Unfallbegutachtung [8., völlig neu bearb. und erw. Auflage. Reprint 2011] 9783111705774, 9783110108552


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German Pages 252 [276] Year 1987

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Table of contents :
Teil 1: Rechtliche Gesichtspunkte der Unfallbegutachtung Assessor R. Hymmen, Köln
1. Allgemeines
2. Gesetzliche Unfallversicherung
2.1 Berufsgenossenschaften und andere Unfallversicherungsträger
2.2 Aufbringung der Mittel – Ablösung der Haftpflicht
2.3 Versicherter Personenkreis
2.4 Versicherungsfall
2.5 Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten
2.6 Verhältnis der Unfallversicherungsträger zu den Ärzten
2.7 Verfahren
3. Krankenversicherung
3.1 Allgemeines
3.2 Träger der Krankenversicherung
3.3 Aufbringung der Mittel
3.4 Versicherter Personenkreis
3.5 Versicherungsfall
3.6 Leistungen der Krankenversicherung
3.7 Beziehungen zur Unfallversicherung
3.8 Beziehungen zu den Ärzten
3.9 Verfahren
4. Rentenversicherung
4.1 Allgemeines
4.2 Träger der Rentenversicherung
4.3 Aufbringung der Mittel
4.4 Versicherter Personenkreis
4.5 Versicherungsfall
4.6 Leistungen
4.7 Beziehungen zur Unfallversicherung
4.8 Verfahren
5. Recht der Bundesversorgung
5.1 Allgemeines
5.2 Geltungsbereich
5.3 Aufbringung der Mittel zur Versorgung
5.4 Umfang der Versorgung
5.5 Verfahren
6. Die Rehabilitation und ihre Träger
6.1 Allgemeines
6.2 Träger der Rehabilitation
6.3 Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation
6.4 Zusammenwirken der Träger
7. Private Unfallversicherung
7.1 Allgemeines
7.2 Träger der Versicherung – versicherter Personenkreis – Aufbringung der Mittel
7.3 Versicherungsfall
7.4 Leistungen
7.5 Verfahren
Teil 2: Unfallbegutachtung Dr. Dr. E. Günther † neu bearbeitet von: Dr. med. W. Izbicki, Mühlheim/Ruhr
1. Allgemeines
1.1 Gutachtertätigkeit des Arztes
1.2 Rechtliche Stellung des Gutachters und seine Aufgaben
1.3 Formulierung der Gutachten
1.4 Befunderhebung
1.5 Entgegengesetzte Meinungen der Sachverständigen
1.6 Untersuchung des Verletzten für die Begutachtung
1.7 Personenverwechslungen bei der Untersuchung
1.8 Fehler und Irrtümer im Gutachten
1.9 Die Würdigung der Beweiskraft
1.10 Allgemeine Form des Gutachtens
1.11 Ausstellung von Bescheinigungen und Zeugnissen
1.12 Auskunftspflicht des Arztes
1.13 Schweigepflicht des Arztes
1.14 Anhörung der behandelnden Ärzte vor der ersten Rentenfestsetzung
1.15 Sachkunde und Gutachternachwuchs
1.16 Schwierige Krankheitsfälle
1.17 Gebühren
1.18 Vordruckgutachten
1.19 Form des freien Gutachtens
1.20 Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE)
1.21 Vorläufige Rente
1.22 Dauerrente
1.23 Rentenänderung
1.24 Vorschaden, Nachschaden
1.25 Wiederherstellende Behandlungsmaßnahmen – Zumutbarkeit von Operationen
1.26 Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung
1.27 Anleitung zur Benutzung der Meßblätter und Messung nach der Neutral-0-Methode
1.28 Simulation and Aggravation
2. Spezielles
2.1 Die wichtigsten Rentensätze
2.2 Körperoberfläche
2.3 Kopf
2.4 Brustkorb und Brusthöhle
2.5 Wirbelsäule
2.6 Becken
2.7 Bauchdecken- und Bauchorgane
2.8 Harnorgane
2.9 Männliche Geschlechtsorgane
2.10 Weibliche Geschlechtsorgane
2.11 Obere Gliedmaße
2.12 Untere Gliedmaße
2.13 Anhaltspunkte für die Bemessung von Pflegegeld
3. Die Begutachtung von Fragen des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Körperschäden und Arbeitsunfall
3.1 Die Form des Gutachten
3.2 Der Inhalt
3.3 Spezielles über die Begutachtung von Zusammenhangsfragen
4. Die entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten
Nr. 1101 Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen
Nr. 1102 Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen
Nr. 1103 Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen
Nr. 1104 Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen
Nr. 1105 Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen
Nr. 1106 Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen
Nr. 1107 Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen
Nr. 1108 Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen
Nr. 1109 Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen
Nr. 1110 Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen
Nr. 1201 Erkrankungen durch Kohlenmonoxid
Nr. 1202 Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff
Nr. 1301 Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine
Nr. 1302 Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe
Nr. 1303 Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologen
Nr. 1304 Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge
Nr. 1305 Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff
Nr. 1306 Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol)
Nr. 1307 Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen
Nr. 1308 Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen
Nr. 1309 Erkrankungen durch Salpetersäureester
Nr. 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide
Nr. 1311 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide
Nr. 1312 Erkrankungen der Zähne durch Säuren
Nr. 1313 Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon
Nr. 2101 Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Nr. 2102 Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage
Nr. 2103 Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen
Nr. 2104 Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Nr. 2105 Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen Druck
Nr. 2106 Drucklähmungen der Nerven
Nr. 2107 Abrißbrüche der Wirbelfortsätze
Nr. 2201 Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft
Nr. 2301 Lärmschwerhörigkeit
Nr. 2401 Grauer Star durch Wärmestrahlung
Nr. 2402 Erkrankungen durch ionisierende Strahlen
Nr. 3101 Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war
Nr. 3102 Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten
Nr. 3103 Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis
Nr. 3104 Tropenkrankheiten, Fleckfieber
Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose)
Nr. 4102 Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose)
Nr. 4103 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose)
Nr. 4104 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) in Verbindung mit Lungenkrebs
Nr. 4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells
Nr. 4106 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen
Nr. 4107 Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen
Nr. 4108 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl (Thomasphosphat)
Nr. 4201 Farmer-(Drescher-) Lunge
Nr. 4202 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll- oder Flachsstaub (Byssinose)
Nr. 4301 Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Nr. 4302 Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Nr. 5101 Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können
Nr. 5102 Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe
Nr. 6101 Augenzittern der Bergleute
Literatur
Sachregister
Anhang: Bildtafeln I–XVII
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Unfallbegutachtung [8., völlig neu bearb. und erw. Auflage. Reprint 2011]
 9783111705774, 9783110108552

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Günther · Hymmen · Izbicki Unfallbegutachtung

Eckhard Günther Reinhard Hymmen Willy Izbicki

Unfallbegutachtung begründet von Paul Rostock f

8., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage

W DE Walter de Gruyter G Berlin · New York 1987

Dr. Dr. Eckhard Günther f Assessor Reinhard Hymmen An der Schanz 2 D-5000 Köln 60 Dr. med. Willy Izbicki Leiter der Abteilung für Unfall-, Wiederherstellungs- und Handchirurgie Ev. Krankenhaus Wertgasse 30 D-4330 Mülheim/Ruhr

Dieses Buch enthält 21 Abbildungen im Text und 183 Abbildungen im Anhangteil

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Günther, Eckhard: Unfallbegutachtung / Günther ; Hymmen ; Izbicki. Begr. von Paul Rostock. - 8., völlig neu bearb. u. erw. Aufl. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1987. ISBN 3-11-010855-0 NE: Hymmen, Reinhard:; Izbicki, Willy:; Rostock, Paul [Begr.]

© Copyright 1986 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Printed in Germany. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen und dergleichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, daß solche Namen ohne weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um gesetzlich geschützte, eingetragene Warenzeichen, auch wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind. Satz und Druck: Tutte Druckerei GmbH, Salzweg-Passau. - Bindearbeiten: Dieter Mikolai, Berlin. Umschlagentwurf: Rudolf Hübler, Berlin.

Geleitwort

Paul Rostock, ein Pionier der Unfallheilkunde, hat 1935 die „Unfallbegutachtung" herausgegeben. Als hierzu berufener Unfallchirurg hatte er sich bereits durch die von ihm veröffentlichten Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes ausgewiesen. Damit hat er damals ein Gebiet betreten, das sich in der Folge für Ärzte und Juristen als zunehmend gewichtiger erweisen sollte. Wenn ein solches Werk nunmehr in der 8. Auflage vorgelegt wird, geht hieraus unzweideutig seine Vitalität hervor. Die Lebensfrische haben ihm die Autoren bewahrt, die nach Rostock die weiteren Auflagen besorgt haben. Dabei waren ärztliche und juristische Könner am Werk, die das mit großem didaktischen Geschick verfaßte Buch Rostocks gleichwertig weitergeführt haben. Es wendet sich sowohl an ärztliche Gutachter wie an Versicherungsträger und verfolgt die Absicht, Sachkunde zu vermitteln und Irrwege zu ersparen. Die rechtlichen Grundlagen sind in bewährter Weise wiederum von Reinhard Hymmen dargestellt worden, den medizinischen Anteiil hat Dr. Willy Izbicki übernommen, nachdem Dr. Dr. Eckhard Günther die Feder für immer aus der Hand gelegt hat. Beide Autoren haben die Ideen von Paul Rostock fortgesetzt und in seinem Geist einen zuverlässigen Ratgeber auf dem nicht selten dornenvollen Gelände der Unfallbegutachtung verfaßt, dem eine weite Verbreitung zu wünschen ist. Herbst 1986

Gert Carstensen

Vorwort

Herr Dr. Dr. Günther, der Mitverfasser der bisherigen Auflagen der „Unfallbegutachtung" ist im September 1985 verstorben, ehe er an die beabsichtigte Überarbeitung des Buches für eine neue Auflage herangehen konnte. In die von Verlag und Mitautor schmerzlich empfundene Lücke ist in dankenswerter Weise Herr Dr. Izbicki mit der Neubearbeitung des zweiten Teiles eingetreten. Wir legen die nunmehr 8. Auflage der „Unfallbegutachtung" vor und hoffen auf die gleiche freundliche Aufnahme, die die Arbeit bisher gefunden hat. Sie stellt sich weiterhin als ein Ratgeber für die gutachterliche Praxis vor allem im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung vor und versteht sich als ein Grundriß. Schwierigen Einzelfragen und schwierigen Aufgaben der Begutachtung muß nach wie vor auf breiterer Grundlage nachgegangen werden. Insbesondere sollen die als Erfahrungswerte für den Einzelfall dargestellten Prozentsätze der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung der Praxis des Gutachters dienen. Sie werden auch in dieser Auflage durch viele graphische Darstellungen besonders veranschaulicht. Für Kritik und Vorschläge sind wir weiterhin dankbar. Herbst 1986

R. Hymmen · W. Izbicki

Inhalt

Teil 1: Rechtliche Gesichtspunkte der Unfallbegutachtung

Assessor R. Hymmen, Köln 1. Allgemeines 2. Gesetzliche Unfallversicherung 2.1 Berufsgenossenschaften und andere Unfallversicherungsträger 2.2 Aufbringung der Mittel - Ablösung der Haftpflicht 2.3 Versicherter Personenkreis 2.4 Versicherungsfall 2.4.1 Arbeitsunfall 2.4.2 Ursachenbegriff in der gesetzlichen Unfallversicherung 2.4.3 Verschlimmerung - Wesentliche Änderung 2.4.4 Dem Arbeitsunfall gleichgestellte Tatbestände 2.4.4.1 Unfälle bei der Verwahrung des Arbeitsgeräts, Unfälle auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit (Wegeunfälle) 2.4.4.2 Unternehmen der Binnenschiffahrt 2.4.4.3 Berufskrankheiten 2.5 Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten 2.5.1 Abstrakter Schadenersatz 2.5.2 Sachleistungen 2.5.2.1 Heilbehandlung 2.5.2.2 Pflege 2.5.2.3 Berufshilfe 2.5.3 Geldleistungen 2.5.3.1 Verletztengeld — Übergangsgeld 2.5.3.2 Verletztenrente 2.5.3.3 Vorläufige Rente — Dauerrente 2.5.3.4 Entschädigung von Hinterbliebenen 2.5.3.5 Abfindungen 2.6 Verhältnis der Unfallversicherungsträger zu den Ärzten 2.7 Verfahren

3 6 6 7 7 12 12 13 16 17

17 18 19 25 25 26 26 28 29 29 29 30 33 34 34 35 36

3. Krankenversicherung 3.1 Allgemeines 3.2 Träger der Krankenversicherung 3.3 Aufbringung der Mittel 3.4 Versicherter Personenkreis

38 38 38 38 39

X

Inhalt 3.5 Versicherungsfall

39

3 . 6 Leistungen der Krankenversicherung

40

3.7 Beziehungen zur Unfallversicherung

41

3.8 Beziehungen zu den Ärzten

41

3.9 Verfahren

42

4. Rentenversicherung

43

4.1 Allgemeines

43

4.2 Träger der Rentenversicherung

43

4.3 Aufbringung der Mittel

43

4.4 Versicherter Personenkreis

43

4.5 Versicherungsfall

44

4.5.1 Berufsunfähigkeit

44

4 . 5 . 2 Erwerbsunfähigkeit

45

4.5.3 Alter

45

4.5.4 Tod

45

4.5.5 Wartezeit

45

4 . 5 . 6 Besondere Versicherungsfälle der Knappschaftsversicherung . . . .

46

4.6 Leistungen

46

4.7 Beziehungen zur Unfallversicherung

47

4.8 Verfahren 5. Recht der Bundes Versorgung

47 48

5.1 Allgemeines

48

5.2 Geltungsbereich

48

5.2.1 Opferentschädigungsgesetz ( O E G )

49

5.3 Aufbringung der Mittel zur Versorgung

50

5.4 Umfang der Versorgung

50

5.4.1 Heil- und Krankenbehandlung

50

5 . 4 . 2 Besondere Hilfen im Einzelfall

51

5.4.3 Renten und andere Geldleistungen 5.5 Verfahren 6. Die Rehabilitation und ihre Träger 6.1 Allgemeines

52 53 54 54

6.2 Träger der Rehabilitation

54

6.3 M a ß n a h m e n und Leistungen zur Rehabilitation

57

6.4 Zusammenwirken der Träger

58

7. Private Unfallversicherung 7.1 Allgemeines

59 59

7.2 Träger der Versicherung - versicherter Personenkreis - Aufbringung der Mittel 7.3 Versicherungsfall

59 59

7.4 Leistungen

61

7.5 Verfahren

63

XI

Inhalt Teil 2: Unfallbegutachtung

Dr. Dr. E. Günther f neu bearbeitet von: Dr. med. W. Izbicki,

Mühlheim/Ruhr

1. Allgemeines 1.1 Gutachtertätigkeit des Arztes 1.2 Rechtliche Stellung des Gutachters und seine Aufgaben 1.3 Formulierung der Gutachten 1.4 Befunderhebung 1.5 Entgegengesetzte Meinungen der Sachverständigen 1.6 Untersuchung des Verletzten für die Begutachtung 1.7 Personenverwechslungen bei der Untersuchung 1.8 Fehler und Irrtümer im Gutachten 1.9 Die Würdigung der Beweiskraft 1.10 Allgemeine Form des Gutachtens 1.11 Ausstellung von Bescheinigungen und Zeugnissen 1.12 Auskunftspflicht des Arztes 1.13 Schweigepflicht des Arztes 1.14 Anhörung der behandelnden Ärzte vor der ersten Rentenfestsetzung 1.15 Sachkunde und Gutachternachwuchs 1.16 Schwierige Krankheitsfälle 1.17 Gebühren 1.18 Vordruckgutach ten 1.19 Form des freien Gutachtens 1.20 Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 1.21 Vorläufige Rente 1.22 Dauerrente 1.23 Rentenänderung 1.24 Vorschaden, Nachschaden 1.25 Wiederherstellende Behandlungsmaßnahmen — Zumutbarkeit von Operationen 1.26 Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung 1.27 Anleitung zur Benutzung der Meßblätter und Messung nach der Neutral-O-Methode 1.28 Simulation and Aggravation 2. Spezielles 2.1 Die wichtigsten Rentensätze 2.2 Körperoberfläche 2.3 Kopf 2.4 Brustkorb und Brusthöhle 2.5 Wirbelsäule 2.6 Becken 2.7 Bauchdecken-und Bauchorgane 2.8 Harnorgane

66 66 66 67 68 69 70 70 70 71 71 72 72 73 74 74 75 75 75 76 80 81 82 82 83 84 85 94 103 105 105 107 108 117 118 119 119 120

XII 2.9 Männliche Geschlechtsorgane 2.10 Weibliche Geschlechtsorgane 2.11 Obere Gliedmaße 2.12 Untere Gliedmaße 2.13 Anhaltspunkte für die Bemessung von Pflegegeld 3. Die Begutachtung von Fragen des ursächlichen Zusammenhanges zwischen Körperschäden und Arbeitsuniall 3.1 Die Form des Gutachten 3.2 Der Inhalt 3.2.1 Rechtliche Voraussetzungen 3.2.2 Medizinische Voraussetzungen 3.3 Spezielles über die Begutachtung von Zusammenhangsfragen 3.3.1 Thermische Schädigungen 3.3.1.1 Erfrierungen und Verbrennungen 3.3.1.2 Sonnenstich 3.3.1.3 Hitzschlag 3.3.2 Verletzungen durch Einwirkungen des elektrischen Stroms 3.3.3 Akute Schädigungen durch Röntgenstrahlen, radioaktive Stoffe und andere ionisierende Strahlen 3.3.4 Intoxikationen 3.3.4.1 Vergiftungen 3.3.4.2 Gasvergiftung 3.3.4.3 Insektenstiche 3.3.5 Infektionskrankheiten 3.3.5.1 Diphterie 3.3.5.2 Typhus abdominalis, Paratyphus 3.3.5.3 Tuberkulose 3.3.5.4 Milzbrand 3.3.5.5 Rotz 3.3.6 Parasitäre Erkrankungen 3.3.6.1 Aktinomykose 3.3.6.2 Lues 3.3.7 Wundinfektionskrankheiten 3.3.7.1 Blutergußinfektion 3.3.7.2 Erysipel 3.3.7.3 Lymphangitis 3.3.7.4 Allgemeininfektion 3.3.7.5 Tetanus 3.3.7.6 Wunddiphtherie 3.3.8 Geschwülste 3.3.9 Stoffwechselkrankheiten und Krankheiten der endokrinen Drüsen 3.3.9.1 Diabetes mellitus

Inhalt 121 121 122 126 130 132 132 133 133 134 136 136 136 136 136 136 137 137 137 137 137 138 138 138 138 138 138 138 138 138 139 139 139 139 139 140 140 140 141 141

Inhalt

XIII 3.3.9.2 Fettleibigkeit 3.3.9.3 Nebennieren 3.3.9.4 Altersveränderungen

141 142 142

3.3.10 Erkrankungen des Blutes 3.3.10.1 Leukämie 3.3.10.2 Perniziöse Anämie 3.3.10.3 Milzzerreißungen

142 142 142 142

3.3.11 Erkrankungen des Gefäßsystems 3.3.11.1 Herzmuskel und Herzklappen 3.3.11.2 Aortenaneurysma 3.3.11.3 Aneurysmen peripherer Gefäße 3.3.11.4 Krampfadern 3.3.11.5 Unterschenkelgeschwüre 3.3.11.6 Thrombose 3.3.11.7 Embolie 3.3.11.8 Arteriosklerose 3.3.11.9 Apoplexie 3.3.11.10 Endangiitis obliterans 3.3.11.11 Gangrän einer Gliedmaße 3.3.12 Erkrankungen der Atmungsorgane 3.3.12.1 Lungenverletzungen 3.3.12.2 Lungenentzündung 3.3.12.3 Lungenemphysem 3.3.12.4 Lungentuberkulose 3.3.12.5 Lungenblutung 3.3.12.6 Lungenembolie 3.3.12.7 Pleuritis

143 143 143 143 144 144 145 145 145 145 146 146 146 146 147 147 147 147 148 148

3.3.13 Erkrankungen der Bauchdecken 3.3.13.1 Eingeweidebrüche 3.3.13.2 Bauchfellentzündung

148 148 149

3.3.14 Erkrankungen des Magen- und Darmkanals 3.3.14.1 Ösophagusdivertikel 3.3.14.2 Magen- und Zwölffingerdarmgeschwür 3.3.14.3 Magenblutung 3.3.14.4 Magensenkung 3.3.14.5 Magenkrebs 3.3.14.6 Darmzerreißungen 3.3.14.7 Darmgeschwüre 3.3.14.8 Darmverschluß 3.3.14.9 Appendizitis 3.3.14.10 Mastdarmvorfall 3.3.14.11 Mastdarmfisteln

149 149 149 150 150 150 150 150 151 151 151 151

XIV

Inhalt 3.3.15 Erkrankungen der Leber, der Gallenwege und Bauchspeicheldrüse 3.3.15.1 Virushepatitis 3.3.15.2 Chronische Hepatitis, Zirrhose 3.3.15.3 Gallenblasenentzündung 3.3.15.4 Pankreasnekrose 3.3.15.5 Pankreaszysten 3.3.16 Erkrankungen des Harnsystems 3.3.16.1 Nierenstein und Ureterstein 3.3.16.2 Hydro- und Pyonephrose 3.3.16.3 Wanderniere 3.3.16.4 Nierenentzündung 3.3.16.5 Nierentuberkulose 3.3.16.6 Nierenbeckenentzündung 3.3.16.7 Harnblasenstein 3.3.16.8 Harnröhrenstrikturen 3.3.17 Genitalerkrankungen

151 151 151 152 152 152 152 152 153 153 153 153 154 154 154 155

3.3.18 Erkrankungen der Haut und des Unterhautzellgewebes 3.3.18.1 Furunkel 3.3.18.2 Panaritium 3.3.18.3 Zellgewebsentzündungen (Phlegmone)

155 155 155 155

3.3.19 Erkrankungen der Muskeln, Sehnen und Schleimbeutel 3.3.19.1 Muskelrisse 3.3.19.2 Muskelhernien 3.3.19.3 Myositis ossificans 3.3.19.4 Lumbago (Hexenschuß) 3.3.19.5 Bandscheibenvorfall im Bereich der Wirbelsäule 3.3.19.6 Bizepssehnenriß 3.3.19.7 Riß der Achillessehne 3.3.19.8 Tendovaginitis crepitans 3.3.19.9 Dupuytrensche Kontraktur 3.3.19.10 Schleimbeutelentzündungen 3.3.19.11 Periarthritis humero-scapularis

156 156 156 156 156 156 157 157 157 157 157 158

3.3.20 Erkrankungen der Knochen und Gelenke 3.3.20.1 Akute hämatogene Osteomyelitis 3.3.20.2 Ostitis fibrosa 3.3.20.3 Tuberkulose der Knochen und Gelenke 3.3.20.4 Spontanfrakturen 3.3.20.5 Dornfortsatzbruch (Schipperkrankheit) 3.3.20.6 Navikularpseudarthrose der Hand 3.3.20.7 Lunatumnekrose (Mondbeintod) 3.3.20.8 Spondylarthrose 3.3.20.9 Bechterewsche Erkrankung

158 158 158 159 159 159 160 160 160 160

Inhalt

XV 3.3.20.10 Spondylolisthesis (Wirbelgleiten) 3.3.20.11 Arthrosis deformans 3.3.20.12 Habituelle Luxationen 3.3.20.13 Meniskuslösungen 3.3.20.14 Gelenkrheumatismus 3.3.20.15 Ganglion 3.3.20.16 Gelenkmäuse 3.3.20.17 Osteochondritis dissecans 3.3.20.18 Gelenkchondromatose 3.3.20.19 Gicht 3.3.20.20 Knochennekrosen 3.3.21 Erkrankungen des Nervensystems 3.3.21.1 Epilepsie 3.3.21.2 Psychoreaktive Syndrome 3.3.21.3 Hirnabszeß 3.3.21.4 Ischias 3.3.21.5 Hämotomyelie 3.3.21.6 Neurofibromatose 3.3.21.7 Progressive spinale Muskelatrophie 3.3.22 Erkrankungen der Augen 3.3.22.1 Grüner Star (Glaukom) 3.3.22.2 Grauer Star 3.3.22.3 Netzhautablösung

4. Die entschädigungspflichtigen Berufskrankheiten (Merkblätter für die ärztlichen Untersuchung bei den Berufskrankheiten) Nr. 1101 Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen Nr. 1102 Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen Nr. 1103 Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen Nr. 1104 Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen Nr. 1105 Erkrankungen durch Mangan oder seine Verbindungen Nr. 1106 Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen Nr. 1107 Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen Nr. 1108 Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen Nr. 1109 Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen Nr. 1110 Erkrankungen durch Beryllium oder seine Verbindungen Nr. 1201 Erkrankungen durch Kohlenmonoxid Nr. 1202 Erkrankungen durch Schwefelwasserstoff Nr. 1301 Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine Nr. 1302 Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe Nr. 1303 Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologen

160 161 162 162 163 163 163 163 163 163 164 164 164 164 164 165 165 165 165 165 165 165 165 167 167 168 170 171 172 172 173 174 175 176 177 178 179 180 183

XVI

Inhalt

Nr. 1304 Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge 184 Nr. 1305 Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff 185 Nr. 1306 Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol) 185 Nr. 1307 Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen 186 Nr. 1308 Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen 188 Nr. 1309 Erkrankungen durch Salpetersäureester 189 Nr. 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide 190 Nr. 1311 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide 191 Nr. 1312 Erkrankungen der Zähne durch Säuren 192 Nr. 1313 Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon 193 Nr. 2101 Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 193 Nr. 2102 Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage 194 Nr. 2103 Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen 194 Nr. 2104 Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 195 Nr. 2105 Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen Druck 196 Nr. 2106 Drucklähmungen der Nerven 196 Nr. 2107 Abrißbrüche der Wirbelfortsätze 197 Nr. 2201 Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft 198 Nr. 2301 Lärmschwerhörigkeit 198 Nr. 2401 Grauer Star durch Wärmestrahlung 203 Nr. 2402 Erkrankungen durch ionisierende Strahlen 204 Nr. 3101 Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war 206 Nr. 3102 Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten 208 Nr. 3103 Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duodenale oder Strongyloides stercoralis 210 Nr. 3104 Tropenkrankheiten, Fleckfieber 211 Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose) 212

Inhalt

XVII

Nr. 4102 Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose) 212 Nr. 4103 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) 214 Nr. 4104 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) in Verbindung mit Lungenkrebs 215 Nr. 4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells 216 Nr. 4106 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen 217 Nr. 4107 Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen 218 Nr. 4108 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl (Thomasphosphat) 219 Nr. 4201 Farmer-(Drescher-) Lunge 219 Nr. 4202 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwoll- oder Flachsstaub (Byssinose) 220 Nr. 4301 Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 221 Nr. 4302 Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 223 Nr. 5101 Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 225 Nr. 5102 Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe 227 Nr. 6101 Augenzittern der Bergleute 227 Literatur

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Sachregister

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Anhang: Bildtafeln I-XVII

Teil 1

Rechtliche Gesichtspunkte der Unfallbegutachtung von Assessor Reinhard Hymmen, Köln

1.

Allgemeines

Das Gutachten des ärztlichen Sachverständigen über die Folgen eines Unfalls ist erforderlich, um über die etwaigen Rechtsansprüche der von dem Unfall betroffenen Personen entscheiden zu können. Sowohl diese Ansprüche selbt als auch die Zuständigkeit zur Entscheidung darüber sind von dem Rechtsverhältnis abhängig, aus dem die von einem Unfall betroffene Person ihre Ansprüche herleitet. Ein solches Rechtsverhältnis kann privatrechtlicher Natur gegenüber einem Schädiger sein, etwa aus der schuldhaften, d. h. vorsätzlichen oder fahrlässigen und rechtswidrigen Verursachung eines Unfalls (unerlaubte Handlung §§823 ff. Bürgerliches Gesetzbuch) oder aus strengeren Haftungsverpflichtungen, wie z.B. der des Kraftfahrzeughalters (§7 Straßenverkehrsgesetz). Privatrechtlicher Natur sind auch die Rechtsansprüche, die sich aus den Versicherungsverträgen über eine private Unfallversicherung ergeben. Von besonderer Bedeutung für die ärztliche Begutachtung von Unfallfolgen sind jedoch die Rechtsansprüche von Unfallgeschädigten öffentlich-rechtlicher Natur. Solche Ansprüche ergeben sich vor allem aus dem öffentlich-rechtlichen Versicherungsverhältnis zu den Trägem der Sozialversicherung. Dies sind in erster Linie die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung, außerdem kann aber auch das Versicherungsverhältnis zu den Trägern der Kranken- und Rentenversicherung berührt sein. Während die privatrechtlichen Ansprüche, soweit nicht eine außergerichtliche Erledigung erfolgt, vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgen sind, wird über die öffentlich-rechtlichen durch Verwaltungsakt (Bescheide) entschieden. Nach § 3 1 Sozialgesetzbuch 10. Buch — Verwaltungsverfahren usw. — ist der Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet i s t . . .

Die Rechtmäßigkeit der Entscheidung eines Leistungsträgers der Sozialversicherung unterliegt der Prüfung durch die besonderen Verwaltungsgerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Eine der Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsaktes, ebenso aber auch für eine rechtmäßige Entscheidung in anderer Weise, ist die sachgemäße Begutachtung. Dafür sind Kenntnisse über die Grundsätze der öffentlich-rechtlichen und privaten Versicherung erforderlich. Denn wenn auch der Gutachter nicht die Aufgabe hat, aus den mit den Mitteln der ärztlichen Wissenschaft gewonnenen Erkenntnissen über den Sachverhalt rechtliche Schlüsse zu ziehen, so muß ihm doch bekannt sein, welche durch ein Gutachten festzustellenden Tatsachen für eine Entscheidung rechtserheblich sind. Das gilt insbesondere für die mit der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs und der Minderung der Erwerbsfähigkeit zusammenhängenden Fragen. Der nachfolgende Überblick erscheint daher geboten.

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Allgemeines

Zuvor ist aber wegen der Inanspruchnahme als Gutachter durch einen Sozialleistungsträger auf die Vorschriften des Sozialgesetzbuches X hinzuweisen. Danach dienen u.a. die schriftlichen Äußerungen des Sachverständigen dem Sozialversicherungsträger als Beweismittel zur Ermittlung des Sachverhalts (§21, Abs. 1 SGB X). Für eine etwaige Rechtspflicht eines ärztlichen Sachverständigen, ein Gutachten zu erstatten, gilt § 407 der Zivilprozeßordnung entsprechend, wenn dieses Gutachten zur Entscheidung über Art, Umfang und Höhe einer Sozialleistung unabweisbar ist (§ 21, Abs. 3 SGB X). Nach der genannten Vorschrift der Zivilprozeßordnung ist u.a. zur Erstattung eines Gutachtens verpflichtet, wer zur Ausübung der Wissenschaft, deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich bestellt oder ermächtigt ist (§ 407, Abs. 1 ZPO). Das ist für einen approbierten Arzt der Fall. Gleiches gilt, wenn ein Sachverständiger sich gegenüber einem Sozialleistungsträger zur Erstattung eines Gutachtens bereit erklärt hat (§407, Abs.2 ZPO). Der Sachverständige kann die Erstattung eines Gutachtens aus den Gründen verweigern, aus denen ein Zeuge die Aussage verweigern kann, ebenso wenn er sich mit guten Gründen für befangen hält und eine Befangenheit anerkannt werden muß. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung besteht für den Arzt, der einen Unfallverletzten behandelt, eine gesetzliche bzw. vertragliche Rechtspflicht zur Erstattung von Gutachten über seinen Patienten. Die gesetzliche Pflicht ergibt sich aus § 1543 d RVO Abs. 1: Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, dem Träger der Unfallversicherung Auskunft über die Behandlung und den Zustand des Verletzten zu erteilen...;

die vertragliche aus Leitnummer (Leitnr.) 63 des Abkommens Ärzte/Unfallversicherungsträger (Ärzteabkommen): Der Arzt, der die erste ärztliche Versorgung geleistet oder den Unfallverletzten behandelt hat, erstattet dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung die Auskünfte, Berichte und Gutachten, die er im Vollzug seiner gesetzlichen Aufgaben von ihm einholt (§ 1543 d der Reichsversicherungsordnung) .

Die Sozialleistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, daß jeder Berechtigte die ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise umfassend und schnell erhält (§ 17, Abs. 1 Nr. 1 SGB 1 - Allgemeiner Teil —). Die Erfüllung dieser Verpflichtung hängt bei vielen Sachverhalten auch davon ab, daß der Sachverständige durch schnelle Erledigung eines Gutachtenauftrags die schnelle Entscheidung des Sozialleistungsträger ermöglicht. Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist dazu in Leitnr. 67, Abs. 1 des Abkommens Ärzte/Unfallversicherungsträger für die Erstattung von Rentengutachten eine Frist von drei Wochen vereinbart. Sollte ein Sachverständiger diese Frist oder einen anderen im Gutachtenauftrag genannten Termin aus guten Gründen nicht einhalten können, ist er verpflichtet, den Unfallversicherungsträger unverzüglich zu benachrichtigen. (Leitnr. 67, Abs. 2). Personen, die Sozialleistungen beantragen oder erhalten, haben andererseits bei der Gutachtenerstattung dadurch mitzuwirken, daß sie sich auf Verlangen des Leistungs-

Allgemeines

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trägers ärztlichen und psychologischen Untersuchungsmaßnahmen unterziehen. Kommt eine solche Person dieser - oder einer anderen — Mitwirkungspflicht ohne rechtserhebliche Begründung nicht nach, können Rechtsnachteile in Form von Versagung oder Entziehung der Leistung die Folge sein. Behandlungen und Untersuchungen, — bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, — die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder — die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten, können abgelehnt werden (§§60ff. Sozialgesetzbuch 1, Allgemeiner Teil).

2. Gesetzliche Unfallversicherung

2.1 Berufsgenossenschaften und andere Unfallversicherungsträger Die gesetzliche Unfallversicherung hat die Aufgabe, den versicherten Personen für die Folgen von Arbeitsunfällen Schadensersatz zu leisten. Dazu bestimmt § 22 Sozialgesetzbuch 1. Buch — Allgemeiner Teil —, daß nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch genommen werden können: 1. Maßnahmen zur Verhütung und zur Ersten Hilfe bei Arbeitsunfällen, bei gleichgestellten Unfällen und bei Berufskrankheiten sowie Maßnahmen zur Früherkennung von Berufskrankheiten, 2. Heilbehandlung, Berufsförderung und andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Erwerbstätigkeit sowie zur Erleichterung der Verletzungsfolgen einschließlich wirtschaftlicher Hilfen, 4. Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, 4. Renten an Hinterbliebene, Sterbegeld und Beihilfen, 5. Rentenabfindungen, 6. Haushaltshilfe, 7. Betriebshilfe für Landwirte.

Zur Entscheidung über die Ansprüche nach diesen Leistungskatalog ist bei nahezu allen Punkten die Unterstützung durch ärztlichen Sachverstand - etwa durch ärztliche Maßnahmen zur Vorbeugung oder zur Heilbehandlung oder durch ärztliche Gutachten - erforderlich. Nach Absatz 2 der gleichen Vorschrift sind für die Aufgaben, die sich aus dem Leistungskatalog ergeben, zuständig: 1. in der allgemeinen Unfallversicherung die gewerblichen Berufsgenossenschaften, Gemeindeunfallversicherungsverbände, Feuerwehrunfallversicherungskassen, Unfallkassen sowie die Ausführungsbehörden des Bundes, der Länder und der zu Versicherungsträgern bestimmten Gemeinden, 2. in der landwirtschaftlichen Unfallversicherung die landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaften, die Unfallkassen sowie die Ausführungsbehörden des Bundes und der Länder, 3. in der See-Unfallversicherung die See-Berufsgenossenschaft, die Unfallkassen sowie die Ausführungsbehörden des Bundes und der Länder.

Ihrer Verfassung nach sind die nach Gewerbezweigen gegliederten Berufsgenossenschaften Körperschaften des öffentlichen Rechts mit eigener Satzungsbefugnis. Sie führen die ihnen durch das Gesetz übertragenen Aufgaben in eigener Verantwortung im Wege der Selbstverwaltung durch. An dieser Selbstverwaltung sind die Mitglieder, nämlich die durch das Gesetz zur Mitgliedschaft verpflichteten Unternehmer („Berufs-Genossen") und die Versicherten (Arbeitnehmer), paritätisch beteiligt. Mit der Ausdehnung des Versicherungsschutzes durch die gesetzliche Unfallversiche-

Versicherter Personenkreis

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rung im Laufe der Entwicklung sind außer den Berufsgenossenschaften noch andere Träger der gesetzlichen Unfallversicherung entstanden. Für die Versicherten in den öffentlichen Diensten und andere Versicherungsgruppen (s. auch 2.3 „Versicherter Personenkreis") sind die Versicherungsträger der öffentlichen Hand zuständig, nämlich die Gemeindeunfallversicherungsverbände, die Feuerwehrunfallversicherungskassen, die Ausführungsbehörden des Bundes und der Länder und die zu Versicherungsträgern bestimmten Gemeinden. Zu solchen Versicherungsträgern können die Länder Gemeinden mit mehr als 500.000 Einwohnern bestimmen.

2.2 Aufbringung der Mittel - Ablösung der Haftpflicht Die für die Aufgaben der Berufsgenossenschaften erforderlichen Mittel werden von den Mitgliedern, das heißt also von den Unternehmern, allein aufgebracht, von den Versicherten werden keine Beiträge erhoben. M i t den Beiträgen zu der für ihn zuständigen Berufsgenossenschaft löst der Unternehmer seine etwaige Haftpflicht gegenüber dem Arbeitnehmer (Versicherten) aus Unfällen ab. Er kann also den Versicherten, der ihn wegen eines Arbeitsunfalles in seinem Unternehmen auf Schadensersatz in Anspruch nehmen will, an seine Berufsgenossenschaft verweisen, es sei denn, daß der Unternehmer den Unfall vorsätzlich oder bei Teilnahme am allgemeinen Verkehr verursacht hat (§ 636 Reichsversicherungsordnung). Entsprechendes gilt für die Versicherungsträger der öffentlichen Hand.

2.3 Versicherter Personenkreis Nach den Bestimmungen des Sozialgesetzbuches (4. Buch — Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - § 2 Abs. 2) sind in allen Zweigen der Sozialversicherung nach Maßgabe der besonderen Vorschriften für die einzelnen Versicherungszweige versichert 1. Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, 2. Behinderte, die in geschützten Einrichtungen beschäftigt werden, 3. Landwirte, 4. Hausgewerbetreibende, 5. in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- und Kinderpflege selbständig tätige Personen, die in ihrem Betrieb keine Angestellten beschäftigen, 6. freiberuflich tätige Hebammen und Entbindungspfleger, 7. Artisten. Unter besonderen Umständen können auch Seeleute, die Deutsche im Sinne des

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Gesetzliche Unfallversicherung

Grundgesetzes sind, jedoch unter anderer Flagge zur See fahren, nach den Vorschriften des Sozialgesetzbuches versichert werden ( § 2 Abs. 3). Die für den „Versicherungszweig" gesetzliche Unfallversicherung maßgeblichen, besonderen Vorschriften sind im 3. Buch der Reichsversicherungsordnung (RVO) enthalten. Danach sind vor allem die Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die in einem Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis beschäftigt sind, wobei der Versicherungsschutz unabhängig von der Stellung der Person im Unternehmen ist. Der Vorsitzenden des Vorstandes etwa einer Aktiengesellschaft ist demnach ebenso gegen Arbeitsunfall versichert wie der jüngste Auszubildende des Unternehmens. Der versicherte Personenkreis ist aus der maßgebenden gesetzlichen Vorschrift, dem § 5 3 9 R V O , zu entnehmen. Hier sind aufgeführt: 1. die auf Grund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten, 2. Heimarbeiter, Zwischenmeister, Hausgewerbetreibende und ihre im Unternehmen tätigen Ehegatten sowie die sonstigen mitarbeitenden Personen, 3. Personen, die zur Schaustellung oder Vorführung künstlerischer oder artistischer Leistungen vertraglich verpflichtet sind, 4. Personen, die nach den Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes oder im Vollzug des Bundessozialhilfesgesetzes der Meldepflicht unterliegen, wenn sie a) zur Erfüllung ihre Meldepflicht die hierfür bestimmte Stelle aufsuchen oder b) auf Aufforderung einer Dienststelle der Bundesanstalt für Arbeit oder einer seemännischen Heuerstelle diese oder andere Stellen aufsuchen, 5. Unternehmer, solange und soweit sie als solche Mitglieder einer landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft sind, ihre mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten und die in Unternehmen zum Schutze und zur Förderung der Landwirtschaft einschließlich der landwirtschaftlichen Selbstverwaltung und ihrer Verbände Tätigen, 6. Küstenschiffer und Küstenfischer als Unternehmer gewerblicher Betriebe der Seefahrt (Seeschiffahrt und Seefischerei), die zur Besatzung ihres Fahrzeuges gehören oder als Küstenfischer ohne Fahrzeug fischen und die bei dem Betrieb regelmäßig keine oder höchstens zwei kraft Gesetzes versicherte Arbeitnehmer gegen Entgelt beschäftigen, sowie deren im Unternehmen tätigen Ehegatten, 7. die im Gesundheits- oder Veterinärwesen oder in der Wohlfahrtspflege Tätigen, 8. die in einem Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen Tätigen sowie die Teilnehmer an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen einschließlich der Lehrenden, 9. Personen, die a) bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not Hilfe leisten oder einen anderen aus gegenwärtiger Lebensgefahr oder erheblicher gegenwärtiger Gefahr für Körper oder Gesundheit zu retten unternehmen, b) einem Bediensteten des Bundes, eines Landes, einer Gemeinde, eines Gemeindeverbandes oder einer anderen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts, der sie zur Unterstützung bei einer Diensthandlung heranzieht, Hilfe leisten, c) sich bei Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer rechtwidrigen, den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklichenden Tat verdächtig ist, oder zum Schutz eines widerrechtlichen Angegriffenen persönlich einsetzen, 10. Blutspender und Spender körpereigener Gewebe,

Versicherter Personenkreis

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11. Personen, die auf Grund von Arbeitsschutz- oder UnfallverhütungsVorschriften ärztlich untersucht oder behandelt werden, 12. a) Personen, die Luftschutzdienste leisten, wenn sie hierzu durch eine zuständige Stelle herangezogen sind oder wenn sie handeln, weil Gefahr im Verzuge ist, b) freiwillige Helfer des Bundesluftschutzverbandes, c) Teilnehmer an den Ausbildungsveranstaltungen des Bundesamtes für zivilen Bevölkerungsschutz, des Bundesluftschutzverbandes oder des Luftschutzhilfsdienstes einschließlich der Lehrenden, 13. die für den Bund, ein Land, eine Gemeinde, einen Gemeindeverband oder eine andere Körperschaft, Anstalt oder Stiftung des öffentlichen Rechts ehrenamtlich Tätigen, wenn ihnen nicht durch Gesetz eine laufende Entschädigung zur Sicherstellung ihres Lebensunterhalts gewährt wird, und die von einem Gericht, einem Staatsanwalt oder einer sonst dazu berechtigten Stelle zur Beweiserhebung herangezogenen Zeugen, 14. a) Kinder während des Besuchs von Kindergärten, b) Schüler während des Besuchs allgemeinbildender Schulen, c) Lernende während der beruflichen Aus- und Fortbildung und ehrenamtlich Lehrende in Betriebsstätten, Lehrwerkstätten, berufsbildenden Schulen, Schulungskursen und ähnlichen Einrichtungen, soweit sie nicht bereits zu den nach den Nummern 1 bis 3 und 5 bis 8 Versicherten gehören, d) Studierende während der Aus- und Fortbildung an Hochschulen, soweit sie nicht bereits zu den nach den Nummern 1 bis 3 und 5 bis 8 Versicherten gehören, 15. Personen, die bei dem Bau eines Familienheimes (Eigenheim, Kaufeigenheim, Kleinsiedlung), einer eigengenutzten Eigentumswohnung, einer Kaufeigentumswohnung oder einer Genossenschaftswohnung im Rahmen der Selbsthilfe tätig sind, wenn durch das Bauvorhaben öffentlich geförderte oder steuerbegünstigte Wohnungen geschaffen werden sollen. Dies gilt auch für die Selbsthilfe bei der Aufschließung und Kultivierung des Geländes, der Herrichtung der Wirtschaftsanlagen und der Herstellung von Gemeinschaftsanlagen. Für die Begriffsbestimmungen sind die §§ 5 , 7 bis 10 und 36 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes in der Fassung vom 1. September 1976 (Bundesgesetzbl. I S.2673) maßgebend, 16. Entwicklungshelfer im Sinne des Entwicklungshelfer-Gesetzes vom 18. Juni 1969 (Bundesgesetzbl. I S. 549), die im Ausland für eine begrenzte Zeit beschäftigt sind oder im Ausland oder im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine solche Beschäftigung vorbereitet werden, 17. Personen, a) denen von einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung oder der gesetzlichen Unfallversicherung oder einer landwirtschaftlichen Altersklasse stationäre Behandlung im Sinne des §559 (Reichsversicherungsordnung) gewährt wird, b) die auf Kosten eines Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung oder der Bundesanstalt für Arbeit an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation teilnehmen, soweit sie nicht bereits zu den nach den Nummern 1 bis 3 , 5 bis 8 und 14 Versicherten (s. oben) gehören oder c) die zur Vorbereitung von berufsfördernden Maßnahmen zur Rehabilitation auf Aufforderung eines in Buchstabe b (s. oben) genannten Trägers diese oder andere Stellen aufsuchen. Gegen Arbeitsunfall sind ferner Personen versichert, die wie ein nach Absatz 1 Versicherter tätig werden; dies gilt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit. Mit dem 4. Buch des Sozialgesetzbuches - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung — ist dem § 5 3 9 R V O ein weiterer Absatz angefügt worden. Dieser lautet:

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Gesetzliche Unfallversicherung

Soweit die Absätze 1 und 2 weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Tätigkeit voraussetzen, gelten sie für alle Personen, die die dort genannten Tätigkeiten im Geltungsbereich dieses Gesetzes ausüben; § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend. Abs. 1 Nr. 9 Buchstabe a gilt auch für Personen, die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes tätig werden, wenn sie innerhalb dieses Geltungsbereichs ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Das bedeutet, daß der dem öffentlichen Interesse dienende versicherte Personenkreis, soweit eine Beschäftigung oder eine selbständige Tätigkeit nicht vorliegen (ζ. B. Blutspender, Hilfeleistende bei einer Dienstleistung, Zeugen vor Gericht) dann versichert ist, wenn die versicherte Tätigkeit im Geltungsbereich der Reichsversicherungsordnung, d. h. also in der Bundesrepublik und im Land Berlin, ausgeübt wird. Von dieser Regel wird zugleich eine Ausnahme bestimmt, nämlich daß Nothelfer oder Lebensretter (Nr. 9 a s. oben) auch bei einer Rettungstätigkeit im Ausland versichert sind, wenn sie innerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsordnung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Über die Versicherung bei Tätigkeiten außerhalb des Geltungsbereichs des Sozialgesetzbuches bzw. der Reichsversicherungsordnung, die sogenannte „Ausstrahlung", bestimmt § 4 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch — Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung — im übrigen: (1) Soweit die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Versicherungsberechtigung eine Beschäftigung voraussetzen, gelten sie auch für Personen, die im Rahmen eines im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches bestehenden Beschäftigungsverhältnisses in ein Gebiet außerhalb dieses Geltungsbereichs entsandt werden, wenn die Entsendung infolge der Eigenart der Beschäftigung oder vertraglich im voraus zeitlich begrenzt ist. (2) Absatz 1 gilt nicht für Personen, die auf ein Seeschiff entsandt werden, das nicht berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, und der Unfallverhütung und Schiffssicherheitsüberwachung durch die See-Berufsgenossenschaft nicht unterliegt. Die Satzung der See-Berufsgenossenschaft muß Ausnahmeregelungen enthalten. (3) Für Personen, die eine selbständige Tätigkeit ausüben, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

Die Fassung des § 539 Abs. 1 Nr. 14 R V O ist durch das „Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten" vom 1 8 . 3 . 1 9 7 1 (Bundesgesetzblatt 11971, S. 237ff.) eingeführt worden. M i t diesem am 0 1 . 4 . 1 9 7 1 in Kraft getretenen Gesetz wurden Schüler und Studenten und Kindergartenkinder in den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung einbezogen. Der Versicherungsschutz für Rehabilitanden aus dem Zuständigkeitsbereich der Krankenversicherung, der Rentenversicherung, der landwirtschaftlichen Alterskassen und der Bundesanstalt für Arbeit bei Maßnahmen zur medizinischen oder beruflichen Rehabilitation oder zur Vorbereitung von Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation (s. oben Nr. 17a) bis c)) ist durch das „Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation" eingeführt worden. Im Bereich der Bundesversorgung gilt Entsprechendes nach § 1, Abs. 2 e und f des Bundesversorgungsgesetzes. Bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation sind Rehabilitanden dann versichert, wenn ihnen Heilbehandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einem Krankenhaus oder

Versicherter Personenkreis

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einer Kur- oder Spezialeinrichtung gewährt wird (§559 RVO). Nicht versichert sind demnach u. a. Personen bei ambulanter Behandlung, bei Unterbringung zur Beobachtung oder Begutachtung, zur Entbindung, zur Wochenpflege oder zum Schwangerschaftsabbruch, ferner bei offenen Badekuren, Erholungs-, Genesungs-, Mütterkuren u. ä. Versicherungsschutz besteht nur bei Betätigungen in ursächlichem Zusammenhang mit der stationären Unterbringung, nicht aber bezüglich der in der Heilbehandlung liegenden Risiken, wie z.B. atypischer Verlauf, Komplikationen, Behandlungsfehler von Ärzten oder ärztlichem Hilfs- oder von Pflegepersonal (dazu u.a.: Bundessozialgericht 27.6.1975 in Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 46, S. 283 ff.; Bundessozialgericht 30.9.1980 in Breithaupt, Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht, 71. Jahrgang (1982) S.379ff.). Soweit Personen durch eine versicherte Tätigkeit außerhalb der gewerblichen Wirtschaft oder der Landwirtschaft einen Arbeitsunfall erleiden (z.B. Blutspender, Lebensretter o. ä.), sind für die Betreuung und Entschädigung nicht die Berufsgenossenschaften, sondern die Unfallversicherungsträger der öffentlichen Hand zuständig (Ausführungsbehörden des Bundes oder der Länder, Gemeindeunfallversicherungsverbände usw.). Diese Versicherungsträger sind auch in der Regel für die Unfallversicherung von Schülern, Studenten und Kindergartenkindern zuständig und haben daher sehr bedeutungsvolle Aufgaben auf dem Gebiet der Heilbehandlung und der Rehabilitation von Unfallfolgen bei Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden erhalten. Diesen besonderen Aufgaben muß auch die Begutachtung gerecht werden. Schließlich genießen Personen Versicherungsschutz, die während einer auf Grund eines Gesetzes angeordneten Freiheitsentziehung oder auf Grund strafrichterlicher Anordnung wie ein nach der zuvor genannten Vorschrift Versicherter tätig werden. Versicherungsfrei sind Beamte, Soldaten, Mitglieder geistlicher Genossenschaften, Diakonissen, Schwestern vom Deutschen Roten Kreuz und Angehörige ähnlicher Gemeinschaften, selbständig beruflich tätige Ärzte, Heilpraktiker, Zahnärzte und Apotheker, weiterhin Kinder, Geschwister und andere Verwandte eines Haushaltungsvorstandes oder eines Ehegatten bei unentgeltlicher Beschäftigung im Haushalt (§541, Abs. 1 Nr. 1 - 5 RVO). Versicherungsfrei sind ferner: 1. Unternehmer von nicht gewerbsmäßig betriebenen Binnenfischereien oder Imkereien und ihre Ehegatten, wenn die Fischerei oder die Imkerei nicht Bestandteil oder Nebenunternehmen eines landwirtschaftlichen Unternehmens ist, 2. a) Verwandte auf- oder absteigender Linie dieser Unternehmer oder ihrer Ehegatten, b) sonstige Kinder (§ 583 Abs. 5) dieser Unternehmer oder ihrer Ehegatten, c) Geschwister dieser Unternehmer oder ihrer Ehegatten bei unentgeltlicher Beschäftigung in nicht gewerbsmäßig betriebenen Fischereien oder Imkereien, 3. Personen, die auf Grund einer vom Fischerei- oder Jagdausübungsberechtigten unentgeltlich oder entgeltlich erteilten Fischerei- oder Jagderlaubnis die Fischerei oder Jagd ausüben (Fischerei- oder Jagdgäste), 4. Mitglieder von Sportfischereivereinigungen, soweit sie die im Besitz der Vereinigung stehenden Gewässer zum eigenen Nutzen befischen (§542, Nr. 1 - 4 RVO).

