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German Pages 277 Year 2015
Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 264
Strafzumessungstatsachen zwischen Verbrechenslehre und Straftheorie Zugleich ein Beitrag zur Strafzumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Von
Dominik Stahl
Duncker & Humblot · Berlin
DOMINIK STAHL
Strafzumessungstatsachen zwischen Verbrechenslehre und Straftheorie
Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg
Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg
und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel
in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten
Band 264
Strafzumessungstatsachen zwischen Verbrechenslehre und Straftheorie Zugleich ein Beitrag zur Strafzumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Von
Dominik Stahl
Duncker & Humblot · Berlin
Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Prof. Dr. Dres. h.c. Wolfgang Frisch, Freiburg
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Wintersemester 2014/2015 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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© 2015 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
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Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit wurde der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg im Wintersemester 2014/2015 als Dissertation vorgelegt. Sie berücksichtigt die Literatur und Rechtsprechung bis zum Sommer 2014. Allen voran möchte ich mich bei meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Wolfgang Frisch, bedanken. Er hat die Arbeit inspiriert und mir in zahlreichen Diskussionen den Weg gewiesen. Darüber hinaus konnte diese Arbeit nur auf den Fundamenten errichtet werden, die Prof. Frisch dem Strafzumessungsrecht gegeben hat. Ich bedanke mich ferner bei Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Hans-Jörg Albrecht für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens und bei Herrn Prof. Dr. Dres. h.c. Friedrich-Christian Schroeder für die Aufnahme in die Reihe der Strafrechtlichen Abhandlungen, N.F. Mein herzlicher Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Pawlik, der mich als Wissenschaftlichen Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl übernommen und mir zur Fertigstellung dieser Arbeit den Rücken freigehalten hat. Bedanken möchte ich mich außerdem bei meinen Kollegen am Institut für Strafrecht und Strafprozessrecht, Abt. 1, allen voran bei Frau Margot Nostadt. Mein besonderer Dank gilt Herrn Daniel Nerlinger und Herrn Adam Stodolski, die meine Thesen in zahlreichen Gesprächen geduldig ertragen, wertvolle Anregungen angebracht und mich in schweren Zeiten immer wieder aufgebaut haben. Besonders danken möchte ich schließlich Herrn Dr. Matthias Krausbeck für seine unermüdliche und selbstlose Hilfsbereitschaft, für die vielen gewinnbringenden Diskussionen am Lehrstuhl und für das Korrekturlesen dieser Arbeit. Freiburg, den 24. 4. 2015
Dominik Stahl
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen . . . . . I. Traditioneller Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Finale, reale und logische Strafzumessungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung der Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung der Strafzumessungstatsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis der Strafzumessungsgründe zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Zur Validität einer Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen anhand der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewohnheitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Consuetudo und Opinio Iuris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Relevanz der Straftheorien für die Frage der Reichweite zulässigen Gewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Richterrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Katalog der Strafzumessungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ableitung von Zumessungsrelevanzen aus einer Strafzumessungstheorie . . 1. Deduktionsskeptizismus bei Spendel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafzumessungskonzept und Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodisches Vorgehen zur Entwicklung und theoretischen Fundierung eines Strafzumessungskonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Induktion und Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auswahl des zu Grunde zu legenden Materials und schrittweise Präzisierung – Theoriebildung „von innen nach außen“ . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B. Theoretischer Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktionen von Verbrechenslehre und Zumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . 2. Funktionale Einheit von Tatbestand und Rechtsfolge? . . . . . . . . . . . . . . . a) Theorie der Schwereskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neubewertung des Lebenssachverhalts (Hassemer) . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung der verbrechensdogmatischen Schuld (Gössel) . . . . . . . . . d) Tatbestandsausfüllende Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23 24 24 26 27 28 28 29 29 30 30 31 32 33 34 34 35 36 37 39 41 43
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Inhaltsverzeichnis e) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Materiale Begründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Methodische Eingrenzung auf den Hintergrund der Unrechts- und Schuldschwererelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von den Straftheorien losgelöste Konzepte der Strafzumessung . . . . . . . a) Strafzumessung als soziale Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Strafzweckunabhängige Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vereinigungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die reine Limitierungswirkung von Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Durchbrechungen des Konzepts durch konstitutive Elemente der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Limitierungsfunktion der Schuld i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Absolute Konzepte der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wiederherstellung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anerkennungsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Selbstsubsumtion und Aufhebung des Scheins . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Expressive Funktion der Strafe zwischen absoluter und präventiver Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Expressivität als eigenständiger Ansatz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Hörnle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Neumann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tadel als Element von absoluter und präventiver Straftheorie . . . . . . aa) Expressivität der Strafe im Lichte absoluter Theorien . . . . . . . . . bb) Expressivität als Kernelement einer präventiven Theorie . . . . . . 5. Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Negative Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Strafzumessung als Realisierung der Strafdrohung . . . . . . . . . . . . bb) Psychologische Interpretation von Unrecht und Schuld . . . . . . . . cc) Proportionalität und negative Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . b) Positive Generalprävention im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die empirische Relevanz der Schuldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Normative Relevanz der Schuldstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Positive Generalprävention und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Positive Generalprävention i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wahrung des Rechtsfriedens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Strafe als Muster für den richtigen Umgang mit abweichendem Verhalten (Hassemer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis
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d) Intellektuelle Infragestellung der faktischen Normgeltung . . . . . . . . . aa) Ausgangspunkt: Kognitive Erwartungsstabilisierung . . . . . . . . . . bb) Autonomie und rationale Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Umsetzung der Unvernunft in die Lebenswirklichkeit durch Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Bedeutung von Unrecht und Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Empirische Absicherung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Erforderlichkeit einer spezifischen Legitimation generalpräventiver Strafe gegenüber dem Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ordnungsbegriffe in der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Merkmal als geeigneter Gegenstand einer schweremäßigen Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schwerebewertungen, die im Merkmal angelegt sind . . . . . . . . . . . . . aa) Typusbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Klassenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Materielle Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzwerthypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafrahmenvergleich mit Blick auf Schweregesichtspunkte . . . . . . . b) Skalen mit Relevanz für die Infragestellung des Rechts . . . . . . . . . . . II. Schuldschwere in der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlage: Schuld als Vorwerfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbotsirrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermeidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Seelische Störungen und geistige Reife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entschuldigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strafhöhenrelevante Faktoren im Bereich des Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wert des angegriffenen Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundtatbestand und Qualifikation/Privilegierung . . . . . . . . . . . . . . . b) Quervergleiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beeinträchtigung des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Intensität des Angriffs – Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Gefahrengrade“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art und Weise der Tatausführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Hintergrund der Relevanz der Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtswidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhaltsverzeichnis 4. Pflichten und Pflichtwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Intensität des Pflichtenverstoßes und Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . b) Gewicht der Pflicht und Freiheitsabschichtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordinale Differenzierungen im Bereich von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verortung anderer Differenzierungen auf derselben Skala – Rechtsfolgendifferenzierung im Bereich von Täterschaft und Teilnahme . . . c) Zum Hintergrund von Strafmaßmodifizierungen im Rahmen von Täterschaft und Teilnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Vorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsatz und Fahrlässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorsatzformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Nicht eindeutig zuordenbare Faktoren der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . . 1. Beweggründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Parallele zu Rechtfertigungsgründen und Entschuldigungsgründen? . b) Ideelle Bedeutung der Beweggründe im Lichte des Anerkennungsgedankens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die grundsätzliche Bedeutung ideeller Faktoren de lege lata . . . . . . . 2. Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rücktritt und tätige Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafhöhenrelevante ordinale Differenzierungen im Bereich von Rücktritt und tätiger Reue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Hintergrund dieser Modifizierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
D. Abweichungen von der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Nicht übertragbare Aussagen der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die verschuldeten Auswirkungen der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konkurrenz und Schwereskala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konsequenzen für die Verwertung von „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tatbestände als Grenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bindung an den Tatbestand im Hinblick auf die Maßstäbe der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bindung an den Tatbestand im Hinblick auf den Bewertungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Anwendung der Versuchsregeln auf Regelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . 3. Teilnahme und Regelbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Relevanzen, die sich nicht aus der Verbrechenslehre herleiten lassen . . . . . . 1. Präventive Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Konzeptioneller Rahmen: Die Spielraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.
3.
4. 5.
b) Negative Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das empirische Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das normative Problem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermeidung von Nebenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Spezialpräventive Strafschärfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Überzeugungskraft spezialpräventiver Ausfüllung des Schuldrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs zur Problematik der Spielraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Hintergrund der Relevanz des Zeitablaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Veränderte Bewertung der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Indizielle Bedeutung des Zeitablaufs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kompatibilität des Strafzumessungsfaktors Zeitablauf mit dem hiesigen Konzept . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Strafempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Prognoseunsicherheiten und gerechter Umgang mit der Strafempfindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Klassenjustiz und Schuldangemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Straftatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . I. Identität der Schuldbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abweichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafzumessungsschuld als verschuldetes Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ordinaler Begriff in der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die These von der Deckungsgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . 1. Indizkonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vortatverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgeschichte der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tatplanung und Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Konflikttaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Alkoholisierung und andere Schuldminderungsgründe . . . . . . . . dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das sonstige Vorleben des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Warnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vortaten und sonstiges Vorleben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Grenzen strafschärfender Berücksichtigung des Vorlebens . . . . . c) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13 148 148 150 151 151 152 152 155 156 157 157 158 159 160 161 161 162 163 165 165 165 165 168 168 169 169 170 170 171 176 179 180 181 182 188 191 197
14
Inhaltsverzeichnis 3. Nachtatverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Umkehrverhalten des Täters nach formeller Vollendung . . . . . . . . . . . b) Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hinzufügung weiteren Unrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einstellung des Täters bei der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Begehung weiterer Straftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatspurenbeseitigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prozessverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ausblick und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Negation der Negation durch Täterleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat . . . . . . . . . . . . . 1. Die Problematischen Aspekte des Vor- und Nachtatverhaltens . . . . . . . . . 2. Die Bedeutung der Einstellung im Rahmen des positiv generalpräventiven Konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rationale Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personale Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Praktische Handhabung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konflikte mit einem freiheitlichen Schuldverständnis . . . . . . . . . . . . . 3. Integration in die Schuld als Vermeidemacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Empirische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Normative Probleme: Steigerbarkeit der Schuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Steigerungen der Schuld und Selbstbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Strukturelle Implikationen des Verbrechenssystems . . . . . . . . . . . cc) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Erweiterungen des Schuldbegriffs der Verbrechenslehre . . . . . . . . . . . . . . a) Extensive Auslegung des Schuldbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Charakterschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lebensführungsschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Funktionaler Schuldbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Tatschuld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Schuld i. e. S. – das Andershandelnkönnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Extensive Auslegung des Unrechtsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ideelles Unrechtsverständnis als straftheoretisch zwingende Konsequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Loslösung vom Tatstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zum Verhältnis ideeller und gegenständlicher Unrechtselemente . . . . . . . . . 1. Gesinnungselemente als konkretisierende Faktoren der von dem gegenständlichen Normbruch umrissenen Infragestellung des Rechts . . . . . . . . a) Ideelle Elemente im Bereich des Vorsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198 198 199 202 205 205 205 206 209 209 210 210 210 211 212 213 213 213 214 216 216 217 218 219 220 220 221 221 222 224 227 227 228 228 229 231 232 232
Inhaltsverzeichnis b) Ziele und Beweggründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die rechtsfeindliche Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schuld i. e. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schrittweise Konkretisierung des Strafmaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Spielraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
15 233 234 235 235 235 236
F. Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273
Einleitung Diese Arbeit beschäftigt sich nicht vorrangig mit der Frage, welche Tatsachen, Umstände, Faktoren, „reale“ Gründe sich auf die Bestimmung der Strafhöhe innerhalb eines Strafrahmens auswirken können. Vielmehr soll im Vordergrund stehen, auf welche Weise sich die Frage nach den sog. Strafzumessungsrelevanzen klären lässt, welche rechtlichen Leitgesichtspunkte insofern zur Verfügung stehen. Zur Herkunft der Strafzumessungsrelevanz hat gerade die traditionelle Strafzumessungslehre viele Fragen offen gelassen. Die meisten der einschlägigen Passagen aus der älteren Literatur bleiben im Hinblick auf die dogmatische Fundierung von Strafzumessungstatsachen unklar. Zwar hat man die Straftheorien letztlich immer gleichsam als Obersätze der Strafzumessung angeführt, doch waren diese letztlich kaum dazu in der Lage Licht ins Dunkel zu bringen. Zum einen lag das daran, dass gerade in der älteren Literatur im Wesentlichen alle Straftheorien, die man überhaupt kannte, als „anerkannt“ galten und deshalb gleich mehrere Theorien zur Erklärung von zweifelhaften Tatsachen, die aber immer schon in der Strafzumessung berücksichtigt wurden, in Betracht kamen; es kann vor diesem Hintergrund übrigens auch nicht verwundern, dass sich die Diskussion alsbald auf das Verhältnis der Strafzwecke zueinander konzentrierte. Zum anderen waren auch die einzelnen in Bezug genommen Theorien nicht immer präzise oder nach Maßstäben auszufüllen, über deren Inhalt sie selbst Auskunft gaben. Die Antwort auf die Fragen, ob und aus welchem Grund bestimmte Tatsachen in der Strafzumessung berücksichtigt werden dürfen, lag deshalb weitgehend im Auge des Betrachters. Das Problem geriet auch deshalb nur langsam in den Fokus der Wissenschaft, weil die Strafzumessung anfänglich gar nicht als Rechtsfrage, sondern als Tatfrage beurteilt wurde – eine These, die heute zwar als überkommen gilt, aber doch in einigen Straftheorien moderner Prägung wieder einen Rückhalt finden könnte. Die gegenwärtige Diskussion trägt dem rechtlichen Charakter der Strafzumessung eher Rechnung. Zwar anerkennt die herrschende Meinung immer noch den zentralen Stellenwert der Straftheorien für die Strafzumessung. Jedoch wird weniger über das Verhältnis dieser Theorien zueinander diskutiert als über die Frage, welche Schlussfolgerungen für die Strafhöhenbestimmung aus ihnen überhaupt gezogen werden können. In diesem Rahmen emanzipieren sich zunehmend Konzepte, die zur Konkretisierung des jeweils gewählten straftheoretischen Ausgangspunkts die Verbrechenslehre in das Blickfeld rücken. Mit Blick auf deren Aussagen gehen manche Experten gar so weit, auf die Leitfunktion von Straf-
18
Einleitung
theorien in der Strafzumessung gänzlich zu verzichten. Dabei werden sie durch den Gesetzgeber bestärkt, der sich augenscheinlich nicht für die eine Straftheorie entschieden hat, sondern, bewusst oder unbewusst, je nach Regelungszweck mal diese, mal jene straftheoretische Erwägung aufgreift. In dieser Arbeit soll untersucht werden, wie sich Verbrechenslehre und Strafzumessung zueinander verhalten, welche Rolle in diesem Kontext Straftheorien spielen können und welche Schlussfolgerungen sich aus einem etwaigen Zusammenhang für den in der Strafzumessung ausweislich des Gesetzeswortlauts des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB so zentralen Schuldbegriff ergeben. Zu diesem Zweck wirft die Arbeit, ausgehend von der traditionellen Lehre, einen Blick auf den formalen und materiellen Zusammenhang zwischen Verbrechens- und Zumessungslehre, um anschließend der Frage nachzugehen, was sich aus einem solchen Zusammenhang für die Beurteilung von Strafzumessungsrelevanzen konkret ergeben kann. Es wird sich zeigen, dass in weiten Teilen Strafzumessungsrelevanzen aus der Verbrechenslehre gefolgert werden können, dass aber auch einige Abweichungen erklärt werden müssen.
A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen I. Traditioneller Ansatz 1. Finale, reale und logische Strafzumessungsgründe Die traditionelle Fundierung der Strafzumessungstatsachen geht auf eine Analyse Spendels zu dem seiner Zeit im Strafzumessungsrecht gebräuchlichen Begriff des Strafzumessungsgrundes zurück. Es gebe dreierlei Arten von Strafzumessungsgründen: die tatsächlichen Gegebenheiten und Vorgänge als causa essendi der strafzumessungsrechtlichen Entscheidung, den Zweckgrund als causa finalis des Strafmaßes und schließlich Erwägungen, die den Strafzweck mit dem realen Lebenssachverhalt zueinander in eine logische Beziehung setzen, die so genannte causa cognescendi.1 Zwar stellt Spendel klar, dass die drei Kategorien lediglich einer begrifflich differenzierenden Erfassung des im Rahmen jeder Strafzumessungsentscheidung untrennbar miteinander Verbundenen dienen.2 Gleichwohl beinhaltet die Unterscheidung eine Strukturvorgabe für die Strafrahmenkonkretisierung. Begründet wird die Strafhöhe mit einer am Strafzweck orientierten, den Regeln der Logik folgenden Bewertung der realen Strafzumessungstatsachen. Spendels begriffliche Analyse des „Strafzumessungsgrundes“ wurde deshalb im Laufe der weiteren Erschließung der Strafzumessung von anderen Autoren aufgegriffen3 und ist in verschiedene Phasenmodelle der Strafzumessung aufgegangen. Eines der ersten dieser Modelle wurde von Bruns in seinem strafzumessungsrechtlichen Fundamentalwerk „Strafzumessungsrecht“ entwickelt. Er ordnet den Vorgang der Strafzumessung in drei wesentliche Arbeitsschritte. Zunächst seien die gesetzlichen Strafzwecke zu ergründen. Sodann müssten die relevanten Strafzumessungstatsachen ermittelt, ihre Bewertungsrichtung festgelegt und gewichtet werden. Anschließend seien alle Umstände gegeneinander abzuwägen und das relative Ergebnis in den Strafrahmen umzuwerten.4 Auf Spendels Unter-
1
Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 191 ff.; ders., NJW 1964, S. 1758 (1759 f.). Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 199; vgl. dazu Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe, S. 103 f. 3 Nachw. bei Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (6 in Anm. 26). 4 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 47 ff. 2
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A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen
scheidung zurückführbare Phasenmodelle finden sich noch heute,5 wobei zunehmend darauf hingewiesen wird, dass sie nicht mehr als eine gewisse Klarheit und Ordnung auf der wissenschaftlich deskriptiven Metaebene schaffen und nicht (unbedingt) dem oft intuitiven Vorgehen der tatrichterlichen Praxis entsprechen.6 2. Bedeutung der Strafzwecke Die tragende theoretische Bedeutung der Strafzwecke innerhalb des von Spendel herausgearbeiteten Programms und der darauf beruhenden Phasenmodelle der Strafzumessung liegt auf der Hand. Auch wenn die Strafzwecke als formale Prinzipien nach dem Spendelschen Konzept nicht ohne die realen Strafzumessungsgründe „realisiert“ werden können, stellen sie doch die entscheidenden Weichen für Relevanz, Bewertungsrichtung und Gewicht des sie ausfüllenden Materials. Auch die logischen Erwägungen hängen maßgeblich von den Strafzwecken ab. Nicht nur dann, wenn aus dem Strafzweck mit Blick auf bestimmte Tatsachen die falschen Schlussfolgerungen auf die Strafhöhe gezogen werden, sondern auch dann, wenn der Tatrichter einen (nach den Zwecken) erheblichen und beachtenswerten Umstand verkennt, soll Spendel zufolge ein logischer Fehler vorliegen, weil finale und reale Strafzumessungsgründe sich dann letztlich „,gedanklich‘ nicht gehörig miteinander verknüpft und zueinander in Beziehung gesetzt“ finden.7 Die Strafzwecke haben demzufolge eine ganz entscheidende Bedeutung für die Strafzumessung. Sie sind Dreh- und Angelpunkt der Strafrahmenkonkretisierung.8 3. Bedeutung der Strafzumessungstatsachen Obwohl sie sich letztlich an den finalen Strafzumessungsfaktoren messen lassen müssen, haben die realen Strafzumessungsfaktoren, die Strafzumessungstatsachen, im Rahmen des traditionellen Ansatzes eine eigenständige Bedeutung. Zum Ausdruck kommt das nicht nur darin, dass sie in dem Modell Spendels nicht den finalen Faktoren untergeordnet sind, sondern parallel dazu als tragende Säule der Strafmaßentscheidung genannt werden. Spendel stellt darüber hinaus deutlich heraus, dass es sich bei den Strafzwecken um formale Prinzipien handelt, die nichts oder nur wenig darüber aussagen, auf welche Weise sie zu reali5 Bunz, Jura 2011, 14 ff.; Fahl, JuS 1998, S. 748 ff.; Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung, S. 8 ff.; H.-L. Günther, FS Göppinger, S. 453 (455 f.); ders., JZ 1989, S. 1025 (1026); Niemöller, GA 2012, S. 337 (343); Schall/Schirrmacher, Jura 1992, S. 514 (515 f.); Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 650. 6 Vgl. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 653. 7 Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 196; ders., NJW 1964, S. 1758 (1761). 8 Siehe etwa Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 43; ders., Das Recht der Strafzumessung, S. 129; H.-L. Günther, JZ 1989, S. 1025 (1027 f.); Heinitz, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie, 22 (1928/29), S. 259 ff.
I. Traditioneller Ansatz
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sieren sind. So treffe der Strafzweck der Vergeltung keine Aussage darüber, was vergolten werden sollte und unter welchen – möglicherweise einschränkenden – Bedingungen.9 Schon v. Weber habe zutreffend auf die Unmöglichkeit hingewiesen, „vom grünen Tisch und durch rein logische Erwägungen ein System der Strafzumessungsgrundsätze aus dem Wesen der Strafe abzuleiten“ 10.11 Deshalb müssten die materialeren Voraussetzungen, unter denen der Strafzweck zu verwirklichen sei, andernorts gesucht und gefunden werden. Spendel sieht diese materialen Voraussetzungen primär „in den realen Strafzumessungsgründen!“ Anderes sei gar nicht möglich, da die Konkretisierung der finalen Faktoren an einer Entwicklung „,an‘ Tatsachen als ,Material‘ “ nicht vorbeikomme.12 Indizien dafür, dass die Strafzumessungstatsachen sich im Rahmen des traditionellen Ansatzes von den Strafzwecken emanzipieren, finden sich auch bei anderen Autoren. Insbesondere in den Aufsätzen und Monographien von Bruns scheint immer wieder die Auffassung durch, dass die in Gesetz und Rechtsprechung anerkannten Strafzumessungsfaktoren der Strafzumessungsentscheidung mit einer gewissen Verbindlichkeit zu Grunde gelegt werden müssten.13 4. Verhältnis der Strafzumessungsgründe zueinander Das überkommene Konzept wirft Fragen auf. Woraus sollen sich Zumessungsrelevanzen ergeben, wenn die Straftheorien zu formal für eine Ableitung sind? Die „Strafzumessungsrealien“ selbst können freilich kaum Quelle für ihre eigene Relevanz sein. Auch wenn das Recht letztlich immer nur mit Blick auf den rechtlich zu beurteilenden Lebenssachverhalt konkretisiert werden kann,14 so ist doch die rechtliche Relevanz realer Strafzumessungsgründe nicht einfach in der Lebenswirklichkeit vorhanden.15 Denn der Lebenssachverhalt kann niemals die rechtlichen Kriterien beinhalten, an denen er sich messen lassen muss. Allein das Vorliegen bestimmter Umstände verrät deshalb über ihre rechtliche Relevanz überhaupt nichts.16 Auch Spendel erkannte das und unternahm den Versuch einer rechtlichen Fundierung der Strafzumessungrealien. In seinen diesbezüglichen Ausführungen, die stark an die Rechtsprechung bezüglich der strafzumessungsrechtlichen Relevanz 9
Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 198; ders., NJW 1964, S. 1758 (1760 f.). v. Weber, MDR 1949, S. 398 (390). 11 Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 198 in Anm. 1 a. E. 12 Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 198. 13 Siehe dazu sogleich 4. 14 Eingeh. Pavc ˇ nik, Rechtstheorie 39 (2008), S. 557 ff. m.w. N. 15 Vgl. Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (25). 16 Und selbst wenn man dies annehmen wollte, wäre nichts darüber ausgesagt, wie mit den Umständen umzugehen ist, ob sie sich etwa strafschärfend oder strafmindernd auswirken sollen, mit welchem Gewicht sie zu veranschlagen sind etc. 10
22
A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen
des Vor- und Nachtatverhaltens erinnern,17 kommt er jedoch über Andeutungen nicht hinaus,18 die in ihrer Vagheit den rechtlichen Charakter der Strafzumessungsrelevanz kaum zu begründen vermögen.19 Dies gilt umso mehr, als die Überlegungen Belings, an denen sich Spendel orientiert,20 letztlich ebenfalls nicht von einzelnen Rechtssätzen oder -prinzipien, sondern wiederum von (in der Praxis anerkannten) Strafzumessungstatsachen ausgehen, noch dazu von den besonders problematischen. Der Stellenwert der Strafzumessungstatsachen wird auch in den Ausführungen von Bruns nicht deutlich. Im Vordergrund seiner Untersuchungen zur Strafzumessungsrelevanz steht regelmäßig die Praxis der Strafzumessung. Freilich nicht ohne Kritik an ihr zu üben, versucht Bruns diese Praxis auf die Strafzwecke zurückzuführen.21 Einem induktiven Ansatz redet er mit einer solchen Rückführung freilich noch nicht das Wort.22 Dennoch kann man sich bei der Lektüre seiner Ausführungen des Eindrucks nicht erwehren, dass die ja oftmals auch dem Rechtsgefühl entsprechende Praxis für die Beurteilung der Strafzumessungsrelevanzen nicht nur Untersatz ist, sondern eine gewisse rechtliche Verbindlichkeit entfaltet.23 Die Straftheorien jedenfalls lassen ihnen den dafür erforderlichen Raum. Soweit sie nämlich zu formal sind, um aus ihnen Relevanzen abzuleiten, können sie auch der Praxis keine Grenzen setzen. Zwischen Theorie und Praxis klafft dann buchstäblich eine Lücke, die – wenn nicht andere Maßstäbe zur Verfügung stehen – einseitig zu Gunsten der Praxis aufgelöst werden könnte. Insofern als der für die Strafzumessung letztlich maßgebliche Rechtssatz ohne den Zwischenschritt auf konkretere rechtliche Maßstäbe gleichsam direkt auf den Strafzweck zurückgeführt werden soll, muss sich diese Methode auch auf die Lesart der Strafzwecke in der Strafzumessung auswirken. Denn wenn von vornherein fest17
Siehe dazu unten E. II. Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 221, 235 f.; ders., NJW 1964, S. 1758 (1762 f.): Als „Tat-Umstände, die für das Strafmaß bestimmend sind,“ sollen nur solche in Betracht kommen, die „irgendwie unter der Ausstrahlung und Herrschaft der (durch den Tat-bestand geformten) Tat und in einem inneren Zusammenhang mit ihr stehen, die in ihrer juristisch relevanten Sphäre liegen, die ihren Stempel tragen“ (Zur Lehre vom Strafmaß, S. 235 f.), vgl. dazu auch Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 120. 19 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 120. 20 Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 223 ff. mit Verweis auf Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 21, 110, 178. 21 Vgl. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 29; ders., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 7; vgl. ferner ders., Strafzumessungsrecht, S. 214 f., wo von den „,unter den gegebenen Umständen‘ aktuell gewordenen Strafzwecke(n)“ die Rede ist. 22 So aber Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 38 ff.; dies., JZ 1999, S. 1080 (1081 f.). 23 Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 43; ders., Das Recht der Strafzumessung, S. 129; weitere Nachw. bei Hörnle, JZ 1999, S. 1080 (1081 Anm. 3). 18
II. Zur Validität einer Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen
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steht, dass bestimmte Tatsachen berücksichtigt werden müssen, verliert die Straftheorie eine kritische Funktion im Hinblick auf die Frage, ob Faktoren in der Strafzumessung überhaupt verwertet werden dürfen.24 Ihre Aufgabe ist dann darauf beschränkt, eine Erklärung für das in der Praxis vorgefundene Zumessungsmaterial und Aufschluss darüber zu bieten, mit welcher Bewertungsrichtung und welchem Gewicht es verwertet werden darf. Insofern werden die Straftheorien nicht lediglich wie Rechtssätze bei der Rechtsanwendung inhaltlich konkretisiert und verändert,25 sondern wesentlich durch die Rechtspraxis bestimmt. Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die Interpretation eines einzelnen Zwecks der Strafe, sondern auch auf die Gesamtheit der Strafzwecke. Betroffen ist nämlich schon die Frage, welche Zwecke überhaupt bei der Strafrahmenkonkretisierung in Betracht gezogen werden müssen. Deshalb ist es möglicherweise kein Zufall, dass nach dem traditionellen Strafzumessungskonzept die Strafzumessung nicht nur Platz für einen, sondern für mehrere Zwecke bietet26 und im Strafzumessungsrecht schwerpunktmäßig nicht die Legitimität und Adäquität der einzelnen Strafzwecke der einzelnen Strafzwecke diskutiert wurden, sondern ihr Verhältnis zueinander.27 Es bleibt festzustellen, dass der traditionelle Ansatz das Verhältnis von Strafzumessungstatsachen und Straftheorie nur unzureichend beschreibt. Es wird nicht klar, woraus sich die Relevanz von Umständen für die Strafzumessung letztlich ergeben soll. Dass die Strafzumessung lange Zeit gar nicht als Rechtsgebiet im eigentlichen Sinne verstanden wurde, lässt für eine Vermutung Raum. Ist es vielleicht die aus schöpferischem Gestaltungsakt der Rechtsanwender entstandene Tradition und Praxis, aus der Strafzumessungsrealien geschöpft werden? Ein solcher Ansatz wäre nicht ohne Probleme.
II. Zur Validität einer Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen anhand der Praxis Allein die Tatsache, dass etwas regelmäßig für Recht gehalten wird, sagt freilich über einen entsprechenden Rechtssatz noch nichts aus. Vielmehr ist ein solcher Schluss rechtstheoretisch nur unter einschränkenden Voraussetzungen zu24 Sehr deutlich wird der Verlust kritischer Funktion der Straftheorie bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 575; vgl. ferner Spendel, NJW 1964, S. 1758 (1761). 25 Vgl. dazu Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 106 m.w. N., Pavc ˇ nik, Rechtstheorie 39 (2008), S. 557. 26 Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 81, 89 ff.; ders., Strafzumessungsrecht, S. 196 ff., 217 ff.; Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes bei der Bemessung der Strafe, S. 100; Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 192 f.; aus der neueren Literatur Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 10 ff. und Rdnr. 47. 27 Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 81, 89 ff.; ders., Strafzumessungsrecht, S. 196 ff., 217 ff.
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A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen
lässig. Der Schluss muss sich nach rechtlichen Maßstäben auf der Metaebene fundieren lassen. 1. Gewohnheitsrecht Eine rechtliche Fundierung könnte der induktive Ansatz durch das Gewohnheitsrecht erfahren. Das Gewohnheitsrecht entsteht nicht durch förmliche Setzung, sondern durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine sein muss und von den beteiligten Rechtsgenossen als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird.28 Neben den in dieser Definition zum Ausdruck kommenden zwei Voraussetzungen, der regelmäßigen rechtlichen Übung (consuetudo) und der Verankerung in der Rechtsüberzeugung der Allgemeinheit (opinio iuris),29 ist schließlich auch erforderlich, dass die Anerkennung des Gewohnheitsrechts nicht gegen allgemeine (straf-)rechtliche Grundsätze verstößt.30 a) Consuetudo und Opinio Iuris Im Hinblick auf solche Zumessungstatsachen, die in ständiger Rechtsprechung bei der Strafmaßfindung berücksichtigt werden, ist die rechtliche Übung sicherlich das am wenigsten problematische Erfordernis. Aber schon das Gegebensein der zweiten Voraussetzung, der opino iuris, liegt nicht auf der Hand. Unter Rechtsüberzeugung ist die Erwartung der Allgemeinheit zu verstehen, dass es sich bei dem betreffenden Rechtssatz um eine bindende Norm handelt.31 Nach dieser Definition ergibt sich das Gewohnheitsrecht freilich noch nicht daraus, dass in der Rechtsprechung in Strafzumessungsfragen seit jeher bestimmte Umstände mit mehr oder weniger großer Selbstverständlichkeit verwertet werden. Denn maßgeblich ist nicht (nur) die Auffassung der Rechtsprechung, sondern diejenige der Allgemeinheit. Über deren opinio iuris verbieten sich freilich pauschalierende Aussagen. Hier kommt es auf die jeweils in Bezug genommene Strafzumessungstatsache an. Viel spricht dafür, dass die Berücksichtigung eines Großteils der Strafzumessungstatsachen, insbesondere derjenigen, die sich auf den ersten Blick nicht aus der Verbrechenslehre ergeben, dem allgemeinen 28 BVerfGE 22, 114 (121); ferner BVerfGE 9, 109 (117); 15, 226 (232 ff.); 34, 293 (297); 82, 6; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rdnr. 65; SK-StGB/Rudolphi § 1 Rdnr. 17; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 12 IV 1; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 356 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 12 IV 1. 29 Eingeh. Rümelin, Die bindende Kraft des Gewohnheitsrechts und ihre Begründung, S. 13 ff. 30 Vgl. dazu Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 264 ff. 31 Vgl. Dencker, ZIS 2008, S. 298 (299); Henke, Über die Evolution des Rechts: Warum ändert sich das Recht?, S. 21; Knauff, Der Regelungsverbund: Recht und Soft Law im Mehrebenensystem, S. 230; Koller, Theorie des Rechts, S. 111; von Arnauld, Recht und Spielregeln, S. 18.
II. Zur Validität einer Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen
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Rechtsgefühl entspricht. Dass es grundsätzlich richtig ist, etwa die Täterpersönlichkeit bei der Strafmaßfindung zu berücksichtigen, dürfte von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen sein.32 In Verbindung mit der Rechtsprechungspraxis kann sich aus diesem Rechtsgefühl durchaus die Erwartung ergeben, dass es sich bei dem betreffenden Rechtssatz um eine bindende Norm handelt. Jedoch stellt sich gerade im Strafrecht die Frage, ob und in welchen Grenzen Gewohnheitsrecht überhaupt anzuerkennen ist. Überwiegend wird in diesem Kontext das im Strafrecht geltende Gesetzlichkeitsprinzip, Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB aufgeführt.33 Dieses Prinzip besagt, dass eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn sie zur Zeit ihrer Begehung durch eine schriftliche und in ihren Merkmalen bestimmte Strafnorm verboten war (nullum crimen sine lege certa, praevia, scripta et stricta).34 Nach allgemeiner Meinung darf sich Gewohnheitsrecht deshalb jedenfalls nicht zum Nachteil des Täters in der Weise auswirken, dass es neue Straftatbestände schafft oder bestehende Straftatbestände verschärft.35 Demgegenüber wird aber häufig strafausschließendes oder strafmilderndes Gewohnheitsrechts für möglich erachtet.36 Die Strafzumessungsrelevanz eines Umstands wirkt jedoch niemals ausschließlich strafmildernd. Auch wenn sich das Gegebensein eines Umstands lediglich mildernd auswirken soll, so ergäbe sich Gegenteiliges für dessen Nichtgegebensein.37 Das Negativ eines strafmildernden Umstands wirkt auch dann „schärfend“, wenn es – wie im Rahmen der Schuld i. e. S. – ausschließlich unterhalb eines bestimmten Punktes oder Bereiches des Strafrahmens berücksichtigt wird. Wie die Lehre der negativen Tatbestandsmerkmale zeigt,38 ließe sich das Argument zwar auf den ersten Blick auch auf Rechtfertigungsgründe übertragen, die sich nach herrschender Meinung ebenfalls aus dem Gewohnheitsrecht ergeben können sollen.39 Allerdings können nicht alle „mildernde“ Strafzumessungstat32
Vgl. Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 53. Statt vieler Hoffmann-Holland, Strafrecht AT, Rdnr. 23; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, Rdnr. 2, 97 f. 34 Schönke/Schröder/Eser/Hecker, § 1 Rdnr. 6; Fischer, § 13 Rdnr. 7. 35 Siehe z. B. NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rdnr. 66; Bringewat, ZStW 84 (1972), S. 585 (592); Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 5 Rdnr. 45 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 3 Rdnr. 26. 36 NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rdnr. 67; Schönke/Schröder/Eser, § 1 Rdnr. 11, 12, 14; MünchKomm-StGB/Schmitz, § 1 Rdnr. 26; Frister, Strafrecht AT, § 4 Rdnr. 9; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 112; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rdnr. 100; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 5 Rdnr. 50 (unbeschränkt zulässig); Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 3 Rdnr. 28. 37 Vgl. Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 258 f. 38 Vgl. H. J. Hirsch, Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen, passim. 39 BGHSt 11, 241 ff.; NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rdnr. 67a; Schönke/Schröder/ Eser/Hecker, § 1 Rdnr. 12; Maunz/Dürig/Schmidt-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rdnr. 222; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rdnr. 453. 33
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A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen
sachen mit Rechtfertigungsgründen verglichen werden. Denn während in der Verbrechenslehre zwischen unrechtskonstitutiven Merkmalen und allgemeinen Rechtfertigungstatbeständen nach materiell-klassifikatorischen Kriterien differenziert wird,40 erfolgt die Unterscheidung zwischen den „mildernden“ und „schärfenden“ Umständen in der Strafzumessung allein anhand irgendeines Vergleichsfalls, der trotz etwaiger normativer Verankerung nur eine quantitative, nicht aber eine qualitative Relevanz entfaltet.41 Letztlich kann die Frage, ob die das Gewohnheitsrecht betreffenden und umstrittenen Grundsätze der Verbrechenslehre auf die Strafzumessung übertragen werden können, aber aus zweierlei Gründen dahinstehen. Zum einen sollen die Anforderungen des Gesetzlichkeitsprinzips auf der Rechtsfolgenseite angeblich ohnehin reduziert sein.42 Zum anderen aber könnten andere Erwägungen dem Gewohnheitsrecht im Rahmen der Strafzumessung entgegenstehen. b) Die Relevanz der Straftheorien für die Frage der Reichweite zulässigen Gewohnheitsrechts Entscheidend dürfte deshalb die materialere Frage sein, ob und in welchem Rahmen das normative Konzept der Strafzumessung und die ihm zu Grunde liegenden positiv-rechtlichen Wertungen überhaupt für eine Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Allgemeinheit (als solche) Raum lassen. Dies ist eine von der Straf(zumessungs)theorie nicht unabhängige Frage,43 die an dieser Stelle der Untersuchung nur angerissen, nicht aber abschließend entschieden werden kann. Für Gewohnheitsrecht ist nur in den Grenzen der zu Grunde gelegten Straftheorie Raum. Folgt man konsequent einem induktiven, auf die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft abstellenden Ansatz, so würde eine Straftheorie niemals entgegenstehen können, weil sie zwingend die Relevanz des Gewohnheitsrechts als Material in sich aufnehmen müsste. Es bestehen aber gewichtige Sachgründe, die einer auf die Vorstellungen der Allgemeinheit Rücksicht nehmenden Straftheorie entgegenstehen.44 Ferner erscheint es auch rechtstheoretisch nicht unproblematisch, eine Theorie im Ausgangspunkt auf zweifelhafte Annahmen zu stützen. 40
Vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 10 Rdnr. 19 ff. Vgl. Hillenkamp, StV 1986, S. 168 ff. 42 Siehe z. B. BVerfGE 105, 135 (152 ff.); NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rdnr. 18; MünchKomm-StGB/Miebach, § 46 Rdnr. 19; MünchKomm-StGB/Schmitz, § 1 Rdnr. 57; H. Schröder, FS Mezger, S. 415 (420); vgl. auch NK-StGB/Streng, § 46 Rdnr. 5 ff., 22. 43 Vgl. auf der einen Seite die Ausführungen von Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 265 f., die deutlich von der (positiv generalpräventiven) Vorstellung von Strafe als Stabilisierung kontrafaktischer Verhaltenserwartungen geprägt sind, mit den Darlegungen bei T. Walter, ZIS 2011, S. 636 ff. auf der anderen Seite. 44 Vgl. Köhler, Über den Zusammenhang von Strafbegründung und Strafzumessung S. 49 f., näher unten B. II. 6. b). 41
II. Zur Validität einer Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen
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Vielmehr muss eine Straf- bzw. eine Strafzumessungstheorie zunächst aus gesicherten rechtlichen Wertungen entwickelt werden. Letztlich sind es auch genau diese Wertungen, die über die Frage entscheiden, welchen Stellenwert und Inhalt das Gewohnheitsrecht zur Konkretisierung und Ausfüllung des theoretischen Rahmens einnehmen darf. Bevor also abschließend über einen auf Gewohnheitsrecht beruhenden induktiven Ansatz zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen geurteilt werden kann, muss der normative Boden der Strafzumessung aus unzweifelhaft rechtlichen Aussagen über die Strafzumessung bereitet werden.45 2. Richterrecht Fraglich ist, ob die Praxis der Strafzumessung insoweit nicht zumindest als Richterrecht von Bedeutung sein kann. Im Gegensatz zum Gewohnheitsrecht setzt das Richterrecht keine Überzeugung der Allgemeinheit voraus.46 Es ist dafür aber ungleich enger an das positive Recht gebunden. Nach der Soraya-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beschränkt sich die richterliche Tätigkeit nicht nur auf das Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers. Die Aufgabe der Rechtsprechung könne es vielmehr erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen, ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren.47 Damit ist dem Richter jedoch kein Freibrief für eine „schöpferische“ Rechtsfindung am Gesetz vorbei oder gar zur Willkür erteilt. Seine Entscheidung muss vielmehr auf rationaler und rechtlicher Argumentation beruhen. Es „muss einsichtig gemacht werden können, dass das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den ,fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft‘“.48 Es ist deshalb eine vorrangige Frage, ob und inwiefern das Strafzumessungsrecht überhaupt solche Lücken bei der Lösung von Rechtsproblemen oder Konflikte mit den Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft aufweist oder aufweisen kann. Es ist eine zweite Frage, wie das Recht nach Maßstäben der praktischen Vernunft in solchen Fällen konkretisiert werden muss. Eine etwaige Qualifizierung von Strafzumessungsrelevanzen als Richterrecht entbindet damit nicht von der Auf45
Näher unten B. II. Vgl. Bringewat, ZStW 84 (1972), S. 585 (597); Gewohnheitsrecht und Richterrecht werden im Strafrecht häufig gleichgesetzt, dazu NK-StGB/Hassemer/Kargl, § 1 Rdnr. 66. 47 BVerfGE 34, 269 (287). 48 BVerfGE 34, 269 (287). 46
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A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen
gabe, das in der Zumessung zu Grunde gelegte Material, das als Richterrecht qualifiziert werden soll, ebenfalls an (vorrangig positiv-)rechtlichen Maßstäben zu überprüfen. 3. Katalog der Strafzumessungsgründe Solche rechtlichen Maßstäbe bietet auf den ersten Blick der Katalog der Strafzumessungsgründe in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB. Angeboten werden hier diverse Kategorien realer Umstände, die nicht nur besonders konkretisierungsbedürftig,49 sondern nach dem Gesetzwortlaut („kommen namentlich in Betracht“) auch keinen abschließenden Charakter haben. Aus § 46 Abs. 2 S. 2 StGB könnte sich mithin gerade die gesetzliche Lücke ergeben, die Voraussetzung für die Statthaftigkeit des Richterrechts ist. Jedoch wäre der Schluss, dass der Richter den Katalog einfach so um allgemeine oder gar eigene Gerechtigkeitsvorstellungen ergänzen dürfte, ein voreiliger. Nicht nur kann die Ergründung der maßgeblichen Erwägungen auch hier nicht dem freien Philosophieren des Rechtsanwenders überlassen sein, auch können weitere Strafzumessungsrelevanzen nicht ohne Weiteres aus dem Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB durch Induktion und Deduktion entwickelt werden.50 Dies liegt für im Hinblick auf ihren Hintergrund ambivalente Faktoren wie dem bei der Tat aufgewendeten Willen (Schuld oder Spezialprävention) auf der Hand. Die Auswahl der in Betracht kommenden Erwägungen muss deshalb an anderen rechtlichen Maßstäben erfolgen.51 Es müssen mithin rechtliche Wertungen außerhalb des Katalogs des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB in den Blickpunkt rücken.
III. Ableitung von Zumessungsrelevanzen aus einer Strafzumessungstheorie Woraus ergeben sich aber außerhalb des Katalogs in § 46 Abs. 2 S. 2 die Wertungen, aus denen sich (weitere) Strafzumessungsrelevanzen entwickeln lassen? Weil auch § 46 Abs. 1 StGB nur bedingt weiterhilft (was ist Schuld und was meint die Rede von der Grundlage der Strafzumessung?), fällt der Blick fast unweigerlich auf die Strafzwecke und Straftheorien, die seit jeher zur theoretischen Fundierung des Strafzumessungsrechts – und auch des § 46 Abs. 1 StGB – herangezogen werden.52
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Streng, in: Tatproportionalität, S. 129 (135). Vgl. H.-L. Günther, FS Göppinger, S. 453 (458). 51 Vgl. Koffka, JR 1955, S. 322 (323). 52 Vgl. statt vieler Frisch, in: Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, S. 1 (6 f.); LK10 /G. Hirsch, Vor § 46 Rdnr. 12; Koffka, JR 1955, S. 322 (323). 50
III. Ableitung von Zumessungsrelevanzen
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1. Deduktionsskeptizismus bei Spendel Spendel zeigte sich gegenüber einer Entwicklung von Zumessungsrelevanzen aus den Straftheorien kritisch. Es handele sich bei den Zwecken der Strafe um lediglich formale Sätze, aus denen sich für eine Konkretisierung des Strafzumessungsmaterials nichts ergebe.53 Für die von ihm beispielhaft angeführten absoluten Zwecke mag das auch zutreffen. Die Vergeltung konkretisiert nicht das Unrecht, das vergolten werden soll, sondern nimmt darauf nur Bezug. Ebenso ergibt sich aus einem Schuld-Sühne-Ausgleich nicht, welche Umstände die Schuld beeinflussen und was letztlich gesühnt werden soll. Die genannten Strafzwecke sind insofern tatsächlich formaler Natur. Hingegen gibt es auch Strafzwecke, von denen sich das nicht sagen lässt. Wären die empirischen Zusammenhänge klar, so enthielte etwa die Spezialprävention schon eine ziemlich konkrete Anweisung, in Bezug auf die nur wenige Fragen offen bleiben: Es sollen Gefahren, die von einem Täter im Hinblick auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter ausgehen, beseitigt werden. Wenn dieses Ziel durch ein bestimmtes Strafmaß besser erreicht werden könnte als durch andere, so wäre diesem Strafmaß der Vorzug zu geben. Offen bliebe dann – abgesehen von der näheren Konkretisierung des Ziels der Spezialprävention54 – vor allem die Frage nach etwaigen autonomiewahrenden Grenzen. Das ist jedoch genau genommen keine Frage, die den Strafzweck der Spezialprävention und seine Konkretisierung betrifft. Nach alldem ist es denkbar, dass sich aus einer Straftheorie grundsätzlich auch Aussagen über das in der Strafzumessung entscheidende Tatsachenmaterial ergeben können. 2. Strafzumessungskonzept und Straftheorie Die Frage, ob zu den Strafzwecken und Straftheorien keine anderen axiomatischen, insbesondere spezifisch strafzumessungsrechtlichen Alternativkonzepte in Betracht kommen, aus denen sich ebenfalls Strafzumessungsrelevanzen herleiten lassen, muss an dieser Stelle (noch) nicht abschließend entschieden werden. Wichtig ist zunächst nur, dass überhaupt der Blick auf etwaige theoretische Zusammenhänge gerichtet wird, weil sich aus einer Theorie weitere Relevanzen ergeben können.
53 Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 198; ders., NJW 1964, S. 1758 (1760 f.); vgl. ferner Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 24; ders., Einführung in die Rechtsphilosophie, S. 301, 306 ff. 54 Dazu Eser, FS Peters, S. 505 (509 ff.); Schellhoss, in: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 428 (429 f.).
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A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen
Die besondere Bedeutung gerade der Straftheorien in der wissenschaftlichen Erörterung des Strafzumessungsrechts55 ist in diesem Zusammenhang allerdings nicht dem Zufall geschuldet. Denn eine Theorie, die den Strafzumessungsvorgang in seinen wesentlichen Elementen zutreffend beschreibt und legitimiert, muss notwendig mit Rücksicht auf den Gesamtkontext strafrechtlicher Regelungen konzipiert sein. Hinzu kommt noch ein Weiteres: Sofern in der Strafzumessung die Kategorien der Verbrechenslehre auch nur aufgegriffen werden, drängt sich eine Verbindung auch zu deren theoretischem Fundament geradezu auf. Dies gilt umso mehr, als der Gesetzgeber in § 46 Abs. 1 S. 1 StGB mit der Schuld sogar zur Grundlage der Strafzumessung erklärt hat, was augenscheinlich auch Gegenstand der Verbrechenslehre ist, und außerhalb der sehr unvollständigen spezifisch strafzumessungsrechtlichen Regelungen zu dessen Konkretisierung denn auch nicht viel mehr in Betracht zu kommen scheint als ein Rekurs auf die Straftatdogmatik. 3. Methodisches Vorgehen zur Entwicklung und theoretischen Fundierung eines Strafzumessungskonzepts Aus der Literatur wird ersichtlich, dass über die theoretischen Fundamente des Strafzumessungsrechts keine Einigkeit herrscht. Das muss die Frage aufwerfen, nach welchen Methoden sich ein theoretisches Konzept der Strafzumessung überhaupt entwickeln lässt. a) Induktion und Diskurs Allgemeine Prinzipien, die dem Recht zu Grunde liegen, können grundsätzlich mit einer analytisch-induktiven Methode ermittelt werden.56 Weil in der Strafzumessung eine große Vielzahl heterogener Faktoren als causa essendi in Betracht kommt und diese Faktoren im Interesse einer nachvollziehbaren Entscheidung geordnet und systematisiert werden müssen, soll die induktive Methode mangels ersichtlicher Alternative auch der hiesigen Untersuchung zu Grunde gelegt werden. Dies mutet vielleicht auf den ersten Blick vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen, die einem unkritischen induktiven Ansatz eine Absage erteilt haben, widersprüchlich an. Vor dem Hintergrund einer nach dem zu Grunde
55 Vgl. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 81 ff.; ders., Strafzumessungsrecht, S. 196 ff.; Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 6, 14 f., 23; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (159); ders., aaO., S. 1 (45 ff.); Silva Sánchez, FS Hassemer, S. 625 (626). 56 Radbruch, Gesamtausgabe, Band 7, S. 84; vgl. ferner Marth, in: Einheit und Freiheit der Wissenschaft: Idee und Wirklichkeit, S. 80 ff., 81; vgl. ferner: Seiffert, Einführung in die Wissenschaftstheorie I, S. 201 ff. zur Induktion in den Sozialwissenschaften, nach Peirce im ersten Schritt sog. Abduktion, Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Band 4, S. 121 ff.
III. Ableitung von Zumessungsrelevanzen
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zu legenden Material differenzierenden Betrachtungsweise löst sich dieser Widerspruch jedoch ohne Weiteres auf. Denn dass bestimmte „reale“ Faktoren aus der Strafzumessungspraxis oder dem Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB nicht zur Genese und Abduktion eines Strafzumessungskonzepts herangezogen werden dürfen, bedeutet nicht die Unzulässigkeit der Berücksichtigung anderer Faktoren im Rahmen eines induktiven Ansatzes. Zentrale rechtliche Versatzstücke, die Strafzumessung de lege lata auszeichnen, sind zur theoretischen Fundierung eines Strafzumessungskonzepts damit nämlich noch nicht ausgeschlossen.57 Es müssen diese Versatzstücke nur ausfindig gemacht und sodann danach gefragt werden, welche prinzipiellen Erwägungen ihnen zu Grunde liegen. b) Auswahl des zu Grunde zu legenden Materials und schrittweise Präzisierung – Theoriebildung „von innen nach außen“ Von entscheidender Bedeutung ist mithin die Auswahl des zur Theoriebildung einzubeziehenden konkreten Materials. Die Aufgabe fällt nicht leicht. Anders als in den Naturwissenschaften gibt es im Recht schlechthin keine außenweltliche Phänomene, die hinzunehmen und zu erklären sind.58 Hypothesen über das Recht unterscheiden sich von empirischen Daten, insofern als sie sich im Rahmen der juristischen Argumentation in Frage stellen lassen. Viele Rechtssätze und ihre Auslegungen sind nicht in Stein gemeißelt, sie stehen als solche in mehr oder weniger geringem Ausmaß in der Diskussion. Möchte man im Strafzumessungsrecht ein stimmiges Konzept entwickeln, aus dem sich nicht nur weitere Relevanzen ergeben, sondern auch traditionelle Faktoren der Strafzumessung kritisch beleuchtet werden können, müssen erste Hypothesen zunächst ausgehend von den am wenigsten und bestenfalls überhaupt nicht strittigen Faktoren der Strafzumessung entwickelt, kritisch auch durch diskursive Methoden juristischer Argumentation überprüft und dann schrittweise mit Blick auf weniger eindeutige Faktoren präzisiert und verfeinert werden. Eine Theoriebildung muss mithin vorsichtig „von innen nach außen“ erfolgen. Aus diesem Grund können Schlussfolgerungen auf Prinzipien nicht im Ausgangspunkt auf die Praxis der Strafzumessung gestützt werden. Die Berücksichtigung der Praxis kann vielmehr nur und erst dann in Betracht kommen, wenn sie sich in einen aus allgemeinen rechtlichen Prinzipien ergebenden theoretischen Rahmen einordnen (Deduktion) und sich insofern als legitimes Recht rechtfertigen lässt. Das theoretische Fundament muss also zunächst auf eindeutig als Recht legitimierbare Faktoren aufbauen, d.h. hier zuvörderst auf solche, die zum gesicherten Kreis zumessungsrelevanter Faktoren gehören. Lassen sich diese 57 58
Radbruch, Gesamtausgabe, Band 7, S. 84. Vgl. Frisch, in: Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 156 (170).
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A. Induktive Methode zur Ergründung von Strafzumessungsrelevanzen
Faktoren in eine Theorie einbetten, können weitere, nun etwas weniger gesicherte Faktoren verarbeitet und diskutiert, dann wieder deduziert werden usw. Als gesichert dürfen in diesem Rahmen zunächst nur solche Faktoren gelten, die nach der Gesetzeswertung eindeutig Einfluss auf die Strafzumessung haben müssen. Aus diesem Grund ist vorrangig auf die zentralen und am wenigsten umstrittenen positiv-rechtlichen Wertungen abzustellen und zu fragen, welche theoretischen Konzepte und Prinzipien ihnen zu Grunde liegen könnten. In einem zweiten Schritt ist zu untersuchen, ob und unter welchen Voraussetzungen sich weitere Faktoren in diese Konzepte einfügen lassen. Möglich erscheint bei alldem ein Rückgriff auf die theoretische Vorarbeit, die in der Wissenschaft in der Diskussion um die Straftheorien bereits geleistet wurde. Gleichwohl ist hier Vorsicht geboten. Dass sich aus den Strafzwecken Aussagen für oder gegen die Berücksichtigung bestimmter Umstände ergeben können, ist nicht nur im Hinblick auf die rechtstheoretischen Unzulänglichkeiten des traditionellen Ansatzes, sondern auch in Anbetracht der Umstrittenheit der Straftheorien59 keine hinreichende Voraussetzung für die Validität des (jeweils) „passenden“ finalen Grundes der Strafzumessung.60 Deshalb darf nicht einfach auf denjenigen Strafzweck abgestellt werden, der eine Erklärung für die Relevanz eines in der Lebenswirklichkeit vorgefundenen Umstands bietet. Allein die Tatsache, dass ein Strafzweck die Berücksichtigung eines bestimmten Umstands erklärt, vielleicht sogar einfordert, muss also nicht bedeuten, dass dieser Strafzweck auch vom Recht als legitime Grundlage der Strafzumessung anerkannt wird. c) Zusammenfassung Eine (ausdifferenzierte) Theorie der Strafzumessung ist zwar nicht gesetzlich vorgegeben, könnte sich jedoch induktiv erschließen lassen. Das dabei zu Grunde zu legende Material darf nicht primär irgendeiner Praxis, sondern muss zuvörderst dem positiven Recht entnommen werden. Dabei sind zunächst die zentralen und anerkannten Aussagen des Strafrechts über Strafzumessungsrelevanzen zu diskutieren. Erst nach diesem Schritt kann aus ersten Hypothesen für weitere Fälle, die rechtlich nicht explizit oder nur unvollständig geregelt wurden, deduziert werden. Sollte sich erweisen, dass eine Induktion zu einem einheitlichen übergeordneten Prinzip nicht möglich ist, oder vielleicht gar kein Strafzweck in der Zumessung Platz greifen kann, dann sind es ebenfalls rechtliche Wertungen, die über die Zumessungsrelevanz von Umständen Auskunft geben müssen. Wer direkt Strafzwecke oder Straftheorien zur Klärung von Strafzumessungsrelevanzen heranzieht, lässt also mindestens einen theoretisch notwendigen Zwischen59 60
Eingeh. Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, passim. Vgl. Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (20 ff.).
IV. Fazit
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schritt aus. Er läuft überdies Gefahr, sich auf Abstraktionsebenen zu begeben, die für die Beantwortung seiner Frage zum einen nicht notwendig und zum anderen zu unpräzise sind.
IV. Fazit Die überkommene Strafzumessungslehre arbeitet im Ansatz induktiv, wenn sie die realen Strafzumessungsgründe aus der Rechtspraxis nutzt, um relevante Strafzwecke herauszufiltern. Sie arbeitet auch deduktiv, wenn sie danach fragt, was diese Umstände im Lichte dieser Strafzwecke bedeuten. Zu wenig berücksichtigt wurde dabei aber die rechtliche Legitimation der ausgewählten Strafzumessungsfaktoren im Induktionsschritt. Diese gelingt nur, wenn zuvörderst die positiv-rechtlichen Wertungen bei der strafzumessungsrechtlichen Theoriebildung in Betracht gezogen werden. Welche das sind, ist zunächst eine offene Frage. Die wenig konkreten Vorschriften über das Rechtsfolgenrecht sind vor dem Hintergrund der Umstrittenheit ihrer Aussagen über die Straftheorie unergiebig. Es bleibt aber dann noch die Straftatdogmatik, die für die Herstellung eines überzeugenden Strafzumessungskonzepts fruchtbar gemacht werden könnte.
B. Theoretischer Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung Dem traditionellen Ansatz wird denn auch immer häufiger ein anderes Modell der Strafzumessung entgegengesetzt, das die Anforderung an eine kritisch theoretische Grundlegung für Strafzumessungsrelevanzen augenscheinlich erfüllt. Dieses relativ neue Modell wurde maßgeblich von Frisch entwickelt. Es stützt sich auf festgestellte Zusammenhänge zwischen Straftatsystem und Strafzumessung und kann deshalb die Aussagen der Verbrechenslehre für die Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen nutzen.61 Die Zusammenhänge sind indes auf den ersten Blick nicht selbstverständlich.
I. Funktionen von Verbrechenslehre und Zumessung Strafzumessung und Strafbegründung suchen im Schwerpunkt unterschiedliche Fragen zu beantworten. Die Verbrechenslehre fragt zuvörderst danach, ob überhaupt ein strafbares Verhalten vorliegt.62 Der Strafzumessung geht es demgegenüber ausschließlich um die Höhe der Strafe; die Strafbegründung kann sie nach einhelliger Auffassung überhaupt nicht berühren.63
61 MünchKomm-StGB/Freund, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. Rdnr. 1, 74 ff.; H. J. Albrecht, Strafzumessung, S. 62; Freund, GA 1999, S. 509 ff.; ders., in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (50 f.); Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 163 ff.; Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 ff.; ders., GA 2014, Heft 9; ders., ZStW 99 (1987), S. 349 (385 ff.); ders., GA 1989, S. 338 (355 f.); ders., Festgabe BGH, S. 269 (279, 287 ff.); ders., FS Müller-Dietz, S. 237 (247 f., 259); Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 88 ff.; SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 41 ff., 46; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 143 ff., 195 ff.; dies., in: Tatproportionalität, S. 99 (105 f.); dies., JZ 1999, S. 1080 (1087 f.); Peralta, FS Roxin II, S. 257 (261); Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 53 ff., 77 ff.; Silva Sánchez, FS Hassemer, S. 625 ff.; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 91; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (158 f., 162 f., 187 ff.); ders., in: Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209 (225 ff.); Timm, Gesinnung und Straftat, S. 146 ff.; Volk, ZStW 97 (1985), S. 871 (901 ff.); Andeutung in diese Richtung schon bei Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 221 ff. 62 Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 90 f.; Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 44. 63 Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 135; Silva Sánchez, FS Hassemer, S. 625 ff., 629.
I. Funktionen von Verbrechenslehre und Zumessung
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1. Unterscheidung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge Nach vereinzelt vertretener Auffassung soll bereits aus den unterschiedlichen Fragestellungen folgen, dass keine systematischen Übertragungen, Anleihen usw. möglich sind.64 Auf den ersten Blick legt die Funktionsverschiedenheit zwischen Tatbestand65 und Rechtsfolge diese Sichtweise in der Tat nahe. Die Grenze zwischen dem Tatbestand auf der einen Seite und der Rechtsfolge auf der anderen Seite gilt schließlich in der Rechtstheorie als fundamental. Man könnte meinen, sie werde verwischt und die konditionale Struktur66 der Deliktsnormen des Besonderen Teils aufgelöst, wenn zwischen den Merkmalen des Tatbestands und den Gründen des Rechtsfolgenrechts nicht auch inhaltlich sauber differenziert werden würde.67 Deshalb fordert Krahl eine Interpretation des Strafrechtssatzes als konditionales, inhaltlich geschlossenes Entscheidungsprogramm.68 Dazu sei erforderlich, den normtheoretischen Charakter des Tatbestands auf dessen Rechtsfolgen bedingende Funktion zu reduzieren69 und die Rechtsfolgen konkretisierende Dimension der Strafzumessung davon zu unterscheiden. Die Normstruktur bedingt jedoch bei eingehender Betrachtung keine inhaltliche Abgrenzung zwischen den Bestimmungs- und den Zumessungsgründen der Strafe. Denn selbst dann, wenn der Gesetzgeber nach Belieben Tatbestandsmerkmale in Zumessungsgründe verwandeln dürfte, wären diese (als Zumessungsgründe) immer noch Voraussetzungen der Rechtsfolge – zwar nicht im Hinblick auf die Anwendung der Strafrahmen, aber auf die Bestimmung der Strafhöhe in concreto.70 Rechtsfolge bliebe jedenfalls das schließlich zu bestimmende Endstrafmaß, dessen Verhängung und Vollstreckung logisch unter keinen Umständen dem Tatbestand zugerechnet werden könnte. Schließlich erfüllen alle Tatbe64 Vgl. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 144 f.: „Die Anwendung verschiedener Prinzipien hinsichtlich des ,Ob‘ und des ,Wie‘ der Bestrafung ist nichts weniger als ein ,Systembruch‘, sondern wird durch die Natur der Sache gerechtfertigt.“ (S. 145); s. ferner Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 76. 65 Bezeichnet ist damit der Tatbestand im weitesten Sinn, der sämtliche materiellrechtlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit umfasst, s. dazu Eisele, Die Regelbeispielsmethode im Strafrecht, S. 111 f.; Engisch, FS Mezger, S. 127 (130); Jakobs, Strafrecht AT, 6/53; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 25 I 3, S. 246; Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 8; Mezger, NJW 1953, S. 2 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 7 Rdnr. 4. 66 Siehe dazu Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 28 ff. 67 Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 76 f., 144. 68 Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 181. 69 Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 64 f. mit Verweis auf Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 110 ff. 70 Vgl. Freund, ZStW 112 (2000), S. 665 (674, 681); Kindhäuser, FS Triffterer, S. 123 (125); Köhler, Über den Zusammenhang zwischen Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 11 Anm. 5.
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
stände, die statt eines Strafrahmens mit der lebenslänglichen Freiheitsstrafe eine Punktstrafe bedingen, deshalb unzweifelhaft sowohl eine Rechtsfolgen bedingende als auch eine Rechtsfolgen konkretisierende Funktion. Der funktionale Unterschied zwischen Strafbegründung und Strafzumessung fordert eine inhaltliche Abgrenzung der hier und dort relevanten Merkmale also nicht, sondern allenfalls eine formelle Abgrenzung nach dem Abstraktionsgrad. Krahl richtet sich denn auch nicht gegen eine Doppelfunktion der Tatbestandsmerkmale, sondern gegen ein Verständnis der Bestandteile des Rechtssatzes als bloße Additive.71 Bruns hingegen muss immerhin zugegeben werden, dass die Prinzipien der Rechtsfolgenbestimmung sich insofern nicht aus der Verbrechenslehre ergeben können, als es um die Art und Weise der Rechtsanwendung geht. Denn nach der Entscheidung über den Strafrahmen erfolgt in der Tat ein Systemwechsel von einem klassifikatorischen zu einem oridnalen Verfahren, dem auch die Prinzipien der Rechtsanwendung Rechnung tragen müssen. Indessen folgt aus diesem Systemwechsel hin zur Rechtsfolgenbestimmung nicht ohne Weiteres, dass man sich im Hinblick auf die Bewertungsfaktoren oder gar den Gegenstand der Strafzumessung nicht aus der Verbrechenslehre bedienen dürfte. Diese Möglichkeit deutet denn auch Bruns an anderer Stelle an.72 2. Funktionale Einheit von Tatbestand und Rechtsfolge? Nicht nur wird die Unabhängigkeit von Strafzumessung und Verbrechenslehre auf den ersten Blick schon durch die Bezogenheit der Strafe auf den Schuldspruch in Frage gestellt,73 es kommen darüber hinaus sogar funktionale Gemeinsamkeiten in Betracht. Dass, wie sich an den absoluten Strafdrohungen besonders deutlich zeigt, die Straftatprüfung Einfluss auf das schließlich zu verhängende Endstrafmaß haben kann, wirft die Frage auf, inwieweit Strafbegründung und Zumessung wirklich unterschiedliche Funktionen haben. Zwar ist die Frage nach dem Vorliegen (dem „Ob“) der Strafbarkeit ausschließlich Gegenstand der Verbrechenslehre.74 Doch bedeutet dies nicht, dass sich die Funktion der Verbrechenslehre in dieser Frage erschöpft.75 Tatsächlich erfolgt denn auch schon durch jede Straftatprüfung eine erste Konkretisierung der Strafhöhe, insofern als das Gegebensein bestimmter Strafbarkeitsvoraussetzungen stets einen bestimmten Strafrahmen bedingt. Der Gesetzgeber ist in diesem Sinne in der Tat schon straf71
Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 44, 76. Vgl. Anm. 76 f. 73 Vgl. Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (10 ff.); Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 20; LKStGB1 /Jagusch, Anm. III 6 b vor § 13 (S. 111) – allerdings ist diese Bezogenheit nur ein sehr schwaches Argument für den Einfluss straftatdogmatischer Wertungen für die Strafzumessung. 74 Eingeh. Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 134 ff. und passim. 75 Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 44. 72
I. Funktionen von Verbrechenslehre und Zumessung
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zumessend tätig geworden, es lassen sich die von ihm fixierten Tatbestandsmerkmale als antizipierte Strafzumessungsgründe begreifen.76 Insofern lässt sich denn auch von einer funktionalen Einheit von Tatbestand und Rechtsfolge sprechen. a) Theorie der Schwereskala Aus dieser Einheit ziehen viele Autoren den Schluss, der Richter müsse bei der Strafzumessung jene Tätigkeit fortsetzen, die der Gesetzgeber mit der Aufstellung von Straftatbeständen und der Zuordnung entsprechender Strafrahmen bereits begonnen hat.77 Wenn der Gesetzgeber mit der Ausstaffierung der Strafrahmen zum Ausdruck gebracht habe, dass die Strafhöhe von Unrechts- und Schuldschweregesichtspunkten abhängen solle, so müsse dies auch für die Konkretisierung des Strafmaßes innerhalb der Strafrahmen gelten.78 Der Gesetzgeber habe lediglich deshalb von der weiteren Konkretisierung abgesehen, weil infolge der Unvorhersehbarkeit künftiger Taterscheinungen und des ihnen jeweils angemessenen Strafbedürfnisses gesetzlich fixierte Strafgrößen nicht in Frage kommen.79 Mit einer mehr rechtstheoretischen Formulierung würde man vielleicht sagen, dass abstrakt-generelle Normen notwendigerweise auf einem gewissen Abstraktionsniveau stehen bleiben müssen. Das aber kann freilich kein Grund für den Rechtsanwender sein, nicht ebenfalls an die Kriterien der Strafbegründung anzuknüpfen und die Verbrechenslehre durch eine weitere Konkretisierung der ihr zu Grunde liegenden Maßstäbe fortzuführen. Konzeptionell kann dieser Fortführung Rechnung getragen werden, indem der Strafrahmen als kontinuierliche Schwereskala verstanden wird,80 als „Surrogat 76 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 70, 363; ders., Das Recht der Strafzumessung, S. 133; Eisele, Die Regelbeispielsmethode im Strafrecht, S. 131; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 235; Köhler, Über den Zusammenhang zwischen Strafbegründung und Strafzumessung, S. 18; Küper, JZ 1968, S. 651 (657); Lampe, Das personale Unrecht, S. 262 f.; Maiwald, FS Gallas, S. 137 (145); Mezger, Strafrecht, S. 498; Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, S. 43; Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 100; H. Schröder, FS Mezger, S. 415 (426); Silva Sánchez, FS Hassemer, S. 625 ff. (628); vgl. ferner Spendel, NJW 1964, S. 1785 (1761); Nagler, GerS 94 (1927), S. 83 (84); Noll, Übergesetzliche Rechtfertigungsgründe, S. 14 f. 77 Bruns, Strafzumessungrecht, S. 70 ff., insbes. 71; Frisch, GA 1972, S. 321 (331); Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 52; H. Schröder, FS Mezger, S. 415 (426); Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 7; vgl. im Übrigen die Nachw. in Anm. 76. 78 Dreher, FS Bruns, S. 141 (149); Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 20 f. 79 Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 21; vgl. auch Baumann, in: Summum ius summa iniuria, S. 117 ff. (136); Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 43 und im Übrigen die Nachweise in der folgenden Anm. 80 BGH NJW 1976, 2355; Dreher, Über die gerechte Strafe, S. 73; ders., FS Bruns, S. 141 (149); ferner Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 81 ff., insbes. 83; Freund, GA 1999, S. 509 (516 ff.); Frisch, in: Tatproportionalität, S. 155 ff., 159 ff.; Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 21 f.; Montenbruck, Abwägung und Umwertung, S. 33; Streng,
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
für ein Bündel von Strafdrohungen, die von leicht nach schwer ansteigend, jeder Deliktsverwirklichung eine bestimmte Strafe zuordnen“.81 Diesem Konzept der Schwereskala haben sich bis heute eine Vielzahl von Autoren und die Rechtsprechung im Grundsätzlichen angeschlossen.82 Die Richtigkeit dieser so genannten Skalentheorie ist allerdings nicht allein mit dem Hinweis auf die Schwerebewertung des Gesetzgebers belegt. Abgesehen davon, dass der Schluss von der Ausstaffelung auf die Ausgestaltung der Strafrahmen nach bestimmten Kriterien nicht zwingend ist, weil die Strafe theoretisch innerhalb der Strafrahmen auch nach anderen – etwa spezialpräventiven Erwägungen – bestimmt werden könnte,83 hängt eine Fortführung der gesetzgeberischen Schwerebewertung durch den Richter davon ab, dass sich dessen Bewertungskriterien überhaupt ermitteln und weiter konkretisieren lassen.84 Wie das funktionieren kann, wird jedenfalls nicht auf den ersten Blick einsichtig. Eine Eins-zu-eins-Übertragung von Merkmalen des Tatbestands auf die Strafzumessung kommt schon aufgrund des Doppelverwertungsverbots nicht in Betracht.85 Der aus diesem Verbot folgenden Notwendigkeit einer eindeutigen Zuordnung realer Umstände korrespondiert die Notwendigkeit der Abgrenzung normativer Sätze, die diese Umstände in Bezug nehmen.86 Die Wertungen der Verbrechenslehre sind deshalb scheinbar für die Zumessung unergiebig.87 Die StrafzumesStrafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 42 ff.; v. Weber, Die richterliche Strafzumessung, S. 21. 81 Frisch, Revisionsrechtliche Probleme der Strafzumessung, S. 162. 82 OLG Stuttgart MDR 1961, S. 343; BGHSt 27, 2 ff.; 34, 345 (351); Bruns, FS Welzel, S. 739 (751, 759); Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 129 f.; Meine, NStZ 1994, S. 159 (162); Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 622 ff., 1122; krit. insbes. im Hinblick auf die Ober- und Untergrenzen des Strafrahmens als verbindliche Grenzwerte der Skala und die Praktikabilität des Gedankens für die Strafrahmenkonkretisierung Freund, GA 1999, S. 509 (519 ff.); NK-StGB/Streng, § 46 Rdnr. 114 ff.; ders., Strafzumessung und relative Gerechtigkeit, S. 42 ff.; ders., Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 643 f. Die Bedenken greifen für die hier behandelte Frage nach den Strafzumessungsrelevanzen nicht durch. 83 Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (11 Anm. 46); ders., GA 2014, Heft 9 bei Anm. 26. 84 Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (13 ff.). 85 Eingeh. Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, passim. Eine Veranschlagung ein und desselben Umstands auf beiden Seiten der Norm wäre nicht nur redundant, sondern würde darüber hinaus auch den Strafrahmen in Frage stellen. Das kann an jedem beliebigen Tatbestandsmerkmal, etwa der in § 225 Abs. 1 StGB genannten Böswilligkeit, verdeutlicht werden. Würde allein das Vorliegen dieses Merkmals zu einer Schärfung innerhalb des Strafrahmens führen, läge das Strafmaß für diese Alternative immer über dem gesetzlichen Mindestmaß. Eine Doppelverwertung von Umständen konterkariert mithin den gesetzlichen Strafrahmen und ist deshalb durch § 46 Abs. 3 StGB untersagt. 86 Vgl. Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 76. 87 Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (12); Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 53.
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sung muss offenbar eigenständige (normative) Kriterien zur Differenzierung des deliktisch Relevanten bereitstellen. b) Neubewertung des Lebenssachverhalts (Hassemer) Zu diesem auf den ersten Blick naheliegenden Ergebnis gelangt auch Hassemer, der sich für eine radikale Trennung von Verbrechenslehre und Strafzumessung ausspricht. Als typologisch ordnendes Verfahren verlange die Strafzumessung „juristische Argumentation im Gegensatz zur Subsumtion“. Material entspreche dem Übergang in das typologisch-ordnende Verfahren der Strafzumessung die Notwendigkeit, den Lebenssachverhalt von der dem begrifflichem Denken in Grenzfällen geschuldeten Abnormität in die Lebenswirklichkeit zurückzuführen.88 Der Systemwechsel von dem vertikal-subsumierenden Verfahren der Straftatprüfung (Strafbegründung) zu dem horizontal-vergleichenden Verfahren der Zumessung bedinge unterschiedliche Begriffsbildungen. Die Klassifikation stecke lediglich den Rahmen ab, leiste aber nichts für die konkrete Entscheidung innerhalb des Rahmens. Der Strafzumessung sei deshalb „so uneingeschränkt wie möglich eine neuerliche materiale Diskussion des zur Entscheidung stehenden Lebensvorgangs aufgegeben, nämlich die Konstitution und Bewertung eines eigenen (originalen) Strafzumessungssachverhalts“. Die Wiedereröffnung einer zuordnenden Denk- und Argumentationsweise im Rahmen der Zumessung geschehe deshalb nicht als Wiederholung der tatbestandlichen Verhaltensqualifizierung; die Strafbegründung leiste aber auch keine Vorarbeit für das Verfahren: Es gebe nichts, das aus dieser in der Strafzumessung wiederaufzunehmen und neu zu verwerten wäre.89 Es werde, so Hassemer, auf Rechtsfolgenseite gerade nicht nach Unrechts- und Schuldrelevanzen, sondern nach Strafwürdigkeitsrelevanzen gefragt.90 Nur prima facie sprechen die Vorstellungen Hassemers gegen eine Übernahme von Kriterien der Verbrechenslehre in die Strafzumessung. Zutreffend weist Hassemer zwar auf den strafrahmenbedingten Systemwechsel von Straftatprüfung zur Strafzumessung hin. Richtig ist auch, dass sich für diesen Wechsel nicht bereits die schwerpunktmäßig unterschiedlichen Fragestellungen nach dem „Ob“ und dem „Wie viel“ beider Systeme verantwortlich zeichnen. Denn theoretisch wäre es denkbar, dass die Strafrahmen technisch in wenige Quanten aufgeteilt werden, denen ein bestimmter Obersatz zugeordnet ist; die Frage nach dem „Wie viel“ also in eine Vielzahl von „Ja/Nein-Fragen“ aufgeteilt wird. Entscheidend ist vielmehr, dass eine solche Aufteilung offenkundig nicht den Vorstellungen des Gesetzgebers entspricht, weil eine praktikable klassifikato88 89 90
Hassemer, GS Radbruch, S. 281 (284 ff.). Hassemer, GS Radbruch, S. 281 (286 f.). Hassemer, GS Radbruch, S. 281 (286 ff.).
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
rische Ausdifferenzierung der Strafquanten zu grobschlächtig wäre, um dem Ziel der Strafzumessung gerecht zu werden. Ob die „Rückführung zum Leben“ dieses Ziel zutreffend beschreibt, muss an dieser Stelle (noch) nicht beantwortet werden. Vielmehr genügt es auszuräumen, dass ein etwaiger Systemwechsel tatsächlich eine Neubewertung des Lebenssachverhalts bedingt, die nicht an die Differenzierungen der Verbrechenslehre anknüpfen kann und darf. Bei Lichte besehen spricht hier bereits Hassemers Argumentation eher für das Gegenteil. Wenn nämlich der Gesetzgeber auf Tatbestandsseite Fragmente des deliktisch Relevanten beschrieben hat, kann sich doch wohl dessen weitere Ausdifferenzierung nicht vollständig von dem Gegenstand lösen, aus dem diese Fragmente herausgelöst wurden. Selbst wenn die Rechtssätze, die das Relevante nur fragmentarisch regeln, inhaltlich geschlossen wären und sich einer weiteren Ausdifferenzierung versperren würden, so ließen sich aus ihnen immer noch im Wege der Induktion, also durch eine abstrahierende Betrachtung, Aussagen über das gewinnen, was mit den Worten Hassemers ins Leben zurückgeführt werden muss. Es wären dann zwar nicht etwa die Tatbestandsmerkmale Gegenstand der Zumessung, aber doch zumindest das, was dahinter steht. Auch dann würden jedoch Verbrechenslehre und Zumessung in einem Zusammenhang stehen, weil die Strafzumessungsdogmatik in diesem Fall nicht an der Verbrechenslehre vorbei, sondern in Anknüpfung daran zu entwickeln wäre. Dass dies letztlich kaum zu anderen Ergebnissen führen kann als eine unmittelbare Anknüpfung an die Kategorien der Verbrechenslehre, wird noch aufzuzeigen sein. Freilich ist damit noch nicht ausgeräumt, dass ein Strafzumessungskonzept prinzipiell auch auf ganz andere Leitgedanken zurückgeführt werden könnte als auf Kriterien der Straftatprüfung. So wäre etwa eine Konkretisierung der Strafe innerhalb der gesetzlich bestimmten Strafrahmen ausschließlich anhand (spezial)präventiver Erwägungen denkbar und stünde deshalb immer noch als Alternativkonzept im Raum. Doch abgesehen davon, dass eine solche Bestimmung der Strafhöhe innerhalb der Strafrahmen aufgrund empirischer Unsicherheiten, die sich derzeit und wohl auch in absehbarer Zukunft nicht ausräumen lassen,91 praktisch nicht möglich ist, müsste ein solcher Wechsel erklären, warum überhaupt „der Strafausspruch unter Bezugnahme auf die Tat und den mit Bezug auf diese gefällten Schuldspruch“ 92 erfolgt. Wäre die abstrakte Fassung der Straftatbe91 Zusammenfassend zu den empirischen Problemen der Prävention, Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 58 ff. 92 Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (11) – Ein Blick auf das Zivilrecht belegt jedoch, dass diese Bezugnahme noch kein hinreichendes Argument für einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen Zumessung und Begründung der Strafe ist. So hat etwa die Voraussetzung Pflichtverletzung (§ 280 Abs. 1 BGB) für die Rechtsfolge „Schadenersatz“ überhaupt keine Bedeutung für die Bemessung des Schadens. Das zeigt sich deutlich daran, dass auf die Pflichtverletzung unter Umständen überhaupt kein Schaden folgt.
I. Funktionen von Verbrechenslehre und Zumessung
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stände auf keinen anderen Grund als die „Natur der Sache“ zurückzuführen,93 dann wäre eben auch kein anderer Grund dafür ersichtlich, von einer weiteren Differenzierung nach verbrechensdogmatisch relevanten Kriterien abzusehen. Außerdem hat der Gesetzgeber einen gangbaren Weg vorgezeichnet, sodass es ein Erfordernis der Bestimmtheit und Rechtssicherheit ist, von diesem Weg nicht ohne eingehende Begründung abzuweichen.94 Die Vorwertung des Gesetzgebers erwächst insofern in eine dogmatische Verbindlichkeit, die durch das Aufgreifen eines in der Verbrechenslehre prominenten Begriffs „Schuld“ in der Grundlagenformel des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB noch zusätzlich bekräftigt wird. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass dieser vorgezeichnete Weg überhaupt beschritten werden kann. c) Bewertung der verbrechensdogmatischen Schuld (Gössel) Mit einer formal-analytischen Begründung plädiert auch Gössel für eine trennscharfe Abgrenzung zwischen Tatbestand und Rechtsfolge.95 Den Unterschied beider Systeme entwickelt er anschaulich am Vergleich eines Diebstahls einer Schachtel Zigaretten mit dem Diebstahl eines Brillantrings. In beiden Fällen seien die „Rechtsfolgenvoraussetzungen“ (d. h. Strafbarkeitsvoraussetzungen) identisch, verschieden sei allein die Höhe des jeweils angerichteten Schadens. Weil nun von niemandem bestritten werde, dass die Schadenshöhe nicht zu den Voraussetzungen eines Diebstahls gehöre, müssten die „Rechtsfolgenvoraussetzungen“ von den Strafzumessungsgründen strikt unterschieden werden.96 Gleichwohl sieht Gössel aber einen Zusammenhang zwischen den Strafzumessungsgründen und den Voraussetzungen der Strafbarkeit. Die Rechtsfolgenvoraussetzungen würden auf Rechtsfolgenseite nämlich übernommen und seien hier Gegenstand der zumessungsrechtlichen Bewertung.97 Für den Diebstahl heißt das, dass z. B. das konkrete Tatobjekt wie die Schachtel Zigaretten oder der Brillantring, nicht aber, weil tatbestandlich irrelevant, die Kleidung oder der Gesundheitszustand des Täters zu bewerten sind. Damit trifft sich die Auffassung Gössels mit der nahezu einhelligen Sichtweise in Theorie und Praxis, der zufolge es in der Strafzumessung zumindest im Wesentlichen um eine Schwerebewertung des Unrechts und der Schuld geht. Es entspricht ebenfalls allgemeiner Meinung, dass bei der Maßfrage der Strafzumessung unter dem Gesichtspunkt der Schuld Daraus ist zu schließen, dass die Bezogenheit der Rechtsfolge auf den Tatbestand allein keine Auskunft über das gibt, was auf Seite der Rechtsfolge zu bewerten ist. 93 Vgl. oben B. I. 2. a). 94 Vgl. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 148; Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 129 ff. 95 Gössel, FS Tröndle, S. 357 ff. 96 Gössel, FS Tröndle, S. 357 ff. (358 f.). 97 Gössel, FS Tröndle, S. 357 ff. (358 f., 363 f.).
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
nicht irgendetwas auf die Waage gelegt werden kann, sondern nur solche reale Faktoren, die mit der verbrechensdogmatischen Tat zumindest irgendwie in Verbindung stehen.98 Allein, nach Gössel soll sich die Bedeutung der verbrechensdogmatischen „Rechtsfolgenvoraussetzungen“ für die Strafzumessung darin jedoch erschöpfen, denn Gegenstand und Bewertung dürften nicht konfundiert werden. Woraus aber soll sich ergeben, dass es auf eine Bewertung dieser Rechtsfolgenvoraussetzungen überhaupt ankommt, wenn sich nicht zumindest manche ihrer Kriterien aus der Verbrechenslehre ergeben und die Bewertung selbst nicht in den Grundzügen straftatdogmatisch vorgezeichnet ist? Dass sich eine alternative Begründung für die Maßgeblichkeit einer Unrechts- und Schuldbewertung in dem Aufsatz von Gössel nicht findet, könnte weniger auf eine bewusste oder unbewusste Unvollständigkeit des Konzepts als auf eine verengte Sichtweise auf solche Tatbestände zurückzuführen sein, für die sich ein Schweremaßstab zumindest nicht auf den ersten Blick aus der Verbrechenslehre erschließt. Bei Lichte besehen kann auch die analytische Trennung von Bewertung und Gegenstand nicht ausschließen, dass sich Kriterien zur Schwerebewertung des Unrechts und der Schuld aus der Verbrechenslehre selbst ergeben. So würde niemand aus einem Vergleich der §§ 223 und 226 StGB schließen, dass sich die Schwere der Körperverletzung nicht ebenfalls als Zumessungsgrund eignet. Im Gegenteil: Gerade weil dieser abstufbare Aspekt bereits Kriterium tatbestandlicher Differenzierungen ist, kommt er auch als Zumessungsgrund innerhalb der Strafrahmen vorsätzlicher Körperverletzungen in Betracht. Bewertung und Gegenstand werden durch die Doppelrelevanz dieses Maßstabs nicht konfundiert, weil diese Elemente bereits auf tatbestandlicher Ebene auseinander gehalten werden können. Bereits die Tatbestände des Besonderen Teils greifen reale Beeinträchtigungen wie die körperliche Integrität als Gegenstand auf und führen diesem Gegenstand eine rechtliche Bewertung zu. Überdies kommt man bei der Frage, nach welchen Kriterien die Schwere des Unrechts und der Schuld zu bestimmen sind, auch in den weniger eindeutigen Fällen nicht ohne die diese Begriffe konstituierende Verbrechenslehre aus, weil klärende Rechtssätze jenseits dieses Systems fehlen. Woraus soll sich etwa in Bezug auf § 242 StGB ergeben, dass der Sachwert des Tatobjekts auf die Höhe des Unrechts Einfluss nimmt? Schon aufgrund der Fragestellung können hier nur Überlegungen zu dem durch den Diebstahl rechtlich geschützten Interesse, d. h. über das für den Diebstahl wesentliche und typische Unrecht, Aufschluss geben. Diese Überlegungen sind freilich nicht erst Frage der Strafzumessung. So zeigt sich denn auch, dass in der Diebstahlsdogmatik die Zueignungsabsicht gerade in Bezug auf den Sachwert in bestimmten Fällen auch strafbegründend wirkt. Fehlt es an der Zueignungsabsicht im Hinblick auf die Sachsubstanz, wird von der 98
Siehe dazu unten d) sowie D. I. 1.
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herrschenden Meinung nämlich angenommen, dass auch ein der Sache innewohnender Wert Gegenstand der Zueignung sein kann.99 Hintergrund dieser Auffassung ist die Erkenntnis, dass das Freiheitsinteresse am Eigentum in den meisten Fällen im Kern ein wirtschaftliches ist.100 Um die gestohlene Sache zu ersetzen, muss das Opfer Geld aufwenden, das ihm fehlen wird, um andere Güter zu erwerben. Dass der Sachwert keine notwendige Voraussetzung für den Diebstahl ist, erklärt sich dann daraus, dass auch andere Interessen an der Sache vom Schutzzweck der Norm umfasst sind. Dass die Strafbarkeitsvoraussetzungen keinen Einfluss auf die in der Zumessung zu Grunde zu legenden Bewertungskriterien haben können, ist deshalb keine zustimmungswürdige Hypothese. Wenn die Unrechts- und Schuldschwere nicht nur Maßstab zur Bestimmung der Strafrahmen, sondern auch Maßstab für die Zumessung der Strafe innerhalb derselben ist, dann müssen auch die Schwerebewertungen der Verbrechenslehre in irgendeiner Form fortgeführt werden. Andernfalls ginge es in der Sache nicht mehr um die Unrechts- und Schuldschwere, sondern um etwas anderes. Gössels strukturelle Differenzierung zwischen Bewertungsmaßstab und Bewertungsgegenstand wirft aber noch weitere Fragen auf. Sie suggeriert eine gewisse Gebundenheit der strafzumessungsrechtlichen Bewertung an die Verbrechenslehre, die mit der Möglichkeit, dass sich auch die Maßstäbe der Bewertung aus der Verbrechenslehre entwickeln lassen, noch nicht widerlegt ist. Diese Gebundenheit wird von einem weiteren Konzept aufgegriffen. d) Tatbestandsausfüllende Strafzumessung Nach der Konzeption von Puppe lassen sich auch die Bewertungskriterien der Strafzumessung aus der Verbrechenslehre entwickeln. Sie versteht die Strafrahmen im Einklang mit der herrschenden Meinung als Instrument zur Arbeitsteilung zwischen Gesetzgeber und Richter. Es ginge sowohl diesseits als auch jenseits der Strafrahmen um dieselbe Sachfrage.101 Die Tatbestandsseite hat in der Konzeption Puppes aber ein ganz spezifisches Verhältnis zur Strafzumessung. Anders als Hassemer versteht sie den Tatbestand nicht als abschließende Regelung, sondern als einen Satz, der Leerstellen aufweisen und deshalb im Rahmen der Strafzumessung mit weiteren Faktoren ausgefüllt werden kann.102 Nach ih99 Lackner/Kühl, § 242 Rdnr. 21 ff.; Baumann, GA 1971, S. 306 ff.; Bockelmann, ZStW 65 (1953), S. 569 (577 f.); Eser, JuS 1964, S. 477 (481); Kindhäuser, Strafrecht BT, Band 2, § 2 Rdnr. 83 f.; Rengier, Strafrecht BT, Band 1, § 2 Rdnr. 47 ff.; Tenckhoff, JuS 1980, S. 723 (725); Wessels, JZ 1965, S. 631 (633 f.). 100 Vgl. Rudolphi, FS Honig, S. 151 (164). 101 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 53 ff., 56, 60 ff. 102 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 60 ff.
