Rechtsgüterschutz und Einzelhandel - zugleich ein Beitrag zur Rechtsstellung des Unbefugten in Verkehrs- und Schutzpflicht [1 ed.] 9783428524105, 9783428124107

Der Autor widmet sich dem Rechtsgüterschutz im Einzelhandel und bewegt sich damit an der Schnittstelle zwischen Rechts-

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German Pages 319 Year 2007

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Rechtsgüterschutz und Einzelhandel - zugleich ein Beitrag zur Rechtsstellung des Unbefugten in Verkehrs- und Schutzpflicht [1 ed.]
 9783428524105, 9783428124107

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Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 357

Rechtsgüterschutz und Einzelhandel – zugleich ein Beitrag zur Rechtsstellung des Unbefugten in Verkehrs- und Schutzpflicht

Von Martin Gerecke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

MARTIN GERECKE

Rechtsgüterschutz und Einzelhandel – zugleich ein Beitrag zur Rechtsstellung des Unbefugten in Verkehrsund Schutzpflicht

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 357

Rechtsgüterschutz und Einzelhandel – zugleich ein Beitrag zur Rechtsstellung des Unbefugten in Verkehrs- und Schutzpflicht

Von Martin Gerecke

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 978-3-428-12410-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Oma, meinen Eltern

Wir suchen niemals die Dinge, sondern das Suchen nach ihnen. Blaise Pascal (1623–1662)

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2006 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Christian-Albrechts-Universität Kiel als Dissertation angenommen. Für die Druckfassung wurden Rechtsprechung und Literatur bis Anfang 2006 berücksichtigt. Die Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Kiel am Lehrstuhl für Deutsche und Europäische Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Handelsrecht von Prof. Dr. Jörn Eckert. Ihm verdanke ich einerseits den notwendigen Freiraum bei der Wahl und Bearbeitung des Themas sowie einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Arbeit durch wertvolle Hinweise und stets konstruktive Kritik. Er hat jedoch darüber hinaus meinen juristischen Werdegang in der gemeinsamen Zeit am Lehrstuhl in den Jahren 2001–2006 maßgeblich geprägt und mich in jeder erdenklichen Weise gefördert. Leider hat Prof. Dr. Jörn Eckert die Fertigstellung dieser Arbeit nicht mehr erlebt. Sie wäre ohne ihn jedoch nicht möglich gewesen und so ist sie auch ihm in Gedenken gewidmet. Mein tiefer Dank gilt auch Prof. Dr. Rudolf Meyer-Pritzl, der die Erstkorrektur der Arbeit übernommen hat und mich nicht nur in den schweren Zeiten zu Beginn des Jahres, sondern auch schon während meiner Studienzeit vorbehaltlos unterstützt und persönlich betreut hat. Prof. Dr. Werner Schubert danke ich für die zügige Erstellung der Zweitkorrektur. Danken möchte ich auch meinen Geschwistern Susanne und Christian, die mich immer – und nicht nur mit Worten – unterstützt haben sowie MSc oec. troph. Frauke Schöne-Warnefeld für die technische Unterstützung bei der Formatierung der Arbeit, zahlreiche Gespräche und Anregungen und so vieles mehr. Ganz besonders aber danken möchte ich meinen Eltern, die in jeder Phase meines Lebens bedingungslos hinter mir standen, und ohne die ich heute nicht das wäre, was ich bin. Kiel, im November 2006

Martin Gerecke

Inhaltsverzeichnis Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

1. Teil Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten A. Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff, Entwicklung und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der gemeinrechtliche Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Einfluss strafrechtlicher Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Trias „Ingerenz – Gesetz – Vertrag“ als Bedingung gemeinrechtlicher Handlungspflichten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Pilotentscheidungen des RG nach 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unterlassen und mittelbare Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Transformation einer Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Funktion als Abgrenzungskriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestimmung und Systematisierung der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Verkehrspflichten und Einzelhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangssituation/Legitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Definition des „Einzelhandels“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Historische Dimension/Entwicklung des Einzelhandels . . . . . . . . . . . . . . . 1. 50er, 60er und 70er Jahre – Jahrzehnte des Umbruchs . . . . . . . . . . . . 2. 80er und 90er Jahre – „König Kunde“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das neue Jahrtausend – technischer Fortschritt und erweiterte Vertriebswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wandel der Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Neuorientierung der Vertriebsformen und Flächenexpansion als Auslöser veränderter Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Anfänge – milde Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkretisierung der Pflichten – Die Leitentscheidung des OLG Köln vom 22.03.1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

24 24 24 24 28 28 30 31 33 37 38 38 43 45 47 50 50 51 53 53 57 60 65 65 65 66 70

12

Inhaltsverzeichnis c) Abweichende Urteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Der Einfluss neuer Distributionsformen und Flächenzuwachs . . . . e) Maßstabsetablierung in den Folgejahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vervielfältigung des Angebots und neue Marketingstrategien . . . . . . . 3. E-Commerce und TV-Shopping – Auslagerung der Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Einkaufswagen – technischer Fortschritt als Reaktion auf sich verschärfende Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betreiberfreundliche Anfänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verschärfung der Sorgfaltskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Angemessenheit des gestiegenen Anforderungslevels? . . . . . . . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Typisierung der Einzelhandels-Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verkaufsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Fußboden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Behinderungen im Verkaufsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rolltreppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fahrstuhl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schaufenster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Pendel-/Schiebetür . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Ein- und Ausgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kundenparkplatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einkaufswagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Räum- und Streupflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Produkthaftung des Händlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Haftung für Produzentenfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung für den originären Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Einhaltung hygienerechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Einhaltung der Verfalldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Beratungs- und Warnpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Pflichten zur Einhaltung des Minderjährigenschutzes . . . . . . . VI. Grenzen und Intensivierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grenzen der Verkehrspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Intensivierung der Verkehrspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87 89 91 92 96 97 97 97 99 102 103 107 110 111 112 113 114 115 118 119 124 124 129 130 132 133 133 143 149

C. Der Unbefugte im verkehrseröffneten Gefahrenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Standpunkt der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Meinungsstand der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Ansatz Schwabs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

150 150 151 156 156

73 75 77 78 79 84

Inhaltsverzeichnis

13

Der Ansatz Marburgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Ansatz Schröders . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . v. Bar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stoll und seine Theorie vom Handeln auf eigene Gefahr . . . . . . . . . . Der Vergleich mit dem befugten Besucher (Larenz/Canaris; Hager) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sicherungspflichten im „unbeschränkten“ Verkehrsbereich . . . . . . . . . a) Abkehr von der Abgrenzung befugt/unbefugt . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Zweckbestimmung als Maßstabsnormativ . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Steuerungselemente der Verkehrspflicht als Mittel der Haftungsauslese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einordnung und Überprüfung der Ergebnisse: die „Hausverbots-“ und „Diebstahls-Fälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Diebe, Räuber, etc. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Hausverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Abwägung mit der Gefahrerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Anforderungen nach Geschäftsschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherungspflichten im „beschränkten“ Verkehrsbereich . . . . . . . . . . . 3. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159 160 162 162

2. 3. 4. 5. 6.

163 163 164 164 166 168 170 171 173 174 175 176 179

2. Teil Sicherung von Erhaltungsinteressen im Einzelhandel als gesetzliche Folge der Vertragsanbahnung

181

A. Doppelte Anwendungsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 B. Historische Entwicklung der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 I. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Die Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 C. Wandlung des Schutzbereiches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Struktur und Legitimation – Abkehr vom genuin Deliktsrechtlichen . . . 1. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strukturelle Legitimation und Eigenständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimationsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Inhalt der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die frühe Rechtsprechung des RG – Versuch einer Deutung . . . . . . .

199 200 201 201 202 202 204 207 210 210 213

14

Inhaltsverzeichnis 3. Auswirkungen auf die neuere Rechtsprechung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Inhaltlicher Gleichlauf der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Adressatenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Einbeziehung in den geschützten Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gesetzestext des § 311 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abkehr von den bisherigen Lösungsansätzen – Zielstellung . . . . . (1) Die Vorstellung vom „möglichen Kunden“/Begriff der „etwaigen rechtsgeschäftlichen Beziehung“ . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Das Merkmal des „Betretens der Geschäftsräume“ . . . . . . . . . b) Legitimation des Zweckansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zweck der Geschäftsöffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Determinanten und Mechanismen der erfolgreichen Geschäftsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Auswirkung auf den Kunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Kategorien der Schutzbereichsteilnehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Der „optimale“ Kunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der „Unentschlossene“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die „Passanten-Fälle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Der zweckwidrige Besucher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Überprüfung der gefundenen Ergebnisse am Maßstab der Betriebsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

216 218 222 223 224 225 226 229 229 229 232 234 237 237 245 247 248 248 249 250 252 257 259

3. Teil Zusammenfassung der Ergebnisse

260

Schlussbetrachtung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Rechtsprechungsübersicht zu den Einzelhandelsverkehrspflichten in chronologischer Folge mit Leitsätzen und Fundstellen-Konkordanz . . . . . . . . 266 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. a. O. a. F. Abs. Abt. AcP AG AGBG AnwK ArchBR Art. AT Aufl. Az BauR BayVbl. BB Bd. BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BR BR-Drucks. BSG bspw. BT BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG bzw. ca. d. h.

andere Ansicht am angegebenen Ort alte Fassung Absatz Abteilung Archiv für die civilistische Praxis Amtsgericht Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Anwaltskommentar Archiv für Bürgerliches Recht Artikel Allgemeiner Teil Auflage Aktenzeichen Zeitschrift für das gesamte öffentliche und private Baurecht Bayrische Verwaltungsblätter Betriebs-Berater Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bürgerliches Recht Bundesrats-Drucksache Bundessozialgericht beispielsweise Besonderer Teil Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise circa das heißt

16 DAR DB DDR DeliktsR ders. Dig. DJT DJZ DR DWW ebd. EG EGStGB ES etc. f. FamRZ ff. FG Fn. FS GA GewArch GrünhutsZ GS h. L. HaftungsR Hk HRR Hrsg. i. d. R. i. d. S. i. S. d. i. Ü. i. V. m. IfSG JA JhrJb. JMBl NW JR JURA

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Abkürzungsverzeichnis JurA jurisPraxKomm JuS JW JZ Kap. Kfz KG LG Lit. LK LM LRE LVwG LZ m. w. N. MDR MedVO Mot. n. F. NJW NJWE-VHR NJW-RR Nr. NStZ NVwZ NW NZV o. ä. OAG OLG OLGZ OVG OWiG ProdHaftG r+s RabelsZ RdE RG

17

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18 RGRK

RGSt RGZ Rn. ROLG RuS S. s. a. s. o. SAT SBT SchuldR SeuffA. SGB SH sog. StBT StGB StPO StrafR stRspr. StVO Tb. u. U. unveröffentl. Urt. UWG v. a. v. Chr. VersR VersRAl vgl. VO Vorb. VRS w&v WarnR WiB

Abkürzungsverzeichnis Das bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs – Kommentar Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Strafsachen Amtliche Sammlung der Rechtsprechung des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Recht und Sport Seite siehe auch siehe oben Schuldrecht Allgemeiner Teil Schuldrecht Besonderer Teil Schuldrecht Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Sozialgesetzbuch Schleswig-Holstein so genannte/s/r SteuerBrief Touristik Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafrecht ständige Rechtsprechung Straßenverkehrsordnung Teilband unter Umständen unveröffentlicht Urteil Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb vor allem vor Christus Versicherungsrecht Versicherungsrecht Beilage Ausland vergleiche Verordnung Vorbemerkung Verkehrsrechts-Sammlung werben und verkaufen Warneyers Jahrbuch der Entscheidungen Wirtschaftsrechtliche Beratung

Abkürzungsverzeichnis

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WM WRP z. B. z. T. ZAl PrR

Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapiermitteilungen Wettbewerb in Recht und Praxis zum Beispiel zum Teil Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

Zfbf ZfRV

Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Schadensrecht Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für die gesamte Versicherungswissenschaft

ZfS ZGR ZHR ZIP ZLR ZPO ZStW ZVersWiss.

Einleitung Das Sicherheitsbedürfnis des Menschen, das ganz allgemein das Streben und die Suche nach Ordnung, Gesetz, aber auch Geborgenheit, Schutz oder Fürsorge umfasst, besitzt unangefochten elementare Bedeutung in der ureigensten menschlichen Wertehierarchie. Für den amerikanischen Psychologen Abraham Maslow (1908–1970) war das Bedürfnis nach Sicherheit eines von vier Defizitbedürfnissen (neben den Grundbedürfnissen, den sozialen Bedürfnissen und den sog. Ich-Bedürfnissen), deren Nichtbefriedigung ungünstige Folgen und ein Gefühl der Entbehrung hervorrufen. Grundgedanke dieser Klassifikation war dabei das Prinzip der relativen Vorrangigkeit in der Motivanregung. Erst wenn die Bedürfnisse einer unteren Stufe gestillt sind, strebt der Mensch nach Bedürfnissen der nächst höheren („Motivation and Personality“, Erstausgabe 1954, S. 35 ff., 79 ff.). Wenn sich diese Arbeit die Bewertung des individuellen Verbraucherverlangens nach Schutz und Sicherheit im Einzelhandel zum Ziel setzt, scheinen damit zunächst einmal derlei Fragen sozialwissenschaftlicher Natur aufgeworfen, deren Aktualität allerdings ungebremst scheint. Nach einer Trendstudie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK), die Ende 2003 europaweit die Lebensstile der Verbraucher untersuchte, gaben 68% der Befragten an, persönliche Sicherheit sei ihnen wichtig. Die Zustimmungsrate rangiert damit auf Platz fünf des angesetzten Wertekanons, noch vor dem Streben nach materiellem Erfolg und Wohlstand (38%) oder dem Bedürfnis nach Freizeit (61%), nur noch übertroffen von der Familienorientierung (70%) oder dem Umweltbewusstsein (71%). Die Forderung nach Sicherheit und Verlässlichkeit im Bereich des Einzelhandels ist verständlich und basiert auf einem nachvollziehbaren Gefühl der Beunruhigung und Bedrohung, das durch die seit den 80er Jahren bekannt gewordenen Skandale (Glykol in Wein 1986, Clenbuterol in der Kälbermast 1988, Nitrofen in Biogetreide 2002) erregt und in jüngster Vergangenheit durch die Aufregung um verseuchtes und verdorbenes Fleisch wieder verstärkt wurde. Seine eigene juristische Relevanz erhält das Thema jedoch, wenn der Schutz des Einzelnen nicht ohne die Sicherheitsleistung des anderen erklärt werden kann. Damit ist die Frage nach der Sorgfaltspflicht des Einzelhändlers aufgeworfen, die in den Mittelpunkt der Arbeit gestellt werden soll.

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Einleitung

Seine Verantwortung für die körperliche Unversehrtheit des Kunden regelt das deutsche Recht im Wesentlichen über die ausfüllungsbedürftigen Institute der Verkehrs- und Schutzpflicht. Der Händler oder Inverkehrbringer hat damit einerseits sowohl im außervertraglichen (Verkehrspflicht), wie auch im vertraglichen (Schutzpflicht) Bereich die einwandfreie Qualität der Waren sicherzustellen und dafür Sorge zu tragen, dass Kunden nicht durch die Minderwertigkeit der Produkte Schaden nehmen. Indes sind dies kaum die einzigen Schadensarten, die die Verbraucher innerhalb der Geschäfte ereilen können. Die typischeren Fälle, um die es bei der Verletzung von Sorgfaltspflichten zum Schutze absoluter Rechtsgüter geht, sind bekannt: Die Besucherin eines Warenhauses wird beim Aussuchen der Waren von einer umfallenden Linoleumrolle zu Boden geworfen (RGZ 78, 239), eine Frau rutscht in der Textilabteilung eines Kaufhauses auf einer am Boden liegenden Bananenschale aus (BGH NJW 1962, 37), ein Kind, das seiner Mutter beim Einpacken der Waren in einem Selbstbedienungsladen hilft, gleitet auf einem Gemüseblatt aus und zieht sich erhebliche Verletzungen zu (BGHZ 66, 51), eine Kundin stürzt vor der Selbstbedienungstheke für Käse über einen nicht arretierten Hubkarren (OLG Frankfurt a. Main NJW-RR 2001, 1674). Die Fälle ließen sich beliebig fortsetzen und sind, das macht ein Blick in die Entscheidungsregister deutlich, nicht selten. Die „Universalpflicht“ des Unternehmers zum umfassenden Schutz des Kunden ist in ihren Anforderungen zum einen über die Jahre weder konstant geblieben noch ist sie grenzenlos. Dies hängt maßgeblich mit der Entwicklung des Einzelhandels zusammen. Dieser unterliegt seit Jahrzehnten einem tiefgreifenden, bislang lediglich segmentweise abgeschlossenen Strukturwandel. Kernpunkte dieses Entwicklungsprozesses sind die Umwälzung des Betriebsformen- und Standortgefüges zu Lasten des mittelständischen Einzelhandels, ein scheinbar unaufhörliches Flächenwachstum der großen Betriebe sowie die Änderung des Verbraucherverhaltens mit entsprechender Anpassung der Warenpräsentation an die neuen Einkaufsgewohnheiten. Der Kunde ist anspruchsvoller geworden, nicht nur in Bezug auf den Warenkauf („Erlebniskauf“), auch in seinem Sicherheitsbedürfnis. Für den Einzelhändler ist die Pflicht zur Sicherheitsgewährung damit einerseits eine Selbstverständlichkeit, andererseits aber auch notwendiges Durchgangsstadium zur weiteren Motivation des Kunden. Dieser wird sich im Maslowschen Sinne erst dann auf den Verkaufsraum und die Präsentation der Waren einlassen können, wenn sein Bedürfnis nach Schutz und Sicherheit befriedigt ist. Ist dies erfolgt, setzt der eigentliche unternehmerische Zweck – die Veranlassung des Besuchers zum Kauf – ein. Dieser intendierte Vorteil der Gewinnschöpfung ist es auch, der die Einstandspflicht

Einleitung

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des Betreibers erklärbar und billigenswert macht. In inhaltlicher Hinsicht verlangt dies vor allem eine Auseinandersetzung mit den marketingstrategischen Mitteln des Unternehmens zur Akquirierung der Kunden, weil nur hieraus die Erweiterung der Verbraucherschutzposition verständlich wird. Dies bringt es mit sich, dass Teile der Arbeit nicht ohne die Untersuchung genuin betriebswissenschaftlicher Bereiche auskommen, deren Verknüpfung mit juristischen Inhalten vor allem Erkenntniswert in Bezug auf die Klärung des Problems, wen die Pflicht zum Schutze des Kunden umfasst, bringen soll. Mit der Rechtsstellung des Unbefugten ist ein Grundproblem nicht nur des nationalen Vertrags- und Deliktsrechts angesprochen, deren Ergebnis, was den Einzelhandel anbelangt, Billigkeitserwägungen vorzeichnen: Nicht nur der Kunde und damit derjenige, der Waren ersteht, verdient Sicherheit. Welcher Personenkreis noch in den Schutzbereich einzubeziehen ist, wird im Verlauf der Arbeit in eigenständigen Teilen jeweils für Verkehrs- und Schutzpflicht gesondert betrachtet. Für den weiteren Gang der Untersuchung ergibt sich folgender Ablauf: Im ersten Teil der Arbeit ist zunächst vor allem im Vorgriff auf weiteres und zum besseren Verständnis folgender Probleme allgemein auf Begriff, Entwicklung und Funktion der Verkehrspflicht einzugehen (A.). Dem schließt sich die Darstellung des Strukturwandels im deutschen Einzelhandels an (B. I.–III.), der mit sich auch einen Wandel der Verkehrspflichten des Einzelhändlers bringt (B. IV.). In der Folge wird im Einzelnen auf die jeweiligen Pflichten des Unternehmers eingegangen (B. V.) und dabei deren Grenzen und Intensivierungen beleuchtet (B. VI.). Im Anschluss daran soll näher auf die Rechtsstellung des Unbefugten in der Einzelhandels-Verkehrspflicht Bezug genommen werden (C.) Der zweite Teil widmet sich der Sorgfaltspflicht des Unternehmers im vertraglichen Bereich. Die Schutzpflicht hat auch hier Wandlungen erfahren (B., C.), inwieweit eine strukturelle und inhaltliche Rechtsähnlichkeit zur Verkehrspflicht besteht, wird zu untersuchen sein (D.). Dies umfasst vor allem die Frage der Einbeziehung in den geschützten Personenkreis (D. VI.). Anders als bei der Verkehrspflicht wird es hier weniger um das Problem der Schutzbedürftigkeit des Unbefugten gehen, als vielmehr um die Bestimmung des Anspruchsberechtigten aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 BGB. Die Arbeit beschließt eine Übersicht mit allen relevanten Urteilen zu den Einzelhandels-Verkehrspflichten in chronologischer Folge mit Leitsätzen und Fundstellen-Konkordanz im Anhang.

1. Teil

Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten A. Verkehrspflichten I. Begriff, Entwicklung und Funktionen 1. Begriff Der Terminus technicus „Verkehrspflichten“ ist in § 823 Abs. 1 BGB nicht erwähnt, wenngleich doch mit ihm und dem Deliktsrecht untrennbar verbunden. Dabei steht der Begriff der „Verkehrspflicht“ artverwandt dem der „Verkehrssicherungspflicht“ gegenüber. Eine Unterscheidung beider wird im Schrifttum überwiegend dergestalt getroffen, dass die Verkehrssicherungspflicht die Haftung des Verantwortlichen für Gefahren umfasst, die von Immobilien in Bezug auf absolute Rechte und Rechtsgüter, wie sie dem enumerativen Katalog des § 823 Abs. 1 BGB (Eigentum, Leben, Gesundheit etc.) entsprechen, ausgeht.1 Es ist dies die Pflicht desjenigen, der aus privaten oder beruflichen Gründen einen Verkehr auf Grundstücken, Wegen oder Anlagen eröffnet oder duldet, alles im Sinne von Sicherungsmaßnahmen zu tun, was eine gefahrlose Benutzung verspricht. Diese Begriffskennung entspricht der Vorstellung, mit der die Rechtsprechung über lange Jahre das Bild der Verkehrssicherungspflicht prägte.2 Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte, der dem technischen Fortschritt geschuldeten Risikopotenzierung und der Unbestimmtheit des Begriffs der Verkehrssicherung, den sicherlich nur die Rechtsprechung vollends in der Lage ist auszufüllen,3 bestand jedoch zunehmend ein Bedürfnis, die Sachwalterhaftung des Pflichtigen auf Bereiche und Gefahren auszudehnen, die mit den oben genannten nur indirekt etwas oder gar nichts gemein haben. Dies musste konsequenterweise zur Herausbildung einer neuen – wenngleich umfassenderen – Fallgruppe der „Verkehrspflich1 Vgl. nur v. Bar, Verkehrspflichten, S. 3 Fn. 1, § 3 I 1a: Sachhalterhaftung für unbewegliches Vermögen, die daran anknüpft, dass die Sache aus sich heraus gefährlich ist; ders. in JuS 1988, 169. 2 Vgl. RGZ 54, 43 (59); zur Begriffsentwicklung: BGH VersR 1961, 139. 3 Geigel-Wellner, Haftpflichtprozess, Kap. 14, Rn. 1: Verkehrspflichten als Produkt der Rechtsprechung.

A. Verkehrspflichten

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ten“ führen. Soweit diese Begrifflichkeit in der Literatur trennscharf abgegrenzt von der der traditionell verwendeten „Verkehrssicherungspflicht“ gebraucht wird, ist dies demnach – nicht nur aus Gründen der Übersicht – verständlich. Den Verantwortlichen kann eben nicht nur die Pflicht zur Sicherung seines räumlich-abgrenzbaren Gefahrenbereiches treffen, sondern präventiv bereits die Verhinderung der Entstehung von Gefahren.4 Diese Pflicht erscheint insofern nicht nur terminologisch einer Sicherungsmaßnahme vorgelagert. Dass dies dann gleichwohl nicht mehr viel mit der eigentlichen Bedeutung der Verkehrspflicht – der Gleichstellung von Handeln und Unterlassen – gemein hat, ist hinzunehmen, ihre Funktionen sind ohnehin vielgestaltig.5 Schließlich sind Konstellationen denkbar, in denen es dem Pflichtigen obliegt, den Verkehr vor einem schädigenden Zugriff Dritter zu schützen, ohne dass der Verkehr selbst bereits gefahrbelastet ist.6 Auch hieraus resultieren fortlaufend Rücksichtnahmepflichten und damit Vorsorgeauflagen, die das menschliche Zusammenleben betreffen. Allerdings deckt der Begriff der „(Verkehrs-)Sicherung“ viele Spielarten möglicher Pflichten innerhalb eines Verantwortungsbereiches ab, so dass es schwer fallen wird, Maßnahmengebote zu konstruieren, die nicht einer „Sicherung“ im genannten Sinne gleichkommen. Eine Diversifizierung mag aber dort sinnvoll sein, wo es auf ein aktives Tun des Pflichtigen, nicht lediglich auf den Schutz eines bestimmten gegenständlichen Sachbereichs ankommt. Insofern muss der Begriff der „Verkehrspflicht“ als Oberbegriff verstanden werden, der alle Maßnahmen einschließt, die nichts mit der „Sicherung“ eines Sachbereichs zu tun haben.7 Er ist zudem – auch wenn dies dem Wortsinn nach nicht gleich ersichtlich ist – auch dahin zu deuten, dass er sich auf die Abwendung von Gefahren bezieht, die nicht von Immobilien ausgehen.8 Es mag sich dabei beispielsweise um Anwendungsfälle der Produzenten-9 oder Sachverständigenhaftung handeln. 4

Vgl. nur BGH VersR 1960, 855. Dazu unten 1. Teil, A. I. 3. 6 BGH VersR 1976, 149: Pflicht eines Kaufhausbetreibers zur Sicherung eines Abdeckrostes über einem Luftschacht gegen unbefugtes Entfernen Dritter; vgl. weiter BGH VersR 1955, 184; VersR 1960, 1091; NJW 1971, 459; NJW 1979, 2309; VersR 1984, 1152. 7 I. d. S. Deutsch/Ahrens, DeliktsR, § 17, Rn. 253. 8 v. Bar JuS 1988, 169: „Ihre Welt ist gegenständlich nicht mehr begrenzt“; Kötz/ Wagner, DeliktsR, Rn. 233. Man denke nur an Pflichten zur Sicherung von gefährlichen Waffen, ätzenden Flüssigkeiten o. ä., vgl. BGH VersR 1963, 1049; NJW 1968, 1182; NJW-RR 1991, 24; BGHZ 139, 43 ff. 9 Vgl. nur RG DR 1940, 1293. 5

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

In jedem Fall ist der Begrifflichkeit der „Verkehrspflicht“ ein eigenständiger Anwendungsbereich zuzusprechen, der im Folgenden im oben genannten inhaltlichen Sinne verwendet wird.10 Das Wortteil „Verkehr“ ist dabei nicht § 276 Abs. 2 BGB entnommen, sondern geht auf § 367 Nr. 12 StGB a. F.11 zurück. Darin hieß es: „Mit Geldstrafe bis zu fünfhundert deutsche Mark oder mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen wird bestraft, wer auf öffentlichen Straßen, Wegen oder Plätzen, auf Höfen, in Häusern und überhaupt an Orten, an welchen Menschen verkehren, Brunnen, Keller, Gruben, Öffnungen oder Abhänge dergestalt unverdeckt oder unverwahrt lässt, dass daraus Gefahr für andere entstehen kann“.

In diesem Sinne ist die Begriffbestimmung „Verkehr“ deutlich enger als in § 276 Abs. 2 BGB. Formuliert dieser den Fahrlässigkeitsmaßstab im Sinne eines Außerachtlassens der erforderlichen Sorgfalt in einem umfassenden – nicht zwingend nur rechtsgeschäftlichen, sondern auch sozialen – Handlungs- und Tätigkeitsbereich,12 meint § 367 Nr. 12 StGB a. F. den Publikumsverkehr im Hinblick auf Immobilien, sprich: einen Ort, der von Menschen besucht wird, unabhängig davon, ob dies ein öffentlicher ist.13 Er gibt dabei – maßgebend für das heutige Begriffsverständnis – dem „Verkehr“ ein deutlich räumlich-gegenständliches Gepräge, wenngleich er sich hierauf nicht vollends reduzieren lässt. In der Verknüpfung der Termini „verkehren“ und „Gefahr“ ist dies die früheste Ausformung des Konstrukts der Verkehrs(sicherungs)pflicht im modernen Recht.14 Schlund formuliert den Begriff „Verkehr“ als eine Reihe verschiedener Lebensvorgänge, seien es Vorgänge der Bewegung von Personen und Sachen auf natürlichem und mechanischem Wege, seien es Vorgänge, die nicht von einer Bewegung, von einem Hin und Her bestimmt werden, sondern sich vielmehr in der Verbindung, Berührung oder Begegnung erschöpfen.15 Hieran zeigt sich plastisch, wie sehr der „Verkehr“ vom Merkmal des Publikums und damit als Bereich, in dem menschliches Zusammenleben stattfindet, weniger von dem des Rechts (im Sinne eines Rechtsverkehrs) geprägt ist. In der Tat formieren sich Verkehrspflichten in aller Regel erst dann, wenn überhaupt die Möglichkeit besteht, dass Handlungs- oder Erklärungsadressaten in das Spannungsfeld treten.16 10

Dagegen: Deckert JURA 1996, 348 (349); Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 76 III 1b. 11 Aufgehoben durch Art. 19 Nr. 206 EGStGB vom 02.03.1974 (BGBl. I, 469). 12 Vgl. Esser/Schmidt, SchuldR AT, Tb 2, § 26 II. 13 RG GA 77 (1933), S. 205 ff.; Schönke-Schröder, 17. Aufl., § 367, Rn. 61. 14 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 8. 15 In: Verkehrssicherungspflicht, S. 19. 16 Dies bedingt schon die Bedeutung des Wortes „Pflicht“, das als Sorgfalt gegen sich selbst gewendet, wohl wenig Sinn macht.

A. Verkehrspflichten

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Die Abhängigkeit des Begriffs „Verkehr“ von einer menschlichen (auch nonverbalen) Kommunikation macht diesen allerdings nicht viel klarer. Denn Bereiche, in denen die Aussicht auf interpersonalen Kontakt von vornherein ausgeschlossen ist, sind nur schwerlich vorstellbar. Man wird also zwangsläufig bei nahezu jedem Sachverhalt einen (erwünschten oder missbilligten) „Verkehr“ unterstellen können. Reduziert man umgekehrt die Verkehrspflicht wieder auf ihre eigentliche Wortbedeutung und assoziiert einen räumlich-gegenständlichen Bereich (eine Art „Verkehrsraum“), müsste man aber konsequenterweise viele Anwendungsfälle der Verkehrspflicht (im Prinzip all jene, die nicht auf die Sicherung eines Sachbereichs abzielen, s. o.) aus dieser ausklammern oder sie zumindest einer anderen Begriffskennung zuteilen. Dies alles zeigt, wie wenig aussagekräftig (und damit verzichtbar) der Terminus ist, woran sich die Rechtsprechung durch die stetige Ausweitung der Anwendungsbereiche für die Verkehrspflicht nicht ganz unschuldig zeigt. Und dennoch bedarf es eines Bezugspunktes, an dem die Verkehrspflicht festzumachen ist. Im Verlauf der Arbeit soll gezeigt werden, dass ein solcher nicht zwingend in der Gefahrverursachung zu sehen ist, auch nicht in der bloßen Eröffnung eines (wie auch immer gearteten) „Verkehrs“. Auslöser ist vielmehr stets die Herrschaftsgewalt über eine Sache oder einen Sachbereich. Dem Pflichtigen wird die Verantwortung auferlegt, weil er lenkt, leitet oder schlicht Macht ausübt und u. U. einen Teil davon in die Rechtswirklichkeit entlässt. Korrespondierend mit dem Begriff der „Verkehrspflicht“ wird der der „Sorgfaltspflicht“ verwendet. Dies geschieht oft ohne nähere Abgrenzung, ein einheitliches System der Zuordnung ist nicht auszumachen. Dabei haben beide Begrifflichkeiten – obwohl bei oft gleicher inhaltlicher Schnittmenge – durchaus verschiedene Anwendungsbereiche. Entscheidend kommt es hierbei auf die Funktion der Verkehrspflicht und die Einordnung der Sorgfaltspflicht als begriffsbildendes Merkmal der Schuld an. Im Fortgang der Arbeit wird darauf genauer einzugehen sein. Einstweilen werden die Begrifflichkeiten austauschbar gebraucht, ihre Unterscheidbarkeit ist dann aber auch für das jeweilige Verständnis nicht von Nöten.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

2. Entwicklung a) Der gemeinrechtliche Ursprung Die Entwicklungsstadien der Verkehrspflichten lassen sich bis ins gemeine Recht zurückverfolgen.17 So ist bereits früh in Einklang mit den römisch-rechtlichen Bestimmungen eine Verantwortlichkeit des Eigentümers für die verkehrssichere Beschaffenheit seiner dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Sache in Bezug auf eines die Sicherheit gefährdenden Zustandes der öffentlichen Wege und Plätze angenommen worden. Dazu findet sich in den Urteilsgründen der Entscheidung des Oberappellationsgerichts Lübeck vom 18.02. 187118: „Hat der Staat usw. gegen Abgaben sich dem Publikum gegenüber zu Leistungen verbunden, welche dessen Wohlfahrt fördern sollen, und dem entsprechende Einrichtungen getroffen, so ist er fortan nicht pflichtenlos. Zwar tritt er, indem er die durch das öffentliche Recht gebotenen Verpflichtungen erfüllt, mit dem Publicum nicht in ein Contractverhältnis, wohl aber stellt sich sein fehlerhaftes Handeln, seine Übertretung der öffentlichen Pflichten, dem Publicum gegenüber als imputabel, mithin als eine injuria im Sinn des aquilischen Gesetzes dar.“19

Eine solche Haftung, abgeleitet aus der lex Aquilia, einem Plebiszit zur umfassenden Neuregelung der deliktsrechtlichen Bestimmungen des Zwölftafelgesetzes,20 wurde in der Rechtsprechung auch für Unterlassungen anerkannt,21 was freilich in der Pandektenwissenschaft als nicht unstreitig galt.22 17 Eine ausführliche Darstellung der gemeinrechtlichen Ursprünge der Verkehrspflichten findet sich bei v. Bar, Verkehrspflichten, S. 6 ff. 18 In: SeuffA., Bd. 25 Nr. 128, S. 180 ff. In dem Fall verlangte der Eigentümer eines durch einen umstürzenden Landungspfahl beschädigten Schiffs Ersatz des entstandenen Schadens, den er auf die mangelhafte Wartung der res publica durch die öffentlich-rechtliche Körperschaft zurückführte. 19 OAG Lübeck a. a. O., 180 (184). 20 Überwiegend wird 286 v. Chr. als Entstehungsjahr der lex Aquilia angesehen, vgl. Hausmaninger, Schadensersatzrecht der lex Aquilia, A I 2: „alte Tradition“; Waldstein/Rainer, Römische Rechtsgeschichte, § 12 V 2: „wie gewöhnlich“; siehe dort, sowie bei Zimmermann, Law of Obligations, S. 953 ff. auch i. Ü. zu diesem Plebiszit, das als wohl bedeutendste Urform moderner Deliktsregeln gilt. 21 Vgl. schon OAG Dresden SeuffA., Bd. 3 Nr. 55, S. 68 f.; Obertribunal Stuttgart SeuffA., Bd. 15 Nr. 129, S. 205 ff.; Obertribunal Berlin SeuffA., Bd. 31 Nr. 37, S. 46; Oberster Gerichtshof Bayern SeuffA., Bd. 35, Nr. 25, S. 38 ff.: hierin findet sich der bemerkenswerte Satz, dass eine Verpflichtung zur Aufmerksamkeit und Sachkenntnis in Bezug auf Anlagen, die dem Publikumsverkehr eröffnet sind, aus dem Grundsatz folge, „dass jeder seine Handlungsweise, so weit sie in die Vermögensrechte eines Anderen eingreifen könne, so zu regeln habe, dass dadurch kein Schaden entstehe, und handle derjenige rechtswidrig, welchem sich das Bewußtsein aufdrängen müsse, daß seine die Rechte Dritter berührende Thätigkeit Schaden herbeiführen könne“; zuvor schon in diese Richtung: OAG München SeuffA., Bd. 30

A. Verkehrspflichten

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Diese Unterlassungshaftung stand in Verbindung mit der Verschuldensvoraussetzung jedoch nicht für sich selbst. Sie wurde im Allgemeinen nur dann angenommen, wenn aus Anlass einer vorhergehenden Tätigkeit23 bzw. abgeleitet aus Gesetz24 eine Verpflichtung zum Handeln begründet war. Indes wurde dies auch seitens der Rechtsprechung nicht immer konsequent durchgehalten und in diversen Entscheidungen entweder gar nicht erwähnt oder wenn, dann nur sehr aufgeweicht.25 Schließlich scheint es, als sei zunächst das Erfordernis des vorangegangenen bzw. gefährdenden Tuns,26 später auch das des gesetzlichen Gebots zur Gänze aufgegeben worden. Nr. 144, S. 213 ff.; RG SeuffA., Bd. 49 Nr. 76, S. 137 f.; OLG Frankfurt a. M. SeuffA., Bd. 50 Nr. 87, S. 155. 22 Die Meinungen im Schrifttum waren geteilt. Während Brinz, Pandekten, 2. Bd., 2. Abt., § 340, S. 808 und Puchta, Pandekten, § 388, S. 566 unter Verweis auf Ulpian D 7, 1, 13, 2 (wonach eine Verantwortlichkeit des Nießbrauchers, „der den Acker nicht pflüge, die Weinstöcke nicht nachpflanze oder die Wasserleitung verfallen lasse“, i. S. d. lex Aquilia ausscheide) davon ausgingen, dass ein damnum injuria datum stets eine positive Tätigkeit voraussetze, schränkten andere diese Grundsätzlichkeit ein. Hiernach war eine Unterlassungshaftung sehr wohl möglich, solange nur das Untätigbleiben durch ein vorhergehendes (erlaubtes) Tun geboten war; vgl. Göschen, Zivilrecht, § 589, S. 562; Seuffert, Pandektenrecht, § 400, S. 367; Windscheid/Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts, § 455, S. 974 unter Verweis auf D 9, 2, 27, 9. Andere wiederum ließen für diese Fälle eine actio utilis ad exemplum legis Aquiliae zu: Mühlenbruch, Lehrbuch Pandektenrecht, § 448, S. 495; Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten, § 700, S. 318; ausgehend von der Einheit zwischen Handlung und Unterlassen: Hasse, Culpa des römischen Rechts, § 6; dagegen Pernice, Lehre von den Sachbeschädigungen, S. 164 ff.; weiter: Arndts, Lehrbuch der Pandekten, S. 609 Fn. 3; Busch AcP 45 (1862), S. 139 ff.; ähnlich Dernburg, Pandekten, § 131, S. 361; aus der neueren Literatur: v. Lübtow, Untersuchungen zur lex aqulia, S. 97 f.; Hausmaninger, a. a. O., S. 13 ff. 23 Obertribunal Berlin a. a. O., ebd.: eine „bloße“ Unterlassung genüge nicht; weitergehend ROHG Leipzig SeuffA., Bd. 31, Nr. 229, S. 291 f. unter dem Gesichtspunkt der Ingerenz: eine bloß unerhebliche Passivität sei nicht anzunehmen, „wenn entweder durch die Unterlassung des betreffenden Einschreitens eine rechtlich bestehende Verbindlichkeit zur fürsorgenden oder schützenden Thätigkeit verletzt wurde, oder durch den unthätig bleibenden durch vorangegangene Umstände oder durch eigenes Verhalten die Nothwendigkeit herbeigeführt worden wäre, zu der Abwendung oder doch Verminderung des Schadens positiv mitzuwirken“; OLG Celle SeuffA., Bd. 55 Nr. 202, S. 399 ff.; OLG Frankfurt a. M. a. a. O., ebd.; RGZ 33, 204 (207). 24 RG SeuffA., Bd. 44 Nr. 180, S. 295 f.; OLG Hamburg SeuffA., Bd. 45 Nr. 90, S. 153 ff.; RGZ 33, 204 (207); von echter Dreiteilung Ingerenz – Vertrag – Gesetz ausgehend: OLG Braunschweig SeuffA., Bd. 52 Nr. 155, S. 284. 25 Urt. v. OLG Celle a. a. O., ebd. 26 Vgl. OLG Celle SeuffA., Bd. 52 Nr. 20, S. 39 f.: eine Unterlassung mache auch ohne Rücksicht auf eine vorhergehende oder begleitende Tätigkeit in allen Fällen aquilisch haftbar, wo sie sich als ein Zuwiderhandeln gegen eine bestehende Verbindlichkeit charakterisiert, gegen eine Pflicht zum Handeln; unter Verweis auf OLG Hamburg SeuffA., Bd. 45 Nr. 90, S. 153 ff.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Das eigentlich Maßgebliche an der oben zitierten Entscheidung ist dabei weniger die Konstruktion einer Staatshaftung im Gewand des außervertraglichen Verhältnisses als die Artikulierung einer mit der getroffenen Zweckbestimmung der Sache übernommenen selbstständigen Verantwortlichkeit des Eigentümers. Der Gedanke eines isolierten Pflichtenkomplexes infolge mehr oder minder gefährlichen Tuns existierte dabei unabhängig davon, ob sich die Verantwortlichkeit öffentlich- oder privatrechtlichen Ursprungs zeigte. In dieser Form finden wir hier die frühesten Ausprägungen der Anerkennung einer allgemeinen Gefahrenvermeidungs- und -abwendungspflicht, wie sie dem heutigen Recht nach wie vor in Gestalt der Verkehrspflicht immanent ist. In der Folgezeit nahm das Reichsgericht in einer Reihe von Entscheidungen eine Sachwalterhaftung sowohl für die öffentliche Hand als auch für private Eigentümer an, sofern diese in einem Gebäude oder ganz allgemein in öffentlich zugänglichen Räumen einen „Verkehr“ für andere eröffnet hatten. So wurde eine Pflicht zur ausreichenden Beleuchtung von Treppen oder Zugängen von vermieteten Wohnungen anerkannt27 oder eine Haftung für den mangelhaften Zustand von Straßen28 und Wegen,29 insbesondere im Hinblick auf unterbliebenes Streuen,30 ausgesprochen. All diesen Urteilen und Entscheidungsgründen ist das Merkmal der „Verkehrseröffnung“ gemeinsam, es dient als maßgebliches Kriterium, mit dem sich bei Unterlassung der nötigen Fürsorge eine Haftung des Eigentümers oder Unterhaltungspflichtigen begründen lässt. Die römisch-rechtlichen Quellen zur außervertraglichen Verantwortlichkeit – abgeleitet aus der lex Aquilia – bilden dabei die Basis der heutigen Rechtsfortbildung der deliktischen Unterlassungshaftung. b) Der Einfluss strafrechtlicher Normen Die Rechtsprechung der Zivilgerichte wurde – ausgehend von § 367 Nr. 12 StGB a. F.31 (s. o.) – von der strafrechtlichen Judikatur flankiert, die 27 Vgl. OLG Darmstadt SeuffA., Bd. 46 Nr. 96, S. 152 f.: „Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass bei dem (. . .) hergestellten Verkehr Andere durch die Anlagen des Hauses keinen Schaden an ihrem Körper leiden, (. . .) die dem allg. Verkehr dienenden Räume so einzurichten, dass sie ohne Gefahr passiert werden können“; auch RGZ 33, 225 ff.; RG in Bolze, Praxis, S. 103 Nr. 338. 28 RG SeuffA., Bd. 49 Nr. 76, S. 137 f.; JW 1901 S. 585, Nr. 29. 29 RGZ 48, 297 ff. 30 RG JW 1902, S. 149, Nr. 93. 31 Vgl. hierzu OLG Frankfurt a. M. in SeuffA., Bd. 50 Nr. 87, S. 155; RG SeuffA., Bd. 52 Nr. 156, S. 285 f.; RGZ 34, 32 ff.; vgl. weiter § 367 Nr. 11, 14 StGB a. F. und die Entscheidungen OLG Braunschweig SeuffA., Bd. 52, Nr. 155, S. 284; RGZ 6, 260; 17, 105. Es sind dies Beispiele der Erstreckung der Unterlas-

A. Verkehrspflichten

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v. Bar als eigentliche Wurzel der richterlichen Verkehrssicherungspflicht bezeichnet.32 In der Tat weist das Urteil des 2. Strafsenats des RG vom 19.10. 188633 deutliche Züge der Herausbildung einer Verkehrssicherungspflicht im heute verstandenen Sinne auf. In jenem Fall wurde ein Hausbesitzer eines Vergehens nach § 230 StGB (fahrlässige Körperverletzung) beschuldigt, weil er es unterlassen hatte, die Treppen und Korridore seines Mietshauses, das er mit anderen Parteien bewohnte, ausreichend zu beleuchten. Das Versäumnis führte zum Sturz eines Briefträgers, der sich bei dem Unfall Prellungen und Verstauchungen zuzog. Der Senat stützte in seiner Urteilsbegründung im Wesentlichen die Ausführungen der Vorinstanz (LG Stettin). Zwar lasse sich aus dem Eigentum allein keine Verantwortlichkeit für das Wohl anderer herleiten. Insofern sei der Eigentümer von dem Gebrauch seiner Sache, soweit nicht ausdrücklich per Gesetz bestimmt, niemandem zur Rechenschaft verpflichtet. „Wenn aber ein Hauseigentümer in Ausnutzung seines Eigentums Mitbewohner aufnimmt und dadurch oder auf andere Weise einen Verkehr in dem Hause herstellt, so hat er die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass bei dem von ihm hergestellten Verkehre andere durch die Anlagen des Hauses an ihrem Körper nicht Schaden erleiden; denn niemand darf sein Eigentum zur Herstellung gemeingefährlicher Einrichtungen benutzen.“34 Hier zeigt sich der gemeinsame Schnittkreis zivil- und strafrechtlicher Verhaltensgebote, die sich in der Frage der Installation des heutigen Verständnisses der Verkehrspflicht gegenseitig bedingten. c) Trias „Ingerenz – Gesetz – Vertrag“ als Bedingung gemeinrechtlicher Handlungspflichten? Die Entwicklung der Verkehrspflicht ist maßgeblich von drei Urteilen des Reichsgerichts beeinflusst. v. Bar begründet dies in Bezug auf die Entscheidungen im 52. und 54. Band mit dem wesentlich neuen Gedanken des Gerichts, dass Gefahrsteuerungspflichten auch dann entstehen können, wenn sie sich nicht auf Gesetz, Vertrag oder Ingerenz zurückführen lassen.35 In der Tat scheint die Rechtsprechung des ausgehenden 19. Jahrhunderts zusenshaftung auf die Fälle der Verletzung einer gesetzlichen Handlungspflicht, wie sie zu diesem Zeitpunkt auf Basis vieler strafrechtlicher Normen geschah. Erst in der Nachbetrachtung wird sich zeigen, wie unmaßgeblich diese zur Begründung der Haftung für Untätigbleiben eigentlich waren. 32 In: Verkehrssicherungspflicht, S. 13. 33 RGSt 14, 362 ff. 34 RGSt a. a. O., 362 (363). 35 In: Verkehrspflichten, S. 15.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

mindest eine dieser Komponenten als Voraussetzung der Haftung für Unterlassung im Sinne der lex Aquilia anzusehen. Allerdings klang oben schon an, dass dies nicht stets mit hinreichender Konsequenz durchgehalten wurde. Ein genauerer Blick in die Entscheidungsregister wird zeigen, dass diese Vermutung nicht unbegründet ist. Schon der 2. Zivilsenat des OLG Hamburg hielt in seinem Urteil vom 16.11.188936 die Haftung der Beklagten nicht dadurch für ausgeschlossen, „dass es sich nur um ein mit einem Thun nicht in unmittelbarer Verbindung stehendes Unterlassen handelt“. Es frage sich allein, „ob der Schaden durch ein ihnen zum Verschulden gereichendes Verhalten, Thun oder Unterlassen, herbeigeführt ist“. Während das Gericht im folgenden aber dennoch auf die §§ 83 und 89 des Baupolizeigesetzes rekurriert, ist der 3. Zivilsenat des OLG Hamburg einige Monate später ungleich klarer37: „Das schuldvolle Verhalten der Beklagten, wenn es hienach auch nur in einem Unterlassen geeigneter Maßregeln zur umgehenden Beseitigung und Vorbeugung von Gefahren besteht, begründet ihre Schadensersatzpflicht (. . .) zweifellos nach den Grundsätzen des aquilischen Gesetzes, weil sie in der Lage gewesen ist, die Möglichkeit des eingetretenen Unfalls vorauszusehen, und, sobald sie Kenntnis von irgendwelcher dem öffentlichen Verkehr durch ihr Eigentum drohenden Gefahr erlangte, verpflichtet war, dieselbe sogleich auszuschließen, soweit solches in ihren Kräften stand.“ An diesen Formulierungen zeigt sich: Essentiell zur Begründung einer Unterlassenshaftung ist das schuldhafte Verhalten der Parteien, nicht ein vorhergehendes Tun, privatautonome Verbindlichkeiten oder Normappelle.38 Hierauf zurückzugreifen war dem OLG im zu entscheidenden Fall, in dem eine Fußgängerin durch einen sich vom dritten Stockwerk eines Hauses lösenden Fensterpfosten verletzt wurde, auch gar nicht möglich. Zwar hatte die Beklagte vom instabilen Zustand des Pfostens gewusst. Sie beabsichtigte die erforderliche Reparatur auch vom Schwager eines Mitbewohners durchführen zu lassen. Ein vorangegangenes gefährliches Tun ließ sich aus dem bloßen Untätigbleiben dennoch nicht begründen. Schließlich existierte auch keine Vor36 OLG Hamburg SeuffA., Bd. 45 Nr. 90, S. 153 ff., in dem Fall ging es um Schadensersatzansprüche infolge eines Sturzes in eine Kellervertiefung. 37 OLG Hamburg SeuffA., Bd. 46 Nr. 17, S. 26 f.; vgl. auch OLG Celle SeuffA., Bd. 52 Nr. 20, S. 38 ff. 38 I. d. S. lässt sich auch Busch a. a. O., S. 142 verstehen, wenn er formuliert: „. . . die culpa allein ist es, und nach dem Sinne und Geiste des Gesetzes kommt es nicht auf die Frage an: Ob jemand durch positives Handeln geschadet, sondern darauf, ob er den Schaden verschuldet hat, gleichviel ob durch Tun oder Unterlassen“.

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schrift, aus der sich Rückschlüsse einer Verpflichtung zur Instandhaltung von Häusern ergaben. Indem das OLG Hamburg dennoch eine Schadensersatzpflicht konstatierte, zeigte es die Unmaßgeblichkeit weiterer Voraussetzungen zur Bejahung einer aquilischen Haftung aus Unterlassen. Die Entscheidungsbegründungen des RG im 52. und 54. Band sind in ihrem Ansatz demnach so neu nicht.39 An ihrer Bedeutung für die Verkehrspflichten im Allgemeinen ändert dies dennoch nichts. d) Die Pilotentscheidungen des RG nach 1900 In RGZ 52, 373 ff. hatte das Gericht über die Forderung des Klägers auf Ersatz des Schadens zu entscheiden, den dieser durch das Umstürzen eines morschen Baums auf sein Grundstück erlitten hatte. Der Baum stand auf einem öffentlichen Weg, das Baumgrundstück selbst im Eigentum der Gemeinde. Das OLG Marienwerder hatte als Berufungsinstanz die Haftung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft unter Hinweis auf § 735 Abs. 1 S. 1 des ersten Entwurfs des BGB40 zunächst abgelehnt. Darin hieß es: Der Besitzer eines Grundstücks ist verpflichtet, unter Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters dafür zu sorgen, dass ein auf dem Grundstücke befindliches Gebäude oder sonstiges Werk nicht in Folge fehlerhafter Errichtung oder mangelhafter Unterhaltung einstürzt.

Die Haftung des Eigentümers oder Besitzers eines umstürzenden Baumes sei aber insofern nicht erwähnt. Nichts anderes lasse sich aus den Motiven ableiten, die in ihren Grundsätzen vom diesbezüglich ebenso wenig aussagekräftigen römischen Recht geleitet seien. Hier hält das Reichsgericht dagegen. Abgesehen davon, dass es auf die Motive ohnehin nur unwesentlich ankomme,41 sei die Sachwalterhaftung für umfallende Bäume dem römischen Recht zumindest nicht unbekannt gewesen. So konnte der Nachbar wegen eines Gefahr drohenden Baumes eine cautio damni infecti42 fordern, ferner unterlag nach römischem Recht der 39

Anders v. Bar, a. a. O., ebd.; ders. in JZ 1979, 332 (333); wie hier: Kleindiek, Deliktshaftung, § 3, S. 68, der die Entscheidung des OLG als „beredtes Zeugnis richterrechtlicher Rechtsfortbildung“ bezeichnet, die beweise, dass die Verkehrspflichten schon unter der Geltung des gemeinen Rechts entwickelt wurden; s. a. MüKo-Wagner, § 823 Rn. 52. 40 Mot. II, S. 816. 41 RGZ 52, 373 (378): „allgemeine Unmaßgeblichkeit“. 42 Ein ausdrückliches Versprechen, dass ein etwaig eintretender Schaden ersetzt werde. Vgl. Baron, Pandekten, § 315, S. 580 f. unter Verweis auf D 39, 2, 7 pr. An

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auf das Nachbargrundstück gefallene Baum der Zurückbehaltung, bis der angerichtete Schaden erstattet, ein solches versprochen oder verbürgt worden war.43 Zwar finde sich derlei Haftung im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht wieder. Indes könne es „unmöglich der Sinn der neuesten Rechtsbildung“ sein, dass der „Rechtszustand nach dem BGB an billiger Abwägung der Interessen hinter dem des römischen Rechts zurückstehe“.44 Dies belege auch § 836 BGB, dem sich der – nicht singuläre, sondern allgemeine45 – Grundsatz entnehmen lasse, dass jeder (auch) für die Beschädigung durch seine Sachen insoweit aufkommen solle, „als er dieselbe bei billiger Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen hätte verhüten müssen“.46 Unter Aufhebung der Entscheidung der Vorinstanz hält das RG danach einen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB (nicht aus Abs. 2 der Norm, insoweit fehle es an einem Schutzgesetz) für möglich. Der Verweis auf § 836 BGB ist dabei als erstes Indiz zur Herausbildung eines allgemeinen Rechtsgedankens, in dem sich die Haftung des Grundstücksbesitzers als Ausgangspunkt der Verkehrspflichten erweist, anzusehen. Dem RG lag schließlich 1903 ein Fall zur Entscheidung vor,47 der als Fortführung der Rechtsprechung von 1902 angesehen werden kann. Er ist in seiner Entscheidungsbegründung überdies Konkretisierung derselbigen. Der Kläger verlangte hierin Schadensersatz für erlittene Verletzungen, die er sich bei einem Sturz auf einer Treppe, die im Eigentum der Gemeinde stand, zugezogen hatte. Grund des Sturzes war seiner Behauptung zufolge der verfallene Zustand der Treppe, die infolge fehlenden Streudiensteinsatsich war der Eigentümer nicht für den Schaden verantwortlich, der durch eine fehlerhafte Beschaffenheit seines Grundstücks entstanden war, da man annahm, dass ein solcher i. d. R. nicht durch eigenes Fehlverhalten, sondern durch fremdes oder Zufall (casus) eintrat. Wurde er jedoch vom Nachbar zur Stellung der cautio damni infecti aufgefordert, so sei er damit zugleich auf die fehlerhafte Beschaffenheit des Grundstücks aufmerksam gemacht worden. „Nach den Gewohnheiten eines guten Hausvaters“ sei er gehalten, hierauf den Fehler zu beseitigen, und der Nachbar berechtigt, Sicherstellung für den Schaden zu verlangen, welcher bei nicht erfolgender Ausbesserung eintritt. Zum Recht der cautio damni infecti s. a. die Materialien zu Art. 1028 des Dresdner Entwurfs eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldverhältnisse bei Schubert, Vorentwürfe, SchuldR III, S. 953 ff. 43 D 10, 4, 5, 4. 44 RGZ 52, 373 (379). 45 Hieran entzündet sich der Widerspruch v. Bars, a. a. O., S. 19 f.; ders. JZ 1979, 332 (334); dagegen jedoch mit ausführlicher Begründung Kleindiek, a. a. O., S. 85 ff. 46 RGZ a. a. O., S. 377; einen direkten Schluss argumtentum e contrario aus § 836 BGB wollte das RG nicht herleiten; Bäume seien eben weder „Gebäude“ noch „Werke“ i. S. d. Vorschrift. 47 RGZ 54, 53 ff.

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zes mit Glätte überzogen und überdies nur unzureichend beleuchtet gewesen sei. Das OLG Rostock lehnte eine privatrechtliche Schadensersatzpflicht der Stadtgemeinde ab. Dies lasse sich aus den reichsrechtlichen Vorschriften über das Eigentum, denen eine Restitutionspflicht hinsichtlich witterungsbedingt hervorgerufener Gefahren grundsätzlich fremd sei, nicht ableiten. Dem widersprach das RG unter Rückverweisung der Sache an die Vorinstanz.48 Aus den bestehenden Bestimmungen des BGB – insbesondere § 836 BGB – lasse sich der allgemeine Grundsatz entnehmen, dass ein jeder auch für Beschädigungen durch seine Sachen aufkommen solle, zumindest insofern, als er dieselbe bei billiger Rücksichtnahme auf die Interessen des anderen hätte verhüten müssen.49 Dies verpflichte denjenigen, der sein Grundstück zum öffentlichen Verkehr bestimme und einrichte, eben dieses in einer Weise zu tun, „wie es den Anforderungen der Verkehrssicherheit entspricht, dass ihm auch weiterhin eine Fürsorgepflicht in dieser Richtung obliegt, und dass also, wer einen Weg dem Publikum zum freien Gemeingebrauch gestellt hat und hierzu unterhält, für den Schaden aufzukommen hat, der durch die mangelhafte Instandhaltung oder Nichtbeseitigung von Verkehrshindernissen verursacht wird.50 Der Gebrauch des Begriffs der „Verkehrssicherheit“ ist dabei als Auslöser der noch heute üblichen Verwendung der „Verkehrssicherungspflicht“ zu sehen. Hinsichtlich Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt knüpft das RG an oben genannte vorhergehende Entscheidung an, wenngleich die Ausführungen detaillierter geraten. Eine allgemeine Regel, so das Gericht, lasse sich nicht aufstellen. Vielmehr bestimme sich dies beim Mangel einer bestehenden Spezialvorschrift „nach den Verhältnissen des Einzelfalls und nach dem 48 Die Frage einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung der städtischen Organe, für die Sicherheit des Verkehrs der ihnen unterstellten Wege zu sorgen, unterlag nicht-revisiblem Landesrecht. 49 RGZ a. a. O., 53 (58). 50 RGZ a. a. O., 53 (59). Das Gericht zitiert zudem auszugsweise (S. 57) die Entscheidung des OAG Lübeck in SeuffA., a. a. O., ebd., was ihm die Kritik Hofackers, Verkehrssicherungspflicht, S. 8, ders. in BayVbl. 31, 365 (366) einbrachte und Esser JZ 1953, 129 (132) zu der Aufsehen erregenden Äußerung veranlasste, die Verkehrssicherungspflichten seien „aus wilder Wurzel entsprungen“. Anlass war der Umstand, dass das RG die Entscheidung des OAG Lübeck nur unvollständig übernahm (es fehlten die Worte „gegen Abgaben“). Damit – so Hofacker – täusche es zu Unrecht eine gewachsene Rechtsentwicklung vor, ein Berufen hierauf entbehre einer sachlichen Vergleichsgrundlage. Indes kommt es, wie v. Bar, a. a. O., S. 32 f. und Kleindiek, a. a. O., S. 85 überzeugend darlegen, auf die Wortwahl (und damit auf die Frage der Entgeltlichkeit) nicht entscheidend an. Die Möglichkeit einer aquilischen Unterlassungshaftung war in der Judikatur des gemeinen Rechts hiervon – wie oben aufgezeigt – völlig unabhängig und allgemein anerkannt. Einer Erwähnung der Entgeltfrage hatte es somit seitens des RG nicht bedurft.

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Maßstabe der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt“. Dabei könne es auf „die Art und den Umfang des an dem betreffenden Ort bestimmungsgemäß stattfindenden Verkehrs, auf die sonstigen örtlichen Verhältnisse“ oder „auf die Tunlichkeit und Wirksamkeit von Sicherungsmaßregeln ankommen“.51 Die dritte – in Bezug auf die Entwicklung der Verkehrspflichten als maßgeblich zu bezeichnende – Entscheidung des RG behandelt die Klage eines Metzgermeisters, der sich bei der Notschlachtung seines an Milzbrand erkrankten Rindes selbst mit dem Erreger infizierte.52 Seiner Behauptung zufolge hatte es der eigens hinzugezogene Tierarzt durch Fahrlässigkeit verschuldet, dass es bei der Tötung und Untersuchung des Tieres zur Ansteckung mit dem Milzbranderreger gekommen sei, indem dieser eine Daumennarbe des Klägers nicht genügend desinfiziert habe. Dem Schadensersatzanspruch des Metzgers gab das OLG Karlsruhe als Berufungsinstanz zu ¾ statt und bejahte ein dem Tierarzt vorwerfbares Verhalten, da dieser es unterlassen habe, für die richtige Desinfektion und Behandlung der Wundnarbe Sorge zu tragen und dem Kläger die Weiterarbeit an dem Rind zu verbieten. Insbesondere sei der Beklagte seiner Belehrungspflicht hinsichtlich einer möglichen Ansteckungsgefahr und der Erforderlichkeit von Hygienemaßnahmen nur unzureichend nachgekommen. Nach Ansicht des RG hielten die Urteilsgründe der Entscheidung stand. Zwar gebe es keine allgemeine Rechtspflicht dahingehend, dass ein jeder Sorge für die Gesundheit anderer tragen müsse.53 Dies verhalte sich jedoch anders, wenn jemand im Zusammenhang mit der Eröffnung eines Publikumsverkehrs einen Beruf ausübe und im Zuge dessen eine Verantwortung dafür übernehme, „dass da, wo von seinen Diensten Gebrauch gemacht wird, ein geordneter Verlauf der Dinge gewährleistet ist“.54 Den Tierarzt treffen damit nicht lediglich Rechtspflichten im Hinblick auf die Unversehrtheit des Tieres. Ein solches wäre vom hier entschiedenen Fall völlig unabhängig, stand doch das Rind nicht im Eigentum des Metzgermeisters, der lediglich die Schlachtung durchführen sollte.55 Vielmehr bejaht das RG die unter § 823 Abs. 1 BGB aufgeworfene Frage, ob dem hinzugezogenen Veterinärmediziner auch eine Rechtspflicht dahingehend 51

RGZ a. a. O., 53 (59). RGZ 102, 372 ff. 53 Beispielhaft zählt das RG auf, dass niemand ohne weiteres gehalten sei, „im Vorbeigehen auf der Strasse ein gefährliches Spiel fremder Kinder, eine gefahrdrohende Rauferei“ oder eine „unvorsichtige Behandlung ansteckungsgefährlicher Wäsche von Kranken zu hindern“; a. a. O., 372 (375). 54 RGZ a. a. O., ebd. 55 Dies wäre also zuvörderst eine Frage vertraglicher Haftung zwischen Eigentümer und Tierarzt. 52

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zukomme, für die Gesundheit und das körperliche Wohlbefinden der an der Untersuchung und Behandlung des Tieres tätigen Personen Sorge zu tragen. Dies sei der Fall, da durch die Berufsbetätigung „besonders geartete Rechtspflichten erzeugt werden, die man in einem umfassenderen Sinn Verkehrspflichten nennen kann“.56 Die Entscheidung ist als Fortführung der neuen rechtsprechungsgeprägten Linie einer qualitativen Aufwertung der Verkehrssicherungspflichten durch berufliche Einstandspflichten zu sehen.57 Die erstmalige Erwähnung des Ausdrucks „Verkehrspflicht“ ist insofern von Bedeutung, als er den Boden für die heutige Unterscheidung zwischen Verkehrs- und Verkehrssicherungspflicht ebnet.58 Hier wird deutlich, dass eine Pflicht im Verkehr mehr betrifft als lediglich die Sicherung von Gefahren, die möglicherweise aus der Herrschaft über bestimmte Sachen oder Sachbereiche resultieren können. Kurz gesagt: Die Pflichten – das zeigt das letzte Reichsgerichtsurteil exemplarisch – beschränken sich nicht nur auf Sicherungsmaßnahmen für gefährliche Sachen, der Verkehr beschränkt sich nicht nur auf Immobilien. Sie umspannen den gesamten – der Öffentlichkeit in jedweder Weise zugänglichen – Lebensbereich, der im Begriff der „Verkehrspflicht“ sein genus proximum, in dem der „Verkehrssicherungspflicht“ seine Subspezialisierung findet. e) Fazit Die drei aufgezeigten Urteile sind Marksteine in der Entwicklung der Verkehrspflichten. Deren früheste Prägung reicht bis weit in das gemeine Recht zurück, das die Haftung wegen Unterlassens, auch unabhängig von 56 RGZ 102, 372 (375). Eine vertragliche Schadensersatzpflicht diskutierte das Gericht nicht, obwohl es unter dem Gesichtspunkt des Vertrages mit Schutzwirkung für Dritte Anlass gegeben hätte. 57 Diese setzte bereits ein halbes Jahr zuvor mit der „Rollfuhrunternehmen-Entscheidung“ des RG im selben Band, S. 38 ff. ein. In dem Fall wurde einem Rollfuhrunternehmen während der Ausführung eines Auftrages zur Abrollung von Waren die Kaufsache vom Rollwagen gestohlen. Das RG bejahte die Verletzung einer Verkehrspflicht. Wer es sich als Gewerbeunternehmer zur Aufgabe mache, zum Zwecke des eigenen Erwerbes fremdes Eigentum als Spediteur von einem Orte zum anderen zu befördern, übernehme vermöge dieses Gewerbebetriebes eine Obhutsund Überwachungsverpflichtung an allen in seinem Gewerbebetrieb an ihn gelangenden, im fremden Eigentum stehenden Sachen. Ähnlich wie derjenige, der einen Verkehr, sei es auf einem Wege, sei es zu oder in einem Hause, eröffne, lediglich durch diese rechtserhebliche Tatsache auch die Verpflichtung übernehme, für die Sicherheit dieses Verkehrs Sorge zu tragen, so übernehme auch der Gewerbetreibende, der sich mit der Beförderung fremder Eigentumsgegenstände befasse, die Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Behandlung dieser Gegenstände. 58 Siehe zur Unterscheidung oben 1. Teil, A. I. 1.

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Vertrag, Gesetz und gefahrschaffendem Vorverhalten, bereits kannte. Das RG formierte dabei den römisch-rechtlichen Urtyp aquilischer Gefahrenabwendungs- und -vermeidungsverbote zu einem bis heute anerkannten Tatbestand allgemeiner deliktischer Unterlassungshaftung für die Verletzung von Verkehrssicherungspflichten. Allen drei Entscheidungen ist gemeinsam, dass sie eine wichtige Funktion der Verkehrspflichten – die Gleichstellung von aktivem Tun und Unterlassen – etablieren. Zugleich lassen sich zumindest grobe Kategorien eines Aufgaben- und Pflichtenbereichs herausstellen, eine an sich – wollte man dies in seiner Aufzeichnung konsequent vollständig und trennscharf durchhalten – wegen der Flut von Gerichtsentscheidungen schier unlösbare Aufgabe. Versucht man sich dennoch ihr, so mögen die ersten beiden Gerichtsentscheidungen aus den Jahren 1902/03 dem Verantwortungsbereich für einen räumlich-gegenständlichen Herrschaftsbereich zuzusprechen sein, letztere eher dem einer Übernahmehaftung mit deutlicher Gewichtung des Berufszweiges.59 3. Funktion a) Unterlassen und mittelbare Schädigung Die traditionelle Funktion der Verkehrspflichten liegt gemeinhin in der Gleichstellung von aktivem und passivem Tun. Zwar ist für die Bejahung des Unrechtstatbestandes des § 823 Abs. 1 BGB ein solches an sich nicht erforderlich. So ist allgemein anerkannt, dass eine Handlung und ein darauf beruhender Verletzungserfolg nicht nur durch die Vornahme einer Handlung, sondern auch durch bloßes Unterlassen vollzogen werden kann. Während jedoch das aktive Tun zur Begründung des Haftungstatbestandes nichts weiter benötigt als adäquat-kausale Erfolgzurechnung, genügt dies für eine Unterlassenshaftung nicht. Hier bedarf es zur Anpassung an die positive Handlung einer weitergehenden Rechtspflicht, die als Korrektiv zum kaum eingrenzbaren Bereich der möglichen Unterlassenspflichtigen fungiert.60 Ähnlich wie im Strafrecht beschränkt sich demnach das Unterlassen nicht 59

Diese Einteilung nimmt vor: Larenz/Canaris, SchuldR II/2, § 76 III 1 a, b. Dies zeigt plastisch Deutsch, HaftungsR, B VI 4 b, c, Rn. 98: § 823 Abs. 1 BGB enthalte – im Gegensatz zu z. B. § 17 StVO – ein Gefährdungsverbot und kein Handlungsgebot, aus dem sich bei Verletzung, wie im Fall der StVO-Norm, ohne weiteres eine Verantwortlichkeit (§ 823 Abs. 2 BGB) begründen ließe. Um es für die Haftung aus Unterlassen kompatibel zu machen, müsse die Verbotsnorm in eine Gebotsnorm umgewandelt werden. Dies sei nur mittels einer entsprechenden Pflicht zum Tätigwerden möglich; s. a. Schmidt/Brüggemeier, Grundkurs, S. 291. 60

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auf bloßes Nichtstun, sondern auf die Nichtvornahme einer rechtlich gebotenen Tätigkeit. Kriterien für eine solche sind – wie oben schon gezeigt werden konnte, und auch dies kaum anders als im Strafrecht – Vertrag, Gesetz bzw. vorangegangenes gefährdendes Tun (Ingerenz).61 Als weitere Quelle kommt vor allem die Rechtsfortbildung durch die Gerichte in Gestalt der Verkehrspflicht in Betracht.62 Sie ist Äquivalent aller nicht kodifizierten Handlungsgebote, mit gleicher funktioneller Ausrichtung, nämlich der Bestimmung der Verantwortlichkeit des Schädigers.63 Über den Inhalt der Pflichten selbst ist damit allerdings noch nicht viel gesagt. Allgemeine Kriterien lassen sich hierbei angesichts der Fülle der Entscheidungen und im Hinblick auf fast unmöglich zu bewältigende praktische Möglichkeiten ohnehin kaum konstruieren. Somit bleibt letztlich nur auf die seitens der Rechtsprechung nahezu stereotyp wiederholte Bemerkung rekurrieren, dass demjenigen, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenquelle schafft oder andauern lässt, die Pflicht zukommt, alle nach Lage der Verhältnisse möglichen und erforderlichen Sicherungsmaßnahmen zum Schutze anderer Personen zu treffen, so genannte Sicherungspflichten.64 61 Vgl. die einschlägige Rspr. oben; für die Lit.: Esser/Schmidt, SchuldR AT I, § 25 III, S. 60; Deutsch, a. a. O., ebd.; Enneccerus/Lehmann, SchuldR II, § 234 II 2. 62 Deutsch, a. a. O., Rn. 102: „Die Rechtsquelle ist eher Anlass, die sachliche Notwendigkeit dagegen Grund für die Pflicht zum Handeln“. 63 Wagner in MüKo § 823 Rn. 223 f. will die Verkehrspflichten in Pflichten zur Kontrolle von Gefahrenquellen und zur Fürsorge bestimmter Rechtsgüter (in Anlehnung an die strafrechtstypische Unterscheidung von Überwacher- und Beschützergarant) kategorisieren. Beispiel einer solchen Fürsorgepflicht sei der oben schon erwähnte Fall des RG, in dem es ein zur Notschlachtung einer an Milzbrand erkrankten Kuh herbeigerufener Tierarzt verabsäumte, den ebenfalls anwesenden Schlachter, der an der Hand eine Wunde hatte, vor Ansteckung zu schützen. Typischerweise sind Verkehrspflichten jedoch Überwacherpflichten. Auch der „Milzbrand-Fall“ lässt sich durchaus so verstehen, dass die eigentliche Gefahr für den Metzgermeister nicht durch die Erkrankung des Tieres, sondern im Grunde erst durch die Freigabe zur Schlachtung durch den Arzt entstand. Dann aber setzte dieser eine Gefahrenquelle, deren Abwendung in dessen Zuständigkeitsbereich fiele und ihn so zum Überwacher, nicht zum Beschützergaranten, machte. Letzteres wird wohl ohnehin nur denkbar sein, sofern den Verantwortlichen Sicherungspflichten zum Schutz fremder Rechtsgüter vor Gefahren treffen, die ihnen von Dritten oder infolge des Verhaltens des Rechtsgutsträgers drohen, ohne dass der Pflichtige selbst die Gefahrenquelle gesetzt hat. Dass eine derartig begründete Einstandspflicht nur ausnahmsweise in Betracht kommen kann, bemerkt Wagner selbst, s. Rn. 227. I. Ü. treffen Beschützergaranten oft Handlungspflichten aus übernommener oder zu übernehmender Fürsorge – diese resultieren dann allerdings i. d. R. aus Vertrag, so dass es des Gleichstellungsgrundes der Verkehrspflicht nicht bedarf.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Eine ähnliche funktionelle Aufgabe kommt den Verkehrspflichten im Hinblick auf mittelbare Verletzungen zu. Während jedoch das Erfordernis einer spezifischen Sorgfaltspflicht bei Unterlassungen leicht verständlich ist, scheint es so einfach bei nur indirekt vermittelten Einwirkungen nicht zu liegen. Dies hängt mit dem Verständnis des § 823 Abs. 1 BGB als Deliktstatbestand zusammen, der vorrangig auf unmittelbare Verletzungshandlungen zugeschnitten ist. Zur Bejahung des haftungsbegründenden Tatbestandes und damit der Annahme widerrechtlichen Verhaltens bedarf es hier lediglich der Einwirkung auf Leben, Körper, Gesundheit etc. und eines diesbezüglich adäquat-kausalen Zusammenhangs. Die Rechtswidrigkeit des deliktischen Handelns ist bei unmittelbaren Eingriffen nicht davon abhängig, ob der Täter eine Verkehrspflicht verletzt hat. Dies unterscheidet sie maßgeblich von den Fällen des Unterlassens. Dass indes auch bei positivem Tun auf die Notwendigkeit der Verletzung einer Sorgfaltspflicht nicht verzichtet werden kann, zeigt nachgerade der Bereich der mittelbaren Verletzungen.65 Die Notwendigkeit einer Verhaltenspflicht – trotz aktiver Handlung – resultiert hier aus der entfernten Folge des Erfolgseintritts. Die Schädigung selbst wird nämlich erst durch das Hinzutreten weiterer Umstände, wie Opfer-Verhalten, Intervention Dritter oder anderer externer Eingriffe in den Kausalverlauf, z. B. durch Naturkatastrophen o. ä., bewirkt. Eine Verantwortlichkeit des Schädigers hier allein aus dem Kausalzusammenhang abzuleiten, hieße den Vorwurf der Pflichtverletzung auf alle möglichen potentiellen Verursacher auszuweiten. Dies lässt sich exemplarisch am Fall des Inverkehrbringens von gefährlichen Produkten (wie z. B. Waffen oder Feuerwerkskörper) verdeutlichen.66 Kommt es infolge des Einsatzes der gekauften Ware zu Verletzungen des Käufers, sind prinzipiell sämtliche Zwischenstationen vom Hersteller über den einzelnen Produktionstechniker bis zum Verkäufer ursächlich im Sinne der condicio sine qua non- und Äquivalenztheorie geworden. Denn ihre 64 Zuletzt OLG Celle NJW 2003, 2544; vgl. ferner BGHZ 5, 378 (380); 14, 83 (85); 34, 206 (209); 103, 338 (340); 121, 367 (375). 65 Im Einzelnen ist die Abgrenzung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen strittig; vgl. die unterschiedlichen Ansätze bei v. Caemmerer in: FS DJT II, S. 131 ff.; Larenz in: FS für Dölle I, S. 193. 66 Es sind dies typischerweise Tätigkeiten, die zwar gefahrbelastet, aber dennoch erlaubt sind. Sie werden auch nicht dadurch – quasi rückwirkend – verboten, dass sie eine entfernte Verletzung zur Folge haben. Während also die unmittelbaren Verletzungen eo ipso pflichtwidrig sind (niemand wird sich des tatbestandlichen Unrechts erwehren, wenn er einen anderen erschießt, der Unwertgehalt ist hier augenfällig), bedarf es bei den mittelbaren Verletzungen schon allein deshalb einer besonderen Feststellung, die Pflichtwidrigkeit darf nicht „ex eventu“ geschlossen werden, vgl. dazu Huber in: FS für E. R. Huber, S. 276; s. a. Westen in: FS für v. Hippel, S. 569 f.

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Handlungen können letztlich nicht hinweggedacht werden, ohne dass auch der Erfolg der Beeinträchtigung der körperlichen Integrität in seiner bestimmten Form entfiele. Erst recht wirkte hier der Filter der Adäquanztheorie zu ungenau, da jeglicher Akt jedes einzelnen Gliedes in der Ursachenkette nicht nur unter ganz besonders eigenartigen, gänzlich unwahrscheinlichen und nach dem regelmäßigen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen geeignet ist, die Herbeiführung des Schadenseintritts zu bewirken.67 Es bliebe dann bei Abstellen auf den Erfolgsunwert der Handlung nur die Tatbestandsmäßigkeit des § 823 Abs. 1 BGB zu bejahen und sich auf die Suche nach einem Rechtfertigungsgrund zu begeben.68 Hier wird deutlich, wie sehr es – vergleichbar dem Komplex der Unterlassungen69 – eines Korrektivs zur Bestimmung der Verantwortlichkeit in Form einer Pflicht zur Vermeidung bzw. Abwendung der Gefahr bedarf. Diese Notwendigkeit resultiert aus einem Bedürfnis, nicht erst auf der unsicheren Ebene der Rechtswidrigkeit nach Regulativen für die Unbestimmtheit des Tatbestandes zu suchen. Dies mündet zugleich in die Frage der Verortung der Verkehrspflichten im Deliktsaufbau des § 823 BGB. Soweit es um die Verletzung einer allgemeinen Sorgfaltspflicht geht, kann eine Schadensersatzpflicht nur bei Vorliegen eines Rechtswidrigkeitszusammenhangs begründet werden.70 Dies bedeutet, dass das verletzte Ver67

Vgl. zur Adäquanztheorie nur RGZ 158, 34 (38). Ausgehend von der Lehre vom Erfolgsunrecht, der weite Teile der Literatur (Palandt-Sprau, § 823 Rn. 24; Erman-Schiemann, § 823 Rn. 146) folgen, wäre die Rechtwidrigkeit angesichts des aktiven Tuns zunächst einmal indiziert. Hieran zeigen sich jedoch exemplarisch die Grenzen, an die die Auffassung stößt. Bei mittelbaren Verletzungshandlungen kann eine Rechtswidrigkeitsindikation an sich nicht funktionieren. Ein Abstellen lediglich auf den Erfolgswert führte zu einer uferlosen Ausweitung des Haftungsbereichs. Diese Schwäche umgeht die Lehre vom Verhaltensunrecht, vgl. Enneccerus/Nipperdey, AT des BGB, § 209; Schmidt/Brüggemeier, Zivilrechtlicher Grundkurs, S. 295; Brüggemeier, DeliktsR, Rn. 106 f.; Kötz/Wagner, a. a. O., Rn. 101 jeweils in Nuancen untereinander abweichend. Beide Theorien verbindend Larenz/Canaris, a. a. O., § 75 II, die zwischen unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen trennen und korrespondierende Erfolgs- bzw. Gefahrvermeidungspflichten aufstellen. Die Rspr. zeigt sich uneinheitlich. Seit der BGH allerdings in BGHZ 24, 21 ff. den Begriff des „verkehrsrichtigen Verhaltens“ als Rechtfertigungsgrund etablierte, sieht sich die Lehre vom Handlungsunrecht in ihrer Meinung bestätigt. Mehr und mehr wird die Diskussion um den Inhalt der Rechtswidrigkeit jedoch von der Frage des Handlungs- und Zurechnungsbegriffs verdrängt. 69 v. Bar, Verkehrspflichten, S. 154 ff. und Larenz/Canaris, a. a. O., § 76 III 1c weisen zu Recht darauf hin, dass mittelbare Verletzungshandlungen und Unterlassungen strukturell starke Ähnlichkeiten aufweisen. Diese zeigen sich gerade im angesprochenen Bereich. Auch bei Unterlassungen setzt die letzte, zum Erfolg führende Ursache, nicht der Ersatzpflichtige. 70 Vgl. Stoll, AcP 162 (1963), 203 (234). 68

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

haltensgebot gerade zum Zweck des Schutzes der verletzten Person und des geschützten Rechtsguts sowie der Abwendung derjenigen Gefahr auf den Plan gestellt ist, die sich in der konkreten Rechtsverletzung verwirklicht hat. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm zwingt dabei den Anwender, das Verhaltensgebot entsprechend der Verkehrspflicht auszurichten. Anderenfalls bliebe sie inhaltsleer. Das bedeutet zugleich, dass beide nur im Zusammenhang erörtert werden können. Dies hat – entgegen einigen Stimmen in der Literatur71 – zur Konsequenz, dass der Problemkreis der Verkehrspflichten bereits im Tatbestand der Norm im Zusammenhang mit den Prüfungspunkten der Kausalität und objektiven Zurechnung zu diskutieren ist. Zugleich nimmt dieses Ergebnis den Vertretern der Lehre des Erfolgsunrechts einen Teil ihrer systemtheoretischen Schwäche bei mittelbaren Eingriffen. So lässt sich eine Rechtswidrigkeitsindikation sehr wohl bei indirekten Verletzungshandlungen aufrechterhalten, ist doch die Pflichtwidrigkeit des Handelns bereits auf Tatbestandsebene diskutiert worden und eine separate Prüfung des Unrechtswertes somit überflüssig.72 Für Unterlassungen ergibt sich die Prüfung im Rahmen des Deliktstatbestandes zudem schon daraus, dass die unterlassene Handlungspflicht nicht ohne Feststellung der diese tragenden Sorgfaltspflicht zu benennen ist. Aber auch bei mittelbarer Verursachung empfiehlt sich dieses Vorgehen. So wurde oben bereits angesprochen, dass positives (indirektes) Tun und Nichtvornahme einer Handlung in Funktion und Erscheinung so unterschiedlich nicht sind.73 In der Tat kann es keinen Unterschied machen, ob der Ansatz des Schuldvorwurfs bei der Verletzung eines Passanten, der mit dem Fuß in eine ungesicherte Öffnung der Straßendecke infolge Bauarbeiten tritt, im Aushub der Straße oder in der mangelhaften Sicherung durch 71 Vgl. Esser/Weyers, SchuldR Bd. 2, § 55 II 3, die das Problem in die Rechtswidrigkeit verlegen. Übereinstimmend ordnen v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff.; ders. JuS 1988, 169 (173); Deutsch/Ahrens, DeliktsR, Rn. 276; Huber in: FS für von Caemmerer, S. 380 die Verkehrspflichten den Schutzgesetzen i. S. d. § 823 Abs. 2 zu. Mertens in AcP 178 (1978), 227 (231 ff.) wünscht sich gar die Einführung eines „ungeschriebenen § 823 Abs. 3“. 72 Vgl. Larenz/Canaris, a. a. O., § 75 II 3c: bei unmittelbaren Eingriffen indiziere der Erfolg i. V. m. der Verletzung der Erfolgsvermeidungspflicht die Rechtswidrigkeit, bei mittelbaren Beeinträchtigungen die Verletzung der Gefahrvermeidungspflicht i. V. m. dem Erfolg; wie hier: Raab JuS 2002, 1041 (1047); Fikentscher, SchuldR, Rn. 1059; Erman-Schiemann, § 823 Rn. 76; MüKo-Wagner, § 823 Rn. 62. 73 Insofern ist Deutsch, a. a. O., Rn. 97 zuzustimmen, wenn dieser zwar von einem Gegensatz in der äußeren Erscheinung ausgeht, jedoch einen Gleichklang im Willensbereich feststellt: „Man kann einen Waldbrand ebenso in seinen Willen aufnehmen, indem man Feuer legt, wie dadurch, dass man eine Flamme, durch Funkenflug entzündet, nicht austritt“.

A. Verkehrspflichten

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die Arbeiter gesehen wird. Die Rechtsähnlichkeit beider Institute mag dann auch ein nicht unerhebliches Indiz für dieselbe Systemstelle in der deliktsrechtlichen Norm sein.74 In der Verbindung der Ursächlichkeit des Verhaltens mit der vernachlässigten Pflicht zum Schutze anderer Personen ist dann die Lücke unbegrenzter Erfolgszurechnung bei Unterlassungen wie bei aktivem Tun (mittelbare Verletzungshandlungen) gleichermaßen geschlossen. Damit bewirken die Verkehrspflichten eine Risiko- und Haftungsbegrenzung auf einen bestimmten Personenkreis. Vergegenwärtigt man sich jedoch das Leitbild des § 823 Abs. 1 BGB und den direkten und unmittelbaren Eingriff, so gelangt man zum umgekehrten Ergebnis: Die Verkehrspflichten als Haftungserweiterung für alle Zurechnungshandlungen, die den Geschädigten nicht unmittelbar treffen. Diese Funktion der Sorgfaltspflicht steht zugleich Pate für eine überkommene Lehre, im Wesentlichen von von Caemmerer begründet,75 die die traditionelle These, wonach die Funktion der Verkehrspflichten allein in der Bestimmung der Rechtswidrigkeit bei Unterlassungen liege, widerlegt. b) Transformation einer Gefährdungshaftung Zum Teil wird in der Literatur im Übertrag von Zurechnungsprinzipien des Gefährdungsrechts in die Haftung für Fahrlässigkeit eine weitere Funktion der Verkehrspflichten gesehen.76 Dies ist nicht von vornherein unverständlich77 und impliziert den Ausspruch eines Vorwurfs an die Rechtspre74 Vgl. noch Medicus, BR, Rn. 646, der die Rechtsähnlichkeit von Unterlassen und mittelbarer Verletzung darin erblickt, dass bei beiden die Adäquanz zur Indikation rechtswidriger Tatbestandserfüllung nicht ausreiche. In dieser einheitlichen Funktion, sieht er den Grund dafür, die Verkehrspflichten bei der Zurechnung des tatbestandsmäßigen unvorsätzlichen Verletzungserfolgs zu einer bestimmten Person zu prüfen und überwindet dabei die Zweispurigkeit, in der die Verkehrspflichten „erscheinen“ (Handlungsbegriff/Rechtswidrigkeit), vgl. Rn. 647; Mertens VersR 1980, 397 ff. will zwischen einer legislativen (Haftung für unmittelbare Eingriffe) und judiziellen (Haftung für Verkehrspflichtverletzungen) Konzeption unterscheiden, wobei die legislative von der judiziellen „überlagert“ werde. 75 In: FS DJT II, S. 77 f. 76 MüKo-Mertens, 3. Aufl., § 823 Rn. 206; ders. in: VersR 1980, 397 (398); v. Bar, Verkehrspflichten, S. 114 f., 128 ff., 136 ff.; Erman-Schiemann, § 823 Rn. 82. 77 Immerhin sind sich Gefährdungstatbestände und Verkehrspflichten phänomenologisch nicht so unähnlich: Beide konstituieren die Haftung für gefährliches, aber erlaubtes Tun; die Pflichtigen sind verantwortlich, weil sie Nutznießer ihrer Vorteile sind. Die Ähnlichkeit offenbart sich bei der Produkthaftung, die die Rspr. als Gefährdungs- (§§ 1 ff. ProdHaftG) und Verschuldensnorm für Verkehrspflichtverletzung (Produzentenhaftung) ausgestaltet hat.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

chung. So hat maßgeblich Esser78 dargetan, die Judikatur entferne sich mit Einführung der Verkehrspflichten zunehmend von der Verschuldenshaftung hin zur verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung.79 In der Tat sind die Maßstäbe, die die Gerichte an die zu erfüllende Sorgfaltspflicht des Verantwortlichen stellen, oft derart hoch, dass sie die Prüfung des Verschuldens im Fahrlässigkeitsbereich nahezu präjudizieren, so dass ihr kaum noch Auslesefunktion zukommen kann.80 Dies mag in Einzelfällen ungerecht erscheinen und wenig mit der praktischen Realität zu tun haben. Es darf jedoch nicht zu der Annahme verleiten, die Verschuldensprüfung wäre neben der Feststellung der Verkehrspflichtverletzung überflüssig.81 Die überwiegende Lehre und Rechtsprechung machen dies mit der Aufspaltung des Verschuldenselements in äußere und innere Sorgfalt deutlich.82 Mit der Verletzung der Verkehrspflicht ist zunächst einmal nur eine Außerachtlassung der äußeren Sorgfalt belegt. Diese bezeichnet als solche ein Verhaltensgebot, das generell an einen durchschnittlichen Menschen in Form von sach- und normgemäßem Tun gestellt und im Tatbestand der Norm geprüft wird. Damit ist aber noch nichts über die individuelle Vorwerfbarkeit gesagt, wie sie als intellektuell-emotionaler Vorgang83 mit Erkennbarkeitsbezug in Form der inneren Sorgfalt erscheint. Ist dieser bei der haftungsrechtlichen 78

In: JZ 1953, 129 ff. Ders., a. a. O., ebd.: „praktisch unkontrollierbare Vermengung von Schuld- und Gefährdungselementen“. 80 Vgl. nur BGH VersR 1958, 851; VersR 1990, 1289 („höchste Anforderungen“ an die sichere Aufbewahrung von Waffen); OLG Düsseldorf VersR 1990, 903. 81 Dies gilt gerade, wenn es auf die Deliktsfähigkeit von Minderjährigen i. S. d. §§ 827, 828 BGB ankommt. 82 v. Bar JuS 1988, 169 (173); Deutsch JZ 1988, 993 ff.; Deutsch/Ahrens, a. a. O., B IV. 4c; dem folgt die Rspr. in einzelnen Entscheidungen, vgl. BGHZ 80, 186 (196 ff.); BGH NJW 1994, 2232 (2233). Das Element der inneren Sorgfalt ablehnend: Kötz/Wagner, a. a. O., Rn. 118. Brüggemeier, a. a. O., Rn. 113 und in Prinzipien des Haftungsrechts, S. 74 ff., will hieraus die Konsequenz eines zweistufigen Fahrlässigkeitsdelikts, bestehend aus Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit entnehmen; anders Stathopoulos in: FS für Larenz, S. 631 ff., der dem fahrlässigen Verhalten eine doppelte Funktion (als Rechtswidrigkeits- und Verschuldenselement) zuschreibt und damit der gesetzlichen Konzeption eines dreistufigen Aufbaus treu bleibt. Im Ergebnis setzen die Vertreter die Verkehrspflichtverletzung mit der Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt i. S. d. § 276 Abs. 2 BGB gleich; vgl. dazu auch MüKo-Wagner, § 823 Rn. 39, 63, der vieles für die Idee Brüggemeiers übrig hat, die Verschuldensprüfung jedoch aufrechterhält, auch wenn sie „das Meiste von ihrem Inhalt und ihrer Bedeutung“ verloren habe. 83 Deutsch/Ahrens, a. a. O., § 10 II 3. 79

A. Verkehrspflichten

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Prüfung unverzichtbar, so geht ein Vergleich mit der Gefährdungshaftung fehl. Eine entsprechende Funktion im oben bezeichneten Sinne entsteht daher für die Verkehrspflicht nicht. In diesem Zusammenhang ist auch der immer wieder auftauchende Begriff der „Garantenstellung“ zumindest irreführend. Denn einer Garantiehaftung ist der Delinquent – wie oben dargelegt – gerade nicht ausgesetzt.84 c) Die Funktion als Abgrenzungskriterium Mit der Feststellung ihrer spezifischen Funktion wird den Verkehrspflichten zugleich ein eigenständiger Anwendungsbereich im deliktsrechtlichen System zugesprochen. Sofern diese zum Teil mit den allgemeinen Sorgfaltspflichten gleichgesetzt werden,85 erfolgt dies zwar aus einem nachvollziehbaren Rechtswidrigkeitsverständnis. Denn verlangt man – wie die Vertreter der Lehre vom Handlungsunrecht – bei nicht vorsätzlichen Taten stets die positive Feststellung der Rechtswidrigkeit anhand eines Sorgfaltsmaßstabes, ist der Gradmesser verkehrsrichtigen Verhaltens unabhängig von unmittelbaren, mittelbaren oder Unterlassungshandlungen in jedem Fall einzuhalten. Da hier die Tatbestandsmäßigkeit nicht die Rechtswidrigkeit indiziert, verliert die ursprüngliche Funktion der Verkehrspflicht und damit auch ihr Wesen selbst in der Tat ihren Sinn.86 Als Qualifizierung einer eigenständigen Ausrichtung innerhalb der deliktischen Sorgfaltspflichten sollte sie dennoch bestehen bleiben. Andere Auffassungen der Unrechtslehre werden dies ohnehin für unerlässlich halten. So gilt es zuvörderst auf die Funktion der Verkehrspflicht abzustellen: Nur wo diese ihren traditionellen Sinn behält, lässt sich der Terminus aufrechterhalten. Mithin kommt es bei der einzeln zu prüfenden Pflicht darauf an, ob sie eine Rechtspflicht zum Handeln bei Unterlassungen konkretisiert bzw. zur Aussiebung des Schädigers aus dem in Betracht zu ziehenden Verursacherkreis taugt. In allen übrigen Fällen lässt sich ohne weiteres von Sorgfaltspflichten sprechen. Diese umfassen notwendigerweise Verkehrspflichten, dienen also als Oberbegriff. Kurz gesagt: jede Verkehrspflicht ist auch eine Sorgfaltspflicht, nicht jede Sorgfaltspflicht eine Verkehrspflicht. Dies ist im Übrigen vom Merkmal des „Verkehrs“ völlig unabhängig. In einem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall87 hatte der Beklagte Spiri84

So richtig Deutsch, HaftungsR, B IV. 4c. MüKo-Wagner, § 823 Rn. 220. 86 MüKo-Wagner, a. a. O. Rn. 221: „Die Rede von den Verkehrspflichten könnte deshalb ohne jeden dogmatischen Verlust aufgegeben werden“. 87 In: VersR 1993, 113. 85

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

tus auf einen noch glühenden Grill aufgetan und hierbei einen Partygast nicht unerheblich verletzt. Zuvor hatte es der Schädiger verabsäumt sich zu vergewissern, dass das Entstehen einer Stichflamme ausgeschlossen ist. Hier einen Fall des Unterlassens zu konstruieren (Unterlassen einer ausdrücklichen Instruktion und Absicherung) wirkte reichlich gekünstelt. Die Anwendung des Brennspiritus und die damit verbundene Verletzung erfolgten durch eine aktive Handlung, die unmittelbar auf die körperliche Integrität des Geschädigten zielte. Von einer Verkehrspflicht kann folglich nicht gesprochen werden. Sie hätte auch keinerlei Funktion. Indes missachtet der Beklagte seine Sorgfaltspflicht zum ordnungsgemäßen Umgang mit gefährlichen Stoffen. Paradigmatisch für diese Distinktion stehen auch viele Sportentscheidungen der Rechtsprechung. So trifft beispielsweise beim Tennisspiel den Spieler die Sorgfalts- und nicht die Verkehrspflicht, sich beim Warmspielen der Annahmebereitschaft des Partners zu vergewissern. Tut er dies nicht und trifft – wie im vom OLG München entschiedenen Fall88 – der Ball den Arm des Gegenspielers, ist dies eine unmittelbare aktive Einwirkung. Dies hat mit dem Wesen der Verkehrspflicht – obwohl die Eröffnung eines Verkehrs auch hier annehmbar wäre – nichts zu tun.89 Was bleibt, ist das Verhaltensgebot an jedweden, der in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahr für Dritte schafft oder andauern lässt und in der Lage ist, ihr abzuhelfen, zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst abzuwenden.90 Dies muss jedoch nicht notwendigerweise mit der Erfüllung einer Verkehrspflicht einhergehen.91 Es kann sich dabei, wie gezeigt, ebenso um eine Verhaltensanforderung in Form einer Sorgfaltspflicht handeln. Diese behält unterdessen unstreitig ihre Stellung als individuelle Verhaltensanforderung im Bereich der Schuld. Die Abspaltung als „innere Sorgfalt“ schafft dann in der Tat die nötige strukturelle Klarheit.

88

In: NJW 1970, 2297; vgl. auch zur Sorgfaltspflicht bei einer Segelregatta OLG Hamm NJW-RR 1990, 925 f. 89 Umfassend zu den Sorgfaltspflichten Schur, Leistung und Sorgfalt. 90 Vgl. aus der umfassenden Rspr. nur BGH NJW 1985, 1777 (1778); NJW 1987, 1013. Mertens, a. a. O., S. 397, 401 hegt Skepsis an der sachlichen Substanz solcher „allgemeinster Grundgedanken“ und will diesen sein Konzept der „Prinzipien mittlerer Reichweite“ anheim stellen. Ob seine normativen Wertungen vom Verhältnismäßigkeitsprinzip, Erwartungshorizont oder „distributivem Element“ allerdings mehr Klarheit schaffen, kann bezweifelt werden; dazu auch: Steffen VersR 1980, 409 ff. 91 Deshalb zumindest missverständlich BGHZ 103, 298 (303).

A. Verkehrspflichten

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II. Bestimmung und Systematisierung der Pflichten Der Versuch, die Verkehrspflichten einem einheitlichen System zu unterstellen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zu vielfältig ist die ergangene Rechtsprechung, zu unterschiedlich sind die Pflichtenkreise und Anforderungsfelder. Sofern man sich dennoch um eine Katalogisierung bemühen will, kann dies nur in abstrahierender Weise erfolgen. Dies ist allein aus praktikablen Gründen verständlich, aber auch, weil das Gesetz selbst die einzelne Ausformulierung der Verkehrspflicht nicht leisten kann. Hierin ist der Grund für die heutige Entwicklung der Verkehrspflichten als rechtsfortbildendes Richterrecht zu sehen. Der Normentext kann nicht für jede Schadenssituation ein adäquat detailliertes Verhaltensgebot aufstellen. Sofern dies in Form von Schutzgesetzen zumindest im Ansatz vorgenommen scheint, ist dies längst nicht erschöpfend. Dies ist auch weder erforderlich noch sinnvoll. Im Schrifttum ist man mittlerweile davon abgekommen die drei traditionellen Entstehungsgründe Gesetz, Vertrag und vorangegangenes Tun als einzig denkbare Quelle der Verkehrspflichten zu begreifen.92 Eine Einteilung wird nun auf unterschiedliche Art getroffen: Zum Teil wird nach Bereichshaftung (Haftung für die Sicherheit des eigenen Bereichs), Übernahmehaftung (Übernahme einer Aufgabe) und Ingerenz (vorangegangenes besonders gefährliches Tun) unterschieden.93 Andernorts wird die Einteilung in Verkehrseröffnung, Einwirkung auf einen bestehenden Verkehr und Sicherungspflichten außerhalb eines Verkehrs vorgenommen.94 Schließlich wird unter Aufgabe grobschlächtiger Kategorien schlicht nach örtlicher Belegenheit der Verkehrspflicht, typischer unfallgeneigter Situationen bzw. Schlagwörtern differenziert.95 Wie man im Endergebnis unterteilt, ist überflüssig zu diskutieren. Die einzelnen Fallgruppen sind ohnehin nur schwerlich abzugrenzen, angesichts der Vielgestaltigkeit der Verkehrspflichten sind Überschneidungen unumgänglich.96 Indes nimmt der Bereich der Verkehrseröffnung gerade im hier behandelten Zusammenhang der Verkehrspflichten des Einzelhandels eine dominierende Stellung ein. Auf ihn sollte in seiner klaren Herausstellung nicht verzichtet werden. Demnach wird vorliegend zum Zwecke der wohl 92

Zur alten Lehre noch oben unter 1. Teil, A. I. 2. a). Larenz/Canaris, a. a. O., § 76 III e; BGB/RGRK-Steffen Rn. 152 ff. 94 So Medicus, BR, Rn. 648 f. 95 Siehe bei Geigel-Wellner, a. a. O., Kap. 14, Rn. 45 ff., was Mertens VersR 1980, 397 zu der süffisanten Bemerkung vom „unstrukturierten Rechtsprechungströdel“ veranlasste. 96 Vor diesem Hintergrund erscheint die Vorgehensweise von Wellner im Geigel s. o. nachvollziehbar. 93

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

unumgänglichen Katalogisierung eine Einteilung der allgemeinen Pflichten in drei Bereiche vorgeschlagen: Vorhandensein eines Verkehrs, (freiwillige) Übernahme von Aufgaben, Produzentenhaftung. Die Verkehrseröffnung umfasst dabei die Haftung für einen bestimmten räumlich gegenständlichen Bereich, aus dem sich Gefahren für die Allgemeinheit entwickeln können, aber eben nicht müssen. Die Rechtsprechung entwickelte hier Verkehrspflichten vor allem in Bezug auf Grundstücke,97 Wege98 und Straßen,99 aber auch Spielplätze,100 Musikveranstaltungen101 oder medizinische Einrichtungen.102 Haftungsgrund ist allein der Umstand der Sachbeherrschung, der Verantwortung bzw. der faktischen Einwirkungsmöglichkeit auf den Verkehrsbereich. Dieser Bereich wird sich indes oft mit der Obhut für gefährliche Sachen oder Gefahrenquellen decken. Als Beispiele seien gesteigerte Sorgfaltspflichten im Hinblick auf die Abgabe von Chemikalien an Jugendliche,103 den Verkauf von Feuerwerkskörpern,104 die Überlassung von Schusswaffen,105 den Umgang mit Brennspiritus106 oder in Bezug auf das Jagdverhalten107 genannt. 97 BGH NJW 1985, 1773 ff. mit dem haftungsrechtlich nicht uninteressanten Aspekt des zivilrechtlichen Störerbegriffs. Abgeleitet aus § 1004 BGB verneinen die Gerichte in st. Rspr. einen negatorischen Beseitigungsanspruch des betroffenen Nachbarn, weil der Umstand allein, dass eine Beeinträchtigung von einem Grundstück ausgeht, den Eigentümer noch nicht zum Störer mache. Dies sei er erst, wenn die Beeinträchtigung wenigstens mittelbar auf seinen Willen zurückzuführen ist; s. a. RGZ 134, 231 (234); BGHZ 28, 110 (111); 90, 225 (266); anders der Störerbegriff im öffentlichen Recht, hier ist allein die Eigentümerstellung für den Störerbegriff von Relevanz, vgl. § 219 Abs. 1 LVwG SH. 98 BGH VersR 1970, 1130 ff.; OLG Hamm ZfS 1991, 115 ff. 99 BGHZ 31, 73 ff.; 37, 165 ff.; 40, 379 ff.; BGH VersR 1968, 1090 ff.; im Hinblick auf Baustellen: OLG Celle VersR 1989, 157 ff.; OLG Brandenburg VersR 1996, 517 ff.; OLG Stuttgart VersR 1967, 485 ff. 100 BGH NJW 1978, 1626 ff. 101 BGH NJW 2001, 2019 ff. 102 OLG München VersR 1975, 383 ff. 103 BGH VersR 1973, 30 ff.; NJW 1968, 1182 ff. (Natronlauge); NJW 1973, 615 ff. (Unkrautvernichtungsmittel): Der Verkäufer war Drogist. Insofern entstand die Verletzung der Verkehrspflicht auch im Zusammenhang mit seinem beruflichen Aufgabenfeld. Hier wird wieder einmal deutlich, wie sehr es zu Überschneidungen zwischen den einzelnen Bereichen kommen kann; siehe bereits: RGZ 152, 325 ff. 104 BGHZ 139, 43 ff.; BGH NJW 1998, 2436 ff. 105 BGH VersR 1963, 1049 ff., OLG Düsseldorf VersR 1990, 903 ff. Hier hätte sich nach Ansicht von Larenz/Canaris, a. a. O., ebd. wohl eine Ingerenzhaftung angeboten; LG Bad Kreuznach MDR 1961, 503 ff. zum Missbrauch einer unter Verwahrung gehaltenen Pistole durch Dritte. Indes nimmt das Gericht zur Verletzung einer Verkehrspflicht keine Stellung; weiter BGH NJW-RR 1991, 24 ff.; OLG Schleswig VersR 1995, 103 f.

A. Verkehrspflichten

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Gleichwohl ist die Gefahr keine zwingende Voraussetzung für die Entstehung von Sicherungspflichten. Es geht hierbei allein um die Steuerung von Risiken, die aus der eigenen Verantwortungssphäre aufgehen können, unabhängig davon, ob bereits eine Gefahrenquelle existiert.108 So wird niemand ernsthaft behaupten, der Betrieb eines Warenhauses erzeuge aus sich heraus bereits eine Gefahrenlage im Wortsinne.109 Diese entsteht allenfalls durch die Vernachlässigung von Reinigungs- oder Sicherungsmaßnahmen, nicht früher.110 Entsprechend begreift der BGH die durch Eröffnung eines Verkehrs ausgelöste Pflicht zur Sicherung und diejenige aus Gefahrschaffung als eigenständige Kategorien,111 was jedoch nur aus der selbst erzeugten „Notlage“ resultiert, nicht für jeden denkbaren Fall die Eröffnung eines Verkehrs annehmen zu können.112 Die Haftung aus (freiwilliger) Übernahme von Aufgaben korreliert mit der Ausübung von beruflichen Pflichten bzw. der Ausübung von Schutzund Beistandspflichten. Haftungsgrund ist hier die Erwartung des Rechtsverkehrs, dass die Verantwortlichen ihre Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt erledigen. Exemplarisch hierfür steht oben behandelter „MilzbrandFall“113 zur Verantwortlichkeit eines Tierarztes. Darüber hinaus – die Auf106

OLG Düsseldorf VersR 1992, 113 ff. OLG Nürnberg VersR 1957, 682 ff. 108 Anknüpfungspunkt der Verkehrspflicht ist also i. d. R. die Sachwaltung, nicht die Gefahrverursachung. Untere Grenze dieser Programmatik ist jedoch die Einsicht, dass für niemanden per se die Rechtspflicht besteht, andere vor etwaigen Schäden zu bewahren. Den Unterschied machen also Herrschaftsbereich und Aktivität des Pflichtigen. Der Bereich der Gefährdungshaftung ist damit allenfalls Korrelat der Haftung wegen Verkehrseröffnung und – sofern man den Begriff des „Verkehrs“ im hier verstandenen Sinne als losgelöst jeglicher Sachwaltung begreift – als eigenständige Kategorie der Verkehrspflichten (vgl. Staudinger-Hager, § 823 E 13 ff.) überflüssig. 109 Deshalb ist die vielfach gebrauchte Formulierung der Rspr., wonach derjenige, der einen Verkehr eröffne und „dadurch“ eine Gefahrenquelle schaffe (vgl. nur BGHZ 5, 378 [380]), nicht ganz korrekt, zumindest aber zu kurz gedacht. 110 Die Verkehrspflicht beschränkt sich also im Grundsatz zunächst einmal darauf, potentielle Gefahren zu verhindern, nicht bereits bestehende zu sichern. Eine so verstandene Auslegung der Begrifflichkeit umgeht dann auch jeglichen Verdacht der Nähe zur Gefährdungshaftung. 111 Vgl. BGH VersR 1959, 467: Durch Eröffnung eines Verkehrs über ein Grundstück ausgelöste Pflicht als „Unterfall“ der Sicherungspflichten aus Gefahrlegung; s. a. BGH VersR 1965, 515. 112 Die Rspr. anerkennt die subjektive Autorität zur Verkehrsbeschränkung bzw. zum vollständigen Ausschluss. Die Schaffung einer Gefahrenlage ist dann Hilfskonstruktion für all jene Fälle, in denen trotz Nichteröffnung eines Verkehrs Sicherungspflichten aus Verkehrsvernachlässigung (z. B. gegenüber Unbefugten) existieren sollen. Dazu noch ausführlich unter 1. Teil, C. II., IV. 113 RGZ 102, 372 ff. 107

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

zählung kann auch hier nur unvollständig erfolgen – bejahten die Gerichte Verkehrspflichten in Bezug auf Hauswarte (wegen unterlassener Streuung der Wege),114 Konzertveranstalter,115 Handwerker,116 Architekten,117 Apotheker118 oder bei der Einstellung eines Wachmanns durch ein Bewachungsunternehmen.119 Wichtigster Unterfall ist die Arzthaftung. Schließlich stellt die Produzentenhaftung ein Kernstück der Verkehrspflichten dar. Die Rechtsprechung entwickelte hier mit zunehmender Bedeutung die Verkehrspflicht entlang dem Grundsatz, dass derjenige, der ein Produkt herstellt, importiert oder es anderen überlässt, für die von diesem Industrieerzeugnis Dritten drohenden Gefahren einzustehen hat.120

B. Verkehrspflichten und Einzelhandel I. Ausgangssituation/Legitimation Verkehrspflichten – erst Recht, wenn man sie als allgemeine deliktische Sorgfaltspflichten auffasst121 – sind in Reichweite und Umfang nur schwerlich einzugrenzen. Insofern macht es Sinn, ihren Charakter unter einem bestimmten Aspekt – hier dem Einzelhandel – gesondert zu betrachten, weil dann der Rahmen, in den sie sich setzen, hilft, die Komplexität des Gebiets zu entschärfen. Die Verkehrspflicht (und mit ihr auf vertraglicher Ebene die Schutzpflicht) ist jedoch im Bereich des Einzelhandels auch ohne diese „Brücke“ eine besondere, weil intensivere. Die Läden machen durch ihre Öffnung gegenüber dem Publikumsverkehr Gebäude und Grundstücke zu Stätten höherer Sorgfaltswaltung und verschärfter Sicherungspflichten. Dies ist der maßgebliche Unterschied zum privaten Verkehr, wo das Ausmaß der Pflichteninhalte deutlich reduzierter 114

BGH NJW 1970, 95 ff. BGH ZIP 2001, 931 ff. In dem Fall ging es um die Beschallung mit zu lauter Musik. Z. T. wird dieses Beispiel der Kategorie der Schaffung einer Gefahrenquelle zugeordnet. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies allerdings nur schwerlich zu begründen. Musik eignet von sich aus nichts Gefährliches an. 116 BGH VersR 1993, 239 ff. Hier ging es um die Verkehrssicherungspflicht einer Reparaturwerkstatt wegen falscher Einstellung der Handbremse bei einem Kfz; vgl. auch OLG Bremen r + s 1993, 255 (256). 117 BGHZ 65, 211 ff.; 68, 169 ff. 118 OLG München VersR 1984, 1095 ff. (falsche Dosierung einer Medikamentenpackung). 119 BGH NJW 2001, 2023 ff. 120 BGHZ 51, 91 (zur Beweislast); 80, 186 ff.; OLG Schleswig ZfS 1999, 369 ff.; OLG Hamm VersR 2001, 464 ff. 121 S. o. Wagner in MüKo, ebd. 115

B. Verkehrspflichten und Einzelhandel

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ist.122 Die Generatoren dieser erhöhten Sorgfaltsanforderungen sind dieselben, die auch innerhalb der Einzelhandelslandschaft dafür sorgen, dass bestimmte Läden in ihrem Pflichtenprogramm qualitativ strengeren Maßstäben unterliegen als andere. Ausschlaggebend sind hier vor allem die erhöhte Publikumsfrequenz und die Ablenkung der Kunden durch die Ausstellung der Waren, aber auch, wie darzustellen sein wird,123 durch die Werbemaßnahmen des Geschäfts, was zusammen genommen eine gesteigerte Gefahrenlage für den Verkehrsteilnehmer provoziert. Auf diese Faktoren wird u. a. im Rahmen des Umfangs der Verkehrspflicht (Intensität und Begrenzung) noch zurückzukommen sein. Zugleich ist die Einzelhandels-Verkehrspflicht ein gutes Beispiel dafür, auf welch unterschiedlichen Ebenen Verkehrspflichten grundsätzlich funktionieren können. Sie ist als solche nicht auf den Bereich der Gebäude- und Grundstückssicherung beschränkt, ihr Ziel, Rechtsgüterschutz des (potentiellen) Kunden, ist auch Spielart der Produkthaftung, wenn es um das Inverkehrbringen von Waren durch den Händler geht.124 Diese Varianz rechtfertigt es, sich auch Gedanken grundsätzlicher Art über die Natur der Verkehrspflicht zu machen, ohne jedoch den Bezugspunkt des Einzelhandels, um dessen begriffliche Kennung es zunächst gehen soll, aus den Augen zu verlieren. II. Definition des „Einzelhandels“ Der Begriff des Einzelhandels (bzw. die Berufsbezeichnung „Einzelhändler“) lässt sich bis in die Zeit nach Ende des 1. Weltkriegs zurückverfolgen. Seine Verbreitung hängt wesentlich mit der Gründung des Hauptverbandes des deutschen Einzelhandels (HDE) im Jahr 1919 zusammen. Die Formulierung einer allgemeingültigen Definition fiel zunächst schwer, vor allem durch die wenig durchsichtige Abgrenzung zum bis dahin vorherrschenden Begriff des Kleinhandels.125 122

Vgl. zu diesem Unterschied OLG Stuttgart BB 1957, 562; BGH NJW 1972, 1950; NJW 1986, 2757; NJW-RR 1995, 158; Staudinger-Hager, § 823 E 190; MüKo-Wagner, § 823 Rn. 441. Schon früh in Bezug auf öffentliche Gebäude: RG JW 1935, 273; für die Haftung des Gastwirts: BGH VersR 1960, 715 (716); 1961, 798 (799); NJW 1988, 1588. 123 Siehe unter 1. Teil, B. III., IV., VI. 124 Dazu noch 1. Teil, B. V. 3. 125 Die begriffliche Unterscheidung drückte sich fortan durch die soziale Schichtung des Gewerbes aus. Unter Kleinhändlern verstand man nur noch die Unterschicht des Einzelhandels, „die als gleichbedeutend erachtet wird mit traurigstem Krämertum und elender Hökerei, also mit dem Proletariat des Standes“, so Lampe in Handwörterbuch der Staatswissenschaften Bd. 4; ders. in: Der Einzelhandel in der Volkswirtschaft, S. 38 Fn. 4. In den Folgejahren nahmen Bedeutung und Ge-

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Einigkeit herrschte über die Funktion des Einzelhandels, die zugleich als Wesensmerkmal taugt. So wurde ihm die Aufgabe zugeschrieben, die Verbindung mit dem Letztverbraucher, d. h. jenem Käufer, dem die angeschaffte Ware nicht mehr Mittel zu weiteren wirtschaftlichen Zwecken, sondern Selbstzweck im Rahmen seiner Lebenshaltung ist, herzustellen.126 Bestimmend für die Frage der Zugehörigkeit zum Einzelhandelsstand war demnach, ob der Händler sich der sozialen, ökonomischen und organisatorischen Entwicklung dieses Standes anzuschließen verstanden hat und bei der wirtschaftlichen Funktion die unmittelbare Berührung mit den als „letzten Verbraucher“ bezeichneten Schichten stattgefunden hat.127 An dieser Einordnung, die nichts anderes als eine Mittlerfunktion zwischen Hersteller und Käufer meinte, hat sich bis heute im Wesentlichen nichts geändert. Übereinstimmend wird daher per definitionem der Einzelhandel (schweizerisch und niederländisch: „Detailhandel“; französisch: „commerce de detail“, englisch: „retail“) als Form von Handelsgeschäften charakterisiert, die darauf gerichtet sind, Waren an Endverbraucher bzw. Endanwender und in Kleinmengen zu verkaufen, jedoch ohne Einbeziehung von Herstellern, die ihre Produkte direkt an den genannten Abnehmerkreis veräußern.128 Im letztgenannten Punkt wird die Abgrenzung zum Großhandel deutlich, dessen Betriebe Leistungen ausschließlich an Wiederverkäufer, Wiederverarbeiter, gewerbliche Verwender oder Großverbraucher veräußern.129

brauch des Terminus ab. Lampe selbst hält die Wahl des Begriffs des „Letzthandels“ für angemessen, verkaufe doch der Einzelhandel keineswegs „im Einzelnen“ die Waren; vgl. a. a. O., Fn. 6. 126 Handwörterbuch der Staatswissenschaften, S. 497; vgl. auch Handbuch des Einzelhandels, S. 777: „Die zentrale Aufgabe des Einzelhandels ist zu sehen in der Herstellung der organisierten wirtschaftlichen Verbindung zwischen dem Angebot von Fertigfabrikaten mit dem Genuss – Verbrauch – d. h. dem menschlicher Bedürfnisbefriedigung unmittelbar dienenden Konsum“. 127 Gartmayr, Nicht für den Gewinn allein, S. 13; vgl. auch Teske, Ladengeschäft und Schaufensterscheibe, S. 7. 128 http://einzelhandel.adlexikon.de/Einzelhandel.shtml. Dazu schon Hirsch, Filialbetriebe, S. 5 Fn. 2; vgl. dazu auch die darüber hinausgehende Begriffsbestimmung der EG-Verordnung Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts in Nr. 7: wonach Einzelhandel die Handhabung und/oder Be- oder Verarbeitung von Lebensmitteln und ihrer Lagerung am Ort des Verkaufs oder der Abgabe an den Endverbraucher; hierzu gehören Verladestellen, Verpflegungsvorgänge, Betriebskantinen, Großküchen, Restaurants und ähnliche Einrichtungen der Lebensmittelversorgung, Läden, Supermarkt-Vertriebszentren und Großhandelsverkaufsstellen bezeichnet. Die Einbeziehung der „Verpflegungsvorgänge“, insbesondere der Restaurants divergiert deutlich mit dem deutschen Sprach- und Definitionsverständnis. Auf ein näheres Eingehen dieser Vertriebsformen soll dann hier auch im Folgenden verzichtet werden. 129 Tietz, Handelsbetrieb, S. 1404 ff.; Meffert, Marketing, S. 1178.