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Gesetzliche Unfallversicherung

Unternehmer können dann versichert sein, wenn die Satzung des Trägers der Unfallversicherung die Versicherung auf Unternehmer erstreckt. Im anderen Falle können sie der Unfallversicherung freiwillig beitreten. Ausnahme: Haushaltsvorstände, die in §542, Nr. 1 - 4 RVO genannten Personen und Reeder, die nicht zur Besatzung eines Fahrzeugs gehören.

2.4 Versicherungsfall 2.4.1 Arbeitsunfall Nach den gesetzlichen Bestimmungen (§548 RVO) ist ein Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer Tätigkeit erleidet, durch die er in den versicherten Personenkreis einbezogen wurde, z.B. also ein Unfall bei der Tätigkeit im Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnis (§539 Abs. 1 Nr. 1 RVO), als Heimarbeiter, Zwischenmeister, Hausgewerbetreibender (539 Abs. 1 Nr. 2 RVO) usw. (s. o. 2.3. „Versicherter Personenkreis"). Als versicherte Tätigkeit gilt auch das Geldabheben bei einem Bankinstitut bei bargeldloser Lohnzahlung, und zwar das erstmalige Aufsuchen einer Bank nach Ablauf eines Lohn- oder Gehaltszahlungszeitraumes. Der Begriff des Unfalls ist im Gesetz nicht definiert, sondern durch die Rechtsprechung entwickelt. Nach dieser Rechtsprechung ist ein Unfall im versicherungsrechtlichen Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung ein von außen auf den Menschen einwirkendes - d. h. nicht auf einer inneren Ursache beruhendes — körperlich schädigendes, plötzliches, d.h. zeitlich begrenztes Ereignis. Das Erfordernis der zeitlichen Begrenzung ist erfüllt, wenn das schädigende Ereignis innerhalb einer Arbeitsschicht eingetreten ist, auch wenn ein näherer Zeitpunkt der Schädigung nicht festgestellt werden kann. Dem Körperschaden steht die Beschädigung eines Körpersatzstückes oder eines größeren orthopädischen Hilfsmittels gleich. Nach §555 a RVO steht einem Versicherten, der einen Arbeitsunfall erlitten hat, derjenige gleich, der als Leibesfrucht durch einen Arbeitsunfall der Mutter während der Schwangerschaft geschädigt worden ist. Dabei braucht die Mutter weder krank im Sinne der Krankenversicherung noch in ihrer Erwerbsfähigkeit gemindert gewesen zu sein. Weil nach der zuvor angeführten gesetzlichen Bestimmung ein Unfall dann ein Arbeitsunfall ist, wenn ein Versicherter ihn bei einer versicherten Tätigkeit erleidet, muß das körperlich schädigende, zeitlich begrenzte Ereignis mit der versicherten Tätigkeit in ursächlichem Zusammenhang stehen. Ob dieser Zusammenhang im Einzelfall nachgewiesen ist, ist in der Regel eine Frage, die durch rechtliche Würdigung des Sachverhalts zu beantworten ist. Dabei können ärztliche Befunde oder die persönlichen Angaben des Verletzten zum Unfallhergang beim Arzt allerdings von Bedeutung sein. Die Mitwirkung des ärztlichen Gutachters mit seinem Sachverstand ist jedoch

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vorwiegend zur Klärung einer weiteren Frage erforderlich. Denn außer dem ursächlichen Zusammenhang zwischen dem zeitlich begrenzten Ereignis und der versicherten Tätigkeit muß ein solcher zwischen dem Unfallereignis und dem Körperschaden bestehen. Für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung ist demnach zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls (Versicherungsfall) die Feststellung eines zweifachen Kausalzusammenhangs erforderlich, nämlich: 1. zwischen versicherter Tätigkeit und Unfallereignis - sogenannte haftungsbegründende Kausalität - , 2. zwischen Unfallereignis und Körperschaden - sogenannte haftungsausfüllende Kausalität —.

2.4.2 Ursachenbegriff in der gesetzlichen Unfallversicherung Für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung gilt - wie das auch auf andere Rechtsgebiete, etwa des Strafrechts oder des Zivilrechts, zutrifft — ein ihr eigentümlicher Begriff der rechtserheblichen Verursachung. Das ist für die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität bei den sogenannten Zusammenhangsgutachten (s. Teil 2, Abschnitt 3, S. 132ff.), wie schon aus der Bezeichnung hervorgeht, von besonderer Bedeutung. Wenn nämlich an dem eingetretenen Erfolg (Körperschaden) mehrere Ursachen und nicht das angeschuldigte Ereignis allein mitgewirkt haben, so kann ein Arbeitsunfall nur anerkannt werden, wenn dieses Ereignis den schädigenden Erfolg wesentlich mitverursacht hat, wenn es also eine wesentliche Teilursache ist. Das Bundessozialgericht hat dazu in einem Urteil vom 1 . 1 2 . 1 9 6 0 (Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bl. 13, S. 175ff./176) ausgeführt: „ . . . Nach der feststehenden Rechtsprechung und Praxis sind jedoch von allen in Frage kommenden Ursachen im philosophisch-naturwissenschaftlichen Sinne im Rahmen der SozVers nur die wesentlichen Ursachen zu berücksichtigen, als welche diejenigen Bedingungen anzusehen sind, die nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehungen zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Wenn mehrere Umstände gemeinsam zu einem Erfolg beigetragen haben, sind sie rechtlich nur dann wesentliche Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig sind. Wenn dagegen einem der Umstände gegenüber dem anderen überragende Bedeutung zukommt, so ist er allein wesentliche Ursache im Rechtssinne..."

In einem anderen Urteil, und zwar vom 12. Februar 1970 (Breithaupt, Sammlung von Entscheidungen aus dem Sozialrecht Bl. 59 (1970), S. 810ff./811), weist das Bundessozialgericht außerdem auf die Bedeutung der Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen bei der Beurteilung von Mitursachen und ihrem Verhältnis zueinander hin. Dazu wird ausgeführt: „ . . . Das Gesetz ist verletzt, wenn die für das Gebiet der gesetzl. UV geltende Kausalitätsnorm verletzt ist. Nach ihr ist diejenige Bedingung des Erfolges rechtserheblich, die nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Wenn mehrere Bedingungen gleichwertig oder annähernd gleichwertig zu dem Erfolg beigetragen haben, so ist jede von ihnen Ursache im Rechtssinn. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragendeBedeutung zu, so ist er allein wesentliche Ursache im R e c h t s s i n n . . . "

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und weiter: „ . . .Die Frage, welche von mehreren körperlichen Schädigungen, die gemeinsam den Tod eines Versicherten verursacht haben, nach der Auffassung des täglichen Lebens rechtlich wesentlich sind, ist allerdings - im Rechtszuge - allein vom Gericht zu beantworten. Die in einem solchen Fall vorzunehmende Wertung setzt jedoch, weil fundiertes medizinisches Wissen von dem Gericht nicht erwartet werden kann, in der Regel voraus, daß über die medizinische Bedeutung der Mitursachen und ihr Verhältnis zueinander Sachverständigenbeweis erhoben worden ist und entsprechende Feststellungen getroffen worden s i n d . . . "

Bei der Prüfung des Ursachenzusammenhangs ist also die Frage zu beantworten, ob ein Ereignis wesentlich den Erfolg herbeigeführt hat oder ob es nur eine, rechtlich unbeachtliche, Gelegenheitsursache darstellt, die den Erfolg „ausgelöst" hat (Beispiele: Eintritt einer habituellen Luxation während der Arbeit, Spontanfraktur, Leistenbruch). Die von den Verbänden der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung herausgegebene „Anleitung für den Durchgangsarzt" vertritt die Auffassung, daß „Krankheiten, wie z.B. Knochen- und Gelenktuberkulose, Osteomyelitis, Karzinom, Sarkom, Hernie, Bandscheibenvorfall, Lumbago" „nach allgemeiner unfallmedizinischer Erfahrung nur in Ausnahmefällen unter besonderen Voraussetzungen Unfallfolge" sind und daß „eine besonders kritische Prüfung des Zusammenhangs mit dem vom Versicherten geschilderten Ereignis" „bei Meniskusschäden, Thrombosen und Krampfaderleiden" erforderlich ist. Schwierig ist auch die Prüfung des Ursachenzusammenhangs, wenn dabei zu entscheiden ist, ob durch den Unfall ausgelöste Geschehensabläufe, die außerhalb des körperlich-organischen, also im seelischen Bereich, liegen, als wesentliche Ursache anzusehen sind. Diese Geschehensabläufe werden im Sprachgebrauch als „Unfallneurosen" bezeichnet. Solche seelischen Störungen sind nur unter besonderen, sorgfältig zu prüfenden Voraussetzungen wesentlich, die hier nur skizziert werden können. Die frühere Rechtsprechung, nach der die Unfallneurose als nicht unmittelbar organisch bedingt, sondern nur als eine psychologisch verständliche Reaktion und damit nicht als Unfallfolge im Rechtssinne angesehen wurde, ist durch das Bundessozialgericht nicht fortgesetzt worden. In dem maßgeblichen Urteil dieses Gerichts vom 1 8 . 1 2 . 1 9 6 2 (Entscheidungen des Bundessozialgerichts, Bd. 18, S. 173 ff.) heißt es vielmehr dazu u.a.: Auch bei psychischen Reaktionen kann der „Anlage" nicht in jedem Fall von vornherein eine so überragende Bedeutung beigemessen werden, daß sie rechtlich die allein wesentliche „Ursache" ist und die vom Unfallereignis oder seinen organischen Folgen ausgehenden Einwirkungen auf die Psyche als rechtlich unwesentlich in den Hintergrund treten. Vielmehr ist u. a. zu prüfen, ob das Unfallereignis und seine organischen Auswirkungen ihrer Eigenart und Stärke nach unersetzlich, d. h. ζ. B. nicht mit anderen alltäglich vorkommenden Ereignissen austauschbar sind, und ob die Anlage so leicht „ansprechbar" war, daß sie gegenüber den psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses die rechtlich allein wesentliche Ursache ist. Hierbei wird die Schwere des Unfallereignisses - im Verhältnis zu den später vorliegenden Erscheinungen betrachtet vielfach gewisse Anhaltspunkte geben können. Weiterhin ist von Bedeutung, ob vor dem Unfallereignis eine völlig latente „Anlage" bestand und ob diese sich bereits in Symptomen manife-

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stiert hatte, deren Entwicklung durch das Unfallereignis - dauernd oder nur vorübergehend beeinflußt worden ist."

und weiter: „Auch nach der Auffassung des erkennenden Senats ist allerdings ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang in der Regel zu verneinen, wenn die psychischen Reaktionen wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen sind, die ζ. B. mit der Tatsache des Versichertseins oder auch mit persönlichen Lebenskonflikten in Zusammenhang stehen."

Von der gleichen psychischen Reaktionen sind die Tatbestände der bewußten Aggravation und Simulation zu trennen. Sie sind keine Unfallfolgen. In das Gebiet der rechtlichen Beurteilung seelischer Reaktionen auf ein Unfallereignis fällt auch die Frage, ob ein Selbstmord wesentlich durch einen Unfall verursacht worden ist. Da absichtliches Verursachen eines Unfalls den Versicherungsschutz ausschließt, ist der Selbstmord an der Arbeitsstelle und durch Betriebseinrichtungen kein Arbeitsunfall. Ein Selbstmord jedoch, der in einem durch einen Arbeitsunfall verursachten Zustand der Unzurechungsfähigkeit begangen wird, ist eine Folge dieses Unfalls, so daß die Hinterbliebenen zu entschädigen sind. Ein rechtserheblicher Ursachenzusammenhang eines Freitodes mit einem Unfall kann aber auch schon dann bestehen, wenn die Fähigkeit zur Willensbildung durch Auswirkungen des Unfalls wesentlich beeinträchtigt war. Für die Entscheidung kommt es darauf an, in welchem Umfang bei Berücksichtigung der gesamten Persönlichkeit die seelische Störung (Depression) durch Auswirkungen des Unfalls hervorgerufen war. Ist eine solche Störung rechtlich wesentlich durch Unfallfolgen verursacht, so ist zu prüfen, in welchem Umfang dadurch die Fähigkeit des Verstorbenen „zu vernunftgemäß würdigenden folgerichtigen Überlegungen und darauf aufgebauter Entschließung beeinträchtigt war und welche Bedeutung derartige Veränderungen der Persönlichkeit für den Entschluß zur Selbsttötung hatten" (Bundessozialgericht Urteil vom 18.12.1962, Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 18, S. 163). Es ist nicht erforderlich, daß ein Kausalzusammenhang mit Sicherheit nachgewiesen ist, es genügt vielmehr, daß er wahrscheinlich ist. Wahrscheinlich ist ein Zusammenhang nach der Rechtsprechung dann, wenn bei vernünftiger Abwägung aller Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, daß sich darauf die richterliche Überzeugung gründen kann, bzw. die dagegen sprechenden Erwägungen billigerweise außer Betracht bleiben können. Die bloße Möglichkeit eines Zusammenhangs genügt weder für die haftungsbegründende noch für die haftungsaufüllende Kausalität. Auf der anderen Seite wird ein besonderes Maß von Wahrscheinlichkeit wie „mit an Sicherheit grenzender" oder „überwiegender" Wahrscheinlichkeit nicht gefordert. Auf folgende Besonderheit zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs ist hinzuweisen. Nach §589 Abs. 2 RVO besteht bei den Berufskrankheiten Asbestose (Nr. 4103 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung), Asbestose in Verbindung mit Lungenkrebs (Nr. 4104), Silikose (Nr. 4101) und Siliko-Tuberkulose (Nr. 4102) eine gesetzliche Vermutung dafür, daß der Tod eines Versicherten Folge der Berufs-

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krankheit ist, wenn der Versicherte zu Lebzeiten wegen einer der zuvor genannten Berufskrankheiten um 50 oder mehr vom Hundert in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert war. Diese Vermutung gilt nur dann nicht, wenn offenkundig ist, daß der Tod nicht in ursächlichem Zusammenhang mit einer dieser Berufskrankheiten steht, d.h. daß eine dieser Berufskrankheiten „ . . . mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit den Tod des Versicherten in medizinischem Sinne nicht erheblich mitverursacht und ihn mit einer jeden ernsthaften Zweifel ausschließenden Wahrscheinlichkeit nicht um wenigstens ein Jahr beschleunigt hat." (Bundessozialgericht 14.3.1968, Entscheidungen des Bundessozialgerichts Band 28, S.38ff./41). In der Entscheidung weist das Bundessozialgericht weiter darauf hin, daß die Vorschrift des § 583 Abs. 2 RVO den Zweck habe, in den genannten Fällen die Hinterbliebenenrente grundsätzlich zu gewähren und daß daher nur in besonderen Ausnahmefällen von der Gewährung dieser Hinterbliebenenrente abgesehen werden könne. Durch einen Arbeitsunfall können auch mittelbare Unfallfolgen wesentlich verursacht sein. Sie sind den unmittelbaren rechtlich gleichwertig, z.B. Sturz mit Verletzungsfolgen infolge einer durch einen Arbeitsunfall verursachten Körperbehinderung. Das Gesetz (§555 RVO) bezeichnet es ausdrücklich als (mittelbare) Folge eines Arbeitsunfalls, wenn der Verletzte bei der Durchführung der Heilbehandlung oder der Berufshilfe wegen dieses Arbeitsunfalls, bei der Herstellung oder Erneuerung eines beschädigten Körperersatzstückes oder größeren orthopädischen Hilfsmittels, bei einer wegen des Arbeitsunfalls zur Aufklärung des Sachverhalts angeordneten Untersuchung oder auf einem dazu notwendigen Wege einen Unfall erleidet. Mittelbare Unfallfolgen sind auch Gesundheitsstörungen, die infolge der Heilbehandlung wegen eines Arbeitsunfalls entstehen, wie z.B. atypischer Verlauf, Komplikationen, Behandlungsfehler von Ärzten oder ärztlichem Hilfs- oder von Pflegepersonal. Mittelbare Unfallfolgen sind weiterhin durch ärztliche Eingriffe hervorgerufene Gesundheitsstörungen, wenn die Eingriffe dazu gedient haben, Art, Umfang und Ausmaß von Unfallfolgen festzustellen. Das gilt auch, wenn ein solcher Eingriff zu dem Ergebnis führt, daß die dabei festgestellten Befunde nicht Unfallfolge sind.

2.4.3 Verschlimmerung - Wesentliche Änderung Folgen eines Unfalls können sich sowohl verschlimmern als auch bessern. Solche Änderungen in den Unfallfolgen sind nur dann rechtserheblich, wenn sie wesentlich sind. Wesentlich ist eine Änderung, wenn sich dadurch der Prozentsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit auf die Dauer um mehr als 5 v. H. geändert hat (Beispiel: 20 v. H. auf 30 v. H., 25 ν. Η auf 33 1/3 v. H. usw. und umgekehrt). Dieser Grundsatz gilt nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 2.3.1971 (Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 32, S. 245ff.) ohne Einschränkung. Das Gericht hat mit diesem Urteil die frühere Rechtsprechung aufgegeben, wonach unter bestimmten Umständen eine Änderung von 5 v.H. als wesentlich anzusehen war, so wenn etwa die Gewährung oder der Entzug einer Verletztenrente davon abhing. Das Gericht hat dazu ausgeführt, es halte es für geboten,

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„ . . . an dem auf jahrzehntelange unfallmedizinische Erfahrung gestützten Prinzip, daß Abweichungen um nicht mehr als 5 v. H. bei der Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit außer Betracht bleiben müssen, festzuhalten und diesen Grundsatz noch dadurch zu festigen, daß Ausnahmen hiervon nicht mehr anerkannt w e r d e n . . . "

Ein Arbeitsunfall kann aber auch ein bestehendes Leiden verschlimmern. Ist der Unfall eine wesentliche Teilursache für eine solche Verschlimmerung, so ist die Verschlimmerung Unfallfolge. Wenn in der gutachterlichen Praxis verschiedene Möglichkeiten einer solchen Verschlimmerung, nämlich die vorübergehende oder die dauernde, die einmalige oder die richtunggebende Verschlimmerung erörtert werden, so kann eine solche Erörterung der Klärung des medizinischen Sachverhalts oder für Maßnahmen des Leistungsträgers, etwa zur Rehabilitation, dienlich sein. Jedoch sind diese Unterscheidungen für die Entscheidung über Art und Umfang der Ansprüche des Verletzten rechtlich bedeutungslos, weil sie einmal keine Grundlage in gesetzlichen Vorschriften haben und außerdem künftig notwendige Entscheidungen in unzulässiger Weise vorwegnehmen. Sie dürfen nicht in den Verwaltungsakt, der über die Verschlimmerungen entscheidet, aufgenommen werden (Bundessozialgericht 15.12.1959, Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 11, S. 161ff u.a.). Die Frage der Verschlimmerung eines bestehenden Leidens durch einen Unfall ist bei Tod durch dieses Leiden besonders zu prüfen. Der Unfall ist als wesentliche Teilursache dann anzuerkennen, wenn das Leben des Versicherten durch den Unfall um wenigstens ein Jahr verkürzt worden ist.

2.4.4 Dem Arbeitsunfall gleichgestellte Tatbestände 2.4.4.1 Unfälle bei der Verwahrung des Arbeitsgeräts, Unfälle auf dem Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit (Wegeunfälle). Als Arbeitsunfälle werden nicht nur die Unfälle in unmittelbaren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit entschädigt, sondern auch Unfälle, die nur in mittelbarem Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. So gilt ein Unfall bei einer mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden Verwahrung, Beförderung, Instandhaltung und Erneuerung des Arbeitsgeräts als Arbeitsunfall, und zwar auch dann, wenn dieses Arbeitsgerät vom Versicherten gestellt wird (§549 R V O ) . Angesichts der Entwicklung des Verkehrs sind die Unfälle, die der Versicherte auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit erleidet, von besonderer Bedeutung. Dabei ist „Weg" nicht im Sinne von Wegstrecke, sondern von Fortbewegung von einem bestimmten Ausgangspunkt auf ein bestimmtes Ziel hin zu verstehen. Versichert ist nur der unmittelbare verkehrsgerechte Weg von der Wohnung des Versicherten zur Arbeitsstätte. Das gleiche gilt für die Wege von und zur Schule, zur Hochschule und zum Kindergarten und zu deren Veranstaltungen (§550 R V O ) . Durch das Gesetz über Unfallversicherung für Schüler und Studenten sowie Kinder in Kindergärten vom 18.3.1971 (s.o. unter 2.3.) ist der Versicherungsschutz auf dem Wege nach und von dem Ort der Tätigkeit durch die nachfolgende Ergänzung des § 5 5 0 Abs. 2 R V O erweitert worden:

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„Die Versicherung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Wege zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil sein Kind (§583 Abs. 5 RVO), das mit ihm in einem Haushalt lebt, wegen seiner oder seines Ehegatten beruflicher Tätigkeit fremder Obhut anvertraut w i r d , . . . "

Danach sind Versicherte auf dem Wege zur Arbeit oder auf dem Heimweg von der Arbeit auch auf einem Umweg versichert, wenn dieser Umweg wegen der durch die berufliche Tätigkeit der Eltern notwendigen Unterbringung ihres Kindes in fremder Obhut erforderlich ist. Als Kinder gelten auch (§583 Abs. 5 RVO) 1. die in den Haushalt aufgenommenen Stiefkinder; 2. Kinder, die mit dem Ziel der Annahme als Kind in die Obhut des Annehmenden aufgenommen sind und für die die zur Annahme erforderliche Einwilligung erteilt ist. Solche Kinder gelten als Kinder des Annehmenden und nicht mehr als Kinder leiblicher Eltern. Den besonderen versicherungsrechtlichen Bedürfnissen für die von Versicherten vielfach gebildeten sogenannten „Fahrgemeinschaften" trägt die folgende 1974 eingeführte Erweiterung des § 550 Abs. 2 R V O Rechnung. Sie lautet: „Die Versicherung ist nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte von dem unmittelbaren Weg zwischen der Wohnung und dem Ort der Tätigkeit abweicht, weil

1. ... 2. er mit anderen berufstätigen oder versicherten Personen gemeinsam ein Fahrzeug für den Weg nach und von dem Ort der Tätigkeit benutzt."

Andere Umwege und Zwischenaufenthalte können den Zusammenhang unterbrechen, oder, wenn sie in unverhältnismäßiger Zeitdauer zur Wegstrecke stehen, auch lösen. Die Wahl des Verkehrsmittels, mit dem der Versicherte den Weg zurücklegt, ist ohne Bedeutung. Der Weg beginnt und endet jeweils an der Außentür des Unternehmens bzw. an der Außenhaustür des Wohngebäudes. Wege innerhalb des Wohngebäudes sind nicht mehr versichert. Wenn der Versicherte wegen der Entfernung seiner ständigen Familienwohnung von dem Ort der Tätigkeit an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat, gilt auch der Weg zu dieser ständigen Familienwohnung als versichert. Familienwohnung ist die Wohnung, die ständig den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Versicherten bildet, so daß die Wohngelegenheit am Arbeitsort nur eine „Unterkunft" ist. Der Begriff „Familienwohnung" bedeutet nicht, daß nur bei Vorliegen von familienrechtlichen Rechtsbeziehungen im Sinne der Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches die Anerkennung als Familienwohnung gerechtfertigt ist (so u. a. Bundessozialgericht 29.6.1966, Sammlung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 25, S. 93ff.). 2.4.4.2 Unternehmen der Binnenschiffahrt. Bei den Unternehmen der Binnenschiffahrt ist ein besonderer Versicherungsschutz für Tätigkeiten gegeben, die in mittelbarem Zusammenhang mit der Tätigkeit in der Binnenschiffahrt stehen. In diesen Unternehmen gilt als Arbeitsunfall auch ein Unfall, der durch Elementarereignisse, durch die in einem Hafen eigentümlichen Gefahren im

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H a f e n g e b i e t , bei der B e f ö r d e r u n g v o m L a n d z u m F a h r z e u g o d e r v o m F a h r z e u g z u m L a n d o d e r beim R e t t e n o d e r Bergen v o n M e n s c h e n o d e r Sachen eintritt (§ 552 R V O ) . 2.4.4.3 Berufskrankheiten Als A r b e i t s u n f ä l l e gelten schließlich die B e r u f s k r a n k h e i t e n . B e r u f s k r a n k h e i t e n sind n a c h den gesetzlichen Vorschriften die K r a n k h e i t e n , w e l c h e die B u n d e s r e g i e r u n g d u r c h R e c h t s v e r o r d n u n g mit Z u s t i m m u n g des B u n d e s r a t e s bezeichnet u n d die ein Versicherter bei einer versicherten T ä t i g k e i t erleidet. Diese R e c h t s v e r o r d n u n g ist die B e r u f s k r a n k h e i t e n - V e r o r d u n g . D i e V e r o r d n u n g bezeichnet in ihrer A n l a g e 1 derzeit 55 B e r u f s k r a n k h e i t e n , n ä m l i c h : 1

Durch chemische Einwirkungen verursachte Krankheiten

11 Metalle und Metalloide 1101 Erkrankungen durch Blei oder seine Verbindungen 1102 Erkrankungen durch Quecksilber oder seine Verbindungen 1103 Erkrankungen durch Chrom oder seine Verbindungen 1104 Erkrankungen durch Cadmium oder seine Verbindungen 1105 Erkrankungen Mangan oder seine Verbindungen 1106 Erkrankungen durch Thallium oder seine Verbindungen 1107 Erkrankungen durch Vanadium oder seine Verbindungen 1108 Erkrankungen durch Arsen oder seine Verbindungen 1109 Erkrankungen durch Phosphor oder seine anorganischen Verbindungen 1110 Erkrankungen durch Berryllium oder seine Verbindungen 12 Erstickungsgase 1201 Erkrankungen durch 1202 Erkrankungen durch

Kohlenmonoxid Schwefelwasserstoff

13 Lösemittel, Schädlingsbekämpfungsmittel (Pestizide) und sonstige chemische Stoffe 1301 Schleimhautveränderungen, Krebs oder andere Neubildungen der Harnwege durch aromatische Amine 1302 Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe 1303 Erkrankungen durch Benzol oder seine Homologe 1304 Erkrankungen durch Nitro- oder Aminoverbindungen des Benzols oder seiner Homologe oder ihrer Abkömmlinge 1305 Erkrankungen durch Schwefelkohlenstoff 1306 Erkrankungen durch Methylalkohol (Methanol) 1307 Erkrankungen durch organische Phosphorverbindungen 1308 Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen 1309 Erkrankungen durch Salpetersäureester 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide 1311 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide 1312 Erkrankungen der Zähne durch Säuren 1313 Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon Zu den Nummern 1101 bis 1110, 1201 und 1202, 1303 bis 1309: Ausgenommen sind Hauterkrankungen. Diese gelten als Krankheiten im Sinne dieser Anlage nur insoweit, als sie Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung sind, die durch Aufnahme der schädigenden Stoffe in den Körper verursacht werden, oder gemäß Nummer 5101 zu entschädigen sind. 2

Durch physikalische Einwirkungen verursachte Krankheiten

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Mechanische

Einwirkungen

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2101 Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheiten ursächlich waren oder sein können 2102 Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage 2103 Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen 2104 Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 2105 Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen Druck der Nerven 2106 Drucklähmungen Wirbelfortsätze 2107 Abrißbrüche der 22 Druckluft 2201 Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft 23 Lärm 2301 Lärmsch werhörigkeit 24 Strahlen 2401 2402 Grauer Star durch Wärmestrahlung Erkrankungen durch ionisierende Strahlen 3 Durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten sowie Tropenkrankheiten 3101 Infektionskrankheiten, wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem Maße besonders ausgesetzt war 3102 Von Tieren auf Menschen übertragbare Krankheiten 3103 Wurmkrankheit der Bergleute, verursacht durch Ankylostoma duedenale oder Strongyloides stercoralis Fleckfieber 3104 Tropenkrankheiten, 4

Erkrankungen der Atemwege und der Lungen, des Rippenfells und Bauchfells

41 Erkrankungen durch anorganische Stäube (Silikose) 4101 Quarzstaublungenerkrankung 4102 Quarzstaublungenerkrankung in Verbindung mit aktiver Lungentuberkulose (Siliko-Tuberkulose) 4103 Asbeststawblungenerkrankung (Asbestose) 4104 Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) in Verbindung mit Lungenkrebs 4105 Durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells und des Bauchfells 4106 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Aluminium oder seine Verbindungen 4107 Erkrankungen an Lungenfibrose durch Metallstäube bei der Herstellung oder Verarbeitung von Hartmetallen (Thomas4108 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Thomasmehl phosphat) 42 Erkrankungen durch organische Stäube 4201 Farmer-( Drescher-) Lunge 4204 Erkrankungen der tieferen Atemwege und der Lungen durch Rohbaumwollstaub (Byssinose)

oder

Flachs-

43 Obstruktive Atemwegserkrankungen 4301 Durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur

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Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 4302 Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 5

Hautkrankheiten

5101 Schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können 5102 Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Ruß, Rohparaffin, Teer, Anthrazen, Pech oder ähnliche Stoffe 6

Krankheiten

6101 Augenzittern

sonstiger

Ursache

der Bergleute

(s. dazu Merkblätter des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung für die ärztliche Untersuchung bei Berufskrankheiten S. 167ff.) Z u beachten ist, daß 1. Meniskusschäden (2102) 2. Infektionskrankheiten (3101) 3. Augenzittern (6101) als Berufskrankheiten nur anerkannt werden, zu 1) nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage; zu 2) wenn der Versicherte im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium tätig oder durch eine andere Tätigkeit der Infektionsgefahr in ähnlichem M a ß e besonders ausgesetzt war; zu 3) bei Bergleuten. Wenn auch Berufskrankheiten durch ein Unfallereignis, d. h. also ein zeitlich begrenztes Ereignis, entstehen können, wie z . B . bei Erkrankung durch Einwirkung von Kohlenmonoxid, so ist doch im allgemeinen ein Zeitpunkt für das Entstehen einer Berufserkrankung nicht feststellbar oder die Erkrankung wird erst durch längere Einwirkung des schädigenden Stoffes erworben. D a nun aber eine Berufskrankheit als Arbeitsunfall gilt, muß der Zeitpunkt der Entstehung fingiert werden. Das Gesetz ( § 5 5 1 Abs. 3 R V O ) bestimmt daher, daß als Zeitpunkt des Arbeitsunfalls der Beginn der Krankheit im Sinne der Krankenversicherung oder, wenn dies für den Versicherten günstiger ist, der Beginn der Minderung der Erwerbsfähigkeit gilt. Krankheit im Sinne der Krankenversicherung beginnt entweder mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit oder mit der Notwendigkeit, wegen einer Erkrankung ärztliche Behandlung in Anspruch zu nehmen. Der Zeitpunkt des Beginns der Minderung der Erwerbsfähigkeit tritt erst ein, wenn die Minderung rechtserheblich ist, d. h. im allgemeinen dann, wenn sie mindestens 2 0 % beträgt (Bundessozialgericht 2 8 . 4 . 1 9 6 7 , Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 26, S. 230ff.). Für die Berechnung der Entschädigung

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und für die Berechnung von Ausschlußfristen können noch andere Zeitpunkte fingiert werden; hierauf ist aber im Zusammenhang dieser Darstellung nicht einzugehen. Bei den Berufskrankheiten 2101 Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze, 2104 vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, 4301 durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, 4302 durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, 5101 schwere oder wiederholt rückfällige Hauterkrankungen, tritt der Versicherungsfall dann ein, wenn diese Erkrankungen zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Erkrankungen ursächlich waren oder sein können. Bis zum Inkrafttreten der nunmehr geltenden Liste mußte die Erkrankung zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben. Weitere Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalles ist bei Hauterkrankungen (5101), daß sie schwer oder wiederholt rückfällig sind. Zur Vermeidung von Härten sollen die Unfallversicherungsträger im Einzelfall eine Krankheit, auch wenn sie nicht in der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung bezeichnet ist, wie eine Berufskrankheit entschädigen, sofern nach neuen Erkenntnissen diese Krankheit durch besondere Einwirkungen verursacht ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§551 Abs. 2 RVO). So weist die amtliche Begründung zur Berufskrankheiten-Verordnung darauf hin, daß die neu aufgenommenen Erkrankungen bereits vor Inkrafttreten dieser Anlage 1 von den Unfallversicherungsträgern nach der genannten Vorschrift entschädigt worden sind. Bei Berufskrankheiten sind besondere Verfahrensvorschriften von Bedeutung. So besteht nach der Berufskrankheiten-Verordnung für jeden Arzt oder Zahnarzt die gesetzliche und erzwingbare — der Anzeige etwa nach dem Bundesseuchengesetz rechtlich vergleichbare - Pflicht, eine Anzeige zu erstatten, falls er den begründeten Verdacht hat, daß bei einem Versicherten eine Berufskrankheit besteht (§ 5 Berufskrankheiten-Verordnung). Die Anzeige ist unverzüglich dem zuständigen Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft usw.) oder der durch Landesrecht bestimmten für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle — in der Regel dem Staatlichen Gewerbearzt — zu erstatten. Dazu ist der in der Anlage 3 der BerufskrankheitenVerordnung festgelegt Vordruck „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit" zu verwenden. M i t dem Vordruck sind Erläuterungen zur Unterrichtung des anzeigenden Arztes verbunden. Die Vordrucke werden von den Bezirksstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung gestellt. Weiterhin hat die für den medizinischen Arbeitsschutz (Staatlicher Gewerbearzt) zu-

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ständige Stelle, falls sie es für erforderlich hält, den Versicherten zu untersuchen oder für Rechnung des Unfallversicherungsträger untersuchen zu lassen und diesem Träger ein Gutachten zu erstatten. Schlägt die Stelle dem Unfallversicherungsträger Beweiserhebungen vor, so hat der Träger solchen Vorschlägen zu folgen, es sei denn, daß eine entsprechende Beweiserhebung bereits eingeleitet ist. Außerdem besteht eine gegenseitige Informationspflicht über die eingeleiteten Maßnahmen. Die für den medizinischen Arbeitsschutz zuständige Stelle ist also bei Berufskrankheiten, im Gegensatz zu dem sonstigen Verfahren im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, in gewissem Umfang Herr des Ermittlungsverfahrens (§7). Besondere gutachtliche Aufgaben ergeben sich aus der Verpflichtung der Unfallversicherungsträger zur Vorbeugung von Berufskrankheiten. Besteht nämlich für einen Versicherten die Gefahr, daß eine Berufskrankheit entsteht, wieder auflebt oder sich verschlimmert, so hat der Versicherungsträger „mit allen geeigneten Mitteln dieser Gefahr entgegenzuwirken" (§3). Um diese Mittel — etwa vorbeugende Heilbehandlung, Kurgewährung o.ä., aber auch Wechsel des Arbeitsplatzes oder des Berufes — einzusetzen, bedarf es der gutachtlichen Stellungnahme und der Mitwirkung des arbeitsmedizinisch erfahrenen Arztes. Da bereits das Entstehen einer Berufskrankheit zu verhindern ist, kann die ärztliche Tätigkeit bereits vor dem Zeitpunkt erforderlich sein, zu dem die „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit" zu erstatten wäre. Minderung des Verdienstes oder sonstige wirtschaftliche Nachteile, die der Versicherte durch die Einstellung der gefährdenden Tätigkeit erleidet, sind vom Unfallversicherungsträger durch als „Übergangsleistungen" bezeichnete Geldleistungen abzugleichen. Der Vorbeugung speziell von beruflichen Hauterkrankungen dient das im Abkommen Ärzte/Unfallversicherungsträger, Leitnummer 59-62, vereinbarte „Verfahren zur Früherfassung berufsbedingter Hauterkrankungen (Hautarztverfahren)". Durch die Einführung dieses Verfahrens wird der Arzt verpflichtet, einen versicherten Patienten, bei dem die Möglichkeit, daß eine Hauterkrankung durch eine berufliche Tätigkeit im Sinne der Berufskrankheiten-Verordnung entsteht, wiederauflebt oder sich verschlimmert, unverzüglich möglichst dem nächstwohnenden oder am leichtesten erreichbaren Hautarzt mit einem Vordruck (ÜV) vorzustellen. Der Vordruck wird honoriert. Der Hautarzt hat den Versicherten zu untersuchen und darüber den Unfallversicherungsträger mit dem „Hautarztbericht" (Vordruck 20 a) zu unterrichten. Durchschriften des Berichts erhalten der behandelnde Arzt und die Krankenkasse. Falls erforderlich, kann der Hautarzt den Krankheitsverlauf durch Wiedervorstellung des Patienten überwachen. Auch darüber ist der Unfallversicherungsträger mit dem Hautarztbericht zu unterrichten. Durchschriften erhalten der behandelnde Arzt und die Krankenkasse. Die Durchführung von Tests zur Klärung des Ursachenzusammenhangs bedarf der Einwilligung des Unfallversicherungsträgers.

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Gesetzliche Unfallversicherung

Zum Bereich der Vorbeugung, wenn auch nicht ausschließlich der Berufskrankheiten, sondern auch anderer Unfall- oder Gesundheitsgefahren bei der Arbeit, wie z.B. bei Hitze- oder Kältearbeiten, Taucherarbeiten oder Fahr-, Steuer- und Überwachungstätigkeiten, gehören auch die vorbeugenden ärztlichen Untersuchungen, über die die Berufsgenossenschaften Vorschriften zu erlassen haben (§ 708 Abs. 1 Nr. 3 RVO). Die entsprechende Vorschrift ist die Unfallverhütungsvorschrift „Arbeitsmedizinische Vorsorge". Nach dieser Unfallverhütungsvorschrift hat der Unternehmer auf seine Kosten dafür zu sorgen, daß der Gesundheitszustand von Versicherten durch arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen, und zwar durch Erstuntersuchungen vor Aufnahme der Beschäftigung und Nachuntersuchung während dieser Beschäftigung dann überwacht wird, wenn 1. damit zu rechnen ist, daß der Versicherte einer Einwirkung ausgesetzt sein wird oder wenn er eine Tätigkeit ausübt, die in einer Anlage zur Vorschrift aufgeführt ist (die Anlage umfaßt zur Zeit 77 Positionen, wie ζ. B. Benzol, Blei oder andere Verbindungen, Hitzearbeiten usw.); 2. die Berufsgenossenschaft im Einzelfall eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung anordnet. Der Begriff „Einwirkung" wird künftig durch den Begriff „Auslöseschwelle" ersetzt. Die Fristen für eine Nachuntersuchung sind im einzelnen bestimmt. Ihre Innehaltung ist Voraussetzung für eine Weiterbeschäftigung. Zu den in der genannten Anlage aufgeführten Einwirkungen der Tätigkeiten liegen „Berufsgenossenschaftliche Grundsätze für arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen" vor. Das weite Feld gutachterlicher Aufgaben bei diesen Vorsorgeuntersuchungen erfordert besonderen arbeitsmedizinischen Sachverstand. Daher müssen die mit den Vorsorgeuntersuchunen betrauten Ärzte von der Berufsgenossenschaft im Einvernehmen mit der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Behörde oder — bei Untersuchungen, die in einer staatlichen Rechtsvorschrift vorgeschrieben sind — von einer zuständigen Behörde aufgrund einer staatlichen Rechtsvorschrift ermächtigt werden. Nachgehende Untersuchungen über die Dauer der Einwirkungszeit hinaus sind bei der Einwirkung krebserzeugender Arbeitsstoffe durchzuführen. Sie sind auch nach dem Ausscheiden des Versicherten aus dem Unternehmen fortzuführen, allerdings nach diesem Zeitpunkt von dem zuständigen Unfallversicherungsträger und auf dessen Kosten. (Näheres in: „Erläuterungen zur Durchführung arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen", herausgegeben vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften)

Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

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2.5 Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten 2.5.1 Abstrakter Schadensersatz Gesetzliche Aufgabe der Unfallversicherung (§ 537 RVO) ist es, 1. Arbeitsunfälle zu verhüten, 2. nach Eintritt eines Arbeitsunfalls den Verletzten, seine Angehörigen und seine Hinterbliebenen zu entschädigen, einmal durch Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten, durch Arbeits- und Berufsförderung (Berufshilfe) und durch Erleichterung der Verletzungsfolgen und weiterhin durch Leistungen in Geld an den Verletzten, seine Angehörigen und seine Hinterbliebenen, also durch Sach- und Geldleistungen. Für die Begutachtung ist vor allem die zweite Aufgabe, nämlich die der Entschädigungsleistung, von Bedeutung. Bei der Erfüllung der hier gestellten Aufgabe, öffentlich-rechtliche Schadensersatzansprüche des Versicherten zu befriedigen, sind die Berufsgenossenschaften auf die Unterstützung der Ärzte sowohl bei der Behandlung der Verletzten als auch bei ihrer Entschädigung angewiesen. Der Anspruch des Versicherten auf Geldleistungen ist dabei ein abstrakter, d. h. die zu gewährenden Geldleistungen werden nicht individuell nach dem eingetretenen Schaden, wie Einkommensverlust o. ä. berechnet, sondern nach allgemeinen für alle Versicherten gleichmäßig geltenden Maßstäben, die durch die gesetzlichen Vorschriften festgelegt sind. Das sind die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch die Folgen des Arbeitsunfalls in Prozenten ausgedrückt und das Einkommen des Verletzten im Jahr vor dem Arbeitsunfall, der sogenannte Jahresarbeitsverdienst. Ein Versicherter kann also wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls auch dann einen Anspruch auf Geldleistungen haben, wenn ihm ein Einkommensverlut durch den Unfall nicht entstanden ist bzw. ist es möglich, daß die ihm zustehende Entschädigung den Einkommensverlust nicht ausgleicht. Entschädigt wird im allgemeinen nur der Körperschaden, nicht aber der Sachschaden. Auch besteht kein Anspruch auf Schmerzensgeld. Der Verlust oder die Beschädigung eines beim Unfall getragenen Körperersatzstückes oder größeren orthopädischen Hilfsmittels werden als Körperschaden angesehen und ersetzt bzw. wiederhergestellt (§548 Abs. 2 RVO), bei Verlust von Sehhilfen wird von den Unfallversicherungsträgern entsprechend verfahren, obwohl solche Hilfsmittel in §548 Abs. 2 R V O nicht aufgeführt sind. Den Personen, die wegen ihres besonderen Einsatzes im öffentlichen Interesse oder bei Hilfeleistungen zugunsten Dritter usw. versichert sind (s. oben 2.3. Versicherter Personenkreis, § 539 Abs. 3 Nr. 9 RVO), werden aber auf Antrag Sachschäden, die sie bei dieser versicherten Tätigkeit erleiden, sowie Aufwendungen, die sie den Umständen nach für erforderlich halten dürfen, ersetzt. Die entsprechende gesetzliche Vorschrift - §765 a RVO - wurde durch das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (s. unten Nr. 5) eingefügt.

26 2.5.2

Gesetzliche Unfallversicherung

Sachleistungen

Unter Sachleistungen fallen alle Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit, der Berufshilfe und zur Erleichterung der Verletzungsfolgen. Sie sind der wesentliche Teil der medizinischen und sozialen Rehabilitation eines Unfallverletzten. Als derartige Maßnahmen sieht das Gesetz Heilbehandlung, Pflege und Berufshilfe vor. 2.5.2.1 Heilbehandlung Die Heilbehandlung hat mit allen geeigneten Mitteln zu erfolgen und umfaßt die ärztliche und zahnärztliche Behandlung, die Versorgung mit Arznei- und Verbandmitteln, Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie, Ausstattung mit Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln einschließlich der notwendigen Änderung, Instandsetzung und Ersatzbeschaffung sowie der Ausbildung im Gebrauch der Hilfsmittel, Belastungserprobung und Arbeitstherapie und ergänzende Leistungen, wie ärztlich verordneter Behindertensport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung. Außerdem ist erforderlichenfalls Pflege zu gewähren. Dabei sind die Träger der Unfallversicherung verpflichtet, alle Maßnahmen zu treffen, durch die eine möglichst bald nach dem Arbeitsunfall einsetzende, schnelle und sachgemäße Heilbehandlung, insbesondere unfallmedizinische Versorgung, gewährleistet wird. Die Verantwortung für die Durchführung der Heilbehandlung wird den Unfallversicherungsträgern ausdrücklich übertragen. Die Ausstattung mit Körperersatzstücken und orthopädischen und anderen Hilfsmitteln ist durch die „Verordnung über die orthopädische Versorgung Unfallverletzter" und die „Gemeinsamen Richtlinien der Unfallversicherungsträger über Gewähr, Gebrauch und Ersatz von Körperersatzstücken, Hilfsmitteln und Hilfen" geregelt. Zur Durchführung ihrer Aufgaben auf dem Gebiete der Heilbehandlung haben die Berufsgenossenschaften seit Jahrzehnten besondere organisatorische Maßnahmen entwickelt. Sie stehen unter dem Gesichtspunkt der Notwendigkeit einer möglichst bald nach dem Arbeitsunfall einsetzenden, schnellen und sachgemäßen, insbesondere - soweit nötig — fachärztlichen oder besonderen unfallmedizinischen Versorgung. Daher werden diese organistorischen Maßnahmen von den beiden Grundsätzen der Rechtzeitigkeit und der Auswahl getragen. Es kommt für den Erfolg der Heilbehandlung nämlich wesentlich darauf an, daß der Unfallverletzte unverzüglich nach dem Unfall ärztliche Versorgung erfährt und daß bei dieser Versorgung zugleich festgestellt wird, ob die Art der Verletzung eine besondere fachärztliche oder unfallmedizinische Behandlung erfordert. Diese Aufgaben hat der von den Berufsgenossenschaften bestellte Durchgangsarzt. Er führt die Erstversorgung durch, legt den festgestellten Befund und seine Diagnose nieder und entscheidet kraft der ihm erteilten Ermächtigung darüber, ob besondere fachärztliche Behandlung erforderlich ist. Ist sie erforderlich, dann leitet der Durchgangsarzt diese Behandlung als berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ein.

Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

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Bei Verletzungen auf dem Fachgebiet der Augenheilkunde oder der Hals-Nasen-Ohren-Erkrankungen übernehmen diese Aufgabe alle Fachärzte dieser Fachgebiete. Bei einer vertraglich festgelegten Auswahl aus diesem Fachgebiet leiten sie berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung ein. Der Facharzt erstattet über jeden einschlägig Verletzten den Augen- bzw. Hals-Nasen-Ohrenarztbericht. Bei bestimmten Verletzungen, die in aller Regel stationärer Behandlung bedürfen, ist die Auswahl vorweg getroffen worden. Diese Verletzungen werden durch das sogenannte Verletzungsartenverfahren erfaßt. Für die Behandlung solcher schweren Verletzungen sind nur Krankenhäuser zugelassen, die über besondere personelle und technische Einrichtungen verfügen. Die durch diese besondere Auswahl festgelegten Verletzungsarten sind in einem besonderen Verzeichnis* enthalten. Es handelt sich um folgende Verletzungsarten: 1. Ausgedehnte oder tiefgehende Verbrennungen oder Verätzungen 2. Ausgedehnte oder tiefgehende Weichteilverletzungen 3. Quetschungen mit drohenden Ernährungsstörungen, ausgenommen an Fingern und Zehen 4. Verletzungen mit Eröffnung großer Gelenke 5. Eitrige Entzündungen der großen Gelenke 6. Verletzungen der großen Nervenstämme an Arm oder Bein und Verletzungen der Nervengeflechte 7. Quetschungen oder Prellungen des Gehirns (contusio oder compressio cerebri) 8. Quetschungen oder Prellungen der Wirbelsäule mit neurologischen Ausfallerscheinungen 9. Brustkorbverletzungen, wenn sie mit Eröffnung des Brustfells, mit erheblichem Erguß in den Brustfellraum, mit stärkerem Blutverlust oder mit Beteiligung innerer Organe verbunden sind 10. Stumpfe oder durchbohrende Bauchverletzungen 11. Verletzungen der Nieren- oder Harnwege 12. Verrenkungen der Wirbel, des Schlüsselbeins, im Handwurzelbereich, des Hüftgelenks, des Kniegelenks oder im Fußwurzelbereich 13. Verletzungen der Beugesehnen der Finger, der körperfernen Sehne des Armbizeps und der Achillessehne 14. Folgende Knochenbrüche: a) Offene Brüche des Hirnschädels b) Geschlossene Brüche des Hirnschädels mit Gehirnbeteiligung, ausgenommen mit leicher Gehirnerschütterung * Zur Zeit (Frühjahr 1986) wird geprüft, ob und inwieweit das Verzeichnis änderungsbedürftig ist.

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Gesetzliche Unfallversicherung

c) Brüche im Augenhöhlenbereich d) Wirbelbrüche, ausgenommen Dorn- und Querfortsatzbrüche e) Schulterblatthalsbrüche mit Verschiebung f) Offene Brüche des Ober- und Unterarms g) Geschlossene Brüche des Ober- und Unterarms mit starker Verschiebung oder mit Splitterung, ausgenommen Speichenbrüche an typischer Stelle h) Brüche mehrerer Röhrenknochen oder mehrfache Brüche eines Röhrenknochens i) Beckenbrüche, ausgenommen Beckenschaufelbrüche und Scham- und Sitzbeinbrüche

unverschobene

j) Brüche des Oberschenkels einschließlich des Schenkelhalses k) Klaffende Brüche oder Trümmerbrüche der Kniescheibe 1) Offene Brüche des Unterschenkels m) Geschlossene Brüche des Unterschenkels mit starker Verschiebung oder Splitterung n) Brüche eines Knöchels mit Verschiebung oder Splitterung o) Brüche des Fersenbeins mit stärkerer Höhenverminderung oder Verschiebung, Brüche des Sprungbeins, verschobene Brüche des Kahn- oder Würfelbeins oder eines Keilbeins p) Stark verschobene oder abgeknickte Brüche eines Mittelfußknochens. Schließlich sind noch an der Durchführung der Heilbehandlung die Ärzte zu beteiligen, die dazu fachlich befähigt, entsprechend ausgestattet und zur Übernahme der damit verbundenen Pflichten bereit sind. Es handelt sich um die sogenannten HÄrzte, deren Beteiligung durch von den kassenärztlichen Vereinigungen zusammen mit den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften zu bildende Ausschüsse ausgesprochen wird. Die Verantwortung der Unfallversicherungsträger für die Heilbehandlung und die daraus folgende Notwendigkeit organisatorischer Maßnahmen bewirken, daß der Grundsatz der freien Arztwahl nicht bzw. nur eingeschränkt gilt. 2.5.2.2 Pflege Schwerwiegende Unfallfolgen bedingen besondere Maßnahmen der Unfallversicherungsträger, wenn der Versicherte durch sie pflegebedürftig wird. Eine solche Pflegebedürftigkeit besteht dann, wenn der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls so hilflos ist, daß er nicht ohne Wartung und Pflege sein kann. Beispiele für eine solche Pflegebedürftigkeit sind Querschnittlähmungen, Erblindungen o. ä. Die Gewährung von Pflege ist an sich eine Sachleistung und besteht in der Gestellung der erforderlichen Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder Hauspflege, bzw. in der Gewährung von Unterhalt und Pflege in einer geeigneten Anstalt, wenn der Verletzte einer solchen Unterbringung nicht widerspricht. Die besondere Lage auf dem

Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

29

Gebiet der pflegerischen Berufe macht solche Maßnahmen in aller Regel nicht möglich. Der Verletzte ist vielmehr darauf angewiesen, im eigenen Familienkreis die erforderliche Pflege zu finden. Daher sieht das Gesetz vor, daß anstelle dieser pflegerischen Maßnahmen ein Pflegegeld gewährt werden kann. In der Praxis wird entsprechend verfahren (s.u. S. 130). Ein Pflegegeld kann angemessen erhöht werden, wenn die Aufwendungen für fremde Wartung und Pflege den Betrag des Pflegegeldes übersteigen. Die Pflegegelder werden vom 1. Juli eines jeden Jahres an den Vomhundertsatz angepaßt, um den sich die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach Abzug des Krankenversicherungsbeitrags der Rentner verändern (§579 Abs. R V O ) . 2.5.2.3 Berufshilfe Mit der Berufshilfe sollen die Verletzten unter Anwendung aller geeigneten Mittel nach ihrer Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung ihrer Eignung, Neigung und bisherigen Tätigkeit möglichst auf Dauer beruflich eingegliedert werden; dabei kann Berufshilfe auch zum beruflichen Aufstieg gewährt werden (§ 556 Abs. 1 Nr. 2 R V O ) . Zu diesem Ziel führen eine Reihe von Maßnahmen (Umfang der Berufshilfe § 567 R V O ) , wie u. a. Hilfen zur Erhaltung oder Erlangung eines Arbeitsplatzes, auch durch Eingliederungshilfen an Arbeitgeber, Berufsfindung und Arbeitserprobung, Umschulung usw. Vor der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation, insbesondere bei der ersten Beratung des Verletzten - auch wenn dies während der medizinischen Rehabilitation in einem Krankenhaus erforderlich ist - , ist die Bundesanstlt für Arbeit zu beteiligen. Außerdem soll die nachgehende Berufshilfe betrieben werden, d. h. der zuständige Unfallversicherungsträger hat den Versicherten auch bei seinem weiteren beruflichen Werdegang zu betreuen. Angesichts der großen Bedeutung der Berufshilfe als Maßnahme zur Rehabilitation sollte ein ärztlicher Gutachter, der einen Unfallverletzten untersucht und begutachtet, stets auch nach ärztlichen Gesichtspunkten Ratschläge für zweckmäßige berufshelferische Maßnahmen erteilen.