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
rem Modell können die Leerstellen selbstverständlich nicht mit beliebigen, sondern nur mit solchen Faktoren ausgefüllt werden, die sich in den Satz auch einpassen. In den Satz könnten nur Variablen eingefügt werden, die sich als Differenzierung gerade innerhalb des jeweiligen Tatbestands legitimieren lassen.103 Das soll vor allem dann der Fall sein, wenn der Strafzumessungssachverhalt von den Extensionen des Tatbestands abgedeckt und die Differenzierung in dem Tatbestand als Unrechtsgattung vorgezeichnet ist.104 Puppe zeigt dabei anhand einiger Beispiele, auf die noch an späterer Stelle105 näher eingegangen werden soll, auf welche Weise Strafzumessungsrelevanzen aus der Verbrechenslehre entwickelt werden könnten.106 Die streng an den Tatbestand gebundene Entwicklung von Strafzumessungsfaktoren trägt zweifellos zur Konkretisierung des Zumessungsmaterials bei. Dabei geht sie aber über die bloße Möglichkeit von Anleihen aus der Verbrechenslehre für die Strafzumessung weit hinaus. Denn das Konzept impliziert auch und vor allem begrenzende Funktionen,107 in Bezug auf die Puppe allerdings etwas undeutlich bleibt.108 Erstens soll der Tatbestand ausgefüllt werden, sodass etwaige Konkretisierungen außerhalb desselben keinen Platz in dem Konzept haben. Zweitens sind die Leerstellen in den Tatbeständen eben nicht nach beliebigen Maßstäben auszufüllen, sondern allein mit solchen Variablen, die zum Tatbestand einen Bezug aufweisen.109 Begrenzende Funktionen stellt auch Krahl mit Hinweis auf den Bestimmtheitsgrundsatz deutlich heraus.110 Ob sie berechtigt sind, wird im weiteren Verlauf der Untersuchung zu prüfen sein. e) Ausblick Die These, dass die Strafrahmen hauptsächlich von Kriterien des Unrechts und der Schuld abhängen, kann auf dem Boden der herrschenden Verbrechensdogma103
Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 102 ff. Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 77 ff. 105 Unten C. I. b) bb). 106 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 77 ff. 107 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 117 ff. 108 Vgl. Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 102: „Es können (. . .) zum Zweck der Strafzumessung neue Variablen in die Tatbestandsbeschreibung eingeführt werden. Hier finden die in § 46 Abs. 2 aufgeführten allgemeinen Gesichtspunkte zur Bewertung einer Straftat ihren Platz, soweit sie tatschuldrelevant sind und damit nach § 1 (StGB) auf den Tatbestand zu beziehen sind“; dazu auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 180 f. 109 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 102. 110 Krahl, Tatbestand und Rechtsfolge, S. 102. Eine auf den Bestimmtheitsgrundsatz abstellende Argumentation dürfte indes zu kurz greifen. Vielmehr würde der NullumCrimen-Grundsatz ein Problem im Hinblick auf „außertatbestandliche“ Faktoren auch dann aufwerfen, wenn die Faktoren auf der Rechtsfolgenseite genauestens bestimmt wären, vgl. dazu noch unten D. I. 1. c) bb). 104
II. Materiale Begründungen
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tik als Arbeitshypothese zu Grunde gelegt werden.111 Insofern handelt es sich gerade um eine ausweislich des § 46 Abs. 1 S. 1 StGB (Grundlagenformel) zentrale und überdies anerkannte positiv-rechtliche Aussage über die Strafzumessung. Aus ihr folgt, dass schon der Verbrechenslehre ein bestimmter Begriff der Schuldschwere zugrunde liegt, der im weiteren Gang der Untersuchung weiter beleuchtet werden muss. Von seiner Definition hängt es ab, ob zur Konkretisierung des Strafmaßes eine Schwerebewertung des Unrechts- und der Schuld jenseits der Verbrechenslehre überhaupt möglich ist und der Strafrahmen deshalb im Ansatz zu Recht als eine kontinuierliche Schwereskala des (verschuldeten) Unrechts verstanden wird. Was es nun mit der Unrechts- und Schuldschwere auf sich hat, kann indessen nicht formal-theoretisch beantwortet werden. Vielmehr ist eine Erklärung der Relevanz dieses quantitativen Aspekts nicht unabhängig von einer materiellen Theorie.112
II. Materiale Begründungen Ein formaler Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Zumessung bildet für die Adäquität und Legitimität einer auf die Straftatprüfung aufbauenden Strafzumessungsdogmatik lediglich ein Indiz. Zu einem Ausschluss theoretisch denkbarer Alternativkonzepte zwingt ein bloß formaler Zusammenhang nicht. Es ist deshalb weiter der Frage nachzugehen, auf welche materialen Gründe, welche Ziele, Zwecke und Prinzipien sich eine Strafzumessung nach der Unrechts- und Schuldschwere stützen lässt.113 Diese Frage interessiert nicht nur deshalb, weil sie formale Zusammenhänge wie die partielle Funktionseinheit von Strafbegründung und Strafzumessung material legitimiert und damit ein wesentliches Element der theoretischen Begründung des Zusammenhangs zwischen Verbrechenslehre und Zumessung ist. Auch bietet sie ein in praktischer Hinsicht wichtiges Interpretationsfundament für die Entwicklung der Strafzumessung aus der Verbrechenslehre – eine Grundlegung, die sich aus einer rein formalen Betrachtung nicht ergeben kann. Auf welche material-theoretische Grundlage die Strafzumessung gestützt werden muss, ist allerdings eine in der Wissenschaft kontrovers diskutierte Frage.
111
Vgl. zu deren näheren Ausdifferenzierung nach induktiv-deduktiver Methode un-
ten C. 112
Vgl. Weigend, in: Tatproportionalität, S. 199 (201 ff.). Zur Bedeutung strafrechtlicher Systembildung s. Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 1 ff. 113
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
1. Methodische Eingrenzung auf den Hintergrund der Unrechts- und Schuldschwererelevanz Der Kreis der in Betracht kommenden materiellen Strafzumessungskonzepte ist von vornherein auf solche Modelle begrenzt, die eine Erklärung für die Vorwertung des Gesetzgebers114 bieten. Die Untersuchung des formalen Zusammenhangs von Strafzumessung und Verbrechenslehre hat ergeben, dass im Interesse der Rechtssicherheit und Bestimmtheit etwaige Vorwertungen der Verbrechenslehre im Hinblick auf das Strafmaß im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne fortzuführen sind, sofern dies möglich ist und keine gewichtigen Sachgründe entgegenstehen. Im Folgenden soll deshalb die Frage in den Vordergrund gestellt werden, welche materiale Theorie sich hinter der aus dem formalen Zusammenhang folgenden Maßgeblichkeit der Unrechts- und Schuldschwere für die Strafbemessung verbergen könnte. Das entspricht letztlich dem Versuch einer – von Anerkanntem ausgehenden – induktiven Konstruktion eines Rechtssatzes. Konzepte, die die Maßgeblichkeit weder der Unrechts- noch der Schuldschwere zu erklären imstande sind, werden als in Betracht kommender theoretischer Rahmen eines Strafzumessungskonzepts zunächst ausgeschieden. Ob sie das stattdessen gültige Konzept konkretisieren und ausfüllen oder diesem „angestückt“ werden können, muss im Anschluss geprüft werden. Welche Konzepte für die Strafzumessung überhaupt in Betracht gezogen werden dürfen, ist Gegenstand einer Kontroverse. Überwiegend wird auf bestimmte Straftheorien abgestellt, die die Frage nach dem „Warum“ der Strafe zu beantworten suchen. Dieser Ansatz ist jedoch nicht unumstritten. 2. Von den Straftheorien losgelöste Konzepte der Strafzumessung Mit utilitaristischer Argumentation begreifen manche Autoren die Strafzumessung als von Strafzwecken gänzlich unabhängig. a) Strafzumessung als soziale Praxis Zum Verständnis ist die Unterscheidung zwischen der Rechtfertigung eines Regelsystems als solchem und der Begründung konkreter Erscheinungsformen dessen Umsetzung wesentlich. Neben H. L. A. Hart115 hat diese Differenzierung Rawls deutlich herausgearbeitet.
114 115
Vgl. oben I. 2. H. L. A. Hart, in: Recht und Moral: drei Aufsätze, S. 58 ff.
II. Materiale Begründungen
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Es gebe einerseits Regeln, die die Maßstäbe richtiger Entscheidung aus vielen Einzelfällen abstrahieren. Hier schlage die Sinnhaftigkeit der Regel auf ihre Anwendung in concreto durch. Davon zu unterscheiden seien andererseits Regeln, die eine Praxis definieren. Unter Praxis versteht Rawls „eine Tätigkeit, die von einem Regelsystem im Einzelnen bestimmt ist, das Pflichten, Rollen, Maßnahmen, Strafen, Verteidigung und so weiter definiert und das der Tätigkeit Struktur gibt“.116 Im Rahmen eines solchen Regelsystems gebe es keine Freiheit, nach utilitaristischen und Vernunftgründen zu handeln, weil eine solche Freiheit zu fallweiser Entscheidung in den geregelten Verhaltensbereichen Verwirrung stiften würde. Praxis-Regeln seien „nicht Verallgemeinerungen der Entscheidung einzelner, die das utilitaristische Prinzip direkt und voneinander unabhängig auf sich wiederholende Einzelfälle anwenden“, sondern „definieren im Gegenteil eine Praxis und sind selbst Gegenstand des utilitaristischen Prinzips“.117 Daraus folge, dass sich ein Verhalten lediglich vor der Praxis rechtfertigen müsse, aber nicht auch vor dem Prinzip, das dieser Praxis zu Grunde liegt. Als Beispiel führt Rawls ein Fußballspiel (im Original: Baseballspiel) an. Dieses (oder jenes) diene insgesamt – nicht anders als vergleichbare Sportarten – dem Zweck der Unterhaltung. Auf die Spielregeln durchschlagen könne dieser Zweck aber kaum. Würde sich etwa ein Fußballspieler darauf berufen, dass mit einem Handspiel dem Unterhaltungszweck besser gedient sei, so müsse man dies „bestenfalls für einen Scherz halten“.118 Die Bestrafung versteht Rawls nunmehr als einen klaren Fall eines Praxissystems, weil der Begriff des Strafens an sich schon eine bestimmte rechtliche Ausgestaltung voraussetzt. Keinen einzigen Fall der Bestrafung könne man nämlich beschreiben, „ohne auf die von Praktiken im einzelnen bestimmten Rechten und Pflichten, Handlungen und Vergehen Bezug zu nehmen. Bestrafung ist eine Maßnahme innerhalb eines komplizierten Rechtsspiels, und sie setzt den Komplex von Praktiken voraus, die Rechtsordnung ausmachen“.119 Bei der Strafzumessung sei der Richter deshalb der Praxis verpflichtet, nicht aber den Strafzwecken. Dieser Ansatz wird verschiedentlich auch von Juristen aufgegriffen, um die Strafzumessung unabhängig von dem Ziel des Strafrechtssystems und dem Sinn und Zweck der Strafe begreifen und ausgestalten zu können. b) Strafzweckunabhängige Strafzumessung In der deutschen Literatur hat das zuvörderst Hörnle ausgeführt. Ihr zufolge ist die generelle Rechtfertigung der Institution Strafe von der Rechtfertigung des 116 117 118 119
Rawls, in: Einführung in die utilitaristische Rawls, in: Einführung in die utilitaristische Rawls, in: Einführung in die utilitaristische Rawls, in: Einführung in die utilitaristische
Ethik, S. 135 (135 Anm. 1). Ethik, S. 135 (157 f.). Ethik, S. 135 (158 f.). Ethik, S. 135 (165).
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
konkret im Einzelfall zu verhängenden Strafmaßes grundsätzlich zu unterscheiden.120 So sei es schon denkgesetzlich nicht zwingend, das Wie aus dem Warum abzuleiten. Vielmehr könnte die Art und Weise der Strafe von beschränkenden Prinzipien bestimmt sein, die mit der generellen Rechtfertigung des Strafens nicht zusammenhängen. Die These versucht Hörnle mit einigen Beispielen zu belegen. So stehe der Betrieb von Krankenhäusern zwar im Dienste der Allgemeinheit. Doch sei dieser Zweck für einzelne Regelungen der Patientenaufnahme nicht mehr maßgeblich, weil der gesellschaftliche Nutzen eines Patienten nicht über Aufnahme und Behandlung entscheiden könne.121 Auch die Preisvergabe im Rahmen eines Wettbewerbs, dessen Sinn es ist, die Leistungsbereitschaft seiner Teilnehmer zu fördern, könne nicht nach zweckrationalen Nützlichkeitserwägungen, sondern allein nach dem zentralen Kriterium der Verdienstlichkeit erfolgen. Obwohl der Zweck im Einzelfall eine Korrektur der Ergebnisse fordern könnte, weil z. B. der Zweitplatzierte den Preis „nötiger“ hat, dürfte er dennoch nicht Platz greifen, da ansonsten das System des Wettbewerbs konterkariert werden könnte und gegebenenfalls nicht mehr funktionieren würde.122 Hörnle zieht sodann eine Parallele zur Strafe. Nicht eine einzige präventive Straftheorie, die nach herrschender Meinung zu Rechtfertigung der Strafe bemüht werden müsse, könne die Notwendigkeit einer (schuldangemessenen) Übelszufügung und die damit einhergehende expressive Funktion von Strafe für alle Deliktskategorien gleichermaßen befriedigend erklären. Die präventive Notwendigkeit einer expressiven (d. h. am Unrecht und der Schuld orientierten) Strafe leuchte je nach Delikt mal mehr und mal weniger ein.123 Hinter der expressiven Funktion stecke aber letztlich auch keine absolute Straftheorie,124 sondern schlichtweg Begriffsnotwendigkeit. Zumindest auf der Ebene des Deskriptiven müsse von jedem zugestanden werden, „daß das tadelnde Element ein Charakteristikum unserer Strafpraxis“, d.h. ein lebensweltliches Faktum ist.125 Dieses Faktum macht nun genau das aus, was Rawls als Praxis-Regel-System beschreibt.
120 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 117 ff., 126 f.; dies., FS Roxin II, S. 3 (19 f.). 121 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 127. 122 Hauer, Geständnis und Absprache, S. 160; v. Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 12 f.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 127 m.w. N. 123 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 122, 124; vgl. ferner Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken?, S. 20. 124 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 126 f. 125 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 135; Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 261 (265 ff.); ähnlich Neumann, FS Jakobs, S. 435 (438 f.); mit Recht krit. Weigend, in: Tatproportionalität, S. 199 (204).
II. Materiale Begründungen
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Die Legitimation des Tadels mit der normativen Kraft des Faktischen hält Hörnle freilich nicht für richtig.126 Ihre Legitimationsbemühungen sind an dieser Stelle der Untersuchung nur insofern von Interesse, als sie die postulierte Trennung von Strafzweck und Strafmaß betreffen. Hörnle geht davon aus, dass die mit der Strafe zwingend einhergehende sozial-ethische Missbilligung auch jenseits funktional generalpräventiver auf das adäquate Staats- und Menschenbild gestützt werden könne. Der strafrechtliche Tadel versuche den Täter und alle anderen, die davon Kenntnis erhalten, zu normkonformen Verhalten zu überzeugen, grenze damit nicht aus, sondern appelliere an die der Selbstbestimmung fähigen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft. Auf der anderen Seite schaffe die Strafe auch Rechtsfrieden, insofern als sie dem Opfer bestätige, diesem sei kein Unglück, sondern Unrecht widerfahren.127 Die Übelszufügung sei mit der so zu rechtfertigenden Tadelsfunktion eng verknüpft, sei nach unseren Konventionen Symbol der Missbilligung, so dass ein Verzicht auf sie konterkarieren könnte, was Strafe auszudrücken suche.128 Eine entsprechende generalpräventive Begründung normativer Akzeptanz des missbilligenden Charakters der Strafe sei zwar möglich, doch ließe diese auch Raum für eine inadäquate selektive Anwendung interpersonaler Einstellungen; im Übrigen könnte aber die Strafe gerade im Einzelfall dem Menschen mit generalpräventiven Erwägungen schlecht begreiflich gemacht werden, womöglich sei eine entsprechende Argumentation sogar schädlich. Wer etwa religiöse Handlungen nicht moral-ethisch aus sich selbst heraus, sondern mit ihrem Nutzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu begründen versuchen würde, stieße auf Befremden.129 Hörnle räumt mit ihren Begründungsversuchen ein, dass auch die konkrete Ausgestaltung der Strafzumessungspraxis als lebensweltliches Faktum nicht ohne eine rechtliche Legitimation auskommt. Anders als ein Fußball- oder Baseballspiel begründet das Strafrecht nämlich erhebliche Grundrechtseingriffe. Diese müssen im Einzelfall auch dann begründet werden, wenn sich die Strafpraxis traditionell verfestigt hat und im Gerechtigkeitsempfinden tief verankert ist. Für die Strafzumessung bedeutet das zunächst, dass sie als Praxis zwar theoretisch nicht (in jedem einzelnen Element) unbedingt von übergeordneten Zwecken abhängen, aber gleichwohl auf Gründe zurückgeführt werden muss. Dementsprechend muss rechtlich fundiert werden, warum es für die Zumessung auf bestimmte lebensweltliche Fakten, eben auf die Praxis ankommen soll.
126 Andere Konzepte greifen das faktische Reaktionsbedürfnis der Bevölkerung deutlicher auf, vgl. unten: 6. c) aa). 127 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 116 f. Es bleibt zweifelhaft, inwiefern diese Erwägungen zur Legitimation des Tadels jenseits generalpräventiver Argumentation stattfinden. 128 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 136. 129 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 117.
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Dass der Nutzen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gegenüber moralethischen Vorstellungen der Allgemeinheit zurücktreten soll, steht im Einklang mit einer absoluten Straftheorie. Dieser erteilt Hörnle aber eine Absage; auf der übergeordneten Ebene des Strafrechtssystems gilt das aus ihrer Sicht ohnehin. Denn das Strafrecht im Ganzen soll nur mit dem Allgemeinwohl begründet werden können, es diene dem Rechtsgüterschutz.130 Zumindest in einer bestimmten Hinsicht muss dann aber auch die Ausgestaltung der Strafe auf den Zweck des Strafsystems zurückführen. Denn beide Systeme sind voneinander abhängig. Eine Strafpraxis kann nicht gerechtfertigt werden, wenn das Strafsystem keinen Sinn ergibt. Wenn mit dem Strafsystem aber ein legitimes Ziel verfolgt wird, dann darf dessen Verfolgung von der Praxis vielleicht eingeschränkt, aber nicht vollständig konterkariert werden. Etwas anderes lässt sich auch aus der Philosophie Rawls’ nicht herleiten. Denn auch, wenn die Ausgestaltung eines Baseballspiels als Praxissystem nicht en detail auf den Zweck des Spiels zurückgeführt werden kann, so muss es doch das System insgesamt. So hängt etwa der Markterfolg von Gesellschaftsspielen entscheidend von ihrer Unterhaltsamkeit ab. Die Regeln des Spiels sind deshalb, wenn auch nicht im Einzelnen, so doch in der Gesamtheit auf diesen Zweck angelegt. Freilich können bei der Ausgestaltung der Strafe denkbar auch Sachgründe berücksichtigt werden, die die Zweckverfolgung durch Strafe einschränken. Solche „Schranken“ sind aber gerade dann besonders kritisch, wenn sie die Ausgestaltung der Maßnahme in ihren Grundzügen betreffen und dem Mittel zur Zweckerreichung ihren prägenden Stempel aufdrücken.131 So kann zwar im Rahmen eines Wettbewerbs nicht demjenigen der Preis verliehen werden, der ihn am Ende am nötigsten hat. Jedoch belegt das nicht die Unabhängigkeit der maßgeblichen Kriterien der Preisverleihung von ihrem Zweck, etwa die Leistungsbereitschaft der Teilnehmer zu fördern. Wenn sich Leistungsbereitschaft nämlich durch verschiedene Mittel, z. B. auch durch Subventionierung und Förderung des Bedürftigsten, steigern lässt, belegt das – vorausgesetzt, diese Mittel sind gleichermaßen geeignet – nur, dass die Leistungsbereitschaft als Ziel keinem dieser Mittel den Vorzug gibt. Das bedeutet zwar, dass der Zweck einer Maßnahme nicht zwingend vorschreibt, welches von mehreren gleichermaßen geeigneten Mitteln auszuwählen ist. Es bedeutet aber nicht, dass die einzelne Maßnahme nicht mehr mit Rücksicht auf den Zweck zu bewerten wäre. Gerade deshalb darf ein Wett130 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 107, 125; ebenso Hauer, Geständnis und Absprache, S. 160; v. Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 15. Freilich drängt sich die Frage auf, warum eine Argumentation mit Nützlichkeitserwägungen auf der Ebene des Strafsystems nicht ebenso auf Befremden stoßen sollte wie eine entsprechende Begründung der Praxis. Doch scheint diese Frage vor dem Hintergrund der postulierten Unabhängigkeit beider Systeme nicht mehr zu interessieren (vgl. v. Hirsch/ Jareborg, aaO., S. 13). 131 Vgl. Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 6; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (189); ders., aaO., S. 1 (45 ff.).
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bewerb, der die Leistungsbereitschaft fördern soll, nicht etwa die schlechteste Leistung prämieren. Im Krankenhaus-Beispiel liegt das nicht anders. Überdies stellt sich dort aber die Frage, ob es wirklich dem vom Betrieb eines Krankenhauses erwarteten und (richtig verstandenen) gesamtgesellschaftlichen Nutzen entspricht, wenn dort etwa vermeintlich unnütze Patienten abgewiesen werden würden. Die Konzeption Hörnles kann deshalb nicht überzeugen. Auch eine Praxis ist von dem Gesamtsystem und dessen Sinn und Zweck abhängig. Wenn das Strafsystem im Ganzen auf die Generalprävention gestützt wird, muss auch die Praxis des Strafens letztlich auf diesen Zweck gestützt und mit Rücksicht darauf ausgestaltet werden. Letztlich ist es deshalb kein Zufall, wenn Hörnle den Sinn der sozial-ethischen Missbilligung auf Gründe zurückführt, die, wie sie selbst einräumt, auch generalpräventiv eingekleidet werden könnten. Ihre Theorie dürfte sich letztlich nur insofern von Vereinigungstheorien im Sinne einer Prävention durch Repression unterscheiden,132 als auch die Begründung des Strafmaßes als solche in den Dienst der Prävention gestellt wird. c) Vereinigungstheorien Strafe als Praxis in einem weiteren Sinne begreift auch ein Strafzumessungskonzept, das die Strafzumessung nach dem Maß der Schuld auf eine Funktion zurückführt, die unabhängig ist von Grundanliegen und Ziel der Strafe.133 In diese Sparte gehören alle, aber nur solche Vereinigungstheorien, die das Maß der Strafe zumindest teilweise auf Erwägungen zurückführen, die nicht aus einer hierarchisch übergeordneten Straftheorie abgeleitet werden.134 Von der unter b) genannten Theorie strafzweckunabhängigen Strafens unterscheiden sie sich in der Grundkonzeption, wenn überhaupt, nur dadurch, dass als einschränkendes oder ergänzendes Prinzip nicht eine soziale Praxis, sondern eine – gegenüber dem Ziel des Strafrechts unabhängige – Straftheorie, deren Derivate oder ein freiheitsbewahrendes Prinzip benannt wird. Am Beispiel der Vereinigungstheorie Roxins135 soll aufgezeigt werden, dass die Überzeugungskraft solcher einschrän132 Die Nähe beider Konzepte zuneinander stellt Hörnle, FS Roxin II, S. 3 (20) selbst heraus. 133 Sehr deutlich auch in der Begründung bei Merkel, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 191 ff. 134 Solche Theorien werden z. B. vertreten von Merkel, Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, S. 191 ff.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 1, S. 490 ff.; ferner Hörster, GA 1970, S. 272 ff. (277 ff.); Lampe, FS Roxin I, S. 45 (51 ff.); Roxin, JuS 1966, S. 377 ff.; Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 51; zsf. Koriath, Jura 1995, S. 625 ff. 135 Roxin, JuS 1966, S. 377 ff.; ders., MschrKrim 56 (1973), S. 317 (318 ff.); ders., FS Schultz, S. 463 ff.; ders., FS Bruns, S. 183 ff.; für eine (eigenständige) Limitierungsfunktion ferner Crespo, FS Roxin II, S. 689 ff., 693 ff.; Kuhlen, in: Positive Generalprävention, S. 55 (59); Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems,
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kenden Elemente von der Rechtfertigung und Erklärung konstitutiver Elemente der Strafmaßkonkretisierung abhängt. aa) Die reine Limitierungswirkung von Schuld Roxin führt die Schuldstrafe auf eine reine Limitierungsfunktion zurück. Die Schuld setze präventiven Strafzumessungserwägungen eine verfassungsrechtlich zwingende Grenze. Darin jedoch soll sich die Bedeutung der Schuld jenseits und diesseits des Strafrahmens aber erschöpfen; die Schuld habe keine konstituierende Funktion. Über den Grund der Strafe entscheide vielmehr allein die Prävention. In einer solchen Konzeption ist der Schuldgrundsatz, insofern als er von der die Strafe legitimierenden Theorie ein unabhängiges Dasein fristet und dem sich aus dieser Theorie ergebenden Ziel Einhalt gebietet, ein echtes beschränkendes Prinzip. Roxins Begründung macht das sehr deutlich. Bei Zugrundelegung einer präventiven Straftheorie sei die Aufopferung des Täters im Interesse der Gemeinschaft unumgänglich, „idealistische Schönrednerei von der Wohltat, die dem Delinquenten mit der Bestrafung angetan werde“ 136, helfe darüber nicht hinweg. Jedoch könne Strafe als Mittel zum Zweck gleichwohl gerechtfertigt werden, wenn ihre „Notwendigkeit mit der vom Recht ebenfalls zu gewährleistenden Persönlichkeitsautonomie des Delinquenten in Einklang“ gebracht werde.137 Diese Rechtfertigung als Mittel zum Zweck erfahre die Strafe durch das Schuldüberschreitungsverbot,138 das seinerseits auf das Erfordernis im Kern schuldproportionaler Strafmaßbestimmung verweise. Die Schuldproportionalität sei das geeignete Mittel zur Wahrung der Würde des Staatsbürgers und der beste Garant der rechtsstaatlichen Machtbegrenzung der öffentlichen Strafhoheit“, „das Bollwerk der persönlichen Freiheit vor schrankenloser staatlicher Zweckverfolgung durch Strafe“.139 Der Grundsatz „nulla poena extra culpam“ soll deshalb als letztlich entscheidende Weiterführung der Strafbegründungsschuld dienen, die ein bloßes Zulassungsprinzip sei und mit den Worten Zipfs – eines weiteren Vertreters der Limitierungsthese – lediglich besage, dass „irgendeine Schuld vorliegen muss, um Strafe überhaupt verhängen zu können“. Man könne mit der Strafbegründungsschuld deshalb zwar „Strafeingriffe ohne Schuld abwehren, nicht aber überhöhte Strafen“. Praktisch wirksam werde das Schuldprinzip deshalb erst durch das S. 153 (187, 189); Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 51; vgl. ferner Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 233 ff., 242. 136 Roxin, JuS 1966, S. 377 (383). 137 Roxin, JuS 1966, S. 377 (383); ders., MschrKrim 56 (1973), S. 318 ff. 138 Roxin, JuS 1966, S. 377 (383); vgl. ferner Crespo, FS Roxin II, S. 689 (693 ff.). 139 Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 51, 53.
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Schuldüberschreitungsverbot, das den Grundsatz „nulla poena sine culpa“ in sich einschließe, insofern als eine die Schuld überschreitende Strafe hinsichtlich des überschießenden Teils hinaus auch eine Strafe ohne Schuld darstelle.140 bb) Durchbrechungen des Konzepts durch konstitutive Elemente der Schuld Soweit sich aus dem Schuldprinzip im Ergebnis eine nach oben verbindliche Grenze ergibt, widersprechen regelmäßig auch die Kritiker der Limitierungsthese und Befürworter einer konstitutiven Funktion der Schuld nicht. Dass aber die Bedeutung der Schuld auf ihre Limitierungsfunktion reduziert werden und insofern unabhängig von der Strafzweckdiskussion Bestand haben könnte, muss schon deshalb Zweifeln ausgesetzt sein, weil auch die Limitierungsthese nicht ohne eine gewisse konstitutive Funktion der Schuld auskommt, die der Freiheitsgedanke jedoch nicht offenlegen kann.141 (1) So kombiniert Zipf seinen Ansatz mit der Spielraumtheorie der Rechtsprechung und lehnt es ausdrücklich ab, den Strafrahmen auch unter dem Maß der schon schuldangemessenen Strafe auszunutzen. Die Schuld erfülle nämlich auch andere Aufgaben, besonders für die Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung. Nicht nur verhindere sie eine Ausweitung der spezialpräventiven Aktionsbreite und sichere die Grenzen zu einem einspurigen Sanktionensystem, sondern gebe auch der Strafzumessungsentscheidung eine dogmatisch fassbare Struktur, die mit den in der Aufstellung der Strafrahmen zum Ausdruck kommenden Wertungen des Gesetzgebers im Einklang stehe und diese weiter führe.142 Letztlich ergibt sich für Zipf die Verbindlichkeit auch der schon schuldangemessenen Strafe aus ihren „dogmatischen Vorzügen“.143 Auch Roxin erkennt eine gewisse konstitutive Wirkung der Schuld an. Der Gesetzgeber habe durch die Grundlagenformel „eine bestimmte Form der Generalprävention als für ihn leitend an die erste Stelle gerückt“ und „ausgesprochen, dass ihm die Schuldstrafe (. . .) zur Erhaltung der Rechtstreue der Bevölkerung am besten geeignet erscheint und dass dieser Gesichtspunkt gewissermaßen das ,Rückgrat‘ der Strafzumessung bilden soll.“ 144 Im Regelfall müsse die Strafe deshalb schuldangemessen bemessen werden. Jedoch seien Ausnahmen möglich, sofern die schuldangemessene Strafe entsozialisierende Wirkung im Einzelfall habe. Dann sei eine Unterschreitung der Schuldstrafe bis zu einem Punkt mög140 Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 43; vgl. Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 14. 141 Eingeh. Streng, ZStW 101 (1989), S. 274 (280 ff.). 142 Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 61, 78 f., 102 ff. 143 Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 61 f. 144 Roxin, FS Schultz, S. 463 ff. (475).
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lich, in dem das Strafmaß für das allgemeine Rechtsempfinden schlechthin unverständlich erscheinen müsse.145 (2) Die Konzession gewisser konstitutiver Funktionen deutet darauf hin, dass die Limitierungsthese die Bedeutung der Schuld nicht ausschöpft. Das wirft freilich die Frage auf, ob die Limitierungsthese überhaupt eigenständige Bedeutung hat. Kommt der Schuld nämlich eine konstitutive Funktion zu, könnte ihre begrenzende Wirkung nach oben möglicherweise nur deren Kehrseite sein.146 Dies liegt jedenfalls dann nahe, wenn Limitierungs- und Konstituierungsfunktion mit denselben straftheoretischen Erwägungen unterfüttert werden können. Hinweise darauf finden sich bereits bei Roxin. Nach ihm leiste der Täter durch sein Bestraft-Werden einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der Ordnung, von der er auch selbst profitiere. Deshalb verstoße eine der Autonomie des Täters Rechnung tragende Strafe ebenso wenig gegen die Menschenwürde wie die Steuer- oder Wehrpflicht. Damit wird ein Gedanke formuliert, welcher der Essenz heute vertretener absoluter Straftheorien entspricht.147 Auch Zipf, der den Zusammenhang zwischen der Vorwerfbarkeit und dem Schuldüberschreitungsverbot hervorhebt, kann die Vorzüge, die er in der Fortführung gesetzgeberischer Strafbemessung erkennt, nicht allein mit dem Verweis auf die Dogmatik erklären. Rechtssicherheit ist kein Selbstzweck. Auch das, was in dogmatische Form gegossen wird, muss sich inhaltlich letztlich an Sachgründen orientieren. Im Rahmen der Limitationsthese Roxins findet außerdem die Unrechtskomponente der Schuld zu wenig Berücksichtigung. Nach ganz herrschender Meinung umfasst der strafzumessungsrechtliche Schuldbegriff (§ 46 Abs. 1 S. 1 StGB) auch das Unrecht.148 Während sich über die Ausschließlichkeit der Begrenzungsfunktion verbrechensdogmatischer Schuldkategorie vielleicht streiten lässt, ist das strafbegründende Wesen des Unrechts unangefochten. Gerade dieses Unrecht stellt im Regelfall den entscheidenden Maßstab der schuldadäquaten Strafe zur Verfügung,149 aus dem sich auch ihr verbindlich limitierendes Höchstmaß ergibt. Die Schuld i. e. S. hat demgegenüber nur eine untergeordnete Bedeutung. Der Grundsatz „nulla poena extra culpa“ lässt sich deshalb ohne Unrecht nicht verwirklichen. Dies muss die These von der bloßen Limitierungsfunktion der Schuld in grundsätzlicher Hinsicht in Frage stellen.
145
Roxin, FS Schultz, S. 463 ff. (477). H. J. Hirsch, ZStW 106 (1994), S. 746 (755); Arthur Kaufmann, JZ 1967, S. 553 (555); krit. zum Gedanken einer bloßen Limitierungsfunktion ferner Frisch, ZStW 99 (1987), S. 349 (368); Hettinger, JR 1994, S. 437 (438); Lampe, FS Roxin I, S. 45 (52); Neumann, FS Jakobs, S. 435 (441 f.); Schaffstein, FS Gallas, S. 99 (105). 147 Beispielhaft Pawlik, Das Unrecht des Bürgers, S. 82 ff.: Strafe als Antwort auf die Verletzung einer Mitwirkungspflicht. 148 Vgl. dazu unten E. I. a) m.w. N. 149 Frisch, FS Müller-Dietz, S. 237 (240); ders., ZStW 99 (1987), S. 349 (385 f.). 146
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Das Strafzumessungskonzept von Roxin und seinen Anhängern überzeugt also nicht, weil es zu einseitig auf das einschränkende Prinzip abhebt und darüber die konstitutiven Elemente der Strafhöhenbestimmung vernachlässigt.150 cc) Limitierungsfunktion der Schuld i. e. S. Dieses Problem erkennt Schünemann und versucht es zu lösen, indem er die Unrechtskomponente aus dem Schuldbegriff ausklammert und auf den präventiven Zweck zurückführt.151 Das aufgrund generalpräventiver Erwägung konstituierend wirkende Unrecht, d.h. die in Art, Ausmaß und Modalität der Rechtsgüterverletzung sich materialisierende Bedrohlichkeit der Tat solle aber nur dann berücksichtigt werden, soweit es zur Schuld zurechenbar ist.152 Die Schuld i. e. S. bleibt damit auf eine Limitierungsfunktion beschränkt. Zustimmungswürdig wäre diese Konzeption, wenn eine überzeugende generalpräventive Interpretation des Unrechts gelingt, aus der folgt, dass die Schwere der Schuld i. e. S. keine konstituierende Rolle in Strafbegründung und Strafzumessung spielen kann.153 Die Fortentwicklung der Limitationsthese durch Schünemann unterstreicht letztlich, dass die nach der Schwere von Schuld und Unrecht bemessene Strafe nicht ohne Rekurs auf eine Straftheorie erklärt werden kann. Von deren Überzeugungskraft hängt jede Konzeption der Strafzumessung ab. 3. Absolute Konzepte der Strafe Gemeinhin unterscheidet man zwischen absoluten und präventiven Straftheorien. Als absolut bezeichnet man überwiegend solche Theorien, die den Sinn der Strafe nicht in der Verhinderung zukünftiger Straftaten oder überhaupt darin erblicken, etwas Reales zu bewirken. Sie betrachten die Strafe vielmehr als Reaktion auf vergangenes Übel unabhängig von etwaigen gesellschaftlichen Wirkungen: absolut.154 Darin unterscheiden sie sich von präventiven Theorien, die dem Strafen auch eine vorteilhafte reale Wirkung abgewinnen wollen. Absolute Straftheorien sind für eine Erklärung der schuldorientierten Strafe auf den ersten Blick besonders geeignet, weil sie den Strafgrund gerade in dem (verschuldeten) Unrecht erblicken. Allerdings stellt sich hier durchweg die Frage, ob eine ganz von irdisch-rationalen Zwecken unabhängig konzipierte Strafe dem heutigen Ver150
Vgl. Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (305). Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (188). 152 Schünemann, in: Neuere Tendendenzen der Kriminalpolitik, S. 209 (225 f.). 153 Näher dazu unten 6. b). 154 NK-StGB/Hassemer/Neumann, Vorbemerkungen zu § 1 Rdnr. 269; MünchKomm-StGB/Joecks, Einleitung Rdnr. 48; Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (30); Hörnle, Straftheorien, S. 15; Moos, FS Pallin, 283 (284); Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 19; Wolf, Verhütung oder Vergeltung?, S. 46 f. 151
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ständnis von Staatsaufgaben noch gerecht werden kann. Dazu seien einige Gedankengänge der auf Kant und Hegel zurückgehenden Konzepte der Strafe genauer beleuchtet.155 a) Vergeltung Unter den absoluten Straftheorien ist die Idee von der Vergeltung vielleicht die älteste und bekannteste. „Vergeltung ist die Zufügung eines Übels für ein Übel“,156 das grundsätzlich dem Prinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ 157 folgt und darauf gerichtet ist, eine Art ausgleichende Gerechtigkeit herzustellen.158 Bestraft wird nach der Vergeltungsidee, weil Unrecht begangen wurde (quia peccatum est), und Strafe versteht sich dementsprechend als gerechte Antwort auf das verschuldete Unrecht.159 Nach dem Talionsprinzip bestimmt die begangene Tat nicht nur den Grund, sondern auch das Maß der Strafe.160 Es ist deshalb kein Zufall, dass die Praxis der Strafzumessung in der älteren zumessungsrechtlichen Literatur vor allem auf den Vergeltungsgedanken gestützt wurde und die Strafzumessung nach überkommener Auffassung dem Prinzip des Schuldausgleichs folgen sollte, der meistens mit dem Vergeltungsgedanken gleichgesetzt wird.161 Die Vergeltungsstrafe und das (analoge) Talionsprinzip, das ihr als Maßprinzip zu Grunde liegt,162 bietet eine Erklärung vor allem für die Abhängigkeit der Höhe der Strafe von der Tatschwere und damit von Faktoren des Unrechts. Wenig Erklärung leistet sie allerdings genau genommen für das Maß der persönlichen Schuld im engeren Sinne.163 Eine Berücksichtigung auch der Vermeidemacht des Täters fordert die Vergeltungsidee im Prinzip nur dann, wenn man sie auf psy155
Zu anderen absoluten Theorien vgl. Hörnle, Straftheorien, S. 15 ff. Ebert, in: Recht und Moral, S. 249. 157 Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 3 Rdnr. 2. 158 Vgl. Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 66 f.; T. Walter, ZIS 2011, S. 636. 159 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 66 f., vgl. Frisch, in: Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, S. 1 ff. 160 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 66 f. 161 Siehe nur BVerfGE 45, 187 (251); BGH wistra 2001, S. 177; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 92; Arthur Kaufmann, GS Hilde Kaufmann, S. 425 (431); Spendel, Zur Lehre vom Strafmaß, S. 71 ff., der Begriff des Schuldausgleichs ist aber nicht nur eine modernere Formulierung des Vergeltungsprinzips (vgl. dazu Enßlin, Spezialprävention, S. 15 f.; P. Hoffmann, Zum Verhältnis der Strafzwecke Vergeltung und Generalprävention in ihrer Entwicklung und im heutigen Strafrecht, S. 167) sondern reicht in der Sache mit Einführung des (zweifelhaften) Kompensationsgedankens über den Vergeltungsgedanken hinaus, eingeh. Frisch, FS Beulke, bei Fn. 9. 162 Eingeh. Ebert, in: Recht und Moral, S. 249 (259 ff.); Mushoff, Strafe – Maßregel – Sicherungsverwahrung, S. 195 ff., vgl. ferner v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 490. 163 Was nicht oft herausgestrichen wird, vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 3 Rdnr. 7. 156
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chologische Zustände zurückführt, die von der Tat herbeigeführt werden und die man nun durch Strafe zu bewältigen hätte.164 Die Berücksichtigung solcher Bedürfnisse verlässt jedoch schon den Boden einer absoluten Vergeltungstheorie als Letztbegründung der Strafe.165 Vergeltung wäre dann nämlich nicht mehr Selbstzweck, sondern Mittel dazu, Strafbedürfnisse zu befriedigen. Als eigenständige und deshalb im eigentlichen Sinne absolute Straftheorie versteht sich die Vergeltung dann jedoch nicht mehr.166 In diesem Sinn wird die Vergeltungstheorie heute fast einhellig abgelehnt. Grund dafür ist gerade der Verzicht auf eine Begründung für das Erfordernis der Übelszufügung auf begangenes Übel (Strafe). Der mit der Vergeltung angeführte Gerechtigkeitsaspekt, die These, dass mit der Strafe der „Gerechtigkeit zum Siege verholfen wird“,167 und ihre Konsequenz, die eindrucksvoll Kant im berühmten Inselbeispiel ausführt,168 passen nicht mehr zu dem heutigen Verständnis des Staates und seiner Aufgaben. Die Herstellung von Gerechtigkeit als ein metaphysischer Zustand jenseits irdisch-rationaler Zwecke wird nicht mehr als verfassungslegitimer Zweck staatlicher Eingriffe anerkannt.169 Der Staat sei als menschliche Einrichtung zur Verwirklichung dieser Gerechtigkeit nämlich weder fähig noch berechtigt und stattdessen auf die strafrechtliche Schutzaufgabe, der Sicherung des Zusammenlebens in Frieden und Freiheit, beschränkt.170 Akzeptiert werden Gerechtigkeitsvorstellungen allenfalls als Verteilungsmaßstäbe, die aber nicht von der Frage entbinden, was und wozu überhaupt verteilt werden soll.171 Der herrschenden Meinung kann hier nur zugestimmt werden.
164 In diese Richtung Kargl, GA 1998, S. 53 ff.; Nowakowski, FS Rittler, S. 55 (65); Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (287 ff.) und T. Walter, ZIS 2011, S. 636 ff. 165 Vgl. Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 204. 166 Mit der Vergeltung im Einklang stünde freilich eine Auffassung, die den sozialpsychologischen Schaden nicht durch Strafe beseitigen, sondern vergelten wollte. Das wird jedoch, soweit ersichtlich, nicht vertreten. 167 Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 12. 168 Kant, MdS, II. Theil, 1. Abschn. E I (S. 175). 169 Siehe etwa BGHSt 24, 40 (42); Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 93; Freund, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 f.; Frisch, GA 2014, Heft 9 bei Anm. 29; ders., Festgabe BGH, S. 269 (275, 276); Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 89 ff. (91 f.); Hart-Hönig, Gerechte und zweckrationale Strafzumessung, S. 110; Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (30); Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 7 ff.; Lüderssen, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 55 (59 f.); Marlie, ZJS 2008, S. 41 (42); Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 202 ff.; Schaffstein, FS Gallas, S. 99 (101); Schreiber, ZStW 94 (1982), S. 279 (281); Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (158); Weigend, in: Tatproportionalität, S. 199 (200). 170 Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 3 Rdnr. 8. 171 Vgl. Hörnle, Straftheorien, S. 18; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 56; Neumann, FS Jakobs, S. 435 (448 ff.).
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b) Wiederherstellung des Rechts Eine komplexe(re) Begründung des Strafens liefern sog. Wiederherstellungstheorien.172 Diese begegnen in unterschiedlich nuancierten Formen und sind teilweise von Konzepten positiver Generalprävention nur schwer zu unterscheiden. Gemein ist den Theorien zur Wiederherstellung des Rechts die Idee, dass ein Täter durch die Straftat das Recht in Frage stellt und die Strafe auf diese Infragestellung eine Antwort bietet. Es verlange letztlich die Geltung des Rechts, dass seine Infragestellung mit dem Mittel der Strafe aufgehoben wird.173 Strafe dient demnach der Wiederherstellung des Rechts, der Aufhebung eines Normgeltungsschadens, oder mit der bekannten Hegel zugeschriebenen Formulierung: der Negation der Negation.174 Welche Prinzipien für die Bemessung der Strafe aus einem solchen Konzept folgen, hängt von der genauen Ausgestaltung und insbesondere von dem Verständnis der Infragestellung ab. aa) Anerkennungsgedanke In modernen Wiederherstellungstheorien spielt der auf Fichte zurückgehende und sowohl von Kant als auch von Hegel aufgegriffene Anerkennungsgedanke eine Rolle. Seine Bedeutung in einer Wiederherstellungstheorie nach Hegel wurde von Seelmann eingehend erörtert.175 Zutreffend verweist Seelmann darauf, dass eine korrekte Interpretation auch das Rechtsverständnis des Philosophen berücksichtigen muss. Für Hegel sei Recht nun nichts anderes als eine auf Wechselseitigkeit beruhende Anerkennungsbeziehung: Recht als „Daseyn des freien Willens“ oder „Freyheit als Idee“ sei gleichbedeutend mit der Beziehung freier Willen aufeinander.176 Diese Beziehung schildert Hegel als Konstitution des Selbstbewusstseins, das sich nicht durch Vernichtung all dessen bestätigen könnte, was es selbst nicht ist.177 Demgegenüber sei eine Erhaltung des Bestätigenden mit der Gefahr verbunden, dass sich der eine dem anderen unterwirft, wodurch aber Selbstbestätigung weder des einen noch des anderen erreicht wer-
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Eingeh. Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 54 ff., 75 ff. Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 8 Rdnr. 22. 174 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Zusatz zu § 97; vgl. zur Herkunft der von Gans stammenden Paraphrase Wohlers/Went, in: Strafe – Warum?, S. 173 (174 in Anm. 15). 175 Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsumtion, S. 70; vgl. ferner ders., FS Jakobs, S. 635 (641 ff.); Maultzsch, Jura 2001, S. 85 (89 ff.), Schild, FS Lenckner, S. 287 (306 ff.); Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken?, S. 9; Wohlers/Went, in: Strafe – Warum?, S. 173 (180) m.w. N. zum Begriff der Anerkennung in der Rezeption Hegels Philosophie. 176 Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsumtion, S. 70. 177 Denn von einem Toten sei keine Bestätigung zu erwarten, vgl. Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsumtion, S. 71 f. m.w. N. 173
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den könne.178 Einen Ausweg aus diesem Dilemma biete eine wechselbezügliche Negation des eigenen Selbstbewusstseins. Nur indem sich die gegenüberstehenden Bewusstseine zum Mittel für das jeweils andere machen, könnten beide bestätigende Selbsterhaltung erfahren. Diese Rechnung geht freilich nur auf, wenn die Unterordnung zur Anerkennung des anderen unter der Voraussetzung des eigenen Anerkannt-Werdens und umgekehrt erfolgt. Es ist nach Seelmann deshalb gerade die Gegenseitigkeit und Wechselbezüglichkeit, die rechtliche Anerkennungsbeziehung ausmacht.179 Strafrechtliches Unrecht kündige diese wechselseitige Anerkennungsbeziehung auf, insofern als es andere Selbstbewusstseine als freie und gleiche leugnet,180 es stellt deshalb mit Hegel die Verletzung des „Rechts als Recht“ dar. Der Kern der Rechtsverletzung betrifft mithin nicht die Schaffung eines unrechtmäßigen äußeren Zustands so wie er durch einen Straftatbestand beschrieben ist, sondern die dahinter stehende ideelle Herabwürdigung des anderen. „In sich nichtig“ ist diese Verletzung als ein Akt der Selbstbestätigung, insofern als die Aufkündigung des Anerkennungsverhältnisses mit der Nichtanerkennung des Täters einhergeht.181 Als Wiederherstellung des Rechts und mithin Wiederherstellung des Anerkennungsverhältnisses habe nun die Strafe die Funktion, den Täter, der sich einseitig über den anderen aufgeschwungen hat, „wieder auf das normale Maß des Anerkennenden und Anerkannten“ zurückzuziehen.182 Auf diese Weise könne das Selbstbewusstsein auf beiden Seiten rekonstruiert werden. Weil Anerkennung eben nur unter Gleichen möglich ist, müsse der Täter demzufolge das Maß an Einbuße erleiden, das er dem anderen Selbstbewusstsein entzogen hat. Daraus erklärt sich zugleich eine Orientierung am Ausmaß des Unrechts als Höhe der Überordnung des Täters.
178 Vgl. Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 151 f.: Die Anerkennung des anderen sei dann nämlich nur eine knechtische und als solche offenbar einer „echten“ unterlegen. 179 Vgl. Seelmann, FS Jakobs, S. 635 (642); ferner Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 161 ff. (zu Fichte); Köhler, Über den Zusammenhang zwischen Strafbegründung und Strafzumessung, S. 16, 29, 37 ff. 180 Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsumtion, S. 19; vgl. ferner Frisch, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (145 f.). 181 Sog. performativer Selbstwiderspruch, vgl. dazu z. B. Kesselring, in: Jenseits der Dichotomie, S. 15 (18). 182 Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 24; vgl. ferner Köhler, Über den Zusammenhang von Strafbegründung und Strafzumessung, S. 38 f.; ders., Der Begriff der Strafe, S. 47 ff.; Maultzsch, Jura 2001, S. 85 (90), vgl. ferner E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (811 ff., 820 f.); aufgegriffen wird damit übrigens auch der Aspekt kommutativer Gerechtigkeit, insofern auch danach „das gestörte ,Gleichgewicht‘ zwischen den Beteiligten durch ,Ausgleich‘ wiederhergestellt“ werden soll, vgl. Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 24 f.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 500; Löning, Über die Begründung des Strafrechts, passim.
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Zutreffend weist Pawlik darauf hin, dass das Anerkennungsmodell zumindest weiterer Präzisierung bedarf, um strafrechtliches Unrecht von privatrechtlichem Unrecht abzugrenzen.183 Im Übrigen muss eine auf das Anerkennungsmodell abstellende Legitimation der Strafe ähnlichen Einwänden ausgesetzt sein wie die Vergeltungstheorie, wenn sie im abstrakt-ideellen Bereich verbleibt und zwischen ideeller und abstrakter Freiheit keinen Zusammenhang herstellt. Dieser Zusammenhang aber lässt sich faktisch nur schwer herstellen. Für den Täter zahlt sich jedenfalls die angebliche Wiederherstellung gegenseitiger Anerkennung nicht in „barer Münze“ aus; er hat auch nach Verbüßung der Strafe keinen Freiheitsvorteil im Vergleich zu der Alternative der einseitigen Anerkennung, die eine Straflosigkeit zur Folge hätte. Im Gegenteil: Der Täter gilt überhaupt erst durch Strafe in der öffentlichen Wahrnehmung als stigmatisiert und nicht vertrauenswürdig.184 Für ihn muss die Rede von der Wiederherstellung des Anerkennungsverhältnisses wie Spott und Hohn klingen. Auch für das Opfer dürfte die Wiederherstellung des Anerkennungsverhältnisses letztlich nicht viel einbringen, weil sie oftmals sogar dessen Aussichten erschwert, einen Ausgleich für seinen Schaden zu erlangen.185 Viel spricht deshalb dafür, dass die Wiederherstellung der Anerkennungsbeziehung mit realer Freiheit nicht in Verbindung gebracht werden kann. Dann ist sie freilich mit dem heute üblichen Rechtsverständnis genauso wenig vereinbar wie die Idee einer vergeltenden Strafe.186 Das Konzept einer Wiederherstellung eines geschädigten Anerkennungsverhältnisses nach der Seelmannschen Hegel-Interpretation bietet ohne Weiteres also ebenfalls keine verfassungsgemäße Legitimation der Strafe. bb) Selbstsubsumtion und Aufhebung des Scheins Freilich findet sich in Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts noch ein weiteres Argument für Strafe, das diese Legitimation leisten könnte. Es wird bei Seelmann u. a. als Gesetzesargument bezeichnet. In der Handlung des Täters als Vernünftigem liege nach Hegel, „daß sie etwas Allgemeines, daß durch sie ein Gesetz aufgestellt ist, das er in ihr für sich anerkannt hat, unter welches er also als unter sein Recht subsumiert werden darf“.187 Dahinter dürften letztlich zwei Aspekte stecken.188 183
Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 70 ff., 74 f. Vgl. Blad, KrimJ 2001, S. 43 ff.; Kury/Lerchenmüller, RdJB 1980, S. 488 ff.; Matt, FS 2007, S. 26; der Gedanke findet in der verbreiteten These eine Stütze, nach der die Freiheitsstrafe entsozialisierende Wirkung habe, vgl. etwa BVerfG NJW 2003, S. 2225; BGH wistra 1989, 305; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (172) m.w. N. 185 Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 89 m.w. N. 186 Vgl. Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 24 ff., der jedoch verkennt, dass eine auf den Anerkennunggedanken gestützte kommutative Gerechtigkeit keine von gesellschaftlichen Zwecken unabhängige Strafe verlangt; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 104 f. 187 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 97. 184
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(1) Zum einen soll die Bestrafung notwendig sein als Aufhebung des Scheins, der sich daraus ergibt, dass der Täter „als Vernünftiges“ gehandelt hat. Zu Grunde liegt dieser Sichtweise die für Hegel begriffslogisch zentrale Unterscheidung zwischen dem allgemeinen Willen und dem besonderen Willen.189 Der besondere Wille lässt sich als konkreter Handlungswille beschreiben, der allgemeine demgegenüber als abstrakte Handlungsmaxime. Das Verhältnis beider Willensformen zueinander ergibt sich aus der Idee des Rechts, die Hegel als Einheit von Begriff und Objektivität versteht.190 Dieser Einheitsgedanke begründet, warum das Unrecht als Produkt des besonderen Willens auch als allgemeine Handlungsmaxime in Erscheinung tritt. Allerdings sei ein allgemeiner Handlungswille aus dem besonderen Willen zum Unrecht nicht ohne Widersprüchlichkeit denkbar. Plakativ beschreibt dies Hotho in seiner Nachschrift: „Als Mörder stellt er (der Täter) das Gesetz auf, daß das Leben nicht zu respektieren sei (. . .), damit aber spricht er sich sein Todesurteil selbst aus.“ 191 Weil der Täter diese Konsequenz aber freilich nicht in sein Wollen mit einbeziehen kann, hat sein besonderer Wille keine allgemeine Entsprechung mehr und deshalb sei das Unrecht „in sich nichtig“. Die Strafe habe dementsprechend die Aufgabe, diese Nichtigkeit in der Wirklichkeit aufzuzeigen und die Selbstwidersprüchlichkeit zu entlarven, die vom Schein des Unrechts als allgemeine Maxime verdeckt wird. Wie genau das ausgerechnet durch Übelszufügung funktionieren soll, bleibt bei alldem aber im Dunkeln. (2) Der zweite Aspekt betrifft speziell die Legitimität der Negation der Negation des Rechts durch Strafe gegenüber dem Täter und läuft auf die These hinaus, der Täter habe mit der Tat in die eigene Bestrafung als Wiedervergeltung eingewilligt. Insofern der Täter das Unrecht als „Gegenentwurf zum geltenden Recht“ 192 aufstelle, müsse dieser Entwurf auch für ihn verbindlich sein und deshalb dürfe er, der Täter, unter sein eigenes Gesetz subsumiert werden. In diesem Kontext begegnet nun auch eine vielzitierte Formulierung Hegels. Gerade darin, „daß die Strafe (. . .) als sein eigenes Recht enthaltend angesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt.“ 193 Gerade jedoch mit Blick auf die Beschreibung des Unrechts als „in sich nichtig“ stellt sich jedoch die Frage, ob die „Selbstsubsumtion“ und die damit einher188 Vgl. Merle, in: Strafrecht und Rechtsphilosophie, S. 145 (148); Wohlers/Went, in: Strafe – Warum?, S. 173 (179 ff.). 189 Eingeh. Ramb, Strafbegründungen in den Systemen der Hegelianer, S. 17 ff. 190 Hegel, Enzyklopädie I, § 213; ders., Wissenschaft der Logik II, S. 464. 191 Vgl. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, zu § 100. 192 Murmann, Grundkurs, § 8 Rdnr. 22; Primoratz, Banquos Geist: Hegels Theorie der Strafe, S. 51; Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 68 ff.; ders., FS Jakobs, S. 635 ff.; Stratenwerth, FS Bockelmann, 1979, S. 901 (917); Wohlers/Went, in: Strafe – warum?, S. 173 (180). 193 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 100.
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gehende Ehrung des Täters als Vernünftiges wirklich berechtigt ist. Dagegen spricht nicht nur, dass dem Täter in fragwürdiger Weise unterstellt werden muss, er würde als Vernünftiger stets nach einem allgemeinen Prinzip handeln. Es leuchtet darüber hinaus nicht ein, dass allein der aus der Vernünftigkeit des Täters folgende Anschein von Widerspruchsfreiheit dazu berechtigen kann, ihn als etwas Widerspruchsfreies in der Welt zu manifestieren. Denn mit einer Subsumtion unter die Anscheins-Maxime des Täters würde nicht das vernünftige Recht, sondern das unvernünftige Unrecht in die Realität umgesetzt.194 Die Berechtigung einer solchen Aufhebung des Scheins durch Selbstsubsumtion dürfte sich deshalb letztlich nicht schon aus der Einheit von besonderem und allgemeinem Willen, sondern aus dem (präventiven?) Bedürfnis ergeben, diese Einheit, den Zusammenhang von Freiheitsverwirklichung und Loyalitätspflicht,195 aufzuzeigen. cc) Ausblick Die Wiederherstellungstheorien, die auf einen präventiven Rahmen verzichten und die Strafe unabhängig von etwaigen freiheitserhaltenden Wirkungen in der Lebenswirklichkeit begründen wollen, stehen gerade aufgrund dieses Anliegens zu Recht in der Kritik. Die fehlende Rückbindung dieser Theorien an reale Freiheiten entspricht dem heute herrschenden Verständnis von den Staatsaufgaben nicht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Gedanken der Wiederherstellungstheorie vollkommen zu verwerfen wären. Vielmehr könnten sie im Rahmen einer präventiven Theorie, d.h. innerhalb eines präventiven Legitimationsrahmens, eine konkretisierende Wirkung entfalten; sie werden deshalb im Folgenden noch einmal aufzugreifen sein. 4. Expressive Funktion der Strafe zwischen absoluter und präventiver Straftheorie Eine gängige an die Gedanken Hegels anknüpfende oder damit vereinbare Straftheorie rückt Straftat und Strafe durch die Betonung ihrer expressiven Funktion in einen kommunikativen Kontext. Durch die Straftat werde das Recht in Frage gestellt und diese Infragestellung müsse durch Strafe aufgehoben werden.196 Der maßgebliche Aspekt einer solchen Theorie findet sich bei Frisch an-
194 Maultzsch, Jura 2001, S. 85 (91); Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsubsumtion, S. 69 f. 195 Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 90 f. 196 Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (278 ff.); ders., FS Müller-Dietz, S. 237 (253 ff.); ders., FS Beulke bei Anm. 22, Jakobs, Strafrecht AT, 1/19; S. Hoffmann, Georg Friedrich Wilhelm Hegel, S. 426 f.; Maultzsch, Jura 2001, S. 85 (89 ff.); Schild, FS Lenckner, S. 287 (307); Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (288); vgl. ferner Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 118.
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schaulich beschrieben. Er umschreibt die Strafe als „die Infragestellung des Rechts, de(n) Abfall vom Recht, der die Geltung des Rechts in Frage stellt, der Norm Schaden zufügt, (. . .) die Nichtanerkennung oder Vernachlässigung des Rechts, die diesem, ließe man sie in diesem Fall wie in anderen vergleichbaren Fällen unbeachtet, allmählich die Geltung und Anerkennung zu entziehen drohte“.197 Strafe verstehe sich entsprechend als Behebung der durch die Straftat entstehenden ideellen Folgen, durch sie werde, „wenngleich nur im Wege einer gewissen Symbolik (. . .), weil sie uns als Mittel zur Wiederherstellung des Rechtszustands und Bestätigung des Rechts gilt (Hervorhebungen nicht im Original), das Recht wiederhergestellt und dessen Geltung gegenüber dem Rechtsbruch bestätigt“. Die expressive Funktion der Strafe steht zwischen absoluten und präventiven Theorien, insofern als sie sich – je nach Nuancierung – mal dem einen, mal dem anderen straftheoretischen Konzept zuordnen lassen. Ein eigenständiger, von den überkommenen Straftheorien emanzipierter Ansatz folgt daraus jedoch entgegen manch anders lautenden Stimmen in der Literatur nicht. a) Expressivität als eigenständiger Ansatz? Auch Beiträge, die soziale Funktion der Strafe als Tadel betonen, kommen nicht umhin, eine letztlich straftheoretische Begründung für diese Funktion anzugeben. Allerdings verorten sie diese Begründung nicht innerhalb der herkömmlich diskutieren Straftheorien. aa) Hörnle Hörnle, deren Ansatz schon zuvor beschrieben wurde, versucht die expressive Funktion der Strafe, die sie als lebensweltliches Faktum begreift, aus einem präventiven Kontext und damit dem weitgehend anerkannten präventiven Ziel des Strafrechts insgesamt198 zu lösen.199 Die sozial-ethische Missbilligung, der 197 Frisch, FS Müller-Dietz, S. 237 (253); ähnliche Formulierungen bei ders., Festgabe BGH, S. 269 (278) – Frischs Ausführungen sind hier nicht ohne Grund vor die Klammer gezogen. Zur Begründung der ideellen Strafe zieht er nämlich die „durchaus zweckrationale (. . .) Wiederherstellung und Aufrechterhaltung eines „Rechtszustands“ (Frisch, Festgabe BGH, S. 269 [278 f.]; vgl. ferner ders., in: Endangst und Erlösung 2, S. 53 [74]) heran. Gemeint ist mit diesem Zustand nicht das Anliegen der Generalprävention i. e. S. (Frisch, Festgabe BGH, S. 269 [277], ders., in: Positive Generalprävention, S. 135 ff., vgl. aber andererseits ders., GA 2014, Heft 9, bei Anm. 14), sondern die Wiederherstellung der faktischen Geltungskraft der Rechtsordnung, die Beseitigung des „Normgeltungsschadens“ (etwa Frisch, GA 2014, Heft 9, bei Anm. 30; ders., FS Müller-Dietz, S. 237 [253 f.], ders., in: Endangst und Erlösung 2, S. 53 [75 f.]). 198 Vgl. dazu Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 8 Rdnr. 4 ff., 16. 199 Vgl. zu dem konzeptionellen Rahmen bei Hörnle bereits oben B. II. 2. b).
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Tadel, der mit Strafe zwingend verbunden sei, müsse von praktisch-empirischen Zielen gerade gelöst werden und seine Berechtigung in sich selbst tragen. Es käme nämlich der funktionale Aspekt der Strafe „ins Wanken, wenn er aus dem Bereich latenter Funktionen herausgelöst (. . .) und (. . .) offiziell mit Nützlichkeitserwägungen begründet würde.“ 200 Dass „Urteile, die funktionalistisch mit der Notwendigkeit begründet werden, die Rechtsordnung aufrechtzuerhalten, gerade wegen dieser Begründung die angestrebte Wirksamkeit verlieren“,201 ist aber lediglich ein Argument gegen eine bestimmte, nämlich präventive Legitimation des Tadels. Eine (positive) Legitimation der expressiven Funktion der Strafe ist damit noch nicht erbracht. Auf eine von irdisch-rationalen Folgen gelöste absolute Theorie, die eine solche Legitimation leisten könnte, möchte sich Hörnle mit den üblichen dagegen aufgeführten Argumenten nicht einlassen. Stattdessen legitimiert sie den Tadel im Prinzip mit Fairnessargumenten. Der Grund für die Mitteilung des Unwerturteils liege in der Anerkennung der Person des Täters als ein mit autonomer Selbstbestimmung Handelnder. Erst durch die Konfrontation mit dem kommunizierten Werturteil werde diesem Gelegenheit gegeben, zu seinem Verhalten Stellung zu nehmen.202 Eine hinreichende Legitimation des Tadels ist das aber nicht. Es lässt die Frage offen, warum eine Reaktion auf die Straftat überhaupt notwendig ist. Hörnle ist deshalb darauf bedacht, die Generalprävention als Legitimation des Strafsystems insgesamt mitzuführen. Darüber hinaus erkennt sie generalpräventive Funktionen des Tadels an, die sie allerdings nicht generalpräventiv begründen möchte.203 bb) Neumann Ebenfalls auf die unabweisliche expressive Funktion der Strafe stellt im Ausgangspunkt Neumann ab. Die Strafe sei in institutionelle Zusammenhänge eingebettet, die einer empirischen Überprüfung weder bedürftig noch zugänglich seien.204 Auch bei Neumann begegnet das Beispiel einer Preisverleihung.205 Wenn in der Presse über die Verleihung eines Literaturpreises an einen Autor mit der Formulierung berichtet würde, „Herr X sei von der Institution Y mit der Ver200
Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 118. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 118; vgl. ferner Bock, ZStW 103 (1991), S. 636 (652 f.); Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 273; Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 261 (268); Neumann, in: Positive Generalprävention, S. 147 (148); Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 41 f.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 46. 202 Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 261 (272 f.). 203 Vgl. oben 2. b). 204 Neumann, FS Jakobs, S. 435 (444). 205 Vgl. oben 2. b) (Anm. 122). 201
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leihung des Z-Preises geehrt worden“, so entziehe sich die Wahrheit dieser Aussage einer empirischen Untersuchung. Die Ehrung sei „der Sinn der Preisverleihung, nicht aber eine (mögliche) tatsächliche Folge, die aus der Preisverleihung resultieren, gegebenenfalls aber auch ausbleiben könnte. Es ergebe deshalb schlechterdings keinen Sinn, das Vorliegen einer Ehrung empirisch überprüfen zu wollen.“ 206 Die Parallele zur Strafe liegt auf der Hand: Eine empirische Überprüfung der Frage, ob durch Bestrafung eine Missbilligung tatsächlich eingetreten ist, macht hier genau so wenig Sinn wie in dem von Neumann angeführten Beispiel. Neumann erkennt nun zwar an, dass sich nach einem empirisch nachprüfbaren Zweck auch der Preisverleihung fragen lässt.207 Doch könne sich die Frage nicht auf die Kriterien der Preisverleihung auswirken. Dasselbe müsse auch für die Strafe gelten. Ihr Zweck berühre nicht ihren Inhalt, nicht das, was Strafe sei. Das Moment des Tadels eigne der Strafe also derart, dass es dem Streit unterschiedlicher „Straftheorien“ entzogen ist.208 Wie Hörnle verortet Neumann das wesentliche Element der Strafe also nicht im präventiven Zusammenhang, sondern in einem Praxissystem.209 Neumann erkennt zu Recht die Notwendigkeit, das Praxissystem zu rechtfertigen. Jedoch sei dazu eine präventive Theorie nicht geeignet. Erforderlich sei vielmehr eine „intrinsische Rechtfertigung“ der Strafe.210 Weil „begründet werden muss, dass es gerade deshalb gerechtfertigt ist, den Täter zu bestrafen, ,weil er verbrochen hat‘“,211 sucht er letztlich nach einer auf den Tadel zugeschnittenen (absoluten) Straftheorie. Allerdings möchte auch er sich mit deren klassischen Schule nicht abfinden: Zu suchen sei nicht im Bereich bestimmter philosophischer Systeme oder religiöser Denkmuster, sondern im Bereich einer am Gleichheitssatz orientierten „irdischen“ Gerechtigkeit, die von allen an dem gesellschaftlichen Diskurs über Strafe Beteiligten akzeptiert werden kann.212 b) Tadel als Element von absoluter und präventiver Straftheorie Ansätze, die die expressive Funktion in das Zentrum der Argumentation rücken, machen zutreffend darauf aufmerksam, dass die Legitimation der Strafe 206
Neumann, FS Jakobs, S. 435 (444). Ob die Ehrung des Preisträgers z. B. zu einer Erhöhung der Auflagen geführt hat oder die Bekanntheit des Preisträgers in der Öffentlichkeit gesteigert hat, wird man ohne unvertretbaren Aufwand auch empirisch beantworten können; jedenfalls ist diese Frage der empirischen Überprüfung zugänglich, vgl. Neumann, FS Jakobs, S. 435 (445 f.). 208 Neumann, FS Jakobs, S. 435 (439). 209 Vgl. oben 2. a) und b). 210 Neumann, FS Jakobs, S. 435 (448 ff.). 211 Neumann, FS Jakobs, S. 435 (448). 212 Neumann, FS Jakobs, S. 435 (448 ff.). 207
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auf deren spezifischen kommunikativen Wert eingehen muss. Dies ist aber kein Argument gegen die „üblichen“ Straftheorien, denn sowohl absolute als auch präventive Konzepte sind geeignet, die expressive Funktion der Strafe zu erklären. aa) Expressivität der Strafe im Lichte absoluter Theorien So kann die expressive Funktion der Strafe insbesondere mit einer an die Hegelschen Gedanken anknüpfenden Wiederherstellungstheorie vereinbart werden. Besonders einfach lässt sich die expressive Funktion in ein absolutes Konzept einfügen, das die Strafe als „Aufhebung des Scheins“ begreift.213 Das zeigt sich z. B. an den Ausführungen Schilds. Der Täter leugne sich durch seine Tat als Rechtsperson, stelle sich insofern in Abseits. Die Rechtsgemeinschaft könne und wolle aber nicht anerkennen, dass sich der Täter aus der Gemeinschaft herausgelöst habe, weil dieser noch weiterhin Rechtsperson sein soll. Aus diesem Grunde müsse die Tat als ein Infragestellen angesehen werden, das rechtlich zurückzuweisen sei. Die Tat könne „nicht das sein, was sie sein will: nämlich Rechtsbruch, Verletzung der Grundlagen des rechtlichen Zusammenlebens, Mißachtung des Rechts. Dazu hat sie einfach in einer bestehenden Rechtsgemeinschaft nicht die Kraft, auch wenn sie noch so verführerisch auf das niedrige Niveau von menschlicher Motivation wirken mag: es mag manchen so scheinen, als könnte in ihr ein Vorbild eigenen Handelns liegen. Die rechtliche Antwort kann nur die Aufhebung dieses Scheins sein: nämlich die Qualifizierung als Schuld der Selbstverfehlung des Täters.“ 214 Diese Argumentation unterstreicht die kommunikative Seite des Scheins, der offenbar kein rein geistiges und „unsichtbares“ Konstrukt, sondern eine als Basis für Verführung und Vorbildfunktion taugliche und mithin wahrnehmbare Information beinhalten soll. Nur in dieser kommunikativ-ideellen Dimension ist überhaupt etwas existent, das praktisch aufgehoben werden kann. Deshalb hat denn auch jede Straftheorie, die davon ausgeht, es müsse etwas aufgehoben, zurückgewiesen oder negiert werden, auch einen kommunikativen Charakter.215
213 Hoffmann, Georg Friedrich Wilhelm Hegel, S. 426 f.; Maultzsch, Jura 2001, S. 85 (89 ff.); Schild, FS Lenckner, S. 287 (307); vgl. ferner Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 (874). 214 Schild, FS Lenckner, S. 287 (307). 215 Vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 48 f.; ders., Über den Zusammenhang von Strafbegründung und Strafzumessung, S. 33 ff., 37 ff., der von einem „Bedeutungsinhalt“ der Strafe spricht; ferner Pawlik, Person, Unrecht, Bürger, S. 58 ff., 88 ff. der kommunikative Theorien zwar ablehnt (S. 58 ff.), aber doch meint, dass Strafe den Zusammenhang von Freiheit und Pflicht demonstriere (S. 95) und auf Kosten des Täters „die Unauflöslichkeit des Zusammenhangs von Freiheitsgenuß und Loyalitätspflichterfüllung“ bestätige (S. 90 f.); vgl. zum kommunikativen Aspekt in Pawliks Straftheorie auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 60 f.
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bb) Expressivität als Kernelement einer präventiven Theorie Das ändert aber nichts daran, dass solche Theorien mit der Verfassung nicht zu vereinbaren sind, wenn sie im Bereich ideeller Ziele verbleiben und nicht die Frage beantworten, wozu eine (kommunikative) Zurückweisung des Scheins überhaupt gut sein soll. Dass diese Frage sich gleichsam aufdrängt und deshalb auch eine Antwort erwartet werden darf, zeigt sich denn auch in der Formulierung Schilds. Auch wenn es ihm nicht maßgeblich darauf ankommt, hebt er hervor, dass die Straftat durch ihre verführerische Kraft und Vorbildfunktion mehr anrichtet als nur die Herbeiführung eines gegenständlichen Schadens beim Tatopfer, der sich durch Strafe nicht mehr beheben lässt. Dies bereitet den Boden für ein präventives Verständnis einer expressiven Schuldstrafe. Allerdings sind dafür nicht alle relativen Theorien der Strafe geeignet. 5. Spezialprävention So steht die Spezialprävention mit der Schuldstrafe in keinem Zusammenhang. Die Spezialprävention sieht den Sinn der Strafe darin, weitere Straftaten des Täters zu verhindern.216 Es existieren mit der Resozialisierung, der Abschreckung und der Unschädlichmachung drei Formen der Spezialprävention, die sich allesamt auf Sachverhalte in der Zukunft beziehen.217 Als Strafzweck setzt die Spezialprävention zwar eine Straftat voraus. Dass aber die Strafe als ein „Übel des Leidens, das zugefügt wird um eines Übels des Handelns willen“ 218, in diese Theorie integriert oder auch nur damit vereinbart werden kann, erscheint schon vor dem Hintergrund des in Deutschland geltenden zweispurigen Sanktionensystems219 zweifelhaft. Unüberwindbar sind letztlich die inhaltlichen Unterschiede zwischen Schuldstrafe und spezialpräventiver Maßnahme. Die Straftat (das Übel des Handelns willen) hat im spezialpräventiven Zusammenhang zweierlei Bedeutung. Zum einen belegt sie die Gefährlichkeit des Täters und stellt damit überhaupt erst den Anlass für spezialpräventive Maßnahmen heraus.220 Zum anderen umreißt sie inhaltlich das, was es in der Zukunft für den 216 Z. B. Burkhardt, Vergewaltigung als Verbrechen, S. 236; Dölling, FS Kirchhof, § 122 Rdnr. 1; Hoerster, Muss Strafe sein?, S. 51; Hörnle, Straftheorien, S. 20; Szabo, FS Göppinger, S. 13 (19 in Anm. 5). 217 Vgl. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 52 m.w. N. 218 H. Grotius, De jure belli ac pacis libri tres, S. 325: „Poena est malum passionis, quod infligitur propter malum actionis.“ 219 Eingeh. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 334 ff. 220 Das zeigt sich auch daran, dass die präventiven Maßnahmen der Besserung und Sicherung an eine rechtswidrige Tat anknüpfen (§ 63 ff. StGB). Eine rechtswidrige Tat zeigt allerdings nur, dass der Täter überhaupt zu einer entsprechenden Straftat fähig ist. Darüber hinaus ergeben sich Aussagen zur Wiederholungswahrscheinlichkeit freilich
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
Täter zu vermeiden gilt. Auf das letztlich zu verhängende Strafmaß schlägt sich dies jedoch nicht ohne Weiteres im Sinne irgendeiner Tatproportionalität nieder wie sie im Kern die Schuldstrafe fordert. Vielmehr ergibt sich zwischen Strafe und spezialpräventiver Maßnahme ein Antinomieproblem.221 So ist denkbar, dass zur Verhinderung der Wiederholung eines geringfügigen Diebstahls mit dem gleichen Strafmaß reagiert werden muss wie zur Verhinderung weiterer schwerer Körperverletzungen, Tötungen etc. – etwa mit lebenslänglicher Freiheitsstrafe, weil anders der Täter von der zukünftigen Begehung einer entsprechenden Tat nicht abzuhalten ist. Oft angeführt wird auch der hochgefährliche Psychopath222, für den sich unter der Herrschaft des Schuldprinzips gar eine Straflosigkeit ergeben könnte. Umgekehrt fordert der spezialpräventive Aspekt für besonders schwere, etwa grausame Straftaten nicht unbedingt auch harte Strafen; ein Beispiel bildet der NS-Täter, von dem nach Untergang des Dritten Reichs keine Gefahr mehr ausgeht.223 Dass diese Antinomie zwischen Schuld und Spezialprävention auf Ausnahmefälle beschränkt ist, lässt nicht auf eine spezialpräventive Funktion der Schuld im Regelfall schließen. Denn das Antinomieproblem ist nicht etwa deshalb auf Ausnahmefälle beschränkt, weil die Schuldstrafe regelmäßig das beste Mittel zur Spezialprävention ist. Grund ist vielmehr, dass die Empirie bislang zweifelsfreie Aussagen weder über die Erforderlichkeit einer Einwirkung auf den Täter noch über die präventive Wirkung von Strafe zu Tage gefördert hat.224 Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die Spezialprävention eine Erklärung für die Orientierung des Strafmaßes an der Schuldschwere nicht bietet. 6. Generalprävention Als theoretisches Fundament des Strafens erfreut sich die Generalprävention Beliebtheit. Diese begegnet in zwei Grundformen. nicht aus der Straftat selbst, aber auch nicht aus ihren Voraussetzungen, weil diese in statistischen Prognosetafeln regelmäßig keine Erwähnung finden (vgl. etwa die Zusammenstellungen von Glueck/Glueck, Unraveling Juvenile Delinquency, S. 261 f.; Grygier, British Journal of Criminology 6 (1966), S. 269 ff.; Meyer, MschrKrim 1965, S. 225 (243 f.); Mannheim/Wilkins, Prediction Methods in Relation to Borstel Training, passim; Nedopil, Prognosen in der Forensische Psychiatrie, S. 126). 221 Dazu Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 217 ff.; Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (277, 279 f.); ders., FS Kaiser, S. 765 (784 ff.); Hassemer, ZStW 90 (1978), S. 64 (84); Köhler, Über den Zusammenhang von Strafbegründung und Strafzumessung, S. 15 ff.; krit. in Bezug auf die praktische Relevanz dieses Problems Frisch, ZStW 99 (1987), S. 349 (364 f.). 222 Vgl. dazu RG HRR. 42 Nr. 671; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 47; Lange, ZStW 62 (1942), S. 175 (176); Welzel, ZStW 60 (1942), S. 428 ff. (467). 223 Bunz, Jura 2011, S. 14 (17); Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 147. 224 Vgl. Frisch, ZStW 99 (1987), S. 349 (365 f.); zur empirischen Seite der Spezialprävention vgl. unten D. II. 1. c).
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a) Negative Generalprävention Nach der negativen Generalprävention ist Zweck der Strafe die Abschreckung der Allgemeinheit. Diese Konzeption hat durch Feuerbach als Theorie der Strafandrohung225 besondere Prominenz erlangt. Das Strafrecht hebe durch die Androhung von Zwang die psychologischen Entstehungsgründe des Rechtsbruchs226 auf: die Sinnlichkeit, die Lust und die Begierden, die den Menschen zu bestimmten gesetzwidrigen Handlungen antreiben.227 Der Impuls zur Tat müsse dadurch aufgehoben werden, „dass jeder weiß, auf seine That werde unausbleiblich ein Uebel folgen, welches grösser ist als die Unlust, die aus dem nichtbefriedigten Antrieb zur That entspricht.“ 228 Allein die Androhung des Übels reicht für Feuerbach aber freilich nicht aus. Damit es nicht bei einer leeren Drohung bleibt, müsse die Strafe auch verhängt werden.229 In der modernen Wissenschaft wird die negative Generalprävention als übergeordnete Theorie staatlichen Strafens nur vereinzelt vertreten.230 aa) Strafzumessung als Realisierung der Strafdrohung Insofern die Strafverhängung entscheidend von der Strafandrohung und damit den Vorwertungen des Gesetzgebers abhängt, scheint die negative Generalprävention zur Begründung eines Zusammenhangs von Verbrechenslehre und Strafzumessung besonders geeignet. Denn die Voraussetzungen der Strafdrohung ergeben sich allein aus der Verbrechenslehre. Wenn also die Strafzumessung lediglich der Realisierung dieser Strafdrohung dient, müssten sich alle für die Strafhöhe entscheidenden Gesichtspunkte ausschließlich aus der Verbrechenslehre ergeben.231 225 Jakobs, Strafrecht AT, 1/27; Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips auf der Basis eines generalpräventiv-funktionalen Schuldmodells, S. 61; zur Feuerbachschen Konzeption und ihren Implikationen für die Strafzumessung ausf. Frisch, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 ff.; Schreiber, ZStW 94 (1982), S. 279 (281). 226 Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 13. 227 Frisch, in: Feuerbachs Bayerisches Strafgesetzbuch, S. 191 (194). 228 Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 13; vgl. dazu Bohnert, Paul Johann Anselm Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, S. 13; Greco, Lebendiges und Totes in Feuerbachs Straftheorie, S. 41 ff. 229 Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, § 16; Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, S. 411. 230 Kindhäuser, GA 1989, S. 493 ff. (496 ff.); Hoerster, GA 1970, S. 272 ff. 231 Maiwald, FS Gallas, S. 137 (145) erkennt in Feuerbachs Ausführungen zur „Nothwendigkeit einer Verknüpfung“ zwischen Handlung und Übel (Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts, S. 47) den Grund des Postu-
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
Eine Zumessungstheorie kann gleichwohl auf diesen Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Rechtsfolge nicht gestützt werden. Denn solange keine Punktstrafe, sondern ausfüllungsbedürftige Strafrahmen angedroht werden, hilft er nicht weiter, die Strafzumessungsentscheidung inhaltlich auszufüllen. Der Realisierung der Strafdrohung ist vielmehr schon dann Genüge getan, wenn nur irgendein Quantum innerhalb des gesetzlichen Strafrahmens als Rechtsfolge im Einzelfall ausgewählt wird. Im Übrigen aber wäre ein Weiterdenken der Verbrechenslehre in die Strafzumessung unter dem Aspekt der negativen Generalprävention nur dann möglich, wenn der Gesetzgeber schon bei der Ausstaffierung der Strafrahmen sich von dem Gedanken der negativen Generalprävention hätte leiten lassen. bb) Psychologische Interpretation von Unrecht und Schuld Zu untersuchen ist deshalb, ob eine nach materiellen Maßstäben der negativen Generalprävention erfolgende Konkretisierung des Strafrahmens in Betracht kommt, die im Ergebnis auf eine Strafzumessung nach der Unrechts- und Schuldschwere hinausläuft. Das setzt voraus, dass diese Größen etwas über die Stärke der zur Tat treibenden Impulse aussagen.232 (1) Entsprechende Aussagen könnten sich aus dem Grad der persönlichen Schuld i. e. S. (der Strafbegründungsschuld) gewinnen lassen, wenn man diesen Grad an den Hemmschwellen festmacht, die der Täter zur Tatbegehung überwinden musste. Nach dem sogenannten Überwindungsmodell der Rechtsprechung fällt der Grad individueller Vermeidemacht (des Andershandelnkönnens) umso größer aus, je gewichtiger die Faktoren sind, die den Täter von der Tat zu hemmen imstande waren. Je höher die psychologische Hürde sei, über die ein Täter springen müsse, desto größer falle die kriminelle Energie des Täters aus.233 Dieses Modell steht zwar in erster Linie mit der Individualprävention in Verbindung, ist aber auch mit der generalpräventiven Variante der Abschreckung vereinbar. Wenn nämlich die Strafe auch im Einzelfall von Hemmschwellen überwindenden Impulsen abhängig ist, können Dritte daraus schließen, dass auch die eigenen Impulse zur Tat immer ausgeglichen werden. Eine überzeugende negativ generalpräventive Auslegung der Schuld kann das gleichwohl nicht stützen, weil das Überwindungsmodell der Rechtsprechung empirisch unhaltbar ist und darüber hinaus zu merkwürdigen Konsequenzen führt.234
lats einer absolut bestimmten Strafe; der Verweis auf Naucke, Kant und die psychologische Zwangstheorie Feuerbachs, S. 54 f. kann diese These allerdings nicht stützen. 232 Vgl. Maurach, FS Eb. Schmidt, S. 301 (308); Noll, FS Mayer, S. 219 (227). 233 Ausf. zum Überwindungsmodell unten E. II. 2. b) aa) (Darstellung) und E. III. 3. (Kritik). 234 Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (773 f.).
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(2) Auch eine psychologische Ausdeutung des Unrechts ist problematisch. Eine psychologische Interpretation von strafhöhenbestimmenden Unrechtsmerkmalen erscheint zumindest im Rahmen bestimmter Delikte, denen regelmäßig eine nüchterne Kalkulation des Täters vorausgeht, nicht ganz ausgeschlossen.235 Zu denken ist etwa an den im Rahmen von Vermögensstraftaten im subjektiven Bereich vorausgesetzten Vermögensvorteil. Jedoch begegnen solche leicht in einen psychologischen Zusammenhang einstellbare Tatbestandsmerkmale in der Verbrechenslehre nur selten. Dass es auf die für die negative Generalprävention eigentlich besonders interessanten Ziele und Beweggründe des Täters in der Straftatdogmatik kaum ankommt und diese Elemente in der Literatur mitunter sogar als Fremdkörper im System der Strafbarkeitsvoraussetzungen erkannt werden,236 stellt eine psychologische Interpretation des Unrechts schon in grundsätzlicher Hinsicht in Frage. Die sich aus diesem Befund ergebenden Zweifel werden zusätzlich noch dadurch bekräftigt, dass sich die für die Strafzumessung mindestens ebenso wichtigen objektiven Merkmale des Tatbestands nur schwer als regelmäßig wirkende psychologische Impulse verstehen lassen. So lässt sich im Rahmen von Körperverletzungsdelikten kaum begründen, warum unter allen anderen vorstellbaren psychologischen Antrieben ausgerechnet der Schwere der Körperverletzung eine entscheidende generalpräventive Bedeutung zukommen soll. Im Bereich der Vorsatzdelikte böte hier immerhin noch das Überwindungsmodell einen passenden negativ generalpräventiven Interpretationsrahmen: je größer der Schaden, desto größer die zu überwindenden Hemmschwellen und also desto größer die zur Tat treibenden Anreize. Doch würde eine solche Interpretation jedenfalls bei unbewusster Fahrlässigkeit eindeutig versagen. Eine nicht in das Bewusstsein aufgenommene Tatsache wie die Intensität der Rechtsgutsverletzung vermag sich als Reiz weder zur Tat treibend noch hemmend auszuwirken. Trotzdem kommt es de lege lata auf die Schwere des Erfolgs auch bei unbewusster Fahrlässigkeit an. Wenn aber im Bereich der unbewussten Fahrlässigkeit wesentliche Faktoren, die das Unrecht der Tat kennzeichnen (insbesondere: Grad der Gefahr, Intensität der Rechtsgutsverletzung), mit der negativen Generalprävention nicht erklärt werden können, ist nicht einzusehen, warum eine negativ generalpräventive Interpretation derselben Faktoren im Bereich der Vorsatzdelikte richtig sein sollte.237
235 Vgl. Hörnle, Straftheorien, S. 25; dies., Tatproportionale Strafzumessung, S. 81; Jakobs, Strafrecht AT, 1/28. 236 Vgl. zu den Mordmerkmalen Hörnle, JZ 1999, S. 1080, (1089); Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 1 ff., 527 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 153 ff.; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 89 ff. 237 Vgl. Jakobs, Lehrbuch, 1/28 ff.: Der „Tatvorteil (. . .) ist von dem sozialen Schaden unabhängig, den die Tat bewirkt.“
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
cc) Proportionalität und negative Generalprävention Selbst wenn über all diese entgegenstehenden Argumente hinweg angenommen werden würde, dass Unrechts- und/oder Schuldgesichtspunkte den psychologischen Anreiz zur Tat wiedergeben, würde die negative Generalprävention keine Regel beinhalten, der zufolge die Strafe im Einzelfall eine Proportionalität zu den psychologischen Impulsen aufweisen muss, die den Täter zur Tat bewogen haben.238 Denn zur negativen Generalprävention ist jedes Strafmaß geeignet, sofern es die Impulse nur übersteigt. Unabhängig von konkreten Erscheinungen der Tat dürfte sogar der Grundsatz gelten, dass Einzelstrafen umso abschreckender auf die Allgemeinheit wirken, je höher sie ausfallen.239 Das würde aber bedeuten, dass in jedem Einzelfall die schwerste aller denkbaren Strafen die generalpräventiv wirkmächtigste ist. Dass überhöht anmutende Strafen ihre abschreckende Wirkung verlieren, weil sie als ungerecht und willkürlich empfunden würden,240 ist auf dem Boden der Prämissen der negativen Generalprävention kaum zu begründen. Ungerechte Strafen können vielleicht keine Einsicht fördern, als abschreckender Zwang wirken sie gleichwohl. Dass das Strafmaß proportional zu den Impulsen bemessen werden müsste, ist deshalb nicht einmal ein theoretisch konstruierbares Erfordernis der negativen Generalprävention. Es ergibt sich allenfalls aus beschränkenden Prinzipien der Einzelfallgerechtigkeit (Gleichmäßigkeit des Strafens oder ein Prinzip des geringsten Eingriffs usw.) – Prinzipien, die gegebenenfalls ihrerseits als Einschränkungen der negativen Generalprävention gerechtfertigt werden müssten.241 Für die Abhängigkeit des Strafmaßes von Kriterien des Unrechts- und der Schuld gäbe die negative Generalprävention aus diesem Grund also auch dann nichts her, wenn diese Begriffe ganz oder zum Teil auf psychologische Impulse zurückgeführt werden könnten. Dass etwa bei der Steuerhinterziehung der Anreiz der Tatbegehung von der Steuerersparnis abhängen könnte, wäre deshalb eine Erkenntnis, die allein über das Untermaß der erforderlichen negativ generalpräventiven Strafe Auskunft gibt. Alle darüber liegenden Strafquanten sind aus Sicht der negativen Generalprävention ebenso oder sogar noch besser zur Abschreckung der Allgemeinheit geeignet. Die negative Generalprävention vermag deshalb eine Orientierung des Strafmaßes an Unrechts- und Schuldschweregesichtspunkten nicht zu erklären. Im Ergebnis ist diese Theorie also für ein an Bewer-
238 Vgl. Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 135 (149); Hoerster, GA 1970, S. 272 (277 ff.); Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (285). 239 Vgl. Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 41; Roxin, JuS 1966, S. 377, (380); Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (285); ferner Noll, FS Hellmuth Mayer, S. 219 (224); Lüderssen, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 54 (55 bei Anm. 4). 240 Noll, FS Mayer, S. 219 (223 f.); ferner E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (792); a. A. wohl Jakobs, Strafrecht AT, 1/32. 241 Vgl. Noll, FS Mayer, S. 219 (228).
II. Materiale Begründungen
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tungen der Verbrechensdogmatik anknüpfendes Zumessungskonzept zu verwerfen.242 b) Positive Generalprävention im engeren Sinne Theorien der positiven Generalprävention begegnen in ganz unterschiedlichen Ausprägungen. Das deutet schon die Vielzahl von Schlagworten an, die mit der Generalprävention in Verbindung gebracht werden. Sehr häufig benennt man die Akzeptanz der durchzusetzenden Norm in der Allgemeinheit. Darüber hinaus ist von Stärkung des Rechtsbewusstseins oder der Rechtstreue,243 Norminternalisierung,244 Einübung in Normanerkennung und die Bestätigung der Normgeltung245 die Rede, wieder andere stellen auf den Rechtsfrieden ab.246 Nicht nur wird unterschiedlich beurteilt, auf welche Weise bestimmte Zustände durch Strafe zu gewährleisten sind. Auch die Antworten auf die Frage, was überhaupt durch Strafe bewirkt werden soll, divergieren.247 Als positive Generalprävention im engeren Sinne sollen hier nur solche Konzepte verstanden werden, die das Ziel auch der negativen Generalprävention als Oberbegriff aufgreifen und den Sinn der Strafe in der Verhinderung zukünftiger Straftaten durch die Allgemeinheit erblicken.248 Dieses Ziel soll jedoch nicht „negativ“ durch Abschreckung erreicht werden, sondern auf eine andere, „positive“ Art und Weise. Statt die Bürger durch Androhung negativer Konsequenzen zu normkonformen Verhalten zu zwingen, sei ihnen durch Strafe zu vermitteln, dass es gut und richtig ist, sich für das Recht zu entscheiden.249 Zumeist wird in diesem Zusammenhang auf einen Effekt der „Normstabilisierung“ hingewiesen, der freilich Raum für diverse Interpretationen lässt. Jedenfalls soll auf irgendeine Art und Weise das Rechtsbewusstsein gestärkt werden, sei es durch eine gemein242
Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 28 f. Burgstaller, in: Strafrechtsreform und Rechtsvergleichung, S. 39, 46; Erbil, Toleranz für Ehrenmörder, S. 82; Kilb, Konfliktmanagement und Gewaltprävention, S. 244; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 556; Wurtzbacher, Urbane Sicherheit und Partizipation, S. 151. 244 Eser, FS Peters, S. 505 ff., 518; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (188); vgl. ferner Haffke, Tiefenpsychologie, S. 81; Hörnle, FS Roxin II, S. 3, 9; Koller, ZStW 91 (1979), S. 45 (83); Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips auf der Basis eines generalpräventivfunktionalen Schuldmodells, S. 63; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 59. 245 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 1/15; Moos, FS Pallin, S. 283 (300). 246 Zsfd. Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken, S. 12 m.w. N. 247 Hassemer, in: Strafen im Rechtsstaat, S. 29 (43). 248 Etwa Schünemann, in: Tatproportionalität, S. 185 (187). 249 Vgl. etwa Baurmann, in: Positive Generalprävention, S. 1 = GA 1994, S. 368; Freund, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (59); K. Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 63 ff.; Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (36 f.); Noll, FS Mayer, S. 219 (227). 243
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schaftliche Solidarisierung mit dem Tatopfer, die Verinnerlichung der Normen und ihrer Geltung oder gar durch die Internalisierung der in den Normen enthaltenen Werte.250 Wenn man sich von der Stabilisierung des Rechtsbewusstseins einen positiven Effekt für die Normbefolgungsbereitschaft (Rechtstreue) verspricht, setzt eine derartige Konzeption voraus, dass es etwas (Normatives) gibt, das bestenfalls internalisiert und in das Bewusstsein aufgenommen werden soll, aber auch etwas Empirisches, das Bedingung für eine Internalisierung ist. Die Schuldstrafe wird – soweit ersichtlich – hier wie dort verortet. aa) Die empirische Relevanz der Schuldstrafe Üblicherweise wird die Frage nach der Bedeutung der schuldangemessenen Strafe für die Normstabilisierung damit beantwortet, dass nur eine als gerecht empfundene Strafe überhaupt dazu geeignet ist, Akzeptanz zu fördern. Die schuldangemessene Strafe werde als gerecht empfunden und deshalb stecke sie den Rahmen akzeptanzfähiger und mithin positiv generalpräventiv potentiell wirksamer Strafquanten ab.251 Das Schuldmaß ist in diesem Kontext also empirische Wirksamkeitsvoraussetzung der Normstabilisierung. 250 Dölling, ZStW 102 (1990), S. 1 (15 ff.); Grünwald, ZStW 80 (1968), S. 89 ff. (92 f.); Haffke, MSchrKrim 58 (1975), S. 54; Hassemer, in: Fortschritte im Strafrecht durch Sozialwissenschaften?, S. 39 (65); Jakobs, Strafrecht AT, 1/9 ff., 1/15 („Einübung in Normanerkennung“); Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 29 ff.; Lüderssen, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 64 ff.; Müller-Dietz, Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, S. 40; Müller/Tuckfeld, Integrationsprävention, S. 29 ff.; Noll, FS H. Mayer, S. 219 (221 ff., 224); Peralta, ZIS 2008, S. 506 (507); Roxin, FS Bockelmann, S. 279 (305 f.); Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips auf der Basis eines generalpräventiv-funktionalen Schuldmodells, S. 62; Schöch, in: Der Sachverständige im Strafrecht, S. 95; Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken, S. 11; s. ferner Hellmuth Mayer, Strafrecht AT, S. 21 f.; Welzel, Das Deutsche Strafrecht, S. 3; vgl. ferner die Nachweise in den folgenden Anm. zu den Textabschnitten aa) und bb). 251 Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 135 (143); Freund, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (50 f.); Hart-Hönig, Gerechte und zweckrationale Strafzumessung, S. 100 ff.; 103 ff.; Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 40; Jescheck, Strafrecht AT, S. 44; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 29 ff.; Kunz, ZStW 98 (1986), S. 823 (831 f.); Lackner, JZ 1967, S. 513 (515); Müller-Dietz, Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, S. 23 f.; ders., FS Jescheck, S. 813 (819); Neumann, ZStW 99 (1987), S. 567 (589 f.); Noll, FS Mayer, S. 219 (223); Roxin, FS Bockelmann, S. 279 (304); Schaffstein, FS Gallas, 99 (101), Schumann, Positive Generalprävention, S. 15 ff., 35 ff.; Schünemann, GA 1986, S. 293 (349 f.); ders., in Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 ff., 171; Seelmann, Jura 1980, S. 505 (509); Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 17, 523; ders., ZStW 101 (1989), S. 273 (283, 288 ff., 292); ders., in: Tatproportionalität, S. 129 (139); Tiemeyer, ZStW 100 (1988), S. 527 (565); Zipf, FS Bruns, S. 205 ff., 215; vgl. ferner auch Dölling, ZStW 102 (1990), S. 1 (15 ff.), der seine Ansicht allerdings eher mit normativen Erwägungen begründet.