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Die betriebswissenschaftliche Literatur unterscheidet weiter einen Handelsbegriff funktionaler (wirtschaftliche Betätigung des Umsatzes – Beschaffung und Absatz – von Handelswaren und sonstigen Leistungen an den Letztverbraucher, komplementär zum Begriff der „Distribution“) und institutionaler (alle Einrichtungen, die den Güteraustausch im funktionellen Sinne bewirken) Art.130 Der Einzelhandel lässt sich nach Branchen (Spezialgeschäfte, Warenund Kaufhäuser), Betriebsformen (Fachmärkte, SB-Warenhäuser, Verbrauchermärkte, so genannte Tante-Emma-Läden) sowie nach dem Ort des Handels (stationärer Handel in Ladengeschäften, ambulanter Handel auf Märkten oder durch Hausieren und Versandhandel) aufgliedern. Aus der Wahl dieser Einzelhandelskomponenten leitet sich die strategische Grundsatzentscheidung des Handelsbetriebs über seinen Marktauftritt ab.131 III. Historische Dimension/Entwicklung des Einzelhandels Den Verkehrs(sicherungs)pflichten kommt in heutiger Zeit eine andere Bedeutung in Bezug auf den Einzelhandel zu, als dies noch vor 20 oder 30 Jahren der Fall war. Dies hängt wesentlich mit der sich zunehmend wandelnden Struktur des Einzelhandels zusammen. Ein Überblick über die geschichtliche Entwicklung des Marktes soll hierüber Aufklärung verschaffen.132 1. 50er, 60er und 70er Jahre – Jahrzehnte des Umbruchs Lag der deutsche Einzelhandel ausgangs der 40er Jahre durch das Ende des 2. Weltkriegs bedingt noch brach, zeichneten sich zu Beginn der 50er Jahre deutliche Erholungstendenzen ab. Insbesondere die Warenhauskonzerne133 – seit den ersten Prozessen der Herausbildung des Warenhauses im 130 Tietz, a. a. O., ebd.; Barth/Hartmann/Schröder, Betriebswirtschaftslehre des Handels, S. 1 ff. 131 Vgl. Meffert, a. a. O., S. 1179. 132 Hierbei soll die Entwicklung des Einzelhandels in der DDR außen vor bleiben. Diese vollzog sich diametral zu westdeutschen Verhältnissen. Nach Gründung der Republik am 07.10.1949 wurde durch den Ausbau von Konsumgenossenschaften und HO (staatliche Handelsorganisation) nahezu die gesamte Organisation des Einzelhandels in staatliche Hand gegeben. Die HO besaß fortan Monopolstatus für den freien Verkauf zunächst noch rationierter Waren, was den privaten Einzelhandel fast völlig ausschaltete. 1982 existierten lediglich noch fünf private Betriebe (zum Vergleich: 1950 noch 53; siehe Handbuch DDR-Wirtschaft, S. 223), viele weitere wurden in der Folgezeit u. a. durch steuerliche Vergünstigungen zur Aufgabe gedrängt. Die HO betrieb Gaststätten, Warenhäuser („Centrum“) und ein Versandhaus.

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19. Jahrhundert stetig expandierend134 – versuchten verlorenes Terrain wiederzuerlangen. Zwischen den Jahren 1956 und 1960 hatten sie bereits wieder ihre Vorkriegsverkaufsfläche erreicht, der Umsatz stieg auf 7% des gesamten Einzelhandelsumsatzes. Dies alles zu einer Zeit, in der der Boden für drei völlig neue Typen des Handelsspektrums geebnet wurde: der Selbstbedienung, des Discountprinzips und einer Frühform des so genannten Cash and Carry. Vor allem die Abkehr von der Vollbedienung – anfänglich noch angesichts der Konfrontation mit der ungewohnten Warenfülle stockend und kaum in Schwung kommend135 – trat einen ungeahnten Siegeszug an, der erst Anfang der 70er gestoppt werden sollte.136 Das maßgeblich Neue an der Verkaufsform war die Verbindung von preisorientiertem Einkauf von Massenartikeln, straffer Sortimentspolitik und einer veränderten Ladengestaltung mit frei zugänglichen Waren auf modernen Tischen und Theken, Sonderangeboten auf separaten Verkaufinseln etc.137 Die Selbst133 Einzelhandelsgroßbetriebe, die Waren aus verschiedenen Branchen (Bekleidung, Hausrat, Wohnbedarf) anbieten. Im Unterschied zu den Kaufhäusern ist ihre Sortimentsstruktur, insbesondere die der konzernierten Warenhäuser, durch ein sowohl sehr breites, als auch sehr tiefes Sortiment gekennzeichnet, vgl. Falk/Wolf, Handelsbetriebslehre, S. 225. 134 Um den erforderlichen Käuferstamm anzulocken, bedienten sich die Warenhäuser neuer, zu dieser Zeit völlig unbekannter Geschäftsprinzipien: jeder Kunde konnte sich in den Räumlichkeiten frei bewegen und wurde vom Bedienungspersonal nur auf Wunsch angesprochen. Die offene Warenpräsentation auf großen Verkaufstischen brachte Kunde und Ware in unmittelbaren Kontakt, erste Ansätze zur Selbstwahl waren erkennbar; vgl. Berekoven, Geschichte des Einzelhandels, S. 31. Hierin verdeutlicht sich die ureigenste Form der für die heutige Zeit des Marktverhaltens nicht fortzudenkenden Verkaufsförderung und Kundenakquise. 135 Wildt, Am Beginn der „Konsumgesellschaft“, S. 188 konstatiert eine „Erschrockenheit über die Verführungskraft der neuen Selbstbedienungsläden“. „Wer zum ersten Mal einen SB-Laden betrat, war überwältigt von der Auswahl des Angebots, das oftmals dazu verführte, mehr einzukaufen als geplant“. 136 Die Hamburger Konsumgesellschaft „Produktion“ eröffnete im August des Jahres 1949 den ersten Selbstbedienungsladen Deutschlands nach dem Krieg. Zuvor scheiterte schon Herbert Eklöh 1938 mit dem Versuch der Etablierung. 1952 finden sich schon 98 Selbstbedienungsgeschäfte, bis 1956 steigt ihre Zahl auf 738 an. 1959 beträgt sie gar 9676 und erreicht 1971 mit 86.398 SB-Läden ihren Höchstwert. In den Folgejahren geht die Zahl der Läden zurück, während die Verkaufsfläche weiter ansteigt; vgl. www.wanzl.com. 137 Das tradierte Bild des Kaufmannsladens mit Bedienung, der die Vorteile der fachkundigen Beratung und des persönlichen Kontakts auf sich vereinen konnte, war mit Einführung des SB-Marktes überholt. Dazu Lehmann, Leben in einem Arbeiterdorf, S. 109: „Die konventionellen Einzelhandelsgeschäfte mit Tresen verfügen über kleine Verkaufsräume von 30 bis 50 m2 Größe. Diese engen räumlichen Verhältnisse begünstigen die Herstellung intimer personaler Kontakte zwischen den am Kaufakt beteiligten Parteien, aber auch der Kundschaft untereinander. Zudem ist der Personenverkehr hier gemeinhin gering, was der Privatheit der Atmosphäre ebenfalls förderlich ist. Private Kommunikationen können auch deshalb einen brei-

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bedienung verlagerte damit zum einen typische Funktionen des Handels auf den Konsumenten, wie z. B. das selbstständige Auswählen und Transportieren der Ware zur Kasse; zum anderen übernahm der Hersteller nun mit der Produkt- und Verpackungsgestaltung (die ein weitgehend beratungsfreies Produkt garantierte) bzw. mit der Kommunikationspolitik, die die Ware „vorverkauft“, einstige Verkaufsfunktionen des Handels.138 Im Gefolge des Selbstbedienungsbooms wurde auch der Einkaufswagen – ursprünglich eine amerikanische Innovation139 – immer mehr zum Standard deutscher Einzelhandelsläden. Insgesamt war das Bild der 50er Jahre geprägt vom wirtschaftlichen Aufschwung, der Schaffung neuer Kapazitäten und dynamischer Motorisierung. Damit stand der Einzelhandel in seiner Entwicklung nur pars pro toto; die in diesem Zeitraum auftretenden Strukturwandlungen – vor allem die sich abzeichnenden Konzentrationstendenzen zu Lasten kleinerer Betriebe – waren vor dem Hintergrund überproportionaler Zuwachsraten in der gesamtwirtschaftlichen Produktion kaum spürbar.140 Der Prozess zunehmender wirtschaftlicher Belebung und Modernisierung des Einzelhandels setzte sich auch in den 60er Jahren fort. Die Expansion der Warenhäuser stieg unter umfangreichen Sortimentserweiterungen unaufhörlich an und auch die Tiefpreis-Strategie der Einzelhandelsdiscounter wurde allmählich zu einem nachhaltigen Erfolg.141 Die Strukturen des Einzelhandels verschoben sich nochmals zugunsten zweier neuer Betriebstypen. ten Raum einnehmen, weil die Mehrzahl der einkaufenden Frauen schon bei Betreten des Ladens wissen, was sie beschaffen wollen“. Anders im Supermarkt. Hier verliere „die personale Beziehung Käufer – Verkäufer“ an Bedeutung. „An ihre Stelle tritt das Verhältnis Käufer – Ware“, S. 113. 138 Hansen/Bode, Marketing & Konsum, S. 89: Selbstbedienung als „Ausnutzung positiver akquisitorischer Wirkungen“; vgl. auch Henksmeier in: 50 Jahre Selbstbedienung, S. 10. Die große Bedeutung der Selbstbedienung drückt sich auch in der Gründung des Instituts für Selbstbedienung (ISB) 1956 – heute EuroHandelsinstitut (EHI) – aus. 139 Der Einkaufswagen wurde von Sylvan N. Goldman erfunden, der ihn erstmals 1937 in Oklahoma City den Kunden seiner Humpty-Dumpty Stores (ursprünglich bezeichnete dies eine Kette von Lebensmittelkleinhändlern aus dem Süden des Landes) zur Verfügung stellte. In Deutschland wurden die ersten Modelle 1948 eingeführt, zunächst noch mit zwei übereinander hängenden Körben, später dann mit festem Korb. Die Möglichkeit des Ineinanderschiebens derartiger Körbe (sog. telescoping shopping cart) erfand 1946 Orla E. Watson in Kansas City; vgl. zum Ganzen Wilson, The cart that changed the world. 140 Jürgensen/Moore/Oesterreich, Strukturwandel, S. 1. 141 Exemplarisch steht hierfür die Eröffnung des ersten ALDI-Geschäftes nach Discounterprinzip 1962. Spartanische Auswahl der Artikel, bescheidene Ladenausstattung und Dauerniedrigpreise bewirkten einen bis heute unaufhörlichen Erfolgszug der Kette.

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Verbrauchermärkte142 und SB-Warenhäuser143 gewannen hinsichtlich Zahl, Fläche und Umsatz schnell an Bedeutung und entwickelten sich zur ernsthaften Konkurrenz für Warenhäuser und Kleinpreisgeschäfte. Grund für die ansteigende Beliebtheit dieser Märkte waren die außerordentlich reichhaltigen Lebensmittelsortimente zu günstigen Preisen sowie die gute Erreichbarkeit außerhalb verkehrsintensiver Innenstädte mittels des Autos, das paradigmatisch für den gestiegenen Lebenswandel der deutschen Gesellschaft zu dieser Zeit stand. Die Einzelhandelsflächen nahmen in Folge dieses Prozesses insgesamt beträchtlich zu, was auch in der Umsatzstruktur der Märkte deutlichen Niederschlag fand.144 Schließlich wurde das Mittel der Werbung als verkaufsförderndes Instrument erkannt. Werbe- und Preisaktionen trugen vor allem im Lebensmittelhandel zur Animation der Kunden bei145 und nachdem die Beratungsleistungen infolge der Selbstbedienung immer mehr zurückgegangen waren, wurde die Präsentation von Produkten an attraktivem Standort (Point of Sale) immer einflussreicher. Die 60er Jahre bildeten insgesamt ein Jahrzehnt des Umsatzaufschwungs allenthalben, begünstigt durch eine steigende Angebotsvielfalt und ebenso große Nachfrage. Die starke Popularität der Lebensmittel-Discounter blieb unterdessen nicht ohne Folgen für die Weiterentwicklung des Marktes in anderen Branchen. Bald setzte man auch in den Bereichen Mode, Bauhandwerk und Möbel auf das Tiefpreiskonzept der Discounter und übertrug die von diesen Handelsbetriebsformen bekannten Rationalisierungsmöglichkeiten und Marketingstrategien auf den NonFood Sektor.146 142 Größere Form auch SB-Center genannt, ist ein Einzelhandelsgeschäft, dass überwiegend in Selbstbedienung Güter des kurz- und mittelfristigen Bedarfs anbietet, wobei nicht mehr als 50% der Verkaufsfläche auf den Lebensmittelbereich entfallen. SB-Center verfügen über 1500 und mehr m2 Verkaufsfläche, über Service-Betriebe sowie i. d. R. über Kundenparkplätze, vgl. Definition ISB-Strukturuntersuchungen. 143 Einzelhandelsgeschäft, das überwiegend in Selbstbedienung Güter des kurz-, mittel- und langfristigen Bedarfs anbietet. I. d. R. verfügen SB-Warenhäuser über 4000 und mehr m2 Verkaufsraumfläche, und neben umfangreichen Service-Betrieben ist eine in Relation zur Verkaufsraumfläche ausreichende Anzahl an Parkplätzen vorhanden, vgl. ISB-Strukturuntersuchungen. 144 Der starken Expansion von Verbrauchermärkten und SB-Warenhäuser versuchte der Gesetzgeber in den 70er Jahren durch die Novelle der Baunutzungsverordnung Einhalt zu gebieten. Mit Wirkung vom 01.10.1977 wurde sie dahingehend geändert, dass nunmehr gemäß § 11 Abs. 3 die Zulassung von großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit mehr als 1500 m2 Bruttogeschoßfläche außerhalb von Kernund Sondergebieten einer Genehmigung durch die Raumordnungsbehörde bedurfte. 145 Hansen/Bode, a. a. O., S. 114: geradezu euphorischer Glaube an die Möglichkeiten einer Steuerbarkeit der Konsumenten. 146 Hatzfeld in: Strukturwandel und Entwicklungstendenzen im Einzelhandel, S. 29; Nieschlag/Kuhn, Binnenhandel, S. 199 f.

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Die 70er Jahre waren dann auch geprägt von einer Schwemme an Billigbetriebsformen, die alle Sparten des Konsums umfasste. Typisch hierfür ist vor allem die Entwicklung des Drogeriemarktes Anfang des Jahrzehnts. Seine Beliebtheit beim Publikum zog der Fachmarkt in erster Linie aus aggressiven Preisunterbietungen; vergleichsweise breite, später auch tiefe Sortimente auf relativ großer Verkaufsfläche (ca. 200 m2), in guten Lauflagen sowie Selbstbedienung mit Sonderangeboten und aufwändigen Werbeaktionen bewirkten ihr übriges.147 Der Erfolg der Fachdiscounter führte zu einer Verdrängung des traditionellen Einzelhandels, der sich oft nur noch durch Individualität und Qualität der Ware gegenüber dem Flächenwachstum der Discounter behaupten konnte.148 Unter dem Boom der Fachdiscounter hatten auch die Warenhäuser nachhaltig zu leiden, deren Anteile am gesamten Einzelhandelsumsatz in den 70er Jahren zurückgingen. Versuche, dem Käuferschwund durch Verbesserung der Sortimentsstruktur, visuelle Optimierung der Verkaufsräume, durch Schaffung eigener Marken und zusätzlichen Serviceleistungen zu begegnen (sog. Trading-up), waren nur teilweise erfolgreich. Die Entwicklung der SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte nahm unterdessen immense Ausmaße an, die durchschnittlichen Verkaufsflächen stiegen von 1970 bis 1978 von 3538 m2 auf 4402 m2 an,149 was u. a. auf das Preisniveau, die schnelle und mittels Kfz gute Erreichbarkeit sowie die reichhaltige Angebotsvielfalt zurückzuführen war. Insgesamt gesehen war das Jahrzehnt jedoch von einer nur mäßigen Wachstumsrate geprägt. Gründe hierfür waren die zunehmende Arbeitslosigkeit, anhaltende Preiskämpfe und Firmenpleiten. Die Stimmung unter den Menschen war gedämpft, der Optimismus der Aufbruchjahre nach dem 2. Weltkrieg weitgehend verklungen.150 2. 80er und 90er Jahre – „König Kunde“ Dies änderte sich – bezogen auf den Einzelhandel – zu Beginn der neuen Dekade nur unwesentlich. Der Kampf um den niedrigsten Preis trieb viele 147

So wuchs allein zwischen 1975 und 1980 die Zahl der Märkte um ca. 1200. Insgesamt erreichten die Discounter damit etwa 20 bis 25% Umsatzanteil am gesamten Drogeriewarenabsatz; vgl. Berekoven, a. a. O., S. 121 f. 148 Begünstigt wurde diese Entwicklung zusätzlich durch die Aufhebung der Preisbindung in Deutschland 1974, die nun auch bei vielen Markenherstellern einen Preiswettbewerb ermöglichte. 149 Vgl. Jürgensen/Moore/Oesterreich, a. a. O., Tab. 2, S. 3. 150 Berekoven, a. a. O., konstatiert in dieser Zeit eine „Antikonsumhaltung“, eine Rolle, in der sich „insbesondere viele Studenten bekanntlich gefielen“, S. 115.

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Geschäfte im mittelständischen Einzelhandel an den Rand des Konkurses, Warenhäuser verzeichneten nach wie vor Umsatzeinbußen und die Bedeutung des Cash and Carry-Großhandels verlor nachhaltig an Wert. Der Umsatzanteil der Kleinunternehmen, der 1968 noch fast 7% betragen hatte, verringerte sich bis zum Jahre 1984 auf 1,2%, demgegenüber erhöhte sich die Bedeutung der großen Unternehmen um ein Vielfaches.151 Schließlich zeigte das Jahrzehnt der 80er zur Gänze auf, dass die Tage der Bedienungsläden zu Gunsten der Selbstbedienung gezählt waren. Indikatoren dieser Entwicklung waren ein sprunghafter Anstieg der Gesamtverkaufsfläche und damit die Kompensation von Personal durch Verkaufsraum.152 SB-Warenhäuser und Verbrauchermärkte setzten ungebremst ihren Erfolgszug fort und vereinten in den 80er Jahren teilweise mehr als 25% des Lebensmittelumsatzes auf sich.153 Aber auch auf Nachfrageseite waren die Veränderungen nicht zu übersehen. Strukturelle Entwicklungen in Bezug auf den Haushalt, der schon in den 80ern vermehrt die Form eines Single-Haushaltes erkennen ließ, hatten auch Auswirkungen auf die Ausgabendynamik.154 Zudem lässt sich der Verbraucher nun nicht mehr auf eine Vertriebsform festlegen, er pendelt zwischen ihnen, ist weniger bindungsfähig. Die gestiegene Mobilität mittels des Autos macht dieses Verhalten einfacher.155 151

Besaßen sie schon 1968 mit 0,2% aller Betriebe 32% Gesamtumsatzes, erzielten etwa 3500 Einzelhandelsgroßunternehmen der Gruppe der Konzerne und Großfilialisten 1984 50,4% des Umsatzes; vgl. Hatzfeld, a. a. O., S. 27. 152 Vgl. Niestrath, a. a. O., S. 7: „Tante Emma liegt im Koma“. 153 Steigend war auch die Anzahl der Fachmärkte, deren Konzept eines preisaktiven, servicebezogenen Marktauftritts den Kundenstrom nicht abreißen ließ. Der Trend einer zunehmenden Filialisierung hielt weiter an, erstreckte sich nun zusehends aber auch auf internationale Unternehmen, die ihre Geschäftstypen leicht vervielfältigen konnten und die hohen Mieten in den Innenstadtlagen imstande waren zu zahlen; vgl. Niestrath, a. a. O., S. 8 mit den Beispielen von „H & M“, „Benneton“, „Douglas“ und „Orsay“. 154 Während 1960 noch 37% aller Ausgaben für Lebensmittel angesetzt wurden, sank dieser Anteil 24 Jahre später auf fast 25%, vgl. Hatzfeld, a. a. O., S. 31. Eine zunehmende Tendenz zum Großenmengeneinkauf (sog. one-stop shopping) und eine nährstoff- und vitaminbewusstere Ernährungshaltung (v. a. Frische als maßgebliches Kriterium) können als weitere Merkmale einer Veränderung der Verbrauchergewohnheiten aufgezeigt werden. 155 Noppel in: Strukturwandel und Entwicklungstendenzen im Einzelhandel, S. 62: „Der Verbraucher ist aufgrund der zunehmenden Motorisierung beweglicher geworden. Der Bestand an Pkw von fast 14 Mio. 1970 hat sich bis 1986 auf fast 27 Mio. nahezu verdoppelt. (. . .) Der Konsum ist nicht mehr standortgebunden und wird es von Jahr zu Jahr weniger sein“. Die Prognose wird bestätigt durch einen Blick auf die aktuellen Zahlen der Shell-Studie mit der auch Noppel arbeitete. Danach ist bis zum Jahr 2010 ein Anstieg des Pkw-Bestandes von gegenwärtig 44,7 Mio. auf 47,5 Mio. zu erwarten; vgl. Deutsche Shell Pkw-Studie 2004 unter www.shell.com.

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Die Zukunftsprognosen des deutschen Einzelhandels verlauteten Ende der 80er Jahre indes nicht viel Gutes. Stagnierende Wirtschaftsentwicklung, hohe Lohnkosten, steigende Arbeitslosigkeit bei sinkenden Bevölkerungszahlen, unterdurchschnittliche Steigerungsraten der realen Konsumgüternachfrage und eine Verringerung des Firmenbestands um 10 bis 15% setzten einer positiven Entwicklung des Handels starre Grenzen. In den 90er Jahren verlor der deutsche Einzelhandel den Anschluss an die gesamtwirtschaftliche Entwicklung. Stiegen in den Jahrzehnten zuvor Einzelhandelsumsatz und Bruttoinlandsprodukt (BIP) proportional stetig an, drehte sich in der Folgedekade das Bild. Nur durch den konjunkturellen Push bedingt durch die Wiedervereinigung zu Beginn des Jahrzehnts ließ sich noch ein kleines Wachstum von 1% Mitte der 90er Jahre erreichen. Der Einzelhandel wurde insgesamt konjunkturreagibler. In seiner Entwicklung stagnierte er in den 90er Jahren weitgehend und verlor kontinuierlich Anteile am gesamten privaten Verbrauch.156 Dennoch: Die Konsumflaute wirkt sich am wenigsten auf Filial- und Franchisesysteme sowie Discounter und Fachmärkte aus, die durch striktes Kosten- und Qualitätsmanagement endgültig die Preisführerschaft erringen. In den Jahren 1990 bis 2001 verzeichnete der Einzelhandel einen weiteren Anstieg der Verkaufsfläche – über den Bedarf hinaus157 – um 35%. Dies hatte nachhaltige Auswirkungen gerade auf den klein- und mittelständischen Einzelhandel, wurde doch die Flächenexpansion fast nur von großen Unternehmen vorangetrieben. Zudem verschärfte sich die Versorgungssituation der Landgemeinden, vor allem in Ostdeutschland. Der Anteil der Kleinstgeschäfte sank bedingt durch den schier aussichtslosen Konkurrenzkampf mit Großraumläden und anderen modernen Vertriebsformen dramatisch,158 eine Entwicklung, die man durch die Installation eines mobilen Verkaufsstellenetzes (rollende Läden) zu stoppen versuchte. Auch der Anteil der Kauf- und Warenhäuser verringerte sich weiter, was nicht zuletzt dem Aufkommen einer neuen – bis dato unbekannten – Vertriebsart geschuldet war: Dem E-Commerce. Der Einfluss hält sich jedoch in Grenzen: 156 Hinzu kommt im Verlauf des Jahrzehnts ein enormer Beschäftigungsabbau, verbunden mit der Auflösung sozialgeschützter Arbeitsverhältnisse. Das Wirtschaftswachstum der Bundesrepublik verringerte sich zyklisch, die Investitionsbereitschaft von In- und Ausländern wurde stetig weniger. Begriffe wie „Dauerflaute“, „Downsizing“ und „Destabilisierung“ machten die Runde; vgl. 49. Arbeitsbericht des HDE 1996. 157 http://www.verdi.de: heutige Überkapazität von 10%. 158 Indes vollzog sich bei dem verbleibenden Bestand ein Strukturwandel: rund 70% der ländlichen Lebensmittelgeschäfte wurden nun nicht mehr von Konsumgenossenschaften betrieben, sondern von selbstständigen Einzelhändlern, zumeist Existenzgründern.

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Noch sehen viele Verbraucher Computer und Internet eher als Informationsquelle denn als adäquaten Ersatz für den Einkaufsbummel an. Trotz wirtschaftlicher Misere schreitet der Strukturwandel vom „Tante Emma Laden zum multifunktionalen Konsumtempel“159 Ende der 90er Jahre stetig voran. Die Einkaufsmöglichkeiten sind zunehmend auf den mobilen, flexiblen Kunden zugeschnitten, der zusätzlich zum schlichten Einkauf unterhalten werden möchte. Es steht nicht mehr die bloße Erledigung des Kaufs im Vordergrund, sondern vielmehr das Vergnügen in attraktivem Ambiente seine Freizeit zu verbringen. Sukzessive wächst die Erkenntnis, dass dem Kunden mehr geboten werden muss als bloße Konsumbereitstellung.160 Der Verbraucher ist anspruchsvoller geworden, aber auch skeptischer im Umgang mit seinen Ausgaben. Der Rückgang des Realeinkommens hat eine erhöhte Preissensibilität des Käufers zur Folge, die „Aldisierung“ wird zum Schlagwort.161 Dies stellt sich Ende der 90er Jahre als eine Entwicklung dar, die sich im Zuge der Euro-Einführung zum 01.01.2002 und der schleichenden Rezession des Wirtschaftsstandorts Deutschland noch verschärfen sollte. 3. Das neue Jahrtausend – technischer Fortschritt und erweiterte Vertriebswege Begann das Jahr 2000, geprägt von einer positiven konjunkturellen Stimmung und einer Wachstumsrate von 3% zum Ende des Jahres, noch verheißungsvoll, ebbte die aufkeimende Euphorie im Jahr 2001 empfindlich ab. Beeinflusst durch die Terroranschläge vom 11.09. geriet die gesamtwirtschaftliche Lage in eine Krise, die Deutschland alles andere als unberührt ließ.162 So erreichten die Insolvenzen im Jahr 2001 Rekordniveau, es folgten massive Stellenstreichungen und am Ende des Jahres stand Deutschland in der Rezession. Dies ließ auch den Verbraucher nicht unbeeindruckt, der bedingt durch die wachsende Sorge um den Arbeitsplatz, im Wissen um die anhaltende Baisse an den Börsen und einer insgesamt trüben Stimmung we159 http://www.brd.nrw.de/BezRegDdorf/hierarchie/themen/Planung_und_Kommunales mit den Beispielen der Factory Outlet Center (FOC) und Urban Entertainment Center (UEC). 160 Niestrath, a. a. O., S. 11: Der Einzelhandel unterliege dem „Scherbengericht“ der Verbraucher, die mittels ihrer Einkaufsstättenwahl über den Erfolg von Handelsunternehmen und Betriebsformen entscheiden – bis hin zur Frage, ob sie überhaupt im institutionellen Einzelhandel einkaufen wollen oder werden. 161 Siehe dazu und zum „hybriden Kaufverhalten“ des Konsumenten, der – je nach Situation – einmal teuer und ein andermal billig einkauft, Fritz in der Braunschweiger Zeitung vom 26.04.2003, S. 10. 162 Verstärkt wurde dieses Bild noch durch den Einbruch der New Economy und Bedrohungsszenarien wie BSE und MKS.

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niger Geld in den Einzelhandel trug.163 So gab es 2001 nur wenige Branchen, die vom Negativtrend verschont blieben. Umsatzzuwächse verzeichneten nur der Lebensmitteleinzelhandel und die Drogeriemärkte, zu Lasten der Einzelhandelsbetriebe mit weniger als 20 Beschäftigten, die zum Teil drastische Umsatzverluste hinnehmen mussten.164 Am Negativtrend des Vorjahres änderte sich 2002 kaum etwas. Das Wirtschaftswachstum erholte sich nur geringfügig (Wachstumsrate von 0,2%),165 die Arbeitslosigkeit stieg auf Rekordniveau und die politische Stimmung lag angesichts von Flutkatastrophe und defizitärem Staatshaushalt danieder.166 Damit nicht genug, musste der deutsche Einzelhandel den stärksten Umsatzrückgang seit der Wiedervereinigung verkraften.167 Branchenübergreifend sank die Zahl der Geschäfte, lediglich Discount- und Drogeriemärkte stemmten sich mit bis zu zweistelligen Umsatzzuwächsen gegen den Negativtrend.168 Die Expansion der Discounter verschärfte die Marktlage der Supermärkte und auch die Kaufhäuser erlitten herbe Umsatzeinbußen. Der Trend des Marktes zielte zunehmend auf Kundenakquise mittels Preisnachlässen und Rabatten, was als Reaktion auf den Sparboom und eine damit einhergehende Konsummüdigkeit und Nachfrageschwäche zu verstehen war.169 Der Anstieg der Verkaufsfläche im deutschen Einzelhandel breitete sich dagegen immer weiter aus, wenn auch langsamer als in den Vorjahren.170 163 Dementsprechend erhöhte sich die Sparquote in Deutschland erstmals seit 1991 wieder – um 0,3%; vgl. 54. Jahresbericht des HDE 2001/2002, S. 10. 164 Vgl. 54. Jahresbericht des HDE 2001/2002, S. 13. 165 Zum Vergleich die Wachstumsrate von 0,6% aus dem Jahr 2001, vgl. http://www.destatis.de. 166 Das Jahr 2002 war zudem maßgeblich von der Einführung des Euro geprägt, der das Konsumverhalten der Verbraucher weiter einschränkte. Mit einem Anstieg von lediglich 0,9% verzeichnete der Wert der privaten Konsumausgaben den niedrigsten seit der Wiedervereinigung; Jahresbericht des HDE 2002/2003, S. 12. 167 Während der nominale Umsatzrückgang im Einzelhandel 2,1% (real: – 2,5%) betrug, lag die nominale Minusrate im Großhandel sogar bei 3,4% (real: – 2,7%); vgl. Träger in: Ifo-Schnelldienst, Bd. 56, S. 21. 168 Voltz, Der Handel im Wandel, S. 2. Dies zeigt sich exemplarisch am Discounter ALDI. Die Umsätze des Unternehmens zogen bis zum Jahr 2003 um 12% an, die anderer Discounter ebenfalls um 9%. Im Jahr 2002 weitete die Discounterschiene ihren Umsatzanteil von 36% auf 40% aus; vgl. Info Resources Gfk GmbH. 169 Vorreiter dieser Entwicklung sind die Kampagnen der Metro Märkte SATURN und MEDIA MARKT („Geiz ist geil“ bzw. „Ich bin doch nicht blöd“). Aber auch Flug- und Reisegesellschaften oder Autohändler versuchten mit immer neuen Rabattaktionen den Kunden zu werben. Begünstigt wurde die Tiefpreiswelle v. a. durch die Abschaffung des Rabattgesetzes und die Freigabe der Zugabeverordnung im Jahre 2001. 170 So stieg die Verkaufsfläche im Jahr 2002 auf 110 Mio. m2 Gesamtfläche an, trotz sinkender Bevölkerung und anhaltendem Konsumfrust.

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Insgesamt beschleunigte das Jahr 2002 den strukturellen Wandel um ein Vielfaches. Gerade der mittelständische Einzelhandel fand kaum Möglichkeiten, sich wie die Filialsysteme mittels Dumpingpreiskampagnen aus dem Konjunkturtief zu ziehen. Umsatzeinbußen im zweistelligen Bereich waren die Folge und das Jahr 2003 versprach kaum Besserung. Zwar hellte sich die Konsumstimmung zu Beginn des Jahres angesichts angestrebter Reformpläne (Agenda 2010) und vorgezogener Steuerreform leicht auf. Dennoch mangelte es den deutschen Verbrauchern nach wie vor an Anschaffungsbereitschaft, vor allem bei hochpreisigen Gütern.171 Dem versuchte der Gesetzgeber durch die weitere Lockerung des Ladenschlussgesetzes zum 01.06.2003 entgegenzuwirken. Diese schrittweise Liberalisierung des Handels wirkte – spürbar bis ins Jahr 2004 hinein – positiv auf das Kaufverhalten der Verbraucher. Diese kümmerten sich wieder verstärkt um den Wert der Ware, der Rabattwahn der Vorjahre war weniger ausgeprägt.172 Dieser Trend setzt sich im Jahr 2005 fort. Gewinner sind – neben dem Kunden – vor allem SB-Warenhäuser und Shopping-Center. Nach Berechnungen des Kölner Euro-Handelsinstituts (EHI) wuchs die Zahl der deutschen Shopping-Malls mit einer Verkaufsfläche von mehr als 10.000 m2 seit 1998 von 249 auf fast 340.173 So konnten die Läden in den City-Galerien nach Angabe des Hamburger ECE Projektmanagements im Jahr 2003 ihr Umsatzniveau vom Vorjahr174 trotz defizitärem Gesamteinzelhandel halten: Der Trend zur großen Einkaufmeile in attraktiver Innenstadtlage ist damit nicht gestoppt. Shopping-Center zielen dabei vor allem auf den lifestyle-orientierten Kunden, der den Kauf mit Luxus, Ambiente und Events kombinieren will. Diese neue Form des Kaufs, der so genannte „Erlebnishandel“, setzt daher verstärkt auf die Aspekte Emotionalität und Faszination; die Verbindung von Freizeit, Unterhaltung und Handel soll kaufstimulierend wirken.175 Dass damit den Kaufhäusern zunehmend der Rang 171

Voltz, a. a. O., S. 1. Die allgemeine politische Lage drückte dem Verbraucher aufs Gemüt. Der Konsumfrust hielt an; wenn der Kunde kauft, versucht er Preiswertes zu erstehen. Nach einer Umfrage des BBE-Verbrauchermonitors 2003 gaben 43% der Befragten an, sie wollten etwas sparen, 25% gar, sie wollten mehr als im Vorjahr zurücklegen. 172 Die Deutschen sparen weniger und sind anschaffungsgeneigter, was einerseits durch die prognostizierte Mehrwertsteuererhöhung nach der Neuwahl, andererseits durch die bisher geübte Konsumzurückhaltung erklärbar ist, vgl. GfK Konsumklima Studie MAXX, www. gfk.de. 173 Sehenswerte Einkaufsgalerien wie die Hamburger Arcaden, Altmarkt-Galerie in Dresden, der City-Point in Braunschweig oder das im Bau befindliche Nova Eventis Center im Einzugsgebiet Leipzig/Halle bieten eine hohe Aufenthaltsqualität und abwechslungsreiches Ambiente, verbunden mit dem Standortvorteil der Innenstadtlage, der Größe und der Parkplatzausstattung. 174 Umsatzplus im Jahr 2002 von 4%; vgl. http://www.ece.de.

B. Verkehrspflichten und Einzelhandel

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des ohnehin überholten „Alles unter einem Dach-Prinzips“ streitig gemacht wird, ist nur ein Aspekt der zuletzt deutlich verschlechterten Lage dieser Betriebsform.176 Im Lebensmitteleinzelhandel leiden Groß- wie Kleinflächen nach wie vor unter dem Kunden-Run auf die Discounter, die mit deutlichen Umsatzzuwächsen ihr Wachstumstempo weiter vorangetrieben haben.177 Auch für die erfolgsverwöhnten Lebensmittel-Discounter ist jedoch das Konjunkturklima in den Jahren 2004/05 rauer geworden und passt sich damit dem Gesamttrend an. Einer zunehmenden Bedeutung im Einzelhandel erfreuen sich Tankstellen. Trotz eines Preisniveaus, das zum Teil über 50% über dem des regulären Handels liegt, stieg ihr Umsatz in den vergangenen zwei Jahren beträchtlich. Geht die Zahl der Verkaufsstellen auch seit Jahrzehnten stetig zurück (in den Jahren 2002 und 2003 wiederum um 0,6%), so steigt der Umsatz der Tankstellenshops unter ständiger Expansion der Verkaufsfläche sukzessive (2002 stieg der Umsatz im Vergleich zum Vorjahr um 3,5%178). Die Markterweiterung liegt vorrangig im Standortvorteil sowie der konsequenten Bedarfsdeckung oftmals gut verdienender Impulskäufer179 begründet, auch wenn die Lockerung des Ladenschlussgesetzes (Kunden sind nicht mehr auf Tankstellen als Spätverkaufsmöglichkeit angewiesen), die Erhöhung der Tabaksteuer sowie die Errichtung des Dosenpfandes zukünftig eine Stagnation der Kundenzahlen befürchten lassen. Dennoch: Die Betreiber weiten ihr Angebotssortiment – vor allem im Frischebereich – stetig aus. So ist gerade der Trend zu Convenience-Produkten ein nicht unerheblicher Faktor für den Erfolg des Shop in Shop-Systems der Mineralölfirmen. 175 Diese Entwicklung ist durch den Trend zum großflächigen Betrieb bedingt, der im Hinblick auf eine erlebnisorientierte Ladenatmosphäre mehr Möglichkeiten (z. B. Shop in Shop-System) bietet. 176 Einbruch der Erlöse um fast sechs Prozent in den 180 verbliebenen Karstadt/ Hertie Häusern, vgl. STERN 40/2004, S. 206, darin Gerling, Geschäftsführer EHI Köln: „Das klassische Sortimentskonzept hat sich überlebt“. 177 Vorreiter ist hier die Schwarz-Gruppe (LIDL, KAUFLAND), die für das Geschäftsjahr 2004/2005 ein Umsatzwachstum von 44% auf 36 Mrd. e verzeichnet. Die Zahl der Filialen in Deutschland soll in Zukunft auf 3500 steigen, da LIDL auch als Discounter inzwischen ein Sortiment von bis zu 3000 Artikeln führt, werden die Läden immer größer und haben mittlerweile mindestens 1000 m2 Verkaufsfläche, s. F.A.Z. v. 16.06.2005, S. 17. 178 Quelle AC Nielson, Universen 2003, S. 26. Fast 60% der Kunden fahren inzwischen ausschließlich zum Einkaufen zur Tankstelle, ohne zu tanken, 15% verbinden das Tanken mit dem Einkauf; Quelle BBE-Branchenreport Impulsprodukte 2002/2003. 179 Aufbau eines verbraucherorientierten Sortiments „vom Regal direkt in den Mund“; vgl. Marktbericht Bank Gesellschaft Berlin 2000, S. 5.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Steigende Nachfragezahlen in den letzten Jahren verzeichnet auch der Versand- und Onlinehandel. Nach Markteinschätzung des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels setzte die Versandhandelsbranche 2002 rund 21,2 Mrd. Euro um,180 acht Mrd. entfielen dabei auf den Online Handel.181 Immer mehr Menschen nutzen das Internet als Einkaufsmöglichkeit – der E-Commerce boomt und ein Ende ist nicht in Sicht. Inzwischen nutzen 48% der Verbraucher (26 Mio. in absoluten Zahlen) das Internet als Medium.182 Vorteil der virtuellen Händler ist der bequeme Lieferweg, ein Kriterium, das vor allem für ältere Kunden und solche, die auf dem Land leben, entscheidend ist.183 Der strukturelle Wandel im deutschen Einzelhandel und mit ihm ein verändertes Kundenverhalten bringen zudem für die Betriebe das Erfordernis mit sich, neue Wege und Anstrengungen zu unternehmen, um sich dem markttypischen Wettbewerbs- und Kostendruck anzupassen. Neue Technologien vor allem im Warenhandling,184 Einführung von Scannerkassen und computergestützte Zahlungsmodalitäten185 setzen zunehmend eine ständige Investitionsbereitschaft von Unternehmen voraus, die diese oft nicht alleine bewältigen können. Aus diesem Grund ist in den letzten Jahren – vor allem im Lebensmitteleinzelhandel – eine steigende Tendenz von Unternehmenszusammenschlüssen und Fusionen zu marktübergreifenden Unternehmensgruppen festzustellen.186 Dieser Konzentrationsprozess – ausgelöst auch durch das Streben der Firmen nach Größe, Marktdominanz und Effektivität – ist als Indikator für eine stetig fortschreitende Entwicklung im Konsumgüterhandel nicht zu unterschätzen.187 Ein Ende des Trends der verstärkten 180 181

http://www.versandhandel.org/index_oeffentlich_veroeffentlichungen.html. HDE-Umsatzschätzung Deutschland, 55. Jahresbericht 2002/2003 des HDE,

S. 53. 182 Vgl. Voltz, a. a. O., S. 21: „Die Devise moderner Consumer lautet: zuerst ins Web und dann in die Stadt.“ 66,9% shoppen regelmäßig im Netz, wobei v. a. Bücher (44,1%) und CDs (34,9%) abgesetzt werden sowie Auktionen getätigt werden (36,8%), vgl. http://www.agirev.de/download/AGIREV_ ORM2003_II.pdf. 183 Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Tele-Shopping, bei dem Fernsehsender wie „HOT“ oder „QVC“ Produkte via Bildschirm dem Kunden offerieren, der dann die Ware per Telefon bestellen kann. Dies bewirkt eine zunehmende Verlagerung des Konsums weg von den Regalen der Einzelhandelsläden hin zum Versandweg. 184 Zukunftsweisend ist hier v. a. die Ausweisung von Waren mittels eines Funkchips (sog. Radio Frequency Identification, kurz: RFID), siehe dazu FOCUS 21/2004, S. 98 ff. 185 Vgl. Schröder in: Integrierte Warenwirtschaftssysteme und Handelscontrolling, S. 302. 186 Günther Zfbf 1993, 460. 187 So machten 2002 die zehn größten Handelsorganisationen (darunter die Metro Group, Rewe-Gruppe und Edeka-AVA-Gruppe) insgesamt 84,3% des Gesamtumsatzes im Lebensmitteleinzelhandel aus, Statistik M+M Eurodata, Frankfurt. Die fünf

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Verdrängung vom traditionellen mittelständischen Einzelhandel durch Konzentrationsprozesse weniger so genannter „Big Player“ ist auch in Zukunft nicht abzusehen. 4. Fazit Damit ist die Entwicklung des deutschen Einzelhandels und mit ihm sein struktureller Wandel in den für die folgenden Betrachtungen und Analysen wichtigsten Punkten nachvollzogen. Anhand dieser Erkenntnisse ist es nun möglich, Aussagen über die Veränderlichkeit der Verkehrspflichten im Verlaufe der letzten Jahrzehnte zu treffen. Hieraus wird deutlich, dass diese letztlich nichts anderes als Umweltpflichten sind, die sich beständig an neue Technologien, gewandelte Sicherheitsbedürfnisse und veränderte Publikumsgewohnheiten anzupassen haben. Die Entwicklung einer aktiven Betriebsformendynamik hin zum großflächigen Einzelhandel durch Flucht auf „die grüne Wiese“ verbunden mit dem Fortschritt der Selbstbedienung, der Trend des Konsumenten seine Einkäufe nicht mehr zwingend im Ladengeschäft selbst zu tätigen (Online-Handel, Tele-Shopping) und die Nutzbarmachung der Werbung als absatzwirtschaftliches Element sind grundlegende Eckpfeiler eines Prozesses, der die Natur der Verkehrspflichten des Betreibers nicht unberührt lassen konnte. IV. Wandel der Verkehrspflichten Die Darstellung der Entwicklung des Strukturwandels im Einzelhandel steht nicht für sich. Sie dient an dieser Stelle zur Erklärung eines sich äquivalent vollziehenden Prozesses der Verkehrspflichten. Mit Veränderung der Einzelhandelslandschaft musste es konsequenterweise auch zu einer Anpassung des Pflichtenkataloges der Unternehmen kommen. Wie diese sich im Einzelnen vollzogen hat, ist nachfolgend näher zu beleuchten. 1. Neuorientierung der Vertriebsformen und Flächenexpansion als Auslöser veränderter Verkehrspflichten Die standardisierte Formel der Rechtsprechung, wonach ein Geschäftsinhaber alle ihm möglichen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen hat, um eine Gefährdung von Personen auszuschließen, die sein Ladenlokal betreten,188 ist nur der wenig spezifische Ausgangspunkt. Er lässt sich beumsatzstärksten Unternehmen verbuchten dabei einen Umsatzanteil von 63,5%, vgl. http://www.mm-eurodata.de. 188 Vgl. nur BGH VersR 1964, 1186.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

reits in frühen Entscheidungen des OLG Kiel189 und des Reichsgerichts190 ausmachen. Inhaltlich sind die Anforderungen an die einzelnen Pflichten des Betreibers im Laufe der Jahre weitaus differenzierter und strenger geworden. Einen signifikanten Richtungswechsel in der Rechtsprechung markiert dabei die Entscheidung des OLG Köln vom 22.03.1972.191 Vor diesem Urteil war die Judikatur merklich – wenngleich im Einzelnen nicht immer erfolgreich – bestrebt, den Ladeninhaber einem einheitlichen Pflichtenmaßstab vor allem hinsichtlich der Auswahl und Unterhaltung des Fußbodens in seinem Geschäft zu unterwerfen. Sachverhaltstechnisch sind die ergangenen Entscheidungen dann auch wenig abwechslungsreich. Sie zeugen jedoch von dem Bemühen, einen Kompromiss zwischen den Sicherheitsinteressen des Kunden und einer überobligatorischen Belastung des Geschäftsinhabers zu finden; dies verbunden mit der Erkenntnis, dass ein beständig gefahrloser Zustand unmöglich gefordert werden kann. Dieser Programmsatz ist bis heute den Urteilsgründen der Rechtsprechung immanent, auch wenn insgesamt der Verdacht einer verbraucherfreundlichen Entscheidungstendenz nicht ignoriert werden kann. a) Die Anfänge – milde Rechtsprechung Die ersten – zum Themenkomplex der Bodenbeläge – ergangenen Urteile zur Verkehrssicherungspflicht in Geschäftsläden stammen aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Im vom OLG Hamburg entschiedenen Fall des Sturzes eines Kunden auf dem nassen Linoleumfußboden eines Ladens192 hielt sich das Gericht in seiner Begründung mit detaillierten Sorgfaltsanforderungen an den Betreiber noch zurück. Am Unglückstag herrschte Tauwetter und feuchter Schnee sammelte sich unter den Schuhen des Geschädigten. Hierin sah das Gericht auch die Ursache des Ausgleitens. Eine Pflichtverletzung des Inhabers konnte es nicht feststellen. Für das Aufnehmen des sich ansammelnden Schneewassers sei hinreichend gesorgt gewesen: An nassen Tagen wurde der Fußboden außer der täglichen zweimaligen Reinigung je 189 Urt. v. 12.12.1916 in ROLG 34, 113, wonach die Beklagte als „Inhaberin eines offenen Ladengeschäfts (. . .) die dem Zutritt des Publikums geöffneten Räume des Geschäftes in einem verkehrssicheren Zustande zu unterhalten“ habe. 190 Urt. des VI. Zivilsenats v. 04.11.1918 in RGZ 95, 61 ff. mit der Bemerkung, dass derjenige, „der den Verkehr zu seinem Geschäfte und damit zu dem mit einem Gefahren bietenden Eingang versehenen Ladenraume eröffnet hat, für rechtlich verpflichtet erachtet werden muss, diejenigen Maßregeln zu treffen, die die Sicherheit der Ladenbesucher gewährleisten“. 191 VersR 1972, 1148 = NJW 1972, 1950. 192 OLG Hamburg Urt. v. 24.11.1916 in ROLG 34, 112.

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nach Bedürfnis öfter gesäubert. Ein zusätzliches Auftragen von Sand- oder Sägespänen sei nicht erforderlich.193 Ungleich strenger urteilte das OLG Kiel knapp 2 ½ Wochen später.194 In einem ähnlich gelagerten Sachverhalt bejahte es eine Verkehrssicherungspflichtverletzung der im Laden tätigen Beklagten. Diese hätte, um einen sicheren Verkehr im Verkaufsraum zu ermöglichen, durch Hinlegen einer Fußmatte oder Anbringen eines Abkratzers den Kunden ihres Geschäfts die Möglichkeit geben müssen, vor oder bei Betreten ihr Schuhwerk vom Schnee zu reinigen. Die unterschiedliche Bemessung des Pflichtenprofils im Vergleich zum Urteil des OLG Hamburg mag nicht allein mit dem Bodenbelag zusammenhängen (im letztgenannten Fall handelte es sich um Terrazzoboden). Später ergangene Gerichtsentscheidungen zeugen von einer ähnlichen inhaltlichen Ausrichtung.195 Hinsichtlich der Frequenz möglicher Reinigungsmaßnahmen sowie der Mitarbeiterorganisation bleibt die folgende Rechtsprechung jedoch insgesamt eher milde und undifferenziert. So wird die Anforderung an einen Drogerieinhaber hervorgehoben, sich in Ausführung seiner Verpflichtung, für die Sicherheit der Besucher des Geschäfts zu sorgen, in angemessenen Zwischenräumen auch um den Fußbodenbelag zu kümmern.196 Was in diesem Zusammenhang als angemessen bezeichnet werden kann, lässt das Gericht – sicherlich auch infolge mangelnder Entscheidungsrelevanz – unentschieden. Anderenorts werden die Spruchkörper zwar konkreter. Hier wird weiterführend auf das Erfordernis einer viermal täglichen Reinigung hingewiesen.197 Die Urteile weichen allerdings insofern von den Übrigen ab, als es sachverhaltstechnisch nicht um Nässe oder Glätte, sondern um grobkörperliche Verunreinigungen (Kuchenreste) des Bodens geht. Der Anforde193 OLG Hamburg a. a. O., S. 113: „Sägespäne würden das Ausgleiten auf nassem Linoleum kaum vermindern, Sand aber verdirbt dieses so schnell, dass seine Verwendung schon deshalb nicht möglich ist“. 194 OLG Kiel a. a. O., ebd. 195 Vgl. nur OLG Naumburg Urt. v. 15.5.1930 in JW 1930, 2578. 196 KG VersR 1952, 242. 197 OLG Schleswig VersR 1952, 214. Die Entscheidung enthält erste Ansatzpunkte einer Intensivierung der Verkehrspflicht im Einzelhandel, indem von „besonderen Verhältnissen“ bedingt durch ein „Vogelschiessen“ gesprochen wird. Zudem enthält sie den bemerkenswerten Schluss, dass es „eine verhältnismäßig geringe Unbequemlichkeit“ bedeuten würde, eine der Personen im Laden zu beauftragen, ihre Aufmerksamkeit auf Fußboden und Treppen zu lenken, vgl. S. 215. Beachte auch die Entscheidung des OLG Neustadt vom 03.12.1954 in VersR 1955, 90, das eine Reinigung „in Geschäftsbetrieben seiner Art“ (der Beklagte war Lebensmittelhändler) drei bis vier Mal am Vormittag, zwei bis drei Mal am Nachmittag als ausreichend betrachtet, sich jedoch offensichtlich in ihren Mindestanforderungen auf das Urteil des OLG Schleswig stützt.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

rungsmaßstab ist in diesen Fällen mit einer viermal täglichen Kehrung überdies eher noch geringer einzuschätzen als bei Konstellationen mangelnder Rutschfestigkeit des Fußbodens. Was diese anbelangt, so schränkt das LG Lüneburg in seinem Beschluss vom 23.12.1955198 weiter ein: „Man wird von dem Beklagten nicht fordern können, dass er jedem Kunden einen Angestellten folgen lässt, der etwaige Schnee- oder Matschspuren sofort beseitigt. Es muss vielmehr als ausreichend angesehen werden, dass der Laden von Zeit zu Zeit, je nach dem Andrange der Kunden und der Wetterlage, gesäubert wird und nasse Stellen beseitigt werden“.199

In dem Fall ging es um den Sturz einer Kundin in einem Geschäftslokal des Beklagten, infolge des durch herein getragene Nässe bedingten rutschigen Fußbodenbelags. Detaillierte Verhaltensanforderungen an den Betreiber sind in den weiteren Urteilsgründen nicht auszumachen. Diese Tendenz setzt sich auch im vom OLG Nürnberg entschiedenen Fall200 fort, der sich von der inhaltlichen Ausgangslage nur unwesentlich von dem des LG Lüneburg unterscheidet. Auch hier fiel eine Kundin infolge der übermäßigen Glätte des Untergrunds zu Boden, allerdings nachdem sie zunächst eine mit einem Fußabtreter ausgelegte Luftschleuse durchschritten hatte. So konstatiert das OLG zunächst im Sinne der Kundin, dass „ein nasser Fußboden, gleich welcher Art, wohl immer eine gewisse Gefahrenquelle ist, weil man auf ihm erfahrungsgemäß leichter ausrutscht als auf einer trockenen Fläche“.201 Dies dürfe aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verkehrssicherungspflicht auch ihre Grenzen habe. Ihr Sinn bestehe nämlich nicht darin, „dass Publikum schlechthin vor jeder erdenklichen Gefahr zu schützen, sondern nur darin, diejenige Sicherheit zu schaffen und zu bieten, die man bei Berücksichtigung der jeweils gegebenen Verhältnisse und der Art und Weise des in Frage kommenden Publikumsverkehrs allgemein erwarten darf und muss“.202 Das Gericht schränkt hier den Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Unfall im Sinne eines erlaubten Risikos zu Gunsten des Geschäftsinhabers ein. Es sei zwar richtig, dass es zur Verkehrssicherungspflicht eines Kaufhausunternehmens gehöre, die bei Regenwetter unvermeidliche Nässebildung rund um die Eingänge von Zeit zu Zeit zu beseitigen. Die Anforderungen hieran dürften jedoch nicht überspannt werden. Die Nässe könne ohnehin nie vollständig entfernt 198

VersR 1956, 651. LG Lüneburg a. a. O., ebd.: das Ausstreuen von Sägespänen und Sand könne nicht verlangt werden. 200 In: VersR 1967, 1083. 201 OLG Nürnberg a. a. O., ebd. 202 OLG Nürnberg a. a. O., ebd. 199

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werden, da angesichts des regen Publikumsverkehrs stetig neue Feuchtigkeit herein getragen werde. Daraus folgert das OLG, „dass lediglich ein Aufwischen in angemessenen Zeiträumen gefordert werden kann und dass ein gewisses Maß von Nässe trotz der von ihr ausgehenden Gefahr vom Publikum“ hingenommen werden müsse.203 Knapp 3 ½ Jahre später bestätigte das LG München204 die Ansicht des OLG. Es verneinte unter Verweis auf dessen Entscheidungsgründe eine Verkehrspflichtverletzung des beklagten Ladeninhabers wegen mangelnder Wartung des Fußbodens, auf dem eine Kundin zu Fall kam. Zwar müsse von dem Betreiber gefordert werden, die unvermeidbare Nässe von Zeit zu Zeit zu beseitigen. Auch hier dürften jedoch die Anforderungen nicht überspannt werden. Man könne – so das LG – ein „laufendes Aufwischen“ nicht verlangen, sondern muss ein solches – und hier wiederholt sich die Formulierung – „in angemessenen Zeitabständen“ genügen lassen. Schließlich sei der Blick auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1968 gelenkt.205 In dem Fall ging es um die Klage gegen den Inhaber eines Schlachterladens. Eine Kundin behauptete, im Eingang des Hausflures beim Hinabtreten einer Stufe auf einer Wurstpelle ausgeglitten zu sein. Dies bestritt der beklagte Metzger unter Verweis auf eine tägliche Reinigung von Treppe und Bürgersteig. Den Vorwurf der Klägerin in der Berufungsinstanz, der Betreiber habe des Öfteren Kindern Wurst zum Verzehr gegeben, die diese dann vielfach im Laden gegessen hätten, wies der Metzger zurück. Kindern sei nur in seltenen Fällen Wurst gegeben worden und wenn, dann nur verpackt oder nach Entfernung der Wurstpelle. Das Gericht maß der Häufigkeit der Gaben ohnehin nur unwesentliche Bedeutung bei. Sofern feststehe, dass der Ladeninhaber in seinem Geschäft Wurst zum alsbaldigen Verkehr an Kinder verschenke, seien an die Sorgfaltspflicht strenge Anforderungen zu stellen. Denn in einem solchen Fall müsse der Metzger damit rechnen, dass der Ladeninnenraum und der Zugang zum Laden in stärkerem Maße verunreinigt werden könnten, als es sonst der Fall sei.206 Die vom BGH hier so explizit herausgestellte besondere Strenge kommt in den konkreten Urteilsgründen allerdings kaum zum Ausdruck. Der Fleischer müsse – so das Gericht – lediglich „in Abständen darauf achten, dass keine Wurstreste oder Wurstpellen auf dem Boden herumliegen“.207 Da das Berufungsgericht in seiner Verhandlung ein entsprechendes Beweisangebot des Beklagten überging, verwies der BGH zurück. 203 204 205 206

OLG Nürnberg a. a. O., ebd. Urt. v. 02.10.1970 in VersR 1970, 1157. Urt. v. 25.06.1968 in VersR 1968, 993. BGH a. a. O., ebd.

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Die Entscheidungen der frühen Rechtsprechung belegen: Ein einheitlicher Maßstab der Sorgfaltsanforderungen – auch für nahezu identische Schadensursachen – lässt sich nur schwerlich ablesen. Die Indifferenz bringt stellenweise eine ungewöhnliche Milde der Spruchkörper mit sich, die nicht selten zu ungunsten des verletzten Klägers urteilen. b) Konkretisierung der Pflichten – Die Leitentscheidung des OLG Köln vom 22.03.1972208 Dies sollte sich erst mit dem Urteil des OLG Köln vom 22.03.1972 ändern, das einen Wendepunkt in der Geschichte der Einzelhandels-Verkehrspflichten markiert. Der Fall behandelt den Sturz einer Kundin auf einem Salat- oder Gemüseblatt unmittelbar in der Nähe des Eingangsbereichs eines Ladengeschäfts. Die besondere Brisanz des Falls lässt sich schon am Beklagtenvortrag ablesen. Der Geschäftsinhaber bestreitet die behauptete Unfallursache und bringt überdies die Auffassung hervor, dass bei einem Selbstbedienungsgeschäft, wie seines es darstelle, nicht die gleichen Anforderungen an die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht gestellt werden könnten wie bei einem anderen Ladengeschäft, in dem jeder Kunde von einem Verkäufer bedient werde und von diesem seine Ware auch eingepackt erhalte. Das Gericht stützt den Einwand des Beklagten, zieht daraus allerdings einen gegenteiligen Schluss. Die Gefahr der Verunreinigung sei gerade bei einem Selbstbedienungsgeschäft, das täglich von durchschnittlich 2000 Kunden besucht werde, besonders hoch. Mit Ansteigen der Besucherzahl würden auch Bedeutung und Umfang der Verkehrssicherungspflicht wachsen.209 Der Selbstbedienungsbetrieb ist hier Nahtstelle aus besonderem Grund: Obwohl heute längst allgegenwärtig, besaß eine derartige Vertriebsform für damalige Verhältnisse Neuwert. Die Warenabgabe an den Verbraucher, wie sie Jahrhunderte ohne nennenswerte Entwicklung im gleich bleibenden Krämerstil durchgeführt wurde, war Mitte der 50er Jahre veraltet und rief eine neue Form des Geschäftsbetriebs – die Selbstbedienung – auf den Plan. 207 Von einer ähnlichen Formulierung, wie das OLG Schleswig a. a. O., ebd. sie formulierte (viermal tägliche Bodenreinigung), sah der BGH, obwohl die Ähnlichkeit beider Sachverhalte Anlass dazu geboten hätte, ganz ab. 208 VersR 1972, 1148 = NJW 1972, 1950. 209 Den Grundsatz leitet das Gericht aus einer Entscheidung zur Verkehrssicherungspflicht im Straßenverkehr ab. Danach wird der Umfang der Pflichten maßgeblich durch die Art und Häufigkeit der Straßenbenutzung und ihrer Verkehrsbedeutung bestimmt, vgl. BGH NJW 1962, 34 (36); MDR 1962, 638; VersR 1963, 652 (653).

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Diese revolutionierte, nach zunächst zögerlichem Beginn, im Laufe der Jahrzehnte die Einzelhandelslandschaft – mit ihr veränderten sich aber auch die Pflichten der Betreiber.210 Das System Selbstbedienung bedeutete nicht nur ein Umdenken im Hinblick auf Warenausstattung, Standort und Werbewirkung des Ladens. Für die Inhaber drückte sich der finanzielle Mehraufwand vor allem in der Anpassung der Ladenoptik und der Neuanschaffung von Einrichtung und Maschinen (Kühltruhen, Kassen) aus.211 Dieser grundlegende methodische Wandel konnte nicht ohne Folgen für Unternehmen und Kunden bleiben. Das OLG erkannte diese Entwicklung in seiner Entscheidung und war erstmals bemüht, aus ihr einen einheitlichen Pflichtenkatalog der Distributionsform zu entwickeln. Die Anforderungen wurden nun – entgegen der Auffassung des Beklagten – strenger und konkreter. Die neue Art der Selbstbedienung und das sprunghafte Ansteigen der Verkaufsfläche brachten mehr Kunden in die Läden. Die Verkehrspflichten der Inhaber hatten sich diesem Niveau anzupassen. Den von Beklagtenseite vorgebrachten Einwand, eine Gleichstellung mit herkömmlichen Geschäften sei nicht möglich, da in ihrem Selbstbedienungsladen weit weniger Personal arbeite (das dann deutlich weniger Aufgaben erledigen könne), wollte das Gericht dann auch nicht gelten lassen. Auch der Inhaber eines Selbstbedienungsgeschäfts werde nicht von der Verpflichtung befreit, alle in seiner Macht liegenden, zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um Gefahren, die in gesteigertem Umfang bei der Selbstbedienung bestünden, von seinen Kunden abzuwenden. „Er wird“, so das OLG, „weniger Verkaufspersonal als die anderen Geschäfte benötigen, darf aber nicht auf die Kräfte verzichten, die zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erforderlich sind.“212 Dementsprechend treffe ihn die Pflicht alle notwendigen und erforderlichen Maßnahmen für die Sicherheit der Kunden zu treffen, „selbst wenn damit eine Verstärkung des Personals verbunden ist.“213 210 Die Unsicherheit, v. a. zu Beginn der Einführung, zeigt sich in einer Vielzahl der damaligen Veröffentlichungen: Pries Der Verbraucher 1952, S. 513: „Der erfolgreiche Betrieb von Selbstbedienungsläden hängt von vielen Voraussetzungen ab. Im Allgemeinen kann man sagen, dass er nur dort zu empfehlen ist, wo tüchtige, mit dem System vertraute Fachleute zur Verfügung stehen. Selbstbedienungsläden haben nun einmal ihre besondere Eigentümlichkeiten und sind in ihrer gesamten Betriebsführung komplizierter als alle anderen Verkaufsmethoden“; ders. a. a. O., S. 53 f. S. a. Biesinger Der Verbraucher 1952, S. 50 f.: „Sind Selbstbedienungsläden schon überall angebracht?“. 211 Siehe zum Ganzen v. a. Prüfer in: 50 Jahre Selbstbedienung, S. 216 ff. 212 OLG Köln VersR 1972, 1149 = NJW 1972, 1950 (1951). 213 OLG Köln a. a. O., ebd.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

In der Folge stellt das Gericht konkrete Verhaltensregeln auf, die, was den Pflichtenkatalog des Einzelhändlers in organisatorischer Hinsicht anbelangt, in ihrer Strenge bis zu diesem Urteil so nie zu lesen waren. Demnach fordere die Verkehrssicherungspflicht in Selbstbedienungsgeschäften eine regelmäßige Bodenreinigung in kurzen Abständen, die durch die jeweiligen Gegebenheiten (z. B. Zahl der Kunden, Art der angebotenen Waren und Witterung) und durch den davon abhängigen Grad der Verunreinigung bestimmt werden. Des Weiteren seien die Aufgaben der Verkehrssicherung – insbesondere die Reinigungs- und Aufräumarbeiten – besonderen Kräften zu übertragen, die, soweit es die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erfordere, von anderen Tätigkeiten freizustellen seien.214 Der Maßstab, den das OLG Köln hier setzte, wurde seit dieser Entscheidung aus dem Jahr 1972 in ähnlich gelagerten Fällen immer wieder angelegt. So bejahte das OLG München 1973215 beim Sturz einer Kundin wegen einer Bananenschale eine Verkehrspflichtverletzung des Ladeninhabers – ebenfalls unter Abstellen auf die spezifische Besonderheit des Selbstbedienungsgeschäfts. Angesichts der Tatsache, dass die Verbraucher hier selbst die Waren aus dem Regal nähmen und an der Kasse auch einpackten, bestehe eine erhöhte Gefahr der Bodenverunreinigung. Zudem schaffe der Selbstbedienungsladen eine höhere Kundenfrequenz und somit vielfältigere Möglichkeiten der Verschmutzung. Hierauf müsse sich der Geschäftsbetreiber einstellen und entsprechende Abhilfemaßnahmen einleiten. Diese sieht auch das OLG München in der Beauftragung und Instruktion einer bestimmten Person aus dem Kreis der Beschäftigten. Die Säuberung selbst, so das Gericht, müsse in „regelmäßigen und kurzen Abständen“ durchgeführt werden.216 Eine Anweisung an die Kassiererinnen, den Boden vor den Kassen zu beobachten und erforderlichenfalls zu säubern, reiche jedenfalls nicht aus. Gleiches habe für das Aufstellen von Abfallkörben zu gelten.217 Diese neuartige strikte Linie bekam auch der Inhaber eines Warenhauses ein Jahr später abermals vor dem OLG München zu spüren.218 Eine 60jährige Kundin behauptete vor der Kuchentheke des Geschäftes auf einer Kirsche oder Erdbeere ausgerutscht zu sein und verlangte Schadensersatz und angemessenes Schmerzensgeld gemäß §§ 823 Abs. 1, 31, 847 BGB a. F. Das OLG als Berufungsinstanz gab der Klage statt. Zwar wies der Beklagte nach, dass der fragliche Fußboden täglich durch eine spezielle Reinigungsfirma gesäubert werde. Außerdem beschäftige er eine zusätzliche „Rei214 215 216 217 218

OLG OLG OLG OLG OLG

Köln a. a. O., ebd. München VersR 1974, 269. München a. a. O., ebd. München a. a. O., ebd. München VersR 1976, 1000.

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nigungseinsatzkolonne“, die im Bedarfsfall einschreite; zudem unternehme der Hausinspektor ständig Stichproben und erstatte zweimal wöchentlich Bericht mittels eines speziellen Meldebogens. Allein zur Erfüllung der Verkehrspflicht war dies zu wenig. Stereotyp verwies das OLG den Betreiber auf das vom OLG Köln aufgestellte Pflichtenprogramm, wonach neben einer in kurzen Abständen durchzuführenden Reinigung auch verlangt wird, dass eine bestimmte Person für derartige Aufgaben eingesetzt wird.219 c) Abweichende Urteile Vergleichsweise milde urteilte demgegenüber drei Jahre später das OLG Hamm.220 Auch hier ist Auslöser der Unfallursache der Bodenbelag, wenngleich die Art der Verunreinigung eine andere ist. Im Fall war eine Frau eine viertel Stunde nach Eröffnung und kurz nach Betreten des Kaufhauses infolge einer Nässebildung, verursacht durch starken Regenfall, gestürzt. Zwar anerkannte das Gericht eine feuchte Stelle als Unfallursache. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Geschäfts wollte es dennoch nicht ableiten. Hierfür mangele es bereits an der Zumutbarkeit der Pflichterfüllung. So sei es in einem großen Kaufhaus (mit vier Eingängen) schon zeitlich nicht möglich, in höchstens 15 Minuten die bei starkem Regen in die Innenräume hineingetragene Nässe wirksam zu bekämpfen. Diese könne nämlich in einem solchen Fall auch durch häufiges Aufwischen niemals ganz beseitigt werden, weil sich infolge des regen Publikumsverkehrs stets bald wieder eine neue Feuchtigkeitsschicht bilden werde, bevor noch die alte Feuchtigkeit an der Luft aufgetrocknet sei. Hieraus folge, dass lediglich ein Aufwischen in angemessenen Zeiträumen verlangt werden könne.221 Der Schluss, zu dem das OLG gelangt, ist ersichtlich weniger restriktiv ausgerichtet als der der vorgenannten Spruchkörper und erinnert an die Urteile der 50er und 60er Jahre. Es scheint, als habe die Entscheidung nicht Anschluss an die Entwicklung der Verkehrspflichten halten können und sich immer noch mit den Standards vergangener Tage begnügt. Dies mag vorrangig mit der unterschiedlichen Sachverhaltslage zusammenhängen. Während die Oberlandesgerichte Köln und München sich mit Fällen einer Verunreinigung durch feste Stoffe wie Bananenschalen oder an219 OLG München a. a. O., ebd.: „An einem Organisationsmangel ändert es auch nichts, wenn der Hausinspektor ständig Stichproben durchführt“. 220 In: MDR 1979, 1022. 221 OLG Hamm a. a. O., ebd.

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dere Obst- bzw. Gemüsereste auseinander zu setzen hatten, ging es in letztgenannter Entscheidung – ähnlich wie im Fall des OLG Nürnberg222 – um eine Feuchtigkeitsbildung als Unglücksursache. Diese ungleiche Sachlage scheint der Auslöser für eine ebenso uneinheitliche Beurteilung der Verkehrspflicht zu sein. Anders kann die Divergenz in den Urteilen, die inhaltlich zwischen einer „regelmäßigen Reinigungspflicht in kurzen Abständen“223 durch extra instruiertes Personal einerseits und „einem Aufwischen in angemessenen“ – nicht zwingend häufigen – „Zeiträumen“224 andererseits schwankt, nicht erklärt werden. So wertet die Rechtsprechung den Umstand, dass bei starkem Regen und hoher Kundenfrequenz eine absolut feuchtigkeitsfreie Bodenbeschichtung schon aus praktischen Gründen nicht erzielt werden kann, offenbar zusätzlich milder zu Gunsten des Unternehmers. In der Tat wäre hier die Forderung nach einer fortwährenden Reinigungsaktion ohne dauerhafte Unterbrechung reichlich überzogen. Selbst bei kurzzeitigem Aufwischen könnte eine Garantie über die Mangelfreiheit niemals zur Gänze abgegeben werden, dies gilt erst recht bei hoher Fluktuation durch den Konsumenten. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht zu erreichen ist.225 Andererseits stellt sich die Lage bei festen Stoffen nicht viel anders dar. Auch hier kommt es – gerade am Obst- oder Gemüsestand – immer wieder zu neuerlichen Verunreinigungen durch herabfallende Lebensmittelreste seitens des Kunden. Und auch hier wird man dementsprechend nie vollständig ausschließen können, dass einzelne Bodenverschmutzungen Gefahrenpotential in sich bergen. Dennoch urteilt die Rechtsprechung – gerade bei Geschäften größeren Zuschnitts – mit dem Erfordernis einer zeitlich eng begrenzten Reinigung durch speziell angewiesenes Personal vergleichsweise streng. Dies stellt auch vor allem in organisatorischer Hinsicht – berücksichtigt man die Situation des Verbrauchers, der sich unter Gewährung der Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte in der Regel keiner Gefahr versieht – keine über die Maßen belastende Pflicht dar. So ist dem Betreiber, der aus dem Besuch der Kunden maßgeblich wirtschaftlichen Vorteil zieht, eine Umstrukturierung und Anpassung der Sorgfalt innerhalb seiner Dispositionsbefugnisse durchaus zuzumuten, zumindest solange damit kein „Dauereinsatz“ des Personals verbunden ist. Allein warum dieser Maßstab nicht einheitlich gelten soll, ist nicht ganz einsichtig. Eine Übertragung dieses Kanons, den die Rechtsprechung hinsichtlich der Verschmutzung durch 222 223 224 225

s. o. VersR 1967, 1083. Vgl. die Entscheidungen der OLG München und Köln a. a. O., ebd. OLG Nürnberg VersR 1967, 1083; OLG Hamm MDR 1979, 1022. Vgl. BGH VersR 1964, 746; VersR 1975, 812.

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feste Stoffe aufstellt, auch auf die Fälle der Nässebildung erscheint mithin nur folgerichtig. Dies wird durch den Trend der letzten Judikate bestätigt, die inzwischen auch in Fällen dieser Art von „strengen Sorgfaltsanforderungen“226 des Betreibers sprechen.227 d) Der Einfluss neuer Distributionsformen und Flächenzuwachs Die Diskussion um die Qualität des Einsatzes zur Erfüllung der Verkehrspflichten zeigt auch, welche Bedeutung diese im Laufe eines veränderlichen Konsum- und Marktverhaltens gewonnen haben. Die Entwicklung vom Tante-Emma-Laden mit Serviceleistung durch den Verkäufer bis hin zum Selbstbedienungsgeschäft der 60er und 70er Jahre traf maßgeblich auch den Prozess sich herausbildender Pflichten der Betreiber.228 Diese verschärften sich mit zunehmender Distributionsdominanz der Selbstbedienungsläden, waren sie doch für eine weitaus größere Zahl von Kunden ausgelegt als der traditionelle Einzelhandel. Mehr Kunden bedeuten auch im Grundsatz mehr Anstrengungen im Hinblick auf die Sicherheit, wenngleich dies, was die Verkaufsraumgröße anbelangt, nicht zu einer simplen Schwarzweiß-Sichtweise verleiten darf. Der Boden eines kleinen Lebensmittelgeschäftes mit einer Fläche von 50 m2 kann prinzipiell gleiches Gefahrenpotential in sich bergen wie der bei Flächen mit Ausmaßen von mehr als 500 m2, wie sie sich in den 70er Jahren mit bis heute ansteigender Tendenz bei Discountern und SB-Centern entwickelten. Ebenso gut ließe sich argumentieren, dass gerade in Läden mit wenig Bewegungsfreiheit ein Stolpern oder Hinfallen angesichts der räumlichen Enge viel näher liege als in weitläufigen Räumlichkeiten. Indes: Die Rechtsprechung zeichnet ein anderes Bild. Dass dies zugleich ein Nachvollziehbares ist, belegt der Charakter des Selbstbedienungsgeschäfts. Dem Kunden wird die Ware nicht mehr über die Theke gereicht, wie wir es heute noch von Bäcker- oder Fischgeschäften kennen.229 Er 226

BGH VersR 1994, 1128; OLG Nürnberg VersR 1997, 1114. Das OLG Karlsruhe VersR 2005, 420 = Food & Recht 2004, 11 bemerkt in seinem Urteil (wenngleich Schädigungsobjekt hier das Fruchtfleisch einer Weintraube war), dass Wetterverhältnisse oder andere Umstände weitergehende Maßnahmen – das meint sogar weiter als die geforderte fünfzehnminütige Reinigungs- bzw. Kontrollpflicht (!) – nach sich ziehen könnten. Dies ist als eindeutige Bezugnahme zur Feuchtigkeitsbildung in Lokalen zu verstehen. 228 Vgl. beispielhaft das Urteil des OLG Schleswig v. 29.02.1996, Az: 11 U 85/94, unveröfftl. und der geringeren Anforderungsdichte in „Tante-Emma Läden“ im Unterschied zu offenen Verkaufsräumen. 229 Vgl. Wöhe/Döring, Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, S. 585 mit den Grenzen der Selbstbedienung bei erklärungsbedürftigen Produkten (Brillen), hochwertigen und diebstahlsgefährdeten Waren (Schmuck) oder bei Pro227

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sucht sich nun die Güter selbst aus den Verkaufsständen aus, wird nur auf besonderen Wunsch vom Verkaufspersonal beraten und bringt die Waren selbst in die dafür mitgeführten Einkaufswagen zur Kasse.230 Diese Vorgänge allein bringen – das ist evident – ein höheres Risiko der Unfallgefahr mit sich als das schlichte Herübergeben der Ware über den Tresen. Die im Zuge der Verschiebung von Vollbedienung auf Selbstbedienung gewandelte Servicepolitik der Betreiber lässt den Verbraucher im Markt weitestgehend selbstständig agieren – und steigert damit seine Unfallgefahr. Der Anstieg der Verkaufsfläche senkt zudem nicht nur den Beherrschungsgrad des Betreibers, was diesen zur gesteigerten Sorgfaltsanstrengung anhält. Er bewirkt auch zwangsläufig eine überdurchschnittliche Anhebung des Kundendurchlaufs. Immer dort, wo der Verkehr steigt, erhöht sich aber mit ihm die korrespondierende Pflicht.231 Zwar wird auch der herkömmliche Einzelhändler nicht von einer gründlichen Säuberung der Verkaufsfläche – und sei sie auch noch so klein – befreit. Dennoch ist es so einfach, wie es klingt: mehr Fläche = mehr Frequenz = mehr Risiko. Die Rechtsprechung nahm diese veränderten Bedingungen im Zuge der Flächenexpansion der SB-Märkte auf und formulierte einen strengeren Standard der Sicherheitsleistungen des Unternehmers. Die Entwicklung der Judikate, die noch 1968 im „Wurstpellen-Fall“232 ein Nachschauen des Inhabers nach Verunreinigungen „in Abständen“ forderten und wenige Jahre später bereits im Rahmen der überkommenen Discounterisierung eine „regelmäßige Reinigung in kurzen Abständen“233 für erforderlich hielten, mag ein anschauliches Zeugnis hierfür sein.

dukten mit gesetzlichen Abgabebeschränkungen (Waffen); vgl. auch Nieschlag/ Kuhn, a. a. O., S. 184. 230 Merklich konsterniert schreibt Berekoven, Erfolgreiches Einzelhandelsmarketing, S. 169 noch 1989 über eine heutige Selbstverständlichkeit in Lebensmittelläden: „Mittlerweile ist in vielen Verbrauchermärkten und SB-Warenhäusern selbst das Wiegen und Verpacken von Obst und Gemüse durch die Installation „kundenfreundlicher“ SB-Waagen auf den Konsumenten verlagert worden“. 231 Dies belegt besonders deutlich der Vergleich mit einem Privathaus. Die Sorgfaltsanforderungen eines Geschäftsmannes liegen gerade wegen der hohen Kundenfrequenz klar über denen eines Wohnungseigentümers oder Mieters, vgl. OLG Stuttgart BB 1957, 562; OLG Karlsruhe Urt. v. 14.05.2003, Az: 7 U 138/01, unveröfftl. S. a. OLG Düsseldorf Urt. v. 07.12.1994, Az: 15 U 156/93, unveröfftl. 232 s. o. BGH VersR 1968, 993. 233 OLG Köln VersR 1972, 1148; BGH VersR 1986, 765 = NJW 1986, 2757.

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e) Maßstabsetablierung in den Folgejahren Dieser Trend reißt auch in den 80er und 90er Jahren nicht ab. Obwohl längst als gängige Vertriebsform etabliert, lässt das OLG Stuttgart in seinem Urteil vom 29.08.1989234 über den Sturz einer Kundin, verursacht durch eine zerquetschte Weinbeere, nicht unerwähnt, die Eigenheiten des Selbstbedienungsbetriebs als Meßlatte erhöhter Sorgfaltsanforderungen herauszustellen. Eine durch die Marktleiterin des Supermarkts gegebene Anweisung an das Personal etwa alle 20 Minuten, bei Bedarf auch außer der Reihe, den Fußboden von herabfallenden Gegenständen zu reinigen, erkennt das Gericht dabei als ausreichend an. Dem schließt sich das LG Ellwangen in einer Entscheidung aus demselben Jahr an.235 Dessen Auffassung, wonach sich die Verkehrspflicht des Betreibers eines Selbstbedienungsmarktes nicht darauf erstrecke, heruntergefallene einzelne Salatblätter zu beseitigen,236 blieb in der Rechtsprechung allerdings vereinzelt. Schon 2 ½ Jahre später verwarf das AG Wilhelmshaven diese Ansicht237 und konstatierte unbeirrt, der Fußboden innerhalb eines Selbstbedienungsbetriebes müsse während der gesamten Öffnungszeiten in sehr kurzen Abständen kontrolliert und aufgetretene Verunreinigungen müssten unverzüglich beseitigt werden. Diese in Selbstbedienungsgeschäften gesteigerten Sorgfaltsanforderungen an den Betreiber ziehen sich noch durch eine Reihe weiterer Entscheidungen der 90er Jahre.238 Sie alle zeugen von einem neuen Anspruchsdenken hinsichtlich Art und Umfang der Pflicht, das die Einzelhandelspraxis nicht unberührt ließ und Mannel in der Praktikerzeitschrift „Dynamik im Handel“ 234

In: VersR 1991, 441. In: VersR 1991, 1154. 236 LG Ellwangen a. a. O., S. 1155. Das Gericht stützt sich hierbei auf eine Entscheidung des BGH vom 15.4.1975 in VersR 1975, 812. In dem Fall wurde ein achtjähriges Kind durch einen Metallsplitter verletzt, der sich beim Einschlagen eines Metallstifts zur Arretierung einer locker gewordenen Harke löste. Eine Schadensersatzpflicht des die Reparatur vornehmenden Landschaftsgärtners lehnte der BGH ab. Eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, sei nicht zu erreichen. Haftungsbegründend werde eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergebe, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Ein solches Urteil wollte das LG im o. g. Fall aus einem einzelnen Salatblatt nicht ableiten. 237 In: VersR 1993, 333. 238 Vgl. nur OLG Koblenz NJW-RR 1995, 158: Den Betreiber eines Verbrauchermarktes treffe eine „weit über das Normalmaß hinausreichende Verkehrssicherungspflicht“; OLG Köln VersR 1995, 356 (357) = NJW-RR 1995, 861: „zumindest in lebhaften Geschäftszeiten dürfte eine stündliche Reinigung kaum genügen“. 235

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1993 erkennen ließ:239 „Höhere Sauberkeits- und Hygieneansprüche verlangen kürzere Reinigungsintervalle bzw. intensivere Reinigung oder höhere Reinigungsqualität“, wenngleich „nur wenige Betriebe von sich behaupten können, dass ihr Reinigungswesen optimal organisiert ist“. In jüngeren Urteilen weicht die Rechtsprechung etwas von ihrer strikten Linie ab, was vornehmlich mit der Erkenntnis zu tun hat, dass nicht jede Vertriebsart und nicht jeder Bereich innerhalb des Verkaufsraums dieselbe Sicherheitsleistung erforderlich macht. So sei in Sortimentsabteilungen mit geringerem Verunreinigungspotential240 eine häufigere Fußbodenwartung als alle 45 Minuten nicht zwingend notwendig. Auch vom Erfordernis der Beauftragung einer bestimmten Person könne in kleinen, ohne weiteres räumlich überschaubaren Geschäften abgewichen werden.241 An der sich im Laufe der Jahre gefestigten Grundhaltung eines eher extensiven HändlerPflichtenkreises ändert dies dennoch nichts, auch wenn es sich dabei nicht um einen Zustand endgültiger Art handeln muss. Dies zeigt z. B. die oben aufgeführte Entwicklung der Tankstellenshops in Deutschland. Die Erweiterung des Angebots vor allem im ConvenienceBereich treibt mehr Konsumenten, vor allem aus Gründen der Flexibilität, in die Verkaufsstellen. Hier jedoch ist der Charakter der Verkehrspflicht wiederum ein anderer – eher traditioneller. Die Shops sind angesichts der vergleichsweise kleinen Verkaufsfläche ein Mix aus Selbst- und Vollbedienung, mit leichter Tendenz zu letzterem.242 Die Strenge der Verkehrspflicht ist hier – bedingt auch durch die nicht oder kaum vorhandenen gefahrträchtigen Obst- und Gemüsestände sowie der vergleichsweise geringen Kundenfrequenz – deutlich abgeschwächt. Der eingeläutete Wandel der Verkehrspflicht stagniert hier, er kehrt eher zu klassischen Sorgfaltsanforderungen für den Betreiber zurück, ohne jegliche Intensivierung oder Verschärfung durch erhöhte Kundenströme oder ausgeweitete Selbstbedienung. f) Fazit Durch die kontinuierliche Erweiterung der Flächen und die Herausbildung neuer Vertriebsformen wie dem Verbraucher- oder Supermarkt in den 60er und 70er Jahren sah sich die Rechtsprechung gezwungen, den Maßstab verkehrsrichtigen Handelns dem steigenden Besucherstrom anzupassen. Dies führte zur Aufstellung eines weitgehend strikten Pflichtenkataloges für den Betreiber, der je nach Ausgestaltung des Ladenbetriebes variiert. 239 240 241 242

Dynamik im Handel 1993, 40. Bezüglich einer Feinkostabteilung siehe OLG Hamm NZV 2002, 217. OLG Karlsruhe VersR 2005, 420 = MDR 2005, 92 = Food & Recht 2004, 11. Dies gilt gerade bei Öffnung des Nachtschalters.

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Der Umfang der Verkehrspflicht hat sich dabei stets an den Sicherheitserwartungen des Kunden zu orientieren. Er ist dabei immer ein Kompromiss zwischen dem Gewährleistungssoll des Inhabers, dem Verbraucher einen weitgehend risikofreien Aufenthalt in den Geschäftsräumen zu ermöglichen, und der Anforderung an denselbigen, sich in vernünftiger Weise auf erkennbare Gefahren einzustellen. Insofern gilt es nur, die Enttäuschung schutzwürdiger Erwartungshaltungen zu vermeiden.243 Die Adressatenpflicht des Kunden wächst proportional mit dem Sicherheitsversprechen des Ladenbetreibers, wenngleich im Verlaufe deutlicher Expansions- und Modernisierungsprozesse etwas langsamer. So ist und war der Kunde stets verpflichtet, sich je nach Örtlichkeit auf glatte Fußböden, hervorstehende Kartons und Kisten244 oder liegen gebliebene Salatblätter einzurichten. Jene Anforderungen haben sich notwendigerweise modifiziert, wenngleich nicht unbedingt so rasant wie die Pflichten des Betreibers. Als Initiator der Maßnahmen ist er vorrangig für einen sicheren Begegnungsverkehr verantwortlich, als Inhaber moderner Vertriebsformen und Halter steigender Grundflächen erwachsen oben genannte Pflichten zuvörderst seinem Dispositionsbereich. Dieses leicht ungleiche Gefälle berücksichtigt die Rechtsprechung durch Verteilung der Verschuldenslast auf beide Parteien, je nach Einzelfall mehr oder weniger durch das Anerkenntnis eines Mitverschuldens des Kunden (§ 254 Abs. 1 BGB). Die unausgesetzte Tendenz zum großflächigen Einzelhandel unter aktiver Betriebsformendynamik ist auf diese Weise sicherlich ein Kennzeichen für den Wandel der Verkehrspflichten. Allein steht sie damit jedoch nicht. 2. Vervielfältigung des Angebots und neue Marketingstrategien Der Strukturwandel des Einzelhandels vollzieht sich nicht nur über den Dynamisierungsprozess der Betriebsformen. Der Einzelhandel wird insgesamt moderner und passt sich den Konsumentenerwartungen an. Die Ware selbst ist kein allein absatzentscheidender Faktor mehr. Im Zuge der 243

OLG Hamm VersR 1994, 830; s. a. OLG Schleswig VersR 1989, 627 zum Fall des Sturzes eines Fußgängers über Unebenheiten der Bürgersteigsfläche; GeigelWellner, a. a. O., Kap. 14, Rn. 12. 244 Vgl. hierzu den Sachverhalt, den das OLG Koblenz in MDR 1996, 265 zu entscheiden hatte. Die Klägerin verlangte Schadensersatz, weil sie in dem kleinen Tante-Emma-Laden des Beklagten gegen einen hervorstehenden Karton mit Apfelsinen gestoßen war. Die Örtlichkeit, bei der auf kleinstem Raum ein möglichst breites Warensortiment offeriert wird, war für das Gericht der entscheidende Umstand, den Anspruch der Klägerin abzulehnen. Die Art der Warenpräsentation im Ladenlokal bedinge nahezu zwangsläufig, dass Regale, Kisten mit Sonderangebotsware und sonstige Gegenstände in die Durchgangsbereiche hineinragen. Hierauf hätte sich die Klägerin vernünftigerweise einstellen müssen.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Käufermarkt-Situation, also einer Marktlage mit Angebotsüberschuss und Nachfragedefizit mit Tendenz zur Preissenkung, spielt die Kunst einer kaufstimulierenden Ladengestaltung eine immer größere Rolle. Die Ladeneinrichtung ist dabei das bedeutendste Gestaltungselement im gesamten Ladenbau. Sie dient maßgeblich der Aktivierung der Kaufentscheidung des Kunden, der sich mit der rein funktionellen Tätigung des Kaufes nicht mehr zufrieden geben will („Drang nach Neuem“).245 Dies registrieren die Einzelhandelsbetriebe in verstärktem Maße, wie ein Blick in die Planungen der Ladengestalter der letzten Jahrzehnte zeigt.246 Erlebnishandel heißt die neue Maxime. Die Notwendigkeit, Kaufstimulanzien für den Konsumenten zu entwickeln, ist dabei sicherlich auch ein Produkt zunehmender Verdrängungs- und Konzentrationsprozesse, denen sich die Unternehmen gegenüber sehen. So gilt es, dem Verbraucher emotionale Konsumerlebnisse zu vermitteln,247 ihn in ein Gesamtkonzept aus opulentem Design, multifunktionaler Einrichtungsplanung und atmosphärischem Wohlfühlklima einzubinden. Aus diesem Grund setzen die Unternehmen vermehrt auf den Faktor Unterhaltung. Der Kunde wird dabei in der Regel mittels eines ausgeklügelten Leit- und Reizsystems durch den Verkaufsraum gesteuert und unter technisch aufwändiger und nicht minder akzentuierter Beleuchtung248 – verstärkt durch stimmungsvolle Hintergrundmusik – zum Kauf angereizt. Das Kaufobjekt selbst fungiert dabei nur als Teil eines Gesamtkonzepts, dessen einziges Credo die Förderung der Konsumlust des Kunden ist. Dieser soll sich in den Verkaufsräumen wohlfühlen und – durch geschickte Marketingstrategien und Sortimentsplatzierungen angeregt – seine Freizeit im Geschäft verbringen. Dem dient auch der verstärkte Einsatz von Dekorationen,249 Produktinseln innerhalb des Verkaufsraums durch verkaufswirksame Podeste oder Angebotsstände (Präsentationsstände),250 das wahlweise Auf245

Scitovsky, Psychologie des Wohlstands, S. 34 ff. Vgl. nur die Unterschiede in den Publikationen von Gutmann/Koch, Ladengestaltung 1967 und Kreft, Ladenplanung 2002. 247 Zum Erlebnismarketing: Diller (Hrsg.) in: Vahlens Marketinglexikon, S. 426; aufschlussreich zur Dramaturgie in der Werbung: Mikunda, Der verbotene Ort, v. a. S. 244 ff. 248 Die Beleuchtung ist kein unwesentliches Element der Ladengestaltung. Sie sorgt für eine Betonung der Produktpalette und kann die Vorzüge der einzelnen Waren (Frische, Wertigkeit) besser dosieren. Der ständige Wechsel zwischen Licht und Schattenelementen vermag sein Übriges dazutun; vgl. http://www.handelswissen.de: Die Beleuchtung muss dramatisieren, um den Kunden in den Bann zu ziehen. 249 Dies sind grundsätzlich nicht-sortimentsbezogene Accessoires, die eine rein schmückende Funktion haben. Sie lassen sich in themenspezifische (Visualisierung bestimmter Erlebnisdimensionen) und -unspezifische (Grünpflanzen, Blumen, Spiegel) einteilen, vgl. Theis, Handelsmarketing, S. 677. 246

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stellen oder Aufhängen signalträchtiger Pappschilder (Eye-Catcher) oder die Installation von Verkaufsständen (Produktvorführungen, Verkostungen oder Themenaktionen mittels Verkaufspersonals). So genannte „visual surprises“ erwecken den Anschein der Anpassungsfähigkeit an Trends und vermeiden Eintönigkeit.251 Diese und andere Modernisierungsmaßnahmen bergen aber auch Risiken: Die zunehmende Tendenz zum Erlebnisshopping, wie sie mit Ausnahme einiger weniger Discounter fast in der gesamten Betriebsformenlandschaft (vor allem in den Shopping-Malls) Einzug gefunden hat, verstärkt gleichzeitig die Unfallgefahr des Verbrauchers. Die ständige Neuausrichtung und Optimierung des Ladenerscheinungsbildes als Reaktion auf veränderliche Verbrauchergewohnheiten bedingt es, dass die Geschäfte überdurchschnittliche Marketing- und Werbeaktivitäten vor allem auf den Innenbereich der Geschäfte verwenden. Der Konsument sieht sich durch die Vordergründigkeit der Ladenvisualisierung Risiken ausgesetzt, wie sie in einem derartigen Ausmaß bei rein funktionaler Inventar- und Sortimentsgestaltung eines Discounters oder Vollbedienungsgeschäfts nicht vorhanden sind.252 Podeste, Pappaufsteller, Deckenhänger, Regalstopper und Angebotsstände können so für den Kunden zu Hindernissen erwachsen. Zugestellte Gänge oder verengte Kassenzonen prägen nicht selten den Verkaufsraum; schon 1989 konstatiert Stabernack eine „Überflutung“ von „immer neueren, immer größeren und mit zuviel Ware bestückten Displays“.253 Verkaufswirksame 250 U. U. sog. Sonderdisplays, d. h. vom Markenhersteller bereitgestellte Verkaufsständer, die vorübergehend an markanten Punkten platziert werden. 251 http://www.handelswissen.de mit den Praxisbeispielen einer froschgrünen Acrylwand, die von hinten beleuchtet wird und in der eine Fuge von ca. 40 cm Höhe und Tiefe für eine Warenpräsentation eingelassen ist bzw. eines 2 m hohen Spiegels mit blattvergoldetem Barockrahmen mitten in einer puristischen Ladeneinrichtung. Beim neuesten Trend, dem sog. Instore-Multimedia, wird die Ware wie in einem Museum inszeniert. Multimediale Informationen (Filme, Musik, Internet) zu den einzelnen Produkten schaffen eine erlebnisreiche Atmosphäre, in der der Kunde sich in eine andere Welt versetzt fühlt. Praktiziert wird diese Form der Ladengestaltung bereits vom Sportartikelhersteller „Nike“ in Berlin; vgl. Marktbericht Bank Gesellschaft Berlin 2000, S. 17. Ausführlich zum Komplex der erlebnisbetonten Ladengestaltung und zur Förderung der Konsumlust des Kunden noch im 2. Teil unter E. VI. 4. c). 252 V. a. der verstärkte Einsatz von Werbeaktionen der Produkthersteller lässt Eickholt in: Frey (Hrsg.), POS Marketing, S. 165 ein beunruhigendes Bild moderner Ladeneinrichtung prognostizieren. Ließe man die Markenhersteller frei gewähren, so gliche das Geschäft „in kürzester Zeit eher einem wüsten Rummelplatz, mit all seinen unterschiedlichen Gerüchen, Tönen und Farben, als einer geplanten Verkaufsstätte“. Ähnlich Kreft, a. a. O., S. 168: „Die Inszenierung ist die Kunst der dramaturgischen Visualisierung der Warenangebote, die Theateraufführungen nicht nachstehen“. 253 In: Dynamik im Handel 1989, 52.

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Beleuchtungsvariationen, Plakatwände, Hintergrundmusik, Gerüche254 und Glasfronten lenken den Blick des Verbrauchers zusätzlich ab und mindern seine Aufmerksamkeits- und Konzentrationsfähigkeit auf die schlichte Tätigung des Kaufs. Gerade hierin erblickt die Rechtsprechung die Einbruchstelle zur Sicherung schutzwürdiger Interessen des Verbrauchers. Sie reagiert damit auf den Umstand, dass sich Gefahren für den Konsumenten vor allem aus der Bodenbeschaffenheit des Geschäftes, aber auch in zunehmender Weise durch überraschende Barrieren, die sich dem Gesichtsfeld des Verbrauchers entziehen, ergeben. Zwar könne und müsse sich dieser auf derartige Risikosituationen einstellen; jedoch berücksichtigen die Gerichte eine verständliche Ablenkung des Käufers durch das Ausschauhalten nach in Kopfhöhe ausgestellten Waren bzw. durch Betrachtung der Angebots- und Werbestände zusätzlich mildernd. Dies führt gleichsam zu einer Anpassung – mehr noch: zu einer Erhöhung – der Anforderungen an die Verkehrspflichten der Betreiber. So hat denn der BGH in diversen (auch frühen) Entscheidungen das Vorhandensein einer besonderen Sorgfaltspflicht des Ladeninhabers in diesen Fällen betont.255 Der Unternehmer habe generell dafür zu sorgen, dass auch der eilige und nicht zuletzt von den ausgestellten Waren abgelenkte Kunde, der sein Augenmerk nicht immer im erforderlichen Maße dem Fußboden zuwenden könne, sich ungefährdet im Kaufhaus bewegen könne.256 Je mehr Möglichkeiten also der Konsument zur Ablenkung zum Vorteil des Unternehmers unterliegt, desto höher seine Unfallgefahr, desto größer sind aber auch die Anforderungen an die Verkehrspflicht des Betreibers. Dass sich durch marketingstrategische Gestaltungskonzepte des Geschäftsladens verursachte Unfälle in den letzten Jahren häufen, belegt ein Blick in die Entscheidungssammlung. In einem Fall aus dem Jahr 1990 sprach das OLG Hamm257 einer Klägerin, die in einem Schuhgeschäft über eine 18 cm hohe Stufe zwischen dem Eingangsbereich und dem tiefer gelegenen Verkaufsraum gestürzt war, den Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Die vom beklagten Geschäftsinhaber gezielt betriebene Lenkung der Aufmerksamkeit auf die Präsentation der Schuhe hätte notwendigerweise eine 254 Sog. affektive Reize, auf die der Mensch angeborener Weise oder durch selektive Konditionierung emotional reagiert, z. B. Duft gemahlenen Kaffees oder frischen Leders, vgl. Berekoven, a. a. O., S. 285. 255 BGH VersR 1961, 1078 (1079); s. a. LG Hildesheim VersR 1956, 167; OLG Nürnberg VersR 1997, 1114. 256 LG Karlsruhe VersR 1981, 583 (584). 257 Urt. v. 20.11.1990, Az: 27 U 63/90 unveröffentl.

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geringere Obacht des Kunden auf den Zustand des eingeschlagenen Weges zur Folge. Indem der Beklagte sich werbend um konzentrierte Zuwendung bemühte, sei er zugleich gehalten gewesen, die Umgebung des so angesprochenen Interessenten möglichst von Gefahren freizuhalten. Deshalb sei zweifelhaft, ob der Fußboden des Geschäftslokals gerade im Hauptgehbereich zu Beginn des Verkaufsraums bei der Flut von Eindrücken durch „reizende“ Auslagen überhaupt in unterschiedlichen Ebenen ausgeführt werden durfte, deren Höhenunterschied mittels einer Stufe zu überwinden war und deshalb nach zusätzlicher Aufmerksamkeit des anderweitig in Anspruch genommenen Kunden verlangte. Das Gericht bewertete die Frage nicht abschließend, da es bereits an einer ausreichenden Warnung vor der Stufe fehlte. Zwar hatte der beklagte Inhaber ein Verbotsschild („Vorsicht Stufe“) aufgestellt, dies war jedoch fast vollständig von einem beweglichen Verkaufsständer verdeckt. Dessen Aufmachung und Farbenvielfalt machten ihn zu einem „derart auffälligen Reizschwerpunkt“,258 dass auch im Falle der genügenden Einsehbarkeit dem Schild kaum mehr Aufmerksamkeit erregende Signalkraft zugekommen wäre. Der Fall verdeutlicht nicht nur nochmals, wie sehr sich die Kunden durch die Reizoptimierung der Warenpräsentation von der eigenen Gefahrbeherrschung abgelenkt sehen, er zeigt auch, in welchem Maße die Ladengestaltung effektive Unfallverhütungsmaßnahmen blockieren kann. Das OLG Frankfurt entschied im Jahr 2000 über den Sturz einer Kundin über ein 3  3 m großes und 15–20 cm hohes Präsentationspodest, das der Ladeninhaber allerdings an zentralem Ort in der Mitte des Verkaufsraums aufgestellt hatte.259 Eben dieses nahm das Gericht zum Anlass, eine Verkehrspflichtverletzung des Betreibers abzulehnen. Das Podest sei nicht an schwer einsehbarer oder gar verdeckter Stelle installiert worden, sondern nehme einen relativ großen, gut einsehbaren Teil des Verkaufsraums ein. Wegen seiner schwarzen Farbe unterscheide es sich auch deutlich von dem umgebenden weißen Marmorfußboden. Auch ohne besondere Beachtung des Bodenbereichs durch die Kundin berge die erhöhte Fläche – so das OLG – kein über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehendes Gefahrenpotential und lehnte eine Schadensersatzpflicht des Betreibers aus den §§ 823 Abs. 1, 847 BGB a. F. ab. Dennoch: Der Wandel der Verkehrspflichten als Korrelat zur Modernisierung der Einzelhandelsstruktur ist evident. Dass hierbei auch der Prozess der Vertriebsformentwicklung mit hineinspielt, liegt auf der Hand. Ein höherer Kundendurchlauf bedingt verminderte Chancen, sich auf eventuelle Gefahren einzustellen. Diese, dem Selbstbedienungsbetrieb eigene Typizität 258 259

OLG Hamm a. a. O., ebd. In: MDR 2000, 885.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

führt nicht minder wie die optische Flut an Reizen dazu, dass Kunden ihr Augenmerk vorrangig auf die Warenpräsentation verwenden, anstatt ausreichend auf die Bodenbeschaffenheit zu achten.260 Die visuelle Optimierung der Ladenkonzepte bringt demnach zweierlei Gefahrenpotential mit sich: Zum einen stellen die nachhaltig installierten Werbeschilder, Präsentationsstände, Spiegel- und Glaselemente als zusätzliche körperliche Barrieren im Verkaufsraum selbst Risikofaktoren dar. Zum anderen steigern sie die Ablenkungsmöglichkeiten des Verbrauchers, der sich vielfach der rein zweckorientierten Tätigkeit des Kaufs beraubt sieht. 3. E-Commerce und TV-Shopping – Auslagerung der Verkehrspflichten Bereits oben konnte die fortschreitende Etablierung des Online- und Versandhandels als neuartige Form des Vertriebsweges aufgezeigt werden. So interessieren sich immer mehr Nutzer für das Internet als Einkaufsstätte, nach einer Studie des Marktforschungs- und Beratungsunternehmens Fittkau & Maaß hauptsächlich Männer.261 Die Zahl der Internet-Shopper ist im Vergleich der Jahre 2003 und 2004 um drei Millionen oder 15% auf 23 Millionen gestiegen. Der Anteil der e-shopper an den Web-Nutzern ist von 63% im Jahr 2003 auf 71% angewachsen.262 Das US-Marktforschungsinstitut Forrester Research prognostiziert für Deutschland bis 2009 ein E-Commerce-Wachstum von jährlich 32% auf 43 Mrd. Euro.263 Die Online-Nutzer fokussieren sich dabei immer stärker auf die großen Einkaufsseiten. Vor allem das Internet-Auktionshaus „ebay“ sowie das Online-Kaufhaus „amazon“ verzeichnen nicht nachlassende Umsatzzuwächse.264 260

Vgl. BGH VersR 1986, 765; NJW 1994, 2617 (2618). 59,7% der Internetbenutzer sind Männer, vgl. 18. www-Benutzeranalyse unter http://www.w3b.de. 262 Gemeinsame Studie von TNS Infratest und Enigma GfK, http://www.enigmainstitut.de und www.gfk.com. 263 Vgl. http://www.forrester.com. Für 2005 prognostiziert der HDE einen Umsatz im E-Commerce von 14,5 Mrd. Euro, 1,5 Mrd. mehr als im Vorjahr, vgl. www. hde.de. 264 Im ersten Quartal des Jahres 2004 konnte das Versandhaus seinen Gewinn aus dem Vorjahr fast verdoppeln. Der Nettoumsatz kletterte auf 756,2 Mio. USD von 476,5 Mio. USD im Vorjahresquartal, „amazon“ verdiente dagegen im ersten Quartal diesen Jahres 111 Mio. USD gegenüber roten Zahlen von 10 Mio. USD im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres, vgl. www.faz.net vom 23.06.2004. 64% aller Befragten einer Studie von Fittkau & Maaß antworteten 2003 auf die Frage: „Bei welchem Online Shop haben sie persönlich schon mal etwas eingekauft?“ mit „ebay“, 63,8% mit „amazon“. 261

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Aber auch der Versandhandel kann auf im Vergleich zum übrigen Einzelhandel günstige Prognosedaten blicken. Sowohl nominal (in jeweiligen Preisen) als auch real (in konstanten Preisen) stieg der Umsatz in dieser Branche 2003 um 3,5% gegenüber dem Vorjahr.265 Den größten Umsatzanteil verbuchten die Universalversender, also die Versender mit warenhausähnlichem Sortimentsangebot.266 Der Erfolg der Versandhandelsunternehmen ist sicherlich dem boomenden Internethandel geschuldet. Bis zum Jahr 2010 erwarten die Versender einen Internetanteil von 20%. Im Fachhandel kommt dem Versand immer größere Bedeutung zu. Die Kataloge der großen Versandhäuser offerieren inzwischen jedes Sortimentsgebiet, von Unterhaltung bis Elektronik, Haushaltswaren, vor allem aber Textilien.267 Ganz ähnlich verhält es sich mit dem Tele-Shopping (auch T-Commerce genannt). Zwar werden derzeit erst ein Prozent aller Waren über das Fernsehen verkauft – dies aber mit Steigerungsraten, die deutlich über denen des traditionellen Einzelhandels liegen.268 Der umsatzstärkste Verkaufssender QVC in Düsseldorf erreichte in den ersten drei Quartalen 2004 mit rund 380 Millionen Euro bereits das gesamte Umsatzvolumen von 2003 und verdoppelte den Gewinn auf fast 60 Millionen Euro. Täglich gehen 86.000 Bestellungen ein.269 Ziel der TV-Händler ist es vornehmlich, beim Konsumenten einen „Impulskauf“ zu provozieren, ihn also spontan zum Telefonhörer greifen zu lassen, der Preis der Ware liegt dabei kaum über dem im stationären Handel. Der Erfolg des Internets als Vertriebsweg, aber auch der des Home-TVShoppings verändert allmählich die traditionellen Handelsstrukturen. Niestrath prognostizierte schon 1988270, dass „wir alle eines Tages lustig vom 265

http://www.destatis.de/presse/deutsch. Laut einer Studie der TdW Intermedia 2002/03 gaben 51% der Befragten an, schon mal bei „Quelle“ aus dem Katalog etwas gekauft oder bestellt zu haben. 46% der Antworten entfielen auf das Versandhaus „Otto“, 32% auf „Neckermann“. 267 Lediglich im Lebensmittelbereich konnte sich der Versandhandel, v. a. auf Online-Basis kaum etablieren. Der Kunde traut den Onlinevertrieben im Food-Bereich nicht, was wohl mit der Antizipation der Frische bei Lebensmitteln zu tun hat. 268 Der Gesamtumsatz aller T-Commercesegmente (ohne Merchandising) betrug 2003 rund 2,7 Mrd. Euro. Nach einer Studie der Goldmedia GmbH ist davon auszugehen, dass das Gesamtpotenzial transaktionsbasierter Umsätze bis 2009 auf rund 5,1 Mrd. Euro ansteigen wird; vgl. www.goldmedia.de. 269 Auch der 2001 gestartete RTL-Shop, dessen technische Reichweite mit 16 Millionen TV-Zuschauern nur halb so groß ist wie die der Konkurrenz, setzte mit 91 Millionen Euro in 2003 ein knappes Drittel mehr als im Vorjahr um und soll in 2006 erstmals Gewinne bringen; vgl. www.welt.de vom 12.02.2005. 270 Auf der Regionalplanertagung vom 04. bis 06.05.1988 in Überlingen; in: Strukturwandel und Entwicklungstendenzen im Einzelhandel, S. 9. 266

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heimischen Fernsehsessel aus einkaufen und dabei gar nicht merken, dass sich der bundesdeutsche Einzelhandel still und leise zu einer monostrukturierten Branche konzentriert hat“. Die Vision ist nun fast Realität: Den Kunden zieht es – vor allem was den Non-Food-Kauf anbelangt – nicht mehr so oft in die Ladengeschäfte. Der Versandhandel ist bequem, der Konsument will in erster Linie von Preis und Service profitieren. So werden die Einkäufe vermehrt von der Couch aus getätigt, ein Verhalten, das die Versender durch ihr verstärktes Setzen auf MultiChannel-Konzepte geradezu provozieren.271 Zu Hause sieht sich der Verbraucher aber – zumindest was die Tätigung des Kaufs anbelangt – weit weniger Gefahren ausgesetzt als im stationären Einzelhandel. Er entzieht sich mit der häuslichen Bestellung der Warenhaus- oder Fachmarktsituation und sieht sich schlichtweg nicht mehr konfrontiert mit dem üblichen Kundengedränge, räumlichen Barrieren innerhalb des Verkaufsraums und anderen durch Nachlässigkeit von Personal oder Kunden geschaffenen Gefahrenstellen. Dies mindert grundsätzlich die Bedeutung der Verkehrspflichten – gerade auf dem Gebiet abseits des Lebensmitteleinzelhandels – und führt zur Ausweitung einer bis dato wenig beachteten Form der Verkehrspflicht außerhalb des Ladengeschäfts. Obwohl sie in den herkömmlichen Märkten ihre Funktion nach wie vor behält, lässt sich sukzessive eine Verschiebung und Auslagerung der Sorgfaltsanforderungen der Betreiber konstatieren. Im Zuge des überkommenen elektronischen Handels gilt es fortan nicht mehr in dem Umfang wie bisher, den Kunden vor unvorhergesehenen Gefahrenstellen im Ladengeschäft selbst zu schützen. Die Verkehrspflichten setzen nun verstärkt an anderer Stelle, wie der Art der Versendung, der Verpackung oder sonstigen Begleitpflichten – an sich typische vertragliche Nebenpflichten – an. Diesbezüglich werden auch sämtliche Pflichten im Zusammenhang mit dem Internet-Auftritt des Unternehmens, betreffend die Verantwortlichkeit über den Inhalt der Homepage272 oder den Schutz vor Missbrauch von Käuferdaten durch Dritte, relevant. 271 MultiChannel-Marketing ist der Vertrieb von Produkten bzw. Dienstleistungen über mehrere stationäre oder nichtstationäre Vertriebskanäle. Diese Kanäle sind dabei miteinander verknüpft mit dem Ziel, positive Wechselwirkungen für das gesamte Unternehmen zu erzeugen. Es findet vorwiegend bei Endverbrauchermärkten Anwendung, ist jedoch auch im b2b-Marketingbereich eine wichtige Alternative; vgl. http://www.4managers.de/01-Themen. 272 Vgl. zur Haftung von „Hyperlinks“ (elektronische Verweise) BGH NJW 2004, 2158 ff. Danach richtet sich der Umfang der Prüfungspflicht insbesondere nach dem Gesamtzusammenhang, in dem der Hyperlink verwendet wird, dem Zweck desselbigen sowie nach der Kenntnis des Link-Setzenden vom rechtswidrigen Inhalt der Homepage, auf die verwiesen wird.

