Unfallbegutachtung [7., neu bearb. und erw. Aufl. Reprint 2013] 9783111462165, 9783110074970


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German Pages 213 [236] Year 1980

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Table of contents :
Geleitwort
Inhalt
Teil 1: Rechtliche Gesichtspunkte der Unfallbegutachtung
Teil 2: Unfallbegutachtung
Schrifttum
Sachregister
Anhang: BILDTAFELN I–XVII
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Unfallbegutachtung [7., neu bearb. und erw. Aufl. Reprint 2013]
 9783111462165, 9783110074970

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Günther/Hymmen Unfallbegutachtung

Eckhard Günther Reinhard Hymmen

Unfallbegutachtung begründet von Paul Rostock t 7., neu bearbeitete und erweiterte Auflage

w DE

G Walter de Gruyter · Berlin · New York 1980

Dr. Dr. Eckhard

Günther

F a c h a r z t für Chirurgie, Köln Assessor

Reinhard

Hymmen

Köln Dieses Buch enthält 2 1 Abbildungen im T e x t und 1 8 3 Abbildungen im Anhangteil.

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Günther, Eckhard: Unfallbegutachtung / Eckhard Günther ; Reinhard Hymmen. Begr. von Paul Rostock. - 7., neubearb. u. erw. Aufl. - Berlin, New York : de Gruyter, 1980. ISBN 3-11-007497-4 NE: Hymmen, Reinhard:; Rostock, Paul [Begr.]

© Copyright 1980 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung, J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer, Karl J . Trübner, Veit & Comp., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Satz und Druck: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg-Passau. Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin.

Geleitwort

Die freundliche Aufnahme, die die früheren Auflagen unserer Arbeit gefunden haben, ermutigt uns dazu, die Unfallbegutachtung erneut vorzulegen. Nach wie vor ist das Buch in seiner gedrängten Form für die Bedürfnisse der Praxis bestimmt und möchte ein Ratgeber für die täglich auftretenden Fragen bei der Erstattung von Gutachten, vor allem für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung sein. Dazu soll die Ubersicht über die Aufgaben und Leistungsvoraussetzungen im Bereich der sozialen Sicherheit, insbesondere der gesetzlichen Unfallversicherung, ebenso dienen, wie die Erörterung der Aufgaben des Arztes bei der Begutachtung und der dabei anzuwendenden technischen Mittel, die Behandlung von schwierigen Fragen bei der Feststellung von Ursachenzusammenhängen und die kurze Darstellung der anerkannten Berufskrankheiten. Besonderen Einzelfällen, wie etwa selteneren Erkrankungen oder anderen schwierigen Aufgaben, muß stets auf breiterer Grundlage nachgegangen werden. Von besonderem Wert für die Praxis des Gutachters werden die als Richtlinien für den einzelnen Fall dargestellten Rentensätze sein. Sie sind durch viele graphische Darstellungen besonders veranschaulicht. Für Kritik und Vorschläge zur Verbesserung sind wir weiterhin dankbar. Köln, im März 1980

E. Günther

R. Hymmen

Inhalt

1. Teil: Rechtliche Gesichtspunkte der Unfallbegutachtung, von Assessor R. Hymmen, Köln 1. Allgemeines 2. Gesetzliche Unfallversicherung 2.1 Berufsgenossenschaften und andere Unfallversicherungsträger 2.2 Aufbringung der Mittel-Ablösung der Haftpflicht 2.3 Versicherter Personenkreis 2.4 Versicherungsfall 2.4.1 Arbeitsunfall 2.4.2 Ursachenbegriff in der gesetzlichen Unfallversicherung 2.4.3 Verschlimmerung 2.4.4 Dem Arbeitsunfall gleichgestellte Tatbestände 2.4.4.1 Unfälle bei der Verwahrung des Arbeitsgerätes Unfälle auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit (Wegeunfälle) 2.4.4.2 Unternehmen der Binnenschiffahrt 2.4.4.3 Berufskrankheiten 2.5 Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten 2.5.1 Abstrakter Schadenersatz 2.5.2 Sachleistungen 2.5.2.1 Heilbehandlung 2.5.2.2 Pflege 2.5.2.3 Berufshilfe 2.5.3 Geldleistungen 2.5.3.1 Übergangsgeld 2.5.3.2 Verletztenrente 2.5.3.3 Vorläufige Rente —Dauerrente 2.5.3.4 Entschädigung von Hinterbliebenen 2.5.3.5 Abfindungen 2.6 Verhältnis der Unfallversicherungsträger zu den Ärzten 2.7 Verfahren 3. Krankenversicherung 3.1 Allgemeines 3.2 Träger der Krankenversicherung 3.3 Aufbringung der Mittel 3.4 Versicherter Personenkreis 3.5 Versicherungsfall 3.6 Leistungen der Krankenversicherung

VIII

4.

5.

6.

7.

Inhalt

3.7 Beziehungen zwischen Kranken-und Unfallversicherung 3.8 Beziehungen zu den Ärzten 3.9 Verfahren Rentenversicherung 4.1 Allgemeines 4.2 Träger der Rentenversicherung 4.3 Aufbringung der Mittel 4.4 Versicherter Personenkreis 4.5 Versicherungsfall 4.5.1 Berufsunfähigkeit 4.5.2 Erwerbsunfähigkeit 4.5.3 Alter 4.5.4 Tod 4.5.5 Wartezeit 4.5.6 Besondere Versicherungsfälle der Knappschaftsversicherung 4.6 Leistungen 4.7 Beziehungen zur Unfallversicherung 4.8 Verfahren Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) (zugleich Recht der Bundesversorgung) 5.1 Allgemeines 5.2 Anspruch auf Versorgung 5.3 Aufbringung der Mittel 5.4 Umfang der Versorgung 5.4.1 Heil-und Krankenbehandlung 5.4.2 Besondere Hilfen im Einzelfall 5.4.3 Renten und andere Geldleistungen 5.5 Versagung der Leistungen 5.6 Verfahren Die Rehabilitation und ihre Träger 6.1 Allgemeines 6.2 Träger der Rehabilitation 6.3 Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation 6.4 Zusammenwirken der Träger Private Unfallversicherung 7.1 Allgemeines 7.2 Träger der Versicherung - versicherter Personenkreis - Aufbringung der Mittel 7.3 Versicherungsfall 7.4 Leistungen 7.5 Verfahren

31 32 33 34 34 34 34 34 35 35 36 36 36 36 37 37 38 38 39 39 39 40 40 40 41 42 43 43 44 44 44 47 48 50 50 50 50 52 54

Inhalt

IX

2. Teil: Unfallbegutachtung, von Dr. Dr. E. Günther, Köln 1. Allgemeines 1.1 Gutachtertätigkeit des Arztes 1.2 Rechtliche Stellung des Gutachters und seine Aufgaben 1.3 Formulierung der Gutachten 1.4 Befunderhebung 1.5 Entgegengesetzte Meinungen der Sachverständigen 1.6 Untersuchung des Verletzten für die Begutachtung 1.7 Personenverwechslungen bei der Untersuchung 1.8 Fehler und Irrtümer im Gutachten 1.9 Die Würdigung der Beweiskraft 1.10 Allgemeine Form des Gutachtens 1.11 Ausstellung von Bescheinigungen und Zeugnissen 1.12 Auskunftspflicht des Arztes 1.13 Schweigepflicht des Arztes 1.14 Anhörung der behandelnden Ärzte vor der ersten Rentenfestsetzung 1.15 Sachkunde und Gutachternachwuchs 1.16 Schwierige Krankheitsfälle 1.17 Gebühren 1.18 Vordruckgutachten 1.19 Form des freien Gutachtens 1.20 Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung 1.21 Simulation 1.22 Meßblätter für die N e u t r a l - O - M e t h o d e 2. Spezielles 2.1 Die wichtigsten Rentensätze 2.2 Körperoberfläche 2.3 Kopf 2.4 Brustkorb und Brusthöhle 2.5 Wirbelsäule 2.6 Becken 2.7 Bauchdecken und Bauchorgane 2.8 Harnorgane 2.9 Männliche Geschlechtsorgane 2.10 Weibliche Geschlechtsorgane 2.11 Obere Gliedmaße 2.12 Untere Gliedmaße 2.13 Anhaltspunkte für die Bemessung von Pflegegeld 3. Die Begutachtung von Fragen des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Körperschäden und Arbeitsunfall 3.1 Die Form des Gutachtens

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X

Inhalt

3.2 Der Inhalt 3.2.1 Rechtliche Voraussetzungen 3.2.2 Medizinische Voraussetzungen

109 109 111

3.3 Spezielles über die Begutachtung von Zusammenhangsfragen 3.3.1 Thermische Schädigungen 3.3.1.1 Erfrierungen und Verbrennungen 3.3.1.2 Sonnenstich 3.3.1.3 Hitzschlag 3.3.2 Verletzungen durch Einwirkungen des elektrischen Stromes 3.3.3 Akute Schädigungen durch Röntgenstrahlen, radioaktive Stoffe und andere ionisierende Strahlen 3.3.4 Intoxikationen 3.3.4.1 Vergiftungen 3.3.4.2 Gasvergiftung 3.3.4.3 Insektenstiche 3.3.5 Infektionskrankheiten 3.3.5.1 Diphtherie 3.3.5.2 Typhus abdominalis, Paratyphus 3.3.5.3 Tuberkulose 3.3.5.4 Milzbrand 3.3.5.5 Rotz 3.3.6 Parasitäre Erkrankungen 3.3.6.1 Aktinomykose 3.3.6.2 Lues 3.3.7 Wundinfektionskrankheiten 3.3.7.1 Blutergußinfektion 3.3.7.2 Erysipel 3.3.7.3 Lymphangitis 3.3.7.4 Allgemeininfektion 3.3.7.5 Tetanus 3.3.7.6 Wunddiphtherie 3.3.8 Geschwülste 3.3.9 Stoffwechselkrankheiten und Krankheiten der endokrinen Drüsen 3.3.9.1 Diabetes mellitus 3.3.9.2 Fettleibigkeit 3.3.9.3 Nebennieren 3.3.9.4 Alters Veränderungen 3.3.10 Erkrankungen des Blutes 3.3.10.1 Leukämie 3.3.10.2 Perniziöse Anämie 3.3.10.3 Milzzerreißungen

112 112 112 112 113 113 113 113 113 113 114 114 114 114 114 114 114 114 114 115 115 115 115 115 115 116 116 116 117 117 118 118 118 118 118 118 119

Inhalt

XI 3.3.11 Erkrankungen des Gefäßsystems 3.3.11.1 Herzmuskel und Herzklappen 3.3.11.2 Aortenaneurysma 3.3.11.3 Aneurysmen peripherer Gefäße 3.3.11.4 Krampfadern 3.3.11.5 Unterschenkelgeschwüre 3.3.11.6 Thrombose 3.3.11.7 Embolie 3.3.11.8 Arteriosklerose, Atheromatose 3.3.11.9 Apoplexie 3.3.11.10 Endangiitis obliterans 3.3.11.11 Gangrän einer Gliedmaße

119 119 119 119 120 120 120 121 121 121 121 121

3.3.12 Erkrankungen der Atmungsorgane 3.3.12.1 Lungenverletzungen 3.3.12.2 Lungenentzündung 3.3.12.3 Lungenemphysem 3.3.12.4 Lungentuberkulose 3.3.12.5 Lungenblutung 3.3.12.6 Lungenembolie 3.3.12.7 Pleuritis

121 121 122 122 122 122 123 123

·

3.3.13 Erkrankungen der Bauchdecken 3.3.13.1 Eingeweidebrüche 3.3.13.2 Bauchfellentzündung

123 123 124

3.3.14 Erkrankungen des Magen-und Darmkanals 3.3.14.1 Ösophagusdivertikel 3.3.14.2 Magen-und Zwölffingerdarmgeschwür 3.3.14.3 Magenblutung 3.3.14.4 Magensenkung 3.3.14.5 Magenkrebs 3.3.14.6 Darmzerreißungen 3.3.14.7 Darmgeschwüre 3.3.14.8 Darmverschluß 3.3.14.9 Appendizitis 3.3.14.10 Mastdarmvorfall 3.3.14.11 Mastdarmfisteln

124 124 124 125 125 125 125 125 126 126 126 126

3.3.15 Erkrankungen der Leber, der Gallenwege und der Bauchspeicheldrüse 3.3.15.1 Virushepatitis 3.3.15.2 Chronische Hepatitis, Zirrhose 3.3.15.3 Gallenblasenentzündung 3.3.15.4 Pankreasnekrose 3.3.15.5 Pankreaszysten

126 126 126 126 127 127

XII

Inhalt 3.3.16 Erkrankungen des Harnsystems 3.3.16.1 Nierenstein und Ureterstein 3.3.16.2 Hydro- und Pyonephrose 3.3.16.3 Wanderniere 3.3.16.4 Nierenentzündung 3.3.16.5 Nierentuberkulose 3.3.16.6 Nierenbeckenentzündung 3.3.16.7 Blasenstein 3.3.16.8 Harnröhrenstrikturen 3.3.17 Genitalerkrankungen 3.3.18 Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes 3.3.18.1 Furunkel 3.3.18.2 Panaritium 3.3.18.3 Zellgewebsentzündung (Phlegmone) 3.3.19 Erkrankungen der Muskeln, Sehnen und Schleimbeutel 3.3.19.1 Muskelrisse 3.3.19.2 Muskelhernien 3.3.19.3 Myositis ossificans 3.3.19.4 Lumbago (Hexenschuß) 3.3.19.5 Bandscheibenvorfall im Bereich der Wirbelsäule . . . . 3.3.19.6 Bizepssehnenriß 3.3.19.7 Riß der Achillessehne 3.3.19.8 Tendovaginitis crepitans 3.3.19.9 Dupuytren'scheKontraktur 3.3.19.10 Schleimbeutelentzündungen 3.3.19.11 Periarthritis humero-scapularis

127 127 128 128 128 128 129 129 129 129 130 130 130 130 130 130 131 131 131 131 131 132 132 132 132 132

3.3.20 Erkrankungen der Knochen und Gelenke 3.3.20.1 Akute hämatogene Osteomyelitis 3.3.20.2 Ostitis fibrosa 3.3.20.3 Tuberkulose der Knochen und Gelenke 3.3.20.4 Spontanfrakturen 3.3.20.5 Dornfortsatzbruch 3.3.20.6 Navikularpseudarthrose der Hand 3.3.20.7 Lunatumnekrose (Mondbeintod) 3.3.20.8 Spondylarthrose 3.3.20.9 Bechterew'sche Erkrankung 3.3.20.10 Spondylolisthesis (Wirbelgleiten) 3.3.20.11 Arthrosis deformans 3.3.20.12 Habituelle Luxationen 3.3.20.13 Meniskuslösungen 3.3.20.14 Gelenkrheumatismus 3.3.20.15 Ganglion 3.3.20.16 Gelenkmäuse

133 133 133 134 134 134 134 135 135 135 135 136 137 137 137 138 138

Inhalt

XIII

3.3.20.17 Osteochondritis dissecans 3.3.20.18 Gelenkchondromatose 3.3.20.19 Gicht 3.3.20.20 Knochennekrosen 3.3.21 Erkrankungen des Nervensystems 3.3.21.1 Epilepsie 3.3.21.2 Psychoreaktive Syndrome 3.3.21.3 Hirnabszeß : 3.3.21.4 Ischias 3.3.21.5 Hämotomyelie 3.3.21.6 Neurofibromatose 3.3.21.7 Progressive spinale Muskelatrophie 3.3.22 Erkrankungen der Augen 3.3.22.1 Grüner Star (Glaukom) 3.3.22.2 Grauer Star 3.3.22.3 Netzhautablösung 4. Die entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten 4.1 Liste der Berufskrankheiten 4.2 Merkblätter für die ärztliche Untersuchung bei den Berufskrankheiten

138 138 138 138 139 139 139 139 140 140 140 140 140 140 140 140 141 141

Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

144 145 146 147 148 148 149 150

Nr. Nr. Nr. Nr.

1101 1102 1103 1104 1105 1106 1107 1108 1109 1110 1201 1202 1301

Nr. 1302 Nr. 1303 Nr. 1304 Nr. Nr. Nr. Nr.

1305 1306 1307 1308

Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen Erkrankungen durch Kohlenmonoxid Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologe Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol) Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen

144

151 152 153 154 154 155 156 157 158 158 159 161

Inhalt

XIV

Nr. 1309 Erkrankungen durch Salpetersäureester 162 Nr. 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl-oder Alkylaryloxide . 162 Nr. 1311 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide 163 Nr. 1312 Erkrankungen der Zähne durch Säuren 164 Nr. 1313 Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon 165 Nr. 2101 Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 165 Nr. 2102 Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeitunter Tage 166 Nr. 2103 Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen . . . . 166 Nr. 2104 Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 167 Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr. Nr.

2105 2106 2107 2201 2301 2401 2402 3101

Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen Druck Drucklähmungen der Nerven Abrißbrüche der Wirbelfortsätze Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft Lärmschwerhörigkeit Grauer Star durch Wärmestrahlung Erkrankungen durch ionisierende Strahlen Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war Nr. 3102 Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten

168 169 169 170 170 172 173

174 177

Nr. 3103 Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis 179 Nr. 3104 Tropenkrankheiten, Fleckfieber

179

Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) 180 Nr. 4102 Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose) 180 Nr. 4103 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)

182

Nr. 4104 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) in Verbindung mit Lungenkrebs

182

Nr. 4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells

183

Inhalt

Nr. 4106 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen Nr. 4107 Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellungoder Verarbeitung von Hartmetallen Nr. 4108 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl (Thomasphosphat) Nr. 4201 Farmer-(Drescher-)Lunge Nr. 4202 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll- oder Flachsstaub (Byssinose) Nr. 4301 Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheitursächlich waren oder sein können Nr. 4302 Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Nr. 5101 Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Nr. 5102 Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe . Nr. 6101 Augenzittern der Bergleute

XV

183 184 184 185 185

186

188

189 190 191

Literatur

192

Sachregister

194

Anhang: Bildtafeln I-XVII

Teil 1

Rechtliche Gesichtspunkte der Unfallbegutachtung von Assessor Reinhard Hymmen, Köln

1. Allgemeines

Das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen über die Folgen eines Unfalls ist erforderlich, um über die etwaigen Rechtsansprüche der von dem Unfall betroffenen Personen entscheiden zu können. Sowohl diese Ansprüche selbst als auch die Zuständigkeit zur Entscheidung darüber sind von dem Rechtsverhältnis abhängig, aus dem die von einem Unfall betroffene Person ihre Ansprüche herleitet. Ein solches Rechtsverhältnis kann privatrechtlicher Natur gegenüber einem Schädiger sein, etwa aus der schuldhaften, d.h. vorsätzlichen oder fahrlässigen und rechtswidrigen Verursachung eines Unfalls (unerlaubte Handlung §§ 823 ff. Bürgerliches Gesetzbuch) oder aus strengeren Haftungsverpflichtungen, wie z.B. der des Kraftfahrzeughalters (§ 7 Straßenverkehrsgesetz). Privatrechtlicher Natur sind auch die Rechtsansprüche, die sich aus den Versicherungsverträgen über eine private Unfallversicherung ergeben. Von besonderer Bedeutung für die ärztliche Begutachtung von Unfallfolgen sind jedoch die Rechtsansprüche von Unfallgeschädigten öffentlich-rechtlicher Natur. Solche Ansprüche ergeben sich vor allem aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis zu den Trägern der Sozialversicherung. Dies sind in erster Linie die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, außerdem kann aber auch das Versicherungsverhältnis zu den Trägern der Kranken- und Rentenversicherung berührt sein. Während die privatrechtlichen Ansprüche, soweit nicht eine außergerichtliche Erledigung erfolgt, vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgen sind, wird über die öffentlich-rechtlichen durch Verwaltungsakt (Bescheide) entschieden. Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung eines Leistungsträgers der Sozialversicherung unterliegt der Prüfung durch die besonderen Verwaltungsgerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Eine der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, ebenso aber auch für eine rechtmäßige Entscheidung in anderer Weise, ist die sachgemäße Begutachtung. Dafür sind Kenntnisse über die Grundsätze der öffentlich-rechtlichen und privaten Versicherung erforderlich. Denn wenn auch der Gutachter nicht die Aufgabe hat, aus den mit den Mitteln der ärztlichen Wissenschaft gewonnenen Erkenntnissen über den Sachverhalt rechtliche Schlüsse zu ziehen, so muß ihm doch bekannt sein, welche durch ein Gutachten festzustellenden Tatsachen für eine Entscheidung rechtserheblich sind. Das gilt insbesondere für die mit der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs und der Minderung der Erwerbsfähigkeit zusammenhängenden Fragen. Der nachfolgende Überblick erscheint daher geboten.

2. Gesetzliche Unfallversicherung

2.1 Berufsgenossenschaften und andere Unfallversicherungsträger Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, den versicherten Personen für die Folgen von Arbeitsunfällen Schadensersatz zu leisten. Diese Aufgabe wird von den nach Gewerbezweigen gegliederten gewerblichen sowie den landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, der See-Berufsgenossenschaft und den Versicherungsträgern der öffentlichen Hand wahrgenommen (s. auch § 22 Abs. 2 des Sozialgesetzbuches Allgemeiner Teil - ) . Ihrer Verfassung nach sind die Berufsgenossenschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts mit eigener Satzungsbefugnis. Sie führen die ihnen durch das Gesetz übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung im Wege der Selbstverwaltung durch. An dieser Selbstverwaltung sind die Mitglieder, nämlich die durch das Gesetz zur Mitgliedschaft verpflichteten Unternehmer („Berufs-Genossen") und die Versicherten dies sind die Arbeitnehmer dieser Versicherten — paritätisch beteiligt. Mit der Ausdehnung des Versicherungsschutzes durch die gesetzliche Unfallversicherung im Laufe der Entwicklung sind außer den Berufsgenossenschaften noch andere Träger der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden. Für die Versicherten in den öffentlichen Diensten und andere Versicherungsgruppen (s. auch 2.3 „Versicherter Personenkreis") sind die zuvor genannten Versicherungsträger der öffentlichen Hand zuständig, nämlich die Gemeindeunfallversicherungsverbände, die Feuerwehrunfallversicherungskassen, die Ausführungsbehörden des Bundes und der Länder und die zu Versicherungsträgern bestimmten Gemeinden. Zu solchen Versicherungsträgern können die Länder Gemeinden mit mehr als 500000 Einwohnern bestimmen.

2.2 Aufbringung der Mittel - Ablösung der Haftpflicht Die für die Aufgaben der Berufsgenossenschaften erforderlichen Mittel werden von den Mitgliedern, das heißt also von den Unternehmern, allein aufgebracht, von den Versicherten werden keine Beiträge erhoben. Mit den Beiträgen zu der für ihn zuständigen Berufsgenossenschaft löst der Unternehmer seine etwaige Haftpflicht gegenüber dem Arbeitnehmer (Versicherten) aus Unfällen ab. Er kann also den Versicherten, der ihn wegen eines Arbeitsunfalles in seinem Unternehmen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen will, an seine Berufsgenossenschaft verweisen, es sei denn, daß der Unternehmer den Unfall vorsätzlich oder bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr verursacht hat (§ 636 Reichsversicherungsordnung). Entsprechendes gilt für die Versicherungsträger der öffentlichen Hand.

Versicherter Personenkreis

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2.3 Versicherter Personenkreis Nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches (4. Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - § 2 Abs. 2) sind in allen Zweigen der Sozialversicherung nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige versichert 1. Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, 2. Behinderte, die in geschützten Einrichtungen beschäftigt werden, 3. Landwirte, 4. Hausgewerbetreibende, 5. in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- und Kinderpflege selbständig tätige Personen, die in ihrem Betrieb keine Angestellten beschäftigen, 6. Hebammen mit Niederlassungserlaubnis, 7. Artisten. Unter besonderen Umständen können auch Seeleute, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind, jedoch unter anderer Flagge zur See fahren, nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches versichert werden (§ 2 Abs. 3). Die für den „Versicherungszweig" gesetzliche Unfallversicherung maßgeblichen besonderen Vorschriften sind im 3. Buch der Reichsversicherungsordnung enthalten. Danach sind zunächst einmal alle Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die in einem Arbeits-, Dienstoder Lehrverhältnis beschäftigt sind. Der Versicherungsschutz ist unabhängig von der Stellung der Person im Unternehmen. Das bedeutet, daß der Vorsitzende des Vorstandes etwa einer Aktiengesellschaft ebenso gegen Arbeitsunfall versichert ist, wie der jüngste Lehrling des Unternehmens. Der Umfang des versicherten Personenkreises ist am ehesten aus der maßgebenden gesetzlichen Vorschrift selbst zu entnehmen. § 539 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zählt den folgenden Personenkreis auf: 1. die auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten, 2. Heimarbeiter, Zwischenmeister, Hausgewerbetreibende und ihre im Unternehmen tätigen Ehegatten sowie die sonstigen mitarbeitenden Personen, 3. Personen, die zur Schaustellung oder Vorführung künstlerischer oder artistischer Leistungen vertraglich verpflichtet sind, 4. Personen, die nach den Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes oder im Vollzug des Bundessozialhilfegesetzes der Meldepflicht unterliegen, wenn sie a) zur Erfüllung ihrer Meldepflicht die hierfür bestimmte Stelle aufsuchen oder b) auf Aufforderung einer Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit oder einer seemännischen Heuerstelle diese oder andere Stellen aufsuchen, 5. Unternehmer, solange und soweit sie als solche Mitglieder einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sind, ihre mir ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten und die in Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft einschließlich der landwirtschaftlichen Selbstverwaltung und ihrer Verbände Tätigen, 6. Küstenschiffer und Küstenfischer als Unternehmer gewerblicher Betriebe der Seefahrt (See-

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Gesetzliche Unfallversicherung schiffahrt und Seefischerei), die zur Besatzung ihres Fahrzeuges gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und die bei dem Betrieb regelmäßig keine oder höchstens zwei kraft Gesetzes versicherte Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigen, sowie deren im Unternehmen tätigen Ehegatten,

7. die im Gesundheits- oder Veterinärwesen oder in der Wohlfahrtspflege Tätigen, 8. die in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen sowie die Teilnehmer an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der Lehrenden, 9. Personen, die a) bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder N o t Hilfe leisten oder einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen, b) einem Bediensteten des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes oder einer anderen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts, der sie zur Unterstützung bei einer Diensthandlung heranzieht, Hilfe leisten, c) sich bei Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer rechtswidrigen, den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichenden T a t verdächtig ist, oder zum Schutz eines widerrechtlich Angegriffenen persönlich einsetzen, 10. Blutspender und Spender körpereigener Gewebe, 11. Personen, die auf Grund von Arbeitsschutz- oder Unfallverhütungsvorschriften ärztlich untersucht oder behandelt werden, 12. a) Personen, die Luftschutzdienst leisten, wenn sie hierzu durch eine zuständige Stelle herangezogen sind oder wenn sie handeln, weil Gefahr im Verzuge ist, b) freiwillige Helfer des Bundesluftschutzverbandes, c) Teilnehmer an den Ausbildungsveranstaltungen des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz, des Bundesluftschutzverbandes oder des Luftschutzhilfsdienstes einschließlich der Lehrenden, 13. die für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder eine andere Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen, wenn ihnen nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gewährt wird, und die von einem Gericht, einem Staatsanwalt oder einer sonst dazu berechtigten Stelle zur Beweiserhebung herangezogenen Zeugen, 14. a) Kinder während des Besuchs von Kindergärten, b) Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen, c) Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung und ehrenamtlich Lehrende in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, berufsbildenden Schulen, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen, soweit sie nicht bereits zu den nach den Nummern 1 bis 3 und 5 bis 8 Versicherten gehören, d) Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen, soweit sie nicht bereits zu den nach den Nummern 1 bis 3 und 5 bis 8 Versicherten gehören, 15. Personen, die bei dem Bau eines Familienheimes (Eigenheim, Kaufeigenheim, Kleinsiedlung), einer eigengenutzten Eigentumswohnung, einer Kaufeigentumswohnung oder einer Genossenschaftswohnung im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen. Dies gilt auch für die Selbsthilfe bei der Aufschließung und Kultivierung des Geländes, der Herrichtung der Wirtschaftsanlagen und der Herstellung von Gemeinschaftsanlagen. Für die Begriffsbestimmungen sind die 5 , 7 bis 1 0 und 3 6 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in der Fassung vom 1. September 1 9 7 6 (Bundesgesetzbl. I S. 2 6 7 3 ) maßgebend.