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Abgesehen von der Fragwürdigkeit einer solchen These auf der Basis der Empirie selbst sieht sich diese These dem Einwand ausgesetzt, dass sich die Kriterien der Schuldstrafe primär normativ bestimmen. Einer Berücksichtigung der Erwartungen vom richtigen Strafmaß werden sowohl durch den Strafrahmen als auch durch normativ fixierte Schuldschwerekriterien Grenzen gezogen.252 Aus diesem Grunde sind Konflikte und Widersprüche denkbar, die eine empirische Ausdeutung der Schuld nicht zu erklären vermag. Zu denken ist etwa an den Triebtäter, der nach medizinischer Einsicht schuldunfähig ist, für den aber in der Allgemeinheit nicht selten harte Strafen verlangt werden.253 Vorstellbar sind – nicht nur theoretisch – auch Abweichungen in Bezug auf die Unrechtsbewertung. Immer wieder wird in der medialen Öffentlichkeit mit Vehemenz für eine Vielzahl von Delikten nach härteren Strafen verlangt. In den Medien spiegelt sich seit jeher das Bild, dass etwa Kinderschänder, Hooligans, Steuersünder etc. regelmäßig mit viel zu milden Strafen davonkommen.254 Dem könnte freilich entgegengehalten werden, dass die Schuld vom Gesetzgeber bereits mit Rücksicht auf sozialpsychologische Bedürfnisse ausgestaltet worden ist, weshalb etwaige Abweichungen, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen in Erscheinung treten, grundsätzlich aber nichts an der empirischen Relevanz der Schuld ändern könnten. In der Konsequenz einer solchen Sichtweise liegt jedoch, dass sich die Norm nur insoweit stabilisieren ließe, als sie mit den gerade vorherrschenden Vorstellungen in der Allgemeinheit übereinstimmt. Bedenklich wird das insbesondere dann, wenn ein sozialpsychologisches Strafbedürfnisses gänzlich fehlt. In diesen Fällen dürfte eine Normstabilisierung ausscheiden. Wenn z. B. die Mehrheit in der Bevölkerung das Cannabis-Rauchen nicht als Unrecht empfindet, wird sie im Ergebnis überhaupt keine Strafe als gerecht akzeptieren können. Solche Konsequenzen könnte man immerhin mit Blick darauf beschwichtigen, dass im Regelfall die normativen Wertungen mit denen der Allgemeinheit übereinstimmen und deshalb auch im Regelfall eine Stabilisierungswirkung der Strafe in Betracht kommt. Doch genau dieser Befund lenkt den Blick auf einen anderen denkbaren Zusammenhang, auf den Frisch aufmerksam macht. Die Erwartung, dass bestimmte Faktoren wie z. B. die Vermeidemacht des Täters, auf Begründung und Zumessung der Strafe Einfluss nehmen, komme nicht von ungefähr. Sie sei nicht ge252 Allerdings steht allein die normative Verankerung der Schuldstrafe dem empirischen Verständnis allein nicht entgegen, weil die Rechtsfolgenrelevanz der Empirie letztlich immer normativ vorgegeben werden muss. 253 Frisch, in: Positive Generalprävention, S. 125 (137); v. Liszt, ZStW 18 (1898), S. 259 (265); vgl. ferner E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (803 f.). 254 Vgl. etwa die unter http://www.welt.de/125928539; http://sz.de/1.1879219 (Steuerstraftaten), http://www.handelsblatt.com / archiv/haertere-strafen-fuer-kinder schaender-suche-nach-pascal-geht-weiter/2232222.html (Kinderschänder) und http:// www.welt.de/newsticker/dpa_nt/infoline_nt/sport_nt/fussball_nt/article106216917/Hoo ligans-haerter-bestrafen-Kadlec-operiert.html (Hooligans) wiedergegebenen Meldungen.
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nuin psychologisch, sondern auf Prinzipien zurückzuführen, die man für sachgerecht hält. Die Vorstellungen der Allgemeinheit versteht Frisch deshalb als psychologisches Spiegelbild des normativ Maßgeblichen.255 Für die Richtigkeit dieser Auffassung spricht, dass auch der Gesetzgeber Strafnormen und Strafrahmen nicht immer und nicht allein an einem vorhandenen, psychologischen Strafbedürfnis ausrichten kann. Insbesondere im Nebenstrafrecht dürfte ein solches Bedürfnis bei der Normgenese regelmäßig auch kaum eine Rolle spielen. Und wenn der Gesetzgeber doch einmal seine Überlegungen an ein Strafbedürfnis anknüpfen sollte, dann wird dieses bestenfalls nicht unkritisch in Strafnormen gegossen, sondern im Rahmen des politischen Diskurses einer kritischen Prüfung unterzogen, gegebenenfalls vom Gesetzgeber aufgegriffen und eventuell bereinigt um irrationale Momente in Straftatbeständen und Strafrahmen ausgedrückt. Bestenfalls würde im Rahmen dieses Verfahrens auch herausgefiltert, auf was es wirklich ankommt: Sicherheitsbedürfnisse in Bezug auf besonders werthafte Freiheitspositionen. Die Vorstellungen der Allgemeinheit zu einem bestimmten Zeitpunkt können insofern eine Position sein, die in dem aus der gesetzlichen Strafrahmenstaffelung zum Ausdruck kommenden Wertesystem verarbeitet wurden. Es ist prinzipiell denkbar, dass der Richter die Arbeit des Gesetzgebers auch insofern fortführen und die Schuldstrafe mit Rücksicht auf die Vorstellungen der Allgemeinheit bemessen darf.256 Diese stünden dann allerdings gerade nicht außerhalb der Norm, sondern wären in diese zu integrieren. Wenn der Tatrichter bei der Strafzumessung auf das lebensweltliche Strafbedürfnis Rücksicht nimmt, bewegt er sich deshalb im Bereich der richterlichen Rechtsfortbildung. Daraus ergibt sich zugleich, dass eine Integration sozialpsychologischer Vorstellungen in der Rechts- und Strafpraxis nur unter engen Voraussetzungen in Betracht kommen kann.257 Der Tatrichter ist vielleicht dazu in der Lage, ein aktuelles Stimmungsbild aufzufangen. Für eine Prüfung seiner Berechtigung, d.h. die Frage, wie sich dieses Bild auf die Strafe auswirken darf, sind ihm jedoch außer den Vorwertungen des Gesetzgebers kaum Mittel an die Hand gegeben. Er läuft deshalb Gefahr, sich über die im Gesetzgebungsverfahren anfallenden kritisch argumentativen Gesichtspunkte im Rahmen der diskursiven Verarbeitung eines lebensweltlichen Strafbedürfnisses hinwegzusetzen, wenn er die Strafhöhenbestimmung in concreto systematisch an den Vorstellungen der Allgemeinheit ausrichten will. Eine Berücksichtigung des psychologischen Bedürfnisses dürfte deshalb allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Vorstellungen der Allgemeinheit von der richtigen und angemessenen Strafe Ausdruck einer neuen stabilen Bewertung der Werthaftigkeit des tatbestandlich geschützten Rechtsguts sind und 255 Frisch, in: Positive Generalprävention, S. 125 (135 f.); ders., in: Endangst und Erlösung 2, S. 53 (73 f.); vgl. auch Müller-Dietz, Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, S. 22; Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (292). 256 Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (289 ff.), vgl. außerdem oben B. I. 2. 257 Vgl. BVerfGE 34, 269 ff.
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dies der Gesetzgeber in einem neuen Verfahren ebenfalls berücksichtigen müsste.258 bb) Normative Relevanz der Schuldstrafe In Konzepten der positiven Generalprävention wird die Relevanz der Schuld mitunter auch anders, und zwar normativ begründet.259 Eine solche Begründung liegt insbesondere nahe für diejenigen, die sich von der Demonstration der Fortgeltung des Rechts eine positive Wirkung auf die Normbefolgungsbereitschaft versprechen.260 Denn aus den vorstehenden Ausführungen hat sich ergeben, dass auch eine differenzierende Schuldwertung nicht außerhalb des Rechts steht. Abgesehen von der Frage, ob eine pönale Bestätigung des Rechts tatsächlich das Anliegen der positiven Generalprävention fördert, ist die „Demonstrationsthese“ allerdings zu pauschal, um zu erklären, warum es auf eine schuldadäquate Übelszufügung ankommen soll. Die Frage wird stattdessen in einen normativen Bereich verschoben, an den die positive Generalprävention lediglich anknüpft, aber nicht herankommt.261 Für die Strafzumessung ist die Prävention dann aber ungeeignet. Manche Theorien der positiven Generalprävention leisten für die Relevanz der Schuldschwere für die Strafzumessung jedoch durchaus eine Begründung. Oft heißt es, dass die Kommunikation der Unrechtsschwere einer auch nach dem Gewicht von Werten differenzierten Norminternalisierung Rechnung trage.262 258 Diskutiert wird eine derartige „Fortsetzung“ der gesetzgeberischen Tätigkeit zum einen im Bereich von Veränderungen des Sanktionenniveaus, dazu Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 645 ff.; Frisch, in: Tatproportionalität, S. 155 ff. und zum anderen im Zusammenhang von Strafschärfungen aus (negativ) generalpräventiven Gründen, vgl. dazu Hassemer, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (32, 36), Köhler, Über den Zusammenhang von Strafbegründung und Strafzumessung, S. 51. 259 In diese Richtung Frisch, in: Positive Generalprävention, S. 125 (135 ff.); möglicherweise auch Jakobs, Strafrecht AT, 1/15, insofern als er auf die „Einübung in Normanerkennung“ abstellt [vgl. ausf. unten c) cc)]; beiläufig E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (803 f.); und jedenfalls in der Begründung Dölling, ZStW 102 (1990), S. 1 (15 ff.); ferner Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (288 ff.), der an die Selbstabilisierungsbedürfnisse der Mitbürger des Täters als „Reflex der verinnerlichten Werteordnung“ (S. 292) anknüpft und so den normativen Aspekt mittelbar auf die Strafe durchschlagen lässt. 260 Siehe etwa Dölling, ZStW 102 (1990), S. 1 (15); Müller-Dietz, FS Jescheck, S. 813 (823 ff.). 261 Die Indifferenz der Generalprävention im Hinblick auf den Inhalt der Normen wird gelegentlich allgemein kritisiert, vgl. m.w. N. Timm, Gesinnung und Straftat, S. 46 f. Überzeugungskraft kann dieser Kritik nicht attestiert werden, weil Inhalt der Normen und ihre Durchsetzung zwei verschiedene Fragen betreffen (eingeh. Timm, aaO., S. 48 f.). 262 Vgl. SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 24; Freund, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (59); Schünemann, in: Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209 (223 ff.); vgl. ferner v. Hirsch/Jareborg, Strafmaß und Strafgerechtigkeit, S. 12.
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Schwieriger in den generalpräventiven Zusammenhang lässt sich demgegenüber die Schuld i. e. S. einordnen, weil sie ausschließlich den Täter thematisiert.263 Dennoch kann auch eine generalpräventive Begründung der Schuld gelingen. Entweder begreift man die Schuld selbst als Wert, etwa für den Umgang mit abweichendem Verhalten,264 oder als appellative Einkleidung der Unrechtswertung, die verdeutlicht, dass der Bürger selbst zur Normtreue aufgerufen ist.265 Dem Bürger könnte auf diese Weise durch die schuldangemessene Strafe der Unterschied zwischen richtig und falsch, Recht und Unrecht vermittelt werden. Die Überzeugungskraft einer solchen Normstabilisierung als Legitimationsgrundlage für eine nach Unrechts- und Schuldschweregesichtspunkten bemessene Strafe266 hängt jedoch davon ab, ob eine entsprechende Strafzumessungspraxis tatsächlich zu einer Norminternalisierung beitragen kann.267 Für das Funktionieren der Generalprävention ist es keine hinreichende Bedingung, dass die zu vermittelnden Informationen entsendet werden. Vielmehr müssen diese Informationen beim Adressaten auch ankommen, von diesem verarbeitet und akzeptiert werden. Schließlich ist erforderlich, dass sich die Akzeptanz motivatorisch auf die Entscheidung zu rechtstreuem Verhalten auswirkt. Im Hinblick auf die Komplexität von möglichen Wirkungszusammenhängen wird jedoch schon grundsätzlich bezweifelt, dass sich diese Wirkungen der Strafe überhaupt jemals nachweisen lassen.268 Jedenfalls wurde eine empirische Bestätigung der generalpräventiven Effektivität der Strafe bis heute nicht erbracht.269 Das muss erst recht
263 Burkhardt, GA 1976, S. 321 (336 f.) und Schöneborn, ZStW 88 (1976), S. 349 (351) deuten an, dass für das präventive Anliegen eigentlich eine generelle Vermeidbarkeit entscheidend sein müsste, weil nicht der Täter Adressat der Generalprävention ist, sondern die Allgemeinheit. Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 ff., klammert mit Rücksicht auf diese Erwägung (S. 177) die Schuld aus der Generalprävention aus und begreift sie als beschränkendes Prinzip (S. 187 ff.). 264 Dazu sogleich c) bb). 265 Zur Bedeutung der Schuld im Konzept Günther Jakobs vgl. unten c) cc). 266 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob Strafe überhaupt eine präventive Wirkung haben kann, vgl. dazu Curti, ZRP 1999, S. 234 ff.; Fabricius, Kriminalwissenschaften, S. 317 f. 267 Vgl. Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (39 f.); ders., in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (39); Kuhlen, in: Positive Generalprävention, S. 55. 268 Hassemer, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (36, 41, 52); Hörnle/ von Hirsch, GA 1995, S. 261 (262); Kunz, Kriminologie, S. 273 und aus der Warte seines spezifischen Verständnisses der positiven Generalprävention auch Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 (844). 269 Frisch, in: Positive Generalprävention, S. 125 (134); Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 101 f.; Hassemer, in: Hauptprobleme der positiven Generalprävention, S. 29 ff., 42; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 90 f.; Müller-Dietz, in: Recht und Gesetz im Dialog, S. 43 (66 f.); Schöch, FS Jescheck, S. 1081 (1081 ff., 1104 f.); Schumann, in: Positive Generalprävention, S. 17 ff.; Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken?, S. 17.
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für die Wirkung ganz bestimmter Strafquanten oder auch nur Spannbreiten von Strafquanten und für die Schuldstrafe gelten.270 Allerdings ist fraglich, ob die Überzeugungskraft der positiven Generalprävention (Norminternalisierung) als Legitimationsgrundlage und Erklärungsmodell einer schuldangemessenen Strafe nicht auch ohne einen empirischen Nachweis auskommt. Auf den ersten Blick erscheint das ausgeschlossen. Jede präventive Strafzumessung versteht sich mit den Worten Hassemers „als Instrument, das unter bestimmten Ausgangsbedingungen bestimmte Mittel verwendet, die zur Stabilisierung oder zur Veränderung der Ausgangsbedingungen in einer anzugebenden Richtung tauglich sein soll.“ 271 Daraus folge, dass eine generalpräventive Strafzumessung illegitim ist, wenn sie sich auf eine empirische Behauptung stützt, die nach der Methodologie der jeweiligen Wissenschaft nicht zu erweisen ist. Denn nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit müssten zweckgerichtete Eingriffe in die Grundrechte eines Rechtsgenossen zur Zweckerreichung geeignet und erforderlich sein.272 Es lässt sich jedoch im Hinblick auf die wenigen Erkenntnisse empirischer Wissenschaft auch nicht behaupten, dass eine Praxis schuldangemessenen Strafens zur Förderung von Normakzeptanz auf dem beschriebenen Wege ungeeignet ist.273 Und vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund erscheint nicht ausgeschlossen, dass ein besonders gewichtiger Zweck auch solche Mittel heiligen kann, die mit ihm nur möglicherweise in einem Wirkzusammenhang stehen. Ist das richtig, dann dürfte die Legitimationskraft der positiven Generalprävention im Rahmen der Strafzumessung nicht von dem positiven Nachweis der Wirksamkeit einer schuldangemessenen Strafe, sondern nur von dem Nichtnachweis ihrer Unwirksamkeit und einer gewissen Plausibilität abhängen.274 Für die Plausibilität 270 Vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 92; Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 261 (262); Schünemann, in: Neuer Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209 (224). 271 Hassemer, in: Hauptprobleme der positiven Generalprävention, S. 29 (42). 272 Hassemer, in: Hauptprobleme der positiven Generalprävention, S. 29 (50); vgl. ferner Baurmann, in: Positive Generalprävention, S. 1 (2) = GA 1994, S. 368 (369); nur bedingt über das empirische Problem hinweg hilft die Konzeption Hassemers und HartHönigs (Gerechte und Zweckmäßige Strafzumessung, S. 100 ff.), derzufolge Strafe nach normativen Gesichtspunkten soziale Kontrolle formalisiert. Denn auch nach dieser Konzeption muss der Mechanismus sozialer Kontrolle selbst noch gerechtfertigt werden, was ohne empirische Mittel nicht möglich ist. Zu Recht beschreibt Hassemer, die Vermittlung der Freiheitsgrenzen aus Straftatbeständen als eine Seite „der Medaille ,strafrechtliche Verbrechenskontrolle‘ “, vgl. Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 326. Dies bedeutet, dass allein der Formalisierungsaspekt keine vollständige Legitimation der Strafe im Konzept einer positiven Generalprävention darstellen kann. 273 Siehe z. B. Hassemer, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (34 f.): „praktisch vollständig gegen Falsifizierung abgesichert“ (S. 35). 274 Vgl. Hörnle, Tatpropotionale Strafzumessung, S. 110; Kuhlen, in: Positive Generalprävention, S. 55 (58); ders., GA 1994, S. 347 (363 ff.); Timm, Gesinnung und Straftat, S. 49.
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der Norminternalisierung spricht zunächst, dass überhaupt erst die Entsendung einer Erwartung die Aussicht auf Kenntnisnahme und intellektuelle Verarbeitung verschafft. Eine Rücksichtnahme auf geheime Erwartungen kann nämlich niemand in Rechnung stellen. Deshalb muss – als Mindestbedingung für Norminternalisierung – sichergestellt werden, dass die in den Rechtssätzen des Strafrechts zum Ausdruck gebrachten Erwartungen ihrerseits erwartet werden. Dazu dürfte eine am Maß der Schuld orientierte Strafe zwar geeignet sein. Allerdings kann schon die Plausibilität des Gedankens, dass die an anderen vollzogene Übelszufügung über die Vermittlung der Erwartung hinaus bei Dritten positiv Einsicht und Akzeptanz in Bezug auf das befördern können soll, was vermittelt wurde, bezweifelt werden.275 Aus der Strafpraxis insgesamt können Außenstehende erkennen, dass ein Übel an bestimmte Verhaltensweisen geknüpft ist. Sie können daraus folgern, dass es bestimmte gewichtige Erwartungen an Wohlverhalten gibt.276 Aber diese Erwartung trägt ihre Begründetheit nicht in sich. Allenfalls in Verbindung mit der formellen Legitimität von Gesetzen277 könnte aus der Strafpraxis gefolgert werden, dass die primären Verhaltenserwartungen eine Verbindlichkeit entfalten. Durch die Strafe wäre dann aber nicht mehr vermittelt als die Notwendigkeit der Rücksichtnahme auf die Belange des Gemeinwesens.278 Und selbst eine dahingehende Einsicht erfordert ein gewisses Maß an Abstraktionsvermögen. Die Plausibilität einer auf die Verbindlichkeit der Norm abstellenden Variante von Norminternalisierung, losgelöst von der Dimension ihrer inneren Richtigkeit und damit 275 Vgl. K. Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 65 f. – Baurmann, in: Positive Generalprävention, S. 1 (6 f.) = GA 1994, S. 368 (375 f.) erklärt, dass Strafe (im Kontext auch anderer Mechanismen sozialer Kontrolle) zu einer dispositionellen Normbindung führen könnte, die eine „freiwillige“ interne Verhaltenskontrolle begründe. Damit wird das Problem externer Druckmittel aber nur von der unmittelbaren Normsituation auf den früheren Zeitpunkt der Dispositionsbildung verlagert. Es stellt sich deshalb zu Recht die Frage, ob die Norminternalisierung nicht eine euphemisierenden Bezeichnung „der guten alten Abschreckung“ ist (Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken?, S. 12). Die Rede davon, die Strafe befördere Einsicht und stärke über „Selbststeuerungsmechanismen“ (Streng, ZStW 101 [1989], S. 274 [286 f.]; ders., Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 24) auf eine positive Art und Weise die Rechtstreue, versteht sich deshalb nicht von selbst. Sie wird freilich auch nicht durch den Zweck, „den zu bessern, welcher straft“ (Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, 3. Buch, Aphorismus 219), erhellt (Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 24). Vielmehr setzt eine „positive“ Verarbeitung eine intelektuelle Verarbeitung der Norm im Rahmen einer inhaltlichen Diskussion voraus, für die Strafe aber allenfalls den Anlass bieten kann, insofern sie die Erwartungsenttäuschung „aufbauscht“ (vgl. Luhmann, Vertrauen, S. 104), problematisiert und damit möglicherweise eine inhaltliche außerstrafrechtliche Diskussion eröffnet. Auf Inhalt und Ergebnis dieser Diskussion wird sie aber nur begrenzt Einfluss nehmen können, weil die Richtigkeit der Norm bei der strafrechtlichen Aufarbeitung des Unrechts nicht erörtert, sondern vorausgesetzt wird. 276 Vgl. Noll, FS Mayer, S. 219 (220, 223). 277 Eingeh. Peralta, ZIS 2008, S. 506 (509 ff.). 278 Vgl. Jakobs, Strafrecht AT, 1/14; Peralta, ZIS 2008, S. 506 (507).
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ebenfalls losgelöst von der Akzeptanz materialer Werte,279 dürfte im Auge des Betrachters liegen.280 Die Geeignetheit der Strafe als Mittel zum Zweck der positiven Generalprävention reicht zu ihrer Rechtfertigung aber ohnehin nicht aus; vielmehr ist weiterer Gradmesser ihrer verfassungsrechtlichen Legitimität die Erforderlichkeit. Nur dann, wenn die Strafe trotz verbleibender Zweifel an ihrer Geeignetheit immer noch das Beste ist, was der Staat zur Erreichung eines angestrebten Zustands leisten kann, wird man von ihrer Erforderlichkeit ausgehen können.281 Jedoch wird auch die Erforderlichkeit der Strafe bestritten: So zieht u. a. Schild in Erwägung, dass sich das Rechtsbewusstsein vielleicht durch das Verschweigen von Straftaten besser bekräftigen ließe.282 Allerdings ist freilich ein Verschweigen der Tat oft nur schwer realisierbar und kommt schon deshalb nicht als milderes Mittel in Betracht.283 Doch sind dann immer noch andere Wege denkbar, die das Rechtsbewusstsein stärken könnten – z. B. die schulische Ausbildung, die außerstrafrechtliche Solidarisierung mit dem Tatopfer und schließlich sogar die Thematisierung des Unrechts und seiner Folgen in Kriminalfilmen.284 Zur Erforderlichkeit kann der Strafe ihre empirische Unbewiesenheit in Anbetracht all dieser potentiell ebenfalls wirksamen Möglichkeiten nicht mehr verhelfen. Dass die Erforderlichkeit der Strafe empirisch mindestens ebenso wenig widerlegt ist wie ihre Geeignetheit, lässt sich genauso auch von allen anderen Mitteln behaupten, über deren Wirksamkeit in gleichem Maße Unsicherheit herrscht. Deshalb muss die Erforderlichkeit der Strafe positiv empirisch begründet werden. Weil es daran aber fehlt, steht das empirische Problem der Legitimität der positiven Generalprävention durch Norminternalisierung entgegen.285
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In diese Richtung Peralta, ZIS 2008, S. 506 (507). Krit. zur Determinierungskraft einer Strafrechtsnorm ohne sittlich internalisierten Unterbau Eser, FS Peters, S. 507 (511 f., 517) m. N. zur spezialpräventiven Parallelproblematik (zu dieser Parallele Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 [37 f.]). 281 Vgl. zur Erforderlichkeit: BVerfGE 100, 313 (375), Maunz/Dürig/Grzeszick, GG Art. 20 Rdnr. 113 ff. m.w. N. 282 Schild, FS Lenckner, S. 287 (292) wohl in Anlehnung an Popitz, Über die Präventivwirkung des Nichtwissens, passim, der schwerpunktmäßig das Dunkelfeld unter dem generalpräventiven Aspekt problematisiert; vgl. ferner Greco, GA 2009, S. 363 (642). 283 Vgl. zur Inadäquität unterbleibender strafrechtlicher Aufarbeitung auch Freund, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (59); Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 53. 284 Vgl. Czupryniak, Berücksichtigung generalpräventiver Gründe bei der Strafzumessung, S. 55; Fabricius, Kriminalwissenschaften, S. 317; Schünemann, in: Positive Generalprävention, S. 109 (121 f.). Dass „die Bevölkerung das Strafrecht hinsichtlich fundamentalter Sozialnormen als geltungsbekräftigend wahrnimmt“ (Hart-Hönig, Gerechte und zweckrationale Strafzumessung, S. 100), sagt über die Erforderlichkeit der Strafe gerade dann nicht viel aus, wenn man sie als Teil eines komplexen Systems sozialer Kontrolle begreift. 285 Siehe i. E. etwa Schild, FS Lenckner, S. 287 (290). 280
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cc) Positive Generalprävention und Freiheit Gegen sämtliche Konzepte der positiven Generalprävention im engeren Sinne lassen sich darüber hinaus freiheitstheoretische Bedenken ins Feld führen. Mit dem Zweck, Normbefolgungsbereitschaft zu bewahren oder zu stärken, ist ein Erziehungsgedanke verbunden, der mit einem liberalen, auf der maßgeblich von Kant geprägten286 Trennung zwischen Recht und Moral beruhenden Verständnis des Strafrechts nicht ohne Weiteres vereinbart werden kann.287 Aus dieser Trennung folgt, dass das Recht dem Bürger die freie Wahl belassen muss, sich für die Rechtstreue und gegen den Normbruch zu entscheiden. Mit dem Strafziel, auf die Rechtstreue der Bürger Einfluss zu nehmen, wird aber letztlich die Staatsaufgabe anerkannt, die Denkweise der Bürger zu beeinflussen. Das Problem stellt sich deutlich und vor allem dann, wenn man auf eine „sittenbildende Kraft“ des Strafrechts und die Stärkung der in der Norm enthaltenen Werte zur Konkretisierung positiver Generalprävention abstellt.288 Peralta weist demgegenüber mit der „Stärkung der Norm als Teil des Normativsystems“ und dem „Respekt vor der Norm als selbständigen Wert“ auf Alternativen hin, die in die richtige Richtung weisen. Seine Begründung, es sei die Verbindlichkeit der Norm durch das Gesetzgebungsverfahren legitimiert,289 greift indessen zu kurz. Begründet werden muss nämlich vor allem, warum allein die Rechtsbefolgung der Autonomie des einzelnen Bürgers entspricht. Eine solche Begründung kann zwar im Rahmen der positiven Generalprävention geleistet werden. Dennoch erscheint sie hier fehl am Platze. Denn die Autonomie der Bürger verträgt sich schon grundsätzlich nicht mit dem Gedanken, es müsse auf die Allgemeinheit und damit auch auf ihn zur Verhinderung von Strafen eingewirkt werden.290 Die positive Generalprävention i. e. S. überzeugt deshalb letztlich aus zwei Gründen nicht. Zum einen steht ihr ein empirisches Problem entgegen, zum anderen kann sie nur schwer mit einem liberalen, autonomiewahrenden Strafverständnis vereinbart werden. c) Positive Generalprävention i. w. S. Unter positiver Generalprävention im weiteren Sinn werden hier diejenigen Konzepte verstanden, denen es nicht im Kern darauf ankommt, bei irgendjeman286 Kant, MdS, I. Theil, Einleitung in die Metaphysik der Sitten III. Von der Eintheilung einer Metaphysik der Sitten (S. 17 ff.). 287 Greco, Lebendiges und Totes in Feuerbachs Straftheorie, S. 401 f.; Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (277 f.); Köhler, Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 36 f., 51; Peralta, ZIS 2008, S. 506 (507); vgl. auch Frisch, in: Endangst und Erlösung 2, S. 53 (73); Neumann, FS Jakobs, S. 435 (446 f.). 288 Peralta, ZIS 2008, S. 506 (507) m.w. N.; vgl. zur Parallelproblematik im Rahmen der Spezialprävention Eser, FS Peters, S. 507 (510 f.). 289 Peralta, ZIS 2008, S. 506 (507 f.). 290 Ausf. Greco, Lebendiges und Totes in Feuerbachs Straftheorie, S. 399 ff.
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dem Rechtstreue zu erzeugen, die aber gleichwohl die Strafe auf einen irdischrationalen Zweck in Bezug auf reale Freiheit zurückführen. aa) Wahrung des Rechtsfriedens Einige Autoren führen den Sinn der Strafe (auch) allgemein auf die Bewahrung des Rechtsfriedens zurück.291 Eine am Unrecht orientierte, schuldangemessene Strafe gebe der Gesellschaft die Möglichkeit, sich abzureagieren.292 Das Vergeltungsverlangen der Bürger sei ein unabweisliches Faktum, das die Gesellschaft berücksichtigen müsse, „weil sonst der Rechtsfrieden zerbricht.“ 293 Würde dem Vergeltungsbedürfnis in der Bevölkerung nicht durch Strafe Rechnung getragen, könnte das Vertrauen in die Rechtsordnung verloren gehen und/oder die Bürger ihre Bedürfnisse auf andere und schadhafte Weise befriedigen.294 Durch die vergeltende Strafe werde letztlich Gewalt reguliert und kanalisiert.295 Die Reaktion auf den Normbruch ist nach diesen Theorien in der sozialen Psyche vorprogrammiert und wegen ihrer festen sozialen Verankerung unabweislich. Für den Staat kann es demnach nur noch eben um eine vernünftige Regulierung und Kanalisation dessen gehen, was ohnehin geschehen würde.296 Es ist dann aber fraglich, welche Elemente der Schuldstrafe dem Anliegen geschuldet sind, dem Reaktionsbedürfnis Rechnung zu tragen, und welche einer dieses Bedürfnis einschränkenden Regulierung entsprechen. Die Frage stellt sich ebenso wie auch im Rahmen der positiven Generalprävention i. e. S.: Was an Strafe vollzieht das Strafbedürfnis und was schränkt ein?
291 Etwa Brettling, Strafzwecke in Strafrechtslehre und Öffentlichkeit, S. 3; Jung, ZStW 93 (1982), S. 1147 (1153 f.); Kargl, GA 1998, S. 53 ff.; ders., ARSP 82 (1996), S. 485 ff.; Lampe, FS Roxin I, S. 45 (48, 51 f.); Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 ff.; ders., in: Ist die lebenslange Freiheitsstrafe verfassungswidrig?, S. 91 (95); Nowakowski, FS Rittler, S. 55 ff.; Roxin/Arzt/Tiedemann, Strafrecht und Strafprozessrecht, S. 6; Roxin, FS Schultz, S. 463 (487); ders., FS Bockelmann, S. 279 (306); T. Walter, ZIS 2011, S. 636 ff.; Welke, Die Repersonalisierung des Rechtskonflikts, S. 250; Wessels/ Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rdnr. 6; vgl. ferner Roxin, FS Schaffstein II, S. 37 ff. (48). 292 Eingeh. Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 ff. m.w. N. 293 T. Walter, ZIS 2011, S. 636 ff. 294 Nowakowski, FS Rittler, S. 55 ff.; Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 ff. m.w. N. 295 T. Walter, ZIS 2011, S. 636 (638); vgl. auch Baumann/Weber/Mitsch, § 3 Rdnr. 33; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, S. 501 Anm. 2; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 93 ff.; Krey/Esser, Strafrecht AT, Rdnr. 159; Haffke, GA 1978, S. 33 ff.; Streng, ZStW 92 (1980), S. 637 ( 650); ders., in: Tatproportionalität, S. 129 (131); ders., Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 27 f. auch zum Verhältnis der Befriedungs- zur Genugtuungsfunktion (LK-StGB10 /G. Hirsch, § 46 Rdnr. 26) der Strafe; vgl. ferner Wolf, Verhütung oder Vergeltung, S. 26 f. 296 Vgl. Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 322 f.
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Es wurde festgestellt, dass die Schuld i. e. S. weder im Gedanken der Vergeltung noch in den Vorstellungen der Allgemeinheit von der richtigen Strafe fest verankert sein muss; sie kann deshalb nur als regulierendes, normatives Prinzip verstanden werden. Auf den ersten Blick spiegelt demgegenüber die unrechtsangemessene Strafe das vorrechtliche Reaktionsbedürfnis wieder, weil die Orientierung an der Erfolgsschwere und der Intensität des Rechtsgutsangriffs das Talionsprinzip in sich trägt.297 Jedoch stellt sich dann die Frage, ob dieser Gedanke nurmehr deshalb berücksichtigt werden muss, weil er entscheidender Faktor im Rahmen eines emotionalen, psychischen Verlangens ist, oder ob er nicht auch anderweitig fundiert werden kann.298 Für eine solche anderweitige Fundierung ergeben sich zwei Möglichkeiten. Auf die eine Möglichkeit weisen Hassemer und Hart-Hönig hin. Für sie kann die Strafe nur im Kontext auch anderer Mechanismen sozialer Kontrolle verstanden werden. Die Strafe sei insofern Anleitung, wie mit dem Normbruch vernünftigerweise umzugehen ist.299 Hassemer führt den Vergeltungsgedanken gerade nicht auf ein sozialpsychologisches Bedürfnis zurück, sondern sieht in ihm ein Wertprinzip für die Formalisierung sozialer Kontrolle.300 Deshalb ist für ihn die Schuldstrafe nicht erforderlich, weil sie für gerecht gehalten wird, sondern weil sie gerecht ist. Die Schuldstrafe kann auf diese Weise vollständig auf ihren Regulierungsgehalt, ihren Vorbildcharakter für soziale Kontrolle gestützt werden.301 Das ist zwar im Ergebnis vereinbar mit einem Konzept, das die Schuldstrafe auf das sozialpsychologische Vergeltungsverlangen zurückführt. Die Faktizität dieses Verlangens wäre für das Maß der Strafe aber nicht das entscheidende Argument. Nicht nur Gerechtigkeitsargumente für einen bestimmten Umgang mit abweichendem Verhalten, sondern auch präventive Erwägungen selbst können es erfordern, das Vergeltungsbedürfnis in der Allgemeinheit zu beschränken. Auch wenn mit einer am Vergeltungsverlangen ausgerichteten Bestrafung im Großen und Ganzen das Vertrauen in die Rechtsordnung bewahrt werden würde, wäre die Förderung von Akzeptanz der in den spezifischen Normen des Strafrechts Ausdruck findenden Werte allenfalls ein zufälliges Nebenprodukt. Folgt man deshalb 297
Siehe dazu oben 3. a). Weil es auf die Stabilisierung von Verhaltenserwartungen, an die das Strafrecht anknüpft, gar nicht ankommt, können die Argumente gegen ein Konzept der Norminternalisierung, das die Schuld als empirisches Konstrukt begreift, [oben b) aa)] allerdings nicht übertragen werden. 299 Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 326: „Vorbild humanen Umgangs mit Abweichung“. 300 So Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 322, 326 f.: Die Vergeltung führt er nicht auf ein sozialpsychologisches Bedürfnis zurück, sondern sieht in ihr Wertprinzip für eine Formalisierung sozialer Kontrolle. 301 Damit wird letztlich das präventiv erklärt, was andernorts als Domestikationsfunktion der Schuld gegenüber präventiven Strafzwecken beschrieben wird, vgl. z. B. Schünemann, in Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 ff. (179). 298
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einem generalpräventiven Konzept, das Norminternalisierung als Instrument zur Bewahrung von Akzeptanz nicht nur der Rechtsordnung, sondern auch der von strafrechtlichen Normen aufgegriffenen Werte begreift, kann das Vergeltungsverlangen der Norminternalisierung ebenso entgegenstehen wie die Vorstellungen der Allgemeinheit.302 Um wirklich Vertrauen in die Rechtsordnung zu sichern, den Rechtsfrieden zu bewahren etc. müsste sich das Strafrecht deshalb als ein rechtsgüterschützendes System im Konfliktfall selbst aufgeben und auf die Durchsetzung der Verhaltensnormen verzichten, an die es selbst anknüpft. Ein normatives Verständnis der Schuldstrafe ergibt sich mithin nicht nur aus allgemeinen Gerechtigkeitsüberlegungen, sondern auch aus dem Anliegen der (spezifisch strafrechtlichen) Generalprävention. Insoweit die Schuldstrafe aber normativ ist, muss sie gegenüber irgendeinem Strafbedürfnis aus systematischen Gründen absoluten Vorrang haben. Die Rechtsordnung und auch der „Rechtsfrieden“ lassen sich nämlich nicht dadurch bewahren, dass vom Normativen Abstriche gemacht und Zustände geschaffen werden, die dem Recht gerade nicht entsprechen. Soweit die Norm deshalb immer im Vordergrund stehen muss, ist die Rede von der sozialpsychologischen Notwendigkeit der Schuldstrafe mindestens überflüssig. Das alles gilt aber natürlich nur, wenn es gelingt, die Normativität der Schuldangemessenheit und ihren Umfang im Rahmen einer Theorie der positiven Generalprävention überzeugend zu begründen. bb) Strafe als Muster für den richtigen Umgang mit abweichendem Verhalten (Hassemer) In engem Zusammenhang mit dem vorstehenden Befriedungsansatz steht die Ansicht Winfried Hassemers.303 Hassemer interpretiert Strafrecht im Kontext auch anderer Mechanismen sozialer Kontrolle.304 Er kritisiert die Beschränkung auf die Internalisierung der Normen aus dem Besonderen Teil des Kernstrafrechts und aus dem Nebenstrafrecht als zu einseitig und rückt die Vermittlung der freiheitsverbürgenden Normen des gesamten Strafrechts in den Blickpunkt.305 Im Gesamtsystem seien die freiheitsverbürgenden Prinzipien wie das Gesetzlichkeitsprinzip, das Recht der Verteidigung, auf den gesetzlichen Richter usw. Kernelemente einer Formalisierung sozialer Kontrolle.306 Im Umgang mit 302
Siehe oben b) bb). Siehe Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 27. 304 Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 323 ff.; ders., in: Positive Generalprävention, S. 29 (42); vgl. ferner Hart-Hönig, Gerechte und zweckrationale Strafzumessung, S. 100 ff.; Andenaes, Punishment and Deterrence, S. 124 f. 305 Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (44). 306 Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 318; ders., in: Positive Generalprävention, S. 29 (35 ff.). 303
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dem Unrecht erfülle das Strafrecht durch all diese Verbürgungen eine Vorbildfunktion, sei insofern ein Muster für die alltägliche soziale Kontrolle. Dieser Ansatz kann gegenüber der Allgemeinheit nur legitim sein, wenn die soziale Kontrolle ihrerseits unabweislich wäre oder selbst präventiv gerechtfertigt werden könnte. Hassemer beschreitet offenbar den zweiten Weg, weil er die auf Normstabilisierung abhebende von ihm sog. Integrationsprävention für das Grundanliegen der sozialen Kontrolle hält.307 Auch wenn deren präventive Stabilisierungseffekte höchstplausibel sind, lässt Hassemer doch die Frage offen, warum ausgerechnet eine Übelszufügung Vorbild für eine soziale Kontrolle sein kann, obwohl andere Mechanismen außerstrafrechtlicher Konfliktbewältigung die Straftat und ihre Folge oftmals auf elegantere Weise erledigen. cc) Jakobs Das Strafverständnis Günther Jakobs berührt zwar viele der zuvor genannten straftheoretischen Erwägungen, ist aber zu komplex, um es in einer der Schubladen unterzubringen, die die Gliederung dieser Arbeit zur Verfügung stellt. Für Jakobs begründet der Normbruch einen Konflikt, der nicht wegen seiner gegenständlichen Folgen, sondern ideell relevant sein soll. Die Straftat bedeute etwas, wie ein ausgesprochener Satz etwas bedeutet.308 Dem Täter werde wegen seiner Zuständigkeit für eigene Motivation zugerechnet, dass er sein die Norm brechendes Verhalten für die maßgebliche Weltgestaltung halte. Es werde in durch die Straftat offenbar, dass er etwas anderes für wichtiger hält als die Norm. Die Straftat stelle insofern eine Desavouierung, eine Infragestellung des Rechts dar. Strafe wiederum widerspreche diesem Widerspruch. Durch Wegnahme von Organisationsmitteln, also einer Freiheitsbeschränkung, werde demonstriert, dass der Täter nicht richtig organisiert hat.309 Die Bestätigung der Normgeltung durch Strafe erfolgt in Jakobsens Konzept nicht in erster Linie zum Zweck der Vermeidung künftiger Güterverletzungen. Die Anerkennung der Norm könne nämlich auch in dem Bewusstsein erfolgen, dass die Norm gebrochen werde. Die normative Erwartung ziele in diesem Fall darauf, dass auch im Fall künftiger Überschreitung als „Grund des Konflikts wiederum der Normbruch des Täters, nicht aber das Normvertrauen des Opfers bestätigt werden wird“.310 Den Sinn einer solchen Bestätigung sieht Jakobs in 307
Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 325. Jakobs, Strafrecht AT, 1/9; ders., System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 13 f. 309 Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 (844 f.); gerade durch diese Einkleidung setzt er sich der Kritik aus (vgl. Kaspar, Wiedergutmachung und Mediation im Strafrecht, S. 49; Lampe, FS Roxin I, S. 45 [60]; Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 66 ff.: Es werde die Übelszufügung nicht erklärt), die aber vor dem Hintergrund des soziologischen Begründungsstrangs bei Jakobs zweifelhaft ist (dazu sogleich). 310 Jakobs, Strafrecht AT, 1/9. 308
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Übereinstimmung mit manch anderem Konzept der positiven Generalprävention in der Erhaltung der Norm als Orientierungsmuster für sozialen Kontakt.311 Dieses Muster interpretiert er im Lichte der Luhmannschen Systemtheorie primär als System von Erwartungserwartungen mit eigenständigem freiheitlichen Wert.312 Demgegenüber kommt es nicht maßgeblich darauf an, dass die Erwartungen auch realisiert werden, solange sie überhaupt nur existent sind. Jakobs führt das noch genauer aus. Auf eine Enttäuschung der Erwartung könne man im Wesentlichen auf drei unterschiedliche Weisen reagieren. Die Erwartung könne ganz oder zum Teil aufgegeben werden. Die Lebenswirklichkeit könne so angepasst werden, dass die Erwartung wieder berechtigt ist (kognitive Enttäuschungsabwicklung). Schließlich könne aber auch durch Bekräftigung der Normgeltung kontrafaktisch an der Erwartung festgehalten werden (normative Enttäuschungsabwicklung).313 Während eine Aufgabe der Erwartungen offensichtlich nicht in Betracht kommt, weil andernfalls die Norm als Orientierungsmuster aufgegeben würde,314 stellt Strafe für Jakobs gerade eine Realisierung der letzten Möglichkeit dar, also eine kontrafaktische Enttäuschungsabwicklung.315 Auf eine kognitive Stabilisierung kommt es nicht an; angesetzt wird direkt bei den Erwartenden. Die Adressaten der Normen seien nicht potentiell Tatgeneigte, „sondern alle Menschen, da alle ohne soziale Interaktion nicht auskommen können und da deshalb alle Menschen wissen müssen, was sie dabei erwarten müssen.“ 316 Primäre Aufgabe der Strafe sei es, tatsächliche Enttäuschungen der Erwartung für falsch zu erklären. Die Enttäuschung dürfe, obschon Tatsache, nicht zu den Gegebenheiten gehören, an denen man sich zu orientieren hat und müsste deshalb aus diesem Bereich (des Tatsächlichen) herausgeschnitten werden. Dies geschehe dadurch, dass sie nur in ihrer Beziehung zum Täter definiert wird, also durch Zurechnung. Die Strafe sei zunächst nur Affirmation dieser Zurechnung, 311
Jakobs, Strafrecht AT, 1/9. Vgl. zu dem Gedanken „Freiheit durch Sicherheitsgefühl“ aus der älteren Literatur v. Allmendingen, Bibliothek für peinliche Rechtswissenschaft und Gesetzkunde 1 (1799), 1. St., S. 60 ff. zitiert nach Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 ff.; v. Droste-Hülshoff, Einleitung in das gemeine Deutsche Kriminalrecht, S. 12 f.; Schaumann, Allgemeine Betrachtungen über Recht, Staat und Strafe, S. 48; C. C. G. Schneider, Versuch einer Entwickelung und Berichtigung der Grundbegriffe der philosophischen Rechtslehre, S. 96 ff.; dazu eingeh. Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 (485 ff.) m.w. N. 313 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 9 f.; vgl. dazu auch Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen Selbstbegünstigungsprinzips auf der Basis eines generalpräventiv-funktionalen Schuldmodells, S. 62. 314 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 11: Preisgabe der Norm; nicht vereinbar damit Noll, FS Mayer, der nichts dagegen einwendet, zur Bewältigung von Straßenverkehrsdelikten den Straßenverkehr abzuschaffen. 315 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 10; vgl. dazu auch Schöneborn, ZStW 92 (1980), S. 682 (684). 316 Jakobs, Strafrecht AT, 1/14; vgl. ferner Achenbach, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 135 (144). 312
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belaste aber darüber hinaus das Verhalten deutlich und erhöhe dadurch die Chance, dass die Straftat allgemein als nicht diskutable Verhaltensweise erlernt werde. Die Unwertigkeit könne so selbstverständlich werden, dass sie als erlebbare Verhaltensalternative verdrängt wird.317 Die Bedeutung der Kontrafaktizität318 der normativen Erwartung für die Strafe führt Jakobs noch genauer aus. An anderer Stelle führt er aus, Strafe sei „Feststellung der unveränderten Wirklichkeit der Gesellschaft“ 319 gerade entgegen der Lebenswirklichkeit. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass er empirische Untersuchungen zur positiven Generalprävention für „ein wenig deplaciert“ hält.320 Es komme vielmehr auf die (kommunikative) Konfirmation der gesellschaftlichen Identität an; Strafe sei dazu nicht bloßes Mittel, sondern Erhaltung selbst, eine unmittelbare Selbstvergewisserung.321 Derselbe Gedanke begegnet freilich u. a. auch in Luhmanns soziologischer Analyse des Vertrauens.322 Vertrauen hänge gerade deshalb nicht von äußeren Faktoren ab, weil der Enttäuschungsfall schon in der Erwartung enthalten sei. Die Enttäuschung werde nicht einfach ignoriert, sondern vorausgesehen und intern, also gerade nicht kognitiv durch Veränderung der Verhältnisse, verarbeitet. Erwartungssicherheit beruhe gerade auf dem Wert des Vertrauens im gesellschaftlichen Freiheitsgefüge und umgekehrt dem Unwert seiner Aufgabe, darauf „daß ein Bruch des Vertrauens dessen Entzug und damit eine radikale Änderung der Beziehungen zur Folge haben muß.“ Es werde deshalb die Enttäuschung zu einem Ereignis aufgebauscht, „das durch seinen Extremcharakter, durch seine besondere Schändlichkeit unwahrscheinlich ist“.323 Zur Straftat als Normdesavouierung scheint die Kontrafaktizität der Norm aber nicht ganz zu passen. Wenn die Straftat schon antizipiert wurde und deshalb zum Inhalt normativer Erwartung zählt, kann sie auch das Normvertrauen nicht desavouieren. Strafe würde die Norm deshalb nicht als Wiederherstellung von Vertrauen bestätigen, sondern würde nur dessen ununterbrochenes Vorhandensein zum Ausdruck bringen, wäre gewissermaßen in der Norm selbst angelegt. Über diesen denkbaren Einwand käme man vielleicht noch hinweg, doch sprechen noch andere Gründe gegen das Jakobsche Konzept positiver Generalprävention. 317 Jakobs, Schuld und Prävention, S. 10, vgl. auch K. Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 39 ff. 318 Vgl. zu diesem Begriff und seiner Bedeutung für das Recht Luhmann, Die soziologische Beobachtung des Rechts, S. 21 f.; ders., Rechtssoziologie, S. 43 f.; ders., Vertrauen, S. 104; Depenheuer, in: Recht und Lüge, S. 7 (10 ff.); Hochhuth, Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes, S. 128 ff.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 6. 319 Jakobs, Norm, Person, Gesellschaft, S. 106. 320 Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 (844); vgl. auch K. Günther, Schuld und kommunikative Freiheit, S. 39. 321 Jakobs, ZStW 107 (1995), S. 843 (844). 322 Luhmann, Vertrauen, S. 103 f. 323 Luhmann, Vertrauen, S. 104.
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Insbesondere werden die kognitiven Auswirkungen, d.h. die faktischen Dimensionen einer Straftat vernachlässigt.324 Ein Strafkonzept, dem es auf die Absicherung realer Freiheit ankommt, sei es auch nur vermittelt über den Komplexität reduzierenden und deshalb die Lebenswirklichkeit ausblendenden Glauben an bestimmte Verhaltensweisen, muss auf die kognitive Seite einer Straftat eingehen.325 Denn die Straftat dokumentiert gerade die fehlende reale Durchsetzung des Orientierungsmusters und den realen Freiheitsvorteil von Erwartungserwartungen. Jeder kann an der Straftat erkennen, dass die Möglichkeit der Orientierung an einem bestehenden Muster keine Gewähr für Sicherheit im Sinne bestimmter Erwartungen an das Wohlverhalten anderer bietet. Diesem Problem spricht Jakobs ebenfalls eine gewisse Bedeutung zu. Zum einen sei ein Mindestmaß kognitiver Untermauerung der Normen zu deren Stabilisierung erforderlich,326 zum anderen hält Jakobs die Aussicht für begründet, dass sich die Straftat (als erwünschte Nebenfolge?327) durch Selbstvergewisserung aus der Erlebniswelt ausschneiden, ausblenden und schließlich verdrängen lassen könnte. Auch letzteres ist eine empirische Frage,328 die nicht ihrerseits normativ und nicht einmal logisch beantwortet werden kann. Die Kommunikation, dass das durch den Täter desavouierte Orientierungsmuster notwendig und richtig, demgegenüber die Straftat überflüssig und falsch ist, hilft hier jedenfalls nicht weiter. Sie kann lediglich Erwartungserwartungen, nicht aber Verhaltenserwartungen stabilisieren. Mit anderen Worten: Allein die Existenz eines Orientierungsmusters begründet nicht auch Aussicht auf dessen Durchsetzung und darauf, dass dieses Muster andere „dominant motiviert“ 329. Konsequent wäre es deshalb, das irrationale Verdrängen der Straftat aus der Erlebniswelt empirisch zu erhellen. Jakobs’ kommunikatives Verständnis von Strafe, das nicht im Kern sozialpsychologisch begründet ist, sondern Gedanken der Wiederherstellung und Norminternalisierung kombiniert, zielt in eine ganz andere Richtung und integriert darüber hinaus
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Vgl. Greco, GA 2009, S. 636 (642 f.). Krit. auch Neumann, in: Positive Generalprävention, S. 147 mit dem normativen und allgemein gegen die Generalprävention gerichteten Argument, dass der Zweck einer kontrafaktischen Stabilisierung die Betroffenen von dem Diskurs über die Funktion des Strafrechts ausschlösse. 326 Jakobs, Strafrecht AT, 1/16. 327 Die Strafe soll nach Luhmann gerade nicht der Stabilisierung der Norm dienen, sondern nur „Symptom“ interner Verarbeitung sein. 328 Börchers, Schuldprinzip und Fahrlässigkeit, S. 47; Prittwitz, Strafrecht und Risiko, S. 231; Neumann, FS Jakobs, S. 435 (445 f.); Henrik Schneider, Kann die Einübung in Normanerkennung die Strafrechtsdogmatik leiten?, S. 79, 84; Schumann, in: Positive Generalprävention, S. 17 (21); vgl. ferner Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 16 f.; ders., ZStW 92 (1980), S. 637 (648 ff.); der die kontrafaktische Wirkweise der Strafe in Anschluss an Haffke mit tiefenpsychologischen Erkenntnissen abzusichern sucht und dabei die Befriedungsfunktion herausstellt. 329 Jakobs, Strafrecht AT, 1/9. 325
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auch kognitive Elemente, deren Stellenwert in der Gesamtkonzeption vor dem Hintergrund der Kontrafaktizität der Norm zumindest nicht ganz eindeutig ist: die Einübung in Normanerkennung, d.h. die Einübung in Normtreue und die Akzeptation der Konsequenzen.330 Auf eine kognitive Verarbeitung der Straftat dürfte Jakobs deshalb wohl nicht ganz verzichten können.331 d) Intellektuelle Infragestellung der faktischen Normgeltung aa) Ausgangspunkt: Kognitive Erwartungsstabilisierung Wenn Strafe als Instrument zur kognitiven Stabilisierung von Erwartungen begriffen wird, stünde nicht ein kontrafaktisches Ausblenden der Wirklichkeit im Vordergrund, sondern eine Anpassung der Lebenswirklichkeit – eine solche, die eine gewisse Gewähr dafür bietet, dass die Erwartung normtreuen Verhaltens trotz Straftat zumindest in bestimmter Hinsicht immer noch berechtigt ist. Auf welche Weise aber ist eine kognitive Sicherung von Erwartungsstabilisierung möglich, ohne sich den Einwänden auszusetzen, die hier und andernorts gegen präventive Konzepte der Strafe wiedergegeben wurden? Als kognitive Stabilisierung von Verhaltenserwartungen lassen sich prinzipiell alle Formen der Prävention in einen generalpräventiven Rahmen einordnen. Allerdings wurden hier alle üblichen präventiven Konzepte abgelehnt. Die Spezialprävention kam zur Erklärung der Schuldstrafe nicht in Betracht, gegen die positive Generalprävention wurden vor allem freiheitstheoretische Bedenken angemeldet. Es stellt sich deshalb die Frage, wie man trotz Straftat an den bisherigen normativen Erwartungen ohne den Anspruch festhalten kann, das freie Denken und Handeln der Bürger zu beschränken oder zu beeinflussen. Was bietet daneben noch faktisch Gewähr dafür, dass sich Bürger an strafrechtliche Verhaltensgebote halten? bb) Autonomie und rationale Alternative Soll es auf Freiwilligkeit ankommen und nicht auf abschreckenden Zwang, nicht auf die Fremdbestimmung durch spezialpräventive Maßnahmen oder gar Unschädlichmachung, so kommt allein die Autonomie der Normadressaten in Betracht, Gewähr für die faktische Normeinhaltung im Rahmen des Strafrechts zu bieten. Diese Autonomie kann rational nur mit Gründen der Vernunft ausgefüllt werden,332 was nun den Platz bietet für die Integration einer absoluten Straf330 Jakobs, Strafrecht AT, 1/16; zur Bedeutung des kognitiven Aspekts im Rahmen des Ansatzes vgl. Neumann, in: Positive Generalprävention, S. 147 (Anm. 4) einerseits, Lüderssen, ZStW 107 (1995), 877 (882 f.) andererseits. 331 Vgl. denn auch Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 14. 332 Grundlegend Kant, GMS, AA IV, S. 433, 436; ders., KpV, I § 8 Lehrsatz IV (S. 48 f.).
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theorie und einem Gedanken, der sowohl bei Kant als auch bei Hegel Anklang findet: Ein vernünftiger Bürger muss im Rahmen seiner Möglichkeiten auf gewisse Interessen seiner Mitmenschen Rücksicht nehmen, weil er nur auf diesem Wege als Bürger an den freiheitlichen Vorteilen gemeinschaftlichen Miteinanders teilhaben kann.333 Eine Straftat könnte nun gerade in Frage stellen, dass dieser Vernunftgrund für eine rationale Entscheidung zugunsten der Normbefolgung leitend sein kann, insofern als sie andere, nachvollziehbare Gründe offenlegt, die den Rechtsbruch für eine Person als vorteilhaft erscheinen lassen. Tatsächlich dürfte es für den Täter als Person durchaus vorteilhaft sein, die eigene Freiheit auf Kosten anderer zu verwirklichen.334 Zwar meint Hegel, die Vernichtung des anderen Selbstbewusstseins zur Bestätigung des eigenen sei ein einseitiger Gedanke, weil von einem Toten Bestätigung nicht zu erwarten sei. Wie er selbst andeutet, ergibt sich aber auch die weniger einschneidende Möglichkeit, einseitige knechtische Anerkennung durch eine Unterwerfung anderer ohne Vernichtung zu erlangen. Für eine Person dürfte aus dieser Warte jedenfalls nichts gegen eine Straftat sprechen, wenn eine Reaktion ausbleibt, die Gemeinschaft ihre Freiheitserweiterung auf Kosten anderer also einfach hinnehmen, ihr so mit den Worten Hegels „knechtische Anerkennung“ zollen und sich damit versklaven lassen würde.335 Denn aus Sicht des Täters ist diese Form der Anerkennung zunächst nicht mit weniger realer Freiheit verbunden als eine auf strenger Gegenseitigkeit beruhende Anerkennung. Die Person könnte also einseitig seine Freiheit auf Kosten anderer erweitern und hätte, insofern als seine Freiheitssphäre wegen der fortwirkenden Anerkennung der anderen unberührt bliebe, eine sinnvolle Alternative zu normtreuen Verhalten. Weil diese sinnvolle Alternative aber gerade einer optimalen Ausgestaltung von (realer) Freiheit in der Gemeinschaft, d.h. dem allgemeinen Willen widerspricht, der Bürger in der Rechtsgemeinschaft nicht als Person, sondern nur als Bürger existieren kann,336 ist sie unvernünftig. Denn nach der Rechtsidee, d.h. einer optimalen Ausgestaltung von Freiheit in einer Gesellschaft, ist eine Anerkennung ohne Selbstunterwerfung nur unter der Bedingung strenger Wechselbe333 Vgl. Kant, GMS, AA IV, S. 421, 429, 433, 434, 436; Hegel, Phänomenologie des Geistes, S. 145 ff.; w. N. zu Hegel bei Seelmann, Anerkennungsverlust und Selbstsumtion, S. 13; vgl. ferner z. B. Moos, FS Pallin, S. 283 (301 ff.). 334 Vgl. dazu auch Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 66 ff., der auf den Zusammenhang von Freiheitsgenuss und Loyalitätspflicht abstellt. Allerdings findet sich in Pawliks Unrechtstheorie keine einleuchtende Begründung dafür, warum der Täter „für seine Loyalitätspflichtverletzung mit der Entziehung eines Stücks seiner eigenen Freiheit belegt“ (vgl. oben Anm. 215) werden müsste. Ein Blick in das Zivilrecht zeigt, dass eine Sekundärpflicht nicht allein von der Verletzung einer primären Pflicht abhängt (vgl. oben Anm. 92). 335 Vgl. die Nachw. oben 3. b) aa). 336 Vgl. Schild, FS Lenckner, S. 287 (306 ff.).
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züglichkeit möglich; es widerspräche dieser Idee, wenn sich der Täter den Rest der Gemeinschaft zu Untertan machen könnte. Wenn die Gemeinschaft also einem Täter durch eine Nichtreaktion knechtische Anerkennung zollt, wäre damit gerade ein nicht dem Recht und seiner Idee entsprechender Zustand geschaffen. Die Gemeinschaft würde den Täter nicht mehr als (gleichgeordneten) Bürger anerkennen, sondern sich ihm unterwerfen. Daraus ergibt sich, dass erst das Untätigbleiben der Gemeinschaft auf die Straftat eine für eine Person in der Rolle des Täters rationale Verhaltensoption begründet. Insofern erfolgt durch die Aktion(Nicht-)Reaktion-Dialektik eine intellektuelle Infragestellung der sich über die Freiwilligkeit vermittelnden faktischen Geltungskraft des Rechts.337 Dies erklärt im Übrigen auch, warum ein Täter nicht lediglich das Anerkennungsverhältnis zu seinem Opfer verletzt.338 cc) Umsetzung der Unvernunft in die Lebenswirklichkeit durch Strafe Damit ist zugleich vorgezeichnet, wie Strafe als Reaktion präventiv funktionieren kann. Eine Maßnahme, die Erwartungen in intellektueller Hinsicht sichern will, muss den (personalen) rationalen Grund, der die Grundlage ihrer Geltung konterkariert, ausräumen und damit den Vernunftgrund des Rechts in die Wirklichkeit vollziehen.339 Es darf keinen nachvollziehbaren Sinn haben, sich über das geltende Recht hinwegzusetzen. Sinn hat der Normbruch, insoweit er mit einer Unterwerfung der Rechtsgemeinschaft einhergeht. Diese Unterwerfung findet wie aufgezeigt statt, wenn das durch die Straftat erfolgende Aufkündigen des Anerkennungsverhältnis für den Täter keine Konsequenzen zeitigt, er weiterhin noch in den vollen Genuss der freiheitlichen Vorzüge – jetzt nur einseitiger und allein ihm gebührender – Anerkennung kommen kann und er deshalb im Ergebnis über der Rechtsgemeinschaft steht. Es entspricht diese Alternative nicht dem Recht als eine vernünftige Abschichtung von Freiheitsräumen und es stellt in Frage, ob die Norm einzuhalten individuell überhaupt sinnvoll sein kann. Um die Grundlage faktischer Normgeltung zu erhalten, muss schon die abstrakte Möglichkeit eines solchen Widerspruchs beseitigt werden. Das kann dadurch geschehen, dass der Täter in der unabwendbaren Konsequenz seiner Entscheidung wieder in die bürgerliche Existenz integriert wird, indem ihm ein Nachteil auferlegt wird.
337 Parallele bei Welcker, Die letzten Gruende von Recht, Staat und Strafe, S. 251, S. 252, insofern als es auch hier in bestimmter Hinsicht auf den „Mangel der für das Rechtsverhältniß nothwendigen Herrschaft der Vernunft“ ankommt; ferner Schaumann, Allgemeine Betrachtungen über Recht, Staat und Strafe, S. 41 f. 338 Vgl. Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 469. 339 Vgl. Köhler, Über den Zusammenhang von Strafbegründung und Strafzumessung, S. 35.
II. Materiale Begründungen
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Zur Reintegration ist erforderlich, ihm in dem Maße Anerkennung zu versagen, in dem er sich selbst durch den Normbruch über die Gesellschaft gestellt hat. Er muss gleichsam wieder zum Weg zurückkehren, von dem er abgekommen ist. Und weil der Realgrund der Anerkennung letztlich die Freiheitsverwirklichung ist, muss damit eine Einschränkung auch der Freiheiten des Täters einhergehen. Die Übelszufügung als Einschränkung der Freiheit kommuniziert dann nicht lediglich, dass eine Straftat in der Gemeinschaft keine sinnvolle Alternative sein kann, sie schafft deren Sinn realiter aus der Welt.340 Auf die Kommunikation dieses realen Vorgangs kann das Konzept aber gleichwohl nicht verzichten. Grund dafür ist seine generalpräventive Einkleidung. Letztlich kommt es auf die (kognitive) Stabilisierung von Erwartungen an. Diese setzt die Kenntnis der Bürger von der Sinnlosigkeit eines Verstoßes gegen strafrechtliche Normen voraus. Im positiv generalpräventiven Kontext bietet die reale Kostenfolge der Strafe demnach die Gewähr für eine freiwillige Willensbildung zur Normbefolgung – die Grundlage auch für ein faktisches Festhalten an der Erwartung. Das Ausmaß dieser Kostenfolge ist dabei nicht nur abhängig von der Erwartung selbst. Auch kommt es darauf an, dass die Tat auf die Verkehrung des Vernunftgrunds der Anerkennung zurückzuführen ist. Denn die Notwendigkeit, eine personal sinnvolle Alternative durch eine strafende Reaktion auszuräumen, ergibt sich nur, insoweit diese auch tatsächlich motivatorische Kraft entfalten konnte. Nach alldem verstehen sich die Straftat und ihre Folgenlosigkeit als intellektuelle Infragestellung der faktischen Normgeltung, die Erwartungen mit realem Freiheitswert destabilisiert. Die Strafe hebt die Infragestellung auf, indem sie den personalen Grund des Normverstoßes, die Vorteile einseitiger Unterwerfung, aus der Welt schafft. Dadurch stabilisiert sie zugleich Erwartungen und sichert reale Freiheit. dd) Bedeutung von Unrecht und Schuld Es folgt aus einer solchen Begründung die Notwendigkeit von Strafe als solcher, erörterungsbedürftig ist aber noch, was sich darauf in Bezug auf die Relevanz von Unrecht und Schuld für das Strafmaß ergibt. (1) Unter Unrecht sollen hier zunächst nur die unumstrittenen Elemente des Erfolgsunwerts und der Intensität des Rechtsgutsangriffs341 beleuchtet werden. Diese verstehen sich als Ausgangsgröße der mit einer Straftat einhergehenden Infragestellung des Geltungsgrunds der Norm. 340 Vgl. E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (820) – Aus diesem Grund dürften denn auch Einwände gegen das Konzept rein kommunikativer Straftheorien, diese würden die Strafe als reale Übelszufügung nicht erklären, nicht entgegenstehen, vgl. zu diesen Einwänden Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 66 ff. m.w. N. 341 Vgl. Hörnle, in: Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, S. 113 (115).
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
Verhaltenserwartungen lassen sich nicht unabhängig von den werthaften Freiheitspositionen verstehen, auf die sie sich beziehen. Die Bedeutung der Norm im konkreten Einzelfall ist umso größer, je wertvoller die von ihr geschützte Freiheitsposition ausfällt. Von der Norm wird aber nicht nur diese Freiheit in Bezug genommen, sondern alle weiteren Freiheiten, die man zu deren Absicherung aufzuopfern bereit ist.342 Von dem nach dem Gewicht dieser Freiheiten bestimmten Wert der Erwartungshaltung hängt ab, in welchem Maße durch ihre Enttäuschung Anerkennung versagt werden kann und darf. Verzichtet die Gemeinschaft gegenüber dem Täter auf Erwartungen im Hinblick auf Güter, denen sie sonst im Vergleich zu anderen Gütern ein hohes Gewicht einräumt, so fällt das Ausmaß einer Unterwerfung besonders intensiv aus. Aus der idealiter strengen Wechselbezüglichkeit des Anerkennungsverhältnisses zwischen den Bürgern folgt zum einen, dass die Strafe nicht hinter dem Wert der Erwartungshaltung zurückbleiben darf, weil damit ein Rest knechtischer Anerkennung übrig bleiben würde, die Bestrafung die motivatorisch wirkende personale Ratio einer Straftat also nicht vollständig ausräumen könnte. Zum anderen kann die Bestrafung auch nicht über das Maß des dem Täter in Bezug auf das Ausbleiben des Normbruchs entgegengebrachten Vertrauens und Anerkennens hinausgehen, weil sie sonst über ihr Ziel hinausschießen und statt den Täter wieder gleichzuordnen, selbst unterwerfen würde. (2) Ein schuldlos Handelnder kann die Geltung der abstrakt-generellen Norm insofern nicht in Frage stellen, als die Befolgung der strafrechtlichen Norm durch seine freiwillige Leistung in der Tatsituation von vornherein nicht erwartet werden kann.343 Es wäre sinnlos ein Verhalten von jemandem zu verlangen, zu dem dieser nicht fähig ist.344 Soweit sich ein strafrechtlich geschützte Rechtsgüter angreifendes Verhalten auf ein Schulddefizit zurückführen lässt, ist denn auch die motivatorische Kraft rationaler Gründe ausgeschlossen, die allein die faktische Normgeltung nach dem hiesigen Konzept der positiven Generalprävention beeinflussen können. Die Schuldschwere ist deshalb ein weiterer Faktor, der auf das Ausmaß der rationalen Infragestellung faktischer Normgeltung Einfluss nimmt.
342 Was insofern erforderlich ist, hängt auch davon ab, ob und in welchem Maße der Normadressat die von ihm bedrohte Freiheitsposition in concreto anerkennt. Hier kann auch die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit hineinspielen; denn beiden Verhaltensweisen kann man nicht auf die gleiche Weise begegnen. 343 Das bedeutet freilich nicht, dass nicht auch gegenüber Schuldunfähigen ein Bedürfnis nach Sicherheit besteht. Jedoch liegt deren Verhalten im Tatzeitpunkt außerhalb der vom Strafrecht in Bezug genommenen Rationalität eines Vernünftigen. Für die Stabilisierung der Erwartungen im Hinblick auf ein Ausbleiben von Angriffen Schuldloser müssen deshalb andere und zwar genuin präventive Mittel zur Verfügung gestellt werden. Zu diesen Mitteln kann auch der Unrechts-Apell gehören, nicht aber Strafe (vgl. Greco, GA 2009, S. 636 [638 ff., 642 f.]; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 20 Rdnr. 50). 344 Dezidiert MünchKomm-StGB/Freund, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. Rdnr. 134.
II. Materiale Begründungen
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Zu klären bleibt noch, wie sich das ausgeführte Konzept vor den üblicherweise gegen die positive Generalprävention vorgebrachten Bedenken absichern kann. ee) Empirische Absicherung? Grundsätzlich stellt sich auch für das ausgeführte Konzept die empirische Frage, ob sich durch eine Übelszufügung tatsächlich Erwartungen stabilisieren lassen bzw. ob sich ein reaktionsloses Hinnehmen auf den Normbruch für die Erwartungshaltung wirklich negativ auswirken kann. Die Normgeltung ist hier aber von vornherein auf einer rationalen Basis und letztlich sogar auf Vernunftbasis konzipiert. Weil der „intellektuelle Verbrechensschaden“ gerade nicht primär als sozial-psychologischer Schaden345 verstanden wird und durch Strafe allein die Vernunft als faktischer Geltungsgrund der Norm herausgestellt werden soll, erscheint der Versuch eines empirischen Nachweises nicht angemessen. Die verhaltensleitende Kraft der Vernunft kann nicht empirisch in Abrede gestellt werden, ohne damit zugleich die Freiheit der Person zu negieren. Unabhängig davon, ob diese Freiheit zu rationaler und letzten Endes auch vernünftiger Entscheidung wirklich existiert, ist sie unzweifelhaft der Ausgangspunkt unseres Selbstbildes. Freiheit ist damit nicht erst ein Faktor, über den sich die strafrechtliche Norm vermittelt, sondern Inhalt der Norm selbst.346 M. a. W. ist die Möglichkeit vernünftiger Motivation Kern einer Strafrechtsnorm, über den sich nicht hinwegreden lässt, ohne damit einem autonomienegierenden Präventivsystem das Wort zu reden. Dessen Berechtigung ist aber nicht nur eine normative Frage. Denn das Selbstbild kann sogar als „Überdetermination“ mit einem strengen Determinismus vereinbart werden, insofern als der Glaube an die Freiheit das definiert, was wir als Freiheit verstehen.347 In empirischer Hinsicht dürfte das vorliegende Konzept damit mit den Prämissen des Strafrechts selbst stehen und fallen.
345 Vgl. Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 (496); Frisch, in: Endangst und Erlösung 2, S. 53 (75); ferner Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 62 m.w. N. 346 Eingeh. Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (163 ff.); ders., in: Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, S. 149 (151 ff.); ferner Cerezo Mir, ZStW 108 (1996), S. 9 (21); ob dieses Selbstbild auf Fakten beruht oder auf Selbsttäuschung, ist vor dem Hintergrund der Frage, wie sich Menschen von der Richtigkeit eines bestimmten gesellschaftlichen Zustands überzeugen lassen, nicht erheblich. 347 Vgl. Arthur Kaufmann, FS Lange, S. 27 (29); ders., Jura 1986, S. 225 ff., (226 f.); Schünemann, in Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (163); vgl. ferner Asada, FS Roxin II, S. 519 (523). Andernfalls würde die strafrechtliche Ausschaltung von Determinanten nur den Sinn haben, anderen Determinanten mehr Raum zu lassen. Das Strafrecht würde dann aber nicht mehr Freiheit absichern, sondern eine bestimmte Unfreiheit.
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B. Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung
ff) Erforderlichkeit einer spezifischen Legitimation generalpräventiver Strafe gegenüber dem Täter Weiterhin ist noch ein letztes Bedenken gegen die Generalprävention anzuführen: Alle Formen der Generalprävention haben zur Folge, dass die Bestrafung den Täter ein stückweit instrumentalisiert.348 Einen Verstoß gegen die Menschenwürde muss das freilich noch nicht bedeuten, wenn es möglich ist, die Bestrafung mit der Autonomie des Täters zu vereinbaren. Häufig wird angenommen, die Schuld sei ein Prinzip, das eine generalpräventive Bestrafung mit der Autonomie des Täters in Einklang bringe. Diese Sichtweise beruht entweder auf der Annahme, dass einem Täter, der die ihm bekannten Rechtsfolgen vermeiden kann, der Einwand abgeschnitten sei, dass zum (möglichen) Vorteil der Gemeinschaft in seine Grundrechte einzugreifen unfair sei,349 oder auf dem Zusammenhang zwischen Freiheitsgenuss und Loyalitätspflichten. Auch der Täter selbst werde schließlich durch das normgemäße Verhalten anderer Personen begünstigt.350 Diese Argumentation ist aber Zweifeln ausgesetzt. Zum einen beruht das Andershandelnkönnen auf zweifelhaften empirischen Prämissen. Zum anderen ist die Vermeidemacht auch sonst keine Voraussetzung für einen legitimen Eingriff. So ist keine Voraussetzung der Erhebung von Steuern, dass der Steuerpflichtige über den Eintritt der Rechtsfolge selbst verfügen kann und diesbezüglich Vermeidemacht hat. Vermeidemacht wird ferner auch nicht bei rein präventiven Maßnahmen inner- und außerhalb des Strafrechts vorausgesetzt. Deshalb dürfte auch zur Legitimation der Strafe gegenüber dem Täter prinzipiell die Erwägung ausreichen, dass sie einem Ziel dient, das wichtiger ist als die individuellen Freiheitsinteressen des Täters. Davon abgesehen bewahrt die Schuld nach dem hier vertretenen Konzept freilich auch die Autonomie des Täters. Diese Wirkung ist aber derivativ. Die autonomiewahrende Funktion der Schuld ist nämlich nicht hinreichend beschrieben als Legitimation des Strafens gegenüber dem Täter. Vielmehr ergibt sich die Bedeutung der Vermeidemacht als autonomiewahrendes Prinzip im Rahmen des hiesigen Konzepts schon gegenüber der Allgemeinheit. Die Einhaltung der Normen durch diese Allgemeinheit soll nicht erzwungen werden, sondern stattdessen der Autonomie überlassen bleiben. Der Schuldgrundsatz trägt letztlich primär diesem freiheitlichen Grundkonzept der Strafe Rechnung. Der Täter profitiert von dem Prinzip nicht originär, sondern derivativ als Teil der Allge-
348 Roxin, JuS 1966, S. 377 (383 ff.); Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (37). 349 Hörnle, Straftheorien, S. 52 m.w. N. 350 Hörnle, Straftheorien, S. 52; dies., FS Roxin II, S. 3 (10 ff., 18 f.); vgl. ferner Pawlik, Person, Subjekt, Bürger, S. 56.
II. Materiale Begründungen
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meinheit. Dies ist der materielle Grund dafür, dass die autonomiewahrende Limitierungsfunktion der Schuld die Kehrseite ihrer Konstituierungsfunktion darstellt.351 Darüber hinaus erscheint das Instrumentalisierungsproblem, wenn nicht schon vor dem Hintergrund seiner banalen Notwendigkeit, zumindest auf der Basis der hier vertretenen Sichtweise als gering. Wenn sich Strafe nämlich letztlich als eine reale Folge versteht, die mit einem unvernünftigen Verhalten verbunden ist, kann sie nicht mehr Instrumentalisierung bedeuten als sonstiges Verhalten, das negative Folgen hat, gerade weil es unvernünftig ist.
351
Vgl. oben II. 2. c) bb).
C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre Wenn demnach feststeht, dass die Verbrechenslehre nicht nur in einem formalen, sondern auch in einem materialen Zusammenhang mit der Strafzumessung steht, ist weiterhin fraglich, wie sich dieser theoretische Zusammenhang auf die Strafzumessungspraxis auswirken kann. Die hier in Betracht kommenden Möglichkeiten wurden schon aufgezählt und erfahren jetzt – nach material-theoretischer Grundlegung – auch ihren Sinn: Die Verbrechenslehre umreißt die Infragestellung der faktischen Geltungskraft einer Norm. Die Infragestellung geht einher mit dem Ausmaß der Unterwerfung der Gemeinschaft unter die Herrschaft des Täters, die ohne Strafe bestehen würde. In diesem Rahmen kann sich die Verbrechenslehre – erstens – in einer Rolle als Fragment (der Infragestellung und dessen, was als Antwort darauf erforderlich ist) erschöpfen, das erst im Zusammenhang externer weiterer Informationen (weitere Fragmente) eine abschließende Bewertung der Infragestellung erlaubt. Es könnte die Verbrechenslehre – zweitens – auch den Gegenstand einer spezifisch strafzumessungsrechtlichen Bewertung bilden, deren Kriterien sich aus externen, aber von der Strafkonzeption abhängigen Kriterien ergeben. Es könnte – drittens – aber auch die Verbrechenslehre nur in sich lückenhafte Kategorien zur Verfügung stellen, die – etwa unter dem Aspekt der Unrechts- und Schuldschwere – weiter ausgefüllt werden müssten. Denkbar ist schließlich, dass die beschriebenen Möglichkeiten sich gegenseitig ergänzen und ineinander greifen. Um herauszufinden, was zutrifft, ist es erforderlich, zunächst die Möglichkeit einer zumindest partiellen Deckungsgleichheit der Kategorien auf den Prüfstand zu stellen. Ergeben sich die Kriterien einer Schwerebewertung schon aus der Verbrechenslehre?
I. Grundlagen Eine Bewertung der Schwere setzt Maßstäbe voraus, die eine vergleichende Aussage unterschiedlicher Sachverhalte im Sinne eines „mehr oder weniger“ erlauben. Fraglich ist also zunächst, auf welche Weise sich solche Maßstäbe aus der Verbrechenslehre ableiten lassen. Es wird sich zeigen, dass Strafbarkeitsvoraussetzungen mit Maßstäben für eine schweremäßigen Bewertung sowohl hinterlegt als auch weiter ausdifferenziert werden können.
I. Grundlagen
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1. Ordnungsbegriffe in der Verbrechenslehre Eine Quelle für mögliche Maßstäbe könnten so genannte Ordnungsbegriffe sein. Ordnungsbegriffe wie „Härte“, „Schwere“, „Wahrscheinlichkeit“, „Wert“, „Erheblichkeit“ usw. eines Gegenstands, beschreiben nicht irgendeine Qualität, sondern enthalten die Anweisung z. B. zwei Gegenstände „auf die Waage zu legen, um festzustellen, ob einer den anderen überwiegt oder beide die Waage im Gleichgewicht halten“.352 Aus Ordnungsbegriffen ergibt sich deshalb keine feste Zuordnung, sondern nur eine Reihenfolge auf einer ordinalen Skala. Dies unterscheidet Ordnungsbegriffe von Klassenbegriffen, die durch einen abschließenden Katalog notwendiger und hinreichender Bedingungen scharf konturiert sind353 und dementsprechend eine eindeutige Zuordnung eines Lebenssachverhalts erlauben. a) Merkmal als geeigneter Gegenstand einer schweremäßigen Bewertung Die Extensionen vieler Merkmale der Verbrechenslehre können mit Hilfe von Ordnungsbegriffen in eine Reihenfolge gebracht werden. Dies ist aber freilich keine hinreichende Voraussetzung für die Relevanz irgendeiner Skala für die Verbrechenslehre. So kann z. B. die in § 242 Abs. 1 StGB genannte „Sache“ unter anderem mehr oder weniger Gewicht, mehr oder weniger Grautöne, mehr oder weniger Volumen haben usw. Für das Unrecht jedoch ist die Irrelevanz der genannten Maßstäbe nicht zweifelhaft.354 Es stellt sich deshalb die Frage, ob die Verbrechenslehre nicht vielleicht gezielt auf relevante Maßstäbe verweist. b) Schwerebewertungen, die im Merkmal angelegt sind Dass Ordnungsbegriffe in der Straftatprüfung in irgendeiner Form relevant sind, wurde hie und da bestritten. Die Straftatprüfung sei ein klassifikatorisches Verfahren, bei dem es schon im Interesse der Rechtsicherheit nur auf Entscheidungsfragen und einordnende Subsumtion und damit auf Klassenbegriffe ankommen könne. Klassenbegriffe seien aber von Ordnungsbegriffen grundverschieden.355 352 So die Wiedergabe einer Definition von Hempel/Oppenheim, S. 41 bei Puppe, GS Armin Kaufmann, S. 15 (27) und Puppe, Straftatdogmatische Analysen, S. 92; vgl. ferner Beensen, Organisationsprinzipien, S. 24 f.; Radbruch, Rechtsphilosophie, Band 3, S. 61. 353 Beensen, Organisationsprinzipien, S. 24; Erb, Legalität und Opportunität, S. 53 f.; Lecheler, Die Personalgewalt öffentlicher Dienstherren, S. 97; Schenke, Rechtsfindung im Steuerrecht, S. 160; Radbruch, Rechtsphilosophie, Band 3, S. 61. 354 Vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 199. 355 Hempel/Oppenheim, S. 40; Oppenheim, IXe Congrès de Philosophie, S. 73 f.; Radbruch, Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts, S. 46 (49 f., 66); ders., Rechtsphilosophie, Band 3, S. 62 ff.; dazu Hassemer, GS Radbruch, S. 281 ff.
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
Eine Straftat wird in der Tat vom Rechtsanwender (Strafrichter, Student etc.) nur auf Strafbarkeitsvoraussetzungen geprüft, die letztlich entweder vorliegen oder nicht. Daraus folgt aber nur, dass in einem klassifikatorischen Verfahren allein Ordnungsbegriffe nicht weiterhelfen und letztlich doch mit Begriffen gearbeitet werden muss, die (zumindest vage) Grenzen haben. Diese Begriffe heißen entweder Klassen- oder Typusbegriffe. Auch wenn sich diese semantisch scharf von Ordnungsbegriffen unterscheiden, sind sie doch von diesen nicht ganz unabhängig.356 Denn sowohl Typus- als auch Klassenbegriffe können mit Hilfe von Ordnungsbegriffen konkretisiert werden.357 aa) Typusbegriff Deutlich zeigt sich dies am sog. Typusbegriff. Ein Typusbegriff unterscheidet sich vom Klassenbegriff, insofern als er keine festen Grenzen hat, sich einer exakten Definition entzieht und sich nur annäherungsweise bestimmen lässt. Der Typusbegriff habe, so Arthur Kaufmann, keinen festen Kern, sondern nur charakteristische Züge, von denen der ein oder andere auch fehlen kann, ohne dass damit die Typizität eines bestimmten Sachverhalts in Frage gestellt werden muss.358 Dies bedingt, dass man unter den Typusbegriff nicht subsumieren, sondern Sachverhalte lediglich in höherem oder geringerem Grade zuordnen kann.359 Gleichwohl muss am Ende die Satzfrage beantwortet werden, ob der Typusbegriff im Einzelfall erfüllt ist oder nicht.360 Puppe hat den Typusbegriff weiter gehend analysiert und vorgeschlagen, man solle als Typusbegriff nur solche Begriffe bezeichnen, die mehrere Merkmale haben, von denen mindestens eines abstufbar und mit den anderen durch ein komparatives Gesetz verbunden ist. In je höherem Grade ein abstufbares Merkmal erfüllt sei, in desto geringerem Grade müsse ein anderes abstufbares Merkmal oder desto weniger nicht notwendige und nicht abstufbare Merkmale müssten erfüllt sein, um von einem Gegeben- oder Erfülltsein des Typusbegriffs ausgehen zu können.361 Das bedeutet letztlich, dass mindestens zwei komparative Dimensionen dem Typusbegriff zu Grunde liegen. Überall dort, wo in der Verbrechenslehre Typusbegriffe anzutreffen sind, finden sich also Skalen, deren Relevanz auch für die Strafzumessung geprüft werden kann.
356 Vgl. die Nachweise zum Diskussionsstand in der Sprachphilosphie bei Puppe, Strafrechtsdogmatische Analysen, S. 92 in Anm. 28. 357 Puppe, Strafrechtsdogmatische Analysen, S. 93 ff.; Otte, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 2, S. 301 (313 f.). 358 Arthur Kaufmann, Analogie und Natur der Sache, S. 47; ders., Über Gerechtigkeit, S. 169 ff., 192. 359 Eingeh. Puppe, GS Armin Kaufmann, S. 15, 16; vgl. auch Schünemann, in: Coimbra-Symposium für Claus Roxin, S. 149 (167). 360 Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 63 f. 361 Puppe, GS Armin Kaufmann, S. 15 (16).
I. Grundlagen
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bb) Klassenbegriff Ebenso wie der Typusbegriff kann auch ein Klassenbegriff mittels ordinaler Gesichtspunkte umschrieben sein.362 Wenn unter den Klassenbegriff „geldwert“ jeder Gegenstand erfasst sein soll, der auf irgendeinem Markt mehr kostet als 0,00 Euro, kann nicht subsumiert werden, ohne auszuschließen, dass der Wert kleinergleich 0,00 Euro beträgt. Dazu ist ein Vergleichsmaßstab notwendig. Sofern also ein Klassenbegriff, der alle Sachverhalte erfassen soll, die unter einem bestimmten Gesichtspunkt etwa „größer als x“, „kleiner als y“ sind, ist er intensional von einem (ordinalen) Maßstab abhängig, kurz: Die in der Straftatprüfung vorausgesetzte Qualität (Klassenbegriff) kann von einem bestimmten Quantum bzw. Grenzwert auf einer Skala (Maßstab: Ordnungsbegriff) definiert sein. Soweit das der Fall ist, muss der Ordnungsbegriff im Klassenbegriff enthalten sein.363 Der ordinale Gesichtspunkt, der Maßstab, ist dann ein notwendiger, aber kein hinreichender Bestandteil der Definition des Klassenbegriffs. Im Rahmen der Straftatprüfung begegnen viele Begriffe, die nach diesem Schema definiert sind. So setzt die körperliche Misshandlung in § 223 Abs. 1 StGB nach der Rechtsprechung und herrschenden Meinung eine üble und unangemessene Behandlung voraus, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt; 364 unter Beschädigen i. S. d. § 303 StGB versteht die Rechtsprechung „jede nicht ganz unerhebliche (Hervorhebung durch den Verfasser) körperliche Einwirkung auf die Sache, durch die ihre stoffliche Zusammensetzung verändert oder ihre Unversehrtheit derart aufgehoben wird, dass die Brauchbarkeit für ihre Zwecke gemindert ist“.365 Diese Definitionen beinhalten jeweils einen komparativen Satz nach dem Schema „nicht weniger als Wert x“ und setzen deshalb einen Maßstab voraus, mit welchem der Sachverhalt mit x verglichen werden kann. Obwohl sich sowohl Klassenbegriffe als auch Typusbegriffe bestimmten weiteren Differenzierungen gegenüber indifferent verhalten und Abstufungen im Rahmen von Begriffskern und -hof sich nicht auf das Subsumtionsergebnis auswirken, ergeben sich aus dem im Begriff vorausgesetzten Maßstab weitere Differenzierungen. Innerhalb der Extensionen des gleichnamigen Klassenbegriffs reicht mithin der Ordnungsbegriff über den Klassenbegriff hinaus, obwohl dieser in je362 Vgl. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, S. 288. 363 Puppe, GS Armin Kaufmann, S. 15 (29); vgl. ferner Mezger, Strafrecht, S. 499 f. 364 Siehe etwa BGHSt 14, 269 (271); 25, 277 (278); OLG Köln, NJW 1997, S. 2191 f.; Schönke/Schröder/Eser, § 223 Rdnr. 3; LK-StGB/Lilie § 223 Rdnr. 6; Fischer, § 223 Rdnr. 3a; Eisele, Strafrecht BT, Band 1, Rdnr. 277. 365 BGHSt 13, 207 (208) = JZ 1960, S. 226 m. krit. Anm. Klug; BGHSt 44, 34 (38); BGH v. 19.8.1982 – 4 StR 387/82, NStZ 1982, S. 508 f.; LG Karlsruhe NStZ 1993, S. 543 (544).
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
nem enthalten ist: Während für den Klassenbegriff alles Masse hat, das mehr wiegt als 0 g, beinhaltet die Intension des Ordnungsbegriffs als Intension des Klassenbegriffs Kriterien zur Ordnung dessen, was klassifikatorisch als Masse verstanden werden kann.366 Insofern ein qualitativer Begriff mit Hilfe seines ordinalen Elements „in sich wieder abstufbar“ 367 ist, eignet er sich in formaler Hinsicht als Maßstab der Strafzumessung. cc) Materielle Legitimation Dass der Maßstab auch materiell geeignet ist und zur Bestimmung der Unrechts- und Schuldhöhe oder weiter: des Strafmaßes herangezogen werden darf, ist eine andere Frage, die allein mit dem Vorliegen eines Ordnungsbegriffs in der Verbrechenslehre nicht beantwortet werden kann.368 Als Beispiel sei der Diebstahl, § 242 StGB, genannt. Eine bewegliche Sache ist zumindest in zweierlei Hinsicht komparativ definiert und zwar durch die Ordnungsbegriffe Beweglichkeit und Substanz. Sowohl im Hinblick auf ihre Substanz als auch im Hinblick auf ihre Beweglichkeit muss eine Sache Grenzwerte überschreiten, damit sie vom Tatbestand erfasst wird. Auch wenn deshalb von der beweglichen Sache im Sinne des § 242 Abs. 1 StGB nur dann gesprochen werden kann, wenn bestimmte Grenzwerte der Beweglichkeit und Substanz überschritten sind, kann daraus nicht zwingend geschlossen werden, dass auch das Ausmaß der Überschreitung irgendeine Relevanz für das Unrecht aufweist.369 Was aber unterscheidet dann den Ordnungsbegriff Beweglichkeit etwa von der Erheblichkeit der Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens im Rahmen von § 223 StGB oder der Dauer der Freiheitsentziehung im Sinne des § 239 StGB? Wenn es in § 242 StGB zudem statt auf (weitere) graduelle Abstufungen der Beweglichkeit oder der Sachsubstanz anerkanntermaßen nur auf den Geldwert ankommen soll,370 der ja weder im Begriff der Sache noch für die Strafbarkeit notwendig vorausgesetzt ist und deshalb auch kein Mindestmaß statuiert, liegt nahe, dass sich aus Begriffen in der Verbrechenslehre zwar ein Katalog formell geeigneter Maßstäbe ergibt, der aber offenbar weder abschließend ist noch über die materielle Validität der Maßstäbe eine Auskunft gibt.
