Stimmrechtsbeschränkungen im Recht der Personengesellschaften, Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluß [1 ed.] 9783428486205, 9783428086207


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German Pages 283 Year 1996

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Stimmrechtsbeschränkungen im Recht der Personengesellschaften, Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluß [1 ed.]
 9783428486205, 9783428086207

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 95

Stimmrechtsbeschränkungen im Recht der Personengesellschaften, Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluß Von Peter Lockowandt

Duncker & Humblot · Berlin

PETER LOCKOWANDT

Stimmrechtsbeschränkungen im Recht der Personengesellschaften, Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluß

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 95

Stimmrechtsbeschränkungen im Recht der Personengesellschaften, Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluß

Von Peter Lockowandt

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Lockowandt, Peter: Stimmrechtsbeschränkungen im Recht der Personengesellschaften, Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluss / von Peter Lockowandt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zum Wirtschaftsrecht ; Bd. 95) Zugl.: Bochum, Univ., Diss., 1994/95 ISBN 3-428-08620-1 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-08620-1 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 ©

Vorwort Der Hauptteil der vorliegenden Arbeit befaßt sich mit der Grenze des gesellschaftsvertraglichen Stimmrechtsausschlusses eines Gesellschafters. Das Ergebnis wurde anhand einer systematischen Untersuchung erarbeitet, deren Verlauf Anlaß gibt, ihn - gewissermaßen als Gebrauchsanweisung - zu kommentieren. Die einzige obergerichtliche Entscheidung hält den Stimmrechtsausschluß eines Personengesellschafters grundsätzlich für zulässig. Er dürfe dadurch allerdings nicht in eine sittlich zu mißbilligende Abhängigkeit von Anderen geraten. Der Stimmrechtsausschluß sei daher unzulässig, soweit Beschlüsse gefaßt werden sollen, die in die Rechtsstellung des Gesellschafters an sich eingreifen. Aus dieser Argumentation entwickelte sich die Idee des "Kernbereichs der Gesellschafterrechte", die von der h.M. zunächst für die Grenzziehung des Stimmrechtsausschlusses, später auch zur Beurteilung weitergehender gesellschaftsvertraglicher Gestaltungen herangezogen wurde. Der Versuch einer umfassenden Definition und einer Befassung mit den dogmatischen Grundlagen unterblieb indes vier Jahrzehnte lang oder scheiterte. Die Erarbeitung der notwendigen Grundlagen erfolgte auf einem komplexen Spannungsfeld zwischen Theorie der Mitgliedschaft, Minderheitenschutz, Stimmkraftbeschränkung, Stimmrechtsvollmacht, Vertreterklausel, Hinauskündigung, Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen, Bestimmtheitsgrundsatz und der Grenze der Privatautonomie im Gesellschaftsrecht. Nach dem Verwerfen verschiedener isolierter Lösungsansätze wählte der Verfasser daher den Weg über die Präzisierung des Kernbereichs, um aus den gewonnenen Erkenntnissen die Grenzziehung für den Stimmrechtsausschluß zu entwickeln. Das Ergebnis stand dabei noch nicht von vornherein fest. Die Bestimmung des Kernbereichs gelang, wobei nicht überrascht, daß er sich - bei Licht besehen aus der gesetzlichen und individuellen gesellschaftsvertraglichen Rechtsstellung des Gesellschafters zusammensetzt, also deutlich größer ist, als allgemein angenommen wird. Eine Ableitung der Grenzen des Stimmrechtsausschlusses aus dem Kernbereich indes scheiterte. Das Stimmrecht zeigte sich insgesamt als sog. prozedurales Recht und kann daher vor dem Hintergrund des in § 717 S. 1 BGB verankerten AbspaltungsVerbots - wie alle übrigen Verwaltungsrechte weder übertragen, noch ausgeschlossen, sondern bestenfalls eingeschränkt werden. Dem Kernbereich und der Grenzziehung des Stimmrechtsausschlusses liegen damit unterschiedliche dogmatische Wurzeln zugrunde. Durch diese Erkenntnis wird allerdings dem heutigen Verständnis der Kernbereichslehre ein

6

Vorwort

Teil der dogmatischen Grundlage und, jedenfalls bezogen auf das Stimmrecht, auch die Berechtigung entzogen. Die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Ergebnisse zum Kernbereich und dessen Grenze müssen daher in Bezug auf das Stimmrecht als Zwischenergebnisse betrachtet und sollten nicht isoliert bewertet werden. Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis müssen einige Fragen des Gesellschaftsrechts neu überdacht werden. Dies gilt insbesondere für die Rechtlosstellung minderjähriger Gesellschafter und des "angestellten Komplementärs", die Ausgestaltung einer Treuhand und einer Stimmrechtsvollmacht und die Rechte eines Testamentsvollstreckers. Der Verfasser dankt seiner Frau und seinen Kindern für ausdauernde Geduld auf dieser Odyssee.

Bochum, im April 1995

Peter Lockowandt

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

1. Teil Das Stimmrecht A. Das Stimmrecht als Mitverwaltungsrecht

18

B. Das Wesen des Stimmrechts

20

C. Die Willensbildung in der Gesellschaft

22

I. Die Stimmabgabe

22

II. Der Beschluß

25

2. Teil Schranken des Stimmrechts A. Die gesetzliche Regelung I. Die BGB-Gesellschaft II. Die OHG III. Die KG B. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision in Analogie zum Körperschaftsrecht

29 29 31 33 35

I. Zulässigkeit und Erforderlichkeit der entsprechenden Anwendung

36

II. Stimmrechtsausschluß bei Entlastung

38

Differenzierung nach Gesellschaftsformen III. Stimmrechtsausschluß bei Befreiung von einer Verbindlichkeit

40 41

IV. Stimmrechtsausschluß bei Einleitung und Erledigung eines Rechtsstreites bzw. bei Geltendmachung von Ansprüchen V. Stimmrechtsausschluß bei Vornahme von Rechtsgeschäften 1. Befürwortung des Stimmrechtsausschlusses

43 47 48

8

nsverzeichnis 2. Ablehnung des Stimmrechtsausschlusses

49

3. Eigener Lösungsansatz

49

a) Vergleich mit dem Kapitalgesellschaftsrecht

49

b) Die Treuepflicht als ausreichendes Korrektiv

51

c) Analoge Anwendbarkeit von § 181 BGB

53

d) Sozialbeschlüsse

55

e) Ergebnis

55

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

56

I. Das Mehrheitsprinzip

56

II. Die Beschränkung der Stimmkraft

59

III. Der gegenständliche Umfang

62

IV. Persönliche Voraussetzungen als Begrenzung des Stimmrechts

65

V. Die Schrankenfunktion von Stimmbindungsverträgen

66

VI. Der Einfluß der Treuepflicht/Treu und Glauben

74

1. Subjekte der Treuepflicht

77

2. Umfang der Treuepflicht

79

3. Auswirkungen

84

4. Fallgruppen

87

VII. Die Bindung an den Gesellschaftszweck 1. Geschäftsführungsbeschlüsse

89 91

2. Änderung des Gesellschaftsvertrages und Beschlüsse über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten

93

VIII. Der Grundsatz der Gleichbehandlung

94

IX. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollisionen als allgemeines Prinzip?

101

3. Teil Die Grenze der Zulässigkeit des gesellschaftsvertraglichen Stimmrechtsausschlusses A. Der Meinungsstand I. Weitgehende Ausschließbarkeit II. Keine weitere vertragliche Ausschließbarkeit B. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

114 114 115 117

nsverzeichnis I. Verstoß gegen das Wesen der Personengesellschaften

117

II. Sittenwidrige Abhängigkeit als notwendige Folge

120

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB im Personengesellschaftsrecht I. Die Leitentscheidung des BGH

132 132

II. Die sieben Kernaussagen

136

III. Die Kernaussagen eins bis vier

137

1. Die erste Kernaussage: Die geschützten prozeduralen Gesellschafterrechte

137

2. Die zweite Kernaussage: Das Erfordernis der Zustimmung

141

3. Die dritte Kernaussage: Die geschützten materiellen Gesellschafterrechte

143

4. Die vierte Kernaussage: Die dogmatische Grundlage und der Umfang des Kernbereichs

147

a) Die Wertentscheidungen des Grundgesetzes

149

b) Die Wertentscheidungen des Gesellschaftsrechts

153

c) Die Wertentscheidungen des allgemeinen Zivilrechts

157

d) Die Übereinstimmung der Wertentscheidungen

165

e) Schutz vor mittelbaren Eingriffen

166

IV. Die Konkretisierung des Kernbereichs

168

1. Die prozeduralen Rechte

168

2. Die materiellen Rechte

179

a) Recht auf Geschäftsführung

182

b) Die Vermögensrechte

183

c) Die Gesellschafterstellung

186

d) Das Stimmrecht

193

V. Die Zustimmung zu Eingriffen der Mehrheit in die materiellen Kernbereichsrechte

194

1. Grundsätzliche Zulässigkeit der antipizierten Zustimmung

194

2. Die Legitimation der Mehrheitsentscheidung

197

VI. Der Bestimmtheitsgrundsatz als Element der Kernbereichslehre

202

1. Der Bestimmtheitsgrundsatz als unverzichtbare Auslegungsregel

203

2. Keine Verdrängung des Bestimmtheitsgrundsatzes durch die Treuepflicht

207

3. Zwischenergebnis

209

4. Die Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes für Publikumsgesellschaften

210

10

nsverzeichnis

5. Die ungerechtfertigte Kritik am Bestimmtheitsgrundsatz

212

6. Ergebnis

214

VII. Zusammenfassung der Kernbereichslehre

216

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses: Die fünfte, sechste und siebte Kernaussage. 220 I. Die unterschiedlichen Auffassungen über das Verhältnis der Zulässigkeit von Stimmrechtsausschluß und Mehrheitsprinzip II. Die Fremdbestimmung beim Stimmrechtsausschluß (zu D I. Nr. 1)

220 221

III. Die unzutreffende Annahme einer flexiblen Grenze des Stimmrechtsausschlusses (zu D I.Nr. 2)

225

1. Die Starrheit des Kernbereichs

225

2. Die praktischen Konsequenzen der herrschenden Meinung

227

3. Die Intention des BGH bei der Zulassung des Stimmrechtsausschlusses a) Das Abspaltungsverbot

230 231

b) Die Fehlerhaftigkeit der Umdeutung der Vertreterklausel in einen Stimmrechtsausschluß c) Die Grenze der zulässigen Stimmkraftminderung IV. Die starre Begrenzung des Stimmrechtsausschlusses (zu D I. Nr. 3) 1. Kein Stimmrechtsausschluß bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages

241 246 249 252

2. Kein Stimmrechtsausschluß bei grundlagen- und strukturändernden Maßnahmen.... 255 3. Kein Stimmrechtsausschluß bei sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten

256

4. Keine Ausnahme für persönlich haftende Gesellschafter bei den regelmäßig wiederkehrenden Beschlüssen 5. Ausnahmen vom zwingenden Stimmrecht des Kommanditisten V. Zusammenfassung zum Stimmrechtsausschluß

257 259 261

E. Das Verhältnis von Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluß

266

Schlußwort und Ausblick

268

Literaturverzeichnis

272

Abkürzungsverzeichnis a.A.

anderer Ansicht

a.a.O.

am angegebenen Ort

Abs.

Absatz

AcP

Archiv für die civilistische Praxis

a.F.

alte Fassung

AG

Aktiengesellschaft

AGBG

Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen

AK BGB

Alternativkommentar zum BGB

AktG

Aktiengesetz

allg.M.

allgemeine Meinung

a.M.

anderer Meinung

Anm.

Anmerkung

Art.

Artikel

AT

Allgemeiner Teil

Aufl.

Auflage

BB

Der Betriebsberater

Bd.

Band

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BT

Besonderer Teil

BT-Drucks.

Bundestags-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

DB

Der Betrieb

ders.

derselbe

d.h.

das heißt

Diss.

Dissertation

DNotZ

Deutsche Notarzeitschrift

DStR

Deutsches Steuerrecht

12

Abkürzungsverzeichnis

einh. Meinung

einhellige Meinung

einstw. Verf.

einstweilige Verfügung

EStG

Einkommensteuergesetz

EWG

Europäische Wirtschaftsgemeinschaft

f.

folgend

FamRZ

Ehe und Familie im privaten und öffentlichen Recht, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

ff.

fortfolgend

FN

Fußnote

FS

Festschrift

GbR

Gesellschaft bürgerlichen Rechts

Gen.

Genossenschaft

GenG

Genossenschaftsgesetz

GesRZ

Der Gesellschafter

ges. Werke

gesammelte Werke

GG

Grundgesetz

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

GmbH-Gesetz

GmbH-Rdsch.

GmbH-Rundschau

Großkomm.

Großkommentar

Hans.OLG

Hanseatisches Oberlandesgericht

HGB

Handelsgesetzbuch

h.M.

herrschende Meinung

Hs.

Halbsatz

HV

Hauptversammlung

i.d.F.

in der Fassung

i.d.R.

in der Regel

im Erg.

im Ergebnis

insbes.

insbesondere

i.S.d.

im Sinne des

i.S.v.

im Sinne von

JA

Juristische Arbeitsblätter

JSK

Juristische Studiengesellschaft Karlsruhe

JurA

Juristische Ausbildung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KG

Kommanditgesellschaft

Kölner Komm. AktG

Kölner Kommentar zum Aktiengesetz

Abkürzungsverzeichnis lit.

litera

LM

Lindemeier/Möhring

LZ

Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht

m.Anm.

mit Anmerkung

m.E.

meines Erachtens

Mot.

Motive

Mü-Ko

Münchener Kommentar

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.

Nummer

OHG

Offene Handelsgesellschaft

OLG

Oberlandesgericht

OLGZ

Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Zivilsachen

Österr. OGH

Österreichischer Oberster Gerichtshof

RdA

Recht der Arbeit

Rdn.

Randnummer

RegE

Regierungs-Entwurf

re. Spalte

rechte Spalte

RG

Reichsgericht

RGRK

Reichsgerichtsräte-Kommentar

RGZ

Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

Rspr.

Rechtsprechung

S.

Satz

S.

Seite

SchR

Schuldrecht

s.o.

siehe oben

sog.

sogenannte(r)

str.

strittig

st.Rspr.

ständige Rechtsprechung

s.u.

siehe unten

u.

und

u.a.

unter anderem

u.U.

unter Umständen

vgl.

vergleiche

Vorbem.

Vorbemerkung

Vorw.

Vorwort

WM

Wertpapier-Mitteilungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht

14 z.B.

Abkürzungsverzeichnis zum Beispiel

ZfgG

Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht

Ziff.

Ziffer

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht und Insolvenzpraxis

Einleitung Im Jahre 1987 gab es in der Bundesrepublik Deutschland 238.612 Unternehmen, die in der Rechtsform einer Personengesellschaft betrieben wurden 1. Daneben besteht eine unbekannte Anzahl von BGB-Gesellschaften, die nicht unternehmerisch tätig sind. Die Willensbildung unter den Gesellschaftern geschieht durch Abstimmung. Das Stimmrecht ist daher eines der wichtigsten Mitverwaltungsrechte der Gesellschafter, mit dessen Hilfe sie die Geschicke der Gesellschaft mitbestimmen können. Es gibt vielfältige Gründe, einen Gesellschafter von einer Einzelabstimmung, einem ganzen Sachbereich oder sogar weitestgehend vom Stimmrecht auszuschließen. Exemplarisch seien hier nur genannt mögliche Interessenkollisionen, beispielsweise bei der Abstimmung über die Entlastung, Minderjährigkeit, fehlende Fachkenntnisse und der Fall, daß ein Gesellschafter ausschließlich eine finanzielle Beteiligung wünscht, mit der Geschäftsführung aber nicht belastet werden möchte. Es ist innerhalb bestimmter Grenzen grundsätzlich zulässig, diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen und das Stimmrecht zu beschränken. Die gesetzliche Regelung der Stimmrechtsbeschränkungen ist bei den Personengesellschaften im Gegensatz zu der des Kapitalgesellschaftsrechts nur sporadisch erfolgt. Die Gesellschafter sollen dieses Problem wegen der engen Zusammenarbeit und des erhöhten Vertrauensverhältnisses überwiegend selbst im Gesellschaftsvertrag regeln. Ziel der Arbeit ist es, die Möglichkeiten der Stimmrechtsbeschränkung bei Personengesellschaften darzustellen. Dabei soll angeknüpft werden an das im Jahre 1963 erschienene grundlegende Werk von Wolfgang Zöllner über „Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden 2", welches allerdings schwerpunktmäßig auf Kapitalgesellschaften abstellt und einige Aspekte wie z.B. Stimmbindungsverträge überhaupt nicht berücksichtigt. Weiterhin werden einige für die Personengesellschaft wichtige Institute wie die gesellschaftliche Treuepflicht und der Gleichbehandlungsgrundsatz nur sehr knapp behandelt.

1 Statistisches Jahrbuch 1987, herausgegeben vom Statistischen Bundesamt, Wiesbaden; die Anzahl setzt sich zusammen aus 52.871 OHG bzw. KG, 49.030 GmbH & Co KG sowie 136.711 unternehmerisch tätigen GbR; neuere Erhebungen für die Zeit nach der Wiedervereinigung Deutschlands liegen noch nicht vor. 2 Aus der älteren Literatur ist noch die Abhandlung von Herzfelder, „Stimmrecht und Interessenkollision" zu nennen. Zum Stimmrecht der Miterben, das weder von Zöllner noch von Herzfelder untersucht wird, vgl. Nipperdey, AcP, 143 (1937) S. 315 ff.

16

Einleitung

Eine zusammenfassende Darstellung der Stimmrechtsbeschränkungen für die Personengesellschaften fehlt bislang. Die Rechtsprechung hatte bisher nur wenig Gelegenheit, sich mit den Fragen des Stimmrechtsausschlusses zu befassen. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, daß die Gesellschafter die auftretenden Probleme überwiegend außergerichtlich lösen. Ein Rechtsstreit würde die Entscheidung bis zum Urteil blokkieren. Es liegt aber im Interesse der Gesellschafter, wichtige Entscheidungen nicht auf ungewisse Zeit hinauszuschieben. Es soll im folgenden untersucht werden, wodurch und wie weit das Stimmrecht einschränkbar ist. Die Fragestellung lautet: Bis zu welchem Umfang darf ein Gesellschafter entmündigt werden, obwohl er u.U. mit seinem Privatvermögen für die Folgen der Entscheidungen einzustehen hat? Im ersten Teil der Arbeit sollen zum besseren Verständnis der Problematik das Stimmrecht und sein Wesen kurz dargestellt werden. Außerdem werden die Institute des Beschlusses und der Stimmabgabe erläutert. Im zweiten Teil werden die Schranken des Stimmrechts aufgezeigt, beginnend mit der gesetzlichen Regelung, unterteilt nach den Rechtsformen der GbR, der OHG und der KG. Die Stille Gesellschaft wird nicht berücksichtigt, weil sie als reine Innengesellschaft den Regeln der GbR unterfällt. Dem folgt die Darstellung der weiteren sog. „starren" 3 Schranken. Das Stimmrecht kann in Analogie zu Vorschriften des Körperschaftsrechts ausgeschlossen sein in den Fällen der Entlastung, der Befreiung von einer Verbindlichkeit, der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites bzw. Geltendmachung von Ansprüchen und bei der Vornahme eines Rechtsgeschäftes der Gesellschaft mit dem betreffenden Gesellschafter. Insbesondere der letzte Fall wird sehr kontrovers diskutiert. Im zweiten Teil des zweiten Abschnittes wird aufgezeigt, durch welche Rechtsinstitute das Stimmrecht begrenzt sein oder begrenzt werden kann. Dazu gehören etwa der Grundsatz der Gleichbehandlung, die Stimmkraftbeschränkung und die Treuepflicht. Das Kernstück der Untersuchung bildet schließlich der sich anschließende dritte Teil mit der Behandlung der Frage, bis zu welchem Umfang das Stimmrecht vertraglich ausgeschlossen werden kann. Zu dieser Frage werden in der Literatur vor allem zwei Meinungen vertreten. Nach der ersten ist es zulässig, das Stimmrecht im Rahmen der Vertragsfreiheit

3 Anknüpfend an die Terminologie Zöllners, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 97 ff., die sich mittlerweile überwiegend durchgesetzt hat.

Einleitung

bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit weitestgehend auszuschließen. Nur bei Abstimmungen, welche Rechte des Kernbereichs der Mitgliedschaft berühren, wird der Stimmrechtsausschluß für unzulässig gehalten4. Nach der zweiten Meinung 5 soll ein über die allgemein anerkannten Möglichkeiten hinausgehender Stimmrechtsausschluß angesichts der persönlichen Haftung stets zu einer unzulässigen Abhängigkeit des Gesellschafters von der Willkür der Anderen führen und gegen das Wesen der Personengesellschaft verstoßen. Der Ausgangspunkt zur Lösung der Frage liegt in der Definition des „Kernbereichs der Gesellschafterrechte", auf den im Jahre 1956 erstmals der BGH 6 hinwies und dessen Bestehen seither allgemein anerkannt wird 7 , ohne daß jedoch sein Umfang jemals definiert wurde 8. Die Bestimmung der Grenzen des Stimmrechtsausschlusses setzt aber die Kenntnis der Grenzen des Kernbereichs voraus, dessen diffuse Konturen im dritten Teil der Arbeit konkretisiert werden. Dabei wird nicht von der am gesetzlichen Leitbild orientierten Gesellschafterstellung ausgegangen, sondern von den anerkannten Grenzformen der Mitgliedschaft, bei denen eine der beiden Hauptkomponenten der Mitgliedschaft - persönliche Mitarbeit und Kapitaleinsatz - ganz oder überwiegend zurücktritt, beispielsweise in der Publikums-KG, der großen Familien-KG oder beim sog. „angestellten Komplementär" 9. Nach der Konkretisierung des Kernbereichs wird das Ergebnis dann auf das Stimmrecht übertragen und dessen Grenze der Ausschließbarkeit bestimmt.

4 BGHZ 20, 363; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119 Anm. 2 D; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217 ff.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 23; A. Hueck, OHG, S. 169; ders. ZHR 125 (1963) 1, 10 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 415 ff.; RGRK-v. Gamm, BGB, § 709, Rdn. 12; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 194; Spengler in FS Möhring (1965) 165, 170; Martens, DB 1973, 413, 417; Emmerich in Heymann, HGB, § 119, Rdn. 25; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58; für die GmbH vgl. K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 8 ff. 5

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 119, Rdn. 1; Heins, NJW 1948, 252, 253; Weipert, HGB, 1. Aufl., § 119, Rdn. 13, anders aber 2. Aufl., § 119, Rdn. 13; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.; Larenz, SchR II, § 60 II b, S. 384 f.; sympatisierend wohl Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 65; Köhler, JA 1983, 168, 170; eingeschränkt auch Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 37 f.; § 161, Rdn. 70 f.; § 163, Rdn. 3. 6

BGHZ 20, 363, 368 f., 370, allerdings ohne den Begriff des Kernbereichs zu verwenden.

7

Vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 24; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff., jeweils m.w.N. 8

Vgl. auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht, S. 375.

9

Vgl. dazu BGHZ 45, 204; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 287 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, S. 106 f. 2 Lockowandt

Erster Teil

Das Stimmrecht A. Das Stimmrecht als Mitverwaltungsrecht Die Rechte der Gesellschafter lassen sich in Vermögensrechte (z.B. Gewinnund Ersatzansprüche 1) und Mitverwaltungsrechte (z.B. Geschäftsführung, Kontrollrechte 2) unterteilen 3. Das Stimmrecht zählt zu den wichtigsten Mitverwaltungsrechten. Da ein Personen verband naturgemäß keinen natürlichen Willen haben kann4, muß ein Gesamtwille der hinter ihm stehenden Gesellschafter gebildet werden. Konkretisiert wird der Gesamtwille im wesentlichen durch Beschlußfassungen, in denen die Interessen und Absichten der Gesellschafter in Übereinstimmung gebracht werden. Der Beschluß wird dann zur Grundlage des Handelns der Gesellschaft gemacht. Er ist damit ein bedeutendes Instrument, das die Funktionsfähigkeit einer von mehreren Personen geführten Gesellschaft überhaupt erst ermöglicht. Das Stimmrecht erlaubt dem Gesellschafter, durch Abstimmung an der Willensbildung der Gesamthand mitzuwirken und so die Geschicke der Gesellschaft mitzusteuern. Als Mitverwaltungsrecht steht das Stimmrecht dem Gesellschafter teilweise als eigennütziges Recht und teilweise als uneigennütziges Recht zu. Welchen Charakter das Stimmrecht jeweils hat, hängt vom Beschlußgegenstand ab. Die Beschlüsse lassen sich nach ihrem Gegenstand in drei große Gruppen einteilen5: 1. Den häufigsten Beschlußgegenstand bilden Geschäftsführungsangelegenheiten. Darunter ist jede Tätigkeit rechtlicher oder tatsächlicher Natur zu verstehen, die für die Gesamthand wahrgenommen wird und zur Förderung des Gesellschaftszweckes bestimmt ist. Die meisten Entscheidungen, die den täglichen Geschäftsablauf betreffen, fallen in diese Kategorie. Bei Abstimmungen über Geschäftsführungsmaßnahmen hat das Stimmrecht einen uneigennützigen Charakter. Die gesellschaftliche Treuepflicht gebietet 1

Z.B. §§ 110, 120, 121, 122 HGB.

2

Z.B. §§ 114, 118 HGB.

3

Hopt/Hehl, Gesellschaftsrecht, Rdn. 411; G. Hueck, Gesellschaftsrecht, § 7 II 1, S. 51 f.; andere Einteilung z.B. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 366. 4

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 11.

5

Vgl. BGHZ 65, 93, 96 = NJW 1976, 49.

Α. Das Stimmrecht als Mitverwaltungsrecht

19

dem Gesellschafter, sich bei der Ausübung seines Stimmrechts ausschließlich am Wohl und an den Interessen der Gesellschaft zu orientieren. Sein Privatinteresse muß er dem Interesse der Gesellschaft nachordnen. Der Gesellschafter ist in diesen Fällen nicht frei in seiner Entscheidung. Aus diesem Grund spricht man auch davon, daß sich das Stimmrecht in ein Pflichtrecht wandelt6. Es besteht nicht nur eine Stimmpflicht, also überhaupt zu stimmen und sich nicht zu enthalten, sondern es besteht auch die Verpflichtung, im Interesse der Gesellschaft zu stimmen. 2. Die zweite Gruppe der Beschlußgegenstände bilden Änderungen des Gesellschafts Vertrages. Diese Beschlüsse betreffen vor allem die Zusammensetzung und die Organisation der Gesellschaft sowie die Pflichten und Rechte der Gesellschafter 7 untereinander bzw. im Verhältnis zur Gesamthand. Bei Beschlußfassungen, welche Änderungen des Gesellschaftsvertrages betreffen, hat das Stimmrecht des Gesellschafters einen eigennützigen Charakter 8. Es darf überwiegend im eigenen Interesse ausgeübt werden. So ist es ins Belieben eines jeden Gesellschafters gestellt, ob er der Aufnahme eines weiteren Gesellschafters oder einer Änderung des Gesellschaftszweckes zustimmt oder nicht. Die Treuepflicht erlangt hier erst in zweiter Linie Bedeutung. Nur wenn ganz besondere Umstände vorliegen, ist der Gesellschafter gehalten, einer Änderung des Gesellschaftsvertrages zugunsten der Gesellschaftsinteressen zuzustimmen9. Zurückhaltung bei der Annahme einer Stimmpflicht ist insbesondere dann geboten, wenn mit der vorgesehenen Änderung des Gesellschaftsvertrages für den widerstrebenden Gesellschafter eine Erhöhung seiner Pflichten, z.B. seiner Einlage, verbunden ist 10 . 3. Die dritte Gruppe von Beschlußgegenständen bilden schließlich „sonstige" weder zur einen noch zur anderen Gruppe gehörende gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten. Diese können vielfältiger Natur sein. Im wesentlichen sind darunter Beschlüsse zu verstehen, die auf der Basis des bestehenden Gesellschaftsvertrages die Beziehungen der Gesellschafter untereinander bzw. gegenüber der Gesamthand betreffen. Von den Geschäftsführungsangelegenheiten unterscheiden sie sich dadurch, daß sie nicht auf unmittelbare Zweckförderung angelegt sind. Sie erfolgen innerhalb des vom Gesellschaftsvertrag gesteckten Rahmens, zielen also nicht auf eine Änderung desselben ab. Gemeint sind vor allem Beschlüsse über Ge-

6

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 31.

