einem Schädiger nachgewiesen werden muss562.
559 § 12 Abs. 1 Nr. 4 PflVG (Eröffnung eines Insolvenzverfahrens) sowie § 125 Abs. 1 VAG (Anzeige der Zahlungsunfähigkeit nach § 88 Abs. 2 VAG oder drohende Zahlungsunfähigkeit nach § 89 Abs. 1 VAG). 560 Die Grundstruktur eines Haftpflichtfalls beruht auf der Schädiger-GeschädigtenRelation oder, anders gesagt, „it needs two to commit a tort“. So die prägnante Formulierung von Brüggemeier, Prinzipien des Haftungsrechts, S. 43; vgl. auch ders., Haftungsrecht: Struktur, Prinzipien, Schutzbereich, S. 23. 561 Hierzu allgemein Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 1 f. Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, § 75 I 2 a sehen hierin eine Maxime mit „elementare[m] Gerechtigkeitsgehalt“. Zur Verwendung dieses Satzes im Deliktsrecht aus rechtshistorischer Sicht Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, § 53 I a (dort Fn. 2). 562 Diese „Materialisierung“ der Anspruchsvoraussetzungen weist Gemeinsamkeiten mit der bei primär eintretenden retrospektiven Entschädigungsfonds angewandten Kategorisierung von Geschädigtengruppen auf (s. oben S. 96 f.).
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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Die Abkehr von den haftungsrechtlichen Prinzipien ist unterschiedlich stark ausgeprägt, je nachdem ob die Ersatzpflicht von Kompensationsfonds bei Nichtidentifizierung des Haftpflichtigen oder bei fehlender Haftpflicht greift. a) Ersatzpflicht bei Nichtidentifizierung des Haftpflichtschuldners Im Falle der Nichtidentifizierung des Schädigers ist eine zivilrechtliche Haftungsklage aussichtslos, da die zivilprozessrechtliche Klageerhebung der Nennung des Beklagten bedarf563. Zwar besteht im Strafprozessrecht die Möglichkeit durch eine Anzeige „gegen unbekannt“ eine Strafverfolgung einzuleiten, die durch die polizeiliche Ermittlung der Identität des Schädigers zu einer Entschädigung führen kann564. Allerdings richten sich die Aussichten auf eine Aufklärung des Tathergangs nach der Schwere der Verletzung, den Mitteln der Polizeibehörden sowie den Umständen der Tat und können keinesfalls als gesichert gelten. Damit der Geschädigte in diesen Fällen nicht entschädigungslos bleibt, hat der Gesetzgeber mit Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Kompensationsfonds geschaffen. Anders als bei Zufallsschäden, die grundsätzlich in die Sphäre des Trägers des verletzten Rechtsguts fallen565, ist es ein legitimes Anliegen des Sozialstaates, in den Fällen einer Schädigung durch eine unerkannt gebliebene Person den Geschädigten sein Unglück nicht selbst tragen zu lassen. Eine Anwendung der Maxime casum sentit dominus rechtfertigt sich hier nicht, da es sich nicht um einen Zufallsschaden i.e.S. (casus) handelt. So sind schon während der 1930er Jahre in der deutschsprachigen Literatur erste Vorschläge über die Einrichtung eines Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen formuliert worden566, der immer dann eingrei563 § 253 ZPO („Die Klageschrift muss enthalten: 1. die Bezeichnung der Parteien […].“). 564 Nach Ermittlung der Identität des Schädigers kann der Geschädigte ein zivilrechtliches Haftpflichtverfahren anstrengen oder seinen Ersatzanspruch im Rahmen des Adhäsionsverfahrens (§§ 403-406d StGB) vor dem Strafrichter anerkennen lassen. Während im deutschen Recht dem Adhäsionsverfahren kaum praktische Bedeutung zukommt, wird die action civile im französischen Strafverfahrensrecht regelmäßig zur Verfolgung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche benutzt. Zur action civile grundlegend in deutscher Sprache Gewaltig, Die action civile im französischen Strafverfahren, 1990. Vgl. auch Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Bd. 2, Rdnr. 2 O 52 sowie aus neuerer Zeit die rechtsvergleichende Abhandlung Spiess, Das Adhäsionsverfahren in der Rechtswirklichkeit, S. 246 ff. 565 Vgl. Deutsch, VersR 1993, 1041 sowie Looschelders, VersR 1996, 529. 566 Lintz, NeumZ 1935, 849, 854; Thees, DJ 1939, 71, 74; Sieg, Ausstrahlungen der Haftpflichtversicherung, S. 275. Vgl. auch Trendel, DAR 1935, 73, 145 (Sp. 289 ff.); Roeder, Die Stellung der Geschädigten in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung, S. 63
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
fen sollte, wenn weder der Fahrer noch der Halter des unfallverursachenden Fahrzeuges ermittelt werden können. Für diese Fahrerfluchtfälle, in denen die vom Gesetzgeber in Kauf genommenen Schutzlücken der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung deutlich werden, hat sich der Verband der deutschen Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrs-Versicherer (HUKVerband) im Jahre 1955 zur Bewilligung „freiwilliger“ Leistungen verpflichtet, um besondere Härtefälle zu vermeiden567. Sieben Jahre später wurde der neu gegründete Verein Verkehrsopferhilfe e.V. mit dieser Aufgabe betraut568. Mit Inkrafttreten des Pflichtversicherungsänderungsgesetzes vom 5. April 1965 ist diesem Verein die Stellung des in § 12 PflVG n.F. vorgesehenen „Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen“ 569 zugewiesen worden570. Neben diesem Fonds bietet das deutsche Recht mit dem am 11. Mai 1976 erlassenen Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) ein Instrument zum Ersatz von Körperschäden in Fällen nicht identifizierbarer Schädiger, welches jedoch nicht auf einem Fonds beruht571. Im französischen Recht werden jene Bereiche von dem Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages572 und dem mit der Entschädigung von Straftaten betrauten Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d’autres infractions573 abgedeckt. f. und Ullrich, Bericht des Ausschusses für Versicherungswesen über die Einführung einer Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter, S. 25 f. In der (damaligen) Tschechoslowakei wurden diese Gedanken bereits im Jahre 1935 mit der Errichtung eines „Fonds zur Unterstützung bei Unfällen durch Kraftfahrzeuge“ praktisch aufgegriffen (Einzelheiten bei Jannott, Kraftfahrzeughaftpflicht-Recht und -Versicherung, S. 26 f.). 567 Hierzu P.C., VW 1955, 628 sowie Wilms, VP 1960, 193. 568 Fromm, Pflichtversicherung für Kraftfahrzeughalter (Nachtrag), S. 82 f. Der Vertrag zwischen dem Verein Verkehrsopferhilfe e.V. und den Kraftverkehrsversicherern ist abgedruckt in VersR 1963, 1010 ff. 569 Dieser Fonds tritt allerdings nicht nur in den Fällen der Fahrerflucht ein, sondern immer dann, wenn „das Fahrzeug, durch dessen Gebrauch der Schaden verursacht worden ist, nicht ermittelt werden kann“ (§ 12 Abs. 1 Nr. 1 PflVG). Insoweit ist der Tatbestand nicht mit dem Straftat des unerlaubten Entfernens vom Unfallort i.S.v. § 142 StGB identisch, sondern erfasst auch die Benutzung gefälschter Kennzeichen oder die Angabe falscher Personalien. 570 § 1 Verordnung v. 14.12.1965 über den Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen (BGBl. 1965, I, 2093). Siehe bereits oben S. 6 ff. 571 Der Anspruch auf Versorgung in § 1 OEG setzt keine Identifizierung des Urhebers des „vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs“ voraus. Siehe nur BSG, Urt. v. 28.05.1997 – 9 RVg 1/95 –, USK 9714. Zur Frage der Anwendbarkeit des OEG bei Körperverletzungen unbekannt gebliebener Straftäter Tenter/Schleifenbaum, NJW 1988, 1766 und dies., MDR 1991, 1015. Zur Einordnung der Entschädigungsfonds in den Bereich des sozialen Entschädigungsrechts siehe unten S. 144 ff. 572 Siehe oben S. 46 ff. 573 Siehe oben S. 49 ff.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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Bei der Festlegung der Anspruchsvoraussetzungen müssen zwei an sich widersprüchliche Zielstellungen miteinander vereinbart werden. Einerseits dürfen die Entschädigungsvoraussetzungen nicht so strikt sein, dass sie es dem Geschädigten unmöglich machen, seinen Schaden bei der Fondseinrichtung geltend zu machen. Andererseits müssen die Bedingungen so präzise formuliert sein, dass die Kompensationsregelung nicht von „Trittbrettfahrern“ missbraucht werden kann, welche Ausgleich von Schäden suchen, die in ihre eigene Risikosphäre fallen und nicht der dem Gesetz zugrunde liegenden Schadenskategorie entsprechen574. Zur Abgrenzung greift der Gesetzgeber in der Regel auf eine Verknüpfung des Ersatzanspruchs mit dem allgemeinen Haftungsrecht zurück. Am Beispiel der französischen Entschädigungsregelung zugunsten von Opfern von Fahrerfluchtfällen wird jedoch deutlich, dass die Verbindung mit dem Haftungsrecht unterschiedlich stark ausgeprägt sein kann. Zunächst wurde vom Geschädigten der Nachweis verlangt, dass „durch den Unfall ein Ersatzanspruch nach den Regeln des französischen Haftungsrechts begründet ist“575. Damit sollten die Fälle der ungerechtfertigten Inanspruchnahme des Fonds ausgeschlossen werden. Gleichfalls wurde aber dadurch der schwer zu erbringende Nachweis eines Verschuldens des unbekannt gebliebenen gardien des Kraftfahrzeugs verlangt576. Seit der Reform des Kraftfahrzeughaftpflichtrechts im Jahre 1985 genügt nun der Nachweis der implication, also der bloßen Beteiligung eines fremden Fahrzeugs. Weitaus weniger sichtbar ist die Anknüpfung des Ersatzanspruchs an das Haftpflichtrecht im deutschen Recht. Im Bereich der Fahrerfluchtfälle schweigt das Gesetz zu den konkreten Beweisanforderungen. Allein die Gesetzesbegründung gibt den Hinweis darauf, dass „der Geschädigte […] das Vorliegen der zivilrechtlichen Voraussetzungen seines Anspruchs [zu beweisen habe]“, es jedoch im Falle einer Schädigung durch ein nicht ermitteltes Fahrzeug ausreiche, den Unfallverlauf „mit hinreichender Sicherheit“ darzutun577. Schwierigkeiten bereitet hierbei allerdings der Nachweis eines fremdverursachten Verkehrsunfalls, wenn sich der Unfall ohne direkten Kontakt mit dem Fahrzeug des unerkannt gebliebenen Dritten ereignet hat578. 574
Vgl. Schmidt-Salzer, Internationales Umwelthaftungsrecht, Rdnr. 252. Art. 8 Nr. 2 des Décret v. 30.6.1952 („l’accident ouvre droit à réparation au profit de la victime dans les termes de la législation française sur la responsabilité civile“). 576 Zu dieser Fragestellung auf deutscher Sprache T. Schneider, Der Fonds de Garantie Automobile, S. 79 ff. 577 So BT-Drucks. IV/2252, S. 24 f. 578 Eckardt, VersR 1970, 1090, 1091 f.; Bruck/Möller-Johannsen, Kommentar zum VVG8, Bd. V/1, Anm. B 106; Schmeer, ZVersWiss 1985, 686, 690 sowie Weber, DAR 1987, 333, 338 f. Zum französischen Recht T. Schneider, Der Fonds de Garantie Automobile, S. 81. 575
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Die weitgehende Reduzierung der Anspruchsvoraussetzungen auf die glaubhafte Darlegung einer Schädigung mit Fremdeinwirkung579 verdeutlicht die Abkehr von der bilateralen Orientierung des Haftungsrechts. In den meisten Fällen einer Schädigung durch unerkannt gebliebene Täter reicht es aus, den Hergang der Schädigung aus der eigenen Sicht zu erläutern und durch Einzelheiten zu ergänzen, welche auf eine Fremdverursachung hindeuten580. Auf Indizien, die für eine von einem Dritten verursachte Schädigung sprechen, kann dennoch nicht verzichtet werden, sollen Kompensationsfonds nicht die Rolle einer ausschließlich final orientierten Sozialversicherung übernehmen581. b) Ersatzpflicht bei fehlender Haftpflicht Ein vollständiger Bruch mit dem Haftungsrecht wird bei jenen Kompensationsfonds vollzogen, die Ausgleich von Schäden leisten, welche keinem Schädiger oder keiner individualisierbaren Schädigergruppe zugewiesen werden können. Grundidee des Haftungsrechts ist es, alle Schäden, für die kein Schädiger einstehen muss, bei dem Rechtsgutsträger als „allgemein Zuständigem“ zu belassen582. Zwar zeichnet sich die Entwicklung des Haftungsrechts und besonders der Gefährdungshaftung dadurch aus, dass der Bereich der haftungsrechtlich erfassten Schadensfälle kontinuierlich größer geworden ist583. Jedoch bestehen nach wie vor Fallgruppen, die weder im Rahmen der Verschuldens- noch der Gefährdungshaftung auf einen Dritten abgewälzt werden können. Als Instrument zur Begrenzung der Schäden, die als Unglücksschäden vom Geschädigten selbst zu tragen sind, haben sich in der zweiten Hälfte 579 Nach der auf den FGTI anzuwendenden Regelung des Art. 706-3 C. proc. pén. genügt es, dass das Opfer der Straftat nachweist, dass seine Verletzung durch „vorsätzliche oder nicht vorsätzliche Handlungen [verursacht wurde], welche den materiellen Tatbestand einer Straftat erfüllen“ („faits volontaires ou non qui présentent le caractère matériel d’une infraction“). Kritisch zu dieser Formulierung Jestaz, RTD civ. 1977, 364, 386. 580 Beispiele gibt Eckardt, VersR 1970, 1090, 1091. 581 In diesem Sinne schon Besson, JCP G 1952, I, Nr. 1027, Rdnr. 8 und Picard, RGAT 1952, 105, 106. 582 Deutsch, VersR 1993, 1041, 1043 sowie Looschelders, VersR 1996, 529. Vgl. auch § 1311 des österreichischen ABGB („Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet.“). Im Bereich der Körperschäden nimmt das Sozialversicherungsrecht dem Geschädigten gleichwohl in begrenztem Maße die finanziellen Folgen der Schädigung ab. Die Leistungen erreichen jedoch nicht das Niveau einer haftungsrechtlichen Totalreparation. 583 Die Frage, ob der Verletzte Zufallsschäden selbst zu tragen hat oder ob es gerechter ist, die Verantwortlichkeit bei einer der Schadensverursachung näher stehenden Person zu suchen, durchzieht die dogmatische Diskussion um das Prinzip der Gefährdungshaftung wie ein roter Faden. Hierzu statt vieler Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 69 ff.
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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des 20. Jahrhunderts Kompensationsfonds herausgebildet. Um diese Entschädigungseinrichtung vor missbräuchlicher Inanspruchnahme zu schützen, machen die gesetzlichen Regelungen den Ersatzanspruch von einem bestimmten Schadenshergang abhängig584. Dies unterscheidet den Kompensationsfonds von dem final ausgerichteten Sozialversicherungsrecht, in dem der Geschädigte seine bloße Beeinträchtigung nachweisen muss. Kompensationsfonds, die Schadensersatz für Körperschäden gewähren, ergänzen die Leistungen des Sozialversicherungsrechts oder privater Unfallversicherungen, auf die ein Geschädigter bei Zufallsschäden zurückgreifen kann. So tritt im französischen Recht die staatliche Entschädigungsstelle ONIAM bei Schädigungen ohne nachweisbares Verschulden eines Heilberuflers, also bei unverschuldeten Medizinunfällen, ein585. Es handelt sich hierbei nicht um Fälle, in denen der Schaden dem Fehlverhalten eines Heilberuflers oder dem Gesundheitszustand des Patienten zugeordnet werden kann, sondern um Fallgruppen, bei denen sich das „aléa thérapeutique“, d.h. das jeder Heilbehandlung immanente therapeutische Risiko, realisiert586. Die konzeptuelle Nähe der Kompensationsfonds zur Sozialversicherung und zur privaten Unfallversicherung zeigt sich auch darin, dass während der Diskussion um die Reform des Medizinschadensrechts alle drei Instrumente als Regelungsperspektiven diskutiert worden waren, bevor sich der Gesetzgeber in extremis für die Einrichtung eines Fonds entschieden hat587. Der Haupteinsatzbereich von Kompensationsfonds ist die Unterstützung von Personengruppen in Fällen, in denen die erlittenen Schäden (besonders Sachschäden) auf bloßem Zufall, Naturereignissen oder dem Zusammenwirken unbestimmt vieler Personen (sog. Summationsschäden) beruhen. Hier seien im deutschen Recht die Bergschadensausfallkasse, der Klärschlamm-Entschädigungsfonds sowie die landesgesetzlich geregelten Tierseuchenkassen genannt588. Besonders intensiv sind Fondsmodelle in den 1980er und 1990er Jahren zum Ausgleich von Schäden durch Luftverschmutzung (sog. „Waldschäden“) diskutiert worden589. Auch das franzö584 Zur Abgrenzung des Sozialrechts und des Rechts der Entschädigungsfonds siehe unten S. 139 ff. 585 Näher zum ONIAM siehe oben S. 53 ff. 586 Nitschmann, Das Arzt-Patient-Verhältnis, S. 288 spricht von „Fälle[n], die gewissermaßen der Sphäre des Schicksalhaften, des antiken fatum oder dem angelsächsischen act of god zuzuordnen sind“. In französischer Sprache bietet Reboul-Maupin, in: Laude/Mouralis/Pontier (Hrsg.), Lamy Droit de la santé, Rdnr. 525-15 ff. zum Begriff des „aléa thérapeutique“ eine umfassende Erörterung. 587 Näher zu den diversen Gesetzentwürfen und den parlamentarischen Vorarbeiten siehe oben S. 55. 588 Zu diesen Fondseinrichtungen näher oben S. 21 f., 24 f. und 33 f. 589 Nachweise oben in Fn. 205.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
sische Entschädigungsrecht sieht Kompensationsfonds für jene Schadenskategorien vor. Neben dem nach deutschem Muster errichteten Klärschlamm-Entschädigungsfonds sind Fondseinrichtungen für landwirtschaftliche Schäden durch Naturkatastrophen oder durch Wildtiere errichtet worden590. Die Abgrenzung der Gruppe der Ersatzberechtigten erfolgt bei diesen Entschädigungsregimes über eine exakte Bestimmung des Schadenskontextes. Auch hier stellt sich die Frage, wie der Anwendungsbereich der Regelung definiert werden kann, dass ausschließlich die vom Gesetzgeber bestimmte Geschädigtengruppe den Fonds in Anspruch nehmen kann und eventuelle „Trittbrettfahrer“ vom Missbrauch ausgeschlossen sind591. Hierzu werden bei den Entschädigungseinrichtungen Kommissionen oder Beiräte gebildet, die untersuchen sollen, ob die Rechtsgutsverletzung des Antragstellers mit der im Gesetz vorgesehenen Schadenskategorie übereinstimmt. Dazu kann dem Antragsteller selbst die Beweislast auferlegt werden oder den Fondsorganen die Ermittlung des Schadenshergangs, gegebenenfalls mit Hilfe externer Sachverständiger, zugewiesen werden592. Insoweit entspricht die Bearbeitung des Entschädigungsantrags durch den Fonds der versicherungsrechtlichen Abwicklung eines Schadensfalls, bei der der Versicherer überprüft, ob der geltend gemachte Schaden von dem im Versicherungsvertrag vereinbarten Risiko gedeckt ist. Der Staat schließt durch die Errichtung von Kompensationsfonds auch deshalb eine Entschädigungslücke, da in manchen der genannten Bereiche kaum Möglichkeiten zum Abschluss einer Versicherung bestehen. Symptomatisch für den Zusammenhang zwischen Kompensationsfonds und der Nichtversicherbarkeit bestimmter Risiken ist die Regelung des französischen Klärschlamm-Entschädigungsfonds, nach der die für die Bearbeitung der Anträge zuständige Expertenkommission einen Schadensersatz nur 590
Details zu diesen Kompensationsfonds oben S. 59 ff. Hierzu bereits oben S. 119 im Zusammenhang mit der Eintrittspflicht von Kompensationsfonds bei unerkannt gebliebenen Schädigern. 592 So hat der in § 2 Klärschlamm-Entschädigungsfondsverordnung vorgesehene Beirat nicht nur eine beratende Funktion, sondern wirkt als Organ des Fonds maßgeblich bei der Entscheidung über Entschädigungsanträge mit (siehe BT-Drucks. 13/9977, S. 10). Besondere Beweiserleichterungen sind in § 9 Düngemittelgesetz nicht vorgesehen, sodass der Geschädigte sowohl seinen Schaden als auch die Ursächlichkeit der Klärschlammaufbringung für die Entstehung des Schadens beweisen muss. Anders aber die Regelung im Bereich der Wildschäden (siehe z.B. § 13 der Mustersatzung für Wildschadensausgleichskassen in Mecklenburg-Vorpommern [WAKVO M-V]). Der Wildschaden wird danach behördlich von der zuständigen Ordnungsbehörde festgestellt. Vgl. auch die Ausführungsgesetze der Länder des Tierseuchengesetzes (z.B. § 12 AGTierSGBbg [„Gutachten des Amtstierarztes“]) sowie § 10 der Satzung der Bergschadensausfallkasse zu den Aufgaben der zu bildenden Regulierungsausschüsse (abgedruckt in ZfB 130 [1989], 86, 89). 591
II. Retrospektive und prospektive Fondslösungen
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dann zusprechen soll, wenn für die geltend gemachten Schäden kein Versicherungsschutz angeboten wurde593. Ein ähnlicher Zusammenhang besteht im französischen Recht auch auf dem Gebiet des Ausgleichs von Agrarschäden im Zuge von Naturkatastrophen594. C. Zusammenfassung: Grenzen der Unterscheidung zwischen prospektiven und retrospektiven Entschädigungsfonds Eine Untersuchung bestehender Entschädigungsfonds lässt sowohl im Hinblick auf die Ziele des Gesetzgebers als auch hinsichtlich der Unterschiede der jeweiligen Entschädigungsvoraussetzungen auf eine weitgehende Zweispurigkeit der Entwicklung von Fondslösungen schließen. So werden Entschädigungsfonds immer dort als Instrumente zur Schadensregulierung eingesetzt, wo entweder eine zügige Abwicklung von Massenschäden angezeigt ist oder langfristig Lücken des Haftungsrechts zugunsten bestimmter Geschädigtengruppen geschlossen werden sollen. Die Ausführungen über die Funktionsweise beider Fondskategorien haben deutlich gemacht, dass eine Korrelation zwischen der Regelungsintention des Gesetzgebers und der Ausgestaltung der Entschädigungsregimes besteht. So erweisen sich retrospektiven Fondslösungen in der Regel als primäre Entschädigungsfonds, die auch dann Ersatzleistungen erbringen, wenn der Antragsteller zuvor nicht den Versuch unternommen hat, auf anderem Wege Schadensersatz zu erhalten. Das primäre Eingreifen des Fonds erklärt sich durch die rechtspolitischen Zielvorstellungen des Gesetzgebers: Eine Ad-Hoc-Maßnahme soll möglichst schnell Abhilfe für das Leiden bestimmter Geschädigter schaffen und potenzielle Schadensersatzansprüche außergerichtlich kanalisieren. Prospektiven Fondslösungen hingegen liegt eine Subsidiaritätsregel zugrunde. Jene Entschädigungsfonds leisten nur in den Fällen Schadensersatz, in denen der Geschädigte nicht anderweitig Kompensation erhalten kann. Das rechtspolitische Augenmerk liegt auf einer nachhaltigen Verbes593
Siehe Art. R. 424-13 C. assur. Auch im Gesetzgebungsverfahren in Deutschland wurde die Errichtung des Klärschlamm-Entschädigungsfonds als Reaktion auf die Weigerung der Versicherungsunternehmen, einen ausreichenden Deckungsschutz anzubieten, gedeutet. Siehe Paetz, Wasser & Boden 5/1995, 56; W. Müller, Städtetag 1995, 382, 386 f. und bereits Schmeken, StGRat 1990, 311, 312. 594 So wurde der Fonds national de garantie des calamités agricoles (FNGCA) im Jahre 1964 errichtet, um landwirtschaftliche Schäden abzudecken, für die Versicherungsunternehmen wegen der Unvorhersehbarkeit von Naturkatastrophen kein Versicherungsprodukt anboten. Seit dem Gesetz v. 5.1.2006 finanziert der Fonds auch Zuschüsse, die es Landwirten erlauben soll, sich durch Abschluss einer Schadenversicherung gegen dieses Risiko abzusichern. Hierzu Billet, Rev. dr. rur. 2006, étude 11 sowie allgemein zur Wandlung der Fondsaufgaben Chapuis, Risques 1994 (Nr. 20), 33 sowie Bertheuil, Les mécanismes de protection du revenu en agriculture, S. 23 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
serung der Rechtsposition des Geschädigten, die dadurch erreicht werden soll, dass zum Schließen der Schutzlücken des Entschädigungsrechts Entschädigungsfonds eingerichtet werden. Der Unterschied zwischen retrospektiven und prospektiven Entschädigungsfonds manifestiert sich überdies im Umfang der Entschädigungsleistungen, auf den noch im weiteren Verlauf der Untersuchung zurückzukommen sein wird595. Während sich retrospektive Fonds tendenziell am Grundsatz der Totalreparation orientieren, da der Anspruch des Berechtigten gegen den Fonds eine Geltendmachung des haftungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs ersetzen soll, sind die Leistungen prospektiver Fonds häufig auf den Ersatz der wichtigsten, existenzgefährdenden Schadenspositionen begrenzt. So hilfreich eine Unterscheidung zwischen beiden Fondskategorien für die juristische Analyse des Themenkomplexes ist, kann auch hier eine klare Grenze zwischen beiden Fondskategorien nicht gezogen werden596. So können zum Beispiel Fondseinrichtungen geschaffen werden, die zwar nicht die Bewältigung eines bereits abgeschlossenen Großschadensfalls zur Aufgabe haben, jedoch ihren rechtspolitischen Ursprung in einer bestimmten Katastrophe haben, deren Besonderheiten auf die Anspruchsvoraussetzungen und den Umfang der Entschädigungsleistungen „abfärben“. So ist die Notwendigkeit einer Entschädigungsregelung zugunsten von Opfern von Industrieunfällen597 im französischen Recht erst durch die Explosion der Chemiefabrik AZF in der Nähe von Toulouse im September 2001 offenbar geworden. Wurden die durch den Unfall verursachten Schadensfälle noch spontan und unbürokratisch durch eine Kooperation zwischen Versicherern und Fabrikbetreibern bewältigt, so können sich Geschädigte nunmehr an den Garantiefonds der Pflichtschadensversicherer (FGAO) wenden598. Die auf die Entschädigungsanträge angewandten Regeln gelten ausschließlich für die Kategorie der Industrieunfälle und beschränken sich auf den Ersatz von Sachschäden599. 595
Siehe unten S. 180 ff. Zu den Grenzen juristischer Konstruktion als Mittel juristischer Systembildung siehe insbesondere Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 441 ff. m.w.N. sowie aus dem französischsprachigen Schrifttum Bergel, Méthodologie juridique, S. 254 ff. und van de Kerchove/Ost, Le système juridique entre ordre et désordre, S. 117 ff. 597 Zu dieser Regelung siehe oben S. 46 f. 598 Ebd. 599 Diese Einschränkung erklärt sich durch die Charakteristika der Schäden der Toulouser Explosion. Die Katastrophe verursachte eine außerordentlich hohe Zahl an Schäden an Wohnungen und Fahrzeugen, aber nur eine vergleichsweise geringe Anzahl an Personenschäden. Obgleich andere Industrieunfälle (Tschernobyl, Bhopal, Seveso etc.) zeigen, dass derlei Katastrophen auch entgegengesetzte Schadenswirkungen haben können, wurde auf eine Ausweitung der Fondslösung auf Personenschäden verzichtet. Kri596
III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
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III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen innerhalb des Entschädigungsrechts III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
Nach der systematischen Darstellung bestehender Entschädigungsfonds ist nunmehr die rechtliche Natur dieser Kompensationsinstrumente zu erörtern. Handelt es sich hierbei um ein eigenständiges Schadensausgleichsmodell oder lediglich um eine Abwandlung eines bestehenden Rechtsinstituts? Die Grundidee von Entschädigungsfonds, die Folgen einer Rechtsgutsverletzung weder dem Geschädigten noch dem Haftpflichtschuldner, sondern einem Kollektiv zuzuweisen, erinnert an den Genossenschaftsgedanken, auf welchem sowohl das Privat- als auch das Sozialversicherungsrecht fußt600. Ähnlich dem Assekuranzmodell beruht die Funktionsweise eines Entschädigungsfonds auf der Transformation von Einzelrisiken in ein Kollektivrisiko. Fondseinrichtungen treten überdies ebenso wie Privatversicherer oder Sozialversicherungsträger in eine Mittlerrolle innerhalb der Schädiger-Geschädigten-Relation. Schließlich gewähren Fondslösungen in Ermangelung eines Haftpflichtschuldners wie Schadensversicherer oder Sozialversicherungsträger auch kompensatorisch wirkende Leistungen. Angesichts dieser Parallelen soll daher im Folgenden untersucht werden, ob und inwiefern sich Fondslösungen von versicherungs- und sozialrechtlichen Instrumenten unterscheiden. Ziel dieses Kapitels ist es, die unter dem Begriff „Entschädigungsfonds“ zusammengefassten Einrichtungen so exakt wie möglich in das Gesamtgefüge des Schadensersatzrechts einzuordnen. A. Abgrenzung von Fondslösungen zu privatversicherungsrechtlichen Instrumenten Eine vergleichende Untersuchung von Entschädigungsfonds und versicherungsrechtlichen Instrumenten wird dadurch erschwert, dass wohl kaum eine Frage des Versicherungsrechts so umstritten ist wie die Definition des
tisch hierzu Guégan-Lécuyer, D. 2004, 17, Rdnr. 18; Courtieu, JCP E 2004, 1001, Rdnr. 2 sowie Steinlé-Feuerbach, in: Camproux-Duffrène (Hrsg.), Les risques technologiques, S. 21, 27. 600 Zum genossenschaftlichen Gedanken als einer der beiden „Wurzeln“ der modernen Versicherung (neben dem erwerbsorientierten Gedanken des Spekulationsgeschäfts) siehe Büchner, in: FS Möller, S. 111, 117 ff. sowie Berliner Kommentar/Schwintowski, § 1, Rdnr. 6. Zum Versicherungsgedanken im Sozialversicherungsrecht Wannagat, Lehrbuch des Sozialversicherungsrechts Bd. 1, S. 17 ff. sowie umfassend zur geschichtlichen Entwicklung Rolfs, Das Versicherungsprinzip im Sozialversicherungsrecht, S. 4 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Versicherungsbegriffs601. Die größte Hürde liegt darin, das Wesen der Versicherung sowohl in juristischer als auch ökonomischer und mathematischer Sicht zu erfassen. Je nach Sichtweise kann der Versicherungsbegriff auf das bloße Vertragsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer reduziert werden oder die Funktion der Deckung eines durch ein nachteiliges Ereignis entstehenden Bedarfs mittels der Bildung einer Gefahrengemeinschaft (sog. Bedarfsdeckungstheorie)602 hervorgehoben werden. Überdies müssen die besonderen Methoden der Finanzmathematik bei der Erarbeitung einer Definition berücksichtigt werden603. Ziel dieser Arbeit ist es keinesfalls, die Zahl der erarbeiteten Definitionen mehren zu wollen. Allenfalls soll auf die wesentlichen Aspekte des Versicherungsbegriffs eingegangen werden. In Anbetracht der Vielschichtigkeit des Versicherungsbegriffs muss ein Vergleich zwischen der Funktionsweise von Privatversicherungen und Fondsmodellen sowohl die Kriterien des Versicherungsvertrags604, d.h. die 601
So führt Schmidt-Salzer an, dass es „Generationen deutscher Juristen“ nicht gelungen sei, über den Begriff des Versicherungsvertrags Einigkeit zu erzielen (in: FS E. Lorenz, S. 587). Auch in Frankreich hat die Jahrzehnte währende Debatte über den Versicherungsbegriff kaum Klarheit geschaffen. Siehe nur den umfassenden Überblick bei Fontaine, Essai sur la nature juridique de l’assurance-crédit, S. 34 ff. Vgl. auch die prägnante Formulierung von Patterson/Young, Cases and materials on the law of insurance, S. 2: “To answer the question, ‘What is insurance?’, one must first ask ‘Why do you want to know?’.” 602 Diese Theorie wurde zunächst von Gobbi (Zeitschrift für Versicherungsrecht und -Wissenschaft 1896, 465 ff. u. 1897, 246 ff.) formuliert und von Manes (Versicherungswesen, Bd. 1, S. 8) und Möller (ZVersWiss 1962, 269) weiterentwickelt. Zu anderen Ansätzen (Schadensersatztheorie, Vermögensgestaltungstheorie und Plansicherungstheorie) im Überblick Berliner Kommentar/Schwintowski, § 1, Rdnr. 17 m.w.N. sowie Bruck/Möller-Baumann, Kommentar zum VVG, Bd. 1, § 1, Rdnr. 12. 603 Das BVerwG hat die einzelnen Elemente des Versicherungsbegriffs zu einer knappen Definition verarbeitet, wonach ein Versicherungsgeschäft (im Französischen treffend als opération d’assurance bezeichnet) dann gegeben ist, „wenn gegen Entgelt für den Fall eines ungewissen Ereignisses bestimmte Leistungen übernommen werden, wobei das übernommene Risiko auf eine Vielzahl durch die gleiche Gefahr bedrohter Personen verteilt wird und der Risikoübernahme eine auf dem Gesetz der großen Zahl beruhende Kalkulation zugrunde liegt“ (Urt. v. 22.3.1956 – I C 147.54 – BVerwGE 3, 220, 221). Die Definition wird vom BVerwG und BGH in ständiger Rechtsprechung angewendet. Vgl. aus neuerer Zeit BGH, Urt. v. 29.9.1994 – I ZR 172/92 – NJW 1995, 324, 325 sowie BVerwG, Urt. v. 29.9.1992 – 1 A 26/91 – NJW-RR 1993, 289. Zur Unterscheidung zwischen Versicherungsvertrag und -geschäft Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 55 f. 604 Im Einzelnen sind dies das Versprechen einer Leistung für den Fall des Eintritts eines ungewissen Ereignisses (versichertes Risiko), das versicherte Interesse, die Entgeltlichkeit der Leistung, die Leistung als selbstständiger Gegenstand des Vertrages sowie das Bestehen eines Rechtsanspruchs. Hierzu detailliert statt vieler Beckmann/MatuscheBeckmann/Lorenz, Versicherungsrechts-Handbuch, § 1, Rdnr. 112 ff.
III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
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strikt rechtliche Komponente, als auch versicherungsökonomische und -mathematische Elemente605 berücksichtigen. Hierzu sollen in einem ersten Schritt Gemeinsamkeiten zwischen einzelnen Fondstypen und Figuren der Privatversicherung aufgezeigt werden, die zunächst Verständnis für eine rechtliche Einordnung der Fonds als „versicherungsähnliche“ Instrumente606 oder als „Para-Assekuranz“607 wecken. In einem zweiten Schritt werden die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Entschädigungsinstrumenten erörtert. „
“
1. Gemeinsamkeiten zwischen Fondslösungen und Figuren der Privatversicherung Angesichts der zahlreichen Formen der Privatversicherung verwundert es nicht, dass Fondslösungen mehrere Gemeinsamkeiten mit dem Assekuranzmodell aufweisen. So können die Beiträge zur Finanzierung eines Fonds als Versicherungsprämien verstanden werden, was den Fondseinrichtungen die Rolle eines Versicherers zuweist. Die Leistungen des Fonds entsprächen somit den Leistungen eines Versicherers, zumal beide auf Ersatz eines Schadens gerichtet sein können608. Schließlich haben sowohl Beitragspflichtige als auch der Fonds und die Anspruchsberechtigten ein Interesse am Nichteintritt des Schadens, also eine gewisse „Wertbeziehung“ zum potenziell betroffenen Rechtsgut609. Während einige Versicherungsmerkmale also recht problemlos mit Charakteristika der Entschädigungsfonds in Übereinstimmung gebracht werden können, lässt eine Gegenüberstellung des versicherten Risikos, also der Definition des Versicherungsfalls, und des vom Fonds gedeckten Schadensfalls mehrere Interpretationen zu. Im Einzelnen weisen 605
Dies sind die Bildung einer Gefahrengemeinschaft und die Kalkulation nach dem mathematischen Gesetz der großen Zahl. Vgl. Beckmann/Matusche-Beckmann/Lorenz, Versicherungsrechts-Handbuch, § 1, Rdnr. 117. 606 Baumann, Probleme monopolistischer Entschädigungsfonds, S. 18; Rehbinder, in: Hansmann/Sellner (Hrsg.), Grundzüge des Umweltrechts, Rdnr. 3.159 ff. sowie Landsberg, StG 1994, 136, 138. Siehe auch Mehrkens, AgrarR 1989, 119, 122. 607 So de Boissieu, Introduction à l’assurance, S. 117. Landau benutzt den Begriff des „Versicherungsfonds“ (in: Duden/Külz [Hrsg.], Gerechtigkeit in der Industriegesellschaft, S. 117, 121). 608 Im Falle der Schadensversicherungen ist die Übereinstimmung zwischen der Versicherungsleistung und dem geltend gemachten Schaden Ausdruck des Prinzips der konkreten Bedarfsdeckung. 609 So die Definition des versicherten Interesse bei Beckmann/Matusche-Beckmann/ Lorenz, Versicherungsrechts-Handbuch, § 1, Rdnr. 121. Vgl. auch Möller, ZVersWiss 1962, 269, 287. Zum Streit über die Rolle des versicherten Interesses als Wesensmerkmal der Versicherung siehe die zahlreichen Nachweise bei Berliner Kommentar/Schauer, Vorbem. §§ 49-68a, Rdnr. 43 ff. sowie umfassend Schweitzer, Das versicherte Interesse, S. 75 ff. u. 102 ff. Aus dem französischen Schrifttum jüngst Provost, La notion d’intérêt d’assurance, Rdnr. 15 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
densfalls mehrere Interpretationen zu. Im Einzelnen weisen Entschädigungsfonds Gemeinsamkeiten mit den Figuren der Haftpflichtversicherung, der Schadensversicherung und z.T. mit der Kreditversicherung auf. a) Entschädigungsfonds als Haftpflichtversicherungen? Die Haftpflichtversicherung nimmt dem Versicherten die wirtschaftlichen Folgen einer haftungsrechtlichen Schadensersatzpflicht gegenüber Dritten und wälzt diese auf den Versicherer ab. Da sich die Leistung des Versicherers am Umfang des Haftpflichtfalls orientiert, handelt es sich hierbei nicht um eine Summen-, sondern um eine Schadensversicherung. Der Versicherer ist verpflichtet, den Versicherungsnehmer von Ansprüchen freizustellen, die von einem Dritten auf Grund des Haftungsrechts geltend gemacht werden können610. Vom Versicherungsschutz gedeckt ist demnach nicht bereits die Entstehung haftungsrechtlicher Ansprüche, sondern erst deren gerichtliche oder außergerichtliche Geltendmachung611. Das für diese Versicherungssparte charakteristische Dreiecksverhältnis zwischen Versicherer, Versicherungsnehmer und dem geschädigten Dritten lässt sich auf die Personenkonstellation bei Eintritt eines Entschädigungsfonds übertragen. Der Fonds nähme die Rolle des Haftpflichtversicherers ein, der dem geschädigten Dritten Schadensersatz leistet und dadurch den Beitragszahler als Versicherungsnehmer und eigentlichen Anspruchsgegner freistellt. Das individuelle Haftpflichtrisiko der Finanzierer des Fonds würde somit auf die Risikogemeinschaft übertragen, die zur Finanzierung des Fonds verpflichtet ist. Der Anspruch des Ersatzberechtigten gegen den Fonds stünde somit dem Direktanspruch des geschädigten Dritten gegen den Versicherer gegenüber612. Dieser Direktanspruch verdrängt keineswegs den originären haftungsrechtlichen Ersatzanspruch, sondern eröffnet dem Geschädigten 610
Vgl. im deutschen Recht § 100 VVG. Hierzu detailliert Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider, VersicherungsrechtsHandbuch, § 24, Rdnr. 131. Zur komplexen Frage des zeitlichen Geltungsbereichs der Haftpflichtversicherung statt vieler Berliner Kommentar/Baumann, § 149, Rdnr. 152 ff. m.w.N. 612 Anders als im französischen Recht, welches dem Geschädigten bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts einen Direktanspruch gegen den Haftpflichtversicherer zuerkannte (Civ., Urt. v. 17.7.1911, D. 1912, I, 81, Anm. Planiol), kannte das deutsche Recht bis zur Neufassung des VVG nur in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (§ 3 Nr. 1 PflVG a.F.) einen unmittelbaren Leistungsanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer. Rechtsvergleichend Bott, Der Schutz des Unfallgeschädigten, S. 37 ff. sowie aus neuerer Zeit Heidl, VVG-Reform, S. 378 ff. Zur aktuellen Regelung des § 115 VVG siehe insb. Beckmann/Matusche-Beckmann/Schneider, Versicherungsrechts-Handbuch, § 24, Rdnr. 176 ff. Zur rechtlichen Einordnung des Direktanspruchs Bruck/MöllerJohannsen, Kommentar zum VVG8, Bd. V/1, Anm. B 6 ff. m.w.N. 611
III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
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eine Wahlmöglichkeit zwischen einer Haftungsklage gegen den Schädiger oder einer Direktklage gegen den Versicherer. Beitragszahler des Fonds (~ Versicherungsnehmer/ Haftpflichtschuldner)
Entschädigungsfonds (§ Haftpflichtversicherer)
(Direktanspruch)
Schadensersatzanspruch (Haftpflichtanspruch) Geschädigter
Eine Einordnung der Entschädigungsfonds als Haftpflichtversicherer setzt jedoch voraus, dass den Beitragszahler gegenüber dem geschädigten Dritten tatsächlich eine Pflicht zum Schadensersatz trifft. Die Frage nach dem Zurechnungszusammenhang zwischen den erfassten Schäden und den Beitragspflichtigen, geschweige denn nach einem Haftpflichtverhältnis zwischen Geschädigtem und Beitragszahler, ist jedoch im Recht der Entschädigungsfonds keineswegs eindeutig zu beantworten. Während bei retrospektiven Fonds eine juristische Verantwortlichkeit der Finanzierer allenfalls vermutet werden kann613, ist die Aufgabe von prospektiven Fonds gerade das Ausfüllen von Lücken des Haftungsrechts, also von Lücken, in denen der Geschädigte sich eben nicht auf einen haftungsrechtlichen Schadensersatzanspruch berufen kann614. Die Parallelen zwischen Entschädigungsfonds und Haftpflichtversicherer sind insoweit begrenzt, als der Auslöser des Versicherungsfalls, die Haftpflicht des Versicherungsnehmers, im Recht der Entschädigungsfonds erhebliche Unsicherheiten birgt. b) Entschädigungsfonds als Sachschadens- oder private Unfallversicherungen? Neben der Haftpflichtversicherung können auch andere Figuren der Schadensversicherung zum Vergleich herangezogen werden. Gewisse Ähnlichkeiten sind insbesondere mit der Sachschadens- und privaten Unfallversi613
Siehe oben S. 89 ff. Eine Ausnahme bilden hier die Kompensationsfonds, welche immer dann eintreten, wenn ein Schadensersatzanspruch wegen Vermögenslosigkeit oder Nichtidentifikation des Schuldners ins Leere läuft. Vgl. auch die Eröffnung des Direktanspruchs gegen den Versicherer bei Insolvenz oder unbekanntem Aufenthalt des Versicherungsnehmers nach § 115 Abs. 1 Nr. 2 und 3 VVG. 614
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
cherung gegeben, die nach dem Prinzip der abstrakten Bedarfsdeckung eintreten und immer dann zur Leistung verpflichtet sind, wenn der Versicherte einen bestimmten Personen- oder Sachschaden erleidet. Die Leistungspflicht des Versicherers besteht in diesen Fällen unabhängig von etwaigen haftungsrechtlichen Schadensersatzansprüchen. Der Vergleich mit der Funktionsweise von Fondseinrichtungen wird dadurch erleichtert, dass die den Fondslösungen immanente Entkopplung von Haftung und Entschädigung dem Wesen von Schadens- und privaten Unfallversicherungen mehr entspricht als dem der Haftpflichtversicherung. Entschädigungsfonds (~ Versicherer)
Beitragszahler des Fonds (~ Versicherungsnehmer)
Versicherung für fremde Rechnung Schadensersatz Geschädigter (§ Versicherter)
Überträgt man die Logik jenes Versicherungstyps auf das Recht der Entschädigungsfonds sind die Beitragsleistungen der Finanzierer des Fonds mit den Prämien des Versicherungsnehmers vergleichbar, mittels derer einem Dritten zu einem Versicherungsschutz verholfen wird. Es kann sich also nur um eine Art der Versicherung für fremde Rechnung handeln, bei der die Rollen des Versicherungsnehmers und des Versicherten auseinander fallen und zwei verschiedenen Personen zugeordnet werden. Dass die Person des begünstigten Versicherten erst beim Schadensfall identifiziert werden kann, steht insoweit einer Einordnung als Versicherung nicht entgegen, da die versicherungsrechtlichen Vorschriften ausdrücklich den Abschluss einer Versicherung auch ohne ausdrückliche Nennung des Trägers des versicherten Interesses erlauben615. Lediglich dessen objektive Bestimmbarkeit wird vom Gesetz verlangt. Gehört zu den bei Vertragsabschluss nicht individualisierten Trägern des versicherten Interesses auch
615 § 43 Abs. 1 VVG („Der Versicherungsnehmer kann den Versicherungsvertrag im eigenen Namen für einen anderen, mit oder ohne Benennung der Person des Versicherten, schließen [Versicherung für fremde Rechnung].“). Vgl. auch Art. L. 112-1 Abs. 2 C. assur. Rechtsvergleichend zu den Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Versicherung für fremde Rechnung Ganz, Die Fremdversicherung, S. 56 ff.