366
Vgl. Puppe, FS Armin Kaufmann, S. 15 (27 f.). Puppe, FS Armin Kaufmann, S. 15 (27). 368 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 198 ff. 369 Beispiel nach Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 199. 370 Ständige Rspr., vgl. z. B. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 21. Januar 2009 – 1 Ss 95/08; OLG Hamburg, OLGSt StGB § 47 Nr. 8. 367
I. Grundlagen
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2. Grenzwerthypothese Aus dem sog. „Gesetz von der Grenzwertbestimmung“ ergeben sich weitere Maßstäbe mit formeller Eignung für die Strafzumessung. Die Grenzwerthypothese besagt, dass bereits in der Verbrechenslehre eine graduelle Betrachtung von Unrecht und Schuld zu Grunde gelegt sein kann. Graduelle Unterschiede würden sich hier aber erst dann auswirken, wenn sie bestimmte Grenzwerte erreichen, während sie auf Seite der Strafzumessung die Strafhöhe auch jenseits dieser Werte beeinflussen können.371 Grenzwerte begegneten schon bei den aus Ordnungsbegriffen abgeleiteten Klassenbegriffen.372 Der Grenzwert lag dort allerdings als Definitionselement innerhalb eines Tatbestandsmerkmals. Das Gesetz von der Grenzwertbestimmung geht darüber hinaus, insofern sich die Grenzwertbetrachtung nicht auf den Inhalt eines Tatbestandsmerkmals beschränkt. Vielmehr kommen die Strafbarkeitsvoraussetzungen ungeachtet ihrer ordinalen Abstufbarkeit als Grenzwerte von Unrecht und Schuld in Betracht. Denn als Grenzwerte lassen sich Strafbarkeitsvoraussetzungen immer schon dann verstehen, wenn sie sich auf irgendeiner Schwereskala über einem denkbaren Mindestwert verorten lassen.373 Während die unter 1. b) beschriebenen Grenzwertbetrachtungen durch die Verwendung von Adjektiven und Adverbien an die Extensionen eines anderen (Haupt-)Begriffs gebunden sind und deshalb immer nur die Ausprägungen dieses Begriffs zum Gegenstand haben können, bezieht eine Grenzwertbetrachtung, die danach fragt, ob ein Merkmal als solches einen Grenzwert darstellt, auch den Hauptbegriff mit ein. Damit ist zugleich eine Schwierigkeit verbunden. Würde ein spezieller Tatbestand der Körperverletzung einen tatbestandlichen Erfolg „Beinbruch“ voraussetzen, ließe sich dieser als Grenzwert auf einer Vielzahl von Skalen denken: etwa auf einer Skala der Schwierigkeit der Heilbehandlung, auf einer Skala der körperlichen Beeinträchtigung, auf einer Skala des subjektiven Wohlbefindens usw. All das sind freilich formell geeignete Maßstabe. Die Frage nach ihrer materiellen Validität stellt sich vor dem Hintergrund der Vielzahl von im Rahmen einer abstrahierenden Grenzwertbetrachtung in Betracht kommenden Maßstäben jedoch umso dringender. 371 Mezger, Strafrecht, S. 273, insbes. S. 500; ders., ZStW 47 (1925), S. 471 (485 f.); ders., ZStW 49 (1929), S. 171 (180); s. ferner Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 71; ders., Das Recht der Strafzumessung, S. 43 f.; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 239 ff.; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 167; Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 102 m.w. N. in Anm. 12; – das Gesetz von der Grenzwertbestimmung ist nicht zu verwechseln mit der von Freund, GA 1999, S. 509 (517 ff.), so genannten Grenzwerthypothese, derzufolge die Grenzwerte des Strafrahmens für die denkbar leichtesten bzw. schwersten Fälle vorgesehen sein sollen. 372 Siehe oben C. I. 1. b) bb). 373 Ein Wert 0 lässt sich demgegenüber sprachlich nur schwer als Mindestwert begreifen.
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
3. Methode a) Strafrahmenvergleich mit Blick auf Schweregesichtspunkte Aus der Verbrechenslehre lassen sich materiell gültige Maßstäbe zur Bestimmung des Ausmaßes von Schuld und Unrecht mithin allein mittels Begriffsanalysen bzw. der Abstraktion ordinaler Oberbegriffe nicht herleiten.374 Diese Ansätze ergeben nur, dass Maßstäbe, die mit den Strafbarkeitsvoraussetzungen nichts zu tun haben, weil sie weder die Extensionen der Strafbarkeitsvoraussetzungen betreffen noch diese selbst als Grenzwerte auf einer darüber hinausgehenden Skala erklären, auch materiell nicht aus der Verbrechenslehre gefolgert werden können. Im Übrigen beantworten sie die Frage nicht, welche der in Betracht kommenden formellen Maßstäbe, welche übergeordneten Skalen für die Höhe von Unrecht und Schuld relevant sind. Weil nun die Höhe von Unrecht und Schuld in der Verbrechenslehre allenfalls insofern interessiert, als von dieser das Strafmaß abhängen könnte, bleibt zur Ergründung von materiellen Maßstäben auf dem Boden der Verbrechenslehre nur noch der Vergleich von Rechtsfolgen unter dem Aspekt möglicher Schweregesichtspunkte. Wenn Änderungen der Strafrahmen nicht anders als mit Schweregesichtspunkten erklärt werden können, spräche dies dafür, die zu Grunde liegenden Maßstäbe auch auf die Strafrahmenkonkretisierung zu übertragen.375 Die Abhängigkeit der Rechtsfolge von Schweregesichtspunkten zeigt sich daran, dass zwei unterschiedliche Strafrahmen an mindestens zwei Grenzwerte auf derselben Skala anknüpfen. b) Skalen mit Relevanz für die Infragestellung des Rechts Letztlich müssen sich aber auch derart strafhöhenrelevante Skalen material legitimieren lassen.376 Welche materialen Begründungssysteme insoweit zur Verfügung stehen, wurde im ersten Teil dieser Arbeit bereits dargelegt. Die insoweit gewonnenen Ergebnisse können nun auch für eine Einzelbetrachtung von Unrechts- und Schuldmerkmalen fruchtbar gemacht werden. Sie bieten zunächst einen Interpretationskontext für die durch eine Grenzwertbetrachtung gewonnenen Ergebnisse. Der Grund der Unrechts- und Schuldschwererelevanz muss letztlich aus der Straftheorie abgeleitet werden, auch wenn sich Einzelheiten vielleicht nicht bis zum letzten Detail deduktiv erschließen lassen. So lässt sich fragen, inwiefern die strafhöhenrelevanten Skalen Einfluss auf die
374 Zutr. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 200; dies., in: Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, S. 113 (115 f.). 375 Vgl. Dreher, FS Bruns, S. 141 ff.; Frisch, GA 1972, S. 321 (331). 376 Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (182).
II. Schuldschwere in der Verbrechenslehre
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Infragestellung der faktischen Geltungskraft einer Norm nehmen. Auf diesem Weg ist es möglich, die Infragestellung gegebenenfalls vergleichbar einem Rechtssatz durch seine Anwendung auf lebensweltliche Einzelfälle weiter zu präzisieren.377 Ergeben sich aus einer vergleichenden Grenzwertbetrachtung keine Schlussfolgerungen, können schließlich aus dem präzisierten material-theoretischen Zusammenhang weitere für die Strafzumessung maßgebliche ordinalen Gesichtspunkte hergeleitet, also Faktoren erarbeitet werden, die auf das Ausmaß der Infragestellung des Rechts Einfluss nehmen. In Betracht kommen hier zuvörderst die ordinalen Relevanzen, die sich aus Begriffsanalysen entwickeln lassen. Denkbar ist aber auch, dass manche Skala von der Verbrechenslehre nicht erfasst ist. Was sich aus der Verbrechenslehre nach dieser Methode für die Strafhöhe ableiten lässt, kann im Hinblick auf den hohen Grad verbrechensdogmatischer Ausdifferenziertheit im Folgenden nur summarisch untersucht werden.
II. Schuldschwere in der Verbrechenslehre Besonders deutlich ist die Abhängigkeit des Strafrahmens von Schweregesichtspunkten, die sich auf die Schuld i. e. S. beziehen. 1. Grundlage: Schuld als Vorwerfbarkeit Die traditionelle Auffassung fasst unter der verbrechensdogmatischen Systemkategorie Schuld (Schuld i. e. S.) die Bedingungen dafür zusammen, dem Täter die von ihm begangene Tat als Unrecht vorzuwerfen.378 Schuld sei Vorwerfbarkeit. Der innere Grund für den Schuldvorwurf liege darin, „dass der Mensch auf freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung angelegt und deshalb befähigt ist, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, sein Verhalten nach den Normen des rechtlichen Sollens einzurichten und das rechtlich Verbotene zu vermeiden“.379 Die Kriterien der Schuldunfähigkeit nehmen dementsprechend die Vielzahl derjenigen Sachverhalte in Bezug, die dafür sprechen, dass der Täter unfrei gehandelt hat. Ob er bei einem Fehlen dieser Gründe tatsächlich frei handelt oder nur „als frei behandelt wird“,380 kann hier dahinstehen.381 Denn auf die Frage
377
Instruktiv Geiger, Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts, S. 213 ff., 228. Vgl. Roxin, FS Henkel, S. 171 (172); Schild, Die „Merkmale“ der Straftat und ihres Begriffs, S. 124, der darauf hinweist, dass diese Bedingungen negativ formuliert sind. 379 BGHSt 2, 194 (200). 380 Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 19 Rdnr. 36 ff. 378
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
der Skalierbarkeit des Andershandelnkönnens nach den gesetzlich umrissenen Kriterien der Schuldhaftigkeit wirkt sich dieser Streit nicht aus. Maßgeblich ist allein die Frage, ob den gesetzlich umschriebenen „Unfreiheiten“, die der Schuld entgegenstehen sollen, quantitative Maßstäbe zu Grunde liegen. Als gesichert kann gelten, dass sich das Andershandelnkönnen nicht ebenso als Grenzwert der Schuldschwere verstehen lässt wie etwa der tatbestandlich vorausgesetzte Erfolg als Grenzwert des Unrechts. Während sich nämlich der Erfolgsunwert steigern lässt, spricht in der Verbrechenslehre nichts für eine Steigerbarkeit des Andershandelnkönnens. Ein über die Schuld hinausgehendes Andershandelnkönnen wird hier noch nicht einmal aufgegriffen.382 Einem Verständnis der Kriterien der Schuldhaftigkeit als Grenzwerte steht das aber nur auf den ersten Blick entgegen. Denn anders als das Unrecht ist die Schuld gesetzlich nicht positiv, sondern negativ umschreiben. Wenn die nicht positiv umschriebene Vollform der Schuld sich nicht als Mindestmaß und deshalb Grenzwert auf einer Schwereskala von Schuldsachverhalten verstehen lässt, bleibt immer noch denkbar, dass – umgekehrt – die Konstellationen, in denen Schuld fehlen soll, das Mindestmaß konstituieren, das überschritten werden muss, damit ein Vorwurf legitimiert werden kann.383 Das Mindestmaß wäre demnach immer dann überschritten, wenn Defizite im Bereich der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit nicht vorhanden sind oder nicht so schwer wiegen, dass sie einem Vorwurf entgegenstehen könnten. Ob dieses Verständnis von Schuld in Betracht kommt, soll im Folgenden anhand einiger gesetzlicher Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe geprüft werden. 2. Verbotsirrtum Im schuldausschließenden Verbotsirrtum handelt ein Täter dann, wenn ihm bei der Tat das Unrechtsbewusstsein fehlt.384 Das Unrechtsbewusstsein setzt nach herrschender Meinung die Kenntnis der rechtlichen Wertwidrigkeit des strafbaren Verhaltens voraus,385 mitunter wird auch auf die Kenntnis der Strafrechtswidrigkeit abgestellt.386 Ob ein Täter das rechtliche oder nur strafrechtliche Verbotensein seiner Handlung erkennt, ist auf den ersten Blick eine rein kategorische 381 Aus den vorstehenden Ausführungen B. II. 6. d) ergibt sich jedoch, dass ein ideelles Verständnis von Strafe und Straftat nicht von der Frage der Willensfreiheit, sondern maßgeblich von dem Empfängerhorizont und mithin dem Selbstbild des Menschen bestimmt ist. 382 Eingeh. zur Steigerbarkeit der Schuld außerdem unten E. III. 3. b). 383 Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 101. 384 NK-StGB/Neumann, § 17 Rdnr. 9. 385 Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, § 17 Rdnr. 5 m.w. N. 386 BeckOK-StGB/Heuchemer, § 17 Rdnr. 8; MünchKomm-StGB/Joecks, § 17 Rdnr. 16; NK-StGB/Neumann, § 17 Rdnr. 21; LK11 /Schroeder, § 17 Rdnr. 7; Laubenthal/Baier, GA 2000, S. 205 (207); Otto, Jura 1990, S. 645 (647).
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Frage. Entweder weiß er, dass seine Tat gegen das geltende Recht verstößt, oder er weiß es nicht.387 Will man die in § 17 StGB genannte „Einsicht, Unrecht zu tun“ nicht an ihrem Begriffskern vorbei definieren, scheint der Verbotsirrtum für die Strafzumessung unergiebig. a) Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins Auf den zweiten Blick weist jedoch schon die in der Wissenschaft diskutierte Teilbarkeit des Unrechtsbewusstseins in eine andere Richtung. Interessant ist hier insbesondere die horizontale Teilbarkeit, die Fehlvorstellungen bezüglich der Quantität des verwirklichten Unrechts betrifft: „Wer einen Raub begeht, mag auf Grund eines erheblichen Rechtsirrtums nicht wissen, dass er zugleich eine Qualifikation iSd. §§ 250 StGB ff. erfüllt.“ 388 Die Frage, ob das Unrechtsbewusstsein auch bei Fehlvorstellungen im Hinblick auf die Quantität des Unrechts teilbar ist, wird kontrovers beurteilt.389 Während einige Autoren den Quantitätsirrtum für unbeachtlich halten,390 sprechen ihm andere mit Verweis auf die Abschreckungsfunktion der Strafhöhe und parallelen Strukturen des Vorsatzes Bedeutung zu.391 Zwar fällt es nicht schwer, entsprechende Fehlvorstellungen über die Unrechtsrelevanz von Quantitäten auch auf die Strafrahmenkonkretisierung zu übertragen. Aber hier muss die Differenzierung mit Blick auf die Umstrittenheit der Frage als hinreichender Beleg für eine strafhöhenrelevante Skalierbarkeit der Schuld ausscheiden. b) Vermeidbarkeit Im Rahmen des Verbotsirrtums – wie nach mancher Auffassung auch generell im Hinblick auf die Einsichtsfähigkeit – kommt es jedoch noch auf einen weiteren Aspekt an, der quantitativer Bewertung ohne Weiteres zugänglich ist. § 17 S. 2 StGB knüpft an eine herabgesetzte, aber nicht völlig fehlende Fähigkeit zur Vermeidung des Irrtums eine fakultative Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB. Weil an die Unvermeidbarkeit besonders strenge Anforderungen gestellt werden,392 bleibt in der Praxis viel Raum für die Anwendung der genannten Vorschriften. Die Entscheidung über die Strafmilderung hat das Gericht nach pflicht387 Vgl. NK-StGB/Neumann, § 17 Rdnr. 83; insofern kommt allenfalls ein graduelle Betrachtung bei Zweifeln und Unsicherheiten über die Verbotenheit eines Verhaltens in Betracht. 388 BeckOK-StGB/Heuchemer, § 17 Rdnr. 10 f. 389 MünchKomm-StGB/Joecks, § 17 Rdnr. 19. 390 HK-GS/Duttge, § 17 Rdnr. 8; NK-StGB/Neumann, § 17 Rdnr. 37. 391 MünchKomm-StGB/Joecks, § 17 Rdnr. 19 bzw. BeckOK-StGB/Heuchemer, § 17 Rdnr. 10 f. 392 NK-StGB/Neumann, § 17 Rdnr. 60 und MünchKomm-StGB/Joecks, § 17 Rdnr. 40 jeweils m.w. N.
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
gemäßem, auf das Vermeiden bezogenem Ermessen zu treffen. Dabei rückt neben anderen Aspekten mit dem Grad der Erkennbarkeit oder der Selbstverständlichkeit der Pflicht, gegen die verstoßen wurde, auch das Ausmaß der Möglichkeiten in den Blickpunkt, den Irrtum zu vermeiden.393 Das Ermessen greift damit einen Aspekt auf, der auch der in § 17 S. 1 StGB vorausgesetzten Unvermeidbarkeit zu Grunde liegt. Der Bundesgerichtshof führt aus, ein Mensch müsse sich bei alldem, was er zu tun im Begriff steht, die Frage stellen, ob sein Verhalten mit den Sätzen des rechtlichen Sollens in Einklang steht. Hierzu bedürfe es der Anspannung des Gewissens, deren Maß sich nach den Umständen des Falles und nach dem Lebens- und Berufskreis des Einzelnen richtet.394 Auch wenn die vorausgesetzte Anspannung des Gewissens in der Literatur mit Recht in die Kritik geraten ist,395 herrscht doch Einigkeit darüber, dass bei der Frage, was der Täter leisten muss, um die Verbotenheit seines Verhaltens in Erfahrung zu bringen, auch graduelle Aspekte – etwa der Aufwand, der zur Vermeidung des Irrtums hätte betrieben werden müssen –, bedeutsam sind.396 Ausschlaggebend sei nämlich der Umfang der Sorgfaltspflicht, der individuell zu bemessen sei397 und sich aus den konkreten Umständen des Falles und insbesondere dem Lebens- und Berufskreis des einzelnen ergeben solle.398 Dementsprechend kann die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums als Grenzwert auf einer Skala verstanden werden, die auch § 17 S. 2 StGB zu Grunde liegt. Skalierbar ist mithin weniger das Unrechtsbewusstsein als solches als die Vermeidbarkeit seines Fehlens. 3. Seelische Störungen und geistige Reife Ohne Schuld handelt nach § 20 StGB, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln. Angesichts der Vielzahl individueller seelischer Störungen liegt auf der Hand, dass die Schwierigkeit, trotz der Störung zu einem Unrechtsbewusstsein zu gelangen und nach diesem zu handeln, in dem einen Fall größer ausfallen kann als
393
Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 17 Rdnr. 26. BGH 2, 194 (201); Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 17 Rdnr. 14 395 HK-GS/Duttge, § 17 Rdnr. 17; Otto, Jura 1990, S. 645 (649); Rudolphi, Unrechtsbewußtsein, S. 223 ff.; Zabel, GA 2008, S. 33 (42). 396 Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 17 Rdnr. 27 m.w. N. 397 MünchKomm-StGB/Joecks, § 17 Rdnr. 43; Lackner/Kühl, § 17 Rdnr. 7; LK11 / Schröder, § 17 Rdnr. 3; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 17 Rdnr. 17. 398 OLG Frankfurt NJW 64, S. 508 (509); Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, § 17 Rdnr. 17. 394
II. Schuldschwere in der Verbrechenslehre
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in dem anderen. Dass § 20 StGB als Sonderfall des unvermeidbaren Verbotsirrtums interpretiert wird,399 deutet schon darauf hin, dass hier ebenfalls graduelle Aspekte in den Blickpunkt rücken müssen.400 Schon ein oberflächlicher Blick in Kommentarliteratur und Rechtsprechung reicht denn auch aus, um Quantitäten ausfindig zu machen. Im Vordergrund der Auslegung auch des § 20 StGB steht die normative Frage401 nach dem Gewicht der seelischen Störung und der von ihr ausgehenden Beeinträchtigung der Möglichkeit, Unrechtseinsicht zu erlangen. Für die Abgrenzung zwischen § 20 StGB und der in § 21 StGB statuierten Minderform der Schuldunfähigkeit aufgrund seelischer Störungen ist eine quantitative Bewertung erforderlich.402 Parallel dazu verhalten sich die § 3 S. 1 JGG und § 19 StGB. Vor dem Hintergrund des § 3 S. 1 JGG ist auch § 17 StGB als Grenzwert zu verstehen – und zwar auf einer Skala der geistigen Reife des Jugendlichen. Diese Vorschriften stehen in einem engen Zusammenhang mit den §§ 20 f. StGB. Mit der Bezugnahme auf die Steuerungsfähigkeit gehen die §§ 20 f. StGB sowohl über § 17 als auch § 19 StGB und § 3 JGG hinaus.403 Auch die Steuerungsfähigkeit (Hemmungsvermögen) ist aber letztlich parallel zur Einsichtsfähigkeit auf eine Quantifizierung angewiesen. Dementsprechend sei es Aufgabe der Gutachter, „die ihrer Disziplin zugänglichen Befunde zur Anomalität unter psychopathologischem Aspekt wie auch im Hinblick auf sonstige psychische Besonderheiten der Tatentstehung mitzuteilen und möglichst nachvollziehbar zu quantifizieren (Hervorhebung nicht im Original).“ 404 Es gehe „um den Grad der Abweichung vom Normalen, wobei besonders auf das ,Steuerungsgefüge‘ bzw. ,Motivationsgefüge‘, d. h. auf die Struktur der Steuerungsmechanismen des Täters,“ abzustellen sei.405 Es bedarf hier keiner weiteren Vertiefungen. Die Kriterien der Schuldfähigkeit hängen in hohem Maße von Quantifizierungen ab, lassen sich deshalb ohne Mühen als Grenzwerte im Sinne der Grenzwerthypothese verstehen; der Einfluss des Quantitativen auf die Strafhöhe wird durch entsprechende Strafrahmenmodifizierungen belegt. Die Berücksichtigung der Schuldschwere in der Praxis der
399 Vgl. BGH, Beschl v 1.3.2011 – 3 StR 22/11; Schönke/Schröder/Perron, § 20 Rdnr. 4; MünchKomm-StGB/Streng, § 20 Rdnr. 17. 400 Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 119 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 426; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 170. 401 MünchKomm-StGB/Streng, § 20 Rdnr. 13, 18. 402 Vgl. schon den Wortlaut „erhebliche (Hervorhebung nicht im Original) Verminderung“, s. ferner BGH NJW 1997, S. 3101 (3102). 403 MünchKomm-StGB/Streng, § 20 Rdnr. 51. 404 MünchKomm-StGB/Streng, § 20 Rdnr. 63 m.w. N. 405 MünchKomm-StGB/Streng, § 20 Rdnr. 64 m.w. N.
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
Strafzumessung ist deshalb konsequent und folgt bereits aus der Verbrechenslehre.406 4. Entschuldigungsgründe Die Interpretation der Entschuldigungsgründe als Grenzwerte bereitet schon deshalb Schwierigkeiten, weil über ihre Hintergründe gestritten wird.407 In Bezug auf § 35 StGB wird unter anderem auf einen übermächtigen Motivationsdruck verwiesen,408 auf präventive Erwägungen409 oder auf kontraktualistische Pflichtenstellungen.410 Die wohl herrschende Meinung führt sowohl § 33 StGB als auch § 35 StGB auf zwei Gründe zurück. Zum einen liege in den Situationen einer Notwehrüberschreitung und eines entschuldigenden Notstands ein erhöhter Motivationsdruck vor, zum anderen sei zugleich der Unwert der Tat gemindert. Kumuliert rechtfertigten beide Aspekte ein erhöhtes Verständnis für die Tat, auf das sich dann die Entschuldigung stützen lasse.411 Auf dem Boden dieser Meinung bereitet jedenfalls nach dem bisher Gesagten ein Verständnis des entschuldigenden Notstands als Grenzwert keine besonderen Schwierigkeiten mehr. Während für den Aspekt des Erfolgswerts nach unten verwiesen werden kann (Unrecht),412 fällt es nicht schwer, unter dem Motivationsgesichtspunkt die von § 35 StGB erfassten Situationen als besonders intensiv zu verstehen. Der entschuldigende Notstand würde dann zwei Grenzwerte beinhalten, die zwar auf verschiedenen Skalen (Erfolgsunwert und Motivationsdruck) liegen, deren Relevanz für die Strafhöhe aber jeweils durch weitere Grenzwerte im Bereich des Unrechts bzw. der Schuld belegt wird.
III. Strafhöhenrelevante Faktoren im Bereich des Unrechts Nicht nur im Bereich der Schuld, auch und besonders im Bereich des Unrechts ergeben sich Skalen, die für die Strafzumessung fruchtbar gemacht werden kön406 Vgl. BGH NStZ 1992, S. 381; BGH v. 8.5.2001 – Az. 1 StR 35/01; vgl. – vor dem Hintergrund des formellen Zusammenhangs zwischen Strafbegründung und Strafzumessung – ferner Hörnle, in: Tatproportionalität, S. 99 (125). 407 Überblick bei Pawlik, JbRE 11 (2003), S. 289 (299 ff.). 408 RGSt 66, 222 (225); 66, 397 (398); Bockelmann, Strafrechtliche Untersuchungen, S. 84 f.; Henkel, FS Mezger, S. 249 (291 ff.); diesen Aspekt hervorhebend auch Rengier, Strafrecht AT, § 26 Rdnr. 1. 409 Jakobs, Strafrecht AT, 20/4; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 22 Rdnr. 6, 11–13; Schünemann, GA 1986, S. 293 (300 f.); Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, S. 297 ff.; T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 135. 410 Momsen, Die Zumutbarkeit als Begrenzung strafrechtlicher Pflichten, S. 168. 411 Vgl. zu § 35 etwa Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff.; Schönke/Schröder/Perron, § 35 Rdnr. 2; SK-StGB/Rogall, § 35 Rdnr. 3; zu § 33 NK-StGB/Kindhäuser, § 33 Rdnr. 5 m.w. N. 412 Siehe sogleich unten III. 1.
III. Strafhöhenrelevante Faktoren im Bereich des Unrechts
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nen. Darauf, dass es leichtere und schwerere Grade des Unrechts gibt, hat besonders Kern in den 50er Jahren hingewiesen.413 Heute gehört diese Erkenntnis zu einer strafzumessungsrechtlichen Selbstverständlichkeit.414 1. Wert des angegriffenen Rechtsguts Dass zur Konkretisierung der Strafrahmen der Wert des verletzten, gefährdeten oder angegriffenen Rechtsguts für die Höhe des Unrechts eine entscheidende Größe ist, findet gemeinhin Anerkennung.415 Grenzwerte, die strafhöhenrelevante Skalen offenlegen, lassen sich im StGB leicht auffinden. Als Anknüpfungspunkt kommen zunächst ordinal skalierbare tatbestandliche Erfolge in Betracht. Wie sich an den Beispielen der §§ 223 Abs. 1 und 303 StGB gezeigt hat,416 kann bereits das Gegebensein eines tatbestandlichen Erfolgs von einer schweremäßigen Bewertung abhängen und der Erfolg insofern als Grenzwert auf einer Skala der Schwere eines klassifikatorischen Begriffsmerkmals (in den Beispielen: Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, Beschädigen der Sache) definiert sein. Allein eine Betrachtung der Rechtsfolgen, die an die Erreichung dieses Grenzwerts anknüpfen (Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bzw. Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe), erlaubt jedoch keinen Schluss darauf, dass Werte, die diese Grenzwerte übersteigen, mit einer vergleichsweisen höheren Strafe zu belegen sind. Dies ergibt sich schlichtweg daraus, dass der Tatbestand nur voraussetzt, dass der Grenzwert entweder erreicht oder überschritten wird, ohne an weitere Differenzierungen anzuknüpfen.417 a) Grundtatbestand und Qualifikation/Privilegierung Anders verhält es sich jedoch dann, wenn ein weiterer Wert auf der von dem ordinalen Begriff offen gelegten Skala ceteris paribus zu einer anderen (höheren oder geringeren) Strafe führen soll. Ein zweiter Wert findet sich nicht selten, so für die bislang genannten Beispiele: bezüglich § 239 StGB dessen Abs. 3 Nr. 1 413
Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 ff. Vgl. BGHSt 10, 35 (40); Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 394; Gallas, ZStW 67 (1955), S. 1 (30); Hardwig ZStW 68 (1956), S. 14 (28); Horn, Verbotsirrtum und Vorwerfbarkeit, S. 168; Lenckner, Notstand, S. 32 ff.; Maiwald, FS Gallas, S. 137 (146, 148); Marx, Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut“, S. 73; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 166 ff.; Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, S. 43; Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (182); ders., ZStW 77 (1965), S. 1 (13); Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale im Strafrecht, S. 206 ff.; Wagner, GA 1972, S. 33 (41). 415 BGH NJW 1953, S. 36; Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (261); Koffka, JR 1955, S. 322 (323); Lenckner, Notstand, S. 32 ff.; Noll, ZStW 68 (1956), S. 181, 183; ders., FS Mayer, S. 210 (220, 230); Schaffstein, FS Gallas, S. 99 (109 f.). 416 Siehe oben I. 1. b) bb). 417 Vgl. Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (263). 414
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
mit „länger als eine Woche der Freiheit beraubt“ ein Wert, der auf einer Skala der Dauer der Freiheitsentziehung höher liegen muss als „nicht nur kurzfristig“ 418, in den Erfolgen des § 226 StGB Werte, die schwerer wiegen als „nicht nur unerheblich“ 419 oder – weiter gehend – auch der Todeserfolg der §§ 227 und 212 StGB, der sich im Lichte der so genannten Einheitsthese420 als schwerste Form der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität verstehen lässt. Schwieriger ist demgegenüber ein Vergleich der Rechtsfolgen bei der Sachbeschädigung, weil etwa in den §§ 305, 305a, 306 StGB nicht nur vorausgesetzt ist, dass eine Sache zumindest ganz oder teilweise zerstört wird, was schwerer wiegt als eine nicht nur geringfügige Beeinträchtigung der bestimmungsmäßigen Brauchbarkeit421, sondern darüber hinaus erforderlich ist, dass eine bestimmte Sache von der schädigenden Handlung betroffen ist. Ein hinreichender Beleg für die Strafhöhenrelevanz der Erfolgsschwere lässt sich aus einem Vergleich dieser Tatbestände deshalb noch nicht herleiten, aber doch ein Indiz.422 Denn warum sollte es für die Schwere des Unrechts auf den Grad der Funktions- oder Substanzbeeinträchtigung nur dann ankommen, wenn zugleich eine nach den Vorstellungen der Allgemeinheit besonders wichtige Sache betroffen ist? Die Relevanz der Erfolgsschwere ergibt sich in den genannten Beispielen immer aus dem erfolgsqualifizierten Delikt. Grundsätzlich weist nach dem gleichen Schema jedes erfolgsqualifizierte Delikt, welches das grundtatbestandlich geschützte Rechtsgut aufgreift, auf die verbrechensdogmatische Relevanz einer Schwerebewertung hin.423 Besondere Bedeutung hat dabei die Todesfolge, die sich – bei entsprechend weitem Verständnis vom „Rechtsgut“ – immer als schwerste Ausprägung aller denkbaren Rechtsgutsverletzungen verstehen lässt. So lässt sich der Todeserfolg nicht nur bei § 227 StGB als schwerste Beeinträchtigung der körperlichen Integrität (Einheitstheorie), sondern auch bei § 240 Abs. 3 StGB als schwerste Beeinträchtigung des bereits vom Grundtatbestand geschützten Rechtsguts der Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit verstehen, weil mit dem Tod im Übrigen alle individuellen Freiheiten abgeschnitten werden, die man denkbar ausüben und strafrechtlich schützen könnte.
418 Vgl. zu dieser quantitativen Einschränkung BGH, NStZ 2003, S. 371; 2010, S. 515 (516); SK-StGB/Horn/Wolters, § 239 Rdnr. 3; NK-StGB/Sonnen, § 239 Rdnr. 19; Park/Schwarz, Jura 1995, S. 294 (297). 419 Vgl. oben Anm. 364. 420 Für die herrschende Meinung BGHSt 44, 196 (199); Lackner/Kühl, § 212 Rdnr. 7 f.; Krey/Heinrich, Strafrecht BT, Rdnr. 230 jeweils m.w. N. 421 BGHSt 13, 207 f.; Fischer, § 303 Rdnr. 6; Lackner/Kühl, § 303 Rdnr. 3; Schönke/Schröder/Stree, § 303 Rdnr. 8, 8c m.w. N. 422 Vgl. Kudlich/Noltensmeier/Schuhr, JA 2010, S. 342 ff. 423 Hier handelt es sich gewissermaßen um „innertatbestandliche“ Qualifikationen, vgl. Bloy, ZStW 107 (1995), S. 576 (584).
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b) Quervergleiche Diese Sichtweise lenkt den Blick auf einen weiteren, übergeordneten Maßstab, der sich aus einem Vergleich von Strafrahmen, die unterschiedliche Rechtsgüter schützen und deren Voraussetzungen nicht in einem Verhältnis der Spezialität zueinander stehen, ergeben könnte. Derartige „Quervergleiche“ sind aus historischen Gründen zwar nur bedingt aussagekräftig im Hinblick auf einzelne Aspekte einer Schwerebewertung.424 Aber immerhin lassen sich doch grobe Anhaltspunkte aus einem solchen tatbestandsübergreifenden Vergleich herleiten. So zeigt sich, dass ein Angriff auf das Rechtsgut Leben die schwerste der Strafen, lebenslange Freiheitsstrafe, zur Folge haben soll (s. §§ 211, 251, 306c und – mittelbar – auch § 80 StGB), während Angriffe auf andere Rechtsgüter – mit Ausnahme des von § 81 StGB geschützten – mit geringerer Strafe bedroht sind. Unter Einbeziehung auch der Abstufungen von Strafrahmen, die an Angriffe auf identische Rechtsgüter anknüpfen,425 könnte geschlussfolgert werden, dass über die Höhe der Strafe (letztlich) das Ausmaß des durch eine Straftat bewirkten Freiheitsverlustes entscheidet. Wer getötet wird, verliert nicht nur sein Leben, sondern alle andere Freiheiten, die das Leben mit sich bringt; wer länger als zwei Wochen eingesperrt ist, muss auf mehr Freiheiten verzichten als derjenige, der nur kurz festgehalten wird und wer Opfer einer schweren Köperverletzung wird, muss sich gegebenenfalls auch auf solche Aktivitäten beschränken, die ihm bei Verletzungen geringeren Ausmaßes nicht oder nicht in gleichem Maße verwehrt gewesen wären. Wenn die Relevanz des Ausmaßes der mit einer Straftat einhergehenden Freiheitsbeschränkung aus dem Gesamtsystem hergeleitet werden kann, so bedarf es jedenfalls dann keines weiteren Wertes auf einer hierarchisch untergeordneten Skala mit Bezug zu dieser Freiheit mehr, wenn sich eine solche Skala schon aus einem ordinalen Begriff im Rahmen eines Tatbestands herleiten lässt. So ließe sich für die Sachbeschädigung rechtfertigen, dass der – freilich noch näher zu bestimmende – Grad der Beschädigung der Sache auch dann relevant wäre, wenn ihn der Gesetzgeber mit weiteren Tatbeständen nicht weiter differenziert hätte. Und auch dann, wenn es an ordinalen Begriffen fehlt, die eine Skala offenlegen, kann der Maßstab der Freiheitsbeschränkung die Relevanz augenscheinlich außerhalb straftatdogmatischer Begriffsintensionen liegender Ordnungen erklären. Gehen die Verwirklichungen eines Deliktstatbestandes stets mit graduell unterschiedlich ausgeprägten Beschränkungen (Verletzungen) eines strafrechtlich geschützten Freiheitstypus einher, so wird suggeriert, dass auch deren Grad für die Strafzumessung relevant sein muss. So liegt es beim Sachwert im Rahmen des § 242 Abs. 1 StGB. Die Wegnahme von Sachen, die im Eigentum (auch) eines 424 Hörnle, in: Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, S. 113 (117); Freund, GA 1999, S. 509 (514). 425 Vgl. Vogel, Juristische Methodik, S. 154.
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anderen stehen, beschränkt stets dessen freiheitliche Selbstverwirklichung mit diesen Sachen und dies gilt in aller Regelmäßigkeit auch nach individuellen Maßstäben umso mehr, je größer der ihr innewohnende Sachwert ausfällt.426 c) Beeinträchtigung des Rechtsguts Freilich muss sich der Maßstab „Freiheit“ auch messen lassen an der für richtig befundenen Konzeption der Strafe. Sie wird hier als Antwort auf die Straftat verstanden, die – ohne Strafe – auf die kognitiven Erwartungen in der Gemeinschaft Einfluss haben könnte und insofern eine Infragestellung des Rechts darstellt. Dass das Ausmaß einer solchen Infragestellung vom Wert des materiellen Gegenstands der Verhaltenserwartung abhängen muss, wurde schon zuvor ausgeführt.427 Die entscheidende Ausgangsgröße muss insofern, nicht nur weil sie die einzige ist, die allen Rechtsgütern zu Grunde liegt428, das Ausmaß der durch eine Straftat bedrohten realen Freiheit sein, deren Abstraktion durch die strafrechtliche Norm gesichert werden soll.429 Denn mit dem Wert der geschützten Freiheitsposition steigt automatisch auch der Freiheitswert der diesbezüglichen Erwartungen (Erwartungssicherheit) als solcher.430 Daraus erklärt sich, dass der Wert der angegriffenen konkreten Freiheitsposition jedenfalls im Lichte des hier zu Grunde gelegten Sinns der Strafe eine entscheidende Größe auch der Strafzumessung ist. Das Angriffsobjekt und seine Bedrohung bilden die Grundgröße al426 Friauf, Juristische Analysen 1970, S. 299, 307 f.; Sammler, Eigentum und Währungsparität, S. 50. 427 Siehe oben B. II. 6. d) cc). 428 Vgl. zu dem personalen freiheitlichen Kriterium des Rechtsgutsbegriffs Hohmann, Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 71; ders., GA 1992, S. 76 (77 f.); Marx, Definition des Begriffs Rechtsgut, S. 40; Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung im Strafrecht, S. 125; Rudolphi, FS Honig, S. 151 (164); vgl. bezüglich kollektiver Rechtsgüter ferner Pawlik, Der rechtfertigende Notstand, S. 131 m.w. N. 429 Auf das Ausmaß der Intensität des Angriffs auf das notwendig abstrakte Rechtsgut (vgl. dazu etwa Schmidhäuser, FS Engisch, S. 433 [443 ff., 445]) stellen ebenfalls ab: H. J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 53; Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (182); Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (191); Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 205 ff.; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, Band 1, § 17 Rdnr. 27; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 256 f.; wie hier (abstraktes) Freiheitsinteresse auch Timpe, Strafmilderungen des Allgemeinen Teils des StGB und das Doppelverwertungsverbot, S. 101 Anm. 39 a. E.; kritisch und m.w. N. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 210: Eine so abstrakte Größe sei nicht quantifizierbar. Dem kann jedoch entgegengehalten werden, dass sich die letztlich maßgebliche abstrakte Größe regelmäßig im Konkreten widerspiegelt, aber doch von anderen, auf höherer Abstraktionsebene liegenden Faktoren (z. B. der Einstellung des Täters bei der Tat) überlagert bzw. korrigiert werden kann. Der Ansatz Hörnles kann denn auch die Relevanz dieser Faktoren nicht erklären. 430 Vgl. dazu in empirischer Hinsicht: Köcher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 91 v. 18. April 2012, S. 5.
III. Strafhöhenrelevante Faktoren im Bereich des Unrechts
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ler Infragestellungen, die mit strafrechtlich relevanten Normbrüchen einhergehen. Die teilweise bestrittene431 Bedeutung des Erfolgswerts im Rahmen der Strafzumessung folgt, soweit der eingetretene Erfolg nicht bereits das Gefährdungspotential der Handlung indiziert, zumindest aus seinem kognitiven Wert, mit dem die ideelle, aber doch ihrem Sinn gemäß letztlich auf gegenständliche Freiheitspositionen bezogene Infragestellung erst deutlich zu Tage tritt.432 Das soll hier aber nicht weiter vertieft werden. Ist demnach das Ausmaßes des Freiheitsverlustes entscheidende Größe und Maßstab für die Strafhöhe, stellt sich freilich nicht nur die Frage, wie dieser Freiheitsverlust konkretisiert werden muss, etwa ob dieser individuell oder generell zu bestimmen sind,433 sondern auch in welchen Grenzen. Zu dieser Frage könnte die Verbrechenslehre ebenfalls Stellung beziehen, die allerdings vor dem Hintergrund eines Meinungsstreits erst an späterer Stelle diskutiert werden soll.434 2. Die Intensität des Angriffs – Gefährlichkeit Ebenfalls ist die von dem Erfolg im Prinzip unabhängige Intensität des Angriffs anerkanntermaßen eine Größe, die auf die Höhe des Unrechts Einfluss nehmen kann.435 Im Kern geht es hier um eine Skalierung der objektiven Zurechnung, in deren Rahmen es auf die dem Täter zurechenbare Gefahrenschaffung ankommt. a) „Gefahrengrade“ Hinsichtlich der Intensität des Angriffs können zunächst verschiedene Gefahrengrade unterschieden werden. Eine strafrahmenmodifizierende Abstufung im Hinblick auf den Grad der Gefahr findet sich z. B. im Vergleich der § 316 Abs. 1 StGB mit § 315b oder § 315c StGB. Auch diese Normen könnten zwei denkbare Grenzwerte auf derselben Skala statuieren, die nicht den Verletzungserfolg, sondern die Gefährlichkeit betreffen. In Bezug auf § 316 StGB spricht man von abstrakter Gefahr,436 in Bezug auf § 315 c und b StGB von konkreter Gefahr.437 Es 431 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 46 f.; Jakobs, Strafrecht AT, 6/69 ff.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 143 f., 214 f.; ausführlich dazu Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 201 ff. 432 Frisch, GA 2014, Heft 9 bei Anm. 32; vgl. oben B. II. 5. c). 433 Auch diese Fragen sind, wie der Streit im Rahmen des § 226 StGB zeigt (vgl. m.w. N. Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, § 226 Rdnr. 2), schon in der Verbrechenslehre thematisiert. 434 Siehe unten D. I. 1. 435 Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (758 ff.); Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 129, 260 ff., 265 ff.; Kern, ZStW 64 (1952), S. 255, (260); Koffka, JR 1955, S. 322 (323). 436 Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, passim; NKStGB/Zieschang, § 316 Rdnr. 1 m.w. N.
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wäre denkbar, dass beide Begriffe Durchgangsstufen auf dem Weg zur Erfolgsverwirklichung darstellen, die sich auf einer Skala der Erfolgswahrscheinlichkeit verorten lassen.438 Gleichwohl wäre für eine quantitative Erfassung innerhalb der abstrakten Gefährlichkeit mit einer solchen Konstruktion nichts gewonnen.439 Wenn es nämlich zu einer konkreten Gefahr oder zu einem Verletzungserfolg gekommen ist, wird das abstrakte Wahrscheinlichkeitsurteil vom konkreten gerade nicht verdrängt. Die abstrakte Gefahr verhält sich zur konkreten nicht ebenso wie letztere zum Verletzungserfolg. Angenommen eine fahrlässige Tötung geschieht im Fall A durch eine nur geringfügige Überschreitung und im Fall B durch eine erhebliche Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit auf einer Landstraße. Es soll gelten, dass statistisch Handlungen des Typs A in einem und Handlungen des Typs B in neun von 100 Fällen ein Menschenleben kosten. Die abstrakte Gefahr des Erfolgseintritts ist im Fall A deshalb geringer zu veranschlagen als im Fall B. Gleichwohl beträgt die konkrete Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts in den Fällen A und B exakt 100 %, sofern der Erfolg nun einmal eingetreten ist. Gegen eine Gleichbehandlung spricht aber schon das Rechtsgefühl und die Praxis der Strafzumessung würde diesem durch Differenzierungen im Hinblick auf das „Maß der Pflichtwidrigkeit“ (§ 46 Abs. 2 S. 2 StGB) Rechnung tragen. Das bedeutet letztlich, dass die konkrete und die abstrakte Gefahr jeweils nicht als Wert auf ein und derselben Skala verstanden werden können. Sie müssen stattdessen auf unterschiedlichen Skalen (etwa ex post und ex ante Wahrscheinlichkeit440) verortet werden. Im Ergebnis kann also auch aus einer vergleichenden Betrachtung von Strafrahmen abstrakter und konkreter Erfolgsdelikte nichts gewonnen werden. Schlüsse über die Relevanz des Gefährlichkeitsgrades auch bei Erfolgsdelikten sind vielmehr erst dann erlaubt, wenn verschiedene Grade der durch eine Handlung bewirkten abstrakten Gefahr erkennbar mit unterschiedlich hoher Strafe bedroht sind.
437 Vgl. etwa Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Hecker, § 315b Rdnr. 31; MünchKomm-StGB/Pegel, § 315b Rdnr. 89 ff. jeweils m.w. N.; s. ferner mit weiter gehenden Differenzierungen H. J. Hirsch, FS Arthur Kaufmann, S. 545 (548 f., 557); ders., FS Buchaa, S. 151 (155); Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 250 ff. 438 Cramer, Der Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 68 f.; vgl. ferner Schönke/Schröder/Perron, § 34 Rdnr. 28; KK-OWiG/Rengier, § 16 Rdnr. 30 ff.; Sieghörtner, Internationales Strassenverkehrsunfallrecht, S. 180. 439 Vgl. Brehm, Zur Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte, S. 80 ff.; vgl. ferner Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 250 ff. jeweils m.w. N. 440 Vgl. dazu Silva Sánchez, FS Hassemer, S. 625 ff. (633 ff.).
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b) Vorsatz und Fahrlässigkeit Kategorien mit unterschiedlichen Graden abstrakter Gefahr stellen möglicherweise die Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikte dar. An vorsätzliche Begehungsweisen sind durch entsprechende Strafrahmen immer auch höhere Strafquanten geknüpft als an fahrlässige.441 Von vorsätzlichen Angriffen lässt sich prima facie sagen, sie führten in viel mehr Fällen zu Verletzungserfolgen als Verstöße gegen zum Schutz desselben Rechtsguts aufgestellte Sorgfaltspflichtverletzungen.442 Ein Beleg für die Maßgeblichkeit des Ausmaßes der abstrakten Gefahr für das Strafmaß kann das gleichwohl nicht sein, weil die Abgrenzung von Vorsatz- und Fahrlässigkeit und die Frage, inwiefern den beiden Begehungsarten ein gemeinsamer Maßstab zu Grunde liegt, höchst umstrittene Themen sind.443 Ob sich vor diesem Hintergrund die Fälle mit Tötungsvorsatz auf der einen, die Verletzung von Sorgfaltspflichten mit Bezug zum Rechtsgut Leben auf der anderen Seite (ausschließlich) im Hinblick auf das Ausmaß der abstrakten Gefahr unterscheiden, muss aber auch vor dem Hintergrund der straftheoretischen Grundlegung bezweifelt werden. Die Strafhöhenrelevanz der Gefährlichkeit kann deshalb nicht eindeutig aus dem Strafrahmengefälle zwischen vorsätzlichen und fahrlässigen Taten gefolgert werden. c) Art und Weise der Tatausführung Demgegenüber verfängt ein Vergleich von Grundtatbeständen mit Qualifikationstatbeständen und zwar solchen, die die Art und Weise der Tatausführung betreffen, schon eher. Das soll am Beispiel des § 224 Abs. 1 StGB verdeutlicht werden. Die hier genannten Voraussetzungen betreffen allesamt Tatmodalitäten mit Relevanz für die Bewertung der Gefährlichkeit der Körperverletzungshandlung für das grundtatbestandlich geschützte Rechtsgut der körperlichen Integrität. Das Erfordernis einer konkreten Gefahr einer erheblichen Gesundheitsschädigung in Bezug auf manche der in § 224 Abs. 1 StGB aufgezählten Modalitäten statuiert nur eine zusätzliche Voraussetzung, die neben die (abstrakte) Gefährlichkeit der umschriebenen Begehungsweisen treten muss. Käme es nur auf das Gefahrenmoment an, hätte der Gesetzgeber auf eine Beschreibung der tatbestandlichen Handlung auch verzichten können.444 Erforderlich ist deshalb in jedem Fall des § 224 441 Hörnle, in: Tatproportionalität, S. 99 (116); Timm, Gesinnung und Straftat, S. 154; vgl. ferner Fischer, § 15 Rdnr. 19. 442 Zur Relevanz der Gefährlichkeit bei der Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 263. 443 Vgl. dazu unten 6. 444 Vgl. NK-StGB/Paeffgen, § 224 Rdnr. 3; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, § 224 Rdnr. 1a.
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Abs. 1 StGB, dass die Körperverletzungshandlung im Vergleich zu anderen Begehungsweisen (abstrakt) gefährlicher ist. Vergleicht man z. B. einen leichten Schlag mit dem Handrücken auf die Brust des Opfers mit der Beibringung von Gift, d.h. eines organischen oder anorganischen Stoffes, der unter bestimmten Bedingungen durch chemische oder chemisch-physikalische Wirkung geeignet ist, erhebliche Gesundheitsschädigungen herbeizuführen,445 zeigt sich in dieser Hinsicht der für eine Strafbarkeit aus dem höheren Strafrahmen maßgebliche Unterschied im Ausmaß des Schädigungspotentials beider Handlungen. Dazu gehört nicht nur die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt zu einer Verletzung kommt, sondern auch die Wahrscheinlichkeit einer gewissen Verletzungsschwere. Entsprechendes gilt für die Körperverletzung mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Gegenstandes, für die Körperverletzung mittels eines hinterlistigen Überfalls und für die Körperverletzung, die mit einem anderen gemeinschaftlich begangen wird. In jedem dieser Fälle ist die sogenannte Ausführungsgefahr schon typischerweise erhöht, wobei der Typus jeweils durch bestimmte Eigenschaften der Körperverletzung umschrieben wird. Letztlich betrifft das auch und insbesondere die Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung, wobei hier der Typus nach herrschender Meinung durch Eigenschaften der konkreten Handlung, mithin nicht abstrakt-generell definiert ist. Jedoch kommt es auch im Fall des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nach zutreffender Auffassung nicht lediglich auf die konkrete Gefahr einer Lebensgefährdung an, sondern (auch) auf eine abstrakte Würdigung der Handlung unter Einbeziehung der konkreten Umstände.446 Durch das Fehlen einer abstrakten Beschreibung der tatbestandlichen Handlung, mit der typischerweise besondere Gefahren verbunden sind, unterscheidet sich zwar die Nr. 5 von abstrakten Gefährdungsdelikten wie § 316 oder § 306 a StGB, gleichwohl kommt es auch hier auf die Frage an, ob einer derartigen Handlung unter den gegebenen Umständen gegenüber allein unter § 223 StGB fallenden Verhaltensweisen eine erhöhte Gefährlichkeit zukommt. Auch wenn die Gefährlichkeit hier nicht die einzige Voraussetzung der Strafrahmenverschiebung sein sollte, weil es daneben auf eine konkrete Gefahr ankäme, zeigt sich an § 224 StGB doch, dass das Ausmaß der Gefährlichkeit (abstrakte Gefahr) für das Strafmaß eine Rolle spielt. d) Hintergrund der Relevanz der Gefährlichkeit Dies findet letztlich auch in der hier zu Grunde gelegten Straftheorie Rückhalt. Gefährliche Angriffe erschüttern die notwendig abstrakte Erwartung der Sicherheit in Bezug auf ein Rechtsgut in geringerem Maße als vergleichsweise ungefährliche. Wenn eine bestimmte Handlung, wie etwa die Überschreitung der zu445 BGHSt 51, 18 (22 f.), MünchKomm-StGB/Hardtung, § 224 Rdnr. 7, LK-StGB/ Lilie, § 244 Rdnr. 11, Rengier, ZStW 111 (1999), S. 1 (8, 14). 446 NK-StGB/Paeffgen, § 224 Rdnr. 7 m.w. N.
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lässigen Höchstgeschwindigkeit um 5 km/h in nur wenigen Fällen die Verletzung von Rechtsgütern nach sich zieht, ist die Erschütterung des Erwartens auch nur auf diese Fälle beschränkt. Je weniger Gewicht aber die Erwartung vor dem Hintergrund realer Freiheit hat, desto weniger Freiheit muss für den Täter in Folge der Erwartungsenttäuschung geopfert werden und desto geringer muss die Störung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses ausfallen. 3. Rechtswidrigkeit Anerkannt ist, dass auch Erlaubnistatbestände in sich abstufbare Voraussetzungen beinhalten.447 Als konstitutive Elemente, die keiner Abstufung zugänglich sind, werden bei Notstand und Notwehr lediglich die Gefahrenlage bzw. der rechtswidrige Angriff gezählt; darüber hinaus jedoch sei eine Skalierung der Merkmale sinnvoll und auch in der Strafzumessung beachtlich.448 So sei es etwa eine Selbstverständlichkeit, dass der Grad der Rechtswidrigkeit eines Tuns im Vergleich zu einem Fall, in dem der Täter überhaupt unberechtigt handelt, wesentlich geringer ist, wenn der Handelnde ein ihm an sich gegebenes Recht überschreitet.449 Liege lediglich eine Überschreitung von Erlaubnistatbeständen vor, könne nämlich mindestens ein Teil der tatbestandsmäßigen Handlung gerechtfertigt sein.450 Es dürfe schon deshalb in Fällen, in denen das Notwehrrecht „jedenfalls“ überschritten wurde, nicht dahinstehen, ob es überhaupt vorgelegen hat.451 In den Erlaubnistatbeständen erkennt man mit Blick auf die allgemeinen Grundsätze der Güterabwägung darüber hinaus den Gedanken, dass der Wert des durch einen Straftatbestand geschützten Interesses durch ein berechtigtes Gegeninteresse geschmälert werden kann.452 Die Verwirklichung dieses Gegeninteresses kann nach den gleichen Kriterien abgestuft werden wie die Tatbestandsmä447 Günther, JR 1985, S. 265 (271 ff.); ders., FS Göppinger, S. 453 (460 ff.); Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 242 ff., 269 ff., 284 ff.; Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (266 f.); Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 167; Noll, ZStW 68 (1956), S. 181; ders., ZStW 77 (1965), S. 1 (14); Peralta, FS Roxin II, S. 257 (262 ff.); Timm, Gesinnung und Straftat, S. 161 f.; Schönke/Schröder/Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbemerkungen zu den §§ 32 ff. Rdnr. 22. 448 Günther, JR 1985 S. 265, 270; ders., FS Göppinger, S. 453, 462; Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (188). 449 Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (266); Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (185); Peralta, FS Roxin II, 257, 266. 450 Dies gilt sowohl in Bezug auf die zeitlichen Grenzen als auch in Bezug auf die Grenzen der Erforderlichkeit, s. dazu Günther, JR 1985 S. 265 (271 f.); Lenckner, Der rechtfertigende Notstand, S. 37. 451 Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (266 f.). 452 Günther, JR 1985 S. 265 (273); Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (258); Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (183) mit Übertragungen auch auf die Einwilligung; ders., ZStW 77 (1965), S. 1 (9).
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ßigkeit.453 Eine solche Abstufung setzt die von § 34 geforderte Verhältnismäßigkeit voraus. Ein Notstand, der nur an den jeweils maßgeblichen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in fremde Rechtsgüter nicht zur Rechtsfolge der Straflosigkeit führt, kann deshalb zumindest eine teilweise Saldierung454 der sich gegenüberstehenden Interessen begründen und dadurch zumindest eine strafmindernde Wirkung entfalten. Freilich kann nicht jedes freiheitliche Gegeninteresse maßgeblich sein. So widerspräche es der Wertung des § 211 StGB, wenn etwa bei einer Tötung aus Habgier der Verdienst des Täters als Gegeninteresse ins Feld geführt werden könnte.455 Das folgt nicht erst aus dem Grundsatz des absoluten Lebensschutzes, weil nicht ersichtlich ist, warum anderes für die Körperverletzung gelten sollte. Ferner kann sich auch ein Betrüger selbstverständlich nicht mit der Erwägung entlasten, dass er ohne Straftat auf eine freiheitserweiternde Vermögensmehrung verzichten muss. Möglicherweise lassen sich diese Interessen schon durch das konstitutive Erfordernis der Gefahr als im Rahmen der Rechtfertigung beachtlich ausscheiden. Schließlich geht es in beiden Fällen nicht um ein Erhalten, sondern um ein Erweitern der Freiheit des Täters. Die Aussicht auf die Freiheitsposition konkretisiert sich dann erst in der Straftat, sodass es sich bei dem „Gegeninteresse“ gerade um die das Anerkennungsverhältnis in Frage stellende Freiheitserweiterung (auf Kosten anderer) handeln könnte. Die strafhöhenrelevante Skalierbarkeit von Rechtfertigungstatbeständen und ihrer Elemente wird bekräftigt durch die herrschende Meinung, die in Fällen des entschuldigenden Notstands und in Fällen der entschuldigenden Überschreitung der Notwehr nicht nur eine herabgesetzte Vermeidemacht des Täters aufgrund einer besonderen Drucksituation, sondern auch ein reduziertes Unrecht erblickt.456 Die Implikationen der herrschenden Meinung für die Strafzumessung gehen über die bloße Abstufbarkeit von einzelnen Elementen eines Rechtfertigungsgrundes hinaus. Dies zeigt sich deutlich an der Interpretation des entschuldigenden Notstands. Weil man einen entschuldigenden Notstand überhaupt nur dann begründen kann, wenn es an einem rechtfertigenden Notstand fehlt, müssen für eine zumessungsrelevante Unrechtsminderung prinzipiell alle Merkmale des § 34 StGB verzichtbar sein, die ein entschuldigender Notstand nicht voraussetzt.457 Nicht nur verzichtet § 35 StGB auf eine Verhältnismäßigkeit, sondern 453 Peralta, FS Roxin II, S. 257 (267); Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (184, 189 f.): „Gegenstück zu den Unrechtselementen“. 454 Vgl. Noll, ZStW 77 (1965), S. 1 (11). 455 Steht aber hinter der Habgier große wirtschaftliche Not, wird darüber hinaus die Frage relevant, ob dies nicht nur ein rücksichtloses Streben nach Gewinn um jeden Preis ausschließt, sondern sich darüber hinaus auch mildernd auswirkt; vgl. dazu und eingeh. zum Verhältnis von Beweggründen und Rechtfertigung Peralta, FS Roxin II, S. 257 (262 f.) und unten IV. 1. 456 Vgl. Schönke/Schröder/Perron, § 35 Rdnr. 2 und § 33 Rdnr. 2 m.w. N. 457 Vgl. auch H.-J. Hirsch, FS Göppinger, S. 453 (461).
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darüber hinaus auch auf die Angemessenheit. Daraus folgt, dass das Unrecht im Einzelfall auch dann reduziert sein kann, wenn es an einer Angemessenheit fehlt und die Voraussetzungen des § 35 StGB nicht vorliegen.458 Eine erzwungene Blutspende (zur Rettung eines nahen Angehörigen) muss deshalb weniger Unrecht darstellen als eine vergleichbare Körperverletzung ohne entsprechenden Anlass. 4. Pflichten und Pflichtwidrigkeit Dass die Intensität des Pflichtenverstoßes eine Rolle bei der Strafzumessung spielt, findet in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB Ausdruck und ist weithin anerkannt.459 Faktoren, die die Pflichtwidrigkeit beeinflussen, können entweder die Pflicht selbst oder die Intensität ihres Verstoßes betreffen. Beide Aspekte werden in Kommentierungen nicht abgegrenzt.460 Eine saubere Abgrenzung in der Sache scheint auf den ersten Blick auch gar nicht möglich zu sein, weil hier viel von der Formulierung abhängt. So lässt sich etwa sagen, dass es eine intensivere Verletzung der Pflicht darstellt, die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht zu überschreiten, wenn man statt zehn 20 km/h zu schnell fährt. Ebenso ließen sich aber auch für beide Fälle Pflichten mit unterschiedlichem Gewicht formulieren. Allerdings entspricht die Formulierung, dass jemand, der 20 km/h zu schnell fährt, gegen eine gewichtigere Pflicht verstößt als jemand, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit nur um 10 km/h überschreitet, nicht dem üblichen Sprachgebrauch. Das ist vielleicht nicht lediglich eine Frage des Sprachgefühls, sondern könnte darüber hinaus mit den Gründen zusammenhängen, derentwegen ein Faktor Einfluss auf das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit haben soll. a) Intensität des Pflichtenverstoßes und Gefährlichkeit Die Relevanz der Intensität des Verstoßes kann jedenfalls im Rahmen von Fahrlässigkeitsdelikten auf die maßgebliche Intensität des Angriffs und mithin auf die Gefährlichkeit gestützt werden. Von der Gefährlichkeit kann, wie aufgezeigt, die Werthaftigkeit der konkreten Verhaltenserwartung abhängen, die für das Maß der Infragestellung eine wichtige Ausgangsgröße darstellt.461 Es muss dementsprechend bei einer fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr ei458 Vgl. Hillenkamp, Doppelverwertungsverbot, S. 235 ff.; Maeck, Opfer und Strafzumessung, S. 49; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 167. 459 Vgl. nur Koffka, JR 1955, S. 322 (323 ff.) m.w. N. 460 Vgl. Satzger/Schluckebier/Widmaier/Eschelbach, § 46 Rdnr. 82 f., Fischer, § 46 Rdnr. 31, SK-StGB/Horn § 46 Rdnr. 110 ff., Lackner/Kühl, § 46 Rdnr. 33, MünchKomm-StGB/Miebach § 46 Rdnr. 87 f., Schönke/Schröder/Stree/Kinzig § 46 Rdnr. 17; Schäfer/Sander/van Gemmeren Rdnr. 623 ff., NK-StGB/Streng § 46 Rdnr. 55, LKStGB/Theune § 46 Rdnr. 116 ff. 461 Vgl. oben 2. d).
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nen Unterschied machen, ob der Täter mit 50 oder 100 km/h durch die Fußgängerzone raste, ob er dabei gegebenenfalls auch noch telefonierte oder mit dem Verfassen von Kurznachrichten auf seinem Mobiltelefon beschäftigt war. b) Gewicht der Pflicht und Freiheitsabschichtungen Die Pflichten können weiterhin mit Erwägungen ordinal differenziert werden, die von der Gefährlichkeit des Angriffs auf ein Rechtsgut unabhängig sind.462 So soll z. B. eine Tötung durch Unterlassen (§§ 212, 13 StGB) strafbar nur unter der Bedingung einer bestehenden Garantenpflicht sein und sonst lediglich nach § 323a StGB geahndet werden. Mit der Gefährlichkeit des Unterlassens lässt sich dieser Unterschied in der Sanktionshöhe schwerlich begründen. Aus der Lehre von der Pflichtenkollision kann aber gefolgert werden, dass die Beurteilung des Gewichts einer Pflicht einer abstrakten und komplexen Abwägung konkurrierender schützenswerter Freiheitspositionen folgt.463 Von einem Garantenpflichtigen erwartet man unter dem Strich in bestimmten Situationen und aufgrund der Erwägungen, die seine Stellung konturieren, mehr als von anderen Personen.464 Dies ist letztlich auch auf die Idee der Freiheit zurückführbar, die in vielerlei Hinsicht besonderen Optimierungen zugänglich ist. So kann z. B. eine Freiheitsoptimierung durch gesellschaftliche Spezialisierung und Aufgabenteilung erreicht werden.465 Wer deshalb in diesem Sinne spezielles Vertrauen enttäuscht, stellt das Recht in einer weiteren Dimension und mithin intensiver in Frage. Die Enttäuschung besonderen Vertrauens stellt die Werthaftigkeit der Norm nämlich insofern in besonderem Maße heraus, als sie der normativ wesentlichen Komponente der Erwartungssicherheit466 ausdrücklich eine Absage erteilt. Auf welchen Vernunftgedanken das Mehr an Erwartung jeweils gestützt wird, ist letztlich ohne Belang, sofern ein besonderes Vertrauen unter freiheitlichen Gesichtspunkten überhaupt legitimiert werden kann.467
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Vgl. BGHSt 3, 175, 178; Koffka, JR 1955, S. 322 (323). Vgl. etwa MünchKomm-StGB/Schlehofer, Vorbemerkung zu den §§ 32 ff. Rdnr. 209 ff. m.w. N. 464 MünchKomm-StGB/Schlehofer, Vorbemerkung zu den §§ 32 ff. Rdnr. 210; diese Erwägungen finden im Rahmen des entschuldigenden Notstands und seiner Ausnahmen eine Parallele, vgl. etwa Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (169). 465 In den Wirtschaftswissenschaften sog. komparative Kostenvorteile, vgl. etwa Bontrup, Volkswirtschaftslehre: Grundlagen der Mikro- und Makroökonomie, S. 726 ff.; Wildmann, Einführung in die Volkswirtschaftslehre, Mikroökonomie und Wettbewerbspolitik, S. 59. 466 Siehe oben B. II. 6. d) cc) (1). 467 Vgl. für die Strafbarkeit von Amtsträgern etwa Schönke/Schröder/Heine/Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 331 ff. Rdnr. 1 m.w. N. 463
III. Strafhöhenrelevante Faktoren im Bereich des Unrechts
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Diese Wertung kann auch auf andere Fälle übertragen werden. Aus ihr folgt jedoch zugleich die Einschränkung, dass eine besondere Pflichtenstellung nicht ohne Weiteres in der Strafzumessung berücksichtigt werden darf; vielmehr muss diese gerade durch die Straftat enttäuscht worden sein. Nichts anderes ist mit der Formulierung gemeint, dass zwischen Pflichtenstellung und Straftat eine unmittelbare Beziehung bestehen muss.468 So wird man annehmen müssen, dass eine vorsätzliche Körperverletzung im Rahmen der ärztlichen Tätigkeit, die weder von einer Einwilligung noch einer auch nur vermeintlichen medizinischen Indikation gedeckt ist, nur dann eine besonders gravierende Abweichung von dem Erwarteten darstellt, wenn sie aufgrund eines dem Arzt entgegengebrachten besonderen Vertrauens ermöglicht wurde. Eine Strafschärfung dürfte deshalb nur dann in Betracht kommen, wenn ein Mediziner gerade in seiner Rolle als Arzt eine vorsätzliche Körperverletzung begeht und z. B. den auf dem OP-Tisch liegenden Patienten mutwillig mit dem Skalpell schneidet.469 Ebenfalls muss man von einem Ladenangestellten intensiver als von anderen erwarten, dass sich dieser nicht an den in den Verkaufsräumen angebotenen Waren bedient (§ 242 StGB), auch wenn dadurch die Voraussetzungen der Untreue mangels Vermögensbetreuungspflicht nicht erfüllt sind.470 Dieser allgemeine Geltung beanspruchende Gedanke findet ausdrücklich schon in § 246 Abs. 2 StGB durch den Gesetzgeber Anerkennung.471 5. Täterschaft und Teilnahme Weitere interessante quantitative Differenzierungen der Verbrechenslehre finden sich im Bereich von Täterschaft und Teilnahme. Hier ist das Gewicht des Tatbeitrags ein unumstrittenes Abgrenzungskriterium.472 Darüber hinaus begegnen auch innerhalb der Teilnahmeformen graduelle Aspekte. Diskutiert werden
468 BGH NJW 2000, S. 154 (157); NStZ 1981, S. 258 (Ls.); 1988, S. 175; Schäfer/ Sander/van Gemmeren, Rdnr. 627; MünchKomm-StGB/Miebach, § 46 Rdnr. 87; LKStGB/Theune, § 46 Rdnr. 103. 469 Eine fahrlässige Körperverletzung des Arztes aufgrund eines Behandlungsfehlers kann freilich nicht auf besondere Pflichten gestützt werden. Zum einen wäre damit einer wirtschaftlich vorteilhaften Ausdifferenzierung von Kompetenzen kein Gefallen getan, zum anderen kann es sich bei unmittelbar aus der ärztlichen Tätigkeit entspringenden Pflichten auch nicht um relativ gewichtigere handeln. Wenn ein Arzt das Skalpell falsch ansetzt, verstößt er regelmäßig gegen eine Pflicht („lege artis“), die gegenüber einem Laien nicht gelten kann. 470 LK-StGB/Schünemann, § 266 Rdnr. 104. 471 Vgl. für weitere Beispiele besonderer Pflichten BGH v. 6.2.2002 – 2 StR 489/01; v. 20.7.1999 – 1 StR 668/98; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Lebensumstände 19; s. BGH NJW 2000, S. 154 (157) m.w. N.; vgl. auch Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 627 ff.; Fischer, § 46 Rdnr. 44; MünchKomm-StGB/Miebach, § 46 Rdnr. 87. 472 Für die Tatherrschaftslehre vgl. Puppe, Strafrechtsdogmatische Analysen, S. 94.
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
verschiedene Stufen der Tatherrschaft473 und quantitative Differenzierungen im Bereich der Teilnahme474. Dass der Gesetzgeber Täterschaft und Teilnahme prinzipiell in den Rechtsfolgen gleich behandelt (vgl. § 26 StGB), wirft indes die Frage auf, ob aus den Differenzierungen letztlich eine Strafhöhenrelevanz gefolgert werden kann. a) Ordinale Differenzierungen im Bereich von Täterschaft und Teilnahme Bei der Abgrenzung zwischen Mittäterschaft und Beihilfe werden Grenzwerte auf einer Vielzahl von Skalen relevant. Ob Mittäterschaft oder Beihilfe anzunehmen ist, richtet sich nach der Rechtsprechung nach einer wertenden Gesamtbetrachtung aller festgestellten Umstände. Maßgebliche Kriterien sind dabei der Grad des eigenen Interesses an der Tat, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille dazu.475 Die Täterschaft bildet nach dem Kombinationsansatz der Rechtsprechung ein gutes Beispiel für einen Typusbegriff. Ebenso ist aber auch die von der Literatur mehrheitlich in Bezug genommen Tatherrschaft ein Typusbegriff.476 Dies bedeutet, dass mindestens ein ordinaler Maßstab der Beteiligung existiert, an dem sowohl Täterschaft als auch Teilnahme gemessen werden können und der deshalb prinzipiell auch Einfluss auf die Abgrenzungsfrage der Beteiligungsformen haben muss. Dass hier gegebenenfalls auch mehrere Maßstäbe zusammenspielen, ändert an der Relevanz einzelner Schweregesichtspunkte nichts, wirft lediglich die Frage auf, nach welchen Gesichtspunkten die Kriterien gegeneinander abzuschichten sind. Dies sei am Beispiel der Abgrenzung zwischen Täterschaft und Teilnahme nach den Maßstäben der Judikatur verdeutlicht. Kommt es hier sowohl auf das Gewicht des Tatbeitrags als auch auf das Interesse an der Tat an, so kann es sein, dass ein geringes Interesse an der Tat durch einen relativ gewichtigen Tatbeitrag kompensiert werden kann. Bleibt das Interesse gleich und ändert sich das Gewicht des Tatbeitrags, führt dies unter Umständen dazu, dass das Verhalten nicht mehr als Täterschaft, sondern als Beihilfe qualifiziert werden muss. Ist schon das Interesse besonders ausgeprägt, bleibt eine Änderung des Gewichts des Tatbeitrags zwar ohne Wirkung auf den Strafrahmen, doch kann dies
473 Siehe Kudlich, Wolf und insbes. Schünemann, FS F.-C. Schroeder, S. 271 ff. bzw. 415 ff. bzw. 401 (407 ff.). 474 Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (281 ff.). 475 St. Rspr., vgl. BGHSt 37, 289 (291); BGH NJW 1998, S. 2149 (2150); BGH v. 15.1.1991 – 5 StR 492/90. 476 Vgl. eingeh. Puppe, FS Armin Kaufmann, S. 15 (29 f., 32); dies., Strafrechtsdogmatische Analysen, S. 94 f., Schünemann, FS F.-C. Schroeder, S. 401 ff.; ders., ZIS 2006, S. 301 (305 ff.).
III. Strafhöhenrelevante Faktoren im Bereich des Unrechts
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an der Relevanz des Kriteriums für das Ausmaß der Verwirklichungsform nichts ändern. Legt man zur Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme also einen Typusbegriff zu Grunde ist der Unterschied zwischen beiden Beteiligungsformen mithin lediglich quantitativer Natur.477 Ob quantitative Differenzierungen aber auch eine Modifikation des Strafmaßes tragen, ist eine andere Frage. b) Verortung anderer Differenzierungen auf derselben Skala – Rechtsfolgendifferenzierung im Bereich von Täterschaft und Teilnahme Den einzigen gesetzlichen Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung der Rechtsfolgen im Bereich von Täterschaft und Teilnahme bietet die Regelung des § 27 S. 2 StGB. Die Strafe des Gehilfen richtet sich demnach nach dem gemäß § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der Haupttat. Für die Anstiftung sieht das Gesetz im Vergleich zur Täterschaft jedoch keine Strafrahmenänderung vor. Aber auch hier kann die Abgrenzung zur Täterschaft, und zwar zur mittelbaren Täterschaft, fließend sein. Dies dürfte für die – heute als überkommen geltende478 – rein subjektive Theorie zur Abgrenzung der Beteiligungsformen auf der Hand liegen.479 Aber auch nach der Tatherrschaftslehre ist der Übergang insbesondere dann fließend, wenn der Haupttäter einem (mehr oder weniger) vermeidbaren Verbotsirrtum erliegt oder in der Schuldfähigkeit (mehr oder weniger) eingeschränkt ist. Vor dem Hintergrund, dass für die Abgrenzung zwischen (mittelbarer) Täterschaft und Anstiftung letztlich dieselben Abgrenzungstheorien und mithin auch dieselben ordinal skalierbaren Maßstäbe einschlägig sind wie bei der Abgrenzung zwischen Beihilfe und Mittäterschaft, ist nicht einzusehen, warum sich unterschiedliche Grade hier auf das Strafmaß auswirken sollen, dort aber nicht.480 Warum letztlich die Anstiftung im Unterschied zur Beihilfe dann doch keine Strafmilderung nach sich zieht, ist eine umstrittene Frage, die sowohl mit dem theoretischen Verständnis als auch der Konkretisierung der Anstiftungsvoraussetzungen zusammenhängt. Gleichwohl wird kaum über die Notwendigkeit gestritten, zwischen Täterschaft und Anstiftung überhaupt zu unterscheiden.481 Erklärungsansätze für das Fehlen einer Strafmilderung bei der Anstiftung konzentrieren sich stattdessen auf einen Vergleich mit der Beihilfe. Gerade auf dem Boden der herrschenden Meinung, die den Strafgrund von Beihilfe und Anstiftung einheitlich auf die Mitwirkung an fremdem tatbestandlichen Unrecht zu477
Jakobs, Strafrecht AT, 22/6. Vgl. nur Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. Rdnr. 52 ff.; BeckOK-StGB/Kudlich, § 25 Rdnr. 12. 479 RGSt 3, 181 (182 f.); MünchKomm-StGB/Joecks § 25 Rdnr. 16 in Anm. 35 m.w. N. 480 Nikolidakis, Grundfragen der Anstiftung, S. 56 mit Bespr. Mitsch, GA 2007, S. 718 ff. 481 Vgl. Nikolidakis, Grundfragen der Anstiftung, S. 19 ff. 478
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rückführt,482 liegt nahe, dass der Unterschied zwischen Beihilfe und Anstiftung ebenfalls ein quantitativer ist. So heißt es denn auch bei Joecks, die gegenüber der Beihilfe schärfere Bestrafung erkläre sich damit, dass der Anstifter den Haupttäter nicht nur unterstützt, sondern auf ihn bestimmenden Einfluss nimmt, ohne bereits die Grenze zur Täterschaft zu überschreiten.483 Danach stellt sich die Anstiftung als ein Grenzwert zwischen Beihilfe und Täterschaft dar. Nach anderen Auffassungen, denen zu Folge der Anstiftung ein besonderer, zusätzlicher Strafgrund, etwa der Korrumpierung des Haupttäters, zu Grunde liegt,484 ist eine solche auch die Beihilfe einbeziehende Grenzwertbetrachtung zwar nicht mehr zwingend. Unter der Voraussetzung, dass die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme im Übrigen mit denselben Maßstäben, die in den verschiedenen Formen der Teilnahme nur unterschiedlich konkretisiert werden, zu leisten ist, ändert das jedoch nichts daran, dass die Anstiftung zumindest in bestimmter quantitativer Hinsicht hinter der Täterschaft zurückbleibt. c) Zum Hintergrund von Strafmaßmodifizierungen im Rahmen von Täterschaft und Teilnahme Hintergrund von Strafmaßmodifizierungen im Rahmen von Täterschaft und Teilnahme ist sicherlich nicht die Idee einer geteilten Verantwortlichkeit. Andernfalls wäre strafmildernd zu veranschlagen, dass ein Mittäter eine Tat nicht alleine, sondern mit einem anderen gemeinschaftlich begangen hätte. Vielmehr könnte der Grund einer schweren Bestrafung darin liegen, dass eine täterschaftliche Verwirklichung in größerem Maße Anerkennung versagt als die Teilnahme an einer Straftat. Es entspricht dem Rechtsgefühl, dass eine Randfigur, der das Verhalten des Haupttäters nicht zugerechnet wird, das Tatopfer nicht in gleichem Maße unterjocht wie eine Zentralgestalt des Tatgeschehens. Jedenfalls für eine ideelle Betrachtung des Unrechts muss die Unterscheidung zwischen Teilnahme und Täterschaft deshalb eine Rolle spielen.
482 Schönke/Schröder/Heine/Weißer, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. Rdnr. 15; Lackner/Kühl, Vorbemerkungen zu den §§ 25 ff. Rdnr. 8; MünchKomm-StGB/Joecks, Vorbemerkung zu den §§ 26, 27 Rdnr. 10 ff.; Koriath, FS Maiwald, S. 417 (418 ff.); Kühl, Strafrecht AT, § 20 Rdnr. 132; Nikolidakis, Grundfragen der Anstiftung, S. 19, 49; Satzger, Jura 2008, S. 514 (516). Dieser Strafgrund bringt allerdings nur unzureichend zum Ausdruck, dass sich Täterschaft und Teilnahme letztlich nur quantativ unterscheiden, zu den überzeugenden Gegenkonzeptionen vgl. Roxin, Strafrecht AT, Band 2, § 26 Rdnr. 11; Schönke/Schröder/Heine/Weißer, aaO. m.w. N. (selbständiger Rechtsgutsangriff). 483 MünchKomm-StGB/Joecks, § 26 Rdnr. 5; Hardtung, FS Herzberg, S. 411 (431 f.). 484 Vgl. Nikolidakis, Grundfragen der Anstiftung, S. 19 ff.
III. Strafhöhenrelevante Faktoren im Bereich des Unrechts
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6. Vorsatz a) Vorsatz und Fahrlässigkeit Die strafrahmenrelevante Unterscheidung von Vorsatz und Fahrlässigkeit wurde bereits zuvor unter dem Aspekt der Gefährlichkeit angesprochen. Probleme bereitet hier die Identifikation eines gemeinsamen Maßstabs. Das verdeutlichen die unterschiedlichen Auffassungen über die Abgrenzung von Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit.485 Auf dem Boden einer Abgrenzung im Bereich des Kognitiven mit (praktisch schwer zu bestimmenden) Grenzwerten, wie etwa ein bestimmtes Maß an Risiko und Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts,486 ließe sich vertreten, dass der Maßstab der Gefährlichkeit der Tat im Subjektiven eine Entsprechung findet. Ebenfalls von einer quantitativen Bewertung hängt der subjektive Tatbestand ab, wenn die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit (ggf. nur: auch) anhand von skalierbaren subjektiven Elementen bewerkstelligt werden soll, so z. B. dem Grad der Billigung und Identifikation des Erfolgs.487 Jedoch gibt es sowohl kognitive als auch voluntative Ansätze, die auf Gesichtspunkte abstellen, deren Interpretation als Ordnungsbegriffe schwer fällt, z. B. die Begriffe Möglichkeit auf der einen,488 Gleichgültigkeit auf der anderen Seite.489, 490 Die Frage nach der richtigen straftatdogmatischen Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit kann aber hier ohnehin nicht weiterführen. Die unbewusste Fahrlässigkeit erfasst nämlich Fälle, die sich weder am Grad des vorgestellten Risikos noch am Grad der Identifikation und Billigung des möglichen Erfolgs messen lassen. Kriterien, die sich ausschließlich auf die Abgrenzung zwi485
Vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rdnr. 72 ff. Germann, SchwZStr 77, S. 345 (360); Kargl, Der strafrechtliche Vorsatz auf der Basis der kognitiven Handlungslehre, S. 67 ff.; Kindhäuser, FS Eser, S. 345 (354), Koriath, Grundlagen strafrechtlicher Zurechnung, S. 632 ff.; H. Mayer, Strafrecht AT, S. 120 f.; Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, § 21 IV 2; Schumann, JZ 1989, S. 427 (433); vgl. ferner Prittwitz, JA 1988, S. 486 (497 f.). 487 Vgl. etwa BGH NJW 1963, S. 2236; 1968, S. 660; NStZ 1982, S. 506; 1998, S. 615; Maurach/Zipf, Strafrecht AT, Band 1, § 22 Rdnr. 34; Müller, NJW 2980, S. 2390 (2392). 488 Dalemann/Heuchemer, JA 2004, S. 460 (466); Grünwald, FS Mayer, S. 281 (288); Lesch, JA 1997, S. 802 (805 ff.); Morkel, NStZ 1981, S. 176 (178); Schmidhäuser, GA 1957, S. 305 (310 ff.); ders., JuS 1980, S. 241 (248 ff., 252); H. Schröder, FS Sauer, S. 207 (232 ff.) – Die Frage nach dem Mehr oder Weniger einer Möglichkeit führt wieder zur Wahrscheinlichkeit (vgl. Puppe, GS Armin Kaufmann, S. 15 [31]), die aber für die Vertreter der Möglichkeitstheorie nicht maßgeblich sein soll. 489 Beulke, Jura 1988, S. 641 (644); Engisch, Untersuchungen über Vorsatz und Fahrlässigkeit, S. 186 ff.; ders., NJW 1955, S. 1688 (1689); Gallas, ZStW 67 (1955), S. 1 (43); Nowakowski, JZ 1958, S. 335 (339). 490 Vgl. außerdem zur Qualifikation des Vorsatzes als Typusbegriff Puppe, Kleine Schule des juristischen Denkens, S. 63, dies., FS Armin Kaufmann, S. 15 (31), dies., Strafrechtsdogmatische Analysen, S. 94 f. 486
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schen Eventualvorsatz und bewusster Fahrlässigkeit beziehen, können eine eventuell vorhandene übergeordnete Skala, auf der sich Fahrlässigkeit und Vorsatz im Ganzen verorten lassen, nicht offen legen. Es bleibt dann nur noch übrig, zur Erklärung der Strafrahmendiskrepanzen bei Vorsatz- und Fahrlässigkeitsdelikten direkt auf die Straftheorie abzustellen. Dies muss letztlich unter Berücksichtigung des Anerkennungsgedankens dazu führen, den Vorsatz als Faktor zu begreifen, der die Infragestellung des Rechts intensivieren kann. Es zeichnet letztlich alle Vorsatzformen eine bewusste Entscheidung für die Verletzung des Angriffsobjekts aus, deren Ausbleiben gerade als Kern der rechtlichen Verhaltenserwartung anzusehen ist. Wer die Verletzung beabsichtigt, mit ihr sicher rechnet oder sie auch nur billigend in Kauf nimmt und trotzdem handelt, ordnet auch intellektuell die Freiheit des anderen seinen eigenen Interessen unter. Der vorsätzlich handelnde Täter bringt zum Ausdruck, dass seine eigenen Freiheitsinteressen mehr Geltung beanspruchen als die des Opfers. Mit einer derart direkten Absage an das tatbestandlich geschützte Rechtsgut ist ein Fahrlässigkeitsdelikt demgegenüber nicht gleichzusetzen. Hier steht vielmehr der Wert einer konkurrierenden, tätereigenen Freiheitsposition – über die andere einfach nur außer Acht gelassen werden – ganz im Vordergrund. Durch eine Vorsatztat wird dementsprechend der Geltungsgrund der Norm in intellektueller Hinsicht in intensiverem Maße in Frage gestellt als bei einer Fahrlässigkeitstat. Dieser Hintergrund legt im Bereich des Vorsatzes weitere Differenzierungen nahe. b) Vorsatzformen Die Strafrechtsdogmatik unterscheidet zwischen Absicht, sicherem Wissen und Eventualvorsatz. Ob sich aus diesen verschiedenen Formen des Vorsatzes unterschiedliche Rechtsfolgen ergeben, ist jedoch strittig.491 Zwar wird de lege ferenda gefordert, jedenfalls der Abschichtung zum Eventualvorsatz etwa durch mildere Strafrahmen Rechnung zu tragen.492 Das Gesetz behandelt bis dato aber jede Form des Vorsatzes grundsätzlich gleich, nur manche Tatbestände setzen eine bestimmte Vorsatzform voraus. Deshalb kann eine grundsätzliche Relevanz der Unterscheidung für die Strafzumessung nicht rein formal aus der Verbrechenslehre hergeleitet werden. Vor diesem Hintergrund ist nicht weiter verwunderlich, dass in Literatur und Rechtsprechung Unklarheit darüber herrscht, ob die Vorsatzformen zumindest für die Rechtsfolgenentscheidung Relevanz entfalten.493 Die Unsicherheit betrifft 491 Eingeh. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 260 ff.; dies., in: Tatproportionalität, S. 99 (117) m.w. N. 492 Etwa T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 194. 493 Den Einfluss der Vorsatzformen auf die Strafzumessung ablehnend Lackner/Kühl, § 46 Rdnr. 33; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 16; Bruns, Das Recht der
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nicht nur die vorgelagerte Frage, ob und inwieweit die Vorsatzformen überhaupt als graduelle Differenzierungen verstanden werden können.494 Unklar ist ferner, ob andere, übergeordnete Bewertungsmaßstäbe die Relevanz etwaiger gradueller Unterschiede im Bereich des Vorsatzes verdrängen. So wird in Entscheidungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung häufig darauf hingewiesen, der Vorsatz sei als selbständige Strafzumessungstatsache ungeeignet, weil er nur im Zusammenhang mit den Vorstellungen und Zielen des Täters korrekt gewürdigt werden könne.495 Von anderen Entscheidungen hingegen wird eine selbständige Relevanz der Vorsatzformen zumindest vorausgesetzt, wobei allerdings das Verhältnis zu den tieferen subjektiven Hintergründen der Tat unerörtert bleibt.496 Auf dem Boden einer in den Rahmen der positiven Generalprävention eingekleideten Wiederherstellungstheorie ergibt sich für die Relevanz der Vorsatzformen Folgendes: Die Unterscheidung zwischen dem Eventualvorsatz und den anderen Vorsatzformen ist dem Grunde nach nicht anders zu beurteilen als die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Wer seine Freiheit ganz bewusst auf Kosten anderer zu verwirklichen sucht, weil er sich selbst vom „Eindruck der intensivsten überhaupt denkbaren Gefahr (. . .) nicht zur Abstandnahme von der Tat bewegen kann“,497 verneint den vernünftigen Geltungsgrund einer Norm intensiver als derjenige, der die Verletzungsfolge nur in Kauf nimmt.498 Daraus folgt jedenfalls eine Unterscheidung zwischen dem dolus eventualis und dem dolus directus.499 Darüber hinaus haben Grünewald und besonders Frisch überzeugend dargetan, dass auch zwischen der Absicht und dem sicheren Wissen in puncto Negation des Rechts ein gradueller Unterschied besteht.500
Strafzumessung, S. 214; Jakobs, Strafrecht AT, 8/8; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 887; Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 618; vgl. ferner Kindhäuser, ZStW 96 (1984), S. 1 (30 ff.); Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, Rdnr. 128. 494 Vgl. dazu Puppe, Strafrechtsdogmatische Analysen, S. 96 f. und oben a). 495 Siehe z. B. BGH MDR 1992, 633 f.; v. 25.10.1989 – 3 StR 180/89; BGH v. 15.2.1984 – 4 StR 51/84; Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 214; Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 618 m.w. N. 496 BGH StV 1993, S. 72; 1990, S. 304; 1986, S. 340; NStZ 1997, S. 431 (432); vgl. auch Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes, S. 153. 497 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 500. 498 Fahl, Zur Bedeutung des Regeltatbildes, S. 153; Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 500; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 261 ff., 263; T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 194 f.; vgl. darüber hinaus auch Grünewald, JA 2012, S. 401 (402); dies., Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 154 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 299; Schünemann, GA 1985, S. 341 (363). 499 I.E. ebenso Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (290); Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 159; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 263. 500 Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 499; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 159 f.
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Ein abschließendes Urteil über das Ausmaß der Infragestellung geht mit diesen Vorsatzdifferenzierungen jedoch nicht einher, wenn auch Beweggründe des Täters auf diese Infragestellung Einfluss nehmen und die durch den Vorsatz vorgezeichnete Wertung korrigieren können.
IV. Nicht eindeutig zuordenbare Faktoren der Verbrechenslehre 1. Beweggründe Die Beweggründe des Täters spielen im materiellen Strafrecht vor allem bei § 211 StGB und darüber hinaus selten eine Rolle. Im Rahmen des § 211 StGB gehören zu den Beweggründen jedenfalls die Merkmale der ersten Gruppe. Wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, tötet, soll mit einer schwereren Strafe belegt werden als jemand, bei dem diese Gründe fehlen. Ob es sich um Merkmale des Unrechts oder der Schuld i. e. S. handelt, ist umstritten.501 Ebenso umstritten ist, welchen legitimen Hintergrund diese Regelung heute haben kann.502 a) Parallele zu Rechtfertigungsgründen und Entschuldigungsgründen? Dass die Gründe für eine Straftat bei der Beurteilung derselben aber überhaupt eine Rolle spielen können, ist anerkannt. Man denke hier nur an die Entschuldigungs- und Rechtfertigungsgründe.503 Diesen ist jedoch gemein, dass sie sich lediglich zu Gunsten des Täters auswirken können504 und nicht nur deshalb ist eine Parallele zu den in § 211 StGB genannten Gründen nicht ohne Weiteres zu 501 Fischer, § 211 Rdnr. 6; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 202 ff., 213 ff.; Jakobs, Strafrecht AT, 8/96; Rengier, Strafrecht BT, Band 2, § 4 Rdnr. 7 f. (Unrecht); Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, § 10 Rdnr. 422; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 39 II 1, § 42 I 2, II 3 a; Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 10 Rdnr. 73 ff.; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, 479 ff., 613 f. (Schuld); Paeffgen GA 1982, S. 255 (256 ff., 270 ff.); Heine, Tötung aus „niedrigen Beweggründen“, S. 231 (Kombination); eingeh. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 143 m.w. N. 502 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 39 ff.; Hörnle, JZ 1999, S. 1080 (1089); Noll, FS Mayer, S. 219 (231 f.); Peralta, FS Roxin II, S. 257 (261 ff.); Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 10 Rdnr. 78 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 143 ff.; vgl. ferner Lampe, Das personale Unrecht, S. 118, 241 ff. 503 Als Ausdifferenzierung der Rechtfertigungsgründe werden die Beweggründe interpretiert von Peralta, FS Roxin II, S. 257 (261 ff.); Timm, Gesinnung und Straftat, S. 162. 504 Eingeh. Peralta, FS Roxin II, S. 257 (261 ff.), der daraus den Schluss zieht, auch Beweggründe seien im Ergebnis ausschließlich strafmildernd zu veranschlagen; im Ergebnis ebenso Noll, FS Mayer, S. 219 (231 f.); vgl. auch Timm, Gesinnung und Straftat, S. 161 f.