7

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 10.

8

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 240.

9

Erforderlichheit und Zumutbarkeit der Vertragsänderung, st. Rspr. des BGH, z.B. BB 1954, 456; NJW 1961, 724; W M 1985, 256, 257. 10

2'

Vgl. § 707 BGB und Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 31.

20

. Teil:

as Stimmrecht

winnVerwendung, Bilanzfeststellung, Entlastung der Geschäftsführer und die Vornahme außergewöhnlicher, nicht durch den Gesellschaftszweck gedeckter Geschäfte 11. Welchen Charakter das Stimmrecht bei den Beschlüssen über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten hat, läßt sich nicht pauschal bestimmen. Ob dem Gesellschafter das Stimmrecht als eigennütziges Recht oder als uneigennütziges Recht zusteht, muß vielmehr am konkreten Beschlußgegenstand untersucht werden 12. Die Differenzierung hat danach zu erfolgen, ob nach der Art des Beschlußgegenstandes typischerweise mit einem Interessenkonflikt des Gesellschafters gerechnet werden muß - dann steht das Interesse des Gesellschafters im Vordergrund und das Stimmrecht steht ihm als eigennütziges zu oder ob typischerweise das Gesellschaftsinteresse im Vordergrund steht - dann besitzt das Stimmrecht des Gesellschafters uneigennützigen Charakter 13. Als Beispiele für Beschlußgegenstände, bei denen das Stimmrecht einen eigennützigen Charakter hat, sind zu nennen die Gewinnverwendung und die Wahl eines Beirates, als Beispiele für den uneigennützigen Charakter können die Bilanzfeststellung, die Geschäftsführerentlastung und die Geltendmachung des Auskunftsrechts dienen. Die Grenze zwischen dem uneigennützigen und dem eigennützigen Charakter des Stimmrechts ist jedoch fließend. Es kommt entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an. Dies zeigt sich besonders deutlich bei der Beschlußfassung über die Frage, ob die Gesellschaft ein außergewöhnliches, nicht vom Gesellschaftszweck gedecktes Geschäft tätigen soll oder nicht. Die Nähe des Beschlußgegenstandes zur Geschäftsführung rückt dabei eher die Interessen der Gesellschaft in den Vordergrund, während der Umstand, daß ein derartiges Geschäft nicht vom Gesellschaftsvertrag gedeckt ist, eher für eine Bevorzugung des Eigeninteresses der Gesellschafter spricht. Welchen Charakter das Stimmrecht im Einzelfall hat, hängt von der Art des Geschäftes und den möglichen Auswirkungen auf die Gesellschaft ab. B. Das Wesen des Stimmrechts Das Wesen des Stimmrechts bildet die Befugnis zur Mitwirkung an kollektiver Willensbildung in bestimmten Gesellschaftsangelegenheiten, welche als Voraussetzung jedes Handelns eine wichtige Voraussetzung für die Teilnahme am Rechtsverkehr ist 14 . Das Stimmrecht ist kein Sonderrecht, sondern ein

11

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 51.

12

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 55.

13

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 55.

14

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 11.

Β. Das Wesen des Stimmrechts

21

unmittelbar aus der Mitgliedschaft fließendes Einzelrecht 15. Es kann allerdings durch gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zu einem Sonderrecht ausgestaltet werden. So darf zum Beispiel einem kapitalmäßig ungleich höher beteiligten Gesellschafter ein doppeltes Stimmrecht eingeräumt werden 16. Das Stimmrecht ist untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden 17 und deshalb weder abspaltbar 18 noch übertragbar. Zwar ist es rechtlich zulässig, ein Pfandrecht am Gesellschaftsanteil 19 zu bestellen, einen Nießbrauch 20 daran einzuräumen, oder ihn treuhänderisch 21 zu übertragen, gleichwohl verbleibt das Stimmrecht beim Gesellschafter. Als Mitverwaltungsrecht ist das Stimmrecht seinem Wesen nach ein Gestaltungsrecht 22, bzw. ein dem Gestaltungsrecht nah verwandtes, aber besonders zu gruppierendes Herrschaftsrecht. Seine Gestaltungswirkung beschränkt sich jedoch auf Zustimmung oder Ablehnung eines bestimmten Antrages, weshalb das Stimmrecht in der Literatur auch als dialektisches Recht23 bezeichnet wurde. Will der Gesellschafter eine nur partiell abweichende Stimme abgeben, muß er nämlich dem Antrag die Zustimmung verweigern und ihn in modifizierter Form erneut zur Abstimmung stellen. Das Stimmrecht der Personengesellschafter beruht auf der Mitgliedschaft 24 . Sein Wesen ist insofern mitgliedschaftlicher Natur 25 . Im Kapitalgesellschaftsrecht wird zwischen dem mitgliedschaftlichen und dem organschaftlichen Stimmrecht differenziert. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, daß das Stimmrecht den Organen eine grundsätzlich altruistische Machtbefugnis verleiht 26 , während es den Mitgliedern oder Gesellschaftern teilweise auch als eigennütziges Recht zusteht. Diese Differenzierung wird von einigen Autoren auf die Personengesellschaften übertragen 27, weil die geschäftsführenden Gesellschafter bzw. die Komplementäre ebenfalls gewissermaßen als „Organe" 15

Müller-Erzbach, Mitgliedschaftsrecht, S. 209.

16

Vgl. in dieser Hinsicht Β GHZ 20, 363, 370.

17

§ 717 S. 1 BGB; vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717 Rdn. 16.

18

BGHZ 3, 354, 357; 20, 363, 364 f.

19

Vgl. Hadding in Hadding/Schneider, Geschäftsanteile als Kreditsicherheit, S. 49 f.

20

Teichmann, ZGR 1972, 1, 10 ff.; Ulmer in FS Fleck (1988), S. 383, 390.

21

RG JW 1934, 2906, 2907, mit Anmerkung A. Hueck; BGHZ 3, 354, 360.

22

Bartholomeyczik, Die Stimmabgabe im System unserer Rechtshandlungen, S. 14.

23

R. Bruns, Lücken in der rechtlichen Wertung des körperschaftlichen Rechtsgeschäfts,

S. 137 ff.; vgl. auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechts macht, S. 13. 24

Vgl. Engfer, S. 10 ff.

25

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 7.

26

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 7.

27

In dieser Richtung Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 57.

22

. Teil:

as Stimmrecht

tätig werden, obwohl das Personengesellschaftsrecht diesen Begriff nicht kennt. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, daß den betreffenden Gesellschaftern das Stimmrecht bei Beschlüssen über Geschäftsführungsmaßnahmen stets als uneigennütziges Recht zusteht. Organschaftliches und mitgliedschaftliches Stimmrecht können danach der gleichen Person zustehen, so daß jeweils zu unterscheiden ist, in welcher Eigenschaft das Stimmrecht ausgeübt wird. Selbst beim Komplementär, dessen Stellung dem geschäftsführenden Organ einer Kapitalgesellschaft am nächsten kommt, entspricht jedoch die gesetzliche Ausgestaltung seiner Position lediglich einer Verstärkung seiner mitgliedschaftlichen Stellung. Seine Befugnisse entspringen ausschließlich seiner Mitgliedschaft und nicht seiner Stellung als „Organ". Die gesetzliche Konzeption der KG kennt des Grundsatzes der Selbstorganschaft wegen keine Differenzierung zwischen einer allgemeinen, unverändert fortbestehenden Gesellschafterposition und einer davon zu unterscheidenden besonderen Stellung als Komplementär. Bei Personengesellschaften ist die Aufspaltung des Stimmrechts in ein organschaftliches und ein mitgliedschaftliches Stimmrecht deshalb entbehrlich. Ausreichend ist die Differenzierung nach Beschlußgegenständen, die hinreichend den jeweiligen Einfluß der gesellschaftlichen Treuepflicht impliziert. Demgemäß ist im folgenden mit „Stimmrecht" stets das mitgliedschaftliche Stimmrecht gemeint. C. Die Willensbildung in der Gesellschaft Die Willensbildung in der Gesellschaft geschieht dadurch, daß die Gesellschafter abstimmen und auf diese Weise eine Entscheidung treffen. Es gilt also zwei Komponenten auseinanderzuhalten: die Stimmabgabe und den Beschluß. Beide sind selbständige Rechtsinstitute und haben unterschiedliche Voraussetzungen und Auswirkungen. I. Die Stimmabgabe Mittels der Stimmabgabe äußert der Gesellschafter verbindlich seinen natürlichen Willen hinsichtlich eines Beschlußantrages. Die Stimmabgabe ist als Teilnahme an einem Gesamtakt nicht ein bloßer Teil eines gesellschaftlichen Vorganges 28, sie ist vielmehr nach h.M. eine empfangsbedürftige Willenserklärung 29 ; allerdings mit der Besonderheit, daß sie allein noch nicht die gewünschte Rechtsänderung herbeiführt. Die Einordnung als Willenserklärung gilt unabhängig davon, ob dem Antrag zugestimmt wird oder nicht. Auch die

28 Vgl. Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 26, mit weiteren Hinweisen zur älteren Literatur. 29

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rn 67, FN 109.

C. Die Willensbildung in der Gesellschaft

23

ablehnende Stimmabgabe ist eine Willenserklärung, da sie eine auf die Erzielung einer zumindest gesellschaftsinternen 30 Rechtsfolge gerichtete Parteiwillensäußerung31 ist. Die angestrebte Rechtsfolge besteht in der Ablehnung des Beschlußantrages. Die Stimmabgabe hat den anderen Gesellschaftern bzw. dem jeweiligen Sitzungsleiter gegenüber zu erfolgen, der als Bevollmächtigter die Stimmen entgegennimmt32. Die Stimme muß grundsätzlich persönlich abgegeben werden 33. Der Gesellschaftsvertrag kann aber für Sonderfälle die Bevollmächtigung eines Mitgesellschafters oder eines Dritten vorsehen 34. Auch ohne vertragliche Fixierung ist dies möglich, wenn die anderen Gesellschafter ausdrücklich zustimmen35 oder ihre Zustimmung konkludent dadurch zum Ausdruck bringen, daß sie den Bevollmächtigten zur Abstimmung zulassen36. Infolge des Abspaltungsverbotes ist es allerdings unzulässig, die Vollmacht als verdrängende zu erteilen 37. Bei der Bevollmächtigung eines externen Dritten bestehen darüber hinaus in zweifacher Hinsicht Besonderheiten. Grundsätzlich sollen Dritte zu den Interna der Gesellschaft keinen Zugang haben. Im Zusammenhang mit der Beschlußfassung kommt es jedoch regelmäßig zu Aussprachen und Diskussionen über die finanzielle Lage der Gesellschaft, wichtige Kunden, zukünftige Strategien, mögliche Mißstände oder neue Produkte. Es muß deshalb sichergestellt sein, daß diese Umstände keine unerwünschte Publizität dadurch erhalten, daß Dritte, die nicht der gesellschaftlichen Treue- und Geheimhaltungspflicht unterliegen, sie der Öffentlichkeit oder gar der Konkurrenz zugänglich machen. Insofern gebietet die gesellschaftliche Treuepflicht, nur solche Personen zu bevollmächtigen, die die erforderliche Vertraulichkeit gewährleisten und ihr erlangtes Wissen nicht zum Nachteil der Gesellschaft einsetzen38. In zweiter Hinsicht ist auf die Interessen der Mitgesellschafter Rücksicht zu nehmen39. Ihre finanzielle Lage, persönliche Position, zukünftigen Pläne und etwaigen Verfehlungen oder Mißleistungen werden bei den Aussprachen, die

30

Hopt/Hehl, Gesellschaftsrecht, Rdn. 421.

31

Enneccurus-Nipperdey, BGB AT, § 137 IV 1, S. 864.

32

A. Hueck, OHG, S. 164.

33

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn 27; A. Hueck, OHG, S. 165, FN 11 m.w.N.

34

Vgl. z.B. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 68.

35

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 27.

36

RGZ 123, 289, 300.

37

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 27.

38

Vgl. dazu A. Hueck, FS Nipperdey (1965), S. 401, 420 ff.

39

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709. Rdn. 68.

24

. Teil:

as Stimmrecht

den Abstimmungen vorausgehen, ebenfalls offenbar. Da die Treuepflicht auch zwischen den Gesellschaftern Geltung entfaltet, ist in ihrem Interesse bei der Auswahl eines Bevollmächtigten sicherzustellen, daß er die Vertraulichkeit wahrt und sein erlangtes Wissen nicht zum Nachteil der anderen Gesellschafter einsetzt oder unerwünscht weiteren Personen zugänglich macht. Ein Anspruch des Vollmachtgebers auf die Zustimmung der Mitgesellschafter zur Zulassung eines Dritten als Bevollmächtigten besteht wegen des Charakters des Stimmrechts als höchstpersönliches Mitverwaltungsrecht regelmäßig nicht 40 . Ausnahmsweise kann jedoch die die Gesellschafter untereinander verbindende Treuepflicht gebieten, der Bevollmächtigung eines Dritten zuzustimmen, z.B. wenn der Gesellschafter an einer persönlichen Stimmabgabe verhindert ist und die Bevollmächtigung eines Mitgesellschafters wegen eines Interessenwiderstreites oder aus sonstigen Gründen unzumutbar erscheint. Da die Stimmabgabe eine Willenserklärung ist, finden die Regeln des BGB über Willenserklärungen Anwendung. So ist z.B. die Stimmabgabe eines Geschäftsunfähigen unwirksam. Außerdem kann sie nach den §§ 119, 123 BGB wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung angefochten werden. Eine Stimmabgabe wird nach den §§ 130 ff BGB erst mit Zugang wirksam. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die Stimme widerrufen werden 41. Nach Zugang ist dies grundsätzlich nicht mehr möglich. Bei Abstimmungen über Grundlagengeschäfte oder Änderungen des Gesellschaftsvertrages tritt die Rechtsänderung vielmehr sofort mit der Beschlußfassung ein 42 . Ein derartiger Beschluß kann nur durch eine erneute Beschlußfassung ex nunc beseitigt werden. Eine Ausnahme gilt aber für Geschäftsführungsangelegenheiten. Hier ist der Widerruf der Stimme möglich, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, oder sich die zugrundegelegten Verhältnisse gewandelt haben. Dies liegt im Interesse der Gesellschaft, der es schaden würde, wenn ein derartiger Beschluß zunächst ausgeführt werden müßte43. Da das Stimmrecht dem Wesen nach ein Gestaltungsrecht ist, das unmittelbar auf die Zustimmung bzw. die Ablehnung eines konkreten Antrages einwirkt, ist die Stimmabgabe grundsätzlich bedingungsfeindlich. Nur in Ausnahmefällen ist eine bedingte Abgabe zulässig, z.B, wenn ihr die anderen Gesellschafter ausdrücklich zustimmen und damit den Schwebezustand des Beschlusses tolerieren 44. Beispielsweise kann die Zustimmung zur Vornahme einer bestimmten Investition an die Bedingung geknüpft werden, daß der Abschluß eines 40

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 68.

41

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 29.

42

A. Hueck, OHG, S. 165.

43

A. Hueck, OHG, S. 164 f.

44

A. Hueck, OHG, S. 165.

C. Die Willensbildung in der Gesellschaft

25

wichtigen Vertrages zustandekommt. Diese Möglichkeit versetzt die Gesellschafter in die Lage, eine im allseitigen Interesse liegende frühzeitige Entscheidung zu treffen. Weiterhin ist eine bedingte Stimmabgabe ausnahmsweise bei Vorliegen einer Potestativbedingung zulässig, wenn also der Eintritt der Bedingung allein von dem Willensentschluß der anderen Gesellschafter abhängt. In diesem Fall kann ihnen als Erklärungsempfänger der Schwebezustand bzw. die ungewisse Lage zugemutet werden, weil ihre berechtigten Interessen nicht beeinträchtigt werden 45. II. Der Beschluß Ein Gesellschafterbeschluß ist stets dann erforderlich, wenn eine Entscheidung durch die Mehrheit der Gesellschafter zu treffen ist oder der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter 46 bedarf. Der Beschluß ist das Ergebnis einer Abstimmung, das sich aus der Ablehnung oder Bejahung des Beschlußantrages ergibt. Die Ermittlung von Ablehnung oder Bejahung geschieht anhand der Zielrichtung, der Zahl und dem Verhältnis der abgegebenen Stimmen. Maßstab sind die im Gesellschaftsvertrag oder speziell für diesen Beschlußantrag vereinbarten, oder die vom Gesetz vorgeschriebenen rechtlichen Erfordernisse. So gilt der Beschlußantrag bei Erreichen der erforderlichen Mehrheit als angenommen, bei Stimmengleichheit oder Nichterreichen dieser Mehrheit als abgelehnt47. Der Beschluß hat demnach einen positiven oder negativen Inhalt, denn auch die Ablehnung des Antrages stellt einen Beschluß dar 48 , ebenso wie der Verfahrensbeschluß 49. Es kommt lediglich auf die Bildung eines mehrheitlichen Willens durch das förmliche Verfahren der Abstimmung an. Seiner Rechtsnatur nach ist der Beschluß ein mehrseitiges Rechtsgeschäft 50. Es kommt zustande durch die Abgabe der erforderlichen Stimmen, die wiederum Willenserklärungen sind 51 . Nur vereinzelt hat es Entscheidungen52 oder Stimmen in der Literatur 53 gegeben, die die Rechtsgeschäftsqualität des Beschlusses, oder zumindest die des ablehnenden Beschlusses verneint haben. Auch der BGH sprach zeitweilig bestimmten Gesellschafterbeschlüssen - z.B. über die Bestellung zum Geschäftsführer - die Rechtsgeschäftsqualität ab, um 45

BGH W M 1973,694.

46

A. Hueck, OHG, S. 161.

47

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 392.

48

RGZ 122, 102, 107; BGH ZIP 1986, 429; Baumbach/Hueck AktG, § 119, Anm. 3.

49

Winnefeld, DB 1972, 1053, 1054.

50

Einh.M., z.B. Larenz BGB AT, § 18 II a, S. 320; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709,

Rdn. 4. 51

Siehe oben S. 8.

52

Z.B. RGZ 122,367.

53

Winnefeld, DB 1972, 1053, 1055.

26

. Teil:

as Stimmrecht

sie der Anwendung von § 181 BGB zu entziehen. Er bezeichnete sie deshalb als eine besondere Kategorie von „Sozialakten", welche nicht den allgemeinen Rechtsgeschäftsvorschriften unterstünden 54. Diese Meinungen haben sich jedoch nicht durchsetzen können, da sich der Beschluß ganz zwanglos als Rechtsgeschäft definieren läßt, welches aus mehreren Willenserklärungen besteht, die allein oder mit anderen Tatbestandsmerkmalen eine gewollte Rechtsfolge herbeiführen 55. Gesellschafterbeschlüsse unterliegen damit insgesamt den allgemeinen Grundsätzen des BGB über Rechtsgeschäfte. Die wichtigste Konsequenz daraus ist, daß sie wegen Gesetzes- oder Sitten ver stoßes nach den §§ 134, 138 BGB unwirksam sein können. Die weitere rechtliche Einordnung des Beschlusses fällt unterschiedlich aus. Er wird teils als Vertrag 56 , teils als mehrseitiges Rechtsgeschäft 57, teils als Rechtsgeschäft eigener Art 5 8 angesehen. Richtigerweise muß jedoch nach dem Beschlußgegenstand differenziert werden. In Abhängigkeit davon kann der Beschluß alle drei Elemente in sich tragen. Sind z.B. Änderungen des Gesellschaftsvertrages oder sonstige das Verhältnis der Gesellschafter untereinander betreffende Gegenstände zu beschließen (z.B. die Höhe der Gewinnausschüttung), handelt es sich um einen Vertrag. In den übrigen Fällen - zu denken ist hier vor allem an die Geschäftsführung - handelt es sich um rechtsgeschäftliche Willensbildung der Gesamthand59, welche Rechtsfolgen für das Organhandeln oder die Durchsetzung von Sozialansprüchen gegen Mitgesellschafter auslöst. Die Einhaltung bestimmter Förmlichkeiten für Beschlußfassungen ist im Recht der Personengesellschaften nicht vorgeschrieben 60. Die vereinsrechtliche Formvorschrift des § 32 BGB über die Beschlüsse in der Mitgliederversammlung des Vereins findet keine entsprechende Anwendung 61. Ein Beschluß kann demnach in beliebiger Weise gefaßt werden. In den meisten Fällen findet die Beschlußfassung im Rahmen einer Gesellschafterversammlung statt. Es reicht aber aus, daß die Gesellschafter das Beschlußergebnis in sonstiger Form, z.B. durch Abstimmung in kleineren Gruppen ermitteln. Eine schriftliche Beschluß-

54

BGHZ 33, 189, 191; 48, 163, 167; 51, 209, 217; nach der neueren wertenden Auslegung des Selbstkontrahierungsverbotes hat sich diese Sichtweise aber geändert, BGHZ 65, 93, 96 f.; BGH W M 1979, 71, 72; vgl. dazu näher Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 47 f. 55 56

Vgl. Palandt/Heinrichs BGB, Überbl. vor § 104 BGB, Rdn. 2. Manigk, Die Privatautonomie im Aufbau der Rechtsquellen, S. 88; Esser, Schuldrecht,

S. 281. 57

v. Thür, Bürgerliches Recht Bd. I, S. 514; Lehmann/Dietz, Gesellschaftsrecht, S. 56 f.

58

Coing in Staudinger BGB, 12. Aufl., § 32, Anm. 37; Enneccurus/Nipperdey, BGB § 146 IV, S. 911 f. 59

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 47.

60

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 65 m.w.N.

61

RGRK - von Gamm BGB, § 709, Rdn. 10; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 3.

AT,

C. Die Willensbildung in der Gesellschaft

27

fassung ist ebenfalls möglich. Die Wirksamkeit eines Beschlusses erfordert auch nicht die gleichzeitige Stimmabgabe aller zu Beteiligenden. Eine nachträgliche Stimmabgabe ist ebenso möglich wie eine Beschlußfassung unter Vorbehalt der Zustimmung eines abwesenden Gesellschafters 62. Eine konkludente Willensübereinstimmung kann einen Beschluß ersetzen. Sie muß sich jedoch nach außen hin manifestieren 63. Der Gesellschaftsvertrag kann bestimmte Förmlichkeiten vorschreiben. Häufig dürfen bestimmte oder wichtige Beschlüsse ausschließlich in der Gesellschafterversammlung gefaßt werden. Ist dies der Fall, muß den Gesellschaftern der Ort und die Zeit rechtzeitig bekannt gemacht werden 64. Eine vorherige Bekanntgabe der Tagesordnung ist grundsätzlich nicht notwendig65. Die Grundsätze von Treu und Glauben und der Gleichbehandlung der Gesellschafter können aber gebieten, einem aus diesem Grunde schuldlos ungenügend vorbereiteten Gesellschafter eine Bedenk- und Vorbereitungszeit einzuräumen 66. Der das Beschlußverfahren einleitende Beschlußantrag hat im übrigen keine materielle Bedeutung. Er gibt lediglich die Beschlußalternativen vor, auf die sich die abgegebenen Stimmen beziehen müssen67, sollte aber immer positiv formuliert sein und eine Stellungnahme mittels eines schlichten „Ja" oder „Nein" ermöglichen 68.

62

A. Hueck, OHG, S. 163 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 65.

63

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 65.

64

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 4.

65

A. Hueck, OHG S. 164 m.w.N.

66

A.Hueck, OHG, S. 164 m.w.N.

67

Bartholomeyczik, Die Stimmabgabe im System unserer Rechtshandlungen, S. 1.

68

Winnefeld, DB 1972, 1053.

Zweiter Teil

Schranken des Stimmrechts Um die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft zu gewährleisten und um Streitigkeiten vorzubeugen, ist ein festes Regelwerk für die Entscheidungsfindung erforderlich, welches festlegt, wer die Entscheidungen treffen darf und auf welche Weise dies zu geschehen hat. Für die Kapitalgesellschaften besteht diesbezüglich eine relativ detaillierte gesetzliche Regelung1. Demgegenüber hat der Gesetzgeber bei den Personengesellschaften den Komplex der Entscheidungsfindung nur rudimentär behandelt2. Dem lag die Überlegung zugrunde, daß zwischen den Gesellschaftern eine enge Arbeits- und Haftungsgemeinschaft sowie ein durch langjährige persönliche Beziehungen geschaffenes Vertrauensverhältnis besteht. Die Gesellschafter sollen deshalb das Problem der Entscheidungsfindung in dem sie verbindenden Gesellschaftsvertrag regeln. Eine Kodifizierung dieses Komplexes wäre wegen der Verschiedenheit der möglichen Interessenlagen und der unterschiedlichen Erscheinungsformen der Gesellschaften in der Praxis nur von eingeschränktem Wert. Das Gesetz geht in den §§ 709 I BGB, 1191 HGB davon aus, daß jeder Gesellschafter einer Personengesellschaft - vom Ausschluß der Kommanditisten von Geschäftsführungsbeschlüssen abgesehen3 - grundsätzlich ein gleichwertiges Stimmrecht besitzt und daß alle Beschlüsse einstimmig gefaßt werden. Das Erfordernis der Einstimmigkeit bringt allerdings mannigfaltige Probleme mit sich. So kann beispielsweise der eine andere Auffassung vertretende, verärgerte oder egoistische Gesellschafter einen Beschluß durch die Versagung seiner Zustimmung blockieren. Zwar ist den Anderen eine Klage auf Zustimmung möglich. Diese bringt jedoch einen unerwünscht langen Schwebezustand mit sich und ist nicht in jedem Falle zielführend, z.B. bei Investitionsentscheidungen. Denn dem Richter ist Zurückhaltung auferlegt, was die ökonomische Sicht angeht. Soweit die Verweigerung der Zustimmung nicht pflichtwidrig ist, unterliegt insbesondere der Streit über die Zweckmäßigkeit von Geschäftsführungsmaßnahmen nicht der gerichtlichen Entscheidung4. Darüber hinaus ist der Richter weder ein Unternehmensberater, noch hat er die fachliche Kompetenz

1

Vor allem im Recht der AG, KGaA und GmbH, vgl. §§ 12, 133 ff., 139 ff. AktG; 278 III, 133 ff., 285 AktG; 35,46 ff., 53, 60 I Nr. 2, 69 I GmbHG. 2

Für die GbR vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709 Rdn 1, 46.

3

Vgl. § 164 HGB.

4

BGH L M Nr. 7 = NJW 1972, 862.

