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German Pages 353 [354] Year 2023
Studien und Beiträge zum Strafrecht Band 42
Lukas Cerny
Eine kurze Geschichte der Strafe Ein historisch-kritischer Beitrag zur Straftheorie
Mohr Siebeck
Lukas Cerny, geboren 1993, Studium der Rechtswissenschaften in Regensburg (2012–2017), Doktorand und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Europäisches Strafrecht von Prof. Dr. Tonio Walter, RiBayObLG in Regensburg (2018–2021), Rechtsreferendariat am OLG Nürnberg (2021–2023), seit 2023 Staatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft München I.
ISBN 978-3-16- 162626-5 / eISBN 978-3-16-162674-6 DOI 10.1628/978-3-16-162674-6 ISSN 2364-267X / eISSN 2568-7468 (Studien und Beiträge zum Strafrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind über https://dnb.de abrufbar. © 2024 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck aus der Times gesetzt, in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden. Printed in Germany.
Vorwort Diese Arbeit wurde von der Fakultät für Rechtswissenschaften der Universität Regensburg als Dissertation angenommen. Sie befindet sich bis auf kleinere Änderungen im Verlagsverfahren auf dem Stand ihrer Einreichung im Frühjahr 2021. Die Grundidee für die „kurze Geschichte der Strafe“ reifte – ebenso wie die Arbeit selbst – in meiner Zeit am Lehrstuhl von Prof. Dr. Tonio Walter. Ihm als Doktorvater gilt aus vielerlei Gründen mein erster, aufrichtiger Dank. Zum einen hätte ich mir in fachlicher Hinsicht keine bessere Betreuung wünschen können. Zum anderen war er aber auch verantwortlich für die Atmosphäre und Zusammensetzung am Lehrstuhl und damit dafür, dass ich jeden Tag meiner Promo tionszeit voller Vorfreude ins Büro gekommen bin. Insofern danke ich auch allen meinen damaligen Lehrstuhlkollegen, die mittlerweile zu Freunden geworden sind. Besonderer Dank gilt dabei meinem Büronachbarn Johannes Makepeace für die zahlreichen anregenden Diskussionen, seinem Vorgänger Patrick Michler für den unerschütterlichen Ehrgeiz in den täglichen Bürogolf-Duellen, Martin Schuhmacher für sein akribisches Korrekturlesen und nicht zuletzt Martina K ellermann (wobei der Platz hier nicht ausreichen würde, um aufzuzählen wofür). Bevor der geneigte Leser nun aber auf eine kurze Reise durch die lange Geschichte der Strafe aufbricht, möchte ich noch den wichtigsten Dank aussprechen. Er gilt zunächst meiner geliebten Frau Katja, ohne die ich ohnehin nie wüsste, was ich tun sollte. Und schließlich gilt er meinen Eltern Christiane und Michael: für ihre Gene, ihre Liebe und ihre bedingungslose Unterstützung auf meinem bisherigen Lebensweg. Euch dreien ist dieses Buch gewidmet.
Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX
Einführung: Der Sinn und Zweck der Strafe . . . . . . . . . . . 1 Teil I: Die Geschichte der Strafe und Straftheorie bis hin zur Entstehung von Herrschaft und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Kapitel 1: Die Geburt der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Kapitel 2: Strafe in vorstaatlichen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . 36 Kapitel 3: Strafe und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64
Teil II: Die Geschichte der Strafe und Straftheorie von der Völkerwanderungszeit bis zur Gegenwart . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1: Von den Anfängen: Die Völkerwanderung und die erste Krise der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Kapitel 2: Die Entzauberung der Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . 111 Kapitel 3: Naturrecht und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Kapitel 4: Die Kodifikationsbewegung und der „Deutsche Idealismus“ 159 Kapitel 5: Der Fortgang des 19. Jahrhunderts und der Schulenstreit . . 189 Kapitel 6: Die Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . 217 Kapitel 7: Nachkriegszeit und Strafrechtsreform . . . . . . . . . . . . . 226 Kapitel 8: Der Siegeszug der positiven Generalprävention . . . . . . . 242 Kapitel 9: Gegenwärtige Entwicklungen des Strafrechts . . . . . . . . 262
Fazit: Was bleibt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII
Einführung: Der Sinn und Zweck der Strafe . . . . . . . . . . . 1 I. Die Pattsituation in der Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 II. Die wichtigste Frage des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 III. Die Geschichte der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 1. Eine neue Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Aus der Geschichte lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 3. Der Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6
Teil I: Die Geschichte der Strafe und Straftheorie bis hin zur Entstehung von Herrschaft und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Kapitel 1: Die Geburt der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I. Das Quellenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 II. Der ethnologische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 1. Die Ethnologie und die „komparative Methode“ . . . . . . . . . 10 a) Methodische Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 b) Der Neoevolutionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Die Universalitätsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 3. Soziologische und ethnologische Kritik . . . . . . . . . . . . . . 14 4. Ein bloßer Streit um Worte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 5. Ein weiter Strafbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 6. Ist Strafe ewig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 III. Der psychologische und soziobiologische Ansatz . . . . . . . . . . 17 1. Schnelles Denken, langsames Denken . . . . . . . . . . . . . . . 18 2. Der intuitive Charakter von Strafbedürfnissen . . . . . . . . . . . 19 3. Die Macht der Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4. Die Wurzeln der Intuition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 a) The survival of the fittest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
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Inhaltsverzeichnis
b) Die evolutionäre Spieltheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 c) Die Evolution der Kooperation . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 aa) Das Gefangenendilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 (1) „Tit for Tat“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 (2) Altruistisches Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 bb) Kooperation, Vertrauen und Strafe . . . . . . . . . . . . . 31 cc) Empirisches Feedback . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (1) Der Blick ins Tierreich . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 (2) Neurowissenschaftliche Erkenntnisse . . . . . . . . . . 32 5. Die Wurzeln der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Kapitel 2: Strafe in vorstaatlichen Gesellschaftsformen . . . . . . . . . 36 I. Jäger und Sammler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Die erste Wohlstandsgesellschaft – Leben und Konflikt in der Altsteinzeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Kooperationsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 aa) Die Rolle der Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Die Horde und die Jagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 b) Eigentum und Diebstahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 c) Kriegerische Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2. Hordenspezifisches „Strafrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Die Akzeptanz der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 aa) Die „absolut“ gerechte Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . 43 bb) Die „relativ“ gerechte Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Die Kosten der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 c) „Physische“ Privatstrafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 d) Alternative Strafmechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 aa) Ausschluss und Fluktuation . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 bb) Stigmatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 II. Segmentäre Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 1. Die neolithische Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Soziostrukturelle Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . 51 aa) Soziale Dichte und (familiäre) Abhängigkeiten . . . . . . 52 bb) Segmentierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 3. Konfliktlösung und Reaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 a) Die alten Mechanismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 b) Neue Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 aa) Bußleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57
Inhaltsverzeichnis
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bb) Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Straftheorie in vorstaatlichen Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . 59 1. Strafe und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 a) Die Legitimation altruistischer Strafe . . . . . . . . . . . . . . 60 b) Strafende Götter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 c) Soziale Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2. Implizierte und faktische Wirkungen der Strafe . . . . . . . . . . 62 a) Vergeltung als Strafzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 b) Abschreckung und Kooperationssicherung . . . . . . . . . . . 63 Kapitel 3: Strafe und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 I. Herrschaft und Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Macht und Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2. Herrschaft als institutionalisierte Macht . . . . . . . . . . . . . . 66 II. Die Entstehung von Herrschaft und Staat . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Konflikttheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Die notwendige Beschränktheit der Entstehungstheorien . . . . . 67 3. Die Krise der Strafe und ihre Lösung im Staat . . . . . . . . . . 68 a) Die Anfänge der Massenkooperation . . . . . . . . . . . . . . 68 b) Das Versagen der alten Mechanismen . . . . . . . . . . . . . 69 aa) Der Ausfall der „alternativen“ Strafmechanismen . . . . . 70 bb) Das Akzeptanzproblem in (zusammen-)wachsenden Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 c) Herrschaft und Staat als Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . 71 d) Die Institutionalisierung der Macht . . . . . . . . . . . . . . . 72 III. Verbrechen und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. Frühstaatliches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 a) Politisierung des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 b) Neue Strafformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 c) Schadensersatz und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 2. Die ersten „Gesetzestexte“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 a) Die Erfindung der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 b) Der Codex Hammurabi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Die Rechtsnatur der Codices . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3. Frühstaatliche Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Theokratische Straftheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 b) Die Anfänge der Reflexion: die „Griechische Aufklärung“ . . . 85
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Inhaltsverzeichnis
Teil II: Die Geschichte der Strafe und Straftheorie von der Völkerwanderungszeit bis zur Gegenwart . . . . . . . . . . . . .
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Kapitel 1: Von den Anfängen: Die Völkerwanderung und die erste Krise der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. . . . . . . . . . . . . . . Das Aufeinandertreffen der Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 1. Die Germanen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 a) Vorstaatliche Krieger-Bauern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 b) Frühgermanisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Das römische Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 a) Eine sterbende Weltmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 b) Römisches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Das Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 a) Eine neue Staatsreligion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 b) Der Widerspruch der Testamente . . . . . . . . . . . . . . . . 97 II. Eine neue Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Neue Könige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Neues Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 a) Das internationale Strafrecht der fränkischen Zeit . . . . . . . 101 b) Frühstaatliches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 c) Die Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Die theokratische Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 1. Augustinus prägt die Geschichte der Straftheorie . . . . . . . . . 105 a) Die Legitimation der Herrscher(-Richter) . . . . . . . . . . . 105 b) Die Legitimation der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 aa) Die göttliche Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 bb) Die weltliche Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 2. Die Straftheorie des (frühen) Mittelalters . . . . . . . . . . . . . 109 Kapitel 2: Die Entzauberung der Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . 111 I. Erste Risse in der Theokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Die wirtschaftliche Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 2. Das Theater des Schreckens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Neue Herausforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 aa) Die landschädlichen Leute . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 bb) Das blühende Fehdewesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 cc) Das Strafverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 dd) Die Relativität der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Versuche einer Rationalisierung des Rechts . . . . . . . . . . 114
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aa) Gottes- und Landfrieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 bb) Der Inquisitionsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 cc) Die Universitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 dd) Die Rechtsspiegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 c) Die willkürliche Strafpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 d) Die Constitutio Criminalis Carolina (Teil 1) . . . . . . . . . . 118 3. Straftheorie – Der Beginn der Säkularisierung . . . . . . . . . . 119 a) Kirche und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Glaube und Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 c) Thomas von Aquin und die Antwort der Kirche . . . . . . . . 121 aa) Die göttliche Wahrheit und die Vernunft . . . . . . . . . . 122 bb) Die Straftheorie des Thomas von Aquin . . . . . . . . . . 123 (1) Aristotelisch ausgleichende Gerechtigkeit . . . . . . . 123 (2) Die Trennung von göttlicher und weltlicher Strafe . . . 124 d) Nützlich ist, was gerecht ist – Die Constitutio Criminalis Carolina (Teil 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 e) Die Straftheorie des ausgehenden Mittelalters . . . . . . . . . 127 II. Die letzten Züge der theokratischen Straftheorie . . . . . . . . . . . 128 1. Göttliche Gerechtigkeit und die „Poena extraordinaria“ . . . . . . 128 2. Das Vordringen humanistischer Einflüsse . . . . . . . . . . . . . 130 a) Die Voraussetzungen für den Bedeutungsgewinn des Präventionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 aa) Das „Ratsuchen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 bb) Die Spaltung der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 cc) Der Verfall religiöser Wahrheitsansprüche . . . . . . . . . 132 b) Die neue Strömung der Präventionisten . . . . . . . . . . . . 133 aa) (Noch) keine Alternative . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Die Einigkeit der Konfessionen in der Straftheorie . . . . 134 c) Benedikt Carpzov . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 d) Der Fortgang der theokratischen Straftheorie . . . . . . . . . . 136 Kapitel 3: Naturrecht und Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I. Die „wissenschaftliche Revolution“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 1. Der Blick in die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 2. Die menschliche Vernunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Das frühe Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Hugo Grotius und die endgültige Trennung der weltlichen von der göttlichen Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Das Recht auf Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Die vernünftige Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144
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c) Straftheorie und Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . 144 2. Der gemeine Nutzen als oberste Maxime . . . . . . . . . . . . . 145 3. Die Straftheorie im frühen Naturrecht . . . . . . . . . . . . . . . 146 III. Die Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 1. Der Epochenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Sapere Aude! Der Durchbruch des neuen Naturrechts . . . . . 147 b) Europäische Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2. Die Straftheorie der Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Die Herrschaft der relativen Straftheorien . . . . . . . . . . . 149 b) Gerecht ist, was nützlich ist! . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 3. Die Folgen der Herrschaftsübernahme . . . . . . . . . . . . . . . 151 a) Das Ende des „Theaters des Schreckens“ . . . . . . . . . . . . 151 aa) Entkriminalisierung und das Ende der Folter . . . . . . . . 151 bb) Neue und mildere Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 b) Humanismus als Triebkraft der Aufklärung? . . . . . . . . . . 153 aa) Zweckrationalistische Argumentationsmuster . . . . . . . 153 bb) Der Primat des gemeinen Nutzens . . . . . . . . . . . . . 154 c) Der Beginn neuer Schrecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 aa) Neue Delikte und Strafen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 bb) Ein neues Strafrecht ohne Grenzen . . . . . . . . . . . . . 156 cc) Das Ende der „Relativität der Strafe“ . . . . . . . . . . . . 157 Kapitel 4: Die Kodifikationsbewegung und der „Deutsche Idealismus“
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I. Die Kodifikationsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Der ursprüngliche Zielkonflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 2. Die Kodifikationswelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 3. Das Verhältnis von Spezialprävention und Gesetzesbindung . . . 162 4. Paul Johann Anselm von Feuerbach und die Theorie vom psychologischen Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Feuerbach und der „Deutsche Idealismus“ . . . . . . . . . . . 163 b) Feuerbachs Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Der physische Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Der psychologische Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 cc) Die (oberflächliche) Vereinigung von Philosophie und Positivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Der Einfluss Feuerbachs auf das Strafrecht . . . . . . . . . . . 167 II. Der „Deutsche Idealismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Immanuel Kant . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Absolute oder relative Straftheorie Kants? . . . . . . . . . . . 170 b) Was kann ich wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172
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XV
aa) Kants Transzendentalphilosophie . . . . . . . . . . . . . . 172 bb) Moral und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 c) Kant und die Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 aa) Das „höchste Gut“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 bb) Der Maßstab sittlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Die Verbindung von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit 176 dd) Die Absolutheit der Straftheorie Kants . . . . . . . . . . . 177 d) Was soll ich tun? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Georg Wilhelm Friedrich Hegel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 a) Die grenzenlose Erkenntnis des Geistes . . . . . . . . . . . . 180 b) Der dialektische Prozess der Erkenntnis . . . . . . . . . . . . 181 c) Hegels Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 aa) Die notwendige Verbindung von Verbrechen und Strafe . . 182 (1) Freiheit und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (2) Recht und Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 bb) Die Bestimmung der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 Kapitel 5: Der Fortgang des 19. Jahrhunderts und der Schulenstreit . . 189 I. Die Entwicklung der „klassischen Schule“ . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Das Erbe Feuerbachs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Der aufkommende Liberalismus und der Sieg des Positivismus . 192 3. Die „klassische Schule“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Ein idealistisches Menschenbild . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Der Kodifikationsgedanke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Die Rückkehr der Vergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Die Entwicklung der „modernen“ Schule . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Das Ende des philosophischen Zeitalters . . . . . . . . . . . . . 196 a) Die industrielle Revolution und die soziale Frage . . . . . . . 196 b) Die hohlen Phrasen des Idealismus . . . . . . . . . . . . . . . 197 2. Die Wissenschaft vom Verbrechen und der Strafe . . . . . . . . . 198 a) Der Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Der Blick auf den Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 c) Die Kriminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3. Franz von Liszt und die „moderne Schule“ . . . . . . . . . . . . 201 a) Die Marburger Schule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Das Marburger Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 aa) Die Rückkehr des Zweckgedankens . . . . . . . . . . . . 202 (1) Sicherungsprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 (2) Positive Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . 204 (3) Negative Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . 205
XVI
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bb) Gerecht ist, was notwendig ist! . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Der „Schulenstreit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 1. Der Angriff der Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 a) Die Parallelen zur letzten Herrschaftsübernahme . . . . . . . . 206 b) Neuer Gegenwind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Ein Kampf ohne Sieger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Zugeständnisse in Kriminalpolitik und Straftheorie . . . . . . . . 210 a) Die Zweispurigkeit des strafrechtlichen Rechtsfolgensystems . 211 b) Die Geldstrafengesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 c) Das Jugendgerichtsgesetz und die Bewährung . . . . . . . . . 213 4. Der Vergeltungsgedanke und das Schuldprinzip . . . . . . . . . . 214 5. Die Erfolge der „modernen Schule“ als Versprechen für die Zukunft 215 Kapitel 6: Die Zeit des Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . 217 I. Kontinuität und Radikalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 II. Nationalsozialistische Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 1. Die Radikalisierung der „modernen Schule“ . . . . . . . . . . . 220 a) Der Schutz des Volkes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 b) Vom Tat- zum Täterstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Die Radikalisierung der „klassischen Schule“ . . . . . . . . . . . 223 a) „Gerechtigkeit“ und „gesundes Volksempfinden“ . . . . . . . 223 b) „Nullum crimen sine poena“ – Die Abschaffung des Gesetzlichkeitsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. „Gerecht ist, was dem deutschen Volke frommt!“ . . . . . . . . . 224 Kapitel 7: Nachkriegszeit und Strafrechtsreform . . . . . . . . . . . . . 226 I. Sozialistisches Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 II. Aufarbeitung und Neubeginn in der BRD . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Die Vereinigung der Strafzwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 IV. Die „Große Strafrechtsreform“ und die Phase der spezialpräventiven Euphorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 1. Der Entwurf E 1962 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Die Herrschaft der „klassischen Schule“ . . . . . . . . . . . . 231 aa) Die Spielraumtheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 bb) Vergeltungsgedanke und Schuldbegriff . . . . . . . . . . . 232 b) Das Strafrecht als Instrument der Sittenbildung . . . . . . . . 233 2. Der Alternativ-Entwurf 1966 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 a) Die antiautoritäre Bewegung der 60er Jahre . . . . . . . . . . 234 b) Die Phase der Behandlungs- und Resozialisierungseuphorie . . 235 c) Der Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer von 1966 . . . . 236
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XVII
aa) Die Herrschaft der Spezialprävention . . . . . . . . . . . 236 bb) Präventionsgedanke und Schuldbegriff . . . . . . . . . . . 237 3. Die Gesetze zur Reform des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Die Straftheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Liberalisierung von Rechtsfolgen und materiellem Recht . . . 239 Kapitel 8: Der Siegeszug der positiven Generalprävention . . . . . . . 242 I. Das schnelle Ende der Behandlungseuphorie . . . . . . . . . . . . 242 1. „Nothing works!“ und die (erneute) Legitimationskrise . . . . . . 242 2. Der Abolitionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 3. Die Stunde der Soziologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 II. Die negative Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 1. Normative Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Empirische Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 a) Das (sichere) Wissen von den Straffolgen . . . . . . . . . . . 247 b) Der „homo oeconomicus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Das Abschreckungsdenken in Theorie und Praxis . . . . . . . . . 249 III. Die „klassische Schule“ im neuen Gewand . . . . . . . . . . . . . 249 1. Die Renaissance der absoluten Theorien . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Positive Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 a) Günther Jakobs und die kommunikative Strafe . . . . . . . . . 254 b) Die Vergeltung im neuen Gewand . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) … ne peccetur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 bb) … quia peccatum est. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Retributive Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Kapitel 9: Gegenwärtige Entwicklungen des Strafrechts . . . . . . . . 262 I. Geschichte und Zukunft der Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. Die Relativität des Strafrechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Die moderne (Un-)Sicherheitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . 264 2. Die Strafe als politisches Allheilmittel: die „Präventions-Formel“ 266 a) Die Expansion des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 aa) Neukriminalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 bb) Symbolische Einzelfallgesetzgebung . . . . . . . . . . . . 271 cc) Die Europäisierung des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . 273 b) Das moderne Strafrecht als großer Flickenteppich . . . . . . . 274 aa) Die Größe des Teppichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 bb) Die Flicken des Teppichs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Das Problem der Strafungleichheit . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Die Wahrnehmung der fehlenden Relativität . . . . . . . . . . . 279
XVIII
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Fazit: Was bleibt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 I. Was kann ich wissen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Was soll ich tun und was darf ich hoffen? . . . . . . . . . . . . . . 285 Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Materialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331
Einführung
Der Sinn und Zweck der Strafe I. Die Pattsituation in der Straftheorie1 Strafe ist allgegenwärtig. Sie begegnet uns täglich, sei es im näheren sozialen Bereich (etwa der Kindererziehung), sei es in der morgendlichen Tageszeitung, den nachmittäglichen Gerichtsshows, dem abendlichen Fernsehkrimi oder dem Gute-Nacht-Kriminalroman.2 Es ist das Unerwartete, das uns in Gestalt des Verbrechens abschreckt, vielleicht ängstigt, dessen Faszination uns aber dennoch in seinen Bann zieht. Kriminalität und untrennbar mit ihr verbunden ihre selbstverständlich erscheinende Folge: die Strafe, sind insofern ein fester Teil unserer Gesellschaft.3 Woher aber kommt diese enge Verbindung? Warum reagieren wir auf unerwünschtes Verhalten ausgerechnet mit Strafe? Seit Jahrtausenden haben sich die großen Denker aller Epochen mit dieser grundlegenden Frage beschäftigt. Bis heute haben sie keine Antwort gefunden, die sich als der Wahrheit letzter Schluss erwiesen hätte. Einigkeit besteht inzwischen zumindest in zwei Punkten: der Überzeugung, dass (staatliche) Strafe – wenn auch nicht in ihrer jetzigen Ausgestaltung – sein müsse. Und der Erkenntnis, dass sie – welchen Sinn und Zweck auch immer sie habe – jedenfalls nicht um ihrer selbst willen da sei(n dürfe). Ob die Strafe aber der Vergeltung für vergangene Taten diene oder ob sie besonders wichtige Rechts güter schütze. Ob gestraft wird, weil gesündigt wurde („quia peccatum est“) oder damit nicht gesündigt werde („ne peccetur“). All dies ist bis heute letztlich nicht geklärt. Zahlreiche Ansätze und Theorien stehen sich mittlerweile mit immer 1 Von einer solchen „Pattsituation“ sprechen ausdrücklich etwa Kaspar (in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 61–90 [61]) und Rodríguez Horcajo (GA 2018, 609–622 [609]). 2 Einen amüsanten Einblick in die verschiedenen medialen Darstellungsformen und in die „verzerrte, von den Medien konstruierte Wirklichkeit“ gibt Bernsmann, in: Entwicklungen, S. 27–42 (27 ff.); siehe dazu auch Garland, Kultur, S. 287 ff. 3 Zu dieser „Faszination des Kriminellen“ vgl. Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 15 ff.; Garland (in: Soziologie, S. 36–68 [61 ff.]; ders., Kultur, S. 257 ff.) diagnostiziert den westlichen Gesellschaften „der späten Moderne“ (den „high crime societies“) einen „Kriminalitätskomplex“.
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Einführung: Der Sinn und Zweck der Strafe
gleichen Argumenten gegenüber oder werden in unterschiedlichen Variationen „vereint“.4 Nach einem Jahrhunderte, gar Jahrtausende währenden Streit ist die zwischenzeitliche Euphorie in der Suche nach dem Sinn und Zweck der Strafe heute weitestgehend einer breiten Ernüchterung gewichen, in der sich – jedenfalls in Deutschland – die Gegensätze eingeebnet haben.5
II. Die wichtigste Frage des Strafrechts Man mag das wenig problematisch finden, immerhin bleibt ja die grundsätzliche Einigkeit darüber, dass staatliche Strafe sein muss. Warum das so ist, scheint auf den ersten Blick also erst einmal zweitrangig zu sein. Die Frage nach dem Sinn und Zweck des Strafens stellt sich aber freilich nicht nur auf abstrakter Ebene. Vielmehr zwingt das Grundgesetz den Staat bei jedem einzelnen Eingriff in die Rechte seiner Bürger zu einer Legitimation. Gerade wenn er mit dem Strafrecht zu seinem wohl schärfsten Schwert greift, sollte er also grundsätzlich wissen, welches Ziel er damit verfolgt und ob die Strafe das geeignete, erforderliche und angemessene Mittel zur Verfolgung dieses Zweckes ist.6 Welche Aufgabe erfüllt das Strafrecht in der Gesellschaft? Welche konkreten Verbote sollten mit Strafe bewehrt werden, damit das Strafrecht dieser Aufgabe nachkommen kann? Welche Strafen sind sinnvoll, und wie hoch sollten sie ausfallen? All diese Fragen münden vielleicht in einer letzten, der „Gretchenfrage“ des Strafrechts: (Wann) ist Strafe gerecht? Und all diese Fragen kann der Staat in 4 Zu den (modernen) Vereinigungstheorien mit zahlreichen Nachweisen Hassemer/Neu mann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 286 f.; Jescheck/Weigend, § 8 V (S. 75 ff.); Versuche die verschiedenen Straftheorien zu „vereinen“ gab es freilich schon immer, vgl. Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29–50 (29); Montenbruck, Straftheorie, S. 17 ff., 78 ff.; eine allgemeine Übersicht zu den Straftheorien findet sich etwa bei Hörnle (Straftheorien) und bei Roxin/Greco (§ 3 Rn. 1 ff.). 5 So auch das Urteil von Thomas Weigend (FS Frisch, S. 17–30 [19]), der dort ferner ernüchternd prognostiziert: „Aber diese Fragen werden nicht mehr so stark im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Debatte stehen wie im vergangenen Jahrhundert, und ich möchte auch bezweifeln, dass auf diesem Gebiet noch fundamental neue Entdeckungen gemacht werden.“; vgl. auch Rodríguez Horcajo (GA 2018, 609–622 [609]), der konstatiert: „Die verschiedenen Rechtfertigungslehren […] scheinen gegen ihre wechselseitige Kritik zu bestehen, aber offensichtlich hat keine die schlagenden Argumente, um das Unentschieden aufzubrechen.“ 6 Kaspar, S. 351 ff.; vgl. auch Hassemer, Strafe, S. 94, Ladogny, S. 275 ff.; trotz dieser Evidenz spielt eine ausdrücklich abwehrrechtliche Grundrechtsüberprüfung in der Literatur aber meist nur eine geringe Rolle, vgl. Appel, S. 40; Weigend, FS Hirsch, S. 917–938 (917); ferner Tiedemann, S. 3 ff.; auch das Bundesverfassungsgericht selbst lässt diesbezüglich keinen roten Faden erkennen; vgl. (als positives Gegenbeispiel) aber BVerfGE 90, 128 (ff.) („Cannabis-Entscheidung“).
Einführung: Der Sinn und Zweck der Strafe
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einem verfassungsrechtlichen Legitimationsprozess nur beantworten, wenn er den Sinn und Zweck von Strafe und Strafrecht benennen kann. Vor diesem Hintergrund erscheint die gegenwärtige Pattsituation im straftheoretischen Diskurs mehr als unbefriedigend. Zwar ist die Notwendigkeit des staatlichen Strafens im Grunde anerkannt und wird dem Gesetzgeber bezüglich der möglichen Wirkungen von Strafe daher ein weiter Beurteilungsspielraum zugesprochen.7 Prognostiziert wird vom Kriminalgesetzgeber allerdings herzlich wenig. Vielmehr wird die Frage in jedem neuen Gesetzgebungsverfahren fast schon traditionell ausgeschwiegen. Verwiesen wird allenfalls floskelhaft auf einige Gemeinplätze, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen – in aller Regel politisch motivierten – Vorhaben meist nicht weiter hinterfragt werden und die mit dem Stand der wissenschaftlichen Forschung oft nur schwer zu vereinbaren sind.8 Bedenklich ist das aber nicht nur aus der verfassungsrechtlichen Perspektive. Vielmehr droht ein solch unreflektierter Rückgriff auch dazu zu führen, dass das Strafrecht seine wichtigen gesellschaftlichen Funktionen – sollte es diese denn geben – nicht mehr erfüllen kann, ihnen vielleicht sogar zuwiderläuft. Und schließ lich kann – „abgesehen von haltloser Routine und einfacher Befolgung der Tradi tion“9 – einzig das Wissen um den Sinn und Zweck von Strafrecht und Strafe dem Gesetzgeber, dem Rechtswissenschaftler und dem Richter einen tauglichen Maßstab für deren Inhalt und Umfang an die Hand geben. Richtet man das gesamte Strafrecht (richtigerweise) also funktional aus – heißt: an den mit ihm verfolgten Zwecken –10, so bleiben die grundlegenden, aber bis heute ungeklärten Fragen der Straftheorie nicht nur aus legitimatorischer Sicht die wichtigsten des aktuellen Strafrechts.11
III. Die Geschichte der Strafe 1. Eine neue Perspektive Der vergleichsweise geringe Stellenwert, den die Frage nach dem Sinn und Zweck des Strafens in der heutigen politischen und wissenschaftlichen Debatte einnimmt, lässt sich letztlich nur durch eine Art Kapitulation im lange währen7 Vgl.
Kaspar, S. 126 ff. Dazu Teil II – Kapitel 9II.2. 9 von Bar, S. 203. 10 Die Rede ist in diesem Sinne von einem „funktionalen Strafrechtssystem“, vgl. jeweils mit zahlreichen Nachweisen Roxin/Greco, § 7 Rn. 26 ff.; T. Walter, LK-StGB, Vor § 13, Rn. 7. 11 Zur Rolle der Strafzweckfrage speziell in der Dogmatik vgl. T. Walter, FS Merkel, S. 545–564 (554 f.). 8
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Einführung: Der Sinn und Zweck der Strafe
den Streit der Straftheorien erklären. Einem Streit, in dem bis heute kein Sieger in Aussicht steht. Auch diese Arbeit kann und will einen solchen nicht küren. Sie soll den Streit aber auf einem in dieser Form noch nicht beschrittenen Weg neu beleuchten und so neue Argumente und Blickwinkel in die wichtige Diskussion bringen. Die neue Perspektive, die hier eingenommen werden soll, entfernt sich zunächst von den immer ausdifferenzierteren Theoriengebilden – von den Feinheiten der kriminologischen, philosophischen und soziologischen Ansätze. Sie richtet den Blick in der gegenwärtigen Pattsituation vielmehr zurück auf das große Ganze, um erstmals die großen Entwicklungslinien zu beleuchten und so den Blick für das Wesentliche wieder zu schärfen. In diesem Sinne beschreibt die „Kurze Geschichte der Strafe“ parallel auftretende Veränderungen in der Gesell schaft, in der Strafe und im straftheoretischen Fundament. Freilich können auch diese Zusammenhänge den in großen Teilen eben auch „zufälligen“ Gang der Geschichte nicht allumfassend erklären. Sie können aber die wesentlichen Bedingungen beschreiben, die den Weg der Geschichte zur jeweiligen Zeit geebnet haben – die „Bedingungen der Möglichkeit“, wie Kant sie vielleicht genannt hätte.12 Und nur in diesem historischen und geistesgeschichtlichen Kontext lassen sich die großen Entwicklungslinien erkennen und die großen Denker und Straftheorien wirklich verstehen.13
2. Aus der Geschichte lernen Ein erstes Ziel dieser Arbeit ist es also, einen neuen Blickwinkel auf die verschiedenen Straftheorien zu eröffnen – freilich in der Hoffnung, dass ein besseres Verständnis zu neuen Argumenten und zu frischem Wind in der festgefahrenen Diskussion führen wird. Ein zweites Ziel aber ist es, die entsprechenden Erkenntnisse, die sich aus den „großen Linien“ ableiten lassen, auf die Gegenwart zu übertragen, problematische Entwicklungen zu kennzeichnen und – wo möglich – auch Handlungsmöglichkeiten anzudeuten. Letztlich geht es also in gewisser Weise darum, aus der Geschichte zu lernen. Der (methodischen) Problematik dieses Unterfangens bin ich mir durchaus bewusst. Sie betrifft zunächst die Quellenlage, welche gerade für die frühen Stadien der menschlichen Geschichte doch weiterhin sehr dürftig ist. Diesem Punkt widmet sich ausführlicher das erste Kapitel zur „Geburt der Strafe“. Jederzeit geht es bei der Auswahl und der Auswertung dieser Quellen aber auch um Inter 12 Vgl.
dazu Fögen, JJZG 4 (2002/2003), S. 3–6 (5 f.); zu Kant und seinen „Bedingungen der Möglichkeit“ siehe Teil II – Kapitel 4II.1.b) aa). 13 Vgl. auch Schild, in: Justiz in alter Zeit, S. 7–38 (16).
Einführung: Der Sinn und Zweck der Strafe
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pretation.14 So war es bei der Auswahl des Materials stets nötig, „Wesentliches“ von „Unwesentlichem“ zu trennen, um die „typischen“ geistigen Grundlagen der Zeit zu ergründen.15 Das ist einerseits unproblematisch, da gerade sie es sind, die die jeweiligen Epochen entscheidend geprägt haben. Es verschleiert aber in gewisser Weise, dass sich die großen Geistesströmungen nie einfach schlagartig so abgelöst haben, wie es die hiesige Darstellung vereinzelt vielleicht implizieren mag: „In jeder voll entfalteten Kultur leben noch die Reste vergangener Formen und wirken bereits die Keime einer anderen, die sie einst ablösen wird.“16
Zu jeder Zeit wird es Menschen gegeben haben, die ihrer Zeit voraus waren. Menschen, die sich zumindest insgeheim nicht den herrschenden Doktrinen angeschlossen haben – besonders in einem von Haus aus so konservativen Bereich wie dem Recht.17 So wird mit hoher Wahrscheinlichkeit etwa nicht jeder mittelalterliche Ketzerrichter davon überzeugt gewesen sein, dass der Verurteilte mit Satan im Bunde stand. Will man das Gesamtbild der Entwicklung von Strafe und Straftheorie verstehen, sind es dennoch gerade die typischen geistigen Grund lagen der jeweiligen Zeit, die nachgezeichnet werden müssen.18 Ich habe an einigen Stellen versucht, dies auch in den geschichtlichen Darstellungen zu verdeutlichen. Bereits an dieser Stelle sei aber auf die möglichen Verzerrungen einer solch typisierenden Betrachtung hingewiesen. Hingewiesen sei ferner auf die vielleicht zentrale Problematik im Umgang mit historischen Quellen: ihre Auswertung. Sämtliche Quellentexte geben nämlich Antworten auf Fragen, die nicht einfach so im Raum stehen, sondern vom Leser erst gestellt werden müssen.19 Jede Interpretation erfolgt insofern durch die Brille des jeweiligen Interpreten, wird also von seinem konkreten Vorverständnis ebenso beeinflusst wie von den spezifischen (auch rechtlichen) Gegebenheiten der Zeit, in der er die Quellen untersucht.20
14 Dazu und zum Folgenden Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 14 ff.; ders., in: Juristische Zeitgeschichte, S. 69–81 (79 ff.). 15 Dazu Gehrke, in: Geschichte der Welt, S. 1–40 (17); Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 15. 16 Valjavec, Aufklärung, S. 69 f. 17 Vgl. Fögen, JJZG 4 (2002/2003), S. 3–6 (3). 18 Schild, in: Justiz in alter Zeit, S. 7–38 (16). 19 Dazu und zum Folgenden Wehler, S. 16 f. 20 Zu diesem „hermeneutischen Zirkel“ vgl. Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 15 f.; ders., in: Juristische Zeitgeschichte, S. 79 ff.; vgl. auch Gehrke (in: Geschichte der Welt, S. 1–40 [17]), der dies als unvermeidlich betrachtet: „Man müsste ‚die Gegenwart töten‘ – aber das wäre zugleich ein Selbstmord des recherchierenden und reflektierenden Historikers.“
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Einführung: Der Sinn und Zweck der Strafe
Wenngleich ich an dieser Stelle sagen kann, dass ich mir die beschriebenen Gefahren stets vor Augen gehalten und mich ihnen mit bestem Gewissen entgegenzustellen versucht habe, so bin ich doch Realist genug, um zu erkennen, dass derartige Einflüsse jede wissenschaftliche Arbeit vermutlich mehr prägen, als sie es sollten. Aus diesem Grund auf das Vorhaben zu verzichten, war aber freilich keine Alternative. Und so handelt es sich bei der nun folgenden Geschichte der Strafe um ein historisches Gesamtbild – wie wohl jedes seiner Art gemalt aus eigenen wie aus fremden Interpretationen, denen ich mich angeschlossen habe. Natürlich kann uns der Blick in die Geschichte allein keine fertigen Lösungen für aktuelle Probleme präsentieren. Zu komplex, zu unvergleichbar sind die historischen Gegebenheiten. Jedenfalls aber kann er das Wissen mehren, auf dessen Basis wir Entscheidungen treffen. Er kann uns große Entwicklungslinien aufzeigen. Er kann das Problembewusstsein schärfen. Und schließlich kann er auf diesem Weg vielleicht vor zu „einfachen“ Antworten schützen. In diesem Sinne ist das „historisch gesättigte Denken und Entscheidungshandeln“ der „auf die Herausforderungen der Gegenwart kurzsichtig und kurzatmig reagierenden Antwort“ allemal überlegen.21 Und in diesem Sinne kann wie ich meine auch jeder Einzelne – mag er sich den einzelnen Interpretationen und den daraus gezogenen Schlüssen nun anschließen oder auch nicht – aus der nun folgenden „kurzen Geschichte der Strafe“ etwas lernen.
3. Der Gang der Darstellung Das Ergebnis dieser Überlegungen ist eine mehr oder weniger kurze Geschichte der Strafe, die sich in zwei Teile gliedert: Teil I beginnt – anders als es klassische rechtshistorische Darstellungen zur Strafe zu tun pflegen – nicht bei den Germanen oder im Mittelalter. Er setzt vielmehr an in den Anfängen der Menschheitsgeschichte und widmet sich den großen Linien der Entwicklungsgeschichte bis hin zur Entstehung von Herrschaft und Staat. Teil II grenzt die untersuchten Gesellschaften sodann ein und widmet sich unserer „eigenen“ Geschichte. Ausgehend vom Staatsentstehungsprozess in der Völkerwanderungszeit beleuchtet er die Geschichte der Strafe und Straftheorie der letzten knapp 2000 Jahre. Schließlich rücken die gegenwärtigen Entwicklungen und Probleme in den Fokus und werden vor dem Hintergrund der historischen Erkenntnisse kritisch eingeordnet.
21 Wehler, S. 11 ff.; generell zu den Möglichkeiten juristischer Zeitgeschichte Vormbaum, in: Juristische Zeitgeschichte, S. 69–81 (74 ff.); vgl. auch Baldus, JZ 2019, 633–639.
Teil I
Die Geschichte der Strafe und Straftheorie bis hin zur Entstehung von Herrschaft und Staat
Kapitel 1
Die Geburt der Strafe1 Die hiesige Geschichte der Strafe beginnt mit der Suche nach ihren Anfängen. Wo diese Anfänge liegen, scheint nach einem kurzen Blick in die einschlägige Literatur hochumstritten. Insbesondere in der Soziologie ist die Idee der Strafe als „Herrschaftsidee“ weit verbreitet. Strafe sei demnach zu verschiedenen Zeiten mit der Entstehung herrschaftlicher Strukturen entstanden.2 Der Jurist Viktor Achter wird präziser und datiert die „Geburt der Strafe“ in seiner gleichnamigen Monografie auf das 12. Jahrhundert der modernen Zeitrechnung. Auch den Geburtsort – Südfrankreich – meint er identifiziert zu haben.3 Die deutsche Strafrechtswissenschaft hingegen – und mit ihr vermutlich die gesellschaftliche Allgemeinheit – betrachtet Strafe nahezu einhellig als „anthropologische Konstante“, ist also der Auffassung, dass es sie schlicht bereits zu allen Zeiten des mensch lichen Daseins gab.4 Doch wie kommt es zu diesen sich vermeintlich unvereinbar gegenüberstehenden Thesen? Und wurde die Strafe nun geboren? Handelt es sich um eine menschliche Erfindung? Oder ist sie in der Geschichte der Menschheit tatsächlich „ewig“?5
I. Das Quellenproblem Will man diesen Fragen auf den Grund gehen, steht man vor einem methodischen Grundproblem, denn über die Anfänge des menschlichen Seins gibt es wenig gesicherte Erkenntnisse. Die ersten archäologischen Funde, die Rückschlüsse auf die Verwendung menschlicher Werkzeuge zulassen, sind ca. 2,7 Mil 1
Nach der gleichnamigen Monographie von Viktor Achter. Idee der Strafe ist den Mitgliedern herrschaftsfreier Gesellschaften fremd, sie erweist sich als eine Herrschaftsidee.“ (Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 [42] mit weiteren Nachweisen); vgl. auch Scheerer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 345–355 (349 [Fn. 10]). 3 Achter, S. 26 ff.; der Begriff „Strafe“ tritt tatsächlich erstmals in diesem Zeitraum in Erscheinung, vgl. Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (23) mit zahlreichen Nachweisen. 4 Dazu näher Teil I – Kapitel 1II.2. 5 Vgl. zu dieser Formulierung Scheerer, in: Muss Strafe sein? S. 79–90 (86 ff.); Fabricius, Kriminalwissenschaften II, S. 276. 2 „Die
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Teil I
lionen Jahre alt.6 Eine befriedigende Rekonstruktion sozialer Verhaltensweisen wie der Strafe lässt sich anhand derartiger Relikte der materiellen Kultur allerdings nicht vornehmen. Erst die Erfindung der Schrift vor rund 5.000 Jahren verschafft erstmals tiefere Einblicke in das menschliche Innenleben. Neben schriftlichen Zeugnissen der jeweiligen Zeitgeschichte finden sich hier auch Berichte antiker Autoren über Nachbarvölker und vergangene Kulturen. Selbst wenn man die Motive ignoriert, aus denen heraus diese Berichte verfasst wurden, erhellen schriftliche Quellen aber eben allenfalls den letzten Wimpernschlag der menschlichen Geschichte.7 Den Großteil des vorangegangenen, erkenntnismäßig „dunklen“ Abschnittes nennen wir Paläolithikum – die Altsteinzeit, die vor etwa 12.000 Jahren endete. Erst dann, mit der sogenannten Neolithischen Revolution, begannen Menschen sich langsam von ihrem Dasein als Jäger und Sammler zu verabschieden, sesshaft zu werden und immer größere Gesellschaften zu bilden, die uns schließlich auch schriftliche Zeugnisse hinterlassen sollten.8 Für die vorangegangenen, immer noch knapp 2,7 Millionen Jahre steht die Forschung also vor einem Quellenproblem, welches gesicherte Angaben über die frühe Menschheitsgeschichte erschwert. Um ein wenig Licht in das große Dunkel der vorschriftlichen Zeit zu bringen, stehen dem Historiker dennoch einige Möglichkeiten zur Verfügung. Pionier arbeit leistete dabei insbesondere die ethnologische Forschung (sogleich II.). Neuerdings zeigen aber auch und gerade die moderne Psychologie und Sozio biologie vielversprechende Ansätze auf, die dabei helfen können, sich den Wurzeln der Strafe zu nähern (III.).
II. Der ethnologische Ansatz 1. Die Ethnologie und die „komparative Methode“ Der zentrale Ansatz im Kampf gegen das beschriebene Quellenproblem greift zurück auf die Völkerkunde – die Ethnologie. Sie liefert Erkenntnisse über die wenigen herrschaftsfreien (akephalen) Gesellschaften, die sich dem Prozess moderner gesellschaftlicher Ordnung bis heute widersetzt haben. Die sogenannte komparative Methode vergleicht sodann die vorhandenen Informationen über diese Gesellschaften und zieht aus den ethnographischen Beobachtungen (zum 6 Dazu und zum Folgenden Gehrke, in: Geschichte der Welt, S. 1–40 (12 ff.); vgl. auch Parzinger, in: Geschichte der Welt, S. 41–262 (45 ff.). 7 Zu diesem rechtshistorischen Problem auch Meyer, S. 117 ff. 8 Dazu näher Teil I – Kapitel 2II.1.
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Teil verbunden mit archäologischen Erkenntnissen) Rückschlüsse auf das Leben der Frühgeschichte. Zugrunde liegt diesem Vorgehen der Gedanke, dass gemeinsame Grundstrukturen, die sich etwa in allen noch vorhandenen „Jäger und Sammler-Kulturen“ nachweisen lassen, letztlich auch das Leben dieser Gesellschaften in der Altsteinzeit geprägt haben müssten.9 a) Methodische Bedenken Ob dieser Schluss aus wissenschaftlicher Sicht zulässig ist, war allerdings lange Zeit umstritten, und noch heute begegnet die komparative Methode einer gewissen Skepsis. Der Gegenwind weht(e) insbesondere aus zwei Richtungen: Zum einen birgt die komparative Methode seit jeher die Gefahr der ideologi schen Instrumentalisierung. Die Vorstellung von universell beobachtbaren Gesetzmäßigkeiten in der Entwicklung menschlicher Gesellschaften verkörpert im Grunde den Evolutionsgedanken auf sozialer Ebene. Der Weg von der deskripti ven Feststellung von Gemeinsamkeiten hin zur wertenden Feststellung von Fort schritt war allerdings schon immer ein kurzer. Und so legitimierte die Pervertierung des Grundgedankens – nicht zuletzt in ihrer vielleicht schärfsten Form des Sozialdarwinismus – ein ethnozentristisches Weltbild, und damit Imperialismus, Kolonialismus und schließlich in gewisser Weise auch das nationalsozialistische Denken im Dritten Reich. Diese historische Bürde hatten die Vertreter eines universalistischen Entwicklungsgedankens lange Zeit zu tragen.10 Die komparative Methode als Werkzeug der Evolutionisten stand aber vor allem aus anderen Gründen in der Kritik. Die Frage war – und sie ist es in gewisser Weise noch heute –, ob sich die von Ethnologen beschriebenen Kulturen der Neuzeit tatsächlich mit den archaischen Gesellschaften vergleichen lassen. Es gibt gute Gründe, die so gezogenen Schlüsse mit Vorsicht zu genießen: So konnten sich heutige Jägergesellschaften hauptsächlich in ökologischen Nischen behaupten. Selbst dort blieben sie ferner selten völlig unberührt vom Einfluss sesshafter Nachbarstämme und angrenzender Agrar- und Industriegesellschaften.11 Zwar ist auch der Einfluss anderer Gesellschaftsformen in der Entwicklungsgeschichte nichts Neues – mit zunehmender Bevölkerungsdichte gar typisch. Für die komparative Methode aber verfälscht er Ergebnisse potentiell, je weiter man in der Menschheitsgeschichte zurückgeht. Hinzu kam deutliche Kritik an der Wissenschaftlichkeit der frühen Ergebnisse, insbesondere an der Vollständigkeit des ethnographischen Materials und seiner 9 Dazu und zum Folgenden Petermann, S. 465 ff.; Harari, S. 61 ff.; Wesel, Frühformen, S. 36 ff.; ders., Geschichte, S. 15 f. (Rn. 2). 10 Petermann, S. 465 ff., 550 ff.; vgl. auch Schott, in: Kriminologie, S. 191–205 (191 f.). 11 Harari, S. 62; Wesel, Frühformen, S. 38.
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spekulativen Deutung.12 So verlor die komparative Methode – dem legitimierenden Reiz des Evolutionismus zum Trotz – zunehmend an Bedeutung und wich der Vorstellung, dass beobachtbare Gemeinsamkeiten eher aus der gegenseitigen Beeinflussung verschiedener Gesellschaften, der sogenannten Diffusion, resultierten. Zumindest in der Ethnologie und in den Sozialwissenschaften lief dieser Diffusionismus dem Evolutionismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts daher vermehrt den Rang ab.13 b) Der Neoevolutionismus Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs konnten sich neue Formen des Evolutio nismus allerdings wieder etablieren. Möglich machte diesen Neoevolutionismus unter anderem das Aufleben der komparativen Methode. Verschiedene neue Erkenntnisse aus dem Vergleich früher Hochkulturen hatten sie zurück auf den Plan gebracht. Dabei legte die Forschung erstaunliche Gemeinsamkeiten in verschiedensten Stadien menschlicher Entwicklung offen. Da diese Entwicklungen sowohl zeitlich als auch geographisch weit voneinander entfernt stattfanden, konnte Diffusion als Ursache ausgeschlossen werden. Weitere Studien zeigten verblüffende Parallelen in der gesellschaftlichen Entwicklung verschiedener Völker und bekräftigten die Existenz sozialer Evolution, ohne den Gedanken der Diffu sion dabei zu verwerfen.14 Die moderne Ethnologie hat ihre ideologischen Fesseln mittlerweile abgelegt und sich von der (ab-)wertenden Deutung anderer Kulturen als niederer, evolutio när rückständiger Gesellschaftsformen völlig befreit.15 Es besteht deshalb heutzutage wohl wieder Einigkeit, dass gewisse Rückschlüsse aus der komparativen Methode zulässig sind, wenn die gesellschaftliche Struktur der Vergleichsgruppen übereinstimmt.16 Für die frühe Altsteinzeit bleibt das Quellenproblem zwar weitgehend bestehen – hier fehlt es heutzutage schlicht an vergleichbaren Gesellschaften. Bei richtiger Anwendung kann die Ethnologie das Dunkel der vor-
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Malinowski, S. 10 f.; Petermann, S. 472, 643 ff., 884. Petermann, S. 550 f.; Wesel, Frühformen, S. 37; ohnehin hatte der „Appetit nach mehr Entwicklung“ in der Bevölkerung mit Aufkommen der „Sozialen Frage“ im 19. Jahrhundert stark nachgelassen. Auch der Legitimationsdruck des Kolonialismus war abgeflacht. Es ging nun vielmehr darum, die vorhandenen Kolonien zu verwalten. Zum Ganzen und dem in diesem Sinne aufkommenden Funktionalismus als einer Art „Verwaltungswissenschaft“ vgl. Malinow ski, S. 10; Petermann, S. 884; Wesel, Frühformen, S. 13 ff. 14 Zum Ganzen Wesel, Frühformen, S. 38 ff. 15 Vgl. dazu auch Deus, FIB 1/2014, S. 60–72 (61 ff.). 16 Wesel, Frühformen, S. 44 ff.; ders., Geschichte des Rechts, S. 16; zum Ganzen auch Meyer, S. 119 f. 13
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schriftlichen Zeit aber durchaus erhellen und die komparative Methode liefert so wichtige Erkenntnisse über die Anfänge der Geschichte der Strafe.17
2. Die Universalitätsthese Auch die verschiedenen Theorien zur „Geburt der Strafe“ haben ihre Wurzeln in den Erkenntnissen der Ethnologie. Was die These von der „Universalität der Strafe“ – also der „gleichmässige[n] Wiederkehr der primitiven Strafe auf allen Anfangsstufen menschlicher Geschichte“18 – betrifft, schreibt etwa im Jahr 1882 der berühmte deutsche Rechtswissenschaftler und Kriminologe Franz von Liszt (Cousin und Patenkind des gleichnamigen Komponisten): „Wäre die Strafe, was wir in Abrede stellen, eine Erfindung menschlicher Klugheit, dann könnten wir sie unmöglich überall, in der Urgeschichte aller Völker, in gleicher, typisch wiederkehrender Gestalt nachweisen, wie dies der vergleichenden Rechtswissenschaft, trotz aller Lücken haftigkeit ihres Materials, trotz der Unsicherheit ihrer Bewegungen, bereits in so glänzender, überzeugender Weise gelungen ist.“19
Wenn von Liszt von der „vergleichenden Rechtswissenschaft“ spricht, so bezieht er sich insbesondere auf die Arbeiten von Albert H. Post, einem Vorreiter der deutschen Rechtsethnologie.20 Bei ihm und anderen frühen Völkerkundlern, die „immer behaupteten, daß das Kriminalrecht das einzige Recht bei den Wilden sei“21, finden sich die Wurzeln der Vorstellung von Strafe als anthropologischer Konstante.22 Lange Zeit bauten auf ihren Gedanken die Arbeiten verschiedener Rechtswissenschaftler und Soziologen auf – wie etwa die französische Schule Durkheims.23 Bis heute spiegelt diese Vorstellung im Grunde die opinio commu nis in der deutschen Strafrechtswissenschaft und die seltenen (internen) Versuche, die Universalitätsthese anzuzweifeln, blieben allesamt ohne Erfolg. So schrieb etwa Karl Siegfried Bader in seiner Besprechung von Viktor Achters „Geburt der Strafe“: „‚Die Strafe‘, die im 12. Jahrhundert nach des Verfassers Überzeugung zuerst im südlichen Frankreich, im Languedoc, ‚geboren‘ wurde, ist nie geboren worden. Strafe als soziale Reak tion war immer da, weil ohne sie eine Rechtsordnung nicht möglich ist.“24 17 Ein Überblick über die ethnologische Forschung (bis zum Jahr 1966) findet sich bei Schott, in: Kriminologie, S. 191–205; zum Ganzen ferner Newman, S. 1 ff. 18 von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (8). 19 A. a. O., S. 7. 20 A. a. O., S. 8 (Fn. 1). 21 Malinowski, S. 20. 22 Scheerer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 345–355 (347). 23 Vgl. Malinowski, S. 11. 24 Bader, ZRG (GA) 69 (1952), S. 438–442 (440); vgl. zum Ganzen auch Stübinger, S. 327 ff.
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Ein knappes Jahrhundert nach der Rede von Liszts’ konstatierte schließlich Jürgen Baumann – treibende Kraft des Alternativentwurfs zum Strafgesetzbuch (AE-StGB 1966)25 –, „dass noch kein Staat und keine Gesellschaft ohne Strafe oder strafähnliche Massnahmen ausgekommen ist“.26
3. Soziologische und ethnologische Kritik Kritik an der Universalitätsthese gibt es aber durchaus; und zwar – in der Rechtswissenschaft kaum zur Kenntnis genommen27 – von außerhalb. Überwiegend handelt es sich um Kritik der „modernen“ soziologischen und ethnologischen Forschung an ihren eigenen Vorläufern. Dabei geht es in erster Linie um das damals verfügbare Material. A. H. Post und seine Kollegen etwa konnten nur auf die Angaben einiger früher Ethno graphen (anfangs oft schlicht „Reisende“) zurückgreifen, die sich bei ihrer Forschung weder über ihre Methode noch über das Ziel im Klaren waren.28 Umfassendes Datenmaterial aus der professionellen Feldforschung gab es nicht, und so gelten diese Beobachtungen von Laien – ebenso wie die später daraus gezogenen Schlüsse – mittlerweile als überholt.29 Die neoevolutionistische Ethno- und Soziologie geht aber noch einen Schritt weiter. Sie verwirft nicht nur die frühen Forschungen, welche die Universalitätsthese einst ins Leben riefen. Sie betrachtet die Vorstellung von Strafe als anthropologischer Konstante gar als von der modernen Wissenschaft widerlegt. Es sei daher in der wissenschaftlichen Diskussion heute „unbestritten, daß Strafrecht und Kriminalstrafen keineswegs universale Formen sozialer Kontrolle sind.“30 Die Forschungen moderner Ethnographen hätten vielmehr offengelegt, dass die „Idee der Strafe“ den Mitgliedern herrschaftsfreier Gesellschaften fremd sei.31 In gewisser Weise konsequent wird den Kollegen der Rechtswissenschaft deshalb vorgeworfen, dass „trotz aller einschlägigen Befunde der Ethnologie“ weiter am Mythos der Universalität festgehalten werde.32 Dieser Irrtum sei schließlich nur durch wissenschaftliche Mängel zu erklären: Wer an besagtem Glauben festhalte, nutze entweder veraltete Quellen oder stütze sich ausschließlich auf Belege 25
Vgl. dazu Teil II – Kapitel 7IV.2. Baumann, GS Noll, S. 27–36 (28). 27 Vgl. Lüderssen, in: Strafanspruch, S. 235–269 (268 [Fn. 132]). 28 Malinowski, S. 10. 29 Malinowski (S. 11) spricht bereits im Jahr 1926 davon, dass diese Beobachtungen in einem so abstrakten und komplizierten Gebiet wie dem des primitiven Rechts „wertlos“ seien; vgl. auch Schott, in: Kriminologie, S. 191–205 (193). 30 Scheerer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 345–355 (348). 31 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (42). 32 Stehr, in: Healthy Justice, S. 11–20 (13). 26
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aus bereits herrschaftlich organisierten Gesellschaften, die dann unzulässig verallgemeinert würden.33
4. Ein bloßer Streit um Worte? Der vermeintlich unlösbare Widerspruch zwischen Ethno-/Soziologie und Rechtswissenschaft entpuppt sich – wie ich meine – allerdings in weiten Teilen recht bald als Scheinkonflikt. Bei näherem Hinsehen dürften den verschiedenen Positionen größtenteils schlicht unterschiedliche Definitionen von „Strafe“ zugrunde liegen. Die Ethno- und Soziologie etwa greifen in aller Regel auf eine enge Strafdefinition zurück. Man wendet sich in diesem Sinne in erster Linie – und in unterschiedlicher Terminologie – gegen die Universalität der staatlichen Kriminal strafe.34 Achter engt den Strafbegriff in seiner „Geburt der Strafe“ noch weiter ein und spricht von einer „Strafe im modernen Sinn“35, welche er mit einem persönlichen Schuldvorwurf verknüpft.36 Dass auf Verstöße gegen gesellschaftliche Normen seit jeher mit gewissen Sanktionen reagiert werde, erkennen hingegen auch die modernen Sozio- und Ethnologen im Grunde einstimmig an.37 Und eben im Sinne einer solch weiten Strafdefinition lassen sich dann auch die Texte der Strafrechtswissenschaft ver33
Scheerer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 345–355 (348); „Die Vertreter der Universalitätsthese von Durkheim bis Höffe suchen sich ihr Material entweder aus den längst als irrig widerlegten Deutungen von ‚theoretisch schöpferischen Ethnologen‘ des 19. Jahrhunderts oder aus bereits in Klassen gespaltenen, [proto-]staatlich organisierten ‚Hochkulturen‘, ignorieren aber alle empirischen Forschungsergebnisse der vergleichenden Rechtsanthropologie von E. E. Evans-Pritchard über E. A. Hoebel und Lucy Mair bis M. Barkun und R. Harako. Sonst kämen sie auch nicht umhin festzustellen, daß sich diejenigen Elemente sozialer Ordnung, die nur der Teilgruppe der staatlich organisierten Gesellschaften gemeinsam sind, zweifellos nicht ernsthaft als Universalien menschlicher Gesellschaften bezeichnen lassen.“ (ebd., Fn. 9). 34 Scheerer (in: Muß Strafe sein? S. 79–90 [88]) etwa spricht insofern von der „Strafe im engeren Sinne des Strafrechts“. 35 Achter, S. 34. 36 Achter (S. 18 f.) verbindet den Strafbegriff mit der Ethik und so letztlich mit der persönlichen Schuld, da das „was wir Strafe nennen, […] ohne sittliche Beurteilung nicht zu denken“ sei. Ihm geht es also explizit um die sittliche Beurteilung des Täters, und nicht der Tat (a. a. O., S. 19, 137). Seine Habilitationsschrift, die später unter dem bekannten Namen „Die Geburt der Strafe“ veröffentlicht wurde, trug in diesem Sinne ursprünglich noch den Namen „Von der Automatik der Sühne zur Bestrafung des Täters“, vgl. dazu Holzhauer, in: Überlieferung: S. 179–192 (180). 37 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (42 ff.); Popitz, S. 86 ff.; Scheerer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 345–355 (348); ders., in: Muß Strafe sein? S. 79–90 (88) (mit Verweis darauf, dass es sich insofern um ein „soziales Totalphänomen“ im Sinne des Soziologen Marcel Mauss handele).
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stehen – etwa wenn Baumann generalisierend von „vergeltenden Reaktionen“ oder von „strafähnlichen Massnahmen“ spricht.38 Ob Strafe tatsächlich „ewig“ ist oder doch zu irgendeiner Zeit „geboren“ wurde, scheint auf der Grundlage des aktuellen Quellenmaterials also im Kern eine semantische Frage zu sein.39 Belanglos ist die Kontroverse deshalb natürlich nicht, dafür ist die Macht der Worte zu groß. Betrachtet man Strafe nämlich als anthropologische Konstante – verbindet man sie also untrennbar mit dem menschlichen Dasein –, so versieht man jegliche Kritik an der Institution von vornherein mit einem gewissen „Stigma der Unvernunft“.40 Diese „Immunität“ greift in der Diskussion aber nur allzu leicht auf jegliche Formen von Strafe über und trifft insofern auch schnell die Kritik an der staat lichen Kriminalstrafe. Da für diese der „Universalitätsbonus“ aber eben von vornherein keine Daseinsberechtigung hat, wohnt der strafrechtswissenschaft lichen Universalitätsthese durchaus die Gefahr einer ungesunden Reformträgheit inne.
5. Ein weiter Strafbegriff Die eben beschriebenen Gefahren eines weiten Strafbegriffs vor Augen, soll dieser Arbeit aber nun doch gerade ein solcher zugrunde liegen. Geschuldet ist dies zum einen dem intendierten Blick auf die „großen Entwicklungslinien“. Zum anderen soll inhaltlichen Fragen, welche im weiteren Verlauf erst noch untersucht werden sollen, nicht bereits durch Einschränkungen auf der Definitions ebene vorgegriffen werden.41 Die „Geschichte der Strafe“ widmet sich ja gerade bewusst den frühen Stadien menschlicher Geschichte, in denen von Staatlichkeit noch keine Rede sein kann. Insofern soll auch der hiesige Strafbegriff zunächst nicht an sie gebunden sein. Unter „Strafe“ verstehe ich im Folgenden deshalb jedes Übel, das einem anderen auferlegt wird als Reaktion auf ein missbilligtes Verhalten (und das sich nicht 38
Baumann, GS Noll, S. 27–36 (27 f.). Zu dieser „semantische[n] Undeutlichkeit“ des Strafbegriffs vgl. Fabricius, Kriminalwissenschaften II, S. 273 ff. 40 Scheerer, in: Strafrechtswissenschaft, S. 345–355 (349). Für den Kriminologen Sebasti an Scheerer machte es gar – die Richtigkeit der These erst einmal unterstellt – genauso wenig Sinn, die Institution der Strafe zu kritisieren, „wie wenn man […] die Tatsache kritisiert, daß Menschen lediglich zwei Augen im Kopf zu haben pflegen, die zudem auch noch beide nach vorne gerichtet sind (statt auch noch über Augen am Hinterkopf und an den Schläfen zu verfügen).“ (ebd., Fn. 11). 41 Vgl. auch Hörnle, Handbuch des Strafrechts I, § 12 Rn. 20 mit Hinweis auf den dafür von H. L. A. Hart geprägten Begriff des „definitional stop“. 39
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im bloßen Schadensersatz42 oder in der Durchsetzung etwaiger Ansprüche erschöpft).43
6. Ist Strafe ewig? Legt man diese weite Definition des Strafbegriffs zugrunde, finden sich derartige Reaktionen tatsächlich übergreifend in sämtlichen ethnographischen Daten.44 Soweit die komparative Methode zuverlässige Rückschlüsse erlaubt, können wir an dieser Stelle also tatsächlich mit von Liszt konstatieren, dass sich Strafe in der Urgeschichte aller Völker in gleicher, typisch wiederkehrender Gestalt nachweisen lässt. Auch die Mittel der Ethnologie aber gelangen an ihre Grenzen, wenn man nur weit genug in der Menschheitsgeschichte zurückgeht. So sehr die Ethnologie und die komparative Methode also in den nächsten Kapiteln dazu beitragen können, das Dunkel der vorschriftlichen Zeit zu erhellen; auf der Suche nach der „Geburtsstunde der Strafe“ können auch sie keine endgültigen Erkenntnisse liefern.
III. Der psychologische und soziobiologische Ansatz Tatsächlich hat man sich wohl von dem Gedanken zu verabschieden, eine solche „Geburtsstunde“ datieren zu können. Will man sich den Ursprüngen der Strafe weiter nähern, hat man neue Wege zu gehen. Einen möglichen Ansatz hierfür bietet die moderne psychologische und soziobiologische Forschung. Dafür zunächst einige fiktive Fallbeispiele: (1) In ihrer Heimatstadt wird ein kleines Mädchen Opfer eines Verbrechens. Auf dem Schulweg lauert ihr der Täter T auf, vergewaltigt und tötet sie. 42
In den Worten Karl Bindings (Die Normen I, S. 288) soll die Strafe „eine Wunde schlagen“ und „der Schadensersatz eine andere heilen“; zu dieser Trennung auch Jung, S. 23 ff. 43 Im Wesentlichen entspricht dies der noch heute vielfach angeführten Strafdefinition des Hugo Grotius aus dem Jahr 1625: „Poena est malum passionis, quod infligitur propter malum actionis.“ (Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Buch 2, Kap. 20, I 1 [S. 346]; generell zum Strafbegriff auch Spycher, S. 22 ff.; Hoerster, S. 11 ff.). Die Definition ist freilich weit älter, bezog sich doch schon Grotius auf Augustinus und Thomas von Aquin – eine Entwicklung, die im zweiten Teil dieser Geschichte näher erläutert werden wird (siehe Teil II – Kapitel 1III.1; Kapitel 2I.3.c] und Kapitel 3II.1). Die moderne Abgrenzung zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht – zwischen Strafe und Geldbuße –, soll an dieser Stelle außen vor bleiben. Der zentrale Unterschied liegt hier heutzutage letztlich im fehlenden ehrenrührigen und autoritativen Unwerturteil über die Verhaltensweise des Täters – dem fehlenden Schuldspruch (vgl. BVerfGE 27, 18 [30] und 51, 60 [74]; dazu Rosenkötter/Louis, S. 19 ff.). 44 Dazu Teil I – Kapitel 2.
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(2) Zur gleichen Zeit klaut Ladendiebin L im Supermarkt eine Schachtel Pralinen, die sie sich zuvor vergeblich von ihrem Freund zum Geburtstag gewünscht hatte. Sollten T und L bestraft werden? Wer von beiden hat mehr Strafe verdient? – Wenn diese Fragen beantwortet sind, fügen wir noch einen dritten Fall hinzu: (3) Der gut betuchte und drogenabhängige Dieb D entwendet einer Rentnerin – unter Anwendung von Gewalt – ihre letzten Ersparnisse, um sich davon neue Designer-Drogen zu kaufen. Wie sieht es mit D aus? Sollte auch er bestraft werden? Und hat er mehr oder weniger Strafe verdient als T und L?
Die eben gestellten Fragen sind solche zu „Gerechtigkeit“ und „Strafe“. Die (moral-) psychologische und soziobiologische Forschung beschäftigt sich in erster Linie aber nicht mit den konkreten Antworten auf diese Fragen. Sie richtet ihre Aufmerksamkeit vielmehr auf die psychologischen Entscheidungsprozesse, welche uns zu diesen Antworten führen.45 Interessant ist dies deshalb, da sich auch die Wurzeln dieser psychologischen Mechanismen untersuchen lassen. Auf diese Weise bieten die modernen Wissenschaften also neue Möglichkeiten, sich den Ursprüngen der Strafe selbst weiter zu nähern.
1. Schnelles Denken, langsames Denken46 Die meisten Leser werden gerade vermutlich zu dem Ergebnis gekommen sein, dass T, L und D in irgendeiner Form bestraft werden sollten. Zudem werden sie die Tat des Vergewaltigers T schnell als die verwerflichste ausgemacht haben, weswegen er auch am meisten Strafe verdiene. Die L dürfte am besten weggekommen sein, während sich die Strafe des D wohl zwischen den beiden anderen einordnen wird. – Doch wie kommen wir zu dem Ergebnis, dass es notwendig und gerecht ist, die Täter zu bestrafen? Wie kommen wir außerdem zu dem Schluss, wer mehr Strafe verdient hat? Psychologen unterscheiden seit mehreren Jahrzehnten grob zwischen zwei kognitiven Systemen.47 – Das erste Denksystem arbeitet unbewusst, schnell und ohne große Anstrengung. Wer etwa einen Blick über den Buchrand wirft, erkennt Gegenstände, die weiter weg sind als andere. Die Erkenntnis des Entfernungsunterschieds trifft das Gehirn automatisch und den ganzen Tag – unabhängig davon, ob die Informationen überhaupt benötigt werden. Wir können nicht verhindern, dass das Gehirn diese Leistung vollbringt – ebenso wenig wie wir verhindern können, dass wir einfache Sätze in unserer Muttersprache nicht nur hören, sondern auch verstehen; dass wir unwillkürlich an „Paris“ denken, wenn von der 45
Vgl. auch Hübl, S. 60. Nach dem Buch von Daniel Kahnemann, welches erstmals 2011 in der amerikanischen Originalausgabe unter dem Titel „Thinking, fast and slow“ erschienen ist. 47 Vgl. zum Folgenden Kahnemann, S. 31 ff. 46
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Hauptstadt Frankreichs die Rede ist; oder dass uns die Zahl „4“ in den Kopf schießt, sobald wir „2 + 2“ lesen.48 In dieses erste Denksystem fallen also verschiedene Arten von Intuitionen. Sie können zum Teil durch soziales Lernen gebildet werden. Sie können aber auch durch natürliche Selektion entwickelt, also evolutionär gefestigt und angeboren sein.49 Das zweite Denksystem hingegen lässt sich als „deliberatives“, also „bewusstes“ Denken beschreiben. Hier lenken wir unsere Aufmerksamkeit zielgerichtet auf die mentale Aktivität. Wir denken logisch, rational und treffen anschließend ausgewogene Entscheidungen. Ferner wissen wir im Anschluss genau, in welchen Denkschritten wir zu diesem Entschluss gekommen sind. Wer also die Aufgabe „17 x 24“ liest, verbindet damit nicht automatisch das Ergebnis. Er muss bewusst das zweite Denksystem in Gang setzen, wenn er die Aufgabe lösen will.50
2. Der intuitive Charakter von Strafbedürfnissen Ein (moralisches) Urteil abzugeben über die Notwendigkeit von Strafe und über die verhältnismäßig gerechte Strafe für verschiedene Taten scheint h ochkomplex. Die Vermutung liegt also zunächst einmal nahe, dass es das „zweite Denksystem“ ist, welches uns zu den entsprechenden Antworten führt. Dieses „rationalistische Modell“ war – anschließend an die entwicklungspsychologischen Konstrukte von Piaget und Kohlberg – in der (moral-)psychologischen Debatte auch für lange Zeit kaum bestritten.51 Gegen Ende des letzten Jahrhunderts jedoch begann die Sozialpsychologie vermehrt, verschiedene Arten moralischer Urteile genauer unter die Lupe zu nehmen. Mit hochinteressanten Erkenntnissen: Weltweite Studien belegten nicht nur die Existenz kulturübergreifender Gemeinsamkeiten in den Gerechtigkeitsvorstellungen aller Menschen.52 Sie zeigten auch, dass die Menschen zu ihren moralischen Erkenntnissen zunächst einmal schnell und völlig mühelos gelangten. Sie wussten zwar nicht, wie genau sie zu den Ergebnissen gekommen waren – ihre Richtigkeit erschien ihnen aber offensichtlich. So offensichtlich, dass es einer 48
A. a. O., S. 34. Vgl. dazu auch Robinson, Intuitions, S. 35 ff. 50 Kahnemann, S. 32. 51 Vgl. zum Ganzen Haidt, Psychological Review 108 (2001), 814–834 (816 ff.); Liao, in: Ethics, S. 108–127 (108 ff.) mit weiteren Nachweisen (auch zu alternativen Erklärungsmodellen); Pizarro/Bloom, Psychological Review 110 (2003), 193–196 (193). 52 Zu diesen Studien ausführlich Robinson, Intuitions S. 19 ff. mit zahlreichen Nachweisen; ders., in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 13–34 (15 ff.); vgl. zu dieser „Schwereforschung“ auch Andrissek, S. 171 ff. 49
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weiteren Erklärung für diese „Fakten“ eigentlich nicht bedurfte.53 Mit anderen Worten: Der intuitive Charakter dieser Entscheidungsprozesse hatte sich nun auch der Wissenschaft offenbart.54
3. Die Macht der Intuition „Es ist eine der interessantesten Tatsachen des höheren sittlichen Bewußtseins, daß es die Befriedigung gerade des Begehrens, dem es entsprang, vergebens verurteilt.“55
Die Erkenntnis, dass es nicht das „zweite Denksystem“ ist, welches uns zu den Entscheidungen über die Strafwürdigkeit der verschiedenen Fallvariationen führt; dass wir keine Vorstellung davon haben, in welchen Denkschritten wir zu unseren (moralischen) Urteilen gekommen sind, missfällt dem rationalen Leser zunächst. An diesem Punkt angekommen werden einige versuchen, Gründe nachzuschieben, welche die eigenen Ergebnisse erklären. Darin geht es vielleicht um Abschreckungserwägungen, Erziehungsgedanken oder ähnliches. Die Forschung zeigt allerdings, dass dies nicht die Gründe sind, welche die Menschen zu ihrer ersten Entscheidung bewogen haben. Es sind nachträgliche Versuche, ihre Intuition zu rechtfertigen und zu rationalisieren – eine Anpassung an das eigene Selbstbild.56 Deutlich ans Licht tritt die Macht dieser intuitiven Entscheidungsprozesse etwa bei konkreten Strafzumessungsentscheidungen. Hier zeigen verhaltenspsychologische Studien, dass Menschen die konkrete Strafe nicht nur in ihrer ersten, intuitiven Entscheidung, sondern auch nachhaltig ausschließlich gemäß ihrem anfänglichen Strafbedürfnis bestimmen. Die intuitiven Entscheidungen setzen sich also aufgrund ihres subjektiv empfundenen Tatsachencharakters in der Re-
53 Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1570); vgl. auch Hauser, S. 32 ff.; 54 Zu diesem „Social Intuitionist Model“ vgl. Greene/Haidt, Trends in Cognitive Sciences, 6 (2002), 517–523; Haidt, Psychological Review 108 (2001), 814–834; Pizarro/Bloom, Psychological Review 110 (2003), 193–196 (193); ausführlich auch Robinson, Intuitions, S. 5 ff.; ders., Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1569 ff.); zur „spontanen Bestrafungsneigung“ ferner Lewisch, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 237–262 (254 ff.). 55 Westermarck, S. 77; im Anschluss an Westermarck spricht der englische Philosoph John L. Mackie (S. 207) vom „Vergeltungsparadoxon“ (im Original „the paradox of retribution“). 56 Vgl. Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1570); zur nachträglichen Rationalisierung auch Andrissek, S. 117 f. mit weiteren Nachweisen; Haidt, Psychological Review 108 (2001), 814–834 (818 ff.); Liao, in: Ethics, S. 108–127 (109 ff.); Mackie, S. 219; früh zum Phänomen der „post-hoc-constructions“ auch Nisbett/Wilson, Psychological Review 84 (1977), 231–259.
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gel auch langfristig durch, während die Art der nachträglich gewählten Rechtfertigung für das Ergebnis im Grunde keine Rolle spielt.57 In diesen Studien wurden den Probanden Fallvarianten vorgelegt, deren Unterschiede für die verschiedenen Strafzwecke – also die unterschiedlichen Möglichkeiten der Rationalisierung – Bedeutung hatten. Wollte man beispielweise mit der Strafe den Zweck der Abschreckung potentieller weiterer Täter verfolgen, so hätte aus einer niedrigen Entdeckungswahrscheinlichkeit im konkreten Fall eine höhere Strafe resultieren müssen. Das war aber nicht der Fall. Selbst wenn die Probanden angaben, dass es ihnen nicht um die Vergeltung der Tat gehe, sondern die klassisch präventiven Aspekte im Vordergrund stünden, hatten bei der Strafbestimmung einzig die Varianten Auswirkungen auf die Strafhöhe, die die Tat „moralisch verwerflicher“ machten.58
Um die Macht der Intuitionen noch einmal deutlich zu machen und den Effekt der Nachhaltigkeit auf die Spitze zu treiben: Intuitiv getroffene Entscheidungen können sogar bestehen bleiben, wenn das zweite Denksystem überhaupt keine nachträglichen Rechtfertigungsgründe findet. Ein beeindruckendes Beispiel zu dieser „moralischen Sprachlosigkeit“ liefert ein moralpsychologisches Experiment des amerikanischen Psychologen Jonathan Haidt und seiner Kollegen. Sie legten den Testpersonen unter anderem folgende Geschichte vor: Julie und Mark sind Bruder und Schwester. In den Sommerferien reisen sie zusammen nach Frankreich. Eines Nachts sind sie alleine in einer Hütte nahe dem Strand. Sie beschließen, dass es interessant und lustig wäre, einmal auszuprobieren miteinander zu schlafen. Julie nimmt die Pille, doch um ganz sicher zu gehen, benutzt Mark auch noch ein Kondom. Beide genießen es, sie entscheiden sich aber, es nicht wieder zu tun. Sie behalten diese Nacht als ein gemeinsames Geheimnis, durch das sie sich einander noch näher fühlen. – Was denken Sie? War es ok, dass die beiden miteinander geschlafen haben?59
Die Reaktion der meisten Testpersonen war spontan ein klares „Nein!“ Danach begannen sie Gründe für ihre Entscheidung aufzuzählen. Sie führten die gesundheitlichen Bedenken im Hinblick auf Erbkrankheiten an, nur um anschließend daran erinnert zu werden, dass dieses Risiko aufgrund der doppelten Verhütung nicht bestand. Sie argumentierten mit emotionalen Folgeschäden, obwohl der Sachverhalt klar machte, dass gerade das Gegenteil der Fall war. Nach der Kon-
57 Vgl. Carlsmith/Darley/Robinson, Journal of Personality and Social Psychology 83 (2002), S. 284–299 (287 ff.); Darley/Carlsmith/Robinson, Law and Human Behaviour 24 (2000), S. 659–683 (660 ff.); ausführlich zu den verschiedenen Studien auch Carlsmith, Social Justice Research 21 (2008), S. 119–137; eine (deutsche) Zusammenfassung dieser und weiterer Studien liefert T. Walter, ZIS 2011, 636–647 (638 ff.); ders., GS Michael Walter, S. 831–849 (838); vgl. auch Spitzer, S. 307. 58 Vgl. dazu die Nachweise in Fußnote 78, insbesondere die Darstellung bei T. Walter, ZIS 2011, 636–647 (638 ff.). 59 Haidt, Psychological Review 108 (2001), 814–834 (814) (Übers. des Verf.).
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frontation mit den Unstimmigkeiten blieb oft folgender Satz: „Ich weiß nicht warum, ich kann es nicht erklären, aber ich weiß, dass es falsch ist!“60 Natürlich darf der Fall nicht mit Fragen zu Strafbedürfnissen vermischt werden. Er macht aber die Wirkungsweise von Intuitionen eindrucksvoll deutlich. – Dass Strafbedürfnisse und Strafentscheidungen intuitiven Charakter haben, ist freilich zunächst einmal nur eine empirische Tatsache. Die Frage, ob diese Bedürfnisse rational sind, ob sie also auch einer Überprüfung durch das zweite Denksystem standhalten können, ist dadurch also ebenso wenig beantwortet wie die Frage, ob diese Entscheidungen „gerecht“ sind. Für die geschichtliche Betrachtung ist dieses empirische Faktum allerdings hochinteressant, denn bei sämtlichen Formen von „Intuitionen“ handelt es sich um psychologische Phänomene, deren Wurzeln sich untersuchen lassen. An dieser Stelle setzt nun also die weitere Suche nach den Anfängen der Strafe an.
4. Die Wurzeln der Intuition „Obwohl also der Mensch schon von Natur aus mit dem Verlangen nach Wohlfahrt und Erhaltung der Gesellschaft begabt ist, hat es doch der Schöpfer der Natur nicht erst seiner Vernunft überlassen, die Entdeckung zu machen, daß eine gewisse Anwendung von Strafen das angemessene Mittel ist, diesen Zweck zu erreichen, sondern hat ihn mit einem unmittelbaren und instinktartigen Gefühl der Billigung für diejenige Strafanwendung begabt, die am meisten angemessen ist, um diesen Zweck zu erreichen.“61
Warum also sind wir so, wie wir sind? Woher stammt diese im Menschen tief verwurzelte Intuition? Handelt es sich tatsächlich um „primitive Triebe“62 oder wird dieses Attribut in seiner Mehrdeutigkeit den Strafintuitionen nicht gerecht? Einen vielversprechenden Ansatz zur Beantwortung dieser Fragen liefert die Evolutionsbiologie. a) The survival of the fittest Charles Darwins Buch „Vom Ursprung der Arten“ („On the Origin of Species by Means of Natural Selection“) aus dem Jahr 1859 markiert einen Wendepunkt – nicht nur für die Naturwissenschaften, sondern auch und gerade für die Vor stellungen des Menschen von der Welt und seiner Stellung in ihr. Die Evolutionstheorie – das wohl einflussreichste und umfassendste Erklärungsmodell der Moderne – sieht die Arten im Überlebenskampf verschiedensten Problemen aus 60 Zum Ganzen a. a. O., S. 814–834; vgl. auch Hübl, S. 72 ff.; Liao, in: Ethics, S. 108–127 (109). 61 Smith, S. 113. 62 So Müller-Dietz, GA 1983, 481–496 (482); von Liszt (ZStW 3 [1883], 1–47 [7]) spricht insofern von der Strafe als „blinde instinktmäßige triebartige Reaktion“.
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gesetzt.63 Gene, die Merkmale hervorbringen, welche diese spezifischen Probleme lösen, setzen sich danach langfristig gegen alternative Gene durch. Für phy sische Merkmale ist diese Spezialisierung offensichtlich: Das Herz ist gut darin, Blut durch den Körper zu pumpen. Giftstoffe filtert es dabei aber nicht heraus. Das Gegenteil gilt für die Leber. Und während das visuelle System gut darin ist, aus Lichtreizen konkrete Informationen über die Umwelt bereitzustellen, ist es weniger erfolgreich, wenn es um den Spracherwerb geht. Die Spezialisierung ist also eine wirkungsvolle Waffe gegen spezifische Probleme, und medizinische Bücher über den Aufbau des menschlichen Körpers gibt es deshalb, weil die Gene dafür sorgen, dass Menschen übereinstimmend gewisse physische Merkmale entwickeln. – In ähnlicher Weise gilt das aber auch für psychologische Merkmale. Auch sie entwickelten sich, um entsprechend komplexe Anpassungsprobleme unserer Vorfahren zu lösen. An dieser Stelle knüpft der evolutionsbiologische Ansatz an. Gemeinsame Gerechtigkeitsintuitionen in Form von Strafbedürfnissen können danach nur bestehen, weil sie in der Evolution des Menschen in irgendeiner Form von Bedeutung waren.64 b) Die evolutionäre Spieltheorie „Das Buch der Natur ist geschrieben in der Sprache der Mathematik.“65
Schon Galileo Galilei, dem dieses Zitat oft zugeschrieben wird, war der Meinung, dass man auf die Mathematik zurückgreifen müsse, um die Natur wirklich zu verstehen. Heute, knapp 400 Jahre später, hat tatsächlich eines der wichtigsten Instrumente in der Evolutionsforschung seine Ursprünge in der Mathematik: die evolutionäre Spieltheorie. Entwickelt ursprünglich Mitte des 20. Jahrhunderts, um ökonomische Entscheidungsprozesse zu analysieren, zeigte sich recht bald, dass die Methode geradezu prädestiniert war, um Fragestellungen der theoretischen Biologie zu untersuchen – insbesondere, wenn es um die Evolution sozialer Verhaltensweisen 63 Vgl. (auch zum Folgenden) Dawkins, S. 102 ff.; Fabricius, Kriminalwissenschaften I, S. 1; generell zur Wirkungsweise von Genen, insbesondere zur Interaktion zwischen Anlage und Umwelt vgl. Robinson/Kurzban/Owen, Vanderbilt Law Review 60 (2007), S. 1634–1688 (1639 ff.). 64 Zum Ganzen Robinson/Kurzban/Owen, Vanderbilt Law Review 60 (2007), S. 1634–1688 (1643 f.); Rodríguez Horcajo, GA 2018, 609–622 (610); vgl. auch Wahl, S. 20 ff.; T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (54 ff.). 65 Die Ursprünge dieses verkürzten Zitates liegen in Galileo Galileis „Il Saggiatore“’aus dem Jahr 1623: „La filosofia è scritta in questo grandissimo libro che continuamente ci sta aperto innanzi a gli occhi (io dico l’universo), ma non si può intendere se prima non s’impara a intender la lingua, e conoscer i caratteri, ne’ quali è scritto. Egli è scritto in lingua matematica […].“ (Galilei, Il saggiatore, S. 27).
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ging.66 Ob sich diese über lange Zeit als erfolgreich erweisen können, lässt sich nämlich nicht unabhängig vom Verhalten anderer Individuen, besonders dem ihrer Artgenossen, beurteilen. Gerade für die Analyse dieses Wechselspiels unterschiedlicher Interessen war die Spieltheorie ursprünglich entwickelt worden und entpuppte sich so als ideales Analyseinstrument für Situationen, in denen der Erfolg einer Strategie von anderen Mitstreitern abhängt. Für die Erforschung der Evolution spezifischer Intuitionen, die sich ja gerade nicht als Entscheidungen des zweiten Denksystems darstellen, erscheint die evolutionäre Spieltheorie aus einem weiteren Grund besonders geeignet: Sämtliche Strategien – und insofern auch das Strafverhalten als Strategie sozialer Inter aktion – werden in ihr nicht als taktisch-strategische Überlegungen betrachtet, sondern als genetisch bedingter Verhaltensphänotyp. Das Kriterium der bewussten Rationalität wird also – und das ist gerade der Unterschied zur allgemeinen Spieltheorie – ersetzt durch die Fortpflanzungsdynamik und -stabilität.67 Mit anderen Worten: Mithilfe der evolutionären Spieltheorie lässt sich feststellen, welche Verhaltensweisen am erfolgreichsten sind, welche sich deshalb evolutionär durchgesetzt haben und welche Strategien schließlich so angepasst sind, dass keine andere (mutierte) Strategie sich etablieren und sie wieder verdrängen kann. Nicht zuletzt die Entwicklung dieses letzten, von Maynard Smith entwickelten Kriteriums der „Evolutionär stabilen Strategie“ machte die evolutionäre Spieltheorie zu dem bedeutenden Instrument der Evolutionsforschung, das sie heute ist.68 c) Die Evolution der Kooperation69 An welcher Stelle aber lieferten die intuitiven Strafbedürfnisse dem Menschen nun einen evolutionären Vorteil? Tatsächlich wurde die Evolution der Strafe selbst bisher nicht eigenständig untersucht. Sie findet sich allerdings als Teil der Evolutionsgeschichte des wohl zentralen psychologischen Merkmals der menschlichen Gattung: der Fähigkeit zu sozialem Verhalten – zur Kooperation. „The most important unanswered question in evolutionary biology, and more generally in the social science, is how co-operative behaviour evolved and can be maintained in human or o ther animal groups and societies.“70 66
Dazu und zum Folgenden Laue, S. 181 ff. S. 183. 68 Dazu a. a. O., S. 186 f.; vgl. zum Ganzen auch Kalous, Generalprävention, S. 230; generell zur Untersuchung von Strafverhalten in rechtsökonomischen Experimenten Lewisch, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 237–262 (237 ff.). 69 Nach dem Buchtitel von Robert Axelrod (erschienen 1984 unter dem englischen Original titel „The Evolution of Cooperation“). 70 Zitiert nach Colman, Nature 440 (2006) S. 744–745 (744). 67 A. a. O.,
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Mit diesen Worten begann Robert May, Präsident der Royal Society in London, im Jahre 2005 seine Rede zum Geburtstag der Gesellschaft. Die wichtigste Frage der Evolutionsbiologie sei danach, wie sich kooperatives Verhalten entwickelt habe und – vielleicht noch wichtiger – wie es in modernen Gesellschaften auch erhalten werden könne. Die in dieser ausgeprägten Form einzigartige Fähigkeit zur Kooperation ist es, die den Menschen zur erfolgreichsten Gattung in der Geschichte des Planeten gemacht hat. Die Vorteile des sozialen Austauschs prägten aus evolutionärer Sicht jede Art menschlichen Fortschritts. Dabei war der für Evolution erforderliche Selektionsdruck stets gegeben. So waren frühe menschliche Gruppen etwa von größeren, stärkeren und schnelleren Räubern umgeben. Was sie gerettet hat, war die Entwicklung kooperativen Verhaltens. Gene, die ein Zusammenwirken gegen andere ermöglichten, hatten also bessere Chancen sich zu reproduzieren.71 Bis heute beeinflusst der kooperativ soziale Austausch unser gesamtes Leben und ist nicht zuletzt die Basis der modernen Wirtschaft. Diese Erkenntnis vor Augen stellte sich aus evolutionärer Sicht also die Frage, was die beste Strategie sei, um optimale Kooperation zu gewährleisten und sich so evolutionär durchzusetzen? aa) Das Gefangenendilemma Für unser zweites Denksystem entpuppt sich diese Frage als hochkomplexes Gedankenspiel. Das Prinzip scheint zunächst einfach: „Do ut des“ – ich gebe, damit du gibst. Wenn du mir heute aushilfst, weil ich dir gestern ausgeholfen habe, sind wir beide besser dran, als wenn keiner von uns geholfen hätte. Menschen, die stets kooperativ sind, haben Einzelgängern gegenüber auf den ersten Blick also einen Vorteil. Sie stechen sie evolutionsbiologisch aus.72 Lange Zeit stand die Evolutionsforschung aber vor einem Rätsel. Aus darwinistischer Sicht ist nämlich zunächst nicht erklärbar, warum Betrüger wiederum nicht viel bessere Überlebenschancen haben. Wenn diese nämlich gestern nehmen, ohne heute zurückzuzahlen, haben sie im Grunde nur Vorteile. Die kooperativen Strategien müssten von ihnen über lange Zeit ausgenutzt werden und schließlich aussterben. In sämtlichen Rechenmodellen sind die „egoistischen“ Strategien ihren wohlwollenden Kontrahenten deshalb überlegen.73 Mit anderen
71 Vgl. Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1571); zum Erfordernis des Selektionsdrucks auch Fabricius, Kriminalwissenschaften I, S. 270. 72 Dazu und zum Folgenden Robinson/Kurzban/Owen, Vanderbilt Law Review 60 (2007), S. 1634–1688 (1647). 73 Verplaetse, S. 172 f.
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Worten: Wenn es dem egoistischen Gen schlicht um das eigene Überleben geht, scheint kooperatives Verhalten im ersten Moment zunächst einmal irrational.74 Das wohl bekannteste Beispiel für dieses Phänomen ist das „Gefangenen dilemma“. In diesem geht es stets in etwa um folgende Kronzeugensituation:75 Zwei Landstreicher haben gemeinsam ein Verbrechen begangen. Jeder der beiden kann nur durch die Aussage des anderen überführt werden. Beide werden getrennt vernommen. Gestehen beide, erhalten sie eine Gefängnisstrafe von drei Jahren. Schweigen beide, kann das Gericht sie nur zu einem Jahr wegen Landstreicherei verurteilen. Beiden wird aber ein weiterer Anreiz gesetzt, auszupacken: Gesteht nur einer, hilft er also als Kronzeuge gleichzeitig dabei, den anderen zu überführen, bleibt er selbst straffrei. Er muss auch keine Angst vor der Rache des anderen haben, dieser geht dann nämlich für fünf Jahre hinter Gitter.
Jeder der beiden Landstreicher befindet sich nun in einem Dilemma. Verlockend erscheint das kooperative Gentlemans-Agreement: Beide schweigen und sitzen für nur ein Jahr. Diese kooperative Leistung fordert allerdings immer ein Vertrauen in das entsprechende Verhalten des Partners. Stets läuft man Gefahr, dass dieser aussagt, um straffrei zu bleiben. Dann winken fünf Jahre Gefängnis. Das rationale zweite Denksystem – die Logik – rät also beiden dazu, nicht miteinander zu kooperieren, sondern selbst auszusagen: Schweigt der andere, erhält man so als Kronzeuge Straffreiheit. Schweigt er nicht, muss man es ihm ohnehin gleichtun, um der Höchststrafe zu entgehen. Vor dem Hintergrund derartiger Dilemma-Situationen stellte sich der Politologe Robert Axelrod die Frage, ob die menschliche Logik nicht Kooperation verhindere. Hätten die Landstreicher nämlich unlogisch gehandelt und kooperativ geschwiegen, wären sie besser weggekommen. Wie also konnte es aus evolutionärer Sicht zur Entstehung von kooperativem Verhalten kommen?76 (1) „Tit for Tat“ Um das zu untersuchen, begann Axelrod mit spieltheoretischen Experimenten. Dabei griff er zunächst auf das sogenannte „Wiederholungs-Gefangenendilemma“ zurück.77 Um die Evolution der Kooperation zu untersuchen, sollten sich die Interaktionen zwischen Individuen – wie im echten Leben – nicht auf eine einzelne Begegnung beschränken. Es musste also zu mehrfachen Aufeinandertreffen kommen. Mit dieser zusätzlichen Voraussetzung schrieb Axelrod mehrere 74
Vgl. auch Laue, S. 160. Zum Folgenden vgl. Axelrod, Kooperation, S. 7 ff.; Burke, S. 15 ff.; Hofstadter, S. 782 ff.; Montenbruck, Strafrechtsphilosophie, S. 28 ff.; Verplaetse, S. 163 ff. 76 Vgl. Axelrod, S. 3 ff. 77 Dazu und zum Folgenden Axelrod (S. VII, 25 ff.), der auch vom „iterierten Gefangenendilemma“ spricht; ausführlich dazu ferner Hofstadter, S. 787 ff.; Montenbruck, Strafrechtsphilo sophie, S. 28 ff. 75
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Wettbewerbe aus, in denen er verschiedene Expertenteams aufforderte, Computerprogramme einzureichen, die in Simulationen gegeneinander antreten sollten. Für das Abschneiden in jeder Runde wurden Punkte vergeben. Die Gesamtpunkt zahl stand insofern für die allgemeine Überlebensfähigkeit des Einzelnen. Es war ein Wettbewerb für das zweite Denksystem. Diverse Programme wurden eingereicht. Sie variierten von knappen Vierzeilern bis hin zu hochkomplexen Programmen, die die 20-fache Länge hatten. Sieger war jedes Mal die kürzeste und einfachste Strategie – Tit for Tat, eingereicht vom Psychologen und Philosophen Anatol Rapoport: Kooperiere in der ersten Runde; dann mach alles, was der andere Spieler beim vorangegangenen Spielzug gemacht hat.
Die Strategie verfolgte zunächst die simple Regel „Wie du mir, so ich dir“. Zudem knüpfte sie an oben genanntes „do ut des“ an: „Ich gebe, damit du gibst“. Sie begann also kooperativ mit einer Vorleistung – aus menschlicher Perspektive hatte sie stets Vertrauen in ein kooperatives Verhalten des Partners. Anschließend reagierte sie nur noch, kooperierte partiell. Sie belohnte Kooperation und – hier wird es interessant – sie bestrafte Verrat. Es folgte eine weitere Erkenntnis: Die Versuche zeigten, dass kooperative Strategien ihren nicht-kooperativen Gegnern auch langfristig, heißt evolutionär, überlegen waren. Dieses Ergebnis lieferte Axelrods „ökologisches Turnier“, welches aus zahlreichen Wiederholungsspielen bestand, bei denen das Umfeld des jeweiligen Turniers durch das Ergebnis des vorangegangenen determiniert war. Die Punktzahlen, also der Grad der Überlebensfähigkeit, waren der Maßstab für die „Anzahl der Nachkommen“ in der nächsten Generation (= dem nächsten Turnier). Die besten Strategien waren so in der jeweils folgenden Runde häufiger vertreten. Evolutionär aussortiert wurden dabei zunächst die „schwachen“ Programme, weil sie von den Betrügern ausgenutzt wurden. Waren diese aber erst verschwunden, konnten die Betrüger niemanden mehr ausbeuten. Mit dem Aussterben ihrer Erfolgsgrundlage starben auch sie aus. Tit for Tat blieb in jeder Umgebung robust und setzte sich über lange Zeit durch.78 Für die Geschichte der Strafe sind die Ergebnisse der Spieltheorie hochinteressant. Aus Sicht der Evolutionsbiologie sind soziales Verhalten, Kooperation und auch Strafe nur zu erwarten, wenn sie dem Individuum und seinen Genen einen Vorteil versprechen. Die Spieltheorie aber zeigt, dass genau das der Fall ist. Darwinistisch gesprochen können sich Individuen mit einer genetischen Neigung zur (partiellen) Kooperation (heißt auch: mit einer Neigung zur Strafe) besser reproduzieren.79 Auch in einer Welt des egoistischen „survival of the fittest“ 78 79
Axelrod, S. 43 ff.; Hofstadter, S. 792 f. Fabricius, Kriminalwissenschaften I, S. 260.
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kann Kooperation also aus dem Nichts entstehen. Es ist aus evolutionärer Sicht daher nicht nur erklärbar, sondern sogar zu erwarten, dass sich langfristig diejenigen Gene durchgesetzt haben, die bei wiederholter Interaktion dafür sorgen, dass auf ein enttäuschtes Vertrauen in den Kooperationspartner mit Strafe reagiert wird. (2) Altruistisches Strafen Die bisher dargelegten Ergebnisse zeigen indes lediglich, wie und warum intuitive Strafbedürfnisse bei persönlicher Betroffenheit entstanden sein könnten; also in Fällen, in denen eigene Verhaltenserwartungen enttäuscht wurden („Second-Party-Punishment“). Sie erklären noch nicht, warum Menschen auch das intuitive Bedürfnis verspüren, Kooperationsverweigerer zu bestrafen, wenn sie selbst nicht Teil des gestörten Verhältnisses sind („Third-Party-Punishment“).80 Strafverhalten, welches dem Unbeteiligten selbst keinen unmittelbaren Vorteil bringt, wird in der Literatur „altruistische Bestrafung“ genannt. Auch dieser Altruismus wirkt evolutionsbiologisch zunächst einmal irrational. Dawkins nennt das Gen die Grundeinheit des Egoismus.81 Betrachtet man das „survival of the fittest“, scheint es im ersten Moment nicht einleuchtend, anderen Genen zur Seite zu springen und damit ihr Überleben zu sichern. Erbanlagen, die altruistisches Verhalten begünstigen, müsste die Evolution – mit Ausnahme des Verhaltens zugunsten von Erbverwandten – also eigentlich ausgelöscht haben.82 Um diese Frage zu untersuchen, griffen die Wirtschaftswissenschaftler Ernst Fehr und Simon Gächter in einem in den einschlägigen Wissenschaftskreisen berühmt gewordenen Experiment auf eine abgewandelte Form des „Gefangenendilemmas“ zurück – ein sogenanntes „Public-Goods-Experiment“:83 240 Studierende spielten in Gruppen mit jeweils 4 Teilnehmern. Es ging um echtes Geld. Jeder Teilnehmer hatte 20 Geldeinheiten zur Verfügung, die er entweder für sich behalten oder in ein Gruppenprojekt investieren konnte. Für jede Geldeinheit, die der Einzelne in das Projekt investierte, wurden jedem der vier Gruppenmitglieder – das heißt auch denen, die nichts zum Projekt beitrugen – 80 Robinson, Intuitions, S. 38; zur Terminologie und zum Folgenden Fehr/Fischbacher, Evo lution and Human Behavior 25 (2004), 63–87 (63 ff.); vgl. ferner Andrissek, S. 20 ff.; Lewisch, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 237–262 (243 ff.). 81 Dawkins, S. 87. 82 Da Verwandte eine gewisse Menge der Gene teilen, ist entsprechender „Altruismus“ diesbezüglich auch über die Verwandtenselektion erklärbar, vgl. Andrissek, S. 17 f.; R. Frank, Emotionen, S. 31 ff. 83 Zum Folgenden Fehr/Gächter, Nature 415 (2002), 137–140; dazu T. Walter, ZIS 2011, 636–647 (638); vgl. auch Laue, S. 220 ff.; Spitzer, S. 303 ff.
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0,4 Einheiten ausgezahlt. Die Investitionen erfolgten anonym und ohne Absprachemöglichkeit. Das Problem ähnelt damit dem Gefangenendilemma: Die Kooperation liegt stets im Interesse der Gruppe, nicht aber im Interesse des Einzelnen. In Zahlen: Wenn kein Teilnehmer investiert, behalten alle ihre 20 Einheiten. Wenn jeder Teilnehmer seine 20 Einheiten investiert, sind 80 Einheiten im Projekt, jedes Mitglied der Gruppe beendet das Spiel also mit 32 Einheiten (80 x 0,4). Wenn allerdings nur ein Spieler nicht kooperiert, beendet dieser Trittbrettfahrer das Spiel sogar mit 44 Einheiten; er behält seine 20 Einheiten und erhält zusätzlich 24 Einheiten aus dem Projekt (60 x 0,4). Aus egoistischer Sicht war also nicht damit zu rechnen, dass sich Kooperation entwickeln würde. Das bestätigten auch die Ergebnisse des Experiments: Es wurden jeweils sechs Runden gespielt, wobei nach jeder Runde die Zusammensetzung der Gruppen wechselte, sodass niemand mehrfach aufeinandertraf. Zwar starteten die Teilnehmer vorsichtig kooperativ – was zu erwarten war, da ja gerade auch die diesbezügliche Veranlagung untersucht werden sollte –, tatsächlich nahm das Vertrauen, und somit die Kooperation in den weiteren Runden aber kontinuierlich ab und brach gegen Ende fast ganz zusammen. Ganz anders fielen die Ergebnisse hingegen in den Vergleichsgruppen aus. In ihnen war die Ausgangssituation die gleiche, jedoch mit einem Unterschied: Nach jeder Runde hatten die Teilnehmer die Möglichkeit, andere Mitglieder ihrer Gruppe zu bestrafen. Dafür konnten sie bis zu 10 Einheiten des eigenen Geldes bezahlen, wobei für jede gezahlte Einheit den Bestraften 3 Einheiten abgezogen wurden. Unter diesen Voraussetzungen waren die Investitionen nun von Anfang an auf einem hohen Niveau und steigerten sich noch im Verlauf der Runden. Aus der rein rationalen Perspektive des egoistischen Gens scheint dies zunächst überraschend, hätte dieser neue Versuchsaufbau doch eigentlich nichts ändern dürfen. Zwar gehen wir natürlich im ersten Moment zutreffend davon aus, dass die Möglichkeit der Bestrafung auf potentielle Trittbrettfahrer abschreckend wirkt. Das ist in einer Gruppe von rein profitorientierten Egoisten aber ein Trugschluss: Denn warum sollte ein egoistischer Spieler eigenes Geld investieren, um ein anderes Mitglied zu bestrafen, auf das er selbst in den weiteren Runden nicht mehr treffen wird, von dessen vermeintlicher Bekehrung er also nicht mehr profitieren kann? An dieser Stelle sind wir wieder beim Ausgangsproblem der altruistischen Bestrafung. Wie wir wissen, haben Menschen auch in diesen Fällen das intuitive Bedürfnis zu strafen – und deshalb machten sie in den Spielrunden von dieser Möglichkeit auch rege Gebrauch. Dass sie dadurch keinen unmittelbaren Vorteil erlangen konnten, war ihnen letztlich egal. Es ging ihnen nicht um wirtschaft
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liche Vorteile, sondern um „Gerechtigkeit“. Sie hatten die intuitiven Bedürfnisse, die Trittbrettfahrer zu bestrafen, und von diesen irrational anmutenden Intuitionen wussten natürlich auch die anderen Spieler. Anschließende Befragungen bestätigten, dass sie damit rechneten, dass ihre Mitspieler auf eigenes Trittbrettfahren zornig reagieren würden. Letztlich konnte die Kooperation so entgegen den „rationalen“ ökonomischen Vorhersagen der Spieltheorie florieren. Diese spieltheoretischen Ergebnisse liefern interessante Rückschlüsse auf das „Third Party Punishment“. Gruppen, in denen altruistische Bestrafung möglich ist und in denen aufgrund der „unlogischen“ Strafbedürfnisse auch rege gestraft wird, weisen ein viel höheres Maß an Kooperation auf. Der Einzelne hat zwar unmittelbar keinen Nutzen; das Kollektiv – und somit im Ergebnis dann doch mittelbar auch wieder der Einzelne – profitiert aber von der altruistischen Bestrafung. Individuen mit entsprechenden Intuitionen haben also einen evolutionären Vorteil.84 Dieser Vorteil erklärt sich schließlich nicht zuletzt auch durch die Kostentei lung, welche die altruistische Strafe mit sich bringt. Zwar zeigen die Ergebnisse im Gefangenendilemma, dass die partiell kooperierende und strafende Strategie „Tit for Tat“ Kooperation am meisten begünstigt. Das Strafen ist für den Strafenden allerdings immer auch mit eigenen Kosten verbunden. Sind diese zu hoch, muss das Individuum darauf verzichten.85 Die Kooperation und insofern auch die Gruppe leiden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Evolution Merkmale hervorgebracht hat, welche die Kosten so niedrig wie möglich halten. Jedes Individuum strebt die Mitgliedschaft in einer strafenden Gruppe an, um die größtmögliche Kooperation zu ermöglichen. Haben auch die übrigen Mitglieder das Bedürfnis, Ungerechtigkeiten in fremden Kooperationsverhältnissen zu bestrafen, teilen sich die Kosten. Eine Strafe ist häufiger möglich und alle Individuen maximieren ihren Gewinn.86 Altruistische Strafe ist also Kooperation auf zweiter Ebene, um Kooperation auf erster Ebene zu erhalten. Auch auf dieser zweiten Ebene sind Strategien von Trittbrettfahrern auf Dauer nicht überlebensfähig. Der vermeintliche Altruismus ist im Ergebnis also nichts anderes als verkappter Egoismus – was ihn evolutions biologisch entmystifiziert.
84 Vgl.
zum Ganzen auch Andrissek, S. 20 ff.; Beckenkamp, ZIS 2011, 137–142 (140 f.); Bowles/Gintis, S. 24 ff. mit Nachweisen auch zu weiteren Experimenten. 85 Vgl. dazu auch Lewisch, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 237–262 (238 ff.); Ver plaetse, S. 201. 86 Vgl. Robinson, Intuitions, S. 38 f.; Robinson/Kurzban/Owen, Vanderbilt Law Review 60 (2007), S. 1634–1688 (1650 f.).
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bb) Kooperation, Vertrauen und Strafe Natürlich kann die Spieltheorie in keiner Weise die komplexen menschlichen Verhaltensmuster erklären. Wann kooperieren wir? Wann fehlt uns das nötige Vertrauen? Wann strafen wir? Diese Fragen kann sie nicht ausreichend beantworten. Die Ergebnisse zeigen aber, dass die evolutionäre Entstehung von Strafe im Allgemeinen nicht nur möglich, sondern sogar zu erwarten ist. Sollten die Bedürfnisse tatsächlich evolutionär verankert sein, impliziert die Betrachtung ferner eine enge Verbindung zwischen der menschlichen Fähigkeit zur Koopera tion, dem dafür notwendigen Vertrauen und der Strafe. Für Computerprogramme wie Tit for Tat ist dieses stete Vertrauen nur ein programmierter Befehl. Die Experimente mit menschlichen Spielern aber zeigen, dass auch bei ihnen das Vertrauen in fremde Verhaltensweisen eng mit dem Institut der Strafe verbunden ist.87 cc) Empirisches Feedback Nicht nur die Erkenntnisse der Spieltheorie legen es indes nahe, die „Geburt der Strafe“ als evolutionären Prozess zu deuten. Auch empirische Erkenntnisse aus der biologischen und neurowissenschaftlichen Forschung stärken diese These. (1) Der Blick ins Tierreich Ein starkes Indiz für eine evolutionäre Verwurzelung der Strafe bietet etwa die parallel auftretende Entwicklung von Strafverhalten im Tierreich. Tatsächlich lassen sich ähnliche Verhaltensweisen exakt bei den Lebewesen beobachten, die zum einen dem erforderlichen Selektionsdruck ausgesetzt waren und die zum anderen die für Kooperation notwendigen psychologischen Merkmale – zumindest in rudimentärer Form – mitbrachten.88
87
Vgl. zum Ganzen auch Rodríguez Horcajo, GA 2018, 609–622 (610 ff.). Dazu und zum Folgenden Robinson/Kurzban/Owen, Vanderbilt Law Review 60 (2007), S. 1634–1688 (1648, 1654 ff.) und Robinson, Intuitions, S. 41 ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen; einige Beispiele auch bei Verplaetse, S. 176 ff. Entsprechende Strategien setzen etwa voraus, dass man Wertigkeiten verschiedener Objekte und Taten einordnen kann, um Ungleichheiten und Normverstöße zu erkennen. Ferner muss man die Fähigkeit besitzen, moralisch buchzuführen. Man muss also Individuen wiedererkennen und Eigenschaften zuordnen können, um bei der Wahl der Kooperationspartner entsprechend zu selektieren. Bei den Menschen sind die entsprechenden Merkmale besonders stark ausgeprägt. Ihre komplexen Wahrnehmungs-, Interpretations- und Orientierungsfähigkeiten bezüglich Personen, Beziehungen, Emo tionen, Intentionen und Interaktionen ermöglichen neben schnellen moralischen Urteilen auch detaillierte Karten sozialer Landschaften, vgl. Fabricius, Kriminalwissenschaften I, S. 202. 88
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(2) Neurowissenschaftliche Erkenntnisse Auch verschiedene Erkenntnisse aus der Hirnforschung deuten auf eine evolu tionäre Verwurzelung hin. Seit längerem ist bekannt, dass einzelne Gehirnregionen jeweils spezifische Aufgaben erfüllen. Neuere Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren (MRT/PET) zeigten nun eine faszinierende Übereinstimmung von aktivierten Gehirnregionen bei der Konfrontation mit moralischen Fragen.89 Dabei wurden auch die Entscheidungsprozesse in obigen Dilemma-Situationen im Scanner untersucht. Am interessantesten war dabei die übergreifend zu beobachtende Aktivierung von Arealen des sogenannten „Belohnungssystems“ – und zwar genau in zwei Situationen: Wenn die Teilnehmer wechselseitig kooperier ten. Und wenn unsoziale Teilnehmer (Trittbrettfahrer) bestraft wurden. Betroffen waren die gleichen Areale, die beispielsweise auch beim Konsum von Kokain oder Nikotin aufleuchten. Zudem zeigten sich starke Verknüpfungen zwischen Verhaltensweisen, die als ungerecht empfunden wurden, und negativen Emotionen wie etwa Entrüstung oder Wut.90 Um die Relevanz dieser Erkenntnisse zu verstehen, hat man sich zunächst die Aufgabe der entsprechenden Gehirnregionen vor Augen zu führen: Das Belohnungssystem des Gehirns fungiert als Motivator, als verwurzelter Mechanismus zur Verhaltenssteuerung. Oft scheinen Verhaltensweisen im ersten Moment ausschließlich kostspielig, erweisen sich auf lange Sicht aber als überaus vorteilhaft. Das Belohnungssystem in unserem Gehirn schiebt diese zukünftigen materiellen Vorteile nun als immateriellen Vorteil – Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin (Glücksgefühl) – in die Gegenwart, gleicht die Kosten also sofort aus, und liefert so einen Anreiz zum Handeln.91 Ein einfaches Beispiel für diesen Mechanismus liefert unsere Ernährung. Egal ob dem Akt des Verspeisens und Verdauens eine aufwendige Jagd oder das bloße Einkaufen im Supermarkt vorangeht; der gesamte Prozess ist jedenfalls stets mit irgendeiner Form von Kosten verbunden – wenn nicht mit Geld, so zumindest mit einigem Energieaufwand. Natürlich tun wir das nicht ohne Grund. Die Ernährung liefert wichtige materielle Vorteile; sie sind gar überlebenswichtig. Dennoch essen wir nicht, weil wir zuvor rational errechnet haben, dass wir in naher Zukunft Kalorien benötigen. Die Evolution hat uns dafür mit einer Art programmiertechnischen Shortcut versehen: dem unangenehmen Gefühl des Hungers 89 Vgl.
Bowles/Gintis, S. 38 ff.; Robinson/Kurzban/Owen, Vanderbilt Law Review 60 (2007), S. 1634–1688 (1659 ff.); Robinson, Intuitions, S. 44 ff.; Schleim, S. 19 ff.; Verplaetse, S. 177 ff., 199 ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 90 Vgl. dazu De Quervain u. a., Science 305 (2004), 1254–1258; Verplaetse, S. 177 ff., 199 ff. 91 Dazu und zum Folgenden Andrissek, S. 25 f. mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Spitzer, S. 175 ff.
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und einem belohnenden, befriedigenden Gefühl beim darauffolgenden Essen. Die materiellen Vorteile stellen sich nicht unmittelbar ein, sondern erst, wenn der Körper die Nahrung wieder in Energie umgewandelt hat.92 Ein solcher Anreiz besteht nun also auch zu kooperativem Verhalten. Das Belohnungssystem begünstigt Vertrauen und motiviert dazu, der Versuchung kurzfristiger Vorteile zu widerstehen. Es ermöglicht so letztlich soziales Verhalten.93 Gleiches gilt für die Strafe. Auch sie bringt dem Individuum zunächst einmal nur Kosten und keine materiellen Vorteile. Die Untersuchungen aber zeigen, dass das Belohnungszentrum im Gehirn den (langfristigen) Vorteil der Strafe auf immaterieller Ebene nach vorne verschiebt. Strafbedürfnisse sind in diesem Sinne also nichts anderes als Erwartungen neuronal positiv verknüpfter Stimulationen – ausgelöst durch Emotionen (in diesem Fall nicht durch Hunger, sondern durch Ärger, Wut oder Entrüstung).94 Handlungsleitend kann in diesem Zusammenhang im Übrigen natürlich nicht die Belohnung selbst sein; der Anreiz besteht in der entsprechenden Antizipation. Die Biopsychologie bezeichnet diesen antizipierten Lustgewinn als positiven Verstärkerwert. Er muss keineswegs mit dem hedonischen Wert, also der letztendlich tatsächlich verspürten Befriedigung, übereinstimmen.95 Das gilt insbesondere, wenn es über den ersten Befriedigungsmoment hinausgeht. Hier zeigt die Wissenschaft sogar, dass Strafe langfristig ein eher unbrauchbares Ventil für Wut ist. Während Menschen also stets damit rechnen, dass sie sich besser fühlen, sobald sie ihren Bedürfnissen nach Strafe nachkommen, bleibt diese antizipierte Befriedigung faktisch in aller Regel aus.96 So fühlten sich etwa in einer Studie von Carlsmith/Gilbert/Wilson die Probanden, die von vornherein keine Möglichkeit zu Strafen hatten, deutlich besser als ihre strafenden Mitstreiter.97 Die Forscher erklärten sich den Effekt dadurch, dass sich Strafende vertieft mit dem Unrecht auseinandersetzten. Die Fixierung ihrer Gedanken halte sie davon ab, sich neuen Gedanken zuzuwenden. Darüber, dass die Strafe selbst ein Übel ist, welches das erlittene Unrecht eben nicht wiedergutmacht, sondern allenfalls auf anderen Ebenen wirkt, scheint also selbst das hedonistische Gehirn nicht hinwegzuhelfen. 92 Zu diesem Beispiel und generell zur Funktionsweise von „Emotionen als Anreiz“ vgl. R. Frank, Emotionen, S. 52 ff. 93 Spitzer, S. 300. 94 Vgl. a. a. O., S. 317. 95 Dazu Pinel/Pauli, S. 465. 96 Vgl. Carlsmith/Gilbert/Wilson, Journal of Personality and Social Psychology 95 (2008), 1316–1324 mit weiteren Nachweisen; dazu und zum Folgenden ferner T. Walter, ZIS 2011, 636–647 (641). 97 Carlsmith/Gilbert/Wilson, Journal of Personality and Social Psychology 95 (2008), 1316– 1324 (1318 ff.).