III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
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der Versicherungsnehmer selbst, so könnte es sich um eine Versicherung für Rechnung „für wen es angeht“616 handeln. Durch die Beitragszahlung der als Versicherungsnehmer auftretenden Finanzierer des Fonds wird dem Geschädigten617 ein Versicherungsschutz für die Fälle verschafft, in denen dieser einen von der Entschädigungsregelung erfassten Sach- oder Personenschaden erleidet. Dass hierbei zwischen dem Beitragszahler und dem geschädigten Dritten vor dem Eintritt des Schadens in aller Regel keinerlei Rechtsverhältnis besteht, tut einer Einordnung als Versicherung für fremde Rechnung keinen Abbruch618. Ebenso wenig steht ein vermuteter Zurechnungszusammenhang zwischen den abgedeckten Schäden und den Beitragspflichtigen619 einer rechtlichen Einordnung als Schadensversicherung für fremde Rechnung entgegen620. c) Garantiefonds als Personenkautionsversicherungen? Auf Grund ihrer Sicherungsfunktion sind Garantiefonds schließlich auf Gemeinsamkeiten mit dem Institut der Kreditversicherung hin zu überprüfen. Die juristische Literatur hat sich hierbei in der Vergangenheit hauptsächlich auf die rechtliche Einordnung des Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen sowie des Fonds de garantie automobile konzent616
Zur Abgrenzung zwischen der Versicherung „für wen es angeht“ und der Versicherung für fremde Rechnung mit unbenanntem Versicherten deutlich Anli, Versicherung für fremde Rechnung, S. 61 f. 617 Je nach Ausgestaltung der Beitragspflicht kann auch der Beitragszahler die Rolle des begünstigten Versicherten einnehmen. Dies ist insbesondere dann zutreffend, wenn der Gesetzgeber die Finanzierung des Fonds einer möglichst großen Personengruppe zuweist, von denen jeder einzelne selbst zum Geschädigten werden kann. In diesem Fall bestehen denn auch tatsächlich Parallelen zur Versicherung für Rechnung „wen es angeht“. 618 Denn das Gesetz selbst sieht vor, dass einige Versicherungen obligatorisch auch jene Interessen decken, deren Träger zum Versicherungsnehmer in keinerlei Beziehung stehen. Siehe nur die Erstreckung des Versicherungsschutzes in § 2 Abs. 3 Nr. 3 KfzPflVV auf die Haftpflicht des Fahrers unabhängig davon, ob dieser erlaubt oder unerlaubt das Fahrzeug benutzt. Weitere Beispiele bei Looschelders/Pohlmann, VVG, § 43, Rdnr. 23 ff. 619 Hierzu bereits oben S. 89 ff. 620 So aber Gütersloh, Umwelthaftungsfonds, S. 157 f., der davon ausgeht, es handele sich eher um eine „Versicherung eines fremden Interesses für eigene Rechnung“, welche unzulässig sei. Hiergegen ist anzuführen, dass ein Nebeneinander von eigenem und fremdem Interesse ein Wesensmerkmal der Versicherung für fremde Rechnung ist. In den allermeisten Fällen hat auch der Versicherungsnehmer ein Interesse daran, dass der Dritte vom Versicherungsvertrag geschützt ist. So bereits Lenné, Das Versicherungsgeschäft für fremde Rechnung, S. 52 ff. (der Autor sprach in diesem Zusammenhang seinerzeit von „Koincidenzinteressen“). Allgemein zu dem Problem der Abgrenzung zwischen Eigenund Fremdversicherung Bruck/Möller-Brand, Kommentar zum VVG, Bd. 2, § 43, Rdnr. 5 ff. sowie ausführlicher Krause, Der Begriff des versicherten Interesses, S. 25 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
riert und diese entweder als Personenkautionsversicherung oder als einen besonderen Typus der Ausfallbürgschaft qualifiziert621. Die Gegenüberstellung soll im Folgenden auf die gesamte Kategorie der Garantiefonds ausgedehnt werden622. Entschädigungsfonds (~ Versicherer) Ersatz des durch die Insolvenz des VN entstandenen Schadens
Beitragszahler des Fonds (~ Versicherungsnehmer)
Versicherung für fremde Rechnung
Unbefriedigte Schadensersatzforderung
Geschädigter (§ Versicherter)
Zugunsten einer Einordnung der Garantiefonds als Personenkautionsversicherung wird zunächst angeführt, beide Instrumente verfolgten denselben Zweck, nämlich die Absicherung des Gläubigers gegen die Insolvenz eines bestimmten oder zumindest bestimmbaren Schuldners623. Hierzu schließt der Versicherungsnehmer bei dem Personenkautionsversicherer einen Versicherungsvertrag für fremde Rechnung zugunsten eines Dritten, damit im Falle einer eigenen Insolvenz der Versicherer für die Befriedigung der Forderung eintritt624. Die Parallelen zwischen Garantiefonds und Personenkautionsversicherung manifestieren sich darin, dass der Grundsatz der Subsidiarität in beiden Fällen besonders ausgeprägt ist und die Durchsetz621 Zum Folgenden siehe insbesondere im deutschsprachigen Schrifttum Baumann, Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 92 ff.; Bott, Der Schutz des Unfallgeschädigten, S. 130 sowie Sieg, ZVersWiss 1969, 495, 504 f. Zum französischen Recht siehe nur Besson, JCP G 1952, I, 1027 und Meurisse, Gaz. Pal. 1954, I, doctr. 58 („caution“). 622 Vgl. auch Baumann, Probleme monopolistischer Entschädigungsfonds, S. 8 ff. 623 Allgemein zu Sinn und Zweck einer Personenkautionsversicherung R. Koch, Vertrauensschadenversicherung, Rdnr. 51 ff.; Bergeest, Die Vertrauensschadenversicherung in ihren modernen Erscheinungsformen, S. 149 ff. sowie Beckmann/Matusche-Beckmann/Herrmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 39, Rdnr. 117 ff. Siehe auch BGH, Urt. v. 11.7.1960 – II ZR 254/58 – BGHZ 33, 97, 102 ff. sowie zur Einordnung der Personenkautionsversicherung als Versicherung i.e.S. Bergest, a.a.O., S. 151. In der Regel handelt es sich hierbei um den Schutz von Vermögenswerten, die dem Versicherungsnehmer anvertraut sind. Üblicherweise bestand zwischen Versicherungsnehmer und Versichertem bereits vor Eintritt des Versicherungsfalls ein Rechtsverhältnis. 624 Die Versicherung ersetzt dem Grunde nach eine Kautionsleistung durch den Schuldner (Schmidt, in: Halm/Engelbrecht/Krahe, Handbuch des Fachanwalts Versicherungsrechts, 35. Kap., Rdnr. 5 sowie Sieg, ZVersWiss 1963, 265).
III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
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barkeit eines Anspruchs, hier des Rechts des Haftpflichtgläubigers auf Schadensersatz, durch das Überwälzen des Insolvenzrisikos auf ein Kollektiv gesichert wird. Ebenso wie im Recht der Personenkautionsversicherung kann der Garantiefonds nach Erbringung der Kompensationsleistung Rückgriff gegen den Schädiger nehmen625. Der weitaus größere Teil der juristischen Literatur spricht sich jedoch unter Hinweis auf die Akzessorietät des Ersatzanspruchs gegen den Fonds zum originär haftungsrechtlichen Schadensersatzanspruch gegen eine Einordnung als Versicherung und für eine rein zivilrechtliche Qualifizierung aus. Dem Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen wird etwa die Rolle eines Ausfallbürgen zugewiesen626. Nach einer anderen Meinung ist die Entschädigungspflicht als das Ergebnis einer gesetzlich angeordneten Schuldmitübernahme zu betrachten627. Beide Ansichten stützen sich jeweils auf einen Vergleich der gesetzlichen Vorschriften des § 12 PflVG mit den Wesensmerkmalen der Bürgschaft (§§ 765 ff. BGB) sowie des im deutschen Recht nicht kodifizierten Schuldbeitritts628. Sieht man davon ab, Übereinstimmungen zwischen den Vorschriften eines Garantiefonds und versicherungs- oder schuldrechtlicher Instrumente zu identifizieren, und konzentriert sich darauf, die Kategorie der Garantiefonds als Ganzes rechtlich einzuordnen, so scheitert eine konkrete Stellungnahme schon an der unscharfen Abgrenzung der erwähnten Rechtsinstitute. Insbesondere zwischen der Bürgschaft und der Personenkautionsversicherung besteht eine Wesensverwandtschaft, die eine rechtliche Qualifikation nur davon abhängig macht, ob der Vertragsabschluss auf ein Betreiben des Garanten oder des (Ur-)Schuldners zurückzuführen ist629. Darüber hinaus scheitert eine klare rechtsdogmatische Trennung zwischen Kreditsicherung und Kreditversicherung häufig daran, dass die Sicherung 625
Siehe Bott, Der Schutz des Unfallgeschädigten, S. 128 ff. sowie Baumann, Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 93. Im französischen Schrifttum vgl. Besson, RGAT 1958, 170 („un véritable organisme d’assurance“) und Radovanovic, Le fonds de garantie en faveur de victimes d’accidents d’automobile, S. 64 ff. 626 Baumann, Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 101 ff. So auch Sieg, VersR 1970, 681. Zum französischen Fonds de garantie automobile siehe nur Besson, JCP G 1952, I, 1027 und Meurisse, Gaz. Pal. 1954, I, doctr. 58. 627 Bruck/Möller-Johannsen, Kommentar zum VVG8, Bd. V/1, Anm. B 100; Weber, DAR 1987, 333, 336. 628 Das Rechtsinstitut des Schuldbeitritts (auch Mitschuldübernahme oder kumulative Schuldübernahme genannt) ist spätestens seit RG, Urt. v. 14.11.1904 – VI 12/04 – RGZ 59, 232, 233 allgemein anerkannt. Siehe nur MüKo-Bydlinski, Vor § 414, Rdnr. 10 ff. 629 Dieses Kriterium ist zumindest im französischsprachigen Schrifttum deutlich herausgearbeitet worden. Siehe nur Fontaine, Essai sur la nature juridique de l’assurancecrédit, Rdnr. 112 ff. sowie Bigot, Traité de droit des assurances Bd. 3, Rdnr. 243. Weniger explizit Bruck/Möller, Kommentar zum VVG8, Bd. 1, § 1, Anm. 4 sowie Baumann, Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 97.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
entweder von einem Kreditinstitut oder von einer Versicherungsanstalt gewährt wird630. Eine bloße Analyse der Rechtsbeziehungen der an der Fondskonstruktion beteiligten Personen verdeckt jedenfalls den Blick darauf, dass durch die Übertragung des Ausfallrisikos auf die Gemeinschaft der Beitragszahler des Fonds eine Gefahrengemeinschaft gebildet wird. Es spricht also einiges dafür – will man die Kategorie Garantiefonds als Ganzes rechtlich erfassen –, den Versicherungsgedanken nicht schon auf Grund positivrechtlicher Unvereinbarkeiten a priori abzulehnen. 2. Unterschiede zwischen Fondslösungen und Figuren der Privatversicherung Trotz der zahlreichen Gemeinsamkeiten, die zwischen Entschädigungsfonds und dem Assekuranzmodell festgestellt wurden, stehen einer rechtlichen Einordnung der Fonds als versicherungsgleiche Einrichtungen grundlegende Einwände entgegen. Die Abwälzung eines wie auch immer gearteten Risikos auf eine Gefahrengemeinschaft ist ein notwendiges, aber keineswegs hinreichendes Wesensmerkmal des Versicherungsgeschäfts. Dass der Gesetzgeber Entschädigungsfonds ausdrücklich weder als Versicherungseinrichtungen qualifiziert, noch dem Versicherungsaufsichtsrecht unterstellt631, mag zwar nicht per se als Argument gegen eine rechtsdogmatische Einordnung in das Versicherungsrecht gelten. Allerdings deutet dieser Umstand bereits darauf hin, dass Unterschiede zwischen beiden Rechtsinstituten bestehen, die es rechtfertigen, Fondseinrichtungen gesetzestechnisch eben nicht als Versicherungsunternehmen zu behandeln. Ein Blick auf die Entstehungsgeschichte bestehender Fondslösungen ergibt vielmehr, dass es dem Gesetzgeber frei steht, zur Füllung von haftungsrechtlichen Lücken eine Fondslösung zu errichten oder alternativ für einen privat- oder öffentlich-rechtlich organisierten Versicherungsschutz zu sorgen632. 630
Die rechtliche Einordnung der Kreditversicherung wird zudem dadurch verkompliziert, dass der BGH die Kautionsversicherung jüngst als bankrechtlichen Geschäftsbesorgungsvertrag im Sinne des § 675 BGB qualifiziert hat (Urt. v. 6.7.2006 – IX ZR 121/05 – VersR 2006, 1637). Zu den Auswirkungen dieses Urteils auf die Einordnung des Kautionsversicherungsvertrags Thomas/Dreher, VersR 2007, 731. Allgemein zu den Überschneidungen des Banken- und Versicherungsgeschäfts in diesem Bereich Beckmann/ Matusche-Beckmann/Herrmann, Versicherungsrechts-Handbuch, § 39, Rdnr. 123 ff. 631 Hierzu eingehend G. Winter, Versicherungsaufsichtsrecht, S. 495 ff. Vgl. auch Fahr/Kaulbach/Bähr/Pohlmann, VAG, § 1 Rdnr. 30 ff. sowie Prölss/Präve, VAG, § 1, Rdnr. 46. 632 Diese grundsätzlich gleiche Eignung von Fonds- und Versicherungslösungen zeigt sich in mehreren Bereichen, etwa im Bereich der Medizinunfallschäden (zu den alternativen Gesetzesvorschlägen im französischen Recht siehe oben S. 56 f.; im deutschen Recht
III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
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In der Tat stößt sich die Eingliederung von Fondslösungen in die Kategorie versicherungsrechtlicher Instrumente an drei gewichtigen Differenzen, auf die im Folgenden kurz eingegangen werden soll. a) Kein privatautonom begründetes Verhältnis zwischen Fonds und Beitragspflichtigen Während das Versicherungsgeschäft dem Grunde nach auf dem Abschluss privatrechtlicher Verträge beruht, sind Entschädigungsfonds vom Gesetzgeber geschaffene Einrichtungen. Daraus folgt, dass die Ansprüche gegen den Fonds nicht wie im Individualversicherungsrecht vertraglicher Natur sind, sondern kraft Gesetzes entstehen. Dass in manchen Bereichen des Privatversicherungsrechts Kontrahierungszwang herrscht, steht dieser Feststellung nur scheinbar entgegen, handelt es sich doch bei Pflichtversicherungen nicht um die Schaffung eines Versicherungsverhältnisses qua Gesetz, sondern lediglich um die gesetzliche Verpflichtung, einen Versicherungsvertrag mit dem Versicherer seiner Wahl abzuschließen633. Zwar sind grundsätzlich auch gesetzlich vorgeschriebene Zwangsversicherungsverhältnisse denkbar, jedoch sind diese grundsätzlich dem Bereich der Sozialversicherung vorbehalten634. So wurden bis zur Abschaffung des § 192 Abs. 1 VVG im Jahre 1994 landesrechtlich verankerte Zwangsversicherungen seinerzeit vom BGH auch nicht als privatrechtliche Versicherungsverträge, sondern als Verträge öffentlich-rechtlicher Natur qualifiziert635. Seit der Aufhebung der Versicherungsmonopole bei der Feuer- und Gebäudeversicherung636 umfasst das Privatversicherungsrecht nunmehr ausschließlich privatautonom begründete Rechtsbeziehungen zwischen Versicherern und ihren Vertragspartnern637. u.a. Katzenmeier, VersR 2007, 137 und die Nachweise bei dems., Arzthaftung, S. 214 ff.) sowie bei der Sicherung privater Zusatzrenten durch den als Versicherer konstruierten Pensions-Sicherungs-Verein (im Gegensatz zum Garantiefonds, welcher das Risiko der Insolvenz von Personenversicherern abdeckt). 633 Ebenso wenig steht der vertraglichen Natur des Verhältnisses zwischen Versicherer und Versichertem entgegen, dass der Gesetzgeber den Mindestinhalt des Versicherungsschutzes gesetzlich festlegt. 634 Zur Stellung der Entschädigungsfonds innerhalb des Sozialrechts siehe unten S. 139 ff. 635 BGH, Urt. v. 15.12.1951 – II ZR 24/51 – BGHZ 4, 208, 211. 636 Zur Überleitung landesrechtlicher Gebäudeversicherungsverhältnisse in privatrechtliche Versicherungsverträge durch das Gesetz vom 22.7.1993 siehe Renger, VersR 1993, 942. 637 So die ganz h.M. im Schrifttum. Siehe nur Bruck/Möller-Baumann, Kommentar zum VVG, Bd. 1, § 1, Rdnr. 177. Anders noch ders., Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 97. Zur Ausprägung der Privatautonomie im Versicherungsvertragsrecht siehe auch Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 93 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
b) Keine individuelle Prämienkalkulation Der Zusammenschluss von Versicherungsnehmern zu einer Gefahrengemeinschaft dient dem Versicherer dazu, eine wahrscheinlichkeitstheoretische Vorhersage über den künftigen Schadensverlauf zu treffen. Nach dem Gesetz der großen Zahl verhält sich die Anzahl der erfassten Personen oder Sachwerte, die von der gleichen Gefahr bedroht sind, umgekehrt proportional zu dem Einfluss von Zufälligkeiten, der für ein wirtschaftlich vorhersehbares Versicherungsgeschäft möglichst gering gehalten werden muss. Aus der Existenz eines homogenen Gefahrenkollektivs resultiert also die Schätzbarkeit von Frequenz und Ausmaß der vom Versicherer gedeckten Schadensfälle. Versicherungsmathematisch lässt sich aus der Schätzbarkeit des Risikos auch die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts für jeden potenziellen Versicherungsnehmer einzeln bestimmen, sodass die vom Versicherer verlangte Prämie individuell kalkuliert werden kann. Zwar bieten Versicherer wie der Londoner Lloyd’s auch Versicherungsschutz für gänzlich unschätzbare Risiken an638, allerdings wird in der Literatur davon ausgegangen, dass eine individuelle Prämienkalkulation für die Individualversicherung wesenstypisch ist639. In diesem Punkt weisen Fondslösungen und das Modell der Versicherung einen deutlichen Unterschied auf. Die Beiträge zur Finanzierung von Entschädigungsfonds werden in der Regel ohne Bezug auf einen individuellen Risikokoeffizienten erhoben. Das Recht der Entschädigungsfonds könnte sich allenfalls dann dem Versicherungsmodell annähern, wenn zur Stärkung der Präventionswirkung die Schadensanfälligkeit des Beitragspflichtigen und dessen Bemühungen zur Schadensvorsorge für die Berechnung der Beiträge herangezogen würden640. Werden Fondsleistungen durch Aufschläge auf Versicherungsprämien finanziert, wie das bei einigen Entschädigungsregimes des französischen Rechts der Fall ist641, wird freilich der Umstand ausgenutzt, dass die Versicherungsprämie selbst bereits das Ergebnis einer Prämienkalkulation des 638
Demzufolge wird die Schätzbarkeit des Risikos auch nicht als Wesensmerkmal der Versicherung angesehen. Statt vieler Dreher, Versicherung als Rechtsprodukt, S. 36 sowie Bruck/Möller, Kommentar zum VVG8, § 1, Anm. 11. Anders noch Manes, Versicherungswesen, Bd. 1, S. 6. Nuancierter bereits Nussbaumer, Wesen und Grenzen der Versicherung, S. 54 ff. 639 Im Ergebnis ebenso Gütersloh, Umwelthaftungsfonds, S. 146. 640 Vgl. die Pläne im Bereich der Tankerunfallschäden (IOPC Fonds), die Beiträge risikoadäquat zu ermitteln, bei Hassel, Haftungsrechtliche Strategien, S. 96 ff. sowie Altfuldisch, Haftung und Entschädigung nach Tankerunfällen auf See, S. 180 ff. 641 Bezeichnend ist hierbei die Finanzierungsregelung des Fonds de garantie des assurances obligatoires, dessen Entschädigungsleistungen etwa bei Verkehrsunfallschäden durch einen 0,1 %igen Aufschlag auf die in Haftpflichtverträgen vereinbarten Versicherungsprämien finanziert wird. Siehe oben S. 48.
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Versicherers ist. Bei Lichte besehen liegt jedoch auch hier keine individuelle, risikoadäquate Beitragsberechnung vor, da das vom Versicherungsvertrag abgedeckte Risiko in aller Regel nicht mit dem vom Fonds erfassten Risiko übereinstimmt642. c) Mangelnde Individualität der Beziehung zwischen Ersatzberechtigten und Beitragspflichtigen Schließlich mangelt es für eine versicherungsrechtliche Einordnung der Fondslösungen vor allem an einer individuellen Beziehung zwischen dem Ersatzberechtigten und dem Beitragspflichtigen. Die Privatversicherung zeichnet sich dadurch aus, dass eine Versicherungsprämie als Gegenleistung für die Erbringung einer Versicherungsleistung gezahlt wird, welche stets einem speziellen Versicherten zu Gute kommt, sei es der Versicherungsnehmer selbst oder ein Dritter im Falle der Versicherung für fremde Rechnung. Die individuelle Zuordnung zwischen Versicherungsnehmern und Versicherten ist insofern Ausdruck des Prinzips der Wechselseitigkeit, welches für das Assekuranzmodell charakteristisch ist643. Im Recht der Entschädigungsfonds fehlt es offensichtlich an einer solchen individuellen Beziehung zwischen Ersatzberechtigten und Beitragspflichtigen. Vielmehr handelt es sich bei Fondsmodellen, wie Baumann ausführt, um „pauschalierte gemeinsame Mittel zu gemeinsamen Zwecken“644. In der Tat basiert die Funktionsweise von Fondseinrichtungen auf dem Umstand, dass der Fonds die Kollektive der Beitragspflichtigen und der Ersatzberechtigten voneinander abschirmt und eine individuelle Zuordnung zwischen Vertretern beider Gruppen ausschließt. Zwar werden auch in der Versicherung die Prämien dergestalt verwaltet, dass die einzelnen Versicherungsleistungen durch die Zusammenlegung aller Prämien einer Sparte finanziert werden. Allerdings ist Versicherung mehr als der bloße genossenschaftliche Risikoausgleich, sondern basiert auf einem synallagmatischen Vertrag, welcher der Leistung des Versicherers die vom Versicherungsnehmer erbrachte Gegenleistung gegenüber642 So deckt die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung das allgemeine Risiko einer Haftpflicht bei verursachten Unfallschäden, der Fonds de garantie allerdings nur das Risiko eines Unfalls mit Fahrerflucht bzw. das Risiko, einen Unfall unerkannt zu verursachen. 643 Bruck/Möller-Baumann, Kommentar zum VVG, Bd. 1, § 1, Rdnr. 296; ders., Leistungspflicht und Regreß des Entschädigungsfonds, S. 99. Vgl. bereits Fahr, in: FS Büchner, S. 367, 369 sowie Sieg, ZVersWiss 1962, 269, 273 („Es liegt im Wesen der Gefahrengemeinschaft, daß die erforderlichen Mittel grundsätzlich aus Beiträgen der Versicherten aufgebracht werden, oder aus Beiträgen dritter Personen, welche zu Gunsten spezieller Versicherter zahlen (etwa bei der Versicherung für fremde Rechnung […]).“). Siehe auch Hase, Versicherungsprinzip und sozialer Ausgleich, S. 119 ff. 644 Bruck/Möller-Baumann, a.a.O.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
stellt. Profitiert von der Versicherungsleistung eine andere Person als der Versicherungsnehmer, so wird zwischen letzterem und dem begünstigten Versicherten wenn nicht ein Rechtsverhältnis, so doch zumindest eine Verbindung moralischer Natur bestehen645. Die Personen der Ersatzberechtigten und der Beitragspflichtigen des Entschädigungsfonds bilden jedoch vor dem Eintritt des Fonds zwei Gruppen, zwischen deren Mitgliedern keinerlei individualisierbarer Zusammenhang steht. Es mangelt, anders gesagt, an der systematischen Korrelation zwischen Prämie und Leistung, welche die Privatversicherung charakterisiert. 3. Zusammenfassung und Ergebnis Der Vergleich zwischen dem Modell der Entschädigungsfonds und dem Rechtsinstitut der Versicherung führt zu einem klaren Ergebnis. Die Ähnlichkeiten beschränken sich in der Regel darauf, dass beide Kompensationsinstrumente auf einem Risikoausgleich innerhalb eines Kollektivs basiert. Der Ansatz, Schäden genossenschaftlich auf eine Gruppe zu verteilen, ist dem Gedanken der Individualversicherung freilich immanent, genügt jedoch nicht für die Charakterisierung einer Wesensgleichheit mit dem Assezkuranzmodell. Vielmehr zeigt die Gegenüberstellung, dass Entschädigungsfonds anders als Privatversicherer gesetzlich begründete Ersatzpflichten erfüllen und zur Finanzierung der Leistungen keine individuelle Prämienkalkulation vornehmen. Schließlich mangelt es auch an einer individuellen Zuordnung zwischen Fondsbeiträgen und Fondsleistungen oder, genauer gesagt, zwischen den Beitragspflichtigen und den Ersatzberechtigten.
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So auch Beckmann/Matusche-Beckmann/Armbrüster, Versicherungsrechts-Handbuch, § 6, Rdnr. 110, der neben einem bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnis auch eine „familiäre Nähebeziehung“ in Betracht zieht. Es ergibt sich auch kein anderes daraus, dass die Person des Versicherten bei Vertragsschluss nicht namentlich benannt sein und der Versicherte keine Kenntnis vom Versicherungsvertrag haben muss. Vgl. Bruck/Möller-Sieg, Kommentar zum VVG8, § 74, Anm. 20.
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B. Abgrenzung von Fondslösungen zur Sozialversicherung und zur sozialen Hilfe Im Gegensatz zum Individualversicherungsmodell ist das Risikokollektiv im Bereich der Sozialversicherung ein Kollektiv des sozialen Ausgleichs. Die Ausgleichsfunktion manifestiert sich darin, dass der erhobene Beitrag nicht wie in der Privatversicherung dem individuellen Risiko des Beitragspflichtigen entspricht, sondern von dessen finanzieller Leistungsfähigkeit abhängig ist. Dies hat zur Folge, dass der Sozialversicherungsschutz von Geringverdienern von Versicherten mit höherem Einkommen mitfinanziert wird. Eine Reziprozität zwischen Versicherungsleistung und Versicherungsprämie besteht also ausdrücklich nicht. Die Trennung zwischen beitragsleistenden Versicherungsnehmern und den (nicht notwendigerweise beitragsleistenden) Versicherten ist dem sozialrechtlichen Solidarprinzip geradezu inhärent. Dieser grundlegende Unterschied zwischen Privat- und Sozialversicherung gibt Anlass für eine vergleichende Analyse der Merkmale von Entschädigungsfonds und Instrumenten des Sozialrechts. Beide Rechtsinstitute, Sozialversicherung und Fondsmodelle, sind gesetzlich geregelte Schadenabnahmesysteme und haben ihren Ursprung in privaten Initiativen, die vom Gesetzgeber in staatliches Recht übernommen und ausgedehnt worden sind646. Zwar verfolgt der Gesetzgeber in beiden Fällen eine überindividuelle Absicherung gegen soziale Risiken, d.h. gegen Risiken, deren Auswirkungen auf den Einzelnen von der Sozialgemeinschaft für inakzeptabel erachtet wird647, jedoch sprechen auch hier gewichtige Argumente gegen eine Einordnung der Ersatzleistungen von Entschädigungsfonds in die Kategorien des Sozialversicherungs- oder Sozialhilferechts. 646 Zu den Ursprüngen der Sozialversicherung siehe etwa Ewald, Der Vorsorgestaat, S. 277 ff. Die Übernahme privater Regulierungsinstrumente durch den Gesetzgeber ist bei Fondsmodellen ein verbreitetes Phänomen. Das wohl bekannteste Beispiel einer Umwandlung nicht-staatlicher Reglementierung in eine gesetzliche Fondseinrichtung ist der Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen, welcher in Deutschland bereits 1955 von den Kfz-Haftpflichtversicherern ins Leben gerufen wurde (sog. Fahrerfluchtfonds; siehe hierzu oben S. 6 ff.). Als weitere Beispiele können die Entschädigungslösung von Conterganopfern sowie das Fondsmodell für Schäden durch die Aufbringung von Klärschlamm genannt werden. Vgl. auch Dreher, in: FS Rittner, S. 93, 115 ff. (der sich für eine Selbstverwaltung der Wirtschaft und gegen eine staatlich organisierte Fondslösung ausspricht). 647 Zur Begriffsdiskussion Ewald, Der Vorsorgestaat, S. 414; Riot, Le risque social, Rdnr. 296 f. sowie Kessler, Droit de la protection sociale, Rdnr. 16. Vgl. auch Alfandari, in: van Langendonck (Hrsg.), The New Social Risks – EISS Yearbook 1996, S. 29, 42 f. Allgemein zur Sozialversicherung als Versicherung “sozialer Risiken” Fuchs/Preis, Sozialversicherungsrecht, S. 2 u. 28 f.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
1. Komplementarität der Fonds zu Sozialversicherungs- und Sozialhilfeleistungen Im Gegensatz zum Haftungsrecht, dessen Hauptfunktion die Schadenskompensation ist, gewährt das Sozialrecht vorrangig wirtschaftlichen Schutz vor den Folgen elementarer Lebensrisiken ohne Rücksicht auf die Ursache der Lage des Betroffenen. Die Kompensation von Schäden, seien sie eigen- oder fremdverschuldet, ist so gesehen lediglich ein Nebenprodukt der Sozialleistungen und beschränkt sich auf die Folgen von Körperschäden. Kann der Geschädigte bei einem selbst verschuldeten Schaden lediglich die Leistungen der Sozialversicherung und Sozialhilfe sowie gegebenenfalls einer zusätzlichen Individualunfallversicherung beanspruchen, so ist die Regulierung eines von einem Dritten verursachten Schadens ungleich komplexer. Bei fremd verschuldeten Personenschädigungen bestehen neben haftungsrechtlichen Ersatzansprüchen ebenso Ansprüche auf Leistungen der Sozialversicherungsträger, die durch private Unfallversicherungen noch vervollständigt werden können. Zwischen dem haftungsrechtlich relevanten Tatbestand der Körperverletzung und dem sozialrechtlich bedeutsamen Sachverhalt der Krankheit und Erwerbsunfähigkeit besteht insoweit Übereinstimmung648. Sofern der Geschädigte sich nicht dazu entschließt, den Klageweg zu beschreiten, um einen darüber hinaus gehenden Ersatz des Schadens zu erhalten, wird der Sozialversicherungsträger einen Haftungsprozess gegen den Haftpflichtschuldners initiieren, um die ihm durch die Gewährung von Heilbehandlung, Krankengeld oder Berufsunfähigkeitsrente entstandenen Kosten zurückzufordern649. Höhe und Umfang der Ersatzleistungen der Entschädigungsfonds gehen über das Niveau der Leistungen von Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger hinaus. Entschädigungsfonds fügen sich in das komplexe Gefüge aus Haftungsrecht, Privat- und Sozialversicherungsrecht dergestalt ein, dass sie auch dann Entschädigung gewähren, wenn es dem Geschädigten unmöglich ist oder nicht zugemutet werden soll, vom Schädiger ergänzenden Schadensausgleich nach dem Haftungsrecht zu verlangen. Dabei wirkt sich die Ergänzungsfunktion nicht allein auf die Höhe der Entschädigung aus, sondern auch auf die Art der Schadenspositionen. So gehen die von den Fonds gewährten Kompensationsleistungen über den Leistungsumfang des 648 Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 157 ff.; Eichenhofer, Sozialrecht, Rdnr. 146; ders., VSSR 1990, 161, 167 u. 176 ff. und Waltermann, in: FS Gitter, S. 1039, 1042. Vgl. auch Nef, SJZ 1981, 17, 18 ff. 649 Zur Geltendmachung der kraft Legalzession übergangenen Schadensersatzansprüche durch die Sozialversicherungsträger nach deutschem Recht (§ 116 SGB X) siehe umfassend Plagemann, in: von Maydell/Ruland/Becker (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, § 9, Rdnr. 5 ff.
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Sozialrechts hinaus und orientieren sich im Bereich der Körperverletzungen häufig am Prinzip der Totalreparation650. Vom Recht der Entschädigungsfonds werden somit auch solche Schadenspositionen erfasst, die weder im Sozialversicherungs- noch im Sozialhilferecht ausgeglichen werden, so etwa Schmerzensgeld und Sachschäden651. 2. Kausal- vs. Finalprinzip bei der Begründung des Ersatzanspruchs Die von Umfang und Höhe des Schadensersatzes getragene Nähe zum Haftungsrecht wird dadurch relativiert, dass das Eingreifen von Entschädigungsfonds zugunsten des Geschädigten – wie bereits gesehen – keine Schadenszurechnung verlangt. Gleichwohl gilt anders als üblicherweise im Sozialrecht nicht das Finalprinzip, sondern das Kausalprinzip, d.h. der Ersatzanspruch wird eng an das schadensauslösende Ereignis geknüpft und – sozialrechtlich gesprochen – über die Ursache der Bedarfssituation definiert652. Mit anderen Worten: die Fondseinrichtung steht nicht deswegen ein, weil die Bedarfssituation aus sozialstaatlichen Gründen nicht hingenommen werden darf, sondern weil die Schadenslage des Betroffenen auf einer im Gesetzestext näher bezeichneten Ursache beruht. Dadurch wird die Zahl der Ersatzberechtigten gegenüber den sozialrechtlichen Ausgleichstatbeständen erheblich reduziert. Die kausale Verknüpfung der Ersatzleistungen bedeutet nicht, dass es für die Gewährung von Schadensersatz durch Entschädigungsfonds auf bestimmte intrinsische Qualitäten des Geschädigten ankommt. Ebenso wie im Bereich des Sozialversicherungsrechts richten sich Fondslösungen grundsätzlich an alle Personen, ohne dass diese vor Eintritt des Schadens bestimmte an das Individuum geknüpfte Eigenschaften aufweisen müssten653. Die einzelnen Regelungen sprechen etwa allgemein von „behinderten Menschen“ oder „Personen“, die unter bestimmten Umständen geschädigt worden sind654. Während es bei der Bewilligung von Leistungen durch die Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger allein auf die konkrete Bedarfslage des Anspruchstellers ankommt, hat ein Geschädigter vor den Or650
Zu den Einschränkungen siehe unten S. 180 ff. Gleichwohl ist der Ausgleich von Sachschäden im Allgemeinen begrenzt (ebd.). 652 Das Begriffspaar „Kausal-/Finalprinzip“ wurde maßgeblich von Bley geprägt (Sozialrecht6, S. 49 f. sowie ZSR 1978, 1 ff.; vgl. aber auch ders./Kreikebohm/Marschner, Sozialrecht, Rdnr. 96 ff.). Kritisch zur Verwendung dieses Unterscheidungskriteriums Igl/Welti, Sozialrecht, Rdnr. 4 sowie Zacher, SGb 1982, 329, 334 f. 653 Zur Frage des vorherigen Anspruchserwerbs durch Mitgliedschaft in der Sozialversicherung oder Nachweis der Bedürftigkeit siehe unten S. 143 f. 654 Eine Ausnahme bildet hierbei die Regelung des Dopingopfer-Hilfegesetzes, nach der Gesundheitsschäden durch die Verabreichung von Dopingsubstanzen in der DDR nur dann zu einer Hilfeleistung berechtigte, wenn der Antragsteller oder dessen Mutter als „Hochleistungssportler oder -nachwuchssportler“ tätig gewesen ist (§ 2 Abs. 1 DOHG). 651
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
ganen des Fonds darzulegen, dass seine Situation durch einen Verkehrsunfall mit Fahrerflucht (Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen), durch die pränatale Einwirkung von thalidomidhaltigen Arzneimitteln (Stiftung für behinderte Menschen) etc. verursacht wurde. Die bei retrospektiven Fondslösungen angewandte Technik der Kategorisierung655 verschärft noch den Kontrast zwischen dem weiten Anwendungsbereich der herkömmlichen sozialen Sicherungssysteme und der Funktionsweise von Entschädigungsfonds. Allerdings ist das Kausalprinzip auch dem Sozialversicherungsrecht nicht völlig unbekannt. Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung werden Ersatzleistungen nur dann gewährt, wenn diese einen Bedarf decken, der auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit, also auf einen kontextuell definierten Versicherungsfall656, zurückzuführen ist. Diese Besonderheit innerhalb des Sozialversicherungsrechts erklärt sich dadurch, dass die Ausgliederung des Arbeitsunfallrechts aus dem allgemeinen Haftungsrecht in Deutschland nicht auf denselben Motiven beruht wie die Schaffung der Arbeiter-Krankenversicherung durch das Gesetz vom 15. Juni 1883, welches den Grundstein des modernen Sozialversicherungsrechts legte. Anders als die gesetzliche Krankenversicherung war die im Jahre 1884 eingeführte Arbeitsunfallversicherung weniger als grundlegendes Institut der Daseinsvorsorge denn als gesetzgeberische Antwort auf die unzureichenden Regeln des Haftungsrechts konzipiert. Dass es im deutschen Recht nicht wie in anderen Rechtssystemen zu einer Kombination aus strenger Haftung und Privatversicherungsschutz kam657, ist dabei allein dem Willen der Regierung Bismarcks zuzuschreiben, der großen Wert auf die Knüpfung eines „sozialen Bandes zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer“658 und die Vermeidung sozialer Spannungen innerhalb des Unternehmens legte. Eine vollständige Ablösung vom haftungsrechtlich statuierten Kausalprinzip war dennoch im ausgehenden 19. Jahrhundert rechtspolitisch nicht gewollt, wie in §§ 95 f. des Unfallversicherungsgesetzes deutlich wurde659.