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16. Entwicklungshelfer im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes vom 18. Juni 1 9 6 9 (Bundesgesetzbl. I S. 5 4 9 ) , die im Ausland für eine begrenzte Zeit beschäftigt sind oder im Ausland oder im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine solche Beschäftigung vorbereitet werden. 17. Personen, a) denen von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung oder der gesetzlichen Unfallversicherung oder einer landwirtschaftlichen Alterskasse stationäre Behandlung im Sinne des § 5 5 9 (Reichsversicherungsordnung) gewährt wird, b) die auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesanstalt für Arbeit an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation teilnehmen, soweit sie nicht bereits zu den nach den Nummern 1 bis 3 , 5 bis 8 und 14 Versicherten (s. oben) gehören oder c) die zur Vorbereitung von berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation auf Aufforderung eines in Buchstabe b (s. oben) genannten Trägers diese oder andere Stellen aufsuchen. Gegen Arbeitsunfall sind ferner Personen versichert, die wie ein nach Absatz 1 Versicherter tätig werden; dies gilt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit.

Mit dem 4. Buch des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - ist dem § 539 RVO ein weiterer Absatz angefügt worden. Dieser lautet: Soweit die Absätze 1 und 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie für alle Personen, die die dort genannten Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes ausüben; § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend. Abs. 1 Nr. 9 Buchstabe a gilt auch für Personen, die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes tätig werden, wenn sie innerhalb dieses Geltungsbereichs ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Die Fassung des § 539 Abs. 1 Nr 14 RVO ist durch das „Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten" vom 1 8 . 3 . 1971 (Bundesgesetzblatt 11971, S. 237ff.) eingeführt worden. Mit diesem am 1 . 4 . 1 9 7 1 in Kraft getretenen Gesetz wurden Schüler und Studenten und Kindergartenkinder in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen. Darüber hinaus genießen Personen Versicherungsschutz, die während einer auf Grund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder auf Grund strafrichterlicher Anordnung wie ein nach der zuvor genannten Vorschrift Versicherter tätig werden. Soweit Personen durch eine versicherte Tätigkeit außerhalb der gewerblichen oder der Landwirtschaft einen Arbeitsunfall erleiden (z.B. Blutspender, Lebensretter o.ä.) sind für die Betreuung und Entschädigung nicht die Berufsgenossenschaften, sondern die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand zuständig (Ausführungsbehörden des Bundes oder der Länder, Gemeindeunfallversicherungsverbände usw.). Diese Versicherungsträger sind auch in der Regel für die Unfallversicherung von Schülern, Studenten und Kindergartenkindern zuständig und haben daher sehr bedeutungsvolle Aufgaben auf dem Gebiet der Heilbehandlung und der Rehabilitation von Unfallfolgen bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden erhalten. Diesen besonderen Aufgaben muß auch die Begutachtung gerecht werden. Der Versicherungsschutz für Rehabilitanden aus dem Zuständigkeitsbereich der Krankenversicherung, der Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskassen

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und der Bundesanstalt für Arbeit bei Maßnahmen zur medizinischen oder beruflichen Rehabilitation oder zur Vorbereitung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation (s. oben Nr. 17 a) bis c)) ist durch das „Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation" eingeführt worden. Bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sind Rehabilitanden dann versichert, wenn ihnen Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder einer Kur- oder Spezialeinrichtung gewährt wird (§ 559 RVO). Nicht versichert sind demnach u. a. Personen bei ambulanter Behandlung, bei Unterbringung zur Beobachtung oder Begutachtung, zur Entbindung, zur Wochenpflege oder zum Schwangerschaftsabbruch, ferner bei offenen Badekuren, Erholungs-, Genesungs-, Mütterkuren u.ä. Der mit dem Sozialgesetzbuch eingeführte Abs. 3 des § 539 RVO (s. oben) bestimmt, daß der dem öffentlichen Interesse dienende versicherte Personenkreis, soweit eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit nicht vorliegen (ζ. B. Blutspender, Hilfeleistende bei einer Dienstleistung, Zeugen vor Gericht) dann versichert ist, wenn die versicherte Tätigkeit im Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung, d.h. also in der Bundesrepublik und im Land Berlin, ausgeübt wird. Von dieser Regel wird zugleich eine Ausnahme bestimmt, nämlich daß Nothelfer oder Lebensretter (Nr. 9 a s. oben) auch bei einer Rettungstätigkeit im Ausland versichert sind, wenn sie innerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsordnung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Außerdem ist die sogenannte „Ausstrahlung" zu beachten, über die § 4 des 4. Buches des Sozialgesetzbuches — Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung — folgendes bestimmt: (1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im voraus zeitlich begrenzt ist. (2) Absatz 1 gilt nicht für Personen, die auf ein Seeschiff entsandt werden, das nicht berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen und der Unfallverhütung und Schiffssicherheitsüberwachung durch die See-Berufsgenossenschaft nicht unterliegt. Die Satzung der See-Berufsgenossenschaft muß Ausnahmeregelungen enthalten. (3) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

Versicherungsfrei sind Beamte, Soldaten, Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften, selbständig beruflich tätige Ärzte, Heilpraktiker, Dentisten und Apotheker. Unternehmer können dann versichert sein, wenn die Satzung des Trägers der Unfallversicherung die Versicherung auf Unternehmer erstreckt. Im anderen Falle können sie der Unfallversicherung freiwillig beitreten.

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2.4 Versicherungsfall 2.4.1 Arbeitsunfall Nach den gesetzlichen Bestimmungen (§ 548 RVO) ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer Tätigkeit erleidet, durch die er in den versicherten Personenkreis einbezogen wurde, ζ. B. also ein Unfall bei der Tätigkeit im Arbeits-, Dienstoder Lehrverhältnis (§ 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO), als Heimarbeiter, Zwischenmeister, Hausgewerbetreibender (§ 539 Abs. 1 Nr. 2 RVO) usw. (s. o. 2.3 „Versicherter Personenkreis"). Als versicherte Tätigkeit gilt auch das Geldabheben bei einem Bankinstitut bei bargeldloser Lohnzahlung, und zwar das erstmalige Aufsuchen der Bank nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes. Der Begriff des Unfalls ist im Gesetz nicht definiert, sondern durch die Rechtsprechung entwickelt. Danach ist ein Unfall ein körperlich schädigendes, plötzliches, d. h. zeitlich begrenztes Ereignis. Das Erfordernis der zeitlichen Begrenzung ist erfüllt, wenn das schädigende Ereignis innerhalb einer Arbeitsschicht eingetreten ist, auch wenn ein näherer Zeitpunkt der Schädigung nicht festgestellt werden kann. Dem Körperschaden steht die Beschädigung eines Körperersatzstückes oder eines größeren orthopädischen Hilfsmittels gleich. Weil nach der zuvor angeführten gesetzlichen Bestimmung ein Unfall dann ein Arbeitsunfall ist, wenn ein Versicherter ihn bei einer versicherten Tätigkeit erleidet, muß das körperlich schädigende zeitlich begrenzte Ereignis mit der versicherten Tätigkeit in ursächlichem Zusammenhang stehen. Ob dieser Zusammenhang im Einzelfall nachgewiesen ist, ist in der Regel eine Frage, die durch rechtliche Würdigung des Sachverhalts zu beantworten ist. Dabei können ärztliche Befunde oder die persönlichen Angaben des Verletzten zum Unfallhergang beim Arzt allerdings von Bedeutung sein. Die Mitwirkung des ärztlichen Gutachters mit seinem Sachverstand ist jedoch vorwiegend zur Klärung einer weiteren Frage erforderlich. Denn außer dem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem zeitlich begrenzten Ereignis und der versicherten Tätigkeit muß ein solcher zwischen dem Unfallereignis und dem Körperschaden bestehen. Für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist demnach zur Anerkennung eines Arbeitsunfalles (Versicherungsfall) die Feststellung eines zweifachen Kausalzusammenhangs erforderlich, nämlich: 1. zwischen versicherter Tätigkeit und Unfallereignis - sogenannte haftungsbegründende Kausalität — 2. zwischen Unfallereignis und Körperschaden - sogenannte haftungsausfüllende Kausalität - . 2.4.2 Ursachenbegriff in der gesetzlichen Unfallversicherung Für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung gilt - wie das auch auf andere Rechtsgebiete etwa des Strafrechts oder des Zivilrechts zutrifft — ein ihr eigentümli-

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cher Begriff der rechtserheblichen Verursachung. Das ist für die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität bei den sogenannten Zusammenhangsgutachten (s. Teil 2, Abschnitt 3.2.1 S. 109), wie schon aus der Bezeichnung hervorgeht, von besonderer Bedeutung. Wenn nämlich an dem eingetretenen Erfolg (Körperschaden) mehrere Ursachen und nicht das angeschuldigte Ereignis allein mitgewirkt haben, so kann ein Arbeitsunfall nur anerkannt werden, wenn dieses Ereignis den schädigenden Erfolg wesentlich mitverursacht hat, wenn es also eine wesentliche Teilursache ist. In einem Urteil des Bundessozialgerichts (14. 7. 1955 - 8 RV 177/54 - ) sind zu diesem Ursachenbegriff in Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung folgende Ausführungen gemacht: „ . . . Danach sind nur solche Ursachen als adäquat und damit rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben, während die sonstigen Glieder der Kausalreihe, die nur rein philosophisch, nicht aber als Ursachen im Rechtssinne in Betracht kommen, auszuscheiden sind. Haben mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie rechtlich nur dann nebeneinander stehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig sind. Kommt einem der Umstände gegenüber dem anderen eine überragende Bedeutung zu, so ist der betreffende Umstand allein Ursache im R e c h t s s i n n e . . . . "

Bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs ist also die Frage zu beantworten, ob ein Ereignis wesentlich den Erfolg herbeigeführt hat oder ob es nur eine rechtlich unbeachtliche Gelegenheitsursache darstellt, die den Erfolg „ausgelöst" hat. (Beispiel: Eintritt einer habituellen Luxation während der Arbeit.) Dabei ist u.U. auch darüber zu entscheiden, ob durch den Unfall ausgelöste Geschehensabläufe, die außerhalb des körperlich-organischen, also im seelischen Bereich, liegen, als wesentliche Ursache anzusehen sind. Diese Geschehensabläufe werden im Sprachgebrauch als „Unfallneurosen" bezeichnet. Solche seelischen Störungen sind nur unter besonderen, sorgfältig zu prüfenden Voraussetzungen wesentlich, die hier nur skizziert werden können. Die frühere Rechtsprechung, nach der die Unfallneurose als nicht unmittelbar organisch bedingt, sondern nur als eine psychologisch verständliche Reaktion und damit nicht als Unfallfolge im Rechtssinne angesehen wurde, ist durch das Bundessozialgericht nicht fortgesetzt worden. In dem maßgeblichen Urteil dieses Gerichts vom 1 8 . 1 2 . 1962 (Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Bd. 18, S. 173ff.) heißt es vielmehr dazu u.a.: „Auch bei psychischen Reaktionen kann der „Anlage" nicht in jedem Fall von vornherein eine so überragende Bedeutung beigemessen werden, daß sie rechtlich die allein wesentliche „Ursache" ist und die vom Unfallereignis oder seinen organischen Folgen ausgehenden Einwirkungen auf die Psyche als rechtlich unwesentlich in den Hintergrund treten. Vielmehr ist u. a. zu prüfen, ob das Unfallereignis und seine organischen Auswirkungen ihrer Eigenart und Stärke nach unersetzlich, d. h. ζ. B. nicht mit anderen alltäglich vorkommenden Ereignissen austauschbar sind, und ob die Anlage so leicht „ansprechbar" war, daß sie gegenüber den psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache ist. Hierbei wird die Schwere des Unfallereignisses - im Verhältnis zu den später vorliegenden Erscheinungen betrachtet vielfach gewisse Anhaltspunkte geben können. Weiterhin ist von Bedeutung, ob vor dem Unfallereignis eine völlig latente „Anlage" bestand oder ob diese sich bereits in Symptomen manifestiert hatte, deren Entwicklung durch das Unfallereignis - dauernd oder nur vorübergehend beeinflußt worden ist."

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und weiter: „Auch nach der Auffassung des erkennenden Senats ist allerdings ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang in der Regel zu verneinen, wenn die psychischen Reaktionen wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen sind, die ζ. B. mit der Tatsache des Versichertseins oder auch mit persönlichen Lebenskonflikten in Zusammenhang stehen."

Von dergleichen psychischen Reaktionen sind die Tatbestände der bewußten Aggravation und Simulation zu trennen. Sie sind keine Unfallfolgen. In das Gebiet der rechtlichen Beurteilung seelischer Reaktionen auf ein Unfallereignis fällt auch die Frage, ob ein Selbstmord wesentlich durch einen Unfall verursacht worden ist. Da absichtliches Verursachen eines Unfalls den Versicherungsschutz ausschließt, ist der Selbstmord an der Arbeitsstelle und durch Betriebseinrichtungen kein Arbeitsunfall. Ein Selbstmord jedoch, der in einem durch einen Arbeitsunfall verursachten Zustand der Unzurechnungsfähigkeit begangen wird, ist eine Folge dieses Unfalls, so daß die Hinterbliebenen zu entschädigen sind. Ein rechtserheblicher Ursachenzusammenhang eines Freitodes mit einem Unfall kann aber auch schon dann bestehen, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen des Unfalls wesentlich beeinträchtigt war. Für die Entscheidung kommt es darauf an, in welchem Umfang bei Berücksichtigung der gesamten Persönlichkeit die seelische Störung (Depression) durch Auswirkungen des Unfalls hervorgerufen war. Ist eine solche Störung rechtlich wesentlich durch Unfallfolgen verursacht, so ist zu prüfen, in welchem Umfang dadurch die Fähigkeit des Verstorbenen „zu vernunftgemäß würdigenden folgerichtigen Überlegungen und darauf aufgebauter Entschließung beeinträchtigt war und welche Bedeutung derartige Veränderungen der Persönlichkeit für den ,Entschluß' zur Selbsttötung hatten" (Bundessozialgericht Urteil vom 18. 12.1962, Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 18, S. 163). Es ist nicht erforderlich, daß ein Kausalzusammenhang mit Sicherheit nachgewiesen ist, es genügt vielmehr, daß er wahrscheinlich ist. Wahrscheinlich ist ein Zusammenhang nach der Rechtsprechung dann, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß sich darauf die richterliche Überzeugung gründen kann. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt weder für die haftungsbegründende, noch für die haftungsausfüllende Kausalität. Auf der anderen Seite wird ein besonderes Maß von Wahrscheinlichkeit wie „mit an Sicherheit grenzender" oder „überwiegender" Wahrscheinlichkeit nicht gefordert. In diesem Zusammenhang ist auf folgende Besonderheit zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hinzuweisen. Nach § 589 Abs. 2 RVO besteht bei den Berufskrankheiten Asbestose (jetzt: Nr. 4103 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung), Asbestose in Verbindung mit Lungenkrebs (jetzt: Nr. 4104), Silikose (jetzt Nr. 4101) undSiliko-Tuberkulose (jetzt: Nr. 4102) eine gesetzliche Vermutung dafür, daß der Tod eines Versicherten Folge der Berufskrankheit ist, wenn der Versicherte zu Lebzeiten wegen einer der zuvor genannten Berufskrankheiten um 50 oder mehr vom Hundert in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert war. Diese Vermutung gilt nur dann

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nicht, wenn offenkundig ist, daß der Tod mit der Berufskrankheit nicht in ursächlichem Zusammenhang steht. Offenkundig bedeutet in diesem Zusammenhang nach der Rechtsprechung, daß eine dieser Berufskrankheiten „ . . . mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit den Tod des Versicherten in medizinischem Sinne nicht erheblich mitverursacht und ihn mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit nicht um wenigstens ein Jahr beschleunigt hat." (Bundessozialgericht Urteil vom 14. 3. 1 9 6 8 , Entscheidungen des Bundessozialgerichts Band 2 8 , S. 3 8 f f . / 4 1 )

In der zitierten Entscheidung weist das Bundessozialgericht weiter darauf hin, daß die Vorschrift des § 589 Abs. 2 RVO den Zweck habe, in den genannten Fällen die Hinterbliebenenrente grundsätzlich zu gewähren und daß daher nur in besonderen Ausnahmefällen von der Gewährung dieser Hinterbliebenenrente abgesehen werden könne. Durch den Arbeitsunfall können auch mittelbare Unfallfolgen rechtlich wesentlich verursacht sein. Sie sind den unmittelbaren rechtlich gleichwertig und in verschiedener Form denkbar. (Beispiele: Hepatitis durch Behandlung mit Injektionen, Sturz infolge schwerer durch den Unfall verursachter körperlicher Behinderung u.ä.) Das Gesetz bezeichnet es ausdrücklich als (mittelbare) Folge eines Arbeitsunfalls, wenn der Verletzte bei der Durchführung der Heilbehandlung oder der Berufshilfe wegen dieses Arbeitsunfalls, bei der Herstellung oder Erneuerung eines beschädigten Körperersatzstückes oder größeren orthopädischen Hilfsmittels, bei einer wegen des Arbeitsunfalls zur Aufklärung des Sachverhalts angeordneten Untersuchung oder auf einem dazu notwendigen Wege einen Unfall erleidet (§ 555 RVO). 2.4.3 Verschlimmerung Folgen eines Unfalls können sich sowohl verschlimmern als auch bessern. Solche Änderungen in den Unfallfolgen sind nur dann rechtserheblich, wenn sie wesentlich sind. Wesentlich ist eine Änderung, wenn sich dadurch der Prozentsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf die Dauer um mehr als 5 v. H. geändert hat (Beispiel: 2 0 v. H. auf 30 v. H., 25 v. H. auf 3 3 7 3 v. H. usw. und umgekehrt). Dieser Grundsatz gilt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 2 . 3 . 1 9 7 1 (Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 32, S. 245 ff) ohne Einschränkung. Das Gericht hat mit diesem Urteil die frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach unter bestimmten Umständen eine Änderung um 5 v. H. als wesentlich anzusehen war, so wenn etwa die Gewährung oder der Entzug einer Verletztenrente davon abhing. Das Gericht hat dazu ausgeführt, es halte es für geboten, „ . . . an dem chungen um ßer Betracht Ausnahmen

auf jahrzehntelange unfallmedizinische Erfahrung gestützten Prinzip, daß Abweinicht mehr als 5 v. H. bei der Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit aubleiben müssen, festzuhalten und diesen Grundsatz noch dadurch zu festigen, daß hiervon nicht mehr anerkannt w e r d e n . . . "

Ein Arbeitsunfall kann aber auch ein bestehendes Leiden verschlimmern. Ist der Unfall eine wesentliche Teilursache für eine solche Verschlimmerung, so ist die Verschlim-

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merung Unfallfolge. Es sind verschiedene Möglichkeiten einer solchen Verschlimmerung denkbar. Die Verschlimmerung kann eine vorübergehende oder dauernde sein, sie kann einmalig oder auch richtunggebend, d.h. den ganzen weiteren Verlauf bestimmend sein. Die Frage der Verschlimmerung eines bestehenden Leidens durch einen Unfall ist bei Tod durch dieses Leiden besonders zu prüfen. Der Unfall ist als wesentliche Teilursache dann anzuerkennen, wenn das Leben des Versicherten durch den Unfall um wenigstens ein Jahr verkürzt worden ist.

2.4.4 Dem Arbeitsunfall gleichgestellte Tatbestände 2.4.4.1 Unfälle bei der Verwahrung des Arbeitsgeräts, Unfälle auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (Wegeunfälle) Als Arbeitsunfälle werden nicht nur die Unfälle in unmittelbarem Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit entschädigt, sondern auch Unfälle, die nur in mittelbarem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. So gilt ein Unfall bei einer mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgeräts als Arbeitsunfall, und zwar auch dann, wenn dieses Arbeitsgerät vom Versicherten gestellt wird (§ 549 RVO). Angesichts der Entwicklung des Verkehrs sind die Unfälle, die der Versicherte auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit erleidet, von besonderer Bedeutung. Dabei ist „Weg" nicht im Sinne von Wegstrecke, sondern von Fortbewegung von einem bestimmten Ausgangspunkt auf ein bestimmtes Ziel hin zu verstehen. Versichert ist nur der unmittelbare verkehrsgerechte Weg von der Wohnung des Versicherten zur Arbeitsstätte. Das gleiche gilt für die Wege von und zur Schule, zur Hochschule und zum Kindergarten und zu deren Veranstaltungen (§ 550 RVO). Durch das Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18. 3 . 1 9 7 1 (s.o. unter 2.3) ist der Versicherungsschutz auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit durch die nachfolgende Ergänzung des § 550 Abs. 2 RVO in der geltenden Fassung erweitert worden: „Die Versicherung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Wege zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil sein Kind (583 Abs. 5 RVO), das mit ihm in einem Haushalt lebt, wegen seiner oder seines Ehegatten beruflicher Tätigkeit fremder Obhut anvertraut w i r d , . . . "

Danach sind Versicherte auf dem Wege zur Arbeit oder auf dem Heimweg von der Arbeit auch auf einem Umweg versichert, wenn dieser Umweg wegen der durch die berufliche Tätigkeit der Eltern notwendigen Unterbringung ihres Kindes in fremder Obhut erforderlich ist. Als Kinder gelten nach dem in der ergänzten Vorschrift genannten § 583 Abs. 5 RVO 1. die ehelichen Kinder, 2. die in den Haushalt des Verletzten aufgenommenen Stiefkinder,

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3. die für ehelich erklärten Kinder, 4. die an Kindes Statt angenommenen Kinder, 5. die nichtehelichen Kinder eines männlichen Verletzten, wenn seine Vaterschaft oder seine Unterhaltspflicht festgestellt ist, 6. die nichtehelichen Kinder einer Verletzten. Den besonderen versicherungsrechtlichen Bedürfnissen für die von Versicherten vielfach gebildeten sogenannten „Fahrgemeinschaften" trägt die folgende 1974 eingeführte Erweiterung des § 550 Abs. 2 RVO Rechnung. Sie lautet: „Die Versicherung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil 1. s. oben 2. er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt."

Andere Umwege und Zwischenaufenthalte können den Zusammenhang unterbrechen, oder, wenn sie in un Verhältnis mäßiger Zeitdauer zur Wegstrecke stehen, auch lösen. Die Wahl des Verkehrsmittels, mit dem der Versicherte den Weg zurücklegt, ist ohne Bedeutung. Der Weg beginnt und endet jeweils an der Außentür des Unternehmens bzw. an der Außenhaustür des Wohngebäudes. Wege innerhalb des Wohngebäudes sind nicht mehr versichert. Wenn der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, gilt auch der Weg zu dieser ständigen Familienwohnung als versichert. 2.4.4.2 Unternehmen der Binnenschiffahrt Bei den Unternehmen der Binnenschiffahrt ist ein besonderer Versicherungsschutz für Tätigkeiten gegeben, die in mittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Binnenschiffahrt stehen. In diesen Unternehmen gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall, der durch Elementarereignisse, durch die in einem Hafen eigentümlichen Gefahren im Hafengebiet, bei der Beförderung vom Land zum Fahrzeug oder vom Fahrzeug zum Land oder beim Retten oder Bergen von Menschen oder Sachen eintritt. 2.4.4.3 Berufskrankheiten Als Arbeitsunfälle gelten schließlich die Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind nach den gesetzlichen Vorschriften die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter bei einer versicherten Tätigkeit erleidet. Seit dem 1. Januar 1977 gilt die Berufskrankheiten-Verordnung in der Fassung der Verordnung zur Änderung der Siebenten (7.) Berufskrankheiten-Verordnung mit dem neu gefaßten Verzeichnis der Berufskrankheiten in der Anlage 1 dieser Verordnung. Die bis dahin übliche Numerierung der Verordnungen - die 1. trat am 1. 7.1925, die bis zum 31.12. 1976 geltende 7. am 1. 7.1968 in Kraft - ist fortgefallen. Die Anlage 1 hat durch Umgestaltung der Liste und durch Numerierung nach einem vierstelligen Dezimalsystem folgende Systematik erhalten (s. auch S. 141 ff. und die dort abgedruckten

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Merkblätter zu den einzelnen Berufskrankheiten) : 1 11 1101 12 13 2 21 22 23 24 3 4 41 42 43 5 6

Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten Metalle und Metalloide Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen usw. Erstickungsgase Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten Mechanische Einwirkungen Druckluft Lärm Strahlen Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und Bauchfells Erkrankungen durch anorganische Stäube Erkrankungen durch organische Stäube Obstruktive Atemwegserkrankungen Hautkrankheiten Krankheiten sonstiger Ursache

Durch die Berufskrankheiten-Verordnung (BeKV) wurden folgende vier Berufskrankheiten neu in die Liste aufgenommen. Unter 21 Mechanische Einwirkungen 2104 Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Unter 41 4105

Erkrankungen durch anorganische Stäube Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells.

Unter 42 4201 4202

Erkrankungen durch organische Stäube Farmer- (Drescher-) Lunge Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll- oder Flachsstaub (Byssinose). Mehrere andere Nummern sind neu gefaßt, andere unterteilt worden. Zu beachten ist, daß 1. Meniskusschäden (2102) 2. Infektionskrankheiten (3101) 3. Augenzittern (6101) als Berufskrankheiten nur anerkannt werden, zu 1) nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage; zu 2) wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war; zu 3) bei Bergleuten.

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Wenn auch Berufskrankheiten durch ein Unfallereignis, d.h. also ein zeitlich begrenztes Ereignis, entstehen können, wie z.B. bei Erkrankung durch Einwirkung von Kohlenmonoxid, so ist doch im allgemeinen ein Zeitpunkt für das Entstehen einer Berufserkrankung nicht feststellbar oder die Erkrankung wird erst durch längere Einwirkung des schädigenden Stoffes erworben. Da nun aber eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall gilt, muß der Zeitpunkt der Entstehung fingiert werden. Das Gesetz (§ 551 Abs. 3 RVO) bestimmt daher, daß als Zeitpunkt des Arbeitsunfalls der Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit gilt. Krankheit im Sinne der Krankenversicherung beginnt entweder mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit oder mit der Notwendigkeit wegen einer Erkrankung ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Für die Berechnung der Entschädigung und für die Berechnung von Ausschlußfristen können noch andere Zeitpunkte fingiert werden; hierauf ist aber im Zusammenhang dieser Darstellung nicht einzugehen. Bei den Berufskrankheiten 2101 Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, 2 1 0 4 vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, 4301 durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, 4 3 0 2 durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, 5101 schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, tritt der Versicherungsfall (fingierter Arbeitsunfall) dann ein, wenn diese Erkrankungen zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankungen ursächlich waren oder sein können. Bis zum Inkrafttreten der nunmehr geltenden Liste mußte die Erkrankung zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben. Weitere Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalles ist bei Hauterkrankungen (5101), daß sie schwer oder wiederholt rückfällig sind. Bei Berufskrankheiten sind besondere Verfahrensvorschriften von Bedeutung. So besteht nach der Berufskrankheiten-Verordnung für jeden Arzt oder Zahnarzt die gesetzliche und erzwingbare — der Anzeige etwa nach dem Bundesseuchengesetz rechtlich vergleichbare — Pflicht, eine Anzeige zu erstatten, falls er den begründeten Verdacht hat, daß bei einem Versicherten eine Berufskrankheit besteht (§ 5 Berufskrankheiten-Verordnung). Die Anzeige ist unverzüglich dem zuständigen Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft usw.) oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle — in der Regel dem Staatlichen Gewerbearzt — zu erstatten. Dazu ist der in der Anlage 3 der Berufskrankheiten-Verordnung festgelegte Vordruck „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit" zu verwenden. Die Vordrucke werden von den Bezirksstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung gestellt.