IV. Nicht eindeutig zuordenbare Faktoren der Verbrechenslehre
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ziehen. Sowohl die Entschuldigungs- als auch die Rechtfertigungsgründe haben Einfluss auf die Bewertung der verletzten Freiheit, insofern als sie dem Umstand Rechnung tragen, dass eine für sich genommen strafbare Freiheitsverletzung durch die Schaffung oder Erhaltung von geschützten Gegenwerten von Freiheit ganz oder teilweise (objektiv) kompensiert werden können. In diesen „rechnerischen“ Zusammenhang ließen sich die in § 211 StGB genannten Beweggründe jedoch nur einordnen, wenn mit ihnen eine zusätzliche Bedrohung gegenständlicher Freiheitspositionen verbunden wäre. Die Bedeutung der Beweggründe erschöpft sich jedoch gerade nicht in einer Addition mehrerer Angriffe, bei Mord aus Habgier etwa eines Angriffs auf das Leben und eines Angriffs auf das Vermögen. Dies zeigt sich schon daran, dass eine Vermögensmehrung anzustreben weder strafbar noch missbilligt sein muss.505 Die in § 211 StGB angeführte Verdeckungsabsicht weist sogar in die Gegenrichtung, insofern der Täter hier mit der Tat sogar seine Freiheit erhalten möchte. Von gegenständlichen Unrechtsmerkmalen unterscheiden sich die Beweggründe also grundlegend; viel spricht deshalb dafür, dass man sie nicht als Interessen begreifen kann, die auf die mit einer Tat verletzten Positionen angerechnet oder addiert werden könnten. Für die äußerliche Freiheit haben sie dann aber weder einen positiven noch einen negativen Wert. b) Ideelle Bedeutung der Beweggründe im Lichte des Anerkennungsgedankens Verständlich können Beweggründe vielmehr nur in einer anderen Dimension werden und zwar als Faktoren, in deren Lichte die Tat ideell zu bewerten ist. Auf dem Boden des hiesigen Konzepts bilden solche Faktoren keinen Fremdkörper, weil die Tat ohnehin im Lichte des Anerkennungsverhältnisses bewertet werden muss. Je intensiver der personale Grund der einseitigen Erhebung über andere auf die Motivation des Täters wirkt, desto größer fallen auch der Widerspruch zur Motivationskraft des vernünftigen Geltungsgrund der Norm und die Erschütterung des Vertrauens in die faktische Normgeltung aus.506 Im Großen und Ganzen lassen sich die Mordmerkmale in diesen Zusammenhang einordnen. So bildet die Habgier ein gutes Beispiel für den motivatorisch vermittelten Widerspruch zum Vernunftgrund der Norm. Sie betont den nur für die Person bestehenden Sinn der Straftat, die eigene Freiheit auf Kosten anderer zu erweitern, in besonderem Maße.507 Nichts anderes gilt aber auch für die anderen 505
Beispielfall bei Kaspar/Broichmann, ZJS 2013, S. 249 (250). Vgl. Heine, Tötung aus „niedrigen Beweggründen“, S. 213 ff.; Jakobs, NJW 1969, S. 489 (490). 507 Das bedeutet freilich nicht, dass der Anerkennungsgedanke als leitendes Prinzip der Mordmerkmale widerspruchsfrei umgesetzt wäre, vgl. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 97 ff. 506
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
Mordmerkmale der ersten Gruppe. Aus der Rechtsprechung lassen sich hier einige Beispiele anführen. Niedrige Beweggründe sollen insbesondere vorhanden sein bei einer hinrichtungsähnlichen Tötung als Form der Machtausübung508 und bei Tötung aus Imponiergehabe.509 Ersichtlich wird mit diesen Fallgruppen das Prinzip gegenseitiger Anerkennung aufgegriffen. Motivatorischer Hintergrund der Tötung ist gerade die Unterwerfung und die Aberkennung des personalen Eigenwerts des Opfers. In den gleichen Zusammenhang fallen auch Tötungen innerhalb einer familiären Beziehung aufgrund eines absoluten Macht- und Besitzanspruchs510. Eine entsprechende Begründung für die Verdeckungsabsicht mag schwieriger ausfallen. Unmöglich ist sie aber sicherlich nicht. Denn die Akzeptation der Konsequenzen (einer Straftat) dürfte ebenfalls ein die gegenseitige Anerkennung betreffender Faktor sein. Wer sich durch eine Straftat dieser Konsequenzen zu entziehen sucht, widerspricht dem Prinzip gegenseitiger Anerkennung auf der Sekundärebene. Warum dieser Zusammenhang freilich an anderen Stellen ausnahmsweise511 privilegierend wirkt, könnte eine Erklärung in konkurrenzrechtlichen Erwägungen finden. Dass die Allgemeinheit egoistische Motive eher als niedrig bewertet als altruistische Motive,512 erlangt übrigens im Kontext des Prinzips gegenseitiger Anerkennung eine gewisse normative Stütze. Wie sich an der Teilnahme zeigt, können allerdings auch altruistische Motive dem Anerkennungsgedanken widersprechen. Der Täter muss nur anderen dabei helfen, sich auf ein rechtlich nicht vorgesehenes, höheres Freiheitsniveau zu erheben. c) Die grundsätzliche Bedeutung ideeller Faktoren de lege lata Ohne die Gründe einer Straftat zu erforschen, kann das Ausmaß ideellen Infragestellung des Rechts jedenfalls schlechterdings überhaupt nicht erschöpft werden. Dass die Relevanz der Beweggründe im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs nicht die Regel darstellt, ist kein Gegenargument. Tatsächlich finden sich nämlich Hinweise schon im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs. Aus den Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen lassen sich ebenfalls relevante Beweggründe herleiten, die im Lichte einer ordinalen Betrachtung als Grenzwerte allein des ideellen Widerspruchs zum Anerkennungsgedanken interpretiert wer508
BGH NStZ 2013, S. 337 (338). BGH NJW 1994, S. 395; 1999, S. 129 f. 510 Vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, § 211 Rdnr. 30.2; LK-StGB/Jähnke, § 211 Rdnr. 26 ff.; vgl. ferner Mitsch, JuS 1996, S. 121 (125). 511 Vgl. Brunhöber, HRRS 2011, S. 513, 515. 512 Vgl. BGH NJW 66, S. 788; NStZ 1984, S. 261; Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 121; Vormbaum, Beiträge zum Strafrecht und zur Strafrechtspolitik, S. 286; MünchKomm-StGB/Streng, § 46 Rdnr. 52; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 13a. 509
IV. Nicht eindeutig zuordenbare Faktoren der Verbrechenslehre
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den können.513 Gleiches gilt für die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit und die Abgrenzung zwischen verschiedenen Formen des Vorsatzes.514 Insofern sie das Ausmaß der Infragestellung des Geltungsgrunds der Norm konturieren, betreffen die Beweggründe letztlich dieselbe (übergeordnete) Frage wie die Abgrenzung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit bzw. zwischen den Vorsatzformen. Ausweislich ihres geringen Stellenwerts im positiven Recht, weil sie bei Fahrlässigkeit, obwohl denkbar (Rücksichtslosigkeit515), keine strafrahmenmodifizierende Bedeutung beanspruchen und überdies auch nicht unabhängig von der Form subjektiven Unrechts gedacht werden können, spricht einiges dafür, dass die Beweggründe Kriterien einer weiteren Ausdifferenzierungen der Weichenstellungen im Bereich des subjektiven Unrechts darstellen.516 Vor dem Hintergrund des hiesigen Konzepts entspringen sie aber einem generellen Gedanken, der in der Strafzumessung immer auszudifferenzieren ist. Es lässt sich damit nicht vereinbaren, die Relevanz von Beweggründen bei der Strafrahmenkonkretisierung nur auf wenige Delikte zu beschränken.517 2. Ziele Auf den gleichen Begründungszusammenhang wie die Beweggründe könnten die gewöhnlich dem subjektiven Tatbestand zugeschlagenen besonderen Ziele des Täters gestützt werden, die in einigen Delikten (z. B. §§ 242, 263 StGB) tatbestandlich beachtet wurden.518 Von den Beweggründen unterscheiden sie sich zutreffender Weise nur in der Formulierung. Während den Beweggründen eine retrospektive Betrachtungsweise anhaftet, liegt den Zielen die Prospektive zu Grunde. Unterschiede in der Sache lassen sich jedoch kaum ausmachen.519 Mit dem Begriff „Ziel“ dürften jedoch auch Vorverlagerungen der Strafbarkeit wie bei Delikten mit sog. überschießender Innentendenz terminologisch präziser er513 Zu Beweggründen werden Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe jedenfalls dann, wenn es an ihren objektiven Voraussetzungen fehlt und sie dennoch auf die Frage der Strafbarkeit Einfluss nehmen sollen (Erlaubnistatbestandsirrtum und § 35 Abs. 2 StGB). 514 Siehe oben III. 6. b). 515 Vgl. NK-StGB/Zieschang, § 315c Rdnr. 35. 516 Vgl. für die wohl h. M. SK-StGB/Horn, § 211 Rdnr. 3; Jakobs, Strafrecht AT, 8/ 94; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rdnr. 422; eingeh. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 160 m.w. N.; ausf. zur Frage der Einordnung unten E. III. 4. 517 Vgl. Köhler, GA 1980, S. 121 ff., der für die Mordmerkmale ebenfalls ein allgemeines Kriterium (der Überlegung) aus der allgemeinen Begrifflichkeit des Verbrechens herleitet; zu möglichen freiheitstheoretischen Einwänden siehe unten E. III. 2. c). 518 Streng, in: Tatproportionalität, S. 129 (134 f.). 519 Zutr. T. Walter, Der Kern des Strafrecht, S. 126; vgl. ferner MünchKomm-StGB/ Miebach, § 46 Rdnr. 79; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 13a; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 267 f. Anm. 266 m.w. N.
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
fasst sein. Doch lassen sich nicht alle Ziele im Kontext solcher Delikte zumessungsrechtlich parallel zum Vorsatz bzw. dem bei der Tat aufgewendeten Willen entwickeln.520 So berühren sowohl die Aneignungsabsicht als Element der in § 242 BGB vorausgesetzten Zueignungsabsicht als auch die Bereicherungsabsicht des § 263 BGB die Verletzung des tatbestandlich geschützten Angriffsobjekts nicht, obwohl sie sich als entsprechende Zielsetzung durchaus formulieren lassen.521 Diese Absichten stehen offenbar außerhalb eines Vorverlagerungskontextes; mit ihrer gesetzgeberischen Verobjektivierung wäre kriminalpolitisch deshalb auch wenig gewonnen. 3. Rücktritt und tätige Reue Die Gefährdungsumkehr und ihr Versuch522 werden allgemein durch die Regelungen zum freiwilligen Rücktritt vom Versuch, § 24 StGB, und punktuell in verschiedenen Tatbeständen zur tätigen Reue mit Straffreiheit honoriert. In der Verbrechenslehre begegnen sie als sog. Strafaufhebungsgründe. Als solche sollen sie weder der Schuld noch dem Unrecht angehören und erst nach deren Beurteilung zu prüfen sein.523 a) Strafhöhenrelevante ordinale Differenzierungen im Bereich von Rücktritt und tätiger Reue Nach § 24 Abs. 1 StGB wird wegen Versuchs „nicht bestraft, wer freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgibt oder deren Vollendung verhindert“ (§ 24 Abs. 1 S. 1 StGB). Darüber hinaus ist Strafe bei vom Verhalten des Täters unabhängigem Ausbleiben der Vollendung ausgeschlossen, „wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern“, § 24 Abs. 1 S. 2 StGB. Konnte die Vollendung nicht verhindert werden, sehen einige Vorschriften des StGB mit der tätigen Reue einen weiteren Strafaufhebungsgrund vor. Diese Tatbestände zeichnen sich zumeist durch eine Vorverlagerung der formellen Voll520
Vgl. unten E. II. 2. a) aa), E. III. Vgl. Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 424 f. Etwas anders gilt, wenn die Möglichkeit, andere von dieser Freiheitsposition auszuschließen, ein Merkmal des Rechtsguts Eigentum bzw. Vermögen wäre. 522 Jäger, Der Rücktritt vom Versuch als zurechenbare Gefährdungsumkehr, passim; ders. NStZ 1998, S. 161 (162 ff.); Roxin, Strafrecht AT, Band 2, § 30 Rdnr. 34 ff. 523 Unter Strafaufhebungsgründen fasst man solche Umstände, die erst nach Tatbegehung eintreten und deswegen eine schon begründete Strafbarkeit – unabhängig von Rechtswidrigkeit und Schuld – mit rückwirkender Kraft wieder beseitigen, vgl. Fischer, Vor § 32 Rdnr. 17; Bringewat, Methodik der juristischen Fallbearbeitung, Rdnr. 524; Otto, Grundkurs Strafrecht, Band 1, § 20 Rdnr. 2; Seiler, Strafrecht AT, Rdnr. 625; eingeh. Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 16 ff. 521
IV. Nicht eindeutig zuordenbare Faktoren der Verbrechenslehre
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endung aus, durch welche die Versuchsstrafbarkeit und zugleich die Rücktrittsmöglichkeiten verkürzt werden. Die freiheiteinschränkende Tendenz einer solchen Vorverlagerung soll zugunsten des Täters durch das Institut der tätigen Reue abgefedert werden.524 Vorschriften finden sich u. a. in §§ 83a, § 87 Abs. 3, 98 Abs. 2, 129 Abs. 6, 149 Abs. 3, 158, 306e, 314a, 320, 330b des Strafgesetzbuchs. Sie räumen stets die Möglichkeit zu einer fakultativen Milderung nach § 49 Abs. 2 StGB und manchmal auch (zusätzlich) einer Strafaufhebung ein. Wenn man sie als eine spiegelbildlich zum Tatbestand konstruierte Gefährdungsumkehr versteht, sind Versuch und tätige Reue in gleichem Maße ordinalen Differenzierungen zugänglich wie das Unrecht. Dass schon die Verbrechenslehre entsprechenden Differenzierungen Einfluss auf das Strafmaß einräumen könnte, legen nicht nur die unterschiedlichen Rechtsfolgen von Rücktritt und tätiger Reue nahe, sondern auch Vorschriften wie § 89a StGB, der in Abs. 7 eine Milderung der Strafe oder eine Strafaufhebung in das Ermessen des Richters stellt. b) Hintergrund dieser Modifizierungen Schwieriger als die Frage nach dem (formalen) Ob verbrechensdogmatischer Relevanz ordinaler Skalierungen im Bereich von Rücktritt und tätiger Reue ist ihre materiale Begründung. Häufig werden hier kriminalpolitische Gründe525 angeführt. Darüber hinaus wird versucht, die Bedeutung von Rücktritt und tätiger Reue auf den Gedanken der Rechtserschütterung zu stützen. Der Täter, der von einem Versuch freiwillig zurücktrete, hebe die Erschütterung des Rechtsbewusstseins wieder auf, richte also im Ergebnis keinen ideellen Schaden an.526 Dieser Ansatz weist eine besondere Nähe zum hier vertretenen Strafkonzept auf. Dass die Erschütterung des Rechtsbewusstseins für die Enttäuschung der normativen Erwartungshaltung in intellektueller Hinsicht ein Synonym ist, legt insbesondere das Erfordernis der Freiwilligkeit nahe. Versteht man diese nach zutreffender Auffassung normativ,527 so ist es ebenfalls möglich, sowohl im Rücktritt als auch in der tätigen Reue Indizien für die motivatorische Bedeutung der Vernunft528 für 524
Fedders, Tatvorsatz und tätige Reue bei Vorfelddelikten, S. 55. RGSt 73, 53 (60); RGSt 72, 349 (350); RGSt 6, 341 (342); aus der Literatur Puppe, NStZ 1984, S. 488 (490) m.w. N. („goldene Brücke“). 526 Vgl. BGHSt 14, 75, (80); 9, 48 (52); 6, 85 (87); Schönke/Schröder/Eser/Bosch, § 24 Rdnr. 2b; NK-StGB/Zaczyk, § 24 Rdnr. 5; Gores, Der Rücktritt des Tatbeteiligten, S. 155 f.; Jakobs, ZStW 104 (1992), S. 82 (83 ff.); ders., Strafrecht AT, 26/2; Kühl, Strafrecht AT, § 16 Rdnr. 5; Schünemann, GA 1986, S. 293 (323f.). 527 Siehe m.w. N. Maiwald, GS Zipf, S. 255 (268 ff.); Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 28 Rdnr. 153 ff.; Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT, § 11 Rdnr. 90. 528 Schönke/Schröder/Eser/Bosch, § 24 Rdnr. 2b: Es sei der „Gedanke von Bedeutung, dass sich der verbrecherische Wille des Täters letztlich doch nicht als so stark erwiesen hat, wie es für die Durchführung der Tat erforderlich gewesen wäre.“; Jakobs, Strafrecht AT, 26/6 m.w. N. 525
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C. Übertragbare Schwerebewertungen aus der Verbrechenslehre
die Erhaltung einer konkreten Freiheitsposition (abstrakter: des Rechtsguts) zu erblicken. Wer dementsprechend zunächst den falschen Weg einschlägt, dann aber aus Gründen gegenseitiger Anerkennung seinen Kurs korrigiert und auf diesem Wege das bedrohte Interesse zu bewahren sucht, widerspricht selbst dem in straftheoretischer Hinsicht problematischen Anschein, den er zunächst begründet hat. Maßgeblich ist hier, dass er das Normvertrauen, das sich letztlich immer als schützenswertes Sicherheitsbedürfnis im Hinblick auf konkrete werthafte Freiheitspositionen in intellektueller Hinsicht überhaupt nicht erschüttert, wenn es gerade aufgrund seiner die Norm anerkennenden Umkehrleistung529 nicht zu einer Verletzung gekommen ist. Vielmehr stellt der Täter durch freiwilligen Rücktritt oder tätige Reue die Autonomie als Garant für die Bewahrung konkreter Freiheiten und damit die Gewährleistungsfunktion der Norm heraus. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Rücktritt und tätige Reue von Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich.
529
Vgl. NK-StGB/Zaczyk, § 24 Rdnr. 5.
D. Abweichungen von der Verbrechenslehre Es hat sich gezeigt, dass sich aus der Verbrechenslehre Maßstäbe für eine strafzumessungsrelevante Schwerebewertung des Unrechts und der Schuld herleiten lassen. Es ist allerdings unklar, ob diese schon aus der Verbrechenslehre folgenden Maßstäbe einen abschließenden Charakter haben oder ob darüber hinaus weitere Maßstäbe in Betracht kommen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob es auch Aussagen in der Verbrechenslehre gibt, die sich nicht auf die Strafzumessung übertragen lassen. Der Zusammenhang zwischen Verbrechenslehre und Strafzumessung kann demnach durch zwei Argumente in Frage gestellt sein. Zum einen könnte man auf bestimmte Umstände verweisen, die als weitgehend anerkannte Faktoren der Strafzumessung seit jeher Berücksichtigung finden und sich nicht aus Maßstäben der Verbrechenslehre entwickeln lassen. Zum anderen könnte auf bestimmte Aussagen der Verbrechenslehre abgestellt werden, die sich auf die Strafzumessung nicht übertragen lassen.
I. Nicht übertragbare Aussagen der Verbrechenslehre In Bezug auf den letzten Punkt finden sich einige Anhaltspunkte in einer Streitschrift bei Bruns, die sich gerade gegen die These wendet, dass Verbrechenslehre und Strafzumessungslehre in einem Zusammenhang stehen.530 Dass sich einige verbrechensdogmatisch zentrale Rechtsfiguren auf die Strafzumessung nicht übertragen ließen, belege die grundsätzliche Unabhängigkeit beider Systeme. Angeführt werden hier Unterschiede im Bereich der verschuldeten Auswirkungen der Tat, die Unterscheidung verschiedener Vorsatzformen, die Gegenüberstellung von bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit, die Heranziehung der Vorsatz- und Versuchslehre in Bezug auf Regelbeispiele und schließlich die Anwendung des § 28 StGB auf unterschiedlich Beteiligte an besonders schweren Fällen.531 Es zeigt sich, dass diese Argumente weder den bislang skizzierten Einfluss der Verbrechenslehre auf die Strafzumessung noch eine Identität der hier und dort zu Grunde zu legenden Maßstäbe in Frage stellen können.
530 531
Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 13 ff. Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 16 f.
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D. Abweichungen von der Verbrechenslehre
1. Die verschuldeten Auswirkungen der Tat Die Übertragbarkeit einiger Regeln der Verbrechenslehre auf die Strafzumessung wird in der strafzumessungsrechtlichen Literatur im Lichte des Nullum-Crimen-Grundsatzes unter dem Stichwort „außertatbestandliche Auswirkungen der Tat“ diskutiert. Dieses Problem ist überaus vielschichtig und betrifft nicht lediglich die Frage, wie mit „subjektiv“ außertatbestandlichen Folgen umzugehen ist, also solchen die den Anforderungen des Tatbestands an den subjektiven Tatbestand nicht genügen.532 Auch wird darüber diskutiert, ob objektiv außerhalb des Tatbestands liegende Erfolge und insbesondere solche in die Strafzumessung einbezogen werden dürfen, die ein anderes Rechtsgut betreffen als das durch den Tatbestand geschützte.533 Die Bejahung dieser Frage liegt augenscheinlich in der Konsequenz einer Grenzwertbetrachtung von Tatbeständen (Stichwort: Quervergleich).534 Nichttatbestandliches Unrecht ist aber offenbar kein Kriminalunrecht und deshalb ist umstritten, ob es in der Strafzumessung berücksichtigt werden kann. Eine „enge“ Auffassung möchte verschuldete Auswirkungen, die keinen Bezug zu dem tatbestandlich geschützten Rechtsgut aufweisen535, bei der Bestimmung der Strafhöhe überhaupt nicht berücksichtigt wissen.536 Die dieser Auffassung diametral entgegensetze Position verzichtet auf eine Rückbindung zum Straftatbestand, aus dessen Strafrahmen bestraft werden soll, und verlangt stattdessen, dass den Täter zumindest ein Fahrlässigkeitsvorwurf trifft.537 Gleichsam dazwischen 532
Bloy, ZStW 107 (1995), S. 576 (592 ff.); Puppe, FS Spendel, S. 451 (464 f.). Eingeh. Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 26b; Bloy, ZStW 107 (1995), S. 576 ff.; Frisch, GA 1972, S. 321; Puppe, FS Spendel, S. 451 ff. jeweils m.w. N. 534 Näher dazu sogleich [b)]. 535 Darunter soll im Folgenden nur das (weitere) Erfolgsunrecht verstanden werden, das auch nach einer – ggf. extensiven – Auslegung nicht unter die Extensionen eines Tatbestands fallen würde, vgl. Frisch, GA 1972, S. 321 (326 Anm. 30); Puppe, FS Spendel, S. 451 (464); ferner Bloy, ZStW 107 (1995), S. 576 (581). 536 Bloy, ZStW 107 (1995), S. 576 (578 ff.) und Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 26 b, die eine nicht unproblematische Parallele zu den Regelbeispielen ziehen, vgl. dazu unten D. I. 2. 537 So insbesondere die Rspr. BGH NStZ 2005, S. 156 (157); 2002, S. 645; 1998, S. 39; 1986, S. 85 (86) m. Anm. Berz; 1983, S. 20; BGH NStZ-RR 2006, S. 372; 2004, S. 90; OLG Karlsruhe NJW 2003, S. 1263 (1264). Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat diese Rspr. unter Berufung auf SK-StGB/Horn § 46 Rdnr. 109 und Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (753 f.) allerdings in Frage gestellt und nur solche Folgen der Tat für strafzumessungserheblich gehalten, die „geeignet sind, das Tatbild zu prägen und die Bewertung der Schuldschwere zu beeinflussen“, und „die in den Schutzbereich der strafrechtlichen Norm fallen, deren Verletzung dem Täter vorgeworfen wird“ (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 6, vgl. dazu Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 600 f.). An den herkömmlichen Kriterien halten andere Strafsenate allerdings trotzdem fest: ausdrücklich auf Distanz zur Rechtsauffassung des 4. Senats geht BGH NStZ 2002, 645 (3. Senat). Aus der Literatur etwa Bruns, 533
I. Nicht übertragbare Aussagen der Verbrechenslehre
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steht eine Auffassung, die verschuldete Auswirkungen dann berücksichtigen möchte, wenn sie vom (weiteren) Schutzzweck der verletzten Norm umfasst sind.538 In der Literatur zeichnet sich – wenn auch über die Reichweite einer solchen Begrenzung (nur objektiv oder auch subjektiv und unter welchen Voraussetzungen?) gestritten wird – doch eine gewisse Einigkeit ab, dass die in § 46 Abs. 2 S. 2 StGB genannten verschuldeten Auswirkungen der Tat nicht ganz an dem einschlägigen Tatbestand vorbeidefiniert werden können. Denn ob Unrecht außerhalb eines Tatbestands in dessen Strafrahmen einbezogen werden kann, wird im Rahmen der Diskussion um die verschuldeten Auswirkungen der Tat überwiegend unter dem Aspekt der Auslegung der Tatbestände diskutiert.539 Indessen stellt die Konkurrenzdogmatik in Frage, dass sich das Problem in diesem Kontext erschöpft. a) Konkurrenz und Schwereskala Immer wieder wird im Rahmen der Diskussion darauf hingewiesen, dass sich ein Problem nicht stellt, wenn die verschuldete Auswirkung tatbestandlich von einem zumindest ideal konkurrierenden Delikt aufgegriffen wird, § 52 Abs. 1 Alt. 1 StGB.540 Selten angesprochen wird jedoch die Frage, wie sich die Regeln der Idealkonkurrenz auf die Interpretation der Strafrahmen als kontinuierliche Schwereskala auswirken. Im Rahmen der herrschenden Konkurrenzlehre ist anerkannt, dass in ein und demselben Strafrahmen auch verschuldetes Unrecht berücksichtigt werden kann, das von den begrifflichen Intensionen des Ausgangstatbestands nicht umfasst ist.541 Werden z. B. eine vorsätzliche Sachbeschädigung und eine vorsätzliche Neues Strafzumessungsrecht?, S. 18 ff.; Mitsch, Medienstrafrecht, § 2 Rdnr. 2; Fischer, § 46 Rdnr. 34 b f. mit Einschränkungen. 538 So die wohl h. M. SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 109; Berz, NStZ 1986, S. 86 (87); Beulke/Schröder, NStZ 1991, S. 393 (395); Frisch, GA 1972, S. 321 ff. (341); ders., ZStW 99 (1987), S. 751 (753 f.); Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 888; Lampe, ZStW 89 (1977), S. 325 (339 f.); Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 171 ff.; Warda, Jura 1979, S. 2856 (289 ff.); vgl. ferner Meier, GA 1999, S. 1 (11 ff.) und Puppe, FS Spendel, S. 451 (455 ff.); dies., Individualkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 125 ff., 170 ff.; Fischer, § 46 Rdnr. 34b f. Sofern sich diese Auffassung auf eine Parallele zu den erfolgsqualifizierten Delikte stützt (so etwa Frisch, GA 1972, 321 [341]), liegt ihr freilich auch eine Grenzwertbetrachtung zu Grunde. 539 Vgl. die Nachweise in Anm. 536, 538. 540 Siehe z. B. LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 144; Bloy, ZStW 107 (1995), S. 567 (584); Puppe, FS Spendel, S. 251 (251 f., 255). 541 So kann es zumindest bei der sog. ungleichartigen Idealkonkurrenz liegen, vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, § 52 Rdnr. 22; MünchKomm-StGB/von Heintschel-Heinegg, § 52 Rdnr. 3 f.; eingeh. F. Albrecht, NZV 2005, S. 62 (63 ff.); krit. Puppe, GA 1982, S. 143 (251); dies., Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 43 ff.; dies., FS Spendel, S. 451 (465 f.); vgl. ferner Freund, Strafrecht AT, § 11 Rdnr. 58.
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D. Abweichungen von der Verbrechenslehre
Körperverletzung tateinheitlich verwirklicht, so ist es auf dem Boden des herrschenden Konzepts für die Idealkonkurrenz unschädlich, dass die Körperverletzung ausweislich ihrer tatbestandlichen Voraussetzungen mit einer Sachbeschädigung normativ nichts zu tun hat. Denn das Einzige, was beide Delikte bei Tateinheit miteinander verbindet, ist die Handlung als rein äußerer Geschehensverlauf.542 Für die herrschende Lesart der Strafrahmen betreffen die Auslegung des Strafrahmens und die Auslegung des diesen bedingenden Straftatbestands deshalb nur teilkongruente Fragen. Zu der Konzeption der Strafrahmen als kontinuierliche Schwereskala passt ein solches Verständnis nur bei Zugrundlegung eines sehr weit gefassten und abstrakten Verständnisses der Grenzwerthypothese bzw. der Skala selbst. Die einzelnen Straftatbestände (!) müssten jeweils als Grenzwerte auf einer Gesamtskala strafrechtlich beachtlicher Infragestellung des Rechts verstanden, und sämtliche Verhaltensweisen, die diese Infragestellung zu modifizieren geeignet wären, in den Strafrahmen einbezogen werden, sofern sich das aus der Konkurrenzlehre so ergibt. Möchte man die Regeln der Idealkonkurrenz mit der Vorstellung der Strafrahmen als kontinuierliche Schwereskala harmonisieren, muss die Interpretation eines Strafrahmens also ein stückweit von dem ihn bedingenden Tatbestand entrückt und als Schwereskala tateinheitlich verwirklichten „Gesamtunrechts“ verstanden werden. b) Konsequenzen für die Verwertung von „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ Es widerspräche einem Verständnis der Strafrahmen als kontinuierliche Schwereskala, wenn quantitativ gering ausgeprägtes Unrecht, das bei isolierter Betrachtung die Schwelle zur Strafbarkeit nicht überschreitet, nicht ebenso wie selbständig strafbares Unrecht innerhalb des Strafrahmens eines Delikts berücksichtigt würde, das normativ nicht mit den einzubeziehenden Faktoren zusammenhängt. Andernfalls könnten Spielräume zwischen den Strafquanten, die sich mit und ohne Verwirklichung eines absorbierten Delikts ergeben, ceteris paribus niemals ausgefüllt werden; die Schwereskala wäre also unterbrochen. Wenn zur Konkretisierung des Strafrahmens aber die Infragestellung des Rechts kontinuierlich skaliert werden soll, müssen auch solche Fälle beachtlich sein, in denen im Zwischenraum zwar kein strafbares, aber doch solches Verhalten vorliegt, das die Norm in Frage stellt.
542 MünchKomm-StGB/v. Heintschel-Heinegg, § 52 ff. Rdnr. 8; LK-StGB/Rissingvan Saan, Vor § 52 Rdnr. 8 ff.; eingeh. und kritisch zu dieser Konzeption von Idealkonkurrenz Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 243 ff.; dies., GA 1982, S. 143 (145 ff.).
I. Nicht übertragbare Aussagen der Verbrechenslehre
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Vor diesem Hintergrund wäre es konsequent, sämtliche Auswirkungen der Tat im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, sofern deren Herbeiführung sich als verschuldetes Unrecht begreifen lässt, das mit der Tat eine Einheit i. S. d. § 52 StGB bildet. Denn dieses Ergebnis würde zwanglos auch aus dem bei Idealkonkurrenz geltendem Prinzip der Strafrahmenabsorption bei Zumessungsasperation folgen, wenn die Auswirkung samt ihrer Herbeiführung ihrerseits strafrechtlich erfasst wäre.543 Würde also aufgrund einer Handlungseinheit nach § 52 StGB eine fahrlässige Sachbeschädigung in den Strafrahmen der Körperverletzung integriert werden (A verursacht fahrlässig einen Unfall, bei dem sowohl der B als auch das Fahrzeug des B zu Schaden kommen), so wäre die außertatbestandliche Folge in Bezug auf § 229 StGB strafzumessungsrelevant, obwohl deren Herbeiführung per se nicht tatbestandsmäßig ist. Die Strafrahmenkonzeption „kontinuierliche Schwereskala“ legt also in Verbindung mit den Regeln der Idealkonkurrenz, die Richtigkeit der Rechtsprechung zu den außertatbestandlichen Folgen nahe.544 Mit den Regeln der Idealkonkurrenz steht es also im Einklang, sämtliche Auswirkungen der Tat im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen, wenn sie mindestens fahrlässig herbeigeführt wurden. c) Tatbestände als Grenze Ein so weites Verständnis der Strafrahmen setzt voraus, dass zum einen eine Infragestellung des Rechts auch jenseits der Strafbarkeit existiert und zum anderen eine solche Infragestellung auch strafwürdig ist. Zumindest die Strafwürdigkeit wird aber dann in Frage gestellt, wenn die (vorsätzliche oder fahrlässige) Herbeiführung von Auswirkungen der Tat von keinem Tatbestand erfasst ist.545 Dass mit der weitgehenden Berücksichtigung verschuldeter Auswirkungen der Tat für sich genommen nicht strafbare Verhaltensweise indirekt bestraft werden könnten,546 ist deshalb vor dem Hintergrund des Nullum-Crimen-Grundsatzes547 543 MünchKomm-StGB/v. Heintschel-Heinegg, Vorbemerkung zu den §§ 52 ff. Rdnr. 14; Jakobs, AT, 31/9; Montenbruck, Strafrahmen und Strafzumessung, S. 137 ff. m.w. N. 544 Die sich andernfalls ergebende „Lücke“ in der Schwereskala dürfte allerdings nicht größer sein als das in § 38 Abs. 2 StGB angegebene Mindestmaß von einem Monat, sodass bei Freiheitsstrafe Differenzierungen nur nach Wochen, bei Geldstrafe nach Tagessätzen in Betracht kommen. 545 Vgl. demgegenüber zur Möglichkeit einer Infragestellung des Rechts jenseits der Strafwürdigkeit Frisch, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 135 (147 ff.). 546 Vgl. Baumann, NJW 1962, S. 1793 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 375 f., 413; Bloy, ZStW 107 (1995), S. 567 (585); Frisch, GA 1972, S. 321 (342); ders., ZStW 99 (1987), S. 751 (752); Puppe, FS Spendel, S. 451 (452); Spendel, NJW 1964, 1763 f.; v. Weber, MDR 1957, 693 f. 547 Nicht zu verwechseln ist dieser Grundsatz mit dem Bestimmtheitsgebot. Ein Verstoß gegen den Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“ durch eine Strafzumessungsent-
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ein naheliegender Einwand. Er wirft die allgemeine Frage auf, ob sich aus dem Tatbestand Grenzen für eine Skalierung der Infragestellung des Rechts nach der im 3. Teil der Arbeit beschriebenen Methode ergeben können. aa) Bindung an den Tatbestand im Hinblick auf die Maßstäbe der Strafzumessung Es ergibt sich zunächst aus dem Gesetz der Grenzwerthypothese, dass die aus der Verbrechenslehre folgenden Maßstäbe der Strafzumessung nicht an den Tatbestand gebunden sein können. Denn ein valider Maßstab konnte niemals allein aus einem einzelnen Tatbestand mit distinkter Rechtsfolge abgeleitet werden. Vielmehr ergab sich die Strafhöhenrelevanz eines Faktors nur aus einer vergleichenden Betrachtung mehrerer Tatbestände: Die Schwere der Körperverletzung war für die Infragestellung des Rechts nicht schon deshalb maßgeblich, weil im Grundtatbestand ein bestimmtes Maß bezeichnet ist, sondern erst weil – darüber hinaus – ein weiterer Wert außerhalb dieses Tatbestands auf die Strafhöhenrelevanz des Maßstabs hingewiesen hat. Daraus folgt, dass der für die Strafzumessung gültige Maßstab nicht im Tatbestand selbst enthalten sein kann, sondern diesem gleichsam übergeordnet ist.548 Dann kann der Tatbestand jedoch auch der strafzumessungsrechtlichen Bewertung anhand dieses übergeordneten Maßstabs keine Grenzen setzen. Seine kritische Relevanz erschöpft sich vielmehr in seinem Beitrag zur Validierung des Maßstabs. Der Nullum-Crimen-Grundsatz scheint insofern aber auch kein Problem aufzuwerfen. Nirgendwo wird bezweifelt, dass etwa im Rahmen einer fahrlässigen Körperverletzung das Ausmaß des fahrlässig herbeigeführten Erfolgs zu berücksichtigen ist, obwohl sich dies aus dem Tatbestand nicht ergibt. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass eine schwerere Beeinträchtigung der körperlichen Integrität ein „Mehr“ an tatbestandlicher Körperverletzung darstellt. Dass eine schwere Körperverletzung auch eine selbständig strafbare geringere Körperverletzung „als Minus“ enthält, mag zwar richtig sein. Dasselbe gilt aber auch für den Diebstahl einer schweren Sache gegenüber dem Diebstahl einer leichten Sache. Der graduelle Erfolg lässt sich also nicht aus sich selbst heraus in mehrere aus demselben Tatbestand strafbare Verletzungen abschichten; es bleibt dabei, dass sich der Maßstab für die Strafhöhenrelevanz nicht aus einem Tatbestand ergibt.
scheidung, die etwas bewertet, das nicht unter Strafe steht, wäre nämlich auch dann diskutabel, wenn die Faktoren zur Schwerebewertung als Strafzumessungsfaktoren genauestens bestimmt wären. Der Einwand einer indirekten Bestrafung betrifft also nicht primär die Bewertungfaktoren, sondern ihren Gegenstand. 548 Insofern wirkt sich der Maßstab freilich auch auf den Tatbestand aus, ist ihm aber gerade nicht eigentümlich.
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bb) Bindung an den Tatbestand im Hinblick auf den Bewertungsgegenstand Es ist eine weitere Frage, ob an dem zumessungsrelevanten außertatbestandlichen Maßstab ein Sachverhalt gemessen werden kann, der vom tatbestandlichen Unrecht nicht umfasst ist. Eine klare Grenze ergibt sich nur aus der Konkurrenzlehre. Demnach kann tatbestandliches Unrecht nicht strafschärfend innerhalb eines Strafrahmens berücksichtigt werden, wenn dieses mit dem tatbestandlichen Unrecht in Tatmehrheit steht. Erst recht kann dann „nicht-tatbestandliches Unrecht“ keine Berücksichtigung in einem Strafrahmen finden, wenn dieses ebenfalls im Verhältnis der Realkonkurrenz zu dem Ausgangsdelikt stünde. Darüber hinaus sind tatbestandliche Begrenzungen der zumessungsrechtlichen Skalierungen diskutabel. Die Grenzwertbetrachtung jedenfalls steht Eingrenzungen des Bewertungsgegenstandes nicht entgegen. Eindeutige Aussagen ergeben sich nämlich aus dieser nur, wenn im Besonderen Teil die Rechtsfolge ceteris paribus von einem graduellen Aspekt abhängt. Deshalb lässt sich aus einem Vergleich der Rechtsfolgen des § 223 und des § 227 StGB nicht herleiten, dass es im Strafrahmen des § 223 StGB auf das Ausmaß des Schadens unabhängig davon ankommt, ob dieser vorsätzlich oder nur fahrlässig herbeigeführt wurde. Aus dem Gesetz von der Grenzwertbestimmung ergibt sich jedoch auch die Möglichkeit, das Ausmaß der Infragestellung von den tatbestandlichen Begrenzungen unabhängig zu bestimmen. Es ist nämlich nicht eingängig, wie lediglich quantitative Differenzierungen, ein den Strafbarkeitsvoraussetzungen nicht genügendes Verhalten qualitativ als Infragestellung des Rechts ausscheiden können sollen. Der rein formale Nullum-Crimen-Satz dürfte denn auch tatbestandslose Verhaltensweisen nicht als Infragestellung des Rechts, über deren Vorliegen allein materielle und darüber hinaus in Bezug auf die Verhaltenserwartungen auch nicht genuin strafrechtliche Kriterien549 entscheiden müssen, sondern allenfalls als strafrechtlich relevante Infragestellung ausscheiden. Hält man diese Konsequenz aber für zwingend, muss entweder die Konkurrenzlehre – wie Puppe vorschlägt – in weiten Teilen revidiert550 oder die Skalentheorie modifiziert werden: Der Strafrahmen wäre ein komplexes Gebilde voneinander unabhängiger je für sich kontinuierlicher Skalen, die nach dem der Handlungseinheit innewohnenden 549 MünchKomm-StGB/Freund, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. Rdnr. 56 m.w. N.; Freund, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (46 f.); Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, S. 7 ff.; Lindemann, Voraussetzungen und Grenzen legitimen Wirtschaftsstrafrechts, S. 205; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 49, 64. 550 Vgl. Puppe, FS Spendel, S. 451 (455 ff., 463 f.); dies., Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 125 ff., 170 ff.; dies., GA 1982, S. 143 (145 ff.). Auf diese Arbeiten sollte schon deshalb verstärkt Augenmerk gerichtet werden, weil sich aus der Konkurrenzlehre, insbesondere aus den Grundsätzen der Scheinkonkurrenz wichtige Anhaltspunkte auch für Auslegung der Tatbestände ergeben.
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Zufallsprinzip kombiniert werden müssten. Weil ein solches Konstrukt sicherlich nicht allzu leicht praktisch handhabbar sein dürfte und sich außerdem aus den Grundsätzen der Gesetzeskonkurrenz auch Anhaltspunkte für die Tatbestandsauslegung ergeben,551 sollte die Lösung des Problems in einer Tatbestands- und Strafrahmenauslegung im Lichte der Konkurrenzlehre gesucht werden. d) Fazit Letztlich stehen die verschuldeten Auswirkungen einer Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen aus der Verbrechenslehre nicht entgegen. Folgt man der engen Auffassung, so ergeben sich straftatdogmatische Aussagen der Verbrechenslehre sogar in einer weiteren, begrenzenden Hinsicht. Folgt man der Rechtsprechung, so fallen die straftatdogmatischen Präzisierungen des Bewertungsgegenstandes zwar weg, es bleiben aber die quantitativen Aussagen der Verbrechenslehre in Bezug auf die Maßstäbe der Strafzumessung unangetastet. Daraus folgt zugleich im Umkehrschluss, dass eine weitgehende Berücksichtigung der verschuldeten Auswirkungen auch nicht insofern einer Folgerung von Zumessungsrelevanzen aus dem Straftatsystem entgegensteht, als damit etwas berücksichtigt würde, was über die Verbrechenslehre hinausginge. 2. Die Anwendung der Versuchsregeln auf Regelbeispiele Weiterhin führt Bruns gegen eine Einheit von Verbrechenslehre und Strafzumessung an, die Anwendung der Vorsatz- und Versuchsregeln im Bereich der Regelbeispiele habe zu einer kaum noch praktikablen Komplizierung geführt,552 vor diesem Hintergrund plädiert er dafür, die verbrechensdogmatischen Versuchsregeln nicht auf die Strafzumessung durchschlagen zu lassen. Regelbeispiele entscheiden zwar über den Strafrahmen, werden aber herkömmlich dem Strafzumessungsrecht zugeordnet.553 Die ganz herrschende Meinung geht dahin, § 15 StGB zu Gunsten des Täters auf die Regelbeispiele anzuwenden und demgemäß eine vorsätzliche Verwirklichung zu fordern.554 Sehr 551 Die Sperrwirkungen des Regeltatbildes, die eine Einbeziehung in den Strafrahmen rechtfertigen (MünchKomm-StGB/v. Heintschel-Heinegg, Vorbemerkung zu den §§ 52 ff. Rdnr. 25), dürften letztlich auch den Schutzzweck der Norm konkretisieren. 552 Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 17 m. Hinw. auf Maiwald, NStZ 1984, S. 433 (436 f.) und Wessels, Strafrecht BT, S. 48. 553 Siehe für die hM. BVerfG NJW 2008, S. 3627 (3628); BGHSt 23, 254 (256); 26, 104 (105); 33, 370 (373 f.); BGH NJW 2002, S. 150 (151) m. Anm. Sternberg-Lieben, JZ 2002, S. 514 ff.; NJW 2000, S. 226 (228); SK-StGB/Hoyer, § 243 Rdnr. 1; Schönke/ Schröder/Stree/Kinzig, Vorbem. § 38 ff. Rdnr. 47; eingeh. H. Schröder, FS Mezger, S. 415 (419 f., 420 ff.); Zipf, FS Dreher, S. 389 ff. 554 Fischer, § 15 Rdnr. 2; NK-StGB/Puppe, § 15 Rdnr. 17; Schönke/Schröder/Cramer/Sternberg-Lieben, § 15 Rdnr. 31; s. ferner BGHSt 26, 244 (245 ff.) ausführlich zu
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kontrovers diskutiert wird indessen die Anwendung des Sonderstrafrahmens bei lediglich versuchtem Regelbeispiel.555 Strittig ist hier die Frage, ob der Versuch eines Regelbeispiels schon für die Anwendung des strengeren Strafrahmens ausreichen kann, wenn Regelbeispiele als Strafzumessungsregeln verstanden werden.556 Eine verbreitete Literaturmeinung schlussfolgert aus der Rechtnatur der Regelbeispiele, dass die Anwendung des schwereren Strafrahmens bei lediglich versuchtem Regelbeispiel gegen das Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG verstoße.557 Wenn hieraus aber die Konsequenz gezogen wird, die Regeln der Verbrechensdogmatik wären auf die Strafzumessung nicht übertragbar,558 so mutet dies zirkelschlüssig an. Die Frage der Validität von Anleihen aus der Verbrechenslehre lässt sich von der Frage nach berechtigten Analogien nicht unterscheiden. Das Analogieverbot auf die Strafzumessung zu erstrecken, setzt deshalb voraus, dass Regeln aus dem Allgemeinen Teil des StGB (hier: § 23 Abs. 1 StGB) nur im Rahmen der Verbrechenslehre und nicht auch im Rahmen der Strafzumessung Anwendung finden. Abgesehen davon ist fraglich, ob ein Analogieverbot auch sachlich zielführend ist. Denn die Strafzumessung stellt einen Bereich des Strafrechts dar, in dem überhaupt erst Analogien für ein Mindestmaß an Rechtssicherheit sorgen können. Im Übrigen erlauben die auf beiden Seiten des Streits vorgetragenen Argumente keine Schlüsse auf den hier interessierenden Fragenkreis. Auch wenn die Regelbeispiele nicht den Tatbestand, sondern die Strafzumessung betreffen, besteht doch ein maßgeblicher Unterschied zu den „gewöhnlichen“ Strafzumessungsfaktoren, die zur Konkretisierung des Strafmaßes innerhalb der Strafrahmen herangezogen werden. Regelbeispiele haben allein dadurch, dass sie den Strafrahmen bestimmen, ein ganz anderes Gewicht als andere Strafzumessungsfaktoren. Selbst wenn aus diesem Grund der Bestimmtheitsgrundsatz auf Regelbeispiele nicht nur eingeschränkte Anwendung finden sollte, müsste nicht Gleiches auch für andere Strafzumessungsfaktoren gelten. Die Probleme, die die Regelbeispiele in Bezug auf bestimmte Regeln des Allgemeinen Teils aufwerfen, ergeben sich gerade aus deren den Strafrahmen bedingender Funktion559 und lassen sich daher nicht auf die Strafzumessung im engeren Sinne übertragen. Das § 11 Abs. 4 Nr. 2 BtMG a. F.; BGHSt 26, 176 (180) zu § 113 Abs. 2 Nr. 2 StGB; BayObLGSt 1990, 99 zu § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BtMG a. F.; NK-StGB/Kindhäuser § 243 Rdnr. 7, 42; 50; § 263 Rdnr. 391; MK-StGB/Schmitz § 243 Rdnr. 69; LK-StGB/ Vogel § 243 Rdnr. 70; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT, Band 2, Rdnr. 210. 555 MK-StGB/Schmitz § 242 Rdnr. 82; Überblick über den Streitstand bei LK-StGB/ Vogel § 242 Rdnr. 72. 556 Eisele, JA 2006, S. 309 (314) m.w. N. auch aus der Rechtsprechung. 557 Gössel, FS H. J. Hirsch, S. 183 (193); Graul, JuS 1999, S. 852 (855); Reichenbach, Jura 2004, S. 260 (261 Anm. 9); Seelmann, JuS 1985, S. 454 (456); Wessels, FS Lackner, S. 423 (432) jeweils m.w. N. 558 Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 17. 559 Vgl. insoweit Frisch/Bergmann, JZ 1990, S. 944 ff.
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zeigt sich deutlich daran, dass die strafschärfende Berücksichtigung entsprechender Konstellationen innerhalb eines bestimmten Strafrahmens in der Praxis560 außer Frage stehen dürfte: Der Versuch eines vom Tatbestand nicht erfassten Angriffs kann nicht nur Einfluss auf die in § 46 Abs. 2 StGB ausgewiesenen Beweggründe und Ziele des Täters haben, er betrifft auch den bei der Tat aufgewendeten Willen und als Betätigung des rechtsfeindlichen Willens maßgeblich das strafrechtliche Unrecht, auf dessen schweremäßige Bewertung es in der Strafzumessung ankommt.561 Davon abgesehen dürfte eine Andersbehandlung von Regelbeispielen und anderen Strafzumessungsfaktoren auch in der Sache nicht gerechtfertigt sein. Sinn der Regelbeispiele ist gerade eine Flexibilisierung der Strafrahmenanwendung, die aufgrund der Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes durch eine Fassung als Tatbestände gesetzestechnisch nicht geleistet werden kann. Dieses Anliegen würde zumindest teilweise konterkariert durch eine Erstreckung des unzweifelhaft für Tatbestände geltenden Analogieverbots auf Regelbeispiele. Für eine umfassende Würdigung der Tat bliebe dann nämlich nur zu Gunsten des Täters Raum, wenn sich nach der Feststellung eines Regelbeispiels aufgrund einer Gesamtbetrachtung erweisen sollte, dass die Anwendung des strengen Strafrahmens nicht angemessen ist. 3. Teilnahme und Regelbeispiel Probleme wirft ferner die Frage auf, ob auch ein Teilnehmer bei entsprechendem Vorsatz stets aus dem Sonderstrafrahmen zu bestrafen ist, wenn der Haupttäter ein tatbezogenes Regelbeispiel verwirklicht hat. Eine entsprechende Anwendung des in der Verbrechenslehre anerkannten Grundsatzes der limitierten Akzessorietät legt eine Bejahung dieser Frage nahe.562 Gegenläufige Argumentationen mit dem aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Analogieverbot oder mit einem in der Strafzumessung geltenden Selbständigkeitsgrundsatz563, sind hier zirkelschlüssig, weil sie die dogmatische Eigenständigkeit der Rechtsfolgenbestimmung bereits voraussetzen. Wer hingegen die Funktion des Akzessorietätsgrundsatzes auf die Zurechnung von Unrechtstypen beschränkt und dieses Prinzip deswegen nicht auf Regelbeispiele anwenden will,564 widerspricht vor dem Hintergrund der Doppelfunktion des Tatbestands 560 Die Diskussion um die verschuldeten Auswirkungen bei der Tat dürfte allerdings auch manches Regelbeispiel betreffen. 561 Vgl. Reichenbach, Jura 2004, S. 260 (263 f.); ausf. zu dem „bei der Tat aufgewendeten Willen“ noch unten E. II. 2. a) aa) und E. III. 562 Bruns, GA 1988, S. 339; ders., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 17; Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (8). 563 Bruns, GA 1988, S. 339 (340, 348); ders., Neues Strafzumessungsrecht?, S. 17. 564 Vgl. Maiwald, NStZ 1984, S. 433 (437).
II. Relevanzen, die sich nicht aus der Verbrechenslehre herleiten lassen
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grundsätzlich nicht der Übertragung nur solcher Maßbegriffe, die Bezug zu Unrechts- oder Schuldschwere aufweisen. Abweichungen bei der Entscheidung über Sonderstrafrahmen sind aber auch dann kein Beleg für die Eigenständigkeit des Zumessungsrechts, wenn nach dem Akzessorietätsprinzip auch das Strafmaß des Teilnehmers von der Haupttat abhängen soll. Eine solche Abhängigkeit der Strafwürdigkeit des Teilnehmers von haupttatbezogenen Merkmalen besteht auch dann, wenn eine Gesamtabwägung zeigt, dass die Akzessorietät eine Verschiebung des Strafrahmens lediglich vor dem Hintergrund anderer Zumessungsgründe nicht trägt.565 Auch hier zeigt sich, dass Argumente in der Diskussion um strafrahmenmodifizierende Merkmale nicht unbesehen auf die Strafzumessung i. e. S. übertragen werden können.
II. Relevanzen, die sich nicht aus der Verbrechenslehre herleiten lassen Hinsichtlich der Relevanzen, die sich nicht aus der Verbrechenslehre herleiten lassen, wird vor allem das Vor- und Nachtatverhalten genannt und dabei oft als Beleg für die Eigenständigkeit des strafzumessungsrechtlichen Schuldbegriffs angeführt.566 Darüber hinaus gibt es aber auch Strafzumessungsfaktoren, die in den Schuldbegriff zu integrieren gar nicht versucht wird. Zu solchen schuldfremden Faktoren gehören neben präventiven Erwägungen der Zeitablauf, unmittelbare und mittelbare Straftatfolgen, die Strafempfindlichkeit sowie rechtsstaatswidrige Verfahrensfehler.567 1. Präventive Faktoren Präventive Faktoren, die im Rahmen der Strafzumessung nach Auffassung der Rechtsprechung Berücksichtigung finden können, sind solcher spezialpräventiver und negativ generalpräventiver Art.568 Diese werden von der Schuldstrafe in Literatur und Rechtsprechung ausdrücklich distanziert.569
565 Siehe Schönke/Schröder/Eser/Bosch, § 243 Rdnr. 47; SK-StGB/Hoyer, § 243 Rdnr. 57; StGB/Schmitz, § 243 Rdnr. 79. 566 Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 16; Arthur Kaufmann, Das Schuldprinzip, S. 255 ff. 567 Zsf. Frisch, FS Jareborg, S. 255 ff.; Lehmann, StraFo 1999, S. 109 ff. 568 Vgl. MünchKomm-StGB/Miebach, § 46 Rdnr. 32 ff., 46 ff.; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 888 f. jeweils m.w. N. 569 A. A. für die negative Generalprävention Köhler, Über den Zusammenhang von Strafrechtsbegründung und Strafzumessung, S. 49 ff.
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a) Konzeptioneller Rahmen: Die Spielraumtheorie Nach der sog. Spielraumtheorie kann die Strafe nach Schuldschweregesichtspunkten nicht präzise bestimmt werden. Unabhängig von der Frage, ob die Schuld theoretisch eine Punktstrafe fordere,570 sei eine Entwicklung einer Punktstrafe aus Schuldgesichtspunkten zumindest praktisch nicht möglich. In der Praxis könne lediglich grob angegeben werden, wo sich im Strafrahmen der Fall nach der Unrechts- und Schuldschwere einordnen ließe. Deshalb erscheine die schuldangemessene Strafe praktisch als Rahmen oder Spielraum mehrerer vertretbarer Schuldstrafquanten. Innerhalb dieses Spielraums könnten ohne Friktionen mit dem Schuldgrundsatz präventive Faktoren berücksichtigt werden, denen zugetraut wird, die Strafe weitergehend zu konkretisieren.571 Soweit die Spielraumtheorie in der Literatur abgelehnt wird, werden präventive Gesichtspunkte ebenfalls nicht in die Schuld integriert, sondern als deren Korrektive verstanden572 oder in andere Systeme verlagert.573 b) Negative Generalprävention Im Rahmen des Spielraums bemüht die ständige Rechtsprechung die negative Generalprävention zur Begründung von Strafschärfungen, deren Realgrund in einer gemeinschaftsgefährlichen generellen Zunahme der zur Aburteilung stehenden Straftat oder ähnlicher Delikte liegt.574 Diese Annahme ist in zweierlei Hinsicht nicht unproblematisch. aa) Das empirische Problem Die Rechtsprechung geht offenbar davon aus, dass sich Tatgeneigte in der Allgemeinheit durch höhere Strafen besser abschrecken lassen. Diese Annahme lässt sich empirisch allerdings allenfalls nur begrenzt belegen.575 Die abschreckende 570 Vgl. zur Irrelevanz dieses theoretischen Streits Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 107; Dreher, FS Bruns, S. 141 (162); Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 828. 571 BGHSt 20, 264 (266 f.); 19, 201 (206); 17, 354 (357); 7, 86 (89); 7, 28 (32); 6, 125 (127); Theune, StV 1985, S. 162 (163 f.); eingeh. Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (270, 271 ff.). 572 Frisch, ZStW 99 (1987), S. 349 (369); Roxin, FS Schultz, S. 463 (473 ff., 479). 573 So z. B. die sog. Stellenwerttheorie SK-StGB/Horn § 46 Rdnr. 33; ders., FS Schaffstein, S. 241 ff.; ders., FS Bruns, S. 165 ff.; vgl. LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 48 m.w. N. 574 BGHSt 17, 321 (324); BGH, NStZ 1983, S. 501; 1982, S. 463; 1982, S. 112 m. Anm. Wolfslast; StV 1983, S. 14; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Generalprävention 2; LG Osnabrück, Beschl. v. 23.3.2012 – 10 KLs 37/11, 10 KLs – 1100 Js 39222/11 – 37/11. 575 MünchKomm-StGB/Joecks, Einl. Rdnr. 67; Bockelmann, in: Heidelberger Jahrbücher V, S. 25 ff.; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 47; Hörnle, FS Roxin II, S. 3 (8, 13); Roxin, JuS 1966, S. 337 (380); Streng, Strafrechtliche
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Wirkung einer Einzelstrafe setzt mindestens zwei Bedingungen voraus. Zum einen muss die Strafe in der Allgemeinheit als Reaktion auf bestimmtes Verhalten, in Bezug auf das abgeschreckt werden soll, wahrgenommen werden. Zum anderen ist erforderlich, dass sich die Adressaten durch diese Information auch motivieren lassen. Das Gegebensein beider Bedingungen ist für die (einzelne) Strafe schon als solche fraglich.576 In einem prozessualen Durchschnittsfall dürften regelmäßig nur wenige Leute von dem verhängten Strafmaß, noch weniger zutreffende Kenntnis über die Umstände haben, die für die Strafbarkeit (und Strafzumessung) relevant sind.577 Die Motivierbarkeit ist nur für bestimmte Delikte, für die rationales Kalkül überhaupt eine Rolle spielt, plausibel zu machen578 und dürfte – abgesehen von dem Problem des Entdeckungsrisikos579 – selbst in dem dann noch plausiblen Bereich eher von der Strafart abhängen. Das in der Wissenschaft vorherrschende Urteil über die Wirksamkeit der Abschreckung fällt dementsprechend vernichtend aus.580 Der empirische Einwand wird schon generell gegen eine negativ generalpräventive Funktion der Strafandrohung und Strafverhängung geltend gemacht. Geht es um negativ-generalpräventive Strafschärfungen, wird er freilich noch verstärkt. Wenn sich nämlich ein generalpräventiver Effekt des Strafens insgesamt kaum, der Verhängung einer einzelnen Strafe noch weniger nachweisen lässt, wird von der konkreten Strafhöhe bzw. einer bestimmten Strafschärfung ein abschreckender Effekt am wenigsten zu erwarten sein.581 Dies gilt besonders vor
Sanktionen, Rdnr. 59 ff.; ders., ZStW 92 (1980), S. 637 (670 f.); eingeh. Schöch, FS Jescheck, S. 1081 ff. 576 Näher Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (35); ders., in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (41); Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 47 m.w. N. 577 Differenzierend Hassemer, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (43); wichtig erscheint im Hinblick auf das generalpräventiv begründete konkrete Strafmaß vor allem die Vermittlung von Einzelfallkenntnis; allein eine sich vermittelnde, gar überraschend hohe Strafe für eine bestimmte Deliktsart könnte ja auch auf eine höhere Tatschuld des Bestraften hindeuten. 578 Vgl. P.-A. Albrecht, Kriminologie, S. 65; H.-J. Albrecht, in: Empirische Kriminologie, S. 305 (318); Dölling, ZStW 102 (1990), S. 1 (19); Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 81; Kaiser, Kriminologie, § 31 Rdnr. 34; Koller, ZStW 91 (1979), S. 45 (82); Mushoff, Strafe–Maßregel–Sicherungsverwahrung, S. 120 f.; Stratenwerth, Was leistet die Lehre von den Strafzwecken, S. 9; Weigend, FS H. J. Hirsch, S. 917 (933). 579 Lüderssen, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 55 (70). 580 Siehe etwa SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 30; H.-J. Albrecht, in: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S. 157 (161); Schumann/Berlitz/Guth/Kaulitzki, Jugendkriminalität und die Grenzen der Generalprävention, S. 12; Giehring, KrimJ 1987, S. 2 (28); differenzierend Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 79 ff. 581 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 81 f. mit weiteren Nachweisen aus der amerikanischen und deutschen Sanktionenforschung.
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dem Hintergrund, dass solchen Schärfungen durch den Schuldrahmen zumindest in der Theorie quantitativ Grenzen gesetzt sind. bb) Das normative Problem Neben die empirischen Probleme der negativen Generalprävention treten solche genuin normativer Art.582 So wird zu Recht angenommen, den Täter zur Allgemeinabschreckung zu bestrafen, stelle einen Verstoß gegen die durch die Verfassung geschützte Menschenwürde dar.583 Dieser Verstoß lässt sich nicht hinwegreden, indem man auf die Legitimation des Schuldrahmens selbst und mit ihm aller darin enthaltener Strafquanten durch verfassungslegitime Gründe außerhalb der negativen Generalprävention verweist. Legitimierungsbedürftig ist nämlich auch die Strafzumessung innerhalb des Schuldrahmens, soweit sie mit Eingriffen in Grundrechte des Betroffenen einhergeht.584 Wenn die negative Generalprävention deshalb als solche nicht legitimiert werden kann, muss sie auch als Präzisierungsfaktor innerhalb der Strafrahmen ausscheiden. Hinzu kommt auf dem Boden der hier vertretenen theoretischen Grundlegung noch ein weiteres Problem. Strafschärfungen, die auf negativ generalpräventiven Erwägungen beruhen, lassen sich mit dem Grundgedanken der positiven Generalprävention nicht vereinbaren. Normanerkennung soll nach dieser Präventionsform gerade nicht durch Furcht und Schrecken erzwungen, sondern durch auf Einsicht beruhende Freiwilligkeit erreicht werden. In dieses Konzept lässt sich zwar denklogisch auch die Abschreckung integrieren und zwar, indem man die als nachteilig empfundene Übelszufügung als Instrument dazu versteht, die für dispositionelle Veränderungen notwendige Information zu vermitteln.585 Jedoch lassen sich damit auf den Abschreckungsgedanken gestützte Strafschärfungen im Einzelfall nicht rechtfertigten. Die formale Durchbrechung der Mittel-ZweckRelation hätte im Gegenteil sogar eine Gefährdung des Zwecks der Generalprävention zur Folge, wenn man mit ihr nämlich mehr als nur die Unterscheidung von richtig und falsch bezweckt.586 Der Widerspruch geht über diese der sog. Antinomie der Strafzwecke eigentümliche Möglichkeit sich widersprechender Er582 Empirische Probleme setzen sich freilich immer in die normative Dimension fort, vgl. SK-StGB/Horn, § 43 Rdnr. 30; Hassemer, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (39, 49 ff.). 583 Eingeh. Badura, JZ 1964, S. 337 ff.; Naucke, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 9 ff.; s. ferner Köhler, Über den Zusammenhang von Strafbegründung und Strafzumessung, S. 37, 47 f.; Maurach, FS Eb. Schmidt, S. 301 (307); Roxin, JuS 1966, S. 377, (380); E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (796 f., 798); Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafe, S. 49 m.w. N.; vgl. aber andererseits BVerfGE 45, 187 (253); 39, 1 (57); 21, 391 (404). 584 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 33; Hassemer, in: Hauptprobleme der Generalprävention, S. 29 (41); Stree, Deliktsfolgen und Grundgesetz, S. 42 ff. 585 Baurmann, in: Positive Generalprävention, S. 1 (6 f.) = GA 1994, S. 368 (375 f.). 586 Schünemann, in: Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209 (223 ff.).
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gebnisse der Strafzumessung im Einzelfall noch hinaus, weil sich die positive und die negative Generalprävention in ihrer Begründung gegenseitig ausschließen. Die positive Form der Generalprävention erteilt der negativen nämlich eine deutliche Absage.587 Es wäre deshalb eine nicht von der Hand zu weisende legitimatorische Ungereimtheit, wenn die positive Generalprävention, ihrem negativen Gegenspieler in einem Spielraum vertretbarer Strafquanten Platz ließe. Aus diesen Gründen ist die Abschreckungsprävention als Kriterium zur Präzisierung des Strafrahmens insgesamt abzulehnen. c) Spezialprävention Zur Konkretisierung des Schuldrahmens werden darüber hinaus spezialpräventive Erwägungen herangezogen. Der BGH erkennt in der Tatsache, dass der Gesetzgeber den generalpräventiven Zweck im Gegensatz zur sozialen Anpassung nicht ausdrücklich anführt, eine bedeutende Schwerpunktverlagerung der Strafzumessung auf den spezialpräventiven Gesichtspunkt.588 Die Spezialprävention begegnet in der Rechtsprechung zum Strafzumessungsrecht in unterschiedlichen Spielarten. Bei der spezialpräventiven Individualisierung der Strafe gehe es, so der Bundesgerichtshof, nicht allein um die gezielte Einwirkung auf einen schon entsozialisierten Täter, die Verurteilung und sinnvoller Vollzug erreichen sollen, sondern auch um die Vermeidung unbeabsichtigter Nebenwirkungen von Verurteilung und Vollzug, etwa der Gefahr, dass die Strafe einen bisher sozial ausreichend eingepassten Täter aus der sozialen Ordnung herausreißt.589 aa) Vermeidung von Nebenfolgen Die Vermeidung solcher Nebenfolgen soll über § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nicht nur bei der Wahl der Strafart, sondern schon bei der Strafhöhenbemessung, nach dem Konzept der Rechtsprechung also innerhalb des Schuldspielraums ein entscheidender Leitgedanke sein.590 Wenn es um bereits eingetretene Folgen der Straftat geht, das Kind also schon in den Brunnen gefallen ist, soll nach manchen Entscheidungen sogar ebenfalls der spezialpräventive Gesichtspunkt eine Milderung begründen können. Hintergrund ist der zweifelhafte Gedanke, dass ein Täter, der auch anderweitig mit einem Übel als Folge seiner Tat belastet ist, empfindlicher auf Strafe reagieren könnte als jemand, den entsprechende Folgen nicht treffen.591 587
Vgl. nur Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29 (34 ff.). BGHSt 24, 40 (42); BGH NStZ 1993, S. 584; StV 1991, S. 513. 589 Horn nennt das „passive“ Spezialprävention, SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 35 f., 39. 590 BGHSt 20, 264 (267); BGH StV 2000, S. 662 f. 591 BGHSt 82, 68 ff.; vgl. ferner BGH NStZ 1983, S. 408; MDR 1980, S. 271 (272); eingeh. Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 39 f. 588
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bb) Spezialpräventive Strafschärfungen Umgekehrt werden auch Strafschärfungen auf die Spezialprävention gestützt. Wichtigster Anwendungsfall spezialpräventiver Strafschärfungen sind Vorstrafenbelastungen.592 Darüber hinaus kommt eine Schärfung aber auch unter dem allgemeineren Gesichtspunkt der besonderen kriminellen Energie in Betracht.593 Damit rückt, wie noch aufzuzeigen sein wird, das gesamte Vor- und Nachtatverhalten in den präventiven Blickpunkt. Von der Schuldwertung lassen sich die spezialpräventiven Erwägungen im Ergebnis oft nicht unterscheiden. Ein und derselbe Umstand soll sowohl eine erhöhtes spezialpräventives Bedürfnis als auch eine erhöhte Schuld des Täters begründen – doppelte Indizkonstruktion.594 Gegenläufige Tendenzen aus Schuld und Prävention kommen regelmäßig nur dann in Betracht, wenn sich die etwa aus einer erhöhten Vorstrafenbelastung gefolgerte Gefährlichkeit des Täters aus einem Schulddefizit ergibt.595 cc) Überzeugungskraft spezialpräventiver Ausfüllung des Schuldrahmens Die praktizierte spezialpräventive Ausfüllung des Strafrahmens vermag nur bedingt zu überzeugen. Jedenfalls gegen eine strafhöhenintensivierende Veranschlagung spezialpräventiver Erwägungen spricht das vielschichtige empirische Problem. Abgesehen von den Unsicherheiten der Gefährlichkeitsprognose,596 liegt die spezialpräventive Wirksamkeit von Strafen bislang weitgehend im Ungewissen.597 Gleichwohl setzt die Praxis stillschweigend eine gefährlichkeitsproportionale Strafe als spezialpräventiv richtiges Instrument voraus, sofern sie die Strafe mit Rücksicht auf die Vorstrafenbelastungen des Täters schematisch schärft.598 Gerade das Prinzip des „more of the same“ hat sich empirisch aber
592 Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 292; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 45 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 53, 66, 142, 163. 593 Vgl. dazu mit weiteren Nachweisen unten E. II. 2. b) [insbes. bb)]. 594 Siehe Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, 268; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 163; eingeh. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 591 ff. m.w. N. aus der älteren Rechtsprechung. 595 Vgl. etwa BGHR StGB § 46 Abs. 1 Spezialprävention 2; BGHR StGB § 46 Abs. 1 Wiedereingliederung 2. 596 Dazu Frisch, Prognoseentscheidungen, S. 118; Kaiser, Kriminologie, § 88 Rdnr. 3 ff.; eingeh. Dahle, in: Handbuch der Forensischen Psychiatrie. Band 3, S. 1 (25 ff.); Knecht, Kriminalistik 1996, S. 439 ff. 597 H. J. Albrecht, Strafzumessung bei schwerer Kriminalität, S. 67; Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (283) m.w. N.; Ehret, Strafen oder Erziehen, S. 72; Hörnle, FS Roxin II, S. 3 (16 f.).; dies., Tatproportionale Strafzumessung, S. 84 ff.; Schöch, FS Schaffstein, S. 255 (256 f.); Kaiser, Kriminologie, § 20 Rdnr. 7 m.w. N. 598 Vgl. Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 52 Anm. 118; Stuckenberg, StV 2007, S. 655 (655) – Die „Dosiserhöhung“ ist jedenfalls die Folge des von der
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bislang nicht als richtig erweisen können. Im Gegenteil heißt es häufig sogar in Bezug auf die Freiheitsstrafe, diese habe kriminogene Wirkung.599 Wenn etwas auf die Erreichung des spezialpräventiven Anliegens Einfluss haben kann, dann sind das am ehesten die Entscheidung über die Strafart und die Modalitäten ihrer Vollstreckung.600 Diesen kann man durch eine Anpassung der Strafhöhe innerhalb des vorgegebenen Schuldrahmens aber nur bedingt Rechnung tragen. Wenn sich wegen der durch den Spielraum an vertretbaren Schuldstrafquanten bedingten Eingrenzungen keine Möglichkeit ergibt, auf eine mildere bzw. strenge Strafart auszuweichen, müsste belegt werden, dass allein die Modifizierung des Strafmaßes innerhalb des Schuldrahmens (also ungeachtet Strafart und Vollstreckung) zur Verhinderung von Straftaten durch den zu bestrafenden Täter geeignet ist. Hier dürfte dann das zur negativen Generalprävention Gesagte entsprechend gelten: Wenn schon die spezialpräventive Wirkung der Strafe insgesamt mehr als zweifelhaft ist, muss das erst recht und umso mehr gelten für die innerhalb des Schuldspielraums möglichen Differenzierungen.601 Jedenfalls lässt sich die präventive Wirkung des Strafmaßes nicht unabhängig von ihrer Art, nicht unabhängig vom Vollzug der Strafe und dessen Modalitäten bewerten. Im Ergebnis nicht anders verhält es sich für die spezialpräventiv begründeten Strafmilderungen. Zwar erscheinen hier die Prämissen, dass – erstens – Nebenwirkungen von Strafverhängung und Vollstreckung ausgehen können, die aufgrund ihrer negativen Eigenschaften für die Erreichung des spezialpräventiven Anliegens abträglich sein, und dass – zweites – diese durch eine entsprechende Reduktion des Strafmaßes ganz oder teilweise verhindert werden könnten, plausibel. An den empirischen Nachweis dürften hier im Vergleich zu (spezialpräventiven) Strafschärfungen überdies wegen der im Ergebnis entlastenden Folgen für den Täter geringere Anforderungen zu stellen sein. Allerdings verlieren die empirischen Prämissen wiederum an Plausibilität im Hinblick auf die Frage, ob mit einem ganz bestimmten Strafmaß im Vergleich zu anderen Strafquanten negative Wirkungen auf das spezialpräventive Anliegen einhergehen. Es liegt nahe, dass auch hier allenfalls feststellbare Negativwirkungen weniger mit der Höhe als mit Strafart und den Modalitäten der Vollstreckung zusammenhängen, sodass sich der Großteil der unter dem Aspekt der Nebenwirkungen problematischen Fälle ebenfalls nur durch eine solche Modifikation der Strafhöhe lösen lassen, die ein Ausweichen auf eine andere, mildere Strafart erlaubt. Das grundsätzliche empi-
Rechtsprechung zu Grunde gelegten Überwindungsmodells, vgl. ausf. unten II. 2. b) aa) (4). 599 H. J. Schneider, FS Seebode, S. 525 (533); Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 16; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (172) m.w. N. in Anm. 37. 600 Zutr. SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 35; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 206. 601 Vgl. SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 27.
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rische Problem der Spezialprävention bleibt also auch bei den Nebenwirkungen bestehen und würde nur in seiner Brisanz entschärft, insofern als auf die fragwürdige empirische These nicht eine Strafschärfung, sondern eine Strafmilderung gestützt werden soll. Auch eine Argumentation mit der sog. Strafempfänglichkeit602 kann letztlich nicht überzeugend die Richtigkeit der Rechtsprechungspraxis in Bezug auf spezialpräventive Milderungen der Strafe belegen. Der Gedanke, dass Nebenfolgen von Strafen auf ein spezialpräventiv wirksames Gesamtübel aufaddiert werden können, ist gerade vor dem Hintergrund der Rechtsprechung nicht eingängig.603 Nebenfolgen sollen ja nicht erst durch ihr Zusammentreffen mit der verhängten Strafe, sondern als solche, d.h. absolut „unbeabsichtigt“ sein, weil sie nämlich der Resozialisierung schaden können. Wenn sie eingetreten sind, können sie also nicht die spezialpräventive Wirkung der Strafe über die Steigerung der Strafempfänglichkeit erhöhen und indirekt also doch wieder positiv wirken. Aus diesem Grund erscheint es als bessere Lösung, die Spezialprävention und die negative Generalprävention jedenfalls aus der Konkretisierung des Schuldrahmens auszuschließen.604 Zu praktischen Abweichungen wird das nur in seltenen Fällen führen. Zumindest schematisch spezialpräventive Schärfungen der Strafe können nämlich häufig mit schuldbezogenen Argumentationen ausgetauscht werden.605 Den Hintergrund der in der Rechtsprechung unter dem spezialpräventiven Aspekt diskutierten Milderungen hingegen bildet möglicherweise ohnehin nicht die Spezialprävention. Die Rücksichtnahme auf besondere Härten der Strafverhängung auch unter Berücksichtigung zu erwartender oder schon erfolgter Nebenwirkungen könnte in Wahrheit vollständig auf die sogenannte Strafempfindlichkeit und mithin den Gedanken einer individualisierenden Verteilungsgerechtigkeit zurückgeführt werden.606 Diese Erwägung dürfte zumindest die zumessungsrechtliche Praxis der Berücksichtigung von Nebenfolgen, die nicht zwingend eine spezialpräventive Relevanz entfalten müssen,607 besser beschreiben als die Spezialprävention. Davon abgesehen dürfte es der Bedeutung der Spezialprävention als Strafzweck ohnehin nicht entsprechen, dass mit der Milde602 Dazu Henkel, FS Lange, S. 179 ff.; Jagusch, Die Praxis der Strafzumessung, S. 15; Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 225 f.; eingeh. unten 3. 603 BGHSt 82, 68 ff.; vgl. ferner BGH NStZ 1983, S. 408; MDR 1980, 271 (272); LK-StGB/Gribbohm, § 46 Rdnr. 25; Müller-Dietz, FS Spendel, S. 413 (329 ff.); Terhorst, JR 1989, S. 184 (185); eingeh. Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 39 f. 604 Im Ergebnis ebenso die Vertreter einer tatproportionalen Strafzumessung (Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 78 ff.) und (tendenziell) der Stellwerttheorie Horn, FS Schaffstein, S. 241 (245 ff.); einschränkend SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 33 ff. 605 Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (304); eingeh. dazu unten E. II. 2. b). 606 Vgl. Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 78 ff., 339 ff. 607 Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 338 f.
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rung zur Vermeidung von unbeabsichtigten Nebenwirkungen der Strafe im Ergebnis gerade die spezialpräventive Kontraproduktivität der Strafe im Einzelfall belegt wird.608 Durch eine Lösung der Strafzumessung i. e. S. von der Spezialprävention wird die Strafmaßkonkretisierung zudem auch von den normativen Bedenken entlastet, die gegen die Spezialprävention vorgebracht zu werden pflegen.609 d) Exkurs zur Problematik der Spielraumtheorie Wie sich zeigen wird, begründen die genannten präventiven Erwägungen die einzigen diskutierten realen Faktoren der Strafzumessung, die gegenüber der Schuld ein Antinomieproblem aufwerfen können. Deshalb ist es nicht dem Zufall geschuldet, dass im sog. Schuldspielraum610 ausschließlich für präventive Aspekte und nicht etwa für Zeitablauf, Strafempfindlichkeit usw. Platz ist. Es hat sich aber gezeigt, dass die präventiven Erwägungen innerhalb des Spielraums inhaltlich angreifbar und abzulehnen sind. Wenn es aber keine Faktoren gibt, mit der ein etwaiger Spielraum sinnvollerweise ausgefüllt werden kann, stellt das freilich auch die Spielraumtheorie als solche in Frage.611 Denn auch eine praktisch notwendige Vagheit bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe kann dem Richter nicht die Freiheit einräumen, zwischen mehreren vertretbaren Schuldstrafgrößen eine andere als die geringste auszuwählen, wenn weitere legitime Strafzumessungsgründe fehlen.612 Davon abgesehen ist auch die Prämisse der Spielraumtheorie fraglich. Die Schuld ist ein komplexer Begriff, der eine Strafmaßkonkretisierung in mehreren Schritten erfordert. Wenn es gelingt, die Unrechts- und Schuldschwere zunächst grob anhand besonders wichtiger Faktoren zu bestimmen und dann das Ergebnis weiter zu konkretisieren (und auf diese Weise einen etwaigen Spielraum auszufüllen), kann möglicherweise mit Kriterien der Schuld zu einer Punktstrafe durchkonkretisiert werden.613 Wenn man gleichwohl eine Berücksichtigung präventiver Bedürfnisse schon auf der Ebene der Strafhöhenbestimmung für richtig halten würde, ergäbe sich dann aber schon in formaler Hinsicht ein Legitimationsproblem, insofern als man zwingend von demjenigen Grundsystem abwei608 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 35; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 149; Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (170). 609 Vgl. nur Strasser, KrimJ 11 (1979), S. 1 (7). 610 Siehe oben 1. 611 Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (276, 282 f.). 612 Vgl. SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 35; Schünemann, in: Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, S. 147 (160); s. m.w. N. Frisch, ZStW 99 (1987), S. 349 (372); ders., Festgabe BGH, S. 269 (284). 613 Vgl. Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (32 ff.); ders., ZStW 99 (1987), S. 349 (363 ff., 372 f.); Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 361 ff.; unten E. IV. 2. a).
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chen müsste, das ausweislich der Gesetzesbestimmung Grundlage der Strafzumessung ist.614 Die materiale Dimension dieses Problems betrifft das Verhältnis präventiver Erwägungen zu Sinn und Zweck der Schuldstrafe. Aufgabe der Schuldstrafe ist mit dem hier vertretenen Ansatz die Stabilisierung der faktischen Normgeltungskraft durch die Verhinderung einer sich aus der Tat ergebenden Unterordnung der Rechtsgemeinschaft gegenüber dem Täter. Zur Stabilisierung von Normvertrauen muss kommuniziert werden, dass die Rechtsgemeinschaft den Täter wieder auf ein bürgerliches Freiheitsniveau herunterzieht. Faktoren wie die zuvor erwähnten Präventionsgesichtspunkte konterkarieren aber diese Kommunikation durch Strafe und sind deshalb dem hiesigen Konzept gegenüber als einschränkende Prinzipien legitimationsbedürftig. Lässt sich der Konflikt zweier unterschiedlicher Anliegen nicht durch gewisse Spielräume bei der Umsetzung einer dieser Anliegen umgehen, kommt nur eine Lösung nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz in Betracht. Auf dem Boden der positiven Generalprävention erscheint es deshalb allenfalls vertretbar, spezialpräventiven Anliegen schon bei der Strafzumessung i. e. S. Rechnung zu tragen, sofern von einer differenzierenden Kommunikation des Geltungsgrunds der Norm insgesamt noch etwas übrig bleibt. Realisieren ließe sich eine solche Lösung durch eine Beschränkung präventiver Modifikationen des Strafmaßes auf Ausnahmefälle.615 Nach hier vertretener Auffassung sind Abstriche von der Aufhebung der Infragestellung des Rechts im konkreten Einzelfall möglich, weil das Grundanliegen der Strafe erst die Stabilisierung von Erwartungen darstellt. 2. Zeitablauf Der zeitliche Abstand zwischen Tat und Urteil taucht im gesetzlichen Katalog der „realen Strafzumessungsgründe“, § 46 Abs. 2 StGB, nicht auf. Die Rechtsprechung betont die Eigenständigkeit des Zumessungsfaktors Zeitablauf überwiegend im Zusammenhang mit rechtstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen. In derartigen Fällen erfordere „bereits der Zeitraum, der zwischen Tat und Urteil verstrichen ist, strafmildernde Berücksichtigung“ 616 und bilde „neben dem Strafmilderungsgrund der langen, nicht vom Angeklagten zu vertretenen Verfahrens614 Freilich kann darüber gestritten werden, wie die Grundlagenformel zu verstehen ist, vgl. dazu eingeh. und m.w. N. Tomforde, Die Zulässigkeit einer Unterschreitung der schuldunterschreitenden Strafe, passim. 615 Frisch, ZStW 99 (1987), S. 349 (369); Roxin, FS Schultz, S. 463 (473 ff., 479); einer Berücksichtigung nur empirisch eindeutiger Fälle steht aber entgegen, dass damit eine unangemessene Benachteiligung solcher Straftäter einherginge, die durch Strafe de facto benachteiligt werden und dies nur aufgrund fehlender empirischer Erkenntnisse nicht festgestellt werden konnte. 616 BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 S. 1 Verfahrensverzögerung 3 = BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 3; BGH StRR 2008, S. 83; BGH NStZ 1986, S. 217 (218).
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dauer einen besonderen, eigenständigen Strafmilderungsgrund“ 617. Eine lange Zeitspanne könne schließlich auch „ein wesentlicher Strafmilderungsgrund (sein), ohne daß es dabei auf die Dauer des Strafverfahrens ankommt“ 618. In zahlreichen anderen höchstrichterlichen Entscheidungen finden sich ähnliche Formulierungen, die den langen Abstand zwischen Tat und Urteil von anderen (mit Verfahrensverzögerungen zusammenhängenden) Strafmilderungsgründen emanzipieren.619 a) Hintergrund der Relevanz des Zeitablaufs Es finden sich in obergerichtlichen Entscheidungen Verweise auf denkbare straftheoretische Verankerungen des Zeitablaufs. aa) Veränderte Bewertung der Schuld So ziehen die Gerichte in einigen Entscheidungen zur zumessungsrechtlichen Bewertung bloßen Zeitablaufs die Verjährungsvorschriften heran. Rücke die Aburteilung in die Nähe der in § 78c Abs. 3 S. 2 StGB bestimmten Frist, erlange der Abstand zur Tat besonderes Gewicht und sei in der Regel ein wesentlicher Strafmilderungsgrund.620 Dem Bundesverfassungsgericht dient § 78 Abs. 2 StGB als Begründung dafür, dass sich die absolute Strafdrohung des § 211 StGB auch auf den Faktor Zeit erstrecke. Der Gesetzgeber habe mit dieser Verjährungsvorschrift zum Ausdruck gebracht, „dass er bei diesem Delikt selbst lange, zwischen Tatbegehung und Verurteilung liegende Zeiträume nicht als schuldmindernd bewertet wissen will und diese Zeitspannen auch das staatliche Interesse an der Strafverfolgung nicht beeinträchtigen“ sollen.621 Weil der prozessrechtliche Hintergrund der Verjährungsvorschriften keine Erklärung für die strafzumessungsrechtliche Relevanz des Zeitablaufs bieten kann,622 rücken die für die Verjährungsvorschriften diskutierten materialen Gründe des Zeitablaufs in den Vordergrund. 617
BGH NStE Nr. 84 zu § 46 StGB. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1; BGH PStR 2002 Heft 3, Beilage 1, 2. 619 Z. B. BGHSt 36, 363 (372); GA 1977, S. 275 (276); BGH StV 1990, S. 17; vgl. I. Roxin, Die Rechtsfolgen schwerwiegender Rechtsstaatsverstöße in der Strafrechtspflege, S. 51 ff., 91 ff. m.w. N. 620 BGH StV 2007, S. 401 f. = NStZ 2007, S. 256 f.; StV 1995, S. 130; StV 1992, S. 154 (155 f.) = NStZ 1992, S. 229 f.; 1986, S. 217 f.; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 6; vgl. BGH NStZ-RR 1998, S. 207, a. A. wohl BGH 5 StR 294/54 wiedergegeben bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 461. 621 BVerfG JR 2007, S. 251 (253); NStZ 2006, S. 680 ff. – Hier wurde offen gelassen, ob nicht in Extremfällen der Zeitablauf als außergewöhnlicher Umstand zu einer Strafmilderung führen kann; vgl. auch BGH NJW 2006, S. 1529 (1533); StV 2002, S. 598 f. 622 Der mit der Zeit schwindende Beweiswert kann insbesondere nicht mit einer Strafmilderung kompensiert werden, Krausbeck, Konfrontative Zeugenbefragung, S. 199. 618
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Die Rechtsprechung begründet denn auch die Relevanz des Zeitablaufs material mit einem gemindertem Sühnebedürfnis, einen geminderten „Sühneanspruch des Staates“,623 mit einem reduzierten Strafbedürfnis624 oder mit einem geringeren staatlichen Interesse an der Strafverfolgung625. „Im Allgemeinen“ nehme „mit fortschreitender Zeit das Interesse an der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs mit Blick auf bestimmte Strafziele – etwa den Strafzweck der Generalprävention – ab“.626 Je weniger der Schaden einer Straftat im Laufe der Zeit als schwer empfunden werde, so der Strafsenat des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone, umso geringer fiele in der Regel auch das Sühnebedürfnis aus.627 Eine etwas abweichende Erklärung bietet der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung aus dem Jahre 1995. Demzufolge würden straferschwerende Umstände nach einer langen Zeit in einem milderen Licht erscheinen. Bestimmte straferschwerende Umstände der Tat und des Nachtatverhalten hätten womöglich nicht mehr die Bedeutung, die sie bei tatnaher Aburteilung noch gehabt hätten.628, 629 bb) Indizielle Bedeutung des Zeitablaufs Von dieser materialen Begründung der Relevanz des Zeitablaufs in der Strafzumessung zu unterscheiden sind Erwägungen, für deren schweremäßige Bewertung die Zeit (nur) ein indizieller Faktor ist. Dazu gehören die Strafempfindlichkeit und Erwägungen, die etwa die Relevanz von zeitlich bedingten Belastungen des Angeklagten, insbesondere während der Dauer des Strafverfahrens, begrün623 BGH NStZ-RR 1998, S. 205 = StV 1998, S. 375; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010, S. 48. 624 BVerfG NJW 1993, S. 3254 (3255); BGH wistra 2009, S. 347 = StraFo 2009, S. 391 = StV 2009, S. 638 f.; HRRS 2007 Nr. 1127; LG Mannheim v. 4.7.2005 – Az. 22 KLs 626 Js 8412/05; vgl. ferner BGH NJW 1985, S. 1719 und BGH v. 4.2.1976 – Az. 3 StR 516/75. 625 BVerfGE 92, 277 (328); BVerfG NStZ 2006, S. 680 (862); NJW 2003, S. 2225 (2227). 626 BVerfG NStZ 2006, S. 680 (681). 627 Vgl. OGH 1, 98; OGH 2, 153 und 384. 628 BGHR StGB § 46 Abs. 2 Zeitablauf 1. 629 Von den vorstehenden Grundsätzen werden Ausnahmen anerkannt. In einigen Entscheidungen klingt an, dass vom Täter verursachte Verzögerungen der Strafverfolgung nicht zu seinen Gunsten mildernd berücksichtigt werden können (BGH StV 1988, S. 275 = BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 2; NStZ 1983, S. 167; vgl. auch BVerfG NJW 1993, S. 3254 [3255]). Darüber hinaus gebe bei Sexualstraftaten der Zeitablauf zumindest bis zur Volljährigkeit des Opfers nicht den Ausschlag, weil Opfer die Kraft zu einer Strafanzeige regelmäßig erst nach einer gewissen Zeit aufbringen (BGH StV 2007, S. 401 f. = NStZ 2007, S. 652 f. m.w. N.; vgl. andererseits BGH NStZ-RR 1998, S. 207) und damit bekunden, dass gerade keine Wunde geheilt und kein Gras gewachsen ist. Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nach OGH 1, 119, 121 f. auch nach langer Zeit noch nach wie vor als schmerzlich empfunden. Schließlich sei nach einem Mord entsprechend der Wertung des § 78 Abs. 2 StGB die verstrichene Zeit schon grundsätzlich nicht strafmildernd zu veranschlagen.