2.5.3

Geldleistungen

2.5.3.1 Verletztengeld — Übergangsgeld Solange der Unfallverletzte infolge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist und kein Entgelt erhält, hat er Anspruch auf Verletztengeld. Arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung ist ein Versicherter, wenn er wegen seiner Verletzung bzw. Erkrankung nicht oder doch nur unter der Gefahr, seinen Zustand in absehbarer Zeit zu verschlimmern, fähig ist, seine bisherige unmittelbar vor dem Unfall ausgeübte Tätigkeit fortzusetzen. Das Verletztengeld wird von dem Tage an gewährt, an dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird. Wenn sich die Berufshilfe aus Gründen, die der Verletzte nicht zu vertreten hat, nicht gleich an die Heilbehandlung anschließt, so ist Verletztengeld bis zum Beginn der Berufshilfe zu gewähren, wenn der Verletzte seine bisherige Tätigkeit nicht wieder ausüben und ihm eine andere zumutbare Tätigkeit nicht vermittelt werden kann. Die Höhe des Verletz-

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Gesetzliche Unfallversicherung

tengeldes wird grundsätzlich entsprechend den Vorschriften der Krankenversicherung über die Berechnung von Krankengeld errechnet (§§560, 561 RVO). Während einer Maßnahme der Berufshilfe hat der Verletzte Anspruch auf Übergangsgeld, wenn er arbeitsunfähig im Sinne der Krankenversicherung oder durch die Teilnahme an dieser Maßnahme gehindert ist, eine ganztägige Erwerbstätigkeit auszuüben. Anspruch auf Übergangsgeld besteht auch, wenn der Verletzte aus gesundheitlichen Gründen an der Maßnahme nicht weiter teilnehmen kann oder wenn der Verletzte im Anschluß an eine Maßnahme arbeitslos wird, und zwar in beiden Fällen bis zu 6 Wochen. Das Übergangsgeld beträgt 75% bzw. 65% des nach den entsprechenden gesetzlichen Vorschriften zu errechnenden Arbeitseinkommens des Verletzten, bei Krankheit während oder Arbeitslosigkeit nach der Maßnahme 68% bzw. 63% (§§568,568a RVO). 2.5.3.2 Verletztenrente Nach Beendigung der Heilbehandlung und Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit im Sinne der Krankenversicherung hat der Versicherte Anspruch auf Verletztenrente, wenn bei ihm wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls eine Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus besteht. Ist mit dem Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen, beginnt die Rente 1. nach dem Tage, an dem die Heilbehandlung oder die Berufshilfe soweit abgeschlossen ist, daß der Verletzte eine geeignete Berufs- oder Erwerbstätigkeit aufnehmen kann, jedoch nicht, solange die Voraussetzungen für die Zahlung von Verletztengeld oder Übergangsgeld nach §568a RVO (s.o.) vorliegen 2. nach dem Tage, an dem zu übersehen ist, daß der Verletzte wegen der Art oder Schwere der Verletzung auch durch weitere Maßnahmen der Heilbehandlung beruflich nicht eingegliedert werden kann, jedoch nicht vor dem Ende der stationären Behandlung. War der Verletzte nach dem Arbeitsunfall nicht arbeitsunfähig oder hat er bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit kein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt, so beginnt die Rente mit dem Tage nach dem Arbeitsunfall (§580 RVO). Voraussetzung für die Zahlung einer Verletztenrente ist demnach der Versicherungsfall (Arbeitsunfall oder gleichgestellte Tatbestände), der Fortfall der Arbeitsunfähigkeit wegen der Unfallfolgen oder die diesem Fortfall gleichgestellten Tatbestände und schließlich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus. Die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten kann durch Unfallfolgen nicht mehr gemindert werden, wenn der Verletzte bereits vor Eintritt des Arbeitsunfalls vollständig erwerbsunfähig war. In einem solchen Fall besteht daher kein Anspruch auf Verletztenrente. Vollständig erwerbsunfähig ist ein Versicherter dann, „ . . . wenn er die Fähigkeit verloren hat, einen nennenswerten Verdienst zu erlangen, d. h. wenn er unfähig ist, sich unter Ausnutzung der Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen gesamten Kenntnissen sowie körperlichen und geistigen Fähigkeiten im ganzen Bereich des wirtschaftlichen Lebens bieten, einen Erwerb zu verschaffen" (Urteil des

Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

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Bundessozialgerichts vom 29.6.1962, Sammlung von Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bd. 17, S. 160ff.). Die Minderung der Erwerbsfähigkeit muß wenigstens ein Fünftel (20 v. H.) entweder durch die Folgen des Arbeitsunfalls allein oder durch mehrere Arbeitsunfälle betragen. Den Arbeitsunfällen stehen dabei gleich: Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigung gewähren, so ζ. B. dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten. Hat der Verletzte infolge des Arbeitsunfalls seine Erwerbsfähigkeit verloren, so erhält er die Vollrente. Diese beträgt 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes. Im anderen Falle erhält er als Teilrente den Teil der Vollrente, der dem Grade der Minderung seiner Erwerbsfähigkeit entspricht. Die Höhe der Verletztenrente richtet sich nach dem Einkommen des Versicherten im Jahre vor dem Arbeitsunfall (sogenannter Jahresarbeitsverdienst). Der Jahresarbeitsverdienst beträgt mindestens 60 v.H. — bei Personen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, bzw. 40 v. H. — bei Personen, die das 18. Lebensjahr nicht vollendet haben — der im Zeitpunkt des Arbeitsunfalls maßgebenden sogenannten Bezugsgröße (§575 Abs. 1 RVO). Die Bezugsgröße wird alljährlich durch den Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung bekanntgegeben (Sozialgesetzbuch 4. Buch §18). Der Höchstbetrag des Jahresarbeitsverdienstes ist 36.000,— DM, sofern nicht die Satzung eines Unfallversicherungsträgers einen höheren Betrag bestimmt bzw. durch andere im Gesetz vorgesehene Maßnahmen ein höherer Betrag bestimmt wird. Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente durch den Unfallversicherungsträger ist daher das Vorliegen einer rechtserheblichen Minderung der Erwerbsfähigkeit. Zu ihrer Feststellung ist das ärztliche Gutachten erforderlich. Bei der Begutachtung muß der für das Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung maßgebliche Begriff der Erwerbsfähigkeit bzw. der Minderung der Erwerbsfähigkeit berücksichtigt werden. Die bereits genannten, vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebenen „Hinweise für die Erstattung von Berichten und Gutachten" bezeichnen zutreffend die Erwerbsfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung als „die Fähigkeit eines Menschen, sich unter Ausnutzung aller Arbeitsgelegenheiten, die sich ihm nach seinen Kenntnissen und körperlichen und geistigen Fähigkeiten im gesamten Bereich des wirtschaftlichen Lebens („allgemeiner Arbeitsmarkt") bieten, einen Erwerb zu verschaffen."

Zur Feststellung der verbliebenen Erwerbsfähigkeit nach dem Arbeitsunfall ist von der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor dem Arbeitsunfall auszugehen. Diese ist der vollen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor der eingetretenen Schädigung gleichzusetzen. Danach ist durch entsprechende Untersuchung festzustellen, ob diese Erwerbsfähigkeit durch den Körperschaden auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens eingeschränkt worden ist. Da es sich um einen abstrakten Schadensersatz han-

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Gesetzliche Unfallversicherung

delt, ist für die Schätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich der Bezug auf die Möglichkeiten des Gesamtgebiets des Erwerbslebens erforderlich, d. h. daß in der gesetzlichen Unfallversicherung der Grad der durch Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nach dem Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu beurteilen ist. Bei dieser Schätzung kann von allgemeinen Erfahrungssätzen, wie sie nachfolgend dargelegt sind, ausgegangen werden. Jedoch muß dabei stets der Einzelfall mit seinen Besonderheiten berücksichtigt werden. Es gibt keine sogenannte „Gliedertaxe" oder „Knochentaxe". Der grundsätzliche Bezug auf das Gesamtgebiet des Erwerbslebens gilt nicht ohne jede Rücksicht auf die individuellen Verhältnisse des Verletzten. Kann der Verletzte „bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen", ohne daß ein Ausgleich „durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann", vorhanden ist, so sind solche Nachteile „bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen" (§581 Abs.2 RVO). Da damit der Grundsatz der abstrakten Schadensberechnung nicht aufgegeben wird, können dergleichen Nachteile nur in Ausnahmefällen berücksichtigt werden. Allein die Tatsache etwa, daß ein erlernter Beruf wegen der Unfallfolgen nicht mehr ausgeübt werden kann, genügt nicht. Es muß sich im Einzelfall vielmehr um ganz spezielle berufliche Fähigkeiten und Kenntnisse handeln, deren Ausübung durch den Unfall beeinträchtigt wird, zugleich muß die Verweisung auf die zumutbare Nutzung anderer Fähigkeiten unmöglich sein. Die individuelle Erwerbsfähigkeit des Versicherten kann durch vielfache Faktoren schon vor dem Unfall beeinträchtigt sein, ζ. B. durch Vorerkrankungen, Alters- oder Verbrauchserscheinungen, angeborene oder durch einen Unfall oder durch Versorgungsleiden erworbene Behinderungen usw. Gleichwohl ist sie mit 100 anzusetzen. Die „Hinweise für die Erstattung von Berichten und Gutachten" führen dazu aus: „Bei der Schätzung des Vomhundertsatzes der eingebüßten Erwerbsfähigkeit ist von der individuellen Erwerbsfähigkeit des Verletzten vor dem Unfall auszugehen. Sie ist stets mit 100 anzusetzen. Es kommt allein darauf an, wieviel v. H. der Verletzte durch die Unfallfolgen von dieser individuellen Erwerbsfähigkeit verloren h a t . . . "

Die Folge ist, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen eines Arbeitsunfalls bei einem Versicherten mit einem solchen Vorschaden anders anzusetzen ist, als dies bei einem Versicherten ohne Vorschaden der Fall wäre. Rechtserheblich ist ein solcher Vorschaden aber nur dann, wenn zwischen dem Vorschaden und dem durch den Arbeitsunfall verursachten Körperschaden eine Wechselbeziehung besteht. Auch bei einem rechtserheblichen Vorschaden ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit frei zu schätzen. Für die Begutachtung können folgende Merksätze hilfreich sein: 1. Ausgangspunkt ist die individuelle Erwerbsfähigkeit des Versicherten, die durch Vorschäden beeinträchtigt sein kann. 2. Rechtlich relevant ist ein Vorschaden dann, wenn zwischen dem Vorschaden und dem durch

Entschädigung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

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einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursachten Schaden eine Wechselbeziehung besteht. 3. Liegt eine Wechselwirkung vor, so wird in der Regel eine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit die Folge sein, sofern nicht Vorschaden und Unfallschaden ineinander aufgehen. 4. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch einen Vorschaden ist nach dem Befund zur Zeit des Unfalls frei zu schätzen. 5. Die individuelle Minderung der Erwerbsfähigkeit bei wechselseitigen Beziehungen von Vorschaden und Unfallfolgen muß vom Gutachter bewertet werden, sie kann nicht rein rechnerisch ermittelt werden. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Meinung im Schrifttum ist daher auch die sogenannte Lohmüllersche Formel: (Gesamt = M d E - Vorschaden) χ 100 ^ 100 — Vorschaden ebenso wie andere Formeln der Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei einem Vorschaden nicht zugrunde zu legen. N a c h der Rechtsprechung sind solche Formeln möglicherweise „für das Verständnis nützlich", können aber nicht das Ergebnis der Schätzung begründen (s. dazu u. a. Urteile des Bundessozialgerichts vom 2 9 . 1 . 1 9 5 9 , Sammlung von Entscheidungen Bd. 9, S. 1 0 4 f f . / 1 1 0 , vom

29.4.1964,

ebenda B d . 2 1 , S. 6 3 f f . / 6 5 und vom 1 5 . 3 . 1 9 7 9 in Zentralblatt für Sozialversicherung 1979, S. 2 7 5 f f . / 2 7 7 ) . Der sogenannte Nachschaden,

d . h . die Verschlimmerung von Unfallfolgen durch ein

späteres, nicht mit dem Unfall in ursächlichem Zusammenhang stehendes Ereignis ist unbeachtlich. Er beeinflußt die nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheidende Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht (Bundessozialgericht vom 2 1 . 9 . 1 9 6 7 , Sammlung von Entscheidungen Bd. 27, S. 1 4 2 f f . / 1 4 5 zum Fall eines Verletzten, der durch einen Arbeitsunfall die Sehkraft eines Auges und später aus endogener Ursache die Sehkraft des anderen verloren hat). Der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit muß durch 5 teilbar sein oder 3 3 1/3 bzw. 66 2 / 3 v . H . betragen. Eine Minderung von weniger als 10 v. H . ist nicht zu berücksichtigen. 2.5.3.3

Vorläufige Rente — Dauerrente.

Die Verletztenrente wird als vorläufige oder Dauerrente gewährt. Eine vorläufige Rente wird während der ersten 2 J a h r e festgestellt, wenn die R e n t e noch nicht als Dauerrente festgesetzt werden kann. Diese vorläufige R e n t e kann bei Änderung der Verhältnisse jederzeit anders festgestellt werden, vorausgesetzt, d a ß die Änderung wesentlich ist. Die R e n t e wird mit Ablauf von 2 J a h r e n nach dem Unfall Dauerrente. Eine solche Dauerrente kann bei Vorliegen wesentlicher Änderungen, jedoch nur in Abständen von mindestens einem J a h r nach dem Zeitpunkt, zu dem sie kraft Gesetzes Dauerrente geworden oder der letzte Bescheid über eine Dauerrente zugestellt worden ist, geändert werden. * Zitiert nach Erlenkämper „Sozialrecht für Mediziner", S. 248.

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Gesetzliche Unfallversicherung

Für die Unfallversicherungsträger kann es von beträchtlicher Bedeutung sein, wenn die vorläufige Rente nicht kraft Gesetzes zur Dauerrente wird, sondern eine besondere Feststellung der Dauerrente erfolgt. Denn die erste Feststellung der Dauerrente in anderer Weise als die der vorläufigen setzt eine Änderung der Verhältnisse nicht voraus. Die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit hat demnach unabhängig von früherer Einschätzung nach dem objektiven Befund zu erfolgen. Daher ist es besonders wichtig, daß die Begutachtung für die erste Feststellung der Dauerrente unverzüglich nach Erteilung des Auftrages erfolgt. 2.5.3.4. Entschädigung von Hinterbliebenen. Die Entschädigung der Hinterbliebenen richtet sich bei Arbeitsunfällen mit tödlichem Ausgang ebenfalls nach dem Einkommen (Jahresarbeitsverdienst) des Versicherten im Jahre vor dem Unfall. Anspruchsberechtigt sind die Witwe oder der Witwer, unter Umständen die geschiedene Ehefrau des Versicherten, die ehelichen und außerehelichen Kinder, Stiefkinder und Pflegekinder (s.o. S. 18), unter bestimmten Bedingungen auch Eltern, Stiefeltern, Pflegeeltern und Großeltern. Die Rente der Witwe und des Witwers ruht bei Erwerbseinkommen oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten (z.B. Renten aus eigener Versicherung, Ruhegehalt o.ä.) in einer vom Gesetz bestimmten Höhe. Diese Regel gilt für Todesfälle, die seit dem 1. Januar 1986 eingetreten sind. Liegt der Zeitpunkt des Todes früher, erhält in der Regel nur die Witwe, in Ausnahmefällen auch der Witwer Hinterbliebenenrente. Die gesamte Entschädigung darf 4/5 des Jahresarbeitsverdienstes nicht überschreiten (näheres §§ 5 8 9 - 6 0 2 R V O ) . 2.5.3.5 Abfindungen. Der Anspruch auf Verletztenrente und der Anspruch auf Witwenrente können vom Unfallversicherungsträger abgefunden werden. Das Gesetz sieht für solche Abfindungen mehrere Möglichkeiten vor. Für die Entscheidung über eine Abfindung ist auch das ärztliche Gutachten von Bedeutung. Wenn nach allgemeinen Erfahrungen unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse des Einzelfalles zu erwarten ist, daß nur eine vorläufige Rente zu gewähren ist, so kann der Träger der Unfallversicherung diesen voraussichtlichen Rentenaufwand durch eine sogenannte Gesamtvergütung in der Höhe der voraussichtlichen Zahlungen abfinden. Diese Gesamtvergütung ist bei Unfallverletzungen, deren Folgen innerhalb der ersten 2 Jahre nach dem Unfall ohne wesentliche Minderung der Erwerbsfähigkeit auszuheilen pflegen, von erheblicher praktischer Bedeutung. Der Gutachter wird zu überlegen haben, ob eine solche Gesamtvergütung empfohlen werden kann. Der Versicherte kann nach Ablauf des Zeitraumes, für den die Gesamtvergütung festgesetzt war, Antrag auf weitere Zahlung der Verletztenrente stellen. Der Versicherungsträger muß dann prüfen, ob noch eine Minderung der Erwerbsfähigkeit vorliegt, die den Anspruch auf weitere Zahlung der Verletztenrente begründet. Während die Gesamtvergütung vom Antrag des Verletzten unabhängig ist, können andere Abfindungen nur auf Antrag des Verletzten vorgenommen werden. Dabei ist zu unterscheiden, ob dem Versicherten ein Anspruch auf Dauerrente von weniger als

Verhältnis der Unfallversicherungsträger zu den Ärzten

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30 v. H. der Vollrente oder von 30 v. H. und mehr zusteht. Ist die Dauerrente niedriger als 30 v . H . , so wird auf Antrag des Verletzten mit einem dem Kapitalwert der Rente entsprechenden Betrage endgültig abgefunden. Der Kapitalwert der Rente ergibt sich aus einer Rechtsverordnung der Bundesregierung. Er ist abhängig vom Lebensalter des Verletzten zur Zeit des Unfalls und von dem seit dem Unfall vergangenen Zeitraum in Jahren. Sind mehr als 15 Jahre seit dem Unfall vergangen, so wird ein besonderer Schlüssel für die Feststellung des Kapitalwertes angewandt. Dem Antrag eines Versicherten auf Abfindung der Dauerrente kann nur entsprochen werden, wenn die Abfindung im wohlverstandenen Interesse des Versicherten liegt. Außerdem muß sichergestellt sein, daß der endgültige Zustand der Verletzungsfolgen erreicht ist und daß wesentliche Änderungen für den Zeitraum nach der Abfindung nicht mehr zu erwarten sind. Schließlich muß festgestellt werden, ob der Versicherte sich in einem Gesundheitszustand befindet, der eine Kapitalabfindung rechtfertigt. Für diese beiden letzteren Feststellungen wird eine ärztliche Begutachtung erforderlich sein. Das trifft auch zu, wenn es sich um die Abfindung einer Dauerrente von 30 v. H. und mehr der Vollrente handelt. Eine Abfindung dieser Renten muß dem Erwerb oder der wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes oder grundstücksgleicher Rechte bzw. zur Begründung oder Stärkung einer Existenzgrundlage dienen. Der Rentenempfänger muß das 21., darf aber noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet haben. Die Abfindungssumme beträgt das 9-fache, bei der Abfindung zur Begründung oder Stärkung einer Existenzgrundlage das 4 1/2-fache des Jahresbetrags der Rente. Soweit die Rente abgefunden ist, erlischt der Anspruch darauf für 10 bzw. 5 Jahre mit Ablauf des Monats der Auszahlung.

2.6 Verhältnis der Unfallversicherungsträger zu den Ärzten Die zahlreichen und mannigaltigen Aufgaben der Unfallversicherungsträger bei der Entscheidung über Sach- und Geldleistungen sind nur im Zusammenwirken mit den Ärzten zu erfüllen. Die Beziehungen zu den Ärzten bedürfen daher besonderer Regelung. Die gegenseitigen Verpflichtungen sind teils gesetzlicher - ζ. B. die Anzeigepflicht von Berufskrankheiten (s. S. 22) oder die Auskunftspflicht nach § 1543 d R V O (s. S. 4) teils - dies hauptsächlich - vertraglicher Natur. So bestimmt § 557 Abs. 3 R V O : „Unbeschadet der gesetzlichen Verantwortlichkeit der Versicherungsträger für die Durchführung der Heilbehandlung sollen die Beziehungen zwischen den Trägern der Unfallversicherung und den an der Durchführung der Heilbehandlung beteiligten Stellen, insbesondere den Kassenärztlichen Vereinigungen, durch Verträge geregelt werden."

Die gegenseitigen vertraglichen Verpflichtungen der Ärzteschaft, vertreten durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung und der Unfallversicherungsträger, sind im Ab-

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Gesetzliche Unfallversicherung

kommen Ärzte/Unfallversicherungsträger (Ärzteabkommen) festgelegt. In diesem Abkommen wird ausdrücklich festgestellt, daß die Unfallversicherungsträger für die Erfüllung ihrer Aufgaben der Mitarbeit aller Ärzte bedürfen. Für die Begutachtung ist wesentlich, daß der Arzt, der die erste ärztliche Versorgung geleistet oder den Verletzten behandelt hat, der Berufsgenossenschaft die Auskünfte, Berichte und Gutachten erstattet, die sie im.Vollzuge ihrer gesetzlichen Aufgaben von ihm einholt (Ltn. 63). Dagegen verpflichten sich die Berufsgenossenschaften, alle Auskünfte, Befundberichte und Gutachten lediglich für ihre eigenen Zwecke zu verwenden und ohne Einwilligung des betreffenden Arztes nicht Dritten zur Kenntnis zu geben, soweit nicht nach gesetzlichen Vorschriften eine Auskunftspflicht besteht (Ltn. 66). Für den Gutachter ist weiter von Bedeutung, daß der Unfallversicherungsträger darüber entscheidet, ob ein Formulargutachten oder ob ein freies Gutachten erstellt werden soll. Schließlich ist auf die im Abkommen übernommene Verpflichtung der Ärzteschaft zu pünktlicher Berichterstattung hinzuweisen (Lit. 67, s. auch S.4). Auch in diesem Zusammenhang ist auf die vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften herausgegebenen Drucksache „Hinweise für die Erstattung von Berichten und Gutachten" besonders hinzuweisen. Sie beruht auf dem Abkommen Ärzte/Berufsgenossenschaften.

2.7 Verfahren Im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung wird das Verfahren von Amts wegen betrieben. Der Versicherte braucht demnach nicht Anträge auf Entschädigung zu stellen. Vielmehr muß der Unfallversicherungsträger die Ermittlungen durchführen, die erforderlichen Gutachten beiziehen und über die Ansprüche des Unfallversicherten entscheiden. Soweit es sich um Entscheidungen über Verletzten- bzw. Hinterbliebenenrenten, über Pflege, Heilanstaltspflege oder Anstaltspflege oder über Kapitalabfindungen handelt, ist die sogenannte förmliche Feststellung vorzunehmen. An der förmlichen Feststellung sind Vertreter der Versicherten zu beteiligen. Die förmliche Feststellung erfolgt durch die vom Vorstand eines Unfallversicherungsträgers eingesetzten Rentenausschüsse. In diesen Rentenausschüssen wirken Vertreter der Arbeitgeber und der Versicherten mit. Die Rentenausschüsse haben die Feststellung der Entschädigung vorzunehmen, nachdem von den Verwaltungen die Entscheidungen entsprechend vorbereitet sind. Über Rechtsbehelfe ist zu belehren. Sowohl die förmliche Feststellung durch Rentenbescheid als auch andere Entscheidungen des Versicherungsträgers über Ansprüche des Unfallverletzten sind hoheitliche Akte, sogenannte Verwaltungsakte. Sie sind daher nach rechtsstaatlichen Grundsätzen nachprüfbar. Eine solche Nachprüfung obliegt zunächst den Widerspruchsstellen der Versicherungsträger, sodann den besonderen Verwaltungsgerichten der Sozialgerichtsbarkeit. In erster Instanz entscheiden über die Rechtmäßigkeit eines

Verfahren

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Verwaltungsaktes der Unfallversicherungsträger die Sozialgerichte, in der Berufungsinstanz die Landessozialgerichte und in der Revisionsinstanz das Bundessozialgericht. Auch diese Gerichte bedürfen für die Urteilsfindung der Beweisführung durch ärztliche Gutachten. Dem Versicherten entstehen durch die Anrufung der Sozialgerichtsbarkeit keine Kosten.

3. Krankenversicherung 3.1 Allgemeines Ein kurzer Überblick über das System der gesetzlichen Krankenversicherung erscheint zweckmäßig, einmal weil ein Unfall mit seinen schädigenden Folgen als regelwidriger Körperzustand auch Krankheit bedeutet, außerdem weil der überwiegende Teil des in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personenkreises zugleich in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist. Wegen dieses zweifachen Versicherungsverhältnisses können aus demselben Ereignis gleichzeitig Ansprüche sowohl gegen die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung wie die der Krankenversicherung entstehen. D a aber Doppelleistungen nicht erbracht werden, muß bestimmt werden, welcher Versicherungsträger in solchen Fällen leistungspflichtig ist. Ein summarischer Überblick erscheint in diesem Zusammenhang gerechtfertigt, weil Fragen der Unfallbegutachtung im Gebiet der Krankenversicherung kaum zu beantworten sind. Sie können sich gelegentlich bei der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit wegen eines Arbeitsunfalls ergeben. Sie können aber auch bei der Prüfung der Frage entstehen, ob eine Krankheit Folge eines Unfalls und daher in den Bereich der Entschädigungspflicht des Unfallversicherungsträgers fällt oder ob eine Krankheit vorliegt, für deren Versicherungsschutz allein die Krankenversicherung zuständig ist.

3.2 Träger der Krankenversicherung Die Aufgaben der Krankenversicherung werden von den Krankenkassen wahrgenommen. Sie sind wie die Träger der Unfallversicherung Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts. Ihre Organe sind gleichfalls paritätisch je zur Hälfte aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammengesetzt. Träger der Krankenversicherung sind die Ortskrankenkassen, die Betriebskrankenkassen, die Innungskrankenkassen, die landwirtschaftlichen Krankenkassen, die Bundesknappschaft und die Seekrankenkasse. Schließlich sind für bestimmte Personenkreise Ersatzkassen gebildet, denen Angehörige dieser Personenkreise freiwillig beitreten können.

3.3 Aufbringung der Mittel Die für die Durchführung der Krankenversicherung erforderlichen Mittel werden durch Beiträge aufgebracht. Die Beiträge werden in erster Linie von den Arbeitgebern und den Versicherten je zur Hälfte, ferner von den Trägern der Rentenversicherung der Arbeiter und dem Träger der Rentenversicherung der Angestellten sowie dem Bund geleistet.

Versicherungsfall

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Außerdem sind bei Bezug von Ubergangsgeld während Maßnahmen der Rehabilitation Beiträge zur Krankenversicherung des Rehabilitanden von dem zuständigen Träger der Rehabilitation zu erbringen. Die Festsetzung des Beitragssatzes erfolgt durch die Satzung der Krankenkasse.

3.4 Versicherter Personenkreis Auch bei der Krankenversicherung besteht wie bei den anderen Trägern der Sozialversicherung für bestimmte Personengruppen Versicherungszwang. Zu diesen Personengruppen gehören (§165 ff. RVO): - Arbeiter einschließlich Gesellen, Hausgehilfen, Gehilfen, Lehrlingen und Seeleuten, - Angestellte, wenn ihr regelmäßiger Jahresarbeitsverdienst 75 v. H. der für Jahresbezüge in der Rentenversicherung der Arbeiter geltenden Beitragsbemessung nicht übersteigt, - Personen, die in Einrichtungen der Jugendhilfe durch Beschäftigung für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen, - Personen, die in Einrichtungen für Behinderte, insbesondere in Berufsbildungswerken an einer berufsfördernden Maßnahme teilnehmen, - Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten erfüllen und die Rente beantragt haben, - Personen, die wegen berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation Übergangsgeld beziehen, - Studenten der staatlichen und der staatlich anerkannten Hochschulen, - Personen, die eine in Studien- oder Prüfungsordnungen vorgeschriebene berufspraktische Tätigkeit verrichten, - Hausgewerbetreibende, selbständige Lehrer und Erzieher, die keine Angestellten beschäftigen, Artisten, freiberuflich Tätige, Hebammen und Entbindungspfleger, in der Kranken-, Wochen-, Säuglings- und Kinderpflege selbständig tätige Personen, die in ihrem Betrieb keine Angestellten beschäftigen. Unter bestimmten Voraussetzungen besteht die Möglichkeit einer freiwilligen Versicherung bzw. einer freiwilligen Fortsetzung einer beendeten Pflichtversicherung.

3.5 Versicherungsfall Öffentlich-rechtliche Ansprüche des Versicherten gegenüber dem Träger der Krankenversicherung bestehen auf - Untersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten, - Vorsorgekuren und anderen Leistungen zur Verhütung von Krankheiten, - bei Krankheiten Krankenpflege, Krankenhauspflege, Behandlung in Kur- und Spezialeinrichtungen sowie Krankengeld, - bei Mutterschaft ärztliche Betreuung und Hilfe, Hebammenhilfe, Arzneien, Heilmittel, Pflege in einer Entbindungs- oder Krankenanstalt und Mutterschaftsgeld,

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Krankenversicherung

- Hilfe zur Familienplanung und Leistungen bei nicht rechtswidriger Sterilisation und bei nicht rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch, - bei Freistellung von der Arbeit wegen Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines erkrankten Kindes Krankengeld, -

Haushaltshilfe,

- Betriebshilfe für Landwirte, -

Sterbegeld

(§21 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Allgemeiner Teil, und § 179 RVO).

Das Schwergewicht liegt bei den Leistungsansprüchen wegen Krankheit. Krankheit im Sinne der Krankenversicherung liegt dann vor, wenn ein regelwidriger Körperoder Geisteszustand Krankenpflege erfordert oder Arbeitsunfähigkeit verursacht. Arbeitsunfähig ist der Versicherte dann, wenn er wegen seiner Krankheit nicht oder doch nur mit der Gefahr, seinen Zustand zu verschlimmern, fähig ist, seiner bisher ausgeübten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Die Arbeitsunfähigkeit wird durch den Arzt festgestellt.

3.6 Leistungen der Krankenversicherung Auch in der gesetzlichen Krankenversicherung werden Sach- und Geldleistungen gewährt. Dabei wird zwischen Regel- und Mehrleistungen unterschieden. Die Regelleistungen sind die gesetzlich vorgeschriebenen Pflichtleistungen der Krankenkasse, die von den Trägern der Krankenversicherung nicht unterschritten werden können. Mehrleistungen sind die Leistungen, die über die Regelleistung hinaus durch die Satzung der einzelnen Krankenkasse festgelegt und den Versicherten dieser Kasse gewährt werden. Sachleistungen sind im Bereich der Krankenversicherung die Maßnahmen zur Früherkennung oder Verhütung von Krankheiten, der Krankenhilfe, der Mutterschaftshilfe und bei den sonstigen Hilfen, wie ärztliche Beratung zur Empfängnisregelung und Leistungen bei nicht rechtswidriger Sterilisation und nicht rechtswidrigem Schwangerschaftsabbruch. Dabei werden als Krankenpflege gewährt: - ärztliche und zahnärztliche Behandlung, - Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heilmitteln und Brillen im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften, - Körperersatzstücke, orthopädische und andere Hilfsmittel, - zahnärztliche Behandlung bei der Versorgung mit Zahnersatz und Zahnkronen, - Belastungserprobung und Arbeitstherapie, - häusliche Krankenpflege, - Zuschüsse zu den Kosten für zahntechnische Leistungen. - Zu den Sachleistungen gehört auch die Betriebshilfe für Landwirte.

Beziehungen zu den Ärzten Geldleistungen

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sind Krankengeld, Mutterschaftsgeld, Sterbegeld.

Die Krankenpflege muß ausreichend und zweckmäßig sein, sie darf jedoch das M a ß des Notwendigen nicht überschreiten (§182 Abs. 2 RVO).

3.7 Beziehungen zur Unfallversicherung Die Tatsache, daß der versicherte Personenkreis der Unfallversicherung sich weithin mit dem der Krankenversicherung deckt, macht eine Regelung des Verhältnisses zwischen den Versicherungsträgern erforderlich. Grundsätzlich haben die Krankenkassen bei einem Arbeitsunfall dem krankenversicherten Verletzten ihre Sach- und Geldleistungen zu gewähren. Wenn allerdings im Einzelfall die besonderen Möglichkeiten der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung dem Unfallversicherungsträger die Übernahme dieser Heilbehandlung angezeigt erscheinen läßt, entfallen insoweit die Ansprüche des Verletzten gegen die Krankenversicherung. Übernommen wird die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung stets bei den Fällen des Verletzungsartenverfahrens (S.27) und bei den für die berufsgenossenschaftliche Heilbehandlung vorgesehenen Verletzungen im Fachgebiet der Augenärzte bzw. der Fachärzte für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten (S.27). Es ist davon auszugehen, daß etwa 20 v . H . der Unfallverletzten berufsgenossenschaftlicher Behandlung bedürfen und 80 v. H. in kassenärztlicher Behandlung verbleiben. Die Krankenkassen unterstützen die Berufsgenossenschaften bei der Durchführung des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens. Da die Unfallversicherungsträger bei berufsgenossenschaftlicher Heilbehandlung auch die Geldleistungen zu übernehmen haben, zahlen die Krankenkassen in diesen Fällen aufgrund besonderer Vereinbarungen die Geldleistungen im Auftrage und für Rechnung des zuständigen Unfallversicherungsträgers aus. Ist das Heilverfahren zu Lasten der Krankenkasse durchgeführt worden, stehen dem Träger der Krankenversicherung gegenüber dem Träger der Unfallversicherung Ersatzansprüche zu.

3.8 Beziehungen zu den Ärzten Während in der Unfallversicherung die Beziehungen zwischen den Ärzten und den Zahnärzten einerseits und dem Versicherungsträger andererseits vornehmlich auf der vertraglichen Grundlage des Abkommens Ärzte/Unfallversicherungsträger bzw. des Zahnärzteabkommens beruhen, ist das Verhältnis der Krankenversicherung zu den Ärzten bzw. Zahnärzten in einem besonderen Abschnitt der Reichsversicherungsordnung geregelt (§368ff. RVO). Nach diesen gesetzlichen Vorschriften haben die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen die den Krankenkassen obliegende ärztliche bzw. zahnärztliche Behandlung sicherzustellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber zu gewährleisten, daß die kassenärztliche Versorgung den ge-

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Krankenversicherung

setzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen und den Verbänden der Krankenkassen sind dazu Verträge abzuschließen. Die Bundesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen bzw. der Zahnärzte und Krankenkassen, die von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, den Bundesverbänden der Krankenkassen und der Bundesknappschaft gebildet werden, beschließen weiterhin zur Sicherung der Kassenärztlichen Versorgung Richtlinien, denen der Bundesminister für Arbeit zustimmen muß. So wurden z.B. außer anderen ArzneimittelRichtlinien Krebsfrüherkennungs-Richtlinien und Rehabilitations-Richtlinien beschlossen. Der Arzt wird durch eine besondere Zulassung zur Teilnahme an der kassenärztlichen Versorgung berechtigt und verpflichtet und zugleich ordentliches Mitglied der Kassenärztlichen Vereinigung. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind Körperschaften des öffentlichen Rechts. Grundsätzlich hat der krankenversicherte Patient die freie Arztwahl.

3.9 Verfahren Sofern der Versicherte Leistungen der Krankenversicherung in Anspruch nehmen will, muß er tätig werden. Er muß für die Krankenhilfe einen Krankenschein lösen und Arbeitsunfähigkeit wegen einer Krankheit seiner Krankenkasse melden. Wie in der Unfallversicherung sind die Entscheidungen des Trägers im Einzelfall Verwaltungsakte und der Nachprüfung durch die Sozialgerichtsbarkeit unterworfen.

4.

Rentenversicherung

4.1 Allgemeines Da die gesetzliche Rentenversicherung die Aufgabe hat, die Versicherten gegen die Wagnisse der Berufsunfähigkeit, der Erwerbsunfähigkeit und des Alters sowie die Hinterbliebenen bei Todesfällen zu schützen, ist ein Überblick über diesen Zweig der Sozialversicherung geboten. Denn die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit können Berufsunfähigkeit bzw. Erwerbsunfähigkeit verursachen oder zum Tode führen, demnach also den Bereich der Unfallbegutachtung berühren. Gleichwohl muß ein kurzer Hinweis aus den gleichen Gründen wie bei der Betrachtung der Krankenversicherung genügen, zumal die in der Unfallversicherung so bedeutsamen Fragen des Ursachenzusammenhangs und der abgestuften Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei der Begutachtung in diesem Rechtsgebiet entfallen.

4.2 Träger der Rentenversicherung Die Aufgaben der Rentenversicherung werden für die Arbeiter von den Landesversicherungsanstalten, der Bundesbahnversicherungsanstalt für die Arbeiter der Bundesbahn und der Seekasse für Seeleute, Küstenschiffer und Küstenfischer wahrgenommen. Für die Angestellten obliegen diese Aufgaben der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte. Für die im Bergbau tätigen Versicherten (Arbeiter und Angestellte) ist die Bundesknappschaft, für die Altershilfe der Landwirte sind die landwirtschaftlichen Alterskassen zuständig. Die Versicherungsanstalten sind wie alle Träger der Sozialversicherung juristische Personen des öffentlichen Rechts. Die Organe dieser juristischen Personen sind paritätisch aus Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer zusammengesetzt.

4.3 Aufbringung der Mittel Die zur Wahrnehmung der Aufgaben erforderlichen Mittel werden durch Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber und einen Bundeszuschuß aufgebracht.

4.4 Versicherter Personenkreis Die Rentenversicherung umfaßt praktisch alle Arbeiter, Angestellte, Lehrlinge, soweit sie nicht (ζ. B. Beamte, Richter, Soldaten oder Rentner mit Altersruhegeld) versicherungsfrei sind. Dabei kommt es auf die Natur des Arbeitsverhältnisses an, ob die Versicherung durch die Landesversicherungsanstalten oder die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte durchgeführt wird.

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Rentenversicherung

Weiter sind u.a. versichert: - Deutsche, die im Ausland bei einer amtlichen Vertretung des Bundes oder deren Mitarbeitern als Arbeitnehmer, Lehrling oder sonst zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind. -

Hausgewerbetreibende,

- Personen, die vor Eintritt in das Erwerbsleben in Einrichtungen der Jugendhilfe durch Beschäftigung für eine Erwerbstätigkeit befähigt werden sollen oder die in Einrichtungen für Behinderte, insbesondere in Berufsbildungswerken, an berufsfördernden Maßnahmen teilnehmen, - Wehrdienst- und Zivildienstleistende, wenn sie vor ihrer Einberufung versichert waren, - Personen, denen die Krankenversicherung zwölf Monate ununterbrochen Krankengeld gezahlt hat, für die Zeit des weiteren Bezuges bis zu 24 Monaten weiterer Arbeitsunfähigkeit, -

Rehabilitanden.

Eine freiwillige Versicherung ist möglich. Der Versicherte kann außerdem zu seinen Pflichtbeiträgen oder seinen freiwilligen Beiträgen Beiträge zum Zwecke der Höherversicherung entrichten. Der im Gesetz bestimmte Personenkreis ist zwar der Versicherungspflicht unterworfen, der Pflichtige wird aber erst durch die Entrichtung von Beiträgen Versicherter.

4.5 Versicherungsfall Öffentlich-rechtliche Ansprüche auf Leistungen der Rentenversicherung bestehen vor allem auf - Heilbehandlung, Berufsförderung und andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung, - Renten wegen - Berufsunfähigkeit, - Erwerbsunfähigkeit, - Alters, - Renten an Hinterbliebene, - Zuschüsse zu den Aufwendungen für Krankenversicherung. (§23 Abs. 1 Sozialgesetzbuch 1, Allgemeiner Teil)

4.5.1 Berufsunfähigkeit Berufsunfähigkeit liegt bei einem Versicherten dann vor, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen An-

Versicherungsfall

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forderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs. 2 R V O ; § 2 3 Abs. 2 Angestellten-Versicherungsgesetz (AVG)). Der Begriff der Berufsunfähigkeit ist demnach weitaus individueller als der der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der Unfallversicherung mit dem Bezug auf das gesamt Gebiet des Erwerbslebens. Dies wird besonders zu beachten sein, wenn die durch einen Unfall etwa verursachte Berufsunfähigkeit und die Minderung der Erwerbsfähigkeit zu erörtern sind. Die Frage der Kausalität des Leidens bleibt außer Betracht. Im Bereich der Rentenversicherung ist im übrigen eine Tätigkeit, für die der Versicherte mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult ist, stets zumutbar.

4.5.2 Erwerbsunfähigkeit Die Erwerbsunfähigkeit liegt bei einer weitaus umfassenderen Einschränkung der körperlichen und geistigen Kräfte vor. Sie ist dann anzuerkennen, wenn der Versicherte infolge von Krankheit oder anderer Gebrechen oder von Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf nicht absehbare Zeit eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit nicht mehr ausüben oder nicht mehr als nur geringfügige Einkünfte durch Erwerbstätigkeit erzielen kann (§1247 A b s . 2 R V O ; § 2 4 A b s . 2 A V G ) .

4.5.3 Alter Der Eintritt des Versicherungsfalles erfolgt beim Erreichen der im Gesetz vorgesehenen Altersgrenze. Sie liegt im allgemeinen bei der Vollendung des 63. Lebensjahres, kann aber unter bestimmten Voaussetzungen auf den Zeitpunkt der Vollendung des 62. bzw. 60. Lebensjahres vorgezogen werden (Schwerbehinderte, Berufsunfähige, Erwerbsunfähige bzw. Arbeitslose oder weibliche Versicherte).

4.5.4 Tod Beim Tode des Versicherten entstehen die Ansprüche der bezugsberechtigten Hinterbliebenen, nämlich der Witwe, u. U. der geschiedenen Witwe, des Witwers und der Waisen (s. S . 3 4 ) . Wegen der Anrechnung von Erwerbseinkommen bzw. Erwerbsersatzeinkommen gilt das Gleiche wie in der gesetzlichen Unfallversicherung (s. S. 34).

4.5.5 Wartezeit Renten aus der Rentenversicherung sind nur dann zu gewähren, wenn beim Eintritt des Versicherungsfalles die für jeden Versicherungsfall besonders bestimmten M i n destversicherungszeiten (Wartezeiten) zurückgelegt sind. Sie betragen für das Altersruhegeld 180, für die anderen Versicherungsfälle 60 Monate. Die Wartezeit gilt u . a . als erfüllt, wenn der Versicherungsfall durch einen Arbeitsunfall (Berufskrankheit) verursacht worden ist.

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Rentenversicherung

4.5.6 Besondere Versicherungsfälle der Knappschaftsversicherung Als Besonderheit kennt die knappschaftliche Rentenversicherung außer den zuvor aufgeführten Versicherungsfällen die verminderte bergmännische Berufsfähigkeit. Sie liegt dann vor, wenn ein Versicherter infolge von Krankheit oder Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen und geistigen Kräfte weder imstande ist, die von ihm bisher verrichtete knappschaftliche Arbeit auszuüben, noch imstande ist, andere im wesentlichen wirtschaftlich gleichwertige Arbeiten von Personen mit ähnlicher Ausbildung sowie gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten in knappschaftlich versicherten Betrieben auszuüben (§45 A b s . 2 Reichsknappschaftsgesetz). Der Versicherungsfall führt, wenn die Wartezeiten erfüllt sind, zur Bergmannsrente.

4.6 Leistungen Wie in den zuvor geschilderten Zweigen der Sozialversicherung hat auch der Versicherte der Rentenversicherung im Versicherungsfall Anspruch auf Sach- und Geldleistungen. Der Umfang der Sachleistungen ist durch die Verpflichtung der Träger der Rentenversicherung zu medizinischen (§ 1237 R V O und § 14 AVG) und zu berufsfördernden (§ 1237 a R V O und § 14 a AVG) Leistungen zur Rehabilitation sowie zu ergänzenden Leistungen (§ 1237 b R V O und § 14 b AVG) bestimmt. Die medizinischen Leistungen zur Rehabilitation sind im wesentlichen die gleichen wie bei den Krankenkassen und den Unfallversicherungsträgern (s. oben 2.5.2.1. und 3.6.), allerdings ohne zahnärztliche Behandlung und ohne Pflege. Die Durchführung der medizinischen Leistungen zur Rehabilitation soll vor allem stationär in Kur- und Spezialeinrichtungen erfolgen. Zu den ergänzenden Leistungen gehört ärztlich verordneter Behindertensport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung. Die berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation entsprechen dem Umfang der Berufshilfe in der gesetzlichen Unfallversicherung (s. oben 2.5.2.3.). An Geldleistungen werden in der Rentenversicherung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen gewährt: - Übergangsgeld während medizinischer oder berufsfördernder Maßnahmen zur Rehabilitation, - Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, -

Altersruhegeld,

- Witwenrente bzw. Rente an eine frühere Ehefrau des Versicherten, -

Witwerrente,

-

Waisenrente.

Verfahren

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4.7 Beziehungen zur Unfallversicherung Aus den Aufgaben der Rentenversicherung ergibt sich insbesondere auf dem Gebiet der Rehabilitation die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit den Unfallversicherungsträgern. Denn auch hier, wie in der Krankenversicherung, decken sich die versicherten Personenkreise weithin. Daher besteht die Notwendigkeit der Koordination von Maßnahmen der Rehabilitation. Entlastet ein von der Rentenversicherung einem Unfallverletzten gewährtes Heilverfahren eine Berufsgenossenschaft, so hat die Berufsgenossenschaft die Kosten zu erstatten.

4.8 Verfahren Die Leistungen der Rentenversicherung setzen einen Antrag des Versicherten voraus. Der Versicherte muß also tätig werden, um die im Versicherungsfall zustehenden Leistungen zu erhalten. Die Feststellung der Leistungen bzw. die Entscheidung darüber erfolgt durch Bescheid. Solche Bescheide sind als Verwaltungsakte durch die Sozialgerichtsbarkeit nachprüfbar.

5. Recht der Bundesversorgung 5.1 Allgemeines Ein besonderer Bereich der Begutachtung der Folgen von Schäden durch plötzliche, von außen einwirkende Ereignisse ergibt sich im Geltungsbereich des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Daher erscheint eine Übersicht über die Rechtsgrundlagen von Ansprüchen nach diesem Gesetz angebracht. Ansprüche auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz haben Personen, die durch eine militärische und militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben (§ 1 Abs. 1 BVG). Einer solchen Schädigung stehen nach § 1 Abs. 2 BVG Schädigungen gleich, die herbeigeführt sind durch unmittelbare Kriegseinwirkung, durch Kriegsgefangenschaft, durch Internierung oder als offensichtliches Unrecht anzusehende Straf- oder Zwangsmaßnahmen im Zusammenhang mit militärischen oder militärähnlichem Dienst, weiterhin durch Unfälle auf dem Hin- und Rückweg von Maßnahmen der Heilbehandlung oder Rehabilitation oder bei der Durchführung solcher Maßnahmen (s. S.lOf.).

5.2 Geltungsbereich Die Vorschriften des BVG sind auch auf andere gesetzliche Tatbestände entsprechend anzuwenden, nämlich - nach § 80 Soldatenversorgungsgesetz auf die Versorgung von Soldaten, die eine Wehrdienstbeschädigung erlitten haben, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses; - nach § 47 des Zivildienstgesetzes schädigung erlitten haben;

auf Zivildienstpflichtige, die eine Zivildienstbe-

- nach § 4 Abs. 1 des Häflingshilfegesetzes auf Berechtigte, die infolge Gewahrsams eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben. Berechtigt sind deutsche Staatsangehörige oder Volkszugehörige, wenn sie nach Besetzung ihres Aufenthaltsortes oder nach dem 8.5.1945 im Gebiet der heutigen DDR oder Ostberlin, in deutschen Ostgebieten unter fremder Verwaltung oder Ostblockländern aus politischen und nach freiheitlich-demokratischer Auffassung von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in Gewahrsam genommen worden sind. - Weiterhin sind die Vorschriften des BVG auf Ansprüche nach dem gesetz wegen Impfschäden (§51 Bundesseuchengesetz) und dem gungsgesetz entsprechend anzuwenden.

BundesseuchenOpferentschädi-

Geltungsbereich

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5.2.1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) Nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) erhalten Personen, die durch Gewalttaten eine gesundheitliche Schädigung erlitten haben, oder ihre Hinterbliebenen im Falle der Tötung durch Gewalttaten wegen der gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Folgen der Schädigung Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG (§ 1 OEG). Voraussetzung für die Versorgung ist, daß 1. durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen Angriff auf den Geschädigten oder eine andere Person bzw. bei der rechtmäßigen Abwehr eines solchen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung eingetreten ist, und zwar auch dann, wenn der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes gehandelt hat; 2. der tätliche Angriff bzw. die rechtmäßige Abwehr in der Bundesrepublik, dem Lande Berlin oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug stattgefunden hat; 3. der Geschädigte ein Deutscher ist, ein Ausländer nur bei der Gewährleistung der Gegenseitigkeit; 4. der tätliche Angriff nicht von dem Angreifer durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeuges oder eines Anhängers durchgeführt wurde; 5. der Geschädigte unverzüglich Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde erstattet.

Einem tätlichen Angriff stehen gleich: - die vorsätzliche Beibringung von Gift; - die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leben und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen (ζ. B. besonders schwere Brandstiftung (§307 Strafgesetzbuch), Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion (§311 StGB).

Ferner stehen einer Schädigung durch tätlichen Angriff Schädigungen durch Unfälle gleich, die der Geschädigte auf dem Hin- oder Rückweg - zu Maßnahmen der Rehabilitation oder - zu Terminen zur Aufklärung des Sachverhalts, falls das persönliche Erscheinen angeordnet ist, oder - zur unverzüglichen Erstattung einer Strafanzeige

erleidet. Das gleiche gilt für Unfälle eines Geschädigten bei der Durchführung der genannten Verrichtungen. Die Leistungen sind zu versagen, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, in dem eigenen Verhalten des Anspruchsstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren. Die Leistungen können versagt werden, wenn der Geschädigte nicht alles ihm Mögliche zur Aufklärung des Sachverhalts oder zur Verfolgung des Täters beiträgt, insbesondere nicht unverzüglich Strafanzeige erstattet ( § 2 OEG).

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Recht der Bundesversorgung

5.3 Aufbringung der Mittel zur Versorgung Die für die Versorgung erforderlichen Mittel werden je nach der Rechtsgrundlage des Versorgungsanspruchs vom Bund bzw. den Ländern aufgebracht. Die Durchführung der Versorgung erfolgt durch die Versorgungsämter.

