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German Pages 293 Year 1957
JOACHIM HELLMER - ERZIEHUNG UND STRAFE
Erziehung und Strafe Zugleich ein Beitrag zur jugendstrafrechtlichen Zumessungslehre
Von
Assessor Dr. iur. J oachim Hellmer Wissenschaftlicher Assistent an der Technischen Universität Berlin
DUNCKER & HUMBLOT / BERLIN
Alle Rechte vorbehalten
© 1957
Duncker & Humblot, Berlin
Gedruckt 1957 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin SW61 Printed in Germany
Meiner Frau
Inhalt Erster Hauptteil
Das Wesen der Erziehung und ihre Tauglichkeit für das Strafrecht 1. standort des
r e c h t s s y s te m
Erziehungsgedankens im Straf........................................
I. Das Problem
15 15
II. Entwicklung des Erziehungsgedankens aus dem Besserungsgedanken 1. Die beiden Strafprinzipien ............................. .
17 17
2. Das formale Strafprinzip ............................... .
18
3. Das materiale Strafprinzip ............................. .
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II!. Die Besonderheit des Erziehungsgedankens gegenüber dem Besserungsgedanken ......................................... .
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IV. Die Kategorien des allgemeinen Strafrechts und ihre Abwandlung durch den Erziehungsgedanken im Jugendstrafrecht ........... .
23
1. Die Kategorie der Tatstrafe
23
2. Die Kategorie der Schuldstrafe
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3. Die Kategorie der Strafe ............................... .
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V. Der bleibende Rest: Was ist Erziehung? ..................... .
34
2. Von der Erz i e h u n gun d ihr e r Pro b I e m a t i kin der Gegenwart ........................................... .
35
r. überblick 1. Pädagogik
35
und Philosophie
35
2. überbetonung des psychologischen Gedankens in der Gegenwart ..................................................
36
3. Der Optimismus des Gesetzgebers ........................
38
Ir. Der Erziehungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
1. Erziehung als Vorgriff in die Zukunft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
2. Intentionale Erziehung ..................................
42
II!. Erziehung im Sinne der Sozialpädagogik ........................
44
1. Die Frage nach der Stellung der Erziehung in der Gesellschaft
44
2. Das Leben als Erzieher ..................................
45
8
Inhalt 3. Die Bedeutung der Kultur für die Erziehung
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4. Erziehung im Sinne von Wandlung des Menschen ..........
52
IV. Die Voraussetzungen der Wandlung ........................
59
1. Allgemeines ............................................
59
2. Die Idee als Grundvoraussetzung ........................
60
3. Zentren der Besinnung .................................. a) Die Familie ........................................ b) Die Schule .......................................... c) Der religiöse Unterricht ..............................
64 64 70 71
3. Von der Problematik der Erziehung im Strafrecht
73
I. Einführung: Die beiden Hauptfragen ........................
73
11. Was kann das Strafrecht für die Erziehung tun? ..............
73
1. Der Grund der Frage nach der Erziehung im Strafrecht: die Jugendkriminalität .................................... a) Tatbestand der Jugendkriminalität .................... b) Ursache der Jugendkriminalität ........................ aal Untauglichkeit der Erbtheorie ...................... bb) Umwelttheorie cc) Der heutige Mensch als Ursache des Umweltbildes .... dd) Der heutige Mensch und die Jugendkriminalität ...... ee) Ergebnis
78 83 86
2. Die Bedeutung des Rechts für die Kultur ................ a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kultur und Recht .................................... c) Kultur und Strafrecht ................................
88 89 90 92
3. Die Notwendigkeit des Rückgriffs auf Erziehung . . . . . . . . . . . . a) Der bisher übliche formale und der erforderliche materiale Erziehungsbegriff im Strafrecht ........................ b) Die Anforderungen des materialen Erziehungsbegriffs an das Strafrecht ...................................... aal in der Idee ...................................... bb) im Verfahren .................................... aaa) Rechtszwang und Freiheit .................... bbb) Wohltat und übel. .. .. . . . . .. . . .. .. .. ... . . . .. . ccc) Neutralität und Parteilichkeit ................ ddd) Befriedung und Diffamierung ..................