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den.630 Weiterhin sind hier spezialpräventive Erwägungen zu verorten, die vor allem eine mildernde Berücksichtigung des Umstands fordern, dass sich der Täter nach der Tat für längere Zeit straffrei verhalten hat.631 Spezialpräventive Überlegungen erklären auch die von der Rechtsprechung hervorgehobene besondere Bedeutung des Zeitablaufs im Jugendstrafrecht632 sowie bei der Verurteilung zu einem Fahrverbot nach § 44 StGB, dessen Warnungs- und Besinnungsfunktion eine zeitnahe Verhängung erfordere.633 b) Kompatibilität des Strafzumessungsfaktors Zeitablauf mit dem hiesigen Konzept In das hiesige Konzept fügt sich die zumessungsrechtliche Bedeutsamkeit des Zeitablaufs gut ein. Sofern es um die Stabilisierung von Verhaltenserwartungen geht, muss es eine Rolle spielen, ob die intellektuelle Erschütterung des Normbruchs aktuell noch in den Köpfen der Menschen präsent ist. Nur soweit das der Fall ist, kann ein generalpräventives Bedürfnis bestehen, den intellektuellen Schaden, den eine Straftat hervorgerufen hat, durch Auferlegung einer Kostenfolge zu reparieren. An dem initialen Ausmaß der Infragestellung des Rechts ändert sich allerdings nichts. Der Zeitablauf berührt deshalb nicht die Schuld, sondern „nur“ ihren übergeordneten Hintergrund, schlagwortartig: das Reaktionsbedürfnis. Insofern kommt im Hinblick auf das durch den Zeitablauf für die Normstabilisierung Erreichte eine Art Anrechnung in Betracht.634 Nur am Rande sei bemerkt, dass eine Theorie der Strafe, die den Anerkennungsgedanken nicht in einen präventiven Rahmen einordnet, mit der Berücksichtigung des Zeitablaufs Probleme haben dürfte. Sofern der Zeitablauf gleichmäßig bei allen abzuurteilenden Straftaten Berücksichtigung findet, beeinflusst er im Übrigen die in der Strafe zum Ausdruck kommende Bedeutung der Straftat für das Verhältnis gegenseitiger Anerkennung nicht. Wenn der Zeitfaktor aus der Strafe wieder herausgerechnet werden kann, ergibt sich kein Antinomieproblem. 630
OLG Karlsruhe NStZ-RR 2010, S. 48; NJW 2001, S. 1661 f. = StraFo 2001,
250 f. 631
BGH NStZ-RR 1998, S. 205. BGH NStZ-RR 1996, S. 120 f.; OLG Koblenz NStZ-RR 2008, S. 323 f. 633 Siehe z. B. BGH wistra 2002, S. 57 f.; BayOblG VRS 106, 293; OLG Düsseldorf ZfSch 2006, S. 587; StV 1993, S. 310 f.; OLG Hamm StraFo 2004, S. 282 f. = StV 2004, S. 489; Blutalkohol 43, S. 487 f.; VRS 109, S. 19; OLG Stuttgart DAR 1999, S. 180; VRS 113, 232. 634 Zweifelhaft ist allerdings, ob die Relevanz des Zeitablaufs ohne eine psychologische Erklärgung auskommt, so Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (299 in Anm. 98). Die Frage kann allerdings dahinstehen, weil die hier vertretene Straftheorie die Berücksichtigung psychologischer Effekte auf der Sekundärebene einfordert. 632
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3. Strafempfindlichkeit Die Strafempfindlichkeit trägt dem Umstand Rechnung, dass ein und dieselbe Strafe von unterschiedlichen Tätern als ein unterschiedliches Leid empfunden werden kann. Weil es der Grundlagenformel im Ergebnis darum gehe, dem Täter ein seiner Schuld entsprechendes, ein der Schuld angemessenes Übel aufzuerlegen, müsse die Strafempfindlichkeit des zu Bestrafenden bei der Strafzumessung Einfluss nehmen.635 Der Gedanke ist bei der Geldstrafe schon vom Gesetzgeber berücksichtigt worden636 und wird von der Rechtsprechung darüber hinaus auch bei der Konkretisierung der Freiheitsstrafe herangezogen. Zu einer erhöhten Strafempfindlichkeit sollen etwa in der Haft zu erwartende Verständigungsprobleme, die bei zunehmender Haftdauer aber wieder an Bedeutung verlieren sollen, wesentlich abweichende Lebensgewohnheiten und erschwerte familiäre Kontakte bei Ausländern,637 hohes Alter,638 Krankheit639 und Schwangerschaft640 führen. Die Strafempfindlichkeit steht grundsätzlich ebenso wie der Zeitablauf außerhalb des Schuldspielraums und ist an die Grenzen der Schuldstrafe nicht gebunden.641 Denn deren Sinn und Zweck wird bei einer Berücksichtigung rein subjektiver Empfindlichkeiten grundsätzlich nicht berührt. Das muss jedenfalls gelten, soweit die besondere Empfindlichkeit nach außen kommuniziert wird. Die Stabilisierung von Erwartungen kann nach der hier vertretenen autonomiebezogenen Konzeption der Strafe nur dann nicht funktionieren, wenn nach außen der Eindruck entstünde, dass die Normgeltung nicht vollumfänglich durch die Strafe hergestellt wird.642 Wenn der Allgemeinheit aber der Hintergrund der auf Strafempfindlichkeit gestützten Strafmilderung im Einzelfall verständlich gemacht werden kann, ist es ihr möglich, diesen Umstand herauszurechnen und ein dem (normativen) Ausmaß des verschuldeten Unrechts entsprechendes Strafübel zu erkennen. Dass Konflikte insofern ausgeschlossen sind, unterscheidet den Aspekt der Strafempfindlichkeit von präventiven Erwägungen, die zu einer Einschrän-
LK-StGB10 /Hirsch, § 46 Rdnr. 89; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 719 ff.; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 498 f.; Frisch, FS Jareborg, S. 255 ff.; Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (300); Maurach/Zipf, Strafrecht AT, Band 2, § 63 I Rdnr. 118; Schäfer, FS Tröndle, S. 395 (398); Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 720. 636 Fischer, § 46 Rdnr. 54; Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 126. 637 BGHSt 43, 233 ff. = NStZ 1988, S. 348 ff. m. Anm. Laubenthal. 638 Vgl. BGH JR 2007, S. 296 ff. m. Bespr. Streng. 639 Lehmann, StraFo 1999, S. 109 m.w. N. 640 Vgl. BGHSt 44, 125; BGH JR 1999, S. 163 m. Anm. Laubenthal. 641 Vgl. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 197; Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 74 f.; Streng, NStZ 1988, S. 485. 642 Vgl. auch Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 721. 635
II. Relevanzen, die sich nicht aus der Verbrechenslehre herleiten lassen
161
kung des mit der Schuldstrafe verfolgten Anliegens führen können.643 Die Strafempfindlichkeit versteht sich mithin als eine Konkretisierung des Prinzips schuldangemessenen Strafens. a) Prognoseunsicherheiten und gerechter Umgang mit der Strafempfindlichkeit Probleme bereitet allerdings gerade die Feststellung der Strafempfindlichkeit und mit ihr die Vermittlung nach außen. Zutreffend beschreibt Streng eine durchgängig an der individuellen Leidempfindlichkeit orientierte Strafzumessung als illusionär.644 Die Praxis problematisiert die Strafempfindlichkeit denn auch nur in vermeintlich eindeutigen Fällen. Es kann nicht davon die Rede sein, dass die Strafe systematisch und regelmäßig nach individuellen Gesichtspunkten der Leidempfindlichkeit bemessen wird. Eine derartige Berücksichtigung wäre ohne psychologische Absicherung im Einzelfall und ungeachtet konkreter Umstände der Vollstreckung ohnehin kaum zu realisieren. Pauschalierende Beurteilungen auf der Ebene der Strafrahmenkonkretisierungen sind ungerecht gegenüber denjenigen, deren gesteigerte Leidempfindlichkeit sich erst im oder nach dem Vollzug äußert, und gegenüber denjenigen, die zu Unrecht in die Schublade der vermeintlich abgehärteten „Knastbrüder“ 645 gesteckt werden. Allerdings berührt die auf Prognoseschwierigkeiten zurückzuführende Ungerechtigkeit für sich genommen nicht die Funktion der Orientierung der Strafe an Schuld und Unrecht.646 Denn erstens wird die Wiederherstellung der Normgeltung insgesamt kaum angetastet, wenn die Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit auf Ausnahmen beschränkt bleibt.647 Zweitens wird die Schuldstrafe nicht berührt, wenn der Faktor Strafempfindlichkeit so kommuniziert wird, dass man ihn wieder herausrechnen kann. Gleichwohl bleiben dann Unsicherheiten und Fehler bei der Prognose der individuellen Leidempfindlichkeit immer noch ein Problem, das aber möglicherweise durch eine Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit im Rahmen der Strafvollstreckung entschärft werden. b) Klassenjustiz und Schuldangemessenheit Ein weiterer, ebenfalls von Streng vorgetragener Einwand begründet durchaus und schon im Ansatz einen Widerspruch zu Sinn und Zweck der Schuldstrafe. Wenn tatsächlich eine weitgehende Berücksichtigung der Strafempfindlichkeit 643 644 645 646 647
Vgl. dazu oben 1. Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 721 m.w. N. in Anm. 2612. Vgl. Zipf, Die Strafmaßrevision, S. 225. Streng, NStZ 1988, S. 485 (486 f.); ders., Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 721. Vgl. oben 1. d) a. E.
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D. Abweichungen von der Verbrechenslehre
den Eindruck der Klassenjustiz erweckt,648 steht im Ergebnis offenbar gerade keine Strafe, die in ihrem Maß zur Wiederherstellung des Anerkennungsverhältnisses zwischen Täter und Rechtsgemeinschaft tauglich ist. Der Grund dafür dürfte jedoch weniger in der sozialpsychologischen Bedeutsamkeit der Vorstellungen der Allgemeinheit649 für die Strafzumessung als in dem Verhältnis von Strafempfindlichkeit zu gewissen normativen Erwägungen selbst liegen. Nicht zufällig stoßen gerade solche auf den Gedanken der Strafempfindlichkeit gestützte Milderungen auf Befremden, die für bestimmte Deliktsgruppen den Regelfall darstellen. Weil der Regelfall aus normativen Gründen weder schärfend, noch mildernd berücksichtigt werden darf, ist auch eine Milderung aufgrund von Strafempfindlichkeiten problematisch, die ausschließlich bestimmte Deliktsgruppen betreffen. Das Problem reicht jedoch noch darüber hinaus und wird noch deutlicher, wenn eine individuelle Strafempfindlichkeit mit einem unter Schuldgesichtspunkten strafschärfend zu berücksichtigenden Faktor einhergeht. Fiele im Einzelfall z. B. die Leidempfindlichkeit besonders hoch aus, weil der Steuersünder im Strafvollzug auf die Vorzüge seines Vermögens verzichten muss, würde die Höhe der hinterzogenen Summe im Ergebnis kaum noch eine Rolle spielen. Formuliert man das Problem so, dann ergibt sich daraus aber auch ein denkbarer Ausweg. Die Strafempfindlichkeit müsste im Lichte des gesetzlichen Regeltatbilds und einzelner Schuldschweregesichtspunkte beurteilt werden. 4. Straftatfolgen Im Gesetz findet der Einfluss von Straftatfolgen auf die Rechtsfolge in den §§ 51 Abs. 1 S. 1 und 60 StGB Anklang. Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift soll in der Strafzumessung berücksichtigt werden, wenn die Folgen für den Täter nicht so schwer wiegen, dass eine Strafe offensichtlich verfehlt wäre.650 Über § 60 StGB hinaus berücksichtigt die Rechtsprechung auch mittelbare und wirtschaftliche Konsequenzen, u. a. den Verlust des Arbeits- oder Ausbildungsplatzes, disziplinarrechtliche Sanktionen und nicht zuletzt besondere Belastungen aus dem Strafverfahren, insbesondere bei überlanger Verfahrensdauer.651 Mitunter wird die Relevanz dieser Faktoren ausdrücklich mit spezialpräventiven Erwägungen belegt,652 was – wie dargelegt – nicht überzeugt, oder mit der Straf-
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Streng, NStZ 1988, 485 (486). Streng, NStZ 1988, 485 (486 f.). 650 Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 734 m.w. N. 651 Vgl. mit eingeh. Nachw. auch zu weiteren Fällen Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 17 ff.; Nicolaus, Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung, S. 18 ff.; Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 736 ff. 652 Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 39. 649
II. Relevanzen, die sich nicht aus der Verbrechenslehre herleiten lassen
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empfindlichkeit.653 Schließlich werden mittelbare Straftatfolgen auch auf den auch der Schuld zu Grunde liegenden Strafzweck und auf den Schuldausgleich gestützt.654 So formuliert Frisch in Bezug auf die unmittelbaren Straftatfolgen, durch diese werde dem Täter und darüber hinaus der Allgemeinheit die Sinnhaftigkeit der Norm auch für den Täter aufgezeigt.655 Entsprechendes ließe sich auch für mittelbare Straftatfolgen begründen.656 Aus dem Strafkonzept Hassemers folgt darüber hinaus, dass mittelbare Straftatfolgen ebenso wie die Strafe als Elemente eines Gesamtsystems sozialer Kontrolle verstanden werden können. Auch durch außerstrafrechtliche Maßnahmen kann strafrechtliches Unrecht aufgearbeitet werden.657 Soweit sich diese Maßnahmen auf die Stabilisierungen von Normerwartungen und mithin auf den gleichen Begründungszusammenhang zurückführen lassen, ist es grundsätzlich legitim sie auf eine zu verhängende Strafe anzurechnen.658 Wann und unter welchen Voraussetzungen eine Stabilisierung der Normerwartung durch außerstrafrechtliche Maßnahmen möglich ist, kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht vertieft werden. 5. Fazit und Ausblick Gegen die Berücksichtigung präventiver Faktoren im Rahmen der Strafzumessung sprechen vor allem grundlegende empirische Bedenken. Darüber hinaus berührt der Einfluss dieser Faktoren auf das Strafmaß den Zweck der Schuldstrafe nur dann nicht, wenn die Prämissen der Spielraumtheorie stimmen und sich wirklich keine Punktstrafe aus Schuldkriterien bestimmen lässt. Andernfalls stünde eine Berücksichtigung der Prävention immer noch offen, wenn sie im Sinne der praktischen Konkordanz mit dem Zweck schuldangemessener Strafe in Einklang gebracht werden kann. Alle anderen schuldfremden Faktoren zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit den Anliegen der Schuld nicht in Konflikt geraten, weil sie die Schuld als ihren Gegenstand aufnehmen. Anders als präventive Erwägungen beschäftigen sie sich mit der Frage, wie auf ein feststehendes, bestimmtes Maß der Schuld angemessen reagiert werden muss.659 Sie nehmen die Schuld in sich auf und wirken in einem
653 Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (300 f.); Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 35 f.; Nicolaus, Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung, S. 67 ff. 654 Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 36 f.; Nicolaus, Die Berücksichtigung mittelbarer Straftatfolgen bei der Strafzumessung, S. 31 ff. 655 Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (301 f.); ders., 140 Jahre GA, S. 1 (17); M. Walter, GA 1996, S. 249 f. 656 Mestek-Schmülling, Mittelbare Straftatfolgen, S. 117 ff. 657 Vgl. Bruns, MDR 1987, S. 177 (180). 658 BGHSt 35, 148 (149); Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (301). 659 Vgl. Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (17 ff.).
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D. Abweichungen von der Verbrechenslehre
übergreifenden (straf-)theoretischen Bezugsrahmen.660 Aus diesem Grund ergeben sich Friktionen weder mit dem Schuldgrundsatz noch mit der für maßgeblich erachteten Straftheorie. Es handelt sich mithin um Strafzumessungserwägungen, die außerhalb des sog. Antinomieproblems und damit auch außerhalb der Spielraumtheorie liegen.
660 Freund, in: Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß im gesamten Strafrechtssystem, S. 43 (51 ff.); Frisch, ZStW 99 (1987), S. 349 (379 f.); ders., FS Jareborg, S. 255 ff.
E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens Unter den zuvor aufgeführten begründbaren Abweichungen der Strafzumessungspraxis (oben E. II. 2.) von der Verbrechenslehre nimmt das Vor- und Nachtatverhalten eine Sonderstellung ein. Grund dafür ist, dass diesen Faktoren Einfluss gerade auf die Strafzumessungsschuld zugesprochen wird, obwohl sich aus der Verbrechenslehre kaum Anhaltspunkte für ihre Relevanz ergeben. Das Vorund Nachtatverhalten ist damit ein Hauptargument gegen die sog. These von der Deckungsgleichheit, die für eine einheitliche Auslegung der Schuldbegriffe jenseits und diesseits des Strafrahmens plädiert. Die Identität der Schuldbegriffe stellt sich als der Mikrokosmos des Zusammenhangs von Straftatdogmatik und Strafzumessung dar und ist deshalb für die Untersuchung von besonderem Interesse.
I. Identität der Schuldbegriffe Es ist strittig, ob die Strafzumessungsschuld materiell mit dem Begriff der Schuld in der Verbrechenslehre übereinstimmt oder darüber hinausgeht. Die Frage muss jedoch mit Blick auf bestimmte unumstrittene Abweichungen der Schuldbegriffe diesseits und jenseits der Strafrahmen präzisiert werden. 1. Abweichungen Zwischen der Strafzumessungsschuld i. S. d. § 46 Abs. 1 StGB und der Strafbegründungsschuld bestehen zwei unumstrittene Unterschiede, die beleuchtet werden müssen, um näher zu präzisieren, was mit einer etwaigen Deckungsgleichheit der Schuldbegriffe überhaupt gemeint sein kann. a) Strafzumessungsschuld als verschuldetes Unrecht Anerkannt ist, dass sich die Strafzumessungsschuld nicht in der gleichnamigen Kategorie der Verbrechenslehre erschöpft, insofern als sie nicht nur das Andershandelnkönnen des Täters meint, sondern darüber hinaus reicht und auch das Unrecht erfasst. Die Maßgeblichkeit des Unrechts für die Bestimmung der Strafe entspricht nicht nur dem Gerechtigkeitsempfinden. Auch das Gesetz, das in dem Katalog des § 46 Abs. 2 S. 2 StGB viele mit dem Unrecht verbundene Kriterien, insbesondere das Maß der Pflichtwidrigkeit sowie die Art der Ausführung und
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
die verschuldeten Auswirkungen der Tat, nennt, geht von einem entsprechend weiten Schuldbegriff aus. Die Rechtsprechung knüpft daran an, wenn sie neben dem „Maß der persönlichen Schuld des Täters“ auch die Tatschwere bzw. den Unrechtsgehalt der Tat zur Bestimmung der Strafhöhe heranzieht.661 Im Regelfall ist das Maß des Unrechts gegenüber dem Maß der Schuld im Sinne der Verbrechenslehre der unterscheidungskräftigere und deshalb die Strafhöhenentscheidung maßgeblich prägende Faktor.662 Die Einbeziehung des Unrechts in die Strafzumessungsschuld wird schließlich aber auch in der Literatur soweit ersichtlich nirgendwo bezweifelt. In den literarischen Erläuterungen des Schuldbegriffs der Zumessungslehre wird das Unrecht sogar oft in den Vordergrund gerückt. Schuld im Sinne der Strafzumessung bedeute letztlich das „Maß des verschuldeten Unrechts“,663 konstitutiv für die Strafhöhe sei nur die Schwere des vom Täter verwirklichten Unrechts, die Schuldhöhe demgegenüber habe nur Begrenzungsfunktion.664 Wenn der Schuldbegriff der Strafzumessungslehre also über die Schuld der Verbrechensdogmatik hinausreicht, liegt nicht lediglich die Vermutung nahe, dass es sich inhaltlich um verschiedene Begriffe handelt.665 Es muss als gesicherte Erkenntnis gelten, dass der Schuldbegriff der Strafzumessung zumindest in bestimmter Hinsicht weiter reicht als die Schuld als Systemkategorie der Verbrechenslehre. Allerdings gibt es auch in der Verbrechenslehre einen umfassenderen Begriff der Schuld, der über ein Verständnis von „Schuld als Vorwerfbarkeit“ hinausgeht. So unterscheidet man schon in der Strafbegründung zwischen der Vorwerfbarkeit und ihrem Gegenstand. Die Vorwerfbarkeit sei die Wertung selbst, die sich auf einen bestimmten Gegenstand, nämlich auf das Objekt der Wertung beziehen müsse. Dieses Objekt wird Schuldtatbestand genannt. Zu diesem Schuldtatbestand gezählt wird zweierlei: zum einen die Gesamttat, d.h. das „Unrecht zuzüglich spezifischer Schuldmerkmale“ und zum anderen der Schuldtatbestand i. e. S., der die Umstände umfassen soll, die jenseits des Unrechts für die Vorwerfbarkeit von Bedeutung sind.666 Daraus ergibt sich im Ergebnis ein komplexer Schuld661 Vgl. etwa BGHR BtMG § 29 Strafzumessung 25; BGH, Urteil vom 28. März 2013 – 4 StR 467/12; OLG Hamm, Beschluss vom 31. März 2009 – 1 Ss 111/09. 662 LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 5, Hörnle, JZ 1999, S. 1081 (1088). 663 NK-StGB/Streng, StGB § 46 Rdnr. 22; Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 145; Frisch, FS Müller-Dietz, S. 237 (238); ders., ZStW 99 (1987), S. 349 (380); Hörnle, JZ 1999, S. 1080 (1081 ff.); Kunz, in: Grundfragen des Strafzumessungsrechts aus deutscher und japanischer Sicht, S. 135 ff. 664 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 42. 665 Vgl. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 150. 666 Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, Vor §§ 13 ff. Rdnr. 114; vgl. ferner Roxin, FS Henkel, S. 171.
I. Identität der Schuldbegriffe
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begriff.667 Die Bedingungen der Vorwerfbarkeit, die von der Schuld als Systemkategorie erfasst werden, sind notwendig auf einen Gegenstand, nämlich das Unrecht bezogen und insofern unselbständig.668 Es lässt sich deshalb auch im allgemeinen Sprachgebrauch nicht davon reden, jemand habe Schuld, sei schuldig usw., ohne dabei notwendig das Unrecht in Bezug zu nehmen.669 Puppe stellt das deutlich heraus, indem sie die Schuld als Vorwerfbarkeit von einem materiellen Begriff der Schuld unterscheidet. Allerdings meint sie, die Vorwerfbarkeit, zu der auch etwa die Schuldfähigkeit gehöre, sei „sicher nicht ein Bestandteil der dem Täter vorgeworfenen (materiellen) Schuld“.670 Diese Sichtweise weicht allerdings vom allgemeinen Sprachgebrauch ab. Wenn man sagt, dieses oder jenes sei Schuld des Täters, so wird von diesem Urteil nicht nur der Gegenstand der Schuld „dieses oder jenes“ erfasst, sondern auch die Bedingungen der Vorwerfbarkeit. Fehlt es z. B. an der Schuldfähigkeit, wird man dementsprechend nicht mehr sagen können, dass ein begangenes Unrecht Schuld des Täters ist. Dass das Unrecht im Schuldurteil aufgeht, findet auch einen Beleg in solchen Ansichten, die bestimmte Unrechtselemente wie Vorsatz und Fahrlässigkeit als Formen der Schuld im Rahmen der Vorwerfbarkeit wieder aufleben lassen.671 Schließlich betrachten einige Stimmen in der Literatur Unrecht und Schuld als Begriffe, die sich gegenseitig bedingen und vor diesem Hintergrund nicht unterschieden werden sollten. Nicht nur sei keine Schuld ohne Unrecht vorstellbar, sondern auch kein Unrecht ohne Schuld, weil nämlich vernünftigerweise nicht etwas verlangt sein kann, das die Fähigkeiten der Normadressaten übertrifft.672 Ohne die Frage, ob die Differenzierung zwischen Unrecht und Schuld sachgerecht ist, an dieser Stelle näher vertiefen zu müssen, stellt sich nach alldem das sachliche Erfordernis eines funktionalen Begriffs heraus, der Unrecht und Schuld schon auf der Ebene der Verbrechenslehre zusammenfasst. Der Begriff der Strafbarkeit eignet sich hier nicht, weil er mit seinem Bezug auch auf Strafaufhebungsgründe, Verfolgungshindernisse über das Anliegen hinausschießt, Unrecht und Schuld zusammenzufassen. Aus diesem Grund hat sich der Gesetzgeber – wohl vor dem Hintergrund des Schulenstreits auch in dem Bestreben, straftheoretisch neutral zu bleiben – entschieden, einen gegenüber der gleichnamigen Systemkategorie umfassenderen Schuldbegriff einzuführen, der dann aber schon 667
Roxin, FS Henkel, S. 171 (171 f.). Gallas, ZStW 67 (1955), S. 1 (45). 669 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 426 „Gegenstand des Schuldurteils ist die rechtswidrige Tat mit Rücksicht auf die in ihr aktualisierte, rechtlich missbilligte Gesinnung.“ 670 Vgl. NK-StGB/Puppe, Vor §§ 13 ff. Rdnr. 7. 671 Etwa Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rdnr. 142 ff., 425, 478. 672 Vgl. Freund, Strafrecht AT, § 3 Rdnr. 39 – allerdings haben die Fähigkeiten des Täters mit den Fähigkeiten Dritter nichts gemein; vgl. ferner Frisch, Vorsatz und Risiko, S. 502; T. Walter, Der Kern des Strafrechts, S. 80 ff.; Pawlik, FS Otto, S. 133 ff.; ders., Das Unrecht des Bürgers, S. 157 ff. m.w. N. in Anm. 15. 668
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
in der Verbrechenslehre seine Berechtigung haben muss. Wenn es in der Strafzumessung um Schuld geht, dann ist dieser umfassendere Schuldbegriff in Bezug genommen. b) Ordinaler Begriff in der Strafzumessung Allerdings ist die Strafzumessungsschuld auch mit diesem weiten Schuldverständnis auf den ersten Blick nicht deckungsgleich. Auch die Schuld i. w. S. als Zusammenfassung der Systemkategorien des Unrechts und der Schuld, als „Gegenstand mitsamt Wertprädikat“ 673 ist ein klassifikatorischer Begriff. Es liegt verschuldetes Unrecht in der Verbrechenslehre in einem von den Deliktstatbeständen näher umrissenen Sinn entweder vor oder nicht. Eine Aussage über die Schwere der Schuld muss aber mehr Informationen verarbeiten als eine Aussage allein über das Vorliegen.674 Aus diesem Grund ist der Schuldbegriff der Strafzumessung nicht nur funktional,675 sondern zwingend auch inhaltlich umfassender als die verbrechensdogmatische Schuld i. w. S., insofern als sie mehr Merkmale verarbeiten muss. Es hat sich allerdings gezeigt, dass die Verbrechenslehre an vielen Stellen das Unrecht und die Bedingungen seiner Vorwerfbarkeit (Schuld i. e. S.) schweremäßig bewertet. Wenn nach der Grenzwerthypothese eine bestimmte Unrechts- und eine bestimmte Schuldschwere Voraussetzungen sind für das Vorliegen dieser Kategorien, dann gehört zumindest die Schwerebewertung selbst auch zu dem Begriff der verbrechensdogmatischen Schuld und zwar insofern, als der Maßstab für die schweremäßige Bewertung, auf die es in der Verbrechenslehre ankommt, zu dem Inhalt des straftatdogmatisch weiten Schuldbegriffs zählen muss. 2. Die These von der Deckungsgleichheit Damit ist der Boden bereitet für die in der Literatur mitunter vertretene These der Deckungsgleichheit der Schuldbegriffe.676 Wenn es auf beiden Seiten der Norm letztlich nicht nur auf das Vorliegen von Unrecht und Schuld, sondern auch auf das Maß dieser Elemente ankommt, könnte sich eine Deckungsgleich673
Vgl. Roxin, FS Henkel, S. 171. Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (13 ff.); ders., ZStW 99 (1987), S. 349 (385); ders., GA 2014, Heft 9. 675 Schönke/Schröder/Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rdnr. 112. 676 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 46; Hettinger, Das Doppelverwertungsverbot bei strafrahmenbildenden Umständen, S. 119; Hörnle, JZ 1999, S. 1080 (1081 ff.); dies., in: Tatproportionalität, S. 99 (123 ff.); Timm, Gesinnung und Strafrat, S. 146 ff.; Puppe, Idealkonkurrenz und Einzelverbrechen, S. 100 Anm. 9 m.w. N.; Schünemann, in Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (162): „nur eine Erweiterung der Strafbegründungsschuld im Quantitiven“; ders., in: Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, S. 147 (160); vgl. ferner auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 185 f. (Strukturgleichheit). 674
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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heit der hier und dort zu Grunde gelegten Maßstäbe ergeben. Ein Unterschied der Schuldbegriffe ergäbe sich dann nur daraus, dass die Verbrechenslehre aus bestimmten Gründen die Schuld mehr oder weniger scharf konturiert, insofern als sie das Gros möglicher Differenzierungen ausblendet. Bestritten wird die These von der Deckungsgleichheit allerdings mit Verweis auf Umstände, deren Relevanzen sich aus der Verbrechenslehre gerade nicht ergeben, die auf das Ausmaß der Schuld aber dennoch Einfluss haben sollen: das Vor- und Nachtatverhalten. Dieses, so der Einwand, habe keine Relevanz für die vom Schuldbegriff der Verbrechenslehre umfassten Kategorien des Straftatsystems, sei aber gleichwohl Teil der Strafzumessungsschuld.677
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung Es soll im Folgenden näher beleuchtet werden, ob diese Auffassung zutreffend ist. Weil das Vor- und Nachtatverhalten eine Vielzahl heterogener Faktoren umfasst, muss dabei allerdings differenziert werden. Es wird sich herausstellen, dass nur bestimmte Faktoren aus der in der Rechtsprechungspraxis anerkannten Kategorie des Vor- und Nachtatverhaltens die These von der Deckungsgleichheit herausfordern, andere hingegen nicht. 1. Indizkonstruktion Die Rechtsprechung geht davon aus, dass das Vor- und Nachtatverhalten nicht unmittelbar für die in der Strafzumessung zentralen Kategorien und Anknüpfungssachverhalte von Bedeutung ist. Vielmehr kämen Umstände außerhalb der eigentlichen Tat lediglich als Indizien für zwei in der Zumessung bedeutsame Faktoren in Betracht: das Maß der Schuld und das spezialpräventive Einwirkungsbedürfnis.678 Die Schuld interpretiert die Judikatur im Ausgangspunkt im Einklang mit der Verbrechenslehre. Schuld bedeute nämlich „in erster Linie die Schwere der Tat und ihre Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie den Grad der persönlichen Schuld des Täters“.679 Die persönliche Schuld soll dabei von der gleich677 Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 9a; NK-StGB/Streng, § 46 Rdnr. 22; Bruns, Neues Strafzumessungsrecht?, S. 18 ff., 53 ff.; vgl. Achenbach, Historische und dogmatische Grundlagen, S. 10 ff.; Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 83 II; Meier, GA 1999, S. 1 (11 f.); NK-StGB/Streng, § 46 Rdnr. 22; Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (326 ff.); ders., Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 527 m.w. N. 678 BGHSt 1, 103 (104 f.); 105 (106); BGH NJW 1961, S. 85; vgl. dazu eingeh. Bruns, Das Recht der Strafzumessung, S. 220 ff., 236 m.w. N.; NK-StGB/Streng, § 46 Rdnr. 22; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 420 ff. 679 BVerfGE 25, 269 (286); BGHSt 20, 264, (266 f.); BGH NJW 1987, S. 2685 (2686); NStZ 1983, S. 217.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
namigen Kategorie der Verbrechenslehre nicht grundverschieden sein, insofern als darunter keine Täterschuld (Lebensführungs- oder Charakterschuld), sondern Tatschuld zu verstehen sei, welche sich ausschließlich auf das tatbestandlich relevante Geschehen beziehe.680 Weiterhin soll dieser Aspekt der Strafzumessungsschuld in Übereinstimmung mit dem verbrechensdogmatischen Begriff die persönliche Vorwerfbarkeit des Täters betreffen, wenn auch nicht ausschließlich.681 Außerhalb der Tat liegende Umstände seien deshalb niemals unmittelbar für die auf den Tatzeitpunkt begrenzte Strafzumessungsschuld relevant. Allerdings könnten sie Schlüsse auf das Maß des verschuldeten Unrechts zulassen. Eine solche Indizwirkung sollen das Vorleben des Täters und sein Verhalten vor und nach der Tat dann entfalten, wenn sie zu dem strafrechtlich relevanten Geschehen „in einem inneren Zusammenhang“ stehen, „eine Beziehung haben“, damit „in Verbindung gesetzt werden können“ oder in der „Tat zum Ausdruck gelangen“.682 2. Vortatverhalten Unter den Zumessungsrelevanzen des Vortatverhaltens lassen sich mit der (unmittelbaren) Vorgeschichte der Tat und dem (weiteren) Vorleben des Täters zwei Kategorien unterscheiden.683 Die Unterscheidung spiegelt sich auch formell im Aufbau eines Strafurteils wider. Die Vorgeschichte gehört in die Feststellungen, während das Vorleben noch zuvor im Rahmen der „persönlichen Verhältnisse“ abgehandelt werden muss. a) Vorgeschichte der Tat Die Deliktsverwirklichung wird von den Gerichten grundsätzlich nicht isoliert betrachtet, sondern in einen umfassenden, historischen Gesamtzusammenhang eingeordnet. Obwohl sie nicht zum eigentlichen Tatgeschehen gehört, spielt die „Vorgeschichte der Tat“ bei der Urteilsfindung durchweg eine große Rolle. In unzähligen Entscheidungen finden sich seitenweise Feststellungen unter dieser Überschrift. Sie stehen im Kontext von Ausführungen zum „eigentlichen Tatgeschehen“ oder der „Tatausführung“ und zum „Geschehen nach der Tat“. Gelegentlich wird die Vorgeschichte von dem unmittelbaren Geschehen vor der Tat unterschieden;684 manchmal ist von der „unmittelbaren Vorgeschichte“ die Rede.685 All diese Begriffe betreffen keinesfalls nur das Täterverhalten. Gemeint 680 Vgl. etwa BGH StraFo 2014, S. 28 f.; BGH NStZ 2001, S. 87 (88); BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 8, 9, 10, 12; OLG Köln StV 1984, S. 75 (76). 681 BGH StV 1982, S. 335 (336). 682 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 562. 683 Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 640. 684 Siehe z. B. LG Bonn v. 21.06.2007 – 4 Ks 1/07. 685 Etwa OLG Köln v. 3.7.1991 – 27 U 176/89.
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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sind vielmehr sämtliche Faktoren, die bei der Aufarbeitung des Delikts hilfreich sein könnten. aa) Tatplanung und Vorbereitung Planung und Vorbereitung der Tat sollen Indizwirkung für zweierlei Elemente der Strafzumessungsschuld entfalten. (1) Aus ihnen können sich zum einen wichtige Hinweise über die Schuldfähigkeit des Täters ergeben. Stehen Zweifel an Vorliegen oder Ausmaß der Schuldfähigkeit im Raum, mögen diese in einigen Fällen in Ansehung der Vorbereitungsphase im konkreten Fall ausgeräumt werden. So widerspricht etwa eine langwierige Vorbereitung häufig dem Verdacht, der Täter habe sich in einer die Schuld mindernden Ausnahmesituation zur Tat hinreißen lassen.686 (2) Zum anderen lassen Planung und Vorbereitung auf die Intensität schließen, mit der der Täter sein tatbestandsmäßiges Ziel verfolgt, also auf den „bei der Tat aufgewendeten Willen“, § 46 Abs. 2 S. 2 StGB.687 Dieser ist nach der Rechtsprechung Indiz für die letztlich für die Zumessung der Strafe maßgebliche „rechtsfeindliche Gesinnung“ und „kriminelle Energie“. Der bei der Tat aufgewendete Wille weist nach mancher Entscheidung eine Gemeinsamkeit mit der Vorsatzform auf. Er soll keine abschließende Bewertung der rechtsfeindlichen Gesinnung markieren, sondern von den „Beweggründen und Zielen des Täters“ überlagert werden können.688 Dies suggeriert, dass der aufgewendete Wille ebenso wie die Vorsatzform nicht den Wert der Erwartung selbst betrifft, sondern das Ausmaß ihrer Erschütterung. Während aber die Vorsatzform gerade die Frage betrifft, in welchem ideellen Ausmaß sich der Täter gerade auf Kosten anderer zu realisieren suchte, dürfte durch den aufgewendeten Willen in der Sache doch ein anderer Aspekt Berücksichtigung finden. Hinter dem Faktor steht eine skalierbare psychische Motivation zur Tat. Die für eine Straftat sprechenden Vernunftgründe werden durch den bei der Tat aufgewendeten Willen vorbehaltlich einer materialen Prüfung auch unter Rechtfertigungs- und Schuldgesichtspunkten als in besonderem Maße motivierend gekennzeichnet. Der „bei der Tat aufgewendete Wille“ lässt sich insofern als eine weitere Ausdifferenzierung des Vorsatzes verstehen. (a) Planung und Vorbereitung werden denn auch so gut wie ausschließlich bei Vorsatztaten relevant. Hier wirken sie sich regelmäßig zum Nachteil des Täters aus, wenn in ihnen eine erhöhte oder besondere kriminelle Energie zum Ausdruck gelangt. In der Praxis entscheidet darüber ein Vergleich mit der „regelmä686
Vgl. BGH NStZ-RR 2013, S. 71 f.; StV 1990, S. 493; MDR 1987, S. 509. Siehe MünchKomm-StGB/Miebach, § 46 Rdnr. 86; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 16; LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 99 jeweils m.w. N. 688 BGH v. 11.2.1992 – 1 StR 708/91, BGHR StGB § 46 Abs. 3 Tötungsvorsatz 5; vgl. auch BGH v. 15.2.1984 – 4 StR 51/84, BGH v. 25.10.1989 – 3 StR 180/89. 687
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
ßigen Tatbestandsverwirklichung“. So hält der BGH die Mitnahme von Pfefferspray, „gerade um den Widerstand des Opfers durch Anwendung des Sprays zu brechen“ als einen schon von § 250 Abs. 2 StGB tatbestandlich erfassten Umstand, dessen (nochmalige) Verwertung in der Strafzumessung einen Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot darstelle.689 Auch die Mitnahme einer Waffe, so heißt es in einer anderen höchstrichterlichen Entscheidung, gehöre im Rahmen des § 250 Abs. 2 zur regelmäßigen Tatbestandsverwirklichung und könne nicht strafschärfend berücksichtigt werden.690 Ebenso müsse unbeachtlich sein, dass es sich bei zwei schweren Raubüberfallen nicht um Spontantaten handelte und der Angeklagte in „beiden Fällen auch jedes Mal penibel darauf bedacht war, sein Äußeres so zu verändern, daß er unerkannt bleiben mußte“ 691. Diese Umstände seien regelmäßig mit der Verwirklichung der Tatbestände des schweren Raubes und der schweren räuberischen Erpressung verbunden und daher für deren Unrechtsgehalt mitbestimmend. Jedenfalls wichen sie nicht derart vom Normalfall solcher Straftaten ab, dass aus ihnen ein Indiz für eine erhöhte Tatschuld hergeleitet werden könnte.692 Anderes soll gelten bei einer besonders umsichtigen Tatplanung, die sich darin zeigt, dass der Täter seine Tatwaffe schon mehrere Tage mit sich geführt hat, um sie bei günstiger Gelegenheit einzusetzen.693 Die erhöhte verbrecherische Energie wird schließlich auch durch die vorbereitende Präparation von Schreckschusspistolen belegt, damit diese bei einem Raub wie scharfe Waffen aussehen.694 Grundsätzlich soll sich auch eine planmäßige Vorbereitung einer Körperverletzung schärfend auswirken.695 Für eine mildernde Veranschlagung der Tatvorbereitung finden sich hingegen kaum Belege in der Rechtsprechung. Hier könnten jedoch Fälle in Betracht kommen, in denen der Täter die Vorbereitung in den Dienst der Schonung des Opfers oder Dritter stellt. Die Tatvorbereitung ist auch dann zumessungsrelevant, wenn durch sie ein anderes Delikt verwirklicht wird, das wegen Gesetzeskonkurrenz hinter dem primären Tatbestand zurücktritt.696 Allerdings kann in den Fällen der Spezialität und in manchen Fällen der Subsidiarität das Doppelverwertungsverbot einer Strafschärfung wegen Vorbereitung entgegenstehen. Unabhängig von der Art der Gesetzeskonkurrenz ist ausschlaggebend, dass die Merkmale des zurücktretenden Gesetzes (in ihren Ausprägungen) nicht bereits Bedingungen für die Anwendung des
689
BGH NStZ-RR 2003, S. 105; vgl. aber auch BGHR StGB § 46 Abs. 3 Raub 4. BGHR StGB § 250 Abs. 2 Gesamtbetrachtung 4. 691 LG Oldenburg (Nds.) v. 29.6.1990 – KLs 180 Js 34349/89. 692 Vgl. BGH StV 1991, S. 106 (107). 693 BGHR StGB § 46 Abs. 3 Raub 4. 694 BGHR StGB § 250 Abs. 2 Gesamtbetrachtung 7. 695 BGHSt 42, 43 (44). 696 BGHSt 33, 142 (147); 19, 188 (189); 6, 24 (26); 1, 152 (155 f.); Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, Vorbemerkungen zu den §§ 52 ff. Rdnr. 144 m.w. N. 690
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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zu konkretisierenden Strafrahmens darstellen. So kann strafzumessungsrechtlich nicht bedeutsam sein, dass ein vollendetes Delikt das Versuchsstadium durchlaufen hat (nach herrschender Meinung ein Fall der Subsidiarität), weil dies denknotwendig bei jeder Vollendung der Fall sein muss.697 Grundsätzlich sind aber strafbare Vorbereitungsdelikte, die im Verhältnis zur versuchten oder vollendeten Haupttat subsidiär sind, bei der Strafrahmenkonkretisierung zu beachten. Dies gilt namentlich auch für Fälle der Konsumtion. Für eine Strafschärfung in Betracht kommt in diesem Zusammenhang insbesondere die Figur der mitbestraften Vor- bzw. Nachtat, sofern deren Subsidiarität nicht auf dem Gedanken des Regeltatbildes basiert.698 Im Zentrum der Rechtsprechung zur zumessungsrechtlichen Verwertung von Planung und Vorbereitung steht nach alldem der auch unter Berücksichtigung kriminologischer Erkenntnisse bestimmte normative Normalfall bzw. das normative Regeltatbild.699 Dabei belegen insbesondere die jüngeren Urteile, dass sich trotz der Absage an diese Begriffe und vergleichbare Orientierungspunkte durch den Großen Senat im Jahre 1989700 praktisch nichts an der Behandlung der Bewertungsrichtung geändert hat. Die von dieser Entscheidung offengelegten grundsätzlichen praktischen Probleme beim Umgang mit Strafzumessungsfaktoren sind hier aber nicht weiter zu vertiefen, weil die Frage nach der Bewertungsrichtung im Einzelfall die generelle Strafzumessungsrelevanz der Vorbereitung und Planung nicht betrifft. Die Ausprägung dieser Merkmale ist im Einzelfall auch dann zumessungsrelevant, wenn sie sich nicht von derjenigen des Regeltatbilds unterscheidet. Auch dann sagt die vorliegende Merkmalsausprägung etwas über die Verortung des Sachverhalts innerhalb des Strafrahmens (im Vergleich zu anderen Fällen) aus, ist allerdings neutral, insofern sie sich im Ergebnis weder schärfend noch mindernd auswirkt. Daran zeigt sich auch der Unterschied zu den unumstrittenen Anwendungsfällen des von der Rechtsprechung in Bezug genommenen Doppelverwertungsverbots. Merkmale des gesetzlichen Tatbestands, die bereits den Strafrahmen bedingen, taugen schlechthin zu dessen Konkretisierung
697 Dies gilt unabhängig davon, ob man die Versuchshandlungen mit weiteren Teilakten zu einer „natürlichen oder tatbestandlichen Handlungseinheit bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung“ zusammenfasst (vgl. LK-StGB/Rissing-van Saan, Vor § 52 Rdnr. 131; Roxin, Strafrecht AT, Band 2, § 33 Rdnr. 42; Sowada, Jura 1995, S. 245 [249 f.]; Warda, JuS 1967, S. 81 [91 Anm. 67] jeweils m.w. N.), sie als subsidiär (RGSt 10, 406; 26, 199; 33, 401; 44, 208; 56, 60; 59, 28; Fischer, Vor § 52 Rdnr. 41; Lackner/ Kühl, Vorbemerkungen zu §§ 52 ff. Rdnr. 26; Schönke/Schröder/Stree/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 52 ff. Rdnr. 110) oder als lex generalis (so wohl richtig NK-StGB/ Puppe, Vorbemerkungen zu § 52 Rdnr. 10; Baumann/Weber/Mitsch, Strafrecht AT, § 36 Rdnr. 6 Anm. 15) hinter der Vollendung zurücktreten lässt. 698 Vgl. MünchKomm-StGB/v. Heintschel-Heinegg, Vorbemerkung zu den §§ 52 ff. Rdnr. 52 ff. 699 Eingeh. Frisch, GA 1989, S. 338 ff. 700 BGHSt 34, 345 (349 ff.).
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
nicht, auch nicht im Sinne eines vergleichenden Vorgehens mit einem wie auch immer verstandenen Normalfall.701 (b) Nur selten dürften Planung und Vorbereitung im Zusammenhang mit Fahrlässigkeitsdelikten strafzumessungsrelevant sein. Das BayOblG entschied in einem Fall, in dem Vorbereitungshandlungen einer (nicht angeklagten) Vorsatztat in ein Fahrlässigkeitsdelikt mündeten, dass sich das „Vorverhalten“ nicht schulderhöhend auswirken könne, weil es an dem erforderlichen inneren Zusammenhang fehle.702 Der Angeklagte hatte die Küchenspüle seiner Ehefrau neu verkabelt, sodass sie sich durch Umlegen eines im Keller angebrachten Sicherungshebels unter Strom setzen ließ. Weil er mit seiner „Stromfalle“ zugleich auch versehentlich den Kühlschrank außer Betrieb gesetzt hatte, legte die Ehefrau den Sicherungshebel eigenhändig um und erlitt in der Folge beim Spülen einen (leichten) Stromschlag. Das Instanzgericht sah sich hier an der Zurechnung zum Vorsatz gehindert und verurteilte den Angeklagten wegen unbewusst fahrlässiger Körperverletzung. Die gegen die Rechtsfolgenbestimmung gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft rügte die nur unzureichende Berücksichtigung der Vorbereitungshandlungen des Angeklagten. Bei der Strafzumessung habe das Gericht nicht in gebotenem Umfang berücksichtigt, dass in dem Vorverhalten eine erhebliche rechtsfeindliche Gesinnung zum Ausdruck gekommen und darüber hinaus auch gerade diejenige Gefahrenlage willentlich geschaffen worden sei, die später den tatbestandlichen Erfolg herbeigeführt habe. Die Schuld des Angeklagten wiege deshalb schwerer als die eines Täters, der denselben Tatbestand etwa bei Reparaturarbeiten verwirklicht, ohne mit der Pflichtverletzung zugleich einen vorsätzlichen Angriff zu verfolgen. Diese Bedenken konnten das BayOblG jedoch nicht überzeugen. Es meint vielmehr, dass die Vorinstanz den Umständen des Einzelfalls rechtsfehlerfrei Rechnung getragen habe, indem sie den bei der Tat aufgewendeten Willen und damit das Maß der Pflichtwidrigkeit in die Strafzumessung einbezogen habe.703 Die Vorinstanz habe nach eingehender Würdigung des Gesamtgeschehens und der Täterpersönlichkeit insbesondere wegen der besonders groben Nachlässigkeit und der Intensität der Fahrlässigkeit eine besonders schwere Art des Versagens strafschärfend berücksichtigt, das Vorgehen des Angeklagten zu Recht als besonders gefährlich eingestuft.704 Die in dem „Vorverhalten“ zum Ausdruck kommende rechtsfeindliche Gesinnung spiele darüber hinaus jedoch keine Rolle, da es an einem inneren Zusammenhang mit der Fahrlässigkeitstat fehle. Deswegen
701 Vgl. zum Ganzen BGHSt 37, 135; NK-StGB/Streng, § 46 Rdnr. 128 f.; LKStGB/Theune, § 46 Rdnr. 267 ff.; Fahl, ZStW 111 (1999), S. 156 (159 ff.). 702 BayOblG, NStZ 1982, S. 288 m. krit. Anm. Bruns. 703 Vgl. LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 99. 704 Siehe die Wiedergabe bei Bruns, NStZ 1982, S. 288 (289).
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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sei das Vorverhalten bei der Aburteilung der bloßen Fahrlässigkeit nicht zu berücksichtigen. Die Wortwahl des Gerichts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Vorgehen des Täters für die fahrlässige Körperverletzung weder Tatvorbereitung noch sonstiges „Vorverhalten“ darstellt. Weil für eine fahrlässige Begehungstat kein anderer Anknüpfungspunkt im Raum stand, lag die für die Körperverletzung nach § 229 StGB relevante Pflichtverletzung vielmehr in der Vorbereitung der Vorsatztat selbst. Obwohl damit ein klassischer, auf das Vor- oder Nachtatverhalten bezogener Anwendungsfall der Indizkonstruktion nicht vorlag, stellt sich in der Sache gleichwohl die Frage nach dem Indizwert eines außerhalb der Tat liegenden Umstands für die Schuld des Täters. Denn der Verletzungsvorsatz bei der Sorgfaltspflichtverletzung ist für die Fahrlässigkeit ein nicht unmittelbar subsumtionserheblicher Begleitumstand. Obwohl das BayOblG hier nun auch dem „bei der Tat aufgewendeten Willen“ eine gewisse Bedeutung beimisst, hält es das „Vorverhalten“ und damit den Verletzungsvorsatz für unbeachtlich. Verständlich wird die auf den ersten Blick widersprüchlich wirkende Urteilsbegründung bei einer differenzierenden Betrachtung. Es soll zwar nicht auf die rechtsfeindliche Gesinnung ankommen, die bei Vorsatztaten gerade in der Absage des Täters an das tatbestandlich geschützte Rechtsgut zum Ausdruck kommt. Jedoch bedeutet das nicht, dass das vorsätzliche Verhalten hier für die ideelle Infragestellung durch die Fahrlässigkeit und das heißt einer dem Inhalt nach andersartigen Gesinnung unbeachtlich ist. Der Wortlaut der Entscheidung deutet auf eine Verknüpfung des Täterwillens mit dem (objektiven) Maß der Pflichtwidrigkeit. Wie sich an Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombinationen zeigt, können Sorgfaltspflichten im Einzelfall auch aus dem (weiteren) Schutzzweck des Vorsatzdelikts abgeleitet werden,705 womit dann die vorsätzliche Zuwiderhandlung mittelbar das Maß der Pflichtwidrigkeit (mit)bestimmt und zwar selbst dann, wenn die Strafbarkeit der vorsätzlichen Begehung an der Zurechnung scheitert.706 In gewisser Hinsicht kommt eine aus der Tat sprechende verwerfliche Gesinnung nach alldem auch bei Fahrlässigkeitstaten in Betracht.707 Insoweit dürfte neben den Gründen für die Sorgfaltspflichtverletzung708 auch die Intensität des Handlungswillens im Hinblick auf die erkannten Gefahren bedeutsam sein. Zwar
705 Es hat sich denn auch die spezifische Gefahr der Vorbereitung eines Tötungsdelikts realisiert. 706 Diese Lesart dürfte auch die Kritik, die Bruns, NStZ 1982, S. 288 ff. an dem Urteil äußert, weitgehend relativieren. 707 LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 97. 708 So wird man gegenüber dem überzeugten „Rennfahrer“ weniger zu Milde neigen als gegenüber jemandem, der die zulässige Höchstgeschwindigkeit in einer unverschuldeten Stresssituation überschreitet, vgl. zur Beachtlichkeit der „üblen Verkehrsgesinnung“ im Rahmen des § 315c Abs. 1 StGB (Rücksichtslosigkeit) BayObLGSt 1990, 41 ff.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
soll die Unterscheidung zwischen bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit als solche nicht für sich genommen strafzumessungsrechtlich beachtlich sein.709 Wer aber eine Gefahrenschaffung aus nicht nachvollziehbaren Gründen beabsichtigt (weil er z. B. den Nervenkitzel sucht oder einen Denkzettel verpassen möchte etc.710), stellt die verletzte Sorgfaltspflicht ideell in besonderem Maße in Frage.711 Eine insofern bedeutsame „Vorbereitung der Fahrlässigkeitstat“ ist denkbar, dürfte aber höchstselten sein. bb) Konflikttaten Konfliktlagen sind zwar vor allem in der Strafzumessung im weiteren Sinne von Bedeutung. Die Strafaussetzung nach § 56 Abs. 2 StGB, die Aussetzungen des Strafrestes nach § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB und § 88 JGG sowie die Verwarnung mit Strafvorbehalt, § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB, setzen besondere Umstände voraus, für die vor allem Konfliktsituationen in Betracht kommen.712 Die Tatsache, dass sich der Täter im Zeitpunkt der Tat in einem persönlichen Konflikt befunden hat, stellt nach ständiger Rechtsprechung aber auch einen (ausschließlich) schuldmindernden Gesichtspunkt dar und ist deshalb auch für die Strafhöhenbemessung, der Strafzumessung i. e. S. von Bedeutung.713 Die Schuldminderung kann insbesondere bei einer „unerwarteten und unausweichlichen Konfliktlage, die an Rechtfertigung- oder Entschuldigungsgründe heranreicht“ angezeigt sein.714 Weil die Erfordernisse eines eigentlichen Notstandes – der die Schuld 709
BGHR StGB § 109g Leichtfertigkeit 1; OLG Karslruhe VRS 35, 365. Vgl. LG Ulm v. 31.4.2006 – 1 Kls 21 Js 20974/05. bzw. BGH StV 1983, S. 444 f. 711 Ebenso denkbar ist die Relevanz des Willens aber auch in Fällen der unbewussten Fahrlässigkeit. So dürfte es einen Unterschied ausmachen, ob jemand ohne Licht Fahrrad fährt, weil gerade die Batterie der elektrischen Beleuchtung zu Neige gegangen ist, oder weil er Strom sparen will. Der beabsichtigte Verzicht auf Absicherungsmaßnahmen legt einen intensiveren (ideellen) Verstoß gegen die Sorgfaltspflicht nahe. Zwar lässt sich dies nicht sagen, wenn dem Täter die Bedeutung der Maßnahme als Gefahrenvermeidung in concreto überhaupt nicht bewusst ist. Jedoch bezieht sich jenes Bewusstsein nicht auf eine konkrete Gefahr, sondern auf den Sinn und Zweck der Sorgfaltspflicht als solche. Deshalb kann auch ein unbewusst fahrlässig Handelnder eine Sorgfaltspflicht bewusst verletzen: Wer das Licht am Fahrrad vor dem Fahrtantritt in Dunkelheit abschraubt, stellt die Sorgfaltspflicht auch dann besonders in Frage, wenn er im Erfolgsfall das Einschalten des Lichts überhaupt nicht für erforderlich hält. 712 Vgl. für § 56 BGH wistra 1987, S. 23 (24); EzSt StGB § 56 Nr. 3; BGH v. 26.08.1986 – 1 StR 365/86 m.w. N.; für § 59 BayOblG NJW 1990, S. 58; OLG Nürnberg NJW 2007, S. 526 f.; KG Berlin v. 25.06.2001 – (3) 1 Ss 92/01 (41/01); StV 1997, S. 473, OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, S. 75 (76) m.w. N.; AG Alzey v. 17.03.1975 – 7 Ls 76/75; für § 88 JGG LG Bonn NJW 1977, S. 2226 (2227); für § 57 BGH JR 1977, S. 517. 713 BGH StV 1991, S. 106 (107) und die in den folgenden Anm. zitierte Rspr. 714 Vgl. BGH v. 19.9.1971 – 1 StR 113/71; v. 3.8.1971 – 1 StR 264/7; v. 16.4.1971 – 1 StR 71/71; v. 19.01.1971 – 1 StR 577/70. 710
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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ganz ausschlösse – nicht gegeben zu sein brauchen, soll es ausreichen, dass die Situation einer Notstandslage nur entfernt nahekommt.715 Die Rechtsprechung bestätigt hier also die aus der Grenzwertbetrachtung gewonnen Ergebnisse.716 Für eine Strafmilderung kommen neben finanziellen und beruflichen Notlagen, die den Täter zur Tat gedrängt haben,717 auch Konflikte aus Beziehungen in Betracht.718 Solche in der Praxis besonders häufige Beziehungstaten weisen oftmals Besonderheiten im Hinblick auf Dispositionen des Tatopfers und anderer Gesichtspunkten des Opfermitverschuldens auf, die im Rahmen der Strafzumessung ebenfalls bedeutsam sein und den Konflikt als strafmildernden Umstand in seiner Bedeutung reduzieren können.719 Die prekäre Lage muss sich im Rahmen von Beziehungstaten nicht in einer handfesten Auseinandersetzung nach außen manifestieren, um im Ergebnis entlastend zu wirken; ausreichend ist vielmehr auch ein innerer Konflikt.720 Dieser wird gelegentlich ebenfalls in den Kontext der §§ 20, 21 StGB eingestellt.721 Insofern das Maß der Rechtfertigung betroffen ist, bedeuten derartige Situationen eine lediglich zugunsten des Täters zu berücksichtigende Abweichung vom Regeltatbild. Das Gesetz selbst geht schließlich davon aus, dass das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen nicht Regel, sondern Ausnahme ist. Insoweit verhaltensbedingte Umstände zur Entstehung des Konflikts beitragen, wirken sie strafmildernd, wenn sie einen Zustand herbeiführen, der noch im Tatzeitpunkt vorliegt; sie haben also stets einen mittelbaren Bezug zur Tat. Unter bestimmten Voraussetzungen ist das Vortatverhalten aber darüber hinaus relevant. Wenn die Tat nicht gerade die Aufdeckung einer anderen Straftat des Täters verhindern sollte,722 spielt es nämlich eine Rolle, ob die Situation von ihm selbst verschuldet wurde. Bejahendenfalls kann sie nicht mehr oder nur eingeschränkt zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.723 Vermindert wird die Entlastungswirkung der Konfliktlage auch durch den Umstand, dass sich der Täter ihr hätte ent715
BGH v. 13.05.1971 – 3 StR 337/68. Siehe oben C. III. 3. 717 Vgl. z. B. BGH v. 19.01.1971 – 1 StR 577/70; LG Freiburg v. 08.05.2006 – 7 Ns 540 Js 26426/05, AK 63/06. 718 Vgl. etwa BGH NStZ-RR 2006, S. 234; NStZ 1997, S. 278 (280); VRS 58 (1980), S. 374 f.; NStE Nr. 77 zu § 46 StGB; LG Arnsberg v. 22.06.2010 – 2 KLs 12/ 09; LG Augsburg v. 23.07.2002 – Au 1 K 00.634. 719 Vgl. z. B. BGH NJW 2001, S. 2185 (2186); BGH v. 19.02.2004 – 4 StR 524/03. 720 Vgl. OLG Karlsruhe NStZ 1990, S. 41 ff. (nicht abgedruckt: die Bedeutung der an anderer Stelle problematisierten Konfliktlage für die Zumessung streicht das Gericht am Ende seiner Entscheidung heraus). 721 Dafür müssen allerdings weitere Umstände gegeben sein, vgl. BGH v. 24.11.1983 – 4 StR 551/83 und die Nachw. bei Theune, NStZ-RR 2005, S. 329 ff. 722 Zu diesem Ausnahmefall, in dem die Selbstbegünstigung privilegierend wirken soll, LG Bonn v. 20.11.2010 – 23 KLs 10/10. 723 Vgl. LG Fulda RDG 2009, S. 217 ff. 716
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
ziehen können.724 Hier muss das berücksichtigungsfähige Verhalten aber stets einen konkreten Bezug zur Tat aufweisen, wofür eine allgemein konfliktträchtige Lebensführung nicht ausreichen soll.725 Nicht vorgeworfen kann dem Angeklagten daher, er habe in den Jahren vor der Tat nichts gegen die (konfliktträchtige) Alkoholsucht seines Tatopfers geleistet.726 Auch wenn es am inneren Zusammenhang mit der Tat, welcher als konkreter Zusammenhang hier treffender bezeichnet wäre, nicht fehlt, sind der Berücksichtigung des Vortatverhalten hier diejenigen Grenzen gesetzt, die für den übergeordneten Begründungszusammenhang der Zumessungsrelevanz von Konflikttaten gelten. Die vorwerfbare Herbeiführung oder Nichtabwendung des Konflikts relativiert lediglich dessen zumessungsrechtliche Bedeutung, fordert aber keine selbständige Beachtung ein und kann deswegen auch keine Strafschärfung im eigentlichen Sinne nach sich ziehen. Die daneben zur Begründung angeführten Argumente, dass andernfalls zum einen das Nichtvorliegen eines Milderungsgrundes zu Lasten des Angeklagten berücksichtigt werde und zum anderen insoweit Umstände aus der privaten Lebensführung des Angeklagten, die keinen unmittelbaren Bezug zur Tat haben, strafschärfend herangezogen werden würden,727 sind nur andere Formulierungen desselben Arguments. Das Vortatverhalten ist demnach einerseits Beweisanzeichen für das Ausmaß der Konfliktsituation. Andererseits hat die Vorwerfbarkeit des die Situation herbeiführenden oder nichtabwendenden Vorverhaltens auch eigenständige Bedeutung im Rahmen der Konfliktwürdigung. Die Modalitäten der Herbeiführung müssen sich nicht zwingend auf die (nicht über das Verschulden als solches definierte) Notlage auswirken und dementsprechend auch nicht zu dessen Aufklärung beitragen. Finanzielle Notlagen z. B. setzen den Delinquenten auch unabhängig von Art und Weise ihrer Herbeiführung unter Druck. Dennoch soll dem Täter hier offenbar nicht das vorwerfbare Vortatverhalten selbst angelastet werden, sondern erst das daran anknüpfende Verhalten. Der in einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1987 anklingende Gedanke, der Täter hätte sich in der konkreten Tatsituation von der Überlegung leiten lassen müssen, für die prekäre Situation selbst verantwortlich zu sein,728 deutet darauf hin, dass die Schuldwertung um ein (unselbständiges) Pflichtmoment angereichert wird.729
724
Vgl. BGH v. 14.11.1979 – 3 StR 323/79. Nachw. bei MünchKomm-StGB/Miebach, § 46 Rdnr. 110 in Anm. 375. 726 BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 7. 727 Vgl. BGH StV 1995, S. 584 mit Hinweis auf BGHSt GS 34, 345. 728 Vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 7. 729 Freilich nicht im Sinne der Lehre vom doppelten Pflichtenverstoß (Armin Kaufmann, Lebendiges und Totes in Bindings Normentheorie, S. 211 f.; Mir Puig, ZStW 86 [1974], S. 175 [197 f.]), sondern als aufgrund des Vorverhaltens intensivere Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter des Opfers in der Tatsituation. 725
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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cc) Alkoholisierung und andere Schuldminderungsgründe Aus den Schuldminderungs- und Schuldausschließungsgründen der Strafbegründung ergeben sich weitere Anknüpfungspunkte für eine Verwertung des Vortatverhaltens. Wie das Fehlen von rechtfertigungsähnlichen Gründen entspricht auch die Vollform der Schuld dem normativen Regeltatbild, von dem aus nur Abweichungen nach unten denkbar sind. Das Vortatverhalten wird in diesem Zusammenhang insbesondere bei Rauschtaten zumessungsrechtlich gewürdigt. Schon die in § 21 StGB vorausgesetzte Erheblichkeit der Schuldminderung sei normativ auszulegen und hänge von den Ansprüchen ab, die durch die Rechtsordnung an das Wohlverhalten eines in bestimmten Grade Berauschten gestellt werden müssen.730 Hier spiele insbesondere das Verhalten des Täters vor der Tat hinein; denn gerade für selbstverschuldete Trunkenheit sei „ein starkes Bedürfnis feststellbar, daß solche Fälle zumindest keinen Milderungszwang zur Folge haben“.731 Dieser Gesichtspunkt sei ebenfalls auf Rechtsfolgenseite zu beachten. Differenziert werden müsse auch hier zwischen schicksalhaft auftretenden krankhaften seelischen Störungen, bei denen der erheblich verminderten Schuld regelmäßig schon mit einer Strafrahmenmilderung Rechnung zu tragen sei, auf der einen Seite und selbstverschuldetem Rauschzustand auf der anderen Seite.732 An eine Versagung einer Milderung aufgrund alkoholbedingter Enthemmung stellt die Rechtsprechung jedoch hohe Anforderungen. Die Vorwerfbarkeit der Alkoholaufnahme muss positiv festgestellt werden. Sie liegt in der Regel nicht vor, wenn der Täter alkoholkrank ist oder wenn der Alkohol den Täter zumindest weitgehend beherrscht.733 Wenn diese Gründe ausgeschlossen wurden, reicht jedoch allein die Vorwerfbarkeit der Herbeiführung des Zustands nicht aus, um Strafmilderung zu versagen. Im Falle der Alkoholisierung entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass von einer Entlastung des Täters nur abgesehen werden kann, wenn der Angeklagte die Gefahr der Begehung von Straftaten als Folge der Trunkenheit vorhergesehen hat oder hätte vorhersehen können.734 Diese Voraussetzung grenzt das relevante Vorverschulden von der allgemeinen
730 BGHSt 43, 66 (77); s. ferner BGH v. 12.07.1960 – 5 StR 239/60; v. 16.01.1962 – 5 StR 588/61; LK-StGB/Schöch, § 21 Rdnr. 23. 731 Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, S. 183; zitiert von BGHSt 43, 66 (77). 732 BGHSt 43, 66 (77) unter Berufung auf die Entwürfe zu § 51 Abs. 2 StGB a. F. und § 21 StGB n. F. (siehe die Entwurfstexte und Fundstellennachweise bei Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, S. 10 ff. und passim, Zusammenfassung auf S. 182 f.). 733 BGH NStZ-RR 1999, S. 12, vgl. BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 19; BGH StV 1985, S. 102; BGH v. 1.8.1992 – 2 StR 349/92 u. a.; Entsprechendes gilt für die Abhängigkeit von anderen Drogen, vgl. BGH StV 1988, S. 18 (Ls.). 734 Z. B. BGH NStZ 1993, S. 537; BGH NStZ 1987, S. 114 m. N., BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 19, 22 und 66; vgl. auch BGH NStZ-RR 1997, S. 163 (165 f.); weit. Nachweise der Rspr. bei Horn, sLSK § 46 Rdnr. 5b.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Lebensführung ab und konkretisiert den von der Indizkonstruktion geforderten inneren Zusammenhang. Auch die Minderung wegen eines Affekts kann nur dann reduziert oder versagt werden, wenn die Folge des Affektzustands, die Straftat, für den Täter vorhersehbar war.735 Vorverschulden in diesem Sinne stellt nach der Rechtsprechung aber eine besondere Begründung und Legitimation erfordernde Ausnahme und nicht den Regelfall dar.736 Diese Grundsätze haben auch in der Strafzumessung im engeren Sinn Relevanz.737 Ist der Alkoholisierungsgrad nur gering und reicht er an die Schwelle der grundsätzlichen Erörterungspflicht in Bezug auf § 21 StGB (2,0 bzw. 2,2 ‰)738 nicht heran, kann das Vortatverhalten zur Folge haben, dass er im Lichte dieser Faktoren nicht einmal nach § 267 Abs. 3 S. 1 StPO erörterungsbedürftig ist.739 Andererseits soll die Feststellung einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit trotz Verschuldens der Trunkenheit stets erforderlich sein, da das Vorliegen erheblich verminderter Schuldfähigkeit grundsätzlich den Schuldgehalt und damit die Strafwürdigkeit der Tat verringere.740 Allgemein ist der Alkoholeinfluss sowohl bei der Konkretisierung des nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB verschobenen, als auch des ursprünglichen Strafrahmens im Falle der Ablehnung der Voraussetzungen der verminderten Schuldfähigkeit zu berücksichtigen. In beiden Alternativen ergeben sich keine Bedenken aus dem Doppelverwertungsverbot, weil der Grad der alkoholbedingten Auswirkungen auf die Schuldfähigkeit jenseits wie diesseits der in § 21 StGB angegebenen Schwelle im Vergleich zu anderen Fällen, die unter denselben Strafrahmen fallen, unterschiedlich ausgeprägt sein kann. Die relevanten Differenzierungen für die Strafzumessung reichen mithin bis zur Schuldunfähigkeit. In diesem Rahmen wird dann auch etwaiges Vortatverhalten zu berücksichtigen sein. dd) Fazit Das der Tat unmittelbar vorausgehende Vortatverhalten knüpft zum einen an die aus der Verbrechenslehre bekannten Schuldausschließungs-, Entschuldigungs- und Rechtfertigungsgründe an. Hier soll die entlastende Bedeutung dieser Umstände durch Vorverschulden relativiert werden können. Problematisch ist dies insbesondere für die Schuldausschließungsgründe, insofern hier eigentlich 735 BGHSt 35, 143 = NStZ 1989, S. 262 m. Anm. Frisch = JR 1988, S. 511 m. Anm. Blau. 736 Frisch, NStZ 1989, S. 263 ff. m. Nachw. zur älteren Rspr. 737 Siehe BGH NStZ 2002, S. 312; OLG Naumburg, ZfSch 1998, S. 32 f. 738 Vgl. BGHSt 43, 66 (69). 739 OLG Koblenz, Blutalkohol 39, 274 ff. bei einem mit 0,8 ‰ begangenen Straßenverkehrsdelikt. 740 OLG München NStZ-RR 2008, S. 355; OLG Brandenburg v. 16.06.2004 – 1 Ss 50/04 unter Hinweis auf BGH NStZ-RR 1996, S. 161.
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spezifische Unrechtsmomente wie ein Handeln oder Unterlassen trotz Vorhersehbarkeit der Tatsituation (und mit ihr freilich auch des Erfolgs) sowie ein erhöhtes Maß der Inpflichtnahme in die Schuld einbezogen werden. Die Rechtsprechung verkehrt damit in der Sache die Maßgeblichkeit des verschuldeten Unrechts in ihr Gegenteil und konstruiert eine unrechtmäßige Schuld. Gleichwohl kann sie sich hier auf straftatdogmatische Grundsätze stützen. Eine vergleichbare Konstruktion wird in der Verbrechenslehre nämlich für die Rechtsfigur der actio libera in causa diskutiert.741 Die schärfende Verwertung der Tatplanung und -vorbereitung wird hingegen eindeutig mit der Unrechtsrelevanz begründet. Allerdings ist die Intensität des bei der Tat aufgewendeten Willens in der Verbrechenslehre keine relevante Größe. Zwar nehmen sowohl die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit als auch die Differenzierung verschiedener Vorsatz- und Fahrlässigkeitsformen Bezug auf eine gewisse Willensintensität. Jedoch liegt diese auf einer anderen, übergeordneten Ebene als „der bei der Tat aufgewendete Wille“. Es ist deshalb festzuhalten, dass die Rechtsprechung auf dem Boden der Indizkonstruktion bei der Würdigung der Tatvorgeschichte den schuldrelevanten Lebenssachverhalt weiter fasst als in der Verbrechenslehre. Ob damit tatsächlich eine Loslösung von den verbrechensdogmatischen Begriffen einhergeht, wird noch weiter zu untersuchen sein. b) Das sonstige Vorleben des Täters Das Vorleben des Täters wird in § 46 Abs. 2 StGB ausdrücklich als strafzumessungserheblicher Umstand angeführt. Bereits im Wortlaut kommt zum Ausdruck, dass hiermit Faktoren gemeint sind, die mit der Tat nicht unmittelbar zusammenhängen. Auch die Rechtsprechung erkennt dies an, indem sie begrifflich zwischen der Vorgeschichte der Tat und dem Vorleben des Täters unterscheidet. Das Vorleben umfasst die persönlichen Verhältnisse des Täters in einem umfassenden Sinn und reicht über das Vortatverhalten weit hinaus. Nicht nur Handeln oder Unterlassen des Täters, sondern auch Faktoren wie die familiäre Herkunft, Ausbildung, berufliche Tätigkeit, soziales und persönliches Umfeld, Krankheiten etc. können sich prinzipiell auf das Strafmaß auswirken.742 Auf spezialpräventive Erwägungen sind diese Umstände nicht beschränkt. Denn soweit das Vorleben in einem inneren Zusammenhang mit der Tat steht, soll es auch das Maß der persönlichen Schuld beeinflussen können.
741
Vgl. MünchKomm-StGB/Streng, § 20 Rdnr. 128 m.w. N. Vgl. Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 646 ff. m.w. N. 742
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
aa) Warnungen Der in der Praxis wichtigste Gesichtspunkt des Vorlebens, die Vorstrafenbelastung,743 hat mit dem Vortatverhalten nur mittelbar zu tun. Die von der Rechtsprechung angeführte Begründung der Vorstrafenrelevanz stellt nicht das Verhalten des Täters in den Vordergrund, sondern vielmehr Erlebnis und Wahrnehmung bestimmter Erwartungen und insbesondere staatlicher Reaktion auf strafbares Verhalten. Im Zentrum der Argumentation steht die Warnwirkung der Strafe.744 Aus ihr könne sich nicht nur eine gesteigerte (spezialpräventive) Notwendigkeit, auf den Täter einzuwirken,745 sondern auch eine gesteigerte Strafzumessungsschuld ergeben.746 Einfluss habe die Vorstrafenbelastung auf das personale Handlungsunrecht747 oder, wie überwiegend angenommen, auf die Vorwerfbarkeit der Tat bei gleichbleibendem Unrecht.748 Durch die Warnung werde, so die Rechtsprechung, eine Hemmung aufgebaut, die der Täter zusätzlich überwinden müsse, um eine vergleichbare Straftat erneut zu begehen.749 Dem gewarnten Täter falle rechtstreues Verhalten also leichter. Gelegentlich wird eine erhöhte Hemmung auch auf eine „verschärfte Verbotskenntnis“ gestützt.750 Wenn in dem Kontext dieser Begründung von „krimineller Energie“ gesprochen wird, ist damit regelmäßig kein weiterer Aspekt in Bezug genommen.751 Obgleich die Strafe im Rahmen dieses sog. Überwindungsmodells oder Warnmodells praktisch herausragende Bedeutung hat, wird die Erhöhung der Strafzumessungsschuld vereinzelt auch auf andere Warnungen gestützt. So soll schon die Zustellung einer Anklageschrift Warnwirkung entfalten.752 Gleiches soll gelten für Verfahren, aus denen die einschlägigen Taten nach §§ 154, 154a StPO ausgeschieden werden, und für Verfahren, die nach § 170 Abs. 2 oder §§ 153, 153a StPO mit Einstellung oder gar mit Freispruch enden.753 Offenbar halten 743
LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 169. Siehe z. B. BGH NStZ 2000, S. 137, NStZ-RR 1998, S. 207, BGH StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 1 und 2. 745 BGHSt 38, 71. 746 Deutlich: OLG Hamm VRS 111, 274. 747 BGHSt 25, 64; BGH StV 1991, S. 64. 748 BVerfGE 50, 125 (134). 749 BVerfGE 50, 125 (134) m.w. N.; aus der Lit. Horstkotte, JZ 1970, S. 352 (353). 750 BGH, StV 1991, S. 63 ff.; aus der Literatur etwa Hillenkamp, GA 1974, S. 208 (215); eingeh. und krit. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 77 f.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 161 f. 751 Vgl. aber unten bb). 752 BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 1; BGH NStZ-RR 2005, S. 72; BGH v. 10.12.1997 – 3 StR 389/97. 753 BGHSt 25, 64 ff.; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 2, vgl. aber andererseits BGH StraFo 2006, S. 422 f.; eingeh. und mit weit. Nachw. Stuckenberg, StV 2007, S. 655 (656). 744
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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manche Richter es auch nicht für ausgeschlossen, dass über staatliche Reaktionen hinaus bewiesene private Bezichtigungen berücksichtigt werden dürfen.754 Schließlich sollen der Eröffnungsantrag nach § 13 InsO sowie ein früher durchgeführtes Insolvenzverfahren Hemmungen in Bezug auf konkursspezifische Vermögensstraftaten aufbauen können.755 (1) Der Grad der Schulderhöhung ist im Rahmen dieses Modells in zwei Schritten zu bestimmen. Zunächst wird die „konkret-generelle“ Effektivität der Warnung erwogen. Diese soll empirisch-psychologisch beurteilt werden und von den Umständen des Einzelfalls abhängig sein.756 Zu den maßgeblichen Umständen gehören vor allem: der Zeitpunkt der Verurteilung, Art und Höhe der erkannten Rechtsfolge, Art und Weise der Vollstreckung, insbesondere die Taten, derentwegen der Täter bestraft wurde.757 Von besonderer Bedeutung ist der Zusammenhang zwischen der früheren Warnung und der jetzt abzuurteilenden Tat. Nicht nur für die Entscheidung über die Strafaussetzung verlangen einige Oberlandesgerichte schon grundsätzlich Feststellungen über die den einzelnen Verurteilungen zugrunde liegenden Sachverhalte und den Umfang der Schuld.758 In dem empirisch-psychologischen Modell ist die Relevanz dieser Umstände wohl auch nicht von der Hand zu weisen. Zwar wird dem Betroffenen grundsätzlich durch jede Vorstrafe die Wichtigkeit rechtstreuen Verhaltens im Allgemeinen vor Augen geführt. Dass die Warnung aber umso eindringlicher wirkt, je konkreter sie ausfällt und erlebt wird, entspricht den Paradigmen sowohl der behavioristischen Lernpsychologie als auch der Verhaltenspsychologie.759 Dies dürfte den Hintergrund dafür bilden, dass die Rechtsprechung Strafschärfungen zuvörderst mit der „Einschlägigkeit“ von Vorstrafen begründet,760 womit jedenfalls eine gewisse straftatdogmatisch formelle Gleich-
754
Vgl. BGH NStZ-RR 2005, S. 72. Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 657. 756 Nachw. bei Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 60 ff. 757 Vgl. etwa KG Berlin v. 08.05.2000 – (4) 1 Ss 116/00 (70/00); OLG Frankfurt, StV 1995, S. 27 ff. 758 Etwa OLG Brandenburg v. 16.09.2009 – 1 Ss 63/09; OLG Koblenz v. 29.09.1988 – 1 Ss 374/88 (mit Verweis auf BGH VRS 28, 420); VRS 71, 46; 69, 298; OLG Rostock v. 23.11.2001 – 1 Ss 106/01 I 52/01; vgl. aber auch BGH bei Becker, NStZ-RR 2002, S. 100. 759 Vgl. Mandl/Kopp/Dvorak, Aktuelle theoretische Ansätze und empirische Befunde im Bereich des Lehrens und Lernens, S. 24 ff. 760 Vgl. zur Bedeutung der Einschlägigkeit für die zumessungsrechtliche Praxis etwa BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 25; OLG Frankfurt NStZ-RR 2009, S. 23 f.; OLG Hamburg OLGSt StGB § 47 Nr. 8; KG Berlin v. 28.2.2001 – (4) 1 Ss 22/01 (23/01). 755
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artigkeit der verwirklichten Delikte gemeint ist.761 Darüber hinaus kommt aber auch bei nicht einschlägigen Vorstrafen eine Strafschärfung in Betracht,762 und zwar umso mehr, je größer der kriminologische Zusammenhang zwischen den Vortaten und dem aktuell zu beurteilenden deliktischen Geschehen ausfällt.763 Relevant wird hier etwa das Beruhen auf gleicher charakterlicher Fehlhaltung oder gleichgeartete innere Beziehungen zur Tat, insbesondere in Zielrichtung oder Beweggründen.764 Daneben verdient die Vergleichbarkeit der Tatsituation Beachtung.765 Der kriminologische Zusammenhang besteht zwar regelmäßig, aber nicht ausschließlich zwischen Taten, die dasselbe Rechtsgut betreffen.766 Stets geht es um die Größe der Signalwirkung der Vorstrafen, für die der kriminologische Zusammenhang ein Indiz ist. Ohne einen inneren Zusammenhang soll eine Schärfung aufgrund von Vorstrafen und sonstigen Warnungen nur dann in Betracht kommen, wenn die Delikte Ausdruck einer allgemeinen Rechtsgleichgültigkeit sind. Weil diese gerade nicht aus den Vorstrafen, sondern aus anderen Umständen wie der Vortat selbst gefolgert werden muss,767 ist die Erklärungskraft des Überwindungsmodells für diesen Fall jedoch fraglich.768 Ob im Rahmen des Überwindungsmodells das tatsächliche Vorliegen der Vortaten eine notwendige Voraussetzung für eine Strafschärfung darstellt, ist zweifelhaft. Zwar verlangt die Rechtsprechung nicht unbedingt eine rechtskräftige 761 Vgl. Maurach, JZ 1972, S. 130 (131); wenig hilfreich hingegen die vielzitierte Definition bei Koffka, JR 1955, S. 322 (324), wonach einschlägige Taten „in der gleichen Richtung“ liegen; vgl. SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 125 m.w. N. 762 BGHSt 24, 198 (199 f.); BGH NStE Nr. 11 zu § 56 StGB; BGH v. 18.03.1982 – 4 StR 636/81; KG Berlin VRS 30, 200; OLG Köln v. 09.08.2011 – III-1 RVs 177/11, 1 RVs 177/11 u. a.; missverständlich hingegen BGHR StPO § 338 Beruhen 1: Strafmildernde Bewertung des Umstands, „daß der Angeklagte nicht einschlägig vorbestraft ist“. 763 Das folgte schon aus der Rechtsprechung zu § 48 a. F. bzw. § 17 a. F., umfassende Nachw. bei Horn sLSK § 46 Rdnr. 14b; zwar war das Erfordernis des kriminologischen Zusammenhangs dem Wortlaut dieser Vorschriften geschuldet, der eine Warnwirkung „im Hinblick auf Art und Umstände der Straftaten“ und mithin einen spezifischen Zusammenhang verlangte, s. die Ausführungen bei BayOblG, NJW 1972, S. 1380. Weil mit der Spezifität aber auch der Zielerreichungsgrad der Warnung einhergeht, hat der kriminologische Zusammenhang auch Bedeutung für die im Rahmen der Zumessung im engeren Sinne vorzunehmende ordinale Skalierung, s. OLG Hamburg v. 17.11.2011 – 2 Ws 85/11; LG Berlin v. 22.02.2002 – (503) 68 Js 434/01 Kls (42/01); vgl. zur Bedeutung des kriminolgischen Zusammenhangs im Rahmen des Überwindungsmodells ferner SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 125 und Hillenkamp, GA 1974, S. 208 ff. 764 BayOblG NJW 1972, S. 1380 f. 765 Vgl. LG Düsseldorf v. 06.07.2010 – 3 KLs 7/10; zur Bedeutung situativer Umstände im Rahmen der kriminologischen Würdigung z. B. Killias, Grundriss der Kriminologie – eine europäische Perspektive, S. 303 f. 766 Vgl. BayOblG, NJW 1972, S. 1380. 767 KG Berlin VRS 30, 200. 768 Zu einer alternativen Begründung sogleich bb).
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Feststellung der Vortaten. Wurde das Verfahren eingestellt, begründet der Bundesgerichtshof die Schärfung jedoch mit dem Verdachtsgrad. Außerdem sollen private Warnungen schärfend nur dann herangezogen werden können, wenn die Richtigkeit der Bezichtigung festgestellt ist.769 Das spricht dafür, dass die Warnung überhaupt nur dann berücksichtigt werden darf, wenn das Vortatverhalten, an das sie anknüpft, tatsächlich stattgefunden hat. Von dieser Prämisse scheint der Bundesgerichtshof auch dann auszugehen, wenn er die strafschärfende Berücksichtigung eines Freispruchs für bedenklich im Hinblick auf die Unschuldsvermutung hält.770 Darüber hinaus soll eine zu Unrecht erlittene Untersuchungsoder Strafhaft überhaupt nicht berücksichtigt werden können. Denn das Unrecht, das dem Täter durch diesen Freiheitsentzug zugefügt wurde, dürfe nicht fortwirken.771 Indessen zeigen andere Entscheidungen, dass das Überwindungsmodell im Prinzip auch ohne begangene Vortaten auskommt. Augenfällig wird dies an den vermeintlichen Warnwirkungen eines Eröffnungsantrags nach § 13 InsO, eines früher durchgeführten Insolvenzverfahrens und eines mit Freispruch endenden Strafverfahrens.772 Auch diese Ereignisse könnten dem Täter die Bedeutung einer Rechtsgutverletzung deutlich vor Augen führen. Vorausgesetzt wird infolgedessen, dass schon eine „abstrakte“ Warnung, d.h. die bloße Kommunikation der Sozialschädlichkeit eines bestimmten Verhaltens, eine Strafschärfung dem Grunde nach fundieren kann. Freilich kommt auch bei einer solchen Sichtweise dem tatsächlichen Vorliegen der bestraften Vortaten Bedeutung zu. Denn der verhaltenspsychologische Einfluss einer Warnung dürfte maßgeblich davon abhängen, dass diese als Konsequenz des eigenen Verhaltens nachvollzogen werden kann.773 Dies bedeutet, dass die tatsächliche Begehung des in Bezug genommenen Unrechts im Rahmen der Rechtsprechung zumindest für die Quantität der Warnwirkung Bedeutung entfalten muss. (2) Art und Höhe der Vorstrafen, ihre Frequenz, ihre zeitliche Verortung und die ihnen zu Grunde liegenden Taten sind Faktoren, die unabhängig von der Person des Täters beurteilt werden können. Für das psychologische Überwindungsmodell der Rechtsprechung reicht das freilich nicht aus. Auch hohe Vorstrafen, die nicht lange zurücklagen und mit denen nahezu identische Taten belegt wurden, sollen auf die Errichtung von Hemmschwellen keinen Einfluss haben, wenn sie vom Bestraften nicht entsprechend verarbeitet werden konnten. Daher muss auch sein individuelles Wahrnehmen, Erleben und Verstehen entscheidenden Ein769
BGH v. 11.11.2004 – 5 StR 472/04 = NStZ-RR 2005, S. 72 (Ls.). BGH v. 25.4.2006 – 4 StR 125/06. 771 BGH bei Holtz, MDR 1979, S. 635. 772 Siehe die Nachweise oben Anm. 752 ff. 773 Vgl. Bandura, Psychological Review, 84 (1977), S. 191 ff.; Rotter, Psychological Monographs 33 (1966), S. 300 ff. 770
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
fluss auf die Effektivität der Warnung haben. Die Rechtsprechung fragt dementsprechend im zweiten Schritt in Übereinstimmung mit Erkenntnissen der empirischen Wissenschaften danach, ob der Täter in der Lage war, die Warnung zu verstehen und sich nach ihr zu richten.774 Dies soll nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen einer Gesamtwürdigung beurteilt werden, die auch psychische Faktoren, charakterliche Eigenschaften und die Lebensumstände des Täters umfassen müsse.775 Dass eine solche retrospektive Gesamtwürdigung der Praxis entspricht, ist jedoch zweifelhaft. Eher ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung den Zielerreichungsgrad der Warnung in subjektiver Hinsicht in erster Linie parallel zur Vorwerfbarkeit der Tat wertet und den Effekt der Warnung vom Verschuldungsgrad der aktuellen Tat abhängig macht.776 (3) Besonders hervorzuheben ist ein weiterer Aspekt, auf den die Rechtsprechung nach Wegfall des Instituts der fortgesetzten Handlung777 zunehmend hinweist. Durch den Fortsetzungszusammenhang konnten mehrere „an sich“ selbständige Tatbestandsverwirklichungen zur rechtlichen Handlungseinheit verbunden werden. Voraussetzung dafür war eine rechtlich und tatsächlich gleichartige Begehung, die durch einen (nahen) räumlichen und (engen) zeitlichen Zusammenhang der einzelnen Teilakte gekennzeichnet und von einem die Teile der Handlungsreihe zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch in den wesentlichen Grundzügen ihrer zukünftigen Gestaltung nach betroffenem Rechtsgut, Rechtsgutsträger sowie Ort, Zeit und ungefährer Art der Tatbegehung vorweg begreifenden Gesamtvorsatz getragen sein sollte.778 Da die für die fortgesetzte Handlung aus § 52 Abs. 2 StGB folgende Höchststrafe in der Regel milder ist als die bei Tatmehrheit aus § 54 Abs. 2 StGB sich ergebende Obergrenze, war eine Erhöhung des allgemeinen Strafniveaus als Nebenfolge der durch BGHSt 40, 138 bewirkten Rechtsprechungsänderung zu befürchten. Diese Folge möchte die Rechtsprechung bei der Gesamtstrafenbildung vermeiden. Deswegen soll die Erhöhung der Einsatzstrafe in der Regel niedriger ausfallen, wenn zwischen den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang besteht.779 In der Abfolge derartig zusammenhängender Taten sei mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Dynamik des Geschehens die Hemmschwelle des Angeklagten herabgesetzt, was sich bei der Strafrahmenkonkretisierung zugunsten des Täters auswirken müsse.780 Angewendet wird dieser 774
BayOblG NJW 1972, S. 1380 f. BVerfGE 50, 125 (136). 776 Vgl. BVerfGE 50, 125 (136); OLG Karlsruhe NJW 2003, S. 1825 (1826). 777 BGHSt 40, 138 ff. 778 BGHSt 40, 138 (145 f.). 779 Vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 1, 2, § 46 Abs. 2 Tatumstände 8, 14 jeweils m.w. N. 780 BGH StV 2006, S. 689. 775
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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Gedanke insbesondere auf Sexual- und Vermögensdelikte. Bei Sexualdelikten könne die wiederholte Verwirklichung gleichartiger, gegen dasselbe Opfer gerichteter, einer persönlichen Beziehung entspringender Taten nahelegen, dass die Hemmschwelle für die späteren Taten aus dem Angeklagten nicht voll anzulastenden Gründen von Tat zu Tat niedriger geworden sei.781 Jedoch müsse auch hier beachtet werden, dass das Gesetz bei der Strafzumessung „von jedem Schematismus (. . .) weit entfernt ist“.782 Die genannten Umstände brauche der Tatrichter daher dann nicht strafmildernd zu werten, wenn das Opfer ständig seinen Unwillen über das Verhalten des Täters deutlich gemacht habe.783 Grundsätzlich könne der Strafmilderung eine von Anfang an vorhandene oder sich von Tat zu Tat steigernde besonders rechtsfeindlichen Einstellung oder verbrecherischen Energie, die in der Wiederholung der Taten zum Ausdruck kommt, aber entgegenstehen.784 Auf den ersten Blick ergibt sich hier ein Widerspruch zu den Prämissen des Überwindungsmodells. Denn mit dem zeitlichen, situativen und kriminologischen Zusammenhang sollen gerade die Kriterien, die hier zugunsten des Täters wirken, dort aufgrund der Warnwirkung zu seinem Nachteil gereichen.785 Indessen kann das Überwindungsmodell nur dann greifen, wenn Vorstrafen tatsächlich vorliegen. Dies aber ist in den Fällen des überkommenen Fortsetzungszusammenhangs ausgeschlossen. Eine besondere enthemmende Dynamik könnte durch eine Verurteilung oder andere Warnungen aber unterbrochen werden. Freilich wirft diese Rechtsprechung aber die allgemeine Frage auf, warum auf dem Boden ihrer psychologischen Herangehensweise nicht grundsätzlich eine Enthemmung durch die Wiederholung von Straftaten erörtert wird, die den behaupteten Warneffekt einer Strafe kompensieren könnte. (4) Neben der Schuldrelevanz der Vorstrafen geht die Rechtsprechung auch von einem erhöhten spezialpräventiven Bestrafungsbedürfnis aus (doppelte Indizkonstruktion). Nur selten wird das Verhältnis beider Erwägungen zueinander erörtert.786 Schuldwertung nach dem Überwindungsmodell und spezialpräventive Erwägungen hängen jedoch zusammen, sodass beide Systeme aufeinander abzustimmen sind. Das höhere spezialpräventive Einwirkungsbedürfnis ist bei schuldsteigernder Bedeutung der Vorstrafen nicht mit der Erwägung begründbar, den Täter habe die Warnwirkung der gegen ihn bereits verhängten Strafen nicht erreicht. Denn die gegenteilige Annahme ist Voraussetzung des Überwindungs781 782
Vgl. BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 2; BGH, NStZ 1996, S. 187. BGH NStZ 1996, S. 187; vgl. BGHSt 34, 345 (351); BGH, NStZ 1995, S. 225
(226). 783
BGH NStZ 1996, S. 187. BGH StV 1988, S. 103 f. 785 Vgl. BGH v. 5.8.2008 – 3 StR 301/08. 786 Vgl. Deiters, Legalitätsprinzip und Normgeltung, S. 52 Anm. 118; Stuckenberg, StV 2007, S. 655 (655). 784
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
modells. Aus diesem folgt für die spezialpräventive Wertung, dass die im konkreten Fall verhängten Vorstrafen, soweit sie strafschärfend zu berücksichtigen sind, zwar eine spezialpräventive Wirkung entfaltet haben, diese Wirkung aber nicht stark genug war, den Täter von der Begehung vergleichbarer Taten abzuhalten.787 Deshalb lässt sich eine spezialpräventive Strafschärfung nicht nur mit dem Überwindungsmodell vereinbaren,788 sondern sogar aus dessen Prämissen herleiten. Angesichts der Bedeutung der Strafhöhe für den Warneffekt legt das Überwindungsmodell nämlich auch die Konsequenz nahe, dass „more of the same“ jetzt noch weiterhelfen könnte. Dagegen ließe sich freilich nichts einwenden, sofern diese Konsequenz auch in den empirischen Wissenschaften einen Rückhalt finden würde. Weil das aber regelmäßig nicht in Betracht kommt, müsste sich das Überwindungsmodell eigentlich auf Ausnahmen beschränken. Jedoch belegt die Bedeutung der Vorstrafen in der zumessungsrechtlichen Praxis, dass im Gegenteil das Fehlen der Warnwirkung trotz der nach dem BVerfG gebotenen Gesamtwürdigung, die „auch psychische Faktoren, charakterliche Eigenschaften des Angeklagten und dessen Lebensumstände einbeziehen“ müsse,789 nur in Ausnahmefällen angenommen wird. Deshalb ist jedenfalls die praktische Handhabung des Überwindungsmodells nicht mit den empirischen Erkenntnissen zur spezialpräventiven Wirkung von Vorstrafen vereinbar.790 Festgehalten werden kann, dass das Überwindungsmodell von der spezialpräventiven Wirkung von Strafmaßmodifizierungen abhängt. Weil diese Wirkung aber nicht nachgewiesen ist, kann das Modell auch nicht überzeugen. Es lässt sich im Ergebnis also nicht überzeugend über eine Argumentation mit Hemmschwellen eine Deckungsgleichheit der Schuldbegriffe herleiten. bb) Vortaten und sonstiges Vorleben Nicht nur mittelbar als Voraussetzung einer effektiven Warnung, sondern auch unmittelbar kann das Vortatverhalten in der Strafzumessung relevant werden. Mitunter nicht sorgfältig von dem Überwindungsmodell getrennt, deuten Verweise auf die kriminelle Energie und die rechtsfeindliche Gesinnung auf einen 787 Seinen Ausdruck findet das in quantitativen Formulierungen, vgl. BGH NStZ 1983, S. 19 („nicht ausgereicht“); OLG Schleswig v. 17.8.2004 – 2 Ss 127/04 („nicht hinreichend“); Brögelmann, JuS 2002, S. 1005 (1006). 788 Zur Begründung, warum innerhalb des schon verschobenen Schuldrahmens gleichsam eine weitere Erhöhung der Strafe stattfindet, reicht dies allerdings nicht aus. Hier ließe sich möglicherweise eine verringerte Strafempfänglichkeit aufgrund einer Art Abstumpfung durch Freiheitsentzug anführen, die von Rechtsprechung und herrschender Meinung auf der Präventionsebene verortet wird. 789 BVerfGE 50, 125 (136). 790 Vgl. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 67 ff. m.w. N.