5.4 Umfang der Versorgung Nach dem Sozialgesetzbuch 1 — Allgemeiner Teil — können als Versorgungsleistungen in Anspruch genommen werden (§24): - Heil- und Krankenbehandlung sowie andere Leistungen zur Erhaltung, Besserung und Wiederherstellung der Leistungsfähigkeit einschließlich wirtschaftlicher Hilfen, - besondere Hilfen im Einzelfall einschließlich Berufsförderung, - Renten wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit, - Renten an Hinterbliebene, Bestattungsgeld und Sterbegeld, - Kapitalabfindungen, insbesondere zur Wohnraumbeschaffung.

Es sind demnach auch in diesem Rechtsgebiet Sach- und Geldleistungen zu gewähren. Sachleistungen sind Heil- und Krankenbehandlung und teilweise die besonderen Hilfen im Einzelfall, die anderen sind Geldleistungen. Näheres ist im Bundesversorgungsgesetz bestimmt.

5.4.1 Heil- und Krankenbehandlung Heilbehandlung wird für Gesundheitsstörungen gewährt, die als Folge einer Schädigung anerkannt oder durch eine anerkannte Schädigungsfolge verursacht worden sind, ebenso für eine Gesundheitsstörung, die im Sinne der Verschlimmerung als Folge einer Schädigung anerkannt ist. Umfassendes Ziel der Heilbehandlung ist es, die Gesundheitsstörungen oder die durch sie bewirkte Beeinträchtigung der Berufsoder Erwerbsfähigkeit zu beseitigen oder zu bessern, eine Zunahme des Leidens zu verhüten, körperliche Beschwerden zu beheben, die Folgen der Schädigung zu erleichtern oder die Beschädigten möglichst auf Dauer in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern (§ 1 Abs. 3 BVG). Schwerbeschädigten (mindestens 50% M.d.E.) wird Heilbehandlung auch für Gesundheitsstörungen gewährt, die nicht als Folge einer Schädigung anerkannt sind (§10 Abs. 2 BVG). Ausdrücklich ist bestimmt, daß für Anerkennung einer Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügt. Ist eine solche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden (§ Abs. 3 BVG — anders in der gesetzlichen Unfallversicherung s. S.13ff.).

Umfang der Versorgung

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Die Heilbehandlung umfaßt (§11 BVG): - ambulante ärztliche und zahnärztliche Behandlung, - Versorgung mit Arznei und Verbandmitteln, - Versorgung mit Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, sowie mit Brillen, - Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie, - Versorgung mit Zahnersatz, - stationäre Behandlung in einem Krankenhaus (Krankenhausbehandlung), u. U. auch in einer Kureinrichtung, - stationäre Behandlung in einer Tuberkulose-Heilstätte (Heilstättenbehandlung), - Hilfe und Wartung durch Krankenpfleger, Krankenschwestern oder andere Pflegekräfte (Hauspflege), - orthopädische Versorgung, - Belastungserprobung und Arbeitstherapie.

Krankenbehandlung wird u. a. Schwerbeschädigten, deren Ehegatten und Kindern, Pflegekräften, Witwen, Waisen und versorgungsberechtigten Eltern gewährt. Sie umfaßt Leistungen wie die Heilbehandlung, außer Versorgung mit Zahnersatz. Sie wird nicht gewährt, wenn ein Sozialversicherungsträger zu einer entsprechenden Leistung verpflichtet ist oder andere im Gesetz genannte Ausschlußvoraussetzungen vorliegen (§10 Abs. 7 BVG). Zu den medizinischen Leistungen gehören auch Versehrtenleibesübungen (§§ 10, Abs.3, I I a BVG). Während der Heil- oder Krankenbehandlung hat der arbeitsunfähige Geschädigte Anspruch auf Versorgungskrankengeld. Der Berechtigte gilt als arbeitsunfähig, wenn er wegen einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann (§ 16 BVG).

5.4.2 Besondere Hilfen im Einzelfall Die Leistungen durch besondere Hilfen im Einzelfall (§24 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil —) ergeben sich aus den Bestimmungen des Abschnitts „Kriegsopferfürsorge" des B V G (§§25 - 2 7 d B V G ) . Anspruchsberechtigt sind Geschädigte und ihre Hinterbliebenen, wenn sie wegen der Schädigung nicht in der Lage sind, trotz der übrigen Leistungen sowie ihres sonstigen Einkommens und ihres Vermögens eine angemessene Lebensstellung zu erlangen oder sich zu erhalten, bzw. wenn es unbillig wäre, von den Geschädigten oder Hinterbliebenen den Einsatz ihres Einkommens zu verlangen. Als Leistungen sind u. a. zu gewähren: - berufsfördernde Leistungen, -

Übergangsgeld,

-

Erziehungsbeihilfen,

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Recht der Bundesversorgung

- ergänzende Hilfen, -

Sonderfürsorge.

Die berufsfördernden Leistungen (§ 26 BVG) haben den gleichen Umfang wie diejenigen der gesetzlichen Unfallversicherung (s.o. Teil 1 2.5.2.3). Übergangsgeld ist zu gewähren, wenn der Geschädigte wegen der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme keine ganztägige Erwerbstätigkeit ausüben kann. Erziehungsbeihilfen sind Waisen und Kindern von Geschädigten zu ihrer Erziehung bzw. Ausbildung zu gewähren. Ergänzende Hilfen sind, unter entsprechender Anwendung von Bestimmungen des Bundessozialhilfegesetzes, denjenigen Geschädigten und Hinterbliebenen zum Lebensunterhalt zu leisten, die diesen nicht aus den übrigen Leistungen des Gesetzes und ihren sonstigen Mitteln bestreiten können. Sonderfürsorge ist bestimmten Gruppen besonders schwer Geschädigter, so ζ. B. Blinden, Ohnhändern, Querschnittsgelähmten zu gewähren ( § 2 7 c BVG).

5.4.3 Renten und andere Geldleistungen Der Geschädigte hat Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn er wegen der Folgen der Schädigung dauernd um mindestens 30 v. H. in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Der Begriff „Minderung der Erwerbsfähigkeit" ist - anders als im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung (s. oben 2.5.3.2) - im Gesetz definiert. Diese Definition lautet (§30 BVG): „Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben zu beurteilen; dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Für die Beurteilung ist maßgebend, um wieviel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen beeinträchtigt sind... Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, denn er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch a u s ü b t . . . "

Bei der Begutachtung sind als Anhaltswerte für die Einschätzung des Prozentsatzes der Minderung der Erwerbsfähigkeit die vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" zu beachten. Die in den Anhaltspunkten angegebenen Sätze sind mitunter von den weiter unten für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung vorgeschlagenen unterschieden, sie beruhen auf den für den Bereich der Versorgung herausgebildeten Erfahrungswerten. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach dem Schwerbehindertengesetz wird in entsprechender Anwendung des § 30 B V G (s. o.) definiert. Daher sind die genannten „Anhaltspunkte" auch für die ärztliche Gutachtertätigkeit nach dem Schwerbehindertengesetz bestimmt.

Verfahren

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Entsprechend der jeweiligen Rechtslage sind zu gewähren: - Grundrente (§31 BVG), - Schwerbeschädigtenzulage (§31 BVG), - Ausgleichsrente (§32 BVG), - Berufsschadenausgleich ( § 3 0 Abs. 3 BVG).

Weitere Geldleistungen sind: - Pflegezulage (§35 BVG), - Bestattungsgeld ( § 3 6 BVG), - Sterbegeld (§37 BVG), - Hinterbliebenenrente (§§38ff. BVG).

5.5 Verfahren Die Leistungen werden auf Antrag gewährt. Die Entscheidungen der Versorgungsämter über Ansprüche auf Versorgungsleistungen sind Verwaltungsakte. Gegen diese ist Klage möglich. Über solche Klagen entscheiden im allgemeinen die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Soweit es sich um Entscheidungen über besondere Hilfen im Einzelfall handelt (s. oben 5.4.2), sind öffentlich-rechtliche Streitigkeiten darüber durch die allgemeinen Verwaltungsgerichte zu entscheiden.

6. Die Rehabilitation und ihre Träger 6.1 Allgemeines Die Unfallbegutachtung ist nicht nur als Grundlage der Entscheidung über öffentlichrechtliche Entschädigungsansprüche in der Form von Geldleistungen von Bedeutung. Vielmehr ist die medizinische, berufliche und soziale Rehabilitation des durch einen Unfall - ebenso aber auch aus anderer Ursache - gesundheitlich, d. h. in seiner körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigten Menschen den Geldleistungen gegenüber vorrangig. So gehört zu den sozialen Rechten im Falle der körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung oder wenn eine solche Behinderung droht - demnach auch bei Unfallfolgen — das Recht auf die Hilfe, die notwendig ist (§ 10 Sozialgesetzbuch — Allgemeiner Teil - ) , um die Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern und dem Behinderten einen seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechenden Platz in der Gemeinschaft, insbesondere im Arbeitsleben, zu sichern. Im übrigen gilt der Grundsatz „Rehabilitation geht vor Rente" (§7 Gesetz über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation - RehaAnglG.) Das bedeutet, daß außer dem behandelnden Arzt auch der ärztliche Gutachter bei der Untersuchung und Begutachtung eines Unfallverletzten neben den Feststellungen etwa zum Kausalzusammenhang oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit sachverständige Vorschläge für etwa erforderliche Maßnahmen der Rehabilitation abgeben sollte, worauf an anderer Stelle mehrfach hingewiesen wurde. Ohne die Mitwirkung des sachverständigen Arztes ist eine sinnvolle Rehabilitation nicht denkbar. Die Feststellung des Abkommens Ärzte/Unfallversicherungsträger, daß die Unfallversicherungsträger für die Erfüllung ihrer Aufgaben der Mitwirkung aller Ärzte bedürfen, gilt für alle Träger der Rehabilitation. Das Ziel der Rehabilitation ist nur im Zusammenwirken aller für die entsprechenden Maßnahmen zuständigen Sachverständigen, den Trägern der Rehabilitation und nicht zuletzt der Rehabilitanden selber zu erreichen.

6.2 Träger der Rehabilitation Der Begriff „Rehabilitation" hat sich schon seit langer Zeit als zusammenfassende Bezeichnung für die medizinischen, beruflichen und sozialen Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Behinderten durchgesetzt. In die gesetzlichen Vorschriften ist der Begriff jedoch erst mit dem am 1.10.1974 in Kraft getretenen Gesetz über die

Träger der Rehabilitation

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Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG) eingeführt worden. Dieses Gesetz definiert den Begriff der Rehabilitation nicht unmittelbar, sondern beschreibt die Aufgabe der Rehabilitation dahin (§ 1 RehaAnglG), daß die medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation im Sinne des Gesetzes darauf ausgerichtet sind, körperlich, geistig oder seelisch Behinderte möglichst auf Dauer in Arbeit, Beruf und Gesellschaft einzugliedern. Bei der Anwendung des Gesetzes stehen den Behinderten diejenigen gleich, denen eine Behinderung droht. Die Maßnahmen zur Rehabilitation sind von den Trägern der Rehabilitation im Rahmen ihrer jeweiligen Aufgaben und Zuständigkeiten durchzuführen. Als Träger bezeichnet das Gesetz (§ 2 Abs. 1 und 2 RehaAnglG) die Körperschaften, Anstalten und Behörden für die Bereiche der - gesetzlichen Krankenversicherung, - gesetzlichen Unfallversicherung, - gesetzlichen Rentenversicherung, - Altershilfe für Landwirte, - Kriegsopferversorgung einschließlich der Versorgung nach Gesetzen, die das Bundesversorgungsgesetz für anwendbar erklären, - Bundesanstalt für Arbeit.

Der Bereich der Sozialhilfe ist in das RehaAnglG nicht einbezogen, obwohl die Träger der Sozialhilfe Aufgaben der Rehabilitation wahrnehmen, insbesondere durch die Eingliederungshilfen für Personen, die körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert sind oder denen solche Behinderungen drohen (§§39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG). Ergänzend ist zu einzelnen Trägern der Rehabilitation noch folgendes zu bemerken: Die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung haben durch das RehaAnglG Aufgaben der Rehabilitation ihrer Versicherten erhalten. Dem haben die Krankenkassen u. a. durch die Vereinbarung des sogenannten Unfallheilverfahrens mit den Kassenärztlichen Vereinigungen entsprochen. Für den ärztlichen Gutachter kann der Hinweis von Bedeutung sein, daß durch Verträge zwischen den Bundesverbänden der Krankenkassen und den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen sicherzustellen ist bzw. sichergestellt wurde (§ 365 s R V O ) , daß der Behinderte über die Möglichkeiten der medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation beraten wird und die gebotenen Maßnahmen von den Rehabilitationsträgern frühzeitig eingeleitet werden. In diesen Verträgen ist auch zu regeln bzw. geregelt worden, bei welchen Behinderungen, unter welchen Voraussetzungen und nach welchem Verfahren von den Ärzten Mitteilungen über Behinderte an die Kassen zu machen sind. Nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über diese Verträge vom 1 7 . 1 2 . 1 9 7 5 (Rehabilitations-Richtlinien) sollen solche Mitteilungen erfolgen (2.1.—2.4 der Richtlinien) bei

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Die Rehabilitation und ihre Träger

- nicht nur vorübergehender erheblicher Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit, die auf dem Fehlen oder auf Funktionsstörungen von Gliedmaßen oder auf anderen Ursachen beruht, - Mißbildungen, Entstellungen und Rückgratverkrümmungen, wenn die Behinderungen erheblich sind, - nicht nur vorübergehender erheblicher Beeinträchtigung der Seh-, Hör- und Sprachfähigkeit, - nicht nur vorübergehender erheblicher Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder seelischen Kräfte aufgrund von schweren chronischen Erkrankungen der inneren Organe oder des Stoffwechsels oder aus anderen Ursachen.

Die Mitteilung muß unterbleiben, wenn der Behinderte trotz ärztlicher Beratung über die Vorteile einer Rehabilitation der Mitteilung an die Krankenkasse ausdrücklich widerspricht. Ähnliche Bestimmungen enthält das Bundessozialhilfegesetz im Abschnitt 12. Sonderbestimmungen zur Sicherung der Eingliederung Behinderter (§§ 1 2 3 - 1 2 6 c BSHG). Bei einem annähernd den Rehabilitations-Richtlinien (s.o.) gleichen Verzeichnis von Behinderungen haben die Ärzte, denen solche Behinderungen bekannt werden, diese und die wesentlichen Angaben zur Person des Behinderten dem Gesundheitsamt mitzuteilen, nicht dagegen die Namen der Behinderten und die der Personensorgeberechtigten (§125 Abs. 2 BSHG). Für den Bereich der Krankenversicherung ist abschließend noch darauf hinzuweisen, daß die Krankenkassen im Benehmen mit dem behandelnden Arzt eine Begutachtung durch den Vertrauensarzt zu veranlassen haben, wenn dies zur Einleitung von Maßnahmen der Rehabilitation erforderlich erscheint ( § 3 6 9 b Abs. 1 Nr. 3 R V O ) . Wegen der Rechtsansprüche ihrer Versicherten auf Rehabilitation gegenüber dem Träger der gesetzlichen Unfallversicherung bzw. gesetzlichen Rentenversicherung wird auf die vorangestellten entsprechenden Abschnitte (2.5.2.1 und 2.5.2.3 bzw. 4.6) verwiesen. Schließlich hat die Bundesanstalt für Arbeit Aufgaben auf dem Gebiet der beruflichen Rehabilitation, deren Rechtsgrundlage das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) ist. M i t den nach dem Arbeitsförderungsgesetz vorgesehenen Maßnahmen soll „ein hoher Beschäftigungsstand erzielt und aufrecht erhalten, die Beschäftigungsstruktur ständig verbessert und damit das Wachstum der Wirtschaft gefördert" werden (1 AFG). Die Maßnahmen sollen u. a. insbesondere „dazu beitragen, die berufliche Eingliederung körperlich, geistig oder seelisch Behinderter zu fördern" (§2 Nr. 4 AFG). Die Aufgaben, die sich bei der Durchführung dieser und anderer Maßnahmen ergeben, werden von der als Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung gebildeten Bundesanstalt für Arbeit mit ihrer Hauptstelle, den Landesarbeitsämtern und den Arbeitsämtern durchgeführt. Die Bundesanstalt hat als berufsfördernde Leistungen zur Rehabilitation die Hilfen zu gewähren, „die erforderlich sind, um die Erwerbsfähigkeit der körperlich, geistig oder seelisch Behinderten entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu bessern, herzustellen oder wiederherzustellen und die Behinderten möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern" (§ 56 Abs. 1 AFG), sonfern nicht ein anderer Rehabilitationsträger im Sinne des RehaAnglG zuständig ist (§ 57 AFG).

Maßnahmen und Leistungen der Rehabilitation

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6.3 Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation Mit dem RehaAnglG werden die Maßnahmen und Leistungen der zuvor genannten Träger zur Rehabilitation so einander angeglichen, daß diese dem Umfang nach gleichartig sind, unabhängig von der Rechtsgrundlage der Ansprüche eines Behinderten und unabhängig von der Kausalität seiner Behinderung. Daher sieht das RehaAnglG als einheitlich von den Rehabilitationsträgern durchzuführende Maßnahmen der Rehabilitation u. a. vor: - Unterrichtung der Bevölkerung über Hilfen und Maßnahmen zur Eingliederung Behinderter (§3 Abs. 1); - Auskünfte an die Behinderten über die Möglichkeiten und Leistungen zur medizinischen und beruflichen Rehabilitation und die rechtzeitige und umfassende Beratung der Behinderten (§3 Abs. 2); - frühzeitige Einleitung und zügige Durchführung der zur Rehabilitation gebotenen Maßnahmen (§4 Abs. 2); - Unterrichtung des zuständigen durch den unzuständigen Träger, wenn festgestellt wird, daß Maßnahmen des zuständigen Trägers zur Rehabilitation angezeigt erscheinen ( § 4 Abs. 2); - Weiterleitung von Anträgen an den zuständigen Träger ( § 4 Abs. 2); - Einrichtung von Auskunfts- und Beratungsstellen bei den Trägern ( § 5 Abs.); - Aufstellung eines Gesamtplanes zur Rehabilitation in dazu geeigneten Fällen, etwa bei mehreren Maßnahmen oder Beteiligung mehrerer Träger (§5 Abs. 3); - Beteiligung der Bundesanstalt für Arbeit vor und an der Einleitung berufsfördernder Maßnahmen (§5 Abs. 4 und 5).

Bei ungeklärter Zuständigkeit hat in Fällen etwa erforderlicher medizinischer M a ß nahmen der für den Behinderten oder dessen Wohnsitz zuständige Rentenversicherungsträger, bei etwa erforderlichen berufsfördernden Maßnahmen die Bundesanstalt für Arbeit vorläufige Leistungen zu erbringen (§6). Als Leistungen zur Rehabilitation führt das Gesetz medizinische, berufsfördernde und ergänzende Leistungen auf. Diese sind bei den Trägern einheitlich. Es wird daher auf die entsprechenden vorangegangenen Darstellungen verwiesen (z.B. die Abschnitte 2.5.2.1, 2.5.2.3 und 2.5.3.1). Erfolg oder Mißerfolg von Maßnahmen und Leistungen zur Rehabilitation hängen wesentlich von der Bereitschaft des Rehabilitanden zur Mitwirkung ab. Diese Feststellung bedarf keiner weiteren Begründung. Der Rehabilitand ist zu dieser Mitwirkung rechtlich verpflichtet ( § 4 Abs. 1 S . 2 RehaAnglG). Eine nicht gerechtfertigte Weigerung, an Maßnahmen zur Rehabilitation teilzunehmen, kann für den Rehabilitanden die im Leistungsrecht der einzelnen Rehabilitationsträger vorgesehenen Rechtsnachteile zur Folge haben (§ 4 Abs. 1 S. 3 RehaAnglG, § 64 Sozialgesetzbuch I Allgemeiner Teil - ) .

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Die Rehabilitation und ihre Träger

6.4 Zusammenwirken der Träger Die Durchführung der zuvor angeführten Maßnahmen zur Rehabilitation kann ohne Zusammenwirken der Träger nicht erfolgreich sein. Das RehaAnglG verpflichtet daher die Träger, im Interesse einer raschen und dauerhaften Eingliederung der Behinderten eng zusammenzuarbeiten (§5 Abs. 1). Dem notwendigen Zusammenwirken der Rehabilitationsträger dient insbesondere die bereits geraume Zeit vor der Verkündung des RehaAnglG gebildete Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation. Das Ziel dieses Zusammenwirkens in der Bundesarbeitsgemeinschaft ergibt sich aus der Präambel der Satzung. Sie lautet: „Die Träger der sozialen Sicherheit gewährleisten durch sinnvolles Ineinandergreifen ihrer Leistungen eine umfassende Rehabilitation. Die Vielfalt ihrer Aufgaben entspricht den individuellen Bedürfnissen der Behinderten. Um die Rehabilitation noch wirksamer zu gestalten, bilden die Vereinigungen der Rehabilitationsträger, die Bundesanstalt für Arbeit und die Spitzenverbände der Sozialpartner auf der Grundlage der Selbstverwaltung gemeinsam mit Bund und Ländern unter Wahrung der Selbständigkeit der Rehabilitationsträger und ihrer Vereinigung die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation."

Mitglieder der Bundesarbeitsgemeinschaft können sein: 1. Verbände der Krankenkassen Bundesknappschaft Seekasse als Gruppe Krankenversicherung 2. Verbände der Träger der gesetzlichen Unfallversicherung als Gruppe Unfallversicherung 3. Verband Deutscher Renten versicherungsträger Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen als Gruppe Rentenversicherung 4. Bundesanstalt für Arbeit 5. Bund Länder Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Hauptfürgsorgestellen Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe 6. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände 7. Deutscher Gewerkschaftsbund Deutsche Angestellten-Gewerkschaft.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft hat den Zweck, die Maßnahmen der medizinischen, schulischen, pädagogischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation zu koordinieren und zu fördern. Daraus ergeben sich die einzelnen Aufgaben, die sie sich gestellt hat, auf deren Darstellung hier jedoch zu verzichten ist. Es soll aber darauf hingewiesen werden, daß zu diesen Aufgaben auch die Anregung, Förderung und Empfehlung zum Abschluß von Verwaltungs-Vereinbarungen, -Absprachen oder -Richtlinien über die Durchführung der Rehabilitation gehören. Die Bundesarbeitsgemeinschaft repräsentiert diejenigen Mithglieder, die damit einverstanden sind, im nationalen oder internationalen sozialpolitischen Bereich in Grundsatzfragen der Rehabilitation.

7. Private Unfallversicherung 7.1 Allgemeines Die Versicherung der Wechselfälle des Lebens wie Unfall, Krankheit, Alter, Tod ist außerhalb der Versicherung durch gesetzlichen Zwang in der Sozialversicherung auch durch Versicherungsverträge möglich. Eine solche Versicherung wird auf Grund eines freiwilligen Entschlusses sowohl des Versicherungsnehmers als auch des Versicherers, eine entsprechende vertragliche Regelung zu treffen, abgeschlossen. Der Versicherungsvertrag ist demnach privatrechtlicher Natur. Für den Bereich der Unfallbegutachtung ist die auf einem solchen privatrechtlichen Vertrag beruhende Unfallversicherung von Bedeutung. Art und Umfang dieser Versicherung richten sich nach dem Versicherungsvertragsgesetz und nach den „Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB)", die für alle Versicherer einheitlich gelten. Auch hier kann es sich nur um einen Überblick handeln; auf die einschlägige Literatur wird verwiesen.

7.2 Träger der Versicherung — versicherter Personenkreis — Aufbringung der Mittel Versicherer sind die in verschiedener Rechtsform bestehenden Versicherungsgesellschaften, soweit sie diese Art von Versicherung betreiben. Die Mittel werden durch die Beiträge der Versicherungsnehmer beschafft. Versicherungsnehmer sind die Personen, die mit dem Versicherer einen entsprechenden Vertrag geschlossen haben für die Dauer des Vertrages. Ein solcher Vertrag ist auch für die Versicherung von Unfällen möglich, die einem anderen als dem Versicherungsnehmer zustoßen. Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen einer Unfallversicherung ist die Versicherungsfähigkeit des Versicherungsnehmers. Nicht versicherungsfähig sind Geisteskranke und Personen, die von schwerem Nervenleiden befallen sind. Weiterhin sind nicht versicherungsfähig Personen, die dauernd vollständig arbeitsunfähig sind. Vollständige Arbeitsunfähigkeit liegt vor (§ 5, Abs. 1 AUB), wenn der Versicherte infolge Krankheit oder Gebrechen außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Diese nicht versicherungsfähigen Personen sind trotz Beitragszahlung nicht versichert. Soweit Versicherte nach Vertragsschluß versicherungsunfähig werden, erlischt der Versicherungsschutz.

7.3 Versicherungsfall Versicherungsschutz wird gegen die Folgen der dem Versicherten während der Vertragsdauer zustoßenden Unfälle gewährt. Im Gegensatz zur gesetzlichen Unfallversicherung sind also auch Unfälle des täglichen Lebens einbegriffen; ein Zusammenhang

60

Private Unfallversicherung

mit einer bestimmten Tätigkeit oder Verrichtung ist nicht erforderlich. Der Begriff des Unfalls ist in § 2 der AUB definiert und lautet: „Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet."

Außerdem ist bestimmt, daß unter den Versicherungsschutz fallen a) durch plötzliche Kraftanstrengungen des Versicherten hervorgerufene Verrenkungen, Zerrungen und Zerreißungen, b) Wundinfektionen, bei denen der Ansteckungsstoff durch eine Unfallverletzung im Sinne der Definition des Begriffs „Unfall" in den Körper gelangt ist. Unter den Versicherungsschutz fallen nicht: a) Berufs- und Gewerbekrankheiten b) Erkrankungen infolge psychischer Einwirkung c) Vergiftungen infolge Einführung fester oder flüssiger Stoffe durch den Schlund, M a laria, Flecktyphus und sonstige Infektionskrankheiten, Gesundheitsschädigungen durch energiereiche Strahlen mit einer Härte von mindestens 1 0 0 Elektronenvolt, durch Neutronen jeder Energie und durch künstlich erzeugte ultraviolette Strahlen und durch Laser- oder Maserstrahlen, Gesundheitsschädigungen durch Licht, Temperatur und Witterungseinflüsse. In solchen Fällen besteht Versicherungsschutz dann, wenn es sich um Folgen eines unter die Versicherung fallenden Unfallereignisses handelt. Dabei gilt die Entstehungsursache der Infektionskrankheit selbst nicht als Unfallereignis. Eine Reihe von Tatbeständen werden von der Versicherung ausgeschlossen, wie Unfälle durch Kriegsereignisse o.ä., Unfälle bei der vorsätzlichen Ausführung von Verbrechen und Vergehen, Operationen, soweit nicht durch ein Unfallereignis veranlaßt, Unfälle infolge von Schlaganfällen und Krampfanfällen, die den ganzen Körper ergreifen, von Geistes- oder Bewußtseinsstörungen einschließlich solcher, die durch Trunkenheit verursacht sind, soweit diese Anfälle oder Störungen nicht durch ein unter die Versicherung fallendes Unfallereignis hervorgerufen worden sind. Der Versicherte muß den Unfall unfreiwillig erleiden. Vorsätzlich zugefügte Verletzungen, wie Selbstbeschädigung, Selbstmord usw. sind daher keine Unfallereignisse im Sinne der Unfallversicherungsbedingungen. Hierzu ist aber das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Versicherungsvertrag vom 3 0 . 6 . 1 9 6 7 von Bedeutung, durch das in das Versicherungsvertragsgesetz § 1 8 0 a eingefügt worden ist. Dieser lautet: „Hängt die Leistungspflicht des Versicherers davon ab, daß der Betroffene unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erlitten hat, so wird die Unfreiwilligkeit bis zum Beweise des Gegenteils vermutet. Auf eine Vereinbarung, durch die von den Vorschriften des Absatzes 1 zum Nachteil des Betroffenen abgewichen wird, kann sich der Versicherer nicht berufen."

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Leistungen

Der Versicherer muß demnach beweisen, daß die erlittene Gesundheitsbeschädigung nicht unfreiwillig war. Auch im Bereich der privaten Unfallversicherung wird der Gutachter sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob bei den Unfallfolgen andere mitwirkende Faktoren von Bedeutung sind. Wenn bei den Unfallfolgen Krankheiten oder Gebrechen mitgewirkt haben, so ist nach den AUB die Leistung aus der Unfallversicherung entsprechend dem Anteil dieser Krankheiten oder Gebrechen zu kürzen. Der Anteil muß aber mindestens 25 v.H. betragen. Handelt es sich um Blutungen aus inneren Organen oder um Gehirnblutungen, so leistet der Versicherer nur dann, wenn für diese Schäden die überwiegende Ursache ein Versicherungsfall, nicht aber eine innere Erkrankung oder ein Gebrechen gewesen ist. Bauch- oder Unterleibsbrüche werden nur dann entschädigt, wenn sie durch eine gewaltsame, von außen kommende Einwirkung entstanden sind. Die Entschädigung von Unfallneurosen, d.h. von psychischen oder nervösen Störungen, die im Anschluß an einen Unfall eintreten, werden anders als in der gesetzlichen Unfallversicherung behandelt. Solche Störungen werden nur dann entschädigt, wenn sie auf eine durch den Unfall verursachte organische Erkrankung des Nervensystems oder auf eine durch den Unfall neu entstandene Epilepsie zurückzuführen sind.

7.4 Leistungen Die private Unfallversicherung kennt nur Geldleistungen. Ihre Höhe hängt von der bei Abschluß der Versicherung vereinbarten Entschädigungssumme und von dem Umfang der Unfallfolgen ab. Die Todesfallentschädigung wird durch die versicherte Todesfallsumme bestimmt. Bei der sogenannten Invaliditätsentschädigung, d.h. also bei Leistungen wegen einer Beeinträchtigung infolge eine Unfalls, wird die Ganzinvalidität und die Teilinvalidität unterschieden. Dabei werden die folgenden durch die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen bestimmten Invaliditätsgrade angenommen. Diese lauten: a) bei Verlust eines Armes im Schultergelenk eines Armes bis oberhalb des Ellenbogengelenkes eines Armes unterhalb des Ellenbogengelenkes einer Hand im Handgelenk eines Daumens eines Zeigefingers eines anderen Fingers b) bei Verlust eines Beines über Mitte des Oberschenkels eines Beines bis zur Mitte des Oberschenkels eines Beines bis unterhalb des Knies

v.H. 70 65 60 55 20 10 5 70 60 50

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Private Unfallversicherung

v.H. eines Beines bis zur Mitte des Unterschenkels eines Fußes im Fußgelenk

45 40

eines Fußes mit Erhaltung der Ferse (nach Pirogoff) einer großen Zehe einer anderen Zehe c) bei glänzlichem Verlust der Sehkraft beider Augen

30 5 2 100

eines Auges 30 sofern jedoch die Sehkraft des anderen Auges vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits verloren war 70 bei gänzlichem Verlust des Gehörs auf beiden Ohren 60 auf einem Ohr 15 sofern jedoch das Gehör auf dem anderen Ohr vor Eintritt des Versicherungsfalles bereits verloren war 45 bei gänzlichem Verlust des Geruchs 10 bei gänzlichem Verlust des Geschmacks 5 Die vollständige Gebrauchsunfähigkeit eines Körperteils oder Sinnesorgans hat den gleichen Invaliditätsgrad wie der Verlust. Handelt es sich um einen teilweisen Verlust oder eine teilweise Gebrauchsunfähigkeit, so wird der entsprechende Teil des Satzes angenommen. Soweit sich der Invaliditätsgrad nicht nach den festen Sätzen bestimmten läßt, ist bei der Bemessung des Invaliditätsgrades in Betracht zu ziehen, inwieweit der Versicherte imstande ist eine Tätigkeit auszuüben, die seinen Kräften und Fähigkeiten entspricht und die ihm unter billiger Berücksichtigung seiner Ausbildung und seines bisherigen Berufes zugemutet werden kann. Insoweit kann also der individuelle Zustand des Versicherten bei der an sich abstrakten Schadensbemessung eine Rolle spielen. Grundsätzlich aber kommt es nicht auf die konkreten Berufs- und Erwerbsverhältnisse des Versicherten an, sondern es ist die durch die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen gesetzte abstrakte Bemessung vorzunehmen. Bei der Ganzinvalidität erhält der Versicherte die volle, bei Teilinvalidität den dem Grade der Invalidität entsprechenden Teil der Versicherungssumme für den Invaliditätsfall. Wenn aber ein Unfall innerhalb eines Jahres vom Unfalltag an gerechnet zum Tode führt, so wird als Entschädigung nur die versicherte Todesfallsumme geleistet. Die als dauernde Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit bezeichnete Invalidität als Unfallfolge muß innerhalb eines Jahres vom Unfalltage an gerechnet eingetreten sein. Bei der Bemessung der Invalidität sind Krankheiten oder Gebrechen, die den Versicherten in seiner Arbeitsfähigkeit dauernd behindert haben, einzubeziehen. In diesem Falle wird von der nach dem Unfall vorhandenen Gesamtinvalidität ein Abzug gemacht, der der schon vorher vorhanden gewesenen Invalidität entspricht. Auch diese wird nach den Grundsätzen, die oben dargelegt wurden, bemessen. Neben der Entschädigung für Todesfall und Invalidität können auch Tagegelder- und Heilkostenversicherungen abgeschlossen werden.

Verfahren

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7.5 Verfahren Der Versicherte hat gegenüber dem Versicherer bei Eintritt eines Unfalls verschiedene Verpflichtungen. Er muß einen Unfall, der voraussichtlich eine Entschädigungspflicht herbeiführt, unverzüglich anzeigen. Falls der Tod Folge eines Unfalls ist, muß die Anzeige spätestens innerhalb von 48 Stunden telegraphisch erfolgen. Der Versicherte muß spätestens am 4. Tage nach dem Unfall einen Arzt zuziehen, ferner muß er sich der ärztlichen Behandlung bis zum Abschluß des Heilverfahrens regelmäßig unterziehen. Er muß für angemessene Krankenpflege und nach Möglichkeit für Abwendung und Minderung der Unfallfolgen sorgen. Er ist verpflichtet, entsprechende Vordrucke im Versicherungsfall auszufüllen (Schadenanzeigen) und alle verlangten sachdienlichen Auskünfte zu erteilen. Den behandelnden Arzt muß der Versicherte von der Schweigepflicht entbinden und alle mit dem Unfall beschäftigten Stellen ermächtigen, dem Versicherer auf Verlangen Auskunft zu erteilen. Außerdem ist der Versicherte verpflichtet, den vom Versicherer bezeichneten Arzt zur Untersuchung aufzusuchen. Der Versicherer seinerseits ist verpflichtet, sich spätestens innerhalb eines Monats darüber zu erklären, ob er den Anspruch auf die Todesfallsumme, Tagegeld oder Heilkosten und wieweit er ihn anerkennt. Bei der Invaliditätsentschädigung beträgt diese Frist 3 Monate. Bei Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber, ob und in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, sind zwei Verfahrensarten denkbar. Der Versicherte kann Klage vor den ordentlichen Gerichten erheben oder eine Entscheidung des Ärzteausschusses beantragen. Der Ärzteausschluß setzt sich aus zwei Ärzten zusammen, von denen jede Partei einen benennt, außerdem einem Obmann, der von den beiden, von den Parteien benannten Ärzten gewählt wird und ein auf dem Gebiet der Unfallbegutachtung erfahrener Arzt sein soll. Wenn die von den Parteien in den Ärzteausschuß gewählten Ärzte nicht binnen einem M o n a t zu einer Einigung über den Obmann gelangen, wird dieser auf entsprechenden Antrag einer Partei von dem Vorsitzenden der örtlich zuständigen Ärztekammer benannt. Die Entscheidung des Ärzteausschusses ist für die Vertragsteile bindend. In Fällen, die nicht Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallfolgen oder darüber betreffen, ob und in welchem Umfang der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ist für eine Entscheidung das ordentliche Gericht anzurufen.

Teil 2

Unfallbegutachtung von

Dr. Dr. Eckhard Günther, Köln neu bearbeitet von: Dr. Willy Izbicki, Mülheim/Ruhr

1.

Allgemeines

1.1 Gutachtertätigkeit des Arztes Die Unfallbegutachtung steht mit der Fürsorge um unsere Unfallversicherten in einem engen Zusammenhang. Sie hat die wichtige Aufgabe, die Beweisgrundlagen für rechtliche Entscheidungen zu schaffen. Die Entschädigungsansprüche der Verletzten wegen Unfallfolgen an die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung oder sonstige Stellen müssen objektiviert, als faßbare Funktionseinbußen herausgearbeitet und nach übergeordneten Prinzipien adäquat bemessen werden. Die gutachterliche Tätigkeit wird von vielen Ärzten oft als wesensverschieden von ihren beruflichen, kurativ ausgerichteten Beziehungen zu einem Verletzten empfunden. Es gibt jedoch bei der Ausdehnung der Sozial- und Privatversicherung heute wohl kaum noch einen Arzt, der nicht auch gutachterlich für seine eigenen Patienten eintreten müßte. Der Arzt muß nicht nur eine zutreffende Krankheitsbezeichnung ermitteln, er muß aus den medizinischen Sachverhalten zudem schlüssige Beurteilungen ableiten. Das Unbehagen, Unfallfolgen auf meßbare und damit vergleichbare Größen zu reduzieren beruht auf mißverstandener ärztlicher Ethik und mangelndem Rechtsverständnis für versicherungsrechtliche Zusammenhänge. Wenn ärztlicherseits bedacht wird, daß die eingeforderten gutachterlichen Äußerungen zur Prüfung von Schadenersatzansprüchen der Patienten für die Folgen von Unfällen erforderlich sind, dann wird den Ärzten auch diese Seite ihrer Tätigkeit nicht als wesensverschieden von ihren sonstigen gesellschaftspolitischen Aufgaben im Dienst ihrer Mitmenschen erscheinen können.

1.2 Rechtliche Stellung des Gutachters und seine Aufgaben Der Gutachter hat nach dem Gesetz die Stellung eines „Gehilfen", allerdings eines unentbehrlichen. Er entscheidet also niemals selbst und er ist auch in keiner Weise persönlich an der Entscheidung der Verwaltungen oder Gerichte beteiligt. Er hat nur die Aufgabe, der in der Sache entscheidenden Stelle (Rentenausschuß, Gericht) durch seine sachverständigen Darlegungen die für die Rechtsfindung erforderlichen Grundlagen zu liefern. Nur diese Stellen allein - nicht etwa der Gutachter - tragen auch die Verantwortung für die jeweilige Entscheidung. Die oft tiefgreifenden Auswirkungen, die diese Entscheidungen in menschlicher, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht für den Betroffenen haben können, sollten es jedem Gutachter - schon im wohlverstandenen eigenen Interesse - verbieten, irgend-

Formulierung der Gutachten

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wie durch gefühlsbetonte Äußerungen Einfluß auf die Entscheidung zu nehmen, ganz abgesehen davon, daß er durch einen solchen Versuch gegen das oberste Gesetz strengster Unparteilichkeit verstoßen würde. Als ein solcher Verstoß gilt auch die Erteilung von Ratschlägen in Rechtsfragen an seine Gutachterpatienten, die sich auf den vorliegenden Begutachtungsfall beziehen. Nach den schon mehrfach zitierten „Hinweisen für die Erstattung von Berichten und Gutachten" darf der Gutachter dem untersuchten Verletzten die Minderung der Erwerbsfähigkeit, die er in seinem Gutachten vorschlägt, nicht mitteilen. Im Falle einer durchaus legitimen Abweichung der Entscheidungsgremien nämlich entstehen Unzufriedenheit, Verständnislosigkeit und Verbissenheit, mit der dann oft überflüssige und sinnlose Verfahren in Gang gesetzt und über Jahre durch die Instanzen meist erfolglos hindurchgezogen werden. Der Gutachter soll den Dingen völlig unpersönlich und unvoreingenommen gegenüber stehen und jede gefühlsmäßige Einstellung vermeiden. An seiner Unparteilichkeit darf auch nicht der leiseste Zweifel bestehen. Er soll sich ferner immer genau und in reiner Sachlichkeit an den ihm erteilten Auftrag halten und es unterlassen, sich in seinem Gutachten mit fachfremden Dingen zu befassen, wie zum Beispiel der Diskussion versicherungsrechtlicher Fragen. Damit dient er der Sache und sich selbst am besten.

1.3 Formulierung der Gutachten Genauigkeit in der Formulierung der Gutachten und präzise Schlüsse sind unabdingbar. Wenn gutachtliche Stellungnahmen in schwierigen Fällen nicht sicher zu treffen sind, weil eben sichere Forschungsergebnisse fehlen oder wenn es um streitige Annahmen oder Feststellungen geht, dann muß in solchen Fällen hilfsweise auf die Wahrscheinlichkeit zurückgegriffen werden. Beispielsweise wird die Feststellung eines ursächlichen Zusammenhangs nicht immer mit einer jeden Zweifel ausschließenden vollkommenen Sicherheit möglich sein. Deshalb fordert die Rechtssprechung für die Annahme eines ursächlichen Zusammenhanges keine absolute Sicherheit, sondern sowohl im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung als auch der Bundesversorgung das Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit. Das bedeutet: bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen überwiegen. Die dagegen sprechenden Überlegungen treten in ihrer Bedeutung für die Bildung und Rechtfertigung der Überzeugung weitgehend zurück, eine „überwiegende" oder „mit an Sicherheit grenzende" Wahrscheinlichkeit ist nicht erforderlich; solche Formulierungen müssen unterbleiben. Von der Wahrscheinlichkeit ist die bloße Möglichkeit zu unterscheiden, die zur Annahme des ursächlichen Zusammenhanges nicht ausreicht (s. dazu Teil 1, Abschnitt 2.4.2 u. 5.4.1). Letztlich braucht der Richter für seine Entscheidung eine feste Grundlage.

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Allgemeines

Das Gutachten soll dem neuesten Stand medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnisse und den Erfahrungen der Praxis entsprechen. Anstelle der medizinischen und der wissenschaftlichen Fachausdrücke verwende man soweit wie möglich die leichtverständlichen deutschen Bezeichnungen. Eine Vereidigung der Sachverständigen ist im Verwaltungsverfahren der Gesetzlichen Unfallversicherung nicht vorgesehen, wohl aber vor Gericht. Von diesem kann der Arzt als Zeuge, sachverständiger Zeuge oder Sachverständiger vernommen werden.

1.4 Befunderhebung Eine genaue und vollständige Befunderhebung ist für die Beurteilung von größter Wichtigkeit. Gutachten, die diesen Erfordernissen nicht entsprechen, sind deshalb allein schon aus diesem Grunde nicht verwertbar. Ergibt die Nachprüfung eines Gutachtenvorbefundes die Richtigkeit desselben, dann ist durch diese Bestätigung des Befundes dem Versicherten und der Sache mehr gedient, als durch gelegentlich unsachliche Äußerungen gegen Vorgutachter. Grundlage der gutachterlichen Schätzung ist allein der Befund und nicht der Fall an sich. Er muß daher plastisch, nachvollziehbar, aussagefähig und begründend sein. Oft steht die Dürftigkeit des Befundes in einem krassen Widerspruch zum angesetzten Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit. Es ist weder die befundmäßige Individualität des Einzelfalles gewahrt, noch eine befundrelevante Schätzung dokumentiert. Natürlich kann man einen Beinverlust im Oberschenkel ohne viele Worte richtwertweise schätzen. M a n kann aber auch durch Beschreibung der Stumpfbeschaffenheit, der Narben, des Weichteilmantels und der Protheseneignung des Stumpfes seine richtwertmäßige Schätzung belegen oder durch Herausstellen von flächenhaften eingezogenen Narben, Stumpfneuromen und Durchspießung des Knochenstumpfes durch den Muskelmantel eine höhere Schätzung als den Richtwert mühelos begründen. Ein nachvollziehbarer Befund ist allgemein und mit sich selbst vergleichbar. Diese Voraussetzung ist eminent wichtig für Befundüberprüfungen anläßlich gutachterlicher Nacherhebungen zum Zwecke eines Besserungs- oder Verschlimmerungsnachweises. Denn nur die festgestellte Befunddifferenz begründet eine Abweichung von der Vorschätzung, die im Regelfalle immer als Bezugsgröße bzw. geschützte Vorgabe versicherungsrechtlich gilt. Die Gesetzliche Unfallversicherung sieht nämlich eine vorgabefreie Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nur zweimal vor: 1. bei der Ersteinschätzung überhaupt anläßlich der Erstfestsetzung einer vorläufigen Rente 2. bei Bewertung anläßlich der Festsetzung der ersten Dauerrente, bei der auf einen Befundänderungsnachweis bewußt verzichtet wird, um eine befundgerechte Bemessungskorrektur zu ermöglichen.

Entgegengesetzte Meinungen der Sachverständigen

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Liegt bei den sonstigen Schätzungen nur ein dürftiger Bezugsbefund vor, so kann der erforderliche Änderungsnachweis nicht geführt werden und der Rentensatz muß verbleiben selbst dann, wenn er dem Unfallfolgezustand längst nicht mehr entspricht. Die Befunderhebung ist das Kernstück jeder Begutachtung. Sie weist den Meister aus nicht durch eine markig knappe Form der Aufzählung unfallbedingter Auffälligkeiten, sondern durch die Vollständigkeit der Erfassung aller überhaupt möglichen Veränderungen einschließlich Normvarianten. In diesem Zusammenhang kommt den sonst im klinischen Alltag nicht üblichen Negativfeststellungen eine hohe Ausschlußkraft zu (z.B. keine Krampfadern, keine Gefühlsstörungen, keine Fehlbeschwielung usw.). Sie dokumentieren den Gedankengang bei der Befunderhebung und damit den Weitblick des Gutachters.

1.5 Entgegengesetzte Meinungen der Sachverständigen Die schwierigen medizinischen Sachverhalte bringen es mit sich, daß Gutachter zu verschiedenen, oft stark voneinander abweichenden Meinungen zu denselben Fragen kommen. Dies hängt mit der beruflichen Erfahrung, dem Spezialgebiet, der fachlichen Belesenheit und dem Wissensstand des Gutachters zusammen. Häufig sind die Differenzen einfach in der Verletzung elementarer Gutachterpflichten begründet. Exaktheit der Befunderhebung, der Einsatz objektiver Untersuchungs- und Meßverfahren sowie sachkundige Befundwertung ermöglichen erst eine korrekte und unangreifbare Aussage. Schon allein durch die vollständige Erfassung aller wichtigen Befunde wird eine andere Einschätzung begründet und rechtfertigt. Wird aber unstreitig derselbe Befund anders bewertet, so bedarf die abweichende Wertung einer eingehenden Erläuterung und Begründung. Dabei gebührt absoluter Vorrang sachlicher und fachkundiger Argumentation bei der Auseinandersetzung mit der Meinung der Vorgutachter. Zwangsläufig muß dabei die Ebene persönlicher Meinungen und anderweitig unbelegter Eigenerfahrungen der Sachverständigen verlassen werden. Fachkundige Heranziehung einschlägiger Literatur als Beleg für das Für und Wider der eigenen Einschätzung entzieht jeglicher Spekulation den Boden und baut die Beurteilung auf integren Fakten auf. Es ist oft erstaunlich, wie vieles bereits in der Literatur bekannt ist und wie viele Probleme sich dadurch souverän lösen lassen. Natürlich ist eine in dieser Weise qualifizierte Auseinandersetzung arbeitsaufwendiger und damit unbequemer als eine bloße Meinungsäußerung. Sie dient aber dem Ansehen des Gutachters und vor allem der Sache selbst.

70

Allgemeines

1.6 Untersuchung des Verletzten für die Begutachtung Der beauftragte Gutachter muß die Kernverrichtungen jeder Begutachtung selbst durchführen. Dazu gehört vor allem die persönliche Untersuchung des Verletzten. Diese Grundforderung ist unerläßlich. Sie sollte für jeden Gutachter etwas Selbstverständliches sein. Auch die Konzeption des Gutachtens, die Wertung der Befunde und die gutachterliche Gesamtbeurteilung müssen von ihm selbst stammen. Die für die Erstellung seines Gutachtens erforderlichen Spezialuntersuchungen und -arbeiten darf er auf entsprechend befähigte Mitarbeiter übertragen, die Verantwortung hierfür verbleibt dennoch bei ihm selbst. Soweit sich die delegierten Untersuchungen auf Speziallabors oder untersuchungsspezifisches Fachpersonal beschränken, wird niemand dagegen etwas einwenden. Es ist aber unerwünscht und unzweckmäßig, die für den Laien sichtbaren wichtigen Untersuchungsgänge nicht selbst auszuführen, weil dies häufig Anlaß zu gerichtlichen Auseinandersetzungen gibt. Denn die Verletzten begründen ihre Einsprüche gegen Rentenbescheide oft damit, daß sie einige von dem im Gutachten genannten Ärzten überhaupt nie gesehen hätten. Beim Auftraggeber stößt es zudam auf Unverständnis, wenn ein Gutachter, dessen eigene Ansicht man ja gerade hören wollte, nun bei der Begutachtung nur als Nebenperson erscheint. Das Gutachten muß immer erkennen lassen, daß der beauftragte Gutachter den Verletzten persönlich untersucht und sich dadurch ein Urteil gebildet hat etwa durch die Formulierung: „Einverstanden aufgrund persönlicher Untersuchung und eigener Urteilsbildung".

Die Unterschrift des beauftragten Gutachters allein oder mit dem Zusatz „Einverstanden" genügt nicht.

1.7 Personenverwechslungen bei der Untersuchung Es kann vorkommen, wenn auch nur ganz vereinzelt, daß die zur Begutachtung erscheinende Person mit der versicherten Person nicht identisch ist. Es kann jedoch nicht die Aufgabe eines Gutachters sein, sich jedesmal durch Prüfung der Ausweispapiere Sicherheit über die Personenidentität zu verschaffen. Bei einem Verdacht auf Verwechslung oder Täuschung sollte dies im Gutachten vermerkt werden.

1.8 Fehler und Irrtümer im Gutachten Für die Auswirkungen eines durch Fahrlässigkeit fehlerhaft oder unrichtig erstatteten Gutachtens haftet der Gutachter in der Regel nicht. So hat der Bundesgerichtshof in einem - in der Literatur allerdings kritisierten - Urteil vom 18.12.1973 festgestellt, daß der gerichtliche Sachverständige „in der Regel nicht von dem Verfahrensbeteiligten, zu dessen Nachteil sich das Gutachten ausgewirkt hat, mit der Behauptung, er

Allgemeine Form des Gutachtens

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habe sein Gutachten fahrlässig unrichtig erstattet, auf Ersatz in Anspruch genommen werden" kann. Eine Haftung des Sachverständigen könne bei Unrichtigkeit seines Gutachtens, die auf grober Fahrlässigkeit beruht, dann in Betracht kommen, wenn er mit einer Rechts- oder Rechtsgutverletzung oder einer sonstigen Schädigung gerechnet und diese billigend in Kauf genommen hat (Neue Juristische Wochenschrift 1974 Seite 312 ff und 556 f). Hierzu sei auch noch auf §278 des Strafgesetzbuches hingewiesen. Er lautet: „Ärzte und andere approbierte Medizinalpersonen, welche ein unrichtiges Zeugnis über den Gesundheitszustand eines Menschen zum Gebrauch bei einer Behörde oder Versicherungsgesellschaft wider besseres Wissen ausstellen, werden mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft."

1.9 Die Würdigung der Beweiskraft Die Würdigung der Beweiskraft eines Gutachtens ist Sache der zuständigen Verwaltung und letzten Endes des Richters. Es ist dem freien Ermessen dieser Stellen überlassen, inwieweit sie den Ausführungen des Gutachters folgen wollen. Im Streitverfahren kann der Versicherte die Anhörung eines bestimmten ärztlichen Gutachters verlangen, muß aber unter Umständen die dadurch entstandenen Kosten vorschießen und selber tragen (§109 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz). Wie bereits erwähnt, dienen hinsichtlich der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit die ärztlichen Beurteilungen nur als Anhalt für die gerichtseigene Schätzung.