Α. Die gesetzliche Regelung

29

zu entscheiden, ob und welche Vertragsänderungen betriebswirtschaftlich notwendig sind5. Um diese - letztlich auch das Problem des Minderheitenschutzes betreffenden 6 - Spannungsfelder zu vermeiden, besteht die Möglichkeit, Mehrheitsentscheidungen statt Einstimmigkeit zu vereinbaren. Darüber hinaus ist es im Einzelfall zweckmäßig oder sogar notwendig, das Stimmrecht eines Gesellschafters für einzelne Beschlüsse oder ganze Bereiche zu beschränken oder auszuschließen. Der Grundsatz des gleichen Stimmrechts ist aus den vorgenannten Gründen schon im Gesetz von mehreren Ausnahmen durchbrochen worden. Mit diesen ist bei der Darstellung der Stimmrechtsbeschränkungen zu beginnen. A. Die gesetzliche Regelung I. Die BGB-Gesellschaft Die GbR hat hinsichtlich des Stimmrechts die unvollständigste Regelung erfahren. Die zentrale Norm ist § 709 BGB. Sie regelt zwei unterschiedliche Sachverhalte, nämlich die Geschäftsführung und das Stimmrecht. Nach § 709 I BGB steht die Führung der Geschäfte allen Gesellschaftern gemeinschaftlich zu. Der zweite Halbsatz des Absatzes 1 trifft die für die GbR maßgebliche Aussage zum Stimmrecht, indem für die betreffenden Beschlüsse grundsätzlich das Einstimmigkeitsprinzip gilt 7 . Darüber hinaus erstreckt sich dieser Grundsatz aber auch auf alle weiteren, nicht die Geschäftsführung betreffenden Beschlüsse8. Der Absatz 2 verdeutlicht, daß die Vereinbarung von Mehrheitsentscheidungen zulässig ist. Die Mehrheit berechnet sich im Zweifel nach Köpfen. Alle Gesellschafter haben grundsätzlich das gleiche Stimmrecht. Weder der Begriff des Stimmrechts, noch der seiner Einschränkung noch der seines Ausschlusses werden im BGB oder HGB expressis verbis erwähnt. Gleichwohl sieht schon das Gesetz Einschränkungen vor. So ist es nach § 710 S. 1 BGB möglich, einen einzelnen oder mehrere Gesellschafter mit der Geschäftsführung zu beauftragen, beispielsweise aus Gründen der Fachkompetenz. Die anderen Gesellschafter sind dann von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Stimmberechtigt für diesen Bereich sind dann ausschließlich die geschäftsführenden Gesellschafter. Da § 709 I BGB das Stimmrecht der Gesellschafter mit der Geschäftsführung verknüpft, hat der Ausschluß von der Geschäftsführung auch den Ausschluß ihres Stimmrechts für diesbezügliche Beschlüsse zur 5

So Köhler, JA 1983, 168.

6

Vgl. dazu Immenga, ZGR 1974, 385 ff.

7 Zur Problematik von Einstimmigkeits- und Mehrstimmigkeitsprinzip vgl. z.B. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 93 ff.; G. Hueck, Gesellschaftsrecht, S. 101 ff.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119 Rdn. 23; Köhler, JA 1983, 168 f. 8

Vgl. Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 38.

30

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Folge9. Dabei wird bei der GbR nicht zwischen gewöhnlichen oder außergewöhnlichen Maßnahmen unterschieden. Die Ausgeschlossenen haben aber die Möglichkeit, die grundsätzliche Übertragung durch einen erneuten Grundlagenbeschluß rückgängig zu machen und wiederum Einfluß auf die Geschäftsführung zu nehmen. Ein weiterer Fall des Stimmrechtsausschlusses findet sich in § 712 I BGB. Danach kann dem oder den Geschäftsführern die Geschäftsführungsbefugnis durch einstimmigen oder ggf. durch Mehrheitsbeschluß „der übrigen" Gesellschafter wieder entzogen werden. Die Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen eines wichtigen Grundes, insbesondere einer groben Pflichtverletzung oder der Unfähigkeit zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung. Der oder die betroffenen Geschäftsführer sind bei diesem Beschluß wegen Interessenkollision von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen. Das ergibt sich im Umkehrschluß aus der Verwendung des Terminus' „der übrigen". Nach § 715 BGB kann einem oder mehreren vertretungsberechtigten Gesellschaftern auch die Vertretungsmacht aus wichtigem Grund 10 entzogen werden. Die Norm verweist auf die Modalitäten des § 712 I BGB, d.h. Beschluß „der übrigen" Gesellschafter. Aus den gleichen Gründen wie beim Entzug der Geschäftsführungsbefugnis ist auch in diesem Fall das Stimmrecht des oder der Vertretungsberechtigten ausgeschlossen. Schließlich entfällt das Stimmrecht desjenigen Gesellschafters, der wegen des Vorliegens eines wichtigen Grundes aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden soll (§ 737 S. 1 u.2 BGB). Das Ausschließungsrecht wird durch einen Beschluß „der übrigen" Gesellschafter ausgeübt und erfolgt durch eine entsprechende Erklärung gegenüber dem Auszuschließenden (§ 737 S. 3 BGB). Die Ausschließung hat allerdings zur Voraussetzung, daß im Gesellschaftsvertrag eine Fortführung der Gesellschaft für den Fall der Kündigung einer der Gesellschafter vereinbart ist 11 . Ein zur Ausschließung berechtigender Grund liegt nach §§ 737 S. 1, 723 I S. 2 BGB insbesondere dann vor, wenn der Gesellschafter eine ihm nach dem Gesellschaftsvertrag obliegende wesentliche Verpflichtung vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat, oder wenn ihm die Erfüllung einer solchen übernommenen Verpflichtung unmöglich wird 12 . Weitere Beispiele für einen Stimmrechtsausschluß lassen sich dem BGB nicht entnehmen. Es gilt vielmehr der Grundsatz, daß die Gesellschafter weitere 9

Vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58.

10

Der Begriff des wichtigen Grundes ist hier genauso wie bei § 712 I BGB zu verstehen.

11

Sog. Fortsetzungsklausel, vgl. dazu Fischer in Großkomm. HGB, § 138, Rdn. 7 ff.

12

Weitere Gründe vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 723, Rdn. 20 ff.

Α. Die gesetzliche Regelung

31

Einschänkungen des Stimmrechtes selbst in ihrem Gesellschaftsvertrag regeln sollen 13 . II. Die OHG Die zentrale Norm hinsichtlich des Stimmrechts bei der OHG bildet § 119 HGB. Der Gesetzgeber setzt in seinem Absatz 1 gedanklich voraus, daß wie bei der GbR im Regelfall alle Entscheidungen einstimmig zu treffen sind 14 . Jedoch wird bereits im Gesetz einschränkend postuliert, daß immer nur die Zustimmung „aller zur Mitwirkung bei der Beschlußfassung Berufenen" notwendig ist. Es kann sich hierbei um alle, alle geschäftsführenden, oder „alle übrigen" Gesellschafter handeln. Wer jeweils zur Mitwirkung bei der Beschlußfassung berufen ist, soll zum einen - ähnlich wie bei der GbR - vorwiegend im Gesellschaftsvertrag vereinbart werden 15. Zum anderen ergeben sich ebenfalls schon aus dem Gesetz einige Fälle, in denen das Stimmrecht einzelner oder mehrerer Gesellschafter ausgeschlossen ist. Die OHG kann als eine GbR bezeichnet werden, deren gemeinsamer Zweck auf den Betrieb eines Handelsgewerbes gerichtet ist 16 . Da es sich um ähnliche Gesellschaftsformen handelt, finden sich im HGB hinsichtlich des Stimmrechts auch ähnliche Regelungen wie bei der GbR. Die Unterschiede und die ausführlichere gesetzliche Ausgestaltung bei der OHG sind vor allem darauf zurückzuführen, daß der Gesetzgeber bei der Abfassung der beiden Gesetze davon ausging, daß die GbR in der Rechtswirklichkeit eher als eine Gelegenheitsgesellschaft bestehen würde 17 , z.B. als Spiel-, Fahr- und Arbeitsgemeinschaft. In § 1141 und I I HGB findet sich hinsichtlich der Geschäftsführung zunächst die gleiche Regelung wie in den §§ 709 I, 710 BGB. Die Geschäftsführung steht allen Gesellschaftern grundsätzlich gemeinsam zu. Wird sie auf einen oder mehrere Gesellschafter übertragen, sind „die übrigen" von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Damit entfällt ihr Stimmrecht für. die diesbezüglichen Beschlüsse. Stimmberechtigt sind nur alle geschäftsführenden Gesellschafter. Im Unterschied zur GbR erstreckt sich dieser Stimmrechtsausschluß nach § 116 I HGB ausschließlich auf sog. „gewöhnliche" Geschäfte. Je nachdem, welche Handlungen der gewöhnliche Betrieb des betreffenden Handelsgewerbes mit sich bringt, fallen darunter u.a. die laufenden Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäfte, deren Finanzierung, Reparaturen und übliche Versiche-

13

Köhler JA 1983, 168.

14

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 21 f.

15

Vgl. Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 109 Anm. 1 f.

16

So im Ergebnis auch Ulmer in Mü-Ko BGB, Vorbem. zu § 705, Rdn. 1 f., 11 f.

17

Ulmer in Mü-Ko BGB, Vorbem. zu § 705, Rdn. 11, 56 f.

32

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

rungsabschlüsse18. Nach § 116 I I HGB können die Geschäftsführer über „ungewöhnliche" Geschäfte, z.B. Erweiterung der Fabrikationsanlagen oder umfangreichere Kreditgewährungen 19 nicht allein entscheiden. Vielmehr lebt das Stimmrecht der von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter für diese Beschlüsse wieder auf 20 . Eine Sonderregelung findet sich in § 116 I I I HGB für die Erteilung und den Widerruf einer Prokura. Sie darf nur von dem oder den geschäftsführenden Gesellschaftern vorgenommen werden. Den Fall, daß Gefahr im Verzug 21 ist, ausgenommen, behandelt das Gesetz die Prokura wie ein gewöhnliches Geschäft mit der Folge, daß die Nichtgeschäftsführenden von ihrem Stimmrecht ausgeschlossen sind. Ein Beschluß aller Gesellschafter ist nach § 131 Nr. 2 HGB erforderlich, wenn eine Entscheidung über die Auflösung der Gesellschaft getroffen werden soll. Dieser Beschluß fällt jedoch nicht unter die ungewöhnlichen Geschäfte i.S.d. § 116 I I HGB, sondern unter die sog. Grundlagenbeschlüsse22. Das Recht der OHG kennt eine größere Anzahl von Einzelbeschlüssen als das der GbR, bei denen das Stimmrecht eines einzelnen Gesellschafters dann entfällt, wenn sich der Beschluß gegen ihn richtet. Diesen Fällen liegt der allgemeine, auch bei den Kapitalgesellschaften anerkannte Gedanke zugrunde, daß kein Gesellschafter Richter in eigener Sache sein darf 23 . Ausdrücklich nennt das HGB das Geltendmachen von Ansprüchen im Zusammenhang mit dem Verstoß gegen ein Wettbewerbsverbot (§ 113 I I HGB). Tätigt z.B. ein Gesellschafter in dem gleichen Handelszweig Geschäfte, oder ist er an einer anderen gleichartigen Handelsgesellschaft beteiligt, kann seine Gesellschaft von ihm Schadenersatz oder Abtretung der Vergütung verlangen (§ 113 I HGB). Über die Geltendmachung dieser Ansprüche beschließen die übrigen Gesellschafter. Außerdem entfällt das Stimmrecht desjenigen Gesellschafters, dessen Privatgläubiger zwecks Durchsetzung seiner Forderungen von seinem Recht Gebrauch gemacht hat, gem. § 135 HGB die Gesellschaft zu kündigen. Die Bestimmungen des § 141 I HGB versetzen dann die übrigen Gesellschafter in die Lage, einen Beschluß über das Fortbestehen der OHG ohne den „SchuldnerGesellschafter" zu treffen. Die gleiche Regelung findet nach § 141 I I HGB auf den Fall der Konkurseröffnung über das Vermögen eines Gesellschafters Anwendung.

18

Fischer im Großkomm. HGB, § 116, Rdn. 2.

19

Schlegelberger/Gessler HGB, § 116, Rdn. 1.

20

Fischer in Großkomm. HGB, § 116, Rdn. 3.

21

Wenn ein Schaden infolge ungenügender Vertretung der Gesellschaft droht, vgl. Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 116, Anm. 3 A. 22

So A. Hueck, OHG, S. 162.

23

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22.

Α. Die gesetzliche Regelung

33

Für den Fall des Vorliegens eines wichtigen Grundes sehen die §§ 117, 127 HGB wie bei der GbR die Möglichkeit vor, dem geschäftsführenden Mitglied die Geschäftsführungsbefugnis, bzw. die Vertretungsbefugnis zu entziehen. Abweichend von den entsprechenden Bestimmungen für die GbR erfolgt der Entzug aber nicht schon durch Beschluß der übrigen Gesellschafter, sondern erst durch gerichtliche Entscheidung auf Antrag „der übrigen". Darüber hinaus kann aus wichtigem Grund der Ausschluß eines Gesellschafters nach den §§ 140, 133 HGB beschlossen werden. Der Ausschluß selbst erfolgt dabei ebenfalls durch Gestaltungsurteil 24. In der Praxis haben aber viele Gesellschaften von der Möglichkeit des § 109 HGB Gebrauch gemacht, abweichend vom Gesetz im Gesellschaftsvertrag eine Erleichterung dergestalt zu vereinbaren, daß der Ausschluß oder die Entziehung der Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnis durch einen Gesellschafterbeschluß erfolgen kann 25 . Das Stimmrecht des Betroffenen entfällt in entsprechender Anwendung der §§ 117, 127, 1401 HGB auch für diese Entscheidungen26. Weitere Fälle des Stimmrechtsausschlusses sind im HGB nicht vorgesehen. Weil das Stimmrecht für die OHG eine eigene Regelung erfahren hat, kommt darüber hinaus ein Rückgriff auf die §§ 709 ff BGB über § 105 I I HGB nicht in Betracht. III. Die KG Die Regelung des Stimmrechtes bei der KG unterscheidet sich von der bei der OHG nur geringfügig. Die Unterschiede beruhen darauf, daß die grundsätzliche Gleichheit der Gesellschafter von vornherein nicht besteht, denn nach § 164 S. 1, 1. Halbsatz HGB sind die Kommanditisten von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Dementsprechend entfällt für diese Beschlüsse ihr Stimmrecht. Auch bei der KG findet sich aber eine Differenzierung nach gewöhnlichen und ungewöhnlichen Beschlüssen. Den Kommanditisten steht das Recht zu, einem Geschäft zu widersprechen, das über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgeht (§ 164 S.l, 2. Halbsatz HGB). Das Gesetz spricht zwar von einem Widerspruchsrecht der übrigen Gesellschafter. Dies ist jedoch miß ver ständlich. Nach inzwischen h.M. kann nämlich nicht ein einzelner Kommanditist durch seinen Widerspruch ein derartiges Geschäft blockieren. Vielmehr ist von vornherein ein Beschluß sämtlicher Gesellschafter erforderlich 27, von dem abhängt, ob dem Geschäft die Zustimmung erteilt wird. Das Stimmrecht der übrigen Gesellschafter lebt also -

24

Schlegelberger/Gessler HGB, § 140, Rdn. 8.

25

Vgl. dazu BGHZ 86, 177, 180; BGH L M Nr. 6 zu § 140 HGB; L M Nr. 9 zu § 119 HGB; zur Zulässigkeit vgl. auch Schlegelberger/Gessler HGB, § 140, Rdn. 17 ff. 26

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; § 117, Rdn. 28 ff.

27

Seit RGZ 158, 302, 306 f.; vgl. Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 2; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1277 f. 3 Lockowandt

34

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

genau wie bei der OHG - wieder auf 28 . Von der Bestellung und Abberufung eines Prokuristen sind die Kommanditisten allerdings ebenfalls ausgeschlossen, was aus dem ausdrücklichen Verweis auf § 116 III HGB folgt. Für die Kommanditisten gilt das Wettbewerbsverbot des § 112 HGB nicht 29 . Sie dürfen in der gleichen Branche weitere Geschäfte tätigen oder sich an Konkurrenzunternehmen beteiligen. Einen Beschluß i.S.v. § 113 I I HGB, mittels dessen ein das Wettbewerbsverbot mißachtender Gesellschafter zur Rechenschaft oder zum Schadenersatz herangezogen wird, sieht das Gesetz für die KG folglich nicht vor und damit auch nicht den Stimmrechtsausschluß des betreffenden Gesellschafters. Im übrigen gelten hinsichtlich des Stimmrechts die gleichen Regeln wie bei der OHG (§ 161 I I HGB) 30 . Demgemäß besteht die Möglichkeit, dem oder den Komplementären nach einem Beschluß „der übrigen" - einschließlich der Kommanditisten - sowohl die Geschäftsführungs- als auch die Vertretungsbefugnis zu entziehen. Hier erfolgt die Gestaltungswirkung ebenfalls grundsätzlich erst durch ein Urteil (§§ 117, 127 HGB) 31 . Ein Auflösungsbeschluß kann nur von allen Gesellschaftern gemeinsam getroffen werden (§ 131 Nr. 2 HGB) 32 , weshalb die Kommanditisten an diesem Grundlagenbeschluß zu beteiligen sind. § 140 I HGB ermöglicht sowohl den Ausschluß eines Komplementärs als auch eines Kommanditisten, wenn in seiner Person ein wichtiger Grund besteht33. Das Stimmrecht des betroffenen Gesellschafters ist bei dem Beschluß „der übrigen" ausgeschlossen. Ein Stimmrechtsausschluß für jeden Gesellschafter besteht ebenfalls, wenn sein Privatgläubiger von dem ihm nach § 135 HGB zustehenden Kündigungsrecht Gebrauch macht oder er in Konkurs fällt (§ 141 I, I I HGB) 3 4 und „die übrigen" über das Fortbestehen der Gesellschaft abstimmen.

28

Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 164, Anm. 1 B.

29

Verweis in § 165 HGB.

30 Schlegelberger/Gessler, HGB, § 170, Rdn. 2, § 160, Rdn. 5; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 164, Anm. 1. 31

Emmerich in Heymann, HGB, § 117, Rdn. 10, 17; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1147.

32

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 177, Rdn. 11.

33

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 177, Rdn. 17.

34

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 177, Rdn. 18.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

35

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision in Analogie zum Körperschaftsrecht In der Praxis hat sich gezeigt, daß die gesetzlichen Stimmrechtsbeschränkungen nicht weitgehend genug waren. Bei einer Reihe von Entscheidungen, die unmittelbar oder mittelbar auch das persönliche Geschick eines Gesellschafters berühren, besteht die Möglichkeit einer Interessenkollision 35 und damit die Gefahr, daß der Gesellschafter seine finanziellen oder persönlichen Interessen denjenigen der Gesellschaft voranstellt. In einigen besonders häufig auftretenden Fällen schließt deshalb das Recht der Kapitalgesellschaften das Stimmrecht eines Gesellschafters bei Vorliegen einer Interessenkollision aus. Es handelt sich dabei um die vier 36 „klassischen Fälle" 37 der Beschlußfassung über die Entlastung38, die Befreiung eines Gesellschafters von einer Verbindlichkeit 39 , das Geltendmachen eines Anspruchs gegen einen Gesellschafter bzw. die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites40 und die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit einem Gesellschafter 41. Der gemeinsame Grundgedanke dieser Stimmrechtsausschlüsse basiert auf der Überlegung, daß kein Gesellschafter Richter in eigener Sache sein soll 42 . Im Personengesellschaftsrecht finden sich Normen, die das Stimmrecht des Gesellschafters in den genannten Fällen ausschließen, nicht. Der Grund dafür liegt zum einen darin, daß für Personengesellschaften nach der gesetzlichen Konzeption das Einstimmigkeitsprinzip vorausgesetzt wird, unter dessen Geltung Stimmverbote naturgemäß eine geringere Rolle spielen, weil schon ei-

35 Zum Stimmrechtsausschluß: Stadie, Stimmrechtsausschluß wegen Interessenkollision im Recht der Personengesellschaften, 1972; Engfer, Der Ausschluß des organschaftlichen Stimmrechts bei Interessenkollision, 1970. 36

Andere Einteilung, z.B. Engfer, S. 20, 129, der von 5 „klassischen" Fällen spricht. Er differenziert zusätzlich zwischen Geltendmachung eines Anspruchs und Einleitung bzw. Beendigung eines Rechtsstreites. 37

Grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 190 ff.

38

§§ 136 I AktG, 47 IV GmbHG, 43 V I GenG.

39

§§ 136 I AktG, 47 IV GmbHG, 43 V I GenG.

40

§§ 34 BGB, 136 I AktG, 47 IV GmbHG, 43 V I GenG.

41

§§ 34 BGB, 47 IV GmbHG.

42

BGHZ 9, 178; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22.

Der Begriff des „Richters in eigener Sache" ist zwar insofern unscharf, als er streng begrifflich nur auf die Entlastung zutrifft, bei der dem geschäftsführenden Gesellschafter die Rolle eines „Betroffenen" zukommt, während er der Gesellschaft in den Fällen der Befreiung von einer Verbindlichkeit, des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts und der Geltendmachung eines Anspruchs eher als „Beteiligter" gegenübersteht. Gleichwohl hat sich das Schlagwort eingebürgert und kennzeichnet treffend die auf die jeweilige Interessenkollision zurückzuführende Befangenheit. Soweit einige Vertreter in der Literatur die Stimmrechtsausschlüsse - teilweise mit Ausnahme desjenigen bei Entlastung - auf die Verbote des Insichgeschäfts bzw. des Insichprozesses zurückführen (vor allem Wilhelm, Flume und K. Schmidt), wird dazu unten unter Β V, S. 32 f. Stellung genommen. 3'

36

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

ne Gegenstimme das Zustandekommen des Beschlusses verhindert. Zum anderen dürfte die Vorstellung geherrscht haben, die Gesellschafter würden die sich bei den angesprochenen Beschlüssen auftretenden Probleme selbst lösen und eigennützige bzw. uneinsichtige Mitglieder aus der Gesellschaft ausschließen oder ihnen die Geschäftsführungsbefugnis entziehen oder im Falle unvereinbarer Gegensätze die Gesellschaft auflösen 43. Weil bei den Personengesellschaften ebenfalls ein Bedürfnis besteht, in den genannten Fällen einen Gesellschafter vom Stimmrecht auszuschließen, wendet die einhellige Meinung 44 die §§ 34 BGB, 136 I AktG, 47 IV GmbHG und 43 V I GenG oder zumindest deren allgemeinen Rechtsgedanken45 auch auf die Personengesellschaften an. Dementsprechend soll das Stimmrecht des Gesellschafters in den Fällen der Entlastung, der Befreiung von einer Verbindlichkeit und der Geltendmachung eines Anspruchs bzw. der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites entfallen. Der Fall der Vornahme eines Rechtsgeschäfts ist dagegen umstritten 46. Der Anwendungsbereich und die Terminologie der Vorschriften des Verbandsrechts sind zwar nicht einheitlich. Beispielsweise nennt § 34 BGB nur die Fälle der Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites und den der Vornahme eines Rechtsgeschäftes. Der letztgenannte Stimmrechtsausschluß findet sich dagegen nicht in den §§136 I AktG und 43 V I GenG. Die entsprechende Anwendung der Vorschriften wird aber im Rahmen einer Gesamtanalogie47 damit begründet, daß in ihnen ein allgemeiner Rechtssatz zum Ausdruck komme. Weil die Zurückstellung seiner eigenen Interessen vom betroffenen Gesellschafter vernünftigerweise nicht erwartet werden könne, sei die Gefahr einer Interessenkollision so evident, daß er jedenfalls an diesen Beschlüssen nicht mitwirken dürfe 48.

I. Zulässigkeit und Erforderlichkeit der entsprechenden Anwendung Mit der Feststellung allein, in den körperschaftsrechtlichen Stimmverboten komme ein allgemeiner Rechtssatz zum Ausdruck, läßt sich die Übertragung auf die Personengesellschaften aber noch nicht begründen. Es ist vielmehr zu fragen, ob die Voraussetzungen für eine Analogie vorliegen und ob nicht Besonderheiten des Personengesellschaftsrechts gegen eine Anwendung sprechen.

43

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 189.

44

Z.B. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 60; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22, jeweils m.w.N. 45

Vgl. Stadie, Stimmrechtsausschluß, S. 58 m.w.N.

46

Dazu ausführlich unten, Β V, S. 27 ff.

47

RGZ 136, 236, 245; BGHZ 56, 47, 52; auch Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 60.

48

RGZ 136, 236, 245.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

37

Die analoge Anwendung einer Norm setzt zunächst eine unbefriedigende, planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes voraus 49. Der von der einh.M. festgestellte Grundsatz müßte demnach im Personengesellschaftsrecht mangelhaft zum Ausdruck kommen. Die gesetzliche Konzeption müßte darüber hinaus ergänzungsbedürftig sein und die Ergänzung dürfte nicht einer vom Gesetz gewollten Beschränkung auf die geregelten Sachverhalte widersprechen 50. Der Grundsatz, den es zu übertragen gilt, liegt auch den §§ 712 I, 715, 737 S. 1 u. 2 BGB, 113 II, 117, 127, 140 i.V.m. 133, 141 i.V.m. 135 HGB zugrunde 51 . Danach werden beispielsweise die Beschlüsse über den Entzug der Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnis, den Ausschluß des Gesellschafters, oder das Geltendmachen eines Schadensersatzanspruches gegen einen OHGGesellschafter wegen des Verstoßes gegen ein Wettbewerbsverbot von „den übrigen" getroffen. Der Betroffene ist, um nicht „Richter in eigener Sache zu sein" 52 , von der Mitwirkung ausgeschlossen, sein Stimmrecht entfällt für diesen Beschluß. Gleichwohl hat der Gesetzgeber darauf verzichtet, einen Stimmrechtsausschluß für weitere wichtige Fälle der Interessenkollision zu normieren. Wie bereits oben ausgeführt, mögen die Gründe dafür in der Vorstellung gelegen haben, daß Stimmverbote aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips im Recht der Personengesellschaften eine geringere Rolle spielen und die Gesellschafter diesbezügliche Konflikte selbständig lösen würden. Die gesetzliche Konzeption ist jedenfalls insoweit unvollständig und ergänzungsbedürftig. Außerdem spricht der Gesichtspunkt, daß den Gesellschaftern im Gesellschaftsvertrag ein weiter Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Ausgestaltung des Innenverhältnisses zusteht und der, daß die Gesellschafter eine Konfliktlösung weitgehend selbst bewältigen sollen, gegen eine abschließende Regelung der Stimmverbote. Insgesamt läßt sich deshalb im Hinblick auf die infragestehenden Stimmrechtsausschlüsse eine Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung bejahen. Bei den Personengesellschaften besteht in Bezug auf die angesprochenen Interessenkollisionen die gleiche Interessenlage wie bei den Kapitalgesellschaften. In beiden Organisationsformen steht gleichermaßen im Vordergrund, daß ein betroffener Gesellschafter geneigt sein wird, seinen privaten Interessen den Vorzug vor denen der Gesellschaft zu geben. Zwar unterliegen die Personengesellschafter einer erhöhten Treuepflicht, welche ihnen gebietet, bei den infragestehenden Beschlüssen im Sinne der Gesellschaft zu stimmen. Die Mitgesellschafter auf die Möglichkeit einer Klage gegen den treuwidrig Stimmenden zu verweisen, ist allerdings unbefriedigend und der auftretenden Beweisschwierigkeiten wegen auch nicht ausreichend. Die personengesell49

Engisch, S. 138.