96
98 98 104 105 117 119 122
IH. Inwieweit kann Strafe durch Erziehung ersetzt werden? ......
124
1. Strafwürdigkeit und Erziehungsbedürftigkeit ..............
124
a) im allgemeinen ...................................... b) im Jugendstrafrecht ..................................
124 125
73 73 74 74 76
96
Inhalt
9
c) Der Moralspiegel als Grenzlinie .......................... d) Der Mischtatbestand des täglichen Lebens ................
126 127
2. Strafe und Erziehung ..................................
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3. Erziehliche Strafe und reine Erziehung .................... a) Notwendigkeit der Unterscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Stufenförmiger Aufbau ..............................
130 130 132
4. Ergebnis
134
4. Ver f a
S< s
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u n g SI r e c h t li c h e F r'ade geht, durch das Erkennen einer ungleichen Behandlung ähnlich gelagerter .Fälle auf das ungünstigste beeinflußt, ja für die ganze weitere Zukunft in seiner geistig-seelischen Entwicklung vergiftet werden. Eine solche ungleiche Behandlung erscheint aber zunächst unvermeidbar, wenn Erziehung zum Zumessungsprinzip erhoben wird. Hier liegt das Problem, mit dem wir uns werden beschäftigen müssen, ehe wir zu Erziehung als Zumessungsgrundlage gelangen: gibt es eine Gerechtigkeits- oder einfacher: eine Rechtsbestimmtheit der Erziehung? Kann Erziehung derart ins Stmfrechtssystem eingebaut werden, daß ihre Eigengesetzlichkeit erhalten bleibt, ohne daß eine Gef,a hr für das Gerechtigkeitsempfinden des jungen Menschen entsteht? Dazu bedarf es gewiß einer Erörterung, was Erziehung im pädagogischen Sinne ist und welche Chancen sie dem Strafrecht bietet. Aber ehe dies untersucht und damit über die Frage entschieden wer>den soll, ob Erziehung Zumessungsgrundlage überhaupt sein kann, möchten wir erst einmal dartun, wie das Strafrecht zu Erziehung gekommen ist und welche Veränderungen der Erziehungsgedanke im Strafrecht bewirkt hat.
II. 1. Erziehung ist kein Rechtsbegriff, erst recht also kein Strafrechtsbegriff. Um vom Strafrecht her Erziehung fassen zu können, muß unterschieden werden zwischen dem formalen und dem materialen Strafprinzip. Das formale Strafprinzip sieht die Strafe und ihren Wert 6
Vgl. hierzu vor allem Spranger, das Rechtsbewußtsein des Jugendlichen
i. Psychologie des Jugendalters, S. 176 ff. 2 Hellmer, Erziehung und Strafe
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Wesen der Erziehung und ihre Tauglichkeit für das Strafrecht
in der Reaktion an sich, das materiale Strafprinzip erst in dem jeweiligen Inhalt und Zweck dieser Reaktion. Nach dem formalen Strafprinzip bedarf die Strafverhängung keiner Rechtfertigung aus der Sicht des Täters; der vorausgegangene Rechtsbruch ist Rechtfertigung genug. Nach dem materialen Strafprinzip bedarf die Strafverhängung auch einer Rechtfertigung vom Standpunkt des Täters aus: sie muß geeignet sein, an ihm selber eine Änderung herbeizuführen, nicht nur an der Gemeinschaft. Hiernach könnte man vielleicht der Auffassung sein, das formale Strafprinzip sei dasjenige der: absoluten, das materiale dasjenige der relativen Strafrechtstheorien. Das ist aber nicht der Fall. Die Unterscheidung zwischen formalem und materialem Strafprinzip hat in Wahrheit mit jenem Theorienstreit nichts zu tun. Das zeigt schon die Entwicklung der Strafe. 