655
Siehe oben S. 92 f. Zur Verwendung des Rechtsbegriffs des Versicherungsfalls in diesem Zusammenhang siehe Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, S. 77 ff. 657 Rechtsvergleichend zeichnet Gitter, a.a.O., S. 5 ff. die Entwicklung der Arbeitsunfallgesetzgebung nach. 658 So die Äußerung von Staatsminister von Hofmann im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung (zitiert nach Gitter, a.a.O., S. 26). 659 Diese Vorschriften beschränkten den Ausschluss von haftungsrechtlichen Ersatzansprüchen auf die Fälle ein, in denen der Arbeitgeber oder dessen Bevollmächtigter den Arbeitsunfall weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt hat. Vgl. die heutige Vorschrift des § 104 SGB VII. 656
III. Rechtliche Einordnung der Fondslösungen
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3. Mangelnder Nachweis der Bedürftigkeit oder einer sozialversicherungsrechtlichen Mitgliedschaft Schließlich unterliegt der Ersatzanspruch gegen den Fonds nicht den üblichen Voraussetzungen sozialrechtlicher Leistungsansprüche. Das Sozialversicherungsrecht zeichnet sich dadurch aus, dass der Erwerb eines Leistungsanspruchs an die Beitragspflicht des Antragstellers oder einer ihm nahe stehenden Person660 gekoppelt ist. Die Anspruchsberechtigung setzt im Regelfall die vorherige Zugehörigkeit zur Sozialversicherung voraus, die durch die Leistung des Beitrags durch den Arbeitgeber des Stammversicherten oder den Versicherten selbst ihren Ausdruck findet661. Im Gegensatz zu den hauptsächlich beitragsfinanzierten Sozialversicherungsleistungen662 folgen die steuerfinanzierten Leistungen der Sozialhilfe dem Grundsatz des Nachrangs663 und greifen nur zugunsten derjenigen Personen ein, die weder sich selbst helfen noch von Dritten Hilfe erhalten können. Alleinige Leistungsvoraussetzung ist die Bedürftigkeit des Anspruchstellers. Anders als im Bereich der Sozialversicherung muss demzufolge nicht geprüft werden, ob die Person zum versicherten Personenkreis gehört. Nach § 19 SGB XII werden zum Beispiel auch die Vermögensverhältnisse der leistungsbegehrenden Person berücksichtigt, um zu garantieren, dass das Einstehen der Sozialhilfeträger im konkreten Fall gerechtfertigt ist664. Der Bezug von Sozialversicherungsleistungen sowie subsidiär eingreifender Sozialhilfeleistungen zur Kompensation von Schäden665 setzt daher entweder einen bestehenden Versicherungsschutz oder den Nachweis der 660
So richtet sich im deutschen Recht der gesetzlichen Krankenversicherung das Versicherungsverhältnis zwischen Familienangehörigen eines Stammversicherten und der Krankenkasse nach den Vorschriften des § 10 SGB V. 661 Zur Vermeidung von Schutzlücken beginnt die Mitgliedschaft in der Krankenversicherung nicht erst mit der Zahlung des Beitrags, sondern bereits mit Beginn der versicherungspflichtigen oder -berechtigenden Situation. Siehe §§ 186, 189 SGB V. Der Versicherungsschutz der sozialen Pflegeversicherung folgt der Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 20 SGB XI). 662 Zum Systemwechsel in der Sozialversicherung und dem steigenden Anteil von Staatszuschüssen sowie deren Auswirkungen auf den Rechtscharakter der Leistungen siehe Baron von Maydell, in: ders./Ruland/Becker (Hrsg.), Sozialrechtshandbuch, § 1, Rdnr. 29 f. 663 Eingehend zum Nachrangprinzip des Sozialhilferechts Rothkegel, Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, S. 92 ff. sowie Rothkegel, in: ders. (Hrsg.), Sozialhilferecht, S. 108 ff. Vgl. auch Schmitt, BayVBl. 1983, 520. 664 Gemäß § 9 Abs. 1 SGB XII richten sich die Leistungen der Sozialhilfe „nach der Besonderheit des Einzelfalls“. Zu diesem Individualisierungsgrundsatz siehe z.B. Rothkegel, Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts, S. 41 ff. 665 Zur Funktion der Schadenskompensation sozialrechtlicher Leistungen siehe oben S. 140.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Bedürftigkeit voraus. Im Gegensatz dazu beruhen die Leistungen eines Entschädigungsfonds in aller Regel weder auf einer dem (Sozial-) Versicherungsverhältnis ähnelnden Rechtsbeziehung zwischen Fonds und Antragsteller noch auf dessen Bedürftigkeit. Zwar kennt auch das Recht der Fondslösungen Fälle, in denen die Gewährung sowie der Umfang von Fondsleistungen von der Einkommenssituation des Geschädigten abhängig sind666, jedoch betrifft dies ausschließlich den Ersatz von Sachschäden. Da diese durch das Sozialhilferecht grundsätzlich nicht ausgeglichen werden, übernehmen Entschädigungsfonds hier die existenzsichernde Funktion, die auf dem Gebiet der Gesundheitsschäden dem Sozialhilferecht zugewiesen wird. Entschädigungsfonds und Sozialhilfeträger nehmen also durchaus ähnliche Aufgaben wahr667. Der Nachweis der Bedürftigkeit erklärt sich in diesem Fall also durch eine funktionale Übereinstimmung mit dem Sozialhilferecht. Der vorangegangene Vergleich zwischen den Fondslösungen einerseits und privatversicherungsrechtlichen und sozialrechtlichen Instrumenten andererseits lässt erkennen, dass das Recht der Entschädigungsfonds an der Schnittstelle zwischen Haftungsrecht, privatem Vorsorgerecht und öffentlich-rechtlichem Sozialrecht angesiedelt ist. C. Fondslösungen als Teilelement des sozialen Entschädigungsrechts Einen adäquaten Rahmen für die Einordnung der Entschädigungsfonds in das Rechtssystem könnte das soziale Entschädigungsrecht bieten, welches in Deutschland mit Inkrafttreten des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs (heute: SGB I) am 1. Januar 1976668 positivrechtlich verankert worden ist. Im Folgenden ist zu erörtern, inwiefern Entschädigungsleistungen einer Fondseinrichtung die Charakteristika sozialer Entschädigung aufweisen und eine derartige Qualifizierung die rechtsdogmatische Durchdringung des Rechts der Entschädigungsfonds erleichtern kann.
666
Nach Art. 706-14 C. proc. pén. werden Sachschäden oder leichte Körperschäden nur dann vom Fonds de garantie des victimes d’actes de terrorisme et d’autres infractions (FGTI) ersetzt, wenn das Einkommen des Geschädigten nicht die für die Gewährung von Prozesskostenhilfe („aide juridictionnelle“) relevante Grenze überschreitet. 667 Siehe hierzu Dupeyroux/Borgetto/Lafore, Droit de la sécurité sociale, Rdnr. 269 (die Autoren ziehen eine Parallele zwischen dem Fonds national de garantie des calamités agricoles und der Arbeitslosenversicherung). Vgl. auch Durand, La politique contemporaine de sécurité sociale, Rdnr. 113. 668 Gesetz v. 11.12.1975 (BGBl. 1975, I, 3015).
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1. Schadenstragung durch ein Kollektiv im Falle gesteigerter Verantwortlichkeiten der Allgemeinheit Nach einer knappen Darstellung der Grundlagen des sozialen Entschädigungsrechts ist der Frage nachzugehen, ob die der sozialen Entschädigung zu Grunde liegenden Erwägungen auch auf das Recht der Entschädigungsfonds Anwendung finden können. a) Rechtsdogmatische Grundlagen des sozialen Entschädigungsrechts Die Ursprünge des sozialen Entschädigungsrechts liegen in dem Recht der Kriegsopferversorgung, welches durch das Bundesversorgungsgesetz (BVG) vom 20. Dezember 1950 geregelt worden ist. Auch heute noch stellen die dort kodifizierten Bestimmungen über Verfahren, Art und Umfang der Versorgungsleistungen den Kern des sozialen Entschädigungsrechts dar669. Nach Inkrafttreten des BVG, dessen Hauptaufgabe der Ausgleich kriegsbedingter gesundheitlicher Schädigungen ist, hat der Gesetzgeber in zahlreichen Folgegesetzen den Anwendungsbereich der Vorschriften zur Kriegsopferversorgung erheblich erweitert670. Der Bedeutungsgewinn des Versorgungsrechts als einer der drei Säulen des Sozialrechts671 hat in der Folge zu Überlegungen geführt, die Entschädigungstatbestände, die den Regeln des BVG unterworfen sind, zu ordnen und auf das Bestehen gemeinsamer Grundprinzipien hin zu überprüfen. Die Bemühungen der Rechtswissenschaft um eine dogmatische Erfassung versorgungsrechtlicher Leistungen fiel mit den gesetzgeberischen Vorarbeiten zur Neufassung eines Sozialgesetzbuches zusammen672. Im Zuge der Diskussion über die Kodifizierung des Sozialrechts hatte sich zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, dass Ansprüche auf Ersatzleistungen nach dem Versorgungsrecht vom Bestehen „einer gesteigerten Verantwortung der staatlichen Gemeinschaft für ungleich belastende Einbußen an körperlicher Integrität“ getragen werden673. So erschien es den Verfassern des Allgemeinen Teils des Sozialgesetzbuchs notwendig, das bisherige Versorgungsrecht zu einem Regelungsmodell für bis dato nicht erfasste Scha669
So ausdrücklich SGB I-BK-Lilge, § 5, Rdnr. 7. Vgl. §§ 4, 5 des Häftlingshilfegesetzes v. 6.8.1955; § 80 des Soldatenversorgungsgesetzes v. 26.7.1957 sowie § 47 des Zivildienstgesetzes v. 13.1.1966. 671 Zur Trias „Versicherung, Versorgung, Fürsorge/Sozialhilfe“ grundlegend Bogs, Grundfragen des Rechts der sozialen Sicherheit, S. 15 ff. Kritisch zu dieser Terminologie BochKomm-Wertenbruch, § 1, Rdnr. 1 ff. 672 Siehe nur Rohwer-Kahlmann, SGb 1972, 1 ff.; Zacher, Kompass 1971, 29 ff. Vgl. auch die umfangreiche Materialiensammlung in Zacher, SGB/Materialien, Teil D I. 673 Rohwer-Kahlmann/Ströer, SGB Allg. Teil, § 5, Rdnr. 16. Siehe bereits Bogs/Achinger/Meinhold, Sozialenquête, Bd. 1, Rdnr. 131. Vgl. auch Gitter/Schnapp, JZ 1972, 474, 475 f. 670
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
densfälle fortzuentwickeln und aus seiner Beschränkung auf den Kriegsopferausgleich herauszuführen. Aufbauend auf den Arbeiten von Zacher674, Wertenbruch und Schnapp675 sowie auf den Verhandlungen der sozialrechtlichen Abteilung des 49. Deutschen Juristentages, für die Rüfner ein umfassendes und viel diskutiertes Gutachten erstattet hatte676, entschied sich der bundesdeutsche Gesetzgeber im Jahre 1975 für einen in § 5 SGB AT verorteten Anspruch auf Ausgleichsleistungen bei Gesundheitsschäden, „für dessen Folgen die staatliche Gemeinschaft in Abgeltung eines besonderen Opfers oder aus anderen Gründen nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen einsteht“677. Obgleich in dieser Regelung ausdrücklich an einem Verweis auf das Versorgungsrecht678 festgehalten wird, herrscht heute Einigkeit darüber, dass es sich bei dieser Regelung um die zentrale Norm des sozialen Entschädigungsrechts handelt, der – zumindest ansatzweise – die Leitlinien sozialer Entschädigung entnommen werden kann679. Die Kritik am Aussagegehalt des § 5 SGB AT führte in der Folge zu weiterführenden Arbeiten über die Grundprinzipien der sozialen Entschädigung, gibt doch die Regelung auf die Frage, in welchen Fällen eine Einstandspflicht der staatlichen Gemeinschaft anzunehmen ist, keinerlei Auskunft. Unter den zahlreichen Autoren, die sich vor allem in den 1970er und 1980er Jahren der Aufarbeitung des sozialen Entschädigungsrechts widmeten, hat zweifelsohne Schulin mit seiner Habilitationsschrift Pionierarbeit geleistet680.
674
Zacher, DÖV 1970, 3; ders., VVDStRL 28 (1970), 233, 237 f.; ders., DÖV 1972, 461 und ders., VSSR 1973, 97, 117 ff. 675 Zu dem von beiden Autoren erstatteten Gutachten über „Möglichkeiten eines Ausbaus des Bundesversorgungsgesetz zum Grundgesetz für die soziale Entschädigung im Rahmen des Sozialgesetzbuchs“, siehe Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 2 f. Siehe zudem Schnapp, in: Dembowski et al. (Hrsg.), Das neue Sozialgesetzbuch, S. 144 ff. sowie Gitter/ders., JZ 1972, 474. 676 Rüfner, in: Gutachten 49. DJT, S. E 1 ff. 677 Zu den Vorarbeiten siehe BochKomm-Schnapp, § 5, Rdnr. 4 m.w.N. 678 Nach § 5 SGB I richtet sich die Einstandspflicht der staatlichen Gemeinschaft „nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen“. Zur Frage nach dem Modellcharakter des BVG für das Recht der sozialen Entschädigung siehe statt aller Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 279 ff. 679 Vgl. SGB I-BK-Lilge, § 5, Rdnr. 4 (§ 5 SGB I „‚überwölbt’ die einzelnen de lege lata dem sozialen Entschädigungsrecht zugehörenden Rechtsgebiete als Ordnungsprinzip“). 680 Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, 1981. Siehe auch die Rezensionen von Rüfner, NJW 1983, 22 („Standardwerk zur sozialen Entschädigung“) und v. Hippel, JZ 1985, 234. Siehe auch Maier, ZSR 1984, 386. Verhaltener Tichy, ZSR 1984, 236, 237 f.
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In seiner Arbeit verfolgt Schulin das Ziel, Regelungsmaximen für die weitere Ausgestaltung des sozialen Entschädigungsrechts zu entwickeln und Erklärungsansätze für die bestehenden Ausgleichstatbestände zu formulieren. Ausgehend von dem Begriff der gesteigerten Verantwortlichkeit der Allgemeinheit, welche höher liege als die allgemeine sozialstaatliche Basisverantwortung, die sich etwa in der Sozialhilfe konkretisiere681, spricht sich Schulin für eine Hierarchisierung kollektiver Verantwortlichkeiten aus. Eine nach Rangstufen differenzierende Regelung erkläre nicht nur die unterschiedliche inhaltliche Ausformung des sozialen Entschädigungsrechts, sondern diene auch der zukünftigen Gestaltung sozialrechtlicher Ausgleichstatbestände. So komme es laut Schulin auf den Grad der sozialen Bedingtheit des geregelten oder zu regelnden Schadenssachverhalts an; ein direkt durch staatliches Verhalten bedingter Schaden löse eine höhere Kollektivverantwortlichkeit aus als ein Schaden, welcher allein auf Umständen des menschlichen Zusammenlebens im sozialen Ordnungsgefüge der verfassten Gesellschaft beruht682. Schulin selbst weist in seiner Schrift darauf hin, dass durch das von ihm entwickelte Modell die Frage nach der Abgrenzung der vom sozialen Entschädigungsrecht erfassten Schäden nicht zu lösen sei, da der Versuch einer Grenzziehung zwischen sozial bedingten und nicht sozial bedingten Schäden „letztlich zum Scheitern verurteilt“ sei683. Nichtsdestotrotz schmälert diese Einschränkung den Erkenntnisgehalt des Modells abgestufter Schadensverantwortlichkeiten nur wenig. Schließlich ist es dem Gesetzgeber vorbehalten, mit Mitteln des sozialen Entschädigungsrechts eine Einstandspflicht der Gemeinschaft zu begründen und unter sämtlichen sozial bedingten Schäden jene einer Sonderregelung zuzuführen, die „nach Entschädigung schreien“684. Ein umfassender Ausgleich jedes sozial bedingten Schadens hingegen würde kurz oder lang die Aufgabe des Staats in die einer allgemeinen, jedweden Schicksalsfall abdeckenden Versicherungsanstalt umdeuten685.
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Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 125. 682 Schulin, a.a.O., S. 174 ff. 683 Schulin, a.a.O., S. 181. 684 Bull, DÖV 1971, 305, 307. Vgl. Schnapp, in: Dembowski et al. (Hrsg.), Das neue Sozialgesetzbuch, S. 149 f. 685 Zu dieser Befürchtung bereits Dürig, JZ 1955, 521, 523 f. sowie Albers, in: Külp/Haas (Hrsg.), Soziale Probleme der modernen Industriegesellschaft, Bd. 2, S. 935 ff.
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b) Verortung von Entschädigungsfonds innerhalb des sozialen Entschädigungsrechts Auch wenn vereinzelt von einem Bedeutungsverlust des sozialen Entschädigungsrechts gesprochen wird686, eignen sich die soeben skizzierten Grundprinzipien des sozialen Entschädigungsrechts als Ausgangspunkt für die Erarbeitung eines Erklärungsmodells des Rechts der Entschädigungsfonds. Die Querverbindungen zwischen dem Recht der Entschädigungsfonds und klassischen Normen des sozialen Entschädigungsrechts sind zahlreich. Neben den bereits erwähnten Verweisen des Gesetzgebers auf die Anwendbarkeit der verfahrensrechtlichen Vorschriften des BVG687 ist aus den parlamentarischen Vorarbeiten ersichtlich, dass der Errichtung eines Entschädigungsfonds durchaus gesteigerte Verantwortlichkeiten der Allgemeinheit zu Grunde liegen, die auch als solche wahrgenommen werden. Nichts anderes kommt zum Ausdruck, wenn im französischen Recht der Begriff der „solidarité nationale“ bemüht wird, um die ratio des Entschädigungsgesetzes schlagwortartig zusammenzufassen688. Ein Vergleich zwischen der juristischen Einordnung vergleichbarer Entschädigungstatbestände im deutschen und französischen Recht bestätigt den Eindruck einer engen Beziehung zwischen sozialer Entschädigung und Ausgleichsleistungen durch Entschädigungsfonds. So wird die Versorgung von Opfern von Gewalttaten im deutschen Recht als klassischer Anwendungsfall sozialen Entschädigungsrechts gesehen689, in Frankreich jedoch über einen eigens errichteten Fonds gelöst690. Ebenso gehört der Ausgleich von Impfschäden in Deutschland zum Versorgungsrecht, wohingegen im französischen Recht entsprechende Leistungen von der staatlichen Entschädigungsstelle für Medizinunfälle ONIAM, also einem Entschädigungsfonds, erbracht werden. Schließlich finden sich auch in der deutschsprachigen Literatur Ausführungen, in denen Fondsleistungen als Formen sozialer Entschädigung eingestuft werden691. 686 So Gutzler/Masuch, in: Luthe (Hrsg.), Rehabilitationsrecht, Kap. H, Rdnr. 1, nach denen das soziale Entschädigungsrecht „in seiner Bedeutung deutlich abgenommen“ hat. 687 § 11 Abs. 1 und 2 Anti-D-Hilfegesetz. Vgl. zur Steuerfreiheit der Leistungen § 3 Nr. 7, 23 u. 68 f. EStG. 688 Hierzu oben S. 61 ff. Siehe auch in diesem Zusammenhang Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 190 ff. 689 Siehe § 1 Abs. 1 OEG („Wer […] infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine […] Person […] eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes.“) 690 Zum Fonds de garantie des victimes d’actes de terrorisme et d’autres infractions (FGTI) siehe oben S. 49 ff. 691 So erwähnt Schnapp in seinem Kommentar des § 5 SGB I in einem Atemzug die Entschädigung von Deliktsopfern und den Ausgleich von Conterganschäden (Boch-
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Eine Verankerung der Fondslösungen im Recht der sozialen Entschädigung bietet zudem den Vorteil einer einheitlichen Erfassung vergleichbarer Entschädigungstatbestände unabhängig davon, ob hierfür ein spezieller Fonds mit eigener Rechtspersönlichkeit692 eingerichtet wurde oder auf direktem Wege staatliche Leistungen in Anspruch genommen werden können. Das von Schulin erarbeitete Modell gestufter Kollektivverantwortlichkeiten vermag überdies die als unübersichtlich geltende Materie der Entschädigungsfonds einer rationaleren Betrachtung zu erschließen. So wird besonders im französischen Recht davon gesprochen, dass die Entschädigungsvoraussetzungen sowie die Unterschiede in Art und Umfang des Schadensersatzes das Recht der Fondseinrichtungen gleich einem Flickenteppich erscheinen lassen693. Dem kann entgegnet werden, dass die festgestellten Unterschiede zwischen den einzelnen Kompensationsregimes nicht ausschließlich Ausdruck eines ungeordneten legislativen Aktionismus sind, sondern vielmehr die entschädigungsrechtliche Übersetzung abgestufter Verantwortlichkeiten der Allgemeinheit. Vergleicht man Höhe und Umfang von Fondsleistungen untereinander, stellt man in der Tat fest, dass eine vollständige Entschädigung in denjenigen Bereichen gewährt wird, in denen die soziale Bedingtheit des Schadens am stärksten ausgeprägt ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn dem Staat als „Agenten der Gesellschaft“694 ein Verhalten zur Last gelegt wird, welches zwar nicht notwendigerweise die Grenze des Verschuldens im rechtlichen Sinne überschreitet, zum eingetretenen Schaden aber in einem mehr oder weniger engen Zurechenbarkeitsverhältnis steht695. Neben dem umfassenden Schadensausgleich retrospektiver Fondseinrichtungen sind die Leistungen anderer Entschädigungsfonds weitaus weniger umfänglich. Zieht man die zum sozialen Entschädigungsrecht erarbeiteten Prinzipien heran, zeigt sich, dass die entsprechenden Schadenskategorien in geringerem Maße als sozial bedingt eingestuft werden können696. Der Komm, § 5, Rdnr. 37). Vgl. auch Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 152 u. 192 (dort Fn. 121). 692 Zur Frage, inwieweit die Anerkennung einer eigenen Rechtsfähigkeit konstitutives Element eines Entschädigungsfonds ist, siehe sogleich S. 151 ff. 693 Siehe insb. le Tourneau, Droit de la responsabilité et des contrats, Rdnr. 90 („mosaïque disparate de cas particuliers, de membra disjecta“); Viney, Introduction à la responsabilité, Rdnr. 28.3-6 sowie Brun, Responsabilité civile extracontractuelle, Rdnr. 849 („développement anarchique“). 694 Zu dieser Formulierung Schäfers (Soziale Schäden, S. 135 f.) siehe auch Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 139 f. 695 Der Zurechnungszusammenhang zwischen staatlichem (Fehl-)Verhalten und den von retrospektiven Entschädigungsfonds erfassten Schäden ist bereits näher erörtert worden. Siehe oben S. 89 ff. 696 So etwa bei der Entschädigung von Schäden durch Kraftfahrzeugunfälle oder Straftaten. Siehe oben S. 6 ff. u. 49 ff.
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Einfluss unterschiedlich ausgeprägter Kollektivverantwortlichkeiten ist auch anhand anderer Merkmale der Fondsleistungen nachweisbar. So sind besondere Beweiserleichterungen zugunsten des Antragstellers insbesondere in den Fällen zu vermerken, in denen auch die Verantwortlichkeit der Allgemeinheit besonders stark ausgeprägt ist697. Ähnlich verhält es sich mit der Berücksichtigung eines etwaigen Fehlverhaltens des Geschädigten bei der Bemessung des Schadensersatzes. Je höher der Grad der dem Fonds zugrunde liegenden kollektiven Verantwortlichkeit, desto weniger Platz für eine Minderung der Fondsleistungen auf Grund eines Verschuldens des Geschädigten. Die Feststellung Schulins, dass „je unmittelbarer ein Geschädigter dem sozial bedingten Schadensereignis ausgesetzt ist, desto eher i.d.R. eine Verantwortung der Allgemeinheit in Betracht kommen und um so gewichtiger diese Verantwortung in rechtlicher Hinsicht zu veranschlagen sein [wird]“698, überzeugt auf den ersten Blick durch eine große Zahl an Übereinstimmungen mit dem positiven Recht der Entschädigungsfonds. Dennoch ist der auf einer Hierarchisierung von Kollektivverantwortlichkeiten aufbauende Erklärungsansatz ein bloßes Erklärungsmodell, welches zwar einen theoretischen Rahmen zur geordneten Untersuchung rechtlicher Normkomplexe bietet, nicht aber alle Aspekte eines Rechtsgebietes zu erfassen und zu erklären vermag699. Die Entstehungsgeschichte der verschiedenen Fondseinrichtungen zeigt, dass das Ergebnis gesetzgeberischen Handelns nahezu immer auf höchst unterschiedlichen Faktoren beruht, von denen einige einer rationalen Analyse kaum zugänglich sind700. Nichtsdestotrotz lohnt sich ein Blick auf das Recht der Entschädigungsfonds durch die Linse des sozialen Entschädigungsrechts, erleichtert es doch die systematische Erfassung eines Rechtsgebiets, welches bisher lediglich als Ansammlung unterschiedlicher Entschädigungstatbestände wahrgenommen wurde. Legt man die Grundprinzipien des sozialen Entschädigungsrechts an alle Sonderkompensationsregimes an, die im Falle einer gesteigerten Verantwortung der Allgemeinheit eintreten701, so werden
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Vgl. die gesetzlichen Vermutungsregeln zum Nachweis der Kausalität sowie die Beweismaßreduktionen bei retrospektiven Fondslösungen (oben S. 96 f.). 698 Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 177. 699 Über die Grenzen juristischer Erklärungsmodelle Bergel, Méthodologie juridique, S. 254 ff. 700 Zum Einfluss von Interessengruppen (insb. von Opferverbänden) auf die Gesetzgebung im Bereich des Entschädigungsrechts siehe oben S. 63. 701 § 5 SGB I beschränkt soziale Entschädigungsleistungen auf Gesundheitsschäden. Siehe statt vieler GK-SGB I-Kretschmer, § 5, Rdnr. 17 f. Wie hier Schulin, Soziale Entschädigung als Teilsystem kollektiven Schadensausgleichs, S. 212, 224 u. 243 („Die
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Zusammenhänge deutlich, die ohne einen Blick auf das Modell gestufter Kollektivverantwortlichkeiten nicht sichtbar würden. 2. Rechtsfähigkeit des Sondervermögens als konstitutives Element von Entschädigungsfonds? Im Zusammenhang mit der rechtlichen Einordnung von Fondslösungen in das soziale Entschädigungsrecht empfiehlt es sich der Frage nachzugehen, ob die Existenz einer eigenständig organisierten Fondsverwaltung konstitutives Element der Entschädigungsfonds ist oder ob ein zur Schadenskompensation bestimmtes Sondervermögen bei einer bestehenden juristischen Person ausreicht. Hier zeigen sich besonders deutlich die Berührungspunkte zwischen herkömmlichen sozialen Entschädigungsleistungen und Kompensationszahlungen nach dem Recht der Entschädigungsfonds. In der Tat hat die eingangs durchgeführte Bestandsaufnahme der im deutschen und französischen Recht entwickelten Fondslösungen eine große Vielfalt an organisatorischen Lösungen aufgezeigt. So bestehen neben unselbständigen, also nicht rechtsfähigen Sondervermögen702 Entschädigungseinrichtungen, denen vom Gesetzgeber ausdrücklich der Charakter einer juristischen Person zugewiesen wurde, zumeist in der Form einer Körperschaft öffentlichen Rechts703, seltener als privatrechtlich verfasste juristische Person704. a) Entschädigungsfonds als eigenständig organisierte juristische Personen Die Errichtung eines Entschädigungsfonds als eigenständige juristische Person bietet den Vorzug, den Aufgaben einer Fondseinrichtung einen umfassenden organisatorischen Rahmen zu geben. Die Attribute einer juristischen Person entsprechen hierbei weitestgehend der Funktion und dem Wesen eines Fonds. Beurteilung der Kollektivverantwortlichkeiten für Sach- und Vermögensschäden richtet sich grundsätzlich nach den gleichen Kriterien wie diejenige für Personenschäden.“). 702 Siehe § 1 Abs. 1 KlärEV („nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes“), § 1 Abs. 1 DOHG (unselbstständiges Sondervermögen „beim Bundesverwaltungsamt“) sowie § 126 VAG (Sicherungsfonds der Lebens- und Krankenversicherer als „nicht rechtsfähiges Sondervermögen des Bundes bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau“). 703 So z.B. § 8 AbfVerbrG a.F. (Solidarfonds Abfallrückführung als „rechtsfähige Anstalt öffentlichen Rechts“), § 3 Abs. 1 HIVHG („rechtsfähige Stiftung des öffentlichen Rechts“), § 122 Abs. 1 BBergG (Bergschadenausfallkasse als „rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts“) sowie § 1 Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ v. 17.12.1971 („Stiftung des öffentlichen Rechts“). 704 Im deutschen Recht handelt es sich um den Verein Verkehrsopferhilfe, der die Aufgaben des in § 13 PflVG erwähnten Entschädigungsfonds für Opfer von Verkehrsunfällen übernimmt. Im französischen Recht sind der FGAO sowie der FGTI privatrechtlich organisiert.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
Nach einem mehr als 100 Jahre währenden Theorienstreit705 um das Wesen der juristischen Person geht heute die wohl herrschende Meinung – bestätigt von der Rechtsprechung des BGH – davon aus, dass es sich hierbei um „eine zweckgebundene Organisation [handelt], der die Rechtsordnung die Rechtsfähigkeit verliehen hat“706. Die Verleihung der Rechtsfähigkeit, also der Fähigkeit Inhaber von Rechten und Adressat von Pflichten zu sein, ermöglicht der Organisation eine von ihren Gründern oder Mitgliedern rechtlich unabhängige Existenz. Die juristische Person wird somit zum Inhaber eines verselbstständigten Vermögens, welches ihm von Mitgliedern oder Dritten übertragen wurde. Obgleich über dessen Stellenwert in der Lehre Unklarheit besteht, darf die Ausbildung einer mitgliedsunabhängigen Sondervermögensordnung als „Substrat“ 707 oder zumindest als eines der Wesensmerkmale des Rechtsinstituts der juristischen Person angesehen werden708. Die Existenz einer autonomen Sondervermögensordnung erscheint auf den ersten Blick eine Notwendigkeit zur Verwaltung eines Entschädigungsfonds, da die aus öffentlichen und privaten Quellen gespeisten Fondsmittel so in eine abgegrenzte Vermögensmasse überführt werden können, aus denen die Kompensationsleistungen an die Ersatzberechtigten gezahlt werden. Das Vermögen der juristischen Person verkörpert gleichermaßen den genossenschaftlichen Zusammenschluss der Beitragszahler zum Zwecke der Kompensation bestimmter Schadenstypen. Ohne autonomes Vermögen können eine effiziente Einziehung der Beiträge und die unabhängige Ausübung der Fondsaufgaben nur über Umwege garantiert werden709. Die Funktion der Rechtsfigur der juristischen Person erschöpft sich jedoch keineswegs in der Existenz einer separaten Vermögenseinheit, sondern erstreckt sich auf weitere Bereiche. Die prinzipielle Gleichstellung 705 Einen weitreichenden Überblick über die einzelnen Theorien bieten Wieacker, in: FS Huber, S. 339, 360 ff. sowie aus neuerer Zeit T. Raiser, AcP 199 (1999), 104, 121 ff. Siehe auch Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts I/2, S. 15 ff. 706 Statt aller MüKo-Reuter, vor § 21, Rdnr. 2 m.w.N. Vgl. auch die Definition bei Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 9, Rdnr. 1. Siehe auch BGH, Urt. v. 11.7.1957 – II ZR 318/55 – BGHZ 25, 134, 144. 707 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, § 4 I 2 a sowie ders., WM 1975 (Sonderbeilage 4), S. 11. 708 Nach h.M. wird zu der technischen Verselbstständigung eines Sondervermögens auch die Haftungsbeschränkung als Hauptfunktion der juristischen Person gezählt. Siehe Wieacker, in: FS Huber, S. 339, 358 f. Zustimmend auch MüKo-Reuter, Vor § 21, Rdnr. 2; a.A. T. Raiser, AcP 199 (1999), 104, 135 („gehört vielmehr nicht zum Begriff der juristischen Person“) sowie Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, § 4 I 3 b sowie ders., WM 1975 (Sonderbeilage 4), S. 11 („keine logische oder notwendige Konsequenz des Rechtsinstituts“). 709 Hierzu sogleich S. 154 f.
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von natürlichen und juristischen Personen lässt letztere nämlich zu nahezu gleichwertigen Partnern des wirtschaftlichen, aber auch gesellschaftlichen Lebens werden710. Raiser bemerkt richtig, dass die Bezeichnung als Person auch „förmliche Anerkennung sowie die rechtliche Legitimierung und Verantwortlichkeit des Verbands“ manifestiert711. Es scheint, als sei es diese sichtbare Autonomie, welche es personifizierten Fondslösungen erlaubt, einen Korpus eigener Entschädigungsrichtlinien712 (die französische Lehre spricht von sog. „politiques d’indemnisation“) zu erarbeiten und die Weiterentwicklung des allgemeinen Entschädigungsrechts auf diese Weise zu beeinflussen713. Durch die Anerkennung der Rechtsfähigkeit gewinnen juristische Personen neben der Vermögensfähigkeit und einer nahezu umfassenden Gleichstellung mit der Position natürlicher Personen im Rechtsverkehr auch den gleichen Zugang zum staatlich garantierten Rechtsschutz. Eine juristische Person kann ihre Rechte genau wie eine natürliche im Rahmen des Verfahrensrechts verteidigen, erlangt also Parteifähigkeit. Dies ist im Bereich der Entschädigungsfonds deshalb von Belang, da der Fonds nur so die ihm geschuldeten Beitragszahlungen prozessual einfordern und die ihm mit der Zahlung von Kompensationsleistungen übertragenen Ersatzansprüche gerichtlich geltend machen kann714. Schließlich ist – rechtssoziologisch gesehen – die Errichtung eines Fonds in Form einer juristischen Person auch ein Signal an die Ersatzberechtigten. Ihr Opferstatus erhält hierdurch eine weitergehende Anerkennung, als dies mit der bloßen Bereitstellung von Geldmitteln innerhalb des öffentlichen Haushalts oder bei bereits existierenden privaten Einrichtun-
710 Zu den Unterschieden zwischen natürlichen und juristischen Personen siehe insb. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 9, Rdnr. 12 ff. sowie Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, § 4 I 2 c. Die Rechtsprechung nationaler und supranationaler Gerichte passt die Persönlichkeitsrechte von juristischen Personen dem Schutzniveau natürlicher Personen dergestalt an, dass in der Lehre neuerdings der Vorwurf eines „überzogenen Anthropomorphismus“ laut wird (Wester-Ouisse, JCP G 2009, I, Nr. 137). Siehe beispielhaft aus der Rechtsprechung EuGH, Urt. v. 22.10.2002 – C-94/00, Roquette – NJW 2003, 35 sowie BGH, Urt. v. 6.10.1964 – VI ZR 176/63 – BGHZ 42, 210, 219 f. 711 T. Raiser, AcP 199 (1999), 104, 134. Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, § 9, Rdnr. 11 sprechen von einem „eigenen Wirkungskreis innerhalb der sozialen Realität“. 712 Dies können Richtlinien zur Bemessung des (insb. immateriellen) Schadensersatzes oder zur Geltendmachung übergegangener Ersatzansprüche im Wege des Regresses sein. 713 Zum Einfluss fondsspezifischer Regeln auf das allgemeine Deliktsrecht siehe unten S. 174 ff. 714 Letzteres ist insbesondere in Hinblick auf die Zielstellung der Schadensprävention relevant. Hierzu näher unten S. 182 ff.
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Erster Teil: Entschädigungsfonds als Modell kollektiver Schadenstragung
gen möglich wäre715. Soll die Einrichtung eines Fonds neben der eigentlichen Entschädigung von Betroffenen auch als Schuldeingeständnis privater oder öffentlicher Akteure dienen, so empfiehlt sich die Errichtung einer juristischen Person, um ein von der Gesellschaft wahrnehmbares Zeichen zu setzen. Einem Entschädigungsfonds mit eigener Rechtspersönlichkeit wird in aller Regel mehr Aufmerksamkeit zukommen als der Begründung eines bloßen Ausgleichstatbestands innerhalb des kodifizierten sozialen Entschädigungsrechts. b) Entschädigungsfonds als unselbständige Sondervermögen Die Verwaltung eines Entschädigungsfonds kann allerdings auch ohne personenrechtliche Eigenständigkeit bewältigt werden. Besonders im deutschen Recht, in dem die Anerkennung der Rechtsfähigkeit nicht zwingend mit dem Institut der juristischen Person zusammenfällt716, bestehen alternative Organisationsformen spezialgesetzlicher Entschädigungsregimes, da das private und öffentliche Organisationsrecht umfassender ist als das Recht der juristischen Personen717. Die juristische Person in ihrer Rolle als Instrument zur Verselbstständigung eines Vermögens konkurriert insbesondere mit dem Rechtsinstitut der Gesamthand. Dieses ist allerdings nur sehr begrenzt mit dem Regelungszweck einer Fondslösung vereinbar, da es sich gegenüber der juristischen Person dadurch auszeichnet, dass die Verfügungsgewalt über das Vermögen allen Gesamthändern zusteht718. In Frage kommt eher die Errichtung 715 So wurde im Rahmen der Diskussion um eine Entschädigungslösung zugunsten der Opfer von französischen Nuklearversuchen die Errichtung eines Fonds in Form einer juristischen Person befürwortet, um ein „signal fort“, also ein deutliches Zeichen, für die Anerkennung des Leids der Geschädigten zu setzen. Siehe Calméjane, Doc. AN 2009 (Nr. 1768), S. 49; ebenso Cléach, Doc. Sénat 2009-10 (Nr. 18), S. 71. 716 So schreibt Wiedemann, „das deutsche Zivilrecht [setze] die juristische Person wohl deshalb sparsamer ein als vergleichbares ausländisches Recht, weil es damit nahezu zwangsläufig die Haftungsbeschränkung auf das der neuen Rechtsperson gehörende Vermögen verbindet“ (Gesellschaftsrecht, Bd. 1, § 4 II). Eine Beschränkung des Instituts der juristischen Person auf die Verbände, welche eine Haftungsbeschränkung aufweisen, ergibt sich nicht zwingend. Siehe auch T. Raiser, AcP 199 (1999), 104, 135. Es ist bezeichnend, dass das französische Zivilrecht unbeschränkt haftende Personenhandelsgesllschaften ohne dogmatische Schwierigkeiten als „personnes morales“ ansieht. 717 Staudinger-Weick, Einl zu §§ 21 ff, Rdnr. 11. 718 Über die Abgrenzung zwischen Gesamthand und juristischer Person im Einzelnen bestehen große Unstimmigkeiten in der Literatur. Der Vergleich zwischen einer „personalistischen GmbH“ und einer „kapitalistischen KG“ zeigt einigen Autoren zufolge, „dass die Suche nach spezifischen materiellen Eigenschaften der Gesamthand genauso vergeblich ist wie die nach spezifischen materiellen Eigenschaften der juristischen Person“ (MüKo-Reuter, Vor § 21, Rdnr. 10; vgl. auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 IV und Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. 1, § 5 I 1). Die h.M. weist auf die stärkere Ein-
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eines Fonds in Form eines treuhänderisch verwalteten Sondervermögens, welchem zwar keine eigenständige Rechtsfähigkeit zugesprochen wird, aber zu einer Art „virtuellen juristischen Person“ 719 ausgestaltet und de lege ferenda zum selbstständigen Rechtssubjekt, etwa in Form einer unselbstständigen Stiftung720, umgewandelt werden kann721. Schließlich kann ein Entschädigungsfonds auch bereits bestehenden juristischen Personen angegliedert werden. Die hierbei notwendige Trennung zwischen dem Vermögen der Dachorganisation und den Mitteln zur Erfüllung der Fondsaufgaben kann je nach Rechtsnatur der juristischen Person, welcher die Verwaltung des Fonds übertragen worden ist, sowohl privatrechtlich als auch öffentlich-rechtlich erfolgen. Handelt es sich um eine privatrechtliche Figur wie zum Beispiel ein Verein, so kann eine Abgrenzung des Fondsvermögens durch eine bilanzrechtliche Trennung in Form einer gesonderten Buchführung erfolgen722. Wird der Fonds von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts verwaltet, so ist das Rechtsinstitut des Sonderhaushalts ein taugliches Instrument zur Individualisierung des Fonds innerhalb des Budgets der übergeordneten Körperschaft723. beziehung der Mitglieder einer Gesamthand in den Rechtskreis der Personenmehrheit hin (siehe nur Flume, ZHR 136 [1972], 177, 188 f.; ders., in: FS Raiser, S. 27 ff.; Wiedemann, WM 1975 [Sonderbeilage 4], 1, 28 ff. sowie Schünemann, Grundprobleme der Gesamthandsgesellschaft, S. 93 f.). 719 K. Schmidt, in: Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, S. 175, 177, 183. 720 Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist immer dann eine nicht rechtsfähige Stiftung anzunehmen, wenn einer natürlichen oder juristischen Person Vermögen oder Vermögensteile von dritter Seite mit der Auflage zugewendet werden, die Erträge für einen bestimmten Zweck zu verwenden. So etwa BFH, Urt. vom 24.3.1993 – I R 27/92 – BFHE 171, 198 = DB 1993, 1701. 721 Koos, Fiduziarische Person und Widmung, S. 135 ff., 354 f. Zurückhaltender MüKo-Reuter, Vor § 21, Rdnr. 12; ders., in: Stiftungen in Deutschland und Europa, S. 203 ff. sowie ders., in: FS Hadding, S. 231, 242 ff. 722 Eine Sonderbilanzpflicht trifft z.B. die Caisse centrale de réassurance für die Verwaltung des Fonds national de garantie des calamités agricoles (Art. L. 431-11 C. assur.) sowie die Fédérations départementales des chasseurs für die auf landwirtschaftliche Wildschäden anwendbare Sonderentschädigungsregelung (Art. R. 421-6 C. envir.). Im deutschen Recht ist diese Technik bisher nicht für Entschädigungsfonds angewandt worden. Allgemein zu Sonderbilanzen als Mittel zur Erfassung von Sonderbetriebsvermögen Winnefeld, Bilanz-Handbuch, Rdnr. L 750 ff. sowie Förschle/Deubert, in: Budde/Förschle/Winkeljohann (Hrsg.), Sonderbilanzen, Rdnr. 1 ff. 723 Noll definiert den Sonderhaushalt als einen „rechtlich unselbständigen, abgesonderten Teil des Bundes-/Landes-vermögens, das ausschließlich zur Erfüllung einzelner begrenzter Aufgaben bestimmt ist“ (Haushalt und Verfassung, S. 59 f.). Vgl. auch Maunz, in; Maunz/Dürig, GG, Art. 110, Rdnr. 34. Zum Ganzen umfassend Kilian, Nebenhaushalte des Bundes, 1993 sowie zuletzt Maier-Bledjian, Sondervermögen des Bundes, 2011.