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Teil I
Wie auch immer man die Ergebnisse deutet: Mit Blick auf die kooperations sichernde Funktion der Strafe stärken diese Erkenntnisse sogar die These von der evolutionsbiologischen Verwurzelung. Gerade der fehlende Lerneffekt und der dennoch aufrechterhaltene positive Verstärkerwert untermauern, dass der entsprechende Reiz neurologisch tief gefestigt ist.98 Wie und wo sonst hätte das evolutionär fitteste Gen ansetzen sollen, um die besten Lösungen zur Bewältigung evolutionärer Probleme zu manifestieren?
5. Die Wurzeln der Strafe Die Ergebnisse legen nahe, dass intuitive Strafbedürfnisse evolutionär verwurzelt sind. Sie sind dies aber freilich nicht in ihrer finalen Ausprägung. Die Rede war bereits von weltweiten Studien zu menschlichen „Gerechtigkeitsintuitionen“ und von verblüffenden Übereinstimmungen der entsprechenden „Strafintuitionen“ über alle Kulturen hinweg.99 Die dort festgestellten Gemeinsamkeiten betreffen allerdings zunächst einmal nur die „Existenz“ dieser Intuitionen – das gemeinsame „Bedürfnis nach Strafe“ als Reaktion auf bestimmte Verhaltens weisen. Die entsprechende Forschung legte aber ebenso offen, dass diese Übereinstimmungen spätestens dann enden, wenn es um die konkrete Strafhöhe, letztlich die Art und Weise der konkreten Strafe geht.100 Würden die spezifischen Intuitionen ausschließlich auf evolutionär verankerten Shortcuts basieren, ließen sich diese weltweit unterschiedlichen Vorstellungen von gerechter Strafe nicht erklären. Das schließt den evolutionären Ursprung dieser Intuitionen aber keinesfalls aus. Alle Menschen essen, und doch entwickeln sie unterschiedliche Geschmäcker. Sie alle kommunizieren, aber tun dies in unterschiedlichen Sprachen. Es sind unsere Gene, die uns zur Entwicklung dieser Verhaltensweisen drängen und doch einen gewissen Spielraum für kulturelle Einflüsse lassen.101 Es geht auch hinsichtlich der Strafe in diesem Sinne also eher um eine genetische Verankerung der entsprechenden Aneignungsmechanismen.102 98
Zu diesem Lerneffekt Spitzer, S. 180 ff. Vgl. Teil I – Kapitel 1III.2. 100 Vgl. Robinson, Intuitions, S. 23; ders., Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1567); zum Ganzen auch Andrissek, S. 171 ff. mit weiteren Nachweisen. 101 Zum möglichen Einfluss des „sozialen Lernens“ auf diese Intuitionen vgl. Robinson/ Kurzban/Owen, Vanderbilt Law Review 60 (2007), S. 1634–1688 (1677 ff.); Robinson, Intuitions, S. 56 ff. 102 Vgl. dazu Heidbrink, S. 158 ff. mit weiteren Nachweisen. In Anlehnung an die „Universalgrammatik“, die allen natürlichen Sprachen gemein und in unseren Genen verankert sein soll, ist in diesem Sinne auch von einer evolutionär verwurzelten „Universalgrammatik der Moral“ die Rede, vgl. Mahlmann, § 36 Rn. 4 ff.; ferner Fabricius, Kriminalwissenschaften I, 99
Kapitel 1: Die Geburt der Strafe
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Die Hypothese, dass Strafe sich früh als Teil einer evolutionären Strategie entwickelt hat, betrifft zunächst einmal nur die historische Dimension, also die Frage nach ihren Ursprüngen. Sie trifft weder eine straftheoretische Aussage über die konkreten Wirkungsweisen von Strafe noch über ihre Sinnhaftigkeit auch in modernen Gesellschaftsformen – schon gar nicht was die konkrete Form der staatlichen Kriminalstrafe betrifft. Die von dieser Hypothese implizierten „angeborenen“ Verbindungen zwischen Strafe, Kooperation und insbesondere zum dafür notwendigen Vertrauen lassen sich aber natürlich nicht ignorieren. Sie liegen den folgenden Ausführungen zur Geschichte der Strafe und Straftheorie daher zugrunde und müssen sich an den historischen und ethnologischen Daten messen lassen.
S. 210 mit weiteren Nachweisen; Hauser, S. 43 ff. – Diese Deutung stützen in gewisser Weise auch wieder die Ergebnisse der Hirnforschung. Oben genannte Studien zeigen in Kooperations szenarien eine Aktivierung des orbifrontalen Kortex. Dieser Bereich des menschlichen Gehirns ist in der Entwicklung erst relativ spät vollständig ausgereift. Kinder haben deshalb noch eher Probleme damit, kurzfristige Vorteile oder Bedürfnisbefriedigungen zurückzustellen, vgl. Spit zer, S. 301. Die spezifische Entwicklung der Strafintuitionen ist daher also in gewissem Maße für Beeinflussung offen.
Kapitel 2
Strafe in vorstaatlichen Gesellschaftsformen I. Jäger und Sammler Der Zeit von Jägern und Sammlern können wir uns wie gesagt nur über eine Kombination aus Archäologie und Ethnologie nähern. Die Rede war bereits von ersten menschlichen Werkzeugen, deren Alter auf rund 2,7 Millionen Jahre datiert wird. Dabei handelte es sich allerdings noch nicht um Jagdwerkzeuge. Sie bezeugen vielmehr den Übergang vom Vegetarier zum Aasfresser und dienten lediglich dem Zweck, das genießbare Fleisch aus den Körpern toter Tiere zu entnehmen.1 Die gesellschaftlichen Verhältnisse in dieser frühen Zeit lassen sich auch mithilfe der Ethnologie nicht beleuchten. Erst vor etwa zwei Millionen Jahren vollzogen erste Hominiden den Schritt vom Aasfresser zum Jäger. In der Entwicklung zum modernen Menschen war dies ein großer Schritt, denn er garantierte fortan energiereiche Nahrung und trug so entscheidend zur Weiterentwicklung des menschlichen Gehirns bei.2 Die Ernährungsumstellung brachte aber auch wichtige gesellschaftliche Umbrüche mit sich: So bedurfte beispielsweise die Jagd auf physisch meist überlegene Tiere eines Zusammenwirkens mehrerer Jäger. Auch das wilde Umherziehen im lose organisierten Verband, wie es noch heute unsere nächsten Verwandten – die Schimpansen und Bonobos – praktizieren, zahlte sich nicht mehr aus. Effizienter war es, sich zentral zu organisieren und Jäger auszusenden, die das Fleisch ins vorübergehende Lager brachten.3 Was die nun beginnende Zeit der Jäger und Sammler für die hiesige Betrachtung so interessant macht, ist der Raum, den sie in der menschlichen Geschichte einnimmt. Den wesentlichen Teil der im letzten Kapitel untersuchten evolutionären Entwicklung psychischer Merkmale prägten die vorfindbaren Bedingungen in Jägergesellschaften. Erst vor ca. 11.000 Jahren begannen erste Gruppen sich von dieser Lebensform zu verabschieden, sesshaft zu werden und Ackerbau oder Viehzucht zu betreiben. Auch seither ging diese Entwicklung nur langsam von1
Parzinger, in: Geschichte der Welt, S. 41–262 (45). A. a. O., S. 46 f. 3 Wilson, S. 19 f.; vgl. dazu auch Suhr, S. 120 f. 2
Kapitel 2: Strafe in vorstaatlichen Gesellschaftsformen
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statten. Noch vor wenigen hundert Jahren waren etwa Nord- und Südamerika, Australien und Afrika in großen Teilen mit Jägergesellschaften bevölkert. Noch heute – und das ist nun eben der Anknüpfungspunkt der modernen Ethnologie – gibt es sie.4 Zwar konnten viele der Jägergesellschaften, die in jüngerer Vergangenheit unter Beobachtung standen, eher in ökologisch unwirtlichen Gegenden überleben, welche die Bedingungen der Altsteinzeit nur unzureichend widerspiegeln. Allgemeine Rückschlüsse aus ethnographischem Material zu diesen Gesellschaften sind also nur bedingt möglich.5 Ganz grundsätzlich muss man aber festhalten, dass auch im langen Zeitalter der Jäger und Sammler keine einheitlichen ökologischen Bedingungen vorzufinden waren. Das gilt nicht nur im Längsschnitt; auch zur gleichen Zeit waren die Menschen an verschiedenen Orten der Erde stets unterschiedlichen Umwelteinflüssen ausgesetzt. Und selbst wenn sie es nicht waren, konnten die kulturellen und ethnischen Unterschiede gewaltig sein.6 Diese Erkenntnis macht detaillierte Aussagen über die eine „Kultur der Jäger und Sammler“ unmöglich. Sie stärkt aber im Gegenzug Aussagen über allgemeine Grundstrukturen. Und zwar immer dann, wenn man diese Grundstrukturen bei all diesen Jägergesellschaften vorfindet – mögen ihre Kulturen und äußeren Bedingungen sich noch so sehr unterscheiden. Es lassen sich also doch einige plausible Aussagen über unsere frühe Vergangenheit treffen:
1. Die erste Wohlstandsgesellschaft – Leben und Konflikt in der Altsteinzeit Die Jäger und Sammler(innen) lebten regelmäßig in unbeständigen Kleingruppen von etwa zwanzig bis fünfzig Personen – der Horde.7 Sie war egalitär und anarchisch aufgebaut, es gab also keine wirklichen Anführer, jedenfalls keine Herrschaft.8 Da sich die große Mehrheit der Jägergesellschaften in wirtlichen Gegenden aufhielt und ein angenehmes Leben führte, lässt sich mit dem ameri4
Dazu und zum Folgenden Wesel, Frühformen, S. 71 ff. Zu den methodischen Bedenken schon Teil I – Kapitel 1II.1.a); vgl. auch Sutton/Ander son, S. 160. 6 Ein Beispiel liefern die australischen Aborigines in der Zeit vor der Kolonialisierung. Trotz ökologisch vergleichbarer Bedingungen trafen die europäischen Siedler bei ihrer Ankunft auf hunderte einzelne Stämme (jeweils wieder unterteilt in zahlreiche kleine Horden) mit verschiedenen Sprachen, Religionen, Normen und Bräuchen, vgl. Harari, S. 62 mit weiteren Nachweisen. 7 Aus Gründen der Darstellung erfolgt die Beschreibung hier in der Vergangenheitsform, auch wenn die verschiedenen beschriebenen Gesellschaftsformen bis heute zu finden sind und die Beobachtungen in Teilen auch aus ebendiesen Gesellschaften stammen. 8 Wesel, Geschichte, S. 20 f. (Rn. 8); näher dazu Teil I – Kapitel 3I. 5
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Teil I
kanischen Ethnologen Marshall Sahlins guten Gewissens von der „original affluent society“ sprechen: der „ersten Wohlstandsgesellschaft“.9 a) Kooperationsverhältnisse Die Kooperation in diesen frühen Gesellschaften war vergleichsweise noch sehr gering ausgeprägt. Es gab keine tiefergehende Arbeitsteilung oder Spezialisierung. Auch mit benachbarten Horden gab es wenig Zusammenarbeit.10 Neben der Kooperation „auf zweiter Ebene“11 lassen sich auf der „ersten Ebene“ im Wesentlichen zwei Ausnahmen festhalten: den Bereich der engen Familie und die gemeinsame Jagd. aa) Die Rolle der Familie Die kleinste Einheit der Kooperation war die Familie. Die Arbeitsteilung und Zusammenarbeit innerhalb der engen Verwandtschaft ist der erste Grundpfeiler, der sich für alle untersuchten Jägergesellschaften festhalten lässt.12 Ihren Ursprung hatte diese notwendige Kooperation nach der für lange Zeit nahezu unumstrittenen Geburtsdilemma-These in der menschlichen Fähigkeit zum aufrechten Gang.13 Die Theorie wird zwar in jüngerer Zeit von einigen Autoren in Frage gestellt.14 Nicht streiten lässt sich indes über das Ergebnis: Die frühen Geburten beim Menschen führten zu einer zunächst einmal hilflosen Stellung des Kindes, aber auch der Mutter, die ohne Hilfe kaum in der Lage war, das Kind großzuziehen und gleichzeitig Nahrung für sich und den Nachwuchs zu beschaffen. Die Kooperation zwischen Mann und Frau war die historische Folge dieses Dilemmas. Die Männer jagten, die Frauen kümmerten sich um Lager und Nachwuchs, der sie in etwas fortgeschrittenem Alter auch beim Sammeln pflanzlicher Nahrung begleiten konnte.
Da die enge Verwandtschaft eine so große Rolle spielte, basierten auch zahlreiche Streitigkeiten und Gewalttätigkeiten auf Differenzen im und um das eheliche 9
Sahlins, S. 1 ff.; dazu auch Newman, S. 138 ff.; Sutton/Anderson, S. 160 f.; Wesel, Frühformen, S. 74 f. 10 Vgl. auch Harari, S. 66. 11 Vgl. Teil I – Kapitel 1III.4.c)(2). 12 Wesel, Frühformen, S. 77; vgl. auch Gusinde, S. 995 ff.; Luhmann, Rechtssoziologie, S. 148 ff.; Simpson/Stone, S. 5 ff. 13 Dieser habe der Frau evolutionär schmalere Hüften und insofern auch einen engeren Geburtskanal abgenötigt, was wiederum dazu geführt habe, dass die menschlichen Säuglinge „halbfertig“ zur Welt kamen, damit die Frauen die Geburt überlebten. Die Bezeichnung („obstetrical dilemma“) stammt von Washburn, Scientific American 203 (1960), S. 63–75; zum Ganzen ferner B. Fischer, Speculum 36 (2018), S. 10–13; Harari, S. 18 ff.; vgl. auch Wesel, Geschichte, S. 22 (Rn. 10). 14 Vgl. etwa Betti/Manica, Proc. R. Soc. B 285 (2018), S. 1–9; Dunsworth u. a., PNAS 109/38 (2012), S. 15212–15216.
Kapitel 2: Strafe in vorstaatlichen Gesellschaftsformen
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Verhältnis. Ging es nicht um den Streit mit der Frau, beruhten Gewalttätigkeiten häufig auf einem Streit um die Frau.15 bb) Die Horde und die Jagd Auch die Größe und die Zusammensetzung der Horde waren in erster Linie bestimmt durch die Erfordernisse der Kooperation. Dabei ging es in diesen frühen Gesellschaften insbesondere um die Herausforderungen der gemeinsamen Jagd.16 Die gemeinsame Jagd beschreibt die in der Spieltheorie angewandte Standardsituation besonders schön. Im Optimalfall wirkten viele Individuen zusammen, um die Beute zu erlangen, die anschließend als öffentliches Gut zwischen den Mitgliedern der Horde verteilt wurde. Auch Jäger, die wenig oder gar nichts beitrugen, profitierten aber grundsätzlich vom Erfolg der anderen. Dieses klassische Trittbrettfahrer-Verhalten betraf, wenn nicht unmittelbar, so doch zumindest langfristig den Erfolg der ganzen Gruppe. Es verwundert vor diesem Hintergrund also nicht, dass die „Faulheit bei der Jagd“ ein zentraler Ausgangspunkt von Konflikten in diesen Gesellschaften war.17
15
Newman, S. 144 ff. („Almost without exception, the ethnographic materials on nomadic foragers indicate that woman-related tensions are the primary occasion for disputes.“ [a. a. O., S. 145]); Wesel, Frühformen, S. 128, 158 f.; vgl. auch Marshall, S. 311 f.; für die Tiwi schätzen Hart/Pilling (S. 80), dass es in über 90 Prozent der von ihnen beobachteten Streitigkeiten in irgendeiner Form um Frauen ging. Zur überproportionalen Ausprägung derartiger Streitigkeiten bei den Eskimo vgl. Balikci, S. 179; Rasmussen, S. 139 ff., 199; mit zahlreichen Fallbeispielen auch van den Steenhoven, S. 68 ff.; dazu ferner Wesel, Frühformen S. 116; warum solche Konflikte ganz generell so häufig waren ist ein Rätsel, über das Anthropologen seit langer Zeit streiten. Auch hier werden die Antworten für die jeweiligen Gesellschaften differieren, vgl. zum Ganzen Newman, S. 145 ff. 16 Noch heute etwa finden sich die Eskimo im Winter zu größeren Gruppen auf dem Eis des Meeres zusammen, wo sie umherziehen und von der Jagd auf Seehunde leben. Da die Tiere in gewissen Abständen an eines ihrer unzähligen Atemlöcher kommen, hängt die Erfolgsquote davon ab, an wie vielen Löchern ein aufmerksamer Jäger mit Harpune steht. Erst die Zusammenarbeit garantiert das Überleben. Im Sommer hingegen brechen die Flüsse auf. Lachsfang und Rentierjagd werden möglich und reduzieren die Anforderungen an die Gruppengröße. Die Jagdgruppen des Winters trennen sich und verteilen sich in vielen kleineren Gruppen auf das weite Land, vgl. zum Ganzen Rasmussen, S. 142 ff.; Wesel, Frühformen, S. 112 ff. 17 Vgl. Balikci, S. 176 f.; Birket-Smith, S. 187; Bowles/Gintis, Cooperative Species, S. 107; Newman, S. 145; Wesel, Geschichte, S. 25 f. (Rn. 14); ders., Frühformen, S. 159.
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Teil I
b) Eigentum und Diebstahl In der „ersten Wohlstandsgesellschaft“ genügte in der Regel wenig Arbeit, um die allgemeinen Bedürfnisse zu befriedigen.18 Diese waren auch vergleichsweise sehr bescheiden. Wie sollte es anders sein in einer Gesellschaft, welche – abhängig von den aktuellen äußeren Bedingungen – ständig in Bewegung war, immerzu auf der Suche nach ergiebigen Jagd- und Sammelgebieten. Hier wurde alles materielle Gut, das über das absolut Nötige hinausging, buchstäblich zur Last – der Reichtum zur Bürde.19 Eigentum, sofern man es so nennen mag, hatte deshalb fast keine Bedeutung.20 Auch der Diebstahl spielte aus diesem Grund eine nur geringe Rolle.21 Es gab schlicht nicht viel zu stehlen. Jedenfalls darf der Diebstahl nicht im heutigen Sinne verstanden werden. Die wenigen Dinge, die man als Privateigentum bezeichnen könnte – Arbeitsgeräte, Waffen, Kleidung, Schmuck – hatten keine so absolute Stellung wie in moderneren Gesellschaftsformen.22 Die Grundsätze des Teilens und der Reziprozität waren stark ausgeprägt. Wenn also eine Sache gerade nicht benutzt wurde, musste sie einem anderen überlassen werden.23 Der Diebstahl ließ sich in diesem Fall eher als Beleidigung verstehen, da der „Dieb“ zuvor nicht gefragt hatte.24 Derartige Vorfälle konnten – ebenso wie auch „normale“ Beleidigungen und Verspottungen – Ausgangspunkte von Differenzen sein.25 Auch aus einem anderen Grund war der Diebstahl aber sehr selten. So schrieb Lorna Marshall über die !Kung, eine Jägergesellschaft in der Kalahari in Süd afrika: „Stehlen ohne entdeckt zu werden ist praktisch unmöglich bei den !Kung, da die !Kung alle Fußabdrücke und alle Objekte kennen.“26
Mit der hohen „Entdeckungswahrscheinlichkeit“ war also eine der wesentlichen Voraussetzungen dafür, dass Strafe abschreckende Wirkung entfalten kann, in den frühen Kleingruppen in weitem Maße gegeben. Es ist daher davon auszugehen, dass auch dieser Aspekt zur geringen Rolle des Diebstahls in Jäger-und- Sammler-Gesellschaften beitrug.27 18
Sahlins, S. 14 ff. A. a. O., S. 11; Newman, S. 141; Wesel, Frühformen, S. 75. 20 Birket-Smith, S. 191; Wesel, Frühformen, S. 95 ff. 21 Balikci, S. 178; Newman, S. 145; Wesel, Frühformen, S. 106, 128, 156, 167. 22 Vgl. dazu und zum Folgenden auch Newman, S. 142 ff. 23 Wesel, Frühformen, S. 103 ff., 123. 24 A. a. O., S. 106 und speziell zur Rolle der Reziprozität S. 86 ff. mit weiteren Nachweisen. 25 Fry/Söderberg, Science 341 (2013), S. 270–273 (272). 26 Marshall, S. 311 (Übersetzung des Verf.); vgl. auch a. a. O., S. 295. 27 Zu diesen Voraussetzungen und zur Rolle der Abschreckung ausführlich Teil II – Kapitel 8II. 19
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Kam es einmal zu Eigentumskonflikten, beschränkten sich diese vorwiegend auf verbrauchbare Güter – in erster Linie auf Nahrungsmittel. Hier fand keine Hortung statt, es wurde sofort konsumiert. Verurteilt wurde also etwa der „Diebstahl“ von gebratenem Fleisch, das eigentlich einem anderen zustand, oder die ungerechte Verteilung der Jagdbeute.28 Einen ähnlichen Fall bildete die Verletzung von Vorrechten. So konnten Mitglieder der Horde etwa Termitenhügel, Vogel- oder Bienennester, die sie gefunden hatten, markieren und sich so in gewisser Weise das Eigentum daran sichern. Auch die Nichtbeachtung dieser Vorrechte konnte zu Konflikten führen.29 c) Kriegerische Konflikte Inwieweit neben den Streitigkeiten in den genannten Kooperationsgruppen – der Kleinfamilie und der Horde – auch kriegerische Konflikte eine Rolle spielten, ist umstritten. Der Harvard Professor Steven Pinker spricht von häufigen Kämpfen zwischen verschiedenen Gruppen, unterscheidet in seinen Untersuchungen aber auch nur pauschal zwischen nicht-staatlichen und staatlichen Gesellschaften. Die verbreitete Hypothese, dass es in den frühen Jägergesellschaften wenig bis keine kriegerischen Auseinandersetzungen gab, sich diese also erst entwickelten, als die Menschen sesshaft wurden, lässt er deshalb bewusst offen (wenngleich er sie doch an zweifelt).30 Spätere Untersuchungen stärkten diese These jedoch. Douglas Fry und Patrik Söderberg etwa verglichen gewalttätige Auseinandersetzungen in 21 Jägergesellschaften. Dabei zeigte sich, dass nur ein winziger Teil auf kriegerischen Konflikten beruhte. Die allermeisten tödlichen Vorfälle ließen sich als Morde oder als Fehden beschreiben, jedenfalls ging es in aller Regel um interpersonale Konflikte.31
2. Hordenspezifisches „Strafrecht“ Was die Geschichte der Strafe betrifft, interessiert nun aber natürlich, wie auf die beschriebenen Konflikte reagiert wurde. Freilich gab es kein staatliches Straf recht, denn es gab keinen Staat. Man mag auch bestreiten, dass es in diesen frühen Gesellschaften Recht gab (und das Ganze dann Gewohnheit nennen), doch das ist ein Streit um Worte, der hier nicht geführt werden soll.32 Jedenfalls gab es 28 Vgl.
Balikci, S. 176; Wesel, Frühformen, S. 106; ders, Geschichte, S. 26 Rn. 14. Wesel, Frühformen, S. 105 mit Beispielen und weiteren Nachweisen zu den Scho schonen, den Mbuti, den Andamanen und den Semang. 30 Pinker, S. 90, 99 f. 31 Fry/Söderberg, Science 341 (2013), S. 270–273 (272); vgl. auch Newman, S. 57 f.; Hart/ Pilling, S. 83 ff.; Sutton/Anderson, S. 173 f. 32 Vgl. dazu Diamond, Social Research 38 (1971), S. 42–72; Luhmann, Rechtssoziologie, S. 27 f.; Service, S. 118 ff.; Wesel, Frühformen, S. 52 f., 334 ff.; ders., Geschichte, S. 57 ff. 29 Vgl.
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Teil I
private, physische Strafreaktionen, die von der jeweiligen Horde oder dem Stamm als noch angemessen betrachtet wurden, und solche, die das nicht taten.33 Ferner gab es gesellschaftliche Strafmechanismen, welche die verschiedenen Probleme rund um diese „Privatstrafe“ aufzufangen versuchten. Bevor wir auf diese beiden Strafformen zurückkommen (sogleich c] und d]), muss allerdings auf zwei grundlegende Probleme rund um die Strafe eingegangen werden: ihre Akzeptanz und ihre Kosten. a) Die Akzeptanz der Strafe Das zentrale Problem jedes strafrechtlichen Systems war und ist das der gesellschaftlichen Akzeptanz. – Gerade in vorstaatlichen Gesellschaften lief jede Strafe Gefahr, in einem Teufelskreis von Gegenreaktionen zu enden, wenn sie nicht vom (vermeintlichen) Täter, von dessen Verwandtschaft, und letztlich von der gesamten Gruppe als angemessen, als gerecht empfunden wurde. Kam es häufig zur Eskalation von Konflikten, fehlte es der Gruppe an einer notwendigen Grundbedingung für dauerhafte, erfolgreiche Kooperation: dem gesellschaftsinternen Frieden.34 Besonders körperliche Sanktionen (insbesondere die Blutrache) waren dabei ein möglicher Ausgangspunkt langwieriger Konflikte und wurden schnell zum Problem der ganzen Gruppe.35 Auch wenn tatsächlich jedes Individuum im Sinne der Kooperation ein Interesse daran hatte, Teil einer zuverlässig strafenden Gruppe zu sein, so war die gesellschaftliche Akzeptanz der jeweiligen Strafen also eine Grundvoraussetzung für die Funktionstüchtigkeit der entsprechenden Mechanismen – und sie ist es freilich noch heute. Probleme konnten sich hier aus verschiedenen Gründen ergeben. Zunächst konnten stets emotionale Ausbrüche, nachträgliche Rechtfertigungen für das eigene Verhalten,36 oder schlicht unterschiedliche Interpretationen des zugrundeliegenden Sachverhalts ein Auslöser dafür sein, dass direkte Reaktionen des „Opfers“ von verschiedenen Akteuren als nicht angemessen betrachtet wurden.37 33
Vgl. dazu und zum Folgenden Newman, S. 59 ff. auch in spieltheoretischen Studien feststellbaren Eskalationsgefahr, wenn es die Möglichkeit zur „Gegenbestrafung“ gibt vgl. Beckenkamp, ZIS 2011, 137 (140 f.) mit weiteren Nachweisen. 35 Vgl. Birket-Smith, S. 192; Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (47); Wesel, Frühformen, S. 130; bei einer Serie gegenseitiger Tötungen, die ihren Ursprung hat in einer ersten Reaktion auf einen Totschlag oder eine andere schwere Verletzung, spricht man insofern von „Fehde“, vgl. Pospisil, S. 21 ff.; Wesel, Frühformen, S. 328. 36 Zu den sogenannten „Neutralisierungstechniken“ vgl. Eisenberg/Kölbel, § 25 Rn. 7, § 58 Rn. 75; Göppinger/Bock, Kriminologie, § 10 Rn. 19. 37 Zu diesem „Consensusproblem“ und generell zu den Gründen, warum bei der „Selbsthil34 Zur
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Unabhängig von diesen gerade in frühen Gesellschaften „immanenten“ Gefahren, stellt sich aber für alle Formen von Strafe die Frage, wie es – heute wie damals – überhaupt zu einheitlichen Vorstellungen von „Gerechtigkeit“, also zur gesellschaftlichen Akzeptanz konkreter Strafen kommen kann. aa) Die „absolut“ gerechte Strafe Die Rede war bereits von verblüffenden, kulturübergreifenden Übereinstimmungen bei der Existenz von Strafintuitionen. Ebenso musste aber festgestellt werden, dass diese Gemeinsamkeiten spätestens dann enden, wenn es um die konkrete Strafhöhe, letztlich die Art und Weise der Strafe geht.38 Die unterschiedlichen Vorstellungen von „gerechter“ Strafe mögen im Hinblick auf die verschiedenen Kulturen zum Teil mit einer Prägung durch die jeweiligen Strafrechtssysteme zusammenhängen. Die moderne Forschung zeigt aber – und das dürfte nicht verwundern –, dass diesbezüglich auch innerhalb von Gesellschaften keine Einigkeit besteht. Nicht nur die unterschiedlichen Länder und Kulturen gehen also bei der Wahl des Strafmaßes verschiedene Wege. Auch Individuen haben hier zum Teil sehr unterschiedliche Vorstellungen.39 Mit Blick auf eine allgemein akzeptierte Strafe ist das zunächst einmal hochproblematisch. Denn wie soll die Strafe auf Akzeptanz stoßen, wie soll ein gesellschaftlicher Friede erreicht werden, wenn intern keine Einigkeit darüber besteht, welche Strafe für eine konkrete Tat angemessen ist? – Wenn es um die isolierte Beurteilung eines einzelnen Falles geht, ist es in diesem Sinne tatsächlich unmöglich, eine „richtige“ – im Sinne einer allgemein als „exakt angemessen“ akzeptierten – Strafe zu bestimmen. Man hat sich also von der Vorstellung einer absolut gerechten Strafe zu verabschieden – oder jedenfalls von der Hoffnung auf eine diesbezügliche gesellschaftliche Einigkeit. Sowohl der Blick in die Geschichte als auch die moderne Forschung legen allerdings nahe, dass es auf diese absolute Gerechtigkeit nie ankam und auch heute nicht ankommt:
fe“ in akephalen Gesellschaften ein Konsens der Parteien unwahrscheinlich ist vgl. Spittler, in: Alternativen, S. 142–164; vgl. auch Gusinde, S. 987. 38 Siehe Teil I – Kapitel 1III.5; beobachten lässt sich dies auch im ethnografischen Material zu den Jäger-und-Sammler-Gesellschaften. Hier schwankt die akzeptierte Schärfe der jeweiligen Sanktionen zwischen den Gruppen stark, vgl. dazu auch Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (46); Newman, S. 60 f.; Schott, in: Kriminologie, S. 191–205 (194); zu den völlig unterschiedlichen Reaktionen auf den „Diebstahl“ vgl. etwa Meggitt, S. 258 (zu den Walbiri-Aborigines); Wesel, Frühformen, S. 106 (zu den Mbuti); Marshall, S. 311 (zu den !Kung). 39 Vgl. Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1567); dazu und zum Folgenden auch Streng, FS Müller-Dietz, S. 875–903 (888 f.).
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bb) Die „relativ“ gerechte Strafe „Die Gerechtigkeit, welche niemals absolut ist, kann nicht mehr bedeuten, als daß in Gemäßheit des jeweiligen rechtlichen Entwicklungsstandes der einzelnen Völker das jeweilig schwerere Verbrechen mit einer schwereren Strafe bedroht sein muß, als das geringere Vergehen.“40
Die fehlende Einigkeit hinsichtlich der absoluten Strafe war bei weitem nicht die einzige Erkenntnis, welche die moderne Forschung zu Strafbedürfnissen ans Licht brachte. Vielmehr zeigten sich flächendeckend überwältigende Übereinstimmungen in einem anderen Punkt: der relativen Strafverteilung.41 In den Studien von Paul Robinson zeigte sich diese Übereinstimmung insbesondere im von ihm so genannten „Kernbereich des Fehlverhaltens“.42 Dieser umfasst zum Beispiel verschiedene Arten von Gewalt, Diebstahl oder Betrug. Man kann diesen Kernbereich als Bereich der „Standardsituationen“ beschreiben. Es handelt sich um typische evolutionäre Probleme und Bedingungen, für die sich der Shortcut, der Belohnungsmechanismus, evolutionär entwickelt hat, um schnelle Lösungen bereitzustellen.43 Entfernt man sich aus diesem Kernbereich und verfremdet die Standardsituationen, schwanken die Übereinstimmungen zwischen den Kulturen und werden auch gesellschaftsintern vielfältiger. Der Einfluss der Emotion und Intuition schwindet und lässt mehr Platz für kulturelle und individuelle Besonderheiten.44
Es setzte in den modernen Studien also zwar jeder Einzelne die konkrete Obergrenze seiner individuellen „Strafskala“ unterschiedlich hoch an – so stand an dieser Stelle bei manchen etwa die Todesstrafe oder die lebenslange Haft, während für andere eine zehnjährige Freiheitsstrafe das Höchste der (Vergeltungs-) Gefühle war. Wenn es aber um die relative Gewichtung der verschiedenen vorgelegten Szenarien ging, ordneten kulturübergreifend alle Menschen die jeweiligen Verhaltensweisen gleich ein – übertrugen diese Position in der Folge nur eben auf ihre individuell differierenden Strafskalen. 40
von Holtzendorff, S. 223. Zu verschiedenen (auch eigenen) Studien Robinson, Intuitions, S. 23 ff.; vgl. ferner Kania/ Brand/Zimmermann/M. Walter, MSchrKrim 86 (2003), 247–264 (251 ff.); zum Ausmaß der „überwältigenden Übereinstimmung“ in der relativen Verteilung („Kendalls W“, ein Messinstrument zur Bestimmung der Konkordanz, erreichte einen Wert von bis zu 0.95 [1,0 = völlige Übereinstimmung]) vgl. Robinson, Intuitions, S. 28 ff.; ders., Northwestern University Law Re view 111 (2017), S. 1565–1595 (1568); ders., in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 13–34 (15 f.); kritisch zu einer frühen Studie von Thorsten Sellin und Marvin E. Wolfgang, welche auch hinsichtlich der „absoluten“ Strafe Übereinstimmungen festgestellt hatte, Müller, MSchrKrim 74 (1991), 290–299; einen Überblick über den Stand der Forschung liefert ferner Andrissek, S. 171 ff. 42 Vgl. Robinson, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 13–34 (15 f.); ders., Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1568) („core of wrongdoing“) 43 Vgl. Andrissek, S. 26, 178. 44 Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1567); vgl. auch Raiser, S. 230. 41
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Es sind die scharf geführten Diskussionen über einzelne Gerichtsurteile, die diese Erkenntnis so lange verschleiert haben. Man mag sich noch so lange streiten, ob der Vergewaltiger in einem konkreten Fall drei, fünf oder sieben Jahre Gefängnis verdient hat. Einigkeit besteht hinsichtlich der Frage, ob er härter bestraft werden muss als der Supermarktdieb. Und die erstaunliche Erkenntnis: Diese Einigkeit besteht nicht nur in diesem vermeintlich eindeutigen Beispiel, sondern schon bei kleinsten Abweichungen in der Fallgestaltung und hinsichtlich verschiedenster Delikte.45 Es verwundert also nicht, dass in der Realität kaum eine gesellschaftliche Empörung über Strafurteile ohne Vergleich auskommt.46 Der Vorwurf verweilt daher so gut wie nie in der Aussage: „Täter A wurde wegen X zu nur 3 Jahren Haft verurteilt!“ Vielmehr folgt im Regelfall etwas wie: „Und letzte Woche habe ich in der Zeitung gelesen, dass der Täter B für die vergleichsweise harmlose Tat Y für 4 Jahre in den Knast muss!“, während im Zweifel „der vorbestrafte Prominente C mit Z wieder glimpflich davongekommen ist!“47 oder der „Flüchtling D die x-te Bewährungsstrafe erhalten hat!“ Nur über die Brücke der relativen Strafe lässt sich letztlich erklären, wie innerhalb der frühen Gesellschaftsformen eine allgemeine Akzeptanz möglich war. Erst recht lässt sich diese Erkenntnis freilich auf die modernen, globalisierten und weitaus komplexeren Gesellschaften übertragen. Nie gibt es im Einzelfall eine absolute Strafe, die alle Individuen isoliert genommen als gerecht betrachten würden. Das ist aber auch nicht nötig, um Akzeptanz zu erreichen. Die konkrete Strafhöhe spielt für die Strafbedürfnisse keineswegs die entscheidende Rolle. Wichtig ist der Blick auf die relative Strafverteilung. Hier scheint es einen mehr oder weniger weiten Spielraum des konkret als „noch gerecht“ Empfundenen zu geben, welcher selbst eingegrenzt ist durch die Stellung im deliktischen Gesamtsystem.48 Solange die verschiedenen Strafen innerhalb einer Gemeinschaft zueinander in einem proportionalen Verhältnis stehen, ist die konkrete Strafhöhe also erst einmal zweitrangig. Das ist es, was im Folgenden als „Rela tivität der Strafen“ bezeichnet werden soll. Innerhalb der frühen Kleingruppen jedenfalls waren diese Voraussetzungen gegeben. Es gab eine überschaubare Anzahl an Kooperationspartnern und Konflikten. Und schließlich waren die verhängten Strafen allgemein bekannt und 45 Robinson, Intuitions, S. 237 ff. mit zahlreichen Nachweisen zu verschiedenen Studien; ders., Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1570 f.), ders., in: Strafen „im Namen des Volkes, S. 16. 46 So auch Mellinghoff, FS Hassemer, S. 503–519 (504). 47 Vgl. zu Vorwürfen einer solchen „Klassenjustiz“ auch Rieble, NJW 2009, 2101 (2103 ff.). 48 Vgl. dazu auch Kaspar, Präventionsstrafrecht, C 31 f.; Streng, in: Grundfragen, S. 39–64 (59); ders., FS Müller-Dietz, S. 875–903 (882).
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Grundlage der Entwicklung eines gemeinsamen gesellschaftlichen Strafniveaus, welches – trotz übergreifender Gemeinsamkeiten in der relativen Bewertung der Taten – in den verschiedenen Kleingruppen höchst unterschiedlich ausfallen und dennoch jeweils für Akzeptanz sorgen konnte. b) Die Kosten der Strafe Ein weiteres Problem in frühen Gesellschaftsformen betraf – in s pieltheoretischen Begriffen gesprochen – die „Kosten“ der Strafe. Freilich war die Funktionsfähigkeit des Instituts Strafe (welche Funktion das auch immer sein mag) eng verknüpft mit der Frage, ob es auch tatsächlich zu strafenden Reaktionen kam.49 Ob gestraft wurde, hing aber stets ab von der individuellen Stärke des Opfers, seiner sozialen Stellung und den Allianzen innerhalb der Gruppe.50 Einen herrschaftlichen Zwangsapparat, welcher die Strafen durchsetzen hätte können, gab es nämlich noch nicht. Und jedes Opfer, dass sich genötigt sah, selbst um sein Recht zu kämpfen, lief Gefahr, diesen Kampf zu verlieren.51 c) „Physische“ Privatstrafen Nun also zurück zu den verschiedenen Strafformen im hordenspezifischen Strafrecht der Jäger- und Sammlergesellschaften. Ihre erste war die Selbsthilfe in Form der (physischen) Privatstrafe. Eine Chance auf Akzeptanz hatten hier grundsätzlich auch schwerere körperliche Strafen. Vor dem Hintergrund der immanenten Gefahren von Überreaktion, gesellschaftsschädlicher Eskalation von Konflikten und nicht zuletzt auch mit Blick auf die „Kosten“ der Strafe waren diese aber eher selten. In gewisser Weise einen Sonderfall bildete die Blutrache, also die (verwandtschaftliche) Pflicht, auf eine Tötung mit einem entsprechenden
49 Nicht zuletzt betraf dies auch wieder den Punkt der Akzeptanz, denn die „Relativität“ der Strafen konnte nur schwer gewahrt sein, wenn in manchen Fällen gestraft wurde und in anderen nicht. 50 Wesel, Frühformen, S. 129, 162, 169; vgl. auch Gusinde, S. 987: „Der Wunsch und die Sucht nach Rache sind bei den Yamana außerordentlich stark betont. Davon werden sie zuweilen so mächtig mitgerissen, daß sie für eine noch in etwa vernünftige Beurteilung eines Zwischenfalles völlig unfähig sind. Nicht selten schäumt einer im eigentlichen Wortsinne vor Erregung, ja tobt herum, als wäre er von Sinnen und kühlt zuweilen seinen Mut sogar an Personen, die seinem Beleidiger, den er nicht erreichen kann, nahestehen. Trotzdem bringt er dann eine staunenswerte Selbstbeherrschung auf, wenn er sich gegenüber seinem Gegner zu schwach sieht; er ist sogar imstande, seine Gefühle bis zu dem Zeitpunkt zu verbergen, da er eines Übergewichtes an Kräften sicher ist.“ 51 Vgl. auch Raiser, S. 233.
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Gegenschlag zu reagieren.52 Selbst hier aber muss man – will man übergreifend sprechen – wohl eher von einem allgemeinen Recht als einer Pflicht sprechen. Und das galt grundsätzlich für das hordenspezifische Privatstrafrecht: Es definierte zunächst einmal Obergrenzen der akzeptierten Reaktionen und keine Verfolgungspflicht des Opfers im Sinne des heutigen Legalitätsprinzips. Es gab in der Regel also keinen gesellschaftlichen Druck auf das Opfer oder seine Verwandten, mit körperlicher Strafe zu reagieren.53 Im Gegenteil: Die Verwandtschaft wirkte angstbedingt teilweise sogar darauf hin, dass keine solchen Vergeltungsschläge erfolgten.54 Anders konnte es aussehen, wenn es um Delikte ging, von denen die ganze Gruppe unmittelbar betroffen war.55 War die Sachlage eindeutig und die Stimmung erregt, konnte es also durchaus zu gemeinschaftlichen (physischen) Straf aktionen kommen, die vom Konsens der ganzen Horde getragen waren.56 In der Regel griff man aber auf alternative, für das Opfer und die Gesellschaft „kostengünstigere“ Formen der Strafe zurück, um die gesellschaftlichen Strafbedürfnisse zu befriedigen. d) Alternative Strafmechanismen In allen Jägergesellschaften gab es alternative Formen von Strafe und Konflikt beilegung, welche die soeben beschriebenen, negativen Aspekte der (physischen) Privatstrafe auffangen sollten. Sie alle funktionierten nur auf Ebene der Gruppe und setzten so gerade die oben beschriebenen „altruistischen Strafbedürfnisse“ voraus.
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Birket-Smith, S. 192; Gusinde, S. 995 ff.; Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (46 f.); We sel, Frühformen, S. 129 f., 161 f. 53 Wesel, Frühformen, S. 130; vgl. auch Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (47); van den Steenhoven, S. 104. 54 Colson, S. 41; R. Spencer, Eskimo, S. 71. 55 Das betraf etwa religiös aufgeladene Delikte (siehe hierzu Teil I – Kapitel 2III.1) oder Vergehen im Zusammenhang mit der gemeinsamen Jagd. Bei Wesel (Frühformen, S. 165 f.) findet sich ein übersetzter Bericht Turnbulls von einem Mbuti, der mit einigen anderen in einem kleinen Nebenlager hauste, welches mit dem Hauptlager der Horde verbunden war. Als es zur gemeinsamen Netzjagd ging – einer Jagdform, bei der jedes Mitglied seine feste Rolle (Treiber, Fänger) und seinen festen Platz hatte, um die optimale Ausbeute zu gewährleisten – setzte er sich über diese Ordnung hinweg. Er stellte sein Netz an einer Stelle auf, an der er die erste Welle der Tiere auffangen konnte und machte so selbst die größte Beute. Als die Horde den Verstoß entdeckte, wurde er zunächst im Hauptlager mit Beleidigungen und Kränkungen überhäuft. Anschließend gingen die Jäger in das Nebenlager und zerstörten neben seiner Hütte auch die der übrigen dort hausenden Familien. 56 Wesel, Frühformen, S. 160.
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aa) Ausschluss und Fluktuation Die einfachste Sanktion war der Abbruch der Beziehungen, die Aufkündigung der Kooperation: Der Täter wurde aus der Gemeinschaft entlassen.57 Auch unabhängig von dieser erzwungenen Form der Ausgrenzung war die Fluktuation ein wichtiges Mittel der Konfliktlösung.58 Die flexible Zusammensetzung der Kleingruppen machte dies auch relativ unproblematisch möglich. Da auf gesellschaftlicher Ebene weder Arbeitsteilung noch Akkumulation von Eigentum stattfanden, stellten sich für die Horde bei einem Weggang keine Teilungs- oder Produktionsfragen.59 Auch bei weniger schwerwiegenden Konflikten war daher der kurzfristige oder auch dauerhafte Weggang des Einzelnen, der sich dann eine neue Horde suchte, eine gern genutzte Möglichkeit, den Frieden in der Gruppe zu wahren.60 bb) Stigmatisierung Eng mit diesem strukturellen Aspekt verbunden – und wohl die wirkungsvollste Form der Strafe – war die Stigmatisierung. Die öffentliche Meinung spielte die wichtigste Rolle bei der Aufrechterhaltung von Ordnung in kleinen Gesellschaften. „Jeder kennt jeden. Man weiß alles über alle.“61 Für die Ebene der Strafe eröffnete dies Raum für weitere Sanktionsarten: Öffentliche Bloßstellung, Prestigeverlust, Spott und Klatsch – der „in den kleinen Gemeinschaften ebenso giftig blüht[e] als anderswo unter milderen Himmelsstrichen“62 – waren kostengünstige Strafen mit weitreichender Wirkung.63 Gerade bei kleineren Streitigkeiten führte der Druck der öffentlichen Meinung häufig dazu, dass diese bereits im gemeinsamen Diskurs gelöst werden konnten.64 Um eine Eskalation auch zu verhindern, wenn nachhaltige Strafbedürfnisse bestanden, gab es ferner verschiedene Rituale und Wettkämpfe, mit deren Hilfe die ungeregelte (gewaltsame) Austragung von Konflikten vermieden werden sollte.65 57 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (49); vgl. auch Meggitt, S. 258; R. Spencer, Eskimo, S. 71; Wesel, Frühformen, S. 167. 58 Wesel, Frühformen, S. 161, 184; ders., Geschichte, S. 26 Rn. 14; vgl. auch Meggitt, S. 246. 59 Wesel, Geschichte, S. 20 (Rn. 8). 60 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (47). 61 Wesel, Frühformen, S. 185; vgl. zur Macht der öffentlichen Meinung auch Hoebel, S. 372 f.; Marshall, S. 287 ff.; Meggitt, S. 262. 62 Birket-Smith, S. 74; zum Ganzen auch Newman, S. 61 ff. 63 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (49) mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Simpson/ Stone, S. 161 ff. 64 Vgl. Wesel, Geschichte, S. 26 (Rn. 14). 65 Vgl. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (47 f.); vgl. auch Balikci, S. 185; Hart/Pilling, S. 80 ff.; Service, S. 89 ff.
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Hier finden sich im ethnografischen Material zahlreiche Beispiele. So kannten etwa die Mbuti für leichtere Fälle die Institution eines „Lager-Clowns“, der die Streitenden auf ironische Weise ins Lächerliche zog und ihnen so die tatsächliche Relevanz des Konflikts vor Augen führte.66 Eine noch heute bekannte Form des ritualisierten Wettkampfes ist ferner der Singstreit bei verschiedenen Stämmen der Eskimo. Bei diesem fordert das Opfer den (vermeintlichen) Täter zum Duell und verspottet ihn in Hohngesängen vor versammelter Horde. In gleicher Weise steht es diesem dann frei zu antworten und sich zu rechtfertigen.67 Man mag meinen, dass wir uns hier schon weit von einem modernen Strafverständnis entfernt haben. Und manche Autoren sprechen diesen Mechanismen tatsächlich ihre Sanktionseigenschaft ab: Sie sollten lediglich vom eigentlichen Streit ablenken, zum Degradieren besitze letztlich ohnehin niemand die Macht.68 Das scheint aber wenig überzeugend. Es gäbe keinen Singstreit, wenn die ihm zugrundeliegenden Strafbedürfnisse nicht in irgendeiner Form auf ihre Kosten kämen. In diesem Sinne spricht dann etwa Newman explizit von einer Form der „öffentlichen Beleidigung“.69 Kaj Birket-Smith, der selbst zwei Jahre mit den Eskimo lebte, berichtete: „Die Horde ist die höchste Instanz, einfach aufgrund ihrer Masseneigenschaft, und das Individuum, das nicht für sie ist, ist gegen sie. Wenn irgend etwas das Gemüt eines Eskimos verwirren kann, so ist es die Aussicht, der Menge allein gegenüber zu stehen. Die Erledigung von Streitigkeiten in der Form von wechselseitig gesungenen Spottliedern wird oft als Beweis für ihre Sanftmütigkeit angeführt. Aber der Mann, welcher in diesem Singstreit die öffentliche Meinung gegen sich hat, erleidet dadurch eine Strafe, die, wenn auch sicherlich nicht beabsichtigt – das Verfahren bezweckt keine Rechtsprechung – so doch nicht minder unangenehm ist. Wenigen Menschen gelingt es, der öffentlichen Meinung standzuhalten, und bei Primitivvölkern ist es nur bei einem von tausend der Fall.“70
Das deckt sich letztlich mit Berichten zu anderen Jägergesellschaften. Über die Yamana schrieb Gusinde: „Die öffentliche Meinung ist bei den Yamana die unumstritten einzige, ihre gesamte Ordnung und ihre überlieferten Gewohnheiten erhaltende Macht. Sie ist es auch, die dem Einzelnen und der Allgemeinheit für erlittenes Unrecht eine ausreichende Genugtuung verschafft.“71 66
Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (47); Wesel, Frühformen, S. 161. Hoebel, S. 119 ff.; Wesel, Frühformen, S. 133; zu ähnlichen Wettkämpfen auch New man, S. 62 f. 68 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (48); vgl. auch Wesel, Frühformen, S. 133. 69 Newman, S. 62 („public insults“); ferner: „The goal of this form of redress is to optain satisfaction for having been wronged by reducing the social status of the offender via shaming“; bei ihr ist neben der Bezeichnung „shaming-ritual“ auch die Rede von „degradation ceremonys“ (a. a. O., S. 61 ff.). 70 Birket-Smith, S. 75. 71 Gusinde, S. 1026. 67 Vgl.
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Über die Andamaner berichtete Radcliffe-Brown: „Die einzig schmerzliche Folge von unsozialem Verhalten war der Verlust der Achtung der anderen. Das ist als solches eine Strafe, die die Andamaner mit ihrer großen persönlichen Eitelkeit außerordentlich fürchteten und in den meisten Fällen genügte das, um sie von solchen Handlungen abzuhalten.“72
Wenn also davon die Rede ist, dass es in Jägergesellschaften dank verschiedener Mechanismen kaum Sanktionen gebe,73 so muss mit Nachdruck auf die einschneidende Strafwirkung der stigmatisierenden Mechanismen hingewiesen werden, die in diesen kleinen Gruppen eine zentrale Rolle spiel(t)en. Die Rechtshistoriker Simpson und Stone bezeichnen die soziale Meinung als eine der beiden Hauptwaffen im Arsenal der rudimentären sozialen Kontrolle.74 Hier herrschte die Reinform der „Geschlossenen Gesellschaft“, über die Sartre schrieb: „Hölle, das sind die anderen.“75 Ein Beispiel für die Macht der öffentlichen Meinung findet sich bei Malinowski, allerdings für die Trobriander, welche zur Zeit seiner Beobachtungen bereits in einer etwas moderner strukturierten Gesellschaftsform organisiert waren. Er berichtet von einem 16-jährigen Jungen, der in Gegenwart des ganzen Dorfes von einem Mann des Inzests beschuldigt und mit untragbaren Ausdrücken belegt wurde. Das Leben in der Gruppe war für ihn damit beendet. Am nächsten Morgen stürzte er sich von einer Kokospalme in den Tod – natürlich nicht ohne zuvor in einer Ansprache seine Leute damit zu betrauen, sich an dem Mann, der ihn in den Tod getrieben hatte, zu rächen.76 Der Fall zeigt, dass der Verlust von Prestige und die Verachtung der Gruppe (stets auch Formen der Aufkündigung von Kooperation) durchaus einschneidende Formen von Strafe waren. Auch für die A shanti (eine Gesellschaft, die allerdings bereits erste Formen von Herrschaft kennt) benannte Rattray den „Spott der Gemeinschaft“ als diejenige Strafform, welche die Mitglieder am meisten fürchteten.77
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Radcliffe-Brown, S. 52 (Übers. nach Wesel, Frühformen, S. 185). Wesel, Geschichte, S. 26 (Rn. 14). 74 Die zweite Hauptwaffe sei die „Furcht vor den Göttern“, vgl. Simpson/Stone, S. 3 („[…] the two major weapons in the armory of rudimentary social control.“). 75 Sartre, S. 59; vgl. auch Service, S. 119. 76 Malinowski, S. 72 ff.; in klassischen Jägergesellschaften ist mit einem solchen Ausgang wohl noch nicht in dem Maße zu rechnen. Schnelles Vergessen und neues Vertrauen sind hier noch stärker verbreitet, vgl. dazu Wesel, Frühformen, S. S. 136, 162 ff., 180. 77 Rattray, S. 372 f.; vgl. zu den Tiwi auch Hart/Pilling, S. 80 ff. 73
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II. Segmentäre Gesellschaften 1. Die neolithische Revolution Die Erfindungen von Landwirtschaft und Viehzucht kennzeichnen den Übergang der Altsteinzeit (Paläolithikum) zur Jungsteinzeit (Neolithikum). Aufgrund des nachhaltig prägenden Einflusses auf die Lebensweise des homo sapiens spricht man heute durchaus treffend von der „neolithischen“ oder „agrarischen“ Revolu tion.78 Wir wissen nicht, warum die Menschen nach Millionen Jahren des Jagens und Sammelns vor ca. 11.000 Jahren erstmals damit begannen, Landwirtschaft zu betreiben.79 Was wir aber wissen ist, dass der Beginn der produzierenden Lebensweise stets auch weitreichende Auswirkungen auf die soziale Struktur der jeweiligen Gesellschaften hatte. Das zeigen auch die Beobachtungen verschiedener Jägergesellschaften, die diesen Übergang erst in jüngerer Vergangenheit vollzogen haben.80 a) Soziostrukturelle Veränderungen Die zentrale Veränderung war der Übergang zur Sesshaftigkeit. Da die Landwirtschaft viel Zeit in Anspruch nahm und dauerhafte Anwesenheit verlangte, zogen die Menschen nicht mehr ständig umher, sondern ließen sich neben ihren Feldern nieder.81 Das hatte Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Gruppen:
78 Childe, in: Klassengesellschaften, S. 176–185; Gehrke, in: Geschichte der Welt, S. 1–40 (25 f.); insoweit diese Bezeichnung einen abrupten Wechsel vom Jäger zum Bauern impliziert, geht sie freilich fehl. Es handelte sich vielmehr um einen langwierigen Prozess, in dem die einzelnen Generationen die tiefgreifenden Veränderungen selbst gar nicht bemerkt haben werden. Gerade in Übergangsformen spielte die Jagd noch lange weiter eine zentrale Rolle, vgl. Harari, S. 109 ff.; Wesel, Frühformen, S. 190. 79 Viele Hypothesen haben sich dazu entwickelt, in einigen wird ein Fünkchen Wahrheit stecken. Einen Teil dieser Wahrheit verkörpert sicherlich der Wandel der klimatischen Bedingungen, welchen das Ende der letzten Eiszeit genau in diesem Zeitraum mit sich brachte. Das Abschmelzen großer Eismassen führte zu einem Ansteigen des Meeresspiegels, in Verbindung mit der Vergrößerung der Wasseroberfläche zu höherer Verdunstung, mehr Niederschlag und einem Klima, dass die Verbreitung von Nutzpflanzen in gerade den Gegenden begünstigte, in denen wir heute Nachweise für erste Formen der Landwirtschaft finden, vgl. Zimmermann, in: Weltgeschichte, S. 95–127 (96 ff.); ferner Childe, in: Klassengesellschaften, S. 176–185 (176 ff.). 80 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (50 ff.); Wesel, Frühformen, S. 190; ausführlich zum Zusammenhang zwischen Produktionsweise und Recht in Gesellschaften Newman, S. 109 ff., 121 ff.; 137 ff. 81 Harari, S. 106.
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aa) Soziale Dichte und (familiäre) Abhängigkeiten In den Jägergesellschaften waren die Voraussetzungen für gesellschaftliches Wachstum nicht gegeben. Kleine Kinder und alte Menschen waren für Jäger horden eine Last. Teilweise wurden sie einfach getötet.82 Darüber hinaus konnten Frauen in umherziehenden Jägergesellschaften schlecht mehr als ein kleines Kind auf dem Arm tragen und ein älteres an der Hand führen.83 Schließlich mussten die Kleinkinder auch über einen langen Zeitraum hin gestillt werden, da sich geeignete Nahrung schwer fand – und brachte die lange Stillzeit Ovulations hemmungen und eine konstant niedrige Geburtenrate mit sich.84 Die verschiedenen einschränkenden Faktoren verschwanden aber schlagartig mit der Sesshaftigkeit. Landwirtschaft bedeutete dauerhafte Produktion. Diese wiederum stellte zum einen die Verfügbarkeit leichter Nahrung sicher, welche geeignet war, die Muttermilch früher zu ersetzen.85 Zum anderen waren Kinder nun aber auch schlicht keine Last mehr. Sie wurden vielmehr zu wichtigen Produktionskräften, deren Hände auf dem Acker das Überleben sicherten.86 In guten Zeiten ermöglichten die landwirtschaftlichen Erträge die Energieversorgung großer Massen. Es stieg aber auch der Bedarf an Eiweiß und Fett. Vielleicht war das der Grund, der zur erstmaligen Domestikation von Tieren führte.87 Für die hiesigen Ausführungen ist es nicht wichtig. In jedem Fall verlangte neben der Landwirtschaft auch die aufkommende Viehzucht vermehrte und langfristige Zusammenarbeit. Lebensmittel wurden nun nicht mehr nur in punktueller Kooperation gejagt und verspeist; sie wurden vielmehr über lange Zeit planmäßig und aufwendig produziert und akkumuliert.88 Die zentrale Produktionsgemeinschaft bildete dabei die Verwandtschaft. Ihre Struktur und Verbindlichkeit wurde fester. Die Älteren produzierten für die Kinder, ehe sich das Verhältnis im Alter umkehrte. Die Erfindung der Produktion ging so stets einher mit einem notwendigen Anstieg der eigenen Reproduktion und damit verbunden auch einer wachsenden sozialen Dichte.89
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Sutton/Anderson, S. 161 f.; Wesel, Frühformen, S. 80, 190. Zimmermann, in: Weltgeschichte, S. 95–127 (97). 84 Wesel, Frühformen, S. 190. 85 Harari, S. 111. 86 Ebd.; Wesel, Frühformen, S. 80, 190 ff., 240. 87 Vgl. Zimmermann, in: Weltgeschichte, S. 95–127 (98 f.). 88 Vgl. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (50 ff.); Wesel, Geschichte, S. 31 f. (Rn. 18). 89 Wesel, Frühformen, S. 191 f.; ders., Geschichte, S. 31 f. (Rn. 18). 83
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bb) Segmentierung Zu einem essentiellen Problem wurde die klare Zuordnung der Produktionskräfte und ihrer Rechte und Pflichten. Daher ersetzte man die zuvor bestehende kog natische Verwandtschaft (die Zugehörigkeit des Kindes zur Verwandtschaft der Mutter und des Vaters) übergreifend durch eine feste einlinige Zugehörigkeit zur Verwandtschaft nur eines Elternteils (agnatische Verwandtschaft). Konflikte um die Zuteilung der neuen Produktionskraft wurden so von vornherein vermieden. Das Kind war – je nach Gesellschaftsform – entweder Teil der Verwandtschaftsgruppe der Mutter (Matrilinearität) oder der des Vaters (Patrilinearität). Aus den so entstehenden, einlinigen Gruppen (lineages) setzten sich die neuen, nun wachsenden Gesellschaften zusammen. Aufgrund der klaren Gliederung, dem Nebeneinander mehrerer gleichberechtigter Segmente, spricht man im Anschluss an Emile Durkheim allgemein von segmentären Gesellschaften.90 Verbunden waren die Segmente durch vielfältige Heiratsbeziehungen. Herrschende Instanzen gab es weiter nicht.91 In ökologisch günstigen Gegenden entstanden Dörfer und damit weitere übergreifende Segmente, da die sozialen Kontakte und die Hilfe in Notsituationen zu einer über die Verwandtschaft reichenden, örtlichen Identifikation führen konnten.92 Grundsätzlich war die Arbeitsteilung aber auch hier noch sehr gering ausgeprägt. Im Wesentlichen versorgten sich die Segmente selbst.93 b) Eigentum Mit dem Übergang zur Sesshaftigkeit wuchs die Bedeutung des Eigentums. Das galt zunächst natürlich für das Eigentum am Boden und am Vieh. Der Eigentumsbegriff war aber noch nicht so absolut, wie wir ihn vom heutigen Privateigentum kennen. Häufig handelte es sich um eine Art „Gemeinschaftseigentum“. Das Land – und zumindest bei der Milchwirtschaft auch das Vieh – gehörten so im Grunde der Verwandtschaftsgruppe. Auch wenn individuelle Berechtigungen im Vordergrund stehen konnten, gab es also vielfältige Situationen, in denen andere Mitglieder der Gruppe berechtigt waren, auf das Eigentum zuzugreifen.94 Auch andere Güter verloren (wie die Kinder) das Attribut einer Last, die man mit sich tragen musste. Es gab mehr Hausrat, Werkzeuge, Waffen, Ackergeräte, Kleidung und Schmuck. Und es gab Hütten und Speicher, in denen Gegenstände 90
Durkheim, S. 216; vgl. auch Sigrist, S. 21 ff. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (50); Wesel, Frühformen, S. 213 f. 92 Wesel, Frühformen, S. 213. 93 A. a. O., S. 212, 279; vgl. auch Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (151). 94 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (51); Wesel, Frühformen, S. 215 ff. (mit zahlreichen Nachweisen), 252 f.; ders., Geschichte, S. 38 (Rn. 25); vgl. auch Hoebel, S. 133, 339 f. 91
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und Vorräte gelagert werden konnten. Sie erreichten vereinzelt nun auch den Status von wirklichem Privateigentum, sodass der einzelne darüber selbständig verfügen konnte. Da es wie gesagt aber noch wenig Arbeitsteilung, somit auch nahezu keinen Handel und Tausch gab, spielte diese Verfügbarkeit nur eine geringe Rolle.95
2. Konflikt Ganz allgemein brachte die Zunahme individueller Verpflichtungen und Abhängigkeiten nun vermehrt Streitigkeiten mit sich. Mit der sozialen Dichte stieg auch das Konfliktpotential. Die (enttäuschten) Verhaltenserwartungen konnten in den verschiedenen Gesellschaftsformen natürlich differieren: In Ackerbaugesellschaften gab es Streit um die Verteilung des Landes, bei Viehzüchtern um das Vieh. Es gab aber auch übergreifende Gemeinsamkeiten. Verurteilt wurden etwa Zauberei, Mord, Totschlag, Körperverletzung, Entführung, falsche Verdächtigung, Vergewaltigung oder Brandstiftung.96 Oft lag das missbilligte Verhalten auch weiter schlicht in als unangemessen empfundenen Reaktionen auf enttäuschte Verhaltenserwartungen. Die meisten Streitigkeiten drehten sich weiter um Frauen. Ein zentraler Konfliktherd waren die nun aufkommenden Brautpreisleistungen.97 Dabei handelte es sich um Zahlungsverpflichtungen meist des Mannes (bei Patrilinearität) oder seiner Verwandtschaft gegenüber der Familie/lineage der Frau. Sie dienten dem Ausgleich des Verlustes ihrer Arbeitskraft und insbesondere der Arbeitskraft ihrer Kinder, die dann einzig der lineage des Mannes zuzuordnen waren.98 In den Worten eines Sprichwortes afrikanischer Viehzüchter: „Das Vieh ist dort, wo die Kinder nicht sind.“99 Streitigkeiten gab es, wenn die Zahlung und/oder die Ehe nicht so verliefen wie erwartet.100 Ganz grundsätzlich weckten Güter, in denen solche Ausgleichsleistungen erfolgten, nun Begehrlichkeiten – was zu Raubzügen führen konnte.101 Meistens fanden diese aber gegen andere Gruppen statt. In der engeren Gemeinschaft wa95
Wesel, Frühformen, S. 227 ff. Barton, S. 69; zum Ganzen Hoebel, S. 247; Wesel, Frühformen, S. 255 ff., 278. 97 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (52); Wesel, Geschichte, S. 39 (Rn. 27). 98 Wesel, Frühformen, S. 233 f. 99 Goody, in: Bridewealth, S. 1–58 (11) („the cattle are where the children are not“); dazu auch Wesel, Frühformen, S. 233. 100 Auch der Ehebruch gewinnt durch die materiellen Abhängigkeiten an Bedeutung, vgl. zum Ganzen Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (52); Hoebel, S. 139; Wesel, Frühformen, S. 263, 346. 101 Wesel, Frühformen, S. 242. 96 Vgl.
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ren Diebstähle weiter selten. Die immer noch niedrigen Chancen, unentdeckt zu bleiben, führten dazu, dass es sich in erster Linie um Fälle der Selbsthilfe handelte, in denen der vermeintliche Täter dachte, einen Anspruch auf die Sache zu haben. Das kam häufig vor und führte spätestens dann zu Konflikten, wenn der vorige Besitzer anderer Ansicht war.102
3. Konfliktlösung und Reaktion a) Die alten Mechanismen Die einfachste Sanktion blieb das Aufkündigen der Kooperation. Über die Apachen schrieb Geronimo: „Die Apachen kannten keine Gefängnisse, wie sie der weiße Mann hat. Anstatt Verbrecher in Gefängnisse zu stecken, schickten wir sie von unserem Stamm fort. Diese ungläubigen, grausamen, faulen oder feigen Stammesmitglieder wurden auf eine Weise aus dem Stamm ausgeschlossen, daß sie sich keinem anderen Stamm anschließen konnten. Sie standen auch nicht unter dem Schutz unserer ungeschriebenen Stammesgesetze.“103
Das Pendant zur Selbsthilfe bei der Durchsetzung vermeintlicher Ansprüche – und oft auch ihre Folge – war zudem weiter die Privatstrafe als Reaktion auf abweichendes Verhalten. Gemeint ist Strafe in Form körperlicher Pein, in ihrer schärfsten Ausprägung: die Blutrache.104 Zumeist bildeten Selbsthilfe und Privatstrafe eher Anlass für erneuten Konflikt, als dass sie einen solchen beendet hätten.105 Diese Gefahr der Eskalation, die einen „Aderlaß für Generationen“106 bedeuten konnte, war wie gesehen schon ein existentielles Problem in Jäger gesellschaften. Zum Teil lebten die dort entstandenen Wettbewerbe und Rituale deshalb in den segmentären Gesellschaftsformen fort.107 Ihre wichtigsten Mechanismen zur Vermeidung schädlicher Fehden (Fluktuation und Stigmatisierung) begannen nun aber zu bröckeln. – Für die Fluktuation ist das offensichtlich. Man konnte dem Streit nun nicht mehr einfach aus dem Weg gehen, denn die Sesshaftigkeit und die Abhängigkeit von der Verwandtschaft bedingten eine starke örtliche Bindung.108 Auch die Macht der Stigmatisierung nahm aber zumindest partiell ab. Man spricht in diesem Zusammenhang 102
A. a. O., S. 261 ff., Evans-Pritchard, S. 165; Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (52); Howell, S. 198 ff. 103 Geronimo, S. 35. 104 Evans-Pritchard, S. 150 ff.; Hoebel, S. 150 ff.; Wesel, Frühformen, S. 328 f., 345. 105 Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (142). 106 Hoebel, S. 153. 107 Wesel, Geschichte, S. 40 (Rn. 27). 108 Wesel, Frühformen, S. 317 f.
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von strukturaler Relativität.109 Sie hatte ihren Ausgangspunkt im aufkommenden Bevölkerungswachstum. Die Stigmatisierung baute auf dem hohen Wert der öffentlichen Meinung in Abhängigkeitsverhältnissen. Diese Verhältnisse bestanden fort im engen Kreis der Verwandtschaft, teilweise des Dorfes. Hier war die Stigmatisierung weiter eine wirksame und gewaltfreie Form der Strafe.110 Ferner bestand in diesem Bereich mit der für alle wichtigen Fortsetzung der Kooperationsverhältnisse ein zusätzlicher Anreiz zur schnellen und friedlichen Einigung.111 Mit wachsender Bevölkerungsdichte kam es nun aber auch vermehrt zu sozialen Konflikten mit Personen, die nicht in derart langfristigen Verhältnissen zueinanderstanden. Einher ging dies mit einer Schwächung stigmatisierender Mechanismen, da sich die jeweilige öffentliche Meinung für Übergriffe auf „Fremde“ eher wenig interessierte.112 Insofern begnügte man sich zur Befriedigung eigener Strafbedürfnisse nicht mehr mit den sonst einschneidenden Wirkungen der Bloßstellung oder der sozialen Ächtung. Die Wahrscheinlichkeit gewaltfreier Strafformen korrelierte also mit der verwandtschaftlichen und örtlichen Nähe. Alle Arten sozialer Beziehungen können Auswirkungen auf die Entstehung, aber eben auch auf die Beilegung von Konflikten haben. Die Regelung von Konflikten, bei denen beide Parteien keinerlei soziale Verbindung pflegen, fällt anders aus als im Falle bestehender Kooperationsverhältnisse. Mit dem Interesse am weiteren Fortbestand einer vorteilhaften Zusammenarbeit besteht nämlich stets auch ein Interesse an einer friedlichen Beilegung des Konflikts.113 – Auch das schon in Jägergesellschaften verbreitete Prinzip der Exogamie und das Inzestverbot lassen sich in diesem Sinne erklären. Das Exogamieprinzip schrieb vor, dass nicht innerhalb der Horde geheiratet werden sollte.114 Es sorgte so, trotz noch fehlenden Handels, zumindest auf sozio109
A. a. O., S. 340 f.; vgl. auch Evans-Pritchard, S. 155 ff.; Sahlins, in: Klassengesellschaften, S. 114–152 (132 ff.); Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (155). 110 Vgl. Malinowski, S. 110; Wesel, Frühformen, S. 284. 111 Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (150 ff.); Wesel, Frühformen, S. 270 f. 112 Vgl. Wesel, Frühformen, S. 262; ferner Berndt, S. 291 ff.; Geronimo, S. 36; Newman, S. 58. 113 Dazu und auch zum Folgenden Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (150 ff.); ein Beispiel für diesen Zusammenhang von Kooperation und sozialer Bindung liefern die Yanama mö-Indianer aus dem brasilianischen Amazonasgebiet. So schrieb Chagnon (in: Krieg, S. 131– 189 [145]): „Allem Anschein nach wird von jeder Gruppe ein Mangel an bestimmten Gütern eigens herbeigeführt […], die sie dann von einem oder mehreren ihrer Verbündeten beziehen muß. Als Gegenleistung versorgt die Gruppe ihrerseits die Verbündeten mit Gütern, die diese brauchen. Diese Mangelphänomene lassen sich weder durch das Fehlen von Rohstoffen erklären noch durch Herstellungsmonopole, die auf geheimgehaltenen Kenntnissen und Fähigkeiten beruhen. Man muss vielmehr nach ihrer soziologischen Bedeutung suchen.“ 114 Das Inzestverbot beschränkte sich dagegen auf den Bereich naher Verwandter, betraf aber nicht nur die Heirat, sondern auch den bloß sexuellen Verkehr. Die Reichweite des Verbots und die Form der Reaktionen differierten in den verschiedenen Gesellschaften. Im Grundsatz findet sich das Tabu aber noch heute überall, wo Menschen zusammenleben, und konnte der Inzest allerorts zum Ausgangspunkt von Konflikten werden, vgl. auch Fry/Söderberg, Science
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logischer Ebene für ein zentrales Gut, welches zwischen den Horden zirkulierte. Das waren – je nach gesellschaftlichem System – die Frauen und/oder die Männer. Der Austausch sorgte also für den Aufbau sozialer Beziehungen und insofern für eine wachsende Anzahl an Hordenmitgliedern, die an einer friedlichen Beilegung ein Interesse hatten.115
b) Neue Methoden Auch innerhalb der bestehenden Kooperationsverhältnisse bedurfte es trotz vorhandener Anreize zu gewaltfreien Strafen aber neuer Mechanismen, da die zuvor so verbreitete Möglichkeit der Fluktuation nicht mehr bestand. Konflikte mussten nun vor Ort gelöst werden. Zwei zentrale Veränderungen machten das möglich: aa) Bußleistungen Die Anhäufung von Eigentum und die mit der neolithischen Revolution einhergehende Konzentration des sozialen Lebens auf die jeweiligen Produktionsgüter schuf neue Interessenlagen.116 Das führte zum einen dazu, dass Schäden in gewisser Weise ausgeglichen werden konnten. Zum anderen bedeutete eine Einbuße an diesen Gütern nun aber auch ein empfindliches Übel für den Täter, sodass eine neue Möglichkeit bestand, um etwaige Strafbedürfnisse zu befriedigen und Konflikte so gewaltfrei zu beenden. Die „Geldstrafe“ trat auf den Plan.117 Oft gab es keine klare Trennung zwischen Schadensersatz und einer darüber hinausgehenden Strafe. Wenn Strafbedürfnisse bestanden, waren die erforderlichen Bußleistungen aber stets höher als der materielle Schaden.118 Bei schweren Delikten war die Strafe gar so hoch, dass der Täter auf die Hilfe seiner Verwand341 (2013), S. 270–273 (272). Warum das so ist, ist ebenso ungeklärt wie das genaue Verhältnis zwischen Inzesttabu und Exogamie. Während man die Entstehung früher genetisch erklärte (biologische Zuchtwahl), vermuten Anthropologen heute eher gesellschaftliche Gründe, vgl. zum Ganzen Wesel, Geschichte, S. 22 f. (Rn. 11). Jedenfalls hatte das Verbot – ähnlich wie die Exogamie – nützliche Auswirkungen auf gesellschaftlicher Ebene: So diente es etwa der Solidarität der Familie, indem es den Wettbewerb um die Paarung beseitigte. Zudem ließ es Verbindungen zwischen den Familien entstehen und schaffte so eine weitere Grundlage für Kooperation in und zwischen den Horden, Wesel, Frühformen, S. 81 mit weiteren Nachweisen. 115 Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (151); ob hier tatächlich die Ursprünge der Exogamie liegen, ist freilich unklar. Es stimmt aber mit dem überein, was die Mitglieder dieser Gesellschaften heute selbst als Grund für das Exogamiegebot anführen, vgl. dazu Wesel, Frühformen, S. 78; ders., Geschichte, S. 22 f. Rn. 11. 116 Vgl. Wesel, Frühformen, S. 239 ff., 327; zum Ganzen auch Trimborn, S. 7 ff. 117 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (52); dazu, insbesondere zu den Untersuchungen von Trimborn auch Schott, in: Kriminologie, S. 191–205 (192 f.). 118 Vgl. auch Wesel, Frühformen, S. 344; deutlich wird das im ethnographischen Material etwa bei den seltenen Fällen des Diebstahls, in denen ein Vielfaches des Wertes der gestohlenen Sache zu zahlen ist, um Frieden einkehren zu lassen, vgl. Barton, S. 85; Howell, S. 201.
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ten zurückgreifen musste.119 Das verstärkte die Strafe insofern, als ihn so auch der Unmut seines nächsten Umfelds traf. Ob eine Bußleistung die Strafbedürfnisse des Opfers aber tatsächlich befriedigte, zeigte sich oft erst auf lange Sicht. Auch nach Jahren konnten alte Fehden wieder aufbrechen.120 Denn der Täter musste sicherlich nicht immer so viel Buße leisten, wie es das Opfer oder seine Verwandtschaft gerne gehabt hätte. Vielmehr war die konkrete Strafhöhe stets ein Kompromiss, welcher sich aus dem Konflikt zwischen dem (kollektiven) Interesse an einer friedlichen Beilegung und den allgemeinen Strafbedürfnissen ergab. Insofern erklärt sich auch die Entstehung des zweiten Mechanismus, der mit zunehmender örtlicher Bindung in allen segmentären Gesellschaften entstand: die Verhandlung. bb) Verhandlung Die Selbsthilfe und die sofortige Privatstrafe waren Ausfluss der eigenen Interpretation eines Konflikts. Insbesondere die Privatstrafe war zudem Folge der vor diesem Hintergrund subjektiv für angemessen befundenen Reaktion. Die Eskalation resultierte in aller Regel schlicht daraus, dass die andere Konfliktpartei die Situation anders bewertete.121 Um Konflikte gewaltfrei durch Ausgleich zu lösen, bedurfte es daher offener Verhandlungen zwischen den Parteien. Ging es um Delikte – standen also zumindest zusätzliche Bußzahlungen im Raum – machten es die intuitiven Bedürfnisse nach einer sofortigen Bestrafung des Täters nicht einfach, die Beteiligten an einen Tisch zu bekommen. Das führte in segmentären Gesellschaften zur Entstehung von Vermittlern. Sie schlichteten, zeigten die unterschiedlichen Interpretationen und Interessenlagen auf und versuchten so, die Parteien im Interesse der ganzen Gruppe zu einer friedlichen Lösung zu führen.122 Kam keine Einigung zustande, nahm man die Strafe zwar einfach wieder selbst in die Hand. In jedem Fall garantierten die Verhandlungen aber einen gemeinsamen Interpretationsrahmen.123 Und in den meisten Fällen führte der Druck der öffentlichen Meinung auch zu einem Kompromiss.124
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Wesel, Frühformen, S. 258; vgl. auch Lowie, S. 388 ff. Evans-Pritchard, S. 155 („Nuer know that ‚a feud never ends‘“). 121 Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (145 ff.). 122 Wesel, Frühformen, S. 256, 318, 326, 329 ff.; ders., Geschichte, S. 39 Rn. 27; vgl. auch Barton, S. 94 ff.; Sigrist, S. 131 ff.; ferner Newman, S. 66 ff., 70 ff. mit zahlreichen weiteren Beispielen. 123 Spittler, in: Alternativen, S. 142–164 (157). 124 Wesel, Frühformen, S. 329; bestanden schon Ansätze von Herrschaft, konnten die Vermittler auch den Charakter von Schiedsrichtern annehmen. In der Reinform der herrschaftsfreien, segmentären Gesellschaft hatten sie aber grundsätzlich keine Entscheidungsmacht, Wesel, 120 Vgl.
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III. Straftheorie in vorstaatlichen Gesellschaften Auf straftheoretische Hintergründe der vorstaatlichen Zeit lässt sich nur indirekt schließen, denn in diesen Gesellschaften gab es keine eigenständige Reflexion über das Institut und die Wirkungen der Strafe – jedenfalls wurde sie nicht kommuniziert. Es gab zumindest für das Opfer selbst auch keinen Legitimationsdruck. Man betrachtete es als selbstverständlich, dass Strafe an und für sich gerecht sei. Ausgangspunkt der Reaktionen waren stets die jeweiligen Strafbedürfnisse. Ihre Existenz beweisen nicht nur die zahlreichen überlieferten Fälle und die verschiedenen Mechanismen, die dazu dienten, die negativen Auswirkungen physischer Strafformen abzufedern. Auch herrschte in allen vorstaatlichen Gesellschaften die Vorstellung einer übernatürlichen, allwissenden und strafenden Macht – ein Konstrukt, welches sich letztlich nur entwickeln konnte, wenn die Menschen diese Strafbedürfnisse bereits kannten. – Wie aber hingen diese religiösen Vorstellungen nun konkret mit der Strafe zusammen?
1. Strafe und Religion Wir wissen nicht, wann und warum sich Religion entwickelt hat. Die ersten sicheren archäologischen Hinweise auf religiöse Vorstellungen stammen aus der Zeit der sogenannten „kognitiven Revolution“ (ca. 70.000 bis 30.000 v. Chr.); einer Zeit, in der das menschliche Gehirn – wohl begünstigt durch zufällige Mutationen – enorme Fortschritte machte.125 Vor diesem Hintergrund dürften sich auch die Mechanismen sozialer Kontrolle grundlegend verschoben haben. Zuverlässige Rückschlüsse auf die Zeit vor der kognitiven Revolution sind mit der komparativen Methode daher nur schwer möglich. Insbesondere die in diesem Zeitraum einsetzende Entwicklung komplexer Sprache dürfte ein wichtiger Bestandteil bei der Etablierung einheitlicher Vorstellungen und Erklärungen von Natur gewesen sein. Ob die Menschen ihre Umgebung auch schon zuvor hinterfragt hatten, lässt sich nicht beurteilen. Jedenfalls war und ist Ungewissheit ein schwaches Fundament für Gesellschaft – und die Religionen erklären das Ungewisse.
Frühformen, S. 326; ders., Geschichte, S. 39 (Rn. 27); vgl. auch Barton, S. 94 ff.; Newman, S. 86 ff.; Thurnwald, S. 136 ff. 125 Dazu und zum Folgenden Harari, S. 33 ff.
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a) Die Legitimation altruistischer Strafe So unterschiedlich die natürlichen Bedingungen der Jägergesellschaften waren, so unterschiedlich waren auch ihre übernatürlichen Erklärungen.126 In allen Jägergesellschaften gab es Naturreligionen, die auf unterschiedliche Weise das objektiv Vorfindbare beschrieben. Dazu gehörten aber eben nicht nur Naturereignisse, sondern auch die etablierten Grundlagen der sozialen Ordnung, die so eine gewisse Legitimation erfuhren. Mensch, Natur und Gesellschaft waren eine Einheit. Sie unterlagen derselben Ordnung, denselben Regeln, demselben Recht.127 Verstöße gegen diese übernatürliche Ordnung betrafen insofern die ganze Gruppe, denn sie verärgerten die übernatürliche Macht.128 Dieser Ärger legitimierte nun aber ein (auch physisches) Eingreifen von eigentlich unbeteiligten Dritten. Auch an sich persönliche Streitigkeiten wurden so nämlich zu Angelegenheiten der ganzen Horde – bekamen doch im Zweifel alle den Zorn der Gottheit zu spüren.129 Die Religion machte die mittelbare Betroffenheit der ganzen Gruppe nun also auch unmittelbar „greifbar“. Sie schuf so ein gesamtgesellschaftliches Interesse an einer gemeinsamen Reaktion, welches über die altruistischen Strafbedürfnisse zwar bereits bestand, gegenüber dem Täter aber in gewisser Weise einer zusätzlichen Legitimation bedurfte. Und nicht zufällig missfielen den übernatürlichen Mächten stets die Dinge, die die jeweils gängigen Grundlagen der sozialen Ordnung gefährdeten.130 126 Wenn beispielsweise ein Mbuti stolpert, ist er mit einem Geist zusammengestoßen. Wenn er kein Wild findet, hat zuvor schon ein Geist gejagt, vgl. dazu Wesel, Frühformen, S. 157. 127 A. a. O., S. 173, 179. 128 Vgl. etwa Gusinde, S. 1003: „Diesen unausweichlichen Zwang, unter dem jedermann steht, wissen die Yamana letzten Endes mit einem Hinweis auf den Watauinéiwa, ihre einzige Gottheit zu begründen. Ihr ganzes Brauchtum nämlich – wenn man so sagen darf – schließt in sich das eigentliche Sittengesetz im engeren Wortsinne, sowie alle Verpflichtungen für das gesellschaftliche Zusammensein und für die Einzelperson gegenüber sich selber in des Wortes weitester Bedeutung. Mit einer allgemein gehaltenenen Formel leitet der Feuerländer dieses sein Brauchtum, d. h. alle Grundsätze und Richtlinien, die in Übung stehen, von seiner Gottheit als der letzten Quelle ab, wenn er sagt: ‚Watauninéiwa will, daß jeder ein guter Mensch sei! – Watauinéiwa wünscht es so (wie der Brauch es bisher bestimmt hat); er schaut genau zu, ob jeder sich danach richtet!‘“; zu den verschiedenen Religionen ferner Wesel, Frühformen, S. 171 ff. 129 Vgl. auch Schott, in: Kriminologie, S. 191–205 (192). 130 Ein solches Delikt, das zumindest partiell als gesellschaftlicher Regelverstoß angesehen wurde, war beispielsweise der Inzest, vgl. Meggitt, S. 261. Er hatte direkte Auswirkungen auf die verwandtschaftliche Organisation der Horde und gefährdete so die Grundlagen der sozialen Ordnung. Bei den Semang etwa war es der Donnergott Karei, der böse war, wenn es zum Inzest kam, Wesel, Frühformen, S. 177; zu den Bewohnern der Insel „Yap“ vgl. D. Schneider, American Anthropologist 59 (1957), S. 791–800 (791 ff.). – In segmentären Gesellschaften kann man an dieser Stelle auch den Vorwurf der Zauberei einordnen. Er lässt sich im Sinne eines „Gesin-
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b) Strafende Götter Neben dieser „Legitimationsfunktion“ für ein Eingreifen Dritter konnte es bei Verstößen gegen die übernatürliche Ordnung aber auch zu direkten Strafen der religiösen Mächte kommen. Wurden die traditionellen Regeln der Horde nicht eingehalten, brachten die bösen Geister der Siriono im Nordosten Boliviens beispielsweise kalten Wind, Unfälle, Krankheit oder Tod.131 Bei diesen traditionellen Regeln handelte es sich aber in erster Linie um bloße religiöse Tabus. Auch sie gab es in allen Jägergesellschaften.132 Warum? Vermutlich, weil nicht jeder Krankheit und jedem Sturm ein gesellschaftsschädlicher Streit vorausging, der die übernatürlichen Mächte erzürnte. Solche natürlich nicht erklärbaren Unglücke konnten entweder zum Vorwurf der Hexerei führen.133 Oder es lag eben daran, dass die Frau das Seehundfell bei den Fischbächen wusch, als der Lachs wanderte.134 Ein Verhalten, das deshalb ab sofort zu unterlassen war, da es der übernatürlichen Macht offensichtlich missfiel. Der Bruch dieser religiösen Tabus forderte dann aber erst einmal keine zusätzlichen Strafen der Gesellschaft, allenfalls weitere religiöse Rituale, die das Gleichgewicht wiederherstellen sollten.135 Hier gab es eben auch keine gefestigten Strafbedürfnisse zu legitimieren.
In segmentären Gesellschaften spürten die vermeintlichen Täter die übernatürlich strafende Macht schließlich spätestens dann, wenn gesellschaftliche Zweifel über ihre Verantwortlichkeit bestanden. Aufschluss konnte dann nämlich das dort verstärkt auftretende Gottesurteil geben – das Ordal. Eine Form der Beweisführung, die sich noch lange in die Staatlichkeit hinein halten sollte.136 nungsstrafrechts“ verstehen. Der vermeintliche Akt der Zauberei selbst war nämlich nicht das eigentliche Verbrechen. Die Auswahl der potentiellen Täter legt vielmehr nahe, dass es sich bei den Vorwürfen der Hexerei und Zauberei eher schon um die Strafe selbst handelte. Der Verdacht fiel nämlich stets auf argwöhnische, trotzige, hasserfüllte oder neidische Personen. All das waren Eigenschaften, die – in ausgelebter Form – der friedlichen Zusammenarbeit einer Gruppe mit steigender sozialer Dichte schadeten. Der Vorwurf der Zauberei, oder nur der bloße Verdacht, konnte also eine stigmatisierende Reaktion auf gewisse Verhaltensweisen oder bloßes Denken sein, das Unmut hervorrief, Wesel, Frühformen, S. 297 f., 323 f.; ders., Geschichte, S. 44 (Rn. 31). 131 Wesel, Frühformen, S. 173; weitere Beispiele bei Newman, S. 63 ff. 132 Vgl. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (48 f.); Hoebel, S. 93; Meggitt, S. 260 ff.; Wesel, Frühformen, S. 124. 133 Vgl. Meggitt, S. 251 ff.; Wesel, Frühformen, S. 132; nicht zufällig handelte es sich bei den von der Gemeinschaft ausgewählten Hexen oder Zauberern dabei in aller Regel um Witwen ohne Anhang und erwachsene Männer ohne männliche Nachkommen. Hier bestand nämlich keine Gefahr, dass der Tod in irgendeiner Form gerächt wurde, vgl. Hoebel, S. 116; Wesel, Frühformen, S. 132. 134 Vgl. zu diesem Beispiel der Eskimo und zum Folgenden Wesel, Frühformen, S. 125. 135 Vgl. auch Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (49). 136 Wesel, Frühformen, S. 326; bei den Lele etwa trank der Verdächtige dafür ein bestimmtes Gift. Starb er, hatte Gott ihn für sein Verbrechen bestraft. Überlebte er, war er unschuldig (a. a. O., S. 300); zum Ordal bei den Zande vgl. Douglas, S. 114; zu den Dschagga vgl. Gut mann, S. 669 ff.; weitere Beispiele bei Lowie, S. 392; ein Beispiel aus der frühen Staatlichkeit
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c) Soziale Kontrolle Mit Zunahme der sozialen Dichte übernahmen die übernatürlichen Vorstellungen schließlich immer mehr Aufgaben der sozialen Kontrolle.137 So wirkten religiöse Tabus etwa auch auf eine friedliche Konfliktlösung hin. Bei den Nuer etwa waren alle Verwandten der Konfliktparteien bei einer Tötung solange in großer Gefahr, bis die Verhandlungen vor ihrem Vermittler – dem sogenannten Leopardenfell priester – zu einer Einigung führten. Vorheriges gemeinsames Essen oder Trinken der Verwandten des Täters mit denen des Opfers war nämlich ein religiöses Tabu, das nach ihrer Überzeugung unausweichlich zum Tod der Beteiligten führte. Da dafür beispielsweise schon das unbewusste Benutzen des gleichen Geschirrs oder der gleichen Trinkgefäße im Haus eines Unbeteiligten ausreichte, bestand ein zusätzlicher religiöser Anreiz zur friedlichen Konfliktbeilegung im Interesse der Gruppe.138
2. Implizierte und faktische Wirkungen der Strafe a) Vergeltung als Strafzweck Frühe Gesellschaften kannten also die Vorstellung einer strafenden, übernatür lichen Macht. Es wäre aber zu kurz gegriffen, bereits davon zu sprechen, dass diese Menschen straften, „weil Gott es so wollte“. Die übernatürlichen Wesen in Jägergesellschaften interessierten sich nämlich zunächst einmal nur für Delikte, welche die sozialen Grundlagen unmittelbar gefährdeten. Mord, Totschlag, Dieb stahl, Ehebruch usw. waren zu Beginn weiter persönliche Angelegenheiten, auf welche die Gesamtgesellschaft in aller Regel „nur“ über die „alternativen“ Strafmechanismen reagierte.139 Zwar griff die Religion mit Zunahme ihrer Bedeutung auch auf diese Bereiche über; auch dann war die Strafe selbst aber nicht an einen göttlichen Willen geknüpft. Man strafte noch nicht, weil Gott es so wollte, sondern weil das vorangegangene, missbilligte Verhalten übernatürliche Folgen hatte, welche die ganze Gesellschaft betrafen. Es ging also in erster Linie um die Legitimation des Eingreifens von auf den ersten Blick Unbeteiligten – eine Erklärung altruistischer Strafbedürfnisse. Kam es zur Strafe, spielten religiöse Vorstellungen eher eine begrenzende Rolle, die Eskalationen verhindern sollte. gibt Rattray, S. 392 ff.; auch aus dem „deutschen“ Raum sind etliche Beispiele bekannt, vgl. nur Hähnchen, Rn. 256, 262; Rüping/Jerouschek, Rn. 23 f. 137 Vgl. Wesel, Frühformen, S. 342; ferner Gluckmann, in: Allocation, S. 1–50 (1 ff.). 138 Vgl. Evans-Pritchard, S. 154; Howell, S. 44 ff.; Wesel, Frühformen, S. 255 ff.; vgl. auch Douglas, S. 115 ff.; zu verschiedenen Gruppen im östlichen Hochland von Neuguinea Berndt, S. 208 ff.; auch in Jägergesellschaften lässt sich entsprechendes bereits beobachten. So missfällt es etwa bei den Mbuti dem Wald, wenn es laut ist und Streit gibt – weswegen man sich schnell vertragen muss, vgl. Wesel, Frühformen, S. 159 f. 139 Colson, S. 53; Trimborn, S. 5; Wesel, Frühformen, S. 169, 173 ff.
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Was also war der straftheoretische Hintergrund in den beschriebenen Gesellschaften? Warum straften diese Menschen? Die Antwort wird in diesem Stadium lauten müssen: zur Vergeltung. Die ethnologischen Beobachtungen zeigen, dass eine echte Reflexion über den Sinn der Strafe nicht stattfand – zumindest nicht nach außen drang. Man betrachtete es als selbstverständlich, dass Strafe an und für sich gerecht sei. Und einzig diese vergeltende Gerechtigkeit war – will man einen solchen bereits benennen – ihr intrinsischer Zweck.140 b) Abschreckung und Kooperationssicherung Anders sieht es freilich aus, wenn man die tatsächlichen Wirkungen von Strafe in diesen Gesellschaften betrachtet. Hier scheint es durchaus plausibel, dass der Strafe auch eine abschreckende Wirkung zukam, waren die dafür nötigen Voraussetzungen in den kleinen Gruppen doch in vielen Fällen gegeben.141 Was die obige Hypothese zum Grund der Existenz von Strafbedürfnissen betrifft, stehen dieser die bisherigen Beobachtungen – unabhängig von der konkreten Wirkungsweise der Strafe – jedenfalls nicht entgegen. Sollte das Konstrukt der Strafe tatsächlich vertrauensstiftenden und insofern Kooperation ermöglichenden und sichernden Charakter haben, so ist seine Effizienz eng mit der Möglichkeit zur Strafe und insofern mit der Befriedigung der diesbezüglichen Bedürfnisse verknüpft. In den frühen Gesellschaften bestand diese Möglichkeit grundsätzlich in weitem Maße. Jedem Individuum stand es zunächst einmal frei, seinen Strafbedürfnissen nachzukommen. Es gab aber eben auch einige Einschränkungen: Erstens musste sich die Strafe in den Grenzen der in der jeweiligen Gemeinschaft gängigen und somit akzeptierten Reaktionen bewegen. Andernfalls wäre die Reaktion selbst als Verstoß gegen die soziale Ordnung angesehen worden und hätte wiederum eine Gegenreaktion gefordert. Zweitens war die körperliche Strafe nur in den Grenzen der eigenen Stärke möglich. Und drittens traten neben das Interesse jedes Einzelnen, Teil einer strafenden Gesellschaft zu sein, auch weitere, kollidierende Interessen: Etwa das gesellschaftliche Bedürfnis nach der gewaltfreien Beilegung von Konflikten. – All diesen Einschränkungen trugen die verschiedenen Strafmechanismen Rechnung. Sie boten alternative Lösungen, die für den (vermeintlichen) Täter auch ohne körperliche Einwirkung ein Übel darstellten, und waren so geeignet, gesellschaftliche Strafbedürfnisse zu befriedigen, Vertrauen zu ermöglichen und Kooperation zu sichern.
140 141
Vgl. dazu Trimborn, S. 5. Vgl. zu diesen Voraussetzungen Teil II – Kapitel 8II.
Kapitel 3
Strafe und Staat Beschrieben sind somit allgemeine Charakteristika vorstaatlicher Gesellschaftsformen. Da sie in ihrer idealtypischen Form keine Herrschaft kannten, nennen Anthropologen sie „akephal“ – kopflos. Die Deutung des Übergangs von der „primitiven“ zur „zivilisierten“ (dann „kephalen“) Gesellschaft ist ein Thema, über das sich Philosophen, Historiker und Anthropologen seit Jahrtausenden den Kopf zerbrechen.1 Sie alle kannten zumindest den Zustand, der am Ende dieser Entwicklung stand: den Staat. Moderne Anthropologen haben in ihren Überlegungen allerdings einen entscheidenden Vorteil. Ihnen stehen aus der ethnologischen Forschung nun auch genauere Informationen zu den jeweiligen Ausgangsbedingungen zur Verfügung. Informationen, über die Heraklit, Platon, Aristote les, Hobbes oder Rousseau nur mutmaßen konnten.2 Und diese Mutmaßungen erwiesen sich im Nachhinein eben oft nur als schwaches Fundament für soziologische Konstrukte, die den Ursprung politischer Herrschaft erklären sollten – so etwa wenn Hobbes die bisherigen Ausführungen zu vorstaatlichen Gesellschaften (seinen Naturzustand) im „Leviathan“ als „Krieg eines jeden gegen jeden“ (bellum omnium contra omnes) beschrieb.3 Was den Übergang selbst betrifft, hilft aber auch die Ethnologie nur begrenzt weiter. Sie kann die Entstehung von Herrschaft und Staat in aller Regel nämlich nur noch in Gesellschaften beobachten, die bereits dem Einfluss existierender Staaten ausgeliefert sind.4 Die eigentlich interessante Frage aber ist, wie und warum sich Herrschaft und Staat erstmals entwickelten, das heißt unabhängig von derartigen Einflüssen. Dabei geht es nämlich nicht um eine rein historische Rekonstruktion eines möglicherweise zufälligen Ereignisses. Vielmehr fand dieser Übergang – wie wir heute wissen – mehrere Male völlig unabhängig voneinander statt: etwa um 3.500 bis 3.000 v. Chr. in Mesopotamien und Ägypten; um 1 Vgl.
Service, S. 25; Wesel, Geschichte, S. 47. Vgl. auch Service, S. 27; Verdross-Drossberg, S. 147 f. 3 Hobbes, S. 96; vgl. auch Nida-Rümelin, in: Leviathan, S. 89–106. 4 So mag in der Kolonialzeit paradoxerweise gerade die in den verschiedenen segmentären Gesellschaften verbreitete Abneigung gegen herrschaftliche Strukturen zu einem Hauptmotiv für die eigene Entwicklung von Zentralinstanzen geworden sein, vgl. Sigrist, S. 203; dazu ferner Schmied-Kowazik, Anthropos 66 (1971), S. 559–568 (566). 2
Kapitel 3: Strafe und Staat
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2.500 v. Chr. im Indus-Tal; ca. 1.500 v. Chr. in China und um die Zeitenwende in Mexiko und Peru.5 Noch heute mag es Gesellschaften geben, in denen dieser Übergang weitgehend unbeeinflusst vonstattengeht. Der Versuch, die eigentlichen, gemeinsamen Hintergründe dieser Entwicklungen zu verstehen, ist für die hiesige Betrachtung aus mindestens drei Gründen interessant: Erstens war der Übergang zum Staat auch ein tiefer Einschnitt in der Geschichte der Strafe. Zweitens ist es gerade für das Verständnis und die Ausgestaltung des heutigen, staatlichen Strafrechts von besonderer Bedeutung, die Ursprünge und Gründe für die dortige Übernahme der Strafe durch den Staat zu verstehen. Und drittens vermögen Überlegungen zur Straftheorie und zu dafür relevanten sozialen Veränderungen in vorstaatlichen Gesellschaften auch einen Beitrag zum Verständnis der Entstehung von Herrschaft und Staat selbst zu liefern. – Bevor wir uns diesen Fragen widmen, muss allerdings notwendigerweise eine Vorfrage geklärt werden: Was ist eigentlich Herrschaft?
I. Herrschaft und Macht Die bisher beschriebenen Gesellschaften wurden ohne semantische Spezifizierung als egalitär und herrschaftsfrei bezeichnet. Bei genauer Betrachtung des ethnologischen Materials mag man dies auf den ersten Blick anzweifeln. Es sollte doch verwundern, wenn es nicht schon immer Starke und Schwache gegeben hätte – solche die herrschten, und solche die (frei- oder unfreiwillig) folgten?6
1. Macht und Einfluss Natürlich gab es auch in diesen frühen Gesellschaften Über- und Unterordnungsverhältnisse. Das konnte im engen Kreis der Familie eine Überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau oder der Älteren gegenüber den Jüngeren sein. Auch auf gesellschaftlicher Ebene traten immer wieder Persönlichkeiten auf, die man als „Anführer“ bezeichnen könnte. Sie alle erhielten diese Positionen durch besondere Fähigkeiten – sei es besondere Stärke, besonderes Wissen oder besonderes Geschick bei der Jagd oder im Kampf.7 Insofern besaßen sie das, was man in Anlehnung an Max Weber als charismatische „Macht“ bezeichnen könnte – auch wenn man in der Regel vielleicht besser von „Einfluss“ spricht.8 Sie hatten aufgrund ihrer besonderen Fähigkeiten also die „Chance, innerhalb einer sozialen 5 Vgl.
Service, S. 27. Wesel, Frühformen, S. 23. 7 A. a. O., S. 82, 119; Sigrist, S. 96 ff. 8 Weber, S. 38; ferner Service, S. 106; mit zahlreichen Beispielen Hildebrand, S. 40. 6 Vgl.
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Teil I
Beziehung den eignen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen“.9 Wichtig ist dabei aber, dass dieser Einfluss eben an die konkrete Persönlichkeit und Situation gebunden war. Schwanden die besonderen Fähigkeiten oder wurden sie schlicht gerade nicht benötigt, gab es auch keine Machtposition mehr.10 Es gab in diesen Gesellschaften also keine dauerhafte politische Position, die Befehle erteilen konnte. Das egalitäre Selbstverständnis manifestierte sich gar in einer natürlichen Abneigung hiergegen.11 – Gerade aufgrund dieses Fehlens einer dauerhaften politischen Führungsposition werden die frühen Gesellschaftsformen als akephal bezeichnet, auch wenn phasenweise durchaus Erscheinungsformen von Macht auftreten konnten.
2. Herrschaft als institutionalisierte Macht Herrschaft hingegen soll nun bedeuten, dass es eine Institutionalisierung der Macht gab – eine in der Gesellschaft dauerhaft fest verankerte politische Position, die die Chance hatte, dass ihre Befehle bei angebbaren Personen Gehorsam fanden.12 Durch diese Institutionalisierung verschwand die im Grunde egalitäre Ausrichtung der jeweiligen Gesellschaften, die sich von da an durch hierarchische Strukturen definierten.13 Die große Frage ist, wie und warum Herrschaft trotz der zuvor so verbreiteten Abneigung entstehen konnte.
II. Die Entstehung von Herrschaft und Staat 1. Konflikttheorien Viele Generationen haben sich wie gesagt an Erklärungen versucht. Die meisten lassen sich im weitesten Sinne als „Konflikttheorien“ beschreiben, unterscheiden sich aber doch stark in der Art des Konflikts. Eine Reihe von Autoren sieht den entscheidenden Grund im Konflikt zwischen einzelnen Gesellschaften – dem Krieg. Schon vor 2.500 Jahren schrieb Heraklit: „Krieg ist aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen erweist er als Götter, die anderen als Menschen. Die einen macht er zu Sklaven, die anderen zu Freien.“14 9
Weber, S. 38; dazu auch Imbusch, in: Soziologie, S. 195–220 (196 ff.). Service, S. 106; Wesel, Frühformen, S. 82, 119. 11 In der Sprache der Nuer etwa gibt es nicht einmal ein Wort für befehlen, vgl. dazu Khairi- Taraki, Psychologie und Gesellschaftskritik 34/3 (2010), 81–97 (87 f.); Sigrist, S. 188 ff. 12 Vgl. Weber, S. 38; dazu auch Imbusch, in: Soziologie, S. 195–220 (208 ff.). 13 Vgl. Service, S. 106. 14 Vgl. Diels, S. 27 (Fragment 53). 10
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Im 19. Jahrhundert sollte dieser Gedanke nicht zuletzt von einigen Sozialdarwinisten wieder aufgegriffen und sorgfältiger ausgearbeitet werden.15 Eine verbreitete Ausprägung dieser Kriegstheorien geht davon aus, dass es zur Entstehung von Herrschaft und Staat gerade dann kam, wenn kriegerische Hirtenvölker (Nomaden) auf sesshafte Bauern trafen und sie diese anschließend ihrer Herrschaft unterwarfen.16 Ein Gedanke, der faszinierenderweise bereits im 14. Jahrhundert von dem arabischen Universalgelehrten Ibn Khaldun formuliert wurde.17 Robert L. Carneiro schränkte diese Theorien insoweit ein, als nach seiner Auffassung gewisse geografische oder ökologische Begrenzungen hinzukommen mussten, welche verhinderten, dass die Verlierer einfach flüchten oder von der siegreichen Partei vertrieben werden konnten. Krieg sei insofern eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Entstehung von Staaten.18 Andere Autoren sehen die ausschlaggebenden Konflikte im Inneren der Gesellschaft. Für Hobbes war es der „Krieg aller gegen aller“ – angelegt im egoistischen und rücksichtslosen Wesen des Menschen im Naturzustand.19 Die klassische marxistische Analyse (die im Wesentlichen nicht von Karl Marx, sondern von Lewis H. Morgan und insbesondere von Friedrich Engels stammt) erkennt als auslösendes Moment den Konflikt zwischen verschiedenen Klassen, welcher aus dem entstehenden Privateigentum resultierte. Der Staat habe sich danach letztlich zum Schutz der entstehenden besitzenden Klasse entwickelt.20
2. Die notwendige Beschränktheit der Entstehungstheorien Es soll dies hier aber nicht der Ort sein, die einzelnen Theorien erschöpfend darzustellen; denn – um es vorweg zu nehmen – sie alle können letztlich keine allgemeingültigen Antworten liefern. Was sie können – und was sie tun – ist die Beschreibung von notwendigen Bedingungen für und von gesellschaftlichen Bedürfnissen nach herrschaftlichen Strukturen. Letztlich ist der Staat aber ein Resultat so tiefgreifender Umwälzungen in allen gesellschaftlichen Bereichen, dass die verschiedenen Theorien eben immer nur Teilaspekte beschreiben können, die der Komplexität des Gesamtpro15 Etwa von Bagehot, S. 50 ff. und H. Spencer, Sociology, S. 33 ff., 156 ff.; vgl. dazu auch Service, S. 65 ff. 16 Vgl. Hess, Kölner Zeitschrift für Soziologie 29 (1977), S. 762–778 (764) mit zahlreichen Nachweisen. 17 Vgl. dazu Wesel, Geschichte, S. 47. 18 Carneiro, in: Klassengesellschaften, S. 153–175 (160 ff.). 19 Hobbes, S. 94 ff.; vgl. auch Fabricius, Kriminalwissenschaften I, S. 274. 20 Engels, S. 193; vgl. auch Blankertz, S. 99 f.; Hess, Kölner Zeitschrift für Soziologie 29 (1977), S. 762–778 (763); Newman, S. 17 ff.; dazu ferner Habermas, S. 174 mit Nachweisen zu einigen Autoren, die sich später anschlossen.
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zesses bei weitem nicht gerecht werden.21 Das spricht den Theorien nicht ihren Wert ab, denn die Beschreibung von Bedingungen und Bedürfnissen kann in vielen Bereichen aufschlussreich sein – gerade wenn es um solche Phänomene geht, die tatsächlich in allen diesen Gesellschaften vorlagen. Über diese Grundvoraussetzungen hinaus konnten die jeweiligen Bedingungen – und ihnen folgend auch die Bedürfnisse – in den verschiedenen Gesellschaften aber eben auch variieren. So geht beispielsweise die „Bewässerungs-Hypothese“ von Karl August Witt fogel davon aus, dass es die Notwendigkeit eines zentralen Bewässerungssystems war, die das Bedürfnis nach einer organisierenden Verwaltung mit sich brachte.22 Das mag zum Teil durchaus ein entscheidender Antrieb für die Entstehung von Herrschaft und Staat gewesen sein. Es gibt aber auch nachgewiesene Beispiele, in denen sich vergleichbare Bewässerungssysteme erst weit nach der Entstehung von Staaten entwickelten.23 Und solche negativen Beispiele finden sich letztlich für alle bestehenden Theorien.24 Ein so komplexer Vorgang kennt eben keine einzelne, hinreichende Bedingung, sondern nur ein Bündel von Voraussetzungen, die im Einzelfall variieren können. Und so ist die Fülle der verschiedenen Theorien wohl ein Teil der Lösung des Problems.25 Diese Erkenntnis vor Augen verlagert sich die Analyse deshalb auf die Beschreibung gerade derjenigen Bedingungen, die in all diesen Gesellschaften vorlagen und die zur Entstehung von Herrschaft und Staat auch notwendigerweise vorliegen mussten. Hier dürfte es nämlich gerade das Institut der Strafe gewesen sein, welches die gesellschaftliche Ordnung in segmentären Gesellschaften mit der Zeit vor enorme Herausforderungen gestellt und so den vielleicht entscheidenden Beitrag zur Entstehung von Herrschaft und Staat geliefert hat.
3. Die Krise der Strafe und ihre Lösung im Staat a) Die Anfänge der Massenkooperation Die zentrale Ausgangsbedingung für die Entstehung von Herrschaft und Staat war die in segmentären Gesellschaften aufkommende Produktion von Überschüssen. In den Jahrtausenden vom Beginn der neolithischen Revolution bis zur Entstehung erster Staaten war genug Zeit, um landwirtschaftliche Kenntnisse 21
Drexler, S. 262. Wittfogel, S. 11 ff.; vgl. dazu Carneiro, in: Klassengesellschaften, S. 153–175 (156); W esel, Geschichte, S. 49. 23 Carneiro, in: Klassengesellschaften, S. 153–175 (157) mit weiteren Nachweisen. 24 Vgl. dazu Carneiro, in: Klassengesellschaften, S. 153–175 (153 ff.); Habermas, S. 174 f.; Wesel, Geschichte, S. 48 ff. 25 So Wesel, Geschichte, S. 47. 22
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und technische Hilfsmittel zu optimieren. Ein entsprechender Anreiz für produktiven Fortschritt war historisch auch durchaus gegeben, konnten Vorräte doch bei jeder Dürre, Überschwemmung oder Krankheit das Überleben sichern.26 Die Überschussproduktion ermöglichte das Aufkommen ausgeprägter Arbeits teilung. Erst jetzt konnten sich einzelne Individuen von der Nahrungsmittelproduktion ausschließen. Es entstanden neue Berufe – etwa Handwerker, die sich auf die Herstellung landwirtschaftlicher Geräte spezialisierten und so wiederum zu einer gesteigerten Nahrungsmittelproduktion beitrugen. Auch ein potentieller Herrscher und sein etwaiger Zwangsstab konnten erst jetzt miternährt werden. Möglich wurde ferner die Entstehung größerer Städte, da nicht mehr jeder an die Nähe zum Landbesitz oder zum Vieh gebunden war.27 Mit anderen Worten: Die einst kleinen, selbstversorgenden Einheiten wuchsen mit der komplexen Arbeitsteilung. Die Zusammenarbeit stieg aber nicht nur innerhalb dieser Einheiten, denn die Spezialisierung schuf neue Bedürfnisse. So benötigten etwa Handwerker verschiedene Materialien, die nicht in allen Gegenden verfügbar waren.28 Der Überschuss innerhalb der Einheiten führte also auch zu vermehrten Tauschbeziehungen zwischen den Gruppen. Die Kooperation wuchs auf allen Ebenen. Gleichzeitig konnten nun auch schlicht mehr Individuen ernährt werden. Die neolithische Revolution war der Startschuss der Bevölkerungsexplosion: Nach Millionen von Jahren Menschheitsgeschichte waren es zu ihrem Beginn etwa fünf bis acht Millionen Jäger und Sammler, die den Planten bewohnten. „Nur“ 11.000 Jahre später – zu Beginn der modernen Zeitrechnung – waren zwar immerhin noch ein bis zwei Millionen von ihnen übrig. Ihnen standen nun aber rund 250 Millionen Menschen in neueren Gesellschaftsformen gegenüber, von denen die ganz überwiegende Mehrheit Bauern waren.29 b) Das Versagen der alten Mechanismen Während die Entwicklungen in den segmentären Gesellschaften die Anzahl kooperativer Beziehungen in die Höhe schnellen ließen, untergruben sie gleichzeitig das Fundament dieser Kooperation. Dieses bestand in frühen Gesellschaftsformen nämlich in erster Linie aus einem komplexen Geflecht zwischenmenschlicher (verwandtschaftlicher) Beziehungen. Die aufkommende Arbeitsteilung
26 Vgl.
Harari, S. 129; dazu auch Eder, S. 46. Service, S. 71; dazu und zum Folgenden auch Childe, S. 74 ff., 157 ff.; Parzinger, in: Geschichte der Welt, S. 41–262 (133 ff.). 28 Vgl. Meillassoux, in: Klassengesellschaften, S. 31–68 (40, 62); Service, S. 110. 29 Zum Ganzen Harari, S. 126 mit weiteren Nachweisen. 27
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führte nun aber zu einem raschen Anstieg übergreifender Abhängigkeitsverhältnisse – und mit ihnen stiegen das Konfliktpotential und die Zahl der Konflikte.30 Wenn es zutrifft, dass das für Kooperation notwendige Vertrauen an das Institut der Strafe gebunden ist, so war die wachsende Kooperation freilich vermehrt an die Funktionsfähigkeit dieses Instituts gebunden. Dafür musste der Einzelne weiter die Möglichkeit haben, seine eigenen Strafbedürfnisse zu befriedigen. Beschränkt war das wie gezeigt insbesondere durch zwei Faktoren: Zum einen war das Strafen spieltheoretisch gesprochen mit Kosten verbunden. Der Strafende musste also physisch dazu in der Lage sein, zu strafen. Zum anderen durfte die Allgemeinheit die konkrete Strafe aber nicht selbst als Verstoß gegen die gesellschaftliche Ordnung betrachten. Um einen die Kooperation gerade hemmenden Teufelskreis zu vermeiden, musste es sich also um Reaktionen handeln, die von der Gesellschaft und dem Bestraften akzeptiert wurden. Wie diese einschränkenden Faktoren in der vorstaatlichen Ordnung aufgefangen werden konnten, wurde bereits beschrieben. Mit dem Wachsen der Einheiten verloren die Segmente und ihre alternativen Strafmechanismen nun allerdings ihre Funktionsfähigkeit und brachen auf.31 aa) Der Ausfall der „alternativen“ Strafmechanismen Schon in den segmentären Gesellschaften war die Rede von der „Strukturalen Relativität“ – dem Ausfall der bewährten Mechanismen sozialer Kontrolle, je weiter man sich von der eigenen Kleingruppe entfernte.32 Nun waren diese Beziehungen zahlreich und allgegenwärtig. Die Macht der öffentlichen Meinung und damit Stigmatisierungseffekte nahmen weiter ab – gleiches galt für die Wirksamkeit gemeinsamer Rituale. Die erste Konsequenz war, dass der Einzelne vermehrt auf physische Strafformen und damit auf die eigene Stärke angewiesen war. Da letztere häufig fehlte, litt auch das Institut der Strafe. bb) Das Akzeptanzproblem in (zusammen-)wachsenden Gesellschaften Das zentrale Problem aber – und vor diesem stand selbst der Starke – war das der Akzeptanz. Aus dem ethnologischen Material und der modernen Forschung zu 30
Das galt innerhalb der wachsenden Gemeinschaften ebenso wie außerhalb: So mochten etwa die gelagerten Überschüsse und die spezifischen Rohstoffe und Waren durchaus Ausgangspunkt des aufkommenden Handelswesens gewesen sein. Gleichzeitig waren die durch sie geweckten Begehrlichkeiten aber auch Anlass von Konflikten und Kriegen. Und gleiches galt für die wachsende Bevölkerungsdichte und die Verteilung von Überschüssen und knapper werdendem Land, vgl. auch Habermas, S. 178. 31 Zum Ganzen auch Eder, S. 39 ff.; Habermas, S. 178. 32 Siehe Teil I – Kapitel 2II.3.a).