Versicherungsfall

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Weiterhin hat die für den medizinischen Arbeitsschutz (Staatlicher Gewerbearzt) zuständige Stelle, falls sie es für erforderlich hält, den Versicherten zu untersuchen oder für Rechnung des Unfallversicherungsträgers untersuchen zu lassen und diesem Träger ein Gutachten zu erstatten. Schlägt die Stelle dem Unfallversicherungsträger Beweiserhebungen vor, so hat der Träger solchen Vorschlägen zu folgen, es sei denn, daß eine entsprechende Beweiserhebung bereits eingeleitet ist. Außerdem besteht eine gegenseitige Informationspflicht über die eingeleiteten Maßnahmen. Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle ist also bei Berufskrankheiten im Gegensatz zu dem sonstigen Verfahren im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung in gewissem Umfang Herr des Ermittlungsverfahrens ( § 7 ) . Besondere gutachtliche Aufgaben ergeben sich aus der Verpflichtung der Unfallversicherungsträger zur Vorbeugung von Berufskrankheiten. Besteht nämlich für einen Versicherten die Gefahr, daß eine Berufskrankheit entsteht, wieder auflebt oder sich verschlimmert, so hat der Versicherungsträger „mit allen geeigneten Mitteln dieser Gefahr entgegenzuwirken" (§ 3). Um diese Mittel - etwa vorbeugende Heilbehandlung, Kurgewährung o.ä., aber auch Wechsel des Arbeitsplatzes oder des Berufes einzusetzen, bedarf es der gutachtlichen Stellungnahme und der Mitwirkung des arbeitsmedizinisch erfahrenen Arztes. Da bereits das Entstehen einer Berufskrankheit zu verhindern ist, kann die ärztliche Tätigkeit bereits vor dem Zeitpunkt erforderlich sein, zu dem die „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit" zu erstatten wäre. Minderung des Verdienstes oder sonstige wirtschaftliche Nachteile, die der Versicherte durch die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit erleidet, sind vom Unfallversicherungsträger durch als „Übergangsleistungen" bezeichnete Geldleistungen a b z u gleichen. Nicht unmittelbar in den Bereich des Rechtes der Berufskrankheiten, jedoch in das Gebiet der Vorbeugung gegen außergewöhnliche Unfall- oder Gesundheitsgefahren bei der Arbeit und damit auch von Berufskrankheiten gehören die vorbeugenden ärztlichen Untersuchungen, über die die Berufsgenossenschaften Vorschriften zu erlassen haben (§ 708 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Dabei ergeben sich spezielle gutachtliche Aufgaben für den arbeitsmedizinisch erfahrenen Arzt. Für diese Aufgabe gibt der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften „Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen" heraus, die ständig ergänzt werden. Zur Vermeidung von Härten sollen die Unfallversicherungsträger im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung bezeichnet ist, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen diese Krankheit durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 551 Abs. 2 RVO). So weist die amtliche Begründung zur Berufskrankheiten-Verordnung daraufhin, daß die neu aufgenommenen Erkrankungen bereits vor Inkrafttreten dieser Anlage 1 von den Unfallversicherungsträgern nach der genannten Vorschrift entschädigt worden sind.

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2.5 Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten 2.5.1 Abstrakter Schadensersatz Im Allgemeinen Teil des Sozialgesetzbuches sind unter Bezugnahme auf die Vorschriften des 3. Buches der Reichsversicherungsordnung als Ansprüche der Versicherten nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung bezeichnet (§ 22): 1. Maßnahmen zur Verhütung und zur Ersten Hilfe bei Arbeitsunfällen, bei gleichgestellten Unfällen und bei Berufskrankheiten sowie Maßnahmen zur Früherkennung von Berufskrankheiten, 2. Heilbehandlung, Berufsförderung und andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit sowie zur Erleichterung der Verletzungsfolgen einschließlich wirtschaftlicher Hilfen. 3. Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit 4. Renten an Hinterbliebene, Sterbegeld und Beihilfen 5. Rentenabfindungen 6. Haushaltshilfe 7. Betriebshilfe für Landwirte

Dementsprechend ist es gesetzliche Aufgabe der Unfallversicherung (§ 537 RVO) 1. Arbeitsunfälle zu verhüten, 2. nach Eintritt eines Arbeitsunfalls den Verletzten, seine Angehörigen und seine Hinterbliebenen zu entschädigen.

Für die Begutachtung ist vor allem die zweite Aufgabe, nämlich die der Entschädigungsleistung, von Bedeutung. Bei der Erfüllung der hier gestellten Aufgabe, öffentlich-rechtliche Schadensersatzansprüche des Versicherten zu befriedigen, sind die Berufsgenossenschaften auf die Unterstützung der Ärzte sowohl bei der Behandlung der Verletzten als auch bei ihrer Entschädigung angewiesen. Der Anspruch des Versicherten auf Geldleistungen ist dabei ein abstrakter, d.h. die zu gewährenden Geldleistungen werden nicht individuell nach dem eingetretenen Schaden, wie Einkommensverlust o.ä. berechnet, sondern nach allgemeinen für alle Versicherten gleichmäßig geltenden Maßstäbe, die durch die gesetzlichen Vorschriften festgelegt sind. Das sind die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Arbeitsunfalls in Prozenten ausgedrückt und das Einkommen des Verletzten im Jahr vor dem Arbeitsunfall, dem sogenannten Jahresarbeitsverdienst. Ein Versicherter kann also wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls auch dann einen Anspruch auf Geldleistungen haben, wenn ihm ein Einkommensverlust durch den Unfall nicht entstanden ist. Entschädigt wird im allgemeinen nur der Körperschaden, nicht aber der Sachschaden. Auch besteht kein Anspruch auf Schmerzensgeld. Der Verlust oder die Beschädigung eines beim Unfall getragenen Körperersatzstückes oder größeren orthopädischen Hilfsmittels werden als Körperschaden angesehen und ersetzt bzw. wiederhergestellt (S 548 Abs. 2 RVO). Den Personen, die wegen ihres besonderen Einsatzes im öffentlichen Interesse oder bei

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Hilfeleistungen zugunsten Dritter usw. versichert sind (s. oben 2.3 Versicherter Personenkreis, § 539 Abs. § N r 9 RVO), werden aber auf Antrag Sachschäden, die sie bei dieser versicherten Tätigkeit erleiden, sowie Aufwendungen, die sie den Umständen nach für erforderlich halten dürfen, ersetzt. Die entsprechende gesetzliche Vorschrift § 765 a RVO - wurde durch das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (s. unten Nr. 5) eingefügt. Die Entschädigungsansprüche des Versicherten sind durch Sach- und Geldleistungen zu befriedigen.

2.5.2 Sachleistungen Unter Sachleistungen fallen alle Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, der Berufshilfe und zur Erleichterung der Verletzungsfolgen. Sie sind der wesentliche Teil der medizinischen und sozialen Rehabilitation eines Unfallverletzten. Als derartige Maßnahmen sieht das Gesetz Heilbehandlung, Pflege und Berufshilfe vor. 2.5.2.1 Heilbehandlung Die Heilbehandlung hat mit allen geeigneten Mitteln zu erfolgen und umfaßt die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, Heilmittel einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie, Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel, Belastungserprobung und Arbeitstherapie und ergänzende Leistungen, wie ärztlich verordneter Behindertensport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung. Außerdem ist erforderlichenfalls Pflege zu gewähren. Dabei sind die Träger der Unfallversicherung verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst bald nach dem Arbeitsunfall einsetzende, schnelle und sachgemäße Heilbehandlung, insbesondere unfallmedizinische Versorgung, gewährleistet wird. Die Verantwortung für die Durchführung der Heilbehandlung wird den Unfallversicherungsträgern ausdrücklich übertragen. Zur Durchführung ihrer Aufgaben auf dem Gebiete der Heilbehandlung haben die Berufsgenossenschaften seit Jahrzehnten besondere organisatorische Maßnahmen entwickelt. Sie stehen unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit einer möglichst bald nach dem Arbeitsunfall einsetzenden schnellen und sachgemäßen, insbesondere - soweit nötig - fachärztlichen oder besonderen unfallmedizinischen Versorgung. Daher werden diese organisatorischen Maßnahmen von den beiden Grundsätzen der Rechtzeitigkeit und der Auswahl getragen. Es kommt für den Erfolg der Heilbehandlung nämlich wesentlich darauf an, daß der Unfallverletzte unverzüglich nach dem Unfall ärztliche Versorgung erfährt und daß bei dieser Versorgung zugleich festgestellt wird, ob die Art der Verletzung eine besondere fachärztliche oder unfallmedizinische Behandlung erfordert. Diese Aufgaben hat der von den Berufsgenossenschaften bestellte Durchgangsarzt. Er

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führt die Erstversorgung durch, legt den festgestellten Befund und seine Diagnose nieder und entscheidet kraft der ihm erteilten Ermächtigung darüber, ob besondere fachärztliche Behandlung erforderlich ist. Ist sie erforderlich, dann leitet der Durchgangsarzt diese Behandlung als berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ein. Bei Verletzungen auf dem Fachgebiet der Augenheilkunde oder der Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen übernehmen diese Aufgabe alle Fachärzte dieser Fachgebiete. Bei einer vertraglich festgelegten Auswahl aus diesem Fachgebiet leiten sie berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ein. Bei bestimmten schweren Verletzungen, die stationärer Behandlung bedürfen, ist die Auswahl vorweg getroffen worden. Diese Verletzungen werden durch das sogenannte Verletzungsarten verfahren erfaßt. Für die Behandlung solcher schweren Verletzungen sind nur Krankenhäuser zugelassen, die über besondere personelle und technische Einrichtungen verfügen. Die durch diese besondere Auswahl festgelegten Verletzungsarten sind in einem besonderen Verzeichnis enthalten. Es handelt sich um folgende Verletzungsarten: 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Ausgedehnte oder tiefgehende Verbrennungen oder Verätzungen Ausgedehnte oder tiefgehende Weichteilverletzungen Quetschungen mit drohenden Ernährungsstörungen, ausgenommen an Fingern und Zehen Verletzungen mit Eröffnung großer Gelenke Eitrige Entzündungen der großen Gelenke Verletzungen der großen Nervenstämme an Arm oder Bein und Verletzungen der Nervengeflechte 7. Quetschungen oder Prellungen des Gehirns (contusio oder compressio cerebri) 8. Quetschungen oder Prellungen der Wirbelsäule mit neurologischen Ausfallerscheinungen 9. Brustkorbverletzungen, wenn sie mit Eröffnung des Brustfells, mit erheblichem Erguß in den Brustfellraum, mit stärkerem Blutverlust oder mit Beteiligung innerer Organe verbunden sind 10. Stumpfe oder durchbohrende Bauchverletzungen 11. Verletzungen der Nieren- oder Harnwege 12. Verrenkungen der Wirbel, des Schlüsselbeins, im Handwurzelbereich, des Hüftgelenks, des Kniegelenks oder im Fußwurzelbereich 13. Verletzungen der Beugesehnen der Finger, der körperfernen Sehne des Armbizeps und der Achillessehne 14. Folgende Knochenbrüche: a) Offene Brüche des Hirnschädels b) Geschlossene Brüche des Hirnschädels mit Gehirnbeteiligung, ausgenommen mit leichter Gehirnerschütterung c) Brüche im Augenhöhlenbereich d) Wirbelbrüche, ausgenommen Dorn- und Querfortsatzbrüche e) Schulterblatthalsbrüche mit Verschiebung f) Offene Brüche des Ober- und Unterarms g) Geschlossene Brüche des Ober- und Unterarms mit starker Verschiebung oder mit Splitterung, ausgenommen Speichenbrüche an typischer Stelle h) Brüche mehrerer Röhrenknochen oder mehrfache Brüche eines Röhrenknochens i) Beckenbrüche, ausgenommen Beckenschaufelbrüche und unverschobene Scham- und Sitzbeinbrüche j) Brüche des Oberschenkels einschließlich des Schenkelhalses k) Klaffende Brüche oder Trümmerbrüche der Kniescheibe

Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

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1) m) n) o)

Offene Brüche des Unterschenkels Geschlossene Brüche des Unterschenkels mit starker Verschiebung oder Splitterung Brüche eines Knöchels mit Verschiebung oder Splitterung Brüche des Fersenbeins mit stärkerer Höhenverminderung oder Verschiebung, Brüche des Sprungbeins, verschobene Brüche des Kahn- oder Würfelbeins oder eines Keilbeins p) Stark verschobene oder abgeknickte Brüche eines Mittelfußknochens.

Schließlich sind noch an der Durchführung der Heilbehandlung die Ärzte zu beteiligen, die dazu fachlich befähigt, entsprechend ausgestattet und zur Übernahme der damit verbundenen Pflichten bereit sind. Es handelt sich um die sogenannten H-Ärzte, deren Beteiligung durch von den kassenärztlichen Vereinigungen zusammen mit den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften zu bildende Ausschüsse ausgesprochen wird. Die Verantwortung der Unfallversicherungsträger für die Heilbehandlung und die daraus folgende Notwendigkeit organisatorischer Maßnahmen bewirken, daß der Grundsatz der freien Arztwahl nicht bzw. nur eingeschränkt gilt. 2.5.2.2 Pflege Schwerwiegende Unfallfolgen bedingen besondere Maßnahmen der Unfallversicherungsträger, wenn der Versicherte durch sie pflegebedürftig wird. Eine solche Pflegebedürftigkeit besteht dann, wenn der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls so hilflos ist, daß er nicht ohne Wartung und Pflege sein kann. Beispiele für eine solche Pflegebedürftigkeit sind Querschnittlähmungen, Erblindungen o.ä. Die Gewährung von Pflege ist eine Sachleistung und besteht in der Gestellung der erforderlichen Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder Hauspflege, bzw. in der Gewährung von Unterhalt und Pflege in einer geeigneten Anstalt, wenn der Verletzte einer solchen Unterbringung nicht widerspricht. Die besondere Lage auf dem Gebiet der pflegerischen Berufe macht solche Maßnahmen in aller Regel nicht möglich. Der Verletzte ist vielmehr darauf angewiesen, im eigenen Familienkreis die erforderliche Pflege zu finden. Daher sieht das Gesetz vor, daß anstelle dieser pflegerischen Maßnahmen ein Pflegegeld gewährt werden kann. In der Praxis wird entsprechend verfahren (S. 106, 107). Das Pflegegeld ist den Veränderungen der durchschnittlichen Bruttolohn- und Gehaltssumme durch Gesetz anzupassen (§ 579 RVO). Ein solches Pflegegeld kann angemessen erhöht werden, wenn die Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege den Betrag übersteigen. 2.5.2.3 Berufshilfe Mit der Berufshilfe sollen die Verletzten unter Anwendung aller geeigneten Mittel nach ihrer Leistungsfähigkeit unter Brücksichtigung ihrer Eigung, Neigung und bisherigen Tätigkeit möglichst auf Dauer beruflich eingegliedert werden; dabei kann Berufshilfe auch zum beruflichen Aufstieg gewährt werden (§ 556 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Zu diesem Ziel führen eine Reihe von Maßnahmen (Umfang der Berufshilfe § 567 RVO), wie u. a. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, auch durch Eingliederungshilfen an Arbeitgeber, Berufsfindung und Arbeitserprobung, Umschulung usw. Vor der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation, insbesondere bei der ersten Beratung des Verletzten — auch wenn dies während der medi-

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zinischen Rehabilitation in einem Krankenhaus erforderlich ist - , ist die Bundesanstalt für Arbeit zu beteiligen. Außerdem soll die nachgehende Berufshilfe betrieben werden, d.h. der zuständige Unfallversicherungsträger hat den Versicherten auch bei seinem weiteren beruflichen Werdegang zu betreuen. Angesichts der großen Bedeutung der Berufshilfe als Maßnahme der Rehabilitation sollte ein ärztlicher Gutachter, der einen Unfallverletzten untersucht und begutachtet, stets auch nach ärztlichen Gesichtspunkten Ratschläge für zweckmäßige berufshelferische Maßnahmen erteilen. 2.5.3 Geldleistungen 2.5.3.1 Ubergangsgeld Solange der Unfallverletzte infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und kein Entgelt erhält, hat er Anspruch auf Übergangsgeld. Arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist ein Versicherter, wenn er wegen seiner Verletzung bzw. Erkrankung nicht oder doch nur unter der Gefahr, seinen Zustand in absehbarer Zeit zu verschlimmern, fähig ist, seine bisherige unmittelbar vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit fortzusetzen. Das Ubergangsgeld wird von dem Tage an gewährt, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Das Übergangsgeld beträgt in der Regel 80 v. H. des wegen der Arbeitsunfähigkeit entgangenen regelmäßigen Entgelts (sogen. Regellohn), jedoch nicht mehr als das regelmäßige Nettoarbeitsentgelt. Der Verletzte hat außerdem während einer Maßnahme der Berufshilfe Anspruch auf Übergangsgeld, wenn er wegen der Teilnahme an dieser Maßnahme gehindert ist, eine ganztägige Erwerbsarbeit auszuüben. Weiterhin besteht ein solcher Anspruch, wenn nach Beendigung der Heilbehandlung die Berufshilfe ohne Verschulden des Verletzten nicht sofort angeschlossen werden oder wenn der Verletzte während der Berufshilfe krank wird und schließlich bei Arbeitslosigkeit im Anschluß an eine Berufshilfemaßnahme, in den beiden letzten Fällen bis zu sechs Wochen. 2.5.3.2 Verletztenrente Nach Beendigung der Heilbehandlung und Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung hat der Versicherte Anspruch auf Verletztenrente, wenn bei ihm wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus besteht. Ist mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen, beginnt die Rente 1. nach dem Tage, an dem die Heilbehandlung oder die Berufshilfe soweit abgeschlossen ist, daß der Verletzte eine geeignete Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen kann, jedoch nicht, solange die Voraussetzungen für die Zahlung von Übergangsgeld vorliegen. 2. nach dem Tage, an dem zu übersehen ist, daß der Verletzte wegen der Art oder Schwere der Verletzung auch durch weitere Maßnahmen der Heilbehandlung beruflich nicht eingegliedert werden kann, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung.

Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

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War der Verletzte nach dem Arbeitsunfall nicht arbeitsunfähig oder hat er bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt, so beginnt die Rente mit dem Tage nach dem Arbeitsunfall (§ 580 RVO). Voraussetzung für die Zahlung einer Verletztenrente ist demnach der Versicherungsfall (Arbeitsunfall oder gleichgestellte Tatbestände), der Fortfall der Arbeitsunfähigkeit wegen der Unfallfolgen oder die diesem Fortfall gleichgestellten Tatbestände und schließlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus. Die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten kann durch Unfallfolgen nicht mehr gemindert werden, wenn der Verletzte bereits vor Eintritt des Arbeitsunfalls vollständig erwerbsunfähig war. In einem solchen Fall besteht daher kein Anspruch auf Verletztenrente. Vollständig erwerbsunfähig ist ein Versicherter dann, „.... wenn er die Fähigkeit verloren hat, einen nennenswerten Verdienst zu erlangen, d. h. wenn er unfähig ist, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Kenntnissen sowie körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen" (Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Bd. 17, S. 160/161). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit muß wenigstens ein Fünftel (20 v. H.) entweder durch die Folgen des Arbeitsunfalls allein oder durch mehrere Arbeitsunfälle betragen. Den Arbeitsunfällen stehen dabei gleich, Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigung gewähren. Hat der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls seine Erwerbsfähigkeit verloren, so erhält er die Vollrente. Diese beträgt 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes. Im anderen Falle erhält er als Teilrente den Teil der Vollrente, der dem Grade der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entspricht. Die Höhe der Verletztenrente richtet sich nach dem Einkommen des Versicherten im Jahre vor dem Arbeitsunfall (sogenannter Jahresarbeitsverdienst). Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens 60 v. H. - bei Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, bzw. 40 v.H. — bei Personen, die das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben, der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden sogen. Bezugsgröße (§ 575 Abs. 1 RVO). Die Bezugsgröße wird alljährlich durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bekanntgegeben (Sozialgesetzbuch — Gemeinsame Vorschriften - § 18), ab 1.7. 1977 betrug die Bezugsgröße 22 2 0 0 , - D M jährlich und 1850,- D M monatlich. Der Höchstbetrag des JahresarbeitsVerdienstes beträgt 3 6 0 0 0 , - DM, sofern nicht die Satzung eines Unfallversicherungsträgers einen höheren Betrag bestimmt bzw. durch andere im Gesetz vorgesehene Maßnahmen ein höherer Betrag bestimmt wird. Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente durch den Unfallversicherungsträger ist daher das Vorliegen einer rechtserheblichen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Zu ihrer Feststellung ist das ärztliche Gutachten erforderlich. Bei der Begutachtung muß der für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebliche Be-

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griff der Erwerbsfähigkeit bzw. der Minderung der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt werden. Zur Feststellung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit nach dem Arbeitsunfall ist von der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor dem Arbeitsunfall auszugehen. Diese ist der vollen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor der eingetretenen Schädigung gleichzusetzen. Danach ist durch entsprechende Untersuchung festzustellen, ob diese Erwerbsfähigkeit durch den Körperschaden auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens eingeschränkt worden ist. Da es sich um einen abstrakten Schadensersatz handelt, ist für die Schätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich der Bezug auf die Möglichkeiten des Gesamtgebiets des Erwerbslebens (allgemeiner Arbeitsmarkt) erforderlich, d.h., daß in der gesetzlichen Unfallversicherung der Grad der durch Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nach dem Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu beurteilen ist. Bei dieser Schätzung kann von allgemeinen Erfahrungssätzen, wie sie nachfolgend dargelegt sind, ausgegangen werden. Jedoch muß dabei stets der Einzelfall mit seinen Besonderheiten berücksichtigt werden. Es gibt keine sogenannte „Gliedertaxe" oder „Knochentaxe". Der grundsätzliche Bezug auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens gilt nicht ohne jede Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse des Verletzten. Kann der Verletzte „bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen", ohne daß ein Ausgleich „durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann", vorhanden ist, so sind solche Nachteile „bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen" ($ 581 Abs. 2 RVO). Da damit der Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung nicht aufgegeben wird, können dergleichen Nachteile nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Allein die Tatsache etwa, daß ein erlernter Beruf wegen der Unfallfolgen nicht mehr ausgeübt werden kann, genügt nicht. Es muß sich im Einzelfall vielmehr um ganz spezielle berufliche Fähigkeiten und Kenntnisse handeln, deren Ausübung durch den Unfall beeinträchtigt wird, zugleich muß die Verweisung auf die zumutbare Nutzung anderer Fähigkeiten unmöglich sein. Die individuelle Erwerbsfähigkeit des Versicherten kann durch vielfache Faktoren schon vor dem Unfall beeinträchtigt sein, ζ. B. durch Vorerkrankungen, Alters- oder Verbrauchserscheinungen, angeborene oder durch den Unfall oder durch Versorgungsleiden erworbene Behinderungen usw. Gleichwohl ist sie mit 100 anzusetzen (s. a. „Hinweise für die Erstattung von Berichten und Gutachten", herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften). Das hat zur Folge, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen eines Arbeitsunfalls bei einem Versicherten mit einem solchen Vorschaden anders anzusetzen ist, als dies bei einem Versicherten ohne Vorschaden der Fall wäre. Rechtserheblich ist ein solcher Vorschaden aber nur dann, wenn zwischen dem Vorschaden und dem durch den Arbeitsunfall verursachten Körperschaden eine Wechselbeziehung besteht. Auch bei einem rechtserheblichen

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Vorschaden ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit frei zu schätzen. Dabei sind rechnerische Formeln - wie ζ. B. die nach ihrem Verfasser sogenannte „Lohmüllersche Formel" - nicht zu verwenden. Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit muß durch 5 teilbar sein oder 33 1 / 3 bzw. 66 2 /3 v. H. betragen. Eine Minderung von weniger als 10 ν. H ist nicht zu berücksichtigen. 2.5.3.3 Vorläufige Rente — Dauerrente Die Verletztenrente wird als vorläufige oder Dauerrente gewährt. Eine vorläufige Rente wird während der ersten 2 Jahre festgestellt, wenn die Rente noch nicht als Dauerrente festgesetzt werden kann. Diese vorläufige Rente kann bei Änderung der Verhältnisse jederzeit anders festgestellt werden, vorausgesetzt, daß die Änderung wesentlich ist. Die Rente wird mit Ablauf von 2 Jahren nach dem Unfall Dauerrente. Eine solche Dauerrente kann bei Vorliegen wesentlicher Änderungen, jedoch nur in Abständen von mindestens einem Jahr nach dem Zeitpunkt, zu dem sie kraft Gesetzes Dauerrente geworden oder der letzte Bescheid über eine Dauerrente zugestellt worden ist, geändert werden. Für den Unfallversicherungsträger kann es von beträchtlicher Bedeutung sein, wenn die vorläufige Rente nicht kraft Gesetzes zur Dauerrente wird, sondern eine besondere Feststellung der Dauerrente erfolgt. Denn die erste Feststellung der Dauerrente in anderer Weise als die der vorläufigen setzt eine Änderung der Verhältnisse nicht voraus. Die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit hat demnach unabhängig von früherer Einschätzung nach dem objektiven Befund zu erfolgen. Daher ist es besonders wichtig, daß die Begutachtung für die erste Feststellung der Dauerrente unverzüglich nach Erteilung des Auftrages erfolgt. 2.5.3.4 Entschädigung von Hinterbliebenen Die Entschädigung der Hinterbliebenen richtet sich bei Arbeitsunfällen mit tödlichem Ausgang ebenfalls nach dem Einkommen (Jahresarbeitsverdienst) des Versicherten im Jahre vor dem Unfall. Anspruchsberechtigt sind die hinterbliebene Ehefrau, die ehelichen, außerehelichen und an Kindes Statt angenommenen Kinder, Stiefkinder unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen, unter bestimmten Bedingungen auch der Witwer und Eltern bzw. Großeltern. Die gesamte Entschädigung darf 4/s des Jahresarbeitsverdienstes nicht überschreiten (näheres §§ 5 8 9 - 6 0 2 RVO, zum Begriff des hinterbliebenen Kindes s. außerdem S. 13 f.). 2.5.3.5 Abfindungen Der Anspruch auf Verletztenrente und der Anspruch auf Witwenrente können vom Unfallversicherungsträger abgefunden werden. Das Gesetz sieht für solche Abfindungen mehrere Möglichkeiten vor. Für die Entscheidung über eine Abfindung ist auch das ärztliche Gutachten von Bedeutung. Wenn nach allgemeinen Erfahrungen unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles zu erwarten ist, daß nur eine vorläufige Rente zu gewähren ist, so kann der Träger der Unfallversicherung diesen voraussichtlichen Rentenauf-

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wand durch eine sogenannte Gesamtvergütung in der Höhe der voraussichtlichen Zahlungen abfinden. Diese Gesamtvergütung ist bei Unfall Verletzungen, deren Folgen innerhalb der ersten 2 Jahre nach dem Unfall ohne wesentliche Minderung der Erwerbsfähigkeit auszuheilen pflegen, von erheblicher praktischer Bedeutung. Der Gutachter wird zu überlegen haben, ob eine solche Gesamtvergütung empfohlen werden kann. Der Versicherte kann nach Ablauf des Zeitraumes, für den die Gesamtvergütung festgesetzt war, Antrag auf weitere Zahlung der Verletztenrente stellen. Der Versicherungsträger muß dann prüfen, ob noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, die den Anspruch auf weitere Zahlung der Verletztenrente begründet. Während die Gesamtvergütung vom Antrag des Verletzten unabhängig ist, können andere Abfindungen nur auf Antrag des Verletzten vorgenommen werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Dauerrente von weniger als 30 ν. H der Vollrente oder von 3 0 v. H. und mehr zusteht. Ist die Dauerrente niedriger als 30 V.H., so wird auf Antrag des Verletzten mit einem dem Kapitalwert der Rente entsprechenden Betrage endgültig abgefunden. Der Kapitalwert der Rente ergibt sich aus einer Rechtsverordnung der Bundesregierung. Er ist abhängig vom Lebensalter des Verletzten zur Zeit des Unfalls und von dem seit dem Unfall vergangenen Zeitraum in Jahren. Sind mehr als 15 Jahre seit dem Unfall vergangen, so wird ein besonderer Schlüssel für die Feststellung des Kapitalwertes angewandt. Dem Antrag eines Versicherten auf Abfindung der Dauerrente kann nur entsprochen werden, wenn die Abfindung im wohlverstandenen Interesse des Versicherten liegt. Außerdem muß sichergestellt sein, daß der endgültige Zustand der Verletzungsfolgen erreicht ist und daß wesentliche Änderungen für den Zeitraum nach der Abfindung nicht mehr zu erwarten sind. Schließlich muß festgestellt werden, ob der Versicherte sich in einem Gesundheitszustand befindet, der eine Kapitalabfindung rechtfertigt. Für diese beiden letzteren Feststellungen wird eine ärztliche Begutachtung erforderlich sein. Das trifft auch zu, sofern es sich um die Abfindung einer Dauerrente von 3 0 v.H. der Vollrente oder mehr bzw. einer Witwenrente handelt. Eine Abfindung dieser Renten kann nur zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes oder grundstücksgleicher Rechte erfolgen. Der Rentenempfänger muß das 21., darf aber noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet haben. Die Abfindungssumme beträgt das 9fache des der Abfindung zu Grunde liegenden Jahresbetrages der Rente. Soweit die Rente abgefunden ist, erlischt der Anspruch darauf für 10 Jahre mit Ablauf des Monats der Auszahlung.