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c) Kriterien zur Wahl der Organisationsform des Entschädigungsfonds Da sowohl unter theoretischen als auch unter positivrechtlichen Gesichtspunkten die Rechtspersönlichkeit kein zwingendes Merkmal eines Entschädigungsfonds ist, stellt sich die Frage, welche Kriterien die Wahl des Gesetzgebers in dieser Hinsicht leiten. Unerheblich für die Entscheidung zugunsten eines personifizierten oder eines nicht personifizierten Fonds ist das Kriterium einer möglichst neutralen und unabhängigen Bearbeitung der Entschädigungsanträge. Zwar ist ein Fonds, der als juristische Person errichtet worden ist, autonomer Träger von Rechten und Pflichten, allerdings schließt dies keinesfalls ein Näheoder Abhängigkeitsverhältnis zu Dritten aus. Um zu gewährleisten, dass die Überprüfung der Kompensationsvoraussetzungen externen Einflüssen zum Beispiel von staatlicher Seite oder von Vertretern der potenziellen Schadensverursacher entzogen ist, kommt es einzig darauf an, ob die den Antrag prüfende Instanz unparteiisch und unabhängig entscheidet724. Die Organisationsform des Fonds ist hierbei ohne Belang, denn die Einflussnahme Dritter kann bei als juristische Personen verfassten Fonds weitreichender sein als bei personenrechtlich unselbstständigen Fonds725. Vielmehr scheinen es Zweckmäßigkeitserwägungen zu sein, die entscheiden, ob ein Entschädigungsfonds als juristische Person oder als unselbstständiges Sondervermögen eingerichtet wird. In der Tat ist der Aufwand, welcher mit der Errichtung eines personifizierten Fonds verbunden ist, erheblich größer als die Angliederung an eine bestehende Einrichtung. Entsprechende Erfahrungen im französischen Recht haben gezeigt, dass zwischen der Verabschiedung eines Gesetzestextes und der Bearbeitung des ersten Entschädigungsantrags mehrere Jahre vergehen können726. Eine 724
Eine unabhängige Schadensbearbeitung kann durch die Zuständigkeit eines unabhängigen Expertengremiums garantiert werden, welches über das Vorliegen der Entschädigungsvoraussetzungen sowie über Art und Umfang des Schadens befindet und dessen Legitimität allein auf den fachlichen Qualifikationen der Mitglieder beruht. Alternativ können auch Organe für zuständig erklärt werden, die sich paritätisch aus Opfervertretern und Repräsentanten potenzieller Schädiger sowie aus unabhängigen Experten zusammensetzt. Eine solche ausgeglichene Besetzung des Organs führt in der Regel zu einer gegenseitigen Kontrolle sowie zu einer Neutralisierung entgegengesetzter Interessenlagen. Hierzu näher siehe unten S. 169 ff. 725 So ist das Verhältnis zwischen der öffentlichen Gewalt und der Fondseinrichtung immer dort besonders eng, wo ausdrücklich eine Ministerialaufsicht über die Geschicke des Fonds besteht (vgl. Art. 53, II des Gesetzes v. 23.12.2000 [FIVA]; Art. R. 422-3 C. assur. [FGTI]; Art. R. 421-26 C. assur. [FGAO] sowie Art. R. 1142-42 [ONIAM]). 726 So sah sich der FIVA gezwungen, in den ersten zweieinhalb Jahren seiner Existenz die Bearbeitung der Entschädigungsanträge an den FGAO zu delegieren (siehe FIVA, Rapport d’activité 2002/03, S. 5). Zu den Verzögerungen bei der Errichtung des FITH siehe FITH, Rapport annuel 1993, S. 7 ff.
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unselbstständige Fondslösung bietet daher den Vorteil, gerade bei Massenschadensfällen schneller auf die Notlage der Opfer reagieren zu können727. Eine Fondslösung in Form eines unselbstständigen Sondervermögens innerhalb des öffentlichen Haushalts empfiehlt sich auch in den Fällen, in denen dem Fonds wegen einer alleinigen Verantwortlichkeit der öffentlichen Gewalt ausschließlich staatliche Mittel der Entschädigung zugewiesen werden728. Auf der anderen Seite erscheint die Gründung einer juristischen Person immer dann die bessere Wahl, wenn die Fondsmittel durch mehrere Beitragspflichtige aufgebracht werden und die Fondseinrichtung mittels einer direkten, zweckgebundenen Verfügungsgewalt über etwaige Zinserträge und Regresszahlungen729 verfügen soll.
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Dies war eines der Argumente, mit denen sich Ausschussmitglieder während der Diskussionen über die französische Entschädigungsregelung zugunsten der Opfer von Nukleartests gegen die Errichtung einer selbstständigen Fondseinrichtung aussprachen. Siehe insb. Cléach, Doc. Sénat 2009-10 (Nr. 18), 41 u. 71 sowie Calméjane, Doc. AN 2009 (Nr. 1768), 29. 728 Vgl. die Äußerungen des Abgeordneten Cléach während der Beratungen über das Entschädigungsgesetz zugunsten der Opfer von Nukleartests (Doc. Sénat 2009-10 [Nr. 18], 71). 729 Die Möglichkeit, Regressklagen im Interesse des Fonds und zur Vermeidung von Präventionsverlusten gegen den Schadensverursacher anzustrengen, ist auch unabhängig vom Bestehen einer separaten juristischen Person gegeben, da auch die übergeordnete Einrichtung diese Aufgabe übernehmen kann. Eine systematische Zuordnung der erstatteten Entschädigungssummen an den Fonds ist allerdings nur durch die Errichtung eines personifizierten Sondervermögens gewährleistet. – Zur Thematik der Regressklagen im Recht der Entschädigungsfonds siehe unten S. 188 ff.
158 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht
Zweiter Teil: Die Funktionen von Fondslösungen innerhalb des sozialen Entschädigungsrechts 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht
Die systematische Einordnung von Fondslösungen wirft die Frage nach den rechtspolitischen Perspektiven spezialgesetzlicher Entschädigungsmodelle innerhalb des Schadensersatzrechts auf. Inwieweit haben sich bestehende Entschädigungsfonds als Kompensationsinstrumente bewährt? Welchen Beitrag können sie zur Weiterentwicklung des Entschädigungsrechts leisten? Zur Beantwortung dieser Fragen soll im Folgenden ein Vergleich zwischen der Schadensregulierung nach haftungsrechtlichen Maßstäben und einem Ausgleich durch Fondseinrichtungen gezogen werden. Hierfür sollen die beiden Hauptfunktionen1 des Haftungsrechts, der Schadensausgleich und die Verhütung von Schäden, näher betrachtet und das Potenzial beider Kompensationsinstrumente zueinander in Beziehung gesetzt werden.
I. Schadenskompensation durch Entschädigungsfonds I. Schadenskompensation durch Entschädigungsfonds
Die Prinzipien und Regeln, nach denen Fondseinrichtungen Schadensausgleich leisten, unterscheiden sich erheblich von denen, die dem Schadensersatz durch das Haftungsrecht zugrunde liegen. Die Besonderheit des Rechts der Entschädigungsfonds zeigt sich dabei nicht nur auf der materiell-rechtlichen Ebene, also hinsichtlich der Begründetheit und des Umfangs der Ersatzansprüche, sondern ebenso im Verfahrensrecht. Im Gegensatz zum Haftungsrecht, welches trotz der zunehmenden Bedeutung außergerichtlicher Streitbeilegung und einer weitgehenden Überlagerung durch das Recht der sozialen Vorsorgesysteme nach wie vor hauptsächlich im 1
Ausführlich zu den Zwecken des Haftungsrechts Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 17 ff.; Brüggemeier, Haftungsrecht – Struktur, Prinzipein, Schutzbereich, § 1 I; Jansen, Die Struktur des Haftungsrecht, S. 60 ff. sowie zuletzt Koziol, Grundfragen des Schadensersatzrechts, Rdnr. 3/1 ff. Zu den normativen Grenzen des Ausgleichsgedanken siehe insbesondere MüKo-Wagner, Vor § 823, Rdnr. 38 f. sowie ders., VersR 1999, 1441 ff. Zum Stellenwert pönaler Elemente im Haftungsrecht siehe statt vieler Stoll, in: FS Rheinstein, Bd. II, S. 569 ff. sowie die Bestandsaufnahme bei P. Müller, Punitive Damages und deutsches Schadensersatzrecht, S. 101 ff.
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Rahmen gerichtlicher Haftpflichtprozesse zur Anwendung gelangt, sind Fondslösungen vom Gesetzgeber dergestalt konzipiert, dass Ersatzansprüche in einem vereinfachten Verfahren geltend gemacht werden können. Beide Aspekte sollen im Folgenden näher beleuchtet werden. Insbesondere soll auch auf die Wechselwirkungen zwischen allgemeinem Haftungsrecht und dem Recht der Entschädigungsfonds hingewiesen werden, welche die Fondsmodelle – wie in der französischen Literatur betont wird – als „Laboratorien des Schadensersatzrechts“2 erscheinen lassen. A. Prozessrechtliche Aspekte Mit der Errichtung von Fondslösungen strebt der Gesetzgeber einen schnellen, preiswerten und unbürokratischen Schadensausgleich an. Dies lässt sich den Vorarbeiten zu den untersuchten Entschädigungsgesetzen entnehmen3. In der Regel sehen die einschlägigen Vorschriften Fristen zur Bearbeitung des Entschädigungsantrags sowie zur Auszahlung der Entschädigungssumme vor4, die deutlich unter der durchschnittlichen Dauer eines Verfahrens vor staatlichen Gerichten liegen5. Eine verfahrensrechtliche Untersuchung des Rechts der Entschädigungsfonds offenbart jedoch, dass das vereinfachte Entschädigungsverfahren durchaus Risiken in sich birgt. Nicht immer werden die Bedürfnisse der Geschädigten hinreichend berücksichtigt oder ihre prozessualen Grundrechte gewahrt. Dies wirft Akzeptanzprobleme auf, die das Potenzial von Fondslösungen nachhaltig beeinträchtigen können. Aufbauend auf den Erfahrungen des französischen Rechts sollen im Folgenden Anregungen zur Verbesserung verfahrensrechtlicher Regeln im Bereich der Entschädigungsfonds gegeben werden. 2
So die Analyse eines parlamentarischen Berichts zur Problematik der Asbestschäden (Le Garrec, Risques et conséquences de l’exposition à l’amiante, Doc. AN 2006 [Nr. 2884], S. 295 ff.). 3 Siehe etwa die parlamentarischen Vorarbeiten zum Gesetz über die Entschädigung der Opfer HIV-verseuchter Blutprodukte (JO AN, Déb. parl. v. 17.12.1991, S. 5379 [„procédure d’indemnisation unique, simple, rapide et complète“]). 4 Vgl. Art. 706-5-1 Abs. 2 C. proc. pén. (FGTI), Art. L. 1142-8 u. L. 1142-14 Abs. 1 C. sant. publ. (ONIAM), Art. 53, IV des Gesetzes v. 23.12.2000 (FIVA) sowie Art. L. 211-9 u. L. 211-22 C. assur. (FGAO). Siehe für die Fristen zur Auszahlung der Entschädigungssumme Art. R. 50-24 C. proc. pén. (FGTI), Art. L. 1142-14 Abs. 7 u. L. 1142-15 Abs. 2 C. sant. publ. (ONIAM), Art. 23 Abs. 2 Décret v. 23.10.2001 (FIVA) sowie Art. L. 211-22 et 211-17 C. assur. (FGAO). 5 Siehe zur Entschädigung von Medizinschäden vor den staatlichen Gerichten und vor dem ONIAM den Vergleich bei Blanco, La loi du 4 mars 2002 et les CRCI, S. 233 (19,6 Monate bei einer gerichtlichen Durchsetzung; 13 Monate bei einer Entschädigung durch das ONIAM). Siehe allgemein zur Problematik der Verfahrensdauer vor französischen Gerichten Guinchard/Montagnier/Varinard, Institutions juridictionnelles, Rdnr. 219 ff.
160 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht 1. Ausrichtung des Verfahrens auf die psychosozialen Bedürfnisse der Geschädigten Wie bereits erwähnt, zeichnen sich Entschädigungsfonds als alternative Schadensabnahmemodelle dadurch aus, dass sie die Kompensationsleistungen an den Geschädigten nicht von dem Vorliegen eines Haftungsgrundes, sondern allein von den Umständen der Schädigung abhängig machen. Es wäre einleuchtend, wenn diese materiell-rechtliche Fokussierung auf die Situation des Geschädigten auch auf das Entschädigungsverfahren ausstrahlte. Die Erkenntnisse der viktimologischen Forschung über die spezifischen Opferbedürfnisse werden jedoch nur unzureichend berücksichtigt, sodass zu erörtern ist, inwieweit die Rolle des Geschädigten im Verfahren vor den Fonds gestärkt werden kann, ohne das Gleichgewicht zwischen den Interessen aller Beteiligten zu stören. a) Erkenntnisse aus der Viktimologie über die Bedürfnisse von Deliktsopfern Während sich die Wissenschaft schon früh mit dem kriminellen Verhalten des Täters sowie seiner Persönlichkeit befasste, sind die Täter-OpferBeziehung und die Viktimisierung, also der Prozess und das Ergebnis des „Opferwerdens“, maßgeblich erst nach dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere seit den 1970er Jahren, thematisiert worden. Lag das Hauptaugenmerk zu Beginn der viktimologischen Forschung auf einem möglichen Tatbeitrag des Opfers bei der Verbrechensentstehung6, konzentrieren sich die modernen Arbeiten auf die allgemeine Interaktion zwischen Opfer und Täter sowie zwischen dem Opfer und der Gesellschaft7. Die Viktimologie gilt heute mehrheitlich als Teilbereich der Kriminologie und hat damit die Erforschung der Bedürfnisse von Opfern von Straftaten zur Aufgabe8. In gewissem Maße lassen sich jedoch die Erkenntnisse viktimologischer Forschung auch auf strafrechtlich nicht erfasste Schäden übertragen. Die Arbeiten zur Opfersituation haben gezeigt, dass das Opfer von Straftaten neben den direkt verursachten Verletzungen auch unter psychischen und sozialen Sekundärschäden leidet, welche unter dem Oberbegriff 6 Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 389 f. Grundlegend zu dem Ansatz der „Viktimodogmatik“ Schüler-Springorum, Kriminalpolitik für Menschen, S. 219 ff. 7 Vgl. nur Kaiser, Kriminologie, § 47, Rdnr. 10; Lamnek, Theorien abweichenden Verhaltens II, S. 233 ff. sowie H. J. Schneider, in: ders. (Hrsg.), Internationales Handbuch der Kriminologie, Bd. 1, S. 395 ff. Siehe auch zuletzt ders., JR 2010, 375. 8 Der enge Viktimologie-Begriff, der von von Hentig (The Criminal and his Victim, 1948) entwickelt worden war, hat sich gegen das weite Verständnis viktimologischer Forschung Mendelsohns (Rev. int. crim. 1956, 95 sowie Rev. fr. psychanal. 1958, 95) durchgesetzt. Einen Überblick zum Begriffsstreit findet sich u.a. bei H. J. Schneider, Einführung in die Kriminologie, S. 304 f.
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„post-deliktisches emotionales Trauma“ zusammengefasst werden können9. Das konkrete Ausmaß der Folgen der Schädigung hängt dabei maßgeblich von der Art des Delikts und von der Nähe des Opfers zum Täter ab. In jedem Fall geht die Viktimisierung mit einem Verlust des Selbstwertgefühls, zerstörtem Selbstvertrauen und einem gesteigerten Bedürfnis nach Unterstützung durch das soziale Umfeld einher. Obgleich es wegen der Vielzahl an Opfer- und Deliktsvariablen unmöglich ist, ein Bild des typischen Verbrechensopfers zu zeichnen, herrscht in der viktimologischen Literatur größtenteils Einigkeit darüber, dass ein gerichtliches Verfahren dem Opfer grundsätzlich die Gelegenheit bietet, das Gefühl von Machtlosigkeit und fehlender Selbstbestimmung abzulegen und durch die Konfrontation mit dem Täter Selbstvertrauen wiederzugewinnen10. Gerichtsverfahren seien daher geeignet, die Bedürfnisse des Opfers zu befriedigen und einen gewichtigen Beitrag wenn nicht zur vollständigen Rehabilitation, so doch zu einer Normalisierung der Situation des Opfers zu leisten. Nach Ansicht der Kriminologen erwarten Deliktsopfer vom Verfahren insbesondere eine offizielle Verurteilung der Tat und die damit einhergehende Anerkennung des eigenen Opferstatus11. Besonders ausgeprägt sei hierbei das Bedürfnis des Opfers nach einer Schilderung des Tathergangs, da der Rehabilitierungsprozess erst mit dem Benennen des Delikts beginnen könne12. Der Täter solle öffentlich mit seiner schädigenden Handlung und deren Folgen konfrontiert werden und dem Deliktsopfer Wiedergutmachung des zugefügten Schadens leisten, wodurch das Gerechtigkeitsgefühl des Opfers oft bereits befriedigt sei13. Empirischen Untersuchungen zufolge ist das Genugtuungsbedürfnis des Verletzten weit weniger stark ausgeprägt als allgemein angenommen. Zumindest die in Europa durchgeführten Erhebungen zeigen eine in der Regel maßvolle Einstellung des Opfers gegenüber dem Deliktstäter, die zweifelsohne auf die soziokulturelle Tabuisierung des Rachegedankens zurückzuführen ist. Im Vergleich mit anderen Bedürfnissen sei das Verlangen
9
Siehe den Überblick bei Lopez, Victimologie, Rdnr. 151 ff. Weigend, Deliktsopfer und Strafverfahren, S. 403 sowie H. J. Schneider, in: ders. (Hrsg.), Internationales Handbuch der Kriminologie, Bd. 1, S. 409 f. Vgl. auch Pignoux, La réparation des victimes d’infractions pénales, Rdnr. 38 m.w.N. 11 Weigend, a.a.O., S. 410; Eder-Rieder, Der Opferschutz, S. 7. Vgl. auch Cario, Victimologie, Bd. 1, S. 228. 12 Vgl. Garapon, in: ders./Gros/Pech (Hrsg.), Et ce sera justice – Punir en démocratie, S. 245, 287 sowie Salas, Rev. sc. crim. 1996, 619, 620 („réparer c’est d’abord nommer l’acte“). 13 Siehe Sessar, in: FS Leferenz, S. 145, 153 ff. Vgl. auch ders., in: FS Jescheck, Bd. II, S. 1137, 1146 („private Form der Konfliktverarbeitung“) sowie ders./Beurskens/ Boers, KrimJ 1986, 86. 10
162 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht nach Vergeltung nur begrenzt vorhanden14 und stehe in seiner Intensität deutlich hinter dem „Strafbedürfnis“ der nicht direkt betroffenen Gesellschaft, der sog. „stellvertretenden Opfer“, zurück15. b) Unzureichende Berücksichtigung der Opferbedürfnisse durch Fondseinrichtungen Anders als in den gerichtlichen Verfahren, in dem die Gegenüberstellung von Opfer und Täter durch den Richter mediatisiert wird, zeichnet sich das Recht der Entschädigungsfonds durch eine Abkopplung von Schadenskompensation und Schadenszurechnung aus, welche eine rehabilitationsfördernde Begegnung zwischen Geschädigtem und Schädiger entbehrlich macht. Das vom Opfer erhoffte Eingeständnis persönlicher Schuld durch den Täter ist allerdings wichtiger Bestandteil der Wiederherstellung des Opfers, da es deutlicher zur Befriedung des Täter-Opfer-Verhältnisses beiträgt als eine durch den Richter ausgesprochene Schuldzuweisung16. Untersucht man jedoch die verfahrensrechtlichen Regelungen der Entschädigungsgesetze, so wird schnell deutlich, dass die Bedürfnisse des Opfers im Rahmen des Entschädigungsverfahrens vor Fondseinrichtungen nur unzureichend berücksichtigt werden. Eine Überprüfung des Entschädigungsantrags durch den Fonds kommt in vielerlei Hinsicht der behördlichen Bearbeitung eines Antrags gleich, da in der Regel lediglich die vom Antragsteller eingesandten Schriftstücke zur Prüfung herangezogen werden. In den Fällen, in denen die gesetzlichen Vorschriften die Möglichkeit einer Anhörung des Geschädigten vorsehen17, wird diese nur in äußerst begrenztem Maße genutzt18, um einer möglichst zügigen Bearbeitung der Entschädigungsanträge nachzukommen. Anders als von der viktimologischen Forschung angemahnt, wird den Antragstellern kaum die Gelegen14 Selbst wenn das Opfer ein Interesse an einer Verurteilung des Täters habe, sehe es die Sanktionierung grundsätzlich weniger als eine gerechte Bestrafung denn als Ausdruck der öffentlichen Missbilligung der Tathandlung sowie als Mittel zur Perpetuierung der Tat innerhalb der öffentlichen Wahrnehmung. Siehe zu diesem Aspekt Négrier-Dormont/ Tzitzis, Criminologie de l’acte et philosophie pénale, Rdnr. 194; Grosser, Le crime et la mémoire, S. 241 sowie aus neuerer Zeit Osiel, Juger les crimes de masse – La mémoire collective et le droit, S. 37 ff. 15 Lamnek, Theorien abweichenden Verhaltens II, S. 239 m.w.N. Über das Phänomen des „distant suffering“ siehe Boltanski, La Souffrance à distance, 1993 sowie Baril, L’envers du crime, S. 250. 16 Pignoux, La réparation des victimes d’infractions pénales, Rdnr. 40. 17 So etwa Art. R. 1142-16 Abs. 3 sowie R. 3122-1 Abs. 1 C. sant. publ. (ONIAM); Art. 17 Abs. 3 Décret v. 23.10.2001 (FIVA) sowie Art. R. 50-19 C. proc. pén. (FGTI). 18 Siehe z.B. die Informationsbroschüre des Fonds d’indemnisation des victimes de l’amiante (abgedruckt im Jahresbericht des FIVA 2002/2003, S. 57), welche die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit einer Anhörung des Geschädigten nicht erwähnt.
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heit eingeräumt, ihre Sicht auf den Hergang der Schädigung zu schildern und somit die traumatisierenden Erlebnisse zu überwinden. Genauso wie ein allzu täterorientiertes Ermittlungs- und Strafverfahren das Risiko einer Sekundärviktimisierung birgt19, besteht auch im Recht der Entschädigungsfonds die Gefahr, dass ein nicht ausreichend individualisiertes Verfahren dem Rehabilitationsprozess des Geschädigten entgegenwirkt. Diese Gefahr wird zudem dadurch verschärft, dass die im Vergleich zum Haftungsrecht herabgesetzten Entschädigungsvoraussetzungen eine Rekonstruktion des Schädigungshergangs erheblich erschweren. Durch die Abkopplung der Entschädigung von einer Schadenszurechnung beschränkt sich die Überprüfung des Entschädigungsantrags durch den Fonds häufig darauf, ob die Schadenssituation des Antragstellers tatsächlich unter die vom Gesetzgeber definierte Kategorie20 subsumiert werden kann. Die Beeinträchtigung des Opfers wird mithin zu einem anonymen Schaden, dessen Zuordnung zu einem Dritten bewusst außer Betracht gelassen wird21. Eine öffentliche Missbilligung schädigenden Verhalten wird allenfalls dann ausgesprochen, wenn der Fonds den Schädiger im Regresswege in Anspruch nimmt. Angesichts dieser Defizite vermag es nicht zu überraschen, dass sich Geschädigte, die an sich berechtigt wären, Ersatzleistungen eines Entschädigungsfonds zu beantragen, dazu entschließen, strafrechtliche Verfahren einzuleiten. Das Strafverfahren bietet ihnen einen prozessualen Rahmen, der dem Verlangen nach einer Konfrontation mit dem Schädiger und dem Bedürfnis nach einer Darstellung des Erlebten deutlich eher Rechnung trägt als ein Zivilprozess oder ein Verfahren vor einem Entschädigungsfonds. Der Amtsermittlungsgrundsatz des Strafverfahrensrechts vermag zudem über beweisrechtliche Hürden beim Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen hinweg zu helfen. Besonders in denjenigen Rechtssystemen, in denen der Angeklagte für verantwortlich im Sinne des Strafrechts erklärt und gleichzeitig zur Leistung zivilrechtlichen Schadensersatzes verurteilt werden kann, stellt das Strafverfahren eine echte Alternative dar. So wird im französischen Recht das Strafverfahren besonders in den Fällen gewählt, in denen die Beweiserhebung vor dem Zivilrichter oder vor einem Entschädigungsfonds trotz etwaiger Beweiserleichterungen erhebliche Schwierigkeiten bereiten würde. Freilich ist die Pönalisierung von Rechts19 Zum Begriff der Sekundärviktimisierung H. J. Schneider, JR 2010, 375, 377 („Verschlimmerung der Viktimisierung im sozialen Nahraum des Opfers und im Kriminaljustizsystem“) u. 383 ff. Siehe auch Kölbel, ZStW 119 (2007), 334, 336 ff. m.w.N. 20 Zur Technik der Kategorisierung siehe oben S. 96 ff. 21 Die Schadenszuordnung tritt freilich nur für die Frage der Entschädigung des Antragstellers zurück, ist jedoch Grundlage der eventuell folgenden Regressklage der Fondseinrichtung. Zur Problematik der Regressklagen siehe unten S. 191 ff.
164 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht bereichen, in denen Fondslösungen geschaffen worden sind, nicht ausschließlich durch die verfahrensrechtlichen Besonderheiten des Rechts der Entschädigungsfonds zu erklären; vielmehr handelt es sich um ein multifaktorielles Phänomen, welchem jedenfalls ein Vertrauensverlust gegenüber bestimmten sozialen Gruppen vorausgeht22. Die Pönalisierung von Rechtsbereichen bereitet besonders dann Schwierigkeiten, wenn sie weitreichende soziale Konsequenzen zur Folge haben kann. So sind die Massenschadensfälle im französischen Gesundheitssystem, welche zur Errichtung von Entschädigungsfonds führten, auch immer Anlass gewesen, Vertreter aus Politik und Ministerialverwaltung strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen23 und die fortschreitende Verrechtlichung der Medizin auf das Strafrecht auszuweiten. Dass die in diesem Zusammenhang errichteten Entschädigungslösungen eine Schadenszurechnung und die Aufklärung der Verantwortlichkeiten rigoros aussparten, kann als bedeutender Faktor für die Kriminalisierung politischer Verantwortlichkeiten gesehen werden. Inwieweit dauerhafte Fondslösungen – im Gegensatz zu punktuell eingerichteten retrospektiven Entschädigungsfonds – der Pönalisierung entgegenwirken können, ist unklar und bedarf weitergehender, insbesondere rechtstatsächlicher Untersuchungen24. In Anbetracht des Vorgesagten muss es Aufgabe des Gesetzgebers sein, das Verfahren vor den Entschädigungsfonds so zu gestalten, dass das Risiko einer sekundären Viktimisierung möglichst gering ist. Nur so kann die Akzeptanz von Entschädigungsfonds bei den Ersatzberechtigten erhöht und eine zunehmende Inanspruchnahme strafrechtlicher Verfahren als Reaktion auf die unzureichende Berücksichtigung von Opferbelangen verhindert werden. Es gilt daher, die Rolle des Geschädigten im Entschädigungsverfahren zu stärken und die Vorschriften nicht ausschließlich auf den Schadensausgleich i.e.S. auszurichten, sondern auch auf die psychosoziale Rehabilitation des Opfers und damit auf eine vollständige Überwindung des post-deliktischen Traumas. c) Maßnahmen zur Stärkung der Rolle des Geschädigten im Verfahren vor den Fonds Das Modell der Entschädigungsfonds kann nur dann effektiv zur Befriedung der Schädiger-Geschädigten-Relation beitragen, wenn dem Geschädigten eine aktive Stellung im Entschädigungsprozess zuteil wird. Konkre22
Im Zusammenhang mit der Pönalisierung und der Verrechtlichung der Medizin siehe Burgelin, Courrier de l’éthique médicale 2003 (Nr. 2/3), 28 sowie Laude, Trib. santé 2010 (Nr. 26), 49. 23 Siehe Despeux, ZStW 112 (2000), 254. 24 Bellivier, in: dies./Noiville (Hrsg.), Nouvelles frontières de la santé, nouveaux rôles et responsabilités du médecin, 2006, S. 219, 223 f.
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te Maßnahmen zur Stärkung der Rolle des Antragstellers können insbesondere dem französischen Entschädigungsregime für Medizinschäden entnommen werden, welches in weit größerem Maße den psychosozialen Bedürfnissen der Geschädigten Rechnung trägt, als dies bei anderen Entschädigungsfonds der Fall ist. Personen, die durch einen Medizinunfall eine Arbeitsunfähigkeit von mindestens 25 % erlitten haben, können ihren Entschädigungsantrag an eine commission régionale de conciliation et d’indemnisation (CRCI) richten, welche den Antrag im Falle einer unverschuldeten Schädigung oder einer nosokomialen Infektion an die staatliche Entschädigungsstelle ONIAM weiterleitet. Das Verfahren vor diesen Entschädigungs- und Schlichtungskommissionen ist in vielerlei Hinsicht mit einem gerichtlichen Verfahren vergleichbar und bietet dem Antragsteller umfassende Teilhaberechte25. So sehen die Vorschriften des Code de la santé publique nicht nur einen Anspruch des Geschädigten auf eine Anhörung vor der Kommission26 auf, sondern auch das Recht auf Auskunft über den Fortgang des Verfahrens27 vor. Dem Antragsteller wird somit die Gelegenheit eingeräumt, seine Sicht der Dinge vor einer offiziellen Instanz darzulegen. Ferner ist es diesem durch die Anwesenheit von Krankenhaus- und Ärztevertretern in der Kommission möglich, Vertreter der Ärzteschaft mit seinem Leiden zu konfrontieren. Angesichts der von der staatlichen Entschädigungsstelle veröffentlichten Statistiken über die Zahl der von den Antragstellern akzeptierten Entschädigungsangebote und der relativ niedrigen Zahl an Folgegerichtsverfahren28 erscheint es wünschenswert, die Verfahrensrechte der Artikel R. 1142-13 ff. C. sant. publ. de lege ferenda auf andere Entschädigungsfonds zu übertragen. Im Einzelnen sind zu erwägen: die allgemeine Einführung des Rechts auf Anhörung des Antragstellers vor der den Entschädigungsantrag bearbeitenden Kommission sowie die Gewährung eines umfassenden Informationsrechts über Fort- und Ausgang des Verfahrens29. Durch diese Maßnahmen würde die Rolle der Antragsteller gestärkt, was 25 Ausführlich zum Verfahren vor den CRCI Blanco, La loi du 4 mars 2002 et les C.R.C.I., 2005. Vgl. auch oben S. 53 ff. 26 Art. R. 1142-16 Abs. 3 C. sant. publ. 27 Art. R. 1142-16 Abs. 2 C. sant. publ. 28 Siehe z.B. die Statistiken im Tätigkeitsbericht des ONIAM für das 2. Halbjahr 2009 (S. 10 ff.). 29 Ebenso kann angeregt werden, das Fondspersonal, welches direkten Kontakt zu den Antragstellern hat, durch Schulungen für die spezifischen Belange von Opfern zu sensibilisieren. Vgl. den Abschlussbericht der „Group of Specialists on Remedies for Crime Victims“ des Europarats (CJ-S-VICT) zum Thema „Non-criminal remedies for crime victims“, 2009, Rdnr. 186 („personnel [responsible for civil and administrative justice] should be trained to a level which is appropriate to their contact with victims“).
166 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht zu einer erhöhten Akzeptanz von Fondslösungen beitrüge und ein Ausweichen auf Strafprozesse verhindern kann. Gleichwohl ist zu beachten, dass eine Stärkung der Geschädigtenrechte durch verfahrensrechtliche Veränderungen dem Ziel einer zügigen und unkomplizierten Schadensregulierung zuwiderlaufen kann. Ein Verfahren, welches von dem Antragsteller eine genaue Schilderung des Schadenshergangs sowie seiner derzeitigen Situation verlangt und dessen systematische Anhörung vorsieht, wird insbesondere dann als „zeitraubende Formalie“ gesehen werden, wenn die Schädigung nur geringe oder gar keine Auswirkungen auf die psychische Verfassung des Geschädigten hat30. Daher empfiehlt es sich, die vorgenannten Vorschläge stets als Recht des Antragstellers auszugestalten, aber nie als obligatorisches Verfahrenselement. Für geringe Schäden ist ein vereinfachtes, schriftliches Verfahren ausreichend. Schließlich muss die Stärkung der Rolle der Geschädigten auch mit den Interessen anderer Gruppen in Vereinbarkeit gebracht und in bestimmtem Maße dem Gemeinwohl untergeordnet werden. So kann eine übertriebene Ausrichtung von Entschädigungsregelungen auf die Opferbedürfnisse31 zu einer Destabilisierung des Systems zu Lasten der potenziellen Schädiger führen, was der (Wieder-)Herstellung eines Vertrauensverhältnisses zwischen beiden Seiten abträglich ist32. Der Bereich des Gesundheitsrechts ist in dieser Hinsicht ein prägnantes Beispiel. Ein Entschädigungsverfahren, welches allein auf die Interessen der Geschädigten abstellt, kann auf Dauer zu einem Ansehensverlust der Vertreter der Heilberufe führen und bisherige Versuche zur Stabilisierung des Arzt-Patienten-Verhältnisses untergraben. Ferner besteht die Gefahr, dass mit einem Verfahren, welches einseitig auf die Interessen des geschädigten Patienten zugeschnitten ist, die Effizienz von Schadensverhütungsinstrumenten wegen mangelnder Kooperation der Heilberufler aus Furcht vor öffentlicher Stigmatisierung gefährdet wird33. 30
So berichtet der französische Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles in seinem Tätigkeitsbericht für das Jahr 1997/1998 von „manchen Personen, die darüber verärgert seien, ihr Recht auf Entschädigung begründen zu müssen“ (S. 8). 31 In der französischen Literatur ist anschaulich von einer „survictimisation du droit“ die Rede. Vgl. Mouly, in: Hoareau-Dodinau/Mérairie/Texier (Hrsg.), La victime, Bd. 1, S. 299 ff. sowie Eliacheff/Soulez Larivière, Le temps des victimes, S. 228 ff. 32 Vgl. hierzu Weigend, Deliktsopfer und das Strafverfahren, S. 411 (dort Fn. 129 a. E.), demzufolge das Genugtuungsbedürfnis des Opfers „gewissermaßen ‚nebenbei’ befriedigt [wird], während der Staat vorrangig andere, nützlichere Zwecke (z.B. kontrafaktische Normstabilisierung, Resozialisierung des Täters, Verdachtsklärung) verfolgt“. 33 So zitieren Eliacheff/Soulez Larivière (a.a.O., S. 232 ff.) Erhebungen aus dem Luftverkehrsrecht, in dem die Pönalisierung des Verhältnisses zwischen Flugbetreiber und Fluggast die Technik des „reporting“ in Frage stellt. Der Gedanke lässt sich auf andere Bereiche übertragen, in denen Fondslösungen als Entschädigungsinstrumente eingesetzt werden: Industrieunfälle (Verhältnis zwischen Betreibern von Industrieanlagen und An-
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2. Gewährleistung von Verfahrensgrundrechten im Recht der Entschädigungsfonds Der Vergleich zwischen einem gerichtlichen Haftungsprozess und dem Verfahren zur Beurteilung des Entschädigungsantrags durch eine Fondseinrichtung erstreckt sich auch auf die Frage der Gewährleistung prozessualer Grundrechte34. Alternative Schadenstragungsmodelle können sich nur dann bewähren, wenn verfahrensrechtliche Vorschriften rechtsstaatlichen Anforderungen genügen und die Verfahrensgrundrechte garantiert werden. Bietet das Verfahren dem Antragsteller nicht dieselbe Transparenz wie ein Haftungsprozess, besteht die Gefahr, dass der Geschädigte die Inanspruchnahme des Fonds vermeidet und auf eine gerichtliche Durchsetzung des haftungsrechtlichen Ersatzanspruchs drängt35. Mit einer Kanalisierung von Ersatzansprüchen außerhalb des Gerichtssystems, wie dies bei retrospektiven Fondslösungen angestrebt wird36, ist nur dann zu rechnen, wenn der Geschädigte neben einer Verfahrensvereinfachung und beschleunigung gleichfalls auch eine objektive und überprüfbare Begutachtung des Entschädigungsantrags durch den Fonds erwarten kann. Eine Übertragung der auf Verfahren vor Gerichten anwendbaren Prozessgarantien auf das Recht der Entschädigungsfonds kann allerdings nicht bedeuten, eine vollständige Angleichung der verfahrensrechtlichen Vorschriften an das gerichtliche Verfahrensrecht anzustreben. Es ist gerade das erklärte Ziel von Fondslösungen, dem Geschädigten im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens Schadensersatz zuzusprechen, sodass es nicht sachgemäß wäre, in prozessualer Hinsicht eine vollständige Äquivalenz anzustreben. Im Folgenden gilt es daher lediglich, diejenigen verfahrensrechtlichen Aspekte näher zu beleuchten, die für die Akzeptanz von Entschädigungsfonds von besonderer Bedeutung sind. Auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und der nationalen Grundrechtsdogmatik lassen sich die Verfahrensgrundrechte in Organisations- und Verfahrensgarantien unwohnern), maritime Ölverschmutzungsschäden (Verhältnis zwischen den Akteuren des maritimen Erdöltransports und den Küstenbewohnern) sowie Asbestschäden (Verhältnis zwischen den Unternehmen, in denen Asbest eingesetzt worden ist, und ihren Arbeitnehmern). 34 Zur Frage der Garantie von Verfahrensgrundrechten bei der Entschädigung von Massenschäden durch Entschädigungsfonds siehe Guégan-Lécuyer, Dommages de masse et responsabilité civile, Rdnr. 182 ff. 35 Die Entscheidung zwischen einer Geltendmachung des Ersatzanspruchs nach den Regeln des Haftungsrechts vor den Zivilgerichten und der Inanspruchnahme eines Entschädigungsfonds wird auch von anderen Faktoren beeinflusst: Existenz eines identifizierbaren Haftungsschuldners, etwaige Beweisschwierigkeiten zur Darlegung des Ersatzanspruchs. 36 Hierzu siehe oben S. 92 f.