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Diese Entwicklung, mag sie sich auch im Non-Food-Handel verstärkt abzeichnen, wird den Lebensmittelhandel zunächst unberührt lassen.273 Dies bedingt, dass die traditionellen Verkehrspflichten des Einzelhandels (also vor allem in Supermärkten und Discountern) hier weiterhin ihren Status quo bewahren. Doch gerade für den Textilbereich, der als bedeutendster Bereich des Versandhandels gilt,274 wird die Sorgfaltspflicht ihren gewohnten Charakter kaum beibehalten. Der Anteil an diesbezüglich relevanten Urteilen ist – das belegt ein Blick in die Rechtsprechungssammlung der vergangenen 50 Jahre – ohnehin nicht sonderlich groß. Augenscheinlich stellen die Bekleidungsabteilungen in Warenhäusern weit weniger Unfallrisiko für den Konsumenten dar, als es Tiefkühl- oder Regalstrecken in Supermärkten tun. Dies berücksichtigt die Judikatur unter Anpassung der Verkehrspflicht an die jeweiligen örtlichen Gebundenheiten.275 In welchem Umfang dies geschieht, soll später noch Teil der Untersuchungen sein. Zunächst gilt es festzuhalten, dass durch die Veränderung der Einzelhandelslandschaft, ausgelöst durch eine spürbare Tendenz zum Online- und Teleshopping, die herkömmlichen Verkehrspflichten, wie sie sich für den Betreiber als Sicherungspflichten und Sorgfaltsgebote innerhalb der Verkaufsräume darstellen, in den Hintergrund rücken.276 Für die Verkehrspflichten des Versenders in Bezug auf die Sicherheit des einzelnen Kunden bedeutet dies andererseits keine Abschwächung in der Anforderungsintensität. Diese verlagern sich lediglich vermehrt auf Bereiche außerhalb des Ladengeschäfts. Existent sind sie allemal. 4. Einkaufswagen – technischer Fortschritt als Reaktion auf sich verschärfende Rechtsprechung Die Entwicklung des Einzelhandels und mit ihm die strukturelle Anpassung der Verkehrspflichten kennzeichnet auch den Bereich der Einkaufswagen.277 273

Dies wird sich mit Zunahme des Convenience Angebots noch verschärfen. Allein 2002 verbuchte der Textilhandel im Versandhandel eine Umsatzsteigerung von 3,1% auf 8,3 Mrd. Euro. Damit machte er rund 40% des gesamten Versandhandels aus, vgl. ftd.de vom 24.03.2003. Der Katalog ist dabei das wichtigste Kommunikationsmedium. Im Vergleich dazu sinkt der Umsatz des städtischen Textileinzelhandels. 2002 fiel die Zahl mit Blick zum Vorjahr erneut um 7% ab, vgl. die Statistik des Bundesverbandes des deutschen Textileinzelhandels unter http:// www.bte.de/statistiken. 275 Vgl. nur OLG Hamm VersR 1983, 43 (44). 276 Dies gilt für Billigpreis-Stores nicht im selben Maße wie für Warenhäuser und Textilketten. 277 Eine Definition findet sich im Urteil des LG Düsseldorf v. 30.04.2002, Az: 4a O 242/00. Der Fall, in dem es um die unbefugte Nutzung eines Patentrechts an 274

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Aus kleinen Drahtkörben, wie sie vor allem in den 70er Jahren noch als Tragehilfe zwischen den Sortimentsregalen und der Kasse verwendet wurden (und in optisch leicht veränderter Form gerade in kleineren Supermärkten noch heute unterstützend dem Kunden zur Hand gegeben werden), haben sich im Zuge der flächenexpandierenden Fach- und Verbrauchermärkte z. T. gewaltige Warentransporter entwickelt, die, gemessen an den Standards früherer Selbstbedienungsgeschäfte, über enorme Kapazitäten verfügen.278 Brachte die Dynamisierung der Vertriebsformen eine Verlagerung der Einzelhandelsstruktur weg aus der Innenstadt hin zum Großbetrieb „auf der grünen Wiese“, so reagierten die Unternehmen fortan mit Einführung des Einkaufswagensystems auf den mobilen Verbraucher und sein Bedürfnis, mehr Waren in wenig umständlicher Weise zu seinem Auto tragen zu können. Damit forcierte sich jedoch auch das Unfallrisiko des Kunden. Mit Beginn der 80er Jahre stieg die Zahl der Schadensfälle in Zusammenhang mit Einkaufswagen drastisch an, was sich auch an der Häufung gerichtlicher Urteile zu dieser Zeit ablesen lässt. Der Unfallhergang ist dabei immer gleich: Stets ist ein sich in Bewegung setzender Einkaufswagen (in der Regel bedingt durch abschüssiges Parkplatzgelände oder eine windige Wetterlage) Auslöser des Unfalls. Die Kunden, die entweder bereits am Verlassen des Großmarktes sind oder den angrenzenden Parkplatz gerade erst befahren, haben oft keine Möglichkeit zum Ausweichen, es kommt zur Kollision mit zum Teil nicht unerheblichem Sachschaden. So ähnlich auch immer wiederkehrend die Sachlage, so unterschiedlich die Rechtsprechung. Eine zunächst betreiberfreundliche Tendenz ist wohl der zögerlichen Durchsetzbarkeit moderner Sicherheitsstandards für Eintechnischen Neuerungen des Einkaufswagens geht, demonstriert gut dessen Weiterentwicklung im Laufe der Jahre. Das Patent, das auf einer Anmeldung aus dem Jahr 1986 beruhte, umfasste den Anspruch an einen „Transportwagen, der in einen gleichgearteten Transportwagen einschiebbar und mit einer zur Aufnahme von Ware vorgesehenen Einrichtung ausgestattet ist, wobei in seinem Griffbereich ein mit einer Kopplungseinrichtung versehenes Münzschloss angeordnet ist, das auf Pfandbasis ein gegenseitiges An- und Abkoppeln von Transportwagen mit oder ohne Inanspruchnahme einer Sammelstelle erlaubt, dadurch gekennzeichnet, dass das Münzschloss im Bereich eines der beiden Grifftragarme angeordnet ist und sich sowohl am Grifftragarm als auch am Griff abstützt“. Vgl. dazu auch die Entscheidung des europäischen Patentamts vom 08.02.2000, Az: T 0811/94 – 3.4.1. 278 Mit dem Umfang des Warenangebots und dem Anstieg der Verkaufsfläche hat sich auch das Korbvolumen entsprechend vergrößert. Seit 1987 ist das Volumen des durchschnittlichen Einkaufswagens im Lebensmitteleinzelhandel über 10 Liter auf 99,9 Liter angewachsen. Momentan liegt es in Einzelfällen bei 240 Liter; vgl. www. wanzl.com; http://www.ehi.org/aktuell/100/200011/10_002.html. Zum Entwicklungsprozess im Einzelhandel: Merchel Dynamik im Handel 1989, 72.

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kaufswagen zuzuschreiben. Im Zuge technischer Fortbildung wandelt sich jedoch das Bild. Die sich Ende der 80er Jahre und zu Beginn der neuen Dekade herausbildende restriktive Tendenz ist bis heute anerkannter Maßstab, wenngleich es an aktuellen Urteilen fehlt. a) Betreiberfreundliche Anfänge In ihrem Ausgangspunkt zeigt sich die amts- und landgerichtliche279 Judikatur einmütig: So ist unstreitig, dass derjenige, der mittels Einkaufswagen Gefahrenquellen für andere schafft, verpflichtet ist, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze Dritter zu gewährleisten. Diese Verpflichtung beschränkt sich im Hinblick auf den Geschäftsinhaber nicht nur auf das Ladengeschäft allein, sondern gerade auch auf den zur Verfügung gestellten Parkplatz.280 Daran hat sich bis heute nichts geändert. Was jedoch die konkrete Ausgestaltung der Sorgfaltsmaßnahmen bezüglich der Wagen anbelangt, weisen die ersten ergangenen Urteile – ähnlich wie die frühen Entscheidungen zur Vorbeuge gegen Nässe und Glätte – einen weitgehend gemäßigten Tenor auf. Noch 1975 beschränkte das AG Aachen281 die Verkehrssicherungspflicht des Betreibers auf ein in „regelmäßigen Abständen“ vorzunehmendes Einsammeln der auf dem Parkplatz abgestellten Einkaufswagen. Eine Zeugin gab an, die Korbwagen würden in kürzeren, je nach Geschäftslage unterschiedlich langen Zeiträumen – zu besonders geschäftsstarken Zeiten in Abständen von 10 Minuten – von „jüngeren“ (!) Verkäufern und Lageristen eingesammelt, wobei jene Vorgänge von ihr überwacht würden. Dies genügte dem Gericht vollauf und es wies die Klage der Kundin ab. In den Ausführungen detaillierter, wenngleich auch in der Sache nicht viel anders, entschied das AG Marbach in einem Fall aus dem Jahr 1985.282 Es ging um die Klage eines Kunden, dessen Auto durch Loslösen mehrerer ineinander geschobener Einkaufswagen (noch begünstigt durch ein leichtes Gefälle des Verbrauchermarktparkplatzes) beschädigt wurde. Mit dem Einrichten einer Sammelstelle für die Einkaufswagen am Ladeneingang, dem 279

Obergerichtliche Rspr. liegt, soweit ersichtlich, diesbezüglich nicht vor. Vgl. für die Verkehrssicherungspflicht eines Gastwirts OLG Düsseldorf VersR 1983, 925; bzgl. eines Geschäftsinhabers: AG Marbach VersR 1986, 1246 (1247) = MDR 1986, 406; LG Berlin VersR 1988, 720; LG Köln VersR 1989, 1280; LG Dortmund NJW-RR 1988, 865: gerade auf dem eigens vom Betreiber geschaffenen Parkraum vertrauen die Kunden besonders darauf, dass ihr Fahrzeug nicht beschädigt wird; vgl. auch Berr DAR 1987, 256 (258). 281 In: VersR 1976, 300. 282 VersR 1986, 1246 = MDR 1986, 406. 280

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Anbringen einer stabilen Absperrvorrichtung, welche das Wegrollen der Einkaufswagen verhindert, und dem deutlich sichtbaren Aufstellen zweier großer Schilder an der Sammelstelle („Einkaufswagen bitte hier einstellen“) sah das Gericht die Verkehrssicherungspflicht des Inhabers als erfüllt an. Eine weitergehende Vorsorgemaßnahme, welche geeignet sei, diejenige Gefahr abzuwenden, welche von den nicht an die Sammelstelle zurückgebrachten Einkaufswagen ausgehe, könne nicht verlangt werden. Als solches komme nur der Einsatz weiteren Personals in Betracht, welches dann während der gesamten Öffnungszeit damit beauftragt sei, die Rückführung der Einkaufswagen an die Sammelstelle durch die Kunden zu überwachen und auf dem Parkplatz befindliche Einkaufswagen selbst zur Sammelstelle zu bringen. Dies läge aber außerhalb des wirtschaftlich Zumutbaren.283 Im Übrigen sei bei der Bemessung des Umfangs der Verkehrssicherungspflicht eine Abwägung zwischen Kostenaufwand und erzielbarem Nutzen geboten. In diesem Zusammenhang sei vor allem die Gefahrenträchtigkeit des eröffneten Verkehrs von Bedeutung. Diese sei bei leeren, auf dem Parkplatz herumstehenden Einkaufswagen allerdings eher nebensächlich und zwar auch dann, wenn das Gelände leicht abschüssig ist; es drohe nur der Eintritt geringfügigen Sachschadens.284 Dem schließt sich auch das LG Berlin in einer zwei Jahre später veröffentlichten Entscheidung an.285 Die Einführung eines zu diesem Zeitpunkt neuartigen Systems, welches die Kunden veranlasst, mittels eines Pfandchips oder einer 1-DM-Münze die zuvor aus einer Sammelstelle ausgelösten (und dort durch eine Kettenverbindung verzahnten) Einkaufswagen zurückzubringen, will es demgemäß nicht als wirkungsvolle Sicherungsmaßnahme begreifen.286 Zusammen mit der Installation einer Absperrvorrichtung am Wagen selbst könne diese Maßnahme letztlich doch nicht ausschließen, dass es immer wieder Kunden gebe, welche sich entweder der Absperrvorrichtung nicht bedienten oder aber auf die Rückzahlung des Pfandgeldes verzichteten und den Einkaufswagen auf dem Parkplatz zurückließen. 283

AG Marbach VersR 1986, 1246 (1247). AG Marbach a. a. O., ebd.; so auch – allerdings zum Fall der Beschädigung eines Kfz außerhalb des Verbrauchermarktparkplatzes und der Geschäftszeiten – LG Dortmund NJW-RR 1988, 865 = ZfS 1988, 271; s. a. AG Grevenbroich VersR 1989, 1267 (1268): der Vergleich mit dem Flaschenpfand oder dem Pfand auf Flaschenkästen für Bier o. ä. zeige, dass eine nicht geringe Menge von Leuten eher auf die Rückzahlung des Pfandes verzichten, als sich die Mühe der Rückgabe zu machen. 285 In: VersR 1988, 720 = ZfS 1988, 271. 286 Zuvor hatten bereits das LG Marburg in VersR 1986, 668 und das AG Geilenkirchen in NJW-RR 1986, 1225 diese Methode als wirkungsvoll eingestuft, vgl. ausführlich auch LG Mönchengladbach NJW-RR 1989, 1111. 284

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In einem Punkt allerdings unterscheidet sich das LG Berlin im Vergleich zum AG Marbach. So hält es das Erfordernis einer zusätzlichen Absperrvorrichtung für gangbar und erforderlich, „wenn es die örtlichen Gegebenheiten als unumgänglich erscheinen lassen, dass ein selbstständiges Wegrollen der Einkaufswagen verhindert werden muss“. Dies sei beispielsweise bei abschüssigem Gelände der Fall.287 b) Verschärfung der Sorgfaltskriterien Enthält die Entscheidung des LG Berlin schon die leichte Tendenz einer verbraucherfreundlichen Rechtsprechungslinie, so kippt der Anforderungsmaßstab Ende der 80er Jahre vollends. Fortan erkennen die Gerichte die Einführung des Pfandchipsystems, Feststellbremsen sowie Bügelsicherungen an Einkaufswagen (vergleichbar derer an Kofferkulis) als wirkungsvolle Maßnahmen zur Unfallverhütung an und setzen damit dem Pflichtenkanon des Inhabers inhaltlich, aber auch wirtschaftlich neue Grenzen. Entzieht sich das AG Iserlohn in seinem Urteil vom 28.10.1988 noch der konkreten Benennung einzelner Vorsorgemaßnahmen,288 wird das LG Köln ein Jahr später bereits deutlicher.289 So sei der beklagte Betreiber grundsätzlich gehalten, Vorkehrungen zu treffen, die Beschädigungen durch Einkaufswagen ausschließen oder jedenfalls die Wahrscheinlichkeit derartiger Schäden erheblich herabsetzten. Als solche kämen das Einrichten von Sammelstellen für die Einkaufswagen am Ladeneingang oder sonst im Bereich des Kundenparkplatzes, das Anbringen von stabilen Absperrvorrichtungen, die das Wegrollen der Einkaufswagen verhindern (z. B. Bodenschwellen), aber auch die Verwendung eines Münz- bzw. Pfandchipsystems in Betracht. In jedem Fall genüge die bloße Anweisung des Inhabers an seine Mitarbeiter, Einkaufswagen, die von Kunden mit nach draußen genommen würden, (auch in kurzen Abständen) wieder einzusammeln, nicht.290 Dem pflichten das LG Augsburg in seiner Entscheidung vom 14.06.1989,291 das LG Nürnberg-Fürth in zwei Urteilen292 sowie das LG Amberg293 bei. Das – verein287

LG Berlin a. a. O., S. 721. Das Einsammeln der Wagen in einem Abstand von 15–20 min hält es jedoch als Sicherungsmaßnahme für nicht ausreichend; vgl. ZfS 1989, 75. 289 In: VersR 1989, 1280. 290 LG Köln a. a. O., ebd. 291 In: NJW-RR 1989, 1110 = NZV 1989, 438 L. 292 Urt. v. 20.12.1989 in NZV 1990, 276 und Urt. v. 09.01.1990 in NZV 1990, 356. 293 NJW-RR 1992, 1120; vgl. auch AG Schwandorf VersR 1992, 1372: Die Verkehrssicherungspflicht gebiete es, Einkaufswagen eines Einkaufsmarkts auf einem 288

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zelt gebliebene – Schrifttum ist letztgenannter Auffassung im Wesentlichen gefolgt294 und in der Tat spricht vieles für sie. c) Angemessenheit des gestiegenen Anforderungslevels? Grundsätzlich gilt, dass sich die Verkehrssicherungspflicht immer nach der Intensität des zu erwartenden Verkehrs richtet.295 Dabei ist zu beachten, dass eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht zu erreichen ist. So betonen Rechtsprechung und Literatur einhellig, dass stets nur diejenigen Maßnahmen zu treffen sind, die nach den Erwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, eine Gefährdung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch nach Möglichkeit zu vermeiden.296 Hinsichtlich der Verkehrssicherung von Geschäftsräumen ist auf diejenigen spezifischen Verkehrsgefahren Rücksicht zu nehmen, die sich aus deren besonderer Eigenart ergeben.297 Die Etablierung des Selbstbedienungsgeschäfts mit Flächenüberhang, wie es Verbrauchermärkte und größere Einkaufscenter demonstrieren, bringt es nun mit sich, dass der Kunde sich die Waren selbst aus dem Regal nimmt, sie im Korbwagen transportiert und auf der extra bereitgestellten Parkfläche im Auto verstaut. Damit gewährt er dem Betreiber eine größere Einwirkungsmöglichkeit auf seine Rechtsgüter und Interessen, als wir sie beim traditionellen Vollbedienungsgeschäft vorfinden. Zugleich stellt diese Form des Einkaufs aber auch eine erhebliche Bequemlichkeit für den Kunden dar. Er kann viel größere Warenmengen transportieren, in der Regel sogar bis direkt vor das Kfz; das Fassungsvermögen der Einkaufswagen garantiert einen ganzen Wochenendeinkauf, gar den Transport kleinerer Möbelstücke.298 Gerade hierin wurzelt die steigende Beliebtheit der Märkte in den vergangenen Jahrzehnten unter den Konsumenten. Gerade hierin liegt jedoch auch der Vertrauensvorsprung, den sie einbüßen können. Denn der Kunde vertraut in dieser Situation auf einen gestark abschüssigen Parkplatz nicht nur mit einer Pfandsicherung, sondern zusätzlich mit einer Feststellbremse zu versehen. 294 Piepenbrock VersR 1989, 122 (124); Greger NZV 1989, 356 m. Anm. zum Urt. v. AG Osnabrück v. 06.03.1989; Grüneberg NZV 1992, 304 (306). 295 BGH VersR 1966, 684; 1968, 68; LG Köln VersR 1989, 1280. 296 Vgl. aus der Vielzahl der Urteile und Literaturstimmen nur BGH NJW 1978, 1629; Palandt-Sprau, § 823 Rn. 51. 297 MüKo-Mertens, 3. Aufl., § 823 Rn. 214. 298 Gerade in Baumärkten und Einrichtungshäusern ist diese Sonderform – auch Möbeltransportwagen genannt – inzwischen üblich. Die Wagen verfügen i. d. R. über eine ebene Ablagefläche auf Fußhöhe, z. T. mit Kleinartikeldrahtkorb an den Schiebegriffen.

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fahrlosen Begegnungsverkehr, er braucht sich auf eventuelle gesteigerte Risiken auch nicht einzustellen. Ein solch gesteigertes Risiko sind nun aber die nicht ordnungsgemäß abgestellten Einkaufswagen. Auf diese spezifische Eigenart des Verkehrs – will man sie denn als solche bezeichnen – hat der Betreiber Rücksicht zu nehmen und seine Verkehrssicherungspflicht durch organisatorische Maßnahmen entsprechend einzurichten.299 Dies lässt sich durch die oben dargestellten Installationsmöglichkeiten (Pfandsystem; arretierbare Bremse) am besten erreichen. Zwar ist einsichtig, dass sich auch mit Einführung dieser technischen Neuerungen eine Unfallverhütung nicht zur Gänze ausschließen lassen wird. So wird es immer wieder Kunden geben, die auf die Rückzahlung des geleisteten Pfandgelds verzichten und den Einkaufswagen auf dem Kundenparkplatz zurücklassen.300 Dies gilt erst recht, bedenkt man, dass in letzter Zeit die Pfandchips geradezu inflationär zu Werbezwecken an die Verbraucher verschenkt werden und somit der materielle Verlust kein allzu hoher ist.301 Indes kommt es auf eine vollständige Gefahrenprävention gar nicht an. Der Verkehrssicherung ist bereits Genüge getan, wenn die zu leistenden Maßnahmen in ihrer Eignung zumindest anteilsmäßig dazu beitragen, ein Gefahrenpotential zu entschärfen. Ein restlos verhinderter Schadenseintritt ist somit nicht erwartetes Ziel der Vorsorgemaßnahmen, diese sind schon bei einem Rückgang der Schadensfälle effektiv und durchaus erfolgsgeeignet.302 299 Dies gilt v. a., wenn schon durch das Gefälle des Parkplatzgeländes die Anlagen späterer Unfallgefahren gesetzt sind, vgl. noch unten. Der typischerweise erhöhte Kundenstrom am Freitagnachmittag oder am Wochenende verstärkt diese Risikozuweisung an den Betreiber, so dass der intensivierte Verkehr die Sorgfaltsanforderungen abermals verstärkt. Insgesamt kann damit sicher auch nicht von einer lediglich entfernten Möglichkeit des Schadenseintritts gesprochen werden. 300 Siehe LG Amberg NJW-RR 1992, 1120 mit dem Beispiel des plötzlich hereinbrechenden Unwetters als Auslöser. 301 Dennoch weist das LG Mönchengladbach in NJW-RR 1989, 1111 völlig zu Recht darauf hin, dass selbst im Falle des Zurücklassens von Einkaufswagen, die Rückgabe durch Fremde zum Zwecke der Auslösung des Pfandes viel näher liegt als deren missbräuchliche Verwendung. Die Herstellung und Verbreitung dieser Chips zu Werbezwecken ist i. Ü. nicht stets folgenlos. Das OLG Nürnberg sah in seinem Urteil vom 20.03.2001 in WRP 2001, 725 jeweils Verstöße gegen die Münzverordnung und das Wettbewerbsrecht (§ 3 MedVO, § 1 UWG). In dem Fall hatte ein Vertreiber von Einkaufschips diese in einer der damals gebräuchlichen 1-DMMünze stark ähnelnden Weise hergestellt. Die Chips – so das Gericht – dürften keinen Durchmesser von mehr als 19 mm und weniger als 30 mm haben, es sei denn, ihre Stärke hat weniger als 5% oder mehr als 10% ihres Durchmessers oder weise ein Loch im Zentrum der Plastikscheibe von mindestens 6 mm auf, was jedoch alles nicht der Fall war. Dies indes erklärt, warum immer mehr Betreiber den Chip nur mit solchen Maßen bzw. einer derartigen Auslassung herausgeben. 302 Die Installation einer automatischen Feststellbremse wäre zudem unabhängig von einem möglichen Fehlverhalten der Kunden. Diese Vorrichtungen sind inzwi-

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Ein derartiger zusätzlicher Aufwand ist dem Betreiber auch technisch und wirtschaftlich zumutbar. Hierin ist dann auch keine Überspannung der Verkehrssicherungspflicht zu erblicken, da es sich in der Regel um eine einmalige finanzielle Investition handelt303 und das Abstellen zusätzlichen Personals in der Regel nicht erforderlich ist.304 Dies erklärt sich im Übrigen ganz ohne die leidige Diskussion, ob der Verbraucher nun im Vergleich zum Unternehmer schutzwürdiger ist oder nicht.305 Die Benutzung des Einkaufswagens durch den Verbraucher liegt nicht zuletzt im eigenen wohl verstandenen Interesse des Ladeninhabers. Die Fahrzeuge sichern ihm gerade wegen ihrer Praktikabilität höheren Kundenzuspruch. Diese werden sich durch das Hilfsmittel Einkaufskorb, das mitunter selbst zum Werbeträger der Läden avanciert,306 nur allzu oft verführen lassen, mehr als ursprünglich gewollt zu kaufen (also mehr einzukaufen, als sie allein ohne Hilfsmittel tragen können). Andererseits bindet die Möglichkeit der Bereitstellung von Einkaufswagen auch die Kunden – der Markt wirkt insgesamt auf die Bedürfnisse der Konsumenten zugeschnitten, kurzum: kundenfreundlich. Liegt aber eben dieses nicht nur im Interesse des Marktes, sondern ist darüber hinaus beabsichtigt, so ist es nur konsequent auch ein höheres Einstehen hinsichtlich der Haftungsübernahme zu fordern. Hierin kommt ein wesentlicher Gedanke des Entstehungs- und Steuerungsprinzips der Verkehrspflichten zum Ausdruck, der einem in dieser schen so konstruiert, dass die Wagen (ähnlich wie die Kulis an Bahnhöfen oder Flughäfen) nur bei Loslösen der i. d. R. am Griff montierten Bremse in Bewegung gesetzt werden können. Sie arretieren dementsprechend bei Loslassen des Handgriffs (sprich beim Zurücklassen des Korbes). 303 Bei einem Preiswert von unter 400 Euro können die Wagen als geringwertiges Wirtschaftsgut im Jahr der Anschaffung steuerlich voll abgeschrieben werden. Was bleibt, sind Instandhaltungs- und Reinigungskosten, die jedoch in Anbetracht des Nutzwertes nicht sehr ins Gewicht fallen. 304 Eine andere Frage ist es, wenn Schäden durch Einkaufswagen verursacht werden, die ca. 100 m vom Kundenparkplatz entfernt stehen. Unter Abstellen auf den unzumutbaren Kostenaufwand AG Augsburg ZfS 1991, 79; vgl. aber auch AG Geilenkirchen NJW-RR 1986, 1225, wonach die auf öffentlichen Wegen von Kunden stehen gelassenen Einkaufswagen ein Verkehrshindernis i. S. d. § 32 Abs. 1 StVO darstellen, das der Eigentümer unverzüglich wegzuschaffen bzw. durch adäquate Maßnahmen (z. B. Pfandgeld) zu verhindern habe; s. a. Grüneberg NZV 1992, 304 (306). 305 Gleichwohl ist die Schutzwürdigkeit nicht zu unterschätzender Abwägungsfaktor der Verkehrspflicht. Verschiedene Schutzinteressen fördern den kompensatorischen Effekt der Pflichten, die nur das Instrumentarium der Gesamtbewertung bilden; vgl. hierzu Wiegand in: FS für Gagnér, S. 562. 306 Vgl. Groner Dynamik Im Handel 1998, S. 13: Einkaufswagen als Visitenkarte des Einzelhandels und Träger von Werbebotschaften.

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Form nicht zum letzten Mal begegnen wird. Er ist in seiner Aussage schlicht: derjenige, der Nutzen und Vorteil aus einer Verkehrsöffnung zieht, muss auch für die Sicherung derselben garantieren. Es sind dies also die ökonomischen Interessen und Zwecke des Betreibers, die für seine Einstandspflicht mitbegründend wirken.307 Auch das Kostenargument der Gegenansicht kann kaum überzeugen. Sofern bei einer Abwägung zwischen Kostenaufwand und erzielbarem Nutzen lediglich der Eintritt geringfügigen Sachschadens unterstellt wird, ist dies so nicht einsichtig. Die Beseitigung von Lackschäden oder Karosseriedellen erfordert mittlerweile – je nach Fahrzeugtyp – oft vierstellige Geldbeträge.308 Von einem unwesentlichen Finanzaufwand kann somit kaum die Rede sein. Umgekehrt können die wirtschaftlichen Investitionen des Betreibers gemessen an den zu erwartenden Schäden nicht hoch genug bemessen werden. Zumindest nicht unerheblich scheint dabei die wirtschaftliche Potenz des Schädigers als Abwägungsfaktor an Relevanz zu gewinnen. Diese Auffassung ist in ihren Grundsätzen nicht neu309 und hängt eng mit der wohlfahrtsökonomischen Analyse des Haftungsrechts zusammen, wonach die Kosten der Sicherungsaufwendungen und ihre Effektivität verhaltenssteuernd auf den Anspruch der Verkehrspflicht einwirken.310 307 Zu diesem Ansatz v. a. in der älteren Literatur: Mataja, Recht des Schadensersatzes, S. 127 ff.; ders. ArchBR 1 (1889), 267 f.; Unger JhrJb. 33 (1894), 299 (359): „eigenes Interesse – eigene Gefahr“; Strohal JhrJb. 33 (1894), 361 (388); Sjörgen JhrJb. 35 (1896), 343 (424 f.); Endemann, Haftpflicht der Eisenbahnen, S. 19 f. 308 So auch Grüneberg a. a. O., S. 305. Indes erscheint die von ihm aufgezeigte Möglichkeit sich ereignender „schwerer“ Unfälle mit Personenschäden doch fern liegend. 309 Vgl. dazu bereits RG HRR 1934, Nr. 798; aus der neueren Rspr. unter wirtschaftlichen Zumutbarkeitsgesichtspunkten OLG Hamm VersR 1954, 128; OLG Karlsruhe VersR 1959, 861; Stoll, Handeln auf eigene Gefahr, S. 278. 310 Dieser Ansatz der ökonomischen Literatur, als dessen Wegbereiter Calabresi mit seiner Schrift „The Costs of Accidents“ aus dem Jahr 1970 angesehen werden kann, steht eigenständig neben dem der juristischen Lehre, die die Hauptaufgabe des Haftungsrechts in seiner Ausgleichs- und Kompensationsfunktion bzw. im Präventionsgedanken sieht, vgl. Deutsch, a. a. O., A. II. 1. Rn. 17; ders. in JZ 1971, 244 f.; Esser/Weyers, SchuldR BT, II § 53 1; Larenz, SchuldR AT I, § 27; Wagner, JZ 1991, 175 f.; Schiemann, Argumente und Prinzipien, S. 190 f.; Weyers, Unfallschäden, S. 479 f.; v. Liszt, Deliktsobligationen, S. 1 ff.; Mertens, Begriff des Vermögensschadens, S. 93 ff.; vgl. auch Planck, Vorb. zum 25. Titel, S. 1699 f. Die Thesen Calabresis zur Optimierung eines Wohlfahrtsmaximums durch Minimierung der Schadenskosten mittels der Suche nach dem „cheapest cost avoider“ wurden seitdem in der Literatur weiter vertieft, vgl. aus der angloamerikanischen Lehre nur Shavell, Economic Analyses, S. 1 ff.; Landes/Posner, Economic structure, S. 1 ff.; aus dem deutschen Schrifttum v. a.: Koller, Risikozurechnung, S. 77 ff., mit den Zurechnungselementen „Abstrakte Beherrschbarkeit“, „Absorption“ und „arbeitsteilige Veranlassung“; Blaschczok, Gefährdungshaftung; Adams, Ökonomische Analyse,

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Stets hat sich jedoch die Qualität des präventiven Handelns an den Umweltbedingungen zu orientieren. Bieten diese keinen Hinweis auf eine mögliche Gefahrensituation, so bedarf es auch keines außergewöhnlichen Vorbeugeakts. Konkret gesprochen: Sind Art und Umfang des Risikos mangels ausreichender Gefahrenneigung des Parkplatzgeländes (z. B. kein Gefälle, kleine Parkplatzfläche) eher gering anzusiedeln, so sind auch an den Verhütungsaufwand keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. In der Tat wird man dann darüber nachzudenken haben, ob die Einführung von Feststellbremsen und Bügelsicherungen zur Gewährleistung der Verkehrssicherung nicht überzogen ist und ihr nicht mit der Pflicht zur regelmäßigen Überwachung der Korbwagen mittels dafür extra bereitgestellten Personals (in Stoßzeiten, z. B. Freitagnachmittag oder am Wochenende unter Umständen alle 10–15 Minuten) bzw. dem Vorhandensein eines Chipsystems Genüge getan ist. d) Fazit Der Streit um die geeignetste Vorsorgemaßnahme ist trotz des Mangels an einschlägigen Urteilen in den Folgejahren nicht vollends verebbt. Allerdings erscheint die Problematik heute in einem anderen Licht als zu Beginn der 90er Jahre. Dies rührt daher, dass nahezu alle größeren Vertriebsformen (als Ausnahme seien z. B. der Möbel-Fachmarkt „IKEA“ oder die Warenhauskette „FAMILA“ erwähnt) ihr System inzwischen auf Pfandgeldnahme umgestellt haben. Dies ist zum größten Teil der sich zum Beginn des letzten Jahrzehnts deutlich verschärfenden Rechtsprechungslinie geschuldet. Die Aufrüstung wurde notwendig, wollte man einer möglichen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht entgehen. Zugleich ist gut erkennbar, wie sehr sich die Verkehrspflichten an die fortschreitende Entwicklung des Einzelhandels anpassen mussten. Wiederum ist eine gewisse Strenge zu Lasten des Geschäftsinhabers proportional steigend zur technischen Modernisierung nicht zu übersehen. Es ist so, wie es scheint: Kundenbindung und Umsatzerwartung in immer größer werdenden Dimensionen sind die Geister, die man rief, verschärfte Sorgfaltspflichten und kostensteigernde Präventivmaßnahmen die Last, die man fortan nicht mehr los wird. S. 36 ff.; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, S. 121 ff.; vgl. auch Brüggemeier WM 1982, 268 (275), der Verkehrspflichten als einen Mechanismus der judiziellen Sozialsteuerung ansieht, deren Zweck in der Schadensverteilung und -prävention nach bestimmten ökonomischen Kriterien liegt: „Ihnen geht es um die mögliche Verhinderung von – aus welchen Gründen auch immer – negativ bewertetem Sozialverhalten durch die Belastung mit dem Kostenbzw. Schadensrisiko“.

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5. Resümee Mittels der vier wesentlichen Kernpunkte des betriebswirtschaftlichen Strukturwandels im Einzelhandel – Selbstbedienung und Flächenzuwachs, Werbe- und Marketingaggregation, Ausweitung des Internet-Handels und Einführung bedürfnisgerechter Faktoren der Kundenbindung – ist die Darstellung der sukzessiven Anpassung der Verkehrspflichten an die veränderten Einkaufsgewohnheiten und -möglichkeiten vollzogen. Sie besteht in einer spürbaren Verschärfung der Sorgfaltsanforderungen der Betreiber, die der Zunahme der Verkehrsintensität, aber auch dem Bedürfnis nach eigener wirtschaftlicher Gewinnerzielung Tribut zollen mussten, ohne auf einen fehlenden Vertrauensvorsprung verweisen zu können.311 Offen ist die Frage des spezifischen Pflichtenkreises des Unternehmers in Bezug auf die einzelnen gefahrträchtigen Elemente innerhalb der Geschäftssphäre. Soweit ihr nicht in Teilen oben schon nachgegangen wurde, soll dies im Folgenden getan werden. V. Typisierung der Einzelhandels-Verkehrspflichten Einzelhandels-Verkehrspflichten erscheinen in vielfältiger Weise, ohne dass es – ein Spezifikum aller Verkehrspflichten – möglich wäre, sie abschließend zu katalogisieren. Eine gewisse Ordnung bringen jedoch zwangsläufig die von der Rechtsprechung entschiedenen Fälle mit sich, die sich sachverhaltstechnisch zumindest grob klassifizieren lassen. Dabei soll im Folgenden versucht werden, den aktuellen Stand der Judikate als ungefähre Richtschnur der Verhaltensgebote der Händler zu vermitteln. 1. Verkaufsraum Innerhalb des Verkaufsraums sieht sich der Betreiber einer Fülle von Vorschriften zur Steuerung seiner Sicherheitsleistungen gegenüber. Die Anzahl der Verordnungen, Auflagen und Gesetze in diesem Bereich ist mit zunehmender Ladengröße und Technisierung des Verkaufs- und Nebenraum311 Dieser Punkt ist nicht unwichtig für den Fahrlässigkeitsbezug im Rahmen der Verschuldensprüfung, der sich nach h. L. an die Verkehrspflicht selbst koppelt, vgl. Deutsch, a. a. O., Rn. 261, 276; v. Bar, a. a. O., S. 160 f.; a. A. Larenz/Canaris, a. a. O., § 76 III 7a. Dem Pflichtigen ist durch den sich stufenweise vollziehenden Prozess judizieller Erweiterung der Verkehrspflichten ein Einstellen auf die gestiegenen Sicherheitserwartungen und den dadurch begründeten Wandel des Umfangs auch möglich (gewesen). Mithin mangelt es im Schadensfall zumindest aus diesem Gesichtspunkt heraus i. d. R. nicht an Fahrlässigkeit, da er mit einer Verschärfung der Anforderungen rechnen konnte; vgl. dazu auch BGH NJW 1995, 2631 (2632).

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bereichs und sicherlich auch aufgrund der gestiegenen Sicherheitserwartungen des Kunden beständig gewachsen. Bedeutendes Regulativ der Verkehrspflichten des Betreibers sind die öffentlich-rechtlichen Verkaufsstättenverordnungen der Länder (VkVO).312 Sie enthalten größtenteils baupolizeiliche Maßnahmen (Feuerbeständigkeit der Wände, Decken, Treppen, Vorhandensein von Rettungswegen und Sicherheitsbeleuchtung o. ä.), aber auch Betriebsvorschriften zur Gefahrenverhütung. Interessant in diesem Zusammenhang ist die Pflicht des Betreibers in Treppenräumen notwendiger Treppen, Treppenerweiterungen oder allgemein zugänglichen Fluren keine Dekorationen zu postieren (vgl. § 24 Abs. 2 VkVO SH). Zudem muss während der Betriebszeit einer Verkaufsstätte stets der Betreiber oder ein bestimmter Vertreter anwesend sein (§ 26 Abs. 1 VkVO SH). In diesem Zusammenhang gewinnen auch die Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften (UVV) an Relevanz. Hier ist jedoch genau darauf zu achten, in welchem Umfang der Kunde Geschützter der Norm ist, in der Regel wird es nämlich der Arbeitnehmer sein.313 Dieser muss bestimmte, mit seinem Beruf zusammenhängende Gefahren in Kauf nehmen, zumal er sich kraft seiner Erfahrung und Ausbildung häufig selbst zu schützen im Stande ist.314 Dies bedeutet andererseits nicht, dass der Gefahrenpräventionsstandard für betriebsfremde Personen entsprechend herabzustufen ist. Im Gegenteil haben die Gerichte verschiedentlich ausgesprochen, dass an die allgemeine Sorgfaltspflicht des Unternehmers zum Schutze Dritter keine geringeren (aber durchaus höhere!) Anforderungen gestellt werden dürfen, als er sie nach den UVV gegenüber seinen Betriebsangehörigen zu erfüllen hat.315 Dieser dann entstehende Gleichlauf der Sicherungspflichten 312 Vgl. für Schleswig-Holstein die Landesverordnung über den Bau und Betrieb von Verkaufsstätten vom 04.12.1997, GVBl. S. 3 ff. Nahezu wortgleiche Vorschriften enthalten die Verordnungen der Länder Baden-Württemberg (VkVO BW), Bayern (VkVO Bay), Berlin (VkVO Berlin), Brandenburg (BbgVBauV), Hamburg (VkVO Hmb), Hessen (MVkVO), Mecklenburg-Vorpommern (VkVO M-V), Niedersachsen (VkVO Nds), Nordrhein-Westfalen (VkVO NRW), Rheinland-Pfalz (VkVO RP), Saarland (VkVO Saarland), Sachsen (VerkBauR), Sachsen-Anhalt (VSTR) und Thüringen (ThürVStVO). Die Verordnungen gelten ausweislich § 1 nur für Verkaufsstätten, deren Verkaufsräume und Ladenstraßen einschließlich ihrer Bauteile eine Fläche von insgesamt mehr als 2000 m2 haben. 313 BGH VersR 1969, 850. 314 Vgl. BGH VersR 1975, 812 (813). 315 BGH VersR 1957, 614 (615); VersR 1959, 290 (291); 1961, 419 (420); 1965, 1055; 1992, 893; siehe Staudinger-Hager, § 823 E 34: „Sie legen das Mindestmaß dessen fest, was nicht nur gegenüber Betriebsangehörigen, sondern auch gegenüber Dritten einzuhalten ist“; vgl. auch MüKo-Wagner, § 823 Rn. 274.

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begründet interne und externe Verantwortlichkeiten gleichermaßen und lässt somit auch den Besucher profitieren.316 Dies provoziert die Frage, wie nah sich technische Regeln und Unfallverhütungsvorschriften, vor allem aber das öffentlich-rechtliche Sicherheitsrecht an die privatrechtlichen Verhaltensstandards der Verkehrspflicht koppeln und sie u. U. sogar auf ein verbindliches Niveau zementieren. In Rechtsprechung und Schrifttum ist diese Problematik nicht zur Gänze geklärt.317 Einigkeit besteht aber mehrheitlich insofern, als die gesetzlichen und behördlichen Vorschriften zumindest zur Konturierung oder Konkretisierung318 einer allgemeinen Verkehrsanschauung fungieren und damit einen festen Mindeststandard für die Ermittlung der verkehrserforderlichen Sorgfalt bieten.319 Damit behalten o. g. Vorschriften ihre Relevanz für den hier interessierenden Komplex der Einzelhandels-Verkehrspflichten. a) Fußboden Die Rechtsprechung bejaht im Allgemeinen die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, sofern der Fußboden länger als 15 Minuten ohne Reinigung bzw. diesbezügliche Aufsicht verbleibt.320 Zudem wird gefordert, 316

Der Verstoß gegen eine gesetzliche Unfallverhütungsvorschrift führt zur Umkehrung der Beweislast bei der haftungsbegründenden Kausalität und liefert einen Anscheinsbeweis für das Verschulden des Verkehrssicherungspflichtigen, vgl. RGZ 95, 238 (239); BGH VersR 1961, 419 (420); NJW 1978, 2032 (2033); 1994, 945 (946) und BGH VersR 1955, 105 (106); 1956, 435; 1965, 1055 (1056). 317 Vgl. dazu die vereinzelt gebliebene Entscheidung des BGH im 62. Bd., S. 265 ff. = NJW 1975, 1240 ff. (sog. „Wildtauben-Fall“) und die Ansicht Marburgers in VersR 1983, 597 (602); ders., Regeln der Technik im Recht, S. 437, wonach die Verkehrspflichten nicht über die allgemeinen behördlichen Regelungen hinausgehen. Dagegen die überwiegende Rspr. und Lehre: BGHZ 99, 167 (176); BGHZ 139, 43 (46 f.); BGH NJW 2001, 2019 (2020); Canaris in: FS für Larenz, S. 27, 55 f.; Larenz/Canaris, a. a. O., § 76 III 4 f., S. 416; MüKo-Wagner, § 823 Rn. 269 ff.; Erman-Schiemann, § 823 Rn. 156, die einen eigenständigen Verhaltensstandard der Verkehrssicherungspflichten anerkennen. 318 In Bezug auf die Unfallverhütungsvorschriften der Berufgenossenschaften: BGH VersR 1958, 554; 1961, 419 (420); 1964, 942 (944); OLG Hamburg VersR 1982, 561; OLG Frankfurt a. Main VersR 1995, 1365 (1366); OLG Köln VersR 1997, 1355 (1356); BGH NJW 2001, 2019 (2020). 319 Staudinger-Hager, § 823 E 34 hält die Kritik an der Entscheidung des BGH im „Wildtauben-Fall“ für unberechtigt, will aber „jedenfalls einen Mindeststandard“ anerkennen. Lediglich Marburger, a. a. O., ebd. fordert eine verbindliche Fixierung deliktsrechtlicher Pflichten. 320 Vgl. nur OLG Stuttgart VersR 1991, 441; OLG Koblenz NJW-RR 1995, 158; OLG Köln (12. Zivilsenat) VersR 1999, 861. Diese Rspr. markiert den vorläufigen Endpunkt einer stetig sich verschärfenden Rechtsprechungslinie. Noch 1995 konsta-

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dass der Geschäftsinhaber nicht nur eine generelle Anweisung an das sonstigen Aufgaben zugewandte Personal gibt, sondern eine bestimmte Person mit der Erfüllung der bedeutsamen Verkehrssicherungspflicht betraut, so dass einer der Bediensteten (wobei es auch mehrere sein können) die Hauptverantwortung für Reinigung und Kontrolle des Bodenzustands trägt.321 Der Betreiber genügt allerdings seiner Verkehrssicherungspflicht nicht bereits mit Durchführung dieser Anweisung. Vielmehr muss er die Befolgung seiner Instruktionen auch in regelmäßigen Abständen kontrollieren.322 Dafür ist weder der übliche Gang zwischen Verkaufsraum und Büro noch eine Überwachung durch Videomonitore ausreichend.323 Die Personalsituation im Geschäft kann u. U. ein Indiz dafür sein, dass der erforderlichen Reinigung und Kontrolle nicht in ausreichendem Maße nachgekommen wird.324 Allerdings gilt dieser Maßstab nicht uneingeschränkt. Zu beachten ist, dass die Intensität der Fürsorgepflicht nicht unerheblich von der Art des Verkaufsraums sowie der Betriebsform selbst beeinflusst wird. Die Entscheidung des OLG Köln ist damit sicherlich die nachhaltigste Form der Händlerpflicht, die jedoch Ausnahmen zulässt. So betont die Rechtsprechung immer wieder, wie wenig zuverlässig die Markierung des 15minütigen Reinigungsintervalls ist. Gerade in Sortimentsabteilungen mit geringerem Verunreinigungspotential325 sei beispielsweise eine häufigere Fußbodenwartung als alle 45 Minuten nicht erforderlich. Und auch vom Erfordernis der Beauftragung einer bestimmten Person könne in kleinen, ohne weiteres räumlich überschaubaren Geschäften abgewichen werden.326 tierte das OLG Köln (11. Zivilsenat) in VersR 1995, 356 pauschal, eine stündliche Reinigung sei kaum ausreichend. 321 OLG Köln a. a. O., ebd.; zuvor noch OLG Köln (2. Zivilsenat) ablehnend im Hinblick auf einen Lebensmittelmarkt „mittlerer Größe“ in VersR 1997, 1113. 322 OLG Karlsruhe VersR 2005, 420 (421) = MDR 2005, 92 (93) = Food & Recht 2004, 11. 323 OLG Karlsruhe a. a. O., ebd. 324 Im Fall des OLG Karlsruhe arbeiteten neben dem Beklagten und seiner Ehefrau noch zwei Bedienstete in der Metzgerei- und Käseabteilung, zwei weitere waren für den Kassenbereich zuständig. Sofern diese besetzt waren, verblieben im Laden demnach nur der Beklagte und seine Frau, die sich allerdings im Büro aufhielten. Bei dieser Situation – so das Gericht – bestehe die Gefahr, dass – insbesondere bei hohem Kundenaufkommen – gar kein Personal zur Ausführung der allgemeinen Anweisung zur Reinigung und Kontrolle der Böden zur Verfügung stehe und die Mitarbeiter sich darauf verlassen, ein Kollege werde die Kontrolle schon durchführen. 325 Hinsichtlich einer Feinkostabteilung siehe OLG Hamm NZV 2002, 217. 326 Zuletzt OLG Karlsruhe a. a. O., ebd. Andererseits ist die 15 min Kontrolle regelmäßig, aber auch nicht immer, äußerste Grenze der Zumutbarkeit. Das OLG ver-

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In dieser Varianz zeigt sich die Einzelfallabhängigkeit zuverlässiger Werturteile. Die in Bezug auf Geschäftslokale vergleichsweise strenge Rechtsprechung mag also – so kann vorweggeschickt werden327 – dann etwas von ihrem Anforderungspotential zurücknehmen, wenn Kundenfrequenz, Witterung, Zuschnitt und Größe des Lokals und das von etwaigen zum Verkauf angebotenen Waren ausgehende Gefahrenpotential abgeschwächt daherkommen.328 Die Verkehrspflicht des Betreibers richtet sich damit in ihrer Intensität deutlich nach der Verletzungsanfälligkeit des Verkehrsbereichs. Der Fußbodenbelag ist allenthalben so auszuwählen, dass Besucher nicht ausrutschen oder stürzen können, selbst wenn sie sich auf die ausgestellten Waren konzentrieren.329 Dies führt dazu, dass sogar kleine Niveauunterschiede zwischen den Platten des Bodens vermieden werden müssen.330 Zudem ist ein Belag zu wählen, von dem sich keine Teile der Beschichtung ablösen können.331 Das Bodenpflegemittel ist grundsätzlich dem Belag anzupassen,332 auf der anderen Seite aber ein übermäßiges Bohnern oder Wachsen zu verhindern bzw. zu beseitigen.333 Etwaige Schmutz- und Feuchtigkeitsablagerungen sind zu entfernen,334 Fußmatten und Treppenläufer gegen Wegrutschen zu sichern.335 Sind sie beschädigt, müssen sie nicht zwingend ersetzt, aber doch so repariert werden, dass Unfälle möglichst vermieden werden.336 Grundsätzlich bedarf es der Verwendung von Fußmatten (v. a. im Eingangsbereich) aber nicht, sofern ein adäquater Belag gewählt wurde.337 Insgesamt kommt der Auswahl und Unterhaltung des Fußbodens gerade im Einzelhandel hohe Bedeutung zu, was sich an der Vielzahl der hierzu weist dementsprechend darauf, dass Wetterverhältnisse oder andere Umstände weitergehende Maßnahmen erfordern können. 327 Siehe dazu noch ausführlich unter VI. 328 Vgl. hierzu OLG Hamm NJW-RR 2002, 171 (Drogeriemarkt); OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 671 (Apotheke). 329 Wahl des Bodenbelags, der bei Feuchtigkeit und Nässe die bestmögliche Rutschfestigkeit bietet, vgl. BGH NJW 1994, 2617 (2618) = VersR 1994, 1128 (1129) = ZfS 1994, 396 (397). 330 Vgl. OLG Köln NJW-RR 2001, 457. 331 BGH NJW 1986, 2757. 332 BGH NJW 1994, 945 (946); vgl. auch OLG Düsseldorf StBT 2005, 19 zur Pflege von Holzbohlen. 333 KG VersR 1952, 242 (243); BGH BB 1956, 59; VersR 1966, 1190 (1191); OLG Bremen VersR 1972, 984. 334 OLG Nürnberg VersR 1997, 1114. 335 RG SeuffA., Bd. 88, Nr. 54; BGH VersR 1962, 238. 336 RG JW 1932, 3618. 337 BGH NJW 1994, 2617 (2618).

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ergangenen Entscheidungen ablesen lässt.338 Im Laufe der Arbeit wird deshalb noch vertiefter auf Eckpunkte des Maßnahmenkatalogs „Fußboden“ eingegangen. b) Sonstige Behinderungen im Verkaufsraum Hinsichtlich aller übrigen (oft gegenständlichen) Behinderungen im Verkaufsraum reagiert die Rechtsprechung deutlich auf die raumgestalterischen Veränderungen der Betriebstätten im Verlauf ihrer Modernisierung. In Zeiten höherer (weil provozierter) Ablenkung des Kunden müsse der Geschäftsinhaber in Rechnung stellen, dass der vielfältigen optischen Werbereizen ausgesetzte Konsument nach Angeboten in Augenhöhe Ausschau hält und deshalb oftmals keinen Blick auf die in Bodennähe befindlichen Gegenstände hat. Der Pflichtige habe mithin Sorge zu tragen, dass sich der Kunde bei normalem vernünftigen Verhalten sicher in den Räumen bewegen kann und sich insbesondere keinen unerwarteten und versteckten Gefahren ausgesetzt sieht.339 Überraschende oder jedenfalls nicht ohne weiteres erkennbare Stolperstellen in Gängen, an Treppen oder im Bereich von Zu- und Abgängen müssen in jedem Fall vermieden oder zumindest klar gekennzeichnet und ausreichend beleuchtet werden.340 Der Kunde muss quasi „blind“ im Verkaufsraum verkehren können. Dies ist allerdings keine Forderung, die nur bei gegenständlichen Hindernissen aktuell wird, sie stellt einen grundsätzlichen Standard von Einzelhandelsbetriebsstätten dar. Diese sind geradezu prädestiniert für große Menschenansammlungen, dichtes Gedränge und geschäftige Hektik. Der Umstand, dass damit zugleich der Grad der Aufmerksamkeit, den die Kunden in ihre Gefahrenabwehr investieren, schwindet, belebt wiederum die Einstandspflicht des Betreibers. Hierunter fällt einerseits alles, was sich außerhalb der Norm bewegt bzw. vom Kunden nicht erwartet zu werden braucht.341 Andererseits müssen diese sich auf die unterschiedlichen Formen der Warenpräsentation einstellen.342 Die Verkehrssicherungspflicht wird damit in ihrer Funktion bestätigt, nicht mehr (aber immerhin auch nicht weniger!) als ein ausgleichendes Korrektiv 338 Siehe nur OLG Koblenz NJW-RR 1995, 158: weit über das Normalmaß hinausgehende Verkehrspflicht. 339 BGH VersR 1974, 888; MDR 1994, 988. Regale sind daher so zu platzieren, dass der Kunde, der bei dichtem Kundenzulauf in Augenhöhe ausgestellte Waren betrachtet, sich nicht an sich nach unten verbreiternden Regalen stößt, vgl. OLG Köln OLGZ 1990, 443. 340 Vgl. nur OLG Hamm NJWE-VHR 1998, 144. 341 Siehe OLG Schleswig ZfS 1994, 240 (rot-weiße Kette). 342 OLG Hamm BB 1992, 1957 = VersR 1994, 830 (überstehende Kartons).

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für unterschiedliche Erwartungshaltungen zu sein, das die Interessen aus objektiver Sicht bündeln und zu einem Kompromiss bringen soll. c) Rolltreppen In Einzelhandelsgeschäften mit mehreren Etagen spielen Verbindungswege zwischen den Stockwerken eine wichtige Rolle. Insbesondere Rolltreppen kommt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Personenbeförderung innerhalb des Ladens zu; gleichwohl sind sie nicht selten Gefahrenherd für die Gesundheit des Kunden. Die Sicherheitsanforderungen demjenigen gegenüber, der solche Anlagen in den Verkehr bringt, werden von der Richtlinie für Fahrtreppen und Fahrsteige ZH 1/484 unter Berücksichtigung der Norm DIN EN 115 „Sicherheitsregeln für die Konstruktion und den Einbau von Fahrtreppen und Fahrsteigen“ formuliert.343 Sie geben Auskunft, welche Maßnahmen bei Installation und Wartung der Anlage zum Schutz der Kunden zu treffen sind. So regelt § 4.1 der Richtlinie Maßnahmen zur Verkehrssicherung (dies umfasst u. a. die bautechnische Verhinderung der Besteigung der Balustraden, die ausreichende Beleuchtung der Rolltreppe344), § 4.2 die Sicherung von Gefahrenstellen (Vermeidung der Bildung von Einzugsstellen zwischen den einzelnen Teilen der Anlage) und § 4.3 Maßnahmen gegen den Sturz von Benutzern (ausreichende Befestigung der Trittflächen, Regulierung der Handlaufgeschwindigkeit u. ä.). All diese Maßnahmen richten sich jedoch vornehmlich gegen den Hersteller der Anlage, nicht zwingend gegen den Geschäftsinhaber. Dieser muss sich grundsätzlich auf die fachgerechte Montage der Anlage verlassen können. Dennoch treffen auch ihn Verkehrssicherungspflichten. So hat er durch Raumplanung und -gestaltung dafür zu sorgen, dass die erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen überhaupt erst realisiert werden kön343 Die Richtlinie ist Teil der Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften, die von diesen als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung in Form von autonomem Verbandsrecht auf Grundlage des § 15 SGB VII erlassen werden. Ihr Schutzbereich erstreckt sich nicht nur auf die Mitarbeiter des jeweiligen Betriebs, sondern auf jegliche Benutzer bzw. Anwender, mithin auch auf Kunden. Die st. Rspr. erkennt ihre Schutzgesetzeigenschaft i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB nicht an, vgl. nur RGZ 48, 327 (331); BGH NJW 1968, 641 (642); aber BGH NJW 1984, 360 (362); dagegen: Staudinger-Hager, § 823 G 14; MüKo-Wagner, § 823 Rn. 324; instruktiv: Marburger VersR 1983, 597 (605); ders. in: Die Regeln der Technik im Recht, S. 477 ff. 344 Die ArbeitsstättenRiLi ASR 713 „Künstliche Beleuchtung“ fordert für Fahrtreppen in Gebäuden 100 Lux als Nennbeleuchtungsstärke. Bei außen liegenden Fahrtreppen darf sie 15 Lux, gemessen in der Fußbodenebene, nicht unterschreiten.

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nen. Gerade in Bereichen wie der Beleuchtungstechnik ist der Hersteller wesentlich auf die Mitarbeit des Geschäftsinhabers angewiesen (vgl. § 5.1 ZH 1/484). Ebenso verhält es sich mit dem Anbringen von Sicherheitshinweisen für den Benutzer.345 Nach Fertigstellung der Rolltreppe trifft den Betreiber zudem die Pflicht zur ständigen Überwachung und Wartung der Anlage. Dabei kann grundsätzlich nicht verlangt werden, dass der Betreiber von sich aus, auch wenn er über technisches Personal verfügt, etwaige Sicherheitsvorkehrungen unternimmt. Insofern muss eine regelmäßige Kontrolle des Rolltreppenbetriebs durch den TÜV zur Einhaltung der Verkehrspflicht genügen (vgl. auch § 6 ZH 1/484).346 Der Betreiber ist allerdings gemäß § 5.13 ZH 1/484 dazu verpflichtet, bei Feststellen von Sicherheitsmängeln die Fahrtreppen und Fahrsteige bis zur Behebung der Mängel außer Betrieb zu setzen. Des Weiteren trifft den Inhaber die Pflicht zur ordnungsgemäßen Anwendung. Dies umfasst vor allem Maßnahmen des Ingang- und Stillsetzens der Anlage, wie in §§ 4.4 und 4.5 der Richtlinie bestimmt. So entschied das OLG Oldenburg in einem Fall aus dem Jahr 1964347 zugunsten einer auf der Rolltreppe zu Fall gekommenen Besucherin, weil die Geschäftsinhaberin es versäumt hatte, nach Eintritt der Gefahr die Anlage unverzüglich abzustellen. Die Beklagte hafte zwar nicht für die Realisierung der ursprünglichen Gefahr. Mit einer solchen müsse bei einer Rolltreppe wegen der ununterbrochenen Bewegung immer gerechnet werden. Hierauf stellen sich die Kunden im Allgemeinen auch ein.348 Die Inhaberin müsse aber sicherstellen, dass die Fahrtreppe nach der Sicherheitsbeeinträchtigung sofort ausgeschaltet werde. Wie sie dem nachkomme, sei grundsätzlich ihre Sache. Sie genüge allerdings ihrer Pflicht, wenn auf Grund ihrer Maßnahmen während des Betriebes der Rolltreppe bei Unfällen jederzeit gewährleistet sei, dass die Treppe, sei es durch bestimmte in der Nähe der Treppe arbeitende Angestellte oder andere Personen, auch tatsächlich sofort abgestellt werde, sobald ein Unfall bemerkt werde.349 345

Beachte hierzu die im Anhang 1 der RiLi ZH 1/484 wiedergegebenen Piktogramme. Gemäß 4.3.7. ZH 1/484 muss zudem bei durch den Betreiber vorgegebener Fahrtrichtung an den Enden der Fahrtreppe die jeweilige Fahrtrichtung deutlich gekennzeichnet sein, bei Fahrgaststeuerung (Fahrtrichtung wird durch denjenigen Benutzer bestimmt, der zuerst einen der Zugänge betritt) auf die Möglichkeit der unterschiedlichen Fahrtrichtungen, z. B. durch entsprechende Leuchtzeichen (StVO Zeichen Nr. 125, 123 oder 267), hingewiesen werden. 346 Vgl. dazu auch BGH VersR 1957, 153 (Betriebssicherheit einer privaten Fahrstuhlanlage) und OLG Düsseldorf VersR 1995, 535 (öffentliche Rolltreppe). Etwas anderes mag dann gelten, wenn sich dem Betreiber Sachmängel aufdrängen oder er Kenntnis von ihnen erlangt und trotzdem nichts unternimmt. 347 In: VersR 1964, 134 = BB 1964, 1148. 348 So bereits LG Nürnberg-Fürth VersR 1956, 213; LG Bonn VersR 1961, 932.

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Die Ansicht rief im Schrifttum Kritik hervor. Die Entscheidung des OLG lege dem Betreiber nahe, gesondert für jede Rolltreppe qualifiziertes Aufsichtspersonal bereitzustellen, was eine offensichtliche Überspannung der Verkehrssicherungspflicht darstelle und so nicht beabsichtigt gewesen sein könne.350 Die Forderung nach ständiger Überwachung ist aber in dieser Deutlichkeit den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. So würde es nach Auslegung der Entscheidung genügen, wenn Angestellte des Geschäfts – ähnlich wie bei der in regelmäßigen Abständen vorzunehmenden Fußbodenreinigung – immer wieder einen Blick auf die Anlage werfen. Hierfür eignet sich in der Tat am besten Personal, das ohnehin in der Nähe der Rolltreppe arbeitet. Vorausgesetzt wird nämlich nicht, dass im Falle eines Unfalls sofort die Stillsetzung betrieben wird. Dies wäre wünschenswert, ist aber kaum praktikabel. Zu verlangen ist lediglich, dass vom Zeitpunkt des Bemerkens an Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Die Nähe des Aufsichtspersonals zum Unfallgeschehen wird dann dafür sorgen, dass bis zur Vornahme der Abhilfe nicht allzu viel Zeit verstrichen ist.351 Mehr kann vom Betreiber unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten nicht erwartet werden. Mehr ist aber auch aus dem Urteil des OLG, das sachverhaltstechnisch in der Folgezeit vereinzelt bleiben sollte, nicht abzuleiten. Die dauerhafte Postierung von Personal eigens zum Zwecke der Rolltreppensicherung wird in der Praxis im Übrigen auch nicht durchgeführt. Moderne Rolltreppen verfügen heutzutage ohnehin über ausgefeilte Sicherheitsund Überwachungssysteme, die mögliche Schäden schon von vornherein gering halten (vgl. dazu auch § 4.5.6 ZH 1/484). Nach Stillsetzen durch Betätigung des Not-Aus-Schalters dürfen gemäß § 4.4.4 ZH 1/484 Fahrtreppen und Fahrsteige erst wieder bereit geschaltet werden, wenn durch eine Überwachungseinrichtung (z. B. durch Lichtschranken im Balustradensockel) zuverlässig festgestellt worden ist, dass sich keine Person oder kein Gegenstand auf der Rolltreppe mehr befindet. Auch dies fällt in den Pflichtenkomplex des Inhabers. Die insgesamt durchaus restriktiv ausgestaltete Verkehrspflicht des Betreibers in diesem Bereich ist Konsequenz seines eigenen wirtschaftlichen 349

OLG Oldenburg a. a. O., ebd. Ruhkopf VersR 1964, 1234; Kunz VersR 1982, 186 (188). 351 Ruhkopf a. a. O., ebd. merkt an, dass es sich bei der seitens des OLG in Aussicht gestellten Einschreitungsfrist nur um eine ganz kurze – „vielleicht 1 Minute“ – handeln könne, was die Gefahrenprävention ohne zusätzlich abgestelltes Sicherheitspersonal nötig mache. Eben dies wird aber realistischerweise die Zeit sein, in der Angestellte, die sich unmittelbar vor Ort aufhalten, auf den Unfall reagieren werden – trotz Ablenkung durch andere geschäftliche Verrichtungen. 350

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Expansionsstrebens und als solches nachvollziehbar. Rolltreppen vermitteln dem Kunden ein gesteigertes Komforterlebnis, in dem sie ihm das Erreichen höher gelegener Stockwerke erleichtern. Durch die zentrale Integrierung in den Verkaufsraum (dies grenzt sie von Fahrstühlen und Treppenhäusern ab) wird dem Kunden während der Beförderung der Blick auf die Verkaufswerke der verschiedenen Etagen ermöglicht. Nicht selten werden Aktions- und Sonderangebotsstände (so genannte Wühltische) direkt neben der Rolltreppe positioniert, um eine schnelle Kaufentscheidung des Kunden, der kurz vor oder nach der Beförderung zugreifen muss, zu provozieren. Für den Händler bedeutet dies finanziellen Vorteil, den er auch bewusst in seine marketingstrategischen Entscheidungen einplant. Dann aber erscheint es nur billig, ihn aufgrund der Installation einer zusätzlichen Gefahrenquelle verstärkt in die Haftung zu nehmen. Es versteht sich zudem von selbst, dass nicht nur Rolltreppen, sondern auch gewöhnliche (Wendel-)Treppen und Treppenhäuser so beschaffen sein müssen, dass bei Stürzen drohende Verletzungsgefahren möglichst vermieden werden.352 Hier ist vor allem auch dem eiligen und unvorsichtigen Benutzer Sicherheit zu bieten. Außentreppen mit einem rutschigen Belag sind dementsprechend mit einem Handlauf zu versehen. Fehlt ein solcher und kommt es zum Sturz eines Benutzers, so greift der Anscheinsbeweis für die Ursächlichkeit des Fehlens nur dann, wenn der Benutzer in einem Bereich gestürzt ist, in dem ein Geländer oder Handlauf den Sturz hätte auffangen oder abmildern können.353 Die Notwendigkeit von Handläufen im Innentreppenbereich sichert – zumindest für Verkaufsstätten mit einer Verkaufsfläche von 2000 m2 insgesamt – § 11 Abs. 4 i. V. m. § 1 VkVO SH.354 Gerade in Waren- und Kaufhäusern mit sehr regem Publikumsverkehr ist zudem darauf zu achten, dass die Treppen mit gleichmäßigem Schritt begangen werden können und sich das Steigungsverhältnis (Verhältnis von Stufenhöhe 352 BGH BB 1957, 240; OLG Düsseldorf VersR 1990, 870 in Bezug auf Privaträume. Dies sind allerdings Mindeststandards; was Stätten wie Einkaufszentren anbelangt, müssen u. U. noch höhere Sorgfaltsmaßstäbe angelegt werden; vgl. weiter OLG Köln VersR 1992, 512 (Hotel). 353 OLG Köln VersR 1996, 383; OLG Koblenz VersR 2005, 88 (89). 354 Ob eine Treppe – v. a. in Läden mit kleinerer Grundfläche – eines Geländers bedarf, ist insgesamt abhängig vom Einzelfall. I. d. R. wird man einen Handlauf fordern müssen, um auch dem unsicheren Treppenbenutzer adäquate Sicherheit bieten zu können, vgl. OLG Nürnberg VersR 1966, 1085 (1086); OLG Köln VersR 1992, 512 (513). Breite Treppen benötigen einen beidseitigen Handlauf (OLG Koblenz VersR 1997, 228 [339]), Treppen von fünf und weniger Stufen müssen nicht mit einem Geländer ausgestattet sein (BGH VersR 1962, 763; OLG Zweibrücken VersR 1994, 1487 [1488]). Beachte auch § 38 Abs. 6 LBauO SH und § 17 ArbStättV i. V. m. 3.1 Nr. 5 Merkblatt für Treppen und die neueste Entscheidung des OLG Koblenz in VersR 2005, 88.

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und Auftrittsbreite) nicht von Stufe zu Stufe verändert.355 Zudem ist im gesamten Treppenhaus bruchsicheres Glas zu verwenden.356 All dies sind zwar vornehmlich Architekten-Verkehrspflichten, sie können aber auch zu solchen des Geschäftinhabers werden, wenn dieser sich an Raumgestaltung und -planung aktiv beteiligt. d) Fahrstuhl Gerade in Geschäftshäusern, in denen die Installation einer Rolltreppe nicht realisierbar ist, sind Fahrstühle von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Mit ihnen lassen sich Personen, aber auch Waren transportieren, sie sind ein sicherer, schneller und komfortabler Weg zur Überbrückung von Etagen. Sie dienen zudem der Erhöhung der Kundenfrequenz in den typischerweise publikumsarmen nicht ebenerdigen Verkaufsflächen. Die Verkehrssicherungspflicht des Betreibers erstreckt sich hier in erster Linie auf die Sicherung und Wartung der Anlage. Wesentliche Bedeutung kommt dabei der 12. Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Aufzugsverordnung – 12. GPSGV)357 zu, die in § 3 konkret die Sicherheitsanforderungen festsetzt. Danach dürfen Aufzüge nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie bei sachgemäßem Einbau, sachgemäßer Wartung und bestimmungsgemäßem Betrieb die Sicherheit und Gesundheit von Personen und Gütern nicht gefährden (Abs. 1 Nr. 1) und durch die verantwortliche Person und den Montagebetrieb alle geeigneten Maßnahmen getroffen 355

BGH NJW 1970, 2290. BGH VersR 1969, 665 (666); NJW 1994, 2232 (2233). 357 Vom 17.06.1998, BGBl. I, S. 1393, zuletzt geändert am 06.01.2004, BGBl. I, S. 18. Die Normen des GPSG sind Schutzgesetze i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB (vgl. zu den Vorläufern des GPSG – dem GSG und ProdSG – BGH NJW 1980, 1219; 1983, 812 [813]; Diederichsen NJW 1978, 1281 [1289]; Kollmer NJW 1997, 2015 [2017]; Peine, GSG, Rn. 157; Wagner BB 1997, 2541 ff.; ders. in MüKo § 823 Rn. 619; Kullmann/Pfister, Produzentenhaftung, Kz. 2705; Marburger in: FS für Deutsch, S. 288); gleiches hat wohl angesichts ihres individualschützenden Charakters auch für die GPSGV zu gelten (vgl. hierzu MüKo-Wagner, § 823 Rn. 347, der auf Graf von Westphalen-Foerste, § 32 Rn. 11 ff. verweist, wenngleich dieser sich hinsichtlich der Schutzgesetzeigenschaft nicht festlegen will). Auf eine diesbezügliche Haftung kommt es jedoch nicht an, da die Einhaltung technischen Sicherheitsrechts schon durch die allgemeine Verkehrspflicht gewährleistet wird. Sicherheitsregeln können daher allenfalls technische Standards setzen, die die allgemeine Verkehrspflicht zwar konkretisieren und sicher im Einzelfall auch erhöhen, aber nicht determinieren; vgl. zur überwiegenden Lehre oben unter Fn. 318 u. MüKo-Wagner, § 823 Rn. 578, 618. Indes ist es gerade die strukturelle Nähe der Schutzgesetze zu den Verkehrspflichten, die Teile der Literatur dazu veranlasst, die Verkehrspflichten bei § 823 Abs. 2 BGB zu verorten, so v. a. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff.; ders. JZ 1979, 728 (729). 356

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worden sind, um den einwandfreien Betrieb und die gefahrlose Benutzung des Aufzugs zu gewährleisten (Abs. 2 Nr. 2). Der Geschäftsinhaber wird aus diesem Grund in der Regel einen Wartungsvertrag mit der Herstellungsfirma des Fahrstuhlaufzuges abschließen, die sich in regelmäßigen Abständen von der Störungsfreiheit der Anlage überzeugt.358 Auch hier endet also die Verkehrspflicht nicht in der Person des Herstellers, genau wie die Richtlinie ZH 1/484 enthält auch die Aufzugsverordnung Eingriffsmöglichkeiten beim Händler. Welche Gefahren durch den Betrieb eines Fahrstuhls entstehen können, zeigt gut die frühe Entscheidung des RG,359 die zugleich einen interessanten Einblick in die Kaufhauskultur vor dem 2. Weltkrieg gibt.360 Die Frau des Klägers benutzte in dem der Beklagten gehörenden Kaufhaus den Fahrstuhl, um in den 1. Stock des Geschäfts zu gelangen. Kurz vor der Ankunft öffnete der Fahrstuhlführer mittels einer selbsttätig arbeitenden Fußraste das Scherengitter des Fahrstuhls, schloss es aber sogleich wieder, da der Fahrstuhl offensichtlich infolge einer Betriebsstörung wider Erwarten nicht zum Stillstand kam. Hierbei erlitt die Frau, die im Augenblick des antizipierten Stillstands an die Tür getreten war, von der sich wieder schließenden Scherengittertür einen Schlag gegen die Schulter. Das RG sprach dem Kläger Schadensersatz zu. Der Eigentümer eines Warenhauses, der seinen Kunden einen Fahrstuhl zur Verfügung stellt, sei verpflichtet, für den verkehrssicheren Zustand des Fahrstuhls zu sorgen. Diese Verpflichtung bestehe unabhängig davon, ob und welche vertraglichen Beziehungen im Einzelfall zwischen dem Warenhaus und seinen Besuchern bestünden. Sie folge schon daraus, dass der Eigentümer des Warenhauses durch dessen Betrieb einen Verkehr eröffnet und dadurch die Gewähr übernommen habe, die diesem Verkehr zur Verfügung gestellten Einrichtungen in einem ordnungsgemäßen, ihre gefahrlose Benutzung ermöglichenden Zustand zu erhalten. Zwar sei die Ursache der Betriebsstörung nicht feststellbar; auch sei die Verletzung der Frau des Klägers nicht durch den Betriebsvorgang selbst herbeigeführt worden. Dennoch sei die Schädigung „mittelbar“ durch die Betriebsstörung veranlasst, weil nur diese den Fahrstuhlführer genötigt habe, die soeben geöffnete Scherengittertür alsbald wieder zu schließen.361 358

Vgl. OLG Celle VersR 1959, 111: monatlich zweimalige Kontrolle ausreichend; AG Heidelberg VersR 1988, 1270: Wartung alle 4 Wochen genügt. 359 In SeuffA., Bd. 88 Nr. 52. 360 Vgl. anschaulich zur Entwicklung der Fahrstühle und Rolltreppen in Warenhäusern vor und nach dem 2. Weltkrieg: Kaufhof Warenhaus AG (Hrsg.), Erlebniswelt Kaufhof, S. 72 ff. 361 RG a. a. O., ebd.; vgl. auch die unveröffentlichte Entscheidung des RG v. 08.07.1929 – VI. 759/28. In dem Fall kam es zu Verletzungen, weil der Fahrstuhl zu heftig aufsetzte.

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Die Entscheidung ist für die damalige Zeit bemerkenswert weitsichtig und enthält grundsätzliche Aussagen über die Funktion der Verkehrspflicht. Mit der Gewährleistung der allen technischen Anforderungen entsprechenden Betriebssicherheit des Aufzugs ist der Verkehrssicherungspflicht des Inhabers in der Regel Genüge getan. Über die übliche Wartung hinaus hat er allenfalls zu gewährleisten, dass der Fahrstuhl eine für Rollstühle und Kinderwagen geeignete Größe hat und überdies in punkto Fahrgastsicherheit über ein in beiden Richtungen funktionierendes Kommunikationsund Notdienstsystem verfügt.362 Keinesfalls braucht sich der Geschäftsbetreiber auf missbräuchliches und zweckwidriges Verhalten der Benutzer einzustellen. So betonte das OLG Celle in einer Entscheidung aus dem Jahr 1957363: „Bei der Vielfalt der Gefahren der heutigen Verkehrseinrichtungen muss von jedem Teilnehmer selbst ein erhebliches Maß an Achtsamkeit gefordert werden.“ Angesichts des unausgesetzten technischen Fortschritts muss dieser Programmatik wohl aus heutiger Sicht gesteigerte Bedeutung zukommen. In dem zitierten Fall erlitt die Klägerin dadurch einen Unfall, dass sie in der Absicht, den in dem Geschäftshaus der Beklagten eingebauten Selbstfahreraufzug zu benutzen, im Erdgeschoß die zufällig ungesicherte Tür des außer Betrieb gesetzten Aufzugs öffnete und in den Aufzugschacht stürzte. Dem Betreiber, so das OLG, könne nicht der Vorwurf einer Verkehrssicherungspflichtverletzung gemacht werden. Mit dem deutlich sichtbaren Aushang des Schildes „Außer Betrieb“ habe er alles getan, was von ihm – auch in Kenntnis der technischen Störung des Fahrstuhls – zu verlangen war. Wenn die Klägerin gleichwohl das Schild übersehen und zudem versucht habe, auch dann noch den Fahrstuhl zu betreten, als sich vor ihr beim Öffnen der Tür ein dunkler Abgrund auftat, so handele es sich um einen bedauerlichen Unfall, den sie sich allerdings selbst zuzuschreiben habe.364 Auch hierbei geht es um schutzwürdige Erwartungshaltungen und um die Frage, wann sich der Pflichtige in dem Vertrauen, der Kunde werde sich 362 Bis zur Novellierung der AufzugsVO durch die Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) vom 27.09.2002 musste gemäß § 20 ein jeder, der eine Aufzugsanlage betreibt, mindestens einen Aufzugswärter bestellen und diesen anweisen, die Anlage zu beaufsichtigen (Nr. 1) oder einzugreifen, wenn Personen durch Betriebsstörungen im Fahrkorb eingeschlossen werden (Nr. 4). Dieser Notwendigkeit bedarf es nun nicht mehr. Allerdings hat nach § 12 Abs. 3 BetrSichV derjenige, der Aufzugsanlagen betreibt, sicherzustellen, dass auf Notrufe aus einem Fahrkorb in angemessener Zeit reagiert wird und Befreiungsmaßnahmen sachgerecht durchgeführt werden (20 min nach TRA 007 bzw. max. 30 min nach TRA 106 [Fernnotrufe]). 363 In: VersR 1959, 111. 364 OLG Celle a. a. O., ebd.; vgl. zu einem ähnlichen Fall OLG Bremen VersR 1966, 694.

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auf die Herabsetzung der Verkehrssicherungspflicht einstellen, auf die Wirksamkeit seiner Verbotsschilder verlassen kann – ein Aspekt, auf den später noch zurückzukommen sein wird. Zunächst gilt, dass auch bei vorschriftsmäßig gewarteten Aufzügen der Aufzugbenutzer nicht stets von einem gänzlich gefahrfreien Verkehr ausgehen darf. Im Fall des LG München365 verletzte sich die Klägerin, als sie als Reiseteilnehmerin in einem Hotel in Portugal stolperte, weil der Fahrstuhl 15 bis 17 cm oberhalb des Flurs stoppte. Selbst nach deutschen Sicherheitsnormen, so betonte das LG, dürfe sich eine Fahrstuhltür öffnen, solange die Stufenbildung nicht über einen Toleranzrahmen von plus/minus 25 cm hinausgehe. Stolperschwellen seien selbst bei ordnungsgemäß installierten Aufzügen systemimmanent und unvermeidbar. Ein Stoppen innerhalb des Toleranzrahmens lasse daher nicht den Schluss auf einen erkennbaren Defekt oder auf mangelhafte Kontrolle oder Wartung der technischen Anlage zu.366 Der Kunde muss sich demnach auf gewisse Gefahren einstellen. Andererseits darf die Schwelle zur Überschreitung der Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsinhabers nicht zu hoch sein: Der Fahrstuhl bringt ihm wirtschaftlichen Nutzen durch höhere Kundenzahlen, die die Erlebnis- und Komfortsteigerung in aller Regel sehr schätzen. Ist dies von ihm intendiert und zieht er den Vorteil aus der Bereitstellung, so muss er grundsätzlich auch für die sich hieraus entwickelnden Gefahren einstehen. e) Schaufenster Entscheidungen zu Unfällen im Zusammenhang mit Schaufenstern sind – soweit ersichtlich – rar, was schlicht damit zusammenhängt, dass selten Unfälle in diesem Bereich passieren. Im Fall des OLG Düsseldorf vom 11.04.1984367 waren Personen von einer umfallenden Schaufensterscheibe erfasst und verletzt worden. Das Gericht bejahte einen Ersatzanspruch und konstatierte: Wer ein Ladengeschäft mit Schaufenstern betreibe, müsse sich auch vergewissern, dass sie den jeweiligen, nicht nur den früheren, DIN-Normen entsprächen. Schließlich gäben diese Normen auch den jeweiligen Stand des technischen Wissens darüber wieder, was zur Gefahrenabwehr erforderlich sei. Dies setze in con365

LG München MDR 1992, 457. LG München a. a. O. ebd.; vgl. dazu auch AG Heidelberg VersR 1988, 1270: „Dass Unebenheiten in Aufzügen vorkommen, ist bekannt“. In dem Fall betrug die Schwelle etwas über 6 cm. 367 In: DB 1984, 1772. 366

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creto eine in gewissen Abständen zu wiederholende Kontrolle der Befestigungsvorrichtungen voraus. Vorliegend hatte sich der beklagte Ladeninhaber, was eben diese Kontrolle anbelangt, seines Bauleiters als Verrichtungsgehilfen bedient.368 Da dieser lediglich eine äußerliche Begutachtung vornahm und auf eine genauere Untersuchung der Scheibenbefestigung durch Abnehmen wenigstens der oberen Abdeckleisten verzichtete, verletzte er zwar nicht die „übliche“, aber doch die im Verkehr „erforderliche“ Sorgfalt (vgl. § 276 Abs. 2 BGB), was die Beklagte gemäß § 831 Abs. 1 BGB haftbar machte.369 Auch Schaufensterscheiben bedürfen mithin, ebenso wie Fahrstühle und Rolltreppen, einer regelmäßigen Kontrolle und Nachsicht, was nicht zuletzt mit ihrem nicht unerheblichen Gefährdungspotential für Passanten und Besucher des Geschäfts zusammenhängt.370 f) Pendel-/Schiebetür Der Fortschritt moderner Kauf- und Warenhäuser zeigt sich gut an der Entwicklung ihrer Eingangstüren. Automatische Schiebetüren, die den Kunden den Eintritt ins Kaufhaus erleichtern und ihn zum Betreten auffordern sollen, haben größtenteils die traditionellen Pendeltüren der 50er Jahre abgelöst. Noch 1954 verwarf der BGH371 die Ansicht des LG Berlin372 ein halbes Jahr zuvor im Hinblick auf das Anbringen eines Türstoppers. Dieses sei verkehrssicherungstechnisch erforderlich, um ein übermäßiges Zurückschwingen der Pendeltür zu verhindern. Allerdings misst das Gericht der bautechnischen Besonderheit des Kaufhauses (Schrägstellung der Türen) und damit einem deutlichen Unterschied zum LG-Fall nicht unerheblichen Entscheidungseinfluss bei.373 Aus heutiger Sicht wird das Anbringen von Türstoppern bei Pendeltüren nicht zwingend erforderlich sein, um der Verkehrssicherungspflicht gerecht zu werden. Das Zurückschlagen derartiger Türen ist generell bekannt, es handelt sich also um Gefahren, auf die sich 368

OLG Düsseldorf a. a. O., S. 1773. Eine Exkulpation nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB schied aus. 370 Vgl. auch OLG Koblenz BB 1997, 1712: Ist eine 5,8 mm starke und 305  235 cm große Schaufensterscheibe schon mehr als 40 Jahren eingebaut und ständig Einwirkungen von außen ausgesetzt, so reicht es dem Eigentümer zum Verschulden, wenn er sie nicht durch ein qualifiziertes Fachunternehmen auf Bruchsicherheit überprüfen lässt. 371 Urt. v. 10.02.1954 in VersR 1954, 177. 372 Urt. v. 15.06.1953 in VersR 1953, 325. 373 Vgl. BGH a. a. O., S. 178. 369

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

jeder einstellen kann und mit denen man im Allgemeinen auch rechnet. Die Rechtsprechung scheint sich – obwohl sie, soweit ersichtlich, in den letzten Jahren keinerlei Gelegenheit bekam, sich zu einem derartigen Fall zu äußern – dieser Betrachtung anzuschließen. Dies lässt sich zumindest dem Fall des OLG Koblenz374 zur Bewegung einer automatischen Schiebetür entnehmen. Hier war die Klägerin gegen die noch geschlossene Tür gelaufen, die sich, ausgelöst durch den Bewegungsmelder, erst beim „Zurücktaumeln“ der Kundin öffnete. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht, so das OLG, liege nicht vor. Ein solche beginne erst dort, wo Gefahren nicht ohne weiteres erkennbar aufträten, was bei automatischen Schiebetüren dann der Fall wäre, wenn sie atypische, unerwartete Funktionen zeigten. Die zeitliche Verzögerung, die zwischen der Aktivierung des Bewegungsmelders und dem Abschluss des Öffnungsvorgangs liege, sei aber allgemein bekannt und keineswegs untypisch. Ein Vertrauenstatbestand dahingehend, dass eine automatische Tür in jedem Fall geöffnet sei, wenn der Türbereich erreicht sei, bestehe jedenfalls nicht. Vielmehr sei es völlig normal und im Übrigen technisch bedingt, dass derartigen Türen eine gewisse Zeit bis zur Öffnung benötigten, gerade wenn der Kunde schnell oder seitlich auf sie zugehe.375 Das Urteil ist die konsequente Fortsetzung einer Rechtsprechung, die den Geschäftsinhaber durchaus strikt in die Pflicht nimmt (vgl. nur die zitierten Entscheidungen zur Reinigungspflicht bei Fußböden), seine Verkehrssicherungspflicht jedoch an übermäßigen Sicherheitserwartungen des Kunden enden lässt. Damit ist der Betreiber in Bezug auf Schiebe- und Flügeltüren allenfalls gehalten, sie in einem ordnungsgemäßen und funktionstüchtigen Zustand zu erhalten, der es verhindert, dass potentielle Gefahrenquellen für Besucher entstehen. g) Ein- und Ausgänge Die Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsbetreibers umfasst grundsätzlich auch die Zu- und Abgänge des Geschäftslokals.376 Sie endet allerdings nicht an der formalen Grundstücksgrenze, sondern erstreckt sich auch auf 374

OLG Koblenz MDR 2000, 1375. OLG Koblenz a. a. O., ebd. Die Dauer von einer Sekunde bis zur Öffnung nach Näherung einer Person auf 90 bis 100 cm ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Eines besonderen Hinweises auf die zeitverzögerte Öffnung der Tür bedarf es i. d. R. nicht, vgl. LG Lüneburg, Urt. v. 31.08.1999, Az: 9 O 142/99, unveröfftl. Siehe hierzu auch AG Kempten VersR 1993, 200. 376 OLG Koblenz OLGZ 1993, 334 (335); des Weiteren kann auf die einschlägige Rspr. zum privaten Verkehrsbereich verwiesen werden, wonach bei Verlassen des Grundstücks der Besucher nicht unverhofft in eine besondere Gefahrenlage geraten 375

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den unmittelbaren Antrittsbereich vor dem Eingang, soweit die Benutzung durch Kunden, die das Lokal betreten oder verlassen wollen, nahe liegt.377 Was diesen Bereich der zuführenden Wege anbelangt, konkurriert u. U. die Pflicht des Inhabers zum einen mit der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht der Gemeinde für öffentliche Wege, zum anderen mit der des Hauseigentümers bzw. Vermieters (soweit er nicht mit dem Betreiber identisch ist).378 Fußgänger und Besucher der Geschäftsläden haben sich auf Niveauunterschiede zwischen den verschiedenen Bodenbelägen, also gerade auch beim Übergang von Privatgrundstücken zum öffentlichen Bürgersteig, einzustellen.379 Eine Sicherungspflicht vor dem Ladengeschäft kommt schließlich auch dann in Betracht, wenn eine solche formal an sich nicht bestünde, der Ladeninhaber aber dennoch (freiwillig) die Organisation der Reinigungsmaßnahmen übernimmt und hieraus Gefahren für potentielle Kunden erwachsen (typisches Beispiel für die Fallgruppe der freiwilligen Übernahme von Aufgaben).380 Die Verkehrspflicht des Ladeninhabers erstreckt sich nur auf diejenigen Räumlichkeiten, die der Kunde auch zur Tätigung des Kaufs in Anspruch nimmt. Ausgenommen von der Sicherungspflicht sind damit Lager- und Personalräume sowie alle sonstigen Stätten, die nur dem geschäftsinternen Verkehr Zutritt gestatten. 2. Kundenparkplatz Die Sicherungsleistungen des Geschäftsinhabers erschöpfen sich nicht im Verkaufsraum, sondern beziehen auch die angrenzenden betriebsangehörigen Areale ein, also auch den Kundenparkplatz.

darf, vgl. BGH LM § 823 (Dc) Nr. 72 = NJW 1966, 40; OLG Frankfurt a. Main VersR 1972, 470 und weiter BGH MDR 1982, 826. 377 Für einen zur Abdeckung eines Kellerschachts dienenden Gitterrost unmittelbar vor dem erhöhten Eingangsbereich eines Ladenlokals: OLG Köln VersR 1999, 1297. 378 OLG Köln VersR 1999, 1297; abweichend noch – Haftung der Gemeinde für den Gehweg vor dem Laden – OLG Koblenz VersR 1979, 965; OLG Düsseldorf Urt. v. 18.10.1991, Az: 22 U 62/91, unveröfftl. S. a. Hoppmann, Zivilrechtliche Haftung, S. 69. Siehe zur vorrangigen Haftung des Grundstücksinhabers, sofern der Zugang nicht an den Ladeninhaber vermietet wurde, OLG Köln VersR 1990, 320 = NJW-RR 1990, 224. 379 OLG Oldenburg VersR 1995, 599. 380 OLG Braunschweig VersR 1990, 869.

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a) Einkaufswagen Die meisten Schäden im Zusammenhang mit Kundenparkplätzen resultieren aus Kollisionen mit „herrenlosen“ Einkaufswagen. Gleichwohl sind Entscheidungen in diesem Bereich deutlich zurückgegangen, was offensichtlich mit der erhöhten Bereitschaft der Betreiber zur Investition in die Gefahrenprävention zusammenhängt. Noch in den 80er Jahren bestand über das Anforderungsprofil der Verkehrssicherungspflicht im Hinblick auf von Kunden zurückgelassene Einkaufswagen Unsicherheit, wozu nicht zuletzt die oftmals divergierende Rechtsprechung beitrug. 1986 betonte das AG Marbach, der beklagte Geschäftsinhaber habe durch das Einrichten einer Sammelstelle für die Einkaufswagen und das Anbringen zweier großer Hinweisschilder die sie treffende Verpflichtung zur Gefahrenvorsorge erfüllt.381 Weitergehende Maßnahmen würden nur den Einsatz zusätzlichen Personals erfordern, was unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kaum zumutbar wäre. Genau diese Zumutbarkeitskomponente ist es jedoch, die in den Folgejahren die Verkehrssicherungspflichten der Unternehmen verschärft. Parkflächen und Einkaufswagen steigern das Komforterlebnis des Kunden durch rationellen und aufwendungsarmen Einkauf. Dies sichert zugleich einen höheren Profit des Unternehmens. Ist dies ein unübersehbarer Vorteil, so müssen sie im Gegenzug auch die Sicherheit des Konsumenten garantieren. Dies kann nicht bei der schlichten Einrichtung einer Sammelstelle für Einkaufwagen enden. So ist die Ausstattung mit einem Pfandsystem bzw. Absperrvorrichtungen inzwischen bei einer deutlichen Mehrheit der Anbieter selbstverständlich und im Übrigen auch finanziell zumutbar. Wo dies nicht der Fall ist, ist der Einsatz ständig präsenten Überwachungspersonals zu fordern, die die zurückgelassenen Korbwagen einsammeln.382 Die Stärke des Personals hat sich dabei nach Witterungsbedingungen, Kundenfrequentierung und Größe des Kundenparkplatzes zu richten. Der Einsatz von Feststellbremsen wird wohl nur auf stark abschüssigem Gelände gefordert werden können383 und hat sich bislang in der Geschäftspraxis (anders als beispielsweise im Flughafen- oder Bahnhofsverkehr) nicht durchgesetzt.384

381

In: VersR 1986, 1246. LG Marburg VersR 1986, 668; LG Berlin VersR 1988, 720 (721); LG Köln VersR 1989, 1280 (1281). 383 LG Berlin a. a. O., ebd.; LG Amberg NJW-RR 1992, 1120. 384 Zum Ganzen siehe v. a. unter 1. Teil, B. IV. 4. 382

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b) Räum- und Streupflicht Die Rechtsprechung zur Räum- und Streupflicht im Bereich der Kundenparkplätze ist nur im Vergleich mit der zu öffentlichen Parkplätzen zu verstehen, die sich als leicht abweichend darstellt. Grundsätzlich hängt die öffentliche Straßenverkehrssicherungspflicht von der Art und Wichtigkeit des Parkplatzes ab, aber auch von der Stärke des Verkehrsaufkommens. Eine generelle Streupflicht besteht also nicht. Die Rechtsprechung lehnt sich an die zum Schutz von Fußgängern auf Fahrbahnen bei Winterglätte entwickelten Grundsätze an. Danach müssen nur die belebten, über Fahrbahnen führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege innerhalb geschlossener Ortschaften bestreut werden. Dabei genügt es, eine sichere Verbindung zwischen den verschiedenen Orts- oder Straßenteilen zu schaffen, falls diese den Verkehr tragen kann und die Verkehrsteilnehmer nicht zu übermäßigen Umwegen nötigt.385 Diese Einschränkung resultiert aus der schlichten Unmöglichkeit alle Straßen oder Plätze im Winter völlig gefahrlos zu gestalten und zu erhalten. Bezogen auf öffentliche Parkplätze bedeutet dies, dass nur die von Kfz befahrenen Teile zum Schutze der ausgestiegenen Fahrzeuginsassen bestreut werden müssen, und das nur, wenn die Wagenbenutzer diese Teile nicht nur mit wenigen Schritten betreten müssen und es sich um einen belebten Parkplatz handelt.386 Belebt soll ein Parkplatz in diesem Sinne nur dann sein wenn er entweder eine große Ausdehnung (großes Fassungsvermögen) hat oder einen schnellen Fahrzeugwechsel aufweist, trotz kleinerer Größe.387 Der Pflichtige braucht demnach große Plätze nicht völlig zu bestreuen, er kann sich damit begnügen, Vorsorgemaßnahmen dort einzuleiten, wo der Verkehr ein sicheres Betreten des Platzes verlangt, wobei es wie bei Fahrbahnen genügt, dass er eine sichere Möglichkeit zum gefahrlosen Verlassen des Parkplatzes oder Erreichen des Wagens schafft.388 All diese Grundsätze gelten bei Kundenparkplätzen nach gefestigter Rechtsprechung nicht.389 Hier kommt es nicht auf Größe und Frequentierung des Platzes an, der Betreiber ist in jedem Fall verkehrspflichtig. Dies ist einsichtig, stellt man wiederum in Rechnung, dass der Parkplatz dem Inhaber dient, mehr Kunden in den Laden zu locken. Die erhöhte Fürsor385 St. Rspr. BGH VersR 1959, 1027; VersR 1963, 661; beachte auch die einschlägige Literatur: Schlund DAR 1988, 6 ff. 386 BGH VersR 1966, 90 (92) = NJW 1966, 202 (204); OLG Köln VersR 1983, 162. 387 BGH a. a. O., ebd. 388 BGH VersR 1991, 665. 389 OLG Düsseldorf VersR 2000, 1381.

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gepflicht ist damit die Kehrseite des wirtschaftlichen Vorteils. Zudem beinhalten Kundenparkplätze eine von öffentlichen Parkplätzen abweichende Zweckrichtung. Sie sind in der Regel nur zur kurzfristigen Benutzung (eben so lange, wie der Kunde für den Einkauf braucht) vorgesehen und dienen nicht nur dem Abstellen von Kfz, sondern auch zum Be- und Entladen der Waren. Aufgrund dieser erweiterten Zweckbestimmung der Kundenparkplätze ergeben sich gesteigerte Verkehrssicherungspflichten.390 So ist der Geschäftsinhaber gehalten, vor der Geschäftsöffnung durch geeignete Maßnahmen den Besuchern des Parkplatzes eine weitgehend ungefährdete Benutzung zu ermöglichen. Dies umfasst die Gefahrenvorsorge für nahezu das gesamte Parkplatzgelände. Zwar betonte das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung aus den frühen 90er Jahren, ein Räumen oder Abstreuen aller Flächen sei nicht erforderlich.391 Vielmehr genüge es im Allgemeinen dadurch für die Sicherheit der Fußgänger zu sorgen, dass Fußpfade geräumt bzw. abgestreut werden und so den Wageninsassen von allen Stellplätzen aus ein weitgehend ungefährdetes Verlassen und Wiederaufsuchen ihrer Fahrzeuge ermöglicht werde. Die Aussage erweckt den Eindruck, die Verkehrssicherungspflicht beziehe sich nur auf einen begrenzten Teil des Geländes. Dann aber ist es nur schwer vorstellbar, welche Stellen auf dem Parkplatz nicht der Streupflicht unterfallen sollen, wenn doch allen Besuchern gleichmäßig der Zugang zum Geschäft vom Parkplatz aus geschaffen werden soll. Es kann sich dann offensichtlich nur um Plätze handeln, an denen ein Parken oder Halten nicht möglich ist – derer wird es auf einem Parkplatz nicht viele geben. Zu denken wäre allenfalls an die Parkplatzauffahrt bzw. die Sammelstelle für Einkaufswagen. Dass hier eine Streupflicht nicht unterbleiben darf, ist aber wohl als Selbstverständlichkeit anzusehen. Die Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsinhabers hat sich damit auf das gesamte Parkplatzgelände zu erstrecken, ausgenommen der Flächen, die vom Besucher ersichtlich nicht im Zusammenhang mit der Tätigung des Einkaufs betreten werden (Liefereingang, Mülltonnen, Grünflächen).392, 393 390

Vgl. LG Mannheim VersR 1993, 492. In: VersR 1992, 847. 392 Für eine Befreiung von der Streupflicht nur bei Freiflächen, die weder für den Fahrverkehr noch als Kundenparkplatz bestimmt sind auch OLG Düsseldorf VersR 1999, 119. Vgl. auch die Entscheidung des AG Bad Wildungen VersR 1992, 1491, wonach eine Verkehrssicherung der auf dem Kundenparkplatz befindlichen Müllcontainer dann nicht in Betracht komme, wenn bereits von der Müllabfuhr durch Verschließen der Rollen am Container entsprechende Vorsorge getroffen wird; s. a. LG Nürnberg-Fürth VersR 1993, 1498 zum angrenzenden Zierteich. 393 Auch hier spielt der Aspekt der schutzwürdigen Erwartungshaltung des Betreibers mit hinein. Dieser darf darauf vertrauen, dass Kunden sich von Plätzen fern halten, an denen sie nichts zu suchen haben. 391

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Das Maß der einzuhaltenden Vorsorge richtet sich danach, was einerseits zur Sicherung des Verkehrs, dem die Verkehrseinrichtung dient, erforderlich und andererseits dem Pflichtigen zumutbar ist.394 In einer Entscheidung des OLG Düsseldorf aus dem Jahr 1999395 rutschte die Besucherin eines Einkaufsmarktes auf einer 30–40 cm großen gefrorenen Regenpfütze aus, die sich auf dem Parkplatzgelände gebildet hatte. Nach Ansicht des Gerichts war es dem Personal durchaus zumutbar den Parkplatz so zu untersuchen, dass auch eine vergleichsweise kleine Eisfläche oben genannter Größe erkennbar war. Da der Parkplatz eine überschaubare Fläche von 20  30 m aufweise, wäre dies auch ohne großen Zeitaufwand möglich gewesen.396 Der Streupflicht selbst ist in der Regel durch Verwendung abstumpfender Mittel nachzukommen. Sie hat noch vor Geschäftsbeginn einzusetzen397 und endet erst nach Ladenschluss. Entsteht eine Glätte erst im Laufe des Tages, muss dem Pflichtigen eine angemessene Zeit eingeräumt werden, auf die veränderten Verhältnisse zu reagieren. Zwecklose Maßnahmen können überdies nicht verlangt werden. Ist der Schneefall also so dicht, dass er alle Streumittel unaufhörlich bis zu deren Wirkungslosigkeit bedeckt, ist eine ständige Streuung sinnlos. Hier muss dem Verantwortlichen wiederum eine angemessene Zeit belassen werden, nach Aussetzen des Schneefalls etwaige Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dennoch befreit anhaltender oder drohender Schneefall nicht stets von der Verkehrssicherungspflicht. Vielmehr sind Stärke und Struktur des Schnees sowie die Beschaffenheit des Bodens in Rechnung zu stellen. Hier gelten im Wesentlichen die Grundsätze, die die Rechtsprechung schon in Bezug auf allgemeine öffentliche Parkplätze entwickelt hat.398 Schafft ein leichter Schneefall nur eine dünne Schneedecke, die durch den Verkehr schnell zertreten wird, so dass grobe Streumittel noch ausreichende Wirkung zeigen, muss trotz des Schneefalls gestreut werden. Ein Herabsenken der Fürsorgepflicht kommt dann nicht in Betracht. Die Erstreckung der Streupflicht auf sämtliche Flächen, die der Kunde regelmäßig im Zusammenhang mit seinem Kauf abschreitet, ist dem Betreiber auch unter finanziellen Gesichtspunkten zumutbar. Dies gilt gerade vor dem Hintergrund der im Vergleich zu öffentlichen Verkehrsflächen überschaubaren Größe der Kundenparkplätze. Eine verkehrssichere Gestaltung 394

OLG Düsseldorf VersR 2000, 1381. In: VersR 2000, 1381 = MDR 2000, 519 = NJW-RR 2000, 696. 396 OLG Düsseldorf a. a. O., ebd. 397 So wird verhindert, dass eine Streuung nicht mehr möglich ist, weil Kundenparkplätze schon belegt sind. 398 RGZ 133, 226; BGH VersR 1963, 1047; VersR 1966, 90 (92). 395

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ist hier viel eher möglich und unter Kostengesichtspunkten auch mit verhältnismäßig geringem Aufwand an Personal realisierbar.399 Der Parkplatz ist schließlich auch bei Dunkelheit zu beleuchten; das Fehlen einer Kundentoilette begründet für sich genommen noch keine Haftung, wenn der die Notdurft Verrichtende sich ausweichend auf eine vereiste Böschung begibt und dort zu Fall kommt.400 3. Produkthaftung des Händlers Verkehrspflichten sind auch, aber nicht lediglich Pflichten, die eine Verursacherhaftung auslösen. Sie installieren eine Verantwortlichkeit für jedweden, der mit einer Gefahrenquelle in Berührung kommt, sie in irgendeiner Weise wenigstens mitbeherrscht oder in der Lage ist, begleitend Einfluss auf sie auszuüben. Daher setzen Verkehrspflichten beim Inverkehrbringen von Produkten nicht ausschließlich bei deren Herstellung an (sog. Produzentenpflicht), sondern erstrecken sich darüber hinaus auf jeden, der im Verlauf des Vertriebsweges eine Beziehung zum Produkt hält und nicht zuletzt von dessen Distribution profitiert.401 Dies begründet im Sinne einer Produkthaftung (nicht Produzentenhaftung, die Produkthaftung kreiert eigene, händlerspezifische Verkehrspflichten, ohne dass das Produkthaftungsgesetz den Händler adressiert402) auch die Einstandspflicht des Händlers,403 der eigent399

LG Mannheim VersR 1993, 492 (493). OLG Koblenz OLGZ 1993, 334 (335); anders dann, wenn der Verkehrspflichtige damit rechnen musste, dass Besucher des Parkplatzes mangels vorhandener Sanitäreinrichtungen das angrenzende Gelände zum Austreten aufsuchen, vgl. den Fall des BGH VersR 1966, 562, in dem ein Parkplatzbenutzer bei der Suche nach einem passenden Ort zur Verrichtung der Notdurft einen etwa 10 m tiefen Abhang hinunterfiel. 401 Siehe Dunz/Kraus, Haftung für schädliche Ware, S. 75: „Haftungsbegründend ist das Inverkehrbringen“. 402 So ausdrücklich BGH Urt. v. 11.12.1979 in Schmidt-Salzer, Produkthaftung, ES Nr. II.2, S. 212; BGH Urt. v. 05.05.1981 in NJW 1981, 2250 = BB 1981, 1239; LG Konstanz Urt. v. 04.12.1981 in Schmidt-Salzer, a. a. O., ES Nr. III.43; vgl. auch Brüggemeier WM 1982, 1294 (1307); ders., DeliktsR, Rn. 603; Kossmann NJW 1984, 1664 ff.; Kullmann, Aktuelle Rechtsfragen, S. 60. Den Gedanken derartiger händlertypischer Gefahrabwendungspflichten enthält – wenngleich noch merklich undifferenziert – bereits das Urteil des RG v. 17.01.1940 in RGZ 163, 21. Darin stellte das Gericht fest, dass „derjenige, der ein nicht verkehrssicheres Kfz, sei es als Hersteller, sei es als Verkäufer, in den Verkehr bringt, eine allgemeine Rechtspflicht verletzt und im Rahmen der §§ 823, 826 BGB für die hierdurch verursachten Schäden haftet“. Dass die Rechtspflichten zwischen Hersteller und Händler dennoch divergieren, erkannte der BGH in seinem Urt. v. 05.07.1960 in VersR 1960, 855. 403 Der Begriff des Einzelhändlers in der betriebswissenschaftlichen Literatur s. 1. Teil, B. II. 400

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lich nur Schnittstelle zwischen Produktion und Verbrauch ist. Die Ausdehnung der Verantwortlichkeit erscheint angemessen, weil der Händler im Verlauf des Inverkehrbringens unmittelbaren Einfluss auf das Produkt hat und nicht selten weitere Gefahren durch ihn erst verursacht werden. Das eigentliche Risiko dieser arbeitsteiligen Erfüllung von Verkehrspflichten liegt hierbei in der leichtfertigen Umwälzung herstellertypischer Sorgfaltspflichten auf den Verkäufer, der de facto weder finanziell noch organisatorisch dem Hersteller gleichsteht. Infolgedessen erscheint es notwendig einen adäquaten Kompromiss zwischen zu hohen Verkehrserwartungen und überflüssiger Entlastung des Betreibers zu finden. a) Haftung für Produzentenfehler Dabei sind sich Rechtsprechung404 und weit überwiegendes Schrifttum405 im Bemühen um diesen Mittelweg im Grundsatz einig, dass die HändlerProdukthaftung keine Restitutionspflicht für originäre Herstellerfehler konstituiert. Dies gilt insbesondere für Konstruktions-406 und Fabrikationsfehler,407 bei denen dem Händler in der Regel von vornherein schon die Möglichkeit und das Know-how zur Gefahrenerkennung und -vermeidung fehlen werden.408 Mithin kann sich im Grundsatz der Händler darauf verlassen, dass seitens des Herstellers ein vernünftiger Sicherheitsstandard ge404

RG LZ 1907, 429; RGZ 125, 76 (78); BGH NJW 1968, 2238 (2239); OLG Zweibrücken NJW 1987, 2684 (2685); OLG Nürnberg NJW-RR 1993, 1300 (1304 f.); OLG Celle NJW-RR 1997, 1456 (1457); OLG Bamberg NJW 1998, 2228, w. Nachw. bei Graf von Westphalen-Foerste, Produkthaftungshandbuch, § 26 Fn. 32. 405 Schmidt-Salzer, a. a. O., Rz. 4.394; Graf von Westphalen-Foerste, a. a. O., § 26 Rn. 20; Graf von Westphalen JURA 1983, 133 (134); Köhler BB 1985 Beil. 4, 10 (11); Fuchs JZ 1994, 533 (539); Baumgärtel JA 1984, 660 (666); Kullmann NJW 1997, 1746 (1750); MüKo-Wagner, § 823 Rn. 561; abweichend Scholl/Leitzinger MDR 1981, 718 (719) und Kuchinke in: FS für Laufke, S. 121, der richtig konstatiert, dass man Apotheker oder Drogisten nicht zumuten könne, die verpackten Artikel auf ihre Fehlerhaftigkeit und Unschädlichkeit im Gebrauch zu untersuchen, aber dennoch eine Verantwortlichkeit annimmt, da mit dem Fortschritt der „Fertigungstechnik“ ein ebensolcher der „Kontrolltechnik“ einhergehe. Worin dieser jedoch – um bei den Beispielen zu bleiben – bei Apotheker oder Drogisten bestehen soll, bleibt offen. Er kann wohl nur in der zusätzlichen Anschaffung von Prüfgeräten zu sehen sein, die eine – kaum noch verhältnismäßige – weitere finanzielle Belastung der Betreiber bedeutete und die Produktpflicht erneut deutlich zu Lasten der Händler verschieben würde. 406 BGH NJW 1980, 1219 f. 407 OLG Hamburg VersR 1984, 793 (794). 408 Eine solche Pflicht folgt auch nicht aus § 377 HGB, der lediglich eine Obliegenheit zur Warenuntersuchung des Händlers gegenüber seinem Verkäufer normiert und bei Nichtvornahme etwaige Sachmängelgewährleistungsansprüche abschneidet.