2. Strafe ist, psychologisch gesehen, von Anfang an Ausfluß des Gegenseitigkeitsstre'bens auf dem Gebiet des Verletzungsrechts 7 • Das Verletzungsrecht gehört dem Bereich des Verkehrsrechts an. Verkehrsrecht ist im Gegensatz zum Statusrecht (Eigentums- und Familienrecht) das Rechtsgebiet, das den Austausch von Gütern zum Gegenstand hat. Der Austausch von Gütern geht -auf Grund von Verträgen vor sich, die sich im germanischen Recht zunächst durch Herrschaftsverhältnisse der verschiedensten Art und familiäre Bindungen erübrigten8 . Die Verträge und also vor ihnen der vertr,agslose Verkehr waren streng gegenseitig ausgerichtet, so gegenseitig, daß es im ursprünglichen Recht, besonders deutlich im germanischen Recht, zum Beispiel eine Schenkung im Sinne der heutigen Bestimmungen (§§ 516 ff. BGB) bekanntlich nicht gab. Die gleiche strenge Gegenseitigkeit, die ein psychisch bedingtes Urgesetz jeglichen Gemeinschaftslebens ist und daher auch in die Lehre vom Archetypus gehört 9 , führt auf dem Gebiet des Verletzungsrechts zur Forderung gegen den VerIetzer auf Ausgleichung1o . Dies geschieht, da die Rechtsgemeinschaft ein Friedensverband ist, zunächst dadurch, daß der Verletzer, der Missetäter, friedlos wird, den Frieden der Gemeinschaft verliert, bald sühnbar allerdings durch eine gewisse Leistung an den Verletzten und die Gemeinschaft, die ihm den verwirkten Frieden zurückgewährt1 1 (wobei es sich hier um Strafrecht handelt, da das zivile Rechtsgebiet der unerlaubten Handlung - jedenfalls im deutschen Recht - erst viel 7 Vgl. hierzu vor allem Rehfeldt, Die Wurzeln des Rechts, S. 11 ff., ferner wir i. AcP 155, 527 ff. (6. Heft). 8 Vgl. Planitz, Grundzüge des deutschen Privatrechts, 3. Aufl. § 56 (S. 124). 9 Vgl. hierzu Fehr, Archiv f. Rechts- und Sozialphilosophie, Jahrgang 1954, S. 37 ff. (insbes. 40 ff.) und Rehfeldt, a.a.O., S. 14. 10 Ähnlich v. Schlotheim, RdJ 1956, für das Jugendstrafrecht. 11 Die Leistung an den Verletzten ist bekanntlich das Wergeld (Ursprung der Bußzahlung!), die Leistung an die Gemeinschaft das Friedensgeld (Ursprung der Geldstrafe?); vgl. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 70.
Standort des Erziehungsgedankens im Strafrechtssystem
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später entsteht1 2 ). Wenn wir heute von Vergeltung sprechen, meinen wir jenes psychisch in uns begründete Gesetz der Gegenseitigkeit. Es ist derart lebendig, daß wir heute vielfach selbst denjenigen, der in Unzurechnungsfähigkeit einen Schaden angerichtet hat, für strafwürdig halten; ja, wir schlagen, wenn wir sehr wütend sind, den Tisch, an dem wir uns gestoßen haben, und die Gabel, die uns heruntergefallen ist. Nichts anderes als dieses Gegenseitigkeitsdenken, auf dem Gebiet der Verletzung das Vergeltungsstreben, ist es, das auch dem Satz zugrunde liegt: die Tat tötet den Mann. Nicht auf das Verschulden, die subjektive Seite, kommt es an, sondern da,rauf, daß der objektive Ausgleich wiederhergestellt wird. Hier haben wir das f 0 r mal e Strafprinzip. Die Verletzungshandlung und ihre Folgen, die objektive Wertminderung, ist Rechtfertigung für die Strafe. 