168 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht terteilen37. Neben dem Anspruch auf Rechtsschutz durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht wird somit auch das Recht auf ein „faires Verfahren“ (fair trial, procès équitable) als allgemeines Prozessgrundrecht geschützt38. Darüber hinaus werden von den Verfahrensgrundrechten auch das Recht auf eine Vollstreckung des Urteilsspruchs39 sowie das Recht auf eine Nachprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung40 garantiert. Überträgt man den im nationalen und europäischen Recht umfassend gewährleisteten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz auf das Recht der Entschädigungsfonds, so interessieren hier vorrangig die Organisationsund Verfahrensgarantien während der Prüfung eines Entschädigungsantrags41. Insbesondere darf das Recht auf Zugang zu einer mit Mindestgarantien ausgestatteten Spruchinstanz nicht dergestalt interpretiert werden, dass jeder Geschädigte unabhängig von Art, Umfang und Ursache der Schädigung berechtigt sein muss, sich zum Ersatz seines Schadens an einen Entschädigungsfonds zu wenden. Die Frage nach einem „Recht auf Zugang zu einem Entschädigungsfonds“ wirft vielmehr das Problem der entschädigungsrechtlichen Gleichbehandlung sowie der Gestaltungsprärogativen des Gesetzgebers auf, auf welches an anderer Stelle eingegangen wird42. Vielmehr muss der Anspruch auf rechtliches Gehör in diesem Zusammenhang so verstanden werden, dass der Antragsteller das Recht haben muss, nach Bearbeitung des Entschädigungsantrags die Entscheidung des Fonds gerichtlich überprüfen zu lassen. 37
Die Abgrenzungen sind insbesondere im nationalen Verfassungsrecht nicht immer eindeutig. Siehe zum deutschen Recht Sachs/Degenhart, GG, Art. 103, Rdnr. 4 m.w.N. 38 Zum Begriff des fairen Verfahrens siehe insbesondere Pache, EuGRZ 2000, 601; ders., NVwZ 2001, 1342; Degenhart, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 115, Rdnr. 30 ff. sowie umfassend aus dem älteren Schrifttum Dörr, Faires Verfahren, 1984 und Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, 1984. Vgl. auch die Grundsatzentscheidung EGMR, Urt. v. 21.2.1975 – Golder – EuGRZ 1975, 91, 98 (Nr. 36 a.E.). 39 Zu diesem Teilaspekt des Rechts auf ein faires Verfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rdnr. 50. 40 Grabenwarter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 6 II 4, Rdnr. 67 m.w.N. 41 Das Recht auf eine Vollstreckung des Urteils entspricht im Recht der Entschädigungsfonds dem Recht auf die tatsächliche Umsetzung der Entscheidung des Fonds, d.h. auf die Auszahlung der festgesetzten Entschädigungssumme. Hierzu sehen zahlreiche Entschädigungsgesetze Fristen vor, innerhalb derer die Auszahlung veranlasst werden muss. Die Frist beträgt in der Regel einen Monat (vgl. Art. R. 50-24 C. proc. pén. [FGTI], Art. L. 1142-14 Abs. 7, L. 1142-15 Abs. 2 und R. 3122-6 Abs. 2 C. sant. publ. [ONIAM] sowie Art. L. 211-22 und 211-17 C. assur. [FGAO]); eine Zweimonatsfrist sieht Art. 23 Abs. 2 des Décret Nr. 2001-963 v. 23.10.2001 für das Verfahren vor dem FIVA vor. 42 Siehe unten S. 198 ff.
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Im Folgenden soll auf beide Aspekte des effektiven Rechtsschutzes, die Gewährleistung von Verfahrens- und Organisationsgarantien während der Prüfung des Entschädigungsantrags einerseits sowie das Recht auf Überprüfung der Fondsentscheidung andererseits, eingegangen werden. a) Verfahrens- und Organisationsgarantien während der Prüfung des Entschädigungsantrags Fraglich ist, ob der Entscheidungsprozess vor einer Fondseinrichtung43 der verfahrensrechtlichen Garantie einer unabhängigen und unparteiischen Prüfung genügt. Zu prüfen ist hierzu, ob die Entscheidungsinstanzen in ihrer Funktionsweise vor der Einflussnahme staatlicher Stellen oder privater Personen geschützt sind und deren Mitglieder unabhängig von den Parteien und der Rechtssache entscheiden können. Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der mit der Antragsprüfung betrauten Instanzen wirft immer dann Zweifel auf, wenn diese vom Gesetzgeber mit Vertretern der Geschädigten sowie Personen besetzt sind, die dem vermuteten Schädiger nahe stehen44. Auf den ersten Blick erscheint die Anwesenheit von Opfervertretern und Vertretern potenzieller Schädiger in den Fondsorganen als klarer Bruch des Grundsatzes der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Jedoch können auch unter diesen Voraussetzungen die Verfahrensgrundrechte effektiv garantiert werden. Eine ausgeglichene und neutrale Entscheidungspraxis wird durch eine paritätische Besetzung ermöglicht, welche zur Neutralisierung gegensätzlicher Interessensgruppen führt45. In der Literatur wird besonders die unausgewogene 43
Der Entschädigungsantrag kann sowohl von der Fondseinrichtung selbst geprüft oder zunächst von einer separaten Entschädigungskommission überprüft (z.B. durch die CRCI oder die CIVI im französischen Recht; hierzu oben S. 53 f. sowie S. 49 f.) und dann von den Fondsorganen in eine definitive Entscheidung überführt werden. 44 Dies ist z.B. im Verwaltungsrat des Fonds d’indemnisation des victimes de l’amiante (FIVA) sowie in den commissions régionales de conciliation et d’indemnisation (CRCI) der Fall. Anders ist die Situation zu bewerten, wenn die Umstände der Schädigung zunächst von einer wissenschaftlichen Expertenkommission (so etwa durch die commission d’examen des circonstances de l’exposition de l’amiante [siehe oben S. 51]) festgestellt und die rechtlichen Fragestellungen, allem voran die Schadensberechnung, den Organen des Fonds überlassen werden. In einer solchen Konstellation betrifft die Frage der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Entscheidungsinstanzen vorrangig das Fondsorgan. 45 Vgl. die gleichgewichtige Beteiligung von Vertretern der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite an der Arbeitsgerichtsbarkeit. Siehe hierzu im deutschen Recht § 16 Abs. 1 ArbGG. Zu Sinn und Zweck dieser Besonderheit im Gerichtssystem und zum Einwand der „Sozialbefangenheit“ der Laienrichter siehe Bengelsdorf, DB 1987 (Beilage Nr. 8), 1, 3 ff. und Eichenhofer, SGb 2005, 313, 317. Kritisch bereits Baur, in: FS Kern, S. 49, 53 ff. In französischer Sprache siehe Guinchard et al., Droit processuel, Rdnr. 360; Morvan, JCP G 2004, act. 88 sowie Keller/Grumbach, D. 2003, 979.
170 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht Zusammensetzung einiger Fondsorgane kritisiert, die eine Parteinahme zugunsten oder zuungunsten des Antragstellers fördere46. Unter den Verfahrensgarantien ist das Öffentlichkeitsprinzip wohl jene Garantie, die im Recht der Entschädigungsfonds am wenigsten Bedenken hervorruft, denn auch vor Gericht gilt das Prinzip des öffentlichen Verfahrens nicht umfassend47. Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist insbesondere dann zulässig und geboten, wenn gewichtigere Interessen (etwa der Schutz des Privatlebens der Parteien) einer öffentlichen Verhandlung entgegenstehen48. Eine Prüfung des Entschädigungsantrags durch die Fondseinrichtung unter Ausschluss der Öffentlichkeit49 widerspricht daher nicht unmittelbar dem prozessualen Transparenzgebot, zumal bei der Entscheidungsfindung in der Regel medizinische Daten des Antragstellers zu Rate gezogen werden müssen. Gleichwohl ist zu kritisieren, dass nicht alle Fondsentscheidungen der interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden50, was eine wissenschaftliche Erschließung der Entscheidungspraxis der einschlägigen Fondseinrichtungen erheblich erschwert. Die Garantie des Rechts auf eine angemessene Verfahrensdauer, welches Bestandteil der gerichtlichen Verfahrensgarantien ist51, wird generell als einer der Hauptvorteile der Verfahren vor Fondseinrichtungen dargestellt. Die gesetzlichen Vorschriften sehen in der Regel Fristen zur Bearbeitung der Entschädigungsanträge vor, die mit einer Länge von zwei bis sechs Monaten unter der durchschnittlichen Dauer gerichtlicher Verfahren liegen52. In einigen Fällen sieht das Gesetz ferner eine Frist zur Zahlung 46 Kritisch zur Zusammensetzung des Rats der Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ Böhm, Die Entschädigung der Contergan-Kinder, S. 157. Zum französischen Recht siehe insb. Guégan-Lécuyer, Dommages de masse et responsabilité civile, Rdnr. 184 sowie Guettier, Resp. civ. assur. 2002, chr. 19. Vgl. auch die Nachweise bei Blanco, La loi du 4 mars 2002 et les CRCI, S. 98 (dort Fn. 303). 47 Allgemein zur Garantie der Öffentlichkeit des Verfahrens siehe Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, Art. 6, Rdnr. 187 m.w.N. 48 Art. 6 Abs. 1 S. 2 EMRK. Siehe hierzu Grabenwarter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 6 II 1, Rdnr. 52 m.w.N. 49 Dies sieht etwa Art. 706-7 Abs. 3 C. proc. pén. ausdrücklich vor („chambre du conseil“). 50 Nach zwei Stellungnahmen der Commission d’accès aux documents administratifs (CADA) wurden die Entscheidungen der für die Entschädigung von Medizinschäden zuständigen Schlichtungs- und Entschädigungskommissionen (CRCI) nicht mehr veröffentlicht. Umfassend zu diesem Aspekt Cadeau/Mémeteau, RGDM 2009 (Nr. 13), 331. Siehe zuletzt jedoch den durch ein Gesetz vom 12. Mai 2009 eingefügten Art. L. 1142-10 Abs. 2 C. sant. publ. 51 Art. 6 Abs. 1 EMRK spricht von einer „angemessenen Frist“. Hierzu allgemein Grabenwarter, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 6 II 1, Rdnr. 54 ff. m.w.N. 52 Siehe die bereits oben zitierten Vorschriften (Fn. 4).
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der zugesprochenen Entschädigungssumme sowie die Möglichkeit des Antragstellers vor, eine Provision zu erhalten53. Allerdings zeigt die Praxis, dass manche Fondseinrichtungen erhebliche Schwierigkeiten haben, die gesetzlich vorgesehenen Fristen einzuhalten. Insbesondere in den Fällen, in denen Entschädigungsfonds in kurzer Zeit eine große Anzahl von Schadensfällen zu bearbeiten haben, kommt es vor, dass die Dauer der Bearbeitung des Antrags die gesetzliche Frist um mehrere Monate überschreitet54. Die Erfahrungen des französischen Rechts zeigen hierbei, wie schwierig es ist, eine Stärkung der Rolle des Geschädigten im Verfahren mit dem Ziel einer angemessenen Verfahrensdauer in Übereinklang zu bringen. Das Gebot der Waffengleichheit setzt voraus, dass jede Partei gleichermaßen die Gelegenheit erhält, ihre Sicht der Dinge darzulegen55. Eine Übertragung dieses Gebots auf das Verfahren vor den Entschädigungsfonds ist nicht unproblematisch, handelt es sich doch gerade nicht um ein streitiges Verfahren, welches einem Kläger einen Beklagten gegenüberstellt. Gleichwohl ist der Gedanke einer kontradiktorischen Durchsetzung des Rechts auf Entschädigung nicht vollständig abwegig, denn die Zusammensetzung der Entscheidungsinstanzen kann bei dem Antragsteller den Eindruck erwecken, der Fonds nehme die doppelte Rolle des Richters und des Beklagten ein. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Fondsorgan mit Personen besetzt ist, die aus der Sicht des Geschädigten dem vermuteten Schädiger nahe stehen56. Angesichts der bisweilen äußerst komplexen Verfahrensvorschriften überrascht es auch, dass die Frage nach dem Rechtsbeistand des Antragstellers bisher nur wenig Beachtung gefunden hat. In der Tat kann die Durchsetzung des Anspruchs auf Entschädigung ohne verständigen Rechtsbeistand bereits an der Unkenntnis des Entschädigungsverfahrens scheitern. Vor diesem Hintergrund ist es ratsam, das Recht auf Prozesskostenhilfe57 auf besonders komplexe Verfahren vor Fondseinrichtungen auszuweiten58.
53
Siehe oben Fn. 41. Siehe etwa die Angaben zum FIVA im Jahresbericht für 2008 (S. 21). Vgl. auch die Statistiken im Jahresbericht des ONIAM für das 2. Semester 2007, S. 9 f. 55 Zur Waffengleichheit als Ausgestaltung des Rechts auf ein faires Verfaren siehe Tettinger, Fairneß und Waffengleichheit, S. 18 ff. m.w.N. 56 Hierzu oben S. 169 f. 57 Zum Recht der Prozesskostenhilfe als Ausprägung der mit dem Gebot der Waffengleichheit verbundenen Fürsorgepflicht des Staates zugunsten Verfahrensbeteiligter, die ihre Rechte nicht hinreichend wahrnehmen können, siehe Kissel/Mayer, GVG, § 16, Rdnr. 117 sowie Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 1 VIII. 58 In diesem Sinne auch Heurton, Gaz. Pal. 2008, 835, 836 sowie Cartron, RDSS 2010 (Sonderausgabe), 17, 28. 54
172 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht b) Das Recht auf eine Nachprüfung der Fondsentscheidung Will man das Verfahren vor Fondseinrichtungen rechtsstaatlichen Maßstäben gemäß ausgestalten, so muss dem Geschädigten auch das Recht auf Überprüfung der Fondsentscheidung gewährt werden. Die Anfechtung der Entscheidung des Fonds kann entweder im Rechtswege oder vor einer eigens für den Entschädigungsfonds errichteten Nachprüfungsinstanz erfolgen. Ein Überblick über die im deutschen und französischen Recht bestehenden Fondslösungen zeigt, dass sich der Gesetzgeber in der Regel für die erste Lösung entscheidet, der abgewiesene Antragsteller seinen Anspruch auf Entschädigung also gerichtlich geltend machen kann59. Wird das Recht auf eine Überprüfung der Fondsentscheidung weitestgehend gewährleistet, variiert doch der hierfür zuständige Spruchkörper erheblich. Die Unterschiede betreffen sowohl die Rechtswegezuständigkeit als auch die für die Überprüfung zuständige Instanz. Die Fondsentscheidung ist entweder vor dem örtlich zuständigen erstinstanzlichen Gericht oder dem Gericht zweiter Instanz anzufechten. Je nachdem, ob sich der Gesetzgeber für die eine oder die andere Option entscheidet, wird implizit auch eine Aussage darüber getroffen, wie das Entschädigungsverfahren vor dem Fonds bewertet wird. Sieht die gesetzliche Regelung die Zuständigkeit des Berufungsgerichts vor, wird das Verfahren indirekt als äquivalent zu einem erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens interpretiert. Sind hingegen für die Überprüfung der Fondsentscheidung die erstinstanzlichen Gerichte zuständig, so legt dies den Schluss nahe, dass dem Entschädigungsfonds ein gerichtsähnlicher Charakter abgesprochen und die angefochtene Entscheidung einem bloßen Bescheid gleichgesetzt wird, welcher in seiner Substanz einem Verwaltungsakt ähnelt und demzufolge von einem Gericht erster Instanz zu überprüfen ist. Unabhängig von der Zuständigkeit von Gerichten erster oder zweiter Instanz ist ferner die Frage zu erörtern, ob der Folgerechtsstreit der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit oder der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit unterliegt. Anders als im allgemeinen Prozessrecht, wonach die Rechtswegabgrenzung sich maßgeblich nach der Rechtsnatur der angefochtenen Entscheidung und der rechtlichen Einordnung des Entscheidungsträgers in das öffentliche oder private Recht richtet60, beruht die Zuständigkeit dieser oder jener Gerichtsbarkeit im vorliegenden Fall auf weniger überzeugenden Gründen. So sprach sich etwa das französische Parlament bei den Vorarbeiten zum Gesetz über den Fonds d’indemnisation 59 Siehe z.B. für den ONIAM Art. L. 3122-3 Abs. 2, L. 1142-20 Abs. 2 C. sant. publ. sowie Art. R. 312-14-1 C. just. adm. (Zuständigkeit der Zivil- oder Verwaltungsgerichte). 60 Allgemein zur Abgrenzung zwischen Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 14 II. Zum französischen Recht siehe statt aller Dufau, J.-Cl. Proc. civ., Fasc. Nr. 200-1, 200-2 u. 201.
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des victimes de l’amiante (FIVA) zugunsten der Zivilgerichte aus, da die Verfahrensdauer und die durchschnittliche Höhe des zugesprochenen Schadensersatzes für die Geschädigten günstiger seien als im Rahmen eines Verfahrens vor den Verwaltungsgerichten 61. Schließlich kann der Gesetzgeber die Überprüfung der Fondsentscheidung durch Verweis auf die allgemeinen Regeln zur örtlichen Zuständigkeit auf mehrere Gerichte übertragen oder alternativ die Zuständigkeit eines einzelnen Gerichts festlegen. Zwar bietet ein einzelnes Berufungsgericht den Vorteil, die Folgestreitigkeiten im Zusammenhang mit einem Fonds zu zentralisieren und die Entschädigungspraxis zu vereinheitlichen, jedoch birgt diese Option auch die Gefahr, das zuständige Gericht bei massiven Anfechtungen der Fondsentscheidungen zu überlasten. Ferner widerspricht auch das rechtspolitische Ziel der Bürgernähe von Gerichten62 einer solchen Option. Die uneinheitlichen Zuständigkeitsvorschriften demonstrieren deutlich, wie diffizil die rechtsdogmatische Erfassung des Verfahrens vor einem Entschädigungsfonds sowie dessen Verortung im verfahrensrechtlichen Gefüge sind. Die Unsicherheiten über die für die Nachprüfung zuständige Gerichtsbarkeit, die anzurufende Instanz sowie die örtliche Zuständigkeit unterstreichen einmal mehr die Komplexität des Rechts der Entschädigungsfonds und die Notwendigkeit einer kohärenten Integration dieser Entschädigungsmodelle in das Rechtssystem. B. Materiell-rechtliche Aspekte Mit der Einrichtung eines Entschädigungsfonds sucht der Gesetzgeber die Kompensation gesetzlich bestimmter Schadenskategorien einer Sonderregelung zuzuführen. Der Inhalt des Ersatzanspruchs kann daher durch autonome, vom Gesetzgeber oder direkt von den Entschädigungsfonds formulierte Regeln an die besondere Situation der Geschädigten sowie an die Merkmale der erfassten Schadenskategorie angepasst werden. Hierin unterscheidet sich das Recht der Entschädigungsfonds vom Haftungsrecht, da es sich auf der Rechtsfolgenseite nicht zwingend an dem allgemeinen Schadensrecht orientiert, sondern flexibel an die jeweilige Situation und den Grad der Kollektivverantwortlichkeit angepasst werden kann. Besonders im französischen Recht haben sich fondsspezifische Entschädigungsregeln herausgebildet, die über den Bereich der Fondslösungen hinaus die allgemeine Entwicklung des Schadensrechts beeinflusst haben. 61 So die Äußerungen der damaligen Arbeitsministerin Guigou während der Beratungen zum Entschädigungsgesetz zugunsten von Asbestgeschädigten (JO AN, Déb. parl. v. 28.10.2000, S. 7685 f.). 62 Hierzu Dériot/Godefroy, Rapport d’information sur le bilan et les conséquences de la contamination par l’amiante, Doc. Sénat 2005-06 (Nr. 37), S. 171.
174 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht Im Gegensatz zur haftungsrechtlichen Schadensabnahme ist der Ausgleich durch Geldleistung einzige Ersatzform im Recht der Entschädigungsfonds; Schadensersatz durch Naturalrestitution wird von keiner der aufgeführten Fondslösungen gewährt. Ferner erhält der Geschädigte nicht systematisch einen vollumfänglichen Ausgleich sämtlicher Schadenspositionen. Das im Haftungsrecht zur Anwendung kommende Prinzip der Totalreparation wird im Bereich der Fondslösungen durch Entschädigungshöchstbeträge, Selbstbehalte und Beschränkungen auf bestimmte Schadenspositionen relativiert. Dies hat zur Folge, dass der Antragsteller unter Umständen schlechter gestellt wird, als wenn er eine Ersatzleistung nach den Regeln des Haftungsrechts verlangte. 1. Die Herausbildung abweichender Schadensersatzregeln Abweichende Regeln zur Bestimmung der Fondsleistungen haben sich insbesondere bei der Ermittlung ersatzfähiger Schadenspositionen sowie bei der Bemessung immateriellen Schadensersatzes herausgebildet. a) Ersatz spezifischer Schadenspositionen Aufbauend auf der Rechtsprechung der Pariser Cour d’appel63 hat der französische Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles jedem Ersatzberechtigten den Ersatz des sog. „spezifischen Kontaminationsschadens“ (préjudice spécifique de contamination) zugesprochen64. Die Anerkennung eines besonderen Schadenspostens, welcher diejenigen Facetten der Persönlichkeitsminderung abdeckt, die mit der HIV-Infektion sowie mit dem Ausbruch des AIDS-Virus in Zusammenhang stehen65, wurde in der französischen Literatur überwiegend positiv aufgenommen66.
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CA Paris, Urt. v. 7.7.1989, Gaz. Pal. 1989, jur. 752, Anm. Pichot. Hierzu in deutscher Sprache, siehe Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, S. 104 ff. Umfassend Chabas, Resp. civ. assur. 1998 (Sonderausgabe), 20; X. Pradel, Le préjudice dans le droit civil de la responsabilité, Rdnr. 421 ff. sowie Bessières-Roques, Rev. fr. domm. corp. 1993, 79. 65 Laut Definition des Verwaltungsrates (conseil d’administration) des Fonds schließt dieser Schadensbegriff sowohl die psychischen als auch physischen Belastungen sowie den Verlust an Lebensfreude ein. Vgl. die Definition im Jahresbericht des FITH für die Jahre 1996-1997, S. 6). Siehe auch Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, S. 104 f. 66 Siehe nur Chabas, Resp. civ. assur. 1998 (Sonderausgabe), 20; Lambert-Faivre, D. 1993, chr. 67, 68 ff.; X. Pradel, Le préjudice dans le droit civil de la responsabilité, Rdnr. 421 ff.; Jourdain, RTD civ. 1995, 626 sowie Bessières-Roques, Rev. fr. domm. corp. 1993, 79. Vgl. auch Viney/Jourdain, Les effets de la responsabilité, Rdnr. 174 sowie Perier, in: J.-Cl. Resp. civ. assur., Fasc. 202-1-2, Rdnr. 68 ff. und Fasc. 202-1-3, Rdnr. 174 et s. 64
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Diese Abweichung vom allgemeinen Schadensrecht, welches einen derartigen Schadensposten nicht kannte, beruht vor allem auf der Schicksalhaftigkeit und Schwere der Schädigung sowie auf den vielfältigen psychischen und physischen Beeinträchtigungen, die für eine Erkrankung an HIV charakteristisch sind. Der Ersatz des „préjudice spécifique de contamination“ ermöglicht es dem Fonds ebenfalls, auf vollständigen Schadensersatz zu erkennen, obgleich die Kompensation bei evolutiven Krankheitsbildern grundsätzlich eine Konsolidierung des Gesundheitszustandes verlangt, mit der jedoch bei HIV-Infektionen gerade nicht gerechnet werden kann67. Neben der erleichterten Schadensfeststellung dient der Begriff des spezifischen Kontaminationsschadens vorrangig der Privilegierung der Betroffenen gegenüber den Sozialversicherungsträgern. Da der spezifische Schaden ausdrücklich als „persönliche“ Schadensposition eingestuft wird, kann der Versicherer dem Geschädigten die entsprechende Ersatzsumme nicht im Regresswege entziehen68. Ausgehend von der Entschädigungspraxis des FITH ist der Begriff des „préjudice spécifique“ auf andere Fondslösungen sowie auf das allgemeine französische Schadensrecht übertragen worden. Der Fonds de garantie des victimes d’actes de terrorisme et d’autres infractions erkennt etwa posttraumatische Belastungsstörungen als einen ersatzfähigen „spezifischen Schaden“ an69. Französische Gerichte haben auch in weiteren Fallgruppen auf die Kompensation eines spezifischen Nichtvermögensschaden erkannt70. Ungeachtet der Frage der Limitierung des Regresses der Sozialversicherungsträger71, ist der Herausbildung sog. „spezifischer Schäden“ und deren Anwendung im allgemeinen Schadensrecht mit Skepsis zu begegnen. Zwar ist bemerkenswert, in welchem Maße französische Entschädigungsfonds auf die allgemeinen Regeln zur Schadensfeststellung Einfluss genommen 67 Zum Begriff der „consolidation“ s. etwa Lambert-Faivre/Porchy-Simon, Droit du dommage corporel, Rdnr. 129 ff. 68 Vgl. Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, S. 107 ff. 69 Casson, Les fonds de garantie, Rdnr. 75; Barrois/ders., in: J.-Cl. Resp. civ. assur., Fasc. 558, Rdnr. 103 sowie Viney, Introduction à la responsabilité, Rdnr. 160-15. 70 So etwa bei der gerichtlichen Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen im Falle von Asbestschädigungen (CA Bordeaux, Urt. v. 7.4.2009, D. 2009, 2091, Anm. Guégan), Hepatitis C-Infektionen durch Bluttransfusionen (zuletzt Civ. 2, Urt. v. 18.5.2010, D. 2010, 892, Anm. Gallmeister) sowie Creutzfeldt-Jacob-Erkrankungen infolge einer Behandlung mit Wachstumshormonen (TGI Montpellier, Urt. v. 9.7.2002, JCP G 2002, II, Nr. 10158, Anm. Vialla. 71 Seit der Reform des Regressrechts der Sozialversicherungsträger durch das Gesetz v. 21.12.2006 ist der Rückgriff ohnehin auf die Schadenspositionen beschränkt, welche tatsächlich von konkreten Sozialleistungen abgedeckt werden. Zu dieser Reform Jourdain, D. 2007, 454 sowie Groutel, Resp. civ. assur. 2008, étude 2.
176 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht haben72. Gleichwohl ist das französische Schadensrecht durch die Einführung spezifischer Schadenskomponenten noch unübersichtlicher geworden73. Die Zusammenfassung von verschiedenen Schadenspositionen zu einem „préjudice spécifique“ birgt zudem das Risiko, dass der Geschädigte für ein und dieselbe Beeinträchtigung doppelt Kompensation erhält74. Gerade im Hinblick auf eine klare Trennung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden trägt der weite Begriff des „préjudice spécifique“ kaum zu einer positiven Entwicklung des französischen Schadensrechts bei, denn die Rechtsfigur hat durch die Übertragung auf andere Rechtsbereiche keinesfalls an rechtsdogmatischen Konturen gewonnen. So wird das Konzept des spezifischen Kontaminationsschadens vom höchsten Zivilgericht Frankreichs in einigen Urteile dergestalt angewandt, dass nicht nur die Bestandteile des durch die HIV-Infektion erlittenen Nichtvermögensschadens, sondern auch einige materielle Schadenspositionen einbezogen werden. Die Rechtsfigur des „préjudice spécifique“ erscheint in diesem Lichte mehr als rechtspolitisches Instrument zur Privilegierung besonders bedürftiger Geschädigter denn als klar definiertes Schadenskonzept. Das eben genannte Beispiel für die direkte Übernahme einer Rechtsfigur in das allgemeine Schadensrecht75 ist jedoch bezeichnend für die Flexibilität, mit der das französische Entschädigungsrecht auf Reformimpulse durch Fondslösungen – seien sie kritikwürdig oder nicht – reagiert. Für eine derartige Wechselwirkung zwischen der Praxis von Entschädigungsfonds und den allgemeinen Regeln des Schadensersatzrechts bieten sich im deutschen Recht nur wenige Anhaltspunkte. Die Zurückhaltung gegenüber dem Ersatz von Nichtvermögensschäden76 sowie die im 72 Die im Jahre 2005 zur Vereinfachung der Bemessung von Schadensersatz veröffentlichte Nomenklatur ersatzfähiger Schadenspositionen nimmt auf den spezifischen Kontaminierungsschaden Bezug und enthält einen „evolutiven Nichtvermögensschaden“ (préjudice extra-patrimonial évolutif). Siehe Dintilhac (Hrsg.), Rapport du groupe de travail chargé d’élaborer une nomenclature des préjudices corporels, S. 41 ff. 73 In der Literatur wird seit Jahren die Meinung vertreten, die im französischen Recht existierenden immateriellen Schadensposten sollten etwa zu einem préjudice d’agrément zusammengefasst werden. Zu dieser Diskussion Viney/Jourdain, Les effets de la responsabilité, Rdnr. 130 ff. 74 Zu dieser Kritik auch Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, S. 105 m.w.N. 75 Ferner kann beispielhaft die Pflicht zur Aufgliederung der Schadenspositionen im Entschädigungsurteil angeführt werden, die zunächst im Recht der Entschädigungsfonds gesetzlich verankert und sodann auf das gerichtliche Haftpflichtverfahren ausgedehnt wurde. Hierzu Bottaro, La réparation publique des dommages causés par une personne privée, S. 365. 76 Zur rechtspolitischen Diskussion um die Ausschlussregel des § 253 Abs. 1 BGB siehe Katzenmeier, JZ 2002, 1029, 1030 sowie Wagner, NJW 2002, 2049, 2053 ff. (beide m.w.N.). Zum § 253 BGB a.F. siehe insbesondere Kaufmann, AcP 162 (1963), 421 sowie
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Vergleich zur Generalklausel des Art. 1382 C. civ. unterschiedliche Funktion des Schadens innerhalb des Deliktsrechts77 verhindern, dass sich Sonderentschädigungsregelungen allzu weit von den allgemeinen Vorschriften entfernen oder gar das allgemeine Schadensrecht nachhaltig beeinflussen. Überdies spricht auch die größere Bedeutung gesetzlicher Regelungen des Schadensrechts gegen eine Beeinflussung durch das Recht der Entschädigungsfonds. Die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung78 verbieten es deutschen Gerichten, zu stark von den Regeln der §§ 249 ff. BGB abzuweichen, die sich auch für die Schadensbemessung außerhalb des Haftungsrechts durchgesetzt haben. b) Sonderregeln zur Bemessung von Schadensersatz für Nichtvermögensschäden Entschädigungsfonds leisten neben dem Ausgleich von Vermögensschäden auch Immaterialschadensersatz. Analog dem allgemeinen französischen Schadensrecht ist die Entschädigungspraxis der Fondseinrichtungen vergleichsweise großzügig und gewährt neben Schmerzensgeld auch Kompensation für sonstige immaterielle Schadenspositionen, von denen die préjudices spécifiques bereits hervorgehoben wurden79. Wo im Gesetz durch Verweis auf das Prinzip der Totalreparation (réparation intégrale) das allgemeine Schadensrecht für anwendbar erklärt wird, sind die Fonds gehalten, sämtliche im französischen Recht anerkannte Schadensposten auszugleichen. Gerade im Bereich der Nichtvermögensschäden haben sich Entschädigungsfonds als Ideengeber für die Fortentwicklung des Schadensrechts erwiesen, indem sie den ihnen zugewiesenen normativen Spielraum für die Herausbildung spezieller Methoden zur Bemessung des Schadensersatzes genutzt haben. Besonders der im Zuge der HIV-Katastrophe errichtete Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 7 II 1. Im europäischen Vergleich Oliphant, in: Koziol/Schulze (Hrsg.), Tort Law of the European Community, S. 241, 264 ff. 77 Anders als im französischen Recht gehört die Schadensentstehung selbst nicht zum Haftungsgrund. Zu diesem grundsätzlichen Unterschied siehe v. Bar, Gemeineuropäisches Deliktsrecht, Bd. 1, Rdnr. 20. 78 Zu den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des Haftungsrechts Kötz, AcP 170 (1970), 1, 9 sowie Stoll, Richterliche Rechtsfortbildung und gesetzliche Überarbeitung des Deliktsrechts, 1984. Grundlegend Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 1956 und Badura, in: Deutscher Sozialgerichtstag (Hrsg.), Rechtsfortbildung durch die sozialgerichtliche Rechtsprechung, S. 40 ff. Weitere Nachweise bei Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 100, Rdnr. 50 (dort Fn. 126). 79 Zur Differenzierung des Immaterialschadensersatzes im französischen Rechts Wagner, JZ 2004, 319, 322 ff. („Im Vergleich zu der Komplexität und Differenziertheit des französischen Rechts wirkt das deutsche Schmerzensgeld wie ein grober Klotz […].“).
178 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles (FITH) zeichnete sich durch innovative Regeln zur Berechnung von Immaterialschadensersatz aus, welche z.T. in das allgemeine Schadensersatzrecht übernommen wurden. So hat der Verwaltungsrat des FITH kurz nach seiner Einrichtung entschieden, den Ersatz des spezifischen Kontaminationsschadens „in Raten“ auszuzahlen. Der hierfür zugesprochene Entschädigungsbetrag wurde dem HIV-Infizierten in verschiedenen Raten zunächst zu drei Vierteln überwiesen; das verbleibende Viertel (das sog. „quart sida“) kam dem Betroffenen erst nach der Konversion der Infektion zu AIDS zu Gute80. Zur Begründung dieses Vorgehens wurden seitens des Fonds weniger rechtsdogmatische als pragmatische Gründe angeführt. So sollte den Betroffenen mit der versetzten Zahlung suggeriert werden, der Ausbruch von AIDS sei nicht unausweichlich. Überdies hätte eine sofortige Auszahlung des kompletten Ersatzbetrages den Fonds vor Liquiditätsprobleme gestellt. Obwohl die Praxis der Ratenzahlung im Jahre 2000 unter dem Druck der Opferverbände eingestellt wurde81, ist sie von der Literatur positiv aufgenommen82 und schließlich vom französischen Kassationsgerichtshof in das allgemeine Schadensrecht übernommen worden83. Im Haftpflichtprozess obliegt es dem Gericht, bei Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen den geschuldeten Schadensersatz in concreto zu bemessen84. Insbesondere ist es dem Gericht verwehrt, sich unmittelbar auf vorgegebene Schadensersatztabellen zu beziehen, ohne die konkrete Lage des Geschädigten in die Bemessung zu berücksichtigen. Gerade bei der Bestimmung des pretium doloris, bei dem Taxieren erlittener Schmerzen, stößt die konkrete Schadensbemessung jedoch an Grenzen85. Ähnlich wie
80 Siehe hierzu in deutscher Sprache Billiet, HIV-Infektionen durch Bluttransfusionen im französischen Haftungsrecht, S. 132 ff. Die zeitlich versetzte Auszahlung des Ersatzbetrages wurde von der Rechtsprechung gebilligt (Civ. 2, Urt. v. 20.7.1993, D. 1993, 526, Anm. Chartier). 81 Vgl. den Jahresbericht des FITH für 2001/2002, S. 29. 82 Chabas, Resp. civ. assur. 1998 (Sonderausgabe), 20, 22 („interessante Fortentwicklung des Schadensersatzrechts“) und Chartier, D. 1993, 527, 528 („besonders lobenswerte Methode“). 83 Civ. 2, Urt. v. 29.2.2000, RTD civ. 2000, 576, Anm. Jourdain (Gewährung von Schadensersatz unter aufschiebender Bedingung). 84 So etwa Crim., Urt. v. 4.2.1970, D. 1970, jur. 333 („[les juges du fond] ne sauraient se référer, dans une espèce déterminée, à des règles établies à l’avance pour justifier leur décision“). Siehe auch Viney/Jourdain, Les effets de la responsabilité, Rdnr. 64. 85 Hierzu statt vieler Viney, Introduction à la responsabilité, Rdnr. 37. Vgl. auch Ison, The forensic lottery, S. 12 ff. In deutscher Sprache siehe nur Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 7 II 1 u. § 7 V 3 m.w.N.
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im deutschen Rechtssystem86 orientieren sich französische Gerichte an internen Richtlinien, die jedoch ausschließlich als Anhaltspunkt dienen und die Bezugnahme auf die individuellen Beeinträchtigungen des Klägers keinesfalls ersetzen dürfen87. Vor dem Hintergrund teils erheblicher Differenzen zwischen den Schmerzensgeldbeträgen verschiedener Gerichte haben sich einige Fonds für die Erarbeitung eigener Schadensersatztabellen entschieden, die die Bestimmung von Immaterialschadensersatz leichter, aber auch gerechter machen sollen. Auf der Grundlage der Erfahrungen des FITH88 und des FIVA89 hat das ONIAM mit der Unterstützung von Statistikern und Wirtschaftswissenschaftlern ein sog. „référentiel d’indemnisation“ veröffentlicht. Um dem Vorwurf der willkürlichen Festlegung zu begegnen, beruht das Regelwerk auf dem Datenmaterial von Zivil- und Verwaltungsgerichten sowie von Versicherern und bewegt sich im mittleren Bereich der Schmerzensgeldniveaus der einzelnen Entschädigungsorgane90. Anders als zwingende Schmerzensgeldtabellen (sog. „barèmes“) lässt das „référentiel d’indemnisation“ eine individuelle Abweichung auf Grund besonderer Umstände zu91. Die Initiative der Entschädigungsfonds zur Harmonisierung der disparaten Schmerzensgeldpraxis ist als erster Schritt zu einer Rationalisierung des französischen Schadensersatzrechts zu begrüßen. Die aktuelle rechtspolitische Diskussion über die Reform des französischen Deliktsrechts kann in diesem Punkt auf die langjährigen Erfahrungen der Fondseinrich-
86 Sog. „Schadensersatztabellen“ finden sich etwa bei Jäger/Luckey, Schmerzensgeld, 2011. Es handelt sich vielmehr um Präjudiziensammlungen, die die Rechtsgleichheit fördern und einen Rahmen für die Bemessung von Schadensersatz bestimmter Typologien von Verletzungen geben sollen. 87 Siehe besonders deutlich Civ. 2, Urt. v. 11.6.1963, Gaz. Pal. 1963, II, jur. 389 sowie Crim., Urt. v. 9.2.1982, JCP G 1982, IV, 153. Zum deutschen Recht Lange/Schiemann, Schadensersatz, § 7 V 3 („feste Gliedertaxen […] kann es in einem Individualrecht nicht geben“). 88 Zum „référentiel“ des FITH siehe Holleaux, Gazette de la Transfusion Aug./Sept. 1993, 68; Jouhaud, BICC 1.10.1992, 6, 8 sowie Lambert-Faivre, D. 1993, chr. 67, 69. 89 Das „référentiel“ des FIVA ist abrufbar unter http://www.fiva.fr/bareme.php. Siehe hierzu auch CE, Urt. v. 3.5.2004, Environnement 2004, comm. 76, Anm. Benoit. 90 Vgl. Jahresbericht des ONIAM für das 1. Hj. 2005, S. 23. Siehe auch Martin/Tréguier/Saumon, Gaz. Pal. 2005, 1651, 1656 f. 91 Zum „référentiel“ des ONIAM siehe CAA Douai, Urt. v. 17.6.2008, JCP A 2008, Nr. 2197, Anm. Mesmin. Vgl. überdies CA Paris, Urt. v. 27.11.1992, Gaz. Pal. 1992, jur. 727 (FITH) sowie Civ. 2, Urt. v. 21.4.2005, D. 2005, 1516. Allgemein zu den „barèmes“ und „référentiels d’indemnisation“ siehe Coutant-Lapalus, Le principe de réparation intégrale en droit privé, Rdnr. 370 ff.
180 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht tungen zurückgreifen92. Die Bemühungen zur Entwicklung von Maßstäben zur Bemessung von Immaterialschadensersatz, welche für das gesamte Schadensersatzrecht gelten, können sich so auf die Vorarbeiten des Rechts der Entschädigungsfonds stützen. 2. Die Relativierung des Prinzips der Totalreparation im Recht der Entschädigungsfonds Entschädigungsleistungen von Fondseinrichtungen können für den Ersatzberechtigten weniger vorteilhaft ausfallen als haftungsrechtlicher Schadensersatz. Zwar wird in einigen Entschädigungsgesetzen ausdrücklich verfügt, dass sich die Ersatzleistungen des Fonds nach dem Grundsatz der Totalreparation93 (principe de réparation intégrale) zu richten haben94, ein allgemeiner Grundsatz umfassenden Schadensersatzes durch Entschädigungsfonds ist jedoch nicht zu erkennen. Einschränkungen des Schadensausgleichs manifestieren sich in vielerlei Hinsicht. Einige sondergesetzlich normierte Entschädigungsregimes sehen Höchstgrenzen (plafonds d’indemnisation)95 oder Selbstbehalte (franchises)96 vor, die dazu führen, dass der Geschädigte einen Teil seines Schadens selbst zu tragen hat. Diese aus dem Versicherungsrecht bekannten Instru-
92
Einen Überblick über die Bemühungen zur Vereinheitlichung der Bemessung von Schadensersatz bietet Porchy-Simon, in: FS Groutel, S. 359, Rdnr. 18 ff. Siehe zuletzt auch Art. 60 des Reformvorschlags der „Groupe Terré“ (abgedruckt in: Terré [Hrsg.], Pour une réforme du droit de la responsabilité civile, S. 1 ff.). 93 Zum Stellenwert dieses Grundsatzes im deutschen Recht siehe StaudingerSchiemann, § 249, Rdnr. 1 ff.; Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 9 ff. Vgl. auch jüngst Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts, Rdnr. 8/1 ff. Aus historischer Sicht HKK-Jansen, §§ 249–253, 255, Rdnr. 39 ff.; rechtsvergleichend Stoll, Haftungsfolgen im Bürgerlichen Recht, Rdnr. 156 f. Zur Geltung des Grundsatzes unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots siehe aus neuerer Zeit etwa G. Müller, zfs 2009, 62 f. 94 Siehe Art. 53, I des Gesetzes v. 23.12.2000 (FIVA); Art. L. 422-1 Abs. 1 C. assur. (FGTI, Entschädigung von Opfern von Terrorakten) sowie Art. L. 3122-1 Abs. 3 C. sant. publ. (ONIAM; Entschädigung von HIV-infizierten infolge einer Bluttransfusion). In manchen Entschädigungsregimes gilt die Totalreparation nur für bestimmte Schadensposten (vgl. Art. L. 1142-17 Abs. 1 C. sant. publ. (ONIAM; Beschränkung auf Personenschäden) sowie Art. L. 421-17 C. assur. (Ausgleich von Bergschäden durch den FGAO; Beschränkung auf Sachschäden). 95 Siehe etwa Art. 4 Abs. 4 des IOPC-Übereinkommens sowie Art. L. 421-16 und R. 421-19 C. assur. (FGAO) sowie Art. 706-14 C. proc. pén. (FGTI). Zu den verschiedenen Formen von Entschädigungshöchstbeträgen siehe Viney/Jourdain, Les effets de la responsabilité, Rdnr. 313 f. 96 Vgl. Art. L. 426-3 Abs. 1 u. 2 (Ersatz von Wildschäden) sowie Art. R. 421-19 C. assur. (FGAO). Siehe auch § 4 des bis 30.6.1994 geltenden Solidarhilfevertrags (abgedruckt bei Bruck/Möller-Johannsen, Kommentar zum VVG, Bd. V/1, Anm. B 134).