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währleistet wird, er braucht keine eigenen Wareneingangskontrollen durchzuführen.409 Allerdings werden Ausnahmen zugelassen, vor allem, wenn ein konkreter Anlass zu einer besonderen Überprüfung besteht. Dies ist hauptsächlich dann der Fall, wenn der Verkäufer ersichtlich mangelhafte bzw. gefahrenträchtige Ware registriert.410 Eine gesonderte Prüfung wird auch dann notwenig, wenn dem Händler Schadensfälle im Zusammenhang mit dem von ihm vertriebenen Produkt bekannt werden.411 Die Möglichkeiten der Kenntnisnahme sind dabei vielfältig: Informationen aus Zeitung, Funk, Fernsehen, Internet, Verbraucherschutzorganisationen oder Kundenreklamationen zählen dazu. In diesem Fall gebietet es ihm seine Verkehrspflicht, den Hersteller um eine Stellungnahme oder Überprüfung der Schäden zu bitten und sich in der Folge zu vergewissern, dass dieser seiner Warnpflicht nachkommt.412 Geschieht dies nicht oder nur unvollständig, so hat der Händler den weiteren Vertrieb der Ware einzustellen.413 Dies gilt gerade bei hohem 409

Z. T. wird von der Rspr. dieses Vertrauen nur dann als berechtigt angesehen, wenn das Herstellerunternehmen „groß und renommiert“ ist, zumindest aber „zuverlässig“, vgl. BGH v. 11.12.1979 a. a. O., ebd.; LG Konstanz a. a. O., ebd. Gegen den Rechtsbegriff „groß und renommiert“ wenden sich entschieden Scholl/Leitzinger a. a. O., ebd. und das nicht zu unrecht. Richtig ist, dass eine eigene Untersuchungspflicht bei Zuverlässigkeit und Redlichkeit des Unternehmens umso weniger in Betracht kommt. Sie besteht jedoch mindestens ebenso wenig bei einem kaum bis gar nicht bekannten Hersteller ohne anerkannte Reputation (bspw. bei neuen Marktbewerbern). Wäre dies der Fall, würde der Händler Gefahrabwendungspflichten abhängig vom Bekanntheitsgrad des Unternehmens unterliegen und die i. Ü. auch nur dem Hersteller zukommen. Eine Ausnahme mag dann gelten, wenn der Vertreiber Kenntnis von krassen Mängeln bzw. Unzuverlässigkeiten im Unternehmen erhält, dazu sogleich. 410 BGH VersR 60, 855; BGH Urt. v. 05.04.1988 in Schmidt-Salzer, ES Nr. IV, 1, 13. Schmidt-Salzer, a. a. O., Rz. 4.385 will den Händler einer grundsätzlichen „Sichtprüfung“ aussetzen. Dies ist richtig und zumutbar, wenn sie nicht über eine oberflächliche, kurze Inaugenscheinnahme auf offensichtliche Fehler hinausgeht (offene Verpackungen, zersplittertes Glas etc.). I. Ü. sieht § 5 Abs. 1 Nr. 2 GPSG die Pflicht zur Stichprobe nur für Hersteller, Bevollmächtigte und Einführer vor. Vgl. auch LG Bonn JW 1921, 643: Prüfpflicht des Verkäufers bei bisher nicht verwendeten Stoffarten des Fabrikanten; dazu Zeitlmann Der Versicherungsnehmer 1951, 38 f. 411 BGH VersR 1960, 855; NJW 1968, 2238; VersR 1977, 839 = BB 1977, 1117; NJW 1980, 1219; NJW 1981, 2250; LG Frankfurt a. M. NJW-RR 1986, 658 (659); OLG München NJW-RR 1992, 287 = VersR 1992, 101. Eine sog. Ablieferungsinspektion bei Fahrzeugen, Maschinen etc. haben aber i. d. R. die letzten Händler in der Absatzkette zu erbringen, vgl. Lorenz, Haftung des Warenherstellers, S. 41. 412 Hodges/Tyler/Abbott, Product Safety, S. 140. Zur eigenständigen Warnpflicht des Vertreibers: BGH NJW 1995, 1286 (1289); dagegen Graf von WestphalenFoerste, a. a. O., § 26 Rn. 34. 413 Vgl. BGH Urt. v. 05.04.1988 a. a. O., ebd.; LG Frankfurt a. a. O., ebd. Ein Verkaufsstop beeinträchtigt den Warenumsatz von Hersteller und Vertreiber gleicherma-

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Gefährdungspotential der Güter (z. B. Arzneimittel).414 Diese so genannte passive Beobachtungspflicht umfasst auch die Verpflichtung des Händlers dafür zu sorgen, dass der Käufer die richtige Bedienungsanleitung sowie erforderliche Warnhinweise erhält.415 Ausnahmen bestehen des Weiteren vor allem im Lebensmittelrecht.416 Hier ist gemäß Kap. 2, Art. 5 (i. V. m. Kap. 1, Art. 1 Abs. 1 d, e der Allgemeinen Bestimmungen) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 (vormals § 4 LMHV) auch derjenige, der Lebensmittel in den Verkehr bringt, zur Wareneingangskontrolle verpflichtet. Der Betreiber hat hierfür ein betriebseigenes vorbeugendes Sicherheitssystem zu installieren, das eine Abgabe gesundheitlich unbedenklicher Lebensmittel gewährleistet.417 Dieses soll die im Betriebsablauf vorhandenen Gefahren für die Lebensmittelsicherheit und damit für die Gesundheit des Verbrauchers identifizieren, bewerten und beherrschen und so eine ständige Schwachstellenüberwachung garantieren. So hat der Lebensmitteleinzelhändler intensiver als bisher im Rahmen des HACCP-Verfahrens insbesondere verderbsgefährdete Lebensmittel laufend und in kurzen Abständen zu kontrollieren.418 Soweit es sich um fertig verpackte Waren handelt, hat er die Ware einer Sichtkontrolle dahin zu unterziehen, ob die Verpackung in ihrer äußerlich erkennbaren Beschaffenheit intakt ist. Bei sichtbaren Beschädigungen bzw. bei erkennbarem Schädlingsbefall ist die Ware aus dem Betrieb zu nehmen.419 Der Einzelhändler hat gegebenenfalls Stichproben durchzuführen. Geben diese Anhaltspunkte dafür, dass weitere Teile des Sortiments nicht mehr von einwandfreier Beschaffenheit sind, muss er diese Stichproben zur Untersuchung bringen.420 ßen, so dass er grundsätzlich nur als ultima ratio in Erwägung zu ziehen ist. Das meint, dass ein Herausnehmen von Waren aus einem bestehenden Sortiment nicht schon dann in Betracht kommt, wenn sich ein einzelner Kunde beschwert. Dieser verdient sicher Gehör durch die Vertriebsleitung, ein sofortiges Vertriebsverbot wäre allerdings unverhältnismäßig. Dies mag bei akuter Zunahme der Beschwerden etwas anderes sein, erst recht, wenn der Händler gesicherte Hersteller- oder Behördeninformationen erhält. 414 Vgl. König, Produktsicherheitsgesetz, S. 82: Reduzierung des Handlungsermessens auf Null. 415 Deutlich zu diesen Pflichten im Instruktionsbereich des Händlers: BGH NJW 1995, 1286; dazu Kullmann NJW 1996, 18 (23); s. a. Foerste NJW 1995, 909 (910). 416 Zum Ganzen siehe meinen Aufsatz in der ZLR 2006, 267 ff. 417 Dazu noch unter b) (1). 418 Noch unter der Regelung des alten Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes: Zipfel/Rathe, Vor § 51 Rn. 107. 419 Vgl. LG Koblenz LRE 33, 313; vgl. aber auch OLG Nürnberg ZfS 1983, 161: Überspannung der Sorgfaltspflicht, von einem Lebensmittelhändler, der einen Selbstbedienungsladen betreibt, zu verlangen, jedes einzelne Marmeladenglas auf Unversehrtheit zu überprüfen. 420 Zipfel/Rathe, a. a. O., ebd.

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Nach Überschreiten des gekennzeichneten Mindesthaltbarkeitsdatums muss sich der Einzelhändler durch häufigere Stichproben davon überzeugen, dass die Ware noch unverdorben ist.421 Der Händler ist jedoch nicht für die richtige Zusammensetzung des Lebensmittels – insbesondere nicht bei fertig verpackter Ware – verantwortlich und auch die Überprüfung des Zutatenverzeichnisses auf Vollständigkeit und Richtigkeit kann von ihm nicht verlangt werden.422 Jene Überprüfungs- und Warnpflicht ist abseits des Lebensmittelrechts auch Ausdruck der gesetzlichen Vorgabe des § 5 Abs. 3 Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (GPSG).423 Die Norm entspricht fast wortgleich dem früheren § 5 ProdSG. Danach ist der Händler424 gehalten dazu beizutragen, dass nur sichere Produkte in den Verkehr gebracht werden (Abs. 3 S. 1). Er darf insbesondere kein Produkt in den Verkehr bringen, von dem er weiß (Abs. 3 S. 2 Nr. 1) oder anhand der ihm vorliegenden Informationen oder aufgrund seiner Tätigkeit als Händler wissen muss (Abs. 3 S. 2 Nr. 2), dass es nicht sicher ist. Der vormals nicht ins ProdSG umgesetzte, nun aber in § 5 Abs. 2 GPSG integrierte Art. 5 Abs. 2 S. 2 der Produktsicherheits-RiLi (EG) 2001/95 (ABl. Nr. L 11 v. 15.01.2002, S. 4) verpflichtet den Händler zusätzlich durch Weitergabe von Hinweisen auf eine von den Produkten ausgehende Gefährdung, Aufbewahren und Bereitstellen der zur Rückverfolgung von Produkten erforderlichen Dokumentation und durch Mitarbeit an Maßnahmen der Hersteller und zuständigen Behörden zur Vermeidung von Gefahren mitzuwirken. Damit geht die Pflicht des Händlers einher, bei Kenntnis von der Unsicherheits- oder Gefahrenbehaftung eines Produkts die zuständigen Landesbehörden zu informieren (§ 5 Abs. 2, 3 S. 3 GPSG).425 Zugleich beantwortet das die Frage, ob der Händler nur passiv bei Kenntniserlangung von der Unsicherheit eines Produkts tätig werden muss oder ob er darüber hinaus bereits im Vorfeld aktiv an der Informationsgewinnung 421

Dies., a. a. O., ebd. VG Aachen GewArch 1985, 57; Zipfel/Rathe, a. a. O., Rn. 107a, 108. 423 Vom 06.01.2004, BGBl. 2004, I S. 2. Das GPSG führte das Gerätesicherheitsgesetz (GSG) und das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) unter Umsetzung der Produktsicherheitsrichtlinie (EG) 2001/95 (ABIEG L 11 v. 15.01. 02, S. 4) zu einem einheitlichen Geräte- und Produktsicherheitsgesetz zusammen. Vgl. zum Gesetz: Klindt/von Locquenghien/Ostermann, GPSG; Klindt NJW 2004, 465 ff.; Potinecke DB 2004, 55 ff.; Littbarski VersR 2005, 448 ff. 424 Gemäß § 2 Abs. 13 GPSG jeder, der gewerbsmäßig ein Produkt in den Verkehr bringt und nicht Hersteller, Bevollmächtigter oder Einführer ist. 425 Gemäß § 5 Abs. 2 S. 2 GPSG darf diese Unterrichtung nicht zur strafrechtlichen Verfolgung des Unterrichtenden oder für ein Verfahren nach dem OWiG verwendet werden. Klindt a. a. O., S. 469 hält sie zumindest für eine „Selbstanschwärzungspflicht“. 422

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teilhaben muss. Letzteres ist der Fall. Dies macht schon der Wortlaut von § 5 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 GPSG deutlich, wonach ein Vermarktungsverbot auch dann besteht, wenn der Händler um die Unsicherheit eines Produkts „hätte wissen müssen“. Damit wird ihm unter dem Diktat des Fahrlässigkeitsmaßstabs426 die Pflicht auferlegt, sich Informationen über die von ihm vertriebenen Produkte zu verschaffen.427 Dies bedeutete schon vor Streichung des ProdSG, dass dieser sich nicht nur unmittelbar vor Verkauf der Waren, sondern fortlaufend um sicherheitsrelevante Hinweise bemühen muss.428 Nach Schaffung des GPSG kann nun – zumal unter nahezu unverändertem Normentext in § 5 Abs. 3 – nichts anderes gelten. Es ist also am Einzelhändler, sich durch regelmäßige Fachlektüre429 oder der Teilnahme an Schulungen430 fortzubilden, um so sein Wissen ständig aufzufrischen.431 Durch die Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann wird der Händler ohnehin über weitaus fundiertere Kenntnisse verfügen als der Käufer, diese gilt es zu nutzen. Unterbleibt dies, wird er um den Vorwurf fahrlässiger Unkenntnis bezüglich der Sicherheitsmängel nicht herum kommen. Dies gilt erst recht, wenn der Vertreiber Mitteilungen oder Anhaltspunkte, die er von Behörden, Herstellern oder Kunden erhält und die Rückschlüsse auf die Fehlerhaftigkeit eines Produkts zulassen, bewusst ignoriert und missachtet. Nichts wesentlich anderes gilt, wenn der Händler Kenntnis von schlechter Arbeit oder Organisation im Herstellerbetrieb erhält. Auch hier hat er entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten.432 Zusätzliche Maßnahmen der 426 Zur Atypik des § 276 BGB im öffentlich-rechtlichen Sicherheitsrecht: Marburger in: FS für Deutsch, S. 277 f. 427 So auch die amtliche Begründung zu § 5 ProdSG BT-Drucks. 13/3130, S. 12. 428 Vgl. zum § 5 S. 2 ProdSG König, a. a. O., S. 79. 429 Möllers JZ 1999, 24 (26) mit den Beispielen „Deutsches Waffenjournal“, „Der Raumausstatter“ etc. 430 Einen deutlichen Hinweis darauf enthält Kap. 10 Nr. 1 des Anhangs II der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 (vormals § 4 Abs. 2 LMHV). Danach hat u. a. derjenige, der Lebensmittel in den Verkehr bringt im Rahmen betriebseigener Maßnahmen zu gewährleisten, dass Personen, die mit Lebensmitteln umgehen, entsprechend ihrer Tätigkeit und unter Berücksichtigung ihrer Ausbildung in Fragen der Lebensmittelhygiene unterrichtet oder geschult werden; vgl. dazu auch Hanslik/Kitzmüller/ Woidich, Hygienemanagement, S. 36 f. Zur Anleitung der Schulungsorganisation ist als Leitlinie beim Deutschen Institut für Normung die DIN 10514 „Lebensmittelhygiene – Hygieneschulung“ erschienen. Sie gibt Empfehlungen für die Planung und Durchführung von Hygieneschulungen. Zur EG-Verordnung noch unter b) (1). 431 Anders: Bamberger/Roth-Spindler, § 823 Rn. 533. 432 Vgl. BGH VersR 1960, 855; OLG Celle VersR 1981, 464; Schmidt-Salzer BB 1979, 1 (5). Eine solche Kenntnis liegt besonders nahe, wenn zwischen Händlerund Herstellerbetrieb personelle Verflechtungen oder organisatorische Bindungen bestehen, die erwarten lassen, dass z. B. über unzulängliche Fertigkeiten des Produkts ein Erfahrungsaustausch stattgefunden hat; vgl. OLG Celle a. a. O., ebd.

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Prüfung und Wartung bestehen auch dann, wenn der Abnehmer besonderes Vertrauen in die Kenntnisse und Fähigkeiten des Verkäufers legt, sei es aufgrund dessen Spezialisierung (Fachhändler) oder der gesonderten Anpreisung von Fachinformationen.433 b) Haftung für den originären Bereich Der Betreiber haftet zudem selbstverständlich für Fehler, die seiner ureigenen Vertriebssphäre entspringen. Das meint zum einen Produktschäden, die durch unsachgemäßen Versand, nachlässige Lagerung oder Verschulden der Mitarbeiter entstehen. Dabei ist es unerheblich, ob das Produkt erst im Bereich des Händlers zu einem schadensstiftenden oder dort lediglich eine zusätzliche Schadensursache gesetzt wird. Des Weiteren gehören hierhin die Fälle der gleichsam mit dem Verkauf übernommenen Serviceleistung – wie z. B. dem ordnungsgemäßen Einstellen von Sicherheitsbindungen bei Skiern434 oder dem individuellen Anpassen von Fahrrädern. Dies sind Verhaltenspflichten (im Vertragsrecht in der Regel Bestandteil einer Nebenverpflichtung), die der eigentlichen Produktsicherung „anhängen“, aber nicht minder hinter ihr zurückstehen. Darüber hinaus bestehen spezifische Händlerpflichten. (1) Einhaltung hygienerechtlicher Vorschriften Die Pflicht zur Einhaltung hygienerechtlicher Vorschriften ist vor allem im Lebensmittelsektor unerlässlich. Angesichts der leichten Verderblichkeit gerade von Frischeprodukten kommt dem Schutz des Verbrauchers vor gesundheitlichen Gefahren und Schäden eine besondere Bedeutung zu, die auch den Händler in die Pflicht nimmt.435 Seine Verantwortlichkeit in diesem Bereich ist mit den Ansprüchen der Kunden im Laufe der Jahre analog der allgemeinen Verkehrspflicht beständig gestiegen. Die zentralen Anforderungen an den Umgang mit hygienisch sensiblen Produkten regelt das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) als Kernstück des deutschen Lebensmittelrechts. Das 433 Dazu Howells, Consumer Product Safety, S. 133: „The due care standard should be sufficiently flexible to expect different standards of different types of distributors“; Kullmann/Pfister, a. a. O., Kz. 1524, S. 4. Zur erhöhten Erwartung im Kfz-Handel: BGH NJW 1980, 1219; Graf von Westphalen-Foerste, a. a. O., Rn. 24. 434 Vgl. dazu Dambeck VersR 1992, 284. 435 Gorny, Praxis des Lebensmittelaudits, S. 15 f. sieht ihn als Garanten, der einen vom Gesetz nicht gewollten Erfolg – das Inverkehrbringen unrechtmäßiger Lebensmittel – zu verhindern habe.

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LFGB trat am 07. September 2005 in Kraft436 und löste unter Ergänzung der seit Anfang 2005 geltenden Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (so genannte Basis-VO) des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. EG Nr. L 31, S. 1) das seit 1974 geltende Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG) ab. Es enthält allgemeine Regelungen für die Herstellung und den Vertrieb von Lebensmitteln, Kosmetika, Futtermitteln und Bedarfsgegenständen. Deutlichste Ausprägung der Verkehrspflicht des Händlers ist dabei § 5 LFGB (vormals § 8 LMBG).437 Hiernach ist es ihm verboten, Stoffe, deren Verzehr geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen, als Lebensmittel herzustellen, zu behandeln oder in den Verkehr zu bringen.438 Der Begriff der Gesundheitsschädigung umfasst dabei jedes Hervorrufen einer vorübergehenden, jedoch nicht ganz geringfügigen Beeinträchtigung der Gesundheit, wie z. B. starken Durchfalls und länger anhaltenden Brechreizes439 oder Übelkeit und Ohnmachtsanfällen.440 Eine ähnliche Aussage enthielt bisher § 3 Abs. 1 LMHV als nicht unwesentliche Ergänzung des LMBG.441 Danach durften Lebensmittel nur so hergestellt, behandelt oder in den Verkehr gebracht werden, dass sie bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht der Gefahr einer nachteiligen Beeinflussung ausgesetzt sind.442 Eine derartige nachteilige Beein436

BGBl. I, S. 2618. Über den Charakter der §§ 8 ff. LMBG herrschte Streit. Insbesondere die Rechtsprechung sah in den lebensmittelrechtlichen Vorschriften lediglich ein Element der Schuld, das das Tatbestandsmerkmal „fahrlässig“ i. S. d. § 53 Abs. 1 LMBG inhaltlich ausfüllte, vgl. BVerwG ZLR 1993, 303 (309 f.); OVG NW LRE 24, 113 (115 f.). Die weit überwiegende Literatur plädierte für eine eigenständige Anerkennung der lebensmittelrechtlichen Verkehrspflichten als selbstständige Rechtspflichten, vgl. Freund ZLR 1994, 261 (267); Meier DB 1985, 1220 ff.; Michalski ZLR 1991, 335 (336); Sieber ZLR 1991, 451 (464). Zum Ganzen: Domeier, Gesundheitsschutz und Lebensmittelstrafrecht, S. 62 ff. 438 Art. 14 Basis-VO betrifft lediglich das Verbot des Inverkehrbringens unsicherer Lebensmittel. § 5 LFGB greift mit seinem Verbot früher als die Basis-VO und wartet nicht erst das Inverkehrbringen des Lebensmittels ab, vgl. Riemer/Seitz, Das neue LFGB, S. 29. Die Vorschrift ist zudem Schutzgesetz i. S. d. § 823 Abs. 2 BGB; der Geschädigte hat nicht nur Verwirklichung des im Tatbestand der Norm umschriebenen Erfolgs, sondern darüber hinaus die Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt durch den Schädiger zu beweisen, vgl. BGHZ 116, 104 (114 ff.) = NJW 1992, 1039 (1042); MüKo-Wagner, § 823 Rn. 351, 621. 439 RGSt 20, 254 (255 f.). 440 Vgl. zum alten § 8 LMBG: Zipfel/Rathe, Lebensmittelrecht, § 8 Rn. 5. 441 Die LMHV löste mit Inkrafttreten am 08.02.1998 die Hygiene-Vorschriften der Länder ab. Zum Ganzen Bertling, LMHV. 437

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

flussung bezeichnete nach § 1 Nr. 2 LMHV eine ekelerregende oder sonstige Beeinträchtigung der einwandfreien hygienischen Beschaffenheit von Lebensmitteln, z. B. durch Mikroorganismen, Verunreinigungen, Witterungseinflüsse, Gerüche, Temperaturen, Gase, Abfälle, Abwasser o. ä. Seit dem 01.01.2006 wird die deutsche LMHV durch die EG-Verordnung 852/2004 über Lebensmittelhygiene ersetzt. Diese löste die Richtlinie 93/43 des Europäischen Rates vom 14.06.1993 und damit zugleich die auf ihr basierenden nationalen Vorschriften der LMHV ab. Die Verordnung ist Teil eines bereits am 30.04.2004 veröffentlichten und am 20.05.2004 in Kraft getretenen Hygienepakets (bestehend aus zwei weiteren Verordnungen, Nr. 853/2004 und Nr. 854/2004) zur umfassenden Reform des gemeinschaftlichen Hygiene- und Veterinärrechts. Die Einbindung der Verordnungen erfolgt dabei über oben bezeichnetes LFGB und hierauf beruhende Rechtsverordnungen. Ihr Inhalt enthält keinen wesentlichen Neuerungswert für die Unternehmen. Nach wie vor gilt das allgemeine Hygieneverbot, wonach alle Lebensmittelunternehmer die Verpflichtung haben, in ihrem Verantwortungsbereich die Einhaltung und Beachtung der einschlägigen und spezifischen Hygienevorschriften zu gewährleisten, nunmehr allerdings auch auf der Ebene der Urproduktion, einschließlich bislang ausgelagerter Bereiche (z. B. Fleisch, Milch, Eier). Relevante Vorschriften für diejenigen Betriebe und Unternehmen, die nach der Primärproduktion tätig sind, enthält Anhang II der Verordnung (EG) 852/2004, der sich im Wesentlichen mit den Anordnungen der LMHV deckt. So haben Betriebsstätten wie Supermärkte oder Discounter eine Mindesthygiene der Räumlichkeiten, Einrichtungen und Arbeitsmittel zu gewährleisten. Dies meint neben der sauberen Instandhaltung zum einen das Vorhandensein von leicht erreichbaren Handwaschbecken, Toiletten mit Wasserspülung (Kap. 1 Nr. 3 und 4 des Anhangs II der EG-Verordnung, vormals Kap. 1 Nr. 1.3 des Anhangs zur LMHV) oder eine ausreichende Be- und Entlüftung (Kap. 1 Nr. 5 und 6, vormals Kap. 1 Nr. 1.5 des Anhangs der LMHV). Dabei dürfen die Toiletten keinen direkten Zugang zu Räumen haben, in denen Lebensmittel angeboten werden (Kap. 1 Nr. 3, ehemals Kap. 1 Nr. 1.3). Die Räume selbst müssen leicht zu reinigen und zu desinfizieren sein und u. U. glatte, abwaschbare Oberflächen aufweisen (Kap. 2 Nr. 1, vormals Kap. 2 Nr. 1.1; 1.2; für nicht ständige Einrichtungen 442 Vgl. auch zur Ergänzung Kap. 5 Nr. 1 der Anlage zu VO, wonach Lebensmittel von einer Betriebsstätte nicht angenommen werden dürfen, wenn sie erwiesenermaßen oder aller Voraussicht nach mit tierischen Schädlingen, pathogenen Mikroorganismen oder gesundheitlich bedenklichen, verdorbenen oder fremden Stoffen derart verunreinigt sind, dass sie auch nach normaler Aussortierung oder nach einer in der Betriebsstätte hygienisch durchgeführten Vorbehandlung oder Verarbeitung nicht für den Verzehr geeignet sind.

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wie Verkaufszelte oder Marktstände Kap. 3, Kap. 3 Nr. 1.4.2). Decken, Fenster und Türen müssen zudem so beschaffen sein, dass keine Schmutzansammlungen oder Schimmelbefall entstehen können (Kap. 2 Nr. 1 c, d, e, Kap. 2 Nr. 1.3; 1.4). Weiterhin müssen Gegenstände und Ausrüstungen, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen, so beschaffen sein, dass sie sauber und instand gehalten werden können und von ihnen keine nachteilige Beeinflussung der Lebensmittel ausgeht (Kap. 5, Kap. 4 Nr. 1.1). Diese Maßnahmen der Betriebshygiene werden durch zusätzliche Anforderungen der Lebensmittel- und Personalhygiene verstärkt. Danach sind Händler vor allem bei leicht verderblichen Lebensmitteln an die Einhaltung bestimmter Temperaturvorgaben der Produkte (durch § 7 bzw. 7a LMKV) bis zur Abgabe an den Verbraucher gebunden (Kap. 9 Nr. 5, 6, 7, Kap. 5 Nr. 2). Sie sind zudem auf allen Stufen des Vertriebs vor Kontaminationen zu schützen, die sie für den menschlichen Verkehr ungeeignet oder gesundheitsschädlich machen bzw. derart kontaminieren, dass ein Verzehr in diesem Zustand nicht zu erwarten wäre (Kap. 9 Nr. 3). Des Weiteren darf Material, das der Umhüllung und Verpackung dient, keine Quelle von Verunreinigungen und Verschmutzungen darstellen (Kap. 10 Nr. 1) und muss im Falle der Wiederverwendung leicht zu reinigen sein (Kap. 10 Nr. 4). Die Maßnahmen der Personalhygiene erfordern von den Angestellten des Betriebs ein hohes Maß an persönlicher Sauberkeit und das Tragen angemessener, sauberer Kleidung (Kap. 8 Nr. 1, Kap. 5 Nr. 7.1). Personen mit infizierten Wunden, Hautinfektionen oder Geschwüren dürfen mit Lebensmitteln überhaupt nicht umgehen, sofern die Möglichkeit einer direkten oder indirekten Verunreinigung durch Mikroorganismen besteht (Kap. 8 Nr. 2, Kap. 5 Nr. 7.2). Im Hinblick darauf liegt die Verantwortung zuvörderst bei den Angestellten selbst dafür Sorge zu tragen, dass keine Krankheitserreger übertragen werden.443 Darüber hinaus ist es auch die Pflicht des jeweiligen Personalchefs bei zumutbarer Kenntnisnahme kranke oder infektiöse Bedienstete von der Arbeit freizustellen. Jegliche Weiterbeschäftigung verstößt nicht nur gegen § 42 IfSG und § 17 BundesseuchenG, sondern auch gegen das Grundprinzip des gemeinschaftlichen Hygienerechts, Lebensmittel nicht der Gefahr einer nachteiligen Behandlung auszusetzen. 443 Dafür ist die Entwicklung eines gewissen Hygienebewusstseins erforderlich, das sich in bestimmten fest geprägten Verhaltensnormen äußert. Dazu gehören nicht nur Sauberkeit und Reinlichkeit, sondern auch Verständnis für hygienische Gefährdungen des Produkts. Wer mit Lebensmitteln arbeitet, muss wissen, welche Risiken der Infektion eine Verletzung an der Hand ebenso wie ein heftiger Schnupfen oder Husten mit sich bringen. Besonders empfindliche Güter (Aufschnittserzeugnisse) sollen während der Verpackung oder beim Verkauf überhaupt nicht berührt werden und auch die Bekleidung ist Teil der Personalhygiene. Vgl. dazu Hildebrandt in: Sinell, Einführung in die Lebensmittelhygiene, S. 242.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Kap. 2, Art. 5 (i. V. m. Kap. 1 Art. 1 Abs. 1 d, e der Allgemeinen Bestimmungen) der Verordnung (EG) Nr. 852/2004 (vormals § 4 LMHV) fordert zudem den Aufbau eines betriebseigenen Kontrollsystems und weicht damit von dem üblichen Standard der Händler-Verkehrspflichten ab. Dies ist so wohl nur mit dem hohen Gefährdungspotential der Lebensmittel zu erklären. Denn an sich ist der Verkäufer als letztes Glied der Distributionskette – anders als der Hersteller – nicht zu umfangreichen Produktprüfungen verpflichtet.444 Kap. 1 Art. 5 (§ 4 Abs. 1 LMHV) legt jedoch auch demjenigen, der Lebensmittel in den Verkehr bringt, die Pflicht auf, durch betriebseigene Kontrollen die für die Entstehung gesundheitlicher Gefahren kritischen Punkte festzustellen und zu gewährleisten, dass angemessene Sicherungsmaßnahmen festgelegt, durchgeführt und überprüft werden. Die Feststellung soll mittels des HACCP-(Hazard Analysis and Critical Control Point) Systems445 erfolgen, das im Wesentlichen eine vorbeugende Gefahrenanalyse (Identifizierung und Bewertung hygienischer Gefahren) unter Erstellung von Gegenmaßnahmen vorsieht.446 Der Aufwand ist vor allem von der Art und Größe des Betriebs abhängig. Dies bedeutet, dass die Verpflichtung des Lebensmittelhändlers zur Einrichtung von HACCP-Verfahren zwar grundsätzlich besteht, diese Anforderung jedoch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit im Einzelfall angemessen angewendet werden sollte.447 Damit wird – gerade auch durch die recht weite Formulierung der Verordnung – verhindert, dass kleinere Betriebe übermäßig streng behandelt werden. Für die Einhaltung und Umsetzung des Konzepts durch den einzelnen Ladenangestellten ist in erster Linie der Unternehmer selbst 444

Siehe dazu oben 1. Teil, B. V. 3. a). Das HACCP-Konzept war in der LMHV nicht erwähnt, gleichwohl eindeutig in Bezug genommen und ist nun ausdrücklich Bestandteil des Hygienemanagements. Es war ursprünglich Ende der 50er Jahre für die Herstellung von Astronautennahrung und später in modifizierter Form für die amerikanische Lebensmittelindustrie entwickelt worden. Im „Codex Alimentarius“ (ALINORM97/13A „Hazard Analysis and Critical Control Point [HACCP] System and Guidelines for ist Application“) wurden schließlich Definitionen, Prinzipien und Richtlinien für die Anwendung des HACCP-Konzepts festgelegt. Es ist inzwischen international als Entwurf zur Bekämpfung von Hygienemissständen allgemein anerkannt. Andere Qualitätsmanagement-Systeme wie die DIN ISO 9000 gehen weit darüber hinaus, beruhen aber auf der Freiwilligkeit der Unternehmen. 446 Die LMHV verlangte keine Dokumentation des Systems, etwa durch Anlegen eines Qualitätssicherungshandbuches. In der amtlichen Begründung (BGBl. I, Nr. 56, S. 2008 ff.) wurde ein solches jedoch „dringend empfohlen“, allein schon um möglichen Produkthaftungsansprüchen zu entgehen. Die neue EG-Verordnung fordert nun in Kap. 2 Art. 5 Abs. 2 g, Abs. 4 ausdrücklich den Nachweis der Einhaltung der Hygienemaßnahmen. Damit kann auch nach einem längeren Zeitraum noch überprüft werden, ob alle Problemstellen beachtet wurden, vgl. Otto/Stanislawski, Lebensmittelhygiene-Recht, S. 46. 447 Vgl. Kobelt/Sanwidi, Das neue Lebensmittelhygiene-Recht, S. 24 f. 445

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zuständig. Er hat auch zu gewährleisten, dass Personen, die für die Entwicklung und Anwendung des Verfahrens zuständig sind (Kap. 12, Nr. 1), in allen Fragen der Anwendung der HACCP-Grundsätze angemessen geschult werden (Kap. 12 Nr. 2). Die Eigenverantwortlichkeit des Verkäufers enthält damit ein mindestens ebenso großes Gewicht wie die des Herstellers. Das Sicherheitskonzept bringt zudem einen erhöhten Arbeits- und Kostenaufwand mit sich, wenngleich schon vor Umsetzung der EG-Verordnungen bzw. sogar vor Einführung der LMHV 1998 die Betriebe selbstständig zu Eigenkontrollen verpflichtet waren. Es bietet ihnen jedoch auch unübersehbare Vorteile: Mit Erfüllung des HACCP-Systems dürften sich sämtliche Zweifel an der Einhaltung der Verkehrspflicht in hygienischer Hinsicht zerschlagen. (2) Einhaltung der Verfalldaten Die Pflicht zur Einhaltung hygienerechtlicher Vorschriften geht auf dem Lebensmittelsektor mit der zur Beachtung von Haltbarkeitsdaten einher. Mithin hat der Händler dafür zu sorgen, dass Waren mit abgelaufenem Verfallsdatum einer eingehenden Sicherheitsprüfung unterzogen und notfalls aus dem Verkehr genommen werden. Dieses Verfalls- (oder auch letztes Verzehr- oder Verkaufs-)Datum ist jedoch nicht mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) gleichzusetzen. Dies beschreibt als solches lediglich den Zeitpunkt, bis zu dem das gekennzeichnete Lebensmittel „unter angemessenen Aufbewahrungsbedingungen seine spezifischen Eigenschaften behält“ (§ 7 LMKV). Diese Angabe schließt jedoch nicht notwendigerweise eine Aussage hinsichtlich der gesundheitlichen Unbedenklichkeit oder der einwandfreien Beschaffenheit des Produkts ein. Sie ist eher Information denn Garantie.448 Dies führt dazu, dass Ware mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum zwar durchaus noch verkauft werden darf, jedoch obliegt demjenigen, der sie in den Verkehr bringt, eine deutlich erhöhte Verantwortung; er muss sich sorgfältig über die Beschaffenheit des Lebensmittels vergewissern und, sofern eine Wertminderung eingetreten ist, dies kenntlich machen (vgl. §§ 5, 11 Abs. 2 Nr. 2b LFGB).449 448 Vgl. die amtliche Begründung in BR-Drucks. 418/81, S. 70. Ein fehlerhaftes MDH stellt eine Irreführung im Sinne von § 11 Abs. 1 LFGB (vormals § 17 Abs. 1 Nr. 5 LMBG) dar, vgl. OLG Karlsruhe LRE 12, 32 (36). 449 Zipfel/Rathe, a. a. O., § 7 LMKV Rn. 7. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob ein Produkt mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum einen Sachmangel i. S. d. § 434 BGB darstellt. Dies ist bei Minderwertigkeit der Ware unstreitig der Fall, nicht immer kommt es jedoch nach Ablauf des MHD auch zu Qualitätsverlusten. Eine (auch konkludente) Beschaffenheitsvereinbarung i. S. d. § 434 Abs. 1 S. 1 BGB über die Resthaltbarkeitsdauer wird i. d. R. nicht vorliegen, da sich

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

Der Einzelhändler ist zudem selbstständig neben dem Hersteller dafür verantwortlich, dass Fertigverpackungen vollständig gekennzeichnet sind, also mit Angabe der Verkehrsbezeichnung, des Herstellers, des Mindesthaltbarkeitsdatums, der Menge und mit einem Verzeichnis der Zutaten.450 Diese Angaben müssen deutlich sichtbar sein und dürfen nicht durch andere Angaben (z. B. die Preisetikettierung) überdeckt werden.451 (3) Beratungs- und Warnpflichten Der Verkäufer übernimmt zudem – unabhängig von der Art des Produkts – die Pflicht, den Käufer im Falle der Beratung über Anwendung und Eignung des Produkts umfassend und vollständig zu informieren, also insbesondere auch über etwaige Risiken im Umgang aufzuklären.452 Die Pflicht zur Beratung selbst ist dabei – sofern sie nicht ausdrücklich vereinbart wurde – nicht Bestandteil der Verkehrspflicht oder nur, wenn besonallein durch den Aufdruck des MHD noch keine Aussage über die Güte des Produkts treffen lässt und dies vom Betreiber wohl auch nicht beabsichtigt ist. Da jedoch mit Überschreitung des MHD das Risiko einer Qualitätsminderung steigt (dies zeigen schon die mitunter erheblichen Preisnachlässe in den Märkten), könnte die Ware eine Beschaffenheit aufweisen, die bei Sachen gleicher Art unüblich ist und die der Käufer so auch nicht mehr zu erwarten braucht. Evident wird dies zumal bei Zwischenhändlern, deren Weiterverkauf durch Überschreitung des Datums erheblich erschwert ist. Ein Sachmangel i. S. d. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB wäre damit gegeben. Dies könnte allenfalls dann zweifelhaft sein, wenn das MHD erst einen oder zwei Tage abgelaufen ist und somit das Risiko eines Verderbs extrem niedrig ist. In diesem Fall könnte sich das Produkt in der Tat noch für die gewöhnliche Verwendung (nämlich den Verzehr) eignen. Gemäß § 434 Abs. 1 S. 3 BGB gehören jedoch zu der Beschaffenheit nach Satz 2 Nr. 2 auch Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers insbesondere in der Werbung oder bei der Kennzeichnung über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten kann. Das aufgedruckte MHD ist insoweit ein solches Kennzeichen, dessen Einhaltung der Käufer erwartet, sei es, dass Gegenteiliges ausdrücklich ausgeschrieben ist. Mit dessen Ablauf ist die Sache somit fehlerhaft i. S. d. § 434 Abs. 1 S. 2 i. V. m. S. 3 BGB. Ein Ausschluss könnte sich dann nur noch aus § 442 Abs. 1 S. 2 BGB ergeben, sofern man den Käufer gerade bei frischen Waren für verpflichtet hält, auf das MHD zu achten. Bei Ablehnung eines Sachmangels bliebe noch die Erörterung eines Eigenschaftsirrtums nach § 119 Abs. 2 BGB, u. U. sogar eines Irrtums wegen arglistiger Täuschung (eingehend zur alten Rechtslage Köhler DB 1985, 215 ff.; Meyer BB 1987, 287 ff.; Michalski/Riemschneider BB 1993, 2097 [2099]). Vgl. auch Olzen/Wank, Klausurenlehre, Fall 12. 450 Zipfel/Rathe, Vor § 51 Rn. 108. 451 Dies., a. a. O., ebd. 452 Mängel in der Aufklärung oder fehlerhafte Verwendbarkeitsempfehlungen werden v. a. im Vertragsrecht relevant, was jedoch konkurrenzrechtlich die deliktsrechtliche Haftung nicht behindert, vgl. dazu OLG Karlsruhe VersR 1986, 46; weiter OLG München NJW 1980, 2587 f.

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dere Umstände dies nahe legen (Käufer bringt Verkäufer aus gutem Grund besonderes Vertrauen entgegen, beispielsweise, weil der Händler sich als Experte ausgibt453). Zwar spricht die amtliche Begründung zum § 5 ProdSG, der in der Normierung der Händlerpflichten nahezu wortgleich Einzug in § 5 Abs. 3 GPSG gehalten hat, davon, dass der Händler dazu beizutragen habe, dass nur sichere Produkte in den Verkehr gebracht würden, worunter auch eine produktabhängige adäquate Beratung des Käufers falle. Dies wird sich allerdings in den wenigsten Fällen praktisch durchführen lassen. Im Supermarkt oder Discounter findet eine Käuferberatung wohl nur in Ausnahmefällen statt, das Personal ist in der Regel mit der Sortimentsgestaltung oder dem Kassiervorgang beschäftigt. Einzig in Fachgeschäften ist eine persönliche Beratung durch die Angestellten denkbar und auch üblich. Dieses jedoch hier zur Pflicht zu stilisieren,454 hieße den Betreiber gegenüber größeren Handelsorganisationen unangemessen zu benachteiligen. Letztlich spricht auch § 5 GPSG dagegen, der in Abs. 1 die Sicherstellung, dass der Verwender die erforderlichen Produktinformationen zur Gefahrenvermeidung erhält, nur dem Hersteller, seinem Bevollmächtigen und dem Einführer – nicht jedoch dem Händler – auferlegt. Eine Pflicht zur Produktinformation und -beratung besteht damit nicht.455 453 Zur händlereigenen Instruktionspflicht BGHZ 47, 312; vgl. weiter Kullmann/ Pfister, a. a. O., Kz. 1524 S. 4. Dies stellt einen typischen Anwendungsfall der intensivierten Verkehrspflicht dar, vgl. dazu noch unter 1. Teil, B. VI. 2. Eine solche „rollentypische“ Gefahrabwendungspflicht (zum Begriff Schmidt-Salzer, a. a. O., Rz. 4.374) gilt v. a. für Importeure (zum sog. Drittstaaten-Importeur vgl. § 4 Abs. 2 ProdHaftG; vgl. auch BGH JZ 1994, 574 m. Anm. Brüggemeier 578 [579]), QuasiHersteller (vgl. hierzu v. a. § 4 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG) oder Vertragshändler. 454 Immerhin ist die Fachkompetenz der Wettbewerbsvorteil den die stationären mittelständischen Einzelhändler gegenüber den Ketten genießen! 455 Anders König, a. a. O., S. 86 f. Die Pflichten träfen Großhändler und kleine Fachgeschäfte gleichermaßen, lediglich die Art und Weise der Durchführung divergiere, insoweit bestehe ein „unternehmerischer Freiraum“. In Supermärkten sei es denkbar, Beratungsstände aufzubauen, überhaupt seien nicht alle Produkte „beratungswürdig“. Die Ansicht schlägt sich deutlich auf die Seite des Verbrauchers, geht jedoch an der Realität vorbei. Discountketten wie ALDI oder LIDL verwenden nahezu keine Anstrengungen auf die Käuferberatung, dies könnte das Personal auch gar nicht leisten. Die Einstellung zusätzlicher Kräfte würde den Preis der Waren heben, das ist sicher von niemandem beabsichtigt. Überhaupt fragt es sich, für welche Produkte Beratung betrieben werden soll und für welche nicht. In Abhängigkeit vom Gefahrengrad ist dieser bei Lebensmitteln sogar oftmals höher anzusiedeln als bei technischen Geräten. Lebensmittel fallen aber nicht unter den Begriff des Verbraucherprodukts i. S. d. GPSG und auch das insoweit speziellere LFGB kennt keine Beratungspflicht. Soll aber für jeden gefährlich einzuschätzenden Gebrauchsgegenstand oder für jedes potentiell gefahrenträchtige technische Arbeitsmittel ein eigenständiger Stand im Laden aufgestellt werden? Dies ist schon in raumplanerischer Hinsicht Illusion und wird bei jedem Unternehmer Angstzustände hervorrufen. Das Belassen der Art und Weise der Durchführung in den Händen der Betreiber macht

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(4) Pflichten zur Einhaltung des Minderjährigenschutzes Weiterhin hat der Verkäufer darauf zu achten, dass potentiell gefährliche Produkte nicht in die Hände Minderjähriger geraten. Ihn trifft daher die Pflicht, öffentlich-rechtliche Abgabebeschränkungen, die der allgemeinen Verkehrssicherheit dienen, zu beachten.456 Es ist dies also die allgemeine Überwacherpflicht, einen gefahrbelasteten Verkehr vor dem Zugriff Dritter zu schützen.457 Dazu gehört auch und vor allem die Einhaltung der Herstellerangaben, wie „Nicht an Personen unter 18 Jahren abgeben“ o. ä.458 Dies mag im freien Handel einfacher zu realisieren sein als bei größeren Vertriebsketten. Aber auch hier hat spätestens das Kassenpersonal – ähnlich wie im Umgang mit den Bestimmungen des JÖSchG – dafür zu sorgen, dass gefährliche Gegenstände nicht an Minderjährige abgegeben werden.459 Überhaupt dürfen vom Hersteller beigefügte Warnungen, aber auch bloße Gebrauchsanleitungen nicht ohne Grund vom Händler entfernt oder verändert werden.460 Fehlende oder beschädigte Sicherheitsinformationen muss der Händler sich erneut vom Hersteller beschaffen, anderenfalls darf das Produkt nicht in den Verkehr gebracht werden. Insgesamt wächst die Pflicht des Händlers zur Gefahrenabwendung, je mehr Einfluss er auf den Distributionsprozess gewinnt und je mehr der Verkauf der Ware in ihrer Fehlerhaftigkeit Ausdruck seiner eigenen Leistungsund Entschließungsfähigkeit ist. Dies umfasst unstreitig den Bereich persönlicher Gefahrenlegung. Es umfasst aber auch Missstände im Herstellerbereich, so weit der Händler von ihnen Kenntnis erlangt oder er sich fahrlässig fehlerhafte Angaben, Anwendungsempfehlungen oder sonstige Herstellerinformationen zu eigen macht, ohne sie einer selbstständigen gewissenhaften Prüfung zu unterziehen.461 die Forderung zudem problematisch. Dieser wird sich seiner Pflicht „besten Gewissens“ soweit wie möglich versuchen zu entziehen, damit ist dem Kunden aber auch nicht geholfen. Annehmbar wäre es bei Produkten mit hohem Gefährdungsgrad begleitende (Hersteller-)Broschüren oder Prospekte auszulegen, so weit der Hersteller selbst noch nicht in ausreichendem Maße für eine Gefahrenaufklärung gesorgt hat. Dazu auch Howells, a. a. O., ebd. 456 Vgl. § 12 Abs. 5 Nr. 1 GefahrstoffVO; Graf von Westphalen-Foerste, a. a. O., § 26 Rn. 15. 457 BGHZ 139, 43 (46 ff.) = NJW 1998, 2436 und oben schon unter 1. Teil, A. II. 458 BGH VersR 1973, 32 (33). 459 BGH NJW 1963, 101; aber NJW 1998, 2905 (2909) m. krit. Anm. Möllers JZ 1999, 24 (27 f.). 460 RGRK-Steffen, § 823 Rn. 274; Schmidt-Salzer, a. a. O., Rz. 4.367. 461 Zur Gehilfeneigenschaft des Herstellers in diesem Zusammenhang: BGHZ 47, 312.

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VI. Grenzen und Intensivierung Verkehrspflichten sind stets in einem bestimmten Zusammenhang zur Gefahrenqualität zu sehen. Deren prognostizierte Größe und Ausmaß diktieren Inhalt und Umfang der Sorgfaltsanforderungen. Demnach kommt es zunächst einmal darauf an, in einem bestimmten Verhaltensumfeld ein Gefahrenpotential auszumachen. Je näher dabei die Möglichkeit einer Veränderung zum Schlechten462 ist, umso höher sind auch die Anforderungen an die Sicherung des eröffneten Verkehrs. Dies zeigt, dass die Verkehrspflicht keine konstante Größe ist, ihr Ausmaß vielmehr orientierend an Umfeldfaktoren und am Zweck, dem die Verkehrseinrichtung dient, schwankt.463 Dabei ist stets zu berücksichtigen, dass nicht für jedes Risiko gehaftet werden kann. Mögen auch außergewöhnliche Verhältnisse außergewöhnliche Vorsichtsmaßnahmen nach sich ziehen, so findet jede Pflicht ihre Grenze. 1. Grenzen der Verkehrspflicht Grundsätzlich gilt: Der Pflichtenkatalog des Betreibers von Geschäftslokalen ist nicht uferlos. Der an ihn zu stellende Sorgfaltsmaßstab kann vielmehr nicht über das schutzwürdige Vertrauen, das ihm die Kunden in gerechtfertigter Weise entgegenbringen dürfen, hinausgehen. Maßgebliches Kriterium ist mithin der Erwartungshorizont des Kunden. Dieser hat sich den gegebenen Verhältnissen anzupassen und die Verkehrsflächen so hinzunehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbieten.464 Dies gleicht dem Aufruf, „sich auch selbst zu schützen“,465 will man einer sich zunehmend ins Bewusstsein drängenden „Vollkaskomentalität“466 Herr werden. Umgekehrt 462 Vgl. die Gefahrenbegriffe bei Deutsch VersR 1993, 1049 und in: FS für Larenz, S. 885; Bienenfeld, Haftung ohne Verschulden, S. 135; Münzberg, Verhalten und Erfolg, S. 164 f.; Rother in: FS für Michaelis, S. 250 f.; aus der strafrechtlichen Literatur: Mayer, StrafR, § 11 S. 69; Welzel, StrafR, § 9 S. 47. 463 Vgl. nur BGH VersR 1967, 281 (282). 464 In Bezug auf den Besucher einer Gastwirtschaft vgl. OLG Köln VersR 1993, 1497. 465 Steffen ZVersWiss. 1993, 13 (22). 466 Ausdruck von Edenfeld VersR 2002, 272, der diesbezüglich eine Änderung des Rechtsbewusstseins in der Bevölkerung wahrnimmt. Wer durch mangelnden Selbstschutz oder eigenes Risiko zu Schaden komme, suche den Fehler i. d. R. nicht mehr bei sich selbst, sondern ermittle, in der Hoffnung nicht für eigenverantwortliches Handeln einstehen zu müssen, den entsprechenden Verkehrssicherungspflichtigen. Eine – darauf weist Edenfeld zu Recht hin – deutlich amerikanisierte Entwicklung, an der sich jedoch auch die hiesige Rspr. durch die stetige Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verkehrspflicht nicht unschuldig zeigt.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

muss der Sicherungspflichtige – hier also der Geschäftsinhaber – nur solchen Gefahren entgegenwirken, auf die sich auch ein umsichtiger und in vernünftigen Grenzen sorgfältiger Benutzer nicht einzustellen vermag.467 So verneinte das RG im Fall des Sturzes einer Kundin über einen aus zwei Stücken zusammengesetzten Läufer bereits im Jahr 1931 etwaige Schadensersatzforderungen mit dem Hinweis, eine Sicherung gegen jeden Zufall könnten auch die Besucher von Geschäftsräumen nicht erwarten.468 Auslöser des Unfalls war eine schadhafte Stelle des Läufers gewesen. Es würde, so das Gericht, „eine Überspannung sein, wollte man von einem Geschäftsinhaber verlangen, dass er auch während der Betriebszeit nach jedem Betreten eines Läufers immer wieder prüfe, ob dieser dabei auch unbeschädigt geblieben sei“.469 Wie sehr sich die Sorgfaltserwartungen an den Betreiber nach schlichten Erkennbarkeits- und Zumutbarkeitskriterien richten, zeigt auch der vom OLG Hamm entschiedene Fall aus dem Jahr 1979.470 Hier ereignete sich der Unfall eine Viertelstunde nach Öffnung des Kaufhauses, bedingt durch einen starken Regenguss, in dessen Folge verstärkt Regenwasser – vornehmlich durch abtropfende Regenschirme – in die Vorhalle des Geschäftes hineingetragen worden war. Das Gericht lehnte eine Schadensersatzpflicht des Betreibers ab. Die Verkehrspflicht zur wirksamen Begegnung aller sich möglicherweise entwickelnder Gefahren finde ihre Grenze in Zumutbarkeitserwägungen sowie den realistischer Weise zu erwartenden Sicherheitsbedürfnissen der Kunden. Diese könnten zumindest zur Unfallzeit noch nicht damit rechnen, dass die Beklagte die erforderlichen Maßnahmen zur Beseitigung der durch Nässe hervorgerufenen Fußbodenglätte bereits wirksam ergriffen hatte. Dies sei erst eine angemessene Zeit nach Öffnung des Kaufhauses möglich.471 So sei es schon zeitlich nicht handhabbar, in höchstens 15 Minuten der bei starkem Regen in die Innenräume eines Kaufhauses hineingetragenen Nässe wirksam zu begegnen.472 Hier wird aus den Urteilsgründen gut ersichtlich, wie sehr der Faktor „Möglichkeit zur Gefahrbegegnung“ in die Formulierung der Verkehrserwartung hineinspielt, was nicht im Sinne eines absolut tatsächlich-rechtlich Möglichen, sondern allein an der Grenze des Zumutbaren zu beurteilen ist.473 467

BGH VersR 1966, 782 (783) = NJW 1966, 1456 (1457). RG v. 06.05.1931 in HRR 1931, Nr. 1841. 469 RG a. a. O., ebd. 470 OLG Hamm MDR 1979, 1022. 471 OLG Hamm a. a. O., ebd. 472 OLG Hamm a. a. O., ebd. 473 Aufgrund einer Abwägung zwischen Höhe der Gefahr und der Möglichkeit und wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Gefahrvermeidung. Ist der drohende Schaden groß, z. B. wenn Gesundheit oder Leben in Rede stehen, wird i. d. R. ein höherer 468

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Dies mag dem Einwand Tür und Tor öffnen, eine absolut zuverlässige Gefahrbeherrschung sei nicht erreichbar und eine 100 %ige Sorgfaltsbeachtung nicht realistisch. Dem ist so, indes darf dies nicht Alibi für jegliche Form der Verkehrsvernachlässigung sein. Würde man eine solche Argumentation zulassen, so wäre eine Verkehrspflicht von vornherein verzichtbar.474 Denn die Möglichkeit, dass es trotz Beachtung aller Unfallverhütungsvorschriften einmal zu irgendeinem Zeitpunkt zum Eintritt irgendeines bestimmten schädigenden Ereignisses kommt, besteht immer.475 Überhaupt ist die Frage des (äußeren) Sorgfaltsmaßstabes unabhängig und vorgelagert der des individuellen (inneren) Könnens. Die Verkehrspflicht ist ein Objektivum. Sie steht selbstständig neben der Beurteilung der individuellen Fähigkeiten zur Erfüllung der Pflichtigkeit. So hat der Sicherungspflichtige stets alles zu tun, um der Gefahrstreuung in adäquater Weise Herr zu werden. Dieser Anspruch darf nicht abgeschwächt werden. Anknüpfungspunkt der Begrenzung überentwickelter Entschädigungserwartungen muss aber die Ausprägung der Verkehrspflicht selbst – und das meint die faktische Sicherung, ohne Einbeziehung der persönlichen Fertigkeiten des Betreibers476 – allein gemessen am objektiven Umfeld sein. Hier gilt es, den Geschäftsinhaber nicht übermäßig hart zu belasten und Unmögliches zu verlangen. Anschauliches Paradigma dafür ist gerade die Rechtsprechungslinie in Bezug auf die Nässebildung in Geschäftslokalen. Hier werden die Gerichte nicht müde zu betonen, dass einer Überspannung der Verkehrspflicht entgegengewirkt werden müsse. Der Sinn einer Verkehrspflicht bestehe nämlich nicht schlechterdings im Schutz vor jeder erdenklichen Gefahr. Nach einer gebräuchlichen Formulierung in der Rechtsprechung kann sich der Pflichtige auf solche Maßnahmen beschränken, „die ein verständiAufwand für Sicherungsmaßnahmen verlangt, vgl. BGH VersR 1984, 164; weiter BGHZ 44, 103 (106) = NJW 1965, 1760 (1761); 58, 149 (158) = NJW 1972, 724 (726); 108, 273 (274) = NJW 1989, 2808; MüKo-Wagner, § 823 Rn. 248; Staudinger-Hager, § 823 Rn. E 71; Erman-Schiemann, § 823 Rn. 80; Wussow-HemmerichDornick, Unfallhaftpflichtrecht, Kap. 3, Rn. 15. 474 Dies erkennt das OLG Schleswig in VersR 1952, 214 (215). In dem Fall ging es um das Ausgleiten einer Kundin über Kuchenreste auf der Treppe eines Bäckerladens. Die beklagte Inhaberin wandte ein, ein Nachsehen in zeitlichen Abständen könne auch nicht verhindern, dass Kunden auf zu Boden fallenden Kuchenresten ausrutschten. Das Gericht verwarf den Einwand: mit derselben Begründung ließe sich rechtfertigen, dass überhaupt nicht gefegt zu werden brauchte, da selbst mehrfaches Reinigen nicht verhindern könne, dass Kuchenreste auf die Treppe fielen und Kunden darauf ausrutschten. 475 Deutsch in: FS für Larenz, S. 897: „Wer Auto oder Fahrrad fährt, ein Haus mit Hilfe von Maschinen baut, Bestrahlungen vornimmt, begründet Gefahren. Es wäre vermessen, in einer dynamischen Welt vom Ideal statischer Unbeweglichkeit auszugehen“. 476 Nicht selten werden diese allerdings die äußeren Bedingungen determinieren.

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ger und umsichtiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schaden zu bewahren“.477 Es gelte stets nur diejenige Sicherheit zu schaffen und zu bieten, die man bei Berücksichtigung der jeweils gegebenen Verhältnisse und der Art und Weise des in Frage kommenden Publikumsverkehrs allgemein erwarten darf und muss.478 Dies bedeutet, dass bei der Frage der richtigen Regulierung der Verkehrspflicht in nicht geringem Maße auf die örtlichen Gegebenheiten und die Stärke des Publikumsverkehrs abgestellt werden muss. Zugleich bedarf es der Abwägung, ob das Gefahrenpotential eine Abweichung von der Norm darstellt,479 in dem es sich z. B. um versteckte, unerwartete Gefahren handelt, denen auch der zuverlässige Konsument nicht ohne weiteres begegnen kann. Ist eine solche jedoch nicht gegeben, so halten sich auch die Sorgfaltsanforderungen des Sicherungspflichtigen in engen Grenzen. So entschied das OLG Nürnberg im Fall des Sturzes einer Käuferin in Folge einer feuchtnassen Schmutzschicht zuungunsten der Klägerin. Die erhöhte Rutschgefahr, die durch das in die Verkaufsräume hineingetragene Regenwasser hervorgerufen wurde, sei keine versteckte, normalerweise nicht zu erwartende Gefahr, sondern eine Gefahr, auf die sich jedermann von vornherein einstellen könne und müsse und der durch eine entsprechend erhöhte eigene Vorsicht auch unschwer begegnet werden könne.480 Daraus folge, dass nur ein Aufwischen in angemessenen Zeiträumen verlangt werden könne und ein gewisses Maß von Nässe trotz der von ihr ausgehenden Gefahr vom Publikum hingenommen werden muss.481 Hieran zeigt sich deutlich, wie sehr die Typizität der Gefahr mit den Sicherheitserwartungen, die an den Betreiber zu stellen sind, korreliert.482 Allerdings ist der Eintritt der Gefahr keine Bedingung der Verkehrspflicht. Dies mag auf den ersten Blick verwundern, ist doch keine Sicherungsmaßnahme ohne die zumindest nahe liegende Möglichkeit eines Schadenseintritts vorstellbar. Gerade hierin besteht jedoch die eigentliche Schwierigkeit: Einer Verkehrssicherung bedarf es ohne weiteres, ist eine Gefahr im Sinne einer möglichen Veränderung zum Schlechten bereits eingetreten. Sie 477

BGH NJW 1990, 1236 (1237); NJW-RR 2002, 525 (526). OLG Nürnberg VersR 1967, 1083. 479 Für das Kriterium der Normalität als Abwägungsfaktor auch Mertens VersR 1980, 397 (401); ähnlich: Weyers, Unfallschäden, S. 515. 480 Vgl. OLG Nürnberg a. a. O., ebd. 481 Diese Ansicht wurde knapp 2 ½ Jahre später vom LG München bestätigt, vgl. VersR 1971, 1157. 482 Dass jedoch die Gefahrennähe bei einer Nässebildung eine andere als bei der Verunreinigung durch feste Stoffe (siehe Bananenschale oder Gemüseblatt) sein soll, kann dabei – wie unter 1. Teil, B. IV. c) gezeigt – nicht ganz einleuchten. 478

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ist genauso erforderlich, wenn eine Zustandsverschlechterung zwar noch nicht erfolgt, aber im Sinne einer Gefahrenprognose (ex ante483) absehbar ist. Was jedoch, wenn selbst ein solches nicht zu erwarten ist? Genau genommen wären dann alle Sicherungsmaßnahmen verzichtbar. Das Streuen von Sand oder Sägespänen im Winter erwächst ohne den eventuellen Eintritt von Glätte schließlich nicht zur Verkehrspflicht. Und auch die Befestigung eines Blumenkübels auf dem Balkon kann an sich kein Ausdruck der Sicherungspflicht sein, solange dessen Standsicherheit nicht in Frage steht. Dann aber zöge auch das bloße Betreten eines Ladengeschäfts keine Präventivmaßnahmen des Besitzers nach sich, denn einem Kaufhausbummel mutet per se nichts Gefährliches an. Dennoch wird der Betreiber in die Pflicht genommen und umfangreichen Sicherheitspflichten bezüglich Boden, Rolltreppe etc. unterworfen. Es kann also nicht die bloße Gefahrengeneigtheit sein, die die Verkehrspflicht auslöst. Andererseits ließe sich annehmen, ein jeder Raum berge für sich gesehen das Potential einer Gefahrentstehung. Auch das Geschäftslokal ist insofern kein gefahrloses Vakuum, wie die vielen Unfälle zeigen. Man mag es dann als ein Problem der Gefahrwahrscheinlichkeit ansehen und der Frage, in welchem Sektor Risiken eher auftauchen, die entscheidungserhebliche Rolle zuteilen. Dann aber wird die Existenz der Verkehrspflicht zur Beliebigkeit, in der geringfügige Nuancen der Prognose verbunden mit Erfahrungswerten der Schadenshäufigkeit über eine Sicherungspflicht entscheiden. Tatsächlich aber geht es gar nicht um die Frage, ob eine Gefahr wahrscheinlich ist oder nicht, eine solche ist immer denkbar.484 Anzuknüpfen ist vielmehr an das Umfeld, in dem die Verkehrspflicht wirkt. Dabei ging die Rechtsprechung lange Zeit von einer durch das Eigentum begründeten und damit auf den Bereich von Straßen, Grundstücken und Gebäuden bezogenen Verkehrssicherungspflicht aus. Später wurde diese Vorstellung von der Frage nach einem „gefahrschaffenden“ bzw. „gefahrerhöhenden“ Zustand zum Zwecke der Sorgfaltsindikation abgelöst. Doch auch dies kennzeichnet nicht im eigentlichen Sinne die typische Situation des „Verkehrs“ und dessen immanente Pflichten. Besieht man sich Funktion und Erscheinung der Verkehrspflicht, so fällt auf, dass es sich – auf das Minimum reduziert – stets um Konstellationen handelt, in denen menschlicher Umgang oder Kommunikation stattfindet. Dies setzt nicht notwendigerweise die Anwesenheit der Beteiligten voraus, es genügt die Existenz eines sozialen Umfeldes, in dem mit einer Berührung menschlicher Interessenkreise zu rechnen ist. Dies sind naturgemäß 483

Vgl. Münzberg, a. a. O., S. 64 ff., 181 ff. Wenn man so will, lässt sich auch die Gründung einer Familie als gefahrschaffend bezeichnen (vgl. § 832 BGB). 484

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situationsgebundene Parameter, die eine verbindliche Standardisierung nicht zulassen und somit an sich auch nicht auf einen Nenner zu bringen sind. Im Bemühen um einen übergreifenden Konsens ist es aber dieses Gefüge menschlicher Koexistenz, das den „Verkehr“ am besten beschreibt. Die Pflicht, die aus ihm resultiert, ist dann auch nichts anderes als die weitestgehende und zumutbare Verhinderung der Schädigung Dritter. Denn wann immer sich personaler Kontakt vollzieht, gleich ob im geschäftlichen oder vertrauten zwischenmenschlichen Bereich, ist die Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts nicht weit. Allerdings setzt die Frage, wer als solches die Sicherungspflicht dafür übernimmt, nicht erst bei der Gefahrenentstehung an. Vielmehr kommt es darauf an, wer den Bereich menschlicher Kommunikation eröffnet hat, wer ihn bestimmt und beherrscht, die Verantwortung übernimmt und nicht zuletzt, wer aus ihm Vorteile zieht. Dies ist grundsätzlich unabhängig von Besitz- und Eigentumsverhältnissen485 und auch das Merkmal der „Gefahr“ steht zunächst einmal zurück; verkehrspflichtenauslösend ist die Stellung als Raumbeherrscher und gleichsam Verantwortlicher. Deshalb ist die Behauptung, die vorbeugende Sicherungspflicht setze stets ein gewisses Potential an Unfallrisiko, also zumindest die nahe liegende Möglichkeit eines Schadenseintritts, voraus, im Ansatz auch unrichtig. Eine Gefahr ist nie Auslöser der Verkehrspflicht (sie tritt ja oftmals erst in der Nachbetrachtung zu Tage) und auch das Element der Gefahrenwahrscheinlichkeit ist hierfür zu unbestimmt.486 Wer Gegenteiliges behauptet, muss sich nicht wundern, wenn die Verkehrspflicht immer wieder in die Nähe zur Gefährdungshaftung gerückt wird, bei der das Element der Gefahr allerdings haftungsbegründende Qualität hat. Gänzlich gefahrenunbelastete Räumlichkeiten sind nicht denkbar, allenfalls Orte, an denen sich noch keine Gefahr realisiert hat. Dennoch – oder gerade deshalb – wäre ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, utopisch.487 Eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, ist eben nicht erreichbar.488 Ist auch das Element der Gefahr für den Auslöser der Verkehrspflicht unbrauchbar, so ist es doch für deren Regulierung wesentlich. Erhöhte Risiken 485 Indes wird es oft – aber eben nicht zwingend – der Eigentümer oder Besitzer allein vermöge seiner Zugriffsmöglichkeit auf die Sache sein; vgl. schon RGZ 54, 53 (56); LZ 1916, 1371. 486 Die Unterscheidung nach Bereichshaftung und Haftung durch Schaffung einer Gefahr (vgl. Staudinger-Hager, § 823 E 13 ff.) kann daher aufgegeben werden. Dazu schon oben unter 1. Teil, A. II. 487 Deutsch in: FS für Larenz, S. 896. 488 BGH VersR 1964, 746.

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der Bereichseröffnung lassen der Pflicht des Verantwortlichen ein gesteigertes Gewicht zukommen.489 Im Gegensatz dazu bildet eine geringe Gefahrenwahrscheinlichkeit die Grenze der präventiven Verkehrspflicht. Eine solche sah das LG Aachen bei der Flucht eines Diebes aus dem Kaufhaus der Beklagten erreicht.490 Der Täter stieß im Rückzug aus dem Laden die Ehefrau des Klägers um, die sich infolge des Sturzes einen Schädelbruch mit tödlicher Folge zuzog. Eine Verletzung der Verkehrspflicht des Inhabers erkannte das Gericht nicht. Die Gefahr, dass ein Kunde von einem flüchtenden Dieb umgelaufen und verletzt werde, sei als so entfernt liegende Möglichkeit des Schadenseintritts anzusehen, dass hiergegen Vorkehrungen nicht zu treffen seien. Dieser Vorgang sei derart ungewöhnlich und eigenartig, dass dem verkehrssicherungspflichtigen Kaufhausinhaber etwaige Sicherungsmaßnahmen gegen Eingriffe „anderer Personen“ nicht zumutbar seien.491 Zwar ist die Aussage des LG in seiner Absolutheit zweifelhaft. So ist es allerdings gerade unter Zurechnungsgesichtspunkten fraglich, ob der Eingriff Dritter stets den Ausschluss der Verkehrsvorsorge zur Folge hat. Das LG Aachen hat jedoch Recht, wenn es am Schluss seiner Entscheidungsbegründung anmerkt, dass adäquate Vorkehrungen in dieser Hinsicht nur schwer zu treffen wären. „Selbst wenn hierfür Möglichkeiten zur Verfügung stünden“ – so das Gericht – „würden diese letztlich nur darauf hinauslaufen, dass ein Warenhausinhaber für Diebe einen ungehinderten Fluchtweg zu schaffen hätte. Dies ist aber nicht nur unzumutbar, sondern auch lebensfremd.“492 Hierin zeigt sich: Gefahrenwahrscheinlichkeit und Zumutbarkeit der Sicherung sind bedeutende Begrenzungskriterien der Verkehrspflicht, die diese im Einzelfall auf Null reduzieren, oder besser: auf ihr verhältnismäßiges Maß zurücksetzen. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass zunächst einmal eine Verkehrspflicht des Betreibers gegenüber den Besuchern des Geschäfts im Hinblick auf einen schadensfreien Aufenthalt besteht. Allein in welchem Umfang sie ausgestaltet ist, ist eine Frage der Gefahrenprognose. Im vorliegenden Fall umfasste sie nicht auch den Schutz vor flüchtenden Dieben. Der Ladeninhaber hatte also durchaus die allgemeine Pflicht, die Klägerin vor Schädigungen innerhalb des Verkehrsraumes zu bewahren und diese auch – weil der Unfall nicht Teil der Sicherheitsleistung sein musste – erfüllt. Dem LG ist also zuzustimmen, wenn es darauf verweist, dass der Geschäftsinhaber 489 490 491 492

Ausdrücklich: RGZ 147, 353 (356); BGH VersR 1960, 609 (611). LG Aachen VersR 1988, 852. LG Aachen a. a. O., ebd. LG Aachen a. a. O., ebd.

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nicht Vorsorge für jede mögliche Schadenssituation treffen kann. Es vernachlässigt aber, dass die Gefahrenwahrscheinlichkeit kein Entstehungsgrund der Verkehrspflicht ist. Dieser liegt allein in der Verkehrseröffnung des Beklagten. Wohl aber entscheidet die Gefahrennähe über die Ausgestaltung der Verkehrspflicht im Einzelnen und beantwortet die Frage, auf welchen Standard sie für die konkrete Schadenssituation einzustellen ist. Steht der Betreiber auch in der Pflicht alles Erforderliche zu tun, um bei drohender Gefahr mögliche Schäden vom Kunden abzuwenden, so kann er gleichfalls verlangen, dass diese sich in verständiger Weise auf die örtlichen Gegebenheiten einstellen.493 Auch die von ihnen geforderte Erwartungshaltung beschränkt die Verkehrspflicht und wird damit nicht erst im Rahmen des Mitverschuldens (§ 254 Abs. 1 BGB) aktuell. So hat der Kunde in Märkten, in denen der Großteil der angebotenen Waren aus aufgeschnittenen Kartons angeboten wird, mit möglichen Gefahren, die aus dem Überstehen einzelner dieser Warenkartons in den Gang resultieren, zu rechnen. Er kann sich schließlich im Vorhinein gebührend auf diese Form der Warenpräsentation einstellen.494 In anderer Hinsicht hat dieser auch damit zu rechnen, dass in einer Obst- und Gemüseabteilung – mehr als an anderen Plätzen – auch bei sorgfältiger und gewissenhafter Erfüllung der Reinigungspflicht immer wieder Obst- und Gemüsereste auf den Boden des Geschäftes fallen und nicht immer vollständig entfernt werden können.495 Die eigene Beobachtungs- und Sorgfaltspflicht des Kunden steht hier jeweils in Relation zum Vertrauen, das dieser in die unbeschadete Passierung des Geschäftslokals legt. Dieses ist konsequenterweise umso größer, je höher die Erwartungshaltung in die Gefahrlosigkeit ist, was wiederum abhängig von äußeren Umweltbedingungen wie der Art des Geschäfts, der Abteilung, dem Kundenfluss, aber auch Erfahrungswerten ist. Der Faktor Vertrauen sorgt einerseits, ähnlich dem anerkannten Grundsatz im Straßenverkehr,496 dafür, dass der Einzelne sich darauf verlassen kann, die von Dritten beherrschten Einrichtungen ohne eigene Gefährdung benutzen zu 493

Vgl. nur OLG München VersR 1992, 630. OLG Hamm BB 1992, 1957 (1958): Es würde zu einer Überspannung der Verkehrssicherungspflicht der Beklagten führen, wollte man von ihr verlangen, in regelmäßigen, kurzen Abständen die Regale daraufhin zu kontrollieren, ob keine Kartons einige Zentimeter aus den Regalen überstehen; vgl. auch mit dem Fall eines Tante-Emma-Ladens: OLG Koblenz MDR 1996, 265, das zusätzlich auf den Umstand abstellt, dass der klagenden Kundin das Geschäft von „zahlreichen Besuchen“ her bekannt war. 495 OLG Koblenz NJW-RR 1995, 158; AG Köln Urt. v. 01.04.03 Food & Recht 2004, 12 (13): Der Geschäftsinhaber ist nicht verpflichtet in diesem Bereich einen Mitarbeiter abzustellen, der ständig den Boden sauber hält. 494

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können, da sie zwar zu seiner Benutzung bestimmt sind, er auf ihren Zustand aber selbst keinen Einfluss hat.497 Es findet andererseits seine Grenze darin, wo nach allgemeiner Lebensauffassung Gefahrenvorsorge (und sei es in Form eines Warnschildes) nicht ernstlich verlangt und erwartet werden kann.498 Dies gilt vor allem im Hinblick auf eine konkrete Gefahrenprävention. Denn solange eine Gefahr nicht erkennbar ist, kann vom Pflichtigen nicht erwartet werden, dezidierte Sicherheitsmaßnahmen gegen sie vorzubereiten.499 Zudem muss sich der Kunde auf ein Mindestniveau menschlichen Fehlverhaltens einstellen, da eine restlose Gefahrenvermeidung realistischerweise nie erreichbar ist.500 Da jedoch der Unterschied zur deliktischen „Jedermann-Beziehung“ in den hier besprochenen „Warenhaus-Fällen“ nicht so eklatant ist wie bei sonstigen vertragsanbahnenden Kontakten,501 ist an den Faktor „Einstellen auf die Gefahrensituation“ kein sonderlich hoher Maßstab zu setzen. Der Kunde ist im Vergleich (anders als z. B. der fachkundige Besucher einer Baustelle) der schwächste Partner, wenn es darum geht, wie viel aus seiner eigenen Erfahrung heraus an Aufmerksamkeit verlangt werden darf. 496 Danach braucht sich derjenige, der sich selbst verkehrsgerecht verhält, nicht vorsorglich auf alle möglichen Verkehrswidrigkeiten anderer einstellen, sondern darf, sofern nicht besondere Gründe dagegen sprechen, erwarten und sich darauf einrichten, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer die gebotene Sorgfalt beachten und den Verkehr nicht pflichtwidrig gefährden; vgl. BGHSt 9, 92 (93); 12, 81 (83); OLG Köln VersR 2002, 1302 (1303); Hentschel, Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO Rn. 20 f.; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, § 1 StVO Rn. 24 f. 497 Zu diesem Aspekt auch Ulmer JZ 1969, 163 (170). 498 Siehe in diesem Zusammenhang den Fall des OLG Koblenz MDR 2000, 1375. Die Klägerin war im Supermarkt der Beklagten gegen eine automatische Schiebetür gelaufen. Sie machte geltend, die Besucher eines derartigen Marktes dürften darauf vertrauen, dass die Bewegungsmelder so installiert und geschaltet seien, dass die Tür in jedem Fall geöffnet sei, wenn der Kunde den Türbereich erreiche. Das Gericht verwarf diese Ansicht. Es bestehe kein Vertrauenstatbestand dahingehend, dass eine automatische Tür in jedem Fall geöffnet ist, wenn der Türbereich erreicht ist. Vielmehr müsse jeder Kunde vor dem Betreten und Verlassen des Supermarktes darauf achten, ob sich die Automatiktür geöffnet hat. In Einzelfällen wird man eine Warnpflicht anzunehmen haben, wenn die Möglichkeit eines Fehlverhalten einkalkulierbar und i. d. S. „vorhersehbar“ ist, vgl. zur Produzentenpflicht, ein Produkt so zu gestalten, dass eine nahe liegende fehlerhafte Anwendung ausgeschlossen ist: BGHZ 116, 60 (65 f.) = NJW 1992, 560 f.; BGH NJW 1972, 2217 (2221); NJW 1995, 1286 (1288) u. oben unter 1. Teil, B. V. 3. 499 Indes befreit ihn dies nicht davon, Erkundigungen über Ausmaß und Qualität der Gefahr anzustellen bzw. durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass er die Gefahr erkennt, vgl. OLG Hamm MDR 1996, 696; BGH LM Nr. 89 § 823 (Dc) II 3 a bb; VersR 1979, 1055 (1056). 500 Vgl. nur BGHZ 31, 73 (74); 108, 273 (274); OLG München VersR 1979, 62 (63); OLG Köln VersR 1992, 335. 501 Siehe noch unten 2. Teil, E. VI.

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Der Faktor Zumutbarkeit findet schließlich auch Ausdruck in der Höhe des finanziellen Aufwands als adäquate Grenze der Verkehrspflicht.502 Dies hat allerdings nur so lange zu gelten, wie nicht vitale Rechtsgüter, wie Leben und Gesundheit betroffen sind. In diesem Fall hat der Pflichtige stets alles zu tun, um der Gefahr Herr zu werden und einen sicheren Begegnungsverkehr zu gewährleisten, auch unter großem Aufwand.503 Im Übrigen ist es eine Frage der Verhältnismäßigkeit und damit der Abwägung zwischen Höhe der Eigenleistung einerseits und drohender Beeinträchtigung andererseits, wie die konkrete Verkehrspflicht ausgestaltet ist. Geringfügige Sachschäden erfordern keine unzumutbaren Vorsorgekosten, wobei auch hier wieder das Interesse des Pflichtigen an der Verkehrsöffnung eine Rolle spielt. Die klassischen Unfallursachen im Einzelhandel führen, das belegen die einschlägigen Entscheidungen, nicht selten zu erheblichen Körperschäden. Eine Absenkung des Sorgfaltsniveaus, was Fußböden, Rolltreppen etc. anbelangt, wird daher in der Regel nicht in Betracht kommen, auch nicht unter dem Gesichtspunkt der finanziellen Belastbarkeit des Pflichtigen. Hier zeigt sich deutlich die objektive Ausrichtung der Verkehrspflicht, die im Ursprung unabhängig von subjektiven Kriterien des Verantwortlichen zu bestimmen ist.504 Die Skizzierung der Beispiele aus der Rechtsprechung hat gezeigt: Die Verkehrspflicht ist stets unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten und Vertrauensschutzaspekten zu betrachten. Sie setzt stets dort ein, wo interpersonaler Kontakt stattfindet und jemandem die Rolle des Beherrschers, Eröffners oder Leiters zukommt. Ihre Grundaussage gründet auf der Schadloshaltung aller Personen, die sich in zulässiger Weise505 dem eröffneten Bereich nähern. Dort, wo sich Gefahren für den Besucher überraschend auftun oder für ihn nicht ohne weiteres erkennbar sind, so dass diesem die Möglichkeit genommen ist, sich darauf einzustellen,506 ist die Verkehrspflicht typischerweise erhöht. Ist dem Kunden jedoch gerade dieses „Einstellen“ auf die Situation, also die Vorbereitung und Ausrichtung seines Handelns in zumutbarer Weise aufgrund der „Systemimmanenz“507 der Gefahren möglich, dann endet dort die Verkehrspflicht. Alles andere bedeutete die un502 Dazu und zur ökonomischen Analyse des Deliktsrechts bereits unter: 1. Teil, B. IV. 4. 503 BGHZ 58, 149 (156 f.) = VersR 1972, 542 (543); BGH NJW 1965, 197 (199); VersR 1985, 64 (65) = NJW 1985, 620 (621). 504 Vgl. dazu bereits oben 1. Teil, A. I. 1. 505 Dazu noch unter 1. Teil, C. 506 I. d. S. OLG Koblenz MDR 2000, 1375. 507 Erkennbare und somit „systemimmanente“ Gefahren, Ausdruck von Riedmaier VersR 1990, 1315 (1332).

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zulässige Belastung des Geschäftsinhabers mit dem allgemeinen Lebensrisiko.508 2. Intensivierung der Verkehrspflicht So wie oben bereits dargestellt, ist die Verkehrspflicht kein fester Anforderungspegel. Dies bedingt, dass die Erwartungshaltung in Bezug auf den Betreiber auch steigen kann. Auslöser können veränderte örtliche Bedingungen, verschärfte Umwelteinflüsse, exzeptionelle Zwecksetzungen und schließlich besondere Gefahrsteigerungen sein. Exemplarisch kann die Entwicklung des Selbstbedienungsbetriebs – stellvertretend für die gesamte Modernisierung des Einzelhandels – genannt werden. Wie oben aufgezeigt, verschärfte dieser Prozess zunehmender Flächenexpansion und werbestrategischer Positionierung die Sorgfaltsanforderungen an den Geschäftsinhaber in Bezug auf die Instandhaltung der Räume. Dieser sieht sich fortan nicht mehr in der Pflicht, sich lediglich in „angemessenen Zwischenräumen um den Zustand des Fußbodenbelags“509 zu kümmern, sondern mittels einer bestimmten Person eine „regelmäßige Bodenreinigung in kurzen Abständen“ vornehmen zu lassen, die durch die jeweiligen Gegebenheiten und durch den davon abhängigen Grad der Verunreinigung bestimmt werden.510 „Die jeweiligen Gegebenheiten“, das meint in erster Linie die unmittelbaren Auswirkungen der neuen Vertriebsform, die mit ihrer Abkehr von der Vollbedienung steigende Kundenzahlen und eine bis jetzt kaum nachlassende Erweiterung der Verkaufsfläche mit sich bringt. Sie sorgen dafür, dass die Verkehrspflicht des Einzelhändlers ab sofort anders – strenger – bestimmt wird.511 Das 508 Derjenige, der leichtsinnig Strommasten hochklettert, kann sich wegen seiner Schäden nicht im Nachhinein an das Energieunternehmen wenden (anders nur bei Kindern: OLG Brandenburg RdE 2001, 25 f.), ebenso wenig wie sich derjenige, der aus jugendlichem Übereifer einen Kopfsprung in ein als solches gekennzeichnetes Nichtschwimmerbecken macht, sich an den Inhaber des Schwimmbads halten kann, vgl. BGH NJW 1980, 1159 (1160 f.); OLG Oldenburg VersR 1987, 1199. Anders nur, wenn man selbst besondere Gefahrenquellen setzt, z. B. Bierflaschen mit einer hochgiftigen Natronlauge herumstehen lässt, wenn Handwerker im Hause sind, vgl. BGH NJW 1968, 1182 (1183). Hier erhöht sich die allgemeine Verkehrspflicht durch die Schaffung besonderer Gefahrenlagen. 509 Vgl. noch KG VersR 1952, 242 bzw. OLG Schleswig VersR 1952, 214: „in gewissen Abständen nachsehen“. 510 OLG Köln VersR 1972, 1149 = NJW 1972, 1950; VersR 1999, 861 = MDR 1999, 678 = JMBl. NW 1999, 38. 511 Dies registrierte das LG Berlin schon 1961, wenn es, wenngleich merklich vorsichtig, formulierte, „dass bei einem auf die besonderen Gegebenheiten des Selbstbedienungsgeschäfts zurückzuführenden Schadensfall der Umfang der Verkehrssicherungspflicht einmal anders bestimmt werden muss als bei anderen Verkaufsgeschäften“.

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schon mehrfach zitierte Urteil des OLG Köln512 stellt sich allerdings in dieser Form als intensivste Version des Pflichtenmaßstabs dar. Heute ist anerkannt, dass der Sicherheitsaufwand, der einem Händler zumutbar ist, nicht schablonenhaft und für alle Formen des Vertriebs einheitlich bestimmt werden kann. Im Fall des Sturzes einer Kundin in einem Lebensmittelmarkt im Bereich hinter der Kasse beschäftigte sich erneut das OLG Köln 1996 ausführlich mit der Frage, welche Kontrollmaßnahmen zur Überprüfung des Fußbodens eines Lebensmittelgeschäfts erforderlich und daher anzuordnen sind.513 Dies, so das Gericht, sei nicht abstrakt, sondern nur nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalls, vor allem „des Zuschnitts und der Größe des Geschäftslokals“ zu beantworten. So mag es bei einem großen und schwer überschaubaren Ladenlokal (das OLG benennt als Beispiel eine große Lebensmittelabteilung eines Kaufhauses im Zentrum einer Großstadt bzw. einen Einkaufsmarkt mit mehreren tausend Quadratmetern Verkaufsfläche auf diversen Ebenen) erforderlich sein, entweder einzelne Mitarbeiter mit einer Überprüfung des gesamten Objekts in bestimmten, kurzen Zeitabständen zu beauftragen oder jeweils einem Mitarbeiter die Verantwortung für die Sauberkeit der jeweiligen Abteilung zu übertragen, in der er tätig sei.514 Das Gericht stellt damit die Größe der Verkaufsfläche als einen wesentlichen Gradmesser erhöhter Verkehrspflichten heraus, auch wenn er im benannten Fall nicht griff. Der Lebensmittelmarkt des Beklagten war lediglich ein Geschäftslokal „mittlerer Größe“. Hier genüge der Betreiber den Anforderungen seiner Reinigungspflicht, wenn er ganz allgemein seine Mitarbeiter anweise, den Zustand des Bodens regelmäßig zu kontrollieren und Verunreinigungen sofort zu beseitigen. Die Benennung einer bestimmten Person sei dabei nicht erforderlich.515 Diese Ansicht wurde in einer jüngeren Entscheidung des OLG Karlsruhe bestätigt.516 Danach kann es in kleinen, ohne weiteres räumlich überschaubaren Geschäften genügen, eine allgemeine Anweisung an das Personal zu geben, alle 15 Minuten zu kontrollieren, ob Verunreinigungen vorhanden sind und diese zu beseitigen. Es sei nicht erforderlich, „eine bestimmte Person mit der Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht zu betrauen“.517 512

NJW 1972, 1950 = VersR 1972, 1149. VersR 1997, 1113. 514 OLG Köln a. a. O., ebd. 515 OLG Köln a. a. O., ebd. 516 Vgl. OLG Karlsruhe Urt. v. 14.07. 04 in VersR 2005, 420. 517 OLG Karlsruhe a. a. O., S. 421. In dem Fall wies das Geschäft eine Verkaufsfläche von 660 m2 auf. Ob o. g. Grundsätze zum Geschäft „mittlerer Größe“ auch hier noch gelten, war nach Ansicht des Gerichts „zweifelhaft“. 513

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Die Intensität der Sorgfaltspflicht bestimmt sich also nach dem Ausmaß der Betriebsstätte, aber auch nach ihrer jeweiligen Form. Baumärkte,518 Blumengeschäfte,519 Autoreparaturstätten520 oder auch Souvenirläden sind erfahrungsgemäß reicher an gegenständlichen Hindernissen, die Ursache von Unfällen sein können. Entsprechend hat der Inhaber seine Sicherheitsleistung im selben Umfang darauf einzustellen, wie Kunden ein gewisses Maß an Eigenvorsicht aufbringen müssen. Doch nicht nur durch die Art des Geschäfts, auch innerhalb des Ladens kann sich der Betreiber verschärften Sicherheitserwartungen gegenüber sehen. So sind an die Verkehrspflicht des Geschäftsinhabers an Obst- und Gemüseverkaufsflächen in einem Selbstbedienungsladen weit höhere Anforderungen als beispielsweise in Textil- oder Technikabteilungen zu stellen.521 Dies wird dem höheren Verkehrsaufkommen, vor allem aber der gesteigerten Gefahr der Verunreinigung gerecht. So ist allgemein bekannt, dass gerade bei der so genannten losen Selbstbedienung in Obst- und Gemüseabteilungen immer wieder einzelne Blätter, Gemüsereste oder Erdkrümel (bei Kartoffeln) auf den Boden fallen, sei es bedingt durch die Unachtsamkeit der Kunden beim Herausnehmen der Produkte aus dem Regal bzw. beim Wiegen oder durch ungeschicktes Legen in den (in der Regel mit einem Gitterboden ausgestatteten) Einkaufswagen. Eben auf diese besonderen örtlichen Umstände hat der Betreiber zu reagieren und seine Sicherheitsmaßnahmen entsprechend einzurichten.522 Das Anforderungsprofil mit einer Durchführung der Reinigung alle 15 bis 20 Minuten und der Benennung einer bestimmten Person zur Säuberung, wie sie vom OLG Köln in seiner Entscheidung entwickelt und dann später durch andere Spruchkörper konkretisiert wurde,523 ist demnach nicht nur durch die Vertriebsart selbst und ihrer Typizität höheren Kundenaufkommens und veränderten Form des Einkaufens durch die Selbstbedienung beeinflusst. Vor allem spielen Art und Ausmaß der möglichen Verunreinigungen eine Rolle. Dass diese bei Obst- und Gemüseständen besonders eklatant sind, liegt auf der Hand. Gerade dies macht diese Abteilungen zu „besonders gefähr518

OLG Stuttgart VersR 1987, 1251. OLG Hamburg VersR 1972, 650. 520 LG Schweinfurt VersR 1977, 850. 521 Vgl. OLG Koblenz NJW-RR 1995, 158: „eine weit über das Normalmaß hinausreichende Verkehrssicherungspflicht“. 522 Vgl. OLG Köln VersR 1999, 861 = JMBl. NW 1999, 38 = MDR 1999, 678; OLG Hamm NZV 2002, 271. 523 Vgl. nur OLG Stuttgart VersR 1991, 441; OLG Koblenz MDR 1994, 1191 = NJW-RR 1995, 158; LG Dortmund NJW-RR 1999, 1622. 519

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deten“.524 Und gerade hierin unterscheiden sie sich von Warenbereichen, die keine frischen Produkte anbieten, wie z. B. Feinkost-525 oder Textilabteilungen.526 Dementsprechend mag im Einzelfall die Verkehrspflicht bezogen auf jene Non-Food-Produktzweige weniger hart erscheinen. Der BGH ging hier sogar soweit, eine Habacht auf Obstreste oder andere Gegenstände lediglich „in Abständen“ zu konstatieren.527 Dass dies nicht ganz stimmig ist, belegt ein Blick auf die Steuerungskomponenten der Verkehrspflicht. Diese sind stets von einem Gefahrenpotential abhängig. Der Kunde muss sich – wie oben dargelegt – auf bestimmte Unfallrisiken einstellen. Lediglich unerwartete, versteckte und nicht ohne weiteres zu begegnende Gefahren liegen nicht in dem Anforderungskreis dessen, womit er zu rechnen hat. Genau um diese Fälle geht es jedoch, wenn er über Bananenschalen in Textilabteilungen oder Gemüseblätter vor dem Zeitungsstand stürzt. Niemand wird ernstlich behaupten, solche verdeckten Gefahren wären vorhersehbar und von vornherein wirksam zu begegnen. Der Konsument rechnet in diesen Bereichen eben nicht mit derartigen Risiken. An sich ist dann aber für ihn – gerade wegen der überraschenden Unfallquelle – die Gefahr einer Schädigung recht hoch. Dies rechtfertigte auch eine Pflichtenerhöhung des Inhabers. Da die Fälle der Verunreinigung an diesen Orten anderseits aber eher selten vorkommen, limitiert sich die Sorgfaltspflicht gemessen an dem Grundsatz: Dort, wo weniger Gefahren zu erwarten seien, sei die Sorgfaltspflicht weniger stark. Ein wahres Dilemma! An diesem Beispiel lässt sich auch gut ablesen, wie sehr das Deliktsrecht in der Lage ist, dass Verhalten von Schädiger und Geschädigtem zu steuern. Ein hoher Anforderungslevel an den Verkehrspflichtigen mag den Schutz des Teilnehmers stärken, ihn jedoch auch gleichsam infolge des gestiegenen Erwartungshorizonts dazu verleiten, die eigene Sorgfalt zurückzunehmen. Anders in Frischeabteilungen wie dem Obst- und Gemüsestand, in denen die Kunden die Ware selbst auswählen, verpacken und abwiegen können. Hier verlangt die Rechtsprechung vom Kunden ein „gesteigertes Maß an Aufmerksamkeit“.528 Er sei in derlei Verkaufsflächen gehalten, dem Zu524

OLG Köln VersR 1999, 861. Fall entschieden vom OLG Hamm in NZV 2002, 271. Hiernach ist in einer 50 m vom Obst- und Gemüsestand entfernten Feinkostabteilung eine häufigere Fußbodenkontrolle als alle 45 min nicht erforderlich. 526 BGH VersR 1961, 1078 = NJW 1962, 37; Vgl. auch für die Molkereiprodukteabteilung, die für die Verschmutzung durch den Kunden weniger anfällig ist, weil hier i. d. R. nur komplette Packungen aus den Regalen entnommen werden, LG Dortmund NJW-RR 1999, 1622. 527 BGH VersR 1961, 1078 (1079) = NJW 1962, 37 (38). 528 OLG Köln VersR 1999, 861 (862). 525

B. Verkehrspflichten und Einzelhandel

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stand des Bodens mehr Beachtung zu schenken und sich darüber zu vergewissern, ob er genügend Sicherheit aufweise.529 Die gesteigerte Sorgfaltspflicht ist allerdings auch hier eine doppelte und erscheint auf beiden Seiten: Unternehmer und Verbraucher.530 Jeder bildet im Interesse der Gefahrenprävention bestimmte (erhöhte) Erwartungen an das Sorgfaltsniveau und hat in Folge dessen die eigene Sicherheitsleistung danach auszurichten. Dies ist im Übrigen grundsätzliche Maßgabe der Einzelhandelsläden. Wer also beispielsweise Baumärkte betritt, muss als Kunde zwangsläufig damit rechnen, dass die Gefahr von Unfällen angesichts der dortigen Hindernisdichte (aber auch der Verletzungsgefahren, die – gerade was derartige Läden anbelangt – in besonderer Weise von den Produkten ausgehen), eine erhöhte ist. Hinzu kommt die seit einigen Jahren vermehrt praktizierte Einsetzung akustischer bzw. optischer Reize, die eine erhöhte Ablenkung der Kunden von potentiellen Gefahrenquellen bewirken. Dies führt einerseits zwar zu einer strengeren Verkehrssicherungspflicht der Verantwortlichen. Anderseits können diese Umstände auch die Kunden nicht völlig von einem eigenverantwortlichen Verhalten entlasten; sie dürfen sich eben – vereinfacht gesagt – nicht völlig ablenken lassen.531 Ein ähnliches Ergebnis lässt sich dem Lebensmittelrecht entnehmen, wenn es um die Qualitätssicherung der Produkte geht. Hier ist die Gefahr der Gesundheitsschädigung durch verdorbene Produkte besonders hoch. Dementsprechend beschränkt sich die Pflicht des Händlers nicht einfach nur auf oberflächige Sichtkontrollen. Er unterliegt im Rahmen der einschlägigen Hygiene-Vorschriften (vgl. LFGB)532 umfangreichen Sicherheits- und Kontrollmaßnahmen. Andererseits müssen aber auch die Kunden um die besondere Anfälligkeit von Frischeprodukten wissen und dürfen Verbraucherangaben wie das Mindesthaltbarkeitsdatum bzw. ausweislich überlagerte Ware (zu reduziertem Preis) nicht bewusst ignorieren. Konsequenzen für die Verkehrssicherungspflicht außerhalb schmutzsensibler Bereiche mag die Rechtsprechung dennoch nicht ziehen, so dass die intensivierte Sorgfaltspflicht vorerst auf den Obst- und Gemüsebereich 529

Vgl. nur OLG Stuttgart VersR 1991, 441 (442); OLG Köln VersR 1999, 861

(862). 530 Die Verletzung dieser Sorgfaltspflicht führt auf Seiten des Verbrauchers regelmäßig dazu, dass ihm ein Mitverschuldensvorwurf nach § 254 Abs. 1 BGB zu machen ist; vgl. OLG Köln VersR 1972, 1148 (1150); OLG Hamm VersR 1983, 43; OLG Köln NJW-RR 1996, 278 (279). 531 Vgl. OLG Köln VersR 2000, 765 (766) zur Verkehrssicherungspflicht bei Schulfesten. 532 Siehe dazu bereits unter 1. Teil, B. V. 3.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

(bzw. ähnliche Abteilungen, in denen dem Kunden unverpackte Frischeware angeboten wird) beschränkt bleibt. Dies erscheint gerade unter dem Aspekt, dass der Käufer sich auf die versteckten, unerwarteten Risiken vor allem in Abteilungen abseits oben genannter Verkaufsflächen schlechter einstellen kann, nur wenig verständlich. Auf der anderen Seite orientiert sich der Maßstab der Verkehrspflicht aber auch immer an der Gefahrennähe. Dementsprechend wird man die Anforderungen an die Sorgfaltsmaßnahmen umso höher anzusetzen haben, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass es zu einem Unfall kommt.533 Da diese außerhalb der Frischeabteilungen erfahrungsgemäß eher gering anzusiedeln ist, lässt sich ebenso gut das Ergebnis abgeschwächter Vorsorgepflichten vertreten. Insgesamt stellt sich die Intensivierung der Verkehrspflicht als wenig neues Phänomen dar. So konstatierte das RG schon im Juli 1909 das Vorhandensein „besonderer Pflichten“534 in Bezug auf eine Firma, Mieter eines Lagerraums nebst Galerie, die während des Ladenumbaus in ihrem Vorderhaus den Lagerraum zum Einzelverkauf nutzte. Entsprechend der hierdurch herbeigeführten Vermehrung des Verkehrs, hätte, so das Gericht, die beklagte Firma „mit besonderer Sorgfalt darauf zu achten, dass der Zugang zu dem Lagerraume ein gefahrloser war“.535 Diese Entscheidung lässt sich als erster Hinweis einer Verschärfung der Verkehrspflicht bei Zunahme des Besucherverkehrs im Einzelhandel deuten. Ganz ähnlich auch das Urteil des OLG Schleswig vom 28.02.1952.536 Die Klägerin war vor einem Bäckerladen auf einem Kuchenrest ausgerutscht und machte hierfür die Beklagte verantwortlich. Der Senat erkannte an, dass unter regelmäßigen Umständen von der Ladeninhaberin nicht mehr verlangt werden könnte, als Laden und Treppe viermal täglich zu reinigen. Am Unglückstag herrschten jedoch „besondere Verhältnisse“ infolge eines „Vogelschiessens“ in der Nähe.537 Den hierdurch provozierten erhöhten Kundenandrang nahm das Gericht zum Anlass verschärfte Sorgfaltspflichten aufzuerlegen.538 533 I. d. S. auch BGH NJW 1995, 1078; vgl. zuletzt OLG Brandenburg BauR 2001, 656 (657). 534 In: JW 1909, 493. 535 RG a. a. O., ebd. 536 OLG Schleswig VersR 1952, 214. 537 OLG Schleswig, a. a. O., S. 215. 538 Die erhöhte Risikolage gleicht derer bei Jahr- oder Wochenmärkten. Auch hier haben die Veranstalter in besonderer Weise ihre Verkehrspflicht einzurichten. Dies bedingen die vorübergehende Veränderung der örtlichen Gegebenheiten, verbunden mit provisorischen Aufbauten und technischen Anlagen, v. a. aber auch der hohe Publikumsverkehr (u. U. ortsunkundiger Personen) und die erhöhte Ablenkung

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Bereits diese zwei Entscheidungen zeigen: Ein erhöhter Gefahrenwert benötigt zu seiner Kompensation verstärkte Aufwendungen in Bezug auf Prävention und Abwendung. Dabei ist der Auslöser der Gefahrenprognose völlig unwesentlich und im Übrigen unterschiedlichster Art: So nimmt der Pflichtenkatalog des Betreibers zu, weil er während des Publikumsverkehrs Reinigungsarbeiten ausführen lässt,539 er den Durchgang zwischen zwei Kassen mittels einer niedrig hängenden Kette sichert540 oder weil sich das Einkaufscenter trotz Öffnung für den Kunden noch im Aufbau befindet.541 Intensivierungen der Verkehrspflicht lassen sich schließlich auch im Rahmen der Produkthaftung der Händler ausmachen. Sofern diese aufgrund langjähriger Erfahrung oder spezieller Ausbildung über besondere fachliche Kenntnisse oder Fertigkeiten im Umgang mit dem Produkt verfügen, sind diese zu nutzen. Erleidet der Käufer Schäden, weil er vom Fachhändler über Risiken, Fehler oder sonstige Besonderheiten in der Anwendung nicht ausreichend aufgeklärt wurde, kann er diese vom Händler wegen Verletzung der (gesteigerten) Verkehrspflicht ersetzt verlangen. Dies bringt zwangsläufig eine gewisse Ungleichbehandlung der mittelständischen Fachgeschäfte gegenüber den Großhändlern mit sich. Andererseits ist es auch gerade deren Sachkenntnis, Spezialisierung und technische Ausstattung, die die Kunden anziehen und in die Geschäfte locken. Der wirtschaftliche Vorteil gleicht in diesem Fall den Mehraufwand an Sicherungsleistungen aus. 3. Fazit Die Beispiele der Rechtsprechung, ausgewählt unter dem Topos des Einzelhandels, haben gezeigt: Gefahrerhöhung, Vertrauensschutz, Zumutbarkeit der Sicherung und Beherrschbarkeit der Gefahr sind die essentiellen Abwägungskriterien der Verkehrspflicht. Sie bestimmen Umfang und Grenzen derselbigen, und sie vermögen sie im Einzelfall auch zu steigern. Flankiert werden diese Komponenten vom nicht zu unterschätzenden Gedanken der Vorteilsziehung, wonach derjenige, der den wirtschaftlichen Nutzen aus einer Sache zieht, auch für die aus ihr resultierenden Schäden einzustehen hat.542 Dieser Ansatz, ausdrücklich vor allem in den Gefährder Besucher. Erschwert wird die Situation i. d. R. noch durch das Vorhandensein mehrerer Verantwortlicher (Eigentümer, Veranstalter; Drittunternehmen); zur Verkehrssicherungspflicht bei Sonderveranstaltungen Wussow VersR 2005, 903. 539 LG Essen VersR 1964, 1187; LG Duisburg VersR 1968, 100. 540 OLG Schleswig ZfS 1994, 240. 541 OLG Düsseldorf WiB 1996, 749. 542 Dazu bereits oben unter 1. Teil, B. IV. 4.; vgl v. a. das Schrifttum unter Fn. 308.

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dungshaftungstatbeständen (siehe ProdHaftG) realisiert, findet sich in diversen Entscheidungen zur Einstandspflicht des Einzelhändlers wieder.543 Auch ihm ist jedoch eigen, dass er eine Sicherungsleistung allenfalls schärft, nicht aber begründet.544 An die Höhe des zur Bewältigung der Sicherheitsmängel erforderlichen Aufwandes sind dann auch keinerlei Limitierungen gesetzt, vergegenwärtigt man sich die hochrangigen Güter, die bei Verletzung der Fürsorgepflicht auf dem Spiel stehen.

C. Der Unbefugte im verkehrseröffneten Gefahrenbereich I. Einführung Die Problemstellung des Unbefugten im verkehrseröffneten Gefahrenbereich ist insofern eine ungewöhnliche, als ihre Kernaussage im Grundsatz dem Prinzip des § 823 Abs. 1 BGB zuwiderläuft. Dieser normiert – ganz im Gegensatz zum Vertragsrecht – den Schutz absoluter Rechte und damit Schutzpositionen, die jedermann gegenüber greifen. Umgekehrt darf sie aber auch ein jeder für sich in Anspruch nehmen. Haben sich somit Rechtsprechung und Lehre auf den Grundsatz geeinigt, Verkehrspflichten bestünden prinzipiell nicht im Hinblick auf den widerrechtlich Verweilenden,545 so mag das zum einen den oben skizzierten Richtsatz konterkarieren, es zeigt zum anderen aber auch bereits früh („prinzipiell“), dass bei Anerkennung eines solchen Prinzips Ausnahmen zugelassen werden müssen. Eine solche erkennen Judikatur und Literatur vor allem im Hinblick auf Kinder an, deren mangelnde Einsichtsfähigkeit und kindlicher Spieltrieb in der Regel der Auslöser für die Begegnung mit Gefahrenquellen ist.546 Sie gilt es in besonderem Maße vor den Folgen ihrer Unerfahrenheit und Unbesonnenheit zu schützen – und das stets unabhängig davon, ob sie befugt oder un543

BGH VersR 1961, 1139 = LM Nr. 10 zu § 823 (Db) BGB mit dem Fall des Vertriebs von Popcorn durch einen Werbehändler vor dem Filialhaus der Beklagten, der am Umsatz mit 40% beteiligt war; weiter: Fall des OLG Celle VersR 1979, 1154, in dem die Post neben dem allgemeinen Betrieb auch noch einen Verkaufsstand errichtet hatte. Zum Ganzen: v. Bar, Verkehrspflichten, S. 125 f. 544 Anders Wagner in MüKo § 823 Rn. 248: „Die Kriterien, nach denen sich der Umfang deliktischer Sorgfaltspflichten bestimmt“ – wozu er auch „Kosten und Nutzen von Sorgfaltsmaßnahmen rechnet, vgl. u. Rn. 249 – „sind weitgehend identisch mit denjenigen Gesichtspunkten, von denen ihre Existenz abhängt“. 545 BGH VersR 1975, 87; OLG Hamm VersR 1994, 325; aus dem Schrifttum: Geigel-Wellner, a. a. O., Kap. 14, Rn. 34. 546 Vgl. aus der Vielzahl der Entscheidungen nur BGH VersR 1975, 88 (89); VersR 1993, 621 und zuletzt OLG München VersR 2000, 1030 (1031); OLG Köln NJW-RR 2000, 692 (693); OLG Schleswig NJW-RR 2004, 384 (385); siehe dazu auch Schnitzerling DWW 1977, 228; Möllers VersR 1996, 153.