3. Daneben stand aber, und zwa,r von Anfang an, das materiale Strafprinzip. Offenbar hat schon Sokrates auf diese Seite der Strafe hingewiesen. Im "Gorgias" finden wir folgende Stelle13 : S 0 k rat es: Also wer Strafe büßt, leidet Gutes? Polos: So scheint es. So k rat es: Er hat also Nutzen davon? Polos: Ja. S 0 kr a t es: Doch wohl den Nutzen, der mir dabei vorschwebt? An der Seele nämlich wird er gebessert, wenn er gerechterweise gezüchtigt wird. Polos : Wahrscheinlich. So k rat es: Also von der Schlechtigkeit der Seele wird der befreit, welcher Strafe erleidet? Polos: Ja. Hier kommt es auf den Nutzen an, den die Strafe hat, auf den Nutzen nicht für die Gemeinschaft, sondern den Täter. Mag das Bestreben, mit der Strafe auch dem Missetäter etwas zu geben, auf verschiedenen Gesichtspunkten beruhen, im frühen germanischen Recht vielleicht auf der Angst vor dem Zorn der Götter, im Platonismus auf dem Streben nach menschlicher Reinheit - es ist von Anfang an da und überflügelt sogar durch die Jahrhunderte den Gedanken des bloßen Ausgleichs der objektiven Rechtseinbuße. Aus dem germanischen Recht kennen wir den sogenannten "Reinigungszauber"14. Es mag sein, daß hier der Begriff der Reinigung zunächst vorwiegend äußerlich verstanden worden ist: der Verkehr zwischen der Gemeinschaft und ihrer Gottheit sollte rein erhalten werden, indem man den Missetäter zur Rechenschaft zog. Doch ist nicht zu leugnen, daß hier der Gedanke an eine Reinigung auch des Täters selber schon maß12
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2*
Nämlich im Mittelalter, vgl. Conrad, a.a.O., S. 564. Vgl. Plato, Gorgias, 33. Kapitel (bei Felix Meiner, 1955, S. 79). Vgl. hierzu Rehfeldt, Todesstrafen und Bekehrungsgeschichte, S. 129 ff.
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Wesen der Erziehung und ihre Tauglichkeit für das Strafrecht
gebend beteiligt war, wie er später immer stärker hervortrat und den Besserungsgedanken vorbereitete; man denke nur an die Verwendung von Feuer und Wasser bei der Urteilsvollstreckung 15 . Wenn sich die reine Erfolgshaftung auf dem Wege über die mildere Bestrafung der Ungefährwerke bald in eine Verschuldenshaftung verwandelte, bedeutete das eine weitere Verinnerlichung des Reinigungsgedankens. Echte Verantwortung des Gemeinschaftsgliedes trat an die Stelle zufälligen Daseins, und durch die hiermit Hand in Hand gehende Subjektivierung auch auf dem Gebiete der Bestrafung rückte der Besserungsgedanke schon in greifbare Nähe. Zwar dauerte es noch eine geraume Zeit, bis er strafrechtlich ins volle Bewußtsein trat1 6 ; seiner Wurzel nach ist er aber schon mit dem Gesichtspunkt der auf den Täter bezogenen Reinigung vorhanden. Die geschichtliche Entwicklung des Besserungsgedankens im Strafrecht soll und kann hier nicht dargestellt werden. Es kam uns nur darauf an, seinen Ursprung in' dem vom formalen Strafprinzip unterschiedenen materialen Strafprinzip anzudeuten, weil uns dieses die Brücke zu sein scheint zum Erziehungsgedanken. Der moderne Besserungsgedanke ist sowohl der Endpunkt der Zweckbetrachtung der Strafe als auch gleichzeitig der Anfangspunkt der Entwicklung einer neuen, neben der Strafe stehenden Reaktionsform, der Besserungsmaßregel. Nach § 42 b 8tGiB kann die Maßregel auch dort Platz greifen, wo Strafe nicht mehr verhängt werden darf. Sie hat sich von ihr also grundsätzlich gelöst. Das gleiche gilt von der Erziehung. Erzieherisch soll zwar jede Strafe wirken, auch im Erwachsenenstmfrecht. § 3 :S.2 JGG läßt die Verhängung von Erziehungsmaßnahmen aber auch dort zu, wo eine strafrechtliche Verantwortung noch nicht vorhanden ist.