1.10 Allgemeine Form des Gutachtens Schriftliche Gutachten sowie Berichte und Stellungnahmen sind nur in Maschinenschrift zu erstatten. Dies ist aus Gründen der Klarheit und Übersicht erforderlich, weil Handgeschriebenes oft nur schwer lesbar ist und dadurch leicht Schwierigkeiten bzw. Mißverständnisse entstehen können. Es empfiehlt sich, von allen Schriftstücken einen Durchschlag in den eigenen Akten des Gutachters zu behalten. Bei der Formulierung aller schriftlichen Gutachten und Äußerungen (auch im Krankenblatt) ist stets zu beachten, daß diese Schriftstücke in einem Streitverfahren dem Verletzten oder seinem Rechtsvertreter unmittelbar durch das Recht der Akteneinsicht bekannt werden, oder aber mittelbar durch Anforderung einer Abschrift oder Ablichtung, die er von dem Versicherungsträger verlangen kann. Diejenigen Stellen in den Akten, die sich nicht zur Bekanntgabe an den Versicherten eignen, wie z.B. über einen ungünstigen Heilverlauf oder eine ungünstige Prognose, sind in geeigneter Weise durch einen Sperrvermerk des Gutachters zu kennzeichnen

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Allgemeines

(z.B. durch Einklammerung mit Farbstift oder durch darüber geklebte schmale Papierklappen). Die Sperrung muß begründet werden. Das Gutachten ist allein für den Auftraggeber bestimmt. Der Gutachter darf dem Untersuchten von sich aus dieses Gutachten nicht zugänglich machen oder sich ihm gegenüber zu der eigenen Auffassung zu äußern. Das überlasse man den zuständigen Stellen, die letztlich die Entscheidung fällen (vergl. dazu auch Teil 2, 1.2).

1.11 Ausstellung von Bescheinigungen und Zeugnissen Bescheinigungen und Zeugnisse, die ein Arzt den Patienten ausstellt, müssen besonders dann zurückhaltend und vorsichtig abgefaßt sein, wenn dem Arzt die Leidensvorgeschichte und der Inhalt etwa vorhandener Akten nicht genau bekannt sind. Der Arzt sollte sich in derartigen Attestfällen streng darauf beschränken, seinen eigenen Befund kurz mitzuteilen. Der vom Patienten angegebene Verwendungszweck ist in dem Attest immer zu vermerken. Das ist erforderlich, weil die oft sehr verschiedenartigen Verwendungsmöglichkeiten solcher Atteste einen Mißbrauch nicht ausschließen und sich im voraus meist nicht übersehen lassen. Zu den Fragen einer etwaigen Minderung der Erwerbsfähigkeit oder gar eines ursächlichen Zusammenhanges sollte sich der Arzt, wenn überhaupt, nur äußerst vorsichtig und zurückhaltend äußern.

1.12 Auskunftspflicht des Arztes Die gegenüber den zuständigen Unfallversicherungsträgern nach 5 1543 d RVO bestehende Auskunftspflicht des Arztes über einen von ihm behandelten Unfallverletzten wurde eingangs bereits erörtert, ebenso wie die auf dieser Vorschrift beruhende vertragliche Auskunftspflicht nach Leit-Nr. 63 des Abkommens Ärzte/Unfallversicherungsträger (s. Teil 1.1 Allgemeines). Gleiche Auskunfts- und Mitteilungspflichten bestehen auch im Verhältnis der Ärzte zur Krankenversicherung (§368 bis 373 RVO), z.B. die Mitteilung über Behinderte zur Sicherstellung von Maßnahmen der Rehabilitation (§368 s RVO), weiterhin z.B. Meldungen nach dem Bundesseuchengesetz. Erteilt der Arzt die Auskunft schuldhaft nicht, nicht rechtzeitig, nicht richtig oder nicht vollständig, so handelt er ordnungswidrig und kann mit einer Geldbuße belegt werden (§1543d RVO). Die Auskunftspflicht bezieht sich nicht nur auf eine etwa zur Zeit laufende Behandlung, sondern sie erstreckt sich auch auf die Behandlung in zurückliegenden Jahren. Das gilt auch für die Übersendung von Röntgenaufnahmen und Krankenblattunterla-

Schweigepflicht des Arztes

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gen. Statt der Urschriften können Kontaktabzüge oder beglaubigte Ablichtungen eingereicht werden. Die dadurch entstehenden Kosten werden immer voll erstattet. Wenn die gesetzten Fristen aus triftigen Gründen nicht eingehalten werden können, muß unter Angabe der Hinderungsgründe rechtzeitig, d. h. so früh wie es nach den besonderen Umständen des Falles möglich ist, Fristverlängerung beantragt werden. Es dient der Achtung vor dem gesamten Ärztestand und dem Ansehen des einzelnen Arztes, wenn solche Anfragen, die auch im Interesse des Versicherten ergehen, immer umgehend und erschöpfend beantwortet werden. Die in § 1 5 4 3 d R V O vorgeschriebene Auskunftspflicht wird durch die allgemeine Regelung der Auskunftspflicht im Bereich der sozialen Sicherheit in § 100 Sozialgesetzbuch X - Verwaltungsverfahren — nach allgemeiner Auffassung nicht berührt. Sie ist aber für andere im § 1543 d R V O nicht erfaßte Tatbestände ärztlicher Auskunftserteilung von Bedeutung. In der genannten Vorschrift ist nicht nur für Ärzte, sondern auch für Angehörige anderer Heilberufe bestimmt, daß dem Sozialleistungsträger im Einzelfall auf Verlangen Auskünfte zu erteilen sind, soweit sie für die Durchführung von dessen Aufgaben erforderlich sind und 1. die Auskunftserteilung gesetzlich zulässig ist oder 2. der Betroffene im Einzelfall schriftlich - unter besonderen Umständen auch in anderer Form - eingewilligt hat. Es können Auskünfte verweigert werden, deren Beantwortung dem Arzt die Gefahr zuziehen würde, wegen einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden. Sowohl der Gutachter als auch der um Auskunft ersuchte Arzt sollten, sofern nicht schwerwiegende Sachverhalte dagegen sprechen, davon ausgehen können, daß das Auskunftsverlangen eines Unfallversicherungsträgers rechtmäßig ist und der Schutz der Sozialdaten den gesetzlichen Vorschriften entsprechend gewahrt ist.

1.13 Schweigepflicht des Arztes Die ärztliche Schweigepflicht, d. h. der Schutz des persönlichen Lebens — und Geheimbereichs vor unbefugter Offenbarung, ist in den ärztlichen Berufsordnungen festgelegt. Dieser persönliche Bereich ist auch strafrechtlich geschützt. § 2 0 3 Strafgesetzbuch (StgB) bestimmt: „Wer unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis offenbart, das ihm als 1. Arzt, 2.

Zahnarzt,

3.

Tierarzt,

4. Apotheker oder Angehöriger eines anderen Heilberufes, der für die Berufsausübung Führung der Berufsbezeichnung eine staatlich geregelte Ausbildung erfordert,

oder die

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Allgemeines

2.-6.... anvertraut ist oder sonst bekannt geworden ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft".

Ist der Arzt verstorben, so steht ihm in der Verpflichtung zur Geheimhaltung derjenige gleich, der das Geheimnis von dem Verstorbenen oder aus dessen Nachlaß erlangt hat. Die gesetzlichen Verpflichtungen zur Auskunftserteilung machen jedoch die Offenbarung befugt. Der Auskunft erteilende Arzt kann also weder standesrechtlich noch strafrechtlich belangt werden, weil diese Folgen nur den unbefugt Auskunft erteilenden Arzt treffen. Bei Begutachtung von Fällen, die nicht im Zuständigkeitsbereich von Sozialleistungsträgern liegen, ist dem Arzt allerdings zu empfehlen, sich von dem Betroffenen vor der Auskunftserteilung schriftlich von der Schweigepflicht entbinden zu lassen.

1.14 Anhörung der behandelnden Ärzte vor der ersten Rentenfestsetzung Bei Unfallverletzten soll der behandelnde Arzt vor der ersten Rentenfestsetzung gehört werden (§ 1582 RVO), wenn aufgrund eines Gutachtens eines anderen Arztes die Entschädigung abgelehnt oder nur eine Teilrente gewährt werden soll. Auf Verlangen des Verletzten muß der behandelnde Arzt gehört werden. Die genannte Auskunftspflicht einerseits und das wissenschaftliche Interesse andererseits werden jeden Arzt von sich aus veranlassen, Angaben über Vorgeschichte, Befund und Behandlungsverlauf in ausreichendem Maße schriftlich festzuhalten und diese Aufzeichnungen (auch alle Röntgenbilder) mindestens 10 Jahre sorgfältig und sicher aufzubewahren und sie gegen Verlust und Mißbrauch zu schützen, soweit nicht längere Aufbewahrungsfristen vorgeschrieben oder vereinbart sind (z.B. gesetzlich nach der Röntgenverordnung 10 bis 30 Jahre nach der letzten Untersuchung bzw. Behandlung, z.B. vertraglich im Durchgangsarztverfahren 15, im Verletzungsartenverfahren 20 Jahre).

1.15 Sachkunde und Gutachternachwuchs Der Gutachternachwuchs sei auf folgendes hingewiesen: Wer als Gutachter tätig werden will, sollte ein gediegenes medizinisch-ärztliches Wissen und ein gutes fachliches Beurteilungsvermögen medizinischer Sachverhalte besitzen. Außerdem sollte er mit den wichtigsten versicherungsrechtlichen Bestimmungen hinreichend vertraut sein, weil er sonst nicht in der Lage ist, seinem Gutachten die erforderliche Beweiskraft zu verleihen.

Vordruckgutachten

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1.16 Schwierige Krankheitsfälle In bestimmten Fällen kommt es vor, daß eine einmalige ambulante Untersuchung nicht ausreicht, um eine klare Einschätzung und Zuordnung sicher vorzunehmen. Dies gilt für einige seltene Krankheitsbilder oder aber bei Verdacht auf Selbstschädigungsmaßnahmen zum Zwecke der Vortäuschung gravierender Unfallfolgen (z.B. Aufkratzen von Narben oder Abschnürung eines Armes oder Beines zum Aufstau). In solchen Fällen ist eine längere stationäre Beobachtung erforderlich, deren Dauer nach dem jeweiligen Befund und der Fragestellung zu bemessen ist. Die während dieser Beobachtungszeit vom Patienten erhaltenen Angaben müssen ausführlich schriftlich festgehalten und dann anhand der Aktenunterlagen überprüfend gewürdigt werden. Besonders die Erhebung zur Vorgeschichte — auch über den Gesundheitszustand der Familie des Patienten — kann in solchen schwierigen Begutachtungsfällen wertvolle Aufschlüsse liefern.

1.17

Gebühren

Die Fragen der Entschädigung des Gutachters sind für die Gesetzliche Unfallversicherung in verschiedenen „ A b k o m m e n " , „Vereinbarungen" und „Hinweisen" geregelt. Diese sind in den einschlägigen Handbüchern über das ärztliche Gebühren- und Vertragsrecht nachzulesen. Es sind insbesondere die unter den Leit-Nr. 82—92 erfaßten Sachverhalte im Abkommen „Ärzte/Unfallversicherungsträger" die hier heranzuziehen sind. Bei Streitigkeiten über Gebührenfragen entscheidet die zuständige „Landesarbeitsgemeinschaft" (Leit-Nr. 105 ff. und der Schiedsvertrag zwischen den Partnern des Abkommens). Die Gebühren für Gutachten im Rahmen der Sozialgerichtsbarkeit richten sich nach dem „Gesetz über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen" (aktueller Stand und Rechtsprechung bei Meyer/Höver). Gutachten für private Kostenträger, auch private Unfallversicherungen werden nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bzw. nach besonderen Honorarverträgen berechnet.

1.18

Vordruckgutachten

Es handelt sich um Gutachten, die in ihrer Form durch Standardvordrucke der Unfallversicherungsträger schematisch festgelegt sind. Sie erleichtern die Erstellung und Bearbeitung der Gutachten bei einfacher Sachlage des Regelfalles. Die einzelnen

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Allgemeines

Punkte bzw. Fragen sollen klar dargestellt bzw. erschöpfend beantwortet werden. Die Formulare dürfen nicht zu unrichtigen oder unvollständigen Angaben verleiten. Es handelt sich um vollwertige Gutachten mit uneingeschränkter Wertigkeit. Fremdwörter und wissenschaftliche Fachausdrücke sollte man grundsätzlich meiden, damit der Text für jeden Beteiligten sprachlich nachvollziehbar wird. Das für den Fachsprachen gewohnten Kliniker anfänglich etwas befremdende Bemühen um eine stets klare und leicht verständliche deutsche Sprache erleichtert auf Dauer den Umgang mit den häufig fremden versicherungsrechtlichen Begriffen und verleiht ihm Sicherheit auf diesem Aufgabengebiet. Auf die Einhaltung der am Kopf des Vordruckes angegebenen Erledigungsfrist muß der Arzt im eigenen Interesse achten. Es können sehr schwerwiegende Haftpflichtansprüche bei Außerachtlassung dieser vertraglich (Ärzteabkommen) und gesetzlich festgelegten Bearbeitungsfristen entstehen. Man beachte auch hier die „Hinweise für die Erstattung von Berichten und Gutachten". Die Honorierung der Vordruckgutachten erfolgt nach festgelegten Gebührensätzen.

1.19 Form des freien Gutachtens Freie Gutachten sind in ihrer Form nicht durch Vordrucke festgelegt und damit in der Gestaltung frei. Je nach Schwierigkeitsgrad des Auftrages bzw. der Fragestellung und des Falles reicht ihr Inhalt von der Beurteilung einfacher Krankheiten und Zusammenhangs bis zu umfassenden Erörterungen wissenschaftlicher Standpunkte und Herausarbeitung vielseitiger, vielschichtiger und verwickelter Zusammenhänge oder gutachtenbezogene Aufarbeitung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Ihre Honorierung erfolgt innerhalb eines schwierigkeitsorientierten, vom jeweiligen Auftraggeber festgelegten Gebührenrahmens, bzw. nach Leit-Nr. 8 4 - 8 7 des Ärzteabkommens. Freie Gutachten, die sich zur Frage der Minderung der Erwerbsfähigkeit ohne weitere Erörterungen äußern sollen, werden zweckmäßig in allen medizinischen Fachgebieten nach folgendem Schema erstellt: 1. Kurze Vorgeschichte 2. Derzeitige Beschwerden des Verletzten 3. Befund 3.1 Klinischer Befund 3.2 Klinische Spezialtests 3.3 Röntgenbefunde 3.4 Etwaige labortechnische Befunde (Blutbild, Harnstatus usw.) 4. Zusammenfassung und Beurteilung

Form des freien Gutachtens

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5. Angabe der unfallunabhängigen Erkrankungen 6. Berufshilfe Bei einer Begutachtung zur Rentenfestsetzung nach Aktenlage entfallen die Punkte 2, 3 und 6.

Die formalen Voraussetzungen für ein freies Gutachten zur Frage des ursächlichen Zusammenhanges werden später besprochen. Die Vorgeschichte soll, falls es sich um das erste Gutachten nach Abschluß eines Heilverfahrens überhaupt handelt, kurzgefaßt sein. Sie muß aber die wesentlichsten und wichtigsten Daten enthalten wie: Hergang des Unfallereignisses und Entstehung der Verletzung, den ärztlichen Erstbefund und die komplette, ggf. im Verlauf des Heilverfahrens ergänzte Unfalldiagnose, den Verlauf des Heilverfahrens selbst, dessen Abschluß und den Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit. Unbedingt muß erwähnt werden, ob der Patient wegen früherer Unfälle oder wegen sonstiger Leiden eine Rente, auch im Ausland, erhalten hat oder noch bezieht. Ist die Vorgeschichte schon durch ein früheres Gutachten aktenkundig, dann kann dieser Punkt des Bearbeitungsschemas sich auf die Angaben zur Zwischenzeit beschränken. Die Eigenangaben des Verletzten über Art und Ausmaß seiner Beschwerden sind nicht selten unbeholfen und erfordern meist Zusatzfragen durch den Gutachter, um Wesentliches herauszustellen. Gelegentlich werden durch den Versicherten umfangreiche Beschwerdekomplexe vorgetragen, manchmal anhand von vorgefertigten Listen. Bei der endgültigen Niederlegung der Klageangaben kommt es auf die mit der Verletzung in weitgezogenem Rahmen zusammenhängenden Beschwerden an. Dabei obliegt es dem Gutachter, eine Ordnung in den Klagevortrag einzubringen, ohne den Inhalt und Aussagewert zu verfälschen. Aus den Klagen soll sich die funktionelle Behinderung ergeben. Eine in Gegenwart des Untersuchten formulierte Wiedergabe seines Vorbringens in der Ich-Form ist am unverfänglichsten. Sie kann wertfrei und wenn brauchbar wortgetreu den Klagevortrag bringen. Durch entsprechende Fragen gelenkt, soll der Untersuchte dabei ein aussagefähiges Bild über seine etwaigen Behinderungen erstellen. Er soll sagen, ob z.B. sein Hinken nach einer Beinverletzung durch Schmerzen, durch Beinschwäche oder durch eine Beinverkürzung oder aber Gelenksteife bedingt ist. Die Festlegung auf eingeschränkte funktionelle Abläufe ist wichtiger und sachdienlicher als die Beschreibung diffuser Schmerzen. In seltenen Fällen mag es geboten erscheinen, sich die Vollständigkeit der vorgebrachten Klagen in der Niederschrift durch Gegenzeichnung bestätigen zu lassen. Damit wird ein späterer Vorwurf vermieden, man habe als Gutachter nicht alles Vorgebrachte aufgeführt und berücksichtigt. Der Befund muß erschöpfend sein und alles Wesentliche enthalten. Er soll mit einer kurzen Wiedergabe des Allgemeinzustandes beginnen. Die eingehende Untersuchung unfallunbetroffener Organe und Körpergegenden und die langatmige Feststellung des dort erhobenen Befundes sind entbehrlich. Nur auftrags- bzw. sachrelevante Merkmale bedürfen der ausführlichen Darstellung. Neben den Folgen der Verletzungen sind auch die unabhängig vom Unfall bestehenden krankhaften Veränderungen auf-

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Allgemeines

zuzeigen. Diese Angaben müssen bei jeder Begutachtung neu erfaßt werden, weil zwischenzeitlich hinzugetretene Verletzungen oder Erkrankungen vom Unfallfolgezustand abgegrenzt sein müssen. Wie bereits unter Befunderhebung (1.4) ausgeführt, belegen sogenannte Negativfeststellungen die Vollständigkeit der gutachterlichen Untersuchung. Die Nichterwähnung unfallunabhängiger Veränderungen und bestimmter Normbefundmerkmale bedeutet im Gutachtenwesen nicht etwa „Normalzustand" sondern Unvollständigkeit der Befunderhebung oder inkompletter Untersuchung. In Streitfällen ist solch ein Gutachtenbefund angreifbar, weil später behauptete, zum Zeitpunkt der Untersuchung durchaus mögliche Veränderungen durch den Befund nicht widerlegt werden können. Bei Zusammenhangsbegutachtungen spielt dies eine große Rolle, weil eben hier oft geltend gemacht wird, daß bestimmte krankhafte Veränderungen, z.B. Krampfadern, nicht vorgelegen haben oder aber umgekehrt, daß später eingetretene Schäden bereits bei der ersten Untersuchung vorlagen, zum Beispiel Gefühlsstörungen infolge Bandscheibenschadens im Bein bei einem Brustwirbelkörperbruch. Die Befundschilderung selbst kann in schwierigen Fällen durch Beifügung von Skizzen oder Lichtbildern wirkungsvoll unterstützt werden. Aus der Art der Beschreibung soll auf mögliche Ursache geschlossen werden können. Die Behinderung in einem Kniegelenk kann z.B. durch einen knöchern harten Anschlag, einen bindegewebig straffen Widerstand oder eine federnde Muskelanspannung bedingt sein. Sehr wichtig ist die genaue Angabe der Länge- und Umfangmaße bei Gliedmaßen und der Winkelmaße für die Bewegungsumfänge von Gelenken. Diese sollten nie geschätzt, sondern immer exakt gemessen werden. Bandmaß und Winkelmesser gehören daher unbedingt zum Rüstzeug des begutachtenden Arztes. Selbstverständlich ist, daß nicht nur die Maße der verletzten Seite, sondern auch die Vergleichszahlen der gesunden Seite angegeben werden. Nur durch den Vergleich haben die Zahlen überhaupt eine Bedeutung. Die Meßpunkte und die Meßweise sind heute standardmäßig festgelegt. Hierzu sei auf die in der Unfallbegutachtung allgemein eingeführten Meßbögen verwiesen (S.96ff.). Ein gewisser Schematismus ist bei der gesamten Untersuchung notwendig, um wichtige Momente nicht zu übersehen und immer einen kompletten Befund zu haben. Dagegen werden die besonderen notwendigen Untersuchungen erfahrungsgemäß weniger unterlassen. Die moderne Röntgendiagnostik sollte stets im gebotenen Umfang zur Objektivierung der Unfallfolgen herangezogen werden. Bei der Anfertigung von Röntgenbildern sind Vergleichsaufnahmen korrespondierender Gliedmaßenabschnitte erforderlich. Dabei sind die Rechtsvorschriften über die diagnostischen Anwendung von Röntgenstrahlen zu beachten (z.B. Schwangere). Im Bedarfsfalle soll bei der Unfallbegutachtung das gesamte Rüstzeug moderner Diagnostik herangezogen werden. Dazu gehören klinische und apparative Testmethoden und labortechnische Untersuchungen. Ihre Einbeziehung sollte immer dann

Form des freien Gutachtens

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erfolgen, wenn hierdurch eine größere Sicherheit der gutachterlichen Aussage erreicht wird. Viele diagnostische Hilfsmethoden sind bei exakter Untersuchung des Gutachtenpatienten völlig überflüssig. Die Befundung einer ausgeheilten Gließmaßenverletzung ist auch ohne ausgedehnte Erfassung umfangreicher labortechnischer Daten möglich, während Verlust der inneren Organe (Niere, Milz) ohne diese Werte unvollständig untersucht sind. Es kommt auch nicht auf die Vielzahl der Zusatzbefunde an, sondern auf ihre Aussagefähigkeit für den Einzelfall. Die eingesetzten Funktionstests und Untersuchungsmethoden sollen zur Überzeugungskraft des Gutachtens beitragen und daher sachbezogen sein. Am Anfang der Zusammenfassung und Beurteilung jeden Gutachtens steht eine knappe Wiedergabe der den Gutachtenauftrag begründende Sachlage. Es schließt sich an die genaue und klare Bezeichnung der Verletzungen. Man gewöhne sich an, diese Regel stets zu befolgen, weil man so sich selbst und dem Auftraggeber die Übersicht erheblich erleichtert. Dann folgt die Aufzählung der Unfallfolgen im einzelnen. Etwaige unfallfremde Körperschäden sind präzise abzutrennen. Eine exakte Diagnose und die genaue Aufzählung der im Befund einzeln beschriebenen Unfallfolgen sollten eindeutig und verständlich in deutscher Sprache gewählt werden, damit sie ohne Änderungen in den Bescheid des Versicherungsträgers übernommen werden können. An diese Aufstellung schließt sich dann als Vorschlag für die anfordernde Stelle die nach bestem Wissen und Gewissen ermittelte Einschätzung des Grades der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit. Bei schwierig gelagerten Fällen sollte die Schätzung erläutert werden. Als unfallfremde Veränderungen sind alle nicht normalen Zustände aufzuzählen, die nicht als direkte oder indirekte Folge des infrage stehenden Unfalles zu bewerten sind. Eine genaue Aufgliederung dient der Aktualität und der Übersicht; der Verweis auf Vorgutachten ist unzureichend. Oft hat die Kenntnis dieser unfallfremden Veränderungen einen Einfluß sowohl auf den Grad der unfallbedingten Erwerbsminderung selbst, als auch auf die Entschädigung von bisher nicht rentenberechtigenden Folgen anderer Unfälle. Ein Gutachten über Unfallverletzte schließt mit Angaben über die Berufshilfe. Diese Zusammenarbeit zwischen Gutachter und Unfallversicherungsträger ist eine wesentliche Voraussetzung für den Wirkungsgrad der Berufshilfe und jeglicher berufshelferischer Maßnahmen überhaupt. Die gesellschaftspolitische und volkswirtschaftliche Bedeutung der damit zusammenhängenden Fragen kann nicht hoch genug veranschlagt werden. Die Maßnahmen der Rehabilitation (§556 RVO) haben bekanntlich das schon 1844 von Ritter von Buhs geforderte Ziel: „ . . . soll der heilbare Kranke vollkommen rehabilitiert werden. Er soll sich zu der Stellung wieder erheben, von welcher er herabgestiegen war. Er soll das Gefühl seiner persönlichen Würde wiedergewinnen und mit ihm ein neues Leben gewinnen".

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Allgemeines

Die rechtzeitige Einleitung gezielter und geeigneter Hilfsmaßnahmen (Rehabilitation durch Unfallversicherungsträger, Rentenversicherung, Arbeitsamt) wird maßgeblich von den ärztlichen Hinweisen bei jeder Begutachtungsuntersuchung beeinflußt und unterstützt. Der Gutachter muß daher durch entsprechende Hinweise in jedem seiner Gutachten mithelfen, daß der Versicherte die ihm zustehenden sozialen Leistungen erhält. Die nachgehende Berufshilfe liegt insofern auch in der Hand des Gutachters, der meist als erster von drohendem Arbeitsplatzwechsel, Kündigung und ähnlichem erfährt.

1.20 Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) Bei der Einschätzung des Grades der unfallbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit sind einige versicherungsrechtliche Besonderheiten in der Gesetzlichen Unfallversicherung zu beachten. Erwerbsfähigkeit im Sinne der Gesetzlichen Unfallversicherung ist die Fähigkeit, auf Erwerb gerichtete Arbeitstätigkeit auszuüben. Daraus ergibt sich, daß die Minderung oder der Ausfall von Fähigkeiten also von Körper- oder Gliedmaßenfunktionen den Maßstab für die Bewertung bildet und nicht etwa anatomische Defekte oder Schäden. Unfallbegutachtung ist somit immer Funktionsbegutachtung. Die Schätzung der durch den Unfall verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) geht grundsätzlich nicht von dem erlernten oder ausgeübten Beruf des Verletzten/Untersuchten aus, sondern von dem Begriff des „allgemeinen Arbeitsmarktes". Darunter versteht man den gesamten Bereich des wirtschaftlichen Lebens mit allen Arbeitsgelegenheiten, die sich dem Verletzten nach seinen gesamten Kenntnissen und körperlichen sowie geistigen Fähigkeiten bieten. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) ist ein Rechtsbegriff. Sie besteht in der Einschränkung der Fähigkeit des Versicherten, sich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einen Erwerb zu verschaffen. Diese Betrachtungsweise folgt aus dem in der Gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatz der abstrakten Schadensbemessung. Als Bezugsgröße hierfür dient nicht eine etwaige konkrete Einkommensminderung, sondern die Beeinträchtigung der individuellen Erwerbsfähigkeit zum Zeitpunkt des Unfalles. Die entsprechend dem Grad der MdE gezahlte Unfallrente hat keine Ausgleichsfunktion im Hinblick auf mögliche oder tatsächliche Einkommenseinbußen, sondern einen reinen Entschädigungscharakter. Entsprechend dem erlittenen Schaden ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit in verschiedene Grade unterteilbar, ausgedrückt in Prozentsätzen von 10 bis 100. Dagegen ist die „Arbeitsunfähigkeit" im Sinne der Unfall- und Krankenversicherung nicht teilbar. Sie ist vorhanden oder sie ist es nicht. Bei der Abschätzung des Einflußes der Unfallfolgen auf die Erwerbsfähigkeit des Versicherten haben sich im Laufe der Zeit allgemeine Erfahrungswerte eingebürgert, die auf den Seiten 105—130 aufgeführt sind und auf die man zweckmäßigerweise

Vorläufige Rente

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zurückgreift. Weicht der Gutachter bei seiner Einschätzung davon wesentlich ab, so muß er die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles angeben, die ihn aus dem Richtwertbereich herausheben und damit die abweichende Bewertung begründen (vgl. dazu Teil 1, 2 . 5 - 3 . 2 ) Dabei sind im Unfallrecht auch Nachteile zu berücksichtigen, die der Verletzte dadurch erleidet, daß er bestimmte, von ihm erworbene berufliche Kenntnisse und Fähigkeiten infolge des Unfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen kann. Die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten vor dem Unfall wird stets als voll gegeben, das heißt mit 100% angenommen, auch wenn er durch ein Gebrechen oder frühere Unfälle, z.B. die Lähmung eines Armes schon behindert war. Voraussetzung für die Gewährung einer Verletztenrente ist im Regelfalle der Umstand, daß die Erwerbsfähigkeit durch die Folgen eines Unfalles um wenigstens 1/5 = 20% über die 13. Woche nach dem Unfall hinaus gemindert ist, das heißt die MdE erreicht erst mindestens mit 20% einen rentenberechtigenden Grad. Es werden aber auch Renten unter 20 v. H. ausgezahlt, wenn eine andere Rente wegen Unfallfolgen oder ähnlichem vorliegt (sogenannte Stützrente s. Teil 1, 2.5.3.2).

1.21 Vorläufige Rente Nach Abschluß der Behandlung innerhalb der ersten zwei Jahre nach einem Unfall wird beim Vorliegen entsprechender Verletzungsfolgen im allgemeinen eine vorläufige Rente gewährt, wenn hierdurch die Erwerbseinbuße mindestens 20% beträgt. Die Vorläufigkeit besagt, daß diese Rente jederzeit geändert werden kann, wenn eine wesentliche Änderung im Zustand der Unfallfolgen eingetreten ist. Als wesentlich gilt eine Änderung nur dann, wenn die Besserung oder Verschlimmerung mehr als 5 % , in der Regel aber mindestens 10% beträgt. Ein Änderungsnachweis gegenüber der maßgeblichen Voruntersuchung muß geführt werden. Ist voraussichtlich nur für eine befristete Zeit eine vorläufige Rente zu gewähren, so kann der Unfallversicherungsträger den Verletzten nach Abschluß des Heilverfahrens mit einer Gesamtvergütung in Höhe des voraussichtlichen Rentenaufwandes entschädigen. Der Verletzte wird dann nicht zum Bezieher einer laufenden Rente. Aufgabe des Gutachters ist es, den Unfallversicherungsträger auf geeignete Fälle hinzuweisen. In solchen Fällen darf er ausnahmsweise eine Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit zeitlicher Begrenzung bis zu einem in der Zukunft liegenden Endtermin vornehmen.

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Allgemeines

1.22 Dauerrente Spätestens zwei Jahre nach dem Unfall muß die Dauerrente festgesetzt werden oder die bis dahin gewährte vorläufige Rente wird kraft Gesetzes zur Dauerrente. Die Festsetzung kann auch schon innerhalb der ersten zwei Jahre erfolgen. Eine Dauerrente darf dann nur in Zeitabständen von mindestens einem Jahr geändert werden. Bei der Festsetzung der ersten Dauerrente handelt es sich um eine Neueinschätzung. Sie erfolgt ohne Rücksicht auf den Vorbefund. Daher ist der Nachweis einer Änderung im Befund nicht notwendig, auch wenn von der bisherigen Einschätzung abgewichen wird. Aus diesem Grund kann sich bei der Festsetzung der Dauerrente auch eine Änderung der Einschätzung um nur 5% ergeben. Das Wesentliche an der Festsetzung der Dauerrente ist also der Umstand, daß der sonst bestehende Zwang, den Nachweis einer wesentlichen Besserung oder Verschlimmerung im Unfallfolgezustand befundmäßig zu erbringen, dabei völlig entfällt. Hier bekommt der erfahrene Gutachter die einmalige und nicht mehr wiederkehrende Gelegenheit, vorgabefrei und befundgerecht zu schätzen. Diese Schätzung muß gut ausgewogen und dem Einzelfall unter Umständen auch auf Jahre hin angemessen sein, weil wesentliche Befundabweichungen mit den Jahren immer unwahrscheinlicher werden. Die Dauerrente kann nämlich nur jeweils nach einem Jahr geändert werden und nur unter Nachweis einer wesentlichen Änderung im Unfallfolgezustand. Es muß auch bedacht werden, daß bei einer 25% igen Dauerrente ein Besserungsnachweis mit dem Entzug der Rente verbunden ist, was den Versicherten unter Umständen sehr hart trifft, weil er mit 15% immer in unmittelbarer Nähe des rentenberechtigten Mindestsatzes von 20% liegt.

1.23 Rentenänderung Oft ist es zweckmäßig, die Gründe anzugeben, die zu einer bestimmten Schätzung geführt haben. Bei allen Vorschlägen, eine bereits vorgegebene Rente zu ändern, ist der Nachweis einer wesentlichen Änderung (Besserung oder Verschlimmerung) im Vergleich zum zuletzt maßgeblichen Gutachtenbefund erforderlich. Das zeitlich letzte Gutachten ist bekanntlich nicht immer das rechtlich und ärztlich zuletzt maßgebliche Vergleichsgutachten. Wie bereits oben aufgeführt, ist nur dasjenige Gutachten frei von dem Zwang, die vom maßgeblichen Vorgutachten abweichende Einschätzung der Erwerbsminderung befundmäßig begründen zu müssen, das aus Anlaß der ersten Festsetzung der Dauerrente erstellt wird. Man muß stets die Änderungsmerkmale im einzelnen aufführen und eventuell anhand von Zahlen erläutern. Nur eine wesentliche Änderung im gesamten objektivierten Unfallfolgezustand begründet eine gradmäßige Herauf- oder Herabsetzung der Erwerbsminderung.

Vorschaden, Nachschaden

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Nach § 48 Sozialgesetzbuch X - Verwaltungsverfahren - kann eine Rente dann eingestellt bzw. geändert werden, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung der Rente maßgeblich gewesen sind, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Nach der Rechtsprechung ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse anzunehmen, wenn die Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Unfallfolgen um mehr als 5 v. H. gesunken oder gestiegen ist. So sind z.B. Änderungen von 20, 30, 40, 50% usw. auf 10, 20, 30 40% usw., ferner von 33 1/3 auf 25%, von 40 auf 33 1/3%, von 75 auf 66 2/3 bzw. 65% und umgekehrt zulässig. Die Änderung um mehr als 5 v. H. muß jedoch durch den Vergleich des bei der anstehenden Untersuchung erhobenen Befundes mit den für die Feststellung der laufenden Rente im zuletzt maßgeblichen Gutachten niedergelegten Befund objektiviert werden. Im Falle der Verschlimmerung ist die Angabe unerläßlich, von welchem Zeitpunkt ab mit Wahrscheinlich die Änderung der Verhältnisse eingetreten ist. Andererseits können auch nach Jahren Anpassung und Gewöhnung als Besserungsmerkmale in Betracht kommen. Es genügt aber nicht, wenn der Gutachter lediglich zum Ausdruck bringt, Anpassung oder Gewöhnung an die Unfallfolgen oder beides zusammen seien eingetreten. Aus dem ärztlichen Gutachten müssen vielmehr greifbare Merkmale einer Anpassung oder Gewöhnung des Verletzten an den Unfallfolgezustand hervorgehen. Nur am Rande sei vermerkt, daß neben den medizinischen oft auch außermedizinischen Erkenntnisse zu berücksichtigen sind, welche sich vornehmlich aus einer Prüfung der tatsächlichen Arbeitsverhältnisse des Verletzten anhand der Arbeitsauskünfte des Arbeitsgebers gewinnen lassen. Es ist selbstverständlich, daß man stets die individuelle Gesamtsituation berücksichtigt. Bei Verletzungen der oberen Gließmaße müssen die Fragen Arbeitshand oder Beihand (rechts oder links) und eine eingetretene Umgewöhnung berücksichtigt werden. Ein Vorschaden, auf welchen sich die Unfallfolgen verschlimmernd auswirken, ist ebenso zu würdigen, wie eine etwa durch hohes Alter erschwerte Anpassung an die Unfallfolgen.

1.24 Vorschaden, Nachschaden Ein unfallfremder Vorschaden ist stets zu berücksichtigen. Die Höherbewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist aber deshalb noch nicht generell gerechtfertigt. Sie ist erst dann geboten, wenn eine nachweisbare funktionelle Wechselwirkung zwischen Vorschaden und dem neuen Unfallschaden besteht und wenn ferner Art und Ausmaß des Vorschadens einen wesentlichen Einfluß auf die individuelle Erwerbsfähigkeit dieses Verletzten hatten. Es kann durch einen neuen Unfall nicht nur eine Summierung, sondern manchmal eine Potenzierung von jetzt fehlenden Fähigkeiten eintreten. So wird der Verlust des Auges bei Einäugigkeit ungleich höher bewertet als der Verlust nur eines Auges bei Verbleib des anderen. Andererseits kann infolge des Vorschadens auch eine geringere Minderung der Erwerbsfähigkeit durch neue Unfallfolgen begründet erscheinen, als die sonst normaler-

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Allgemeines

weise gegeben wäre (etwa ein Unterschenkelbruch bei einem Querschnittsgelähmten). Bei der Begutachtung solcher oft schwieriger Sachverhalte erweist sich der Meister seines Faches (vgl. dazu Teil 1, Abschn. 2.5.3.2). Ein unfallfremder Nachschaden (etwa ein zeitlich später erfolgter zweiter Bruch am gleichen Bein) darf keine Berücksichtigung bei der Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit finden. Dagegen stellt der unfallbedingte Spät- oder Folgeschaden (z.B. Sekundärarthrose nach Gelenkverletzung, Spätgangrän nach unfallbedingter Gefäßplastik) eine Verschlimmerung der Unfallfolgen dar. Bei der Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sind stets genaue Zahlenangaben erforderlich. Angaben wie „unter 20 v . H . " „um 10 v . H . " , „40 bis 100 v. H . " sind wertlos. Verteilen sich die Unfallfolgen auf mehrere Fachgebiete, so ist für jede dieser Disziplinen eine exakte Teilerwerbsminderung anzugeben. Der Hauptgutachter schätzt danach aus diesen Teilerwerbsminderungssätzen die Gesamterwerbsmin-

derung. Dabei wird eine rein numerische Zusammenzählung dem Gesamtunfallfolgezustand fast nie gerecht, weil wohl meistens Überschneidungen vorliegen (ζ. B. eine Fußheberschwäche infolge Peronaeuslähmung nach einer Sprunggelenkfraktur). In jedes Gutachten gehört ferner die Angabe, wann eine Nachuntersuchung angezeigt ist. Im Rahmen der vorläufigen Rente (innerhalb der ersten zwei Jahre nach dem Unfall) beträgt die unterste Zeitgrenze für eine Nachuntersuchung drei Monate, bei einer Dauerrente (2 Jahre und später nach dem Unfall) beträgt die unterste Zeitgrenze für eine Nachuntersuchung ein Jahr. Erfahrungsgemäß lassen sich nämlich in jeweils kürzeren Zeiträumen kaum wesentliche Änderungsmerkmale objektivieren. Das Vorliegen eines Dauerzustandes kann in der Regel frühestens fünf Jahre nach einem Unfall als gegeben erachtet werden. Gelegentlich sind noch nach längeren Zeiträumen wesentliche Besserungen zu beobachten. Mit der Angabe, daß ein Dauerzustand eingetreten und daher weitere Nachuntersuchungen nicht mehr angezeigt seien, möge man als Gutachter zurückhaltend verfahren und erweitere besser den jeweiligen Kontrollzeitraum auf zwei oder drei Jahre.

1.25 Wiederherstellende Behandlungsmaßnahmen - Zumutbarkeit von Operationen Sofern besondere wiederherstellende Behandlungsmaßnahmen zur Besserung des Unfallfolgezustandes notwendig erscheinen oder wenn der Gutachtenpatient dahingehende Wünsche äußert, sollten im Gutachten die Erfolgsaussichten dieser Maßnahmen erörtert werden. Der funktionelle Gewinn ist wertfrei gegen mögliche Risiken und Komplikationen abzuwägen. Bei Vorschlägen für Behandlungsmaßnahmen ist

Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

davon auszugehen, daß die gesetzliche Unfallversicherung Kurbehandlungen ne der Rentenversicherung nicht kennt.

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Die gegenwärtige Rechtslage zur Frage der Zumutbarkeit von Operationen ist folgende: Die Verpflichtung des Versicherten zur Mitwirkung bei Maßnahmen der Heilbehandlung ist in den Vorschriften des Sozialgesetzbuches I. Buch, 3. Titel „Mitwirkung des Leistungsberechtigten" festgelegt. Nach § 64 dieser Vorschriften soll sich der Versicherte, der wegen Krankheit oder Behinderung - also auch wegen der Folgen eines Arbeitsunfalles - Leistungen beantragt oder erhält, auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers einer Heilbehandlung unterziehen, wenn zu erwarten ist, daß dadurch eine Besserung seines Gesundheitszustandes herbeigeführt oder eine Verschlechterung verhindert wird. Kommt der Versicherte dem Verlangen nicht nach, können ihn Rechtsnachteile treffen. Der Versicherte kann Untersuchungen und Maßnahmen der Heilbehandlung — demnach auch Operationen - ablehnen (§65, Abs. 2), 1. bei denen im Einzelfall ein Schaden für Leben oder Gesundheit nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann. Unvorhersehbare Umstände, die eine solche Gefahr bedingen, bleiben außer Betracht „gefahrlos bedeutet, daß die Operation nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mit sich bringt", 2. die mit erheblichen Schmerzen verbunden sind oder 3. die einen erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit bedeuten.

Kann dem Verletzten eine Operation nach diesen gesetzlichen Vorschriften nicht zugemutet werden, so kann der Unfallversicherungsträger diese auch dann nicht verlangen, wenn zu erwarten ist, daß sich der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit wesentlich bessern würde. Gleiches gilt für die Duldung von diagnostischen Maßnahmen.

1.26 Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung Wie bereits mehrfach oben ausgeführt, ist es ganz selbstverständlich, daß jeder Begutachtung eine sorgfältige Untersuchung des Verletzten vorauszugehen hat. Diese Untersuchung muß sich in ihrem Umfang dem vorliegenden Einzelfall anpassen. Begutachtungen, bei denen notwendige Untersuchungen unterlassen worden sind, haben keinen Aussagewert infolge unzureichender Beweis- oder Ausschlußkraft. Andererseits ist es überflüssig, die Untersuchungen unkritisch weit auszudehnen. Beispielsweise ist es nicht notwendig, bei einer Rentennachprüfung wegen eines komplikationslosen Fingerverlustes eine Leberfunktionsprüfung oder eine Lungendurchleuchtung oder eine Serumelektrophorese auszuführen. Bei Fehlen einer stichhaltigen Begründung werden diese Leistungen ohnehin nicht honoriert. Im jedem Falle ist es aber notwendig, sich nicht nur den verletzten Körperteil, sondern

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Allgemeines

den ganzen Menschen genau anzusehen. Das fordert schon allein die ärztliche Sorgfaltspflicht bei jeder Krankenuntersuchung überhaupt. Bei der Begutachtung sind möglichst genaue, am besten durch Messungen objektivierte und damit nachprüfbare Befunde von Wert. Darum sind alle Befunde nicht nur exakt zu beschreiben, sondern es sind auch die Meßstellen nach bekannten anatomischen Fixpunkten festzulegen. Das alles kann kurz, telegrammstilartig aber deshalb nicht weniger genau geschehen. Alle Angaben sind in vergleichbaren Maßeinheiten zu liefern und ungenaue Feststellungen „um 1/3" „etwa die Hälfte" „annähernd normal" zu vermeiden. Die feineren Abstufungserfordernisse in der Unfallversicherung bei der Angabe der Erwerbsminderungssätze und die Unterschiede um 10 v.H. erfordern differenzierte diagnostische Methoden. Bei strittigen Krankheitsbezeichnungen oder unklaren Diagnosen sowie bei ungeklärten Beschwerden muß die Klärung mit Hilfe der gesamten modernen Diagnostik herbeigeführt werden. Die Inanspruchnahme von Ärzten anderer Fachdisziplinen gehört ebenso dazu wie der Einsatz der verfügbaren technischen Einrichtungen. Es ist zumindest peinlich, wenn nachfolgende Gutachter einem Arzt mangelnde Sachaufklärung schlüssig nachweisen und damit die Deutung und die Schlußfolgerungen seines Gutachtens erschüttern oder gar aufheben. Die Zusammenarbeit von Fachkollegen aller Richtungen kann sich stets nur zum besten auswirken. Sie fördert die fachliche Aufklärung des Einzelfalles und die Entwicklung der eigenen gutachterlichen Qualitäten. Die Aufgaben dieser „Unfallbegutachtung" sind so eng gesteckt, daß sie mit denjenigen eines Handbuches nicht vergleichbar sind. Hier wird bewußt nur auf allgemeine Grundforderungen und praktisch bemerkenswerte Einzelfragen schlaglichtartig hingewiesen. Vor jeder Untersuchung soll der Arzt die Unfallakten durchlesen, um sich so vorher über den Sachverhalt zu orientieren. Die Begutachtungsuntersuchung beginnt mit der genauen Betrachtung des stehenden Unfallverletzten. Dieser hat den Körper soweit entblößt, wie dies für einen genügenden Überblick notwendig erscheint. So ist bei Verletzungen der oberen Gliedmaße der ganze Oberkörper, bei Verletzungen der unteren Gliedmaßen der ganze Unterkörper in unbekleidetem Zustand zu betrachten. Häufig muß sich der Verletzte auch ganz ausziehen, um das Gesamtbild der Unfallfolgen besser zu erfassen. Wichtig ist es auch, den Untersuchten bei An- und Auskleiden unauffällig zu beobachten. Mitunter wird man dabei feststellen können, daß beim Kleiderwechsel ein Gelenk in einem großen Umfang und schmerzfrei beweglich ist, das bei der Untersuchung selbst schon bei leichter Berührung der Haut schmerzhaft sein soll und das sich angeblich wegen enormer Steigerung der Schmerzen aktiv und passiv fast gar nicht bewegen läßt. Auch kann man es erleben, daß derselbe Patient sich beim Anziehen der Schuhe auf einen Stuhl setzt und den Oberschenkel im rechten Winkel zum Rumpf beugt, während bei der vorangegangenen Untersuchung, als er noch ausgestreckt auf

Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

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der Untersuchungsbank lag, jede Bewegung der Hüfte sehr erheblich eingeschänkt war. Und schließlich, um nur einige Beispiele herauszugreifen, kommt es nicht selten vor, daß ein Patient im Untersuchungszimmer ganz anders geht als nach Verlassen des Wartezimmers auf offener Straße. Eine solche Kontrollbeobachtung ist, wenn die Möglichkeit dazu besteht, immer angebracht. Aus der Art, wie der Gutachtenpatient sich hält, sich bewegt, auf Fragen reagiert und welchen Gesichtsausdruck er dabei hat, kann der erfahrene Arzt sehr wesentliche Schlüsse ziehen. Allgemein scheitert die Ablenkung der Aufmerksamkeit der Patienten bei aktiven Bewegungen häufig daran, daß es zahlreiche Menschen gibt, die nicht gleichzeitig, etwa beim Ausziehen der Hose, eine Frage beantworten können. Die Ablenkung durch Befragung während passiver Bewegungsprüfungen ist leichter. Die Betrachtung des Untersuchten muß alle äußerlich sichtbaren Formveränderungen erfassen. Muskelabmagerungen kann man oft mit dem Auge wesentlich sicherer feststellen als mit dem Maßband und dem Tasterzirkel. Dasselbe gilt für Veränderungen in der Achsenrichtung von Körperteilen, den Folgen frischer oder alter Verletzungen wie Wunden, Schwellungen und Narben. Ihre genaue Beschreibung, am besten unter Beifügung von Skizzen und Eintragungen in handelsüblichen Körperchemata ist notwendig. In seltenen Fällen empfiehlt es sich sogar, Fotos anfertigen zu lassen, ζ. B. mit einer Polaroid-Kamera. Dies hat sich vor allem bei der Dokumentation von kosmetisch entstellenden Befunden sehr bewährt, ganz abgesehen davon, daß ein Lichtbild die oft schwierige Befunderhebung sinnvoll ergänzen kann. Auf die gutachterliche und diagnostische Bedeutung von Infrarot-Aufnahmen zur Dokumentation der Wärmeverteilung in den abgebildeten Strukturen oder Gewebsbezirken sei hingewiesen. Komplexe Bewegungsvorgänge können in geeigneten Fällen durch Filmaufnahmen festgehalten und im Zeitlupentempo besser beurteilt werden. Diese Möglichkeiten werden in letzter Zeit zunehmend durch die Videotechniken erweitert. Videoaufzeichnungen diagnostischer Untersuchungsgänge und Befunde helfen bei der Objektivierung von Unfallfolgen. Zur visuellen Befunderhebung am entkleideten Gutachtenpatienten gehört die Erfassung der verschiedenen Hautveränderungen, Ausschläge, etwa vorhandener wassersüchtiger Schwellungen, Haltungsanomalien, Rundrücken, Buckelbildungen der Wirbelsäule, Verdrehungen und Verbiegungen derselben, Verformungen des Brustkorbes und dessen Ausladungen bei der Atmung, Veränderungen von Brust- und Bauchatmung, Stauungen im Pfortaderkreislauf, Krampfadern an Beinen oder Armen, Unterschenkelgeschwüren, einer glänzenden oder trockenen Haut, vasomotorischer Störungen, von Dermographismus, abnormer Schweißabsonderung, Senkfüßen usw. Der durch die Betrachtung erhobene Befund wird durch Betastung (Palpation) erweitert und vertieft. Dabei ist es ganz besonders wichtig, zum Vergleich die andere, nicht verletzte Körperseite heranzuziehen. Damit können individuelle Normabweichungen unterschieden werden von krankhaften oder unfallbedingten Befunden.

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Allgemeines

Die Betastung ist eine sehr wichtige Untersuchungsmethode. Bei erfahrenen Untersuchungshänden ist sie auch sehr leistungsfähig. Sie umfaßt die Prüfung der Hauttemperatur und der Narben, die Untersuchung auf Druck- und Klopfschmerzen, die Prüfung der Kraft, der Festigkeit der Gelenke und gebrochener Knochen, die Prüfung der Kraft und der Qualität der Muskulatur und schließlich die Messungen der Umfänge, Verkürzungen und Verdrehungen sowie der Beweglichkeit der Gelenke. Ein Vergleich des Tastbefundes mit einem Röntgenbild ergibt häufig wichtige Aufschlüsse, z.B. ob eine Verhärtung knöchern bedingt ist oder nicht. Nach Knochenbrüchen muß jedes Gutachten die Angabe enthalten, ob der Bruch knöchern geheilt ist. Die Festigkeit wird geprüft, indem man das Glied beidseits der Bruchstelle fest umfaßt und kräftige Biegungsversuche nach allen Richtungen durchführt. Abnorme Beweglichkeit und Biegungsschmerz belegen Instabilität und damit ausgebliebene Knochenbruchheilung. Die Prüfung der Bandfestigkeit der Gelenke erfolgt durch Aufklapp- und Rüttelversuche sowie Provoktion von Dreh-Gleitbewegungen. Gelockerte Gelenke an einem Bein beeinträchtigen die Standfestigkeit besonders auf unebenem Boden, auf Leitern und Gerüsten und beim Tragen von Lasten. An den Armen wird die grobe Kraft herabgesetzt. Das Betasten der Muskulatur während der Anspannung und Entspannung gibt Aufschlüsse über die Funktionstüchtigkeit dieser Organe. Die Prüfung der Konsistenz und der unterschiedlichen Spannungszustände der verschiedenen Muskelgruppen muß immer im Vergleich mit der gesunden Gegenseite erfolgen. Durch Messungen lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse vervollständigen. Bei der Unfallbegutachtung spielt das Messen eine sehr wichtige Rolle. Gerade die Unfallmediziner haben sich stets um den Ausbau der Meßtechniken und die Förderung von Meßmethoden bemüht. Die Brauchbarkeit unserer Meßergebnisse ist dennoch auf Vergleichsmessungen auf der gesunden Körperseite angewiesen und auf den Kenntnis der Vieldeutigkeit des globalen Meßwertes. Die Umfangmaße eines Armes oder Beines werden durch den Muskelschwund, durch Weichteilverluste, durch Seitenverschiebung der Knochen, durch Callusmassen, durch Weichteilschwund infolge Nervenlähmung und durch Schwellungen beeinflußt. Sie können an der verletzten Gließmaße daher größer oder kleiner sein als an der gesunden. Aus dem Befund muß hervorgehen, wodurch eine Umfangsdifferenz bedingt ist. In erster Linie werden durch die Umfangmaße Schwellungen oder der Schwund der Muskulatur zum Ausdruck gebracht. Zur besseren Vergleichbarkeit und Vereinheitlichung der Meßuntersuchungen sind von den Unfallversicherungsträgern Standardmeßstellen festgelegt (s. Meßbogen, S. 96 ff.). Verkürzungen und Verbiegungen sowie Verdrehungen nach schweren Verletzungen müssen immer eingehend befundet werden, weil sie auf Dauer sekundäre Veränderungen und damit Verschlimmerungen im jeweiligen Unfallfolgezustand nach sich ziehen.

Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

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Im Allgemeinen soll man die Meßwerte nicht auf den Millimeter genau angeben, sondern auf den halben Zentimeter, da methodikbedingte Meßwertschwankungen in dieser Größenordnung liegen. Differenzen von einem 1/2 Zentimeter sowohl in der Länge eines Gliedes als auch bei seinem Umfang sind völlig belanglos. Die häufigste Längenmessung wird an den Beinen vorgenommen, ferner an Amputationsstümpfen. Dabei gilt als Beinlänge der Abstand zwischen dem oberen vorderen Darmbeinstachel und der Innenknöchelspitze bei senkrechter Ausrichtung des Beines zu der Verbindungslinie der beiden oberen Darmbeinstachel. Bei Kontrakturen muß das gesunde Bein zur Messung in die gleiche Position gebracht werden wie das verletzte. Die Ursache einer Längendifferenz kann an den verschiedensten Stellen des Beines z.B. im Schenkelhals, Oberschenkelschaft oder Unterschenkel liegen. Daher ist es häufig notwendig, Sondermessungen der Gliedmaßenabschnitte auszuführen. Im Befundbericht müssen die Meßpunkte genau angegeben werden. Längenänderungen im Oberschenkelbereich kommen im Abstand vorderer oberer Darmbeinstachel — innerer Kniegelenkspalt zum Ausdruck. Am Unterschenkel ist es der Abstand innerer Kniegelenkspalt — Innenknöchelspitze. Längenmessungen an den Armen sind von geringerer Bedeutung, weil deren Verkürzung für ihre Funktion weniger wichtig ist. Messungen an Röntgenbildern sind dagegen nur unter Beachtung besonderer Vorsichtsmaßregeln zulässig, weil Röntgenbilder Schattenzeichnungen darstellen, deren absolute Längen nicht mit den tatsächlichen Längen des Körpers übereinstimmen. Entsprechend den Strahlengesetzen ist die Verzeichnung umso größer, je näher der Brennfleck der Röhre an dem Körper bei der Aufnahme war. Nur bei Verwendung entsprechender Winkelmesser und Korrekturtafeln sind reelle Werte erzielbar. Wie bereits oben erwähnt, dienen die Umfangmaße hauptsächlich der Feststellung des Zustandes der Muskulatur. Sie sind je nach der Körperhaltung im Augenblick der Messung (liegend oder im Stehen) und je nach dem Anspannungs- oder Erschlaffungszustand der Muskulatur verschieden. Davon kann man sich sehr leicht durch einige Testmessungen überzeugen. Weil die genannten Zustände die gemessenen Zahlen erheblich beeinflussen können, müssen im Befundbericht also stets die näheren Meßbedingungen angegeben werden, wenn im Sonderfall abweichend von der Norm vorgegangen wird. Für Begutachtungsmessungen ist die einheitliche Meßtechnik verbindlich, die in den Meßbögen(S. 96ff.) angegeben ist. Die Beinmaße werden im Liegen auf der Untersuchungsbank bei entspannter Muskulatur gemessen. Alle Maße an den Armen sind bei schlaff herabhängendem Arm zu nehmen. Außer den im Bogen festgelegten tpyischen Meßstellen können in Einzelfällen noch andere Messungen zweckmäßig erscheinen, die den jeweiligen Sonderverhältnissen angepaßt und benannt sein müssen. Die Auswertung der Umfangmaße an den Gließmaßen ist dadurch erschwert, daß man nicht die Muskulatur allein mißt, sondern auch den Haut- und Unterhautfettge-

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websmantel. Wassersüchtige Schwellungen sind vornehmlich hier lokalisiert und daher am besten mit Angabe der Uhrzeit im Befund zu verzeichnen. Am Kniegelenk können differente Umfangmaße einen Gelenkerguß bedeuten. Allerdings muß dabei die Kapselbeschaffenheit berücksichtigt werden. Eine weitere Umfangmessung wird am Brustkorb bei Ein- und Ausatmung vorgenommen, die nach alter Gewohnheit bei seitlich erhobenen Armen über den Brustwarzen und über der Schwertfortsatzspitze erfolgt. Sie ist ein grobes aber leicht ausführbares Verfahren zur Bestimmung des Atemvolumens. Sie kann die Spirometrie jedoch niemals ersetzen. Daher ist bei ausgedehnteren Brustkorbverletzungen die Ermittlung der atemabhängigen körperlichen Leistungsfähigkeit durch detailierte Untersuchungsmethoden erforderlich. Hierzu gehören zahlreiche klinische Lungenfunktionsprüfungen, Blutgasanalyse und an Spezialinstituten die Messung des Sauerstoffs bei standardisierter körperlicher Belastung. Schließlich gehören zur Betastung die Prüfung der Narben, der Hauttemperatur und der Pulse. Funktionsbehindernde Narben, die die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigen, müssen ausführlich beschrieben werden. Es handelt sich dabei besonders um solche, die an der Greiffläche der Finger und der Hand liegen, bzw. an den Füßen, um solche, die das Auftreten und das Tragen von Schuhen erschweren. Wichtig ist auch die Beschreibung der Narben an Amputationsstümpfen. Kosmetisch störende Narben, in erster Linie im Gesicht und am Hals sind bei der Einschätzung zu berücksichtigen und daher genau zu beschreiben, auch wenn sie funktionell nicht von Bedeutung sind. Eine erhöhte Hauttemperatur zeigt einen Reizzustand oder eine Entzündung an. Bei Durchblutungsstörungen und Nervenverletzungen kann die Haut kühler sein und verschieden starke Schweißsekretion aufweisen. Eine Störung der Hauttemperatur kann besonders an den Fingern sehr hinderlich sein, weil die Finger bei der Arbeit Kälte und Nässe und Temperaturschwankungen ausgesetzt sind. Zur Abgrenzung von Unfallfolgeschäden gegen etwaige Durchblutungsstörungen ist die Tastung der Pulse unabdingbar. Bei Differenzierungsschwierigkeiten kann eine einfache Ultraschall-Doppleruntersuchung Klarheit bringen. Für die Ermittlung der Gelenkfunktion sind die Winkelmessungen chen Praxis von sehr großer Bedeutung.

in der gutachterli-

Im In- und Ausland hat sich die Neutral-Null-Methode durchgesetzt. Man sollte die Winkelwerte nie schätzen, sondern mit dem Winkelmesser objektivieren. Wenn auch Differenzen gegenüber der gesunden Seite von 10 Grad praktisch nicht sehr ins Gewicht fallen, so ist doch im Interesse der Meßgenauigkeit und der Selbstkontrolle die Verwendung eines Winkelmessers immer vorzuziehen. Auf jeden Fall sind Winkelangaben aussagefähiger als summarische Feststellungen wie ζ. B. „etwas eingeschränkte Beweglichkeit", „mäßig eingeschränkte Beweglichkeit" oder aber

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Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

„ u m die Hälfte gegenüber der anderen Seite behindert". Derartige Angaben sind nicht nachvollziehbar oder vergleichbar und damit wertlos. Jedes

Gelenk

tnuß im Vergleich

mit der gesunden

Seite gemessen

werden.

Die Beweglichkeit der meisten Gelenke weist nämlich schon physiologisch eine große Schwankungsbreite auf. Das Schultergelenk ist bei alten Menschen oft weniger beweglich als bei jungen, ohne daß es krankhaft behindert ist. Ein geübter Turner verfügt über einen erheblich größeren Bewegungsumfang als sein untrainierter Arbeitskollege. Winkelmessungen sind an allen Gliedmaßengelenken uneingeschränkt möglich. Lediglich bei der Bewegungsprüfung des Rumpfes bzw. der Wirbelsäule ist die Verwendung des Winkelmessers weniger gebräuchlich, da es sich hierbei um eine Bewegung handelt, die nicht in einem Gelenk erfolgt, sondern in einer Kette hintereinander geschalteter Gelenke. Daher k o m m e n hier die kritische Betrachtung und Analysierung der Bewegungsvorgänge zu ihrem R e c h t . Auch Lichtbilder in seitlicher Richtung beim Stehen und bei maximaler Beugung bzw. Überstreckung des Oberkörpers sowie Röntgenfunktionsaufnahmen bei den einzelnen Bewegungszuständen können äußerst aufschlußreich sein. Auch zur Dokumentation einer Wirbelsäulenverkrümmung in ihrer G r ö ß e und Veränderlichkeit sind fotografische Aufnahmen in verschiedenen Körperhaltungen anschaulicher als Gesamtwinkelangaben oder umständliche Beschreibungen. Am Schultergelenk

muß man zwischen den Bewegungen im Schultergelenk selbst

(also bei fixiertem Schulterblatt) und den Komplexbewegungen mit dem gesamten Schultergürtel unterscheiden. Die Erhebungsmöglichkeit des Armes nach vorn, seitlich und hinten ist in Winkelgraden meßbar. Die Drehbewegungen des Armes im Schultergelenk können in zwei Arten gemessen werden: 1. Bei in Neutralstellung anliegendem Oberarm mit 90 Grad gebeugtem Ellbogengelenk; dabei dient der Unterarm als Zeiger. 2. In Abspreizstellung des Armes im Schultergelenk von 90 Grad und Beugung im Ellbogengelenk ebenfalls von 90 Grad; auch hier dient der Unterarm als Zeiger. Einwärtsdrehung und Rückführung des Armes sind für die Praxis gekoppelte Bewegungen, deren Umfang sich durch die Angabe ausdrücken läßt, bis zu welchem Teil der Wirbelsäule die auf den Rücken gelegten Hand des Patienten aktiv gebracht werden kann bzw. welcher Abstand in Zentimetern verbleibt (sogenannter Kreuz- oder Schürzengriff). Die Messung der Beuge- und Streckfähigkeit des Ellenbogengelenkes ist einfach. Hierzu gehört auch die Messung der Unterarmdrehung bzw. Wendbewegung. Am Handgelenk sind neben dessen Streck- und Beugefähigkeit d. h. der Hebung bzw. Senkung des Handgelenkes auch die ellenbzw. speichenseitige Knickung zur Längsachse des Unterarmes anzugeben. An den Fingern

kann man naturgemäß die Beweglichkeit jedes einzelnen Gelenkes

durch Winkelmessung prüfen. Allerdings ist das Ausmessen von 14 Gelenken je H a n d recht umständlich und zeitraubend. Im Einzelfalle mag aber dennoch die Winkelmessung der Fingergelenkbeweglichkeit angebracht und wichtig sein. Als praktikable und brauchbare Lösung haben sich Abstandsmessungen durchge-

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Allgemeines

setzt. Die Bestimmung der Streckfähigkeit der Finger erfolgt als Abstandsangabe in Zentimetern zwischen Nagelrand des gestreckten Fingers und der Handrückenebene. Bei der Prüfung der Beugefähigkeit wird für den jeweils gebeugten Finger der Abstand seines Nagelrandes von der queren Hohlhandfalte in Zentimetern gemessen. Um einen genauen Eindruck von der Greiffähigkeit einer Hand zu vermitteln, sollte bei dieser Prüfung auch die Stellung der Fingergrundgelenke vermerkt werden, weil diese besonders wichtig für den Faustschlußvorgang sind. Die Abspreiz- und Oppositionsfähigkeit des Daumens läßt sich am besten in Winkelmaßen angeben in der Ebene der Hand bzw. senkrecht dazu, seine Einschlagfähigkeit durch die Benennung der Stelle der Handfläche, der die Daumenspitze bis zur Berührung bzw. am nächsten genähert werden kann. Die Funktionstüchtigkeit des Spitzgriffes zwischen Daumen und Zeigefingerkuppe sowie des Grob- oder Breitgriffes (3. bis 5. Finger) sind zu vermerken. Bei der Begutachtung von Finger- und Handverletzungen sind oft zusätzliche Untersuchungen erforderlich (Nervenfunktionsprüfungen, Zwei-Punkte-Unterscheidungsvermögen, Aufsammeltest, Auszählung der Schweißpunkte, NinhydrinTest und andere). Kraftmessungen haben nur einen relativen Wert, da ihr Ausfall in hohem M a ß von dem Willen und der Mitarbeit des Gutachtenpatienten abhängt. In besonderen Fällen besitzen diese Messungen einen großen Wert im negativen Sinne, nämlich dann, wenn ein muskelkräftiger Patient mit starken Arbeitsschwielen an den Händen beim Händedruck zwischen der verletzten und der unverletzten Hand einen zu großen Unterschiedswert aufweist. Spannt er dabei nicht nur die Beugemuskulatur des Unterarmes, sondern gleichzeitig auch die Streckmuskulatur, dann ist sicher, daß der geringe Druckwert absichtlich erzeugt ist und mit dem Muskel- und Verarbeitungsbefund nicht übereinstimmt. Kraftmessungen kommen in Betracht nur zur Prüfung der Druckkraft der Hand. Man kann dazu aber auch Metallfederinstrumente verwenden, die beim Zusammendrücken einen Skalenwert anzeigen. Sie haben sich in der Praxis nicht durchsetzen können. Praktisch wird die grobe Kraft beim überkreuzenden Händedruck geprüft mit mehrfachem Wechsel der Über- bzw. Unterkreuzungen, so daß der Prüfling mehrfach rasch in verschiedenen Ebenen zugreifen muß. Bei williger Kooperation ist sein Krafteinsatz annähernd gleich. Bei großer Schwankungsbreite dagegen mit reliefschwacher und schlaffer Unterarmmuskulatur paßt die demonstrierte Schwäche nicht zum sonstigen Befund. Auch der Anpressdruck der Finger und ihre Auflagestellen lassen Rückschlüsse auf Funktionsausfälle bzw. ihre Vortäuschung zu. Die Röntgenuntersuchung spielt naturgemäß bei allen Verletzungen, nicht nur bei den Knochenbrüchen und ihren Folgezuständen eine sehr erhebliche Rolle. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit und Ausführlichkeit sei auf einige wichtige Einzelheiten und grundsätzliche Punkte hingewiesen. Röntgenaufnahmen haben einen hohen dokumentarischen Wert. Sie sind stets in zwei Körperebenen zu fertigen. Das gilt auch für den Brustkorb und das Becken. Sonderfäl-

Wichtige Untersuchungsmethoden für die Begutachtung

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le müssen immer durch Spezialtechniken abgeklärt werden. Hierzu eignen sich Schrägaufnahmen, Funktionsaufnahmen, Schichtaufnahmen, Kontrastmittelfüllungen und Durchleuchtungen, Darstellungen des arteriellen oder venösen Gefäßsystems, Doppelkontrastdarstellungen der Gelenke und nicht zuletzt Computertomographie und Kernspintomographie. Auch hier sind Vergleichsaufnahmen der gesunden korrespondierenden Körperteile für die Beurteilung unerläßlich. Gelegentlich sind Aufnahmen in verschiedenen Strahlenqualitäten (Hartstrahl- und Weichstrahlaufnahmen) sowie Vergrößerungs- und Kontrastaufnahmen notwendig. Die Deutung der Röntgenbilder ist keineswegs leicht und erfordert eine ständige Übung. Fehldeutungen normaler Befunde und belangloser Gefäß- und Skelettvarietäten kommen immer wieder vor. Man kann sie vermeiden, wenn man in Zweifelsfällen die einschlägigen Werke oder Wandtafeln zu Rate zieht. Die Röntgendurchleuchtung hat in der Diagnostik bei Herz, Lunge, Magen-DarmKanal und Gefäßen ihre Bedeutung behalten. Durch die Einführung verschiedener Kontrastmittel sind die Möglichkeiten ihrer Anwendung noch gesteigert worden. Auch bei unklaren Lageverhältnissen (z.B. bei Fremdkörpern, kompliziert gebauten Gelenken, Geschwülsten) kann eine Durchleuchtung von sehr großem Nutzen sein. Die Bildwandler-Geräte vermitteln eine lebendigere Anschauung von den Lagebeziehungen der einzelnen Objekte zueinander. Stereoaufnahmen sind dazu geeignet, sich Klarheit über fragliche Lagebeziehungen zu verschaffen. Sie wurden jedoch durch modernere Techniken wie z.B. die Computertomographie verdrängt. Allgemein beweisen Röntgenbefunde keine Ausfallserscheinungen. Röntgenbild und Klinik sind sehr oft diskrepant. Auf den Grad funktioneller Auswirkungen bestimmter anatomischer Veränderungen kann aus Röntgenaufnahmen nicht geschlossen werden. Sie sind lediglich geeignet, klinische Erhebungen zu ergänzen oder bestimmte Symptome zu erklären. Die unfallchirurgische Begutachtung streift häufig auch andere Fachgebiete. Die Blutdruckmessung gibt häufig wertvolle Hinweise auf komplizierte Leiden, die als überlappende Geschehen auch für die Unfallbegutachtung von Bedeutung sind. Abgesehen von körperlichen Anstrengungen und seelischen Erregungen sind die erhaltenen Werte weitgehend reproduzierbar. Die Beurteilung der verschiedenen Pulsqualitäten kann ebenfalls Anhaltspunkte für weitergehende Begleiterkrankungen liefern. Die überprüften Reflexe und der erhobene Reflexbefund sind im Gutachten zu vermerken. Dies läßt sich ohne viele Worte klar und eindeutig festlegen. Bei Unfallfolgen, die das neurologische Fachgebiet berühren, ziehe man stets einen Neurologen zu. Mit seinen spezialisierten Kenntnissen ist er besser in der Lage, neurologische Störungen zu werten und sie anatomisch bzw. funktionell zu lokalisieren. Neben Blutuntersuchungen, zytologischen und serologischen Methoden sind bei allen Erkrankungen des

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Allgemeines

zentralen Nervensystems fachspezifische Untersuchungen wie ζ. B. die Liquordiagnostik sowie Lumbalpunktion mit Liquordruckmessung erforderlich. Bei Anforderung von Laborbefunden muß der Gutachter dem Laborarzt genau angeben, welche Untersuchungen er durchgeführt haben will und mit welcher Fragestellung. Auch ein hinzugezogener Pathologe kann sich nur zu einer konkreten Fragestellung sinnvoll und erschöpfend äußern. Bei Schädelverletzungen sind Zusatzuntersuchungen durch den Augenarzt, Hals-Nasen-Ohren-Arzt, Neurologen und ggf. Psychiater notwendig. Die speziellen Untersuchungsgänge sind so fachspezifisch, daß auf eine Darstellung hier verzichtet wird, da bei entsprechender Fragestellung eine disziplingebundene Zusatzuntersuchung unabdingbar ist. Für den unfallchirurgisch tätigen Gutachter gehören allgemeine und spezielle Diagnostikmethoden mit ihren Fortschritten zum notwendigen Rüstzeug, seine wesentlichsten Mittel bleiben aber immer die Fachkenntnis, die genaue und gekonnte Untersuchung und die im Laufe der Zeit gesammelte Erfahrung. Abschließend seien die Muster für Meßbögen wiedergegeben. Diese Bögen haben sich zur Vermeidung unnötigen Schreibwerks aber auch als Gedächtnisstützen für den Untersuchungsablauf eingebürgert. Sie können über die Unfallversicherungsträger bezogen werden (S. 1.27). Weil diese Meßbögen eine Schematisierung bedeuten, sei daran erinnert, daß die Bemessung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben sich nach dem klinischen Gesamtbefund richtet und nicht nach Einzelergebnissen.

1.27 Anleitung zur Benutzung der Meßblätter und der Messung nach der Neutral-O-Methode Von verschiedenen Autoren wurde eine einheitliche Schreibweise der gemessenen Gelenkbeweglichkeit vorgeschlagen als sogenannte Neutral-0- oder Null-Durchgangsmethode, die heute international verbreitet ist. Ausgangspunkt aller Messungen ist dabei die sogenannte Neutralstellung der untersuchten Person. Diese Neutral-O-Stellung entspricht der normalen Funktionsstellung aller Gelenke eines gesunden Menschen im aufrechten Stand mit hängenden Armen und nach vorn gehaltenen Daumen und parallel ausgerichteten Füßen. Die Messung der Gelenkbeweglichkeit erfolgt durch Anlegen des Winkelmessers an die vom Gelenk ausgehenden Gliemaßen. Der Winkelmesser wird weder dorsal noch ventral angelegt, sondern lateral, und zwar so, daß die Schenkel des Winkelmessers mit den gedachten Längsachsen der Gließmaßen zur Deckung gebracht werden und die Drehachse des. Winkelmessers mit der Drehachse des Gelenkes zusammenfällt. Der durchlaufende Winkel wird an der Winkelmesserskala abgelesen und sinnvollerweise unter Rundung auf die nächste Fünferstelle notiert. Bei der Protokollierung

Anleitung zur Benutzung der Meßblätter

95

werden immer 3 Zahlen eingetragen. In Normalfall wird die 0 zwischen die beiden Ziffern für die Anfangs- und Endstellung gesetzt, da üblicherweise die Gelenke über die O-Stellung hinaus in zwei Richtungen Bewegungen zulassen. Beispiel Hüftgelenk:

Streckung/O/Beugung

10 - 0 - 130

bedeutet: Der Bewegungsumfang erreicht von 10° Streckung über die O-Position bis 130° Beugung. Wird bei der Bewegung die O-Stellung erreicht ohne weiteren Bewegungsausschlag darüber hinaus, so wird durch 2-malige Schreibung der 0 angezeigt, daß die erreichbare Endstellung der O-Stellung des Gelenkes entspricht: Beispiel Ellbogengelenk:

Streckung/O/Beugung

0 — 0 - 150

bedeutet: Die normale Streckstellung des Gelenkes ist gleichzeitig Endstellung, eine Überstreckbarkeit liegt nicht vor. Wenn infolge einer Bewegungseinschränkung die Normalposition (gleich O-Stellung) nicht erreicht wird, so wird der bei Bewegung beschriebene Winkel durch die erreichbaren Grenzausschläge auf der Bewegungsseite der 0-Position angegeben: Beispiel Zeigefingergrundgelenk:

Streckung/O/Beugung

0-30-80

bedeutet: Das Bewegungsausmaß ist durch die Grenzen 30 bzw. 80° Beugung gegeben, das heißt, es beträgt 50°. Es liegt also eine Beugekontraktur von 30° vor. Bei Versteifung eines Gelenkes wird durch doppelte Notierung der Gelenkstellung angezeigt, daß ein Bewegungsausschlag nicht möglich ist: Kniegelenk: Streckung/O/Beugung

0 — 20 — 20

bedeutet: Es besteht eine Versteifung in 20° Beugestellung. Eine Versteifung in Streck- bzw. Überstreckstellung wird wie folgt notiert: Kniegelenk: Streckung/O/Beugung

10-10-0

bedeutet: Hier besteht eine Versteifung in 10° Überstreckstellung. Die Längen- und Umfangmessungen sollen wenn möglich ebenfalls in der Neutralstellung erfolgen, um vergleichbare Werte zu erhalten. Als Maßband ist ein kunststoffüberzogenes Schneiderbandmaß zu empfehlen. Stahlmeßbänder knicken und legen sich der Haut weniger gut an. Auch hier soll die Notierung mit einer Genauigkeit von 0,5 cm erfolgen. Das Meßblatt muß möglichst vollständig und genau ausgeführt und beziffert werden, um dem Nachuntersucher brauchbare Vergleichswerte liefern zu können. Dem Untersucher noch erforderlich erscheinende Zusatzmessungen können eingefügt werden. Beschreibende Angaben über Funktionszustände (z.B. Faustschluß, Spitzgriff etc.) müssen im Gutachtentext enthalten sein und erscheinen daher nicht im Meßblatt.

96

Allgemeines

97

Anleitung zur Benutzung der Meßblätter

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Anleitung zur Benutzung der Meßblätter

99

100

Allgemeines

101

Anleitung zur Benutzung der Meßblätter i . \

Abb. 7

Abb. 6

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Abb. 8

0 Abb. 9

Abb. 10

Abb. 11

102

Allgemeines

Abb. 14

Abb. 15

Abb. 17

Abb. 16

Abb. 21

Simulation und Aggravation

103

1.28 Simulation und Aggravation Bei der Begutachtung muß der Arzt in einem erheblichen Prozentsatz mit bewußter oder unbewußter Übertreibung (Aggravation), in seltenen Fällen sogar mit Vortäuschung (Simulation) rechnen. Diese Beobachtung macht man in allen Versicherungszweigen besonders bei ungewissen Wirtschaftslagen des einzelnen oder der Gesamtheit. Die Begutachtung entscheidet oft über starke materielle oder soziale Interessen. Der Grund für dieses Verhalten liegt zweifellos in dem Bestreben des Versicherten, sich anhand eines Unfalls wirtschaftliche oder sonstige Vorteile zu verschaffen. Was kann nun der Versicherte vortäuschen? 1. Das Unfallereignis. Die Untersuchung derartiger Fälle ist Sache der Unfallversicherungsträger. Der Arzt muß nur die Frge beantworten, ob Hergang und Befund miteinander übereinstimmen (z.B. Blutergußverfärbung nach äußerer Gewalteinwirkung). 2. Die Unfallfolgen. Die unbewußte Vortäuschung und Übertreibung von Krankheitserscheinungen kommt bei seelisch normalen wie bei seelisch kranken und abnormen Persönlichkeiten vor. Nur selten gelingt die Klärung, ob eine Vortäuschung bewußt oder unbewußt war. Allerdings ist die Zahl der bewußten Simulanten wesentlich geringer als die der unbewußten. Zu den Unfallfolgen, die am meisten vorgetäuscht oder übertrieben werden, gehören: Schmerzen, Sensibilitätsstörungen, Kraftlosigkeit, Gangstörungen, Gelenkbehinderungen; von den neurologischen Unfallfolgen besonders: Schwindel, Zittern, Gedächtnisschwäche, Krämpfe, Schlaflosigkeit, Sehbehinderungen, Hör- und Gleichgewichtsstörungen. Beim Internisten werden vorgebracht: Atembeschwerden, Herzklopfen, Herzschmerzen und nach Bauchverletzungen die schwer objektivierbaren Bauchschmerzen und Verdauungsstörungen. Beweisen können wir eine Simulation oder Aggravation in der Regel nicht. Wir haben vor allem kein Maß, mit dem wir den Schmerz messen können. 3. Den Zusammenhang eines vorbestehenden Leidens mit einem Unfallereignis. Häufig werden Erkrankungen, die vielleicht oder sogar sicher schon vor dem Unfall bestanden haben von den Versicherten als Unfallfolgen betrachtet und hingestellt, wenn sie anläßlich des Unfalles oder gelegentlich einer Unfallbegutachtung aufgedeckt wurden. Hierbei handelt es sich meistens jedoch um mangelnde Sachkenntnis des Laien in medizinischen Dingen. Die damit aufgeworfene Frage nach dem ursächlichen Zusammenhang muß durch einen speziell erfahrenen Gutachter sachverständig beantwortet werden. Eine nicht unwesentliche Rolle für die Entstehung und Förderung der unbewußten seelischen Fehlverarbeitung eines Unfalles und seiner Folgen kommt den unvorsichtig oder unbedacht abgefaßten Bescheinungen in diesen Dingen nicht bewanderter Ärzte zu. Die Verbissenheit mancher Versicherter führt zu oft jahrelangen mehrinstanzlichen Rechtsauseinandersetzungen. Derartige Menschen vermag auch die Entschei-

104

Allgemeines

dung selbst der letzten Rechtssprechungsinstanz über ihre Rentenansprüche nicht zur Ruhe zu bringen. Folgende Gesichtspunkte erleichtern bei der Untersuchung die Differenzierung zwischen Übertreibung und Vortäuschung und echten Unfallfolgen: Genaue und möglichst unauffällige Beobachtung des Gutachtenpatienten während der ganzen Untersuchung, ohne bei ihm den Verdacht zu erwecken, daß man ihm nicht traut. Die sorgfältige Erhebung der Vorgeschichte mit besonderer Berücksichtigung der subjektiven Klagen. Die exakte ärztliche Untersuchung mit wechselnden Untersuchungsabläufen im Stehen, Sitzen und Liegen, hier in Rücken- und Bauchlage. Die Ablenkung der Aufmerksamkeit des Patienten und seine Ermüdung durch langdauernde, sich wiederholende Untersuchungen, die durch Monotonie die Konzentrationsfähigkeit herabsetzen. Die Anwendung von Untersuchungsmethoden, die dem Verletzten nicht bekannt sind. Besonders alte Rentenbezieher und Chronischkranke kennen den Großteil der üblichen Untersuchungsmethoden und wissen genau, wie sie sich dagegen zu verhalten haben. Die stationäre Beobachtung und bei vorgetäuschten Gelenkbehinderungen eine Untersuchung in Narkose, die Anwendung fotografischer Dokumentation oder eine Fernsehbeobachtung sind weitere Möglichkeiten. Vor allem ist aber die Kenntnis gleichartiger Erkrankungen bei NichtVersicherten erforderlich. In jedem begründeten Verdachtsfall ist es angebracht, höher spezialisierte apparative Untersuchungen einzusetzen. Die gelegentlich vorkommenden Selbstschädigungen sind bei erfahrener Befundauswertung ahn- oder aufdeckbar.

2. Spezielles

2.1 Die wichtigsten Rentensätze Der ursprüngliche Sinn der Rente in der Unfallversicherung war die Linderung der rein materiellen Not durch eine Entschädigung für den unfallbedingt geringeren Arbeitsverdienst. Minderung der Erwerbsfähigkeit und Lohneinbuße waren vor etwa 100 Jahren praktisch identisch. In der heute hoch spezialisierten Arbeitswelt gibt es das allgemeine Erwerbsleben, den allgemeinen Arbeitsmarkt von 1880 nicht mehr. Die Unfallrente entschädigt heute für körperliche Beeinträchtigung, die Verminderung der Arbeitsmöglichkeiten, die Erschwerung wirtschaftlichen Fortkommens, für die Notwendigkeit, den Arbeitsplatz oder gar den Beruf wechseln zu müssen, seltener noch für geringeren Arbeitsverdienst. „Bei der Gewährung der Rente handelt es sich um die Versorgung wegen der wirtschaftlichen Folgen der erlittenen Gesundheitsstörung. Diese wirtschaftlichen Folgen werden daran gemessen, inwieweit der Geschädigte in seiner Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist also das Maß für die wirtschaftlichen Folgen einer Gesundheitsstörung" (Entscheidung Bundessozialgericht vom 6.8.1963). Im Laufe der Zeit haben sich für die Schätzung bestimmter Unfallfolgen Erfahrungswerte herausgebildet. Diese sind in Form sogenannter Rententabellen zusammengefaßt. Die Erweiterung der in diesen Tabellen erfaßten Schädigungsfolgen und ihrer gradmäßigen Bewertung geschieht durch Relativierung zu den bereits bekannten vergleichbaren Bemessungen, ferner durch Berücksichtigung der wissenschaftlichen Forschungsergebnisse und weiter durch die Rechtsprechung. Der ärztliche Gutachter wird immer auf diese Rententabellen verwiesen, welche die üblichen Sätze namentlich für Unfallfolgen an den Gließmaßen enthalten. Diese Zusammenstellungen stellen jedoch keine verbindlichen Normen dar. Sie sind ärztlicherseits immer nur als Arbeitshilfen innerhalb einer sich wandelnden versicherungsrechtlichen Begriffs weit aufgefaßt und benutzt worden. In der Praxis hat es sich als zweckmäßig erwiesen, große Abweichungen von den nachfolgenden Schätzungsregeln stets stichhaltig zu begründen, um die bewußte Abweichung von den üblichen und allgemein anerkannten Anhaltspunkten schlüssig erscheinen zu lassen. Die Rente selbst setzt der Versicherungsträger dann fest, wenn ihm der Schätzungsvorschlag des Sachverständigen überzeugend erscheint. In der Unfallversicherung sind die praktisch wichtigsten Eck-Rentensätze einmal 20 v.H., weil an diesen Satz in der Regel die Zahlbarmachung der Rente überhaupt gebunden ist, weiterhin 50 v. H. weil an diesen Satz die begehrte Schwerbeschädigteneigenschaft gekoppelt ist (Kinderzulage, Kündigungsschutz, Witwen- und Waisenbeihilfe bei nicht unfallbedingtem Tod) und der Satz von 80 v.H., weil dann eine noch

106

Spezielles

weitere wesentliche Vergünstigung fällig werden kann (laufende Witwenbeihilfe bei nicht unfallbedingtem Tod nach 10-jährigem Rentenbezug). Bei gleicher Einschätzung des Satzes der Minderung der Erwerbsfähigkeit sind in der Unfallversicherung die finanziellen Folgen deshalb individuell verschieden, weil der vor dem Unfall erzielte Jahresarbeitsverdienst die jeweils maßgebliche Berechnungsgrundlage abgibt (Minderung der Erwerbsfähigkeit von 100 v.H. = 66 2/3 v.H. des Jahresarbeitsverdienstes). Wenn auch manchmal nur anatomische oder röntgenologische Veränderungen stichwortartig als Begutachtungskriterien aufgeführt werden, so soll das nicht bedeuten, daß nicht vorrangig funktionelle Gesichtspunkte gelten und bei den Rentensätzen berücksichtigt wurden. Die funktionelle Auswirkung der Körperschäden ist - wie seit Jahrzehnten üblich - das maßgebliche Begutachtungsmerkmal. Die nachstehend mitgeteilten Zahlen für Erfahrungswerte sind im Sinne der vorstehenden Ausführungen als Richtlinien aufzufassen. Sie sollen nur als Anhaltspunkte für die Einschätzung im Einzelfall dienen. Die genannten Zahlen haben erst nach einer gewissen Gewöhnung und Anpassung an den Zustand der unfallbedingten Schädigung Geltung. Erfahrungsgemäß liegen kurze Zeit nach Ausheilung der akuten Verletzungen die angemessenen Entschädigungssätze höher, weil auch die funktionellen Auswirkungen der Unfallfolgen durch Übungs- und Trainingsmangel bzw. Verlust schwerer wiegen. Selbstverständlich muß man der Ausprägung und dem Schweregrad der unfallbedingten Befunde Rechnung tragen. Stets ist also die zusätzliche Berücksichtigung der Einzelsituation eines jeden Verletzten und seiner geistigen, körperlichen und sozialen Fähigkeiten erforderlich. Die Tabellen führen nur häufig vorkommende Unfallfolgen als Beispiele für die jeweile Bemessung der 1. Dauerrente auf. Die vorgeschlagenen Entschädigungssätze an den Gließmaßen gehen davon aus, daß die Gegenseite völlig gesund und gebrauchsfähig ist. Vor dem Ansatz dieser Erfahrungswerte muß der Gutachter also stets für sich die Frage beantworten, ob in den Verhältnissen des Einzelfalles Besonderheiten vorliegen, die ihn aus dem Durchschnitt herausheben oder nicht. Die abweichende Schätzung nach oben oder unten muß anhand dieser Besonderheiten erläutert werden. Die Schätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit muß immer von der individuellen und nicht von einer allgemeinen Erwerbsfähigkeit ausgehen. Diese Individualität muß bei Abweichungen immer herausgestellt werden. Bei seiner Beurteilung scheiden.

kann sich der Gutachter

immer nur für eine einzige Zahl ent-

Bei den Erwerbsminderungssätzen an der oberen Gliedmaße wurde von der naturgegebenen Tatsache ausgegangen, daß die Rechtshändigkeit überwiegt (93% der Erdbevölkerung) . Diejenigen Bestrebungen die eine angeblich generelle funktionelle Gleichwertigkeit beider Arme und Hände propagieren, erschweren die sachgerechte Einschätzung der

107

Körperoberfläche

individuellen Verwertbarkeit der verbliebenen Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Sie lassen außer acht, daß die anspruchbegründenden Tatsachen durch die Minderung oder den Ausfall normaler Funktionen bedingt sind und nicht durch anatomische Defekte. Diese allein können niemals Maßstab der Bewertung sein. Daher wird in der Rechtssprechung auch in neuester Zeit noch zwischen Gebrauchshand und Hilfshand unterschieden. Auch an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, daß Anregungen und Vorschläge zur Rehabilitation oder kurze Bemerkungen über das Ergebnis der bisherigen Einordnungsversuche des Gutachtenpatienten viel nützlicher sind als „wohlwollende" Einstufungen der Minderung der Erwerbsfähigkeit.

2.2 Körperoberfläche Flächenhafte Narbenbildungen ohne Berücksichtigung von Versteifungen, trophischen Störungen und anderen Schäden Prozentsatz 10 20

20 v. H. Körperoberfläche 30 v. H. Körperoberfläche Verbrennungsnarben u. ä. in v. H. der Körperoberfläche

1 bis 4 Jahre

5 bis 9 Jahre

10 bis 1 4 15 Jahre Jahre

Kopf Hals Rumpf (vorn) Rumpf (hinten) R. Gesäßhälfte L. Gesäßhälfte Genitalien R. Oberarm L. Oberarm R. Unterarm L. Unterarm R. Hand L. Hand R. Oberschenkel L. Oberschenkel R. Unterschenkel L. Unterschenkel R. Fuß L. Fuß

17% 2 13 13

13% 2 13 13

11% 2 13 13

9% 2 13 13

7% 2 13 13

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272 272 1 4 4 3 3

272 272 1 4 4 3 3

272 272 1 4 4 3 3

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272 272 8 8

272 272 872 872 6 6

272 272 9 9

272 272 972 972 7 7

372 372

572 572 372 372

372 372

672 672 372 372

Erwachsene

372 372

Bei körperlichen Entstellungen, insbesondere bei erheblichen Verstümmelungen sichtbarer Körperteile sind nicht nur medizinische, sondern auch wirtschaftliche Fragen (Herabsetzung der Angebotsfähigkeit, Einschränkung dienstlicher Kontakte) und die seelischen Auswirkungen zu berücksichtigen.

108

Spezielles

2.3 Kopf Schädel und Gesicht

Prozentsatz

Schädelbasisbruch (ohne neurologische oder HNO-Begleitschäden) . . .

0

Brüche des Hirn- oder Gesichtsschädels ohne weitere Auswirkungen..

10

Kleinere Knochenlücken am Schädel (ohne Hirnfunktionsstörung) . . . .

10

Knochenlücken im Schädeldach (ohne Hirnfunktionsstörung), je nach Größe (Pelotte nach Bedarf)

10-40

Einbruch des Augendachrandes und des Jochbeines, je nach Grad der Gesichtsentstellung

0—15

Einfache Entstellung des Gesichtes; kosmetisch nur wenig störend

10

kosmetisch störend, ohne Korrektur und Epithese

20

Abstoßende Entstellungen des Gesichtes, die den Umgang mit Menschen erschweren, ohne Korrektur oder Epithese

30-50

Gesichtsnervenlähmung einseitig, wenig störend

10

ausgeprägte Störungen oder Kontrakturen

20

komplette Lähmung oder entstellende Kontraktur beidseitig, je nach Ausprägung Skalpierung bei Frauen (dazu Perücke) Skalpierung oder Vernarbung der Kopfhaut bei Männern (mit und ohne Perücke) Gehirn Gehirnerschütterung, im Regelfalle Gehirnerschütterung mit nachweisbaren neurologischen Störungen und geringer Leistungsbeeinträchtigung (bis 2 Jahre nach dem Unfall)

30 20-40 30 10-20 Prozentsatz 0 10-20

Hirnschäden mit Leistungsbeeinträchtigung geringen Grades

10-20

mittelschweren Grades

30—50

schwere bis schwersten Grades

60-100

Hirnschäden mit Teillähmungen und Lähmungen leichten Grades

bis 40

mittelschweren Grades

40-60

schweren Grades

60-80

Halbseitenlähmung

100

Lähmung beider Beine

100

Kopf

109

Teillähmungen und Lähmungen der Gliedmaßen sind aus vergleichbaren Funktionseinbußen der Gliedmaßen abzuleiten Hirnschädigung mit organisch-psychischen Störungen (sogenannte Hirnleistungsschwäche und organische Wesensänderung), je nach Art Prozentsatz leicht mittelgradig schwer Hirnschädigungen mit zentralen vegetativen Störungen (z.B. Kopfschmerzen, Schwindel, Schlafstörungen, Kreislaufregulationsstörungen)

20-40 40-50 60-100

leichter Art

10-20

mittelschwer (auch vereinzelt synkopale Ausfälle)

20—30

schwerer Natur mit häufigen Anfällen oder schweren Auswirkungen auf den Allgemeinzustand

30-40

Blasen- und Darmlähmung

100

Hirnschäden mit herdbedingten Ausfällen (z.B. Aphasie, Apraxie, Agnosie) leicht

bis 30

mittelschwer

40—60

schwer

70-100

Koordinations- und Gleichgewichtsstörungen zerebraler Ursache, je nach Gebrauchsfähigkeit der Gliedmaßen

30-100

Zerebrale Krampfanfälle (epileptische Anfälle), je nach Art, Schwere, Häufigkeit und tageszeitlicher Verteilung)

40-100

sehr selten (große Anfälle mit Pausen von mehr als einem Jahr; kleine Anfälle mit Pausen von Monaten)

40

selten (große Anfälle mit Pausen von Monaten; kleine Anfälle mit Pausen von Wochen)

40-50

mittlere Häufigkeit (große Anfälle mit Pausen von Wochen; kleine Anfälle mit Pausen von Tagen)

50-60

häufig (große Anfälle wöchentlich oder Serien von generalisierten Krampfanfällen, von fokal betonten oder von multifokalen Anfällen; kleine Anfälle täglich)

70-100

nach drei Jahren Anfallsfreiheit bei weiterer Notwendigkeit antikonvulsiver Behandlung (wegen fortbestehender Anfallsbereitschaft)

20

Ein Anfallsleiden gilt als abgeklungen, wenn ohne Medikation drei Jahre Anfallsfreiheit besteht. Ohne nachgewiesenen Hirnschaden ist dann keine MdE mehr anzunehmen . Isolierte Hirnnervenstörungen sind von den entsprechenden Funktionseinbußen der Erfolgsorgane abzuleiten. Hirnerkrankungen sind nach den vergleichbaren Leistungsausfällen zu beurteilen.

110 Auge entstellende Verletzung der Lider

Spezielles Prozentsatz einseitig beidseitig 10 25

Verletzung der Tränenwege

10

25

chronischer Bindehautkatarrh

10

15

je nach Gefährdung des Auges und Entstehungsgrad . . . 10-20

20-30

Schließunfähigkeit des Auges

25

30—40

0

10

unzureichender Lidschluß (vgl. auch Gesichtsnervenlähmung)

Lähmung des Oberlides mit geringem Herabsinken ohne Sehbehinderung mit geringem Herabsinken mit Sehbehinderung

10-20

20—30

mit vollständigem Verschluß des Auges

30

70

Augenmuskellähmungen an einem Auge ohne wesentliche Störung des zweiäugigen Sehens

10

wenn das Auge vom Sehen ausgeschlossen werden muß

30

Doppeltsehen

20

Verlust oder Blindheit beider Auge

100

Verlust oder Blindheit eines Auges bei uneingeschränktem Sehvermögen des zweiten Auges, auch bei problemlosem Tragen eines Kunstauges

25

Verlust eines Auges mit Unmöglichkeit des Tragens einer Prothese

30

Verlust eines Auges mit chronischer Eiterung der Augenhöhle oder Gesichtsentstellung Verlust oder Blindheit eines Auges bei

40

Herabsetzung der Sehschärfte auf dem zweiten Auge auf 0,4

50

beidseitige Herabsetzung des Sehvermögens auf 0,2 . . . .

50

beidseitige Herabsetzung der Sehschärfe auf 0,05 Linsenverlust beidseitig, unkompliziert, bei Korrektur mit einer Starbrille von 10 dptr. und mehr

jQO

25

einseitig, unkompliziert, auch mit Kontaktlinsen-Korrektur

20

am einzigen sehtüchtigen Auge, bei Korrektur mit einer Starbrille von 10 dptr. und mehr

45

Linsenimplantation mit gutem Sehvermögen und praktisch verwertbarem zweiäugigem Tiefensehen

15

111

Kopf

Rententabelle der DOG Für die Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Schäden des Sehvermögens (Herabsetzung der Sehschärfe) hat die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) Richtlinien erarbeitet, die als Bemessungsgrundlage von den Trägern der Gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt werden. Diese „Rententabelle" der DOG folgt den Erfahrungen der Praxis und der damit einhergehenden Rechtsprechung. Der Gutachter ist bei seiner Schätzung der MdE grundsätzlich unabhängig. Allerdings soll er Abweichungen von diesen Richtlinien im Einzelfall begründen. Der Visus ( = Sehschärfe) wird heute als Dezimalbruch angegeben. Die Schreibweise in einem echten Bruch läßt im Zähler die Prüfentfernung in Metern erkennen und im Nenner die gelesene Zeile der Sehprobentafel. Die erste waagrechte bzw. senkrechte Rubrik enthält die Sehschärfe des rechten (RA) bzw. des linken (LA) Auges in beiden gebräuchlichen Schreibweisen. Die übrigen Rubriken liefern die sich ergebende MdE im Hundertsatz. Gültige MdE-Tabelle der DOG (1981) Visus-MdE-Tabelle der DOG (1981) Sehschärfe

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30

40

40

40

50

50

50

60

60

5

hs

10

15

20

20

25

30

40

50

50

50

60

60

70

70

7J0

15

20

20

25

30

40

40

50

60

60

60

70

80

80

7

20

20

25

30

30

40

50

50

60

70

80

90

90

1 , 0

S

0,8

0,2

0,16 0,1

SO

0,08

Vi,

20

25

30

30

35

40

50

60

60

70

80

90

90

90

0,05

V20

25

30

30

35

40

50

50

60

70

80

90

100

100

100

0,02

Vso

25

30

30

40

50

50

60

70

80

90

100

100

100

0

0

25*

30

40

40

50

50

60

70

80

90

90

100

100

100

MdE-% -Satz * Gilt für unkomplizierte einseitige Erblindung. Bei Komplikation durch äußerlich in Erscheinung tretende Veränderungen, wie z.B. Beweglichkeitseinschränkung des Augapfels, entstellende Narben im Augenbereich, chronische Reizzustände oder Notwendigkeit eines Kunstauges kann dieser MdE-Satz auf 30% erhöht werden.

112

Spezielles

Visusbeurteilung bei hoher Myopie und hochgradigem Astigmatismus Hochgradige Refraktionsanomalien weisen häufig in der mittleren Seh-Distanz (0,7 m - 3 m) eine bessere Sehschärfe als für die Ferne auf. In diesen Fällen sollte der Gutachter nicht nur den Visus für die Ferne, sondern auch in 1 m Abstand prüfen und den für die Ferne anzusetzenden MdE-Wert korrigieren, wenn zwischen beiden Visuswerten eine zu große Diskrepanz besteht. Die beiden wiedergegebenen Renten-Tabellen von Marchesani und von Wegner sind für Sehschärfenwerte in 1 m Entfernung ausgearbeitet. Sie sollen aber keineswegs übernommen werden, sondern sind als zusätzliche Information gedacht, wenn der Gutachter für seine MdE-Einschätzung Bedenken hat. Generell gilt auch in diesen Fällen die Rententabelle der DOG Rententabelle für hochgradige Myope (Marchesani 1942) Prüfentfernung 1 m Sehschärfe

v

3

l 4

/

Ά

Vio

v

2 0

V30

V50


t-t

Β CΛ α II £

* Das Gesamtwortverstehen (ws) wird aus der Wortverständniskurve errechnet. Es entsteht durch Addition der Verständlichkeitswerte bei 60, 80 und 100 dB Lautstärke.

Die sprachaudiometrisch ermittelten p r o z e n t u a l e n H ö r v e r l u s t e f ü r beide O h r e n werden n u n zur Bewertung der M d E in die Tabelle nach F e l d m a n n eingesetzt.

Spezielles

116

Tabelle zur Ermittlung der MdE aus den Schwerhörigkeitsgraden für beide Ohren (nach Feldmann) Normalhörigkeit

4m Im 0,25 m

JS Ο

a.c.

0 —10

0

10

10

15

15

20

20

30

30

30

40

40

50

50

60



Geringgradige Schwerhörigkeit

20-40

0

15

Mittelgradige Schwerhörigkeit

40-60

10

20

Hochgradige Schwerhörigkeit

60-80

An Taubheit grenzende Schwerhörigkeit

80-95

15

30

40

50

60

100

15

30

40

50

60

Taubheit

0

0-20

20-

30 35-

10

20

30

45 50-

65-

Hörverlust in %

0 - 2 0 20-40 40-6060-80 80-95

Ν υ Ml υ i- op Ja!