50

Larenz, Methodenlehre, S. 357 f.

51

Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 29.

52

Vgl. BGHZ 9, 178; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22.

38

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

schaftliche Treuepflicht spricht insofern nicht gegen eine gleiche Interessenlage wie bei den Kapitalgesellschaften. Vielmehr muß bereits die Gefahr einer Interessenkollision von vornherein dadurch umgangen werden, daß der durch das Sonderinteresse beeinflußte Gesellschafter nicht an der Abstimmung teilnimmt 53 . Die Strukturunterschiede zwischen den personen- und kapitalgesellschaftsrechtlichen Organisationsformen sprechen ebenfalls nicht gegen eine Übertragung der verbandsrechtlichen Stimmverbote. Diese sind weder Ausdruck des körperschaftlichen Charakters der Gesellschaften, noch steht der Übertragung die eingeschränkte Rechtsfähigkeit der Personengesellschaften entgegen. Die Stimmverbote betreffen vielmehr die innere Organisation und die Willensbildung 54 , deren Unterschiede in den beiden Organisationsformen nicht so gravierend sind, daß sie eine Übertragung hindern würden. Wie oben ausgeführt, kann auch die zwischen den Personengesellschaftern bestehende Treuepflicht die Stimmverbote nicht ersetzen 55, so daß insgesamt die Voraussetzungen einer Analogie vorliegen 56. Der einh.M. ist deshalb darin zu folgen, daß das Stimmrecht des Betroffenen für Beschlüsse über die Entlastung, die Befreiung von einer Verbindlichkeit, das Geltendmachen eines Anspruchs bzw. die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreites von vornherein entfällt. Die folgende Untersuchung beschränkt sich dementsprechend auf die bei diesen Beschlüssen auftretenden Besonderheiten. Der streitige Fall des Stimmrechtsausschlusses bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts bedarf dagegen eingehenderer Behandlung. II. Stimmrechtsausschluß bei Entlastung Die Entlastung ist ein innenpolitischer Akt der Gesellschaft 57, durch den die Geschäftsführung gebilligt wird 58 . Sie wirkt gleichzeitig als Vertrauensbeweis für die Zukunft 59 . Die Entlastung erfolgt durch einen Gesellschafterbeschluß 60,

53

So zutreffend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 192 f.

54

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 191.

55

A.M., Stadie, S. 70 ff., 94 f.

56

Zustimmend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 190 ff.,

193. 57

So K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 46, Rdn. 89.

58

Allg.M: z.B. BGH NJW 1959, 193; A. Hueck, GmbH-Rdsch. 1959, 189, 190; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 195. 59

OLG Hamburg, BB 1960, 996; Barz in Großkomm. AktG, § 120 Anm. 7.

60

Fischer in Großkomm. HGB, § 116, Rdn. 23.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

39

der dem betroffenen Geschäftsführer zugehen muß61. Sie bezieht sich personell auf den oder einzelne Geschäftsführer, oder aber auf die gesamte Geschäftsführung und in sachlicher Hinsicht auf die Billigung eines Geschäftsjahres, einer einzelnen Maßnahme oder der Geschäftsführung im ganzen. Das Fassen des Entlastungsbeschlusses führt zum Fortfall etwaiger Schadenersatzansprüche 62. Solche können z.B. im Falle leichtfertiger Geschäftsführung, ständigen Fernbleibens vom Betrieb oder Unredlichkeit des Geschäftsführers entstehen63. Die weitere Folge besteht darin, daß eine fristlose Kündigung wegen Pflichtverletzung des Geschäftsführers nicht mehr auf die zum Zeitpunkt der Entlastung bekannten Gründe gestützt werden kann 64 . Der zu entlastende Gesellschafter ist bei dem Beschluß von der Mitwirkung ausgeschlossen. Das gilt sowohl für einen Einzelgeschäftsführer, als auch für mehrere Geschäftsführer bei der „Gesamtentlastung", d.h. der Billigung des gemeinsamen Handelns aller Geschäftsführer. Bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer besteht die Möglichkeit zu beantragen, jeden einzelnen zu entlasten65. Ob in diesem Fall die übrigen Geschäftsführer für die Entlastung ihres Geschäftsführer-Kollegen stimmberechtigt sind, wird unterschiedlich beurteilt. Der Wortlaut der analog angewandten Normen spricht von dem Stimmrechtsausschluß eines Gesellschafters, über dessen - alleinige - Entlastung abgestimmt wird. Daraus folgert eine Meinung, daß die anderen Geschäftsführer für den Beschluß über die Einzelentlastung eines Mitgeschäftsführers stimmberechtigt sind 66 . Sie begründet dies damit, daß eine Interessenkollision nicht zwingend vorliegen müsse oder doch graduell geringer sei, wie die Beispiele der Ressortaufteilung unter den Geschäftsführern oder die Billigung von Einzelmaßnahmen verdeutlichten. Richtigerweise sind jedoch auch die anderen Geschäftsführer von der Abstimmung ausgeschlossen. Dies gilt nicht nur für den Fall der gesamtschuldnerischen Haftung, in dem sich eine Interessenkollision regelrecht aufdrängt 67. Gerade bei Geschäftsführern liegt die Gefahr der Interessenkollision höher als 61

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 46 Rdn. 90; a.M. A. Hueck, GmbH-Rdsch. 1959, 189,

190. 62

BGH L M Nr. 4 zu § 46 GmbHG.

63

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 133, Rdn. 29.

64

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 195.

65

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 46, Rdn. 93.

66

So K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 46, Rdn. 97; vgl. auch die Nachweise zur älteren Literatur bei Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 201, FN 34. 67 Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 202; Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47, Anm. 45 f.

40

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

bei den übrigen Gesellschaftern. Das beruht zum einen darauf, daß der persönliche Kontakt wegen der erforderlichen Zusammenarbeit oftmals enger ist. Zum anderen stehen sie ebenfalls täglich vor dem Problem, Entscheidungen treffen zu müssen, deren Güte sich erst in der Zukunft zeigt, weshalb die Gefahr besteht, daß sie aus Solidarität eher geneigt sind, den Mitgeschäftsführer zu entlasten, weil sie selbst in eine ähnliche Situation geraten könnten. Weitere Gründe können darin bestehen, das Renommee der Geschäftsführung wahren zu wollen, oder auch in der Scheu vor einer Erschwerung der künftigen Zusammenarbeit mit dem oder den Kollegen 68 . Auch die Meinung, die das Stimmrecht der Mitgeschäftsführer bestehen lassen will, schließt sie vom Stimmrecht aus, wenn zusätzliche Anhaltspunkte für eine Interessenkollision bestehen69. Das Problem besteht aber gerade in der Beurteilung der Frage, ob die Interessen des Mitgeschäftsführers derart beeinträchtigt sein könnten, daß auch sein Stimmrecht ausgeschlossen ist. Infolge der unterschiedlichen Bewertungsmöglichkeiten läßt sich für dieses Befangenheitsproblem ein geeigneter Prüfstein nur schwer finden. Gerade die Wahrung des Vertrauens in die Lauterkeit der Geschäftsführung fordert aber eine Art „Gewaltenteilung" dergestalt, daß die Geschäftsführer sich weder selbst, noch gegenseitig entlasten können70. Im übrigen ist eine erhebliche Benachteiligung der Interessen der vom Stimmrecht ausgeschlossenen Mitgeschäftsführer nicht ersichtlich. Der zu entlastende Geschäftsführer selbst ist durch die mangelnde Mitwirkung seiner Kollegen ebenfalls nicht entscheidend benachteiligt. Gegen eine seitens der Gesellschafterversammlung mißbräuchlich versagte Erteilung der Entlastung bietet die Entlastungsklage einen hinreichenden Schutz71. Die übrigen Gesellschafter tragen aber im Fall des Stimmrechtsausschlusses nicht mehr das Risiko des Nachweises einer Interessenkollision. Es dient somit auch der Rechtssicherheit und der Vermeidung von Streitigkeiten, wenn das Stimmrecht der Mitgeschäftsführer für die Entlastung ihrer Kollegen ausgeschlossen ist. Differenzierung

nach Gesellschaftsformen

Das hinsichtlich des Stimmrechtsausschlusses bei Entlastung Gesagte gilt für alle drei behandelten Gesellschaftsformen gleichermaßen. Insbesondere stellt

68

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 204.

69

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 46, Rdn. 97.

70

So im Erg. auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 204.

71 Nach h.M. handelt es sich um eine Leistungsklage: z.B. Baumbach/Hueck, GmbHG, § 46, Anm. 30; K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 46, Rdn. 101 f., K. Schmidt selbst vertritt jedoch die Gegenansicht, daß es sich um eine negative Feststellungsklage handele.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

41

sich das Problem bei der GbR und der OHG, wenn entgegen dem gesetzlichen Leitbild einige Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Bei der KG besteht die Möglichkeit, vertraglich zu vereinbaren, daß auch der Kommanditist geschäftsführend tätig wird 72 . Er hat dann diesbezüglich die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Komplementär 73, so daß auch er entlastet werden kann. Zu bedenken ist weiterhin, daß sich das Problem der Entlastung auch für nicht geschäftsführende Gesellschafter stellen kann, wenn sie z.B. ohne Geschäftsführungsbefugnis tätig werden, oder ihnen für Einzelmaßnahmen Geschäftsführungsbefugnis erteilt wurde. III. Stimmrechtsausschluß bei Befreiung von einer Verbindlichkeit Das Stimmrecht eines Gesellschafters entfällt für die Abstimmung darüber, ob die Gesellschaft ihn von einer Verbindlichkeit befreien soll oder nicht 74 . Der Begriff Befreiung ist dabei im weiteren Sinne zu verstehen 75. Es handelt sich in jedem Fall um ein ein- oder zweiseitiges Rechtsgeschäft. Aus diesem Grund überschneidet sich der Anwendungsbereich des Stimmverbots mit demjenigen für den Beschluß über die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit dem Gesellschafter 76. Der Grund liegt in der kasuistischen, nicht beispielhaften Fassung77 der Stimmverbote, infolgedessen es zu weiteren Überschneidungen kommt. Beispielsweise kann die Befreiung von einer Verbindlichkeit mit der Beendigung eines Rechtsstreites durch Vergleich zusammenfallen. Neben einem - einseitigen - Erlaß 78 kann eine Befreiung in den Formen des Erlaßvertrages (§ 397 BGB), des Verzichts, des Vergleichs oder des pactum de non petendo erfolgen 79. Denkbar sind aber auch Stundung oder vertragliche Aufrechnung 80. Es ist unerheblich, ob die Verbindlichkeit vertraglicher, vertragsähnlicher oder gesetzlicher Natur ist, ebenso, ob die Verbindlichkeit dem Gesellschaftsverhältnis entspringt oder zu diesem in keinem Zusammenhang steht. Der entscheidende Gesichtspunkt besteht darin, daß der Gesellschafter 72

Vgl. Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 8.

73

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 164, Rdn. 9.

74 Allg.M., vgl. z.B. Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 60. 75

Lutter/Fischer/Hommelhoff, GmbHG, § 47, Rdn. 16.

76

In diesem Sinne auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 123.

77

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 263.

78

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 209 f.

79

Herzfelder, Stimmrecht und Interessenkollision, S. 116.

80

Hans. OLG Hamburg, OLGE 27, 137, 138; Herzfelder, Stimmrecht und Interessenkollision,

S. 116.

42

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

nicht in seiner Eigenschaft als Mitglied betroffen wird, sondern er der Gesellschaft als Schuldner gegenübersteht81. Die infrage kommenden Verbindlichkeiten können sehr unterschiedlicher Art sein. Denkbar sind Befreiungen von Teilen der Hauptpflicht, z.B. von der Resteinlage oder aber von Nebenpflichten, z.B. bestimmten Dienstleistungen. Weiterhin kann ein Erlaß bei einer Kapitalerhöhung vorkommen oder bei Nichtentlastung im Zusammenhang mit einer Schadenersatzforderung wegen des schuldhaften Pflichtverstoßes eines Geschäftsführers. Dieser Verzicht auf die Ersatzforderung ist im übrigen streng von der Entlastung selbst zu trennen. Während diese in erster Linie auf tatsächliche Billigung zielt, deren bloße Rechtsfolge der Verzicht ist, richtet sich die Befreiung unmittelbar auf den rechtsgeschäftlichen Verzicht. Befreiungen können auch durch einen auf die Änderung des Gesellschaftsvertrages gerichteten Beschluß, z.B. über den Verzicht auf die Einforderung der Resteinlage ausgelöst werden. Problematisch wird dann der Fall, daß nicht alle Gesellschafter gleichmäßig betroffen sind, sondern daß nur einer, möglicherweise der Mehrheitsgesellschafter mit der höchsten Restschuld, begünstigt wird. Grundsätzlich umfassen die Stimmverbote gesellschaftsvertragsändernde Beschlüsse nicht. Es kann aber nicht richtig sein, den Stimmrechtsausschluß für den rechtsgeschäftlichen Verzicht auf dem Wege der Änderung des Gesellschafts Vertrages zu umgehen. Demgemäß besteht Einigkeit darüber, daß das Stimmrecht des oder der begünstigten Gesellschafter auch für diesen Beschluß entfällt 82 . Eine Änderung des Gesellschaftsvertrages ist zwar in erster Linie ein Organisationsakt. Dieser enthält aber gleichzeitig die rechtsgeschäftliche Befreiung von der Verbindlichkeit. Die Befreiung ist also nicht nur eine mittelbare Folge des Organisationsaktes, sondern ein dogmatisch davon zu unterscheidendes Rechtsgeschäft, welches unmittelbar neben die Vertragsänderung tritt. Wenn für eine Verbindlichkeit eine Bürgschaft oder Garantie eines anderen Gesellschafters besteht, entfällt auch dessen Stimmrecht für den zu fassenden Beschluß, da er für die Schuld des anderen mithaftet 83. Ein Gesamtschuldner ist nur von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn sich der Verzicht i.S. von § 423 BGB auf das gesamte Schuldverhältnis bezieht, d.h. auch ihm gegenüber wirkt 84 . Andernfalls ist er nicht begünstigt, da er in der Haftung bleibt. 81

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 123 ff.

82

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 209 f., jedoch ohne die dogmatische Grundlage zu behandeln; Herzfelder, S. 117 f.; Immenga/Wemer, GmbH-Rdsch. 1976, 53, 56; K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 114; anders aber 7. Aufl., § 47, Rdn. 123. 83 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 211; Herzfelder, S. 119; Immenga-Werner, GmbH-Rdsch. 1976, 53, 56. 84

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 211; Herzfelder, S. 119.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

43

IV. Stimmrechtsausschluß bei Einleitung und Erledigung eines Rechtsstreites bzw. bei Geltendmachung von Ansprüchen Das Stimmrecht eines Gesellschafters erlischt für die durch Beschluß zu treffende Entscheidung, ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen oder gar einen Rechtsstreit einleiten soll 85 . Für den Stimmrechtsausschluß reicht es allerdings nicht aus, daß durch den betreffenden Beschluß, z.B. über eine Einforderung von Einlagen, erst die materiellen Voraussetzungen für eine Klage geschaffen werden sollen86. Unter den weit zu fassenden Begriff der Einleitung eines Rechtsstreites fallen sowohl tatsächliche Maßnahmen wie die Beauftragung eines Rechtsanwaltes als auch prozeßvorbereitende Maßnahmen wie die Entscheidung, ob eine Angelegenheit schiedsrichterlicher Entscheidung überlassen werden soll 87 . Die gerichtliche Geltendmachung betrifft nicht nur die Leistungsklage, sondern auch die Feststellungs- und die Gestaltungsklage88. Damit fallen z.B. auch Rechnungslegungsansprüche und Klagen auf Feststellung der von einem Gesellschafter bestrittenen Wirksamkeit eines Beschlusses unter den Stimmrechtsausschluß89. Das gerichtliche Verfahren beschränkt sich nicht auf das reine Klageverfahren, sondern bezieht sich in gleicher Weise auf den vorläufigen Rechtsschutz, auf die Zwangsvollstreckung oder ein schiedsgerichtliches Verfahren 90. Dabei ist unerheblich, ob der angestrebte Prozeß Aussicht auf Erfolg bietet 91 . Das Stimmrecht erlischt weiterhin im Fall des Beschlusses über die Beendigung eines Aktivprozesses, also eines Prozesses der Gesellschaft gegen den Gesellschafter. Unter Beendigung ist die Beilegung des Prozesses vor allem durch Prozeßhandlungen zu verstehen, z.B. durch Klagerücknahme, -anerkenntnis, verzieht, Rechtsmittelverzicht oder Zurücknahme eines Rechtsmittels, Vergleich oder Erledigungserklärung 92. Aber auch ein schlichtes Untätigbleiben wie z.B. die Nichteinlegung eines Rechtsmittels oder das Verjährenlassen eines Anspruchs fallen unter diesen Begriff 93 .

85 Einh.M., z.B. Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; Schlegelberger/Gessler, HGB, § 119, Rdn. 3; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 60. 86

RGZ 138, 111; RG JW 1915, 195 f.

87

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 214 f.

88

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 213.

89

K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 116 m.w.N.

90

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 213.

91

OLG Hamburg, GmbHR IV, Nr. 31 zu § 47.

9

? Herzfelder, S. 120 f.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 215. 93

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 130.

44

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Außerdem entfällt das Stimmrecht für den Beschluß über die Beendigung eines Passivprozesses, in dem die Gesellschaft verklagt wurde. Dies wird damit begründet, daß es untragbar wäre, wenn der Gesellschafter über einen diesbezüglichen Prozeßvergleich oder ein Anerkenntnis mitbestimmen könnte94. Die gleichen Grundsätze kommen zur Anwendung, wenn ein Dritter den Prozeß mit dem Gesellschafter führt und die Gesellschaft in Gestalt der Hauptoder Nebenintervention oder Streitverkündung beteiligt ist. Das gilt aber nur dann, wenn der Gesellschafter in der Rolle des Prozeßgegners steht95. Die Einleitung oder die Erledigung eines Rechtsstreites muß jedoch selbst den Beschlußgegenstand bilden. Ein zu erwartender Streit vermag einen Stimmrechtsausschluß noch nicht zu begründen 96. In der Praxis münden die wenigsten Streitigkeiten zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern in einem Rechtsstreit. Vielfach verbleibt es bei der außergerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs. Obwohl der Wortlaut der entsprechend anzuwendenden §§ 47 IV GmbHG, 34 BGB den Fall nicht ausdrücklich umfaßt, besteht Übereinstimmung darin, daß das Stimmrecht nicht nur für den Beschluß entfällt, der die gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs betrifft, sondern auch für denjenigen, der über die außergerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs entscheidet97. Damit unterfallen dem Regelungsbereich auch die Entscheidungen über dahin zielende Maßnahmen wie Mahnung und Fristsetzung 98. Der Grund für die Einbeziehung der Anspruchsgeltendmachung besteht darin, daß ein die Geltendmachung ablehnender Beschluß inzidenter die Befreiung von einer Verbindlichkeit sowie den Verzicht auf das Führen eines Rechtsstreites als mögliche Folge bedeutet. Da an der Geschäftsführung häufig mehrere Personen beteiligt sind, stellt sich in der Praxis gelegentlich das Problem der Geltendmachung eines Anspruches gegenüber mehreren Gesellschaftern. Grundsätzlich kann die Beschlußfassung in einem Abstimmungsgang erfolgen. Jeder „betroffene" Gesellschafter ist dann von der Abstimmung ausgeschlossen. Es handelt sich letztlich um mehrere zusammengefaßte Beschlüsse, die jeden Einzelnen treffen. Wie auch bei der Entlastung kann aber jedes Mitglied grundsätzlich eine getrennte Abstimmung verlangen, die nur dann unzulässig ist, wenn ein unteilbarer Beschlußgegenstand i.S. einer notwendigen Streitgenossenschaft nach § 62 ZPO

94 95

Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 17. Schilling in Hachenburg GmbHG, § 47 Anm. 72; Immenga/Werner, GmbH-Rdsch. 1976,

53, 57. 96

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 131.

97

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 215; Herzfelder, S. 145, so auch ausdrücklich in § 82 III Nr. 2 RegE 1971 zum GmbHG. 98

Herzfelder, S. 143.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

45

vorliegt". Bei der Einzelabstimmung stellt sich das Problem, ob der jeweils nicht unmittelbar Betroffene mitstimmen darf. Die Rechtsprechung hat dazu - soweit ersichtlich - noch nicht Stellung genommen. In der Literatur wird die Frage unterschiedlich beantwortet. Zöllner 100 und K. Schmidt 101 wollen den Stimmrechtsausschluß auf den Fall der notwendigen Streitgenossenschaft beschränken. Sie differenzieren nach Einheit und Mehrheit der Beschlußgegenstände. Ein einheitlicher Beschlußgegenstand soll danach nur bei einem unteilbaren Anspruch bestehen, z.B. bei einer Klage gegen zwei Gesellschafter auf Vernichtung eines beiden zustehenden Patentes. In allen anderen Fällen lägen teilbare Ansprüche vor, so daß es sich um mehrere Beschlußgegenstände handele, was dazu führe, daß der nicht unmittelbar betroffene Gesellschafter mitstimmen dürfe. Herzfelder vertritt dagegen die Auffassung, ein Stimmrechtsausschluß aller Beteiligten sei bereits bei loser Zusammengehörigkeit der Rechtsgründe gerechtfertigt, beispielsweise bei selbstschuldnerischer Bürgschaft, Garantie oder Gesamtschuldnerschaft 102. Die Interessenkollision bestehe hier im gleichen Maße wie bei der unmittelbaren Betroffenheit. Ausgangspunkt für die Lösung der Frage muß die Intensität der Interessenkollision sein, d.h. ob die drohende Beeinträchtigung der privaten Interessen so groß ist, daß von dem Gesellschafter ein Zurückstellen seiner eigenen Interessen vernünftigerweise jiicht erwartet werden kann. Die Abgrenzung zwischen Einheit und Mehrheit der Beschlußgegenstände muß von der Sache her erfolgen. Die Formulierung des Beschlußantrages in der Sitzung oder der Tagesordnung ist demnach bestenfalls Indiz 103 . Eine Differenzierung nach prozeßrechtlichen Kriterien, wie sie von K. Schmidt und Zöllner vertreten wird, ist zur Bestimmung eines eher materiellen Betroffenheitsbegriffs ungeeignet. Der Begriff der notwendigen Streitgenossenschaft hat die Aufgabe, rein prozeßrechtliche Folgen, beispielsweise im Versäumnisverfahren, zu postulieren. Die Abgrenzung ist aber auch insoweit zu eng, als nach Zöllner bei getrennter Abstimmung über das Geltendmachen eines Anspruchs wegen gemeinschaftlicher Pflichtverletzung zweier Geschäftsführer der jeweils nicht von der konkreten Abstimmung Betroffene mitstimmen darf. Die Argumentation, der Gesellschafter wirke nicht an einer Beschlußfassung

99 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 218 f.; K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 120. 1(κ) Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 218 f.; ders. in Kölner Komm. z. AktG, § 136, Rdn. 22. 101

K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 120.

102

Herzfelder, S. 122.

103

K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 120.

46

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

mit, die ihn selbst betreffe, ist äußerst formal, wenn man bedenkt, daß beide Geschäftsführer regelmäßig entweder gemeinsam in Anspruch genommen werden oder gar nicht. Außerdem haften beide als Gesamtschuldner, so daß aus den gleichen Gründen wie bei der Entlastung das Stimmrecht beider Geschäftsführer auch bei getrennter Abstimmung entfallen muß. Hinzu kommt, daß bei entsprechenden Mehrheitsverhältnissen der jeweils Mitstimmende eine Mehrheit für eine Anspruchsgeltendmachung verhindern könnte. Die Betroffenheit ist in diesem Fall genau so zu beurteilen, als wenn die Abstimmung gegen ihn selbst gerichtet wäre. Die Auffassung von K. Schmidt, der das Stimmverbot bei Anspruchsgeltendmachung bzw. Einleitung eines Rechtsstreits auf das Verbot des Insichprozesses zurückführt, ist zum einen insoweit inkonsequent, als sie das Stimmrecht des zweiten Geschäftsführers bei der vorliegenden Konstellation ausschließen will, obwohl rein prozeßrechtlich keine notwendige Streitgenossenschaft, sondern der Gesamtschuldnerschaft wegen nur eine einfache Streitgenossenschaft vorliegt. Er begründet dies damit, daß ausnahmsweise der Gedanke des „Richters in eigener Sache" überwiege 104. Dies ist zum anderen insoweit inkonsequent, als er das Eingreifen dieses Grundsatzes - den Entlastungsbeschluß ausgenommen - für die „vier klassischen" Stimmverbote verneint 105 . Die Auffassung von Herzfelder 106 ist dagegen insofern zu weit, als er bereits das unmittelbare Betroffensein durch die Gestellung einer Bürgschaft oder einer Garantie für den Stimmrechtsausschluß ausreichen läßt. Unstreitig ist ein bloßes Interessiertsein am Ausgang des Rechtsstreites nicht ausreichend 107. Der durch diese Rechtsinstitute ausgelöste Interessenkonflikt ist aber von dem zugrundezulegenden qualitativ verschieden, so daß eine lose Zusammengehörigkeit der Rechtsgründe nicht als ausreichend anzusehen ist. Zuzugeben ist ihm aber, daß der Fall der gesamtschuldnerischen Haftung ausreicht, die unmittelbare Betroffenheit zu bejahen. Richtigerweise richtet sich die Beantwortung der Frage, ob bei getrennter Abstimmung über das Geltendmachen eines Anspruchs oder der Einleitung eines Rechtsstreites derjenige Gesellschafter, den der konkret zu fassende Beschluß nicht unmittelbar betrifft, an der Abstimmung teilnehmen darf oder nicht danach, ob dem Anspruch derselbe Rechtsgrund zugrunde liegt 108 . In diesem Fall ist die materielle Verknüpfung so eng, daß der gegen den einen betroffenen Gesellschafter gerichtete Beschluß unmittelbar auch die Interessen des anderen Gesellschafters berührt, 104

K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 120.

105

K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 89.

106

Herzfelder, S. 122.

107

Feine in Ehrenbergs Handbuch, S. 529.

108

So auch BGH ZIP 1986, 429, 431: sachlicher Zusammenhang; Hachenburg-Schmidt, GmbHG, § 47, Anm. 20; Jul. Lehmann in Düringer-Hachenburg HGB, § 252, Anm. 52.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

47

obgleich der Anspruch an sich teilbar ist. Häufig - aber nicht notwendig - wird gleichzeitig eine gesamtschuldnerische Haftung beider Betroffenen vorliegen. Wenn Zöllner zur Begründung seiner Auffassung, der Stimmrechtsausschluß sei nur im Fall des unteilbaren Anspruchs gerechtfertigt, ausführt, die Gesellschaft müsse die Möglichkeit haben, bei Beschlüssen über die Klageerhebung gegen zwei Gesellschafter zu differenzieren 109, steht das der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Es kann durchaus Gründe geben, einen der beiden Betroffenen mit der Klage zu verschonen. Diese Möglichkeit wird der Gesellschaft aber nicht dadurch genommen, daß der andere betroffene Gesellschafter bei der Abstimmung nicht mitwirken darf. Vielmehr ist in höherem Maße gewährleistet, daß derjenige Gesellschafter, der verklagt werden soll, keine sachfremden Erwägungen in seine Stimmabgabe hinsichtlich der Beschlußfassung über den anderen einfließen läßt. Gegen Mißbräuche seitens der Gesellschaft bietet ihm die Möglichkeit einer Klage wegen willkürlicher Ungleichbehandlung hinreichenden Schutz. Dagegen reichen lediglich gleichartige Ansprüche nicht aus, eine vergleichbare Interessenkollision entstehen zu lassen, die einen Stimmrechtsausschluß rechtfertigen würde 110 . Zu denken ist z.B. an die Fälle, daß mehrere Gesellschafter durch verschiedene Handlungen eine intern vereinbarte Vertragsstrafe verwirkt haben oder die Gesellschaft von einzelnen Mitgliedern zu verschiedenen Zwecken gewährte Darlehn zurückfordert. V. Stimmrechtsausschluß bei Vornahme von Rechtsgeschäften In der Praxis treten zahlreiche Fälle auf, in denen zwischen der Gesellschaft und einem ihrer Gesellschafter wie mit einem außenstehenden Dritten Rechtsgeschäfte abgeschlossen werden. Als Beispiele mögen hier Vertragsschlüsse über die Anmietung eines dem Gesellschafter gehörenden Grundstückes oder der Verkauf eines Firmenwagens an ihn dienen. Auch einseitige Rechtsgeschäfte wie die Kündigung eines Darlehns kommen vor. Ob der betroffene Gesellschafter an dem Beschluß, der über die Vornahme des Rechtsgeschäftes entscheidet, mitwirken darf oder nicht, wird unterschiedlich beantwortet, wobei sich eine h.M. nicht feststellen läßt.