I. Schadenskompensation durch Entschädigungsfonds
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mente zur Begrenzung der geschuldeten Leistung97 sind Ausdruck der Nähe der Entschädigungsfonds zum Versicherungsrecht. Neben Höchstgrenzen und Freibeträgen ist auch auf die restriktive Definition entschädigungsfähiger Schadenspositionen hinzuweisen. Manche Fonds leisten Ersatz für Sach- oder Körperschäden, nicht jedoch für den jeweils anderen Schadenstyp 98. Ähnlich verhält es sich mit Entschädigungsvoraussetzungen, die je nach Schadenskategorie unterschiedlich streng ausfallen und auf diesem Wege zu einer Beschränkung der Ersatzleistungen führen können99. Schließlich verlangt der Gesetzgeber für den Zugang zu einigen Entschädigungsfonds das Erreichen eines bestimmten Schweregrades der Beeinträchtigung100. Die restriktive Anwendung des Grundsatzes der Totalreparation und dessen vielgestaltige Einschränkungen machen deutlich, dass kollektiven Schadensabnahmesystemen und der tradierten haftungsrechtlichen Schadensausgleichsordnung unterschiedliche Prinzipen zugrunde liegen, die sich insbesondere im unterschiedlichen Leistungsumfang manifestieren. Grundlage der Schadensregulierung im Schädiger-Geschädigten-Verhältnis ist das allgemeine Schadensrecht des BGB oder des Code civil, welches einen umfassenden Ersatz des erlittenen Schadens verlangt. Trotz des zunehmenden Einflusses von Privat- und Sozialversicherungsschutz sind die Rufe nach einer Relativierung des Prinzips der Totalreparation auf dem Gebiet des Deliktsrechts bisher ungehört verhallt101. Das Fehlen einer Schadenszurechnung im haftungsrechtlichen Sinne sowie die soziale Dimension der Fondsleistungen machen einen umfassenden Schadensausgleich weniger zwingend als im auf der SchädigerGeschädigten-Relation beruhenden Deliktsrecht. Durch die direkte Einbeziehung eines Kollektivs in die Schadenstragung verändert sich die Gerechtigkeitsproblematik – wie Weyers dies in Bezug auf den Regress des 97 Zu diesen Regelungsinstrumenten unter dem Gesichtspunkt der Schadensprävention siehe unten S. 188 ff. 98 So etwa das Entschädigungsregime für Industriekatastrophen (Art. L. 421-16 C. assur.). Kritisch zur Beschränkung auf Sachschäden Guégan-Lécuyer, D. 2004, 17, Rdnr. 18 sowie Steinlé-Feuerbach, in: Camproux-Duffrène (Hrsg.), Les risques technologiques, S. 21, 27. 99 Siehe die Differenzierung zwischen Sach- und Personenschäden im Kompensationsregime des FGAO (Kraftfahrzeugunfallschäden). Hierzu oben S. 46 ff. 100 Vgl. Art. L. 1142-1, II Abs. 2 und D. 1142-1 Abs. 1 C. sant. publ. (Beschränkung der Ersatzleistungen des ONIAM auf Beeinträchtigungen, die eine Erwerbsunfähigkeit von 24 % überschreiten) sowie Art. 706-3 Nr. 2 C. proc. pén. (Beschränkung der Ersatzleistungen des FGTI auf Todesfälle oder auf Umstände, die zu einer Erwerbsunfähigkeit von mehr als einem Monat geführt haben). 101 Siehe hierzu Looschelders, VersR 1999, 141, 145 f. Zur Diskussion über die Einführung einer allgemeinen Reduktionsklausel zur Abmilderung möglicher Härtefälle siehe die Nachweise bei HKK-Jansen, §§ 249–253, 255, Rdnr. 40.
182 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht „Schadensvorsorgeträgers“ gegen den Schädiger formuliert102 – und stellt sich ganz anders dar als im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem103. Dass das Ausmaß der Leistungen von einer „unbürokratischen Hilfe, [die] keine wirkliche Entschädigung [ist]“104, bis hin zu einem vollständigen Ersatz nach allgemeinem Schadensrecht variiert, ist vielmehr Ausdruck des variablen Zurechnungszusammenhangs zwischen dem verantwortlichen Kollektiv und der jeweiligen Schadenskategorie. Wie bereits erörtert wurde, fußen die Allokationsentscheidungen des Gesetzgebers im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts auf der Feststellung kollektiver Verantwortlichkeiten unterschiedlicher Intensität, welche sich u.a. im Umfang der Fondsleistungen niederschlagen105. Auch andere rechtspolitische Belange, so die Frage nach der Finanzierbarkeit der Kompensationsleistungen, prägen die Ausgestaltung des Rechts auf Schadensersatz durch einen Entschädigungsfonds. Besonders in den Bereichen, in denen Fondsleistungen nicht mit haftungsrechtlichem Schadensersatz konkurrieren106, wirkt sich die Sorge um die Finanzierbarkeit auf die Höhe und den Umfang der vom Fonds geleisteten Ersatzbeträge aus107.
II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds
Die Prävention von Schäden als zivilrechtliche Zielbestimmung ist seit jeher Gegenstand intensiver Diskussionen108. Die Debatte über die präven102
Weyers, Versicherungsvertragsrecht, Rdnr. 602, der für ein Verbleiben der Belastung bei dem Sozialversicherungsträger eintritt. Vgl. allerdings die Nachauflage Wandt, Versicherungsrecht4, Rdnr. 959 u. 1008. 103 Vgl. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 632; MüKo-Oetker, § 249, Rdnr. 10; NomosK-Magnus, vor §§ 249–255, Rdnr. 16 sowie Soergel-Mertens, vor § 249, Rdnr. 9. 104 So der Abg. Hermann bei den parlamentarischen Beratungen zum Gesetz über die Entschädigung von Opfern des DDR-Zwangsdopings (BT-Prot. Nr. 14/243, S. 24499). 105 Siehe oben S. 149 f. Dort finden sich auch Erwägungen zu weiteren Elementen des Entschädigungsrechts, welche als Ausdruck unterschiedlich ausgeprägter kollektiver Verantwortlichkeiten interpretiert werden können (Beweisregeln, Berücksichtigung des Fehlverhaltens des Geschädigten etc.). Vgl. auch Lange/Schiemann, Schadensersatz, S. 11, die auf „die stärker am Gemeinwohl orientierte Zielsetzung“ des Sozialrechts hinweisen. 106 Siehe bereits oben S. 120 f. 107 Vgl. insbesondere Roujou de Boubée, Essai sur la notion de réparation, S. 405 ff. sowie Viney/Jourdain, Les effets de la responsabilité, Rdnr. 309 f. 108 Siehe etwa die umfassenden Monographien K. Sailer, Prävention im Haftungsrecht, 2005 und Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, 2004. Vgl. auch Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 18; Brüggemeier, Prinzipien des
II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds
183
tive Wirkung des Zivilrechts konzentriert sich dabei auf die Frage, inwieweit das deliktische Haftungsrecht dazu beitragen kann, potenzielle Schädiger von schadensstiftendem Verhalten abzubringen und Anreize für eine möglichst große Sorgfaltsanwendung zu setzen. In der Literatur wird zwar der Schadensausgleich als Hauptaufgabe des Haftungsrechts ausgewiesen, gleichwohl wird betont, die Präventivwirkung sei nachgeordneter oder mittelbarer Zweck des Haftungsrechts, jedenfalls ein „erwünschtes Nebenprodukt“ der Schadensersatzpflicht109. Die reflexive Präventionswirkung des Haftungsrechts wird bekanntlich aus dem Umstand hergeleitet, dass ein potenzieller Schädiger die ökonomische Belastung eines Schadensersatzanspruchs scheut und deshalb bei seinen Aktivitäten vor potenziell schadensstiftendem Verhalten zurückschreckt. Inwieweit durch diesen Umstand heute noch eine generelle Abschreckungswirkung („general deterrence“) vom deliktischen Haftungsrecht erwartet werden kann, ist jedoch ungewiss. Über das genaue Ausmaß der Präventionswirkung herrscht in der Literatur große Unsicherheit. Weyers unterstreicht etwa, dass es hinreichende Erkenntnisgrundlagen zur Beurteilung der Präventionsmöglichkeiten des Haftpflichtrechts nicht gebe110. Den statistischen Erhebungen im Bereich der Arbeits- und Straßenverkehrsunfälle können zumindest keine eindeutigen Aussagen entnommen werden111. Auch die im Zuge der ökonomischen Analyse des Rechts entwickelten Modelle erlauben es, keine eindeutigen Aussagen über das tatsächliche Ausmaß der Präventionswirkung zu treffen112. Die von weiten Teilen der Literatur postulierte Präventionswirkung des Haftungsrechts wird unter dem Einfluss zweier Faktoren erheblich geschwächt. Zunächst laufen die zunehmende Bedeutung der HaftpflichtverHaftungsrechts, S. 3 f.; Bydlinski, System und Prinzipien, S. 190 ff. sowie aus neuerer Zeit Wagner, AcP 206 (2006), 352. Näheres zum Begriff der Schadensverhütung bei Steiner, Schadensverhütung als Alternative zum Schadensersatz, S. 21 ff. Aus dem französischen Schrifttum statt vieler Tunc, in: FS Ancel, Bd. 1, S. 407 sowie Fabre-Magnan, Droit des obligations, Bd. 2, S. 42 ff. m.w.N. 109 So der viel zitierte Ausdruck von Larenz, Schuldrecht I, § 27 I. 110 Weyers, Unfallschäden, S. 470 ff. m.w.N. (besonders aus dem amerikanischen Schrifttum). 111 Nachweise zu den einzelnen Studien finden sich etwa bei Rohde, Haftung und Kompensation bei Straßenverkehrsunfällen, S. 365 ff. sowie Kötz/Schäfer, AcP 189 (1989), 501, 525 ff. Siehe Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, S. 365 ff. 112 Skeptisch Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 84 f. („Ein Haftungssystem, das den Schaden nicht bei seinen Verursachern, Täter und Opfer, belässt, sondern ihn auf einen ‚Dritten‘ übeträgt, [stellt] das schlechtestmögliche Anreizsystem [dar], da es beide Parteien davon entlastet, die sozialen Kosten ihrer Handlungen in Form der erwarteten Unfallschäden in ihre privaten Überlegungen einzubeziehen.“) u. 225 ff. m.w.N. Optimistischer Wagner, VersR 1999, 1441 f.
184 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht sicherung und der damit verbundene Schutz des Haftpflichtgläubigers der Schadensprävention zuwider. Wird der verursachte Schaden nicht vom Schädiger, sondern von dessen Versicherer getragen, verkommt die deliktsrechtliche Sanktion zu einem durchlaufenden Posten, welcher nicht das Vermögen des Normadressaten trifft, sondern unmittelbar auf den Versicherer abgewälzt wird. Die mangelnde Spürbarkeit der Haftpflicht kann allenfalls durch spezifische versicherungsrechtliche Instrumentarien wie Bonus-Malus-Klauseln oder Selbstbehalte ausgeglichen werden113. Ferner taugt das Haftpflichtrecht nur dann als Instrument zur Verhaltenssteuerung, wenn der potenzielle Schädiger die Androhung einer Pflicht zum Schadensersatz auch für sein Handeln berücksichtigen kann. Nahezu das gesamte Unfallrecht entzieht sich damit einer derartigen Verhaltensbeeinflussung, handelt es sich doch bei einem Unfall um ein spontan eintretendes Schadensereignis, welchem in der Regel keine rationale Entscheidung des Verursachers vorausgeht114. Eine präventive Wirkung des Haftungsrechts kann daher zeitlich im besten Falle im Vorfeld des Unfalls ansetzen und den Handelnden zu Unfallverhütungsmaßnahmen anregen115. Vor dem Hintergrund dieser Einschränkungen ist zu erörtern, ob Entschädigungsfonds in ihrer Rolle als alternative Schadenstragungsmodelle ein äquivalentes Maß an Schadensverhütungsanreizen setzen können und inwieweit das vorhandene Potenzial zur Verhaltenssteuerung etwa durch die Übertragung versicherungsrechtlicher Instrumente stärker genutzt werden kann. A. Präventionseinbußen durch Abkopplung des Schadensersatzes von der Schadenszurechnung Hinsichtlich ihrer Präventionswirkung gelten Entschädigungsfonds weitläufig dem traditionellen Schadensersatzrecht als unterlegen. In der Tat besteht die Eintrittspflicht von Fondseinrichtungen unabhängig von einer Zurechnung des Schadens an einen Dritten, sodass eine unmittelbare Einwirkung auf das Verhalten des Schädigers ausgeschlossen ist. Durch das Eintreten von Fondseinrichtungen in die Schädiger-Geschädigten-Relation wird der Blick vom schädigendem Verhalten weg auf die alleinige Position des Geschädigten gelenkt, da der geleistete Schadensersatz lediglich den
113
Hierzu unten S. 188 ff. Eingehend Weyers, Unfallschäden, S. 467 ff.; Schlobach, Das Präventionsprinzip im Recht des Schadensersatzes, S. 314 (eingeschränkte „situative Motivierbarkeit“ des Normadressaten); zweifelnd H. Koch, JZ 1999, 922, 924 („landläufige […] Vorstellung“). Vgl. auch Steiner, Schadensverhütung als Alternative zum Schadensersatz, S. 136. 115 So auch H. Koch, JZ 1999, 922, 925. Vgl. Tunc, in: FS Ancel, S. 407, Rdnr. 9. 114
II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds
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Nachweis eines in einem bestimmten Kontext erlittenen Körper- oder Vermögensschadens voraussetzt116. Gleichwohl ist die Aussage, das Haftungsrecht sei aus Sicht der Schadensverhütung dem Recht der Entschädigungsfonds überlegen, zu relativieren. Ungeachtet des tatsächlichen Ausmaßes der Präventionswirkung durch das tradierte Haftpflichtrecht ist eine nuanciertere Darstellung geboten. Eine Gegenüberstellung der Präventionswirkung des Haftpflichtrechts und von Entschädigungsfonds ist in der Tat nur in solchen Fällen möglich, in denen neben dem Anspruch auf Leistungen durch den Fonds auch tatsächlich die Schadensersatzpflicht eines Dritten geltend gemacht werden kann. Bei all jenen Schäden, die ohne eine Leistungspflicht des Fonds mangels identifizierbaren Schädigers beim Opfer verblieben, ist eine vergleichbare Ausgangssituation nicht gegeben117. In solchen Fällen vermag das Zivilrecht keinerlei verhaltenssteuernde Anreize in Richtung auf den Schädiger zu setzen, da dieser schlicht und einfach nicht existiert. Ferner wirkt sich der „abschirmende Effekt“ der Entschädigungsfonds allein auf die Präventivwirkung gegenüber dem Schädiger aus. Anreize zur Schadensverhütung können jedoch auch seitens des Geschädigten gesetzt werden118. Ein besonders großzügiges Schadenstragungsmodell kann den potenziellen Geschädigten im Vertrauen auf eine automatische Entschädigung zur Nachlässigkeit animieren. In den allermeisten Fällen verhindert zwar der instinktive Selbsterhaltungstrieb, dass ein Geschädigter die Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität in Kauf nimmt119, jedoch kann die Schädigung bereits im Vorfeld durch mangelnde Sorgfalt begünstigt werden. Anthropologische Schadensverhütungsinstinkte fehlen nahezu vollends bei drohenden Sach- und Vermögensschäden. Anreize zu einem möglichst sorgfältigen Handeln seitens des Geschädigten können etwa durch die Möglichkeit der Minderung des Schadensersatzes gesetzt werden. Bei der Bemessung des Schadensersatzes kann somit einerseits das Mitverschulden des Geschädigten bei der Schadensverursachung sanktioniert, andererseits aber auch dessen Weigerung berücksichtigt werden, schadensbegrenzende Maßnahmen zu ergreifen,120. Ein Vergleich zwischen dem Haftungsrecht und dem Recht der Entschädigungsfonds zeigt, dass in beiden Teilbereichen derartige Regelungen vor116
Zur Kategorisierung von Schadensfällen siehe oben S. 96 f. Etwa bei Schäden durch Naturkatastrophen oder unverschuldeten Medizinunfällen. 118 Vgl. Tunc, La responsabilité civile, Rdnr. 156. 119 In diesem Sinne auch Weyers, Unfallschäden, S. 476 ff. 120 Siehe etwa Art. 8 Nr. 1 des Europäisches Übereinkommens über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten („Die Entschädigung kann wegen des Verhaltens des Opfers oder des Antragstellers vor, während oder nach der Straftat oder in Bezug auf den verursachten Schaden gekürzt oder versagt werden.“). Kritisch zum Aussagegehalts dieser Regel X. Pradel, Le préjudice dans le droit civil de la responsabilité, Rdnr. 288. 117
186 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht gesehen sind. Anders als das deutsche Haftpflichtrecht sieht das französische Haftungsrecht jedoch keine allgemeine Pflicht des Geschädigten zur Schadensminimierung vor121, sodass es im Vergleich zu einigen Sonderentschädigungsregimes in dieser Hinsicht sogar weniger präventive Anreize setzt. Kann bei der Anwendung der meisten Sonderentschädigungsregimes wie im Haftungsrecht eine Mitverschuldensregel geltend gemacht werden122, sieht der Gesetzgeber bei der Einrichtung retrospektiver Entschädigungsfonds von einer Sanktionierung des Mitverschuldens in aller Regel ab. Das Modell der gestuften Kollektivverantwortlichkeiten könnte abermals zur Erklärung dieser Unterschiede herangezogen werden, handelt es sich doch bei den retrospektiven Fonds um Entschädigungsregimes, die auf einer besonders hohen Verantwortlichkeit der Allgemeinheit beruhen. Zieht man die Grundüberlegungen zum sozialen Entschädigungsrecht heran, erscheint die Mitverschuldensregel neben dem Umfang der Fondsleistungen als ein weiteres Merkmal eines nach Verantwortlichkeiten differenzierenden Entschädigungsrechts123. Grundsätzlich trifft jedoch auf die Entschädigungsfonds wie auch auf ein durch Haftpflichtversicherungsschutz mediatisiertes Haftpflichtsystem dasselbe Phänomen zu, welches in der Versicherungswissenschaft unter dem Begriff des „moral hazard“ bekannt ist124. Zwar stehen den Entschädigungsfonds Regelungsinstrumentarien zur Verfügung, die den Verlust an Präventionswirkung kompensieren sollen125. Jedoch können die gesetzlich verankerten Rückgriffsmöglichkeiten entweder nur unter bestimmten restriktiven Voraussetzungen in Anspruch genommen werden126 oder schei121 Vgl. die Grundsatzentscheidungen Civ. 2, Urt. v. 19.6.2003, D. 2003, 2326, Anm. Chazal sowie Urt. v. 22.1.2009, D. 2009, 1114, Anm. Loir. Ausführlich zu dieser Position des französischen Rechts Reifegerste, Pour une obligation de minimiser le dommage, 2002. 122 Art. 706-3 C. proc. pén. u. Art. L. 126-1 Abs. 2 C. assur. (FGTI); Art. 4 Abs. 3 des Fonds-Übereinkommens 1992 (IOPC Fonds); Art. R. 424-13, II Nr. 1 C. assur. (Klärschlammentschädigungsfonds) sowie Art. L. 426-3 C. envir. (Ausgleich von Wildschäden). 123 Siehe oben S. 149 ff. 124 Zum Begriff des „moral hazard“ siehe Honsell, VersR 1982, 112 sowie Mahr, ZVersWiss 1977, 205. Aus ökonomischer Sicht auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 139 f. In französischer Sprache siehe insb. Chartier, Responsabilisation en droit des assurances de responsabilité civile, Rdnr. 237 ff. 125 Zur Ausgestaltung von Regressrechten und deren Präventionswirkung siehe unten S. 191 ff. Sorgfaltsanreize können ebenso das Verhalten des Geschädigten betreffen, so etwa Selbstbehalte (franchise) oder Entschädigungshöchstgrenzen (hierzu siehe auch oben S. 180 ff.). 126 Siehe zum Regressrecht des ONIAM Art. L. 3122-4 („faute“) und L. 1142-17 Abs. 7 C. sant. publ. („manquement caractérisé“).
II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds
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tern in der Praxis bereits an ihrem hohen personalen und finanziellen Aufwand127. Es verwundert daher nicht, dass die im Regresswege eingeforderten Zahlungen überdies nur unwesentlich zum Budget der Fondseinrichtungen beitragen128. B. Maßnahmen zur Stärkung der Präventionswirkung von Entschädigungsfonds Vor diesem Hintergrund gilt es, die Frage zu beantworten, welche Maßnahmen ergriffen werden können, um die Präventionswirkung von Entschädigungsfonds zu stärken. Nach hier vertretener Ansicht kann eine effektive Schadensverhütung nur durch die Bündelung rechtlicher und außerrechtlicher Mittel erreicht werden. Gerade im Bereich des Unfallrechts, in dem die präventive Wirkung einer Entschädigungspflicht besonders niedrig ist129, müssen Haftungsrecht, Versicherungsschutz und Fondslösungen als Elemente eines breiten Repertoires an Präventionsinstrumentarien verstanden werden. Hierzu müssen die entschädigungsrechtlichen Mechanismen mit straf-, verwaltungs- oder steuerrechtlichen Regelungen130 sowie mit aktiven Schadensverhütungsmaßnahmen wie Informationskampagnen oder höheren Sicherheitsstandards so kombiniert werden, dass eine optimale Risikominimierung erreicht wird131. Der Spielraum, welcher dem Recht der Entschädigungsfonds bei der Schadensprävention zukommt, ist relativ begrenzt. Vor diesem Hintergrund können Fondseinrichtungen jedoch als Informationsmittler dienen, 127 Den Mehrbedarf des FIVA an Personal und finanzieller Ausstattung hervorhebend Lavole/Bary, in: Mazeaud (Hrsg.), Lamy Droit de la responsabilité, Rdnr. 364-220. 128 Zahlenmaterial bei Le Garrec, Risques et conséquences de l’exposition à l’amiante, Doc. AN 2006 (Nr. 2884), S. 251 sowie Dériot/Godefroy, Rapport d’information sur le bilan et les conséquences de la contamination par l’amiante, Doc. Sénat 200506 (Nr. 37), S. 159 f. Vgl. auch Neyret, Gaz. Pal. 2008, 823, 828. 129 Siehe oben S. 184 f. 130 Zum Stellenwert der Schadensverhütung im Straf-, Verwaltungs-, Steuer- und Privatrecht, siehe auch Wagner, AcP 206 (2006), 352, 355 ff. („Verhaltenssteuerung als heiße Kartoffel des Rechtssystems“). Allgemein zur Schadensprävention als „Gestaltungsaufgabe der Rechtspolitik“ Steiner, Schadensverhütung als Alternative zum Schadensersatz, S. 45 ff. 131 Siehe zu Fondslösungen im Umweltrecht Bohlken, Waldschadensfonds im EGRecht, S. 132. Das Umweltrecht ist in dieser Hinsicht ein besonders aussagekräftiges Beispiel. Direkte Verhaltenssteuerung wird hier durch administrative Kontrollinstrumente (Anzeigepflichten, Erlaubnisvorbehalte) und durch gesetzliche Ver- oder Gebote mit Strafbewährung verwirklicht. Indirekt wirken auf das Verhalten Einzelner überdies Informationskampagnen, direkte und indirekte Subventionen (etwa Steuervergünstigungen) sowie Umweltabgaben (Stichwort „Öko-Steuer“). Hierzu etwa Kloepfer, Umweltrecht3, § 4, Rdnr. 36 ff. Vgl. auch zum Bereich des Straßenverkehrs Steiner, Schadensverhütung als Alternative zum Schadensersatz, S. 40 ff.
188 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht da durch die Bearbeitung der Entschädigungsanträge ein genaues Bild über den Schadenshergang gezeichnet werden kann. Insoweit ist das Potenzial von Fonds bei der Ausarbeitung übergreifender Präventionsstrategien nicht zu unterschätzen. Ferner ist zu erwägen, Fondseinrichtungen nicht lediglich als Schadensabwicklungsinstrumente zu konzipieren, sondern auch Möglichkeiten zur Finanzierung direkter Schadensverhütungsmaßnahmen vorzusehen132. Bei der strikt juristischen Ausgestaltung des Präventionsgedankens kann allenfalls an eine Übernahme versicherungsrechtlicher Risikosteuerungsinstrumente sowie an die kollektive Geltendmachung der an den Fonds übergangenen Ersatzansprüche gedacht werden. Beide Lösungsansätze sollen im Folgenden auf ihre Tauglichkeit kritisch überprüft werden. 1. Perspektiven einer Übernahme versicherungsrechtlicher Risikosteuerungsinstrumente Die Haftpflichtversicherer bemühen sich, den „abschirmenden Effekt“ der Haftpflichtversicherung durch diverse Risikosteuerungsinstrumente zu mindern, die sowohl vor als auch nach Abschluss des Versicherungsvertrags einsetzen133. Neben dem Ausschluss bestimmter Risiken und der vertraglichen Verankerung von Vorsorgepflichten wird insbesondere der individuellen Prämienberechnung eine verhaltenssteuernde Wirkung zugesprochen. So kann vor Abschluss des Versicherungsvertrags der potenzielle Versicherungsnehmer durch Prämienermäßigungen dazu angeregt werden, bestimmte Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Nach Abschluss des Versicherungsvertrages kann die Prämie durch die Berücksichtigung vergangener Versicherungsfälle risikogerecht angepasst werden (sog. „BonusMalus-Praxis“ im Bereich der Kfz-Haftpflichtversicherung)134. Da der Versicherer zur Gewinnoptimierung an einer möglichst geringen Zahl an Haftpflichtfällen interessiert ist, erhofft man sich auf diesem Wege eine
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Seit 2006 finanziert der FGAO neben Entschädigungsleistungen auch Präventionsmaßnahmen zum Thema Sicherheit im Straßenverkehr und über den Nutzen einer Kfz-Haftpflichtversicherung. Siehe den Jahresbericht des FGAO für 2009, S. 32. Vgl. auch § 4 Abs. 7 des Fondsübereinkommens von 1992 (IOPC Fonds). 133 Einen Überblick bieten Grossfeld/Hübner, ZVersWiss 1977, 393, 409 ff. 134 Allgemein zur „retrospektiven Prämiengestaltung“ (Bonus-Malus-Praxis und Schadensfreiheitsrabatte) Weyers, Unfallschäden, S. 480 f. u. 626 f.; aus der Sicht der ökonomischen Analyse des Rechts Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 235 f.; in französischer Sprache Pierre, Vers un droit des accidents, Rdnr. 226 ff. sowie aus neuerer Zeit Chartier, Responsabilisation en droit des assurances de responsabilité civile, Rdnr. 455 ff. Der bisherige Schadensverlauf wird auch für die Prämienberechnung bei der gesetzlichen Unfallversicherung berücksichtigt. Siehe Bieback, VSSR 2006, 215.
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gewisse Wiederherstellung der verloren gegangenen Präventionswirkung135. Die Übernahme einer am Sorgfaltsniveau des Versicherten ausgerichteten Prämienanpassung bietet auf den ersten Blick eine interessante Perspektive zur Stärkung des Präventionsgedankens im Recht der Entschädigungsfonds. So könnten die zur Speisung des Fonds geleisteten Beiträge je nach Schadensanfälligkeit des Beitragszahlers unterschiedlich bemessen werden. Derartige Überlegungen sind insbesondere für den IOPC Fonds vorgetragen worden136. In diesem Rahmen könnten die Beiträge immer dann besonders niedrig ausfallen, wenn sich der den Fonds finanzierende Erdöl-Importeur verpflichtet, nur noch mit Reedern zusammenzuarbeiten, welche besonders strenge Sicherheitsauflagen erfüllen. Im Gegenzug würde der Beitrag immer dann erhöht, wenn ein Schadensfall auf das Verschulden eines mit dem Importeur vertraglich verbundenen Reeders zurückgeführt werden kann137. Einer Übertragung der Bonus-Malus-Praxis in das Recht der Entschädigungsfonds stehen jedoch mehrere Bedenken entgegen. Zunächst ist umstritten, ob Bonus-Malus-Klauseln in den betroffenen Versicherungsgeschäften tatsächlich zu einer höheren Sorgfaltsanwendung führen138. Haupteinwand ist die fehlende individuelle Schadenszurechnung, die Voraussetzung für eine Staffelung der Fondsbeiträge je nach Schadensanfälligkeit ist und bei den Fondslösungen gerade nicht vorgenommen wird. Auch wenn man eine derartige Zuordnung nicht an die strengen Voraussetzungen des deliktsrechtlichen Kausalitätsbegriffs knüpft, ist eine Zuordnung der Schadensfälle an einen bestimmten Beitragszahler ein schwieriges, gar unmögliches Unterfangen139. Nicht zuletzt würde eine systematische Beitragsanpassung wohl auch daran scheitern, dass der für die Ermittlung des Zusammenhangs zwischen Schaden und Beitragszahler notwendige zusätzliche finanzielle Aufwand die Kosten übersteigt, die durch erhöh135
Skeptisch allerdings Esser/Weyers, Schuldrecht II/2, § 53, Rdnr. 4; deutlicher Weyers, Unfallschäden, S. 479 ff. 136 Siehe Hassel, Instrument der Risikoreduktion, S. 96 ff.; Altfuldisch, Haftung und Entschädigung bei Tankerunfällen auf See, S. 180 ff. sowie in französischer Sprache Le Couviour, JCP G 2002, I, Nr. 189, Rdnr. 11. 137 Fraglich ist jedoch, ob das Fehlverhalten des Reeders dem Beitragsleistenden ohne weiteres zugerechnet werden kann. Die Einwirkungsmöglichkeiten des einen auf den anderen sind begrenzt. Für eine Beschränkung der versicherungsrechtlichen Prämienerhöhung auf die Fälle des Verschuldens Pierre, Vers un droit des accidents, Rdnr. 230. 138 In diesem Sinne auch Weyers, Unfallschäden, S. 480 f. u. 626 f.; optimistischer Adams, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 235. Siehe auch Robineau, Contribution à l’étude du système responsabilité, Rdnr. 260 sowie Lambert-Faivre/Leveneur, Droit des assurances, Rdnr. 810 (beide m.w.N.). 139 Siehe hierzu im Zusammenhang mit den retrospektiven Fondslösungen bereits oben S. 89 ff.
190 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht te Sorgfaltsanstrengungen der potenziellen Schädiger eingespart oder für direkte Vorsorgemaßnahmen aufgewendet werden könnten. Zuletzt könnte auch der Ausbau von Regressmöglichkeiten einen Anreiz zu sorgfältigem Handeln bewirken. In der Regel sieht der Gesetzgeber mit der Leistung einer Ausgleichszahlung einen Übergang der Ersatzansprüche vom Geschädigten auf den Fonds vor140. In der französischen Literatur wird in diesem Zusammenhang eine Pflicht zur Geltendmachung der übergegangenen Ansprüche gefordert, um die Präventionswirkung des Haftungsrechts gegenüber dem Schädiger wiederherzustellen141. Die Beschränkungen des Regressrechts auf die Fälle des Verschuldens werden als präventionsmindernd kritisiert142. Nach hier vertretener Ansicht ist der Regress der Fondseinrichtung allerdings nur bedingt zur Schadensprävention geeignet. Erstens wird der Rückgriff des Fonds durch genau die Hindernisse erschwert, welche der Geltendmachung des originären Ersatzanspruchs des Geschädigten entgegenstehen und den Gesetzgeber zur Einrichtung des Fonds bewogen haben. So verhindern neben Beweisschwierigkeiten insbesondere der fehlende Versicherungsschutz und die Zahlungsunfähigkeit des Schädigers eine effiziente Durchsetzung der übergegangenen Ansprüche. Zweitens ist es nicht ausgeschlossen, dass sich eine systematische Ausübung des Regressrechts negativ auf die Zusammenarbeit mit den Akteuren auswirkt, auf deren Mithilfe der Fonds bei der Bearbeitung der Entschädigungsanträge angewiesen ist. Drittens wird eine Präventionswirkung allenfalls in den Fällen erzielt werden können, in denen der Haftungsschuldner grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hat. Da in Fällen schweren Verschuldens und des Vorsatzes in aller Regel kein Haftpflichtversicherungsschutz besteht, bleiben die Anreize der Haftpflicht intakt und können somit auch für das Recht der Entschädigungsfonds nutzbar gemacht werden. Aus diesen Gründen sind die Regressmöglichkeiten dergestalt zu beschränken, dass lediglich im Falle grober Fahrlässigkeit und vorsätzlicher Schadenszufügung die übergegangenen Ersatzansprüche geltend gemacht
140 Es handelt sich hierbei um einen gesetzlich angeordneten Forderungsübergang (§ 412 BGB; Art. 1251 C. civ.) zugunsten der Fondseinrichtung. 141 S. etwa Neuray, Droit de l’environnement, Rdnr. 350; van Lang, Droit de l’environnement, Rdnr. 329; Mekki, Petites Affiches 12.1.2005, 3, Rdnr. 42 ff. sowie Frank, Le droit de la responsabilité administrative à l’épreuve des fonds d’indemnisation, Rdnr. 497 ff. u. 578. Siehe auch d’Hauteville, Rev. sc. crim. 1991, 149, 154 ff. sowie Le Couviour, La responsabilité civile à l’épreuve des pollutions majeures résultant du transport maritime, Rdnr. 1910 ff. 142 So etwa Frank, Le droit de la responsabilité administrative à l’épreuve des fonds d’indemnisation, Rdnr. 497 ff. Vgl. auch Taisne, D. 1993, jur. 323, 324.
II. Schadensprävention durch Entschädigungsfonds
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werden143. Ferner ist den Fondseinrichtungen ein Entscheidungsspielraum einzuräumen, der es ihnen erlaubt, je nach Interessenlage die Regresspraxis mehr oder weniger restriktiv zu handhaben144. 2. Kollektive Geltendmachung der dem Fonds übertragenen Ersatzansprüche? Um verstärkt Anreize zur Schadensverhütung zu setzen, kann überdies an eine kollektive Durchsetzung von Ersatzansprüchen seitens der Fondseinrichtungen gedacht werden. Hierbei ist zu unterscheiden, ob der Fonds lediglich die an sie übergegangenen Ansprüche geltend machen oder darüber hinaus auch Rechtsschutzinteressen von bisher nicht mit dem Fonds in Kontakt getretenen Geschädigten vertreten soll. Eine Durchsetzung von Ansprüchen, die dem Fonds im Wege der Legalzession übertragen werden, ist zweifelsohne die einfachste Option. Der in die Rechte der Geschädigten eingetretene Fonds kann sich des prozessrechtlichen Instituts der Klagenhäufung145 bedienen, um Einzelregresse zu vermeiden und die übergegangenen Ersatzansprüche im Rahmen einer oder mehrerer Gruppenklagen effektiver durchzusetzen. Gerade im Bereich der retrospektiven Fonds dürften die Voraussetzungen einer solchen Verfahrenskonzentration146 regelmäßig erfüllt sein. Da es sich bei diesen Entschädigungsregimes um Instrumente zur Bewältigung von Massenschäden handelt, richten sich die Ersatzansprüche gegen den- oder dieselben Beklagten und beruhen auf identischen, zumindest ähnlichen Ursachen. Eine Verfahrenszusammenführung durch die Bündelung zedierter Geschädigtenrechte böte den Vorteil einer Kosten- und Aufwandsersparnis gegenüber der Geltendmachung in individuellen Regressprozessen. Dadurch können auch dann Ersatzansprüche durchgesetzt werden, wenn deren geringer Umfang eine individuelle Klageerhebung durch den Fonds nicht gerechtfertigt hätte. Zudem könnte sich das angerufene Gericht auf die
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In diesem Sinne auch Leca, in: ders./Abeille (Hrsg.), L’indemnisation et l’assurabilité des dommages médicaux, S. 49, 58. 144 A.A. Saison, in: Mémeteau (Hrsg.), Manuel des C.R.C.I., S. 67, 84. 145 Im deutschen Recht ist die Verbindung verschiedener Streitgegenstände in § 260 ZPO geregelt. Der französische Code de procédure civile kennt die in Art. 367 und 368 geregelte „jonction d’instances“. Hierzu ausführlich Julienne, J.-Cl. Proc. civ., Fasc. 677 und Cadiet, Rép. Proc. civ., v° Connexité, Rdnr. 29 ff. Weiterführend Leipold, Wege zur Konzentration von Zivilprozessen, 1999. 146 Nach § 260 ZPO müssen die verbundenen Ansprüche allesamt von demselben Kläger gegen denselben Beklagten erhoben werden (Parteienidentität). Ferner muss die Zuständigkeit desselben Gerichts gegeben sein und der Verbindung keine gesetzliche Schranke entgegenstehen. Schließlich müssen die zu verbindenden Ansprüche in ein und demselben Prozesstyp geltend gemacht werden.
192 2. Teil: Die Funktionen von Fondslösungen im sozialen Entschädigungsrecht Ergebnisse der Tatsachenaufklärung durch den Fonds stützen147, sodass die angerufenen Richter nicht gezwungen wären, umfangreiche eigene Untersuchungen durchzuführen. Eine Zusammenarbeit zwischen Entschädigungsfonds und Gerichten bei der Bearbeitung solcher Sammelklagen könnte so zu einer zügigeren abschließenden Regulierung von Massenschadensfällen führen148. Es handelt sich bei dieser Option nicht um eine „class action“ im eigentlichen Sinne, da der Fonds ausschließlich eigene Ansprüche geltend macht. Alternativ könnten Fondseinrichtungen neben den übertragenen Ersatzansprüchen auch Kompensationsrechte von Geschädigten durchsetzen, die nicht im Zuge einer außergerichtlichen Entschädigung in das Fondsvermögen übergegangen sind149. Die bei der Schadensregulierung gesammelte Sachkenntnis macht die Entschädigungsfonds zu einem geeigneten Akteur einer kollektiven Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen, was der Diskussion um die Einführung einer deliktsrechtlichen Sammelklage150 neuen Anschub geben kann.
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Hierzu müssen jedoch die Entscheidungsorgane des Fonds über jeden Zweifel der Parteilichkeit erhaben sein. Siehe oben S. 169 ff. 148 Vgl. Bohlken, Waldschadensfonds im EG-Recht, 1999, S. 55 u. 98 f. m.w.N. sowie Wiese, ZRP 1998, 27. 149 Siehe im französischen Schrifttum vor allem Teissonière/Topaloff, Semaine sociale Lamy 2002 (Beiheft zu Nr. 1082), S. 33, die von einer Absorption (captation) der Haftpflichtprozesse durch die Fondseinrichtungen sprechen, die so zu „super-plaideurs“ würden. 150 Zu dieser der anglo-amerikanischen „class action“ entnommenen Überlegung, siehe nur Wagner, in: Gutachten 66. DJT, S. A 119 ff. m.w.N. (dort auch Hinweise zum deutschen Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz [KapMuG]).
I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht
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Dritter Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Gefüge des Entschädigungsrechts 3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
Nachdem in den beiden ersten Teilen der Arbeit die Rechtsnatur und die Funktionen von Entschädigungsfonds untersucht wurden, soll im dritten und abschließenden Teil die Einordnung von Sonderentschädigungsregimes innerhalb des Entschädigungsrechts thematisiert werden. In diesem Zusammenhang gilt es nicht nur, die Beziehungen zum traditionellen Haftungsrecht1 näher zu beleuchten, sondern auch die Koordination von Entschädigungsfonds untereinander dogmatisch zu durchdringen. Die folgenden Ausführungen beruhen maßgeblich auf dem französischen Recht, in dem beide Fragestellungen wegen der zunehmenden Bedeutung von Fondseinrichtungen stärker problematisiert wurden als im deutschen Recht. Die daraus folgenden Erkenntnisse eignen sich als Grundlage für Überlegungen zum deutschen Recht der Entschädigungsfonds.
I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht
Das Problem der Koordinierung von Entschädigungsfonds und haftungsrechtlichem Schadensausgleich wirft zunächst die Frage nach der genauen Abgrenzung der vom Sonderentschädigungsregime erfassten Schadensfälle auf. Die Fälle, in denen sich ein Geschädigter an einen Fonds wenden kann, und jene, in denen ausschließlich auf das Haftungsrecht zurückgegriffen werden kann, liegen nah beieinander. Zwar bemüht sich der Gesetzgeber besonders bei retrospektiven Fondslösungen um eine möglichst
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Das Zusammenwirken von Fondseinrichtungen und Sozial- und Privatversicherungsleistungen wirft in der Regel keine eigenständigen Fragestellungen auf. So ordnet das Gesetz im Regelfall die Berücksichtigung bereits erhaltener Leistungen bei der Bemessung der Fondsentschädigung an. Siehe z.B. Art. 706-9 C. proc. pén. u. Art. R. 422-8 C. assur. (FGTI); art. R. 421-13 Abs. 1, 2° u. R. 421-24 Abs. 2 C. assur. (FGAO) sowie Art. L. 1142-14 Abs. 2 C. sant. publ. (ONIAM). Insoweit unterscheiden sich die Regelungen kaum von den allgemeinen Regeln über die Berücksichtigung von Versicherungsleistungen im Haftungsrecht.