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intuitiven Strafbedürfnissen kennen wir bereits die zentrale Rolle der „Relativität der Strafen“ – also der Proportionalität der verhängten Strafen zueinander.33 In vorstaatlichen Kleingruppen war diese Proportionalität gegeben. Es gab eine überschaubare Anzahl von Kooperationspartnern und Konflikten. Die verhängten Strafen waren allgemein bekannt und die Verhältnismäßigkeit so Teil jeder Verhandlung und Grundlage der Entwicklung eines gemeinsamen gesellschaftlichen Akzeptanzniveaus. Diese Regulation war allerdings spezifisch gebunden an das jeweilige System. Und so erklärt sich, warum trotz einheitlicher Vorstellungen von der relativen Schwere verschiedener Taten die konkrete Strafe in den verschiedenen Kleingruppen höchst unterschiedlich ausfallen konnte und dennoch jeweils auf Akzeptanz traf. Mit der wachsenden Bevölkerungsdichte, der aufkommenden Arbeitsteilung und der damit einhergehenden Zerstörung der Segmente wurde gerade dies aber zu einem neuen Problem. Nun trafen die völlig unterschiedlichen Vorstellungen aus den alten Kleingruppen schlagartig ungebremst aufeinander. Es gab häufig auch keine für beide Parteien bekannten Vergleichsfälle und keine gemeinsame kulturelle Prägung, an denen man eine von beiden Seiten als „proportional“ akzeptierte Strafe aufhängen hätte können. Anzahl und Qualität der sozialen Kontakte erlaubten die bewährte Regulierung über die alten Mechanismen nicht mehr. All dies machte ein Funktionieren des Instituts der Strafe in den Schienen des alten Systems schließlich nahezu unmöglich. c) Herrschaft und Staat als Lösung Herrschaft und Staat erschienen unter diesen Voraussetzungen als potentielle Kandidaten, um die entstandene Lücke zu füllen. Für das Problem der Durchsetzbarkeit ist das offensichtlich. Die Übernahme der Strafe durch einen starken Herrscher und seinen etwaigen Zwangsstab stellte sicher, dass der Strafende stets auch der Stärkere war. Während das Problem der Durchsetzbarkeit in frühen Gesellschaftsformen auf Basis der altruistischen Strafbedürfnisse gelöst wurde, gipfelte die Kumulation dieser subjektiven Bedürfnisse nun also in der Übernahme durch den Repräsentanten der gesamten Gesellschaft: den Herrscher, und später den Staat. Auch im Hinblick auf das zentrale Akzeptanzproblem erschien die Übertragung der Entscheidungsmacht auf eine einzelne Person schließlich als möglicher, vielleicht einziger Ausweg. So richtete sich die Strafe zwar nach ihren subjektiven Strafbedürfnissen. Sichergestellt war aber vorerst wieder die nötige Re lativität der Strafen, und damit potentiell auch Vertrauen und Kooperation. 33
Dazu und zum Folgenden vgl. Teil I – Kapitel 2I.2.a) bb).
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Diese letzte Funktion stand im Mittelpunkt der herrschaftlichen Übernahme der Strafe und später des staatlichen Strafrechts. Dass die Strafgewalt in der Folge wiederum stets auch zu einem Instrument des eigenen Machterhalts werden sollte, ist eine Begleiterscheinung, der sich die Strafe nirgends entziehen konnte, auf die sie aber gerade von soziologischer Seite zu oft reduziert wird.34 d) Die Institutionalisierung der Macht Tatsächlich lässt sich der eben beschriebene Effekt auch im ethnographischen Material beobachten. So wurden die klassischen Vermittler der segmentären Gesellschaften im Übergang zur Kephalität regelmäßig zu Schiedsrichtern mit echter Entscheidungsmacht.35 Einige vergleichsweise jüngere soziologische Theorien zur Entstehung von Herrschaft und Staat – namentlich jene von Jürgen Habermas und von Klaus Eder – stehen diesen Erwägungen letztlich nahe, wenn sie den Übergang mit der erfolgreichen Stabilisierung einer Richterposition36 oder der Institutionalisierung eines „Herrscher-Richters“37 erklären.38 Jedenfalls sind es auch in diesen Deutungsmodellen die einstigen charismatischen Machtpositionen, die zur Lösung aufkommender Systemprobleme neue zentrale Aufgaben übernehmen.39 Neben der Richterposition ist hier insbesondere die Position des Redistributors zu nennen. In segmentären Gesellschaften wurden die Vielfalt der spezialisierten Waren und die zunehmende geographische Streuweite mit der Zeit zu komplex für eine Ökonomie, die sich rein über einen persönlichen Tauschhandel organisierte.40 Mit fortschreitender Komplexität sollte dieses Problem zur Erfindung des Geldes führen.41 Zunächst aber übernahmen einzelne Personen
34
Zu den in der Soziologie verbreiteten Ansichten siehe bereits Teil I – Kapitel 1II.3. Barton, S. 94 ff.; Cory, S. 3, 8 ff.; vgl. auch Schapera, S. 62 ff., 279 ff.; Wesel, Geschichte, S. 39 (Rn. 27). 36 Habermas, S. 177. 37 Eder, S. 37. 38 Sie nähern sich diesem Ergebnis aber aus einer anderen Perspektive. Für Habermas und Eder waren die verschiedenen Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels letztlich nur durch kognitive Lernprozesse zu bewältigen. Insbesondere seien es Entwicklungen im Bereich der Moral gewesen, die den Übergang zu einer neuen Form von Gesellschaft und Recht ermöglichten, in dessen Zentrum der Richter(-Herrscher) stand, Eder, S. 50 ff., 67; Habermas, S. 175 ff.; kritisch zum Ganzen Hess, Kölner Zeitschrift für Soziologie 29 (1977), S. 762–778 (765 ff.); Eder (S. 50) hält diese Entwicklung evolutionär gar für so bedeutend, dass er die Vorgänge im Neolithikum als kognitive Revolution beschreibt. 39 Vgl. Habermas, S. 178; Eder, S. 85 ff. 40 Service, S. 112 ff. 41 Vgl. Harari, S. 214 ff. 35
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(Redistributoren) gewissermaßen die Funktion von Tauschzentren.42 Es liegt nahe, dass dies gerade die Personen waren, die aufgrund persönlicher Eigenschaften vorübergehend gewisse Machtpositionen innehatten (mag man sie nun als Big-men, Häuptling, Patron oder mit einem ähnlichen Namen bezeichnen).43 Da sie sich – wenn nicht schon zu Beginn, dann im Laufe der Zeit – in irgendeiner Weise religiös legitimierten, waren diese Zentren die Knospen der aufkommenden Tempelwirtschaften.44
Mit den gesellschaftlichen Änderungen kamen also neue Systemprobleme auf. Während die alten Mechanismen langsam an Wirkung verloren, traten die bestehenden Machtpositionen schrittweise an ihre Stelle. Freilich war auch der Übergang zur Kephalität kein abrupter Vorgang. Es gab zahlreiche Zwischenformen, die bereits Machtpositionen kannten.45 Am Ende dieser Entwicklung aber hatte die segmentäre Verwandtschaftsstruktur ihre Bedeutung verloren und die Gesellschaft war in vielerlei Hinsicht auf den dauerhaften Fortbestand der (zunächst nur temporären) Machtpositionen angewiesen – die Institutionalisierung der Macht.46 Sie war der Ausgangspunkt einer gesellschaftlichen Schichtung hin zur Zentralinstanz und schließlich der Entwicklung hin zu dem, was man Staat nennen mag.47
III. Verbrechen und Strafe 1. Frühstaatliches Strafrecht Für die Strafe und das Strafrecht bedeutete dieser Prozess einen einschneidenden Wandel. Während die alten Mechanismen langsam an Wirkung verloren, übernahm der strafende Herrscher schrittweise ihre Aufgaben. Das brachte für lange Zeit ein Nebeneinander von richterlicher Gewalt und alter segmentärer Ordnung mit sich. Zu Beginn sprach der Richter dabei nur Recht. Schließlich nahm der Staat aber auch die Durchsetzung dieses Rechts selbst in die Hand. Seine Entscheidungskompetenz erstreckte sich dabei zunächst nur auf das Strafrecht – insbesondere auf die schwereren (und religiösen) Delikte. Mit zunehmender Zerstö42 Zum
Ganzen Eder, S. 86 ff.; Service, S. 110 ff., 131 ff.; aus systemtheoretischer Sicht Eder, in: Klassengesellschaften, S. 15–30 (18 ff.). 43 Vgl. Habermas, S. 178; Hess, Kölner Zeitschrift für Soziologie 29 (1977), S. 762–778 (770 ff.); Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (56 f.); Newman, S. 86 ff.; Service, S. 40, 108. 44 Vgl. Service, S. 40; ferner Wesel, Geschichte, S. 73 (Rn. 52). 45 Vgl. Service, S. 39 f. 46 Dazu auch Hess, Kölner Zeitschrift für Soziologie 29 (1977), S. 762–778 (762); Service, S. 109, 128. 47 Vgl. Schmied-Kowazik, Anthropos 66 (1971), S. 559–568 (561); Service, S. 106 f.; zur Kontroverse um den „Staatsbegriff“ – die hier nicht aufgegriffen werden soll – vgl. H. Maurer, Staatsrecht, Rn. 5 ff.; Reinhard, S. 15 ff.
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rung der Segmente griff die Strafgewalt letztlich aber auf die ganze Fülle abweichenden Verhaltens über.48 Dabei traten neben neuen Formen von Delikten auch neue Formen von Strafe auf den Plan. a) Politisierung des Strafrechts Die gesellschaftliche Schichtung war nichts anderes als die Auflösung der egalitären Gesellschaftsstruktur – die Entstehung der Ungleichheit. Sie sollte sich mit der Zeit auch im Strafrecht widerspiegeln. Zunächst brachte sie aber neues Konfliktpotential und auch neue Interessenlagen, denn nicht mehr alle Mitglieder der Gesellschaft hatten das gleiche Interesse am Bestand der Verhältnisse.49 Aus Sicht des Herrschers führten diese Entwicklungen zu neuen Verhaltenserwartungen gegenüber dem Rest der Gesellschaft. Da sich diese (enttäuschten) Erwartungen mit der Position des Inhabers der Strafgewalt vereinten, bedeutete das ein Aufkommen neuer Deliktsformen. Pauschal kann man von der Entstehung des crimen laesae maiestatis sprechen.50 Alles, was die Stellung des Herrschers störte, wurde bestraft. In erster Linie betraf das Angriffe gegen seine Person und Position. Diese konnten physischer oder magischer Art sein. Ebenso rechneten hierher aber auch Fälle der Majestätsbeleidigung, Befehlsverweigerung, Formen des Staatsstreichs, und nicht zuletzt die religiös aufgeladenen Delikte (etwa Blasphemie oder Tabubruch), welche mittlerweile die Legitimationsgrundlage der Herrscherposition berührten.51 Die Einbindung des Herrschers in rituelle Tabus zeigt sich etwa in dem Verbot, dem Herrscher in die Augen zu schauen (bei den Chibcha und Azteken) oder den Geboten, sich ihm nur im Staube kriechend (bei verschiedenen afrikanischen Völkern) oder mit einer symbolischen Last auf der Schulter (bei den Inkas) zu nähern.52 Da es um Verletzungen der Erwartungen des Strafenden selbst ging, zogen diese Handlungen entsprechend harte Strafen nach sich. Dass nun auch die Gedanken der Abschreckung und der Machtdemonstration eine zentrale Rolle spielten, zeigt das Beispiel der Inkas, bei denen derartige Anschläge mit Zu-Tode-schleifen, Hinrichtung durch Pfeilregen, Vierteilung der Leiche, Schleifung des Hauses und Versklavung der solidarisch haftenden Angehörigen bis in die vierte Generation bedroht waren.53 Und während im alten Ägypten der einfache Diebstahl in der Regel eine Strafzahlung in Höhe des zwei- oder 48 Wesel, KJ 1979, 233–252 (249); ders., Geschichte, S. 53 f. (Rn. 34 f.); vgl. auch Christian sen, ZAR 21 (2015), S. 1–14 (12); zur Frühzeit Roms vgl. Schilling, ZAR 21 (2015), S. 159– 175 (159). 49 Vgl. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (64). 50 A. a. O., S. 68. 51 Zu dieser Legitimationsgrundlage sogleich Teil I – Kapitel 3III.3.a); vgl. ferner Lang, ZAR 21 (2015), S. 129–141 (140 f.); Müller-Wollermann, S. 31 ff.; Schilling, ZAR 21 (2015), S. 159–175 (159 ff.); Service, S. 130 f.; vgl. auch Schapera, S. 273 ff. 52 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (66) mit zahlreichen Nachweisen. 53 A. a. O., S. 69.
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dreifachen Wertes der gestohlenen Sache nach sich zog, wurde der religiös behaftete Tempeldiebstahl (neben anderen Folgen) mit dem 100-fachen sanktioniert.54
Auch sonstige enttäuschte Verhaltenserwartungen des Herrschers konnten nun zu Strafen führen; etwa sämtliche Verhaltensweisen, die die Produktion und die Abschöpfung der Überschüsse störten. Da insofern ein Interesse am demographischen Wachstum bestand, konnten auch Homosexualität, Abtreibung und Selbstmord zu Verbrechen werden.55 Schließlich wurde mit der Zeit die altbewährte Selbsthilfe selbst zum missbilligten Verhalten. Nicht zuletzt die von ihr ausgehenden Gefahren waren es ja, die der herrschaftliche Richter verhindern sollte. Auch wer sich diesbezüglich hoheitliche Rechte anmaßte, wurde also bestraft.56 b) Neue Strafformen Zwangsweise änderten sich auch die Formen der Strafe. Da die alten Strafmechanismen ihre Wirkung verloren hatten, rückten spätestens mit der Etablierung eines Zwangsstabes die körperlichen Strafen (nun auch Zwangsarbeit/Versklavung) und die Strafzahlungen in den Vordergrund. Zumindest zu Beginn besaß der Herrscher als Redistributor auch die Macht, einzelne Personen oder Gruppen aus dem Versorgungssystem auszuschließen, ihnen also Güter vorzuenthalten.57 Die heute typischen Freiheitsstrafen hingegen waren im Grunde weiter unbekannt.58 Auch bei den körperlichen Strafen war der stigmatisierende Effekt aber nicht außer Acht zu lassen, denn eine abgeschnittene Hand ersetzte in diesem Sinne in gewisser Weise den Klatsch und Tratsch der kleinen Gemeinschaften. Auch zu diesem Zweck – nicht nur zur Abschreckung – wurden die Strafen häufig öffentlich vollstreckt.59
54 E. Otto, ZAR 11 (2005), S. 312–322 (319); zur Majestätsbeleidigung in Mesopotamien und Ägypten a. a. O., S. 314. 55 Vgl. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (65) mit weiteren Nachweisen. 56 A. a. O., S. 67; vgl. auch Wesel, Geschichte, S. 54 (Rn. 36), 294 f. (Rn. 207). 57 Service, S. 128; siehe zu dieser Rolle schon Kapitel 3II.3.d). 58 Vgl. Christiansen, ZAR 21 (2015), S. 1–14 (14). 59 Das war schließlich auch der Hintergrund der spätmittelalterlichen Ehrenstrafen. Üblich war in diesem Sinne etwa die Kennzeichnung durch Schandmale oder Brandmarkung. Teilweise wurde der Verurteilte öffentlich auf einem Esel zur Schau gestellt, wobei eine Tafel darauf hinwies, was er getan hatte. In Frankreich und in der Schweiz hatten Schuldner eine grüne Mütze zu tragen, und in den südlichen Niederlanden trugen Ehebrecherinnen, Kupplerinnen und Prostituierte gelbe Mäntel, zum Ganzen Verplaetse, S. 194; vgl. auch Kubiciel, ZStW 118 (2006), 44–75; ähnliches ist aus dem alten China überliefert, dazu van Ess, ZAR 21 (2015), S. 177–184 (182, 184).
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Die Art der Rechtsfolgen konnte je nach gesellschaftlicher Stellung der Beteiligten variieren. Insofern spiegelte sich der Wandel von der egalitären zur hierarchischen Klassengesellschaft auch im (Straf-)Recht wider. Die dauerhafte Funktionsfähigkeit der Gesellschaft mochte an die Gleichheit, heißt Proportionalität der Rechtsprechung gebunden sein. Dabei konnte es aber stets nur um die Gleichbehandlung dessen gehen, was zur jeweiligen Zeit auch als „gleich“ betrachtet wurde – und das galt für Menschen unterschiedlicher Klassen nun eben oft nicht mehr.60 Ein schönes Beispiel für die Reflexion gesellschaftlicher Ungleichheiten im Strafrecht liefert der Codex Hammurabi, welcher lange Zeit als der älteste „Gesetzestext“ der Menschheitsgeschichte galt:61 – § 202 Wenn ein Mann auf die Wange eines höherstehenden Mannes schlägt, haut man ihm öffentlich mit dem Ochsenziemer 60 [Hiebe] auf. – § 203 Wenn ein Freigeborener einen anderen seinesgleichen ohrfeigt, zahlt er eine Mine [60 Schekel] Silber. – § 204 Wenn ein Armenstiftler einen anderen [seinesgleichen] ohrfeigt, zahlt er zehn Schekel Silber. – § 205 Wenn eines Mannes Sklave einen Freigeborenen ohrfeigt, schneidet man ihm das Ohr ab.
c) Schadensersatz und Strafe Schließlich eröffnete dem Herrscher die Strafgewalt neue Möglichkeiten, die eigenen Güter zu mehren, um so einen größeren Zwangsstab zu unterhalten und seine Macht zu stärken. In modernen Rechtsbegriffen gesprochen begann an dieser Stelle die Trennung von Delikts- und Strafrecht.62 So konnte sich der Herrscher nun zunutze machen, dass die Strafe etwas anderes war als bloßer Schadensersatz. Letzterer war zwar teilweise weiterhin an das Opfer zu zahlen; jedenfalls die darüber hinausgehenden Strafzahlungen flossen aber häufig in die Taschen des Herrschers.63 Auch die neuen Strafformen der Zwangsarbeit und der Versklavung dienten diesem Zweck.64 Gerade wenn es noch kein ausgeprägtes Verwaltungs- und Abgabensystem gab, war der Herrscher auf entsprechende
60
Vgl. auch Hezser, ZAR 20 (2014), S. 201–214 (204). Übersetzung nach von Müller, S. 56; vgl. auch die Erläuterungen a. a. O., S. 146 ff.; ferner Harari, S. 136; von Soden, ZA 56 (1964), S. 133–141; zum Codex Hammurabi näher sogleich Teil I – Kapitel 3III.2.b). 62 Vgl. auch Wesel, Geschichte, S. 78 f. (Rn. 64). 63 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (72); Wesel, Geschichte, S. 54 (Rn. 35); vgl. auch Schott, in: Kriminologie, S. 191–205 (194). 64 Vgl. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (71); vgl. auch Trimborn, Anthropos 57 (1962), S. 811–825 (812 f.). 61
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Einnahmen angewiesen. Bei den Ashanti, einer afrikanischen Gesellschaft in der Form früher Staatlichkeit, entwickelte sich diesbezüglich ein Sprichwort:65 „Wenn ein Häuptling versucht, Streithähne miteinander zu versöhnen, so wird er bald am Hungertuch nagen.“
In diesem Sinne bestand nach dem Aufkommen der Herrschaft auch ein existenzielles Interesse an der Verhängung von Strafen. Und so drohten in frühen Staaten zwar in der Regel harte, grausame Sanktionen.66 Diese wurden aber meist nur dann auch konsequent durchgesetzt, wenn der öffentliche Druck groß war oder es um Verhaltensweisen ging, die der Herrscher zwingend verhindern musste. Die Strafe sollte dann abschreckend wirken und ihre Schärfe glich in diesem Sinne die in der Frühstaatlichkeit noch geringe Macht und die eingeschränkten Zugriffsmöglichkeiten aus. Ging es aber um „normale“ Delikte, konnte der Vollzug solch harter Strafen meist durch Bußzahlungen an den Herrscher abgewendet werden.67
2. Die ersten „Gesetzestexte“ a) Die Erfindung der Schrift In den ersten Jahrtausenden nach der landwirtschaftlichen Revolution blieben die menschlichen Gesellschaften trotz stetem Wachstum noch vergleichsweise klein. Ein zentraler Grund hierfür war der enorme Verwaltungsaufwand, den die dauerhafte Kooperation immer größer werdender Menschenmengen mit sich brachte. Informationen über das „Wie viel wovon und für wen?“ ([nicht] geleistete Zahlungen, Verträge, Steuerschulden usw.) konnte das menschliche Gehirn schlicht nur begrenzt speichern und verarbeiten.68 Zudem war der Fortbestand der Informationen in diesem Fall an das Überleben des Trägers gebunden. Die begrenzte Speicherkapazität des menschlichen Gehirns deckelte also zunächst sowohl Größe als auch Komplexität jeder menschlichen Gesellschaft.69 In den ersten Jahrtausenden nach der Sesshaftwerdung kam es daher regelmäßig zu Abspaltungen, wenn die Gemeinschaft eine gewisse Größe erreicht hatte.70 Spätestens als auch diese Gesellschaften sich durch die Begrenztheit des 65 Vgl.
Hoebel, S. 293. Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (70) mit weiteren Nachweisen; Wesel, Geschichte, S. 54 (Rn. 35). 67 Hoebel, S. 292; vgl. auch Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (72); H. Neumann, in: Rechts kulturen, S. 55–122 (66). 68 Vgl. Korn, S. 66 f. 69 Harari, S. 152 ff.; A. Robinson, Schrift, S. 16 f. 70 Vgl. Service, S. 110 ff.; vgl. auch Carneiro, in: Klassengesellschaften, S. 153–175 (160 ff.). 66
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fruchtbaren Landes nicht mehr hinreichend aus dem Weg gehen konnten, entwickelte sich an verschiedenen Orten eine Lösung für dieses Problem: die Schrift. Erstmals war dies nach heutigen Erkenntnissen im ausgehenden 4. Jahrtausend v. Chr. der Fall; und zwar etwa gleichzeitig im alten Mesopotamien (dem sogenannten Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris) und im Niltal in Ägypten.71 Zu Beginn diente die Schrift also der Buchführung – der Extension und Exteriorisierung des Gehirns.72 Insofern bestand sie vorerst auch nur aus Zahlen und Piktogrammen für verschiedene Gegenstände.73 b) Der Codex Hammurabi Mit der fortschreitenden Entwicklung der Gesellschaft entwickelte sich aber auch die Schrift weiter. Gerade aus rechtlicher Sicht lag es – nicht zuletzt zu Beweiszwecken – nahe, Informationen schriftlich festzuhalten. Entsprechende Rechtsurkunden finden sich deshalb schon früh recht zahlreich – insbesondere aus dem alten Mesopotamien und Ägypten. Sie dienen als eine der Hauptquellen für die Erforschung des altorientalischen Rechts.74 Die zweite Quelle – und hier wird es gerade für das (mesopotamische) Strafrecht interessant – sind abstraktere Rechtstexte, wie auch immer man sie rechtlich charakterisieren mag. Die erste und bis heute wichtigste archäologische Entdeckung machte man im Jahre 1901: den Codex Hammurabi. Dabei handelt es sich um eine über zwei Meter große Diorit-Stele, auf der – umrandet von einem ausschweifenden Pround Epilog – mehr als 280 Rechtssätze in altbabylonischer Keilschrift zu finden sind. Datiert wird dieser monumentale Fund, der heute im Louvre ausgestellt ist, auf die Zeit um 1700 v. Chr.75 Lange Zeit galt er als der älteste, vielleicht erste „Gesetzestext“ der Menschheitsgeschichte. Im Jahr 1948 aber wurden schließlich einige Abschriften eines weiteren, identisch aufgebauten Rechtstextes entdeckt, dessen verlorenes Original auf den König Urnammu (bzw. seinen Sohn Schulgi) zurückgeführt wird. Da dieser bereits um 2100 v. Chr. regierte, ist der sogenannte Codex Urnammu aktuell das älteste uns bekannte Werk dieser Art.76
71
Harari, S. 155; Korn, S. 73; A. Robinson, Schrift, S. 27. Vgl. auch Assmann, in: Rechtskodifizierung, S. 61–85 (62). 73 A. Robinson, Schrift, S. 16 ff. 74 Allam, in: Rechtskulturen, S. 15–54 (19); H. Neumann, in: Rechtskulturen, S. 55–122 (59). 75 Rittmann, S. 5; vgl. dazu auch Harari, S. 135 ff.; Wesel, Geschichte, S. 82 ff. (Rn. 69). 76 Vgl. H. Neumann, Das Altertum, 15 (1989), S. 13–22 (13 ff.); Wesel, Geschichte, S. 74 (Rn. 54). 72
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c) Die Rechtsnatur der Codices Die verschiedenen Texte werden bis heute von Rechtshistorikern als Rechtsbücher, Reformgesetze oder als Kodifikationen von geltendem Recht interpretiert.77 Letzteres impliziert bereits die Bezeichnung „Codex“, die der Assyriologe Vincenz Scheil prägte, der den Text des Hammurabi erstmals in das Französische übersetzt und sich bei der Namensgebung wohl nicht zufällig an der Tradition zusammenfassender Gesetzeswerke Frankreichs („Code Napoléon“, Code pénal“, „Code de Commerce“) orientiert hat.78 Auch dass der erste Fund zu einer Zeit erfolgte, die in ganz Europa von bedeutenden und umfassenden Gesetzeskodifikationen geprägt war, spielte bei dieser wissenschaftlichen Einordnung sicherlich eine Rolle.79 In den 1930er Jahren kamen aber erste Zweifel daran auf, ob der Codex Hammurabi tatsächlich ein Dokument der gelebten Rechtspraxis war – und bis heute sind die Diskussionen um die Gesetzesnatur der verschiedenen Texte nicht beendet. In erster Linie sind es die fehlenden Übereinstimmungen mit den zeitgenössischen Rechtsurkunden, welche die praktische Relevanz der vermeint lichen Gesetzestexte in Frage stellen.80 Auch nimmt keine dieser Urkunden in irgendeiner Weise auf die verschiedenen Codices Bezug.81 Vereinzelt wird daher die Auffassung vertreten, es handele sich nicht um Gesetzestexte, sondern um sogenannte Königsinschriften – eine in dieser Epoche verbreitete Textgattung, in der die Herrscher ihre religiösen, sozialen und militärischen Taten verherr lichten.82 Die Stele des Hammurabi sei daher vielmehr ein „Denkmal“ als ein „Codex“.83 Was die Herrscher mit den Texten tatsächlich bezwecken wollten, lässt sich anhand des aktuell verfügbaren archäologischen Materials nur schwer abschließend beurteilen. Auch die Texte selbst liefern keine endgültige Antwort. Jedenfalls herrschte zu dieser Zeit in Mesopotamien wie in Ägypten noch eine „orale Kultur“ vor. Die Schrift war also eine reine Gebrauchsschrift – es gab kein Schreiben um des Schreibens willen. Will man den Texten eine rechtspraktische 77 Vgl.
Kienast, in: Rechtskodifizierung, S. 13–26 (17) mit weiteren Nachweisen; Rittmann, S. 20; vgl. dazu auch Preiser, FS Engisch, S. 17–36 (17 ff.). 78 Rittmann, S. 6. 79 Renger, in: Rechtskodifizierung, S. 27–59 (27). 80 Vgl. aber auch Petschow (ZA 74 [1984], S. 181–212 [181 ff.]), der auf einige Übereinstimmungen hinweist. 81 Landsberger, in: Symbolae, S. 219–234 (227, 232); Renger, in: Rechtskodifizierung, S. 27–59 (35); Rittmann, S. 20. 82 Kienast, in: Rechtskodifizierung, S. 13–26 (13 ff.); Renger, in: Rechtskodifizierung, S. 27–59 (28 ff.). 83 Vgl. Assmann, in: Rechtskodifizierung, S. 61–85 (63).
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Relevanz zusprechen, hat man also die Vorteile und die Notwendigkeit einer Verschriftlichung rechtlicher Regelungen in den Blick zu nehmen.84 Dabei ist zu beachten, dass die Entwicklung der Gesellschaften zur Zeit der Entstehung erster „Gesetzestexte“ bereits weit fortgeschritten war. Die Herrscher hatten in allen Bereichen bereits Aufgaben an einen breiten Verwaltungsapparat delegiert. Das galt auch für die Position des Richters, für die lokale Vertreter bestellt waren – wenngleich der Herrscher stets oberster Richter und letzte Instanz blieb.85 Auch sie hatten für ein festes Gebiet Entscheidungsmacht und lieferten so potentiell Gewähr für Gleichheit und Proportionalität. Ihre Rechtsprechung war ferner auch ohne geschriebene Gesetze nicht automatisch willkürlich. Wenn eine Gesellschaft so weit angewachsen war, dass der Herrscher selbst Richter einsetzte, hatte sich in aller Regel auch eine gewisse Rechtskultur etabliert. Das Rechtsleben basierte insofern auf über Jahrhunderte gewachsenem Gewohnheitsrecht. In Streitfällen berief man sich im Sinne der Relativität auf frühere Urteile86 – ein Gedanke, der uns noch heute (nicht nur im anglo-amerikanischen case-law) begegnet. Auch diese Praxen konnten aber natürlich lokal geprägt sein. Eine Vereinheitlichung wurde daher zumindest dann nötig, wenn größere Unstimmigkeiten in Verbindung mit einer wachsenden sozialen Dichte und Komplexität zu Unsicherheiten und Konflikten führten. Und schließlich endete die Wirksamkeit traditioneller Bahnen spätestens dann, wenn es um die Regelung neuer Bereiche oder die einheitliche Behebung spezifischer Missstände ging. Hier wollte der Herrscher seinen Vertretern mitteilen, wie gewisse Fälle zukünftig zu handhaben waren. In diesem Sinne finden sich in Mesopotamien und Ägypten zahlreiche Dekrete und Königsbefehle, in denen der Herrscher entsprechende Anweisungen erteilte. Auf diese wurde – anders als auf die umfassenden Codices – auch in den Rechtsurkunden legitimierend hingewiesen.87 Vermutlich hatten auch die mesopotamischen Codices in irgendeiner Form einen solchen Novellencharakter88 – dienten also der Neuregelung spezifischer Rechtsbereiche, in denen die Berufung auf gewohnheitsrechtliche Grundsätze an ihre Grenzen stieß und ein Bedürfnis nach Reformen und Vereinheitlichung be84
Kienast, in: Rechtskodifizierung, S. 13–26 (14). H. Neumann, in: Rechtskulturen, S. 55–122 (63). 86 Allam, in: Rechtskulturen, S. 15–54 (27). 87 Assmann, in: Rechtskodifizierung, S. 61–85 (69); Renger, in: Rechtskodifizierung, S. 27– 59 (49). 88 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (75); einen solchen Novellencharakter tragen auch andere frühe Kodifikationen wie die Bücher Mose (Pentateuch), die ersten griechischen Gesetze (des Lykurg, Drakon und Solon) oder das römische Zwölftafelgesetz, dazu Hess/Stehr, ebd.; E. Otto, ZAR 9 (2003), S. 1–55 (1 ff.); Thür, in: Rechtskulturen, S. 191–238 (200); Wesel, Geschichte, S. 118 f. (Rn. 106 f.), 160 ff. (Rn. 131). 85
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stand.89 Auch wenn es sich – anders als bei den spezifischen Dekreten – um eine Zusammenstellung einer ganzen Reihe von Vorschriften handelte, so umfassten sie nämlich keinesfalls das gesamte damalige Recht.90 Dass es sich dabei im Falle von Urnammu und Hammurabi um derart umfangreiche Felder handelte, ist wohl durch die politischen Hintergründe der jeweiligen Zeit zu erklären. So gilt Urnammu als Begründer der legendären III. Dynastie von Ur, in welcher er die Sumerer und Akkader vereinte.91 Insofern sahen sich Volk und Richter wohl zunächst einer Fülle differierender traditioneller Rechtsvorstellungen und zuvor geltender Königsdekrete gegenüber. Die verwaltungsmäßige Reorganisation – und insofern auch die rechtliche Vereinheitlichung – waren also sicherlich zwei der großen Aufgaben des Urnammu und seiner Nachfolger.92 Gleiches galt schließlich für Hammurabi, der als Neubegründer des ausgedehnten Babylonischen Reiches vor ähnlichen Herausforderungen stand.93 Bei den Vereinheitlichungsversuchen griff man nicht selten auf spiegelnde Strafen und die Talion zurück. Sie konnten sich in gewisser Weise auf die Einsichtigkeit des ausgleichenden Schadensersatzes berufen und setzten der Strafe so gleichzeitig auch Grenzen. Im antiken Israel begegnet dieser Gedanke etwa in der geläufigen Formel: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.94 Der Rückgriff auf spiegelnde Strafen oder die Talion findet sich aber ebenso im Codex Ham murabi und dem alten ägyptischen, indischen, griechischen und römischen Recht.95
Ob die Codices tatsächlich zu diesem Zweck erlassen wurden oder einzig der nachträglichen und fortdauernden Verherrlichung der Taten des jeweiligen Herrschers galten, kann freilich nicht abschließend beantwortet werden. Einen Hinweis für ersteres liefert aber zumindest eine Passage aus dem Epilog des Codex Hammurabi, in welcher der rechtsuchende Bürger aufgefordert wurde, sich die Stele vorlesen zu lassen, damit er durch die kostbaren Worte des Herrschers erfahre, was in seinem Falle rechtens sei.96 Zurecht weist Petschow darauf hin, dass diese Aufforderung – um sinnvoll zu sein – voraussetzt, dass sich der Rechtsuchende im Prozessfall auch in gewisser Weise auf die richterliche Anwendung
89 Vgl. Kraus, S. 114 f.; H. Neumann, Das Altertum, 15 (1989), S. 13–22 (19); Petschow, (ZA) 76 (1986), S. 17–75 (21 ff.). 90 Das ergibt sich nicht zuletzt aus der Analyse der damaligen Rechtsurkunden, vgl. Ritt mann, S. 20 ff. 91 Korn, S. 89. 92 Vgl. H. Neumann, Das Altertum, 15 (1989), S. 13–22 (13 ff.). 93 Vgl. H. Neumann, in: Weltgeschichte, S. 184–215 (198 f.); ferner Kienast, in: Rechtskodi fizierung, S. 13–26 (19); San Nicolo, S. 76; kritisch zum Ganzen Renger, in: Rechtskodifizierung, S. 27–59 (32 ff.). 94 Vgl. E. Otto, in: Rechtskulturen, S. 151–190 (189). 95 Günther, Wiedervergeltung I, S. 28 ff., 37, 61 f., 86 f., 94, 121; H. Neumann, in: Rechtskul turen, S. 55–122 (87); E. Otto, ZAR 11 (2005), S. 312–322 (319); Rittmann, S. 19; San Nicolo, S. 73 f.; Schilling, ZAR 21 (2015), S. 159–175 (161 f.). 96 Vgl. Müller-Wollermann, S. 242 ff.; Renger, in: Rechtskodifizierung, S. 27–59 (31); Ries, S. 27, 52 ff.
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der Bestimmungen verlassen konnte.97 Diese Anwendung dürfte, gerade wenn es um strafrechtliche Bestimmungen ging, keine absolut verbindliche gewesen sein. Für eine im Rahmen der Relativität notwendige Differenzierung und Flexibilität fehlte es den Vorschriften schlicht an den dafür nötigen „Strafrahmen“. Es scheint aber schwer vorstellbar, dass ein solches Herrschermonument, welches in allen Teilen des Landes aufgestellt war,98 ganz ohne Einfluss auf die tatsächliche Praxis geblieben sein sollte und die aufgeführten Fälle nicht zumindest ähnlich wie andere (lokale) Präzedenzfälle als Richtschnur herangezogen wurden.99 Insofern kam den Codices sicherlich ein zentraler Beitrag bei der notwendigen Rechtsvereinheitlichung zu. Und das war neben der flächendeckenden Etablierung von Reformen eine der wichtigen Aufgaben, die die Verschriftlichung sozialer Normen für große und komplexe Gesellschaften leisten konnte: die Sicherung von Gleichheit und Proportionalität. Für die Strafen unterschiedlicher Richter zuein ander bedeutete das in gewissem Maße die Gewährleistung dessen, was oben als „Relativität der Strafe“ bezeichnet wurde – letztlich also die Sicherung von Vertrauen und Kooperation in einer immer komplexer werdenden Gesellschaft. Bis heute ist dies die Hauptaufgabe von Gesetzessammlungen, und deshalb folgt auf vermehrte Kooperation meist eine Gebietsvereinigung, zumindest aber früher oder später eine Rechtsangleichung. Nicht zufällig war es 1861, noch vor der Reichsgründung, das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch, das als erste Rechtsvereinheitlichung in einem (gerade in rechtlicher Hinsicht) zersplitterten Deutschen Bund in Kraft trat – ehe zehn Jahre später im Jahre der Gründung des Deutschen Reichs auch das einheitliche Reichsstrafgesetzbuch folgte.100 Heute begegnet uns das Phänomen schließlich auf der nächsten Ebene: der fortschreitenden Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Europäischen Union.
3. Frühstaatliche Straftheorie Doch zurück in die frühe Staatlichkeit. Die Entstehung von Herrschaft mochte eine Lösung gewesen sein, um die Funktionsfähigkeit wachsender und komplexerer Gesellschaften zu gewährleisten. Die neue Ordnung stand aber zunächst noch auf einem wackeligen Fundament. Zwar waren Machtpositionen bereits bekannt, deren Träger sich über ihre besonderen Fähigkeiten legitimierten. Durch die Institutionalisierung der Macht löste sich die zentrale Position aber von den persönlichen Eigenschaften des Herrschers – spätestens, wenn es zur Vererbung 97
Petschow, ZA 76 (1986), S. 17–75 (21 f.). Kienast, in: Rechtskodifizierung, S. 13–26 (19 f.); H. Neumann, in: Rechtskulturen, S. 55–122 (60). 99 Vgl. zum Ganzen auch E. Otto, in: Kodifizierung, S. 71–116 (77 [Fn. 28]). 100 Vgl. Wesel, Geschichte, S. 450 ff. (Rn. 284), 467 ff. (Rn. 291). 98 Vgl.
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dieser Stellung kam.101 Es konnten nun also auch Personen mit an sich (unter-) durchschnittlichen Fähigkeiten zu Herrschern werden. Warum aber sollte die Gesellschaft gerade ihre Urteile und Befehle akzeptieren? Aus Sicht der Strafe stellte sich ein weiteres Problem. Das Institut der Strafe war zwar weiterhin anerkannt – ihre Legitimation wurde grundsätzlich nicht hinterfragt. Das galt aber nicht mehr so unproblematisch für alle Delikte: Mit dem crimen laesae maiestatis trat eine neue Form von Verbrechen auf, welche gerade diese instabile Ordnung schützen sollte. Für diese Form abweichenden Verhaltens hatten sich bis dahin aber keine intuitiven, altruistischen Strafbedürfnisse entwickeln können. Was rechtfertigte also die auch in relativer Hinsicht besonders harten Strafen gerade in diesem Bereich? a) Theokratische Straftheorien Die Antworten auf die verschiedenen Legitimationsfragen lieferte wiederum die Religion. Alle frühen Staaten lassen sich in gewisser Weise als Theokratien bezeichnen. Unabhängig von den weltlichen Fähigkeiten des Herrschers zeichnete er sich also stets aus durch seine religiöse Macht. Seine magischen Kräfte konnten heilend oder auch vernichtend wirken.102 Insofern stand er über den anderen Mitgliedern der Gesellschaft. Er kommunizierte mit den Göttern, repräsentierte sie und vollzog ihre Wünsche.103 Nicht selten legitimierte er sich – wie etwa in Ägypten – auch über seine göttliche Abstammung.104 Der göttliche Bezug war es auch, der die Rolle des Herrschers als Gesetzgeber und Richter legitimierte.105 Deshalb fand sich etwa im Prolog des Codex Urnam mu die Behauptung, er stamme von der Göttin Ninsun, der Mutter des Urkönigs Gilgames von Uruk, ab.106 Im alten Ägypten kannte nur der Pharao die Forderungen der Göttin Maat – der übernatürlichen Personifizierung von allgemeiner 101 Je
größer die Macht, desto eher werden die Positionen nun erblich. Nicht zuletzt aus evolutionsbiologischer Sicht liegt es nahe, den Trägern des eigenen Erbguts die privilegierte Stellung zu übertragen, vgl. Service, S. 107. 102 Hess/Stehr, in: Erfindung, S. 41–79 (66); vgl. auch Cory, S. 5 ff. 103 Eder, S. 96; vgl. auch D. Schneider, American Anthropologist 59 (1957), S. 791–800 (796 f.). 104 Vgl. Allam, in: Rechtskulturen, S. 15–54 (21); diese Eigenschaften rechtfertigten insofern auch die Erblichkeit der Position. Ein schönes Beispiel liefert die erst in jüngerer Vergangenheit zu beobachtende Entstehung von Staaten in Polynesien. Die Einwohner kennen eine übernatürliche Kraft namens „Mana“, von welcher der oberste Häuptling das meiste besitze. Diese Kraft sei vererblich und gehe am intensivsten auf den Erstgeborenen über, Service, S. 129; näher zu diesem mana und grundsätzlich zur Bedeutung des Übernatürlichen in frühen Rechtsordnungen auch Marett, ZVglRWiss 50 (1936), S. 63–69. 105 Simpson/Stone, S. 48 mit zahlreichen Beispielen. 106 Ries, S. 9.
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Ordnung, Recht und Gerechtigkeit.107 Auch der Prolog des Codex Hammurabi wies noch nachdrücklich auf seinen göttlichen Auftrag hin.108 Zudem thronte auf der monumentalen Steele ein Relief des Hammurabi, auf dem er – unter Über gabe von Herrschaftssymbolen – die Weisung des Sonnengottes Šamaš empfing, dessen Gesetz zu verkünden.109 Nur dieser Bezug zur Göttlichkeit gewährleistete nun auch eine Akzeptanz der Strafe bei Verhaltensweisen, welche die neue hierarchische (und jetzt eben auch göttliche) Ordnung störten. Hier liegen die Ursprünge der sogenannten „Theokratischen Straftheorien“. Der Gedanke einer übernatürlichen und universalen Bedeutung von Rechtsbrüchen erstreckte sich mit der Zeit auf alle Formen von Delikten und sicherte so die herrschaftliche Strafgewalt übergreifend auf ideeller Ebene ab.110 Das Verbrechen war nun ein Verstoß gegen den göttlichen Willen und rief insofern den Zorn der Götter hervor. Diese mussten durch die Bestrafung des Täters besänftigt werden, um negative Folgen für die gesamte Gesellschaft zu verhindern.111 Der theokratische Ansatz schlug insofern zwei Fliegen mit einer Klappe. Er legitimierte nicht nur die Position des (Herrscher-)Richters, sondern gewährleistete auch die Akzeptanz seiner konkreten Entscheidung. Staats- und Straftheorie waren ab diesem Zeitpunkt eng verwoben und sollten es bis heute bleiben. Freilich war auch der Abschreckungsgedanke eng mit den theokratischen Theorien verbunden. Insofern ersetzte die Göttlichkeit das „Jeder kennt jeden“ der frühen Gesellschaften und schraubte die Entdeckungswahrscheinlichkeit (je nach Gottheit) auf bis zu 100 Prozent. Noch heute – das zeigen aktuelle Studien – beeinflusst die Angst vor göttlicher Strafe das kooperative Sozialverhalten gläubiger Menschen.112 Die abschreckende Wirkung der göttlichen Strafe dürfte also eine wichtige Rolle in der Entwicklung komplexer werdender Gesellschaften 107
Allam, in: Rechtskulturen, S. 15–54 (21); Wesel, Geschichte, S. 100 (Rn. 90). Kalinke, S. 20 ff.; Ries, S. 19, 44 ff. 109 Ries, S. 20 f.; Rittmann, S. 5. 110 Vgl. auch Lang, ZAR 21 (2015), S. 129–141 (141). 111 Vgl. Christiansen, ZAR 21 (2015), S. 1–14 (11 f.); Schilling, ZAR 21 (2015), S. 159–175 (159 f.); zum mosaischen Recht Wells, ZAR 22 (2016), S. 245–267 (247); vgl. auch Greco, S. 469 (mit weiteren Nachweisen), der das Ganze „konsequentialistisch theologische Vergeltungstheorie“ nennt; – Einblick in diese Denkweise gibt das mesopotamische Etana-Epos: Die mythologische Fabel erzählt von einem Adler und einer Schlange, die Freundschaft schließen. Als beide Nachwuchs bekommen, reifen im Adler düstere Gedanken und er beschließt die Kin der der Schlange zu fressen. Die Schlange beweint den Verlust ihrer Kinder und tritt vor den Sonnengott Šamaš, um ihm den Rechtsfall zu schildern. Dieser weist die Schlange daraufhin an, den Adler zu bestrafen. Als der Adler um Gnade bittet, antwortet sie: „Ließe ich dich frei, wie sollte ich droben Šamaš befriedigen? Deine Strafe würde sich gegen mich wenden, die Strafe, die ich Dir (jetzt) auferlegen werde …“, zum Ganzen Lang, ZAR 21 (2015), S. 129–141 (138 f.). 112 Vgl. dazu und zum Folgenden Purzycki u. a., Nature 530 (2016), S. 327–330. 108 Vgl.
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gespielt haben. Letztlich spiegelte sich diese Vorstellung auch in den weltlichen Strafen zahlreicher Herrscher wider. Gerade die öffentliche Vollstreckung und die Androhung besonders grausamer Strafen sprachen eine deutliche Sprache.113 Nicht ohne Grund ist noch heute im Anschluss an die Gesetze des Drakon – welche nach dem bekannten Ausspruch des attischen Redners Demades mit Blut geschrieben waren – von drakonischen Strafen die Rede.114 b) Die Anfänge der Reflexion: die „Griechische Aufklärung“ Auf die bisher beschriebenen Strafzweckvorstellungen lässt sich stets nur indirekt schließen. Es gab keine spezifische Literatur, und vermutlich gab es auch keine Diskussionen über den Zweck der Strafe. Gerade in den orientalischen Anfängen dürften entsprechende Ansätze ohnehin früh von einer mächtigen und eifersüchtigen Theologie unterbunden worden sein.115 Ganz allgemein lässt sich festhalten, dass es stets erst einer Abnahme der religiösen Legitimation gesellschaftlicher Ordnung bedurfte, ehe echte Diskussionen über den Sinn und Zweck der Strafe aufkommen konnten. Und da dies weder in Mesopotamien noch in Ägypten der Fall war, wurde hier bis zuletzt gestraft, um die Götter zu besänftigen. Die Anfänge straftheoretischer Reflexion finden sich an anderer Stelle: im alten Griechenland. Auch hier war die Ausgangssituation in der Frühzeit die gleiche.116 Mit Beginn der archaischen Zeit (ca. 800 v. Chr.) begannen sich die gesellschaftlichen und politischen Grundvoraussetzungen allerdings zu ändern: Während der städtische Adel immer mehr an Macht gewann, wurden die alten Könige schrittweise zurückgedrängt und verschwanden schließlich ganz. An ihre Stelle traten im 7. Jahrhundert v. Chr. die sogenannten Tyrannen – mächtige Aristokraten, die ihre Alleinherrschaft militärisch absicherten.117 Es fehlte nun, anders als etwa im Orient, an religiös fundierten Autoritäten und insofern auch an einer Zentralisierung religiöser Deutungsmacht. Diese stand nun vielmehr im Grunde jedem offen.118 Sollte die Religion zuvor aber gerade der Ungewissheit abhelfen, so verlor sie nun durch die Vielzahl von Interpretationen an Einfluss und Bedeutung. Im Gegenzug öffnete sich der Weg für die „Freunde der Weisheit“ – die Philosophen. Sie begannen die Welt auf andere Weise zu hinterfragen
113
Vgl. auch Christiansen, ZAR 21 (2015), S. 1–14 (13). Günther, Wiedervergeltung I, S. 85 f. 115 Zeller, S. 61. 116 Günther, Wiedervergeltung I, S. 78 ff.; von Bar, S. 204 ff.; vgl. auch Berner, § 41. 117 Vgl. Gehrke, in: Geschichte der Welt, S. 417–596 (433 ff.). 118 Nebelin, S. 35; Zeller, S. 58 ff. 114 Vgl.
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und gar die Existenz der Götter in Frage zu stellen.119 Es war die erste Säkularisierung der Weltgeschichte – die Griechische Aufklärung.120 Die letzten Weichen für eine eigenständige Reflexion über den Sinn der Strafe wurden schließlich im 5. Jahrhundert v. Chr. gestellt. Mit dem Ende der Perserkriege verlangten die Männer des Volkes, welche ihr Leben im Kampf für die Unabhängigkeit ihres Landes eingesetzt hatten, ihren Anteil an der Leitung des Landes. Die ersten Demokratien entstanden und beeinflussten auch die Tätigkeit der Rechtsprechung. Die Richter rekrutierten sich nun aus dem Volk, und die Urteile ergingen durch Beschluss der Mehrheit. Riesige Gerichtshöfe entstanden – im Strafverfahren waren es in der Regel 501 Richter. Es gab zwei Abstimmungen: Nachdem man über den Schuldspruch entschieden hatte, wurde in die Verhandlungen über das Strafmaß eingetreten.121 Hier liegen nun die Ursprünge der Strafzweckdiskussion: Ankläger und Angeklagter bekamen die Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge darzulegen und die Richter von der Sinnhaftig- oder Sinnlosigkeit bestimmter Strafen zu überzeugen. Dabei konnten sie sich auch geübter Redner bedienen. Die hier entstandenen Gerichtsreden geben uns, zusammen mit den zahlreichen Texten der Philosophen, welche sich nun auch außerhalb des Gerichtssaals mit dem Thema auseinandersetzten, zum ersten Mal direkten Einblick in die menschliche Reflexion über Strafe. Im Grunde gab die beeindruckende Fülle von Ideen, die wir diesen Texten entnehmen können, bereits eine Vielzahl der noch heute vertretenen Positionen wieder.122 Zum einen handelte es sich aber mehr um funktional gewählte, einzelne Gedanken, als um in sich geschlossene Theorien.123 Zum anderen war die Gewichtung dieser Ideen eine andere. Gerade in der gerichtlichen Praxis dominierte wieder klar der Gedanke der Vergeltung.124 Wenn darauf hingewiesen wurde, dass diese auch angemessen zu sein habe, war das letztlich eine Bezugnahme auf die jeweiligen Strafbedürfnisse. Da diese aber unterschiedlich ausfallen konnten, verwundert es nicht, dass auch weitere Argumente angeführt wurden, um die eigenen Strafvorstellungen zu stützen. Diese konnten durchaus noch religiösen Charakter tragen:
119 Vgl.
Wesel, Geschichte, S. 145 ff. (Rn. 124). Verdross-Drossberg, S. 40. 121 Zum Ganzen Wesel, Geschichte, S. 121 ff. (Rn. 108); 132. 122 Vgl. Christiansen, ZAR 21 (2015), S. 1–14 (14); Schöpsdau, in: Strafe, S. 1–22 (1 ff.); von Bar, S. 202 ff. 123 Vgl. auch Nagler, S. 123 (Fn. 1). 124 Schöpsdau, in: Strafe, S. 1–22 (1); zum Ganzen auch Günther, Wiedervergeltung I, S. 76 ff. 120
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„Seid überzeugt, wenn ihr Andokides bestraft und euch von ihm befreit, dann reinigt und ent sühnt ihr die Stadt, schickt einen Unheilsbringer fort und befreit euch von einem bösen Dämon.“125
Sollten harte Strafen begründet werden, ging es aber meist – auch in den Texten der Philosophen – um Abschreckung.126 Der Gedanke blieb nun allerdings nicht mehr unwidersprochen, denn ohne einen allwissenden, strafenden Gott fehlte es in den wachsenden Gesellschaften an einer der Grundvoraussetzungen der (generalpräventiven) Abschreckungswirkung: der Entdeckungswahrscheinlichkeit. So antwortete Diodot in einem Rededuell dem Kleon, welcher zuvor für eine sofortige, harte Bestrafung plädiert hatte:127 „In den Städten steht auf vielen Vergehen die Todesstrafe, und zwar nicht nur auf ebenso schweren, wie es das vorliegende ist, sondern auch auf geringeren Vergehen. Und dennoch gehen die Leute, von der Hoffnung fortgerissen, dieses Risiko ein und noch niemand, der zu der Überzeugung gekommen wäre, daß er den Anschlag nicht überleben werde, hat sich je in Gefahr begeben.“
Das bekannteste Zitat der griechischen Strafzweckdiskussion – und gleichzeitig die deutlichste Abkehr von der vergeltungsorientierten Gerichtspraxis – findet sich schließlich in Platons Wiedergabe des Protagoras: „Denn niemand bestraft die Übeltäter im Hinblick darauf und aus dem Grund, dass einer Unrecht getan hat, es sei denn, er rächt sich unüberlegt wie ein Tier; wer aber mit Überlegung beabsichtigt zu strafen, der übt nicht wegen der vergangenen Unrechtstat Vergeltung – denn die Tat könnte er nicht ungeschehen machen –, sondern um der (eventuell) bevorstehenden willen, damit weder der Täter selbst noch ein anderer, der gesehen hat, wie dieser bestraft wurde, wiederum ein Unrecht begeht. Und wenn der Strafende eine derartige Absicht hat, dann glaubt er, das Gut-Sein anerzogen werden kann; jedenfalls straft er der Abschreckung wegen.“128
Hier begegnet uns auch bereits der Gedanke der positiven Spezialprävention (Besserung des Täters), der im Übrigen – gerade in der Praxis – noch einen schweren Stand hatte.129 Später sollte sich der römische Philosoph Seneca auf Platons Texte berufen und sein Ausspruch „nemo prudens punit quia peccatum est, sed ne peccetur“ (niemand, der weise ist, straft weil gesündigt wurde, sondern damit nicht mehr gesündigt werde) wird bis in die Gegenwart in nahezu allen straftheoretischen Abhandlungen zur Unterscheidung absoluter und relati ver Straftheorien herangezogen.130 125
Zitiert nach Schöpsdau, in: Strafe, S. 1–22 (2); vgl. auch von Bar, S. 202 ff. Günther, Wiedervergeltung I, S. 96 (Fn. 75); Schöpsdau, in: Strafe, S. 1–22 (2 ff.). 127 Zitiert nach Schöpsdau, in: Strafe, S. 1–22 (7). 128 Platon, Protagoras, S. 21; vgl. auch von Bar, S. 204. 129 Vgl. Günther, Wiedervergeltung I, S. 101; Christiansen, ZAR 21 (2015), S. 1–14 (13); Schöpsdau, in: Strafe, S. 1–22 (2). 130 Vgl. dazu Schilling, ZAR 21 (2015), S. 159–175 (170 ff.). Im alten Rom ließen sich die 126 Vgl.
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Teil I
Spätestens jetzt war die Entwicklung der Strafe und des Strafrechts fest mit den straftheoretischen Vorstellungen der jeweiligen Zeit verknüpft. Der Darstellung dieser Entwicklung und ihrer historischen und geistesgeschichtlichen Hintergründe widmet sich Teil II dieser Arbeit.
Abnahme religiöser Legitimation und der damit einhergehende Beginn der Reflexion über Strafe erst im Übergang zur Kaiserzeit beobachten – etwa zum Beginn der modernen Zeitrechnung (a. a. O., S. 163 ff.). Hier wirkte bereits der Einfluss der griechischen Denker (a. a. O., S. 175; von Bar, S. 211). Hinzu kamen zahlreiche Eroberungen, die nicht nur zum Import von Menschen aus verschiedensten Regionen führten, sondern auch zu einem kulturellen und religiösen Zuwachs. Insofern sind es Stichworte wie die „Inflation religiöser Zeichen“ und der einher gehende „Verfall der römischen Religion“, die häufig mit dem Ende der Republikzeit und insofern eben auch mit dem Beginn straftheoretischer Reflexion in Verbindung gebracht werden können (vgl. dazu Rüpke, S. 10, 202). Die römische Reflexion erreichte im Übrigen, im Gegensatz zum römischen Recht, nie das Niveau der griechischen Vordenker – was sicherlich auch den unterschiedlichen Ausgangssituationen geschuldet war.
Teil II
Die Geschichte der Strafe und Straftheorie von der Völkerwanderungszeit bis zur Gegenwart
Kapitel 1
Von den Anfängen: Die Völkerwanderung und die erste Krise der Strafe Die Darstellung verlagert sich nun vom Abstrakten ins Konkrete. Es geht um die Betrachtung unserer eigenen (Geistes-)Geschichte und ihrer engen Verknüpfung mit der Geschichte der Strafe. – Beginnen soll diese Darstellung in der Zeit der Völkerwanderung zwischen dem 4. und 6. Jahrhundert nach dem Beginn der modernen Zeitrechnung. Es ist dies die Zeit der ausgehenden Antike und der Beginn des Mittelalters. Tatsächlich scheint es zunächst etwas willkürlich, gerade hier den Anfangspunkt setzen zu wollen – liegen doch unsere kulturellen Wurzeln unstreitig auch etwa im antiken Griechenland und Rom. Das soll hier auch keinesfalls bestritten werden und darauf wird sogleich zurückzukommen sein. Die Völkerwanderung markiert aber einen zentralen Punkt im Staatsentstehungsprozess der germanischen Völker und ist insofern eng verknüpft mit dem, was im ersten Teil als die „Krise der Strafe“ beschrieben wurde.1
I. Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Das Aufeinandertreffen der Rechte Im 4. Jahrhundert n. Chr. begannen germanische Stämme – später vermutlich ihrerseits gedrängt durch das Näherrücken der Hunnen – in das Gebiet des römischen Reichs einzufallen.2 Sie kamen nicht etwa, um das Reich zu übernehmen und ihre Macht auszuweiten. Es waren kriegerische Bauern auf der Suche nach neuem Lebensraum. Sie wollten plündern, die besten Ländereien an sich reißen und sich schließlich niederlassen, um sich den schönen Dingen des Lebens zu widmen. Die grundsätzliche Herrschaft des römischen Kaisers anzuerkennen, waren sie dabei durchaus bereit. Im 5. Jahrhundert spitzte sich die Situation allerdings zu. Immer mehr Germanen rissen Land in den durch verschiedene Krisen geschwächten weströmischen Gebieten an sich. Im Jahr 476 n. Chr. kam es schließlich zum endgültigen Fall des (west-)römischen Reiches. In diesem Jahr 1
Vgl. Teil I – Kapitel 3II.3. Rosen, S. 7.
2 Vgl.
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wurde jedoch keine entscheidende Schlacht geschlagen. Auch kam es zu keinem gewaltsamen Königssturz. Die Zahl markiert schlicht das Resultat einer langen Reihe germanischer Einfälle, an deren Ende für den römischen Kaiser nichts mehr übrig war, das er hätte regieren können.3 Die Germanen standen plötzlich vor einer ungeheuren Herausforderung. Es war nun an ihnen, das Zusammenleben in einem Gebiet zu organisieren, in dem verschiedene Kulturen aufeinandertrafen, welche in ihrer organischen Entwicklung nicht auf einer Stufe standen. Die gesellschaftliche Ordnung, die der überwiegende (heißt: römische) Teil der Bevölkerung kannte, war zerbrochen.4 Ihre staatlichen Vorstellungen trafen auf eine dominierende Schicht germanischer Kriegerbauern, die es zwar gewohnt war, das Zusammenleben in segmentären Stämmen und in Kriegszügen zu organisieren, die mit der erforderlichen Leitung eines Staatswesens aber keinerlei Erfahrung hatte.5 Mittlerweile einen Teil der römischen Kultur, welcher aufgrund seiner kaum zu überschätzenden Bedeutung aber als eigenständige Kraft behandelt werden soll, bildete schließlich das Christentum.6 Das Aufeinandertreffen der germani schen, römischen und christlichen Traditionen und damit natürlich auch das Aufeinandertreffen der Rechte in unterschiedlichen Entwicklungsstufen (die „Gleich zeitigkeit des Ungleichzeitigen“7) war der Ausgangspunkt der ersten Strafkrise und insofern auch des germanischen Staatsentstehungsprozesses. – Um das Ausmaß dieser Herausforderung und schließlich ihre Bewältigung nachzuvollziehen, sollen die verschiedenen Kräfte nun zunächst näher beschrieben werden.
1. Die Germanen a) Vorstaatliche Krieger-Bauern Allgemeine Aussagen über die Germanen lassen sich nur begrenzt treffen. Das hat verschiedene Gründe: Zum einen gab es „die“ Germanen streng genommen schlicht nicht. So seien mit den Alemannen, Teutonen, Kimbern, Langobarden, Goten, Vandalen, Sachsen und nicht zuletzt den Franken nur einige wichtige Stämme genannt, deren gesellschaftliche wie kulturelle Entwicklung keineswegs immer parallel verlief.8 3
Hirst, S. 28, 75 ff.; Rosen, S. 7 ff.; vgl. zum Ganzen auch Drexler, S. 85 ff.; Woolf, S. 304 ff. Drexler, S. 85 f. 5 Hirst, S. 79. 6 Vgl. auch Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (25). 7 Terminologisch angelehnt an E. Bloch, S. 111 ff. 8 Vgl. Rosen, S. 19 ff.; ferner Reinhard, S. 31 ff.; in altrömischer Tradition könnte man zwar alle Völker jenseits des Rheins in einen Topf werfen. Man würde so aber der Vielfalt und Ei4 Vgl.
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Zum anderen begegnet uns hier erneut das bereits angesprochene Quellenproblem. All diese Stämme – zumindest das lässt sich festhalten – befanden sich nämlich auch zur Zeit der Völkerwanderung noch in einem vorstaatlichen Stadium. Sie lebten also größtenteils von Viehzucht und Ackerbau, kannten nur wenig übergreifende Kooperation (Handel) und insofern noch keine Städte, kein Geld und aufgrund des geringen Verwaltungsaufwandes eben auch noch keine Schrift. Erhellt wird die Quellenlage aber nun durch den Umstand, dass die Römer in dieser Hinsicht schon ein paar Schritte weiter waren. Es finden sich deshalb einige zeitgenössische Berichte antiker Schriftsteller über ihre barbarischen Nachbarn. Die wichtigste Quelle ist hierbei die „Germania“ des Tacitus. Sicherlich sind derartige literarische Werke stets mit Vorsicht zu genießen, waren ihre Autoren – wie auch heute – doch stets von verschiedensten Motiven getrieben, in deren Sinne sich die „Fakten“ darstellen ließen. Zahlreiche Einzelheiten wurden allerdings durch moderne archäologische Untersuchungen bestätigt, und Rückschlüsse, die sich mithilfe der modernen Ethnologie aus den ersten aufgezeichneten Stammesrechten ziehen lassen, vervollständigen das heute bekannte Bild.9 Was die soziale Organisation betrifft, so befanden sich die Stämme in unterschiedlicher Ausprägung im Übergang von der segmentären Gesellschaft zum Staat. Die wesentliche Einheit im dörfischen Leben war weiter der Familienverband. Es gab in den ersten Jahrhunderten unserer Zeit aber bereits das in diesem Stadium typische starke Bevölkerungswachstum.10 Es verwundert also nicht, dass die Dörfer und Stämme zum Teil bereits „Häuptlinge“ kannten.11 Inwieweit es in der langen germanischen Geschichte einzelne Formen echter Institutionalisierung von Macht gegeben hat, liegt größtenteils im Dunkeln. Zwar berichtete Tacitus ausdrücklich von germanischen Königen (lat.: reges), doch wendete er sich eben auch an das römische Volk und war insofern auf die diesem geläufige Terminologie beschränkt.12 In der Regel legitimierten sich die „Häuptlinge“ – oder wie auch immer man sie nennen mag – wohl trotz zum Teil sakraler Erhöhungen durch ihre persönlichen Eigenschaften. Es ging also noch um Macht und allenfalls in schwachen Ansätzen um echte Herrschaft im institutionalisierten Sinne.13 genständigkeit der zahlreichen einzelnen Stämme kaum gerecht, vgl. Drexler, S. 19 f., 38; zum Ganzen auch Ausbüttel, S. 8. 9 Zum Ganzen Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (26); Wesel, Geschichte, S. 254 ff. (Rn. 176 ff.); vgl. auch Rüping/Jerouschek, Rn. 2 f. 10 Drexler, S. 73 mit weiteren Nachweisen. 11 A. a. O., S. 36 ff. 12 Vgl. Ausbüttel, S. 9 f.; Todd, S. 36 f.; zum Ganzen auch Wesel, Geschichte, S. 257 ff. (Rn. 179 f.). 13 Drexler, S. 81 ff.; Schulze, S. 37; Steuer, S. 51.
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Letztlich ist dies für die hiesige Betrachtung allerdings auch nicht so wichtig, denn in Zeiten längerer Kriegszüge – und hier schlagen wir nun die Brücke zur Zeit der Völkerwanderung – nahmen diese Machtpositionen charismatische Heeresführer ein. Sie standen an der Spitze einer großen Zahl kriegerischer Bauern und legitimierten ihre Position „mehr durch ihr Beispiel als durch Befehle: sie werden bewundert, wenn sie stets zur Stelle sind, wenn sie sich auszeichnen, wenn sie in vorderster Linie kämpfen.“14 Da Kriegszeiten eine plötzliche und langfristige Kooperation großer Massen erfordern, übernahmen sie hier auch erstmals die Priester- und Richterfunktion, welche sie nach den Kriegszügen, wenn die segmentären Grundstrukturen wieder ausreichten, jedoch wieder ver loren.15 Jedenfalls zur Zeit der Völkerwanderung ließen sich die germanischen Stämme also in unterschiedlicher Ausprägung als noch akephal, segmentär organisierte Gesellschaften im Übergang zur Kephalität beschreiben.16 b) Frühgermanisches Recht Für das frühgermanische Recht kann im Wesentlichen auf die allgemeinen Ausführungen im ersten Teil verwiesen werden.17 Tatsächlich entsprachen die rechtlichen Begebenheiten und Konfliktlösungsmechanismen den ethnologischen Vergleichsbefunden für segmentäre Gesellschaften. Es gab die Fehde (Blutrache); zu ihrer Verhinderung traten mit der Zeit jedoch die Bußleistungen in Form von Vieh in den Vordergrund. Daneben stand der Ausschluss aus der Gesellschaft.18 Über das Verfahren – gerade außerhalb der Kriegszeiten – weiß man nur wenig Handfestes. In der Beweisführung war wie so oft in diesen Gesellschaften das Ordal bekannt.19 Auch im Übrigen ging es in erster Linie nicht um die Suche nach der materiellen Wahrheit, sondern um Streitbeilegung.20 Den Gefahren der Selbsthilfe wurde dabei teilweise im Rahmen von Verhandlungen im sogenannten „Thing“, einer gemeinschaftlichen Versammlung, begegnet.21 Letztlich aber werden auch hier die spezifischen Mechanismen mit dem jeweiligen gesellschaft lichen Stadium variiert haben.
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Tacitus, S. 13. Drexler, S. 83. 16 A. a. O., S. 38; Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (26); vgl. auch Holzhauer, in: Rechtsgeschichte S. 94–111 (106). 17 Siehe Teil I – Kapitel 2II. 18 Drexler, S. 50; Rüping/Jerouschek, Rn. 4 ff. mit weiteren Nachweisen. 19 Vgl. Hirst, S. 80. 20 Drexler, S. 49 ff. 21 Vgl. zum Ganzen Wesel, Geschichte, S. 260 ff. (Rn. 181). 15 Vgl.
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2. Das römische Reich a) Eine sterbende Weltmacht In einem völlig anderen Bild erschien gerade anfangs das römische Reich. Hier waren Herrschaft und Staatlichkeit seit langem etabliert. Rom war zwischenzeitlich zur führenden Weltmacht mit florierendem Handel im gesamten Mittelmeerraum aufgestiegen. Dem Imperium Romanum waren die Erfordernisse und auch die Schwierigkeiten der Verwaltung großer Gebiete mit ausgeprägter Wirtschaft – die Organisation der Massenkooperation – wohl bekannt. Die letzten Jahrhunderte vor dem Fall des Weströmischen Reiches jedoch waren in erster Linie geprägt von sozialen, ökonomischen und politischen Problemen. Verschiedene Ursachen führten zu einer dauerhaften Krise der römischen Wirtschaft. Produktion und Handel gingen stark zurück, das inflationäre Geldwesen kollabierte und vermehrt wurde wieder zur primitiven Natural- und Lokalwirtschaft übergegangen. Trotz teils rücksichtsloser, zwangsstaatlicher Gegenmaßnahmen der spät antiken Herrscher konnte sich zumindest der westliche Teil des Reiches davon nicht mehr entscheidend erholen – trug doch nicht zuletzt der dauerhafte militärische Druck der einfallenden Germanen nicht gerade zur innerstaatlichen Be ruhigung bei.22 b) Römisches Recht Die Betrachtung der rechtlichen Ausgangssituation spiegelt letztlich das eben gezeichnete gesellschaftliche Bild wider. Die Komplexität der römischen Gesellschaft hatte zunächst ein ausdifferenziertes Rechtsgebilde hervorgebracht, das noch den heutigen europäischen Rechtsordnungen als Vorbild diente. Hier lebten die Vorstellungen von einem allgemeingültigen Recht als Grundlage der Reichsidee und in diesem Sinne auch Ansätze eines philosophischen Naturrechts griechischer Tradition.23 Erstmals in der Geschichte erschienen eine echte Rechtswissenschaft und der Beruf des Juristen.24 Mit anderen Worten: Die Entwicklung des Rechts war weit fortgeschritten. Das galt grundsätzlich auch für das Strafrecht. Während die Strafe zu Beginn der republikanischen Zeit (etwa 500 v. Chr.) noch in vielen Fällen eine private Angelegenheit war, zog der Staat in den folgenden Jahrhunderten des wirtschaftlichen Aufstiegs immer weitere Bereiche an sich. Die steigende Bedeutung des crimen laesae maiestatis in seinen unterschiedlichen Facetten begleitete diese 22 Zum Ganzen Heuß, S. 463 ff.; vgl. ferner Drexler, S. 213 ff.; Kunkel/Schermaier, S. 176 ff.; Wesel, Geschichte, S. 155 f. (Rn. 127). 23 Bossenbrook, S. 26. 24 Heuß, S. 68 f.
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Entwicklung.25 Über Schuld oder Unschuld entschied im Zweifel nicht mehr das Ordal. Vielmehr gab es auf Wahrheitsfindung gerichtete Beweisführung durch Urkunden und Zeugen. Auch der Grundsatz „in dubio pro reo“ war bereits bekannt.26 Die Krisenjahre zeigten ihre Auswirkungen aber recht bald auch im Recht. Etwa um die Mitte des 3. Jahrhunderts war die große Zeit der römischen Rechtswissenschaft endgültig vorbei.27 Auch das Recht selbst passte sich den veränderten gesellschaftlichen Umständen an – machte in gewisser Weise einen Schritt zurück.28 Man spricht im Anschluss an die Forschungen von Ernst Levy vom römischen „Vulgarrecht“, gewissermaßen einer vereinfachten Form des klassischen römischen Rechtsdenkens, welche sicherlich schon immer – gerade in den provinzialen Gegenden – verbreitet gewesen war und sich nun mit dort vorhandenen gewohnheitsrechtlichen Elementen vermengte. Dieses neue „Mischrecht“ lief dem „klassischen“ römischen Juristenrecht weitestgehend den Rang ab.29 Für das Strafrecht der Völkerwanderungszeit dürfen diese „Rückschritte“ indes nicht überbewertet werden.30 Zwar erreichte die Komplexität des Rechtsdenkens im Weströmischen Reich bei weitem nicht mehr das Niveau der klassischen Zeit. Es herrschte aber dennoch weiter ein stark staatlich geprägtes Strafrecht vor. Und auch wenn privatstrafrechtliche Elemente noch vereinzelt bekannt waren, so hatte die materielle und prozessuale Praxis trotz der einzelnen „Rückschritte“ mit den germanischen Traditionen doch nur sehr wenig gemein.31
25 Speziell zur Entwicklung und Bedeutung dieses Verbrechenstypus zum Ende des Reiches vgl. Weitzel, in: Hoheitliches Strafen, S. 47–84 (47 ff.). 26 Zum Ganzen Wesel, Geschichte, S. 168 ff. (Rn. 133); vgl. auch Hirst, S. 80. 27 Kunkel/Schermaier, S. 187 ff. 28 Das ist in diesem Zusammenhang keinesfalls wertend gemeint. Es geht vielmehr um die Feststellung, dass in einigen Bereichen in vergangene Stadien des Rechts zurückgekehrt wurde. 29 Kunkel/Schermaier, S. 193 ff. 30 Im Strafrecht der Spätantike zeigte sich die Entwicklung insbesondere in zwei Punkten: Zum einen brachte der Rückgang der Kooperation wieder einen partiellen Rückzug des Staates mit sich, sodass vereinzelt auch „private“ Strafen wieder legalisiert wurden, Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (30). Zum anderen versuchte man, den dauerhaften politischen Unruhen mit besonders brutalen Strafen zu begegnen. Das betraf in erster Linie alle im weitesten Sinne politischen und religiösen Straftaten, hatte aber natürlich im Sinne der Relativität auch Auswirkungen auf das Strafmaß aller übrigen Delikte, vgl. Liebs, in: Hoheitliches Strafen, S. 11–26 (11 ff.); Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (29 ff). 31 Vgl. auch Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (29).
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3. Das Christentum a) Eine neue Staatsreligion Der dritte große Faktor, der die Ausgangssituation zur Zeit der Völkerwanderung bestimmte, war das Christentum. Ihm kam als religiöse Basis in staatlicher Hinsicht natürlich in erster Linie eine legitimierende Funktion zu. Die Besonderheit des Christentums war nun, dass es für diese Aufgabe anfangs eigentlich nicht ausgelegt gewesen war. Jesus und seine Anhänger waren als Juden zwar ursprünglich Teil einer potentiell staatstragenden Religion, die nicht zuletzt im Alten Testament ihren Ausdruck gefunden hatte. Seine neuen Lehren scherten sich um diese staatlichen Belange allerdings herzlich wenig und stießen wohl gerade deshalb vermehrt auf fruchtbaren Boden. Innerhalb der ersten drei Jahrhunderte hatte sich die einst kleine jüdische Sekte trotz staatlicher Verfolgung im gesamten Römischen Reich verbreitet – eine zusätzliche gesellschaftliche Spaltung, die sicherlich nicht unerheblich zur Entstehung der beschriebenen Krisen beitrug.32 Schließlich versuchte sich im Jahr 313 n. Chr. der römische Kaiser Konstantin an einem Kurswechsel, wurde selbst Christ und unterstützte die christlichen Kirchen. Nur fünfzig Jahre später wurden alle anderen Religionen verboten.33 Es war der Beginn der Transformation des Christentums zur Staatsreligion. Und da die Christianisierung Roms letztlich das Ziel einer politischen Stabilisierung verfolgte, stand die Kirche nun vor völlig neuen Herausforderungen. b) Der Widerspruch der Testamente Beinahe dreihundert Jahre lang hatte sich das Christentum gerade im Gegensatz zur herrschenden politischen Gewalt entwickelt. Wollte es diese nun aber stützen, musste es sich neu erfinden, um die unüberbrückbaren Gegensätze zu beseitigen. Das betraf zunächst einmal die Herrscherlegitimation. Spätestens seit der Kaiserzeit ließ sich Rom wieder als Theokratie bezeichnen. Die Führer Roms wurden selbst als Götter oder als gottähnlich verehrt und legitimierten ihre Taten so auch religiös.34 Mit der kaiserlichen Gottesverehrung war es nach dem Übergang zum Christentum aber vorbei, denn für die Christen gab es nur den einen Gott. Das vielleicht deutlichste Beispiel für einen solchen Gegensatz liefert wiederum das Strafrecht. Die christliche Kirche stand nun nämlich schlagartig vor der 32 Vgl.
Heuß, S. 478 ff.; Senn, S. 25 f. Hirst, S. 25 f. 34 Heuß, S. 335 f.; Woolf, S. 226. 33
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Aufgabe, das oben beschriebene, römisch-staatliche Strafrecht zu legitimieren.35 Auf dem Boden des Alten Testaments war eine solche Legitimation grundsätzlich kein Problem.36 Hier stand der verbindliche Strafgedanke des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ zuverlässig Pate. Man musste nicht lange blättern, um ein erstes Beispiel für die Anwendung von Strafe zu finden. Erinnert sei an die Reaktion Gottes auf die Ursünde – Adam und Evas Verkostung der Früchte des verbotenen Baumes: „Zur Frau sprach er: Viel Mühsal bereite ich dir, sooft du schwanger wirst. / Unter Schmerzen gebierst du Kinder. / Du hast Verlangen nach deinem Mann; / er aber wird über dich herrschen.“37 „Zu Adam sprach er: Weil du auf deine Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem zu essen ich dir verboten hatte: So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. / Unter Mühsal wirst du von ihm essen / alle Tage deines Lebens.“38
Auch die Schlange konnte konsequenterweise nicht ohne Strafe davonkommen: „Da sprach Gott, der Herr, zur Schlange: Weil du das getan hast, bist du verflucht / unter allem Vieh und allen Tieren des Feldes. / Auf dem Bauch sollst du kriechen / und Staub fressen alle Tage deines Lebens.“39
Durch einen bloßen Rückgriff auf die alten Lehren war die Sache aber nicht erledigt, denn das Neue Testament stand diesen nun in vielen Punkten diametral entgegen: „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Leistet dem, der euch etwas Böses antut, keinen Widerstand, sondern wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.“40 „Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet.“41
Im eigenen Interesse musste die Kirche die verschiedenen widerstreitenden Interessen vereinen – eine unmögliche Aufgabe, die auch nie gänzlich gelingen sollte. So blieb etwa die Zulässigkeit der staatlichen Todesstrafe, die mit dem Tötungsverbot des Dekalogs nur schwerlich zu vereinbaren ist, stets umstritten. 35
Vgl. auch von Bar, S. 215. und zum Folgenden Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (31 ff.); mit zahlreichen alttestamentarischen Zitaten Nehlsen, FS Wadle, S. 759–782 (771 ff.). 37 Genesis 3, 16; dieses und die folgenden Bibelzitate aus: Die Bibel. Altes und Neues Testa ment. Einheitsübersetzung, Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2008. 38 Genesis 3, 17. 39 Genesis 3, 14. 40 Matthäus 5, 38–39. 41 Matthäus 5, 43–45. 36 Dazu
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Dennoch gelang es den „Kirchenvätern“ letztlich, die verschiedenen Lehren so zu kombinieren, dass sich trotz der verbleibenden Widersprüche ein staatstragendes Modell entwickeln konnte. Die bedeutendsten Beiträge lieferten die Kirchenväter Hieronymus und Augustinus. Insbesondere auf letzteren, der die christliche Lehre bis weit in das Mittelalter hinein prägen sollte, wird zurückzukommen sein.42 Die flexible Auslegbarkeit der Offenbarungen trug jedenfalls Früchte: Zur Zeit der Völkerwanderung war die Kirche lange nicht mehr die kleine jüdische Sekte, deren Mitglieder sich geheim und im Privaten trafen. Vielmehr hatte sie sich die Erfahrungen des römischen Staatswesens zu eigen gemacht und war streng hierarchisch organisiert. Daneben hatte sie ihr eigenes Rechtssystem und zog Steuern ein. Die jeweiligen bezahlten Vollzeitbeamten hießen Priester, Bischöfe und Erzbischöfe. An ihrer Spitze stand der Bischof von Rom: der Papst. Die Christianisierung Roms lief also mitnichten nur in eine Richtung. Ebenso lässt sich von einer parallel stattfindenden Romanisierung des Christentums sprechen.43 – Die mächtige Institution der Kirche, die verschiedenen testamentarischen Lehren und die strittigen Versöhnungsversuche waren insofern der dritte Faktor, der die erste Strafkrise und die germanische Staatsentstehung beeinflusste.
II. Eine neue Ordnung Die germanischen Invasoren standen mit dem eigentlich nicht geplanten Fall des Weströmischen Reiches also vor einem Problem. Es war nun an ihnen, das Zusammenleben einer großen Zahl von Menschen zu organisieren, unter denen nicht nur verschiedene Kulturen und Traditionen aufeinandertrafen, sondern auch diverse Vorstellungen, wie mit den daraus resultierenden Konflikten umzugehen sei. Die Integration in das eigene segmentäre System war jedenfalls keine taugliche Lösung. Für die germanischen Stämme war dies ein Sprung in ein gesellschaftliches Entwicklungsstadium, das im organischen Prozess – wie die ethnologischen Befunde zeigen – bereits eine dauerhafte Herrschaft hervorgebracht hätte. Eine Herrschaft wohlgemerkt, die in ihrer institutionalisierten Form einer entpersonalisierten Legitimation, und mit den steigenden Anforderungen großer Gesellschaften auch einer komplexen Verwaltungsstruktur bedurfte. Mit all diesen Anforderungen hatten von allen Beteiligten gerade die Germanen am wenigsten Erfahrung. Mit dem plötzlichen Aufbau und der Organisation eines Verwaltungsapparates waren sie daher heillos überfordert. Auch standen an 42 43
Sogleich Teil II – Kapitel 1III.1; zum Ganzen Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (32). Hirst, S. 26 f.; vgl. auch Heuß, S. 510 f.
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ihrer Spitze zwar die charismatischen Heerführer. Diese legitimierten ihre Macht aber eben durch ihre kriegerischen Fähigkeiten – was ihnen außerhalb der Kriegszüge nur beschränkt weiterhalf. Schließlich boten auch die religiösen Vorstellungen der Germanen keinen Ausweg aus dem Dilemma, hatten ihre Götter doch bisher keinerlei Interesse an einer dauerhaften Herrschaftslegitimation in Friedenszeiten gehabt.44 Die verschiedenen Herausforderungen gesellschaftlicher Stabilisierung vor Augen – Herrschaft und Recht, Legitimation und Verwaltung – überrascht es nicht, dass es die christliche Kirche war, welche die zentrale Rolle in der Stabilisierung der dauerhaft erfolgreichen Germanenstämme spielte. Sie war die einzige Institution, die den Zusammenbruch des Reichs überstanden hatte, und sie bot Lösungen für mindestens zwei der germanischen Probleme:45 Zum einen hatte die Kirche ihre Lehren mittlerweile in staatslegitimierende Formen gegossen. Und zum anderen war sie bestens vertraut mit den Erfordernissen staatlicher Verwaltung, hatte sie sich doch selbst gerade nach dem römischen Vorbild organisiert. Nicht zuletzt deshalb sollte es schließlich zu einer weiteren Christianisierung – diesmal der Germanen – kommen, welche für die Geschichte der Strafe eine zentrale Rolle spielen sollte. Doch von vorne: Wie lösten die Germanen nun das Problem der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen?
1. Neue Könige Der Niedergang des Römischen Reiches brachte zwar grundsätzlich auch einen langfristigen Einbruch der Wirtschaft, insofern der übergreifenden Kooperation mit sich. Die sozialen Spannungen herrschten nun aber gerade innerhalb der neu zusammengewürfelten Gesellschaften und die Abweichungen in den individuellen Vorstellungen über den Umgang mit Konflikten gingen weit über die üblichen innersozialen Schwankungen hinaus. Da die jeweiligen Reaktionen wenig Aussicht auf Akzeptanz hatten, waren friedliches Zusammenleben und Kooperation nur schwer aufrechtzuerhalten. Es herrschten letztlich also die oben beschriebenen Bedingungen der Entstehung von Kephalität – die Bedingungen der Strafkrise. Die Lösung lieferte auch hier die Institutionalisierung von Herrscher-Richtern. Wer diese Rolle übernehmen sollte, lag an sich nahe. Die Position eines Führers, der richterliche Aufgaben übernahm, war für die kriegerischen Germanenstämme ja an sich nichts Neues – hatten ihre Heeresführer diese Funktion doch bereits in den Kriegszeiten übernommen, in denen die Kooperation vor 44
Drexler, S. 112 ff. Hirst, S. 30.
45 Vgl.
Kapitel 1: Von den Anfängen: Die Völkerwanderung und die erste Krise der Strafe 101
ähnlichen Herausforderungen stand. Als dieses Bedürfnis nun ein dauerhaftes wurde, waren es diese Kriegshäuptlinge, die sich zu den neuen Herrschern aufschwangen, sodass viele kleine „Königreiche“ entstanden.46 Die Einleitung des Kephalisierungsprozesses im Rahmen der Völkerwanderung war also eine erste Reaktion auf die Strafkrise. Die Macht der frühen Könige blieb allerdings noch für lange Zeit begrenzt. Für eine stabile Entwicklung und nachhaltige Institutionalisierung fehlte es diesen Herrscher-Richtern noch an einer geeigneten Legitimationsbasis. Zwar hatten sie sich auch weiterhin einzelner Angriffe von außen zu erwehren. Die Möglichkeiten, die eigene Position über die kriegerischen Fähigkeiten zu rechtfertigen, waren aber im Grunde dahin. In der Folge versuchten die Könige ihre Position zu festigen, indem sie Land an ihre Gefährten verteilten, welche im Gegenzug bei Bedarf eine Armee bereitstellen sollten. Ohne neue Kriegszüge waren aber auch diese Werbemöglichkeiten begrenzt und bald behandelten die Gefolgsleute das Land wie ihr eigenes.47 Letztlich basierte diese Art der Legitimation auf der eigenen Selbstentmachtung. Die Ausgangslage für eine dauerhaft legitime Herrschaft war also denkbar schlecht. Entsprechend langsam schritt die weitere Entwicklung dieser Gesellschaften im frühen Mittelalter voran. Am Ende waren es im Wesentlichen nur zwei germanische Stämme, denen es unter diesen Bedingungen – und nicht zuletzt mithilfe des Christentums – gelang, einen langlebigen Staat zu etablieren: die Angel sachsen in Großbritannien und die Franken auf dem europäischen Festland.48
2. Neues Recht a) Das internationale Strafrecht der fränkischen Zeit Für die germanischen Herrscher-Richter stand die friedliche Streitbeilegung nun also an erster Stelle. Die neuen Könige hatten allerdings noch nicht die Macht, um autoritär die vorhandenen Rechtsgewohnheiten über den Haufen zu werfen. Angesichts der schier unüberbrückbaren Gegensätze in der Bevölkerung gingen sie deshalb einen Spezialweg und folgten in ihrer Rechtsprechung dem sogenannten Personalitätsprinzip. Die verschiedenen Rechte wurden also zunächst einmal anerkannt. Das römische Vulgarrecht diente als Grundlage für Streitigkeiten zwischen Römern. Gleiches galt für die verschiedenen Stammesrechte bei germanischen Konflikten.49 Einzig für den problematischen Fall des Aufeinan46
Drexler, S. 81 ff.; Hirst, S. 78 ff. Drexler, S. 108 ff.; Hirst, S. 28 ff.; in dieser einzigartigen Ausgangssituation lagen letztlich die Wurzeln des Feudalismus. 48 Zum Ganzen Drexler, S. 86, 258. 49 Brunner, S. 376 ff. 47
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dertreffens von Angehörigen verschiedener Traditionen wurden schließlich Regelungen darüber getroffen, welches Recht zu gelten habe – wobei naturgemäß häufig den Rechtsvorstellungen der Herrschenden der Vorrang gebührte. Hein rich Brunner nennt dies das „internationale Privat- und Strafrecht der fränkischen Zeit“50. Das Personalitätsprinzip stand allerdings von Anfang an auf wackeligen Beinen. Dies zunächst vor dem Hintergrund der Christianisierung. So fasste Hans Liebeschütz die Worte des Erzbischofs Agobard von Lyon zusammen: „Allen Menschen ist ein Gesetz gepredigt, die Christen sollen eine Heiligung, ein himmlisches Reich suchen. Der Sklave und der Herr, der bescheidene Arbeiter und der erhabene Kaiser rufen einen Gott an; denn in der Kirche gilt kein Unterschied zwischen jüdischer und heidnischer Herkunft, zwischen Aquitanier und Lombarde, zwischen Burgunder und Alemanne; alle sind eins in Christus. Diese Einheit im Geist wird durch die Mannigfaltigkeit des weltlichen Rechtes gestört. Der Kaiser Ludwig soll, um diesem Zustand ein Ende zu machen, das Recht der Franken über das ganze Reich ausdehnen.“51
Die verschiedenen Rechte widersprachen also dem Gedanken eines göttlich legitimierten, „wahren“ Rechts. – Die religiöse Kritik hatte ihre Wurzeln aber natürlich auch und gerade in weltlichen Problemen: insbesondere in der Relativität der Strafen. So waren die Kontaktpunkte zwar gerade anfangs aufgrund der nur eingeschränkten Kooperation noch vergleichsweise begrenzt. In den dennoch vorhandenen Fällen war die Akzeptanzbereitschaft jedoch auf eine harte Probe gestellt. Und dies nicht nur bei römisch-germanischen Konflikten. Auch zwischen den einzelnen germanischen Stammesrechten waren die Unterschiede teils horrend.52 Schließlich wuchsen mit der Bevölkerung und der sozialen Dichte auch die problematischen Kontakte. In den Berichten des Erzbischofs Agobard findet sich etwa die Aussage, „es käme nicht selten vor, dass fünf Menschen zusammengehen oder -sitzen, von welchen jeder ein verschiedenes Volksrecht hat.“53 Zwar ging dieser Anstieg der Kooperation nur sehr langsam vonstatten, und die Klagen 50 A. a. O., S. 382 ff., 385; natürlich musste man auch wissen, wie die verschiedenen Rechte aussahen – die andere Streitpartei konnte schließlich vieles behaupten (vgl. Wesel, Geschichte, S. 275). Insofern finden sich nun erste Kodifizierungen. Diese zahlreichen Aufzeichnungen der einzelnen Volksrechte aus dem 6. bis 9. Jahrhundert nennen wir heute „Leges“: die der germanischen Barbaren „Leges Barbarorum“, die für die römischen Untertanen „Leges Romanae“ (vgl. Brunner, S. 417). 51 Liebeschütz, Archiv für Kulturgeschichte 33 (1950), S. 17–44 (36). 52 Für einen Franken waren beim Diebstahl etwa Strafzahlungen in Höhe des Dreißig- bis Vierzigfachen fällig – bei anderen Geburtsrechten war es nur das Doppelte (Friesen) oder Dreifache (Burgunder), vgl. Wesel, Geschichte, S. 282 (Rn. 199). 53 Zu dieser Übersetzung und der ursprünglichen Quelle in lateinischer Sprache vgl. Brun ner, S. 383.
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des Erzbischofs stammen bereits aus dem ausgehenden 8. Jahrhundert – einem zwischenzeitlichen Aufschwung, der seinen Höhepunkt in der Zeit Karls des Großen fand. Schließlich aber konnte sich das alte Personalitätsprinzip mit Blick auf die „Relativität der Strafe“ nicht mehr halten, und so begann sich ab dem 9. Jahrhundert im „internationalen Strafrecht“ langsam das Recht des Tatorts durchzusetzen.54 b) Frühstaatliches Strafrecht Viele der segmentären Elemente konnten sich schließlich aufgrund der generell nur langsam anwachsenden Kooperation noch lange behaupten – man wird sagen können bis zur Jahrtausendwende. Parallel zum Prozess der Kephalisierung verlief also auch die Entwicklung des Rechts nur schleichend. Sichtbar wurde sie freilich dennoch, besonders im Aufkommen eines politischen Strafrechts, welches sich nach dem Vorbild des römischen Majestätsverbrechens langsam ausbildete.55 So konnten nun etwa Angriffe auf den König oder den Bestand des Staates mit dem Tode bestraft werden.56 Sanktioniert wurden unter dem starken Einfluss der Kirche aber auch Verstöße gegen ihre religiösen Vorstellungen und Bräuche.57 Auch diese Delikte lassen sich, da sie die Legitimationsgrundlage betrafen, im weiteren Sinne als politisches Strafrecht bezeichnen. – Schließlich spiegelten sich die neuen gesellschaftlichen Ungleichheiten auch in den Strafen wider, die sich nun je nach Status von Täter und Opfer unterscheiden konnten.58
54 Vgl. Brunner, S. 386; schon von Beginn an konnten die unterschiedlichen Rechte gerade vor dem Hintergrund der Relativität der Strafe aber nicht einfach isoliert nebeneinander bestehen bleiben. Es finden sich daher früh hoheitliche Versuche, das Recht territorial zu vereinheitlichen (a. a. O., S. 405 ff., 411). Das bekannteste Beispiel dieser Art sind die „Kapitularien“ (königliche Anordnungen der Karolinger, die ihren Namen aufgrund der Unterteilung in Kapitel trugen, vgl. Wesel, Geschichte, S. 275, 278 f. [Rn. 194]). Auch im Übrigen verloren die einzelnen Rechte im Laufe des Mittelalters langsam an Bedeutung und es bildete sich unter den germanischen, römischen und christlichen Einflüssen über Jahrhunderte ein neues vorherrschendes Recht heraus (vgl. Schulze, S. 25; zur gegenseitigen Beeinflussung auch Brunner, S. 379). Einen deutlichen Vorsprung genoss dabei wenig überraschend das Recht der neuen Herrscher. Im Übrigen waren es die regional spezifischen Machtverhältnisse zwischen den Trägern der verschiedenen Traditionen, welche den jeweiligen Einfluss der Rechte bestimmten (Drexler, S. 236). 55 Vgl. dazu Weitzel, in: Hoheitliches Strafen, S. 47–84 (47 ff.); ders., ZRG (GA) 111 (1994), S. 66–147 (90 f.). 56 Nehlsen, in: FK Thieme, S. 3–16 (14). 57 Drexler, S. 193; Nehlsen, FS Wadle, S. 759–782 (771 ff.); Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (34). 58 Rüping/Jerouschek, Rn. 10 f.
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c) Die Sanktionen Was die Art der Strafe betrifft, standen zu Beginn klar die germanischen Bußleis tungen im Vordergrund.59 Sie fielen regelmäßig sehr hoch aus, um im Sinne eines Fehdeverzichts – und die Gefahr der Fehde war noch bis ins späte Mittelalter latent – bei allen Beiteiligten auf Akzeptanz zu stoßen und konnten deshalb häufig nur mithilfe der Verwandtschaft aufgebracht werden. Ferner ließen sie sich aufgrund des Rückgangs der Geldwirtschaft wieder in Naturalien (Vieh) begleichen.60 Mit dem Erstarken der Herrschaft führten die römischen und christlichen Einflüsse aber immer mehr zu einer Zunahme der körperlichen (peinlichen) Sank tionen. Hermann Nehlsen spricht gar von einem frontalen christlichen Angriff auf die Dominanz des Kompositionensystems, und zwar „mittels eines hoch effektiven Sprengstoffes in Gestalt von durch das Christentum vermittelten Rechtsvorstellungen, die auf biblischem – primär alttestamentarischem – Gedankengut beruhen.“61 Auch konnten gerade Sklaven die hohen Strafen meist nicht aufbringen und die mächtigen Herren, bei denen sich mit der Zeit ganze Sklavenmassen versammelten, wollten und konnten diese Haftung auf Dauer nicht übernehmen.62
III. Die theokratische Straftheorie Die autoritative Rechtsprechung und die zahlreichen neuen Ausprägungen eines politischen Strafrechts bedurften langfristig einer entpersonalisierten Legitima tion. – In der germanischen Tradition hatte sich eine solche mangels entsprechen der Bedürfnisse bisher schlicht nicht ausreichend entwickelt. Die entsprechende Reflexion ging daher über einzelne sakrale Erhöhungen der Strafpraktiken und verschiedener Delikte im Grunde nicht hinaus. Einzig einige Gedanken im Sinne einer Besänftigung der Gottheiten sind überliefert.63 59
Nehlsen, in: FK Thieme, S. 3–16 (5 f.); Weitzel, in: Strafgedanke, S. 21–35 (21). Rüping/Jerouschek, Rn. 8 ff.; vgl. auch Senn, S. 41 f. 61 Nehlsen, FS Wadle, S. 759–782 (771); zum Ganzen auch Weitzel, FS Kleinheyer, S. 539– 567 (549); ders., in: Strafgedanke, S. 21–35 (22). 62 Nehlsen, in: FK Thieme, S. 3–16 (7); für die „Freien“ hat das peinliche Strafrecht seine Anfänge insbesondere im politischen Strafrecht, vgl. dazu Weitzel, in: Hoheitliches Strafen, S. 47–84 (47 ff.); ders., ZRG (GA) 111 (1994), S. 66–147 (90 f.). 63 Hier geht es also letztlich um die Legitimation altruistischer Strafbedürfnisse – im Wesentlichen entsprechend den ethnologischen Vergleichsbefunden des ersten Teils, vgl. Teil I – Kapitel 3III.3.a); dazu Drexler, S. 48 f.; Nagler, S. 57 mit weiteren Nachweisen; vgl. auch Schmidt, Geschichte, § 3 (S. 21 ff.), § 52 (S. 66). 60
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Den Römern hingegen war die theoretische Reflexion über Strafe bereits vor der Christianisierung bekannt. Im Wesentlichen ging es dabei um eine verkümmerte Übernahme der griechischen Gedanken – gerade in der Praxis herrschte klar der simple Vergeltungsgedanke vor. Dem Grunde nach wurde die Annahme, dass Strafe gerecht sei, also nicht hinterfragt.64 Mit der Christianisierung Roms und dem Versuch der politischen Stabilisierung traten hier allerdings die Lehren der christlichen Kirche auf den Plan. Ihr neues – sogleich dargestelltes – theologisches Fundament konnte in einem einheitlichen Modell zwei Dinge gewährleisten: Die Akzeptanz der Person des (Herrscher)-Richters, und die Akzeptanz seiner konkreten Entscheidungen. Nicht zuletzt dieses Angebot machte das Christentum schließlich auch für die neuen germanischen Herrscher attraktiv.
1. Augustinus prägt die Geschichte der Straftheorie Um den Beitrag der Kirche zu verstehen, müssen wir aber zunächst wieder einen Schritt zurückgehen und die christliche Ausgangslage zu Beginn der Völkerwanderung beleuchten. – Mit dem Aufstieg zur Staatsreligion hatte sich die Kirche neu erfinden müssen. Den einflussreichsten Beitrag in diesem Prozess lieferte der Kirchenvater Augustinus (354–430). Der Bischof von Hippo – im damals römischen Nordafrika – wirkte in der Zeit der frühen Christianisierung und des krisengeplagten Römischen Reichs. Die christliche Lehre hatte sich über lange Zeit im Gegensatz zur herrschenden Gewalt entwickelt, sollte sich nun aber als staatstragende Religion beweisen. Der Versuch des Ausgleichs dieser beiden Gegensätze, ebenso wie der Lehren des Alten und Neuen Testaments, prägte das gesamte Werk des Augustinus. Obwohl ihm das nicht ohne zahlreiche Selbstwidersprüche gelang, war der Versuch letztlich von Erfolg gekrönt: Seine Lehren sollten das westliche Denken bis weit in das 12. Jahrhundert hinein prägen und machten sein monumentales Werk „De civitate dei“ (Vom Gottesstaat) zu einem der meistgelesenen Bücher des Mittelalters.65 a) Die Legitimation der Herrscher(-Richter) Im Ausgangspunkt stand Augustinus dem Staat weiter kritisch gegenüber. So lautete einer seiner berühmtesten Aussprüche: „Was anderes sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden? Sind doch auch Räuberbanden nichts anders als kleine Reiche.“66 64
Vgl. zum Ganzen Günther, Wiedervergeltung I, S. 110 ff., 131; Nagler, S. 137 ff. Hamman/Fürst, S. 171; Reisch, S. 67. 66 Augustinus, Gottesstaat, Buch 4, Kap. 4. 65
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Letztlich führte ihn diese Erkenntnis aber nicht zu revolutionären weltlichen Forderungen, sondern zu einer Art Kapitulation mit Blick auf das Diesseits und einer völligen Konzentration auf das Jenseits. Freilich wurde beides nicht konsequent durchgehalten, doch der Grundgedanke war simpel und wirkungsvoll: Akzeptiere die Gegenwart und tröste dich mit der Hoffnung auf die Gnade und das Reich Gottes. Im Mittelpunkt seines „Gottesstaats“ stand also die Beziehung der Menschen zu Gott.67 Natürlich musste er auch die Frage beantworten, warum die weltlichen Zustände dem Grunde nach zu akzeptieren waren. Doch auch hier fand Augustinus einfache Antworten: Gott sei immer gerecht. Da die Menschen diese Gerechtigkeit und die Pläne Gottes mit ihren irdischen Möglichkeiten aber nicht erfassen könnten, müsse das Vertrauen in Gott stets an erster Stelle stehen. Der Religion gebühre deshalb der Vorrang vor der Philosophie – der göttlichen Offenbarung (der Bibel) der Vorrang vor philosophischen Schriften – dem Glauben der Vorrang vor der Logik.68 Dieses Rangverhältnis sollte das gesamte Mittelalter prägen und war der erste Schritt in seinem Legitimationsprozess. Die Position des Herrschers war so – unabhängig von dessen individuellen Fähigkeiten – erst einmal abgesichert: „So wollen wir denn die Macht, Reiche und Herrschaften zu verleihen, allein dem wahren Gott zuerkennen, der Glückseligkeit im Himmelreiche nur den Frommen gewährt, ein irdisches Reich aber bald den Frommen, bald auch Gottlosen, wie es ihm gefällt, dem zu Unrecht nichts gefällt. Denn obschon wir einiges angeführt haben, was nach seinem Willen offen zutage liegt, ist es uns doch zu viel und übersteigt unsere Kräfte bei weitem, klarzulegen, was Menschen verborgen ist, und über Verdienst und Schuld der Reiche ein sicheres Urteil zu fällen. […] All das lenkt und leitet der eine und wahre Gott, wie es ihm gefällt, und wenn seine Beweggründe verborgen bleiben, sind sie dann etwa auch ungerecht?“69
b) Die Legitimation der Strafe Natürlich mussten sich bei einem so prägenden Charakter wie Augustinus, der Zeit seines Lebens zudem als bischöflicher Richter tätig war,70 auch wegweisende Gedanken zur Strafe finden. aa) Die göttliche Strafe Auch sie hatten ihren Ausgangspunkt im Verhältnis zwischen den Menschen und Gott. Das Fundament seiner Straftheorie entnahm Augustinus dem Alten Testa 67 Vgl. Adomeit, S. 156 f.; grundsätzlich zur Rechtsphilosophie des Augustinus auch Stahl, Philosophie I, S. 50 ff. 68 Vgl. dazu auch Reisch, S. 67. 69 Augustinus, Gottesstaat, Buch 5, Kap. 21. 70 Dazu Hellebrand, in: Augustinus, S. 147–263 (147 ff.)
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ment. Hier fand sich die göttliche Strafe an zahlreichen Stellen. Und da alles, was Gottes Ordnung entsprach, gut sei, sei es ebenso die göttliche Strafe. Dass auch die Strafe selbst ein Übel darstellte, war Augustinus bewusst. Er erklärte diesen Gegensatz aber in einer Art und Weise, welche die Straftheorie für lange Zeit prägen sollte. Das Strafübel war für ihn dabei unmittelbar angelegt in der zweiten Form des Übels: der Sünde. Sie sei das Böse und insofern die schlichte Abwesenheit von dem, was Gott geschaffen habe – seiner guten Ordnung.71 Die willentliche72 Abweichung von Gottes Vorstellungen (die Sünde) beschädige schließlich die eigene göttliche und deshalb gute Natur. Ein Mangel, der gnädigerweise durch die gute Strafe wieder ausgeglichen werde.73 Die Sünde trage also den Keim der göttlichen Strafe bereits in sich, sie bestrafe sich selbst.74 Wer sündige, könne sich daher der Strafe Gottes sicher sein: „Aber es ist vollkommen undenkbar, daß die vollkommene Gerechtigkeit des höchsten und wahren Gottes, die sich auf alles erstreckt, das Schicksal der Sünder auf sich beruhen ließe, ohne die Ordnung wiederherzustellen.“75
Durch dieses Modell verknüpfte Augustinus in genialer Weise den verbindlichen Strafgedanken des Alten Testaments mit dem christlichen Liebesgebot. Strafe musste also sein, doch sie erfolgte trotz ihres Übelscharakters nicht zu Lasten, sondern gerade im Interesse des Sünders. Dieser erhielt so die Möglichkeit, sich wieder in Einklang mit der göttlichen Ordnung zu setzen. Nicht der Sünder wurde gehasst, sondern die Sünde: „[…] Da nun an jeder beliebigen Sache immer nur der Fehler getadelt wird, der deshalb Fehler ist, weil er sich gegen die Natur, gegen das Wesen der Sache vergeht, wird niemals der Fehler einer Sache rechtmäßig getadelt werden können, ohne daß die Natur der Sache, ihr Wesen selbst, gelobt wird. Denn was dir an dem Fehler tatsächlich mißfällt, ist nur sein Vergehen an dem, was dir an dem Wesen selbst wohlgefällt.“76
71
Fuhrer, S. 93. dazu Augustinus, Wille, Buch 1; ders., Gottesstaat, Buch 12, Kap. 8: „Desgleichen weiß ich, daß böser Wille nicht entstehen würde, wenn das Wesen, in welchem er entsteht, es nicht wollte, daß also der Abfall nicht notwendig, sondern freiwillig ist, weswegen ihm gerechte Strafe folgt.“ 73 Vgl. dazu Nagler, S. 169 ff.; vgl. auch Augustinus, Gottesstaat, Buch 12, Kap. 3: „Und wenn eine sündige Natur der Strafe verfällt, so ist nicht bloß ihre Natur gut, sondern auch die Tatsache, daß sie nicht straflos bleibt. Denn das ist gerecht, und alles, was gerecht, ist unfraglich auch gut.“ 74 Nagler, S. 55. 75 Augustinus, Wille, Buch 3, Kap. 29. 76 A. a. O., Kap. 38. 72 Vgl.
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bb) Die weltliche Strafe Offen blieb bei alledem zunächst die Frage nach der Legitimität der weltlichen Strafe. Hier sah Augustinus neben seinen übrigen Ausführungen zum Staat im Grunde aber auch keinen weiteren Erklärungsbedarf. Er betrachtete sie als selbstverständlich, stellte ihre Notwendigkeit nicht in Frage.77 Warum das so war, wurde deutlich, wenn der Kirchenvater von den Problemen der weltlichen Richter sprach. Sie nämlich bezeichnete er als die „Diener Gottes“.78 Augustinus unterschied in der straftheoretischen Ausrichtung also nicht zwischen göttlicher und weltlicher Strafe. Und das war auch nicht weiter überraschend. Wenn nämlich die göttliche Strafe die „absolute Gerechtigkeit“ verkörperte, so musste ihr weltliches Pendant jedem Gläubigen natürlich als ihr ideales Abbild erscheinen.79 Zwar erkannte auch Augustinus die Schwächen der menschlichen Diener: „Und wie steht es mit der Rechtsprechung von Menschen über andere Menschen, die ja im Staate auch bei dauerndem Friedenszustande nicht fehlen darf? Wie kümmerlich ist sie doch, wie beklagenswert! Denn die, welche das Urteil fällen, können denen, über die sie urteilen, nicht ins Herz sehen. […] So ist denn des Richters Unwissenheit vielfach das Mißgeschick eines Unschuldigen.“80
Dieses weltliche Elend hatte man mit Blick auf die ewige göttliche Gerechtigkeit im Jenseits aber als „gottgegeben“ zu akzeptieren. Und so blieb für ihn – und somit für die Straftheorie des Mittelalters – als höchstes Ziel die größtmögliche Annäherung der Rechtsstrafe an die göttliche Strafe.81 Für die Richter hieß das schließlich, ganz im Sinne seiner neuen Auslegung des Neuen Testaments, aus denselben guten Motiven zu strafen, wie Gott es tue: „Strafen sollen verhängt werden. Dagegen habe ich keine Einwendungen, dem widerspreche ich nicht, aber es muss geschehen mit der Gesinnung des Liebenden, mit dem Geist der Wertschätzung, mit dem Ziel der Besserung.“82
Das waren letzten Endes die Gedanken des Alten Testaments, gekleidet in die Worte des Jesus von Nazareth. – Für die Geschichte der Straftheorie war das Werk des Augustinus in mehrfacher Hinsicht prägend. Auf der einen Seite stand 77
Hellebrand, in: Augustinus, S. 147–263 (182). Augustinus, Enarrationes in psalmos, 25, 13: „[…] es trifft sich, dass zwei Menschen einen Prozess vor dem Diener Gottes führen.“ (zitiert nach der Übersetzung bei Hellebrand, in: Augustinus, S. 147–263 [207]). 79 Nagler, S. 56. 80 Augustinus, Gottesstaat, Buch 19, Kap. 6. 81 Vgl. Nagler, S. 56. 82 Augustinus, Sermones, 13, 8 (zitiert nach der Übersetzung bei Hellebrand, in: Augustinus, S. 147–263 (184); die „Besserung“ darf hier freilich keinesfalls im Sinne moderner Spezial prävention verstanden werden. Es ging vielmehr um die Wiederherstellung der göttlichen Ordnung auch in der Person des Bestraften. 78
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der Gedanke des Ausgleichs eines Übels durch ein weiteres Übel, welchen er geschickt mit den widerstreitenden biblischen Lehren in Einklang brachte. Diese Vorstellung sollte über Thomas von Aquin Einzug finden in die frühe Aufklärung und seine bis heute bekannteste Ausgestaltung in der Strafdefinition des Hugo Grotius.83 Auf der anderen Seite darf trotz alledem nicht das problematische, jenseitsorientierte Grundkonzept des Augustinus aus den Augen verloren werden. Erst die konsequente Umsetzung der augustinischen Lehren zeigte die Grausamkeit des christlichen Akzeptanzkonzepts dieser Zeit. So hatte das staatstragende Christentum etwa auch die Frage zu beantworten, wie der Krieg für gläubige Christen mit dem Tötungsverbot der Zehn Gebote zu vereinbaren sei – immerhin standen die Feinde vor den Toren des Römischen Reichs.84 Die Antwort des Augustinus war wiederum so einfach wie brutal: „Was, in der Tat, ist denn überhaupt so falsch am Krieg? Dass Menschen sterben, die ohnehin irgendwann sterben werden, damit jene, die überleben, Frieden finden können? Ein Feigling mag darüber jammern, aber gläubige Menschen nicht […]. Niemand darf jemals die Berechtigung eines Krieges bezweifeln, der in Gottes Namen befohlen wird […].“85
Diese jenseitsorientierte Ausrichtung der Kirche war der Klotz am Bein der gesellschaftlichen Entwicklung des frühen Mittelalters. Insofern sollte sie auch die Entwicklung der Straftheorien hemmen, welche – wohl ganz im Sinne des Erfinders – für lange Zeit weiter am theokratischen Grundkonzept festhielten.