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weiteren, eigenständigen Legitimationsansatz, der schon bei der zumessungsrechtlichen Aufarbeitung des Vorbereitungsstadiums begegnete.791 Zwar ist die „kriminelle Energie“ auch im Rahmen des Warnmodells von Bedeutung, wo sie schlagwortartig die spezifische Steigerung des verbrecherischen Willens ausdrückt, die zur Überwindung der von der Warnung ausgehenden Hemmung notwendig ist. Indes folgert die Rechtsprechung eine schulderhöhende, gesteigerte kriminelle Energie792 auch direkt aus den begangenen Vortaten, ohne dabei auf Warnungen zurückzugreifen. Deutlich wird das in Urteilen, die eine Schärfung auch dann auf das Vortatverhalten stützen, wenn eine daran anknüpfende Warnung gar nicht ausgesprochen wurde. Das ist regelmäßig der Fall bei verjährten Vortaten, deren Berücksichtigung in der Strafzumessung grundsätzlich zulässig sein soll,793 sowie bei Umständen der allgemeinen Lebensführung, die ebenfalls berücksichtigt werden dürfen, wenn sie wegen ihrer engen Beziehung zur Tat Schlüsse auf den Unrechtsgehalt zulassen oder Einblicke in die innere Einstellung des Täters zur Tat gewähren.794 Weil sich überdies nur schwer begründen lässt, dass allein die Begehung von Vortaten zu einer Hemmung des Täters führt, scheidet eine Anwendung des Überwindungsmodells in diesen Fällen aus. Wenn andererseits eine Warnung vorliegt, stellt die Judikatur stellenweise sowohl auf das Überwindungsmodell als auch auf eine erhöhte kriminelle Energie ab. In welchem Verhältnis beide Ansätze zueinander stehen, ist dabei eine wenig geklärte Frage. So liest man etwa in einem Urteil des OLG Koblenz, es bedürfe eingehender Erörterung, ob in den Vortaten eine besondere, „sich steigernde kriminelle Energie des Täters oder eine wiederholte, besonders verwerfliche Motivationslage zum Ausdruck kommt, die über die Berücksichtigung des Warneffekts hinaus (Hervorhebung durch den Verf.)“, straferschwerend wirke.795 In der Regel soll eine Steigerung der kriminellen Energie offenbar schon aus der Missachtung von Warnungen folgen und es daneben nicht noch einmal auf die Tatsache ankommen, dass bestimmte Taten wiederholt begangen wurden. Das 791 Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 79. 792 Siehe BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 16; § 54 Abs. 1 Bemessung 4; BGH StV 2006, S. 689; 1991, S. 106 (107); NStZ 1984, S. 259 (260); – Der BGH weist in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeit einer reduzierten Hemmschwelle hin, was dafür spricht, dass der Hinweis auf die Progressivität („sich steigernde“) aus dem Überwindungsmodell rührt. Nach diesem muss der Täter im Vergleich zu den Vortaten mehr Hemmungen überwunden und insofern ein sich steigerndes Maß an krimineller Energie aufgebracht haben. 793 Nachw. oben Anm. 812. 794 BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 3, 23; BGH NStZ-RR 2010, S. 25; NStZ-RR 2001, S. 275; JZ 1988, S. 160; NStZ 1984, S. 259 f. 795 OLG Koblenz v. 13.06.2007 – 1 Ss 385/06; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 79.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
muss freilich die Frage aufwerfen, was unter der kriminellen Energie überhaupt zu verstehen ist. Die verbrecherische Energie ist ein Sammelbegriff, der sämtliche täterbezogenen Merkmale umfasst und in der Tendenz zumeist mit Nachteilen für den Täter verbunden ist.796 In seinem Kontext begegnen sinnverwandte Begriffe wie „die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille“ (§ 46 Abs. 2 StGB) sowie die Einstellung des Täters bei der Tat. Der Weite dieser Begriffe entsprechend zieht die Rechtsprechung das gesamte Verhalten des Täters sowohl vor, bei als auch nach der Tat als relevant in Betracht. Maßgebliche Voraussetzung für eine Verwertung ist ein innerer Zusammenhang zur Tat.797 Gesinnung, Energie und Einstellung des Täters sollen nur in bestimmter Hinsicht interessieren. Die „allgemeine Gesinnung“ soll wie eine moralisch bedenkliche Lebensführung oder ein schlechter Charakter selbst dann nicht beachtlich sein, wenn sich ihre Ursächlichkeit für die Tat nicht ausschließen lässt. Es ist daher unbeachtlich, ob der Täter ein Lotterleben geführt hat, sein Charakter „häßlich und gemein“ ist, oder ob er sich durch „tatfremde“ Verdienste in der Vergangenheit positiv auszeichnen konnte.798 Festgehalten werden kann immerhin, dass weder Kausalität noch eine allgemeine moralische Bewertung des Vorlebens einen ausreichenden Zusammenhang mit der Tat begründen sollen. Welche Kriterien stattdessen ausschlaggebend sind, verrät nun aber nicht der Begriff des inneren Zusammenhangs, sondern nur die Bezugspunkte, die durch ihn verbunden werden. Nach der doppelten Indizkonstruktion kommt hier nur die Prävention auf der einen, die Schuld auf der anderen Seite in Betracht. Während die Prävention mit der Wiederholungswahrscheinlichkeit der Tat ein im Prinzip recht präzises, aber wegen der empirischen Probleme im Ergebnis weitgehend unbrauchbares Kriterium benennt, bietet die Rechtsprechung zur weitergehenden Konkretisierung der Schuld nur die Begriffe der „rechtsfeindlichen Gesinnung“ (Hervorhebung nicht im Original) und der Einstellung des Täters zu seiner Tat an. Immerhin lassen sich aus diesen Formulierungen zwei Voraussetzungen ableiten. Es kommt – erstens – auf die innere Haltung des Täters zu den Rechtsnormen an, die allerdings als abstrakt-generelle Regelung nicht nur für die konkrete Situation der abzuurteilenden Tat, sondern darüber hinaus für eine Vielzahl von Tatsituationen gelten, und – zweitens – darauf, dass diese Haltung zum Recht eine Erklärung für die jetzt abzuurteilende Tat bietet oder jedenfalls in einem kausalen Zusammenhang mit ihr steht, weil und insofern sie andernfalls in der Tat nicht zum Ausdruck käme. Ganz pauschale Hinweise auf ein „Bummel796 Vgl. M. Walter, GS Hilde Kaufmann, S. 493 ff.; MünchKomm-StGB/Miebach, § 46 Rdnr. 86; Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 619. 797 Eingeh. oben E. II. 1. 798 Vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht, 565 ff. m.w. N.; Spendel, NJW 1964, S. 1758 (1760).
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leben“, einen „liederlichen Lebenswandel“ oder einen „häßlichen und gemeinen“ Charakter können eine problematische Einstellung zu einer bestimmten Rechtsnorm deshalb ebenso wenig belegen wie ein guter Leumund und eine vorbildliche Lebensführung das Gegenteil.799 Vielmehr bedarf es eines rechtlich missbilligten Verhaltens innerhalb des weiteren Schutzzwecks der verletzten Norm, welches sich im Einzelfall durchaus auch aus dem Tatsachenmaterial ergeben kann, das pauschalen Urteilen über Charakter und Lebenswandel zu Grunde liegen könnte. Daher darf eine sich in einer Vielzahl von Übergriffen manifestierende unkameradschaftliche und brutale Einstellung des Angeklagten durchaus strafschärfend bei einer Körperverletzung berücksichtigt werden.800 Viel spricht dafür, dass auch das Missachten von Warnungen auf die Einstellung des Täters schließen lässt. Wer sich über konkrete Warnungen hinwegsetzt, die ihn persönlich auf die Wichtigkeit der Normbefolgung hingewiesen haben, könnte der Rechtsnorm in grundsätzlicher Hinsicht ablehnender gegenüber stehen als jemand, der zuvor nicht gewarnt wurde. Die Überwindung einer erhöhten Hemmschwelle wäre dann nur einer derjenigen Faktoren, die für das Ausmaß der geistigen Abweichung von der Rechtsnorm, der „kriminellen Energie“, Bedeutung entfalten. Aus einer solchen Sichtweise würde auch erklärbar, warum die kriminelle Energie ohne und über den Warneffekt hinaus Bedeutung für die Strafzumessung erlangen kann. Auch ohne das Erlebnis einer strafrechtlichen Reaktion kann schließlich die Wiederholung von gleichartigen Straftaten eine gegenüber der verletzten Rechtsnorm ablehnende Haltung des Täters belegen. Das Maß dieser problematischen Einstellung dürfte dann von den gleichen Faktoren beherrscht sein wie das Überwindungsmodell, d.h. Anzahl, Frequenz, Zeitpunkt, Schwere und Schuldgehalt der früheren Taten. Gegen eine doppelte Berücksichtigung dieser Faktoren, spricht neben dem Rechtsgedanken des Doppelverwertungsverbots jedoch die alternative Begründung der Vorstrafenrelevanz in der Judikatur. cc) Grenzen strafschärfender Berücksichtigung des Vorlebens Jenseits des vorausgesetzten inneren Zusammenhangs begegnen weitere Kriterien, die einer strafschärfenden Verwertung vor der Tat liegender Umstände entgegenstehen. Nach Auffassung der Rechtsprechung zählt dazu jedoch nicht das 799 Vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 565 ff., 568 ff. Die ältere Rechtsprechung begnügte sich stellenweise dennoch mit sittlich prekärem Lebenswandel oder problematischen Charaktereigenschaften, wenn sie für die Tat nur möglicherweise ursächlich geworden sind. So hat BGH 5 StR 711/68 (wiedergegeben bei Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 571; vgl. ferner BGH MDR 1970, S. 14) als strafschärfend gebilligt, dass der Täter ein Bummelleben führt und sich regelmäßig „im Milieu des Asozialen“ aufhält; in BGHSt 1, 51 wird als Strafzumessungstatsache u. a. ein liederlicher Lebenswandel und ein allgemein schlechter Leumund als strafzumessungsrelevant anerkannt. 800 BGH NJW 1951, S. 769 (770).
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Doppelbestrafungsverbot, da es in der Strafzumessung nicht um einen eigenständigen Schuld- und Strafausspruch für die begangenen Vortaten gehe, sondern nur um deren indizielle Verwertung.801 Einschränkungen konzentrieren sich daher auf die Berücksichtigung nicht rechtskräftig abgeurteilter Taten. (1) Eine besonders brisante Grenze zieht der Anklagegrundsatz und die Unschuldsvermutung aus Art. 6 Abs. 2 EMRK. Diese Aspekte betreffen nicht lediglich die Begründung mit der kriminellen Energie, sondern auch das Überwindungsmodell. Zwar verhält sich letzteres gegenüber der wirklichen Begehung der Vortaten dem Grunde nach gleichgültig. Dennoch treten auch hier Friktionen mit der Unschuldsvermutung und dem Anklagegrundsatz auf, wenn auf Warnungen abgestellt wird, die weder rechtskräftig festgestellte Vortaten betreffen noch in dem aktuellen Verfahren in die Anklage einbezogen wurden. Darüber hinaus ist es auch für das Überwindungsmodell nicht unerheblich, ob der Täter die sanktionierten Vortaten auch wirklich begangen hat. Dass eine bislang nicht angeklagte Straftat schon aus prozessökonomischen Gründen nicht mit dem gleichen Aufwand aufgeklärt werden kann wie die prozessuale Tat, wirft nicht nur die Frage nach den Anforderungen von Unschuldsvermutung und Aufklärungspflicht im Hinblick auf die Qualität der Wahrheitsermittlung in Bezug auf Strafzumessungstatsachen, sondern auch nach der Reichweite des Anklagegrundsatzes auf.802 Von der Rechtsprechung wurden diese Probleme gelegentlich aufgegriffen und zumeist abgetan. So sei der Anklagegrundsatz nicht einschlägig, da sich diese Maxime nicht mit der Strafzweckbezogenheit der Strafzumessung vertrage. Die Strafzwecke würden gerade eine umfassende Würdigung der Tat gebieten.803 Überdies sei die Verwertung der Vortaten lediglich von indizieller Natur.804 Eine Einschränkung soll sich hier nur aus dem Vertrauensgrundsatz ergeben können, wenn Taten ohne vorherigen Hinweis strafschärfend berücksichtigt werden sollen, die im selben Verfahren nach § 154a StPO ausgeschieden wurden.805 Ebenso grundsätzlich einer lediglich inzidenten Verwertung nicht rechtskräftig festgestellter Vortaten stehe auch die Unschuldsvermutung nicht entgegen. Das Bundesverfassungsgericht versteht unter diesem Grundsatz u. a. das Verbot, im konkreten Strafverfahren ohne gesetzlichen, prozessordnungsgemäßen Nachweis der Schuld Maßnahmen gegen den Beschuldigten zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe gleichkommen, und ihn verfahrensbezogen als schuldig zu be801 BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 1 Unzulässigkeit 16; vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1975, S. 195 f. 802 Ausf. Stuckenberg, StV 2007, S. 655 (657 ff.). 803 BGH NJW 1951, S. 769 (770). 804 BGHR StPO § 244 Abs. 3 S. 1 Unzulässigkeit 16; vgl. ferner BGH bei Dallinger, MDR 1975, S. 195 f. 805 BGHSt 31, 302 (303); 30, 147 (148); BGH NStZ 1981, S. 100 m. Bspr. Bruns, NStZ 1981, S. 85; 1981, S. 22.
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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handeln; auf einen rechtskräftigen Nachweis komme es nur an, wenn die Schuld dem Verurteilten im Rechtsverkehr allgemein vorgehalten werden sollen.806 Wenn die Schuld bei der Verwertung einer Vortat hingegen überhaupt nicht ausschlaggebend ist, wird der Beschuldigte auch verfahrensbezogen nicht als schuldig behandelt. Das trifft etwa dann zu, wenn aus den Vortaten auf ein Alibi geschlossen werden soll.807 Das Bundesverfassungsgericht schließt darüber hinaus grundsätzlich nicht aus, dass aus nicht rechtskräftig festgestellten Vortaten bestimmte Schlüsse auf Rechtsfolgenseite folgen können. Die Unschuldsvermutung beinhalte nämlich keine in allen Einzelheiten bestimmten Ge- und Verbote, sondern müsse nach den rechtsstaatlichen Anforderungen im Einzelfall konkretisiert werden.808 Der Bundesgerichtshof zieht daraus den Schluss, dass gerade im Lichte des Aufklärungsgrundsatzes aus der Unschuldsvermutung kein Gebot zur lückenhaften Würdigung des Angeklagtenverhaltens folgen könne.809 Die „umgekehrte“ Frage, ob Vortaten trotz Freispruchs in einem anderen Verfahren noch als Indiz herangezogen werden dürfen, wird damit freilich noch nicht beantwortet. Von seiner bisherigen Rechtsprechung, die dies zuließ, ist der Bundesgerichtshof mittlerweile abgerückt.810 (2) Während aus dem Bundeszentralregister oder dem Erziehungsregister getilgte oder nach den §§ 45 ff. BZRG zu tilgende Vorstrafen auch in der Strafzumessung nicht berücksichtigt werden dürfen,811 hält die Rechtsprechung eine strafschärfende Verwertung verjährter Vortaten grundsätzlich für möglich.812 Allerdings soll der Verjährung durch eine nur eingeschränkt schärfende Verwertung der Vortaten Rechnung getragen werden. Diese Einschränkung lässt sich nicht vollständig mit dem Überwindungsmodell vereinbaren. Zwar hat der Zeitablauf auch im Rahmen des Überwindungsmodells Bedeutung.813 Jedoch ist diese nicht ausschließlich Hintergrund für das Verwertungsverbot getilgter und für die eingeschränkte Verwertung verjährter Vortaten. Rechnung getragen werden soll nämlich auch dem mit der Zeit abneh806
BVerfGE 74, 358 (371); BVerfG NStZ 1988, S. 21; 1987, S. 421. Vgl. BGHSt 34, 209 (211). 808 BVerfG NStZ 1991, S. 30 (31). 809 Vgl. BGHSt 34, S. 209 (211) – Maßgeblich dürfte hier aber nicht erst der Aufklärungsgrundsatz sein. Wenn das Recht das Vortatverhalten als zumessungsrelevant oder sogar schuldrelevant ausweist, wird der Täter durch die Verwertung dieses Verhaltens nicht mehr allgemein, sondern verfahrensbezogen als schuldig behandelt. 810 BGH StraFo 2006, 422; eingeh. Stuckenberg, StV 2007, 655. 811 Vgl. nur BGH NStZ 2006, S. 587 f. Tat und Ahndung dürfen nach den §§ 51 Abs. 1, 63 Abs. 4 BZRG „im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten“, vor allem bei der Strafzumessung in keiner Weise zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden. 812 BGHR StGB vor § 1 fortgesetzte Handlung– Auswirkung, nachteilige 13; § 46 Abs. 2 Vorleben 19, 20; OLG Dresden StraFo 2014, S. 254 (256); Schäfer/Sander/ v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 663 m.w. N. 813 Siehe oben aa). 807
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
menden Strafbedürfnis.814 Dieser Faktor steht jedoch außerhalb des Begründungskontexts der Strafzumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhalten mit der kriminellen Energie oder mit dem Überwindungsmodell.815 (3) Ob demgegenüber die eingeschränkte Berücksichtigungsfähigkeit von ausländischen und insbesondere in der DDR verhängten Vorstrafen eine außerhalb des Begründungskontextes der Vorstrafenrelevanz stehende Ausnahme begründet, ist fraglich. Das Verwertungsverbot wird alternativ auf drei Tatsachen gestützt: eine Verhängung von Strafen wegen jetzt nicht mehr mit Strafe bedrohten Verhaltens, eine Überschreitung der schuldangemessenen Strafe in nicht hinnehmbarem Umfang,816 und schließlich ein überharter Vollzug der Vorstrafe, der den Angeklagten unangemessen belastet hat.817 Problemlos lässt sich nur der erste Fall mit dem Überwindungsmodell in Einklang bringen. Denn die aktuelle Straflosigkeit widerspricht der früheren Strafe, wodurch auch eine etwaige Warnwirkung ins Leere laufen dürfte. Im Übrigen, d.h. bei schuldunangemessenen und/oder überhart vollzogenen Strafen in einem ausländischen Staat, ist eine Integration in das zweigliedrige Begründungsmodell der Zumessungsrelevanz von Vorstrafen jedoch schwieriger. Es ist denkbar, dass als ungerecht empfundene Strafen nicht die Warnwirkung entfalten können, die im Rahmen des Überwindungsmodells für die Schulderhöhung maßgeblich ist.818 Die Judikate zur Berücksichtigung von DDR-Vorstrafen weisen mit der Betonung des Resozialisierungsanliegens in diese Richtung.819 Eine Schulderhöhung soll danach insbesondere dann entfallen, wenn der teilweise überharte Vollzug unangemessen hoher Strafen die Entwicklung junger Täter gestört haben könnte. Damit liegt nahe, dass das Verwertungsverbot unangemessener DDR-Vorstrafen dem Umstand Rechnung tragen soll, dass ein Täter durch überharte Strafe auf die schiefe Bahn gelenkt wurde, sich ein etwaiger Warneffekt also nicht optimal entfalten und zumindest von schädlichen Nebenfolgen der Strafe überlagert werden konnte. Denkbar ist aber auch eine andere Begründung. Das Verwertungsverbot könnte schlichtweg auch dem Umstand geschuldet sein, dass der Täter selbst durch die Vorstrafe Opfer staatlichen Unrechts geworden ist, das nun nicht weiter durch eine zumessungsrechtliche Anknüpfung vertieft werden soll. (4) Entscheidungen, die sich mit der Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe bei Bagatelldelikten befassen, fördern eine weitere mögliche Einschränkung der 814 OLG Dresden StraFo 2014, S. 254 (256) m.w. N.; vgl. zur Bedeutung des Zeitablaufs oben D. II. 2. 815 Vgl. D. II. 2. bb). 816 BGHSt 38, 71. 817 Siehe BGH NStZ 1992, S. 327 f. 818 Der Gedanke begegnete schon bei der Integration der schuldangemessenen Strafe in generalpräventive Konzepte, siehe oben B. 6. b) aa). 819 BGH NStZ 1992, S. 33; 1992, S. 327 f.
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Berücksichtigung des Vorlebens zu Tage. Die kurze Freiheitsstrafe kommt nach § 47 Abs. 1 StGB dann in Betracht, „wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen“. Zwar könnte die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe damit auch allein auf täterbezogene Umstände gestützt werden.820 Es entspricht aber der ständigen Rechtsprechung, dass immer auch der Unrechts- und Schuldgehalt der Tat unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten in den Blick genommen werden muss.821 Zunächst soll nach den Grundsätzen des § 46 Abs. 1 StGB beurteilt werden, ob eine Freiheitsstrafe überhaupt in Betracht kommt.822 Im Rahmen dieser Prüfung kommt die Judikatur in Bagatellfällen oft zu dem Schluss, dass selbst bei Vorliegen zahlreicher einschlägiger Vorstrafen, die nach der Indizkonstruktion das Maß der Schuld erhöhen, eine kurze Freiheitsstrafe nicht verhängt werden darf. Die Begründung dafür fällt unterschiedlich aus. Das LG Konstanz betont, das nach seiner Schwere abstufbare verschuldete Unrecht sei Ausgangspunkt für die Strafbemessung.823 Den Grund dafür sieht es darin, dass die Schuld im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB nicht als Vorwerfbarkeit im Sinne der Voraussetzung jeder Straftat verstanden werden könne, sondern als das Maß des Vorwurfs, der gegen den Täter für seine Tat erhoben wird. Daher sei nicht die Täterpersönlichkeit, sondern die Tat der Ausgangspunkt jeder Schuldbewertung und die Strafe dürfe, unabhängig vom Vorleben des Angeklagten, in keinem groben Missverhältnis zu Tatunrecht und Tatschuld stehen, insbesondere nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Bei Bagatelldelikten, die durch einen geringfügigen Erfolgsunwert gekennzeichnet sind, sei daher die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe schlechthin (selbst bei Vorliegen zahlreicher erheblicher Vorstrafen) nicht vertretbar. Diese Rechtsfolge müsse sich eben auch im Hinblick auf das Gewicht der Tat und die Schwere der Tatschuld als gerechtfertigt erweisen.824 Problematisch ist diese Begründung, weil die vom LG betonte Schwere der Tatschuld eine Größe ist, auf die nach der Indizkonstruktion auch das Vorleben Einfluss nimmt. Entscheidend ist damit die Frage, ob der Einfluss des Vorlebens auf die Tatschuld möglicherweise begrenzt ist. Dabei kommt vorrangig das von personalen Faktoren unabhängige Erfolgsunrecht als Begrenzung in Betracht.
820 Zweifelnd Kinzig, FS Schöch, S. 647 (664), der in Erwägung zieht, dass besondere Umstände in der Persönlichkeit des Täters durch besondere Umstände der Tat kompensiert werden könnten. 821 OLG Hamburg StV 2007, S. 305 (306); vgl. zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ferner die Nachweise bei Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46 Rdnr. 71. 822 Siehe z. B. OLG Hamburg, NStZ-RR 2004, S. 72. 823 Unter Verweis auf OLG Karlsruhe StV 1996, S. 675 m. N. 824 LG Konstanz v. 4.4.2003 – Az. 9 Ns 43 Js 13075/02.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Tatsächlich machen denn auch einige Entscheidungen eine Art absolute Bagatellgrenze am Erfolgsunwert der Tat fest. So meint das OLG Braunschweig, die Wegnahme von Kaufhausware im Wert von 5,00 DM bei bloß abstrakter Warenwert-Entziehung im Kaufhaus, ohne dass dadurch eine konkrete personale Sphäre betroffen werde, dürfe selbst bei erheblicher Vorstrafenbelastung niemals mit Freiheitsstrafe von zwei Monaten belegt werden.825 In die gleiche Richtung tendiert auch das OLG Stuttgart, das bei einem Diebstahl einer Milchschnitte im Wert von 26 Cent eine Freiheitsstrafe für „keinesfalls vertretbar“ hält.826 Auch das OLG Hamm reiht sich in diese Rechtsprechung ein, wenn es Freiheitsstrafe für den Diebstahl einer „absolut geringwertigen Sache wie hier einer Tafel Schokolade im Wert von 50 Cent“ im Hinblick auf das Übermaßverbot für „möglicherweise nicht mehr vertretbar“ erachtet.827 Zwar wird in diesem Zusammenhang oftmals betont, es könne nicht schlechthin ausgeschlossen werden, dass auch ein Diebstahl geringwertiger Sachen besonders gemeinschädlich sei und deshalb nicht leicht wiege, da der Wert der Sache nicht ausschließliches Kriterium zur Beurteilung dieser Schädlichkeit sei. Unter Bezugnahme auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts werden in diesem Zusammenhang weitere Faktoren angeführt, die nach Auffassung der Gerichte auf das Maß der Schuld einen so großen Einfluss nehmen können, dass die Geringwertigkeit der Sache das Gewicht der Tat nicht mehr entscheidend prägen kann.828 Das Vorleben allein soll hier aber nicht genügen.829 Bei Taten ausgesprochen geringen Gewichts dürfe deshalb nicht allein aus dem Vorliegen einschlägiger Vorstrafen auf die Unerlässlichkeit einer Freiheitsstrafe geschlossen werden.830 Hingegen sperren sich andere Oberlandesgerichte gegen eine absolute Grenze. Sie zählen das Vorleben zum Handlungsunrecht, welches neben dem Erfolgsunrecht für das Gewicht der Tat entscheidende Bedeutung haben könne, und halten eine Gesamtbetrachtung für ausschlaggebend, bei der auch einmal ein Mehr an Handlungsunrecht ein Weniger an Erfolgsunrecht kompensieren kann.831 Diese 825 OLG Braunschweig NStZ-RR 2002, S. 75 f.; OLG Stuttgart NJW 2002, S. 3188 f.; OLG Hamm StraFo 2003, S. 99 f. 826 OLG Stuttgart NJW 2002, S. 3188 f. 827 OLG Hamm StraFo 2003, S. 99 f. 828 OLG Hamm StraFo S. 2003, S. 99 f.; OLG Stuttgart NJW 2002, S. 3188 f. mit Hinweis auf BVerfGE 50, 205: Ein Diebstahl könne – trotz Geringwertigkeit – auch dann schwer wiegen, wenn der Täter ohne Not oder sonstige noch verständliche Beweggründe um geringfügiger Vorteile willen einen Einbruch begangen oder die Hilflosigkeit eines unbemittelten Opfers ausgenutzt habe. Entsprechendes soll gelten, wenn sich der Täter bei häufigen Beutezügen in Ladengeschäften im Einzelfall der Wertgrenze für die Annahme eines geringen Schadens zwar annähert, aber sie regelmäßig nicht überschreitet und schon bei Tatbegehung dadurch dreist auf die Verhängung bloßer Geldstrafen spekuliert. 829 Siehe aber BVerfGE 50, 205 (215 f.). 830 OLG Stuttgart, NJW 2002, S. 3188 (3189). 831 OLG Nürnberg, StraFo 2006, S. 502 (504).
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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Sichtweise entspricht in der Sache einer konsequenten Anwendung der Indizkonstruktion. Vorstrafen erhöhen nicht nur die Notwendigkeit der präventiven Einwirkung auf den Täter, sondern immer auch die Tatschuld. Aufgrund dieses Gleichlaufs entfaltet die Schuld hier gerade keine Limitierungswirkung. Trotz der limitieren Funktion der Tatschuld stehen sich das aus dem Strafzweck der Spezialprävention folgende Erfordernis einer Freiheitsstrafe einerseits und die Strafzumessungsschuld andererseits – etwa beim Diebstahl geringwertiger Sachen – nicht dergestalt gegenüber, dass Vorleben und Vorstrafen nur eingeschränkt berücksichtigt werden dürften.832 Gewissermaßen zwischen den Fronten stehen schließlich Judikate, die die indizielle Bedeutung des Vorlebens in Abhängigkeit vom objektiv verwirklichten Unrecht beurteilen. Das Vorleben kann demnach zwar zu einer entscheidenden Erhöhung des Stellenwertes der Tat führen. Das sei aber nur dann der Fall, wenn es ein die gewöhnlichen Fälle deutlich übertreffendes Ausmaß an Pflichtwidrigkeit belegt. Vortaten müssten dazu aus prinzipiell rechtsfeindlicher Gesinnung begangen worden sein oder Umstände darauf hinweisen, dass Geldstrafen auf den Täter keine Wirkung entfalten.833 Weiterhin wird der Zusammenhang zwischen Vorleben und Tat betont. Die konkret abzuurteilende Tat dürfe nicht aus dem Blick verloren und ohne Herstellung eines Zusammenhangs zwischen Vorstrafen und erneutem Straffälligwerden den Vorstrafen das Primat bei der Strafzumessung eingeräumt werden. Sei die Tatschuld gering, könnten auch einschlägige Vorstrafen ohne weitergehende besondere erschwerende Umstände nicht zu einem wesentlich höheren Unrechtsgehalt der Tat führen.834 c) Fazit Der in der Praxis bedeutsamste Umstand des Vorlebens ist die Vorstrafenbelastung. Ihre Berücksichtigung zum Nachteil des Täters wird mit einer erhöhten kriminellen Energie des Täters begründet. Diese wiederum wird hauptsächlich auf eine erhöhte Hemmschwelle des vorbestraften Täters zurückgeführt, die dieser zur erneuten Tatbegehung habe überwinden müssen (Überwindungsmodell). Daneben wird die kriminelle Energie aber auch darauf gestützt, dass sich in der erneuten Tatbegehung eine rechtsfeindliche Einstellung niederschlägt, die bereits im Vortatverhalten zum Ausdruck gekommen ist. Diese Begründung trägt ebenfalls die Berücksichtigung von Planungen und Vorbereitungen im unmittelbaren Vorfeld der Tat. Jedoch weist die Judikatur auf das Erfordernis eines „inneren 832
OLG Jena OLGSt StGB § 47 Nr. 12; OLG Hamburg, NStZ-RR 2004, S. 72 (73). OLG Brandenburg, OLGSt StGB § 47 Nr. 14; § 46 Nr. 24; Karlsruhe NStZ-RR 1997, S. 248; NJW 2003, S. 1825 f. Eine derart pauschale Integration des spezialpräventiven Aspekts in die Tatschuld geht vor dem Hintergrund der in st. Rspr. vertretenen Spielraumtheorie allerdings viel zu weit. 834 OLG Naumburg v. 28.6.2011 – Az. 2 Ss 68/11. 833
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Zusammenhangs“ mit der Tat hauptsächlich in Bezug auf das Vorleben hin. Hier liegt also gewissermaßen der genuine Anwendungsbereich der Indizkonstruktion. Bei einer näheren Betrachtung der Rechtsprechung zeigte sich, dass die Indizkonstruktion und der geforderte „innere Zusammenhang“ zwischen Tatschuld und Vorleben eine sehr ungenaue Beschreibung dessen ist, was mit rechtsfeindlicher Gesinnung, verbrecherischem Willen, krimineller Energie und ähnlichen Ausdrücken bezeichnet wird. Die Indizkonstruktion verschleiert dabei die Notwendigkeit einer in der Rechtsprechung völlig vernachlässigten Konkretisierung der maßgeblichen Anknüpfungspunkte innerhalb des Schuldbegriffs.835 Dies ist möglicherweise ein Grund dafür, warum in der Judikatur Unsicherheiten über den geforderten „inneren Zusammenhang“ bestanden haben und vor dem Hintergrund einer regelmäßigen Parallelität mitunter fälschlicherweise lediglich spezialpräventiv relevante Umstände (wie das „Bummelleben“ und der „liederliche Lebenswandel“) als für die Strafzumessungsschuld bedeutsam erachtet wurden.836 Zwar können aus der Einstellung des Täters Schlüsse für spezialpräventive Bedürfnisse angestellt werden. Nicht gültig ist aber der Umkehrschluss. Denn Erfahrungswerte erlauben eine Prognose der zukünftigen Gefährlichkeit des Täters auch aus Gesichtspunkten, die über die im Tatzeitpunkt bestehende Einstellung zur Rechtsnorm nichts aussagen. So sind Faktoren wie das soziale Umfeld, die wirtschaftlichen Verhältnisse, der Bildungsstand des Täters etc. anerkanntermaßen spezialpräventiv bedeutsam, aber selbst nach Lebensführungsschuldkonzepten, die zwischen schicksalhaft empfangenen und verschuldeten Determinanten unterscheiden, nicht zwingend schuldrelevant. Erst recht müssen sie über die Tatschuld nichts aussagen. 3. Nachtatverhalten a) Umkehrverhalten des Täters nach formeller Vollendung In der Strafzumessung i. e. S., also innerhalb der Strafrahmen, beansprucht der Rechtsgedanke der Vorschriften über Rücktritt und tätige Reue allgemeine Geltung. Auch wenn durch das Bemühen um Vollendungsverhinderung der Erfolg nicht abgewendet werden konnte, darf dieses Bemühen bei der Strafzumessung nicht unbeachtet bleiben.837 Gleiches muss gelten, wenn die Vollendung ohne Zutun des Zurücktretenden nicht eintritt und das Bemühen des Täters in seinem Grad nicht die in § 24 StGB statuierten Grenzwerte überschreitet. Die strafzumessungsrechtliche Berücksichtigung dieser Fälle knüpft ersichtlich an die Wertungen der Verbrechenslehre an und dürfte deren theoretischen Hinter835
Zutr. Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (773). Siehe oben Anm. 799. 837 BGH StV 1996, 431 (Ls.); BGH bei Holtz, MDR 1986, S. 271; BGH v. 17.10. 1985 – Az. 4 StR 516/85. 836
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grund teilen. Denn augenscheinlich liegt dem Anliegen, dem Nachtatverhalten hier mildernde Wirkung zu verschaffen, die Erwägung zu Grunde, dass der Täter selbst die Sinnhaftigkeit der von ihm zunächst gebrochenen Verhaltensnorm durch eigenes Verhalten im Anschluss an die Tat bestätigt, indem er seine Straftat aus autonomen Gründen als Fehlverhalten negiert und insofern die Negation der Negation in die eigenen Hände nimmt.838 Insofern als er seine sich aus der Straftat gegenüber anderen Bürgern überlegene Stellung aufgibt, räumt er den Vernunftgrund, den die Strafe aufheben soll, selbst aus. b) Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung Mit gleicher Bewertungstendenz sind der Täter-Opfer-Ausgleich sowie die Wiedergutmachung weitere zum Nachtatverhalten gehörender Strafzumessungsfaktoren. Sie werden in § 46 Abs. 2 StGB sogar ausdrücklich genannt. Diese Faktoren sind weiterhin auch Gegenstand der Regelung des § 46a StGB, dessen Rechtsfolge eine Minderung nach § 49 Abs. 1 StGB oder sogar das Absehen von Strafe ist, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen verwirkt wurde. Den Hintergrund des Täter-Opfer-Ausgleichs sowie der Wiedergutmachung bilden schon seit den siebziger Jahren diskutierte kriminalpolitische Bestrebungen zu einer opferbezogenen Strafrechtspflege. Verstärkt sollte bei der kriminalrechtlichen Aufarbeitung des Unrechts auf die Belange des Opfers abgestellt werden, ohne dabei die mit Strafe verfolgten Anliegen zu verwässern. In der Literatur und Rechtsprechung wird dabei ein Zusammenhang der Rationes der schuldangemessenen Strafe und des § 46a StGB deutlich herausgestellt. Durch die Konfliktbereinigung nach § 46a StGB werde unter Berücksichtigung des Genugtuungsinteresses des Opfers der Rechtsfrieden wiederhergestellt und Normbestätigungsbedürfnissen Rechnung getragen.839 Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung stünden deshalb in dem gleichen Begründungszusammenhang wie die schuldangemessene Strafe, insofern als auch sie die Tatschuld ausgleichen würden.840 Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a Nr. 1) und Wiedergutmachung (Nr. 2) sind nicht klar voneinander abgrenzbar, weil sie sich nur durch ihre Akzentuierung unterscheiden.841 Mit dem Täter-Opfer-Ausgleich wird die kommunikative Auflösung
838
Siehe dazu bereits oben C. IV. 3. b). SK-StGB/Streng, § 46a Rdnr. 2 m.w. N. 840 NK-StGB/Streng, § 46a Rdnr. 2; LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 4 f.; Bannenberg, Wiedergutmachung in der Strafrechtspraxis, S. 274; Dölling ZStW 104 (1992), S. 259 (283 f.); Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 83 IV Nr. 3a; Rössner, NStZ 1992, S. 409 (412); Stein, NStZ 2000, S. 393 (395 f.) m.w. N. 841 BGH NStZ 2002, S. 364 (365); MünchKomm-StGB/Maier, § 46a Rdnr. 10 ff. 839
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des mit der Tat geschaffenen sozialen Konflikts zwischen Täter und Opfer (Versöhnung, Aussöhnung) und damit die immaterielle Seite der Straftat in den Vordergrund gerückt, während die Wiedergutmachung ausweislich des Gesetzeswortlauts vorrangig auf die persönliche Leistung des Täters, insbesondere den materiellen Verzicht, abstellt, was der Wortlaut der Norm mit dem Begriff „erheblich“ zum Ausdruck bringen soll.842 Im Unterschied zu den §§ 56b und 59a StGB setzt § 46a StGB voraus, dass der Täter noch vor der Verurteilung den Täter-Opfer-Ausgleich anstrebt oder Wiedergutmachung leistet. Dies soll sich vorrangig aus der Perfektformulierung und der „Logik der Normanwendung“ 843 ergeben und wird außerdem in das Erfordernis der Freiwilligkeit hineingelesen.844 Beiden Alternativen ist – mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung – das Erfordernis einer Leistung des Täters gemein.845 Beide Alternativen setzen darüber hinaus die Übernahme von Verantwortung voraus, die im Regelfall auch mit der Einräumung von Schuld einhergeht.846 Im Allgemeinen wird nach herrschender Meinung aber auch von dem stärker auf kommunikativen Ausgleich abstellenden Täter-Opfer-Ausgleich ein Geständnis nicht vorausgesetzt.847 Nur bei besonders gewichtigen Straftaten, bei Gewaltdelikten und Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, sei ein Geständnis unabdingbar. Denn hier lege das Opfer oftmals besonderen Wert darauf, dass sich der Täter im Strafverfahren zu seiner Tat bekennt.848 Der die Strafzumessung im engeren Sinne betreffende § 46 Abs. 2 StGB kommt erst nach Prüfung der spezielleren Vorschrift des § 46a StGB zum Tragen.849 Wie auch sonst, ist vor der Strafzumessung im engeren Sinne zunächst über den Strafrahmen zu entscheiden. Liegen die Voraussetzungen der spezielleren Vorschrift nicht vor, kann in der Strafzumessung i. e. S. dennoch das Bemühen des Täters, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, 842 Vgl. zur Abgrenzung BGH NStZ 2002, S. 364 (365); 2000, S. 205; 1999, S. 610; 1995, S. 492; StV 2000, S. 129; 1995, S. 464 (565); MünchKomm-StGB/Maier, § 46a Rdnr. 25. 843 Die Strafzumessungsentscheidung kann nach dem Urteilsspruch, von Rechtsmittelverfahren abgesehen, nicht mehr korrigiert werden. 844 Meier, JuS 1996, S. 436 (440). 845 BGH NStZ 2000, S. 205 (206); BGHR StGB § 46a Wiedergutmachung 1; Lackner/Kühl, § 46a Rdnr. 4; NK-StGB/Streng, § 46a Rdnr. 17 (Wiedergutmachung); vgl. MünchKomm-StGB/Maier, § 46a Rdnr. 19 ff.; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46a Rdnr. 2 (Täter-Opfer-Ausgleich). 846 BGHSt 48, 134 (141); BGH NStZ 2000, S. 205 f.; Fischer, § 46a Rdnr. 11; MünchKomm-StGB/Maier, § 46a Rdnr. 32. 847 BGH StV 2002, S. 649; Fischer, § 46a Rdnr. 10b; MünchKomm-StGB/Maier, § 46a Rdnr. 31; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46a Rdnr. 2; NK-StGB/Streng, § 46a Rdnr. 17 m.w. N. 848 Vgl. BGHSt 48, 134 (141); BGH NStZ 2003, S. 199 (200). 849 BGH NStZ 1999, S. 610; MünchKomm-StGB/Maier, § 46a Rdnr. 13; Kilchling, NStZ 1996, S. 309 (311).
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einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, berücksichtigt werden. Zu erwähnen sind hier insbesondere solche Straftaten, die sich weder gegen einen Verletzten (Nr. 1) noch gegen ein Opfer (Nr. 2) gerichtet haben und deswegen von der Vorschrift des § 46a StGB nicht ausdrücklich erfasst werden. Insofern die Anwendung dieser Vorschrift auf solche Fälle aber gleichwohl diskutiert wird,850 kommt zumindest eine strafmildernde Berücksichtigung einer symbolischen Wiedergutmachung, etwa durch Spenden an bestimmte Vereine, Stiftungen und andere Organisationen, innerhalb des Strafrahmens in Betracht. Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich finden zwar in der Verbrechenslehre keine unmittelbare Stütze. Allerdings kommt in der zum Rücktritt vertretenen sog. Schuldaufhebungstheorie eine gewisse Verwandtschaft der Wiedergutmachung mit Rücktritt und der tätigen Reue zum Ausdruck.851 Auch wenn man einer analogen Anwendung der Grundsätze von Rücktritt und tätiger Reue auf die Wiedergutmachung ablehnend gegenübersteht,852 so werden beide Faktoren doch zumindest durch den Strafzweck miteinander verbunden.853 Mit dem Anerkennungsgedanken lassen sich Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich auf der einen Seite, Rücktritt und tätige Reue auf der anderen Seite letztlich strukturell ähnlich entwickeln. Anders als in den Fällen von Rücktritt und tätiger Reue ist zwar nicht davon auszugehen, dass der Täter den rationalen Grund seiner Tat im Anwendungsbereich des § 46a StGB gänzlich ausräumen und die problematische Erweiterung seiner Freiheit auf Kosten anderer durch eine Umkehrleistung schon im Keim ersticken kann. Jedoch ordnet er sich mit Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich seinem Opfer und zugleich der Rechtsgemeinschaft wieder unter, sodass er sich im Ergebnis selbst wieder in das rechtliche Anerkennungsverhältnis zurückbegibt und insofern ebenfalls „ein Stück Umkehr“ leistet.854 Eine Stütze findet diese Ansicht darin, dass § 46a StGB in allen Alternativen auch eine Aufgabe des Täters an realen Freiheiten („Leistung“) erfordert. Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich stehen damit in dem gleichen Verhältnis zur Schuld des Täters wie Zeitablauf, Strafempfindlichkeit und Straftatfolgen. Sie ändern an der Schuld nichts, modifizieren
850 Vgl. zum Streitstand BGH NStZ 2002, S. 364 (365); MünchAnwH-Strafverteidigung/Jofer, § 14 Rdnr. 33; Schönke/Schröder/Stree/Kinzig, § 46a Rdnr. 4a; MünchKomm-StGB/Maier, § 46a Rdnr. 3 jeweils m.w. N. 851 Vgl. MünchKomm-StGB/Herzberg/Hoffmann-Holland, § 24 Rdnr. 23; Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (781); Herzberg, NJW 1991, S. 1633 (1634 f.); Kaspar, Wiedergutmachung und Mediation im Strafrecht, S. 72 ff., 74; Rössner, in: Täter-Opfer-Ausgleich, S. 7 (31 f.). 852 Steffens, Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich im Jugend- und Erwachsenenstrafrecht in den neuen Bundesländern, S. 54 f. m.w. N. 853 Der Rücktritt wird nach ganz herrschender Meinung im Lichte der Strafzwecke interpretiert, vgl. MünchKomm-StGB/Herzberg/Hoffmann-Holland, § 24 Rdnr. 32. 854 Stein, NStZ 2002, S. 394 (397); vgl. ferner Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (781).
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aber das, was zur Aufhebung der durch diese Schuld konturierten Infragestellung des Rechts erforderlich ist.855 c) Hinzufügung weiteren Unrechts Das Nachtatverhalten darf im Übrigen nur berücksichtigt werden, wenn es Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit des Täters oder auf die innere Einstellung des Täters zur Tat oder ihres Unrechtsgehalt zulässt.856 Unabhängig von der auch innerhalb der Rechtsprechung umstrittenen Frage nach der Zuordnung der Tätereinstellung zu Handlungsunrecht oder Schuld des Täters soll das Nachtatverhalten auf das Unrecht der Tat Einfluss haben, wenn dem tatbestandsmäßigem Unrecht durch den Täter ein in derselben Richtung liegendes zusätzliches Unrecht hinzugefügt wird.857 Dies ist der Fall bei einer Vertiefung, Perpetuierung oder Absicherung der tatbestandlichen erfassten Rechtsgutsverletzung.858 In diesem Kontext stehen jegliche Formen der Beutesicherung, sofern sie über das normale Maß hinausgehen, etwa besonders raffiniert oder effektiv sind.859 Weiterhin werde in vergleichbarem Sinne „zusätzliches Unrecht hinzugefügt“, wenn der Angeklagte besondere (!) Maßnahmen ergreift, um eine Wiedergutmachung zu verhindern.860 Ein weiteres und vieldiskutiertes Beispiel bildet der sog. Nachtrunk während oder nach einer begangenen Unfallflucht (§ 142 StGB).861 Wer während oder nach einer Unfallflucht weiteren Alkohol zu sich nimmt und dadurch den Strafverfolgungsbehörden zum Nachteil des durch § 142 StGB geschützten Anspruchsberechtigten die zuverlässige Rückrechnung des für den Zeitpunkt der Blutentnahme gefundenen Alkoholwerts auf den Unfallzeitpunkt unmöglich macht oder erschwert, handelt nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1962 zufolge der Rechtspflicht des § 142 StGB besonders hartnäckig zuwider. Obwohl der Nachtrunk über das tatbestandliche Unrecht hinausgeht, sei er deshalb ein besonders rechtsfeindliches Verhalten, auf das mit einer Strafschärfung reagiert werden müsse. Eine Strafschärfung hänge dann auch nicht von der Absicht des Täters ab, die Ermittlungen wegen Unfallflucht zu erschweren, vielmehr genüge die bloße Voraussehbarkeit einer solchen Folge.862 Diese Rechtsprechung ist nicht nur wegen ihrer Implikationen 855
Vgl. NK-StGB/Streng, § 46a Rdnr. 2 m.w. N. BGH StV 1982, S. 20; 1990, S. 259 (260); BGH NJW 1971, S. 1758. 857 BGHSt 17, 143 (144). 858 Vgl. Maurach/Zipf, Strafrecht AT, § 63 Rdnr. 180 f. 859 Vgl. Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 670. 860 BGH NStZ 1981, S. 343 (Beutesicherung auch für den Fall der Überführung); BGH GA 1975, S. 84; Bruns, Leitfaden des Strafzumessungsrechts, S. 204. 861 BGHSt 17, 143 (144); LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 204; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 191 f.; vgl. ferner OLG Oldenburg NJW 1968, S. 1293 (1294); OLG Frankfurt NJW 1972, S. 1524 (1525). 862 BGHSt 17, 143 (144). 856
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im Hinblick auf außertatbestandliches Unrecht,863 sondern auch deshalb besonders umstritten, weil der Nachtrunk nicht nur den Angriff auf das tatbestandlich geschützte Rechtsgut vertieft, sondern auch das Strafverfolgungsinteresse und den nemo-tenetur-Grundsatz berührt.864 Insofern nimmt der Nachtrunk unter den potentiell unrechtsvertiefenden Nachtatverhaltensweisen eine den Besonderheiten des geschützten Rechtsguts des § 142 StGB geschuldete Sonderstellung ein. Im Übrigen ist es freilich nicht zwingend, dass eine Unrechtsvertiefung auch das Strafverfolgungsinteresse berührt. Ebenfalls unter der Rubrik „Hinzufügung weiteren Unrechts“ fallen Schärfungen der Strafe für den Fall der Verwirklichung einer im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktretenden und zeitlich nachfolgenden Tat. Während viele Urteile diesbezüglich keine weiteren Voraussetzungen erwähnen, findet sich hie und da das Erfordernis, dass die Erfüllung von Merkmalen oder Tatmodalitäten des verdrängten Gesetzes gegenüber dem Tatbestand des absorbierenden Gesetzes selbständiges Unrecht enthalten müsse.865 Diese Einschränkung ist aber irreführend, da die unechte Gesetzeskonkurrenz gerade die „Unselbständigkeit“ des Unrechts des verdrängten Delikts voraussetzt.866 Das macht ein Blick auf die Spezialität deutlich. Eine strafschärfende Verwertung von Merkmalen des generellen Gesetzes scheitert hier zwar am Doppelverwertungsverbot.867 Zumessungsrelevante Umstände des Grunddelikts können aber – wie sonst auch – berücksichtigt werden, sofern sie nicht als Merkmal des Spezialgesetzes vertatbestandlicht wurden. Ein Beispiel geben die Regelbeispiele des § 243 StGB im Verhältnis zur Qualifikation des § 244 StGB ab. Deren Verwirklichungen können als Schattierungen des grundtatbestandlichen Unrechts strafschärfend im Rahmen der Qualifikation berücksichtigt werden, wenn sie nicht – wie etwa § 243 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 StGB in § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB868 – in einer Modalität derselben aufgehen und vom Regeltatbild abweichen. Zu beachten ist das Doppelverwertungsverbot, Besonderheiten ergeben sich nicht. Begriffslogisch kann das Unrecht der lex generalis über das der lex specialis nicht hinausgehen. 863 Baumann, NJW 1962, S. 1793 ff.; vgl. die Diskussion um die „verschuldeten Auswirkungen der Tat“ (oben D. I. 1.). 864 Vgl. Berz/Burmann/Hentschel, Handbuch des Straßenverkehrsrechts, F. Rdnr. 11. 865 Dies ist in der Rechtsprechung seit jeher anerkannt, vgl. etwa BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatumstände 7; BGHSt 19, 188 (189); 1, 152 (155); RGSt 63, 423 (424); 26, 312 (314); BGH v. 9.3.1995 – 4 StR 56/95; v. 26.07.1988 – 1 StR 379/88, s. Schönke/ Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, Vorbemerkungen zu den §§ 52 Rdnr. 144 m.w. N. 866 Ein „eigenständiger Unrechtsgehalt“ schließt die Scheinkonkurrenz aus, s. BGH HRRS 2011 Nr. 952; KG v. 25.6.2012 – Az. (4) 121 Ss 106/12 (143/12); vgl. ferner MünchKomm-StGB/Krick, § 299 Rdnr. 41; NK-StGB/Puppe, Vorbemerkungen zu § 52 Rdnr. 18; Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, Vorbemerkungen zu den §§ 52 ff. Rdnr. 104. 867 Instruktiv zur Bedeutung des Doppelverwertungsverbots in der Konkurrenzlehre MünchKomm-StGB/v. Heintschel-Heinegg, Vorbemerkung zu den §§ 52 ff. Rdnr. 24. 868 Vgl. zum umgekehrten Fall BGH v. 19.6.1996 – 5 StR 274/96.
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Es liegt nahe, dass in den übrigen Fällen der Gesetzeskonkurrenz, der Subsidiarität und Konsumtion nichts anderes gilt.869 Denn auch hier soll das verdrängende Delikt das Unrecht des zurücktretenden Delikts mitabgelten. Damit setzt schon das Konkurrenzrecht voraus, dass die Bestrafung des verdrängenden Delikts zugleich Bestrafung des zurücktretenden Delikts ist. In den Grenzen des Doppelverwertungsverbot kann also auch nicht nur eine konsumierte mitbestrafte Nachtat, sondern auch ein subsidiär unrechtsvertiefendes Anschlussdelikt und sogar ein tatbestandlich durch das Vordelikt ausgeschlossenes Anschlussdelikt (etwa die „Hehlerei des Diebes“) berücksichtigt werden. Dies verbietet sich nur dann, wenn die unechte Konkurrenz auf den Gedanken des Regeltatbildes zurückzuführen ist.870 In diesem Fall würde aber zumindest die Nichterfüllung des zurücktretenden Delikts eine zugunsten des Täters zu berücksichtigende Abweichung vom Regeltatbild bedeuten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass auch die nach der Tat verwirklichten Delikte, die im Wege der Gesetzeskonkurrenz zurücktreten, nach allgemeinen zumessungsrechtlichen Grundsätzen zu bewerten sind und keine Besonderheiten gelten. Die verwirrende Formulierung der Rechtsprechung, es müsse mit den sekundären Delikten ein selbständiges Unrecht verwirklicht worden sein, bringt lediglich zum Ausdruck, dass eine schematische Berücksichtigung (Doppelverwertungsverbot) oder eine schematisch strafschärfende Verwertung (Regeltatbild) der Verwirklichung eines zurücktretenden Gesetzes nicht erfolgen darf. Spezielles gilt für die Verwirklichung eines weiteren Delikts nur im Hinblick auf die „Sperrwirkung des milderen Gesetzes“.871 Diese Wirkung liegt auch bei Idealkonkurrenz vor, § 52 Abs. 2 S. 2 StGB. Das Nachtatverhalten in der Fallgruppe der Hinzufügung weiteren Unrechts kann in den gleichen Kontext wie die verschuldeten Auswirkungen der Tat eingeordnet werden.872 Auch insofern handelt es sich nämlich um „außertatbestandliches“ Unrecht, dessen Maßgeblichkeit sich zwar aus der Grenzwerthypothese ergibt, sich aber vor dem Hintergrund einer begrenzenden Funktion des Tatbestands als problematisch erweist.873
869 Vgl. BGH NStZ 2009, S. 203; wistra 1999, S. 108; vgl. andererseits wegen der bloßen Auffangfunktion des subsidiären Tatbestandes Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 52 ff. Rdnr. 144. 870 Vgl. Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, Vorbem. §§ 52 ff. Rdnr. 144. 871 BGH NJW 2003, S. 1679 (1680); Schönke/Schröder/Sternberg-Lieben/Bosch, Vorbemerkungen zu den §§ 52 ff. Rdnr. 144 m.w. N. 872 Siehe oben D. I. 1. 873 Vgl. SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 132: Dass sich mit Vollendung der Tat hingegen das Unrecht nicht mehr ändern können soll, ist allerdings gerade im Hinblick auf konkurrenzrechtliche Grundsätze eine problematische Aussage. Richtig erscheint hingegen, dass sich das Unrecht nach Vollendung der Tat nicht mehr reduzieren lässt.
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
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d) Einstellung des Täters bei der Tat Während in den zuvor beschriebenen Fallgruppen mangels eingehender Begründung in den Urteilen unklar bleiben muss, ob sich die Relevanz des Nachtatverhaltens noch aus der Indizkonstruktion ergibt, gelangt diese explizit jedenfalls dann zur Anwendung, wenn aus dem Nachtatverhalten auf die Einstellung des Täters geschlossen wird. Sachverhalte, die insofern von der Rechtsprechung für einschlägig erachtet wurden, sind in ihrer Vielzahl kaum überschaubar. Immerhin lassen sich aber einige Fallgruppen isolieren, die in der Rechtsprechung besonders häufig erörtert werden. Dabei geht es letztlich um besondere Bekundungen von Rechtsfeindschaft, dazu aa) und bb) sowie Reue und Einsicht, dazu cc). aa) Die Begehung weiterer Straftaten An erster Stelle zu nennen ist die Begehung weiterer Straftaten. Nachtaten sollen, wie auch Vortaten, auf Rechtsfeindschaft oder auf eine sonstige zu missbilligende innere Einstellung des Täters gerade zur Zeit der abzuurteilenden Tat hindeuten können.874 Auch hier wird der Schluss, dass die in den Nachtaten zum Ausdruck kommende rechtsfeindliche Einstellung schon im Blick auf die abzuurteilende Tat vorgelegen hat, getragen von einem kriminologischen Zusammenhang zwischen Tat und Nachtat.875 Ein solcher „innerer“ Zusammenhang liegt nicht erst dann vor, wenn sich das Nachtatverhalten als Perpetuierung, Absicherung oder Vertiefung der mit der abzuurteilenden Tat begangenen Rechtsgutsverletzung darstellt. Daher hat die Berücksichtigung von Nachtaten im Allgemeinen einen anderen Begründungsschwerpunkt als die zuvor genannten Fälle zurücktretender weiterer Straftatbestände876. Es geht nicht um die Begehung weiteren, über die Verwirklichung des Tatbestands hinausgehenden Unrechts, welches durch eine Strafschärfung abzugelten wäre, sondern ausschließlich um einen Rückschluss auf die bei der abzuurteilenden Tat bereits vorliegende rechtsfeindliche Einstellung des Täters. bb) Tatspurenbeseitigung Eine prominente Fallgruppe bilden weiterhin die Fälle der Tatspurenbeseitigung, insbesondere nach Tötungsdelikten.877 Auch hier bemüht die Rechtspre-
874 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 132; Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 670 m.w. N. 875 Vgl. BGH wistra 2002, S. 21; NStZ 1998, S. 404; BGH bei Theune, NStZ 1986, S. 158. 876 Siehe oben c). 877 Siehe z. B. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 11; BGH NStZ 1985, S. 21.
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chung die Indizkonstruktion, wobei das Kriterium des inneren Zusammenhangs zumeist nicht erwähnt oder gar problematisiert wird. Häufige Betonung erfährt indessen der Obersatz, dass das Verhalten nach der Tat nur dann strafschärfend herangezogen werden darf, wenn es Schlüsse auf den Unrechtsgehalt zulässt oder Einblick in die innere, zu missbilligende Einstellung des Täters zu seiner Tat gewährt.878 Der Versuch, sich der Strafverfolgung zu entziehen, dürfe hier grundsätzlich nicht straferschwerend zu Lasten eines Angeklagten herangezogen werden.879 Anderes gelte nur, wenn das Nachtatverhalten neues Unrecht schafft880 oder der Täter damit Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen.881 Das aber müsse selbst bei kaltblütig und energisch durchgeführter „einfacher Spurenbeseitigung“ wie dem Einpacken der Leiche in zwei Plastiksäcke und anschließenden Versenken derselben in einem Kanalschacht882 nicht der Fall sein.883 Nur bei einer Vorausplanung von Tat und nachfolgender Tatverdeckung könne die „einfache“, d.h. erlaubte, Tatspurenbeseitigung den Schluss begründen, dass die damit an den Tag gelegte Gesinnung auch schon im Zeitpunkt der Tatbegehung vorgelegen hat.884 Im Übrigen werfe eine Tatverdeckung nur dann ein ungünstiges Licht auf den Angeklagten (und seine Tat) und spreche für eine erhöhte kriminelle Energie, wenn sie mit einem besonders verabscheuenswerten, schimpflichen Umgang mit dem Tatopfer einhergeht, der zur Verdeckung nicht mehr erforderlich und ersichtlich von anderen Motiven getragen ist.885 Dazu reiche nicht schon aus, dass der Täter keine Skrupel, „,den Getöteten im Walde zu verscharren‘ und es dem Zufall überlassen hatte, ,ob der Leichnam je ein ordentliches Begräbnis finden würde‘“.886 cc) Prozessverhalten Die wohl wichtigste, weil nahezu immer in Betracht kommende, Fallgruppe des zumessungsrelevanten Nachtatverhaltens bildet das Gebaren des Angeklagten im Strafprozess. Auch dieses wird von den Gerichten vorrangig auf seinen Indizwert für Rechtsfeindschaft und – im Gegensatz dazu – Reue und Einsicht des Täters geprüft. Damit sind indessen einige Probleme verbunden, die die Fallgruppe des Prozessverhaltens in den Fokus der wissenschaftlichen Diskussion ge878
Siehe die Nachw. in den folgenden Anm. BGHR StGB § 46 II Nachtatverhalten 13, 17; BGH NStZ 2011, S. 512 (513). 880 Vgl. dazu oben c). 881 BGH NStZ 2011, S. 512 (513). 882 BGH NStZ 1985, S. 21. 883 BGH NStZ 2011, S. 512 (513); 1985, S. 21; NStZ-RR 1997, S. 99 (100). 884 Vgl. BGH NStZ 1985, S. 21. 885 Ein besonders verdorbener Fall findet sich in BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 11. 886 BGH NJW 1971, S. 1758. 879
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rückt haben.887 Zum einen sind Rückschlüsse aus dem Prozessverhalten auf die Einstellung des Täters bei der Tat mit großen Unsicherheiten belastet.888 Zum anderen können selbst dort, wo das nicht der Fall ist, strafprozessuale Grundsätze und Verteidigungsrechte des Beschuldigten gegen eine Zumessungsrelevanz sprechen.889 Der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung postulierte Grundsatz, dass das Prozessverhalten nur dann zumessungsrechtliche Bedeutung erlangen dürfe, wenn es Ausdruck von Rechtsfeindschaft ist,890 leistet zur Lösung der in diesem Zusammenhang begegnenden Fragen nur wenig. Verschleiert wird damit nicht nur der Umstand, dass es hier in Wahrheit um die Austarierung zumessungsrechtlicher und strafprozessualer Grundsätze geht. Auch die Hintergründe der Zumessungsrelevanz sind vielseitiger als die Rede von Rechtsfeindschaft, Einstellung, Reue und Einsicht vermuten lässt. Deutlich zeigt dies die Rechtsprechung zur Strafzumessungsrelevanz eines Geständnisses. Anerkannt ist, dass Milderung verdient, wer sich mit einem Geständnis oder ähnlichem Verhalten einsichtig zeigt, insbesondere indem er einen Beitrag zur Aufklärung seines Falles891 leistet.892 Zu Grunde liegt dem offenbar die selten ausdrücklich dargelegte Auffassung, dass Reue und Einsicht eine grundsätzlich rechtsfeindliche Einstellung widerlegen und die Tatbegehung daher als „Ausrutscher“ erscheinen lassen. Dieser Rückschluss ist aber vor allem deswegen problematisch, weil sich die eigentliche Motivation eines geständigen Angeklagten kaum jemals zuverlässig ermitteln lässt. Auch mit einer Beurteilung der Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Prozesssituation, lässt sich vor dem Hintergrund einer in Aussicht stehenden Strafmilderung die Möglichkeit, dass das Geständnis primär auf prozesstaktischen Erwägungen beruht, so wenig ausschließen wie bei umgekehrten Verhältnissen das Gegenteil.893 In dieser non-liquetSituation tendiert die Rechtsprechung dazu, stets auf eine Milderung zu erkennen und deren Höhe vom Einzelfall abhängig zu machen.894 Vor diesem Hintergrund stellt sich allerdings die Frage, ob nicht auch andere Gründe für die Zumessungsrelevanz des Geständnisses sprechen, die von der In887 Umfassend Hauer, Geständnis und Absprache, S. 28 ff., 81 ff.; Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, passim. 888 Hauer, Geständnis und Absprache, S. 84 m.w. N. 889 Hauer, Geständnis und Absprache, S. 262 ff.; Torka, Nachtatverhalten und Nemo tenetur, S. 43 ff. 890 BGH StV 1995, S. 297; Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 673 m.w. N. 891 Vgl. LG Waldshut-Tiengen StraFo 2006, S. 298. 892 Die in der Literatur häufig kritisierte Rechtsprechung wird in den neuen Regelungen zur Verständigung im Strafverfahren zu Grunde gelegt und damit auch vom Gesetzgeber akzeptiert, vgl. § 257c Abs. 2 StPO. 893 Ausführlich dazu Hauer, Geständnis und Absprache, S. 84 m.w. N. 894 Vgl. BGH NStZ-RR 2007, S. 232 (Ls.); ebenso Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 679.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
dizkonstruktion eher verdeckt als deutlich gemacht werden. In Bezug auf das Geständnis kommen hier vor allem zwei Begründungszusammenhänge in Betracht. Erstens steht die Übernahme von Verantwortung in direktem Zusammenhang mit der Realisierung von Strafzwecken. Die Gründe, die für eine Strafmilderung bei Täter-Opfer-Ausgleich und Wiedergutmachung und dahinter zurückbleibenden Leistungen des Täters sprechen, könnten ebenso auch bei der Verwertung eines Geständnisses angeführt werden.895 Zweitens zeugt ein Geständnis aber auch von Aufklärungsbereitschaft, welche die Gerichte – unabhängig von ihrem Erfolg – allgemein durch einen Strafabschlag zu honorieren geneigt sind.896 Hintergrund dieser Praxis ist die auch § 31 BtMG zu Grunde liegende Ratio. Wer ein Geständnis ablegt, leistet eine Form überobligationsmäßiger Aufklärungshilfe, deren Folgen nicht nur für die Justiz nützlich sind. Eine rasche Aufklärung schont Opfer und Zeugen, sie beschleunigt möglicherweise auch den gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Rechtsfrieden.897 Für diese Anknüpfungspunkte kommt es nicht (Aufklärungshilfe) bzw. nicht vorrangig (vgl. Täter-Opfer-Ausgleich) darauf an, dass das Geständnis auf Einsicht beruht. Ob die nachträgliche Einsicht zudem einen Rückschluss auf die Einstellung des Täters bei der Tat erlaubt, spielt schließlich für alle alternativen Begründungen überhaupt keine Rolle. Durchaus bedeutsam ist hier aber der in der Praxis immer wieder geprüfte Umstand, ob das Geständnis tatsächlich Aufklärungswert hat. Dies spricht dafür, dass die Indizkonstruktion bzw. die „kriminelle Energie“ zumindest nicht die einzige Erwägung ist, die für die Strafzumessungsrelevanz eines Geständnisses bedeutsam wird. Deutlich ausgesprochen wird das von der Rechtsprechung aber nur selten.898 Zusätzlich Probleme bereitet der strafmildernden Berücksichtigung von Geständnis und Aufklärungshilfe der in der höchstrichterlichen Rechtsprechung häufig betonte Grundsatz, dass als zulässiges Verteidigungsverhalten weder das Schweigen noch das Leugnen des Angeklagten strafschärfend verwertet werden darf. Zu Unrecht haben sich Instanzgerichte häufig über diesen Grundsatz hinweggesetzt mit der Begründung, der schweigende oder gar leugnende Angeklagte zeige weder Reue noch Einsicht, ziehe aus der von ihm begangenen Tat nicht die gebotenen Schlussfolgerungen, setze sich nicht hinreichend mit seiner Tat auseinander usw. und belege damit eine rechtsfeindliche Gesinnung.899 Die höchstrich-
895 Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 679; Hauer, Geständnis und Absprache, S. 89 ff. 896 Siehe nur BGH StV 1987, S. 487. 897 Diese Gesichtspunkte sind vor allem in der Verständigungspraxis von großer Bedeutung, vgl. BGHSt 43, 195 (209); Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 679; Hauer, Geständnis und Absprache, S. 95 ff. 898 BGHSt 43, 195 (209), Hauer, Geständnis und Absprache, S. 96 m.w. N. 899 Mit zahlreichen weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung Schäfer/Sander/ v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 674.
II. Vor- und Nachtatverhalten in der Praxis der Strafzumessung
209
terliche Rechtsprechung stört daran weniger die Begründung als die (schärfende) Rechtsfolge, durch welche die in der Strafprozessordnung verbürgten Rechte des Beschuldigten unterlaufen werden könnte. Als strafschärfende Umstände habe der Gebrauch prozessualer Rechte sowie darüber hinaus jedes erlaubte Prozessverhalten auszuscheiden. Wie dies zum zumessungsrechtlichen Umgang der Rechtsprechung mit einem Geständnis passt, erscheint auf den ersten Blick fraglich. Obwohl die Strafprozessordnung den Angeklagten zur Abgabe eines Geständnisses so wenig verpflichtet wie zur Aufklärung des Anklagesachverhalts im Übrigen, bedeutet die Kehrseite der hier eintretenden Rechtsfolge ein relativ höheres Strafmaß für den nichtgeständigen oder schweigenden, gar leugnenden Täter. Wenn die Rechtsprechung dennoch betont, dass Schweigen oder Leugnen keine Strafschärfung nach sich ziehen dürfe, muss sie also etwas anderes meinen. Ausgehend von einem hypothetischen Punkt auf der vom Richter zu Grunde gelegten Schwereskala soll ein vorliegendes Geständnis Abschläge erlauben, sein Fehlen, Schweigen, Leugnen und anderes erlaubtes Prozessverhalten jedoch nicht zu Aufschlägen führen. Dass die schon erwähnte Abkehr der Rechtsprechung vom sog. normativen Normalfall an der methodischen Herangehensweise in der Praxis etwas ändert, wird übrigens auch in diesem Fall in Frage gestellt. Um die schweremäßige Unterscheidung verschiedener Zumessungssachverhalte auch im Strafrahmen wiederzugeben, ist nämlich ihre Verankerung im Strafrahmen unerlässlich. Der sachliche Gehalt des Verbots der schärfenden Berücksichtigung prozessordnungsgemäßen Verhaltens hat aber unabhängig von dieser Frage Bestand. Denn auch im Rahmen einer Gesamtwürdigung müsste der Tatrichter das Prozessverhalten eher mildernd zu berücksichtigen haben, was sich im Ergebnis auf das Strafniveau auswirken muss. Weil das Modell der Rechtsprechung mithin nur relativiert, dass an Schweigen und Leugnen negative Rechtsfolgen geknüpft werden, wird – bei Kenntnis des Angeklagten von dieser Praxis – die Bereitschaft zur streitigen Verteidigung immer noch beeinflusst.900 Eine vollständige Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Prozessrechten und Strafzumessungsdogmatik lässt sich demzufolge auch mit einer lediglich mildernden Berücksichtigung von Prozessverhalten nicht erreichen. e) Ausblick und Fazit aa) Negation der Negation durch Täterleistung Das Nachtatverhalten weist in weiten Teilen keine Schuldrelevanz auf, stellt allerdings – anders als präventive Faktoren – die Maßgeblichkeit der Schuld als Grundlage der Strafzumessung nicht in Frage. Vielmehr ergibt sich im Hinblick auf rücktrittsähnliche Verhaltensweisen, Formen der tätigen Reue und die Wie900
Vgl. Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 681 m. N.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
dergutmachung eine Parallele zu den unter D. II. 2.–4. genannten Faktoren, die ausschließlich die angemessene Reaktion auf strafrechtlich relevantes verschuldetes Unrecht betreffen. Daraus folgt, dass das Nachtatverhalten in diesen Fallgruppen auf die Strafe anzurechnen ist und insofern nur mildernd veranschlagt werden kann.901 bb) Einstellung Erklärt werden können mit einer straftheoretisch begründeten Anerkennungsleistung des Täters allerdings nicht die Fälle, in denen Nachtatverhalten eine strafschärfende Bedeutung beigemessen wird. Insofern sind Fälle, die weiteres Unrecht bzw. eine Vertiefung des von der Straftat erfassten Unrechts betreffen, zu unterscheiden von solchen, die als Indiz für die Einstellung des Täters zu seiner Tat Bedeutung entfalten sollen. In Bezug auf den ersten Gesichtspunkt ergibt sich mit Blick auf die verschuldeten Auswirkungen der Tat, dass eine Steigerung der Infragestellung unter den Mindestvoraussetzungen von Ideal- und Gesetzeskonkurrenz in Betracht kommt. Im Übrigen stellt die Hinzufügung weiteren Unrechts ebenso wenig wie die Diskussion um die verschuldeten Auswirkungen in Frage, dass die maßgeblichen Maßstäbe für eine Schwerebewertung auf Rechtsfolgenseite aus der Verbrechenslehre folgen. Insoweit aber das Nachtatverhalten nicht als weiterer Eingriff in Freiheiten, d.h. als weiteres verschuldetes Unrecht, verstanden werden kann oder dann, wenn es an den Voraussetzungen der Idealkonkurrenz fehlt, bleibt nur ein Rückschluss auf die Einstellung des Täters übrig, die auch im Rahmen des Vortatverhaltens relevant wird.
III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat Die Schuldrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens wirft vor allem dort Probleme auf, wo sie auf Merkmale des Schuldbegriffs verweist, die sich aus der Verbrechenslehre nicht ergeben. Es hat sich gezeigt, dass das nicht überall der Fall ist. 1. Die Problematischen Aspekte des Vor- und Nachtatverhaltens Die strafrechtlichen Implikationen der Vorgeschichte sind vielseitig. Neben spezialpräventiven Relevanzen ergeben sich aus ihr wichtige Hinweise für die Würdigung der Tatbestandsmäßigkeit, der Rechtfertigung und der Schuld. Das betrifft schon die Begründung der Strafe. Oftmals kann der Bedeutungsgehalt menschlichen Verhaltens ohne historischen Hintergrund schlechthin nicht ver901 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 132, 137 ff.; vgl. darüber hinaus Frisch, Festgabe BGH, S. 269 (281).
III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat
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standen werden. Das gilt insbesondere für komplizierte Fälle, wie sie z. B. im Wirtschaftsstrafrecht vorkommen. Umso wichtiger ist der zur Tat hinführende Lebenssachverhalt für die typologisch-ordnende Strafzumessung. Neben der erwähnten Indizwirkung der Vorgeschichte in Bezug auf die Schuldunfähigkeit, kann eine sorgfältige Vorbereitung die Gefährlichkeit der Tat erhöhen. Ebenso liegt es bei Konflikttaten und der Alkoholisierung, sofern das Vorverhalten für die entsprechenden Minderungssachverhalte ursächlich wird und deshalb die Milderung begründet. All diese Gesichtspunkte fügen sich ohne Weiteres in die Entwicklung von Strafzumessungsrelevanzen aus der Verbrechenslehre ein. In Bezug auf den „bei der Tat aufgewendeten Willen“, die „rechtsfeindliche Gesinnung“, die „kriminellen Energie“ und schließlich die schuldhafte Herbeiführung der Schuldlosigkeit bzw. Verminderung der Schuld lässt sich das hingegen nicht sagen. Sie alle betreffen die Einstellung des Täters zu seiner Tat und werfen ein Problem insofern auf, als die Relevanz dieser Faktoren in der Straftatprüfung kaum Anklang findet und die Frage offen bleibt, welcher verbrechensdogmatisch relevante Maßstab zu Grunde liegt. Dies ist das Zentralproblem, das die Berücksichtigung des Vortatverhaltens für die Auslegung des Begriffs der Strafzumessungsschuld und für die These von der Deckungsgleichheit auswirft. Bevor zu diesem Thema Stellung bezogen werden, muss die Frage beantwortet werden, wie sich das Strafzumessungskonzept zur Einstellung des Täters verhält. 2. Die Bedeutung der Einstellung im Rahmen des positiv generalpräventiven Konzepts Für viele Vertreter der Generalprävention liegt die Bedeutung dieser Einstellung auf der Hand. So formuliert Henkel, es sei die Generalprävention positiv gerade insofern, als durch sie „die Achtung vor dem Recht, die rechtstreue Gesinnung und Haltung, bewahrt und gestärkt werden soll.“ 902 Dem entspricht es, wenn abweichende Haltungen mit einem Übel belegt werden.903 Eine solche Sichtweise steht indes mit dem hiesigen Konzept nicht im Einklang, weil eine Stabilisierung der Verhaltenserwartung gerade nicht mittels Norminternalisierung, also durch eine Veränderung der Einstellung erfolgen soll.904 Gleichwohl lässt sich die Relevanz der Haltung auch auf dem Boden des hier vertretenen Konzepts einer positiv generalpräventiven Strafzumessung begründen. Ein Vollzug des hinter der Norm stehenden Vernunftgrundes ist nämlich nur insoweit erforderlich, als er durch die Straftat geleugnet wurde. Eine 902
Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 14. Vgl. F. Kaufmann, Die philosophischen Grundprobleme der Lehre von der Strafrechtsschuld, S. 89 f. 904 Vgl. oben B. II. 6. d). 903
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
solche Leugnung geschieht freilich nicht immer in gleichem Maße, wenn schuldhaft Verhaltenserwartungen enttäuscht werden. Eine Infragestellung ergibt sich nicht allein daraus, dass Außenstehende aus irgendwelchen Gründen die Straftat als eine personal sinnvolle Freiheitsbetätigung auffassen könnten. Weil es um die Stabilisierung von Erwartungen geht, die allein vom Täter destabilisiert wurden, ist vielmehr maßgeblich, dass dieser seiner Tat einen Sinn gegeben hat, der den freiheitlichen Geltungsgrund der Norm konterkariert. Es ist also erforderlich, dass sich der personale Sinn einer Straftat auch auf die Motivation des Täters zu seiner Tat auswirkt. Schließlich ging die Erwartung normgemäßen Verhaltens gerade dahin, dass allein die vernünftige Basis der Motivation die Gewähr für eine autonome Normeinhaltung böte.905 a) Rationale Motivation Es hat sich gezeigt, dass die Verbrechenslehre im Hinblick auf die Motivation aus einem die Norm in Frage stellenden Grund in verschiedener Weise differenziert. Die Unterscheidung zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeit sowie die Unterscheidung der Vorsatzformen betreffen die Frage, in welchem Maße der Täter eine Unterordnung seines Opfers intendierte. In diesen Rahmen fügt sich die spezifisch strafzumessungsrechtliche Relevanz des bei der Tat aufgewendeten Willens ein, der die nach außen in Erscheinung tretende Motivationskraft der Unterwerfung, die die Straftat nun einmal ohne Strafe zur Folge hätte, in laienpsychologischer Hinsicht906 weiter ausdifferenziert. Hier steht die Frage im Vordergrund, wie stark sich der Reiz, durch die unrechtmäßige Tat (konkret gegenüber dem Opfer und abstrakt gegenüber der bürgerlichen Gemeinschaft) knechtische Anerkennung zu erlangen, im Willen des Täters widerspiegelte. Während das Anerkennungskriterium durch den bei der Tat aufgewendeten Willen empirisch-psychologisch verarbeitet wird, greifen die Beweggründe und Ziele des Täters den Anerkennungsgedanken noch einmal inhaltlich auf und heben ihn auf eine höhere Abstraktionsebene, indem sie der Frage nachgehen, mit welcher materialen Intensität der Täter das Freiheitsprinzip gegenseitiger Anerkennung mit seiner Tat verworfen hat.907 All diese Kriterien, die sämtlich die Einstellung des Täters zu seiner Tat betreffen, sind teilweise schon Gegenstand der Verbrechenslehre und tangieren das 905 Aus diesem Grund kann auch ein Schuldloser die Normgeltung nicht in Frage stellen [s. oben B. II. 6. d) dd) (2)]. 906 Auf psychologische Zusammenhänge, die nur dem Eingeweihten bekannt sind, kann es für die Normstabilisierung als Sicherung von Erwartungen der Allgemeinheit nicht ankommen. 907 Dies setzt voraus, dass die abzurteilende Tat aus einem Beweggrund begangen wurde, vgl. dazu Peralta, FS Roxin II, S. 257, 262; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 485 ff.; Paeffgen, GA 1982, S. 267.
III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat
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Ausmaß der Motivation durch dem Freiheitsprinzip des Bürgers, der streng wechselbezüglichen gegenseitigen Anerkennung, widersprechende Argumente. b) Personale Verbindlichkeit aa) Aufriss Über spezifische in der Vorgeschichte der Tat erkennbare Beweggründe hinaus kann die Frage, inwiefern der Tat das Motiv zu Grunde lag, sich über andere zu stellen, aber noch in einer weiteren Hinsicht differenziert werden. Zeigt sich allgemein am Vor- oder am Nachtatverhalten, dass der Täter die Freiheitserweiterung auf Kosten anderer zu einem für seine Handlung verbindlichen Prinzip erkoren hat, so demonstriert er mit einer weiteren Straftat die Durchschlagskraft des die Norm konterkarierenden Vorteils einer Freiheitserweiterung auf Kosten anderer in besonderem Maße. Das hiesige Konzept kann diese Differenzierung nicht ignorieren, weil gerade die Verbindlichkeit der gegen eine Straftat sprechenden Vernunftgründe, d.h. das Prinzip gegenseitiger Anerkennung als Grundlage autonomer Entscheidung für das Recht, die alleinige Gewähr für die durch Strafe zu schützenden Erwartungen bieten soll. Dort, wo der Aufkündigung des gegenseitigen Anerkennungsverhältnisses auch eine Absage an das rechtliche Freiheitsprinzip als Prinzip zu Grunde liegt, muss sich die Infragestellung aber besonders intensiv darstellen.908 Denn ein entsprechend motivierter Täter belegt, dass die knechtische Anerkennung in der Realität mehr als nur eine punktuelle Versuchung der Abweichung von einem an sich überlegenen Prinzip ist, diesem vielmehr als erwägenswerter Grundsatz gegenübersteht. Deshalb muss auch die allgemeine Haltung, insofern als sie das Prinzip rechtlicher Freiheit berührt, im Rahmen der Strafzumessung beachtlich sein. bb) Praktische Handhabung Die Frage, unter welchen Voraussetzungen die allgemeine Haltung in der Strafzumessung Beachtung einfordert, kann jedoch hier nur kurz aufgerissen werden. Eine Infragestellung des Freiheitsprinzips als solchem kann etwa angenommen werden bei einem in eine Parallelgesellschaft „integrierten“ Täter, der sein Recht des Stärkeren aus dem Gesetz der Straße ableitet und eine Vielzahl diesem Gesetz entsprechender Delikte begeht wie z. B. Diebstahl, Körperverletzung und Raub.909 Ein weiteres Beispiel für eine besonders intensive Infragestel908 Vgl. Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 457 ff.; Köhler, Strafrecht AT, S. 364; Moos, FS Pallin, S. 283, 309 „innere Anerkennung“. 909 Auch wenn man meint, dass Wiederholungen hier letztlich das Andershandelnkönnen reduzieren könnten, weil sie sich als Verhaltensmuster einschleifen und automatisieren, so lebt doch der personale Grund gewissermaßen vermittelt über solche Schuldreduzierung fort; dies erklärt auch, warum eine actio libera in causa trotz ver-
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
lung aufgrund allgemeiner Haltung kommt in der Wiederholung von Delikten zum Ausdruck, die im Rahmen der organisierten Kriminalität und/oder Berufskriminalität stattfinden. Ebenfalls eine beachtliche Absage an das allgemeine Prinzip erteilt derjenige, der seinen Willen im Vorleben schon immer auf Kosten anderer durchzusetzen pflegte, auch wenn er damit die Grenzen zur Strafbarkeit nicht überschritt. Freilich kann eine solche Absage aber nur nach umfassender Würdigung der Täterpersönlichkeit begründet sein. Eine erhebliche Strafschärfung scheidet bei einem Täter aus, dessen vorangegangenes strafrechtliches Auffälligwerden im Kontext seiner Persönlichkeit darauf hinweist, dass er aufgrund von Willensschwäche seinen Handlungsimpulsen den Vernunftgrund, den er selbst möglicherweise erkennt und für verbindlich hält, nicht entgegenzusetzen imstande war. Hier wird man nicht in gleichem Maße annehmen können, dass sich die zunächst aus der Straftat folgende Überordnung als personaler Vernunftgrund auf die Entscheidung gegen das Recht ausgewirkt hat. Allerdings bietet auch der Luxus, der eigenen Willensschwäche auf Kosten anderer freien Lauf lassen zu können, einen rationalen Grund für die Tat, der im Rahmen der Strafzumessung grundsätzlich nicht unbeachtlich bleiben kann. c) Konflikte mit einem freiheitlichen Schuldverständnis Die Relevanz von Gesinnungsmerkmalen, die von einer solchen Sichtweise nahegelegt wird, sieht sich zunehmend freiheitstheoretischen Einwänden entgegengesetzt. Das Strafrecht habe sich jeder Aussage über die moralisch „richtige“ Motivation zu rechtmäßigen Verhalten zu entziehen. Der zentrale Einwand gegen eine Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen – gleich ob damit die einer Tat unmittelbar anhaftenden Beweggründe oder weitergehend die allgemeine rechtsfeindliche Haltung des Täters gemeint ist – lautet dahingehend, diese würden die Trennung von Recht und Moral aufheben und das freiheitliche Rechtsverständnis konterkarieren.910 Die Gesinnung betreffe nicht die äußere Austarierung von Freiheiten, sondern allein die Innenwelt des Täters. Wenn daran eine Strafe geknüpft werde, wirke also letztlich die Moralität strafbegründend. Dies gelte auch dann, wenn die Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen im Rahmen einer äußere Freiheiten verletzenden oder bedrohenden Tat berücksichtigt werde.911 meintlich fehlender Schuld nichts an der Infragestellung des Rechts ändert. Die Schuld ist in solchen Fällen richtigerweise weder ausgeschlossen noch vermindert, weil ihre Funktion auf das Ausscheiden der Tat zu Grunde liegender Gründe, die das Recht konterkarieren, beschränkt werden muss. 910 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 161. 911 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 110 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 38 ff.
III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat
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Dieser Argumentation muss zugegeben werden, dass eine Bewertung von Beweggründen im Rahmen der Strafzumessung immer eine freiheitseinschränkende Tendenz hat. Gleichwohl besteht ein entscheidender Unterschied zwischen der Sanktionierung eines moralisch wertwidrigen Verhaltens, der Sanktionierung des Umstands, dass der Täter sich das Rechtshandeln nicht zur Maxime hat gereichen lassen, und einer Berücksichtigung der Gesinnung als innere Ablehnung gegen das Prinzip rechtlicher Freiheit im Rahmen des hier zu Grunde gelegten Strafkonzepts. Für dieses steht die auf die äußere Freiheit bezogene normative Verhaltenserwartungen im Mittelpunkt und deshalb bleibt es dabei, dass diese Erwartung nur durch ein äußerlich widersprechendes Verhalten und nicht durch Anschauung, Haltung und Denken enttäuscht werden kann. Das Rechtsbewusstsein kann deshalb gerade nicht durch Gründe und Erwägungen erschüttert werden, die sich im Einzelfall nicht auf rechtsfeindliches Verhalten auswirken,912 und es stellt auch derjenige nicht das Recht in Frage, der wie Mephisto das Böse will und doch das Gute schafft. Wenn der „böse Wille“ in die Tat umgesetzt wurde und sich dementsprechend „über die Tat“ bedrohend in der Außenwelt entfaltet,913 findet aber letztlich auch keine indirekte Bestrafung der Gesinnung statt, insofern diese durch eine strafschärfende Berücksichtigung falsifiziert und zu Lasten des Täters veranschlagt würde.914 Denn es geht hier nicht um eine unmittelbare Anknüpfung an das, was sich allein im Innenleben des Täters abspielt. Vielmehr ist dieses nur ein Interpretationsmaßstab für die sich in der Außenwelt bedrohend entfaltende gegenständliche Tat, die für die Qualifikation als Unrecht immer noch ausschlaggebend bleibt. Es kann deshalb weiterhin auch keine Rede davon sein, dass die Berücksichtigung von Beweggründen zu einer Sanktionierung „bloßer Moralwidrigkeiten“ führe.915 Die hiesige ideelle Dimension des Rechtsbruchs verliert – anders als absolute Konzeptionen der Strafe – den Bezug zu äußerer Freiheit gerade nicht. Vielmehr bleibt Gegenstand der Strafe genau die äußere Freiheit, die der Täter durch seine Tat bedroht.916 Die Thematisierung der Innenwelt des Täters steht nicht für sich, sondern hat zur wesentlichen Aufgabe, den Bestand äußerer Freiheiten abzusichern. Diese äußeren Freiheiten reichen nicht über die Tat und ihre Auswirkungen hinaus, sondern nehmen gerade den durch die Tat entstandenen, sich über die Gedankenwelt in der Allgemeinheit vermittelnden Schaden an realer Freiheit in 912 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 116; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 400 ff.; Kindhäuser, ZStW 107 (1995), S. 701 (726 f.); Kühl, FS Schreiber, S. 959 (963). 913 Vgl. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, S. 87 ff.; vgl. dazu auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 116. 914 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 117 ff. 915 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 161. 916 Vgl. oben B. II. 6. dd) (1).