109 110

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 218 f.

So auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 219 f.; im Erg. auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 120.

48

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

7. Befürwortung

des Stimmrechtsausschlusses

Vor dem Hintergrund, daß die alten Fassungen der die Stimmverbote normierenden Vorschriften für die Aktiengesellschaft 111 und die Genossenschaft 112 den Fall des Rechtsgeschäfts noch ausdrücklich nannten, ließ die früher h.M. 1 1 3 das Stimmrecht eines Personengesellschafters für die Beschlußfassung über die Vornahme eines Rechtsgeschäftes entfallen. Das Reichsgericht stellte in seiner Entscheidung im 136. Band 114 fest, aus den Stimmrechtsvorschriften der §§34 BGB, 252 I I I HGB a.F., 47 IV GmbHG, 43 I I I GenG a.F., die den Interessenwiderstreit bei der Vornahme eines Rechtsgeschäftes betreffen, ergebe sich ein Rechtsgrundsatz, der auf die insoweit völlig gleichgearteten Verhältnisse der bürgerlich-rechtlichen Gesellschaft auszudehnen sei, obwohl für sie eine entsprechende Gesetzesvorschrift fehle. Die Gefahr, daß ein Gesellschafter seine Privatinteressen denen der Gesellschaft voranstelle, bestehe beim Rechtsgeschäft naturgemäß in besonders hohem Maße. Einen anderen rechtlichen Ansatzpunkt für die Begründung des Stimmrechtsausschlusses wählen Flume 115 und Wilhelm 116 . Der Ausschluß soll auf dem Verbot des Insichgeschäftes beruhen. Sie gehen von einer teil weisen Identität von § 34 BGB und § 181 BGB aus. Auf die Zustimmung des Gesellschafters, mit dem die Gesellschaft ein Rechtsgeschäft abschließen will, komme es nur dann an, wenn seine Stimme über die Vornahme des Geschäftes entscheide. Es ginge deshalb gerade um den Interessen widerstreit des Insichgeschäftes. Auch wenn die Abstimmung selbst noch nicht die Vornahme des Geschäftes sei, gehöre sie doch so eng zu dem Geschäft, daß bereits die Abstimmung dem Handeln in Vertretung der Gesellschaft gleichzustellen sei. Schon wegen der Beweisfrage bezüglich einer schuldhaften Verletzung von Gesellschaftsinteressen könne nicht auf die Treuepflicht und etwaige Schadensersatzansprüche abgestellt werden. Der Mehrheitsgesellschafter solle sich durch seine Stimme nicht seine Bezüge oder gar seine Pension selbst verschaffen können 117 .

111

§ 252 III HGB a.F.

112

§ 43 III GenG a.F.

113 RGZ 136,236, 245; offen gelassen aber nach der NichtÜbernahme des Stimmverbots in § 114 V AktG nach der Aktienrechtsreform 1937 in RGZ 162, 370, 373; Weipert in RGRK HGB, § 119, Anm. 6; Herzfelder, S. 60 f.; Flechtheim in Düringer-Hachenburg HGB, § 119, Anm. 3, jeweils m.w.N.; weitere Nachweise zur älteren Literatur auch bei Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 190, FN 8; heute u.a. auch Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709 Rdn. 64; Weinhardt, DB 1989, 2417, 2419. 114

RGZ 136,236,245.

115

Hume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14 IX, S. 247 f.

116

Wilhelm, JZ 1976, 674 ff.

117

Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14 IX, S. 250.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

49

2. Ablehnung des Stimmrechtsausschlusses Demgegenüber lehnen namhafte Vertreter des Schrifttums einen Stimmrechtsausschluß für den Fall des Rechtsgeschäftes ab 118 . Die vor allem auf A. Hueck 119 zurückgehende Meinung stützt sich darauf, daß im Zuge der Aktienrechtsreform im Jahre 1937 die Regelung des § 252 I I I HGB a.F. nicht übernommen wurde. Die Regelung des dort postulierten 120 Stimmrechtsausschlusses bei Vornahme eines Rechtsgeschäftes habe sich in der Praxis nicht bewährt. Was im Aktienrecht überholt sei, solle auch nicht auf die Personengesellschaften angewendet werden. Unabhängig davon bestehe für einen Stimmrechtsausschluß kein Bedürfnis 121 . Der Gesellschafter sei auch bei Entschließungen dieser Art, die die Geschäftsführung betreffen, an seine gesellschaftliche Treuepflicht gebunden. Deren schuldhafte Verletzung begründe zum einen Schadenersatzansprüche gegen ihn, zum anderen führe sie zur Unbeachtlichkeit der Stimmabgabe. Weiterhin wird darauf verwiesen, daß eine dem GmbH-Recht entsprechende Regelung eben fehle 122 , und daß es im Konzern zu einer Entrechtung der Mehrheitsgesellschafter kommen könne 123 . 3. Eigener Lösungsansatz a) Vergleich mit dem Kapitalgesellschaftsrecht Die den Stimmrechtsausschluß ablehnenden Autoren begründen ihre Auffassung u.a. damit, das Stimmverbot habe sich in der Praxis nicht bewährt 124 . Dem kann in dieser Allgemeinheit jedoch nicht zugestimmt werden. Vielmehr hat sich im Laufe der Zeit das Verständnis vom Begriff des zugrundezulegenden Rechtsgeschäfts gewandelt. Noch zu Anfang des Jahrhunderts verstand man den Begriff als sehr umfassend 125. Dementsprechend befand das Kammergericht im Jahre 1902 126 , die Wahl zum Geschäftsführer einer GmbH sei als Vertrag zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter zu bewerten. Folgerichtig war der zu wählende Gesellschafter von der Abstimmung ausgeschlossen. Erst 118

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 119, Rdn. 3; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; A. Hueck, OHG, S. 170; Renkl, Gesellschafterbeschlüsse, S. 61; offen gelassen von Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 23. 119

A. Hueck, OHG, S. 170.

120

Früher § 114 V AktG; seit 1965 § 136 I AktG.

121

A. Hueck, OHG, S. 171.

122

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22.

123

A. Hueck, OHG, S. 171.

124 Schlegelberger/Gessler HGB, § 119, Rdn. 3; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; A. Hueck, OHG, S. 170; Renkl, Gesellschafterbeschlüsse, S. 61. 125

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechts macht, S. 149 ff.

126

KGJ 25, A 253, 256 f.

4 Lockowandt

50

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

nach und nach schränkte das Reichsgericht den zugrundezulegenden Begriff des Rechtsgeschäfts durch Auslegung ein 127 . Gemeinsam mit der Rechtsprechung entwickelte die Literatur dann den Begriff des Sozialakts, der vom Rechtsgeschäft zu unterscheiden sei, und sich ausschließlich auf interne Angelegenheiten der Gesellschaft beziehe128. Darunter fallen vor allem Wahlen zu den Organen sowie die sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten 129. Für die „sozialrechtlichen Beschlüsse130" gelten die Stimm verböte seitdem nicht mehr. Wenn A. Hueck 131 feststellt, § 252 I I I HGB a. F. sei in der Praxis durch einschrän-kende Auslegung fast illusorisch geworden, so ist dies nur zum Teil richtig. Der zu weit gefaßte Begriff des Rechtsgeschäfts wurde lediglich auf den relevanten Bereich zurückgeführt, für den die Gefahr der zu vermeidenden Interessenkollision im größten Maße besteht. Weiterhin ergaben sich gerade im Aktienrecht vielfältige Möglichkeiten, den Stimmrechtsausschluß zu umgehen, beispielsweise durch das Vorschieben eines Strohmannes, treuhänderische Übertragung der Aktien oder durch eine Legitimationsübertragung 132. Mißbräuchliche Umgehungen kommen jedoch auch in vielen anderen Bereichen vor. Sie rechtfertigen nicht die Abschaffung des Verbotes, sondern ihnen ist - soweit überhaupt möglich - grundsätzlich auf andere Weise zu begegnen, beispielsweise durch eine Erweiterung oder Konkretisierung des Verbots. Letztlich kann deshalb nicht aus Anwendungs- und Auslegungsproblemen sowie möglichen Umgehungen der Schluß gezogen werden, das Stimmverbot bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts habe sich in der Praxis (des Aktienrechts) nicht bewährt und sei infolgedessen nicht auf die Personengesellschaften zu übertragen. Die Abschaffung des Stimmrechtsausschlusses bei der Aktiengesellschaft wurde im übrigen zurecht kritisiert 133 . Die im Aktienrecht bestehenden Umgehungsmöglichkeiten des Stimmverbots bieten sich im Personengesellschaftsrecht nur sehr eingeschränkt. Eine ver-

127

RGZ, 60, 172; 74, 276; 81, 37.

128

Z.B. Hachenburg GmbHG, 5. Aufl., § 47, Anm. 19; Staub-Pinner HGB, § 252, Anm. 26; Fischer in Ehrenbergs Handbuch; S. 189; Feine, S. 528 f.; Flechtheim, JW 1925, 565. 129 Vgl. Spengler in FS Möhring (1965), S. 165, 169; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 61, 49, 51; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22. 130 Der Begriff des Sozialakts ist in der Literatur heftig angegriffen worden, vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 47, und ist mittlerweile auch von der Rspr. aufgegeben worden, BGHZ 65, 93, 96 ff. Auch die Beschlüsse, die das innergesellschaftliche Leben betreffen, werden heute zurecht als Rechtsgeschäfte angesehen. Gleichwohl unterfallen sie unstreitig nicht dem Anwendungsbereich der Stimmverbote, was zeigt, daß die Aufgabe des Begriffs „Sozialakt" nicht als Argument für die angegriffene Auffassung zur Verfügung steht. 131

A. Hueck, OHG, S. 170.

132

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 149 ff., 163 ff.

133

Duden, BB 1957, 49, 50; BB 1957, 1234; Wilhelm, JZ 1976, 674, 675 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 157 ff., jeweils m.w.N.

51

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

deckte treuhänderische Übertragung der Gesellschafterstellung 134 und eine Legitimationsübertragung sind hier nicht möglich. Die regelmäßig kleine Personenzahl und die enge Zusammenarbeit erschweren den Erwerb durch einen Strohmann, weshalb das Manöver häufig erkannt werden wird. Die Argumentation der Gegenmeinung bietet deshalb auch insofern Angriffspunkte. Die Verhältnisse der Aktiengesellschaft, deren Geschäfte der Vorstand allein und eigenverantwortlich leitet, lassen sich nur schwer mit denen der Personengesellschaft vergleichen 135. Anders liegt es bei der GmbH, deren Geschäftsleitung weisungsabhängig ist, und deren Gesellschafterversammlung einen größeren Kompetenzrahmen besitzt. Zieht man deren gesetzliche Regelung der Stimmverbote zum Vergleich heran, stellt man fest, daß dort entgegen den Reformvorschlägen der Stimmrechtsausschluß bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts im Zuge der Reform von 1980 nicht abgeschafft wurde 136 . Aus diesem Grund kann trotz der Aufhebung dieses Stimmverbots im Aktien- und Genossenschaftsrecht nicht mehr eine generelle Tendenz des Gesetzgebers zur Beseitigung des Stimmrechtsausschlusses für das Rechtsgeschäft behauptet werden 137 . Nach den betreffenden Änderungen im Aktien- und Genossenschaftsrecht kann daraus nur der Schluß gezogen werden, daß der Gesetzgeber das Stimmverbot in der GmbH nach wie vor für erforderlich und zweckmäßig erachtet, was dafür spricht, es der engeren Verwandtschaft zur Personengesellschaft wegen auch auf diese anzuwenden. b) Die Treuepflicht als ausreichendes Korrektiv Die Gegenmeinung verneint weiterhin ein Bedürfnis für den Stimmrechtsausschluß bei Vornahme eines Rechtsgeschäfts. Aus den Sanktionen bei Verstößen gegen die Treuepflicht ergäben sich ausreichende Möglichkeiten, einer sachfremden Stimmabgabe zu begegnen138. Ob diese Annahme zutrifft, läßt sich leichter überprüfen, wenn man auf die eigentlichen Problembereiche fokussiert. Dabei ist voranzustellen, daß sich die Frage des Bedürfnisses überwiegend für Gesellschaften stellt, in denen das Mehrheitsprinzip vereinbart wurde, denn bei Geltung des Einstimmigkeitsprinzips kann bereits eine Gegenstimme die Entscheidung, das Rechtsgeschäft abzuschließen, verhindern.

134

§ 7 1 9 1 BGB.

135

Ebenso Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 192 f.

136 § 82 III Reg E GmbHG (BT-Drucks. VI/3088), der eine Anpassung an das Aktienrecht bringen sollte, ist in die GmbH-Novellierung nicht übernommen worden (BT-Drucks. VIII/1374). 137 138

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 64.

A. Hueck, OHG, S. 170 ff.; Fischer in Großkomm. Schlegelberger/Gessler, HGB, § 119, Rdn. 3. 4*

HGB,

§

119, Rdn.

22,

52

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Eine Interessenkollision tritt nur dann auf, wenn es sich um ein für den Gesellschafter vorteilhaftes Geschäft handelt, denn auf ein nachteiliges wird er sich vernünftigerweise nicht einlassen. Weiterhin können Geschäfte mit einem Minderheitsgesellschafter bei der Betrachtung vernachlässigt werden, denn er überzeugt die übrigen entweder von der Güte seines Angebots, oder er scheitert schon mangels Stimmkraft bei der innergesellschaftlichen Durchsetzung des Rechtsgeschäftes. Relevanz erhält das Problem demnach vor allem bei ausgeglichenem Kräfteverhältnis - dann kann die Stimme des Betroffenen den Ausschlag geben - oder wenn es um ein Geschäft mit dem Mehrheitsgesellschafter geht. Die Problemfälle lassen sich jedoch noch weiter eingrenzen. Für die Gesellschaft eindeutig vorteilhafte Geschäfte werden zumindest im Fall des ausgeglichenen Kräfteverhältnisses eine klare Mehrheit finden, ohne daß es auf den Betroffenen ankäme. Problematisch wird demnach erst der Fall, in dem der Vorteil für die Gesellschaft nicht völlig zweifelsfrei oder risikolos ist. Dann liegt der Entscheidung das persönliche Ermessen 139 oder eine Zukunftsprognose zugrunde. In diesen Fällen ist es wichtig, wegen des drohenden Interessenkonflikts denjenigen von der Entscheidung fernzuhalten, der in jedem Falle einen Vorteil aus diesem Geschäft zieht. Es ist dem Gesellschafter als privat Interessierten eher zuzumuten, den Beweis für treuewidriges Blockieren durch die Anderen, als der Gesellschaft, den Beweis für eine treuepflichtwidrige Stimmabgabe des Einzelnen zu führen. Der zu schützenden Gesellschaft obläge sonst die schwierige Darlegungs- und Beweislast, wenn sie sich auf eine Unwirksamkeit der Stimmabgabe des interessierten Gesellschafters berufen wollte 140 . Schon aus diesen Gründen reicht die Treuepflicht als Stimmrechtsschranke nicht aus. Die Argumentation der Gegenmeinung geht aber noch aus einem weiteren Grunde fehl. Auch die Stimmabgabe bei der Entlastung, der Befreiung von einer Verbindlichkeit und der Geltendmachung eines Anspruchs unterliegt regelmäßig der Treuepflicht. Für diese Beschlußfassungen hat der Gesetzgeber aber zu erkennen gegeben, daß er die Treuepflicht nicht für ein ausreichendes Korrektiv hält und deshalb das Stimmrecht des Betroffenen ausgeschlossen. Das Stimmverbot soll aus Gründen der Rechtssicherheit gerade die Auseinandersetzung darüber vermeiden, ob die abgegebene Stimme gegen die Treuepflicht verstößt. Es soll zum Wohle der Gesellschaft von vornherein den möglichen Einfluß von Sonderinteressen verhindern. Für Rechtsgeschäfte, die zur Befreiung von einer Verbindlichkeit führen, hat der Gesetzgeber das Stimmrecht durchgängig ausgeschlossen. Der Gedanke, daß derjenige nicht an der Entscheidung mitwirken darf, der von einem für ihn positiven Beschluß auf jeden Fall profitiert, läßt sich insofern auch auf den weitergehenden Bereich des

139

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 193.

140

So auch Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14 IX, S. 248.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

53

Abschlusses anderer Rechtsgeschäfte übertragen. Die von Hueck 141 befürchtete „Entrechtung des Mehrheitsgesellschafters" läßt sich gleichwohl ausschließen, denn für eindeutige Fälle bleibt ihm die Klage auf Zustimmung wegen Treuwidrigkeit. Außerdem ist er durch einen Nicht-Abschluß in seiner Eigenschaft als Privatperson, nicht in der als Gesellschafter betroffen. Bei riskanten Geschäften oder Geschäften, deren Wert für die Gesellschaft bestritten ist, muß das Interesse der Gesellschaft den Vorrang vor dem Vorteil des Gesellschafters haben. Ein Stimmrechtsausschluß verhindert zwar möglicherweise den Geschäftsabschluß, erhält und stabilisiert aber den status quo, ohne der Gesellschaft ein zusätzliches Risiko aufzubürden. c) Analoge Anwendbarkeit von § 181 BGB Nicht richtig erscheint es dagegen, den betroffenen Gesellschafter von der Abstimmung mit der Begründung auszuschließen, § 181 BGB sei mit dem Stimm verbot teilweise identisch 142 . Obwohl beiden Fällen der gleiche Gedanke zugrundeliegt - Vermeidung einer Interessenkollision 143 - unterscheiden sie sich sowohl in der dogmatischen Einordnung als auch hinsichtlich des Schutzzwecks144. Das Selbstkontrahierungsverbot ist systematisch in das Vertretungsrecht einzuordnen, welches das Außenverhältnis betrifft, das Stimmverbot fällt in den Bereich der Geschäftsführung und damit des Innen Verhältnisses. Die Interessenkollision betrifft die Willensbildung hinsichtlich der Frage, in welcher Form die Geschäftsführung zu geschehen hat, d.h. ob die geschäftsführenden Gesellschafter das Rechtsgeschäft abschließen „dürfen" und nicht die Frage, ob sie es „können". Auch wenn die Gesellschafter beschlossen haben, das Geschäft zu tätigen, ist zusätzlich eine dogmatisch streng davon zu trennende Gestattung des Selbstkontrahierens i.S.v. § 181 BGB erforderlich, falls es z.B. mit dem einzigen geschäftsführungs- und vertretungsbefugten Gesellschafter abgeschlossen werden soll. Selbst bei einer Entscheidung zugunsten des Geschäftsabschlusses versagt § 181 BGB dem Alleinvertretungsberechtigten, die Gesellschaft wirksam zu vertreten 145. Die Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot erfordert eine Erweiterung der bestehenden Vollmacht 146 . Diese Gestattung wird zwar häufig mit der Entscheidung für das Geschäft zusammenfallen, muß aber nicht. Vielmehr kann sie auch nachfolgen oder (unter Änderung des Gesell141

A. Hueck, OHG, S. 171.

142

So aber Wilhelm, JZ 1976, 674, 675 f.; ihm folgend Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14 IX, S. 248; K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 110; im Ergebnis wohl auch Hübner, S. 282 ff., nach dessen Ansicht sich die Stimmverbote und § 181 BGB überlagern. 143

Insoweit zutreffend Wilhelm, JZ 1976, 674, 676.

144

Zustimmend Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 63.

145

Hübner, S. 277, 282.

146

Larenz, BGB AT, § 30 II, S. 519.

54

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

schaftsvertrages) unterbleiben, wenn die Gesellschafter eine Vertretung nicht durch den Vertretungsberechtigten, sondern durch einen Anderen wünschen. Die Differenzierung verdeutlicht sich am folgenden, der üblichen Reihenfolge (Vertrag erst nach der Entscheidung) zuwiderlaufenden Beispiel: Kaufen zwei gesamtvertretungsbefugte Gesellschafter für den Verband im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes eine Sache, die einem der beiden gehört, haben sie zwar eine Entscheidung über den Kauf getroffen. Gleichwohl ist das Geschäft wegen mangelnder Vertretungsmacht schwebend unwirksam, die Gestattung kann verweigert werden. Das Stimmverbot des § 34 BGB ist demnach nicht, wie Wilhelm 1 4 7 meint, mit dem Verbot des § 181 BGB identisch, es ist nicht das mit Rücksicht auf die besondere Zuständigkeit der Mitgliederversammlung im Rahmen des Handelns für den Verband abgewandelte Verbot des Insichgeschäftes selbst. Beiden Regelungen liegt nur der gleiche Grundgedanke - Verhinderung einer Interessenkollision 148 - zugrunde. Bezeichnenderweise differenziert er auch nicht zwischen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis. Die Stimm verböte und § 181 BGB haben darüber hinaus einen unterschiedlichen Schutzzweck. § 181 BGB will den Vertretenen aus Gründen der Rechtssicherheit vor der Art und Weise des Abschlusses des Rechtsgeschäfts bewahren 149 . Die Stimmverbote dagegen sollen die verbandsinterne Willensbildung vor schädlichen Sonderinteressen schützen. Sie richten sich deshalb nicht gegen die Art des Abschlusses (das „Ob"), sondern wollen die inhaltliche Richtigkeit (das „Wie") sichern. Flume 150 trennt beide Rechtsinstitute ebenfalls nicht hinreichend scharf, wenn er ausführt, auch wenn die Abstimmung nicht die Vornahme des Geschäftes selbst sei, gehöre sie doch so zu dem Geschäft, daß auch die Abstimmung dem Handeln in Vertretung der Gesellschaft gleichzustellen sei. Abstimmung und Geschäftsabschluß hängen in der Tat eng zusammen. Aber selbst wenn die Abstimmung im Einzelfall mit dem (konkludenten) Abschluß des Rechtsgeschäfts zusammenfällt, darf nicht übersehen werden, daß sie nicht nur Handeln „in Vertretung 151 " der Gesellschaft bedeutet, sondern in erster Linie die 147

Wilhelm, JZ 1976, 674, 675 ff.

148

So die heutige Rspr. zu § 181 BGB, z.B. BGHZ 65, 93 ff. Die Rspr. des Reichsgerichts betonte dagegen noch mehr das formale Vorliegen eines Rechtsgeschäfts zwischen den Parteien. So hat es z.B. die Anwendung von § 181 BGB auf den Fall verneint, in dem ein Schuldner als Vertreter des Bürgen einen Bürgschafts vertrag zwischen dem Bürgen und dem Gläubiger Schloß (RG 71, 220). Die hier vertretene Auffassung würde aber auch dieser Rechtsprechung nicht widersprechen. 149

Vgl. dazu Palandt/Heinrichs, BGB, § 181, Rdn. 2 m.w.N.

150

Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14 IX, S. 248 f.

151

Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14 IX, S. 249; kritisiert von K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 98, allerdings nur hinsichtlich der Tauglichkeit, die Begriffe des Sozialaktes und des Rechtsgeschäftes abzugrenzen.

Β. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollision

55

Willensbildung des Verbandes über die das Innenverhältnis betreffende Frage, in welcher Form die Geschäftsführung zu geschehen hat. Der Gesellschafter ist bei der Abstimmung über die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit ihm deshalb nicht mit der Begründung ausgeschlossen, die Mitwirkung verstieße gegen § 181 BGB, sondern er ist an der Stimmabgabe verhindert, weil das den körperschaftsrechtlichen Vorschriften der §§ 34 BGB, 47 IV GmbHG entstammende Stimmverbot entsprechend auf die Personengesellschaft anzuwenden ist. d) Sozialbeschlüsse Ergänzend bleibt anzumerken, daß nach allen vertretenen Meinungen 152 der Stimmrechtsausschluß nicht für sog. „sozialrechtliche Beschlüsse" gilt, die obwohl sie Rechtsgeschäfte sind - die innere Ordnung der Gesellschaft betreffen. Gemeint sind Beschlüsse verbandsinterner Art, bei der die Gesellschafter der Gesellschaft nicht wie „außenstehende Dritte 1 5 3 " gegenüberstehen. Wichtigster Fall für die Personengesellschaft sind die Wahlen und Abwählen der Geschäftsführer und Vertretungsberechtigten. Diese sind, falls ihnen die Befugnis entzogen werden soll, nach den §§ 117, 127, HGB, 712, 715 BGB nur bei Vorliegen eines „wichtigen Grundes" vom Stimmrecht ausgeschlossen, woraus sich im Umkehrschluß ergibt, daß sie bei allen anderen die innere Ordnung der Gesellschaft betreffenden Beschlüssen stimmberechtigt sind. e) Ergebnis Als Ergebnis ist festzuhalten, daß das Stimmrecht des Gesellschafters für den über die Vornahme eines Rechtsgeschäftes mit ihm entscheidenden Beschluß richtigerweise ausgeschlossen sein muß 154 . Der Ausschluß ist notwendig, um den typischerweise drohenden Interessenkonflikt zu vermeiden. Die Möglichkeit, eine treuwidrige Stimmabgabe angreifen zu können, stellt kein ausreichendes Korrektiv dar, um Mißbräuchen zu begegnen155.

152 Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; A. Hueck, OHG, S. 172; Heymann/Kötter, HGB, § 119, Rdn. 2; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 232 m.w.N.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 61; Spengler, FS Möhring, (1965) S. 165, 169. 153 Die Rspr. hat den Begriff des „Sozialakts" seit BGHZ 65, 93, 96 f., BGH W M 1979, 71, 72 aufgegeben; ausführlich zu dieser Problematik Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 225 ff. 154 So auch Baumbach/Duden/Hopt, HGB § 119 Anm. 1 D; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 64; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 193; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 502; Weinhardt, DB 1989, 2417, 2419. 155

Dagegen insbes. A. Hueck, OHG, S. 171.