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3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
exakte Beschreibung der abgedeckten Schadenskategorie2. Zahlreiche Gerichtsentscheidungen zeugen jedoch von den mitunter schwierigen Abgrenzungsproblemen, wie sie immer dann auftreten, wenn der Gesetzgeber abweichende Sonderregeln erlässt3. Eine Abstimmung zwischen dem haftungsrechtlichen Schadensausgleich und der Anwendung von Sonderentschädigungsregimes durch Fondseinrichtungen ist nur in denjenigen Fallkonstellationen erforderlich, in denen ein Geschädigter sowohl nach den Regeln der Haftpflicht als auch von einer Fondseinrichtung Ersatz seines Schadens erhalten kann. Danach scheiden im Hinblick auf die nachfolgenden Erörterungen diejenige Situationen aus, in denen dem Geschädigten der Weg des Haftungsrechts gar nicht erst eröffnet ist, sondern allein die Inanspruchnahme eines Entschädigungsfonds möglich ist. Dies ist immer dann gegeben, wenn die Schädigung durch einen nicht identifizierten Schädiger oder unabhängig von menschlichem Handeln, etwa bei Naturkatastrophen, verursacht worden ist. Bei paralleler Anwendbarkeit des Haftungsrechts und eines Sonderentschädigungsregimes steht es dem Geschädigten in aller Regel frei, entweder den haftungsrechtlichen Ersatzanspruch geltend zu machen oder Kompensation nach den Regeln des Entschädigungsfonds zu beanspruchen. Diese Wahlmöglichkeit darf es dem Geschädigten jedoch nicht ermöglichen, nach einer vollständigen Entschädigung durch einen Fonds ergänzenden Schadensersatz im Rahmen eines gerichtlichen Folgeverfahrens zu verlangen. A. Die Wahlmöglichkeit des Geschädigten Bereits zu Beginn der Arbeit wurde auf die Unterscheidung zwischen haftungsergänzenden und haftungsersetzenden Fondsmodellen hingewiesen und festgestellt, dass positivrechtlich die Einrichtung von Entschädigungsfonds nur in Ausnahmefällen zum Ausschluss des Haftungsrechts führt4. In einem ersten Schritt sind die Gründe zu erörtern, die den Gesetzgeber be2
Siehe oben S. 96 ff. So sind schwierig zu bewertende Grenzfälle auch im allgemeinen Haftungsrecht keine Seltenheit, wenn es etwa um die Frage geht, ob eine schädigende Handlung von der Verschuldenshaftung oder von einer besonderen Gefährdungshaftung erfasst werden kann. Im Bereich der Entschädigungsfonds ist insbesondere die diffizile Abgrenzung zwischen verschuldeten und nicht verschuldeten Medizinunfallschäden zu nennen. Im französischen Recht steht es den Entschädigungskommissionen (CRCI) frei, in Zweifelsfällen den Schaden beiden Kategorien zuzuordnen. Zum „aléa thérapeutique“ siehe bereits oben Fn. 271. Zur Problematik der Abgrenzung versicherter Risiken vor dem Hintergrund der Einführung einer Heilbehandlungsrisikoversicherung Katzenmeier, VersR 2007, 137, 140. 4 Siehe oben S. 70 ff. 3
I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht
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wogen haben, haftungsergänzenden Lösungen den Vorzug zu geben, obgleich durch eine Ersetzung des Haftungsrechts durch Fondslösungen Reibungsprobleme zwischen beiden Schadensabnahmesystemen vermieden werden können. Sodann soll in einem zweiten Schritt näher beleuchtet werden, ob der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz einer Einrichtung von Sonderentschädigungsregimes entgegensteht. 1. Ergänzung, nicht Ersetzung des Haftungsrechts durch Entschädigungsfonds Die französische Rechtsprechung hat selbst in den Fällen, in denen aus der gesetzlichen Regelung nicht deutlich die Beziehung des neuen Entschädigungsregimes zum bestehenden Haftpflichtanspruch hervorging, auf eine Wahlmöglichkeit des Geschädigten erkannt. Nach der Errichtung des Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles wurde von haftungsrechtlich in die Pflicht genommenen Gesundheitseinrichtungen und Blutspendeorganisationen die Ansicht vertreten, das Gesetz vom 31. Dezember 1991 habe die Entschädigung durch den neu geschaffenen Fonds an die Stelle des haftungsrechtlichen Schadensausgleichs gesetzt. Die befassten Instanzgerichte stellten jedoch umgehend klar, dass „die [neue] Regelung das Haftungs- und Strafrecht nicht ersetze, sondern ergänze“5. Der Kassationsgerichtshof bestätigte im Jahre 1998 diese Interpretation6. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist bei der Errichtung von Fondseinrichtungen in der Folge stets eine Haftungsergänzung angenommen worden. Die Rechtslage unterscheidet sich insoweit vom französischen und deutschen Arbeitsunfallrecht, in dem einem Geschädigten die Geltendmachung haftungsrechtlichen Schadensersatzes verwehrt ist und lediglich eine Inanspruchnahme des Sozialversicherungsträgers möglich ist7. Ein derartiger Ausschluss der Haftpflicht vereinfacht die Koordinierung, da den konkurrierenden Schadensausgleichssystemen voneinander unabhängige Anwendungsbereiche zugewiesen werden. Das Festhalten an der Haftpflicht erscheint auf dem ersten Blick als notwendige Konsequenz des verfassungs- und europarechtlichen Schutzes des Haftungsrechts, welcher auf den ersten Blick einer haftungsersetzenden Kompensationsregelung entgegensteht. Der französische Verfassungs5
So als erstes TGI Nice, Urt. v. 27.7.1992, D. 1993, jur. 38, Anm. Vidal. Siehe auch CA Limoges, Urt. v. 13.2.1992, D. 1992, 275, Anm. Kullmann sowie CA Paris, Urt. v. 5.1.1995, Gaz. Pal. 1995, 190. 6 Civ. 1, 28.4.1998, RTD civ. 1998, 684, Anm. Jourdain. 7 Siehe § 104 Abs. 1 SGB VII. Vgl. Art. L. 451-1 C. séc. soc. („Sous réserve des dispositions prévues aux articles L. 452-1 à L. 452-5, […] aucune action en réparation des accidents et maladies mentionnés par le présent livre ne peut être exercée conformément au droit commun, par la victime ou ses ayants droit.“).
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3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
rat (Conseil constitutionnel) hat in mehreren Urteilen entschieden, dass die in Artikel 4 der Menschenrechtserklärung von 1789 garantierte allgemeine Handlungsfreiheit eine Schadensersatzpflicht für schuldhaft verursachte Schäden nach Artikel 1382 des Code civil erfodert8. Überdies hat der Conseil constitutionnel die mit dem Schadensersatzrecht verbundene Haftungsklage unter den Schutz der prozessualen Grundrechte, genauer des Rechts auf gerichtliches Gehör nach Artikel 16 der Menschenrechtserklärung von 1789, gestellt9. Eine Ersetzung des allgemeinen Haftungsrechts durch eine von der Identifikation eines Haftungsschuldners unabhängige Entschädigungsregelung stößt vor diesem Hintergrund also auf verfassungsrechtliche Bedenken10. Auch wenn der EGMR bisher Entschädigungsgesetze nur in Hinblick auf die Vorschriften über das Inkrafttreten und deren Vereinbarkeit mit der Eigentumsgarantie überprüft hat11, ist es denkbar, dass in Zukunft auch substanzielle Normen, insbesondere die Beschränkung haftungsrechtlicher Ansprüche, zum Gegenstand der Überprüfung werden12. So hat der Gerichtshof bereits in einem Urteil aus dem Jahre 1994 klargestellt, dass es mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaates und den in Art. 6 Abs. 1 EMRK verankerten Garantien nicht unmittelbar vereinbar sei, zivilrechtliche Haftpflichtansprüche auszuschließen und bestimmten Personengruppen zivilrechtliche Immunität zu verschaffen13. Unter dem Eindruck des eben Gesagten ist ein Festhalten des französischen Gesetzgebers am Haftungsrecht neben den Fonds also nur plausibel. 8
CC, Urt. v. 9.11.1999 – 99-419 DC – JCP G 2000, I, Nr. 210, Anm. Molfessis sowie Urt. v. 22.7.2005 – 2005-522 DC – Petites Affiches v. 4.8.2005, 15, Anm. Schoettl. Siehe zuletzt auch CC, Urt. v. 22.9.2010 – 2010-29/37 QPC – AJDA 2011, 218, Anm. Verpeaux. 9 CC, Urt. v. 19.11.1993 – 93-327 DC – RFD const. 1994, 133, Anm. Mathieu sowie Urt. v. 19.12.2000 – RFD const. 2001, 134, Anm. Philip. Hierzu Canivet, in: FS Viney, S. 213, Rdnr. 9 ff. 10 Zur Verfassungsmäßigkeit von haftungsbeschränkenden Legislativakten („lois restrictives de responsabilité civile“) siehe vor allem Pérès, in: FS Viney, S. 805 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Haftungsrechts vgl. auch Molfessis, Le Conseil constitutionnel et le droit privé, Rdnr. 322 sowie Traullé, L’éviction de l’article 1382 du Code civil en matière extracontractuelle, Rdnr. 234 ff. 11 Siehe insbesondere die Urteile v. 6.10.2005 in den Rechtssachen Maurice gg. Frankreich und Draon gg. Frankreich. Hierzu sogleich S. 197. 12 In diesem Sinne Pérès, in: FS Viney, S. 805, Rdnr. 15. 13 EGMR, Urt. v. 21.9.1994, Fayed, § 65 („it would not be consistent with the rule of law in a democratic society or with the basic principle underlying art. 6-1 – namely that civil claims must be capable of being submitted to a judge for adjudication – if, for example, a State could, without restraint or control by the Convention enforcement bodies, remove from the jurisdiction of the courts a whole range of civil claims or confer immunities from civil liability on large groups or categories of persons”). Zu diesem Urteil siehe die Anm. v. Tavernier, JDI 1995, 774.
I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht
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Würde die Anwendbarkeit des Haftpflichtrechts ausgeschlossen, liefe der Gesetzgeber Gefahr, dass das Entschädigungsgesetz vom Conseil constitutionnel oder vom EGMR für unvereinbar mit den Regeln des Verfassungsoder Europarechts erklärt wird. Bei Lichte betrachtet, ist dieses Risiko allerdings weniger groß als zunächst angenommen. Vor kurzem erst stellte der Conseil constitutionnel klar, dass der Ausschluss des Haftungsrechts im Arbeitsunfallrecht mit den verfassungsrechtlich verankerten Grundrechten vereinbar sei, da die Kompensationsregelung „eine automatische, schnelle und sichere Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten garantiere“14. Allein die Ersatzleistungen im Falle einer groben Fahrlässigkeit dürften nicht hinter dem Niveau des allgemeinen Schadensrechts zurückstehen15. Aus der Entscheidung des französischen Verfassungsrats vom 18. Juni 2010 sowie aus vorherigen Urteilen wird deutlich, welche Aspekte des Entschädigungsrechts tatsächlich vom Schutz des Verfassungsrechts erfasst sind. Demnach steht es dem Gesetzgeber frei, die Anwendbarkeit des Haftungsrechts auszuschließen, solange dem Geschädigten ein anderweitiger Anspruch auf Entschädigung zugesprochen wird und aus dem Ausschluss der Haftpflicht keine von der Schwere des Fehlverhaltens unabhängige Immunität des Schädigers erwächst16. Der Gesetzgeber wird also aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass einerseits der Betroffene bei Schädigung durch einen Dritten nicht entschädigungslos bleibt und der Schädiger andererseits bei Vorliegen eines besonders schweren Verschuldens nach wie vor persönlich haftet. In ähnlicher Weise haben der EGMR und das BVerfG deutlich gemacht, dass ein Ausschluss des Haftungsrechts nur dann zulässig ist, wenn eine gewisse Äquivalenz der Ersatzleistungen vor und nach der Haftungsersetzung gegeben ist. So entschieden die Straßburger Richter anlässlich der Überprüfung des sog. „Anti-Perruche-Gesetzes“ vom 4. März 200217, dass eine Eviktion des haftungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs als verhältnismäßiger Eingriff in die Vermögenspositionen akzeptiert werden 14 CC, Urt. v. 18.6.2010 – 2010-8 QPC – Resp. civ. assur. 2010, comm. 176 u. étude 8, Anm. Groutel. 15 Ebd. (besonders Rdnr. 18 der Entscheidung). 16 In diesem Sinne bereits Chabas, Gaz. Pal. 1983, jur. 61 sowie Carbonnier, Droit civil, Bd. 1, Rdnr. 123. Hierzu Radé, Cahiers du Conseil constitutionnel 2004 (Nr. 16), 111, Rdnr. 13 ff. 17 Neben einer umfassenden Neuordnung des Gesundheitsrechts hatte das Gesetz Nr. 2002-404 v. 4.3.2002 auch den Ausschluss von Ersatzansprüchen unerwünscht behindert geborener Kinder, welche ohne ärztliche Pflichtverletzung abgetrieben worden wären (sog. „Perruche“-Fälle), zum Inhalt. Ausführlich zu diesem Gesetz und dessen Bewertung in Rechtsprechung und Lehre Katzenmeier/Knetsch, in: FS Deutsch, 2009, S. 247, 261 ff.
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3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
könne, wenn die Ersatzregelung in Umfang und Rechtssicherheit dem haftungsrechtlichen Tatbestand gleichwertig sei18. Das BVerfG hat in ähnlicher Weise klar gestellt, dass die Verlagerung von Schadenskompensation aus der privatrechtlichen Ordnung in das öffentlich-rechtliche Regelungsgefüge verfassungsrechtlich dann nicht zu beanstanden sei, wenn die Substanz des Anspruchs erhalten bleibe19. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Spielraum des Gesetzgebers bei der Frage nach einer Ersetzung des Haftungsrechts durch Entschädigungsfonds größer ist als zunächst angenommen. Sowohl der französische Verfassungsrat als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stehen einer haftungsersetzenden Fondslösung durchaus offen gegenüber, solange die Fondsleistungen mit den Schadensersatzzahlungen gleichwertig sind und im Wege des Regresses eine persönliche Haftung des grob fahrlässigen Schädigers sichergestellt ist. 2. Exkurs: Der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz – Hindernis bei der Einrichtung von Fondslösungen? Auch vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Gleichheitssatzes können Einwände gegen die Einrichtung von Entschädigungsfonds geltend gemacht werden, schließlich steht die Wahlmöglichkeit zwischen Haftungsrecht und Entschädigungsfonds nur solchen Geschädigten zu, deren Beeinträchtigungen von dem eng gefassten Anwendungsbereich des Sonderregimes erfasst werden. Geschädigte, für die der Gesetzgeber keinen Entschädigungsfonds eingerichtet hat, werden im Vergleich zu den Fondsersatzberechtigten also schlechter gestellt. Derlei Erwägungen sind in Frankreich u.a. von Vertretern der Interessen von Opfern Hepatitis C-verseuchter Blutprodukte vertreten worden. Anders als Personen, die in einem ähnlichen Kontext durch Bluttransfusion mit HIV angesteckt wurden, befanden sich jene Betroffene lange in einer weniger günstigen Lage, da der im Jahre 1992 errichtete Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles nur bei Schäden durch HIV-, nicht aber
18 Urt. v. 6.10.2005, Maurice gg. Frankreich u. Draon gg. Frankreich, JCP G 2009, II, 10061, Anm. Zollinger (siehe respektive Rdnr. 83 u. 91 der Entscheidungen). Die abrupte Rechtsänderung verstieß nach Ansicht des EGMR gegen die Eigentumsgarantie (Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK), da die Leistungen nach Maßgabe der „solidarité nationale“ wesentlich weniger umfangreich und zudem zum Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht verfügbar waren. Hierzu in deutscher Sprache Knetsch, VersR 2006, 1050. 19 BVerfG, Urt. v. 8.7.1976 – 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 – BVerfGE 42, 263, 299 ff. sowie Beschl. v. 7.12.2004 – 1 BvR 1804/03 – BVerfGE 112, 93, 115 f. Hierzu umfassend Lindner, DVBl. 2005, 1227. Siehe auch Safferling, KJ 2001, 208.
I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht
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Hepatitis C-Infektionen in Anspruch genommen werden konnte20. Auch nach der Einrichtung anderer Entschädigungsfonds sind in der rechtswissenschaftlichen Literatur Stimmen laut geworden, die die Ungleichbehandlung vergleichbarer Schadensfälle bemängelten und aus Gleichheitsgründen eine Ausweitung der Entschädigungsregimes forderten21. Im deutschen Recht ist das Problem der Verfassungsmäßigkeit einer Sonderbehandlung bestimmter Schadensgruppen ebenso thematisiert worden. Während der parlamentarischen Beratungen zum Conterganfonds wurde durchaus wahrgenommen, dass die Einrichtung dieses Fonds einen Bruch mit den allgemeinen Regeln des Haftungsrechts bedeutete. Ein Abgeordneter sprach seinerzeit von einer „Lex Contergan“22. Gleichzeitig hielt der Rechtsausschuss des Bundestages den Gleichheitssatz aber für gewahrt, da es sich bei den Conterganschäden um einen „eigentümlichen Sonderfall“ handele23. Dieser wenig überzeugende Legitimationsversuch offenbart die Grenzen der Anwendung von Gleichheitssätzen auf die normative Aktivität des Gesetzgebers auf dem Gebiete des Privatrechts24. Auch wenn in der Folge die durch die Einführung von Sonderentschädigungsregimes entstehenden Ungleichbehandlungen kritisiert wurden25, ist der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum durch die Verfassungsgerichte nie ernsthaft in Frage gestellt worden. Eine zu strikte Anwendung des Gleichheitssatzes auf das Entschädigungsrecht würde nicht nur die Grundüberlegungen des sozialen Entschädigungsrechts unterminieren, sondern auch die Legitimität eines differenzierten Haftungsrechts hinterfragen, welches je nach Fallgruppe zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung unterscheidet. So sieht 20 Seit der Reform des Gesundheitsrechts durch das Gesetz v. 4.3.2002 ist nunmehr eine gesetzliche Beweislastumkehr zugunsten der Opfer von mit dem Hepatitis C-Virus verseuchten Blutkonserven angeordnet (Art. 102). Seit dem Jahre 2009 ist das ONIAM in seiner Eigenschaft als Entschädigungsfonds für den Ersatz der Schäden zuständig (siehe Art. L. 1221-14 C. sant. publ.). 21 Siehe etwa Frank, Le droit de la responsabilité administrative à l’épreuve des fonds d’indemnisation, Rdnr. 556 sowie Arbousset, D. 2004, 974, 975. 22 Stenographische Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, 6. Wahlperiode (1969-1972), 19. Sitzung, S. 6. 23 Stenographische Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages, a.a.O., S. 8. 24 Zur Legitimität der Sonderbehandlung bestimmter Schadenskategorien und dem damit einhergehenden Verlust der Einheit der Privatrechtsordnung siehe Lange/Schiemann, Schadensersatz, Einl. IV; Baur, in: FS Raiser, S. 119, 120 f. sowie Pichler, in: Barta (Hrsg.), Haftungsrechtliche Perspektiven der ärztlichen Behandlung, S. 35 ff. Vgl. im Zusammenhang mit der Diskussion um die Ablösung des Haftungsrechts durch Versicherungslösungen NomosK-Katzenmeier, vor § 823, Rdnr. 53 sowie ders., MedR 2011, 201, 208 f. 25 So etwa Deselaers, AgrarR 1995, 257, 261 (Gegenüberstellung von Schäden durch verseuchten Klärschlamm und verseuchten Kompost).
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das BVerfG in ständiger Rechtsprechung im allgemeinen Gleichheitssatz „kein verfassungsrechtliches Gebot, ähnliche Sachverhalte in verschiedenen Ordnungsbereichen mit anderen systematischen und sozialgeschichtlichen Zusammenhängen gleich zu regeln“26. Auch könne „niemand allein daraus, dass einer Gruppe aus besonderem Anlass besondere Vergünstigungen zugestanden werden, für sich ein verfassungsrechtliches Gebot herleiten, genau dieselben Vorteile in Anspruch nehmen zu dürfen“27. Vielmehr ist dem Gesetzgeber ein ausreichender Entscheidungsspielraum zuzugestehen, der es ihm erlaubt, unter Berücksichtigung des Schadenstypus für bestimmte Geschädigtengruppen Entschädigungsprivilege auszusprechen. Nichts anderes ergibt sich aus der bereits erwähnten Rechtsprechung des BVerfG und des französischen Conseil constitutionnel. So entschieden die Karlsruher Richter nach der Prüfung des Gesetzes zur Entschädigung von Contergangeschädigten, dass „die außergewöhnliche Ausgangslage und besondere Schutzbedürftigkeit der geschädigten Kinder Probleme auf[warfen], die den Gesetzgeber zu Recht veranlaßten, die Abwicklung der Schadensfälle aus der privatrechtlichen Ordnung in die gesetzliche Stiftungslösung zu verlagern […]. Die sozialstaatlich motivierte Entscheidung [könne] im Hinblick auf die gegebene Sachlage verfassungsrechtlich nicht beanstandet werden“28. Der Schutz der sozialstaatlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, welche in dieser Entscheidung zum Ausdruck kommt, wird auch vom französischen Verfassungsrat gewährleistet29. B. Das Zusammentreffen von Fondsleistungen und haftungsrechtlichem Schadensersatz Aufgrund der Wahlmöglichkeit zwischen der Geltendmachung eines haftungsrechtlichen Ersatzanspruchs und der Entschädigung durch eine Fondseinrichtung kann der Geschädigte für ein und denselben Schaden beide Schadensausgleichsinstrumente in Anspruch nehmen. Diese An-
26
Vgl. BVerfG, Beschl. v. 18.6.1975 – 1 BvL 4/74 – BVerfGE 40, 121, 139 f.; Beschl. v. 12.10.1976 – 1 BvL 9/74 – BVerfGE 43, 13, 21 sowie Beschl. v. 8.4.1987 – 1 BvR 564/8475 – BVerfGE 78, 107. Siehe auch zuletzt BVerfG, Beschl. v. 26.2.2010 – 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 – NJW 2010, 1943, 1946. 27 Siehe BVerfG, Beschl. v. 27.9.1978 – 1 BvL 31/76, 1 BvL 4/77 – BVerfGE 49, 192, 208 sowie BVerfG, Beschl. v. 26.2.2010, NJW 2010, 1943, 1946. 28 BVerfG, Urt. v. 8.7.1976 – 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 – BVerfGE 42, 263, 298. 29 Siehe bereits CC, Urt. v. 19./20.7.1983 – 83-162 DC – RDP 1986, 395, Anm. Favoreu. Zum Kriterium des intérêt général bei der Überprüfung von Entschädigungsgesetzen siehe insb. Pérès, in: FS Viney, S. 805, Rdnr. 8 ff.
I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht
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spruchshäufung30 darf jedoch den Geschädigten nicht insoweit begünstigen, als er doppelten Schadensausgleich erhalten kann. Zur Wahrung des Reparationsprinzips wird dem Geschädigten die Pflicht auferlegt, dem angerufenen Fonds über eventuell initiierte gerichtliche Verfahren zur Erlangung von Schadensersatz Auskunft zu erteilen31. Der Fonds ist somit in der Lage, dem Gericht Informationen zum Verlauf und aktuellen Stand des Entschädigungsverfahrens mitzuteilen. Im Gegenzug kann das Gericht den parallel mit dem Antrag auf Kompensation befassten Fonds über den Abschluss eines Haftpflichtprozesses in Kenntnis setzen32. Erfolgt eine Verurteilung, bevor der Fonds den Entschädigungsantrag abschließend beschieden hat, kann der Fonds auf der Grundlage der ausgetauschten Informationen den Antrag des nunmehr entschädigten Betroffenen wegen Erledigung zurückweisen. Es zeigt sich jedoch in der Praxis, dass der Kläger seiner Auskunftspflicht nicht immer nachkommt33. Ungeachtet der Effektivität des Informationsaustausches zwischen Fonds und Gerichtsbarkeit betrifft die Koordinierung der verschiedenen Schadensausgleichsmodelle hauptsächlich die Kumulierung von Fondsleistungen und ergänzendem haftungsrechtlichen Schadensersatz. In anderen Worten: Darf ein Geschädigter nach erfolgter Entschädigung durch eine Fondseinrichtung vor den für Haftpflichtansprüche zuständigen Gerichten eine zusätzliche Kompensation bestimmter Schadensposition einklagen? Die Frage ist zweifellos dann positiv zu beantworten, wenn der Entschädigungsfonds bestimmte Schadensposten nicht ausgeglichen hat, sei es weil das Gesetz die ersatzfähigen Schadenspositionen einschränkt oder der Geschädigte lediglich einen Teil seines Schadens geltend gemacht hat. Hat der Betroffene jedoch vom Fonds Kompensation nach der Maßgabe des Prinzips der Totalreparation erhalten, ist die Legitimität einer ergänzenden Entschädigung zweifelhaft. Im deutschen Recht ist das Problem der Kumulierung von Fondsleistungen und ergänzendem Schadensersatz nach haftungsrechtlichen Regeln bisher weder Gegenstand von Gerichtsurteilen noch eingehender wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen. Die fol-
30
Allgemein zur Anspruchshäufung siehe Larenz/Wolf, Allg. Teil des Bürg. Rechts, § 18 III sowie Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 87 ff. Vgl. auch Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht, Rdnr. 17/6 ff. 31 Art. L. 1142-7 Abs. 3, L. 1142-19 sowie L. 3122-3 Abs. 1 C. sant. publ. (ONIAM); Art. 53, III Abs. 2 des Gesetzes v. 23.12.2000 (FIVA) sowie Art. 706-12 Abs. 1 C. proc. pén. (CIVI/FGTI). 32 Art. R. 3122-32 C. sant. publ. (ONIAM) sowie Art. 37 des décret v. 23.10.2001 (FIVA). Vgl. auch Jouhaud, BICC v. 1.10.1992, 6, 11 sowie Bottaro, La réparation publique des dommages causés par une personne privée, S. 407. 33 Siehe Gizardin, Gaz. Pal. 1993, doctr. 1315, 1318 sowie den Jahresbericht der Commission nationale des accidents médicaux (CNAMed) für 2006/2007, S. 43.
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3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
gende Darstellung beruht daher maßgeblich auf Erkenntnissen aus dem französischen Recht. 1. Die Ursache des Problems: Die Attraktivität haftungsrechtlichen Schadensersatzes gegenüber Fondsleistungen Im französischen Recht haben sich Geschädigte nach erfolgter Entschädigung durch einen Fonds zur Erhebung einer Schadensersatzklage vor den Zivil- oder Verwaltungsgerichten entschieden. Die Attraktivität des Haftungsprozesses nach dem Erhalt außergerichtlichen Schadensersatzes durch einen Entschädigungsfonds gründet sich zunächst auf die unzureichende Berücksichtigung der Opferbedürfnisse durch die Fondseinrichtungen. Wie bereits gesehen, ist die fehlende Begegnung mit dem Schädiger der Rehabilitation des Geschädigten und der Befriedung des Verhältnisses zwischen beiden Parteien abträglich34. Die kathartische, also „befreiende“ Wirkung eines Verfahrens vor Gericht ist für den Betroffenen ausgeprägter als die eines Verfahrens vor dem Entschädigungsfonds. So ist eine Klage vor den Zivil- oder Strafgerichten trotz erfolgter Entschädigung durch den Fonds nicht vorrangig Ausdruck eines etwaigen „Rachegefühls“ des Geschädigten, sondern vielmehr Zeichen des Bedürfnisses nach einer Konfrontation mit dem Schädiger35. Darüber hinaus wirken sich die vom allgemeinen Schadensrecht differierenden Methoden zur Bemessung des Schadensersatzes36 negativ auf die Attraktivität außergerichtlicher Entschädigungsverfahren vor Fondseinrichtungen aus. Mangels einheitlicher Instrumente zur Bemessung vor allem von Nichtvermögensschäden sind zum Teil deutliche Unterschiede zwischen dem Umfang der Fondsleistungen und dem gerichtlich zugesprochenen Schadensersatzbeträgen festzustellen. Gerade solche Entschädigungsfonds, die eine Berechnung der Ersatzbeträge auf der Grundlage einheitlicher Richtlinien vornehmen37, werden durch die Konkurrenz mit der gerichtlichen Schadensliquidierung benachteiligt. Aufgrund der Methodik der Erarbeitung dieser Richtlinien38 bewegen sich die von der Fondsein34
Siehe oben S. 160 ff. So aber Guigue, Gaz. Pal. 1994, jur. 526. Vgl. auch Dorsner-Dolivet, JCP G 1995, I, Nr. 3824, Rdnr. 14 sowie Frank, Le droit de la responsabilité administrative à l’épreuve des fonds d’indemnisation, Rdnr. 295. 36 Hierzu oben S. 177 f. 37 Siehe oben S. 177 f. 38 Die Richtlinien basieren auf der statistischen Auswertung der von Zivil- und Verwaltungsgerichten und von Versicherern im Vergleichswege zugesprochenen Schadensersatzbeträge. Es handelt sich, untechnisch gesprochen, um die Bildung von Mittelwerten zur Erleichterung der Bemessung der Ersatzleistungen für Nichtvermögensschäden (ebd.). 35
I. Die Koordinierung von Entschädigungsfonds und dem Haftungsrecht
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richtung festgelegten Beträge im mittleren Bereich und damit unterhalb des Schadensersatzniveaus besonders großzügiger Gerichte39. 2. Die Lösung des Problems: Ein notwendiges Kumulierungsverbot Die Frage nach einer möglichen Kumulierung von Fondsleistungen und ergänzendem Schadensersatz nach Haftungsrecht ist in der französischen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet worden. Während der Kassationsgerichtshof Ergänzungsklagen unter Verweis auf den Grundsatz der „réparation intégrale“, welcher laut Gesetz vom 31. Dezember 1991 auch für die Bemessung der Ersatzleistungen durch den Fonds d’indemnisation des transfusés et hémophiles galt, stets ablehnte40, vertrat der Conseil d’Etat in seiner Funktion als oberstes Verwaltungsgericht die gegenteilige Auffassung. So kam das Gericht in einer Stellungnahme vom 15. Oktober 1993 zu der Ansicht, dass „es dem Instanzgericht [lediglich] obliege, die vom Fonds geschuldete Entschädigungsleistung bei der Bemessung des von der juristischen Person des öffentlichen Rechts an den Geschädigten zu leistenden Schadensersatzes zu berücksichtigen“ 41. Auf dieser Grundlage sprachen die Verwaltungsgerichte klagenden Geschädigten in der Folge ergänzenden Schadensersatz zu42. Für die Position der Verwaltungsgerichte wurde geltend gemacht, dass das im Gesetz verankerte Prinzip der Totalreparation nicht so verstanden werden dürfe, dass ein Geschädigter nach Geltendmachung der Ansprüche gegen den Fonds keine weitere Möglichkeit zur Einleitung eines Haftungsprozesses habe43. Das „principe de réparation intégrale“ sei vielmehr in die gesetzliche Regelung aufgenommen worden, damit die Leistungen des Fonds über die Höhe der symbolischen Hilfszahlungen der im Vorfeld errichteten Solidarfonds hinausgehen44. In der Literatur wurde ferner angeführt, dass die Position der Verwaltungsgerichte die Relativität des Beg39
Zu den Unterschieden in der Entschädigungspraxis einzelner Gerichte siehe die statistische Analyse bei Quenillet-Bourrié, JCP G 1995, I, Nr. 3818. 40 Civ. 2, Urt. v. 26.1.1994, Resp. civ. assur. 1994, comm. 179 u. chr. 14, Anm. Groutel sowie Urt. v. 14.1.1998, Resp. civ. assur. 1998, comm. 157. Siehe auch Soc., Urt. v. 26.1.1995, D. 1996, somm.40, Anm. Prétot sowie Ass. plén., Urt. v. 6.6.1997, D. 1998, jur. 255, Anm. Mazeaud. 41 CE, Stellungnahme v. 15.10.1993, RFD adm. 1994, 553; D. 1994, somm. 359, Anm. Bon/Terneyre. 42 CE, Urt. v. 16.6.1997, D. 1997, inf. rap. 177; JCP G 1997, I, Nr. 4070, Rdnr. 36, Anm. Viney; CAA Paris, Urt. v. 12.2.1998, AJDA 1998, 285 u. 234, Anm. Heers sowie CE, Urt. v. 27.2.2002, Méd. & Droit 2003, 115, Anm. Moquet-Anger. Siehe auch zuletzt CAA Paris, Urt. v. 8.11.2004 – 01PA03602 –, unveröffentlicht. 43 So die Ausführungen des Regierungskommissars Frydman zur Stellungnahme v. 15.10.1993, RFD adm. 1994, 553, 560 f. 44 Ebd. Zu den Hilfsleistungen dieser Solidarfonds siehe oben S. 89.
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3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
riffs der Totalreparation wahre, denn der Umstand, dass ein Nichtvermögensschaden je nach Entscheidungsorgan unterschiedlich bemessen wird, könne dem Geschädigten nicht zum Nachteil gereichen45. Dieser Lösung wurde entgegengehalten, dass sie die ratio des Gesetzestextes missachte. Ein ergänzender Schadensausgleich sei überflüssig46, da die Entschädigungsleistungen des Fonds die Beeinträchtigung bereits in seiner Gänze ausgleiche. Zudem habe der Gesetzgeber ein besonderes Rechtsmittelverfahren vor der Pariser Cour d’appel zur Anfechtung des Entschädigungsangebots des Fonds vorgesehen, welches durch eine Ergänzungsklage vor dem Zivil- oder Verwaltungsgericht nicht umgangen werden dürfe47. Ferner würde die Position der Verwaltungsgerichte zu einer prozessualen Mehrfachbefassung führen, welche schon aus ökonomischen Gründen zu vermeiden sei48. Angesichts der unklaren Rechtslage im Zusammenhang mit dem Entschädigungsgesetz vom 31. Dezember 1991, welche vom EGMR unter dem Blickwinkel des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 Abs. 1 EMRK) sanktioniert wurde49, hat sich der Gesetzgeber zu einer Klarstellung entschlossen und in Art. L. 3122-3 Abs. 3 C. sant. publ. verfügt, dass die Annahme des Entschädigungsangebots des Fonds verfahrensabschließende Wirkung hat und weitergehenden Gerichtsverfahren entgegensteht50. Seitdem sind auch in anderen Entschädigungstexten gleichlautende Normen eingefügt worden51. Der Position des Gesetzgebers zugunsten eines Ausschlusses weitergehender Haftungsprozesse ist zuzustimmen. Allein die Abweisung einer weiterführenden Haftungsklage des Geschädigten nach Erhalt von Fonds45 So Groutel, Resp. civ. assur. 1994, chr. 14 und Favre-Rochex/Courtieu, Fonds d’indemnisation et de garantie, Rdnr. 6-21. 46 Cayla, RDSS 1994, 421; Bottaro, La réparation publique des dommages causés par une personne privée, S. 414 sowie Clerc-Renaud, Du droit commun et des régimes spéciaux en droit extracontractuel de la réparation, Rdnr. 161. Siehe ebenso Pontier, Act. Lég. Dalloz 1992, 35, 44. 47 So die zentrale Argumentation in Ass. plén., Urt. v. 6.6.1997, D. 1998, jur. 255, Anm. Mazeaud. 48 Savatier, JCP G 1999, I, Nr. 125, Rdnr. 19 a.E. Ebenso Jourdain, RTD civ. 1997, 146, 149 sowie Viney, JCP G 1995, I, Nr. 3853, Rdnr. 18. 49 EGMR, Urt. v. 4.12.1995, Bellet gg. Frankreich, D. 1996, jur. 357, Anm. CollinDemumieux. Siehe auch EGMR, Urt. v. 30.10.1998, F.E. gg. Frankreich, D. 1999, somm. 269, Anm. Fricero/Perez. 50 Zur Rolle dieser Urteile bei der Lösung der Frage nach der Kumulierung von Fondsleistungen und haftungsrechtlichem Schadensersatz Bottaro, La réparation publique des dommages causés par une personne privée, S. 414 f. 51 Art. L. 1142-15 Abs. 3, L. 1142-17 Abs. 5, L. 3111-9 Abs. 5, L. 3122-3 Abs. 3 sowie L. 3131-4 Abs. 2 u. 3 C. sant. publ. (ONIAM). Siehe auch Art. L. 422-2 Abs. 2 u. 3 sowie L. 211-15 bis -18 C. assur. (FGTI).
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leistungen, durch welche der geltend gemachte Schaden vollständig ausgeglichen wurden, vermag das Zusammentreffen von Ansprüchen nach dem Haftungsrecht und dem speziellen Entschädigungsgesetz auf befriedigende Weise zu lösen. Einzig ein Kumulierungsverbot ist geeignet, die Autonomie des spezialgesetzlichen Entschädigungsverfahrens zu wahren. Erlaubt man einem Geschädigten, aus der großzügigeren Berechnung des Schadensersatzes Nutzen zu ziehen, so wird die Schadensbemessung durch den Fonds unweigerlich in Frage gestellt, da im Falle einer Zuerkennung ergänzenden Schadensersatzes die Fondsentscheidung gleichermaßen für unrichtig erklärt würde. Die Folgen einer Konkurrenz zwischen Entschädigungsfonds und Gerichtsbarkeit sind in jedem Fall einem konfliktfreien Nebeneinander beider Instrumente abträglich. So ist entweder damit zu rechnen, dass sich die Geschädigten von dem eigens für den Schadenstyp eingerichteten Fonds abwenden und verstärkt auf gerichtlichem Wege Schadensersatz verlangen, was dem Ziel der Entlastung der Gerichte besonders bei Massenschäden zuwiderliefe52. Ebenso ist denkbar, dass die betroffenen Fondseinrichtungen ihre Entschädigungspraxis dergestalt ändern, dass das Niveau der Ersatzleistungen zukünftig mit dem der großzügigsten Gerichte übereinstimmt. Ein solches „race to the top“ ist allerdings nicht wünschenswert, da es nicht Ziel sein kann, dem Geschädigten ohne Rücksicht auf die Kostentragungspflicht einen immer umfangreicheren Schadensersatz zu gewähren53. Nach der hier vertretenen Ansicht sollten im Gegenzug die spezialgesetzlich vorgesehenen Rechtsmittel gegen die Fondsentscheidungen gestärkt werden. Der für unzureichend erachteten Bemessung der Leistungen darf nicht mit einer ergänzenden Haftungsklage begegnet werden können, sondern allein mit der Überprüfung des Entschädigungsangebots durch eine unabhängige Kontrollinstanz. Dies böte überdies den Vorteil, dass die Schadensregulierung keinem neuen Verfahren, sondern allein einer Prüfung der Bemessung des Schadensersatzes oder der Entschädigungsvoraussetzungen zugeführt würde. Eine erneute Sachverhaltsklärung durch das angerufene Gericht wäre somit nicht notwendig, sodass der Geschädigte auf diesem Wege schneller einen angemessenen Ausgleich seines Schadens erhielte. Das vom Gesetzgeber vorgegebene Kumulierungsverbot ist daher im Ergebnis sachgemäß. Es ist jedoch zu bezweifeln, ob die im Gesetz ausdrücklich benannte Rechtsgrundlage sachgemäß ist. In den allermeisten Fällen wird die Annahme des Entschädigungsangebots durch den Antragsteller des Fonds dem Abschluss eines Vergleichsvertrags (transacti52
Zu dieser rechtspolitischen Zielbestimmung oben S. 92 f. In diesem Sinne auch Frank, Le droit de la responsabilité administrative à l’épreuve des fonds d’indemnisation, Rdnr. 278 („escalade contentieuse, chimérique et infinie“). 53
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3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
on) mit der Fondseinrichtung gleichgestellt54. Durch diese Fiktion wird der Erbringung der Kompensationsleistungen an den Geschädigten eine verfahrensabschließende Wirkung zugewiesen und dem Betroffenen der Weg zum Zivil- oder Verwaltungsgericht verwehrt. Diese rechtliche Einordnung der Annahme des Entschädigungsangebots vermag jedoch nicht zu überzeugen. Vielmehr handelt es sich um eine legislatorische Instrumentalisierung des Vergleichsvertrags, die nicht nur sachfremd, sondern auch überflüssig ist. Einerseits ist diese sachfremd, da mit der Annahme des Entschädigungsangebots keinerlei Zugeständnisse seitens des Fonds oder des Antragstellers verbunden sind55. Andererseits ist der Verweis auf den Vergleichsvertrag auch überflüssig, da sich das Kumulierungsverbot bereits aus dem Wegfallen des Rechtsschutzbedürfnisses des Geschädigten ergibt. Mit Übergang des haftungsrechtlichen Schadensersatzanspruchs auf den Fonds fällt das Interesse des Betroffenen an der Klageerhebung weg56. Zwar kann der Fondsentscheidung keine urteilsgleiche Rechtskraft entnommen werden, die einer Ergänzungsklage entgegenstünde, da es an der Gleichheit der Parteien und der Rechtssache fehlt. Jedoch ist es denkbar, dem abschließend geregelten Entschädigungsverfahren vor dem Fonds eine eigene prozesshindernde Wirkung zuzusprechen57.