2. Die Straftheorie des (frühen) Mittelalters Die christliche Ausgangslage zu Beginn der Völkerwanderung ist damit beschrieben. Zahlreiche germanische Herrscher machten sie sich zunutze. Nicht nur die Merowinger-Könige legitimierten sich nun christlich. Auch die westgotischen Anführer etwa betrachteten ihr Volk als die Nachfolger Israels und nannten es „populus Dei“.86 Als die erfolgreichen germanischen Stämme das Christentum übernahmen, vermengte und verwuchs sich dieses Fundament mit den bereits vorhandenen germanischen Vorstellungen.87 Die neuen Könige konnten nach der christlichen Lehre zwar nicht selbst als Götter verehrt werden, galten aber zumindest als die von Gott erwählten Herrscher. In diesen Stellvertretern Gottes verbanden sich im Laufe der Zeit untrennbar die irdische und die göttliche 83
Vgl. auch Nagler, S. 171. Reisch, S. 71. 85 Augustinus, Contra Faustum Manichaeum, Buch 22, Kap. 74 (zitiert nach der Übersetzung bei Reisch, S. 70). 86 Vgl. Nehlsen, FS Wadle, S. 759–782 (779). 87 Vgl. Bossenbrook, S. 27 f. 84
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Macht.88 Die gesamte mittelalterliche Ordnung war insofern geprägt von einer fundamentalen Einheit zwischen säkularer und spiritueller Welt – nicht umsonst sollte später die Rede sein vom Heiligen Römischen Reich.89 Die germanischen Könige stützten ihre Tätigkeit als Herrscher-Richter nun also auf ein massives Fundament: Als Stellvertreter Gottes kam ihnen die Auf gabe zu, durch Strafen den Zorn Gottes abzuwenden, der ansonsten Seuchen, Krieg, Missernten, Hungersnöte oder anderes Übel über die Gesellschaft brachte.90 Dieser Gedanke durchzog schließlich auch die germanischen Kodifikationen des Mittelalters.91 Zwar fanden sich in den leges92 immer wieder verschiedene Hinweise auf präventive Wirkungen der Strafe – etwa die Abschreckung. Zudem war die Ausgestaltung des Strafvollzugs nicht selten entsprechend ausgerichtet.93 Sucht man aber nach dem eigentlichen Grund der Strafe, führt in dieser Zeit kein Weg an den religiösen Vorstellungen vorbei. Mit Recht stellt Wolfgang Schild daher fest, dass es völlig verfehlt wäre, „deshalb von einem ‚Zweckstrafrecht‘ zu sprechen, außer in dem Sinne, daß der Zweck des Strafrechts in der Bewahrung der göttlichen Ordnung, im Schutz des Landes vor Gottes Zorn und in der Errettung der Übeltäter vor den Höllenqualen bestand.“94 Das war das straftheoretische Fundament, welches das Mittelalter im Grunde für ein gutes Jahrtausend beherrschte. Es bedurfte letztlich erst wieder einer Schwächung der Stellung der Religion, um eine echte Diskussion über den Sinn und Zweck der Strafe zu entfachen. 88 Nach außen hin gipfelte diese Entwicklung in der Kaiserkrönung durch den Papst, wie sie sich seit der Krönung Karls des Großen am ersten Weihnachtstag des Jahres 800 etabliert hatte. 89 Bossenbrook, S. 34 f., 51. 90 Die von den Kirchenvätern geprägte Straftheorie des Christentums erfuhr beim Aufeinandertreffen mit den germanischen Herrschern also noch einmal einen kleinen Stoß in Richtung der alttestamentarischen Vorstellungen. Hieraus war den Gelehrten der Gedanke eines zürnenden Gottes, den es durch den Ausgleich der Sündenschuld (die Strafe) zu besänftigen galt, bestens bekannt (vgl. Nagler, S. 174). Soweit diese Vorstellung zuvor nicht ohnehin bereits verbreitet war, handelte es sich nur um eine kleine Modifikation des augustinischen Modells, welche im Übrigen ohne Probleme mit den Schriften in Einklang gebracht werden konnte. Sie ermöglichte die Verbindung der neuen christlichen Lehren mit ähnlichen, der germanischen Bevölkerung bereits vertrauten Ansätzen. 91 Dazu Nehlsen, FS Wadle, S. 759–782 (771 ff.); Weitzel, FS Kleinheyer, S. 539–567 (551); vgl. auch Nagler, S. 57. 92 Vgl. S. 102, Fn. 50. 93 Vgl. Nehlsen, in: FK Thieme, S. 3–16 (13); Weikmann, in: Hoheitliches Strafen, S. 153– 174 (153 ff.). 94 Schild, in: Justiz in alter Zeit, S. 7–38 (14); vgl. auch Weitzel, FS Kleinheyer, S. 539–567 (539): „Dass Blutstrafen in den Quellen gelegentlich klar als Instrumente zur Abschreckung […] weiterer Übeltäter in generalpräventiver Absicht bezeichnet und auch so eingesetzt wurden, reicht zur Gesamtdeutung nicht aus.“
Kapitel 2
Die Entzauberung der Straftheorie I. Erste Risse in der Theokratie 1. Die wirtschaftliche Revolution Im frühen Mittelalter war die aus dem alten Römischen Reich bekannte Massenkooperation im Grunde verschwunden. Selbst im Aufschwung unter Karl dem Großen gab es vergleichsweise wenig Handel.1 Mit der Dreiteilung des Frankenreichs unter seinen Erben erloschen schließlich sämtliche Keime einer neuen Wirtschaft. Die hiesige Geschichte wurde nun im östlichen Drittel des alten Reichs fortgeschrieben. Hier konnten sich zwar die Verbindung zu Italien und insofern auch die Kaiserwürde halten, welche für die enge Verbindung von Kirche und Staat von so großer Bedeutung waren.2 Städte und Handel aber hatten sich um das Jahr 900 fast vollkommen aus der deutschen und europäischen Landschaft verabschiedet.3 Der große Umbruch wartete schließlich im 11. Jahrhundert: die „Wirtschaftsrevolution in der zweiten Phase der Feudalzeit“4. Ausgangspunkt waren verschiedene technische Innovationen in der Landwirtschaft. Der lokale und auch der Fernhandel kamen in Schwung. Die Bevölkerung wuchs explosionsartig und überall entstanden kleine und große Städte als politische und kommerzielle Zentren. Paris, London, Köln und Prag überschritten die Grenze von 30.000 Einwohnern.5 Zwar sollten die Jahre zwischen 1350 und 1450 die hier eingeschlagene Entwicklung bremsen: Pest, Kirchenspaltung und Hundertjähriger Krieg sind nur einige Stichwörter, welche diese schwere Zeit beschreiben und welche die Sehnsucht nach einer Wiedergeburt der „guten alten Zeit“ nährten. In der „Renaissance“ setzte sich die „ökonomische Revolution“ aber schließlich fort.6 1
Hirst, S. 146. Wesel, Geschichte, S. 285 f. 3 Dazu Duby, in: Wirtschaftsgeschichte, S. 111–139 (128). 4 M. Bloch, S. 106 ff. 5 Zum Ganzen Berman, S. 527 ff.; Duby, in: Wirtschaftsgeschichte, S. 111–139 (128 f.); Köbler, S. 93; Russel, in: Wirtschaftsgeschichte, S. 13–43 (22 f.); Senn/Gschwend/Pahud de Mortanges, S. 84 ff.; Wesel, Geschichte, S. 286 f. 6 Vgl. auch Reisch, S. 94 f. 2 Vgl.
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Am Ende des 15. Jahrhunderts tummelten sich im deutschsprachigen Raum nicht mehr drei bis vier Millionen Menschen, die sich im Wesentlichen selbst versorgten – wie es noch zur Jahrtausendwende der Fall war. Vielmehr lebten nun trotz eines zwischenzeitlich dramatischen Bevölkerungsrückgangs durch Kriege und Schwarzen Tod rund elf Millionen Menschen in einer völlig neuen sozialen Ordnung.7 All diese Entwicklungen hatten schon bald nach ihrem Beginn Auswirkungen auf sämtliche gesellschaftlichen Bereiche, nicht zuletzt das Recht.
2. Das Theater des Schreckens8 a) Neue Herausforderungen aa) Die landschädlichen Leute Zunächst brachte der wirtschaftliche und gesellschaftliche Wandel neue Arten von Problemen mit sich. Nicht alle Mitglieder der Gesellschaft konnten vom Umschwung gleichermaßen profitieren. Wer auf der Strecke blieb, behalf sich nicht selten mit kriminellen Aktivitäten. Diese neue, umherziehende Klientel war unter dem Schlagwort der „landschädlichen Leute“ in aller Munde und die Bekämpfung dieser Form von Kriminalität eine immense Herausforderung für die neuen Städte.9 bb) Das blühende Fehdewesen Auch im Übrigen führte die wachsende Kooperation zu erhöhtem Konfliktpotential, und die zahlreichen verschiedenen Stammesrechte trafen immer häufiger aufeinander. Nun zeigte sich endgültig die Überforderung des stark von den alten, germanisch-segmentären Bräuchen geprägten Rechtssystems, welches auf die Herausforderungen vermehrter Kooperation schlicht nicht ausgerichtet war. Im Konfliktfall bestand im Zweifel wenig Aussicht darauf, mit der eigenen Reaktion auf Akzeptanz zu stoßen. Das Fehdewesen blühte und die Gefahr entsprechender Eskalationen drohte allerorts.10 cc) Das Strafverfahren Auch in prozessualer Hinsicht war das System noch nicht für die neuen Herausforderungen gewappnet. Das etablierte Strafverfahren hatte sich in segmentären Strukturen mit vergleichsweise wenig übergreifender Kooperation bewährt. Die 7
Köbler, S. 93 ff. Nach dem gleichnamigen Buchtitel von Richard van Dülmen. 9 Vgl. Wesel, Geschichte, S. 330. 10 Vgl. His, S. 2, 263 ff.; Senn/Gschwend/Pahud de Mortanges, S. 43. 8
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neuen Entwicklungen verhinderten nun aber eine einheitliche Rechtsprechung – gerade für Taten, die sich nicht gegen den Staat wendeten. Hier herrschte zu Beginn des Jahrtausends weiter das germanische Privatklageverfahren. Zu einer hoheitlichen Entscheidung kam es dabei nur, wenn zuvor vom Verletzten oder einem seiner Verwandten und Freunde Klage erhoben wurde. Das wurde es nun aber häufig nicht mehr. Das Verfahren war in erster Linie nämlich weiterhin nicht ausgerichtet auf die materielle Wahrheit, sondern auf friedliche Streitbeilegung. Insofern konnte der vermeintliche Täter die Klage etwa durch einen „Reinigungseid“ abwehren, in der Regel unterstützt durch Eideshelfer, die seinen guten Leumund bekräftigten. Daneben standen das Gottesurteil und der Zweikampf als weitere Beweismittel bereit.11 Mit dem Aufbrechen segmentärer Grundstrukturen, wachsender Anonymität und insofern einer Abschwächung direkt stigmatisierender Effekte konnte diese Form des Verfahrens langfristig allerdings keine befriedigenden Ergebnisse mehr liefern. Die Mängel im Prozessrecht führten vielmehr dazu, dass die Opfer häufig eher versuchten, die Angelegenheiten selbst zu regeln. Hier zeigte sich erneut eine Form des Phänomens der „strukturalen Relativität“, welches schon im Über gang zu segmentären Gesellschaftsformen zu beobachten war.12 Hinzu kamen Möglichkeiten, die Strafverfolgung durch Druck auf das Opfer oder durch Abkaufen der Klagemöglichkeit abzuwenden.13 Dem neuen Staat fehlten also schlicht die nötigen Zugriffsmöglichkeiten, um seiner Rolle als hoheitlicher Richter nachzukommen. dd) Die Relativität der Strafe In den wenigen Fällen, in denen man von staatlicher Seite doch die Möglichkeit erhielt zu urteilen, konnte diese strukturelle und prozessuale Schwäche der Staatsgewalt sodann nur zu leicht umschlagen in eine demonstrative Härte in den Strafen. Hier lagen die Wurzeln des grausam anmutenden Strafrechts des Mittelalters, des „Theaters des Schreckens“, in dem harte Strafdrohungen und eine be sonders öffentlichkeitswirksame Vollstreckung (Pranger, Verstümmelung, Brand markung) die Hauptrolle spielten.14 „am Körper des Übeltäters sollte allen die entfesselte Gegenwart des Souveräns spürbar gemacht werden. Nicht die Gerechtigkeit, sondern die Macht wurde durch die Marter wiederhergestellt.“15 11 Zum
Ganzen Schmidt, Geschichte, § 30 (S. 37 ff.); vgl. auch Rüping/Jerouschek, § 2 Rn. 19 ff., 23 ff. 12 Vgl. Teil I – Kapitel 2II.3.a); Kapitel 3II.3.b) 13 Schroeder, Carolina, S. 131. 14 A. Merkel, in: Strafrecht und Kulturentwicklung, S. 21–41 (28 ff.). 15 Foucault, S. 65.
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Was nun jedenfalls völlig verloren ging, war die Relativität der Strafe. Im Grunde hing die konkrete Bestrafung von vielen Faktoren ab, von denen die Schwere der begangenen Tat jedenfalls nicht die entscheidende Rolle spielte. Selbst wenn es vereinzelt zur öffentlichen Verhandlung kam, bedeutete das noch lange nicht, dass hier auch einheitlich hohe Strafen – im Sinne einer dann zumindest „relativen“ Strafe folgten. Verbindliche Gesetze gab es nämlich zunächst noch nicht. Und so hing die Entscheidung zum einen davon ab, ob man überhaupt auf einen Richter traf, der die staatliche Macht demonstrieren oder ein abschreckendes Beispiel statuieren wollte. Zum anderen erfolgte ein Vollzug in der Regel allenfalls gegen die „landschädlichen Leute“, während die übrigen Schichten die Strafen durch Geldzahlungen ablösen konnten.16 Die rechtliche Situation schrie also in vielerlei Hinsicht nach Veränderung. b) Versuche einer Rationalisierung des Rechts aa) Gottes- und Landfrieden Die direkte hoheitliche Reaktion auf das Problem des Fehdewesens folgte in Form der mittelalterlichen Friedensbewegung. Sie zielte letztlich darauf ab, die Fehde an sich zu delegitimieren und die Selbsthilfe zum strafbaren Friedensbruch zu machen. Bereits ab dem 10. Jahrhundert hatte sich ausgehend von Südfrankreich eine Gottesfriedensbewegung verbreitet, durch die Kirchen, Priester, Frauen und Bauern zumindest an Sonn- und Feiertagen vor Gewalt geschützt werden sollten. Als die schädlichen Fehden im 11. Jahrhundert zunahmen, übernahmen die weltlichen Herrscher das Modell und dehnten es in den sogenannten „Landfrieden“ auf immer größere Zeiträume, Personengruppen und Territorien aus.17 Ihren Höhepunkt erreichte diese Entwicklung schließlich im „Ewigen Landfrieden“ von 1495, der das Fehderecht für das gesamte Reich versagte und insofern das Gewaltmonopol des Staates strafrechtlich absicherte.18 bb) Der Inquisitionsprozess Auch in prozessualer Hinsicht sicherte man sich nun neue Zugriffsmöglichkeiten. Das Gericht selbst sollte bei Verdacht eine Untersuchung eröffnen können und das Verfahren der Suche nach der materiellen Wahrheit widmen. An die Stelle der alten Beweismittel traten nach und nach der Zeugenbeweis und das Ge ständnis.19 Gerade letzteres war von richterlicher Seite heiß begehrt und so erleb16
Köbler, S. 120; vgl. auch Birr, in: Strafgedanke, S. 59–78 (69 f.). Wadle, S. 103 ff.; Wesel, Geschichte, S. 294 f. (Rn. 207). 18 Wadle, S. 183 ff. 19 Rüping/Jerouschek, Rn. 23 ff.; Weitzel, ZRG (GA) 111 (1994), S. 66–147 (132 f.). 17
Kapitel 2: Die Entzauberung der Straftheorie
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te ein seit der Antike in Vergessenheit geratenes Mittel zur Wahrheitsfindung seinen zweiten Frühling: die Folter. Auf diese Weise entwickelte sich allmählich der Inquisitionsprozess (lat. inquirere = untersuchen), wie er bereits aus der kirchlichen „Inquisition“ gegen Ketzer und aus dem alten Rom bekannt war.20 cc) Die Universitäten Der neue Geist des alten römischen Rechts strömte dabei aus den ab Ende des 11. Jahrhunderts neu gegründeten Universitäten. Mit dem klassischen römischen Recht gab es ja bereits ein Vorbild, das mit dem neuen Ausmaß an Handel und Kooperation vertraut war. Im alten weströmischen Reich waren davon allerdings allenfalls noch vulgarrechtliche Überbleibsel bekannt. In Byzanz hingegen – dem alten Ostrom – war eine unter Kaiser Justinian angefertigte Dokumentation des klassischen römischen Rechts weiter lebendig. Als eine solche Handschrift in Italien auftauchte, begann ausgehend von der Universität Bologna – der „Leuchte des Rechts“21 – eine Wiedergeburt des römischen Rechts, welches zur Grundlage einer neuen Rechtswissenschaft wurde. Das 12. wurde „das juristische Jahrhundert“.22 Die Glossatoren und später die Postglossatoren versahen auslegungsbedürftige Stellen mit erklärenden Anmerkungen (den Glossen) und die ausgebildeten Juristen verbreiteten die Lehren der neuen, alten Texte in die Praxis.23 dd) Die Rechtsspiegel Die Wirkungen zeigten sich indes nicht nur im Strafverfahren. Auch das materielle Recht war im Wandel. Schon in der Landfriedensbewegung leuchtete ein neues territoriales Selbstverständnis auf. Das alte Personalitätsprinzip war nun endgültig nicht mehr praktikabel.24 Diese territoriale Vereinheitlichung zeigte sich schließlich auch in den sogenannten „Rechtsspiegeln“. In den Ländern und Städten hatten sich unter der dort lebenden Bevölkerung ohnehin neue gewohnheitsrechtliche Bräuche entwickelt. Zum Teil fanden diese von hoheitlicher Seite Niederschlag in den verschiedenen Landfrieden. Unter dem Eindruck der italienischen Glossentexte – und vielleicht sogar als Reaktion auf die neuen, von dort einströmenden Einflüsse – entstanden nun aber auch private Rechtsbücher, als
20 Hähnchen, Rn. 572 ff., 576 ff.; Wesel, Geschichte, S. 331 f. (Rn. 237); vgl. zum Ganzen auch Reinhard, S. 288 f. 21 M. Bloch, S. 166 f. 22 Berman, S. 199 ff.; Reinhard (S. 285) spricht von der „juristische[n] Revolution des 11./ 12. Jahrhunderts“ als der „wichtigste[n] Epochengrenze der europäischen Rechtsgeschichte“. 23 Vgl. von Hippel, S. 28 ff.; Wesel, Geschichte, S. 306 ff. (Rn. 216). 24 Senn, S. 101 ff.
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bekanntestes dieser Art der „Sachsenspiegel“.25 Ihr Ziel war es, das territorial geltende Gewohnheitsrecht widerzuspiegeln. Ähnlich wie die altbabylonischen Rechtstexte dürften sie trotz ihrer anfänglichen Unverbindlichkeit insofern durchaus eine Wirkung auf Rechtsvereinheitlichung und Proportionalität gehabt haben, da sie durch die Wiedergabe bisheriger Gewohnheiten eine Relativität zum zu entscheidenden Fall herstellten. Vermutlich war dies mit Blick auf die willkürliche Rechtsprechung und das Eindringen der römisch-rechtlichen Einflüsse auch ihr eigentlicher Zweck. c) Die willkürliche Strafpraxis All diese Versuche konnten die bestehenden Probleme einer willkürlich agierenden Strafgerichtsbarkeit aber nicht lösen. Vielmehr spitzte sich die Lage noch deutlich zu. Zwar hatten die römischen und kanonischen Einflüsse sicherlich das Potential, das vorhandene Recht zu systematisieren und zu rationalisieren. Dafür hätte es allerdings neben einer fortgeschrittenen Wissenschaft auch eines starken Zentralstaates bedurft, der die Vereinheitlichungen hätte durchsetzen können.26 Beides konnte gerade der deutschsprachige Raum nicht bieten. Und so setzte sich das Territorialitätsprinzip zwar nun immer mehr durch. Neben die alten Stammesrechte traten aber nicht nur die neuen Landrechte, sondern auch lokale Hof-, Dorf- und Stadtrechte.27 Hinzu kamen vermehrt die Einflüsse aus dem rezipierten römischen und – nicht zu unterschätzen – aus dem kanonischen Recht, in dem mit dem Decretum Gratiani seit Mitte des 12. Jahrhunderts ein neues Werk zur Verfügung stand, welches die über Jahrhunderte angewachsenen, oft widersprüchlichen Rechtssätze der Kirche zu vereinen suchte.28 All diese unterschiedlichen Rechtsquellen trugen nur noch mehr zur Hilflosigkeit des Laienrichtertums bei.29 Und selbst wenn man sich zur Anwendbarkeit eines Rechts durchgerungen hatte, war die gleichmäßige Anwendung noch lange nicht gewährleistet. Die mittelalterlichen Gesetze sprachen nämlich vom Dieb, vom Räuber, von Mord, Totschlag und den entsprechenden Strafen. Was jedoch fehlte, war eine Beschreibung des konkreten Verhaltens, welches den Täter zum Dieb, Räuber oder Mörder machte: der heutige Tatbestand. Diese Entscheidung blieb der freien Interpretation des jeweiligen Richters vorbehalten.30
25
Vgl. zum Ganzen auch M. Bloch, S. 166 ff. Vgl. gerade zu Ersterem Nagler, S. 130. 27 Vgl. Senn, S. 105. 28 Dazu Rüping/Jerouschek, Rn. 30 ff.; vgl. auch Reinhard, S. 287 f. 29 Nagler, S. 130. 30 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 94 (S. 115 f.). 26
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Die Krone auf der willkürlichen Rechtsfindung bildete schließlich die Möglichkeit des „Richtens nach Gnade“, welche sich als unmittelbare Reaktion auf die grausamen Strafdrohungen im „Theater des Schreckens“ entwickelt hatte.31 Die verschiedenen Kodifikationen spiegelten diese Grausamkeit durchaus wider, doch nur in den wenigsten der nun immer häufiger verfolgten Fälle schienen sie tatsächlich angemessen. Insofern etablierte sich die Vorstellung, dass die gesetzlich an sich absolut bestimmten Strafen eher das Höchstmaß des Möglichen festsetzten. Vor dem Urteil wurde insofern als Vorfrage darüber entschieden, ob der Richter von diesem Höchstmaß abweichen und „nach Gnade richten“ können sollte – was sehr häufig der Fall war. Auf dem Tagesplan des Richters stand damit die Frage nach ius oder aequitas – nach Recht oder Gerechtigkeit.32 Und allein die Notwendigkeit dieser Vorfrage sollte die Missstände des Rechtssystems deutlich machen. Natürlich war diese Entscheidung aber auch ein Einfallstor für an sich sachfremde Erwägungen und konnten monetäre und politische Anreize manche Richter durchaus beeinflussen.33 Während sich gegenüber Bürgern und E ingesessenen insofern eine teils als unverhältnismäßig empfundene Milde zeigte, entwickelte sich gegenüber den „landschädlichen Leuten“ ein blutiges Vorgehen zur Unschädlichmachung und Abschreckung, bei dem die Grenzen zu einem „polizei lichen Sicherungsverfahren“ verschwammen und der völlig unkontrollierte Einsatz der Folter seine entsprechenden Dienste zur „Wahrheitsfindung“ leistete.34 Ende des 15. Jahrhunderts mehrten sich schließlich die Klagen über die willkürliche und uneinheitliche Strafpraxis im Reich, die „in ihrer Trostlosigkeit zum Himmel schrie“35. Im Jahr 1496 wandte sich das frisch gegründete Reichskammergericht an die Reichsversammlung und berichtete, dass es in fast täglichen Klagen erfahre, dass Fürsten, Reichsstädte und andere Obrigkeiten die Leute unverschuldet und ohne Recht und redliche Ursache zum Tode verurteilen und richten ließen. Zwei Jahre später fasste der Reichstag in Freiburg den Beschluss, dass es „not sein [wird], deshalb ein gemein reformation und ordnung fürzu nehmen wie man in criminalibus procedirn sol“.36 Es war die Geburtsstunde eines Reformgesetzes, welches das Strafrecht lange prägen sollte: der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. und des Heiligen Römischen Reichs – der Constitutio Criminalis Carolina.37 31
Osenbrüggen, S. 179 f. A. a. O., S. 180 f. 33 A. a. O., S. 182. 34 Nagler, S. 130 f.; Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (83). 35 Nagler, S. 135; vgl. auch Jerouschek, in: Strafgedanke, S. 79–99 (94 ff.). 36 Vgl. Schroeder, Carolina, S. 132. 37 Zum Ganzen auch Rüping/Jerouschek, Rn. 94 ff. 32
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d) Die Constitutio Criminalis Carolina (Teil 1) Als die Carolina im Jahr 1532 in Regensburg endgültig verabschiedet wurde, war der führende Kopf der Reform – der Freiherr Johann von Schwarzenberg – bereits verstorben. Als Hofmeister des Bischofs von Bamberg zeichnete er verantwortlich für die schon 25 Jahre zuvor erlassene Bamberger Halsgerichtsord nung (Bambergensis), deren Inhalt die Carolina im Wesentlichen wortgleich übernahm.38 Inhaltlich war das Hauptanliegen die Vereinheitlichung der Praxis zur Einschränkung der bestehenden Willkür. Im Stil des rezipierten römischen Rechtes erhoffte man sich aus juristischer Präzision eine engere Bindung der Richter. Das bedeutete zunächst eine strengere Formalisierung des Inquisitionsprozesses, welcher bis dahin völlig frei gehandhabt wurde. Insbesondere mussten nun gewisse Indizien für die Anwendung der Folter vorliegen (welche sich in der Caro lina hinter dem Euphemismus „peinlich frag“ versteckte).39 An ihre völlige Abschaffung war allerdings ebenso wenig zu denken wie an eine spürbare Absenkung des allgemein hohen Strafniveaus. Dafür waren die einzelnen Territorien weiter zu stark, was sich auch in der vor Verabschiedung eingefügten „salvatorischen Klausel“ zeigte, die den regionalen Rechten weiter eine eigenständige Geltung zugestand.40 So blieb auch in materieller Hinsicht eine echte Revolution aus. Man versuchte an anderen Stellschrauben zu drehen. Das „Richten nach Gnade“ sollte ein Ende haben. Für Einheitlichkeit sollten die weiter absolut festgelegten Strafen sorgen, unterstützt durch zahlreiche neue tatbestandliche Klarstellungen und eine klare Abgrenzung zwischen Mord und Totschlag, die doch gerade für die gewählten Rechtsfolgen so entscheidend war.41 Zwar war die Carolina vor dem Hintergrund der salvatorischen Klausel im Grunde tatsächlich zunächst nur eine neue Autorität unter den anderen.42 Auch konnten die materiellen Strafdrohungen den Geist ihrer Zeit nicht verleugnen.43 Einigen der aufgeführten Missstände begegnete die Reform jedoch mit guten Ansätzen. Diese fortschrittlichen Elemente, die Integration der römisch-kanonischen Einflüsse und insbesondere ihr dem Zeitgeist entsprechendes Strafprin38 Kroeschell/Cordes/Nehlsen-von Stryk, S. 294; Schmidt, Geschichte, § 87 (S. 109 f.), § 114; in welchem Ausmaß die endgültige Fassung tatsächlich aus der Feder des Nichtjuristen Schwar zenberg stammt, ist ungeklärt, vgl. zum Streitstand Jerouschek, in: Strafgedanke, S. 79–99 (98 f.). 39 Vgl. etwa Art. 20–47, Art. 58 ff. CCC (Schroeder, Carolina, S. 33–47, 51 ff.); Jerouschek, in: Strafgedanke, S. 79–99 (79 ff.); Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (85). 40 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 115 (S. 132). 41 A. a. O., § 94; von Hippel, S. 30 ff. 42 Wesel, Geschichte, S. 384 (Rn. 258). 43 Günther, Wiedervergeltung I, S. 286.
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zip44 führten daher dazu, dass sich die Carolina auch faktisch nahezu überall durchsetzen und nachhaltig auf die Strafpraxis wirken sollte.45
3. Straftheorie – Der Beginn der Säkularisierung a) Kirche und Staat Die wirtschaftliche Revolution brachte bis dahin unbekannte Möglichkeiten von Reichtum und Macht. Das blieb auch in der Kirche nicht unbemerkt. Die Päpste waren sich ihres Einflusses durchaus bewusst, ebenso wie ihrer weltlichen Fesseln, welche die Ausweitung der eigenen Macht behinderten. Die neuen Versuchungen waren Ausgangspunkt zweier entgegengesetzter Bewegungen in der Kirche. Die erste warb für eine Rückbesinnung zu den urchristlichen Grundsätzen der evangelischen Armut und der Predigt. Aus ihr entwickelten sich verschiedene Sekten und Bettelmönchsorden (etwa die Franziskaner und die Domi nikaner). Die zweite Bewegung strebte nach Macht, und sie sollte deutlich größere Wellen schlagen, denn an ihrer Spitze standen die kirchlichen Oberhäupter.46 Zunächst eskalierte im Jahr 1054 der innerkirchliche Machtkampf zwischen dem byzantinischen Herrscher (dem Oberhaupt der orthodoxen Ostkirche) und dem römisch-katholischen Papst, welche sich gegenseitig exkommunizierten.47 Wichtiger noch als der interne Machtkampf aber war der Kampf mit der weltlichen Gewalt, den die römischen Päpste zur gleichen Zeit führten. Die geistliche Oberherrschaft war ihnen nun nämlich nicht mehr genug. Man verlangte nach Unabhängigkeit von der weltlichen Kontrolle. Eine neue „Freiheit der Kirche“ ließ sich zunächst einmal auch den urchristlichen Sekten schmackhaft machen, denn eine Lösung von den weltlichen Einflüssen bedeutete auch die Möglichkeit, sich auf die ursprünglichen Aufgaben des Christentums zu konzentrieren. Für die Päpste hieß diese Freiheit aber mehr: Nach außen hin deutlich wurde dies zunächst in der Forderung, selbst die Gewalt über die mit weiten Herrschaftsrechten ausgestatteten Bischöfe zu erhalten, deren Ernennung und Absetzung (Investitur) bis dahin in den Händen des Kaisers lag. Hinter diesem Investiturstreit stand jedoch die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von weltlicher und geistlicher Macht.48
44
Dazu Teil II – Kapitel 2I.3.d). Nagler, S. 188 ff.; Schmidt, Geschichte, § 115 (S. 133), § 124; von Hippel, S. 33. 46 Dazu und zum Folgenden Bossenbrook, S. 36 ff.; vgl. auch Valjavec, S. 35 ff. 47 Horchler/Fried, in: Geschichte Deutschlands, S. 13–42 (35). 48 Vgl. zum Ganzen Fuhrmann, S. 72 ff., Horchler/Fried, in: Geschichte Deutschlands, S. 13–42 (39). 45
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Von Seiten der weltlichen Herrscher bestand aus der Königsweihe der tradi tionelle Anspruch auf eine zentrale sakrale Rolle. Die Vorstellung, dass der König von Gott zu seinem Sachwalter auf Erden erwählt wurde, sicherte ja gerade seine Legitimität.49 Die Kirche machte nun aber neue Ansprüche geltend. Sie war der Meinung, ihr sei von Christus die Aufgabe übertragen worden, der Menschheit das Heil zu bringen. Die weltliche Gewalt hingegen diene allein der zwischenzeitlichen Erhaltung der äußeren Ordnung. Aus ihrer Sicht stand der Papst als Nachfolger des Petrus also an der Spitze aller Christen (inklusive der Könige und Kaiser). Er selbst war somit der Herrscher der Welt. Und insofern war auch nicht er es, der vom Kaiser ein- und abgesetzt werden konnte, sondern umgekehrt.50 Auf den ersten Blick schien die Zeit der wirtschaftlichen Revolution also eine Stärkung der Kirche hervorgebracht zu haben. Bermann spricht gar von einer „päpstlichen Revolution“51. Und tatsächlich stand als vorläufiger Abschluss des Streits mit dem Wormser Konkordat von 1122 ein Kompromiss, welcher der Kirche einige neue Rechte zugestand.52 b) Glaube und Wissen Aus straftheoretischer Sicht interessiert jedoch vor allem eine Entwicklung, welche mit dieser einsetzenden Trennung von Kirche und Staat ungewollt, aber notwendigerweise einherging. Bisher waren die spirituelle und die weltliche Welt in einer fundamentalen Einheit scheinbar untrennbar miteinander verbunden gewesen. Glaube und Wissen waren über Jahrhunderte eins. Wie sollte es auch anders sein in einer Zeit, in der die einzigen geistigen Zentren die Klöster waren und die Methode der Argumentation darin bestand, passende Zitate aus den Schriften der Kirchenväter anzuführen.53 Die neuen Entwicklungen ließen die Grenze zwischen der Welt des Geist lichen und der Welt des Zeitlichen nun aber erstmals erkennbar werden. Als sich das Papsttum von seinen weltlichen Fesseln löste, befreite es in gewissem Maße auch die bis dahin religiös unterdrückten kulturellen Kräfte. Der vorübergehende Machtgewinn der Kirche untergrub so ungewollt das Fundament dieser Macht und schuf die Grundvoraussetzung eines jahrhundertelangen Säkularisierungs49
Vgl. dazu auch Erkens, ZRG (KA) 189 (2003), S. 1–55. Horchler/Fried, in: Geschichte Deutschlands, S. 13–42 (37 f.); eine Demonstration dieser Macht bot im Jahr 1076 der päpstliche Kirchenbann gegen Heinrich IV. und sein anschließend demütiger Gang nach Canossa. Auch begann man ab Ende des 11. Jahrhunderts mit eigenen Eroberungskriegen in islamischen und ketzerischen Gebieten: den Kreuzzügen (vgl. dazu Fuhrmann, S. 87 ff.). 51 Berman, S. 144 ff. 52 Vgl. Fahrmeir, S. 14 f. 53 Dazu und zum Folgenden vgl. Bossenbrook, S. 40; vgl. auch Hirst, S. 34 ff. 50
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prozesses. War das Tor im alten Bollwerk von Kirche und Staat nämlich erst einen Spalt geöffnet, war es nur noch eine Frage der Zeit, ehe die neuen geistigen Zentren – die Universitäten – die alten Lehren in Bedrängnis bringen sollten. Schärfste Waffe im Arsenal der neuen Denker waren die antiken römischen und insbesondere griechischen Texte mit ihrer unchristlichen, heidnischen Lebensphilosophie und Weltsicht. Zum Teil hatten diese in den Klöstern überlebt, wo sie ständig kopiert, aber von der Kirche allenfalls partiell und im Sinne der eigenen Lehren weitergegeben wurden. Vor allem aber gelangten zu Beginn des 12. Jahrhunderts über arabische Gelehrte Übersetzungen des „Meisters aller Wissenden“ – wie ihn später Dante in seiner „göttlichen Komödie“ nennen sollte –54 an die Universitäten: die Schriften des Aristoteles. Sie zeigten, dass es scheinbar schon vor den Texten der Kirchenväter philosophische Systeme ge geben hatte, die viele Dinge besser erklären konnten als die tradierten Glaubenslehren.55 Die neubegründete Wissenschaft baute nun auf einer innovativen Denkweise, in der Logik und Rationalität die Grundlage einer neuen Methode der Beweisführung bildeten: Die Scholastik war geboren, in der mithilfe der „Vernunft“ die geheimnisvollen Beziehungen zwischen Glauben und Wissen entschlüsselt werden sollten.56 Die neuen Schlussfolgerungen brachten die alten Lehren der Kirchenväter, die ja keinesfalls frei von Widersprüchen waren, gehörig in Bedrängnis. Augustinus hatte es mit Mühe geschafft, Altes und Neues Testament einigermaßen zu ver einen. Nun aber traten neben die Kritik an seinen inneren Widersprüchen die bestechend logischen Schriften des Aristoteles, welche das bisher geglaubte Wis sen in Frage stellten. Auch und gerade die Straftheorie blieb von diesen Entwicklungen natürlich nicht verschont. c) Thomas von Aquin und die Antwort der Kirche Für die Kirche war das neue Denken ein Angriff auf ihr Fundament. Anfangs meinte man dieses noch unverändert halten zu können. Man versuchte es mit Aristoteles-Verboten und verdammte die neuen Lehren. Je mehr neues und altes Wissen aber einströmte – auch etwa auf den Gebieten der Geographie, Mathematik, Astronomie oder Medizin –, desto weniger war die augustinische Weltdeutung noch in der Lage, die modernen Fragen ausreichend zu beantworten.57 Die Entdeckung der menschlichen Vernunft kratzte an der Absolutheit des Primats von Glauben und Theologie, auf dem die Lehren des Augustinus gebaut waren. 54
Dante, La Divina Commedia, Canto IV, 131 (S. 40) („’l maestro di color che sanno“). Reisch, S. 55. 56 Bossenbrook, S. 40. 57 Heer, S. 158; Reisch, S. 77. 55
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Noch aber war die Kirche stark genug, um diesen ersten Angriff abzuwehren. Frei nach dem Motto „Was man nicht besiegen kann, muss man versöhnen“ gelang es den Päpsten, nach und nach eigene Vertreter auf den wichtigsten universitären Lehrposten zu platzieren. Sie sollten zwischen der antiken Philosophie (vor allem der des Aristoteles) und der christlichen Theologie vermitteln. Die beiden wichtigsten Vertreter dieser Bewegung waren Albertus Magnus und insbesondere sein Schüler Thomas von Aquin, dessen Versöhnungsversuche den Theologen zum bedeutendsten Philosophen des Mittelalters machen sollten.58 Thomas (1225–1274) war Scholastiker durch und durch. Das (unvollendet gebliebene) Hauptwerk seiner Versöhnungsversuche – die „Summa Theologica“ – nutzte insofern die Methode der „Dialektik“, war im Grunde also ein monu mentales Wechselspiel von Frage und Antwort. Die Fragen umschrieben dabei im Stil von These und Antithese einzelne Problemkreise, in der sich biblische und antike Quellen (vermeintlich) widersprachen. Auf sie folgte sodann die Antwort des Thomas, der erklärte, wie die Gegensätze im Lichte der Vernunft aufzulösen seien.59 aa) Die göttliche Wahrheit und die Vernunft Grundlage der Lehren des Thomas war weiter die augustinische Übelslehre.60 Über allem thronte auch für ihn die göttliche Wahrheit. Zugang zu ihr habe der Mensch – neben den Schriften der göttlichen Offenbarung – aber nur über die Vernunft, welche ihm zu diesem Zwecke von Gott gegeben sei.61 Vor diesem Hintergrund war die neue Art wissenschaftlichen Denkens, welche sich dieser Vernunft verschrieben hatte, also nicht mehr schlecht, sondern diente dazu, Gottes Plan besser zu verstehen. Mehr noch: Mit Hilfe der Vernunft konnten falsche Interpretationen der Offenbarungsschriften offengelegt werden, denn aus logischer Sicht konnte die richtige Auslegung einer christlichen Überlieferung der Vernunft niemals widersprechen – hatten doch beide ihren Ursprung in Gott selbst. Thomas nutzte also die neu entdeckte (und für die Kirche so gefährlich gewordene) Vernunft selbst als Brücke über dem Graben, der sich zwischen Glauben und Wissen aufzutun drohte. Vor diesem Hintergrund standen beide sich nun also nicht mehr nur nicht entgegen. Der wahre Glauben setzte die Erkenntnis sogar voraus.62 58
Bossenbrook, S. 67 f.; zum Ganzen auch Heer, S. 158 f.; Höffe, S. 127 ff.; Sawicky, S. 138 ff. Reisch, S. 79 f.; Senn, S. 158 f. 60 Siehe Teil II – Kapitel 1III.1.b); vgl. Thomas von Aquin, De Malo, Teil I, Art. 1 ff.; zum Ganzen auch Brands, S. 8 ff.; Schick, in: Aquin, S. 171–194 (177). 61 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, I, q. 1 Art. 1. 62 Vgl. Heer, S. 167; Heinzmann, in: Glauben, S. 169–183 (175 ff.); Senn/Gschwend/Pahud de Mortanges, S. 112. 59
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bb) Die Straftheorie des Thomas von Aquin (1) Aristotelisch ausgleichende Gerechtigkeit Rechtliches Spiegelbild der göttlichen Wahrheit war für Thomas das göttliche (ewige) Gesetz (lex aeterna), welches den Inbegriff der Gerechtigkeit darstelle.63 Soweit der Mensch an ihm durch die Vernunft teilhaben könne, entspreche es dem Naturrecht (lex naturalis).64 Die Trinität des Rechts komplettiere schließlich das positiv gesetzte menschliche Recht (lex humana), welches, um gerecht zu sein, mit den beiden ersten im Einklang zu stehen habe.65 Der eigentliche Grund der Strafe erklärte sich nun aus den Verstößen gegen eben diese Ordnungen. Hier verweilte Thomas in augustinischen Mustern, untermauerte sie aber mit aristotelisch physikalischer Logik: „Wie bei den Naturdingen, so auch bei den menschlichen Angelegenheiten: das, was gegen etwas sich erhebt, erleidet von diesem eine Schädigung. Bei einem Gegensatz [im Bereich] der Naturdinge sehen wir nämlich, daß die eine Seite kraftvoller tätig ist, wenn die andere Seite gegenwärtig wird. Deshalb ‚frieren erwärmte Wasser mehr‘ (Aristoteles). Daher trifft man dies bei den Menschen aus natürlicher Neigung, daß jeder den unterdrückt, der sich gegen ihn erhebt. Offenkundig ist nun aber alles, was sich in einer gewissen Ausrichtung befindet, gewissermaßen eines im Hinblick auf den Ursprung der Ausrichtung. Was sich daher gegen eine gewisse Ausrichtung erhebt, muß folglich durch diese Ausrichtung selbst oder vom Urheber der Ausrichtung unterdrückt werden. Da nun aber die Sünde eine fehlgeleitete Tat ist, ist offenkundig, daß jeder, der sündigt, gegen eine gewisse Ausrichtung handelt. Folglich wird er durch diese Ausrichtung unterdrückt. Diese Unterdrückung aber ist Strafe.“66
Strafe war für Thomas also die natürliche Gegenreaktion auf den Verstoß gegen eine Ordnung und stellte eben diese so wieder her.67 Da diese Ordnungen im Optimalfall allesamt die göttliche Gerechtigkeit widerspiegelten, stand dies im Einklang mit der aristotelischen Straftheorie, in der die Strafe ein Mittel darstellte, welches die Ungleichheit (als Abweichung von seinem Gerechtigkeitsideal) durch arithmetischen Ausgleich beseitigen sollte.68 63 Vgl.
Thomas von Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 91, Art. 1, 4, 5; q. 93. Thomas von Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 91, Art. 2; q. 94; vgl. auch Lippert, S. 122; Stahl, Philosophie I, S. 56 ff.; hier werden die Einflüsse der antiken Philosophie deutlich, die über den griechisch-römischen Kulturkreis in die Lehre der Kirchenväter Eingang fand und in der sich die Naturrechtsidee bereits breit entwickelt hatte, vgl. dazu etwa M ahlmann, § 1 Rn. 96. 65 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 91, Art. 3; q. 93, Art. 3; q. 95; q. 96; zum Ganzen Brands, S. 38 ff.; Kluxen, S. 230 ff.; Lippert, S. 116 ff.; Schick, in: Aquin, S. 171– 194 (179 ff.); ausführlich auch Merks, S. 188 ff.; diese Unterscheidung ist auch schon bei Au gustinus bekannt (vgl. Mahlmann, § 2 Rn. 16 ff.), ohne dass der Kirchenvater daraus aber Konsequenzen für die Straftheorie ziehen würde. 66 Thomas von Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 87 Art. 1. 67 Vgl. auch Brands, S. 38; Nagler, S. 175 ff. 68 Vgl. dazu Schöpsdau, in: Strafe, S. 1–22 (17 ff.); von Bar, S. 208 ff. 64 Vgl.
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„Die sündige Tat macht nämlich den Menschen strafwürdig, insofern er die Ausrichtung an der göttlichen Gerechtigkeit übertritt. Zu dieser aber kehrt er nur zurück durch die Strafe als eine gewisse Ersatzleistung, die zum Gleichmaß der Gerechtigkeit zurückführt.“69
Ganz in diesem Sinne sei dann auch das Strafmaß zu bestimmen, nämlich als Ausgleich der Sünde im Verhältnis der Gleichheit.70 Im Grunde erteilte Thomas an dieser Stelle also eine Absage an etwaige Nützlichkeitserwägungen und legte den Finger in die Wunden einer Zeit, in der das zwar nur partiell angewandte, dann aber ausufernde Abschreckungsdenken zum Ursprung der „brennenden Umstände einer in Willkür und Rohheit entarteten Strafjustiz“71 geworden war.72 (2) Die Trennung von göttlicher und weltlicher Strafe Bis zu diesem Punkt war nun aus straftheoretischer Sicht noch kein bedeutender Wandel zur augustinischen Tradition erkennbar. Gleiches galt auf den ersten Blick für die Begründung der ausschließlichen Strafgewalt des staatlichen Richters. Voraussetzung legitimer Rechtsprechung war für Thomas eine Vollmacht, die den Strafenden dazu ermächtigte, stellver tretend die Gegenreaktion der menschlichen Ordnung zu übernehmen. Eine solche Befugnis könne aber nur von Gott kommen, weshalb der Richter weiter als Diener Gottes („minister dei“)73 und insofern als „lebendige Gerechtigkeit“74 agiere.75 Der entscheidende Punkt in der Straftheorie des Thomas lag an anderer Stelle: Der menschliche Richter war nun nämlich nur noch zuständig für Verstöße gegen die lex humana. Es ging also nicht mehr um eine Übernahme der göttlichen Strafe. Diese blieb vielmehr selbstständig neben der menschlichen und der natür lichen Strafe bestehen. „Entsprechend den drei Ausrichtungen, denen der menschliche Wille unterliegt, kann daher der Mensch mit einer dreifachen Strafe bestraft werden. [
] eine von sich selbst her, nämlich Gewissensbisse; eine andere von einem Menschen, eine dritte aber von Gott.“76 69 Thomas von Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 87, Art. 6; vgl. ferner ders., Summa Theologica, II–II, q. 108, Art. 2: „[…], so ist die Bestrafung von Vergehen […] ein Akt der ausgleichenden Gerechtigkeit.“ 70 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologica, II–II, q. 61, Art. 4; vgl. auch Nagler, S. 176 f.; Schick, in: Aquin, S. 171–194 (189). 71 Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (83). 72 Vgl. dazu Brands, S. 43. 73 Thomas von Aquin, Summa Theologica, II–II, q. 60, Art. 2; vgl. auch q. 64, Art. 3. 74 A. a. O., q. 60, Art. 1 (wobei Thomas hier wiederum Aristoteles zitiert). 75 Vgl. zum Ganzen auch Grunert, in: Neue Wege, S. 313–332 (328 ff.); Müller, Aquin, S. 61 ff. 76 Thomas von Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 87, Art. 1.
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Die Trennung von Staat und Kirche, von Wissen und Glauben, von Natürlichem und Übernatürlichem schlug sich nun also erstmals auch in der Straftheorie nieder.77 Zwar hatte auch die menschliche Strafe ihren eigentlichen Grund in der Herstellung der gestörten Ordnung. Doch erkannte Thomas wie einst Augustinus die Schwächen der menschlichen Diener Gottes, denen die Einsicht in das Innere des Täters und das tatsächliche Ausmaß der Sünde – mithin die Einsicht in die wahre Gerechtigkeit – verwehrt blieb.78 In dieser Trennung von göttlicher und weltlicher Strafe lag das Einfallstor für die humanistischen Sprösslinge der Renaissance. Hier integrierte Thomas die in der griechischen Antike so zahlreich geäußerten präventiven Strafzwecke in die christliche Theologie. Sie fanden sich unter dem Stichwort der Poena medicina lis.79 Neben den bewährten Zweck der augustinisch-neutestamentarischen Heilsstrafe traten so an verschiedenen Stellen Einwürfe zur spezialpräventiven Besserung,80 zur Unschädlichmachung,81 zur Abschreckung82 und zur Befriedung des Gemeinwesens, „dessen Ruhe durch die Bestrafung der Übeltäter gesichert“ werde83. Thomas warf die verschiedenen präventiven Erwägungen überall dort ein, wo er sie zur überzeugenden Auflösung von Widersprüchen benötigte. Die Prävention unterstützte so als „begleitendes Nebenprinzip“84 die weltliche Form der Strafe, die sich dem eigentlichen Zweck der göttlichen Gerechtigkeit eben allenfalls annähern konnte.85 Etwaige Widersprüche, die sich aus den unterschiedlichen Strafzwecken ergeben konnten, waren in seinem dialektisch ange77 Grunert (in: Neue Wege, S. 313–332 [324]) spricht von einer „bemerkenswerte[n] Autonomisierung menschlicher Gerichtsbarkeit“. 78 Vgl. Brands, S. 51. 79 Vgl. dazu a. a. O., S. 46 ff. 80 Thomas von Aquin, Summa Theologica, II–II, q. 68, Art. 1. 81 Thomas von Aquin, Summa Theologica, II–II, q. 108 Art. 1; ders., Summa Theologica, II–II, q. 65, Art. 1. 82 Thomas von Aquin, Summa Theologica, I–II, q. 92, Art. 2; ders., Summa Theologica, II–II, q. 108, Art. 3 (positive Generalprävention); ders., Summa Theologica, I–II, q. 87, Art. 3 (negative Generalprävention). 83 Thomas von Aquin, Summa Theologica, II–II, q. 68, Art. 1; vgl. auch Schick, in: Aquin, S. 171–194 (190 ff.). 84 Kohler, GA 67 (1919), S. 345–350 (346); ebenso Basler (Divus Thomas 9 [1931], S. 173–202 (181): „Wenn auch zu diesem ersten Strafzweck andere hinzutreten und bei Thomas als Strafmaß und begleitende Nebenzwecke ihre Berechtigung finden, so bleibt bei ihm die sittliche Schuld allein der innere Rechtfertigungsgrund bei der staatlichen Strafe, wie bei jeder Strafe überhaupt.“; ähnlich Nagler, S. 181 (Fn. 1); eine größere Bedeutung (zumindest bei der menschlichen Strafe) misst Brands (Aquin, S. 50) der Poena medicinalis bei, wenngleich dies auch seines Erachtens keineswegs die Strafe im Sinne der Wiedervergeltung ausschließe. 85 Maihold (S. 154 ff.) spricht bezüglich dieser die Gerechtigkeit wiederherstellenden Strafe von der „eigentlichen Strafe“ und der „Strafe mit Strafcharakter“.
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legten Werk erst einmal zweitrangig – ebenso wie die theokratische Rechtfertigung des ausufernden Zweckdenkens, welche die Missstände bis hin zur Entstehung der Carolina noch einmal anfachen sollte.86 Durch die Trennung der göttlichen von der weltlichen Strafe gab Thomas den präventiven Erwägungen also wieder die Chance, sich in einer staatlichen Straftheorie zu etablieren. Auch wenn das bei ihm selbst nur in Ansätzen der Fall war, markiert dieser Schritt einen zentralen Wendepunkt in der Geschichte der Straftheorie. Thomas war es, der auf diese Weise den lange währenden Säkularisierungsprozess der Straftheorien einleitete. Und auch das mittelalterliche Hauptwerk der Strafrechtspflege – die Carolina – konnte die zahlreichen Einflüsse des großen Philosophen nicht leugnen.87 d) Nützlich ist, was gerecht ist – Die Constitutio Criminalis Carolina (Teil 2) Das Nebeneinander von „Gerechtigkeit“ und „Zweckmäßigkeit“ begegnete auch in der aus straftheoretischer Sicht zentralen Norm der Carolina – dem Art. 104 CCC. Er stellte klar, dass die Strafe „auß lieb der gerechtigkeyt, vnd umb gemeynes nutz willen“ zu verhängen war. Der Gerechtigkeits- und der Zweckgedanke erschienen hier also zunächst auf einer Ebene. Daraus zu schließen, dass auch Schwarzenberg – wie Thomas – dem Spannungsverhältnis der beiden Prinzipien aus dem Weg gegangen wäre, griffe allerdings zu kurz und wäre vor dem Hintergrund der damaligen Lage auch nicht mehr denkbar gewesen. Das ausufernde Zweckdenken war ja gerade eine der Hauptursachen für die Entstehung der Carolina. Die Gerechtigkeit hingegen stand als potentielle Antwort auf die zahlreichen Missstände im Raum. Hier hatte Thomas die nötige Vorarbeit geleistet und die theokratische Straftheorie mit der aristotelischen Gerechtigkeitslehre verbunden. An dieser Gerechtigkeit sollten sich die neuen Regelungen nun also orientieren. Was das genau bedeuten sollte, zeigte ebenfalls der Blick auf das Werk des Aristoteles, welcher in seiner Nikomachischen Ethik eindrucksvoll die Übereinstimmungen von Gerechtigkeit und Gleichheit (als einer Art von Proportionali86 Vgl. auch von Bar, S. 215 f.; mithilfe der dialektischen Methode lieferte Thomas für alle vermeintlichen Zweifel, die die antiken Lehren an der Richtigkeit der christlichen Offenbarung aufkommen ließen, jeweils für sich genommen plausible und logische Antworten. Diese in ein in sich geschlossenes Gedankengebäude zu integrieren, gelang auch ihm nicht – gerade mit Blick auf die Straftheorie. Darauf war das dialektische System von für sich genommen separierten Fragen und Antworten aber eben auch nicht ausgelegt, vgl. auch Senn, S. 158 f. 87 Nicht zu unterschätzen war ferner Thomas’ Rezeption und Fortdenken antiker Überlegungen zu den Strafzwecken. Zahlreiche seiner „begleitenden Nebenprinzipien“ sollten von späteren Denkern aufgegriffen und zu eigenständigen Straftheorien fortentwickelt werden, vgl. Kohler, GA 67 (1919), S. 345–350 (345 ff.).
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tät) dargelegt hatte.88 Es ging nun also in erster Linie darum, konsequent alle Taten zu verfolgen (Inquisition), gleiche Taten auch gleich zu bestrafen, und zwar im Anschluss an ein für alle gleiches Verfahren (in dem die Folter nicht mehr ohne jegliche Hemmungen und ohne einheitliche Voraussetzungen als Mittel zur Erlangung eines Geständnisses eingesetzt werden konnte). Aus gutem Grund also stand die Gerechtigkeit in Art. 104 CCC an erster Stelle. Sie verkörperte den straftheoretischen Hintergrund der Reformen und war insofern das Leitmotiv der Carolina.89 Verstanden wurde diese Gerechtigkeit durch und durch religiös. Nicht umsonst betonte Schwarzenberg, er habe sein Werk Gott zu Lob verrichtet.90 Zwar löste er sich nicht von der Vorstellung, dass die Strafe auch mit Blick auf den „gemeinen Nutzen“ zu bestimmen sei. Er stellte diesen Nutzen aber völlig in den Dienst der Gerechtigkeit. Deutlich wurde das in seiner 1531 herausgegebenen Übersetzung von Ciceros Schrift „de officiis“,91 in deren lateinischen Original es hieß: „Nihil vero utile, quod non idem honestum, nihil honestum, quod non idem utile sit, saepe testatur negatque ullam pestem maiorem in vitam hominum invassise quam eorum opinionem, qui ista distraxerint.“ – „Dass aber nichts nützlich sei, was nicht ebenso auch moralisch sei, und nichts moralisch, was nicht ebenso auch nützlich sei, bezeugt er [Panaitios] oft und behauptet, es sei kein größeres Unheil über das Leben der Menschen gekommen als die Auffassung der Leute, die das Nützliche und das Moralische voneinander getrennt hätten.“92
Im Werk von Schwarzenberg kam diese Passage schließlich folgendermaßen zum Ausdruck: „Und soll sich niemand mit solcher Torheit beladen, daß er etwas, das unendlich nutz oder gut sein möge, ohne Übung wahrer Gerechtigkeit hoffe.“93
Das war der straftheoretische Geist der Carolina. Das Spannungsverhältnis zwischen Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit wurde abgelöst durch ein Abhängigkeitsverhältnis, in dem der Gerechtigkeit der absolute Vorrang zukam: Nützlich ist (nur), was gerecht ist. e) Die Straftheorie des ausgehenden Mittelalters Mit dem Beginn der Säkularisierung hatten die Nützlichkeitserwägungen also zwar praktisch wie theoretisch Einzug in die Straftheorie gehalten. Am Ende 88
Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V, Kapitel 6. Vgl. zu weiteren Stellen, an denen dies deutlich wird Nagler, S. 190 f. 90 Dazu Merzbacher, in: Justiz in alter Zeit, S. 39–58 (50). 91 Vgl. dazu Birr, in: Strafgedanke, S. 59–78 (60 ff.); Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (84 f.). 92 Cicero, De Officiis, III, 34 (S. 232 f.). 93 Zitiert nach Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (85). 89
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aber stand die Gerechtigkeit als Strafgedanke an der Spitze. Eine Gerechtigkeit, die ihren Ursprung in Gott fand, ebenso wie sich die Position der Richter nur durch ihn legitimierte.94 Dieser straftheoretische Geist der Carolina stand stellvertretend für das herrschende Denken in der Zeit des ausgehenden Mittelalters und der Anfänge der Neuzeit. So stellte im Jahre 1537 auch einer der bekanntesten deutschen Fürstenspiegel – die Paedagogia Principum von Reinhard Lorich – klar, dass die Sorge um die Gerechtigkeit die wichtigste Angelegenheit aller Fürsten zu sein habe. Orientieren müssten sie sich dabei an den Vorgaben der Heiligen Schrift, sei es doch Gott selbst gewesen, der ihnen die Strafgewalt übertrug.95 Der erste Angriff auf das theokratische Fundament der Straftheorie war durch die Implementierung der antiken in die kirchlichen Lehren also zunächst einmal abgewehrt. Im Hintergrund waren allerdings bereits weitere Prozesse im Gange, die das religiöse Fundament der Straftheorie weiter in Bedrängnis bringen sollten.
II. Die letzten Züge der theokratischen Straftheorie 1. Göttliche Gerechtigkeit und die „Poena extraordinaria“ Trotz aller Fortschritte im prozessualen und materiellen Recht: Das vorhandene Problem einer willkürlich anmutenden Strafrechtspflege konnte auch die Caroli na allenfalls punktuell bekämpfen. In vielen Bereichen verlagerten die gutgemeinten Reformen letztlich nur die Probleme. Insbesondere verlangte die aus den straftheoretischen Hintergründen geforderte „göttliche Gerechtigkeit“ von den Richtern eine gerechte Strafzumessung im Einzelfall. Das bedeutete in erster Linie eine angemessene Berücksichtigung der individuellen Umstände. Kam der Richter dem nicht nach, versündigte er sich selbst – auf dem Spiel stand also nicht weniger als sein eigenes, ewiges Seelenheil.96 Die Carolina sah eine solche 94
Auch weitere Normen der Carolina weisen auf diese theologische Durchdringung hin. So schrieb etwa Art. 69 CCC dem Gericht vor, selbst „nach gnugsamer Beweisung“ der Tat den Täter noch zu einem Geständnis zu bewegen. Erklären lässt sich das nur durch die damals gängige Vorstellung, dass das Sündenbekenntnis notwendige Voraussetzung für die göttliche Vergebung und damit für das Seelenheil des Betroffenen war, vgl. Ignor, S. 72 f.; van Dülmen, S. 161; zu nennen sind ferner die religiöse Inszenierung des Hinrichtungsrituals und auch Art. 102 CCC, welcher den Täter durch Beichte und Beistand geistlicher Begleiter zu Gott zurückführen sollte, dazu und zum Ganzen Haas, S. 175 mit weiteren Nachweisen. 95 Vgl. Birr, in: Strafgedanke, S. 59–78 (65 ff.) mit weiteren Nachweisen und Beispielen – etwa aus dem Layenspiegel des Nördlinger Stadtschreibers Ulrich Tengler (1509). 96 Birr, in: Strafgedanke, S. 59–78 (71).
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Berücksichtigung allerdings nur sehr eingeschränkt vor, hatte man doch gerade an der Formulierung absoluter Strafandrohungen festgehalten, um die Richter enger zu binden und der Willkür entgegenzuwirken. Diese absolut bestimmten Strafen waren das Hauptproblem der Folgezeit, zumal sie ja dem Geist der Zeit gefolgt waren und entsprechend grausame Züge aufwiesen.97 Für die Richter stellte sich also bald die Frage, wie im Einzelfall von der gesetzlich fest bestimmten Strafe abgewichen werden konnte. Wie sollte man die Unterschiede in den einzelnen Fällen adäquat berücksichtigen und so der eigentlich geforderten „Gerechtigkeit“ Rechnung tragen? Als Lösung für diese Problematik entpuppte sich recht bald das aus dem römischen Recht bekannte Institut der „Ausnahmestrafe“: die Poena extraordinaria. Sie gestand der Praxis letztlich die Möglichkeit zu, von der absolut bestimmten Strafe abzuweichen, wenn die Tat nicht ganz dem „normalen“ Verbrechenstyp entsprach.98 Damit konnte der Richter zwar einerseits wieder seinen für gerecht empfundenen Abstufungen Folge leisten. Die gesetzlich intendierte Verhinderung von richterlicher Willkür durch gesetzliche Bindung war aber zunächst einmal wieder unterwandert. Der beschriebene Konflikt sollte sodann zum Ausgangspunkt einer ersten wissenschaftlich-systematischen Auseinandersetzung mit dem Strafrecht werden – der „ersten Epoche der deutschen Strafrechtswissenschaft“.99 Um einem erneuten Aufflammen völliger Willkür entgegenzuwirken, entwickelte sich diese nun nämlich rund um den Versuch, die Fälle der Poena extraordinaria auf eine theoretisch nachvollziehbare Grundlage zu stellen. Nun zeigten sich erstmals Ansätze einer Systematisierung allgemeiner Begriffe, die für die Strafzumessung von Bedeutung waren; Dinge wie Vorsatz, Fahrlässigkeit, Irrtum oder Notwehr, die in allen Gesellschaften – das zeigen sämtliche ethnographische Daten – seit jeher Berücksichtigung fanden, für die es aber so gut wie keine gesetzlich festgeschrie benen Regelungen gab. Es war der Beginn einer Entwicklung, die später zur Entstehung eines „Allgemeinen Teils“ des Strafgesetzbuches führen sollte. Vorerst blieb eine solche Abstrahierung vom konkreten Tatbestand aber auch in der Wissenschaft die Ausnahme.100 Herrschend blieb die alte scholastische Methode – nicht zuletzt aufgrund der anfänglich völligen Abhängigkeit von den ausländischen, insbesondere den italienischen Autoren.101 Noch Benedikt Carpzov102, 97 Vgl.
Schnabel-Schüle, S. 68.
98 Dazu Wesel, Geschichte, S. 387 (Rn. 259); ferner Schaffstein, Verbrechen, S. 42; von Weber,
FS Rosenfeld, S. 29–50 (37 ff). 99 Schaffstein, Verbrechen, S. 1; Schmidt, Geschichte, §§ 129 ff. 100 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 132 (S. 149), §§ 134 ff., § 155. 101 Schaffstein, Verbrechen, S. 3; vgl. auch Nagler, S. 213 ff. 102 Zu ihm sogleich Teil II – Kapitel 2II.2.c).
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der als Begründer einer eigenständigen deutschen (Straf-)Rechtswissenschaft bezeichnet werden kann,103 beantwortete die Frage nach der Anwendbarkeit der Poena extraordinaria Anfang des 17. Jahrhunderts nur mit Blick auf die einzelnen Delikte.104
2. Das Vordringen humanistischer Einflüsse a) Die Voraussetzungen für den Bedeutungsgewinn des Präventionismus Nicht nur die aufkommende Dogmatik beeinflusste indes die konkrete Strafzumessung. Gerade die Straftheorie sollte hier verstärkt eine Rolle spielen. Die präventiven Theorien gewannen weiter an Boden. Zu ihrem Bedeutungsgewinn in der Strafzwecklehre führte allerdings nicht nur die blinde Verehrung, „die nach dem Zeitbewusstsein auch die Juristen der Erbweisheit der antiken Philosophie zollen zu müssen glaubten“, wie es noch Nagler im Jahre 1918 beschrieb.105 Insbesondere zwei weitere Faktoren spielten hier eine zentrale Rolle:106 aa) Das „Ratsuchen“ Die Carolina vereinte die volkstümlichen, regionalen Rechte mit den Einflüssen des gelehrten römischen Rechts, das aus den italienischen Universitäten einströmte.107 Mit den römisch-kanonistischen Methoden und Strukturen war das verbreitete Laienrichtertum allerdings häufig überfordert – ganz abgesehen von den verschiedenen Auslegungsschwierigkeiten, die auch die Carolina weiter bot.108 Diese Problematik war natürlich auch den Vätern der Reform bekannt. An zahlreichen Stellen wurde den Richtern deshalb das sogenannte „Ratsuchen“ vorgeschrieben. In allen zweifelhaften Fällen sowie bei der Verhängung von Leibesstrafen hatten sie danach „bei jren oberhofen“, „jrer oberkeyt“ oder „den nechsten hohen schulen, Stetten, Communen, oder andern rechtsuerstendigen“ um Rat zu fragen (Art. 219 CCC) – hieß: um eine Entscheidung zu bitten.109 Auch die „gerechte“ Strafzumessung lag somit in den Händen von Rechtskundi103 Vgl. Hilgendorf, Handbuch des Strafrechts, § 18 Rn. 11; Schmidt, Geschichte, § 140; eher
skeptisch hinsichtlich dieser „Auszeichnung“ Rüping/Jerouschek, Rn. 115. 104 Schaffstein, Verbrechen, S. 10; Schmidt, Geschichte, § 141. 105 Nagler, S. 220. 106 Insofern scheint es verfehlt, wenn Nagler (Strafe, S. 220) über den Relativismus schreibt: „Kein praktisches Bedürfnis hat ihn gerufen. Weder die Gesetzgebung noch die Rechtsprechung hat ihn zutage gefördert. Er ist lebensfremd als literarischer Fund, sozusagen aus blauem Himmel in unsere Dogmatik gekommen.“ 107 Vgl. Geppert, JURA 2015, 143–153 (146). 108 Hegler, S. 1; vgl. auch Schreiber, S. 26 ff. 109 Ignor, S. 61; Schoetensack, S. 17 ff.
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gen, die dafür einzig die ihnen zugeschickten Akten zur Verfügung hatten. Das brachte neben den jeweiligen Obergerichten auch den juristischen Fakultäten einen erheblichen Einfluss auf die strafrechtliche Praxis, zumal die einzelnen Schöffenstühle häufig auch mit Mitgliedern dieser Fakultäten besetzt waren.110 Für das Urteiler-Kollegium standen nun aber einzig die mittelbaren Protokolle der Gerichtsschreiber und die von diesen für wichtig erachteten Tatsachen zur Verfügung. Ein unmittelbarer Gesamteindruck von der Beweisaufnahme und vom vermeintlichen Täter blieb ihnen verwehrt.111 Gerade vor dem Hintergrund der latenten Gefahr für das eigene Seelenheil war es also nicht verwunderlich, dass sich das allgemeine Stimmungsbild offen zeigte für sämtliche Anhaltspunkte, die ein konkretes Strafmaß rechtfertigen konnten. Hier standen die verschiedenen präventiven Erwägungen zum Strafzweck bereit, die in der Antike vorgedacht und in der Renaissance wiedergeboren worden waren. Noch aber konnte sich das präventive Gedankengut nicht völlig frei entfalten – war es doch noch „gefangen“ in den Interpretationen der katholischen Kirche, die entsprechende Ansätze früh und erfolgreich in ihre eigenen Lehren integriert hatte. bb) Die Spaltung der Kirche Der zweite Faktor lässt sich schließlich als Prozess der Lösung von diesen theokratischen Fesseln umschreiben – ein Prozess, in dem die Religion ihren monopolistischen Wahrheitsanspruch endgültig einbüßen musste. Auch wenn am Ende des Mittelalters der erste Angriff auf die Theologie noch abgewehrt werden konnte, so waren an der Grenze zur Neuzeit doch weitere Prozesse im Gange, welche die Säkularisierung unaufhaltsam vorantrieben. Am Beginn dieses Prozesses stand die katholische Kirche als größte, reichste und mächtigste Organisation der Zeit.112 Päpste und Bischöfe wohnten in Palästen. Sie alle waren für die Herrscher und Reiche nicht wegzudenken, waren vielmehr ihr legitimierendes Gerüst. Dass Jesus und seine Jünger bescheidene Menschen gewesen waren und vor den Gefahren des Reichtums gewarnt hatten, war zwar in der Bibel festgehalten. Die Auslegung und die Wiedergabe der (lateinischen) biblischen Lehren lagen aber für Jahrhunderte in den Händen der Kirche selbst. Aufkommende Unstimmigkeiten konnten so in der Regel in die bestehenden Interpretationen integriert werden. Und wer andere Ansichten vertrat, wurde als Ketzer verfolgt. Als die protestantischen Reformatoren – allen voran der Au110 Vgl. Hegler, S. 2 ff.; vgl. auch Schnabel-Schüle, S. 54 ff.; Schoetensack, S. 17 ff.; S chreiber, S. 29. 111 Geppert, JURA 2015, 143–153 (151). 112 Dazu und zum Folgenden Hirst, S. 42 ff.; vgl. auch Fahrmeir, S. 24 ff.
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gustinermönch Martin Luther – im 16. Jahrhundert einen neuen Anlauf starteten, die Kirche zurück zu ihren vorrömischen Wurzeln zu führen, hatten sich die Vorzeichen aber grundlegend geändert. Zum einen hatte der Angriff auf das kirchliche Wissensmonopol bereits im 15. Jahrhundert mit der Erfindung des Buchdrucks begonnen.113 Bücher waren nun allen Menschen zugänglich, nicht mehr nur den Gelehrten in den Klöstern. Für Luther brachte dies den unschätzbaren Vorteil, dass seine ketzerische Kritik bereits gedruckt und verbreitet war, bevor die Kirche eingreifen konnte.114 Auch übersetzte er schließlich den gefährlichsten literarischen Sprengstoff – die Bibel selbst – ins Deutsche und machte die Schriften der Offenbarung so allen Menschen zugänglich. Die Zeit der unangefochtenen Autorität der katholischen Kirche war also vorbei, denn im Grunde stand die Auslegung nun jedem selbst offen. Zum anderen kam Luthers Angriff einigen Fürsten aus politischer Sicht nicht ungelegen. Die Kirche hatte einen gewaltigen Grundbesitz, zog hohe Summen von den Bürgern ein und ernannte mächtige Bischöfe ohne Mitspracherecht der Fürsten. Durch die Unterstützung Luthers und den Anschluss an sein neues legitimierendes Modell konnte man also nicht nur das Vakuum schließen, das er durch den Angriff auf die päpstliche Autorität hinterlassen hatte;115 man konnte sich im gleichen Zug auch neuer Ländereien bemächtigen, selbst Bischöfe ernennen und den Geldfluss nach Rom unterbinden.116 cc) Der Verfall religiöser Wahrheitsansprüche „Das Werk der Reformation in Beziehung auf den sozialen Zustand ist eben: Die Zerstörung des theokratischen Charakters.“117
Die verschiedenen Auslegungen führten letztlich zur Entstehung zahlreicher neu er, eigenständiger „Kirchen“ und insofern zu einer Vielzahl vertretener „Wahr heiten“.118 Mit dem Verfall religiöser Wahrheitsansprüche und damit auch ihrer legitimatorischen Wirkungskraft sind die Grundbedingungen der „Anfänge der Reflexion“ umschrieben, wie sie uns schon in der Griechischen Aufklärung begegnet sind. 113
Reisch, S. 96 f. Hirst, S. 46. 115 Vgl. Bossenbrook, S. 131. 116 Fahrmeir, S. 24 f.; Hirst, S. 46. 117 Stahl, Philosophie I, S. 74. 118 Die daraus resultierenden grausamen religiösen Bürgerkriege und Pogrome fanden ihr Ende erst 1648 im Westfälischen Frieden, nachdem zuvor ein Drittel der Bevölkerung dem dreißigjährigen Krieg zum Opfer gefallen war (vgl. Wesel, Geschichte, S. 344 f.; vgl. auch Val javec, S. 69 ff.). Ein Krieg, der im Übrigen keine Sieger hervorgebracht hatte – keiner religiösen Deutung hatte Gott zum Sieg verholfen. Die Suche nach der Wahrheit ging also weiter. 114
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Neben dem Schweigen der Bibel und der Kirchen zu verschiedenen Fragen der Moderne119 war es also in erster Linie die Vielzahl der verschiedenen Interpretationen, die am Fundament der Religion selbst kratzte – und damit auch am Fundament der herrschenden theokratischen Straftheorie. b) Die neue Strömung der Präventionisten Der Geist des Humanismus und der Renaissance wirkte weiter. Noch immer ging man davon aus, dass die Probleme der Moderne durch eine Rückkehr in die gute alte Zeit gelöst werden konnten. Auch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn und Zweck der Strafe – so war man überzeugt – musste letztlich bei den großen Denkern der Antike zu finden sein.120 Das Schwinden religiöser Deutungsmacht öffnete die Ohren einiger Autoren nun aber auch für die Texte derjenigen antiken Denker, die dem theokratischen Ansatz weniger Gewicht beigemessen oder ihre Erwägungen sogar gänzlich von religiösen Einflüssen gelöst hatten. Insbesondere die Werke des „herrlichen Mannes Plato“121 und des gerade in der Straftheorie stark von diesem geprägten Seneca wurden nun vermehrt zitiert.122 aa) (Noch) keine Alternative Diese alten Texte unterschieden sich so stark von den Lehren der Kirche, dass sie diese nicht mehr mit den eigenen Ansichten verbinden konnte – zumal ihr dafür mit der schwindenden Monopolstellung mittlerweile ohnehin der nötige Einfluss fehlte. Gerade im Rahmen einer allgemeinen Straftheorie konnten sich die neuen Strömungen allerdings noch immer nicht durchsetzen. Auf der Suche nach universellen Wahrheiten hatte die Rolle der Religion zwar an Überzeugungskraft eingebüßt; es war aber ganz allgemein noch nicht gelungen eine alternative Konzeption des Weltalls zu entwickeln.123 Die Frage nach der Legitimation staat licher Strafgewalt etwa blieb von Seiten der „säkularisierten“ Autoren noch gänzlich unbeantwortet. Im Allgemeinen hielt man also mangels besserer Alternativen vorerst am theokratischen Grundkonzept fest.124 119 So war beispielsweise die Existenz der zwischenzeitlich in der neuen Welt aufgetauchten Indianer nicht so recht mit der biblischen Schöpfungsgeschichte in Einklang zu bringen, vgl. Reisch, S. 97. 120 Vgl. Nagler, S. 215. 121 In diesen Tönen berief sich Justinus Gobler auf den griechischen Philosophen (zitiert nach Nagler, S. 224). 122 Dazu und zum Folgenden a. a. O., S. 213 ff. 123 Bossenbrook, S. 100. 124 Vgl. Schmidt, Geschichte, §§ 149 ff.; in der Regel fanden sich diese „neuen“, relativen Ansätze daher nicht im Rahmen geschlossener Strafzwecklehren, sondern – aus erwähnten
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bb) Die Einigkeit der Konfessionen in der Straftheorie Die Standhaftigkeit der Theologie fußte gerade im Bereich der Straftheorie aber nicht nur auf dem Mangel an Alternativen, sondern auch auf einer grundlegenden Einigkeit der Konfessionen in der spezifischen Problematik. Auch der Protestantismus, der auf die Unterstützung der Fürsten angewiesen war, musste die territoriale Strafgewalt legitimieren. Er konnte dies auch ohne Probleme, denn seine zentrale Autorität – die Bibel – lieferte hierfür ja zahlreiche Anhaltspunkte.125 Für Luther ergab sich die Verpflichtung zur Bestrafung der Missetäter insofern aus göttlichem Befehl. Wenn die Obrigkeit strafe, so handle eigentlich Gott selbst. Der Richter führe als Diener des zürnenden Gottes nur dessen exekutives Schwert.126 „[…] die hand, die solch schwerd fueret und wuerget, ist auch als denn nicht mehr menschen hand sondern Gottes hand, und nicht der mensch sondern Got henget, redert, entheubt, wuerget und krieget. Es sind alles seine werck und seine Gerichte.“127
Auch Luthers einflussreicher Mitstreiter Philipp Melanchthon lehnte seine straftheoretischen Erwägungen im Wesentlichen an die Gedanken des Thomas von Aquin und des Aristoteles an.128 Insofern überrascht es nicht, dass zumindest die Straflehren kein zusätzliches Konfliktpotential im Streit der Konfessionen lieferten. Zum Teil ist vielmehr sogar von einer regelrechten „Neubelebung“ der theokratischen Gedanken durch Reformation und Gegenreformation die Rede.129 Und tatsächlich wichen auf der Suche nach einer neuen Ordnung die Knospen der Aufklärung nicht selten einer strengen protestantischen Buchstabengläubigkeit, wobei insbesondere die begonnene Trennung von weltlicher und göttlicher Strafe ins Stocken geriet.130 – All das konnte die Säkularisierungsbestrebungen aber allenfalls verlangsamen und so gewannen die präventiven Erwägungen weiter an Raum, wenngleich ihnen eben noch ein alternatives staatstheoretisches Fundament fehlte, um der Theokratie endgültig den Rang ablaufen zu können.131 Gründen (siehe Teil II – Kapitel 2II.2.a] aa] zum sogenannten „Ratsuchen“) – bei den Ausführungen zur konkreten Strafzumessung, vgl. Schnyder, S. 114. Hier standen sodann die „Besserung des Täters“, die „Unschädlichmachung“ und insbesondere der Gedanke der „Generalabschreckung“ im Vordergrund, vgl. zu den verschiedenen Vertretern Nagler, S. 223 ff.; Schny der, S. 114 ff.; vgl. auch Schaffstein, Europäische Strafrechtswissenschaft, S. 66 ff. (speziell zu Petrus Theodoricus) und S. 25 ff. (zu Andreas Tiraquellus). 125 Siehe Teil II – Kapitel 1I.3.b). 126 Vgl. Luther, Kriegsleute, S. 616–662 (626); ders., Predigten, S. 474. 127 Luther, Kriegsleute, S. 616–662 (626). 128 Schmidt, Geschichte, § 150. 129 A. a. O., § 149 (S. 162). 130 Vgl. auch Nagler, S. 259 ff. 131 Das Fundament der theokratischen Straftheorie bröckelte gemeinsam mit der Rolle der
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c) Benedikt Carpzov Am eindrucksvollsten zeigte sich der straftheoretische Geist der Zeit schließlich noch einmal bei ihrem einflussreichsten Vertreter, dem Rechtsprofessor und Mitglied des kurfürstlich sächsischen Schöffenstuhls in Leipzig: Benedikt Carpzov (1595–1666).132 In seinem Hauptwerk – den „Practicae Novae imperialis Saxonicae rerum criminalium“ (1635) – gelang es ihm, die gesetzlichen Grundlagen der Carolina dergestalt mit den Erkenntnissen der internationalen Wissenschaft und den Bedürfnissen und Gepflogenheiten der heimischen Praxis zu vereinen, dass es „die deutsche Strafrechtspflege über ein Jahrhundert mit fast gesetzesgleicher Wirkung“ beherrschen sollte.133 Auch wenn Carpzov meist zurecht als (letzter) bedeutender Vertreter der theo kratischen Straftheorie bezeichnet wird, so fanden doch auch die humanistischen Strömungen an zahlreichen Stellen bereits Eingang in sein Werk.134 Aus spezialpräventiver Sicht war etwa von der Unschädlichmachung der Unverbesserbaren135 und ansatzweise auch von einer Besserung des Täters (insbesondere im Sinne einer Einschüchterung) die Rede.136 Vor allem aber rückte der Gedanke einer generalpräventiven Abschreckung vermehrt in den Vordergrund. Eine Entwicklung, die insbesondere ein Resultat des enormen Rechtfertigungsdrucks gewesen sein dürfte, unter dem die Praxis angesichts des extrem hohen Strafniveaus der Carolina stand.137 Dass aber selbst die häufig erwähnte Generalabschreckung in der Straftheorie Carpzovs nicht mehr als einen „Nebenaspekt“138 oder eine „regelmäßige BegleiKirche. Der Verlust der Glaubensgewissheit, der mit dem Säkularisierungsprozess einherging, verursachte neben einem legitimatorischen Vakuum aber auch einen Rückfall in die Ungewissheit, welcher die Religion doch ursprünglich abzuhelfen versprach. So kam es in der Säkularisierung zu einer vorübergehenden Wiederbelebung der Furcht vor dunklen Mächten und so – in Verbindung mit der aufgekommenen Inquisition, welche das Strafrecht vermehrt für die Instrumentalisierung politischer Zwecke nutzbar machte (Ignor, S. 75.) – auch zu einem Aufblühen der Hexenprozesse, vgl. Bossenbrook, S. 100; Rüping/Jerouschek, Rn. 141 ff. 132 Schmidt, Geschichte, §§ 137 ff., 149, 151. 133 Oehler, FS Hirsch, S. 105–113 (105 ff.); Schaffstein, Verbrechen, S. 10; von Hippel, S. 33 f. 134 Vgl. Härter, in: Carpzov, S. 181–226 (187); Nagler, S. 253; von Weber, FS Rosenfeld, S. 29–50 (45). 135 Carpzov, Practica Nova, Pars III, quaestio 101, n. 14 (dazu die Übersetzung in Sellert/ Rüping, S. 287); vgl. auch Nagler, S. 254; Härter, in: Carpzov, S. 181–226 (186). 136 Carpzov, Practica Nova, Pars III, quaestio 101, n. 13 (Übers. in Sellert/Rüping, S. 286); vgl. auch Haas, S. 176; Härter, in: Carpzov, S. 181–226 (186). 137 Vgl. auch Nagler, S. 254 f. 138 Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 22; auch Nagler (Strafe, S. 255) sprach davon, dass die Abschreckung für Carpzov „grundsätzlich nur eine Nebenwirkung“ gewesen sei.
136
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terscheinung“139 der Strafe darstellte, zeigte sich schließlich in den Fällen, in denen aus seiner Sicht eigentlich keine Besserung oder Abschreckung nötig war. Auch hier müsse die Strafe nämlich unbedingt verhängt werden, und zwar um den zürnenden Gott zu besänftigen und so das Volk zu schützen.140 Würde man auf die Strafe verzichten, brächte Gott zur Strafe „Hungernöte, Seuchen, Kriege, Erdbeben, Überschwemmungen und andere Plagen dieser Art“.141 Die Richter waren für ihn also weiter nicht mehr (oder nicht weniger) als Diener Gottes.142 Letztlich entsprach das den Lehren des Alten Testaments, und aus diesem zitierte der bibeltreue Protestant auch fleißig, um die eigenen Ansichten zu stützen.143 Die deutsche Straftheorie stand zur Zeit Carpzovs also trotz der humanistischen Strömungen noch weiter auf dem Boden der alten kirchlichen Lehren.144 Gerade wer als praktisch orientierter Strafrechtler – und genau das war Carpzov in voller Gänze – versuchte, dem Geist der Zeit einen wissenschaftlichen Ausdruck zu geben, der kam an der herrschenden Theokratie und der daran anknüpfenden „göttlichen Gerechtigkeit“ noch nicht vorbei.145 d) Der Fortgang der theokratischen Straftheorie Dennoch, und vielleicht auch aufgrund seines weiten Einflusses, sollte Carpzov nach über 1000 Jahren bisher beschriebener Geschichte der letzte große Vertreter der theokratischen Straftheorie bleiben. Zu stark war das Fundament der Religion bereits beschädigt und zu energisch drängten die humanistischen Strömungen danach, die Welt auf neue Art zu erklären. Dass die theokratische Straftheorie in der Folge weiter an Bedeutung verlieren und schon bald ihre herrschende Position einbüßen sollte, hieß allerdings nicht, dass sie sich gänzlich aus der Landschaft des vertretenen Spektrums verabschiedete. Bis weit in das 18. Jahrhundert zeigte sich ihr deutlich spürbarer Einfluss 139
Nagler, S. 254. Carpzov, Practica Nova, Pars III, quaestio 101, n. 15 (Übers. in Sellert/Rüping, S. 286) 141 Carpzov, Practica Nova, Pars II, quaestio 76, n. 5 (Übers. des Verf.; im Original: „fames, pestes, bella, terrae motus, inundationes, atque alias id genus plagas generales“); vgl. auch Härter, in: Carpzov, S. 181–226 (188); von Weber, FS Rosenfeld, S. 29–50 (44). 142 Carpzov, Practica Nova, Pars I, quaestio 41, n. 1 (Übers. in Sellert/Rüping, S. 285); Pars II, quaestio 77, n. 19 (Übers. in Sellert/Rüping, S. 286); Pars III, quaestio 101, n. 8. 143 von Weber, FS Rosenfeld, S. 29–50 (44); vgl. auch Oehler im Vorwort zu Carpzov, Practica Nova, S. II f. 144 Vgl. etwa zum Verbrechen als Verletzung der göttlichen Ordnung Carpzov, Practica Nova, Pars I, quaestio 41, n. 1; zu Carpzovs Rechtsquellen, insbesondere zum jus divinum, vgl. P. Schneider, Rechtsquellen, S. 18 ff.; dazu auch Rüping/Jerouschek, Rn. 115. 145 Vgl. Nagler, S. 260 f. (auch mit Hinweisen zu anderen zeitgenössischen Autoren); zu Carpzovs Praxisbezug und dem politischen Umfeld auch Oehler, FS Hirsch, S. 105–113 (106); von Weber, FS Rosenfeld, S. 29–50 (47 ff.). 140
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auf Wissenschaft und Gesetzgebung.146 Noch im 19. Jahrhundert fanden sich Denker, die ihre Rechts- und Straflehre auf ein christliches Fundament bauten,147 und am 1. März 1870 sprach Otto von Bismarck im deutschen Reichstag: „Eine menschliche Kraft, die keine Rechtfertigung von oben in sich spürt, ist zur Führung des Richtschwertes nicht stark genug.“148
Auch in neuerer Zeit halten die alten Lehren über Äußerungen von Theologen Einzug in Diskussionen zu umstrittenen gesellschaftlichen Fragen, gerade des Strafrechts – so etwa bei Fragen rund um Abtreibung, Sterbehilfe oder die Todesstrafe.149 Im Zusammenhang mit letzterer schrieb beispielsweise der evangelische Theologe Paul Althaus: „Die verletzte Ordnung, die zerbrochene Gerechtigkeit muß wiederhergestellt werden auch objektiv, das heißt: gleichviel, wie das Bewußtsein der Menschen darauf reagiert, gleichviel wieweit es dadurch zur Besinnung kommt oder nicht. Der Sinn der Strafe liegt also in ihr selbst als Geltendmachen der ewigen Ordnung gegenüber und an dem Rechtsbrecher. Gegenüber diesem Sinn der Strafe sind – so lehrt der überwiegende Teil der evangelischen Ethiker – die sogen. Strafzwecke sekundär. […] Diese Auffassung der Strafe ist es, die in der christlichen Ethik das Ja zur Todesstrafe begründet.“150
Von oberster katholischer Seite finden sich Erwägungen etwa in einer Botschaft von Papst Pius XII an den VI. Internationalen Strafrechtskongress 1953 in Rom: „Es bleibt ein Wort zu sagen über den letzten Sinn der Strafe. Die überwiegende Zahl moderner Strafrechtstheorien sieht den Sinn der Strafe, ihre letzte Rechtfertigung, in ihrer Schutzfunktion, d. h. im Schutz der Gemeinschaft gegen verbrecherische Unternehmungen, und zugleich als einen Versuch, den Schuldigen auf den Weg der Beobachtung des Rechts zurückzuführen. […] nur dürfte der letzte Zweck der Strafe auf einer höheren Ebene liegen. […] In der metaphysischen Ordnung ist die Strafe eine Folgerung aus der bis in die letzten Fugen des Geschöpflichen dringenden Bindung an den Höchsten Willen. Wenn irgendwo freie Auflehnung und verletztes Recht Wiederausgleichung verlangen, dann hier, wo es der Höchste Richter und die Höchste Gerechtigkeit fordern. […] ‚Nicht umsonst trägt er das Schwert‘, sagt der hl. Paulus vom Staat, ‚er ist Gottes Diener, das Werkzeug seines Zornes gegen die Übeltäter‘“151
146 Vgl.
Haas, S. 178 mit weiteren Nachweisen; Schmidt, Geschichte, § 52 (S. 66). etwa Stahl, Philosophie II/2, S. 176 ff., 681; ders., Philosophie II/1, S. 165 ff.; vgl. dazu auch Binding, Grundriss, S. 213; Nagler, S. 455 ff. 148 Zitiert nach Radbruch, Rechtswissenschaft, S. 138. 149 Greco, S. 468 f.; allgemein zum Verhältnis von Strafrecht und Religion Hilgendorf, in: Wissenschaft, S. 359–383 (364 ff.). 150 Althaus, S. 21 f.; vgl. auch Künneth, in: Todesstrafe, S. 41–59 (56): „Amt bedeutet die Strafvollmacht der staatlichen Institution als einer Erhaltungsordnung Gottes […] das Amt handelt als Dienerin Gottes.“ 151 Die Ansprache von Papst Pius XII. an den VI. Internationalen Strafrechtskongreß am 3. Oktober 1953 ist abgedruckt in JZ 1953, 769–773 (im französischen Original in ZStW 66 [1954], S. 1–14). Die zitierte Passage findet sich auf den Seiten 772 f. 147 Vgl.
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Teil II
Bis heute üben die beiden großen christlichen Kirchen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Gesetzgebung aus – gerade im Strafrecht.152 Das vielleicht aktuellste Beispiel liefert das Gesetzgebungsverfahren zum § 217 StGB (Strafbarkeit der Beihilfe zur Selbsttötung), welchen das Bundesverfassungs gericht mittlerweile für mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig erklärt hat.153 Auch wenn sich die deutsche Strafrechtswissenschaft – soweit ersichtlich – mittlerweile zumindest äußerlich frei von theokratischen Elementen zeigt, nimmt die Theologie also noch heute aktiv Einfluss auf die gesellschaftliche Meinungsbildung und die Legislative.154 In diesem Sinne ist die theokratische Straftheorie bis heute am Leben.155 Und höchstwahrscheinlich ist es seit jeher schlicht der legitimierende Reiz einer metaphysischen Deutung von „Gerechtigkeit“, der diesem abstrakten Begriff ein einfaches aber stabiles Fundament verleiht, auf dem sich die intuitiven Gerechtigkeitsvorstellungen frei entfalten können.
152
Vgl. dazu Hilgendorf, in: Wissenschaft, S. 359–383 (364 ff.). BVerfG NJW 2020, 905–921; kritisch zum Gesetzgebungsverfahren auch Saliger, NKStGB, § 217 Rn. 7: „Der starke Einfluss der Kirchen im Gesetzgebungsverfahren wider die realen, sogar in Umfragen dokumentierten Bedürfnisse der Menschen gibt kriminalpolitisch Anlass zur Ideologiekritik.“ 154 Vgl. auch Greco, S. 468 f.; Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (262, 278, 372). 155 Eine ausdrückliche Berufung auf religiös-metaphysische Ansätze verspricht im Rahmen des straftheoretischen Diskurses heutzutage nicht zuletzt im Hinblick auf die im Grundgesetz verankerte Pflicht zur religiös-weltanschaulichen Neutralität wenig Erfolg, vgl. dazu Fateh- Moghadam, S. 174 f. 153
Kapitel 3
Naturrecht und Aufklärung Die Zeit war also reif für Veränderung. Während die Bevölkerung, der Handel und – damit verbunden – die erforderliche Kooperation stetig zunahmen, konnte sich keine der verschiedenen Weltanschauungen in Europa durchsetzen. Hinzu kam eine bisher unbekannte Gruppe von Menschen in der „neuen Welt“, deren Vorstellungen sich noch einmal völlig unterschieden (und deren Existenz ohnehin nicht so recht mit der biblischen Schöpfungsgeschichte in Einklang zu bringen war).1 Die aus Amerika in großen Mengen einströmenden (geraubten) Edelmetalle überschwemmten zudem den europäischen Markt und überforderten die inflationäre Wirtschaft. Neben die religiösen Kriege traten wirtschaftliche und politische Unsicherheiten, Hungersnöte und Epidemien, welche zu einer Verelen dung breiter sozialer Schichten führten. All dies, und nicht zuletzt auch der damit einhergehende rasante Anstieg der Kriminalität verlangten nach Antworten.2 Spätestens seit dem Ende des dreißigjährigen Krieges hatte der Wahrheits anspruch der Religion so stark eingebüßt, dass man sich nicht mehr mit der Erklärung eines göttlichen Willens und dem Blick auf das Jenseits begnügte. Die Suche nach einem neuen, überkonfessionellen Fundament für ein gemeinsames, gesellschaftliches Zusammenleben hatte begonnen – der Beginn einer neuen Ära, die wir deshalb auch als „Neuzeit“ bezeichnen.
I. Die „wissenschaftliche Revolution“ 1. Der Blick in die Zukunft Der Grundstein für die endgültige Ablösung der Theokratie wurde dabei – wenn auch zunächst ohne nennenswerte praktische Auswirkungen – bereits zu Lebzeiten Carpzovs gelegt.3 Noch bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts richteten die Versuche der „Besserung“ den Blick in der Regel auf die Vergangenheit. Man wollte zurück in die „guten alten Zeiten“. Die Renaissance und der Humanismus eiferten 1 Dazu
Reisch, S. 97. Schlosser, S. 159; vgl. auch Radbruch/Gwinner, S. 274. 3 Vgl. Schmidt, Geschichte, §§ 143 ff. 2 Vgl.
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Teil II
dem Ideal der Antike nach – hier waren die Römer und insbesondere die Griechen mit ihren großen Denkern das Maß aller Dinge. Auch die Reformationsbewegung blickte zurück, und zwar zurück in eine frühchristliche Zeit ohne die römisch- staatlichen Einflüsse. Nun aber drehte sich diese rückwärtsgewandte Einstellung.4 Ausgangspunkt war letztlich eine ganze Reihe neuer (natur-)wissenschaft licher Einsichten. Insbesondere die Erkenntnisse der Astronomie brachten das bestehende Weltbild ins Wanken. So zeigten Kopernikus, Kepler und Galilei, dass nicht die Erde der Mittelpunkt des Universums war, sondern vielmehr die Planeten um die Sonne kreisten. Der Mensch war nicht mehr der Mittelpunkt der Schöpfung. Selbst der Himmel wurde nun der Göttlichkeit entzogen.5 Die „wissenschaftliche Revolution“6 fußte so auf zwei Botschaften: Zum einen zeigten die neuen Erkenntnisse, dass sich nicht nur die Bibel, sondern auch die großen Griechen geirrt hatten. Die bloße Berufung auf die Texte der Offenbarung, des Plato oder des Aristoteles verlor also langsam ihren Wert.7 Zum anderen schien es auf Himmel und Erde gewisse Gesetzlichkeiten zu geben, mit deren Hilfe man die Welt erklären konnte. Sie zu entlarven wurde die Aufgabe der Zukunft. Der Funke der Naturwissenschaften sprang nach und nach über auf sämtliche Bereiche der Wissenschaft und auch der Philosophie. Überall bestätigte sich, dass neues Wissen über die Natur die Menschen voranbrachte. „Wissen ist Macht“ hieß es im Jahr 1620 sinngemäß in Francis Bacons wissenschaft lichem Manifest „Novum organum scientiarum“ (Neues Werkzeug der Wissenschaften).8 Forschung und Fortschritt lösten die rückwärtsgewandten Bestrebungen des ausgehenden Mittelalters ab. Nun war die Neuartigkeit der Methoden und Sichtweisen ein Argument für ihre Güte.9
2. Die menschliche Vernunft Den Garanten hinter den naturwissenschaftlichen Erfolgen hatte man schnell identifiziert. Weder die antiken Denker noch die Bücher der Offenbarung hatten die neuen Erkenntnisse ans Licht befördert. Vielmehr war dies den Menschen selbst gelungen, indem sie erstmals die Natur der Dinge wirklich hinterfragt und genau 4 Vgl.
Hirst, S. 47 f. Reisch, S. 98; vgl. dazu auch Bossenbrook, S. 164 ff.; zum Ganzen ferner Schreiber, S. 34 ff. 6 Kearney, S. 7 ff.; Schlote, S. 171 ff.; zum Ganzen auch Harari, S. 301 ff.; vgl. ferner Shapin (S. 9 ff.), der insbesondere mit Blick auf die Kontinuität eines langfristigen Prozesses der Bezeichnung als „Revolution“ aber eher kritisch gegenübersteht. 7 Hirst, S. 52; Nagler, S. 264. 8 Vgl. Bacon, Erstes Buch, Aph. 3; dazu Bossenbrook, S. 161 f.; Harari, S. 317. 9 Reisch, S. 98; Shapin, in: Wissenschaftsgeschichte, S. 43–103 (43 ff.); Valjavec, S. 74 ff. 5
Kapitel 3: Naturrecht und Aufklärung
141
untersucht hatten. Im Buch der Natur hatte man allein durch rationales Denken die neuen Wahrheiten gefunden.10 Die menschliche Vernunft wurde zur höchsten Instanz der naturrechtlichen Bewegung. Wenn man mit ihrer Hilfe sogar herausge funden hatte, wie das kosmische System funktionierte, dann musste dies auch für die verschiedenen Fragen in Recht, Staat, Ethik und Moral möglich sein, in denen die verstrittenen Religionen keine überzeugenden Antworten mehr liefern konnten. Mithilfe der Vernunft sollte die menschliche Geschichte noch einmal ganz von vorne aufgerollt werden, um ein gesellschaftliches Fundament zu finden, welches unabhängig vom Glauben als verbindlich akzeptiert werden konnte.11 Man kannte aus der neuen Welt ja immerhin Menschen, die sich nicht in den bekannten staatlichen Formen organisiert hatten. Was war es also, das alle Menschen gemein hatten? Was war ihnen von Natur aus gegeben und was waren die Gründe, aus denen man sich in Staaten zusammengeschlossen hatte? Wenn man diese Fragen mithilfe des menschlichen Geistes beantworten konnte, so wäre auch für den Staat und das (Straf-)Recht ein neues Fundament gefunden. In der Natur des Menschen machte man schließlich drei zentrale Faktoren aus, die zur Grundlage des Naturrechts und in der Folge der Aufklärung werden sollten: Die Freiheit des Einzelnen. Die Gleichheit aller. Und schließlich die Ver nunft, mit deren Hilfe sich aus den ersten beiden Faktoren sowie aus weiteren Erkenntnissen über die Natur des Menschen alle wesentlichen Antworten ableiten lassen sollten.12
II. Das frühe Naturrecht In rechtlicher Hinsicht musste man das Rad dafür nicht gänzlich neu erfinden. Die Idee von einem Naturrecht, das sich mithilfe der menschlichen Vernunft erkennen ließ, war ja nicht neu. Vielmehr war sie bereits aus der Antike bekannt und hatte so auch Eingang in das christliche Denken gefunden. Nicht zuletzt war das Naturrecht schließlich durch die Kirchenväter und insbesondere durch die Arbeiten des Thomas von Aquin tief in die kirchlichen Lehren integriert.13 Genau das aber war für lange Zeit das Problem, denn durch seine göttliche Durchdrin-
10
Bock, JuS 1994, 89–99 (90); vgl. auch Rüping/Jerouschek, Rn. 150 ff. Reisch, S. 109 ff. 12 Vgl. Bock, JuS 1994, 89–99 (90); Reisch, S. 109 ff.; zu Freiheit und Gleichheit im Natur zustand stellvertretend Locke, Of Civil Government/Über die Staatsgewalt, Kap. II, § 4 (abgedruckt und mit deutscher Übersetzung bei Vormbaum, Strafrechtsdenker, S. 81); vgl. auch Schreiber, S. 36 f. mit weiteren Nachweisen – etwa zu Samuel Pufendorf. 13 Vgl. dazu Teil II – Kapitel 2I.3.c); Eisenhardt, S. 136 ff. 11 Vgl.
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Teil II
gung war das Naturrecht in seiner gegenwärtigen Form nicht dafür geeignet, ein neues Fundament zu liefern.
1. Hugo Grotius und die endgültige Trennung der weltlichen von der göttlichen Strafe Den wegweisenden Schritt aus diesem Dilemma ging der niederländische Philosoph, Theologe und Rechtsgelehrte Hugo Grotius (1583–1645). Kolonialismus und Seekriege drängten ihn zur Suche nach einem überkonfessionell begründbaren Gerüst –einem Recht, auf das sich die verschiedenen Völker allein aus Gründen der menschlichen Vernunft verständigen konnten.14 In seinem Hauptwerk „De jure belli ac pacis“ (Vom Recht des Krieges und des Friedens) beschäftigte er sich dabei auch mit der Legitimation von Strafe. Hier findet sich gleich zu Beginn des einschlägigen Kapitels die häufig auf ihn zurückgeführte Umschreibung von Strafe als: „Malum passionis, quod infligitur propter malum actionis.“15
Strafe sei also ein Übel, das man erleide, weil man ein Übel getan habe. Das war für sich genommen nicht neu und fand sich so beinahe wortgleich auch bei Augustinus und bei Thomas von Aquin, auf die sich Grotius an zahlreichen Stellen bezog.16 Auch zitierte er weiter fleißig die Lehren der antiken Denker und die testamentarischen Texte. Um hierauf zu verzichten, war der streng gläubige Protestant trotz seiner letztlich revolutionären Ansätze noch zu sehr Kind der Zeit.17 Der entscheidende Unterschied zu seinen Zeitgenossen lag nun darin, dass Grotius die eigenen Vorstellungen nicht mehr von den Wahrheitsansprüchen der Antike oder der Offenbarung abhängig machte. Vielmehr sollte sich seine gesamte Lehre einzig mithilfe der Vernunft aus der Natur des Menschen ableiten lassen.18 Dass auch die antiken Denker und die biblischen Texte diese Einsichten stützten, konnte die Überzeugungskraft der Lehren bei gewissen Gruppen natürlich stärken, war für ihre Begründung aber an sich nicht nötig. In diesem Sinne stand sodann am Beginn seiner Ausführungen:
14 Vgl.
Hüning, JRE 8 (2000), 93–124 (93 ff.); Schlosser, S. 170 ff.; von Bar, S. 219 ff. Grotius, De Iure Belli ac Pacis, Buch 2, Kap. 20, I 1 (S. 346). 16 Vgl. dazu Nagler, S. 171 f. und hier Teil II – Kapitel 1III.1; Kapitel 2I.3.c). 17 Diese strenge Gläubigkeit (zumindest im Sinne eines Deismus) teilte Grotius mit nahezu allen Vertretern des Naturrechts und der frühen Aufklärung. 18 Vgl. (auch zum Folgenden) Drost, S. 81 ff. 15
Kapitel 3: Naturrecht und Aufklärung
143
„Diese hier dargelegten Bestimmungen würden auch Platz greifen, selbst wenn man annähme, was freilich ohne die grösste Sünde nicht geschehen könnte, dass es keinen Gott gebe, oder dass er sich um die menschlichen Angelegenheiten nicht bekümmere.“19
Um diesem Ziel gerecht zu werden, griff Grotius die von Thomas begonnene Trennung von weltlicher und göttlicher Strafe, welche in Reformation und Gegenreformation ein wenig in Vergessenheit geraten war, wieder auf und brachte sie konsequent zu Ende.20 Die göttliche Gerechtigkeit könne freilich weiter verwirklicht werden, allerdings einzig durch die Strafe Gottes, durch die dieser keine darüberhinausgehenden Zwecke verfolge. Der Mensch sei schlicht nicht in der Lage, diese absolute, göttliche Gerechtigkeit zu erfassen.21 Die weltliche Strafe müsse sich deshalb von der religiösen Einbindung völlig lösen und sich einzig mit der Vernunft (die den Menschen aus seiner Sicht freilich wiederum von Gott gegeben wurde)22 begründen lassen. In mehreren Schritten versuchte Grotius sodann diese Begründung zu liefern: a) Das Recht auf Strafe Die vielleicht größte Hürde – die Verankerung der Strafe in der menschlichen Natur – nahm er dabei schlicht durch die Feststellung eines allgemeinen, völker übergreifenden Konsenses, dem sogenannten „Recht des Rhadamanthos“:23 „Zu dem, was die Natur für erlaubt erklärt und nicht verbietet, gehört, daß, wer Übles getan hat, Übles erleiden müsse.“
Er belegte diesen Konsens in der Folge mithilfe von Zitaten zahlreicher Schriftsteller aus verschiedenen Zeiten und Ländern. Das allgemeine Bedürfnis nach Strafe, dass für lange Zeit durch einen göttlichen Willen gerechtfertigt worden war, wurde nun also in seiner Verbindung mit der menschlichen Natur selbst zum ersten Element der Straflegitimation.24 Dass dieser Konsens für sich genommen zunächst einmal nur eine empirische Tatsache und keine Begründung war, schien Grotius dabei noch zu übersehen.25 19
Grotius, Recht des Krieges und des Friedens I, Einleitung, Nr. 11 (S. 31). Vgl. zum Ganzen Hüning, in: Kriminalität, S. 77–114 (insb. auch Fn. 4). 21 Grotius, Recht des Krieges und Friedens II, Buch 2, Kap. 20, IV, 2; vgl. auch Moccia, GA 1983, 533–543 (539); zum umstrittenen Verhältnis von Religion und Naturrecht bei Grotius vgl. auch Grunert, Normbegründung, S. 86 ff. 22 Grotius, Recht des Krieges und des Friedens I, Einleitung, Nr. 12 (S. 31); vgl. auch Gru nert, Normbegründung, S. 84. 23 Grotius, Recht des Krieges und Friedens II, Buch 2, Kap. 20, I, 1. 24 Vgl. auch Rüping/Jerouschek, Rn. 152. 25 Kirchmann, in: Grotius, Recht des Krieges und Friedens II, Buch 2, Kap. 20, I, 1 (Anmerkung Fn. 209). 20
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Teil II
Wo aus völkerrechtlicher Sicht keine Unstimmigkeiten zu erwarten waren, war eine weitere Begründung für die verfolgten Zwecke wohl aber auch nicht nötig. Aus diesem (absoluten) naturrechtlichen Dogma, dass auf ein Übel notwendigerweise auch ein weiteres, reaktionäres Übel folge, schloss Grotius in einem nächsten Schritt, dass jedem Menschen von Natur aus das Recht zukomme, auf gewisse Taten mit Strafe zu reagieren. Dies ergebe sich letztlich auch aus einer Einwilligung des Täters selbst, denn „das Verbrechen kann nicht ungestraft bleiben; wer also jenes will, hat mittelbar auch die Strafe gewollt.“26 Damit stellte Grotius zunächst einmal klar, dass keinem Übeltäter Unrecht geschehe, wenn er gestraft werde.27 b) Die vernünftige Strafe Nicht geklärt war für ihn damit allerdings die Frage, ob es aus Sicht des Einzelnen auch vernünftig sei, zu strafen. Anders als bei der göttlichen Strafe, deren Zweck sich in der absoluten Gerechtigkeit erschöpfe, sei die menschliche Strafe nämlich nur vernünftig, wenn sie wegen irgendeines konkreten Nutzens erfolge.28 Mit dieser vollkommenen Abkapselung der weltlichen Strafe von der göttlichen Gerechtigkeit war der Boden endgültig geebnet für eine Herrschaftsübernahme durch die präventiven Straftheorien. c) Straftheorie und Gesellschaftsvertrag Auch die Legitimation der staatlichen Strafgewalt lieferte Grotius auf dem Boden der Vernunft. In der Natur des Menschen erkannte er ursprüngliche, leidenschaftliche Triebe, die der Mensch mit den Tieren teile: impulsiven Zorn und Rachegelüste, welche alleine durch den Schmerz des Bestraften gestillt würden:29 „Die Vernunft gebietet aber, nichts vorzunehmen, was dem anderen schade, wenn man nicht einen guten Zweck dabei habe. In dem bloßen Schmerz des Feindes an sich betrachtet ist aber nichts Gutes, höchstens ein falsches und eingebildetes Gut, wie in überflüssigem Reichtum und vielen anderen ähnlichen Dingen.“30
Diese Triebe seien schließlich der Ursprung der staatlichen Strafgewalt: „Weil man jedoch in seinen eigenen Angelegenheiten und denen seiner Angehörigen von Leidenschaft fortgerissen wird, hat eine Mehrzahl von Familien sich in einem Ort vereinigt, um 26
Grotius, Recht des Krieges und Friedens II, Buch 2, Kap. 20, II, 3. A. a. O., IV, 1; diesen Gedanke sollte er schließlich auch für die Begründung eines völkerrechtlichen Kriegsrechtes fruchtbar machen. 28 A. a. O., IV, VI ff. 29 A. a. O., V. 30 A. a. O., V, 1. 27
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Richter zu bestellen und diesen allein das Recht, die Verletzten zu rächen, zugestanden, dagegen den übrigen dieses Recht, das die Natur ihnen gewährt, entzogen.“31
Spätestens hier zeigte sich der revolutionäre Ansatz des Grotius, der die Legitimation der Richter – und im Übrigen auch des Staates an sich – nicht mehr im göttlichen Willen begründet sah, sondern in einer Art vertraglichem Akt. Der Staat, die staatliche Strafgewalt und die Strafe selbst wurden nun nicht mehr von oben her konstruiert, sondern von unten, und so von Instrumenten Gottes zu rein menschlichen Zweckmäßigkeitseinrichtungen.32
2. Der gemeine Nutzen als oberste Maxime Die wegweisenden Erwägungen des Grotius stehen exemplarisch für eine Vielzahl von naturrechtlichen Ansätzen der Folgezeit, die allesamt versuchten, das gesellschaftliche Fundament von unten her neu aufzubauen und so von seiner metaphysischen Aufhängung zu befreien. Hier traten sämtliche präventive Strafzwecke – freilich in unterschiedlicher Gewichtung – in den Vordergrund. Auch wenn sich die verschiedenen Ansätze in den Details unterschieden, so bauten sie doch allesamt auf einer Art Gesellschaftsvertrag auf, durch den sich die Individuen in ihrem natür lichen Zustand zusammenschlossen, um daraus einen Nutzen für alle zu ziehen.33 Auch die staatliche Strafgewalt legitimierte sich nun aus diesem Gedanken.34 Der „Nutzen für die Gemeinschaft“ wurde zur obersten Maxime der Lehren einer stetig steigenden Zahl einflussreicher Köpfe in ganz Europa. Mit Thomas Hob bes (1588–1679), Baruch de Spinoza (1632–1677) oder John Locke (1632–1704) seien nur einige herausragende Namen dieser neuen Generation naturrechtlicher Denker genannt.35 Zum wichtigsten Vertreter der deutschen Naturrechtsschule wurde der Jurist und Philosoph Samuel Pufendorf (1632–1694).36 Er knüpfte an die Lehren von Grotius und Hobbes an und erklärte die Existenz des Staates aus dem Staats- und Gesellschaftsvertrag, durch den das Gemeinwohl gesichert werden solle. Aus diesem durch die Vernunft vorgegebenen Ziel ließe sich schließlich auch die Legitimität der staatlichen Strafe ableiten, denn: 31 A. a. O.,
VIII, 4. Vgl. auch Künneth, in: Todesstrafe, S. 41–59 (56). 33 Zu den in den Details unterschiedlichen Ausprägungen vgl. die abgedruckten Passagen in Voigt, S. 131 ff.; vgl. auch Coing, S. 70 ff.; Drost, S. 81 f. 34 Vgl. auch Foucault, S. 114; Grunert, Normbegründung, S. 116 ff. 35 Zum Ganzen auch Coing, S. 70 ff.; vgl. ferner Rüping/Jerouschek, Rn. 162 ff. 36 Vgl. zu ihm auch Burian, S. 9 ff.; Haas, S. 178 f.; Nagler, S. 297 ff.; Schmidt, Geschichte, §§ 146, 153; schon vor Grotius hatte sich in Deutschland etwa Johannes Althusius (1563–1638) den naturrechtlichen Ansätzen angenähert, freilich ohne wirklich Anklang in Wissenschaft oder gar Praxis zu finden, vgl. Nagler, S. 264 ff.; zu weiteren Vertretern auch a. a. O., S. 276 ff. 32
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„Weil jeder, der ein Ziel erreichen möchte, auch die Mittel will [d. h. wollen muß], ohne die das Ziel nicht erreicht werden kann, gelten alle Dinge als vom Naturrecht vorgeschrieben, die für diese Gesellschaft und für die Allgemeinheit notwendig sind […]“37
Die Strafe sei eine dieser Notwendigkeiten und habe damit ausschließlich den Zweck des möglichst größten Nutzens für den Staat zu verfolgen. Die „Gerechtigkeit“ im bis dahin verbreiteten Sinn – letztlich in ihrer am Empfinden orientierten und über Gott legitimierten Form – trat in der theoretischen Durchdringung der Strafe nun also völlig zurück. So schrieb Pufendorf: „Daraus – so meine ich – geht klar hervor, daß in einem staatlichen Gericht keine vergeltende Justiz waltet, die vorschreibt, daß für bestimmte Verbrechen ein bestimmtes, von der Natur festgelegtes Maß der Strafe angewendet und auferlegt wird, sondern daß das wahre Maß menschlicher Strafen vom Nutzen für den Staat abhängt und je nachdem, wie die Strafziele scheinbar am besten zu erreichen sind, so werden diese [d. h. die Strafen] gemäß der Umsicht der höchsten Staatsgewalt erhöht oder gemindert.“38
3. Die Straftheorie im frühen Naturrecht Während die himmlischen Fäden, an denen die gesamte mittelalterliche Ordnung über lange Zeit aufgehängt war, immer dünner wurden, bauten die naturrechtlichen Vordenker der Aufklärung fleißig an einem neuen Fundament, welches die gesellschaftliche Ordnung von unten her stützen sollte. Es ist sehr zweifelhaft, ob sich die frühen Naturrechtler der Sprengkraft und des letztlich revolutionären Charakters ihrer eigenen Gedanken wirklich bewusst waren.39 Insbesondere im deutschen Raum sollten sie die weitreichenden Wirkungen dieses Umbruchs selbst jedenfalls nicht mehr erleben. Nicht ohne Grund aber wurden Werke wie Grotius’ „De jure belli ac pacis“ von der katholischen Kirche auf den Index der verbotenen Bücher gesetzt.40 Und vielleicht waren es gerade die zunächst ausbleibenden praktischen Auswirkungen der naturrechtlichen Bewegung, die ihre Fortschrittlichkeit verdeutlichten.41 In der Anfangszeit stand die gesamte deutsche Strafrechtspflege jedenfalls weiter unter der Herrschaft von Carpzov’s Practica Nova, die sich – unbeeindruckt von allen naturrechtlichen Ansätzen –42 einerseits der göttlichen Gerechtigkeit verschrieben hatte, andererseits durch klare Vorgaben zu einer „gerech37
Pufendorf, De officio hominis, Liber I, caput III, § 9 (zitiert nach der Übersetzung in: Sellert/Rüping, S. 388). 38 Pufendorf, De iure naturae, Liber VIII, caput III, § 6 (zitiert nach der Übersetzung in: Sellert/Rüping, S. 390). 39 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 153 (S. 165). 40 Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 22. 41 Moccia, GA 1983, 533–543 (540). 42 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 143.
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ten“ Strafzumessung dem richterlichen Ermessen auch Schranken zog. Es war nun aber nur noch eine Frage der Zeit, ehe die geltenden Gesetze (insbesondere die CCC) und das auf ihnen fußende Werk Carpzovs schlicht den Mühlen der Zeit zum Opfer fallen und die naturrechtlichen Ansätze schließlich in der Aufklärung zur vollen Entfaltung kommen sollten.43
III. Die Aufklärung 1. Der Epochenwechsel a) Sapere Aude! Der Durchbruch des neuen Naturrechts Der Epochenwechsel wartete schließlich im 18. Jahrhundert auf. Das überkommene, an den theokratischen Fäden hängende Recht der Carolina stieß nun von allen Seiten auf heftige Kritik.44 An ihm haftete der Makel der finsteren Vergangenheit, des barbarischen Mittelalters. Immer mehr aufsehenerregende Kriminalfälle zeigten die Rückständigkeit des positiven Rechts und ließen den Widerstand in der Öffentlichkeit wachsen.45 Mit dem aufblühenden Fortschrittsgedanken waren die mittlerweile jahrhundertealten Gesetze schlicht nicht mehr zu vereinbaren. „Es trat ein was immer eintreten wird, wenn das überlieferte Recht in zu schroffem Gegensatz zu dem vorgeschritteneren Rechtsbewusstsein steht: Die Praxis wird um jeden Preis dem letzteren zur Herrschaft zu verhelfen suchen […].“46
Der Widerspruch zwischen den gesellschaftlichen Rechtsvorstellungen und den mittelalterlichen Gesetzen konnte auf Dauer nicht bestehen. Trotz wachsender Kritik hielt sich die Gesetzgebung zunächst allerdings weitgehend zurück.47 Wenn es aber nicht die Gesetze waren, die sich dem gewandelten Zeitgeist anpassten, dann musste die deutsche Spruchpraxis und damit auch die (Straf-) Rechtswissenschaft48 eben zu anderen Mitteln greifen, um sich über das geltende Recht hinwegzusetzen. Nun hatte die Stunde des neuen Naturrechts endgültig geschlagen. Bei ihm handelte es sich nämlich nach Meinung vieler seiner Anhänger um „überpositi43 Vgl.