C. Der Unbefugte im verkehrseröffneten Gefahrenbereich

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befugt den Gefahrenbereich betreten. Die nachfolgenden Ausführungen werden jedoch auch zeigen: Rechtsprechung und Lehre entscheiden weitaus differenzierter, als der Blick auf Regel und Ausnahme annehmen lässt. Ein einheitliches Bild ist dabei nicht ganz einfach auszumachen, wenngleich sich der sich anschließende eigene Ansatz eben darum bemühen wird. II. Standpunkt der Rechtsprechung Die frühe Rechtsprechung unter dem Reichsgericht zeigte sich im Umgang mit Ausgleichsansprüchen unbefugt Verweilender unnachsichtig und verweigerte sie kategorisch.547 Dies änderte sich im Laufe der Jahrzehnte. Der BGH folgte ausgangs der 50er Jahre zwar zunächst noch dieser Rechtsprechungslinie,548 weichte sie jedoch in den Folgejahren zunächst bezüglich nichtberechtigter Kinder,549 dann auch hinsichtlich Erwachsener auf. Fortan wurden Verkehrssicherungspflichten auch gegenüber solchen Personen anerkannt, die ein Grundstück unbefugt betreten, sofern damit den gegebenen Umständen nach gerechnet werden musste und der Eigentümer keine Maßnahmen traf, um dies zu verhindern.550 Die hier erfolgte Erweiterung des Haftungsrahmens unter Einbindung von Schutzzweckgesichtspunkten wurde bis heute weitgehend aufrechterhalten, widerstreitende Urteile und Stellungnahmen erschweren jedoch vielfach eine verlässliche Rechtsanwendung. Die aktuelle Rechtsprechung lässt sich im Großen und Ganzen auf folgenden Nenner bringen: Nach wie vor gilt im Grundsatz, dass eine Verkehrssicherungspflicht zugunsten Unbefugter ausgeschlossen ist.551 Die Rechtsprechung verdeutlicht dies von je her mit dem Bild des „beschränkten Verkehrskreises“.552 Demnach bestehen Verkehrssicherungspflichten zugunsten der Beteiligten nur in dem Umfang, wie ihnen ein Verkehr eröffnet 547

RG JW 1908, 744 (745); 1909, 461; 1912, 796; RGZ 76, 187 (188). BGH VersR 1957, 165 (166); VersR 1957, 268; NJW 1957, 499; VersR 1959, 429 ausdrücklich: „Die Verkehrssicherungspflicht für Geschäftsräume besteht nicht nur gegenüber dem Publikum, sondern auch allen anderen gegenüber, die sich dort befugtermaßen aufhalten“, Hervorhebung von mir; BGH FamRZ 1963, 245. 549 BGH VersR 1957, 790; FamRZ 1970, 553; JZ 1973, 631; VersR 1975, 87. 550 Vgl. schon BGH VersR 1959, 467 = VRS 16 (1959), 329; VersR 1965, 515; VersR 1967, 801 (802). 551 OLG München VersR 1992, 210; OLG Nürnberg NZV 1997, 353 (354); OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 672 (673); zuletzt NJW-RR 2002, 1249. 552 So schon in Ansätzen RG Recht 14, Nr. 36; JW 1916, 263; LZ 1918, 44 (45); JW 1931, 3325 (3327); ferner BGH VersR 1956, 554; VersR 1969, 37; NJW 1987, 2671 (2672); VersR 1993, 491; OLG Jena VersR 1998, 903 (904); OLG Hamm NJW-RR 2001, 1602 (1603). 548

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worden ist.553 Allen Teilnehmern außerhalb des bestimmungsgemäßen Verkehrskreises gelten die Sicherheitsleistungen des Pflichtigen demzufolge nicht.554 So verneinte das OLG Brandenburg Ersatzansprüche eines Firmenvertreters, der zwecks Unterbreitung eines baubezogenen Angebotes die Bauleitung einer Baustelle aufsuchte und hierbei von einer Dachschräge abstürzte.555 Ähnlich entschied das OLG Hamm in Bezug auf einen Kunstmaler, der eigens für die Überreichung eines Pferdebildes, das dieser auftragsgemäß für den Geschäftsführer der beklagten Firma gefertigt hatte, nach Geschäftsschluss auf das Betriebsgelände des Unternehmens kam. Der Kläger fiel über eine unbeleuchtete Bordsteinkante und verletzte sich. Das OLG wies dennoch die Ansprüche ab, da es atypisch sei, dass sich Betriebsfremde zu dieser Zeit dort aufhielten.556 Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.557 553 Die Eröffnung selbst soll sich dabei durch persönlichen Widmungsakt vollziehen, ähnlich wie im öffentlich-rechtlichen Sicherungsrecht, vgl. OLG Bamberg VersR 1969, 85; zur Widmung eines öffentlichen Weges: BGH VersR 1964, 727. Dies soll im Einzelfall den Eigentümer ermächtigen, eine Verkehrseröffnung zurückzuziehen oder von vornherein auszuschließen. Dann allerdings habe der Pflichtige dies entsprechend kenntlich zu machen, vgl. BGH NJW 1978, 1628. Eine bloße Duldung des Verkehrs genüge zudem für dessen Eröffnung nicht, siehe OLG Bamberg a. a. O., ebd. 554 Etwas anderes soll gegenüber Personen gelten, die auf die Benutzung eines erst vorläufig angelegten Gehweges angewiesen sind, vgl. BGH VersR 1986, 704. Die Rechtslage ähnelt insgesamt der im englischen Recht. Dort regeln der Occupiers Liability Act 1957 und der Occupiers Liability Act 1984 die Haftung wegen neglience gegenüber Unbefugten. Der Occupiers Liability Act 1957 unterscheidet in lawful visitors (z. B. Nachbarn), denen eine allgemeine Sorgfaltspflicht (duty to take care) gegenüber besteht und unlawful visitors. In Bezug auf Letztere ist die duty of care des Grundstücksbesitzers deutlich eingeschränkt, Rechtsregeln hierzu enthält der Occupiers Liability Act 1984. 555 BauR 2001, 656 (657) = RuS 2001, 365 (366): Auf der Baustelle sei nur ein begrenzter Verkehr zugunsten der am Bau beschäftigten Handwerker, Lieferanten, des Architekten, des Bauherrn usw. eröffnet. Eine Verantwortlichkeit für den verkehrssicheren Zustand der Baustelle bestehe daher nur denjenigen gegenüber, die zu dem beschränkten Personenkreis gehören, gegenüber dem der Baustellenverkehr eröffnet ist. Der Kläger, ein Vertriebsbeauftragter einer GmbH, die Blitzschutz- und Erdungsanlagen vertreibt, gehörte nach Ansicht des Gerichts nicht dazu; vgl. zur Verkehrssicherungspflicht von Baustellen auch BGH NJW 1957, 499; NJW 1985, 1078. 556 OLG Hamm VersR 1994, 325 (326). 557 Vgl. auch den Fall des OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1173, in dem ein Hundehalter auf der Suche nach seinem entlaufenen Tier nachts auf dem Anwesen des Eigentümers in einen Kellerschacht stürzt. Zur Straßenverkehrssicherungspflicht gegenüber Verkehrsteilnehmern, die einen öffentlichen Weg außerhalb seiner Widmung und Freigabe benutzen vgl. BGH NJW 1966, 1456; VersR 1953, 336 = NJW 1953, 1506.

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Dennoch werden Ausnahmen, und das nicht nur in Bezug auf Kinder, zugelassen. Diese knüpfen an oben Gesagtes an. Der Sachwalter wird hiernach von den Verkehrssicherungspflichten gegenüber unbefugter Benutzung dann nicht befreit, wenn für ihn die Gefahr, dass Beschränkungen der Verkehrswidmungen nicht beachtet werden, in Rechnung zu stellen ist, d. h. wenn er erkennen konnte und musste, dass sich Dritte von einer nicht der Verkehrswidmung entsprechenden Nutzung nicht abhalten lassen.558 Dies gelte selbst dort, wo bereits Zutrittsverbote durch Warnschilder oder Absperrungen kenntlich gemacht seien, aber dennoch erfahrungsgemäß mit einem Fehlverhalten Dritter zu rechnen sei,559 und besonders dann, wenn die Unfallstelle einen erheblichen Gefährdungsgrad aufweise.560 Sicherungspflichtenauslösend ist damit im letztgenannten Sinne nicht die Eröffnung eines Verkehrs, sondern die Herbeiführung einer Gefahrenlage. Dies funktioniert, weil die Rechtsprechung die durch Eröffnung eines Verkehrs erzeugte Pflicht nur als „Unterfall“ derjenigen Sicherungspflichten ansieht, „die alle den Tatbestand zur Wurzel haben, dass nach der konkreten Lage der Verhältnisse eine Gefahrenlage für Dritte besteht, für die derjenige einzustehen hat, der die Gefahrenlage schafft“.561 Der Tatbestand der Gefahrenverursachung ist damit lediglich Hilfskonstruktion der Judikatur für all jene Fälle, in denen ein Verkehr nicht eröffnet worden ist und dennoch ein Bedürfnis für die Anwendung der Verkehrssicherungspflichten besteht. Nach hier vertretenem Verständnis ist die Gefahrlegung als Initiator der Verkehrspflichten dennoch unbrauchbar, weil es insoweit nur auf die Stellung als Raumbeherrscher ankommt.562 Eine autonome Beschränkung des Verkehrs bzw. sein gänzlicher Ausschluss ist damit allerdings nicht mehr möglich.563 558 OLG Hamm VersR 1991, 1154; OLG Köln VersR 1992, 1241; OLG Hamm VersR 1996, 1517; OLG Köln VersR 1997, 1355 (1356); BGH BauR 1997, 148; VersR 1988, 631 für die Verkehrspflicht eines Gastwirtes, der sich in seinen Sicherheitsleistungen darauf einstellen müsse, dass Gäste in Folge des Genusses von Alkohol unaufmerksam oder unverständig sind, i. Ü. müsse er deren natürliche Neugierde in Betracht ziehen; aber OLG Hamm VersR 1991, 1154: keine totale Absicherung gegen alle möglichen Delikte, die unter Einfluss von Alkohol theoretisch vorstellbar sind. An der Übertragbarkeit o. g. Grundsätze auf Erwachsene zweifelnd: OLG Hamm NZV 2001, 471 (473); vgl. auch OLG Hamm VersR 1994, 325 (326): Verkehrssicherungspflichten bestünden in engen Grenzen. Diese Grenzen richten sich nach den typischerweise vorkommenden Situationen, mit denen immer zu rechnen ist; s. a. LG Koblenz RuS 1988, 364. 559 OLG Köln a. a. O., ebd. unter Verweis auf BGH VersR 1989, 155 (156); 1978, 561; 1965, 515 (516). 560 BGH VersR 1956, 794 (795); VersR 1965, 515; VersR 1966, 562 (563); OLG Düsseldorf NJW-RR 2001, 1173 = MDR 2001, 938; OLG Düsseldorf RuS 1990, 120. 561 Vgl. BGH VersR 1959, 467; VersR 1965, 515. 562 Siehe diesbezüglich schon unter 1. Teil, B. VI. 1.

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Eine Sicherungspflicht wird weiterhin dann angenommen, wenn ein besonderer Anreiz besteht, sich in die Gefahr zu begeben.564 Dabei sei es nicht erforderlich, dass der Anreiz unmittelbar von der Gefahrenstelle selbst ausgehe.565 In die Frage der missbräuchlichen, weil bestimmungswidrigen Benutzung fällt auch der Aspekt der Einhaltung einschlägiger Unfallverhütungsvorschriften und des – auch durch DIN Normen ausgewiesenen – Standes der Technik.566 Der Pflichtige hat diese oder gleichwertige Sicherheit zu gewährleisten, wobei immer zu bedenken ist, ob Vorkehrungen gegen widerrechtliche Benutzung technisch möglich und dem Träger der Verkehrssicherungspflicht zumutbar sind.567 Schließlich soll der Betreiber gehalten sein, Hinweis- und Verbotsschilder zur Beschränkung des Verkehrs anzubringen.568 Diesen Grundsätzen folgend bejahte das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung aus dem Jahr 1998569 die Verkehrssicherungspflicht der beklagten Gemeinde hinsichtlich einer für den Fahrverkehr gesperrten Brücke trotz bestimmungswidriger Benutzung durch einen Radfahrer. Dieser hatte das Verbot missachtet und war beim Befahren der Brücke schwer gestürzt. Ungeachtet dessen, so das Gericht, dass Radfahrern das Befahren der Brücke verboten gewesen sei, habe der Unfallort doch auch für sie eine Gefahrenquelle dargestellt, auf die die Beklagte Rücksicht hätte nehmen müssen. Eine bestimmungswidrige Benutzung war nach Ansicht des OLG auch des563

Dazu noch unter 1. Teil, C. IV. 2. BGH VersR 1975, 87. 565 OLG Düsseldorf VersR 1977, 1011 (1012). 566 OLG Celle NJW-RR 1995, 984. 567 BGH NJW 1978, 1629; NJW 1980, 1746. 568 OLG Braunschweig RuS 1993, 339: In dem Fall stürzte ein Waldarbeiter von einem Hochsitz, den er aus Schutz vor einem Hagelschauer aufsuchte. Das Gericht lehnte eine Ersatzpflicht des beklagten Landes im Ergebnis ab, konstatierte aber, dass den Besitzer des Hochsitzes grundsätzlich die Pflicht treffe, zumutbare Maßnahmen gegen ein Besteigen des Hochsitzes durch Unbefugte zu treffen, wenn nach den Umständen damit zu rechnen ist, dass der Hochsitz ohne solche Maßnahmen von Unbefugten bestiegen wird. Als solche kämen nach Ansicht des Gericht das Anbringen von Schildern oder die Befestigung einer Umzäunung in Betracht; missverständlich LG Aachen ZfS 1991, 184 (185): keine Sicherungspflicht gegenüber Unbefugten bei Aufstellen von Verbotsschildern; beachte aber OLG Hamm VRS 103 (2003), 10 = NZV 2002, 50. Interessant in diesem Zusammenhang das Urteil des House of Lords v. 31.07.2003 in VersRAl 2004, 15. Der Kläger erlitt hier bei einem Kopfsprung in einen See einen Genickbruch und verlangte Schadensersatz unter Berufung auf den Occupiers Liability Act 1984. Das Gericht wies zugunsten der beklagten Eigentümerin, die mittels Warnschilder auf die Gefahrenstelle aufmerksam gemacht hatte („No swimming“), ab. 569 In: VersR 1998, 1021. 564

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halb nicht fernliegend, weil die Brücke eine beliebte Abkürzung für Rad fahrende Verkehrsteilnehmer dargestellt habe, die auf die jeweils andere Seite des angrenzenden Bahnverkehrs hätten wechseln wollen, und weil die Praxis, dass Fußgängern vorbehaltene Wege auch von Radfahrern benutzt werden, weit verbreitet sei.570 In einem anders gelagerten Fall entschied das OLG Hamm571 ebenfalls zugunsten des Klägers, der im dunklen Kellergang einer Baustelle in einen ungesicherten Pumpenschacht stürzte und sich dabei nicht unerheblich verletzte. Das Gericht gab der Klage statt, auch wenn die Frage der Befugnis nicht ganz unstrittig war. Es sei – auch bei missbräuchlich Verweilenden – anerkannt, dass unter Umständen an die Verkehrssicherungspflicht gesteigerte Anforderungen zu stellen seien und dass die Schutzmaßnahmen umso wirksamer sein müssten, je größer die auf einer Baustelle lauernden Gefahren seien. Der ungesicherte Pumpenschacht in dem dunklen Kellergang stellte nach Auffassung des Gerichts eine erhebliche Gefahrenquelle dar, dies umso mehr, als zur Unfallzeit in der unmittelbaren Umgebung keine Arbeiten stattgefunden hätten. Dies hätte die Überlegung nahe gelegt, dass gerade dort Gefahren auftreten, die wegen des Fortschritts der Bautätigkeiten nicht völlig vermieden werden konnten.572 In beiden Urteilen ist es entweder der Umstand, dass eine bestimmungswidrige Benutzung im Bereich des für den Pflichtigen Erkennbaren liegt, oder die erhöhte Gefahr zweckwidriger Benutzung, die letztlich den entscheidenden Ausschlag für eine Verletzung der jeweiligen Verkehrssicherungspflicht geben.573 Alles in allem sind erfolgreiche Klagen unbefugt Betretender jedoch dünn gesät. Die Durchsicht der hierzu ergangenen Entscheidungen zeigt: Die Gerichte tun sich schwer damit, die ohnehin schon strikten Sicherungspflichten weiter zu Lasten des Sachherrn auszudehnen. Selbst wenn vereinzelt eine Verletzung von Verkehrssicherungspflichten festgestellt wird, korrigiert oftmals der hohe Mitverschuldensanteil des Geschädigten das vormals entstandene Votum, wovon auch die oben genannten Urteile zeugen.574 570

OLG Düsseldorf a. a. O., S. 1022. In: VersR 1993, 491. 572 OLG Hamm a. a. O., ebd. 573 Vgl. hierzu auch OLG Hamm VersR 1996, 1517 (Bodenwellen-Rutsche); OLG Frankfurt a. M. VersR 1994, 231 (falsche Anwendung eines Herbizids); OLG Köln VersR 1997, 1355 (Sturz über ungesichertes Rampenende). 574 Im vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall lag die Mitverschuldensquote gar bei 75%! Skeptisch diesbezüglich: Joeger VersR 1998, 1022; vgl. auch OLGR Köln 2000, 351; OLGR Karlsruhe 2000, 362 = VersR 2000, 1420. 571

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III. Meinungsstand der Lehre 1. Der Ansatz Schwabs Die Frage, in welchem Maße der Schädiger für erlittene Verletzungen des unberechtigt Betretenden oder Verweilenden aufzukommen hat, koppelt Dieter Schwab in seinem viel beachteten Aufsatz aus dem Jahr 1967575 eng an die Begriffe der Verkehrseröffnung und der hierüber herrschenden Bestimmungsgewalt. Sie dienen ihm maßgeblich zur Fixierung eines spezifischen Zwecks, den der Bestimmungsberechtigte der Verkehrseröffnung als räumlichen Herrschaftsbereich zuweist. Die Zweckwidmung des Raumes und des darin eröffneten Verkehrs drücken dabei den Willen des Initiators aus, den Zugang nur unter bestimmten Voraussetzungen und innerhalb eines besonderen Zweckzusammenhangs zu gestatten.576 Halten sich die diesen tatsächlichen Herrschaftsbereich Betretenden in den Grenzen des zugeschriebenen Zwecks – und sei es auch in unbefugter Manier – so ist das Entstehen eines Haftungstatbestands577 für den Bestimmungsberechtigten nicht von vornherein ausgeschlossen. Die entscheidende Frage stellt sich für Schwab demgemäß nicht in der Abgrenzung befugt/unbefugt, sondern in der Zweckverwirklichung des Hinzutretenden. Stellt dieser sich außerhalb der Zweckwidmung – Schulbeispiel ist hier der Bankräuber, der mit vorgehaltener Waffe und Maskierung in den Schalterraum eindringt –, so kann hiernach die Verantwortung hinsichtlich etwaiger Schäden dem Bestimmungsberechtigten nicht aufgebürdet werden. Nicht unerheblich fließt dabei das Merkmal der Exklusivität der Verkehrseröffnung in die Entscheidung um die adäquate Erfüllung der Zugangsbefugnis hinein. Ist diese nur einem begrenzten Personenkreis gestattet – man denke an Privatwohnungen bzw. -gärten oder privatwirtschaftlich betriebene Forstflächen – befindet sich nach Schwab ein jeder, dem der Zu575

In: JZ 1967, 13 ff. Schwab a. a. O., 13 (18); weniger eindeutig aber auch auf die Zweckwidmung abstellend: Arndt, Straßenverkehrssicherungspflicht, S. 78 f. Der Begriff der Zweckwidmung ist dem öffentlichen Recht entnommen. Er fungiert dort im Kommunalrecht als Zuweisungsakt der Gemeinde an eine öffentliche Einrichtung, mittels dessen sie ihren Willen zum Ausdruck bringt, die Einrichtung für einen von ihr bestimmten Zweck bereitzustellen, der gleichsam für sie bindend ist, vgl. dazu Axer, Die Widmung als Schlüsselbegriff; ders., in NVwZ 1996, 114 (117); Dietlein JURA 2002, 445 (447). Auch der Privateigentümer kann seine Grundstücke und Wege ausdrücklich oder schlüssig dem öffentlichen Verkehr widmen. Die Immobilien werden dann insoweit, wie sie dem allgemeinen Verkehr zugelassen werden, in den Bereich der Straßenpolizei einbezogen, so dass alle straßen- und sicherheitspolizeilichen Vorschriften sich auf sie erstrecken. 577 Von Schwab als „haftungsrechtlicher Konnex“ bezeichnet, S. 18. 576

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tritt nicht explizit gestattet wurde, von vornherein außerhalb des eröffneten Verkehrs und damit auch ganz automatisch abseits der Zweckwidmung. Ist umgekehrt der Zutritt jedermann in beliebiger Weise gestattet, so genügt es zur Aufrechterhaltung der Haftungsmöglichkeit, dass sich der Betretende an den mit der Verkehrseröffnung verfolgten Zweck hält und damit die mit diesem verbundenen Zugangsvoraussetzungen erfüllt. Einer irgendwie besonders gearteten Erlaubnis in Bezug auf die Verkehrsbenutzung bedarf es angesichts der Offenheit nach außen nicht. Die Entscheidung, ob sich der Adressat der Zweckwidmung befugt oder unbefugt im Sinne eines Ausschlusses vom Verkehr gleichwohl in diesem bewegt, rückt dabei in den Hintergrund und wird von der Zweckbestimmung überdeckt. Nur durch diese Sichtweise einer Abhängigkeit von Haftungskonnex und Bestimmungsgewalt lässt sich die gegenteilige Meinung Schwabs zur Entscheidung des RG aus dem Jahr 1915578 erklären: In dem Fall suchte ein männlicher Besucher einer Gastwirtschaft die Damentoilette auf und fiel die zum Abort führende Treppe hinab. In der Folge machte er Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten geltend, die er mit dem Mangel an ausreichender Beleuchtung und einem fehlenden Hinweisschild begründete. Das RG wies die Klage ab. Zwar sei der Wirt grundsätzlich für das Wohl des Gastes verantwortlich und habe so dafür zu sorgen, dass dieser sich in den Wirtschaftsräumen frei bewegen könne. Diese Verpflichtung beschränke sich aber nur auf diejenigen Räume, die zur Benutzung des Gastes bestimmt seien. Auf der Damentoilette habe der Kläger hingegen „nichts zu suchen“ gehabt.579 Dass die unzureichende Beleuchtung schlechterdings auch den Herrenabort betraf, hielt das Gericht dabei für unwesentlich und wies die Klage ab. Unter Berücksichtigung der Auffassung Schwabs und einer alleinig haftungsrelevanten Bestimmungsgewalt mit daraus resultierender Zwecksetzung käme man hier zu einem abweichenden Ergebnis. Danach ist die Zweckwidmung des WC nicht abgegrenzt nach Räumlichkeiten, sondern im Sinne eines „funktionell zusammengehörigen Raumkomplexes“580 zu betrachten, der lediglich – und im Übrigen ganz allgemein – dem Toilettengang dient. Hält sich der Gast – wie im vorliegenden Fall – an diese generelle Zwecksetzung der Verkehrseröffnung (unabhängig davon, dass ihm, wenn man so will, die „Berechtigung“ dazu fehlt), ist der Pflichtenbereich des Wirtes dennoch berührt und eine Inanspruchnahme möglich. Auf die in concreto nicht vorliegende Erlaubnis kommt es bei Handeln im Rahmen der Zweckwidmung dann in der Tat nicht an. Das Eindringen des vom Zu578 579 580

RG Urt. v. 02.07.1915 in RGZ 87, 128 ff. RGZ 87, 128 (129). Schwab a. a. O., S. 18.

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trittsverbot Betroffenen beseitigt den haftungsrechtlichen Konnex der Verkehrseröffnung vielmehr erst, wenn dieser sich außerhalb der Zweckwidmung stellt oder Voraussetzungen nicht erfüllt, an die nach der Zweckwidmung die Erlaubnis des Zugangs geknüpft ist,581 was beides hier nicht der Fall war. Dies hat nach Ansicht Schwabs zumindest für die Fälle der unbeschränkten Verkehrseröffnung zu gelten. Hier ist dem Bestimmungsberechtigten – hat er sich einmal der oben benannten Exklusivität begeben – eine einseitig nachträgliche Rückkehr zum eingegrenzten Verkehrskreis (z. B. in Form eines Zugangsverbots) nicht mehr möglich. Deshalb ist es nachvollziehbar, wenn der Verfasser von einer „Emanzipierung der Zweckwidmung“582 gegenüber der Zutrittsversagung spricht, je weniger exklusiv der Bestimmungsbereich des Berechtigten gestaltet ist. Schließlich verweist er noch auf Typiken der Sorgfaltspflicht, bei denen der Berechtigte es pflichtwidrig unterlassen hat, „durch Betätigung seiner rechtlichen Herrschaft den Zugang anderer zu erschweren oder zu verhindern“.583 Dies sind nach Ansicht Schwabs zum einen Fälle, in denen der Bestimmungsberechtigte seinem Selbstbestimmungsrecht („ob sich in seinem Handlungsbereich ein Verkehr im haftungsrechtlichen Sinn bilden darf“584) nicht ausreichend Genüge tut, indem er beispielsweise seinen Herrschaftsbereich nicht erkennbar absteckt (z. B. bei Nichtkennzeichnung eines Privatwegs), er lediglich den Anschein eines Verkehrs erregt oder wenn der Verkehr erheblich gefahrbelastet ist.585 In solchen Fällen sei der Pflichtige gehalten, besondere Maßnahmen gegen den Zutritt anderer zu treffen, beispielsweise durch Aufstellen von Hinweis- oder Warnschildern. Dies gelte erst recht, wenn der Bestimmungsberechtigte mit dem Betreten durch Dritte habe rechnen müssen.586 Diese Kasuistik erinnert an die Fälle der Rechtsprechung, in denen auch Unbefugten gegenüber die Einhaltung von Verkehrspflichten zugebilligt wird.587

581 582 583 584 585 586 587

Ders. a. a. O., ebd. Ders. a. a. O., S. 19. Ders. a. a. O., ebd. Ders. a. a. O., S. 17. Ders. a. a. O., ebd. Ders. a. a. O., ebd. Siehe oben unter C. I.

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2. Der Ansatz Marburgers Die Ergebnisse der Abhandlung Peter Marburgers588 decken sich im Wesentlichen mit denen Schwabs. So stellt sich auch für ihn die Frage, ob jemand befugt oder unbefugt in den Gefahrenbereich eindringt, als unwesentlich dar; maßgebend sei vielmehr, ob der Verletzte sich innerhalb der vom Bestimmungsberechtigten getroffenen Zweckwidmung der Sache gehalten habe oder nicht.589 Freilich geht Marburger auf den ersten Blick in einem Punkt über die Deutungen Schwabs hinaus. Unter inhaltlicher Trennung zwischen der Benutzung öffentlicher Verkehrswege und Einrichtungen auf der einen Seite sowie Privatgrundstücken auf der anderen hält er bei erstgenanntem trotz widmungswidrigen Verhaltens des Geschädigten eine Aufrechterhaltung des Schadensersatzanspruchs durchaus für denkbar. Es komme eben nur auf die Art der Gefahr an, die sich in der eingetretenen Rechtsgutsverletzung realisiere. Nur wenn sie zu jenen Risiken gehöre, die durch die Verkehrsbeschränkung abgewehrt werden sollten, entfalle die Haftung des Sicherungspflichtigen.590 Dies gelte unabhängig vom zweckerfüllenden oder zweckwidrigen Verhalten des Geschädigten und bestimme sich allein danach, ob die Rechtsgutsverletzung als Konkretisierung einer Gefahr erscheine, deren Abwendung zum Verantwortungsbereich des Pflichtigen gehöre. In der Regel werden dies Gefahren sein, die sich in besonderer Weise von der üblichen Verkehrssicherung abheben (sei es in ihrer Intensität oder hinsichtlich ihres Ausmaßes) und die damit auch den bestimmungsgemäßen Verkehr getroffen hätten. Somit kann eine Anspruchsbegründung für den Unbefugten nur gestattet sein, wenn es sich – vereinfacht gesagt – um Risiken handelt, die dem Geschädigten außerhalb des bestimmungsgemäßen Verkehrs drohen.591 Dies alles erinnert an die Lehre vom Rechtswidrigkeitszusammenhang, die indes auch Schwab in seine Überlegungen einbezieht.592 Und auch die Erkenntnis, dass besondere Gefahrenlagen die Haftung des Bestimmungs588

In: JurA 1971, 481 ff. Marburger a. a. O., S. 488. 590 Ders. a. a. O., S. 490. 591 Ders. a. a. O., S. 491. 592 Schwab a. a. O., S. 15. Ähnlich schon Stoll AcP 162 (1963), 193 (234): „Die verletzte Rechtspflicht muss gerade den Schutz der verletzten Person und des geschützten Rechtsguts sowie die Abwendung derjenigen Gefahr bezwecken, die sich in der Rechtsverletzung verwirklicht hat“. Und zum Standardbeispiel der Hausfrau, die den Boden derart glatt poliert, dass der des nachts eindringende Dieb sich ein Bein bricht: „Die Hausfrau haftet deshalb nicht, weil die verletzte Verkehrspflicht nur den Schutz solcher Personen bezweckt, die die Treppe befugtermaßen betreten. Es fehlt am Rechtswidrigkeitszusammenhang“. 589

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berechtigten nach sich ziehen, ist diesem nicht fremd, wenngleich er sie nur für den nicht verkehrseröffneten Bereich anerkennen will.593 Gleiche Ergebnisse erzielt Marburger auch in Bezug auf Privaträume. Ist der Zutritt zu einem solchem Herrschaftsbereich in allgemeiner Weise allen Personen unbegrenzt gestattet (Geschäftsräume), so sei jeder, der sich nach seinem objektiv erkennbaren Verhalten im Rahmen der Verkehrsöffnung bewege, ohne Rücksicht auf ein im Einzelfall bestehendes Zutrittsverbot dem Verantwortungsbereich des Sicherungspflichtigen zuzuordnen. Rücksicht verdiene lediglich die Erfüllung aller Zweckanforderungen sowie – damit verbunden – der Zugangsvoraussetzungen. Dagegen sei jeder, der bei einem exklusiv geöffneten, privaten Personenkreis (Privatgrundstück, Betriebsräume) nicht nach der Zweckwidmung oder aufgrund besonderer Erlaubnis des Bestimmungsberechtigten zum zutrittsberechtigten Publikum zählt, von vornherein aus dem Schutzbereich der Verkehrspflichten ausgeschlossen. 3. Der Ansatz Schröders Einen weiteren Versuch zur Einordnung der Problematik unternahm Jan Schröder in seinem Aufsatz aus dem Jahr 1979.594 Danach fließt in die Entscheidung um das Entstehen von Verkehrssicherungspflichten gegenüber Unbefugten stets eine Abwägung der Interessen von potentiellem Schädiger und Geschädigtem hinein. Dafür soll es sowohl auf den Grad der Gefährdung (sowie Höhe und Art des zu erwartenden Schadens) als auch auf das Ausmaß der zur Gefahrenabwehr erforderlichen Aufwendungen (Schädigerseite) ankommen.595 Richtigerweise erkennt Schröder jedoch, dass jene Interessenabwägung allein noch keine endgültige Festlegung hinsichtlich einer Haftung gegenüber Unbefugten zulässt.596 Zur weitergehenden Regulierung dient ihm das Institut des Mitverschuldens (§ 254 BGB) als Ausdruck einer Verwirkung des Rechts auf Interessenschutz durch zurechenbare Selbstgefährdung.597 Indes wird mit dieser Umschreibung das Verhalten des Unbefugten 593

Schwab a. a. O., S. 19. In: AcP 179 (1979), 567 ff. 595 Schröder a. a. O., S. 574. 596 Dafür sind die Kriterien zu unbestimmt. In Anbetracht der Tatsache, dass auch Unbefugte ex ante betrachtet in gefahrenträchtige Situationen gelangen können, die im Vorwege mittels geringen Aufwandes zu entschärfen sind, müsste eine Verkehrssicherungspflicht ihnen gegenüber fast immer bejaht werden. Beide Abwägungsgesichtspunkte sind i. Ü. ohnehin keine Besonderheit des Entstehens von Verkehrspflichten gegenüber Unbefugten. Schadensprognose und Höhe der Präventionsmittel sind vielmehr Komponenten, die – wie oben gezeigt – in jegliche Form der Begründung von Verkehrspflichten einstrahlen. 594

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kaum interessengerecht eingeschätzt, zumal es erst auf der nachrangigen Ebene des Schadensausgleichs aktiviert wird. Es ist auch mehr als der Verzicht auf Interessenschutz; es stellt in der Regel einen schuldhaften, rechtswidrigen Angriff zumindest auf Besitz und Eigentum des Schädigers dar. Ein solcher ist grundsätzlich notwehrfähig, wenngleich mit den Prinzipen der Verkehrssicherungspflicht – dies stellt Schröder deutlich heraus – kaum in Einklang zu bringen. Für sie erscheinen ihm Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit stimmige Abwägungsfaktoren.598 Dem Notwehrbegriff ist ein Interessenausgleich jedoch an sich fremd,599 ebenso wie ein in der Regel sowohl in der zivil-600 wie auch in der strafrechtlichen601 Dogmatik geforderter Verteidigungswillen nicht recht zur Abwehrhandlung (und damit zur Frage, inwieweit die Hinnahme des Angriffs zumutbar ist) passen will. Letztlich lässt Schröder die Frage offen und begnügt sich mit der Feststellung, dass Verkehrssicherungspflichten gegenüber Unbefugten durchaus bestehen können, sofern nur ein gewisser Gefährdungsgrad erreicht ist, die gefahrvermeidenden Aufwendungen tragbar sind und – hier findet er den Kompromiss zur oben genannten Streitfrage – nicht notwehr-analoge Gesichtspunkte eingreifen.602 Ist dies der Fall, so könne eine Schadensersatzpflicht nur noch aus dem Gesichtspunkt der Schadensverteilung und damit des Mitverschuldens des Selbstgefährdenden (§ 254 BGB) entfallen, das Schröder ohnehin am liebsten in den Bereich der Haftungsbegründung integriert sähe. Auch hierfür werde die Frage nach der Zumutbarkeit des Verzichts auf Selbstgefährdung wieder aktuell, die jedoch regelmäßig bejaht werden müsse, da der Aufwand der Nichtvornahme einer verbotenen Handlung das „Minimum“ dessen darstelle, „was die Rechtsordnung zur Vermeidung von Selbstschädigungen überhaupt verlangen kann“.603 Nur in zwei 597

Schröder a. a. O., S. 582: „So erweist sich (. . .) die Frage der Verkehrssicherungspflicht gegen Unbefugte im Kern als Mitverschuldensproblem“. 598 Die Unzumutbarkeit der Hinnahme des vom Unbefugten ausgehenden Angriffs schließt also die Verkehrssicherungspflicht aus, wenn die Gegenwehr zur dessen Abwendung geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dies setzt auf der anderen Seite natürlich eine gewisse Erheblichkeit der Schädigung des Angreifers voraus, vgl. Schröder a. a. O., S. 578. 599 Vgl. BSG JZ 2000, 96 (97); Roxin, StrafR AT 1, § 15 Rn. 47; Baumann/Weber/Mitsch, StrafR AT, § 17 Rn 25. 600 BGHZ 92, 357 (359); Schreiber JURA 1997, 29 (30); einschränkend MüKoGrothe, § 227 Rn. 14. 601 Vgl. RGSt 54, 196 (199); BGHSt 2, 111 (114); BGH NStZ 2000, 365 (366), und die ganz h. L.: Jescheck/Weigend, StrafR AT, § 32 II 2a; Baumann/Weber/ Mitsch, a. a. O., § 17 Rn. 31; Schönke/Schröder-Lenckner, § 32 Rn. 63; Tröndle/Fischer, § 32 Rn. 14; anders LK-Spendel, § 32 Rn. 138 ff. 602 Schröder a. a. O., S. 579.

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Konstellationen will der Autor im unbefugten Handeln kein nach § 254 BGB beachtliches Mitverschulden sehen: zum einen, wenn das Handeln des Unbefugten gar nicht zu einer Gefahrerhöhung führt, zum anderen, wenn es dem Geschädigten an deliktischer Zurechenbarkeit (§§ 827, 828 BGB) fehlt. 4. v. Bar In seiner wegweisenden Monographie über Verkehrspflichten stellt Christian v. Bar – und mit ihm nicht wenige des Schrifttums604 – heraus, dass der Gedanke, Unbefugte seien im verkehrseröffneten Bereich ungeschützt, kein grundsätzlicher ist. Eine Verkehrssicherungspflicht komme vielmehr auch ihnen gegenüber in Betracht, vorausgesetzt, dass mit dem Betreten durch Unbefugte gerechnet werden müsse und dass dem Sachherrn zumutbare Aufwendungen zur Verhinderung oder Eindämmung der Gefahrenlage möglich seien.605 Die Kriterien der Haftung leitet er aus den allgemeinen Entstehungsgründen der Verkehrspflichten ab. Es sind hier wie dort die Komponenten der Gefahrerhöhung, der Beherrschbarkeit, der Vorteilsziehung und vor allem des Vertrauensschutzes.606 So gelangt er zu der Erkenntnis, dass es auf das Begriffspaar befugt/unbefugt nicht ankommt und dass das Merkmal des „widerrechtlichen Verweilens im Gefahrenbereich“ zur Markierung des persönlichen Schutzbereiches der Verkehrspflicht „gänzlich ungeeignet“ ist.607 5. Stoll und seine Theorie vom Handeln auf eigene Gefahr Hans Stoll unterstellt die Haftung des Inhabers gegenüber dem unbefugten Verkehr der Rechtsfrage nach dem „Handeln auf eigene Gefahr“.608 So bestehe bei widerrechtlich Betretenden prinzipiell keine deliktische Sicherungspflicht, wobei dieser Grundsatz Ausnahmen zulasse. Als solche seien das Verbot von Selbstschutzanlagen,609 die Pflicht zur Warnung vor Gefahren oder zur Absperrung von Gefahrenstellen in besonderen Fällen (z. B. wenn damit zu rechnen ist, dass Kinder durch ausnehmend spielträchtige 603

Ders. a. a. O., S. 581. Fikentscher, SchuldR, § 103 III 1b, Rn. 1234; Soergel-Zeuner, § 823 Rn. 205. 605 v. Bar, Verkehrspflichten, § 7 I 2, S. 187. 606 Ders., a. a. O., S. 188 f.; ihm beipflichtend MüKo-Mertens, 3. Aufl., § 823 Rn. 220. 607 Ders., ebd., S. 190. 608 In: Handeln auf eigene Gefahr, S. 89 ff., 264 ff. 609 Vgl. § 367 Nr. 8 StGB a. F., inzwischen aufgehoben durch Art. 19 Nr. 206 EGStGB v. 02.03.1974 (BGBl. I, S. 469). 604

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Anlagen angelockt werden) oder eine Rücksichtnahmepflicht bei Kenntnis von der Gefahrenstelle anzusehen. In allen weiteren Fällen sei der Verkehrsschutz gegenüber Unbefugten stark abgeschwächt, wenngleich nicht vollends aufgegeben, im Übrigen aber abhängig von der Beschaffenheit der jeweiligen Schutzpflicht des Grundstücksinhabers, die in den oben genannten Sonderfällen variiert. 6. Der Vergleich mit dem befugten Besucher (Larenz/Canaris; Hager) Schließlich stellen eine Reihe von Autoren auf einen Vergleich mit dem befugten Besucher ab. So hafte der Pflichtige, wenn der Unbefugte die Gefahrenlage nicht wesentlich erhöht habe, vor allem aber, wenn sich eine Gefahr realisiert habe, die bei einem berechtigtermaßen Betretenden gleichermaßen eingetreten wäre.610 In diesem Fall stelle sich die Verletzung des Unbefugten als zufällig für den Sachherrn dar, mit dem Ergebnis, dass ihm die Schädigung auch zugerechnet werden müsse. Im Schulfall des über den glatt gebohnerten Boden stürzenden Einbrechers käme die Ansicht folglich zur Haftung des Verkehrspflichtigen. Einem befugtermaßen Betretenden wäre selbiges wohl auch passiert, der Umstand, dass das Schadensereignis einem ex post betrachtet Unberechtigten traf, soll den Pflichtigen nicht entlasten. IV. Eigener Ansatz Im Folgenden soll mittels eines eigenen Ansatzes versucht werden, der Probleme um den Unbefugten im verkehrseröffneten Bereich in adäquater Weise Herr zu werden. Die Überlegungen werden sich dabei notwendigerweise und größtenteils auf das Gebiet des Einzelhandels konzentrieren. Dies rechtfertigte an sich eine Reduzierung auf den so genannten unbeschränkten Verkehrsbereich (dies meint den Bereich nicht-exklusiver Zutrittsgestaltung, wie ihn Geschäftsläden mit sich bringen). Damit würde der Thematik aber nicht ausreichend Genüge getan. Die nachfolgenden Überlegungen werden somit (allein schon aus Gründen der Abgrenzbarkeit) auch den Bereich beschränkter – und damit in der Regel privater – Zugangsöffnung umfassen. 610 Larenz/Canaris, SchuldR II, § 76 III 6a, S. 424; Staudinger-Hager, § 823 E 52; Bamberger/Roth-Spindler, § 823 Rn. 247; Palandt-Sprau, § 823 Rn. 47; vgl. auch Brüggemeier, DeliktsR, S. 322, der i. Ü. – dies erinnert an die Thesen einer wohlfahrtsökonomischen Ausrichtung der Verkehrspflicht – auf eine Abwägung zwischen Gefährdungsgrad und Präventionsaufwand abstellen will.

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1. Sicherungspflichten im „unbeschränkten“ Verkehrsbereich a) Abkehr von der Abgrenzung befugt/unbefugt Eine erste signifikante Schwäche im Rechtsprechungskonzept des „beschränkten Verkehrskreises“ lässt sich bereits am Beispiel des Diebes aufzeigen. Ausgehend von der These, dass ein Ausschluss von Verkehrspflichten grundsätzlich nur denjenigen gegenüber in Betracht kommt, die nicht dem allgemein eröffneten Verkehr unterfallen, würden Diebe – und damit die klassischen Fälle widerrechtlich Verweilender – prinzipiell am Schutz der Verkehrspflicht partizipieren, es sei denn, der Inhaber beschränkt seinen Verkehr ausdrücklich ihnen gegenüber durch Verbote o. ä., was jedoch im vorhinein kaum geschehen wird und was nach hier noch darzulegender Meinung rechtstechnisch auch nicht möglich ist.611 Die Rechtsprechung hilft sich über diese Misslichkeit hinweg, indem sie den Status des „Unbefugten“ kreiert, der – obwohl formal Teilnehmer des unbeschränkten Verkehrskreises – dennoch nicht Anspruchsinhaber aus § 823 BGB werden soll.612 Das Begriffspaar befugt/unbefugt (in ähnlichem Zusammenhang wird die Problematik unter dem Gesichtspunkt des „unerlaubt“ oder „widerrechtlich“ 611 Siehe dazu noch unter 1. Teil, C. IV. 2. Vom Schutzkreis ausgegrenzt wären dann lediglich die sog. „Hausverbots-Fälle“. 612 In diesem Zusammenhang ist i. Ü. der mangelnde Wille des Stehlenden, die Ware kaufen zu wollen nicht von Bedeutung. Dies machte der BGH in einem Fall aus dem Jahr 1987 (in NJW 1987, 2671 ff.) hinreichend deutlich. Dort war der Kläger abends vor dem Eingang einer Diskothek gestürzt. Der beklagte Inhaber war seiner durch Satzung von der Stadt übertragenen Streupflicht nur unzureichend nachgekommen. Der Senat bejahte eine Verkehrssicherungspflichtverletzung unabhängig davon, dass der Verletzte überhaupt nicht die Absicht hatte, die Diskothek – als dem allgemeinen Publikum zugänglichen Verkehr – aufzusuchen. Viele Passanten verspürten den Wunsch, eine Gaststätte oder Diskothek zu betreten, ohnehin erst, wenn sie sich, möglicherweise gerade durch Hinweisschilder, Werbung oder Musik angelockt, bereits auf dem Grundstück befänden, auf dem das betreffende Lokal betrieben wird. Schon das Geschäftsinteresse des Wirts spreche deshalb dafür, einem Straßenpassanten als potentiellen Besucher des Lokals bereits mit Betreten des Bürgersteigs vor dem Gaststättengrundstück den Schutz der gesteigerten Verkehrssicherungspflicht zukommen zu lassen und nicht erst von dem Augenblick an, zu dem er sich gegebenenfalls entschließe, das Lokal tatsächlich zu betreten. Selbst wenn feststehe, dass der Verletzte die Diskothek „auf keinen Fall betreten hätte, ihm also nicht mal die Eigenschaft eines potentiellen Gastes“ zuzusprechen wäre, sei er aus dem Kreis der durch § 823 BGB geschützten Personen nicht auszuschließen. Auf die „Warenhaus-Fälle“ übertragen bedeutete dies, dass auch der Dieb, selbst wenn er nicht die Absicht hatte, Waren erstehen zu wollen, in den Schutzbereich der Pflicht fiele – dem fehlenden Kaufmotiv käme also an sich kein ausschlaggebendes Gewicht zu. Dennoch ist der Dieb nach der Rspr. „Unbefugter“, wenngleich weder die subjektive Willensbekundung noch der Akt der Verkehrsbeschränkung durch den Inhaber ihn dazu machen.

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Verweilenden beleuchtet) ist jedoch für neue Erkenntnisse in diesem Problembereich denkbar ungeeignet. Diese Bezeichnungen drücken zunächst nichts anderes aus, als dass etwas ohne Erlaubnis, ohne Gestattung, gar ohne oder gegen den Willen des Berechtigten geschieht. Sie betreffen also die Entscheidungsfreiheit des Hausherrn darüber zu bestimmen, wer sich innerhalb der befriedeten Räumlichkeiten aufhalten darf und wer nicht. Eine solche Fragestellung hilft bei der Lösung des Problems, wer in den Schutzbereich verhaltenssteuernder Sorgfaltspflichten einzubeziehen ist, aber nicht viel weiter. Sie versagt im Gegenteil gerade in dem Bereich, der im Folgenden Gegenstand besonderer Überlegungen sein soll – dem verkehrseröffneten Geschäftsraum. Hier begibt sich der Inhaber durch die Öffnung der Räumlichkeiten nach Außen der Zutrittsexklusivität und gibt damit ausdrücklich zu erkennen, dass die räumliche Ungestörtheit durch die Anwesenheit der Kunden nicht berührt ist. Zwar bleiben explizite Betretungsverbote (etwa durch Schilder oder dergleichen) theoretisch möglich, sie sind aber in praxi kaum vorstellbar und werden so auch nicht durchgeführt.613 Ist nun aber dem allgemeinen Publikumsverkehr der Zugang weithin gestattet, so kann eine sinnvolle Abgrenzung hinsichtlich der Befugnis zum Betreten oder Verweilen kaum getroffen werden. Eine solche wäre im Hinblick auf Geschäftshäuser zwar Dieben oder Räubern durchaus abzusprechen, diese werden sich bei Betreten jedoch kaum als solche zu erkennen geben, vielmehr sich in die Menge des übrigen Kundenverkehrs mischen. Um bei dem Bild zu bleiben: Auch diese ex post betrachtet widerrechtlich agierenden Personen heben sich äußerlich von dem restlichen Publikum zunächst einmal nicht ab, sie betreten den Laden mit derselben Berechtigung wie jeder andere beliebige (ehrliche) Kunde. Der innere Vorbehalt, die Ware nicht kaufen, sondern stehlen zu wollen, macht ihr Betreten angesichts der generellen unausgesprochenen Zutrittserlaubnis nicht zu einem unbefugten Eintritt und sie auch nicht zu widerrechtlich Verweilenden. Ein Rückgriff auf den antizipierten, mutmaßlichen Willen des Geschäftsherrn (der sicherlich ein gegenteiliges Ergebnis zur Folge hätte) muss, solange sie sich äußerlich im Rahmen der Zutrittserlaubnis halten, unbeachtlich bleiben, ändert er doch nichts an der zunächst erteilten, uneingeschränkten Gestattung.614 Dies ist kein Spezifikum des Geschäftshauses, vielmehr lässt es sich auf fast alle privat- oder öffentlich-rechtlichen Dienstleistungsbereiche 613

Ausnahme ist sicherlich das Hausverbot. Etwas anderes gilt für den Fall der Erfüllung des strafrechtlichen Tatbestandes des Hausfriedensbruchs. Vgl. zu der dort ähnlich gelagerten Problematik Bernsmann JURA 1981, 403 (407); Bohnert GA 1983, 1 (14) und der Gegenmeinung Amelung/ Schall JuS 1975, 565 (567). 614

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übertragen, sei es auf Bankfilialen oder städtische Ämter (Bürger- und Ordnungsämter etc.). Überhaupt versagt die Einordnung in Kategorien des Befugtenstatus dann, wenn sich der Betretende trotz unbefugten Verhaltens einer Gefahr entgegensieht, die mit dem Unrechtsgehalt seiner Tat in keinem Zusammenhang steht bzw. exorbitant hoch ist.615 Wollte man ihn hier von vornherein vom Anspruch auf Schadensersatz ausschließen, allein aufgrund seiner fehlenden Berechtigung? Selbst die Rechtsprechung mit ihrer Polarisierung auf die Eigenmacht zur Verkehrsbegrenzung tut dies nicht. Die Beispiele zeigen also: Die Problemstellung, wem gegenüber und wenn ja, in welcher Weise Verkehrspflichten bestehen, kann auf Basis der Abgrenzung des befugt oder unbefugt Agierenden nicht funktionieren.616 Somit gilt es zur Filtrierung der Schutzbedürftigkeit auf andere Abwägungsfaktoren abzustellen. Solche können jedenfalls nicht – wie Schröder meint617 – mittels notwehr-analoger Bezüge geschaffen werden. Beantwortet wird hier nur, inwieweit der Schädiger auf ein (unbefugtes) Verhalten des Geschädigten angemessen reagieren darf. Die eigentliche Frage nach der Verkehrspflicht ist dem aber vorgelagert und verlangt eine Beurteilung nach präventiven Gesichtspunkten. Eine solche lässt sich nicht erst mit Kenntnis der Handlung des (vermeintlich) Unbefugten durchführen. b) Die Zweckbestimmung als Maßstabsnormativ Die weitestgehend von Schwab entwickelte Lehre von der Bestimmungsgewalt des Raumbeherrschers, der selbst entscheiden könne, ob sich in seinem Handlungsbereich ein Verkehr bilde, und wenn ja, der dann auch über die Zwecksetzung seine haftungsrechtliche Pflichtenlage ausrichten könne,618 wäre eine adäquate Lösungsalternative, bliebe sie nicht in vielen Fragen lückenhaft. Problematisch ist vor allem die subjektive Ausrichtung der Zweckwidmung. Sie läuft auf die Konsequenz hinaus, dass der Bestimmungsberech615

Vgl. Schwab a. a. O., S. 15 mit dem Beispiel des Ausländers, der das behördliche Aufenthaltsverbot nicht befolgt, bei Glatteis auf dem Bürgersteig ausrutscht und sich verletzt. S. a. Marburger a. a. O., S. 490 mit dem vom BGH entschiedenen Fall des über ein Drahtseil stürzenden Motorradfahrers, der den gefahrträchtigen Weg trotz des Verbotes für den Fahrverkehr befuhr, vgl. BGH VersR 1956, 794. 616 Auch § 367 Nr. 12 StGB a. F. verzichtete schon auf diese Abgrenzung, vgl. RG GA 1937, 202; 1977, 205. 617 Dazu schon oben 1. Teil, C. IV. III. 3. 618 Vgl. Schwab a. a. O., S. 15 ff.

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tigte nicht nur selbst entscheiden kann, wem gegenüber er einen Verkehrsraum eröffnet, sondern in welchem Maße sein Pflichtenkanon von der eigenen Zweckbestimmung gesteuert wird. Der Berechtigte hätte es hiernach selbst in der Hand, in welchem Umfang er Gefahren zu begegnen habe, allein durch die individuelle Form der Zweckwidmung des Sachbestandes. Dabei bliebe dann aber unberücksichtigt, dass es dem Wesen der Verkehrssicherungspflicht (und auf nichts anderes läuft die Frage der Bestimmungsgewalt hinaus) zuwiderläuft, subjektiv von der Person des Pflichtigen installiert zu werden. Sie ist von Grund auf ein Objektivum, eine faktische Lage und damit, worauf auch v. Bar richtigerweise hingewiesen hat,619 ohne Rücksicht auf den Willen des Inanspruchgenommenen zu bestimmen. Alles andere führte dazu, dass es im Prozess letztlich dem Richter obläge darüber zu entscheiden, welche Zweckbestimmung der Berechtigte seiner Einrichtung zugewiesen hat, was wiederum entscheidungsrelevant für die Frage seiner Haftung wäre. Und so klar wird die eigentliche Bestimmung des Pflichtenbereichs nicht immer getroffen werden können. Wer wollte schon entscheiden, ob – um bei dem Fall der Toilettenverwechslung zu bleiben – die Zweckausrichtung eines WC im funktionell zusammengehörigen Kontext des Raumkomplexes zu betrachten ist620 oder jeder Abort für sich seine Zweckbestimmung hinsichtlich des Besucherkreises Mann/Frau innehat. So überflüssig diese Frage zunächst erscheinen mag – erhebt man die Zweckzuweisung zum dirigierenden Maßstab, ist sie für die Haftungsbegründung im konkreten Fall doch höchst relevant. Das Mittel der subjektiven Zweckausrichtung kann damit kaum entscheidungsrelevantes Abgrenzungskriterium sein. Dafür ist es zu unbestimmt und lässt dem Anwender zu viele Optionen der Entschließung. Dieser Missstand würde indes beseitigt, objektivierte man die Zwecksetzung deutlich. Eine solche muss nämlich nicht zwingend aus der Lage des Berechtigten geschlossen werden, sie kann jedem Sachbestand von vornherein immanent sein. Dies gilt gerade für die hier relevanten Fälle der Geschäftsräume. Auf eine individuelle Zweckwidmung kommt es dort gar nicht an, sie lässt sich ganz unproblematisch rein objektiv bestimmen. Dabei kann es dann aber nicht bleiben. Die objektive Zweckwidmung kann nur die grobe Richtung vorgeben, die den Haftungstatbestand lenkt. Insofern ist die – vereinfacht dargestellte – Formel von Schwab zwar nicht 619 In: Verkehrspflichten, S. 187; ähnlich RGRK-Steffen, § 823 Rn. 161: allein der durch die Widmung geschaffene faktische Zustand und die geweckte Verkehrserwartung seien Bezugspunkte; ferner Huber in: FS für v. Caemmerer, S. 387. Dazu auch schon oben unter 1. Teil, B. VI. 1. 620 So die Formulierung von Schwab a. a. O., 13 (18).

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

falsch: Ein jeder, der sich innerhalb der Zweckbestimmung bewegt, muss trotz nicht verkehrsgerechten Verhaltens seinen Anspruch auf Schadenskompensation behalten. Andererseits muss jeder, der sich außerhalb des (beschränkten) Verkehrs bzw. außerhalb der Zweckbestimmung aufhält, diesen verlieren. Dies kann jedoch, wie die nachfolgende Darstellung ergeben wird, die oft komplizierte Frage nach dem Haftungsgrund nicht vollends lösen. Nicht jeder, der sich abseits der Bestimmungsgewalt des Raumbeherrschers stellt, ist gleich des Schutzes unwürdig und in diesem Sinne „vogelfrei“. Es bedarf also Ausnahmen vom oben genannten Grundsatz oder besser: weiterer Kriterien, die das vorliegende Konzept vertiefen. c) Die Steuerungselemente der Verkehrspflicht als Mittel der Haftungsauslese Die Fixierung der Verantwortlichkeit des Verkehrseröffners gegenüber demjenigen, der sich außerhalb des zweckgebundenen Widmungsakts bewegt, bereitet deshalb Probleme, weil die selbstverständliche Annahme einer Haftungsbefreiung hier oft auf Widerstand durch das natürliche Gerechtigkeitsempfinden trifft. So ist in der Tat nur schwerlich einzusehen, warum jedem, der sich – und sei es auch nur in geringem Maße – wider den objektiven Zweck der Einrichtung stellt, sämtliche Schadensersatzansprüche von vornherein genommen werden sollten. Dies wird besonders offensichtlich, wenn das eigene Verschulden des Gefahrurhebers eklatant groß ist. Ein Beispielsfall soll dies verdeutlichen: Die Auszubildende A nimmt jeden Tag auf dem Weg zu ihrer Arbeit die Abkürzung durch die Schaufenster-Passage des Warenhauses K. An einem Morgen hat sie es besonders eilig. Sie läuft, ohne die Auslagen zu ihrer Rechten und Linken zu beachten, schnellen Schrittes durch das gerade erst eröffnete Kaufhaus, als sie in einen 5 bis 6 m tiefen Fußbodenschacht stürzt. Sie hat zuvor nicht bemerkt, dass der den Luftschacht sichernde Gitterrost abgedeckt und in den Schacht geworfen ist. Bei dem Sturz zieht sich die A teils erhebliche Verletzungen zu. In der Folge verlangt sie Ersatz ihrer erlittenen – auch immateriellen – Schäden vom Warenhausunternehmen.621

Unabhängig von der Frage nach vertraglichen Schadensersatzansprüchen ist für A als Geschädigte zumindest auch der deliktische Ersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht zu ziehen. Hier tritt die Rechtsgutsverletzung nicht durch aktive Handlung des Schädigers, sondern durch ein Unterlassen der Sicherungspflichtigen (in diesem Fall durch Nichtabdecken des Gitterrostes) in seinem Gefahrenbereich ein. 621

Fall abgewandelt nach BGH VersR 1976, 149.

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Verwirft man bei der Prüfung der entsprechenden Verkehrssicherungspflicht die unnötige Diskussion über die Zutrittsbefugnis der A im Warenhausbereich der K, gelangt man zur Frage der Zweckwidmung des Geschäfts. Eine solche wird nach allgemeiner Meinung – ganz ohne individuelle Bestimmungszuweisung seitens der K und ohne Vorgriff auf später Auszuführendes – von Anbieterseite in Kundenakquisition und Verkauf, von Abnehmerseite im Kauf der Ware selbst erblickt. Die Abkürzung des Weges, also lediglich die Offerte einer günstigen Wegstrecke, ist jedenfalls nicht Zweckbestimmung eines Warenhauses, wie es die K führt. Demnach bewegte sich die A im Unfallzeitpunkt außerhalb der verobjektivierten Zweckwidmung. Beließe man es dabei und erhöbe diese zum Gradmesser über die Frage der Geltung von Verhaltensgeboten, fielen der Unfall der A und dessen Folgen nicht mehr in den Verantwortungsbereich der K. Ein zweifellos unbilliges Ergebnis, bedenkt man, dass die im Übrigen rechtstreue und sich keines Angriffs auf ihre körperliche Integrität versehende A nur durch die Nachlässigkeit der K in die Unfallsituation gelangte. Die Verursachung einer erheblichen Gefahr und das Vertrauen, dass die A bei Passieren des Durchgangs in die Unbeschadetheit des Bodenbelags legte, widerstreben hier einer Anspruchsnegierung und drängen dazu, gleichsam als Korrektiv einer alleinig durch die Zweckbestimmung herbeigeführten Haftungsschieflage zu dienen. Dabei zeigt sich: Es sind dies dieselben Steuerungskomponenten, die schon bei der Intensivierung und Begrenzung der Verkehrspflicht den Gefahrbegegnungsstandard festlegten.622 Danach gilt unverändert: Eine Sicherung gegen jeden Zufall kann vom Besucher nicht erwartet werden. Steht der Betreiber auch in der Pflicht, alles Erforderliche zu tun, um bei drohender Gefahr mögliche Schäden abzuwenden, so kann er gleichfalls darauf vertrauen, dass der Publikumsverkehr sich in verständiger Weise auf die örtlichen Gegebenheiten und mögliche Gefahrenquellen einstellt. Dieser muss auf der anderen Seite nicht mit versteckten und unerwarteten Gefahren rechnen, er muss vielmehr vor Risiken bewahrt werden, denen er nicht in zuverlässiger Weise begegnen kann. Dies hat nicht nur für die Verkaufsräumlichkeiten, sondern auch für die Zu- und Ausgänge des Geschäftslokals zu gelten. Auch diesbezüglich bestehen berechtigte Vertrauenserwartungen der Besucher dahingehend, dass die Inhaber der Lokale die ihnen gegenüber ihren Kunden obliegenden Verkehrssicherungspflichten erfüllen. Nicht zuletzt deshalb entschließen sich gerade zur Winterzeit viele Passanten dazu, wegen der erhofften größeren Sicherheit ihren Weg über den Bürgersteig vor solchen Geschäften zu nehmen. Dies schließt auch sie nicht von der Verkehrssicherungspflicht des Betreibers aus, zumindest, wenn eine Benutzung nahe lag und die Gefah622

Ähnlich v. Bar, a. a. O., S. 189. Siehe i. Ü. oben unter 1. Teil, B. VI.

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

renstelle sich in unmittelbarer Nähe des Eingangsbereichs des Kaufhauses befand.623 Diese Prinzipien, an sich ausgerichtet am „normalen“ Besucher, müssen im gleichen Umfang auch für den zweckwidrig Verkehrenden gelten. Für den Kaufhausbetreiber und Sicherungspflichtigen darf es keinen Unterschied machen, ob dieser die Einrichtung zweckgemäß oder mit anderen Zielen betritt. In jedem Fall ist er gehalten, Gefahren zu vermeiden, die für den Passanten nicht einsehbar und wirksam abzuwehren sind. Derjenige, der die Schaufensterpassage lediglich aus Bequemlichkeit zur Wegabkürzung benutzt, setzt dasselbe Vertrauen in die einwandfreie Beschaffenheit der Einrichtung und ihr Zubehör wie der durchschnittliche Käufer. Er darf, nur weil er sich außerhalb der Zweckwidmung stellt, haftungsrechtlich nicht anders behandelt werden. Dasselbe hat für die Fälle der erheblichen Gefahrsteigerung zu gelten. Von Schwab nur unter dem Topos der unzureichenden Betätigung der Bestimmungsgewalt behandelt,624 gewinnt es hiernach auch bei unbeschränkter Zutrittsöffnung an Relevanz. Dann nämlich, wenn der Raumbeherrscher unerhört hohe Gefahren streut, mit denen der Kunde trotz eines gefahrgeneigten Verkehrsraums625 nicht rechnen konnte. Auch hier kann es wieder keinen Unterschied machen, ob der Zweck des Betretens kongruent mit dem des Sachbestandes oder ein anderer ist. Bei übermäßiger Risikobelastung muss der Passierende in jedem Fall geschützt werden. Im oben genannten Fall entfiele damit angesichts der Zweckdivergenz nicht automatisch die Verkehrssicherungspflicht der K. Gefahrerhöhung und Vertrauensschutz korrigieren das zunächst intendierte Ergebnis der Zweckwidmung und treten neben die Zumutbarkeit der Sicherung von Gefahrenquellen sowie deren Beherrschbarkeit als zuverlässige Faktoren der Haftungsauslese. d) Einordnung und Überprüfung der Ergebnisse: die „Hausverbots-“ und „Diebstahls-Fälle“ Allerdings macht o. g. Beispielsfall die Haftungsbegründung auch leicht, da die Abweichung von der Zweckwidmung hier nicht sonderlich hoch ist. 623 Siehe dazu OLG Köln VersR 1999, 1297; BGH NJW 1987, 2671 (2672); vgl. zur Verkehrssicherungspflicht von Zu- und Abgängen schon oben unter 1. Teil, B. V. 1. g). 624 Siehe dazu oben schon unter 1. Teil, C. III. 1. 625 Dies muss der einzige Unterschied zwischen dem Vertrauensschutz und der Gefahrerhöhung sein. Anderenfalls ist in jeder gesteigerten Risikolage zugleich die Enttäuschung geschützten Vertrauens zu sehen.

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Dies stellt sich in den typischen Fällen eklatant zweckwidriger Benutzung anders dar. Die Zweckwidrigkeit steht hier an sich außer Frage, nicht immer wird man jedoch unter Einbeziehung der Steuerungselemente auch zum Haftungsausschluss kommen. (1) Diebe, Räuber, etc. Diebe, Räuber und andere Personen, die den Verkehrsraum lediglich mit der Intention einer kriminellen Handlung betreten, sind die klassischen Beispiele die Zweckwidmung missachtender Benutzer. Ihr Fehlverhalten bringt sie dennoch nicht in allen Fällen um den Ausgleichsanspruch bei erlittenen Schäden. So haftet das Geschäftshaus prinzipiell auch gegenüber dem Dieb, dem ein Kronleuchter auf den Kopf fällt. Ebenso muss der Supermarkt auch für die Schäden des Erpressers aufkommen, wenn dieser bei der Bahnung des Fluchtwegs auf einem Salatblatt ausrutscht. Lediglich die Begründung dieses Ergebnisses fällt einem zunächst nicht leicht. Auch wird sie nicht jegliche Sachverhaltssituation tragen können. In jedem Fall macht man es sich zu einfach, stellt man lediglich auf einen Vergleich mit dem rechtmäßig agierenden Benutzer ab.626 Entscheidend ist nicht, ob der Unfall auch ihn hätte treffen können und sich somit das Schadensereignis für den Gefahrurheber als rein zufällig darstellt (letztlich wird es kaum Fälle geben, die so gefahrtypisch sind, dass sie nur Straftäter ereilen; dies gilt sogar für den später noch zu behandelnden Fall des nächtlich stürzenden Einbrechers, vergleicht man ihn mit einem Sicherheitsbeamten oder Reinigungskräften, die zur selben Zeit das Geschäft betreten), vielmehr gilt es auch hier auf den Vertrauensschutzaspekt des Verkehrseröffners abzustellen. Sein Vertrauen in die Schutzwacht der Kunden im Hinblick auf einen gefahrlosen Begegnungsverkehr reicht genau so weit, wie es ihm unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten möglich sein muss, etwaige Risiken auszuschalten. Was den tagsüber aktiv werdenden Dieb oder Räuber anbelangt, so umfasst die Anforderungsintensität des Betreibers dieselben Maßnahmen wie bei „normalen“ Besuchern. Der vor der Tat nach außen nicht in Erscheinung tretende Vorbehalt, die Sache nicht kaufen, sondern stehlen zu wollen, gibt den Beziehungen des potentiellen Diebes zum Inhaber in objektiver Hinsicht keinen anderen Charakter, als ihn das Verhältnis jedes anderen Ladenbesuchers zum Inhaber aufweist. Für diesen kann es keinen Unterschied machen, ob sich der Geschädigte mit dem Ziel des Kaufs oder der Entwendung der Ware in den Laden begibt. Die Besorgung der Pflichtenerfüllung 626

Vgl. oben 1. Teil, C. III. 6.

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hängt hier nicht von der Art der Benutzung ab, weil die Zumutbarkeit der Sicherung dieselbe bleibt. Damit ist nicht gemeint, dass der Geschäftsinhaber und Sicherungspflichtige mit Unfällen auch von Straftätern zu rechnen hat, er hat vielmehr mit Unfällen und Gefahrsteigerungen überhaupt zu rechnen und seine Schutzmaßnahmen entsprechend darauf einzustellen. Der Dieb wiederum darf sich während der Geschäftszeiten – so befremdlich das zunächst klingen mag – wie jeder andere Besucher darauf verlassen, dass er nicht mit versteckten und unerwarteten Gefahren konfrontiert wird; umgekehrt entbindet auch ihn das nicht von der Pflicht, sich in vernünftiger Weise auf die örtlichen Gegebenheiten einzustellen. Das Merkmal des Unbefugtseins macht auch hier also wieder nicht den Unterschied, entscheidend sind die üblichen Kriterien des Vertrauensschutzes und der Zumutbarkeit der Gefahrvermeidung. Dieses Bild wandelt sich, entlässt man den Straftäter nach Geschäftsschluss in das Geschehen. Sofern er hier Verletzungen unterliegt, entfällt die Verantwortlichkeit des Verkehrspflichtigen. Dies lässt sich schlicht damit begründen, dass der Betreiber nun darauf vertrauen kann, den Sicherheitsbedürfnissen der Kunden Genüge getan zu haben. Auf der anderen Seite kann es wohl kaum den realistischen Sicherheitserwartungen eines Straftäters entsprechen, des Nachts noch vor Unfällen und Schädigungsrisiken gefeit zu sein. Er kann schlechterdings nicht mehr damit rechnen, dass die erforderlichen Aufwendungen zu seinem Schutz schon oder noch getroffen sind. Mithin mangelt es an einem ausreichenden Vertrauenstatbestand dahingehend, dass ihm eine gefahrlose Passierung möglich ist. Auch hier sind es die Steuerungskomponenten der Zumutbarkeit und des Vertrauensschutzes, die über die Haftungssituation entscheiden, nicht der bloße Vergleich mit dem berechtigten Besucher. Er könnte auch nicht funktionieren, da auch der erwartete Verkehr (also um beim Beispiel zu bleiben: die nächtliche Putzkolonne) vor plötzlichen Gefahren nicht geschützt ist, trotz Instruierung über die örtlichen Verhältnisse durch den Inhaber und trotz erhöhter Wachsamkeit angesichts möglicher Unwägbarkeiten im Zuge des nächtlichen Betretens. Insofern wird man sich nie zur Gänze Klarheit darüber verschaffen können – es bleibt eine rein hypothetische Frage –, ob Gleiches nicht auch dem berechtigten Verkehr passiert wäre. Im Übrigen zäumt man das Pferd von hinten auf und nimmt gleichsam einen Teil des Ergebnisses vorweg, besieht man sich zunächst die Konsequenz und problematisiert, ob gleiches auch in anderer Konstellation geschehen wäre. Anzuknüpfen ist vielmehr an die vorgelagerte Pflicht zur sicheren Gefahrbegegnung und die Frage, ob diese auch gegenüber einem ordnungsgemäß Handelnden bestünde. Dann aber wird recht schnell deutlich, dass bei einem rechtmäßig Betretenden – wie der Putzfrau – von vorn-

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herein eine ganz andere Anforderungslage des Betreibers besteht. Diesbezüglich (aber auch nur ihr gegenüber!) ist die Sicherungspflicht des Betreibers nämlich nach wie vor aktiv, weil er mit ihrer Anwesenheit rechnen musste und nicht auf einen verkehrsleeren Raum vertrauen durfte. Jene (isolierte) Anforderungsdichte kann hinsichtlich der Gefahrenintensität sogar gesteigert sein, da er die äußeren Umstände (Dunkelheit in den Räumen, Absperrungen der Gänge), bedingt durch die ungewöhnliche Arbeitszeit der Betretenden, einplanen und die Beteiligten gegebenenfalls hierüber unterrichten musste. Umgekehrt darf die Putzfrau auch – und das unterscheidet sie zuverlässig vom Dieb – auf ein Mindestmaß an Gefahrenprävention von Seiten des Geschäftsinhabers vertrauen. Diese Grundsätze verdeutlichen sich nochmals, hat der Unternehmer von einer Beschäftigung von Reinigungs- und Sicherheitskräften zur Nachtzeit gänzlich abgesehen: Die Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich dann insgesamt auf ein Minimum und nimmt jeglichem Eindringling (gleich auf welche Weise er in die Verkaufsräume gelangt) weitestgehend die Berufung auf die Verkehrssicherungspflicht. Dies alles zeigt: der Abgleich mit dem rechtmäßigen Besucher schafft weder Orientierung noch Diversifizierung, die genannten Zurechnungsfaktoren der Verkehrspflicht schaffen jedoch eine rechtlich sichere Abgrenzung. (2) Hausverbot Zumindest die Frage der fehlenden Zweckeignung scheint bei dem mit einem Hausverbot belegten Besucher nicht eindeutig zu klären zu sein. Theoretisch wäre sogar ein Handeln innerhalb des objektiven Zwecks möglich, nämlich dann, wenn der trotz des Verbots dennoch den Laden betretende spätere Geschädigte in Kaufabsicht kommt und sogar Waren erwirbt. Genau genommen kommt es jedoch auch hier auf die Zweckwidmung gar nicht entscheidend an. Maßgeblich ist wiederum allein die Frage, welchen Vertrauenstatbestand Pflichtiger und Verletzter bezüglich Umgang und Anpassung an den Verkehrsraum sowie an die Qualität der Sicherungsmaßnahmen ins Gewicht legen dürfen. Dabei spricht die Situation des sich dem Hausverbot Widersetzenden (unabhängig von seiner Besuchsintention) eindeutig für den Geschäftsbetreiber. Denn dieser muss sich auf die Wirksamkeit und Befolgung seiner Warnungen und Untersagungen verlassen können. Sein Vertrauen reicht dementsprechend so weit, dass er nicht damit rechnen muss, dass jemand, den er mit einem Verbot belegt hat, dieses missachtet und dennoch den Laden betritt. Dies vergegenwärtigt man sich am besten, entfernt man sich von der Vorstellung eines gut besuchten Geschäftes und einer grundsätzlichen Siche-

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rungspflicht allen gegenüber und betrachtet die Verkaufsfläche als leeren Verkehrsraum, ohne Kunden. Wäre der sich dem Hausverbot Widersetzende der einzige Besucher, bestünde für den Inhaber überhaupt keine Sicherungspflicht, weil er sich ihrer durch den expliziten Ausschluss vorher begeben hätte. Die theoretische Möglichkeit der Missachtung braucht der Betreiber auch in diesem Fall nicht einzuplanen, da ihn eine Sicherung gegen jeden Zufall nicht trifft. Dies scheint die These jener Vertreter, die auf einen Vergleich mit dem berechtigten Besucher abstellen und wonach das Zufallsmoment die Abgrenzung in der Haftungsfrage bringen soll, zu stützen. Indes ist dieses auch beim Hausverbot wenig hilfreich. Denn für den Sicherungspflichtigen ist ein die Untersagung Missachtender niemals reiner Zufall, die bloße Möglichkeit des Missbrauchs wollte dieser vielmehr mit seinem Verbot endgültig ausschließen. Der Eindringling gehört schließlich angesichts dieser ihm ausdrücklich ausgesprochenen Missbilligung auch nicht zu dem Personenkreis, der sich wie Diebe oder andere Kriminelle bei äußerlicher Deckung mit der Zweckwidmung unter das „normale“ Publikum mischt und damit wie dieses auch von den Sicherungsleistungen des Betreibers profitiert. Erst recht kann auch der widerrechtlich Betretende keinen Vertrauenstatbestand für sich in Anspruch nehmen. Als vom Verkehr Ausgeschlossener durfte er nicht mit der Bereitstellung etwaiger Sicherungsmaßnahmen rechnen und der gefahrträchtigen Situation hätte er durch schlichte Befolgung des Verbots entgehen können. Es ist in diesem Sinne die schärfste Form der von der Rechtsprechung immer wieder postulierten Besucherpflicht zur „Einstellung auf die örtlichen Gegebenheiten“. e) Die Abwägung mit der Gefahrerhöhung Möglicherweise sind die oben aufgestellten Prinzipien einschließlich der zwei Anwendungsfälle in einem anderen Licht zu betrachten, nimmt man das Steuerungselement der Gefahrerhöhung in die Bewertung mit auf. Dieses besagt, dass mit Erhöhung der Gefahr auch die aufzuwendende Sorgfalt des Sicherungspflichtigen aufzustocken ist. Dementsprechend ließe sich vertreten, dass bei überproportionaler Gefahrlegung auch demjenigen, dem jeglicher Vertrauenstatbestand abzusprechen ist, Ersatzansprüche verbleiben. Dabei bliebe aber unberücksichtigt, dass dort, wo die objektive Erwartung den Vertrauensschutz bremst, kein Platz für jedwede Form von Sicherungsmaßnahmen ist. Welches Zurechnungskriterium wollte man auch zu Rate ziehen, um zu erklären, dass prinzipiell keine Pflicht zur Gefahrenvorsorge besteht, andererseits aber Ausnahmen zugelassen werden müssen, wenn es um besonders hohe Gefahren geht?

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Eine Verkehrssicherungspflicht existiert entweder oder nicht, das Kriterium der Gefahrerhöhung vermag eine bestehende Pflicht zu steigern, sie kann sie aber anders als im Gefährdungshaftungsrecht nicht begründen. Vor diesem Hintergrund sind auch die Fälle des Diebes und des Hausverbotes zu behandeln. Mag die Intensität der Gefahr auch eklatant hoch sein, solange sich der Handelnde außerhalb des in Aussicht genommenen Verantwortungskreises bewegt und deshalb sein Erwartungshorizont in die Unfallfreiheit kaum ausgebildet sein kann, darf dem Gefahrurheber die Last der Verantwortung für die Unversehrtheit des Opfers nicht aufgebürdet werden. Die Kollision von Vertrauen und Gefahrerhöhung wird hier zugunsten ersterem aufgelöst. f) Anforderungen nach Geschäftsschluss Schließlich sei ein kurzer Blick auf den Käufer oder Besucher des Ladenlokals nach Geschäftsschluss gelenkt. Dieser ist mit Ablauf der Geschäftszeiten natürlich nicht automatisch Unbefugter, einmal ausgenommen die Fälle, in denen sich der Kunde im Laden versteckt hält oder sich erst nach Schließung Zugang verschafft. Gemessen am Erwartungshorizont müssen der Inhaber und mit ihm seine zur Verrichtung der Sorgfaltswaltung bestellten Gehilfen selbstverständlich damit rechnen, dass sich auch noch unmittelbar nach offiziellem Ladenschluss einige Besucher in den Gängen aufhalten bzw. ihre Waren zur Kasse bringen. Die Verkehrspflicht dauert dementsprechend so lange an, wie sich Kunden im Verkaufsbereich befinden.627 Dies schließt sogar denjenigen ein, der sich noch nach Ladenschluss, aber vor Schließung der Portale ins Innere begibt. Insofern ist es zuvörderst am Betreiber, die Ein- und Ausgänge entweder durch Regulierung der Bewegungsmelder zugesperrt zu halten oder durch entsprechende Anweisung an das Personal den Zutritt weiterer Besucher zu unterbinden. Tut er dies nicht, muss er seine Sorgfaltswaltung auch nach offiziellem Ende der Geschäftszeit für diese Personen einrichten. Dies gilt erst recht, wenn der Vorgang der Schließung zusätzliche Gefahren, auch für Passanten, die lediglich die Auslagen in den Schaufenstern betrachten, mit sich bringt.628

627

LG Essen VersR 1964, 1186 (1187). Vgl. den Fall des OLG Frankfurt a. M. in VersR 1990, 798 = NJW-RR 1990, 1051, in dem bei Geschäftsschluss der Zugang eines Ladenlokals durch ein im Eingangsbereich eingelassenes 40 cm hohes Bodengitter versperrt wurde, über das die Klägerin stürzte. 628

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2. Sicherungspflichten im „beschränkten“ Verkehrsbereich Der beschränkte Verkehrsbereich unterscheidet sich nach allgemeiner Meinung vom unbeschränkten allein dadurch, dass hier der Sicherungspflichtige in der Regel aus Gründen des Schutzes der Privatsphäre den Zutritt nur einem bestimmten Personenkreis zugedacht und eröffnet hat. Er kann sich schon von vornherein nur schwerlich in das Konzept der Zweckwidmung einfügen, weil eine solche bei Sicherung des unbeweglichen oder beweglichen privaten Sachbestandes völlig nutzlos wäre. Ein Grundstück oder ein Haus besitzt eben keinen ihm eigentümlichen Zweck, sieht man mal von der Nutzungsmöglichkeit des Wohnens oder Bewirtschaftens (Fruchtziehung) ab. Die Unterordnung durch Außenstehende in diesen Widmungsbereich ist jedenfalls im Hinblick auf die Haftungsfrage von geringer Aussagekraft. Hinzu kommt, dass die Restitutionspflicht des Sachhalters bezogen auf den Privatbereich von vornherein eine ganz andere – nämlich durchweg restriktivere – Qualität aufweisen muss, als dies bei unbeschränkter Verkehrseröffnung der Fall ist. Er befindet sich innerhalb seines befriedeten Besitztums in einem grundsätzlich geschützten Freiheits- und Persönlichkeitsbereich, der mangels unkontrollierter Offenheit nach außen die Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter anderer nur im begrenzten Maße zulässt. Die wesentlichen Unterschiede werden auch hier wieder vom Vertrauensschutzaspekt aufgezeigt. Der Eigentümer kann sich in seinen eigenen vier Wänden eher darauf verlassen, dass niemand (Befugtes oder Unbefugtes) zu Schaden kommt, als im Bereich, den er der Allgemeinheit ohne ausdrückliche Gestattung zur Verfügung stellt. Die haftungsschärfende Komponente der Vorteilsziehung entfällt im privaten Raum gar völlig. Die Begrenztheit des Besucherkreises macht hier die Sicherung zudem überschaubarer und somit auch einfacher. Gleichwohl wird auch im privaten Raum in der Regel ein Verkehr eröffnet. Insofern ist die Annahme verfehlt, gegenüber Einbrechern und Dieben bestünde ein solcher erst gar nicht. Dies setzte voraus, dass der Begriff des Verkehrs stets abhängig von einem erwarteten Durchgangsbetrieb, innerhalb eines festgesetzten Zeitfensters und im Übrigen immer subjektiv durch die Setzungsgewalt des Raumbeherrschers bestimmt würde. Eben dies ist aber nicht der Fall. So wurde oben schon darauf hingewiesen, dass der Verkehrsbegriff, ebenso wie die aus ihm folgende Pflicht, objektiv festzulegen ist. Dann aber kann es dem Sachherrn auch nicht gestattet sein, die einmal erfolgte Zweckwidmung auf bestimmte Personenkreise zu beschränken oder einseitig zu widerrufen. Könnte er dies, würde er letztlich selbst über das Bestehen seiner Verkehrspflicht disponieren.

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Dennoch ist die Theorie vom „beschränkten Verkehrskreis“ fester Bestandteil von Rechtsprechung und Lehre,629 wenngleich sie genau genommen nicht richtig funktioniert. So macht es an sich keinen Sinn, vom „eingeschränkten“ Verkehr gegenüber Unbefugten zu sprechen (denen gegenüber dann also isoliert betrachtet kein Verkehr eröffnet ist), auf der anderen Seite aber in Ausnahmefällen (wenn mit ihrem Erscheinen zu rechnen war, ein besonderer Anreiz bestand, s. o.) eine entsprechende Pflicht zur Gefahrenabwehr zu statuieren. Wo kein Verkehr ist, kann auch keine entsprechende Pflicht sein, es sei denn, er „lebt“ für diese Ausnahmefälle wieder auf bzw. „öffnet“ sich für sie, was wahrlich gekünstelt wäre. Diese Schieflage kann nur umgangen werden, begreift man den „Verkehrsbereich“ als objektiven Zustand. Er meint dann einen räumlich-gegenständlichen Bereich, der dem Betreten von Menschen dient und in dem menschliche Interaktion, nicht selten Kommunikation, stattfindet. Ein solcher ist ohne Zweifel das Haus und das Grundstück sowie angrenzende Felder oder landwirtschaftlich bewirtschaftete Äcker und erst recht Betriebsräume. Daran ändert auch der Eindringling, der sich unbefugt und zur Schlafenszeit auf das Anwesen begibt, nichts. Und daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn Besucher zuvor durch Hinweis- oder Verbotsschilder auf ihre widerrechtliche Anwesenheit aufmerksam gemacht würden. Sie sind Unbefugte,630 gleichwohl bewegen sie sich innerhalb eines eröffneten Verkehrs. Dieser ist stets unabhängig von einem bestimmten Personenkreis, einer bestimmten Klientel, er lässt sich nicht für einige aufrechterhalten und für andere ausschließen. Er besteht auch im kleinsten Nenner631 und ganz ohne ausdrückliche Zuweisung durch den Berechtigten, auch wenn dieser letztlich Auslöser der Verkehrseröffnung ist.632 Mithin ist es verfehlt, im privaten Verkehrssicherungsrecht von einem „Widmungsakt“ bzw. einer „Gestattung“ des Verkehrs durch den Pflichtigen zu sprechen.633 629 Siehe dazu oben 1. Teil, C. II. und weiter aus der frühen Literatur: Lintaler, Verkehrssicherungspflicht, S. 2 ff.; Delius DJZ 1914, 206 ff. 630 Indes werden sie nicht erst dadurch zu Unbefugten, dass der Eigentümer ein Verbotsschild anbringt. Vielmehr ist die Benutzung fremden Eigentums stets unbefugt, soweit dieser sein Eigentum dem Dritten nicht allgemein oder im Einzelfall zur Benutzung überlassen hat, vgl. OLG Stuttgart VersR 1977, 384; OLG Jena VersR 1998, 903 (904). 631 Selbst in der winzigsten abschließbaren Kammer müsste man mit dem Betreten von Amtspersonen, die kraft öffentlichen Rechts zum Zutritt, auch gegen den Willen des Berechtigten, befugt sind (etwa nach §§ 102 ff. StPO oder § 758 ZPO), rechnen. 632 Dies ist der Grund, weshalb trotz Anleihen an eine verfehlte subjektive Ausrichtung am Terminus des Verkehrseröffners festgehalten wird. 633 So aber Staudinger-Hager, § 823 E 39. In der von ihm zitierten Entscheidung des BGH in VersR 1964, 727 geht es zudem um einen öffentlich-rechtlichen Wid-

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Diese teilweise sachfremden634 Begriffe suggerieren eine persönliche, subjektive Autorität der Eröffnung, die in Wirklichkeit nicht gegeben ist. Die Verkehrseröffnung ist ein tatsächlicher Zustand, anderenfalls hinge die Existenz der Verkehrspflicht vom subjektiven Sinneswandel des Verkehrspflichtigen ab.635 Dennoch ist die Unterscheidung beschränkter/unbeschränkter Verkehrsbereich nicht völlig nutzlos. Zwar ist sie irreführend, sofern damit etwas über den Bestand einer Verkehrssicherungspflicht gesagt werden soll. Diese hängt wie gezeigt weder von der Art der Verkehrseröffnung und dem darin liegenden Kreis der Zutrittsberechtigten noch von der Befugnis der Besucher ab. Dennoch lässt sich nicht leugnen, dass – objektiv gesehen – private Räumlichkeiten und Grundstücke dem öffentlichen Verkehr mehr entzogen und somit diesem natürlich auch beschränkter sind als Geschäftsräume und öffentliche Grundstücke (s. o.). Diese objektive Gegebenheit, losgelöst von der subjektiven Setzungsmacht des Sachherrn, ist es, die in die Abwägung dessen mit einfließt, womit der Eindringling zu rechnen hatte, und ist damit Hilfsgut der Steuerungskomponente Vertrauensschutz.636 So wurde oben schon darauf hingewiesen, dass derjenige, der sich heimlich nachts auf das Grundstück stiehlt und dabei ungesichert in einen Kellerschacht fällt, kaum Anspruch auf Ersatz gegen den Sachherrn geltend machen kann. Dieser muss mit Besuchern auf seinem Privatgrundstück um diese Tageszeit, erst recht in dieser Situation nicht mehr rechnen, braucht also auch seine Verkehrssicherungspflicht hierauf nicht einzustellen. Der Eindringling kann umgekehrt kaum erwarten, dass ausreichende Vorkehrungen zu seinem Schutz getroffen sind; seine Verletzungen hätte er aus eigenem Verständnis heraus abwenden können, hätte er das Grundstück gar nicht erst betreten. mungsakt. An anderer Stelle entschärft der Autor seine Meinung, hängt aber offensichtlich Gedanken einer subjektiven Verkehrsbeschränkung an, wenn er formuliert, der Verkehrspflichtige sei berechtigt, den Kreis der befugten Teilnehmer zu beschränken, wer dazu gehöre, hänge aber „von den Umständen ab“, vgl. E 40. 634 Die Terminologie lehnt sich an das öffentliche Recht an, vgl. oben 1. Teil, C. II., Fn. 553. 635 Das letzte Maß an Rechtssicherheit verliert der Begriff der „Verkehrsöffnung“, wenn er – wie bei Lintaler – diejenigen ausschließt, „die aus Neugier oder Verwechslung einen für sie nicht bestimmten Raum betreten“, gleichwohl aber die einbezieht, „die aus erlaubtem eigenen Interesse das Grundstück betreten, z. B. um sich nach der Adresse eines Dritten zu erkundigen“, a. a. O., S. 7. Die subjektive Macht des Ausschlusses aus dem Verkehr ist spätestens mit diesen Beispielsfällen aufgegeben. Wer wollte schon entscheiden, ob sich jemand „aus erlaubtem eigenen Interesse“ oder in Verkennung der Situation („Verwechslung“) auf das Grundstück begibt? Der Kreis der Anspruchsberechtigten ist damit gänzlich der Willkür ausgesetzt. 636 Das ist es, wenn die Rspr. sagt, ein beschränkter Verkehr löse nur eine entsprechend beschränkte Verkehrssicherungspflicht aus (vgl. BGH VersR 1985, 360).

C. Der Unbefugte im verkehrseröffneten Gefahrenbereich

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Insofern muss ein jeder um die Privatheit von Wohnungen und Häuser wissen. Die Frage der objektiven Beschränktheit des Verkehrskreises hat damit allenfalls noch Relevanz, gilt es den Umfang dessen abzustecken, womit der Pflichtige zu rechnen hatte und was ihm zumutbar ist. 3. Resümee „Verkehr“ und „Verkehrspflicht“ sind objektiv konzipiert. Dem Sachherrn ist es damit nicht möglich, einseitig die Verkehrserwartung aufzuheben oder zu beschränken. Die Unterscheidung zwischen unbeschränktem und beschränktem Verkehr ist vor allem insofern überflüssig, als dass auch Unbefugten (und damit Personen außerhalb des eröffneten Verkehrs) gegenüber prinzipiell Verkehrssicherungspflichten bestehen müssen. Rechtsprechung und herrschende Lehre lösen dieses Problem, indem sie bestimmten Tatbeständen Ausnahmecharakter zuweisen. Dabei wird übersehen, dass dort, wo kein Verkehr eröffnet ist, auch keine Pflicht entstehen kann. Genau genommen ist sehr wohl auch Unbefugten gegenüber ein Verkehr eröffnet, unabhängig davon, ob sie sich im Rahmen einer individuellen Zwecksetzung halten oder im beschränkten Verkehrsbereich bewegen. Beide Termini sind insofern falsch gewählt, als dass sie dem Ganzen einen subjektiven Anstrich verleihen, der so nicht existiert. Aber auch die Aussagekraft der objektiven Zweckwidmung ist gering, bei der von Rechtsprechung und Lehre bemühten Kategorie des „beschränkten Verkehrsbereichs“ geht sie gar völlig fehl. Rein objektive Zugangshindernisse, wie sie naturgemäß z. B. bei Privatwohnungen für Fremde bestehen, fließen allerdings hilfsweise in die Überlegungen ein, auf welche Besucher sich der Verkehrseröffner einstellen und worauf sich sein Vertrauen gründen kann. Über die Ausgestaltung der Verkehrspflicht entscheiden damit einzig die Kriterien des Vertrauensschutzes, der Zumutbarkeit der Sicherungsleistung und der Erkennbarkeit der Publikumsteilnahme, wobei auch dem Aspekt des Anreizes, den der Verkehr auf Dritte ausübt, eine gewichtige Rolle zukommt. Sie führen im Einzelfall dazu, dass Unbefugten gegenüber der Schutz der Sorgfaltswaltung nicht zugute kommt, weil er ihnen gegenüber zwangsläufig gesteigert wäre, was aber nicht mehr in den Anforderungsrahmen des Pflichtigen fällt. Die Verkehrspflicht ist damit insgesamt unabhängig vom Verhalten des Geschädigten. Derjenige, dem die Bestimmungsgewalt innerhalb eines Verkehrs zukommt, hat darauf zu achten, dass niemand in seinem Einflussbereich zu Schaden kommt (Ausfluss des allgemeinen Prinzips des „neminem laedere“). Das unzulässige Verhalten des Dritten schließt diese Anfor-

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1. Teil: Der Einzelhandel im Recht der Verkehrspflichten

derung nicht aus.637 Die Steuerungselemente der Verkehrspflicht sorgen aber u. U. dafür, dass der Pflichtige mit der üblichen Vorsorge bereits alles für die Erfüllung seiner Verkehrspflicht getan hat, sie damit, wenn man so will, „vorzeitig“ erfüllt hat, was die illegitime Sicherheitserwartung des Unbefugten nicht mehr erfasst.

637 Für die Fälle des mitwirkenden Verschuldens schon BGH NJW 1985, 482 (483); Larenz/Canaris, a. a. O., § 76 III 4c.

2. Teil

Sicherung von Erhaltungsinteressen im Einzelhandel als gesetzliche Folge der Vertragsanbahnung A. Doppelte Anwendungsfelder Die Pflicht zur Sorge für übrige Rechtsgüter und Interessen des (möglichen) Vertragspartners ist nicht lediglich auf den deliktischen Bereich beschränkt. Im Recht der Leistungsstörungen innerhalb von Schuldverhältnissen erlaubt die Zweispurigkeit unseres Haftungssystems die Existenz einer neben den unmittelbar das Erfüllungsinteresse tangierenden Leistungspflichten stehenden vertraglichen bzw. vertragsähnlichen Schutzpflicht.1 Diese soll anders als die Leistungspflicht (vgl. § 241 Abs. 1 BGB) keine Veränderung der Güterlage herbeiführen, sondern im Gegenteil eine solche in negativer Hinsicht verhindern. Die Zweckrichtung der Schutzpflicht zielt damit auf die Bewahrung des Gläubigers vor Beeinträchtigung seiner bereits vorhandenen Güter durch den Kontakt mit dem Schuldner. Den Schuldner trifft folglich keine vertragliche Erfüllungspflicht, vielmehr ist er bei Pflichtverletzung regelmäßig nur den sekundären Schadensersatzpflichten ausgesetzt. Die Schutzpflicht fand sich bislang – je nach Verletzungszeitpunkt – in zwei der wohl bedeutendsten gewohnheitsrechtlichen Institute des Vertrags1 Die Terminologie in diesem Bereich ist unübersichtlich. Größtenteils wird von Schutzpflichten (Medicus, SchuldR AT, § 1 Rn. 5; Schmidt, Schuldverhältnis, Rn. 45) gesprochen, anderenorts von nichtleistungsbezogenen Nebenpflichten, Sorgfalts- oder (weiteren) Verhaltenspflichten (Larenz, SchuldR AT, § 2 I; Palandt-Heinrichs, § 241 Rn. 6 f.), wobei die Pflicht zur Erhaltung übriger Rechtsgüter des Dritten stets einen eigenständigen immanenten Platz, neben den Aufklärungs- und Hinweispflichten, Leistungstreuepflichten, Mitwirkungspflichten u. a. einnimmt. Für die Unterteilung in erfüllungssichernde und integritätswahrende Schutzpflichten: Kuhlmann, Leistungspflichten und Schutzpflichten, S. 112 ff. Ehmann/Sutschet, SchuldR, § 4 III, S. 69 ff. und Kley, Unmöglichkeit und Pflichtverletzung, S. 61 f. unterscheiden in absolute und gegenüber jedermann bestehende Schutzpflichten (worunter auch die deliktischen Verkehrssicherungspflichten fallen sollen) und relative Schutzpflichten (zwischen den Vertragsparteien). Die Einteilung geht auf Kreß, Handbuch des Schuldrechts, S. 1 ff. zurück, der in absolute und relative Schutzansprüche unterschied. Köpcke, Typen der Vertragsverletzung, S. 66 lehnt die Begrifflichkeit der „Schutzpflicht“ vollends ab und will sie lieber durch die „allgemeine vertragliche Treuepflicht“ ersetzt sehen. Zur Einordnung der Nebenpflichten auch Ruhig, Die Nebenpflichten im Schuldrecht.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

rechts wieder: der culpa in contrahendo (c. i. c.)2 und der positiven Vertragsoder Forderungsverletzung (pVV/pFV). Der Gesetzgeber hat sie nun im Zuge der Schuldrechtsreform in § 241 Abs. 2 BGB kodifiziert. Dort fungiert sie als übergreifender Rücksichtnahmeappell („Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten“),3 dessen Inhalt und Reichweite allerdings nach wie vor nicht gesetzlich formuliert und damit weiterhin eher eine Frage des Einzelfalls sind. Die Rechtsprechung hatte hierzu schon vor der Reform einen umfangreichen Katalog an Fallgruppen entwickelt.4 Im hier in Rede stehenden Zusammenhang ist die Pflicht zur Sorge und Schadensabwehr unabhängig der Leistungserbringung5 als ein Anwendungsbereich dieser Kasuistik von besonderem Interesse, ist doch die Ähnlichkeit mit der deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflicht nicht von der Hand zu weisen. Diese erklärt sich vorrangig aus dem Wesen der Schutzpflicht und ihrem dem Deliktsrecht ähnlichen Schutzzweck. Auch die integritätswahrende Schutzpflicht hat regelmäßig ein Unterlassen zum Gegenstand, nämlich die Pflicht zur Unterlassung derjenigen Handlung, die zur Gefährdung oder Beeinträchtigung des Rechtsgutes geführt hat.6 Ihr Inhalt konkretisiert sich damit durch das pflichtwidrige gegenwärtige oder bevorstehende Verhalten.7 Der Schuldner kann jedoch zur Wahrung des Schutzinteresses des Gläubigers auch zu positiven Maßnahmen verpflichtet sein (Warnung vor der Gefahrenlage etc.). Wie nah die Schutzpflicht zur Sicherung des Lebens und der Gesundheit des Anderen der deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflicht darüber hinaus steht, wird mittels eines Typenvergleichs zu zeigen sein. 2

Die Entwürfe zum BGB verzichteten hier auf eine positivrechtliche Festlegung, vgl. Mot. II, S. 179 zu § 345 BGB; der Rechtsgedanke fand sich dennoch in einzelnen Vorschriften des BGB wieder: §§ 122, 179, 307, 309, 663, 611a Abs. 2 BGB, v. a. § 11 Nr. 7 AGBG, ohne allerdings den Inhalt dieses Rechtsgeschäfts zu regeln. Seit dem 01.01.2002 hat das im Wesentlichen von Rudolf von Jhering 1861 entwickelte Haftungsinstitut in § 311 Abs. 2 BGB ihren textlichen Ausdruck gefunden. 3 Zur Streichung des im Entwurf noch vorgesehenen Adjektivs „besondere“ (Rücksicht) aufgrund möglicher Missverständnisse v. a. im Hinblick auf die Abgrenzung zu allgemeinen Rücksichtnahmepflichten: Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht, Rn. 454. 4 Vgl. hierzu statt vieler Esser/Schmidt, SchuldR I, § 29 II 2. 5 Eine Schutzpflichtverletzung ist grundsätzlich auch durch Leistungserbringung möglich. Sie können auch zum Inhalt eines Vertrags gemacht und zu Leistungspflichten hochgestuft werden (z. B. Obhutspflichten bei der Aufbewahrung). 6 Von Ehmann/Sutschet, a. a. O., § 4 III 2b deshalb als „negative Schutzpflichten“ bezeichnet. 7 Ihre Verletzung erfolgt also durch positive Handlung; vgl. Kuhlmann, a. a. O., S. 119.

B. Historische Entwicklung der Schutzpflichten

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Zunächst jedoch soll ein Blick auf die Entwicklung der Schutzpflicht geworfen werden. Die folgende Nachzeichnung ihrer Entstehungslinien wird deutlich machen, in wie weit die viel besprochenen „Warenhaus-Fälle“, die mehrheitlich den Kernbereich der (vor-)vertraglichen Erhaltungspflichten betreffen, mit der Entwicklung der culpa in contrahendo einhergehen und sie in diesem Sinne nicht nur prägen, sondern auch in ihrem Bestand als Rechtsinstitut erweitern.

B. Historische Entwicklung der Schutzpflichten I. Die Rechtsprechung Obwohl bereits bei Bestehen des Bürgerlichen Gesetzbuches Anfang des 20. Jahrhunderts eine Norm existierte, die zumindest den Rechtsgedanken einer Schutzpflicht formulierte (der bis heute unverändert gebliebene § 618 BGB!), tat sich die Rechtsprechung mit einer ausdrücklichen Anerkennung schwer. Erstmals verwendete das Reichsgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 1917 die Begrifflichkeit der „Schutzpflicht“.8 In dem Fall steckte sich die Tochter eines Bahnbediensteten in der von der Gemeinde zugewiesenen Wohnung der Familie mit dem Tuberkulosevirus an. Zuvor hatte es der Bahnarzt versäumt, trotz Hinweisen auf eine Infektion der Ehefrau des Vormieters mit dem Bazillus, die Entseuchung der Wohnung anzuordnen. Das Gericht bejahte eine Schutzpflichtverletzung der Gemeinde unter Hinweis auf die Fürsorgepflicht des § 618 BGB, zu deren Anwendung es sich „mangels einschlägiger Vorschriften“ genötigt sah.9 Im Übrigen vollzieht sich die Entwicklungslinie der Rechtsprechung im Bereich der Schutzpflichten parallel zur Herausbildung der culpa in contrahendo. Dem Bereich des Einzelhandels kommt hier entscheidendes Gewicht zu. Es sind die „Warenhaus-Fälle“, auf deren Boden die Rechtsprechung ihr Konzept vom 8 RGZ 91, 21. Indes anerkannte die Rspr. schon vorher vertragliche Schadensersatzansprüche, die auf den Ausgleich von Integritätsschäden zielten, vgl. nur RG JW 1904, 383 (Nebenleistung des Beklagten innerhalb der gesamten von ihm übernommenen Vertragsleistung); RGZ 55, 355; 61, 56; RG WarnR 1908, 141; 1912, 280 (Gewährung sicherer Zu- und Ausgänge in Bahnhöfen gehört zur Vertragspflicht); RGZ 65, 11 (die Pflicht, für die Verkehrssicherheit von Gasträumen Sorge zu tragen, sie namentlich so zu erhalten und einzurichten, dass die Gäste ohne Gefahr für Leib und Gesundheit sich darin bewegen können, gehört „unbestreitbar“ zu den Vertragsverbindlichkeiten); JW 1909, 105; 723 Nr. 15 (die Schadloshaltung der Gäste fällt in den Kreis derjenigen Obliegenheiten, welche dem Gastwirt mit der Aufnahme des Gastes in seine Räume erwachsen und welche in ihrer Gesamtheit zu den Pflichten aus dem durch die Aufnahme des Gastes mit diesem begründeten „Vertragsverhältnis eigener Art“ gehören); siehe dazu auch Ebbecke Recht 1912, 181 (190). 9 RGZ a. a. O., 21 (22).

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

„Kauf vorbereitenden Rechtsverhältnis“10 zum vertraglichen Schutz der persönlichen Sicherheit im Falle des Betretens des Geschäfts11 vorantreibt.12 II. Die Lehre Die Schutzpflichtdogmatik ist unbemerkt schon ausgangs des 19. Jahrhunderts Teil der Diskussion in der Lehre. Hier ist es vor allem Jhering, der in seinem wegweisenden Aufsatz über die Haftung für ein Verhalten während der Vertragsverhandlungen den entscheidenden Anstoß gibt und der Anfang der neuen Dekade entstehenden Erkenntnis einer Pflichtenbegründung innerhalb des Schuldverhältnisses (losgelöst von der unmittelbaren Leistungsbezogenheit!)13 und abseits bestehender Verträge den Weg ebnet. Jhering entwickelte seine Lehre von der c. i. c. in JhrJb. 4, 1 ff.14 im Hinblick auf nichtige Verträge und legte damit unbewusst den Grundstein des heutigen Schutzpflichtverständnisses. Denn was von ihm zunächst als Haftung, vor allem im Hinblick auf verletzte Erklärungs- bzw. Anzeigepflichten, nur im vorvertraglichen Bereich gedacht war, wurde später auch auf die Erhaltung der Sicherheit und übrigen Rechtsgüter des Gegners ausgeweitet und musste im vertraglichen15 und nachvertraglichen Bereich erst recht gelten. Nicht minder wegbereitend für die Herausbildung der Schutzpflicht als Bestandteil des obligatorischen Pflichtenprogramms war die Analyse von Staub,16 Begründer der Lehre von der positiven Vertrags- oder Forderungsverletzung. Zwar behandelte seine Schrift zunächst nur die Fälle der 10

RGZ 78, 239. BGH NJW 1962, 37. 12 Dazu sogleich unter C. 13 Nach Jhering sind dies mehr als bloß deliktische, aber eben noch keine vertraglichen Pflichten. „Wer kontrahiert, tritt damit aus dem rein negativen Pflichtenkreis des außercontractlichen Verkehrs in den positiven der Contractssphäre, von dem Gebiete der bloßen culpa in faciendo auf das der culpa in non faciendo, der positiven diligentia, und die erste und allgemeinste Verpflichtung, die er damit übernimmt, ist die: beim Contrahieren selbst bereits die nöthige diligentia aufzuwenden“, in JhrJb. 4 (1861), 1 (41). 14 Zur „Entdeckung“ der c. i. c. durch Jhering siehe Medicus in: FG für Kaser, S. 168 ff.; Giaro in: Falk/Mohnhaupt, Das Bürgerliche Gesetzbuch und seine Richter, S. 113 ff. 15 Vgl. zunächst Leonhard, Verschulden beim Vertragsschlusse, S. 58, der anders als Jhering einen Schadensersatzanspruch nicht nur bei Nichtigkeit des Vertrages und daraus resultierender Schädigung des Partners, sondern auch für die Fälle des gültigen Zustandekommens anerkennt. Erst (aber notwendig!) aus dem gültigen Vertragsschluss erwachse die Pflicht auch zur Abwehr von Schädigungen, die sich die Vertragsparteien vor dem (nicht erst im Sinne Jherings durch den) Vertragsschluss zufügen. 16 Staub, Die positiven Vertragsverletzungen. 11

B. Historische Entwicklung der Schutzpflichten

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Schlechtleistung durch aktives Tun,17 was für ihn dritte Kategorie der Leistungsstörungen neben den Fällen der Spät- bzw. Nichtleistung war.18 Letztlich beinhalteten aber auch seine Gedanken die Komponente der Schutzpflicht, umfasst doch eine Verletzung von Leistungspflichten nicht selten auch eine Verletzung von Integritätsinteressen. Eine trennscharfe Abgrenzung ist beispielsweise in dem von ihm geschilderten Fall eines Kaufmanns, der einem anderen einen selbstfabrizierten, aus explosivem Zusatz bestehenden Leuchtstoff verkauft und infolge dessen im Laden des Käufers nicht unbeträchtlichen Schaden anrichtet,19 gar nicht zu ziehen. Ein Teil der Lehre nahm den Ansatz Staubs auf und entwickelte aus ihm eine neben der eigentlichen Vertragspflicht laufende (sekundäre)20 Unterlassungspflicht, die auf den Schutz von Vertragspartner und Vertragszweck ausgerichtet war.21 Damit nicht genug war die Erkenntnis ins Bewusstsein geführt, dass die Leistungspflicht des Schuldners als solche regelmäßig nicht auf eine einzige einheitliche Leistung gerichtet ist, sondern sich in eine Reihe von Einzelpflichten auflöst, die alle auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zurückgeführt wurden. Die Erhaltungspflicht, gerichtet auf den Schutz der bereits vorhandenen Güter des Gläubigers und damit einem außerhalb der Leistung liegenden Zweck dienend, war eine von ihnen. 17

Ders., a. a. O., S. 1 ff. Staub erkennt das Bedürfnis, dem Vertragspartner bei wesentlichen Vertragsverletzungen durch den anderen Teil ein Mittel zur Vertragsaufhebung zuzusprechen. Ein solches sieht er im Rücktrittsrecht, das § 326 BGB a. F. im Falle des Leistungsverzuges gewährt. Zusätzlich hält er ein Recht auf Schadensersatz für gegeben, das er aus einer Analogie zu § 286 BGB a. F. ableitet (anders – Ableitung aus § 276 BGB – aber i. Ü. in Übereinstimmung mit Staub: Krückmann, Unmöglichkeit AcP 101 (1907), 1 (90 f.). Diese Vorgehensweise zog weithin Kritik im Schrifttum nach sich, vgl. Enneccerus/Lehmann, SchuldR, S. 236 f.; Oertmann, Recht der Schuldverhältnisse, § 276, S. 114. 18 Siehe Kramer, Gegenseitige Verträge, S. 67: weil „sowohl in der Unmöglichkeits- als auch in der Verzugsregelung für den vertragstreuen Teil Schutzbestimmungen nur in dem Falle gegeben sind, dass er die Leistung des anderen Teils nicht erhält, nicht hingegen in dem Falle, dass er mit der erhaltenen Leistung aus irgend welchen Gründen nicht zufrieden ist“. 19 Staub, a. a. O., S. 5/6; vgl. auch Brecht AcP 53 (1908), 213 (223): mit dem Fall der vertraglichen Pflicht zur Abholzung eines Baumes. Der Schuldner geht dabei so unvorsichtig zu Werke, dass der Baum gegen das Haus fällt und einige Fenster zerschlägt. 20 Begriff zurückgehend auf Lehmann, Unterlassungspflicht, S. 8 ff., 166 ff. Danach ist die Pflicht, ein Andershandeln zu unterlassen die Kehrseite der Pflicht, etwas Bestimmtes zu tun. Diese in jeder Gebotsnorm beschlossenen Verbote seien begrifflich von dem Gebotsinhalt verschieden, hätten aber keine selbstständige Existenz. „Sie sind nichts wie der nach der negativen Seite hin ausgedachte Inhalt der Gebotsnorm“, vgl. S. 10.; ihm folgend Ulrich JhrJb. 64 (1914), 161 (171 ff.). 21 Kritisch Leonhard, Allgemeines SchuldR des BGB, S. 46 f.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

Die übermäßige Prononcierung der Leistungspflicht durch die tradierte Schuldrechtslehre, die den Blick auf eine eigenständige Kategorisierung der Schutzpflicht losgelöst von der schuldrechtlichen Erfüllungspflicht jedoch zunächst noch verstellte,22 überwand spätestens Siber in seinen Vorbemerkungen zum allgemeinen Schuldrecht und in seinen Anmerkungen zu §§ 275–292 BGB 1914 in Plancks’s Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch.23 Ihm kommt das Verdienst zu, die Nebenpflichtverletzung, die er in Erhaltungs- und Anzeigepflichten sowie allgemeine Sorgfaltspflichten untergliedert, als eigenständige Kategorie – wenngleich am Vorbild der Leistungspflicht orientiert – etabliert zu haben. Damit ist die Existenz vertraglicher oder vorvertraglicher Sorgfaltswaltung im Hinblick auf sonstige Interessen der Vertragsparteien im Folgenden weitgehend anerkannt, wenn auch die Benennung der Begrifflichkeit unterbleibt.24 Endlich ist es Stoll, der in seiner Abhandlung aus dem Jahr 1932 deutlich auf die terminologische Unterscheidung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten, wie sie dem heutigen Normensystem nach wie vor immanent ist, hinweist.25 22

Vgl. nur Lehmann AcP 96 (1905), S. 60, 87. Vgl. Planck-Siber, Vorb. III, S. 16–36, Vor §§ 275–292, III B 1 S. 183. Die mangelnde Herausstellung der „unselbständigen“ oder „sekundären“ Pflichten (Begrifflichkeiten von Siber, a. a. O., Vor §§ 274–292, S. 21) war noch Manko der Schrift Staubs, wie Siber Vor §§ 275–292, II/1 I 3a anmerkte: „Der Fehler der ältere Lehre bestand aber nicht darin, dass sie keine dritte Art der „Vertragsverletzung“ (. . .) anerkannte, sondern darin, dass sie (. . .) die zahlreichen akzidentiellen, aber keineswegs nebensächlichen Nebenpflichten übersah, deren endgültige oder zeitweilige Nichterfüllung gleichfalls zu einer Schädigung des Gläubigers führen kann“. Schon vorher sachlich in diese Richtung Schneider, Treu und Glauben, S. 192 ff., 196 f.: unausgesprochene Vertragspflichten neben der eigentlichen Leistungspflicht vor und während der Erfüllung; vgl. auch Staudinger-Kuhlenbeck, 7./8. Aufl., Vor §§ 275– 282, Vorb. IV; Krückmann, Institutionen des BGB, 4. Aufl., S. 119 ff., 128; Weilbauer, Die ergänzenden Leistungspflichten; s. a.: Fritz, Die Schlechtleistung, S. 8 ff. 24 Vgl. v. a. Kreß, Lehrbuch SchuldR AT, S. 583: Bestehen eines „unterentwickelten, relativen Anspruchs“, der auf den Ausgleich während der Vertragsverhandlungen verletzter Interessen (persönlicher und sachlicher Güter) zielt; von Tuhr, AT des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., 2. Hälfte, § 88 3 c: Vertragsverletzung liege nicht nur dann vor, wenn der Schuldner die zugesagte Leistung nicht bewirkt, sondern auch wenn er sie so vornimmt, dass der Gläubiger dabei in seinem sonstigen Vermögen oder in seiner Person geschädigt wird“; Stoll LZ 1923, 531 (542), der Interessen benennt, die „unabhängig von den vertraglich zu verfolgenden Interessen bestehen (z. B. das Interesse an persönlicher Unversehrtheit)“; Herholz AcP 130 (1929), 257 (276 f.; 289 ff.), der für eine Aufrechthaltung von Schadensersatzansprüchen trotz Rücktritts oder Wandlung plädiert, sofern Pflichten verletzt werden, „die das Bestehen eines Vertrages nicht zur Voraussetzung haben, die vielmehr ihren Ursprung in einem Schuldverhältnis haben,“ – von Herholz als „Rahmenbeziehung“ tituliert – „das seinen Bestand unabhängig von dem des Vertrages bewahrt“; vgl. zuvor auch Reichel, Schuldmitübernahme, S. 412 f. 23

B. Historische Entwicklung der Schutzpflichten

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Besonderes Interesse behielten die Pflichten zum Schutze der Integrität vor allem im vorvertraglichen Bereich, was nicht zuletzt mit der Entwicklung der c. i. c. als haftungsrechtliches Institut Anfang des 20. Jahrhunderts zusammenhängt.26 Dabei wurden nicht selten die Rechtsfragen über Haftungs- und Geltungsgrund, Bedingung und Beginn der Haftung für Verschulden bei Vertragsschluss vermengt. Ging das Schrifttum und mit ihm die Rechtsprechung27 zunächst noch von einem echten Kontrakt als Voraussetzung vorvertraglicher Pflichtenentstehung aus,28 wurde davon in der Folge mehr und mehr abgerückt.29 Zum schärfsten Kritiker der These, „causa“ des Ersatzanspruches könne nur der nachfolgende Vertrag sein, entwickelte sich Stoll, der die Haftung für c. i. c. auf die Annahme eines Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen eigener Art30 stützte, welches er durch einseitiges Rechtsgeschäft (z. B. Angebot) begründet sah.31 Doch auch dieser Ansatz blieb in seiner Konsequenz nicht unumstritten. 25

Stoll AcP 136 (1932), 256 (288 f.; 298 f.); ders. in: Die Lehre von den Leistungsstörungen, S. 25 ff., 30 und in Stoll/Felgentraeger, Vertrag und Unrecht, S. 17 f. 26 Für Wiegand in: FS für Gagnér, S. 558 sind es die „Entdeckungen“ der c. i. c. und pFV und ihr Einsatz zum Ausgleich von Schädigungsarten, die die Kennzeichnung der Pflichtverletzungstatbestände notwendig machten. 27 Vgl. nur RG JW 1912, 743 (744): „Die zum Vertrag führenden Verhandlungen und der Vertragsschluss bildeten ein einheitliches Ganze(s). Dies rechtfertigt die Annahme, die für die Verhandlungen maßgebenden Pflichten zu Vertragspflichten zu rechnen (. . .)“; s. a. RGZ 95, 58. 28 Sog. „Zielvertragstheorien“, zurückgehend auf die Schrift von Leonhard, Verschulden bei Vertragsschluss, S. 58 f.; in den Rechtsfolgen variierend: Krückmann JhrJb. 59 (1911), 233 (325 ff.); Oertmann LZ 1914, 513 (516 ff.); Richter JW 1921, 664. Leonhard kommt das wissenschaftliche Verdienst zu, als erster die Lehre Jherings unter der Herrschaft des BGB in ein festes System eingegliedert und fortentwickelt zu haben, entgegen der bis dahin herrschenden Lehre, die ein Verschulden bei Vertragsschluss nur in den vom Gesetz ausdrücklich geregelten Haftungsfällen – also i. d. R. nur unter den Voraussetzungen der §§ 823, 826 BGB – anerkannten, vgl. Werner Recht 1902, 476 (477); Kipp DJZ 1903, 255 (256) und Oertmann BGBKomm. § 276 6 b, der sich später (s. o.) auf die Seite Leonhards schlug. 29 Ansätze noch bei Cosack/Mitteis, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts Bd. I, § 135 I. 30 Stoll gründete seine Theorie auf die Lehre v. Tuhrs, AT des Bürgerlichen Rechts, 2. Bd., 2. Hälfte, § 62 VI., S. 486 f., ders. in AcP 121 (1923), 359 (360); Fischbach ArchBürgR 41 (1915), 160 (161) spricht von einem „vorbereitendem Rechtsverhältnis“, das dem „Hauptvertrag“ vorausgehe. 31 Stoll LZ 1923, 531 (543); Heck, Grundriß des Schuldrechts, S. 124, der jedoch dann wieder bei beiderseitiger Verhandlung von einem „pactum de tractando“ spricht; Brenner, exceptio doli generalis, S. 21 f.; schon vorher im gewissen Sinne Alberti AcP 118 (1920), 141 (154); Fürst LZ 1910, 177 (179). In diese Richtung auch Wilburg, Elemente des Schadensrechts, S. 164 ff.: „Die Gemeinschaft ist v. a. durch eine Haftung des Handelnden gegeben. (. . .) Diese verpflichtende Handlung

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

So war es vor allem Hildebrandt,32 der, gestützt auf die Ausführungen Sibers,33 der lange vorherrschenden Stollschen „Eintrittstheorie“34 eine Absage erteilte und Untersuchungs- und Sorgfaltspflichten schon zu dem Zeitpunkt bejahte, in dem objektiv nach den erkenn- oder voraussehbaren Umständen mit der Möglichkeit einer Verhandlungsbeziehung zu rechnen war. Dieses Verhandlungsverhältnis wollte er dennoch nicht für die hier relevanten Fälle der Schutzpflichtverletzung nutzbar machen. Dies resultierte aus einer klaren Trennung zwischen Erklärungs- und Erhaltungspflichten. Letztere, die auf die Behütung der Person und deren Rechte abziele, hätten nur im Zusammenhang mit so genannten Erhaltungsverträgen Bedeutung, die stillschweigend bei Betreten der Verkaufsräume geschlossen würden.35 Die Verletzung von Erhaltungspflichten, gleichwohl akzeptiert und gekannt, war damit eine vom Verhandlungsverhältnis abgekoppelte Vertragsverletzung, eine Kategorisierung, die in weiten Teilen des Schrifttums Kritik hervorrief36 und so von der Rechtsprechung, die wohl seit der „Linoleum“-Entscheidung,37 spätestens aber seit dem „Weinsteinsäure-Fall“38 eher auf dem Standpunkt einer vertragsähnlichen denn einer vertraglichen Begründung von Schutzpflichten stand, auch nicht gebilligt wurde. hat rechtsgeschäftsähnlichen Charakter“. Und zuvor schon mit der bemerkenswert frühen Erkenntnis: „Das Gemeinschaftsverhältnis braucht aber überhaupt nicht mit einer beabsichtigten Vertragsverhandlung im Zusammenhang zu stehen. Die Schutzpflicht umfasst auch Besucher, die nicht zum Abschluß eines Vertrages, sondern aus anderen geschäftlichen, staatlichen oder gesellschaftlichen Gründen anwesend sind“. 32 Die Erklärungshaftung, S. 89 ff., 93. 33 In JhrJb. 70 (1921), 223 (258 f.); ders. in Planck II, Vorb. I, 4 vor §§ 275 ff., S. 190 ff. 34 Das Schuldverhältnis kommt nach Stoll in dem Zeitpunkt zustande, in dem mittels Vertragsangebot oder Aufforderung eines Vertragspartners in die Vertragsverhandlungen „eingetreten“ wird. Der Eintritt als solcher ist dabei Rechtsgeschäft, was verwundert, ist doch die Offerte als Willenserklärung lediglich Teil eines Rechtsgeschäfts (Vertrag), vgl. auch Hildebrandt, a. a. O., S. 90, Fn. 33a. 35 Hildebrandt, a. a. O., ebd.; Siber JhrJb. 70 (1921), 223 (259 f.). 36 In Bezug auf Siber schon Stoll LZ 1923, 531 (539): reine Fiktion einer Pflicht! Und später in Bezug auf Hildebrandt in JW 1933, 34 (36); Wilburg, a. a. O., S. 164: „Die Erklärungs- und Erhaltungspflichten sind miteinander eng verwandt. Es erscheint unnatürlich, die einen aus dem Verhandlungsverhältnis, die anderen dagegen aus einem besonderen Vertrag zu begründen“; Dömpke, Grundlage und der Umfang der Haftung, S. 7 f.; Berger, Grenzen der Haftung für Verschulden bei Vertragsverhandlungen, S. 35 f.; Fischer, Gefälligkeitsfahrt, S. 62 ff.: kein Vernünftiger kommt beim Einkauf auf den Gedanken, dass er zwei Verträge mit seinem Gegner schließt, einen über die Ware, den anderen über den Schutz seiner persönlichen Sicherheit! 37 RGZ 78, 239. 38 RGZ 104, 265 = JW 1922, 1313 mit krit. Anm. Levy.