II. Die Koordinierung der Entschädigungsfonds untereinander II. Die Koordinierung der Entschädigungsfonds untereinander
Die Errichtung von Entschädigungsfonds und deren Verflechtung mit anderen Teilsystemen des Schadensersatzrechts wirft ferner die Frage auf, wie die spezialgesetzlich begründeten Anspruchsgrundlagen untereinander abzustimmen sind. Die zunehmende Bedeutung von Fondseinrichtungen macht es notwendig, diejenigen Fallkonstellationen überzeugend zu lösen, in denen der geltend gemachte Schaden in den Anwendungsbereich mehrerer Fonds fällt. Treffen mehrere parallel anwendbare Fondsansprüche zusammen, stehen diverse Regelungsoptionen zur Verfügung: So kann dem Geschädigten 54
Siehe die Nachweise oben bei Fn. 51. Ferner ist auch nicht ersichtlich, worin genau der zu regelnde Rechtsstreit zwischen Fonds und Antragsteller besteht. 56 Zum Begriff des „intérêt à agir“ im französischen Zivilprozessrecht siehe Héron/Le Bars, Droit judiciaire privé, Rdnr. 61 ff. Zum Erlöschen des Rechtsschutzbedürfnisses bei Übergang des Anspruchs siehe Cayrol, in: Rép. proc. civ. Dalloz, v° Action en justice, Rdnr. 217. Ebenso bereits zur Kumulierung von Leistungen des FITH und haftungsrechtlichem Schadensersatz Chabas, Dr. & Patr. 1994 (Nr. 16), 77. Zum Begriff des Rechtsschutzbedürfnisses im deutschen Zivilprozessrecht siehe Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, § 89 IV m.w.N. 57 Vgl. Wicker, in: FS Serra, S. 455, Rdnr. 10. 55
II. Die Koordinierung der Entschädigungsfonds untereinander
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zunächst eine Wahlmöglichkeit zugestanden werden. Alternativ kann die Identifikation eines Rangverhältnisses zwischen den Ersatzansprüchen auch den Ausschluss einer oder mehrerer Anspruchsgrundlagen zur Folge haben. Ferner ist zu hinterfragen, ob der Vervielfachung von Entschädigungsfonds und dem damit einhergehenden Bedürfnis nach einer Regelung bestehender Konkurrenzverhältnisse nicht grundsätzlich mit einer Zusammenfassung existierender Entschädigungseinrichtungen begegnet werden kann. A. Hierarchisierung der Entschädigungsregimes nach der lex specialis-Regel In der allgemeinen juristischen Methodenlehre wird darauf hingewiesen, dass die Darstellung des Zusammentreffens verschiedener Anspruchsnormen erheblich durch die ungeklärte Terminologie erschwert wird. Insbesondere die genaue Bedeutung des Begriffs „Anspruchskonkurrenz“ ist in der Literatur umstritten58. Übereinstimmung besteht darüber, dass es bei der Lösung von Normenkonkurrenzen darauf ankommt, ob die Rechtsfolgen konkurrierender Rechtssätze miteinander vereinbar sind oder im Widerspruch zueinander stehen. Ist Letzteres der Fall, so kann nach einhellig vertretener Ansicht nur einer der beiden Rechtssätze zur Anwendung kommen59. Werden durch die anwendbaren Normen allerdings gleichgerichtete Rechtsfolgen angeordnet, so ist zu klären, ob die eine Norm die andere verdrängt oder ob beide Normen nebeneinander zur Anwendung gelangen können. Die Ansprüche eines Geschädigten gegenüber mehreren Entschädigungsfonds zielen auf ein und dieselbe Rechtsfolge ab, nämlich den Ersatz des geltend gemachten Schadens. Der Umfang der beantragten Fondsleistungen ist an dieser Stelle zunächst unerheblich. Dem Geschädigten kann ein Wahlrecht eingeräumt werden oder wegen der unterschiedlichen Regelungsbreite der Entschädigungsgesetze nur eine bestimmte Anspruchsgrundlage offen stehen. Insbesondere ein Spezialitätsverhältnis zwischen zwei anwendbaren Kompensationsregimes kann die Wahlmöglichkeit einschränken und die exklusive Anwendung eines Normenkomplexes bedin-
58 Einen Überblick über die verschiedenen Ansätze bieten etwa Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, S. 88 (dort Fn. 28). Zur Begrifflichkeit siehe auch Katzenmeier, Vertragliche und deliktische Haftung in ihrem Zusammenspiel, S. 138 f. Weiterführende Darstellungen finden sich bei Schlechtriem, Vertragsordnung und außervertragliche Haftung, S. 27 ff. und Georgiades, Anspruchskonkurrenz, S. 63 ff. 59 Larenz/Wolf sprechen hier von alternativer Konkurrenz (Allgemeiner Teil, § 18 Rdnr. 22). Siehe im Einzelnen Ott, Die Methode der Rechtsanwendung, S. 201 ff.
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gen. Nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali60 kommt bei Zusammentreffen mehrerer Regeln diejenige Norm zum Tragen, welche zwar sämtliche Merkmale einer anderen Norm (lex generalis), zusätzlich aber noch ein weiteres, spezialisierendes Merkmal aufweist. In der Regel ist dies die Anspruchsnorm mit dem engeren Anwendungsbereich61. Damit die speziellere Anspruchsnorm Vorrang genießt, muss allerdings eine derartige Verdrängungswirkung auch der Regelungsabsicht des Gesetzgebers entnommen werden können62. Einer Anwendung der lex specialis-Regel auf die Konkurrenz verschiedener Entschädigungsregimes stehen zunächst keine grundsätzlichen Bedenken entgegen. Im Gegenteil: durch den Ausschluss des allgemeinen zugunsten des speziellen Regimes wird die spezifische Zuordnung der vom Gesetzgeber definierten Schadenskategorie an die Gemeinschaft der Beitragszahler gewahrt, deren Verantwortlichkeit im Vorfeld gesetzgeberisch festgestellt wurde63. Ein Vorrang des spezielleren gegenüber dem allgemeinen Ersatzanspruch kann folglich dazu dienen, die mit der Schaffung des Kompensationsregimes getroffene Allokationsentscheidung des Gesetzgebers zu respektieren. Es wird so vermieden, dass Schäden, für die ein spezielles Regime mit einer speziellen Finanzierungsregelung geschaffen worden ist, in einer allgemeinen, von einem anderen Fonds erfassten Schadenskategorie „aufgehen“. Das spezielle Regime drohte anderenfalls, zumindest teilweise, leer zu laufen64. Haupthindernis für die Übertragung des Spezialitätsgedankens auf die Konkurrenz zwischen Entschädigungsfonds ist gleichwohl die Qualifikation der Kompensationsregimes als spezielle oder allgemeine Normenkomplexe. Nur mittels einer klaren Hierarchisierung der bestehenden Fondslösungen kann eine möglichst reibungsfreie Koordinierung erreicht werden. 60
Zur lex specialis-Regel siehe Klein, Konkurrenz und Auslegung, S. 53 ff. sowie aus früherer Zeit Dietz, Anspruchskonkurrenz, S. 20 ff. Zum Pendant im französischen Recht (specialia generalibus derogant) siehe Goldie-Génicon, Rapports entre le droit commun et le droit spécial des contrats, Rdnr. 348 ff. sowie Mauclair, in: Thibierge (Hrsg.), La force normative, naissance d’un concept, S. 223 ff. Siehe auch im Überblick Roland/Boyer, Adages du droit français, S. 843 f. 61 Klein unterstreicht jedoch den methodischen Unterschied (Konkurrenz und Auslegung, S. 55). 62 Hierauf weisen insb. Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, S. 88 hin. Siehe bereits Dietz, Anspruchskonkurrenz, S. 36 ff. 63 Näheres zur Bestimmung kollektiver Verantwortlichkeiten oben S. 145 ff. 64 Zum klassischen Argument des drohenden Leerlaufs einer Norm, siehe insbesondere Klein, Konkurrenz und Auslegung, S. 57 ff., der klarstellt, dass „der nahezu völlige Leerlauf einer Norm Anlass dafür sein kann, verstärkt eine den Leerlauf dieser Norm vermeidende Auslegung in Betracht zu ziehen“, allerdings „aus dem drohenden (Beinahe-)Leerlauf eines Gesetzes nicht zwangsläufig auf seinen Vorrang geschlossen werden“ dürfe (S. 59).
II. Die Koordinierung der Entschädigungsfonds untereinander
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Nach Larenz/Canaris stehen zwei Normen immer dann im logischen Verhältnis zueinander, „wenn der Anwendungsbereich der spezielleren Norm völlig aufgeht, wenn also alle Fälle der spezielleren Norm auch solche der allgemeineren Norm sind“65. Übertragen auf das Recht der Entschädigungsfonds, ist ein Regime immer dann als das speziellere zu bezeichnen, wenn alle erfassten Schadensfälle zwar auch die Voraussetzungen zur Anwendung eines anderen Regimes erfüllen, diesem jedoch ein zusätzliches Merkmal fehlt, welches den Anwendungsbereich des spezielleren Regimes charakterisiert. Im französischen Recht der Entschädigungsfonds zeichnet sich gerade die Regelung zugunsten der Opfer von Straftaten durch einen besonders weiten Anwendungsbereich aus. Nach Art. 706-3 C. proc. pén. genügt es, wenn der Betroffene nachweist, dass seine Verletzung durch „vorsätzliche oder nicht vorsätzliche Handlungen verursacht wurden, welche den materiellen Tatbestand einer Straftat erfüllen“66. Die weite Formulierung dieser Bestimmung ermöglicht eine Subsumtion vieler von anderen Fonds erfasster Schadensfälle, da bei fremdverursachten Körperschäden zumindest der Tatbestand der vorsätzlichen oder fahrlässigen Körperverletzung67 erfüllt ist. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Entschädigungsregelungen zugunsten von Straftatopfern als eine Art „sondergesetzliches Basisregime“, welches durch speziellere Regelungen anderer Fonds ergänzt wird, zum Beispiel bei Schäden durch Terrorakte68 oder in Fahrerfluchtfällen69. Ebenso kann das vom ONIAM verwaltete Entschädigungsregime für Medizinunfallschäden als „Basisregime“ bezeichnet werden, zu dem sich die Regeln für den Ersatz von Impfschäden oder von Schäden durch HIVverunreinigte Blutprodukte als die „spezielleren“ Kompensationsregimes verhalten70. Eine Anwendung der lex specialis-Regel auf konkurrierende Schadensersatzansprüche innerhalb des Rechts der Fondslösungen scheint allerdings auf den ersten Blick eine Verkürzung der Rechtsposition des Geschädigten zur Folge zu haben, da dieser nicht frei zwischen den anwendbaren Ersatzansprüchen wählen kann, sondern seinen Entschädigungsantrag auf die speziellere der anwendbaren Anspruchsnormen stützen muss. Eine solche Lösung stünde im Widerspruch mit dem Gedanken der Stärkung von Ge65
Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, S. 88. Vgl. auch die logisch-analytische Darstellung bei Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1960, S. 174 f. 66 Zu dieser Vorschrift siehe oben S. 49. 67 Gemäß der Terminologie des französischen Strafgesetzbuchs handelt es sich um violences oder atteintes involontaires à l’intégrité de la personne im Sinne der Art. 222-7 ff. C. pénal. 68 Oben S. 49 f. 69 Oben S. 46 f. 70 Oben S. 53 ff.
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3. Teil: Die Integration von Fondslösungen in das Entschädigungsrecht
schädigtenrechten, welcher dem Wesen von Fondslösungen gerade immanent ist. Bei näherer Betrachtung handelt es sich jedoch nur um einen scheinbaren Widerspruch. Die Untersuchung der den Entschädigungsregimes zugrunde liegenden kollektiven Verantwortlichkeiten71 hat gezeigt, dass ein besonders hoher Grad an Spezialität eines Regimes mit einer besonders ausgeprägten kollektiven Verantwortlichkeit korreliert. Die Grundsätze des sozialen Entschädigungsrechts bestimmen für den Fall, dass die Schäden in hohem Maße sozial bedingt sind, dass die Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Entschädigungsgesetzes für den Geschädigten besonders vorteilhaft ausgestaltet sind72. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass zwischen dem Spezialitätsgrad des Regimes und dessen Vorteilhaftigkeit für den Geschädigten ein Zusammenhang besteht. Im Ergebnis führt daher die vorrangige Anwendung der spezielleren Anspruchsnorm im Regelfall zur Anwendung des dem Geschädigten vorteilhafteren Regimes. Vor dem Hintergrund der Einführung allgemeiner Regeln etwa zur Bemessung des immateriellen Schadensersatzes73, ist darauf hinzuweisen, dass die Verdrängungswirkung der spezielleren Norm nicht notwendigerweise sämtliche Regeln erfasst. So kann sich die Anwendung der lex specialis-Regel auf diejenigen Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Ersatzanspruches beschränken, welche durch den Grad der kollektiven Verantwortlichkeit maßgeblich beeinflusst werden, also Regelungen zu Entschädigungshöhe, Beweislast und -maß sowie zur Berücksichtigung eines etwaigen Verschuldens des Geschädigten74. Auch verschließt sich der hier vertretene Ansatz einer Anwendung des Prinzips lex specialis derogat legi generali auf kollektive Entschädigungsregimes nicht einer Zusammenfassung bestehender Entschädigungsfonds. B. Perspektiven einer Zusammenführung bestehender Entschädigungsfonds Angesichts der zunehmenden Bedeutung sonderrechtlicher Kompensationsregimes ist schließlich zu hinterfragen, inwieweit eine Zusammenführung bestehender Entschädigungsfonds organisatorisch und materiellrechtlich angezeigt ist. Gerade in Frankreich, wo im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte weite Bereiche des Haftpflichtrechts durch Entschädigungsfonds überlagert worden sind, sind in der Literatur Vorschläge zu einer Zusammenfassung der Fondseinrichtungen entwickelt worden. In der Tat böte eine Fusion der existierenden Fonds den Vorteil, das Recht der Entschädigungsfonds zu ordnen und die Regeln über Verfahren, Prüfung des 71
Siehe oben S. 148 ff. Ebd. 73 Siehe oben S. 177 f. 74 Oben S. 148 f. 72
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Antrags, Voraussetzungen und Umfang des Schadensersatzes zu vereinheitlichen und zu vereinfachen. Über die genaue Aufgabe eines fonds général d’indemnisation herrscht indes Uneinigkeit. Das Spektrum der vertretenen Meinungen reicht von der vollständigen Ablösung des Haftpflichtrechts im Bereich der Körperschäden durch einen weit reichenden allgemeinen Entschädigungsfonds75 bis zur Einrichtung eines Fonds, dem lediglich residuale Bedeutung zugewiesen wird und der immer dann eingreifen soll, wenn sich Deckungslücken bestehender Haftungsregeln manifestieren76. Gegenüber beiden Lösungsansätzen können jedoch gewichtige Bedenken geltend gemacht werden. Der Wunsch nach einer vollständigen Ablösung des Haftungsrechts durch ein Fondsmodell erinnert an die in der Literatur entwickelten Reformpläne zur Haftungsersetzung durch sog. „no-fault“-Kompensationsmodelle77. Zugunsten eines umfassend eingreifenden Entschädigungsfonds für Körperschäden wurde geltend gemacht, ein Festhalten am zersplitterten Entschädigungsrecht sei wegen der krassen Ungleichbehandlung von Geschädigten je nach Schadensverursachung nicht länger hinnehmbar78. Die Komplexität der auf die Schadensregulierung anwendbaren Regeln sowie der mit Haftpflichtprozessen verbundene Aufwand an Kosten, Zeit und Personal verlangten eine radikale Vereinfachung des Schadensersatzrechts durch die Einrichtung eines einheitlichen Entschädigungsregimes für Unfallschäden79. Diese Argumente sind in einigen Ländern auf fruchtbaren 75 Siehe aus der französischen Literatur insb. le Tourneau, Droit de la responsabilité et des contrats, Rdnr. 91; Mélennec, L’indemnisation du handicap, S. 177 ff. sowie Bourdoiseau, L’influence perturbatrice du dommage corporel, Rdnr. 350 ff. Vgl. auch Tunc, Droit et cultures 1996 (Nr. 31), 19, 27. 76 Lambert-Faivre, Droit du dommage corporel4, Rdnr. 436 f.; Neyret, Atteintes au vivant et responsabilité civile, Rdnr. 927 u. 930; Clerc-Renaud, Du droit commun et des régimes spéciaux, Rdnr. 311 (siehe jedoch Rdnr. 324 f.); Leduc, Resp. civ. assur. 2001 (Sonderausgabe), 50, Rdnr. 29 a.E.; ders., Petites Affiches 6.7.2005, 3, 13 ff. sowie Radé, D. 2003, 2247, Rdnr. 33 ff. u. ders., Resp. civ. assur. 2009, dossier 5, Rdnr. 21 ff. 77 Zur Diskussion um Versicherung statt Haftung siehe aus neuerer Zeit Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts, Rdnr. 1/9 ff.; Brüggemeier, Haftungsrecht – Struktur, Prinzipein, Schutzbereich, § 13 I sowie bereits ders., AcP 182 (1982), 385 und Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 745 ff. m.w.N. Speziell zur Ablösung des Haftpflichtrechts im Bereich der Medizinschäden siehe die Nachweise bei Katzenmeier, MedR 2011, 201, 208 (dort Fn. 123) u. MüKo-Wagner, § 823, Rdnr. 703. 78 Vgl. le Tourneau, Droit de la responsabilité et des contrats, Rdnr. 90; Mélennec, L’indemnisation du handicap, S. 165; Radé, D. 2003, 2247, Rdnr. 15 f. u. ders., Resp. civ. assur. 2009, dossier 5, Rdnr. 9 ff. Siehe auch Viney, Introduction à la responsabilité, Rdnr. 28.3-6; Brun, Responsabilité civile extracontractuelle, Rdnr. 849 sowie LambertFaivre/Porchy-Simon, Droit du dommage corporel, Rdnr. 436. 79 Zu diesen Argumenten siehe im deutschen Schrifttum Brüggemeier, Prinzipien des Haftungsrechts, S. 254 f.; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 751; v. Hippel, Schadensausgleich bei Verkehrsunfällen, S. 37 ff. sowie Weyers, Unfallschäden, S. 620
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Boden gefallen und haben zu ambitionierten Reformprojekten in Teilbereichen des Haftungsrechts geführt. So haben fondsähnliche (Sozial-)Versicherungslösungen insbesondere im Bereich der Kraftfahrzeugunfallschäden sowie auf dem Gebiet der Medizinunfallschäden das traditionelle Haftungsrecht in einigen Partikularrechtsordnungen Nordamerikas80 sowie in Teilen Skandinaviens81 abgelöst. Ein kompletter Ausschluss des Haftungsrechts zugunsten einer fondsähnlichen Versicherungslösung ist bekanntlich in Neuseeland durch den Erlass des Accident Compensation Act im Jahre 1972 realisiert worden82. Dort werden Unfallschäden dem Sozialversicherungsrecht unterstellt und unabhängig von der Schadensursache nach einheitlichen Regeln durch die Accident Compensation Corporation ersetzt83. Obgleich sich in den betroffenen Ländern (sozial-)versicherungsrechtliche Entschädigungsregimes – soweit ersichtlich – bewährt haben, stößt die Perspektive einer Haftungsersetzung durch einen umfassenden Entschädigungsfonds für Körperschäden jeglicher Art auf Skepsis. Es ist zunächst höchst unwahrscheinlich, dass das Vorhaben einer kompletten Ablösung des klassischen Haftpflichtrechts durch eine Fondslösung in absehbarer Zukunft eine politische Mehrheit findet. Es darf nicht verkannt werden, dass das von Verfechtern einer solchen Lösung oft zitierte neuseeländische Entschädigungsmodell nur dank günstiger parteipolitischer Umstände durchgesetzt werden konnte84 und auch nicht uneingeschränkt auf kontinentaleuropäische Rechtsordnungen übertragen werden kann. Es ist kein Zufall, dass es sich bei Neuseeland um ein wenig industrialisiertes Land mit einer niedrigen Bevölkerungsdichte und relativ jungen sozialen Strukturen handelt85. Die Durchsetzung einer umfassenden Reform des Entschädigungsrechts stößt sich in Ländern wie Frankreich oder Deutschff. Aus neuerer Zeit siehe auch Katzenmeier, MedR 2011, 201, 208 f. (zur Einrichtung einer Patientenunfallversicherung) sowie bereits ders., VersR 2002, 1449. 80 Hierzu Tunc, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. XI, Kap. 14, Rdnr. 61 ff.; Weyers, Unfallschäden, S. 265 ff.; v. Hippel, Schadensausgleich bei Verkehrsunfällen, S. 54 ff. sowie Güllemann, Ausgleich von Verkehrsunfallschäden, S. 29 ff. 81 Katzenmeier, Arzthaftung, S. 219 ff.; Wendel, in: Dute/Faure/Koziol (Hrsg.), NoFault Compensation in the Health Care Sector, 2004, S. 367 ff. In französischer Sprache Byk, in: Mémeteau (Hrsg.), Manuel des C.R.C.I., S. 43 ff. sowie zuletzt Dufwa, in: FS Fagnart, S. 139 ff. 82 Umfassend zum neuseeländischen Modell aus neuerer Zeit Luntz, New Zealand Law Review 2008, 97; Palmer, New Zealand Law Review 2008, 81 sowie Gaskins, Torts Law Journal 2009, 24. Im Überblick auf deutscher Sprache v. Hippel, in: Fleming/Hellner/ders. (Hrsg.), Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz, S. 40, 51 ff. Zur Kompensation von Schäden durch medical malpractice nach neuseeländischem Recht siehe Katzenmeier, Arzthaftung, S. 226 ff. sowie zuletzt Butler, in: FS Deutsch, 2009, S. 69 ff. 83 Siehe auch die Informationen auf der Internetseite der ACC (http://www.acc.co.nz). 84 Vgl. Palmer, Compensation for Incapacity, S. 63 ff. 85 In diesem Sinne auch Tunc, La responsabilité civile, Rdnr. 154.
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land an einem weitaus höheren Schadensumfang und säkularen Rechtstraditionen. Auch jenseits der Frage der Machbarkeit ist es fraglich, ob die Aussichten eines allgemeinen Entschädigungsfonds für Körperschäden die Praxis der Schadensregulierung nachhaltig verbessern könnte. Repräsentative Untersuchungen zur Effizienz des Haftungsrechts als Schadenstragungsmodell liegen allenfalls für den Bereich der Verkehrsunfallschäden vor86. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass eine generelle Überlegenheit von Fonds- oder Versicherungsmodellen oder des Haftungsrechts überhaupt anhand statistischer Erhebungen belegt werden kann. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass die Studienkommission für die Gesamtrevision des Schweizer Haftpflichtrechts in ihrem Abschlussbericht unter Verweis auf eine ökonomische Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft der Hochschule St. Gallen zu der Erkenntnis gelangt, dass „ein System der allgemeinen Unfallversicherung gegenüber dem heutigen System keine wesentlichen Einsparungen bringen“ würde87. Ebenso ist die in der Literatur erwogene Einrichtung eines allgemeinen subsidiären Entschädigungsfonds kritisch zu bewerten. Zwar handelte es sich hierbei nicht um eine revolutionäre Umgestaltung des zivilrechtlichen Entschädigungsrechts, sodass einer solchen Perspektive zumindest keine Bedenken über die politische Durchsetzbarkeit einer solchen Reform entgegenstehen. Gleichwohl wird die für eine solche Zusammenführung notwendige Vereinheitlichung von Finanzierungsregeln88 sowie des Entschädigungsumfangs den Grundgedanken des sozialen Entschädigungsrechts nicht gerecht. Nach hier vertretener Ansicht ist ein differenziertes Entschädigungsrecht keine Schwachstelle des Zivilrechts, sondern Ausdruck unterschiedlich gewichteter kollektiver Verantwortlichkeiten89. Es ist 86
Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rdnr. 757; Weyers, Unfallschäden, S. 628 ff. Widmer/Wesser, Erläuternder Bericht, S. 18. Vgl. auch Stark, VersR 1981, 1, 6 („eine Umkrempelung des gesamten Systems […] unvergleichlich komplizierter“). Das von der herrschenden Lehre vorgebrachte Argument fehlender präventiver Impulse eines vom Haftpflichtgedanken abgekoppelten Entschädigungsmechanismus (so z.B. aus neuerer Zeit mit Nachdruck Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts, Rdnr. 1/11) muss angesichts der Erkenntnisse über das tatsächliche Potenzial der Haftpflicht als Präventionsinstrument relativiert werden. Siehe hierzu oben S. 184 f. 88 Es herrscht Uneinigkeit darüber, wie die Entschädigungsleistungen eines solchen Fonds finanziert werden sollen. So spricht sich Clerc-Renaud für eine steuerliche Finanzierungsregelung aus (Du droit commun et des régimes spéciaux, Rdnr. 311); Radé hält eine Speisung mit Mitteln aus der Sozialversicherung, einem Zusatzbeitrag auf Versicherungsprämien sowie eventuellen Strafschadensersatzzahlungen für vorzugswürdig (D. 2003, 2247, Rdnr. 35 a. E. u. Resp. civ. assur. 2009, dossier 5, Rdnr. 23 u. 25). Vgl. auch le Tourneau, Droit de la responsabilité et des contrats, Rdnr. 92 sowie Neyret, Atteintes au vivant et responsabilité civile, Rdnr. 927. 89 Siehe oben S. 148 ff. 87
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durchaus sinnvoll, an unterschiedlichen Finanzierungsregeln sowie an einem differierenden Leistungsumfang festzuhalten, damit dem Gesetzgeber ein flexibles Entschädigungssystem zur Verfügung steht, welches auf die Eigenheiten der erfassten Schadenskategorien und somit auf die kollektiven Verantwortlichkeiten abgestimmt werden kann. Eine Angleichung aller Fondsleistungen an das Prinzip der Totalreparation wäre wohl auch nur mit erheblichen budgetären Anstrengungen zu bewältigen90. Ein Festhalten an einer Differenzierung nach dem Veranwortlichkeitsgrad des Kollektivs birgt jedoch zweifelsohne auch organisatorische Nachteile. So werden die bestehenden Entschädigungsregimes aktuell durch mehr oder weniger umfangreiche Verwaltungsapparate gesteuert91. Ebenso kann sich der Geschädigte bei einer Vielzahl an Fondseinrichtungen nur unzureichend orientieren und läuft Gefahr, sich mit seinem Entschädigungsantrag an den falschen Fonds zu wenden, insbesondere wenn durch die Anwendung der lex specialis-Regel keine Wahlmöglichkeit besteht92. Um diesen Nachteilen entgegenzuwirken, ist zu überlegen, ob es in einem Rechtssystem wie dem französischen, welches sich durch eine große Zahl an Entschädigungsfonds auszeichnet, nicht ratsam wäre, ein „singlewindow“-System93 einzurichten. Hierdurch würden die praktischen Schwierigkeiten zur Bestimmung des zuständigen Fonds wenn nicht gelöst, so doch zumindest erheblich verringert. Eine zentrale Fondseinrichtung könnte sämtliche Entschädigungsanträge entgegennehmen und nach einer ersten Prüfung des Sachverhalts der zuständigen Abteilung weiterleiten. Die endgültige Bearbeitung des Antrags würde sich nach den speziellen Regelungen des anwendbaren Ent90 In diesem Sinne Viney, in: FS Drai, S. 671, 675 sowie Jourdain, in: FS Jestaz, S. 247, 255. Für eine Begrenzung des Schadensersatzes (z.B. durch Verzicht auf den Ausgleich von Nichtvermögensschäden) siehe le Tourneau, Droit de la responsabilité et des contrats, Rdnr. 91 (dort. Fn. 8); ders., in: Winiger (Hrsg.), La responsabilité civile européenne de demain, S. 181, 194 sowie Mélennec, L’indemnisation du handicap, S. 167 ff. Gegen eine Limitierung des Schadensersatzes sprechen sich Bourdoiseau, L’influence perturbatrice du dommage coporel, Rdnr. 376 sowie Sourd, L’obligation de sécurité en droit privé, Rdnr. 696 aus. Vgl. auch Radé, Resp. civ. assur. 2009, dossier 5, Rdnr. 25. In deutscher Sprache siehe jüngst Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts, Rdnr. 1/12. 91 Bereits jetzt bestehen Kooperationsabkommen zwischen Fondsverwaltungen. So teilen sich z.B. der französische FIVA und die staatliche Entschädigungsstelle für Medizinunfälle (ONIAM) personelle und materielle Ressourcen. Hierzu Jahresbericht ONIAM 2002/2003, S. 13. 92 Siehe oben S. 207 f. 93 Hierunter wird das gebündelte Angebot von Dienstleistungen verstanden. Zum Ansatz des „one stop government“ auf dem Gebiet der Verwaltungswissenschaften siehe Franz, in: Bieler/Schwarting (Hrsg.), e-Government, S. 126, 146 sowie Groß, VerwArch 95 (2004), 400, 408.
Schlussbetrachtungen II. Die Koordinierung der Entschädigungsfonds untereinander
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schädigungsregimes richten, die Finanzierung der Leistungen nach dem vom Gesetzgeber vorgegebenen Finanzierungsmechanismus. Eine administrative Entlastung ergäbe sich insbesondere aus der Zusammenlegung zentraler Dienste sowie aus dem Wegfall von Mehrfachprüfungen der Entschädigungsanträge durch unterschiedliche Fondseinrichtungen 94. Schließlich ließe sich in diesem Rahmen auch die Entwicklung und Anwendung gemeinsamer Vorschriften, zum Beispiel für die Bemessung des Ersatzes von Nichtvermögensschaden, weiter vorantreiben95.
94 In diesem Sinne auch Bourdoiseau, L’influence perturbatrice du dommage corporel, Rdnr. 367. 95 Hierzu siehe oben S. 177 f.
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Schlussbetrachtungen
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Schlussbetrachtungen
Schlussbetrachtungen Schlussbetrachtungen
Die im Laufe der Untersuchung getroffenen Aussagen über das Wesen, die Funktionsweise und die Stellung von Entschädigungsfonds innerhalb des Entschädigungsrechts fügen sich zu einem differenzierten Bild. Fondslösungen erweisen sich weder als heilbringende Wunderlösungen noch als entschädigungsrechtlicher Irrweg, sondern vielmehr als flexible Kompensationsmodelle, die neben Risiken auch Vorteile bieten. Die wesentlichen Ergebnisse sollen im Folgenden in Thesenform zusammengefasst werden. I. Ein Entschädigungsfonds ist ein Sondervermögen, aus welchem Kompensationsleistungen für Geschädigte finanziert werden, deren Beeinträchtigungen in einem gesetzlich präzise definierten Kontext verursacht worden sind. Es ist unerheblich, ob das Sondervermögen von einer eigens geschaffenen oder bereits existierenden juristischen Person verwaltet wird. Die Beiträge zur Finanzierung des Fonds werden aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln privater Kollektive geleistet, weisen jedoch – anders als Versicherungsprämien – keinen individuellen Zusammenhang zu den geleisteten Entschädigungszahlungen auf. II. Zu unterscheiden ist zwischen Fondslösungen zur Bewältigung von in der Vergangenheit liegenden Großschadensfällen (retrospektive Entschädigungsfonds) und Fondslösungen zur dauerhaften Behebung von Regelungslücken im bestehenden Haftungsrecht (prospektive Entschädigungsfonds). III. Die Errichtung eines retrospektiven Entschädigungsfonds ist maßgeblich das Ergebnis öffentlichen Drucks aus der Zivilgesellschaft, insbesondere des Wirkens von Geschädigtenverbänden. Mit der Schaffung eines Sonderentschädigungsregimes verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, einen zügigen und unbürokratischen Schadensausgleich zu garantieren und mögliche Haftpflichtprozesse außerhalb der Gerichtsbarkeit zu kanalisieren. Überdies soll auch das Verhältnis zwischen den Geschädigten und den möglichen Schadensverursachern befriedet werden. Schlussbetrachtungen
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Schlussbetrachtungen
IV. Prospektive Entschädigungsfonds können sowohl zur Vervollständigung summenmäßig begrenzter Haftungsregimes (Ergänzungsfonds), als auch zur Deckung des Ausfallrisikos des Haftungsschuldners oder des Haftpflichtversicherers (Garantiefonds) eingerichtet werden. Ferner können Fondseinrichtungen auch Schäden bei Nichtidentifizierung des Schädigers oder fehlender Haftpflicht ausgleichen (Kompensationsfonds). V. Trotz Gemeinsamkeiten mit Figuren der Privatversicherung und dem sozialrechtlichen Schadensausgleich bilden Entschädigungsfonds ein autonomes Schadenstragungsmodell, welches dem sozialen Entschädigungsrecht zugeordnet werden kann. Der gesetzgeberischen Entscheidung, Fondslösungen für die Regulierung bestimmter Schäden einzurichten, liegt die Annahme einer gesteigerten Verantwortlichkeit der Allgemeinheit oder einer anderen Gemeinschaft zu Grunde. Unterschiede im Umfang des Schadensersatzes erklären sich hauptsächlich durch die Abstufung dieser kollektiven Verantwortlichkeiten. VI. Entschädigungsfonds gewännen an Akzeptanz, wenn bei bestehenden und zukünftigen Kompensationsregelungen die Bedürfnisse der Geschädigten stärker berücksichtigt würden. Eine aktive Teilnahme des Geschädigten am Entschädigungsverfahren förderte die Befriedungsfunktion von Fondslösungen und wirkte Pönalisierungstendenzen entgegen. Die Garantie verfahrensrechtlicher Mindeststandards erhöhte zudem die Legitimität spezialgesetzlicher Entschädigungsmodelle. VII. Besonders im französischen Recht haben Fondslösungen in bedeutendem Maße zur Weiterentwicklung des Schadensersatzrechts beigetragen. Zurecht werden Entschädigungsfonds als „Laboratorien des Entschädigungsrechts“ bezeichnet, haben sie doch eigene, von den allgemeinen Bestimmungen abweichende Rechtsfiguren ausgebildet, die in der Folge von den Zivilgerichten in das allgemeine Schadensrecht übernommen worden sind. VIII. Die Präventionswirkung der Haftpflicht ist besonders bei Unfallschäden nur schwach ausgeprägt. Durch die Abkopplung von Schadenszurechnung und Schadensersatz wird das ohnehin schwache Präventionspotenzial bei Entschädigungsfonds weiter herabgesetzt. Die Übertragung von Schadensverhütungsinstrumenten der Versicherer sowie eine systematische Erhebung von Regressklagen bieten nur in begrenztem Maße Aussicht auf einen Ausbau der Präventionswirkung. Es empfiehlt sich daher, Fondseinrichtungen in eine übergreifende Präventionsstrategie zu integrieren und deren Wirkungsweise mit außerrechtlichen Instrumenten zu verknüpfen.
Literaturverzeichnis Schlussbetrachtungen
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IX. Die Entscheidung des Gesetzgebers, haftungsergänzenden Fondslösungen gegenüber haftungsersetzenden Regelungsmodellen den Vorzug zu geben, führt zu Koordinierungsproblemen zwischen den Sonderentschädigungsregimes und dem traditionellen Haftungsrecht. Durch die autonome Bemessung von Ersatzleistungen (insbesondere für Nichtvermögensschaden) können Bezieher von Fondsleistungen schlechter gestellt werden als Geschädigte, die den herkömmlichen Weg der Haftungsklage gewählt haben. Eine Lösung dieser Problematik liegt nicht in der Zulässigkeit von Klagen auf ergänzenden Schadensersatz, sondern in der Stärkung der gerichtlichen oder außergerichtlichen Nachprüfung von Fondsentscheidungen. X. Die zunehmende Bedeutung von Fondseinrichtungen macht eine Koordinierung der Sonderentschädigungsregimes untereinander erforderlich. Da eine Zusammenfassung der bestehenden Entschädigungsfonds zu einem umfassenden Fonds dem komplexen Regelungsgefüge des sozialen Entschädigungsrechts nicht gerecht würde, empfiehlt sich die Einrichtung eines „single window“-Systems in Form eines zentralen Fonds, in dem die Unterschiede zwischen den Kompensationsregimes gewahrt blieben. Verbleibende Konkurrenzprobleme ließen sich durch Kollisionsvorschriften auf der Grundlage der lex specialis-Regel lösen.
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Schlussbetrachtungen
Literaturverzeichnis
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Ernteausfallschäden siehe Fonds national de gestion des risques en agriculture Fonds d'indemnisation des victimes de l'amiante 51 ff., 86 f., 92 f., 172 f., 179 Fonds d'indemnisation des victimes des transfusés et hémophiles 54 ff., 85 f., 98 f., 99 f., 174 f., 177 f., 195, 203 f., 209 Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages 46 ff., 209 – Bergschäden 46 ff. – Industriekatastrophen 47 ff., 124 – Insolvenz eines Pflichtversicherers 47 f., 111 f. – Jagdunfallschäden 46 ff. – Verkehrsunfallschäden 46 ff., 113 f., 118 Fonds de garantie des assurés 60 f. Fonds de garantie des dépôts 60 f. Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d'autres infractions 49 ff., 118, 148, 209 Fonds für Arzneimittelschäden 38 ff. Fonds für Medizinschäden 44 ff. Fonds für Umweltschäden 41 ff., 121 f. Fonds national de gestion des risques en agriculture 59 f., 122 Gesetzliche Unfallversicherung siehe Unfallversicherung
256 Gleichheitsproblematik 100 f., 168, 198 ff. Großschadensfälle siehe Massenschäden Gruppenklagen siehe Sammelklage Haftungsersetzung 70 ff., 195 ff., 211 ff. Haftungshöchstsummen 102 ff., 180 f. Heimkinder 95 Hilfsfonds für Dopingopfer der DDR 19 ff., 84 f., 95, 100 Hilfswerk für behinderte Kinder siehe Conterganstiftung für behinderte Menschen Historisches Unrecht 95 f., siehe auch DDR-Unrecht HIV-Hilfegesetz siehe Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ HNS-Fonds 69 Industrieunfallschäden siehe Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages Insolvenz – des Haftpflichtschuldners 108 f., 113 ff. – des Versicherungsunternehmens 47, 111 f., 114 f. Internationaler Fonds zur Entschädigung von Ölverschmutzungsschäden siehe IOPC Fonds IOPC Fonds 65 ff., 75 f., 103 ff., 111 Jagdunfallschäden siehe Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages Juristische Person 151 ff. Kanalisierung 92 ff., 167 Kategorisierung 96 ff. Kausalprinzip 141 ff., siehe auch Kategorisierung Klärschlamm-Entschädigungsfonds 24 ff., 60, 122
Register Kraftfahrzeugunfälle siehe Entschädigungsfonds für Verkehrsunfallschäden u. Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages Kumulierung von Fondsleistungen und haftungsrechtlichem Schadensersatz 200 ff. Lex specialis-Regel 207 ff., 214 „Lückenfüllfunktion“ 78, 101 ff. Massenschäden 2, 78 ff. Medizinschäden siehe Fonds für Medizinschäden u. Office national d’indemnisation des accidents médicaux Nationale Solidarität siehe Solidarité nationale Neuseeland siehe Accident Compensation Corporation Notarversicherungsfonds 31 ff., 111 Office national d'indemnisation des accidents médicaux 53 ff., 75, 179, siehe auch Fonds d'indemnisation des victimes des transfusés et hémophiles – Hepatitis C 54 – Impfschäden 54, 148, 209 – Mediator (Benfluorex) 54 f., 56, 88 f. – Medizinunfallschäden 53 ff., 121, 165 f., 209 – nosokomiale Infektionen 54 – Probandenentschädigung 54 – Wachstumshormone 54, 56, 87 f. Ölverschmutzungsschäden siehe IOPC Fonds Pflichtversicherung siehe Versicherung Politische Verantwortlichkeit 91 Pönalisierung 164, 166 Präventionsfunktion 182 ff. Préjudice spécifique siehe Spezifische Schadenspositionen Produkthaftungsfonds 36 f.
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Register Rechtsfähigkeit des Fonds siehe Juristische Person Regressrecht des Fonds 156, 190 f. Sammelklage 191 f. Schmerzensgeldtabellen 177 f., 202 f. Sicherungsfonds für die Lebens- und Krankenversicherung 28 ff., 112 f., 115 „Single Window“-System 214 f. Solidarfonds Abfallrückführung 26 ff. Solidarité nationale 61 ff., 91, 148 Sonderbilanzen 155 Sondervermögen, unselbständiges 154 ff. Soziale Bedingtheit 145 ff., 148 ff. Soziales Entschädigungsrecht 144 ff. Sozialhilfe, Abgrenzung zu den Fondseinrichtungen 139 ff. Sozialversicherung, Abgrenzung zu den Fondseinrichtungen 139 ff. Spezifische Schadenspositionen 174 ff. Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ 13 ff., 81 ff., siehe auch Fonds d'indemnisation des victimes des transfusés et hémophiles Subsidiarität 72 ff. Terminologie 76 f. Terrorismus siehe Fonds de garantie des victimes des actes de terrorisme et d'autres infractions Tierseuchenkassen 33 ff., 121 Totalreparation 140 f., 180 ff., 201, 203 ff.
Register
„Trittbrettfahrer“-Problematik 99, 122 Typologie der Fondseinrichtungen 69 ff. Umweltschäden siehe Fonds für Umweltschäden Unfallversicherung – gesetzliche 42, 71, 142, 197 – private 129 f. Verantwortlichkeiten der Allgemeinheit 145 ff., 149 ff., 181 f., 186, 209 f., 213 f. Verein Verkehrsopferhilfe e.V. siehe Entschädigungsfonds für Verkehrsunfallschäden Verfahrensrechte 162 ff., 167 ff., 204 Verkehrsunfallschäden siehe Entschädigungsfonds für Verkehrsunfallschäden u. Fonds de garantie des assurances obligatoires de dommages Versicherbarkeit 104, 122 f. Versicherung, Privat– Abgrenzung zu den Fondseinrichtungen 125 ff., 134 ff. – Personenkautionsversicherung 131 ff. – Pflichtversicherung 7 ff., 47 f., 109 ff., 135 – Versicherung für wen es angeht 130 f. – Versicherung für fremde Rechnung 130 f., 132 f. – Versicherungsprämie 136 f., 188 ff. Viktimologie 160 ff. Waffengleichheit siehe Verfahrensrechte Wildschäden 35 f., 60