III. Die Frage nach der erziehenden Funktion der Strafe liegt also, wenn man vom matertalen Strafprinzip ausgeht, zwar in der gleichen Richtung wieruejenige nach ihrer bessernden Funktion. Zwischen Besserung und Erziehung besteht aber doch ein grundlegender Unterschied. Besserung setzt schon begrifflich Abweichung der Persönlichkeit nach unten, setzt einen gewissen Persönlichkeitsverfall voraus (ohne daß es zunächst da,rauf ankommt, ob dieser Persönlichkeitsverfall auf ein Verschulden zurückgeführt werden kann oder nicht). Sie bedeutet, daß jemand, der wegen dieses Verfalls nicht in voller 15 Auch Rehfeldt, Todeslstrafen usw., S. 129 betont in diesem Zusammenhang die Bedeutung der Verwendung gerade der reinigenden Elemente. 16 Und zWar im Gefolge besonderer soziologischer Verhänltnisse, auf die wir später noch zurückkommen werden; vgl. auch H. Mayer, Lehrbuch S. 11 f. u. S. 369.
Standort des Erziehungsgedankens im Strafrechtssystem
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Tatschuld steht, tätermäßig behandelt werden soll, um die Voraussetzungen für eine volle Verantwortlichkeit im Gemeinschaftsleben, für eine echte Tatschuld bei eventuellen neuen Rechtsverstößen zu schaffen; denn die Gemeinschaft kann auf die Dauer nur auf dem Grunde der Verantwortlichkeit des Einzelnen für sein Verhalten bestehen. Ein solches tätermäßiges Behandeln geschieht auch durch Erziehung, und zwar ebenfalls deshalb, weil volle Tatverantwortung nicht gegeben ist, für die Zukunft aber geschaffen werden soll. Der Grund für das Nichtvorhandensein der für die Strafe erforderlichen vollen Tatschuld ist hier jedoch ein ganz anderer, nicht der Persönlichkeitsverfall, sondern der noch nicht weit genug fortgeschrittene Persönlichkeitsaufbau. Rechtmäßiges Handeln setzt, wie H. Mayer sagt, die Bildung der Geisteskräfte an dem Gemeinsch,aftsurteil voraus17 . Diese Bildung soll aber durch Erziehung erst vor sich gehen. Erweist sich also ein Rechtsbruch als Folge dieser mangelnden Bildung, so haben wir es mit einem psychologischen Sachverhalt zu tun, de'r vor dem Strafrecht, vor der strafrechtlichen Verantwortung steht, nicht nach ihr, wie beim Persönlichkeitsverfall. Persönlichkeitsverfall kann ja sogar selber zum Gegenstand des Schuldvorwurfs gemacht werden, indem man - ähnlich wie bei der actio libera in causa hinsichtlich der Tatschuld - bei jenem Zeitpunkt anknüpft, zu dem der Täter noch ein voll verantwortliches Glied der Gemeinschaft war; gerade dies aber ist beim Jugendlichen nicht möglich, weil hier an etwas Gewesenem nicht angeknüpft, nur auf etwas Werdendes hingewirkt werden kann. Nun wird man dageg.en allerdings einwenden wollen, auch bei der Verhängung von Besserungsmaßregeln könne es sich um Fälle handeln, in denen ~in verantwortungsgemäßer Persönlichkeitsaufbau noch nicht stattgefunden hat und daß umgekehrt Persönlichkeiten, denen man strafmildernd einen Erziehungsmangel zubilligt, auch unter Nachholung der .entsprechenden Erziehung niemals zu einer strafrechtlich voll verantwortlichen Persönlichkeit 'ausreifen werden. Das ist richtig und läßt ein weiteres, mehr rechtspolitisch gerichtetes Kriterium hell werden: bis zu einem gewissen, abstmkt bestimmten Alter vermutet der Gesetzgeber grundsätzlich ein echter Persönlichkeitsschuld entgegenstehendes Reifungsbedürfnis; nur in A:usnahmefäUen, bei ganz klaren psychologischen Tatsachen, die die Möglichkeit eines nur einigermaßen normalen Persönlichkeitswachstums von vornherein ausschließen, gibt es auch im Jugendstrafrecht eine nicht unmittelbar auf die Vorbereitung von Tatschuld gerichtete Maßnahme, nämlich die Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt {§ 7 JGG). Der 17
Lehrbuch S. 20 ff.