:0 « · u -£ J3 ü •5 u "m a - s 2tjj -ss 'S * ε (2 'S S * - S J Η ΙΛ Ο o(S) acide Gruppen

R2

-X

RI = AlkoxyR 2 = Alkoxy-, Alkyl-, Dialkylamido basische Gruppen X _ Phenoxy- (substituiert durch Halogen- oder Nitrogruppen) u.a.; Alkoxy-, Alkylthio- und substituierte Seitenketten; auch O-Heterocyclen

I. Gefahrenquellen Zahlreiche Insektizide sind organische Phosphorverbindungen. Als Beispiele hierfür seien genannt: Ε 605, Parathion, Thiophos: C2HsO\

^ S

//

c2hsoGusathion, Azinophos-äthyl: C

2

H

s

O \

c2h5o -

-^S -S-CH2

w no2

187

Merkblätter: Berufskrankheiten Metasystox, Demeton-S-methyl:

CH30 ch 3 o ^ ^

Ρ

^ ^ s.ch2ch2so2h5

Insektizide h a b e n in der ganzen Welt g r ö ß t e Verbreitung gefunden, und zwar einmal zur Sicherung der Welternährungsbasis, zum anderen zur B e k ä m p f u n g von Krankheiten, die durch Insekten übertragen werden, ζ. B. M a l a r i a durch die A n o p h e l e s - S t e c h m ü c k e , S c h l a f k r a n k h e i t durch die Tsetse-Fliege. O r g a n o p h o s p h a t e werden auch als Herbizide und Fungizide eingesetzt. O r g a n i s c h e Phosphorverbindungen werden darüber hinaus in der Herstellung von Kunststoffen und L a c k e n als W e i c h m a c h e r , H ä r t e r und Beschleuniger verwendet, ferner als E m u l g a t o r e n , F l a m m s c h u t z - , Flotations- und Netzmittel, HydraulikHüssigkeiten, Schmieröladditive, Antiklopfmittel u . a . m . Beispiele hierfür sind M o n o - , Di- und T r i a l k y l p h o s p h a t e wie Diäthyl- und Tributylphosphat, Triarylphosphate, z . B . Trikresylphosphat, sowie Alkylarylphosphate. Hauptgefahrenquellen durch Insektizide auf Phosphorsäureesterbasis bestehen bei der industriellen Herstellung, Formulierung und Abfüllung, auch im R a h m e n der Schädlingsbekämpfung beim M i s c h e n , Versprühen oder durch Verdampfen. Insbesondere gilt dies bei mangelnder B e a c h t u n g einschlägiger Sicherheitsbestimmungen und G e b r a u c h s a n w e i s u n g e n . Weitere G e f a h r e n ergeben sich aus der Wiederverwendung leerer Flaschen und Behälter, die vorher mit Phosphorsäureestern gefüllt waren. Tri-Alkylphosphat wird als E x t r a k t i o n s m i t t e l zur Abtrennung von Uran und anderen M e t a l l i o n e n aus wäßrigen Lösungen eingesetzt und stellt hierbei eine Gefahrenquelle dar. II. Pathophysiologic Bei annähernd gleicher W i r k u n g s w e i s e ist die unterschiedliche T o x i z i t ä t der verschiedenen Substanzen zu beachten. Die T o x i z i t ä t ist abhängig von der M e n g e der a u f g e n o m m e n e n Substanz und vom A u f n a h m e w e g . So werden die O r g a n o p h o s p h a t e schnell und vollständig über die Lungen und den M a g e n - D a r m - T r a k t , verzögert über die H a u t a u f g e n o m m e n . Letztgenannter Aufnahmeweg spielt vor allem bei körperlicher Arbeit und Hitze (Schwitzen) eine R o l l e . D i e O r g a n o p h o s p h a t e verteilen sich gleichmäßig über den G e s a m t o r g a n i s m u s und durchdringen leicht die B l u t - L i q u o r - S c h r a n k e . M e t a b o l i s c h e Prozesse, z . B . in der Leber, k ö n n e n auf die aktuelle W i r kung erheblichen Einfluß haben: Steigerung der Giftwirkung von T h i o - V e r b i n d u n g e n zu O x o - V e r b i n d u n g e n (P = S -*• Ρ = O ) ; oder auch andere Stoffwechselvorgänge, die zu einer A b s c h w ä c h u n g der G i f t w i r k u n g führen: von M a l a t h i o n zu M a l a t h i o n s ä u r e . Für die Giftwirkung im Warmblüterorganismus ist der in der Schräder-Formel mit X bezeichnete nukleophile Rest (leavinggroup, sog. acide Gruppe) die wichtigste Voraussetzung. Sie ermöglicht die R e a k t i o n der Phosphorsäureester mit bestimmten E n z y m e n , insbesondere Esterasen. Praktisch müssen die Insektiziden Phosphorsäureester als H e m m s t o f f e der Cholinesterase gelten. Einige O r g a n o p h o s p h a t e , z . B . T r i - o r t h o - k r e s y l p h o s p h a t , aber auch einige Insektizide verursachen n a c h einer Latenz von 1 - 2 Wochen L ä h m u n g e n durch irreversible Demyelinisierung m o t o r i s c h e r Nerven und der zugehörigen R ü c k e n m a r k s b a h n e n . D e r W i r k u n g s m e c h a n i s m u s dieser Vergiftungsform ist noch u n b e k a n n t . III. Krankheitsbild und D i a g n o s e Infolge der charakteristischen

Cholinesterasehemmung

treten bei H e m m u n g u m c a . 5 0 % und m e h r des N o r m a l wertes erste klinische S y m p t o m e mit den Z e i c h e n cholinerger Erregung auf. D a s akute Vergiftungsbild ist durch eine vielfältige zentralnervöse S y m t o m a t i k gekennzeichnet, wie L e i b s c h m e r z e n , Übelkeit, E r b r e c h e n , K o p f schmerzen, Erregung, K r ä m p f e , Verwirrheitszustände, Halluzinationen, Angst, B e k l e m m u n g , B e w u ß t l o s i g k e i t , K o m a . D e r T o d k a n n durch Herz-Kreislaufversagen und/oder A t e m l ä h m u n g sowie durch L u n g e n o e d e m auftreten. Im einzelnen k o m m t es durch Anreicherung von Acetylcholin an den Endungen der p o s t g a n g l i o n ä r e n cholinergischen Nerven des Auges, der glatten M u s k u l a t u r des H e r z m u s k e l s und der sekretorischen D r ü s e n zu m u s k a rinartigen W i r k u n g e n wie: T r ä n e n und Speichelfluß, erhöhte B r o n c h i a l s e k r e t i o n , B r o n c h o s p a s m u s (Dyspnoe), L u n g e n o e d e m , e r h ö h t e M a g e n - und D a r m d r ü s e n s e k r e tion, e r h ö h t e Peristaltik und S p a s m u s mit K o l i k e n , D u r c h f ä l l e und E r b r e c h e n , M i o s i s , A k k o m o d a t i o n s s t a r re (Sehstörungen), B r a d y k a r d i e , G e f ä ß t o n u s m i n d e r u n g mit B l u t d r u c k s e n k u n g , Schweißdrüsenstimulierung. Die Anreicherung von Acetylcholin an den m o t o r i s c h e n Nervenendungen ( M u s k e l e n d p l a t t e n ) verursacht n i k o tinartige W i r k u n g e n wie: M u s k e l s t e i f e , besonders im N a c k e n und G e s i c h t , T r e m o r , M u s k e l z u c k u n g e n , tonisch-klonische K r ä m p f e , S p r a c h s t ö r u n g e n , Parästhesien, n e u r o - m u s k u l ä r e r B l o c k mit A d y n a m i e bis zu k o m pletter Paralyse. Bei c h r o n i s c h e r E i n w i r k u n g wurde eine R e d u k t i o n der Nervenleitgeschwindigkeit in schnellen und langsamen m o t o r i s c h e n N e r v e n f a s e r n b e o b a c h t e t sowie eine R e d u k t i o n der E M G - S p a n n u n g s a m p l i t u d e auf einen s u p r a m a x i m a l e n R e i z . Diese Veränderungen müssen nicht unbedingt mit m a n i festen klinischen S y m p t o m e n oder mit einer gleichzeitigen R e d u k t i o n der C h o l i n e s t e r a s e a k t i v i t ä t vergesellschaftet sein. D i e b e o b a c h t e t e n Veränderungen der m o t o rischen Nervenleitgeschwindigkeit sowie die Änderungen im E M G gehen n a c h Beendigung der E x p o s i t i o n s p o n t a n und l a n g s a m zur N o r m zurück. Ein eigenes Krankheitsbild stellen die L ä h m u n g e n m o t o r i s c h e r N e r ven durch T r i - o r t h o k r e s y l p h o s p h a t - auch nach p e r k u t a ner R e s o r p t i o n - d a r . IV. Weitere H i n w e i s e Atemluft und E r b r o c h e n e s k ö n n e n j a nach S u b s t a n z k n o blauchartigen G e r u c h h a b e n . Die D i a g n o s e wird durch B e s t i m m u n g der C h o l i n e s t e r a s e a k t i v i t ä t in Erythrozyten oder im Vollblut gesichert. Klinische S y m p t o m e und G r a d der C h o l i n e s t e r a s e h e m m u n g b r a u c h e n e i n a n d e r nicht zu entsprechen. Bei ca. 3 0 % H e m m u n g und m e h r des N o r m a l w e r t e s in Erythrozyten oder Vollblut ist imm e r eine Gliederung a n z u n e h m e n . Dies gilt nicht unbedingt für S e r u m w e r t e . Entscheidend ist die Esteraseaktivität weniger im Vollblut als im Z N S . A l k y l p h o s p h a t e dringen leicht in das Z N S . Z u r Kontrolle des T h e r a p i e verlaufs und zur Ü b e r w a c h u n g der chronischen E x p o s i tion hat sich die B e s t i m m u n g der E r y t h r o z y t e n - C h o l i n e sterase als zuverlässig erwiesen. D i e Cholinesteraseaktivität kann auch mit Teststreifen ( z . B . Acholtest®, M e r c k o t e s t ® ) b e s t i m m t werden. Diese B e s t i m m u n g s m e t h o d e hat jedoch nur orientierenden Wert. Weil O r g a n o p h o s p h a t e durch R e a k t i o n mit Cholinesterase oder durch andere m e t a b o l i s c h e Prozesse schnell abg e b a u t werden, wird meist nur ein sehr kleiner Teil unverändert im Urin ausgeschieden. D e s h a l b ist bei positivem Urinbefund nur eine qualitative Aussage m ö g l i c h . S o w e i t A l k y l p h o s p h a t e eine N i t r o - p h e n o x y g r u p p e (als acide G r u p p e — X der S c h r ä d e r - F o r m e l ) enthalten, k a n n ihre A u f n a h m e durch den N a c h w e i s von p - N i t r o p h e n o l im Urin nachgewiesen werden.

188 V. Literatur Ellmann, G.L: et al.: A new and rapid colorimetric determination of Acetylcholinesterase Activity. Bioch. Pharmacol. Vol.7 (1961) 8 8 - 9 5 Forth, W.; Henschler, D.; Rummel, W.: Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie. Bibliogr. Institut Mannheim, Wien, Zürich, 1. Aufl. 1975 Deutsche Forschungsgemeinschaft: Gesundheitsschädliche Arbeitsstoffe. Toxikologisch-arbeitsmedizinische Begründung von MAK-Werten. Vlg. Chemie Weinheim 1972 (Loseblattsammlung) Klimmer, O . R . : Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmittel, Abriß einer Toxikologie und Therapie

Merkblätter: Berufskrankheiten von Vergiftungen. Hundt-Verlag, Hattingen, 2. Aufl. 1971 Wirth, W.; Hecht, G.: Gloxhuber, Chr.: Toxikologie-Fibel. G. Thieme Verlag, 2. Aufl. 1971 Workshop on Biological Monitoring in Exposure to Cholinesterase Inhibitors, Cambridge/England v. 8 . - 1 0 . 9 . 1 9 7 5 . Int. Arch. Occup. Environmental Health (1976) 6 5 - 7 1 . Anmerkung: Hauterkrankungen gelten als Krankheit im Sinne der N r . 1307 der BeKV nur insoweit, als sie Erscheinungen einer Allgemeinerkrankung sind, die durch Aufnahme der in dieser N r . erfaßten schädigenden Stoffe verursacht wurde. Ggf. kann N r . 5101 der BeKV zutreffend sein.

Nr. 1308 Erkrankungen durch Fluor oder seine Verbindungen Fluor (F) ist ein grünlich-gelbes, sehr reaktionsfähiges Gas und schwerer als Luft. Es k o m m t nicht frei in der N a t u r vor. Die wichtigsten natürlich vorkommenden Fluorverbindungen sind Flußspat (CaFi), Kryolith (Na 3 AlFe 6 ) und Fluorapatit (3 Ca 3 [P0 4 ] 2 . CaF 2 ). Fluorwasserstoff (HF) siedet bei 20 °C. Unterhalb des Siedepunktes handelt es sich u m eine farblose, an feuchter Luft stark rauchende Flüssigkeit, die in jedem Verhältnis mit Wasser zu Flußsäure mischbar ist. Fluoride sind Salze der Flußsäure. Unter den organischen Fluorverbindungen sind die aliphatischen Verbindungen sowie deren Polymere in der Praxis bedeutsamer als die aromatischen. I. Gefahrenquellen Gefahren bestehen besonders bei gewerblichem Umgang mit Fluor, Fluorwasserstoff, Flußsäure und löslichen Fluoriden. Flußsäure wird u . a . als Ausgangsstoff für Fluorverbindungen, zum Glasätzen, -mattieren und -polieren, bei der Gebäudereinigung, zum Beizen und Glänzen von Edelstählen, zur Entkieselung und in der Galvanotechnik benötigt. Gefahren durch Fluoride können z.B. bei der Anwendung als Fluß- und Trübungsmittel in der Emaille- und Glasindustrie, bei vielen galvanischen Prozessen, beim Schmelzen von Metallen, beim Schweißen und Löten von Leichtmetallegierungen, in der Farben- und Erdölindustrie und besonders bei der elektrolytischen Herstellung von Aluminium auftreten. Auch bei der Schädlingsbekämpfung und Holzkonservierung sowie beim Wasserdichtmachen von Kunststeinfußböden und Zement (Fluatieren) werden Fluorverbindungen verwendet. Den meisten als Treibmittel (Freone), für Druckgaspakkungen, zur Kunststoffverschäumung, als Löschmittel (Halone), Kältemittel, als Extraktions-, Löse-, Reinigungs· und Verdünnungsmittel verwendeten aliphatischen Fluorverbindungen k o m m t eine geringere Toxizität zu. Bei den meisten in der Arzneimittelindustrie verarbeiteten aromatischen Fluorkohlenwasserstoffen können in höheren Konzentrationen Reizwirkungen auf die Schleimhäute auftreten. Ähnliches gilt für die ordnungsgemäße Verarbeitung hochwertiger Kunststoffe auf der Basis polymerer Fluorverbindungen (Teflon), bei deren Überhitzung allerdings gesundheitsschädliche Dämpfe auftreten. II. Pathophysiologie Die Aufnahme von Fluorverbindungen kann bei der Arbeit sowohl inhalativ als auch perkutan, seltener auch oral erfolgen. Zwischen der toxischen Wirkung von

Fluor, Fluorwasserstoff, Flußsäure und löslichen Fluoriden bestehen nur graduelle Unterschiede. Flußsäure durchdringt die H a u t , zerstört tiefere Gewebsschichten und kann resorptiv durch chemische Bindung des F-Ions an Kalzium- oder Magnesiumionen eine H e m m u n g lebenswichtiger Enzyme und akut bedrohliche Stoffwechselstörungen, z.B. im Kalzium- und Kohlehydrathaushalt, bewirken. Langjährige hohe Fluoraufnahme kann eine Störung des Mineralstoffwechsels verursachen, die zu schweren Knochenschäden, meist i. S. einer Osteosklerose (Knochenfluorose) führt. In seltenen Fällen wird nach chronischer Fluoreinwirkung auch Osteoporose beobachtet. Die Wirkungen einiger äußerst giftiger organischer Fluorverbindungen, wie der den Zitratzyklus blockierenden Monofluoressigsäure und einiger zu irreversibler Cholinesteraseblockierung führender Fluorphosphonate, sind atypisch. III. Krankheitsbild und Diagnose Einwirkungen von gas-, nebel-, rauch- oder staubförmigen Fluorverbindungen auf Schleimhäute führen zu örtlichen Reizerscheinungen. Massive Einatmung kann akut zu Lungenödem und chronisch zu bleibenden Schäden am Respirationstrakt führen. Bei der praktisch bedeutsamen Einwirkung auf die H a u t durchdringt das Fluorion rasch die Epidermis und führt unter starken Schmerzen zu tiefen, sich schnell ausbreitenden, schwer heilenden Kolliquationsnekrosen. Gelegentlich wird nach der Verätzung ein schmerzfreies Intervall beobachtet. Resorptiv kann es zu systemischer Wirkung kommen. Bei der gewerblich seltenen oralen Aufnahme von Fluorverbindungen werden, neben Verätzungen im Magen-Darm-Kanal, Krämpfe und akute Leber-, Herz- und Nierschäden beobachtet. Bei der Uberhitzung von Kunststoffen auf der Basis von Fluorpolymeren können nach kurzer Latenzzeit mehrstündige Störungen des Allgemeinbefindens mit Fieber auftreten. Bei noch höheren Temperaturen treten Zersetzungsprodukte mit Reiz- und Ätzwirkung auf. Nach langjähriger Einwirkung von Fluorwasserstoff oder Fluoridstaub können rheumatoide Beschwerden auftreten, die ihre Ursache in einer Osteosklerose besonders der spongiösen Knochen, wie denen des Beckens, der Wirbelsäule und der Rippen haben (Knochenfluorose). Erste röntgenologische Zeichen (in Weichstrahltechnik) sind Verknöcherungen an Bänder- und Sehnenansätzen, ζ. B. am Knie- und Ellenbogengelenk. Im weiteren Verlauf treten röntgenologisch in Erscheinung: 1. Grobe, unscharfe Bälkchenstruktur an Wirbelkör-

189

Merkblätter: Berufskrankheiten pern, R i p p e n und B e c k e n ; vermehrte K n o c h e n s k l e r o sierung. 2. zunehmende h o m o g e n e Schattendichte der K n o c h e n ; Spangenbildung an der W i r b e l s ä u l e , Einengung der M a r k h ö h l e langer R ö h r e n k n o c h e n , 3. eburnisiertes B a m b u s s t a b b i l d der W i r b e l s ä u l e , ausgedehnte Verkalkung der Sehnen und G e l e n k k a p s e l n . M u l t i p l e Periostreaktionen, E x o s t o s e n , Ankylosierung der Kreuzbeinfugen. Eine chronische F l u o r e r k r a n k u n g (Fluorose) ist im allgemeinen dann a n z u n e h m e n , wenn folgende Hinweise gegeben sind: 1. Polyarthralgie 2. Verknöcherte B a n d a n s ä t z e 3. E r h ö h t e Fluoridausscheidung im Urin

Isoliert auftretende Schädigungen des Z a h n s c h m e l z e s durch Flußsäure fallen unter N r . 13 1 2 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung. E r k r a n k u n g e n durch F l u o r k o h l e n w a s s e r s t o f f e mit vorwiegender S y m p t o m a t i k a m zentralen Nervensystem und L e b e r p a r e n c h y m (ζ. B . N a r k o s e g a s e wie H a l o t h a n ) fallen unter N r . 13 02 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung. V. Literatur

Eine Z a h n f l u o r o s e mit Schmelzveränderungen tritt im allgemeinen nur während der Ameloblasten (Adamantoblasten-)Aktivität, also bis etwa zum 14. L e b e n s j a h r auf. Flußsäuredämpfe k ö n n e n einen Säureschaden der Z ä h n e verursachen. IV. Weitere Hinweise Die Verwendung von Fluorverbindungen hat in den letzten J a h r z e h n t e n z u g e n o m m e n . Die pathophysiologische W i r k u n g einer Fluorverbindung ist aus der chemischen F o r m e l nicht i m m e r ablesbar. C h e m i s c h nahestehende Fluorverbindungen, wie z . B . Schwefelpentafluorid und Schwefelhexafluorid, k ö n n e n in ihrer Giftigkeit erheblich differieren. Die B e s t i m m u n g der F l u o r i d k o n z e n t r a t i o n

(Urin am E n d e der Arbeitszeit nach mindestens drei vorangegangenen E x p o s i t i o n s t a g e n ) k a n n zur F r ü h d i a g n o s e einer F l u o r o s e wertvoll sein.

im

Harn

Boillat, Μ . Α . , B a u d , C . Α . , Lagier, R . , G a r c i a , J . , R e y , P., B a n g , S., Boivin, G . , D e m e u r i s s e , C . , G ö s s i , M . , T o c h o n D a g u y , H . J . , Very, J . M . , Couvoisier, B . : F l u o r o s e industrielle, Schweiz. M e d . W s c h r . , suppl. 8 , 1 0 9 , 5 - 2 8 (1979) H o d g e , H . C . , S m i t h , F. Α . : O c c u p a t i o n a l Fluoride E x p o sure, J . O c c u p . M e d . 19, 1, 1 2 - 3 9 (1977) Wende, E . : E r k r a n k u n g e n durch F l u o r oder seine Verbindungen in: H a n d b u c h der gesamten Arbeitsmedizin, Hrsg. E . W . B a a d e r , B d . I I / 1 S . 2 9 6 - 3 1 3 , U r b a n und Schwarzenberg, B e r l i n - M ü n c h e n - W i e n 1961 Z o b e r , Α . , Schaller, K . H . : F l u o r i d b e s t i m m u n g im H a r n , Analysen im biologischen M a t e r i a l . K o m m i s s i o n zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der D F G . Verlag C h e m i e , W e i n h e i m 1976 Z o b e r , Α., G e l d m a c h e r v. M a l l i n c h r o d t , M . , Schaller, Κ . H . : R e n a l Fluoride E x c r e t i o n as a Useful P a r a m e t e r for M o n i t o r i n g Hydrofluoric A c i d - E x p o s e d Persons. Int. Arch. O c c u p . E n v i r o n . H l t h . 4 0 , 1 3 - 2 4 (1977)

Nr. 1 3 0 9 Erkrankungen durch Salpetersäureester I. V o r k o m m e n und Gefahrenquellen Salpetersäureester sind Verbindungen der Salpetersäure mit ein- und mehrwertigen Alkoholen. Es sind häufig ölige, ζ. T . leicht flüchtige Flüssigkeiten. Gesundheitsgefährdend sind insbesondere Nitroglykol ( C 2 H 4 [ 0 N 0 2 ] 2 ) und Nitroglyzerin ( C 3 H 5 [ 0 N 0 2 ] 3 ) , die für die Herstellung von Sprengstoffen verwendet werden. Gefahrenquellen sind das Nitrieren, Gelatinieren, Mischen und Patronieren. Auch Umgang mit aufgerissenen, nicht explodierten Sprengstoffpatronen, ζ. B. bei Abraumarbeiten, können gesundheitsgefährdend sein. Dies trifft nicht für die ζ. B. in Lackfarben enthaltene Nitrozellulose zu. II. Aufnahme und Wirkungsweise Die Aufnahme der Salpetersäureester erfolgt sowohl über die Atemwege als auch durch Hautresorption. Flüchtigkeit und Hautdurchdringungsvermögen nehmen von den einwertigen zu den mehrwertigen Alkohol-Salpetersäureverbindungen hin ab. Nitroglykol ist auch aus diesem Grunde stärker giftig als Nitroglyzerin. Dagegen spielt die im Organismus bei Nitroglykoleinwirkung einsetzende Nitritbildung eine untergeordnete Rolle. Infolge Einwirkung von Salpetersäureestern k o m m t es zur Blutgefäß er Weiterung mit Absinken zunächst des systolischen und bei weiterer Exposition auch des diastolischen Blutdruckes. Neben der peripheren Kreislaufwirkung mit ihren Folgen ist evtl. ein durch diese Stoffe bedingter zentraler Effekt möglich. Die chronische Einwirkung kleinerer M e n g e n bewirkt auch als Ausdruck eingetretener Gegenregulationen langsam

eine Erhöhung des diastolischen Blutdruckes. wird die Blutdruckamplitude deutlich kleiner.

Dadurch

III. Krankheitsbild und Diagnose Schon nach kurzer E x p o s i t i o n , insbesondere mit Nitroglykol, können in erster Linie Kopfschmerzen, später auch Schwindel, Gefühl der Trunkenheit, Brechreiz, Gesichtsrötung, Hitzegefühl, Appetitlosigkeit und Schlafstörungen auftreten. Uber Schmerzzustände in der Herzgegend, die dann ähnlich denen der Angina pectoris sind, kann geklagt werden. O f t ist der Blutdruck erniedrigt; selten besteht eine Bradykardie. N a c h einer gewissen Z e i t der Exposition mit kleineren D o sen tritt oft eine G e w ö h n u n g ein, die dazu führt, daß die Beschwerden geringer werden und auch schon bei Arbeitsunterbrechungen, ζ. B. am Wochenende, völlig zurückgehen. Bei Wiederaufnahme der Arbeit, ζ. B. am folgenden M o n tag, kann es zu einem Rückfall der Beschwerden k o m m e n , weshalb diese Erkrankung auch als sog. M o n t a g s k r a n k h e i t bezeichnet wird. Vorausgegangene körperliche und psychische Belastungen können sich ungünstig auswirken. Plötzliche Todesfälle nach Kreislaufkollaps und durch akutes Herzversagen sind nach Arbeitspausen — Urlaub, W o chenende (sog. Montagssterbefälle) - oder Arbeitsplatzwechsel b e o b a c h t e t w o r d e n . Ausschlaggebend für den weiteren Krankheitsverlauf ist der G r a d der Kreislaufregulationsstörung. Die innerhalb der Erythrozyten gelegenen sog. Heinzschen Körperdien sind nur dann festzustellen, wenn gleichzeitig eine Einwirkung von nicht zu den Salpetersäureestern gehörenden aromatischen N i t r o k ö r p e m , wie Trinitrotoluol u. ä., statt-

190

Merkblätter: Berufskrankheiten

gefunden hat, was für Arbeiten in der Sprengstoffherstellung zutreffen kann. IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung Arbeitsanamnese, klinischer Befund und evtl. das Ergebnis von Luftanalysen, ζ. B. auf Nitroglykol- und Nitroglyzeringehalt, sichern die Diagnose.

Abgesehen davon, daß in Einzelfällen die toxische Kreislaufregulationsstörung plötzlich enden kann, ist im allgemeinen die Prognose, insbesondere nach Wegfall der entsprechenden Exposition, günstig. Spätschäden sind kaum zu erwarten.

Nr. 1310 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxide Bei den halogenierten Alkyl-, Aryl- oder Alkylaryloxiden handelt es sich um halogenierte Alkohole, halogenierte Äther, halogenierte Epoxide und um halogenierte Phenole. Zu diesen Verbindungen zählen insbesondere: die chlorierten

Alkyloxide

Äthylenchlorhydrin (2-Chlor-äthanol) 1.2-Dichlorhydrin (2,3-Dichlor-l-propanoI) 1.3-Dichlorhydrin (l,3-Dichlor-2-propanol) Epichlorhydrin (l-Chlor-2,3-epoxipropan) Dichlordimethyläther (1,1 -Dichlordimethyläther) Monochlordimethyläther (Chlormethyl-methyläther) Dichlordiäthyläther (2,2-Dichlordiäthyläther) die chlorierten

C1CHi-CHC1-CH20 ClCH2-CH(OH)-CH2Cl

O-CHz-CH-CHzCl ClCHz-O-CHzCl h 3 c-o-ch 2 ci

ClCHz-CHi-O-CHi-

CHiCl

II. Pathophysiologic Die genannten halogenierten organischen Sauerstoffverbindungen führen bei lokaler Einwirkung zu mehr oder weniger starken Reizerscheinungen an Haut und Schleimhäuten. Die Aufnahme erfolgt auch über die Atemwege. Bei vielen Substanzen in fester oder flüssiger Form, insbesondere beim Äthylenchlorhydrin, ist jedoch die perkutane Resorption von besonderer Bedeutung. Nach Aufnahme in den Organismus kann es zu Stoffwechselstörungen sowie zu Leber- und Nierenschädigungen kommen. Auch Lungen und Bronchien sowie das Zentralnervensystem können betroffen sein. III. Krankheitsbild und Diagnose 1. Chlorierte

Aryloxide

Monochlorphenol (2-, 3-, 4-Chlorphenol) Dichlorphenole (insbes. 2,4-Dichlorphenol) Trichlorphenole (insbes. 2,4,5-Trichlorphenol und 2,4,6-Trichlorphenol) Pentachlorphenol „Dioxin", T C D D (2,3,7,8-Tetrachlor-dibenzo-p-dioxin)

die chlorierten

cich 2 -ch 2 -o

benprodukte entstehen, z.B. Tetrachlordibenzo-p-dioxin bei der Herstellung von Trichlorphenol, Dichlordimethyläther bei der Herstellung von Monochlordimethyläther.

C 6 H4Cl(OH) CÄClzfOH) CiHaCU(OH) C«H Cl s (OH)

Alkylaryloxide

Chlorkresole (insbes. 4-Chlor-2-methyl-phenol und 4-Chlor-3-methyl-phenol) CeH 3 Cl(OH)CH3 I. Gefahrenquellen Chemische Verbindungen dieser Klasse werden u.a. verwendet: - als Zwischenprodukte in der chemischen Industrie, z.B. für Epoxidharze (Epichlorhydrin), - als Chloralkylierungsmittel äther, Dichlordiäthyläther),

(Monochlordimethyl-

- für Pflanzenschutzmittel (Chlorphenole, Chlorkresole), - als Holzkonservierungsmittel (z.B. Pentachophenol), - zur Herstellung von Desinfizientien (Chlorphenole). Einige Stoffe dieser Klasse können als unerwünschte Ne-

Alkyloxide

a) Chlorhydrine Äthylenchlorhydrin Epichlorhydrin 1,2- und 1,3-Dichlorhydrin Die genannten Stoffe besitzen eine starke lokale Reizwirkung auf Haut und Schleimhäute, insbesondere die Schleimhäute der Augen und des Respirationstraktes: diese Wirkung ist beim Epichlorhydrin besonders stark. Systematische Schäden können am Zentralnervensystem sowie an Leber und Nieren auftreten. Eine massive Exposition kann auch ein Lungenödem hervorrufen. Das Vergiftungsbild ist gekennzeichnet durch zentralnervöse Symptome (Somnolenz und Verwirrungszustände, ggf. Koma), Störungen der Leberfunktion bis zum vollen klinischen Bild der toxischen Hepatitis (Transaminasenanstieg!), toxische Nephrose mit Hämaturie und Albuminurie. Neben der Aufnahme über die Atemwege ist die Möglichkeit der perkutanen Resorption besonders zu beachten. b) Chlorierte

Äther

Monochlordimethyläther Dichlordimethyläther Dichlordiäthyläther Die genannten Äther besitzen eine starke Schleimhautreizwirkung, die von Monochlordimethyläther über die Dichlordimethyläther zu Dichlordiäthyläther abnimmt. Die chlorierten Äther entfalten in höheren Konzentrationen narkotische Wirkungen. Dichlordiäthyläther kann bei der Inhalation außer Schleimhautreizungen Übelkeit und Brechreiz bewirken. Bleibende Organschäden sind nicht bekanntgeworden. Bei der Herstellung und Verarbeitung von Dichlordimethyläther wurde eine Häufung von Bronchialkarzinomen mit auffallend geringer Latenzzeit beobachtet. Monochlordimethyläther erwies sich bislang nicht als eindeutig

191

Merkblätter: Berufskrankheiten kanzerogen, jedoch kann technischer Monochlordimethyläther bis zu 7 % mit Dichlordimethyläther verunreinigt sein. 2. Chlorierte

Aryloxide

Monochlorpenole Dichlorphenole Trichlorphenole Pentachlorphenol Ähnlich wie Phenol verursachen auch die Chlorphenole nach H a u t k o n t a k t eine gewebsschädigende Wirkung (Haut-, Schleimhautreizungen bis zur Nekrose). Nach Resorption bewirken die Chlorphenole in entsprechender Konzentration motorische Erregung, Tremor, Krämpfe und Koma. Außerdem wurde Hyperpyrexie beobachtet. Mit steigender Chlorierung nimmt die Krampfwirkung ab und die H e m m u n g der oxidativen Phosphorylierung zu. Monochlorphenol hat also die stärkste zentralerregende Wirkung, während sie beim Pentachlorphenol fast vollständig fehlt und hier andere Organwirkungen im Vordergrund stehen. Uber Vergiftungsfälle durch reines 2,4,5-Trichlorphenol ist in der Literatur nichts bekannt. Aus 2,4,5-Trichlorphenol kann sich aber bei der Herstellung 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin ( T C D D , „Dioxin") bilden. Dioxin kann auch als Verunreinigung in 2,4,5-Trichlorphenol enthalten sein. Es kann zur Chorakne (Pernakrankheit), aber auch zu systemischen Schädigungen, wie toxischen Leberzellschädigungen und toxischen Polyneuritiden führen. Bei Pentachlorphenol wurden neben der Schleimhautreizwirkung der D ä m p f e und gelegentlichen Dermatitiden durch Kontakt mit der Flüssigkeit auch allgemeine Vergiftungszustände (Mattigkeit, Schweißausbrüche, Atemnot) durch Einatmung der D ä m p f e beobachtet.

Chronische Vergiftungen sind bisher wissenschaftlich nicht erwiesen. Pentachlorphenol k a n n als Verunreinigung Octachlor-dibenzo-p-dioxin enthalten, das im Prinzip ähnlich wirkt wie T C D D , aber deutlich weniger toxisch ist. 3. Chlorierte

Alkylaryloxide

Chlorkresole Über die Toxizität der Chlorkresole finden sich in der Literatur keine konkreten Angaben. Es ist jedoch anzunehmen, daß ihre Wirkung ähnlich ist wie die der Chlorphenole. IV. Literatur P.J. Goldmann: Schwerste akute Chlorakne durch Trichlorphenolzersetzungsprodukte. Arbeitsmedizin, Sozialmedizin, Arbeitshygiene, 7. Jahrgang (1972), 1, S. 1 2 - 1 8 Η . T. H o f m a n n : Neuere Erfahrungen mit hochtoxischen Chlorkohlenwasserstoffen. Arch, exper. Pathologie und Pharmakologie 1 (1957), 232 R. Ludewig, K. Löhs: Akute Vergiftungen. Gustav Fischer Verlag Stuttgart (1974) S. Moeschlin: Klinik und Therapie der Vergiftungen. Georg Thieme Verlag Stuttgart (1972) F. A. Patty: Industrial Hygiene and Toxicology. Vol. II. Interscience Publishers (1963) Β. A. Schwetz et al.: Toxicology of Chlorinated Dibenzop.doxins, Environmental Health Perspectives Exp. Issue 5 (1973) S. 87ff. Α. M . Thiess, W. Hey, H . Zeller: Z u r Toxikologie von Dichlordimethyläther — Verdacht auf kanzerogene Wirkung auch beim Menschen —. Zbl. für Arbeitsmedizin und Arbeitsschutz, Band 23 (1973) 4, S. 9 7 - 1 0 2

Nr. 1311 Erkrankungen durch halogenierte Alkyl-, Aryl- oder Alkylarylsulfide Unter den halogenierten Alkylsulfiden ist fast nur der bis Kriegsende hergestellte und in Versuchsstellen untersuchte Kampfstoff 2,2 Dichlordiäthylsulfid (Schwefellost) von praktischer Bedeutung. Die gelegentlich als Fungizide und Akarizide verwendeten halogenierten Aryl- und Alkylarylsulfide sind weniger bedeutungsvoll.

H a u t führt nach einer Latenzzeit von Stunden zu ödematöser, sulziger Schwellung mit Blasenbildung und schwer heilenden Geschwüren. Das Auge mit seinen Anhangsgebilden ist besonders gefährdet. An den oberen u n d tieferen Atemwegen entwickeln sich katarrhalische Reizerscheinungen bis zu pseudomembranösen Entzündungen, Lungenödem und Bronchopneumonie.

I. Gefahrenquellen

Gastritiden und Gastroenteritiden wurden beobachtet. Die resorptive Wirkung kann sich am dritten Tage in einer progredienten Leukopenie mit Störung der Knochenmarksreifung äußern. Die allgemeine Widerstandskraft des Organismus ist herabgesetzt, sekundäre Infekte sind häufig. Die Heilungstendenz solcher Schäden ist auffallend schlecht.

2,2 Dichlordiäthylsulfid wird auch heute noch gelegentlich als Fundmunition aus vergrabenen oder versenkten Beständen geborgen und vernichtet. Gefährdet sind in erster Linie Angehörige von Munitionsbergungs- und -beseitigungstrupps. II. Pathophysiologic 2,2 Dichlordiäthylsulfid ist gut lipoidlöslich. Es wird in flüssiger oder D a m p f f o r m zunächst ohne Reizerscheinungen durch H a u t - und Schleimhäute resorbiert. Als starkes, fermentative Prozesse blockierendes Zellgift führt es neben Allgemeinstörungen auch zu Organschäden. Subtoxische Stoffmengen können nach längerer Einwirkung auch ohne manifeste Erscheinungen charakteristische Spätschäden bewirken. III. Krankheitsbild und Diagnose Akute Einwirkung von 2,2 Dichlordiäthylsulfid auf die

N a c h akuten Schäden durch 2,2 Dichlordiäthylsulfid, aber auch nach längerer Einwirkung subtoxischer Dosen kann es nach Jahren zu charakteristischen Spätfolgen mit chronischer Bronchitis, Bronchiektasen und Emphysem k o m m e n . Als Ausdruck der resorptiven W i r k u n g besteht häufig starkes Untergewicht mit dem Bilde einer trockenen Dystrophie. Anazide Gastritiden sind nicht selten, Osteoporose wurde beobachtet. Die Infektionsresistenz ist für mehrere Jahre herabgesetzt, so d a ß Furunkulose und Parodontose häufig sind. Chronische Nebenhöhlenaffektionen gelten als typisch. Die vegetative Regulation von Herz und Kreislauf kann gestört sein, Libido und Potenz sind häufig beeinträchtigt. Im Blutbild findet sich eine Eosinophilie. Vitalitätsminderung und depressive

192

Merkblätter: Berufskrankheiten

Zustände sowie eine Voralterung wurden als Lostschäden beschrieben. 2,2 Dichlordiäthylsulfid besitzt als alkylierende Substanz eine kanzerogene Wirkung, die für die Luftwege und den Magen als gesichert gelten kann. Karzinome der H a r n blase sind wahrscheinlich.

IV. Weitere Hinweise Entscheidend ist die Vorgeschichte. Es ist zu berücksichtigen, daß 2,2 Dichlordiäthylsulfid meist mit anderen Stoffen (z.B. organischen Arsenverbindungen) gemischt wurde.

Nr. 1312 Erkrankungen der Zähne durch Säuren A. Erkrankungen der Zähne durch dem Luftstrom mischte anorganische und organische Säuren

beige-

I. Vorkommen und Gefahrenquellen Säureschäden der Zähne durch anorganische Säuren (Mineralsäuren) können bei ihrer Herstellung oder Verarbeitung entstehen, ζ. B. bei der Salz-, Schwefel- oder Salpetersäurefabrikation, in Metall beizereien, beim Gelbbrennen, in der Zinkelektrolyse und in den Formierabteilungen der Akkumulatorenfabriken. Zahnschäden durch organische Säuren können insbesondere durch Essig- und Ameisensäure in Textilfabriken beim Stoffdruck, durch Oxalsäure in Färbereien und chemischen Reinigungen, durch Wein- und Zitronensäure in pharmazeutischen und Nährmittelfabriken auftreten. Eine besondere Gefahrenquelle sind die Mineralsäuren, vor allem die Halogen wasserstoffsäuren und die Salpetersäure, da diese schon bei normaler Temperatur flüchtig sind. II. Aufnahme und Wirkungsweise Säuren wirken durch den Luftstrom direkt auf die Zähne zuerst an den Stellen ein, die bei geöffnetem M u n d von Weichteilen (Lippen) entblößt und relativ frei von Speichel sind. Infolgedessen treten zu Beginn Schäden in der Regel an der Vorderfläche der oberen mittleren Schneidezähne in der Gegend der Schneidekanten auf. Die unteren Frontzähne bleiben zunächst frei, später können Schäden im Bereich der Schneidekanten entstehen. ΙΠ. Krankheitsbild und Diagnose Es wird zunächst über ein Gefühl des „Stumpfwerdens 4 ' der Zähne geklagt, das sich, im Gegensatz zur gleichen Empfindung nach Fruchtsäuregenuß, nicht wieder verliert. Die Zähne werden glanzlos und rauh. Beim Fortschreiten dieses Prozesses wird der Schmelz dünner, es kommt zum Verlust der Kontaktpunkte (Keilform der Zähne), zu zackigen Rändern, das Dentin tritt mehr und mehr hervor, wodurch die Zähne allmählich dunkel werden. Es kann eine Überempfindlichkeit gegen Temperaturunterschiede und gegen süße, salzige und saure Speisen entstehen. In der Regel verliert sich diese bald durch Bildung von Reizdentin. Außer der Zerstörung des Schmelzes kommt es zusätzlich zu einem mechanischen Zerstörungsprozeß, der an den Schneidekanten beginnt. Die Zähne werden kürzer; es entsteht der „offene Biß". Das Ende dieses Vorganges sind verfärbte Zahnstummel. Zahnfleischerkrankungen sind nicht die Folge der Säureeinwirkung, sondern der mangelnden Mundpflege. Die Zahnveränderungen entwickeln sich im Laufe mehrerer Jahre, können allerdings auch schon nach wenigen Monaten auftreten. Hierbei spielen neben der Säurekonzentration und der Einwirkungsdauer sowie dem Ausmaß der getroffenen Schutzmaßnahmen die Qualität des Schmelzes und die persönliche Hygiene eine Rolle. Die Diagnose ergibt sich aus der typischen LokaÜsation der Substanzverluste in Verbindung mit der Arbeitsanamnese.

Differentialdiagnostisch sind Säureschäden anderer Ätiologie und damit anderer Lokalisation abzugrenzen, ζ. B. gegen Schäden durch jahrelangen Genuß konzentrierter Fruchtsäfte (Fruchtsäuren), durch ungeeignete Mundwässer und Zahnpflegemittel, durch Zerstäuben und Inhalieren von Medikamenten, die geeignet sind die Zähne anzugreifen, durch jahrelanges perorales Einnehmen von Salzsäure, ferner gegen Altersabschliff (Abrasio) und gegen die Caries dentium. Β. Erkrankungen der Zähne durch in der Mundhöhle bildende organische Säuren

sich

I. Vorkommen und Gefahrenquellen Es handelt sich hier um Schädigungen der Zähne durch organische Säuren, die auf Grund von Gärungsprozessen in der Mundhöhle entstehen (Milchsäure, Buttersäure, Brenztraubensäure). Diese Gärungsprozesse werden durch gleichzeitige Einwirkung von Mehl und Zucker, Mehl und Hefe oder besonders durch Einwirkung von Mehl, Zucker und Hefe hervorgerufen. Schäden werden überwiegend bei Konditoren, Lebkuchenbäckern und bei Arbeitern in der Süßwarenindustrie beobachtet, selten dagegen in Brotbäkkereien und Mühlenbetrieben; daher kommt die Bezeichnung „Zuckerbäckercaries". II. Aufnahme und Wirkungsweise Die Aufnahme erfolgt sowohl durch Mehl- und Zuckerstaub in der Luft, vor allem aber dadurch, daß die Mehlund Zuckererzeugnisse abgeschmeckt werden müssen. Es können alle Zähne befallen werden. Zucker und Mehl setzen sich bevorzugt an den Zahnhälsen ab und begünstigen unter Mitwirkung der Hefe diese Erkrankungen. III. Krankheitsbild und Diagnose Die „Zuckerbäckercaries" entwickeltsich rasch und befällt gleichzeitig mehrere Zähne. Sie beginnt charakteristisch im gingivalen Abschnitt der Zähne und breitet sich sehr bald auf die Labialflächen, besonders der Frontzähne, aus. Die Seitenflächen der Zähne werden erst später befallen. Wichtig für die Diagnose „Zuckerbäckercaries" ist neben der Arbeitsanamnese eine Vielzahl oberflächlicher ausgedehnter Zahnhalsdefekte, die auf die Labialflächen übergreifen. Die nicht berufsbedingte Caries beginnt vorwiegend an den Fissuren oder zwischen den Zähnen. IV. Hinweise für die ärztliche Beurteilung zu Α und Β Bei der ärztlichen Beurteilung sind Art, Umfang und Dauer der beruflichen Tätigkeit, ihr zeitlicher Zusammenhang mit der Erkrankung und Art und Lokalisation der Zahnschäden zu beachten. Die Beurteilung der Erkrankungen der Zähne durch Säuren kann schwierig sein; ihre Begutachtung sollte durch einen auf diesem Gebiet erfahrenen Zahnarzt vorgenommen wrden. Die unter Α genannten Schäden sind relativ selten.

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Merkblätter: Berufskrankheiten Nr. 1 3 1 3 Hornhautschädigungen des Auges durch Benzochinon I. Vorkommen und Gefahrenquellen Benzochinon (p-Benzochinon) ist u. a. ein Zwischenprodukt bei der Herstellung des Hydrochinons sowie ein Umwandlungsprodukt bei der Oxydation des Hydrochinons. Benzochinon kristallisiert in gelben Prismen, wird bei offenen Arbeitsverfahren vom Wasserdampf der Luft aufgenommen, ist flüchtig und riecht stediend. In alkalischen Gewebsflüssigkeiten wird Hydrochinon zu gelblich-braunem Benzochinon oxydiert. Gefahrenquellen sind bei der offenen Benzochinon- sowie bei der Hydrochinonherstellung oder bei Verwendung dieser Stoffe vorhanden, besonders wenn diese in Verbindung mit Wasserdampf oder Staub den Arbeitsplatz verunreinigen. II. Aufnahme und Wirkungsweise Benzochinon wird entweder direkt oder nach Umwandlung aus Hydrochinon vom Bindehaut- und Hornhautepithel des Auges resorbiert. Es ist noch nicht hinreichend geklärt, ob außer der direkten Einwirkung der schädigenden Substanz auf die Hornhaut des Auges auch eine indirekte Einwirkung nach Aufnahme über die Atemwege und den Magen-Darm-Trakt möglich ist. III. Krankheitsbild und Diagnose

kungen an Bindehaut und Hornhaut führen. Nach längerer, meist mehrjähriger Einwirkung dieses Stoffes kann es im Lidspaltenbereich zu Tingierungen kommen. Diese sind vorwiegend gelblich-braun, unter Einwirkung des Lichtes, später sepiafarben oder dunkelbraun. Es bilden sich feinere bis gröbere Trübungen im Hornhautepithel und -parenchym. Erosionen können auftreten, die Hornhaut kann quellen, sich verformen und zu einem irregulären Astigmatismus führen, der nicht völlig auszugleichen ist. Zunächst fehlen Bindehauthyperaemie und Hornhautvascularisation. Die Sensibilität der Hornhaut ist herabgesetzt, ihre Regnerationsfähigkeit vermindert. Häufig bleibt eine erhöhte Anfälligkeit gegen Sekundärinfektionen bestehen. Auch ohne erneute Einwirkung können selbst nach jahrelangem Intervall Epitheldefekte mit hartnäckigen Geschwüren bis zum klinischen Bild des Ulcus serpens auftreten. Dauerschäden (Trübung, Astigmatismus, Keratektasie) sind häufig. Verlust des Sehvermögens und des Auges ist möglich. Die Prognose der Erkrankung hinsichtlich der Erhaltung des Sehvermögens ist zweifelhaft, da es bereits im Anfangsstadium zur irreversiblen Schädigung der Hornhaut kommen kann. Im günstigen Falle ist durch frühzeitigen Arbeitsplatzwechsel und rechtzeitige augenärztliche Behandlung eine Rückbildung der Hornhauterkrankung möglich.

Benzochinon kann zunächst zu unspezifischen Reizwir-

Nr. 2 1 0 1 Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnenoder Muskelansätze, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können I. Vorkommen und Gefahrenquellen

ΙΠ. Hinweise für die ärzdiche Beurteilung

Diese Erkrankungen können durch einseitige, langdauernde mechanische Beanspruchung und ungewohnte Arbeiten aller Art bei fehlender oder gestörter Anpassung entstehen. Überwiegend sind die oberen Extremitäten, insbesondere die Unterarme, betroffen.

Die ärztliche Beurteilung muß sich auf eine eingehende Anamnese, insbesondere Arbeitsanamnese, stützen. Außerberuflich gelegene Schädigungs möglich kei ten sind auszuschließen.

II. Krankheitsbild und Diagnose Es können auftreten: 1. die Paratenonitis (Tendovaginitis) crepitans. Sie ist im wesentlichen eine Erkrankung des Sehnengleitgewebes mit Druck- und Bewegungsschmerz sowie fühlbarem schneeballartigem Knirschen über dem betreffenden Sehnengebiet. Bevorzugt ist die Umgebung der Strecksehnen der Finger, besonders des Daumens, betroffen. 2. Periostosen an Sehnenansätzen (Epicondylitis und Styloiditis). Bei den Periostosen finden sich ein umschriebener Druckschmerz am Muskelursprung bzw. Knochenansatzpunkt sowie eine Infiltration im Bereich des betroffenen Epicondylus und Spontanschmerz im erkrankten Gebiet. 3. in seltenen Fällen die Tendovaginitis stenosans. Hierbei führen die krankhaften Wand Veränderungen der Sehnenscheide zur Einengung des Sehnenfachs; vorwiegend sind die Sehnenscheiden der Daumen betroffen. Dupuytren'sehe Kontraktur und Periarthritis humeroscapularis sind im allgemeinen nicht auf berufliche Einflüsse zurückzuführen.

Unter Nr. 43 der Anlage zur 7. Berufskrankheiten «Verordnung 1 sind nicht diejenigen Erkrankungen erfaßt, deren Entstehung auf rheumatische, toxische, fokaltoxische und spezifisch oder unspezifisch infektiöse Grundlagen sowie überwiegend auf konstitutionelle und dispositionelle Faktoren zurückzuführen ist. Außerdem fallen hierunter nicht die Folgezustände degenerativer oder anderer Veränderungen an Gelenken, insbesondere der H W S . Um die Erkrankungen der Sehnenscheiden oder des Sehnengleitgewebes sowie der Sehnen- oder Muskelansätze ggf. als Berufskrankheiten anerkennen zu können, müssen diese zur Aufgabe der beruflichen Beschäftigung oder jeder Erwerbsarbeit gezwungen haben. „Berufliche Beschäftigung" 2 liegt audi dann vor, wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitskraft für eine gewisse Dauer in einem Beschäftigungsverhältnis verwendet, dabei bestimmte Erfahrungen oder Fertigkeiten erworben und aus ihr zumindest einen wesentlichen Teil seines Lebensunterhalts bestritten hat.

1

jetzt: Nr. 2 1 0 1 B e K V

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durch Neufassung B e K V gegenstandslos

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Merkblätter: Berufskrankheiten

Nr. 2102 Meniskusschäden nach mindestens dreijähriger regelmäßiger Tätigkeit unter Tage I. Vorkommen

und

Gefahrenquellen

Bei Meniskusschäden (Meniskopathien) handelt es sich um Abnutzungserscheinungen des Meniskusgewebes. Diese können in jedem Lebensalter anlagebedingt in unterschiedlichem Ausmaß auftreten. Jahrelange - mindestens aber dreijährige - regelmäßige Tätigkeit unter Tage kann infolge ungewöhnlicher Beanspruchung der Kniegelenke durch täglich viele Stunden dauernde Arbeiten, insbesondere in kniender oder hokkender Stellung oder bei immer wiederkehrenden Kniebeugen, die Entstehung dieser Schäden wesentlich und richtunggebend beeinflussen. Auch die den Untertagebetrieben eigentümlichen Wegeverhältnisse können dabei gelegentlich von Bedeutung sein. Gefährdet sind Bergleute und Personen, die unter den erwähnten erschwerten bergbauähnlichen Arbeitsbedingungen, wie ζ. B. im Stollenvortrieb, im Tunnel-, Brunnen- oder Wegebau, unter Tage tätig sind. II. Krankheitsbild und Diagnose Unter den im Abschnitt I genannten Umständen werden die halbmondförmigen, auf den Schienbeinkopfgelenkflächen nur wenig verschiebbaren Knorpelscheiben, insbesondere der Innenmeniskus, im verstärkten Maße belastet. Deformierungen, Ernährungsstörungen sowie degenerative Veränderungen mit Einbuße der Elastizität und Gleitfähigkeit der Menisken können dadurch allmählich entstehen. Ein derartig geschädigter Meniskus kann beim Aufrichten aus kniender Stellung, bei Durchführung einer Körperdrehung, beim Treppensteigen oder auch beim ungehinderten Gehen von seinen Ansatzstellen ganz oder teilweise gelöst werden oder in seinem Zusammenhang zerfallen. M a n spricht - im Gegensatz zur Zerreißung funktionstüchtigen Gewebes infolge eines Unfalles hier von Spontanlösung oder Berstung. Durch abnorme Verlagerung des gelösten Meniskusanteils ist eine plötz-

lich eintretende schmerzhafte Einklemmung oder Gelenksperre möglich. In der Regel verläuft der Meniskusschaden unbemerkt. Schmerzen an der Innen- oder Außenseite des Kniegelenkes können etwa auftretenden Funktionsstörungen vorausgehen. Als Folgen der Meniskusschäden können chronisch deformierende Gelenkveränderungen und Zerstörungen des Knorpels an den Gelenkflächen des Femur und der Tibia entstehen. Meniskuscysten sind durch cystische Degeneration möglich. Kleine abgelöste Meniskusteile können sich als freie Körper bemerkbar machen. Evtl. sind Reizungen der Gelenkinnenhaut einschließlich des Fettkörpers sowie eine Verschmälerung der Gelenkspalte nachweisbar. Differentialdiagnostisch sind u. a. abzugrenzen die Chondropathia patellae, die Osteochondrosis (Oseochondrolysis) dissecans, Kniekehlen- und Meniskusganglien, Septumreste (Stränge zwischen Fettkörpermitte und Zwischenknorrengrube) sowie bestimmte Meniskusanomalien (Tellermenisken), die die Ursache des sogenannten schnellenden Knies, aber auch von Reizungen und Gelenksperre sein können. III. Hinweise für die ärztliche Beurteilung Für die Anerkennung des Meniskusschadens als Berufskrankheit ist unter wesentlicher Berücksichtigung der betrieblichen Arbeitsbedingungen - eingehende Arbeitsanamnese — eine mindestens dreijährige Tätigkeit unter Tage erforderlich. Hierbei ist zu prüfen, ob die Tätigkeit unter Tage (s. Abschnitt I, Absatz 1) geeignet war, die Entstehung eines Meniskusschadens zu verursachen. Die Tätigkeit muß außerdem regelmäßig, d.h. während eines wesentlichen Teils der täglichen Arbeitszeit, ausgeübt worden sein. Meniskusschäden infolge statischer Fehlbelastungen Sportschäden, Verletzungen u.a. sind auszuschließen.

Nr. 2 1 0 3 Erkrankungen durch Erschütterung bei Arbeit mit Druckluftwerkzeugen oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen I. Vorkommen und Gefahrenquellen Diese Erkrankungen kommen bei Arbeiten mit bestimmten Werkzeugen oder Maschinen vor, die rhythmische Rückstoßerschütterungen oder schnelle Vibrationen an den haltenden oder stützenden Körperteilen bewirken. Gefahrenquellen sind ζ. B. gegeben bei Arbeiten mit Preßluftwerkzeugen (Hämmer, Meißel, Bohrer, Stampfer) oder gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen, die im Bergbau, in Steinbrüchen, in Gußputzereien, in Kesselschmieden, beim Schiffsbau und beim Straßenbau Verwendung finden. Dies gilt auch für Anklopfmaschinen, ζ. B. in der Schuhindustrie. Unter Preßluft- und gleichartig wirkenden Werkzeugen oder Maschinen sind hier die sogenannten Schlagwerkzeuge mit hohen Schlagzahlen zu verstehen. Druckluftmotoren, Hebemaschinen, Motorrammen und ortsfest automatisch arbeitende Maschinen fallen nicht hierunter. II. Entstehungsweise, Krankheitsbild und Diagnose Die Erkrankungen beruhen vorwiegend auf rhythmischen Rückstoßerschütterungen, die durch aktiven Andruck oder Gegendruck des menschlichen Körpers abgefangen werden.