2.6 Verhältnis der Unfallversicherungsträger zu den Ärzten Die zahlreichen und mannigfaltigen Aufgaben der Unfallversicherungsträger bei der Entscheidung über Sach- und Geldleistungen sind nur im Zusammenwirken mit den Ärzten zu erfüllen. Die Beziehungen zu den Ärzten bedürfen daher besonderer Rege-

Verhältnis der Unfallversicherungsträger zu den Ärzten

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lung. Die gegenseitigen Verpflichtungen sind teils gesetzlicher, teils vertraglicher Natur. Neben der gesetzlich vorgeschriebenen Anzeigepflicht des Arztes von Berufskrankheiten (S. 16) ist vor allem die Auskunftspflicht des behandelnden Arztes von Bedeutung. Sie ist in § 1543 d der Reichsversicherungsordnung festgelegt, in dem es heißt: „Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, dem Träger der Unfallversicherung Auskunft über die Behandlung und den Zustand des Verletzten zu erteilen . . . "

Für solche Auskunft hat der Arzt Anspruch auf eine Gebühr. Die Auskunft nach dieser gesetzlichen Vorschrift ist eine befugte Auskunft. Der Arzt verstößt demnach mit einer solchen Auskunftserteilung nicht gegen die Verpflichtung, das Berufsgeheimnis zu wahren, denn nur die unbefugte Offenbarung durch den Arzt ist strafbar. Die Auskunftsempfänger, nämlich die Organe des Unfallversicherungsträgers und seine Angestellten, sind ihrerseits zur Geheimhaltung verpflichtet. Unbefugte Offenbarung dessen, was in amtlicher Eigenschaft über Krankheit oder andere Gebrechen Versicherter oder ihre Ursachen bekannt geworden ist, wird nach den entsprechenden Vorschriften des Strafgesetzbuches bestraft. Die Auskunftserteilung durch den Arzt ist erzwingbar. Verstöße gegen die Auskunftspflicht können als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße geahndet werden (§ 1543 d, Abs. 3 RVO). Zur Auskunftserteilung gehören auch die Herausgabe der Röntgenbilder und Mitteilungen über die vom Arzt gemachten Aufzeichnungen. Die gegenseitigen vertraglichen Verpflichtungen der Unfallversicherungsträger und der Ärzte sind im Abkommen Ärzte/Berufsgenossenschaften (Ärzteabkommen) festgelegt. In diesem Abkommen wird ausdrücklich festgestellt, daß die Unfallversicherungsträger für die Erfüllung ihrer Aufgaben der Mitarbeit aller Ärzte bedürfen. Für die Begutachtung ist wesentlich, daß der Arzt, der die erste ärztliche Versorgung geleistet oder den Verletzten behandelt hat, der Berufsgenossenschaft die Auskünfte, Berichte und Gutachten erstattet, die sie im Vollzuge ihrer gesetzlichen Aufgaben von ihm einholt (Ltn. 54). Dagegen verpflichten sich die Berufsgenossenschaften alle Auskünfte, Befundberichte und Gutachten lediglich für ihre eigenen Zwecke zu verwenden und ohne Einwilligung des betreffenden Arztes nicht Dritten zur Kenntnis zu geben, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften eine Auskunftspflicht besteht (Ltn. 56). Für den Gutachter ist weiter von Bedeutung, daß der Unfallversicherungsträger darüber entscheidet, ob ein Formulargutachten oder ob ein freies Gutachten erstellt werden soll. Schließlich ist auf die im Abkommen übernommene Verpflichtung der Ärzteschaft zu pünktlicher Berichterstattung hinzuweisen. Für Rentengutachten ist eine Frist von längstens 3 Wochen vom Tage des Eingangs der Anforderung ab gerechnet vorgesehen (Ltn. 57). In diesem Zusammenhang ist auf die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebenen Drucksache „Hinweise für die Erstattung von Berichten und Gutachten" besonders hinzuweisen. Sie beruht auf dem Abkommen Ärzte/Berufsgenossenschaften.

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Gesetzliche Unfallversicherung

2.7 Verfahren Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird das Verfahren von Amts wegen betrieben. Der Versicherte braucht demnach nicht Anträge auf Entschädigung zu stellen. Vielmehr muß der Unfallversicherungsträger die Ermittlungen durchführen, die erforderlichen Gutachten beiziehen und über die Ansprüche des Unfallversicherten entscheiden. Soweit es sich um Entscheidungen über Verletzten- bzw. Hinterbliebenenrenten, über Pflege, Heilanstaltspflege oder Anstaltspflege oder über Kapitalabfindungen handelt, ist die sogenannte förmliche Feststellung vorzunehmen. An der förmlichen Feststellung sind Vertreter der Versicherten zu beteiligen. Die förmliche Feststellung erfolgt durch die vom Vorstand eines Unfallversicherungsträgers eingesetzten Rentenausschüsse. In diesen Rentenausschüssen wirken Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten mit. Die Rentenausschüsse haben die Feststellung der Entschädigung vorzunehmen, nachdem von den Verwaltungen die Entscheidungen entsprechend vorbereitet sind. Sowohl die förmliche Feststellung durch Rentenbescheid als auch andere Entscheidungen des Versicherungsträgers über Ansprüche des Unfallverletzten sind hoheitliche Akte, sogenannte Verwaltungsakte. Sie sind daher nach rechtsstaatlichen Grundsätzen stets durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit nachprüfbar. Eine solche Nachprüfung obliegt den besonderen Verwaltungsgerichten der Sozialgerichtsbarkeit. In erster Instanz entscheiden über die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes der Unfallversicherungsträger die Sozialgerichte, in der Berufungsinstanz die Landessozialgerichte und in der Revisionsinstanz das Bundessozialgericht. Auch diese Gerichte bedürfen für die Urteilsfindung der Beweisführung durch ärztliche Gutachten. Dem Versicherten entstehen durch die Anrufung der Sozialgerichtsbarkeit keine Kosten.

3. Krankenversicherung 3.1. Allgemeines Ein kurzer Überblick über das System der gesetzlichen Krankenversicherung erscheint zweckmäßig, einmal weil ein Unfall mit seinen schädigenden Folgen als regelwidriger Körperzustand auch Krankheit bedeutet, außerdem weil der überwiegende Teil des in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreises zugleich in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist. Wegen dieses zweifachen Versicherungsverhältnisses können aus demselben Ereignis gleichzeitig Ansprüche sowohl gegen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung wie die der Krankenversicherung entstehen. Da aber Doppelleistungen nicht erbracht werden, muß bestimmt werden, welcher Versicherungsträger in solchen Fällen leistungspflichtig ist. Ein summarischer Überblick erscheint in diesem Zusammenhang gerechtfertigt, weil die Fragen der Unfallbegutachtung im Gebiet der Krankenversicherung kaum zu beantworten sind. Sie können sich gelegentlich bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit wegen eines Arbeitsunfalls ergeben. Sie können aber auch bei der Prüfung der Frage entstehen, ob eine Krankheit Folge eines Unfalls und daher in den Bereich der Entschädigungspflicht des Unfallversicherungsträgers fällt oder ob eine Krankheit vorliegt, für deren Versicherungsschutz allein die Krankenversicherung zuständig ist.

3.2. Träger der Krankenversicherung Die Aufgaben der Krankenversicherung werden von den Krankenkassen wahrgenommen. Sie sind wie die Träger der Unfallversicherung Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts. Ihre Organe sind gleichfalls paritätisch je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammengesetzt. Träger der Krankenversicherung sind die Ortskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die landwirtschaftlichen Krankenkassen, die Bundesknappschaft und die Seekrankenkasse. Schließlich sind für bestimmte Personenkreise Ersatzkassen gebildet, denen Angehörige dieser Personenkreise freiwillig beitreten können.

3.3. Aufbringung der Mittel Die für die Durchführung der Krankenversicherung erforderlichen Mittel werden durch Beiträge aufgebracht. Die Beiträge werden in erster Linie von den Arbeitgebern und den Versicherten je zur Hälfte, ferner von den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter und dem Träger der Rentenversicherung der Angestellten sowie dem Bund geleistet.

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Krankenversicherung

Außerdem sind bei Bezug v o n Übergangsgeld während M a ß n a h m e n der Rehabilitation Beiträge zur Krankenversicherung des Rehabilitanden von dem zuständigen Träger der Rehabilitation zu erbringen. Die Festsetzung des Beitragssatzes erfolgt durch die Satzung der Krankenkasse.

3.4. Versicherter Personenkreis Auch bei der Krankenversicherung besteht w i e bei den anderen Trägern der Sozialversicherung für bestimmte Personengruppen Versicherungszwang. Zu diesen Personengruppen gehören (s. auch oben S. 5 . 2 . 3 , Versicherter Personenkreis): Arbeiter einschließlich Gesellen, Hausgehilfen, Gehilfen, Lehrlingen und Seeleuten, Angestellte, wenn ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst 75 v. H. der für Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Beitragsbemessung nicht übersteigt, Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten erfüllen und die Rente beantragt haben, Personen, die wegen berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation Übergangsgeld beziehen, Studenten der staatlichen und der staatlich anerkannten Hochschulen, Personen, die eine in Studien- oder Prüfungsordnungen vorgeschriebene berufspraktische Tätigkeit verrichten, Hausgewerbetreibende, selbständige Lehrer, Erzieher und Musiker, die keine Angestellten beschäftigen, Artisten, Hebammen, in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- und Kinderpflege selbständig tätige Personen, die in ihrem Betrieb keine Angestellten beschäftigen. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung bzw. einer freiwilligen Fortsetzung einer beendeten Pflichtversicherung.

3.5. Versicherungsfall öffentlich-rechtliche Ansprüche des Versicherten gegenüber dem Träger der Krankenversicherung bestehen auf Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, Vorsorgekuren und andere Leistungen zur Verhütung von Krankheiten, bei Krankheiten Krankenpflege, Krankenhauspflege, Behandlung in Kur- und Spezialeinrichtungen sowie Krankengeld, bei Mutterschaft ärztliche Betreuung und Hilfe, Hebammenhilfe, Arzneien, Pflege in einer Entbindungs- oder Krankenanstalt und Mutterschaftsgeld, bei Freistellung von der Arbeit wegen Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes Krankengeld, Haushaltshilfe,

Beziehungen zwischen Kranken und Unfallversicherung

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Betriebshilfe für Landwirte, Sterbegeld (§ 21 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, und § 179 RVO).

Das Schwergewicht liegt bei den Leistungsansprüchen wegen Krankheit. Krankheit im Sinne der Krankenversicherung liegt dann vor, wenn ein regelwidriger Körperoder Geisteszustand Krankenpflege erfordert oder Arbeitsunfähigkeit verursacht. Arbeitsunfähig ist der Versicherte dann, wenn er wegen seiner Krankheit nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Arbeitsunfähigkeit wird durch den Arzt festgestellt.

3.6. Leistungen der Krankenversicherung Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung werden Sach- und Geldleistungen gewährt. Dabei wird zwischen Regel- und Mehrleistungen unterschieden. Die Regelleistungen sind die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtleistungen der Krankenkasse, die von den Trägern der Krankenversicherung nicht unterschritten werden können. Mehrleistungen sind die Leistungen, die über diese Regelleistung hinaus durch die Satzung der einzelnen Krankenkasse festgelegt und den Versicherten dieser Kasse gewährt werden. Sachleistungen sind im Bereich der Krankenversicherung die Maßnahmen zur Früherkennung oder Verhütung von Krankheiten, der Krankenhilfe, der Mutterschaftshilfe und bei den sonstigen Hilfen, wie ärztliche Beratung zur Empfängnisregelung und Leistungen bei nicht rechtswidriger Sterilisation und nicht rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch.

Dabei werden als Krankenpflege gewährt ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heilmitteln und Brillen, Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel, Zuschüsse zu den Kosten von Zahnersatz und Zahnkronen, Belastungserprobung und Arbeitstherapie, häusliche Krankenpflege, Krankenhauspflege und Behandlung in Kur- oder Spezialeinrichtungen. Zu den Sachleistungen gehört auch die Betriebshilfe für Landwirte.

Geldleistungen

sind Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld.

3.7. Beziehungen zwischen Kranken- und Unfallversicherung Die Tatsache, daß der versicherte Personenkreis der Unfallversicherung sich weithin mit dem der Krankenversicherung deckt, macht eine Regelung des Verhältnisses zwischen den Versicherungsträgern erforderlich. Grundsätzlich haben die Krankenkassen bei einem Arbeitsunfall dem krankenversicherten Verletzten ihre Sach- und Geld-

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Krankenversicherung

leistungen zu gewähren. Wenn allerdings im Einzelfall die besonderen Möglichkeiten der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung dem Unfallversicherungsträger die Übernahme dieser Heilbehandlung angezeigt erscheinen läßt, entfallen insoweit die Ansprüche des Verletzten gegen die Krankenversicherung. Übernommen wird die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung stets bei den Fällen des Verletzungsartenverfahrens (S. 20) und bei den für die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung vorgesehenen Verletzungen im Fachgebiet der Augenärzte bzw. der Fachärzte für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (S. 20). Es ist davon auszugehen, daß etwa 20 v. H. der Unfallverletzten berufsgenossenschaftlicher Behandlung bedürfen und 80 v. H. in kassenärztlicher Behandlung verbleiben. Die Krankenkassen unterstützen die Berufsgenossenschaften bei der Durchführung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens. Da die Unfallversicherungsträger bei berufsgenossenschaftlicher Heilbehandlung auch die Geldleistungen zu übernehmen haben, zahlen die Krankenkassen in diesen Fällen aufgrund besonderer Vereinbarungen das „Übergangsgeld" im Auftrage und für Rechnung des zuständigen Versicherungsträgers aus. Ist das Heilverfahren zu Lasten der Krankenkasse durchgeführt worden, stehen dem Träger der Krankenversicherung gegenüber dem Träger der Unfallversicherung Ersatzansprüche zu.

3.8. Beziehungen zu den Ärzten Während in der Unfallversicherung die Beziehungen zwischen den Ärzten und den Zahnärzten einerseits und dem Versicherungsträger andererseits vornehmlich auf der vertraglichen Grundlage des Abkommens Ärzte/Berufsgenossenschaften bzw. des Zahnärzteabkommens beruhen, ist das Verhältnis der Krankenversicherung zu den Ärzten bzw. Zahnärzten in einem besonderen Abschnitt der Reichsversicherungsordnung geregelt (§ 368 ff RVO). Nach diesen gesetzlichen Vorschriften haben die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen die den Krankenkassen obliegende ärztliche bzw. zahnärztliche Behandlung sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber zu gewährleisten, daß die kassenärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Entsprechende Verträge sind zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Verbänden der Krankenkassen abzuschließen. Der Arzt wird durch eine besondere Zulassung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet und zugleich ordentliches Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung. Die kassenärztlichen Vereinigungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Grundsätzlich hat der krankenversicherte Patient die freie Arztwahl.

Verfahren

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3.9. Verfahren Sofern der Versicherte Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch nehmen will, muß er tätig werden. Er muß für die Krankenhilfe einen Krankenschein lösen und Arbeitsunfähigkeit wegen einer Krankheit seiner Krankenkasse melden. Wie in der Unfallversicherung sind die Entscheidungen des Trägers im Einzelfall Verwaltungsakte und der Nachprüfung durch die Sozialgerichtsbarkeit unterworfen.

4. Rentenversicherung 4.1. Allgemeines Da die gesetzliche Rentenversicherung die Aufgabe hat, die Versicherten gegen die Wagnisse der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit und des Alters sowie die Hinterbliebenen bei Todesfällen zu schützen, ist ein Überblick über diesen Zweig der Sozialversicherung geboten. Denn die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit können Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit verursachen oder zum Tode führen. Gleichwohl muß ein kurzer Hinweis aus den gleichen Gründen wie bei der Betrachtung der Krankenversicherung genügen, zumal die in der Unfallversicherung so bedeutsamen Fragen des Ursachenzusammenhanges und der abgestuften Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei der Begutachtung in diesem Rechtsgebiet entfallen.

4.2. Träger der Rentenversicherung Die Aufgaben der Rentenversicherung werden für die Arbeiter von den Landesversicherungsanstalten, der Bundesbahnversicherungsanstalt für die Arbeiter der Bundesbahn und der Seekasse für Seeleute, Küstenschiffer und Küstenfischer wahrgenommen. Für die Angestellten obliegen diese Aufgaben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Für die im Bergbau tätigen Versicherten (Arbeiter und Angestellte) ist die Bundesknappschaft, für die Altershilfe der Landwirte sind die landwirtschaftlichen Alterskassen zuständig. Die Versicherungsanstalten sind wie alle Träger der Sozialversicherung juristische Personen des öffentlichen Rechts. Die Organe dieser juristischen Personen sind paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zusammengesetzt.

4.3. Aufbringung der Mittel Die zur Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Mittel werden durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber und einen Bundeszuschuß aufgebracht.

4.4. Versicherter Personenkreis Die Rentenversicherung umfaßt praktisch alle Arbeiter, Angestellte, Lehrlinge, soweit sie nicht (z.B. Beamte, Richter, Soldaten oder Rentner mit Altersruhegeld) versicherungsfrei sind. Dabei kommt es auf die Natur des Arbeitsverhältnisses an, ob die Ver-

Versicherungsfall

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Sicherung durch die Landesversicherungsanstalten oder die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte durchgeführt wird. Weiter sind u. a. versichert Deutsche, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder deren Mitarbeitern als Arbeitnehmer, Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe durch Beschäftigung für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen oder die in Einrichtungen für Behinderte, insbesondere in Berufsbildungswerken an berufsfördernden Maßnahmen teilnehmen, Wehrdienst- und Zivildienstleistende, wenn sie vor ihrer Einberufung versichert waren, Personen, denen die Krankenversicherung zwölf Monate ununterbrochen Krankengeld gezahlt hat, für die Zeit des weiteren Bezuges bis zu 2 4 Monaten weiterer Arbeitsunfähigkeit, Rehabilitanden.

Eine freiwillige Versicherung ist möglich. Der Versicherte kann außerdem zu seinen Pflichtbeiträgen oder seinen freiwilligen Beiträgen Beiträge zum Zwecke der Höherversicherung entrichten. Der im Gesetz bestimmte Personenkreis ist zwar der Versicherungspflicht unterworfen, der Pflichtige wird aber erst durch die Entrichtung von Beiträgen Versicherter.

4.5. Versicherungsfall öffentlich-rechtliche Ansprüche auf Leistungen der Rentenversicherung bestehen vor allem auf Heilbehandlung, Berufsförderung und andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung, Renten wegen Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, Alters Renten an Hinterbliebene.

(§ 23 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, und die dort genannten gesetzlichen Vorschriften)

4.5.1. Berufsunfähigkeit Berufsunfähigkeit liegt bei einem Versicherten dann vor, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfä-

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Rentenversicherung

higkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs. 2 RVO; §23 Abs. 2 Angestellten-Versicherungsgesetz (AVG)). Der Begriff der Berufsunfähigkeit ist demnach weitaus individueller als der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Unfallversicherung mit dem Bezug auf das gesamte Gebiet des Erwerbslebens. Dies wird besonders zu beachten sein, wenn die durch einen Unfall etwa verursachte Berufsunfähigkeit und die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erörtern sind. Die Frage der Kausalität des Leidens bleibt außer Betracht. Im Bereich der Rentenversicherung ist im übrigen eine Tätigkeit, für die der Versicherte mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult ist, stets zumutbar.

4.5.2. Erwerbsunfähigkeit Die Erwerbsunfähigkeit liegt bei einer weitaus umfassenderen Einschränkung der körperlichen und geistigen Kräfte vor. Sie ist dann anzuerkennen, wenn der Versicherte infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (§ 1247 Abs. 2 RVO; § 24 Abs. 2 AVG).

4.5.3. Alter Der Eintritt des Versicherungsfalles erfolgt beim Erreichen der im Gesetz vorgesehenen Altersgrenze. Sie liegt im allgemeinen bei der Vollendung des 63. Lebensjahres, kann aber unter bestimmten Voraussetzungen auf den Zeitpunkt der Vollendung des 62. bzw. 60. Lebensjahres vorgezogen werden (Schwerbehinderte, Berufsunfähige, Erwerbsunfähige bzw. Arbeitslose oder weibliche Versicherte).

4.5.4. Tod Beim Tode des Versicherten entstehen die Ansprüche der bezugsberechtigten Hinterbliebenen, nämlich der Witwe, u.U. der geschiedenen Witwe oder des Witwers und der Waisen.

4.5.5. Wartezeit Renten aus der Rentenversicherung sind nur dann zu gewähren, wenn beim Eintritt des Versicherungsfalles die für jeden Versicherungsfall besonders bestimmten Mindestversicherungszeiten (Wartezeiten) zurückgelegt sind. Sie betragen für das Alters-

Leistungen

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ruhegeld 180, für die anderen Versicherungsfälle 60 Monate. Die Wartezeit gilt u.a. als erfüllt, wenn der Versicherungsfall durch einen Arbeitsunfall (Berufskrankheit) verursacht worden ist.

4.5.6. Besondere Versicherungsfälle der Knappschaftsversicherung Als Besonderheit kennt die knappschaftliche Rentenversicherung außer den zuvor aufgeführten Versicherungsfällen die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit. Sie liegt dann vor, wenn ein Versicherter infolge von Krankheit oder Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben (§ 45 Abs. 2 Reichsknappschaftsgesetz). Der Versicherungsfall führt, wenn die Wartezeiten erfüllt sind, zur Bergmannsrente.

4.6. Leistungen Wie in den zuvor geschilderten Zweigen der Sozialversicherung hat auch der Versicherte der Rentenversicherung im Versicherungsfall Anspruch auf Sach- und Geldleistungen. Der Umfang der Sachleistungen ist durch die Verpflichtung der Träger der Rentenversicherung zu medizinischen (§ 1237 RVO und § 14 AVG) und zu berufsfördernden (§ 1237a RVO und § 14a AVG) Leistungen zur Rehibilitation sowie zu ergänzenden Leistungen (§ 1237b R V O und § 14b AVG) bestimmt. Die medizinischen Leistungen zur Rehabilitation sind im wesentlichen die gleichen wie bei den Krankenkassen und den Unfallversicherungsträgern (s. oben 2.5.2.1. und 3.6.), allerdings ohne zahnärztliche Behandlung und ohne Pflege. Die Durchführung der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation soll vor allem stationär in Kur- und Spezialeinrichtungen erfolgen. Zu den ergänzenden Leistungen gehört ärztlich verordneter Behindertensport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung. Die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation entsprechen dem Umfang der Berufshilfe in der gesetzlichen Unfallversicherung (s. oben 2.5.2.3). An Geldleistungen werden in der Rentenversicherung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gewährt: Ubergangsgeld während medizinischer oder berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation, Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, Altersruhegeld, Witwenrente bzw. Rente an eine frühere Ehefrau des Versicherten, Witwenrente, Waisenrente.

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Rentenversicherung

4.7. Beziehungen zur Unfallversicherung Aus den Aufgaben der Rentenversicherung ergibt sich insbesondere auf dem Gebiet der Rehabilitation die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Unfallversicherungsträgern. Denn auch hier, wie in der Krankenversicherung, decken sich die versicherten Personenkreise weithin. Daher besteht die Notwendigkeit der Koordination von Maßnahmen der Rehabilitation. Entlastet ein von der Rentenversicherung einem Unfallverletzten gewährtes Heilverfahren eine Berufsgenossenschaft, so hat die Berufsgenossenschaft die Kosten zu erstatten.

4.8. Verfahren Die Leistungen der Rentenversicherung setzen einen Antrag des Versicherten voraus. Der Versicherte muß also tätig werden, um die im Versicherungsfall zustehenden Leistungen zu erhalten. Die Feststellung der Leistungen bzw. die Entscheidung darüber erfolgt durch Bescheid. Solche Bescheide sind als Verwaltungsakte durch die Sozialgerichtsbarkeit nachprüfbar.

5. Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) (zugleich Recht der Bundesversorgung) 5.1. Allgemeines Das am 1 6 . 5 . 1 9 7 6 in Kraft getretene Gesetz regelt die Entschädigung gesundheitlicher Schäden durch Gewalttaten. Da gesundheitliche Schäden infolge von Gewalttaten in ihren Auswirkungen den Folgen von Unfällen gleichen und die zur Feststellung solcher Auswirkungen erforderliche Begutachtung der Begutachtung anderer Unfallfolgen verwandt ist, erscheint eine Darstellung der Rechtsgrundlagen etwaiger Ansprüche nach diesem Gesetz angebracht. Sie sind im übrigen von denen der gesetzlichen Unfallversicherung verschieden.

5.2. Anspruch auf Versorgung Personen, die durch Gewalttaten eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, oder ihre Hinterbliebenen im Falle der Tötung durch Gewalttaten erhalten wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Die nachfolgenden Darlegungen stellen demnach zugleich einen Überblick über das Recht der Bundesversorgung dar. Voraussetzung für die Versorgung (§ 10 OEG) ist, daß 1. durch einen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriff auf den Geschädigten oder eine andere Person bzw. 2. bei der rechtmäßigen Abwehr eines solchen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung eingetreten ist, und zwar auch dann, wenn der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes gehandelt hat; 3. der tätliche Angriff bzw. die rechtmäßige Abwehr in der Bundesrepublik, dem Lande Berlin oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug stattgefunden hat; 4. der Geschädigte ein Deutscher ist, ein Ausländer nur bei der Gewährleistung der Gegenseitigkeit; 5. Der tätliche Angriff nicht von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder eines Anhängers durchgeführt wurde; 6. der Geschädigte unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde erstattet; 7. der Geschädigte oder seine Hinterbliebenen einen Antrag auf Versorgung stellen. Einem tätlichen Angriff stehen gleich die vorsätzliche Beibringung von Gift und die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen (ζ. B. besonders schwere Brandstiftung, § 307, Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, § 311 StGB).