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Wesen der Erziehung und ihre Tauglichkeit für das Strafrecht
Staat gibt dem Individuum also eine bestimmte Frist zur Ane~gnung des Gemeinschaftsurteils und vermutet innerhalb dieser Frist regelmäßig, daß der Rechtsbruch eine noch nicht vollständige Aneignung des Gemeinschaftsurteils mit zur Ursache hat. Nach überschreiten dieser abstrakt festgesetzten Altersgrenze dagegen gilt jeder, ob schon ausgereift oder nicht, als in seiner Entwicklung hinsichtlich der Verantwortungsfähigkeit abgeschlossen; zwar kann auch hier noch von Erziehung die Rede sein, nicht aber mehr im Rahmen der Unrechtsund Schuldqualifikation, sondern nur noch der 'Strafvollstreckung. Wer über diese Grenze hinaus Persönlichkeitsmängel zeigt, bekommt sie entweder auf dem Wege der Schuld oder auf dem Wege des Sicherungsbedürfnisses der Allgemeinheit zugerechnet 18 • Sicher also gibt es Persönlichkeiten, für die die abstrakte Zeitgrenze, die das Strafrecht nach allgemeinen Erfahrungen zwischen Reifung und Reife gesetzt hat, nicht verbindlich ist; nur fällt das strafrechtlich nicht ins Gewicht. Auch hier haben wir noch einen Rest den .Einzelfall möglicherweise vergewaltigenden Erfolgsdenkens, der aber nicht zu beseitigen sein wird, wenn das Strraf,recht sich nicht ganz aufgeben will. Der Richter kann nicht in jedem Falle prüfen, ob der Jugendliche, der vor ihm steht, nicht doch in voller Tatschuld steht und in seiner Entwicklung abgeschlossen ist; er hat also nicht die Möglichkeit, den Jugendlichen der vollen Rechts-(Erwachsenen-)Strafe und den Erwachsenen umgekehrt einer Erziehungsmaßnahme zu unterwerfen, wo der besondere Fall einmal anders liegt. Auch der nicht mehr entwicklungsfähige Jugendliche profitiert vom Jugendstrafrecht, der entwicklungsgehemmte Erwachsene dagegen hat die Nachteile des Erwachsenenstrafrechts zu tragen. Das Gesetz der Wahrscheinlichkeit, das Erfahrungsgesetz, regiert und triumphiert über die Besonderheiten des Einzelfalles. Psychologie hat nach allgemeiner Erfahrung das Strafrecht umgeformt, nicht nach den möglichen Besonderheiten des einzelnen Falles; sie wirkt gewissermaßen - wie im Arbeitsrecht der Tarifvertrag - nur normativ, unabdingbar, und sagt in ihrer auf das Strafrecht bezogenen abstrakten Ausprägung: der Jugendliche bis zum 18. bzw. 21. Lebensjahr ist noch nicht ausgereift, verdient in emter Linie Geleit statt Erwiderung, Pflege statt Strafe, FÖI1derung statt Mißbilligung. 18 Vgl. hierzu auch R. Lange, zstW 62, 175 ff. Lange folgt dort u. E. zutreffend - nicht dem Fiktionalismus von Kohlrausch, sondern zieht eine klare Trennlinie zwischen Täterschuld und Sicherungsbedürfnis (vgl. vor allem S. 203). Ob allerdings nicht schon die Verwendung einer besonderen Täterschuld den Schuldbegriff verwässert und eine so klare Trennung vom Sicherungsbedürfnis noch zuläßt, ist fraglich. - Heinitz, a.a.O. neigt wohl mehr dazu, alle Persönlichkeitsmängel, soweit sie sich in der konkreten Tat gezeigt haben, der Schuld zuzurechnen (vgl. vor allem S. 74 ff.), wobei "Schuld" allerdings im Sinne eher des Einstehenmüssens, der Haftung also, verstanden wird.
standort des Erziehungsgedankens im Strafrechtssystem
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IV. Nun hat man sich darüber auseinandergesetzt, ob Jugendstrafrecht deshalb etwas anderes sei als Erwachsenenstrafrecht, ob beide auf der gleichen oder auf verschiedenen Grundlagen beruhen 19 • Eine solche Auseinandersetzung ist unfruchtbar, solange nicht die einzelnen Kategorien durchgeprüft werden, die für das eine Rechtsgebiet in Abweichung vom anderen maßgebend sind.