56

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

C. Die Begrenzung des Stimmrechts Bislang sind die gesetzlichen und die entsprechend anzuwendenden Regeln dargestellt worden, die das Stimmrecht eines Gesellschafters für einen oder mehrere Beschlüsse vollständig ausschließen. Es handelt sich dabei um wertungsunabhängige und damit starre Regeln, für die sich mittlerweile der Begriff „starre Schranken" durchgesetzt hat 156 . Bei ihnen ist an einen bestimmten Tatbestand die Rechtsfolge des Stimmrechtsausschlusses geknüpft. Daneben gibt es aber auch sog. „bewegliche Schranken" 157 des Stimmrechts, die ein wertendes Element enthalten, welches die Berücksichtigung der speziellen Umstände des Einzelfalls erlaubt. Die Rechtsfolge des Eingreifens der beweglichen Schranken besteht in einer Stimmrechtsbeschränkung, die z.T. auch als Stimmrechtsbegrenzung bezeichnet wird; die Terminologie in der Literatur ist insoweit nicht einheitlich. Das Stimmrecht kann in seiner Funktion beeinträchtigt, auf einen anderen Entscheidungsträger verlagert, oder in einer bestimmten Richtung gebunden sein. Die weitgehendste Form der Stimmrechtsbeschränkung ist der Stimmrechtsausschluß. Allerdings führen nur wenige bewegliche Schranken zu dieser Rechtsfolge. Im folgenden Kapitel sollen zum einen die beweglichen Schranken des Stimmrechts dargestellt und zum anderen soll untersucht werden, in welchen konkreten Einzelfällen das Stimmrecht über die bereits behandelten Grundsätze hinaus eingeschränkt sein kann. I. Das Mehrheitsprinzip Das gesetzliche Leitbild (§§ 709 I, 2. Halbsatz BGB, 119 I HGB) sieht für die Personengesellschaften das Einstimmigkeitsprinzip vor. Jede Entscheidung bedarf danach der Zustimmung aller Gesellschafter bzw. aller zur Mitwirkung berufenen Gesellschafter 158. Eine Stimmenthaltung wird wie eine Ablehnung gewertet und führt wie die Nichtteilnahme eines Gesellschafters dazu, daß ein einstimmiger Beschluß nicht vorliegt 159 . In der Praxis haben jedoch die meisten Gesellschaften aus Gründen der Praktikabilität von der in den §§ 709 I I BGB, 119 I I HGB angesprochenen Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Abstimmung nach der Mehrheit der

156 Vgl. z.B. Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 22, 31; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 II 3, S. 452; der Begriff geht zurück auf Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 101,287 f. 157

Vgl. FN 233.

158

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 6.

159

I BGB.

Vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 38 mit Hinweis auf den Wortlaut von § 709

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

57

Stimmen vorzunehmen 160. Dieses sog. Mehrheitsprinzip 161 bedarf der einstimmig zu beschließenden162 Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag. Ist dies geschehen, kommt ein Beschluß zustande, wenn er die Zustimmung der einfachen Mehrheit findet 163 , falls nicht der Gesellschaftsvertrag ausnahmsweise eine qualifizierte Mehrheit oder gar eine einstimmige Entscheidung fordert 164 . Es ist möglich, den Gesellschaftsvertrag von vornherein entsprechend zu konstituieren, oder ihn nachträglich dahingehend zu ändern. Eine ausdrückliche Aufnahme in das Regelwerk ist nicht notwendig. Vielmehr reicht aus, daß sich die Änderung stillschweigend aus einer ständigen Übung ergibt 165 . Haben die Gesellschafter vereinbart, daß die Beschlüsse mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefaßt werden, erstreckt sich diese Vereinbarung grundsätzlich nur auf Maßnahmen der Geschäftsführung 166 und auf die sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten 167. Da Verträge nur mit Zustimmung aller Parteien geändert werden können, bezieht sich die pauschale Geltung des Mehrheitsprinzips nicht auf die Änderung des Gesellschaftsvertrages 168 . Für sie muß die Geltung ausdrücklich vereinbart sein. Die uneingeschränkte Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen bringt jedoch die Gefahr der Majorisierung von Minderheiten mit sich 169 . Aus diesem Grunde entwickelte die Rechtsprechung sehr früh den sog. Bestimmtheitsgrundsatz 170. Danach muß eindeutig im Gesellschaftsvertrag festgeschrieben sein, auf welche Art von Änderungsbeschlüssen sich das Mehrheitsprinzip bezieht. Dazu ist zwar nicht eine detaillierte Aufzählung der einzelnen in Betracht kommenden Beschlußgegenstände erforderlich. Da der Gesellschafter aber letztlich ein vorweggenommenes Einverständnis zu Vertragsänderungen abgibt, die möglicherweise seinem aktuellen Willen widersprechen, muß der Gesellschaftsvertrag mit für jedes Mitglied hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, daß das Mehrheitsprinzip auch für die infragekommende Vertragsänderung gelten soll 171 . Damit soll verhindert werden, daß die Gesellschafter unbedacht in die

160

So bereits Spengler in FS Möhring (1965), S. 165,166.

161

Eingehend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 93 ff.

162

§§709 BGB, 1191 HGB.

163

Hadding in Soergel/Siebert, BGB, § 709, Rdn. 38.

164

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 10; A. Hueck, OHG, S. 176.

165

BGHZ 16, 394, 396 f. = NJW 1955, 825.

166

RGZ 114, 393, 395; BGH W M 1961, 303.

167

A. Hueck, OHG, S. 178; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 80; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 12. 168

RGZ 114,393,395.

169

Dazu Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 94.

170

RGZ 91, 166, 168; 151, 321, 327.

171

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 72.

58

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Aufgabe ihrer Rechte aus dem „Kernbereich" einwilligen, daß gesetzliche Wertungen wie § 707 BGB - keine Verpflichtung zur Beitragserhöhung - umgangen werden, und daß sich die Gesellschafter bei besonders tiefgreifenden, „ungewöhnlichen" Vertragsänderungen nicht von vornherein uneingeschränkt dem Willen der Mehrheit unterwerfen 172. Für Publikumsgesellschaften hat die Rechtsprechung den Bestimmtheitsgrundsatz mittlerweile offenbar aufgegeben 173 . Nach erheblicher Kritik im Schrifttum 174 ist denkbar, daß die Rechtsprechung ihre Anforderungen an die Bestimmtheit von Gesellschaftsverträgen hinsichtlich der Geltung des Mehrheitsprinzips auch für die „typischen" Personengesellschaften lockert. Nun stellt sich die Frage, ob - und wenn ja bei welcher Art von Entscheidungen - das Stimmrecht durch die Geltung des Mehrheitsprinzips beschränkt wird. Unter der Geltung des Einstimmigkeitsprinzips steht jedem Mitglied ein uneingeschränktes Mitwirkungsrecht zu, weil es das Zustandekommen jedes unerwünschten Beschlusses durch seine Stimme allein verhindern kann. Das Mehrheitsprinzip führt zu einer Ersetzung des einheitlichen Willens durch den Willen der Mehrheit. Der Gesellschafter begibt sich aber bei Geltung des Mehrheitsprinzips nicht seines Stimmrechts. Vielmehr bleibt er stimmberechtigt und kann den Versuch unternehmen, mittels der Mehrheit seiner Meinung Geltung zu verschaffen. Dagegen verliert er, da er überstimmt werden und damit seine Vorstellung nicht durchsetzen kann, sein uneingeschränktes Mitwirkungsrecht, welches unter der Geltung des Mehrheitsprinzips nur noch als eingeschränktes oder besser relatives Mitwirkungsrecht besteht. Aber auch das relative Mitwirkungsrecht setzt zu seiner Verwirklichung das Stimmrecht voraus, ohne daß dieses eine Änderung seiner Qualität erfährt. Es ändert sich nichts in bezug auf die Befugnis zur Mitwirkung an der Willensbildung des Personenverbandes, die selbst dann unverändert erhalten bleibt, wenn der Gesellschafter überstimmt wird. Er büßt weder seine Stimmkraft ein, noch wird der gegenständliche Umfang seines Stimmrechts eingeschränkt. Was sich ändert, ist der Modus der Willensbildung des Verbandes, wodurch mittelbar das Mitwirkungsrecht eines jeden Gesellschafters zugunsten einer erhöhten Flexibilität und Reaktionsfähigkeit der Gesellschaft 175 relativiert wird. Das Stimmrecht wird selbst dann nicht durch das Mehrheitsprinzip beschränkt, wenn sich der Gesellschafter, beispielsweise aufgrund einer geringen Kapitalbeteiligung, in einer dauernden Minderheitsposition befindet. Auch wenn seine Mitwirkungsmacht im Einzelfall fast vollständig relativiert sein

172

BGHZ 48, 251, 253 f.

173

BGHZ 71, 53, 58;85, 350, 355 ff. = NJW 1983, 1056; BGH NJW 1985, 972, 973.

174

Vgl. z.B. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 74 ff. m.w.N.; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 714 f.; Leenen in FS Larenz (1983), S. 371, 381 ff. 175

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 94.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

59

kann, bleibt das Stimmrecht an sich unangetastet und wird nicht durch das vereinbarte Mehrheitsprinzip beschränkt. Der Umstand, daß die Einführung des Mehrheitsprinzips das Stimmrecht nicht beschränkt, gilt für alle Arten von Entscheidungen. Es ist, da alle Beschlüsse generell auf der gleichen Basis zustande kommen, unerheblich, über welchen Beschlußgegenstand jeweils abgestimmt wird. Die Einführung des Mehrheitsprinzips hat in allen Personengesellschaften die gleichen Konsequenzen, so daß sich eine Differenzierung zwischen den einzelnen Gesellschaftsformen erübrigt. II. Die Beschränkung der Stimmkraft Die Stimmkraft ist das Gewicht, das einer Einzelstimme bei der Abstimmung zukommt. Unter der Geltung des Einstimmigkeitsprinzips besitzt jede Stimme bei der Auszählung das gleiche Gewicht. Jede Gegenstimme verhindert die Annahme eines Beschlußantrages. Relevanz erhält die Stimmkraft deshalb nur bei Geltung des Mehrheitsprinzips 176. Es gibt verschiedene Parameter zur Bemessung der Stimmkraft. Der Gesetzgeber des BGB und des HGB ist davon ausgegangen, daß den Gesellschaftern wegen der „besonderen Natur" des Verbandes ein großer Gestaltungsspielraum verbleiben sollte 177 . Beispielsweise können sie vereinbaren, die Stimmkraft nach Köpfen zu bemessen. In der Praxis findet diese Regelung die häufigste Anwendung 178 , was u.a. darauf zurückzuführen ist, daß sie nach der Auslegungsregel (im Zweifel) der §§ 709 I I BGB, 119 I I HGB auch dann gilt, wenn der Gesellschaftsvertrag zwar das Mehrheitsprinzip, aber keinen anderweitigen Maßstab für die Bemessung der Stimmkraft vorsieht. Zum anderen besteht die Möglichkeit, die Stimmkraft wie bei den Kapitalgesellschaften je nach vertraglicher Ausgestaltung an den Kapitalanteil oder den Anteil am Gesellschaftsvermögen zu knüpfen. Die Stimme jedes Gesellschafters besitzt dann eine der Höhe seiner Beteiligung am Kapital oder am Gesellschaftsvermögen entsprechendes Gewicht. Eine solche Regelung ist im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässig179. Die Gesellschafter wählen sie insbesondere dann, wenn die Hafteinlagen oder die Anteile am Gesellschaftsvermögen unterschiedlich hoch ausfallen. Die größte Stimmkraft kommt dann demjenigen Gesellschafter zu, der die höchste kapitalmäßige Beteiligung hält. Die Regelung 176

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 116.

177

Motive in: Mugdan I, S. 411.

178

Vgl. Sudhoff, Der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaften, II J 3., S. 226 ff.

179 Allg.M., vgl. z.B. Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 10; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119, Anm. 2 C.

60

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

findet sich umso häufiger, desto weitgehender die Gesellschaft kapitalistisch strukturiert ist, insbesondere bei Publikumsgesellschaften. Auch im Konzern wird sie eher der Regelfall als die Ausnahme sein. In der Praxis bildeten sich für den Fall der Abstimmung nach kapitalmäßiger Beteiligung verschiedene Varianten heraus, ζ. B. die Anknüpfung des Stimmrechts an eine Mindestbeteiligung180. Die Stimmkraft der Gesellschafter, welche die erforderliche Beteiligungshöhe nicht erreichen, ist dann gleich null. Diese Regelung stößt, jedenfalls für die Geschäftsführung, auf keinerlei rechtliche Bedenken. Schon das Gesetz sieht vor, daß Gesellschafter von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden können, so daß sie infolgedessen für diesen Bereich kein Mitspracherecht besitzen. Inwieweit eine Stimmkraftbeschränkung auf Null infolge einer Mindestbeteiligung auch für weitergehende Gesellschafterbeschlüsse zulässig ist, wird unten im 3. Teil untersucht. Es ist auch statthaft, die Stimmkraft nach oben hin zu begrenzen. Der Gesellschafts vertrag kann z.B. bestimmen, daß sich die Stimmkraft zwar nach Kapitalanteilen bemißt (1 Stimme je 10.000 DM), aber keinem Gesellschafter mehr als 4 Stimmen zustehen, unabhängig davon, daß er bei einer 40.000 D M übersteigenden Beteiligung rechnerisch mehr Stimmen besäße. Ein derartiges Höchststimmrecht mediatisiert die Gesellschafterrechte und wirkt der Ausübung von übermäßiger Mehrheitsmacht entgegen. Die im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Bemessung der Stimmkraft nach Kapitalanteilen kann - unabhängig von einer Höchstgrenze - entweder linear oder gestaffelt an die Höhe der Beteiligung gekoppelt werden. Die Stimmkraft steigt im letztgenannten Fall ab einer bestimmten Größenordnung nur noch in einem geringeren Maße, um eine zu starke Konzentration zu vermeiden 181. Des weiteren ist - gewissermaßen als Kehrseite des Höchststimmrechts - die Einführung eines Mehrfachstimmrechtes zulässig182. Das diesbezüglich für die AG in § 12 I I AktG ausgesprochene Verbot gilt für die Personengesellschaften nicht 183 . Ein solches Mehrfachstimmrecht kann einem besonders leistungsstarken Gesellschafter verliehen werden 184 , aber auch den Zweck haben, aus bestimmten Gründen einen krassen Unterschied in der Höhe der Kapitalanteile auszugleichen. Für besonders wichtige Abstimmungen ist auch ein noch differenzierterer Modus vorstellbar, z.B. eine Kombination von Abstimmung nach Köpfen und 180

Ausführlich Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 125 ff.

181

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 117.

182

BGHZ 20, 363, 370.

183

A. Hueck, OHG, S. 176.

184

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 10.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

61

Kapitalanteilen 185 , so daß jeder Gesellschafter unabhängig von seiner Beteiligung noch eine volle Stimme dazu erhält. Als weitere Parameter zur Bestimmung der Stimmkraft kommen die Absatzhöhe des Einzelnen oder die Menge der Warenerzeugung 186 infrage. Die Geltung des Prinzips der Vertragsfreiheit läßt den Gesellschaftern hier einen großen Spielraum. Gleichwohl ist die Stimmkraftbestimmung den Gesellschaftern von personenrechtlichen Verbänden nicht völlig freigestellt. Vielmehr sind auch hier Grenzen zu beachten187, wie unten noch ausführlich dargelegt werden wird. Es dürfte z.B. unzulässig sein, die Stimmkraftbemessung einem Gesellschaftsorgan oder einem Beirat zu überlassen 188. Die Gesellschafter sind vielmehr gehalten, im voraus für bestimmte Gruppen von Abstimmungen einen Modus zur Berechnung der Stimmkraft festzulegen. Die aufgezeigten Varianten der Stimmkraftbemessung führen zu unterschiedlichen Auswirkungen auf das Stimmrecht des Einzelnen. Ob sich die Variante beschränkend oder erweiternd auf das Stimmrecht auswirkt, ist für die Personengesellschaften von der gesetzlichen Regelung ausgehend zu beurteilen. Danach bemißt sich die Stimmkraft bei Geltung des Mehrheitsprinzips im Zweifel nach Köpfen. Steht dem Gesellschafter unter der jeweiligen Spielart eine geringere Stimmkraft zu als es bei einer Bemessung nach Köpfen der Fall wäre, bedeutet das eine Beschränkung des Stimmrechts, weil er mit seiner Stimme weniger bewirken kann, als er bei einer Abstimmung nach Köpfen könnte. Verstärkt sich dagegen unter der jeweiligen Variante, gemessen an der Stimmkraft nach Köpfen, seine Abstimmungsmacht, liegt eine Erweiterung der Stimmkraft vor. Die Koppelung des Stimmrechts an eine Mindestbeteiligung und die Einführung eines Höchststimmrechtes beschränken demzufolge das Stimmrecht des Betroffenen. Dies wird besonders daran deutlich, daß der unterhalb der Mindestbeteiligung liegende Gesellschafter von den meisten Beschlüssen ausgeschlossen ist. Eine nichtlineare Stimmkraftzumessung beschneidet die Stimmkraft des Betroffenen ebenfalls. Ein Mehrfachstimmrecht erhöht die Stimmkraft des bevorzugten Gesellschafters. Die Kehrseite besteht in einer Verringerung der Stimmkraft der übrigen, so daß für sie eine Beschränkung des Stimmrechts eintritt.

185

A. Hueck, OHG, S. 176.

186

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 118.

187

Anders aber Zöllner, S. 121, der - allerdings ohne weitere Begründung - die Möglichkeit einer völlig freien Gestaltung vertritt. 188

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 206.

62

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Zusammenfassend zeigt sich, daß eine Verringerung der Stimmkraft das Stimmrecht des Einzelnen sowie die Erhöhung der Stimmkraft eines Mitgesellschafters das Stimmrecht der übrigen beschränkt. III. Der gegenständliche Umfang In den gesetzlichen Vorschriften für die GbR und die OHG findet sich keine gegenständliche Beschränkung des Stimrechts, sondern es steht dem Gesellschafter für den gesamten Umfang der anstehenden Entscheidungen zu. Eine gegenständliche Beschränkung sieht das Gesetz nur bei der KG vor, da die Kommanditisten von der Geschäftsführung grundsätzlich ausgeschlossen sind 189 . Im Gesellschaftsvertrag kann jedoch vereinbart werden, daß Beschlüsse über bestimmte Maßnahmen nur von einem Teil der Gesellschafter zu treffen sind, mit der Folge, daß die anderen an ihrer Fassung nicht mitwirken dürfen. Ein denkbares Kriterium für eine derartige Begrenzung des Stimmrechtes ist die Arbeitsteilung innerhalb der Geschäftsführung bei Einführung einer funktionalen Gliederung 190 . Die Produktion, der Vertrieb, die Verwaltung oder die Planung wird dann einem oder mehreren Gesellschaftern ausschließlich zugewiesen191. Ein solches Ressortprinzip bedeutet im Zweifelsfalle die Allein Verantwortlichkeit des betreffenden Ressortleiters. Die anderen Geschäftsführer besitzen dann regelmäßig kein Widerspruchsrecht. Gehen einzelne Geschäfte über das Ressort hinaus, darf der Ressortleiter nicht alleine über seine Vornahme entscheiden, sondern er ist gehalten, einen Beschluß aller Geschäftsführer herbeizuführen. Das gleiche gilt für bedeutendere Vorhaben, wenn das Ressortprinzip lediglich für einfache oder laufende Vorgänge vereinbart wurde 192 . Die Arbeitsteilung innerhalb der Geschäftsführung kommt nicht nur auf der funktionalen, sondern auch auf der lokalen Ebene vor, z.B. nach Gebieten oder Bundesländern. Insbesondere wenn mehrere Niederlassungen bestehen, ist es möglich, einzelnen Geschäftsführern jeweils eine Niederlassung zu unterstellen. Es erscheint auch denkbar, die Aufteilung der Geschäftsführung auf einer zeitlichen Ebene zu treffen 193 . Dies könnte z.B. bei einem stark saisonabhängigen Unternehmen - z.B. in der Touristikbranche - zweckmäßig sein, in dem bestimmte Gesellschafter während der Saison besonders intensiv belastet sind. Nach Ablauf der Saison besteht für die Gesellschafter die Möglichkeit, die Arbeitsverteilung zugunsten der während der Stoßzeit besonders belasteten Mit189

§ 164 S. 1, 1. HS HGB.

190

Ausführlich Schwamberger, BB 1963, 279 ff.

191

Weitere Möglichkeiten bei Sudhoff., Der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaften,

S. 550 ff. 192

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 17.

193

So wohl auch Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 20.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

63

glieder zu wechseln, um einer ungleichmäßigen Arbeitsbelastung vorzubeugen. Wird eine zeitliche Aufteilung der Geschäftsführung vereinbart, ist der jeweilige Geschäftsführer für diese Zeit entweder insgesamt oder für einen bestimmten Bereich der Geschäftsführung ausschließlich zuständig, mit der Folge, daß die anderen für diese Zeitspanne für den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb vom Stimm- und Widerspruchsrecht ausgeschlossen sind. Den gegenständlichen Umfang des Stimmrechts berührt ferner die Übertragung bestimmter Beschlußgegenstände auf einen Gesellschafterausschuß. Dieser Ausschuß - auch Beirat, Verwaltungsrat, Gesellschafterrat, Aufsichtsrat, Familienrat genannt194 - nimmt bei den Personengesellschaften eine Sonderstellung ein, da das Gesetz ihn nicht vorsieht. Zwei Arten von Beiräten gilt es zu unterscheiden. Bei der ersten Variante handelt es sich um Beiräte, die ausschließlich mit Gesellschaftern besetzt sind. Bei der zweiten Variante können auch Nicht-Gesellschafter beteiligt werden. Wenn Dritte in einem Beirat vertreten sind, gelten besondere Zulässigkeitsschranken. Das Prinzip der Selbstorganschaft verbietet die Übertragung von Geschäftsführungskompetenzen an einen für Dritte zugänglichen Beirat 195 . Dagegen dürfen bestimmte Geschäftsführungsmaßnahmen von dessen Zustimmung abhängig gemacht werden. Der Beirat stellt im Zweifel ein eigenständiges „Gesellschaftsorgan" 196 dar, welches mit recht unterschiedlichen Funktionen ausgestattet sein kann 197 . Diese sind nicht nur auf Schlichtung198, Beratung und Empfehlung gerichtet. Vielmehr können die Gesellschafter - ähnlich wie bei der arbeitsteiligen Geschäftsführung - bestimmte Aufgaben, Einzelentscheidungen oder Gruppen von Einzelentscheidungen im Wege der Zuständigkeitsverteilung an die-ses „Organ" abgeben. Die Möglichkeit der Delegation von Gesellschafterrechten beschränkt sich aber nicht auf Mitsprache- oder Weisungsrechte hinsichtlich der Geschäftsführung, sondern umfaßt sogar Beschlußfassungen über bestimmte Grundlagenentscheidungen, Geschäftsführerbestellung und -abberufung, Feststellung des Jahresabschlusses und Gewinnverwendung, Bestellung von Abschlußprüfern sowie Erteilung der Zustimmung zu außergewöhnlichen Geschäften und

194

Vgl. Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 51, FN 92.

195

Allg.M., z.B. Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 55; Kötter, HGB, § 125 Rdn. 2; Wiedemann in FS Schilling (1973), S. 105, 109 ff. 196 Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 114, Anm. 2 G; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 20, Organqualität hat der Beirat nur, wenn ihm eine solche durch den Gesellschaftsvertrag oder Beschluß verliehen wurde. Möglich ist aber auch eine bloße Beratungsfunktion, vgl. Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 53. 197 Ausführlich Voormann, Die Stellung des Beirats im Gesellschaftsrecht, §§ 1-8; Hölters, Der Beirat der GmbH und GmbH & Co KG, S. 3. 198

Vgl. BGHZ 43, 261, 263 f. = NJW 1965, 1378; BGH NJW 1977, 2223.

64

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

zur Bestellung von Prokuristen (§ 116 I I und I I I HGB) 1 9 9 . Die Übertragung ist jedoch schon im Hinblick auf den Grundsatz der Verbandssouveränität 200 und den Individualschutz nicht unbeschränkt zulässig201. Es gelten insoweit die allgemeinen Regeln der Vertragsgestaltungsfreiheit und die speziellen der Einschränkbarkeit der Gesellschafterrechte. Die Zuweisung von Kompetenzen an einen Beirat ist deshalb nicht statthaft, soweit sie den Kernbereich der Mitwirkungsrechte der Gesellschafter betrifft. Diese Rechte dürfen den Gesellschaftern nicht dadurch entzogen werden, daß die Entscheidung über derartige Angelegenheiten von der Gesellschafterversammlung auf den Beirat verlagert wird 2 0 2 . Wie weit sich die Gesellschafter ihrer Mitwirkungsrechte bei Nicht-Geschäftsführungsangelegenheiten begeben können, wird sehr unterschiedlich beurteilt. Die verschiedenen Auffassungen hängen mit dem Verständnis vom Wesen und der Typologie der Personengesellschaft zusammen203. Eine weitere Vertiefung des Problems würde an dieser Stelle zu weit führen und das Thema der Darstellung verlassen. Für den Einfluß auf das Stimmrecht ist weniger erheblich, ob die Beeinträchtigung von Mitgesellschaftern oder externen Dritten im Beirat ausgeht. Beiden Varianten ist gemeinsam, daß einem zusätzlichen Organ Aufgabengebiete der Gesellschafter zur Entscheidung zugewiesen werden. Wenn das der Fall ist - der Beirat also nicht nur Schlichtungs-, Beratungs- und Empfehlungsfunktionen ausübt - werden den dort nicht repräsentierten Gesellschaftern die nunmehr vom Beirat zu treffenden Entscheidungen entzogen. Nicht zu Unrecht spricht man deshalb von einem „Stimmrechtsausschluß durch Zuständigkeitsverlagerung 204". Je weitreichender die Rechte des Ausschusses sind, z.B. Kompetenz zu Grundlagenentscheidungen, desto einschneidender ist die Stimmrechtsbeschränkung des dort nicht vertretenen Gesellschafters.

199 Vgl. näher zu den unterschiedlichen Arten und Funktionen z.B. Voormann, Die Stellung des Beirates im Gesellschaftsrecht, in den §§ 1 - 8; Hölters, Der Beirat der GmbH & Co KG, S. 3; Hennerkes/Binz/May, DB 1987, 469 ff.; Hüffer, ZGR 1980, 320 ff.; Wiedemann in FS Schilling, (1973), S. 105, 111 ff.

200 Yg| z g Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, S. 189 ff.; Teubner, ZGR 1986, 565, 567 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 370 f. 201

Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 54.

202

Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 54.