Nagler, S. 284 ff.; Schmidt, Geschichte, §§ 152 ff., 203 ff. Küper, S. 37 f.; Malblank, S. 253 ff.; Schreiber, S. 44; vgl. auch die Anmerkungen zum BayStGB (1813), S. 9. 45 Vgl. Loening, ZStW 3 (1883), 219–375 (274); zum bekannten „Fall Calas“ vgl. Hilgen dorf, in: Feuerbach, S. 149–169 (155 ff). 46 Loening, ZStW 3 (1883), 219–375 (274). 47 Vgl. Nagler, S. 284 f., 371 ff. 48 Zu dieser engen Verwobenheit Teil II – Kapitel 2II.2.a) aa). 44 Dazu
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ves Recht“; Recht also, das über den geschriebenen Gesetzen stand, sodass letzteres stets im Sinne der „Vernunft“ ausgelegt und bei unauflösbaren Widersprüchen auch schlicht für unverbindlich erklärt werden konnte.49 Das Naturrecht und die menschliche Vernunft wurden zu den neuen Werkzeugen der Praxis; „Sapere Aude!“ – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! – zum Wahlspruch der neuen Epoche: der Aufklärung.50 b) Europäische Einflüsse Der endgültige Durchbruch der Aufklärungsbewegung gelang der deutschen Wissenschaft trotz zahlreicher Bemühungen allerdings nicht selbstständig. Zwar leisteten im deutschen Raum etwa Christian Thomasius51 (1655–1728), Christian Wolff52 (1679–1754) oder Karl Ferdinand Hommel53 (1722–1781) durchaus gewichtige Beiträge und ihre Erwägungen stießen auch vereinzelt auf Anklang – so etwa in Diskussionen um die Sinnhaftigkeit von Hexereidelikten, Ketzerei oder der Bigamie.54 Ebenso postulierten sie bereits eine einzig am Naturrecht orientierte richterliche Freiheit über dem positiven Recht.55 Zunächst stand diesen frühen Aufklärern aber gerade im Strafrecht und im Besonderen in der Straf theorie eine konservative Strömung entgegen, zu der bedeutende Namen wie etwa Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) rechneten und die – ebenso wie ihnen folgend weite Teile der Praxis – zunächst noch im Wesentlichen an den Lehren Carpzovs festhielt.56 Der entscheidende Anstoß musste schließlich von außen kommen.57 Dabei drangen zunächst aus Frankreich die Lehren von Montesquieu (1689–1755) und Voltaire (1694–1778) ein. Ihre Texte stießen nicht nur in der Wissenschaft auf große Resonanz. Gerade in Preußen schwemmte der (teils persönliche)58 Kontakt zum „Philosophen von Sanssouci“ (Friedrich dem Großen [1712–1786]), der 49 Vgl.
Loening, ZStW 3 (1883), 219–375 (272 ff.); Nagler, S. 292 f. (insb. auch Fn. 2). Kant, Aufklärung, S. 20–27 (20). 51 Vgl. Burian, S. 45 ff.; Günther, Wiedervergeltung II, S. 121 ff.; Nagler, S. 305 ff.; Schmidt, Geschichte, § 204. 52 Vgl. Burian, S. 85 ff.; Günther, Wiedervergeltung II, S. 140 ff.; Nagler, S. 310 ff. 53 Vgl. Stuckenberg, in: Strafrechtsphilosophie, S. 13–32; vgl. auch Cattaneo, S. 63; Eisen hardt, S. 214; Schmidt, Geschichte, § 211. 54 Dazu Eisenhardt, S. 213 f.; Küper, S. 37; Valjavec, S. 82 f. 55 Küper, S. 39 ff. 56 Vgl. Nagler, S. 317 ff.; zum Ganzen auch Günther, Wiedervergeltung II, S. 124 ff., 160 f., 366 ff.; zu den grundsätzlichen Problemen der gesamten Aufklärungsbewegung im deutschen Raum vgl. Hilgendorf, in: Feuerbach, S. 149–169 (154 f.). 57 Schmidt, Geschichte, § 205 (S. 215). 58 Vgl. dazu die zahlreichen Briefe zwischen den beiden in: Pleschinski, Voltaire – Friedrich der Große. 50 Vgl.
Kapitel 3: Naturrecht und Aufklärung
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zugleich als preußischer Gesetzgeber und als oberster Strafrichter wirkte, die aufklärerischen Ideen in die Praxis.59 Unter ihrem Einfluss verstand sich Fried rich sodann nicht mehr als „Diener Gottes“, sondern vielmehr als „erster Diener des Staates“ – man spricht nun von „aufgeklärtem Absolutismus“.60 Das Werk, welches die Gedanken der Aufklärung endgültig zum geistigen Gemeingut der Strafrechtspflege machte, entstammte allerdings der Feder eines Italieners: Cesare Beccaria (1738–1794). Aus (nicht unbegründeter) Angst vor Zensur und strafrechtlicher Verfolgung erschien sein Buch „Dei delitti e delle pene“ (Über Verbrechen und Strafe) – für manche das „bedeutendste in der bisherigen Strafrechtsgeschichte“61 – im Jahr 1764 zunächst noch anonym. Der revolutionäre Charakter tat dem Erfolg aber keinen Abbruch. Bereits im ersten Jahr waren drei Auflagen vergriffen. In sämtliche Sprachen übersetzt, beeinflusste es schließlich die Strafrechtsdiskussionen in ganz Europa und verhalf der Aufklärungsbewegung auch im Strafrecht endgültig zur unangefochtenen Herrschaft.62 Welche Folgen hatte nun aber der Durchbruch des Naturrechts in der Aufklärung für die Straftheorie? Und welche Folgen hatten diese Änderungen in der straftheoretischen Ausrichtung für das Strafrecht selbst?
2. Die Straftheorie der Aufklärung a) Die Herrschaft der relativen Straftheorien Aus Sicht der Straftheorie war nun endgültig die Zeit der relativen Straftheorien gekommen. Im Grunde waren es hauptsächlich die straftheoretischen Überlegungen der Präventionisten, denen die frühen Naturrechtler ein neues Fundament verliehen hatten und die nun in der Aufklärung die Herrschaft an sich rissen. Die Ansicht, dass der Staat lediglich ein Mittel zur Maximierung des gemeinen Nutzens sei, hatte sich mittlerweile durchgesetzt. Die Strafe war damit – wie alle staatlichen Mittel – zu einem politischen Instrument zur Verfolgung dieses Ziels geworden.63 Als Strafzwecke wurden wiederum alle möglichen Erwägungen (kumulativ) herangezogen. Im Vordergrund der Überlegungen standen dabei allerdings klar die Abschreckung potentiell Tatgeneigter (Negative Generalprä59
Hähnchen, Rn. 602 f.; Schmidt, Geschichte, §§ 210, 238. Coing, S. 73 f.; Meißner/Stollberg-Rilinger, in: Geschichte Deutschlands, S. 135–166 (150 ff.); Schmidt, Geschichte, § 217; Wesel, Europa, S. 411; zum Einfluss der französischen Philosophie auch Günther, Wiedervergeltung II, S. 160 ff. 61 Kürzinger, in: Weltgeschichte, S. 760–771 (762). 62 Zum Ganzen Deimling, in: Beccaria, S. 11–35 (11); Kindhäuser, FS Roxin, S. 39–53. 63 Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (86); vgl. auch Basar, S. 16. 60
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vention) und die Besserung, Abschreckung oder auch Unschädlichmachung des Täters selbst (Spezialprävention).64 Vorbei war damit zunächst die Zeit des Gerechtigkeitsgedankens in seinem herkömmlichen Verständnis. Die Idee der Gerechtigkeit hatte sich für lange Zeit an das Prinzip der Göttlichkeit geklammert. Mit der Säkularisierung der staat lichen Strafe musste damit aber auch sie ihre Segel streichen, denn einen konkreten Nutzen für die Gesellschaft vermochte man in der abstrakten Herstellung von Gerechtigkeit nicht auszumachen. Die Idee einer gerechten „Vergeltung“ durch Strafe schien mit dem utilitaristischen Zeitgeist schlicht nicht mehr vereinbar und so verschwand sie aus der Theorie und – zumindest äußerlich – auch aus der Praxis.65 b) Gerecht ist, was nützlich ist! „Und soll sich niemand mit solcher Torheit beladen, daß er etwas, das unendlich nutz oder gut sein möge, ohne Übung wahrer Gerechtigkeit hoffe.“66
Diese Überlegung aus der Cicero-Übersetzung Schwarzenbergs stand noch stellvertretend für den straftheoretischen Geist der Carolina und der Folgezeit („Nützlich ist nur, was gerecht ist!“).67 Mit der Trennung der göttlichen von der weltlichen Strafe fehlte letzterer nun allerdings auch die Verbindung zur Gerechtigkeit. Sie hatte sich neu zu definieren und fand ihre Legitimation – wie sollte es anders sein – ebenso im „gemeinen Nutzen“. So trennte nun etwa Beccaria die „göttliche“ Gerechtigkeit, die den menschlichen Gesetzlichkeiten entzogen sei, von der „menschlichen“ bzw. „politischen“ Gerechtigkeit, die sich allein anhand der Nützlichkeit für die Gesellschaft bestimme.68 Strafe sollte also weiter der Gerechtigkeit dienen, doch der Gerechtigkeitsbegriff war nicht mehr wiederzuerkennen. Wo vormals die Gerechtigkeitsempfindungen metaphysisch legitimiert wurden, stand die „Gerechtigkeit“ nun für das Ergebnis von Zweckmäßigkeits erwägungen: „Gerecht ist, was nützlich ist!“ lautete das neue Motto der staat lichen Strafe.
64 Vgl. Seelmann, ZStW 101 (1989), 335–351 (336 f.) mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch Eisenhardt, S. 212; Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (57). 65 Zum Ganzen Nagler, S. 336 ff.; Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (86); von Bar, S. 235 ff. 66 Zitiert nach Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (85). 67 Vgl. Teil II – Kapitel 2I.3.d). 68 Beccaria, S. 4; dazu Rohbeck, Rn. 143; vgl. ferner Küper, JuS 1968, 547–553 (551); zur Verbindung von Gerechtigkeit und Nützlichkeit zudem Beccaria, S. 51.
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3. Die Folgen der Herrschaftsübernahme a) Das Ende des „Theaters des Schreckens“ Die Änderungen im straftheoretischen Fundament hatten schließlich massive Auswirkungen auf das gesamte Strafrecht. Zwar rückte mit der neuen Staatslehre der gemeine Nutzen in den Mittelpunkt der Betrachtungen. Ausgangspunkt der neuen Lehren war aber stets der autonome Mensch, und in diesem Sinne prägt das Gedankengut der Aufklärung bis heute das moderne Strafrecht. Die allgemeine Meinung gesteht der Aufklärung deshalb einige Errungenschaften zu, die sich stichwortartig zusammenfassen lassen in: Säkularisierung, Liberalisierung, Rationalisierung und Humanisierung.69 Erstere hatte das Strafrecht mittlerweile vollends auf weltliche Beine gestellt. „Gottes Gerichte und menschliche Gerichte sind heterogene Dinge und so schwerlich wie Wasser und Öl miteinander zu vermischen, weil ihre Bestandteile und ihre Quellen verschiedentlich sind“, schrieb Karl Ferdinand Hommel mit Blick auf das Werk Beccarias.70 Der Säkularisierungsprozess war also im Wesentlichen abgeschlossen. An die Stelle der Religion war die Philosophie getreten und sie sollte das (Straf-)Recht für lange Zeit beherrschen. aa) Entkriminalisierung und das Ende der Folter Auch das materielle Strafrecht blieb von dieser Entwicklung natürlich nicht unberührt. Sämtliche religiös legitimierten Straftatbestände – Ketzerei, Blasphemie, Hexerei- und Zaubereidelikte – gerieten in Kritik oder wurden gar der staatlichen Strafkompetenz entzogen.71 Der letzte Hexenprozess fand in Deutschland im Jahr 1775 statt, doch bereits lange zuvor hatten die naturrechtlichen Strömungen die Hexenverfolgungen weitgehend eingedämmt.72 Auch die gängige Folterpraxis geriet unter Beschuss und wurde schließlich erstmals 1740 von Friedrich dem Großen in Preußen weitgehend abgeschafft.73 Generell löste sich nun mit der Trennung von Verbrechen und religiöser Sünde auch das (Straf-)Recht langsam von der Moral.74 Außerhalb der Theokratie betrafen sittliche oder morali69 Vgl. Schmidt, SchwZStr 73 (1958), 341–360 (343); Hilgendorf, Handbuch des Strafrechts I, § 6 Rn. 2; Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (40) mit weiteren Nachweisen. 70 Hommel, Vorrede, S. 10. 71 Vgl. Eisenhardt, S. 213 f.; Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (56 ff.); Sellert/Rüping, S. 461 f. 72 Ausführlich zum Ganzen Wesel, Geschichte, S. 392 ff. (Rn. 261), 398 ff. (Rn. 264); Dillin ger, S. 144 ff. 73 Dazu Eisenhardt, S. 219 f.; Wesel, Geschichte, S. 395 f. (Rn. 262); vgl. auch Beccaria, S. 31 ff. 74 Diese Trennung geht also nicht erst – wie oft behauptet – auf die Philosophie Kants zurück; ebenso Hilgendorf, in: Feuerbach, S. 149–169 (164).
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sche Verstöße die Allgemeinheit nämlich nur noch, soweit sie den öffentlichen Frieden störten.75 bb) Neue und mildere Strafen Mit dieser Abkehr vom finsteren Mittelalter sollte auch das „Theater des Schreckens“ ein Ende finden. Von allen Seiten wurde gegen die Grausamkeit des überkommenen Rechts gewettert. Die Milderung der Strafen („dolcezza delle penne“), oftmals umschrieben durch die Forderung nach der „Proportionalität“ von Verbrechen und Strafe, trat in den Mittelpunkt der Betrachtungen.76 – Einher gingen schließlich Änderungen in den Strafformen: „Die Strafe soll, wenn ich so sagen darf, eher die Seele treffen als den Körper.“77
Die verstümmelnden Körperstrafen sowie die verschärften Todesstrafen, die allein auf das Leiden des Täters ausgerichtet waren, galten als mittelalterliche Relikte.78 Selbst die gänzliche Abschaffung der weitverbreiteten, einfachen Todesstrafe wurde nun gefordert79 – Beccarias „Dei delitti e delle pene“ wurde zum „Manifest der Gegner der Todesstrafe“80, die im deutschen Raum allerdings noch in der Minderheit waren.81 Anstelle der alten Sanktionen traten zwei neue Strafformen in den Vordergrund: die Arbeits- und die Freiheitsstrafe. Während der drastische Anstieg von Verurteilungen zum Opus publicum (gemeinnütziger Zwangsarbeit) vor dem Hintergrund des neuen Strafzwecks eines „gemeinen Nutzens“ kaum einer Erläuterung bedarf,82 war es letztlich der Liberalismus, der den bis heute anhaltenden Erfolgszug der Freiheitsstrafe einleitete. Denn erst als die Freiheit des Menschen als höchstes Gut in den Mittelpunkt rückte, konnte auch ihr Entzug zur dominanten Strafform werden.83 Überall wurden nun Gefängnisse gebaut, um der neuen Bedeutung der Freiheitsstrafe – die in den Strafsystemen zuvor kaum eine Rolle gespielt hatte – gerecht zu werden.84 75 Vgl.
Rüping/Jerouschek, Rn. 179 ff. Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 26; vgl. auch Eisenhardt, S. 214; Nagler, S. 342 mit zahlreichen Nachweisen; Schmidt, Geschichte, §§ 207 ff. 77 De Mably, De la législation, Œvre completes, 1789, Bd. IX, S. 326 (zitiert nach Foucault, S. 26). 78 Sellert/Rüping, S. 460 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 26. 79 Vgl. Küper, JuS 1968, 547–553 (552); Seelmann, ZStW 101 (1989), 335–351 (338) mit zahlreichen Nachweisen. 80 Preiser, in: Todesstrafe, S. 21–48 (41). 81 Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (61) mit zahlreichen Nachweisen. 82 Vgl. dazu Rüping/Jerouschek, Rn. 171, 206 ff.; Schnabel-Schüle, S. 147 ff.; Seelmann, ZStW 101 (1989), 335–351 (338). 83 Wesel, Geschichte, S. 389 f. (Rn. 259); vgl. auch Eisenhardt, S. 214. 84 Vgl. Foucault, S. 151; Rüping/Jerouschek, Rn. 208 ff. 76
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b) Humanismus als Triebkraft der Aufklärung? Man betrachtet die genannten Entwicklungen allgemein als Folgen einer aufklärerischen Humanisierungsbewegung und spricht insofern von einer „humanistischen Wende“.85 Kaum einer wird vor dem Hintergrund der beschriebenen Veränderungen aus heutiger Sicht bestreiten, dass das Strafrecht der ausgehenden Aufklärung einen „humaneren“ Charakter hatte als zu Zeiten des Mittelalters. Auch der Blick auf die im Naturrecht wurzelnde und in der Aufklärung blühende Idee der Menschenrechte, die das Individuum und seine Autonomie als Ausgangspunkt der neuen Staatstheorien betrachtete, stützt diese These.86 Es liegt also zunächst nahe, dem Humanitätsideal – in strafrechtlicher Hinsicht damit in erster Linie dem Schutz fühlender Wesen vor Qualen und Leid – zumindest einen eigenständigen, vielleicht sogar den zentralen Stellenwert in der Aufklärungsbewegung zuzuschreiben.87 Und doch scheint nach einem näheren Blick auf die Texte der aufklärerischen Denker die Frage angebracht, ob es tatsächlich der Humanismus – im Sinne einer Forderung nach Menschlichkeit um ihrer selbst willen – war, der zu den aufgezählten „Erfolgen“ geführt hat. Die ständigen Argumentationsmuster der Epoche, die (anders als ihre Ergebnisse) meist vernachlässigt werden,88 verliefen nämlich durchgehend mit Bezug auf die neuen, herrschenden Strafzwecke und legen insofern eher einen anderen Schluss nahe. aa) Zweckrationalistische Argumentationsmuster An vorderster Stelle der aufklärerischen Texte stand die Erwägung, dass die Strafe dem gemeinen Nutzen zu dienen habe. Eben daran hätten sich alle Straftat bestände und Strafarten zu orientieren. Nicht die Achtung vor dem menschlichen Wesen wurde insofern angeführt, um gegen die Grausamkeit der Strafen vorzugehen. Vielmehr waren es Zweckmäßigkeitsargumente, die den Nutzen dieser Strafen in Frage stellten. Aus rein empirischer Sicht hatte man ja feststellen müssen, dass es die Verbrechen trotz der grausamen Strafen weiter gab.89 Beccaria stellte gar fest: „Die Länder und Zeiten mit den grausamsten Strafen waren immer auch diejenigen mit den blutigsten und unmenschlichsten Taten.“90 Die Vernunft sollte 85 Vgl. Hilgendorf, Handbuch des Strafrechts I, § 6 Rn. 139; Reinhard, S. 302; Koch (in: Feuerbach, S. 39–67 [60]) spricht von der „verbreiteten Gleichsetzung von strafrechtlicher Aufklärung und ‚Humanisierung‘“. 86 Vgl. dazu Reisch, S. 132 ff. 87 Vgl. auch Seelmann, ZStW 101 (1989), 335–351 (346 ff.). 88 Vgl. zu Beccaria etwa Naucke in der Einführung zu Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, S. XVIII. 89 Vgl. zum Ganzen Beccaria, S. 49 f. 90 A. a. O., S. 47.
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nun die Frage nach der Henne und dem Ei klären, und sie lieferte eine Reihe von Antworten, die das überkommene Recht naturrechtlich aushebeln konnten. So führte man beispielsweise an, dass alle übertriebene Härte im Strafrecht schon deshalb absurd sei, da sie den Verbrecher mit Grausamkeiten vertraut mache und aufgrund dieses Gewöhnungseffektes schon gar keine abschreckende Wirkung mehr entfalten könne.91 Vielmehr hätten diese Strafen den gegenteiligen Effekt und bewirkten, „daß derjenige, der sie zu erwarten hat, sich ebenso sehr bemüht, ihr zu entgehen, wie das Übel groß ist; und dies führt dazu, daß mehrere Verbrechen begangen werden, um der Strafe für eines zu entgehen“.92 In einer Zeit, in der in Frankreich beispielsweise mit dem Tode bestraft wurde, wer bei einer Fronleichnamsprozession vor der Monstranz den Hut nicht abnahm, war das kein fernliegender Gedanke – was sollte bei weiteren Taten – etwa auf der Flucht – noch drohen?93 Sei die Tat aber schließlich begangen, widerspreche es der Vernunft, den Täter mit grausamen Körperstrafen zu verkrüppeln, um ihn im Anschluss auf Kosten des Staates zu ernähren.94 Der Ersatz durch die allgemeinnützige Zwangsarbeit leuchtete insofern ein, und auch die Todesstrafe schien in diesem Lichte anti ökonomisch, beraubte man sich doch selbst einer potentiell nützlichen Arbeitskraft.95 bb) Der Primat des gemeinen Nutzens „Die Argumentation aus der politischen Notwendigkeit des Strafens ist die zentrale Argumentation, nicht die aus Humanität.“96
Dieses Urteil von Wolfgang Naucke über Beccarias Hauptwerk lässt sich für die Epoche der Aufklärung verallgemeinern, aber verschieden deuten. So vermutet Thomas Vormbaum, dass es den Aufklärungsdenkern in erster Linie um eine Humanisierung des Strafrechts ging, man aber dennoch überwiegend auf Zweckmäßigkeitsargumente zurückgriff, um in der Politik auf Gehör zu stoßen.97 Wahrscheinlicher erscheint es mir vor dem (geistes-)geschichtlichen Hintergrund – gerade im Strafrecht –, dass die Überzeugung von der staats- und straftheoretischen Grundhaltung tatsächlich zur konsequenten Umsetzung des Zweckrationalismus drängte. Das vereinzelt auftretende Humanitätsargument – richtigerweise muss 91 Vgl.
Hertz, S. 135. Beccaria, S. 47; vgl. Küper, JuS 1968, 547–553 (551). 93 Zu diesem Beispiel Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 30. 94 Globig/Huster, S. 73. 95 Rüping/Jerouschek, Rn. 166 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 28 ff. 96 Naucke, Zerbrechlichkeit, S. 22. 97 Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 30. 92
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man wohl von einem mit den Nützlichkeitserwägungen partiell einhergehenden Gefühl der Humanität sprechen98 – entpuppte sich insofern eher als dankbar hinzugezogenes Mittel der Kritik an einer unzweckmäßigen Strafrechtspflege.99 Auch Kant attestierte den Begründungen Beccarias insofern die nur „teilnehmende Empfindelei einer affektierten Humanität“.100 Diese Sichtweise stellt nicht in Abrede, dass der Zeit eine allgemeine Begeisterung für Menschenwürde und Menschenrechte aller Individuen innewohnte. Sie berücksichtigt aber auch, dass beide im Konfliktfall konsequent für das „gemeine Wohl“ geopfert werden konnten und auch wurden.101 Sah man etwa den Staat als Garanten für dieses „gemeine Wohl“, diente die Strafe eben auch der staatlichen Machterhaltung. Und nur zu leicht ließen sich politische Zwecke jedweder Art mit dem modernen Präventionismus verknüpfen. Nur zu leicht konnte das „gemeine Wohl“ als reine „Staatsräson“102 verstanden werden.103 c) Der Beginn neuer Schrecken aa) Neue Delikte und Strafen Ganz allgemein waren es nun allerorts schlicht die Staatsschutzdelikte, die den Platz der alten Sakraldelikte einnahmen.104 Bei Feinden des Staates hielt selbst 98
Naucke in der Einführung zu Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, S. XIX. Naucke, Zerbrechlichkeit, S. 24. 100 Kant, Metaphysik, S. 334 f.; vgl. zum Ganzen im französischen Raum auch Müßig, in: Feuerbach, S. 95–127 (124 ff.). 101 Vgl. Nagler, S. 290 ff.; Naucke in der Einführung zu Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, S. XXIV. 102 Der Gedanke der „Staatsräson“, also der Grundsatz, dass die Macht des Staates um jeden Preis erhalten werden muss, verbreitete sich bereits im 16. Jahrhundert ausgehend von Nicolo Machiavellis Buch „Il Principe“, vgl. dazu Reinhard, S. 106 ff.; Wesel, Geschichte, S. 351. 103 Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (86); ders., Geschichte, § 220; vgl. auch Basar, S. 16; die Verknüpfung der Strafe mit jedem beliebigen Zweck ist eine den präventiven Straftheorien immanente Gefahr, die sich in der weiteren Geschichte noch häufig verwirklichen sollte. Schon damals erkannte man sie vereinzelt. So hielt etwa Hommel in diesem Sinne die enge Auslegung der „Sozialschädlichkeit“ eines Verhaltens für unerlässlich, sonst fänden „Moralisten, welche die ganze Welt nach ihrem System regieren wollen […] ein offenes Feld, nach eigenem Belieben, was sie nur wollen […] in Verbrechen umzugießen“ (zitiert nach Naucke in der Einführung zu Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, S. XXXI [Fn. 22]). Praktisch liefen diese Warnungen allerdings ins Leere und etwaige innergesellschaftliche Unruhen rechtfertigten stets die vorübergehende Rückkehr in die Brutalität des alten Strafrechts – ein Prozess, der sich rund um die Entwicklungen der französischen Revolution nicht nur in Frankreich, sondern auch in Italien und Preußen vollzog. Nun legitimierte diese Grausamkeit eben nicht mehr der Wille Gottes, sondern die bittere weltliche Notwendigkeit (vgl. Naucke, Zerbrechlichkeit, S. 14 ff.; in abstrakter Weise auch Beccaria, S. 49). 104 Vgl. Eisenhardt, S. 213. 99
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Beccarias „Manifest der Gegner der Todesstrafe“ den Tod für eine Notwendigkeit. Und als im Jahre 1777 die Berner Ökonomische Gesellschaft einen Preis für den „vollständigsten und ausführlichsten Plan einer guten Kriminalgesetzgebung“ ausschrieb, gewann die Abhandlung von Ernst von Globig und Johann Georg Huster, die zwar den verstümmelnden Körperstrafen die Zweckmäßigkeit absprach, die Verabreichung von bis zu 200 Peitschenhieben aber weiter als zu Abschreckungszwecken geeignet betrachtete.105 Der Primat des Nutzens vor dem Humanitätsgedanken und der Menschenwürde war hier nicht zu übersehen. Er zeigte sich schließlich auch bei Beccaria, wenn dieser für die Zwangsarbeit plädierte, um den Menschen dauerhaft in ein „Lasttier“106 zu verwandeln und wenn er die „lebenslängliche Knechtschaft […] zwischen Fesseln und Ketten, unter Schlagstock und Joch oder in eisernem Käfig“107 der Todesstrafe grundsätzlich vorzog, denn: „Mit der Todesstrafe setzt jedes Beispiel, das dem Volk geboten wird, ein Verbrechen voraus; bei der Strafe der lebenslangen Kneschtschaft [sic!] hingegen bietet ein einziges Verbrechen dauerhafte Beispiele.“108
Selbst diese Todesstrafe hielt Beccaria dann schließlich aber doch für „gerecht und notwendig“ – und zwar immer dann, wenn der Tod „das wirkliche und einzige Hindernis wäre, andere von der Begehung von Verbrechen abzuhalten.“109 bb) Ein neues Strafrecht ohne Grenzen Der Grundgedanke war klar: „Es gibt kein Zurückweichen vor der Notwendigkeit; Gnade ist systemwidrig.“110 Es war also keine Intensitätsänderung, welche die Epoche charakterisierte, sondern eine Zieländerung. Die lebenslange Knechtschaft im Gefängnis ersetzte zwar die öffentlich vollstreckte Verstümmelung oder die grausame Hinrichtung. Es war aber nicht ihre Milde, die ihr den bis heute anhaltenden Erfolgszug bescherte. Es handelte sich vielmehr um eine neue Form der Machtausübung, die in den Augen der Aufklärer zweckmäßiger schien.111 Das Nützlichkeitsdenken führte also in einigen Fällen zu einer Entwicklung, die man in ihrem Ergebnis als Humanisierung des Strafrechts bezeichnen kann. 105
Vgl. dazu Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (61); Schmidt, Geschichte, § 213. Beccaria, S. 50. 107 A. a. O., S. 51 f. 108 A. a. O., S. 52. 109 A. a. O., S. 49. 110 So Naucke (Zerbrechlichkeit, S. 20) über Beccaria. 111 Vgl. auch Foucault, S. 25 ff.; mit Blick auf die Abschreckungswirkung auch Beccaria, S. 52: „Alle Übel vergrößern sich also in der Vorstellung“. 106
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Die Argumentation mit einer „weltlichen Notwendigkeit“ barg allerdings jederzeit auch die Gefahr, in die andere Richtung umzuschlagen. Und eben in diese Richtung fehlte es dem Strafrecht nun an einer Begrenzung, denn auf Basis der vertretenen präventiven Theorien konnte das Strafrecht zur Verfolgung jedes beliebigen Ziels eingesetzt werden. Zwar fand sich allerorts die Forderung nach der „Proportionalität“ zwischen Strafe und Tat.112 Den Maßstab für die Schwere der Tat konnte vor dem Hintergrund der neuen Straftheorien aber nur das Ausmaß des „Schadens für die Gemeinschaft“113 bzw. das Maß der weiter vom Täter ausgehenden Gefahren für dieselbe bilden – und hier biss sich die Katze in den Schwanz. Im Grunde hätte sich die Ungeeignetheit der vertretenen relativen Straftheorien, dem Strafrecht eigenständig „humane“ Grenzen zu setzen, also aufdrängen müssen.114 Sie blieb allerdings weitgehend unter der Oberfläche, denn überlagert wurde die Problematik von einer weiteren Entwicklung der Aufklärungsbewegung: dem Ende der „Relativität der Strafe“. cc) Das Ende der „Relativität der Strafe“ Überstrahlt vom neuen Nützlichkeitsdenken war es erneut die „Relativität“ der Strafen, die man zunächst aus den Augen verlor. Ausgangspunkt der Problematik war die Vorstellung vom „überpositiven“ Charakter des Naturrechts und der damit verbundenen – gerade in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entschieden geforderten – „Freiheit des Richters vor dem Gesetz“. Da die veralteten, mittelalterlichen Gesetze – klammert man die partiellen Reformen vor allem unter Friedrich dem Großen einmal aus – im Grunde weiter fortbestanden, blieb den Aufklärern freilich nicht viel anderes übrig, um ihren Forderungen schnelle praktische Geltung zu verschaffen.115 So bezeichnete etwa Hommel den Richter als die zur „zeitgerechten Rechtsschöpfung berufene Instanz“, welcher die Befugnis zuerkannt wird, „mit gutem Gewissen abgeschmackte Gesetze zu umschiffen“, die „noch bis zu dieser Stunde nicht abgeschafft“ sind.116 Zu den einzig verbindlichen Rechtsquellen für den Richter wurden seine Ver nunft und das durch sie ans Licht gebrachte Naturrecht. Den Inhalt eines solchen Naturrechts konnte man nun aber weder dem positiven Recht noch dem „quasi- 112 Dazu
Hertz, S. 430; Küper, S. 69 f. Küper, JuS 1968, 547–553 (550); zum Ganzen auch Nagler, S. 346 ff. 114 Vgl. auch Naucke in der Einführung zu Beccaria, Von den Verbrechen und von den Strafen, S. XX; damit soll nicht gesagt sein, dass es die Aufgabe einer Straftheorie wäre, dies zu tun, doch war es eben der Anspruch der Zeit. 115 Vgl. Schmidt, Geschichte, §§ 214 ff.; Schreiber, S. 45. 116 Zitiert nach Schreiber, S. 45 f.; vgl. dazu auch Küper, S. 38 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 26. 113 Vgl.
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positivem“ Gemeinen Recht – etwa der Practica Nova eines Benedikt Carpzov – entnehmen.117 Für die Rechtsprechung bedeutete das: Ausschlaggebend für die Strafbarkeit eines Verhaltens und für die Art und Höhe der Strafe war nicht mehr das Gesetz, sondern erstens die Frage, welche Verhaltensweisen der jeweilige Richter als Gefahren für das gemeine Wohl und den Staat betrachtete (was eng mit seinen politischen Vorstellungen zusammenhing); zweitens welcher konkreten Straftheorie er anhing; und drittens seine persönliche Strafskala. Ein und dieselbe Tat konnte nun bei zwei unterschiedlichen Richtern auch völlig unterschiedliche Strafen hervorbringen, und jedes neue philosophische System musste zwangsweise zu weiterer Zerfahrenheit und schließlich zu völliger Unsicherheit und Willkür führen.118 Hinzu kamen die neuen Strafarten der Arbeits- und Freiheitsstrafe, die im bestehenden Recht noch keinen Ausdruck fanden und die man im Vergleich zu den im Gesetz festgeschriebenen Rechtsfolgen auch kaum bemessen konnte.119 Gerade vor dem Hintergrund der hier postulierten zentralen Bedeutung der „Relativität der Strafe“ für die Kooperationsfähigkeit einer Gesellschaft konnte die Kritik an der Situation nicht lange auf sich warten lassen, zumal die übergreifende Kooperation mit der einsetzenden Industrialisierung weiter anwuchs. So schrieb der Oberlandesgerichtsrat Wentzel mit Blick auf diese Zunahme: „Denn es ist ja der selten genug beachtete Unterschied der älteren und der neueren Zeit, dass in jener die Menschen ohne vielen Verkehr, ohne große Beweglichkeit, innerhalb enger geographischer Grenzen sich bewegten, sich also bei ihren Lokalrechten wohl befanden, während jetzt in jeglicher Beziehung ein so verbreiteter Verkehr, eine solche Beweglichkeit herrscht, dass Lokalrechte in einer Provinz ungefähr dasselbe herbeiführen, was in älterer Zeit die Folge davon gewesen wäre, wenn jede Straße einer Stadt ihr eigenes Recht gehabt hätte.“120
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung traten die gewaltigen und willkürlich anmutenden Unterschiede in den Strafen nun allerorts offen zutage und verlangten nach Antworten. Zwei monumentale Strömungen – mit völlig unterschied lichen Lösungsansätzen, aber demselben Ziel – sollten sich im Kampf gegen diese Problematik formieren: eine europaweite Kodifikationsbewegung und der „Deutsche Idealismus“.
117
Vgl. dazu und zum Folgenden Nagler, S. 366 ff. Küper, S. 37 ff.; Nagler, S. 370 f.; von Bar, S. 232, 248. 119 Loening, ZStW 3 (1883), 219–375 (268 f.). 120 Wentzel, S. 78. 118
Kapitel 4
Die Kodifikationsbewegung und der „Deutsche Idealismus“ „Mißtraut euch, Edler Lord, daß nicht der Nutzen des Staats Euch als Gerechtigkeit erscheine“.1
Dass das damalige System nicht bestehen konnte, stand letztlich außer Frage. Die Kombination aus einem am reinen Zweckdenken orientierten Strafrecht und einer eigens dafür eingerichteten Freiheit des Richters vor dem Gesetz, die ihm die konsequente Verfolgung sämtlicher „vernünftigen“ Zwecke erlaubte, brachte das gesamte Konstrukt der staatlichen Strafe ins Wanken.2 Bereits die späten Aufklärer zogen ihre Lehren aus der misslichen Lage und kritisierten die Ungebundenheit der „Barbaren in der Robe“, wie Voltaire die Richter nun nannte.3 Für Weber war klar, dass „durch alle Verbrechen in der Welt nie das Unheil angerichtet werde, was die richterliche Willkür stifte“.4 In den amtlichen Anmerkungen zum Bayerischen Gesetzbuch von 1813 hieß es über den Zustand der Strafrechtspflege schließlich: „Jeder wollte das Amt des Gesezgebers ausfüllen, viele Richter huldigten den neuen Meinungen philosophierender Rechtsgelehrter gleich gesezlichen Aussprüchen, manche zogen f alsches Mitleiden und eingebildete Humanität gegen Verbrecher der Gerechtigkeit gegen den Staat und der Sicherheit der guten Bürger vor und suchten nicht selten ein eigenes Verdienst in der Kunst, das Gesez hinweg zu räsonieren, den Verbrecher der Gerechtigkeit zu entziehen oder wenigstens nach gesezloser Willkühr mit der möglichst geringen Strafe zu belegen.“5
Uneinigkeit herrschte letztlich nur in der Frage, wo der Fehler im damaligen System lag. Im Grunde gab es zwei große Strömungen, die auf gegensätzliche Arten versuchten, der Problematik zu begegnen: Die erste – und sie sollte in ganz Europa Platz greifen und bereits Teil der Lehren zahlreicher später Aufklärer werden – wähnte die schwache Stelle des
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Schiller, Maria Stuart, 1. Aufzug, 7. Auftritt (S. 30). auch Schröder, FS Gagnér, S. 403–420 (414): „Mit den Normen der Carolina war kein Staat mehr zu machen, geschweige denn eine geordnete Strafrechtspflege.“ 3 Zitiert nach Nagler, S. 342; dazu Coing, S. 72; vgl. auch Beccaria, S. 13 ff. 4 So die Wiedergabe der Worte Webers bei Nagler, S. 342 (Fn. 2). 5 Anmerkungen zum BayStGB (1813), S. 9. 2 Vgl.
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Systems nicht in der straftheoretischen Ausrichtung, sondern in der unbedingten Richterfreiheit und dem Primat der Vernunft vor dem Gesetz. Die zweite Strömung hatte sich hingegen der radikalen Abkehr von den straftheoretischen Vorstellungen der Aufklärungsbewegung verschrieben; mithin der Abkehr vom reinen Zweckdenken. Sie war eng verknüpft mit den Namen Imma nuel Kants und Georg Friedrich Wilhelm Hegels und kennzeichnet insofern einen deutschen Sonderweg im Umgang mit der Problematik, der in die Blütezeit der deutschen Philosophie führen sollte: den „Deutschen Idealismus“.6
I. Die Kodifikationsbewegung „Eine neue große Epoche hat begonnen. Das Alte liegt zertrümmert da. Die Gräber des Herkommens sind gesprengt, und auf die gemächlichen Tage der Ruhe ist die Zeit der Thaten gefolgt. Wo vieles zerstört ist, da ist auch vieles zu bauen, und wo eine neue Schöpfung lebt, da regt sich ermuntert selbst die trägere Kraft. Verfassung! Organisation! Gesezgebung! Das sind die großen Losungsworte unserer Tage, welche den einen schreckend, den andern erfreuend, alle Gemüther ergreifen.“7
Bereits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts traten vermehrt die Forderungen nach der Kodifikation des aufklärerischen Gedankenguts und schließlich auch einer gesetzlichen Bindung des Richters in den Vordergrund.8 Im Jahr 1748 erschien Montesquieus Werk „De l’esprit des loix“ (Vom Geist der Gesetze) und prägte in der Folge die Diskussion nach der Gesetzlichkeit des Rechtslebens. Die Idee der Gewaltenteilung – also die Loslösung der Richterschaft von den grundsätzlichen Entscheidungen über Strafbarkeit und Strafzumessung – betrat als Mittel der Bekämpfung der willkürlichen Strafrechtspflege die Bühne.9 Die „Form“ wurde zur
6 Eine – wenn man so will – dritte Bewegung begründete ihre Rückkehr zur wahren „Gerechtigkeit“ nicht über die Philosophie, sondern letztlich über ein historisch gewachsenes Rechtsgefühl. Diese „historische Schule“ betrachtete das Recht als etwas im Zusammenleben der Menschen Gewachsenes, das sich im Rechtsbewusstsein jedes Einzelnen widerspiegele. Die Strömung – in der Literatur als „Romantik“ bekannt – zeitigte ihre Erfolge aber vorwiegend in den anderen Rechtszweigen, insbesondere im Privatrecht, in dem Friedrich Carl von Savigny (1779–1861) die Diskussion bestimmend prägte. Im Strafrecht führte nicht zuletzt der Erfolg des Deutschen Idealismus, dessen Ergebnisse sich letztlich ebenso am „Rechtsgefühl“ orientieren mussten, dazu, dass der eigenständige Einfluss nur gering blieb und meist im idealistischen – insbesondere dem hegelschen – Denken aufging, vgl. dazu Nagler, S. 424 ff.; Schlosser, S. 257 ff. 7 Feuerbach, Schriften, S. 172 f. 8 Vgl. Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (54); Küper, S. 38; vgl. zum Ganzen auch Schröder, FS Gagnér, S. 403–420 (403 ff.) 9 Vgl. dazu Küper, S. 44 ff.
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„geschworene[n] Feindin der Willkühr“10, die Reform der Strafgesetzgebung zum neuen „Modethema“, und die neuformierte Strafrechtswissenschaft zu einer Wissenschaft „de lege ferenda“.11
1. Der ursprüngliche Zielkonflikt Die Problematik in der Umsetzung fußte im Wesentlichen auf einem Zielkonflikt. Einerseits war man sich weitgehend einig, dass die Strafe dem gemeinen Nutzen zu dienen hatte und dass diese Nutzenanalyse im konkreten Einzelfall mit Blick auf die zahlreichen relativen Strafzwecke unterschiedlich ausfallen konnte. Andererseits forderte man abstrakte Gesetze, die dieses Ziel verwirklichen konnten, sodass die Richter den Gesetzeswillen nur noch zu vollstrecken brauchten.12 Die Lösung suchte man gerade anfangs in der Kodifizierung sämtlicher denkbarer Einzelfälle. Man glaubte daran, dass es dem Gesetzgeber möglich sei, jede einzelne Situation aufklärerisch zu durchdringen und so das vernünftige (= nützliche) Recht im Grunde lückenlos in Gesetzesform zu gießen.13 Der Richter müsse in den berühmten Worten Montesquieus insofern nicht mehr sein als der „Mund, der die Gesetze ausspricht“.14
2. Die Kodifikationswelle Das Ergebnis der Bewegung war eine „mächtige Kodifikationswelle“, die über den gesamten Kontinent schwappte.15 Allein im deutschsprachigen Raum mit seinen zahlreichen Mittel- und Kleinstaaten folgten zwischen 1751 und 1870 10
Jhering, S. 497. Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (48 f.); ders., ZStW 122 (2010), 741–756 (744). 12 Küper, S. 38, 42 ff. 13 Küper, JuS 1968, 547–553 (549); das bekannteste Beispiel für den „Fanatismus der Vergesetzlichung aller Phänomene“ (Drost, S. 82) lieferte das Allgemeine Landrecht für die Preu ßischen Staaten im Jahr 1794, von dessen knapp 20.000 Paragraphen immerhin 1588 auf das materielle Strafrecht entfielen. 3000 Paragraphen umfasste das Straf- und Strafprozessrechts im Entwurf zu einem peinlichen Gesetzbuche für die Chur-Pfalz-Bayrischen Staaten (1804) und ganze 2449 materielle Strafnormen kannte der Entwurf eines Gesetzbuches über Verbrechen und Strafen für die zum Königreich Sachsen gehörigen Staaten (1812), vgl. zum Ganzen Koch, in: Feuerbach, S. 39–67 (54); Küper, S. 64 ff. 14 Montesquieu, De l’esprit des loix, Buch XI, Kap. 6 (S. 226) („la bouche qui prononce les paroles de la loi“); Beccaria (Verbrechen, S. 13) schrieb dazu: „Nicht einmal die Befugnis zur Auslegung der Strafgesetze kann den Kriminalrichtern zugebilligt werden, und zwar aus eben dem Grunde, daß sie nicht Gesetzgeber sind.“; vgl. zum Ganzen auch Küper, S. 44 ff. 15 Koch, ZStW 122 (2010), 741–756 (741 ff.); Schröder, FS Gagnér, S. 403–420 (403 ff.); vgl. auch Nagler, S. 371 ff.; Wesel, Europa, S. 403 ff. 11
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ganze 99 offizielle Entwürfe und in Kraft gesetzte Strafgesetzbücher.16 Lange Zeit trugen sie den Stempel des aufgeklärt absolutistischen Polizeistaates. Aber auch wenn die aufkommenden liberal-rechtsstaatlichen Einflüsse das polizei liche Zweckdenken in den späteren Gesetzbüchern langsam verdrängen sollten, so verfolgten doch all diese Kodifikationsversuche im Grunde ein gemeinsames Ziel: das Ende der Willkür und die Wiederherstellung der Relativität der Strafen.17
3. Das Verhältnis von Spezialprävention und Gesetzesbindung Den ursprünglichen Zielkonflikt vermochten die neuen Gesetze aber zunächst nicht aus dem Weg zu schaffen. Zwar stand auch die deutsche Strafrechtswissenschaft ganz überwiegend hinter der Kodifikationsbewegung. Die Möglichkeit, dass das Gesetz den einschlägigen Fall nicht angemessen erfasste und so eine strikte Bindung des Richters die Maximierung des gemeinen Wohls konterkarierte, stand aber trotz aller Bemühungen weiter im Raum. Ohnehin war die starre Bindung des Richters schon mit den (klassischen) ge neralpräventiven Gedanken nur schwerlich zu vereinbaren. Insbesondere aber die Autoren, die den Schwerpunkt ihrer Zweckmäßigkeitserwägungen in der Spezialprävention erblickten, mussten der strengen Gesetzesbindung kritisch gegenüberstehen. Genannt seien hier bekannte Namen wie Christoph Carl Stübel (1764–1827), Karl Ludwig Wilhelm v. Grolmann (1775–1829), Carl August Tittmann (1775–1834) oder auch noch Karl August Joseph Kleinschrod (1797– 1866).18 Nach ihrer Ansicht diente die Strafe in erster Linie dazu, den Täter an der Begehung weiterer Taten zu hindern. Aus der jeweiligen psychologischen Situation zum Zeitpunkt der Tat – den konkreten Anreizen und Motiven – sollte sich letztlich der individuelle Grad der Immoralität, mithin die Gefährlichkeit für die Gesellschaft und so die zweckmäßige Strafe bestimmen.19 Auf den individuellen Charakter des Verbrechers – das war allen klar – konnten die allgemeinen Gesetze aber nicht in ausreichendem Maße eingehen.20 Titt mann führte deshalb an, „daß sich die Urtheilssprecher in der Nothwendigkeit befinden können, eine gesetzwidrige Strafe zu bestimmen, um ein gerechtes Urtheil zu sprechen“.21 Stübel meinte, sobald das positive Recht den Fall nicht an16 Kesper-Biermann, S. 119; dies., in: Feuerbach, S. 461–475; vgl. dazu auch Schröder, FS Gagnér, S. 403–420 (404 f.). 17 Vgl. auch Schmidt, Geschichte, §§ 275 ff. 18 Vgl. a. a. O., §§ 217 ff. 19 A. a. O., § 218 (S. 227). 20 Vgl. Feuerbach, Revision I, S. 78 ff.; Schmidt, Geschichte, § 218 f.; von Bar, S. 247. 21 Tittmann, Neues Archiv des Criminalrechts 1 (1817), S. 352–362 (352).
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gemessen erfasse, sei es „den Einsichten eines jeden, und besonders des Richters stillschweigend überlassen […], wie ein natürliches [!] Strafgesez auf einen peinlichen Fall anzuwenden sei“.22 Und Gerstäcker bemerkte, dem Richter könne „das Recht unvernünftige Gesetze unangewendet zu lassen, oder grausame zu mildern, der Natur der Sache und des Richteramts nach kaum abgesprochen werden.“23 Gerade vor dem Hintergrund der Spezialpräventionstheorien konnte sich daher doch ein gewichtiger Teil der deutschen Strafrechtswissenschaft nicht vom Primat eines überpositiven Naturrechts trennen. Der Richter sollte im konkreten Fall vielmehr weiter das positive Recht mit Blick auf den Nutzen überprüfen können, um dem Sinn und Zweck der Strafe ausreichend Rechnung zu tragen.24 Die Gefahr von im Ergebnis letztlich willkürlichen Entscheidungen stand in diesem Sinne noch lange weiter im Raum. Es bedurfte schließlich des eindrucksvollen Wirkens Paul Johann Anselm von Feuerbachs, um den Positivismus überzeugend mit den verbreiteten straftheoretischen Vorstellungen zu versöhnen und ihn so bis zur heutigen Zeit zum geistigen Allgemeingut zu machen.
4. Paul Johann Anselm von Feuerbach und die Theorie vom psychologischen Zwang a) Feuerbach und der „Deutsche Idealismus“ Als der gebürtige Thüringer Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775–1833) in jungen Jahren zu wirken begann, war die im nächsten Kapitel erläuterte zweite Strömung – im Wesentlichen die Philosophie Kants – im deutschen Raum bereits weit verbreitet.25 Kant hatte die obenstehenden Widersprüche und Problematiken erkannt und zu einem kritischen Rundumschlag gegen die gängigen Präventionstheorien ausgeholt, dem sich keiner ihrer Vertreter hatte entziehen können. Insbesondere hatte er erkannt, dass sich die Strafe vor dem Hintergrund des reinen Zweckdenkens letztlich zur Durchsetzung jeder beliebigen Verhaltensnorm einsetzen ließ. Es ging neben der Relativität der Strafe also auch um die Frage nach dem legitimen Umfang des Strafrechts.26 22
Stübel, § 77. Gerstäcker, Neues Archiv für Criminalrecht 6 (1824), S. 463–491 (483); vgl. zum Ganzen auch Greco, S. 49 f. 24 Vgl. zum Ganzen Küper, S. 71 ff. 25 Vgl. Greco, S. 35. 26 Letztlich die Frage, die heute unter dem Schlagwort des „materiellen Verbrechensbegriffes“ diskutiert wird. 23
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Auch Feuerbach hatte Kant intensiv studiert und war in zahlreichen Punkten von ihm beeinflusst.27 Gerade Feuerbachs Staatsmodell knüpfte nicht mehr einfach an die aufklärerische Nutzenmaximierung an – schon gar nicht im Sinne der „reinen Staatsräson“. Zwar hielt er an den Grundgedanken von Naturzustand und Gesellschaftsvertrag fest. Ganz im kantischen Sinne betrachtete er den Staat aber als – moralisch verpflichtend einzugehenden – Zusammenschluss zum Schutze der individuellen, wechselseitigen Freiheit.28 Diesem Ziel habe schließlich auch das Recht zu dienen: Die legitime Strafgewalt dürfe sich insofern nur auf die Bestrafung von Rechtsverletzungen erstrecken. Im Ausgangspunkt unterschied sich Feuerbach also bereits deutlich vom klassischen Utilitarismus der Aufklärung und den frühen Vertretern des Kodifikationsgedankens. Die Bestrafung von Verhaltensweisen, die keine subjektiven Rechte verletzten, war dem Staat aus seiner Sicht nämlich ebenso ausdrücklich verwehrt wie die Einwirkung auf die sittliche Persönlichkeit des Einzelnen.29 Trotz der kantischen Einflüsse stand Feuerbach aber klar in der Tradition der ersten Strömung, der Kodifikationsbewegung.30 Hier unterschied er sich diametral von den straftheoretischen Überlegungen des Idealismus und wandte sich – die naturrechtlich-philosophischen Auswüchse der Aufklärung vor Augen – ganz generell gegen die überlegene Stellung der Philosophie im Recht: „Überhaupt ist es die Tendenz meines ganzen Systems, die Anmaßungen der Philosophie in dem peinlichen Rechte einzuschränken, der Herrschaft jener launenhaften Tyrannin in dem positiven Rechte entgegen zu arbeiten und ihr in der Jurisprudenz nichts weiter übrig zu lassen, als das Geschäft und die Ehre, eine unterthänige Dienerin der Gesetze zu sein.“31
b) Feuerbachs Straftheorie Für Feuerbach war weiter die Verhinderung von Verbrechen – heißt: die Prävention – das oberste Ziel des Strafrechts. Er ging gar davon aus, dass ein optimales staatliches Strafrecht die Verbrechen komplett beseitigen, sie gar unmöglich machen könne.32 In dieser Vorstellung lagen auch die Wurzeln seiner Kritik an den 27
Naucke, in: Strafgedanke, S. 101–125 (22); ders., Kant, S. 67 ff. Feuerbach, Lehrbuch, § 9; ders., Revision I, S. 39; vgl. dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 28 ff.; Greco, S. 35. 29 Vgl. auch Schmidt, Geschichte, § 230; ebenso Maiwald, in: Rechtswissenschaft, S. 291– 304 (291 f.); die zuvor verbreiteten Verbrechen gegen die Sittlichkeit oder die Religion (Homosexualität, Ehebruch, Inzest, Gotteslästerung) fanden sich deshalb im in weiten Teilen von ihm ausgestalteten Bayerischen Strafgesetzbuch von 1813 nicht. Sie fanden jedoch teilweise über die sogenannten „Polizeydelikte“ doch wieder Eingang in das Recht, vgl. dazu Jakobs, in: Feuerbach, S. 209–224. 30 Vgl. auch Hilgendorf, in: Feuerbach, S. 149–169 (150 ff.). 31 Feuerbach, Revision I, Vorrede S. X. 32 Feuerbach, Lehrbuch, § 10 („[…] mithin ist es schlechthin nothwendig, daß im Staate gar 28
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verbreiteten (Spezial-)Präventionstheorien. Für Feuerbach nämlich standen dem Staat im Wesentlichen zwei Mittel zur Verfügung, um das Ziel der Verhinderung sämtlicher Straftaten zu erreichen: der physische Zwang und der psychologische Zwang.33 aa) Der physische Zwang Feuerbach erkannte, dass die bisherige Strafrechtspflege sich in erster Linie auf den physischen Zwang konzentriert hatte, hieß für ihn: den Strafvollzug. Das galt ebenso für die in generalpräventiver Absicht grausam und öffentlich vollstreckten Strafen des Mittelalters wie für die modernen Spezialpräventionstheorien.34 In dieser Fokussierung sah er die Quelle der Unvereinbarkeit der verbreiteten Präventionstheorien mit der richterlichen Gesetzesbindung35 und in ihr sah er im Übrigen auch ein ungeeignetes Mittel zur Erreichung des Zweckes der Straf tatenfreiheit, denn: „durch diese wird der Staat nur gegen einen bestimmten Beleidiger [= Straftäter] gesichert; durch diese wird nur verhütet, daß ein gewisser bestimmter Beleidiger, von welchem neue Beleidigungen zu besorgen sind, seine Rechtsverletzungen nicht begehe; aber hierdurch ist noch gar kein Damm gegen die gesetzlose Willkühr aller übrigen, die wenn auch nicht wahrscheinliche, doch mögliche Beleidiger sind, errichtet.“36
Denke man den Gedanken des physischen Zwanges konsequent zu Ende, müsse man deshalb letztlich „alle Bürger an Ketten legen, um sie dadurch als rechtliche Bürger zu besitzen“ – das aber gehe „über die Rechte und – die Kräfte des Staats“ hinaus.37 bb) Der psychologische Zwang Die Lösung sah er in der zweiten staatlichen Zwangsmöglichkeit: dem psycholo gischen Zwang. Jedes Verbrechen war für Feuerbach das Ergebnis von „rechtswidrigen Neigungen“, welche in der sinnlichen Natur des Menschen lägen. Erste Aufgabe des Staates müsse es deshalb sein, dafür zur sorgen, dass es schon gar nicht zu solch rechtswidrigen Neigungen komme. Da dies aber – das zeige die keine Rechtsverletzungen geschehen“), § 11 („so ist der Staat berechtigt und verbunden, Anstalten zu treffen, durch welche Rechtsverletzungen überhaupt unmöglich gemacht werden“); ähnlich Feuerbach, Revision I, S. 39; vgl. dazu auch Naucke, in: Strafgedanke, S. 101–125 (107). 33 Feuerbach, Lehrbuch, § 12. 34 Vgl. zu Letzteren etwa Schmidt, Geschichte, § 218. 35 Vgl. etwa Feuerbach, Revision I, S. 78 ff. 36 A. a. O., S. 40. 37 Ebd.
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Erfahrung – nicht lückenlos möglich sei, sei seine zweite Aufgabe, diesen psychologischen Neigungen weitere psychologische Reize entgegenzusetzen.38 Ein solch entgegengesetzter Antrieb sei schließlich die „Unlust“, also die Aussicht auf Schmerz und Übel.39 Diese müsse dem tatgeneigten homo oeconomicus stets in Form einer Drohung vor Augen stehen, denn sämtliche Verbrechen würden verhindert, „wenn jeder Bürger gewiß weiß, daß auf die Uebertretungen ein größeres Uebel folgen werde, als dasjenige ist, welches aus der Nichtbefriedigung des Bedürfnisses nach der Handlung […] entspringt.“40 Diese Drohung könne in einer freiheitlichen und vernunftbegabten Gemeinschaft schließlich nur in einem allgemeinen Strafgesetz verwirklicht werden.41 Feuerbach verschob den Fokus also weg vom Strafvollzug und hin zur abschreckenden Wirkung der gesetzlichen Strafandrohung, welche er in den Mittelpunkt seiner Straftheorie stellte. Damit hatte er die nötige theoretische Vor arbeit für die ersehnte enge Bindung des Richters an das Gesetz und die Ein dämmung aufklärerischer Willkür geleistet. – Zwar könne deshalb auf den Strafvollzug nicht verzichtet werden. Der Richter selbst müsse hier aber letztlich keine Zweckmäßigkeitserwägungen anstellen, denn es gehe einzig darum, die angedrohte Strafe auch wirklich zu vollziehen, damit sie langfristig nicht zur „leeren Drohung“ verkomme.42 cc) Die (oberflächliche) Vereinigung von Philosophie und Positivismus Keines der einzelnen Puzzleteile in Feuerbachs Straflehre war gänzlich neu. Zunächst schwamm Feuerbach ganz oben auf der Kodifikationswelle der späten Aufklärung und eiferte dem hier blühenden Ideal von der strikten Gesetzesbindung des Richters nach.43 Ferner übernahm er neben Kants freiheitlicher Rechtsund Staatsauffassung von Grotius den Strafbegriff und den Gedanken der Legitimation des Strafvollzugs durch die faktische Einwilligung des Täters.44 Schließ38 A. a. O.,
S. 41 ff.; ders., Lehrbuch, § 16 ff. Feuerbach, Lehrbuch, § 17. 40 Feuerbach, Revision I, S. 45 f. 41 A. a. O., S. 46 ff. 42 A. a. O., S. 50, 141 ff.; ders., Lehrbuch, § 18; auch an dieser Stelle stützte Feuerbach seine Erwägungen mit dem Hinweis darauf, dass sie völlig im Einklang mit den Lehren Kants stünden: „Das ist es, was Kant durch den Satz ausdrückt: das Strafgesetz ist ein categorischer Imperativ.“ (Feuerbach, Revision I, S. 141) Freilich eine sehr freie – ich meine unzutreffende – Interpretation von Kants Straftheorie, vgl. dazu Teil II – Kapitel 4II.1; Naucke, Zerbrechlichkeit, S. 141. 43 Vgl. dazu auch Schreiber, S. 102 ff. mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch Hilgendorf, in: Gesetzlichkeit, S. 17–33 (17 ff). 44 Vgl. Feuerbach, Revision I, S. 53 ff.; von der Einwilligungslösung entfernte er sich später, vgl. zum Ganzen Greco, S. 46 f.; für die eigentlich wichtige Strafandrohung selbst sah 39
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lich fanden sich oberflächliche Erwägungen zur psychologischen Wirkung von Strafe bereits bei den Naturrechtlern, etwa bei Hobbes oder Pufendorf, wobei auch diese Autoren die psychologische Zwangswirkung vordergründig aus dem Strafvollzug (als konkludenter Androhung) herleiteten.45 Letzteres galt im Grunde auch für die Autoren des 18. Jahrhunderts,46 doch fanden sich hier stellen weise auch Gedanken hinsichtlich der gesetzlichen Strafandrohung, etwa wenn Beccaria schrieb: „[…] es kann nicht zweifelhaft sein, dass die Unkenntnis und Ungewißheit der Strafen die Beredsamkeit der Leidenschaften fördert.“47 – „Sorgt dafür, daß die Menschen die Gesetze, und nur sie allein, fürchten.“48 Die große Leistung Feuerbachs war es, all diese Einzelteile, die für sich genommen nie zu voller Überzeugungskraft hatten gelangen können, in einer Zeit zu vereinen, in der die Sehnsucht nach der Einheit von philosophischer Ausrichtung und funktionstüchtiger, willkürfreier Strafrechtspflege groß war. Entscheidend wirkte insbesondere sein Bekenntnis zu Kant. Feuerbach zitierte ihn häufig und erweckte so den Eindruck, seine präventive Theorie stünde vollends im Einklang mit den Lehren des großen Kritikers der Epoche.49 Es erscheint vor dem Hintergrund der konträren straftheoretischen Ausrichtung Kants fast absurd, doch tatsächlich sahen einige Autoren der Zeit in Feuerbach einen strafrecht lichen Kantianer –50 und bis zu einem gewissen Punkt tat er das berechtigterweise sicherlich auch selbst. In einer Zeit, in der es sich die breite Riege der Präventionisten zur Aufgabe gemacht hatte, das funktionstüchtige Strafrecht gegen Kant zu verteidigen, machte diese oberflächliche Integration der kantischen Lehren in die „psychologische Zwangstheorie“ die Gedanken Feuerbachs jedenfalls nahezu unwiderstehlich.51 c) Der Einfluss Feuerbachs auf das Strafrecht Der Einschlag war deshalb groß. Der erste Band seiner Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts machte seine Lehren im Jahr 1799 deutschlandweit bekannt und Feuerbach mit gerade einmal 24 Jahren zu einem angesehenen Kriminalisten. Zwei Jahre später erschien die erste Auflage Feuerbach keinen weitergehenden Legitimationsbedarf, da durch sie noch nicht in die Rechte der Bürger eingegriffen werde, vgl. Feuerbach, Revision I, S. 49 f. 45 Vgl. dazu Cattaneo, S. 161 ff.; Kipper, S. 26; Schmidt, Geschichte, § 153 (S. 165); so wohl auch Greco, S. 45 (Fn. 75). 46 Vgl. dazu Beccaria, S. 10 f. 47 A. a. O., S. 17. 48 A. a. O., S. 108. 49 Vgl. etwa Feuerbach, Revision I, S. 48, 141, 146. 50 Vgl. dazu Greco, S. 76 mit weiteren Nachweisen. 51 Naucke, in: Strafgedanke, S. 101–125 (112 ff.; 121); vgl. auch Nagler, S. 406 ff., 410.
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seines Lehrbuch[s] des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, das in den nächsten Jahrzehnten zum erfolgreichsten Werk dieser Art werden sollte.52 Im Jahr 1804 erhielt er den Auftrag zur Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzbuches für Bayern, welches schließlich am 1. Oktober 1813 in Kraft trat und dessen Einfluss auf die deutsche (und auch internationale) Strafrechtsentwicklung kaum zu überschätzen ist.53 Nicht ganz ohne Grund gilt Feuerbach bei manchen Autoren deshalb noch heute als bedeutendster deutscher Strafrechtler.54 In all diesen Werken waren es insbesondere zwei Gedanken, die er mit einer Genauigkeit und Tiefe durchdachte wie zuvor kein anderer, und an denen er seine gesamte Lehre und auch das von ihm entworfene Bayerische Strafgesetzbuch ausrichtete:55 Das Prinzip der notwendigen Gesetzlichkeit des Strafens und das dafür notwendige theoretische Fundament in der „Theorie vom psychologischen Zwang“. Auf Feuerbach geht schließlich auch die bis heute in allen Lehrbüchern so häufig zitierte Wendung „Nulla poena sine lege“56 (Keine Strafe ohne Gesetz) zurück, die ihre gesetzliche Ausprägung etwa in § 1 des deutschen Strafgesetz buches, in Art. 103 II des Grundgesetzes oder in Art. 7 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte (EMRK) findet. Dieses Gesetzlichkeits prinzip entwickelte sich also nicht nur zur Information der Bürger, welche die Möglichkeit erhalten sollten, sich über das geltende Recht zu informieren und ihr Handeln danach auszurichten.57 Vielmehr ging es in erster Linie um die Bindung der Richter im Kampf gegen die willkürliche Strafrechtspflege, wie sie die utilitaristischen Straftheorien der Aufklärung hervorgebracht hatte.58 52
T. Walter, in: Feuerbach, S. 19–37 (21). Hilgendorf, in: Feuerbach, S. 149–169 (149) mit weiteren Nachweisen. 54 Vgl. etwa Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 37 f. 55 Zu einem Beispiel dennoch fehlender Stringenz zwischen seinen straftheoretischen Prämissen und den gesetzlichen Regelungen vgl. meinen Beitrag in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 177–187 (178 ff.). 56 Feuerbach, Lehrbuch, § 24; zu aktuellen Lehrbüchern stellvertretend: Jakobs, Strafrecht AT, 4/2; Roxin/Greco, § 5 Rn. 4. 57 Diese Funktion spricht heutzutage insbesondere das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzlichkeitsprinzip zu, vgl. BVerfGE 75, 329 (342 f.); 126, 170 (194 ff.). 58 Beinahe absurd wirkt vor dem Hintergrund dieser vordemokratischen Entstehungsgeschichte des Gesetzlichkeitsprinzips die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, das Rückwir kungsverbot – als Ausprägung dieses Prinzips – finde „seine rechtsstaatliche Rechtfertigung in der besonderen Vertrauensgrundlage, welche die Strafgesetze tragen, wenn sie von einem an die Grundrechte gebundenen demokratischen Gesetzgeber erlassen werden“ (BVerfGE 95, 96 [133]). Dieser verzweifelte „Kunstgriff“, um in den Mauerschützenprozessen zu einer Strafbarkeit der Beteiligten zu gelangen, lässt sich nur im Hinblick auf die sich wohl entschieden sträubenden Gerechtigkeitsvorstellungen der Richter verstehen – freilich nicht rechtfertigen, vgl. auch Dreier, JZ 1997, 421–434 (432). 53 So
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II. Der „Deutsche Idealismus“ Auch die zweite große Gegenbewegung – der Deutsche Idealismus – entstand aus den Trümmern des Systems, welches die konsequente Verfolgung dieser aufklärerischen Ideen hervorgebracht hatte. Seine Vertreter wähnten die entscheidende Schwachstelle allerdings nicht in der fehlenden Bindung der Richter – obwohl auch sie meist entschlossene Verfechter von Gesetzesbindung und Gewaltenteilung waren. Für sie lag der Fehler schon in der Grundausrichtung: der zweckgerichteten Orientierung der Strafe am gemeinen Nutzen. Auch bei einer festen Bindung des Richters konnte sich das Strafrecht nämlich noch nach den individuellen (politischen) Nützlichkeitserwägungen des jeweiligen Gesetzgebers gestalten. Der Lösungsweg, den die zweite Gegenbewegung beschritt, war daher die radikale Abkehr von der Legitimation des Strafrechts über diese Nützlichkeitserwägungen und die Rückkehr zu neuen Formen „absoluter“ – also von den zuvor postulierten gesellschaftlichen Zwecken losgelöster – Straftheorien. Da die alten theokratischen Vorstellungen dafür nicht mehr zur Verfügung standen,59 ebneten sie diesen Weg schließlich mithilfe bis heute unerreichter philosophischer Gedankengebäude; oder mit den Worten Heinrich Heines: sie setzten auf „das hohe Pferd der Idee“.60
1. Immanuel Kant Als Vater der Bewegung muss ohne Zweifel der Königsberger Philosoph Imma nuel Kant (1724–1804) gelten. „Die […] Frage welche auf den objektiven Maßstab der Strafen, auf das Verhältnis zwischen Strafe und Vergehen an sich, gerichtet ist, wurde bisher größtentheils bloß nach politischen Principien beantwortet. Erst Kant brachte das dem Menschen so nahe liegende Recht der Wiedervergeltung […] wieder in Anregung […].“61
Kants Gedanken leiteten nicht nur einen Wandel im straftheoretischen Denken ein; sie markieren ganz generell einen Wendepunkt in der Philosophiegeschichte. Zwar hielt er am Grundsatz eines auf der Vernunft aufbauenden Systems fest, doch wendete er sich gegen die verbreitete Überzeugung, dass mithilfe der Vernunft letztendlich alle Fragen beantwortet werden könnten. Kant versuchte das gesamte System neu und rational zu Ende zu denken und stellte dafür einige 59
Vgl. auch Altenhain, in: GS Keller, S. 1–13 (2). Vgl. dazu den Abdruck von Heinrich Heines „Gefängnisreform und Strafgesetzgebung“ in: Vormbaum, Heinrich Heine, S. 136. 61 So das Urteil seines Zeitgenossen Karl Salomo Zachariä (Vorrede S. V.) 60
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grundsätzliche Fragen: Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Drei Fragen, die schließlich in einer letzten mündeten: Was ist der Mensch? Dabei erkannte er, dass auch die Vernunft in ihren verschiedenen Ausprägungen unüberwindbare Grenzen habe, und diese Erkenntnis beeinflusste schließlich auch seine Straftheorie.62 a) Absolute oder relative Straftheorie Kants? In der verbreiteten Rezeption der Straftheorien gilt Kant als der Vertreter einer absoluten Straftheorie schlechthin. Klassischerweise wird seine Straftheorie als Vergeltungs- oder Gerechtigkeitstheorie beschrieben.63 Strafe diene danach einzig dazu, der Tat eine gerechte Vergeltung folgen zu lassen. Weitere Zwecke dürften keine Rolle spielen. Den am häufigsten zitierten Beleg für diese Interpretation liefert das bekannte Inselbeispiel: „Selbst wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z. B. das eine Insel bewohnende Volk beschlösse auseinander zu gehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Thaten werth sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat: weil es als Theilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“64
Viel eindrucksvoller konnte man tatsächlich nicht kundgeben, dass sich die Verhängung einer Strafe nicht danach richten dürfe, ob sie einen zukünftigen Nutzen für die Gesellschaft habe. Strafe schien für Kant also die von jeglichen präventiven Zwecken losgelöste, gerechte Vergeltung zu sein, durch die jeder das erhielt, was seine Taten wert waren. Wollte Kant diese Behauptung aber nicht einfach in den Raum werfen, sondern auch positiv begründen, so stand er – wie alle Vertreter absoluter Straftheorien – erst einmal vor einer enormen Herausforderung. Forderte man nämlich den Abschied vom reinen Zweckdenken, wollte aber dennoch an der Existenz der staatlichen Strafe festhalten, konnte man sich nicht mehr – wie noch vor der Zeit der Aufklärung üblich – auf eine Letztbegründung über den Willen Gottes und eine göttliche Gerechtigkeit berufen. Man musste neue Wege gehen. Zum Teil will man Kant nicht zugestehen, diese Wege tatsächlich ernsthaft beschritten oder überhaupt gesucht zu haben. Völlig aus der Luft gegriffen ist dieser Vorwurf nicht. Tatsächlich findet sich an keiner Stelle in Kants Werk eine 62 Nagler (Strafe, S. 400) nannte Kant den „Vollender und zugleich Überwinder der Aufklärung“; vgl. zum Ganzen Mahlmann, § 7 Rn. 1 ff.; Reisch, S. 135. 63 Stellvertretend Jakobs, Strafrecht AT, 1/17, 19; Roxin/Greco, § 3 Rn. 3; vgl. auch Tafani, JJZG 6 (2005/2005), S. 261–284 (261 ff.). 64 Kant, Metaphysik, S. 333.
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explizit positive Begründung für eine zweckgelöste Notwendigkeit staatlicher Strafe. Das Ergebnis „Vergeltung durch Kriminalstrafe ist gerecht“ wird in der Regel schlicht vorausgesetzt.65 Zum Teil stellte Kant die Notwendigkeit staat licher Strafe gar in einen präventiven Zusammenhang. So finden sich etwa in seinen Vorlesungsnachschriften folgende Zitate: „In der Politic haben die Strafen keine andre Nothwendigkeit als so fern sie dienen böse Thaten abzuhalten.“ „Alle Strafen der Fürsten und der Obrigkeit sind pragmatische, entweder zu korrigieren oder anderen zum Beispiel. Die Obrigkeit straft nicht, weil verbrochen ist, sondern damit nicht verbrochen werde.“66
Bekannt ist ferner Kants Äußerung zum Problem des „Brett des Carneades“. Hier ging es um die Frage, ob ein Schiffbrüchiger zu bestrafen sei, der – um nicht zu ertrinken – einem anderen das Brett entreißt, welches diesen über Wasser hält. Kant plädierte für Straflosigkeit und begründete es mit der fehlenden Nützlichkeit der Strafe: „Nun kann ein solches Strafgesetz die beabsichtigte Wirkung gar nicht haben; denn die Bedrohung mit einem Übel, was noch ungewiß ist, (dem Tode durch den richterlichen Ausspruch) kann die Furcht vor dem Übel, was gewiß ist, (nämlich dem Ersaufen) nicht überwiegen.“67
Gerade in jüngerer Vergangenheit wächst mit Blick auf die zahlreichen – hier nur beispielhaft aufgeführten – Äußerungen zum präventiven Charakter der Strafe die Zahl der Autoren, die Kant nicht als Vertreter einer absoluten, sondern einer relati ven Straftheorie einordnen.68 Andere halten mit Verweis auf das Inselbeispiel und ähnliche Passagen weiter am absoluten Charakter von Kants Straftheorie fest.69 Wieder andere schließlich betrachten die verschiedenen Äußerungen letztlich als unvereinbar und sehen Kant als frühen Vertreter einer Vereinigungstheorie.70 Vorab: Unabhängig davon, welcher straftheoretischen Richtung man Kant letztendlich zuordnet; die rezeptionsgeschichtliche Wirkung, die Kants Theorie entfaltet hat, war ohne Zweifel die Wiederbelebung einer absoluten Wiedervergeltungslehre.71 So wurde er gerade im 19. Jahrhundert nahezu einhellig als Ver65
Hörnle, Handbuch des Strafrechts I, § 12 Rn. 5. Beide Zitate nach Mosbacher, ARSP 90 (2004), 210–225 (221). 67 Kant, Metaphysik, S. 235. 68 Byrd/Hrschuka, JZ 2007, 957–964 mit weiteren Nachweisen; Mosbacher, ARSP 90 (2004), 210–225; in diese Richtung auch Schild, FS Wolff, S. 429–441; Tafani, JJZG 6 (2005/2005), S. 261–284; vgl. dazu ferner Becchi, ARSP 88 (2002), 549–568 (552 ff.). 69 Vgl. etwa die Nachweise in Fn. 63; vgl. auch Salomon, ZStW 33 (1912), 1–34 (11). 70 So etwa Montenbruck, Straftheorie, S. 49 ff., 58 mit zahlreichen Hinweisen auf weitere Interpretationen. 71 Vgl. Greco, S. 73; Roxin/Greco, § 3 Rn. 3 (Fn. 10). 66
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treter einer absoluten Theorie eingestuft72 und so zum Stammvater der zweiten Gegenbewegung, die sich mithilfe einer absoluten Straftheorie gegen die Gefahren eines zweckorientierten Strafrechts zu stemmen suchte.73 Wie erklärt sich nun aber der diametrale Widerspruch, der sich aus den unterschiedlichen Äußerungen Kants zur Strafe ergibt?74 Welcher Straftheorie lässt sich Kant also tatsächlich zuordnen? Diese Fragen hängen eng zusammen mit Kants Suche nach den Grenzen der menschlichen Vernunft. Hier standen nämlich auch aus Sicht des Strafrechts einige Fragen im Raum: Ist Strafe notwendig? Ist sie gerecht? Kann ich das überhaupt wissen? Sicherlich ließ sich ohne die Gefahr eines gesellschaftlichen Aufstandes die Prämisse in den Raum stellen, dass es gerecht sei, wenn jeder das erhalte, was seine Taten wert sind. Aber weitere Fragen mussten stets folgen: Was sind meine Taten wert? Welche Strafe ist also richtig und gerecht? Und kann ich das überhaupt wissen? Kant gab in seinen Texten durchaus Antworten auf diese Fragen. Sie finden sich zunächst allerdings weniger in seinen rechtsphilosophischen Ausführungen als in seiner Moralphilosophie und Theologie.75 Um das zu verstehen und um diese Antworten zu beleuchten, müssen wir in Kants philosophischem System zunächst einige Schritte zurück gehen. b) Was kann ich wissen? aa) Kants Transzendentalphilosophie „Was kann ich wissen?“ war die Frage nach den Grenzen menschlicher Erkenntnis. Vor Kant war es allgemeine Auffassung, dass die Wahrnehmung der Dinge – die empirische Erfahrung – auch sichere Erkenntnisse über ihr eigentliches Wesen liefere. Kant brach nun mit dieser Tradition und bezeichnete diesen Schritt selbst als eine „Revolution der Denkart“ in der Philosophie.76 Für ihn ergab sich die Erkenntnis grundsätzlich aus dem Zusammenspiel zweier Welten: der Sinnlichkeit und dem Verstand.77 72
Haas, S. 182 mit zahlreichen Nachweisen. Zum Teil wird gar vertreten, dass Kant selbst überhaupt keine eigene Straftheorie entwickelt hat, sondern dass es ihm einzig darum ging, die verbreiteten relativen Theorien zu widerlegen, vgl. etwa Wohlers, S. 56 (Fn. 21) mit weiteren Nachweisen. 74 Vgl. zu diesen „Selbstmißverständnissen und Widersprüchen“ auch Schild, FS Wolff, S. 429–441 (Zitat auf S. 440). 75 Mosbacher, ARSP 90 (2004), 210–225 (213). 76 Kant, Reine Vernunft, S. 7 ff., 9; das ist die häufig so genannte „kopernikanische Wende“ in der Philosophie. 77 A. a. O., S. 46: „[…] Sinnlichkeit und Verstand, durch deren ersteren uns Gegenstände gegeben, durch den zweiten aber gedacht werden“. 73
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„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“78
Zwar nähmen wir die Dinge durch unsere Sinne war, diese Wahrnehmung sei aber stets beeinflusst durch subjektiv vorgegebene Strukturen des Verstandes. Die Kenntnis von den „Dingen an sich“ (Noumena) sei also der menschlichen Erkenntnis gar nicht zugänglich. Kant richtete den Fokus deshalb auf die Frage, „ob es ein dergleichen von der Erfahrung und selbst von allen Eindrücken der Sinne unabhängiges Erkenntniß gebe.“79 Er kam zu dem Schluss, dass man durchaus sicheres Wissen von der Existenz gewisser Phänomene haben könne, nämlich dann, wenn diese denknotwendig vorliegen müssten, damit Dinge überhaupt Gegenstand der konkreten empirischen Erfahrung sein könnten. Diese vor den Dingen (a priori) liegenden Erkenntnisse – die „Bedingungen der Möglichkeit“80 von Erfahrung – nannte Kant „transzendental“. Die „Urbedingung“, die dem Menschen die Erkenntnis dieser transzendentalen Dinge überhaupt erst ermögliche, sei die Vernunft.81 Die Bedingung dafür, dass diese Vernunft nicht nur eine theoretische, sondern auch eine praktische sei – also tatsächlich Auswirkungen auf unser Handeln habe – sei die Freiheit des Einzelnen.82 Auf diesem transzendentalen Fundament baute Kant schließlich sein gesamtes philosophisches System. bb) Moral und Recht „Man nennt die bloße Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung einer Handlung mit dem Gesetze ohne Rücksicht auf die Triebfeder derselben die Legalität (Gesetzmäßigkeit), diejenige aber, in welcher die Idee der Pflicht aus dem Gesetze zugleich die Triebfeder der Handlung ist, die Moralität (Sittlichkeit) derselben.“83
Die menschliche Vernunft hatte für Kant aber auch ihre Grenzen. Eine dieser Grenzen verlief zwischen der Moral und dem Recht. Moralisches Verhalten lag für ihn immer dann vor, wenn es der vernünftige Wille war, der in der Handlung nach außen trat. Nur wenn gerade dieser vernünftige Wille die Triebfeder des Handelns sei, handle man moralisch, hieß: sittlich gut. Wer ein moralisches Urteil fälle, urteile also über einen inneren Motivationsprozess. Kant erkannte aber, 78 A. a. O.,
S. 75. S. 28. 80 A. a. O. S. 145. 81 In der „Kritik der reinen Vernunft“ (a. a. O., S. 43) findet sich eine erste Definition: Die Vernunft sei „das Vermögen, welches die Principien der Erkenntniß a priori an die Hand giebt. Daher ist reine Vernunft diejenige, welche die Principien, etwas schlechthin a priori zu erkennen, enthält.“ 82 Vgl. auch Kant, Metaphysik, S. 237 ff.; Spycher, S. 73 ff. 83 Kant, Metaphysik, S. 219. 79 A. a. O.,
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dass die Sittlichkeit des Tuns für den Menschen damit gar nicht erkennbar war, und dieses Urteil deshalb auch für den Staat nicht möglich sei.84 Das individuelle Innenleben könne damit nicht Gegenstand des Rechts sein. Dieses müsse sich daher schon denknotwendig damit begnügen, dass die allgemeinen Gesetze äußerlich eingehalten werden.85 Die Aufgabe des Rechts und des Staates konnte für Kant deshalb nur sein, die notwendigen Bedingungen zu schaffen, die es dem Einzelnen ermöglichen, sich selbst gemäß den Vorgaben der Vernunft zu verhalten, also selbst sittlich zu handeln. Insofern kam für Kant auch nur die Bestrafung von Rechtsverletzungen in Betracht, während bloße Moralwidrigkeiten dem staatlichen Zugriff entzogen waren – eine zumindest theoretische Eingrenzung des legitimen Umfangs des Strafrechts, die wohl bis heute unerreicht ist.86 Das war die erste zentrale Abkehr vom Zweckdenken des absolutistischen Polizeistaates und es war dieser Gedanke, der die Entwicklung des Rechts im 19. Jahrhundert in einer Weise prägen sollte, die kaum zu überschätzen ist.87 c) Kant und die Strafe Damit ist das transzendentale Grundgerüst der Philosophie Kants grob umschrieben. Um Kants Verhältnis zur Strafe zu beleuchten, muss es nun erweitert und mit Inhalt gefüllt werden. Kommen wir dafür zurück zu der Frage, ob Kant tatsächlich eine absolute Rechtfertigung für die Notwendigkeit der Strafe geliefert, diese also losgelöst von allen präventiven Zwecken begründet hat. Ausgangspunkt der Betrachtungen ist Kants Ausspruch, dass es gerecht sei, wenn jedermann das widerfahre, was seine Taten wert sind. Natürlich musste sich Kant hier nämlich eine Folgefrage stellen: Was sind meine Taten wert? Und um dies zu beantworten, bedurfte es zumindest zweierlei: einer „Währung“ und eines „Maßstabes“. aa) Das „höchste Gut“ Mit „Währung“ ist ein Gut gemeint, welches dem Individuum für seine Taten zugeteilt wird. Diese „Vergeltung“ konnte im positiven wie im negativen Sinne 84
Kant, Grundlegung, S. 406 ff., 419. dem Boden dieser Überlegungen wäre es dem Staat freilich ohnehin nicht möglich, moralisches Handeln zu erzwingen. Denn wäre das Recht die Triebfeder, die den Einzelnen zum äußerlich vernunftgemäßen Verhalten bestimmte (und nicht die Vernunft selbst), so wäre es definitionsgemäß mit der Moral vorbei. 86 Vgl. auch Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 50. 87 Auch Feuerbach legte diese Gedanken seinen Erwägungen zugrunde, siehe Teil II – Kapitel 4I.4.a). 85 Auf
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erfolgen. Kant äußerte sich hierzu im Rahmen seiner moralphilosophischen Lehre vom „höchsten Gut“, welches er als das „durch die Vernunft allen vernünftigen Wesen ausgesteckte Ziel“ definierte.88 Im Zentrum dieser Lehre stand das Glück. Kant war aber kein Anhänger des klassischen Eudämonismus, dessen Maßstab die individuelle Glückseligkeit des Menschen war. Dagegen wendete er sich ebenso energisch wie gegen den verbreiteten Utilitarismus, der den gemeinen Nutzen zum Leitprinzip des Handelns machte.89 Kant war vielmehr Pflichtethiker (Deontologe). Das höchste Gut konnte für ihn deshalb nur eine Glückseligkeit sein, die sich aufgrund moralisch guten Verhaltens ergab. Nur wer sittlich handle, mache sich glückswürdig, und das sei die nötige Voraussetzung für echte Glückseligkeit.90 Erst die Verbindung von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit bildete für Kant das erstrebenswerte „höchste Gut“ – die Währung, in der sich der „Wert“ menschlichen Handelns bemaß. bb) Der Maßstab sittlichen Handelns Was aber bestimmte die Sittlichkeit des Handelns? Was war moralisch gut? Kants Grundgedanke ist bereits angeklungen: Sittliches Verhalten lag für ihn vor, wenn die Triebfeder des Handelns der vernünftige Wille war. Damit aber war freilich noch nichts darüber gesagt, welche konkreten inhaltlichen Vorgaben die Vernunft liefere. „Praktisch gut ist aber, was vermittelst der Vorstellungen der Vernunft, mithin nicht aus subjectiven Ursachen, sondern objectiv, d. i. aus Gründen, die für jedes vernünftige Wesen als ein solches gültig sind, den Willen bestimmt. Es wird vom Angenehmen unterschieden als demjenigen, was nur vermittelst der Empfindung aus bloß subjectiven Ursachen die nur für dieses oder jenes seinen Sinn gelten, und nicht als Princip der Vernunft, das für jedermann gilt, auf den Willen Einfluß hat.“91
Für Kant war zunächst klar, dass die wahre Vernunft nie das Streben nach „angenehmen“ Folgen oder die Befriedigung eigener Bedürfnisse zum Ziel des eigenen Handelns machen könne. Dabei handle es sich nämlich um rein empirische Erfahrungen, die stets durch subjektive Bedingungen geprägt seien und sich jederzeit ändern könnten. Wer seine Handlung als „Mittel zum Zweck“ benutze, handle also stets nach einem bloß hypothetischen Imperativ, welcher als allge meines Handlungsprinzip nichts tauge.92 88
Kant, Praktische Vernunft, S. 115. S. 111 ff.; vgl. Reisch, S. 143. 90 Kant (Praktische Vernunft, S. 119) bezeichnete diese Glückswürdigkeit (den ersten Teil des höchsten Gutes) auch als „oberstes Gut“. 91 Kant, Grundlegung, S. 413. 92 Vgl. a. a. O., S. 420; vgl. auch Gierhake, S. 38 f. 89 A. a. O.,
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Entscheidend konnte für Kant deshalb nur die „reine von allem Empirischen abgesonderte Vernunfterkenntniß“ sein. Diese über die Empirie hinausgehende Morallehre nannte er die „Metaphysik der Sitten“.93 Ob eine Handlung gut sei, könne sich deshalb nur nach einer Maxime bestimmen, welche „die Handlung ohne Beziehung auf irgend eine Absicht, d. i. auch ohne irgend einen andern Zweck, für sich als objectiv nothwendig erklärt“.94 Die sittliche Beurteilung einer Handlung müsse also aus einem abstrakten Prinzip heraus erfolgen können, welches „a priori“ vor allen moralischen Einzelsätzen Gültigkeit habe.95 Dieses Prinzip formulierte Kant schließlich in seinem „kategorischen Imperativ“: „Handle so, daß die Maxime deines Willens jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könne.“96
Damit war die Idee der praktischen Vernunft zwar wieder nur mit einem abstrakten Inhalt gefüllt; sie lieferte aber eine allgemeine Formel, mit deren Hilfe theoretisch jede geplante Handlung auf ihre Verallgemeinerbarkeit hin überprüft und so als tugendhaft erkannt oder auch wieder verworfen werden konnte. cc) Die Verbindung von Glückswürdigkeit und Glückseligkeit Wer tugendhaft handelte, machte sich für Kant also glückswürdig und verdiente sich so die an seiner Glückswürdigkeit orientierte Zuteilung der Glückseligkeit – das höchste Gut. Wer sich aber entgegen dem sittlichen Gesetz verhalte, der verwirke diese Glückseligkeit im Ausmaß seines Verstoßes und mache sich insofern strafwürdig.97 An dieser Stelle sind wir bei der Frage angekommen, wie Kant die Verbindung zwischen Glückswürdigkeit und Glückseligkeit, und damit gleichermaßen zwischen Strafwürdigkeit und Strafe herstellte. Hier wird deutlich, dass diese Verbindung – zumindest was seine Moralphilosophie betraf – zwingend eine abso lute sein musste. Die proportionale Zuteilung der Glückseligkeit konnte nämlich in keiner Weise einem Zweck dienen, der über die schlichte Herstellung von Gerechtigkeit hinausging. Denn würde sie etwa erfolgen, um das Individuum zu tugendhaftem Verhalten zu motivieren oder dieses von sittenwidrigem Handeln abzuschrecken, raubte sie den Handlungen ja gerade ihren moralischen Wert und entzöge sich selbst die Grundlage.98 93
Kant, Grundlegung, S. 409. S. 415. 95 A. a. O., S. 421. 96 Kant, Praktische Vernunft, S. 30. 97 A. a. O., S. 37; vgl. auch Oberer, in: Rechtsphilosophie, S. 399–423 (401 ff.). 98 Vgl. Mosbacher, ARSP 90 (2004), 210–225 (214). 94 A. a. O.,
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Es war für Kant deshalb a priori notwendig, dass eine transzendental kausale Verbindung zwischen der Glücks- bzw. Strafwürdigkeit und der proportional zugeteilten Glückseligkeit (bzw. ihrer Einbuße durch Strafe) bestand: „Weil aber diese Verbindung als a priori, mithin praktisch nothwendig, folglich nicht als aus der Erfahrung abgeleitet erkannt wird, und die Möglichkeit des höchsten Guts also auf keinen empirischen Principien beruht, so wird die Deduction dieses Begriffs transscendental sein müssen. Es ist a priori (moralisch) nothwendig, das höchste Gut durch Freiheit des Willens hervorzubringen; es muß also auch die Bedingung der Möglichkeit desselben lediglich auf Erkenntnißgründen a priori beruhen.“99
Die absolute Begründung der Strafe, mithin die Feststellung, dass Strafe gerecht sei, war für Kant also eine „Bedingung der Möglichkeit“, eine a priori notwendige Tatsache. dd) Die Absolutheit der Straftheorie Kants Dass sich diese notwendige Verbindung aus Kants Moral- und nicht aus seiner Rechtsphilosophie ergab, konnte für ihn nichts daran ändern, dass sie auch dort bestand, und so setzte er sie auch in seiner Rechtslehre als gegeben voraus.100 – Die Grenze der Vernunft, die zwischen der Moral und dem Recht verlief, verwehrte dem Staat aber die exakte Beurteilung der Glücks- oder Strafwürdigkeit. Und natürlich blieb auch Kant nicht verborgen, dass die staatliche Strafe in der Wirklichkeit durchaus präventive Wirkungen entfalten konnte. Er unterschied deshalb zwischen der a priori bestehenden Strafgerechtigkeit („quia peccatum est“) und der Strafklugkeit, die „sich auf Erfahrung von dem gründet, was am stärksten wirkt, Verbrechen abzuhalten“ („ne peccetur“).101 Die Strafklugheit war für ihn letztlich der Ausfluss der relativen Straftheorien. Im Gegensatz zur Moral war das Anerkenntnis von präventiven Wirkungen der Strafe im Recht aber zunächst einmal nicht problematisch. Das Recht sei ja immerhin allein dazu da, die äußere Einhaltung der Gesetze sicherzustellen, um jedem Individuum die äußeren Bedingungen sittlichen Handelns zu ermöglichen.102 In diesem Sinne sei auch die Zwangsbefugnis grundsätzlich mit dem Recht verbunden.103 Problematisch wurde das Zweckdenken für Kant aber immer dann, wenn es zum reinen Zweckdenken mutierte; wenn es sich also von der transzendentalen 99
Kant, Praktische Vernunft, S. 113. auch Haas, S. 187; Salomon, ZStW 33 (1912), 1–34 (16); spätestens das war der Punkt an dem Feuerbach Kant nicht mehr folgte – diesen zentralen Schritt ging er nicht mit, vgl. etwa Feuerbach, Revision II, S. 107 ff. 101 Kant, Metaphysik, S. 363; vgl. dazu auch Spycher, S. 78 ff. 102 Kant, Metaphysik, S. 218 ff. 103 A. a. O., S. 231; ders., Moralphilosophie, S. 299 f. 100 Vgl.
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Verbindung zwischen Strafe und Tat löste. Nur diese Verbindung könne nämlich das „Argument der Strafbarkeit“ sein, welches die Obrigkeit zur Strafe legitimiere.104 Benutze der Staat sie dagegen einzig als „Mittel zum Zweck“, so folge er damit einem hypothetischen Imperativ, überschreite seine Kompetenz und handele nicht vernünftig: „Richterliche Strafe […] kann niemals bloß als Mittel ein anderes Gute zu befördern für den Verbrecher selbst, oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern muß jederzeit nur darum wider ihn verhängt werden, weil er verbrochen hat; denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines Anderen gehandhabt und unter die Gegenstände des Sachenrechts gemengt werden, wowider ihn seine angeborne Persönlichkeit schützt, ob er gleich die bürgerliche einzubüßen gar wohl verurtheilt werden kann. Er muß vorher strafbar befunden sein, ehe noch daran gedacht wird, aus dieser Strafe einigen Nutzen für ihn selbst oder seine Mitbürger zu ziehen. Das Strafgesetz ist ein kategorischer Imperativ, und wehe dem! welcher die Schlangenwindungen der Glückseligkeitslehre durchkriecht, um etwas aufzufinden, was durch den Vortheil, den es verspricht, ihn von der Strafe, oder auch nur einem Grade derselben entbinde […] denn wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Werth mehr, daß Menschen auf Erden leben.“105
Das war Kants monumentale Reaktion auf die Willkür des aufklärerischen Präventionismus, dem er sich zu Lebzeiten gegenübersah und gegen den er sich mit ganzer Macht auflehnte. Kant akzeptierte also die präventiven Wirkungen der staatlichen Strafe. Für die Legitimation des Strafrechts konnten und durften sie aus seiner Sicht aber keine zentrale Rolle spielen.106 d) Was soll ich tun? War die staatliche Strafe aus der Sicht Kants nun grundsätzlich legitimiert, blieb noch das Problem der praktischen Umsetzung: Was soll ich tun? Welche Strafe ist also gerecht? Dies anhand der Strafwürdigkeit zu bestimmen, war für den Staat nicht möglich, denn der Blick ins Innere des Menschen blieb ihm verwehrt: „Die eigentliche Moralität der Handlungen (Verdienst und Schuld) bleibt uns daher, selbst die unseres eigenen Verhaltens, gänzlich verborgen. Unsere Zurechnungen können nur auf den empirischen Charakter bezogen werden. Wie viel aber davon reine Wirkung der Freiheit, wie viel der bloßen Natur und dem unverschuldeten Fehler des Temperaments oder dessen glück 104
Kant, Brief an Erhard, S. 398. Kant, Metaphysik, S. 331 f. 106 „In jeder Strafe als solcher muß zuerst Gerechtigkeit sein, und diese macht das Wesentliche dieses Begriffs aus.“ (Kant, Praktische Vernunft, S. 37); über die präventiven Strafen schrieb Kant ferner (Rechtsphilosophie, S. 589): „Sie sind als bloße Mittel wohl erlaubt aber nur als Vergeltungen gerecht…“; „Alle Strafe im staat geschieht wohl zur correction und zum Exempel, aber sie muß allererst um des Verbrechens an sich selbst willen gerecht seyn, quia peccatum est.“ (Kant, Rechtsphilosophie, S. 586); von einem bloßen Nebeneffekt spricht auch Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 36; vgl. ferner Salomon, ZStW 33 (1912), 1–34 (11). 105
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licher Beschaffenheit (merito fortunae) zuzuschreiben sei, kann niemand ergründen und daher auch nicht nach völliger Gerechtigkeit richten.“107
Auch präventive Erwägungen der Strafklugheit konnten für Kant nicht den Ausschlag geben. Gegen eben dieses Vorgehen und die daraus resultierende Willkürlichkeit wandte sich ja gerade seine absolute Theorie („denn die Gerechtigkeit hört auf eine zu sein, wenn sie sich für irgend einen Preis weggiebt“)108. Auf der Suche nach einem Leitprinzip für die Bestimmung der Strafe blieb Kant neben der Strafwürdigkeit schließlich noch ein weiteres Element der Gerechtigkeit: die Gleichheit.109 Jede Strafe sollte sich daher ausschließlich an der begangenen Tat orientieren. Das Prinzip, dessen sich Kant dabei bediente, war altbekannt: „Welche Art aber und welcher Grad der Bestrafung ist es, welche die öffentliche Gerechtigkeit sich zum Princip und Richtmaße macht? Kein anderes, als das Princip der Gleichheit, (im Stande des Züngleins an der Wage der Gerechtigkeit) sich nicht mehr auf die eine, als auf die andere Seite hinzuneigen. Also: was für unverschuldetes Übel du einem Anderen im Volk zufügst, das thust du dir selbst an. Beschimpfst du ihn, so beschimpfst du dich selbst; bestiehlst du ihn, so bestiehlst du dich selbst; schlägst du ihn, so schlägst du dich selbst; tödtest du ihn, so tödtest du dich selbst. Nur das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis) aber, wohl zu verstehen, vor den Schranken des Gerichts (nicht in deinem Privaturtheil), kann die Qualität und Quantität der Strafe bestimmt angeben; alle andere sind hin und her schwankend und können anderer sich einmischenden Rücksichten wegen keine Angemessenheit mit dem Spruch der reinen und strengen Gerechtigkeit enthalten.“110
Der Talionsgedanke kehrte also zurück auf die strafrechtliche Bühne – allerdings fast ausschließlich in der Lehre Kants, der mit diesem Schritt allenthalben auf Unverständnis und harsche Kritik stieß.111 Freilich erkannte Kant auch die Grenzen der reinen Talion und blieb insofern nicht bei dem alttestamentarischen Prinzip des „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ stehen.112 Für die Todesstrafe sah er aber keine Alternative: „Hat er aber gemordet, so muß er sterben. Es giebt hier kein Surrogat zur Befriedigung der Gerechtigkeit.“113 Das Grundanliegen wurde jedenfalls nicht nur bei der generellen Legitimation der Strafe, sondern auch bei ihrer näheren Ausgestaltung deutlich: die Abkehr von sämtlichen Zweckmäßigkeitserwägungen („ne peccetur“) und die reine Fokussierung auf die begangene 107
Kant, Reine Vernunft, S. 373. Kant, Metaphysik, S. 332. 109 Vgl. dazu auch Höffe, in: Rechtsphilosophie, S. 335–375 (370 ff.). 110 Kant, Metaphysik, S. 332. 111 Vgl. dazu Naucke, Zerbrechlichkeit, S. 138 f. mit weiteren Nachweisen; zum Talionsprinzip als Maßstab zur Bestimmung der konkreten Strafe auch Tafani, JJZG 6 (2005/2005), S. 261–284 (271 ff.). 112 Vgl. Kant, Metaphysik, S. 332 ff.; vgl. auch Tafani, S. 15 ff.; dies., JJZG 6 (2005/2005), S. 261–284 (275 f.); Spycher, S. 82 ff. 113 Kant, Metaphysik, S. 333; vgl. auch Tafani, JJZG 6 (2005/2005), S. 261–284 (277 ff.). 108
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Tat („quia peccatum est“). Das war Kants Beitrag für eine Rückkehr zur „wahren“ Gerechtigkeit.114 Kaum einem anderen Denker sollte es bis zur heutigen Zeit gelingen, einen ähnlichen Einfluss auf das straftheoretische Denken auszuüben. Und doch ist neben dem Königsberger Philosophen zumindest ein weiterer großer Denker unbedingt zu nennen; der zugleich letzte große Vertreter des Deutschen Idealismus: Georg Wilhelm Friedrich Hegel.
2. Georg Wilhelm Friedrich Hegel a) Die grenzenlose Erkenntnis des Geistes „Das verschlossene Wesen des Universums hat keine Kraft in sich, welche dem Mute des Erkennens Widerstand leisten könnte; es muß sich vor ihm auftun und seinen Reichtum und seine Tiefen ihm vor Augen legen und zum Genusse bringen.“115
Wenngleich die Strafrechtsphilosophie des Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770–1831) erst nach seinem Tod zur absoluten Herrschaft in der Wissenschaft gelangen sollte,116 so fehlte es dem geborenen Berliner doch schon zu Lebzeiten keinesfalls am nötigen Selbstbewusstsein, das ein solcher Erfolgszug benötigte. Hegel selbst erhob für sein philosophisches System nicht weniger als den Anspruch der Absolutheit. Vorbei war es mit der sokratischen Einsicht des Nichtwissens, vorbei mit den Grenzen der Vernunft, wie Kant sie entlarvt zu haben wähnte. Hegel hielt das absolute, sichere Wissen nicht nur für möglich. Er ging auch davon aus, eine solch vollständige Beschreibung der Wirklichkeit in seiner Philosophie zu liefern.117 Die Grundannahme des hegelschen Denkens, die eine solche Absolutheit erst ermöglichte, war die Einheit von Wirklichkeit und Geist. Denken und Sein waren für ihn identisch. Für Kant war dem Menschen die eigentliche Wirklichkeit, also die Welt der „Dinge an sich“ nicht zugänglich, da zwischen das Subjekt und das Objekt (das Ding, wie es wirklich sei) zwingend ein Akt der Wahrnehmung treten müsse.118 Für Hegel aber gab es überhaupt keine Welt außerhalb des Geistes. Schon der Gedanke an eine vermeintliche Existenz der „Dinge an sich“, welche 114 Zu den zahlreichen an ihn anschließenden Gerechtigkeitstheorien der Folgezeit, die im Wesentlichen die Abkehr vom Präventionismus eint, vgl. Nagler, S. 422 ff., 432. 115 Hegel, in: Geist, S. 399–417 (404). 116 Die Rede ist etwa von einer „Gewaltherrschaft Hegels“ im Strafrecht, vgl. mit weiteren Nachweisen Aure, in: forum historiae iuris (16.04.2002), Rn. 5; mit den gleichen Worten wird Kohlrausch zitiert von Schmidt (Strafrechtspflege, § 267 [S. 294]); vgl. auch Nagler, S. 433 f.; Seelmann, in: Naturrecht, S. 293–312 (295); zur Rezeption ferner Frommel, S. 163 ff. 117 Vgl. Mahlmann, § 9 Rn. 1 f.; Nagler, S. 433 ff. 118 Vgl. Teil II – Kapitel 4II.1.b) aa).
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unabhängig von der subjektiven Wahrnehmung existierten, sei schließlich ein Gedanke und existiere damit nur im Bewusstsein selbst. Die ganze Welt sei Geist, und die Erkenntnis der Wahrheit war für Hegel letztlich nur der Prozess, in dem sich der Geist seiner selbst bewusst wurde.119 b) Der dialektische Prozess der Erkenntnis Schon diese Grunderkenntnis war das Ergebnis eines dialektischen Prozesses, nämlich der Vereinigung der vermeintlich gegensätzlichen Vorstellungen von Subjekt und Objekt. Dieser dialektische Prozess war das Werkzeug, mit dem Hegel sein gesamtes philosophisches Konstrukt errichtete – und schließlich auch seine Legitimation der Strafe.120 Wie bei Kant verfolgten auch Hegels straftheoretische Überlegungen das Ziel der Abkehr vom reinen Zweckdenken und der Rückkehr zur „Gerechtigkeit“.121 Wie Kant stand auch er vor dem Grundproblem, die Notwendigkeit der staatlichen Strafe losgelöst von den utilitaristischen Überlegungen der Aufklärung zu begründen. Und wie Kant entwickelte auch Hegel die Lösung schließlich eingebettet in sein beeindruckendes philosophisches Gesamtkonstrukt. Bevor der dialektische Weg zu Hegels Straflegitimation nachgezeichnet werden kann, muss dieser aber zunächst abstrakt beschrieben werden:122 In der hegelschen Dialektik produziert das menschliche Denken als Reaktion auf eine bestimmte These zunächst eine Antithese, welche die erstere negiert und zu ihr in einen diametralen Gegensatz tritt. Da dieser Gegensatz in der Wirklichkeit nicht bestehen könne, müsse der Geist ihn auflösen. Er tue dies durch die „Aufhebung“ des Widerspruchs in der Synthese. Die „Aufhebung“ habe dabei wiederum eine mehrfache Bedeutung: Zum einen negiere die Synthese den ursprünglichen Widerspruch – sie hebe ihn auf. Gleichzeitig sei diese Negation der Negation aber auch wieder etwas Positives: Sie hebe die Erkenntnis also auf eine neue Ebene (hinauf) und bewahre dabei die ursprünglichen Wahrheiten aus The se und Antithese (hebe diese auf), indem „im Resultate wesentlich das enthalten [sei], woraus es resultiert.“123 Schließlich werde diese positive Synthese so selbst 119
Hegel, Phänomenologie, S. 324 ff.; dazu Mahlmann, § 9 Rn. 2; Strömholm, S. 250. Hegel, Grundlinien, § 31. 121 Zu Hegels Kritik an den utilitaristischen Straftheorien der Zeit etwa T. Hoffmann, in: Hegels Erben, S. 56–76 (75 f.); Piontkowski, S. 185 ff. 122 Vgl. zu dieser Notwendigkeit nur Zaczyk (GA 1993, S. 381–384 [381]), der anführt, dass „keine andere Theorie der Strafe […] so sehr auf eine systematische Entwicklung ihres Gedankengangs (auch in Hinblick auf ihre philosophischen Prämissen) angewiesen ist wie die hegelsche.“ 123 Hegel, Logik I, S. 49; zum Ganzen Mahlmann, § 9 Rn. 3; Vormbaum, Strafrechtsgeschich te, S. 62 ff. 120 Vgl.
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wieder zur These, welche potentiell negiert werden könne und so schreite die Entwicklung des Geistes immer weiter fort.124 Das Denken und damit auch die Wirklichkeit (denn beide sind im hegelschen Denken eins) seien also ein Prozess.125 – Doch verlassen wir die abstrakte Ebene und durchschreiten diesen Prozess am hier relevanten Beispiel: c) Hegels Straftheorie aa) Die notwendige Verbindung von Verbrechen und Strafe „Die Theorie der Strafe ist eine der Materien, die in der positiven Rechtswissenschaft neuerer Zeit am schlechtesten weggekommen sind, weil in dieser Theorie der Verstand nicht ausreicht, sondern es wesentlich auf den Begriff ankommt.“126
(1) Freiheit und Recht Ausgangspunkt auch der hegelschen Philosophie war die Freiheit des Einzelnen.127 Damit haben wir bereits die Ausgangsthese: Der Mensch ist frei! – Frei darin seinen eigenen Willen zu bilden und auch frei nach diesem zu handeln, zu tun, was immer er will. Der Verstand muss diese These im hegelschen Denken bald negieren, denn er erkennt, dass der Mensch ein in verschiedene Institutionen eingebundenes Gemeinschaftswesen ist, diese Freiheit deshalb bald an ihre Grenzen stößt. Die Negation der These, die „Antithese“, lautet also: Der Mensch ist nicht frei! – Denn wenn die Freiheitssphären der Individuen kollidieren, führt die gegenseitige Beschränkung automatisch dazu, dass sich die Ausgangsthese nicht als allgemeingültig erweisen kann. Dieser Widerspruch wird im dialektischen Prozess schließlich wiederum negiert, und zwar in der „Synthese“: im Staat und im Recht. Hier werde der Widerspruch zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Freiheit aller nicht nur aufgehoben. Vielmehr bewahre das Recht, indem es sich selbst aus der Freiheit jedes Einzelnen zusammensetze, zugleich auch die Inhalte der These und der Antithese und hebe den Gedanken der Freiheit so auf eine höhere Ebene, auf der er schließlich zu sich selbst zurückkehre. Den Staat bezeichnete Hegel in diesem Sinne als „die Wirklichkeit der konkreten Freiheit“128 und das Recht als das „Reich der verwirklichten Freiheit“.129 124
Hegel, Grundlinien, § 31. Vgl. auch Braun, S. 329. 126 Hegel, Grundlinien, § 99. 127 Vgl. auch Piontkowski, S. 31 ff.; Spycher, S. 87; Vieweg, S. 40. 128 Hegel, Grundlinien, § 260; vgl. auch Braun, S. 340 f.; Piontkowski, S. 360 ff. 129 Hegel, Grundlinien, § 4; vgl. auch ders., Encyclopädie, § 486: „Diese Realität als Dasein des freien Willens überhaupt ist das Recht“. 125
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Damit waren Staat und auch Recht als Bestandteile der Wirklichkeit erkannt, und zwar als Teile, die unter der Prämisse der Freiheit notwendigerweise existieren müssten. Wenn es den freien Willen nämlich gebe – und das setzte Hegel voraus –,130 so müsse er (begrifflich notwendig!) selbst seine eigene Freiheit wollen. Diese Übereinstimmung des Begriffs mit der durch ihn selbst hervorgebrachten Wirklichkeit nannte Hegel „Idee“131: „Dies, daß ein Dasein überhaupt, Dasein des freien Willens ist, ist das Recht. – Es ist somit überhaupt die Freiheit, als Idee.“132
Die Verwirklichung der Freiheit (= das Recht) war für Hegel damit zwingend ein Teil des allgemeinen Willens, der aus dem verallgemeinerbaren Element im freien Willen jedes Einzelnen resultiere.133 Die wechselseitige Anerkennung der Freiheit müsse sich deshalb auch im vernünftigen Willen jedes Einzelnen wiederfinden.134 Zumindest im Ergebnis lagen die Parallelen zu Kants „kategorischem Imperativ“ an dieser Stelle offen zu Tage, man könnte aus kantischer Sicht gar von einer transzendentalen Erkenntnis sprechen.135 (2) Recht und Strafe Diese Erkenntnis stand im dialektischen Prozess nun wiederum als These im Raum, und der Verstand negierte diese sogleich in der Antithese: Das Recht existiert nicht, denn es gibt das Unrecht! – Es ist dem Einzelnen ja immerhin möglich, sich nicht gemäß dem allgemeinen Willen zu verhalten, sondern sich vielmehr seinen besonderen Willen zum Prinzip des Handelns zu machen und damit letztlich eine unendliche Anzahl willkürlicher und zufälliger Zwecke zu verfolgen.136 Dieser Widerspruch zwischen dem Recht und dem Unrecht ließ sich für Hegel schließlich in der Synthese – der Negation der Negation – aufheben: der Strafe. In ihr vereinten sich die Elemente aus These (Recht) und Antithese (Unrecht) derart, dass das Recht auf einer höheren Ebene zu sich selbst zurückkehre und erst durch diesen Prozess wirklich sei. Die Strafe war für Hegel also die „Aufhebung des Verbrechens“ und die „Wiederherstellung des Rechts“.137 130
Hegel, Grundlinien, § 4; vgl. auch Spycher, S. 87. Hegel, Logik II, S. 464 ff. 132 Hegel, Grundlinien, § 29; vgl. auch Braun, S. 330; Mahlmann, § 9 Rn. 9. 133 Vgl. Piontkowski, S. 161. 134 Vgl. Hegel, Grundlinien, § 24; vgl. ferner Gierhake, S. 44 ff.; Seelmann, in: Strafe – Warum? S. 79–85 (80). 135 Vgl. auch Merle, JRE 11 (2003), 145–176 (164). 136 Vgl. Hegel, Grundlinien, §§ 25, 81 ff., 139; vgl. auch Spycher, S. 90; dazu und besonders zum Verhältnis zwischen besonderem und allgemeinem Willen Siep, in: Hegels Erben, S. 7–28. 137 Hegel, Grundlinien, § 99; freilich müsste man für eine ausreichende Begründung hier 131
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Die Notwendigkeit der „Aufhebung des Verbrechens“ ergab sich für ihn dabei letztlich wieder aus dem begrifflichen Zusammenhang zwischen Recht und Frei heit. Im philosophischen System Hegels war das Verbrechen mit der Idee der Freiheit nicht vereinbar. Es konnte nicht das Ergebnis eines freien und vernünftigen Willens sein, denn dafür hätte es selbst die Freiheit wollen müssen, und das hieße – begrifflich notwendig – auch das Recht.138 „Weil der Wille, nur insofern er Dasein hat, Idee oder wirklich frei und das Dasein, in welches er sich gelegt hat, Sein der Freiheit ist, so zerstört Gewalt oder Zwang in ihrem Begriff sich unmittelbar selbst, als Äußerung eines Willens, welche die Äußerung oder Dasein eines Willens aufhebt. Gewalt und Zwang ist daher, abstrakt genommen, unrechtlich.“139
Das Verbrechen war für Hegel deshalb begrifflich gesehen „in sich nichtig“.140 Es war das, „was notwendig nicht sein soll“.141 Dennoch aber habe es „positive, äußerliche Existenz“ und erwecke so den Eindruck, das Resultat eines freien, vernünftigen Willens und damit verallgemeinerbar zu sein.142 Um das Verbrechen, „das sonst gelten würde“143, aufzuheben, müsse die innere Nichtigkeit deshalb auch äußerlich hervortreten. Diese Aufgabe übernehme schließlich die Strafe: „Die Manifestation dieser ihrer Nichtigkeit ist die ebenso in die Existenz tretende Vernichtung jener Verletzung, – die Wirklichkeit des Rechts, als seine sich mit sich durch Aufhebung seiner Verletzung vermittelnde Notwendigkeit.“144
Das Verbrechen war für Hegel im strafrechtlichen Sinne also keine Verletzung von Rechtsgütern. Für ihn war es die Negation des Rechts im Sinne einer Verletzung des Rechts als Recht.145 Die Negation dieser Negation sei zwar grundsätzlich auch von privater Seite möglich; dann zeige sich darin aber auch wieder der besondere Wille mit all seinen subjektiven Interessen und Zufälligkeiten. Hegel sprach insofern von „Rache“ und nicht von „Strafe“. Auf diese Rache müsste jedoch stets eine erneute Reaktion folgen, was letztlich in einem Teufelskreis enden würde. Im Staat übernehme daher dieser selbst als Repräsentant des allge auch die Frage beantworten, warum gerade die Strafe diese Aufgabe übernehmen sollte, vgl. Hoerster, S. 36; Spycher, S. 91. 138 Vgl. Hegel, Vorlesungen, S. 57; vgl. auch Vieweg, S. 138. 139 Hegel, Grundlinien, § 92. 140 A. a. O., §§ 93, 101. 141 A. a. O., § 139; vgl. auch U. Neumann, in: Strafe – Warum? S. 159–171 (167 ff.). 142 Hegel, Grundlinien, § 100, Randbemerkung zu § 99 (S. 367); vgl. auch Gierhake, S. 44; durchaus kritisch Seelmann, in: Strafe – Warum? S. 79–85 (79 f.). 143 Hegel, Grundlinien, § 99. 144 A. a. O., § 97. 145 A. a. O., §§ 97, 99; vgl. auch Piontkowski, S. 139 ff.; Seelmann, in: Strafe – Warum? S. 79–85 (80 ff.); Vieweg, S. 139.