Besonders sind das Ellenbogengelenk, das Schulter-Schlüsselbeingelenk sowie das handgelenksnahe Ellen-Speichengelenk betroffen. Veränderungen im Schultergelenk werden kaum beobachtet. Neurale, vasomotorische und muskuläre Störungen und Veränderungen können auftreten. Erkrankungen bestimmter Handwurzelknochen sind möglich. Die individuell unters chiedlicheBelastbarkeitdes Halte- und Stützapparates sowie dispositionelle Faktoren sind bei der Entstehung dieser Erkrankungen von wesentlicher Bedeutung. Zum klinischen Bild gehören neben örtlichen Ermüdungserscheinungen Kraftlosigkeit, Schmerzen bei Arbeitsbeginn und in der Ruhe — insbesondere in der N a c h t - , Druckempfindlichkeit und Bewegungsbehinderung. Eine Durchblutungsstörung (Ischämie) kann an den Händen, insbesondere im Bereich des 3. bis 5. Fingers, entstehen. Dadurch bedingte Beschwerden kommen häufig anfallsweise vor und können auch durch Kältereize ausgelöst werden. An den peripheren Nerven sind funktionelle Störungen und organische Veränderungen möglich. Die funktionellen Störungen äußern sich in Kraftlosigkeit, in Gefühlsstörungen und Händezittern. Organische Veränderungen können primär durch direkte Druckeinwirkung (Thenar, Hypothenar) oder sekundär nach periartikulärer Knochenwu-

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Merkblätter: Berufskrankheiten cherung durch Kompression oder Uberdehnung, ζ. B. des N. ulnaris entstehen. Röntgenologisch gibt es keine für Preßluftschäden spezifische Veränderungen. Sie entsprechen vielmehr denen einer Arthrosis deformans bzw. Osteochondrosis dissecans. Zackige oder spornartige Knochenwucherungen, Deformierungen an den Gelenkflächen, freie Gelenkkörper als Folge von Knorpelzerstörungen in den Gelenken sowie Kalk- oder Knocheneinlagerungen in der Gegend der Ansatzstelle der Gelenkkapseln oder der Muskeln sind nachweisbar. Im Handgelenk ist als Folge einer Ernährungsstörung der sogenannte Mondbeintod möglich. Am Kahnbein kann sich nach einer sogenannten Ermüdungsfraktur eine Pseudarthrose ausbilden. Differentialdiagnostisch sind die genannten Erkrankungen vor allem von den auf toxischer, infektiöser und neuroge-

ner Grundlage beruhenden Gelenkerkrankungen sowie der auf anderen Ursachen beruhenden Arthrosis deformans und Chondromatose abzugrenzen. III. Hinweise für die ärztliche Beurteilung Die ärztliche Beurteilung muß sich insbesondere auf eine eingehende Anamnese, vor allem auch Arbeitsanamnese, stützen. Die beruflich verursachten Erkrankungen an den Gelenken und am Mondbein treten in der Regel nicht vor Ablauf einer mindestens 2jährigen regelmäßig durchgeführten Arbeit mit den genannten Werkzeugen oder Maschinen auf; die Ermüdungsfraktur des Kahnbeins ist an keine Mindestarbeitsdauer gebunden. Auch nach Aufgabe dieser Arbeiten können derartige Erkrankungen noch in Erscheinung treten oder sich verschlimmern.

Nr. 2104 Vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können Vibrationen sind mechanische Schwingungen, die durch hohe Frequenzen mit niedriger Amplitude, Erschütterungen solche, die durch niedrige Frequenzen mit hoher Amplitude gekennzeichnet sind. Beide Begriffe überlappen sich. I. Gefahrenquellen Fibrierende, von Hand geführte technische Werkzeuge und Maschinen können Durchblutungsstörungen an den Fingern verursachen. Nach praktisch-klinischen Erfahrungen werden diese Störungen bei Vibrationen mit Frequenzen hauptsächlich im Bereich von etwa 20 bis 1000 Hz beobachtet. Derartige Vibrationen treten auf z.B. bei der Bedienung von hochtourigen Bohrern, Meißeln, Fräsen, Sägen, Schneide-, Schleif- und Poliermaschinen sowie Niethämmern und Anklopfmaschinen, ferner bei Handrichtern. Bevorzugt eingesetzt werden diese pneumatisch oder motorbetriebenen Arbeitsmittel in der Forstwirtschaft, dem Hoch- und Tiefbau, der metallverarbeitenden Industrie und im Schiffsbau. II. Pathophysiologic Durch die Einwirkung von Vibrationen kann es an der betroffenen Hand zu Schäden an den Gefäßen und/oder peripheren Nerven kommen. Die Krankheitsbezeichnung „Vibrationsbedingtes Vasospastisches Syndrom ( W S ) " drückt die ursächlichen Beziehungen aus. Früher verwendete Synonyme waren meist deskriptiver Art: „Weißfinger-Krankheit", „traumatisches Raynaud-Phänomen". Im Schrifttum finden sich ferner die Bezeichnungen „Traumatic Vasospastic Disease ( T D V ) " bzw. „Vibration Induced White Finger (VWF)" sowie VibrationsSyndrom. III. Krankheitsbild und Diagnose Das Krankheitsbild mit anfallsartig und örtlich begrenzt auftretenden Störungen der Durchblutung und Sensibilität an den Händen tritt im allgemeinen nach einigen Monaten bis Jahren auf. Es besteht eine Abhängigkeit von Dauer und Intensität der täglichen Exposition. Meist treten die Beschwerden im Winterhalbjahr bei Arbeitsbeginn auf. Typischerweise werden die Anfälle durch Kälteeinfluß begünstigt, in fortgeschrittenen Stadien auch unabhängig von der Arbeit.

Die Anfallshäufigkeit variiert von vereinzeltem bis zu täglich mehrmaligem Auftreten. Die Dauer der vasomotorischen Störungen beträgt einige Minuten bis mehrere Stunden und kann durch Aufwärmen verkürzt werden. Die Symptome der chronisch-intermittierend auftretenden Durchblutungsstörungen sind örtlich begrenzt auf den Teil der Hand, der die Vibrationen hauptsächlich aufnimmt. In den meisten Fällen sind betroffen die Finger II bis V der Halte- und Bedienungshand. Nur ausnahmsweise treten Beschwerden im Daumen und in der Hohlhand auf. Die überwiegende Zahl der Patienten gibt einseitig bestehende Störungen der Durchblutung und Sensibilität an: Absterbe- und Kältegefühl bei Weißwerden der Finger mit Schwäche und Steifigkeit. Cyanotische Verfärbung und spätere Rötung mit Wärmegefühl sind nicht obligat. Paraesthesien in Form von Nadelstichen werden oft beschrieben. Die Ausbreitung und Rückbildung dieser Mißempfindungen erfolgt innerhalb von Minuten von den Fingerspitzen nach proximal. Komplikationen infolge trophischer Störungen treten bei vibrationsbedingten Durchblutungsstörungen praktisch niemals auf. Zwischen den nur anfallsweise auftretenden Durchblutungsstörungen sind die davon betroffenen Personen bebeschwerdefrei. Die Diagnose der Erkrankung ist im beschwerdefreien Intervall schwierig: Inspektion und Palpation ergeben keine für die Krankheit charakteristischen Veränderungen. Sie sind aus differential-diagnostischen Gründen jedoch wichtig. Bedeutsam ist die Arbeitsanamnese und die genaue Beschreibung der Beschwerden im zeitlichen und örtlichen Verlauf. Die Durchführung eines Provokationstests (z.B. Kaltwassertest bei 12°C) ist erforderlich. Eine Objektivierung der arbeitsbedingten Durchblutungsstörungen wird ermöglicht durch die Messung der Hauttemperatur, die Bestimmung der Wiedererwärmungszeit, den Fingernagel-Preßversuch und neurologische Untersuchungen mit Prüfung der Sensibilität und Motorik. Ergänzend können sphygmomanometrische Untersuchungen und speziellere Tests, die jedoch standardisiert sein sollten, durchgeführt werden. Röntgenaufnahmen der Hand zeigen keine für diese Erkrankung spezifischen Veränderungen. IV. Weitere Hinweise Die chronisch-rezidivierend und örtlich begrenzt auftretenden vibrationsbedingten Störungen der Durchblutung

196 und Sensibilität sind aufgrund von Arbeitsanamnese, Beschwerdebild und Lokalbefund nach Provokationstests zu diagnostizieren. Mit Hilfe des Krankheitsverlaufes und der erhobenen Befunde lassen sich differentialdiagnostisch andere, nicht beruflich verursachte periphere Durchblutungsstörungen abgrenzen: Der klassische M . Raynaud {typischerweise symmetrischer Befall der Finger jüngerer Frauen, infolge emotionaler oder Kälte-Reize), vasospastische Erkrankungen wie Akrocyanose, Livedo reticularis und familiär gehäuft zu beobachtende sog. kalte Hände, die allesamt bei Kälteexposition auftreten, chronische Erkrankungen der Arterien (z.B. Thrombangiitis obliterans) und Zustände nach Ergotamin-Medikation bzw. Noradrenalin. Das Raynaud'sche Phänomen beobachtet man meist als plötzlich auftretendes und zunehmende Beschwerden verursachendes Symptom bei systemischen Erkrankungen ungünstiger Prognose (Kollagenosen, Myelome). Ähnliche Symptome treten auf bei hämatologischen Erkrankungen, wobei Dysproteinämien und Kryoglobuline nachweisbar sind. Prädisponierende Faktoren für die Manifestation arbeitsbedingter Durchblutungsstörungen sind Kälteexposition (auch in der Freizeit), Nikotinabusus und eine noch nicht weiter abgeklärte individuelle Disposition, wobei das Alter offensichtlich keinen Einfluß hat. Die Prognose der Erkrankung ist abhängig von der Dauer des Bestehens und dem Schweregrad der Beschwerden: Die intermittierenden Durchblutungsstörungen sind anfangs reversibel und verlieren sich bei fehlender Exposi-

Merkblätter: Berufskrankheiten tion. Auch noch in fortgeschrittenen Fällen kann die Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit zu einer Besserung der Erkrankung hinsichtlich Intensität, Häufigkeit und Ausmaß der Beschwerden führen. V. Literatur Iwata, H., Dupius, H., Freund, J . L . , Härtung, E.: Bei Hand-Arm-Schwingungen auftretende Erkrankungen. Arbeitsmed. Sozialmed., Präventivmed., 12, 2 9 5 - 2 9 6 , 1973 Klosterkötter, W.: Kriterien für vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen bei beruflichen Tätigkeiten. In: Ergonomische Aspekte der Arbeitsmedizin. Verhandlungen der Deutschen Gesellschaft für Arbeitsmedizin, Jahrestagung 1975, S. 191-199, Gentner-Verlag, Stuttgart Laarmann, Α.: Berufskrankheiten nach mechanischen Einwirkungen. Enke-Verlag, Stuttgart 1977 Lidström, J.-M.: Periphere Kreislauf- und Nervenfunktionsstörungen bei Personen, die Vibrationseinwirkungen über die Hände ausgesetzt sind. Arbeitsmed., Sozialmed., Präventivmed., 11, 142-244, 1974 McCallum, R.I.: Vibration Syndrome. Brit. J. industr. Med. 28, 9 0 - 9 9 , 1971 Jancik, G.: Durchblutungsstörungen der Hände durch Vibrationen bei Holz- und Metallarbeitern. Verhandlungsbericht über den 13. Kongreß für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 1973 in Düsseldorf.

Nr. 2 1 0 5 Chronische Erkrankungen der Schleimbeutel durch ständigen Druck I. Vorkommen und Gefahrenquellen Die Schleimbeutel stellen eine Schutzvorrichtung des Organismus gegen Druck- und Stoßbelastung dar. Fortgesetzte lang anhaltende, die Grenzen des Physiologischen überschreitende Belastungen können zu chronischen Erkrankungen der Schleimbeutel führen. Hiervon können auch Schleimbeutel betroffen werden, die nicht in Verbindung mit Gelenken stehen. Gefährdet sind vorwiegend Personen, die bei ihrer beruflichen Tätigkeit häufig Druckbelastungen im Bereich der Knie-, Ellbogen- und Schultergelenke ausgesetzt sind. Dies trifft insbesondere für Bergleute, Bodenleger und -abzieher, Fliesenleger, Straßenbauer, Steinsetzer, Reinigungspersonal, Glas- und Steinschleifer sowie Lastenträger zu. II. Krankheitsbild und Diagnose In den betroffenen Schleimbeuteln kommt es zunächst zu einer Reizung und Entwicklung eines serösen Exsudates, das später fibrinös (flockig-getrübt) umgewandelt werden kann. Da die degenerative Umwandlung mit kapillärer Neubildung einhergeht, sind gelegentliche hämorrhagische Beimengungen im Exsudat möglich. Nach längerer Zeit

kann sich ein Schleimbeutelhygrom bilden. Dieses besteht aus einem schwielig-fibrösen ein- oder mehrkammerigen Hohlraum, dessen Innenwand zotten- und warzenähnliche Erhebungen aufweist. Aus diesen können sich im weiteren Verlauf reiskornähnliche Körperchen entwickeln. Kalkeinlagerungen sind möglich. Die Haut über diesen Schleimbeuteln ist oft schwielig verändert. Im Bereich des erkrankten Gebietes sind mitunter Spannungsgefühl und evtl. auch Bewegungsbehinderung vorhanden. Sekundärinfektionen mit nachfolgender Vereiterung des betreffenden Schleimbeutels kommen vor. Differentialdiagnostisch sind die nicht beruflich verursachten Schleimbeutel er krankungen abzugrenzen. Dies sind ζ. B. Verletzungsfolgen, akute und spezifische Entzündungen, chronische, mechanisch bedingte Erkrankungen der Schleimbeutel sowie körpereigene Ursachen, wie Exostosen und Geschwülste. III. Hinweise für die ärztliche Beurteilung Für die Beurteilung der Erkrankung ist die Arbeitsanamnese wichtig. Nur selten treten durch Komplikationen vorübergehende oder bleibende Folgezustände auf.

N r . 2 1 0 6 Drucklähmungen der Nerven I. Vorkommen, Gefahrenquellen und Entstehungsweise Drucklähmungen der Nerven werden hauptsächlich durch von außen kommenden anhaltenden oder wiederholt auftretenden Druck verursacht. Auch ständig gleichartige Körperbewegungen können infolge von Überdehnung Drucklähmungen von Nerven hervorrufen, die ζ. B. in Knochenrinnen, über vorspringende Knochenteile, unter kreuzenden Sehnen u. ä. verlaufen. Betroffen sind vorwiegend relativ oberflächlich verlaufende motorische Nerven, ζ. B.: N. dorsalis scapulae, Ν . thoracicus longus, N. axillaris,

durch regelmäßiges Tragen von besonders starren und schweren Gegenständen auf den Schultern (ζ. B. sog. Steinträger-, Tornisterlähmung), durch Arbeiten im Liegen u. a.; N. ulnaris bzw. N. medianus, durch Arbeiten mit Aufstützen der Ellenbogen oder Druck von Werkzeugen o. ä. gegen die Hohlhand, durch Melken, Gravieren, Glasschneiden, Zuschneiden u. a.; Ν. fibularis, durch Arbeiten, die bei extrem gebeugtem Kniegelenk durchgeführt werden, wobei der Wadenbeinnerv zwi-

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Merkblätter: Berufskrankheiten sehen Bizepssehne und Wadenbeinköpfchen eingeklemmt wird, wie bei bestimmten landwirtschaftlichen Arbeiten, Fliesenlegen, Asphaltieren u. ä.;

fekten oder bei Vorhandensein eines Streuherdes sowie bei rheumatischen Erkrankungen.

N. tibialis, durch Arbeiten im Knien mit zurückgelagerter Körperhaltung, wobei ein Druck auf den Nerv im Bereich der Wadenmuskulatur ausgeübt wird. Drucklähmungen der Nerven sind vorwiegend degenerative Schädigungen. Neben den erwähnten berufsbedingten Ursachen sind häufig individuelle Disposition und konstitutionelle Faktoren von Bedeutung.

Nervenlähmungen infolge von Neuritiden, Syringomyelie, Multipler Sklerose und primärer Muskelerkrankungen sowie von Stoffwechsel-, Blutkrankheiten oder Alkoholund Nikotinabusus. Dies gilt auch für Drucklähmungen, ζ. B. infolge von Kompression durch Tumoren und andere Gewebsneubildungen, nach Frakturen, bei degenerativen oder entzündlichen Erkrankungen am Skelett, ζ. B. an der Wirbelsäule u. ä.

II. Krankheitsbild und Diagnose

Nervenlähmungen durch Einwirkung von Blei, Quecksilber, Arsen, Thallium, Schwefelkohlenstoff und anderen toxischen Substanzen fallen nicht unter Nr. 23 der Anlage zur 7. B K V O . 1 Dies trifft auch für sog. Beschäftigungsneurosen (Beschäftigungskrämpfe), wie ζ. B. Schreibkrämpfe u. ä., zu.

Der Drucklähmung gehen oft Anzeichen einer zunächst unvollständigen Nervenschädigung, wie starkes Ermüdungsgefühl und „bleierne Schwere", in der von dem betroffenen Nerv versorgten Muskulatur voraus. In diesem Bereich können Parästhesien, wie „Kribbeln", „Pelzigsein" und „Ameisenlaufen", bestehen. Das Gefühl des „eingeschlafenen Körperteils" kann Symptom einer beginnenden Drucklähmung sein. Zunächst findet man eine Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit mit beginnender „Entartungsreaktion". Die Sehnenreflexe können in dem betroffenen Gebiet abgeschwächt und schließlich aufgehoben sein. Der geschädigte Nerv ist druck- und klopfempfindlich. Differentialdiagnostisch sind zu erwägen: Nervenaffektionen nach Infektionskrankheiten, wie Typhus, Fleckfieber, Ruhr, Malaria, Lues, nach grippalen In-

Es sind außerdem auszuschließen:

IQ. Hinweise für die ärztliche Beurteilung Für die Diagnosestellung ist die genaue Kenntnis der beruflichen Tätigkeit eine wesentliche Voraussetzung. In der Regel dürfte eine eingehende fachärztliche Untersuchung erforderlich sein. Es muß die Überlegung angestellt werden, ob die örtliche Druckeinwirkung als Ursache der Nervenlähmung anzusehen ist oder ob anderen Ursachen sowie der Konstitution und Disposition die maßgebliche Bedeutung zukommt. 1

jetzt: N r . 2 1 0 6 Be KV

Nr. 2 1 0 7 Abrißbrüche der Wirbelfortsätze I. Vorkommen und Entstehungsweise Abrißbrüche der Wirbelfortsätze kommen hauptsächlich bei Schaufelarbeiten mit überhohen und überweiten Würfen vor. Auch während eines Arbeitsschwunges, bei ungewöhnlichen oder selten ausgeführten Körperbewegungen, ζ. B. beim Aufheben oder Ablegen einer Last, können Abrißbrüche auftreten. Der Abriß kann auch bei einer belanglosen Gelegenheit eintreten, nämlich dann, wenn ein Ermüdungsschaden soweit fortgeschritten ist, daß der endgültige Bruch (Ermüdungsbruch) im degenerierten Knochengewebe zu jedem Zeitpunkt möglich ist. Für die Entstehung der Schädigung, die auch als sogenannte Schipperkrankheit bezeichnet wird, spielen körperliche Überlastung infolge erschwerter Arbeitsbedingungen, ungeschickte Handhabung des Arbeitsgerätes sowie mangelnde Arbeitsübung eine Rolle. Herabgesetzter Allgemeinzustand, statische Störungen im Bereich der Wirbelsäule und konstitutionelle Faktoren können ebenfalls von Bedeutung sein. Uberwiegend werden die Dornfortsätze der unteren Haisund oberen Brustwirbelsäule geschädigt. Diese sind durch den dort kreuzenden Kraftverlauf der Rumpf- und Schultergürtelmuskulatur einer besonders hohen Beanspruchung ausgesetzt. Muskulöse Athletiker sind ebenso gefährdet wie Pykniker und Astheniker. Pathologisch-anatomisch entstehen sog. Ermüdungsbrüche durch Auflösungsvorgänge an den Knochenkristallen und durch Gestaltsveränderungen der Knochenbälkchen mit klein cystisch er Umwandlung der Knochenstruktur, die schließlich zu sichtbarer Spaltbildung führen. II. Krankheitsbild und Diagnose Dem Abrißbruch können Schwächegefühl und zeitweise auftretende ziehende und reißende Schmerzen zwischen

den Schulterblättern, die oft als rheumatische Beschwerden angesehen werden, vorausgehen. Auch ohne solche Vorzeichen kann unter plötzlich auftretenden heftigen, meist stechenden Schmerzen überwiegend im Nacken oder zwischen den Schulterblättern der Abriß eines Dornfortsatzes erfolgen. Manchmal ist dies mit hörbarem Knacken verbunden. Danach kommt es zu einer Steifhaltung der Schultern mit Zwangshaltung des Kopfes nach vorn und unten; hierdurch ist u. a. das An- und Ausziehen der Kleidung erschwert. Die Röntgenaufnahme zeigt einen meist senkrecht verlaufenden Aufhellungsspalt; das gelöste Bruchstück ist in der Regel etwas nach unten verzogen. Die Bruchflächen weisen je nach Alter des Ermüdungsbruchs einen mehr oder weniger ausgeprägten Degenerationssaum auf. Vorwiegend betroffen ist der Dornfortsatz des 1. Brustund des 7. Halswirbels, weniger häufig der des 6. Halsoder 2. Brustwirbels. Gelegendich kommen Abrißbrüche gleichzeitig an mehreren Dornfortsätzen, möglicherweise auch an Querfortsätzen von Wirbelkörpern vor. Differentialdiagnostisch abzugrenzen sind Frakturen, als Folge einer einmaligen direkten (ζ. B. Schlag) oder indirekten (ζ. B. Zerrung) Gewalteinwirkung, pseudarthrotische Spaltbildungen, seltener Frakturen infolge von Entzündungen, Tumoren u. a. III. Hinweise für die ärztliche Beurteilung Die Diagnosestellung stützt sich auf die ausführlich zu erhebende Anamnese, insbesondere Arbeitsanamnese. Die Behandlungsdauer eines Abrißbruches beträgt in der Regel wenige Wochen. Die Heilung erfolgt meist bindegewebig. Spätschäden sind im allgemeinen nicht zu erwarten.

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Merkblätter: Berufskrankheiten

Nr. 2 2 0 1 Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft I. V o r k o m m e n , Gefahrenquellen und Entstehungsweise Arbeiten in Druckluft (Druckluftarbeiten) sind solche, die in einem Luftdruck durchgeführt werden, der über dem atmosphärischen Druck liegt. Dies sind ζ. B. Arbeiten, die unterhalb des Grundwasserspiegels oder im Wasser mit Hilfe von Senkkästen, den sog. Caissons, bei Tunnelbauten nach dem Schildvortriebverfahren sowie in Taucheranzügen oder Taucherglocken vorgenommen werden müssen. Druckluftarbeiter oder T a u c h e r befinden sich je nach Arbeits- oder Wassertiefe in unterschiedlich hohem Überdruck (1 atü entspricht einem D r u c k von 1 k g / q c m oder 2 ata oder etwa 10 m Wassertiefe) und werden später wieder nach bestimmten, festgesetzten Zeiten in den normalen Atmosphärendruck zurückgebracht. M i t steigendem Druck werden die in der Atemluft enthaltenen Gase, insbesondere Stickstoff, vom Körper vermehrt aufgenommen. D e r sich im Körper vollziehende Lösungsvorgang dieser Gase verlangsamt sich mit zunehmender Sättigung. Der G r a d der Sättigung ist abhängig von der Arbeits- oder Tauchtiefe, Expositions- oder Tauchzeit sowie der unterschiedlich starken Durchblutung und dem unterschiedlich großen Stickstoffbindungsvermögen der Körpergewebe. Dabei tritt zuerst eine Sättigung der Körperflüssigkeiten, nach längerer Einwirkungsdauer eine solche der lipoid- und fetthaltigen G e w e b e ein. Die EntSättigung des Körpers muß langsam vor sich gehen, damit der bei Druckentlastung freiwerdende Stickstoff über das Herz- und Kreislaufsystem und die Atmungsorgane abgeatmet werden kann. Erfolgt die Druckherabsetzung zu schnell, so kann freigewordener Stickstoff in K ö r perflüssigkeiten, wie Blut, Lymphe, Liquor, Gelenkflüssigkeiten, sowie auch in den Geweben zur Bildung von Gasblasen führen. Luftembolien sind die häufigsten Ursachen der Erkrankungen durch Arbeit in Druckluft. Ebenso kann die sog. autochthone Stickstoffentbindung, d. h. das Freiwerden von Stickstoff innerhalb der Zellen, vorübergehende oder dauernde Gesundheitsschäden bewirken. II. Krankheitsbild und Diagnose

mangelnden Druckausgleichs, ζ. B. in Ohrtuben, Stirn- und Kieferhöhlen, zu Kopf- und Ohrenschmerzen, bei schadhaftem G e b i ß auch zu Zahnschmerzen, führen. N a c h zu schnellem Ausschleusen oder Auftauchen treten innerhalb der ersten halben Stunde, vielfach auch erst nach Stunden oder T a g e n , je nach G r ö ß e , Anzahl oder Lokalisation im Körper befindlicher Gasblasen, mehr oder weniger heftige „ D r u c k f a l l b e s c h w e r d e n " auf. Z u den Krankheitssymptomen gehören ζ. B. Gelenk- und Muskelschmerzen, Ohrensausen, Schwerhörigkeit, Mono-Paraplegie, T o n u s verlust der Muskulatur („Zusammensinken des K ö r p e r s " ) , Aphasie und Asphyxie. Mehrtägige Temperatursteigerungen beruhen evtl. auf einer gestörten Wärmeregulation. Ortliche Zirkulationsstörungen können Gefäßerweiterungen, Ö d e m e und M a r m o r i e r u n g der Haut verursachen. Auch ein Herzinfarkt infolge von Stickstoffgasembolie ist möglich. In der Regel klingen Beschwerden und Symptome der Drucklufterkrankung nach Wiedereinschleusung ( R e k o m pression auf den vorausgegangenen Arbeitsdruck), die in jedem Falle die in Frage k o m m e n d e Behandlungsmaßnahme ist, in relativ kurzer Zeit a b . Dauernde Lähmungen, vorwiegend der unteren Gliedmaßen sowie Symptome des Meniereschen Syndroms, sind infolge der Stickstoffgasembolien im Zentralnervensystem möglich. Auch vorübergehende psychische Störungen, epileptiforme Anfälle, Schäden im Hirnstamm und evtl. röntgenologisch nachzuweisende Dauerschäden in den großen Gelenken können Folgeerkrankungen von Arbeit in D r u c k luft sein. III. Hinweise für die ärztliche Beurteilung Für die Diagnosestellung und Beurteilung sind die eingehende Anamnese und Ermittlung der speziellen Arbeitsbedingungen hinweisgebend. Dabei ist die Kenntnis der Arbeitstiefen oder Atmosphären-Überdrucke und des Bodenprofils, der Ein- und Ausschleusungszeiten sowie der Dauer der Arbeiten im Überdruck von Wichtigkeit.

Zu rascher Ubergang von N o r m a l - auf Überdruck (Einschleusen in den Caisson, Abstieg im Wasser) kann infolge

Nr. 2 3 0 1 Lärmschwerhörigkeit L ä r m im Sinne dieses M e r k b l a t t e s ist Schall (Geräusch), der das G e h ö r schädigen k a n n . Bei einem Beurteilungspegel von 9 0 d B (A) und m e h r sowie andauernder Einwirkung, besteht für einen beträchtlichen Teil der Betroffenen die G e f a h r einer G e h ö r s c h ä d i g u n g . G e h ö r s c h ä d e n können jedoch auch bereits durch einen L ä r m verursacht werden, dessen Beurteilungspegel den Wert von 85 d B (A) erreicht oder überschreitet. D e r Beurteilungspegel kennzeichnet die W i r k u n g eines Geräusches auf das O h r . E r ist der Pegel eines für die D a u e r einer achtstündigen Arbeitsschicht konstanten G e räusches oder, bei zeitlich s c h w a n k e n d e m Pegel, der diesem gleichgesetzte Pegel. Wenn die Beurteilungspegel an den Tagen einer A r b e i t s w o c h e unterschiedlich sind, wird der Beurteilungspegel a u f eine 40stündige A r b e i t s w o c h e bezogen. D e r Beurteilungspegel wird nach der V D I Richtlinie 2 0 5 8 B l a t t 2 „Beurteilung von Arbeitslärm am Arbeitsplatz hinsichtlich G e h ö r s c h ä d e n " Abs. 4 . 4 in Z u s a m m e n h a n g mit A n h a n g Α und D I N 4 5 6 4 1 ermittelt und in dB(A) angegeben. Am Arbeitsplatz k a n n L ä r m n a c h mehrjähriger Einwir-

kung zu L ä r m s c h ä d e n des G e h ö r s führen. Bei sehr h o h e n Lautstärken sind bleibende G e h ö r s c h ä d e n schon nach wenigen T a g e n oder W o c h e n möglich. Geräusche, bei denen Frequenzen über 1000 H z vorherrschen, und schlagartige G e r ä u s c h e h o h e r Intensität (Impulslärm) sind für das G e h ö r besonders gefährlich. D u r c h L ä r m verursachte G e h ö r s c h ä d e n k ö n n e n eine Berufskrankheit „ L ä r m s c h w e r h ö r i g k e i t " werden. I. Gefahrenquellen L ä r m a r b e i t e n k o m m e n in vielen Gewerbezweigen v o r , besonders vielfältig und häufig in der M e t a l l b e - und Verarbeitung (Niet- und H a m m e r a r b e i t e n , Arbeiten in D r a h t - und N a g e l f a b r i k e n , G u ß p u t z e n , Schleifen, Blechbearbeitung; alle Arbeiten mit Druckluftwerkzeugen, Strahlarbeiten, Spritzmetallarbeiten, manche Schweißund Schneidarbeiten, Arbeiten an Pressen), im B e r g b a u , an M o t o r e n p r ü f s t ä n d e n , im Bereich von G a s t u r b i n e n , K o m p r e s s o r e n und G e b l ä s e n , bei der Holzbearbeitung ( H o b e l m a s c h i n e n , Sägen), in der Textilindustrie (Webund Spinnmaschinen), an D r u c k e r e i m a s c h i n e n , in der Le-

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Merkblätter: Berufskrankheiten bensmittelindustrie (Flaschenabfüllerei, Fleischcutter); beim Gewinnen und Bearbeiten von Steinen, bei Bauarbeiten (Rammen, Planierraupen, Bagger und Gleisstopfmaschinen); im Luftverkehr (vor allem beim Bodenpersonal), im Schiffsverkehr (Maschinenräume), sowie auch sonst in der N ä h e von Dieselmotoren usw. II. Pathophysiologic Die Schallwellen gelangen durch Luftleitung über den Gehörgang und - in schwächerem M a ß e - als Körperschall über die Schädelknochen zum Innenohr. Sie führen dort zunächst zu einer Ermüdung der Sinneszellen der unteren Schneckenwindung (reversible „Vertäubung", „vorübergehende Schwellenabwanderung" im Tonaudiogramm, „Kompensationsphase"). Wenn die Erholungsmöglichkeit (z.B. durch Lärmpausen von entsprechender Dauer) nicht mehr ausreicht, kommt es zu einem Dauerschaden durch Stoffwechselerschöpfung und Zelltod. Das Ausmaß des Lärmschadens nimmt mit der Dauer der Lärmexposition und mit der Lärmintensität zu. Nach etwa 15—20 Jahren wird - infolge Zerstörung aller durch Lärm zerstörbaren Zellen — eine „Sättigungsphas e " erreicht. N a c h beendeter Lärmexposition ist nicht mehr mit einem Fortschreiten der Lärmschwerhörigkeit zu rechnen. III. Krankheitsbild und Diagnose Die Lärmschwerhörigkeit ist eine Schallempfindungsschwerhörigkeit vom „Haarzelltyp ( = Innenohrschwerhörigkeit) . Zunächst ist die Wahrnehmung der höheren, später erst die der mittleren und tieferen T ö n e beeinträchtigt. Bei Lärmschwerhörigkeit sind eine große Differenz zwischen den Hörweiten für Umgangs- und Flüstersprache sowie im Tonaudiogramm ein Ubereinstimmen der Hörschwellenkurven für Luft- und für Knochenleitung festzustellen. Die chronische Schwerhörigkeit durch Lärm tritt immer doppelseitig auf, sie muß aber nicht streng symmetrisch ausgebildet sein; große Seitendifferenzen mahnen allerdings zu kritischer Klärung und Beurteilung. Subjektive Ohrgeräusche werden verhältnismäßig häufig angegeben, sind aber nicht spezifisch für eine Schwerhörigkeit durch L ä r m . Gleichgewichtsstörungen gehören nicht zum Krankheitsbild. Schon die beginnende Gehörschädigung durch Lärm kann mittels Tonaudiogramm durch typischen Hörverlust im Frequenzbereich um 4000 H z (sog. Cj-Senke) festgestellt werden. Auch später ist noch für längere Zeit ein Uberwiegen der Hochtonstörung feststellbar, aus der Hochtonsenke wird ein Hochtonabfall. Der Hauptsprachbereich ( 5 0 0 - 3 0 0 0 Hz) wird erst spät beeinträchtigt. Ein Lautheitsausgleich (Recruitment), möglichst durch mehrere überschwellige Prüfmethoden bestätigt, spricht für eine Schädigung der Sinneszellen des Corti-Organs durch Lärm. Differentialdiagnostisch ist eine Schalleitungs(mittelohr-)Schwerhörigkeit leicht auszuschließen (u.a. im Tonaudiogramm in nicht nur einer Frequenz mehr als 10 dB Differenz zwischen Luft- und Knochenleitung); weitere Hinweise auf die Möglichkeit einer gestörten Schalleitung sind morphologische Veränderungen und Bewegungseinschränkungen an den Trommelfellen, eine behinderte Tubendurchgängigkeit und eine Fixation der Gehörknöchelchenkette. Schwieriger gestaltet sich der Ausschluß von Schallempfindungsstörungen anderer Ursache; neben dem Recruitment ist vor allem die Form des Tonaudiogramms von Bedeutung. N u r der basocochleäre Typ spricht für Schwerhörigkeit durch Lärm, während mediocochleäre Typen für eine andere Lokalisation im Schneckenwindungssystem entweder im Sinne einer hereditären oder einer Hörnervenschwerhörigkeit spre-

chen, pancochleäre Formen eher auf eine Meniere'sche Krankheit hindeuten. Hinweise auf toxische Schäden des Innenohrs (durch ototoxische Medikamente, besonders bei T b k , durch Kohlenmonoxid usw.) und auf Knalltraumen müssen in erster Linie aus der Anamnese gewonnen werden. Eine konstitutionelle degenerative Innenohrschwerhörigkeit muß nicht immer erkennbar erblich sein; sie ist häufig erheblich seitendifferent, ihr Beginn ist vielfach schon auf die Zeit vor der Lärmexposition zurückzuverfolgen. Auch muß man bei einem auffälligen Mißverständnis zwischen Schwere der Hörstörung und Dauer und/oder Intensität der Lärmexposition an degenerative Prozesse, ζ. B. auch in ursächlichem Zusammenhang mit einer erkennbaren Hirnsklerose, denken. Auch ein Durchblutungsmangel des Innenohrs infolge Osteochondrose der Halswirbelsäule ist zu beachten. IV. Weitere Hinweise Z u r Anzeigepflicht: Der Verdacht auf eine anzeigepflichtige Lärmschwerhörigkeit ist begründet, wenn der Versicherte eine Reihe von Jahren unter Lärmbedingungen tätig ist oder war, die Hörfunktionsstörung dem Bilde der Innenohrschwerhörigkeit entspricht und das Sprachgehör beeinträchtigt ist. Reine Hochtonverluste sind nicht anzeigepflichtig. Präventivmedizinische Zielsetzungen können auf andere Weise (z.B. durch Kontakt mit dem Betriebsarzt oder Mitteilung an den Träger der gesetzlichen Unfallversicherung) wirksamer und einfacher verfolgt werden. Z u r Begutachtung: Führende deutsche Audiologen haben in Zusammenarbeit mit dem Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstitut für L ä r m b e k ä m p f u n g des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften „ E m p fehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit" („Königsteiner M e r k b l a t t " ) erarbeitet, die dem jeweiligen Stand der Wissenschaft und der praktischen Erfahrung von Zeit zu Zeit angepaßt werden sollen. Die in den Empfehlungen enthaltenen Tabellen zur Einschätzung der M d E sind allgemeine Richtwerte, sie dürfen nicht schematisch für die Ermittlung der individuellen M d E angewendet werden. Für den Vorschlag zur H ö h e der M d E ist entscheidend, in welchem Umfang dem Versicherten der allgemeine Arbeitsmarkt mit seinen vielfältigen Erwerbsmöglichkeiten, in dem es häufig auf das ungestörte Hörvermögen wenig ankommt, verschlossen ist. Die Empfehlungen enthalten außerdem Hinweise auf die für eine angemessene Begutachtung erforderlichen Untersuchungen: Eigen- und Familienanamnese sowie Arbeitsanamnese, Spiegeluntersuchung einschl. Prüfung der Beweglichkeit der Trommelfelle und der Tubendurchgängigkeit, Stimmgabelprüfung, Tonschwellenaudiometrie, mindestens zwei überschwellige Testmethoden zur Differentialdiagnose, Sprachaudiometrie, Hörweitenprüfung und Prüfung auf Spontan- und Provokationsnystagmus. Rö-Untersuchungen sollen nur bei spezieller Indikation vorgenommen werden. Es wird verlangt, daß der Funktionsverlust in Form des prozentualen Hörverlustes angegeben wird, aus dem dann der MdE-Vorschlag abzuleiten ist. Grundvoraussetzung für die Bejahung einer beruflichen Lärmschwerhörigkeit ist eine hinreichende Lärmexposition am Arbeitsplatz. Lärmmessungen am Arbeitsplatz sind deshalb unentbehrlich, wenn nicht auf bereits bekannte Meßergebnisse zurückgegriffen werden kann. Eine Alterskorrektur wird bei noch unter Lärmbedingungen Tätigen grundsätzlich nicht vorgenommen; dagegen ist sie zu berücksichtigen, wenn bei vorgeschrittenem Alter seit dem Ende der Lärmarbeit einige Jahre vergangen

200 sind oder wenn der augenblickliche Hörverlust den zu erwartenden Altersverlust nicht übersteigt. Bei dem nicht ganz seltenen Ereignis einer akut auftretenden Hörstörung durch Lärm ist der zeitliche Zusammenhang zwischen der schädigenden Lärmeinwirkung und dem Auftreten der Hörstörung eingehend zu prüfen. Außerdem ist nach Möglichkeit der Beweis zu führen, daß vor der Lärmexposition ein normales oder doch wesentlich besseres Hörvermögen bestanden hat. V. Literatur Lehnhardt, E.: Die Berufsschäden des Ohres. Hauptrefe-

Merkblätter: Berufskrankheiten rat der 36. Tagung d. Dtsch. Ges. HNO-Ärzte, Hamburg 1965. Boenninghaus, H. G., und D. Roeser: Neue Tabellen zur Bestimmung des prozentualen Hörverlustes für das Sprachgehör. Laryng. Rhinol. 52 (1973) 153-161. Feldmann, H.: Das Gutachten des Hals-Nasen-OhrenArztes. Stuttgart 1976. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften (Schriftenreihe): Arbeitsmedizinische Tagung über die berufliche Lärmschwerhörigkeit. Bad Reichenhall 1974 (dort auch erste Fassung des „Königsteiner Merkblattes").

Anmerkungen des Verfassers Empfehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit - Königsteiner Merkblatt Ausgabe 1977 Diese Empfehlungen sind von führenden deutschen Audiologen in Zusammenarbeit mit dem Berufsgenossenschaftlichen Forschungsinstitut für Lärmbekämpfung des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften im Jahre 1974 erarbeitet worden. Die in den Empfehlungen enthaltenen Tabellen zur Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sind allgemeine Richtwerte. Sie dürfen deshalb nicht schematisch für die Ermittlung der individuellen Minderung der Erwerbsfähigkeit angewandt werden. Für den Vorschlag zur Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist entscheidend, in welchem Umfange dem Versicherten der allgemeine Arbeitsmarkt mit seinen vielfältigen Erwerbsmöglichkeiten, in dem es häufig auf das ungestörte Hörvermögen nicht ankommt, verschlossen ist. Der Funktionsverlust ist in Form des prozentualen Hörverlustes anzugeben, mit Hilfe dessen dann der MdEVorschlag entwickelt werden soll. 1. Zweck, Anwendungsbereich Diese Empfehlungen wenden sich an den Gutachter, der bei einer angezeigten beruflichen Lärmschwerhörigkeit eine Aussage über den ursächlichen Zusammenhang und über die durch den Gehörschaden bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) zu machen hat. Mit dem erläuterten Verfahren wird eine weitgehende Gleichheit in der Bemessung des lärmverursachten Hörverlustes und eine möglichst objektive Beurteilung angestrebt. Gutachten, die für die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erstattet werden, sollen den folgenden Gesichtspunkten Rechnung tragen. 2. Allgemeines Alle Audiogramme sind dem Gutachten beizufügen. Zur Vermeidung von Übertragungsfehlern sollten sie nicht abgezeichnet, sondern möglichst fotokopiert werden. Die einzelnen Meßpunkte müssen erkennbar sein. Die Audiogramme für das rechte und linke Ohr sind getrennt aufzuzeichnen oder unmißverständlich im Diagramm zu kennzeichnen. Ergibt sich im Laufe der Untersuchung, ζ. B. bei der Aufnahme des Tonaudiogramms, daß eine berufliche Lärmschwerhörigkeit ausgeschlossen ist, so ist die Untersuchung abzubrechen. Bei der Begutachtung sind auch die Fragen einer Umsetzung und einer Nachuntersuchung kritisch zu prüfen.

Vor der Untersuchung soll das Gehör des Probanden mindestens 14 Stunden lang nicht unter Lärmeinwirkung mit einem Beurteilungspegel L3 > 80 dB(A) gestanden haben. 3. Erforderliche Untersuchungen 3.1 Eigen-, Familien- und Arbeitsanamnese Da anhand der audiologischen Befunde allein ein Nachweis der Lärmschwerhörigkeit nicht möglich ist, kommt der Erhebung einer detaillierten Eigen-, Familien- und Arbeitsanamnese besondere Bedeutung zu. Bei der Erhebung der Arbeitsanamnese sind die Ergebnisse des Technischen Aufsichtsdienstes mit zu berücksichtigen. 3.2 Eingehende HNO-ärztliche Spiegeluntersuchung einschließtich Prüfung der Beweglichkeit der Trommelfelle und der Tubendurchgängigkeit 3.3 Stimmgabelprüfung nach Rinne und Weber 3.4 Tonschwellenaudiometrie Ziel der tonaudiometrischen Prüfung muß die Ermittlung des besten Hörwertes für die angebotene Frequenz sein. Weichen die Ergebnisse bei mehrfacher Prüfung wesentlich voneinander ab, so sollte hierfür eine Erklärung gefunden werden, z.B. Hörermüdung, Aggravation. Das Tonaudiogramm ist ein unentbehrlicher Bestandteil des Gutachters. Es ist vor allem differentialdiagnostisch und damit zur Erkennung der Ursachen einer Schwerhörigkeit wichtig, z.B. durch Ausschluß einer Schalleitungsschwerhörigkeit. Ferner ist es von Nutzen bei der Beurteilung von Grenzfällen, ζ. B. an der Grenze zwischen Normalhörigkeit und geringgradiger Schwerhörigkeit. Eine Entscheidung hierüber ist nach dem Sprachaudiogramm gelegentlich strittig. Zeigt das Sprachaudiogramm noch keinen zu bewertenden Hörverlust, das Tonaudiogramm aber einen stärkeren Verlust im Hochtonbereich, so ist dieser Befund des Tonaudiogramms bei der Festsetzung der MdE mit zu berücksichtigen. Liegt der Hörverlust für 3 kHz über 40 dB und bei 2 kHz über 30 dB und bei 1 kHz über 15 dB*\ so spricht dies für eine Schwerhörigkeit, darunter für annähernde Normalhörigkeit, wenn dies nach dem Sprachaudiogramm anzunehmen ist. Für eine regelmäßige Nachkalibrierung der Audiometer ist Sorge zu tragen.

** Diese Werte gelten für eine M d E von 1 0 % . Im allgemeinen ist wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung - auf eine M d E von 2 0 % abzustellen.

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Merkblätter: Berufskrankheiten 3.5 Differentialdiagnostische Untersuchungen (mindestens zwei Tests nach verschiedenen Methoden) Dafür kommt ζ. B. in Betracht: a) SISI-Test b) Bestimmung der Lautstärkenunterschiedsschwellen nach Jerger c) Lüscher-Test d) Bestimmung der Intensitätsbreite nach Zangemeister e) Geräuschaudiometrie nach Langenbeck f) Stapedius-Reflex g) Bekesy-Audiogramm h) E R A (Electrical Response Audiometry) i) Lautstärkevergleich nach Fowler 3.6 Sprachaudiometrie Der sprachaudiometrische Befund bildet die wichtigste Grundlage für die Bewertung der M d E , abgesehen von Fällen bei Ausländern, in denen diese nicht möglich ist und die Bewertung sich im wesentlichen auf das Tonaudiogramm stützen muß. Der Sprachtest wird monaural für Zahlwörter und für Einsilber (Freiburger Test gemäß D I N 45 621) durchgeführt. Für Sprachtests sind Konserven (Tonband oder Schallplatte) und Kopfhörer zu verwenden. Die regelmäßige Nachkalibrierung der Sprachaudiometer nach D I N 4 5 6 2 6 ist unentbehrlich. Der Hörverlust für Zahlwörter (in dB), geprüft in Stufen von 5 dB, orientiert sich nach dem 5 0 % igen Verständnis gemäß DIN 4 5 6 2 4 . Das Einsilberverständnis (in % ) ist in Stufen von höchstens 15 dB, vorzugsweise für die Pegel 5 0 , 6 5 , 8 0 , ggf. auch für 95 und 110 dB, zu bestimmen. Die Zahlen- und Wortverständniskurven sind auszuzeichnen. 3.7 Hörweitenprüfung Die Hörweitenprüfung hat ihre Bedeutung als Ergänzung und Kontrolle der sprachaudiometrischen Untersuchung. Sie erfolgt monaural mit 4silbigen Zahlwörtern in Umgangs- und Flüstersprache. Entstehen aufgrund der Hörweitenprüfung widersprüchliche Aussagen gegenüber den sprachaudiometrischen Befunden, so sollen beide einer Nachprüfung unterzogen werden. Das gleiche gilt bei offensichtlichen Diskrepanzen zwischen den Sprachgehörprüfungen und dem Tonaudiogramm. Die Länge des Prüfraumes ist anzugeben. Anmerkung: Durch eine Hörweitenprüfung kann in Räumen, die nicht mindestens 8 m lang sind, nicht unterschieden werden zwischen Normalhörigkeit und geringgradiger Schwerhörigkeit. Deshalb sollte bei nur geringen Hörstörungen allein die Sprachaudiometrie, ggf. ergänzt durch das Tonaudiogramm, angewendet werden. 3.8 Prüfung auf Spontan- und Provokations-Nystagmus Ist nach 3.1 bis 3.8 eine abschließende Beurteilung der Berufskrankheit nicht möglich, so sind weitere Untersuchungen angezeigt (z.B. Röntgen-Untersuchungen, weitere Gleichgewichtsprüfungen, Simulations-Teste und Marburger Satztest). Hinweise für die Erstattung einer ärztlichen Anzeige bei Lärmschwerhörigkeit

Hals-Nasen-Ohren-Ärzte erarbeitet worden und wird vom Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften e.V. herausgegeben. 1. Hat ein Arzt bei einem Versicherten den begründeten Verdacht auf eine berufsbedingte Lärmschwerhörigkeit, so hat er dies dem zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen Stelle auf dem vorgeschriebenen Formblatt unverzüglich anzuzeigen (s. § 5 der Berufskrankheiten-Verordnung - BeKV). Das Formblatt „Ärztliche Anzeige über eine Berufskrankheit" (BK-Anzeige) kann z . B . von den Landesverbänden der gewerblichen Berufsgenossenschaften bezogen werden. 2. Eine BK-Anzeige ist zu erstatten, wenn 2.1 der Versicherte unter gehörschädigenden Lärmeinwirkungen tätig ist oder war. Gehörschädigende Lärmeinwirkungen treten auf bei Tätigkeiten, bei denen der Beurteilungspegel 90 dB(A) erreicht oder überschreitet (vgl. § 2 Abs. 3 der Unfallverhütungsvorschrift „ L ä r m " ) ) , oder bei Tätigkeiten, bei denen über eine Reihe von Jahren ein Beurteilungspegel von mindestens 85 dB(A) gegeben ist. 2.2 die Hörfunktionsstörung dem Bild einer Innenohrschwerhörigkeit entspricht (3.) und 2.3 im versicherungsrechtlichen Sinne erheblich (4.) ist. 3. Für eine Innenohrschwerhörigkeit durch Lärm (Haarzellentyp) sprechen: 3.1 Im Tonaudiogramm ein umschriebener Hochtonverlust (Hochton-Senke, Hochton-Abfall) 2 ), 3.2 ein Recruitment oder ein gesteigertes Intensitätsunterscheidungsvermögen (z.B. SISI-Test), 3.3 eine große Differenz zwischen den Hörweiten für Flüster- und Umgangssprache(Zahlen). 1) Lärmbereiche im Sinne dieser UnfallverhütungsVorschrift sind Bereiche, in denen L ä r m auftritt, bei dem der Beurteilungspegel von 90 dB(A) erreicht oder überschritten wird. 2) Die Innenohrschwerhörigkeit ist u. a. dadurch gekennzeichnet, daß im Tonaudiogramm Luft- und Knochenleitung identisch sind; größere Differenzen (mehr als 10 d B in mehr als einer Frequenz) sind verdächtig auf eine gestörte Schall-Leitung und erfordern weitere Klärung. Auf die Prüfung der Knochenleitung kann schon deshalb nicht verzichtet werden. Die Innenohrleitung entspricht der Knochenleitung.

4. Die MdE-Bemessung Hierfür sollten immer mehrere Untersuchungsmethoden herangezogen werden. Nach Boenninghaus und Roser (Z. Laryng. Rhinol. Otolog. 52 (1973) S. 1 5 3 - 1 6 1 ) kann der Hörverlust in % für jedes Ohr ermittelt werden. a) aus den Hörweiten für Umgangssprache und Flüstersprache (Tabelle 1), b) aus dem Hörverlust für 5 0 % i g e s Zahlenverständnis und dem „Gesamtwortverstehen" (Tabelle 2). Das Gesamtwortverstehen ist die Summe der Verständlichkeitswerte für Einsilber bei 60, 80 und 100 dB Sprachschallpegel.

Diese Hinweise sind eine Neufassung der bisherigen „Berufsgenossenschaftlichen Hinweise für die Erstattung einer ärztlichen Anzeige bei Lärmschwerhörigkeit" unter Berücksichtigung des „Merkblattes der Staatlichen Gewerbeärzte der Bundesrepublik" von 1974.

In Abb. 1 ist ein Beispiel gegeben. Es wurde gemessen im Zahlentest für das rechte O h r bei Sprachschallpegel 50 55 dB Verständlichkeit 30 70 % Daraus ergibt sich für 5 0 % Verständlichkeit, bezogen auf den Normalwert von 18,5 dB, ein Hörverlust von 34 dB.

Die Neufassung ist unter Mitwirkung Sachverständiger aus dem Kreis der Staatlichen Gewerbeärzte und der

Im Einsilbertest wurde gemessen für das rechte O h r bei

(Anhang 3 „ G 2 0 " , Fs. S. 1981)

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Merkblätter: Berufskrankheiten Tabelle 1 Prozentualer Hörverlust aus der Hörweitenprüfung

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