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Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG)

Einer Schädigung durch tätlichen Angriff stehen Schädigungen durch Unfälle gleich, die der Geschädigte auf dem Hin- oder Rückweg zu Maßnahmen der Rehabilitation oder zu Terminen zur Aufklärung des Sachverhalts - falls das persönliche Erscheinen angeordnet ist - oder zur unverzüglichen Erstattung einer Strafanzeige (s. o. Nr. 6) erleidet. Das gleiche gilt für Unfälle, die der Geschädigte bei der Durchführung der zuvor genannten Maßnahmen erleidet.

5.3. Aufbringung der Mittel Die Versorgung der Opfer von Gewalttaten ist Aufgabe des Landes, in dem die Schädigung eingetreten ist oder, wenn dies nicht feststellbar ist, in dem der Geschädigte zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hat. Der Bund hat die Versorgung zu gewähren, wenn der Geschädigte keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem der Bundesländer oder in Berlin hat oder wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist. Der Bund leistet außerdem Zuschüsse in Höhe von 4 0 % der von den Ländern erbrachten Geldleistungen (§ 4 OEG). Die Durchführung der Versorgung erfolgt durch die Versorgungsämter (§ 6 OEG).

5.4. Umfang der Versorgung Da die Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes zu erfolgen hat, können von dem Berechtigten in Anspruch genommen werden (§ 24 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - und die dort angeführten Vorschriften des BVG): Heil- und Krankenbehandlung sowie andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit einschließlich wirtschaftlicher Hilfen, besondere Hilfen im Einzelfall einschließlich Berufsförderung, Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, Renten an Hinterbliebene, Bestattungsgeld und Sterbegeld, Kapitalabfindung, insbesondere zur Wohnraumbeschaffung.

Es sind demnach auch in diesem RechtsgebietSach- und Geldleistungen zu gewähren. 5.4.1. Heil- und Krankenbehandlung Heilbehandlung wird für Gesundheitsstörungen gewährt, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind (§ 10, Abs. 1 BVG). Die Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs genügt (§ 1 Abs. 3 BVG). Schwerbeschädigten (mindestens 5 0 % MdE) wird Heilbehandlung

Umfang der Versorgung

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auch für Gesundheitsstörungen gewährt, die nicht als Folge einer Schädigung anerkannt sind ( § 1 0 Abs. 2 BVG). Die Heilbehandlung

umfaßt (§ 11 BVG):

ambulante ärztliche und zahnärztliche Behandlung, Versorgung mit Arznei und Verbandmitteln, Versorgung mit Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie, Versorgung mit Zahnersatz, stationäre Behandlung in einem Krankenhaus (Krankenhausbehandlung), u.U. auch in einer Kureinrichtung, stationäre Behandlung in einer Tuberkulose-Heilstätte (Heilstättenbehandlung), Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere Pflegekräfte (Hauspflege), orthopädische Versorgung, Belastungserprobung und Arbeitstherapie.

Krankenbehandlung wird u.a. Schwerbeschädigten, deren Ehegatten und Kindern, Pflegekräften, Witwen, Waisen und versorgungsberechtigten Eltern gewährt. Sie umfaßt Leistungen wie die Heilbehandlung, außer Versorgung mit Zahnersatz. Sie wird nicht gewährt, wenn ein Sozialversicherungsträger zu einer entsprechenden Leistung verpflichtet ist oder andere im Gesetz genannte Ausschlußvoraussetzungen vorliegen ($ 10 Abs. 7 BVG). Zu den medizinischen Leistungen gehören auch Versehrtenleibesübungen (§§ 10, Abs. 3, I I a BVG). Während der Heil- oder Krankenbehandlung hat der arbeitsunfähige Geschädigte Anspruch auf Übergangsgeld. Der Berechtigte gilt als arbeitsunfähig, wenn er wegen einer M a ß n a h m e der medizinischen Rehabilitation keine ganztätige Erwerbstätigkeit ausüben kann (§ 16 BVG).

5.4.2. Besondere Hilfen im Einzelfall Die Leistungen durch besondere Hilfen im Einzelfall (§ 24, Abs. 1, N r . 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - ) ergeben sich aus den entsprechend anzuwendenden Bestimmungen des Abschnitts „Kriegsopferfürsorge" des BVG (§§ 2 5 - 2 7 d BVG). Anspruchsberechtigt sind Geschädigte und ihre Hinterbliebenen, wenn sie wegen der Schädigung nicht in der Lage sind, trotz der übrigen Leistungen nach dem OEG sowie ihres sonstigen Einkommens und ihres Vermögens eine angemessene Lebensstellung zu erlangen oder sich zu erhalten, bzw. wenn es unbillig wäre, von den Geschädigten oder Hinterbliebenen den Einsatz ihres Einkommens zu verlangen. Als Leistungen sind u.a. zu gewähren: berufsfördernde Leistungen Ubergangsgeld Erziehungsbeihilfen ergänzende Hilfen Sonderfürsorge

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Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG)

Die berufsfördernden Leistungen (§ 2 6 BVG) haben den gleichen Umfang wie diejenigen der gesetzlichen Unfallversicherung (s.o. 2.5.2.3). Übergangsgeld ist zu gewähren, wenn der Geschädigte wegen der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Erziehungsbeihilfen sind Waisen und Kindern von Geschädigten zu ihrer Erziehung bzw. Ausbildung zu gewähren. Ergänzende Hilfen sind, unter entsprechender Anwendung von Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes denjenigen Geschädigten und Hinterbliebenen zum Lebensunterhalt zu leisten, die diesen nicht aus den übrigen Leistungen des Gesetzes und ihren sonstigen Mitteln bestreiten können. Sonderfürsorge ist bestimmten Gruppen besonders schwer Geschädigter, so ζ. B. Blinden, Ohnhändern, Querschnittsgelähmten zu gewähren (§ 2 7 c BVG). 5.4.3. Renten und andere Geldleistungen Der Geschädigte hat Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn er wegen der Folgen der Schädigung dauernd um mindestens 3 0 v. H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Der Begriff „Minderung der Erwerbsfähigkeit" ist - anders als im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (s. oben 2.5.3.2) - im Gesetz definiert. Diese Definition lautet (§ 3 0 BVG): „Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen; dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu brücksichtigen. Für die Beurteilung ist maßgebend, um wieviel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt s i n d . . . Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt..." Bei der Begutachtung sind als Richtlinie für die Einschätzung des Prozentsatzes der Minderung der Erwerbsfähigkeit die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen „Anhaltspunkte für die ärztliche Begutachtung Behinderter" zu beachten. Die in den Anhaltspunkten angegebenen Sätze sind häufig von den weiter unten für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung vorgeschlagenen unterschieden. Entsprechend der jeweiligen Rechtslage sind zu gewähren: Grundrente ( § 3 1 BVG) Schwerbeschädigtenzulage ( § 3 1 BVG) Ausgleichsrente (§ 32 BVG) Berufsschadenausgleich (§ 30 Abs. 3 BVG).

Verfahren

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Weitere Geldleistungen sind Pflegezulage (§ 35 BVG) Bestattungsgeld (§ 36 BVG) Sterbegeld (§ 3 7 BVG) Hinterbliebenenrente (§§ 38 ff BVG)

5.5. Versagung der Leistungen Die Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, in dem eigenen Verhalten des Anspruchstellers liegenden Gründen, unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Die Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte nicht alles ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Verfolgung des Täters beiträgt, insbesondere nicht unverzüglich Strafanzeige erstattet (s.o. 5.2 Nr. 6).

5.6. Verfahren Leistungen nach dem OEG werden nur auf Antrag gewährt. Die Entscheidungen der Versorgungsämter über Ansprüche nach diesem Gesetz sind Verwaltungsakte. Gegen diese ist Klage möglich. Uber solche Klagen entscheiden im allgemeinen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit (§ 7 Abs. 1 OEG). Soweit es sich um Entscheidungen über besondere Hilfen im Einzelfall handelt (s. oben 5.4.2), sind öffentlich-rechtliche Streitigkeiten darüber durch die allgemeinen Verwaltungsgerichte zu entscheiden.

6. Die Rehabilitation und ihre Träger 6.1. Allgemeines Die Unfallbegutachtung ist nicht nur als Grundlage der Entscheidung über öffentlichrechtliche Entschädigungsansprüche in der Form von Geldleistungen von Bedeutung. Es hat sich nämlich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation des durch einen Unfall - ebenso aber auch aus anderer Ursache - gesundheitlich, d. h. in seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigten Menschen den Geldleistungen gegenüber vorrangig ist. So gehört zu den sozialen Rechten im Falle der körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung oder wenn eine solche Behinderung droht - demnach auch bei Unfallfolgen - das Recht auf die Hilfe, die notwendig ist (§ 10 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - ) , um die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern und dem Behinderten einen seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz in der Gemeinschaft, insbesondere im Arbeitsleben, zu sichern. Im übrigen gilt der Grundsatz „Rehabilitation geht vor Rente" (§ 7 Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation — RehaAnglG). Das beideutet, daß außer dem behandelnden Arzt auch der ärztliche Gutachter bei der Untersuchung und Begutachtung eines Unfallverletzten neben den Feststellungen etwa zum Kausalzusammenhang oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit sachverständige Vorschläge für etwa erforderliche Maßnahmen der Rehabilitation abgeben sollte, worauf an anderer Stelle mehrfach hingewiesen wurde. Ohne die Mitwirkung des sachverständigen Arztes ist eine sinnvolle Rehabilitation nicht denkbar. Die Feststellung des Abkommens Ärzte/Berufsgenossenschaften (s. S. 27), daß die Unfallversicherungsträger für die Erfüllung ihrer Aufgaben der Mitwirkung aller Ärzte bedürfen, gilt für alle Träger der Rehabilitation. Das Ziel der Rehabilitation ist nur im Zusammenwirken aller für die entsprechenden Maßnahmen zuständigen Sachverständigen, den Träger der Rehabilitation und nicht zuletzt der Rehabilitanden selber zu erreichen.

6.2. Träger der Rehabilitation Der Begriff „Rehabilitation" hat sich schon seit langer Zeit als zusammenfassende Bezeichnung für die medizinischen, beruflichen und sozialen Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Behinderten durchgesetzt. In die gesetzlichen Vorschriften ist der Begriff jedoch erst mit dem am 1.10.1974 in Kraft getretenen Gesetz über die Anglei-

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Träger der Rehabilitation

chung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) eingeführt worden. Dieses Gesetz definiert den Begriff der Rehabilitation nicht unmittelbar, sondern beschreibt die Aufgabe der Rehabilitation dahin (§ 1 RehaAnglG), daß die medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation im Sinne des Gesetzes darauf ausgerichtet sind, körperlich, geistig oder seelisch Behinderte möglichst auf Dauer in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Bei der Anwendung des Gesetzes stehen den Behinderten diejenigen gleich, denen eine Behinderung droht. Die Maßnahmen zur Rehabilitation sind von den Trägern der Rehabilitation im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgaben und Zuständigkeiten durchzuführen. Als Träger bezeichnet das Gesetz (§ 2, Abs. 1 und 2 RehaAnglG) die Körperschaften, Anstalten und Behörden für die Bereiche der gesetzlichen Krankenversicherung, gesetzlichen Unfallversicherung, gesetzlichen Rentenversicherung, Altershilfe für Landwirte, Kriegsopferversorgung einschließlich der Versorgung nach Gesetzen, die das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklären, Bundesanstalt für Arbeit.

Der Bereich der Sozialhilfe

ist in das RehaAnglG nicht einbezogen, obwohl die Träger

der Sozialhilfe Aufgaben der Rehabilitation wahrnehmen, insbesondere durch die Eingliederungshilfen für Personen, die körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind oder denen solche Behinderungen drohen (§§ 3 9 f f Bundessozialhilfegesetz). Ergänzend ist zu einzelnen Trägern der Rehabilitation noch folgendes zu bemerken: Die Träger der gesetzlichen

Krankenversicherung

haben durch das RehaAnglG Auf-

gaben der Rehabilitation ihrer Versicherten erhalten. Dem haben die Krankenkassen u. a. durch die Vereinbarung des sogenannten Unfallheilverfahrens mit den Kassenärztlichen Vereinigungen entsprochen. Für den ärztlichen Gutachter kann der Hinweis von Bedeutung sein, daß durch Verträge zwischen den Bundesverbänden der Krankenkassen und den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sicherzustellen ist bzw. sichergestellt wurde (§ 3 6 8 s R V O ) , daß der Behinderte über die Möglichkeiten der medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation beraten wird und die gebotenen Maßnahmen von den Rehabilitationsträgern frühzeitig eingeleitet werden. In diesen Verträgen ist auch zu regeln bzw. geregelt worden, bei welchen Behinderungen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchem Verfahren von den Ärzten Mitteilungen über Behinderte an die Kassen zu machen sind. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über diese Verträge vom 1 7 . 1 2 . 1 9 7 5 tions-Richtlinien)

(Rehabilita-

sollen solche Mitteilungen erfolgen (2. 1 - 2 . 4 der Richtlinien) bei

nicht nur vorübergehender erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, die auf dem Fehlen oder auf Funktionsstörungen oder auf anderen Ursachen beruht,

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Die Rehabilitation und ihre Träger

Mißbildungen, Entstellungen und Rückgratverkrümmungen, wenn die Behinderungen erheblich sind, nicht nur vorübergehender erheblicher Beeinträchtigung der Seh-, Hör- und Sprachfähigkeit, nicht nur vorübergehender erheblicher Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Kräfte aufgrund von schweren chronischen Erkrankungen der inneren Organe oder des Stoffwechsels oder aus anderen Ursachen.

Die Mitteilung muß unterbleiben, wenn der Behinderte trotz ärztlicher Beratung über die Vorteile einer Rehabilitation der Mitteilung an die Krankenkasse ausdrücklich widerspricht. Ähnliche Bestimmungen enthält das Bundessozialhilfegesetz im Abschnitt 12. Sort-

derbestimmungen

zur Sicherung der Eingliederung Behinderter

(§§ 123-126 c

BSHG). Bei einem annähernd den Rehabilitations-Richtlinien (s.o.) gleichen Verzeichnis von Behinderungen haben die Ärzte, denen solche Behinderungen bekannt werden, diese und die wesentlichen Angaben zur Person des Behinderten dem Gesundheitsamt mitzuteilen, nicht dagegen die Namen der Behinderten und die der Personensorgeberechtigten (§ 125 Abs. 2 BSHG). Für den Bereich der Krankenversicherung ist abschließend noch daraufhinzuweisen, daß die Krankenkassen im Benehmen mit dem behandelnden Arzt eine Begutachtung durch den Vertrauensarzt zu veranlassen haben, wenn dies zu Einleitung von Maßnahmen der Rehabilitation erforderlich erscheint (§ 369 b Abs. 1 Nr. 3 RVO). Wegen der Rechtsansprüche ihrer Versicherten auf Rehabilitation gegenüber dem Träger der

gesetzlichen Unfallversicherung bzw. gesetzlichen Rentenversicherung wird auf die vorangestellten entsprechenden Abschnitte (2.5.2.1 und 2.5.2.3 bzw. 4.6) verwiesen. Für den Zuständigkeitsbereich der Kriegsopferversorgung ist im Rahmen dieser Darstellung darauf hinzuweisen, daß die Maßnahmen und Leistungen in diesem Bereich auch den Anspruchsberechtigten u.a. nach dem Bundesseuchengesetz (Impfschäden) und dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (s. o. Abschnitt 5) zustehen, weil für die Ansprüche nach diesen Gesetzen das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklärt ist. (Weitere derartige Gesetze s. Sozialgesetzbuch, Artikel II, Übergangs- und SchlußVorschriften, § 1 Nr. 11.) Schließlich hat die Bundesanstalt für Arbeit Aufgaben auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation, deren Rechtsgrundlage das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist. Mit den nach dem Arbeitsförderungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen soll „ein hoher Beschäftigungsstand erzielt und aufrecht erhalten, die Beschäftigungsstruktur ständig verbessert und damit das Wachstum der Wirtschaft gefördert" werden (1 AFG). Die Maßnahmen sollen u. a. insbesondere „dazu beitragen, die berufliche Eingliederung körperlich, geistig oder seelisch Behinderter zu fördern" (§ 2, Nr. 4 AFG). Die Aufgaben, die sich bei der Durchführung dieser und der anderen Maßnahmen ergeben, werden von der als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung gebildeten Bundesanstalt für Arbeit mit ihrer Hauptstelle, den Landesarbeitsämtern und den Arbeitsämtern durchgeführt.

Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation

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Die Bundesanstalt hat als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation die Hilfen zu gewähren, „die erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern" (§ 56, Abs. 1 AFG), sofern nicht ein anderer Rehabilitationsträger im Sinne des RehaAnglG zuständig ist (§ 57 AFG).

6.3. Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation Mit dem RehaAnglG werden die Maßnahmen und Leistungen der zuvor genannten Träger zur Rehabilitation so einander angeglichen, daß diese dem Umfang nach gleichartig sind, unabhängig von der Rechtsgrundlage der Ansprüche eines Behinderten und unabhängig von der Kausalität seiner Behinderung. Daher sieht das RehaAnglG also einheitlich von den Rehabilitationsträgern durchzuführende Maßnahmen der Rehabilitation u. a. vor: Unterrichtung der Bevölkerung über Hilfen und Maßnahmen zur Eingliederung Behinderter (§ 3 Abs. 1); Auskünfte an die Behinderten über die Möglichkeiten und Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation und die rechtzeitige und umfassende Beratung der Behinderten (§ 3, Abs. 2); frühzeitige Einleitung und zügige Durchführung der zur Rehabilitation gebotenen Maßnahmen ($ 4, Abs. 2); Unterrichtung des zuständigen durch den unzuständigen Träger, wenn festgestellt wird, daß Maßnahmen des zuständigen Trägers zur Rehabilitation angezeigt erscheinen (§ 4. Abs. 2); Weiterleitung von Anträgen an den zuständigen Träger (§ 4, Abs. 2); Einrichtung von Auskunfts- und Beratungsstellen bei den Trägern (§ 5 Abs. 1); Aufstellung eines Gesamtplanes zur Rehabilitation in dazu geeigneten Fällen, etwa bei mehreren Maßnahmen oder Beteiligung mehrerer Träger (§ 5, Abs. 3); Beteiligung der Bundesanstalt für Arbeit vor und an der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen (§ 5, Abs. 4 und 5).

Bei ungeklärter Zuständigkeit hat in Fällen etwa erforderlicher medizinischer Maßnahmen der für den Behinderten oder dessen Wohnsitz zuständige Rentenversicherungsträger, bei etwa erforderlichen berufsfördernden Maßnahmen die Bundesanstalt für Arbeit vorläufige Leistungen zu erbringen (§ 6). Als Leistungen zur Rehabilitation führt das Gesetz medizinische, berufsfördernde und ergänzende Leistungen auf. Diese sind bei den Trägern einheitlich. Es wird daher auf die entsprechenden vorangegangenen Darstellungen verwiesen z.B. die Abschnitte 2.5.2.1, 2.5.2.3 und 2.5.3.1). Erfolg oder Mißerfolg von Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation hängen wesentlich von der Bereitschaft des Rehabilitanden zur Mitwirkung ab. Diese Feststel-

48

Die Rehabilitation und ihre Träger

lung bedarf keiner weiteren Begründung. Der Rehabilitand ist zu dieser Mitwirkung rechtlich verpflichtet (§ 4, Abs. 1 S, 2 RehaAnglG). Eine nicht gerechtfertigte Weigerung, an Maßnahmen zur Rehabilitation teilzunehmen, kann für den Rehabilitanden die im Leistungsrecht der einzelnen Rehabilitationsträger vorgesehenen Rechtsnachteile zur Folge haben (§ 4, Abs. 1 S. 3 RehaAnglG).

6.4. Zusammenwirken der Träger Die Durchführung der zuvor angeführten Maßnahmen zur Rehabilitation kann ohne Zusammenwirken der Träger nicht erfolgreich sein. Das RehaAngl.G verpflichtet daher die Träger, im Interesse einer raschen und dauerhaften Eingliederung der Behinderten eng zusammenzuarbeiten (§ 5, Abs. 1). Dem notwendigen Zusammenwirken der Rehabilitationsträger dient insbesondere die bereits geraume Zeit vor der Verkündung des RehaAnglG gebildete Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Das Ziel dieses Zusammenwirkens in der Bundesarbeitsgemeinschaft ergibt sich aus der Präambel der zur Zeit (1. 1 0 . 1 9 7 9 ) geltenden Satzung. Sie lautet: „Die Träger der sozialen Sicherheit gewährleisten durch sinnvolles Ineinandergreifen ihrer Leistungen eine umfassende Rehabilitation. Die Vielfalt ihrer Aufgaben entspricht den individuellen Bedürfnissen der Behinderten. Um die Rehabilitation noch wirksamer zu gestalten, bilden die Vereinigungen der Rehabilitatiosträger, die Bundesanstalt für Arbeit und die Spitzenverbände der Sozialpartner auf der Grundlage der Selbstverwaltung gemeinsam mit Bund und Ländern unter Wahrung der Selbständigkeit der Rehabilitationsträger und ihrer Vereinigung die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation."

Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft können sein 1. Verbände der Krankenkassen Bundesknappschaft Seekasse als Gruppe Krankenversicherung 2. Verbände der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung als Gruppe Unfallversicherung 3. Verband Deutscher Rentenversicherungsträger Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen als Gruppe Rentenversicherung 4. Bundesanstalt für Arbeit 5. Bund Länder Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Hauptfürsorgestellen Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe

Zusammenwirken der Träger

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6. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 7. Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Angestellten-Gewerkschaft. Die Bundesarbeitsgemeinschaft hat den Zweck, die Maßnahmen der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation zu koordinieren und zu fördern. Daraus ergeben sich die einzelnen Aufgaben, die sie sich gestellt hat, auf deren Darstellung hier jedoch zu verzichten ist. Es soll aber darauf hingewiesen werden, daß zu diesen Aufgaben auch die Anregung, Förderung und Empfehlung zum Abschluß von Verwaltungs-Vereinbarungen, -Absprachen oder -Richtlinien über die Durchführung der Rehabilitation gehören. Die Bundesarbeitsgemeinschaft repräsentiert diejenigen Mitglieder, die damit einverstanden sind, im nationalen oder internationalen sozialpolitischen Bereich in Grundsatzfragen der Rehabilitation.

7. Private Unfallversicherung 7.1. Allgemeines Die Versicherung der Wechselfälle des Lebens wie Unfall, Krankheit, Alter, Tod ist außerhalb der Versicherung durch gesetzlichen Zwang in der Sozialversicherung auch durch Versicherungsverträge möglich. Eine solche Versicherung wird auf Grund eines freiwilligen Entschlusses sowohl des Versicherungsnehmers als auch des Versicherers, eine entsprechende vertragliche Regelung zu treffen, abgeschlossen. Der Versicherungsvertrag ist demnach privatrechtlicher Natur. Für den Bereich der Unfallbegutachtung ist die auf einem solchen privatrechtlichen Vertrag beruhende Unfallversicherung von Bedeutung. Art und Umfang dieser Versicherung richten sich nach dem Versicherungsvertragsgesetz und nach den „Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB)", die für alle Versicherer einheitlich gelten. Auch hier kann es sich nur um einen Überblick handeln; auf die einschlägige Literatur wird verwiesen.

7.2. Träger der Versicherung — versicherter Personenkreis — Aufbringung der Mittel Versicherer sind die in verschiedener Rechtsform bestehenden Versicherungsgesellschaften, soweit sie diese Art von Versicherung betreiben. Die Mittel werden durch die Beiträge der Versicherungsnehmer beschafft. Versicherungsnehmer sind die Personen, die mit dem Versicherer einen entsprechenden Vertrag geschlossen haben für die Dauer des Vertrages. Ein solcher Vertrag ist auch für die Versicherung von Unfällen möglich, die einem anderen als dem Versicherungsnehmer zustoßen. Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen einer Unfallversicherung ist die Versicherungsfähigkeit des Versicherungsnehmers. Nicht versicherungsfähig sind Geisteskranke und Personen, die von schwerem Nervenleiden befallen sind. Weiterhin sind nicht versicherungsfähig Personen, die dauernd vollständig arbeitsunfähig sind. Vollständige Arbeitsunfähigkeit liegt vor (§ 5, Abs. 2 AUB), wenn der Versicherte infolge Krankheit oder Gebrechen außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Diese nicht versicherungsfähigen Personen sind trotz Beitragszahlung nicht versichert. Soweit Versicherte nach Vertragsschluß versicherungsunfähig werden, erlischt der Versicherungsschutz.

7.3. Versicherungsfall Versicherungsschutz wird gegen die Folgen der dem Versicherten während der Vertragsdauer zustoßenden Unfälle gewährt. Im Gegensatz zur gesetzlichen Unfallversicherung sind also auch Unfälle des täglichen Lebens einbegriffen; ein Zusammenhang

Versicherungsfall

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mit einer bestimmten Tätigkeit oder Verrichtung ist nicht erforderlich. Der Begriff des Unfalls ist in § 2 der AUB definiert und lautet: „Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet."

Außerdem ist bestimmt, daß unter den Versicherungsschutz fallen a) durch plötzliche Kraftanstrengungen des Versicherten hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen, b) Wundinfektionen, bei denen der Ansteckungsstoff durch eine Unfallverletzung im Sinne der Definition des Begriffs „Unfall" in den Körper gelangt ist. Unter den Versicherungsschutz fallen nicht: a) Berufs- und Gewerbekrankheiten b) Erkrankungen infolge psychischer Einwirkung c) Vergiftungen infolge Einführung fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund, Malaria, Flecktyphus und sonstige Infektionskrankheiten, Gesundheitsschädigungen durch energiereiche Strahlen mit einer Härte von mindestens 100 Elektronenvolt, durch Neutronen jeder Energie und durch künstlich erzeugte ultraviolette Strahlen und durch Laser- oder Maserstrahlen, Gesundheitsschädigungen durch Licht, Temperatur und Witterungseinflüsse. In solchen Fällen besteht Versicherungsschutz dann, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt. Dabei gilt die Entstehungsursache der Infektionskrankheit selbst nicht als Unfallereignis. Eine Reihe von Tatbeständen werden von der Versicherung ausgeschlossen, wie Unfälle durch Kriegsereignisse o.ä., Unfälle bei der vorsätzlichen Ausführung von Verbrechen und Vergehen, Operationen, soweit nicht durch ein Unfallereignis veranlaßt, Unfälle infolge von Schlaganfällen und Krampfanfällen, die den ganzen Körper ergreifen, von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen einschließlich solcher, die durch Trunkenheit verursacht sind, soweit diese Anfälle oder Störungen nicht durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis hervorgerufen worden sind. Der Versicherte muß den Unfall unfreiwillig erleiden. Vorsätzlich zugefügte Verletzungen, wie Selbstbeschädigung, Selbstmord usw. sind daher keine Unfallereignisse im Sinne der Unfallversicherungsbedingungen. Hierzu ist aber das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 30. 6 . 1 9 6 7 von Bedeutung, durch das in das Versicherungsvertragsgesetz § 180 a eingefügt worden ist. Dieser lautet: „Hängt die Leistungspflicht des Versicherers davon ab, daß der Betroffene unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erlitten hat, so wird die Unfreiwilligkeit bis zum Beweise des Gegenteils vermutet. Auf eine Vereinbarung, durch die von den Vorschriften des Absatzes 1 zum Nachteil des Betroffenen abgewichen wird, kann sich der Versicherer nicht berufen."