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
sich auf.917 Der tiefere Grund der Trennung von Recht und Moral, ein Optimum an äußerer, realer Freiheit zu erhalten, kann deshalb auf die Berücksichtigung der Beweggründe ebenso wenig durchschlagen wie auf die Berücksichtigung des Vorsatzes. Es erscheint denn auch inkonsequent, wenn diejenigen, die sich entschieden gegen die Bedeutung von Beweggründen im Strafrecht mit Verweis auf die Trennung zwischen Recht und Moral aussprechen, am Vorsatz nicht rütteln wollen, weil dieser die innere Einstellung des Täters nicht in einem weiten Sinn betreffe, sondern streng auf das Recht, d.h. die Negation des Rechts bezogen sei.918 Denn genau das trifft ja nach alldem auch auf die Beweggründe und die Haltung des Täters zu. Geklärt werden muss aber, auf welche Weise und in welchen Grenzen die Einstellung des Täters zu seiner Tat berücksichtigt werden kann und wie sie sich die Einstellung zu den Kategorien Schuld und Unrecht verhält. Dabei ist das Ergebnis dadurch vorgezeichnet, dass der Ansatz, der eine Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen nahelegt, selbst aus straftatdogmatischen Implikationen für die Strafzumessung entwickelt wurde. 3. Integration in die Schuld als Vermeidemacht Der Ansatz der Rechtsprechung wurde schon beschrieben. Über das sog. Überwindungsmodell wird versucht, die Vorstrafenbelastung in den üblichen Schuldbegriff der Verbrechenslehre zu integrieren. Gegen diesen Ansatz sprechen vor allem empirische Argumente. Bevor auf diese näher eingegangen werden soll, muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass das Überwindungsmodell von vornherein nur einen Teilbereich der unter dem Schuldaspekt problematischen Fälle erfasst, nämlich nur solche, in denen der Täter auf die ein oder andere Art und Weise vor der Tatbegehung gewarnt wurde. Fehlt es an einer Warnwirkung, wie etwa beim Nachtatverhalten, hilft das Überwindungsmodell nicht weiter.919 Weil es aus diesem Grund ohnehin nicht dazu in der Lage ist, die Problematik des Vorund Nachtatverhaltens zu erschöpfen, soll zu den wichtigsten Einwendungen gegen dieses Konstrukt an dieser Stelle nur kurz Stellung bezogen werden. a) Empirische Probleme Zu Recht wird eingewandt, dass die empirischen Prämissen des Überwindungsmodells fraglich sind. Der Haupteinwand lautet, dass gerade bei wiederholt Rückfälligen eher von einer Reduzierung der Hemmschwellen auszugehen ist.920 917
Vgl. Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 14. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 156. 919 Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (773). 920 Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 67 ff.; Frosch, Rückfallvorschrift, S. 105; Haffke, in: Grundfragen 918
III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat
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Geht es um Vorstrafen, setzt das Modell, so wie es von der Praxis angewendet wird, voraus, dass unabhängig vom Einzelfall jede Strafe eine gewisse spezialpräventive Warnwirkung entfaltet, insofern Hemmschwellen erhöht werden. Dadurch wird trotz der generellen empirischen Problematik eine spezialpräventive Wirkung von Vorstrafen sogar bei vorbestraften Rückfalltätern unterstellt.921 Dies ist nicht nur für sich genommen zweifelhaft, sondern steht auch in einem gewissen Konflikt mit anderen Annahmen, die die Rechtsprechung im Kontext der Spezialprävention zu Grunde legt. Im Hinblick auf die unbeabsichtigten Nebenfolgen geht die Rechtsprechung nämlich davon aus, dass die Strafe im Einzelfall, wenn auch nur indirekt, schaden kann.922 Möchte man den Widerspruch vermeiden, der sich dann ergibt, wenn beide Aussagen zusammentreffen, dass nämlich Strafe einerseits regelmäßig Hemmschwellen erhöht, andererseits auch mit schädlichen, weil im Ergebnis Hemmschwellen herabsetzenden Wirkungen einhergeht, müssten diese Wirkungen auf verschiedenen Ebenen loziert werden. Dies aber leuchtet nicht ein, weil für die Spezialprävention letztlich nicht ausschlaggebend sein kann, ob die Strafe im Ausgangspunkt Hemmschwellen erhöht, sondern ob sie im Ergebnis das Legalverhalten des Täters günstig beeinflusst.923 Wurde gegen einen Wiederholungstäter eine Strafe verhängt, die wegen des Einflusses anderer Vorstrafen auf die Schuld nicht mit Rücksicht auf etwaige Nebenwirkungen bemessen werden konnte und ist deshalb davon auszugehen, dass diese Vorstrafe mit schädlichen Nebenwirkungen einhergeht, bricht das Modell der Rechtsprechung in sich zusammen. b) Normative Probleme: Steigerbarkeit der Schuld Die These der Rechtsprechung steht darüber hinaus im Widerspruch zu der Gesetzeswertung, dass die Schuldprüfung keine Steigerung des Vorwurfs, sondern lediglich eine Minderung begründen kann. Ausweislich der gesetzlichen Regelungen zur Schuld i. e. S. gibt es keine Werte der Schuld, die über ihre Vollform hinausgehen.924 Besondere Durchschlagskraft kann diesem Argument freilich des modernen Strafrechtssystems, S. 197, 208 f.; Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 42; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 161; Schünemann, in: Neuere Tendenzen, S. 209 (236); Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 16; Stuckenberg, StV 2007, S. 655 (656); krit. auch Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 180. 921 Zu den empirischen Problemen der Spezialprävention oben D. II. 1. c). 922 Siehe oben D. II. 1. cc) aa). 923 An dieser Widersprüchlichkeit leidet übrigens auch eine entsprechende spezialpräventive Begründung der Relevanz von Vorstrafen nach dem Prinzip des „more of the same“. 924 Vgl. Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (765 f.); ders., Festgabe BGH, S. 269 (289); Haas, Strafbegriff, Strafverständnis und Prozessstruktur, S. 293; Haffke, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 197 (208 f.); Hart-Hönig, Gerechte und zweckmäßige Strafzumessung, S. 42; SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 41 ff.; Hörnle, Tatpropor-
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
nicht attestiert werden, wenn es nur auf die Semantik gestützt wird. Ausschlaggebend müssen vielmehr die Sachgründe sein, die hinter der Nichtsteigerbarkeit der Schuld i. e. S. stehen könnten. aa) Steigerungen der Schuld und Selbstbild Zwar ist es richtig, dass ein Mehr an Andershandelnkönnen sprachlogisch schwierig zu formulieren ist. Im Rahmen des ordinalen Verfahrens der Strafzumessung ist es aber ohnehin nicht präzise, pauschal von irgendwelchen Steigerungen, Schärfungen usw. zu sprechen. Denn Strafschärfungen werden erst durch ihren Bezug zu einem bestimmten Vergleichsfall – etwa dem normativen Normalfall oder dem Regelfall – sinnfällig. Eine Schuldsteigerung liegt in diesem Kontext schon dann vor, wenn das Ausmaß des Andershandelnkönnens im Einzelfall über dem wie auch immer bestimmten Vergleichsfall liegt. Die Rede von Steigerungen der Schuld impliziert dann allerdings auch nicht, dass es Ausprägungen der Schuld gibt, die über diese Vollform hinausgehen. Denn es wäre immer noch vorstellbar, dass die Vollform eben über dem Maße liegt, den der normative Vergleichsfall voraussetzt. Allerdings bestehen Bedenken, dass es einem korrekten Verständnis von Schuld entspricht, die Vollform der Schuld regelmäßig über dem gesetzlichen Normalfall anzusetzen. Dass im Regelfall ein Andershandelnkönnen allenfalls bedingt gegeben ist, widerspricht nämlich dem normativen Normalfall, in Bezug auf den sich die gesetzlichen Regelungen über Minderungen, Schuldausschließung und Entschuldigung als Ausnahmen verstehen. Diese gesetzliche Wertung hat auch einen sachlichen Hintergrund. Es entspricht unserem Selbstbild, dass wir über unser Verhalten im Regelfall frei (und nicht nur mehr oder wenig frei) entscheiden können.925 Wenn an diesem Selbstbild gerüttelt wird, indem man die Fähigkeit zu freiem Entscheiden über die Steigerbarkeit der Schuld im Ergebnis in nicht unerheblichem Maße relativiert, stellt dies freilich die Prämisse der hiesigen Strafkonzeption in Frage: freiwillige Normbefolgung aus Vernunftgründen. Der Erwägung, dass die Nicht-Steigerbarkeit der Schuld auf deren begrenzende und autonomiewahrende Funktion zurückgeführt werden muss,926 kann deshalb voll und ganz zugestimmt werden. Diese gegen eine Steigerbarkeit der Schuld sprechenden Argumente werden durch ein strukturelles Argument weiter verstärkt.
tionale Strafzumessung, S. 161; dies., in: Tatproportionalität, S. 99 (25); Krümpelmann, ZStW 87 (1975), S. 888 (899); Walter, GS Hilde Kaufmann, S. 493 (504); vgl. ferner Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 444 ff. 925 Zur Bedeutung desselben vgl. Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 ff. (163 ff.). 926 Frisch, FS Müller-Dietz, S. 237 (249).
III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat
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bb) Strukturelle Implikationen des Verbrechenssystems Die Begrenzung der Skalierbarkeit der Schuld auf ein Höchstmaß – nach oben hin – lässt sich nur mit der spezifischen Struktur der Infragestellung erklären. Das Unrecht umschreibt den Unwert einer Tat zunächst ungeachtet individueller Vermeidemacht. Die durch eine Straftat konterkarierten Vernunftgründe sind allein im Unrecht enthalten und bestehen grundsätzlich unabhängig von individuellen Fähigkeiten.927 Die Schuld betrifft lediglich die Frage, inwieweit das einzelne Verbrechen oder Vergehen diese Gründe konterkariert und in Frage stellt. Sie kann dabei aber an dem Wert, den ein Rechtsgut und eine darauf bezogene Erwartung in der Gemeinschaft haben, nichts ändern. Zwar haben im Bereich des Unrechts nach herrschender Meinung durchaus besondere Fähigkeiten und Kenntnisse Einfluss auf das Gewicht von Pflichten.928 Ob es hierbei aber wirklich auf die individuelle Fähigkeit ankommt, ist überaus umstritten. Dagegen spricht schon auf den ersten Blick, dass sich eine Schuldprüfung nach Feststellung besonderer Fähigkeiten im Einzelfall nicht erübrigt.929 Das ist zumindest ein Indiz für die Verschiedenheit der Wertungen, die hier im Bereich der Bestimmung der Sorgfaltspflicht und dort im Bereich der Schuld angestellt werden. Darüber hinaus ergibt sich, dass die in einzelnen Fällen unterschiedlich ausfallende Vermeidemacht der Normadressaten nichts an dem generellen Bedürfnis der Sicherheit im Hinblick auf das Verhalten anderer zu ändern vermag. So gibt man auch in Anbetracht eines schuldlosen Unrechts nicht die Erwartungen auf, entsprechende Ereignisse würden unterbleiben. Man verlässt sich im Hinblick auf die faktische Absicherung dieser Erwartung allerdings nicht mehr auf die Strafe, sondern, sofern die Voraussetzungen dafür gegeben sind, auf die Maßnahmen der Besserung und Sicherung oder auf eine außerstrafrechtliche soziale Kontrolle.930 Es ändert sich mithin nicht etwas an der Verhaltenserwartung, sondern nur etwas an dem Mittel zur Durchsetzung dieser Erwartung. Das eigene Verhalten in Erwartung des Ausbleibens des Verhaltens soll auch hier gerade nicht wegen der Enttäuschung verändert werden. Anders liegt es nur auf den ersten Blick, wenn das Unrecht auf besondere Fähigkeiten Bezug nimmt. Hier werden in Gemäßheit eines freiheitserweiternden Spezialisierungsprinzips (Aufgabenteilung) im Einzelfall bestehende besondere Fähigkeit als werthaft institutionalisiert und insofern verobjektiviert. Die Erwartungen verteilen sich dementsprechend differenziert auf unterschiedliche Rollen, die von den Vertrauensemp927
Vgl. Crespo, FS Roxin II, S. 689 (694 f.). Das Problem tritt bei der Frage der Konkretisierung des Maßstabs der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung zu Tage, vgl. dazu NK-StGB/Puppe, Vorbemerkungen zu §§ 13 ff. Rdnr. 157 ff. m.w. N. 929 Auch der hochspezialisierte Herzchirurg, der einen Fehler begeht, den nur er hätte vermeide können, handelt schuldlos, wenn er im Vollrausch operierte. 930 Vgl. Hellmuth Mayer, Strafrecht, S. 36 ff. 928
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fängern im Rahmen des Gesamtsystems auch ausgefüllt werden müssen. Der Spezialist muss sich mithin nicht an seiner individuellen Vermeidemacht messen lassen, sondern an dem Maßstab, der allein für diejenigen gelten muss, die in ihrer Rolle als Spezialist mit besonderen Fähigkeiten rechtlich geschütztes besonderes Vertrauen in Anspruch nehmen.931 Erwartet wird infolgedessen von vornherein nur von demjenigen, der die Rollenmerkmale erfüllt. Für die Schuld, verstanden als eine individuelle Vermeidemacht, verbietet sich eine entsprechende Argumentation. Dies liegt im Wesen der Schuld begründet. Diese ist – m. E. im Gegensatz zum realen Substrat, das Unrecht ausmacht – in ihrem Wesen ein spezifisch strafrechtliches Konstrukt. Es stellt die Voraussetzungen auf, die ein vorstrafrechtlich unerwünschtes Verhalten zu einem ideellen Problem machen, das allein durch Strafe behoben werden kann. Die Schuld betrifft mithin lediglich das Mittel zum Zweck, nicht aber den Zweck selbst. Aus diesem Grund können Kriterien der Schuldhaftigkeit nicht den Unwert steigern, die eine Erwartungsenttäuschung für das gemeinschaftliche Zusammenleben hat. Oder anders: Die für eine Verhaltenserwartung sprechenden Vernunftgründe, die Grundlage für die normkonforme Motivation sind, sich für das Recht und gegen das Unrecht zu entscheiden, können nicht von der individuellen Fähigkeit, nach dem Vernunftmaßstab zu handeln, beeinflusst werden.932 Insofern müssen sich alle Bürger an dem gleichen Maßstab messen lassen. cc) Fazit Damit bleibt festzustellen, dass sich die Schuld i. e. S. nicht steigern lässt. Die Indizkonstruktion, die sich über diese Erkenntnis hinwegsetzt kann letztlich vor allem aus diesem Grund keine überzeugende Stütze für die These von der Deckungsgleichheit bieten. Darüber hinaus geht sie von empirischen Prämissen aus, die sich nicht belegen lassen und darüber hinaus mit anderen Annahmen der Rechtsprechung zur Prävention in Widerspruch stehen. 4. Erweiterungen des Schuldbegriffs der Verbrechenslehre In der Literatur wird versucht, das Vor- und Nachtatverhalten in den Schuldbegriff der Verbrechenslehre zu integrieren, indem man diesen erweiternd auslegt. Ob der Rechtsprechung ein solcher Ansatz zu Grunde liegt, wo Warnungen nicht festgestellt und Schärfungen deshalb nicht mit dem Überwindungsmodell erklärt 931 Vgl. dazu mit ähnlicher Begründung Kaminski, Der objektive Maßstab im Tatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts, S. 98 ff. m.w. N.; NK-StGB/Puppe, Vorbemerkungen zu §§ 13 ff. Rdnr. 160 f. 932 Cerezo Mir, ZStW 108 (1996), S. 9 (18); Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 161.
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werden können, ist unklar. Jedenfalls geht sie von einem erweiterten Schuldverständnis in der Strafzumessung aus. a) Extensive Auslegung des Schuldbegriffs In der Literatur anzutreffen sind Definitionen der Schuld, die ein Gesinnungsmoment in sich aufnehmen. Schuld sei dementsprechend die Vorwerfbarkeit der Tat unter Berücksichtigung der rechtsfeindlichen Gesinnung.933 Ob mit der Rede von Gesinnung tatsächlich ein über das Andershandelnkönnen hinausgehendes Element der Schuld hinzugefügt wird, ist zwar zweifelhaft.934 Auch wurde, soweit ersichtlich, nicht vertreten, dass die allgemeine Haltung ohne irgendeinen Bezug zur Tat bei der Schuldwertung eine Rolle spielen müsse. Aber doch ließe sich eine solche „Gesinnungsschuld“ so verstehen, dass die allgemeine Gesinnung und Haltung zum Recht entscheidender Gradmesser für die Vorwerfbarkeit der Tat ist, eine Tat nur insoweit vorwerfbar sein soll, als sie auch auf eine allgemein schädliche Gesinnung zurückzuführen ist. Eine so verstandene Schuld würde sich freilich von der aktuellen Tatgesinnung lösen.935 Weil ein solches Konzept eine gewisse Erklärungskraft für die verbrechensdogmatische Figur der actio libera in causa, aber auch für die im Rahmen des § 211 StGB genannten Motive und Beweggründe sowie für besondere Absichten insbesondere im Rahmen von Vermögensdelikten entfalten kann, eignet es sich auch für die Verbrechenslehre. Inwieweit es angreifbar ist, hängt von seiner konkreten Ausgestaltung ab. Es begegnen in der Wissenschaft durchaus unterschiedliche Ansätze, die das Moment der Einstellung in die Schuld integrieren. Demgegenüber stehen Konzeptionen der Schuld, die sich gegen eine solche Integration versperren. aa) Charakterschuld Als Charakterschuld versteht man ein charakterliches Manko an sozialer Einstellung, das sich für die Tat verantwortlich zeichnet.936 Die Lehren von der Charakterschuld wollen die Kategorie des Andershandelnkönnens – gerade im Hinblick auf das empirische Problem der Willensfreiheit – gewissermaßen durch den 933 Etwa Gallas, ZStW 67 (1955), S. 45; Hardwig, ZStW 68 (1956), S. 14 (29); Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 426, 429, 384, 379 f.; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht AT, Rdnr. 400; Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 169, 180 f.; Schmidhäuser, Gesinnungsmerkmale, passim. 934 Vgl. zur Bedeutung entsprechender Schuldformulierungen Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 231 m.w. N. 935 Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 231. 936 Kohlrausch, Mitteilungen der IKV, Neue Folge Bd. 3, 1928, S. 17; Eb. Schmidt, SchwZStR 45 (1931), S. 200 (227).
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Charakter ersetzen. Die Idee klingt denkbar simpel: Es sei nicht maßgeblich, dass der Täter in seiner Entscheidung völlig frei von Determinanten gewesen ist. Vielmehr müsse ein jeder einstehen für das, was er ist.937 Der Täter habe also für sein Sosein zu haften. Es liegt in der Konsequenz, dass die Tat dann auch nicht mehr auf die Freiheit im Zeitpunkt der Tat, sondern auf die charakterbedingte Unfreiheit zurückgeführt werden muss. Wenn man sich aber überlegt, wie das überhaupt funktionieren kann, hilft einem das formale Konzept der Charakterschuld nicht weiter, weil es keine inhaltlichen Kriterien zu seiner Ausfüllung anbietet. Eine Charakterschuldlehre ist deshalb für viele Lesarten offen. Sie kann im Einklang mit der gängigen Schuldkonzeption interpretiert werden, wenn die Zurechnung zum Charakter mit der üblichen Zurechnung zur Person des Täters gleichgesetzt wird. In dieser Variante bietet sie nur eine theoretische Loslösung der Schuld von der Determinismusdebatte. Ein Charakterschuldkonzept bietet aber auch die Möglichkeit, die Zurechnung zum Täter von einer selbständigen Bewertung seines Charakters (als schlecht, böse usw.) abhängig zu machen. Weil das Charakterschuldkonzept diese Möglichkeit begrifflich sogar nahe legt, ist sie der Kritik ausgesetzt.938 Diese Kritik ist natürlich nicht unabhängig zu würdigen von einer Begründung der Relevanz von über die üblichen Kriterien hinausgehenden Faktoren für die Bewertung des Charakters, die aber soweit ersichtlich nie erbracht wurde.939 bb) Lebensführungsschuld Im Unterschied zur Charakterschuld fragt die Lebensführungsschuld940 auch nach den Ursachen des Defizits einer fehlerhaften Einstellung. Nach einem solchen Konzept wird dem Täter seine Disposition zum „Verbrechen zwar nicht schlechthin, wohl aber insoweit (. . .), wie sie ihm vorgeworfen werden kann: wie er sich selber zu dem gemacht hat, der er ist“ 941, zur Last gelegt. Auch das Konzept der Lebensführungsschuld gilt heute als überkommen.942 937 Heinitz, ZStW 63 (1952), S. 74 (76); Engisch, ZStW 66 (1954), S. 359; Eb. Schmidt, ZStW 69 (1957), S. 359 (387). 938 Vgl. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 109 f. 939 Der Grund dürfte darin liegen, dass das Anliegen der Charakterschuldkonzepte im Ursprung ein anderes war, vgl. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 109. 940 Mezger, ZStW 57 (1938), S. 687 (688 ff.); 60 (1941), S. 353 (370); Bockelmann, Studien zum Täterstrafrecht, S. 145 ff.; s. ferner Welzel, ZStW 60 (1941), S. 428 (459) aus der neueren Lit. Lange, FS Bockelmann, S. 261 (271 ff.). 941 Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 6; vgl. ferner Henkel, Die „richtige“ Strafe, S. 29. 942 Für die herrschende Meinung Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 108 m.w. N.
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Dagegen wird mit Recht eingewandt, dass forensisch schwer zu beurteilen ist, ob und inwiefern der Täter schuldhaft durch zurückliegende Lebensentscheidungen die „falsche Bahn“ eingeschlagen und damit die Weichen für die Begehung der Tat gestellt hat.943 Darüber hinaus muss sich die Lehre Einwänden gegenüber sehen, die darauf hinweisen, „dass es die Tat ist, die dem Strafrecht, heute und in Zukunft, seine Grundlage und Begrenzung gibt“, Strafrecht also Tatstrafrecht ist. Der Täter müsse wegen der Tat bestraft werden, die er begangen hat und diese sei nicht bloß Anlass zu einer Gesamtabrechnung mit der Lebensführung des Täters.944 Dieser Einwand scheint auf den ersten Blick entkräftet, weil schon nach der Konzeption Mezgers die Täterschuldkomponente auf die Tat bezogen ist und nur insoweit berücksichtigt werden soll wie sie in ihr zum Ausdruck kommt.945 Insofern bleibt die Tatschuld maßgeblich, wird durch die Täterschuld nicht ersetzt, sondern ergänzt. Die Tat verkommt dann auch nicht zum Anlass der Bestrafung,946 sie bleibt maßgeblicher Gegenstand des Vorwurfs, der aber nur insoweit erhoben wird, als er auf falsche Lebensentscheidungen des Täters zurückzuführen ist. Deswegen lässt sich gegen die Täterschuldkonzepte nicht pauschal einwenden, diese führten zu einer Gesamtabrechnung, die mit der Tat in keinem Zusammenhang steht. Gleichwohl impliziert schon die Frage danach, inwieweit eine ohne Freiheitsdefizite im Tatzeitpunkt getroffene Entscheidung gegen das Recht ihrerseits auf (verschuldete) Unfreiheit zurückzuführen ist, eine Einschränkung des tatschuldstrafrechtlichen Freiheitspostulats,947 insofern es die Lebensführung ungeachtet tatbestandsspezifischer Situationen generell mit indirekten Pflichten belastet. Dies schlägt sich im Ergebnis in der gemeinhin als problematisch erachteten Steigerbarkeit der Schuld nieder, ohne die ein Lebensführungsschuldkonzept aber nicht auskommt.948 Möchte man das Strafmaß von der Frage abhängig machen, wie der Mafiaboss für die mit dieser Stellung sprechenden Vernunftgründe empfänglich gemacht wurde, und es etwa strafmildernd bewerten, dass er in die Organisation hineingeboren, mit ihr aufgewachsen ist etc., dann wird die Autonomie als Leitprinzip rechtlicher Legitimation zwar nicht aufgelöst, aber ihr 943 Baumann, MDR 1963, S. 802 (803); Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 477; Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 105; Frosch, Rückfallvorschrift, S. 61; Heinitz, ZStW 63 (1951), S. 57 (76); Schaffstein, FS Gallas, S. 99 (109). 944 Vgl. Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 586 ff. 945 Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 105 m. N. 946 In diese Richtung aber Tesar, in: Abhandlungen des kriminalistischen Seminars an der Universität Berlin, Neue Folge. Fünfter Band, III. Heft, 1907, S. 196, 237 f. 947 Vgl. Peralta, FS Roxin II, S. 255 (261); Grünewald, Das vorsätzliche Begehungsdelikt, S. 110 ff. 948 Siehe oben 3. b).
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Bezugspunkt nach vorne verlagert und ausgeweitet.949 Das eigentliche durch den Normbruch aufgeworfene Problem läge gar nicht mehr darin, sich im Einzelfall gegen die Norm entschieden, sondern eigenes Verhalten nicht langfristig an den Maßstäben des rechtlich statuierten gemeinschaftlichen Miteinanders ausgerichtet zu haben. Die Lebensführungsschuld impliziert die Erwartung, dass der Bürger sein ganzes Leben mit Rücksicht auf die Gefahr unrechtmäßiger Motivation gestaltet. Dass das richtig ist, kann nicht allein wegen der Fragwürdigkeit der freiheitseinschränkenden Konsequenzen, mit der diese Schuldkonzeption verbunden ist, bezweifelt werden. Auch die Ausgestaltung der Schuld de lega lata spricht gegen die Lebensführungsschuld. Namentlich die Relevanz punktueller Schulddefizite ist mit der Lebensführungsschuld nicht ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn warum sollte es – wie bei der Alkoholintoxikation nach § 20 StGB – auf das Andershandelnkönnen und auf die Rationalität einer Entscheidung gegen das Recht in der Tatsituation ankommen,950 wenn das Recht letztlich nur durch autonome Fehlentscheidungen im Rahmen der Lebensführung in Frage gestellt werden kann? Schließlich reicht vor dem Hintergrund gerade des hier zu Grunde gelegten Konzepts die Frage der Lebensführungsschuld auch zu weit. An der Rationalität einer Entscheidung gegen das Recht kann nämlich auch der Umstand nichts ändern, dass der Täter schuldlos in eine Lage gekommen ist, die ihn für rationale Gründe zum Rechtsbruch empfänglich gemacht hat. Denn nur auf diese Gründe kann es ankommen. Es liegt deshalb in der Konsequenz der straftheoretischen Grundlegung, dass die Frage unbeachtlich sein muss, auf welche Weise ein Berufskrimineller zu seinem Job gekommen ist. cc) Funktionaler Schuldbegriff Heute wird mitunter ein spezifisch positiv generalpräventiver Schuldbegriff vertreten, der die Schuld als präventive Zuschreibung von Verantwortlichkeit bezeichnet.951 Eine solche Sichtweise kann die Gesinnungsmerkmale erklären, indem sie die Schuld mit Rücksicht auf die Normstabilisierung interpretiert. Verhaltensweisen, die dieser Stabilisierung abträglich sind, so eine mögliche Argumentation, müssen dann als falsch ausgewiesen werden; es wäre jedenfalls widersprüchlich sie mit einer Strafmilderung zu honorieren.952 949 SK-StGB/Horn, § 46 Rdnr. 43; Engisch, ZStW 61 (1942), S. 166 (176); Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 107. 950 Vgl. Moos, FS Pallin, S. 283 (289). 951 Jakobs, Schuld und Prävention, passim; vgl. ferner Gimbernat, ZStW 82 (1970), S. 379 (388 ff.); Noll, FS Mayer, S. 219 (233); Roxin, FS Henkel, S. 171 ff.; ders., FS Mangakis, S. 237 ff.; ferner Streng, ZStW 101 (1989), S. 274 (287 ff.). 952 Vgl. Lackner, FS Kleinknecht, S. 245, 250 ff.; Lenckner, in: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Band 1, S. 22; Schneider, Grund und Grenzen des strafrechtlichen
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(1) Für eine solche Sichtweise spricht zunächst einmal, dass auch auf dem Boden der herrschenden Meinung die Schuld vor dem Hintergrund des Willensfreiheitsproblems heute ohnehin weitgehend normativ interpretiert wird. Es kommt, so sagt man, auf das wirkliche Andershandelnkönnen nicht an, vielmehr sei ein Andershandelnsollen maßgeblich. Und dieses Sollen kommt freilich ohne eine normative Bewertung der in bestimmten Situationen vorliegenden motivatorischen Grundlage nicht aus.953 Zu der gängigen Schuldbewertung passt es deshalb auf den ersten Blick, wenn die normative Bewertung auf die Feststellung einer rechtsfeindlichen Haltung des Täters zurückgeführt wird.954 Eindeutig entfaltet die Einstellung eine gewisse Erklärungskraft für manche Entschuldigungsgründe. Eine im entschuldigenden Notstand begangene Tat stellt eine problematische Grundhaltung des Täters, der es durch Strafe zu widersprechen gilt, ebenso in Frage wie der Affekt. Ebenso ließe sich von den in § 20 StGB genannten Schulddefiziten behaupten, sie schlössen es aus, dass die Tat ihren Ursprung in einer rechtsfeindlichen Haltung hat. (2) Gleichwohl werden de lege lata Zweifel an einer funktionalen Interpretation der Schuld i. e. S. angemeldet. Der hauptsächliche Einwand lautet, dass die Schuld, wird sie selbst präventiv interpretiert, keine Grenze mehr gegenüber präventiven Erwägungen ziehen kann.955 Die freiheitssichernde Limitierungsfunktion der Schuld, von der in diesem Zusammenhang die Rede ist, bezieht jedoch das Unrecht nicht mit ein, sondern konzentriert sich maßgeblich auf die Schuld im engeren Sinne, genauer: den Aspekt der Vermeidemacht.956 Die Konsequenz ist, dass nicht nur Ansätze, die Strafbarkeitsvoraussetzungen jenseits der Schuldkategorie auf die Prävention zurückführen,957 der Kritik entzogen sind. Vielmehr Selbstbegünstigungsprinzips auf der Basis eines generalpräventiv-funktionalen Schuldmodells, S. 56 f. 953 Vgl. Schünemann, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, S. 153 (160 ff., 163); Dreher, Willensfreiheit, S. 58 f.; Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 233; Frisch, in: Emoções e Crime, S. 145 ff.; vgl. Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (274 f.); Schönke/Schröder/Lenckner/Eisele, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff. Rdnr. 118 m.w. N. 954 Vgl. Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 199; Streng, ZStW 101 (1989), S. 274 (280). 955 Bock, ZStW 103 (1991), S. 636 ff.; Cerezo Mir, ZStW 108 (1996), S. 9 (10 ff.); Hassemer, Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 219 ff.; Müller-Dietz, Grundfragen des strafrechtlichen Sanktionensystems, S. 21; Schünemann, in: Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, S. 149 (158); Stratenwerth, Die Zukunft des strafrechtlichen Schuldprinzips, S. 31; E. A. Wolff, ZStW 97 (1985), S. 786 (803 f.); Zipf, ZStW 89 (1977), S. 706 (711); Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 118 f. m.w. N.; LK-StGB/Rönnau, Vor § 32 Rdnr. 310. 956 Siehe schon oben B. II. 2. c) bb) a. E. 957 Schünemann, in: Strafrecht und Kriminalpolitik in Japan und Deutschland, S. 149 (157) in Bezug auf Roxin, FS Bockelmann, S. 279 (284 f.).
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werden auch solche Auffassungen nicht berührt, die die Schuld selbst mit strafschärfenden Faktoren anreichern, ohne dabei an der Relevanz und Notwendigkeit individueller Vermeidbarkeit zu rütteln.958 Es beschränkt sich die auf eine Limitierungswirkung abhebende Kritik an einer funktionalistischen Schuldinterpretation mithin auf denkbare Aufweichungen des Schuldprinzips i. e. S. Hingegen wird die Problematik von Gesinnungsmomenten im Rahmen der Schuld i. w. S. üblicherweise unter den Stichworten „Tatschuld“ oder „Tatstrafrecht“ auf einer anderen, übergeordneten Ebene diskutiert.959 Die an dieser Stelle interessierende Frage, ob (präventive) Gesinnungselemente freiheitsverbürgende Funktionen der Schuld i. e. S. aushöhlen können, ist gegenüber dieser weiter ausgreifenden Problematik aber ungleich enger. Die Gesinnung stellt nämlich hier nur dann ein Problem dar, wenn sie auf die Interpretation der Vermeidbarkeit Einfluss nehmen und diese relativieren kann. In Bezug auf solche Präventionstheorien, die schon mit Rücksicht auf die Schuld i. e. S. konzipiert sind, kann sich eine Auflösung einer etwaigen Limitierungsfunktion aber von vornherein nicht ergeben. Es liegt schon in der Konsequenz der Methode, dass die Schuld zwar „präventiv funktional, jedoch nicht präventiv funktionalisierbar“ ist.960 Das präventive Verständnis der Strafe auf Basis der hier vertretenen Konzeption lässt das „Bollwerk der persönlichen Freiheit“ denn auch unangetastet, insofern als Limitierungs- und Konstituierungsfunktion der Schuld miteinander einhergehen. An einer Infragestellung des Rechts fehlt es nämlich, wenn die Tat für den Täter unvermeidbar war.961 Wenn demnach die Kritik an einem präventiven Konzept der Schuld auf Basis der hier vertretenen Straftheorie nicht verfängt und auch einer Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen nicht widersprechen würde, bleibt die Frage, ob nicht andere Argumente aus abweichenden Schuldkonzeptionen der präventiven Verankerung von Gesinnungsmomenten in der Schuld (i. e. S.) entgegenstehen.
958 Vgl. Foth, NStZ 1990, S. 219 ff.; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 439 ff.; die limitierende Funktion der Vermeidemacht wird indes durchaus in Frage gestellt, wenn weitere (präventive) Aspekte nicht lediglich neben dieser Vermeidemacht angeführt, sondern so in den Schuldbegriff eingeführt werden, dass sie (wie möglicherweise im Fall der actio libera in causa nach dem sog. Schuldausnahmemodell) die Vermeidemacht überlagern oder verdrängen; vgl. für ein solches Konzept Streng, ZStW 101 (1989), S. 273 (306 f.). Auch wenn Streng betont, dass seine Sichtweise die Schuld nicht inhaltlich verändere (aaO., S. 293, 295), zeigt sich doch eine Auflösung der Limitierungsfunktion der Vermeidemacht deutlich in den Konsequenzen, die er für die Strafrechtsdogmatik, insbesondere im Hinblick auf die actio libera in causa, zieht (aaO., S. 308 ff.). 959 Dazu sogleich b) bb). 960 Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rdnr. 16 a. E. 961 Siehe oben B. II. 6. d) dd) (2).
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dd) Tatschuld Möglicherweise ergeben sich aus einem spezifischen Verständnis von Schuld i. e. S. als Tatschuld Argumente gegen eine Ergänzung um das Moment der Einstellung des Täters. Das Erfordernis der Tatschuld wird vor dem Hintergrund eines freiheitlichen Strafverständnisses verständlich. Dem Täter soll lediglich vorgeworfen werden, in der Tatsituation die Norm gebrochen zu haben.962 Aus diesem Grund soll sich die Schuldwertung nicht von ihrem Gegenstand, d.h. dem tatbestandlichen Unrecht, lösen. Die Tatschuld ist gerade Gegenbegriff zu dem Konzept der Lebensführungsschuld, das dem Schuldsachverhalt einen Unwertsachverhalt hinzufügt, der im Unrecht keine Entsprechung findet.963 Insofern begegnet das Erfordernis der Tatschuld nicht lediglich der Gefahr einer Aushöhlung der Vermeidbarkeit, die sich ergeben würde, wenn in Bezug auf in die Schuld integrierte Unwertsachverhalte eine (weitere) Vermeidbarkeitsprüfung entfiele. Vielmehr reicht das Erfordernis weiter und thematisiert auch die Berechtigung von Unwertsachverhalten, die sich von der gegenständlichen Tat lösen. Insofern betrifft sie also auch die Interpretation des Unrechts, was in einem weiteren Begriff: „Tatstrafrecht“ Ausdruck findet. Ob sich aus dem Hintergrund der Tatschuld deshalb auch schuldspezifische Aussagen, die nicht auch das Unrecht, betreffen herleiten lassen, erscheint deshalb fraglich. ee) Schuld i. e. S. – das Andershandelnkönnen Im Streit um die Auslegung der Schuldbegriffe jenseits und diesseits des Strafrahmens waren bislang keine Argumente erkennbar, die sich lediglich gegen eine Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen im Rahmen der Schuldwertung i. e. S. richten. Was dann noch übrig bleibt, sind strukturelle Argumente. Ein schwaches Argument ergibt sich daraus, dass das Andershandelnkönnen in der Regel nicht steigerbar ist. Auch Rechtfertigungsgründe sind nicht steigerbar und trotzdem wird nicht bezweifelt, dass sie in einer Bewertung der Rechtswidrigkeit aufgehen, die auch steigerbare Elemente enthält. Außerdem bleibt die Steigerbarkeit der Vermeidemacht unberührt, wenn das Gesinnungsmoment im Rahmen eines umfassenderen Schuldbegriffs neben die Vermeidemacht gestellt wird. Weil ferner auf dem Boden der personalen Handlungslehre alle Ansätze zur inhaltlichen Abgrenzung zwischen Unrecht und Schuld versagen964 und die (gegenständliche) „Rechtsgutsbezogenheit“ für ein Konzept der Infragestellung des 962 Siehe z. B. Keller, Rechtliche Grenzen der Provokation von Straftaten, S. 41 ff.; vgl. ferner Denninger, Rechtstheorie 24 (1993), S. 7 (13); Hörnle, GA 2006, S. 80 (90); Kolz, in: Jenseits des rechtsstaatlichen Strafrechts, S. 585; MünchKomm-StGB/Joecks, Einleitung Rdnr. 42 ff. 963 Vgl. Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 6 f. 964 Eingeh. Erhard, Die Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 194 ff.
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Rechts durch eine schuldhafte Tat nicht mehr Alleinstellungsmerkmal des Unrechts ist,965 dürfte sich ein stichhaltiges Argument dafür, Gesinnungsmerkmale beim Unrecht und nicht bei der Schuld einzuordnen, deshalb wohl nur noch aus der Gefahr ergeben, dass eine Anreicherung der Schuld die zentrale Funktion der Vermeidbarkeit auflösen oder verwässern könnte, die Mitwirkung an der freiheitlichen Ordnung des Rechts auf eine möglichst freiheitsschonende Art und Weise zu realisieren.966 b) Extensive Auslegung des Unrechtsbegriffs Einige Autoren vertreten eine Verankerung des Gesinnungsmoments im Unrecht.967 aa) Ideelles Unrechtsverständnis als straftheoretisch zwingende Konsequenz Frisch betont in einigen Beiträgen, das Unrecht dürfe nicht mit der üblichen Auslegung lediglich als gegenständlicher Rechtsgutsangriff, sondern müsse als ideelle Infragestellung des Rechts angesehen werden.968 Diese Sichtweise liegt auch in der Konsequenz des hiesigen Konzepts positiver Generalprävention. Demnach ist die Enttäuschung von Verhaltenserwartungen nicht hinreichend beschrieben als ein gegenständlicher Angriff auf strafrechtlich geschützte Rechtsgüter, weil sich die eigentliche Infragestellung oder Erschütterung der zwar letztlich auf „gegenständliche“ Freiheit bezogenen Norm auf einer ideellen Ebene vollzieht. Denn für die Erschütterung des Rechtsbewusstseins, den Schaden, den ein Rechtsbruch jenseits des nach dem Zivilrecht auszugleichenden gegenständlichen Schadens an konkreten Gütern verursacht, kann allein ein ideelles Verständnis eine Erklärung bieten.969 Aus diesem Grund ist der Aussagegehalt einer Straftat nach dem objektiven Empfängerhorizont zu beurteilen. Ein solches Ver965 Dieses für Erhard, Die Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 201 entscheidende Argument ist jedenfalls im Lichte einer Theorie der Infragestellung nicht ausschlaggebend. Belegt wird das schon dadurch, dass auf dem Boden eines streng axiomatisch entwickelten Strafkonzepts die Unterscheidung zwischen Unrecht und Schuld nicht mehr als zwingend erscheint, vgl. MünchKomm-StGB/Freund, Vorbemerkung zu den §§ 13 ff. Rdnr. 134, 247; Pawlik, FS Otto, S. 133 ff. 966 Frisch, FS Müller-Dietz, S. 237 (249). 967 LK-StGB/Theune, § 46 Rdnr. 5; Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 603 ff.; Frisch, FS Müller-Dietz, S. 237 (251 ff.); ders., Festgabe BGH, S. 289 (290 f.); ders., ZStW 99 (1987), S. 349 (383 ff.); Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 213 ff.; vgl. ferner Lang-Hinrichsen, FS Engisch, S. 353 ff.; Schmidhäuser, Lehrbuch, S. 659; und zu der Einordnungsfrage der Beweggründe in der Straftatdogmatik ausf. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 143 ff. mit weiteren Nachweisen in Anm. 1 (S. 143). 968 Frisch, FS Müller-Dietz, S. 237 (252 ff.). 969 Eingeh. Müller-Dietz, GA 1983, S. 481 (483 ff.).
III. Die Schuldrelevanz der Einstellung des Täters zu seiner Tat
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ständnis muss den Rechtsbruch von seiner gegenständlichen Konkretheit abstrahieren und den Angriff auf die abstrakt-generelle Norm beziehen. Zwar käme mit derselben Argumentation auch eine Ergänzung der Kategorie Schuld in Frage. Allerdings kann die Einordnung beim Unrecht besser mit der Steigerbarkeit umgehen, die der Einstellung des Täters zu seiner Tat nach der Strafzumessungspraxis zukommen soll. Darüber hinaus droht sie nicht die autonomiewahrende Funktion der Vermeidemacht zu verwässern. Gleichwohl könnten gegen eine Einordnung der Einstellung beim Unrecht einige Bedenken Platz greifen. bb) Loslösung vom Tatstrafrecht Auf den ersten Blick erscheint die Berücksichtigung einer Haltung, die mit der strafbaren Tat in einem lediglich genetischen Zusammenhang steht, ebenfalls als Loslösung von einem Tatstrafrecht. Der Gedanke an ein unzulässiges Gesinnungsstrafrecht970 wird bei einer Einordnung von Gesinnungselementen bei dem Unrecht sogar besonders deutlich. Die Gesinnung wird dadurch nämlich unmittelbar als eine Erwartung konterkarierend problematisiert, die der auf den Schutz konkreter gegenständlicher Werte bezogenen Verhaltenserwartung augenscheinlich gleichsteht.971 Das Haben einer bloßen Gesinnung darf aber in einem freiheitlichen Rechtsstaat nicht ebenso verboten sein wie äußerlich freiheitsminderndes Verhalten.972 (1) Über dieses Bedenken versucht namentlich die Rechtsprechung mit der sog. Indizkonstruktion hinwegzukommen. Gefordert ist nach der Indizkonstruktion ein spezifischer Zusammenhang des Vortatverhaltens zu dem begangenen Delikt. Problematisch ist dabei aber die Begründung des Zusammenhangs, wenn es an rechtlich relevanten Maßstäben fehlt, an denen sich das Vortatverhalten messen lässt. Bezeichnenderweise problematisiert die Rechtsprechung die Frage des spezifischen Zusammenhangs in der Regel dann nicht, wenn dieser zwanglos aus dem jeweils maßgeblichen rechtlichen Maßstab folgt. Das Überwindungsmodell bietet dafür ein gutes Beispiel. Die Warnwirkung einer Vorstrafe soll ein Faktor sein, der über das Ausmaß des Andershandelnkönnens entscheidet und das stellt zugleich die Begründung für den Zusammenhang dar, den die Indizkonstruktion fordert. Ebenso ist die Tatvorbereitung Indiz für die Tatschwere, insofern sie auf das Ausmaß der Gefährlichkeit der Tat Einfluss nimmt. Der Zusam-
970 Vgl. zu dem herrschenden freiheitlichen Grundverständnis des Strafrechts, Marx, Zur Definition des Begriffs „Rechtsgut“, S. 24 ff., 38 ff.; Müller-Dietz, Strafe und Staat, S. 12; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 339 ff.; Timm, Gesinnung und Straftat, S. 38 ff. 971 Vgl. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 161. 972 Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 110 ff. m.w. N.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
menhang zur Schuld folgt auch hier schon aus dem relevanten Maßstab (Gefährlichkeit der Tat) und insoweit bedarf es einer Indizkonstruktion nicht weniger als sonst bei der Subsumtion bzw. der graduellen Bewertung im Rahmen der Strafzumessung. Geht es aber um die allgemeine Haltung des Täters, seine Einstellung zur Tat, kann die Relevanz dieses Faktors nicht einfach mit irgendeinem (im Kern kriminologischen) Zusammenhang erklärt werden; stattdessen muss begründet werden, warum das Vortatverhalten gerade mit der Schuld i. w. S. im Zusammenhang stehen und auf deren Höhe Einfluss nehmen soll. Weil die Indizkonstruktion diese Frage offenlässt, gelingt es ihr nicht, die Relevanz von Gesinnungsmerkmalen im Rahmen der Strafzumessung positiv zu begründen. (2) Freiheitstheoretische Bedenken gegen die Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen kann nicht mit einer bloß losen Anknüpfung an das positive Recht und an Tatbestände begegnet werden, sondern nur mit einer tieferen Betrachtung, die die hinter diesem Recht stehenden Wertungen aufgreift. Diese Betrachtung muss zu dem Ergebnis führen, dass der Rechtsbruch nicht auf eine gegenständliche Interpretation reduziert werden kann, sondern überhaupt erst in seiner ideellen Dimension als freiheitsrelevante Enttäuschung von Vertrauen aufgehen kann. Erst diese ideelle Ebene realisiert den letztlich relevanten realen Schaden an äußerer Freiheit, dem ein Strafrecht begegnen kann und muss, ohne dabei freiheitstheoretischen Bedenken ausgesetzt zu sein.973 Nochmals sei zur Verdeutlichung eine Parallele zum Vorsatz gezogen, in Bezug auf den sich ganz entsprechend mit den Einwänden gegen ein Gesinnungsstrafrecht argumentieren ließe. Denn die Relevanz des Vorsatzes für das Strafmaß ist im Angesicht der gegen die Gesinnungsmerkmale angeführten Argumente mindestens ebenso problematisch. Es wird aber nirgendwo ernstlich bezweifelt, dass der Vorsatz beachtlich ist, sofern er nur in die Tat umgesetzt wurde.974 Der Vorsatz ist zwar derart konkret auf den Rechtsgutsangriff bezogen, dass er der Handlung objektiv Struktur und Sinn gibt975 und eine solch enge Verbindung zum gegenständlichen Angriff weisen weder die Motive und noch weniger die allgemeine Einstellung des Täters auf. Vor dem Hintergrund des ideellen Angriffs auf das Recht haben Vorsatz und Haltung jedoch entscheidende Gemeinsamkeiten. Wie der Vorsatz sind die Beweggründe ohne die Tat schlecht vorstellbar, und haften dieser denklogisch unmittelbar an. Entscheidend ist aber letztlich, dass sich sowohl die Beweggründe als auch Vorsatz und Fahrlässigkeit als Faktoren verstehen, die über das Ausmaß der intellektuellen Infragestellung des Rechts durch die Tat Aus973 Vgl. Köhler, Strafrecht AT, S. 170; Kelker, Zur Legitimität von Gesinnungsmerkmalen im Strafrecht, S. 466 ff. 974 Vgl. Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 155 f. 975 Welzel, Das neue Bild des Strafrechtssystems (1961), S. 13; Kindhäuser, ZStW 96 (1994), S. 1 (16 ff.); vgl. auch Erhard, Strafzumessung bei Vorbestraften unter dem Gesichtspunkt der Strafzumessungsschuld, S. 200 ff.; Hörnle, Tatproportionale Strafzumessung, S. 262 f.; dies., in: Tatproportionalität, S. 99 (118).
IV. Zum Verhältnis ideeller und gegenständlicher Unrechtselemente
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kunft geben. Deshalb dürfte der mit dem Schlagwort Gesinnungsstrafrecht vorgebrachte Einwand gegen eine Berücksichtigung der Beweggründe im Unrecht nicht verfangen. Das Gleiche muss dann aber auch für die allgemeine Haltung des Täters gelten, sofern diese nicht den Bezug zur Tat verliert und einem vulgären Moralisieren Tür und Tor öffnet.976 Insofern trifft dann die Indizkonstruktion im Ergebnis letztlich doch den maßgeblichen Punkt: Weder die Faktoren, die über Einstellung, Haltung, Gesinnung, kriminelle Energie usw. Auskunft geben, noch diese Begriffe selbst sind für sich genommen relevant. Maßgeblich ist allein die graduelle Ausprägung des mit der Tat kommunizierten ideellen Widerspruchs zur Normgeltung.
IV. Zum Verhältnis ideeller und gegenständlicher Unrechtselemente Gleichwohl bringt ein gegenständliches Verständnis von Unrecht auch einen Gedanken zum Ausdruck, der im Kern berechtigt ist und auch im hiesigen Konzept Berücksichtigung einfordert. Letztlich ist auch für eine ideelle Konzeption des (verschuldeten) Unrechts die Erwartung in Bezug auf reales (gegenständliches) Verhalten in Bezug auf ganz konkrete und fassbare Güter der Dreh- und Angelpunkt.977 Ein ideelles Verständnis von Vorsatz, Beweggründen, Einstellung und Haltung lässt sich also nur rechtfertigen, wenn der Bezug zu diesem erwarteten äußerlichen Verhalten dargelegt ist. Wenn ideelle Elemente überhaupt erst ihren Sinn aus den realen Freiheitseingriffen beziehen, die durch Strafe auszuräumen sind, dann impliziert das, dass solche Elemente den Wert dieser gegenständlichen Erwartungen, um deren Absicherung es geht, auch nicht zu steigern imstande sind. Vielmehr müssen sie in Bedeutung und Gewicht an das gegenständliche Unrecht gebunden sein.978 Das Problem tritt deutlich zu Tage in der Diskussion um kurze Freiheitsstrafen bei Bagatelldelikten. Hier spricht auch das Rechtsgefühl entschieden dagegen, die Bedeutung eines geringfügigen Verstoßes gegen strafrechtliche Ge- oder Verbote, gegen die strafrechtliche Norm als Verhaltenserwartungen mit ideellen Wertungen grenzenlos zu steigern und sprichwörtlich aus einer Mücke einen Elefanten zu machen. Deshalb muss der Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen im Rahmen einer Strafmaßbegründung, die auf eine quantitative Bewertung der ideellen Infragestellung des Rechts abhebt, Grenzen gesetzt sein.
976 Bruns, Strafzumessungsrecht, S. 211; Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (783); Schäfer/Sander/v. Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, Rdnr. 614. 977 Gallas, FS Bockelmann, S. 155 (159); Jakobs, System der strafrechtlichen Zurechnung, S. 14. 978 Vgl. Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (767 ff.).
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Welche Rolle das gegenständliche Unrecht gegenüber ideellen Elementen spielt, ist eine bislang wenig erörterte Frage. 1. Gesinnungselemente als konkretisierende Faktoren der von dem gegenständlichen Normbruch umrissenen Infragestellung des Rechts Faktoren, die die Frage betreffen, inwiefern die Motivation des Täters eine vernünftige Grundlage hatte, die dem Prinzip rechtlicher Freiheit, wie sie in den Strafrechtsnormen Ausdruck findet, zuwiderlaufen, stehen in einem schwierig zu bestimmenden Verhältnis zueinander. Als gesichert gelten kann lediglich, dass der Wert der enttäuschten Verhaltenserwartung, d.h. der Wert des gefährdeten Rechtsguts und die Intensität des Rechtgutsangriffs (dem Gewicht der Tat) ergibt,979 den Ausgangspunkt und regelmäßig auch die entscheidende Weichenstellung für die Bewertung der Infragestellung darstellt. a) Ideelle Elemente im Bereich des Vorsatzes Die Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit, die Vorsatzformen und der bei der Tat aufgewendete Wille sind auf diese im Kern gegenständlichen, den konkreten Angriff auf werthafte Freiheitspositionen betreffende Erwartungen bezogen und können deshalb schon strukturell die ideelle Infragestellung des Rechts durch die äußere Straftat nicht auf ein Maß steigern, das den relativen Wert der enttäuschten Verhaltenserwartung für die Sicherheitsbedürfnisse der Gemeinschaft übertrifft. Dieser Gedanke mag durch sich überschneidende Strafrahmen verdeckt sein, wird aber doch in eindeutigen Konstellationen augenfällig. So kann z. B. eine vorsätzliche Sachbeschädigung nicht schwerer wiegen als eine fahrlässige Tötung. Auch umgekehrt erscheint es nicht richtig, wenn das Gewicht der Tat nicht auch der Berücksichtigung des aufgewendeten Willens nach unten Grenzen setzen würde. Sonst dürfte es theoretisch nicht ausgeschlossen sein, dass jemand, der sich nur schwer dazu durchringen konnte, einen Ferrari zu stehlen, mit einer geringeren Strafe belegt wird als derjenige, der fest entschlossen eine Milchschnitte im Wert von 50 Cent stiehlt. Eine Begründung für entsprechende Grenzen könnte das Gesetz von der Grenzwertbestimmung bieten. Der Grenzwert eines ideellen Verstoßes gegen das Recht könnte nicht erst durch genuin ideelle Elemente des Unrechts, sondern schon durch den gegenständlichen Angriff überschritten werden. Die These wäre dahingehend zu formulieren, dass die ideelle Infragestellung schon durch die Kategorien der Straftatsystems und mithin auch 979
Vgl. Schünemann, Neuere Tendenzen der Kriminalpolitik, S. 209 (225 f.).
IV. Zum Verhältnis ideeller und gegenständlicher Unrechtselemente
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durch das gegenständliche Unrecht umrissen wird: Liegt schuldhaftes Unrecht vor, so liegen dem immer auch in solchem Maß problematische Gründe und eine innere Abkehr vom Geltungsgrund des Rechts zu Grunde, dass im Ergebnis von einer strafrechtsrelevanten Überschreitung des Grenzwerts der Infragestellung ausgegangen werden kann.980 Das gegenständliche Unrecht muss dann der Vorsatzwertung mithin sowohl nach oben als auch nach unten Grenze ziehen. Abstufungen des Vorsatzes und der bei der Tat aufgewendete Wille können mithin nur im Rahmen eines Spielraums von Strafquanten berücksichtigt werden, der nach der Intensität des Rechtsgutsangriffs zu bemessen ist. b) Ziele und Beweggründe Ob auch die Ziele und Beweggründe von dem Gewicht der Tat begrenzt werden, ist fraglich. Das geltende Strafrecht erkennt zwar augenscheinlich nur ausnahmsweise Beweggründe und Ziele an, welche die Strafbarkeit begründen (etwa die Aneignungsabsicht in § 242 Abs. 1 StGB). Die Strafbarkeit kann jedoch in jedem Fall an Beweggründen und Zielen im Rahmen der Rechtswidrigkeit (Erlaubnistatbestandsirrtum) sowie bei Entschuldigungsgründen (§ 35 Abs. 2 StGB) scheitern. Dies bedeutet aber nicht, dass es letztlich nur auf die Vorstellungen und Ziele des Täters ankommt und sich die Bedeutung des Vorsatzes (und seiner Formen) in einer Indizwirkung für die letztlich nach den Beweggründen bemessene Infragestellung des Rechts erschöpft. Denn zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit besteht wertungsmäßig auch dann ein Unterschied, wenn dieselben Beweggründe vorliegen.981 Weil es jedoch Gründe gibt, die die Strafbarkeit unabhängig von der Unterscheidung zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit gänzlich ausschließen und mithin eine Unterschreitung des Grenzwerts der Infragestellung begründen,982 dürfte die Verwertung der Beweggründe nicht im gleichen Maß an das Gewicht der Tat gebunden sein wie der Vorsatz und seine Ausprägungen. Wenn der Gesetzgeber nämlich eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vorsieht, kann der (fehlende) Vorsatz die 980 So interpretiert im Ergebnis denn auch Gallas den „Gesinnungsunwert“ der Tat in: ZStW 67 (1955), S. 1 (45); vgl. auch ferner Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, S. 385. 981 Beispiele: A verletzt B im Straßenverkehr aus Zeitnot fahrlässig/mit bedingtem Vorsatz; A tötet den B aus Langeweile fahrlässig/mit Absicht. 982 Ein Grenzwert auf der Ebene der Beweggründe und Ziele stellt auch der sog. Erlaubnistatbestandsirrtums dar. Zur Verdeutlichung sollen zwei Fälle gegenüber gestellt werden. Im ersten Fall verletzt der Täter im Erlaubnistatbestandsirrtum sein Opfer vorsätzlich. Nach der Literatur entfällt hier die Strafbarkeit, wenn sich nicht in Bezug auf den Irrtum selbst eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit begründen lässt. Im zweiten Fall verletzt der Täter im Erlaubnistatbestandsirrtum sein Opfer fahrlässig. Lässt sich in Bezug auf den Irrtum eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nicht begründen, kann hier freilich ebenfalls keine Strafbarkeit angenommen werden. Denn ein anderes Ergebnis wäre wertungswidersprüchlich.
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
Strafwürdigkeit im Gegensatz zu den Beweggründen gerade nicht auf Null reduzieren. Möchte man diesem Unterschied Rechnung tragen, bleiben für die Verwertung der Beweggründe strukturell zwei Alternativen denkbar. Entweder sind sie mit Auf- und Abschlägen zu verwerten oder sie konstituieren ähnlich der Schuld einen Faktor, mit dem das Gewicht der Tat einschließlich des Handlungsunrechts multipliziert wird, in dessen Licht also jenes als mehr oder weniger gering erscheinen kann. Weil Aufschlägen entgegensteht, dass die Beweggründe ebenfalls nicht den Wert der gebrochenen Verhaltenserwartung steigern können, liegt nahe, der zweiten Alternativen zu folgen und dabei das Gewicht der Beweggründe in Abhängigkeit von der Tatschwere im Übrigen zu bewerten, sodass die Beweggründe – ob relativ zu einem zu bestimmenden „Normalfall“ mildernd oder schärfend – umso mehr ins Gewicht fallen je schwerer die Tat ausfällt. Dem entspricht es, die Spannbreite von Strafquanten unter dem Aspekt der übrigen Unrechtsfaktoren in Abhängigkeit zur Tatschwere unterschiedlich zu bemessen. Die Beweggründe können dann innerhalb des mehr oder weniger großen Rahmens berücksichtigt werden.983 c) Die rechtsfeindliche Einstellung Die allgemeine Haltung schließlich stellt ebenfalls ein Bewertungskriterium des Unrechts dar. Anders als die Beweggründe muss es jedoch an die Vorwertung des verschuldeten Unrechts gebunden sein. Das ergibt sich daraus, dass eine Strafbarkeit auch dann nicht ausgeschlossen ist, wenn über die allgemeine Haltung des Täters überhaupt nichts bekannt wird. Zu erklären ist dies vor dem Hintergrund des hiesigen Konzepts nur mit einer Indizwirkung des verschuldeten Unrechts.984 Ist verschuldetes Unrecht gegeben, liegt damit auch immer ein mehr oder weniger gewichtiger Verstoß des Täters gegen das Prinzip gegenseitiger Anerkennung vor. Es wird unwiderleglich vermutet, dass der Täter stattdessen sein eigenes Prinzip als verhaltensleitend anerkannt hat. Andernfalls wäre wohl ohnehin nicht erklärbar, warum ein Vernünftiger eine Norm überhaupt brechen würde.985 983 Eine abweichende Sichtweise legen u. a. Frisch, ZStW 99 (1987), S. 751 (767 ff.) und Timm, Straftat und Gesinnung, S. 157 ff.: Gesinnungsmerkmale sollen nur strafmildernd in Betracht kommen. Hintergrund dafür ist der auch hier zu Grunde gelegte Ausgangspunkt, dass eine Berücksichtigung von Gesinnungsmerkmalen in der Strafzumessung nicht den Bezug zur Tat und dem Wert der ihr zugrunde liegenden Verhaltenserwartung verlieren darf. Allerdings lässt sich eine „Vollform“ einer rechtsfeindlichen Einstellung nicht ebenso begründen wie die Vollform der Schuld. Die Vollform der Schuld ergibt sich nämlich nicht zuletzt schon aus dem normativen Freiheitspostulat [vgl. oben III. 3. b)] und damit aus einer Erwägung, die von der Bezogenheit auf die Verhaltensnorm grundsätzlich unabhängig ist. 984 Siehe oben a). 985 Im Ergebnis (Berücksichtigung des Vor- und Nachtatverhaltens innerhalb des Spielraums) ebenso Schaffstein, FS Gallas, S. 99 (112); Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 34.
IV. Zum Verhältnis ideeller und gegenständlicher Unrechtselemente
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d) Schuld i. e. S. Im Unterschied dazu kennt das Andershandelnkönnen in seinem Gewicht überhaupt keine Abhängigkeit zu den Vorwertungen. Vielmehr ist es ein Faktor zur Bewertung zumindest der gegenständlichen Unrechtskomponente. Die Prüfung einer Vermeidmacht bezieht sich allerdings nur auf die im Tatzeitpunkt maßgebliche Entscheidung gegen das Recht. Demgegenüber dürfte die Schuldprüfung überstrapaziert werden, wenn man sie auch auf die ideellen Momente des Unrechts erstreckt. Auf die Frage, ob eine bestimmte Haltung, die dem Prinzip wechselseitiger Anerkennung widerspricht, vermeidbar war oder nicht, kann es jedenfalls nach dem hier zu Grunde gelegten Konzept nicht ankommen. Liegt aber eine Vermeidemacht der Tat im Tatzeitpunkt nicht vor, interessieren nach herkömmlicher Auffassung auch Beweggründe und Haltung nicht mehr. Deshalb wirken sich sämtliche Merkmale, die hier dem Unrecht zugeordnet wurden, nicht auf die Schuldwertung als Vermeidbarkeitsprüfung aus. Darüber hinaus gibt es im Rahmen der Schuld i. e. S. nur eine Bewertungsrichtung, die nach unten nicht begrenzt ist. Die Vermeidemacht jedenfalls ist damit im Verhältnis zum Unrecht ein Multiplikationsfaktor kleinergleich eins. 2. Umsetzung a) Schrittweise Konkretisierung des Strafmaßes Nach alldem liegt nahe, die Konkretisierung des Strafmaßes als eine schweremäßige Bewertung der Infragestellung des Rechts in verschiedenen Schritten zu leisten.986 Eingangs muss nach der Bedeutung der verletzten Verhaltenserwartung im konkreten Einzelfall gefragt werden (1. Schritt). Im Anschluss daran ist zu fragen, inwiefern sich der Täter gegen das Bezugsobjekt der Verhaltenserwartung (das Rechtsgut oder allgemeiner unter Berücksichtigung auch der Rechtfertigungsgründe: die rechtliche Freiheitsordnung) entschieden hat; diese Frage betrifft vor allem den Vorsatz und seine Differenzierungen (2. Schritt). Anschließend muss geklärt werden, ob das zuvor grob bestimmte Strafmaß im Lichte der Vorstellungen und Ziele des Täters (nach oben oder unten) durch Verschieben des im 2. Schritt bestimmten Rahmens korrigiert werden muss (3. Schritt). Sodann ist zu entscheiden, in welchem Ausmaß das Prinzip des Täters als verhaltensleitend von demselben akzeptiert wird und das Ergebnis mit einer weiteren Präzisierung der sich aus den Wertungen nach dem 1. und 2. Schritt konkretisierten Spannbreite an Strafquanten veranschlagt wird (4. Schritt: Haltung).987 Sodann kommt 986
Vgl. Frisch, 140 Jahre GA, S. 1 (32 ff.); ders., in: Tatproportionalität, S. 155 (174). Vgl. zu einem in seiner Struktur ähnlichen mehrstufigen Konzept, das die Schuld in ihre Bestandteile zerlegt, schon auf der Ebene der Verbrechenslehre Roxin, Strafrecht AT, Band 1, § 19 Rdnr. 1 ff.; ders., aaO., § 3 Rdnr. 37 ff. 987
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E. Die Zumessungsrelevanz des Vor- und Nachtatverhaltens
eine Korrektur der Ergebnisse (lediglich nach unten) unter dem Aspekt des Andershandelnkönnens in Betracht (5. Schritt). Der zweite Schritt konkretisiert den ersten, der vierte den zweiten. Die zuvor gewonnenen Ergebnisse müssen hier als Ausgangsgröße in die nächste Stufe übernommen werden, sodass die jeweils nächste Stufe in ihrem Gewicht von der vorangehenden begrenzt werden kann. Der dritte und fünfte Schritt verschieben den Rahmen, der fünfte Schritt unbegrenzt nach unten, der dritte begrenzt in beide Richtungen. Zusammenfassend: Die Strafzumessung versteht sich als ordinale Skalierung der Infragestellung des Rechts. 1. Das Gewicht der Tat und die Intensität des Angriffs stellen den Einstieg in die Strafrahmenkonkretisierung dar. 2. Der bei der Tat aufgewendete Wille (Vorsatzdelikt) präzisiert die sich aus dem ersten Schritt ergebende Wertung. 3. Beweggründe, Vorstellungen und Ziele des Täters stellen Faktoren dar, die nach 1. und 2. erfolgte Wertung in einem günstigeren oder milderen Licht erscheinen lassen. 4. Die Haltung des Täters zu dem Prinzip wechselseitiger Anerkennung kann, soweit sie seiner Tat zu Grunde lag, in den Grenzen des nach 1. und 2. bestimmten Rahmens eine weitere Präzisierung des Strafmaßes leisten. 5. Das Andershandelnkönnen als Aspekt der Schuld im engeren Sinne kann die Einordnung nach 1., 2. und 3. nach unten bis auf Null verschieben. Für den ersten, zweiten und vierten Schritt gilt dabei: • Die jeweils nächste Stufe ist zum einen durch die vorangehenden Stufen nach oben begrenzt: Der Diebstahl einer Milchschnitte durch einen Wiederholungstäter, der der Auffassung ist, nur ihm gebührten die Vorteile des Rechts auf Eigentum, kann nicht den Wert der konkret verletzen Freiheitsposition steigern. • Die vorangegangene Stufe setzt auch eine Grenze nach unten: Ein vorsätzlicher Angriff auf das Rechtsgut Leben kann nicht angesichts der allgemeiner Haltung das mit der Tat ohne eine Reaktion einhergehende Ausmaß knechtischer Anerkennung geringer erscheinen lassen als eine vorsätzliche Sachbeschädigung. b) Spielraumtheorie Eine schrittweise Konkretisierung der ideellen Infragestellung des Rechts lässt sich in der Strafzumessung mit den Prämissen der Spielraumtheorie realisieren.
IV. Zum Verhältnis ideeller und gegenständlicher Unrechtselemente
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Die Ausgangsgrößen (1. Schritt) der ideellen Infragestellung zeichnen nur ein ungenaues Abbild der Infragestellung. Das entspricht einem Spielraum von Strafquanten, der mit weiteren, feineren Maßstäben (der Infragestellung) weiter präzisiert werden kann. Auf der jeweils nächsten Stufe ergibt sich ein weiterer, engerer Spielraum, der dann mit spezifischeren Überlegungen ausgefüllt werden muss. Auf diese Weise lässt sich die Strafe unter Einbeziehung aller für das Ausmaß der Infragestellung relevanten Faktoren bis hin zu einer Punktstrafe konkretisieren – ohne dabei auf in Einzelfällen ohnehin nicht immer ersichtliche präventive Erwägungen abstellen zu müssen. Im Gegensatz zu dem Spielraumkonzept der herrschenden Meinung sind die Rahmen und Spielräume, die weiterer Konkretisierung bedürfen, hier allerdings kein zufälliges Phänomen, das der Begrenztheit richterlichen Erkenntnisvermögens geschuldet ist. Vielmehr sind sie dem hiesigen Konzept einer schrittweisen Strafhöhenbestimmung schon theoretisch immanent. Dem entspricht es, dass die Ausfüllung des Spielraums nicht mehr mit schuldfremden Kriterien erfolgt, sondern mit nur mit solchen, die die Schuld – verstanden als Infragestellung des Rechts – selbst konkretisieren. Im Ergebnis werden die Abweichungen zur Praxis der Strafzumessung demgegenüber begrenzt sein. Denn, wie sich gezeigt hat, laufen die präventiven Erwägungen, mit denen die Rechtsprechung den Spielraum ausgefüllt sehen will, ohnehin mit der Schuldwertung nach dem hiesigen Verständnis häufig parallel.988
988 Vgl. Stratenwerth, Tatschuld und Strafzumessung, S. 24; differenzierend Schöneborn, Die regulative Funktion des Schuldprinzips, GA 1975, S. 272 (278).
F. Schlussbetrachtung 1. Als ein wesentliches Ergebnis dieser Arbeit ist festzuhalten, dass die traditionelle Strafzumessungslehre bis heute in ihrer Kernaussage Zustimmung verdient. Strafzumessungstatsachen finden ihre Fundierung letztlich allein in einer Straftheorie. Die zu Grunde zu legende Straftheorie jedoch ergibt sich nicht aus der Summe aller möglichen und denkbaren Zwecke der Strafe, sondern nur aus demjenigen Konzept, das auch der Verbrechenslehre zu Grunde liegt. Die Verbrechenslehre ist hier aber noch mehr als nur ein Hinweis auf die „richtige“ und maßgebliche Theorie des Strafens. Sie konkretisiert diese Theorie maßgeblich aus, sodass die Strafzumessung daran anknüpfen kann. Dadurch leistet sie letztlich einen wichtigen Beitrag zur Transformation einer allgemeinen Theorie des Strafens zu einer Strafzumessungstheorie. Die traditionelle Lehre hat diesen dogmatischen Schritt zur Präzisierung der Straftheorien ausgelassen. An seine Stelle trat ein buntes Potpourri straftheoretischer Erwägungen, die in schiefe, weil den Kern der Sache nicht treffende, Strukturen gefasst waren. Die moderne maßgeblich auf Frisch zurückgehende Lehre hat diese Defizite bereinigt und den theoretischen Ansatz der traditionellen Lehre auf eine Weise ergänzt, die die Strafzumessungsentscheidung dogmatisch greifbarer gemacht hat. Nicht die „Strafzumessungsrealien“, sondern die Verbrechenslehre, d.h. die Merkmale des Tatbestands, der Rechtfertigung und der Schuld so wie sie durch die Straftatdogmatik gezeichnet werden, gibt das Material, unter dem mit den Worten Spendels die Straftheorie zu entwickeln und mit den Worten Bruns zu aktualisieren ist. 2. Welche Konsequenzen die Konkretisierung „der Grundlage der Strafzumessung“ anhand der Verbrechenslehre für die Strafzumessung hat, ist freilich nicht unabhängig von der Antwort auf die Frage nach dem straftheoretischen Hintergrund der strafhöhenrelevanten Aussagen der Verbrechenslehre, d.h. der theoretischen Fundierung der straftatdogmatischen Unrechts- und Schuldschwererelevanz, und ihrer weiteren Entwicklung hin zu einer Strafzumessungstheorie. Welche Straftheorie hinter der Maßgeblichkeit der Unrechts- und Schuldschwere steckt ist eine schwierige und umstrittene Frage, deren Beantwortung aber für die Strafzumessung von entscheidender Bedeutung ist. Die Antwort dieser Arbeit geht von einer strukturierten Kombination verschiedener Ansätze aus, die ein der Strukturierung der Strafzumessung abträgliches eklektizistisches Durcheinander vermeiden soll. Dazu legt sie einen – von Jakobs herausgestellten – generalpräventiven Rahmen zu Grunde und füllt ihn mit dem
F. Schlussbetrachtung
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freiheitstheoretischen Konstrukt einer (modernen) absoluten Theorie aus. Der legitimatorisch unabdingbare präventive Hintergrund des Strafens liegt demnach in der Stabilisierung von Normerwartungen. Die Art und Weise dieser Stabilisierung wird nicht (allein) durch das präventive Ziel bestimmt, sondern maßgeblich durch das, was Strafe als Antwort auf eine Straftat begrifflich ausmacht. Strafe wird im Ergebnis als Realisierung des freiheitlichen Geltungsgrunds der Norm verstanden. Der präventive Rahmen wiederum zwingt dazu, dass die Realisierung des Geltungsgrundes auch vermittelt wird. Weil diese Vermittlung nur über die Vernunft erfolgen kann, kommt das Konzept letztlich ohne die freiheitstheoretisch und empirisch problematische Annahme aus, Strafe würde auf potentielle Delinquenten motivatorisch Einfluss nehmen. Vom präventiven Hintergrund löst sich die im Kern absolute Begründung dadurch freilich nicht, weil die Strafe immer noch die real fassbare Stabilisierung der Norm leisten soll. Sie leistet das allerdings auf eine ganz bestimmte – freiheitsschonende – Weise, indem sie es der Autonomie der Bürger überlässt, den (durch Strafe realisierten) Geltungsgrund der Norm in eine ihren Anschauungen entsprechende Gestaltung der Lebenswirklichkeit umzusetzen. Der für die freie Willensbildung nach den Maßstäben der Rechtsordnung wesentliche Geltungsgrund der Norm wird von der Strafe nach dem hiesigen Konzept nicht lediglich nachvollzogen, sondern von ihr in die Lebenswirklichkeit umgesetzt. Auf dieser Ebene geht es nicht um eine Kommunikation, sondern um die Realisierung des normativ statuierten Zusammenhangs zwischen Unfreiheit und Normbruch, um die Auflösung des performativen Widerspruchs zur Optimierung von Freiheit. Wenn eine Reaktion der Rechtsgemeinschaft auf eine Straftat ausbleibt, bleiben letztlich reale und gegenständlich greifbare Gründe aus, an die eine autonome Willensbildung anknüpfen kann und muss. Auf das „Geben“ von greifbaren Gründen, die letztlich in Nachteilen für den Täter zum Ausdruck kommen, kann die Norm nicht verzichten, wenn sie nicht nur ein intellektuelles Konstrukt sein möchte, sondern inhaltlich reale Geltung beansprucht. Insofern hat dasjenige einen richtigen absoluten Kern, das im motivatorisch-präventiven Gewand als Abschreckung begegnet. Eine Straftat stellt sich erst in Verbindung mit dem Ausbleiben einer nachteiligen Reaktion als Infragestellung des Rechts dar. Sie entzieht dem freiheitlichen Prinzip wechselseitiger Anerkennung den Boden, sodass mit den Worten Pawliks der Zusammenhang von (realer) Freiheit und Pflicht konterkariert werden würde. Das auf wechselseitige Selbstbeschränkung beruhende normativ statuierte Freiheitsgefüge und mithin der rationale Geltungsgrund der Norm, der gerade über die Gedankenwelt hinauszureichen beansprucht und reale Freiheiten optimieren will, würde sich ohne Strafe nicht in die Lebenswirklichkeit vollziehen. Freilich ist diese Realisierung durch Strafe nicht Selbstzweck. Sie soll als Grund für rechtstreues Verhalten jedermann sicht- und einsehbar sein und insofern eine präventive Schutzaufgabe erfüllen.
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F. Schlussbetrachtung
3. Aus der Verbrechenslehre ergibt sich schon ungeachtet theoretischer Fragen eine Vielzahl von anknüpfungsfähigen Bewertungsmaßstäben für die Strafzumessung. Diese ließen sich aus einer begrifflichen Analyse und einer Grenzwertbetrachtung herleiten. Als zumessungsrelevante Maßstäbe sind sie aber erst dann validiert, wenn sich die aus ihnen folgenden quantitativen Differenzierungen auch auf die Strafrahmen auswirken. Es hat sich gezeigt, dass dies für eine Fülle von straftatdogmatischen Maßstäben der Fall ist. Eine Erklärung und Legitimation dieser auch in der Zumessung relevanten Maßstäbe folgt aber erst aus einem straftheoretisch fundierten Strafzumessungskonzept. Aus diesem ergibt sich zugleich, dass die Maßstäbe der Verbrechenslehre für die Strafzumessung keinen abschließenden Katalog begründen. Auf dem Boden dieser auf der Verbrechenslehre beruhenden straftheoretischen Überlegungen lässt sich das Gros straftatdogmatischer Implikationen für die Strafzumessung erklären. Unverzichtbar erscheint es schon zur Bestimmung und Erklärung der Unrechts- und Schuldschwere nicht nur auf den absoluten Kern des Konzepts, sondern auch auf den präventiven Rahmen zu rekurrieren. Nach der hiesigen Auffassung geht die Unrechtschwere, die maßgeblich von der Gefährlichkeit der Tat konturiert wird, zurück auf den präventivtheoretischen Rahmen, d. h. der Stabilisierungen von Erwartungen mit realem Freiheitswert; die Schuldschwere hingegen nimmt Bezug auf die Besonderheit einer Straftat als eine intellektuelle Infragestellung der Norm, die nach hiesigem Verständnis von intellektuell unfassbarer Motivation nicht tangiert werden kann. Die theoretischen Überlegungen erweisen sich aber nicht allein für die ordinale Ausdifferenzierung der Kategorien des Straftatsystems als die den maßgeblichen Anknüpfungspunkt der Strafe bildende „Infragestellung des Rechts“ oder der „Grundlage der Strafzumessung“ als hilfreich, sondern reichen darüber hinaus. Sie zeigen nicht nur auf, dass die Relevanz von Umständen außerhalb der Tat nicht in irgendeinem Widerspruch zu solchen Tatsachen steht, deren Maßgeblichkeit aus der Verbrechenslehre gefolgert wurde, sondern erklären, warum diese Umstände ihrerseits berechtigterweise Berücksichtigung finden müssen. Augenscheinlich außerhalb der Tat stehende Umstände, die zwar nicht die verbrechensdogmatisch konturierte und zumessungsrechtlich ausdifferenzierte Infragestellung beeinflussen, stehen im gleichen Begründungskontext wie die schon im Rahmen des Tatbestands relevanten Umstände und können deshalb auf die Reaktion der Strafe Einfluss nehmen. Auch hier zeigt sich die Bedeutung der zweigliedrigen theoretischen Fundierung, weil sowohl präventive als auch wertrationale Gründe zur Erklärung von mildernden Umständen herangezogen werden können und müssen (etwa Zeitablauf, Strafempfindlichkeit einerseits, Rücktritt, tätige Reue, Täter-Opfer-Ausgleich andererseits). 4. An der Relevanz des Vor- und Nachtatverhaltens konnte schließlich das Strafzumessungskonzept validiert und exemplifiziert werden. Es hat sich gezeigt, dass die Relevanz des Vor- und Nachtatverhaltens, die hin und wieder als Beleg
F. Schlussbetrachtung
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für die Eigenständigkeit der Strafzumessung gegenüber der Verbrechenslehre und als Beleg für die sog. Trennungsthese der Schuldbegriffe jenseits und diesseits des Strafrahmens angeführt wird, ebenfalls aus der Verbrechenslehre folgt. Dies gilt auch für die in dieser Kategorie von Umständen regelmäßig maßgebliche Einstellung des Täters zu seiner Tat. Eine Vielzahl von Merkmalen der Straftatprüfung weist bereits auf die Relevanz von Gründen der Tat und mithin auch der Motivation des Täters hin. Zu diesen Merkmalen gehören nicht lediglich die Beweggründe und Ziele, die in einigen Straftatbeständen aufgegriffen wurden, sondern auch Merkmale und Kategorien des Allgemeinen Teils, Rechtfertigungsgründe, Vorsatz und Schuld i. e. S. Diesen Merkmalen trägt die hier zu Grunde gelegten Straf- und Strafzumessungstheorie Rechnung. Nach ihr kann die Strafzumessung bei einem gegenständlichen Verständnis der Straftat nicht stehen bleiben. Vielmehr ist die Bedeutung der Straftat im Kern eine ideelle. Was für die Strafzumessung gilt, entfaltet Bedeutung aber auch auf Tatbestandsseite. Es hat sich gezeigt, dass die Kategorien des Straftatsystems und die Ordnungsbegriffe der Strafzumessung zusammenhängen. Die (Strafzumessungs-) Theorie, aus der sich die Relevanz des Vor- und Nachtatverhaltens ergibt, kann nicht an straftatdogmatischen Erwägungen vorbei, sondern nur mit deren Hilfe entwickelt und präzisiert werden. Infolgedessen leben die Kategorien des Straftatsystems aber auch in der Strafzumessung und den für sie geltenden Maßstäben fort, sind in ihnen enthalten. Es ist deshalb ausgeschlossen, dass sich die spezifisch strafzumessungsrechtlichen Begriffe der Unrechts- und Schuldschwere von den Kategorien der Verbrechenslehre ablösen und es jenseits und diesseits des Strafrahmens um verschiedene Dinge geht. 5. Auch wenn die Herangehensweise der Systeme diesseits und jenseits des Strafrahmens unterschiedlich ist, so teilen sie denselben Gegenstand: die Infragestellung des Rechts. Die Trennungsthese ist deshalb abzulehnen. Die Schuldbegriffe sind insofern deckungsgleich, als die Infragestellung hier und dort dieselbe ist. Das bedeutet freilich nicht, dass die Strafzumessung nicht in wesentlichen Punkten über die Verbrechenslehre hinausgehen und Umstände in Bezug nehmen kann, die zwar die Normstabilisierung betreffen, deren Relevanz in der Strafbegründung aber allenfalls in ganz rudimentären Andeutungen zum Ausdruck kommt (Zeitablauf, mittelbare Straftatfolgen usw.). Durch den induktiven Schritt von der Verbrechenslehre hin zu einer Straf- und Strafzumessungstheorie findet eine Verallgemeinerung statt, die den Blick eben auch auf Faktoren jenseits der Schuld, jenseits der Infragestellung lenkt. Wo es aber um eine Infragestellung geht, ist sowohl auf Rechtsfolgen- als auch auf Tatbestandsseite dasselbe in Bezug genommen. Deckungsgleichheit der Schuldbegriffe bedeutet freilich nicht, dass die Verbrechenslehre die Infragestellung des Rechts ausschöpft und deshalb alle zu ihrer quantitativen Ausdifferenzierung wichtigen Maßstäbe klar und deutlich herausstellen müsste. Die Funktion der quantitativen Ausdifferenzierung ist der Strafzu-
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messung zugewiesen. Die Verbrechenslehre soll diese Aufgabe nicht leisten und sie kann es auch nicht. Insofern erweist sich letztlich Hassemers Beschreibung der Strafzumessung als „Rückführung zum Leben“ als passend. Die Straftatdogmatik regelt das deliktisch Relevante zutreffender Weise nur fragmentarisch. Die Strafzumessung differenziert nicht die Fragmente weiter aus, sondern das, woraus sie herausgelöst wurden. Insoweit allerdings jenseits und diesseits des Strafrahmens dieselben Regelungsbereiche angesprochen werden, ist es zumindest der begrifflichen Klarheit abträglich, den Zusammenhang beider Systeme mit unterschiedlichen abstrakten Grundbegriffen zu verwischen. Wenn also in der Zumessung von der Schwere des Unrechts die Rede ist, sollte genau dasjenige Unrecht gemeint sein, das Gegenstand der Straftatdogmatik ist. 6. Abweichungen, die das Gegenteil zu belegen scheinen, sind in Wahrheit auf nichts weiter zurückzuführen als auf eine funktionsbedingt unterschiedliche Schwerpunktsetzung beider Systeme. So verhält es sich denn auch – nach hier vertretener Auffassung – mit der für Bedeutung und Problematik des Vor- und Nachtatverhaltens besonders wichtigen Einstellung des Täters. Dass diese Einstellung für die Verbrechenslehre ein weitgehend verzichtbares Element darstellt, ist nicht nur unrichtig in Ansehung einer Vielzahl an tief im System verankerten ideellen Elementen (Vorsatz, Rechtfertigungsgründe usw.), sondern auch kein stichhaltiges Argument dafür, sie in der Zumessung außer Acht zu lassen. Die Verbrechenslehre weist auf die Relevanz von Umständen mit ideellem Hintergrund nämlich schon dadurch hin, dass sie die Straftat gerade als Entscheidung gegen das Recht problematisiert. Es ist dann aber wesentliche Aufgabe der Strafzumessung, diese Entscheidung auszudifferenzieren. Dass die Kriterien dieser Differenzierung nicht etwa neben den Kategorien des Straftatsystems, etwa als eigene Kategorie der Strafzumessung, stehen, liegt wegen des sachlichen und strukturellen Zusammenhangs auf der Hand. Es handelt sich vielmehr um Präzisierungen der straftatdogmatischen Kategorien. Ob die Verortung der die Einstellung betreffenden Maßstäbe im Begriff der Schuld oder im Begriff des Unrechts – wofür die besseren Argumente sprechen – geschieht, ist letztlich nicht von entscheidender Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr die Frage, wie sich ideelle Elemente zu den in der Verbrechenslehre zweifellos als wesentlich herausgestellten gegenständlichen Merkmalen verhalten. Hier ist festzuhalten, dass das Verhältnis zwischen ideeller und gegenständlicher Betrachtungsweise keine Spannungen begründen muss, die aus freiheitstheoretischen Gründen nur zugunsten eines gegenständlichen Verständnisses aufgelöst werden könnten. Ebenso ist es möglich und vor dem Hintergrund der hier vertretenen straftheoretischen Konzeption sogar zwingend, dass die gegenständlichen Elemente der Verbrechenslehre Stellenwert und Gewicht von ideellen Faktoren in der Strafzumessung umreißen und begrenzen.
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Sachverzeichnis Abschreckung siehe negative Generalprävention absolute Straftheorien 55 ff. abstrakte Gefährdungsdelikte 115 f. Akzessorietätsgrundsatz 146 f. Alkoholisierung 179 Analogieverbot siehe Nullum Crimen-Grundsatz Andershandelnkönnen siehe Vermeidemacht Anerkennungsgedanke 58 ff., 90 ff., siehe auch Infragestellung des Rechts – Beweggründe 131 f., 212 – Einstellung 213, 234 – Erfolgswert 119 – Rücktritt 135 f. – Strafe 91 f. – Täter-Opfer-Ausgleich 201 – Täterschaft und Teilnahme 126 – Vorsatz und Vorsatzformen 128 ff., 212 – Wiedergutmachung 201 Anrechnung auf die Strafe 159 Anstiftung 125 f. Antinomie der Strafzwecke 68, 150 f., 155, 159 Art und Weise der Tatausführung 115 ff. Aufklärungshilfe 208 f. außertatbestandliche Straftatfolgen 138 ff., 204, 210 Autonomie 90 ff., 96 f. – und positive Generalprävention 82, 96 – und Schuld 52 ff., 96 f. Bagatelldelikte 194 ff. Beihilfe 124 ff. Bestimmtheitsgrundsatz 145 f.
Beweggründe 130 ff. – Anerkennung 212, 233 f. – Bedeutung für Vorstrafen 184 – Moral 214 ff., 230 – negative Generalprävention 71 f. – Tatvorbereitung 171 – Verhältnis zu Rechtfertigungsgründen 120 Bruns 19, 21 ff., 36 Bundeszentralregister 193 f. Charakterschuld 221 f. Consuetudo 24 f. DDR-Vorstrafen 194 Deckungsgleichheitsthese siehe Identität der Schuldbegriffe Deduktion 29 Demonstrationsthese siehe Fortgeltung des Rechts Desavouierung der Norm 86 f. Determinismusstreit siehe Willensfreiheit Diebstahl 41 ff. Doppelfunktion des Tatbestands 36 ff., 146 f. Doppelverwertungsverbot 38, 172 f., 191, 203 f. Einheitstheorie 112 einschlägige Vorstrafen 183 f. Einstellung des Täters – als Element der Strafbegründungsschuld 201 ff., 220 ff. – als Element des Unrechts 228 ff. – Moral 190 f., 214 ff., 230 f. – Nachtatverhalten 205 ff. – Stellenwert in der Strafzumessungsentscheidung 232 ff.
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Sachverzeichnis
– Vorleben 188 ff. Entschuldigungsgründe 110, 130 f., 176 f., 225 Erlaubnistatbestandsirrtum 133, 233 Erwartungsstabilisierung 86 ff., 90 ff. Expressivität der Strafe 62 ff. Extensive Auslegung des Schuldbegriffs 221 ff. Fahrlässigkeit 117, 121 ff., 127 f., 167, 174 ff. Feuerbach 69 ff. Fortgeltung des Rechts 77 Fortsetzungszusammenhang 186 f. freier Wille siehe Willensfreiheit Frisch 34, 62 f., 75 f., 129, 163, 228 f. funktionaler Schuldbegriff 224 ff. Gefährdungsdelikte 115 ff. Gefährdungsumkehr 134 ff. Gefahrengrade 115 ff. Gefährlichkeit – der Tat 115 ff., 121 – des Täters 67, 152 ff., 197 f. gegenständlicher Unrechtsbegriff S. 93 f., 228 ff., 231 ff. Generalprävention 68 ff., 148 ff., siehe auch positive und negative Generalprävention Gesetzeskonkurrenz 172 ff., 203 f. Gesinnung siehe Einstellung des Täters Gesinnungsschuld 221 ff. Geständnis 200, 206 ff. Gewohnheitsrecht 24 ff. Gössel 41 ff. Grenzwertbestimmung 103 Grundlagenformel 45, 53, siehe auch Spielraumtheorie Habgier 120, 131 Handlungsunrecht 115 ff. Hassemer 39 ff., 84, 85 ff. Hegel 58 ff.
Hemmschwellenmodell siehe Überwindungsmodell Hörnle 47 ff., 63 f. Idealkonkurrenz 139 ff. ideeller Unrechtsbegriff 63 ff., 86 ff., 228 ff. Identität der Schuldbegriffe 165 ff., 241 f. Individualisierung der Strafzumessung siehe Strafempfindlichkeit Indizkonstruktion 169 f., 175, 180, 194 ff., 205 ff., 229 f. Induktion 23 ff., 30 ff. Infragestellung des Rechts 90 ff. Jakobs 86 ff., 224 ff. Katalog der Strafzumessungstatsachen 28, 151, 160 Klassenbegriffe 99 ff. Klassenjustiz 161 Konflikttaten 176 ff. konkrete Gefährdungsdelikte 115 f. Konkurrenzen 139 f., 172 ff., 203 f. Konstituierungsfunktion der Schuld 53 ff., 97, 225 f. kontrafaktische Erwartung 86 ff. Körperverletzung 42, 117 f. kriminelle Energie 70, 152, 171 ff., 182, 188 ff., 198, 206, 210 ff. kriminologischer Zusammenhang 184 Leugnen im Prozess 209 ff. Limitierungsfunktion der Schuld 52 ff., 197, 225 Maß der Pflichtwidrigkeit 121 ff. Mordmerkmale 130 ff. Motive siehe Beweggründe Nachtatverhalten 198 ff. Nachtrunk 197 f. Nebenfolgen, unbeabsichtigte 151, 154, 217, siehe auch Straftatfolgen
Sachverzeichnis Negation der Negation 58, 61 f., 199, 209 f. negative Generalprävention – als Strafzumessungstheorie 69 ff. – empirische Probleme 148 ff. – normative Probleme 151 f. negative Tatbestandsmerkmale 25 f. Neumann 64 f. Normalfall 209, 218 Normanerkennung 73 ff. Norminternalisierung 73 ff. Notstand 176 f. – entschuldigender 110, 225 – rechtfertigender 119 ff. Nullum-Crimen-Grundsatz 25, 138 ff. Opinio Iuris 25 f. Ordnungsbegriff 99 ff. Performativer Widerspruch 59, 239 Pflichten – als Elemente der Schuld 219 f. – Ausmaß siehe Maß der Pflichtwidrigkeit Phasen der Strafzumessung 19 f. positive Generalprävention 73 ff., 90 ff. – Einstellung 211 f. – empirische Probleme 78 ff. – nach Jakobs 86 ff. – normative Probleme 82 – Schuldbegriff siehe funktionaler Schuldbegriff Praxis-Regel-System 46 f., 48 Preisverleihung siehe Wettbewerb Privilegierung 111 f. Prozessverhalten 206 ff. Punktstrafe 35 f., 70, 148, 155 f. Puppe 43 f., 143 f. Qualifikation 111 f. Rawls 46 f. Rechtsfrieden 83 ff.
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Rechtsgut 111 ff. Rechtswidrigkeit 119 ff. Regelbeispiele 144 ff. Relative Straftheorien 67 ff. Resozialisierung 67, 154 Richterrecht 27 Roxin 51 ff. Rücktritt 134 ff. Sachwert 42 Schuld i. e. S. siehe Vermeidbarkeit Schuld i. w. S. 165 ff. schuldangemessene Strafe 36 ff., 46 ff., 73 ff. Schuldausgleich 56, 163 Schuldausschließungsgründe 108 ff. Schuldbegriff 165 ff. Schuldhaftigkeit siehe Vermeidemacht Schuldrahmen siehe Spielraumtheorie Schuldschwere 105 ff. Schuldstrafe siehe schuldangemessene Strafe Schweigen im Prozess 206 ff. Schwereskala 37 ff., 139 f. Selbstsubsumtion 60 f. Sexualstraftaten 158, 186 ff. Sicherungsmaßregeln 67 f. Skalentheorie 37 ff. Skalierung siehe Schwereskala soziale Kontrolle 85 f., 158, 219 Spendel 19 ff. Spezialprävention – als Zumessungskonzept 67 f. – als Strafzumessungsfaktor 148, 155 f. – Probleme der 151 ff. Spielraumtheorie 148, 155 f. Spurenbeseitigung 205 f. Steigerbarkeit der Schuld 217 ff. Stellenwerttheorie 148 Strafbegründungsschuld 165 ff., 216 ff., 220 ff. Strafempfänglichkeit 154, 188 Strafempfindlichkeit 160 ff.
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Strafrahmen 37 ff., 104, 139 f. Strafschärfungen/-milderungen 25 f., 218, siehe auch Normalfall Straftatfolgen 151, 162 f. Straftheorien 20, 21 ff., 29 f., 55 ff., 147 ff. Strafzumessungsgründe 19 ff. – finale siehe Straftheorien – logische 19 – reale siehe Strafzumessungstatsachen Strafzumessungskonzept 231 ff. Strafzumessungsschuld 165 ff. Strafzumessungstatsachen 20 ff., 98 ff., 147 ff., 169 ff. Strafzumessungstheorie 28 ff., 45 ff. Strafzwecke siehe Straftheorien Strafzweckunabhängige Strafzumessung 47 ff. Tadel 48 ff., 65 ff. Talionsprinzip 56 Tatbestand 141 ff., 146 f. Täter-Opfer-Ausgleich 136, 199 ff., 208 Täterschaft und Teilnahme 123 ff., 132, 146 f. tätige Reue 134 f. Tatschuld 227 Tatstrafrecht 229 ff. Trennungsthese 165 ff., 241 Typusbegriff 100 f., 119 f. Übelszufügung 48 f., 57, 61, 77, 80, 86, 93 Überwindungsmodell 70 f., 182 ff., 216 ff. Unrecht – als konstituierendes Element der Strafzumessungsschuld 54, 165 ff. – gegenständliche Komponente des 93 f., 228 ff., 231 ff. – ideelles Verständnis siehe ideeller Unrechtsbegriff – Skalierung siehe Unrechtsschwere Unrechtsbewusstsein 106 ff.
Unrechtsschwere 110 ff. Unrechtsvertiefung 202 ff. Unschuldsvermutung 192 f. Unterlassen 122 Verbotsirrtum 106 ff. Verdeckungsabsicht 132 Vereinigungstheorien 51 ff., 90 ff. Verfahrenseinstellung 182 f. Verjährung 157 f., 193 Vermeidemacht – Bedeutung in der Strafzumessung 235 – Skalierung 105 ff. – Steigerbarkeit 70 f., 218 – Stellenwert im Schuldbegriff 166 f., 227 f. verschuldete Auswirkungen der Tat siehe außertatbestandliche Straftatfolgen Versuch 115, 144 ff. Vertrauen 88, 123 Vorbereitung der Tat – bei Fahrlässigkeitsdelikten 174 ff. – bei Vorsatzdelikten 171 ff. Vorgeschichte der Tat 170 ff. Vorleben 181 ff. Vorsatz 117, 181, 212, 216, 230, 232 f. Vorstrafen 152, 182 ff., 188 ff., 216 Vortatverhalten 170 ff. Vorwerfbarkeit 105 f. Warnungen 182 ff. Warnungsmodell siehe Überwindungsmodell Wettbewerb 48, 64 f. Wiedergutmachung 136, 199 ff., 208 Wiederherstellung des Rechts 58 ff. Wille, aufgewendeter 171, 175 f., 181, 212 f., 232 Willensfreiheit 106, 216 f. Zeitablauf 156 ff. Ziele 133, 233 Zipf 52 f.