203

Vgl. nur bei Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 55. Problematisch ist wegen der Verbandssouveränität vor allem die Einräumung der Kompetenz zur Änderung des Gesellschaftsvertrages. Zurecht für einen engen Bereich der Übertragbarkeit: z.B. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 332 f.; ihm folgend Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 31. Für eine weitergehende Möglichkeit der Übertragung von Rechten z.B. Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14 VII, S. 239 f.; wohl auch Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 8. 204

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 7 II 1, S. 370 f.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

65

Eine weitere Mediatisierung der Mitbestimmungsrechte bedeutet die Einführung einer Repräsentativverfassung 205 oder einer Vertreterklausel 206. Die Erscheinungsformen sind unterschiedlich. Sie reichen von der Vertretung eines Familienstammes durch nur eines seiner Mitglieder 207 bis hin zur Zusammenfassung der Meinungen der Erben oder der Kommanditisten in einem der eigentlichen Abstimmung vorausgehenden Vorentscheid 208. Das Stimmrecht der Gruppe muß dann regelmäßig einheitlich ausgeübt werden, was bei großen Gesellschaften und Splittergruppen durchaus praktikabel sein kann 209 . Gemeinsam ist allen Formen der Repräsentativverfassung aber, daß die betroffenen Gesellschafter ihren Einfluß nur noch in der „Untergruppe" auszuüben vermögen 210. Eine Konsequenz für das Stimmrecht an sich folgt daraus nicht, da es vollständig in der Hand des einzelnen Gesellschafters bleibt 211 . Der Verlust an Teilnahme- bzw. Mitgestaltungsrechten ist aber unübersehbar, denn ebenso wie die Einführung eines Beirates enthalten auch die Vertreterklausel und die Repräsentativverfassung erhebliche Fremdbestimmungselemente. IV. Persönliche Voraussetzungen als Begrenzung des Stimmrechts Die Ausübung des Stimmrechtes kann auch an das Vorhandensein bestimmter persönlicher Voraussetzungen geknüpft werden. Eine solche Möglichkeit ergibt sich zwar nicht aus dem Gesetz, kann aber durch den Gesellschaftsvertrag eingeführt werden. Die Zulässigkeit folgt aus einem argumentum a maiore ad minus. Wenn es zulässig ist, das Stimmrecht insgesamt weitgehend auszuschließen, darf es erst recht an bestimmte Bedingungen oder auch an das Nichtvorhandensein bestimmter Tatsachen geknüpft werden 212 . Die Anknüpfung des Stimmrechts an persönliche Voraussetzungen findet sich in der Praxis besonders häufig bei minderjährigen Gesellschaftern. Die persönlichen Voraussetzungen können verschiedener Art sein. In einigen Fällen wird das Mitwirkungsrecht zwecks Sicherstellung einer qualifizierten Führungsnachfolge von einer bestimmten Ausbildung, einem technischen oder kaufmännischen Studium oder dem Bestehen einer bestimmten Prüfung abhängig gemacht. Gleichfalls kann es an das Erreichen einer bestimmten Altersstufe, z.B. der Volljährigkeit angelehnt werden. Als Beispiele für den Verlust des Stimmrechts beim Eintritt bestimmter Tatsachen lassen sich das 205

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 7 II 1; S. 371 f.

206

Vgl. BGHZ 46, 291, 294 f., unter Bezugnahme auf die Vertragsfreiheit.

207 208

So in BGHZ 20, 363. Vgl. Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 15 ff.

209

BGHZ 46, 291, 293, 295, 297.

210

So zutreffend Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 7 II 1, S. 371.

211

BGHZ 46, 291, 294 f.

212

So auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 130

5 Lockowandt

66

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Erreichen einer Altersobergrenze, die Scheidung von einem Mitgesellschafter oder der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit oder einer beruflichen Erlaubnis, z.B. der Aprobation anführen. Weiter kommen die Stellung als Erbe oder als Gesellschafter in einem Konkurrenzunternehmen in Frage. Da diese Fälle jedoch schwerpunktmäßig den Bereich des Interessenkonflikts betreffen, werden sie unten 213 gesondert behandelt. Die Gesellschafter haben allerdings nicht das Recht, das Stimmrecht an jede beliebige persönliche Voraussetzung knüpfen. Sie müssen vielmehr die Verbote der Willkür und der Ungleichbehandlung beachten. Der Kernbereich der Gesellschafterrechte darf auch hier nicht angetastet werden. Insbesondere in den Fällen der Minderjährigkeit muß das Stimmrecht zumindest in diesbezüglichen Angelegenheiten durch einen Vertreter ausgeübt werden dürfen. Ist das Stimmrecht an persönliche Voraussetzungen geknüpft, spricht die Literatur auch von seinem „Ruhen" 214 . Im Gegensatz zum Stimmrechtsausschluß, der regelmäßig an einen bestimmten Beschlußgegenstand anknüpft, ist das Stimmrecht im Falle des Ruhens nicht generell ausgeschlossen, sondern latent vorhanden. Der „Ausschluß" besteht nur für die Zeitspanne, in der die persönliche Voraussetzung vorliegt bzw. nicht vorhanden ist. Gesetzliche Fälle des Ruhens des Stimmrechts finden sich nur im Kapitalgesellschaftsrecht. Der bedeutendste ist das Ruhen des Stimmrechts der eigenen Aktien einer Aktiengesellschaft (§ 71 b AktG) 2 1 5 . V. Die Schrankenfunktion von Stimmbindungsverträgen Als Stimmrechtsbindungsvertrag, auch Stimmrechtsbindung, Stimmvertrag, Stimmrechtsvereinbarung oder Abstimmungsvertrag genannt, wird der Vertrag über die Art und Weise der Ausübung des mitgliedschaftlichen Stimmrechts in einem privatrechtlichen Verband bezeichnet216. Der Stimmbindungsvertrag besteht in der schuldrechtlichen Verpflichtung eines Gesellschafters einem oder mehreren Mitgesellschaftern oder gesellschaftsexternen Dritten, nicht aber der Gesellschaft 217 gegenüber, in einem bestimmten Sinne zu stimmen oder nicht zu

213 214

Siehe unten, C, IX, 5.) -7.), S. 77 ff. Terminologie von Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 128 ff.

2,5 Weitere Beispiele für die Kapitalgesellschaften bei Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 129. 216 Overrath, Die Stimmrechtsbindung, S. 1; A. Hueck in FS Nipperdey (1965), S. 401 m.w.N. zur älteren Literatur; H. Lübbert, Abstimmungsvereinbarungen in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG-Staaten, der Schweiz und Großbritanniens, S. 87. 217

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 406.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

67

stimmen 218 . Die Möglichkeit, derartige Verträge abzuschließen, beruht auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit, welcher für die Regelung des Innenverhältnisses der Personengesellschaft maßgeblich ist 219 . Nachdem die Rechtsprechung 220 zunächst entgegen der Auffassung in der Literatur 221 sehr zurückhaltend war, ist nun die Zulässigkeit von Stimmbindungsverträgen allgemein, auch für Personengesellschaften, anerkannt 222. Bemerkenswerterweise lassen die französische und die italienische Rechtsordnung eine Beschränkung der Abstimmungsfreiheit der Gesellschafter durch Stimmbindungsverträge nicht zu 223 . Die Erscheinungsformen eines derartigen Vertrages sind vielfältig 224 . Beispielsweise kann sich ein Gesellschafter verpflichten, auf Weisung eines Mitgesellschafters oder Dritten seine Stimme abzugeben, oder sich zu enthalten. Gelegentlich vereinbaren zwei Gesellschafter, sich gegenseitig für die Wahl zum Geschäftsführer oder zu einem Beirat zu unterstützen. Um ihren Einfluß zu vergrößern, vereinbaren mehrere Gesellschafter, ihre Stimmen stets oder in bestimmten Bereichen zu poolen. Die Art und Weise der Stimmabgabe beruht dabei entweder auf Weisung oder auf vorherigem Mehrheitsbeschluß beruhen. Außerdem kann sich der ausscheidende Senior mittels des sog. Seniorenvorbehalts durch Stimmverträge mit den nachrückenden Kindern Einfluß und Steuerungsmöglichkeiten erhalten 225. Das Stimmrecht eines Gesellschafters wird infolge eines Stimmbindungsvertrages ganz erheblich beeinflußt. Obwohl zu dem Thema Stimmbindung eine Vielzahl von Publikationen erschien 226, befaßte sich die Literatur - soweit ersichtlich - noch nicht mit der Funktion der Stimmbindung als Stimmrechts218 Die Rechtsnatur des Stimmvertrages kann je nach Einzelfall verschieden sein. Infrage kommen Gesellschaftsvertrag (§705 BGB), Auftrag, Geschäftsbesorgung, vertragliche Nebenpflicht (so bei der Grundsatzentscheidung BGHZ 48, 163), vgl. Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 86 ff.; K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 36 f. 219

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401,408.

220

RGZ 57, 205, 208 ablehnend; 69, 134, 137 nur noch einschränkend; zur Entwicklung der Rechtsprechung: R. Fischer in FS Kunze (1969), S. 95 ff. 221 Jordan, Die Strafbarkeit des Stimmenkaufs im Aktienrecht (1897), S. 55 f.; Risse, Die Neuerungen im deutschen Aktienrecht, S. 81; für OHG u. KG: Staub, Komm. z. HGB, 6./7. Aufl. 1900, §317, Anm. 8 m.w.N. 222 Erstmals für die AG: RGZ 107, 67, 70; BGHZ 48, 163; OLG Koblenz ZIP 1986, 503, (einstw. Verf.); Baumbach/Duden/ Hopt, HGB, § 119, Anm. 2 G; Busse, BB 1961, 261; R. Fischer, GmbH-Rdsch. 1953, 65; Fleck in FS R. Fischer (1979), S. 107, 115; Priester in FS Werner, (1984), S. 657; Kiethe, DStR 1993, 609, 611. 223

Vgl. die Nachweise bei Zöllner, ZHR 155 (1991), S. 168, 169 FN 2.

224

Beispiele bei A. Hueck in FS Nipperdey (1965), S 401 f.; Baumann/Reiß, ZGR 1989, S. 157, 183. 225 226

Vgl. A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 413 f.

Vgl. bei K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 35, auch für Personengesellschaften und AG; und Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 26. 5*

68

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

schranke 227. Die Wirksamkeit von Stimmbindungsverträgen findet zwar im Grundsatz einhellige Befürwortung. Über die Grenzen und die Anwendungsbereiche konnte jedoch keinesfalls Einigkeit erzielt werden 228 . Insbesondere die Zulässigkeit der Stimmbindungsvereinbarung eines Personengesellschafters mit einem gesellschaftsexternen Dritten wird kontrovers diskutiert 229 . Dabei geht es um grundsätzliche Probleme wie Drittorganschaft, Verbandssouveränität, Abspaltungsverbot und Selbstentmündigung des Gesellschafters. Die Unklarheiten werden auch nur wenig von der Rechtsprechung erhellt, da die gerichtliche Durchsetzung von Stimmbindungen in der Praxis keine größere Bedeutung erlangt hat 230 . Die Entscheidungen sind spärlich 231 , zumal diejenigen vor der grundlegenden Entscheidung BGHZ 48, 163 (1967) 232 die Anerkennung der Zulässigkeit von Stimmrechts Vereinbarungen erst einleiteten. Der Grund dafür besteht vor allem darin, daß ein Urteil im typischen Konfliktfall, in dem sich die Weigerung des gebundenen Gesellschafters erst kurz vor der Beschlußfassung offenbart 233, viel zu spät käme 234 und außergerichtliche Entscheidungen zur Gewährleistung einer kontinuierlichen Weiterarbeit in der Gesellschaft herbeigeführt werden. Die Auseinandersetzung mit der komplexen Gesamtmaterie - in jüngster Zeit werden vor allem die Möglichkeiten einer einstweiligen Verfügung und ihrer Vollstreckung sowie die Vollstreckung eines Urteils kontrovers diskutiert 235 - würde den Rahmen der Darstellung als Stimm227 Sogar die grundlegende Arbeit über Stimmrechtsschranken von Zöllner (Vorwort) klammert das Thema ausdrücklich aus, da es als viel zu umfangreich den Rahmen gesprengt hätte. 228 Z.B. Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 33; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 Π 4, S. 506 ff.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 18 ff., jeweils m.w.N. 229 Dafür z.B.: A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 416 f.; Schlegelberger/Gessler HGB, § 119, Rdn. 1; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 34; Wiedemann in FS Schilling (1973), S. 105, 114 ff.; Köhler JA 1983, 168, 174; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 5. 227; Busse BB 1961, 261 f., m.E. ist dieser Meinung zu folgen unter der Voraussetzung, daß die Mitgesellschafter zustimmen. Trotz aller - auch dogmatisch berechtigter - Bedenken ist ein offener und berechenbarer Dritteinfluß immer noch besser, als ein niemals auszuschließender versteckter Einfluß mittels immer vorhandener Druckmittel durch Familienoberhäupter, Gläubiger oder Konzernleitung. Dagegen mit ganz erheblichen Gründen: Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, § 14, VI, S. 230 ff., 235; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 24; Priester in FS Werner (1984),S. 657, 667 ff.; Fleck in FS R. Fischer (1979), S. 107, 116; wohl auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 Π 4, S. 508 mit Einschränkungen. 230

Vgl. Zutt, ZHR 155 (1991), S. 190, 191 f.

231

Vgl. die Entwicklung der Rechtsprechung bei R. Fischer in FS Kunze (1969), S. 95, 98 ff.; aus jüngster Zeit OLG Koblenz, NJW 1986, 1692. 232

= GmbH-Rdsch. 1967, 99 m. Anm. Barz; = JR 1967, 459, m. Anm. Mertens; = NJW 1967,

1963. 233

So zurecht auch Zutt, ZHR 155 (1991), S. 190, 192.

234

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 407; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 4, 5. 509 f.; dazu eingehend Zutt, ZHR 155 (1991), S. 190, 192. 235 v. Gerkan, ZGR 1985, 167 ff.; Damm, ZHR 154 (1990), S. 413 ff.; Zöllner, ZHR 155 (1991), S. 168, 185 ff.; Zutt, ZHR 155 (1991), S. 190 ff.; Kiethe, DStR 1993, 609 ff.; Michalski, GmbH-Rdsch. 1993, 164; ders., GmbH-Rdsch. 1991, 12 ff.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

69

rechtsschranke sprengen. Deshalb wird die Schrankenfunktion lediglich anhand der Grundstrukturen untersucht. Stimmbindungsverträge spielen im Recht der Personengesellschaften eine geringere Rolle als im Aktienrecht, weil weniger das abstrakte Kapital, sondern die Persönlichkeit und der Wille des Einzelnen im Vordergrund stehen. Gleichwohl sind sie im Bereich der Familien- und Kommanditgesellschaften 236 sowie in Konsortien 237 recht häufig anzutreffen. Relevanz erhält eine derartige Vereinbarung vor allem unter der Geltung des Mehrheitsprinzips. Abgesehen von für einzelne Abstimmungen vereinbarte Stimmbindungen mit Gesellschaftern, deren Zustimmung für den Beschluß unsicher erscheint, besitzen Stimmbindungsverträge bei Geltung des Einstimmigkeitsprinzips nur eingeschränkten Wert. Sie müßten alle Gesellschafter umfassen, um beschlußverhindernde Gegenstimmen zu vermeiden 238. Hinsichtlich der Auswirkungen muß zunächst einmal zwischen der Wirksamkeit des Stimmbindungsvertrages und derjenigen der daraufhin abgegebenen Stimme differenziert werden. Die Trennung ist wichtig, da die Unwirksamkeit des Stimmbindungsvertrages die Gültigkeit der Stimme nicht berührt, sondern nur im Hinblick auf die Durchsetzung der Weisung oder - wesentlich häufiger - von Ansprüchen auf Schadenersatz relevant wird, gelegentlich auch für die Verwirkung vereinbarter Vertragsstrafen 239. Anerkanntermaßen gelten für Stimmbindungsverträge die allgemeinen Grundsätze über die Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Rechtsgeschäften 240. Die Rechtsfolge der Nichtigkeit trifft folglich eine Abstimmungsvereinbarung, die gegen ein Gesetz (§ 134 BGB) oder, im Hinblick auf eine Knebelung des gebundenen Mitglieds oder eine vorsätzliche Schädigung der Gesellschaft, gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstößt. Auch ein Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) vermag zu einer Nichtigkeit der Verabredung führen 241 . Weiterhin unterliegt der Vertrag im Falle einer arglistigen Täuschung oder rechtswidrigen Drohung (§ 123 BGB) und bei einem erheblichen Irrtum i.S. des § 119 BGB 2 4 2 der Anfechtung.

236

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 408.

237

Zutt, ZHR 155 (1991), S. 213.

238

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 408.

239

Entgegen verbreiteter Annahme hat eine von Zutt in ZHR 155 (1991) S. 213 ff. veröffentlichte Umfrage ergeben, daß Vertragsstrafen in der Praxis relativ selten als Sanktion für den Verstoß gegen Stimmbindungen vereinbart werden; das gleiche hat eine Umfrage von Baumann/Reiß ergeben, ZGR 1989, 157, 185. 240

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 33.

241

Overrath, Die Stimmrechtsbindung, S. 94.

242

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 405 f.

70

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Problematischer erscheint die Weisung. Unwirksam nach § 138 BGB und daher nicht bindend ist eine Weisung im Fall der entgeltlichen Stimmbindung, des Stimmenkaufs 243 oder dann, wenn sich ein Gesellschafter sein Stimmrecht sonst gegen Gewährung etwaiger „SondeΓvoIteile,, abkaufen läßt 244 . Dieser Vorteil muß jedoch außerhalb der durch die Entscheidung selbst veranlaßten Vorteile, z.B. der Stellung als Geschäftsführer 245, liegen 246 . Die Sittenwidrigkeit des Handelns liegt im Bestechungsmoment247. Das gleiche gilt für den Fall der Umgehung eines den Bindenden treffenden Stimmrechtsausschlusses, z.B. bei der Entlastung 248 . Eine weitere Schranke für die Wirksamkeit der Weisung aufgrund einer Stimmrechtsbindung ergibt sich unmittelbar aus der gesellschaftlichen Treuepflicht. Da sogar im Aktienrecht die Stimmrechtsbindung den Aktionär nur im Rahmen von Treu und Glauben bindet 249 , und auch bei der GmbH zurecht mannigfaltige Treubindungen der Gesellschafter bejaht werden 250 , gilt dies erst recht für Personengesellschaften 251. Eine Verpflichtung des Gesellschafters, wider bessere Einsicht gegen das Gesellschaftsinteresse zu stimmen, wäre als Verpflichtung zu treuwidrigem Verhalten sittenwidrig und damit nichtig 252 . Insofern wird die Zulässigkeit der Weisung durch die Treuepflicht immanent begrenzt 253 . Wegen des Einflusses der Treuepflicht ist bei der Weisung zwischen Geschäftsführungs- und Grundlagenangelegenheiten zu differenzieren 254. Im Bereich der Geschäftsführungsbeschlüsse bindet die Treuepflicht den Gesellschafter an das Gesellschaftsinteresse. Dieses muß er trotz der Weisung oder im Rahmen der Weisung stets vorrangig berücksichtigen, was zur Folge hat, daß sich eine wirksame Weisung in den Grenzen des dem Gesellschafter zuste-

243

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 I I 4, S. 507.

244

Für die AG ist es in § 406 ΠΙ, Nr. 6 AktG ausdrücklich als ordnungswidrig normiert, wenn ein Aktionär besondere Vorteile als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen läßt oder annimmt, daß er in der HV nicht oder in einem bestimmten Sinn abstimmt. Für die Personengesellschaften folgt die Nichtigkeit aus § 138 BGB, K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 Π 4, S. 507; für Treuepflichtverstoß bei Einzelweisung, A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 424 f. 245

Immenga, Die Kapitalistische Personalgesellschaft (1970), S. 90.

246

Vgl. z.B. Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 95.

247

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 45.

248

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 34; vergi, auch ders. in GmbH-Rdsch. 1953, 66 f.

249

Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 90 f.

250

Z.B. BGHZ 9,163; 65, 15, 18 f.; 98, 276, 279; Hüffer in FS Steindorff (1990), S. 59 ff.

251

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), S. 401,411.

252

Weitere Beispiele zur Sittenwidrigkeit: K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 44 f.

253

K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 50.

254

Erstmals in dieser Form wohl A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401,410,413.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

71

henden Ermessensspielraums halten muß 255 , innerhalb dessen kein eindeutiger Treuepflichtvertoß vorliegt. Bei den meisten Beschlüssen über Änderungen des Gesellschaftsvertrages und einer Reihe von Beschlüssen über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten verfügt der einzelne Gesellschafter hinsichtlich der Treuepflicht dagegen über einen größeren Spielraum 256. Er darf in Abhängigkeit vom Beschlußgegenstand auch oder sogar ausschließlich seine privaten Interessen verfolgen 257 . Die Grenze der Zulässigkeit der Weisung bildet hier der Kernbereich der Gesellschafterrechte. Schon die pauschale Bindung durch den Vertrag würde zu einer sittenwidrigen Abhängigkeit von der Willkür eines anderen führen 258 . Der Kernbereich ist somit grundsätzlich bindungsfrei 259. Nur für die ad hoc Bindung 260 hinsichtlich eines Einzelbeschlusses ergibt sich ein anderes Bild. Hier ist eine wirksame Stimmrechtsbindung im Zusammenhang mit Beschlüssen, die den Kernbereich betreffen, ausnahmsweise denkbar, da die sich auf einen konkreten Beschluß beziehende Vereinbarung als vorweggenommenes Einverständnis des Gebundenen mit dem Beschlußinhalt zu werten ist 261 . Die aufgezeigten Nichtigkeitsschranken gelten sowohl für Verträge mit einem Gesellschafter als auch grundsätzlich für solche mit einem externen Dritten 262 , soweit man diese zuläßt 263 . Auch im Verhältnis zu ihm sind die Stimmbindungsverträge nichtig, wenn sie gegen die Treuepflicht, § 242 BGB oder die §§ 134, 138 BGB verstoßen 264. Der gebundene Gesellschafter wird aber im Rahmen der Treuepflicht die erteilte Weisung noch sorgfältiger überprüfen müssen, da der Dritte im Gegensatz zum Mitgesellschafter nicht der gesellschaftlichen Treuepflicht unterliegt 265 . Problematisch ist allerdings, daß der Dritte für seine Weisung als Entscheidungsgrundlage Informationen und ggf. die Kenntnis von Betriebsgeheimnissen 255

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 4, S. 509.

256

Vgl. Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 235 ff.

257

Zöllner, ZHR 155 (1991), S. 168, 182.

258

Vgl. BGHZ 20, 363, 369 f.

259

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 23.

260

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 4, S. 509.

261

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 23.

262

Das weist A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 416 ff. ausführlich nach.

263

Äußerst umstritten, vgl. oben, S. 44 FN 306; da die zu untersuchende Schrankenfunktion einer Stimmrechtsvereinbarung gegenüber einem Dritten nicht von derjenigen gegenüber einem Mitglied abweicht, kann diese Frage hier offenbleiben. 264 Einschränkend zurecht Zöllner, ZHR 155 (1991), S. 168, 178, der eine Komplementarität von Wirksamkeit der Stimmbindung und Treuepflichtverstoß für den Ausnahmefall verneint, daß sich ein Gesellschafter gegenüber einem Dritten in einer Einzelfallbindung zu treuwidriger Stimmabgabe verpflichtet. 2

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 4

f.

72

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

benötigt, die eigentlich streng intern sind 266 . Die den Dritten betreffenden Problematiken der Drittorganschaft, des Abspaltungsverbotes und der Verbandsautonomie sind aber in erster Linie grundsätzlicher Natur und berühren weniger die hier behandelte Schrankenproblematik. Ist ein Stimmbindungsvertrag nichtig, entfällt für den Gesellschafter die schuldrechtliche Bindung, in einer bestimmten Art und Weise zu stimmen. Eine Abstimmung entgegen der Vereinbarung löst also weder eine Schadensersatzforderung aus, noch vermag sie eine wegen des regelmäßig schwierigen Schadensnachweises vereinbarte Vertragsstrafe zu begründen 267. Die Gültigkeit der Stimmabgabe wird durch den nichtigen Vertrag nicht berührt 268 . Erst wenn die Stimmabgabe ihrerseits gegen Gesetz, gute Sitten, oder die gesellschaftliche Treuepflicht verstößt, ist sie unbeachtlich, d.h. wirkungslos 269 . Nunmehr gilt es, die Schrankenfunktion von Stimmbindungsverträgen zu bestimmen. Als Ausgangspunkt ist zugrundezulegen, daß ihnen nur schuldrechtliche Wirkung zukommt und der Gesellschafter die Möglichkeit zur abweichenden Stimmabgabe besitzt. Der Umstand, daß die entgegen der Weisung abgegebene Stimme wirksam ist - sofern nicht aus den allgemeinen Schranken eine Nichtigkeit folgt - läßt vordergründig den Eindruck entstehen, einer Stimmrechtsvereinbarung käme eine Schrankenfunktion nicht zu. Eine nähere Betrachtung ergibt indes, daß dies aus zwei Gründen nicht der Fall ist. Zum einen sind Ansprüche aus Stimm Verträgen, wie die meisten anderen schuldrechtlichen Ansprüche, einklagbar 270 und durchsetztbar 271, was seit BGHZ 48, 163 der herrschenden Meinung entspricht. Zum anderen drohen dem gebundenen Gesellschafter, sofern er von der erteilten Weisung abweicht, Schadensersatzansprüche oder Vertragsstrafen. Diese Sanktionsmöglichkeiten können den Gesellschafter bei der Abstimmung ganz empfindlich in seiner Entscheidungsfreiheit beeinflussen, weshalb man sagen kann, daß von der Sanktion eine präventive Kraft ausgeht, die in Erfüllungsrichtung wirkt 272 . Aus diesem 266

A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 420 f.

267

Vgl. K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 60 f.

268

Allg.M., vgl. Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 111.

269

Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 34; A. Hueck in FS Nipperdey (1965), 401, 405.

270

I.d.R. Leistungsklage, vgl. K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 55.

271

§ 894 ZPO; seit BGHZ 48, 163 = NJW 1967, 1963; vgl. nur die Nachweise bei Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 26; in jüngster Zeit mehren sich aber die Stimmen, die auch eine Vollstreckung über § 888 ZPO zulassen wollen, vgl. z.B. Zutt, ZHR 155 (1991) S. 190, 196 ff. m.w.N.; dies dürfte vor allem auf die Vollstreckung von Stimmbindungen zutreffen, deren Weisung noch konkretisiert werden muß, weil sie z.B. von der Beschlußfassung eines Konsortiums abhängig ist. 272

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 4, S. 509 f.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

73

Grunde ist es gerechtfertigt, den Stimmbindungsverträgen grundsätzlich eine Schrankenfunktion zuzuerkennen. Die Möglichkeit der klageweisen Durchsetzung der Stimmbindung besteht in der Rechtswirklichkeit jedoch nur in eingeschränktem Maße. Der Leistungsanspruch aus dem Stimmbindungsvertrag ist unmöglich geworden 273, wenn die Abstimmung bereits stattgefunden und Außenwirkung entfaltet hat. Nur in den Fällen mangelnder Außenwirkung ist der Beschluß aufhebbar und wiederholbar. Der Grundsatzentscheidung des BGH 2 7 4 über die grundsätzliche Klagbarkeit und Vollstreckbarkeit von Abstimmungsvereinbarungen lag insofern ein untypischer Sachverhalt zugrunde. Die Klägerin wollte die Fassung eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses erstreiten, der für die wirksame (Rück)Abtretung der von ihrem an der GmbH beteiligten Ehemann treuhänderisch für sie gehaltenen Geschäftsanteile erforderlich war. Der Sachverhalt ließ also ausnahmsweise eine spätere gerichtliche Entscheidung zu, da der Beschluß keinen Vollzug nach sich zog, seine Aufhebung mangels Außenwirkung noch möglich war, und weil der Beklagte aufgrund seiner Mehrheitsbeteiligung zur Herbeiführung eines erneuten Beschlusses rechtlich und tatsächlich in der Lage war. Zu einer erneuten Beschlußfassung müßten nämlich alle Mitglieder gemeinsam verurteilt werden, was meist schon deshalb nicht infrage kommen wird, weil sie weder Partei des Stimmbindungsvertrages 275 noch Prozeßpartei sind. Eine Einstweilige Verfügung mit dem Ziel, die Beschlußfassung zu verschieben, ist rechtlich nicht zulässig. Dazu müßte der Stimmbindungsvertrag alle Gesellschafter umfassen 276. Das Gericht entscheidet nur inter partes. Regelmäßig sind aber nicht alle Mitglieder schuldrechtlich gebunden. Eine auf eine bestimmte Stimmabgabe oder eine Enthaltung gerichtete Einstweilige Verfügung ist ebenfalls unzulässig, da sie das Ergebnis des Prozesses in vollem Umfang und in nicht rückgängig zu machender Weise vorwegnähme277.

273

Zöllner, ZHR 155 (1991), S. 168, 175 ff.

274

BGHZ 48, 163 ff.