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meinen Willens die Aufgabe der Negation der Negation, welche so die Gestalt der Strafe annehme, ebenso wie der Staat seine Rolle als „strafende Gerechtigkeit“:146 „Statt der verletzten Partei tritt das verletzte Allgemeine auf, das im Gerichte eigentümliche Wirklichkeit hat, und übernimmt die Verfolgung und Ahndung des Verbrechens, welche damit die nur subjektive und zufällige Wiedervergeltung durch Rache zu sein aufhört und sich in die wahrhafte Versöhnung des Rechts mit sich selbst, in Strafe verwandelt.“147
Das Recht war für Hegel also die notwendige Konsequenz aus der Idee der Freiheit (in seiner Terminologie: die Idee der Freiheit selbst). Ohne die Strafe war das Recht für Hegel aber in der Wirklichkeit gar nicht denkbar. Verbrechen und Stra fe waren vielmehr Teil des Prozesses, der die Wirklichkeit des Rechts widerspiegelte. Und aus diesem Grund waren sie notwendigerweise verbunden.148 bb) Die Bestimmung der Strafe Die dialektische Verbindung bestimmte schließlich auch die inhaltliche Ausgestaltung der Strafe, letztlich also wieder die staatliche Überlegung „Was soll ich tun?“.149 Dabei war für Hegel zunächst klar, dass sich das „Ob“ der Strafe nur aus den obigen Erwägungen ergeben konnte. Voraussetzung staatlicher Reaktion war nämlich stets, „daß das Strafen an und für sich gerecht sei.“150 Und dabei kam es ihm einzig darauf an, „daß das Verbrechen und zwar nicht als die Hervorbringung eines Übels, sondern als Verletzung des Rechts als Rechts aufzuheben ist.“151 Das war die erste Absage an sämtliche utilitaristische Ansätze der Zeit. Die zweite betraf das Maß der Strafe: Auch diese Bestimmung müsse sich aus der Tat selbst ergeben („quia peccatum est“). Wenn das Recht Ausdruck der wechselseitigen Anerkennung des anderen als freies, vernünftiges Wesen sei, dann müsse auch die Strafe (als Teil des Prozesses) diese Anerkennung leisten.152 Der Verbrecher habe daher sogar ein eigenes Recht auf die Strafe, insofern er durch sie „als Vernünftiges geehrt“ werde.153
146 Hegel, Grundlinien, §§ 100, 102 ff.; vgl. dazu Engehrn, in: Hegels Erben, S. 29–42 (30); Piontkowski, S. 149 ff., 322 ff.; Vieweg, S. 145 f.; zum Ganzen auch Schild, in: Strafe – Warum? S. 97–109. 147 Hegel, Grundlinien, § 220. 148 Vgl. auch Merle, JRE 11 (2003), 145–176 (162 ff.). 149 Vgl. auch Nagler, S. 438 f. 150 Hegel, Grundlinien, § 99. 151 Ebd. 152 Vgl. dazu auch Siep, in: Hegels Erben, S. 7–28 (16 f.); Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 63. 153 Hegel, Grundlinien, § 100; vgl. Piontkowski, S. 140 ff., 161 f.; kritisch dazu Hörnle, Handbuch des Strafrechts, § 12 Rn. 6; Hoerster, S. 37; Spycher, S. 94, von Bar, S. 278 f.
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Der Bezugspunkt dafür könne aber nur im Verbrechen als dem besonderen Willen liegen, der in der Tathandlung äußere Existenz erlangt habe: „Daß die Strafe darin als sein eigenes Recht enthalten angesehen wird, darin wird der Verbrecher als Vernünftiges geehrt. – Diese Ehre wird ihm nicht zuteil, wenn aus seiner Tat selbst nicht der Begriff und der Maßstab seiner Strafe genommen wird; – ebensowenig auch, wenn er nur als schädliches Tier betrachtet wird, das unschädlich zu machen sei, oder in den Zwecken der Abschreckung und Besserung.“154
Welches Prinzip konnte den Staat also bei der Bestimmung der gerechten Strafe leiten? Auch Hegel kam hier letztlich zurück zum Prinzip der Gleichheit. Zunächst war dies aber – anders als bei Kant – keine gewählte Maxime, sondern die notwendige Folge aus seiner Begründung der Strafe. Das Verbrechen war für Hegel ja innerlich nichtig, vernichte sich insofern also bereits selbst. Die Strafe hingegen sei nurmehr die äußere Manifestation dieser Selbstvernichtung und spiegele diese quasi in der Außenwelt wider. In diesem Sinne erscheine sie dem Verstand daher als Gleichheit.155 Da sich die Strafe aber in der „Sphäre der Äußerlichkeit“ bewege, sei die absolute Bestimmung dieser Gleichheit dem Staat nicht möglich, er könne sich ihr bestenfalls annähern.156 An dieser Stelle stimmte Hegel mit Kant überein, nicht aber in der Lösung des Problems.157 Der Rückgriff auf das Talionsprinzip kam für Hegel nämlich nicht in Betracht. Die spezifische Gleichheit zwischen Verbrechen und Strafe (Auge um Auge) war für ihn nicht nur in praktischer Hinsicht absurd, sondern hatte auch begrifflich nichts mit seiner Auffassung von Wieder vergeltung zu tun. In der Sphäre der Äußerlichkeit könne es keine spezifische Gleichheit (im Sinne einer Identität) von Verbrechen und Strafe geben. Es könne vielmehr nur um das innere Gleiche von Dingen gehen, „die in ihrer Existenz spezifisch ganz verschieden sind“.158 Dieses „innere Gleiche“ nannte Hegel den „Wert“: „Das Aufheben des Verbrechens ist insofern Wiedervergeltung, als sie dem Begriffe nach Verletzung der Verletzung ist und dem Dasein nach das Verbrechen einen bestimmten, qualitativen und quantitativen Umfang, hiermit auch dessen Negation als Dasein einen ebensolchen hat. Diese auf dem Begriffe beruhende Identität ist aber nicht die Gleichheit in der spezifischen, sondern in der an sich seienden Beschaffenheit der Verletzung, – nach dem Werte derselben.159
Der Wert der Strafe sollte dem Wert des Verbrechens also entsprechen. Damit war für die Praxis allerdings noch nicht viel gewonnen, auch hier stieß Hegel 154
Hegel, Grundlinien, § 100. § 101. 156 A. a. O., §§ 49, 101, 214. 157 Piontkowski, S. 144 ff.; Spycher, S. 94 ff. 158 Hegel, Grundlinien, § 101. 159 Ebd.; vgl. auch Piontkowski, S. 146 ff. 155 A. a. O.,
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nämlich auf die gleiche Frage wie vor ihm bereits Kant: Was sind meine Taten wert? Anders als Kant versuchte Hegel diesen Wert aber schon gar nicht zu bestimmen.160 Einer der Punkte, nach dem sich die Qualität des Verbrechens bemaß, war für ihn nämlich die „Gefährlichkeit der Handlung für die Gesellschaft“. Gemeint war: das Ausmaß, in dem das Verbrechen das Recht selbst in Frage stellte (das Ausmaß seiner äußeren Existenz). Dieses allerdings hänge wiederum eng zusammen mit dem aktuellen Zustand der jeweiligen Gesellschaft, und so war für Hegel auch der Wert eines Verbrechens – wie alles auf der Welt – im Fluss:161 „Ein Strafkodex gehört darum vornehmlich seiner Zeit und dem Zustand der bürgerlichen Gesellschaft in ihr an.“
Spätestens an diesem Punkt öffnete Hegel doch wieder die Tür für das Präven tionsdenken. Hier finden sich vorgezeichnet bereits Gedanken moderner positiv generalpräventiver Theorien.162 Für die klassischen utilitaristischen Ideen seiner Zeit – und gerade gegen sie wendete er sich ja – war an dieser Stelle aber noch kein Platz. Sowohl das „Ob“ als auch das Maß, also der „Wert“ waren in Hegels Theorie zwingend unabhängig von ihnen zu bestimmen. Das hieß nicht, dass er die abschreckenden oder bessernden Wirkungen der Strafe komplett abstritt – er erkannte sie sogar ausdrücklich an. Berücksichtigung finden durften diese Wirkungen seines Erachtens aber nur hinsichtlich der „Modalität der Strafe“ – also bei der Wahl zwischen verschiedenen gleich-wertigen Strafmöglichkeiten, die allesamt dem Wert des Verbrechens zu entsprechen hatten.163 „Alle diese Gesichtspunkte der Besserung, der Abschreckung pp sind wichtig, nur muß die Strafe immer die Qualität der Gerechtigkeit behalten, die Strafe als Strafe muß nicht wegfallen, nur die Art der Strafe kann so modifizirt werden daß jene Zwecke dabei erreicht, so daß Böse im Innern des Willens selbst vernichtet werde“.164 160 Vgl. auch von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (24 f.); ausgenommen war – wie bei Kant – die Todesstrafe für die Tötungsdelikte: „Wenn nun bei der Vergeltung nicht auf spezifische Gleichheit gegangen werden kann, so ist dies doch anders beim Morde, worauf notwendig die Todesstrafe steht. Denn da das Leben der ganze Umfang des Daseins ist, so kann die Strafe nicht in einem Werte, den es dafür nicht gibt, sondern wiederum nur in der Entziehung des Lebens bestehen.“ (Hegel, Grundlinien [mit Zusätzen], Zusatz zu § 101 [S. 196]). 161 Hegel, Grundlinien, § 218, Randbemerkungen zu § 96 (S. 365 f.); vgl. auch Becchi, in: Strafe – Warum? S. 87–95 (93 ff.); Piontkowski, S. 314 ff.; Seelmann, in: Strafe – Warum? S. 79–85 (83 f.); Spycher, S. 90. 162 Vgl. Demko, in: Hegels Erben, S. 277–300; Hörnle, in: Strafe – Warum? S. 11–30 (24); Müller-Tuckfeld, S. 279 ff.; Pawlik, Person, S. 63 f.; Streng, ZStW 92 (1980) 637–681 (639 f.). 163 Hegel, Grundlinien, § 99, Randbemerkungen zu § 99 (S. 368); ders., in: Vorlesungen, S. 67–752 (553): „[…], daß die Strafen nach ihrer sinnlichen Seite ausgetauscht werden können, so daß der Werth bleibt aber die specielle Gestalt gewechselt wird.“ 164 Hegel, in: Rechtsphilosophie, S. 67–752 (554).
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Teil II
Für die praktische Strafbestimmung (die Suche nach dem Wert) blieb ihm nicht viel mehr als der Hinweis, es sei „Sache des Verstandes, die Annäherung an die Gleichheit dieses ihres Wertes zu suchen“165 und schließlich das Eingeständnis, dass die Vernunft letztlich auch anerkennen müsse, dass man die – neben der Annäherung notwendigerweise verbleibende – „Zufälligkeit“ der Strafe hinnehmen müsse, damit überhaupt entschieden werde.166 Faktisch war die gesamte Strafbestimmung also ein Appell an das Rechtsgefühl.167 – Das Ziel Hegels wie des gesamten Deutschen Idealismus wurde aber noch einmal deutlich: Der Willkür des Präventionismus sollte durch die Zuwendung zur Gerechtigkeit Einhalt geboten werden – einer Gerechtigkeit, für deren Begründung die Denker des Deutschen Idealismus philosophische Gebilde in einer noch nie dagewesenen Größe errichteten.
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Hegel, Grundlinien, § 101; vgl. auch Nagler, S. 439 ff. Hegel, Grundlinien, § 214. 167 Das gilt im Grunde für sämtliche rein absolute Strafbegründungen, vgl. dazu etwa auch von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (24 f.). 166
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Der Fortgang des 19. Jahrhunderts und der Schulenstreit I. Die Entwicklung der „klassischen Schule“ 1. Das Erbe Feuerbachs Mochte das Feuerbach’sche Bayerische Strafgesetzbuch von 1813 in Teilen noch so fortschrittlich und in der Theorie noch so hoch gelobt worden sein;1 es zeigte sich doch recht bald, dass ein einzig auf der Grundlage seiner „psychologischen Zwangstheorie“ ausgearbeitetes Gesetz in der Praxis zum Scheitern verurteilt war.2 Die beiden dafür wichtigsten Gründe waren die drakonische Härte der Strafen und die fast völlige Einschränkung des richterlichen Ermessens. Erstere war die logische Konsequenz aus Feuerbachs straftheoretischem Fundament: „Strafen müssen streng sein, denn sie sollen schrecken“ hieß es in seinem „Geist des Strafgesetzbuches von 1813“.3 Diese Strenge betraf zum einen das Strafmaß. So drohten beispielsweise für „nächtliche Entwendungen an Baum-, Feld-, oder Gartenfrüchten“ zwischen acht und zehn Jahren Zuchthaus, wenn „sich der Dieb mit einem oder mehreren zur Ausführung dieses Verbrechens verbunden“ hatte, Art. 218, 221, 224 B ayStGB. Zum anderen spiegelte sich der Abschreckungsgedanke aber auch im System der Strafarten (Art. 4 ff. BayStGB). Hier drohte neben dem Zuchthaus in mittelalterlicher Manier etwa weiterhin die Todesstrafe (Art. 6 BayStGB – teils mit vorheriger Zurschaustellung am Pranger), die lebenslange Kettenstrafe (Art. 7 f. BayStGB – völliger Rechtsverlust [„bürgerlich todt“], durch den der Verurteilte dem Staat zu lebenslanger Zwangsarbeit verpflichtet war und seine Zeit ansonsten im Zuchthaus verbrachte) oder auch die körperliche Züchtigung (Art. 25 BayStGB – bis zu 50 Rutenschläge auf den entblößten Rücken). Die enge Bindung der Richter durch häufig absolut bestimmte Strafen und allenfalls geringe Strafrahmen sollte schließlich die Einheitlichkeit der Strafen und 1 Landsberg (S. 128) spricht gar von einer „der hervorragendsten gesetzgeberischen Leistungen aller Zeiten und Völker“. 2 Vgl. dazu Koch, ZStW 122 (2010), 741–756 (754); Schmidt, Geschichte, § 249; Schrö der, FS Gagnér, S. 403–420 (413). 3 Feuerbach, Geist, S. 212–220 (213).
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damit die Rückkehr zur Relativität gewährleisten – hier lag ja ohnehin die Wurzel der Kodifikationsbewegung. Es zeigte sich jedoch einmal mehr die geschichtliche Tendenz, im Kampf gegen bestehende Schwächen allzu leicht in das ent gegengesetzte Extrem umzuschlagen. Jeglichen Gefahren unterschiedlicher Gesetzesinterpretation sollte von vornherein vorgebeugt werden. So hieß es im Königlichen Publikationspatent vom 19. Oktober 1813: „Hierbei ist es Unser ausdrücklicher Befehl, daß außer dieser von Uns selbst angeordneten Darstellung durchaus von keinem Staatsdiener oder Privatgelehrten ein Kommentar über das Strafgesetzbuch in Druck gegeben werde, und daß sich die Gerichte in Behandlung und Beur theilung der Strafsachen, sodann die Lehrer unserer Landes-Universitäten in ihren Lehrvorträgen, ausschließend an den Text des Gesetzbuchs mit Benutzung der Anmerkungen halten, damit das Strafgesetzbuch in allen Theilen Unseres Königreichs in gleichem Geiste, und nach dem was Wir zu verordnen und zu erläutern für gut gefunden haben, angewendet und gelehrt werde.“4
Selbst für die ohnehin engen Strafrahmen gab es detaillierte Vorgaben, die das richterliche Ermessen einschränken sollten.5 Dabei gab man sich durchaus Mühe, entsprechende Abstufungen vorzunehmen.6 Schon nach kürzester Zeit musste man allerdings einsehen, dass all die Bemühungen um Einzelfallgerechtigkeit der Komplexität der Praxis nicht annähernd gerecht werden konnten.7 In zahlreichen Fällen erschienen Richtern und Bürgern die Strafen unverhältnismäßig. Das Gesetz ließ letztlich zu wenig Spielräume, um alle Aspekte des Einzelfalles zu berücksichtigen. Bald waren die mit Bagatellverbrechern gefluteten Zuchthäuser überfüllt.8 Bereits 1814, im Jahr nach dem Inkrafttreten des Feuerbach’schen Strafgesetzbuches, musste das Ministerium gegensteuern und wies die Gerichte ausdrücklich an, sich regelmäßig mit Gnadengesuchen an sie zu wenden, wenn „nach der Beschaffenheit der That an sich“ eine geringere Strafe angemessen sei.9 Bis zum Jahr 1816 erschienen nicht weniger als 111 abändernde Novellen, und trotz dieser Nachbesserungsversuche wurden in diesem Jahr beispielsweise 4 Zitiert
nach Koch, ZStW 122 (2010), 741–756 (753); fast wortgleich findet sich diese Passage ferner in den Anmerkungen zum BayStGB (1813), S. III. 5 Vgl. hier insbesondere auch die Art. 90 ff. BayStGB; mit einigen Beispielen Koch, ZStW 122 (2010), 741–756 (753). 6 Vgl. etwa Art. 215 BayStGB: „Wenn der Dieb in Geld oder Geldeswerth die Summe von fünf und zwanzig Gulden baierischer Reichswährung oder darüber entwendet hat, so soll er zum Arbeitshaus auf ein Jahr verurtheilt und diese Strafzeit um so viele Vierteljahre verlängert werden, so vielmal der Werth des Entwendeten die Summe von fünfzig Gulden in sich enthält; ohne daß jedoch die Dauer der Strafe weiter, als auf acht Jahre, erstreckt werden dürfte.“; hinzu kamen feste Strafschärfungen, wie etwa oben genannter Fall des gemeinschaftlich begangenen Diebstahls. 7 Vgl. zum Ganzen Schmidt, Geschichte, § 249. 8 Maihold, in: Feuerbach, S. 495–523 (500); Nagler, S. 395. 9 Diese Möglichkeit war von vornherein in Art. 96 BayStGB angelegt, wurde jedoch zu
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noch über 70 Prozent der Diebstahlsurteile gnadenweise gemildert.10 Auch im Übrigen hatte die Rechtsprechung begonnen, kreative Möglichkeiten zu ent wickeln, um die gesetzliche Strenge zu umgehen und die Strafen den allgemein für gerecht empfundenen Bedürfnissen anzupassen.11 Es zeichnete sich also recht bald ab, dass auch das feuerbachsche Konzept für sich genommen nicht der Weisheit letzter Schluss war. Das erkannte Feuerbach schließlich auch selbst. Im Jahr 1824 legte er einen neuen Entwurf vor, in den seine Erfahrungen aus zwischenzeitlich zehn Jahren richterlicher Praxis in Bamberg und Ansbach eingeflossen waren.12 In einem Brief an seinen Freund von Spies schrieb er daraufhin: „Was ich im Jahre 1813 nur erstrebte, werde ich diesmal erreichen. Die Trauben, die damals noch nicht gefärbt und noch sehr herb waren, sind in dem warmen Sonnenschein beobachtender Erfahrung reif geworden.“
Und in seinem Brief an Warnkönig verkündete er selbstbewusst: „Alle Härten und Herbigkeiten werden verschwinden, ohne daß das Werk in seiner Bestimmtheit das Mindeste einbüßt. Das richterliche Ermessen wird einen angemessenen Spielraum erhalten, ohne daß demselben erlaubt oder möglich werden sollte, sich in Willkür aufzulösen.“13
Die Idee, der richterlichen Willkür durch gesetzliche Bindung entgegenzutreten, lebte also weiter fort – wenngleich sich die übrigen Länder mit Blick auf die bayerischen Erfahrungen zunächst etwas zurückhielten.14 Feuerbachs Straftheorie, die dieser Idee letztlich zum Durchbruch verholfen hatte, hatte zwar an Überzeugungskraft eingebüßt (mit dem Abschreckungsgedanken an sich waren die eingestandenen Strafmilderungen ebenso wenig vereinbar wie generelle Abstufungen im Strafsystem).15 Im Hintergrund bahnten sich allerdings gesellschaft liche Veränderungen an, die den Kodifikationsgedanken aus politischer Sicht unwiderstehlich und damit auch das mit ihm verbundene Gesetzlichkeitsprinzip im Laufe des 19. Jahrhunderts endgültig zum geistigen Allgemeingut machen sollten.
Beginn nur selten genutzt, vgl. Gönner/Schmidtlein, S. 154 f.; dazu auch Maihold, in: Feuerbach, S. 495–523 (500). 10 Vgl. von Savigny, ZGR 3 (1816/17), 1–52 (15). 11 Vgl. Kesper-Biermann, in: Feuerbach, S. 461–475 (473); Nagler, S. 395 f. 12 Vgl. dazu Maihold, in: Feuerbach, S. 495–523 (509 ff.). 13 Beide Briefzitate zitiert nach Radbruch, Feuerbach, S. 206. 14 Vgl. Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 70 ff. 15 Binding (Grundriss, S. 208) sprach 1907 davon, dass „die psychologische Zwangstheorie bei Anwendung des Bayrischen StrGBs, wie vorauszusehen war, vollständigen Schiffbruch erlitten hatte“.
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2. Der aufkommende Liberalismus und der Sieg des Positivismus Die aufklärerisch liberalen Gedanken, die sich gegen die etablierten politischen Strukturen richteten, hatten im Ausland bereits hohe Wellen geschlagen. Sie fanden ihren Ausdruck in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, der amerikanischen Verfassung von 1787 und nicht zuletzt in den Derivaten der französischen Revolution: der französischen Menschenrechtserklärung von 1789 und den Verfassungen von 1791, 1793 und 1795. Auch in den deutschen Raum schwappten die antifeudalen Wellen über, deren Vorstellungen von Mit- oder gar Selbstbestimmung den deutschen Fürsten ein Dorn im Auge waren. Der Sieg über Napoleon und der anschließende Zusammenschluss im „Deutschen Bund“ im Jahre 1815 wirkte den liberalen Bestrebungen zwar zunächst entgegen, konnte sie aber nicht gänzlich beseitigen. Gleichzeitig nährten die einsetzende Industrialisierung und die einhergehende Verarmung breiter Schichten die revolutionären Tendenzen, welche schließlich 1848 in der Märzrevolution ihren Höhepunkt fanden und die Fürsten zu einigen Zugeständnissen zwangen.16 Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeitigte die Bewegung mit der rechtlichen Verankerung von Freiheit und Gleichheit, der Anerkennung von Menschen- und Grundrechten, heute kaum zu überschätzende Erfolge.17 Nach der gescheiterten Revolution trat schließlich die „konstitutionelle Monarchie“ als Vermittlerin zwischen Absolutismus und parlamentarischer Demokratie auf den Plan. In ihr hatte neben einer beschränkten Mitbestimmung des Volkes nun auch die Gewaltenteilung ihren festen Platz. Das wiederum hatte endgültig die Unabhängigkeit der Richter vom Zugriff der Herrschenden zur Folge. Wollte die Exekutive also weiter Herr über das Machtinstrument „Strafe“ bleiben, so blieb ihr nichts anderes übrig, als diesen Einfluss über die Gesetze zu sichern, an welche die Richterschaft (im besten Falle natürlich als bloßer „Mund, der diese aussprach“) streng gebunden sein sollte. Dieses Interesse bestand nun aber nicht mehr nur auf Seiten der alten Herrscher, sondern auch auf Seiten der liberalen Bewegung, welche über ihre parlamenta rischen Vertreter mittlerweile ebenfalls an der Gesetzgebung beteiligt war.18 So konnte sich die Kodifikationsbewegung endgültig durchsetzen und ging – vermittelt über die neuen politischen Interessenlagen und die sozioökonomischen Veränderungen –19 sogar in einem allgemeinen Rechtspositivismus auf.20 Bereits 1855 konstatierte Köstlin, dass man es mittlerweile als „allgemein angenommen“ 16
Dazu und zum Folgenden Wesel, Geschichte, S. 413 ff.; 417 (Rn. 271), 478 (Rn. 294). Coing, S. 93 ff.; Eisenhardt, S. 287 ff. 18 Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 66. 19 Vgl. dazu auch sogleich Teil II – Kapitel 5II.1.a). 20 Vgl. dazu auch Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 65 ff.; 115 f. 17 Vgl.
Kapitel 5: Der Fortgang des 19. Jahrhunderts und der Schulenstreit
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zu betrachten habe, „daß es ein ‚natürliches‘ Strafrecht mit praktischer Bedeutung nicht gebe.“21
3. Die „klassische Schule“ In der Straftheorie entwickelte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts aus der Verbindung der verschiedenen Bewegungen schließlich die später so getaufte „klassische Schule“, als deren (letzter) großer Vertreter Karl Binding (1841–1920) gilt. Auch sie verfolgte – wie die beiden ihr zugrundeliegenden Strömungen – im Kern weiter das Ziel einer im Sinne der Relativität möglichst gleichmäßigen Strafe. Als Grundlage dienten ihr zunächst sämtliche Erwägungen, in denen die verschiedenen Strömungen einer Meinung waren. a) Ein idealistisches Menschenbild Insofern baute man insbesondere auf die idealistische Vorstellung des sittlich auf sich selbst gestellten, freien und vernünftigen Bürgers, dessen Persönlichkeit dem Zugriff des Staates verwehrt sei. Gerade hier wurde die klare Linie von Kant über Feuerbach bis hin zu Binding deutlich.22 Eine ähnliche Linie findet sich auf den ersten Blick auch für den Gedanken, dass die staatliche Strafe legitimerweise nur zur Bestrafung von Rechtsverletzungen eingesetzt werden dürfe. Hier war es im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer vermeintlich rein terminologischen Klarstellung gekommen: Der Strafrechtslehrer Johann Michael Franz Birnbaum hatte im Jahr 1834 einen Aufsatz mit dem Titel „Ueber das Erforderniß einer Rechtsverletzung zum Begriffe des Verbrechens, mit besonderer Rücksicht auf den Begriff der Ehrenkränkung“ veröffentlicht. In diesem kritisierte er die gängige Einordnung vom Verbrechen als „Rechtsverletzung“. Gegenstand des Raubes etwa sei nämlich nicht das Recht, sondern ein Gut, dass dem Opfer rechtlich zustehe – das Eigentumsrecht an der Sache etwa bestehe ja auch nach dem Raub weiter fort.23 Der Grundstein für die Rechtsgutstheorien war gelegt.24 Mit der Zeit wähnte man sich durch den Begriff des Rechtsguts weiter in kantisch-feuerbachscher Tradition eines Werkzeugs zur Eingrenzung des legitimen Strafrechts. Faktisch war mit dem Begriff des Gutes aber die Tür geöffnet für allerlei Erwägungen, die mit dem kantischen Rechtsbegriff nichts mehr gemein hatten und die das Strafrecht jederzeit wieder zu einem schrankenlosen politischen Instrument werden lassen konnten. Auf verletzte Rechte eines anderen meinte man nun nämlich verzichten
21
Köstlin, System des deutschen Strafrechts, § 14 (abgedruckt bei Vormbaum, Strafrechtsdenker, S. 419). 22 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 273 (S. 310). 23 Vgl. Birnbaum, Archiv des Criminalrechts 1934, 149–194 (172); H. Otto, JURA 2016, 361–373. 24 Ausdrücklich zum Gedanken des Rechtsgüterschutzes entwickelte dies später Binding weiter, vgl. Binding, Die Normen I, S. 338 ff.; dazu auch Amelung, in: Naturrecht, S. 349–358; H. Otto, JURA 2016, 361–373 (363 f.).
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zu können, solange sich nur ein „Gut“ fand, das gefährdet oder verletzt werden konnte. Das Fundament der Trennung von Moral und Recht war damit beseitigt.25
b) Der Kodifikationsgedanke Auch der Kodifikationsgedanke wirkte wie gesehen fort, wenngleich das damit eng verbundene Gesetzlichkeitsprinzip etwa bei Binding heftig in die Kritik geriet.26 c) Die Rückkehr der Vergeltung Um Feuerbachs „Theorie vom psychologischen Zwang“ war es hingegen schlech ter bestellt. Zwar stritt man entsprechende Wirkungen nicht vollkommen ab und erwähnte die Abschreckung auch häufig – zumindest im Rahmen etwaiger Nebenzwecke.27 Meist war nun aber wieder der abschreckende Charakter der Strafe selbst gemeint, wohingegen die Strafandrohung stetig an Bedeutung verlor. Aufgrund der praktischen Rückschläge ging die Suche nach dem wahren Sinn der Strafe also weiter. Mit dem stärkeren Aufkommen des Liberalismus gewann die hegelsche Strafphilosophie – welche zu seinen Lebzeiten noch kaum Beachtung gefunden hatte – schließlich zunehmend an Bedeutung. Das monumentale philosophische Gesamtkonstrukt Hegels schien endgültig die verschiedenen Strömungen der Zeit in einem vollendeten System vereinen zu können.28 Sein abstraktes Modell führte einerseits zu einer Strafbestimmung, die sich letztlich am allgemeinen Rechtsgefühl orientieren musste und sich von jeglichen Zweckmäßigkeitserwägungen löste. Das sicherte dem Hegelianismus Zulauf von Seiten der „historischen Schule“ wie auch von Seiten der parlamentarischen Vertreter des Liberalismus, welche gerade für die Verwirklichung der „im Volke lebendigen Strafüberzeugungen“ eintraten.29 Gleichzeitig spielte in Hegels Einheit von Denken und Sein aber auch das positive Recht als Teil der Wirklichkeit 25 Schon
Birnbaum ging es nicht mehr um die Eingrenzung des Strafrechts, sondern vielmehr um eine Erweiterung der feuerbachschen Lehre und eine erneute Einbeziehung von Religions- und Sittlichkeitsdelikten in das Strafgesetzbuch, vgl. Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 39, 49, 59 ff.; vgl. auch Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 52 f., 153. 26 Diese Kritik hatte ihre Wurzeln in Bindings Straf- und Normentheorie; der eigentliche Kern des Kodifikationsgedankens lebte aber auch in Bindings positivistischer Lehre fort, die als Adressaten der Straftatbestände ausdrücklich den Richter und nicht den Bürger sah, welcher nur gegen die den Strafgesetzen vorausgehenden „Normen“ verstoße. Auch hier blieb insofern die „Bindung des Richters“ im Sinne der Relativität der Strafen das Ziel der Kodifikation, vgl. zum Ganzen Bohnert, S. 77 ff.; Kipper, S. 183 f.; Schreiber, S. 169 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 134. 27 Binding (Grundriss, S. 325, 228) sprach etwa von „Reflexwirkungen“. 28 Nagler, S. 433 ff.; vgl. auch Bossenbrook, S. 289. 29 Vgl. Nagler, S. 470 ff.
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eine – auch für seine Strafbegründung – wichtige Rolle.30 Hier lebte der Kodifikationsgedanke fort, an welchem wie gesehen alle Seiten ein Interesse hatten.31 Um 1840 gelangte der Hegelianismus deshalb schließlich für lange Zeit zur absoluten Herrschaft und machte die Vergeltung zum Leitmotiv der „klassischen Schule“.32 Binding etwa sprach vom Vergeltungsgedanken als dem „großartigsten und unvergänglichsten auf dem Gebiete der Ethik, in konkreter Anwendung: der Kunst des Ausmaßes der Verbrechensfolge nach der Schwere der Untat.“33 An diesem philosophischen Konzept hatte sich die Gesetzgebung zu orientieren, die Richter hingegen einzig am Gesetz. Es sei nämlich – so Binding – die Autorität der Gesetze selbst, welche durch die Strafe wiederhergestellt werde.34 Die Nachwirkungen des hegelschen Denkens waren also kaum zu übersehen. Als weitere Vertreter der klassischen Schule sind etwa Ernst Beling, Karl v. Birkmeyer, Johan nes Nagler oder Richard Schmidt zu nennen. Wenngleich sich ihre Straftheorien im Einzelnen deutlich unterschieden, verband sie doch alle das Bekenntnis zur Vergeltungsidee (welche als „sittliche Idee“ im Volk lebe)35 und die weitgehende Ablehnung sämtlicher relativer Straftheorien.36 Franz von Liszt sollte später in diesem Sinne schreiben: „Jahrzehnte hindurch hatte in der communis opinio der Strafrechtslehrer die Vergeltungsstrafe die unbestrittene Herrschaft geübt; mochten sie an Kant oder Fichte, an Hegel oder Herbart anknüpfen, mochten sie vielleicht auch bemüht sein, auf den Stamm absoluter Vergeltung das Reis des Zweckgedankens künstlich, mühselig und doch erfolglos aufzutropfen – in dem Einen waren sie einig: in der rücksichtslosen Verwerfung, ich möchte sagen, in der wissenschaftlichen Brandmarkung aller jener Theorieen, welche den Zweckgedanken zu ihrem Ausgangspunkte zu machen sich unterfiengen.“37 Insofern stimmte die Bewegung – unabhängig von der konkreten Art der jeweiligen Strafbegründung – zumindest in den Ergebnissen überein. Denn egal, ob man die Vergeltung auffasste als „vom Staate übernommenes Genugtuungsbedürfnis der Einzelnen oder der Gesamtheit“, als 30
Hegel, Grundlinien, § 211 ff.; vgl. auch Nagler, S. 434 ff. Was seine Staatsphilosophie betraf, zeigte die Geschichte schließlich, dass diese ohnehin jede Partei in ihrem Sinne auslegen konnte – gleich welche politischen Ziele sie verfolgte. Und so diente diese dem revolutionären Marxismus ebenso als Vorbild wie den deutschen Fürsten, die aus Hegels Philosophie eine strenge Staatsgläubigkeit ableiteten, vgl. dazu etwa Reisch, S. 174 f.; 181 ff.; der hegelsche Gedanke der „organischen Volksgemeinschaft“ wurde später ferner auch von den Nationalsozialisten übernommen, vgl. Rüping/Jerouschek, Rn. 274. 32 Vgl. Nagler, S. 447; Schmidt, Geschichte, § 267 (S. 294). 33 Binding, Die Entstehung der öffentlichen Strafe im germanisch-deutschen Recht. Rede bei Antritt des Rektorats am 31. Oktober 1908, Leipzig 1909, S. 22 (zitiert nach Bohnert, S. 73); vgl. auch Binding, Grundriss, S. 228. 34 Binding, Grundriss, S. 229, 233 f.; vgl. auch Jordan, Neues Archiv des Criminalrechts 11 (1830), S. 211–238 (221). 35 Beling, S. 20. 36 Vgl. dazu deutlich etwa Beling, S. 75 ff.; für ihn war es ferner nicht die Autorität der Gesetze selbst, sondern die Autorität des Staates, die sich durch die Strafe bewehrt (a. a. O., S. 38, 53); zum Ganzen und zu weiteren Vertretern vgl. Bohnert, S. 109 ff., 136 ff. 37 von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (2). 31
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„elementaren Trieb, der Ausgleichung verlange“ oder als ein Prinzip, welches eine „Abstufung der Strafe je nach der Bedeutung einer konkreten Gehorsamsverletzung für den gesamten Mechanismus der Rechtsordnung bezwecke“; in allen Fällen konnten in hegelscher Tradition nur die subjektiven Strafbedürfnisse einen Anhaltspunkt für die Bestimmung der Strafe geben.38
Sämtliche Kodifikationen trugen sodann die Handschrift der beiden großen Strömungen, welche sich gegen die präventiven Auswüchse der Aufklärung gewendet hatten und welche schließlich in der „klassischen Schule“ kulminierten. Gestraft wurde nun einhellig mit Blick auf die begangene Tat („quia peccatum est“), während sämtliche (spezial-)präventive Ansätze zunächst völlig zum Erliegen kamen.39
II. Die Entwicklung der „modernen“ Schule 1. Das Ende des philosophischen Zeitalters Begleitet wurde die Entwicklung der klassischen Schule allerdings von sozio ökonomischen Entwicklungen, welche ihr Fundament bald in Frage stellen sollten. a) Die industrielle Revolution und die soziale Frage Nachdem bereits im 18. Jahrhundert Erfindungen wie die Dampfmaschine und der Webstuhl eine erste große Industrialisierungsbewegung in Großbritannien ausgelöst hatten, griff diese im 19. Jahrhundert auch auf den Bereich des Deutschen Bundes über. Der technische Fortschritt veränderte – verbunden mit einer massiven Ausweitung der Arbeitsteilung – das gesamte Arbeitsleben. Die neue Massenfertigung kurbelte die Produktion und damit die Wirtschaft an; Eisenbahnen verknüpften den neuen Wirtschaftsraum. Die neue Form übergreifender Zusammenarbeit forderte ganz im Sinne der Relativität bald nach einem einheit lichen Recht und schließlich nach einem einheitlichen Staat. Die vorhandene „Rechtszersplitterung“ ließ sich mit der zunehmenden Kooperation nicht dauerhaft halten. Nachdem 1861 für alle deutschen Staaten das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch in Kraft trat, folgte 1871 die Gründung des Deutschen Reichs und im selben Jahr das allgemeine Reichsstrafgesetzbuch, welches – freilich mit zahlreichen Änderungen – im Grunde bis heute gilt.40 Abseits der ökonomischen Perspektive zeitigte die industrielle Revolution ihre größten Wirkungen jedoch auch und gerade auf gesellschaftlicher Ebene. Der 38 Vgl.
Bohnert, S. 137 (Fn. 6). Schmidt, Geschichte, § 275; vgl. auch Binding, Grundriss, S. 204, 226 ff. 40 Zum Ganzen Eisenhardt, S. 311 ff., 335 ff.; Wesel, Geschichte, S. 450 ff. (Rn. 284). 39
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Fortschritt in der landwirtschaftlichen Produktion führte – im Zusammenspiel mit der Verbesserung der medizinischen Versorgung – zu einer regelrechten Bevölkerungsexplosion.41 Die nötigen Arbeitsplätze versprachen die Städte, in deren Fabriken die von ihren feudalen Fesseln befreiten Massen strömten und in denen die Bevölkerung gar auf das Zehnfache wuchs.42 Während die Koopera tion erneut massiv zunahm, zeigten sich aber auch die neuen sozialen Gegensätze zwischen der größtenteils besitzlosen Arbeiterschaft und den reichen bürger lichen Fabrikbesitzern besonders deutlich. Nachdem die Bauern erst zu Beginn des Jahrhunderts von den gutsherrlichen Bindungen befreit worden waren, führten nun der Wettbewerb durch das Überangebot an Arbeitern und die Anfang des Jahrhunderts eingeführte Gewerbefreiheit zu neuen Abhängigkeitsverhältnissen. Geringe Löhne, hohe Arbeitszeiten, Frauen- und Kinderarbeit, unwürdige Wohnverhältnisse, letztlich die Verarmung und soziale Verwahrlosung breiter Gesellschaftsschichten waren die Folge.43 Ab dem großen Bank- und Börsencrash im Jahr 1873 kam im letzten Viertel des Jahrhunderts die „große Depression der Wirtschaft“ hinzu.44 Diese sozialen, wirtschaftlichen und politischen Spannungen führten nicht zuletzt auch zu einem als dramatisch empfundenen Anstieg der Kriminalität45 und kumulierten schließlich in der sozialen Frage, „deren abgründiger Problematik die Menschheit immer ratloser gegenüberzustehen begann“.46 b) Die hohlen Phrasen des Idealismus „Die allgemeine Unzufriedenheit mit den praktischen Erfolgen der von der communis opinio [gemeint sind die Vergeltungstheorien der „klassischen Schule“] beherrschten Strafgesetzgebung, das wachsende Entsetzen über die in der Kriminalstatistik zum unwiderlegbaren Aus drucke gelangende Ohnmacht der doktrinären Strafrechtspflege hatten den Zweifel an der Wahrheit der seit Jahrzehnten an allen deutschen Universitäten vorgetragenen Doktrinen in weiten und weiteren Kreisen wachgerufen.“47
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In Deutschland stieg die Bevölkerungszahl etwa von 24 Millionen (1816) auf 65 Millionen (1914), vgl. Coing, S. 88. 42 Wesel, Geschichte, S. 414. 43 Vgl. Coing, S. 105. 44 Ausführlich dazu Rosenberg, S. 22 ff.; vgl. ferner Vormbaum, Handbuch des Strafrechts I, § 9 Rn. 71 mit weiteren Nachweisen. 45 Vgl. etwa Oetker, ZStW 17 (1897), 493–589 (493) („schlimmen Zahlen der Kriminalstatistik“, „bedrohlichen Anwachsen der Rückfallsziffer“); von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (4) („[…] das wachsende Entsetzen über die in der Kriminalstatistik zum unwiderleglichen Aus rucke gelangende Ohnmacht der doktrinären Strafrechtspflege“); vgl. auch Blasius, S. 29 ff.; Bock, JuS 1994, 89–99 (90 f.); Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (129); zum Umgang mit den Kriminalstatistiken ferner Frommel, S. 14 ff. 46 Schmidt, Geschichte, § 304 (S. 353); zum Ganzen auch Stäcker, S. 22 f. 47 von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (4).
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„Seit Jahrzehnten hat die Wissenschaft des Strafrechts in ihren bedeutendsten Vertretern dem Leben sich entfremdet. In unfruchtbaren Kämpfen hat sie ihre Kraft zersplittert; in rein abstrakter Gedankenarbeit befangen, hat sie nicht bemerkt, was draussen vorging. Sie glaubte, wie früher die Zügel der Herrschaft in Händen zu haben, während das Leben längst aufgehört hatte, sich um sie zu kümmern.“48
Während die Philosophie der Vernunft lange Zeit als legitimer Thronfolger der Religion galt, drohten ihre idealistischen Gebilde nun an der Praxis zu zerbrechen. Die sozialen Verhältnisse nagten am Fundament des Idealismus und damit auch dem der klassischen Schule. Diese stützte ihre Staats- und Rechtstheorie in idealistischer Tradition ja gerade auf die Vorstellung eines Menschen, der mit freiem Willen der sittlichen Vernunft folge. Die Wirklichkeit des liberalen „Nacht wächterstaates“ bot breiten Schichten der Bevölkerung aber alles andere als menschenwürdige Bedingungen. Die brutale Ausbeutung und die sozialen Missstände ließen das philosophische Ideal der „sittlichen Persönlichkeit“ daher zunehmend als hohle Phrase erscheinen.49 Mit dem schlagartigen Bedeutungsverlust der Philosophie als letztbegründender Instanz war die Legitimationslücke, welche zuvor die Religion hinterlassen hatte, erneut aufgerissen. Gleichzeitig wuchs die Sehnsucht nach einem vermehrten Eingreifen durch Vater Staat. Entgegen den lange Zeit herrschenden philosophischen Doktrinen stand damit die staatliche „Erziehung des Bürgers zum Wohle aller“ als echte Alternative im Raum.
2. Die Wissenschaft vom Verbrechen und der Strafe Wieder einmal sollte es die Wissenschaft sein, die als neuer Anwärter auf den Posten des Heilsbringers die Bühne betrat und die aufkommende Legitimationslücke zu schließen versprach.50 Die explosionsartigen Erfolge im technischen und wirtschaftlichen Bereich nährten den allgemeinen Glauben, dass die moderne Wissenschaft – und nicht die philosophische Durchdringung der Welt – die großen Probleme der Menschheit lösen könnte. Spätestens als man mit dem Werk Darwins im Jahr 1859 das Grundprinzip des Lebens entdeckt zu haben schien, war der Bann gebrochen. Bald übertrug man die Grundgedanken und Methoden der Naturwissenschaften in sämtliche Bereiche des Lebens, sodass zahlreiche neue Wissenschaftsdisziplinen entstanden.51 Im Bereich der Strafe konnte man dabei auf die Arbeiten zweier Denker des frühen 19. Jahrhunderts
48
von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (46). Bock, JuS 1994, 89–99 (91). 50 Vgl. auch Naucke, ZStW 94 (1982), 525–564 (533 f.) 51 Zum Ganzen auch Bock, JuS 1994, 89–99 (91); Schmidt, Geschichte, § 306; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 114 f. 49
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zurückgreifen, welche zu Lebzeiten zwar beide noch auf gehörigen Widerstand gestoßen waren, nun aber den Nerv der Zeit trafen. a) Der Empirismus Der erste war der Franzose Auguste Comte (1798–1857), der bereits 1822 drei Stadien des menschlichen Geistes unterschieden hatte: das theologische (kindliche), das metaphysische (jugendliche) und schließlich das positivistische (erwachsene) Stadium. Erst in der letzten Phase könne der Mensch danach die (notwendige) Krankheit der metaphysischen Philosophie überwinden und sich auf der Suche nach der Wahrheit dem Empirismus zuwenden.52 Dieser „Empirismus“ stimmte nun aber nicht mehr überein mit der „Erfahrung“, die man einst gegen die Offenbarungsschriften ins Feld geführt hatte und der wiederum in der idealistischen Philosophie die Grenzen aufgezeigt wurden. Vielmehr sollten mithilfe von Beobachtung und Experiment Zusammenhänge erkannt und die dahinterstehenden „allgemeinen Gesetze“ offengelegt werden.53 So wie die Medizin dank dieser Technik mit immer mehr Krankheiten und Seuchen umzugehen lernte, wie die Ingenieure die neuen Eisenbahnen optimierten, so konnte es nach verbreiteter Überzeugung auch für die neuen Wissenschaften nur noch eine Frage der Zeit sein, bis für Krieg, Armut und Verbrechen eine Lösung gefunden war.54 b) Der Blick auf den Täter Der zweite Denker war schließlich der Danziger Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860).55 Er lieferte den neuen Wissenschaften Munition für den Angriff auf die idealistische Philosophie, indem er deren Grundpfeiler – die Willensfreiheit des Menschen – in Frage stellte. Für ihn war der Mensch zwar durchaus frei darin, zu tun was er wolle. Was das sei, sei aber letztlich determiniert, und zwar durch äußerliche Motive und den Charakter der Person. Es gebe also Handlungsaber keine Willensfreiheit.56 Diese Grundgedanken wirkten sich seinerzeit bereits auf seine Straftheorie aus. Ganz im feuerbachschen Sinne konnte Strafe für Schopenhauer danach nur ein Teil der äußeren Bedingungen sein, die das Wollen mitbestimmten. Er sprach insoweit vom Strafgesetz als „Register von Gegen 52
Vgl. dazu Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 115. Bock, JuS 1994, 89–99 (92); Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 115. 54 Bock, Kriminologie, Rn. 19 ff.; ders., JuS 1994, 89–99 (91). 55 Zum Folgenden und grundsätzlich zur Strafrechtsphilosophie Schopenhauers vgl. Hotz, ZStW 130 (2018), 156–178. 56 Vgl. Schopenhauer, in: Kleinere Schriften, S. 520–627 (532 ff.); dazu auch Holzhauer, Willensfreiheit, S. 59 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 117 f. 53 Vgl.
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motiven“.57 Für die neuen Wissenschaften boten die deterministischen Vorstellungen aber auch weitere Anhaltspunkte. Anders als für Feuerbach, der seine Straftheorie noch auf das typisierte Bild des rationalen Menschen gestützt hatte, schien die Tat unter diesen Voraussetzungen nämlich als „Zeugniß von dem [individuellen] Charakter des Täters“.58 c) Die Kriminologie An diese Grundgedanken sollte schließlich auch die positivistische Wissenschaftsdisziplin anknüpfen, welche sich mit Verbrechen und Strafe auseinandersetzte: die Kriminologie. Mit ihrem Aufkommen trat neben die „klassische Schule“, welche einzig auf die begangene Tat blickte, eine moderne „positivistische Schule“, die sich der Bekämpfung des Verbrechens verschrieben hatte. Sie wähnte wie in allen Dingen des Lebens auch im menschlichen Verhalten „allgemeine Gesetze“, die es für die „Wissenschaft vom Verbrechen“ nun endlich zu ergründen galt. Insofern richtete sie den Blick auf den Täter und insbesondere auf die von ihm ausgehenden zukünftigen Gefahren für die Gesellschaft. In dem Bestreben, diesen Gefahren durch die – empirisch zu ermittelnden – Wirkungen der Strafe zu begegnen, kehrten die relativen Theorien zurück auf die straftheoretische Bühne und die Ausgestaltung des „Strafvollzugs“ – nachdem diese von Feuerbach zwischenzeitlich im Wesentlichen für irrelevant erklärt worden war – in den Fokus ihrer Betrachtungen.59
57 Schopenhauer, Welt, S. 471; ähnlich ders., in: Kleinere Schriften, S. 520–627 (625) („ein Kriminalkodex ist nichts anderes als ein Verzeichnis von Gegenmotiven zu verbrecherischen Handlungen“); dazu und zur Debatte um Determinismus und Indeterminismus vgl. auch Boh nert, S. 163 ff. 58 Zitiert nach Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 118; auch in jüngerer Vergangenheit lassen sich Ansätze einer ähnlichen Bewegung beobachten. So führten neuere wissenschaft liche Erkenntnisse der Hirnforschung dazu, dass die Willensfreiheit des Menschen erneut in Frage gestellt wurde. In der Folge kam es vereinzelt zu Forderungen nach der Umwandlung des Strafrechts in ein reines Gefahrenabwehrrecht (vgl. etwa Schiemann, NJW 2004, 2056–2059; anders R. Merkel [Willensfreiheit, S. 133 ff.], der auch bei Aufgabe des Konstrukts der Willensfreiheit im Grunde an der gegenwärtigen Form des Strafrechts festhalten will). Diese stießen – nicht zuletzt aufgrund des bisher nur dünnen wissenschaftlichen Materials – bis heute allerdings auf nur wenig Anklang, vgl. zum Ganzen Hillenkamp, ZStW 127 (2015), 10–96; ders, JZ 2005, 313–320 (319); C. Jäger, GA 2013, 3–14; Streng, FS Jakobs, S. 675–691 (676); T. Walter, FS Schroeder, S. 131–144. 59 Vgl. Bock, JuS 1994, 89–99 (91).
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3. Franz von Liszt und die „moderne Schule“ a) Die Marburger Schule Die ersten wirklich aufsehenerregenden Versuche, sich den Ursachen von Kriminalität auf empirischem Wege zu nähern, stammten aus Italien. Hier wähnte man diese Ursachen in den angeborenen und vererblichen Eigenschaften des Einzelnen. Als Begründer der biologisch-positivistischen Schule gilt der Gefängnisarzt und Psychiater Cesare Lombroso (1836–1909). In seinem 1876 erstmals veröffentlichten Werk „L’uomo delinguente“ beschrieb er den „geborenen Verbrecher“, der – ganz im Sinne Darwins – noch auf einer früheren Entwicklungsstufe der Menschheit stehe. Der primitive Verbrecher an sich sowie die einzelnen Tätertypen (Diebe/Mörder etc.) seien dabei auch anhand äußerlicher Besonderheiten – wie etwa der Schädelform, der Körperbehaarung oder der Dicke gewisser Knochen – zu erkennen.60 Etwa zur gleichen Zeit setzte sich in Frankreich die Überzeugung durch, dass nicht die angeborenen Charaktereigenschaften, sondern verschiedene äußere Einflüsse das Verhalten des Täters bestimmten. Die „französische“ Schule, mit ihren Vertretern wie Alexandre Lacassagne (1843–1924) oder Gabriel de Tarde (1843–1904), untersuchte deshalb die sozialen Umweltfaktoren, welche aus ihrer Sicht für die Kriminalität verantwortlich waren. „Jede Gesellschaft hat die Verbrecher, die sie verdient“, hieß es insofern bei Lacassagne.61 Im deutschen Raum war es schließlich insbesondere der Rechtswissenschaftler Franz von Liszt (1851–1919), welcher mithilfe der neuen kriminologischen Methoden und Erkenntnisse die relativen Theorien im straftheoretischen Diskurs wieder salonfähig machte und insofern als Begründer der modernen Kriminal politik gilt.62
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Kury, in: Schneider, Handbuch der Kriminologie, S. 69 f.; vgl. zu den Tätertypen etwa: „Die Diebe haben im allgemeinen sehr bewegliche Gesichtszüge und Hände; ihr Auge ist klein, unruhig, oft schielend; die Brauen gefaltet und stoßen zusammen; die Nase ist krumm oder stumpf, der Bart spärlich, das Haar seltener dicht, die Stirn fast immer klein und fliehend, das Ohr oft henkelförmig abstehend … Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtnase; die Kiefer starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich; die Lippen dünn, die Eckzähne groß“ (Lombroso, Neue Fortschritte in den Verbrecherstudien, S. 229–231 [zitiert nach Kury, a. a. O, S. 70]); zum Ganzen auch Göppinger/Bock, Kriminologie, § 2 Rn. 16 ff.; Höffler, ZStW 127 (2015), 1018–1058 (1022 ff.); Laubenthal, in: Strafgedanke, S. 147–159 (148 ff.). 61 Vgl. auch Kury, in: Schneider, Handbuch der Kriminologie, S. 68, 73 f.; zum Ganzen ferner Göppinger/Bock, Kriminologie, § 2 Rn. 20. 62 Schmidt, Geschichte, § 310 (S. 364) („der große bahnbrechende Kriminalpolitiker“);
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„Worin, mit einem Worte, liegt das Geheimnis der Strafe?“, fragte von Liszt und zeigte sogleich den empirischen Pfad auf, über den die Antwort gefunden werden sollte:63 „Es gibt nur eine Methode, durch welche die Antwort auf diese Fragen mit unzweifelhafter Gewissheit gefunden werden kann: die Methode der Gesellschaftswissenschaft, die systematische Massenbeobachtung.“
Die kriminologische Schule, die sich aus dieser Überzeugung entwickelte – nach dem Ort seiner damaligen Professur auch „Marburger Schule“ genannt – vereinte sodann die italienischen und französischen Gedanken. Jedes Verbrechen sei insofern „das Produkt aus der Eigenart des Verbrechers einerseits und den den Verbrecher im Augenblick der Tat umgebenden gesellschaftlichen Verhältnissen andererseits; also das Produkt des einen individuellen Faktors und der ungezählten gesellschaftlichen Faktoren.“64 b) Das Marburger Programm aa) Die Rückkehr des Zweckgedankens Im Jahr 1907 antwortete Karl v. Birkmeyer – ein Vertreter der klassischen Schu le – auf die Frage, was Franz von Liszt noch vom eigentlichen Strafrecht übriglasse: „Zunächst eine jämmerliche Ruine, für deren Zusammenbruch er selbst in einer Weise vorgearbeitet hat, daß wir auf die obige Frage auch antworten können: So gut wie nichts.“65
Was also war geschehen? – In seiner Marburger Antrittsvorlesung mit dem Titel „Der Zweckgedanke im Strafrecht“66 hatte von Liszt seine kriminologischen Grundgedanken in einer wortgewandten Art und Weise auf die Straftheorie übertragen, die seine kriminalpolitischen Forderungen nach kürzester Zeit in aller Munde brachte.67 Der Vortrag, der unter dem Namen „Marburger Programm“ bekannt wurde, avancierte zum Manifest der modernen Schule. Diese hatte über die von ihm mitbegründete „Internationale Kriminalistische Vereinigung“ (IKV) ähnlich a. a. O., § 319 (S. 383); siehe auch Roxin/Greco, § 3 Rn. 12 („bedeutendste deutsche Kriminalpolitiker“). 63 Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (31 f.) 64 Von Liszt, in: Aufsätze II, S. 230–250 (231); das ist die sogenannte „Anlage-Umwelt-Formel“; vgl. zum Ganzen Kury, in Schneider, Handbuch der Kriminologie, S. 75. 65 Birkmeyer, S. 93. 66 Von Liszt knüpfte hier an Rudolf von Jherings fünf Jahre zuvor erschienenes Werk „Der Zweck im Recht“ an und übertrug den Zweckgedanken auch auf die Straftheorie. 67 Vgl. zu früheren Autoren mit ähnlichen Forderungen Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (130 f.).
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sowie die (ebenfalls von ihm mitbegründete) „Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft“ (ZStW) öffentlichkeitswirksame Plattformen und verlangte nicht weniger als die Ausrichtung eben dieser gesamten Strafrechtswissenschaft am Gedanken der Spezialprävention.68 Durch die spezifische Einwirkung auf den Täter sollte also weiteren Verbrechen vorgebeugt werden.69 Beeinflusst durch die Arbeiten Lombrosos unterschied von Liszt dabei drei Kategorien von Verbrechern.70 Bei jedem Tätertyp verfolge die Strafe sodann einen unterschiedlichen spezialpräventiven Zweck: (1) Sicherungsprävention Von Liszts erste Täterkategorie war die des unverbesserlichen Gewohnheitsver brechers. „Wie ein krankes Glied den ganzen Organismus vergiftet, so frißt der Krebsschaden des rapid zunehmenden Gewohnheitsverbrechertums sich immer tiefer in unser soziales Leben.“71
Für ihn war der Kampf gegen das Gewohnheitsverbrechertum eine der dringendsten Aufgaben der Zeit. Hier zeige sich, wie sehr die Idee der tatorientierten Vergeltungsstrafe in der Praxis versage, denn sie fordere es, die Verbrecher „nach Ablauf von einigen Jahren gleich einem Raubtier auf das Publikum loszulassen“.72 Die Rückfälligkeit aber offenbare die Unverbesserlichkeit der Gewohnheitsverbrecher und ein Blick in die – freilich gerade zu dieser Zeit noch unzureichenden – Kriminalstatistiken lasse vermuten, dass über die Hälfte der Gefängnisinsassen in diese Kategorie falle.73 Für sie könne die Strafe deshalb nur einen Zweck erfüllen: Unschädlichmachung. Mit Entschiedenheit postulierte von Liszt:
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Vgl. hierzu auch Stäcker, S. 73 f. Neben der Einwirkung auf den Täter selbst erkannte von Liszt zwar auch etwaige generalpräventive Wirkungen von Strafe an. Er bezeichnet diese aber als eher unwichtige „Reflexwirkungen“. Auch die Abschreckungswirkungen, die man sich in feuerbachscher Tradition von der Strafdrohung versprach, blendete er aus, da es sich dabei offensichtlich nicht um Wirkungen der Strafe selbst handele, von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (34). 70 Den Einzelheiten in Lombrosos Arbeiten stand von Liszt allerdings sehr kritisch gegenüber. Auch betonte er, dass die gesellschaftlichen Faktoren wohl im Vordergrund stünden, vgl. dazu auch Laubenthal, in: Strafgedanke, S. 147–159 (155) mit weiteren Nachweisen; zum Ganzen ferner Höffler, ZStW 127 (2015), 1018–1058 (1019 ff.). 71 Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (36). 72 A. a. O., S. 38. 73 A. a. O., S. 32 f., 37 f. 69
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„Gegen die Unverbesserlichen muss die Gesellschaft sich schützen; und da wir köpfen und hängen nicht wollen und deportieren nicht können, so bleibt nur die Einsperrung auf Lebenszeit (bez. auf unbestimmte Zeit).74
Konkret schlug er etwa vor, grundsätzlich bei jeder dritten Verurteilung die Hoffnung auf Besserung aufzugeben und den Täter auf unbestimmte Zeit wegzusperren.75 Und „Wegsperren“ hieß in guter utilitaristischer Tradition: „Strafknechtschaft mit strengstem Arbeitszwang und möglichster Ausnutzung der Arbeitskraft“.76 Auch hinsichtlich der Unterbringung dieser Täterkategorie war er wenig gnädig, denn dem Gewohnheitsverbrecher „Nahrung, Luft, Bewegung usw. nach rationellen Grundsätzen“ zuzumessen, sei „Mißbrauch am Steuerzahler“.77 (2) Positive Spezialprävention Von Liszts zweite Kategorie war die der Besserungsfähigen/Besserungsbedürfti gen. Auch sie kennzeichne sich (wie die erste Kategorie) grundsätzlich dadurch, dass der konkrete Täter durch vererbte und erworbene Anlagen zum Verbrechen hinneige. Anders als bei den Gewohnheitsverbrechern handele es sich aber um „noch nicht rettungslos verlorene Individuen“ – um „Anfänger auf der Verbrecherlaufbahn“.78 Dabei ging es ihm in erster Linie um jugendliche Täter, wie er in einem Gutachten zum Deutschen Juristentag im Jahr 1902 konkretisieren sollte: „Besserung, im Sinne der bürgerlichen Besserung, also der Anpassung an die Forderungen des gesellschaftlichen Lebens, dürfte ausgeschlossen sein, wenn der Verbrecher das 21. Lebensjahr bei Begehung der Tat überschritten hat.“79
Auf diese zweite Tätergruppe solle die Strafe positiv, das heißt erzieherisch und resozialisierend wirken (Besserung durch Therapie/Behandlung). Und zwar nicht durch die im (vom Vergeltungsgedanken getragenen) Reichsstrafgesetzbuch noch so verbreiteten kurzen Freiheitsstrafen, sondern durch „ernste und anhaltende Zucht“.80 74 A. a. O.,
S. 40. S. 39; zu weiteren Versuchen diese Kategorie zu bestimmen vgl. Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (141). 76 Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (40). 77 So von Liszt in einem Brief an Dochow vom 21.11.1880 (zitiert nach Radbruch, Elegantiae, S. 229). 78 Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (40 f.). 79 Von Liszt, in: Aufsätze II, S. 356–410 (399); vgl. dazu Dessecker, S. 62 f. 80 Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (40 ff.) („Es gibt nichts entsittlichenderes und widersinnigeres als unsere kurzzeitigen Freiheitsstrafen gegen die Lehrlinge auf der Bahn des Verbrechens.“, a. a. O., S. 41); vgl. auch Eisenberg/Kölbel, Kriminologie, S. 747; Jescheck/Weigend, § 8 IV (S. 73). 75 A. a. O.,
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(3) Negative Spezialprävention Von Liszts dritte Kategorie war schließlich die der Gelegenheitsverbrecher. Auch sie seien generell besserungsfähig, bei ihnen sei die Tat aber nur „eine Episode, eine durch überwiegend äußere Einflüsse hervorgebrachte Verirrung, bei welcher daher die Gefahr einer öfteren Wiederholung der begangenen strafbaren Handlung eine minime, eine systematische Besserung daher durchaus zweckhaft“ sei.81 Die Strafe solle hier deshalb wie ein „Denkzettel“ wirken, der vor weiteren Taten abschrecke, keinesfalls aber als weiterer sozialer Katalysator für das Gewohnheitsverbrechertum.82 An die Stelle der schädlichen kurzzeitigen Freiheitsstrafen in den Gefängnissen, die er als „Brutstätten des Lasters“ oder „Hochschulen des Verbrechens“ bezeichnete, sollten seines Erachtens daher „bedingte Verurteilungen“ (Bewährungsstrafen) treten.83 bb) Gerecht ist, was notwendig ist! Mit der Begründung der modernen Schule warf von Liszt das verbreitete idealistische Menschenbild völlig über den Haufen. Vorbei war es mit der Vorstellung vom vernünftigen und autonomen Individuum, dessen Persönlichkeit dem Zugriff des Staates völlig entzogen war. Die Tat erschien nun nicht mehr als Werk einer sittlichen, sondern vielmehr einer in irgendeiner Form „defizitären“ Person – des Verbrechers. Wenn man überhaupt von einer Person im idealistischen Vollsinn des Wortes sprechen wollte, dann sollte diese bei von Liszt erst durch die Strafe hergestellt werden.84 Freilich setzten die propagandierten Thesen einige empirisch überprüfbare Zusammenhänge voraus, welche die kriminologische Wissenschaft – die ja noch völlig in den Kinderschuhen steckte – noch nicht hatte erbringen können. So gab es etwa noch kein wissenschaftliches Material zu den Fragen, ob die jeweiligen Täter einer entsprechenden Einwirkung überhaupt zugänglich seien oder ob die Kriminalstrafe die gewünschten Wirkungen auch wirklich entfalten könne. Der durch die kriminologische Forschung noch zu belegenden Wahrheiten wähnte sich von Liszt – durch die (freilich „unwissenschaftlichen“) historischen Vorarbeiten – allerdings bereits im Besitz: „Es ist das unverlierbare Verdienst der relativen Theorieen, mit den geringen damals zu Gebote stehenden Mitteln die in der Strafe liegenden Triebkräfte, die nächsten Wirkungen derselben, 81
Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (42).
82 Ebd. 83
Von Liszt, ZStW 9 (1889), S. 737–782 (781 f.); zum Ganzen auch Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (132 f.) mit weiteren Nachweisen. 84 Vgl. Jakobs, Staatliche Strafe, S. 37.
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erforscht und festgestellt zu haben. Die Kriminalstatistik wird an diesen Ergebnissen nichts oder nur wenig ändern.“85
Das „neue“ Verständnis von strafender Gerechtigkeit wandte sich also wieder völlig ab von den philosophischen Vorstellungen des Idealismus und kehrte in gewisser Weise zum straftheoretischen Denken des vorangegangenen Jahrhunderts zurück. Dies freilich auf einer neuen, erfahrungswissenschaftlichen Basis und im Wissen um die Schwächen des utilitaristischen Strafrechts der Aufklärung. Dennoch war der Gerechtigkeitsbegriff der modernen Schule nun wieder fest mit dem Zweckgedanken verbunden: „Die richtige, d. h. die gerechte Strafe ist die notwendige Strafe. Gerechtigkeit im Strafrecht ist die Einhaltung des durch den Zweckgedanken erforderten Strafmasses. […] Das völlige Gebundensein der Strafgewalt durch den Zweckgedanken ist das Ideal der strafenden Gerechtigkeit. Nur die notwendige Strafe ist gerecht.“86
III. Der „Schulenstreit“ 1. Der Angriff der Spezialprävention a) Die Parallelen zur letzten Herrschaftsübernahme Die revolutionäre Denkweise der modernen Schule sorgte erneut dafür, dass vielen die „relativen“ Straftheorien – nun insbesondere in ihrer konkreten Ausformung der Spezialprävention – als Heilsbringer im Kampf gegen die Missstände im System von Verbrechen und Strafe erschienen. Grundsätzlich standen die Bedingungen für einen erneuten Angriff des Relativismus nicht ungünstig. Der liberale „Nachtwächterstaat“ hatte durch die sozioökonomischen Veränderungen und den Bedeutungsverlust der gesamten Philosophie bereits an Glaubhaftigkeit verloren. Im Gegenzug hatte der Gedanke eines vermehrt eingreifenden Sozialstaates, der für das Wohl aller sorgen sollte, um sich gegriffen. Gleichzeitig fehlten dem StGB von 1871 klare Vorgaben zur Strafzumessung, sodass schon bald die Klagen hinsichtlich der „Relativität der Strafen“ einsetzten. So attestierte Medem der Strafrechtstheorie, sie habe „von einem Maßverhältniß gar zwischen Strafe und Delikt […] kaum eine Idee“.87 Wach sprach von „Willkür, Laune, Zufall“ und „von der zufälligen Zusammensetzung des Kollegiums, den subjektiven Anschauungen und Anregungen des Richters, seinem Geblüt und seiner Verdauung“ als den entscheidenden Faktoren der Strafzumessung.88 85
Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (33); vgl. auch a. a. O., S. 36, 39. a. O, S. 31. 87 Medem, GerS 26 (1874), 590–607 (603). 88 Wach, S. 41; vgl. zum Ganzen Streng, NK-StGB, § 46 Rn. 2 ff. 86 A.
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Die Parallelen zur „Herrschaftsübernahme“ der relativen Straftheorien in der Zeit der Aufklärung lagen also offen zutage.89 Insofern war man sich durchaus auch der fehlenden immanenten Grenzen eines solches Zweckstrafrechts bewusst. Mit dem im 19. Jahrhundert aufgekommenen Gedanken des „Rechtsgüter schutzes“, welchen man von der klassischen Schule übernahm, wähnte man sich nun allerdings im Besitz eines Instruments, mit dem man vor den Gefahren eines ausufernden Zweckstrafrechts geschützt sei.90 b) Neuer Gegenwind Anders als noch im 18. Jahrhundert, als man sich als Überwinder der unerträg lichen Zustände einer sich bereits auflösenden mittelalterlichen Strafrechtsordnung präsentieren konnte, stieß der Relativismus nun aber auf eine im Grunde gefestigte Wissenschaft und auch Rechtsprechung.91 Beide standen ganz im Zeichen der klassischen Schule und waren ihrerseits gerade gewachsen im Kampf gegen die Willkür des aufklärerischen Relativismus.92 Es war also vorherzusehen, dass die Bestrebungen der modernen Schule auf energischen Widerstand stoßen sollten. Der um die Jahrhundertwende schwelende Konflikt war sodann bald unter dem Schlagwort „der Schulenstreit“ in aller Munde und sollte als solcher schließlich in die Rechtsgeschichte eingehen.
2. Ein Kampf ohne Sieger Die Positionen konnten – jeweils konsequent zu Ende gedacht – unterschied licher kaum sein.93 So warf die moderne Schule den Vergeltungslehren beispiels89
Vgl. auch Fischl, S. 222 ff. zum Rechtsgüterschutzgedanken bei von Liszt etwa Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 82 ff.; von Liszt selbst zeigte häufig seine Zuwendung zum Humanitätsideal und wandte sich an verschiedenen Stellen gegen eine ausartende Verwendung der Zweckstrafe. Dem Gedanken der Spezialprävention selbst ist diese Beschränkung allerdings im Grunde fremd (jedenfalls nicht immanent), vgl. hierzu auch Maiwald, in: Rechtswissenschaft, S. 291–304 (293 ff.). 91 Vgl. Nagler, S. 506. 92 Auch die neuen Wissenschaften mussten gegen Ende des 19. Jahrhunderts Rückschläge hinnehmen. Dies zumindest was ihren Anspruch betraf, über universal geltende, naturwissenschaftliche Kausalgesetze ein endgültiges Bild der Wirklichkeit liefern zu können. Baumann (in: Streitschriften, S. 135–157 [142 f.]) führte diesbezüglich beispielhaft die Erkenntnisse von Plank und Heisenberg an. Bock (JuS 1994, 89–99 [92]) spricht von den „Entwicklungen der nichteuklidischen Geometrie, der Relativitätstheorie und der Quantenmechanik […], die alle für die Frage nach der Gültigkeit von Naturgesetzen und den Möglichkeiten ihrer empirischen Verifikation empfindliche Irritationen mit sich brachten.“ 93 Naucke (FS Hassemer, S. 559–572 [563]) hält die Bezeichnung „Schulenstreit“ für irreführend, da beide Schulen letztlich das präventive Ziel der „Verbrechensminderung“ verfolg90 Vgl.
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weise vor, dass sie die Strafe zwar in (träumerisch) philosophischen Gebilden rechtfertigen würden, der Blick auf die vergangene Tat ihnen aber keinerlei konkrete Anhaltspunkte für die Bestimmung des konkreten Strafmaßes liefere. Von Liszt etwa schrieb: „Ein wesentlicher Schritt zur Verständigung wäre gemacht, wenn man sich einmal darüber klar werden wollte, dass keine metaphysische Grundlegung der Strafe im stande ist, das Prinzip des Strafmasses abzugeben. Sie kann und soll uns die empirische Thatsache der Strafe deuten, das wesenhafte und gleichbleibende in den wechselnden Erscheinungsformen aufzeigen; aber als Elle dürfen wir die metaphysische Idee uns nicht denken. Ob fünf Jahre Gefängnis oder zehn Jahre Zuchthaus, ob sechs Wochen Haft oder ob tausend Mark Geldstrafe dem einzelnen konkreten Verbrechen entsprechen, das kann sie uns nicht sagen und darf es uns nicht sagen wollen.“94
Die moderne Schule plante das Problem der Strafmaßbestimmung recht einfach zu umgehen. Zum Teil forderte man, die Bestimmung des Strafmaßes durch den Richter komplett abzuschaffen. Der Richter solle nur zu einer unbestimmten Strafe verurteilen. Wie diese auszugestalten sei, und wann und ob der Täter im Falle der Haft wieder freigelassen werden könne, sei schließlich eine Entscheidung der Verantwortlichen im Strafvollzug, welche seine „Gefährlichkeit für die Gesellschaft“ regelmäßig zu beurteilen hätten.95 Von Seiten der klassischen Schule mussten sich die Vertreter der Zweckstrafe im Gegenzug die Frage gefallen lassen, warum sie überhaupt eine vorangegangene Tat als Voraussetzungen für die Verhängung von Strafe verlangten. Wenn nämlich einzig die „Gefährlichkeit des Täters für die Gesellschaft“ die Strafe legitimiere, so sei es doch viel sinnvoller, den vermeintlich unverbesserlichen Verbrecher bereits vor seiner Tat einzusperren – auf das Vorliegen eines Verbrechens könne es jedenfalls nicht ankommen.96 ten. Letzteres trifft zwar zu, doch unterschieden sich die generellen Ansätze, wie die Strafe dieses Ziel erreichen solle (und ihre jeweiligen Konsequenzen für die konkrete Ausgestaltung der Strafe) so fundamental, dass es keinesfalls verfehlt erscheint, weiter von einem (auch inhaltlich) echten „Streit“ zu sprechen. 94 Von Liszt, ZStW 3 (1883), 1–47 (24). 95 Vgl. etwa Aschaffenburg, S. 229 ff.; Kraepelin, S. 62 f.; vgl. zum Ganzen auch Binding, Grundriss, S. 237 mit weiteren Nachweisen; von Liszt selbst ging nicht ganz so weit, auch er schlug aber die Einführung „relativ unbestimmter Strafurteile“ vor, in denen der Richter nur eine Mindest- und Höchstdauer angeben sollte, im Übrigen aber die Entscheidung über die Entlassung den Beamten im Strafvollzug überlassen blieb, von Liszt, ZStW 9 (1889), 452–489 (492 ff.); ders., ZStW 10 (1890), 51–83 (52 ff.); vgl. zum Ganzen auch Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (135); Binding (Grundriss, S. 237) kommentierte dies polemisch: „Wer aber liest diese Wirkungen aus der Seele des Sträflings ab? Natürlich der souveräne Verwaltungsbeamte […] Denn diese Herren haben Gottes Gnade: sie können unmittelbar in die Seelen der Menschen schauen! Sie sind der Täuschung nicht ausgesetzt! Die raffinirteste Heuchelei ist ihnen gegenüber machtlos!“ 96 So etwa Binding, Grundriss, S. 208; vgl. auch Maiwald, in: Rechtswissenschaft, S. 291– 304 (294).
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Tatsächlich ließen entsprechende Vorschläge, die das etablierte „Tatstrafrecht“ durch ein System der „sozialen Verteidigung“ ersetzen wollten, nicht lange auf sich warten.97 Auch von Liszt hielt es durchaus für denkbar, das Reichsstrafgesetzbuch durch einen einzigen Paragraphen zu ersetzen, der da etwa lauten konnte: „jeder gemeingefährliche Mensch ist im Interesse der Gesamtheit unschädlich zu machen“.98 All dies musste in den Ohren der klassischen Schule wie schierer Hohn klingen – feierte sie doch gerade die detaillierte Erfassung der verschiedenen Verbrechensformen, die Kodifikation der einzelnen Tatbestände und die feste Bindung des Richters an das Gesetz als große Errungenschaften im Kampf gegen die richterliche Willkür des Relativismus. Gerade diese richterliche Willkür sollte nun aber ersetzt werden durch eine „Willkür der Verwaltung“. „Haben wir desshalb nach dem Rechtsstaate gerungen, um alle Verbrecher, die doch auch sozusagen Menschen sind, einfach nur desshalb, weil sie einmal das Gesetz missachtet, einer Polizeiwillkür sondergleichen auszuliefern?“99, fragte Karl Binding und protestierte im „Namen der Deutschen Rechtswissenschaft“ gegenüber „diesem ungeheuerlichen Ergebnis des modernen Radikalismus“.100 Die Standpunkte der Streitparteien waren also von vornherein zu konträr, um die jeweils andere Seite wirklich überzeugen und einen eindeutigen „Sieger“ hervorbringen zu können. Dabei waren es weniger die einzelnen sachlichen Forderungen, die nicht zu vereinen gewesen wären, als vielmehr das grundsätzliche Menschen- und Staatsverständnis, auf dem die Schulen bauten.101 Der politische Kampf zwischen liberalem und sozialem Rechtsstaat wirkte also auch im Strafrecht fort,102 und nur vor diesem Hintergrund ließ sich die ungewöhnliche Härte erklären, in der ein oberflächlich rechtstheoretischer Streit auch auf sprachlicher Ebene geführt wurde.103 97
Vgl. dazu Bellmann, S. 90 f., 94 f. von Liszt, ZStW 13 (1893), 325–370 (356); ähnlich ders., in: Aufsätze II, S. 75–93 (80); zum Ganzen Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (137); Naucke, FS Hassemer, S. 559– 572 (566). 99 Binding, Grundriss, S. 238 (Fn. 2). 100 Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts (5. Auflage), S. 86 Fn. 1 (zitiert nach Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (139); dazu die Reaktion von Liszts in ZStW 18 (1898), 229–266 (230 ff.). 101 Zu den ansonsten großen Ähnlichkeiten der verschiedenen Schulen vgl. auch Bohnert, S. 150 ff.; Frommel, S. 104 ff.; vgl. ferner Naucke, FS Hassemer, S. 559–572. 102 Trotz dieses Grundsatzkonflikts ließen sich aber in beiden Lagern gewisse antiliberale Tendenzen erkennen, die nicht dem klassisch idealistisch-staatsrechtlichen Strafrecht entsprachen, vgl. dazu Ambos, NS-Strafrecht, S. 49; Naucke, FS Hassemer (2010), S. 559–572 (559 ff.). 103 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 321; auch die Debatte um die Willensfreiheit (Determinismus/Indeterminismus) spielte hier eine Rolle, vgl. zum Ganzen Bohnert, S. 63 ff.; 94 ff.; 163 ff.; 98 Vgl.
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„Ärger ist das Strafproblem nie mißhandelt worden, als gerade in den letzten Jahrzehnten des 19. und den ersten des 20. Jahrhunderts.“, ließ Binding verlauten.104 „Größte Verblendung“105 und „Rechtsblasphemie“106 warf er den Vertretern der modernen Schule vor. Ihren Vorreiter von Liszt nannte er einen bloßen „Journalist“ und „Ritter und Retter der entlehnten Gedanken“.107 Dieser wiederum konterte bald, indem er Binding „naive Intoleranz“, „doktrinäre Selbstüberschätzung“108 oder das altersbedingte Schwinden „schöpferischer wie dialektischer Kraft“ vorwarf.109
3. Zugeständnisse in Kriminalpolitik und Straftheorie Lange schien die unauflösliche Pattsituation dem Fortschreiten der Strafrechtswissenschaft im Wege zu stehen. Vereinzelt kam es daher schon von Anfang an zu Versuchen, zwischen den beiden Schulen zu vermitteln. So wähnte man etwa – die vermeintliche Antinomie von Vergeltung und Prävention verleugnend – in der Verbindung der verschiedenen Ansätze den Ausweg aus dem Dilemma. Die insoweit bekannteste „Vereinigungstheorie“ des 19. Jahrhunderts lieferte Adolf Merkel („Die Vergeltungsstrafe ist ‚Zweckstrafe‘ und mißt sich an den Bedingungen ihres Zwecks.“110). Wenngleich diese theoretischen Ansätze einige doktrinäre Scheinstreitigkeiten zwischen den Schulen offenbaren konnten, trugen sie aber doch wenig zur Streitbeilegung bei. Zu groß war der Graben im theoretischen Fundament. Erst die Erkenntnis von der Übereinstimmung gewisser praktischer Forderungen war es schließlich, welche die Parteien aufeinander zugehen ließ. Eines zumindest einte die beiden Lager nämlich spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts: das Bedürfnis nach effektiver Verbrechensbekämpfung und der entspredass man in den praktischen Ergebnissen doch häufig nicht weit auseinanderlag, zeigt allerdings wie sehr auch diese staatstheoretische Diskussion eine recht oberflächliche war und dass man von seinen jeweiligen Idealen teils sehr großzügig abwich, sofern dies zum Erreichen der eigenen Ziele nötig war, vgl. auch Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (145); Vormbaum, Handbuch des Strafrechts I, § 9 Rn. 72. 104 Binding, Das Problem der Strafe in der heutigen Wissenschaft, S. 66 (abgedruckt bei Vormbaum, Strafrechtsdenker, S. 423). 105 Binding, Grundriss, S. 226. 106 A. a. O., S. 236. 107 Binding, Die Normen I, S. 61 f. (Fn. 19); in diesen beiden Fällen ging es vordergründig aber um von Liszts Ablehnung seiner „Normentheorie“. 108 Von Liszt, ZStW 13 (1893), 325–370 (352). 109 Von Liszt, ZStW 18 (1898), 229–266 (230); ebd. ferner: „Und daß bei Binding neben andern Hemmungsvorstellungen besonders die der Selbstkritik und des litterarischen Anstandes von jeher auffallend schwach entwickelt waren, wußten wir alle längst.“; zum Ganzen Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (128). 110 A. Merkel, Verbrechen, S. 212; vgl. zum Ganzen auch Bohnert, S. 157 ff.; Frommel, S. 43 ff.; M. Müller, Vergeltungsstrafe, S. 50 ff.
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chende Ruf nach Reformen. In seinen Bemerkungen zum Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches von 1922 konnte der damalige Reichjustizminister Gustav Radbruch (1878–1949) – ein Schüler von Liszts –111 schließlich festhalten: „Heute ist dieser Schulenstreit beendet, nicht durch Sieg oder Niederlage, sondern durch Verständigung. Man ist sich darüber klar geworden, daß die praktischen Folgerungen weit näher aneinanderliegen als ihre gedanklichen Ausgangspunkte. Man ist unter dem Druck der Not der Zeit müde geworden, sich noch länger durch theoretische Meinungsverschiedenheiten den Weg zu gemeinsamer praktischer Tat versperren zu lassen.“112
a) Die Zweispurigkeit des strafrechtlichen Rechtsfolgensystems Trotz aller Differenzen musste die klassische Schule einige Punkte der Gegenseite anerkennen. So ließ sich etwa die Berechtigung des Ziels, Rückfälle bei Tätern zu vermeiden, kaum leugnen – ein Punkt, der vor dem Hintergrund ständig steigender Rückfallzahlen in den Kriminalitätsstatistiken immer mehr in den Fokus der Diskussionen rückte.113 Insofern gestanden auch die Vertreter der klassischen Schule zunehmend ein, dass die Verhinderung von Rückfällen eine Aufgabe des Staates sei. Man hielt diese Form der Prävention aber für keine Aufgabe, die mithilfe der staatlichen Strafe erfüllt werden könne und dürfe. Diese – hier blieb man weiter hart – beruhe einzig auf dem Gedanken der „Vergeltung“. „Wie Civiljustiz und Verwaltungsstreit getrennt bleiben muß, so muß auch Strafjustiz und administrative Verbrechensprophylaxe scharf geschieden werden, nur freilich noch um eines höheren Interesses willen als wegen der Reinhaltung des richterlichen Amts: damit die strafende Vergeltung unbeschränkt auf das Volk wirken könne.“114 „Wir halten eine Sicherung der Gesellschaft gegenüber gemeingefährlichen Personen überhaupt für ganz zweckmäßig und wünschenswert; wir betrachten sie nur als keine eigentlich strafrechtliche Aufgabe […].“115
Einen akzeptablen und pragmatischen Weg, um die Unstimmigkeiten auf beiden Seiten einigermaßen in Einklang zu bringen, hatte erstmals der Zürcher Strafrechtswissenschaftler Carl Stooss in seinem Schweizerischen Vorentwurf zu einem Strafgesetzbuch von 1893 aufgezeigt. In diesem sah er neben tat- und schuldorientierten Strafen eine zweite Spur von Rechtsfolgen vor: die sogenann-
111
Radbruch positionierte sich insofern auch selbst ausdrücklich als Vertreter der spezialpräventiven Theorie seines Lehrers von Liszt, vgl. dazu etwa Goltsche, S. 47 ff., 112 ff. 112 Radbruch, in: Strafrechtsreform, S. 49–160 (137). 113 Vgl. Frisch, ZStW 102 (1990), 343–393 (346); Schmidt, Geschichte, § 322 (S. 388). 114 R. Schmidt, Aufgaben, S. 298. 115 Birkmeyer, S. 52.
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ten Sicherungsmaßnahmen. Mit ihnen sollte – unabhängig von der Strafe – auch die Verwahrung aufgrund der bloßen „Gefährlichkeit“ des Täters möglich sein.116 Dieser Kompromiss stieß in der deutschen modernen Schule bald auf Anklang. Die theoretischen Auseinandersetzungen waren schön und gut, doch wollte man Kriminalpolitik nun nicht mehr nur denken, sondern auch umsetzen. Von Liszt führte deshalb aus: „Ich wäre durchaus zufrieden, wenn die von uns geforderte Umgestaltung zunächst nur bezüglich der Jugendlichen und der Unverbesserlichen durchgeführt würde. Dabei soll es uns auf den Namen nicht ankommen, den man dem Kinde geben will. Das ist ja die liebenswürdigste Seite in dem Verhalten unsrer Gegner, daß sie zufrieden sind, wenn die altehrwürdigen Etiketten geschont werden. In der ‚Bestrafung‘ des Gewohnheitsverbrechers darf das ‚Gleichmaß zwischen Schuld und Sühne“ nicht überschritten werden‘ aber gegen lebenslange oder doch sehr langwierige „Sicherheitsmaßregeln“ nach verbüßter Strafe haben die Gegner nichts einzuwenden. Zwei Jahre Gefängnis gegen den unverbesserlichen Landstreicher gestattet die ,vergeltende‘ Gerechtigkeit nicht; aber fünf Jahre des wesentlich empfindlicheren Arbeitshauses würden uns die Gegner wohl zugestehen. Laßt es uns also Sicherungsmaßregel und Arbeitshaus nennen; laßt uns nehmen, was wir bekommen können. Man mißverstehe mich nicht. Von meinem grundsätzlichen Standpunkte aus ist und bleibt diese Verquickung einer kurzen und eindruckslosen ,Strafe‘ mit einer langdauernden und einschneidenden ,korrektionellen Nachhaft‘ ein lächerlicher Widersinn. Aber wir verlangen eine Umgestaltung der Gesetzgebung, und die ist ohne Kompromisse nicht zu erzielen. Kein Kompromiß aber wird mir leichter werden, als der Verzicht auf einen bestimmten Namen. Wem der Schlauch mehr wert ist als der Wein, der mag getrost den neuen Wein in den alten Schlauch gießen.“117
Das Konzept, vorbeugende Maßnahmen selbstständig neben die eigentlichen „Strafen“ zu stellen, stieß in der Folge vielerorts auf Anklang und fand sich Anfang des 20. Jahrhunderts in zahlreichen Entwürfen zu Strafgesetzbüchern im deutschen, schweizerischen und österreichischen Raum.118 Es dauerte allerdings bis zum Jahr 1933, bis die „Zweispurigkeit des strafrechtlichen Sanktionensystems“ mit dem „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ endgültig Eingang in das deutsche Strafrecht fand – wo es bis heute fortbesteht (vgl. §§ 38 ff., §§ 61 ff. StGB).119
116 Dazu
Frisch, ZStW 102 (1990), 343–393 (346 f.). Von Liszt, ZStW 13 (1893). S. 325–370 (367 f.). 118 In Italien hatte 1921 der Gesetzesentwurf von Enrico Ferri auf den Begriff der Strafe sogar gänzlich verzichtet und ein reines Maßnahmenrecht vorgesehen, vgl. Baumann, in: Streitschriften, S. 135–157 (141). 119 Vgl. zum Ganzen Frisch, ZStW 102 (1990), 343–393 (347 ff.); Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 190; ders., Handbuch des Strafrechts, § 9 Rn. 47. 117
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b) Die Geldstrafengesetzgebung Die Einführung der strafunabhängigen Maßregeln war indes nicht der einzige Erfolg, den die moderne Schule verzeichnen konnte. Eine ihrer wichtigsten Forderungen war von Anfang an die Abschaffung der so verbreiteten kurzzeitigen Freiheitsstrafen gewesen, welche man nicht nur für sinnlos, sondern sogar für schädlich hielt. Insofern kam es unter der Führung Radbruchs Anfang der 20er-Jahre zur sogenannten „Geldstrafengesetzgebung“. Die Zeit war günstig, um den Vertretern des Vergeltungsgedankens auch externe Argumente vorzulegen: So wollte man mit der Gesetzgebung offiziell etwa der starken Inflation entgegenwirken und die überfüllten Gefängnisse entlasten.120 In einer Rede, in der Radbruch den Entwurf vor dem Reichstag verteidigte, offenbarte er aber auch die eigentlichen, straftheoretischen Hintergründe: „Es ist einer der ersten Schritte zur Verwirklichung der Strafrechtsreformideen meines großen Lehrers, der auch Mitglied dieses Hauses war, Franz v. Liszt’s. Es ist wahrlich nicht wenig, was dieser Entwurf bringt. Er bringt nicht nur die Erhöhung der Geldstrafen, er bringt praktisch die Abschaffung der kurzzeitigen Freiheitsstrafen.“121
So sollte es dann auch kommen: Während die Geldstrafe zur Zeit des „Marburger Programms“ noch eine zu vernachlässigende Rolle gespielt hatte, lag ihr Anteil an den verhängten Strafen im Jahr 1928 bereits bei annähernd 70 Prozent.122 Bis heute finden wir diesen Gedanken in § 47 StGB, der den Vorrang der Geldstrafe vor Freiheitsstrafen unter sechs Monaten festschreibt, sofern nicht „besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerläßlich machen.“ c) Das Jugendgerichtsgesetz und die Bewährung Auf dem gleichen Grundgedanken beruhte auch das Reichsjugendgerichtsgesetz von 1923. Schon zu Beginn des Jahrhunderts hatte es entsprechende Anläufe gegeben, doch erst die verwahrlosten Zustände nach dem Ersten Weltkrieg führten dazu, dass ein Umdenken im Umgang mit jugendlichen Straftätern eine Mehrheit fand.123 Ganz im Zeichen der Spezialprävention verfolgte das Jugendgerichtsgesetz das Ziel, die besserungsfähigen Jugendlichen durch erzieherische Maßnahmen auf den rechten Pfad zu bringen (und nicht durch Freiheitsstrafen 120 Vgl.
Goltsche, S. 47 ff. mit weiteren Nachweisen. Radbruch, in: Reichstagsreden, S. 81–85 (81). 122 Vgl. Koch, in: Strafgedanke, S. 127–145 (144); Schmidt, Geschichte, § 338 (S. 411). 123 Vgl. zum Ganzen Schmidt, Geschichte, § 337; zur gesamtgesellschaftlichen Situation auch Kubink, S. 235 ff. 121
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weiter ins kriminelle Milieu zu drängen). Insofern plädierte Radbruch für den Ausschluss des Vergeltungsgedankens (zumindest) im Jugendstrafrecht und sollte sich damit durchsetzen.124 Auch hier kannte man die Zweispurigkeit der Rechtsfolgen. Dem Richter blieb aber die Möglichkeit, auf Strafe gänzlich zu verzichten, wenn eine Maß regel mit erzieherischem Charakter ausreichend schien.125 In diesem Sinne erlaubte man nun auch erstmals die Aussetzung des Vollzugs von Freiheitsstrafen, um deren schädlichen Wirkungen entgegenzutreten. Mit dem Dritten Strafrechts änderungsgesetz von 1953 („Strafrechtsbereinigungsgesetz“) gelangte dieses Institut der „Bewährungsstrafe“ schließlich in das allgemeine Strafgesetzbuch, wo es bis heute die deutsche Strafpraxis prägt (§§ 56 ff. StGB).126
4. Der Vergeltungsgedanke und das Schuldprinzip Außerhalb des Jugendstrafrechts blieb die klassische Schule aber in weiten Teilen standhaft und hielt am Prinzip der Vergeltung fest. Auch Radbruch gestand ein, dass „Vernunft und guter Wille nicht die Kraft haben, im Volksbewußtsein die Strafe umzuprägen zu einer neuen Sicherungsmaßregel“. Insofern basierten weiter sämtliche Entwürfe auf dem Grundsatz eines Strafrechts, dessen Begründung und Strafmaßbestimmung sich am Vergeltungsprinzip orientierte. Dies galt selbst noch für das „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung“ im Jahr 1933. Mochten also die Vertreter der modernen Schule die „zweite Spur“ der strafrechtlichen Rechtsfolgen auch zurecht als Erfolg verbuchen. Im gleichen Atemzug war diese Trennung ein deutliches Zeichen für die Eigenständigkeit der Vergeltungsstrafe – und bestand nirgends ein Zweifel, dass das Gesetz dies auch ausdrücken sollte.127 In der neueren Dogmatik war der Vergeltungsgedanke sodann fest im sogenannten „Schuldprinzip“ verankert.128 Die Schuld war daher – und sie ist es 124 Vgl. Goltsche, S. 52; zu dieser Entwicklung auch Schaffstein, in: Rechtswissenschaft, S. 247–260 (247 ff.); zum Erziehungsgedanken im heutigen Jugendstrafrecht, in dem das Vergeltungsdenken (freilich firmierend unter dem „gerechten Schuldausgleich“) keinesfalls völlig verschwunden ist, vgl. Bachmann, JZ 2019, 759–765. 125 Goltsche, S. 5 ff. 126 Vgl. zum Ganzen Koch, Handbuch des Strafrechts I, § 8 Rn. 26 f.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 231. 127 Vgl. Schmidt, Geschichte, § 352 (S. 437). 128 Vgl. auch Hoffmann (Strafzwecke, S. 227) der davon spricht, dass die Vergeltung „terminologisch ausgeschaltet“ und „als ‚Schuldausgleich‘ deklariert“ wurde; vgl. auch T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (52 f.): „[…] und gerechter Schuldausgleich ist nichts anderes als gerechte Vergeltung.“
Kapitel 5: Der Fortgang des 19. Jahrhunderts und der Schulenstreit
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noch heute – nicht nur Voraussetzung der Strafe: „Nulla poena sine culpa“ (Keine Strafe ohne Schuld).129 Sie war und ist – in den Worten des Idealismus – auch die Währung, in der sich der „Wert“ der Taten bemisst.130 Aus diesem Grund lautet der heutige § 46 I 1 StGB: „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.“ Ferner findet der Schuldgrundsatz nicht nur einfachgesetzliche Ausprägung. So schreibt das Bundesverfassungs gericht: „Der Grundsatz ‚nulla poena sine culpa‘ hat den Rang eines Verfassungsrechtssatzes.“ […] „Die Strafe […] ist im Gegensatz zur reinen Präventionsmaßnahme dadurch gekennzeichnet, daß sie – wenn nicht ausschließlich, so doch auch – auf Repression und Vergeltung für ein rechtlich verbotenes Verhalten abzielt.“131
Wohlgemerkt: Der Blick ist dabei heute grundsätzlich weiter gerichtet auf den Wert der Tat, und nicht auf den (defizitären) Charakter des Täters. Klammert man die Zeit des Nationalsozialismus aus – welche hier eine Sonderstellung einnimmt (hierzu sogleich) –, war und ist „Schuld“ bis heute im Wesentlichen also „Tatschuld“ und nicht „Charakter-“ oder „Lebensführungsschuld“.132 Eine Errungenschaft, die, von Kant und Feuerbach einst etabliert, im Schulenstreit und auch in den Reformdiskussionen der Nachkriegszeit erfolgreich verteidigt werden konnte. Der Gedanke der modernen Schule, dass nur die – aus Sicht spezialpräventiver Zweckmäßigkeitserwägungen – „notwendige“ Strafe gerecht sei, konnte sich also nicht durchsetzen. Bis heute hält man insofern im Grunde am klassischen Appell an das Rechtsgefühl fest und bestimmt die gerechte Strafe nach der Schuld des Täters.
5. Die Erfolge der „modernen Schule“ als Versprechen für die Zukunft Beide Schulen gingen also mit gewissen Erfolgen aus dem Schulenstreit. Die moderne Schule war für diese Erfolge aber in Vorleistung gegangen.133 Ihr Versprechen war letztlich die Prävention, also die Verhinderung von Verbrechen durch empirisch nachweisbare Wirkungen der Kriminalstrafe. Im Vordergrund stand dabei die Besserung des Einzelnen: im Strafvollzug, im Jugendstrafrecht, aber letztlich auch in den neuen Maßregeln, sofern sie nicht einzig der Sicherung dienen sollten, denn auch diese sah man (wenn man auch terminologische Zuge129
Und eben nicht Voraussetzung der Maßnahmen und Maßregeln der „zweiten Spur“. Vgl. auch Kaufmann, JZ 1967, 553–560 (556). 131 BVerfGE 20, 323 (ff.); vgl. auch BVerfGE 6, 389 (439); 9, 167 (169); 28, 386 (391), 45, 187 (228); 50, 125 (133). 132 Vgl. etwa Jescheck/Weigend, § 4 I (S. 23). 133 Dazu und zum Folgenden Bock, JuS 1994, 89–99 (93). 130
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ständnisse gemacht hatte) letztlich als Formen der Strafe. All diese Errungenschaften aber bauten auf wissenschaftlichen Versprechen über empirische Zusammenhänge, die man sich zwar erhoffte und auch plausibel hatte vortragen können, deren empirische Belege die Kriminologie größtenteils aber erst noch liefern musste. Für die Vertreter spezialpräventiver Straftheorien war die generelle Legitimität des Strafrechts nun also abhängig von der Frage, ob die zukünftigen Forschungen die angenommenen Wirkungen der Strafe bestätigen (zumindest nicht widerlegen) würden. Auch für alle anderen aber war diese Frage von höchster Relevanz, denn nur wenn die staatliche Strafe die versprochenen Wirkungen auch tatsächlich entfalten konnte, waren die zahlreichen Reformen unter dem Banner der Spezialprävention dauerhaft zu halten. Insofern sollte es – im In- wie im Ausland – zu einem weiteren Aufschwung und Ausbau der kriminologischen Forschung kommen. Bevor sich die euphorische Aufbruchstimmung im Resozialisierungs- und Behandlungsdenken in Deutschland aber wirklich entfalten konnte, wurde die entsprechende Entwicklung jäh unterbrochen und auch nachhaltig beschädigt: „Das schwere Unwetter der nationalsozialistischen Zeit zog herauf“.134
134
Schmidt, Geschichte, § 338 (S. 413).
Kapitel 6
Die Zeit des Nationalsozialismus Im Jahr 1935 verkündete der Leiter des Reichsrechtsamtes Hans Frank die „Nationalsozialistische[n] Leitsätze für ein neues deutsches Strafrecht“. In dessen Vorwort hieß es: „[…]; entscheidend ist, daß ein nationalsozialistisches Strafrecht mit allem Elan und allem Nachdruck in Kürze geschaffen ist. Alles was wir leisten, leisten wir für unsern Führer Adolf Hitler. Er und seine Bewegung haben uns dieses Arbeiten ermöglicht. Das kommende Strafrecht muß daher den Bedürfnissen des von Adolf Hitler geführten Staatswesens entsprechen.“1
Die Überzeugung, dass Sinn und Zweck der Strafe nicht isoliert, sondern nur in Verbindung mit den jeweiligen politischen Zielen betrachtet werden konnten, war an einflussreiche Stellen vorgedrungen.2 Es verwundert daher nicht, dass wir – wenden wir den Blick auf die Zeit des Nationalsozialismus – nicht nur allgemein-historisch vor dem wohl dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte stehen. „Niemals sind in Deutschland in so kurzer Zeit so viele Gesetze erlassen worden, die Strafrecht und Strafprozess zum Instrument des Terrors verfälschten. Niemals gab es so viele Gesetze, die die Todesstrafe androhten. Niemals sind in so kurzer Zeit so viele Todesurteile erlassen worden. Niemals war das Missverhältnis zwischen Gewicht der Tat und Höhe der Strafe so grausam wie in diesen zwölf Jahren, besonders in den letzten sechs des Krieges.“3
I. Kontinuität und Radikalisierung Die Rede war bereits von einer „Unterbrechung“ der Entwicklung, wie sie seit Anfang des 20. Jahrhunderts fortschritt. Doch waren die Jahre zwischen 1933 und 1945 tatsächlich eine „Zäsur“ in der Geschichte der Strafe? Eine kurzfristige „Perversion“, nach der man wieder in die alten Bahnen zurückkehrte?4 1 H.
Frank, Leitsätze, S. 5. Vgl. hierzu etwa Schaffstein, Politische Strafrechtswissenschaft, S. 18. 3 Wesel, Geschichte, S. 497. 4 Von einer „Periode strafrechtlicher Perversion“ spricht etwa Maiwald, Rechtswissenschaft, S. 291–304 (295); kritisch dazu Naucke, Zerbrechlichkeit, S. 361 ff.; Vormbaum, FS HU Berlin, S. 523–544 (530 ff.). 2
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Die Gedanken an den Holocaust und die Konzentrationslager scheinen daran zunächst keinen Zweifel zu lassen. Die historische Forschung hat dieses „Zäsur-Modell“ in jüngerer Zeit allerdings – jedenfalls für das Recht – immer häufiger in Frage gestellt. In zahlreichen Bereichen zeigte sie „Normalitätsanteile“ in der Zeit des Nationalsozialismus auf, die eine gewisse Kontinuität der Entwicklung vor und nach der Zeit des Nationalsozialismus belegen.5 Tatsächlich hat man dies auch für den Bereich der Strafe und Straftheorie festzustellen. Im Grunde griffen sämtliche Entwicklungen der NS-Zeit bereits vorhandene Tendenzen aus dem Schulenstreit und der Weimarer Republik auf. Die Punkte, die es rechtfertigen, dennoch von einer eigenständigen „nationalsozialistischen Straftheorie“ zu sprechen, sind vornehmlich die Radikalisierung dieser Tendenzen in der Theorie und die anschließende Brutalisierung dieser Gedanken in der Praxis. Eine Entwicklung, wie sie sich die gedanklichen Vorreiter im Schulenstreit, deren Werk häufig zur Untermauerung nationalsozialistischer Thesen instrumentalisiert wurde, wohl nicht hätten vorstellen können.6 Die NS-Zeit brachte also ein neues Strafrecht und eine neue Straftheorie. Insofern knüpfte sie nahtlos an die zuvor angestoßene Reformbewegung an. Der „Kompromiss“ zwischen moderner und klassischer Schule wurde nun aber allenfalls über leere Worthülsen am Leben gehalten.7 Faktisch ging es um eine Funktionalisierung des Strafrechts im Sinne der totalitären Staatsform.8 Dass die vor der Machtergreifung geplanten Reformen größtenteils nicht umgesetzt wurden, war insofern nur konsequent, ging man doch davon aus, dass „die Demo kratie […] zufolge der irrigen Grundauffassung, mit der sie an alle Gebiete des Lebens herantritt, auch auf dem Gebiete des Strafrechts nichts Dauerndes und Brauchbares [hätte] schaffen können.“9 Die „Gegenreformation wider die ‚Modernen‘“ richtete den Blick nun also auf die gleichen Ziele wie die national sozialistische Politik.10 Schließlich konnte in diesem – wie wohl in jedem – totalitären System dann auch das wissenschaftlich freie Denken, welches die Geschichte der Strafe und Straftheorie seit der Aufklärung so stark geprägt hatte, keine wirkliche Rolle mehr spielen. 5 Vormbaum, FS HU Berlin, S. 523–544 (530 f.); vgl. auch J. Rückert, KritV 84 (2001), 223–264. 6 Vgl. Ambos, NS-Strafrecht, S. 54; zum Radikalisierungsmodell auch Vogel, S. 8 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; ders., ZStW 115 (2003), 638–670 (641 ff.); vgl. auch Marxen, KritV 73 (1990), 287–298; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 187. 7 Man könnte von einer „Kontinuitätsfassade“ sprechen, vgl. zu dieser Terminologie J. Rückert, JZ 2015, 793–804 (804). 8 Vgl. auch Roxin/Greco, § 4 Rn. 12. 9 Kerrl, in: Nationalsozialistisches Strafrecht, S. 3–5 (3). 10 Wolf, S. 24.
Kapitel 6: Die Zeit des Nationalsozialismus
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„Geisteswissenschaft setzt volle geistige Freiheit voraus; in einem ideologisch versteinerten totalitären Machtstaat aber hat diese keine Heimat.“11
Mit dem Einfluss der „Strafrechtswissenschaft“ war es an dieser Stelle also zunächst vorbei – zumindest soweit ihre Vertreter nicht in die politischen Machtstrukturen integriert oder ihnen gewogen waren (Juden und gefährlich Anders denkende wurden ohnehin von ihren Posten entfernt).12
II. Nationalsozialistische Straftheorie Was waren nun also die vorhandenen Tendenzen, die sich in der Straftheorie des Nationalsozialismus radikalisierten? Eine grobe Zusammenfassung gab der im Jahr 1940 neu gefasste § 48 der „Reichsratsgrundsätze“: „Durch den Vollzug der Freiheitsstrafe soll das Volk geschützt, das begangene Unrecht gesühnt und der Begehung neuer Straftaten vorgebeugt werden.“
Auf den ersten Blick schien der Kontinuitätsgedanke hier voll zum Tragen zu kommen, wirkte die Formulierung doch wie eine schlichte Vereinigung der Theorien des Schulenstreits. Der „Schutz des Volkes“ erinnerte an den lisztschen „Schutz der Gesellschaft vor dem Verbrecher“. Auch die „Vorbeugung vor neuen Straftaten“ knüpfte an den Zweckgedanken der modernen Schule an. Und schließlich blieb die „Sühne des begangenen Unrechts“ als Zugeständnis an die klassischen Vergeltungstheorien, in denen sich häufig ähnliche Formulierungen fanden.13 Der Schein der alten Begriffe aber trog. Um das Ausmaß der Radikalisierung, teils der völligen Entfremdung der vorigen Tendenzen zu verstehen, muss auf die einzelnen Zwecke des nationalsozialistischen Strafens daher näher eingegangen werden.
11
Schmidt, Geschichte, § 347 (S. 430). Vgl. dazu Rüping/Jerouschek, Rn. 295 ff.; Schmidt, Geschichte, § 346; Wesel, Geschichte, S. 490 ff. (Rn. 299). 13 Für Gemmingen (S. 23) war „gerade in dem Denken Adolf Hitlers […] der Vergeltungsgedanke tief verankert.“. Vereinzelt versuchte man das neue nationalsozialistische Verständnis der „Sühne“ terminologisch vom klassischen Vergeltungsdenken abzugrenzen, vgl. Exner, FS Kohlrausch, S. 24–41 (33). Und mochte diese Unterscheidung historisch gesehen durchaus ihre Berechtigung haben. Nicht nur in der nationalsozialistischen Zeit wurden die beiden Begriffe aber meist parallel verwendet oder zumindest zusammen stets erwähnt, vgl. etwa Freisler, in: Nationalsozialismus, S. 457–478 (460). Mezger, MSchrKrimBio 31 (1940), 105–110 (106); Klug (in: Alternativentwurf, S. 36–41 [36]) sprach davon, dass „die Sühneidee nur ein anderer, romantisierender Ausdruck“ des Vergeltungsgedankens sei; dazu auch Roxin/Greco, § 3 Rn. 10. 12
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Teil II
1. Die Radikalisierung der „modernen Schule“ a) Der Schutz des Volkes Tatsächlich schien der „Schutz des Volkes“ zunächst stark an verschiedene vorige Hochphasen „relativer Straftheorien“ zu erinnern. Waren es in der Zeit der Aufklärung der „Schutz des Gemeinwohls“ oder der „Schutz des Staates“, hatte sich mit dem Eindringen des „sozialen Rechtsstaats“ in die Straftheorie seit dem Ende des 19. Jahrhunderts der „Schutz der Gesellschaft vor dem Verbrecher“ in der straftheoretischen Diskussion etabliert. Die aufklärerische Gleichheit aller Menschen war nun aber Geschichte. Die „Gesellschaft“, wie sie die Vertreter der modernen Schule überwiegend verstanden hatten, war nicht mehr gleichzusetzen mit dem „Volk“ im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Unter „Volk“ war vielmehr eine „rassisch und artbestimmte Blutsgemeinschaft“ zu verstehen.14 Der „Schutz der deutschen Rasse“ mutierte somit nicht nur zum Hauptziel des NS-Staates, sondern auch zum Hauptzweck des NS-(Straf-)Rechts, dem sich alle Beteiligten unterzuordnen hatten.15 Das aufklärerisch-liberale Rechtsverständnis war endgültig verschwunden. Das Recht galt nicht mehr der Sicherung der Freiheit des Einzelnen. Vielmehr war umgekehrt der Einzelne dem Recht im Sinne der nationalsozialistischen Ziele zur Treue verpflichtet.16 „Du bist nichts, dein Volk ist alles“17, hieß es nun. Wie schon in der Zeit der Aufklärung zeigte sich also recht bald – und nun freilich in besonders perverser Form –, dass sich mit dem Zweckgedanken letztlich jede Form des Strafrechts begründen ließ. Auch der Rechtsgüterschutzgedanke, den die moderne Schule als vermeint liches Bollwerk gegen die Instrumentalisierung des Zweckstrafrechts in Stellung gebracht hatte, offenbarte nun seine eigentliche inhaltliche Leere.18 Selbst, wenn an ihm festgehalten wurde,19 hatte er nach der birnbaumschen Trennung 14 Dreier, in: Staatsrechtslehre, S. 9–69 (34); vgl. auch H. Frank, Leitsätze, S. 11: „Verdirbt das Blut, dann stirbt das Volk; erlischt die Treue, dann zerfällt die Gemeinschaft.“ 15 Vgl. Ambos, NS–Strafrecht, S. 27 ff. mit zahlreichen Nachweisen; vgl. auch Seidenstücker, S. 45 ff. 16 H. Frank, Leitsätze, S. 20 ff.; Kubink, S. 234 mit weiteren Nachweisen; Naucke (Zerbrechlichkeit, S. 404) meint insofern: „Jetzt ist nicht mehr zu übersehen, daß das Strafrecht kaum noch Recht, sondern nur noch innenpolitische Exekutive ist.“ 17 Thierack, DJZ 1935, 913–919 (919). 18 Vgl. auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 246 ff., 257 ff.; zum Streit um den Rechtsgutsbegriff in der Zeit des Nationalsozialismus a. a. O., S. 216 ff. 19 Zum Teil trat man auch für eine Überwindung der Rechtsgutslehre ein, vgl. Ambos, NS- Strafrecht, S. 96 (Fn. 460) mit weiteren Nachweisen; siehe auch Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 216 ff.
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des Gutes vom kantischen Rechtsbegriff den neuen Entwicklungen faktisch nichts entgegenzusetzen. Für jeden politisch gewünschten Straftatbestand ließ sich letztlich irgendein Rechtsgut finden – etwa die „Würde des Staates und Ehre der Nation“,20 die „rassisch gesunde Fortpflanzungskraft“, die „gesunde völkische Wehrkraft“ oder die „Rassereinheit“.21 b) Vom Tat- zum Täterstrafrecht Der Schutz der Volksgemeinschaft stand also an erster Stelle und die Strafe sollte diesem Ziel dienen. Dabei griff man durchaus auf altbewährte Grundgedanken der modernen Schule zurück. Allerdings verschoben sich auch hier die Schwerpunkte der Betrachtung.22 Zunächst rückte man weitestgehend von den Ideen der „Besserung“ und „Resozialisierung“ des Täters ab. Diese hätten vielleicht Vorteile für das Individuum, führten aber letztlich zu einer „Erweichung der Verbrechensbekämpfung, Schwächung der Strafrechtspflege und Minderung der Staatsautorität“, was nicht im Sinne der Staatsinteressen liegen könne.23 Soweit dennoch an diesen Begründungssträngen festgehalten wurde, ging es sodann nicht mehr nur um die Erziehung zu einem gesetzmäßigen Leben, sondern um „eine innere Umstellung des Verurteilten in bezug auf Ehrbewußtsein, Gemeinschaftsgefühl und völkische Gesinnung“ – und zwar durch „strenge Zucht“ und „soldatische Disziplinierung“.24 Im Übrigen trat nun aber die „Unschädlichmachung“ des volksschädlichen Verbrechers in den Vordergrund, welche – freilich dort wieder einmal in humanerer Ausgestaltung – bereits seit dem Marburger Programm vermehrt in den Fokus der straftheoretischen Diskussion gerückt war.25 1935 hielt der spätere Präsident des Volksgerichtshofes Roland Freisler fest:
20
Dahm/Schaffstein, S. 50; vgl. auch Ambos, NS-Strafrecht, S. 96. Beispiele aus der Begründung zum Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, S. 4 f.; vgl. (auch grundsätzlich zum Streit um den Rechtsgutsbegriff in der Strafrechtswissenschaft) Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 216 ff., 228 ff., 231 ff., 236 ff.; mit kritischen Anmerkun gen zur Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffs in diesem Zusammenhang (a. a. O., S. 246 ff.). 22 Bereits vor der Machtergreifung hatten die beiden Strafrechtslehrer Georg Dahm und Friedrich Schaffstein (beide später Mitglieder der sogenannten „Stoßtruppfakultät“ der „Kieler Schule“, die zur bedeutendsten Brutstätte nationalsozialistischen Strafrechts mutieren sollte) eine Schrift mit dem Namen „Liberales oder autoritäres Strafrecht“ veröffentlicht. Diese sollte nun zu einer Art Grundsatzprogramm für die weitere Entwicklung der „antiliberalen strafrechtlichen Erneuerungsbewegung“ werden, vgl. dazu auch Frommel, S. 25 ff. 23 Dahm/Schaffstein, S. 37; vgl. zum Ganzen auch Kubink, S. 250 ff. 24 Exner, FS Kohlrausch, S. 24–41 (35 f.). 25 Vgl. etwa Schaffstein, ZStW 55 (1936), 276–290 (282 ff.); vgl. auch Ambos, NS-Strafrecht, S. 52 f. 21
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„Und aus der Erkenntnis des Strafrechts als Kampfrechts folgt ebenso selbstverständlich das Ziel dieses Rechts, den Gegner nicht nur zu bekämpfen, sondern zu vernichten.“26
Im Hinblick auf solche Vorstellungen verwundert es nicht, dass sich der Anwendungsbereich der Todesstrafe stark ausdehnte.27 – Schließlich hatten in von Liszts Verständnis der Anlage-Umwelt-Formel die Umwelteinflüsse den mit Abstand größten Raum eingenommen. Auch in diesem Bereich verlagerte sich nun der Schwerpunkt. Die „vererbten Anlagen“ rückten in den Fokus und die von Lom broso vorbereiteten Gedanken des „geborenen Verbrechers“ flossen im Sinne einer eigenen sozialdarwinistischen Rassenlehre ein.28 Dementsprechend förderte man die kriminologische Forschung insbesondere im Bereich der Kriminal biologie, deren besondere Bedeutung man hervorhob, „weil sie eine wissenschaftlich begründete Behandlung gerade jener abgrenzbaren Bevölkerungsschicht an die Hand gibt, die zum Teil nicht allein sozial abträglich, sondern zugleich auch erb- und rassenwertlich schädlich ist und insoweit einer planmäßigen Ausschaltung zugeführt werden muss.“29 Damit aber war die Strafe keine Reaktion mehr auf die Tat, sondern diente einzig dazu, den Täter „auszumerzen“, der seiner Treueverpflichtung gegenüber dem Recht und dem Staat nicht nachkam und deshalb eine Gefahr für das Ziel der rassisch-blutsmäßigen Volksgemeinschaft war. Die äußeren Folgen der Tat selbst waren nicht mehr wichtig. Im Zentrum standen der Charakter und die Gesinnung des Täters, denn nur von ihnen drohten die zukünftigen Gefahren für das Volk.30 Ein knappes halbes Jahrhundert nachdem von Liszt und die moderne Schule die Unterscheidung dreier Verbrechertypen vorgeschlagen hatten, fand so die Tätertypenlehre Eingang in das nationalsozialistische Strafrecht.31 Ihr Spuren finden sich noch heute etwa in den §§ 211 ff. StGB, in denen vom „Mörder“ und „Totschläger“ die Rede ist.32 26 Freisler, in: Nationalsozialismus, S. 457–478 (458 f.); zu dieser „Kampfzeit“ und dem Strafrecht als Instrument des „Lebenskampfes dieses unseres Volkes“ auch ders., DJ 98 (1936), S. 1630. 27 Vgl. dazu nur Schmidt, Geschichte, § 350 (433 f.). 28 Zum Ganzen Ambos, NS-Strafrecht, S. 29 mit zahlreichen Nachweisen; Laubenthal, in: Strafgedanke, S. 147–159 (157 ff.); Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 186 f. 29 Viernstein, Schlussansprache, Mitteilungen der Kriminalbiologischen Gesellschaft 5 (1938), S. 120 (zitiert nach Laubenthal, in: Strafgedanke, S. 147–159 [158]). 30 Das Strafrecht wurde zum „Willensstrafrecht“, vgl. dazu und zum Folgenden Freisler, in: Nationalsozialismus, S. 457–478; Thierack, DJZ 1935, S. 913–919 (914 f.); von Gleispach, in: Nationalsozialismus, S. 479–496. 31 Zum „Täterstrafrecht“ und seinem Verhältnis zu den Gedanken der modernen Schule Stäcker, S. 125 ff.; zum Ganzen mit zahlreichen Nachweisen auch Ambos, NS-Strafrecht, S. 109 ff. 32 Auch die Folgen des damit verbundenen Willensstrafrechts sind bis heute lebendig. Mit
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2. Die Radikalisierung der „klassischen Schule“ a) „Gerechtigkeit“ und „gesundes Volksempfinden“ Schließlich lebte auch der Vergeltungsgedanke – zumindest äußerlich – in der Zeit des Nationalsozialismus fort. So war die Rede vom „sühnende[n] Schutz der Volksgemeinschaft als einheitliche[m] Strafzweck im Dritten Reich“33 und von der Aufgabe, den Treuebrecher „durch gerechte sühnende Bestrafung zu treffen“.34 In der Betonung von „Vergeltung“, „Gerechtigkeit“ und „Sühne“ lag das Zugeständnis an die klassische Schule und die verbreiteten Strafvorstellungen im Volk. Tatsächlich war der idealistische Vergeltungsgedanke stets in weitem Maße auf die allgemeinen, gesellschaftlichen Vorstellungen von „Gerechtigkeit“ angewiesen. Äußerlich gestand man diesem Gedanken nun die volle Herrschaft zu und forderte, dass die Strafe und das Strafrecht stets mit dem „völkischen Rechtsund Sittengefühl“ übereinstimmen müsse.35 Das „gesunde Volksempfinden“ wurde zur einzigen Quelle des Rechts und zum neuen Synonym für Gerechtig keit.36 Faktisch waren die Übereinstimmungen mit den ursprünglichen Erwägungen der klassischen Schule aber auch hier mehr Schein als Sein. Der Inhalt dieses „Volksempfindens“ und die Frage, welche Rechtsvorstellungen „gesund“ seien, bestimmte sich nämlich nach den Vorstellungen nur einer Person: des Führers. „Ein Widerspruch zwischen dem Führergesetz i. w. S. und dem Rechtswillen des Volkes ist unmöglich, weil der Führer das Rechtsempfinden, die Rechtsüberzeugung und den Rechtswillen des Volkes authentisch und endgültig interpretiert. Die Führerbefehle enthalten die autoritäre, von keiner Seite nachprüfbare Feststellung des Gemeinschaftswillens.“37
Damit war das Strafrecht an allgemeine Gerechtigkeitsvorstellungen ebenso wenig geknüpft wie an philosophische oder ethische Prämissen. Einzig die politiihm musste nämlich die Unterscheidung zwischen Versuch und Vollendung ihre Bedeutung verlieren. Die bloß fakultative Strafmilderung für den Versuch, eingeführt durch die Straf rechtsangleichungsVO von 1943, findet sich – trotz nicht unerheblicher Kritik in der Nachkriegszeit – noch heute in § 23 Absatz 2 StGB, vgl. dazu Ambos, NS-Strafrecht, S. 47; Vogel, S. 83; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 181, 217. 33 Seidenstücker, S. 45. 34 H. Frank, Leitsätze, S. 23. 35 A. a. O., S. 25. 36 Vgl. auch die Begründung zum Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, S. 2. 37 Nagler, Leipziger Kommentar zum Reichsstrafgesetzbuch (1944), S. 82; siehe ferner die Begründung zum Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, S. 2: „Was dieses [das Volksgewissen] als Recht und Unrecht empfindet, findet in dem Gesetz als der vornehmsten Form des Führerbefehls seinen sichtbaren Ausdruck.“; zum Ganzen auch Dahm, ZStW 54 (1935), 394–409; Schmidt, in: Justitia, S. 75–98 (93 f.); Telp, S. 247.