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Private Unfallversicherung

Der Versicherer muß demnach beweisen, daß die erlittene Gesundheitsbeschädigung nicht unfreiwillig war. Auch im Bereich der privaten Unfallversicherung wird der Gutachter sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob bei den Unfallfolgen andere mitwirkende Faktoren von Bedeutung sind. Wenn bei den Unfallfolgen Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt haben, so ist nach den AUB die Leistung aus der Unfallversicherung entsprechend dem Anteil dieser Krankheiten oder Gebrechen zu kürzen. Der Anteil muß aber mindestens 25 v.H. betragen. Handelt es sich um Blutungen aus inneren Organen oder um Gehirnblutungen, so leistet der Versicherer nur dann, wenn für diese Schäden die überwiegende Ursache ein Versicherungsfall, nicht aber eine innere Erkrankung oder ein Gebrechen gewesen ist. Bauch- oder Unterleibsbrüche werden nur dann entschädigt, wenn sie durch eine gewaltsame, von außen kommende Einwirkung entstanden sind. Die Entschädigung von Unfallneurosen, d.h. von psychischen oder nervösen Störungen, die im Anschluß an einen Unfall eintreten, werden anders als in der gesetzlichen Unfallversicherung behandelt. Solche Störungen werden nur dann entschädigt, wenn sie auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems oder auf eine durch den Unfall neu entstandene Epilepsie zurückzuführen sind.

7.4. Leistungen Die private Unfallversicherung kennt nur Geldleistungen. Ihre Höhe hängt von der bei Abschluß der Versicherung vereinbarten Entschädigungssumme und von dem Umfang der Unfallfolgen ab. Die Todesfallentschädigung wird durch die versicherte Todesfallsumme bestimmt. Bei der sogenannten Invaliditätsentschädigung, d.h. also bei Leistungen wegen einer Beeinträchtigung infolge eine Unfalls, wird die Ganzinvalidität und die Teilinvalidität unterschieden. Dabei werden die folgenden durch die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen bestimmten Invaliditätsgrade angenommen. Diese lauten: a) bei Verlust eines Armes im Schultergelenk eines Armes bis oberhalb des Ellenbogengelenkes eines Armes unterhalb des Ellenbogengelenkes einer Hand im Handgelenk eines Daumens eines Zeigefingers eines anderen Fingers b) bei Verlust eines Beines über Mitte des Oberschenkels eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels eines Beines bis unterhalb des Knies

v.H. 70 65 60 55 20 10 5 70 60 50

Leistungen

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eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels 45 eines Fußes im Fußgelenk 40 eines Fußes mit Erhaltung der Ferse (nach Pirogoff) 30 einer großen Zehe 5 einer anderen Zehe 2 c) bei glänzlichem Verlust der Sehkraft beider Augen 100 eines Auges 30 sofern jedoch die Sehkraft des anderen Auges vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits verloren war 70 bei gänzlichem Verlust des Gehörs auf beiden Ohren 60 auf einem Ohr 15 sofern jedoch das Gehör auf dem anderen Ohr vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits verloren war 45 bei gänzlichem Verlust des Geruchs 10 bei gänzlichem Verlust des Geschmacks 5 Die vollständige Gebrauchsunfähigkeit eines Körperteils oder Sinnesorgans hat den gleichen Invaliditätsgrad wir der Verlust. Handelt es sich um einen teilweisen Verlust oder eine teilweise Gebrauchsunfähigkeit, so wird der entsprechende Teil des Satzes angenommen. Soweit sich der Invaliditätsgrad nicht nach den festen Sätzen bestimmten läßt, ist bei der Bemessung des Invaliditätsgrades in Betracht zu ziehen, inwieweit der Versicherte imstande ist eine Tätigkeit auszuüben, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufes zugemutet werden kann. Insoweit kann also der individuelle Zustand des Versicherten bei der an sich abstrakten Schadensbemessung eine Rolle spielen. Grundsätzlich aber kommt es nicht auf die konkreten Berufs- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten an, sondern es ist die durch die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen gesetzte abstrakte Bemessung vorzunehmen. Bei der Ganzinvalidität erhält der Versicherte die volle, bei Teilinvalidität den dem Grade der Invalidität entsprechenden Teil der Versicherungssumme für den Invaliditätsfall. Wenn aber ein Unfall innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet zum Tode führt, so wird als Entschädigung nur die versicherte Todesfallsumme geleistet. Die als dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bezeichnete Invalidität als Unfallfolge muß innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet eingetreten sein. Bei der Bemessung der Invalidität sind Krankheiten oder Gebrechen, die den Versicherten in seiner Arbeitsfähigkeit dauernd behindert haben, einzubeziehen. In diesem Falle wird von der nach dem Unfall vorhandenen Gesamtinvalidität ein Abzug gemacht, der der schon vorher vorhanden gewesenen Invalidität entspricht. Auch diese wird nach den Grundsätzen, die oben dargelegt wurden, bemessen. Neben der Entschädigung für Todesfall und Invalidität können auch Tagegelder- und Heilkostenversicherungen abgeschlossen werden.

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Private Unfallversicherung

7.5. Verfahren Der Versicherte hat gegenüber dem Versicherer bei Eintritt eines Unfalls verschiedene Verpflichtungen. Er muß einen Unfall, der voraussichtlich eine Entschädigungspflicht herbeiführt, unverzüglich anzeigen. Falls der Tod Folge eines Unfalls ist, muß die Anzeige spätestens innerhalb von 48 Stunden telegraphisch erfolgen. Der Versicherte muß spätestens am 4. Tage nach dem Unfall einen Arzt zuziehen, ferner muß er sich der ärztlichen Behandlung bis zum Abschluß des Heilverfahrens regelmäßig unterziehen. Er muß für angemessene Krankenpflege und nach Möglichkeit für Abwendung und Minderung der Unfallfolgen sorgen. Er ist verpflichtet, entsprechende Vordrucke im Versicherungsfall auszufüllen (Schadenanzeigen) und alle verlangten sachdienlichen Auskünfte zu erteilen. Den behandelnden Arzt muß der Versicherte von der Schweigepflicht entbinden und alle mit dem Unfall beschäftigten Stellen ermächtigen, dem Versicherer auf Verlangen Auskunft zu erteilen. Außerdem ist der Versicherte verpflichtet, den vom Versicherer bezeichneten Arzt zur Untersuchung aufzusuchen. Der Versicherer seinerseits ist verpflichtet, sich spätestens innerhalb eines Monats darüber zu erklären, ob er Sen Anspruch auf die Todesfallsumme, Tagegeld oder Heilkosten und wieweit er sie anerkennt. Bei der Invaliditätsentschädigung beträgt diese Frist 3 Monate. Bei Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, ob und in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, sind zwei Verfahrensarten denkbar. Der Versicherte kann Klage vor den ordentlichen Gerichten erheben oder eine Entscheidung des Ärzteausschusses beantragen. Der Ärzteausschluß setzt sich aus zwei Ärzten zusammen, von denen jede Partei einen benennt, außerdem einem Obmann, der von den beiden, von den Parteien benannten Ärzten gewählt wird und ein auf dem Gebiet der Unfallbegutachtung erfahrener Arzt sein soll. Wenn die von den Parteien in den Ärzteausschuß gewählten Ärzte nicht binnen einem Monat zu einer Einigung über den Obmann gelangen, wird dieser auf entsprechenden Antrag einer Partei von dem Vorsitzenden der örtlich zuständigen Ärztekammer benannt. Die Entscheidung des Ärzteausschusses ist für die Vertragsteile bindend. In Fällen, die nicht Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber betreffen, ob und in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ist für eine Entscheidung das ordentliche Gericht anzurufen.

Teil 2

Unfallbegutachtung von Dr. Dr. Eckhard Günther, Köln

1. Allgemeines 1.1 Gutachtertätigkeit des Arztes Die Unfallbegutachtung steht mit der Fürsorge für unsere Unfallversicherten in einem engen Zusammenhang. Sie hat die wichtige Aufgabe, die Beweisgrundlagen für rechtliche Entscheidungen über etwaige Entschädigungsansprüche des Verletzten hauptsächlich an die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung zu schaffen. Die Tätigkeit als Gutachter wird zwar von vielen Ärzten oft als wesensverschieden von ihren beruflichen kurativen Beziehungen zu einem Verletzten empfunden. Der Arzt muß nicht nur eine zutreffende Krankheitsbezeichnung ermitteln, er muß aus den medizinischen Sachverhalten zudem schlüssige Beurteilungen ableiten. Es gibt jedoch bei der Ausdehnung der Sozial- und Privatversicherung heute wohl kaum noch einen Arzt, der nicht auch gutac terlich für seine eigenen Patienten tätig sein müßte. Wenn ärztlicherseits bedacht wird, daß die eingeforderten gutachterlichen Äußerungen zur Prüfung von Schadenersatzansprüchen der Patienten für die Folgen von Unfällen erforderlich sind, dann wird den Ärzten auch diese Seite ihrer Tätigkeit nicht als wesensverschieden von ihren sonstigen gesellschaftspolitischen Aufgaben im Dienst ihrer Mitmenschen erscheinen können.

1.2 Rechtliche Stellung des Gutachters und seine Aufgaben Der Gutachter hat nach dem Gesetz die Stellung eines allerdings unentbehrlichen „Gehilfen". Er entscheidet also niemals selbst und er ist auch in keiner Weise persönlich an der Entscheidung der Verwaltungen oder Gerichte beteiligt. Er hat nur die Aufgabe, der in der Sache entscheidenden Stelle (Rentenausschuß, Gericht) durch seine sachverständigen Darlegungen die für die Rechtsfindung erforderlichen Beweismittel zu liefern. Nur diese Stellen allein — nicht der Gutachter — tragen auch die Verantwortung für die jeweilige Entscheidung. Die oft tiefgreifenden Auswirkungen, die diese Entscheidungen in menschlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht für den Betroffenen haben können, sollten es jedem Gutachter - schon im wohlverstandenen eigenen Interesse - verbieten, irgendwie durch gefühlsbetonte Äußerungen Einfluß auf die Entscheidung zu nehmen, ganz abgesehen davon, daß er durch einen solchen Versuch gegen das oberste Gesetz strengster Unparteilichkeit verstoßen würde. Als ein solcher Verstoß gilt auch die Erteilung von Ratschlägen in Rechtsfragen an seine Gutachterpatienten, die sich auf den vorliegenden Begutachtungsfall beziehen. Der Gutachter soll den Dingen völlig unpersönlich und unvoreingenommen gegen-

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Allgemeines

überstehen und jede gefühlsmäßige Einstellung vermeiden. Es darf auch nicht der leiseste Zweifel an seiner Unparteilichkeit entstehen. Er soll sich ferner immer genau und in reiner Sachlichkeit an den ihm erteilten Auftrag halten und es unterlassen, sich in seinem Gutachten mit Dingen zu befassen, die außerhalb seines medizinischen Fachgebietes liegen, wie z.B. versicherungsrechtlichen Fragen. Wenn er so verfährt, dient er der Sache und sich selbst am besten.

1.3 Formulierung der Gutachten Auf größte Genauigkeit in der Formulierung des Gutachtens ist besonders zu achten. Wenn die Begutachtung besonders schwierig ist, weil sichere Forschungsergebnisse nicht vorliegen oder wenn es um nicht feststehende Tatsachen geht, wird in solchen Fällen mitunter die Formel „mit Wahrscheinlichkeit" gebraucht. Die Feststellung z.B. eines ursächlichen Zusammenhanges wird nicht immer mit einer jeden Zweifel ausschließenden vollkommenen Sicherheit möglich sein. Deshalb fordert die Rechtssprechung in der Sozialgerichtsbarkeit für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges auch keine solche, angesichts der menschlichen Unzulänglichkeit selten zu erbringende Sicherheit. Sie fordert vielmehr das Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit, d.h.: bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß die dagegen sprechenden für die Bildung und Rechtfertigung der Überzeugung außer Betracht bleiben können. Von der Wahrscheinlichkeit ist die bloß Möglichkeit zu unterscheiden, die zur Annahme des ursächlichen Zusammenhanges nicht ausreicht. Letztlich braucht der Richter für seine Entscheidung eine feste Grundlage. Das Gutachten soll dem neuesten Stand medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und den Erfahrungen der Praxis entsprechen. Anstelle der medizinischen und der wissenschaftlichen Fachausdrücke verwende man soweit wie möglich die leichtverständlichen deutschen Bezeichnungen. Eine Vereidigung der Gutachter und Sachverständigen ist in der Gesetzlichen Unfallversicherung im Allgemeinen nicht üblich, wohl aber vor Gericht. Von diesem kann der Arzt als Zeuge, Gutachter und Sachverständiger vernommen werden.

1.4 Befunderhebung Eine genaue und vollständige Befunderhebung ist für die Rechtsfindung von größter Wichtigkeit. Gutachten, die diesen Erfordernissen nicht entsprechen, sind deshalb allein schon aus diesem Grunde nicht verwertbar. Ergibt eine Nachprüfung des Befundes durch andere Gutachter die Richtigkeit dessel-

Fehler und Irrtümer im Gutachten

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ben, dann ist durch diese Bestätigung des Befundes dem Versicherten und der Sache mehr gedient, als durch gelegentlich unsachliche Äußerungen gegen Vorgutachter.

1.5 Entgegengesetzte Meinungen der Sachverständigen Die schwierigen medizinischen Sachverhalte bringen es mit sich, daß Gutachter zu verschiedenen, oft stark entgegengesetzten Meinungen über dieselben Fragen kommen können. Das ist aber nichts Außergewöhnliches. Das kommt auf anderen Gebieten des Lebens auch vor. Es sollte jedoch in solchen Fällen gerechterweise kein Gutachter den Standpunkt vertreten, daß nur seine eigene Ansicht die „allein richtige" sei.

1.6 Untersuchung des Verletzten für die Begutachtung Der Gutachter muß durch eine eigene, persönliche Untersuchung des Verletzten die für die Erstellung seines Gutachtens erforderlichen Untersuchungsarbeiten selbst, also persönlich ausführen. Diese Grundforderung ist unerläßlich. Sie sollte für jeden Gutachter etwas Selbstverständliches sein. Die Abwälzung der für den Laien sichtbaren wichtigen Untersuchungsgänge auf andere Ärzte oder auf das ärztliche Hilfspersonal ist unerwünscht, unzweckmäßig und nicht selten auch erst der Anlaß zu gerichtlichen Auseinandersetzungen. Denn die Verletzten begründen ihre Einsprüche gegen Rentenbescheide oft damit, daß sie einige von den im Gutachten genannten Ärzten überhaupt nie gesehen hätten. Bei der auftraggebenden Stelle stößt es zudem auf Unverständnis wenn ein Gutachter, dessen eigene Ansicht man ja gerade hören wollte, nun bei der Begutachtung nur als Nebenperson erscheint.

1.7 Personenverwechslungen bei der Untersuchung Es kann, wenn auch wohl nur in vereinzelten Fällen, vorkommen, daß die zur Begutachtung erscheinende Person nicht personengleich ist mit der versicherten Person. Es kann jedoch nicht die Aufgabe eines Gutachters sein, sich jedesmal durch Prüfung der Ausweispapiere Sicherheit über die Personengleichheit zu verschaffen. Bei einem Verdacht auf eine Verwechslung sollte das im Gutachten erwähnt werden.

1.8 Fehler und Irrtümer im Gutachten Für die Auswirkungen eines leichtfahrlässigen Fehlers oder Irrtums haftet der Gutachter in der Regel nicht. Er ist aber schadenersatzpflichtig, wenn er grobfahrlässig oder in böswilliger Absicht gehandelt hat (Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 30.

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Allgemeines

1. 68 [AZ: VI Ζ R 153/66]). Beide Fälle können ein ehrengerichtliches Verfahren und zivilrechtliche Weiterungen nach sich ziehen. Hierzu sei auch noch auf § 278 des Strafgesetzbuches hingewiesen. Er lautet: „Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafen bis zu 2 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft".

1.9 Die Würdigung der Beweiskraft Die Würdigung der Beweiskraft eines Gutachtens ist Sache der zuständigen Behördenstellen und letzten Endes also des Richters. Es ist dem freien Ermessen dieser Stellen überlassen, inwieweit sie den Ausführungen des Gutachters folgen wollen. Im Streitverfahren kann der Versicherte die Anhörung eines bestimmten Gutachters verlangen. Das Sozialgericht wird aber in der Regel nicht von übereinstimmenden Gutachten der Sachverständigen abweichen. Es kann allerdings, soweit es um die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit geht, insofern abweichen, als es die ärztlichen Beurteilungen nur als Anhalt für seine eigene Schätzung dieser Minderung verwendet.

1.10 Allgemeine Form des Gutachtens Schriftliche Gutachten sowie Berichte und Stellungnahmen sind nur in Maschinenschrift zu erstatten. Das ist, abgesehen davon, daß Handgeschriebenes oft nur schwer lesbar ist und dadurch leicht Schwierigkeiten entstehen können, auch schon mit Rücksicht auf den zwischenstaatlichen Verkehr der gesetzlichen Unfallversicherungsträger erforderlich. Es empfiehlt sich, von allen Schriftstücken einen Durchschlag zu machen und das Zweitstück zu den eigenen Akten des Gutachters zu nehmen. Bei der Formulierung aller schriftlichen Gutachten und Äußerungen (Krankenblatt!) ist stets zu beachten, daß diese Schriftstücke in einem Streitverfahren dem Verletzten (oder seinem Rechtsvertreter) unmittelbar durch das Recht der Akteneinsicht oder mittelbar durch Anforderung einer Abschrift oder Ablichtung, die er von dem Versicherungsträger oder vom Sozialamt verlangen kann, in der Regel bekannt werden. Die Stellen in den Akten, die sich nicht zur Bekanntgabe an den Versicherten eignen, wie ζ. B. über einen ungünstigen Verlauf des Heilverfahrens oder — was wohl nur selten vorkommen wird — über sein nicht einwandfreies persönliches Verhalten, sind in geeigneter Weise durch einen Sperrvermerk des Gutachters von der Bekanntgabe auszuschließen (z.B. durch Einklammerung mit Farbstift oder durch darübergeklebte schmale Papierklappen).

Auskunftspflicht des Arztes

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Der Gutachter sollte es unterlassen, dem Versicherten, der ja nicht sein Auftraggeber ist, von sich aus sein eigenes Gutachten zugänglich zu machen oder sich zu ihm über seine eigenen Auffassungen zu äußern. Das überlasse man den Behörden.

1.11 Ausstellung von Bescheinigungen und Zeugnissen Bescheinigungen und Zeugnisse, die ein Arzt einem Patienten ausstellt, müssen besonders dann zurückhaltend und vorsichtig abgefaßt sein, wenn dem Arzt die Leidensvorgeschichte und der Inhalt etwa vorhandener Akten nicht genau bekannt sind. Der Arzt sollte sich in derartigen Attestfällen streng darauf beschränken, seinen eigenen Befund kurz mitzuteilen. Zu der Fragen einer etwaigen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder gar eines ursächlichen Zusammenhanges sollte der Arzt sich, wenn überhaupt, nur äußerst vorsichtig und zurückhaltend äußern. Der vom Patienten angegebene Verwendungszweck ist in dem Attest zu vermerken. Das ist erforderlich, weil die oft sehr verschiedenartigen Verwendungsmöglichkeiten, die einen Mißbrauch nicht ausschließen, sich im voraus meist kaum übersehen lassen.

1.12 Auskunftspflicht des Arztes Nach § 1543 d der RVO ist jeder Arzt zur Auskunftserteilung an den zuständigen Versicherungsträger über einen von ihm behandelten Unfallversicherten verpflichtet. Die Verpflichtung ist erzwingbar. Sie bezieht sich nicht nur auf eine etwa zur Zeit laufende Behandlung, sondern sie erstreckt sich auch auf die Behandlung in zurückliegenden Jahren. Das gilt auch für die Übersendung von Röntgenaufnahmen und Krankenblattunterlagen. Statt der Urschriften können Kontaktabzüge oder beglaubigte Ablichtungen eingereicht werden. Die dadurch entstehenden Kosten werden immer voll erstattet. Bei verzögerter oder gar nicht erteilter Auskunft entstehen stets Schwierigkeiten mit der Ärztekammer, dem Ordnungsamt, dem Versicherungsamt und den Gerichten. In solchen Fällen können empfindliche Strafen verhängt werden. Auch ist es deswegen schon zu hohen, zivilrechtlichen Haftpflichtansprüchen gekommen. Wenn die gesetzten Fristen aus triftigen Gründen nicht eingehalten werden können, muß unter Angabe der Hinderungsgründe rechtzeitig, d. h. so früh, wie es nach den besonderen Umständen des Falles möglich ist, Fristverlängerung beantragt werden. Es dient der Achtung vor dem gesamten Ärztestand und dem Ansehen des einzelnen

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Allgemeines

Arztes, wenn solche Anfragen, die stets im Interesse des Versicherten ergehen, immer umgehend und erschöpfend beantwortet werden. (Im übrigen s. dazu Teil 1, Abschnitt 2.6 S. 27).

1.13 Schweigepflicht des Arztes Die Bestimmungen über die Schweigepflicht sind leider etwas lückenhaft, so daß manche Frage offengeblieben ist. Im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Arzt durch seine Auskunftspflicht und durch die Pflicht zur Meldung der Behandlung eines Unfallverletzten von der Schweigepflicht in vollem Umfang befreit. Für die sonstigen Fälle fehlt es an einer klaren Vorschrift, wie im einzelnen zu verfahren ist. Bei Begutachtungen von Fällen, die außerhalb der gesetzlichen Unfallversicherung liegen, muß deshalb dem Arzt - um ihn vor den Folgen des Bruches der Schweigepflicht zu bewahren - empfohlen werden, sich von dem Verletzten vor der Auskunftserteilung vorsorglich schriftlich von seiner Schweigepflicht entbinden zu lassen.

1.14 Anhörung der behandelnden Ärzte vor der ersten Rentenfests etzung Bei Unfallverletzten soll der behandelnde Arzt vor der ersten Rentenfestsetzung gehört werden (§ 1582 RVO), wenn auf Grund eines Gutachtens eines anderen Arztes die Entschädigung abgelehnt oder nur eine Teilrente gewährt werden soll. Auf Verlangen des Verletzten muß der behandelnde Arzt gehört werden. Die genannte Auskunftspflicht einerseits und das wissenschaftliche Interesse andererseits werden jeden Arzt von sich aus veranlassen, Angaben über Vorgeschichte, Befund und Behandlungsverlauf in ausreichendem Maße schriftlich festzuhalten und diese Aufzeichnungen (auch alle Röntgenbilder) mindestens sieben Jahre sorgfältig und sicher aufzubewahren und sie gegen Verlust und Mißbrauch zu schützen, soweit nicht längere Aufbewahrungsfristen vorgeschrieben oder vereinbart sind.

1.15 Sachkunde und Gutachternachwuchs Für den Gutachternachwuchs sei auf das folgende hingewiesen: Wer als Gutachter tätig werden will, sollte ein gediegenes medizinisch-ärztliches Wissen und ein gutes fachliches Beurteilungsvermögen der medizinischen Sachverhalte besitzen. Er sollte außerdem mit den wichtigsten versicherungsrechtlichen Bestimmungen hinreichend vertraut sein, weil er sonst nicht in der Lage ist, seinem Gutachten die erforderliche Beweiskraft zu geben.

Vordruckgutachten

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1.16 Schwierige Krankheitsfälle Einige seltene Erkrankungen können nicht durch eine einmalige Untersuchung geklärt werden, sondern es ist dazu eine längere stationäre Beobachtung erforderlich, deren Dauer nach dem jeweiligen Befund zu bemessen ist. Die während dieser Beobachtungszeit vom Patienten erhaltenen Angaben müssen ausführlich schriftlich festgehalten und dann anhand der Aktenunterlagen überprüfend gewürdigt werden. Besonders die Erhebung zur Vorgeschichte - auch über den Gesundheitszustand der Familie des Patienten - können in solchen schwierigen Begutachtungsfällen wertvolle Aufschlüsse liefern.

1.17 Gebühren Die Fragen der Entschädigung des Gutachters sind für die gesetzliche Unfallversicherung in verschiedenen „Abkommen", „Vereinbarungen" und „Hinweisen" geregelt. Diese sind in den einschlägigen Handbüchern über das ärztliche Gebühren- und Vertragsrecht nachzulesen. Es sind insbesondere die unter den „Leitnummern"85—87 erfaßten Sachverhalte im Abkommen „Ärzte/Berufsgenossenschaften", die hier heranzuziehen sind. In der Praxis treten häufiger Auseinandersetzungen über die Auslegung der Begriffsbestimmungen „normales Fachgutachten", „schwieriges Gutachten", den Umfang des Gutachtens oder dessen wissenschaftliche Qualifikation auf. Das in diesem Zusammenhang häufiger genannte Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 11. 8. 67 ist in Kreisen der Fachgutachter sehr umstritten. Bei Streitigkeiten über Gebührenfragen entscheidet die zuständige „Landesarbeitsgemeinschaft". Die Gebühren für Gutachten im Rahmen der Sozialgerichtsbarkeit richten sich nach dem „Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen". Gutachten für private Kostenträger, auch private Unfallversicherungen, werden nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bzw. nach der Allgemeinen Deutschen Gebührenordnung (Privat-Adgo) berechnet.

1.18 Vordruckgutachten Zur Erleichterung der Bearbeitung der Begutachtungsaufträge haben die Träger der Unfallversicherung mehrere Vordrucke (Krankheitsauskünfte, Berichte) eingeführt. Der Gutachter sollte die einzelnen Fragen, bevor er sie beantwortet, genau durchlesen. Die Antworten sollen klar und erschöpfend sein. Keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben. Fremdwörter sollte man grundsätzlich vermeiden.

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Allgemeines

Durch den eigenen Zwang, sich stets klar und leichtverständlich in deutscher Sprache auszudrücken, werden den in der Gutachterpraxis noch nicht oder nur erst wenig geübten Ärzten die oft in den Fragen enthaltenen und ihnen wohl meistens noch fremden versicherungsrechtlichen Begriffsbestimmungen vertrauter werden. Das wird ihnen die Einarbeitung in diesen Aufgabenbereich erleichtern. Auf die strenge Einhaltung der am Kopf des Vordruckes angegebenen Erledigungsfrist muß der Arzt im eigenen Interesse besonders scharf achten. Es können sehr schwerwiegende Haftpflichtansprüche bei Außerachtlassung dieser vertraglich (Ärzteabkommen) und gesetzlich festgelegten Bearbeitungsfristen entstehen. Man beachte auch die ausgezeichneten „Hinweise für die Erstattung von Berichten und Gutachten", herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften.