B. Historische Entwicklung der Schutzpflichten

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Im Schrifttum läuteten vor allem Dölle39 und Larenz40 die Wende ein und unterwarfen auch die Erhaltungspflichten dem von einem Verpflichtungswillen der Verhandlungspartner unabhängigen41 Verhandlungsverhältnis. Die Lehre von der Schutzpflicht wurde in den Folgejahren vertieft und stellenweise erweitert.42 So war es insbesondere Canaris, der in Abkehr der bis dahin verbreiteten Theorie vom „Umschlag des Rechtsverhältnisses“43 die Terminologie des „einheitlichen Schutzverhältnisses“ entwickelte.44 Danach finden alle Schutzpflichten ihre Grundlage in einem umspannenden Schutzverhältnis gesetzlicher Natur, welches unabhängig vom Willen der Beteiligten – aber auch unabhängig vom Leistungsschuldverhältnis – existiert und das mit der Aufnahme des geschäftlichen Kontakts beginnt und „sich über mehrere Stufen – Beginn der Vertragsverhandlungen, Vertragsschluss, Eintritt in das Erfüllungsstadium – verdichtet“.45 39 In ZStW 103 (1943), 67 ff. mit seiner Rechtstheorie vom „sozialen Kontakt“ unter Konkretisierung der Gedanken Haupts, Über faktische Vertragsverhältnisse. Dölle trennt zwischen vorvertraglichen Aufklärungspflichten einerseits und Schutzpflichten andererseits. Letztere beruhen nach seiner Ansicht auf besagtem sozialen Kontakt, während die Aufklärungspflichten durch den Umstand begründet seien, dass die Parteien „mit der Anbahnung von Vertragsverhandlungen einander ein besonderes Vertrauen entgegenbringen“. 40 In MDR 1954, 515 (516) und in SchuldR AT, 1. Aufl., § 2 I, S. 4 f., wo er diesbezüglich von „weiteren Verhaltenspflichten“ spricht. Larenz begnügt sich nicht mit der Theorie Dölles, sondern will sie – was die Haftung aus culpa in contrahendo anbelangt – auf den rechtsgeschäftlichen Kontakt beschränken. Ihm folgend: Frotz in: GS für Gschnitzer, S. 172 f. 41 Dies meint unabhängig von einem vorbereitenden Vertragsschluss (Siber, Hildebrandt) oder einem einseitigen Rechtsgeschäft (Stoll) und somit die Abkehr von einem rechtsgeschäftlichen Konsens! 42 Vgl. nur Esser, SchuldR, 2. Aufl., § 10, S. 31 f.; Blomeyer, SchuldR AT, § 17 III; zuvor insbesondere schon Ballerstedt, der sich mit seinem Aufsatz in AcP 151 (1950/51), 501 (503 f.) als wegweisend für das Verständnis der c. i. c. als Institut der Vertrauenshaftung zeichnete. Im Gefolge dieses neuen Problembewusstseins kam es auch zu Meinungsverschiedenheiten über den Wesensgehalt der Schutzpflicht selbst und ihre Rechtsähnlichkeit zu den allgemeinen deliktischen Pflichten; ein Aspekt, auf den später noch zurückzukommen sein wird, vgl. unter 2. Teil, D. II. 43 Die Begrifflichkeit prägt Canaris selbst, sie ist aber Ausdruck einer Ansicht, die eine durch den Vertragsschluss bedingte Transformation der auf Vertrauensschutzerwägungen beruhenden Schutzpflichten aus einem Schuldverhältnis gesetzlicher Art in das eines rechtsgeschäftlicher Art vorsehen; vgl. Ballerstedt a. a. O., S. 529; Blomeyer, a. a. O., § 17 III 1b: „Kommt es zum Vertrag, so wird die Obhutspflicht zur vertraglichen Nebenpflicht“; Dömpke, a. a. O., S. 45 ff.: „durch den Abschluss des Vertrages verwandeln sich sämtliche Ansprüche, die innerhalb des Schuldverhältnisses der Vertragsverhandlungen entstanden sind, in vertragliche Rechte“; Wolf AcP 153 (1954), 97 (112 f.). 44 Canaris JZ 1965, 475 (478); sachlich schon vorher in diese Richtung Diers, Ersatzansprüche Dritter, S. 83 f.

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Dies hat zugleich zur Folge, dass die Unterscheidung zwischen vorvertraglicher Schutzpflicht (im Sinne einer culpa in contrahendo) und nachvertraglicher Schutzpflicht (im Sinne einer positiven Vertragsverletzung) überflüssig wird.46 Dieses so genannte gesetzliche Begleitschuldverhältnis, das auch andere Vertreter in der Literatur aufgriffen,47 ist jedoch seit seiner Formulierung nicht fern von Kritik geblieben. So wies vor allem Medicus auf die Schwierigkeit des Rückgriffs auf die Vertragseigenarten zur Bestimmung der Schutzpflicht hin,48 Larenz bemerkte die oftmals nur schwerlich zu treffende – und deshalb letztlich unnötige – Abgrenzbarkeit der Parallelverhältnisse zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses.49 Stattdessen seien alle Schutzpflichten, die der Schuldner bei der Vertragsdurchführung zu beachten habe, vertragliche Pflichten und somit stets im Zusammenhang mit diesem zu betrachten. Im Anschluss an diese Meinung gehen auch große Teile der neueren Literatur davon aus, dass „vorvertragliche“ Schutzpflicht und vertragliche Leistungspflicht im Anbahnungsstadium selbstverständlich (wenngleich nicht zwingend) divergieren können, spätestens zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses jedoch das vertragliche Schuldverhältnis das gesetzliche „Verhandlungsverhältnis“ ablöse.50 Die über die Jahre von Rechtsprechung und Literatur gefestigte Rechtsanwendung der Schutzpflichten unter dem Verdikt des § 242 BGB kodifizierte der Gesetzgeber mit der Schuldrechtsreform vom 01.01.2002 in § 241 Abs. 2 BGB. In Verbindung mit § 311 Abs. 2 BGB dient er u. a. der Festsetzung des Ausgleichs der Körper- und Verletzungsschäden als Fallgruppe der culpa in contrahendo. Das Schuldverhältnis der Vertragsverhand45

Canaris a. a. O., 475 (479). Culpa in contrahendo und positive Vertragsverletzung haben danach lediglich die Funktion, den zeitlichen Rahmen der Rechtsgutsverletzung zu markieren. C. i. c. liege zeitlich während des Vertragsschlusses, die positive Vertragsverletzung danach. Mit dieser Erkenntnis schon Richter JW 1921, 664 (665). 47 Vgl. v. a. Thiele JZ 1967, 649 (653 f.), der jedoch anders als Canaris das Schutzpflichtverhältnis als eigenständiges Rechtsverhältnis begreift, das weder im umspannenden Schuldverhältnis seinen Ursprung hat noch Teil desselben ist; weiter: Gerhardt JuS 1970, 597 (598 f.); ders. JZ 1970, 535 (536); Schmidt, Nachwort zu Jhering/Staub, 131 (149); von Lackum, Verschmelzung und Neuordnung, S. 158 f.; Esser, SchuldR AT, § 52 II 3, S. 374; Sticht, Haftung des Vertretenen, S. 109 f.; Müller NJW 1969, 2169 (2174); in diese Richtung Müller-Graff JZ 1976, 153 (155); Köpcke, a. a. O., S. 129 f.; vgl. unter dem Aspekt der Rückgewährpflicht auch Wunner AcP 168 (1968), 425 (429). 48 In: JuS 1986, 665 (669); ders., BR, Rn. 203. 49 In: SchuldR AT I, § 9 I, S. 119 f. 50 Vgl. Palandt-Heinrichs, § 241 Rn. 7, Schutzpflichten werden nach Zustandekommen des Vertrags zu vertraglichen Nebenpflichten; MüKo-Roth, § 241 Rn. 92. 46

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lungen erzeugt damit – obwohl gesetzlicher Art und losgelöst vom Vertrag – vertragliche Schutzpflichten und Schadensersatzansprüche, das zumindest macht die Überschrift des dritten Abschnitts und des § 311 BGB deutlich. Die Regelung rief im Vorfeld des Diskussionsstands gerade aufgrund ihrer mangelnden Transparenz und Fassbarkeit Kritik im Schrifttum hervor,51 was nicht zuletzt die umständliche Systematisierung mit sich brachte (zur Anspruchsbegründung bedarf es der Hinzuziehung von § 280 Abs. 1 BGB). Dennoch blieb der Gesetzgeber seiner Linie eines detailarmen Regelungsgehalts treu. § 280 Abs. 1 BGB umfasst als einheitlicher Tatbestand die Verletzung von Leistungs- und Schutzpflichten gleichermaßen und setzt damit die bislang gewohnheitsrechtliche Anerkennung der pVV in festgeschriebenes Recht um.

C. Wandlung des Schutzbereiches Das heutige Selbstverständnis der allgemeinen Anwendbarkeit des Haftungsinstituts der culpa in contrahendo auf die typischen Fälle der Schadenszufügung bei Verkehrseröffnung bestand nicht immer. Eine generelle Regelung (ausgenommen der gesetzlichen Haftungsbestimmungen der §§ 179, 307, 309, 443, 463 S. 2, 523 Abs. 1, 524 Abs. 2, 546, 600, 637, 694 BGB) der Restitutionspflicht für vorvertragliches Verschulden fehlte im BGB, und die Lösung dieser Frage wurde in den Motiven ausdrücklich der Lehre anheim gestellt.52 So verwundert es nicht, dass sich das RG bis in die zweite Dekade des 20. Jahrhunderts hinein kategorisch einer vertraglichen Anwendung der c. i. c. außerhalb oben genannter Fälle verschloss.53 Zwar hielt man die Herleitung aus dem vorvertraglichen Institut unter den Voraussetzungen des Deliktsrechts grundsätzlich für möglich, da aber relevantes Schutzgut in der Regel das von § 823 BGB nicht umfasste Vermögen war, kam dies praktisch kaum vor.54 51

Vgl. insbesondere Dauner-Lieb in: Ernst/Zimmermann, 305 (312 f.; 316 f.); Köndgen in: Schulze/Schulte-Nölke, 231 (242), ferner Schapp JZ 2001, 583 (589). 52 Mot. I, S. 195: „Ob begrifflich die Haftung für culpa in contrahendo auf einen Eingriff in den fremden Rechtskreis, mithin auf eine unerlaubte Handlung, oder auf die Verletzung einer rechtsgeschäftlichen Pflicht zurückzuführen sei, ist eine Konstruktionsfrage, deren Lösung der Wissenschaft überlassen werden darf“. 53 RGZ 61, 207; RG JW 1909, 684 Nr. 3; LZ 1910, 80 (81); JW 1910, 748 (749). Dies gründete auf der Vorstellung, dass die §§ 276 ff. BGB, die den vertraglichen Schadensersatzanspruch regelten, ein vollzogenes Schuldverhältnis voraussetzten (da § 276 BGB von „Schuldner“ spricht!), ein solches aber regelmäßig nicht vorlag. 54 Diese Ansicht deckte sich mit Teilen, auch der späteren, Literatur, vgl. oben Fn. 541. S. a. Berger, a. a. O., S. 46, wenngleich aus Gründen der Subsidiarität: „In

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Ähnlich verhielt es sich mit kontraktlichen Pflichtverletzungen. So lehnte das RG noch 1910 vertragliche Ersatzansprüche einer Kundin ab, die beim Verlassen einer Metzgerei und nach Kauf einer Wurst und einer Flasche Bier auf der unbeleuchteten Treppe zu Fall kam.55 Die Tochter des Beklagten, die gleichzeitig Angestellte im Laden war, hatte es versäumt, eine im Hausgang brennende, zur Herbeiholung des Gekauften weggenommene Lampe wieder an ihren Platz zu bringen. Aus heutiger Sicht fiele der Fall unproblematisch in den Anwendungsbereich der Schadensersatzpflicht aus § 280 Abs. 1 BGB mit erfolgter Schutzpflichtverletzung post contractum finitum. Das RG indes ließ vertragliche Ansprüche nicht gelten (trotz Tätigung eines Kaufs!). Bemerkenswert ist die Art der Begründung. So obliege zwar jedem, der in seinem Haus einen Verkehr eröffne, die Pflicht, für die Sicherheit der Personen zu sorgen, denen er Einlass gewähre. Allein die Verletzung dieser allgemeinen Pflicht begründe im Fall der schuldhaften Schadenszufügung jedoch nur einen Anspruch aus unerlaubter Handlung, nicht auch aus Vertrag. Ein solcher sei nur dann gegeben, wenn Vertragsbeziehungen vorhanden seien, die sich gerade auf die Benutzung des Raumes erstreckten, wie es bei einem Verhältnis zwischen Wirt und Gast der Fall sei.56 Im Übrigen sei aus dem Wesen des Kaufvertrages nach § 433 BGB ein allgemeiner Satz, dass derjenige, der in seinem Haus ein Gewerbe betreibe, auch für die Sicherheit der Räumlichkeiten und Zugänge einzustehen habe, nicht abzuleiten.57 Die Rechtsprechung gewährte damit vertraglichen Rechtsgüterschutz einerseits nur im Rahmen des „präsumtiven Leistungskontakts“,58 andererseits aber auch nur, wenn die geschützten Interessen „mit der Sachleistung in einem gewissen notwendigen Zusammenhang“ standen, im Hinblick auf das Interesse an körperlicher Sicherheit durch den ordnungsgemäßen Zustand der Räume also nur dann, „wenn der Aufenthalt in diesen Räumen zu den eigentlichen Vertragsrechten“ gehörte.59 Dies war beim Vertrag mit dem Gastwirt – wo das Verweilen ein Teil der geschuldeten Leistung darstellte – der Fall, nicht jedoch in den klassischen „Warenhaus-Fällen“, allen Fällen, in denen ein Verrichtungsgehilfe bei Vertragsverhandlungen eine unerlaubte Handlung begeht, finden die Grundsätze der c. i. c. (. . .) keine Anwendung“. Die Deliktssphäre rage in das Verhältnis der Vertragsverhandlungen hinein. Dabei sei der Kreis der Deliktshaftung vermöge seiner Grundlage im Gesetz der stärkere, der für die Fälle des Überschneidens die Haftung aus c. i. c. verdränge, da hier eine Lücke im Gesetz nicht vorliege. 55 RGZ 74, 124. 56 RGZ 74, 124 (126). 57 RGZ 74, 124 (125). 58 Begrifflichkeit von Bohrer, Haftung des Dispositionsgaranten, S. 241. 59 Heinsheimer GrünhutsZ 40 (1914), 115 (131).

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wo nach damaliger Ansicht der potentiell kontraktliche Verkehr sich vom allgemeinen Verkehr nicht unterschied.60 Ein erster Wandel in der Rechtsprechungslinie scheint mit oben bereits erwähntem „Linoleum-Fall“61 von 1911 einzutreten. Zuvor hatte sich die Rechtsprechung voll und ganz dem Leonhardschen Modell einer auf Vertrag gegründeten c. i. c. verschrieben.62, 63 Die Klägerin hatte den Verkäufer in Ansehung eines möglichen Kaufs gebeten, ihr einen Linoleumteppich vorzulegen. Hierin sah das RG den Rechtsgrund vorvertraglicher Pflichtenentstehung. Denn dies „sei kein bloß tatsächlicher Vorgang“ gewesen, „wie ihn etwa eine reine Gefälligkeitshandlung darstellen würde, sondern es entstand ein den Kauf vorbereitendes 60 s. a. Giaro a. a. O., S. 133. Beachte in diesem Zusammenhang auch das späte Urteil des RG in WarnR 1928, 206 (208). Der Kläger war hier im Zigarrengeschäft des Beklagten, während dieser die bestellten Waren herbeiholte, auf dem mit ölgetränkten Linoleumfußboden ausgerutscht. Dadurch, dass der Geschäftsführer auf das Kaufverlangen des Klägers einging und es alsbald befriedigen wollte, übernahm der Beklagte, so das RG, die vertragliche Nebenverpflichtung, dem Kläger die sofortige Abnahme ordnungsgemäß, also auch ohne Schaden für die körperliche Unversehrtheit, zu ermöglichen. Darin sei „mitenthalten“, dass er auf dem Fußbodenbelag des Ladens stehen und gehen könne, ohne auszurutschen. 61 RGZ 78, 239. In dem Fall fielen zwei vom Gehilfen des Verkäufers unachtsam und ungesichert beiseite gestellte Linoleumrollen um und verletzten eine Warenhausbesucherin. 62 Leonhard erkennt vorvertragliche Pflichten ausdrücklich (aber auch nur dort!) an, wo die Vertragsverhandlungen zu einem gültigen Vertragsschluss führen. Im bekannten „Luisin-Fall“ in JW 1912, 743 folgte das RG erstmals dieser Ansicht. In dem Fall wurde einem Kaufmann das Vertriebsrecht an Luisinlicht in Deutschland übertragen. Nachdem dieser die ersten Vertriebsstellen eröffnet hatte, stellte sich heraus, dass eine Konkurrenzfirma bereits eine entsprechende Patentberechtigung besaß, wovon der Verkäufer auch wusste. Der Erwerber verlangte Schadensersatz für nutzlose Aufwendungen und den entstandenen finanziellen Verlust. Das Gericht gab ihm Recht. „Die zum Vertrag führenden Verhandlungen und der Abschluß des Vertrags bildeten ein einheitliches Ganzes. Dies rechtfertigt die Annahme, die für die Verhandlungen maßgebenden Pflichten zu den Vertragspflichten zu rechnen; es besteht kein zureichender innerer Grund, beide hinsichtlich ihrer Wirkung verschieden zu gestalten“. 63 Über die Relevanz des Urteils im Hinblick auf eine frühe Abkehr des RG von der Zielvertragstheorie herrscht Streit. Steinberg, Die Haftung für c. i. c., S. 48 ff. will eine solche in der Entscheidung des RG sehen, Cabjolski, Entwicklung und heutiger Stand der Lehre, S. 36 f. hält dagegen und misst der Nichterwähnung des „vorbereitenden Vertrags“ in den Entscheidungsgründen keinerlei Bedeutung bei. Der Hinweis auf zwei frühere RG-Urteile in den Entscheidungsgründen, die beide die Verletzung eines Vorvertrags betreffen, spricht dafür. Giaro a. a. O., S. 135 f. unter Verweis auf Negendanck, Lehre von der Haftung, S. 21 hält dies für die Vortäuschung einer „schon da gewesenen Konstruktion“, für ihn ist das Urteil „die einzig wahre Entdeckung in der Geschichte der culpa in contrahendo“.

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Rechtsverhältnis64 zwischen den Parteien, das einen vertragsähnlichen Charakter trage und insofern rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten erzeugt habe, als dem Verkäufer wie dem Kauflustigen die Pflicht erwuchs, bei der Vorlegung und der Besichtigung der Ware die gebotene Sorgfalt für die Gesundheit und das Eigentum des anderen Teils zu beobachten“.65 Das Verhalten des Kunden gewinnt dabei entscheidende Bedeutung. Je nachdem, mit welchem Ziel sich seine Absicht, das Kaufhaus zu betreten, verbindet und wie er in den Kaufvorgang eingebunden wird, besteht die vorvertragliche Haftung oder nicht.66 Das eigentlich Bedeutsame an der Entscheidung ist die Schaffung eines eigenständigen Anwendungsbereiches für die Schädigung von Integritätsinteressen im vorvertraglichen Raum und somit der Aufbau eines selbstständigen, mit eigenen Prüfungsvoraussetzungen ausgestatteten Gegenpols zur deliktischen Haftung. Dies ist – obwohl das RG die Worte „Verschulden bei Vertragsschluss“ bzw. „c. i. c.“ nicht gebraucht – der eigentliche Beginn der auf die Sicherung von übrigen Rechtsgütern gerichteten vorvertraglichen Parallele der Verkehrspflicht. Wie sehr sich die Schutzpflichtdogmatik dieser frühen Rechtsprechung jedoch noch von sachverhaltstechnischen Haarspaltereien beeinflusst sah, zeigt die Entscheidung des RG vom 29.09.1912.67 Dem Kläger war von der Galerie des ersten Stocks eines Warenhauses ein schwerer Metallständer auf den Kopf gefallen, in dessen Folge er sich nicht unerhebliche Verletzungen zuzog. Eine Besucherin des Geschäfts hatte aus einem Stapel Blusen, der auf einem zur Auslage von Waren bestimmten Brett lag, ein Exemplar hervorgezogen und dabei den Ständer mitgerissen. Das RG lehnte einen Schadensersatzanspruch aus Vertrag ab. Der zu behandelnde Fall unterscheide sich vom oben genannten gerade dadurch, dass hier kein durch Vorlegung von Waren an einen Kauflustigen zur Besichtigung begründetes Vertrauensverhältnis existiere.68 Vielmehr hatte der Kläger das Kaufhaus – ob mit oder ohne Kaufabsicht, ließ sich nicht feststellen – lediglich betreten. 64

Hervorhebung von mir. RGZ 78, 239 (240). Wohlgemerkt ist hier die Grenze zwischen vertraglichem und vertragsähnlichem Verhältnis fließend. Dies nahmen Siber JhrJb. 70 (1921), 259 f. und Fischer, Gefälligkeitsfahrt, S. 56 zum Anlass ihrer Kritik, das RG hätte besser von einem „vorbereitenden Vertrag“ gesprochen. Allerdings zu Unrecht dem RG die Annahme eines Erhaltungsvertrages unterstellend: Hildebrandt, a. a. O., S. 226 Fn. 7. 66 Das Berufungsgericht hatte als Vorinstanz die Möglichkeit des Entstehens eines Vertragsverhältnisses allein durch den Eintritt eines Kauflustigen oder Besuchers ohne bestimmte Kaufabsicht ausdrücklich anerkannt. Der Fall erforderte diesbezüglich keine weitere Vertiefung, dennoch wertete das RG die Ausführungen als „rechtlich bedenklich“. 67 Sog. „Ständer-Fall“ in JW 1913, 23 Nr. 10 = WarnR 1912, S. 449 Nr. 410. 65

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Damit allein sei nach Ansicht des Gerichts für die Annahme einer vertragsmäßigen Haftung des Warenhausinhabers noch keine ausreichende Rechtsgrundlage gegeben.69 Die Frage des Entstehens von vertraglichen Ausgleichsansprüchen hing damit maßgeblich von der Beziehungsaufnahme zwischen Verkäufer und Käufer ab. Sieht sich letzterer im engen Kontakt zu Ware und Anbieter, ist er auf sie angewiesen, lässt er sich Produkte zeigen, tut er überhaupt irgendetwas, das ihn vom bloß Betretenden unterscheidet, war hierin ein Geltungsgrund für das „den Kauf vorbereitende Rechtsverhältnis“ gefunden. Diese Vorgabe, die das RG schon im „Linoleum-Fall“ traf, mag in der Theorie verdienstvoll gewesen sein, in praxi hat die Apostrophierung der „Verhandlungen“ jedoch kaum Klarheit gebracht. In einem vom RG entschiedenen Fall aus dem Jahr 192970 betrat ein Kunde auf dem Holzlagerplatz der Beklagten die Galerie eines Holzschuppens, um Holz zum Zwecke des Ankaufs zu besichtigen. Er stürzte dabei an der durch eine Laufstange gesicherten Seite der Galerie etwa 4 m tief hinab, nachdem er sich an die Stange angelehnt hatte. Allein in der Notwendigkeit, die Ware vorher zu besichtigen und zu diesem Zweck die Galerie zu betreten, sah das Gericht die Entstehung eines vertragsähnlichen Verhältnisses des Inhalts, dass die Geschäftsinhaberin für die ausreichende Sicherung des die Anlage Betretenden gegen die Gefahren, die mit diesem Betreten verbunden waren, einzustehen hatte. Zur weiteren Begründung bedient es sich der Ausführungen des „Linoleum-Falls“. Die Galerie sei eine Vorrichtung, die den kauflustigen Personen zum Zwecke der Besichtigung des Kaufgegenstandes zur Verfügung gestellt werde und deren Betreten, da sie sich mehrere Meter über der Erde befinde, naturgemäß Gefahren für die körperliche Unversehrtheit hervorrufe. Dies sei kein nur „tatsächlicher Vorgang“, sondern ein besonderes, „den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis“.71 68 RG JW 1913, 23 (25), Nr. 10. Ebenso entschied das RG im sog. „AttrappenFall“ (JW 1914, S. 759 Nr. 6), in dem eine Käuferin nach Tätigung einiger Einkäufe in einer Kurzwarenabteilung, in der sie weitere Käufe beabsichtigte, von einer umstürzenden Säule verletzt wurde. Speziell was diese Abteilung anbelangt, sei es noch nicht zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen gekommen, so dass ein vorvertragliches Sorgfaltsverhältnis noch nicht begründet sei. 69 RG a. a. O., ebd.; ausdrücklich ablehnend Erman AcP 139 (1934), 273 (324): Jeder werde verpflichtet, sobald er an einen anderen oder an eine bestimmte Mehrheit von anderen zu Verhandlungen herantritt. Der Pflichtbeginn soll allerdings kein früherer als der der charakterisierenden Hauptpflicht sein. Im „Ständer-Fall“ sei die Hauptpflicht des Warenhauses, z. B. die Unterlassung völlig irreführenden Anlockens durch Reklame und Schaufenster, indes schon entstanden. 70 RG HRR 1929, Nr. 1313. 71 RG a. a. O., ebd. unter Verweis auf RGZ 78, 239.

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Abgesehen davon, dass sich die inhaltliche Bestimmung eines „rein tatsächlichen Vorgangs“ nur schwer vornehmen lässt (ist ein bloßer Realakt ohne rechtsgeschäftliche Intention gemeint?), fragt es sich doch, worin die Besonderheit dieser Sachverhaltskonstellation liegt. Ist nicht fast jeder Kauf mit der vorherigen Besichtigung der Ware verbunden? Dienen nicht Präsentationsstrecken und Produktpodeste allenthalben dazu, den Kunden zu locken, unter Umständen auch abseits der Hauptgänge? Die Entscheidung des RG lässt sich eigentlich nur mit der Art der Warenpräsentation erklären, die für einen Vollbedienungsladen zu dieser Zeit atypisch ist. Das Einlassen des Kunden auf eine gesteigerte (und gefahrenträchtigere) Form des Produktabsatzes soll hier den Unterschied machen. Eine klare Differenzierung ist damit nicht erreicht.72 Der kurze Blick in die frühe Rechtsprechung unter dem BGB zeigt bereits: Eine genaue Kontur besitzt sie nicht. Geringfügige Änderungen im Sachverhaltsablauf lassen vertragliche Ansprüche erlöschen, scheinbar nebensächliche (und beweistechnisch schwer nachvollziehbare) Lebensvorgänge wieder aufleben. Immerhin: seit dem „Weinsteinsäure-Fall“ aus dem Jahr 192273 ist die Judikatur soweit gefestigt anzuerkennen, dass, sofern der Kunde in Vertragsverhandlungen mit dem Verkäufer getreten ist, unabhängig davon, ob es zum Vertragsabschluss kommt, ein pflichtenbegründendes Rechtsverhältnis entsteht.74 Die Haftung für c. i. c. wird seither aus einem in Ergänzung des geschriebenen Rechts geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis abgeleitet, welches aus der Aufnahme von Vertragsverhandlungen entspringt und zur verkehrsüblichen Sorgfalt gegenüber dem (zukünftigen) Geschäftspartner verpflichtet. Der Schritt von der rechtsgeschäftlichen zur gesetzlichen (Ver72 Vgl. RG JW 1937, 2651 zum Fall des Sturzes eines Kunden, der auf Veranlassung des Geschäftsinhabers im Rahmen der Verhandlungen zum Einschlagen eines bestimmten Weges auf dessen Grundstück gezwungen wurde; auch: RG LZ 1929, 1463, in dem eine Käuferin nach Tätigung der Einkäufe im Fahrstuhl des Warenhauses Verletzungen erlitt. Beide Entscheidungen enthalten sich indes einer Stellungnahme zum Problem (vor-)vertraglicher Haftung gegenüber dem lediglich Betretenden und verweisen auf den Einzelfall. 73 RGZ 104, 265. Fall der Nichtigkeit des Vertrags infolge versteckten Dissenses. Das Gericht bejaht die analoge Anwendung der §§ 122, 179, 307, 309 BGB und hält eine Verpflichtung zum Schadensersatz bei jedem das Nichtzustandekommen eines Vertrages verschuldeten Verhalten für gegeben, zumindest, wenn es der Billigkeit entspricht. Ungleich klarer RGZ 120, 249 (251): „dass schon bloße Vertragsverhandlungen selbst dann, wenn sie nicht zum Vertragsschluss führen, ein vertragsähnliches Vertrauensverhältnis unter den Beteiligten erzeugen, das sie zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verpflichtet“. 74 RGZ 132, 76 (79); 151, 357; 159, 33 (54); 162, 129 ff. (156 ff.); weitergeführt auch unter dem BGH in BGHZ 6, 330 (333).

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trauens-)Haftung ist damit vollzogen.75 Mit den Jheringschen Vorstellungen einer aus römisch-rechtlichen Quellen abgeleiteten c. i. c. hatte dies nicht mehr viel gemein.76 In den 20er und 30er Jahren formierte die Reichsgerichts-Judikatur die c. i. c. zu einem Institut richterrechtlicher Rechtsfortbildung im Stile des Gewohnheitsrechts.77 Maßgeblichen Anteil an der Entwicklung hatten die hier besprochenen „Warenhaus-Fälle“, die die dogmatischen Standards von Schutzpflicht und c. i. c. regelmäßig novellierten. Der BGH knüpft nach dem 2. Weltkrieg an die Rechtsprechung des RG zu den Schutzpflichten im vorvertraglichen Verhältnis an.78 In der Folge wird der Kreis der Ersatzberechtigten auch auf Dritte ausgedehnt, um sie ebenfalls am Schutz des Vertragsverhältnisses partizipieren zu lassen.79 Die Rechtsprechung ist inzwischen weit in ihren Bemühungen, den Geschädigten haftungsrechtlich so günstig wie möglich zu stellen, was mit den Mitteln des Vertragsrechts (Gehilfenhaftung § 278 BGB, längere Verjährung § 195 BGB) unter konsequenter Ausdehnung des Schutzrahmens auch gelingt.80 75 Eingeleitet von Ballerstedt s. o., a. a. O., ebd.; fortgeführt von Canaris JZ 1965, 475 ff.; ders., Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht. 76 Medicus, a. a. O., S. 181; Giaro, a. a. O., S. 151. 77 So Heldrich, Verschulden beim Vertragsschluss, S. 55. Schärfer Schanze in: IUS COMMUNE VII (1978), S. 357: „Generalklausel“; Bohrer, a. a. O., S. 197: „inhaltsleere Hülse“. 78 Urt. v. 20.06.1952 = BGHZ 6, 330 (333). 79 In seinem Urteil v. 15.05.1959 in JZ 1960, 124 bekennt sich der BGH erstmals zur Rechtsform des Vertrages mit Schutzwirkung Dritter (VSD). Zuvor hatte er die vertragliche Drittberechtigung nur aus einem feststehenden Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) ableiten wollen, vgl. dazu BGH BB 1955, 1107; NJW 1956, 1193. Bereits in MDR 1956, 534 Nr. 492 = VersR 1956, 600 gab er diese Ansicht jedoch stückweise auf, als er nur mehr von einer „entsprechenden Anwendung“ des § 328 BGB sprach. Zum VSD und dem Urteil siehe teilw. kritisch: Lorenz JZ 1960, 108 ff.; Gernhuber JZ 1962, 553 ff.; ders. zuvor schon wegbereitend in: FS für Nikisch, S. 248 ff.; Zunft MDR 1960, 543 ff.; Heiseke/Larenz NJW 1960, 77; Böhmer VersR 1960, 676. Der VSD ist seither bewährter Gegenstand der Rechtspraxis und wurde mit Urteil des BGH v. 28.01.1976 = BGHZ 66, 51 auch auf das vorvertragliche Verhältnis des eigentlichen (potentiellen) Vertragspartners erstreckt. 80 Charakteristisches Beispiel ist gerade auch die unter vorgenannter Fußnote erwähnte Entscheidung des BGH im 66. Band = BGHZ 66, 51. In dem Fall rutschte das die Mutter in den Supermarkt begleitende Kind auf einem Gemüseblatt aus, ohne dass zu diesem Zeitpunkt bereits Vertragsverhandlungen getätigt worden waren. Der BGH bejahte in seinem Urteil, das Kreuzer in JZ 1976, 778 kritisch als „derzeit äußersten Vorposten auf dem seit 1900 ständig weiter ausgedehnten Feld der Vertragshaftung“ bezeichnet, Schadensersatzansprüche aus c. i. c. unter dem Gesichtspunkt des VSD. Dabei kam gerade der Verjährung streitentscheidende Bedeutung zu: Da sich der Unfall am 02.11.1963 ereignete, die Klage aber erst am 05.03.1970 erhoben wurde, war die dreijährige Frist des § 823 BGB bereits abge-

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Die Aufgabe des Erfordernisses des echten Verhandlungskontakts zur Begründung des Rechtsverhältnisses und damit den endgültigen Durchbruch des heutigen Verständnisses der c. i. c. brachte die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1962.81 Zuvor hatten sich namhafte Vertreter des Schrifttums in dieser Richtung ausgesprochen,82 die Rechtsprechung folgte im berühmten „Bananenschalen-Fall“.83 Die Besucherin war in der Textilabteilung des noch wenig belebten Warenhauses der Beklagten auf einer am Boden liegenden Bananenschale zu Fall gekommen und zog sich empfindliche Verletzungen zu. Ungeachtet der Tatsache, dass sich die Klägerin weder in laufenden Vertragsverhandlungen mit einem der Verkäufer des Hauses befand noch eine Inaugenscheinnahme spezieller, für sie ausgesuchter Waren, zu denen sie extra delegiert wurde, vornahm, bejahte der BGH eine (vor-)vertragliche Haftung des Unternehmens. Der Kunde, der sich mit dem Ziel eines Vertragsschlusses in die vom Warenhaus beherrschte Sphäre begibt, habe schon in dem Augenblick, in dem er das Warenhaus betrete(!), Anspruch auf vertraglichen Schutz seiner persönlichen Sicherheit.84 Diese Einstandspflicht für fremde Integritätsinteressen, die in dieser Deutlichkeit zum ersten Mal mit der c. i. c. zusammengeführt wird,85 erweitert auf den Zeitraum des Eintritts in den fremden Verkehrsbereich, legte den Grundstein einer Rechtsprechung, die von dieser klaren Vorgabe in den Folgejahren nicht mehr abwich86 und heute anerkannter Maßstab ist. laufen (§ 852 BGB). Damit war die Frage nach dem vertraglichen bzw. vertragsähnlichen Anspruch und seiner 30jährigen Verjährungsfrist (§ 195 BGB) aufgeworfen. 81 BGH NJW 1962, 37 = VersR 1961, 1078. 82 Erman a. a. O., S. 324 f.; Larenz MDR 1954, 515 (516). 83 Davor kamen die Gerichte stets umhin, sich abschließend zur Frage des Beginns der Haftung für Schutzpflichtverletzungen zu äußern, entweder, weil der Kunde seine Einkäufe bereits getätigt hatte (OLG Schleswig VersR 1952, 214; LG Berlin VersR 1953, 325; BGH VersR 1954, 177) oder ein vorvertraglicher Anspruch gar nicht erst in Erwägung gezogen wurde (AG Lüneburg VersR 1956, 651). In NJW 1961, 1926 erwähnt das LG Berlin eine Haftung aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen ausdrücklich, der Fall hätte angesichts der Tatsache, dass die Klägerin auch noch nicht die Kasse passiert hatte und sachverhalttechnisch zweifelhaft ist, ob sie sich überhaupt in irgendein Kaufgespräch verwickelt sah, genügend Anlass geboten, in dieser Sache Stellung zu nehmen. Allein, das LG Berlin tat es nicht. 84 BGH a. a. O., 37 (38). 85 Insbesondere die frühen RG-Entscheidungen betrafen zwar ähnliche Sachverhaltskonstellationen, wurden aber erst nachträglich zu c. i. c. Fällen „uminterpretiert“; vgl. dazu Bohrer, a. a. O., S. 117, 153. Das RG im 151. Band, S. 359 äußert sich diesbezüglich nur innerhalb eines obiter dictum. 86 Vgl. im Folgenden v. a. den „Gemüseblatt-Fall“ unter Erweiterung des Drittschutzes und in BGHZ 66, 51 und BGH VersR 1968, 993.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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So gilt die vorvertragliche Pflicht zur Schadloshaltung des Verhandlungspartners zwar expressis verbis des neu normierten § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf die Anbahnung eines Vertragsverhältnisses,87 damit genügt aber nach ganz gängiger Meinung, dass die Eröffnung der Einwirkungsmöglichkeiten auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen und deren Gebrauch durch die andere Seite in einem bloßen Zusammenhang mit einem eventuellem Vertragsschluss steht.88 Das Betreten von Verkaufsräumen zur Information für einen auch nur möglichen Kauf, ohne dass bereits ein Kaufentschluss gefasst zu sein braucht, ist dafür ausreichend. Damit ist aber auch schon alles umrissen, was in Rechtsprechung und Wissenschaft unter diesem Gesichtspunkt weitgehend unumstritten ist. Vieles andere ist nach wie vor ungeklärt. Die Probleme sind dabei ganz ähnlich denen, die sich im Bereich deliktischer Verkehrspflichten stellen, was nicht unerheblich mit der Rechtsähnlichkeit beider Institute zusammenhängt.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich Dass die Darstellung der Pflichten zur Sicherung des Erhaltungsinteresses im Bereich des Einzelhandels neben denen deliktsrechtlicher Art nicht ohne Betrachtung der korrespondierenden Schutzpflichten auskommt, wurde oben schon dargetan. Im Folgenden soll nun ein Abgleich beider Institute Aufschluss über die rechtliche Nähe der Schutzpflicht zur Verkehrspflicht geben und zeigen, in wie weit sich beide in ihrer strukturellen Identität entsprechen. Die Berücksichtigung der Urteile aus dem Gebiet des Einzelhandels wird dabei ergeben, dass beide vor allem in ihren inhaltlichen Anforderungen kaum Unterschiede aufweisen und nur in der Frage des Schutzbereichteilnehmers divergieren. 87 § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB spricht von der „Aufnahme von Vertragsverhandlungen“ und wird vom Gesetzgeber als eigenständiger Tatbestand angesehen (vgl. BTDrucks. 14/6040, S. 163), ist aber ganz offenbar ein spezieller Fall der Vertragsanbahnung aus Nr. 2; vgl. dazu Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 69 f.; AnwK-Krebs, § 311 Rn. 18; Dauner-Lieb/Heidel/Lepa/Ring, SchuldR, § 3 Rn. 37; Lorenz/Riehm, SchuldR, Rn. 367 ff. Letzteres ist dann auch für die Entstehung des Schuldverhältnisses maßgebend, weil dieses zeitlich der Nr. 1 vorgelagert ist. In welchem Maße dem „ähnlich geschäftlichen Kontakt“ aus Nr. 3 neben dem grundsätzlich „weit“ auszulegenden (MüKo-Emmerich, § 311 Rn. 71) Tatbestand der Nr. 2 noch ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt, ist nicht ganz klar. Sofern mit ihm ein Kontakt im Vorfeld der Vertragsanbahnung (z. B. Einholen erster Auskünfte über einen Vertragsgegenstand) erfasst werden soll, deckt sich dies im Wesentlichen mit Nr. 2. 88 Palandt-Heinrichs, § 311 Rn. 17; Hk-Schulze, § 311 Rn. 16.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

I. Entstehung Die Entwicklungslinien beider Rechtsinstitute89 zeigen, dass Verständnis und Anerkenntnis der Verkehrssicherungspflicht zeitlich früher einsetzen als bei der Schutzpflicht. Es ging zunächst einmal darum aufzuzeigen, dass überhaupt Bereiche gesteigerter Verantwortung existieren und dass, wenn jemand einen solchen schafft, er auch für eine daraus resultierende Gefahrenlage einzustehen hat. Dies galt anfangs völlig unabhängig von einem vertraglichen Anspruch. Die Herausbildung der Eigentums- und Körperverletzungen als Fallgruppe des Schutzpflichtenkanons erfolgte zögerlich und entwickelte sich erst stufenweise im Zusammenhang mit der Herausbildung der culpa in contrahendo und positiven Forderungsverletzung. Wie nah sich dabei die Institute der Verkehrspflicht und Schutzpflicht schon einmal unter Herrschaft des BGB standen, bezeugt die frühe Auffassung von Rechtsprechung und Lehre, die eine Anwendbarkeit der vorvertraglichen Haftung nur unter Zuhilfenahme deliktsrechtlicher Tatbestandsvoraussetzungen zuließen.90 Später war es Stoll, der in seinem „Schwanengesang“91 auf die positive Forderungsverletzung erstmals auf die Unterscheidung zwischen Leistungsund Schutzpflichten hinwies und damit zu einer Zeit, als das deliktsrechtliche Pendant längst Allgemeingut der Rechtspraxis war, einer bis dahin nur wahrgenommenen Kategorie den Namen gab. Zuvor herrschte weitgehend Einigkeit über die Existenz von Pflichten, die, wenn auch nicht unmittelbar auf den Leistungsgegenstand selbst gerichtet, dennoch dazu dienen, den Leistungserfolg sicherzustellen. So genannte Erhaltungspflichten deckten sich im Wesentlichen mit dem deliktischen Rechtsgüterschutz.92

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Vgl. oben zum einen unter 1. Teil, A. 2. und 2. Teil, B. Sog. „Deliktstheorien“ (Begrifflichkeit bei Hildebrandt, a. a. O., S. 52), vgl. i. Ü. unter Fn. 656. 91 Zugespitzt formuliert von Wiegand in: FS für Gagnér, S. 556. 92 Vgl. dazu nur das Beispiel Sibers in Planck, Vorbm. §§ 275–292 I 3 b a aa) von einem mit dem Streichen der Zimmerdecke beauftragten Maler, der eine Sorgfaltspflicht nicht nur in Bezug auf diese hat, sondern auch auf das übrige Zimmer bezogen. „Er kann durch Verletzung dieser Verpflichtung den Besteller schädigen, auch wenn er die Hauptverpflichtung vollständig erfüllt hat; so, wenn er die Decke tadellos streicht, aber dabei Möbel mit Farbe bespritzt, das Parkett mit Nagelschuhen zerkratzt oder den Kronleuchter hinunterwirft“. 90

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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II. Struktur und Legitimation – Abkehr vom genuin Deliktsrechtlichen 1. Systematik Der Gesetzgeber hat die Schutzpflichten im Zuge der Schuldrechtsreform in § 241 Abs. 2 BGB angesiedelt und jedem der am Schuldverhältnis Beteiligten zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Die Schutzpflichten zielen damit wie bisher in Abgrenzung zu den auf Erfüllung der Verbindlichkeit gerichteten Haupt- und Nebenleistungspflichten auf die Erhaltung des Status quo und den Schutz der weitergehenden Integritätsinteressen.93 Der Sekundäranspruch folgt dabei aus der Verbindung mit § 280 Abs. 1 BGB (§ 282 BGB), das Rücktrittsrecht aus § 324 BGB.94 Die Verkehrspflichten sind Ausfluss einer langen rechtsprechungsgeprägten Linie des Umgangs mit Sorgfaltsanforderungen, denen sich der Verkehrseröffner im deliktischen Bereich gegenüber sieht. Ihre Stellung in der Zentralnorm des § 823 BGB ist innerhalb der Wissenschaft strittig,95 was hier jedoch nicht näher beleuchtet werden soll. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das Einstehenmüssen für Hilfspersonen im deliktischen Verhaltensbereich über die verschuldensunabhängige Norm des § 831 BGB, im vertraglichen Bereich über den § 278 BGB geregelt wird. § 278 BGB ist dabei eine reine Zurechnungsnorm mit der Funktion, das Vertretenmüssen innerhalb einer anspruchsbegründenden Sonderverbindung zu bestimmen, während § 831 BGB eine eigenständige Anspruchsgrundlage mit Exkulpationsmöglichkeit darstellt.96 In Fragen der Darlegungs- und Beweislast begünstigen Sonderverbindung und Deliktsrecht den Geschädigten gleichermaßen. Einerseits sichert ihm 93

Die Schutzpflichten waren bis zur Schuldrechtsreform keine ausdrücklich anerkannte Kategorie und fanden sich nur in vereinzelten Normen wieder, vgl. §§ 545, 550, 618, 701 BGB. Ihre neue Stellung dokumentiert die Unabhängigkeit zu den in Abs. 1 angesiedelten Leistungs- bzw. Nebenleistungspflichten. 94 Instruktiv zum Ganzen Zimmer NJW 2002, 1 (6); Münch JURA 2002, 361 (365). 95 Rspr. und h. L. ordnen sie von je her unter § 823 Abs. 1 BGB ein, vgl. RGZ 52, 373; BGH VersR 1956, 49 (420); NJW 1987, 2671 (2672); Staudinger-Hager, § 823 E 5; Erman-Schiemann, § 823 Rn. 6; Soergel-Zeuner, § 823 Rn. 4; Fikentscher, a. a. O., Rn. 1057; Canaris in: FS für Larenz, S. 77 ff., ein abweichender Teil unter § 823 Abs. 2 BGB, vgl. v. a. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 157 ff.; Assmann, Prospekthaftung, S. 162. 96 Daraus folgt, dass bei § 278 BGB der Schuldner für fremdes Verschulden (das des Gehilfen), bei § 831 BGB derjenige, der den Verrichtungsgehilfen bestellt hat, für eigenes Verschulden haftet.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

§ 280 Abs. 1 S. 2 BGB mittels einer widerlegbaren Vermutung, die Pflicht des Schädigers nachweisen zu müssen, dass dieser die Sorgfaltsverletzung nicht zu vertreten habe. Andererseits indiziert im außervertraglichen Bereich die Verletzung der äußeren Sorgfalt die der inneren, umso mehr bei Verkehrspflichten, die durch DIN-Normen oder Unfallverhütungsvorschriften konkretisiert werden.97 Teilweise wird hierfür sogar der prima facie Beweis angenommen.98 Der Nachweis in Bezug auf die Verletzung der Pflicht aus dem Schuldverhältnis bzw. einer Verkehrspflicht liegt unabhängig davon jedoch beim Geschädigten. Für die deliktische Klage besteht nach § 32 ZPO der besondere Deliktsstand der unerlaubten Handlung bei dem Gericht, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde. Für die vertragliche bzw. vorvertragliche Schutzpflicht gilt unter normalen Umständen der allgemeine Gerichtsstand des § 12 ZPO.99 2. Strukturelle Legitimation und Eigenständigkeit a) Legitimationsbedürfnis Weitgehende Uneinigkeit besteht über die strukturelle Legitimation der Schutzpflicht. Ausgangspunkt der Lösungsvorschläge im Schrifttum ist stets 97

BGH WM 1996, 835 (838). BGH NJW 1986, 2757 (2758). Diese Indizwirkung deckt jedoch nicht das Vorliegen grober Fahrlässigkeit, ausgenommen es handelt sich um die Verletzung elementarer Sicherungspflichten, vgl. BGH VersR 1984, 775 (776); 1981, 75; NJW-RR 1989, 339 (340). 99 Über die Einklagbarkeit der Schutzpflicht herrscht jedoch Streit. Bei den hier behandelten Fällen der integritätswahrenden Schutzpflicht wird eine gerichtliche Erzwingung i. d. R. nutzlos sein, da die Rechtsgüterverletzung bereits eingetreten und insofern nur noch die nachträgliche Sanktion der erlittenen Schäden (Schadensersatz, Rücktritt) möglich ist. Eine vorbeugende Unterlassungsklage macht nur dort Sinn, wo die Gefahrenlage präventiv hinreichend bestimmbar ist. So wird der Kaufhauskunde nicht abstrakt auf die Einhaltung der Reinigungsmaßnahmen klagen können, erst recht nicht auf die Verwendung bestimmter Pflegemittel. Diesbezüglich hat die Schutzpflicht eher den Charakter einer Obliegenheit. Eine gerichtliche Geltendmachung wird jedoch in Betracht zu ziehen sein, wenn die Gefahr der Verletzung der Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB (sei es als Wiederholungsgefahr, sei es als Erstbegehungsgefahr) ernsthaft droht, wie z. B. durch den Genuss verdorbener Lebensmittel. Insofern hat Ähnliches zu gelten wie beim deliktischen Anspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB. Für die gesetzlich normierten Schutzpflichten (z. B. § 618 BGB) ist Klagbarkeit unstreitig gegeben, ebenso wie für die vertraglich vereinbarten. Vgl. zum Ganzen: Henckel AcP 174 (1974), 97 (111 f.); Stürner JZ 1976, 384 (385 f.); Motzer JZ 1983, 884 (886); Köhler AcP 190 (1990), 496 (509 f.); Krebs, Sonderverbindung, S. 547 ff.; Medicus, BR, Rn. 208; Müller JuS 1998, 894 (895); MüKo-Roth, § 241 Rn. 113. 98

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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das Vorhandensein einer Sonderverbindung zwischen den Beteiligten. Ihre Ausgestaltung ist Kernpunkt der Diskussion, innerhalb dessen eine einheitliche Linie nur schwerlich auszumachen ist. Begründungsversuche erschöpfen sich in der Annahme freiwilliger Übereinkünfte als Rechtfertigungsbasis,100 der Suche nach einem positiven Zweck,101 der Anknüpfung an ein gesondertes geschäftliches Interesse, wie es vor allem in den Warenhausfällen üblich ist,102 der Annahme eines finalen Rechtsgüterkontakts103 oder in der Erwägung von Vertrauensschutzaspekten.104 Die Reihe der Legitimationsvorschläge ließe sich weiter fortsetzen und reicht von der beruflichen Stellung als haftungsbegründender Faktor105 bis hin zu Gedanken der Rechtskreisöffnung und -einbindung.106 Gerade letztgenannter Ansatz Frosts, der von einer Verbindung zunächst geschlossener, abwehrbereiter und isolierter, nach Kontaktaufnahme jedoch sich überschneidender Rechtskreise zur Rechtfertigung der Sonderverbindung ausgeht,107 zeigt allerdings die Austauschbarkeit der Begriffe und ihre mangelnde Abgrenzbarkeit. Die Vorstellung sich vernetzender Rechtskreise zur Legitimation einer verstärkten Beziehung einschließlich intensiverer Sorgfaltswaltung ist zwar nachvollziehbar. Sie wird als endgültiger Erklärungsversuch jedoch kaum genügen108 und lässt sich im Übrigen mit gleicher Zielrichtung auch mittels eines gesteigerten Zwecks bzw. eingebrachten Vertrauens deuten. 100 Zweifelsohne dient den Vertretern dieses Gesichtspunktes nie die Freiwilligkeit als alleinige Legitimationsgrundlage. Dennoch führt diese freiwillige Übereinkunft der Beziehungen zu einer Art Selbstbindung im weitesten Sinne; vgl. schon früh Jhering JhrJb. 4 (1861), 1 (41 f.); weiter auch Picker JZ 1987, 1041 (1057 f.); Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, S. 156 ff.; Weber AcP 192 (1992), 390 (422). 101 Paschke AcP 187 (1987), 60 (85 f.); Dölle ZStW 103 (1943), 67 (84 f.). 102 Vgl. Larenz MDR 1954, 515 (518); Schmitz, Dritthaftung, S. 52 ff.; von Lackum, a. a. O., S. 102 ff. 103 Blomeyer, SAT § 17 III 1b; Schmidt, Nachwort, S. 147; auch Dölle a. a. O.; ebd.; im Sinne eines personalen finalen Leistungskontakts Picker a. a. O., ebd. 104 Gerade dies wird vielerorts auch von Autoren der Gegenmeinung als Legitimationsgrundlage aufgegriffen. Dies zeigt, wie schwierig im Einzelfall die Abgrenzung ist und wie wenig möglich es ist, einen ultimativen Haftungsgrund im Sinne einer singulären Berechtigung zu benennen; vgl. dazu bereits Krebs, Sonderverbindung, S. 170 ff.; vgl. ferner zum Rechtsgrund des Vertrauensschutzes im Hinblick auf den hier dargestellten Aspekt: Canaris JZ 1965, 47 (478); Ballerstedt AcP 151 (1951), 501 (506 f.); Bohrer, a. a. O., S. 267 ff.; MüKo-Kramer, Vor § 241 Rn. 82; Oechsler RabelsZ 60 (1996), 91 (120 ff.). 105 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 404 ff. 106 Frost, „Vorvertragliche“ und „vertragliche“ Schutzpflichten, 49 ff. 107 Für die hier interessierenden „Warenhaus-Fälle“ von Frost als Sonderverbindung mit positiver Zwecksetzung bezeichnet. 108 Dies ist allerdings das Manko nahezu aller Legitimationsansätze!

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

Eine weitergehende Darstellung des Meinungsspektrums und ihrer theoretischen Ansätze in diesem Bereich kann hier nicht geleistet werden,109 sie ist zur Untermauerung oben gestellter These aber auch nicht erforderlich. In der Tat scheint sich die Beantwortung der Frage nach dem Haftungsgrund aber nicht in der Benennung lediglich eines Zurechnungsprinzips zu erschöpfen. b) Einordnung Nützlicher ist die Frage nach der dogmatischen Verortung der Schutzpflichten. Die hier erzielten Ergebnisse können für den aufgeworfenen Vergleich der Rechtspflichten noch wertvoll sein. Es geht dabei um die Problemstellung der Eigenständigkeit der Schutzpflicht gerade im Hinblick auf die Fallgruppe der Verletzung sonstiger Rechtsgüter des (potentiellen) Vertragspartners. Hier ist die inhaltliche Schnittmenge zur deliktischen Verkehrspflicht am größten, weshalb der Schutzpflicht diesbezüglich von einem nicht unbeträchtlichen Teil des Schrifttums ein autonomer Anwendungsbereich, und zwar sowohl im vorvertraglichen wie auch im vertraglichen Bereich, abgesprochen wird. So schaltete sich früh schon Titze in die zu diesem Zeitpunkt gerade heftig geführte Diskussion um Wesen und Anerkennung vorvertraglicher Haftung mit der Bemerkung ein, diese und die mit ihr in Zusammenhang gebrachten Fälle der Schädigung eines Warenhausbesuchers im Vorfeld des Vertragsschlusses hätten nichts miteinander gemein.110 In Situationen, in denen schuldhaftes Verhalten zwar anlässlich von Vertragsverhandlungen eingetreten sei, sich aber auf Dinge außerhalb des Vertragsschlusses beziehe, sei eine Haftung aus c. i. c. nicht gerechtfertigt, da der entstehende Schaden den Geschädigten nicht in seiner Eigenschaft als künftigen Vertragspartner treffe.111 Von einem Verschulden bei Vertragsverhandlungen sollte man demgemäß nur da sprechen, wo die eine Partei während der Verhandlungen der anderen gegenüber ein schuldhaftes Verhalten 109 Beachte hierzu ausführlich Krebs, a. a. O., ebd. Krebs selbst befürwortet einen sog. funktionalen Legitimationsansatz, den er aus den spezifischen, vom deliktischen Schutz abweichenden Rechtsfolgen ableitet, vgl. S. 210 ff. 110 In HdR Bd. 6, S. 516; ders. DJZ 1925, 490 und JW 1931, 512 (513). Hiernach bleiben für die Lehre der c. i. c. nur noch zwei Fallgruppen übrig: schuldhaftes Veranlassen des Vertragspartners zum Abschluss des Vertrages (i. d. R. durch unzureichende Aufklärung) sowie Fälle, wo trotz äußerlichen Kontrahierens ein gültiger Vertrag nicht zustande gekommen ist, der eine Teil durch schuldhafte Veranlassung des anderen dennoch an die Wirksamkeit des Kontrakts glaubt. 111 Titze JW 1931, 512 (513).

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beobachtet, das sich gerade auf den ins Auge gefassten Vertragsschluss bezieht. Titze stand mit dieser Meinung nicht allein.112 Die Ausdehnung des Schutzes von Integritätsinteressen über die Rechtsfiguren der positiven Vertragsverletzung und culpa in contrahendo sei der Sache nach nichts anderes als eine Änderung des Deliktsrechts.113 Letztlich sei die Obhutspflicht im Hinblick auf Gesundheit und Eigentum des Verhandlungspartners identisch mit der allgemeinen deliktischen Pflicht bei Verkehrseröffnung, die ohnehin gegenüber jedermann und ohne Rücksicht auf den Anlass der Rechtsgüterberührung bestehe.114 Ob deshalb ganz auf die Einbeziehung allgemeiner Sorgfaltspflichten in den Kreis jener Pflichten, deren Verletzung eine Verantwortlichkeit unter dem Gesichtspunkt von c. i. c. und pVV zu begründen vermag, verzichtet werden sollte, um dann lediglich die deliktsrechtliche Norm zur Anwendung zu bringen, wird nicht einheitlich beurteilt.115 Dies hängt maßgeblich mit dem Umstand zusammen, dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der Lehre den Schutzpflichten nach wie vor eine Daseinsberechtigung gegenüber dem funktionell unterentwickelten und als unbillig empfundenen deliktsrechtlichen Bereich zuspricht.116 112

Ihm ausdrücklich beipflichtend: Lintaler, a. a. O., S. 22 ff.; weiter Dölle ZStW 103 (1943), 67 (68); Hildebrandt, a. a. O., S. 132 ff.; vgl. auch Brüggemeier AcP 182 (1982), 385 (423): Haftungsgrund ist nicht „Bruch des gegebenen Wortes“, sondern „die pflichtwidrige Tat“; von Caemmerer in: FS DJT, S. 57 f.; Zimmermann, Law of Obligations, S. 12, 245: c. i. c. „has even been (ab)used for a somewhat uncouth intrusion into the realm of delict“. 113 So Mertens AcP 178 (1978), 227 (228 f.). Die damit verbundene Umgehung des § 831 BGB im rechtsgeschäftlichen Bereich hin zu § 278 BGB bezeichnete Kupisch in JuS 1984, 250 (256) als „fast hinterhältig anmutende Prozedur, wenn man die rechtspolitischen Implikationen außer Acht lässt“. 114 v. Caemmerer a. a. O., ebd.; Huber AcP 177 (1977), 281 (319 f.); Nirk RabelsZ 18 (1953), 310 (311, 352 f.) eindringlich: „Diese Entwicklung ist dogmatisch falsch und muss aufgehalten werden“; vgl. auch Posch ZfRV 74, 165 (166 ff.); Rabel, Recht des Warenkauf, S. 158; v. Bar JZ 1979, 727 (729): „genuines Deliktsrecht“; Loges, Begründung neuer Erklärungspflichten, S. 173 ff.; Eichler AcP 162 (1963), 401 (414 f.); Stoll in: FS für v. Caemmerer, S. 452 f.; Erdsiek Juristen-Jahrbuch 8 (67/68), 36 (49): „systemfremd“; schon früh: Riezler ZAI PrR 31, 569 ff. 115 Dafür: Kreuzer JZ 1976, 778 (780); Böhmer MDR 1961, 566 (567); für die Einordnung dieser Fallgruppe als Fälle „deliktischer Haftung in Sonderbeziehungen“: Brüggemeier, a. a. O., ebd.; dagegen: Huber, a. a. O., S. 320, der trotz Annahme einer allgemeinen „Verkehrspflicht“ Vertragsrecht anwenden will. 116 Vgl. nur v. Caemmerer a. a. O., S. 56, 58: „Bei der derzeitigen Rechtslage in Deutschland ist man freilich gezwungen, sich auf culpa in contrahendo oder vertragliche Nebenpflichten zu stützen, um zu einer unbedingten Haftung für Gehilfen zu gelangen“; Eichler a. a. O., ebd.; Medicus in: FS für Keller, S. 209; Larenz in: FS für Ballerstedt, S. 402 f. Neuerdings Köndgen in: Schulze/Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 237: mit einer Reform des § 831 BGB bestünde „kaum noch ein

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Auf der anderen Seite weigert sich die wohl überwiegende Lehre, die Anwendungsbereiche von Schutz- und Verkehrspflichten zu vermengen.117 Die (vor-)vertraglichen Schutzpflichten hätten eine klar umrissene Identifikationslinie und stünden unabhängig von den deliktischen Erhaltungspflichten.118 Das Hauptunterscheidungsmerkmal ergibt sich dabei aus dem unterschiedlichen Schutzbereichsadressaten, der später noch Teil der Ausführungen sein wird. So fehle es im außervertraglichen Bereich – also dort, wo die Verkehrspflicht anerkannt ist – an einem gewollten und gezielten Kontakt bestimmter Personen. Der Kreis schutzberechtigter Personen ist hier nicht eingegrenzt, sondern abstrakt und allgemeingültig jedermann offen. Demgegenüber ist das Verhalten in der Sonderverbindung (unabhängig, ob im vertraglichen oder vor- oder nachvertraglichen Bereich) von vornherein auf bestimmte Personen zugeschnitten, die den Schutzbereich in besonderer Weise markieren und so die Eigenständigkeit der Schutzpflicht bewirken, was im Zweifel zu erhöhter Rücksichtnahme auf die Schutzgüter des anderen führt.119 Schließlich seien Schutzpflichten auch nicht – wie die Gegenseite mit Blick auf die rechtsvergleichende Rechtslage behauptet – ureigenste Deliktsfälle,120 was insbesondere die Bestimmung des § 618 BGB – eindeutige Ausprägung einer Schutzpflichtnorm – mit seiner anerkanntermaßen vertragsrechtlichen Natur zeige.121 Grund, solche Krypto-Deliktsfälle weiterhin als Untertatbestand der c. i. c. mitzuschleppen“. Schon vorher in diese Richtung Huber in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, S. 736 ff. 117 Canaris JZ 1965, 475 f.; Kruse, Problem der c. i. c., S. 13 f.; Diers, Ersatzansprüche Dritter, S. 59 f.; Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rn. 102, 114 ff.; Teichmann JA 1984, 709 (712); Schünemann JuS 1987, 1 (7); Bernstein RabelsZ 41 (1977), 281 (285 f.). 118 Wie sehr hierbei der Blickwinkel der Betrachtung die Argumentation verschieben kann, zeigen die Ausführungen v. Bars, a. a. O., S. 226 f. Der Umstand, dass sämtliche Erhaltungsinteressen in den Schutzbereich der Vertrauenshaftung integriert werden, lässt für ihn die zuverlässige Grenze zwischen Vertrags- und Deliktsrecht verschwinden. Als Folge ordnet er die Schutzpflichten als sog. Verkehrspflichten zum Schutze fremden Vermögens innerhalb eines eigenständigen Tatbestands in § 823 Abs. 2 BGB ein; zum Ganzen S. 204 ff. 119 Thiele JZ 1967, 649 (651); vgl. Gerhardt JZ 1970, 535 (536): „Das Schutzpflichtverhältnis hebt sich (. . .) durch das negative Kennzeichen der fehlenden rechtsgeschäftlichen Grundlage ab und trägt gegenüber den auf die Allgemeinheit bezogenen Verkehrspflichten das Merkmal der Ausrichtung auf bestimmte Personen“; zweifelnd: Schlechtriem VersR 1973, 581 (582 f.). 120 So aber Stoll in: FS Flume, S. 752. 121 Canaris in: FS Larenz, S. 85 und weiter polemisierend als Antwort auf Stolls Ausruf in AcP 176 (1976), 151 Fn. 21 wonach die Leugnung des wahren deliktsrechtlichen Charakters der Schutzpflichten mit Rücksicht auf ihre Einbettung in irgendwelche Sonderverbindungen kein Ruhmesblatt der deutschen Zivilrechtsdogmatik sei: „In doktrinärer Starre nur eine einzige Einordnung als „wahr“ gelten zu las-

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Dem hat sich die Rechtsprechung im Wesentlichen angeschlossen. Im „Linoleum-Fall“ von 1911122 bekannte sich das RG eindeutig zu einer außerdeliktischen Einordnung der Schutzpflicht durch Annahme eines vorvertraglichen Rechtsverhältnisses. Hieran hat sich auch in der Folgezeit nichts geändert. Das Anerkenntnis der Eigenständigkeit der Schutzpflichten zieht jedoch nicht in allen Fällen die Billigung vertraglicher Rechtsfolgen nach sich. So hat sich insbesondere Canaris in seinem vielbeachteten Aufsatz aus dem Jahr 1983 für eine Einordnung der Schutzpflichten als „dritte Spur“ zwischen Vertrag und Delikt stark gemacht.123 Dem haben sich andere Stimmen in der Literatur angeschlossen.124 Danach ist die Anwendbarkeit deliktsrechtlicher Regeln auch in der Sonderverbindung nicht schlechthin ausgeschlossen, vielmehr ist von Fall zu Fall zu entscheiden, welches Recht Geltung beansprucht. Bei genauerer Betrachtung ist dies die konsequente Fortführung Canaris’ Weg der Bildung eines einheitlichen Tatbestandes der Schutzpflichtverletzung, abgeleitet aus dem Charakter der Schutzpflicht als eigenständiges, vom Vertragsinhalt losgelöstes Gebilde, dem die normsystematische Heimat fehlt. III. Funktion Die Funktion der Verkehrspflichten wurde anfangs bereits in erschöpfender Weise beschrieben. Sofern es um die Problematik des Unterlassens und der Nutzbarmachung für mittelbare Eingriffe geht, wird den Schutzpflichten eine ähnlich funktionelle Rolle im vertraglichen bzw. nachvertraglichen Bereich nicht zuzusprechen sein. Dies bedingt schon die Natur des Schuldverhältnisses und ihr relativer – nicht absoluter – Teilnehmerkreis. Aber auch im vorvertraglichen Bereich ergibt sich die Wirkungslosigkeit der deliktsrechtlichen Funktionsansätze denklogisch aus der vorgefassten Bestimmung der Vertragspartner zueinander und ihrem auf die Anbahnung vertraglicher Beziehungen gerichteten Verhältnis. Es geht hier also gar nicht mehr darum, aus der großen unbestimmten Masse der in Betracht kommenden Verursacher den einzig richtigen herauszufiltern; dieser steht durch die gesteisen, wäre auch „kein Ruhmesblatt“ der Rechtsvergleichung, zumal diese doch eher die Äquivalenz konstruktiver Einkleidungen und die Relativität dogmatischer Kategorien als deren Absolutheit „lehrt“; Kuhlmann, a. a. O., S. 74 f.; zuletzt Krebs in AnwK, § 311 Rn. 25: „Es besteht kein Grund, absolute Rechte vorvertraglich schwächer als die sonstigen Rechtsgüter zu schützen“. 122 Vgl. oben Fn. 698. 123 Canaris a. a. O., S. 84 ff.; ders. deutlich in ZHR 163 (1999), 206 (220 f.). 124 AK-BGB-Teubner, § 242 Rn. 59; vorsichtig Medicus in: FS Keller, S. 210, 218; vgl. auch Köndgen, a. a. O., S. 420 „Kontinuum zwischen Vertrag und Delikt“.

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gerte Möglichkeit zur Rechtsgütereinwirkung im Prinzip schon fest. Die durch den nahenden oder zumindest denkbaren Vertragsschluss provozierte Individualität des Vertragspartners macht hier die Aufgabe der Schädigersiebung überflüssig. Dies hängt dabei natürlich immer von der Intensität des Güterkontakts ab: Stehen sich die Parteien isoliert, fremd und gleichsam offen und abstrakt ohne die Möglichkeit eines Kontrakts oder eines hierauf zielenden Miteinanders gegenüber, ist die Situation einer deliktsrechtlichen vergleichbar, was die originäre Funktion der Verkehrspflichten in diesem Bereich handhabbar machen könnte. Jedoch liegt dann in der Regel auch kein Schuldverhältnis im Sinne des § 311 Abs. 2 BGB vor, so dass die Prüfung von Schutzpflichten schon von vornherein völlig fehlgeht. Letztlich würde man so nie einen entsprechenden Funktionsgleichlauf von Schutzund Verkehrspflichten erzielen. Ein solcher war aber auch von Seiten der Rechtsprechung gar nicht beabsichtigt. Diese entwickelte die Schutzpflichtendogmatik innerhalb der c. i. c. im Bereich der Körper- und Eigentumsschäden ursprünglich entlang der Einzelhandelskomponente in Abkehr ihrer genuin deliktsrechtlichen Identität. Die culpa in contrahendo half dabei, die oftmals als unbillig empfundenen Ergebnisse deliktsrechtlichen Standards zu korrigieren.125 So konstatierte das RG im vielzitierten „Linoleum-Fall“126 merklich erleichtert die Anwendung des § 278 BGB anstelle des milderen – weil den Entlastungsbeweis vorsehenden – rechtspolitisch unbefriedigenden § 831 BGB und gab der Klage statt.127 Im nicht minder berühmten so genannten „GemüseblattFall“128 konnte nur durch die vertragliche Verjährungsfrist des § 195 BGB a. F. die kürzere deliktsrechtliche Frist des § 852 Abs. 1 BGB a. F. ausgeschaltet und letztlich der Schadensersatzanspruch bejaht werden. Ähnliches galt in Bezug auf die günstige Beweislastumkehr (§ 282 BGB a. F.), 125

Horn JuS 1995, 377 (379) sieht hierin den „Siegeszug der Haftung aus culpa in contrahendo“; schon früh: Michaelis in: FS für Siber Bd. 2, S. 200 f., 206 ff. 126 RGZ 78, 239. 127 Im Fall war die Klägerin als Kundin eines Warenhauses von zwei umfallenden Linoleumrollen erfasst worden, die zuvor der Gehilfe des Geschäftsinhabers zum Zwecke der Kaufpräsentation ungeschickt beiseite gestellt hatte. Das RG sah es als Widerspruch zum allgemein üblichen Rechtsempfinden an, „wenn in Fällen, wo der Geschäftsangestellte beim Vorzeigen oder Vorlegen von Waren zur Besichtigung, zum Verkosten, um einen Versuch zu machen und dergl. den Kauflustigen durch Unvorsichtigkeit schädigt, der Geschäftsinhaber – mit dem der Kauflustige hat abschließen wollen – nur nach Maßgabe des § 831 BGB und nicht unbedingt haftete, der Verletzte also beim Gelingen des Entlastungsbeweises an den zumeist mittellosen Angestellten verwiesen würde“, S. 241. Die Entscheidung wurde u. a. deshalb von Fuchs, Juristischer Kulturkampf, S. 181 als „offen soziologisch“ bezeichnet. 128 BGHZ 66, 51= JR 1976, 456 m. krit. Anm. Strätz. Fall des Sturzes eines Kleinkindes in einem Selbstbedienungsladen über ein Gemüseblatt.

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die die c. i. c. im Gegensatz zur allgemeinen deliktsrechtlichen Haftung aus Verletzung der Verkehrssicherungspflicht vorsah. Aus heutiger Sicht scheint bei einem Blick in das Gesetz diese funktionale Bedeutung der Haftung aus Sonderverbindung kaum mehr relevant. Dies mag späte Legitimation für diejenigen Autoren sein, die sich seit je her dafür aussprechen, den Komplex der (vor-)vertraglichen Pflichten zum Schutz vor Beeinträchtigungen der Integritätsinteressen zur Gänze in das Deliktsrecht zu verlegen.129 Der c. i. c. verbliebe dann zwar noch der in Fülle und Praxisrelevanz nicht zu unterschätzende Bereich der Vermögensverletzungen,130 den § 823 BGB (mit Ausnahme des Abs. 2) unstreitig nicht erfasst. Allerdings sind die hierzu vielfach vorgebrachten Beispielsfälle, in denen ein Besucher des Geschäfts Verletzungen erleidet, an Ort und Stelle versorgt wird und infolgedessen einen lukrativen Geschäftstermin verpasst, mühelos über den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) auch im deliktischen Bereich als Folge der Integritätsverletzung erfasst. Andere Konstellationen der Vermögensschäden sind zumindest im hier interessierenden Komplex der Eigentums- und Körperschäden kaum vorstellbar. Durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz und den Gleichlauf vertraglicher und deliktischer Verjährung (vgl. §§ 195, 199 BGB) hat sich zudem das Fristenproblem in beiden Bereichen weitgehend erledigt. Und auch dem § 831 BGB und dessen möglicher Exkulpation (Abs. 1 S. 2) ist durch die Ausweitung des verkehrssicherungsrechtlichen Tatbestandes des § 823 Abs. 1 BGB (u. U. in Verbindung mit § 31 BGB) der Schrecken genommen. Ein denkbares Fehlverhalten des Geschäftsbetreibers lässt sich inzwischen unproblematisch – unter Rekurrieren auf das Organisationsverschulden131 – als Verletzung einer eigenen Verkehrssicherungspflicht sanktionieren. Wo dies einmal nicht gelingt, bemüht sich die Rechtsprechung, die Anforderungen an den Exkulpationsnachweis zu erhöhen.132 Dennoch hält der Gesetzgeber an der (vor-)vertraglichen Schutzpflicht fest. Sie hat im gewissen Sinne sogar eine Aufwertung durch die Neukodifikation des § 847 BGB a. F. in § 253 Abs. 2 BGB und die damit verbundene Festschreibung des Ausgleichs immaterieller Schäden auch für das Vertragsrecht erfahren. Der neu eingefügte § 241 Abs. 2 BGB ist ein ein129

Siehe oben unter 2. Teil, E. II. 2. Klargestellt durch die uneingeschränkte Verwendung des Begriffs der „Rechtsgüter“ neben den „Rechten“ in § 241 Abs. 2 BGB auf den § 311 Abs. 2 BGB Bezug nimmt. 131 Seit RGZ 53, 53 und weiter BGHZ 4, 1 (39); 24, 200 (214); 95, 63 (67); BGH NJW-RR 1996, 867 (868); vgl. schon Enneccerus/Lehmann, Lehrbuch des BR, 2. Teil, S. 891. 132 Vgl. Horn JuS 1995, 377 (379). 130

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

deutiges Plädoyer für die ausdrückliche Anerkennung vormals anerkannten Gewohnheitsrechts. Durch die Begriffe „Rechte“ und „Rechtsgüter“ in § 241 Abs. 2 BGB wird klar Bezug auf die Fallgruppe der Körper- und Eigentumsverletzungen genommen und deren autonomer Geltungsbereich im Vertragsrecht unabhängig der Deliktsrechte bestätigt. Gleiches erzeugt die Überschrift des dritten Abschnitts („Schuldverhältnisse aus Verträgen“) und des § 311 BGB („Rechtsgeschäftliche und rechtsgeschäftsähnliche Schuldverhältnisse“) für die vorvertraglichen Rechtspflichten, die nun ausdrücklich rechtsgeschäftlicher und damit vertraglicher, nicht etwa deliktischer Art sind. Zwar wird auch künftig Rechtsprechung und Forschung nichts an Interpretations- und Ausfüllungsmaterie in Bezug auf den fallgruppenbedürftigen § 241 Abs. 2 BGB genommen.133 An dem über die Jahre gewachsenen und verfestigten Rechtsstoff zu Schutz- und anderen Nebenpflichten sollte jedoch ersichtlich nichts geändert werden, er beansprucht damit weiterhin Gültigkeit.134 Dies nimmt der Diskussion um eine Verortung und Auslagerung der Schutzpflichten natürlich nicht ihre Berechtigung. An Schärfe dürfte sie jedoch allemal verlieren, ist doch das Problem nun als kodifizierte Tatsache allenfalls noch de lege ferenda diskutabel, wenn es sich hierauf nicht schon vorher lediglich beschränkte. IV. Inhalt der Pflichten 1. Fragestellung Ein Typenvergleich der (vor-)vertraglichen Schutzpflicht mit der deliktischen Verkehrssicherungspflicht wird dem Inhalt der Pflichten Stand halten müssen. Dabei soll der Blick im Folgenden vor allem auf die für die „Warenhaus-Fälle“ im Grunde einzig relevanten Fälle der Verletzung von Integritätsinteressen gelenkt werden. Der übrige Pflichtenkatalog des § 241 Abs. 2 BGB (Erklärungspflichten, Mitwirkungspflichten, Loyalitätspflichten etc.) findet in der deliktsrechtlichen Verkehrssicherungspflicht ohnehin keine Entsprechung, insoweit fehlt es hier schon an einer ausreichenden Vergleichsbasis. 133 So fällt auf, dass der Rspr. Schutz- und Verkehrspflichten zunehmend nur noch zur Fallgruppenherausbildung im undurchschaubaren und letztlich auch nicht mehr fassbaren Dickicht möglicher Rechtsgutsverletzungen dienen. Sie fungieren damit nur noch als Regelbeispiele ohne bewusste Normzuweisung. Was das anbelangt, sind Schutz- und Verkehrspflichten funktionell identisch. 134 BT-Drucks. 14/6040, S. 125; Schimmel/Buhlmann, Frankfurter Handbuch zum neuen Schuldrecht, S. 108 f.; MüKo-Roth, § 241 Rn. 36.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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Es fragt sich demnach im Folgenden, ob die inhaltlichen Anforderungen an die Sicherung von Körper und Eigentum des Berechtigten im Grundsatz zwischen Vertrags- und Deliktsrecht gleich sind oder ob sie variieren.135 Im Schrifttum wurde diese Frage, soweit ersichtlich, bislang nur wenig – und wenn, dann unzureichend – beleuchtet. So wurde entweder ein inhaltlicher Gleichlauf von Schutz- und Verkehrssicherungspflicht behauptet136 oder ein intensivierter Pflichtenmaßstab der vertraglichen Schutzpflicht angenommen.137 Die Gesetzesmaterialien schließen sich letztgenanntem Punkt offensichtlich an. In der Begründung des Reformgesetzgebers zur Neufassung des § 241 Abs. 2 BGB heißt es dazu lapidar und nicht minder kryptisch: „Hinsichtlich der Intensität gehen diese Schutzpflichten über die allgemeinen deliktischen Verhaltenspflichten hinaus. Sie verpflichten die Beteiligten zu einem gesteigerten Schutz der Rechtsgüter des jeweils anderen.“138 Auf den ersten Blick scheint in der Tat viel dafür zu sprechen, an den Pflichtenkatalog des Schädigers im Hinblick auf seine (vor-)vertragliche Schutzpflicht deutlich höhere Maßstäbe zu setzen als im deliktischen Verhältnis. Dies ließe sich schon aus dem Schuldverhältnis beider (zukünftiger) Vertragspartner ableiten, das ein engeres Miteinander fordert, was schon der Begriff der „Sonderverbindung“ ausdrückt. Die gesteigerte Einstandspflicht könnte so in der größeren Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechtsgüter des (potentiellen) Vertragspartners ihre Rechtfertigung finden (die Preisgabe seiner Güter ist in der Sonderverbindung stärker!), auf dem bisher entgegengebrachten Vertrauen oder dem gemeinsam verfolgten Zweck. Dann wäre man wieder bei den allgemeinen Rechtsgründen der Haftung aus Schutzpflicht angelangt, die hier ihrer vollen Legitimität Ausdruck verleihen könnten.139 135 Dabei steht außer Frage, dass diese Rechtsgüter prinzipiell umfassenden Rechtsschutz verdienen. Interessant ist in diesem Zusammenhang aber, welche Aufwendungen auf den Schutz dieser Güter vom Pflichtigen zu verlangen sind und ob und wenn ja, wie diese in der Zweiteilung des Haftungsrechts divergieren. 136 Vgl. Bamberger/Roth-Grüneberg, § 241 Rn. 92; Medicus in: FS für Keller, S. 209. 137 Schmidt-Räntsch, Das neue Schuldrecht, Rn. 447; KompaktKom-BGB/Willingmann/Hirse, § 241 Rn. 8, wenngleich wohl nur bezogen auf den erweiterten Schutzrahmen. 138 BT-Drucks. 14/6040, S. 125. Im Regierungsentwurf war sogar noch die Rede von „besonderer Rücksicht“, was den Schluss, dass die Schutzpflichten nicht dem entsprechen, was schon nach allgemeinem Deliktsrecht gewährleistet wird, noch stärkt. Im Gesetzgebungsverfahren wurde der Teil allerdings als überflüssig gestrichen. 139 Sogar innerhalb des § 241 Abs. 2 BGB ließe sich erwägen, eine Abstufung je nach Nähegrad des § 311 Abs. 2 BGB zu vollziehen. Dann könnte in den Fällen

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Eine solche These muss sich jedoch an der Rechtsprechung messen lassen, will sie Gültigkeit beanspruchen. Im Folgenden soll daher vor allem anhand der „Warenhaus-Fälle“, deren Bedeutung im Hinblick auf die Herausbildung der Schutzpflichten bereits dargetan wurde, untersucht werden, ob tatsächlich ein zwischen Vertrags- und Deliktsrecht derart diversifizierendes Pflichtenprogramm besteht. Diese Aufgabe, die, konkret gesprochen, danach fragt, inwieweit die (vor-)vertraglichen Schutzpflichten eine im Hinblick auf die Verhaltensanforderung intensivere Ausgestaltung des Maßnahmenbereichs gegenüber den deliktischen Sorgfaltspflichten aufweisen, gilt es von zwei Sachlagen ähnlichen Inhalts abzugrenzen: So hat der Gedanke des verstärkten Sorgfaltsmaßstabs im außerdeliktischen Bereich nur wenig mit der konkurrenzrechtlichen Problematik zwischen vertraglicher und außervertraglicher Haftung gemein. Dass beide Rechtskreise grundsätzlich nebeneinander anwendbar (wenngleich im Gutachten nacheinander zu prüfen) sind, ist allgemeine Meinung.140 Zudem kann kein Zweifel daran bestehen, dass mittels vertraglicher Übereinkünfte stets Einfluss auf die außervertragliche Haftungslage genommen werden kann. Es steht deshalb außer Frage, dass privatautonom vereinbarte Haftungsausschlüsse oder erteilte Einwilligungen auf das deliktische Gefüge „durchschlagen“ und der tatbestandsmäßigen Handlung die Widerrechtlichkeit nehmen können.141 Allein, hierum geht es im folgenden Problemkreis nicht. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob durch die Annahme neben-, voroder nachvertraglicher Obhutspflichten für Leben und Gesundheit der eigentliche deliktische Sorgfaltskanon des Verpflichteten verstärkt und gleichsam intensiviert wird oder doch ohne Einfluss durch die Sonderverbindung bleibt. Lässt sich eine derartige Einflussnahme bestätigen, so wird man nicht umhinkommen, eine im Ursprung unterschiedliche Sorgfaltsausrichtung des Verpflichteten im Vergleich vertraglicher/außervertraglicher Bereich anzuerkennen. der Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1) ein höherer Pflichtenmaßstab gelten als in den Fällen, in denen lediglich eine Anbahnung (Nr. 2) erfolgt ist. 140 Indes, über die genaue Ausgestaltung herrscht Streit, vgl. die Ansichten zur Anspruchskonkurrenz auf der einen (RGZ 88, 433; MüKo-Kramer, § 241 Rn. 21 ff.) und Anspruchsnormenkonkurrenz (Georgiades, Die Anspruchskonkurrenz, S. 84 ff.; Larenz/Canaris, SchuldR II 2, S. 597; Fikentscher, a. a. O., Rn. 1195) auf der anderen Seite. 141 Wenngleich § 309 Nr. 7 BGB dem vertraglichen Haftungsausschluss in Bezug auf Körper- und Gesundheitsschäden enge Grenzen setzt. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage der vertraglichen Übernahme von Verkehrspflichten nicht weiter zu erörtern.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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2. Die frühe Rechtsprechung des RG – Versuch einer Deutung Einen ersten Aufschluss gibt bereits das Urteil des RG vom 13.10.1916.142 In dem zu entscheidenden Fall war der Kläger beim Kegeln auf einer ihm und anderen Mitkeglern durch Vertrag zum Gebrauch eingeräumten Kegelbahn über einer glatten Aststelle ausgerutscht und hatte hierdurch einen Bruch des Unterschenkels erlitten. Das RG bejahte einen Schadensersatzanspruch des Geschädigten aus § 823 BGB. Die allgemeine Rechtspflicht, niemanden körperlich zu verletzen, bestehe immer und gegenüber jeder Person, unabhängig davon, ob diese mittels Vertrags in den Handlungsbereich des Verletzers gelangt sei. Diese allgemeine Rechtspflicht könne auch dadurch nicht beseitigt werden, dass es ein Vertrag gewesen sei, durch den die Möglichkeit der Einwirkung auf den Körper des anderen gegeben wurde. So weit, so gut, enthält diese Aussage noch nichts wesentlich Neues. Dann aber wartet das RG mit Überraschendem auf: „Auch der Vertragsgegner bleibt immer der durch § 823 BGB Geschützte; er wird es sogar noch in stärkerem Grade, wenn der Vertrag den Verletzer sogar noch besonders, nämlich eben auch noch vertragsmäßig zur Fürsorge verpflichtet. Das allgemeine Verbot widerrechtlicher Körperverletzung wird dadurch nur individualisiert und verstärkt, dass der Vertrag dem andern sogar noch ein vereinbartes Recht auf Fürsorge, also auf das Gegenteil jeder Körperverletzung gibt.“143

Das Gericht erkennt also – das zumindest macht die Textpassage deutlich – einen über das Deliktsrecht hinausgehenden Schutz des Geschädigten auf Grund der vertraglich vereinbarten Obhutspflicht an. Es ließe sich nun annehmen, dass der Kontrakt zwischen Pflichtigem und Berechtigtem – hier offenbar ein Mietvertrag – besondere Klauseln oder Vereinbarungen bezüglich einer gesteigerten Sorgfaltsachtung des Geschädigten aufwiese. Wie anders sollte die „vertragsmäßige“ Verpflichtung zur „Fürsorge“ aus den Urteilsgründen zu verstehen sein? Indes: Der Sachverhalt gibt dafür nichts her. Vielmehr spricht einiges dafür, dass das Gericht allein aufgrund der gesteigerten Möglichkeit eines Schadenseintritts (nicht überdachte Kegelbahn) sowie der Ausübung der sportlichen Tätigkeit, die nicht selten mit Gefahrrisiken verbunden ist, eine vertraglich immanente Fürsorgepflicht annimmt. Dies belegen auch die Beispiele, die das Gericht als ähnliche Fallkonstellationen gleichen Anwendungsrangs benennt (Arzt, der vertragswidrig einen Kranken unter Nichtbeachtung medizinischer Regeln behandelt;144 Vermieter, der dem Mieter vertragswidrig gefahrträchtige Räume zur Benutzung überlässt145). In all diesen Fällen ergibt sich die vertraglich besonders he142 143 144 145

RGZ 88, 433 ff. RG a. a. O., S. 435. Vgl. RG WarnR 1916, 363 Nr. 226. RG JW 1910, 749 Sp. 2 u.

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rausgestellte Fürsorge für die körperliche Gesundheit und Unversehrtheit aus der risikobehafteten Übernahme der Vertragspflicht. Doch welcher Schluss lässt sich aus dem Umstand ziehen, dass das allgemeine Verbot widerrechtlicher Körperverletzung durch ein vereinbartes Recht auf Fürsorge „verstärkt und individualisiert“146 wird? Der Satz des RG ließe sich schlicht dahingehend deuten, dass dem Geschädigten durch die (vor-)vertragliche Sonderverbindung ein zusätzlicher Anspruch zur Seite gestellt wird, der seine Rechtsposition insgesamt dadurch stärkt, dass ihm – sofern eine Inanspruchnahme aus § 823 BGB fehlgeht – immer noch ein Rechtsbehelf vertraglicher Art bleibt. Dieser wäre für den Geschädigten mit der Zurechnungsnorm des § 278 BGB147 und der zum damaligen Zeitpunkt deutlich längeren Verjährungsfrist im Vertragsrecht „günstiger“, so dass sich der stärkere Schutz schon allein hieraus ableiten ließe. Indes sind dies rein funktionelle Gesichtspunkte, die nichts über die inhaltliche Qualität der Pflichten aussagen und im hier behandelten Fall auch keine Rolle spielten. Dann aber spricht nicht wenig dafür, dass das Gericht nicht die Verstärkung einer generellen prozessualen Schutzposition im Blick gehabt hat, sondern sich auf die konkrete Fürsorgepflicht, die im Deliktsrecht in dem oben erwähnten Fall die Gestalt der Verkehrssicherungspflicht annimmt, bezieht. Enthebt man also das „allgemeine Verbot widerrechtlicher Körperverletzung“, von dem das RG spricht, seiner abstrakten Form und sagt, was es auf den Einzelfall übertragen wirklich bedeutet, nämlich – ins Positive gewendet – die ordnungsgemäße Ausübung der Verkehrspflicht, ist die Nahtstelle gefunden, an der sich die Schutzpflicht messen lässt. Geht man diesem Gedanken nach, kann die These des RG durchaus so zu verstehen sein, dass die allgemeine deliktische Haftung durch das Hinzutreten besonderer vertraglicher Umstände im Hinblick auf eine ganz bestimmte Obhuts- und Fürsorgepflicht aufgewertet und in diesem Sinne verschärft wird. Wenn aber das Vertragsrecht in der Lage ist, die generelle deliktische Restitutionspflicht für Schädigungen an Körper und Gesundheit zu steigern, so muss man zwangsläufig von einer im Ursprung divergenten Pflichtenlage in beiden Rechtskreisen ausgehen. Wäre sie kongruent, die Sorgfaltswaltung in Vertrags- und Deliktsrecht also gleich, könnte das relative Beziehungsgeflecht kaum Einfluss auf das außervertragliche nehmen; zum deliktischen Anforderungslevel käme nichts mehr hinzu, was dieses verändern oder gleichsam mehren könnte. Denn der inhaltliche Schutz des Geschädigten wird nicht dadurch größer, dass sich das Pflichtenprogramm des Schädigers nochmals in gleicher Weise auf vertraglicher Ebene wider146 147

RG a. a. O., ebd. Haftung für fremdes Verschulden ohne Exkulpationsmöglichkeit!

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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spiegelt. Anders ausgedrückt: Die Sicherheitsleistung, auf die beispielsweise der Besucher eines Kaufhauses vertrauen kann, erhöht sich nicht dadurch, dass er einen zusätzlichen, aber identisch ausgestalteten Sorgfaltsmaßstab an die Seite gestellt bekommt. Die Entscheidung des Gerichts ließe sich also dahingehend deuten, dass zwei voneinander unabhängige Pflichtenlagen vertraglicher und außervertraglicher Art bestehen, die jeweils für sich den Sorgfaltsmaßstab des Verpflichteten koordinieren. Treffen beide Rechtskreise im Zuge einer vertraglich festgesetzten Obhutspflicht aufeinander, bewirkt die relative Komponente eine Mehrung des Sorgfaltslevels im eröffneten Gefahrenbereich auch auf deliktischer Ebene. Umgekehrt sichert sie dem Berechtigten einen erhöhten Schutz seiner Rechtsgüter zu. Lässt man diesen Gedankengang zu, ließe sich hier ein erster Ansatz zur oben bereits dargestellten These des Gesetzgebers finden, wonach Schutzpflichten hinsichtlich der Intensität über die allgemeinen deliktischen Verhaltenspflichten hinausgehen. Das RG indes verliert diesen Gesichtspunkt in der oben dargestellten Entscheidung wieder aus den Augen, so bemerkenswert er auch ist. Augenscheinlich geht es ihm um die Bewertung einer anderen – aus heutiger Sicht überflüssigen, weil längst ausdiskutierten – Frage. So beschäftigt das RG eigentlich nur die Anerkennung des Bestehens deliktischer Haftung im Falle des Zusammentreffens mit einer vertraglichen – wenngleich hier mit der Besonderheit, dass der Vertrag gerade auch auf Fürsorge für die körperliche Unversehrtheit des Vertragsgegners geht.148 Die Erwähnung der außervertraglichen Sorgfaltsverdichtung erscheint nur als Nebenpunkt. Überhaupt bleibt eine Frage offen, die oben bereits Erwähnung fand: Welche Anforderungen sind an einen Vertrag zu stellen, der eine Fürsorgepflicht des Partners beinhaltet? Das RG begnügt sich im Fall mit der Herausstellung des Vertragsinhalts, der entweder auf „Vornahme von diese Gesundheit fördernden Handlungen“ oder auf „Unterlassung jedes die Gesundheit gefährdenden Verhaltens“ gehe. Indes würden diese Begrifflichkeiten wohl niemals ausdrücklicher Bestandteil des Vertrages werden. Sie sind im heutigen Recht von vornherein jedem Vertrag immanent. In Wirklichkeit geht es hier also bereits um die Anerkennung vertraglicher Schutzpflichten und um die Erwähnung außerdeliktischer Sorgfaltswaltung, zunächst noch auf Bereiche beschränkt, die einem scheinbar besonders gefahrträchtigen Wirkungskreis unterliegen.149 Sind sie der Grund, den das Gericht als Auslöser verschärf148

Gerade diese Frage war Anfang des 20. Jahrhunderts infolge der Veröffentlichung einer Entscheidung des RG in JW 1904, 166 Gegenstand heftiger Diskussion. 149 Interessant in diesem Zusammenhang die Bemerkung des Gerichts auf S. 435: „Die Vertragswidrigkeit einer Körperverletzung hängt nicht davon ab, ob der Vertrag die Fürsorge für die körperliche Gesundheit und Unversehrtheit zum alleinigen oder

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ter Verhaltenspflichten im deliktischen Bereich sieht, dann kommt man nicht umhin, beide Pflichtenlagen als im Ursprung unabhängig und verschieden streng, sich aber später auf der vertraglichen Maßstabsebene einpendelnd, zu betrachten. Diese Rechtsprechung, mag sie sich auch nur durch einen scheinbar unbedeutenden Hinweis in den Urteilsgründen darlegen, setzt das RG in einer Vielzahl weiterer Entscheidungen fort,150 stets jedoch nur als zusätzlichen Gesichtspunkt der weithin diskutierten Frage des Konkurrenzverhältnisses zwischen Vertrags- und Deliktsrecht. So bejahte wenige Monate später das RG151 die Haftung eines Vermieters aus § 823 BGB gegenüber seinem Mieter, der die schlecht gewartete Kellertreppe hinunterfiel und als Folge seiner Verletzungen Schadensersatz verlangte. „Ist durch Vertrag eine besondere Fürsorgepflicht begründet“, so das Gericht, „wird dadurch jene allgemeine Rechtspflicht nur verstärkt.“152 Inwieweit im vorliegenden Fall eine derartige besondere Rechtspflicht vertraglich festgesetzt wurde, bleibt offen. Es bestand lediglich ein Mietvertrag zwischen den Parteien – offensichtlich ohne besondere Art. Auch die Qualität der Rechtspflichtverstärkung bleibt unklar. Wenn doch ohnehin schon die grundsätzliche Pflicht, niemanden an Körper und Gesundheit zu schädigen, besteht, wie sollte der Sorgfaltskatalog noch gesteigert werden? Es wäre allenfalls die Auferlegung von zusätzlichen Sicherungsmaßnahmen denkbar, doch wie sähen die aus? Das RG schweigt darüber, wohl deshalb, weil der Fall keinerlei Anlass zur Vertiefung bot. 3. Auswirkungen auf die neuere Rechtsprechung? Die Rechtsprechung des RG wird nach Kriegsende zum ersten Mal wieder vom Kammergericht aufgeworfen und unterstützt. Die Entscheidung aus dem Jahr 1952 gehört sachverhaltstechnisch in die Sparte der „WarenhausFälle“ und ist deshalb hier von Bedeutung. In dem Fall stürzte die Kundin einer Filialdrogerie nach Tätigung der Einkäufe auf dem öligen Fußboden und verletzte sich nicht unerheblich. hauptsächlichen Gegenstande hat, oder ob er in der Hauptsache andere Ziele bezweckt und nur nebenbei und in einzelnen Richtungen eine Fürsorgepflicht auferlegt“. Die Trennung zwischen Leistungs- und Schutzpflichten ist hier bereits vorgezeichnet. 150 Vgl. nur RG WarnR 1928, 206. Der Kläger kam im Zigarrengeschäft des Beklagten auf dem kurz vorher mit ölgetränktem Sägemehl gereinigten Linoleumbelag des Fußbodens zu Fall. 151 In: RGZ 89, 384 f. 152 RG a. a. O., S. 385.

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Das KG hielt sowohl den vertraglichen Anspruch aus Nebenpflichtverletzung als auch aus § 823 Abs. 1 BGB für begründet. Wiederum wurde das Konkurrenzverhältnis von Vertrags- und Deliktsrecht erwähnt, erneut konstatierte das KG – diesmal allerdings allgemeiner formuliert –, der Schutz gegen unerlaubte Handlungen werde jedem, auch dem Vertragsgegner, zuteil. „Er werde dies sogar in stärkerem Maße, wenn der Vertrag, wie hier, durch seinen Inhalt den Verletzer noch besonders zur Fürsorge verpflichtet.“153 Die Worte „wie hier“ machen den Unterschied. Sie werfen nochmals die Frage auf, welche besondere Fürsorgepflicht sich aus dem Vertrag – hier einem Kaufvertrag – ergeben soll. Diejenige, nicht die Rechtsgüter des Verhandlungspartners zu beeinträchtigen? Eine solche besteht sowieso. Es kann also wieder nur um die allgemeingültige und ohnehin existente Schutzpflicht im Hinblick auf die Integritätsinteressen des Partners gehen. Diese ist dem Verkäufer bei Abschluss von Verträgen in Warenhäusern, Supermärkten und Drogerien aber stets auferlegt. Mithin bestünde immerwährend eine intensivierte, über das Normalmaß hinausgehende deliktische Verhaltenspflicht – ja, Verkehrspflicht – des Verpflichteten, bedingt durch den Standard, den die vertragliche Schutzpflicht setzt. Es wurde oben schon dargetan, dass – setzte die Schutzpflicht höhere Anforderungen an die Sorgfaltswaltung als ihr Gegenpart – dies schon denklogisch voraussetzen würde, dass beide Pflichten im Ausgangspunkt divergieren. Davon, wie sich diese jedoch im Einzelfall gestalten und wie sie den Pflichtenkanon des Verkäufers ausfüllen und dirigieren, ist im Urteil des KG keine Rede. Gerade hier gewinnt aber die eigentliche Frage nach den inhaltlichen Unterschieden von Schutzpflicht und Verkehrssicherungspflicht an Relevanz. Zwar übernimmt laut Gericht der Beklagte mit der eigentlichen Kaufverpflichtung zugleich die vertragliche Nebenverpflichtung, dem Kläger die Abnahme der gekauften Waren ohne Schaden für die körperliche Unversehrtheit zu ermöglichen, wozu auch gehört, ihn wieder sicher aus dem Ladengeschäft hinauszugeleiten. In concreto bedeutete dies, dass es die starke Ölung des Fußbodens und die mangelhafte Ausbesserung desselbigen sowie dessen eigene Untätigkeit im Hinblick auf eine mögliche Abhilfe war, die die Schutzpflichtverletzung begründete. Auf die Verkehrspflicht aus § 823 BGB bezogen blieb dem Gericht aber auch nicht viel mehr als die Rüge, nach Kenntnis von der jahrelangen starken Ölung des Bodens hätte der Beklagte mit besonderer Sorgfalt die Gefahrenquelle im einzelnen entweder selbst bzw. durch seine Angestellten oder durch einen Fachmann nachprüfen lassen müssen. 153

KG a. a. O., S. 243. Hervorhebung von mir.

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Schutzpflicht- und Verkehrssicherungspflichtverletzung deckten sich also im vorliegenden Fall. Ob dies das Resultat nachträglicher Pflichtenaufwertung im deliktischen Bereich ist oder ein lediglich zufälliger Gleichlauf der Sorgfaltspflichten ohne das Bemühen einer vertraglichen Schärfung und Konkretisierung, wird nicht deutlich. Die Erwähnung des stärkeren Schutzes des Vertragspartners auch im deliktischen Bereich deutet allerdings darauf hin, dass sich das KG dieser Grundsätze auch zur Beurteilung des vorliegenden Falls bedient hat. Interessant wäre es dann zu wissen, wie sich die Pflichtenlage des Beklagten im außervertraglichen Bereich ohne den Einfluss des Vertragsrechts darstellt. Behält der deliktische Haftungsgrund seinen Maßstabslevel in Bezug auf die Verkehrspflicht für eine logische Sekunde und nimmt er erst dann das Pflichtenkorsett des Vertragsrechts an? Oder geschieht dies automatisch mit Eintritt des Käufers in die Vertragssphäre, wo immer man diese ansiedeln mag? Diese Fragen freilich vermag auch das KG nicht zu beantworten. Auffällig ist jedoch, dass zwar ein stärkerer Schutz des Käufers auch im deliktischen Bereich angenommen wird, was nichts anderes bedeutet, dass auch die Sorgfaltswaltung des Verkäufers auf dieser Ebene gesteigert wirkt. Beide Pflichten (Schutzpflicht und Verkehrspflicht) sind jedoch inhaltlich völlig identisch; möglicherweise, weil das KG den Maßstab – ohne ausdrückliche Erwähnung – wie selbstverständlich übertrug, möglicherweise aber auch, weil sie, was den Bereich der „Warenhaus-Fälle“ anbelangt, inhaltlich von vornherein überhaupt nicht unterschiedlich sind. Die Durchsicht nachfolgender Urteile in diesem Bereich wird letztgenannte These bestätigen. 4. Inhaltlicher Gleichlauf der Pflichten Schon bei einem flüchtigen Blick in die Entscheidungsregister wird deutlich: Die Gerichte differenzieren kaum zwischen vertraglicher und deliktischer Obhuts- und Fürsorgepflicht. Oftmals wird das Vertragsverhältnis zwischen (potentiellem) Kunden und Verkäufer gar nicht mal erwähnt, sondern sogleich auf die Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht abgestellt, obwohl der Sachverhalt in nahezu allen Fällen Anlass zu einer weitergehenden Erörterung geboten hätte.154 Das lässt sich allenfalls damit begründen, dass in einigen Fällen die Verletzung einer Sorgfaltspflicht nur allzu offensichtlich war, so dass sich mittels Erst-Recht Schlusses das gleiche Ergebnis auf das Vertragsrecht projizieren ließ (zumal es einer weitergehenden Prüfung der Voraussetzungen des jetzigen § 311 Abs. 2 BGB zur damaligen Zeit noch nicht bedurfte). Auf die Erwähnung eines gesteigerten Sorgfalts154 Siehe nur BGH VersR 1964, 974; LG Duisburg VersR 1968, 100; OLG Nürnberg VersR 1967, 1083; OLG Köln VersR 1992, 469; OLG Hamm VersR 1994, 830; zuletzt AG Offenbach VersR 2003, 1002.

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rahmens im Recht der Sonderverbindung, so mochte man annehmen, komme es gar nicht an, weil schon der deliktische Pflichtenkanon gebrochen ist. Sofern es sich dabei um höherinstanzliche Spruchkörper handelte, ist es in der Tat einsichtig, wenn das Gericht sich auf die Prüfung einer Anspruchsgrundlage beschränkte, sie auf ihre rechtsfehlerhafte Behandlung untersuchte und auf übrige Ausführungen zu weitergehenden Haftungsansprüchen verzichtete.155 Umgekehrt mag die Missachtung einer Verkehrssicherungspflicht im Einzelfall augenscheinlich abwegig erschienen sein, so dass zusätzliche Erklärungen überflüssig waren. Schließlich ließe sich denken, dass die Gerichte von vornherein in Sachverhaltssituationen, wie sie hier zu beleuchten sind, von einem einheitlichen (erhöhten) Haftungsrahmen ausgehen.156 Dann aber hätte eine modifizierte Fürsorgepflicht des Betreibers im vertraglichen Bereich zumindest die Angabe ihrer Gründe und deren Ausgestaltung notwendig gemacht. Dies ist in keinem der untersuchten Urteile geschehen.157 Von der einst postulierten „verstärkten Fürsorgepflicht“ ist insgesamt nichts geblieben. Das geht sogar soweit, dass die Gerichte die Unterschiede zwischen vertraglicher Schutzpflicht und deliktischer Verkehrssicherungspflicht völlig negieren. So spricht das LG Essen in einer Entscheidung aus dem Jahr 1964158 von einer „sowohl vertraglich als auch gesetzlich obliegenden Verkehrssicherungspflicht“, kein seltener Fall einer offensichtlich dogmatischen, vor allem aber inhaltlichen Vermengung der Begrifflichkeiten.159 Besieht man sich den Maßstab der Sorgfaltsanforderungen, der an den Betreiber zu stellen ist, so fällt auf, dass dieser lange Zeit wenig zuverlässige Aussagen zulässt, sich aber Mitte der 70er Jahre auf eine einheitliche Rechtsanwendung einpendelt.160 Immer wieder wird er sich im Zuge veränderter Umweltbedingungen mal verstärken, mal aber auch den Geschäftsführer entlasten. Dies alles sind Kennzeichen eines Prozesses, der, mag er 155 Gerade in den Fällen, in denen der Geschädigte Schmerzensgeld verlangte, machte vor der Schuldrechtsreform ein Eingehen lediglich auf §§ 823 Abs. 1, 831 BGB durchaus Sinn. Mit dem durch das zweite Schadensersatzrechtsänderungsgesetz vom 01.08.2002 neu eingefügten § 253 Abs. 2 BGB hat sich dies weitgehend erledigt, vgl. dazu Wagner NJW 2002, 2049 (2056). 156 Siehe dazu schon oben unter 2. 157 Vgl. allein BGH VersR 1986, 765, der säuberlich zwischen Vertrags- und Deliktsrecht trennt, mögliche Unterschiede aber dennoch nicht benennt. 158 In: VersR 1964, 1186 (1187). 159 Vgl. AG Hannover VersR 1988, 721: „Die Beklagte haftet weder aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung, noch aus unerlaubter Handlung gem. §§ 823, 847 BGB, weil sie objektiv keine Verkehrssicherungspflichten verletzt hat“. 160 Siehe oben 1. Teil, B. IV. 1.