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schen Ziele des Nationalsozialismus und die Launen des Führers bestimmten das „gesunde Volksempfinden“ und damit den Inhalt der „Gerechtigkeit“.38 b) „Nullum crimen sine poena“ – Die Abschaffung des Gesetzlichkeitsprinzips Nun war aber durchaus der Fall denkbar, dass die Gesetze in bestimmten Fallkonstellationen dem „gesunden Volksempfinden“ (dem Führerwillen) nicht im gewünschten Maße entsprachen. Ein erstes Beispiel lieferte 1933 der Prozess um den Reichstagsbrand, einen vermeintlichen Anschlag der Kommunisten gegen das neue nationalsozialistische Regime. Noch im Gebäude wurde der Holländer Marinus van der Lubbe festgenommen. Ihm drohte nach geltendem Recht die lebenslange Freiheitsstrafe. Dem Willen Hitlers (dem gesunden Volksempfinden) war dies allerdings nicht genug. Alle Abgeordneten der KPD wurden verhaftet. Einen Monat später wurde die Strafandrohung auf der Grundlage des Ermächtigungsgesetzes rückwirkend geändert und van der Lubbe zum Tode verurteilt. Bereits mit dieser „Lex van der Lubbe“ war also absehbar, dass es mit dem „Gesetzlichkeitsprinzip“ als Teil des Kodifikationsgedankens bald vorbei sein sollte.39 Man betrachtete das Prinzip als „Relikt des überwundenen Staatsdenkens der Aufklärung“40 und war damit nach ähnlichen Erwägungen Bindings und seiner Anhänger in prominenter Gesellschaft.41 Ein Jahr später war es dann soweit. Der neue § 2 RStGB lautete: „Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die das Gesetz für strafbar erklärt, oder die nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient.“ Das „Nulla poena sine lege“-Prinzip wurde nun also ersetzt durch den Grundsatz „Nullum crimen sine poena“ – kein Verbrechen ohne Strafe.42 Und was ein Verbrechen war, das bestimmte die nationalsozialistische Ideologie und damit letztlich der Führer.
3. „Gerecht ist, was dem deutschen Volke frommt!“43 „Den Tempel der Themis in Schutt und Asche gelegt zu haben, ist der Herostratenruhm Adolf Hitlers.“44 38
Ambos, NS-Strafrecht, S. 40; Schmidt, Geschichte, § 352 (S. 438). zum Ganzen auch Wesel, Geschichte, S. 486 f. (Rn. 297); zur Abkehr vom Gesetzlichkeitsprinzip ferner Ambos, NS-Strafrecht, S. 37 (Fn. 115), 41; H. Frank, Leitsätze, S. 28 ff. 40 Vgl. Schreiber, S. 191 ff. mit weiteren Nachweisen. 41 Vgl. dazu a. a. O., S. 169 ff.; mit Nagler, Oetker, und v. Weber waren es schließlich auch drei alte Vertreter der klassischen Schule, welche die Rückwirkung der „Lex van der Lubbe“ in einem Gutachten für unbedenklich hielten, vgl. dazu Naucke, FS Hassemer, S. 559–572 (566 [Fn. 33]). 42 Vgl. Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 182. 43 Freisler, DJ 98 (1936), S. 1630. 44 Schmidt, Geschichte, § 362 (S. 452). 39 Vgl.
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Faktisch war von den verschiedenen Strömungen, aus denen sich die klassische Schule entwickelt hatte, also nichts mehr übrig. Der Grundsatz der Bindung des Richters an das Gesetz hatte seinen Stellenwert verloren. Neben der uferlosen Ausweitung der strafbaren Verhaltensweisen über das „gesunde Volksempfinden“ schien ferner auch die feste Bindung durch Strafrahmen überholt. So hieß es in der Begründung zum Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs von 1936: „Die Strafrahmen sind unter Wegfall lästiger Höchstgrenzen grundsätzlich so weit gefaßt worden, daß sie dem Richter jeden Spielraum für die Findung der gerechten Strafe lassen. Dazu ist […] dem Richter die Möglichkeit eröffnet worden, die dem Volksempfinden gerecht erscheinende Strafe auch für jeden besonders liegenden Fall zu finden.“45
Hinter den der klassischen Schule entnommenen Worthülsen versteckte sich letztlich also derselbe Zweckgedanke, der auch in der Radikalisierung der mo dernen Schule hervortrat: Gerecht ist, was dem deutschen Volke nützt. Insofern diente die Strafe einzig der Durchsetzung der nationalsozialistischen Ziele. Und zwar in erster Linie durch Unschädlichmachung der Individuen, die ihrer Treuepflicht gegenüber dem deutschen Volk nicht nachkamen. Hinzu trat eine von der Führung gewünschte Abschreckungswirkung durch die brutale Ausführung dieser Strafform.46 Trotz gewisser Kontinuitäten trug die Radikalisierung und Ent fremdung der vorhandenen Tendenzen also zum Entstehen einer Straftheorie bei, die sich zwar ohne Zweifel als „relative“ Theorie einordnen lässt, mit Blick auf die verfolgten Ziele aber durchaus den Titel einer eigenen „nationalsozialistischen“ Straftheorie verdient hat.47
45
Begründung zum Entwurf eines Deutschen Strafgesetzbuchs von 1936, S. 3. auch H. Frank, Leitsätze, S. 24; Laubenthal, S. 89 (Rn. 121); Schmidt, Geschichte, § 352 (S. 438). 47 Vgl. zu dem Ziel eine solche „spezifisch nationalsozialistische Straftheorie […] aus dem Geiste ihrers Führers zu gestalten“ auch Gemmingen, S. 14. 46 Vgl.
Kapitel 7
Nachkriegszeit und Strafrechtsreform Mit dem Ende des zweiten Weltkrieges und der Übernahme der Staatsgewalt durch die alliierten Besatzungsmächte hatten auch die Schrecken des national sozialistischen Strafrechts ihr abruptes Ende gefunden. Mit der Aufteilung Deutschlands war es aber zunächst auch um die Einheit des Rechts geschehen. Zwar bildete in allen Teilen Deutschlands zunächst weiter das Strafgesetzbuch von 1871 die Grundlage; doch standen überall Reformen auf dem Programm. Noch vor den großen Neuregelungen versuchte man zunächst allerorts das Recht zumindest von den als unhaltbar empfundenen Gesetzen der NS-Zeit zu befreien und so der Praxis eine taugliche Grundlage für den Übergang zu ermöglichen.1 Sodann sollte sich die weitere Entwicklung in West- und Ostdeutschland aber deutlich unterscheiden. Auf das gewissermaßen von außen hineingetragene Strafrecht und insbesondere die Straftheorie der DDR soll hier sogleich nur kurz eingegangen werden.2 Die Rückkehr zu einem einheitlichen deutschen Strafrecht folgte schließlich mit dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990, in dem die östliche Hälfte Deutschlands dem zwischenzeitlich stark reformierten Recht der BRD beitrat.3
I. Sozialistisches Strafrecht „Was dem Regime Hitlers mit Fug und Recht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen worden ist, darf sich, weil eine zu den Richtern von Nürnberg gehörende Siegermacht ihre Hand darüber hält, in der Strafrechtspflege des östlichen Deutschlands immer von neuem verwirklichen. Solange ein Teil der deutschen Menschen unter diesem verwerflichen Terrorsystem leidet, der andere Teil, ohne helfen zu können, dies Leiden mit ansehen muß, leidet die Idee des Rechtes in Deutschland an schwerer Krankheit.“4
1 Vgl. dazu Roxin/Greco, § 4 Rn. 15; Vogel, S. 22 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 216 ff.; Wesel, Geschichte, S. 573 (Rn. 338). 2 Vgl. auch Schroeder, ZStW 91 (1979), 1065–1095. 3 Zum Ganzen Eisenhardt, S. 509 ff. 4 Schmidt, Geschichte, § 362 (S. 453).
Kapitel 7: Nachkriegszeit und Strafrechtsreform
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Im Grunde fand sich eine zentrale Parallele zur Zeit des Nationalsozialismus: Die herrschende Straftheorie der DDR war eine relative. Die Antworten auf die Frage nach den genauen Wirkungsweisen der Strafe unterschieden sich nicht wesentlich von denen der vorangegangenen Zeit. Weiter sollten die Gegner der politischen Ziele unschädlich gemacht werden. Für potentiell Einsichtsfähige wurde partiell der Erziehungsgedanke in Betracht gezogen, ebenso wie man auf die abschreckende Wirkung der Strafe baute. In deutlichem Kontrast standen aber natürlich die verfolgten politischen Ziele, hinter denen die straftheoretischen Feinheiten – auch in der wissenschaftlichen Diskussion – weitestgehend zurücktraten. Es ging nun also nicht mehr um die Unschädlichmachung der Volks-, sondern der Klassenfeinde; und erzogen werden sollte nicht zur völkischen, sondern zur sozialistischen Gesinnung.5 Die östliche Hälfte Deutschlands sah sich daher noch für lange Zeit einem ausdrücklich politischen Strafrecht gegenüber. Nach dem Grundgedanken sämtlicher marxistisch-leninistischer Klassenkampftheorien war die Kriminalität letztlich Ausfluss des Kapitalismus. Sie hätte nach dem Übergang zum reinen Sozialismus also eigentlich verschwinden sollen. Als dies nicht der Fall war, verwarf man indes nicht die zugrundeliegenden Hypothesen. Vielmehr wähnte man in den Verbrechen die Überbleibsel westlicher Ideologie und/oder die Re aktionen der gestürzten Ausbeuter. In der Einführung zum Strafgesetzbuch von 1968 hieß es sodann, das Strafrecht der DDR diene „dem entschiedenen Kampf gegen die verbrecherischen Anschläge auf den Frieden und die Deutsche Demokratische Republik, die vom westdeutschen Imperialismus und seinen Verbündeten ausgehen und die Lebensgrundlagen unseres Volkes bedrohen.“ Politisch waren damit nicht nur die berüchtigten neugeschaffenen Straftatbestände wie etwa die „Republikflucht“ („Ungesetzlicher Grenzübertritt“, § 213 DDR-StGB), sondern im Grunde alle Delikte.6
II. Aufarbeitung und Neubeginn in der BRD Auch im westdeutschen Raum war gerade anfangs eine ähnliche Form politischen (Staatsschutz)-Strafrechts zu beobachten – hier allerdings nicht mit derselben Härte und nicht gegen die „Klassenfeinde“, sondern vielmehr gegen den 5 Rüping/Jerouschek, Rn. 336 f.; M. Vormbaum, Handbuch des Strafrechts I, § 10 Rn. 78 ff.; zum Ganzen auch Eisenhardt, Rechtsgeschichte, § 33 Rn. 1054 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 250 ff. 6 Vgl. Göppinger/Bock, Kriminologie, § 2 Rn. 30; Wesel, Geschichte, S. 527 f. (Rn. 319); zum Ganzen auch Stäcker, S. 286 ff.
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staatsgefährdenden Kommunismus.7 Ansonsten knüpfte man zunächst tendenziell eher wieder an die Bestrebungen der Zeit vor 1933 an – nun natürlich mit den Radikalisierungspotentialen der verschiedenen Ansätze vor Augen. Insofern sollte auch die damalige Strafrechtsreform mit Blick auf ein rechts- und sozialstaatliches Strafrecht wieder aufgenommen werden. Was das Staatsmodell betraf, hatte man sich im Jahr 1949 eine neue Verfassung gegeben, die den entsprechenden Rahmen vorgab. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hatten sich an einer Verbindung der Ideale der Aufklärung mit den praktischen Erfahrungen des 19. Jahrhunderts versucht und bauten die neue „parlamentarische Demokratie“ auf dem Bild einer Gesellschaft von freien und gleichen Bürgern. Ein Kompromiss von weltanschaulichen und politischen Grundlagen, der im Rahmen der Straftheorie erst noch gefunden werden musste. In ihm wurde die Todesstrafe abgeschafft (Art. 102 GG) und das Rechtsstaatsprinzip mit dem Gedanken der Gewaltenteilung (Art. 20 III GG) kehrte ebenso zurück wie das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 GG).8 Insbesondere letzteres – gerade in seiner speziellen Ausprägung des Rückwir kungsverbotes – sollte in der rechtlichen Aufarbeitung der NS-Zeit sodann eine zentrale Rolle spielen. Im gesamten deutschen Raum stand man nämlich vor einer neuen strafrechtlichen Frage: Konnten Verhaltensweisen, die selbst mit dem in der NS-Zeit geltenden Recht im Einklang standen, dennoch Unrecht sein? Konnte man also die „NS-Täter“ als Verbrecher bestrafen, auch wenn ihr Verhalten den damaligen Gesetzen entsprach?9 Das Festhalten an den eigenen Idealen – also die strikte Anwendung des Rückwirkungsverbotes – stand einer Bestrafung eigentlich entgegen. Die NS-Verbrecher nicht zu bestrafen, erschien allerdings niemandem als echte Alternative. Den bekanntesten Lösungsansatz in diesem Dilemma lieferte Gustav Radbruch in seinem Aufsatz „Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht“. In diesem relativierte der einstige Reichsjustizminister seinen an sich positivistischen Standpunkt in Fällen extremer Ungerechtigkeit: „[…] wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewußt verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ,unrichtiges Recht‘, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur.“10
7 Vgl. dazu Wesel, Geschichte, S. 578 ff. (Rn. 340); Vormbaum, Handbuch des Strafrechts, § 9, Rn. 17. 8 Zur Entwicklung des Gesetzlichkeitsprinzips in der Nachkriegszeit vgl. auch Schreiber, S. 201 ff. 9 Vgl. dazu und zum Folgenden Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 213 ff., 218 ff., 238 ff.; vgl. auch H. Jäger, in: Kriminalpolitik, S. 121–138. 10 Radbruch, SJZ 1946, 105–108 (107); dazu auch Schlosser, S. 363 ff.
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Damit standen gewisse NS-Gesetze – etwa solche, die verschiedene Taten aufgrund der „Rasse“ gewisser Personen für legitim erklärt hatten – einer Bestrafung nicht mehr entgegen. Sie waren danach nämlich niemals „Recht“, sondern von Anfang an nichtig gewesen. Diese pragmatische Lösung fand vielerorts Anklang und machte die sogenannte „Radbruch’sche Formel“ zur meistzitierten Passage der gesamten Rechtsphilosophie des 20. Jahrhunderts.11 Sie sollte nach der Aufarbeitung des NS-Unrechts schließlich auch in der strafrechtlichen Auseinandersetzung mit dem DDR-Regime – insbesondere in den sogenannten Mauerschützenprozessen, in denen man vor ähnlichen Problemen stand – herangezogen werden.12
III. Die Vereinigung der Strafzwecke Nach der zwischenzeitlichen Herrschaft des (Un-)Rechtspositivismus stand nun also allen vor Augen, was das blinde Festhalten an positivistischen Idealen den Machthabern ermöglichen konnte. Faktisch führte die besondere Situation zu einem Wiederaufflammen des überpositiven Naturrechts – dem unabhängig der geschriebenen Gesetze vorfindbarem und über diesen thronendem Recht, das durch die Vernunft erkennbar sei. Diese Auferstehung der Rechtsphilosophie schlug sich sodann auch in der straftheoretischen Entwicklung der Nachkriegszeit nieder.13 Hier blühten die alten Spannungen zwischen klassischer und mo derner Schule in gewisser Weise wieder auf; nun allerdings in deutlich abgeschwächter Form. Gerade der Aufschwung der Spezialprävention, wie er vor der NS-Zeit eingesetzt hatte, war enorm gebremst. Zwar setzte sich der Trend teilweise fort, wenn es um Begründungen für eine Liberalisierung des Strafrechts ging – so kam es etwa früh zu erneuten Reformen im Jugendgerichtsgesetz und fanden bald die Bewährungsregelungen Eingang in das allgemeine Strafrecht.14 Die grausame Radikalisierung der modernen Schule in der Zeit des Nationalsozialismus schreckte vom einst so energischen Festhalten an den spezialpräventiven Zweckgedanken aber zunächst einmal ab. Schon wer entsprechende Worte in den Mund nahm, hatte sich auf unbequeme Fragen nach der jüngeren Vergangenheit einzustellen.15 11 Vgl.
Dreier, JZ 1997, 421–434 (423) mit weiteren Nachweisen. Dazu a. a. O., passim. 13 Vgl. Frommel, JZ 2016, 913–920; Kaufmann, FS Gagnér, S. 105–132; Künnecke, RphZ 2015, S. 84–105; Schlosser, S. 361 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 222, 238. 14 Kubink, S. 324; Stäcker, S. 161 ff., 176 ff. 15 Vgl. Muñoz Conde, FS Hassemer, S. 535–558 (552 f.). 12
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Schließlich war spätestens nach den Nürnberger (Nachfolge-)Prozessen im Grunde jedem klar, dass es bei der Bestrafung der NS-Verbrecher nicht um deren Besserung oder Resozialisierung gegangen war.16 Ein apriorisch und deshalb zeitunabhängiges Verständnis von Gerechtigkeit, das sich von den reinen Zweckmäßigkeitserwägungen wieder lösen sollte, rückte daher erneut in den Vordergrund und dominierte den Zeitgeist. In diesem Sinne war es abermals der Vergeltungsgedanke der klassischen Schule, der die ersten Jahre der Nachkriegszeit bestimmte.17 Ernst Heinitz betrachtete das Bekenntnis zum Schuld- und Sühnegedanken noch im Jahr 1958 gar als „durch die geistige Situation unserer Zeit gefordert.“18 Gleichwohl hatte auch der Vergeltungs- und Sühnegedanke in der NS-Zeit seine Anfälligkeit für politische Instrumentalisierung offenbart. Insofern weitete sich auch der Blick seiner Vertreter und man gestand den relativen Theorien durchaus ihre Berechtigung zu. Nun hatte man damit aber nicht mehr nur – wie zu allen Zeiten üblich – die Anerkennung etwaiger „Nebeneffekte“ der Strafe im Sinn. Auch ging es nicht um die bloße Addition aller möglichen Wirkungen der Strafe.19 Vielmehr begann sich die Idee durchzusetzen, dass sich die verschiedenen Straftheorien gegenseitig ergänzen, und vor allem beschränken sollten. Die Vereinigung der Theorien sollte den zwischenzeitlich allen vor Augen geführten Gefahren der Radikalisierung und Instrumentalisierung der einzelnen Ansätze also entgegenwirken.20 Die Grundsatzfrage hatte sich damit verschoben. Zum zentralen Streitpunkt in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung avancierte die Frage, welcher Strafzweck bei der Vereinigung im Vordergrund stehen und sodann durch den jeweils konträren Ansatz ergänzt oder begrenzt werden sollte. Die aufblühende Kontroverse um die verschiedenen Gewichtungen schlug sich sodann natürlich auch in den Diskussionen zur Strafrechtsreform nieder. Die verschiedenen Strömungen können deshalb schön anhand der verschiedenen Entwürfe zu einem neuen Strafgesetzbuch nachvollzogen werden.21 16 Vgl. auch Jescheck, ZStW 80 (1968), 54–88 (59 f.): „Und als sich im Frühjahr 1965 die ganze Welt gegen die bevorstehende Verjährung der Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen in der Bundesrepublik empörte, geschah das nicht, weil die Resozialisierung der Täter oder der Schutz der Rechtsgüter bei uns versäumt worden wären, sondern weil die ungesühnte Schuld so groß erschien, daß kein Zeitablauf sie tilgen konnte.“ 17 Vgl. Streng, ZStW 92 (1980) 637–681 (639 f.) mit zahlreichen Nachweisen; zum Ganzen auch Roxin, FS Gagnér, S. 341–356 (342 f.); Schünemann, in: Grundfragen, S. 153–196 (154). 18 Heinitz, ZStW 70 (1958), 1–24 (2). 19 Vgl. auch Roxin, JuS 1966, 377–387 (387). 20 Siehe auch Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 58: „Dabei stehen Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit nicht unverbunden nebeneinander, sondern befruchten und begrenzen einander in einem Spannungsverhältnis.“; vgl. ferner Kubink, S. 325. 21 Zum Ganzen auch Kubink, S. 424 ff.
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IV. Die „Große Strafrechtsreform“ und die Phase der spezialpräventiven Euphorie Bereits im Jahr 1950 hatte der damalige Justizminister Thomas Dehler (FDP) eine Gesamtreform des Strafrechts angekündigt. Nachdem drei Jahre später diverse Gutachten von den führenden Strafrechtslehrern eingeholt wurden, begann schließlich im Jahr 1954 die „Große Strafrechtskommission“ mit ihrer Arbeit. Nach fünf Jahren legte sie ihren ersten Entwurf vor, welcher nach zahlreichen Modifikationen schließlich im Entwurf E 1962 münden sollte.22
1. Der Entwurf E 1962 a) Die Herrschaft der „klassischen Schule“ Der Entwurf E 1962 kann ganz allgemein als „konservativ“ bezeichnet werden.23 Gerade in straftheoretischer Hinsicht blieben die großen Reformen aus. Hier trug der Entwurf klar die Handschrift der frühen Nachkriegszeit, die vom Vergeltungsgedanken der klassischen Schule beherrscht worden war. So berief man sich in den an erster Stelle stehenden Diskussionen um den richtigen Strafzweck auch ausdrücklich auf diesen Grundgedanken. Im Bericht der entsprechenden Arbeitstagung der Kommission hieß es: „Dieser Gedanke bedeutet, mag man nun von Vergeltung oder Sühne sprechen, die Bewährung des Rechtes als Recht und bezieht sich letzten Endes auf den metaphysischen Bestand der Rechtsordnung. Nur unter diesem Blickpunkt ist die Wahrung der Gerechtigkeit im Strafrecht möglich, die mit einem Absinken der Strafe in die reine Zweckstrafe gefährdet wäre. Der Kern eines solchen Strafrechts ist das Schuldprinzip.“24
An erster Stelle der neuen Vereinigungstheorien stand also der alte – metaphysisch-philosophisch verstandene – Vergeltungsgedanke, lebendig im Schuldprinzip. aa) Die Spielraumtheorie Dass aber auch die Schuld keine feste Größe war, mit deren Hilfe sich (zumindest von Seiten der menschlichen Richter) eine konkret angemessene Strafe bestimmen ließ, war bereits in den letzten Jahrhunderten zu einer weitgehend anerkann22 Vgl.
Zieschang, in: Strafgedanke, S. 173–190 (176). Baumann, in: Streitschriften, S. 14–32 (28); Stäcker, S. 212. 24 Dreher, ZStW 66 (1954), 568–588 (569); in der Zusammenfassung des Entwurfs E 1962 sprach Jescheck (ZStW 75 [1963], 1–15 [8]) von der Vergeltung als „fundamentale[m] Sinngehalt der Strafe“. 23 Vgl.
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ten Erkenntnis gereift.25 Insofern ging die Kommission davon aus, dass das Schuldprinzip dem Richter einen gewissen Spielraum bei der Bestimmung der schuldangemessenen Strafe belasse. Innerhalb dieses Rahmens schließlich könnten (und müssten) auch die Strafzwecke der Spezial- und Generalprävention berücksichtigt, die Strafe insbesondere auf das aus präventiver Sicht notwendige Maß beschränkt werden.26 Dieser „Spielraumtheorie“, welche ihre gedanklichen Vorläufer bereits im 19. Jahrhundert – insbesondere bei Albert Friedrich B erner –27 hatte, sollte sich unmittelbar nach den Äußerungen der Strafrechtskommission dann auch der Bundesgerichtshof anschließen.28 bb) Vergeltungsgedanke und Schuldbegriff Auch wenn die neue Vereinigungstheorie die präventiven Funktionen der Strafe mit aufnehmen sollte, so stimmte die Kommission also von vornherein darin überein, dass die Strafe „in ihrem Wesenskern Ausgleich der Schuld sei“.29 Dem entsprach dann auch acht Jahre später der Entwurf E 1962, in dem die Strafe definiert wurde als „Ausgleich für menschliche Schuld“30, welche in erster Linie der „Vergeltung des begangenen Unrechts“ diene und die daher „im Wesentlichen auf den Ausgleich der Schuld beschränkt sei“.31 „Ohne solchen Schuldvorwurf strafen zu wollen, würde den Sinn der Strafe verfälschen und sie zur sittlich farblosen Maßnahme machen, die zu politischen Zwecken mißbraucht werden könnte.“32
Das „sittliche Unwerturteil“ über die Tat und den Täter sollte ferner nicht nur nach der Höhe, sondern auch nach der Art der Strafe abgestuft werden können. 25 Auch der Alternativentwurf stimmte in diesem Punkt überein (AE-StGB 1966, S. 29); Kaufmann (JZ 1967, 553–560 [555]) sprach von einer „Binsenweisheit“. 26 Vgl. Dreher, ZStW 66 (1954), 568–588 (571 f.); Jescheck, ZStW 75 (1963), 1–15 (3 ff.); im endgültigen Entwurf hielt man sogar geringfügige Überschreitungen dieses Rahmens für möglich. Die Strafe dürfe sich aber „nicht so weit von dem durch die Schuld gebotenen Maß entfernen, daß sie aufhört, Strafe, nämlich gerechter Ausgleich für menschliche Schuld zu sein.“ (BT-Drs. IV/650, S. 96); vgl. dazu auch Baumann, in: Streitschriften, S. 135–157 (146 f.). 27 Vgl. dazu Aure, in: forum historiae iuris (16.04.2002); Bruns, S. 263 ff. 28 Vgl. BGHSt. 7, 28 (ff.); der Bundesgerichtshof hatte schon zuvor eine aus straftheoretischer Sicht ähnliche Richtung mit Blick auf das Schuldprinzip angedeutet, vgl. BGHSt. 2, 194 (200 ff.); 3, 179 (ff.); zum Ganzen auch Bruns, S. 263 ff.; die Linie der Rechtsprechung (inkl. des Bundesverfassungsgerichtes) wird insofern zum Teil auch als „vergeltende Vereinigungstheorie“ bezeichnet, vgl. etwa Rengier, S. 12; Krey/Esser, S. 62. 29 Vgl. Dreher, ZStW 66 (1954), 568–588 (568 ff.). 30 BT-Drs. IV/650, S. 96. 31 A. a. O., S. 94; erst nachrangig war sodann von der „Verfolgung weiterer general- und spezialpräventiver Zwecke“ die Rede, vgl. a. a. O, S. 226. 32 A. a. O., S. 96; vgl. zum Ganzen auch a. a. O., S. 93 ff., 164 ff.; 195 ff., 205, 218.
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Insofern sah der Entwurf – je nach Schwere der Tat – drei verschiedene Arten von Freiheitsstrafen vor: Zuchthaus, Gefängnis und Strafhaft. In ihnen sollte sich der Unwert der Tat widerspiegeln, auch wenn man erkannte, dass die stigmatisierenden Wirkungen etwa der Zuchthausstrafe es dem Täter sehr schwer machen würden, in die Gemeinschaft zurückzufinden.33 Dass die spezialpräventiven Gedanken völlig im Hintergrund rangierten, zeigten schließlich die Diskussionen um den materiellen Inhalt des Schuldbegriffs. Auch hier wollte man nämlich einem Eindringen der Spezialprävention (gewissermaßen durch die Hintertür) vorbeugen. Der Schuldbegriff des Entwurfs sollte insofern als „Tatschuld“ und nicht etwa als „Lebensführungsschuld“ zu verstehen sein – darauf wies man früh und explizit gegenüber denjenigen Kommissionsmitgliedern hin, welche der modernen Schule nahestanden (etwa dem Liszt-Schüler und Fortführer seines Strafrechtslehrbuchs Eberhard Schmidt, der diese Möglichkeit favorisiert hatte)34. Ein derartiges Verständnis – das hatte nicht zuletzt die NS-Zeit offenbart – lief nämlich faktisch auf eine Straftheorie hinaus, die sich einzig an den Bedürfnissen der Spezialprävention orientieren musste.35 Diese Grundausrichtung der modernen Schule, welche das Strafrecht eher als eine Art Seuchenbekämpfung betrachtete und Schuld insofern nicht als ethisch-moralisches Konstrukt, sondern als „Behandlungsbedürftigkeit“ verstand, lehnte man ausdrücklich ab: „Der Entwurf ist da anderer Meinung“, hieß es bei Hans-Heinrich Jescheck – auch und gerade im Hinblick auf die zwischenzeitlich getroffenen Wertungen des Grundgesetzes, welches als Reaktion auf die Erfahrungen der NS-Zeit an seinen Anfang den Schutz der Würde des Menschen gestellt hatte.36 b) Das Strafrecht als Instrument der Sittenbildung Die Übereinstimmungen mit dem unmittelbar aus der Aufklärung hervorgegangenen Vergeltungsdenken hatten allerdings auch ihre Grenzen. Vom kantischen Rechtsverständnis etwa war nichts mehr übrig, nicht einmal was etwaige Reste im Rechtsgutsgedanken betraf, von dem man sich ausdrücklich distanzierte: „Der Standpunkt, daß eine Strafdrohung nur da berechtigt sei, wo der Schutz eines bestimmten Rechtsgutes in Frage stehe, ist weder in der strafrechtlichen Dogmatik allgemein anerkannt, 33 A. a. O.,
S. 98; das alte StGB von 1871 hatte gar noch vier Arten der Freiheitsstrafe gekannt, sodass man in gewisser Weise schon eher liberal unterwegs war, vgl. Roxin/Greco, § 4 Rn. 2, 25 f. 34 Vgl. auch Schmidt, ZStW 67 (1955), 177–195; ders., ZStW 69 (1957), 359–396. 35 BT-Drs. IV/650, S. 94 ff.; zur Diskussion Dreher, ZStW 66 (1954), 568–588 (570 f.). 36 Jescheck, ZStW 75 (1963), 1–15 (8); vgl. zum Ganzen auch Bruns, S. 285 ff.; speziell zu dieser Entwicklung und zum Schutz der Menschenwürde im Strafrecht ferner Knauer, ZStW 126 (2014), 304–336.
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noch ist er bisher für die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Strafrechts ausschließliche Richtschnur gewesen. Zwar dienen die strafrechtlichen Normen weitaus überwiegend dem Rechtsgüterschutz; das schließt aber nicht aus, bestimmte Fälle ethisch besonders verwerflichen und nach der allgemeinen Überzeugung schändlichen Verhaltens auch dann mit Strafe zu bedrohen, wenn durch die einzelne Tat kein unmittelbar bestimmbares Rechtsgut verletzt wird. Das muß vor allem gelten, wenn solches Verhalten seiner Natur nach die Tendenz in sich trägt, auf Dritte überzugreifen und damit die Anfälligkeit dafür im Volke auszubreiten.“37
Dahinter steckte letztlich die Frage, ob der Staat auch Verhaltensweisen bestrafen dürfe, welche er zwar für moralisch anstößig hielt, welche aber an sich nicht in die Rechte anderer Individuen eingriffen. Die Praxis der Nachkriegszeit hatte durchaus Anlass dazu gegeben, ernsthaft über eine erneute idealistische Trennung des Rechts von den staatlichen Vorstellungen von Moral und Sittlichkeit nachzudenken. Der naturrechtlich aufgeladene (und selbstverständlich auch vom christlichen Denken stark geprägte)38 Zeitgeist führte allerdings dazu, dass sich der Entwurf E 1962 dieser Selbstbeschränkung des Rechts nicht anschloss. Vielmehr wollte man „durch die sittenbildende Kraft des Strafgesetzes einen Damm gegen die Ausbreitung lasterhaften Treibens“ errichten.39 So kam es in den zwölf Jahren von 1953–1965 zu etwa 50.000 Verurteilungen wegen Homosexualität – die gleiche Anzahl wie in den zwölf Jahren der NS-Diktatur.40 Die Strafe für Ehebruch wollte der Entwurf E 1962 gar erhöhen. Nicht zu Unrecht konstatierte Claus Roxin deshalb bald eine „rüstig fortschreitende Ausdehnung der Sittlichkeits delikte im E 1962“.41
2. Der Alternativ-Entwurf 1966 a) Die antiautoritäre Bewegung der 60er Jahre Der Widerstand in der Gesellschaft und damit natürlich auch in der Strafrechtswissenschaft ließ allerdings nicht lange auf sich warten. Die Willkürlichkeit der naturrechtlich-auffindbaren Ergebnisse und insbesondere das autoritäre Auftreten des Staates im moralisch aufgeladenen Strafrecht trafen in den 60er-Jahren auf eine (internationale) gesellschaftliche Protestbewegung, sie sich gegen Missstände in verschiedenen Bereichen wandte. Dabei ging es neben den bekannten 37
BT-Drs. IV/650, S. 376. Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (262). 39 BT-Drs. IV/650, S. 377; zum christlich geprägten Naturrecht der Nachkriegszeit vgl. auch Künnecke, RphZ 2015, S. 84–105 (100 ff.). 40 Im Verhältnis zur Einwohnerzahl lag die Verurteilungsdichte in der Nachkriegszeit sogar um 15 Prozent höher, vgl. zum Ganzen Wesel, Geschichte, S. 574 (Rn. 338). 41 Roxin, ZStW 81 (1969), 613–649 (625). 38 Vgl.
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Forderungen nach sexueller Freiheit gerade in Deutschland auch um die staat liche Aufarbeitung des NS-Regimes, welche im Bereich der Reform des Strafrechts bisher hauptsächlich auf die schon so lange geplante „Große Strafrechtsreform“ verweisen konnte.42 Gleichzeitig gerieten wieder die Kriminalstatistiken in den Fokus der Aufmerksamkeit. So war trotz der moralisch-autoritären Form des Vergeltungsstrafrechts die Zahl der gemeldeten Fälle von 1.491.120 im Jahr 195343 auf 2.106.469 im Jahr 1962 gestiegen.44 Im Gleichlauf mit dem Staatsverständnis stand so wieder einmal die vorherrschende Straftheorie im Schussfeld – und damit auch der am Vergeltungsgedanken festhaltende Entwurf E 1962. b) Die Phase der Behandlungs- und Resozialisierungseuphorie Die in Teilen widersprüchliche Mischung aus antiautoritären Forderungen nach einem Rückzug des Staates auf der einen und sozialstaatlichen oder gar sozialistischen Forderungen auf der anderen Seite war in der Gesellschaft präsent.45 Gleichzeitig schwappte aus dem Ausland eine Welle des Behandlungs- und Re sozialisierungsoptimismus in den deutschen Raum über. International war den spezialpräventiven Grundgedanken eine Radikalisierung wie im NS-Regime und ein damit verbundener („schockbedingter“) kriminologischer Forschungsknick erspart geblieben. In den USA und in Skandinavien schritt die Entwicklung eines Behandlungsstrafrechts daher zwischenzeitlich weiter fort. In den 60er-Jahren strömten die verschiedenen Erkenntnisse schließlich – ebenso wie aus Italien und Frankreich die Lehren einer „Sozialen Verteidigung“ – in die deutsche Diskussion46 und sorgten so für ein Wiederaufflammen der euphorischen Aufbruchstimmung der Vorkriegszeit, in der sämtliche spezialpräventive „Versprechen in die Zukunft“ wieder neu aufgegriffen wurden.47 Forderungen wie „Heilen statt Strafen“ oder „Strafen als Hilfe“ belebten den straftheoretischen Schulenstreit in gewisser Weise neu. Sie passten insofern zum staatskritischen Zeitgeist, als „dem sanktionierenden Staat das Odium des Ker42 Vgl. zu den gesellschaftlichen Entwicklungen ausführlich Kubink, S. 408 ff.; Stäcker, S. 207 ff. 43 PKS BRD 1953, Blatt 4. 44 PKS BRD 1962, S. 1; vgl. zum Ganzen auch Kubink, S. 417 f.; Quensel, in: Alternativentwurf, S. 50–55; Stäcker, S. 209 f. 45 Kubink, S. 407 ff., 414 ff. 46 Vgl. Roxin, FS Gagnér, S. 341–356 (344); zu den Konzepten einer „sozialen Verteidigung“ aus Italien (Filippo Gramatica) und Frankreich (Marc Ancel) vgl. Kubink, S. 420 ff.; zum Behandlungsdenken in den USA auch Weigend, ZStW 94 (1982), 801–814 (805 ff.). 47 Vgl. zu diesen Versprechen Teil II – Kapitel 5III.5; zum Ganzen auch Bock, JuS 1994, 89–99 (93); ders., ZStW 102 (1990), 504–533 (505); Göppinger/Bock, Kriminologie, § 2 Rn. 59 ff.; Mushoff, S. 138.
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kermeisters genommen und ihm dafür die Würde des Arztes übertragen werden konnte.“48 Der „Abschied von Kant und Hegel“49, wie ihn Ulrich Klug als Antwort auf die vergeltungsorientierten Strömungen und den Entwurf E 1962 forderte, war Ausdruck einer neuen Verbindung zwischen antiautoritärem Zeitgeist und der neu aufblühenden, spezialpräventiv ausgerichteten Schule, die mit ihren Entkriminalisierungstendenzen (gerade gegenüber den zahlreichen Strafschärfungen des Regierungsentwurfs E 1962) nun erneut als „modern“ gelten konnte.50 c) Der Alternativ-Entwurf der Strafrechtslehrer von 1966 Dieser neuen Strömung lässt sich sodann auch der Alternativ-Entwurf der Straf rechtslehrer zu einem neuen Strafgesetzbuch (AE-StGB 1966) zuordnen. Auf Initiative des Tübinger Strafrechtsprofessors Jürgen Baumann, welcher sich von Anfang an gegen die Ansätze der Großen Strafrechtskommission ausgesprochen hatte, veröffentlichte eine Gruppe von 14 vorwiegend jüngeren Strafrechtslehrern im Jahr 1966 einen Alternativentwurf zu einem neuen Strafgesetzbuch, welcher 1967 von der FDP-Fraktion im Bundestag eingebracht wurde.51 Im Kampf gegen die bestehenden Strukturen und den an diesen festhaltenden Regierungsentwurf E 1962, welchen man als „verstaubt, kleinbürgerlich, moraltriefend, an vielen Stellen verlogen“52 betrachtete, hatte man sich der „Entmetaphysizierung“, „Entmoralisierung“, „Liberalisierung“ und „Humanisierung“ des Strafrechts verschrieben.53 aa) Die Herrschaft der Spezialprävention Vor diesem Hintergrund bezog der Alternativentwurf nun ausdrücklich Stellung zur Frage des Strafzwecks – und zwar in seinem § 2, dessen erster Absatz lautete: „Strafen und Maßregeln dienen dem Schutz der Rechtsgüter und der Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschaft.“
Angesprochen waren damit die relativen Straftheorien, wobei der Schwerpunkt ausdrücklich auf den spezialpräventiven Wirkungen liegen sollte, durch welche 48
Kubink, S. 419. Klug, in: Alternativentwurf, S. 36–41 („Es ist hohe Zeit, die Straftheorien von Kant und Hegel mit ihren irrationalen gedankenlyrischen Exzessen in all ihrer erkenntnistheoretischen, logischen und moralischen Fragwürdigkeit zu verabschieden.“, a. a. O., S. 41). 50 Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 242 f. 51 BT-Drs. V/2285; vgl. zum Ganzen auch Greco/Roger, JZ 2016, 1125–1133. 52 Baumann, in: Streitschriften, S. 14–32 (29). 53 So die schlagwortartige Zusammenfassung des Mitverfassers Claus Roxin (in: Alternativ entwurf, S. 75–92 [77]). 49 Vgl.
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237
die Rechtsordnung am besten vor dem Rechtsbrecher geschützt werden könne.54 Die Verwendung des Rechtsgutsbegriffs brachte ferner die Reformforderungen nach einer Entkriminalisierung bloß moralisch verwerflicher Handlungen zum Ausdruck – also jener „Straftaten gegen die Sittenordnung“, welche die äußere Friedensordnung nicht störten.55 bb) Präventionsgedanke und Schuldbegriff Der vergeltende Schuldausgleich hingegen – darin waren sich die Verfasser des Alternativentwurfs einig –56 sollte aus der Strafbegründung bewusst ausgenommen werden: „Strafe zu verhängen ist kein metaphysischer Vorgang, sondern eine bittere Notwendigkeit in einer Gemeinschaft unvollkommener Wesen, wie sie die Menschen nun einmal sind.“57
Dennoch wollte man nach den Erfahrungen der NS-Zeit auf den Schuldgedanken nicht verzichten, insofern lautete der zweite Absatz des § 2 AE-StGB: „Die Strafe darf das Maß der Tatschuld nicht überschreiten, die Maßregel nur bei überwiegendem öffentlichem Interesse angeordnet werden.“
Als begrenzendem Faktor gestand man der Schuld damit weiterhin eine zentrale Rolle zu. Die Strafe sollte also nicht aus spezialpräventiven Gründen (oder um in generalpräventiver Hinsicht ein abschreckendes Beispiel zu statuieren) über das Maß der Schuld hinaus ausgeweitet werden können. Damit dieser Schuldbegriff aber nicht wiederum nur zum Einfallstor für präventive Erwägungen werden konnte, sollte die „Tatschuld“ explizit im Gesetzestext verankert werden. Insofern hielt man auch an der „Zweispurigkeit“ des Sanktionensystems fest, wenngleich man sich mit der Angleichung der individualpräventiven Zielsetzungen einem einspurigen System doch deutlich annäherte.58
3. Die Gesetze zur Reform des Strafrechts Dem Sonderausschuss für die Strafrechtsreform lagen sodann sowohl der Regie rungs- als auch der Alternativ-Entwurf vor. Während letzterer neben einer natur wissenschaftlichen Begründung der Strafe dem Strafrecht mit dem Rechtsgutsund dem Schuldgedanken in gewisser Weise naturrechtlich-philosophische Grenzen zu setzen suchte, lag dem Regierungsentwurf gerade das umgekehrte 54 Vgl.
AE-StGB 1966, S. 29; Roxin, ZStW 81 (1969), 613–649 (617 ff.). Roxin, ZStW 81 (1969), 613–649 (622 ff.); Kubink, S. 430 ff. 56 Vgl. Roxin, ZStW 81 (1969), 613–649 (619 [Fn. 23]). 57 AE-StGB 1966, S. 29; vgl. dazu auch Kaufmann, JZ 1967, 553–560. 58 Vgl. Kubink, S. 434 f. 55 Vgl.
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Teil II
Verhältnis (metaphysische Begründung – naturwissenschaftliche Ergänzung und Begrenzung) zugrunde. Nach langen Debatten wurden in den Jahren 1969 bis 1975 schließlich die ersten fünf Gesetze zur Reform des Strafrechts verabschiedet, von denen sich vor allem das erste (1. StrRG vom 25. Juni 1969) mit den hier interessierenden Fragen beschäftigte. – Das Ergebnis war eine Art Kompromiss zwischen den verschiedenen Strömungen, in dem beide Seiten einige Erfolge verzeichnen konnten.59 a) Die Straftheorie In der Frage nach dem Zweck der Strafe blieb man – gerade im Vergleich zum Alternativ-Entwurf, welcher sich ja auch im Gesetzestext ausdrücklich positionieren wollte – eher zurückhaltend. Sämtliche Strafzwecke fanden ihre Erwähnung, wobei man, gerade was ihr Verhältnis zueinander betraf, klare Angaben vermied. Dennoch sollte dem Gesetzgeber als Reaktion auf die bekannten Missstände60 ein Instrument der Strafzumessung an die Hand gegeben werden. Vor diesem Hintergrund lassen sich gerade mit Blick auf den historischen Gang doch einige Grundlinien erkennen. So lautete der erste Satz des damaligen § 13 StGB (heute wortgleich § 46 I 1 StGB): „Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe.“
Das war zunächst eine Übernahme von § 60 des Entwurfs E 1962 und insofern eine Absage an den Alternativ-Entwurf, der sich ausdrücklich zur Spezialprävention als Hauptzweck bekannt und diese auch systematisch vor die Ausführungen zur Schuld gestellt hatte.61 – Dennoch folgte im zweiten Satz des § 13 StGB (heute wortgleich § 46 I 2 StGB): „Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.“
Wie sich die beiden Sätze konkret zueinander verhalten, ist bis heute umstritten.62 Im Grunde entsprach und entspricht die Regelung aber den Vorstellungen des Entwurfs E 1962, sodass hier letztlich wohl die „Spielraumtheorie“ ihren 59 „Der Sonderausschuß hat sich bei seinen Arbeiten bemüht, aus den ihm überwiesenen Entwürfen […] die besten Gedanken zu übernehmen und gewissermaßen eine Brücke zwischen den verschiedenen Standorten zu schlagen.“ (BT-Drs. V/4094, S. 3). 60 Vgl. Teil II – Kapitel 5III.1.a). 61 Dieses Konzept fand im Sonderausschuss keine Mehrheit, vgl. BT-Drs. V/4094, S. 4 f. 62 Stratenwerth (S. 14) sprach bald von einer „mißglückte[n], weil nichtssagende[n] und unbestimmte[n] Regelung“ und führte weiter an: „Eine Regelung des Verhältnisses von Schuld und Prävention, die noch weniger Klarheit schaffen würde als § 13 I, ist nach alledem schwer vorstellbar.“; vgl. auch Schreiber, ZStW 94 (1982), 279–298 (285 ff.).
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Ausdruck gefunden hat, in der die „Schuld“ eine echte Strafbegründungsschuld ist und keine reine Begrenzungsfunktion hat.63 Zwar ergibt sich aus den Begründungen des Sonderausschusses, dass man dem Vergeltungsgedanken nicht das dominante Gewicht beimessen wollte, welches dieser noch im Entwurf E 1962 gehabt hatte – etwa wenn es um den Ausschluss der Bewährungsstrafe aus Gründen der Vergeltung ging.64 Gerade im Rahmen der Spielraumtheorie sollte dieser Gedanke aber weiter die zentrale Rolle spielen. So sieht es in ständiger Rechtsprechung dann auch der Bundesgerichtshof,65 und sogar das in dieser Hinsicht eher zurückhaltende Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Interpretation angeschlossen: „Das BVerfG hat sich wiederholt mit Sinn und Zweck des staatlichen Strafens befasst, ohne zu den in der Wissenschaft vertretenen Straftheorien im Einzelnen Stellung zu nehmen. Es kann nicht seine Aufgabe sein, den Theorienstreit in der Strafrechtswissenschaft von Verfassungs wegen zu entscheiden. Der Gesetzgeber hat zu den Strafzwecken ebenfalls nicht abschließend Stellung genommen und sich mit einer begrenzt offenen Regelung begnügt, die keiner der wissenschaftlich anerkannten Theorien die weitere Entwicklung versperrt (vgl. § 46 StGB). Das Gesetz ist dabei weitgehend der so genannten Vereinigungstheorie gefolgt, die sämtliche Strafzwecke in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander zu bringen versucht. Dies hält sich im Rahmen der dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen zukommenden Gestaltungsfreiheit. Demgemäß hat das BVerfG in seiner Rechtsprechung nicht nur den Strafzweck des Schuldausgleichs betont, sondern auch andere Strafzwecke, wie etwa die Prävention oder die Resozialisierung des Täters, anerkannt […]. Das Schuldprinzip kennzeichnet die Strafe in besonderer Weise. Die Strafe ist eine repressive Übelzufügung als Reaktion auf schuldhaftes Verhalten, die dem Schuldausgleich dient […]. An dieser zentralen Funktion der Strafe hat sich nichts dadurch geändert, dass der Gesetzgeber im Jahre 1970 mit § 46 StGB ausdrücklich spezialpräventive Strafzumessungsgründe in das Gesetz aufgenommen hat. Grundlage für die Zumessung der Strafe ist nach § 46 I 1 StGB unverändert die Schuld des Täters. Das Maß der individuellen Schuld bildet den Rahmen für die Strafzumessung. Innerhalb dieses Rahmens wird den anerkannten Strafzwecken Raum gegeben, um das Strafmaß im konkreten Fall zu ermitteln.“66
b) Liberalisierung von Rechtsfolgen und materiellem Recht Auch die Autoren des Alternativ-Entwurfs konnten aber einige klare Erfolge verzeichnen. So benannte der Sonderausschuss bereits zu Beginn seiner Begründung als die ihn leitenden Gesichtspunkte neben der „schuldangemessenen und 63 Vgl.
BT-Drs. V/4094, S. 4 f. Vgl. a. a. O., S. 9 f., 11. 65 Vgl. BGHSt. 7, 28 (32); BGHSt. 20, 264 (266 f.); BGHSt. 24, 132 (133 f.). 66 BVerfGE 109, 133 (173); vgl. zum Ganzen auch BVerfGE 45, 187 (253 f.) mit weiteren Nachweisen; BVerfGE 7, 305 (319); 9, 167 (169); 20, 323 (331); 25, 269 (285f); 54, 100 (108); 58, 159 (162), 91, 1 (27); 105, 135 (153); vgl. auch BVerfGE 110, 1 (13): „Mit der Strafe wird ein rechtswidriges sozial-ethisches Fehlverhalten vergolten. Das dem Täter auferlegte Strafübel soll den schuldhaften Normverstoß ausgleichen; es ist Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit.“ 64
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Teil II
gerechten Beurteilung der Tat“ auch „die moderne Ausgestaltung des Sanktionensystems als taugliches Instrument der Kriminalpolitik mit dem Ziel einer Verhütung künftiger Straftaten, vor allem durch Resozialisierung des Straftäters“ und „die Beschränkung des Strafrechts auf das unbedingt Notwendige durch Entfernung aller Bestimmungen, für die kein kriminalpolitisches Bedürfnis besteht, und die Einhaltung des Toleranzgedankens.“67 Insbesondere im Bereich des Sanktionensystems und im materiellen Strafrecht zeigte sich, dass man dem Resozialisierungs- und auch dem Rechtsgüter schutzgedanken (so wie er von den Autoren des AE-StGB 1966 interpretiert wurde) ein weitaus höheres Gewicht beimaß, als dies noch der Regierungsentwurf getan hatte. So wurden bei den Rechtsfolgen das „Zuchthaus“ und das „Gefängnis“ durch eine einheitliche Freiheitsstrafe ersetzt. Kurze Freiheitsstrafen (die den Täter eher in Kontakt mit weiteren Kriminellen brächten, als dass sie ausreichend Gelegenheit zur positiven Einwirkung geben könnten) sollten zwar nicht komplett abgeschafft – wie vom AE-StGB 1966 gefordert – aber doch weitestgehend vermieden und durch Geld- und Bewährungsstrafen ersetzt werden.68 Auch im materiellen Recht – insbesondere im Bereich der Sittlichkeitsdelikte und im politischen Strafrecht – schloss man sich in weiten Teilen den Entkriminalisierungsvorschlägen des Alternativ-Entwurfs an.69 Anders als die mit ihm begründeten Forderungen blieb die explizite Aufnahme des Rechtsgüterschutzgedankens in das Gesetz selbst allerdings aus. Zwar erwähnte man die zugrundeliegenden Gedanken – wie auch den Begriff des Rechtsgüterschutzes – in der Begründung zahlreich, man betrachtete ihn aber (etwas widersprüchlich) als zu problematisch und umstritten, um ihn selbst in den Gesetzestext aufzunehmen.70 Das Bundesverfassungsgericht bestätigte diese Entscheidung insoweit, als es in seinem „Inzest-Beschluss“ aus dem Jahr 2008 anführte, dass eine Begrenzung des Strafgesetzgebers einzig aus der Verfassung selbst folgen könne, sich aus dem Grundgesetz aber keine Bindung an 67
BT-Drs. V/4094, S. 3. S. 5 f.; einen weiteren Teilerfolg landete man ferner mit der Einführung des Instituts der „sozialtherapeutischen Anstalt“, in welches der Alternativentwurf große Hoffnungen gesetzt hatte, vgl. AE-StGB 1966, S. 126 ff. („eine der wichtigsten Neuerungen“ [a. a. O., S. 127]); dazu auch Roxin, ZStW 81 (1969), 613–649 (644). Der im Zweiten Strafrechtsreform gesetz vom 04.07.1969 zunächst vorgesehene § 65 StGB, welcher die Unterbringung in einer sozialtherapeutischen Anstalt als neue Maßregel der Besserung und Sicherung normierte, trat zwar nie in Kraft. Im Jahr 1984 wurden die entsprechenden Regelungen aber in das Strafvollzugsrecht überführt, sodass die Sozialtherapie bis heute – insbesondere bei Sexualstraftätern – Anwendung findet, vgl. zum Ganzen Egg, in: Strafvollzug, S. 55–68 (55 ff.); Pollähne, NKStGB § 61 Rn. 3 ff. 69 Dazu Kubink, S. 461 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 243. 70 Vgl. BT-Drucks. V/4094, S. 6. 68 A. a. O.,
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einen überpositiven „Rechtsgutsbegriff“ ergebe. Der Begriff des Rechtsguts – über den ohnehin keine Einigkeit besteht –71 sei aber auch grundsätzlich nicht geeignet, inhaltliche Maßstäbe für eine Begrenzung des Strafrechts zu liefern.72 Der damalige Vizepräsident des Bundesverfas sungsgerichtes Winfried Hassemer (selbst Anhänger der „Rechtsgutslehre“), welcher sich in der genannten Entscheidung in einem Sondervotum kritisch geäußert hatte, konstatierte deshalb auf der Strafrechtslehrertagung 2013 in Zürich: „Das Rechtsgut ist tot.“73 (Eine Feststellung, die sich zumindest auf die wissenschaftliche Diskussion nicht übertragen lässt, in welcher der Rechtsgutsgedanke – trotz fortschreitender Kritik – auch in seiner systemkritischen, kriminalpolitisch begrenzenden Funktion noch immer weit verbreitet ist.)74
Die Erfolge der modernen Schule, deren Wiedererwachen nicht zuletzt im Alternativ-Entwurf gemündet hatte, waren dennoch nicht zu übersehen. Lange vor der Phase des Behandlungs- und Resozialisierungsoptimismus hatte Gustav Radbruch bezüglich seines verehrten Lehrers Franz von Liszt und dessen spezialpräventiven Ansichten folgende Frage in den Raum gestellt: „Aber wird dieser unruhige Geist es ertragen, still im Grabe zu liegen unter der Grabplatte des historischen Ruhms, mit der man ihn sorglich zugedeckt hat? Wird er nicht eines Tages unversehens wieder auferstehen und in lebendiger Wirksamkeit unter uns wandeln?“75
Mit dem Ersten Gesetz zur Reform des Strafrechts konnte man diese Frage nun beantworten und ohne Zweifel von einer Wiederauferstehung der modernen Schule und der reformatorischen Vorschläge von Liszts und Radbruchs sprechen.76
71
Vgl. nur Roxin/Greco, § 2 Rn. 3 mit zahlreichen Nachweisen. BVerfGE 120, 224 (241 f.); die Hilflosigkeit des Rechtsgutsbegriffs zeigt sich insbesondere bei Delikten, die im weiteren oder engeren Sinne dem Schutz von Gefühlen dienen. Beispielhaft seien genannt: die Ehrdelikte (§§ 185 ff. StGB), die Holocaustleugnung (§ 130 III StGB), die Belohnung und Billigung von Straftaten (§ 140 StGB), die Straftaten die sich auf Religion und Weltanschauung beziehen (§§ 166 ff. StGB), der Beischlaf zwischen Verwandten (§ 173 StGB) oder auch öffentlich sexuelle und exhibitionistische Handlungen (§§ 183, 183a StGB). Auch hier wird man in der Regel von rein moralischen Verhaltensanforderungen sprechen müssen. Dennoch schreckt man auch auf Seiten der Vertreter der Rechtsgutslehre häufig vor entkriminalisierenden Konsequenzen zurück, vgl. zum Ganzen Hörnle, in: Rechtsgutstheorie, S. 268–280; Wohlers, in: Rechtsgutstheorie, S. 281–285. 73 Zitiert nach dem „Ohrenzeugen“ T. Walter (JZ 2019, 649–656 [651 f.]); ebenso Börner, Jura 2014, 1258–1262 (1260); zum Sondervotum vgl. BVerfGE 120, 224 (255 ff.). 74 Vgl. dazu die verschiedenen Beiträge in Hefendehl/Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie; vgl. auch Kubiciel/Weigend, KriPoZ 2019, S. 35–40; Roxin/Greco, § 2 Rn. 2 ff. 75 Radbruch, in: Biographische Schriften, S. 27–48 (48). 76 Vgl. auch Stäcker, S. 217 ff.; Roxin/Greco, § 4 Rn. 23; einen Überblick über die zahlreichen spezialpräventiven Errungenschaften gibt auch Horstkotte, JZ 1970, 122–128. 72
Kapitel 8
Der Siegeszug der positiven Generalprävention I. Das schnelle Ende der Behandlungseuphorie „Der Sieg läßt aber keine rechte Freude aufkommen. Es drängt sich die Frage auf, ob der endgültige Durchbruch des Resozialisierungsgedankens nicht etwa in eine Zeit fällt, in der sich geistige und ethische Wandlungen vollziehen, unter denen eine Resozialisierung wegen des fehlenden Fundaments nicht mehr möglich ist. Die Schlacht könnte gewonnen, der Krieg aber verloren sein.“1
1. „Nothing works!“ und die (erneute) Legitimationskrise In gewisser Weise war die Strafzweckdiskussion auf den Stand vor dem zweiten Weltkrieg zurückgekehrt. Wieder wähnten weite Teile der Wissenschaft die Lösung für das Kriminalitätsproblem in der Behandlung und Resozialisierung des Täters. Wieder hatte die euphorische Bewegung weitreichende gesetzliche Er folge hervorgebracht; und wieder fußten diese Erfolge in großen Teilen auf der Wissenschaftlichkeit des spezialpräventiven Ansatzes. So berief man sich ausdrücklich auf empirisch nachweisbare Zusammenhänge und schien insofern den (nicht mehr zeitgemäßen) Konzepten, die ihren Aufhänger im philosophischen und metaphysischen Raum hatten, überlegen. Die Spezialprävention hatte ohne Zweifel einen Sieg eingefahren. Wieder aber war dieser Sieg allein durch diverse Versprechen in die Zukunft errungen worden. Sämtliche Konzepte und Neuregelungen basierten auf (für plausibel befundenen) Hypothesen über empirische Zusammenhänge, deren Beweis die zuständige Disziplin der Kriminologie erst noch liefern musste. So kam es zunächst zur vermehrten Förderung kriminologischer Prognose- und Sanktionsforschung und insofern zu einem rasanten Wachstum der Kriminologie an sich.2 Der euphorische Aufschwung fand sein abruptes Ende allerdings mit seinen eigenen, enttäuschenden Ergebnissen. Ihren Ausgangspunkt nahm die Welle der Ernüchterung erneut in den USA. Der Soziologe Robert Mattinson hatte im Jahr 1974 die Frage aufgeworfen, welche Behandlungsmethoden denn nun wirklich 1
Peters, FS Heinitz, S. 501–516 (501). Bock, ZStW 102 (1990), 504–533 (505), ders., JuS 1994, 89–99 (93).
2 Vgl.
Kapitel 8: Der Siegeszug der positiven Generalprävention
243
wirkten: „What works?“ lautete der Titel seines Forschungsberichtes, in dem er die allesamt ernüchternden Ergebnisse der amerikanischen Forschung zusammenfasste.3 Die entsprechende Antwort war bald weltweit unter dem Schlagwort „Nothing works!“ in aller Munde.4 Der Behandlungsgedanke schien wissenschaftlich widerlegt.5 Auch im deutschen Raum blieben die enttäuschenden Erkenntnisse nicht ungehört. Etwas gemäßigter war hier etwa von der „Austauschbarkeit der Sanktionen“6 die Rede und man konstatierte nach der nur kurzen Euphorie bereits die „Resozialisierung in der Krise“7. Die Wirkungen, welche Martinsons Bericht und ganz generell die Forschungsergebnisse dieser Zeit in der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit auslösten, waren weitreichend. Der Behandlungs- und Resozialisierungsgedanke – und damit auch die Theorie der Spezialprävention – litten enorm unter der Last der empirischen Daten.8 Das moderne Strafrecht, das an sich selbst mittlerweile weitestgehend den Anspruch eines wissenschaftlichen – und nicht eines rein metaphy sisch-philosophischen – Fundaments stellte, befand sich schlagartig in einer erneuten Legitimationskrise.
2. Der Abolitionismus Nicht alle bemühten sich in der Folge darum, die aufgekommene Legitimationslücke zu schließen. Abolitionistische Ansätze zogen aus den neuen Erkenntnissen vielmehr die Konsequenz, dass das augenfällig nutzlose Strafrecht an sich
3
Martinson, The Public Interest 35 (1974), S. 22–54. Klocke/Müller, StV 2014, 370–377 (373); Weigend, ZStW 94 (1982), 801–814 (808 ff.); zum Ganzen Göppinger/Schneider, Kriminologie, § 30 Rn. 41 ff. 5 Sicherlich hat man zwischen der Rezeption der Ergebnisse und ihrer tatsächlichen Aussagekraft zu unterscheiden. Die pauschale Zusammenfassung unter dem Schlagwort „Nothing Works!“ trug wohl weder der differenzierten Befundlage ausreichend Rechnung (auch und gerade mit Blick auf die methodischen Probleme), noch war eine solch generalisierende Betrachtung im Sinne ihres vermeintlichen Schöpfers Robert Mattinson, vgl. Bock, JuS 1994, 89–99 (93 ff.); Eisenberg/Kölbel, § 42 Rn. 7 ff.; kritisch auch Roxin, FS Gagnér, S. 341–356 (348 ff.). Spätere Untersuchungen ließen die Stimmung dann auch wieder etwas mehr ins Positive umschlagen, vgl. etwa Kury, FS Böhm, S. 251–274; dazu auch Roxin/Greco, § 3 Rn. 20. Insgesamt bleiben die Ergebnisse aber – gerade mit Blick auf die einstige Erwartungshaltung – bis heute eher ernüchternd, vgl. zum Ganzen Eisenberg/Kölbel, § 42 Rn. 1 ff. 6 Vgl. Eisenberg/Kölbel, § 42 Rn. 11; Streng, Sanktionen, S. 162 mit weiteren Nachweisen; dazu auch Albrecht/Dünkel/Spieß, MSchrKrim 64 (1981), 310–326. 7 Eser, FS Peters, S. 505–518; für die Lage in den USA fasste Jescheck (ZStW 91 [1979] 1037–1063 [1039]) zusammen: „Das alte ‚rehabilitative ideal‘ ist tot.“; kritisch auch L üderssen, in: Abschaffen, S. 132–152. 8 Vgl. auch Schreiber, ZStW 94 (1982), 279–298 (292 ff.). 4 Vgl.
244
Teil II
abgeschafft und ersetzt werden müsse.9 In der Wissenschaft erhielt diese Forderung Rückhalt aus der Strömung der „Kritischen Kriminologie“. Diese hatte sich rund um den ebenfalls aus den USA importierten „labelling-approach“ (Etikettierungsansatz)10 gebildet, welcher die deutschsprachige Diskussion in den 70er-Jahren förmlich überrollt hatte, und war vor dem Hintergrund der empirischen Rückschläge in der Behandlungsforschung vermehrt in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt.
3. Die Stunde der Soziologie Die abolitionistischen Schlussfolgerungen stießen in ihrer Entschiedenheit zwar auf wenig Anklang. Ihre soziologischen Grundanliegen trafen aber durchaus den Zahn der Zeit. Insofern lässt sich die Gruppe der „kritischen Kriminologen“ als Extrem einer generell zu beobachtenden Bewegung in der gesamten Kriminologie beschreiben. So verschob sich mit der schwindenden Glaubwürdigkeit des Behandlungs- und Resozialisierungsdenkens der Bezugspunkt der kriminologischen, aber auch strafrechtlichen Wissenschaft grundsätzlich vom Täter auf die Gesellschaft.11 Die Soziologie rückte in den Vordergrund und beeinflusste erstmals auch in großer Manier den straftheoretischen Diskurs, in welchem man gerade auf Hochtouren daran arbeitete, die entstandene Legitimationslücke zu schließen.
II. Die negative Generalprävention „Um Generalprävention braucht man sich nicht zu sorgen.“12
Die Gelassenheit, die aus dieser vielzitierten Feststellung des Strafrechtslehrers Eduard Kohlrausch aus dem Jahr 1927 spricht, scheint vor dem Hintergrund einer in dieser Zeit immer stärker werdenden modernen Schule bemerkenswert. Historisch gesehen erwies sie sich indes als völlig berechtigt und bis heute ließe sich seine Aussage so unverändert treffen. Der breite Einfluss negativ-general9 Vgl.
etwa Plack, S. 364 ff.; überblicksartig Schobloch, S. 15 ff.; Papendorf, KrimJ 48 (2016), 169–183; vgl. auch Hassemer, Grundlagen, S. 329 ff. 10 Der „Etikettierungsansatz“ sieht die Ursachen von Kriminalität nicht in der Person oder im Umfeld des Täters begründet. Er betrachtet Kriminalität als Ergebnis eines gesellschaft lichen Zuschreibungsprozesses, welcher wiederum selbst ein entscheidender Grund für (weiteres) abweichendes Verhalten sei, vgl. dazu Bock, Kriminologie, § 1 Rn. 46. 11 Vgl. Kubink, S. 478, 547; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 246. 12 Kohlrausch, in: Mitteilungen der IKV 3 (1928), S. 5–14 (14).
Kapitel 8: Der Siegeszug der positiven Generalprävention
245
präventiver Vorstellungen zu allen Zeiten menschlichen Strafens beruht auf einer gewissen „laienpsychologischen Evidenz“ des Konzepts.13 „Da wir alle von Kind auf erzieherisches Drohen kennen und uns oft genug dadurch in unserem Verhalten haben bestimmen lassen, scheint es in der Tat nahe zu liegen, dass auch das staatliche Gemeinwesen durch solch ernstliches Drohen Untaten zu verhüten sucht.“14
Dass Strafen grundsätzlich abschreckend wirken können, ist tatsächlich so offensichtlich wie unbestritten.15 Damit dies der Fall ist, müssen im Wesentlichen zwei Bedingungen zusammenkommen: Zum einen das (sichere) Wissen um die negativen Straffolgen des eigenen Verhaltens. Und zum anderen eine darauf aufbauende, rationale Abwägungsentscheidung. Dass diese beiden Bedingungen kumuliert auftreten können, zeigen uns beinahe täglich diverse Situationen im engeren sozialen Bereich. Und vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass negativ-generalpräventive Konzepte gerade in der Krise des Resozialisierungsgedankens ihre Chance witterten – verlangte diese doch nach einer schnellen und überzeugenden Schließung der aufgekommenen Legitimationslücke.16 Gerade in der wissenschaftlichen Diskussion konnten sich derartige Konzepte allerdings bis heute nicht durchsetzen.17 Ihre dortige Ablehnung beruht auf normativen wie auf empirischen Einwänden:
1. Normative Einwände „Die Vorstellung der generalpräventiven Theorie von der Strafwirkung ist in ihrer mechanistischen Vernünftigkeit eine menschenverachtende Vorstellung.“18
Aus normativer Sicht stehen bis heute in erster Linie die aus dem Idealismus hervorgegangenen Argumente im Raum, die dem Abschreckungsgedanken vorwerfen, er benutze den Täter nur als Mittel zum Zweck und menge ihn deshalb – 13
Roxin/Greco, § 3 Rn. 24; vgl. auch Streng, Sanktionen, S. 33 (Rn. 59), der von einer „selbstverständlich anmutenden alltagstheoretischen Annahme“ spricht. 14 Schmidhäuser, S. 62. 15 Vgl. auch Hassemer, Grundlagen, S. 315. 16 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 281; Schreiber, ZStW 94 (1982), 279–298 (297); ensprechende Konzepte finden sich etwa bei Hoerster, GA 1970, 272–281; Schmidhäu ser, S. 53 ff.; vgl. auch Schünemann, in: Positive Generalprävention, S. 109–123; zu weiteren Ansätzen vgl. die Übersicht bei Müller-Tuckfeld, S. 106 ff.; in jüngerer Zeit steht insbesondere Luis Greco (S. 359 ff., 379, 419 ff., 518 ff.) entsprechenden Erwägungen aufgeschlossen gegenüber. Er beschreibt seinen Ansatz als „funktionales Abschreckungsmodell“; vgl. auch die Nachweise bei Roxin/Greco, § 3 Rn. 25a. 17 Anders sah es in den USA aus, in denen das Abschreckungsdenken einen enormen Aufschwung erfuhr, vgl. Schöch, in: Rechtswissenschaft, S. 305–321 (316). 18 Hassemer, Grundlagen, S. 315.
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Teil II
in den Worten Kants – „unter die Gegenstände des Sachenrechts“.19 Der Täter werde also einzig bestraft, um andere, vermeintlich tatgeneigte Bürger abzuschrecken – eine Vorstellung, die mit dem modernen Menschenbild und der zwischenzeitlich in Art. 1 I GG festgelegten Achtung der Menschenwürde nur schwer zu vereinbaren sei.20
2. Empirische Einwände Aus empirischer Sicht hatte man zunächst die zweifelhaften „Erfolge“ des Feuerbach’schen Strafgesetzbuches im Hinterkopf.21 Hinzu kamen nun aber auch entsprechende Erkenntnisse der kriminologischen Wirkungsforschung, die zwar kein völlig einheitliches Bild lieferten, im Hinblick auf die tatsächlichen Erwartungen insgesamt aber nicht weniger ernüchternd ausfielen als ihre spe zialpräventiven Pendants.22 So mussten Karl F. Schumann und seine Kollegen im Jahr 1987 konstatieren: „[…] keine der Studien, die reales Verhalten in Zusammenhang mit Aspekten der Strafverfolgung gebracht haben […], ergab Anhaltspunkte für beachtliche abschreckende Wirkungen von Strafen, weder bezogen auf Schwere noch auf Wahrscheinlichkeit.“23
Dass Strafe grundsätzlich abschreckende Wirkung haben kann, ist im Grunde also unumstritten.24 Es zeigte sich allerdings recht bald, dass die angeführten, für die Abschreckungswirkung der Strafe nötigen Bedingungen auf gesellschaftli cher Ebene meist schlicht nicht im erforderlichen Maße gegeben sind. Insofern lässt sich die „laienpsychologische Evidenz“ der abschreckenden Strafwirkung also nicht so einfach aus dem Alltag auf die spezielle Form der staatlichen Strafe übertragen.25 19 Kant, Metaphysik, S. 331 f.; eine Dekonstruktion der Generalprävention auf dem Boden einer Philosophie der praktischen Vernunft liefert auch Köhler, Zusammenhang, S. 29 ff.; daneben wird dem Prinzip vorgeworfen, keinen Maßstab zu kennen, der dem Strafen selbst Grenzen setzen könne, vgl. Roxin/Greco, § 3 Rn. 32. 20 Vgl. Hassemer, Grundlagen, S. 309 f.; Naucke, in: Generalprävention, S. 9–28; Pawlik, Person, S. 23 ff.; Roxin/Greco, § 3 Rn. 32. 21 Siehe Teil II – Kapitel 5I.1. 22 Bock, JuS 1994, 89–99 (95 f.); Hassemer, in: Generalprävention, S. 29–53 (42 ff.); Müller- Tuckfeld, S. 100 ff.; Robinson, Intuitions, S. 21 ff.; Streng, Sanktionen, S. 30 ff.; vgl. auch die Metaanalyse von Eisele, S. 78 ff.; auch hier dürfen sämtliche Ergebnisse natürlich nicht überbewertet werden – die methodischen Grundprobleme sind hier selbstverständlich eher noch größer als im Rahmen der Forschung zu spezialpräventiven Effekten; einen positiveren Blick auf die Empirie liefert (auch vor diesem Hintergrund) Greco, S. 363 ff.; vgl. auch Vanberg, S. 37 ff. 23 Schumann u. a., Grenzen, S. 12. 24 Vgl. auch Hörnle, Straftheorien, S. 26 mit Hinweis auf neuere Studien. 25 Vgl. auch Kunz/Singelnstein, § 20 Rn. 22 f.
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a) Das (sichere) Wissen von den Straffolgen Das betrifft zunächst die erste Bedingung: das (sichere) Wissen von den negativen Straffolgen.26 Gerade was das staatliche Strafrecht betrifft, so kennt der Täter zumindest die konkret angedrohte Strafhöhe in aller Regel nicht.27 Nun lässt sich freilich anführen, dass es auf dieses konkrete Wissen auch gar nicht ankommt, immerhin dürfte der Täter – schon wenn ihm die generelle Strafbarkeit des eigenen Verhaltens bekannt ist – in der Regel davon ausgehen, dass die drohenden Straffolgen die zu erwartenden Vorteile der Tat überwiegen. Zum einen wird ihm in vielen Fällen aber nicht einmal diese generelle Strafbarkeit des Verhaltens bekannt sein. – Und das nicht nur in den mittlerweile unendlichen Weiten des Nebenstrafrechts, in dem etwa abgelegene handels- und verwaltungsrechtliche Pflichten mit Kriminalstrafe bewehrt sind. Auch im Kernstrafrecht lassen sich unschwer entsprechende Beispiele finden: etwa die Pflicht, selbst nach kleineren Unfällen eine Zeit lang am Unfallort zu warten (§ 142 StGB), und die entsprechende Kenntnis, dass es nicht ausreicht, einen Zettel mit seinen Personalien zu hinterlassen.28 Die Vorstellung, dass das Strafrecht eine „Orientierungsfunktion“ habe (nicht zufälligerweise ebenso ein Kind der Feuer bach’schen Theorie des psychologischen Zwanges), dürfte also – wenn überhaupt – nur in sehr engen Grenzen zutreffend sein.29 Zum anderen – das zeigten die empirischen Studien sehr deutlich – kommt es auf diese konkret angedrohten Strafen aber auch gar nicht an. Denn selbst in den Fällen, in denen dem Täter die möglichen Folgen seiner Tat bekannt waren, erwies sich die angedrohte Strafhöhe für die Abschreckungswirkung im Wesentlichen als bedeutungslos. Einzig was das wahrgenommene Entdeckungs- und Ver urteilungsrisiko betraf, konnten schwache Effekte nachgewiesen werden.30 Liegt also die zweite Bedingung – eine rationale Abwägungsentscheidung (dazu sogleich) – vor, so ist das Abschreckungspotential der staatlichen Strafe in erster Linie geknüpft an die Möglichkeiten staatlicher Kontrolle und nicht an die konkret angedrohte Strafhöhe. Diese Möglichkeiten sind aber nicht nur ressourcentechnisch begrenzt.31 Sie bleiben auch durch die weiterhin verbreiteten Vor26
Dazu und zum Folgenden Hassemer, Grundlagen, S. 311 f. Vgl. auch Eisenberg/Kölbel, § 41 Rn. 11 ff. 28 Mit der heutigen gesetzlichen Behandlung des fehlenden Unrechtsbewusstseins lässt sich die Theorie der negativen Generalprävention von vornherein nicht vereinbaren, vgl. dazu mei nen Beitrag in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 177–187 (178 ff.). 29 Hierzu T. Walter, Kern, S. 231 f.; vgl. auch meinen Beitrag in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 177–187 (184 f.). 30 Kunz/Singelnstein, § 20 Rn. 11 ff.; vgl. auch Eisenberg/Kölbel, § 41 Rn. 13 ff.; Hörnle, Strafzumessung, S. 81 f.; Plack, S. 105 ff.; Schumann u. a., Grenzen, S. 162 f. 31 Insofern genügt ein Blick auf die polizeilichen Aufklärungsquoten und die Erkenntnisse 27
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stellungen von einem liberalen Rechtsstaat notwendigerweise beschränkt, denn der Preis für eine optimale Abschreckungswirkung wäre insofern der Überwachungsstaat Orwell’scher Prägung.32 b) Der „homo oeconomicus“ Das zentrale Legitimationsproblem der negativen Generalprävention betrifft allerdings die zweite Bedingung: das ihr zugrundeliegende Täterbild des vernünftig abwägenden „homo oeconomicus“.33 Will die Strafe abschreckend wirken, muss ihr Adressat nämlich nicht nur von der generellen Strafdrohung wissen und seine Entdeckung und Verurteilung für hinreichend wahrscheinlich halten. Vielmehr müssen diese Aussichten in der konkreten Situation auch handlungsleitend wirken – ihn also nach Abwägung der Vor- und Nachteile dazu motivieren, die Tat nicht zu begehen. Eine Vorstellung, „welche die faktische ‚Unvernunft‘ von Menschen souverän mißachtet.“34 Schon aus alltagstheoretischer Sicht vermag sie eigentlich nicht zu überzeugen. Wäre sie zutreffend, so hätte die Aussicht auf die „ewige Verdammnis“ gläubige Christen seit jeher von der Begehung von Todsünden abhalten müssen – immerhin besteht hier neben der drakonischen Strafdrohung eine Entdeckungswahrscheinlichkeit von 100 Prozent.35 Auch die empirische Forschung aber hat die Vorstellung vom allzeit rational agierenden „homo oeconomicus“ heute letztlich widerlegt. So zeigte sich, dass im Grunde bei sämtlichen impulsgetriebenen und affektiven Verhaltensweisen keine rationale Folgenabwägung beim Täter stattfindet.36 Übrig bleiben die sogenannten „Intelligenzdelikte“ – insbesondere der Bereich des Vermögens-, Wirtschafts-, und Steuerstrafrechts.37 Schwache Abschreckungseffekte ließen sich etwa bei Eigentumsdelikten und weniger schweren, gewaltfreien Straftaten nachweisen.38 Insgesamt brachten aber auch hier die empirischen Erkenntnisse einen erneuten Rückschlag auf der Suche nach den legitimierenden Wirkungen der staatlichen Strafe. der kriminologischen Dunkelfeldforschung, vgl. zum Ganzen Streng, Sanktionen, S. 33 (Rn. 59). 32 Vgl. Hassemer, FS Schroeder, S. 51–65 (62); Jakobs, Staatliche Strafe, S. 27 f. 33 Vgl. Baurmann, in: Positive Generalprävention, S. 1–16 (4) mit weiteren Nachweisen; dazu und zum Folgenden ferner Hassemer, Grundlagen, S. 312 ff. 34 Hassemer, Grundlagen, S. 312. 35 Zu diesem Vergleich, der dem skandinavischen Präventionsforscher Andanaes zugeschrieben wird, vgl. Kunz, Kriminologie, § 25 Rn. 19. 36 Vgl. dazu etwa Andrissek, S. 48; Hassemer, Grundlagen, S. 313; Robinson, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 13–34 (30); zum Verhältnis von „Kritischer Kriminologie“ und „Rational-Choice-Ansatz“ vgl. Karstedt/Greve, in: Kritische Kriminologie, S. 171–210. 37 T. Walter, ZIS 2011, 636–647 (645); vgl. auch Hörnle, Straftheorien, S. 27; Prittwitz, S. 179 f. 38 Eisenberg/Kölbel, § 41 Rn. 13.
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3. Das Abschreckungsdenken in Theorie und Praxis Die negativ-generalpräventiven Ansätze boten also keine hinreichend überzeugenden Lösungen in der aufgekommenen Legitimationskrise. Zwar versuchte man das Konzept vereinzelt zu retten, indem man – unabhängig von den (fehlenden) Wirkungen im konkreten Fall – bereits der generellen Existenz eines (funktionierenden) staatlichen Strafensystems eine abschreckende Wirkung zuschrieb.39 Und tatsächlich umging man damit in gewisser Weise das Problem der empirischen Falsifizierbarkeit. Vor dem Hintergrund der verbreiteten normativen Bedenken konnten sich die negativ-generalpräventiven Konzepte im (deutschen) wissen schaftlichen Diskurs aber auch über diesen Umweg bis heute nicht durchsetzen. Völlig unbeeindruckt von den normativen Einwänden und den empirischen Erkenntnissen der kriminologischen Forschung blieb der Einfluss entsprechender Vorstellungen auf die Legislative allerdings durchaus bestehen.40 Hier scheint die „laienpsychologische Evidenz“ des Konzepts bis heute in vollem Maße zu wirken – darauf wird zurückzukommen sein.41 Auch die Rechtsprechung erkennt eine Berücksichtigung negativ-generalpräventiver Erwägungen im Rahmen der Spielraumtheorie weiter an.42 – Vor diesem Hintergrund braucht man sich trotz der kriminologischen Erkenntnisse um die Theorie der negativen Generalprävention also auch heute weiter nicht zu sorgen.
III. Die „klassische Schule“ im neuen Gewand Den Vertretern des klassischen Vergeltungsgedankens kamen die Ergebnisse der empirischen Forschung natürlich gelegen. Gerade von ihrer Seite verbreitete sich die Nachricht des „Nothing works!“ besonders stark.43 Man hatte die zwischenzeitlichen Erfolge der modernen Schule hinnehmen müssen, doch „ein nicht eben 39 Vgl. Schmidhäuser, S. 63 ff.; Streng, Sanktionen, S. 33 (Rn. 56); dazu auch Eisenberg/ Kölbel, § 41 Rn. 5; Kaspar, der vordergründig auf die „positive Generalprävention“ als Strafzweck setzt, erkennt eine Art „Basis-Abschreckung“ des Strafrechts an, schreibt ihr aber keine echte eigenständige Bedeutung zu, vgl. Kaspar, S. 646; ders., in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 61–90 (72 f.). 40 Zur Abkoppelung der Kriminalpolitik von den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch Mushoff, S. 553 f. mit weiteren Nachweisen.; vgl. ferner Riklin, Vorwort in: Riklin/Mez (Hrsg.), Strafe muss sein …, S. 10: „Unausrottbar ist der Irrglaube an eine spürbare Reduktion der Kriminalität bei mehr Härte, obwohl die massgebenden kriminologischen Studien […] belegen, dass die Höhe der drohenden Strafe […] nur eine untergeordnete Rolle spielt.“ 41 Vgl. Teil II – Kapitel 9II.2; vgl. auch Streng, Sanktionen, S. 33 (Rn. 59). 42 Vgl. BGHSt. 20, 264 (267); 28, 318 (326); BVerfGE 21, 391 (404); 39, 1 (57); 45, 187 (253). 43 Vgl. auch Weigend, ZStW 94 (1982), 801–814 (810 f.).
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kleiner Kreis strafrechtsphilosophischer Autoren hatte den Vergeltungsgedanken wie eine Glut über Nacht gehütet“44 – eine Glut, die nun auch im deutschen Raum ein bis heute loderndes Feuer entfachen sollte.45 Für das Entfachen dieses Feuers konnte man aber nicht mehr ohne weiteres zu den klassischen Begrifflichkeiten und Argumentationsschienen zurückkehren. Die „Vergeltung“ verband man begrifflich inzwischen überwiegend mit der „Rache“, in der Wissenschaft zumindest mit den Vorstellungen der „absoluten Straftheorien“ – und zwar im streng terminologischen Sinne der von Maurach postulierten „zweckgelösten Majestität“46, welche die Strafe losgelöst von jeglichen (gesellschaftlichen) Wirkungen betrachtete. Derartige Argumentationsmuster – sofern sie in ihrer „Absolutheit“ tatsächlich jemals vertreten wurden – schienen in der modernen wissenschaftlichen Diskussion tatsächlich kaum erfolgversprechend.47 Zwingende Voraussetzung einer Straftheorie, die auf ernsthaftes Gehör in Wissenschaft und Praxis stoßen wollte, war nun nämlich endgültig, dass sie die realen Wirkungen der Strafe auch ausdrücklich kommunizierte. Die „Vergeltung“ war also gewissermaßen gebrandmarkt, sodass man zu anderen Begrifflichkeiten überging.48 Dabei musste man keine gänzlich neuen Wege gehen, fand sich das klassische Vergeltungsdenken doch schon zuvor oft komplett integriert in die Erwägungen zum Schuldprinzip.49 „Das Wort Vergeltung wird freilich gerne verdrängt. Man zieht vor, von einem Schuldstrafrecht zu sprechen, ohne daß hierdurch freilich der Kern der Sache verändert würde.“50 44
Klocke/Müller, StV 2014, 370–377 (373). identische Entwicklung zeigte sich in den USA, in denen die Vergeltungstheorien heute als „herrschend“ bezeichnet werden können, vgl. dazu etwa Kalous, S. 173 ff. 46 Maurach, S. 77. 47 Vgl. Hörnle, Strafttheorien, S. 18 ff.; Roxin (Strafrecht AT I, § 3 Rn. 8) bezeichnet die Vergeltungstheorie als „wissenschaftlich nicht mehr haltbar“ (in der Neuauflage [Roxin/Greco, § 3 Fn. 8] „unhaltbar“); Frisch (GA 2015, 65–85 [70]) nimmt die Vergeltungstheorie auf in den „Kreis der ‚toten Theorien‘“; T. Walter konstatiert (im Geleitwort zu Andrissek, S. V): „In der deutschen Diskussion um den Strafzweck […] hat die Vergeltungsidee die Rolle eines Enfant terrible.“; zum „Verschwinden der Vergeltung“ auch P. Hoffmann, Strafzwecke, S. 114 ff. 48 Vgl. Kaufmann, in: Strafrechtsdogmatik, S. 263–278 (265); auch T. Walter spricht nach anfänglichen Versuchen die „Vergeltung als Strafzweck zu rehabilitieren“ (ZIS 2011, 636–646) mittlerweile (ohne inhaltliche Differenzen) von „Retributiver Generalprävention“, vgl. etwa T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (58 f.). 49 Vgl. zur terminologischen Umetikettierung inhaltlich übereinstimmender Gedanken auch P. Hoffmann, Strafzwecke, S. 112 ff., 135 ff., 227; in der Nachkriegszeit war häufig von der „Schuldvergeltung“ als Strafzweck die Rede, vgl. dazu Schünemann, in: Grundfragen, S. 153– 196 (154) mit zahlreichen Nachweisen; zu den Vorzügen des Begriffs „Vergeltung“ auch Hassemer, FS Schroeder, S. 51–65 (54 f.). 50 Bauer, in: Die deutsche Strafrechtsreform, S. 11–23 (12); ähnlich Hoffmann (Strafzwecke, S. 227), der davon spricht, dass die Vergeltung „terminologisch ausgeschaltet“ und „als 45 Die
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Sämtliche Ausflüsse der nun aufgeführten neuen Strömung tragen insofern – wenngleich sie sich in ihrer konkreten Ausgestaltung und Herleitung teils stark unterscheiden – denselben Kern in sich: den alten Vergeltungsgedanken der klas sischen Schule, der seine Vorstellung von Gerechtigkeit mit dem Blick auf die vergangene Tat verknüpft. Diese „Weisheit absoluter Straftheorien“, die in der Praxis seit jeher eine zentrale Rolle gespielt hat, findet so bis heute auch in der Theorie wieder weitgehend Anerkennung.51
1. Die Renaissance der absoluten Theorien „Die hier beschriebene Strafe erfolgt nur um der Gerechtigkeit willen.“52
Ein zahlenmäßig vergleichsweise geringer und dennoch nicht zu unterschätzender Teil dieser Bewegung wagte sich in seinen straftheoretischen Herleitungen explizit wieder an die (an den Postulaten von Vernunft und Freiheit orientierten) philosophischen Erwägungen des Deutschen Idealismus – in erster Linie (und oft wortgleich) anknüpfend an die Arbeiten von Kant und Hegel. Hierhin rechnet insbesondere die sogenannte „Frankfurter Schule“ um Ernst Amadeus Wolff und dessen Schüler Rainer Zaczyk, Michael Kahlo und Michael Köhler.53 Auch die im Rahmen ihrer Arbeiten zum Völkerstrafrecht entwickelte Straftheorie von Kathrin Gierhake, einer Schülerin Zaczyks, lässt sich hier einordnen.54 Ähnliche Ansätze finden sich bei Felix Herzog, Wolfgang Schild und Kurt Seelmann.55 Eine vergleichsweise neue – explizit an Hegel angelehnte und von Roxin als „modernste Version einer Vergeltungstheorie“56 bezeichnete – Strafbegründung liefert Michael Pawlik, der die Argumentation verstärkt von der interpersonalen auf die gesellschaftliche (staatstheoretische) Ebene verlagert und insofern das spezifisch strafrechtliche Unrecht nicht als „Unrecht der Person“ oder des „Subjekts“, sondern als „Unrecht des Bürgers“ betrachtet, welcher seiner Loyalitätsverpflichtung gegenüber der Allgemeinheit nicht nachgekommen sei.57
‚Schuldausgleich‘ deklariert“ wurde; vgl. auch T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (52 f.): „[…] und gerechter Schuldausgleich ist nichts anderes als gerechte Vergeltung.“ 51 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 107. 52 Wolff, ZStW 97 (1985), 786–830 (826). 53 Köhler kann dabei wohl als „gegenwärtiger Hauptvertreter einer neoklassischen Straftheorie“ gelten, Roxin, GA 2015, 185–202 (187); zum Ganzen Bruckmann, KriPoZ 2019, S. 105– 118 (108 ff.); weitere Nachweise bei T. Walter, JZ 2019, 649–656 (653 [Fn. 29]). 54 Vgl. dazu Gierhake, Begründung des Völkerstrafrechts auf der Grundlage der Kantischen Rechtslehre; dies., ZIS 2008, 354–360. 55 Vgl. zum Ganzen Montenbruck, Straftheorie, S. 97 ff.; Pawlik, Person, S. 45 f.; Wohlers/ Went, in: Strafbegründungen, S. 173–204. 56 Roxin, GA 2015, 185–202 (186). 57 Pawlik, Person, S. 76 ff.; ähnlich Kubiciel, Wissenschaft, S. 166 ff.; ders., ZStW 118 (2006), S. 44–75 (62 f.); vgl. dazu auch Bruckmann, KriPoZ 2019, S. 105–118 (115).
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Insofern lässt sich durchaus bis heute von einer gewissen „Renaissance der absoluten Theorien“ sprechen.58 All diese neuen Ansätze lösten und lösen sich aber (wie auch ihre historischen Ahnen) nicht vollends von den Wirkungen der Strafe – betrachten diese also nicht als Selbstzweck. Die Strafe fungiert hier stets als Mittel zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Rechts und/oder intersubjektiver Rechtsverhältnisse.59 Strafe sichert nach diesen Vorstellungen also die Grundbedingungen freiheitlicher Existenz. Sie dient damit durchaus einem gesellschaftlichen Zweck. Und so heißt es dann auch bei Ernst Amadeus Wolff, von dem der eingangs zitierte Ausspruch stammt: „‚Um der Gerechtigkeit willen‘ und ‚um allgemeiner äußerer Selbstbestimmung (äußerer Freiheit) willen‘ sind ein und dasselbe.“60
Die Klassifizierung als eigenständige „neoabsolute“, „neoidealistische“61 oder „neoklassizistische“62 Strömung rechtfertigt sich also in erster Linie aus der Art der Begründung, die meist weit überwiegend auf einer vernunft- und freiheitsrechtlich fundierten, philosophischen Ebene spielt. Die Gemeinsamkeiten zu den verschiedenen Theorien der nun folgenden „positiven Generalprävention“, welche dafür die soziologische Ebene betreten, sind dennoch nicht zu übersehen.
2. Positive Generalprävention „Auch glaube ich, dass derjenige erfolgreich ist, der seine Handlungsweise mit dem Zeitgeist in Einklang bringt, und gleichzeitig derjenige erfolglos ist, dessen Vorgehen nicht mit den Zeitverhältnissen übereinstimmt.“63
Wenngleich sich also auch die „neoabsoluten“ Theorien nicht von den gesellschaftlichen Wirkungen der Strafe lösen, so verschwinden diese doch bis heute zumindest in der Darstellung größtenteils hinter den oft sehr komplexen philosophischen Erwägungen. Damit aber hatten sie in der „modernen Rationalität“, in 58
Pawlik, Person, S. 45; Schünemann, FS Lüderssen, S. 327–343 (328, 331); vgl. auch Klocke/Müller, StV 2014, 370–377; Müller-Tuckfeld, S. 253 ff.; auch im englischsprachigen Raum war früh von einer „Renaissance of Retribution“ die Rede, vgl. Gardner, Wisconsin Law Review 1976, S. 781–815. 59 Vgl. etwa Gierhake, S. 129 ff.; dies., Zur Legitimation des Völkerstrafrechts, ZIS 2008, 354–360 (356); Köhler, Strafrecht AT, S. 48 f.; Pawlik, Person, S. 75 ff., S. 87 mit weiteren Nachweisen; siehe auch Roxin/Greco, § 3 Rn. 9a; Wohlers, GA 2019, 425–440 (431 ff.). 60 Wolff, ZStW 97 (1985), 786–830 (826). 61 Diese beiden Bezeichnungen finden sich etwa bei Schünemann, FS Lüderssen, S. 327– 343 (328, 331). 62 Vgl. etwa Weigend, ZStW 94 (1982), 801–814. 63 Machiavelli, Il Principe, Cap. XXV (S. 125 f.) („Credo ancora che sia felice quello che riscontra il modo del procedere suo con la qualità de’ tempi: e similmente sia infelice quello che con il procedere suo si discordano e’ tempi. “ [Übers. des Verf.]).
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der die Naturwissenschaften der Philosophie lange den Rang abgelaufen hatten, von Beginn an wenig Aussicht auf Erfolg.64 Die moderne Strafrechtswissenschaft maß den Wert der Theorien nämlich nicht mehr (nur) an deren normativer Tragfähigkeit. Das Hauptaugenmerk lag nun vielmehr auf einer plausiblen Begründung der positiven Straffolgen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es ist das Geheimnis des heutigen Erfolgszuges der positiven Generalpräven tion, dies erkannt und die Ansprüche des modernen wissenschaftlichen Präven tionsdenkens mit den klassischen Vergeltungsgedanken verbunden zu haben.65 Auf diese Weise übernahm sie nach der Krise der überkommenen Präventionstheorien die Führungsrolle in der Strafzweckdiskussion und gilt bis heute als „die reifste der zeitgenössischen Strafzielbestimmungen“.66 Der „Trick“, mit dem diese Verbindung gelang, war grundsätzlich nicht neu.67 Zugrunde lag ihm die lange bekannte Überlegung, dass die gerechte Strafe auch gleichzeitig die nützlichste, heißt: präventiv wirksamste, sei.68 Die Wirkungen der Strafe verortete man sodann – entsprechend den kriminologischen Entwicklungen – auf soziologischer Ebene. Wie auch die verschiedenen Theorien in der Soziologie die gesellschaftlichen Zusammenhänge und die sozialisierenden Wirkungen des (Straf-)Rechts unterschiedlich beschreiben, unterscheiden sich sodann natürlich auch die verschiedenen bis heute vorgelegten Spielarten positiv-generalpräventiver Theorien. Zum (auch international)69 prägenden Vorreiter des Erfolges der „positiven Generalprävention“ avancierte dabei das Modell des Bonner Strafrechtslehrers Günther Jakobs. Zu erwähnen ist auf soziologischer Ebene neben den Sozialisations-, Entwicklungs- und Lern theorien insbesondere die „Anomietheorie“ von Emile Durkheim.70 Dieser schrieb bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Zusammenspiel von Verbrechen und Strafe eine positive gesellschaftliche Funktion zu. Durkheim betrachtete ein gewisses Maß an abweichendem Verhal64 Vgl.
Hassemer, Strafe, S. 101 ff. Frisch, in: Positive Generalprävention, S. 125–145 (139 ff.); Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29–50 (34 ff.); Bock (ZStW 103 [1991], 636–656 [654]) spricht davon, dass dadurch, dass der positiven Generalprävention stets eine soziologische Theorie zugrunde liege, diese „in einer gewissen Aura von Aufklärung, Rationalität und nüchternem Zweck denken steht“. 66 Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 288; Schünemann (in: Positive Generalprävention, S. 109–123 [110]) spricht davon, dass nach der Krise des Behandlungsdenkens „das Konzept der sog. Positiven Generalprävenion mit imponierender Geschwindigkeit wie ein Phönix aus der Asche“ stieg. 67 Explizit von einem „Trick“ spricht etwa Hassemer, Strafe, S. 102. 68 Dazu Pawlik, Person, S. 38 mit zahlreichen Nachweisen. 69 Zum spanischsprachigen Raum Silva-Sànchez, in: Strafrecht und Gesellschaft, S. 737– 750; zum ostasiatischen Raum Matsumiya, in: Strafrecht und Gesellschaft, S. 751–762. 70 Vgl. Eisenberg/Kölbel, § 41 Rn. 3 f.; dazu auch Müller-Tuckfeld, S. 145 ff. 65 Vgl.
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ten nicht nur als normal, sondern sogar als nützlich, da es dem Staat die Möglichkeit eröffne, durch Strafe die Geltung gesellschaftlicher Normen im „Kollektivbewusstsein“ wach zu halten. Erst wenn die Zahl der Verbrechen zu groß sei, bestehe die Gefahr eines Zustandes der „Anomie“, in dem die Abweichung zum Normalfall werde und die Normgeltung leide.71 Fortgeführt wurden diese Überlegungen später vom deutschen Soziologen Niklas Luhmann – zu ihm sogleich.72
a) Günther Jakobs und die kommunikative Strafe Jakobs’ straftheoretisches Modell baut zunächst auf den Grundgedanken der rechts soziologischen „Systemtheorie“ des Niklas Luhmann.73 Nach dieser kommt es in jeder Gesellschaft und bei jeder Form sozialen Kontakts zu Kolli sionen der individuellen Freiheitssphären. Wie diese Kollisionen aufzulösen seien – welchen Interessen also in der jeweiligen Situation der Vorrang gebühre – regelten die verschiedenen sozialen Normen. Gesellschaftliches Zusammenleben – so die Theorie – sei in einer komplexen Welt nur möglich, solange die Menschen auf diese gemeinschaftlichen Normen vertrauen und sich daher an ihnen orientieren könnten. Wäre das Verhalten der übrigen Gesellschaftsmitglieder nämlich völlig unberechenbar, würde es aufgrund der unkalkulierbaren Risiken schon gar nicht erst zu sozialen Kontakten kommen.74 Vor diesem systemtheoretischen Hintergrund hat für Jakobs jedes Verhalten, das von den gesellschaftlichen Erwartungen abweicht, neben seinen äußerlichen Folgen auch eine soziologische Bedeutung – und nur auf diese kommt es ihm an.75 Der „Täter“ kommuniziere nämlich durch sein Verhalten, dass er die entsprechende Kollision der Sphären anders auflöse, als dies die gesellschaftliche Norm tue. Etwa zeige ein betrunkener Autofahrer, dass er in seiner Situation anderes (zumindest die eigene Freiheit) für wichtiger halte als das Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer. Diese Einschätzung widerspreche allerdings den Aussagen der (gesellschaftlichen) Normen des Strafgesetzbuches: „Dieser Widerspruch gegen die Norm durch ein Verhalten ist der Normbruch“.76
71
Vgl. dazu Göppinger/Bock, Kriminologie, § 2 Rn. 24. Siehe auch die Rezeption Durkheims bei Luhmann, Rechtssoziologie, S. 15 f. 73 Vgl. dazu und zum Folgenden Luhmann, Recht, S. 9 ff.; vgl. auch Braun, S. 342 ff.; Haus schild, S. 51 ff. 74 Vgl. dazu und zum Folgenden Jakobs, Strafrecht AT, 1/4 ff.; vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 94 ff. 75 Zur Genese von Jakobs’ Straftheorie vgl. Sánchez, FS Jakobs, S. 75–95; zu ähnlichen (neueren) Ansätzen, die aufgrund ihrer Interpretation von Strafe als einem Mittel der Kommu nikation auch „expressive Straftheorien“ genannt werden, vgl. Hörnle, Straftheorien, S. 31 ff.; Roxin/Greco, § 3 Rn. 36a ff. (jeweils mit weiteren Nachweisen). 76 Jakobs, Strafrecht AT, 1/9; vgl. auch Luhmann, Rechtssoziologie, S. 116 ff. 72
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Der Normbruch hat für Jakobs sodann die zentrale Bedeutung, dass er die Erwartungen der Gesellschaft enttäusche und so die gesellschaftliche Normgeltung an sich in Frage stelle. Wenn aber das Normvertrauen verloren gehe, wäre auch das Grundgerüst des gesellschaftlichen Zusammenlebens gefährdet. An dieser Stelle nun trete die Strafe auf den Plan. Grundsätzlich habe man – auch hier knüpft Jakobs an Luhmann an –77 zwei Möglichkeiten, um auf die Enttäuschung von Erwartungen zu reagieren: kognitiv und normativ. Wer kogni tiv reagiere, passe seine Erwartungen schlicht den neuen Fakten an. Die ursprünglichen Erwartungen würden also aufgegeben und das für die Kooperation nötige Vertrauen bliebe in Zukunft aus. Da dies nicht sein dürfe, habe die Strafe die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Gesellschaft normativ reagiere, heißt: „kontrafaktisch“ an den ursprünglichen Erwartungen festhalte. Auch die Strafe sei also – wie der Normbruch – nicht nur in ihren äußerlichen Wirkungen zu betrachten, sondern habe vor allem eine soziologische Bedeutung. Sie kommuniziere der Gesellschaft, dass nicht ihre Erwartungen falsch waren, sondern das Verhalten des Täters: „Dieser auf Kosten des Täters vollzogene Widerspruch gegen den Normbruch ist die Strafe.“78
Strafe bewirkt für Jakobs also die „Erhaltung der Norm“ und damit auch die Erhaltung gesellschaftlichen Zusammenlebens überhaupt. b) Die Vergeltung im neuen Gewand Die Linie von Hegel („Negation der Negation“, „Wiederherstellung des Rechts“) über die daran anknüpfenden Ansätze der klassischen Schule (Wiederherstellung der „Autorität“ der Gesetze)79 hin zu den Ideen moderner, positiv-generalpräventiver Theorien tritt hier offen zutage. Den Ausgangspunkt der Überlegungen bildet nun aber nicht mehr die Philoso phie, sondern – dem Zeitgeist entsprechend – die moderne Gesellschaftstheorie. Dieser neue Aufhänger war es, der den (auch in der Zwischenzeit durchgehend vertretenen)80 Erwägungen das nötige wissenschaftliche Fundament verlieh, um wieder zur herrschenden Strafzweckerwägung aufzusteigen.
77 Vgl.
Luhmann, Rechtssoziologie, S. 40 ff. Jakobs, Strafrecht AT, 1/10; warum für diesen Widerspruch gerade auf das Institut der „Strafe“ zurückgegriffen werden muss, bleibt allerdings weitgehend unbeantwortet, vgl. auch Hörnle/von Hirsch, GA 1995, S. 261–282 (266); Roxin, GA 2015, 185–202 (189). 79 Vgl. Binding, Grundriss, S. 229, 233 f. 80 Siehe zu den Theorien von Welzel und Mayer etwa Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29–50 (31); Kalous, S. 251 ff.; Müller-Tuckfeld, S. 29 ff. 78
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Die Anzahl der verschiedenen Spielarten positiver Generalprävention ist mittlerweile kaum mehr zu überblicken.81 Im Anschluss an Claus Roxin lassen sich diesbezüglich schlagwortartig drei (ineinander übergehende) Ziele und Wirkungen unterscheiden:82 – der sozialpädagogisch motivierende Lerneffekt („Einübung in Rechtstreue“) – der Vertrauenseffekt (Ihm soll hier neben der „Einübung in Normvertrauen“ auch die „Wiederherstellung“, „Bekräftigung“ oder „Bestätigung“ der Norm[geltung] zugeordnet werden. Das Bundesverfassungsgericht spricht von der „Erhaltung und Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung“83 und knüpft damit an die vom Bundesgerichtshof im Rahmen des Begriffs der „Verteidigung der Rechtsordnung“ aufgeworfenen Erwägungen an.84) – der Befriedungseffekt (im Wesentlichen „Wiederherstellung des Rechtsfriedens“, indem die Gesellschaft den Konflikt als erledigt betrachtet)85 All diese verschiedenen Theorien verbinden aber jedenfalls zwei Dinge: aa) … ne peccetur. Ein Auge der positiv-generalpräventiven Ansätze ist – wie man es von einer modernen, wissenschaftlichen Straftheorie erwartet – stets in die Zukunft gerichtet. In all ihren Spielformen entfalten sich die legitimierenden Wirkungen der Strafe (die in den verschiedenen Modellen auch durchaus wechselseitig anerkannt werden) aber nicht mehr in der Person des Täters, sondern auf gesellschaftlicher Ebene.86 Damit stehen die positiv-generalpräventiven Straftheorien trotz ihres modern-präventiven Erscheinungsbildes – anders als die übrigen präventiven Ansätze – auf einem Fundament, das empirisch nur schwer zu widerlegen ist. Ein echter Nachweis des Ausbleibens von langfristi gen, gesellschaftlichen Effekten setzte nämlich ein „natürliches Experiment“ voraus, in dem im 81 Verschiedene Modelle etwa bei Haffke, 162 ff.; Hassemer, Strafe, S. 96 ff.; ders., FS Lüderssen, S. 221–240; Kaspar, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 61–90 (73 ff.); ders., Präventionsstrafrecht, S. 648 ff.; Peralta, ZIS 2008, 506–517; Müller-Dietz, FS Jescheck, S. 813– 827; vgl. auch die verschiedenen (Diskussions-)Beiträge in Schünemann/von Hirsch/Jareborg, Positive Generalprävention; ferner Streng, Sanktionen, S. 13 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen sowie die Darstellungen verschiedener Ansätze bei Müller-Tuckfeld, S. 39 ff. und bei Schumann, S. 1 ff. 82 Roxin/Greco, § 3 Rn. 27. 83 BVerfGE 45, 187 (256). 84 Vgl. BGHSt. 24, 40 (ff.); dazu auch Hassemer, Strafe, S. 96 ff.; Müller-Dietz, FS Jescheck, S. 813–827 (817 ff.). 85 Vgl. auch Streng, Sanktionen, S. 14 f. mit zahlreichen Nachweisen. 86 Insofern liegt den hiesigen Ausführungen ein weites Verständnis von „positiver Generalprävention“ zugrunde; eine Erklärung der gesellschaftlichen Phänomene aus psychoanalytischer Sicht liefert etwa Haffke, S. 162 ff.; vgl. ferner Streng, ZStW 92 (1980) 637–681 (639 f.).
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breiten Rahmen auf ein Strafsystem verzichtet würde.87 Auch diese „Immunität“ gegenüber einer kriminologischen Wirkungsforschung, welcher bereits die spezialpräventiven und negativ-generalpräventiven Ansätze zum Opfer gefallen waren, leistet(e) sicherlich ihren Beitrag zum Erfolgszug der positiven Generalprävention.88
bb) … quia peccatum est. Im genannten Sinne sind die Theorien der positiven Generalprävention also allesamt „relative“ Straftheorien. Neben der empirischen Festigkeit waren sie den übrigen relativen Ansätzen aber in einem weiteren Punkt überlegen. Letzteren war ja stets vorgeworfen worden, dass sie der Strafe und dem Strafrecht keine tauglichen Grenzen setzen konnten. Aus diesem Grund hatten sie stets Zugeständnisse an die klassische Schule und den im Schuldprinzip enthaltenen Vergeltungsgedanken machen müssen – was wiederum mit den zugrundeliegenden Theorien an sich nicht zu vereinbaren war und daher an deren Glaubwürdigkeit nagte. Die positive Generalprävention hatte für dieses Problem nun aber eine Lösung gefunden. Die positiven Wirkungen für die Gesellschaft konnte (und kann) die Strafe nach Ansicht ihrer Vertreter nämlich nur dann entfalten, wenn sie das rechte Maß habe.89 „Einsicht und Zustimmung entwickeln sich nicht über die Durchsetzung von Prävention, sondern über die Erfahrung von Gerechtigkeit; das war ja und ist die Hoffnung sämtlicher Theorien positiver Prävention.“90
An dieser Stelle liegt das in der Theorie selbst verankerte Einfallstor für den zentralen Punkt aller Vergeltungslehren der klassischen Schule. Die „gerechte“ 87 Hörnle, Handbuch des Strafrechts, § 12 Rn. 17; dies., Straftheorien, S. 28; vgl. auch assemer, in: Generalprävention, S. 29–53 (51 ff.); Kalous, S. 70 ff.; Naucke, FS Hassemer, H S. 559–572 (568): „Dieser Mechanismus ist empirisch nicht zu widerlegen, freilich auch nicht zu bestätigen, also bleibt er möglich.“; zum Problem der „Latenz“ generalpräventiver Funktionen – also zu der Frage, ob sich die entsprechenden Wirkungen selbst auflösen, wenn sie sich die Gesellschaft bewusst macht – vgl. etwa Bock, JuS 1994, 89–99 (97 f.); Roxin/Greco, § 3 Rn. 30 mit weiteren Nachweisen. 88 Zur empirischen Forschung hinsichtlich der positiven Generalprävention vgl. Müller- Tuckfeld, S. 115 ff.; Schumann, S. 26 ff.; ders., in: Positive Generalprävention, S. 17–28 (22 ff.); positive Hinweise auf entsprechende Wirkungen bei Robinson, Intuitions, S. 141–207; ders., in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 13–34 (24 ff.); vgl. auch Kunz/Singelnstein, § 20 Rn. 11 ff.; zur Kritik an der Empiriefestigkeit vgl. Bock, ZStW 103 (1991), 636–656 (654 ff.) sowie die zahlreichen weiteren Nachweise bei Pawlik, Person, S. 39 (Fn. 80). 89 Vgl. die zahlreichen Nachweise bei Pawlik, Person, S. 38 (Fn. 77) und bei Hörnle, Strafzumessung, S. 93; ferner Roxin, GA 2015, 185–202 (192); zu empirischen Studien, die einen derartigen Zusammenhang („utility of desert“) tatsächlich nahelegen, vgl. Robinson, Intuitions, S. 96–238. 90 Hassemer, FS Schroeder, S. 51–65 (64).