1.19 Form des freien Gutachtens Freie Gutachten, welche sich zur Frage der Minderung der Erwerbsfähigkeit ohne weitere Erörterungen äußern sollen, werden zweckmäßig in allen medizinischen Fachgebieten nach folgendem Schema erstellt: 01 02 03 031 032 033 04 05 06

Kurze Vorgeschichte Augenblickliche Beschwerden des Verletzten Befund: Klinischer Befund Röntgenbefund etwaige labor-technische Befunde (Blutbild, Blutsenkung, Harnstatus, Hauttemperatur, Oscillographic usw.) Beurteilung Angabe der unfallunabhängigen Erkrankungen Berufshilfe

Bei der Begutachtung zur Rentenfestsetzung nach Aktenlage entfallen die Punkte 2, 3, 6. Über die formalen Voraussetzungen für ein freies Gutachten zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges wird später (S. 108) zu sprechen sein. Die Vorgeschichte soll, falls es sich um das erste Gutachten nach Abschluß eines Heilverfahrens überhaupt handelt, kurz gefaßt sein. Sie muß aber die wesentlichen und wichtigen Daten über Hergang des Unfallereignisses und Entstehung der Verletzung, den ärztlichen Erstbefund und den Verlauf des Heilverfahrens sowie dessen Abschlußdatum enthalten. Unbedingt muß erwähnt werden, ob der Patient wegen früherer Unfälle oder wegen der WDB-Schädigung eine Rente, auch im Ausland, erhalten hat. Ist die Vorgeschichte schon durch ein früheres Gutachten aktenkundig, dann kann dieser Punkt des Bearbeitungsschemas unbeachtet bleiben. Di ζ Eigenangaben des Verletzten über Art und Ausmaß seiner Beschwerden sind nicht selten unbeholfen und erfordern meist Zusatzfragen durch den Gutachter. Gelegentlich werden andererseits durch den Versicherten umfangreiche Beschwerdekomplexe

Form des freien Gutachten

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vorgetragen, manchmal anhand von vorgefertigten Listen. Bei der endgültigen Niederlegung der Klageangaben wird es auf die mit der Verletzung in weitgezogenem Rahmen zusammenhängenden Beschwerden ankommen. Falls eine Beschränkung offensichtlich sehr weitgezogener subjektiver Beschwerdekomplexe angebracht erscheinen will, ist, besonders bei einem schwebenden Streitverfahren, dem Patienten die Formulierung und das Diktat zu überlassen. Nur selten mag es geboten erscheinen, sich unterschriftlich das volle Ausmaß der schriftlichen Aufzeichnung über die vorgebrachten Klagen bestätigen zu lassen, um den späteren Vorwurf zu vermeiden, daß man als Gutachter nicht alles Vorgebrachte aufgeführt und berücksichtigt habe. Der Befund muß erschöpfend sein und alles Wesentliche enthalten. Er soll mit einer kurzen Schilderung des Allgemeinzustandes beginnen. Die eingehende Untersuchung von nicht vom Unfall betroffenen Organen und Körpergegenden und die langatmige Feststellung des dort erhobenen Befundes ist nur Ausdruck einer Pseudogenauigkeit. Bei der Unfallbegutachtung soll im Bedarfsfall das gesamte Rüstzeug moderner Diagnostik einschließlich der Röntgendiagnostik herangezogen werden. Neben den Folgen der Verletzungen sind auch die unabhängig vom Unfall bestehenden krankhaften Veränderungen aufzuzeichnen. Diese Angaben müssen bei jeder Begutachtung neu erfragt werden, weil zwischenzeitlich neu hinzugetretene Verletzungen oder Erkrankungen bekannt sein müssen. Die Befundschilderung selbst kann durch diie Beifügung von Skizzen oder Lichtbildern manchmal wirkungsvoll unterstützt werden. Sehr wichtig ist die genaue Angabe der Längen- und Umfangmaße bei Gliedmaßen und der Winkelmaße für die Bewegungsmöglichkeit von Gelenken. Letztere sollte nie geschätzt, sondern exakt gemessen werden. Band- und Winkelmaß gehören daher unbedingt zum Rüstzeug des begutachtenden Arztes.

Selbstverständlich ist, daß nicht nur die Maße der verletzten Seite, sondern auch die Vergleichszahlen der gesunden Seite angegeben werden. Nur durch den Vergleich haben die Zahlen überhaupt eine Bedeutung. Hinsichtlich des Untersuchungsganges wird auf die Vorschläge zu den Meßbögen (S. 83 ff.) verwiesen. Ein gewisser Schematismus ist bei der gesamten Untersuchung notwendig, um wichtige Momente nicht zu übersehen. Die im Sonderfall notwendigen Untersuchungen werden erfahrungsgemäß weniger unterlassen. Bei der Anfertigung von Röntgenbildern sind Vergleichsaufnahmen korrespondierender Gliedmaßenabschnitte häufig von Wert. Die moderne Röntgendiagnostik sollte stets im gebotenen Umfang zur Objektivierung der Unfallfolgen herangezogen werden. Dabei sind die Rechtsvorschriften über die diagnostische Anwendung von Röntgenstrahlen genauestens zu beachten. Die Einbeziehung des gesamten Bereiches der modernen Diagnostik bei der Begutachtung kann im Bedarfsfall erforderlich sein. Häufig läßt die stets gebotene, exakte klini-

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Allgemeines

sehe Untersuchung des Patienten viele der diagnostischen Hilfsmethoden überflüssig erscheinen. Die ausgedehnte Festlegung umfangreicher labortechnischer Befunde ist gelegentlich nur Ausdruck einer gutachterlichen Vielbetätigung und Pseudogenauigkeit. Gelegentlich wäre ein Weniger an Apparatismen nicht selten ein Mehr an Überzeugungskraft. Es kommt nicht auf die Vielzahl der Zusatzbefunde, sondern auf die für den Einzelfall wichtigsten und methodisch einwandfrei ermittelten labortechnischen Untersuchungen an. Am Anfang der „Beurteilung" jeden Gutachtens steht die genaue und klare Bezeichnung der Verletzungen. Man gewöhne sich an, diese Regel stets zu befolgen. So erleichtert man sich und dem Auftraggeber die Arbeit erheblich. Dann folgt die Aufzählung der Unfallfolgen im einzelnen. Hierbei sind die Unfallfolgen und die etwaigen unfallfremden Körperschäden klar zu trennen. Die exakte Diagnose und die genaue Aufzählung der im Befund einzeln beschriebenen Unfallfolgen sollte so klar gewählt werden, daß sie von dort in den Bescheid des Versicherungsträgersa übernommen werden kann. An diese Aufzählung schließt sich dann als Vorschlag für die anfordernde Behördenstelle die nach bestem Wissen und Gewissen ermittelte Einschätzung des Grades der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Erwerbsfähigkeit im Sinne der Sozialgerichtsbarkeit ist die Fähigkeit, auf Erwerb gerichtete Arbeitstätigkeit auszuüben. Daraus ergibt sich, daß die Minderung oder der Ausfall von Fähigkeiten, also von Körper- oder Gliedmaßenfunktionen und nicht etwa anatomische Defekte oder Schäden überwiegend den Maßstab für die Bewertung liefern (Vergleiche auch S.89). Die Schätzung der durch den Unfall verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit geht in der Regel nicht von dem erlernten oder ausgeübten Beruf des Patienten aus, sondern von dem Begriff des „allgemeinen Arbeitsmarktes". Die Minderung der Erwerbsfähigkeit kann in verschiedene Grade unterteilt werden. Die „Arbeitsunfähigkeit" im Sinne der Krankenversicherung ζ. B. ist dagegen nicht teilbar; sie ist vorhanden oder sie ist nicht vorhanden. Bei der Abschätzung des Einflusses der Unfallfolgen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten haben sich im Laufe der Zeit Grundzahlen eingebürgert, die auf S. 89 ff. aufgeführt sind und deren man sich zweckmäßigerweise bedient. Weicht der Gutachter bei der Einschätzung von diesen Grundzahlen wesentlich ab, so ist es angebracht, gleich den Grund dafür anzugeben. Die Erwerbs fähigkeit eines Verletzten wird vor diesem Unfall auf jeden Fall voll, d. h. mit 100 v. H. angenommen, auch wenn er durch ein Gebrechen oder frühere Unfälle, ζ. B. die Lähmung eines Armes schon behindert ist. Es werden auch Renten unter 20 v. H. ausgezahlt, wenn eine andere Rente wegen Unfall- oder WDB-Schäden vorliegt (sog. Stützrente). Während der ersten zwei Jahre nach einem Unfall wird beim Vorliegen entsprechender Verletzungsfolgen im Allgemeinen eine vorläufige Rente gewährt. Diese vorläu-

Form des freien Gutachten

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fige Rente kann wegen wesentlicher Änderung im Zustand der Unfallfolgen jederzeit geändert werden. Ist voraussichtlich nur für eine befristete Zeit eine vorläufige Rente zu gewähren, so kann die Berufsgenossenschaft den Verletzten nach Abschluß des Heilverfahrens mit einer Gesamtvergütung in Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwandes entschädigen. Der Verletzte wird dann nicht zum Bezieher einer laufenden Rente. Aufgabe des Gutachters ist es, die Berufsgenossenschaft auf geeignete Fälle hinzuweisen. In solchen Fällen darf er ausnahmsweise eine Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit zeitlicher Begrenzung bis zu einem in der Zukunft liegenden Endtermin vornehmen. Anläßlich der ersten Festsetzung der Dauerrente, die spätestens nach Ablauf von zwei Jahren nach dem Unfall erfolgt sein muß, aber auch früher vorgenommen werden kann, hat die Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit völlig frei, unabhängig von den bisherigen Schätzungen zu erfolgen. Der sonst bestehende Zwang, den Nachweis einer wesentlichen Besserung oder Verschlimmerung befundmäßig zu erbringen, entfällt hierbei völlig. Die Dauerrente kann nur nach jeweils einem Jahr geändert werden, wenn sich wesentliche Befundabweichungen ergeben, die vorläufige Rente in viel kürzeren Zeiträumen. Oft ist es zweckmäßig, wenn man die Gründe angibt, die zu einer bestimmten Schätzung geführt haben. Bei allen Vorschlägen, eine bestimmte Rente zu ändern, ist der Nachweis einer wesentlichen Änderung (Besserung oder Verschlimmerung) im Vergleich zum zuletzt maßgeblichen Gutachtenbefund erforderlich. Das zeitlich letzte Gutachten ist bekanntlich nicht immer das rechtlich und ärztlich zuletzt maßgebliche Vergleichsgutachten. Nur dasjenige Gutachten, das aus Anlaß der ersten Festsetzung der Dauerrente erstellt wird, ist frei von diesem Zwang, die vom maßgeblichen Vorgutachten abweichende Einschätzung der Erwerbsminderung befundmäßig begründen zu müssen. Man muß stets die Änderungsmerkmale im Einzelnen aufführen und eventuell anhand von Zahlen erläutern. Nur eine wesentliche Änderung im gesamten objektivierten Unfallfolgezustand vermag eine wesentliche Änderung in der Höhe der Erwerbsminderung zu begründen. Nach der Reichsversicherungsordnung kann eine Rente dann eingestellt bzw. geändert werden, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Rente maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Nach der Rechtssprechung in der Sozialgerichtsbarkeit ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse anzunehmen, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Unfallfolgen um mehr als 5 v.H. gesunken oder gestiegen ist. So sind z.B. Änderungen von 20, 30, 4 0 , 5 0 % usw. auf 10, 20, 30, 4 0 % usw., ferner von 337,, auf 2 5 % von 40 auf 33 7 3 % , von 75 auf 662/3 bzw. 65 % und umgekehrt bei Änderungen zulässig. Die Änderung um mehr als 5 v. H. muß jedoch durch den Vergleich des bei der anstehenden Untersuchung erhobenen Befundes mit den für die Feststellung der laufenden Rente im zuletzt maßgeblichen Gutachten niedergelegten Befund objektiviert werden. Im Falle der Verschlim-

merung ist die Angabe unerläßlich, von welchem Zeitpunkt ab mit Wahrscheinlichkeit die Änderung der Verhältnisse eingetreten ist.

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Allgemeines

Andererseits können auch nach Jahren Anpassung und Gewöhnung als Besserungsmerkmale in Betracht kommen. Es genügt aber nicht, wenn der Gutachter lediglich zum Ausdruck bringt, Anpassung oder Gewöhnung an die Unfallfolgen oder beides zusammen sei eingetreten. Aus dem ärztlichen Gutachten müssen vielmehr greifbare Merkmale einer Anpassung oder Gewöhnung des Verletzten zu entnehmen sein. Am Rande sei vermerkt, daß neben den medizinischen oft auch außermedizinische Erkenntnisse zu berücksichtigen sind, welche sich vornehmlich aus einer Prüfung der tatsächlichen Arbeitsverhältnisse des Verletzten anhand der Arbeitsauskünfte des Arbeitgebers gewinnen lassen. Es ist selbstverständlich, daß man stets die individuelle Gesamtsituation berücksichtigt. Bei Verletzungen der oberen Gliedmaße muß die Frage: Arbeitshand oder Beihand (rechts oder links) und eine eingetretene Umgewöhnung berücksichtigt werden. Ein Vorschaden, auf welchen sich die Unfallfolgen verschlimmernd auswirken, ist ebenso zu würdigen, wie eine etwa durch hohes Alter erschwerte Anpassung an die Unfallfolgen. Ein unfallfremder Vorschaden sollte stets berücksichtigt werden. Die Höherbewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist aber deshalb noch nicht generell gerechtfertigt. Eine Höherbewertung eines Unfallschadens ist erst dann geboten, wenn eine nachweisbare funktionelle Wechselwirkung zwischen Vorschaden und dem neuem Unfallschaden besteht und wenn ferner Art und Ausmaß des Vorschadens einen wesentlichen Einfluß auf die individuelle Erwerbsfähigkeit dieses Patienten hatten. Es kann durch einen neuen Unfall nicht nur eine Summierung, sondern manchmal eine Potenzierung von jetzt fehlenden Fähigkeiten eintreten. Andererseits kann infolge des Vorschadens auch eine geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit durch neue Unfallfolgen begründet erscheinen, als sie sonst normalerweise gegeben wäre. Bei der Begutachtung solcher oft schwieriger Sachverhalte erweist sich der Meister seines Faches. Die mancherorts noch geübte formelmäßige Begutachtung individueller Situationen mit dem Rechenschieber sollte verlassen werden. (S. dazu Teil 1, Abschnitt 2. 5. 3. 2 S. 24 f.) Ein unfallfremder Nachschaden (etwa ein zeitlich später erfolgter zweiter Bruch am gleichen Bein) darf keine Berücksichtigung bei der Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit finden. Der unfallbedingte Spät- oder Folgeschaden (ζ. B. Sekundärarthrose nach Gelenkverletzung, Spätgangrän nach unfallbedingter Gefäßplastik) stellt eine Verschlimmerung der Unfallfolgen dar. Bei der Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sind stets genaue Zahlenangaben erforderlich. Angaben wie „unter 20 v. H.", „um 10 v. H.", „ 4 0 - 5 0 v. H." sind wertlos. Sind die Unfallfolgen auf mehrere Fachgebiete verteilt, so ist für jedes Fachgebiet eine exakte Teilerwerbsminderung anzugeben. Der Hauptgutachter schätzt danach aus diesen Teilerwerbsminderungssätzen die Gesamterwerbsminderung. Da-

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Form des freien Gutachten

bei wird eine rein numerische Zusammenzählung dem Gesamtunfallfolgezustand fast nie gerecht, weil wohl stets Überschneidungen vorliegen. In jedes Gutachten gehört die Angabe, wann ein e Nachuntersuchung angezeigt ist. Im Rahmen der vorläufigen Rente (innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Unfall) ist die unterste Zeitgrenze für eine Nachuntersuchung drei Monate, bei einer Dauerrente (zwei Jahre und später nach dem Unfall) beträgt die unterste Zeitgrenze für eine Nachuntersuchung ein Jahr. Erfahrungsgemäß lassen sich nämlich in jeweils kürzeren Zeiträumen kaum wesentliche Änderungsmerkmale objektivieren. Das Vorliegen eines Dauerzustandes kann in der Regel frühestens fünf Jahre nach einem Unfall als gegeben erachtet werden. Gelegentlich sind noch nach längeren Zeiträumen wesentliche Besserungen zu beobachten. Mit der Angabe, daß ein Dauerzustand eingetreten und daher weitere Nachuntersuchungen nicht mehr angezeigt seien, sei man als Gutachter zurückhaltend und erweitere besser den jeweiligen Kontrollzeitraum auf zwei Jahre. Abschließend sollen im Gutachten noch die Aussichten von Behandlungsmaßnahmen erörtert werden, wenn solche notwendig erscheinen oder der Patient dahingehende Wünsche äußert. Dabei ist davon auszugehen, daß die gesetzliche Unfallversicherung „Kurbehandlungen" im Sinne der Invaliditätsversicherung in dem Umfang nicht kennt. Die gegenwärtige Rechtslage in der Frage der Zumutbarkeit gende:

von Operationen

ist fol-

Die Verpflichtung des Versicherten zur Mitwirkung bei Maßnahmen der Heilbehandlung ist in den Vorschriften des Sozialgesetzbuchs 1. Buch, Dritter Titel „Mitwirkung des Leistungsberechtigten" festgelegt. Nach § 64 dieser Vorschriften soll sich der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung - also auch wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls - Leistungen beantragt oder erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, daß dadurch eine Besserung seines Gesundheitszustandes herbeigeführt oder eine Verschlechterung verhindert wird. Kommt der Versicherte dem Verlangen nicht nach, können ihn Rechtsnachteile treffen. Der Versicherte kann Untersuchungen und Maßnahmen der Heilbehandlung — demnach auch Operationen - ablehnen (§ 65, Abs. 2), 1. bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Unvorhersehbare Umstände, die eine solche Gefahr bedingen, bleiben außer Betracht, „Gefahrlos bedeutet, daß die Operation nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mit sich bringt", 2. die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder 3. die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten.

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Allgemeines

In jedem Gutachten sind stets die unfallfremden Veränderungen, die nicht normalen Zustände aufzuzählen, die nicht als direkte oder indirekte Folgen des infrage stehenden Unfalles zu bewerten sind. Diese Aufzählung kann nicht genau genug sein und ist stets unerläßlich. Oft hat die Kenntnis von diesen unfallfremden Veränderungen einen Einfluß sowohl auf den Grad der unfallbedingten Erwerbsminderung selbst, als auch auf die Zahlbarmachung von bisher nicht rentenberechtigenden, anderen Renten. Ein Gutachten über Unfallverletzte schließt mit Angaben über die Berufshilfe. Diese Zusammenarbeit zwischen Gutachter und Berufsgenossenschaft ist eine wesentliche Voraussetzung für den Wirkungsgrad der Berufshilfe und jeglicher berufshelferischer Maßnahmen überhaupt. Die gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung der damit zusammenhängenden Fragen kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Die Maßnahmen der Rehabilitation (§ 556 RVO) haben bekanntlich das schon 1844 von Ritter von Buhs geforderte Ziel: „ soll der heilbare Kranke vollkommen rehabilitiert werden. Er soll sich zu der Stellung wieder erheben, von welcher er herabgestiegen war. Er soll das Gefühl seiner persönlichen Würde wiedergewinnen und mit ihm ein neues Leben beginnen". Die rechtzeitige Einleitung gezielter und geeigneter Hilfsmaßnahmen (Rehabilitation durch Berufsgenossenschaft, Rentenversicherung, Arbeitsamt) wird maßgeblich von den ärztlichen Hinweisen bei jeder Begutachtungsuntersuchung beeinflußt und unterstützt. Der Gutachter muß daher durch entsprechende Hinweise in jedem seiner Gutachten mithelfen, daß der Versicherte die ihm zustehenden sozialen Leistungen erhält. Die nachgehende Berufshilfe liegt insofern auch in der Hand des Gutachters, der meist als erster von drohendem Arbeitsplatzwechsel, Kündigung und ähnlichem erfährt.

1 . 2 0 Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung Es ist ganz selbstverständlich, daß jeder Begutachtung eine sorgfältige Untersuchung des Verletzten vorauszugehen hat. Diese Untersuchung hat sich in ihrem Umfang dem vorliegenden Einzelfall anzupassen. Begutachtungen, bei denen notwendige Untersuchungen unterlassen worden sind, sind wertlos. Andererseits ist es überflüssig, die Untersuchungen allzuweit auszudehnen. Beispielsweise ist es nicht notwendig, bei einer Rentennachprüfung wegen komplikationslosen Fingerverlustes eine Leberfunktionsprüfung oder eine Lungendurchleuchtung oder eine Serum-Elektrophorese auszuführen. Derartige Gutachten dokumentieren nicht etwa eine besondere Sorgfalt, sondern eine geschäftemacherische Pseudogenauigkeit. In jedem Fall ist es notwendig, sich nicht nur den verletzten Körperteil, sondern den ganzen Menschen genau anzusehen, so, wie das die ärztliche Sorgfaltsregel bei jeder Krankenuntersuchung überhaupt ist.

Bei der Begutachtung sind ausschließlich genaue, objektivierte und nachprüfbare Befunde von Wert.

Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

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Darum sind nicht nur alle Befunde exakt zu beschreiben, sondern es sind auch die Meßstellen nach bekannten anatomischen Fixstellen festzulegen. Das alles kann kurz, im Telegrammstil, aber deshalb nicht weniger genau, geschehen. Alle Angaben sind möglichst in vergleichbaren Meßeinheiten zu liefern und ungenaue Feststellungen („um ein Drittel", „etwa die Hälfte", „annähernd normal") zu vermeiden. Die feineren Abstufungserfordernisse in der Unfallversicherung bei der Angabe der Erwerbsminderungssätze und die Unterschiede um 10 v. H. erfordern die im folgenden erörterten, differenzierteren diagnostischen Methoden: Bei strittigen Krankheitsbezeichnungen oder unklaren Diagnosen sowie bei ungeklärten Beschwerden ist der gesamte breite Fächer der modernen Diagnostik einzusetzen. Die Inanspruchnahme von Ärzten aus anderen Fachdisziplinen gehört ebenso dazu, wie die üblichen technischen Einrichtungen. Es ist zumindest peinlich, wenn nachfolgende Gutachter einem Arzt mangelnde Sachaufklärung schlüssig nachweisen und damit die Deutung und die Schlußfolgerungen seines Gutachters erschüttern oder gar aufheben. Die Zusammenarbeit von Fachkollegen aller Richtungen kann sich stets nur zum Besten auswirken. Sie fördert die wissenschaftliche Aufklärung des Einzelfalles und die Entwicklung der eigenen gutachterlichen Qualitäten. Man sollte dem Versicherten im Einzelfall nicht fahrlässig die diagnostischen Fortschritte der medizinischen Technik vorenthalten. Die Aufgaben dieser „Unfallbegutachtung" dürfen nicht mit denjenigen eines Handbuches verwechselt werden. Hier kann also stets nur auf allgemeine Grundforderungen und praktisch bemerkenswerte Einzelfragen kurz hingewiesen werden. Vor jeder Untersuchung soll der Arzt die Unfallakten durchlesen, um sich so vorher über den Sachverhalt zu orientieren. Die Begutachtungsuntersuchung beginnt mit der genauen Betrachtung des stehenden Unfallverletzten. Dieser hat den Körper soweit entblößt, wie das zur Erlangung eines genügenden Überblickes notwendig erscheint. Zum mindesten ist beispielsweise bei Verletzungen der oberen Gliedmaße der ganze Oberkörper, bei Verletzungen der unteren Gliedmaße der ganze Unterkörper in unbekleidetem Zustand zu betrachten. Häufig wird man den Verletzten sich völlig entblößen lassen müssen, weil z.B. schon das Halten des aufgekrempelten oder herabsinkenden Hemdes die Körperhaltung sehr wesentlich beeinflussen kann. Wichtig ist es auch, den Patienten beim Aus- und Ankleiden unauffällig zu beobachten. Man wird dabei mitunter feststellen können, daß beim Kleiderwechsel ein Gelenk in einem Umfang und schmerzfrei beweglich ist, welches bei der Untersuchung selbst schon bei leichter Berührung der Haut schmerzhaft sein soll und welches sich angeblich wegen enormer Steigerung der Beschwerden selbstätig und fremdtätig fast gar nicht bewegen lassen will. Auch kann man es erleben, daß der gleiche Patient sich beim Anziehen der Schuhe auf einen Stuhl setzt und den Oberschenkel im rechten Winkel zum Rumpf beugt, während bei der vorangegangenen Untersuchung nämlich, als er ausgestreckt auf der Untersuchungsbank lag, jede Bewegung der Hüfte sehr erheblich eingeschränkt war. Und schließlich, um nur einige Beispiele herauszugreifen, kommt es nicht selten vor, daß ein Patient im Untersuchungszimmer ganz anders geht als nach

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Allgemeines

Verlassen des Wartezimmers etwa auf der Straße. Eine solche Kontrollbeobachtung dürfte in geeigneten Fällen angebracht sein. Aus der Art, wie der Gutachtenpatient sich hält, wie er sich bewegt, wie er auf Fragen reagiert und welchen Gesichtsausdruck er hat, kann der erfahrene Arzt sehr wesentliche Schlüsse ziehen, die ihn veranlassen können, auf besondere Punkte sein Augenmerk zu richten. Frauen sind im allgemeinen bei der Vertretung ihrer Ansprüche und daher auch in ihrem Verhalten bei Begutachtungen sehr viel geschickter als Männer. Allgemein scheitert die Ablenkung der Aufmerksamkeit der Patienten bei eigentätigen Bewegungen häufig daran, daß es zahlreiche Menschen gibt, welche nicht gleichzeitig sich etwa ein Beinkleid ausziehen und dabei eine Frage beantworten können. Die Ablenkung durch Befragung während fremdtätiger Bewegungsprüfung ist leichter. Die Betrachtung des Probanden hat sich auf alle äußerlich sichtbaren Formveränderungen zu erstrecken. Muskelabmagerungen kann man oft mit dem Auge wesentlich sicherer feststellen als mit dem Meßband und dem Tasterzirkel. Dasselbe gilt von Veränderungen in der Achsenrichtung von Körperteilen, den Folgen frischer oder alter Verletzungen wie Wunden, Schwellungen und Narben. Ihre genaue Beschreibung, am besten unter Beifügung von Skizzen und Eintragungen in die in reicher Zahl im Handel erhältlichen Körperschemata ist notwendig. In seltenen Fällen wird es sich sogar empfehlen, Lichtbildaufnahmen anfertigen zu lassen. Abgesehen davon, daß das Lichtbild oft eine schwierige Befunderhebung ersetzen kann, hat es sich bei der Festlegung von kosmetisch entstellenden Befunden sehr bewährt. Auf die gutachterliche und diagnostische Bedeutung von Infrarot-Aufnahmen sei hingewiesen. Dadurch, daß uns die Filmindustrie handliche und relativ billige Filmaufnahmegeräte liefert, wird man in einzelnen Fällen Filmaufnahmen von Bewegungsvorgängen machen können. Auf die reichen Möglichkeiten, die uns Fernsehgeräte auch bei der Objektivierung von Unfallfolgen verschaffen können, sei hier hingewiesen. Selbstverständlich wird der Arzt am entblößten Körper auf die verschiedenen Hautveränderungen, Ausschläge, etwa vorhandene wassersüchtige Schwellungen, Haltungsanomalien, Verformungen des Brustkorbes und dessen Verhalten bei der Atmung, auf den Vergleich von Brust- und Bauchatmung, Rundrücken, Buckelbildungen der Wirbelsäule, Verdrehungen und Verlegungen derselben, Stauungen im Pfortaderkreislauf, Krampfadern an Beinen oder Armen, Unterschenkelgeschwüre, eine glänzende oder trockene Haut, vasomatorische Störungen, Dermographismus, abnorme Schweißabsonderung, Senkfüße usw. achten. Den durch die Betrachtung erhobenen Befund wird man durch die Betastung (Palpation) erweitern. Dabei ist es von ganz besonderer Wichtigkeit, stets zum Vergleich die andere, nicht verletzte Körperseite heranzuziehen. Man wird sich dadurch davor bewahren, individuelle Normabweichungen als krankhaften oder unfallbedingten Befund anzusehen. Di ^Betastung ist eine sehr wichtige Untersuchungsmethode. Auf ihre Handhabung an verschiedenen Körpergegenden und Organen kann hier nur stichwortartig eingegangen werden.