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auch für sich inhaltliche Wandlungen erfahren haben, zwischen Vertragsrecht und Deliktsrecht dennoch gleich bleibt. Hier wie dort ist die Ausgestaltung der Schadloshaltung des Kunden dieselbe, nirgends findet sich ein Hinweis auf ein verschieden verwendetes Anforderungslevel.161 Lediglich der Haftungsgrund divergiert, weshalb diesem gesondert nachzugehen war. Inhaltlich unterscheiden sich Schutzpflicht und Verkehrssicherungspflicht – zumindest was den Schutz für Körper und Gesundheit des Kunden anbelangt – nicht. Sofern doch eine Trennung beider vorgenommen wurde, betraf es allenfalls das Aufzeigen funktionell oder strukturell haftungsrechtlicher Unterschiede in Fragen der Beweislast oder der Haftung für Hilfspersonen. In der zweckzuweisenden Differenzierung beider Rechtsinstitute mag dann auch der wahre Grund für die fortschreitende Nivellierung der Ungleichheiten zwischen Schutz- und Verkehrspflicht seitens der Rechtsprechung liegen. So führte insbesondere die Exklusivität des Schmerzensgeldanspruchs im Deliktsrecht (§ 847 BGB a. F.) zu einer erheblichen Aufblähung des Anwendungskatalogs der Verkehrspflicht. Umgekehrt ist es die Rückständigkeit in Beweislastfragen sowie der Gehilfenhaftung, die der Schutzpflicht erst ihre Daseinsberechtigung erlaubte.162 Systematik und Normanwendung waren demnach echte Hindernisse, die einem allzu leichten Rückgriff auf die jeweilige Einstandspflicht entgegenstanden. Letztlich war die Schutzpflicht jedoch immer Notlösung der Verkehrspflicht; war dies einmal nicht der Fall, konnte auf ihre Erwähnung großzügig verzichtet werden. In dieser Hinsicht durfte die Frage nach Unterschieden in den Anforderungen der Sorgfaltsnorm nicht noch eine zusätzliche Barriere bilden; hieraus resultierend macht der inhaltliche Gleichlauf von Schutzpflicht und Verkehrspflicht Sinn. Nicht vergessen werden darf jedoch, dass sich diese inhaltliche Kongruenz nur auf einen Teil – nämlich den kleinsten Nenner der gemeinsamen Schnittfläche – bezieht: das Einstehen für Körper- und Gesundheitsschäden. Dass die Schutzpflicht darüber hinaus fallgruppenartig noch viel mehr ausmacht, ist bekannt. Sofern es also um die Haftung für Auskunfts-, Informa161

Deutlich LG Schweinfurt VersR 1977, 850: „Beide Anspruchsgrundlagen (pVV und § 823 BGB, Anm. d. Verf.) unterscheiden sich lediglich in der Beweislast und der Anspruchsrichtung. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind sonst identisch. Ihre Prüfung erfolgt deswegen einheitlich“. 162 Siehe oben 2. Teil, E. II. Exemplarisch steht hierfür der Fall des RG in WarnR 1928, 206 ff., s. o. bereits. Die Haftung nach § 831 BGB wurde vom Gericht zunächst nach erfolgreichem Entlastungsbeweis aus Abs. 1 S. 2 abgelehnt, auch wenn, hätte der Beklagte selbst gehandelt, eine Verkehrspflichtverletzung wohl hätte angenommen werden müssen. Die Verletzung einer Schutzpflicht aus Vorverhandlungen konnte über den § 278 BGB dennoch bejaht werden.

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tions- oder Loyalitätspflichten (u. U. sogar zum Schutze des Vermögens) geht, sind die Unterschiede – gerade inhaltlicher Art – wieder evident. Was das anbelangt, reicht der Schutz des (zukünftigen) Vertragspartners in der Tat über den des am Schuldverhältnis Unbeteiligten hinaus.163 Dies zeigt der Fall des OLG Braunschweig aus dem Jahr 1997.164 Die Klägerin zog sich hier in den Geschäftsräumen der Beklagten einen Bänderriss infolge der Kollision mit einem Hubwagen zu. Diesen hatte ein Handwerker, der im Laden der Beklagten mit der Durchführung von Bauarbeiten betraut war, durch den Gang geschoben. Das Gericht lehnte eine Schadensersatzpflicht des Betreibers aus Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht ab. Zwar müsse in einem Kaufhaus grundsätzlich niemand mit überraschenden Gefahren rechnen. Im vorliegenden Fall liege eine solche aber auch gar nicht vor, da ein Kunde in Verkaufsräumen stets mit Hubwagen rechnen müsse, auf denen sich auszupackende Waren befänden.165 Allerdings liege eine Pflichtverletzung im vorvertraglichen Vertrauensverhältnis vor. Diese leitet das OLG jedoch nicht aus einer Missachtung der Pflicht zur Wahrung der körperlichen und gesundheitlichen Integrität des Opfers her. Vielmehr hielt es den Beklagten für verpflichtet, im Rahmen des Zumutbaren bei der Aufklärung des Schadenshergangs und der Ermittlung des den Unfall verursachenden Handwerkers behilflich zu sein. Eine solche Pflicht ergebe sich aus dem Anwendungsgebiet der Schutz- und Fürsorgepflichten und dem Grundsatz von Treu und Glauben. Da es die Beklagte im zu entscheidenden Fall unterlassen hatte, die Klägerin bei der Ermittlung des Unfallverursachers zu unterstützen, hielt das Gericht eine Verurteilung auf Schadensersatz aus dem vorvertraglichen Pflichtenverhältnis für sachgerecht. Hieran zeigt sich: Im Einzelfall können Schutzpflicht und Verkehrspflicht sehr wohl auseinander gehen und zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Entscheidend ist die Art der verletzten Pflicht. Das Einstehen für mangelhafte Schadensaufklärung ist eine Schutzleistung, die das Deliktsrecht in Bezug auf Verkehrspflichten überhaupt nicht bieten kann. Vor diesem Hintergrund sind beide Pflichtenlagen keineswegs inhaltlich identisch. Hier ist einmal ein Fall gefunden, in dem die (vor-)vertragliche Schutzpflicht über 163 Vgl. MüKo-Emmerich, § 311 Rn. 92 mit dem Fall der Mitarbeiterabwerbung eines Vertragspartners noch während der Geschäftsverhandlungen (BGH NJW 1961, 1308). Dieses und andere sind für ihn „schöne“ Beispiele „für die Notwendigkeit von Schutzpflichten zur Kontrolle der Einwirkungsmöglichkeit auf das Vermögen des anderen Teils.“ 164 In: NJW-RR 1998, 602. 165 OLG Braunschweig a. a. O., ebd.

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die außervertragliche Verkehrspflicht hinausgeht und dies, ohne ihren Maßstab auf sie zu übertragen. Beide Haftungskreise stehen für sich unabhängig, gleichwohl ist derjenige der Sonderverbindung der stärkere. Die Erklärung aus den Drucksachen des Bundestages, wonach sich die Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB nicht mit den Verkehrssicherungspflichten decken, wird also durchaus verständlich, bezieht man den gesamten Pflichtenkatalog aus der Sonderverbindung in den Vergleich ein. Was den Einzelhandel betrifft, ist dies dennoch ein Einzelfall. Das Gros der Anwendungsfälle von Schutz- und Verkehrspflicht bezieht sich hier auf die Verletzung von Integritätsinteressen und damit auf die Wahrung des Körpers und der Gesundheit. In diesem Zusammenhang eine diversifizierende Sorgfaltswaltung des Betreibers (einmal in Bezug auf den Sonderverbindungspartner, einmal in Bezug auf den Außenstehenden) zu konstruieren, ist denkbar, wird aber von der Rechtsprechung so nicht vorgenommen, auch wenn ältere Urteile und vor allem die amtliche Begründung zu § 241 Abs. 2 BGB Gegenteiliges vermuten lassen. Dies würde letztlich auch dazu verleiten, eines der Institute für überflüssig zu erklären. Indes, der Gesetzgeber (siehe die Neuformulierung des § 241 BGB) tut es nicht. Es ist auch so lange nicht ratsam, bis die funktionellen Unterschiede in beiden Rechtslagern noch existieren und einen Rückgriff auf das Vertragsrecht notwendig machen. Damit behalten die Fragen nach dem Adressatenkreis der Schutzpflicht und dem Beginn des Sonderverhältnisses ihre Berechtigung. Ihnen nachzugehen, ist Aufgabe der folgenden Abschnitte. V. Adressatenkreis Der Adressatenkreis divergiert zwischen Schutz- und Verkehrspflicht deutlich, was aus der unterschiedlichen strukturellen und systematischen Verortung beider Institute im Haftungsgefüge folgt. Charakteristikum aller vertraglichen Ansprüche ist die auf freiwilliger Basis beruhende Verhaltensausrichtung auf eine bestimmte Person. Sinn dieser Verhaltensausrichtung ist die ordnungsgemäße Erfüllung des Vertrags, ihr Grund die spezielle vertragliche Rechtsordnung, unter die sich die Parteien begeben haben.166 Dieser Grundsatz der Relativität des Schuldverhältnisses führt dazu, dass Dritte nur ausnahmsweise aus dem für sie fremden Schuldverhältnis Ansprüche herleiten können.167 Umgekehrt sind sie allerdings auch keinen Forderungsrechten ausgesetzt. 166

Huber in: Festschrift für E. R. Huber, S. 260. Beachte mögliche Durchbrechungen dieses Grundsatzes in den §§ 566, 613 a, 546 Abs. 2, 604 Abs. 4, 328 ff. BGB. 167

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Demgegenüber ist die deliktische Haftung eine Jedermannhaftung, die ohne eine besondere Beziehung, vertraglicher oder vertragsähnlicher Art der Beteiligten, funktioniert. Der Rechtschutz ist hier absolut und fordert eine Rechtswidrigkeit des Handelns, die sich auf die Verletzung von Normen, Verkehrs- bzw. Handlungspflichten gründet. Der Adressatenkreis der Verkehrspflicht ist demgemäß offen, die Rechtspositionen der Beteiligten aber isoliert und in ihrer Eigenständigkeit von einander abgewandt. Die Sorgfaltspflicht besteht hier gegenüber jedermann (Ausfluss des naturrechtlichen Prinzips des „neminem laedere“) und beruht nicht auf privatautonomen Verbindlichkeiten. Hierin liegt der wesentliche Unterschied zur Schutzpflicht, die als vertragliche Nebenpflicht nicht nur während des Vertragsverhältnisses wirkt, sondern auch im vorvertraglichen Bereich Anwendung findet. Der Schutz ist hier klar begrenzt und bezieht nur denjenigen ein, der Teil der Sonderverbindung ist. Diese Sonderverbindung ist es auch, die die Schutzpflichten entstehen lässt, während im deliktischen Bereich erst die Verletzung von Verkehrspflichten das deliktische Schuldverhältnis begründet.

VI. Die Einbeziehung in den geschützten Personenkreis Dies führt zu der eingangs gestellten Frage zurück: Soll jemand begünstigt werden (ihm also in diesem Sinne die Möglichkeit (vor-)vertraglichen Regresses eingeräumt werden), der in einem intensiveren Verhältnis zum Betreiber steht als andere, schlicht aufgrund der Nähebeziehung, die in Wirklichkeit nichts anderes als vertragliche Anbahnung meint? Die Rechtsprechung tut dies unter inhaltlichen Gesichtspunkten letztlich ohnehin nicht, dadurch, dass sie die Schutzpflicht in den relevanten Fällen der Verletzung absoluter Rechtsgüter des Beteiligten nicht strenger ausgestaltet als ihr außervertragliches Pendant und diesbezüglich auch die Sorgfaltswaltung des Geschäftsführers nicht ausweitet. Wo auch sollte die Grenze zwischen unbeteiligtem Dritten (und einer diesem gegenüber bestehenden Verkehrssicherungspflicht) und einem denkbaren Vertragspartner (Schutzpflicht) im konkreten Fall der Tätigung eines Kaufs verlaufen? Ab wann gibt man dem Kunden die Möglichkeit, zusätzlich auch vertraglich Forderungen geltend machen zu können, ab wann belässt man es bei der Anwendung des Deliktsrechts? Die Polarisierung fällt so schwer, weil gerade in den Warenhaus- und Supermarkt-Fällen die Relativität der Schutzbeziehung nicht auf den ersten Blick ersichtlich und die Grenzen zur typisch deliktsrechtlichen Anonymität angesichts der getätigten Massengeschäfte nicht immer klar erkenntlich sind. Die Beantwortung kann nur unter Berücksichtigung funktioneller Rechtsschutzaspekte erfolgen. Solange die oben aufgezeigten Unterschiede syste-

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matischer Art noch bestehen, ist es in der Tat notwendig zu wissen, wann es den § 278 BGB zu prüfen gilt und in wieweit etwaige Vermögensinteressen auszugleichen sind. Damit behält die Frage, ab wann der (vor-)vertragliche Schutz des Kunden beginnt, wann er endet und vor allem, wen er ausschließt, durchaus ihre Relevanz. Es wurde oben bereits – im Hinblick auf die deliktische Einstandspflicht – der Schutzbereich gegenüber unbefugt Betretenden abgegrenzt. So konnte gezeigt werden, dass das Merkmal der „Zweckwidmung“ als Unterscheidungskriterium weitgehend unbrauchbar ist, können außervertragliche Ansprüche doch auch für Personen entstehen, die sich außerhalb der Zweckwidmung stellen. Dies hat für das (vor-)vertragliche Verhältnis nicht im gleichen Maße zu gelten. Hier geht es nicht um die Bestimmung schutzwürdiger Personen aus der unbestimmten Masse der in Betracht zu Ziehenden, um dann mittels objektiver Zurechnungskriterien (Vertrauensschutz, Gefahrerhöhung) interessengerechte Lösungen zu erzielen. Hier geht es vielmehr um die Bestimmung des Vertragsverhältnisses selbst und um die Frage, wann man – ganz im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB – von der Anbahnung des Vertrags als kleinstem Nenner des geschäftlichen Miteinanders sprechen kann. Ratio decidendi ist also, wie man den ersten rechtsgeschäftlichen Kontakt inhaltlich ausfüllt und bestimmt. Ist dies gelungen, lässt sich der Anwendungsradius der Schutzpflicht klar umreißen und dem Geschädigten ein weiterer Rechtsbehelf – nun vertraglicher Art – an die Hand geben. 1. Gesetzestext des § 311 Abs. 2 BGB Mit der Regelung des § 311 Abs. 2 BGB, der die Fälle der Aufnahme der Vertragsverhandlungen (Nr. 1) und – denklogisch vorgelagert – der Vertragsanbahnung (Nr. 2) bzw. ähnlichen geschäftlichen Kontakte (Nr. 3) erfasst, schreibt der Gesetzgeber vormals anerkanntes Gewohnheitsrecht zur c. i. c. verbindlich fest.168 Der in diesem Zusammenhang alleinig interessierende, weil an den zeitlich frühestmöglichen Schutzbereichsadressaten anknüpfende Tatbestand der Vertragsanbahnung spricht von der Möglichkeit der Einwirkung auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung. Mit dieser Formulierung, die als deutliche Reminiszenz an die Vorstellung vom „möglichen Kunden“ zu 168 Abs. 2 Nr. 1 der Norm entspricht den vertrauensbezogenen Ansätzen bei der bisherigen Begründung der c. i. c.-Haftung, Abs. 2 Nr. 2 erfasst die dogmatischen Erklärungsversuche, die im Wesentlichen auf die durch einen qualifizierten sozialen bzw. geschäftlichen Kontakt begründeten Einwirkungsmöglichkeiten abstellen, wenngleich auch hier im gewissen Umfang der Faktor „Vertrauen“ mit hineinspielt, vgl. KompaktKom-BGB-Hirse § 311 Rn. 11 f.

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verstehen ist,169 hält der Gesetzestext scheinbar an der bisherigen Auffassung der Rechtsprechung fest, wonach der bloße soziale Kontakt (und damit z. B. der Personenkreis, der sich lediglich auf Grund eines Gewitters im Kaufhaus unterstellt) nicht vom Schutzbereich erfasst ist. Indes ist dieses Ergebnis nach wie vor allenfalls durch Studium der einschlägigen Entscheidungen bzw. (nun) durch Auslegung des Gesetzestextes selbst zu erzielen. Dass mit ihm eine subsumtionsgeeignete Norm170 abgefasst wurde, darf, ebenso wie die aus ihm abgeleiten Schlüsse im Hinblick auf den Schutzbereichsteilnehmer, bezweifelt werden. 2. Rechtsprechung Wie gezeigt, tat sich die Rechtsprechung mit der Anerkennung (vor-)vertraglicher Schutzpflichten zu Beginn des 20. Jahrhunderts schwer. Ein gewisser Wandel trat mit dem „Linoleum-Fall“171 und dem vom RG postulierten „den Kauf vorbereitenden Rechtsverhältnis“172 ein. Dieses, durch die Vorlegung von Waren zur Besichtigung entstandene vertragsähnliche Verhältnis, konnte den Neuwert einer Vorverlagerung der Schutzpflichten in die Phase der Vertragsanbahnung für sich beanspruchen. Dennoch zeigte sich das Urteil und mit ihm die folgende Rechtsprechung eng an das Moment der Kaufverhandlungen gebunden. Nur sofern beide Vertragspartner in diese eintraten (z. B. durch Vorlegung und Besichtigung der Waren), ließ sich das Rechtsverhältnis und mit ihm die Schutzpflicht anerkennen. Dafür genügte es nicht, wenn der Käufer sich lediglich in der Abteilung eines Warenhauses umsah,173 erst recht nicht, wenn er es nur betreten hatte.174 Dies änderte sich unter der Rechtsprechung des BGH, der 1962, schon im Bewusstsein einer auf Vertrauensschutzaspekte und Treu und Glauben (§ 242 BGB) beruhenden Herkunft der c. i. c., aber merklich vorsichtig, for169

Dazu sogleich. So der Vorsitzende der Schuldrechtskommission „Leistungsstörungsrecht“ Canaris JZ 2001, 499 (519). 171 RGZ 78, 239. 172 In: RGZ 78, 239 f., vgl. oben. 173 RG JW 1914, 759, sog. „Säulen-Fall“. Der Klägerin war, nachdem sie bereits mehrere Einkäufe in dem Warenhaus der Beklagten getätigt hatte, beim Durchschreiten einer weiteren Abteilung eine schwere Attrappe in Säulenform auf den Kopf gefallen. Das RG lehnte sowohl einen Ersatzanspruch aus vertraglicher Schutzpflicht (post contractum finitum), wie auch aus c. i. c. ab. „Der Unfall, der die Klägerin betroffen hat, steht mit irgendwelchen Kaufsverhandlungen nicht in Zusammenhang“. 174 RG JW 1913, 23, sog. „Ständer-Fall“, vgl. schon oben. Indes gab das RG im 78. Band, S. 241 auch genügend Anlass hierzu, als es genau für diesen Fall die Annahme eines Vertragsverhältnisses als „rechtlich bedenklich“ einstufte. 170

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mulierte: „Der Kunde, der sich mit dem Ziel des Vertragsschlusses in die vom Warenhaus beherrschte Sphäre begibt, hat schon von dem Augenblick an, in dem er das Warenhaus betritt, Anspruch auf vertraglichen Schutz seiner persönlichen Sicherheit“.175 Die Intention des Kontraktes („mit dem Ziel des Vertragsschlusses“!) wurde später deutlich aufgeweicht. In seinem Urteil aus dem Jahr 1976 ließ es der 8. Zivilsenat lediglich „dahinstehen, ob es angesichts der Besonderheiten des Kaufes in einem Selbstbedienungsladen bereits ausreicht, wenn der Kunde beim Betreten der Verkaufsräume zunächst lediglich die Absicht hat, sich einen Überblick über das Warenangebot zu verschaffen und sich dadurch möglicherweise zum Kauf anregen zu lassen, oder wenn er vorerst nur einen vorbereitenden Preisvergleich mit Konkurrenzunternehmen vornehmen will“.176 Auf einen unbedingten Willen, einen Kauf zu tätigen, kam es damit nicht mehr an, es genügte, dass sich der Geschädigte „zumindest als möglicher Kunde, wenn auch vielleicht noch ohne feste Kaufabsicht in die Verkaufsräume begeben hat“.177 Diese Rechtsprechung des BGH kann inzwischen als gefestigt bezeichnet werden, so deutlich, dass die Gerichte – sogar unterinstanzlicher Art – auf nähere Ausführungen zu diesem Gesichtspunkt verzichten. Die Wesenselemente des „möglichen Kunden“ sowie des „Betretens der Geschäftsräume“ gilt es im Blick zu behalten, auf sie soll im Rahmen der Auseinandersetzung mit den Maßstäben von Rechtsprechung und Literatur noch näher eingegangen werden. 3. Schrifttum Das Schrifttum zeichnet ein von der Rechtsprechung leicht abweichendes Bild. Größtenteils wird sich auch nach Neufassung des § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB der Judikatur angeschlossen und bereits das Betreten der Verkaufsräume zur Information für einen eventuellen Kauf als ausreichend für das Ingangsetzen der Schutzpflicht angesehen.178 Voraussetzung ist damit, ähnlich der Vorgabe der Rechtsprechung, dass sich der Geschädigte zumindest als möglicher Kunde in den Geschäftsräumen aufhält.179 Es muss demnach 175 BGH NJW 1962, 37 (38) = VersR 1961, 1078 m. Anm. Zeitlmann Der Versicherungsnehmer 1962, 3. 176 BGHZ 66, 51 (55); allgemeiner in der Formulierung zuvor OLG Köln VersR 1977, 727. 177 BGHZ 66, 51 (54). 178 Hk-Schulze, § 311 Rn. 16; Looschelders, SchuldR AT, § 10 Rn. 186; Westermann/Bydlinski/Weber, SchuldR AT, § 11 Rn. 11/13; jurisPraxKomm-Lapp § 311 Rn. 27.

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zumindest der Wunsch bestehen, sich einen Überblick über die bestehenden geschäftlichen Möglichkeiten zu verschaffen.180 Davon nicht erfasst sein soll einzig das Betreten zu geschäftsfremden Zwecken (Aufwärmen, Begehung von Straftaten).181 Diese Ansicht geht im Wesentlichen auf die Bestrebungen von Hildebrandt,182 Erman183 sowie Larenz184 und Nirk185 zurück, die auch die Rechtsprechung nicht unbeeindruckt ließen.186 Zuvor hatte schon Stoll darauf hingewiesen, dass ein Haftungsbeginn aus culpa in contrahendo bereits mit Eintritt in die Vertragsverhandlungen erfolgen kann.187 Dem Merkmal des Eintritts in die Verhandlungen nahm er jedoch die Schärfe, indem er hierfür die Abgabe einer Willenserklärung, eine invitatio ad offerendum oder ein einseitiges Rechtsgeschäft genügen ließ.188 Dennoch rief die Ansicht im Schrifttum Kritik hervor, die sich oft aber nur an der mangelnden Präzision der verwendeten Begrifflichkeiten entzündete. So ersetzte Hildebrandt den Begriff des „Vertragsverhältnisses“ durch den des „Verhandlungsverhältnisses“ und bemerkte, das „Zielgeschäft“ müsse nicht zwingend ein Kontrakt sein; im Übrigen entstünden Sorgfaltspflichten schon in dem Zeitpunkt, „in dem objektiv nach den damals erkenn- oder voraussehbaren Umständen mit der Möglichkeit einer derartigen Verhandlungsbeziehung zu 179

Erman-Kindl, § 311 Rn. 28; Schmidt-Räntsch, a. a. O., Rn. 473: „potentieller Kunde“. 180 Gernhuber, Schuldverhältnis, § 8 II 1–2; Weimar Der Versicherungsnehmer 1951, 112: „Ladenhausbummler“. 181 MüKo-Emmerich, § 311 Rn. 90; Staudinger-Löwisch, § 311 Rn. 102; Henssler/Graf von Westphalen-Muthers, § 311 Rn. 19; Grundlagen des Vertrags- und Schuldrechts I-Wolf, § 9 II 3, S. 143; Eckert, SAT, Rn. 80; Kallwass, Privatrecht, S. 185. 182 In: Die Erklärungshaftung, S. 91 ff. 183 In: AcP 139 (1934), 273 (319 f., 324 f.). 184 In: MDR 1954, 515. 185 In: FS für Möhring, S. 394. 186 Genau genommen geht die Entscheidung des BGH NJW 1962, 37 auf die Ausführungen Larenz a. a. O., ebd. zurück. 187 Sog. „Eintrittstheorie“: LZ 1923, 531 (543). Seine Ausführungen lehnen sich an die Ansicht v. Tuhrs an, a. a. O., Bd. 2 Hb. 1, S. 486 ff., der schon früh erkannte, dass bereits „während der Vertragsverhandlungen, als Vorläufer des Vertrags zwischen den Parteien ein Rechtsverhältnis mit eigenartigen Wirkungen“ entstehe. Bereits aus der Offerte entstehe eine Bindung des Offerenten und ein ihr entsprechendes Gestaltungsrecht des Gegners. 188 Stoll a. a. O.; ders. in JW 1927, 1086 u. JW 1928, 1285. Genau genommen handelt es sich hierbei um die Beschreibung des Geltungsgrundes vorvertraglicher Haftung. Dem folgend: Gießchen, Beitrag zur Haftung wegen falschen Rates, S. 25; Heck, Grundriß des SchuldR, S. 124; nach Berger, Grenzen der Haftung, S. 36 entstehen Pflichten aus dem Verhältnis der Vertragsverhandlungen mit der erklärten Absicht eines Teiles, in Vertragsverhandlungen treten zu wollen.

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rechnen war“.189 Immerhin war damit der Beginn der vorvertraglichen Haftung nicht mehr notwendig an die Ermittlung eines rechtsgeschäftlichen oder geschäftsähnlichen190 Willensakts gebunden. Auffällig ist, dass die Frage nach dem Zeitpunkt der Auslösung der Haftung vielerorts nur unzureichend von der des Haftungsgrundes getrennt wird. So wendet sich auch Larenz in seinem vielbeachteten Aufsatz aus dem Jahr 1954 zunächst gegen die von Dölle und Blomeyer vorgebrachte Theorie vom „sozialen Kontakt“ als Legitimationsgrundlage der Sonderverbindung.191 Ein einfacher sozialer Kontakt könne zur Begründung einer über die Deliktshaftung hinausgehenden Verantwortlichkeit für den eigenen Bereich niemals alleine führen, ist doch der Terminus für sich viel zu unbestimmt und im Übrigen in allen möglichen Lebenssituationen denkbar. Vielmehr müsse es sich um einen „Kontakt auf der Ebene des Geschäftsverkehrs handeln, der mindestens die Möglichkeit in sich schließe, zu einem Geschäftsabschluss zu führen“.192 Die gesteigerte Sorgfaltspflicht beginne in den problematischen „Warenhaus“-Fällen folglich nicht erst mit der Aufnahme von Vertragsverhandlungen, sondern bereits mit der Anbahnung des geschäftlichen Kontakts durch das Betreten der Räume. Damit ist klar formuliert, was bei Hildebrandt schon – wenngleich nur unterschwellig – anklang. Das maßgeblich Neue an der Abhandlung Larenz’ ist jedoch die Nutzbarmachung eben jenes Verhandlungsverhältnisses für die Fälle der Integritätsverletzungen. Gleichwohl ein solches Verhältnis anerkennend, waren es nämlich vor allem Hildebrandt und vor ihm Siber, die die Erhaltungspflichten hieraus ausklammern wollten.193 Dies resultierte aus einer klaren Abgrenzung zu den Erklärungspflichten, die beide exklusiv dem Verhandlungsverhältnis unterstellten. Darüber hinaus schließt Larenz die Personen aus dem Schutzkreis der Sorgfaltspflicht aus, die das Geschäftshaus lediglich zu kauffremden Interessen nutzen, ein Gedanke, der bis in den Forschungsstand der heutigen Lehre wirkt. Diese hat sich die Grundsätze von Larenz dann auch weitgehend zu eigen gemacht, wenngleich in ihrer Allgemeingültigkeit nicht unbegrenzt. Vor allem die Forderung eines möglichen Kaufmotivs stößt in der Literatur verbreitet auf Kritik. So werten verschiedene Autoren den Anlass des 189 Hildebrandt, a. a. O., S. 93, 132; vgl. auch Cabjolsky a. a. O., S. 54 f., der den Haftungsbeginn im Einzelfall an Hand von § 242 BGB bestimmen will, vgl. weiter Bohrer, a. a. O., S. 131 Fn. 244. 190 Hierauf reduzierte Stoll seine Ansicht in JW 1933, 34 (36). 191 Vgl. oben 2. Teil, B. VI. 192 Larenz a. a. O., S. 518. 193 Zur Annahme sog. Erhaltungsverträge schon oben unter 2. Teil, B. VI.

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Warenhausbesuchs als völlig nebensächlich, entscheidend sei lediglich der Zeitpunkt des Eintritts in den Verkaufsraum.194 Dies geschieht unter Ausweitung der Begrifflichkeit des „möglichen Kunden“, wie ihn die herrschende Lehre verwendet. Schließlich bestehe immer die Möglichkeit, dass gerade ein anfangs kaufunlustiger Besucher aufgrund der Marketingpraktiken des Geschäftshauses, die maßgeblich auch auf den noch unentschlossenen Gast zielten, plötzlich doch noch Kaufbedürfnisse entdecke.195 Die Schutzpflichten behielten damit auch ihre Bedeutung in Bezug auf Personen, die das Geschäftslokal lediglich aus Flucht vor schlechten Witterungsverhältnissen, zur Abkürzung des Weges oder als allgemeinen Treffpunkt aufsuchten, die also schlicht keinerlei Kaufinteressen hegten. 4. Eigener Ansatz a) Abkehr von den bisherigen Lösungsansätzen – Zielstellung (1) Die Vorstellung vom „möglichen Kunden“/ Begriff der „etwaigen rechtsgeschäftlichen Beziehung“ Die Verwendung der Begrifflichkeiten des „möglichen“ oder „potentiellen“ Kunden bzw. (nun) der „etwaigen rechtsgeschäftlichen Beziehung“ in § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB als Abgrenzungsmaßstab einsetzender Schutzpflichten birgt gerade in der Semantik ihre eigentliche Schwäche. Beide sind insofern inhaltlich deckungsgleich, als ein Kaufvertragschluss nicht zwingend intendiert,196 erst recht nicht bereits aufgenommen, aber dennoch eben denkbar erscheint. Sie sind in ihrer Wortbedeutung so vage, dass eine verlässliche Interpretation kaum möglich ist.197 194 Soergel-Wiedemann, Vor § 275 Rn. 245; Frost, Schutzpflichten, 127 ff.; Herschel DB 1976, 2451 (2452). 195 Frost, a. a. O., S. 132; Ruhig, a. a. O., S. 283. 196 Dies würde auch zu einer Benachteiligung kleinerer, mittelständischer Läden führen. I. d. R. suchen die Kunden diese Läden bereits mit einem festen Kaufmotiv auf; anders bei großen Kauf- oder Warenhäusern, bei denen die freie Information über das Angebot ohne Bedienung Charakteristikum ist und wo die Anonymität den Vorteil bringt, sich erst einmal in Ruhe einen Überblick über das Angebot zu verschaffen. Wäre der ernsthafte Kaufwunsch Gradmesser über die Schutzpflicht, würden kleinere Läden regelmäßig haften und zudem die Schnelligkeit des Bedienungspersonals ausschlaggebendes Gewicht erhalten, ähnlich – aber mit anderem Ergebnis: Beginn der Haftung mit Betreten des Ladens – Voswinkel, Haftung für Verschulden beim Vertragsschluß, S. 22. 197 Dies gilt erst recht, als nach überwiegender Auffassung die „etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung“ weit auszulegen ist, vgl. nur AnwK-Krebs, § 311 Rn. 19; Erman-Kindl, § 311 Rn. 21.

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Denn was ist schon ein möglicher Kunde? Gibt nicht die herrschende Lehre ihre Unterscheidungskriterien, vor allem ihre typisierten Anwendungsfälle vom Schutzsuchenden und Dieb in dem Moment auf, in dem sie eben jenen „möglichen Kunden“ fordert? So stellt sich in der Tat die Frage, wann man diesem Phänotypus entspricht. Ist es Voraussetzung, dass bereits bei Betreten des Warenhauses die ungefähre Idee eines potentiellen Vertragsschlusses vorliegt? Dann fiele ein jeder aus dem Anwendungsfeld der Schutzpflicht heraus, der sich erst nach diesem Zeitpunkt zum Kauf inspirieren lässt. Eine Ungleichbehandlung mit dem zunächst noch Unentschlossenen macht aber keinerlei Sinn. Genauso wenig Sinn macht es jedoch, den Dieb oder den vor Regen Schutzsuchenden auszuklammern. Denn letztlich sind auch dies „potentielle“ Kunden im Sinne der herrschenden Lehre. „Potentiell“ meint doch nichts anderes als „möglicherweise“, „vielleicht“, „unter Umständen“. Warum sollte ein Dieb sich bei Betrachtung der Auslagen nicht doch noch entschließen, eine Ware zu kaufen, statt zu stehlen?198 Und warum sollte sich nicht der der Nässe Entfliehende durch ein vom Warenhausbetreiber geschickt positioniertes Werbepodest doch noch anschicken, auf die Kaufaufforderung einzugehen? Genau in dieser Ungewissheit der Entwicklung der Besuchsintention liegt der Nachteil der Meinung, die versucht, mit regelbeispielartigen Anwendungsfällen eine fassbare Kasuistik zu entwickeln. Und hierin liegt zugleich der klare Gewinn der Gegenansicht, die einen jeden in den Schutzbereich der vorvertraglichen Sorgfaltswaltung einschließt, der das Geschäftslokal überhaupt nur betritt. Damit kann ein völliger Verzicht auf das erste wesentliche Zurechnungskriterium, das des „möglichen Kunden“, erzielt werden, was wertvoll ist, berücksichtigt man die Unbestimmtheit ihrer Wortbedeutung. Eine andere Betrachtung führte auch zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit und zu kaum abgrenzbaren Beweisschwierigkeiten. So wäre ein wankelmütiger Besucher, der wahlweise seinen Willen, eine Sache zu erwerben, innerhalb des Durchschreitens der Verkaufsräume ändert, für die jeweils zurückgelegten Wegstrecken abwechselnd in den Kreis der geschützten Personen aufzunehmen (nämlich dann, wenn ihm ein Kauf zumindest denkbar erscheint) und aus diesem auszuschließen (dann, wenn er – ähnlich wie der Dieb auch – sein Vorhaben eine Sache zu kaufen, wieder verwirft). Allerdings ist auch die Gegenmeinung nicht frei von Schwächen. Die Kritik hat dort anzusetzen, wo die Einstandspflicht des Betreibers über die Gebühr ausgedehnt wird. Diese Uferlosigkeit des Haftungsrahmens, den die Aufgabe des anfänglichen Kaufwillens mit sich bringt, muss da ihre Grenze 198 Dies unabhängig davon, ob er überhaupt schon „Dieb“ im strafrechtlichen Sinne ist, dazu noch unter Fn. 925.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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finden, wo Einstandspflichten nicht mehr mit Kundenbindung und Kaufförderung einhergehen. Dem entspricht es, den Beginn der Sonderverbindung und damit auch den der Erhaltungspflicht nicht einseitig aus der Intention des Kunden zu betrachten, sondern in die Bewertung auch die Ziel- und Zwecksetzung des Betreibers einfließen zu lassen. Im Folgenden soll daher der Versuch des Entwurfs eines umgeschichteten Modells des Schutzkreises der Sorgfaltspflicht unternommen werden. Hierbei muss es auf die Herausstellung des Haftungsgrundes der Sonderverbindung überhaupt nicht ankommen, denn all ihre Legitimitätsversuche wären mangels wirklichen Nutzens für o. g. Frage nicht sonderlich hilfreich. Daher ist es zwar nachvollziehbar, wenn Herschel in seinem Aufsatz aus dem Jahr 1976 den Ladendieb in die Reichweite des Rechtsinstituts der Schutzpflicht einspannt und dabei die Inanspruchnahme gewährten Vertrauens als Basis der Haftung benennt.199 So müsse auch der Dieb die für ihn negativen Folgen seiner besonderen Inanspruchnahme fremden Vertrauens (das in der Freigabe von Verkaufsräumen zu sehen sein soll) tragen. Es vermag aber letztlich das Problem der Verantwortlichkeit des Betreibers und den Beginn der Haftung nicht vollends zu lösen, ist es dafür doch zu unbestimmt. Der undurchsichtige Begriff des „potentiellen Kunden“ wird dann schlicht durch die Frage nach einer gesteigerten Vertrauensgewährung ersetzt, was eine Entscheidung im Einzelfall nicht einfacher macht.200 Zudem ist die Frage hier eine völlig andere als im deliktischen Bereich, wo Vertrauensschutzaspekte den Geschädigtenkreis als Grobkriterium sinnvoll aus der Masse der grundsätzlich (absolut) Geschützten herausschneiden konnten. Im vertraglichen Bereich geht es um die Frage der Aufnahme von Vertragsverhandlungen (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB) bzw. weiter gefasst um die Anbahnung eines Vertrags (Nr. 2). Diese eindeutige gesetzliche Vorgabe lässt sich nicht allein mit der Kategorie des Vertrauens in einen Verkehrsbereich erklären. Gleiches hat für die Lehre vom sozialen Kontakt zu gelten, weshalb auf nähere Ausführungen zur dogmatischen Ableitung der Schutzpflichten hier insgesamt verzichtet werden kann. 199

A. a. O., ebd. Ohnehin ist fraglich, ob der kaufbereite Besucher besonderes Vertrauen in die Erhaltung seiner körperlichen Integrität durch erhöhte Sorgfaltswaltung des Inhabers legt. I. d. R. wird sein Vertrauen nicht über die übliche Verlässlichkeit in punkto Verkehrssicherheit derartiger Räume hinausgehen, die auch im deliktischen Bereich (Verkehrssicherungspflicht) besteht; vgl. hierzu auch Daum NJW 1968, 372 (376); Gottwald JuS 1982, 877 (878); Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, S. 21; Evans-von Krbek AcP 179 (1979) 85, (87); Picker AcP 183 (1983), 369 (422). Und auch umgekehrt ist das Vertrauen kaum taugliches Abgrenzungskriterium. Der Ladeninhaber bringt insofern seinen Kunden auch nur das Vertrauen entgegen, das jedermann bei Rechtsgüterkontakten starker Frequenz (z. B. Straßenverkehr) demjenigen gewährt, mit dem er in Verbindung tritt. 200

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

(2) Das Merkmal des „Betretens der Geschäftsräume“ Bereits oben wurde deutlich, wie entbehrlich der Begriff des „möglichen Kunden“ ist und wie wenig Aussagekraft ihm zukommt, kann doch letztlich über jeden Besucher das Prognoseurteil eines angehenden Kunden gefällt werden. Das Merkmal des „Betretens der Verkaufsräume“ steht dahinter nicht minder zurück, und nur allzu oft gibt es die Rechtsprechung sogar selbst auf. Dies belegt exemplarisch der vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall, in dem eine nur unzureichend befestigte Schaufensterscheibe auf den Bürgersteig fiel und einen vorbeigehenden Passanten traf.201 Zwar erörterte das Gericht nur den deliktischen Schadensersatzanspruch aus § 823 BGB und damit eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht. In diesem Zusammenhang müsste der Umfang der Schutzpflicht an sich nicht weiter interessieren. Allerdings macht das OLG selbst darauf aufmerksam, wie unerheblich es sei, „ob die Kläger als Kunden oder als Passanten vor der Schaufensterscheibe der Beklagten standen oder an ihr vorbeigingen“. Die Sorgfaltswaltung der Betreiberin beeinflusse das kaum. Sie betreffe „nicht nur den sicheren Verkehr innerhalb ihrer Geschäftsräume und den unmittelbaren Eingangsbereich. Sie müsse vielmehr auch dafür sorgen, dass von den Einrichtungen, die zum Betrieb ihres Geschäfts gehören, keine Gefahr für solche Personen ausgeht, die sich befugterweise in die Nähe ihrer Betriebsstätte begeben“.202 Die Entscheidung zeigt gut, in welche Misere man gelangt, fordert man für das Einsetzen der Schutzpflicht das Betreten der Verkaufsräume durch einen Besucher mit potentiellem Kaufwunsch. Derjenige, der lediglich vor dem Schaufenster entlang geht, betritt den Laden zwar nicht, dennoch ist auch er möglicher Kunde. Er befindet sich prinzipiell sogar, wie vom BGH gefordert, in der vom Warenhaus beherrschten Sphäre,203 der Schritt durch das Eingangsportal ist aber noch nicht vollzogen. Sollte man ihm deshalb seine vertraglichen Ansprüche absprechen?204 Das machte keinen Sinn, dennoch ist der Gedankengang des Gerichts nicht falsch. Er beinhaltet nichts anderes – und dies hat er mit dem überwiegenden Schrifttum 201

In: DB 1984, 1772. OLG Düsseldorf a. a. O., S. 1773. 203 Siehe BGH NJW 1962, 37 (38). 204 Besser verdeutlichen lässt sich dies, unterstellt man die Schaufensterscheibe wäre nach innen gekippt und hätte einen sich von innen die Auslagen ansehenden Besucher getroffen. In beiden Fällen zu unterschiedlichen Ergebnissen zu gelangen, kann kaum befriedigen, ist doch der Geltungsgrund des BGH – der potentielle Kunde – der gleiche. Anders – Ablehnung des vertraglichen Anspruchs gegenüber einem die Auslagen des Schaufensters betrachtenden und durch herabfallende Rollläden verletzten Passanten – Weimar a. a. O., S. 113. 202

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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gemein – als den Versuch einer konsequenten Aufwertung der vorvertraglichen Schutzpflicht gegenüber der deliktischen Verhaltenspflicht. Sind beide inhaltlich gleich, so existieren doch Unterschiede funktioneller Art. Um diese zu wahren und um dem vertraglichen Anspruch seine Identität und seinen Geltungsgrund zu erhalten, muss man nach Kriterien suchen, die die Sonderverbindung als irgendeine Nähebeziehung rechtsgeschäftlichen Miteinanders gestalten und ausmachen. Als solche käme der Eintritt in das Kaufhaus durchaus in Betracht, er genügt aber nicht, wie der obige Fall zeigt, führt er doch zu Ungleichbehandlungen sachlich gleicher Materie.205 Es macht deshalb keinen Sinn, den Schaufensterbummler aus dem Anwendungskreis der Schutzpflicht auszuschließen. Mit den Kriterien der Rechtsprechung ließe sich sagen: auch er ist „möglicher Kunde“.206 Andererseits hat er diese Stellung mit vielen anderen gemein. Dies wirft das Problem der Eingrenzung des Adressatenbereichs auf. Die Einflussnahme auf den Bürger durch die Mittel des Marketings setzt im Prinzip schon bei der Postwurfsendung an und geht bis zur Ausstrahlung von Werbesendungen. Hier einen jeden in den Schutzbereich der Schutzpflicht aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB einzubeziehen, geht natürlich fehl. Allerdings wird die Gefahr einer unzulässigen Ausweitung des Schutzrahmens wohl aber ohnehin dadurch gebannt, dass es in diesen Fällen an einer echten Einwirkungsmöglichkeit auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen (im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) in der Regel fehlen wird. Ziel muss es sein, den Personenkreis der Anspruchsberechtigten derart einzugrenzen, dass ein Rest an vorvertraglicher Nähe im Sinne eines Anbahnungsverhältnisses bleibt, der Zugriff des Geschäfts auf den Kunden je205 Das übersieht Frost, a. a. O., S. 120 ff., wonach jede Person, die das Kaufhaus betritt „möglicher Kunde“ ist. 206 Interessant in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des BGH in VersR 1961, 1139. Vor dem Geschäftshaus der Beklagten führte ein Werbehändler (BGH: Propagandist!) die Zubereitung von Mais vor. Beim Nachfüllen von Brennspiritus kam es zu einer Brennstoffexplosion, in dessen Folge ein Kind schwere Brandverletzungen erlitt. Die Revision lehnte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht ab. Der BGH machte hierzu Ausführungen, die ohne Bedenken auch den Gedanken der Schutzpflichtproblematik standhalten. Gerade weil es die Beklagte durch ihr Zusammenwirken mit dem Händler mit herbeiführte, dass auf ihrem Grundstück unmittelbar neben dem Haupteingang die nicht ungefährlichen Vorführungen stattfanden, sei ihr die Pflicht erwachsen, ihrerseits dafür zu sorgen, dass durch die Vorführungen niemand zu Schaden kommen konnte. Diese Pflicht gelte nicht nur im Verhältnis zu solchen Personen, die zu Einkaufszwecken ihr Geschäftshaus betreten hätten, sondern bestehe nach der Natur der Sache auch gegenüber allen, die als Passanten oder Zuschauer von den möglichen Gefahren der Vorführung betroffen werden konnten, vgl. BGH a. a. O., S. 1140. Auch hier kann es auf ein „Betreten des Verkaufsraumes“ nicht ankommen, um die nötige Dichte zur Sonderverbindung zu erlangen.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

doch nach wie vor wirkt. Damit könnte der Relativität der GläubigerSchuldner Beziehung ausreichend Rechnung getragen und die Abgrenzbarkeit zur „Jedermann-Verkehrspflicht“ wirkungsvoll formuliert werden. Dass dies denkbar ist, soll im Rahmen des konkreten Kundentypus gezeigt werden, wenn ein vom „möglichen Kunden“ abweichender Begriff die Sonderverbindung rechtfertigender Zuordnung gefunden ist. b) Legitimation des Zweckansatzes Ein solcher könnte in der Zweckrichtung des Unternehmerhandelns zu sehen sein. Maßgebliches Kriterium ist demnach nicht, ob der Kunde mögliche Kaufabsichten hegt, sondern wen sich der Betreiber als zukünftigen Vertragspartner vorstellt. In diesem Zusammenhang gewinnen die Aspekte der Kundenbindung und Kaufförderung entscheidend an Bedeutung. Mit den hier gefundenen Ergebnissen soll gezeigt werden, dass eine einseitige, käuferlastige Betrachtung des Problems nicht den erwünschten Erfolg bringen kann und in seiner Reichweite über das Ziel hinausschießt. Dies wirft die Frage nach der rechtlichen Legitimation der Zweckrichtung auf. Anknüpfungspunkt ist der Rechtsgrund der Schutzpflicht. Hierbei muss gedanklich folgendes vergegenwärtigt werden: Den Schutz vor Schädigungen an Körper und Gesundheit trägt im Geschäftskreis des Betreibers ein jeder. Dies sichern die deliktischen Erhaltungspflichten. Die Schutzpflichten aus § 241 Abs. 2 BGB gewährleisten darüber hinaus einen zusätzlichen Anspruch des Geschädigten, der diesen vor allem aufgrund des § 278 BGB und der Möglichkeit des Ersatzes von Vermögensschäden erheblich günstiger stellt. Dann aber stellt sich die Frage, warum bestimmte Personen diesen erweiterten Schutz genießen sollen und andere nicht. Was erhebt sie in diesen Stand und was qualifiziert sie zur Hereinnahme in diesen verstärkt geschützten Anwendungsbereich? Diese Frage läuft parallel zu der, warum die Pflichten des § 241 Abs. 2 BGB bereits bei Anbahnung des Vertrages (siehe § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) gelten. Eine Erklärung könnte im Wortlaut der Norm selbst zu finden sein. Wenn Abs. 2 Nr. 2 davon spricht, dass der eine Teil dem anderen im Hinblick auf eine etwaige, rechtsgeschäftliche Beziehung die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt bzw. anvertraut, dann scheint in diesem einander zugewandten (vorsichtigen) Interessenund Beziehungsgeflecht (der „Personalität des Schuldverhältnisses“207) auf 207

Schur, Leistung und Sorgfalt, S. 224.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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den ersten Blick ein plausibler Erklärungsgrund der vorteiligen Haftungslage zu sehen sein.208 Nichts spräche dann dagegen, auch dieses Ergebnis weiter zu abstrahieren und nach der eigentlichen Essenz der Nähe- bzw. Anbahnungsbeziehung zu fragen. Dies rückt abermals die Legitimationsgründe („Pflichtverstärkungsfaktoren“209) des „sozialen Kontakts“ bzw. des „in Anspruch genommenen Vertrauens“ in den Blickpunkt,210 die jedoch, zumindest was die hier interessierende Frage des Adressatenkreises der Schutzpflicht betrifft, nicht viel weiter helfen, weil sie schlicht zu unbestimmt sind211 und sich, wie Emmerich treffend schreibt, mit ihnen „allein (nahezu) nichts erklären lässt“.212 Dennoch muss es einen inneren Grund geben, der, wenn schon nicht die Sonderverbindung, dann wenigstens die Besserstellung ihres geschädigten Teilnehmers erklärt. Wandelt man das Bild und fragt, warum der Betreiber bestimmten, in seine geschäftliche Nähe gerückten Personen gegenüber verschärft (also z. B. ohne Exkulpationsmöglichkeit des § 831 Abs. 1 S. 2 BGB) haftet, wird schnell deutlich, worin ein solcher nur gesehen werden kann: in dem Umstand, dass jemand in seinem eigenen wohlverstandenen Interesse andere zu einem bestimmten intendierten Verhalten veranlasst, einzig zu dem Zweck, daraus Nutzen zu ziehen. Es ist damit der erstrebte wirtschaftliche Vorteil, der die nachteilige Haftungssituation rechtfertigt und ausgleicht. Das bedeutet zugleich, dass der Geschäftsinhaber all denjenigen – aber auch nur diesen – gegenüber haftet, die ihm zumindest zum möglichen finanziellen Vorteil gereichen und damit zur Erfüllung des Geschäfts208 So schon Stoll AcP 136 (1932), 257 (298), der den Schutz absoluter Rechtsgüter im Vertragsrecht mit „der durch die Sonderbeziehung erst eröffneten besonderen Einwirkungsmöglichkeit in den fremden Rechtskreis und des durch sie begründeten Vertrauensverhältnisses zur Gegenpartei“ begründete. Indes dürfte dieser Einwirkungskreis im Geschäftshaus gerade aufgrund der Typizität des Selbstbedienungsbetriebs kaum ein intensiverer als der gegenüber den durch § 823 Abs. 1 BGB ohnehin Geschützten sein. 209 Ausdruck von Frotz a. a. O., S. 1721; s. a. Picker JZ 1987, 1041 (1043). 210 Vgl. dazu bereits oben 2. Teil, E. II. 2. 211 Vgl. allein Larenz in MDR 1954, 515 (516 f.) in seiner Auseinandersetzung mit Dölle ZStW 103 (1943), 67 ff. wonach ein sozialer Kontakt auch zwischen zwei Kraftfahrern, die sich an einer Straßenkreuzung begegnen, bestehe, oder zwischen einem die Straße überquerenden Fußgänger und einem herannahenden Kraftfahrer. 212 In MüKo, § 311 Rn. 61. Ferner v. a. Frotz in: FS für Gschnitzer, S. 163 ff.; v. Bar ZGR 1983, 476 (496 ff.); Hopt AcP 183 (1983), 608 (640 ff.); Rümker ZHR 147 (1983), 27 (31 ff.); Gernhuber, Schuldverhältnis, § 8 I 6b; Fleischer in: Schulze/ Schulte-Nölke, Schuldrechtsreform, S. 254 ff.; Medicus, Probleme um das Schuldverhältnis, S. 20 ff.; Picker AcP 183 (1983), 369 (418 ff.). Ob Letzterer mit Ansätzen wie einer „Individualität und Vereinzelung der Beziehung“ (S. 490) nachhaltiger zur Ausformung der Sonderverbindung beitragen kann, muss bezweifelt werden.

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zwecks beitragen.213 Diese Betrachtungsweise mag kapitalistisch erscheinen, unzeitgemäß ist sie sicher nicht.214 Diese Auffassung erinnert an die Thesen Larenz’, wonach die Haftung des Geschäftsinhabers berechtigt ist, weil er ein geschäftliches Interesse daran habe, dass Kunden oder Kauflustige seine Räumlichkeiten aufsuchten.215 Nach seiner Vorstellung ist es der geplante Kaufvertragsabschluss, der den Kontakt auf geschäftlicher Basis ausfüllt und ohne den eine Restitutionspflicht aus der Sonderverbindung nicht in Betracht kommt. Tatsächlich geht der hier gewählte Ansatz aber weiter. Larenz zielt in seinen Ausführungen ersichtlich darauf, die gesteigerte Haftung mit der Anbahnung geschäftlicher Beziehungen zu erklären. Unter dem neuen § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB gliche dies, betrachtete man es als Haftungsgrund der c. i. c., einem circulus vitiosus: Man würde die Frage nach der Deutung der Sonderverbindung mit ihren Voraussetzungen beantworten. Anzuknüpfen ist deshalb nicht an den möglichen „geschäftlichen Kontakt“, sondern an die Frage nach dem spezifischen Geschäftszweck des Unternehmens, der nicht nur im Abschluss oder der Vorbereitung eines Kaufvertrags zu suchen ist und von dem im Grunde auch die Rechtsprechung dadurch, dass sie den Ersatzanspruch unabhängig davon gestaltet, ob es bei dem Unfall schon zu Kaufverhandlungen gekommen ist, Abstand genommen hat.216 Die Motivation des Unternehmens geht zunächst nämlich – so wird an späterer Stelle noch zu erörtern sein – vor allem dahin, ganz allgemein die Kauflust des Besuchers zu wecken, um weiter ein eigenes Geschäftsimage aufzubauen, das versinnbildlicht ein „Merkposten“ im Kopf des Besuchers errichtet, der sich, wenn auch u. U. nicht sofort, dann bei nächster Gelegenheit zum Kauf entschließen wird. Der Zweck richtet sich also nicht stets auf die Vereinnahmung solcher Personen „die schon wirklich etwas gekauft haben oder im Begriffe stehen, dies zu tun“.217 Die hier verfolgte Idee wird auch, so kann vorweggenommen werden, die Besucher einbeziehen, die auf 213

Ähnlich Daum NJW 1968, 372 (376). So aber noch Schmidt Nachwort Jhering/Staub, S. 147. Dieser erkennt richtig, dass das „Denken in Gewinn und Geschäftsnutzen“ Bedeutung nur für Umsatz- und Austauschverträge hat und z. B. für den Fall der Haftung des Schenkers kaum Nutzen bringen kann. Andererseits fehlt es derlei Beziehungen i. d. R. auch nicht an der für Massengeschäfte typischen Anonymität. Dies macht die Frage, wer in den Schutzbereich der Sonderpflichten einbezogen ist einfacher. Zudem handelt auch der Schenker zweckgerichtet, wenn auch nicht gewinnbezogen. 215 In: MDR 1954, 515 (517 f.); ders. in SchuldR I, § 9 I 1. Fn. 11; vgl. schon oben 2. Teil, B. II., E. II. 2. 216 Vgl. nur BGH NJW 1962, 21. 217 Ausdruck von Larenz MDR 1954, 515 (518). 214

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den ersten Blick dem intendierten Geschäftszweck zuwiderlaufen und scheinbar nicht, wie auch Larenz es formuliert, „mögliche Kunden“ sind.218 c) Zweck der Geschäftsöffnung Betriebswirtschaftlicher Zweck des Unternehmens ist zuvörderst natürlich die Gewinnerzielung zur Zukunftssicherung des Unternehmens.219 Diese lässt sich vor allem durch den Produktabsatz steuern, was wiederum bedeutet, dass das jeweilige Geschäft auf Kundenzulauf angewiesen ist.220 Marketingstrategisches Hauptziel der Unternehmen ist folglich die Kundenakquise und ihre Bindung an das Geschäft (Kundengewinnung und Kundenerhaltung). Die geeigneten Mittel zur Erfüllung dieses Zwecks sind vielgestaltig und können als Erfolgsfaktoren der Ladenpolitik gekennzeichnet werden. (1) Determinanten und Mechanismen der erfolgreichen Geschäftsführung Neben den praxisbekannten Attraktivitätsfaktoren des Standorts221 und der Bekanntheit222 des Geschäfts existieren weitere autonom provozierte Erfolgskomponenten der Einzelhandelsläden. Als solche kommt zunächst 218

In: SchuldR I, ebd. Vgl. Ortmann, Erfolgsfaktoren, S. 204: „Markterfolg“ als Kernzielgröße, „Frequenz“ und „Umsatz“ als dem Erfolg vorgeschaltete Etappenziele, wobei die Frequenz die Anzahl der Kunden einer Einkaufsstätte bezogen auf einen gewissen Zeitraum bezeichnet, der Begriff des Umsatzes entweder im Sinne von Umsatzerlös oder im Sinne von Umsatzprozess gebraucht wird. 220 Ders., a. a. O., S. 206: „Wer nicht kommt, kann nichts kaufen“. 221 Ein Standort in einer stark frequentierten Lage führt dazu, dass dort tendenziell mehr Passanten ein Ladenlokal wahrnehmen als in weniger guten Lauflagen; vgl. Ortmann, a. a. O., S. 216; Falk/Wolf, Handelsbetriebslehre, S. 323; Oehme, Handelsmarketing, S. 110 ff.; Lusch/Moon Journal of Retailing 60 (1984), No. 3, 37 (40) weisen nach, dass von mehreren Standorttypen die Lage der „community shopping center“ erfolgreicher beurteilt wird als ein Standort an einem „highway or street with several stores nearby“. Nicht selten sind flächenexpansive Märkte deshalb an Aus- und Einfallsstraßen mit hoher Autofrequenz gelegen. Insgesamt hat die Qualität des Standorts positiven Einfluss auf den Markterfolg des Unternehmens, vgl. Ortmann, a. a. O., S. 218 bezogen auf das SB-Warenhaus; Berekoven, Erfolgreiches Einzelhandelsmarketing, S. 80 f.; ferner Kube, Erfolgsfaktoren in Filialsystemen, S. 100 ff. 222 Zu Recht weist Ortmann, a. a. O., ebd. darauf hin, dass durch die Bekanntheit allein noch keine Umsatzsteigerungen erzielt werden können. Sie ist gleichwohl notwendige Bedingung dafür, dass der Anbieter überhaupt von potentiellen Kunden aufgesucht wird. 219

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die Größe der Verkaufsfläche in Betracht. Sie führt in der Regel dazu, dass insgesamt ein größeres (breiteres und tieferes) Warensortiment angeboten werden kann (inklusive Artikeln aus Randsortimenten), was nicht zuletzt einen höheren Absatz beim Kunden bewirkt.223 Der Sortimentspolitik kommt dann auch nicht unerheblicher Einfluss auf den Markterfolg zu.224 Ihre wesentliche Aufgabe besteht darin, mittels zielgerichteter Auswahl aus allen Warenbereichen das akquisitorische Potential der Handelsunternehmung zu erhöhen, um eine höchstmögliche Anziehungskraft auf die aktuellen und potentiellen Kunden auszuüben.225 So zielt die Unternehmensführung in der Regel darauf ab, dass der Kunde zumindest den Eindruck erhält, das Sortiment des einen Einzelhandelsbetriebs sei besser als das eines anderen. Er wird sich von seiner subjektiven Einschätzung leiten lassen und dabei wahrscheinlich den Anbieter vorziehen, der das nach seiner Ansicht attraktivere (u. U. weil tiefere226) Sortiment besitzt.227 Ganz ähnliche Wirkung kann die Preispolitik eines Marktes entfalten. Hier bestätigt sich der Eindruck, dass bei besser wahrgenommener Preisgünstigkeit sowie häufig wahrgenommenen Sonderangeboten ein höherer Erfolg der Einkaufsstätte zu verzeichnen ist.228 Letztlich kann es jedoch nicht nur um jeglichen Absatz der Ware im Sinne von „billig“ gehen, der Kunde erwartet ein ausgewogenes Preis-Leistungsverhältnis, ihm muss also die Erkenntnis vermittelt werden, die Ware sei ihren Preis wert. Ist dies der Fall, entfaltet die Preiswürdigkeit nachhaltigen Einfluss auf Frequenz, Umsatz und letztlich Markterfolg des Betriebs.229 Dies führt dazu, dass Unternehmen vermehrt gesteigerte Anstrengungen auf ihre Aktions-, Werbe- und Ladengestaltungspolitik verwenden, um die Preispolitik (so sie sich für den 223 Oehme, a. a. O., S. 107 ff. Aber unter den Aspekten der höheren Raum- und Personalkosten: Kube, a. a. O., S. 113 ff. 224 Barth/Hartmann/Schröder, Betriebswirtschaftslehre des Handels, S. 177 ff. und Hansen, Absatz- und Beschaffungsmarketing, S. 203 bezeichnen das Sortiment als wichtigstes absatzpolitisches Instrument des Handelsbetriebs. 225 Akquisitorsiche Überlegungen fordern eher eine Ausweitung des Sortiments, Kostenbetrachtungen legen eine Begrenzung nahe, vgl. Möhlenbruch in: Tietz (Hrsg.), Enzyklopädie der Betriebswirtschaftslehre, S. 2317. 226 Dazu Müller-Hagedorn/Heidel Zfbf 38 (1986), 39 ff.; vgl. auch Thurik, Quantitative analysis, S. 31 f. 227 Ortmann, a. a. O., S. 241. 228 Hildebrandt, Quantitative Analyse strategischer Erfolgsfaktoren in der Marketingforschung, S. 240 ff.; vgl. dazu auch die Beispiele der Preisoptik bei der Präsentation von Sonderangeboten bei Berekoven, a. a. O., S. 192 wie die semantische Färbung (die eigentliche Preisangabe wird verknüpft mit zusätzlichen Reizworten wie „Preisknüller“ o. ä.), graphische Aufmachung (mit der Größe der Anzeige wächst die subjektiv empfundene Preisgünstigkeit), „Preisschaukelei“ (Variation der Preise bei Produkten mit relativ kurzen Kaufrhythmen), etc. 229 Ortmann, a. a. O., S. 252 f.

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Kunden als günstig darstellt) noch besser vermitteln zu können. Alle drei Komponenten zählen dann auch zu den wesentlichen Erfolgsindikatoren profitablen Ladenmanagements. So kommt gerade auf Grund der steigenden Homogenisierung der Sortimente der Durchführung von Aktionen eine größere Bedeutung als Profilierungs- und Kundenbindungsinstrument zu.230 Folglich werden die Geschäfte immer bemüht sein, den Kaufentscheidungsprozess des Kunden mittels Aktions- und Imagewerbung (sei es durch die Distribution von Zeitungsbeilagen oder Hauswurfsendungen, sei es durch Außenwerbung wie Verkehrsmittel- oder Plakatanschlagwerbung) zur Durchsetzung der Unternehmensziele positiv zu beeinflussen. Die Ladengestaltung einschließlich der Warenpräsentation tut da als weiteres verkaufsförderndes Element ihr Übriges.231 Mit ihr kann die werbliche Wirkung des Verkaufsraumes und der angebotenen Waren enorm gesteigert werden. Sie hat zudem unmittelbaren Einfluss auf das Preisniveau, das ein Handelsgeschäft durchsetzen kann, und ist somit wichtig für dessen Rentabilität. Technische Faktoren wie Rolltreppen, Aufzüge und automatische Schiebetüren können sich dabei positiv auf die Einkaufsatmosphäre auswirken. Sie erhöhen den vom Kunden erlebten Komfort und steigern die Attraktivität der Verkaufsfläche.232 Wesentlich wirkt auch die Platzierung der Waren im Verkaufsraum. Die hier jeweils gewählte Struktur hängt eng mit den Kaufbedürfnissen der Kunden zusammen. Standardware, die sich von selbst verkauft, weil die Kunden sie ohnehin benötigen, wird deshalb vorzugsweise im hinteren Teil des Ladenraums angeboten.233 Dagegen sind im vorderen Eingangsbereich oft Aktionsangebote zu finden, die besonders preisgünstig sind und gerade auch den Besucher „ködern“, der zunächst noch kaufunentschlossen ist und vielleicht sogar gewillt war, am Laden vorbeizugehen.234 Überdies wird 230

Möhlenbruch, a. a. O., S. 2317 ff.; Ortmann, a. a. O., S. 361. Vgl. Kube, a. a. O., S. 135 ff. 232 Der Unternehmer muss die Einrichtungsgestaltung ständig den wechselnden Standards der Kundenbedürfnisse anpassen. Vernachlässigt er sein handelsbetriebliches Instrument Ladengestaltung, besteht die Gefahr einer raschen Überalterung oder wirtschaftlichen Überholung seiner Ladeneinrichtung – sog. store erosion –, was sich auf Dauer nachteilig auf das Geschäftsimage auswirkt, vgl. Falk/Wolf a. a. O., S. 328. Zur store erosion v. a. Berger, Ladenverschleiß; Nieschlag/Kuhn, Binnenhandel, S. 103. 233 Da der Kunde diese „Muss-Artikel“ (vgl. im Lebensmittelhandel Frischfleisch und Wurstprodukte) i. d. R. auf seinem Einkaufszettel stehen hat, wird er sie suchen, wenn sie ihm nicht sofort ins Auge fallen. So erzielt das Unternehmen mittels geschickter Präsentation die Umwandlung verkaufsinaktiver in verkaufsaktive Plätze. 234 Deshalb werden Obst- und Gemüseabteilungen wegen ihrer besonderen Wirkung insbesondere auf Straßenpassanten i. d. R. am Ein- bzw. Ausgang des Ladens platziert. 231

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durch ausgeklügelte Warenplatzierung und Raumgestaltung erreicht, dass der Kunde gerade in Selbstbedienungsläden die Angebote leichter findet.235 Zu diesem Zweck setzen viele Einzelhändler Kundenleitsysteme ein, die für eine möglichst vollständige und intensive Nutzung der gesamten Verkaufsfläche sorgen (Verhinderung frequenzarmer Problemzonen). Unterstützt von verkaufspsychologischen Tricks wird versucht, die Warenbewegungen rationell ablaufen zu lassen, um den eigentlichen Zweck des Absatzes an den Kunden zu fördern und zu erleichtern. Eine Steigerung der Kaufstimmung wird in der Regel auch durch eine übersichtlichere Warenplatzierung erreicht. Gegenstände, die im Mittelteil des Ladens stehen, dürfen den Überblick nicht stören. Dementsprechend finden sich dort in der Regel Waren, deren äußerste Höhe die Augenhöhe der Kunden nicht überschreitet, so dass dieser den Eindruck gewinnt, der Verkaufsraum sei größer und damit kaufstimulierender.236 Die optimale Darstellung des Warensortiments vollzieht sich zudem immer öfter durch Verschaffung von Kauferlebnissen für den Besucher.237 Der Handel reagiert damit im zunehmenden Maße auf die Bedürfnisse des Kunden, der nicht mehr einfach nur die Ware erstehen, sondern sie in Geschäften und Schaufenstern mit reizstarken Impulsen präsentiert sehen will. Damit beruht der Erlebnishandel im Wesentlichen auf atmosphärischen Höhepunkten.238 Die Unternehmen verhalten sich entsprechend durch die Schaffung von Erlebniszonen, die den Blick des Kunden vom übrigen Verkaufsumfeld ablenken sollen. Diese Art der Verbraucherbeeinflussung setzt schon bei der Außenfront des Geschäfts an. Ladenschilder, Fassadenaufschriften, große geöffnete Türen, Aktionsstände vor dem Eingangsbereich und auch Parkplätze dienen dazu, positive und angenehme Einkaufserlebnisse zu vermitteln und das Einkaufsverhalten der Konsumenten zu steuern (Erregung von Aufmerk235

Zu den typischen Verhaltensweisen der Kunden, die die Wege im Verkaufsraum beeinflussen, zählen ein stark wandbezogenes Laufen, i. d. R. entgegen dem Uhrzeigersinn, eine aufmerksame Wahrnehmung v. a. der rechtsseitigen Platzierungsfelder sowie die Vermeidung von Kehrtwendungen, vgl. Barth/Hartmann/ Schröder, a. a. O., S. 267. 236 Falk/Wolf, a. a. O., ebd. 237 Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten, S. 124 ff.: Entmaterialisierung des Konsums, weil die Konsumenten die angebotenen Produkte und Dienstleistungen immer weniger wegen ihres sachlichen oder funktionalen Nutzens und immer mehr wegen ihres immateriellen Nutzens kaufen. Dieser liegt in der Vermittlung emotionaler Konsumerlebnisse; vgl. auch Kroeber-Riel in: Specht/Silberer/ Engelhardt, Marketing-Schnittstellen, S. 260 f.; vgl. weiter Weinberg, Erlebnismarketing. 238 Kotler Journal of Retailing 49 (1973/74), No. 4, 48 ff.; Schenk, Handelspsychologie, S. 201 ff.

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samkeit, Verweildauer, Ausgabebereitschaft, Bindung an das Geschäft).239 Die Fassade dient in ihrer Gesamtwirkung als Spannungsachse, die Neugier wecken und Botschaften und Erwartungen vermitteln kann, die in den Verkaufsraum führen und in dessen Inneren eingelöst werden.240 Verkaufsständer vor dem Laden stellen den ersten Kontakt mit der Ware her. Dieser ist vielfach der entscheidende Auslöser des Besitzwunsches.241 Das Selbstbedienungsprinzip der offenen Warenauslage kommt diesem Kontaktverlangen entgegen. Vor allem aber das Schaufenster242 entscheidet über den ersten Eindruck, bereits mit ihm wird die Leistungsbotschaft auf den Kunden transportiert, der hier erstmals vor die Entscheidung gestellt wird, das Geschäft zu betreten. Ist diese Schwelle, vor der nicht wenige Kunden im ersten Augenblick zurückschrecken (sog. Klinkenangst), überschritten, werden visuelle Überraschungen (visual surprises) und atmosphärische Elemente wie Farben,243 Grünpflanzen, Licht, Raumbeduftung (so genannter olfaktorischer Reiz)244 und Hintergrundmusik (akustischer Reiz)245 und nicht zuletzt das Verkaufspersonal dazu beitragen, den Kunden in den Laden zu führen, ihn dort zu 239 Die Außenfrontwerbung zählt zu den permanent eingesetzten Werbemitteln, für die aufgrund langer Standzeiten im laufenden Werbeetat meist nur Reparaturkosten berücksichtigt werden müssen, vgl. Barth/Hartmann/Schröder, a. a. O., S. 243. 240 Kreft, a. a. O., S. 664; Zum Ganzen: Kirsch Dynamik im Handel 1989, S. 32 ff. S. a. Rölle Dynamik im Handel 1997, S. 58 f. 241 Schenk, a. a. O., S. 214: „ein basarhafter Zug“. 242 Von Berekoven, a. a. O., S. 240 als „typischstes und naheliegendstes Werbemittel des stationären Einzelhandels“ bezeichnet. Für Weinberg, a. a. O., S. 131 ist sie die „Visitenkarte“ des Einzelhandelsgeschäfts, das Passanten anhalten, neugierig machen und in den Laden locken soll. Marktanalysen über die Werbewirksamkeit des Schaufensters Mitte der 60er Jahre ergaben, das 76% aller befragten Kunden sich vor ihrem Einkauf am Schaufenster orientieren. Nach Angaben der Kaufhof AG strömen heute rund fünf Mio. Menschen an den Auslagen allein der KaufhofNiederlassungen vorbei, vgl. Erlebniswelt Kaufhof, S. 68; vgl. auch Kürsten Dynamik im Handel 1990, 28 ff. 243 Der Faktor Farbe hat nicht zu unterschätzende psychologische Steuerungswirkung. „Rot“ wird allgemein als stimulierend, aktiv, vital, „gelb“ als fröhlich, glücklich, „blau“ oder „grün“ eher als beruhigend und entspannend beschrieben. Nach dieser Vorgabe wird auch die Warenplatzierung vorgenommen und damit unmittelbarer Einfluss auf den Kunden genommen. Der Einsatz von lustbetonten oder aktivierenden Farben hängt von der bereits vorhandenen Reizstärke des Geschäfts ab. Ist ein Bereich bereits relativ reizintensiv, so ist es vorteilhafter lustbetonte und erregende Farbtöne zu vermeiden; vgl. Theis, Handelsmarketing, S. 677; Bellizzi/Hite Psychology & Marketing 1992, 347 ff. 244 Einsatz von Duftstoffen innerhalb ihrer natürlichen Wirkungsweise, um eine aktivierende und emotional anregende Atmosphäre zu schaffen, z. B. der Duft von frischem Brot, Leder etc. Vgl. dazu die Arbeiten von Storp, Geruch und Gefühl; Jellinek, Parfümieren von Produkten; Mitchell/Kahn/Knasko Journal of Consumer Research 22 (1995/96) No. 1, 229 ff.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

halten und letztlich versuchen, zum Kauf zu bewegen.246 Die Ziele und Wirkungen erlebnisbetonter Ladengestaltung lassen sich nach Diller, Kusterer und Schröder247 hieraus resultierend wie folgt graphisch zusammenfassen:

Erhöhung der Verkaufsflächenrentabilität

Erhöhung der Kundenzahl

• Schaffung eines individuellen Profils der Einkaufsstätte • Aufbau von Kundenpräferenzen • Erhöhung der Ladentreue • Erhöhung der Besuchshäufigkeit • Steigerung des Bekanntheitsgrades

Erhöhung der Einkaufssumme pro Kunde

• Verlängerung der Verweildauer • Anregung g g von Impulskäufen

Schaffungg optimalerr Kun-r denfrequenzen im Verkaufsraum

• Ausgleich g unterschiedlicher Wertigkeiten einzelnerr Ladenelemente

• Erzeugung gung von Kauflust • Förderungg von Nachfrage g bzw. Bedarfsverbundkäufen • Unterstützung g der von der Ware ausgehenden Werbewirkung

• Imageverbesserung • Erhöhung derr Einkaufsbequemlichkeit

Erlebnisbetonte Ladengestaltung

Quelle: Diller/Kusterer/Schröder, Der Einfluss des Ladenlayout, S. 5.

Abbildung 1: Die Ziele und Wirkungen erlebnisbetonter Ladengestaltung

Die Ergebnisse der Untersuchungen ihrer Abhandlung über den Einfluss des Ladenlayouts auf den Absatzerfolg speziell für den Lebensmitteleinzelhandel bestätigen die aus der Zielhierarchie entnommenen Hypothesen der Autoren über die Wirkung erlebnisbetonter Ladengestaltung. 245 Vgl. Bruner Journal of Marketing 54 (1990), 94 ff. V. a. die Musiktempi beeinflussen das Verhalten der Konsumenten im Geschäft. Eine zeitweilige Verlangsamung der Musik führt zu einer Reduzierung der Einkaufsgeschwindigkeit und einer damit verbundenen Erhöhung der Verweildauer am Einkaufsort, vgl. Weinberg/ Diehl/Terlutter, Konsumentenverhalten, S. 114. 246 Vgl. dazu Grub Dynamik im Handel 1974, 12: „Die Atmosphäre, ein mehr der Emotion zugeordneter Begriff, ist eine ganz bestimmte Sprache, die sich im hohen Maße zur Steuerung und Motivation eignet“; s. a. Schulz, Die Nutzung der Verkaufsfläche, S. 153 f., ausführlich Bost, Ladenatmosphäre und Konsumentenverhalten. 247 Diller/Kusterer/Schröder, Der Einfluss des Ladenlayout, S. 5; s. a. ausführlich Gröppel, Erlebnisstrategien im Einzelhandel, S. 32 ff.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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Die Werbe- und Aktionspolitik der Einzelhandelsbetriebe, als essentielle Methode der Kaufveranlassung,248 führt zu einem sprunghaften Anstieg der Bedeutung der Marktkommunikation, die immer komplexere Ausmaße kennt und sorgfältiger Planung bedarf. Ziel ist es dabei, beim Konsumenten eine bestimmte Werbebotschaft zu erreichen, seine Aufmerksamkeit und sein Interesse zu wecken, seine Einstellungen zu beeinflussen und dies alles unter der Prämisse, ihn zum Kauf zu motivieren. Der Markterfolg hängt damit wesentlich davon ab, ob die Produkte am so genannten Point of Sale (POS), also in den Regalen des Einzelhandels an attraktivem Standort und mit ausreichender Kontaktstrecke präsent sind, kurzum inwieweit die Verkaufsförderung funktioniert.249 Diese wird im Allgemeinen in zwei Bereiche untergliedert: dem Push-Bereich, der sich um die Entwicklung und Verbesserung der Distribution bei den definierten Handelszielgruppen und um die Schaffung und Verbesserung der optimalen Warenpräsentation am POS bemüht,250 und dem Pull-Bereich. Letzterer umfasst alle Maßnahmen zur Ansprache des Verbrauchers im Geschäft, ist also auf die kommunikative Einwirkung auf den Kunden kurz vor seiner Kaufentscheidung ausgerichtet.251 Diese Aktivitäten umfassen in der Regel Aktionen zur Weckung der Aufmerksamkeit und des Interesses der Kunden durch Ladendisplays (Deckenhänger, Ladenplakate, Regalstopper), Verteilung von Kostproben und Probierpackungen, Videodemonstrationen, Informationskioske, Lautsprecherdurchsagen o. ä. verbunden mit der Zielsetzung, den Kaufentscheidungsprozess des Kunden zu steuern.252 Dessen Entscheidungsverhalten kann ganz unterschiedlich ausgestaltet sein; die Geschäftspraxis der Einzelhandelsbetriebe ist auf jeden denkbaren Typus ausgelegt und plant diesen jeweils bewusst ein. So ist in diesem Zusammenhang neben dem Käufer mit komplexem Entscheidungsprozess (der die Problemerkenntnis inklusive Zielsuche, Suche und Bewertung von Alternativen umfasst) und habitualisiertem Entscheidungsprozess (gewohnheitsmäßige Steuerung des Kaufs mit starker kognitiver Entlastung253) vor allem der Impulskauf von größerer Be248 Vgl. Berekoven, a. a. O., S. 228: „Die ganze Einkaufsstätte kann und sollte den Charakter einer „Werbeveranstaltung“ haben, also auf Akquisition gerichtet sein“. 249 Seine besondere Bedeutung erhält der POS daraus, dass ca. 2/3 der Kaufentscheidungen von Konsumenten erst unmittelbar vor dem Einkauf hier getroffen werden, vgl. Stottmeister Dynamik im Handel 1990, 11. Die Displays haben in diesem Zusammenhang eine besondere umsatzfördernde Bedeutung, s. dazu www.display. de/kub.php und Ausgabe 6 (11/12) 2005 der Fachzeitschrift „display“. Weiter: Böcker/Henck Dynamik im Handel 1991, 33 ff.; Bethge Dynamik im Handel 1996, 98 ff. 250 Strecker/Reichert/Pottebaum, Marketing, S. 183. 251 Dies., a. a. O., ebd. 252 Vgl. die Beispiele aggressiver POS-Strategien bei Solomon/Bamossy/Askegaard, Konsumentenverhalten, S. 299.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

deutung.254 Hier handelt es sich um eine emotional gesteuerte Reaktion auf Produktinformationen ohne vorher bestehendes Bedürfnis, die nur einer geringen kognitiven Steuerung unterliegt.255 Der Kauf erfolgt in der Regel spontan, u. U. bedingt durch eine direkte Produktkonfrontation. Auch – oder gerade – diesen Konsumenten plant das Geschäft bewusst ein; ein jeder, der ansonsten bei Betreten des Kaufhauses vielleicht noch gar nicht die Absicht hatte, ein bestimmtes Produkt zu erwerben, soll mit oben beschriebenen Mittel dazu verleitet werden, doch noch einen Kauf zu tätigen. Dies lässt sich auch gut am Beispiel des so genannten „offenen Schaufensters“ demonstrieren. Diese Art der Einrichtungsgestaltung, bei dem bereits das Schaufenster einen umfassenden Blick in das Ladeninnere freigibt, wird vornehmlich von Einzelhandelsbetrieben, die mehrheitlich Waren des täglichen Bedarfs führen (z. B. Lebensmittelläden), praktiziert. Die Vorteile eines derartig sichtoffenen Ladens liegen darin, dass sich der Kunde bereits von außen über das Geschäft, seine Größe, sein Sortiment und sein Verkaufssystem informieren kann.256 Derjenige, der sich noch unschlüssig über den Besuch ist, wird sich eher dazu bewegen lassen, den Laden zu betreten (Abbau der Hemmschwelle). Diese Auslösung des letzten Kaufimpulses kalkulieren die Unternehmen bewusst ein. Einer zunehmenden Verbreitung sieht sich auch die multimediale InstoreWerbung entgegen.257 Dabei haben Kunden die Möglichkeit, mittels Eingabetastatur, Mouse oder Touchscreen über Kommunikationsformen wie Text, Graphik, Ton, Sprache, Animation, Film oder Video mit dem Anwendungsprogramm in Dialog zu treten.258 Dies erleichtert zum einen das Kaufentscheidungsverhalten des Kunden, es bietet allerdings dem Unternehmen auch die Möglichkeit, marketingrelevante Daten zu generieren.259 Multimediale Systeme liefern vorrangig (für den Kunden mehr oder weniger wichtige) Informationen, die jedoch seinen Wahrnehmungs- und Entscheidungsprozess günstig beeinflussen, so dass aus einer positiv empfundenen 253

Vgl. hierzu v. a. Kannacher, Habitualisiertes Kaufverhalten, S. 25 ff. Ders., a. a. O., ebd. 255 Der Impulskauf ist nicht selten Zusatzkauf. Auf ihn zielt die sog. „Zusatzdarbietung“ als besondere Form der Warenpräsentation. Hier werden Artikel nicht nur an einem Stammdarbietungsplatz angeboten, sondern gleich noch an weiteren Plätzen im Verkaufsraum. Eine einheitliche Definition der Begrifflichkeit ist allerdings nur schwerlich auszumachen; vgl. dazu und zum Impulskauf allgemein Baun, Impulsives Kaufverhalten, S. 10 ff. 256 Falk/Wolf, a. a. O., S. 329. 257 Vgl. dazu: Riecke in: Frey (Hrsg.) „POS-Marketing“, S. 169 ff.; Dreikausen, ebd., S. 179 ff. 258 Barth/Hartmann/Schröder, a. a. O., S. 244. 259 Stahlschmidt w & v 1993, 12 (14). 254

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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Systemnutzung heraus ein insgesamt positives Wahrnehmungsklima für die Ladenumwelt resultiert.260 Dies ist für die Kaufverhaltenswirkung nicht unerheblich. Dem interaktiven Medium kommt z. B. bei extensiven oder begrenzten Kaufentscheidungen die Funktion zu, die entscheidenden entschlussfördernden Reize zu setzen, die zur letzten Prozessstufe (der Kaufhandlung) führen, oder bei impulsiven Kaufentscheidungsprozessen den Initialreiz für spontane Kaufhandlungen zu aktivieren.261 Maßgebliches Ziel – so kann zusammengefasst werden – ist damit nicht nur Kaufstimulation des Gewohnheits- oder Gelegenheitskäufers. Die Geschäfte insistieren ganz bewusst auf den zum Kauf noch unentschlossenen Besucher. Dazu ist jedes Mittel recht. Der oben dargestellte Katalog kann exemplarisch für die den heutigen Geschäftsmodellen immanente Werbeund Verkaufsförderungsstrategie stehen. (2) Auswirkung auf den Kunden Die erwähnten Determinanten und Mechanismen moderner und erfolgreicher Geschäftsführung haben zwangsläufig nachhaltigen Einfluss auf das Konsumentenverhalten. Ladengestaltung und Warenpräsentation setzen gezielt Reize und steigern die physiologische Erregung des Zentralnervensystems. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Aktiviertheit des Kunden.262 Ihr Grad wirkt auf sämtliche Prozesse des Informationserwerbs und der Informationsverarbeitung ein. Zur gezielten Auslösung der Aktivierung stehen Reize mit primär physischer (z. B. Farbe oder Lautstärke), emotionaler oder kognitiver (z. B. Überraschungseffekt) Wirkung zur Verfügung.263 Dies ist insbesondere bei denjenigen werblichen Situationen unabdingbar, in denen Werbung wenig interessierte Konsumenten ansprechen soll (Maßnahmen am neuralgischen Punkt des Eingangsportals oder auch im Schaufenster etc.), es aber trotzdem zu einer aktiven Auseinandersetzung mit der Werbebotschaft kommen soll.264 In der Praxis spielt die Aufmerksamkeits260

Swoboda in: Frey (Hrsg.) „POS-Marketing“, S. 433 f. Vgl. Swoboda, Interaktive Medien am Point of Sale, S. 188 f., 194 ff. 262 Vgl. Trommsdorff, Konsumentenverhalten, S. 47 ff.: Marketingstimulus fi Aktiviertheit fi Impulskauf. Kroeber-Riel/Weinberg, Konsumentenverhalten, S. 58 ff.: Je höher die durch Werbung erzielte Aktivierung ist, um so effizienter wird die Werbebotschaft verarbeitet, um so höher ist der Werbeerfolg; vgl. auch Foscht/Swoboda, Käuferverhalten, S. 37 ff. 263 Kroeber-Riel/Weinberg, a. a. O., S. 69 ff.; vgl. auch die Reizkategorisierung bei Berlyne, Conflict, arousal and curiosity, S. 200 f., der in intensive, kollative und affektive Reize unterteilt. Nur eine moderate Stimuli der Reize vermag das Aktivierungspotential voll auszuschöpfen, von Schenk, a. a. O., S. 203 als Kombination von aktivierenden und desaktivierenden Reizen vorgeschlagen. 264 Trommsdorff, a. a. O., S. 50. 261

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

stimulanz (vgl. die sog. AIDA-Formel: Attention, Interest, Desire, Action) solcher Kunden, deren Konsumbeteiligung relativ niedrig ist (so genanntes Low-Involvement) eine große Rolle. Durch Verwendung aktiver Stimuli kann die Informationsaufnahme des Empfängers beeinflusst, ein Motivationszustand hergestellt und somit letztlich der Käuferwille ausgelöst werden.265 Der Einkaufsvorgang, aber auch der bloße Besuch eines Geschäfts ist kein streng rationaler, zweckarmer Vorgang, sondern ein komplexer sozialer Prozess,266 in dem der Vermittlung von (positiven) Gefühlen und Stimmungen (Elemente mit positiver Reizwirkung) eine gewichtige Rolle zukommt. Die kognitive Informationsverarbeitung und schließlich die Kaufbereitschaft von Kunden sind deutlich höher, wenn sie sich in einem angenehmen, wohligen Umfeld bewegen, das jegliche negative Assoziation abhält.267 Dies spiegelt sich zum einen in den höheren Ausgaben beim Einkauf wider. Zum anderen wächst die Einkaufszufriedenheit insgesamt.268 Aus diesem Grund werden verstärkt interaktive Medien am Point of Sale eingesetzt, die sowohl emotionale als auch rationale Erlebnisse beim Informieren und Kaufen vermitteln und das Verhalten der Konsumenten im Geschäft positiv zur Anregung von Impulskäufen und zur Erzeugung von Kauflust allgemein beeinflussen. Ladengestaltung, Präsentation und Warenplatzierung sind damit Faktoren, die psychostrategisch269 auf Wahrnehmung und Einstellung des Besuchers einwirken, um in ihm den Käuferwillen zu aktivieren. In diesem Wechsel im Konsumentenverhalten ist der Haupteffekt und zugleich Zweck eines Großteils der einzelhandelsbetrieblichen Ladenpolitik zu erblicken. Damit jedoch nicht genug. Die Maßnahmen der Unternehmen steigern mit ihrer marketingtechnischen Expansion zugleich die Risikolage des Kunden. Dieser sieht sich infolge der Ablenkung durch die Warendarbietung oft nicht mehr in der Lage, genügend Aufmerksamkeit auf seine eigene körperliche Unversehrtheit zu verwenden. Dass dies keineswegs Fälle rein hypothetischer Art sind, 265 Ders., a. a. O., S. 53: Aufmerksamkeit als für die klassische Werbetheorie notwendige Bedingung. 266 Kroeber-Riel/Weinberg, a. a. O., S. 76. 267 Gardener Journal of Consumer Research 12 (1985), No. 1, 281 (292 ff.); Dawson/Bloch/Ridgway Journal of Retailing 66 (1990), No. 4, 408 ff.; Donovan/ Rossiter Journal of Retailing 58 (1982), No. 1, 34 ff. Wenn die Ladenatmosphäre als angenehm empfunden wird, bestimmt im wesentlichen die Stärke der im Laden ausgelösten inneren Erregung (Aktivierung), wie viel Zeit der Konsument im Laden verbringen möchte. 268 Bost, a. a. O., ebd. 269 Vgl. Schenk, a. a. O., S. 201.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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zeigen zahlreiche Beispiele der Rechtsprechung,270 die dann auch im Zuge der gestiegenen praktischen Relevanz des „abgelenkten Kunden“ den Anforderungslevel an die Sorgfalt des Betreibers erhöhte.271 (3) Fazit Ziel eines jeden Einzelhandelsbetriebes ist die Gewinnschöpfung. Diese lässt sich nur durch einträglichen Warenumsatz realisieren. Zu diesem Zweck laufen alle Bestrebungen der Unternehmen auf die Akquirierung von Kunden hinaus. Dies geschieht im Zuge technischer Modernisierung und eines zunehmenden Verdrängungs- und Konkurrenzwettbewerbs unter den Läden oft nur noch mittels ausgefeilter und werbewirksamer Marketingstrategien, die auch den noch unentschlossenen Passanten förmlich in die Läden „ziehen“. Die einzelnen Maßnahmen, mit denen dies verwirklicht wird, wurden oben bereits dargestellt. Auch der Effekt auf den Kunden wurde beleuchtet. Offen ist, welche Schlussfolgerung aus diesen Ergebnissen für die Frage des Adressatenkreises der Schutzpflicht zu ziehen ist. Die Lösung kann sich nur am Zweck des Unternehmens selbst orientieren. Ein jeder, der von vornherein in die vorgestellte Empfängerposition des Warenabsatzes einbezogen ist, genießt den Schutz der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. Hierzu zählen all diejenigen Personen, auf die die Kundenbindungsmaßnahmen ausgerichtet sind, die sie zu erreichen bezwecken. Damit ist zum einen derjenige Teilnehmerkreis einbezogen, der von vornherein gewillt ist, Waren im Geschäft zu erstehen. Dies schließt jedoch andererseits auch denjenigen ein, der zunächst noch gar nicht beabsichtigt, Käufe zu tätigen. Schließlich gilt die Marketingpolitik der Geschäfte gerade auch ihm. Mithin ist es nur folgerichtig, auch diese Personen in den Schutzbereich der Pflichten aus § 241 Abs. 2 BGB mitaufzunehmen. Es kommt demnach also im eigentlichen Sinne gar nicht darauf an, ob jemand unter Umständen vorhat, Dinge zu erwerben und somit „möglicher Kunde“ bzw. im Hinblick auf eine „etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung“ dem anderen die Einwirkungsmöglichkeit auf seine Rechtsgüter gibt (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB). In welchem Maße diese Allgemeinfloskeln für eine sichere Bestimmung des Schutzbereichteilnehmers fruchtlos sind, wurde bereits dargetan. Entscheidend ist vielmehr, wem die Werbeaktionen der Läden realistischerweise gelten, wen sie gezielt in den Prozess des Warenabsatzes als 270

LG Hildesheim VersR 1956, 167; BGH VersR 1961, 1078; VersR 1964, 62; LG Duisburg VersR 1968, 100; LG Hannover VersR 1981, 583 (584); BGH VersR 1986, 765; VersR 1994, 1128 (1129). 271 Siehe dazu oben bereits 1. Teil, B. IV. 1.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

Endabnehmer einplanen und wen sie damit bezwecken zu erreichen. Ausgeschlossen ist dann lediglich der Personenkreis, der nicht in die unmittelbare Zielvorstellung des Unternehmens fällt, kurzum: dessen Aufenthalt nicht bezweckt ist. Die folgenden Beispielsfälle sollen näheren Aufschluss bieten. d) Kategorien der Schutzbereichsteilnehmer (1) Der „optimale“ Kunde Ohne weiteres in den Anwendungsbereich der Schutzpflicht fallen all diejenigen Personen, die zum Kauf (und sei es auch noch nicht im Hinblick auf ein bestimmtes Produkt) bereits entschlossen sind, der Kaufvertragsschluss jedoch mangels Annahme des Angebots seitens des Betreibers noch nicht erfolgte.272 Dies meint all diejenigen Kunden, die das Geschäft bereits mit einer konkreten Kaufvorstellung aufsuchen, in der Regel einen hohen Identifikationsgrad mit dem Produkt aufweisen (überdurchschnittliche Motivstärke zur objektgerichteten Information, so genanntes High-Involvement Verhalten)273 bzw. Gewohnheitskäufer mit habitualisiertem Kaufentscheidungsprozess sind und sich deshalb den zukünftigen Vertragspartner ganz bewusst auswählen. Etwaige Schäden im vorvertraglichen Bereich werden hier unproblematisch von §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB erfasst, ist der Vertragsschluss doch vollends intendiert, nicht nur von Anbieterseite. Für das Unternehmen stellt der Abnehmer den perfekten Verhandlungspartner dar: kauflustig, entschlossen und in der Regel firmentreu (loyal, mit 272 Der Kaufvertrag wird üblicherweise erst an der Kasse bei Abfertigung durch das Geschäftspersonal (§ 56 HGB) geschlossen. Ob bereits durch die Auslagen im Selbstbedienungsladen ein Angebot des Inhabers zum Kaufabschluss vorliegt oder erst der Kunde durch Vorlegen der Ware – ausdrücklich oder konkludent – ein solches abgibt, ist seit Einführung der Selbstbedienungsläden Gegenstand lebhafter Diskussion. Vgl. zur wohl noch überwiegenden Ansicht, die die Warenauslagen lediglich als unverbindliche invitatio ad offerendum ansieht: Recke NJW 1953, 92; Carlsson JR 1954, 253 f.; Montrose JR 1955, 55 f.; Dietrich DB 1972, 957 f.; Fritzsche, Fälle zum BGB AT, S. 85 f.; Erman-Hefermehl, § 145 Rn. 10; Jauernig-Jauernig, § 145 Rn. 3; Pawlowski, AT des BGB, § 4 Rn. 368. A. A.: Bögner JR 1953, 417 f., bis zur 37. Aufl. 1978 Palandt-Heinrichs, § 145 Anm. 1 und seit der 63. Aufl. wieder Palandt-Heinrichs, § 145 Rn. 8; Bamberger/Roth-Eckert, § 145 Rn. 43; MüKo-Kramer § 145 Rn. 10; Schulze AcP 201 (2001), 232 (234); Muscheler/Schewe JURA 2000, 565 (567). Unabhängig der Entscheidung sind dennoch fast alle hier dargestellten und von der Rspr. entschiedenen Fälle der Verletzung von Schutzpflichten im Einzelhandel Konstellationen nach alter c. i. c. Art. Denn zu einem Kaufvertragsschluss ist es im Regelfall mangels wirksamer Annahme durch den Vertreter noch nicht gekommen, die Möglichkeit des Schadensfalls nach Erledigung der Käufe an der Kasse (post contractum finitum) wohl eher selten, aber denkbar. 273 Trommsdorff, a. a. O., S. 56.

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Wiederkaufsabsicht); ihn gilt es langfristig zu binden. Eine volle Einstandspflicht für diesen „optimalen“ Kunden erscheint nur konsequent. Auf die Wirksamkeit der Werbemethodik kommt es hierbei zwar nicht zwingend an, hätte der Konsument doch unter Umständen auch so ins Geschäft gefunden. Dem Unternehmen ist der Käufer jedoch allemal recht. (2) Der „Unentschlossene“ Der Typus des Unentschlossenen hat bei Betreten des Geschäfts keine konkreten Kaufabsichten. Er will sich lediglich über Angebote informieren, sich vielleicht erst durch den Anblick der Ware zu einem Erwerb inspirieren lassen. Nach dargelegter Vorstellung vom Anwendungsbereich der Schutzpflicht trifft hier die Zweckrichtung der Ladenpolitik ins Schwarze. Sie will letztlich nicht (nur) den Kunden erreichen, der ein bestimmtes Produkt ohnehin vorhat zu kaufen, sie zielt maßgeblich auf den Impulskäufer, dies vor allem seit der Möglichkeit der Selbstbedienung. Aus diesem Grund sind sämtliche Kaufstimuli der Läden (Wühltische, Displays, Schütten, Zweitplatzierungen, Aktionsständer, größere Einkaufswagen) darauf ausgerichtet, gefühlsmäßige oder kognitive Anstöße, ohne Nachdenken, zu aktivieren.274 Angeregt werden soll zum einen der erinnerungsgesteuerte Impulskäufer, der sich in der konkreten Kaufsituation eines Bedarfs der Ware nicht mehr bewusst war,275 zum anderen aber auch der geplante Impulskäufer, der situativen Einflüssen spontan bereit ist nachzugeben.276, 277 Dies schließt vor allem den ungeplanten, rein situationsbedingten Kauf278 ein, wenngleich nicht jeder ungeplante Kauf impulsiv entschieden wird.279 Die Methode hat Erfolg. Schätzungsweise 60% aller Produkte aus einem Einkauf sind empirischen Erhebungen zufolge280 Impulskäufe, nur 40% standen zuvor auf der Einkaufsliste. 274 Es können aber auch innere Impulse sein, die das Verhalten auslösen, z. B. eine Idee, Stimmung oder Assoziation, vgl. Trommsdorff, a. a. O., S. 322. 275 Beim Gang durch die Verkaufsräume erinnert sich der Konsument, dass er noch Zahnpasta benötigt. 276 Der Konsument setzt sich den Angebotsimpulsen aus und rechnet damit, dass er impulsiv etwas kaufen wird. 277 Die Begrifflichkeiten in diesem Bereich variieren, vgl. Kroeber-Riel/Weinberg, a. a. O., S. 410 f.; Weinberg/Diel/Terlutter, Konsumentenverhalten, S. 92; Stern Journal of Marketing 26 (1962), No. 2, 59 ff. 278 Beim Schlendern durch die Stadt kauft der Konsument spontan einen neuen Pullover, den er in der Schaufensterauslage eines Geschäfts gesehen hat. 279 Weinberg, Das Entscheidungsverhalten, S. 161 ff.; Dahlhoff in: Meffert/Steffenhagen/Freter (Hrsg.), Konsumentenverhalten und Information, S. 316 ff.

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Dient aber die gesamte Verkaufsraumoptik und -gestaltung dazu, den Wankelmut des Besuchers zu einem Käuferwillen zu formieren, so hat der Inhaber für mögliche Schäden im vorvertraglichen Bereich gerade auch dieser Personen einzustehen. Sie fallen schon allein deswegen in das Anwendungsfeld der Schutzpflicht, weil der Zweck der Ladenpolitik gerade in ihnen den anvisierten Adressaten gefunden hat. Eine Ausklammerung desjenigen, der sich ohne feste Kaufabsicht nur einen Überblick über das Warenangebot verschaffen oder die Preise mit denen der Konkurrenz vergleichen will, bedeutete zudem eine Benachteiligung kleinerer, mittelständischer Einzelhandelsläden bzw. des Restes an Vollbedienungsläden, deren Kundschaft typischerweise schon mit konkreten Kaufzielen das Lokal betritt.281 (3) Die „Passanten-Fälle“ Fragt man danach, wem die Werbe- und Aktionsmaßnahmen der Einzelhandelsbetriebe gelten, so kann für Passanten nichts anderes gelten als für den Typus des „Unentschlossenen“ – auch sie müssen von der Schutzpflicht erfasst werden. So wurde oben bereits deutlich gemacht, wie intensiv Läden gerade im Eingangsbereich und in den Schaufenstern den Vorbeigehenden zu animieren versuchen (sei es durch Sonderangebote, Probierstände o. ä.), das Geschäft zu betreten, um dort Käufe zu tätigen. Aber auch schon durch das bloße Wecken von Interesse scheint das Ziel erreicht: Der Passant nimmt den Laden und sein Sortiment wahr, ein Geschäftsimage kann sich aufbauen. Es spricht demnach vieles dafür, den vertraglichen Schutz bereits unmittelbar vor den Ein- und Ausgängen der Läden zu gewähren, u. U. kommt hier eine Haftung neben der Gemeinde oder Stadt (die ihrerseits wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht einzustehen haben) in Betracht. Indes ist der Begriff des „Passanten“ weit gefasst, was die Frage nach dem Beginn der Haftung aus der Sonderverbindung aufwirft. Dieser wiederum hängt seit der Reform des Schuldrechts eng mit der Auslegung des Tatbestands der Vertragsanbahnung aus § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB zusammen. Im Anschluss an die alte Lehre, aber auch an feste Grundsätze der Rechtsprechung genügte dem Gesetzgeber ausweislich der amtlichen Begründung die Verkehrseröffnung in den Geschäftsräumen.282 Dass diese Interpretation schon deshalb erweiterungsbedürftig ist, weil sie – gemessen an 280

Vgl. für das amerikanische Käuferverhalten Block/Morwitz Journal of Consumer Psychology 8 (4) (1999), 343 ff.; vgl. des Weiteren die hierzulande durchgeführte Untersuchung von Dahlhoff, a. a. O., ebd. mit ähnlichem Ergebnis. 281 Vgl. dazu bereits unter Fn. 196.