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Strafe könne nämlich nur die „schuldangemessene“, „tatproportionale“ Strafe sein.91 Wonach sich diese konkret bestimmen soll, ist – trotz verschiedener Präzisierungsversuche – bis heute im Grunde völlig ungeklärt.92 Faktisch handelt es sich bei diesem Hinweis also weiter um nicht mehr (oder auch nicht weniger) als einen Appell an das Rechtsgefühl. Genau diese enge Verbindung zur (subjektiven) Gerechtigkeit aber war es, die den entsprechenden Theorien in der langen Geschichte der Strafe immer wieder zum Sieg verholfen hatte. Das zweite Auge der positiven Generalprävention richtet den Blick also weiter auf die vergangene Tat. Damit schließt sich der Kreis zu den alten Theorien der klassischen Schule, die im modernen wissenschaftlichen Gewand zur erneuten Herrschaft (nun auch in der Wissenschaft) gelangen konnten und so das aufgekommene Legitimationsvakuum schlossen, ohne ihr Bild von der „gerechten Strafe“ ändern zu müssen.93 Kalous stellt vor diesem Hintergrund fest: „Die positive Generalprävention unterscheidet sich nicht von der Vergeltungstheorie. Sind die Begriffe identisch, so soll dies auch in der Bezeichnung deutlich werden: Es wird daher der Vorschlag gemacht, die positive Generalprävention als ‚Vergeltungstheorie‘ oder ‚retributive Straftheorie‘ von den ‚wirklich‘ präventiven Theorien abzugrenzen.“94 Das ist insoweit zutreffend, als die „Vergeltungstheorien“ der klassischen Schule wie gesehen niemals „absolut“ im eigentlichen Wortsinn waren – sich also gänzlich von jeglichen Zweckerwägungen gelöst hätten. In dem Maße, in dem diese Theorien „verdeckt-relative“95 Straftheorien waren, kann die positive Generalprävention also durchaus auch als „verdeckt-absolut“ bezeichnet werden.96 Insofern lässt sich auch von „(positiver) Generalprävention durch ‚gerechte Vergeltung‘“ sprechen.97 91 Vgl. Frisch, in: Positive Generalprävention, S. 125–145 (134); Müller-Dietz, FS Jescheck, S. 813–827 (823), jeweils mit zahlreichen Nachweisen; Kalous, S. 68 f., 253; M. Müller, Vergeltungsstrafe, S. 152 ff.; Mushoff, S. 130; Roxin/Greco, § 3 Rn. 53. 92 Vgl. Wohlers, GA 2019, 425–440 (439 f.) mit weiteren Nachweisen; ferner Sánchez Lázaro, ZStW 129 (2017), 177–201 sowie die zahlreichen Beiträge in Frisch/von Hirsch/Albrecht, Tatproportionalität. 93 Von absoluten Strafbegründungen in „präventivem Gewande“ spricht Hassemer, in: Positive Generalprävention, S. 29–50 (30 f.): „Dieses Gewand erinnert in Material und Farbe an die Lehre von der positiven Generalprävention, und es ist an der Zeit, sich dieses Zusammenhangs genauer zu vergewissern.“; ebenso Naucke (FS Hassemer, S. 559–572 [568]), der auch auf weitere Übereinstimmungen mit den Ansätzen der klassischen Schule hinweist; kritisch dazu etwa Bruckmann, KriPoZ 2019, S. 105–118 (111). 94 Kalous, S. 251. 95 Vgl. Frommel (S. 104 ff., 113), die insofern an die Interpretation Naukes anschließt. 96 Vgl. dazu auch Prittwitz, S. 220; ähnlich Roxin/Greco, Rn. 9a: „Zunächst fragt sich, was diese Theorien [moderne Vergeltungstheorien] überhaupt noch von der positiven Generalprävention unterscheidet. Wäre es nicht der Klarheit dienlicher, schlicht von Prävention zu sprechen, wenn es letztlich doch um den Nutzen der Vergeltung geht?“ 97 Kaspar, S. 673 f. mit weiteren Nachweisen; Hassemer (in: Fortschritte, S. 39–66 [48 f.]) spricht mit Blick auf die von Maurach postulierte „zweckgelöste Majestität“ der Vergeltungsstrafe insofern von „Zweckverfolgung durch Zweckverneinung“.
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3. Retributive Generalprävention Einen Schritt weiter geht in jüngerer Zeit eine wachsende Zahl von Strafrechtswissenschaftlern, die auch die Bestimmung der „gerechten“ Strafe nicht mehr allein dem Gefühl des Einzelnen (Gesetzgeber/Richter) überlassen will, sondern die „strafende Gerechtigkeit“ als empirisch messbare Größe betrachtet.98 Hintergrund dieser im deutschen Raum insbesondere vom Regensburger Strafrechtslehrer Tonio Walter etablierten Strömung ist ebenso eine Straftheorie, welche die Wirkungen der Strafe auf gesellschaftlicher Ebene verortet.99 Ihren Ausgangspunkt nimmt diese Theorie in den neueren empirischen Befunden zum gesellschaftlichen Bedürfnis nach „Gerechtigkeit“, welches auch in Form von Vergeltungsbedürfnissen/Strafbedürfnissen auftreten könne.100 Insofern sei eine erste, naheliegende Wirkung der Strafe, dass sie diese Bedürfnisse befriedige und so für gesellschaftlichen „Rechtsfrieden“ sorge. Blieben nämlich dauerhaft Verhaltensweisen ungestraft, die in der Bevölkerung den Ruf nach Strafe auslösten, verlören die Bürger das Vertrauen in den Staat, der offenbar schon „das kleine ethische Einmaleins“ nicht beherrsche.101 Langfristig nähmen sie in diesem Fall das Recht wieder selbst in die Hand und sorgten so eigenständig für „Gerechtigkeit“. Die erste legitimierende Wirkung der „retributiv-generalpräventiv“ verstandenen Strafe sei also die Stabilisierung der Gesellschaft durch Aufrechterhaltung staatlicher Rechtspflege und – im Extremfall – Verhinderung von Lynchjustiz.102 98 Diesem Thema widmete sich jüngst auch eine Expertentagung an der Universität Augsburg mit zahlreichen prominenten Vertretern der Strafrechtswissenschaft aus dem In- und Ausland, vgl. dazu die Beiträge im entsprechenden Tagungsband (Kaspar/T. Walter [Hrsg.], Strafen „im Namen des Volkes“? Zur rechtlichen und kriminalpolitischen Relevanz empirisch feststellbarer Strafbedürfnisse der Bevölkerung, Nomos, Baden-Baden 2019) sowie meinen Tagungsbericht in KriPoZ 2019, 62–64; vgl. zu dieser Thematik auch schon Hörnle, Strafzumessung, S. 94 ff.; Schumann, S. 15 ff. 99 T. Walter knüpft dabei insbesondere an die Arbeiten des us-amerikanischen Strafrechtswissenschaftlers Paul H. Robinson an (zu diesem auch Cancio Meliá/Ortiz de Urbina Gimeno, GA 2013, 288–300); während T. Walter anfangs noch ausschließlich von einer (empirisch-soziologischen) „Vergeltungstheorie“ sprach und so den Versuch unternahm, die „Vergeltung“ zu rehabilitieren (vgl. T. Walter, Strafe und Vergeltung, S. 1; ders., ZIS 2011, 636–647; ders., GS Michael Walter, S. 831–849), schlägt auch er mittlerweile – im Anschluss an Andrissek (Vergeltung, S. 237 u. ö.) – vor, die Theorie als eine solche der „retributiven Generalprävention“ zu bezeichnen, vgl. T. Walter, JZ 2019, 649–656 (654); ders., in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (58): „Da jedes Kind einen Namen haben muss und weil das Wort ‚Vergeltung‘ fast immer falsche Vermutungen weckt“. 100 Vgl. dazu schon Teil I – Kapitel 1III.2., Kapitel 1III.5; zu den Studien etwa T. Walter, ZIS 2011, 636–647 (638 ff.). 101 T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (52). 102 A. a. O., S. 52 ff.
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Letztlich geht es den Vertretern der „retributiven Generalprävention“ damit um ein allgemeines, langfristiges Vertrauen in den Staat, welches dadurch entstehe/erhalten werde, dass die Bürger den nachhaltigen Eindruck hätten, dieser sorge grundsätzlich für „Gerechtigkeit“. Der amerikanische Rechtswissenschaftler Paul H. Robinson spricht insofern von der „moral credibility“ eines Strafrechtssystems. Ein „moralisch glaubwürdiges“ Strafrecht verhindere dabei aber nicht nur Widerstände und Lynchjustiz, sondern habe ganz generell präventive Effekte – etwa durch die Steigerung der Effizienz des jeweiligen strafrechtlichen Systems. So könne sich nämlich nur ein System, das den Ruf habe, gerecht zu sein, die breite Macht der gesellschaftlichen Stigmatisierung zunutze machen.103 Ferner steige in diesem Fall neben der Normakzeptanz der Bürger etwa auch ihre Bereitschaft, die Behörden zu unterstützen (Anzeigebereitschaft des Opfers / Kooperationsbereitschaft von Zeugen).104 Um die verschiedenen gesellschaftlichen Wirkungen entfalten zu können, müsse das Strafrecht für „gerechte“ Strafen sorgen. Ob und in welcher Höhe eine Strafe in der Gesellschaft als „gerecht“ empfunden werde, sei durch empirische, kriminologische Schwereforschung zu ermitteln – wobei es (verfassungsrechtlich zwingend) nur um die Ermittlung der Untergrenze dessen gehen könne, was die Gesellschaft als „noch gerecht“ empfinde.105 Schließlich könnten und müssten die entsprechenden Ergebnisse – neben zahlreichen anderen staatlichen Zielen wie etwa dem der Resozialisierung – in der Strafgesetzgebung Berücksichtigung finden.106 103
Zu dieser Macht Teil I – Kapitel 2I.2.d) bb); dazu und zum Folgenden ferner Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1581); ders., Inuitions, S. 154; ders., in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 13–34 (24 ff.); ähnlich Baurmann (in: Positive Generalprävention, S. 1–16 [8 ff.]), der die positiv generalpräventiven Wirkungen von Strafe nur dann für möglich hält, wenn die Bürger dem Gesetzgeber, seinen Normen und seinen Strafen grundsätzlich „Legitimität“ zuschreiben. 104 Vgl. T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (54); ders., Strafe und Vergeltung, S. 10; ders., ZIS 2011, 636–646 (636); vgl. dazu auch Robinson, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 13–34 (25 ff.) und Treibel/Dölling, in: Sicherheitsgesellschaft, S. 477–487 (485 f.); dieser Punkt wiederum könnte Auswirkungen auf die Entdeckungswahrscheinlichkeit haben, einen wesentlichen Aspekt bei der Betrachtung negativ-generalpräventiver Wirkungen, vgl. dazu auch Eisenberg/Kölbel, § 41 Rn. 11. 105 Vgl. Kaspar, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 61–90 (75). Gemeint seien damit ferner nicht die spezifisch nach einzelnen Ereignissen auftretenden Forderungen, sondern ein gesellschaftliches „Gerechtigkeitsgefühl […] – so wie man es unabhängig von spektakulären Einzelfällen in repräsentativen Studien nachhaltig ermitteln kann.“ (T. Walter, JZ 2019, 649– 656 [654 f.]). 106 Zu denken sei hier auch etwa an das Ziel der Kriminalitätssenkung. So könne es bei leichteren Taten sinnvoll sein, auf desozialisierende Strafen (insbesondere Freiheitsstrafen) zu verzichten und diese daher zur Bewährung auszusetzen, vgl. T. Walter, JZ 2019, 649–656
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In diesem Sinne stellt die Theorie der „retributiven Generalprävention“ ihre Begründung ausdrücklich auf ein soziologisches Fundament – macht sich also die Empiriefestigkeit sämtlicher positiv-generalpräventiver Ansätze zunutze.107 Sie versteckt den alten „Vergeltungsgedanken“ aber nicht im modernen Gewand, sondern bekennt sich ausdrücklich zur vergeltenden (= retributiven) Gerechtigkeit. Die „retributive Generalprävention“ löst das Verständnis von „Vergeltung“ aber endgültig von jeglichen metaphysischen Strängen, indem sie deren nähere Bestimmung nicht mehr auf philosophische Erwägungen oder die subjektiven Ansichten ausgewählter Vertreter stützen will, sondern einzig auf empirisch ermittelte Gerechtigkeitsvorstellungen der Gesamtgesellschaft.108 Es scheint diese Einbindung intuitiv-plausibler Vorstellungen von Gerechtigkeit in eine rational-wissenschaftlich fundierte Theorie zu sein, die den entsprechenden Erwägungen in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Zulauf verschafft.109 Inwieweit sich der theoretische Ansatz in der kriminologischen Praxis auch tatsächlich umsetzen lässt, bleibt indes abzuwarten.110
(654 f.); vgl. auch ders., GS Michael Walter, S. 831–849 (841 f.); Kaspar, S. 118 ff.; zur „Resozialisierung“ als „Vollzugsziel“ (und eben nicht als tauglichem Zweck der „Strafe“ selbst) vgl. auch Roxin/Greco, § 3 Rn. 17a, 41 f. 107 Sie sieht sich insofern freilich auch der diesbezüglichen Kritik ausgesetzt, siehe Fn. 88. 108 Vgl. dazu etwa T. Walter, JZ 2019, 649–656 (653 f.); ders., in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (57 f.).; ebenso Kaspar, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 61–90 (74): „Wenn man es ernst damit meint, dass die Strafe den ‚Rechtsfrieden‘ wieder herstellen soll und wir darunter nicht nur ein Synonym für absolut gerechten Schuldausgleich sehen, sondern eine tatsächlich positive Wirkung des staatlichen Strafens in der Gesellschaft, dann liegt es nahe, diese Wirkung nicht quasi ‚im Blindflug‘ anzustreben, sondern sich Kenntnisse über die entsprechenden Vorstellungen und Erwartungen der Bevölkerung zu verschaffen. Der ‚Rechtsfrieden‘ ist also ausdrücklich empirisch zu verstehen und kein rein normatives Konstrukt, weil sonst gegenüber einer absoluten Strafbegründung nichts gewonnen ist.“ 109 Vgl. etwa Andrissek, Vergeltung; Cancio Meliá/Ortiz de Urbina Gimeno, GA 2013, 288–300 (291 ff.); Horcajo, GA 2018, S. 609–622 (613 f., 618 f.); Kulhanek, NStZ 2020, 65–71 (70 f.); siehe auch Kaspar, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 61–90. 110 Kritisch etwa Kölbel/Singelnstein, NStZ 2020, 333–339; Müller/Schmoll, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 117–130 (118); in einer funktionalen (am Strafzweck orientierten) Verbrechenslehre ließen sich meines Erachtens aber bereits aus den rein theoretischen Annahmen zahlreiche Folgerungen hinsichtlich der grundsätzlichen Ausrichtung des Strafrechtssystems treffen, vgl. dazu meinen Beitrag in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 177–187 (178); ferner T. Walter, JZ 2019, 649–656 (655 f.); vgl. auch Andrissek, S. 151 ff.
Kapitel 9
Gegenwärtige Entwicklungen des Strafrechts I. Geschichte und Zukunft der Strafe Es verbleibt der Blick auf aktuelle Tendenzen des Strafrechts, den ich auf jene Entwicklungen beschränken will, die ich auch und gerade in Zukunft für die relevantesten – genauer: die problematischsten – halte. Dabei stellen sich zumindest zwei Probleme: Zum einen impliziert die Einordnung als „problematisch“ zunächst eine eigene Vorstellung vom „richtigen“ Strafrecht, die wiederum begründungsbedürftig ist. Zum anderen erhält die Betrachtung gezwungenermaßen einen spekulativen Charakter, sobald auf der Basis vergangener Entwicklungen ein Blick in die Zukunft geworfen werden soll. Beide (berechtigten) Bedenken stehen der folgenden Betrachtung aber wie ich meine nicht entgegen. Zunächst gibt es das eine „richtige“ Strafrecht schlicht nicht. Die dargestellte Geschichte der Strafe offenbart eine enge Verknüpfung des Strafrechts mit sozia len, kulturellen, technisch-ökonomischen und schließlich politischen Veränderungen.1 Bei dieser Abhängigkeit handelt es sich aber nicht nur um einen historischen Fakt, sondern um ein Phänomen, dass sich notwendigerweise aus der Natur der Sache ergibt. Schon aus diesem Grund lässt sich das „richtige“ Strafrecht der Zukunft nicht konstruieren. Auf all diesen mit dem Strafrecht verwobenen Gebieten ergeben sich nämlich zahlreiche Unwägbarkeiten, die sich nicht ansatzweise zuverlässig prognostizieren lassen. Diese Feststellung macht das Strafrecht aber keinesfalls zu einer von den Launen der Zeit beliebig formbaren Institution. Auch das haben die bisherigen Darstellungen gezeigt. Vielmehr offenbarten sich hier gewisse Linien und Grundstrukturen, ein Zustand des Gleichgewichts, nach dem das System beständig strebt und in den es von seinen natürlichen Kräften – letztlich von der gesellschaftlichen Wirklichkeit – bei Abweichungen zuverlässig zurückgetrieben wird. Diese Grundstrukturen muss man nicht notwendigerweise gutheißen. Ich denke aber, dass man hat ihre Existenz zu akzeptieren und sie deshalb zumindest zu berücksichtigen hat. So wenig der Blick in die Geschichte der Strafe also ein 1
Vgl. auch Schott, in: Kriminologie, S. 191–205 (195).
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geeignetes Werkzeug für Prognosen über die Zukunft ist, so unverzichtbar ist er aus meiner Sicht bei der Suche nach den nötigen Grundstrukturen eines stabilen Strafrechts.
II. Die Relativität des Strafrechtssystems Die Geschichte der Strafe offenbart von Beginn an ihre enge Verbindung mit dem Konstrukt der „Kooperation“ und dem dafür notwendigen „Vertrauen“ als den Grundbedingungen menschlicher Gesellschaften. Alle großen Entwicklungen der Strafe sind beeinflusst von den sich stetig wandelnden Bedingungen gesellschaftlicher Kooperation, welche das System bis heute vor immer neue Herausforderungen stellen. All diese Herausforderungen und Entwicklungen aber gleichen sich – von der Geburt der Strafe über die Entstehung von Staaten bis hin zu den gegenwärtigen Strömungen – in einem zentralen Punkt. Sie alle lassen sich beschreiben als kleinere oder größere Ausbrüche, welche die „Relativität“ des Straf(rechts)systems in Bedrängnis brachten und so ein Streben nach teils heftigen Gegenreaktionen und Wiederanpassungen provozierten. Gemeint ist mit dieser „Relativität“ in erster Linie nicht die häufig diskutierte Proportionalität zwischen Tat und Strafe. Die konkrete Strafhöhe liefert für sich genommen nämlich in aller Regel kein Konfliktpotential und es verwundert nicht, dass sich hier zu verschiedenen Zeiten und in verschiedenen Kulturen im Grunde keine gemeinsamen Linien finden lassen. Gemeint ist vielmehr die Proportionalität der einzeln ausgesprochenen Strafen zueinander. Hier zeigt die historische Betrachtung, dass jedes Straf(rechts)system einen Zustand anstrebt, in dem die verschiedenen Strafen in ihrem Verhältnis zueinander als „gerecht“ empfunden werden. Nicht selten ist dabei die Praxis dem geschriebenen Recht einen Schritt voraus und umschifft zumindest die Schwächen des überkommenen Rechts. Der gewünschte Zustand muss aber ein in sich abgestimmtes Gesamtsystem sein, welches die praktische Umsetzung dieser Form von „relativer“ Gerechtigkeit nicht nur faktisch ermöglicht, sondern auf diese aktiv hinwirkt – sie also von vorn herein in sich trägt, indem es sie selbst zu einem seiner legitimen Ziele macht. Sämtliche von mir im Folgenden als „problematisch“ beschriebenen Entwicklungen sind deshalb solche, die einem so verstandenen, abgestimmten Gesamtsystems zuwiderlaufen (im Folgenden 2.). Diese aus meiner Sicht zentralen Probleme der aktuellen Strafrechtsentwicklung sind schließlich nicht nur mitbedingt von komplexen modernen Kommunikationsstrukturen,2 sondern werden in 2 Zum problematischen Verhältnis zwischen Strafrecht und Kommunikation auch T. Fischer, Strafen, S. 71 ff.
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der modernen Informationsgesellschaft auch verstärkt wahrgenommen. Neben bereits bestehenden Problemen, welche die neuen Möglichkeiten der Informa tionsvermittlung offenlegen; aber auch neben nur vermeintlichen Missständen, die durch eine medial verzerrte Darstellung impliziert werden, gefährden sie so die Effektivität und Stabilität des Gesamtsystems (im Folgenden 3.).
1. Die moderne (Un-)Sicherheitsgesellschaft Auch die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen stellen die Kooperation und das dafür notwendige Vertrauen vor besondere Herausforderungen.3 Das Modell der Nutzenmaximierung durch Spezialisierung schreitet weiter fort. Es geht Hand in Hand mit einem noch nie dagewesenen technologischen Fortschritt und einem rasanten Zusammenwachsen der globalisierten Welt. Die Organisa tion dieser modernen Gesellschaften ist dabei geprägt von einem steten Anstieg wechselseitiger Abhängigkeiten und damit verbundener Komplexität.4 „Der Mensch ist darauf angewiesen, dass die Leistungen, vom Öffnen des Wasserhahns am Morgen angefangen bis zum Programmieren des elektronischen Weckers am Abend, andere erbringen; und er muss sich auf das Funktionieren dieser Rahmenbedingungen verlassen können.“5
Während die gesellschaftliche Kooperation völlig neue Ausmaße erreicht hat, werden die Kooperationsbeziehungen also zunehmend komplexer und anony mer. Neben der rein quantitativen Zunahme von Risiken6 fehlt es insofern insbesondere an dem für Kooperation eigentlich notwendigen Vertrauen, denn auch die stetig wachsenden, komplexen und anonymen Beziehungsgeflechte werden vermehrt als Risiko wahrgenommen.7 Das gesellschaftliche Bedürfnis nach Si cherheit hat sich im Zuge dieses Prozesses gewandelt.8 In der postindustriellen 3 Grundsätzlich zu den Veränderungen auf gesellschaftlicher Ebene siehe Singelnstein/ Stolle, S. 17–115. 4 Di Fabio, in: Vertrauen, S. 61–68 (61); Lammert, in: Vertrauen, S. 7–18 (8); in einer Analyse verschiedener Soziologen der Gegenwart schreibt Gernot Wersig (S. 11): „Abstrahiert man etwas von den im einzelnen unterschiedlichen Gedankengängen, dann werden weitere Ähnlichkeiten sichtbar. Bei allen Autoren spielt der Begriff der Komplexität eine Rolle, Komplexität als ein wesentliches Merkmal unserer Zeit, die mit Ungewißheit verbunden ist. Diese Ungewißheit wiederum führt zum Gefühl der Überforderung.“ 5 Lammert, in: Vertrauen, S. 7–18 (8). 6 Im Anschluss an Ulrich Beck (passim) ist in diesem Sinne häufig von der modernen (post industriellen) „Risikogesellschaft“ die Rede; dazu auch Hirtenlehner, JRP 17 (2009), 13–22 (15 f.). 7 Vgl. auch Silva Sánchez, S. 7 ff. 8 Prägend für die Analyse dieser Entwicklungen ist auch hierzulande die – insbesondere auf den englischsprachigen Raum konzentrierte – Arbeit von David Garland aus dem Jahr 2001 (in
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„Risikogesellschaft“ geht es meist nicht mehr um die Furcht vor dem übermächtigen Staat, wie sie das freiheitliche Streben der Aufklärung geprägt hatte. Vielmehr erhofft man sich angesichts der zahlreichen Ungewissheiten nun Sicherheit durch den starken Staat.9 Im Zentrum der Diskussionen um die Sicherheitsängste steht seit vielen Jahren die Kriminalitätsfurcht.10 Sie – insofern ist man sich wohl einig – übersteigt die objektiv tatsächlich vorhandenen Gefahren bei Weitem, was nicht zuletzt an der verzerrten Darstellung von Kriminalität in den Massenmedien und auf modernen Kommunikationsplattformen liegen mag.11 Unabhängig davon ist auch diese nur „gefühlte“ Unsicherheit aber kein taugliches Fundament für Vertrauen und für ein wachsendes kooperatives Miteinander.12 Der (wiederum auch medial vermittelte und verstärkte)13 Handlungsdruck, welchen die Politik offensichtlich spürt, entbehrt also nicht jedweder Grundlage.14 Ihre Antworten erdeutscher Sprache erschienen 2008: Garland, Kultur der Kontrolle), vgl. dazu auch Eisenberg/ Kölbel, § 43 Rn. 1 ff.; zum Ausbau der Sicherungsverwahrung vor diesem Hintergrund Mus hoff, S. 540 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 263. 9 Kunz, in: Sicherheitsgesellschaft, S. 9–19 (12 ff.); ders., Kriminologie, § 30 Rn. 9; ebenso Hoven, ZStW 129 (2017), 334–348 (336): „Die Sorge vor einer Übermacht des Staates ist der Angst vor seiner Untätigkeit gewichen; in Anbetracht der wachsenden Furcht vor Kriminalität erscheint der Staat nicht als Leviathan, sondern als Rettungsanker in stürmischer See.“; vgl. ferner Kaufmann (Rechtsphilosophie, S. 232 f.), der von einer „pluralistische(n) Risikogesellschaft“ spricht. 10 Einen kurzen Abriss der Wissenschaftsgeschichte der Kriminalitätsfurchtforschung liefert Hirtenlehner, JRP 17 (2009), 13–22 (13 ff.); dazu und zum Folgenden ferner Eisenberg/ Kölbel, § 24 Rn. 40 ff.; Kania, S. 31 ff.; vgl. auch Kinzig, S. 46 ff.; Kunz/Singelnstein, § 23 Rn. 20 ff.; problematisch bei der separierten Betrachtung der „Kriminalitätsfurcht“ ist insbesondere, dass sich diese bezüglich des allgemeinen gesellschaftlichen Unsicherheitsgefühls wohl nicht von anderen sozialen Ängsten trennen lässt, vgl. dazu Hirtenlehner, JRP 17 (2009), 13–22 (16 ff., 19 ff.); Stolle, KJ 2011, 16–24 (23). 11 Hilgendorf, Handbuch des Strafrechts, § 17 Rn. 178; vgl. auch Eisenberg/Kölbel, § 24 Rn. 50 ff.; Huber, S. 223 ff.; Silva Sánchez, S. 10 ff.; Spycher, S. 174 ff.; Kunz (in: Sicherheitsgesellschaft, S. 9–19 [13 f.]) schreibt: „Das Sicherheitsverlangen ist als Verlangen stets subjektiv und kann sich davon nicht lösen. Sicherheit ist also kein Faktum, sondern ein Wunsch. Dieser beruht auf einem Mix von Feststellungen, Gefühlen und Vorurteilen, die teilweise auf eigene Wahrnehmung, überwiegend aber auf landesweites Infotainment zurückgehen.“ 12 Im Lichte einer Foucault’schen Machtanalyse hingegen erscheint der dauerhafte Zustand der „Unsicherheit“ gerade als notwendiger Teil gouvernementaler Herrschaftstechniken in der modernen sozialen Ordnung, vgl. Singelnstein, KJ 2011, S. 7–15 (8 ff.); Wrobel, KriPoZ 2020, 77–83 (80). 13 Vgl. dazu Eisenberg/Kölbel, § 24 Rn. 50 ff.; Wrobel (KriPoZ 2020, 77–83 [80]) spricht von einem durch die Medien vermittelten „rein fiktiven – gar illusionären – ‚einheitlichen Volkswillen‘“. 14 Vgl. Sieber, in: Strafrechtspflege, S. 351–372 (353 ff.); vgl. auch die Aussage Hassemers (HRRS 4/2006, S. 130–143 [140]): „Und nicht die reale Bedrohung durch das Verbrechen,
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scheinen gerade mit Blick auf ein stimmiges Strafsystem allerdings hochproblematisch.
2. Die Strafe als politisches Allheilmittel:15 die „Präventions-Formel“ Die Frage nach den genauen Wirkungsweisen der (staatlichen) Strafe ist bis heute nicht geklärt. Die übertriebenen Hoffnungen, die diesbezüglich auf der modernen empirischen Wirkungsforschung ruhten, sind mittlerweile begraben und einer rationaleren Erwartungshaltung gewichen. Mit ihren größtenteils ernüchternden Ergebnissen lieferte die Kriminologie als zuständige Disziplin bisher eher Munition gegen als für die jeweiligen straftheoretischen Ansätze. Konsens herrscht heutzutage im Wesentlichen allerdings in zwei Punkten: Dem Gedanken, dass staatliche Strafe (grundsätzlich, nicht unbedingt in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung) sein müsse. Und dem Umstand, dass sie in irgendeiner Form präventive Wirkungen habe, indem sie die Zukunft des gesellschaftlichen Zusammenlebens positiv beeinflusse. Vor dem Hintergrund dieses straftheoretischen „Schleiers des Nichtwissens“16 – bei gleichzeitiger Überzeugung von der notwendigen Existenz staat licher Strafe – wird der Legislative bei der Frage nach ihren spezifischen Wirkungen ein weiter Beurteilungsspielraum zugestanden.17 Prognostiziert wird vom Kriminalgesetzgeber allerdings herzlich wenig. Meist wird auf die Frage, wie genau die staatliche Strafe die konkreten Ziele erreichen solle, schlicht nicht eingegangen (verfassungsrechtlich immerhin die Frage, ob das „schärfste Schwert“ des Staates im spezifischen Fall überhaupt ein geeignetes Mittel sei!). Was sich die Politik von der Strafe erhofft, wird dennoch deutlich: Zunächst geht es um die angesprochene Reaktion auf (vermeintliche) Verunsicherungen in der Gesellschaft.18 Insofern scheint teilweise schon das Ziel der „Steigerung des subjektiven Sicherheitsempfindens“ der Bevölkerung auszureichen, um neue sondern die ‚gefühlte‘ Bedrohung, die Verbrechensfurcht der Wählerinnen und Wähler, wird am Ende über die reale Kriminalpolitik entscheiden – und das, im demokratischen Staat, mit Recht.“; der Erste Periodische Sicherheitsbericht spricht davon, dass „eine sachgerechte Sicherheitspolitik […] auch die von der Bevölkerung wahrgenommenen und empfundenen Bedrohungen durch Kriminalität stärker berücksichtigen“ müsse (Erster Periodischer Sicherheits bericht 2001, S. 604); vgl. zum Ganzen auch Mushoff, S. 567 f. 15 In dieser Terminologie auch Hoven, ZStW 129 (2017), 334–348 (334); Mitsch (ZIS 2016, 352–365 [352]) spricht vom Strafrecht als „Allzweckwaffe“ der modernen Politik. 16 Der Begriff ist der Gerechtigkeitstheorie von John Rawls (zweckentfremdet) entnommen, vgl. Rawls, S. 159 ff. 17 Vgl. dazu Kaspar, S. 126 ff. mit weiteren Nachweisen. 18 Vgl. etwa das Zitat des ehemaligen Bundesinnenministers Manfred Kanther aus den Beratungen zum Gesetzesentwurf des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28. Oktober 1994
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Strafgesetze zu legitimieren.19 Die Vermutung liegt aber nahe, dass hier nicht nur ein rein „symbolisches Strafrecht“20 intendiert ist, bei dem man auf das schlichte Gemüt des Bürgers hofft, der davon ausgeht, dass unerwünschte Verhaltensweisen ganz einfach verhindert würden, wenn man sie nur unter Strafe stelle (und der deshalb wieder ruhig schlafen könne, wenn etwa die Mindeststrafe für den Wohnungseinbruchdiebstahl erhöht werde). Wenn in unzähligen neueren Gesetzen (häufig schon im Titel) von der „Bekämpfung“ gewisser Verhaltensweisen und dem diesbezüglichen „Schutz der Bevölkerung“ die Rede ist,21 steht vielmehr zu befürchten, dass der aktuellen Strafgesetzgebung die Vorstellung von diesem schlichten Zusammenhang auch wirklich zugrunde liegt. Insofern scheint es aus den wissenschaftlichen Diskussionen tatsächlich nur die pauschale „Präventions-Formel“ (Verbot + Strafbewehrung = Verhinderung der unerwünschten Handlung) in die legislative Praxis geschafft zu haben – ein verkümmertes und verfälschtes Überbleibsel des ohnehin nur oberflächlichen straftheoretischen Konsenses über die (komplexen) präventi ven Wirkungen eines idealen Strafrechts (und nicht jeder beliebigen Strafnorm).22 In diesem Sinne sind das (eigentliche repressive) Strafrecht und das (präventive) Polizeirecht heutzutage nur mehr schwer zu unterscheiden. Zurecht wird deshalb in den letzten Jahrzehnten vermehrt die Verschmelzung der beiden Bereiche zu einem einheitlichen Sicherheitsrecht beklagt, welches vor dem Hintergrund der zahlreichen neuen und vermeintlichen Risiken auszuarten droht.23 (BT-PlPr 12/210, S. 19892): „Die Bürger der Bundesrepublik Deutschland haben Angst vor Verbrechern, und die Politik ist gehalten, ihnen diese Angst nach Kräften zu nehmen“. 19 Vgl. Singelnstein/Stolle, S. 156; Singelnstein, KJ 2011, 7–15 (10); vgl. auch Hirtenleh ner, Journal für Rechtspolitik 17 (2009), S. 13–22; Schlepper, S. 104 ff.; Spycher, S. 182, 184 ff. mit weiteren Nachweisen. 20 Dazu sogleich Teil II – Kapitel 9II.2.a) bb). 21 Vgl. dazu Heinrich, KriPoZ 2017, S. 4–20 (4, 7) mit zahlreichen Nachweisen; Vormbaum, in: Strafgesetzbuch, S. 456–489 (481 ff.); ders., Einführung, S. 262 f. („‚Bekämpfung‘ ist das kriminalpolitische Schlagwort des strafrechtlichen Zeitgeschehens“); vgl. auch T. Fischer, Strafen, S. 281 ff. 22 Vgl. auch Spycher, S. 184 ff. („Verherrlichung des Präventionsgedankens“, „Präventionswahn“ [S. 199]); Haffke (in: Strafen, S. 35–66 [41]) betrachtet die „Neue Lust am Strafen“ als Ergebnis aus einem „Sog dieser präventiven Sicherheitslogik“; Kunz (Kriminologie, § 30 Rn. 9 ff.) sieht den Prestigeverlust und die daraus folgende Diskreditierung des Expertentums als zentrale Triebfedern der neuen Präventionsbewegung; die Vorstellung der „Präventions-Formel“ durchzieht im Übrigen alle politischen Parteien. Auch wenn sich ihre jeweiligen Ziele unterscheiden, so erkennen sie doch alle im Strafrecht das geeignete Mittel, um diese Ziele durchzusetzen, vgl. dazu Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (370); Silva Sánchez, S. 27 ff. mit weiteren Nachweisen. 23 Vgl. Cerny/Fickentscher, NStZ 2019, 697–702 (698 ff.); Kubiciel, ZStW 131 (2019), 1115–1125 (1117); Sieber, in: Strafrechtspflege, S. 351–372 (354 ff.).
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Sicherlich trägt zu dieser Vorstellung von der Wirkungsweise des Strafrechts wiederum die „laienpsychologische Evidenz“ des Abschreckungsgedankens bei. Insofern verwundert es nicht, dass die „Abschreckung“ im Grunde die einzige spezifisch straftheoretische Wirkung ist, die vereinzelt in den Gesetzesbegründungen angeführt wird. Ironischerweise wird sie aber insbesondere dann stolz aus der argumentativen Werkzeugkiste geholt, wenn es um die Erhöhung bereits angedrohter Sanktionen geht – also gerade in dem Bereich, in dem ihre im Grunde völlige Wirkungslosigkeit in der kriminologischen Forschung recht gut nachgewiesen ist.24 Der Kriminologe Karl-Ludwig Kunz konstatiert: „Es ist nachgerade absurd, dass die empirische Kriminologie noch nie so viel Wissen wie heute produzierte – und dass sie kriminalpolitisch noch nie so einflusslos wie heute war.“25
Problematisch erscheint diese laienhafte Vorstellung nicht nur hinsichtlich der sogleich beschriebenen Entwicklungen und ihrer Auswirkungen auf ein stimmiges Strafsystem. Auch aus verfassungsrechtlicher Perspektive ist diese Ignoranz in der Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Erkenntnissen – gerade im Strafrecht – im Grunde nicht haltbar. Nicht umsonst gewährt das Bundesverfas sungsgericht eben keinen unbegrenzten, willkürlichen Beurteilungsspielraum, sondern verpflichtet den Gesetzgeber, zumindest den vorhandenen wissenschaftlichen Kenntnisstand zu ermitteln und zu berücksichtigen.26 Die grundsätzliche Problematik ist der Politik keinesfalls unbekannt.27 So kam es im Anschluss an die verstärkt auftretenden Forderungen nach einer „evidenzbasierten“ Kriminalpolitik im Jahr 2016 etwa zur Gründung des „Nationalen Zentrums für Kriminalprävention“, in dem wissenschaftliches Wissen gebündelt, aufbereitet und in die politische Praxis überführt werden soll.28 Im Koalitionsvertrag von 2018 heißt es ferner: „Wir treten für eine evidenzbasierte Kriminalpolitik ein. Wir wollen, dass kriminologische Evidenzen sowohl bei der Erarbeitung von Gesetzentwürfen als auch bei deren Evaluation berücksichtigt werden.“29 Es bleibt abzuwarten, ob diese ehrenwerten Bestrebungen in Zukunft tatsächlich Auswirkungen auf die legislati24
Schlepper, S. 140 ff.; vgl. auch Teil II – Kapitel 8II.2.a); Putzke (FS Schwind, S. 111–122 [118]) erkennt eine „schier unerschöpfliche Zahl solcher Irrationalitäten“ in der Kriminalpolitik. 25 Kunz, Kriminologie, § 30 Rn. 23; dazu auch Kunz/Singelnstein, § 24 Rn. 51 ff.; Kinzig, KriPoZ 2020, 8–13; vgl. auch Mushoff, S. 553: „Es wird deutlich, dass viele, vielleicht sogar die Mehrheit der kriminalpolitischen Neuerungen im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Kriminalwissenschaften stehen. Teile der praktischen Kriminalpolitik scheinen zu glauben, ohne exaktes empirisches Wissen auszukommen bzw. sich über die Erkenntnisse der Kriminalwissenschaften einfach hinwegsetzen zu können.“ 26 Vgl. BVerfGE 39, 210 (227 f.); BVerfGE 116, 69 (90); dazu Kaspar, S. 126 ff.; das betrifft im Übrigen auch die Ungeeignetheit des Mittels Strafrecht, um auf (vermeintlich) „gefühlte Unsicherheiten“ zu reagieren, vgl. dazu Stolle, KJ 2011, 16–24. 27 Vgl. auch Maas, NStZ 2015, 305–309. 28 Vgl. dazu Daniel, in: Kriminalprävention, S. 95–112 (104 ff.). 29 Koalitionsvertrag (CDU, CSU und SPD) 2018, S. 133.
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ve Praxis zeigen werden30 oder ob aus dem wissenschaftlichen Material – wie Kölbel ernüchternd konstatiert – weiterhin allenfalls das verwendet wird, was sich „zur Abstützung eines rechtspolitischen Votums verwenden lässt […], wohingegen alles Sperrige in der Regel ausgeblendet wird.“31
Wenden wir uns nun aber den problematischen Folgen dieser Abkoppelung der Strafgesetzgebung von den (straftheoretischen) Erkenntnissen der Wissenschaft zu. a) Die Expansion des Strafrechts Das Strafrecht ist wie gesehen eng verbunden mit gesellschaftlichen Veränderungen jeglicher Art. Insofern lässt sich – je präziser man die strafrechtlichen Tatbestände zu fassen versucht – eine Art „natürliche“ Ausweitung des Strafrechts, die sich schlicht durch die immer neuen Handlungsmöglichkeiten einer sich rasant entwickelnden Gesellschaft ergibt, im Grunde nicht vermeiden.32 Über diese natürlichen Veränderungen hinaus hat die Vorstellung, dass die schlichte Strafbewehrung unerwünschte Verhaltensweisen erfolgreich verhindern könne, in den letzten Jahrzehnten allerdings zu einer neuen Dimension der „Expansion des Strafrechts“ geführt. Nachdem die Diskussionen zur Großen Strafrechtsreform in den 60er- und frühen 70er-Jahren noch von Forderungen nach Entkriminalisierung geprägt waren, kam es in den folgenden Jahrzehnten nahezu ausschließlich zu Neukriminalisierungen (aa]) und Strafschärfungen (bb]), die durch die supranationale Integration auf europäischer Ebene noch verstärkt werden (cc]).33 aa) Neukriminalisierung Bei der Neukriminalisierung lassen sich insbesondere zwei große Linien ausmachen. Beide Male handelt es sich im Grunde nur um die konsequente Umsetzung der „Präventions-Formel“. Der erste Bereich der Ausweitung betrifft die zeitliche Perspektive. Will man etwaigen Unsicherheiten in der Gesellschaft vorbeugen, hat man – so der Gedanke – eben jene Verhaltensweisen zu unterbinden, denen diese Unsicherheit an30 Für die bisherige Zeit stellt Kinzig (KriPoZ 2020, 8–13 [13]) ironisch fest: „Nachdem die Große Koalition ja bisher so fleißig war, bin ich mir sicher, dass sie sich diese anspruchsvolle Aufgabe für die zweite Hälfte der Legislaturperiode fest vorgenommen hat.“; zu den bis dahin noch zu überwindenden praktischen und auch rechtlichen Herausforderungen und Hindernissen vgl. Kaspar, KriPoZ 2020, 14–21; Meier, KriPoZ 2020, 1–7. 31 Kölbel, NK 2019, 249–268 (252). 32 Vgl. Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (374 f.); Silva-Sánchez, S. 7 ff. 33 Göppinger/Schneider, Kriminologie, § 30 Rn. 3 ff. mit weiteren Nachweisen; Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (378 f.).
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haftet. Insofern erscheint es sinnvoll, bereits Handlungen zu bestrafen (= zu verhindern), die zwar selbst noch keine Rechtsgüter verletzen, die ebensolche Verletzungen in Zukunft aber als möglich erscheinen lassen und aus diesem Grund ein potentielles Risiko darstellen. Hatte das „klassische“ Strafrecht noch hauptsächlich (versuchte) Rechtsgutsverletzungen im Blick, geht es bei den zahlreichen „Vorfeldtatbeständen“ und „Besitzdelikten“, die mittlerweile die kriminalisierte Landschaft durchziehen, nun also um (zeitlich meist weit vorgelagerte) Vorbereitungshandlungen oder Gefährdungen.34 Viel kritisiertes Beispiel sind die §§ 89a ff. StGB.35 § 89a StGB stellt die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat unter Strafe. Danach macht sich beispielsweise strafbar, wer sich in diesem Sinne in der Herstellung von oder im Umgang mit Schusswaffen oder Sprengstoffen unterweisen lässt, § 89a II Nr. 1 StGB. Noch weiter vorgelagert gilt dies bereits für einen Täter, der es zu diesem Zweck unternimmt, aus der Bundesrepublik auszureisen, § 89a IIa StGB. Diese Vorverlagerung in den Bereich der „Gefahrenabwehr“ führt – in Verbindung mit einer gleichzeitig stattfindenden Expansion im Polizei- und Geheimdienstrecht – auch zu immer größeren Überschneidungen der beiden Bereiche und zu damit verbundenen Problemen bei den jeweiligen Eingriffsgrundlagen.36
Der zweite Bereich der Neukriminalisierung betrifft schlicht die wachsende An zahl der durch das Strafrecht „abgesicherten“ Verhaltensnormen. Geht man mit der „Präventions-Formel“ davon aus, dass die Strafbewehrung einer Norm dazu führt, dass die unerwünschten Verhaltensweisen auch tatsächlich unterbleiben, so ist erst einmal nicht einzusehen, warum sich nicht jede rechtliche Regelung diese Vorteile zunutze machen sollte. Aus diesem Grund findet sich die Kriminalstrafe als „schärfstes Schwert“ des Staates inzwischen bei Weitem nicht mehr nur im Strafgesetzbuch. Vielmehr hat sich das sogenannte „Nebenstrafrecht“ zu einem unüberschaubaren Netz von Normen ausgeweitet, das im Grunde alle rechtlich geregelten Bereiche des Lebens umspannt.37 34 Puschke, S. 10 ff.; vgl. auch Kunz, Kriminologie, § 31 Rn. 7; Sieber, in: Strafrechtspflege, S. 351–372 (355 ff.); Spycher, S. 194 ff.; speziell zu den Vorbereitungsdelikten auch Mitsch, JURA 2013, 696–704; aus dem Allgemeinen Teil sind das beispielsweise § 27 StGB und § 30 StGB. Im Besonderen Teil des StGB sprechen exemplarisch § 149, § 202c, § 234a III, § 263a III, § 275 und § 310 StGB ausdrücklich von der „Vorbereitung“. Ebenso kriminalisieren aber auch z. B. § 146 I Nr. 1 und 2, § 176 IV Nr. 3, § 180 I, § 219a, § 219b, § 265 und § 267 I Alt. 1 und 2 StGB solche Vorbereitungshandlungen. Zahlreiche Tatbestände finden sich auch im Nebenstrafrecht, etwa dem BtMG; zu den Besitzdelikten vgl. Eckstein, ZStW 117 (2005), 107–142. 35 Das entsprechende Gesetz wurde im Schrifttum bereits im Entwurfsstadium überwiegend abgelehnt, vgl. etwa T. Walter, KJ 2008, 443–450. 36 Vgl. dazu Cerny/Fickentscher, NStZ 2019, 697–702. 37 Heinrich, KriPoZ 2017, 4–20 (5); Singelnstein, JZ 2011, 7–15 (9); Naucke (KritV 93 [2010], 129–136 [133]) spricht von einem „riesigen Sammelbecken für strafrechtlich zu bedienende Sicherheitsbedürfnisse. Hier entstehen Gesundheitsstrafrecht, Medizinproduktstrafrecht, Datenschutzstrafrecht, Waffenstrafrecht, Vereinsstrafrecht, Verkehrsstrafrecht, Eisenbahnstraf-
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bb) Symbolische Einzelfallgesetzgebung Ein weiterer Faktor für die Expansion des Strafrechts ist die aktuelle Tendenz der Politik, auf medienwirksame Straftaten „nahezu routinemäßig mit einer Anhebung der Strafrahmen zu reagieren.“38 Das kriminalpolitische „Agenda-Setting“ ist dabei in erster Linie bestimmt durch die modernen Massenmedien.39 Der politische Kampf um Wählerstimmen überschneidet sich thematisch in weiten Teilen mit dem medialen Kampf um Leser, Einschaltquoten oder Klicks. In der Regel sind es aufsehenerregende Einzelfälle, die den politischen Überbietungswettbewerb in Gang setzen.40 Wer – insbesondere im Wahlkampf – zeigen will, dass er sich um die Probleme der Bürger kümmert, hat dabei nur eine begrenzte Zahl an Demonstrationsmöglichkeiten zur Verfügung.41 Für das eigentliche Gefahrenabwehrrecht etwa (das Polizeirecht) fehlt es auf Bundesebene schon an der sachlichen Zuständigkeit. Auch der langwierige Diskurs über soziostrukturelle Probleme verspricht keine besondere mediale Aufmerksamkeit. Als Mittel der Wahl gilt daher der schnelle Ruf nach dem Strafrecht – und wenn es um einen bereits mit Strafe bewehrten Bereich geht: der Ruf nach Strafschärfung.42 Allen kriminologischen Erkenntnissen zum Trotz können entsprechende Gesetzesvorhaben in aller Regel auch zügig durchgesetzt werden. So wurde etwa nach den Geschehnissen der Kölner Silvesternacht 2015/2016 eine Reform des Sexualstrafrechts beschlossen, noch bevor die eigens dafür eingesetzte Expertenkommission ihren Bericht vorlegen konnte.43 Das liegt zum einen daran, dass entsprechende Forderungen in der Regel nahezu keine unmittelbaren Kosten für den Bund mit sich bringen.44 Zum anderen recht, Luftverkehrsstrafrecht, Kriegsstrafrecht, Militärstrafrecht, Verbraucherschutzstrafrecht. Dies sind nur Beispiele aus einer unabsehbar langen Liste.“ 38 Kaspar, S. 669; Singelnstein (ZfRSoz 34 [2014], 321–329 [325]) spricht vom „Strafrecht als politischer Reflex“; vgl. auch Göppinger/Schneider, Kriminologie, § 30 Rn. 4 ff. 39 Eisenberg/Kölbel, § 24 Rn. 50 ff.; zum „politisch-publizistischen Verstärkerkreislauf“ speziell im Strafrecht bereits Scheerer, KrimJ 10 (1978), 223–227; dazu auch S. Rückert, in: Mediengesellschaft, S. 87–95. 40 Vgl. Höffler, in: Strafrechtspolitik, S. 225–243 (226); Hoven, ZStW 220 (2017), 334–348 (336); zur selektiven Fokussierung auf einzelne Taten auch Spycher, S. 176 ff. mit weiteren Nachweisen; T. Fischer (S. 268 ff.) spricht von „Rechtspolitik nach Regeln der Talkshow“. 41 Vgl. Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1578). 42 Vgl. Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (370); Kubiciel, ZStW 131 (2019), 1115–1125 (1119 f.); vgl. auch Spycher (S. 181 ff. mit weiteren Nachweisen), der von Kriminali tät als „dankbarem Profilierungsthema“ und „politischem Verkaufsprodukt“ spricht; bei Sieber (in: Strafrechtspflege, S. 351–372 [353 ff.]) ist in Anlehnung an Jonathan Simon die Rede von einem „gouverning through fear of crime“; vgl. dazu auch Eisenberg/Kölbel, § 24 Rn. 20 ff. 43 Hörnle, NStZ 2017, 13–21 (14); Kubiciel, ZStW 131 (2019), 1115–1125 (1118); dazu auch Hoven, KriPoZ 2018, 2–11. 44 Vgl. T. Walter, JZ 2019, 649–656 (651): „Die Kosten des Vollzuges braucht man nicht zu
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ist der entsprechende Mechanismus auch gesellschaftlich akzeptiert – nicht zuletzt, da die kriminalpolitische Praxis die „laienpsychologische Evidenz“ des Konzepts in der Bevölkerung stetig weiter bestärkt.45 Ablehnende Haltungen, die sich auf die Sinnlosigkeit oder Illegitimität der strafrechtlichen Bestärkung oder Verschärfung im konkreten Fall berufen, haben daher stets mit einem gewaltigen Medienecho zu rechnen, welches ihnen einzig die Verharmlosung der im Raum stehenden Thematik bescheinigt, bei der man das Allheilmittel „Strafe“ nicht für erforderlich halte – ein der politischen Karriere eher abträglicher Effekt.46 Jüngstes Beispiel ist das Verhalten der Bundesjustizministerin Christine Lambrecht rund um einen Kindermissbrauchsskandal in Münster. Auch hier hatte man nicht lange zu warten, bis in den Medien von den üblichen politischen Forderungen nach Strafschärfungen berichtet wurde. Die Ministerin äußerte sich zunächst allerdings skeptisch, da schon nach der aktuellen Gesetzeslage die zeitliche Höchststrafe von 15 Jahren drohe, nach der ferner eine anschließende Sicherungsverwahrung möglich sei. Die bloße Heraufsetzung der Mindeststrafe auf ein Jahr (insofern gesetzestechnisch die Aufstufung zum Verbrechen, § 12 I StGB) halte sie aber für ein wenig geeignetes Mittel, um die Problematik wirksam zu bekämpfen. Auch unterfalle dem Tatbestand etwa der „Zungenkuss zwischen 13- und 14-Jährigen“, auf was bei einer erhöhten Mindeststrafe aber nicht mehr angemessen reagiert werden könne. Die Bild-Zeitung titelte daraufhin: „Für die Justiz kein Verbrechen! Ministerin Lambrecht: Kindesmissbrauch ist Vergehen“.47 Tags darauf hieß es: „Justizministerin will Missbrauch nicht als Verbrechen werten. Kinderhilfe fordert Rücktritt von Lambrecht.“48 Nur wenige Stunden später war der mediale Druck schließlich zu stark geworden, und so vermeldete wiederum die „Bild“: „Justizministerin knickt ein. Lambrecht nun doch für härtere Strafen für Kindesmissbrauch.“49 beziffern, und der Bund, von dem das Strafrecht kommt, braucht sie auch nie zu bezahlen; das ist später Sache der Länder.“; dazu auch Heinrich, KriPoZ 2017, 4–20 (5); Singelnstein, ZfRSoz 34 (2014), 321–329 (322); Garland (in: Soziologie, S. 36–68 [44]) gibt zu Bedenken: „Punitive Politik ist nicht ohne Kosten zu haben. […] – all das hat seinen Preis in der Erosion bürgerlicher Freiheiten oder der Macht des Bürgers gegenüber dem Staat.“ 45 Vgl. Kaspar, S. 669 f.; Singelnstein, ZfRSoz 34 (2014), 321–329 (325); auch Riklin (Vorwort in: Riklin/Mez [Hrsg.], Strafe muss sein …, S. 10 f.] beklagt die fehlende Präsenz der Wissenschaft in der gesellschaftlichen Diskussion und warnt vor „falschen Propheten“ auf dem Gebiet des Strafrechts. 46 Zum Ganzen auch Putzke, FS Schwind, S. 111–122 (118); vgl. ferner Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1578). 47 https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/kindesmissbrauch-ist-vergehen-fuerdie-justizministerin-kein-verbrechen-71167332.bild.html (zuletzt abgerufen am 11.06.2023). 48 https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/missbrauch-nicht-als-verbrechen-wertenkinderhilfe-fordert-ruecktritt-von-lambre-71173486.bild.html (zuletzt abgerufen am 11.06.2023). 49 https://www.bild.de/politik/2020/politik/justizministerin-lenkt-ein-lambrecht-nun-dochfuer-haertere-missbrauchs-strafen-71204792.bild.html (zuletzt abgerufen am 11.06.2023). Die von der GroKo daraufhin im Jahr 2021 umgesetzte Verschärfung des Sexualstrafrechts sieht sich mittlerweile heftiger Kritik aus Politik und Praxis ausgesetzt. Nach einstimmiger Aufforderung aller 16 Landesjustizminister arbeitet das BMJ mittlerweile an einer Reform, vgl. dazu
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cc) Die Europäisierung des Strafrechts Der letzte hier zu nennende Faktor ist die fortschreitende Europäisierung des Strafrechts. Eine Vielzahl nationaler Strafgesetze ist (weitgehend unbemerkt) mittlerweile auf europäische Richtlinien oder Rahmenbeschlüsse zurückzuführen.50 Der Prozess setzt einen generellen Trend in der langen Geschichte der Strafe fort. Dabei geht es aber bereits nicht mehr nur um grenzüberschreitende Delikte und den gemeinsamen Kampf gegen neue Formen „internationaler Kriminalität“.51 Vielmehr wird – das zumindest legt die Geschichte nahe – eine durch Globalisierung getriebene Massenkooperation, sollte diese weiter fortschreiten, auf lange Sicht nur mit gleichzeitiger Vereinheitlichung (straf-)rechtlicher Regelungen funktionieren.52 Will die Europäische Union weiter zusammenwachsen, braucht sie deshalb im selben Maße gemeinsames (Straf-)Recht, und Art. 83 II AEUV sieht – wenn auch wohl aus anderen Gründen –53 bereits eine strafrechtliche Annexkompetenz für alle Rechtsbereiche vor, in denen Harmonisierungsmaßnahmen erfolgen.54 Der Prozess dieser Harmonisierung aber – auch das zeigt die Geschichte – ist ein langer und mühsamer, in dem unterschiedliche Rechtsordnungen und -traditionen aufeinandertreffen.55 Die europäischen Vorgaben fügen sich dabei reibungslos in die expansiven Tendenzen des nationalen Strafrechts ein und ver https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/kinderpornografie-184b-verbrechen-strafverschaer fung-korrektur-bmj-buschmann-faeser-strafverteidiger/ (zuletzt abgerufen am 11.06.2023). 50 Vgl. Hefendehl, in: Vorverlagerung, S. 89–105 (97 f.); Puschke, S. 34; ders., in: Vorverlagerung, S. 9–39 (19); Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 266; vereinzelte Versuche, durch Richtlinien und Verordnungen auf die nationalen Gesetzgeber einzuwirken, gab es bereits in den 70er-Jahren, dazu überblicksartig Aksungur, S. 129 ff.; vgl. auch Geiger, S. 33 ff. 51 Insofern verleiht Art. 83 I AEUV dem Europäischen Parlament und dem Rat die Kompetenz, Mindestvorschriften zur Festlegung von Straftaten und Strafen in grenzüberschreitenden Bereichen festzulegen. Derartige Kriminalitätsbereiche sind derzeit: Terrorismus, Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität. 52 Vgl. dazu auch Trentmann, ZStW 129 (2017), 108–145; zur problematischen Beziehung zwischen Strafrecht und Globalisierung ferner Prittwitz, in: Strafrechtsprobleme, S. 163–175. 53 Art. 83 II AEUV spricht davon, dass das Strafrecht für die „wirksame Durchführung der Politik der Union“ eingesetzt werden solle, was wiederum eher auf einen straftheoretischen Hintergrund im Sinne der „Präventions-Formel“ schließen lässt. 54 Vgl. zum Ganzen auch Mohácsi, Jahrbuch für Vergleichende Staats- und Rechtswissenschaften 1 (2011), S. 41–60 sowie T. Walter, ZStW 117 (2005), 912–933. 55 Vgl. dazu Esser, Handbuch des Strafrechts, § 13 Rn. 58 ff.; Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (377 f.); Puschke, in: Vorverlagerung, S. 9–39 (20); vgl. auch Ambos, GA 2016, 177–194 (184 ff.).
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stärken diese noch. Auch auf internationaler Ebene nämlich sind die Akteure in großem Maße auf das Gutdünken von Medien und Gesellschaft angewiesen. Es verwundert insofern nicht, dass sich mittlerweile auch hier die pragmatische „Präventions-Formel“ und insbesondere auch das Abschreckungsdenken56 als Grundlage kriminalpolitischer Entscheidungen etabliert haben.57 Vor diesem Hintergrund führten die „Harmonisierungsbestrebungen“ bislang ausnahmslos zu weiteren Verschärfungen und Ausweitungen des Strafrechts.58 b) Das moderne Strafrecht als großer Flickenteppich59 aa) Die Größe des Teppichs Die Expansion des Strafrechts in ihren verschiedenen Erscheinungsformen ist in mehrfacher Hinsicht problematisch für die „Relativität der Strafe“. Zunächst hat der Übergriff des Strafrechts in nahezu alle rechtlich durchsetzten Lebensbereiche zu einer Spaltung des Strafrechts geführt, die seinen „Charakter“ bereits nachhaltig verändert hat. Während es einst um „schwere“, in der Bevölkerung verpönte Übertretungen ging, bei denen die Strafe in einem hohen Maße auf die Wirkungen gesellschaftlicher Stigmatisierung bauen konnte, gibt es heute einen stetig wachsenden Bereich der „leichten“ und „mittleren“ Kriminalität, in dem es häufig um eher alltägliche Grenzüberschreitungen der Allgemeinheit geht.60 Nicht nur aufgrund seines mittlerweile erheblichen Umfangs und der begrenzten staatlichen Ressourcen, sondern auch weil hinsichtlich der zahlreichen Neukriminalisierungen häufig schlicht keine gesellschaftlichen Bedürfnisse nach einem klassischen Strafverfahren bestehen, hat sich der staatliche Umgang mit „Kriminalität“ daher stark gewandelt. Ein erheblicher Teil der Strafverfahren wird mittlerweile bereits bei den Staatsanwaltschaften aus Opportunitätsgründen eingestellt.61 Dass dabei (trotz 56
Vgl. dazu Scheffler, FS Schwind, S. 123–146. Zu dieser „Strafideologie“ im Sinne einer „Präventionsideologie“ auch Cancio Meliá, FS Tiedemann, S. 1489–1502 (1494 ff); vgl. auch Roxin/Greco, § 3, Rn. 32 („abschreckungsorientierte[s] Unionsrecht“); zur punitiven Grundhaltung der Akteure zudem Hilgendorf, in: Strafgedanke, S. 191–215 (207) mit weiteren Nachweisen. 58 Vgl. dazu Heinrich, KriPoZ 2017, 4–20 (5); Silva Sánchez, S. 39 ff., 57 ff.; Vormbaum, Strafrechtsgeschichte, S. 266. 59 Heinrich (KriPoZ 2017, 4–20 [9]) spricht von einem „Flickenteppich ohne System“. 60 Die von Garland für den angelsächsischen Raum festgestellte Unterscheidung zwischen der Criminology of the self und der Criminology of the Other (vgl. Garland, The British Journal of Criminology 36 [1996], S. 445–471 [461 ff.]) lässt sich zumindest in diesem Sinne auch für den deutschen Raum konstatieren, vgl. dazu auch Singelnstein, JZ 2011, 7–15 (12); Singeln stein/Stolle, S. 74 ff. 61 Vgl. Heinrich, KriPoZ 2017, 4–20 (10); Singelnstein, JZ 2011, 7–15 (11); schon der 57
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gesetzlicher Androhung) auf Strafe oder zumindest auf das klassische formale Strafverfahren verzichtet wird, lässt sich zum Teil freilich mit spezialpräventiven Argumenten begründen. Im Grunde aber geht es häufig darum – und so sagt es dann auch das Gesetz (§§ 153 ff. StPO) –, dass die Schuld des Täters ohnehin gering ist, kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht oder man zumindest gewisse Auflagen und Weisungen für ausreichend hält (die der [mutmaß liche] Täter dann akzeptiert, um dem klassischen Strafverfahren vor dem Strafrichter aus dem Weg zu gehen).62 Kommt es zu keiner Einstellung, wird das Verfahren ferner häufig über das vereinfachte Strafbefehlsverfahren beendet – also ebenso ohne mündliche Verhandlung vor dem Strafrichter, §§ 407 ff. StPO. Nur in 8,5 Prozent der Fälle kam es nach einem Bericht des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2019 noch zur „klassischen“ Erhebung der Anklage.63 Schließlich verbleibt bis hinein in das eigentliche Strafverfahren vor dem Richter die mittlerweile auch gesetzlich fixierte Möglichkeit der Verständigung („Deal“), vgl. § 257c StPO.64 Und nach einer vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz in Auftrag gegebenen und jüngst veröffentlichten Studie sind trotz dieser gesetzlichen Normierung auch informelle Absprachen weiterhin ein zentraler Bestandteil der strafrechtlichen Praxis.65 Für ein in sich stimmiges Strafsystem scheint ein solch selektiver Umgang mit Kriminalität und Strafe höchst problematisch. Will das Strafrecht eine möglichst breite Relativität der ausgeworfenen Strafen gewährleisten, so kann es die Frage nach dem Ob und dem Wie der Strafe nicht in einem so großen Maße den Launen, Gepflogenheiten und Kapazitäten der jeweiligen polizeilichen, staatsanwaltschaftlichen und schließlich auch gerichtlichen Praxis überlassen.66 Genau
Zweite Periodische Sicherheitsbericht aus dem Jahr 2006 spricht von einer Einstellungsquote bei an sich anklagefähigen Strafverfahren von ca. 43,4 Prozent (Zweiter Periodischer Sicher heitsbericht 2006, S. 542). 62 Vgl. dazu auch Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (371). 63 Destatis, Rechtspflege/Staatsanwaltschaften 10/2.6 (2019), S. 30. 64 Vgl. zum Ganzen auch Hoven, ZStW 129 (2017), 334–348 (337); Wohlers, NJW 2010, 2470–2475. 65 Altenhain/Jahn/Kinzig, S. 530 ff. 66 Zu dieser Selektivität auch Singelnstein, ZfRSoz 34 (2014), 321–329 (326 f.); eindrücklich ferner Kölbel, NK 2019, 249–268 (257 ff.); vgl. auch Hilgendorf, in: Strafgesetzbuch, S. 258–380 (371); Naucke, in: Anomie, S. 42–56 (50 ff.): „Opportunität und Absprachen summieren sich zu einem eigenständigen Strafrechtsgebiet, in dem die handelnden Personen und ihre individuellen Auffassungen wichtiger sind als die Gesetze.“ (a. a. O. S. 53); Heinrich (KriPoZ 2017, 4–20 [20]) befürchtet, dass sich aus all diesen Gründen etwa „‚finanzkräftige‘ Beschuldigte, die sich eine ansprechende anwaltliche Vertretung leisten können, eher ‚freikaufen‘ können als weniger zahlungskräftige Straftäter.“
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das aber ist aktuell die Folge eines expansiven Strafrechts, das sich über sämt liche Lebensbereiche erstreckt.67 bb) Die Flicken des Teppichs Schließlich torpediert jede stimmungsgetriebene Einzelfallgesetzgebung das beschriebene Ideal eines in sich stimmigen, strafrechtlichen Gesamtsystems. Wenn als sofortige Reaktion auf aufsehenerregende Ereignisse bestimmte Bereiche des Strafrechts im „Eifer des Gefechts“ verschärft werden, so mag das – wenn es auch oft nichts nützt – zunächst einmal für sich genommen nicht dramatisch sein.68 Die Relativität der angedrohten Strafrahmen zueinander gerät durch diese Praxis allerdings immer weiter aus dem Gleichgewicht. Das wird spätestens dann deutlich, wenn sich die emotionale Betroffenheit beruhigt hat und sich die allgemeine Empörung einer neuen Thematik zuwendet, bei der das Strafrecht nun freilich keine Strafen (mehr) bereithält, die im Verhältnis zu den zuvor an anderer Stelle erhöhten Strafen noch als gerecht empfunden werden. Politisch durchsetzbar ist in diesem Fall nämlich nur eine weitere Verschärfung, und dieser Teufelskreis treibt das allgemeine Strafniveau in die Höhe, ohne jemals ein ausgewogenes Gesamtsystem in Aussicht zu stellen.69 Ein ähnliches Problem stellt sich auf europäischer Ebene. Die „Harmonisierung“ des Strafrechts geht – erfolgt sie nicht auf einen Schlag (was praktisch undenkbar ist) – automatisch zulasten national abgestimmter Strafsysteme. Wenn sich die jeweiligen Strafkulturen nämlich so stark unterscheiden, dass es einer Harmonisierung bedarf, können sich die europäisch initiierten Vereinheitlichungsversuche nicht harmonisch in jedes einzelne nationalstaatliche Strafsys-
67 Freilich geht eine solche „Ökonomisierung“ des Verfahrens auch stets mit einem Abbau strafprozessualer Beschuldigtenrechte einher und gerät auch deshalb mit dem eigentlich rechtsstaatlichen Selbstverständnis des modernen Strafrechts in Konflikt, vgl. Heinrich, KriPoZ 2017, 4–20 (9 f.); Singelnstein, ZfRSoz 34 (2014), 321–329 (323). In diesem Zusammenhang zeigt sich die Spaltung des Strafrechts und das neue Präventionsdenken auch in Versuchen, dem „Bürgerstrafrecht“ ein „Feindstrafrecht“ gegenüberzustellen, dessen deskriptiven Ausgangspunkt ebenso die moderne Vorverlagerungs-, Strafschärfungs- und Bekämpfungsmentalität bildet, in welchem rechtsstaatliche Garantien aber in der Folge zum Teil auch aus norma tiver Sicht bewusst aufgegeben werden, dazu Jakobs, HRRS 3/2004, S. 88–95; vgl. auch Asholt, ZIS 2011, 180–192. 68 Vgl. auch Robinson, Northwestern University Law Review 111 (2017), S. 1565–1595 (1579) („heat of the moment“). 69 Zum Ganzen Robinson (a. a. O.), der dieses Phänomen „punishment inflation“ nennt; zu einem ähnlichen „Teufelskreis“ und „Aufschaukelungsprozess“ vgl. Kaspar, S. 669 f. mit weiteren Nachweisen.
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tem einfügen, wenn sie doch gleichzeitig das Ergebnis eines Kompromisses der einzelnen Länder sind.70 c) Das Problem der Strafungleichheit All diese systemischen Probleme, welche die Expansion des Strafrechts für die „Proportionalität“ der Strafen zueinander mit sich bringt, treten ferner neben bereits bestehende Problematiken bei der gleichmäßigen Strafzumessung und verschärfen diese noch.71 Die in diesem Zusammenhang diskutierte Strafungleichheit ist freilich kein neues Phänomen. Regionale und richterspezifische Unterschiede gab es wohl schon immer. Im Jahr 1890 schrieb Franz von Liszt: „Man nenne mir Einen Richter im ganzen Deutschen Reich (…), der es bestreitet, daß Zufall und Willkür für die Höhe der erkannten Strafe maßgebend sind; der es leugnet, daß die Strafzumessung ein Griff ins Dunkle ist!“72
Sein Leipziger Kollege Adolf Wach konstatierte im selben Jahr: „Es ist wahr, die richterliche Strafzumessung ist zum guten Teil Willkür, Laune, Zufall. Das ist öffentliches Geheimnis, jedem schmerzliche Erfahrungsthatsache, der in der Strafrechtspraxis thätig geworden ist. […] Ob der Angeklagte zu sechs oder fünf oder vier Wochen oder zwei Monaten Gefängnis verurteilt wird, das hängt mehr von der zufälligen Zusammensetzung des Kollegiums, den subjektiven Anschauungen und Anregungen des Richters, seinem Geblüt und seiner Verdauung als von der Schwere des Verbrechens ab.“73
Die empirischen Wissenschaften haben diese Thesen früh bestätigt. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnten erhebliche Diskrepanzen bei der regiona
70 Vgl. auch Hoven, ZStW 129 (2017), 334–348 (335); zum Problem der unsystematischen Kriminalpolitik ferner Kubiciel, in: Strafrechtspolitik, S. 99–132 (101 ff.); auch die kulturell gewachsenen strafrechtlichen Grundprinzipien der jeweiligen Länder scheinen vor diesem Hintergrund zumindest potentiell in Gefahr. Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in seinem „Lissabon-Urteil“ aus dem Jahr 2009 das Schuldprinzip (in seinem spezifisch deutschen Verständnis) der Ewigkeitsklausel (Artikel 79 III GG) unterworfen und so dem europäischen Zugriff entzogen (BVerfGE 123, 267 [ff.]; vgl. dazu auch Landau, in: Europäische Integration, S. 163–178 [163 ff.]). Im selben Jahr veröffentlichten Strafrechtswissenschaftler aus zehn europäischen Ländern ein „Manifest zur Europäischen Kriminalpolitik“, in dem sie nachdrücklich für die Erhaltung der zivilisatorischen Errungenschaften der Aufklärung warben (siehe den Abdruck des „Manifests“ in ZIS 2009, 697–706; dazu auch Satzger, ZRP 2010, 137–140). 71 Zur gesellschaftlichen, insbesondere der sozialpsychologisch-generalpräventiven Relevanz von „Strafungleichheit“ vgl. Streng, Strafzumessung, S. 13 ff. 72 Von Liszt, ZStW 10 (1890), 51–83 (54). 73 Wach, S. 41; dazu auch von Liszt, Aufsätze I, S. 511–536 (532 ff.).
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len Strafzumessung nachgewiesen werden74 und die kriminologische Forschung bekräftigt diese Ergebnisse bis heute.75 In einer Untersuchung von Schöch etwa korrelierte der jeweilige OLG-Bezirk in fast gleichem Umfang mit der Strafe wie die Vorstrafenbelastung.76 Es liegt nahe, insofern die jeweilige revisionsgerichtliche Praxis als Mitursache anzu führen. Auch orientieren sich Staatsanwaltschaften77 und Richter häufig an regio nalen und informellen Strafmaßtabellen, Strafzumessungsrichtlinien oder Straf taxen.78 Gesicherte Aussagen über die genauen Ursachen der regionalen Straf ungleichheit sind aufgrund des „komplexen Geflechts unzähliger Einzeleinflüsse“ derzeit aber nur schwer zu treffen.79 Ähnliche Erkenntnisse lieferten die breiten – oft internationalen –80 Untersuchungen zu richterspezifischen Unterschieden. Sie zeigten, dass die einzelne Richterpersönlichkeit oft größere Auswirkungen auf die Strafzumessung hat als das geschriebene Recht.81 Dabei können freilich – hat der Richter seinen als „gerecht empfundenen“ Strafrahmen erst einmal abgesteckt – subjektive Strafzweckpräferenzen eine Rolle spielen.82 Die Entscheidungen können aber zumindest unterbewusst auch schlicht von der aktuellen Stimmungslage beeinflusst sein. So zeigten sich in 74 Vgl. etwa Woerner (S. 53 f.), welcher „große Unterschiede“ feststellte, „die in unleugbarem Zusammenhang mit der geographischen Lage stehen“ (a. a. O. S. 23); ferner Exner, Strafzumessungspraxis, S. 40 ff. („Für den Dieb, der vor einen Hamburger Richter kommt, ist […] die Aussicht, mit einer höheren Strafe belegt zu werden, viermal größer als für seinen Genossen im Stuttgarter Bezirk! Und die Chancen des Betrügers sind in Augsburg wesentlich günstiger als in Hamburg: Hier hat er mit fünfmal größerer Wahrscheinlichkeit auf eine Gefängnisstrafe von mittlerer Dauer zu rechnen.“ [a. a. O. S. 49]). 75 Zum Ganzen Streng, Strafzumessung, S. 6 ff.; ders., Sanktionen, Rn. 479 ff.; M. Maurer, Strafzumessung, S. 25 ff.; vgl. neuerdings auch Grundies, in: Krise, S. 511–526 (512 ff.); zur Strafzumessung im europäischen Vergleich siehe Meier, S. 229 ff.; dazu und zu weiterem Forschungsbedarf vgl. ferner Hoven/Weigend, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 263–274 (272 ff.). 76 Schöch, S. 125 ff. 77 Zum Einfluss der Staatsanwaltschaft auf die Strafzumessung des Richters vgl. Kaspar, Strafzumessungsrecht, C 17 mit weiteren Nachweisen; Streng, Sanktionen, Rn. 495 ff. 78 M. Maurer, Strafzumessung, S. 175 ff.; vgl. auch Mellinghoff, FS Hassemer, S. 503–519 (517 f.); Meier, S. 227; SSW-StGB/Eschelbach, § 46 Rn. 3. 79 M. Maurer, Strafzumessung, S. 61; Streng, Sanktionen, Rn. 485. 80 In Deutschland gibt es vergleichsweise wenig einschlägige Forschung, was damit zusammenhängen mag, dass bei schwereren Delikten stets ein Kollegialgericht zuständig ist, was den Einfluss einzelner Richterpersönlichkeiten und -stimmungen zumindest schmälert, vgl. Streng, Sanktionen, Rn. 486. 81 Mellinghoff, FS Hassemer, S. 503–519 (516); dazu ferner Streng, Strafzumessung, S. 24 mit zahlreichen Nachweisen in Fn. 29; ders., Sanktionen, Rn. 486. 82 Vgl. dazu Streng, Strafzumessung, S. 225 ff.
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Untersuchungen etwa mildere Urteile, wenn die Richter zuvor etwas gegessen hatten.83 Vergleichsweise harte Entscheidungen ergingen hingegen an Montagen nach der Zeitumstellung auf Sommerzeit.84 All diese bestehenden Ungleichheiten werden durch die Expansion des Strafrechts noch verstärkt. Gemeint sind nicht nur die neuen Möglichkeiten eines selektiven Umgangs mit Kriminalität. Die Strafschärfungen führen vielmehr in aller Regel auch zu einer Erhöhung der Strafobergrenze (um die Effektivität des Mittels Strafe zu steigern) bei gleichzeitiger Beibehaltung der Strafuntergrenze (um eine angemessene Strafe auch in geringen Fällen zu ermöglichen). Die sehr weiten Strafrahmen, die sich daraus ergeben, gewähren dem Richter einen ex trem breiten Spielraum. Freilich sind diese weiten Strafrahmen gewollt, ermöglichen sie es doch dem Richter, seine eigenen Strafen im Verhältnis zueinander weitgehend verhältnismäßig zu gestalten – oft auch in Fällen, in denen das Gesetz diese Verhältnismäßigkeit aufgrund der Einzelfallgesetzgebung eigentlich nicht mehr in sich trägt. Dieser Ausgleich der gesetzlichen Schwächen ist aber erkauft durch enorme richterliche Freiheiten, und die „absoluten“ Strafen, welche die jeweiligen Richter verhängen, fallen eben oft höchst unterschiedlich aus. Die weiten Strafrahmen liefern also einen fruchtbaren Boden für die vielfach kritisierte Strafungleichheit und bringen die gewünschte Relativität des Gesamtsystems weiter ins Wanken.
3. Die Wahrnehmung der fehlenden Relativität Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.85
Strafungleichheit und fehlende Proportionalität sind keine neuen Phänomene. Sie begegnen uns häufig in der Geschichte der Strafe und führten stets dann zu Problemen und Gegenreaktionen, wenn die Ungleichheit (meist, weil die Gesellschaft enger zusammenwuchs) ans Tageslicht gelangte und die Entscheidungen deshalb mit Blick auf andere Urteile als ungerecht empfunden wurden. Die beschriebenen Entwicklungen, welche die Relativität des Strafsystems in Bedrängnis bringen, vollziehen sich nun aber in einer Gesellschaft, in der sich der Zugang zu und der Umgang mit Informationen vollends gewandelt hat. Re 83 Danziger/Levav/Liora, PNAS 108/17 (2011), S. 6889–6892; zum Ganzen auch Dreher (FS Bockelmann, S. 45–65), der (aus eigener Erfahrung) berichtet, dass die Strafen nach Verhandlungen, die kurz vor Weihnachten stattfanden, milder ausfielen als gewöhnlich (a. a. O., S. 62). 84 Cho/Barnes/Guanara, Psychological Science 28 (2017), S. 242–247. 85 Luhmann, Massenmedien, S. 9; ähnlich speziell mit Blick auf die Kriminalität Garland, Kultur, S. 288 f.
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gionale und richterspezifische Unterschiede in den Strafen sind weitestgehend unproblematisch, wenn sich die Informationen der jeweiligen Gesellschaft mündlich verbreiten und so im Grunde auf ihre Region und die für sie zuständigen Richter beschränkt bleiben. Ganz grundsätzlich lässt sich festhalten, dass ein System bezüglich der fehlenden Relativität der Strafen kein Problem hat, solange sich diese außerhalb der informatorischen Einheiten und so unter dem gesamt gesellschaftlichen Radar abspielt. Die Problematik gewinnt heutzutage allerdings einen neuen Stellenwert, wenn unzählige strafrichterliche Entscheidungen die bundesweite Medienlandschaft prägen und die entsprechenden Unstimmigkeiten gesellschaftlich deshalb in einem ganz anderen Maße wahrgenommen und in den sozialen Netzwerken auch in einer völlig neuen Art und Weise verarbeitet werden.86 Schreibt man dem Strafrecht einen in irgendeiner Form kommunikativen, vertrauensbildenden oder -erhaltenden Charakter zu, so entscheidet in einer Gesellschaft, die ihre Informationen fast ausschließlich aus den modernen Massen medien bezieht, die „‚sekundäre‘ Wirklichkeit der Medien“87 in gehörigem Maße mit über den Erfolg des Systems.88 Gerade unverhältnismäßige Urteile jeglicher Art haben dabei gute Chancen auf mediale Verbreitung, denn der „Wettbewerb um die Gunst des Konsumenten“ verlangt nach sensations- und empörungsfähigen Geschichten.89 Die ohnehin nur begrenzten medialen Möglichkeiten, um komplexe Sachverhalte und Hintergründe richterlicher Entscheidungen darzustellen (Zeilen-/Zeit-/Personaldruck), werden dabei durch die notwendige Ausrichtung dieser Darstellungen an den Interessen des jeweiligen Adressatenkreises – Stichwort: Infotainment – weiter eingeengt.90 Einfache, pauschalisierende und schockierende Berichte verkaufen sich eben meist besser als nüchterne und komplexe Darstellungen.91 Problematisch erscheint dies nicht zuletzt deshalb, da die Art und Weise der medialen Vermittlung enormen Einfluss auf die Wahrnehmung einer Strafe als „gerecht“ hat.92 So zeigten sich etwa im Rahmen eines von der Strafrechts professorin Elisa Hoven durchgeführten Experiments signifikante Unterschiede 86 Vgl.
Nobis, StV 2018, S. 453–464 (456 f.); Spycher (S. 176) spricht von einer regelrechten „Informationsflut“; zum Verhältnis von Straftheorien und Massenmedien auch Hassemer, Strafe, S. 110 ff.; vgl. ferner Mushoff, S. 561 ff. 87 Reuband, Soziale Probleme 9 (1998), S. 125–153 (125). 88 Vgl. dazu und zum Folgenden auch M. Walter, in: Mediengesellschaft, S. 27–42. 89 Hoven, MSchrKrim 102 (2019), 65–80 (66); Kania, S. 22. 90 Eisenberg/Kölbel, § 24 Rn. 53; Murmann, in: Strafrecht und Medien, S. 5–11 (6 f.). 91 Kunz, FS Riklin, S. 655–665 (658); Hilgendorf, Handbuch des Strafrechts, § 17 Rn. 178; dazu auch Spycher (S. 178), der bemängelt, dass zahlreiche relevante Umstände wie etwa die Hintergründe und Ursachen der Tat nur selten thematisiert würden. 92 Vgl. auch Spycher, S. 178; Kölbel/Singelnstein, NStZ 2020, 333–339 (338).
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in der für angemessen befundenen Strafe (für denselben Fall), je nachdem, ob der Beurteilung ein eher „reißerischer“, emotional auf das Opfer fokussierter Bericht der Bild-Zeitung oder ein sachlicher und eher distanzierter Beitrag der Welt zugrunde lag.93 Die modernen Massenmedien bedingen und offenbaren also vorhandene Schwächen des Strafsystems. Es dürfte ihnen allerdings nur selten gelingen, diese auch der Realität entsprechend abzubilden. Die „sekundäre“ Wirklichkeit der Medien ist von der verzerrten Darstellung tatsächlicher Unverhältnismäßigkeiten daher ebenso geprägt wie von mediengemachten Unstimmigkeiten – was die gesamte Problematik noch verschärft.94 Das gesellschaftliche und mediale Interesse am individuellen Leid des Opfers hat im Übrigen inzwischen auf die Wissenschaft und die Gesetzgebung übergegriffen.95 Die Rede ist von einer „Wiederentdeckung“ und „Renaissance“ des Opfers.96 Im deutschen Raum befeuerte insbesondere die Entführung des Soziologen Jan Philipp Reemtsma die Diskussion. Dieser hatte nach der Freilassung seine Erfahrungen öffentlichkeitswirksam geteilt – unter anderem in einer straftheoretischen Monografie, die er gemeinsam mit dem deutschen Strafrechtswissenschaftler und ehemaligen Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Winfried Hassemer veröffentlichte.97 In der Straftheorie zeigt sich diese Bewegung insbesondere in den Diskussionen um ein Recht des Opfers auf Bestrafung des Täters. So postulieren einige Autoren etwa ein legitimes (Genugtuungs-)Interesse des Opfers daran, dass durch die Strafe förmlich festgestellt werde, dass ihm Unrecht geschehen sei.98
Auch im Strafverfahren gewinnen die Rechte des Opfers immer mehr an Bedeutung99 und seit der Einführung des Täter-Opfer-Ausgleichs (§ 46a StGB)
93
Hoven, MSchrKrim 102 (2019), 65–80 (72). Kania, S. 19 ff.; Kunz (FS Riklin, S. 655–665 [655]) spricht insofern von einer „darstellenden“ und einer „schöpferischen“ Komponente der Medien. 95 Vgl. auch Silva Sánchez, S. 20 ff. 96 Vgl. Hörnle, JZ 2006, 950–958 (950) mit zahlreichen Nachweisen. 97 Hassemer/Reemtsma, Verbrechensopfer. 98 A. a. O., S. 163; Hörnle, JZ 2006, 950–958 (955); dies., Straftheorien, S. 36 ff.; dies., Handbuch des Strafrechts, § 12 Rn. 41 mit weiteren Nachweisen; zum Ganzen auch Reemtsma, Das Recht des Opfers auf die Bestrafung des Täters – als Problem; Roxin/Greco, § 3 Rn. 36h ff. 99 Genannt seien etwa das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 (BGBl. I, 2496), das Opfer anspruchssicherungsgesetz vom 08.05.1998 (BGBl. I, 905) das Zeugenschutzgesetz vom 30.04. 1998 (BGBl. I, 820), das Opferrechtsreformgesetz vom 24.6.2004 (BGBl. I, 1354), das 2. Opfer rechtsreformgesetz vom 29.07.2009 (BGBl. I, 2280), das Gesetz zur Stärkung der Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs vom 26.06.2013 (BGBl. I, 805) sowie das 3. Opferrechtsreform gesetz vom 21.12.2015 (BGBl. I, S. 2525); zum Teil geht es auch hier um die Umsetzung europäischer Richtlinien, vgl. zum 3. Opferrechtsreformgesetz etwa die Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten. 94 Dazu
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Teil II
schmückt schließlich auch eine Form der opferorientierten Wiedergutmachung das Arsenal strafrechtlicher Reaktionsmöglichkeiten.100
100 Zum
Ganzen auch Hassemer/Neumann, NK-StGB, Vor § 1 Rn. 349; Heger, JA 2007, 244–248; Kett-Straub, ZIS 2017, 341–347; T. Walter, Strafprozessrecht, Rn. 9 ff.; kritisch Bung, StV 2009, 430–437; Wenske, NStZ 2008, 434–437.
Fazit
Was bleibt? Die kurze Geschichte der Strafe ist nun erzählt. Sie bestätigt – wie ich meine – eine alte Weisheit, die häufig dem amerikanischen Schriftsteller Mark Twain zugeschrieben wird: Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich. Neben den sich stetig ändernden sozioökonomischen Bedingungen und sozialen Strukturen verbleibt eine Konstante im Spannungsfeld zwischen abstrakten Konstrukten wie „Gerechtigkeit“, „Zweckmäßigkeit“, „Kooperation“ und „Vertrauen“. Die sich reimende Silbe in der Geschichte der Strafe ist der Kampf um die Rela tivität der Strafen. – Was aber sagt uns diese Erkenntnis für die großen Fragen?
I. Was kann ich wissen? Kants Frage nach den Grenzen der menschlichen Erkenntnis ist so aktuell wie nie. Technologischer Fortschritt, Globalisierung, kulturelle Pluralisierung, Revolution der Kommunikationsstrukturen – sie alle haben das soziale Zusammen leben in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten so schnell verändert wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit. Das Zusammenwachsen der Welt bei gleichzeitiger Individualisierung hat zu einem Geflecht kooperativer Strukturen geführt, dessen komplexe Wechselwirkungen nicht mehr zu überblicken sind. Angesichts dieser Entwicklungen stehen die bewährten Mechanismen sozialer Kontrolle – unter ihnen auch die Strafe – vor enormen Herausforderungen. Dass das Eingeständnis der Begrenztheit eigener Erkenntnismöglichkeiten die mensch liche Natur nur selten befriedigt, ist aber keine neue Erkenntnis. Unsicherheit ist eben kein gutes Fundament für Gesellschaft.1 Die Sehnsucht nach klaren Strukturen – nach einem simplen „schwarz“ oder „weiß“ – scheint daher groß zu sein und einfache Antworten stoßen in allen gesellschaftlichen Bereichen vermehrt auf offene Ohren. In kaum einem anderen Bereich sind solche Antworten so einfach wie im Strafrecht: Richtig oder falsch? Gut oder böse? Täter oder Opfer? Wir oder die
1
Siehe schon Teil I – Kapitel 2III.1 zur Religion.
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Fazit: Was bleibt?
anderen? Die staatliche Strafe gibt klare Antworten auf diese Fragen.2 Der Reiz der Strafe liegt aber nicht nur in ihrer kommunikativen Antwort auf Unsicherheit. Er liegt insbesondere auch in der verbreiteten (pauschalen) Vorstellung, dass die Strafe aktiv für Sicherheit in der Gesellschaft sorgen könne. Insofern ist das Allheilmittel Strafe zur einfachen Antwort auf sämtliche gesellschaftliche Phänomene geworden, denen der Staat vorbeugen will. Dass diese vermeintliche Sicherheit nur durch Einbußen in der individuellen Freiheit erkauft werden kann, ist eine Entwicklung, die – wie es scheint – so mancher in Kauf zu nehmen bereit ist. Ob und inwieweit die gewaltige Expan sion des Strafrechts aber überhaupt ein geeignetes Mittel ist, um im Sinne der intendierten Zusammenhänge für mehr Sicherheit zu sorgen, ist mehr als fraglich. Die Wissenschaft jedenfalls ist ganz überwiegend anderer Meinung – und dabei sind die Fragen nach der Erforderlichkeit und Angemessenheit dieses Mittels noch gar nicht gestellt.3 Es liegt vielmehr nahe, dass wie jede Inflation auch die des Strafrechts zu einem Verlust seines Wertes führt.4 Mag die Strafe auch wichtige gesellschaftliche Funktionen erfüllen können; wenn man sie zu fremden Zwecken einsetzt, kann sie gerade diesen Funktionen eben auch zuwider laufen. Vor diesem Hintergrund hat die Frage nach dem Sinn und Zweck der Strafe im Grunde jedem neuen Strafgesetz und jeder einzelnen vollzogenen Strafe vorauszugehen. Sie bleibt die wichtigste des gesamten Strafrechts. Und auch wenn nach Jahrtausenden der Diskussion über sie noch keine Klarheit herrscht, steht dem Gesetzgeber mit der modernen Wissenschaft keine „unnütze“ Begleiterin zur Seite. Zwar kann diese der Legislative noch immer keine einheitlichen Vorgaben an die Hand geben. Und kann es ohnehin nicht die Aufgabe der Wissenschaft sein, politische Entscheidungen zu treffen. Wertvolle Erkenntnisse für den politischen Prozess liefern kann sie aber durchaus – insbesondere darüber, was die Strafe nicht zu leisten im Stande ist. Vor diesem Hintergrund ist die – medial bedingte – Abkoppelung der Strafrechtspolitik von der Strafrechtswissenschaft eine ungesunde Folge der Suche nach einfachen Antworten, die den nützlichen Wirkungen des Strafrechts eher entgegenwirken dürfte.
2 In
diesem Sinne kann ihr eine kommunikative Wirkung nur schwerlich abgesprochen werden. Inwieweit diese Wirkung sinnvoll ist, wie und ob sie das gesellschaftliche Zusammen leben beeinflusst, und ob sie die Strafe vielleicht sogar legitimieren kann – all diese Fragen werden durch diese Feststellung aber freilich nicht beantwortet. 3 Vgl. auch Mushoff, S. 553. 4 Weigend, FS Frisch, S. 17–30 (24).
Fazit: Was bleibt?
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II. Was soll ich tun und was darf ich hoffen? Die Frage nach dem richtigen Handeln ist eine moralische und ethische, die hier nicht – ich meine nirgends – allgemeinverbindlich beantwortet werden kann. Versuche, entsprechende Antworten zu geben, finden sich freilich dennoch zahlreich – in ihrer bekanntesten und vielleicht gelungensten Ausprägung bei Imma nuel Kant. Auch er formulierte seinen kategorischen Imperativ aber auf dem Boden einiger (begrüßenswerter) Prämissen, die so nicht einfach vorfindbar waren und es auch heute nicht sind. Es handelt sich letztlich um Grundsatzentscheidungen, über die sich die Gesellschaft der Zukunft selbst zu einigen hat. Gute Chancen auf einen allgemeinen Konsens dürften dabei noch immer die (zeit gemäß formulierten) Ideale der Aufklärung als „Quintessenz der Erfahrungsund Leidesgeschichte Europas und großer Teile der übrigen Welt“5 haben. Sie können der staatlichen Strafe in gewissen Bereichen aber ebenso entgegenstehen wie die Erkenntnisse der empirischen Wissenschaft. Insofern ist es gewiss leicht, die entsprechenden Ideale zu formulieren und ihnen zuzustimmen. Sie in der sozialen Wirklichkeit konsequent durchzuhalten (geschweige denn sie politisch durchzusetzen), ist es sicherlich nicht. Den Schleier des Nichtwissens in der Straftheorie vor Augen, richtet sich der Blick sodann auf die wenigen Erkenntnisse, über die ein Konsens möglich erscheint. Letzteres ist zumindest eine Hoffnung, die sich aus der Arbeit an diesem Buch entwickelt hat. Gemeint ist die Fokussierung auf die „Relativität der Strafe“ – also darauf, dass die Strafen in ihrem Verhältnis zueinander als „gerecht“ empfunden werden. Seit jeher kreisen um gerade diesen Gedanken sämtliche Entwicklungen rund um das Strafrecht. Bis heute ist diese Form der „relativen“ Gerechtigkeit das eigentliche Ziel sämtlicher dogmatischer Differenzierungen, von der Strukturierung des Tatbestandes bis hin zur Regulierung der Strafzumessung.6 In der Regel sind all dies aber Versuche, eine Relativität zu ermöglichen, die das System noch nicht in sich trägt. Es sind Versuche, zu Ergebnissen zu gelangen, die als „gerecht“ empfunden werden, selbst wenn sie dann mit den eigenen, straftheoretischen Prämissen eigentlich nicht mehr zu vereinbaren sind.7 All dies mündet schließlich in einer Straftatlehre, deren stetig weiter anwachsende Überkomplexität in jüngerer Vergangenheit immer häufiger be5
Pawlik, in: Strafrecht und Gesellschaft, S. 217–254 (253). Zur Übernahme sogenannter „Sentencing Guidelines“, wie sie aus den USA bekannt sind, in den deutschen Raum vgl. Kaspar, Strafzumessungsrecht; zu den Risiken und Chancen bundeseinheitlicher „Algorithmen“ zur gleichmäßigen Strafzumessung vgl. Ofterdinger, ZIS 2020, 404–410. 7 Dazu beispielhaft mein Beitrag in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 177–187 (178 ff.). 6
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Fazit: Was bleibt?
klagt wird.8 Die Implementierung der Relativität in das System selbst verspricht also – indem sie das Problem an der Wurzel bekämpft – langfristig wieder eine Vereinfachung, und damit eine zunehmende Verständlichkeit des Systems.9 Eine vergleichsweise simple Konsequenz aus dem Relativitätsdenken ist die Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe als einziger Rechtsfolge des § 211 StGB. Sie schließt eine relative Gewichtung von vornherein aus und produziert so bis heute Umgehungsversuche in Rechtsprechung und Wissenschaft.10 Ein weiteres Beispiel liefern die Irrtumsregelungen des Allgemeinen Teils, § 16 und § 17 StGB. Sie knüpfen im Grunde beide an denselben Vorwurf an („Du, Täter, hast den Irrtum nicht vermieden!“), lassen ihre höchst unterschiedlichen Rechtsfolgen allerdings einzig davon abhängen, worauf sich der Irrtum bezieht, und nicht davon, wie vorwerfbar er ist. Auch dies führt in Wissenschaft und Praxis zu komplizierten und uneinheitlichen Lösungen, um im Einzelfall „gerechte“ Ergebnisse zu ermöglichen.11
Sich die Relativität des Gesamtsystems selbst zur Aufgabe zu machen, ist eine Forderung, die sich insbesondere an die Rechtspolitik richtet und für die im Zweifel empirische Daten darüber erhoben werden müssen, welche Verhaltensweisen gesellschaftlich als strafwürdig empfunden werden und für wie vorwerfbar sie die Gesellschaft im Vergleich zu anderen Verfehlungen hält.12 Die Herstellung der „Relativität“ ist in diesem Zusammenhang natürlich bei weitem nicht die einzige Aufgabe, die der Staat zu verfolgen hat. Zahlreiche weitere Ziele – etwa spezialpräventive Erwägungen – können neben sie treten und ihr auch entgegenstehen.13 Das wirft (komplexe) Folgefragen auf, die nur in einem politischen Prozess beantwortet werden können. Nur wer sich die verschiedenen Ziele und Wirkungen aber vor Augen hält, kann sie gewichten und gegeneinander abwägen. 8 So ist etwa die Rede von einer „Überdogmatisierung und Verkomplizierung“ (Ambos, ZIS 2020, 452–462 [460]) oder auch von einer „Hypertrophie“ der Dogmatik (Rotsch, ZIS 2008, 1–8; ders., ZIS 2020, 471–478 [473 ff.]); Pawlik (Unrecht, S. 11) spricht von einer „Atomi sierung“, einer „Vielzahl fein ausziselierter wissenschaftlicher Theorien, die […] im Ergebnis nahezu jede Ansicht und jede Entscheidung zulassen.“; zum Ganzen auch Roxin/Greco, Rn. 85b ff. 9 Vgl. zum systemischen Wert dieser Einfachheit Hilgendorf, Handbuch des Strafrechts, § 18 Rn. 43; Roxin/Greco, § 7 Rn. 85e. 10 Zu dieser Forderung etwa Streng, Strafzumessung, S. 20; Haas, ZStW 128 (2016), S. 316–369 (347 ff.); die Rechtsprechung umgeht die Problematik in Ausnahmefällen über die sogenannte „Rechtsfolgenlösung“ und greift auf § 49 I Nr. 1 StGB zurück, wenn „außergewöhnliche Umstände vorliegen, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint“ (vgl. BGHSt. 30, 105 [ebd.]); grundsätzlich zum Problem der absoluten Strafandrohung und den verschiedenen Lösungsversuchen vgl. Neumann, NK-StGB, Vor § 211 Rn. 157 ff. 11 Vgl. dazu T. Walter, Kern, S. 408 ff.; ders., Handbuch des Strafrechts II, § 46 Rn. 17 ff.; zum Ganzen ferner mein Beitrag in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 177–187 (178 ff.). 12 Ebenso etwa Andrissek, S. 235; Kaspar, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 61–90 (73 ff.); T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (50); ders., Strafe und Vergeltung, S. 18; vgl. auch Hoven/Weigend, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 263–274 (274). 13 Vgl. auch T. Walter, in: Strafen „im Namen des Volkes“, S. 49–60 (50).
Fazit: Was bleibt?
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Freilich muss eine solche Relativität in der modernen Gesellschaft aber nicht nur faktisch hergestellt, sondern auch entsprechend kommuniziert werden. Diese Aufgabe kann und sollte zum einen vermehrt von der Justiz selbst wahrgenommen werden – etwa (wo möglich) durch die Offenlegung spezifischer Hintergründe von Urteilen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund schon bestehender Überlastungen in diesem Bereich liegt es aber auch und gerade in der Verant wortung der kritischen Wissenschaft, den Weg vermehrt in die Öffentlichkeit zu suchen, um hinsichtlich der nebulösen Vorstellungen über die faktische Kriminalitätslage, die justizielle Praxis und die Wirkungen von Strafe aufklärerisch zu wirken und über diesen Weg schließlich auch den Einfluss auf die Politik zurückzugewinnen.14 Wenn es gelingt, sich die zentrale Bedeutung der beschriebenen „Relativität“ bewusst zu machen. Wenn es gelingt, sie in ein System zu integrieren, das auf diese Weise trotz der nötigen Komplexität so einfach und verständlich wie möglich gehalten werden kann. Dann schließlich kann das deutsche Strafrecht – vielleicht auch im Prozess der Internationalisierung – wieder ein Vorbild sein.15 Ein Vorbild, welches in der zukünftigen Geschichte der Strafe das Potential hat, die verschiedenen kulturellen Vorstellungen zu vereinen und dabei die eigenen, aufgeklärten Ideale zu erhalten.
14 Vgl.
auch Mushoff, S. 568 f.; Singelnstein/Stolle, S. 159; Schünemann (ZIS 2020, 479– 487 [481]) stellte jüngst fest: „Die sog. Expertenanhörungen namentlich durch den Rechtsausschuss des deutschen Bundestages sind im Kern nur noch Alibiveranstaltungen.“ 15 Zum in den letzten Jahrzehnten feststellbaren Bedeutungsverlust der deutschen Strafrechtswissenschaft auf internationaler Ebene vgl. Ambos, GA 2016, 177–194 (177 ff.); zum Ganzen auch Roxin/Greco, § 7 Rn. 85q ff.
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Register Abolitionismus 243 f. Abschreckung 29, 40, 63, 74, 77, 84, 87, 124, siehe auch Generalprävention, negativ Absolute Straftheorie 1, 169 ff., 249 ff., 258, siehe auch Vergeltung Alternativ-Entwurf (1966) 234 ff. Altes Testament siehe Testamente Altruistisches Strafen 28 ff., 47, 60, 71 Anlage-Umwelt-Formel 202, 222 Anomietheorie 13, 253 f. Arbeitsteilung siehe Kooperation Aristoteles 64, 121 ff., 126, 140 Aufklärung 85 f., 134, 139 ff., 147 ff. Augustinus 99, 105 ff., 121, 142 Ausnahmestrafe siehe Poena extraordinaria Beccaria, Cesare 149 ff., 167 Begnadigung 117 f., 190 f. Behandlungsforschung siehe Sanktions forschung Bewährungsstrafe 205, 213 ff., 229, 239 f. Binding, Karl 193 ff., 208 ff., Biologisch-positivistische Schule siehe Kriminalbiologie Blutrache 42, 46, 55, 94, siehe auch Fehde Brandmarkung siehe Ehrenstrafe Brautpreisleistungen 54 Bußleistungen 57 f., 77, 94, 104, siehe auch Geldstrafe Carpzov, Benedikt 129 f., 135 ff., 146 ff. Christentum 92, 97 ff., 104 ff., 110, 120, 136 ff., 248 Codex Hammurabi 76, 78 ff., 84 Constitutio criminalis carolina 118 ff., 126 ff., 130, 135, 147, 150, 159 Crimen laesae maiestatis siehe Majestäts beleidigung
DDR 226 ff. Deal siehe Verständigung Determinismus siehe Willensfreiheit Dialektik 122, 125 f., 181 ff. Diebstahl 18, 40 f., 44, 54 f., 62, 74 f., siehe auch Eigentum Diffusionismus 12 Egalität 37, 65 f., 74, 77 Ehrenstrafe 75 (Fn. 59), 113, 189 siehe auch Stigmatisierung Eigentum 40 f., 48, 53 f., 57 Empirismus 199 ff., 207, 215 f., 242 ff., 246 ff., 257 ff., 268, siehe auch Sanktionsforschung Entwurf E 1962 231 ff. Eskimo 39 (Fn. 15, 16), 49, 61 Etikettierungsansatz siehe Labelling Approach Europäisierung des Strafrechts 82, 269, 273 f., 276 f. , 281, siehe auch Harmonisierung Evolutionismus 12 ff. Evolutionsbiologie 22 ff. Expansion des Strafrechts 269 ff. Fehde 41 f., 55, 58, 94, 104, 112, 114 Feindstrafrecht 276 (Fn. 67) Feudalismus 101, 197 Feuerbach, Paul Johann Anselm von 163 ff., 189 ff., 200, 246 f. Fluktuation 48, 55, 57 Folter 115, 117 f., 127, 151 f. Frankfurter Schule 251 Französische Schule 13, 201, 253 f. Freiheitsstrafe 75, 152, 158, 204 f., 213 f., 233, 240 Führerkult 217 ff., 223
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Register
Gefangenendilemma 25 ff. Geldstrafe 57, 213 ff., siehe auch Bußleistungen Generalprävention – negativ 149, 163 ff., 189, 244 ff., 268, 274 siehe auch Abschreckung – positiv 125, 187, 242 ff., 252 ff. – retributiv 250 (Fn. 48), 259 ff. Gerechtigkeitsvorstellungen 19, 23, 34, 138, 168 (Fn. 58), 261, siehe auch Strafbedürfnisse Germanen 91 ff., 99 ff., 109 ff. Gesellschaftstheorie 254 ff., siehe auch Soziologie Gesellschaftsvertrag 144 ff., 164 Gesetzlichkeitsprinzip 168, 191, 194, 224, 228 Gesundes Volksempfinden 223 ff. Gewaltenteilung 160, 192, 228 Glossatoren 115 Gottesfrieden 114 Gottesurteil siehe Ordal Göttliche Strafe siehe Theokratische Straftheorie; Religion Griechische Aufklärung 85 ff., 132 Große Strafrechtsreform 231 ff. Grotius, Hugo 17 (Fn. 43), 109, 142 ff., 166 Grundgesetz 2, 138, 168, 228, 233, 240 f. Handel siehe Kooperation Harmonisierung 273 f., 276 f., siehe auch Rechtsvereinheitlichung Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 160, 180 ff., 194 ff., 251 f., 255 Herrschaft 9, 37, 46, 64 ff. Herrscher-Richter 72, 100 f., 110 Hexenprozesse 61, 134 (Fn. 131), 151 Historische Schule 160 (Fn. 6), 194 Homo oeconomicus 166, 248 Homosexualität 75, 164, 234 Humanismus 125, 130 ff., 139, 153 ff., 236 Idealismus 159 ff., 169 ff., 193 f., 197 f., 205 f., 223, 251 f. Industrialisierung 158, 192, 196 f., siehe auch Soziale Frage Inquisition 114 f., 118, 127, 135 (Fn. 131)
Inselbeispiel 170 f. Intuition 19 ff., 28 ff., 34 f., 43 f., 83 Investiturstreit 119 Inzest 50, 56, 60 (Fn. 130), 164 (Fn. 29), 240 f. Jäger und Sammler 10 f., 36 ff., 52, 56, 59 ff., 69 Jakobs, Günther 253 ff. Jugendstrafrecht 204, 213 ff., 229 Kant, Immanuel 155, 163 f., 166 f., 169 ff., 193, 233, 251 f. Kapitularien 103 (Fn. 54) Kategorischer Imperativ 166 (Fn. 42), 175 f., 178, 183, 285 Kirchenspaltung 111, 131 Klassische Schule 189 ff., 193 ff., 231, 249 ff., 229 f., 255, 257 f. Kodifikationsbewegung 159 ff., 191 f., 194 ff., 209, siehe auch Positivismus Komparative Methode 10 ff., 17, 59 Konflikttheorien 66 ff. Kooperation 24 ff., 38 ff., 55 ff., 63, 100 ff., 263 ff., 283 – Arbeitsteilung 38 ff., 48, 53 f., 69 ff., 170 – Handel 70 (Fn. 30), 72, 93, 95, 111, 139, 196 – Massenkooperation 68 ff., 77, 82, 94 f., 111 ff., 158, 273 Krieg 41, 66 f., 94, 100 f., 109 f., 132 (Fn. 118), 142 Kriminalbiologie 201, 222 Kriminalitätsfurcht 265 Kriminalstatistik 197, 203, 206, 211, 235 Kriminologie 198 ff., 200 ff., 216, 242 ff., 246, 260, 268 Kritische Kriminologie 244 Labelling Approach 244 Landfrieden 114 f. Landschädliche Leute 112, 114, 117 Lebensführungsschuld 215, 233, siehe auch Schuldbegriff; Schuldprinzip Leges Barbarorum / Romanae 102, 110 Lex van der Lubbe 224 Liberalisierung 151, 229, 236, 239, Liberalismus 152, 192, 194, 209, 220,
Register Lombroso, Cesare 201, 203, 222 Luhmann, Niklas 254 ff., siehe auch Systemtheorie Luther, Martin 132 ff. Macht 65 ff., 72 ff., 83, 93, 100, 101, 265 (Fn. 12) Majestätsbeleidigung 74, 83, 95, 103 Marburger Programm 201 ff., 221 Massenkooperation siehe Kooperation Massenmedien 1, 265, 271 f., 279 ff. Mauerschützen 168 (Fn. 58), 227, 229, siehe auch Rückwirkungsverbot Menschenrechte 153, 155, 192 Menschenwürde 155 f., 233, 246 Methodik 4, 9 ff., 17, 23 f. Moderne Schule 196 ff., 201 ff., 220 ff., 233, 241, 244 Montesquieu, Charles de Secondat 148, 160 f. Moral 19 ff., 151 f., 173 ff., 193 f., 234 ff., siehe auch Sittlichkeitsdelikte Nationalsozialismus 11, 215, 217 ff., 229 Naturrecht 139 ff., 123, 141 ff., 147 ff., 157, 163 f., 229 ff. Naturzustand 64, 67, 164 Negative Generalprävention siehe Generalprävention, negativ Negative Spezialprävention siehe Spezialprävention, negativ Neoabsolutismus 251 f. Neoevolutionismus 12 ff. Neolithische Revolution 10, 51 ff. Neues Testament siehe Testamente Neurowissenschaften 32 ff. Nothing Works 242 ff. Nürnberger Prozesse 228, 230 Öffentliche Meinung siehe Stigmatisierung Opferschutz 281 f. Opportunitätsprinzip 274 f. Ordal 61, 94, 96, 113 Ordnungswidrigkeit 17 (Fn. 43) Orientierungsfunktion des Strafrechts 247 Personalitätsprinzip 101 ff., 115 Poena extraordinaria 128 ff.
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Politisches Strafrecht 74 ff., 96 (Fn. 30), 103 ff., 217 ff., 227, 240, 266 ff. Positive Generalprävention siehe Generalprävention, positiv Positive Spezialprävention siehe Spezial prävention, positiv Positivismus 163, 166 ff., 192 f., 194, 229 siehe auch Kodifikationsbewegung Pranger 113, 189, siehe auch Ehrenstrafe Präventionismus 130 ff., 133 ff., 149, 155, 167, 178, 188 Privatstrafe 42, 46 ff., 55, 58, 94, 96 Psychologie 17 ff. Psychologische Zwangstheorie 163 ff., 194, siehe auch Feuerbach, Paul Johann Anselm von; Generalprävention, negativ Pufendorf, Samuel 145 f., 167 Quellenproblem 9 ff., 93, siehe auch Methodik Radbruch, Gustav 211, 213 f., 228 f., 241 Radbruch’sche Formel 228 f. Ratsuchen 130 f. Rechtsangleichung siehe Harmonisierung Rechtsgutstheorie 193 f., 207, 220 f., 233 f., 237, 240 f., 270 Rechtssoziologie siehe Soziologie Rechtsspiegel 115 f. Rechtsvereinheitlichung 80 ff., 103 (Fn. 54), 115 f., 118, 273, 276 siehe auch Harmonisierung Reformation 131 ff., 134, 140, 143 Relativität der Strafe 44 ff., 71, 102 f., 113 f., 157 ff., 206 f., 263–287 Religion 59 ff., 83 ff., 97 ff., 105 ff., 131 ff., 136 ff., 198, siehe auch Theokratie; Theokratische Straftheorie Renaissance 111, 125, 131, 133, 139 f. Resozialisierung 204, 221, 230, 235, 239 f., 243, 260, siehe auch Spezialprävention, positiv Retributive Generalprävention siehe Generalprävention, retributiv Robinson, Paul H. 44, 260 Römisches Recht 81, 87 (Fn. 130), 91 ff., 95 ff., 115 f., 118, 129 f. Rückwirkungsverbot 168 (Fn. 58), 224, 228, siehe auch Mauerschützen
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Register
Sachsenspiegel siehe Rechtsspiegel Säkularisierung 86, 119 ff., 126, 131 ff, 151 Sanktionsforschung 242 ff., 246 ff., 266, siehe auch Empirismus Schadensersatz 16 f., 57, 76 f. Scholastik 121 f., 129 Schuldbegriff 232 f., 237 f., siehe auch Lebensführungsschuld; Tatschuldprinzip Schuldprinzip 214 ff., 232 f., 237 ff., 250, 257 f., 277 (Fn. 70) Schulenstreit 189 ff., 206 ff. Segmentäre Gesellschaften 51 ff., 61, 68 ff., 92 ff., 103, 112 f. Sesshaftigkeit 10 f., 36, 41, 51 ff., 67 Sicherheitsgesellschaft 264 ff. Sicherungsmaßnahmen 211 ff., 214 ff. Sicherungsprävention 203 f., siehe auch Spezialprävention Sittlichkeitsdelikte 151 f., 164, 173 f., 194 (Fn. 25), 234, 240, siehe auch Moral Soziale Frage 12 (Fn. 13), 196 ff. siehe auch Industrialisierung Soziale Meinung siehe Stigmatisierung Soziale Verteidigung 209, 235 Sozialismus 226 ff. Soziologie 9, 14 ff., 72, 244, 253 ff., siehe auch Gesellschaftstheorie Spezialprävention 162 f., 202 ff., 206 ff., 215 f., 231 ff., 235 ff., 286, siehe auch Sicherungsprävention – negativ 125, 135, 149 f., 205 – positiv 87, 108 (Fn. 82), 125, 135, 149 f., 204, 213 ff., siehe auch Resozialisierung Spielraumtheorie 231 f., 238 f., 249 Spieltheorie 23 ff. Staatsentstehung 64 ff., 92, 99 Staatsräson 155, 164 Staatstheorie 66 ff., 84, 134, 153 f., 198, 251 Stigmatisierung 48 ff., 55 f., 61 (Fn. 130), 75, 233, 260, 274, siehe auch Ehrenstrafe Strafbedürfnisse 19 ff., 44 ff., 56 ff., 63, 70 f., 196, 259 ff., siehe auch Gerechtigkeitsvorstellungen Strafbegriff 15 ff. Strafkrise 68 ff., 91 ff. Strafrechtsreform siehe Große Strafrechts reform
Strafrechtswissenschaft 129, 161 ff., 219, 234, 284 Strafschärfung 236, 266 ff., 271 f., 274, 276, 279 Strafungleichheit 74, 76, 103, 277 ff. Strukturale Relativität 55 f., 70 Sühne 219, 223, 230 f. Symbolisches Strafrecht 264 ff., 271 ff. Systemtheorie 253 ff. Talionsprinzip 81, 98, 179, 186 Tätertypenlehre 201, 203 ff., 222 Tatschuldprinzip 215, 233, 237, siehe auch Schuldbegriff; Schuldprinzip Territorialitätsprinzip 103, 116 Testamente 97 ff., 104 f., 107 ff., 121, 136, 179 Theokratie 83 ff., 97, 111 ff., 139 ff., siehe auch Religion; Theokratische Straftheorie Theokratische Straftheorie 83 ff., 104 ff., 128 ff., 136 ff., 147 Thomas von Aquin 121 ff., 141 ff. Tit for Tat 26 ff., Todesstrafe 98, 137, 152–156, 179, 189, 222, 228 Transzendentalphilosophie 172 ff. Überpositives Recht siehe Naturrecht Universalitätsthese 13 ff. Utilitarismus 145 ff., 150, 154, 164, 168, 175, 187 Vereinigungstheorie 171, 210, 229 ff., 239 Vergeltung 62 ff., 169 ff., 194 ff., 214 ff., 223, 231 ff., 249 ff. Vergeltungsbedürfnisse siehe Strafbedürf nisse; Gerechtigkeitsvorstellungen Verhandlung 58, 62, 86, 94 Verständigung 275 Vertrauen 26 ff., 31, 33, 35, 63, 255, 263 ff. Völkerwanderung 91 ff. Volksempfinden siehe Gesundes Volks empfinden Von Liszt, Franz 13, 201 ff., 222, 241, 277 Vorstaatliche Gesellschaftsformen siehe Jäger und Sammler; Segmentäre Gesellschaften Vorverlagerung 270
Register Vulgarrecht 96, 101, 115 Walter, Tonio 259 ff. Weber, Max 65 ff. Willensfreiheit 199 f., 209 (Fn. 103) Wirkungsforschung siehe Sanktions forschung
Wirtschaftliche Revolution 111 f., 119 Wissenschaftliche Revolution 139 ff. Zäsur-Modell 217 ff. Zwangsarbeit 75 f., 152, 154, 156 Zweispurigkeit des Rechtsfolgen systems 211 ff., 237
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