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Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

Ein Vergleich

schlüsse.

des Tastbefundes

mit einem Röntgenbild

Besonders wichtig für die Untersuchung stungsmethoden:

ergibt häufig wichtige

Auf-

am Unfallverletzten sind folgende Beta-

Bei jedem Knochenbruch ist immer noch die manuelle Prüfung auf abnorme Beweglichkeit in ihren verschiedenen Abstufungen das sicherste Zeichen für die Beurteilung der Bruchheilung. Das Knochenreiben (Krepitation) ist nur in einem relativ geringen Zeitraum feststellbar. Im Zweifelsfalle muß man alle nur denkbaren Kombinationen dieser Untersuchungsmethode anwenden. Als zweckmäßig hat sich erwiesen, daß man eine Hand dicht an der ehemaligen Bruchstelle ansetzt und die andere möglichst entfernt von ihr. Notwendig ist, daß man mit den Händen fest zufaßt und dadurch die in den mehr oder weniger stark entwickelten Weichteilen liegenden Fehlerquellen ausschaltet. Zaghaftes Zufassen bei der Prüfung auf komplette Bruchheilung bewirkt nur Unklarheiten. Die Untersuchung der Gelenke erfordert ebenfalls eine sehr genaue Palpation. Für die Feststellung von Gelenkgeräuschen ist die Betastung durch die aufgelegte Handfläche immer noch die beste Methode. Di e Betastung der Muskulatur während der Anspannung und Entspannung gibt häufig recht weitgehende Aufschlüsse über die Funktionstüchtigkeit dieser Organe, welche sich noch durch Messungen (siehe Meßbogen S. 83 ff.) vervollständigen lassen. Besonders die Palpation ermöglicht es, unterschiedliche Spannungszustände der einzelnen Muskelgruppen zu erkennen. Ein Vergleich mit dem gesunden Gliedmaßenanteil ist hier absolut unerläßlich. Leider fehlt es bisher noch an einfachen Untersuchungsapparaten, welche einen zahlenmäßig objektiven Vergleich zulassen. Jedwede Messung spielt bei der Unfallbegutachtung eine sehr wichtige Rolle. Die Meßtechnik ist gerade von Unfallmedizinern in den verschiedensten Anwendungsgebieten ausgebaut und gefördert worden. Aber auch hier gilt es ganz besonders, daß jede Maßangabe ohne Vergleichsmessung auf der gesunden Körperseite desselben Patienten vollkommen unbrauchbar ist. Nur der Vergleich relativer Zahlen läßt Schlußfolgerungen zu. Das Wiegen der Patienten hat nur dann einen Wert, wenn es zu verschiedenen Zeiten im nackten Zustand (eventuell nur mit Hemd bekleidet) ausgeführt wird. Die Deutung unterschiedlicher Körpergewichte zu verschiedenen Zeiten ist nicht einfach und bedarf der überprüfenden Kritik durch andere Untersuchungsmethoden. Immerhin kann eine Gewichtszunahme, wenn sie nicht etwa durch Ödeme hervorgerufen wird, auf eine Hebung des Allgemeinzustandes hindeuten, welche dann bei der Schätzung der Erwerbsfähigkeitsminderung durchaus berücksichtigt werden könnte. In der Beurteilung des Heilungsergebnisses von Knochenbrüchen spielt die Längenmessung eine sehr große Rolle und darf nie vergessen werden. Es sei bei den Längenmaßen wie auch bei den Umfangsmaßen vor einer allzu großen Genauigkeit gewarnt. Im allgemeinen soll man die Meßwerte nicht auf den Millimeter genau angeben, son-

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Allgemeines

dem auf den halben Zentimeter. Da bei allen derartigen Messungen die Fixpunkte und bei Umfangmessungen die Spannung des Bandmaßes in recht erheblichem Umfang schwanken kann, stellt es eine Pseudogenauigkeit dar, wenn man die erhaltenen Werte auf den Millimeter genau niederlegt. Bekanntlich sind Differenzen von einem halben Zentimeter sowohl in der Länge eines Gliedes als auch seines Umfanges meist völlig belanglos. Die bei weitem häufigste Längenmessung wird an den Beinen vorgenommen. Man sollte unter der Beinlänge ausschließlich die Entfernung von dem vorderen oberen Darmbeinstachel bis zur Innenknöchelspitze verstehen. Daß man vor dieser Messung die Beine stets in dieselbe Körperlage bringen muß, zum Ausgleich von etwaigen Kontrakturen, ist selbstverständlich, wird aber von mindergeübten Untersuchern häufig vergessen. Die Ursache einer Längenveränderung kann an den verschiedensten Stellen des Beines, im Schenkelhals, Oberschenkel oder Unterschenkel liegen. Daher ist es häufig notwendig, noch weitere Längenmessungen auszuführen. Man soll dann im Befundbericht angeben, welche Messungen man gemacht hat und soll die anatomischen Punkte, welche man als Fixpunkte gewählt hat, genau benennen. Von praktischer Wichtigkeit sind neben der gesamten Beinlänge noch folgende Maße: Vorderer oberer Darmbeinstachel bis innerer Kniegelenkspalt (Verbildungen im Bereich des Hüftgelenkes, Verkürzung des Oberschenkels), Lage des Trochanter major zur Roser-Nélaton'schen Linie (Verbindungslinie von Spina iliaca anterior superior zum Sitzbeinhöcker), oberer Rand des Trochanter major bis zum äußeren Kniegelenkspalt (absolute Länge des Oberschenkels an sich), Kniegelenkspalt zum Außen- oder Innenknöchel (absolute Länge des Unterschenkels). Bei der Auswertung der erhaltenen Zahlen muß man bedenken, daß beispielsweise die Verkürzung eines Gliedmaßenabschnittes als Folge einer Fraktur sowohl durch Verheilung mit Verschiebung der Bruchstücke gegeneinander (dislocatio ad longitudinem cum contractione) als auch durch Verheilung in Winkelstellung (dislocatio ad axim) hervorgerufen sein kann. Längenmessungen an den Armen sind von geringer Bedeutung, weil deren Verkürzung für ihre Funktion weniger wichtig ist. Zur Längenbestimmung des Oberarmes muß man von der Spitze des Rabenschnabelfortsatzes bis zum Ellenhöcker messen. Dabei ist darauf zu achten, daß die Gelenke beiderseits in gleicher Stellung gehalten werden. Den Unterarm mißt man von der Ellenhöckerspitze bis zum Griffelfortsatz der Elle. Schließlich sind bei der Beschreibung von Narben und Wunden und Defektbildungen Längenmessungen und auch Flächenmessungen von Wert. Man muß einmal angeben, wie lang und wie breit eine Narbe ist und außerdem noch, welche Strecke sie von einem anatomisch wohl definierten Orientierungspunkt am Körper entfernt liegt. Messungen an Röntgenbildern

sind nur unter Beobachtung besonderer Vorsichts-

Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

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maßregeln zulässig, weil Röntgenbilder Schattenzeichnungen darstellen, deren absolute Längen nicht mit den tatsächlichen Längen des Körpers übereinstimmen. Bekanntlich ist die Verzeichnung umso größer, je näher der Brennfleck der Röhre dem Körper bei der Aufnahme war. Zur Ermittlung des Durchmessers z.B. des Schultergelenkes oder des Abstandes der Fußknöchel oder zur Bestimmung der tatsächlichen Höhe der Sohle eines Kunstschuhes kann man sich mit großem Vorteil eines Tastzirkels bedienen. Häufig wird zur Ermittlung des Ausgleichmaßes bei Beinverkürzungen oder bei Wirbelsäulenverkrümmungen von untergelegten Brettchen in der jeweiligen Dicke 1 cm und V2 cm Gebrauch gemacht. Die Umfangsmaße dienen hauptsächlich der Feststellung des Zustandes der Muskulatur. Sie sind infolgedessen ganz besonders relativ. Diese Umfangmaße werden je nach der Körperhaltung im Augenblick der Messung (im Liegen oder im Stehen) und je nach dem Anspannungszustand oder der Erschlaffung der Muskulatur verschieden sein. Durch einige Vergleichsmessungen kann man sich sehr leicht davon überzeugen, daß die genannten Zustände die gemessenen Zahlen sehr erheblich beeinflussen können. Im Befundbericht muß also stets angegeben werden, unter welchen Bedingungen die angegebenen Zahlen erhalten worden sind, wenn es speziell darauf ankommt. Bei den Begutachtungsuntersuchungen hat sich die Meßtechnik bewährt, die in den Meßbogen (S. 83 ff.) angegeben ist. Die Beinmaße in diesen Bögen sind im Liegen auf der Untersuchungsbank bei entspannter Muskulatur gemessen. Eventuell kann man Vergleichsmaße bei angespannter Muskulatur hinzufügen. Alle Maße an den Armen sind bei schlaff herabhängendem Arm zu nehmen. Außer den genannten typischen Meßstellen können in Einzelfällen noch andere Messungen zweckmäßig erscheinen, welche den jeweiligen Sonderverhältnissen angepaßt werden müssen. Die Auswertung der Umfangsmaße an Extremitäten ist dadurch erschwert, daß man nicht die Muskulatur als solche mißt, sondern auch Haut und Unterhautzellgewebe. Das Fettpolster wird zwar wohl stets am ganzen Körper an symmetrischen Stellen gleich stark sein. Aber ein vorhandenes ödem kann auch hier das Bild sehr wesentlich verändern. Auf das Vorhandensein von wassersüchtigen Schwellungen ist daher zu achten und das Beobachtungsergebnis im Befund zu verzeichnen, am besten mit Angabe der Uhrzeit. Manchmal kann das Vorhandensein von überschüssiger Neuknochenbildung oder eine verformt verheilte Fraktur eine tatsächlich vorhandene Muskelabmagerung in den gemessenen Umfangszahlen nicht zum Ausdruck kommen lassen. Die Umfangsmessungen an Gelenken haben hauptsächlich beim Knie eine Bedeutung für die Größenbestimmung eines Gelenkergusses. Allerdings müssen dabei die Kapselbeschaffenheit und ganz besonders auch der Tastbefund weitgehend berücksichtigt werden. Auch eine Muskelabmagerung beeinflußt die erhaltenen Zahlen. Die Umfangsmessung des Brustkorbes bei Ein- und Ausatmung, welche nach alter Gewohnheit bei seitlich erhobenen Armen über den Brustwarzen und über der Schwertfortsatzspitze vorgenommen wird, ist ein Verfahren zur Bestimmung des Atemvolumens

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und in der Hand des Arztes leicht ausführbar. (Ersatz für die Spirometrie). Da beide Methoden aber sehr stark von der Mitarbeit des Untersuchten abhängig sind, muß man ihre Ergebnisse gelegentlich durch andere Untersuchungen kontrollieren Bei größeren Brustkorbverletzungen kann die Ermittlung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch detaillierte Untersuchungsmethoden erforderlich werden. Will man die Größe und Veränderlichkeit einer Wirbelsäulenverkrümmung tatsächlich objektiv festlegen, ohne daß man über die hierzu konstruierten Apparate verfügt, dann ist es am besten, fotografische Aufnahmen in verschiedenen Körperhaltungen zu machen und die Abzüge dem Gutachten beizufügen, nachdem die so erhaltenen Befunde auch in Worten beschrieben sind. Die Anschaulichkeit derartiger Bilder kann man dadurch steigern, daß man mit einem kräftigen Fettstift vor der Aufnahme die Spitze eines jeden Dornfortsatzes durch einen kurzen Strich anzeichnet (Siehe Abb. 4.) Von sehr großer Bedeutung für die Ermittlung der Gelenkfunktion sind die Winkelmessungen in den verschiedensten Stellungen. Im In- und Ausland hat sich die Neutral-Null-Methode durchgesetzt. Man sollte die Winkelwerte nie schätzen, sondern dieselben stets mit dem Winkelmesser objektivieren. Wenn auch Differenzen gegenüber der gesunden Seite von 10 Grad praktisch nicht sehr ins Gewicht fallen, so ist doch im Interesse der Meßgenauigkeit und der Selbstkontrolle die Verwendung des Winkelmessers immer vorzuziehen. Auf jeden Fall sind Winkelangaben wesentlich wertvoller als summarische Angaben wie z.B.: „Die Beweglichkeit des Gelenkes ist etwas eingeschränkt; sie ist vielleicht um die Hälfte gegenüber der anderen Seite behindert" u. ä. Aus derartigen Angaben kann sich niemand ein zutreffendes Bild von der Bewegungsmöglichkeit eines Gelenkes machen. Auch bei den Winkelmessungen an Gelenken sind stets Vergleichsmessungen an der gesunden Körperseite vorzunehmen. Denn bei den einzelnen Patienten schwanken die Bewegungsmöglichkeiten (ganz besonders stark am Handgelenk) recht erheblich. Schließlich wird es mitunter nützlich sein, getrennt anzugeben, wie groß die eigentätige und die fremdtätige Bewegungsmöglichkeit der Gelenke gewesen ist. Auch die Messungen der Drehbewegung ζ. B. an der Halswirbelsäule, des Unterarmes und im Bereich des Hüftgelenkes lassen sich vorzüglich mit einem Winkelmesser durchführen. Die Verwendung des Winkelmessers bei der Bewegungsprüfung des Rumpfes ist weniger gebräuchlich, da es sich hierbei um eine Bewegung handelt, welche nicht in einem Gelenk, sondern von zahlreichen benachbarten Gelenken durchgeführt wird. Daher kommen hier die kritische Betrachtung und die Analysierung der Bewegungsvorgänge zu ihrem Recht. Auch Lichtbilder in seitlicher Richtung beim Stehen und bei maximaler Beugung des Oberkörpers nach vorn sowie die Funktions-Röntgenaufnahmen bei den einzelnen Bewegungszuständen können äußerst aufschlußreich sein. AmSchultergelenk muß man zwischen den Bewegungen im Schultergelenk selbst (also bei fixiertem Schulterblatt) und den Bewegungen im gesamten Schultergürtel unter-

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Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

scheiden. Die Erhebungsmöglichkeit des Oberarmes nach vorn, seitlich und hinten ist in Winkelgraden zu messen. Die Auswärtsdrehmöglichkeit wird am besten durch den Winkel ausgedrückt, in welchem der im Ellenbogen rechtwinkelig gebeugte Unterarm gegen die Sagittalebene des Körpers gebracht werden kann. Einwärtsdrehung und Rückwärtsbeugung sind für die Praxis gekuppelte Bewegungen, deren Umfang sich durch die Angabe ausdrücken läßt, bis zu welchem Teil der Wirbelsäule die auf den Rücken gelegte Hand des Patienten selbsttätig gebracht werden kann (sog. Hosenoder Schürzenbundgriff). Die Messung der Beuge- und Streckfähigkeit des Ellenbogengelenkes ist einfach. Nie vergessen werden sollte die Messung der Drehfähigkeit im Vorderarm. Am Handgelenk kann man sich nicht mit Angaben über dessen Streck und Beugefähigkeit begnügen, sondern man muß auch die Fähigkeit zur ellenseitigen und speichenseitigen Knickung bei dem in der Achse des Unterarmes gehaltenen Handgelenkes prüfen, weil diese Bewegungsfähigkeit ebenfalls von großer Bedeutung für die Handfunktion ist. (Siehe Abb. 6—13)

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An den Fingern kann man naturgemäß die Beweglichkeit jedes einzelnen Gelenkes durch Winkelmessung prüfen. Dies ist auch der brauchbarste Weg für die Bestimmung der Streckfähigkeit. Zur Prüfung der Beugefähigkeit begnügt man sich allgemein mit der Feststellung, um wieviel die jeweilige Fingerspitze beim Faustschluß von der queren Hohlhandbeugefalte entfernt bleibt. Um einen genauen Eindruck von der Greiffähigkeit einer Hand zu vermitteln, muß dann aber bei dieser Prüfung auch die Stellung der Fingergrundgelenke angegeben werden, weil diese besonders wichtig für den Faustschlußvorgang sind. Die Abspreiz- und Oppositionsfähigkeit des Daumens läßt sich am besten in Winkelmaßen angeben, die Einschlagfähigkeit durch die Benennung der Stelle der Handfläche, welcher die Daumenspitze bis auf Berührung genähert werden kann. Ebenfalls ist die Möglichkeit des Spitzgriffes zwischen Daumen- und Zeigefingerkuppe und der Grob- oder Breitgriff (3. bis 5. Finger) ausführlich zu beschreiben. Bei der Begutachtung von Finger- und Handverletzungen sind oft zusätzliche Untersuchungen (Nervenfunktionsprüfungen, Zweipunktunterscheidungsvermögen, Aufsammeltest, Auszählung der Schweißpunkte, Nihydrintest u.a.) erforderlich. Kraftmessungen haben nur einen relativen Wert, da ihr Ausfall in hohem Maß von dem Willen und der Mitarbeit des Gutachtenatienten abhängig ist. In besonderen Fällen besitzen diese Messungen in negativem Sinne einen großen Wert, dann nämlich, wenn ein Patient, der über eine kräftige Muskulatur und starke Arbeitsschwielen in den Handflächen verfügt, zwischen der verletzten und der unverletzten Hand einen großen Unterschiedswert aufweist. Wenn der Patient dann dabei nicht nur die Beugemuskulatur des Unterarmes, sondern auch die Streckmuskulatur anspannt, dann ist es sicher, daß der geringe Druckwert absichtlich erzeugt ist und nicht den Tatsachen entsprechen kann. Kraftmessungen kommen nur zur Prüfung der Druckkraft der Hand in Betracht. Man kann dazu Instrumente mit Metallfedern, aber auch wassergefüllte Gummibälle mit Steigröhrchen verwenden, deren Elastizität jeweils durch den Handdruck überwunden werden muß. Beim Fehlen jeglicher Apparatur genügt die Prüfung des Kraftaufwandes beim Handdruck mit der Hand des Gutachters. Di e Röntgenuntersuchung spielt naturgemäß bei allen Verletzungen, nicht nur bei den Knochenbrüchen und ihren Folgezuständen, eine sehr erhebliche Rolle. Im Rahmen dieses Buches ist es ganz unmöglich, auch nur auf die wichtigsten Einzelheiten einzugehen. Einige grundsätzliche Punkte mögen aber erwähnt werden: Der dokumentarische Wert der Röntgenaufnahme überwiegt denjenigen der einfachen Röntgendurchleuchtung ganz erheblich, wenn man von der Beobachtung von Bewegungsvorgängen vor dem Schirm absehen will. Unerläßlich ist es, stets Aufnahmen in zwei Körperebenen machen zu lassen. Nur beim Becken, dem Hüft- und Schultergelenk genügen häufig Aufnahmen in einer Ebene. Sonderfälle erfordern aber auch hier Spezialaufnahmen. Di e Kontrollaufnahmen der nichtverletzten Körperteile verteuern die Röntgenuntersuchung zwar etwas; diese Kontrollaufnahmen sollten, besonders in Zweifelsfällen, aber nie unterlassen werden, weil sie häufig unerläßlich für die Beurteilung sind. Auch

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werden manchmal Aufnahmen in verschiedenen Strahlenqualitäten (Hartstrahl- und Weichstrahlaufnahmen) sowie Schicht-, Vergrößerungs- und Kontrastaufnahmen notwendig sein. Die Deutung der Röntgenbilder ist keineswegs leicht und erfordert eine nicht unbeträchtliche, ständige Übung. Fehldeutungen normaler Befunde und belangloser Gefäß- und Skelettvarietäten kommen immer noch in reichlicher Zahl vor. Man kann diese in erheblichem Umfang vermeiden, wenn man in Zweifelsfällen die einschlägigen Werke und Wandtafeln zu Rate zieht. Die Röntgendurchleuchtung hat in der Diagnostik bei Herz, Lunge, Magen-DarmKanal und Gefäßen ihre Bedeutung behalten. Durch die Einführung verschiedener Kontrastmittel sind die Möglichkeiten ihrer Anwendung noch gesteigert worden. Auch bei unklaren Lageverhältnissen (ζ. B. bei Fremdkörpern, kompliziert gebauten Gelenken, Geschwülsten) kann eine Durchleuchtung von sehr großem Nutzen sein. Die Bildwandler-Geräte vermitteln eine lebendigere Anschauung von den Lagebeziehungen der einzelnen Objekte zueinander. Die Stereo-Aufnahmen ermöglichen es, Röntgenbilder in aller Ruhe zu studieren, um sich Klarheit über fragliche Lagebeziehungen zu verschaffen. Allgemein beweisen Röntgenbefunde keine Ausfallerscheinungen. Sie sind lediglich geeignet, klinische Erhebungen zu ergänzen oder bestimmte Symptome zu erklären. Der Grad funktioneller Auswirkungen bestimmter anatomischer Veränderungen kann aus einer Röntgenaufnahme allein nicht gefolgert werden. Ebenso, wie im Vorstehenden nur eine kurze, gedrängte Ubersicht über einige der für die Unfallbegutachtung wichtigen chirurgischen Untersuchungsmethoden stichwortartig gegeben werden konnte, soll dieses in den folgenden Zeilen für die Allgemeinpraxis, die Fachgebiete der inneren Medizin und des Neurologen erfolgen. Dabei wird bewußt die Allgemeinuntersuchung überhaupt nicht mehr berührt. Die Bestimmung des Blutdruckes (und zwar durch auskultatorische Messung des maximalen oder systolischen Druckes sowie des minimalen oder diastolischen Druckes) gibt häufig wertvolle Hinweise auf komplizierte Leiden, welche auch für die Unfallbegutachtung von Bedeutung sind. Abgesehen von körperlichen Anstrengungen und seelischen Erregungen sind die erhaltenen Werte weitgehend objektiv. Der Puls und seine Beurteilung sind ebenfalls von Wichtigkeit. Das große Gebiet der neurologischen Untersuchungsmethoden muß in seinen Einzelheiten hier vollkommen übergangen werden. Wenn man selbst ζ. B. Reflexe prüft, dann muß man auch im Gutachtenbefund vermerken, welche Reflexe im einzelnen geprüft sind und wie ihr Verhalten auf beiden Körperseiten war. Diese Schilderung läßt sich ohne viele Worte in klarer und eindeutiger Weise durchführen. Die Deutung des so erhaltenen, meist umfangreichen neurologischen Befundes und die anatomische Lokalisation einer vermuteten Störungsursache setzen stets spezialistische Kenntnisse voraus. Dehalb ziehe man bei Unfallfolgen, die das neurologische Fachgebiet berühren, stets einen Fachneurologen zu. Blutuntersuchungen, sowohl einfache zytologische (Hämoglobingehalt, Zahl der Blutkörperchen, Differential-Blutbild, Senkungs-Geschwindigkeit) als auch serologi-

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sehe Methoden werden häufig notwendig, manchmal sogar unerläßlich zur einwandfreien Diagnosestellung sein. Ebenso wichtig ist die Liquor-Diagnostik bei allen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Bei einer Lumbalpunktion sollte der Arzt es nie verabsäumen, den Druck des Liquor zu messen. Allgemein ist wichtig, daß der Gutachter in seinem Begleitschreiben z.B. dem Laborarzt genau angibt, welche Untersuchungen er durchgeführt haben will und ihm stichwortartig Angaben über den klinischen Befund und die allgemeine Fragestellung macht. Nur so sind sinnvolle Befunde zu erwarten und nur so kann eine verständnisvolle Zusammenarbeit mit den Laborärzten und auch den Pathologen entstehen. Die Untersuchungen durch den Augenarzt, Hals-Nasen-Ohrenarzt und den Psychiater sind bei allen Schädelverletzungen unbedingt notwendig. Ihre Schilderung muß Spezialwerken vorbehalten bleiben. Die Kenntnis der allgemeinen und speziellen Diagnostik mit ihren Fortschritten bildet eine der unabdingbaren Voraussetzungen für die Tätigkeit als Gutachter. Abschließend seien die Muster für Meßbögen wiedergegeben. Diese Bogen haben sich zur Vermeidung unnötigen Schreibwerkes, aber auch als Gedächtnisstützen für den Untersuchungsablauf, eingebürgert. Der Verlag L. Düringshofen, 1000 Berlin 31, hält die auf den Seiten 84 bis 87 abgedruckten anatomischen Skizzen vorrätig. Es muß aber hier, weil diese Meßbogen zu einer Schematisierung verführen, daran erinnert werden, daß die Bemessung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben sich nach dem klinischen Gesamtbefund richtet und nicht von Einzelergebnissen abhängig gemacht werden darf. Andererseits verlangen die feinen Abstufungserfordernisse in der Unfallversicherung die vorgeschlagenen, differenzierteren diagnostischen Methoden (s.S. 83 u. 88)

1.21 Simulation Bei der Begutachtung muß der Arzt in einem ganz erheblich unterschiedlichen Prozentsatz zu denjenigen Patienten, die ihn wegen der Behandlung eines Leidens in Anspruch nehmen, mit bewußter oder unbewußter Übertreibung (Aggravation), in seltenen Fällen sogar mit Simulation rechnen. Diese Beobachtung macht man in allen Versicherungszweigen besonders bei ungewissen Wirtschaftslagen des einzelnen oder der Gesamtheit. Bei einer Begutachtung wird oft über starke materielle oder soziologische Interessen entschieden. Der Grund für diese Erscheinungen liegt zweifellos in dem Bestreben des Versicherten, sich anhand eines Unfalles wirtschaftliche oder sonstige Vorteile zu verschaffen. Was kann nun der Versicherte vortäuschen? 1. Das Unfallereignis: Die Untersuchung derartiger Fälle ist Sache der Berufsgenossenschaft. Der Arzt soll nur seine Verdachtsgründe vortragen. 2. Die Unfallfolgen: Die unbewußte Vortäuschung und Übertreibung von Krankheitserscheinungen kommt bei seelisch normalen wie bei seelisch kranken und ab-

Anleitung zur Benutzung der Meßblätter

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artigen Persönlichkeiten vor. Nur selten gelingt die Klärung der Frage, ob eine Vortäuschung bewußt oder unbewußt vorgenommen wurde. Die Zahl der bewußten Simulanten ist wesentlich geringer als die der unbewußten. 3. Den Zusammenhang eines vorbestehenden Leidens mit einem Unfallereignis: Es ist ziemlich häufig, daß Erkrankungen, die sicher oder vielleicht schon vor dem Onfall bestanden haben und die erst gelegentlich einer Unfallbegutachtung aufgedeckt wurden, von Seiten des Versicherten als Unfallfolgen betrachtet und hingestellt werden. Oft dürfte es sich hierbei jedoch um mangelnde Sachkenntnis des Laien in medizinischen Dingen handeln. In solchen Situationen tritt die Beurteilung der Frage des ursächlichen Zusammenhanges durch einen speziell erfahrenen Gutachter in ihr Recht. Eine nicht unwesentliche Rolle für die Entstehung und Förderung der unbewußten seelischen Fehlverarbeitung eines Unfalles und seiner Folgen kommt den unvorsichtig abgefaßten Bescheinigungen von nicht in diesen Dingen bewanderten Ärzten zu. Manche Versicherte befassen die höchsten Stellen des Staates wiederholt mit ihren Angelegenheiten. Auch die Entscheidung selbst der letzten Rechtsprechungsinstanz über ihre Rentenansprüche vermag derartige Mitmenschen nicht zur Ruhe zu bringen. Folgende Gesichtspunkte erleichtern bei der Untersuchung die Aufdeckung von Übertreibung oder Simultation von Unfallfolgen: Die exakte ärztliche Untersuchung, gelegentlich mit wechselnden Untersuchungsabläufen im Stehen, Sitzen, Liegen (Rückenund Bauchlage); die unauffällige Beobachtung des Patienten inner- und außerhalb des Untersuchungsraumes; die sorgfältige Erhebung der Vorgeschichte nach der somatischen Methode; die Ablenkung der Aufmerksamkeit des Patienten; die geistige Ermüdung; die stationäre Beobachtung; die Anwendung fotografischer Dokumentation (Film, Infrarot, Fernsehbeobachtung); die Kenntnis von gleichartigen Erkrankungen bei NichtVersicherten. In jedem begründeten Verdachtsfall ist es eine Sache der spezialisierten Untersuchung, die Angaben eines Patienten auf seine Glaubwürdigkeit hin zu überprüfen. Di e Artefakte haben in den letzten Jahren an Bedeutung zugenommen. Doch können hier die Selbstbeschädigungen nicht besprochen werden. Sie sind in den gerichtsmedizinischen Handbüchern ausführlich dargestellt.

1 . 2 2 A n l e i t u n g zur B e n u t z u n g d e r M e ß b l ä t t e r u n d d e r M e s s u n g n a c h der N e u t r a l - O - M e t h o d e Bei dieser Meßmethode werden alle Gelenkbewegungen von einer einheitlich definierten O-Stellung aus gemessen. Diese Νeutral-0-Stellung entspricht der Gelenkstellung, die ein gesunder Mensch im aufrechten Stand mit hängenden Armen und nach vorn gehaltenen Daumen und parallelen Füßen einnehmen kann. Bei der Messung von dieser O-Stellung aus wird der bei der Bewegung durchlaufene Winkel abgelesen und unter Aufrundung auf die nächste 5-Stelle notiert. Es wird grundsätzlich der Bewegungs-

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