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der Wortbedeutung – die räumliche Sphäre vor dem Geschäft oder auch das Parkplatzareal vernachlässigt, wurde bereits angeführt. Sie führt aber auch zu Konflikten mit dem hier erarbeiteten Begriff der Zweckwidmung des Unternehmers. Denn streng genommen fiele ein jeder unter den Schutzbereich der Norm, den das Marketingkonzept des Hauses „ködert“, und damit jeder Adressat von Werbeplakaten, Reklamesendungen und Newslettern.283 Dass dies den Haftungsrahmen der c. i. c. sprengen würde und sich zudem auch nicht mehr unter den Gesetzeswortlaut von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB subsumieren ließe, liegt auf der Hand. Dennoch kann die vorvertragliche Haftung für deliktische Verletzungen nicht – um beim Bild aus den Gesetzesmaterialien zu bleiben – an der Eingangstür stehen bleiben.284 Wie sehr eine Erweiterung des Haftungsrahmens in anderen Gebieten der Schutzpflicht praktikabel ist, zeigt dabei ein Vergleich mit der Erklärungshaftung. Für die Annahme einer Vertragsanbahnung genügen hier grundsätzlich die Aufnahme von Vorgesprächen, die Unterbreitung eines Angebots oder die Zusendung unbestellter Ware.285 Inseriert also beispielsweise ein Warenhausunternehmen in Zeitungen und Prospekten bewusst wahrheitswidrig Produkte unter Ausschreibung falscher Preise oder Mengen, ist es gegenüber demjenigen, der im Vertrauen auf den Wahrheitsgehalt der Angaben extra eine lange Wegstrecke zum Ankauf zurücklegt, zum Ersatz des Vertrauensschadens (Reisekosten) verpflichtet. Dies zumindest sichert § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB (i. V. m. § 280 Abs. 1 BGB). Ist aber diese weite Auslegung des Anwendungsrahmens in einer wesentlichen Fallgruppe der c. i. c. praktiziert, ist nicht einsehbar, warum ähnliche Grundsätze nicht auch auf die Erhaltung von Körper und Eigentum des intendierten Vertragspartners anwendbar sein sollen. Die Zurückhaltung der Lehre in diesem Bereich erklärt sich wohl u. a. damit, dass in diesem Umfeld die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter des anderen (vgl. insoweit den Wortlaut des § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB: „dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt“) naturgemäß begrenzt sind, was nicht bedeutet, dass diese Fälle grundsätzlich ausgeschlossen sind. 282

BT-Drucks. 14/6040, S. 163; zustimmend: AnwK-Krebs, § 311 Rn. 19; Huber/Faust, Schuldrechtsmodernisierung, S. 69 f.; Lorenz/Riehm, a. a. O., Rn. 368–370; Palandt-Heinrichs, § 311 Rn. 17. 283 Zur Haushaltwerbung vgl. Janssen Dynamik im Handel 1989, 59. 284 Dies gilt sowieso und ganz unproblematisch in den Fällen persönlicher Verkaufskommunikation vor dem Ladengeschäft durch eigens instruiertes Personal. Die Einwirkung auf das Kaufpotential des Kunden setzt bereits hier ein, insofern spricht auch nichts dagegen, schon in diesem Zeitpunkt den Schutz vorvertraglicher Haftung wirken zu lassen, zumal zumindest die Anbahnung eines Vertrags (§ 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB) bereits in Aussicht steht. 285 MüKo-Emmerich, § 311 Rn. 71.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

In einem Fall von Baumert286 verschickt ein Fabrikant Probesendungen mit Rasierklingen an Haushalte, wobei er in Kauf nimmt, dass viele der Haushaltungen nur aus Frauen und Kindern bestehen. Schneidet sich der Empfänger beim Öffnen der Sendung aufgrund deren mangelhafter Verpackung, so spricht unter Verwendung eines zweckorientierten Begriffs der Vertragsanbahnung nichts dagegen, den Unternehmer auch der vertraglichen Haftung zu unterwerfen. Der Schutz der Erklärungshaftung funktioniert nicht anders und auch § 241a Abs. 1 BGB zielt in diese Richtung. Der Zweck der Versendung erklärt sich dabei aus dem erhofften Vertragsschluss; zumindest will der Unternehmer geschäftliches Interesse beim Empfänger wecken, unabhängig davon, dass eine Frau u. U. überhaupt keine Verwendung für Rasierklingen hat. Diese Absicht lässt es zu, den Fall des Zusendens von Reklameprospekten nicht von vornherein der Reichweite der Schutzpflichten zu verschließen. Er macht zugleich deutlich, dass die Einwirkungsmöglichkeit auf den potentiellen Kunden (und damit die Kanalisierung auf die Vertragsanbahnung) nicht beim „Öffnen und Betreten der Geschäftsräume“ halt macht, sondern flexibel und einzelfallbezogen gehandhabt werden muss, immer an der unternehmerischen Intention der Kundenbindung orientiert. (4) Der zweckwidrige Besucher Bleibt noch die Frage nach dem zweckwidrigen Besucher, worunter zum einen diejenigen Personen zu fassen sind, die das Geschäft zu kauffremden Zwecken nutzen (Abkürzung des Weges, Schutz vor Witterung, Treffen mit Freunden), zum anderen die, die es bewusst zu Straftaten missbrauchen (Diebe, Räuber). Ein Großteil der Lehre lehnt eine Einbeziehung dieser Personen in den Anwendungsbereich der Schutzpflicht kategorisch ab.287 In der Tat erscheint es zunächst nur schwerlich vorstellbar, inwiefern diese überhaupt an der Anbahnung eines Vertrages partizipieren sollen. Jemand, der stiehlt, kauft eben nicht, genauso wie jemand, der den Weg abkürzt, scheinbar keinen Blick für eventuelle Sonderangebote übrig hat. Ein Vertragsschluss ist demnach den Zielen der Betretenden völlig gegenläufig – zumindest, wenn man die Sachlage aus einer Sichtweise ex post betrachtet. Genau hieran krankt jedoch die Überlegung der herrschenden Lehre. Sie ist eine Folge inkonsequenter Bemessung im Grunde identischer Sachlagen. So soll – unter Abstellen auf den „potentiellen Kunden“ – ein jeder, der bei Betreten der Verkaufsräume möglicherweise den Schluss des Kaufs fassen könnte, Adressat der Schutzpflicht sein. Dies kann nur aus einer Be286 287

A. a. O., S. 23. Siehe oben 2. Teil, E. VI. 3.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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trachtung im Zeitpunkt vor der unmittelbaren Entscheidungsfindung des Kunden – also ex ante – zu verstehen sein. Die ex post Perspektive wird hier vom herrschenden Teil des Schrifttums beflissentlich übergangen, sie kann auch nicht funktionieren, vermag sie doch das Ergebnis für einen Fall entscheidend zu entwerten, nämlich genau den, dass der Besucher am Ende doch nichts kauft. Seltsamerweise wird jedoch genau diese Marschrichtung beim Dieb wieder verlassen. Anstatt auch hier zu fragen, ob auch dieser sich möglicherweise zum Kauf hinreißen lassen könnte (ex ante), wird ohne weiteres der Maßstab ex post angelegt und zwangsläufig in einer Nachbetrachtung entschieden, dieser sei schließlich ein Dieb und verfolge kauffremde Ziele.288 Bei einer konsequenten Sichtweise ex ante müsste aber genauso wie bei jedem anderen Besucher gefragt werden, ob dieser unter Umständen die Intention entwickeln könnte, Waren zu erstehen. Dann müsste man aber zugeben, dass auch der Dieb sich überlegen könnte, seine Meinung zu ändern und anstatt eine Sache zu entwenden, diese zu kaufen, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, nach Tätigung des Diebstahls zusätzlich eine andere Ware durch Vorlegen an der Kasse zu erwerben (der Besucher wäre dann einmal als Käufer Teilnehmer der Sonderverbindung und einmal als Dieb von selbiger ausgeschlossen – eine sinnfreie Konstruktion!). Konsequent zu Ende gedacht, ist damit auch der Dieb aus ex ante Sicht ein „möglicher Kunde“, eine Ungleichbehandlung zum „normalen“ Konsumenten erscheint nicht gerechtfertigt. 288 Gemessen am strafrechtlichen Tatbestand des Diebstahls (§ 242 StGB), lässt sich bei demjenigen, der das Geschäftslokal betritt und sodann die einzelnen Etagen und Räumlichkeiten in Diebstahlsabsicht durchläuft ohnehin noch nicht von einem „Dieb“ im genannten Sinne sprechen. Dies ist erst nach vollzogenem Gewahrsamsbruch (also frühestens durch Einstecken der Waren in die Kleidung bzw. in das mitgebrachten Behältnis) durch Bildung einer sog. Gewahrsamsenklave möglich (vgl. BGHSt 16, 271 [274]; Seelmann JuS 1985, 199 [203]; Gropp JuS 1999, 1041 [1043]; Lackner-Kühl, § 242 Rn. 16). Selbst im Falle des versuchten Delikts müsste er hierzu erst unmittelbar ansetzen (vgl. §§ 22, 23 StGB). Vorher ist er wie jeder andere ein normaler Besucher, wenn auch mit kriminellen Absichten (u. U. kommt der spätere Dieb doch erst mit Betrachtung der Auslagen in die Verlegenheit zu stehlen, bzw. wenn er realisiert, dass er sich eine Ware nicht leisten kann!). Der Idee, den Gewahrsamswechsel als zeitliche Zäsur anzusehen und erst denjenigen, der den Diebstahl vollzieht aus dem Anwendungsbereich der Schutzpflicht auszugrenzen, soll hier nicht weiter nachgegangen werden. Dies bedeutete eine völlige Abhängigkeit zivilrechtlicher Haftung von strafrechtlichen Wertungen, die keine Rechtssicherheit zulassen und im Einzelfall auch zu wenig billigenswerten Lösungen führen würde; man vergegenwärtige sich nur den Fall der unter Prospekten verborgen gehaltenen Waren im Einkaufskorb, an denen bis zur Verrechnung an der Kasse kein Diebstahl möglich ist; anders, wenn Pfandflaschen aus einer Leergutkiste genommen und in den Einkaufswagen gelegt werden, um sie an der Kasse in Zahlung zu geben, vgl. Wessels/Hillenkamp, StrafR BT 2, Rn. 116 f.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

Unterstellt man diese Sachlage dem hier vertretenen Modell der Zweckgeeignetheit des Personenkreises, zeigen sich vermeintlich Ähnlichkeiten. Auch beim Straftäter erscheint es zunächst nur schwerlich vorstellbar, wie dieser in die konkrete Zielvorstellung des Unternehmens passen soll. Dieses will Käufer anwerben, nicht aber Diebe. Allerdings ist auch dies nur auf den ersten Blick plausibel. Zu berücksichtigen ist nämlich, dass auch Diebe den Interessen des Geschäftshauses durchaus nützlich sein können, allein dadurch, dass sie sich unter den übrigen Kundenkreis mischen. Bewegung im Laden und ein guter Kundenbesuch üben zwangsläufig eine gewisse Anziehungskraft auf Passanten aus. Für diese ergibt sich das Bild einer erhöhten Geschäftigkeit, der Verkaufsraum stellt sich als vom Kunden angenommen dar. Dies regt im Allgemeinen die Neugier der Außenstehenden an; dort, wo ein gesteigerter Menschenauflauf ist, vermutet man – gerade im Einzelhandelsbereich – nur allzu oft besondere Angebote oder Aktionen. Ein größerer Kundenkreis sorgt aber nicht nur für ein aktuell gesteigertes Interesse bei soeben noch Desinteressierten, es steigert auch generell das Image des Geschäftes, von dem man den Eindruck bekommt, es erhalte durchweg Zuspruch des Kunden. Bekanntermaßen basiert ein hoher Kundenzulauf entweder auf Qualität und Auswahl der Produkte oder auf einem guten Preisniveau; nicht selten wird also die Vorstellung vermittelt, es handele sich um ein gut gehendes, qualitätsbewusstes Ladenlokal. Ist dieses Gefühl auf den Außenstehenden transportiert, hat das Unternehmen sein Ziel erreicht. Es sichert ihm erhöhten Kundenzulauf und größeren Absatz der Ware. Aus dieser Intention des Geschäftes heraus erscheint es demnach richtig, auch den Dieb – so irrationell dies zunächst klingt – als Adressaten der Zweckwidmung anzusehen, ist er doch Teil eines nicht unerheblichen marketingtechnischen Ziels des Unternehmers.289 289

I. Ü. profitiert auch der Geschäftsinhaber von der Aufnahme des Diebes in den Anwendungsbereich der Schutzpflicht aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. Denn auch dieser gewährt ihm dadurch, dass er dem (potentiellen) Kunden seinen Warenbestand zugänglich und ihm i. d. S. die Möglichkeit der Entwendung einfacher macht, die Gelegenheit zur Einwirkung auf seine Rechte und Rechtsgüter im Sinne von § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Aus diesem Grund ist auch der Kunde gehalten, sein Verhalten so einzustellen, dass Eigentum und Besitz des Verkäufers nicht verletzt werden. Der Dieb verletzt damit auch eine Schutzpflicht gegenüber dem Inhaber aus § 241 Abs. 2 BGB. Vgl. schon bisher und zur alten Rechtslage Canaris NJW 1974, 521 (522); Kornblum, Fälle zum SchuldR, 3. Aufl., S. 29 f.; Musielak JuS 1977, 531 (532 f.); Wollschläger NJW 1976, 12 (13); Herschel a. a. O., ebd.; Braun/ Spiess MDR 1978, 356 (359); ablehnend v. Bar, Verkehrspflichten, S. 314 f.; ferner Deutsch JZ 1980, 102. Zum Problem des Kostenersatzes für Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen sowie Fangprämien: AG Dülmen NJW-RR 2002, 91; BGH NJW 1980, 119; Palandt-Heinrichs, Vor § 249 Rn. 44 m. w. N.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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Etwas anderes hat nur für den Fall zu gelten, in dem das äußere Erscheinungsbild offensichtlich von dem Verhalten abweicht, das durch den Geschäftszweck noch gedeckt ist. Jemand, der – für Dritte problemlos erkennbar – evident keine Kaufziele verfolgt, weil er sich beispielsweise maskiert oder mit vorgehaltener Pistole lauthals tönend in den Verkaufsraum begibt, kann nicht von der Sonderverbindung profitieren. Ihn plant das Unternehmensmarketing auch nicht ein. Er verursacht – im Gegenteil – bei Außenstehenden eher Angst und Widerwillen vor Betreten des Ladens. Jegliche Aktions- und Werbemaßnahme kann bei ihm nur fehl gehen, im schlimmsten Fall vermittelt sich für Dritte der Eindruck, das Geschäft wende nicht genügend Mittel für Sicherheitsmaßnahmen auf bzw. sei nicht in der Lage, den Konsumenten zu schützen. All dies liefe den Unternehmenszielen krass zuwider, was den äußerlich erkennbaren Straftäter aus dem Anwendungsgebiet der Schutzpflicht ausschließt. Damit ist zugleich die Frage beantwortet, wer noch zu diesem Kreis nicht-anspruchsberechtigter Besucher zu zählen ist: All jene, die der Vorgabe der Zweckeignung des Ladens gegenläufig sind. Damit sind vor allem diejenigen Personen gemeint, die das Geschäft bewusst nicht in seine Kundenförderungsmaßnahmen einbezieht, die es im Gegenteil lieber davon fern sähe. Dazu muss man vor allem Bettler und Obdachlose rechnen, die durch ihr äußeres Erscheinungsbild schon unerwünscht sind und das Geschäft nur als Aufenthaltsort bzw. Einnahmequelle nutzen, ohne dort etwas erstehen zu wollen. Diese erregen zwar mitunter durch ihre Anwesenheit auch Geschäftigkeit und Trubel. Dies kann aber vom Unternehmen nicht gewollt sein. Bettler und Obdachlose wirken auf das Image eines Ladens in der Regel eher nachteilig, ihre Wahrnehmung von außen ist grundsätzlich negativ besetzt. Kunden sehen sich von ihrer Gegenwart eher abgeschreckt und in ihrer Kauflust gehemmt. Für Dritte wird das Klima eines wenig seriösen Geschäftes vermittelt – ein Umstand, der im deutlichen Widerspruch zu den eigentlichen Marketingzielen des Unternehmens steht. Die Zweckrichtung schließt diese Besucher demnach von vornherein aus, was sie zugleich aus der Anspruchsberechtigung der Schutzpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB hebt. Damit sind sie keinesfalls völlig schutzlos gestellt. Sozial benachteiligte Menschen sind nicht Rechtsbürger zweiter Klasse, zumal die Leistungspflicht des Inhabers zwischen Vertrags- und Deliktsrecht inhaltlich nicht unterschiedlich ausgestaltet ist (s. o.). Ihnen verbleibt also selbstverständlich der Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB zum Ausgleich der erlittenen Schäden. Lediglich unter den am Geschäftszweck orientierten Tatbestand des § 311 Abs. 2 BGB fallen sie nicht. Ähnlich verhält es sich mit Personen, denen ein Hausverbot erteilt wurde. Auch sie fördern prinzipiell die Betriebsamkeit des Ladens, die eigentlich

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

mit dem Hausverbot verbundenen Ziele gehen dennoch daran vorbei. Wen das Unternehmen einmal aus seinem Kundenkreis ausschließt, den will es in der Regel dauerhaft davon fernhalten. Dies geschieht meistens aus guten Gründen, nicht selten in Folge krimineller Taten der Besucher. Der einem Hausverbot Unterliegende ist also Exponent einer ausdrücklich geäußerten Zweck- und Willensrichtung des Geschäfts, wie sie durch den Akt der Ausweisung nicht eindeutiger sein kann. Dem Umfeld wird ein hartes Durchgreifen durch die Geschäftsleitung suggeriert und der Eindruck vermittelt, Diebe hätten keine Chance. Dies steigert zugleich den Seriösitätswert des Unternehmens und damit dessen Image, was diesem nur allzu recht sein wird. Überdies ist dem Betreiber ein wirkungsvolles Instrument zur Hand gegeben, sich auch zukünftig vor strafbaren Aktionen des Täters zu schützen, auch wird ihm im Falle eines Prozesses der Verweis auf § 123 StGB leichter fallen. Alles in allem muss dem Unternehmen mehr daran liegen, den dem Hausverbot Unterliegendem endgültig aus seinen Räumen fernzuhalten, was diesen angesichts der Zweckrichtung im Hinblick auf §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB schutzlos stellt. Ist dies vor Augen geführt, fällt schließlich auch eine Entscheidung bezüglich der „Schutzsuchenden-“ und „Verabredungs-Fälle“ nicht mehr schwer. Auch dieser Personenkreis ist Mittel zum Zweck des Unternehmens, die Aufmerksamkeit der übrigen Kunden auf die Angebote zu lenken. Auch sie verdienen damit den Anspruch aus der Schutzpflicht als zusätzlichen Rechtsbehelf gegen den Betreiber. Die Ladenplaner der Unternehmen ziehen diese Personen z. T. sogar bewusst in ihre gestalterischen Überlegungen mit ein, z. B. durch Konstruktion von Regenschutzdächern o. ä. Die überwiegende Lehre sieht das anders, allerdings durch wenig konsequentes Abstellen auf die Vertragsanbahnung, die erst im Zeitpunkt der Angebotsschau (Kombination der Faktoren „Betreten der Geschäftsräume“ und „vorbereitender Preisvergleich/Verschaffung eines Überblicks über das Warenangebot“290) beginnen soll, woran es den Fällen der vorliegenden Art gerade mangele. Dann aber entscheiden Zehntelsekunden über die Einbeziehung in die Sonderverbindung. Deshalb ist es nur schwerlich nachvollziehbar, wenn Krebs meint, diese Personen seien erst dann der Vertragsanbahnung des § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu unterwerfen, wenn „sie den Eingangsbereich verlassen und tiefer in den Laden hineingehen“.291 Denn zum einen kann auch der vor Regen Zuflucht Suchende jederzeit – und damit bereits im 290 291

Siehe BGHZ 66, 51 (55). In: AnwK, § 311 Rn. 19.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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Eingangsbereich – Interesse für das eine oder andere Produkt entwickeln. Praktisch wird es ohnehin nie vorkommen, dass man sich einfach nur im Verkaufsraum aufhält, ohne einen Blick auf die Auslagen zu verschwenden. Dies hieße sich mit Scheuklappen fortzubewegen, eine wenig realistische Vorstellung. Zwangsläufig wird man sich immer im Laden umsehen, was technisch gesehen schon der Beginn der Kaufinformation ist. Zum anderen setzt der Einfluss der Geschäftstaktik auf den Bürger wie gezeigt bereits im Eingangsbereich an – die Gefahr, den Verlockungen der Sonderangebote und Tiefpreise zu unterliegen, ist damit an den Eingängen nicht geringer als im übrigen Verkaufsraum. Vorzugswürdig erscheint es deshalb, auch bei jenen, die das Geschäft zweckwidrig als Treffpunkt, aus Gründen des Wetterschutzes oder der Wegabkürzung benutzen, zu fragen, ob der Marketingeinfluss des Betriebes sie umfasst. Dann aber wird man nicht umhin kommen einzusehen, dass auch dieser Benutzer, genauso wie der kaufwillige, den Kundenbindungsbestrebungen des Unternehmens ausgesetzt ist und so wie dieser umfassenden Schutz verdient.292 e) Überprüfung der gefundenen Ergebnisse am Maßstab der Betriebsformen Die Bedeutung des Geschäftszwecks für die Bestimmung des Schutzbereichs des intendierten Vertrages wurde oben bereits herausgestellt. Es gilt nun noch abschließend zu untersuchen, ob die Betriebsform des Unternehmens einen Einfluss auf die Zweckrichtung und damit auf den Adressatenkreis des Schutzbereichs hat. So könnte man geneigt sein anzunehmen, Discounter wie ALDI oder LIDL seien werbetechnisch überhaupt nicht darauf aus, in derart gesteigertem Maße wie Warenhäuser oder Fachmärkte auf den Kunden einzuwirken. Mithin könnte auch der Kreis der Anspruchsberechtigten ein anderer – nämlich limitierter – sein. 292 Kein brauchbares Kriterium liefert in jedem Fall die Frage, ob der jeweilige Besucher Geld bei sich trägt. Sofern dies nicht der Fall ist, ist damit noch nichts für oder gegen eine erfolgreiche Indikation der Werbemaßnahmen gesagt. Der Kunde könnte sich den Kauf für einen späteren Termin aufheben oder die Ware zurücklegen lassen, um sie später zu bezahlen. Die Grenze des faktisch Möglichen sperrt hier also nicht die Zweckrichtung. Anders mag dies bei Geschäftsunfähigen, wie v. a. Kleinkindern sein. Dem Inhaber kann es ersichtlich nicht darauf ankommen, mit Personen Verträge schließen zu wollen, die hierzu gar nicht in der Lage sind. Damit sind Kleinkinder i. d. R. nicht selbstständige Partner der Sonderverbindung. Sie profitieren aber i. d. R. als „Dritte“ vom Vertrag zwischen dem Elternteil und dem Verkäufer; vgl. zum Vertrag mit Schutzwirkung Dritter BGHZ 66, 51 ff. = NJW 1976, 712.

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2. Teil: Sicherung von Erhaltungsinteressen

Daran ist zwar richtig, dass etablierte und im Hinblick auf den Lebensbedarf des Konsumenten eher funktionell orientierte und servicearme Einzelhandelsketten längst nicht im selben Maße wie andere – auf die Wirksamkeit dieser Maßnahmen eher angewiesene – Unternehmen in den Marktauftritt investieren. Dies zeigt sich beispielsweise an der eher kargen Verkaufsraumoptik und dem vergleichsweise wenig kaufstimulierenden Eingangsbereich der Discounter.293 Die Warenträger und Einrichtungsgegenstände, die diesen so genannten Discount-Look294 prägen, sind von großer Einfachheit und Zweckmäßigkeit und dienen vor allem zur Aufnahme großer Produktmengen. Auf schmückende Accessoires wird nahezu vollständig verzichtet, die eingesetzten Papp- und Kunststoffdisplays dienen in der Regel lediglich dazu, einen günstigen Preiseindruck zu vermitteln.295 An dem oben gefundenen Ergebnis ändert dies dennoch nichts. Auch Läden wie ALDI und LIDL teilen die Bestrebung, Kunden zu gewinnen. Die Einflusssphäre setzt hier nur – infolge fehlender oder geringer Marketingmaßnahmen schon vor dem Eingangsportal – später ein, sinnvollerweise mit Betreten des Ladens. Hier aber sind auch die gewöhnlichsten Aufkleber, Bewegungs- und Blinkdisplays sowie Produktattrappen geeignet, preisorientierten Kunden Kaufanreize zu verschaffen. Im Übrigen hat sich das Ladengestaltungsbild von LIDL oder ALDI in den letzten Jahren deutlich modernisiert. Der Adressatenkreis der Schutzpflicht dieser Geschäfte ist damit grundsätzlich derselbe wie bei allen anderen Betriebsformen, lediglich der Beginn der Haftung kann variieren, je nachdem wie stark die Werbekonzepte der Unternehmen im jeweiligen Geschäftshaus greifen und funktionieren sollen. Der Zweck des Unternehmens ist damit auch im Bereich der Läden, die nur wenig auf Marketingkonzepte verwenden, Determinante der Anspruchsberechtigung und Gradmesser der jeweiligen Ersatzleistung. Er muss aber, mehr als bei den sonstigen Marktbewerbern, einzelfallbezogen gehandhabt werden.

293 Der Leistungswegfall führt hier zur beabsichtigten Reduktion der Betriebskosten, wodurch wiederum ein entsprechend niedriges Preisniveau durchgesetzt werden kann. 294 Begriff von Dodt, Produktpräsentation, S. 94 f. 295 Selbstbedienung ist die ausschließlich mögliche Form der Vertriebsart, da nur solche Produkte Verwendung finden, die weder erklärungsbedürftig, noch kompliziert oder empfindlich sind, vgl. Dodt, a. a. O., ebd.

D. Verkehrspflicht und Schutzpflicht – ein Typenvergleich

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VII. Fazit Die Frage, wer durch die Sonderverbindung geschützt wird, kann, unabhängig davon, ob den Kunden oder den Betreiber betreffend, weder an einzelnen Lebensvorgängen wie Straftaten oder Regengüssen noch an der Prognose eines potentiellen Kaufs festmachen. Sie ist am Zweck des jeweiligen Geschäfts orientiert, der in der Regel auf vollumfängliche Kundenakquise gerichtet ist. Dienen mithin alle Werbemaßnahmen der Kundenförderung und -bindung und damit nicht zuletzt der Steigerung des eigenen Profits, so ist ein jeder in den Schutzbereich der Sorgfaltspflicht des Unternehmens aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB einbezogen, der Adressat der Marketingstrategie und damit diesem objektiv nützlich ist. Dies schließt den zweckwidrigen Nutzer nicht von vornherein aus; auch er dient dem Unternehmenszweck, indem er zumindest an der Geschäftigkeit im Laden partizipiert und damit das Interesse Außenstehender weckt. Die Einstandspflicht des Geschäfts für diese Fälle ist dann letztlich nur Ausfluss der ureigensten Form der Übernahme zivilrechtlicher Verantwortlichkeit: Des Gedankens, dass derjenige, der den Vorteil aus einer Sache zieht, auch die Gefahren, die aus ihr entstehen, beherrschen muss.296

296

Dazu bereits oben unter 1. Teil, B. 4. c).

3. Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse 1. Der Verkehr ist notwendige Voraussetzung der Haftung für seine Sicherheit. Gleichwohl ist er nicht an die subjektive Setzungsgewalt des Beherrschenden gebunden. Er ist damit kein Resultat des Willensaktes des Verfügenden, sondern das sozialisierte Umfeld, in das er sich fügt. Weitere Entstehungsgründe der Verkehrs(sicherungs)pflicht sind die (freiwillige) Übernahme von Aufgaben und die Produzentenhaftung. 2. Verkehrssicherungspflicht und Verkehrspflicht haben unterschiedliche inhaltliche Ausrichtungen. Die Verkehrspflicht ist Oberbegriff aller Gefahrenpräventionsmaßnahmen, die nicht einer Sicherung des Immobiliarsachbestandes gleichkommen. Die Abgrenzung zur allgemeinen Sorgfaltspflicht aus § 276 Abs. 2 BGB bringen die Funktionen der Verkehrspflicht mit ihrer Gleichstellung von Handeln und Unterlassen und der Zurechnung rechtswidriger mittelbarer Verletzungshandlungen mit sich. Verkehrs- und Verkehrssicherungspflicht sind im Tatbestand der jeweiligen Verletzungsnorm zu prüfen. 3. Aus historischer Sicht war die aquilische Unterlassenshaftung unter dem gemeinen Recht nicht ausschließlich auf die Fälle der Ingerenz bzw. der gesetzlichen oder vertraglichen Handlungspflicht zugeschnitten. Insofern war die Rechtsprechung des ausgehenden 19. Jahrhunderts auch ohne diese Trias und schon vor der Entscheidung des RG aus dem 52. Band, das macht der Tenor der Gerichtsentscheidungen der damaligen Zeit deutlich, bereit, eine Haftung wegen Unterlassung deliktischer Handlungspflichten anzuerkennen. 4. Der Einzelhandel durchlief im Verlauf der letzten Jahrzehnte einen tief greifenden Strukturwandel. Die Umstellung des Systems von Voll- auf Selbstbedienung, die zunehmende „Discounterisierung“ der Vertriebsformen, der unaufhörliche Zuwachs an Verkaufsraumfläche, der Einsatz marketingstrategischer Mittel zur Akquirierung des Kunden, die „Entdeckung“ des Erlebnishandels sowie neue Formen der Distribution, wie das E-Commerce, der Versandhandel oder das TV-Shopping sind Marksteine eines Prozesses, der auch die Verkehrs- und Schutzpflichten des Einzelhändlers nicht unberührt ließ.

3. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

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5. Diese verschärften sich proportional zum gestiegenen Anspruchsdenken des Kunden. Ausgangspunkt ist hier das Urteil des OLG Köln aus dem Jahr 1972, das die Sorgfaltspflichten des Geschäftsinhabers, angepasst an das höhere Kundenaufkommen und die neue Form des Selbstbedienungsbetriebs, erstmals einem einheitlichen – schärferen – Maßstab unterwarf. Hiernach fordert die Verkehrssicherungspflicht in Selbstbedienungsgeschäften eine regelmäßige Bodenreinigung in kurzen Abständen, die durch die jeweiligen Gegebenheiten (z. B. Zahl der Kunden, Art der angebotenen Waren und Witterung) und durch den davon abhängigen Grad der Verunreinigung bestimmt werden. Zudem sind die Aufgaben der Verkehrssicherung – insbesondere die Reinigungs- und Aufräumarbeiten – besonderen Kräften zu übertragen, die, soweit es die Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erfordere, von anderen Tätigkeiten freizustellen sind. 6. In neueren Urteilen weicht die Rechtsprechung etwas von dieser strikten Linie ab, was vornehmlich mit der Erkenntnis zu tun hat, dass nicht jede Vertriebsart und nicht jeder Bereich innerhalb des Verkaufsraums dieselbe Sicherheitsleistung erfordert. In Sortimentsabteilungen mit geringerem Verunreinigungspotential ist damit eine häufigere Fußbodenwartung als alle 45 Minuten nicht zwingend notwendig. Auch vom Erfordernis der Beauftragung einer bestimmten Person kann in kleinen, ohne weiteres räumlich überschaubaren Geschäften abgewichen werden. 7. Die Schutz- und Verkehrspflichten des Ladeninhabers erstrecken sich auf alle Bereiche des Verkaufsraums (insbesondere auf die dem großen Kundenandrang Rechnung tragenden Einrichtungen wie Rolltreppen oder Fahrstühle), auf deren Zu- und Abgänge, vor allem aber auch auf den Bereich unmittelbar vor dem Eingang sowie auf das Parkplatzgelände. Im letztgenannten Fall hat sich die Reinigungspflicht des Geschäftsinhabers auf das gesamte Areal zu erstrecken, ausgenommen der Flächen, die vom Besucher ersichtlich nicht im Zusammenhang mit der Tätigung des Einkaufs betreten werden (Liefereingang, Mülltonnen, Grünflächen). 8. Auch die Produkthaftung ist Teil der Verkehrspflicht des Einzelhändlers. Dies umfasst zum einen die Haftung für Fehler aus der Sphäre des Herstellers, nämlich dann, wenn der Händler diese trotz Kenntnis von der Mangelhaftigkeit oder Gefahrenträchtigkeit der Ware dennoch in den Verkehr bringt. In diesem Zusammenhang besteht eine Pflicht zur Wareneingangskontrolle, vor allem, wenn ein derartiger Anlass zu einer besonderen Überprüfung besteht. Zum anderen haftet der Händler selbstverständlich für eigene Vertriebsfehler, die sich von der Einhaltung hygienerechtlicher Vorschriften, der Verfalldaten, über Beratungs- und Warnpflichten bis hin zu Abgabebeschränkungen zur Wahrung des Minderjährigenschutzes erstrecken.

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3. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

9. Die Verkehrspflicht unterliegt den Grenzen der Erkennbarkeit und Zumutbarkeit. Der zu stellende Sorgfaltsmaßstab kann nicht über das schutzwürdige Vertrauen, das die Kunden dem Unternehmer in gerechtfertigter Weise entgegenbringen können, hinausgehen. Eine Sicherung gegen jeden Zufall ist nicht realistisch. Der Pflichtige haftet nur für „versteckte“, atypische Gefahren, während die erkennbaren vom Benutzer hingenommen werden müssen. Die Gefahr ist dabei kein konstituierendes Prinzip, allenfalls ein ergänzendes bzw. regulatives. Initiator der Verkehrspflicht ist aber die Stellung als Raumbeherrscher. Die Pflicht, die hieraus resultiert, ist nichts anderes als die weitestgehende und zumutbare Verhinderung der Schädigung Dritter. 10. Der Maßstab verkehrsrichtigen Handelns variiert je nach Betriebsart, Größe der Verkaufsfläche und Abteilung. Je wahrscheinlicher dabei der Gefahreneintritt, desto höher auch die Anforderungen an die Sicherheitsleistungen des Inhabers. Der Umstand der (provozierten) Ablenkung der Kaufhausbesucher durch den Inhaber hat Einfluss auf die Höhe der Sicherheitserwartungen. 11. Die Problematik des Unbefugten im verkehrseröffneten Gefahrenbereich ist nicht über die Frage der Befugnis zur Verkehrsnutzung zu lösen. Auch die Aussagekraft der Zweckwidmung ist gering, können Ansprüche doch auch für solche Besucher entstehen, die das Geschäft in unredlicher Absicht betreten und sich damit außerhalb der Zweckwidmung stellen. Wer von der Sicherungspflicht erfasst ist, entscheiden die Steuerungselemente des Vertrauensschutzes, der Zumutbarkeit der Sicherungsleistung und der Erkennbarkeit der Publikumsteilnahme. Für den Geschäftsinhaber ist damit entscheidend, mit wem er in der konkreten Schadenssituation zu rechnen hatte und worauf sich sein Vertrauen, nicht auch für den unberechtigten Verkehr Sicherungsmaßnahmen ergreifen zu müssen, gründet. Umgekehrt ist zu fragen, ob auch derjenige, der verbotene Ziele verfolgt, sich auf ein Mindestmaß an Gefahrenprävention einstellen durfte. Dies führt dazu, dass in aller Regel auch dem Dieb, zumindest, wenn er sich unter das laufende Geschäftspublikum mischt, ein Ersatzanspruch verbleibt. Gleiches hat nicht für den mit einem Hausverbot belegten Besucher zu gelten. 12. „Verkehr“ und „Verkehrspflicht“ sind objektiv konzipiert. Dem Sachherrn ist es damit nicht möglich, einseitig die Verkehrserwartung aufzuheben oder zu beschränken. Rein objektive Zugangshindernisse, wie sie naturgemäß z. B. bei Privatwohnungen für Fremde bestehen, fließen allerdings hilfsweise in die Überlegungen ein, auf welche Besucher sich der Verkehrsbeherrscher einstellen und wie er seine Verkehrspflicht einzurichten hat. Diese ist im privaten Raum selbstverständlich weniger anforderungsintensiv als im öffentlich zugänglichen. Gleichwohl existiert sie auch hier und sorgt

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dafür, dass der Sachherr, zumindest was den Kreis derer anbelangt, mit denen er zu rechnen hat, entsprechende Vorbeugemaßnahmen zu treffen hat. 13. Pflichten zum Schutz vertragsfremder Rechtsgüter bestehen in Form der neu kodifizierten Schutzpflichten auch im Vertragsrecht. Der Prozess der Herausbildung vertraglicher Einstandspflichten für Integritätsverletzungen lief parallel zur Entwicklung der c. i. c. und prägte einen wesentlichen Anwendungsbereich des Instituts mit. Maßgeblichen Einfluss hatten die „Warenhaus-Fälle“, die die dogmatischen Standards von Schutzpflicht und c. i. c. regelmäßig novellierten. Seit dem „Bananenschalen-Fall“ aus dem Jahr 1962 ist in Rechtsprechung und überwiegendem Teil der Literatur anerkannt, dass schon der Kunde, der sich mit dem Ziel eines Vertragsschlusses in die vom Warenhaus beherrschte Sphäre begibt und bereits in dem Augenblick, in dem er das Warenhaus betritt, Anspruch auf vertraglichen Schutz seiner persönlichen Sicherheit hat. Mit der Reform des § 311 Abs. 2 BGB stellt sich jedoch die Frage des Schutzbereichs und seiner Teilnehmer vor allem in den Fällen des Kaufvertragsschlusses im Einzelhandel neu. 14. Danach hilft die Heranziehung der allgemeinen Legitimationsgründe (Vertrauen, sozialer Kontakt, geschäftlicher Kontakt etc.) bei der Ermittlung des etwaigen Vertragspartners angesichts deren Unbestimmtheit nicht viel weiter. Auch die tradierte Abgrenzung zum „möglichen Kunden“ und der Gesetzestext des § 311 Abs. 2 Nr. 2 BGB bleiben vage. Eine adäquate Lösung, die vor allem die Besserstellung des Käufers durch den vertraglichen Rechtsschutz erklärt, bildet jedoch das Geschäftsinteresse des Inhabers. Ein jeder, der von vornherein in die Erwartung gewinnbringender Vertragsabschlüsse einbezogen ist, genießt den Schutz der §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB. Hierzu zählen all diejenigen Personen, auf die die Kundenbindungsmaßnahmen ausgerichtet sind und die sie bezwecken zu erreichen. Damit ist zum einen derjenige Teilnehmerkreis einbezogen, der von vornherein gewillt ist, Waren im Geschäft zu erstehen. Dies schließt jedoch andererseits auch denjenigen ein, der zunächst noch gar nicht beabsichtigt, Käufe zu tätigen. 15. Das Marketingkonzept des Geschäftes zielt gerade auch auf die Kaufmotivation dieses Besucherkreises. Das Erscheinungsbild des Ladens ist in Einklang mit dem Wandel der Verbrauchergewohnheiten in Ausstattung, Warenpräsentation und Verkaufspsychologie darauf ausgelegt, dem Kunden ein umfassendes Kauferlebnis zu verschaffen, um ihn an die Ware heranzuführen und schließlich so den eigenen ökonomischen Erfolg zu sichern. 16. In diese Zweckvorstellung sind grundsätzlich auch all diejenigen Personen einbezogen, die das Geschäft entweder zu kauffremden Zwecken nutzen (Abkürzung des Weges, Schutz vor Witterung, Treffen mit Freunden)

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3. Teil: Zusammenfassung der Ergebnisse

oder es bewusst zu Straftaten missbrauchen (Diebe). Auch sie sind Adressat der Marketingstrategie des Unternehmens und Teil der begründeten und planmäßigen Hoffnung, potentieller Vertragspartner zu werden. Ausgeschlossen hiervon sind nur jene, bei denen die Schutzlosigkeit an bestimmte äußere Merkmale geknüpft ist (maskierter Räuber, Obdachlose, Bettler) bzw. die Teil einer ausdrücklich geäußerten Zweck- und Willensrichtung des Geschäfts sind („Hausverbots-Fälle“). 17. Schutz- und Verkehrspflicht sind, zumindest was den hier interessierenden Bereich der Verletzung der Pflichten zur Sicherung des Lebens und der Gesundheit einer Person bzw. zur Erhaltung von Sachen des anderen anbelangt, phänotypisch ähnlich, in ihren inhaltlichen Anforderungen gleich. Zwar legt der Tenor der Gesetzesmaterialien („gesteigerter Schutz der Rechtsgüter des jeweils anderen“ in der Schutzpflicht) einen differenzierten Schluss nahe. Die Durchsicht aller zum Einzelhandel ergangenen Entscheidungen bestätigt jedoch die Ausgangsthese.

Schlussbetrachtung und Ausblick Die Pflicht des Einzelhändlers zum Schutz absoluter Rechte und Rechtsgüter des Verbrauchers ist damit in ihrer theoretischen Relevanz an der Schnittstelle rechts- und betriebswissenschaftlicher Kerngebiete ausreichend beleuchtet. Nötig und nicht minder interessant wäre es, der Arbeit eine empirische Untersuchung über die Einhaltung der Sorgfaltsgebote in den einzelnen Läden folgen zu lassen. Dies kann in dieser Arbeit nicht geleistet werden, ein Beitrag hierzu wäre jedoch aufschlussreich. Nicht repräsentative Befragungen des Verfassers in verschiedenen Einzelhandelsmärkten lassen befürchten, dass eine flächendeckende Beachtung der judiziellen Anforderungen nicht erfolgt. Indes wird die vollständige formale Generierung dieser Daten in der Regel an der mangelnden Bereitschaft der Unternehmen zur wahrheitsgemäßen Auskunft scheitern. So würde wohl keine Einzelhandelskette freiwillig zugeben, nur unzureichende Maßnahmen zum Schutze des Kunden zu ergreifen. Die Situation ist im gerichtlichen Prozess günstiger. Hier helfen die Mittel des Anscheinsbeweises bzw. der Beweislastumkehr über die Misslichkeit unzuverlässiger Aussagen hinweg. Eine andere Möglichkeit, sich einen Überblick über die Sicherheitsleistungen im Einzelhandel zu verschaffen, bietet zum einen die Durchsicht der Schadensfälle, die bei den Versicherern der Unternehmen über die Betriebshaftpflichtversicherung eingehen, zum anderen die Prüfung der von der örtlichen Lebensmittelüberwachung registrierten Verstöße. In der Regel werden jedoch auch diese Daten kaum der Veröffentlichung preisgegeben. So bleibt die Frage der adäquaten Erfüllung der Schutz- oder Verkehrspflicht zuvörderst eine theoretische. An Spannungskraft verliert sie dadurch nicht.

Rechtsprechungsübersicht zu den Einzelhandelsverkehrspflichten in chronologischer Folge mit Leitsätzen und Fundstellen-Konkordanz 1. RG v. 12.03.1907 411/06 II.

Schuldhaft mangelhafte Lieferung ist nicht etwa deshalb gegeben, weil der Verkäufer, welcher Händler ist und mangelhaft liefert, die Lieferungen seiner Bezugsquelle nicht untersucht hat, sofern eine solche Untersuchung nicht üblich ist und der Verkäufer nach Beschaffenheit der seitherigen Bezüge an die Güte der Lieferungen glauben durfte. LZ 1907, 429

2. RG v. 01.07.1909 600/08 IV.

Über die Haftung des Mieters neben derjenigen des Eigentümers eines Hauses, wenn dieser seinen Verpflichtungen bezüglich eines sicheren Verkehrs nicht Genüge leistet JW 1909, 493

3. RG v. 18.11.1909 520/08 VI.

Es entspricht nicht der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, in einem Verkaufslokal, in welchem Leute aller Stände zu verkehren pflegen, eine solche Glätte herstellen zu lassen oder zu dulden, dass diese eine ernste Gefahr mit sich bringt. Das Recht 1910, Nr. 62

4. RG v. 14.06.1910 90/10 II.

Haftet ein gewerbsmäßiger Verkäufer vertraglich dem Käufer für eine die Sicherheit nicht gefährdende Beschaffenheit der Räume oder der Zugänge des von ihm zu seinem Gewerbebetrieb benutzten Hauses? RGZ 74, 124

5. RG v. 07.12.1911 Haftet der Inhaber eines Warenhauses für das Verschulden (sog. Linoleum-Fall) seines Angestellten, der einen Kauflustigen beim Vorlegen 240/11 VI. von Waren körperlich verletzt? RGZ 78, 239 6. RG v. 23.03.1912 275/11 VI.

§§ 823, 278, 254 BGB JW 1912, 586

7. RG v. 26.09.1912 (sog. MetallständerFall) 45/12 VI.

Wie ist die Haftung eines Warenhauses für die Verkehrssicherheit gegenüber Kauflustigen persönlich und sachlich zu umschreiben? JW 1913, 23

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8. RG v. 20.04.1914 (sog. AttrappenFall) 545/13 VI.

Wie ist bei großen Betrieben der Entlastungsbeweis nach § 831 zu führen? Vertrags- oder Deliktsklage, wenn ein Kaufhausliebhaber in einem Warenhaus zu körperlichem Schaden kommt? JW 1914, 759 Nr. 6

9. OLG Hamburg v. 24.11.1916 o. A.

Verkehrssicherheit des Bodenbelags eines Ladens, besonders im Winter ROLG 34,112

10. OLG Kiel v. 12.12.1916 o. A.

Keine Leitsatz ROLG 34, 112

11. RG v. 04.11.1918 241/18 VI.

Inwiefern hat neben dem Ladeninhaber und Mieter auch der Hauseigentümer für die Verkehrssicherheit der Zugänge zu dem Laden einzustehen? RGZ 95, 61

12. LG Bonn v. 03.03.1919 3 S 95/20

Haftung des Verkäufers einer Ware aus der in dem Kaufvertrage enthaltenen Garantieübernahme aus §§ 276, 823 Abs. 1, 847 BGB k. A.

13. RG v. 02.06.1928 45/28 I.

Unfall in einem Ladengeschäft infolge Glätte des Linoleumbelags. Vertragliche oder außervertragliche Haftung? Nebenverpflichtung aus dem Kauf. Haftung für die Angestellten. Beschränkung einer Rente bis zum 65. Jahre WarnR 1928, 206

14. RG v. 18.04.1929 574/28 IV.

Haftung des Inhabers eines Warenhauses für die Verkehrssicherheit Kauflustigen gegenüber, des Schankwirts gegenüber seinen Gästen, desjenigen, der Kauflustigen eine bestimmte Vorrichtung zum Zwecke der Besichtigung des Kaufgegenstandes zur Verfügung stellt. HRR 1929 Nr. 1313

15. RG v. 08.07.1929 759/28 VI.

Haftung für Unfälle beim Benutzen des Fahrstuhls eines Warenhauses LZ 1929, 1463

16. RG v. 26.06.1929 17/29 I.

Zur Untersuchungspflicht des Käufers beim Handelskauf: 1. Ist ein Handelsgebrauch anzuerkennen, wonach die Untersuchung nicht üblich sei? 2. Wann ist die Untersuchung nicht tunlich? RGZ 125, 76

17. OLG Naumburg v. 23.05.1930 3 U 198/29

Ein Ladeninhaber muss dafür sorgen, dass Kaufliebhaber ihre Schuhe ordentlich von Schnee und Nässe reinigen können JW 1930, 2578

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18. RG v. 21.03.1931 399/30 IX.

Ausgleiten auf dem Linoleum-Fußbodenbelag in einem Geschäftsladen. Ausstellung von Warnungstafeln wegen der Glätte WarnR 1931 Nr. 104

19. RG v. 18.04.1931 563/30 IX.

Wenn eine Warenhausgesellschaft hoch oben im Lichthof Arbeiten ausführen lässt, die die im Warenhaus verkehrenden Personen gefährden, so muss ein verfassungsmäßiger Vertreter nach Errichtung des Gerüstes sich davon überzeugen, ob alles Erforderliche zum Schutz der Personen getan sei, auch wenn ein zuverlässiger Fachmann mit der Ausführung der Arbeit betraut ist. JW 1931, 2235

20. RG v. 06.05.1931 623/30 IX.

Die Besucher eines Geschäftsraumes können nicht erwarten, dass sie gegen jeden Zufall gesichert sind. HRR 1931, Nr. 1841

21. RG v. 13.11.1933 260/33 VI.

Sorgfaltspflicht des Warenhausbesitzers hinsichtlich der Betriebssicherheit des Fahrstuhls. Darlegungs- und Beweislast bei Unfällen im Betrieb des Fahrstuhls SeuffA. 88, Nr. 52

22. RG v. 19.12.1935 324/35 VI.

Wenn eine Handelsgesellschaft mbH., die große Warenhäuser unterhält, auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird, weil in einer ihrer Zweigstellen ein Käufer infolge einer gelockerten Messingkappe an einer Treppenstufe zu Fall gekommen ist, so kann sie sich nicht darauf berufen, dass der Leiter der betreffenden Zweigstelle kein besonderer Vertreter der Handelsgesellschaft (§§ 30, 31 BGB) sei, aber wegen seiner großen Erfahrung keiner Anleitung und Aufsicht bedürfe. Würde man diese Auffassung gelten lassen, so würde ein Großunternehmen wegen Vernachlässigung der den Kauflustigen gegenüber obliegenden Verkehrssorgfalt nahezu niemals in Anspruch genommen werden können. JW 1936, 915

23. RG v. 15.07.1937 47/37 VI.

Veranlasst ein Geschäftsinhaber einen mit ihm in rechtsgeschäftlichen Beziehungen Stehenden im Rahmen der Verhandlungen zum Einschlagen eines bestimmten Weges auf dem Grundstück des Geschäftsinhabers, so gehört es zum Inhalt der rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen des letzteren, dafür zu sorgen, dass der andere diesen Weg ohne Gefährdung durch Glatteis einschlagen kann JW 1937, 2651

24. RG v. 17.01.1940 82/39 II.

1. Verletzt der Hersteller oder Verkäufer eines Kraftwagens eine allgemeine Verkehrspflicht, wenn er ein infolge Konstruktionsfehlers nicht verkehrssicheres Fahrzeug

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in den Verkehr gibt? Welche Pflichten hat er, wenn er die Gefahr später erkennt? 2. Wie verhält sich die Beweisführung auf Grund des ersten Anscheins zur Beweisführung durch Anzeichen? 3. Zum Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ im Sinne des § 31 BGB bei den Kapitalgesellschaften des Handelsrechts. 4. Zum Umfange der Haftung einer nicht unmittelbar verkaufenden Herstellerfirma aus einem von ihr ausgestellten Gewährschein. 5. Über die Voraussetzungen der Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB bei Beeinträchtigung eines Gewerbebetriebs durch schuldhaftes Verhalten. 6. Inwieweit ist die Bestimmung, nach der Kraftfahrzeuge verkehrssicher gebaut, eingerichtet und ausgerüstet sein müssen, als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen? 7. Steht dem zu Unrecht als Schuldner in Anspruch Genommenen, der Leistungen bewirkt hat, ein Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB gegen den wirklichen Schuldner zu? RGZ 163, 21 25. KG v. 07.04.1952 4 U 103/52

Zur Frage der vertraglichen und außervertraglichen Haftung eines Gewerbetreibenden für die Verkehrssicherheit seines Ladengeschäfts VersR 1952, 242

26. OLG Schleswig v. 28.02.1952 1 U 226/51

1. Verkehrssicherungspflicht in einem Bäckerladen 2. Unfall durch herabgefallene Kuchenkrümel VersR 1952, 214

27. LG Berlin v. 15.06.1953 52 S 146/53

1. Haftpflicht des Ladeninhabers aus der Verwendung von Pendeltüren 2. Eine Pendeltür ohne Bügelgriff ist als betriebssicher anzusehen VersR 1953, 325

28. BGH v. 10.02.1954 Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht kann auch 323/52 VI. dann gegeben sein, wenn der Unfall auf eine bauliche Anlage (hier eine Pendeltür) zurückzuführen ist, die baupolizeilich genehmigt und abgenommen worden ist VersR 1954, 177 29. OLG Neustadt v. 03.12.1954 1 U 130/54

Sturz auf einer Ladentreppe durch ein dort liegendes Gemüseblatt (Reinigungspflicht, Mitverschulden) VersR 1955, 90

30. LG Hildesheim v. 09.12.1954 4 O 81/54

1. Ein Kaufhaus ist seinen Kunden gegenüber nicht nur aus dem allgemeinen Gesichtspunkt der Eröffnung eines Verkehrs, sondern auch aus dem Vertragsverhältnis selbst

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Rechtsprechungsübersicht verpflichtet, für eine gefahrlose Begehbarkeit seiner Geschäftsräume zu sorgen. Die Begehbarkeit muss so beschaffen sein, dass auch der eilige Kunde – und sehr viele der Kunden großer Geschäftshäuser haben es bekanntlich eilig – ungefährdet gehen und sich bewegen kann. Gerade weil die Augen des Kunden durch die ausgestellten Waren abgelenkt werden, kann er sein Augenmerk nicht in erforderlichem Maße dem Fußboden zuwenden. Der Fußboden muss deshalb absolut einwandfrei und die an ihn zu stellenden Anforderungen müssen streng sein 2. Aber auch der Kunde muss sich bei einem Fußbodenunfall ein Mitverschulden anrechnen lassen VersR 1956, 167

31. AG Lüneburg v. 19.10.1955 4 a C 1301/55

Der Inhaber eines Ladens genügt – bezüglich der Verkehrssicherungspflicht – seiner Sorgfaltspflicht, wenn er den Kunden Gelegenheit gibt, die Schuhe zu reinigen und wenn er dafür sorgt, dass bei Schnee und Tauwetter der glatte Linoleumfußboden täglich mehrere Male gereinigt wird. Ausstreuen von Sand und Sägespänen kann von ihm nicht verlangt werden, zumal hierdurch der Fußboden in einer nicht zu vertretbaren Weise Schäden erleiden würde VersR 1956, 651

32. OLG Stuttgart v. 28.06.1956 2 U 16/56

Der Inhaber eines Ladengeschäfts hat bei der Errichtung des Zuganges für seine Kunden erhöhte Sorgfaltspflichten zu beobachten. Bei Ladenzugängen müssen Reinigungsmöglichkeiten für die Fußbekleidung so verkehrssicher wie möglich angeordnet sein. Sie sollen also möglichst nicht über denn Fußboden hervorstehen, sondern in eine Vertiefung des Fußbodens eingelassen werden, so dass Fußboden und Fußabstreicher in gleicher Höhe liegen. Die Fußmatten dürfen nicht verrutschen. Die Ansicht, die Lage für die Geschäftsbesucher sei ähnlich wie die für Benutzer eines Hausflures oder Treppenaufganges, wo landauf, landab Fußmatten ausgelegt werden, ohne dass diese in der Regel besonders befestigt werden, ist unrichtig. An die Anforderungen eines Geschäftsmannes bei der Eröffnung eines Zuganges sind wesentlich strengere Maßstäbe anzulegen als für den Zugang zu einem Privathaus. BB 1957, 562

33. LG Wuppertal v. 04.06.1958 3 O 203/57

1. Wer einen Geschäftsraum dem allgemeinen Verkehr eröffnet, ist verpflichtet, alle Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich sind, um Gefahren für Besucher abzuwenden. Dazu gehört auch die Pflicht, für einen ordnungsgemäßen Zustand des Fußbodens zu sorgen. Dieser darf nicht so glatt sein, dass man auf ihm leicht ausgleiten und zu Fall kommen kann.

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2. Ein Kunstharz-Spachtelboden als solcher ist trotz seiner Härte nicht verkehrsgefährlich 3. Der für die Verkehrssicherheit des Bodens Verantwortliche darf sich darauf verlassen, dass die von einer anerkannten Firma herausgestellten Eigenschaften eines Bodenpflegemittels zutreffen. Dem Abnehmer ist nicht zuzumuten, dass er hinsichtlich dieser Eigenschaften noch besondere Versuche anstellt. 4. Fehlt es an einer besonderen, die Besucher gefährdenden Glätte des Bodens, so besteht kein Anlass, Warnschilder aufzustellen. Mit dem üblichen Maß an Glätte muss jeder Besucher eines Geschäftes oder Warenhauses rechnen und sein Verhalten danach einrichten VersR 1960, 23 34. BGH v. 30.01.1959 1. Wer als selbstständiger Unternehmer auf Grund eines 6/58 VI. Werkvertrages nach eigenen Ideen Werbe- und Dekorationsarbeiten für ein Unternehmen leistet, fällt nicht unter die Bestimmung des § 537 Nr. 10 RVO. 2. Auch bei Benutzung von abstumpfendem Wachs muss der Verkehrssicherungspflichtige durch mündliche oder schriftliche Hinweise auf die Gefahr des Ausgleitens auf dem zwar eingewachsten, aber noch nicht gebohnerten Linoleumboden seiner Verkehrssicherungspflicht Genüge leisten. 3. Die Verkehrssicherungspflicht für Geschäftsräume besteht nicht nur gegenüber dem Publikum, sondern auch allen anderen gegenüber, die sich dort befugterweise aufhalten VersR 1961, 139 35. OLG Karlsruhe v. 07.08.1959 7 U 172/58

Den Mieter von Geschäftsräumen im Obergeschoß eines zugleich von den Hauseigentümern gewerblich genutzten Hauses trifft neben den Eigentümern eine Verkehrssicherungspflicht jedenfalls insoweit, als er nach Einbruch der Dunkelheit dafür sorgen muss, dass seine Kunden beim Verlassen der Geschäftsräume nach Geschäftsschluss das Treppenhaus bis zur Haustür auf ordnungsgemäß beleuchtetem Weg passieren können. VersR 1959, 913

36. BGH v. 05.07.1960 1. Wer fremde Erzeugnisse nur vertreibt, setzt sich damit, 130/59 VI. dass er ein Stück vor seinem Verkauf nicht auf gefahrenfreie Beschaffenheit untersucht hat, in der Regel dem Vorwurf eines außervertraglichen Verschuldens nur aus, wenn aus besonderen Gründen Anlass zu einer solchen Überprüfung bestand oder die Umstände des Falles eine Überprüfung zum mindesten nahe legten. Den Hersteller von Geräten, der fremde Einbauteile verwendet (hier: Kondenstöpfe für Kondensomaten), hat sich dagegen grundsätzlich

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Rechtsprechungsübersicht von der mangelfreien Beschaffenheit dieser Teile zu überzeugen. 2. Zur Frage des Verschuldens bei Anwendung einer allgemein zulässigen, im konkreten Fall jedoch versagenden Methode zur Aufdeckung von Materialmängeln. VersR 1960, 855

37. BGH v. 13.12.1960 Lässt der Inhaber eines Ladengeschäfts einen Werbehänd42/60 VI. ler an einem Vorführungs- und Verkaufsstand im räumlichen Zusammenhang mit dem Ladengeschäft tätig werden, so trifft ihn die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass durch Gefahren, die mit den Vorführungen des Händlers verbunden sind, niemand zu Schaden kommt. VersR 1961, 1139 38. LG Berlin v. 14.04.1961 55 S 36/61

Der Inhaber eines Selbstbedienungsgeschäftes hat im allgemeinen für Verschulden dritter Personen, durch das Kunden verletzt oder sonst wie geschädigt werden, nicht einzustehen NJW 1961, 1926

39. BGH v. 26.09.1961 Fällt der Besucher eines Warenhauses über eine auf dem 92/61 VI. Boden eines Verkaufsraums liegende Bananenschale, so ist der Schadensersatzanspruch gegen den Inhaber des Warenhauses aus culpa in contrahendo unabhängig davon, ob es beim Unfall schon zu Kaufverhandlungen gekommen war. Es ist Sache des Warenhausinhabers zu beweisen, dass von ihm und seinem Personal alle Sorgfalt aufgewandt wurde, um den objektiv verkehrswidrigen Zustand im Organisationsbereich des Warenhauses zu vermeiden. Zweifel in dieser Richtung gehen bei vertraglichen Schadensersatzansprüchen zu Lasten des Unternehmers. VersR 1961, 1078 NJW 1962, 31 40. BGH v. 23.10.1962 Ein Verkäufer darf einem 10jährigen Kinde ohne Mitwir26/62 VI. kung eines Erziehungsberechtigten einen mit scharfer Metallspitze versehenden Wurfpfeil nicht aushändigen. NJW 1963, 101 41. BGH v. 04.10.1963 Zur Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsinhabers hin178/62 VI. sichtlich der mit gleichförmigem Buntmosaik belegten Stufen einer Schaufensterpassage. Mitverschulden eines unaufmerksamen Passagenbenutzers VersR 1964, 62 42. LG Essen v. 20.03.1964 9 0 400/63

1. Für die Verpflichtung des Geschäftsinhabers, für die Sicherheit aller Personen zu sorgen, die das Ladenlokal befugt betreten, ist es ohne Bedeutung, ob ein Besucher das Lokal vor oder nach dem offiziellen Geschäftsschluss be-

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treten hat; es kommt nur darauf an, ob das Geschäft noch für das Publikum geöffnet war 2. Die Schadensminderungspflicht fordert von einem Verletzen, seine Gesundheit mit dem geringst möglichen Kostenaufwand wiederherstellen zu lassen. Die Mehrkosten einer Privatbehandlung gegenüber der Behandlung als Kassenpatient gehen daher regelmäßig zu Lasten des Verletzten VersR 1964, 1186 43. BGH v. 26.05.1964 Ein Geschäftsinhaber hat im Rahmen seiner Verkehrssiche74/63 VI. rungspflicht Vorsorge dafür zu treffen, dass auch Kelleräume, die ortsfremden Kunden zur Besichtigung dort ausgestellter Waren zugänglich gemacht sind, ohne Gefahr betreten werden können. Mit einer offenen Bodenluke braucht ein Besucher hier selbst dann nicht zu rechnen, wenn die besonderen Umstände des im Keller befindlichen Ausstellungsraumes eines Antiquitätengeschäfts berücksichtigt werden VersR 1964, 974 44. OLG München v. 17.02.1965 12 U 2075/63

Der Inhaber eines Ladengeschäfts ist grundsätzlich nicht verpflichtet, eine gut sichtbare Stufe, die vom Kundenraum zu dem für die Verkäuferinnen bestimmten Teil des Ladens führt, abzusichern oder einem Ladenbesucher, dem die räumlichen Verhältnisse bekannt sind, auf die Gefahren der Stufe hinzuweisen VersR 1965, 1036

45. LG Köln v. 21.04.1965 13 S 106/64

1. Wer einen Fußboden eines Geschäftslokals mit der gebotenen Sorgfalt und den empfohlenen Pflegemitteln pflegt, genügt der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt 2. Der Inhaber eines Geschäftslokals, der seinem Personal die geeigneten Pflegemittel zur Verfügung stellt, kann davon ausgehen, dass der Fußboden auch ordnungsgemäß gepflegt wird VersR 1965, 911

46. LG Duisburg v. 01.06.1966 4 S 84/66

Zur Verkehrssicherungspflicht eines Kaufhausinhabers gehört es, in den für den Kundenverkehr geöffneten Räumen durchweg für einen ordnungsgemäßen Zustand des Fußbodens zu sorgen. Ein solcher Zustand ist nicht gewährleistet, wenn noch während der Geschäftszeit und in Anwesenheit von Kunden damit begonnen wird, in Laufgängen Kehrspäne zu streuen, welche die Gefahr des Ausgleitens hervorrufen oder erhöhen VersR 1968, 100

47. BGH v. 25.10.1966 Wer ein Ladengeschäft betreibt, muss für die Sicherheit der 35/65 VI. Geschäftsbesucher sorgen. Dazu gehört es, eine gefährliche Glätte des Fußbodens zu verhindern oder zu beseitigen. VersR 1966, 48

274 48. OLG Nürnberg v. 04.04.1967 3 U 113/66

Rechtsprechungsübersicht Die Verkehrssicherungspflicht eines Kaufhausinhabers erstreckt sich auch darauf, dass die Fußböden der dem Publikumsverkehr gewidmeten Räume während der Geschäftszeiten frei von Gefahren zu halten sind. Dieser Verpflichtung ist jedoch in der Regel genügt, wenn die Gewähr besteht, dass sich der Kaufhausbesucher bei normalem, vernünftigem Verhalten sich in den freigegebenen Räumen bewegen kann und dass er sich nicht solchen Gefahren ausgesetzt sieht, denen er auch bei Anwendung zumutbarer eigener Vorsicht nicht zuverlässig begegnen könnte (hier: Ausrutschen einer Besucherin auf regennassem Fußboden unweit vom Eingang) VersR 1967, 1083

49. BGH v. 05.04.1967 Zur Frage der Haftung des Verkäufers (hier: eines Spezial32/65 VIII. händlers), der es übernommen hat, den Käufer über die Funktion und erforderlicher Wartung der verkauften Maschine (einer Betonbereitungsanlage) zu unterrichten und hierfür unzureichende Bedienungsanleitungen des Herstellers verwendet hat. BGHZ 47, 312 50. BGH v. 25.06.1968 1. An die Sorgfaltspflicht eines Ladeninhabers, in dessen 143/67 VI. Geschäft Wurst an Kinder zu alsbaldigem Verzehr verschenkt wird, sind im Hinblick auf die Reinhaltung des Ladenraumes und seiner Zugänge strenge Anforderungen zu stellen 2. Zur Frage des Verschuldens bei Nichterfüllung einer solchen Verkehrssicherungspflicht VersR 1968, 993 51. BGH v. 25.09.1968 Zur Frage der Haftung des Zwischenhändlers für Folge108/66 VIII. schäden bei Lieferung fehlerhaften Treibstoffs NJW 1968, 2238 52. BGH v. 03.06.1969 Bei der Abwägung von Verschulden des Schädigers und 38/68 VI. Mitverschulden des Verletzten wird das Gewicht eines schadensursächlichen Verhaltens (hier: mangelnde Scherung einer geöffneten Luke im Fußboden eines Möbelgeschäfts) regelmäßig nicht durch den Umstand erhöht, dass es unter mehreren konkurrierenden Gesichtspunkten (u. a. culpa in contrahendo) haftungsbegründend ist. BGH VersR 1969, 850 53. LG München v. 02.10.1970 10 O 686/69

1. Der Anspruch auf Krankenbeihilfe wird durch die Leistung einer freiwilligen Krankenversicherung nicht ausgeschlossen 2. Die Verkehrssicherungspflicht verlangt von einem Geschäftsinhaber nicht mehr und nicht weniger, als diejenige Sicherheit zu schaffen, die bei Berücksichtigung des je-

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weils in Frage kommenden Publikumsverkehrs allgemein erwartet werden kann und muss. Bodennässe allein begründet keine Haftung VersR 1971, 1157 54. OLG Hamburg v. 21.01.1971 3 U 69/70

Zur Frage der Haftung des Inhabers eines Blumenladens für Unfallverletzungen, die sich eine Kundin beim Ausgleiten auf einer schlüpfrigen Stelle der im Geschäft verlegten Steinfliesen zuzieht. VersR 1972, 650

55. OLG Köln v. 22.03.1972 16 U 191/71

1. Die Verkehrssicherungspflicht des Inhabers von Selbstbedienungsgeschäften erfordert wegen der durch die Vielzahl der Kunden gesteigerten Verunreinigungsgefahr eine regelmäßige Reinigung des Bodens in Abständen, die durch die jeweiligen Gegebenheiten und den davon abhängigen Grad der Verunreinigung bestimmt werden. 2. Auch in Selbstbedienungsläden sind mit den notwendigen Reinigungs- und Aufräumungsarbeiten grundsätzlich bestimmte Kräfte zu betrauen, die – soweit es zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht erforderlich ist – von anderen Tätigkeiten freigestellt werden müssen 3. DM 4000,– Schmerzensgeld für Oberschenkelhalsbrüche mit fortbestehender Bewegungseinschränkung bei Berücksichtigung eines geringen Mitverschuldens der 68jährigen Verletzten VersR 1972, 1149 NJW 1972, 1950

56. BGH v. 03.10.1972 Zur Sorgfaltspflicht eines Drogisten bei Abgabe eines vor135/71 VI. wiegend aus Natriumchlorat bestehenden Unkrautvernichtungsmittels an Jugendliche NJW 1973, 615 VersR 1973, 32 57. OLG München v. 27.02.1973 1 U 2415/72

1. Zur Verkehrssicherungspflicht in einem Selbstbedienungsladen (hier: am Boden liegende Bananenschale) 2. Ist eine gebotene Schutzvorkehrung – z. B. eine Reinigungsanordnung – nach allgemeiner Erfahrung geeignet, einen bestimmten Erfolg zu vermeiden, dann besteht zunächst ein Anscheinsbeweis für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unterlassen der verlangten Sicherheitsvorkehrung und dem schließlich eingetretenen Schaden 3. DM 4000,– Schmerzensgeld für Meniskusverletzung VersR 1974, 269

58. OLG Hamm v. 05.04.1973 22 U 263/72

1. Zur Verkehrssicherungspflicht des Kaufhausinhabers bei der Kundenbedienung (hier: Unfall einer Kundin beim Anprobieren eines mit einem Nylonfaden verbundenen Schuhpaars)

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Rechtsprechungsübersicht 2. DM 3000,– Schmerzensgeld für komplizierten Bruch des linken Handgelenks und Verstauchung der rechten Hand VersR 1973, 1072

59. BGH v. 02.04.1974 1. Überraschende Gefahrenstellen in einem Kaufhaus 193/72 VI. (hier: vorübergehende Öffnung eines in den Fußboden eingelassenen Heizungsschachts durch Abnehmen des Gitterrostes zu Reinigungszwecken) sind von den verantwortlichen Unternehmern auch gegenüber den Kaufhausangestellten ausreichend zu sichern 2. Ansprüche des Geschädigten gegen einen außerhalb des Sozialversicherungsverhältnisses stehenden Zweitschädiger sind auf den Betrag beschränkt, der auf ihn im Innenverhältnis zum Arbeitgeber (Erstschädiger) endgültig entfiele, wenn die Schadenverteilung nach § 426 BGB nicht durch die Sonderregelung der §§ 636, 637 RVO gestört wäre (i. A. an BGHZ 61, 51 = VersR 1973, 836) VersR 1974, 888 60. AG Aachen v. 06.03.1975 10 C 570/74

Zur Frage der Haftung des Inhabers eines Einkaufszentrums für Beschädigung eines Kundenfahrzeugs durch einen sich selbsttätig in Bewegung setzenden Einkaufswagen. VersR 1976, 300

61. OLG München v. 22.04.1975 4 U 253/74

1. In einem Warenhaus erstreckt sich die Verkehrssicherungspflicht auch darauf, dass die Fußböden der dem Publikumsverkehr gewidmeten Räume frei von Gefahren zu halten sind 2. Hierzu bedarf es einer regelmäßigen und in kurzen Abständen durchzuführenden Reinigung des Bodens durch eine für derartige Aufgaben eingesetzte bestimmte Person. Fehlt es an einer entsprechenden Anordnung, liegt ein Organisationsmangel der Geschäftsleitung vor. VersR 1976, 1000

62. BGH 16.09.1975 156/74 VI.

Zur Frage, ob Abdeckroste über Luftschächten, die in oder an öffentlichen Verkehrsflächen liegen, gegen unbefugtes Abheben gesichert werden müssen. VersR 1976, 149

63. OLG Köln v. 26.11.1975 17 U 76/74

Zur Haftung einer Kaufhaus-GmbH aus Vertrags- und Deliktsrecht für die Verletzung eines auf glattem Fußboden ausgerutschten Kaufhausbesuchers VersR 1977, 727

64. AG Köln v. 11.06.1976 142 C 3472/75

1. Es gehört nicht zur Verkehrssicherungspflicht eines Kaufhauses, die Einfahrt zu einem Kundenparkhaus ständig frei zu halten oder die Behinderung der Einfahrt durch parkende Fahrzeuge zu verhindern.

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2. § 12 Abs. 3 Ziff. 3 StVO ist insoweit kein Schutzgesetz i. S. von § 823 Abs. 2 BGB. 3. Wer eine Kundenparkhauseinfahrt benutzt, obwohl die Einfahrt durch ein warenlieferndes parkendes Fahrzeug ersichtlich behindert ist, handelt auf eigene Gefahr und muss seinen Schaden selbst tragen. VersR 1977, 238 65. BGH v. 28.01.1976 Begleitet ein Kind seine Mutter zum Einkauf in einen 246/74 VIII. Selbstbedienungsladen, so könnten ihm, wenn es dort zu Fall kommt, unter dem Gesichtspunkt eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter Schadensersatzansprüche aus Verschulden bei Vertragsschluss zustehen BGHZ 66, 51 NJW 1976, 712 66. LG Schweinfurt v. 11.02.1977 1 O 290/76

Zur Verkehrssicherungspflicht des Inhabers eines Autoverwertungsbetriebes gegenüber einer Kundin, die aus Unachtsamkeit über die Füße eines Abstellbockes stürzt und dadurch zu Schaden kommt. VersR 1977, 850

67. BGH v. 14.06.1977 1. Der Umstand, dass der Unternehmer an einem fremden 247/75 VI. Industrieprodukt seinen Namen anbringt („Quasi-Hersteller“), begründet für sich allein keine Pflicht zur Abwehr der aus mangelhafter Beschaffenheit des Produkts hervorgehenden Gefahren. 2. Die den Warenherstellern generell auferlegten Pflichten zur Prüfung zugelieferter Einbauteile auf Fabrikationsfehler sind auf Montagebetriebe nicht ohne weiteres zu übertragen. Der Montageunternehmer haftet im allgemeinen nur für die sorgfältige Durchführung einer Funktionsprüfung (hier: Konstruktionsfehler an einem Kranausleger) VersR 1977, 839 68. OLG Hamm v. 25.06.1979 13 U 61/79

Wer kurz nach einem starken Regen ein größeres, seit höchstens 15 Minuten geöffnetes und von vielen Kunden besuchtes Kaufhaus betritt und dort infolge einer von Regenwasser feuchten Stelle des Fußbodens einen Unfall erleidet, muss seinen Schaden selbst tragen VersR 1980, 238 MDR 1979, 1022

69. OLG Koblenz v. 27.06.1979 1 U 477/76

Der Inhaber eines Geschäftslokals ist grundsätzlich nicht verkehrssicherungspflichtig für den öffentlichen Gehweg vor dem Eingang. VersR 1979, 965

278 70. OLG München v. 03.07.1979 9 U 2434/78

Rechtsprechungsübersicht Kann die Unbrauchbarkeit einer Skibindung mit einem dem Verkäufer zur Verfügung stehenden Prüfgerät ermittelt werden, so ist es eine selbstverständliche kaufvertragliche Nebenpflicht des Verkäufers, den Käufer wenigstens auf die zuverlässige Überprüfungsmöglichkeit der Bindungseinstellung hinzuweisen und ihm diese Sicherheitsprüfung zu empfehlen. NJW 1980, 2587

71. BGH v. 11.12.1979 1. Importeure, die technische Geräte, welche in einem der 141/78 VI. sechs ursprünglichen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft hergestellt sind, in die Bundesrepublik Deutschland einführen, sind aufgrund der ihnen obliegenden allgemeinen Verkehrssicherungspflicht nicht verpflichtet, diese Produkte weitergehenden Prüfungen als Großhändler, die entsprechende im Inland hergestellte Waren vertreiben, zu unterziehen. 2. Zu den Prüfungspflichten eines Importeurs nach § 3 MaschinenschutzG 1968 NJW 1980, 1219 VersR 1980, 380 DB 1980, 775 WM 1980, 336 MDR 1980, 480 72. LG Karlsruhe v. 14.08.1980 7 O 151/80

Ein Kaufhaus hat ein in unmittelbarer Nähe einer Rolltreppe befindliches Ausstellungspodest, das sich wegen seiner geringen Höhe und wegen seines dem Fußbodenbelag ähnlichen Anstrichs nur wenig von seiner Umgebung abhebt, zum Schutz der Kunden durch besondere Sicherungsmaßnahmen kenntlich zu machen. VersR 1981, 583

73. OLG Celle v. 28.01.1981 9 U 174/80 74. BGH v. 05.05.1981 280/79 VI.

Zur Haftung des Vertriebshändlers für Produktschäden VersR 1981, 464

75. OLG Hamm v. 26.10.1981 13 U 153/81

Zu den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht in einem Selbstbedienungsladen VersR 1983, 43

76. OLG Hamburg v. 19.05.1983 6 U 55/81

Zur Frage, ob der Hersteller einer Hüftgelenkprothese nach den Grundsätzen der Produzentenhaftung in Anspruch genommen werden kann, wenn es zu einem Bruch der implantierten Prothese kommt. VersR 1984, 793

Zur Haftung der Vertriebsgesellschaft eines Warenherstellers für die von diesem fehlerhaft hergestellten Produkte NJW 1981, 2250 BB 1981, 1239

Rechtsprechungsübersicht 77. OLG Karlsruhe v. 22.12.1983 9 U 14/82

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Zur deliktischen Verantwortung von Vertriebshändlern für bei Benutzung der von ihnen vertriebenen Erzeugnissen (hier: Motorsensen) entstandene Schäden. VersR 1986, 46

78. OLG Düsseldorf v. Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch gegen den 11.04.1984 Betreiber eines Ladengeschäfts wegen Verletzung durch 3 U 22/83 eine bei Sturm auf den Bürgersteig gefallene Schaufensterscheibe DB 1984, 1772 79. LG Marburg v. 20.03.1985 5 S 9/85

Zur Haftung des Inhabers eines Einkaufszentrums für die Beschädigung abgestellter Kundenfahrzeuge durch eine auf abschüssigem Parkplatzgelände ins Rollen geratene Reihe ineinander geschobener Einkaufswagen. VersR 1986, 668

80. AG Geilenkirchen v. 26.07.1985 5a C 252/85

1. Die auf öffentlichen Wegen von Kunden stehen gelassenen Einkaufswagen eines Supermarkts sind ein Verkehrshindernis i. S. des § 32 I StVO, das der Eigentümer unverzüglich wegzuschaffen hat. 2. Der Inhaber eines Supermarktes hat die ihm zumutbaren Maßnahmen (z. B. Pfandgeld) zu ergreifen, um ein Abstellen von Einkaufswagen in der Umgebung des Geschäfts zu verhindern. NJW-RR 1986, 1225

81. AG Marbach v. 10.10.1985 C 452/85

Der Betreiber eines Verbrauchermarktes ist nicht verpflichtet, zusätzliches Material dafür einzusetzen, die Rückführung von Kundeneinkaufswagen an die Sammelstelle durch die Kunden zu überwachen und auf dem Kundenparkplatz herumstehende Einkaufswagen einzusammeln. Er erfüllt die ihm gegenüber dem Kunden obliegende Schutzpflicht und die allgemeine Verkehrssicherungspflicht dadurch, dass er am Ladeneingang eine Sammelstelle für die Einkaufswagen mit einer stabilen Absperrvorrichtung gegen das Wegrollen einrichtet und auffällige Hinweisschilder mit der Aufschrift „Einkaufswagen hier einstellen“ anbringt. Dies gilt auch bei leichtem Gefälle auf dem Kundenparkplatz. VersR 1986, 1246 MDR 1986, 406

82. BGH v. 11.03.1986 1. Zu den Sorgfaltspflichten des Betreibers eines Selbst22/85 VI. bedienungsgroßmarkts hinsichtlich der Auswahl und Unterhaltung des Fußbodens in seinen Geschäftsräumen 2. Zur Frage der Beweiserleichterung für den Geschädigten, wenn feststeht, dass ein objektiv verkehrswidriger Zustand im Zeitpunkt des Unfalls bestanden hat NJW 1986, 2757

280

Rechtsprechungsübersicht VersR 1986, 765 MDR 1986, 924 NJW 1986, 2757

83. LG Frankfurt a. Main v. 24.03.1986 2/24 S 238/85

1. Auch in Bezug auf technische Produkte, die aus dem nichteuropäischen Ausland stammen, besteht für den Importeur, der die Ware zusätzlich als Versandhändler vertreibt, auf Grund der ihm allgemein obliegenden Verkehrssicherungspflicht keine Verpflichtung, die Produkte auf Konstruktionsmängel zu prüfen. Ihn kann aber dann die Produkthaftung treffen, wenn er aus besonderen Gründen Anlass zur Prüfung des Produkts gehabt hätte und diese Prüfung im Rahmen seiner Produktbeobachtungspflicht schuldhaft unterlassen hat. 2. Der Versandhändler haftet aufgrund der Produkthaftung nicht für Verbrennungsschäden, die ein vierjähriges Kind infolge des nicht naheliegenden bestimmungswidrigen Gebrauchs eines Haartrockners erleidet. NJW-RR 1986, 658

84. OLG Stuttgart v. 21.05.1986 1 U 224/85

Zur Verkehrssicherungspflicht einer Baustoffvertriebsgesellschaft hinsichtlich der in Verkaufsräumen an Teppichpaternostern angebrachten elastischen Gurte mit Metallbügelverschluss (hier: Verletzung eines Kunden durch Aufspringen eines Gurtverschlusses). VersR 1987, 1251

85. AG Hannover v. 31.07.1986 510 C 8473/86

Zur Verkehrssicherungspflicht eines Kaufhausinhabers im Grenzbereich einer erhöhten Ausstellungsfläche VersR 1988, 721

86. LG Aachen v. 16.10.1986 8 O 375/86

Die Verkehrssicherungspflicht des Kaufhausinhabers umfasst nicht die Gefahr, dass ein Kunde von einem verfolgten Ladendieb umgestoßen und verletzt wird VersR 1988, 851

87. OLG Zweibrücken v. 27.04.1987 4 U 153/86

Zur Produkthaftung bei Import technischer Güter aus einem Nicht-EG-Land 1. Hinsichtlich der Produkthaftung können dem Händler (Importeur) nicht dieselben Sorgfaltspflichten auferlegt werden wie dem Hersteller 2. Der Händler ist nur dann verpflichtet, die von ihm vertriebene Ware auf gefahrenfreie Beschaffenheit zu untersuchen, wenn hierzu aus besonderen Gründen ein Anlass besteht. 3. Allein der Umstand, dass die Importware aus einem Nicht-EG-Land (Jugoslawien) stammt, begründet keine erhöhten Sorgfalts- und Überprüfungspflichten NJW 1987, 2684

Rechtsprechungsübersicht

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88. LG Berlin v. 01.10.1987 57 S 41/87

Zur Frage der Haftung des Inhabers eines Verbrauchermarkts für Unfälle, die sich aus dem Zurückbleiben von Einkaufswagen auf dem Parkplatz des Markts ergeben (hier: Kollision eines ins Rollen geratenen Einkaufswagens mit einem geparkten Kfz) VersR 1988, 720

89. AG Brühl v. 02.03.1988 2b C 572/87

Ein Verbrauchermarkt hat durch ausreichende Sicherungsmaßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass Einkaufswagen vom Eingangsbereich nicht auf die Straße rollen und dort Personen oder Sachen Schaden zufügen können. NJW-RR 1988, 865

90. LG Dortmund v. 17.03.1988 11 S 5/88

1. Der Betreiber eines Verbrauchermarktes ist verpflichtet, notwendige Vorkehrungen dafür zu treffen, damit Dritte durch Einkaufswagen keinen Schaden erleiden. Diese Sicherungspflicht erstreckt sich auch auf den Kundenparkplatz. 2. Es besteht jedoch keine Verpflichtung, nach Geschäftsschluss in der Umgebung Ausschau nach Einkaufswagen zu halten, die Kunden eigenmächtig mitgenommen haben. NJW-RR 1988, 865

91. AG Iserlohn v. 28.10.1988 42 C 438/88

Der Betreiber eines Einkaufscenters hat dafür Sorge zu tragen, dass keine leeren Einkaufswagen gegen geparkte Kfz rollen. ZfS 1989, 75

92. LG Aachen v. 18.11.1988 5 S 157/88

Der Inhaber eines Verbrauchermarkts setzt sich dem Vorwurf eines Verschuldens beim Vertragsschluß aus, wenn er es unterlässt, Maßnahmen zur Sicherung der auf dem Kundenparkplatz abgestellten Fahrzeuge gegen Beschädigung durch abrollende Einkaufswagen zu treffen. VersR 1989, 148

93. LG Köln v. 23.11.1988 7 S 304/88

Der Betreiber eines Einkaufsmarkts mit Kundenparkplatz genügt der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht zum Schutz geparkter Pkw nicht durch die bloße Anweisung an seine Mitarbeiter, Einkaufswagen, die von Kunden mit nach draußen genommen werden, in kurzen regelmäßigen Abständen wieder einzusammeln. VersR 1989, 1280 NJW-RR 1989, 797

94. AG Grevenbroich v. 1. Wenn ein Betreiber eines Warenhauses Personal be30.01.1989 schäftigt, das die herumstehenden Einkaufswagen einsam11 C 516/88 melt, entfällt eine Haftung. Das gilt auch, wenn der Betreiber keine Pfand-Einkaufswagen eingesetzt hat. 2. Falls derartige Schäden jedoch zunehmen, wird sich der Betreiber andere Einkaufswagen – etwa mit einer federautomatischen Absperrvorrichtung – beschaffen müssen.

282

Rechtsprechungsübersicht VersR 1989, 1267 ZfS 1989, 116

95. LG Ellwangen v. 16.02.1989 4 O 519/88-10

Die Sicherungspflicht des Warenhausinhabers gegenüber Kunden der Obst- und Gemüseabteilung erstreckt sich nicht auf die Beseitigung einzelner herab fallender Salatblätter VersR 1991, 1154

96. AG Osnabrück v. 06.03.1989 40 C 452/88

Weisen Kundenparkplätze ein Gefälle auf, so genügt der Betreiber des Supermarktes nur dann seiner Verkehrssicherungspflicht in ausreichendem Maße, wenn er ein Abstellen von Einkaufswagen auf dem abschüssigen Gelände – etwa durch Aufstellen eines Zaunes – gänzlich unmöglich macht. NZV 1989, 356

97. LG Augsburg v. 14.06.1989 7 S 5139/88

1. Ein Supermarktbetreiber, vor dessen Geschäft eine geteerte abschüssige Fläche liegt, ist verpflichtet besondere Sorge gegen abrollende Einkaufswagen zu treffen, insbesondere durch die Anbringung von Bremsen an den Einkaufswagen. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, so verletzt er seine Verkehrssicherungspflicht. 2. Ein Kunde, dem die örtlichen Umstände bekannt sind, trifft ein Mitverschulden, wenn er seinen Wagen vor dieser Fläche parkt. NJW-RR 1989, 1110

98. LG Mönchenglad- Der Betreiber eines Supermarkts verletzt schuldhaft die bach v. 04.07.1989 ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht, wenn er gegen S 84/88 eine missbräuchliche Verwendung von Einkaufswagen in einer nicht einsehbaren Tiefgarage nicht durch Einführung eines Pfandsystems Vorkehrungen trifft. NJW-RR 1989, 1111 99. OLG Braunschweig v. 13.07.1989 1 U 100/88

Zur Haftung eines – nicht verkehrssicherungspflichtigen – Geschäftsinhabers für den Schaden, den eine Passantin durch einen Sturz auf der vereisten Fläche vor seinem Geschäft erlitt, die er aus eigener Initiative, aber unsachgemäß von Schneeresten hatte räumen lassen. VersR 1990, 869

100. OLG Stuttgart v. 29.08.1989 12 U 95/89

Zur Verkehrssicherungspflicht an einem Obst- und Gemüsestand in einem Supermarkt VersR 1991, 441

101. OLG Köln v. 06.12.1989 13 U 141/89

Der Betreiber eines Kaufhauses verletzt die ihm obliegende Verkehrssicherungspflicht, wenn er im Eingangsbereich des Kaufhauses ein sich nach oben verjüngendes Regal aufstellen lässt, ohne Vorsorge dagegen getroffen zu haben, dass ein Kunde unbeabsichtigt gegen die untere Kante des Regals stößt. VersR 1991, 1419

Rechtsprechungsübersicht 102. OLG Köln v. 06.12.1989 13 U 200/89

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1. Die Verkehrssicherungspflicht für den Zustand des Zugangs zu einem Gebäude trifft jedenfalls dann den Grundstückseigentümer und nicht den Mieter eines Ladenlokals, wenn der Zugang nicht mitvermietet wurde und nicht nur von Kunden des Ladenlokals, sondern auch von Passanten benutzt werden kann. 2. Die Pflicht zur Anzeige von Mängeln der Mietsache (§ 545 BGB) obliegt dem Mieter nur, wenn er den Mangel der Mietsache und der von ihm mitbenutzten Teile kennt oder grobfahrlässig nicht kennt. VersR 1990, 320 NJW-RR 1990, 224

103. LG Nürnberg-Fürth Der Geschäftsinhaber genügt seiner Verkehrssicherungsv. 20.12.1989 pflicht nicht, wenn er die auf dem Kundenparkplatz stehen 11 S 6192/89 gelassenen Einkaufswagen nur durch einen vorrangig mit anderen Aufgaben betrauten Bediensteten einsammeln lässt. NZV 1990, 276 104. LG Nürnberg-Fürth Wird ein Kfz auf einem abschüssigen Kundenparkplatz v. 09.01.1990 durch einen Einkaufswagen beschädigt, so haftet der Ge13 S 6609/89 schäftsinhaber, der die gebotenen Sicherungsmaßnahmen unterlassen hat, auch dann, wenn der Schaden möglicherweise durch Unachtsamkeit eines anderen Kunden oder durch spielende Kinder verursacht wurde. NJW 1990, 2694 NZV 1990, 356 105. OLG Frankfurt a. Main v. 07.03.1990 17 U 172/88

Wird bei Geschäftsschluss der Zugang des Ladenlokals dadurch versperrt, dass zunächst im Eingangsbereich ein 40 cm hohes Bodengitter eingesetzt wird, bevor später ein Rollgitter heruntergelassen wird, so stellt dieses Bodengitter ein gefährliches Hindernis das, wenn der Eingangsbereich von zwei Seiten zugänglich ist und als Durchgang zwischen zwei Straßen benutzt werden kann; durch diese Verfahrensweise wird gegen die Verkehrssicherungspflicht verstoßen, weil Kunden über den noch nicht versperrtem Zugang den Bereich betreten können und nicht damit rechnen, dass der „Ausgang“ durch ein unerwartet niedriges Hindernis versperrt ist. VersR 1990, 798 NJW-RR 1990, 1051

106. OLG München v. 17.05.1990 1 U 1944/90

Fußgänger können sich auf Gefahren einstellen, die dadurch verursacht werden, dass Schneematsch und Nässe von den Schuhen von Fußgängern in den überdachten Eingangsbereich eines Kaufhauses verbracht werden. Solche Gefahren können mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand nicht völlig vermieden werden. VersR 1992, 630

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Rechtsprechungsübersicht

107. OLG München v. 11.07.1990 20 U 4539/89

1. Ein Vertriebsunternehmen (hier: von ausländischen Tierarzneimitteln) haftet dem Benutzer des Produkts wegen Verletzung einer Hinweispflicht nur dann, wenn aus besonderen Gründen Anlass zu Warnhinweisen bestand, weil dem Händler bereits Schadensfälle bei der Produktverwendung bekannt geworden waren, oder die Umstände des Falles eine Überprüfung nahe legten. 2. Beim Vertrieb eines im Ausland hergestellten Tierarzneimittels reicht die Behauptung des Verwenders, dass in den USA in einem Zeitraum von zweidreiviertel Jahren 77 Fälle von Nebenwirkungen aufgetreten seien, die in 38 Fällen zum Tode geführt hätten, nicht aus, die erforderliche Kenntnis des deutschen Vertriebshändlers hiervon ohne weiteres anzunehmen. 3. Auch wenn zwischen Vertriebshändler und Hersteller enge kapitalmäßige, vor allem rechtliche Verbindungen zwecks gemeinsamer Leitung und Verwaltung (konzernmäßige Verflechtungen) bestehen, verändert sich die Pflichtenstellung des Vertriebshändlers aus BGB § 823 Abs. 1 nicht. Produktfehler oder Produktgefahren können einer Vertriebsgesellschaft, gleich, in welcher Weise sie organisiert ist, grundsätzlich nur dann zugerechnet werden, wenn Personen, für die sie deliktsrechtlich einzustehen hat, ihre Verkehrssicherungs- bzw. Organisationspflichten verletzt haben. 4. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn Mitglieder ihrer Geschäftsleitung oder andere verfassungsmäßige Vertreter bei dem allgemeinen Erfahrungs- und Meinungsaustausch im Konzern oder sogar aufgrund ihrer Tätigkeit in beiden Unternehmen (Hersteller und Vertreiber) konstruktive Schwächen des von ihnen vertretenen Produkts oder Unzulänglichkeiten des Fertigungsverfahrens kennen. NJW-RR 1992, 287 VersR 1992, 101

108. AG Augsburg v. 19.10.1990 6 C 2108/90

Es besteht keine Haftung, wenn der Geschädigte gegen einen ca. 100 m vom Kundenparkplatz auf der Straße stehenden Einkaufswagen fährt. ZfS 1991, 79

109. OLG Hamm v. 20.11.1990 27 U 63/90

1. Zu den Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht eines Geschäftsinhabers, dessen Verkaufsraum im Hauptgehbereich seiner Kundschaft durch eine Treppenstufe unterteilt ist. 2. Kommt ein Kunde an einer pflichtwidrig ungesicherten Örtlichkeit innerhalb eines Ladenlokals zu Fall, so spricht eine tatsächliche Vermutung für den Kausalzusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schadenseintritt. Az: 27 U 63/90 – unveröffentlicht

Rechtsprechungsübersicht

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110. LG Baden-Baden v. 14.12.1990 3 S 76/90

Der Geschäftsinhaber, der die Verwendung nicht gegen Wegrollen gesicherter Einkaufswagen auf seinem Kundenparkplatz zulässt, haftet nicht für die Beschädigung eines abgestellten Fahrzeugs, wenn nicht auszuschließen ist, dass diese durch Unachtsamkeit eines Kunden verursacht wurde. NZV 1991, 157

111. OLG Köln v. 15.03.1991 19 U 147/90

1. Dunkelfarbige Holzleisten, die auf dem Boden einer Tiefgarage angeschraubt sind, stellen eine Gefahrenquelle dar, für die der Verkehrssicherungspflichtige verantwortlich ist, auch wenn die Leisten nur 2 cm hoch sind. 2. Den Kunden eines Lebensmitteleinkaufszentrums trifft nicht deshalb ein Mitverschulden, weil er mit zwei Einkaufstüten beladen durch diese Leisten zu Fall kommt. VersR 1992, 469

112. OLG Düsseldorf v. Verkehrssicherungspflicht in Metzgereibetrieb: Haftung des 18.10.1991 Metzgers bei Sturz eines Kunden auf dem Gehweg vor dem 22 U 62/91 Ladenlokal infolge ausgeschütteten Putzwassers; mitarbeitende Ehefrau als Verrichtungsgehilfin; Beweiswürdigung unveröffentlicht 113. AG Schwandorf v. Die Verkehrssicherungspflicht gebietet es, Einkaufswagen 28.11.1991 eines Einkaufsmarkts auf einem stark abschüssigen ParkC 53/91 platz nicht nur mit einer Pfandsicherung, sondern zusätzlich mit einer Feststellbremse zu versehen. VersR 1992, 1372 114. OLG Schleswig v. Zum Beweis des ersten Anscheins, wenn eine Kundin im 30.01.1992 Lebensmittelmarkt ausgerutscht ist und im unmittelbaren 5 U 194/90 Bereich der Unfallstelle ein Salatteil herumgelegen hat. NJW-RR 1992, 796 115. AG Bad Wildun- Der Geschäftsinhaber ist nicht ohne weiteres verpflichtet, gen v. 03.03.1992 die neben dem Kundenparkplatz abgestellten Müllbehälter C 445/91 gegen Abrollen zu sichern, wenn bereits von der Müllabfuhr durch Verschließen der Rollen entsprechende Vorsorge getroffen wird. VersR 1991, 1491 116. OLG Düsseldorf v. Die höchstrichterliche Rechtsprechung, die für Gemeinden 03.04.1992 auf von ihnen betriebenen öffentlichen Parkplätzen eine 22 U 245/91 Streupflicht bei Winterglätte verneint, wenn diese Parkplätze geringe Verkehrsbedeutung haben und so angelegt sind, dass der Gehweg von allen abgestellten Fahrzeugen mit wenigen Schritten erreicht werden kann, ist auf Kundenparkplätze eines Lebensmitteleinkaufsmarkts nicht anwendbar. VersR 1992, 847

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Rechtsprechungsübersicht

117. LG Amberg v. 30.04.1992 13 S 1399/91

Auch nach Einführung des Pfandsystems für Einkaufswagen ist der Verbrauchermarkt gehalten, die erforderlichen weiteren Sicherungsmaßnahmen zu treffen (hier: Feststellbremsen wegen des abschüssigen Parkplatzgeländes). NJW-RR 1992, 1120

118. OLG Hamm v. 03.07.1992 9 U 52/92

Der Inhaber eines Selbstbedienungsmarkts, der den Kunden ermöglicht, die gewünschten Waren aus in den Regalen bereitgestellten Kartons zu entnehmen, haftet nicht für Unfallfolgen, die sich aus dem Verschieben einzelner Kartons in den Fußgängerbereich (hier: Vorstehen bis zu etwa 5 cm) ergeben. BB 1992, 1957 VersR 1994, 830

119. AG Wilhelmshaven v. 30.07.1992 6 C 224/92

An die Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsinhabers am Obst- und Gemüsestand eines Selbstbedienungsladens sind hohe Anforderungen zu stellen VersR 1993, 333

120. LG Nürnberg-Fürth 1. Der Betreiber eines Baumarkts muss nicht damit rechv. 07.12.1992 nen, dass erwachsene Besucher seines Kundenparkplatzes 2 O 5424/92 einen diesen eingrenzenden, etwa 3 m breiten Grünstreifen so unachtsam betreten, dass sie in einen fast 2 m vom Parkplatz entfernten Zierteich stürzen. 2. In Betracht kommt allenfalls eine Verkehrssicherungspflicht in Bezug auf kleinere Kinder, etwa durch eine niedrige Barriere oder Hinweistafeln, um die Aufmerksamkeit der Eltern zu erhöhen. 3. Bei einem groben Mitverschulden des Verletzten tritt eine etwaige Verkehrssicherungspflichtverletzung zurück. VersR 1993, 1498 121. LG Mannheim 12.03.1993 1 S 252/92

1. Der Betreiber eines Einkaufsmarkts ist verpflichtet, den von ihm eingerichteten Kundenparkplatz bei winterlichen Witterungsverhältnissen mit zu erwartender Bildung von Glatteis zu streuen. 2. Der Schutzbereich der Streupflicht erfasst sowohl Personen- als auch Sachschäden VersR 1993, 492

122. BGH v. 07.12.1993 74/93 VI.

Deliktische Eigentumsverletzung durch Beeinträchtigung der bestimmungsgemäßen Verwendung einer Sache, hier: Geruchsrückstände eines Gewindeschneidemittels in Wasserrohrleitungen; Konkretisierung in Gewährleistungspflicht des Installateurs; Produkthaftung des Alleinimporteurs NJW 1994, 517 ZIP 1994, 213 MDR 1994, 254

Rechtsprechungsübersicht

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JZ 1994, 574 VersR 1994, 319 BB 1994, 242 123. OLG Hamm v. 10.02.1994 27 U 198/93

Die Regeln des Anscheinsbeweises (hier: Verschmutzung des Eingangsbereichs eines Warenhauses als Unfallursache) gelangen nicht zur Anwendung, wenn eine von zwei Möglichkeiten wahrscheinlicher ist als die andere. VersR 1995, 187 ZfS 1994, 196

124. OLG Schleswig v. Der Betreiber eines Selbstbedienungsladens verletzt die 24.03.1994 ihn treffende Verkehrssicherungspflicht, wenn er den 11 U 179/92 Durchgang zwischen zwei Kassen in Form einer niedrig hängenden rot-weißen Kette sichert, die bei aus kurzer Entfernung zu ihr einsetzenden Bewegungen von Kunden in den Ladenraum hinein zur Gefahr werden können. ZfS 1994, 240 125. OLG Oldenburg v. Fußgänger haben sich grundsätzlich auf Absätze beim 10.05.1994 Übergang von Privatgrundstücken zum öffentlichen Bür5 U 22/94 gersteig einzustellen. VersR 1995, 599 126. BGH v. 05.07.1994 238/93 VI.

An die Sorgfaltspflichten der Inhaber großer Kaufhäuser und Verbrauchermärkte sind hinsichtlich der Auswahl und der Unterhaltung des Fußbodens strenge Anforderungen zu stellen NJW 1994, 2617 VersR 1994, 1128 ZfS 1994, 396

127. OLG Koblenz v. 27.09.1994 3 U 1595/93

1. Zum Beweis des ersten Anscheins, wenn der Kunde in der Obst- und Gemüseabteilung ausgerutscht ist. 2. Der Beweis, dass ein baulich zugelassener Boden an der Unfallstelle verkehrsunsicher war, muss grundsätzlich schon an Ort und Stelle gesichert werden. 3. Wird der Fußboden einer Selbstbedienungs-Obst/Gemüseabteilung etwa alle 15–20 Minuten und bei Bedarf auch außer der Reihe von herab gefallenen Gegenständen durch eine dazu besonders bestimmte und überwachte Person gereinigt, so begegnet dies auch unter Berücksichtigung der gesteigerten Anforderungen in ausreichender Weise den besonderen Gefahren einer Obst- und Gemüseverkaufsfläche NJW-RR 1995, 158 MDR 1994, 1191

128. OLG Köln v. 19.10.1994 11 U 78/94

Da eine absolute Sicherheit in Selbstbedienungsläden (hier: speziell im Bereich der Obst- und Gemüsetheke) praktisch nicht dauerhaft erreicht werden kann, dürfen von

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Rechtsprechungsübersicht dem sicherungspflichtigen Inhaber nur die den Umständen nach möglichen und zumutbaren Sicherheitsvorkehrungen verlangt werden, also nicht die ununterbrochene Kontrolle des Fußbodens auf durch Nachlässigkeit von Personal oder Kunden geschaffene Gefahrenstellen, wohl aber Kontrolle und Reinigung der hierfür anfälligen Bereiche in angemessen kurzen zeitlichen Abständen. VersR 1995, 356 NJW-RR 1995, 861

129. OLG Düsseldorf v. Umfang der Verkehrssicherungspflicht des Supermarkt07.12.1994 betreibers bei zerbrochener Flasche im Eingangsbereich 15 U 156/93 unveröffentlicht 130. OLG Köln v. 18.01.1995 11 U 134/94

Von dem Kunden eines Selbstbedienungsgeschäfts ist zu erwarten, dass er sich auf die für das Selbstbedienungssystem typischen und vom Betreiber nie völlig auszuräumenden Risiken einstellt und durch entsprechende Aufmerksamkeit auch selbst für die eigene Sicherheit sorgt. Das gilt in besonderem Maße an Obst- und Gemüseständen, wo die Gefahr, auf am Boden liegenden Pflanzenteilen zu Fall zu kommen, auch bei häufiger Reinigung niemals ganz ausgeschlossen werden kann. NJW-RR 1996, 278 NJWE-VHR 1996, 20

131. BGH v. 31.05.1995 27/94 VI.

1. Zu Inhalt, Form und Platzierung von Warnungen vor der Gefahr von Karies durch „Dauernuckeln“ auf Dosen von Kindertees. 2. Auch der Hersteller von Fruchtsäften ohne Zuckerzusatz ist zu Warnungen vor der Gefahr von Karies durch „Dauernuckeln“ verpflichtet, wenn er erkennen muss, dass seine Säfte Kleinkindern über Saugerflaschen auf diese Weise verabreicht werden. NJW 1995, 1286

132. OLG Koblenz v. 13.07.1995 5 U 295/95

Der Geschäftsinhaber hat dafür zu sorgen, dass seine Kunden möglichst gefahrlos das Geschäftslokal begehen und dabei Waren aussuchen können. Andererseits darf er aber auch darauf vertrauen, dass sich diese in vernünftiger Weise auf erkennbare Gefahren einstellen. Um eine solche erkennbare Gefahr handelt es sich, wenn seitlich im Gang eines „Tante-Emma-Ladens“ ein mit Apfelsinen gefüllter Karton schräg gegen einen Tisch gelehnt steht. NJW-RR 1996, 670 MDR 1996, 265

Rechtsprechungsübersicht 133. OLG Nürnberg v. 28.11.1995 3 U 1876/95

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Zur Verkehrssicherungspflicht eines Supermarkts gegen Rutschgefahr im Eingangsbereich aufgrund von witterungsbedingter Nässe VersR 1997, 1114

134. OLG Düsseldorf v. An die Sorgfaltspflichten von Supermärkten, Einkaufszen15.12.1995 tren und dergleichen sind besonders strenge Anforderun22 U 86/95 gen zu stellen. WiB 1996, 749 135. OLG Schleswig v. Verkehrssicherungspflicht für eine Türschwelle am Laden29.02.1996 ausgang 11 U 85/94 unveröffentlicht 136. OLG Köln v. 24.04.1996 2 U 107/95

Der Betreiber eines Lebensmittelmarkts mit einer Größe von ca. 650 m2 genügt den Anforderungen an seine Reinigungspflicht, wenn er die Mitarbeiter anweist, den Zustand des Bodens regelmäßig zu kontrollieren und Verunreinigungen (hier: Salatblatt) sogleich zu beseitigen, und wenn der Filialleiter die Einhaltung dieser Weisung überwacht. VersR 1997, 1113

137. OLG Bamberg v. 25.02.1997 5 U 59/96

Vertreibt ein Zwischenhändler Kleinteile (hier: Messingrohrnippel) verschiedener Hersteller, die ohne Herkunftskennzeichnung produziert wurden, ist er nicht verpflichtet, seinen Betrieb so zu organisieren, dass er seinen Abnehmern den Produzenten der an sie verkauften Ware benennen kann. Eine solche vertragliche Nebenpflicht wird auch von § 4 III ProdHaftG nicht vorausgesetzt. NJW 1998, 2228

138. OLG Braunschweig v. 10.11.1997 3 U 65/97

Die vorvertraglichen Schutz- und Obhutspflichten umfassen, auch wenn eine Verletzung der eigenen Verkehrssicherungspflicht gegenüber dem potentiellen Vertragspartner nicht in Betracht kommt, die Pflicht, ihm im Rahmen des Zumutbaren bei der Ermittlung des Hergangs und des Verursachers eines auf dem Geschäftsgelände erlittenen Unfalles behilflich zu sein. NJW-RR 1998, 602

139. OLG Hamm v. 04.02.1998 13 U 126/97

Warnpflicht bei ungesicherter Bodenöffnung im unbeleuchteten Geschäftslokal NJWE-VHR 1998, 144

140. BGH v. 26.05.1998 183/97 VI.

Ein Geschäftsinhaber kann unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht gehalten sein, den Verkauf auch solcher Feuerwerkskörper, deren Abgabe an Personen unter 18 Jahren öffentlich-rechtlich nicht verboten ist, an Kinder im Grundschulalter zu verweigern, wenn für ihn

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Rechtsprechungsübersicht eine aus dem Umgang mit solchen Feuerwerkskörpern drohende Gefahrenlage erkennbar ist. Ob und inwieweit für einen Verkäufer in diesem Sinne ein relevantes Risiko bei der Abgabe frei verkäuflicher Feuerwerkskörper an Kinder erkennbar ist, hängt von den gesamten Umständen des Einzelfalls, insbesondere davon ab, wie das betreffende Produkt vom Hersteller beschrieben und beworben wird und welche praktischen Erkenntnisse dem Verkäufer über die Handhabung derartiger Feuerwerkskörper und über die insoweit maßgeblichen Verhältnisse der Erwerber zugänglich sind. BGHZ 139, 43

141. BGH v. 09.06.1998 238/97 VI.

1. Ein Hersteller oder Importeur von Feuerwerkskörpern, deren Abgabe an Personen unter 18 Jahren öffentlichrechtlich nicht verboten ist, hat die Verpackung solcher pyrotechnischen Gegenstände mit besonderen Warnhinweisen zu versehen, die erforderlich sind, um den von der Verwendung dieser Produkte für Kinder ausgehenden Gefahr wirksam zu begegnen. 2. Es sind insbesondere Hinweise geboten, die Endverkäufer veranlassen, diese Feuerwerkskörper nicht an Kinder im Grundschulalter abzugeben, wenn eine Verwendung unter Aufsicht von Erwachsenen nicht sichergestellt ist und die darüber hinaus geeignet sind, solchen Kindern das Erfordernis einer Aufsicht vor Augen zu führen. NJW 1998, 2905

142. OLG Köln v. 25.06.1998 12 U 271/97

1. Stürzt der Kunde eines Supermarkts in unmittelbarer Nähe von auf dem Boden liegenden Obst- oder Gemüseresten, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass diese Gefahrenstelle für den Sturz ursächlich war. 2. Auf dem Boden eines Supermarkts herumliegende Obst- oder Gemüsereste stellen eine objektive Verletzung der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht dar. 3. Diese objektive Pflichtwidrigkeit führt im Rahmen der Haftung aus Culpa in contrahendo in analoger Anwendung des § 282 BGB zu einer Umkehr der Beweislast hinsichtlich des Verschuldens des Verkehrssicherungspflichtigen, im Rahmen der Haftung aus unerlaubter Handlung begründet sie einen Anscheinsbeweis für das Verschulden oder indiziert dieses. 4. Zu den Anforderungen, die an den Vortrag des Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen sind, wenn dieser mangelndes Verschulden geltend machen will. 5. Den Kunden trifft im Regelfall ein Mitverschuldensvorwurf, wenn er in der Obst- und Gemüseabteilung des Geschäfts auf herumliegenden Blättern o. ä. ausrutscht.

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VersR 1999, 861 JMBl. NW 1999, 38 MDR 1999, 678 143. OLG Düsseldorf v. Allein daraus, dass der geflieste Eingangsbereich einer 25.09.1998 Apotheke bei Schlagregen oder hineingetragener Nässe 22 U 59/98 glatt wird, kann eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsinhabers und/oder des Grundstückseigentümers nicht hergeleitet werden. NJW-RR 1999, 671 144. LG Dortmund v. 20.05.1999 11 S 33/99

An die Verkehrssicherungspflicht für die Molkereiprodukteabteilung eines Geschäfts sind geringere Anforderungen zu stellen, als sie von der Rechtsprechung für eine Obstund Gemüseabteilung aufgestellt worden sind. NJW-RR 1999, 1622

145. OLG Köln v. 22.06.1999 13 U 64/99

1. Die Verkehrssicherungspflicht des Geschäftsbetreibers für den Zu- und Abgangsbereich seines Geschäfts erstreckt sich auch auf einen zur Abdeckung eines Kellerschachts dienenden Gitterrost, der zwar im öffentlichen Gehweg, jedoch im Antrittsbereich einer Stufe liegt, die den erhöhten Eingangsbereich des Geschäfts vom Gehweg abhebt. 2. Die betriebsspezifische Verkehrssicherungspflicht (hier bei einem 10  10 cm großen Loch im Gitterrost) treten gegebenenfalls neben diejenige der Gemeinde (für den öffentlichen Gehweg) sowie des Hauseigentümers und Vermieters (für den zum Gebäude gehörenden Kellerschacht) VersR 1999, 1297

146. LG Lüneburg v. 31.08.1999 9 O 142/99

Haftung des Supermarktbetreibers: Unfall eines Kunden an einer sich nicht öffnenden automatischen Glastür unveröffentlicht

147. OLG Düsseldorf v. Wenn nach Regen am Vortag sowie Frost in der Nacht und 10.09.1999 am Morgen der Kundenparkplatz eines Einkaufsmarkts vor 22 U 53/99 Geschäftseröffnung nicht intensiv auf Eisstellen überprüft und Streugut abgestumpft worden ist und deshalb eine Kundin auf einer gefrorenen Regenpfütze zu Fall kommt, beruhen deren Verletzungen auf einem Verstoß gegen die Verkehrssicherungspflicht des Marktbetreibers. VersR 2000, 1381 MDR 2000, 519 NJW-RR 2000, 696 148. OLG Frankfurt Zur Verkehrssicherungspflicht eines Ladeninhabers, der a. M. v. 10.02.2000 in seinem Verkaufsraum ein 3  3 m großes und circa 3 U 87/99 15–20 cm hohes Präsentationspodest aufgestellt hat. MDR 2000, 885

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149. OLG Koblenz v. 15.03.2000 7 U 778/99

Anforderungen an die Verkehrssicherungspflicht bei sich automatisch öffnenden Schiebetüren eines Supermarkts MDR 2000, 1375

150. OLG Köln v. 28.06.2000 22 W 22/00

Niveauunterschiede von 1–1,5 cm sind im Innenbereich eines Einkaufszentrums nicht zu erwarten und nicht hinzunehmen. NJW-RR 2001, 457

151. OLG Hamm v. 16.10.2000 6 U 253/99

1. Es hängt von den jeweiligen Gegebenheiten ab, wie häufig Fußböden in Geschäftslokalen mit Publikumsverkehr zu kontrollieren sind. Von Bedeutung sind u. a. Kundenfrequenz, Witterung sowie das Gefahrenpotential, das vom Warensortiment ausgeht. 2. In einem Drogeriemarkt genügen grundsätzlich Fußbodenkontrollen im Abstand von 30 Minuten. VersR 2001, 779 NJW-RR 2002, 171 (ausf.)

152. OLG Hamm v. 06.11.2000 6 U 34/00

Der Betreiber eines Großhandelsmarktes haftet nicht wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht, wenn eine Kundin in der von der Obst- und Gemüseabteilung mindestens 50 Meter entfernten Feinkostabteilung auf einer Karotte ausgleitet, die nahe einer 45 Minuten vor dem Unfall noch gereinigten Stelle auf dem Boden liegt. NZV 2002, 271 Food & Recht 2002, 8

153. OLG Naumburg v. In Möbelhäusern sind Schränke so aufzustellen, dass sie 10.04.2001 durch ein vierjähriges Kind auch dann nicht zum Umfallen 1 U 22/01 gebracht werden können, wenn dieses sich in einem unbeobachteten Moment unsachgemäß verhält. NJW-RR 2002, 170 Der Betreiber eines Kaufhauses braucht nicht damit zu 154. OLG Frankfurt a. M. v. 19.09.2001 rechnen, dass ein Kunde eine auf einer Hubkarre abge23 U 3/00 stellte Palette mit einem Fuß betritt, um an eine dahinter befindliche Selbstbedienungstheke zu gelangen; er braucht den Hubwagen nicht zu arretieren, um der Unfallgefahr durch eine solche fern liegende, bestimmungswidrige Benutzung entgegen zu wirken. NJW-RR 2001, 1674 155. AG Offenbach v. 12.07.2002

1. Der Betreiber eines Supermarkts verletzt seine Verkehrssicherungspflicht, wenn er im Kassenbereich auf dem Boden gefüllte Wassereimer (mit Schnittblumen) platziert. 2. 40 % Mitverschulden des Besuchers des Markts, der die farbigen Wassereimer schon beim Betreten des Markts hätte wahrnehmen können. VersR 2003, 1002

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156. AG Köln v. 01.04.2003 135 C 156/02

Böden von Verkaufsbereichen müssen nicht ständig gesäubert werden. Die Frequenz der Säuberungspflicht braucht dann nicht festgestellt zu werden, wenn kurz zuvor gesäubert wurde. (Leitsatz der Redaktion) Food & Recht 2004, 12

157. OLG Koblenz v. 15.01.2004 5 U 931/03

1. Treppen zu einem Geschäftslokal sind grundsätzlich zu sichern. Bei Verkaufsstätten über 2000 m2 ist dies nach Maßgabe der VkVO RP zwingend. Bei kleineren Verkaufsstätten kann hierauf bei kurzen Treppen bis zu fünft Stufen verzichtet werden, wenn sie verkehrssicher ist. 2. Ein fehlender Handlauf ist nicht ursächlich für einen Unfall, der sich außerhalb des durch einen Handlauf zu sichernden Treppenbereichs ereignet hat. VersR 2005, 88 RuS 2005, 123

158. OLG Düsseldorf v. Zum Umfang der Verkehrssicherungspflicht und den Vo27.10.2004 raussetzungen eines Schadensersatzanspruchs im Zusam15 U 26/04 menhang mit einem durch Glätte bedingten Sturz vor einem Ladenzentrum. StBT 2005, 19 159. OLG Karlsruhe v. 1. Zur Erfüllung der Pflicht, die Fußböden der dem Publi14.07.2005 kumsverkehr gewidmeten Räume im Rahmen des Zumut7 U 18/03 baren und Möglichen während der Geschäftszeiten frei von Gefahren zu halten, hat der Betreiber eines Supermarktes durch Anordnung darauf hinzuwirken, dass die Böden regelmäßig kontrolliert und gereinigt werden. Er muss außerdem die Beachtung seiner Anordnung regelmäßig kontrollieren. 2. Kontroll- und Reinigungsabstände von 15 min genügen grundsätzlich auch für die besonders gefahrenträchtige Gemüseabteilung. Dabei kann in kleinen, ohne weiteres räumlich überschaubaren Geschäften eine allgemeine Anweisung an das gesamte Personal ausreichen und es nicht erforderlich sein, eine bestimmte Person mit der Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht zu betrauen. 3. Vortrag, der aus prozesstaktischen Erwägungen zurückgehalten wurde, um erst einmal abzuwarten, wie sich das Gericht zu dem schon vorgebrachten Prozessstoff stellt, ist nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen. Wer sehenden Auges seine Einkommensverhältnisse nicht offen legt, obwohl gerade daraus ein Anspruch hergeleitet werden soll, geht das Risiko ein, erst im Berufungsrechtszug zu obsiegen und dort zur Höhe des Anspruchs aufgrund der §§ 529 Abs. 1 Nr. 2, 531 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nicht mehr vortragen zu können. VersR 2005, 420 MDR 2005, 92 Food & Recht 2004, 11

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Sachwortverzeichnis Adäquanztheorie 41 AIDA-Formel 246 Aktionsangebote 239 Aktivierung 80, 112, 245–246 Ausgänge 112, 169, 175, 183 Bananenschalen-Fall 198, 263 cautio damni infecti 33–34 Dieb 139, 159, 164, 171, 173, 230–231, 253–254, 262 Discount-Look 258 E-Commerce 59, 64, 84, 260 Eingang 66, 69, 113, 164, 261, 274, 277 Einkaufswagen 55, 76, 87–94, 114, 116, 145, 249, 253, 276, 279, 281–286, 301, 306, 309 Erlebnishandel 62, 80, 240 Fahrstuhl 107–110, 196 Fußboden 66–68, 72, 77, 82–83, 99, 102, 216, 270, 273–274, 276, 287 Gefährdungshaftung 43–45, 49, 95, 138, 150, 295 Gefahrenpotential 74–75, 83–84, 93, 101, 133, 136, 146, 292 Gefahrenprognose 137, 139, 149 Gefahrerhöhung 149, 162, 170, 174–175, 224, 297 Geschäftszweck 236–237, 255, 257 gesteigerte Sorgfaltspflicht 147, 228 Gewohnheitskäufer 248 GPSG 107, 120, 122–123, 131

Grenzen der Verkehrspflicht 133, 298 HACCP-Verfahren 121, 128–129 Hausverbot 165, 173–174, 255, 262 Impulskauf 63, 85, 243–245, 249 Intensivierung der Verkehrspflicht 67, 143, 148, 149 Kaufstimuli 249 Kundenfrequenz 72, 74, 76, 78, 101, 107, 292 Kundenparkplatz 93–94, 113–115, 116, 279, 281, 283–286, 291 Ladengestaltung 54, 80–81, 83, 239, 242, 245–246, 301 Lebensmittelläden 76, 244 Lebensmittelrecht 19, 121, 125, 147, 299–300, 307, 316 lex Aquilia 28–30, 32, 301, 306 LFGB 124–126, 129, 131, 147, 310 Linoleum-Fall 193, 195, 207–208, 225, 266 LMHV 121, 123, 125–126, 128–129 Marketing 52, 55, 81, 86, 240–245, 249, 295–296, 298, 301–302, 304, 306, 308, 310, 313–314 Milzbrand-Fall 39, 49 Mindesthaltbarkeitsdatum 122, 129–130, 147, 307 mittelbare Verletzungen 40–42 möglicher Kunde 224, 226, 229–230, 232–234, 247, 253, 263 neminem laedere 179, 223 Non-Food-Handel 87, 146

318

Sachwortverzeichnis

Obst- und Gemüseabteilung 78, 140, 145, 239, 282, 287, 290–292 Pendeltür 111, 269 Point of Sale 56, 243, 245–246, 295, 313 positive Vertragsverletzung 182, 184, 190, 205, 219, 310, 313 Preispolitik 238 Produkthaftung 43, 51, 118–119, 149, 261, 280, 286, 299, 303–304, 306, 311

T-Commerce 85 Tankstellen 63 Unbefugte 150–151, 154, 155–157, 159, 160–164, 175, 177, 224 Unfallverhütungsvorschriften 98–99, 103, 135, 154, 202 Verkehrseröffnung 30, 47–49, 140, 152, 156–158, 176–178, 191, 205, 250 Versandhandel 53, 85–87, 260

Räuber 171, 252, 264 Räum- und Streupflicht 115 Rechtswidrigkeitszusammenhang 159 Rolltreppen 103, 105–107, 108, 111, 137, 142, 239, 261, 278, 305

Vertrauensschutz 109, 120, 124, 131, 133, 140, 169–171, 173, 175, 179, 189, 211, 224, 231, 251, 262–263, 294, 308 Warenplatzierung 240–241, 246

Schaufenster 110, 168, 195, 232, 241, 244–245 Schiebetür 111–112, 141 Schutzzweck der Norm 42 Sortimentspolitik 54, 238, 307 Steuerungselemente der Verkehrspflicht 146, 168, 172, 180 Straßenverkehrssicherungspflicht 115, 152, 156, 294 Straftäter 171–172, 227, 254–255, 259, 264

Warenpräsentation 22, 54, 79, 81, 83–84, 102, 140, 196, 239, 243–245, 263 Zumutbarkeit der Sicherung 139, 149, 170, 172 Zusendung unbestellter Ware 251 Zweckbestimmung 156–160, 166–167, 169–171, 173–174, 176, 179, 224, 251, 254, 262