275

Vgl. dazu Zutt, ZHR 155 (1991) S. 190, 196.

276

A.A. offenbar Kiethe, DStR 1993, 609, 612, allerdings ohne nähere Begründung.

277

Erman, AG 1959, 267, 303; Overrath, Stimmbindungsverträge, S. 140 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 27; Lübbert, S. 194; Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 117; a.M. v. Gerkan, ZGR 1985, 167 ff.; Damm, ZHR 154 (1990), S. 413 ff.; Zutt, ZHR 155 (1991), S. 190, 199 f.; die abweichende Auffassung ist insofern bedenklich, als sie aus der Tatsache, daß im Ausnahmefall eine Leistungsverfügung nach § 940 ZPO zulässig ist, die grundsätzliche Zulässigkeit der Vorwegnahme der Hauptsache schließt. Soweit z.B. Zutt auf die zulässige Vorwegnahme in den Fällen der §§ 1615 ο BGB, 85 I PatG, 20 GebrMG und 25 UWG verweist, ist anzumerken, daß sie sämtlich ein öffentliches Interesse zur Vorraussetzung haben oder implizieren.

74

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Die Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung einer Stimmvereinbarung besteht aus diesen Gründen häufig nicht. Die weitaus meisten Fälle eines Verstoßes gegen die aufgrund eines Stimmvertrages erteilte Weisung ziehen deshalb lediglich die auch zu einem späteren Zeitpunkt noch möglichen Sanktionen der Geltendmachung von Vertragsstrafen oder Schadensersatzansprüchen nach sich. Vertragsstrafe und Schadensersatz wirken aber nicht unmittelbar, sondern durch ihre präventive Kraft nur mittelbar auf die weisungswidrig abgegebene Stimme ein. Insofern ist es gerechtfertigt, Stimmbindungsverträge nicht als unmittelbare, sondern als mittelbare Stimmrechtsschranken zu bezeichnen. Dies zieht die Frage nach sich, ob Stimmverträge als starre oder bewegliche Schranken einzuordnen sind. Dabei fällt auf, daß der für eine bewegliche Schranke typische Bewertungsspielraum 278 fehlt. Soweit nämlich Vertrag und Weisung wirksam sind, führt die Vereinbarung aufgrund der Sanktionierbarkeit abweichenden Verhaltens stets zur Errichtung einer mittelbaren Stimmrechtsschranke. Sind dagegen Vertrag oder Weisung unwirksam, besteht die Schranke nicht. Der wirksame Stimmbindungsvertrag ist deshalb als „mittelbare starre Schranke" des Stimmrechts zu bezeichnen. VI. Der Einfluß der Treuepflicht/Treu und Glauben Wie jedes schuldrechtliche Verhältnis wird auch das Gesellschaftsverhältnis durch den Grundsatz von Treu und Glauben beherrscht. Besonders ausgeprägt gilt er in der Personengesellschaft. Die regelmäßig eher kleine Anzahl der Gesellschafter bringt eine enge persönliche Beziehung mit sich, die zu einer Arbeits-, Interessen-, Vermögens- und Haftungsgemeinschaft der Gesellschafter führt 279 . „Treue" bedeutet nach seinem Wortsinn eine auf Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruhende äußere Haltung gegenüber einem anderen, „Glauben" das Vertrauen auf eine solche Haltung 280 . Auswirkungen hat die Treuepflicht aber nicht nur auf das Verhalten der Gesellschafter sowie bestimmte Maßnahmen, sondern insbesondere auch auf die ihnen vorausgehenden Beschlüsse. Das Stimmrecht des Gesellschafters wird in vielfältiger Weise von der Treuepflicht beeinflußt, die als bewegliche Stimmrechtsschranke die Bewertung der Umstände des Einzelfalls erlaubt. Den unterschiedlichen Funktionen der Stimmrechtsschranke der Treuepflicht liegt als gemeinsamer Gedanke zugrunde, daß die durch die Stimmrechtsausübung eingeräumte Macht, in fremde Interessen einzugreifen, unter dem imma-

278

Zöllner, Die Schranken der mitgliedschaftlichen Stimmrechtsmacht, S. 287 ff.

279

A. Hueck, OHG, S. 110.

280

Palandt/Heinrichs BGB, § 242, Rdn. 3.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

75

nenten Einfluß der Rücksichtnahmepflicht steht 281 . Dies kam bereits deutlich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts 282 zum Ausdruck, nach der sich: „aus der Befugnis, im Wege des Mehrheitsbeschlusses zugleich auch für die Minderheiten zu beschließen und damit unmittelbar über deren in der Gesellschaft gebundene Vermögensrechte zu verfügen, ohne weiteres die gesellschaftliche Pflicht der Mehrheit ergibt, im Rahmen des Gesamtintere$ses auch den berechtigten Belangen der Minderheit Berücksichtigung angedeihen zu lassen und deren Rechte nicht über Gebühr zu verkürzen." Die Treuepflicht stellt sich daher als ein bedeutendes Instrument des Minderheitenschutzes und insoweit als Korrelat zu Macht und Verantwortung dar. Der oder die Mehrheitsgesellschafter sollen ihre Stimmrechtsmacht nicht für eigene Zwecke nützen dürfen, sondern sind an den Vorrang der Gesamthandsinteressen gebunden283. Die Treuepflicht bildet jedoch kein bloßes Instrument des Minderheitenschutzes284. Unter der Geltung des Einstimmigkeitsprinzips gilt die Pflicht zur Rücksichtnahme in gleicher Weise für den Einzelnen im Verhältnis zur Mehrheit. Insbesondere bei Beschlüssen über Geschäftsführungsangelegenheiten darf er sein Widerspruchsrecht nicht entgegen den Interessen der Gesellschaft ausüben285. Das Wesen des Treuegedankens bei der Personengesellschaft beruht darauf, daß der Einzelne seine Privat- und Sonderinteressen denen der Gesellschaft mehr oder weniger stark unterordnen muß, wenn sie mit den Verbandsinteressen kollidieren 286 . Bezogen auf das Stimmrecht führt dies zu Auswirkungen in zweierlei Richtung. Ein Unterordnen unter die Interessen kann einmal zu der Pflicht führen, eine Stimmabgabe in einem für die Gesellschaft nachteiligen Sinne zu unterlassen. Unter diesem Aspekt ist den Kommanditisten versagt, bei schlechter wirtschaftlicher Lage für die vollständige Ausschüttung der gesellschaftsvertraglich zugesicherten Zinsen auf ihre Kapitalanteile oder für eine Vollausschüttung des Jahresüberschusses stimmen, wenn nur dadurch das Unternehmen erhalten wird 2 8 7 . Die Treuepflicht kann sich zum anderen - insbesondere beim Fehlen von Handlungsalternativen - so stark verdichten, daß sie sogar eine positive Handlungspflicht auslöst, nämlich für die der Gesellschaft förderliche Alternative zu stimmen 288 . Beispielsweise kann von den Gesellschaftern einer KG die Zu281

Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, S. 345, 348 ff.

282

RGZ 132, 149, 163.

283

Vgl. BGH NJW 1986, 584, 585.

284

So auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 486.

285

BGH NJW 1971, 1613; 1974, 1555; ZIP 1985, 1134.

286

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 340.

287

BGH NJW 1985, 974 f.

288

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 21 II 3 c, S. 505 f.

76

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Stimmung zu einer Nachfolgeregelung hinsichtlich des betagten Vaters auf den geeigneten Sohn verlangt werden, um den Bestand der Gesellschaft für den Fall des Todes zu sichern und das Vorhandensein eines vertretungsberechtigten Komplementärs zu gewährleisten 289. Das Richterrecht, welches die Treuepflichten konkretisierte, hat im Laufe der Zeit einen Wandel erfahren. Während das Reichsgericht in den dreißiger und vierziger Jahren die Treuepflicht überdehnte 290, wird sie in der moderneren Rechtsprechung des BGH eher an der Realstruktur der Gesellschaft gemessen 291 . Das RG 2 9 2 führte im Jahre 1935 noch aus, daß sich der Gesellschafter „bei allen seinen Maßnahmen als Glied der Gemeinschaft zu fühlen hat, der er angehört, und gehalten ist, die Treuepflicht gegenüber dieser Gemeinschaft zur obersten Richtschnur seines Handelns zu machen". Tatsächlich greift die Treuepflicht aber nur dort regulierend ein, wo sie nicht fiktiv, sondern auch real aus einem Vertrauensverhältnis erwächst. Die Betrachtungsweise ist infolgedessen differenzierter geworden. Während über die Anerkennung einer Treuepflicht Einigkeit besteht293, gehen die Ansichten über ihre dogmatische Grundlage auseinander. Drei verschiedene Ansatzpunkte 294 werden diskutiert. Der erste sieht sie als Verdichtung und Ausprägung von § 242 BGB an 295 , die zweite stützt sie auf die gesellschaftsvertragliche Förderpflicht des § 705 BGB 2 9 6 . Nach der dritten Meinung basiert die Treuepflicht unmittelbar auf dem von gegenseitigem Vertrauen getragenen Gemeinschaftsverhältnis 297. Der Streit ist jedoch unfruchtbar. Die Treuepflicht wirkt vielgestaltig und vielschichtig 298 , weshalb bei der Betrachtung verschiedener Tatbestände unterschiedliche Schwerpunkte in den Vordergrund treten, d.h. im Bereich der Geschäftsführungsangelegenheiten die gesellschaftsvertragliche Förderpflicht aus 289

Angelehnt an BGH NJW 1987, 952,953.

290

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 234 zur Geschichte; vgl. auch Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 31 a. 291

Z.B. BGHZ 71, 53, 59 = NJW 1978, 1382; BGH NJW 1985, 974 f.

292

RGZ 146, 385, 395; 158, 248, 254.

293

Vgl. nur Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 232 ff. m.w.N.

294

Andere Ansätze z.B. bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 581 f.

295

Keßler in Staudinger BGB, 10./11. Aufl., vor § 705, Rdn. 32 ff.; Schultze-v. Lasaulx in Soergel/Siebert BGB, 10. Aufl. § 705, Rdn. 66; Schmiedel, ZHR 134 (1970), 173, 182. 296

Lutter, AcP 180 (1980), S. 84, 102 ff.; Hadding in Soergel/Siebert BGB, 11. Aufl., § 705,

Rdn. 58. 297

Vor allem Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 31 a; wohl auch A. Hueck, OHG,

S. 192. 298 Schon A. Hueck in FS Hübner (1935), S. 72, 89 hat darauf hingewiesen, daß wegen der Komplexität des Stimmrechts keine einheitlichen Grundsätze hinsichtlich einer Treuepflicht gebildet werden können.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

77

§ 705 BGB, bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages das vom gegenseitigen Vertrauen geprägte Gemeinschaftsverhältnis, bei Entscheidungen, die auch private Interessen der Gesellschafter tangieren, der Aspekt von Treu und Glauben 299 . Die Treuepflicht sollte deshalb gerade im Personengesellschaftsrecht eher als komplexe Mitgliedschaftspflicht verstanden werden, die von der realen Struktur der Gesellschaft bestimmt wird 300 . 1. Subjekte der Treuepflicht Als Subjekte der Treuepflicht kommen im wesentlichen drei in Frage: die Gesellschaft, die Gesellschafter in ihrer Eigenschaft als Mitglieder sowie die Gesellschafter in ihrer Eigenschaft als Privatpersonen. Treuepflichten gegenüber gesellschaftsfremden Personen bestehen, weil die Quelle der Pflicht der Gesellschaftsvertrag ist, regelmäßig nicht. a) Die größte Bedeutung entfaltet die Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft 301 . Diese und nicht etwa die Mitgesellschafter steht im Mittelpunkt der Betrachtungen. Die Gesellschafter verpflichten sich nämlich zur Förderung des gemeinsamen Zwecks und zum Betrieb der Gesellschaft als eigenständiger Einheit. Die meisten Beschlüsse betreffen den Gesellschaftszweck unmittelbar oder mittelbar. Dies trifft nicht nur für alle die Geschäftsführung betreffenden Beschlüsse zu, sondern auch auf viele Beschlüsse über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten und sogar zum Teil für Änderungen des Gesellschaftsvertrages 302, vor allem wenn sie notwendig geworden sind, z.B. eine Umwandlung der Rechtsform, die Aufnahme neuer Gesellschafter oder eine Erhöhung der Einlage. b) Die zweite Ausrichtung der Treuepflicht zielt auf die Gesellschafter in ihrer Eigenschaft als Mitglieder 303 . Da die Gesellschafter die Gesellschaft verkörpern, werden sie durch die die Gesellschaft betreffenden Beschlüsse allerdings nicht noch einmal zusätzlich als Mitglieder insgesamt betroffen. Vielmehr bleibt für sie als Subjekt der Treuepflicht nur dort Raum, wo sie als einzelne betroffen werden 304 . Zu denken ist beispielsweise daran, daß die Treuepflicht eine angemessene Erhöhung der Geschäftsführerbezüge gebie-

299 So auch Häuser, Unbestimmte „Maßstäbe" als Begründungselement richterlicher Entscheidungen, S. 176 ff.; ihm folgend M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindung im GmbH-Recht, S. 63 ff., 95 ff. 300 So wohl auch Lutter, AcP 180 (1980), S.84, 102 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 337. 301

Dazu ausführlich Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 344 ff.

302

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 345.

303

Ausführlich Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 349 ff.

304

Vgl. Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 241.

78

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

ten kann 305 . Außerdem greift sie ein, wenn ein Organ willkürlich abberufen oder ein Gesellschafter willkürlich ausgeschlossen werden soll 306 . Weiterhin ist an Beschlüsse im Stadium der Liquidation zu denken und an die Geltendmachung von Übernahmerechten 307. c) Als drittes Subjekt kommt der Mitgesellschafter in seiner Eigenschaft als Privatperson in Betracht. Vom Grundsatz her ist für eine Rücksichtnahme auf private Interessen der Gesellschafter kein Raum 308 . Relativiert wird dieser Grundsatz allerdings dadurch, daß dort Ausnahmen möglich sind, wo Störungen in der Privatsphäre auf den mitgliedschaftlichen Bereich durchschlagen (z.B. Scheidung der Ehe zweier Gesellschafter 309) und dadurch, daß letztlich ein bestehendes Vertrauensverhältnis aufrechterhalten werden muß. Da ohne ein solches in vielen Fällen eine gedeihliche Weiterarbeit nicht mehr gewährleistet ist, gebietet die Treuepflicht im Einzelfall auch Rücksichtnahme auf private Belange, so z.B. bei der Kündigung eines mit einem Gesellschafter bestehenden Mietvertrages 310. Das Vertrauensverhältnis muß aber tatsächlich bestehen, was bei einer Publikums-KG erheblich unwahrscheinlicher ist als bei einer aus drei Personen bestehenden OHG. Entscheidend für das Vorliegen eines solchen Vertrauensverhältnisses ist auch hier die Realstruktur der Gesellschaft 311. Auf Rechtsformunterschiede kommt es nicht an 312 . Nicht jedes beliebige private Interesse kommt dafür infrage, ausnahmsweise eine Treuepflicht auszulösen. Im Vordergrund stehen die Vermögensinteressen, nicht dagegen reine Affektionsinteressen. Weiterhin erfordert der durch einen Beschluß ausgelöste Eingriff in das Privatinteresse das Überschreiten einer gewissen Erheblichkeitsschwelle, die eine bloße Rücksichtnahme aus Nettigkeit und Höflichkeit von der Verdichtung zu einer Treuepflicht abgrenzt.

305

BGH W M 1978, 1230, 1231 f.

306

Vgl. Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 241.

307

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 241.

308

So zurecht Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 243; im Grundsatz für die Geltung der Treuepflicht auch im Hinblick auf private Interessen der Gesellschafter Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 341, 349. 309 Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 243 mit Hinweis auf BGH NJW 1973, 92 (Ehezerrüttung als Ausschlußgrund). 310

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 341.

311

So vor allem Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 337 ff.; Lutter in AcP 180 (1980), S. 84, 105 ff.; Teubner in AK BGB, § 705, Rdn. 20. 312

So vor allem K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV, 2 d, S. 484 f.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

79

2. Umfang der Treuepflicht Die Beantwortung der Frage nach dem Umfang der Treuepflicht fällt so uneinheitlich aus, wie die Problematik vielseitig ist. Aus diesem Grunde fällt es bereits schwer, eine nach Gesellschaftsformen getrennte Unterscheidung zu treffen. Es kommt entscheidend auf die Struktur der Gesellschaft an, d.h. wie ausgeprägt personalistisch oder kapitalistisch sie sich organisiert. Grundsätzlich spricht zwar viel dafür, daß der Umfang der Treuepflicht in der GbR und der OHG höher ist als in der KG, weil sich letztere wegen der Haftungsbeschränkung am meisten für eine kapitalmäßige Beteiligung anbietet, so z.B. bei Publikumsgesellschaften 313. Handelt es sich bei der Gesellschaft dagegen eine kleine Familien-KG, kann der Umfang der Treuepflichten deutlich über dem einer GbR zwischen 2 Rechtsanwälten oder Ärzten liegen. Die Rechtsform des Verbandes hat also nur indizielle Bedeutung314. Im gegenteiligen Fall könnten die Gesellschafter durch die Beschlußfassung über eine Rechtsformänderung gewissermaßen „die Treuepflicht an der Garderobe abgeben315", zumindest teilweise. Ebensowenig läßt sich der Umfang der Treuepflicht anhand der Stellung des Gesellschafters festlegen. Dem Grundsatz nach besteht die Intensität der Treuepflicht für alle Gesellschafter einer Gesellschaft in gleicher Weise. Es kommt weder darauf an, ob er geschäftsführender oder nichtgeschäftsführender Gesellschafter ist noch darauf, ob er Komplementär oder Kommanditist ist. Ein Unterschied zeigt sich lediglich in der Quantität der Beschlußfassungen 316, weil ein Komplementär bzw. geschäftsführender Gesellschafter an einer größeren Anzahl von Entscheidungen mitwirkt. Der Nichtgeschäftsführende ist jedoch, wenn eine Abstimmung über ein ungewöhnliches Geschäft ansteht, zur gleichen Loyalität verpflichtet. Den Gesellschaftern qualitativ eine unterschiedliche Bindung an die Gesellschaftsinteressen zuzurechnen, ließe sich letztlich auch nicht mit dem Wesen der Personengesellschaft vereinbaren. a) Der Umfang der Treuepflicht bestimmt sich vielmehr nach dem Gegenstand der Abstimmung. Den größten Umfang entfaltet die Treuepflicht bei Geschäftsführungsbeschlüssen. Das Stimmrecht besitzt für diesen Bereich einen uneigennützigen Charakter 317. Seine Ausübung muß sich entsprechend der gesellschaftsvertraglichen Förderungspflicht am Zweck der Gesellschaft orientieren 318 und deshalb in deren Interesse erfolgen. Für die Verfolgung eigener Interessen bleibt nur Raum, soweit dadurch die Gesellschaftsinter313

So auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 339 ff.

3.4

So ausdrücklich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 20 IV 2 d, S. 485.

3.5

Wiedemann in FS Barz (1974), S. 561, 569 f.

316

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 339 f.

317

Siehe oben S. 4 ff.

318

Allg. Meinung, vgl. nur A. Hueck, OHG, S. 192 f.; Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 235.

80

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

essen nicht beeinträchtigt werden 319 . Steht in einer KG zur Abstimmung, ob sie das Grundstück A oder das der Ehefrau des Komplementärs gehörende Grundstück Β anmieten soll, so muß sich der Komplementär unabhängig von der Möglichkeit privater Einnahmen aus Vermietung für das verkehrsund kostengünstigere Grundstück entscheiden. Erst wenn beide Grundstücke für die Gesellschaft gleichermaßen vorteilhaft wären, ist ihm zuzubilligen, auch seine Privatinteressen in seine Überlegungen einfließen zu lassen und für die Anmietung des seiner Ehefrau gehörenden Grundstückes Β zu stimmen. b) Bei den sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten ist hinsichtlich des Umfangs der Treuepflicht zu differenzieren, denn in diesem Bereich steht dem Gesellschafter das Stimmrecht zum Teil als eigennütziges und zum Teil als uneigennütziges Recht 320 zu. Der Umfang der Treuepflicht hängt deshalb vom konkreten Beschlußgegenstand ab. Uneigennützig und damit am Gesellschaftsinteresse orientiert ist das Stimmrecht bei Entscheidungen, die der Geschäftsführung nahestehen, bzw. auf das Wohl der Gesellschaft unmittelbaren Einfluß haben321. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang die Vornahme außergewöhnlicher, nicht durch den Gesellschaftszweck gedeckter Geschäfte sowie die Bestellung und Abberufung der geschäftsführenden Gesellschafter 322. Bei einer diesbezüglichen Abstimmung genießen die Interessen der Gesamthand den Vorrang. Eigennützigen Charakter besitzt das Stimmrecht z.B. beim Gewinnverwendungsbeschluß. Bei dieser Abstimmung ist der Gesellschafter nicht gehalten, seine Interessen denen der Gesellschaft nachzuordnen. Er darf sie vielmehr in den Vordergrund stellen. Der Einfluß der Treuepflicht ist hier nur gering. Die Verbandsinteressen, die mitgliedschaftlichen 323 und u.U. auch die privaten Belange 324 der Mitgesellschafter erfordern nur im Ausnahmefall seine Rücksichtnahme. Er darf sich über diese Interessen aber nicht willkürlich oder unbegründet hinwegsetzen. Dies gilt umso mehr, je einschneidender der Beschluß auf die betroffenen Belange einwirkt 325 .

319

Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 705, Rdn. 60; Keßler in Staudinger BGB, 10./11. Aufl., § 709, Rdn. 24. 320

Zu dieser wichtigen Unterscheidung schon A. Hueck in FS Hübner (1935), S. 72, 81 ff.

321

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 239 m.w.N.

322

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 346.

323

Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 31 b.

324

So vor allem Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 341, 349; wohl auch A. Hueck, OHG, S. 194 f. 325

So ausdrücklich für den Minderheitsschutz BGHZ 80, 69, 74 f. = NJW 1981, 1512.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

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c) Bei Beschlüssen über Änderungen des Gesellschaftsvertrages kommt der Treuepflicht vom Grundsatz her keine Bedeutung326 zu, was darauf zurückzuführen ist, daß sie ihre Wirkungen prinzipiell nur im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsvertrages entfaltet 327. Grundsätzlich ist dem Gesellschafter zunächst erlaubt, seine eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen. Er bewegt sich aber nicht in einem „luftleeren Raum". Vielmehr sind durch den Bestand des gemeinsamen Unternehmens und das durch die Zusammenarbeit aufgebaute Treueverhältnis zu den Mitgesellschaftern Rechtsverhältnisse geschaffen worden, die auch die in diesem Bereich vorrangigen eigenen Interessen des Gesellschafters beeinflussen 328, mit der möglichen Konsequenz, daß er auch bei Beschlüssen über Änderungen des Gesellschaftsvertrages ausnahmsweise den Interessen der Gesellschaft den Vorzug zu geben hat. Beabsichtigt eine Kommanditgesellschaft beispielsweise, ihren Unternehmenssitz zu wechseln, darf der Komplementär nicht aus reiner Bequemlichkeit für den Sitz am eigenen Wohnort stimmen, wenn der Gesellschaft dadurch ein existenzieller Schaden droht, daß diese Stadt in hohem Maße verkehrsungünstig gelegen ist und ihr die notwendige Infrastruktur sowie die Nähe zu Lieferanten und Kunden fehlt. Vielmehr muß er zum Wohle der Gesellschaft für den ihm weniger genehmen, aber günstigeren Standort stimmen. Weiterhin erzwingt die Treuepflicht ein Zurückstellen der privaten Interessen, wenn Vertragsänderungen dringend erforderlich werden, oder der Gesellschafts vertrag unerwartete Lücken zeigt 329 . Haben sich z.B. 3 Gesellschafter die Arbeitsgebiete geteilt, kann für den Fall, daß einem von ihnen aus gesundheitlichen Gründen die Weiterführung seines Ressorts (z.B. Außendienst) unmöglich wird, von den anderen u.U. verlangt werden, daß die Bereiche getauscht oder neu abgesteckt werden. Gerade dieses Beispiel verdeutlicht in besonderem Maße, daß es sich bei der Treuepflicht um eine bewegliche Schranke handelt, deren Eingreifen von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Denn im vorstehenden Beispiel bestünde die Pflicht zur Neuverteilung der Ressorts dann nicht, wenn die drei Gesellschafter Fachleute unterschiedlicher Fachgebiete sind und die Ressortaufteilung als „Geschäftsgrundlage" vereinbart hatten. Deshalb muß zwischen den Interessen der Gesellschaft, denjenigen des widerstrebenden Gesellschafters und denjenigen der übrigen Gesellschafter eine Gesamtabwägung vorgenommen 326 Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 240: „vergleichsweise gering"; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 705, Rdn. 26: „nur ausnahmsweise kann sich aus der Treuepflicht etwas anderes ergeben"; A. Hueck, OHG, S. 175: „im Zweifel zu verneinen". 327 A. Hueck, OHG, S. 195; zu weitgehend aber Kollhosser in FS H. Westermann (1974), S. 275, 277 ff., der Vertragsanpassungen ablehnt. 328

Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 31 c.

329

A. Hueck, OHG, S. 174.

6 Lockowandt

82

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

werden. Die zur Gesellschaft und zu den Gesellschaftern aufgebauten Beziehungen erfordern eine Berücksichtigung der Erhaltung der von den Gesellschaftern gemeinsam geschaffenen erheblichen Werte und die Vermeidung wesentlicher Verluste, welche die anderen Gesellschafter erleiden würden 330 . Ist z.B. der Betrieb einer KG wirtschaftlich sinnlos geworden, kann von einem Gesellschafter die Zustimmung zum Verkauf der Gesellschaft begehrt werden, wenn ein Käufer gefunden ist und er keinen wirtschaftlichen Nachteil erleidet 331 . Umgekehrt ist ein Gesellschaftererbe unter der Voraussetzung, daß er eine dem Liquidationserlös entsprechende Abfindung erhält, verpflichtet, für die Fortsetzung der Gesellschaft zu stimmen, obwohl der Vertrag beim Tod eines Gesellschafters die Beendigung der Gesellschaft vorsieht 332 . Für die vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Interessen sind Kriterien entwickelt worden, welche aus dem öffentlichen Recht übernommen wurden, insbesondere die Grundsätze der Zumutbarkeit, der Erforderlichheit (Wahl des schonendsten Mittels) und der Verhältnismäßigkeit 333. An ihnen hat sich eine verständige Abwägung auszurichten. Während der Grundsatz der Zumutbarkeit gewissermaßen eine „Opfergrenze" des einzelnen für die Berücksichtigung eigener Interessen bildet 334 , richtet sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowohl an die Gesellschaft als auch an einzelne Gesellschafter. Danach muß die Beeinträchtigung der verletzten Interessen in einem angemessenen Verhältnis zu dem erstrebten Ziel stehen. Der Grundsatz der Erforderlichkeit greift vor allem ein, wenn Handlungsalternativen bestehen335. Zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes ist dann das jeweils schonendste Mittel zu wählen. Die dem öffentlichen Recht entlehnten Bewertungskriterien, die sich in Teilbereichen überschneiden, enthalten naturgemäß auch viele Gesichtspunkte des Grundsatzes von Treu und Glauben, da es sich in allen Fällen um den Versuch eines Interessenausgleiches handelt. Zum Umfang der Treuepflicht läßt sich zusammenfassend sagen, daß die Intensität davon abhängt, wie eng der Beschluß am Gesellschaftszweck orientiert ist 336 . Ihr Einfluß ist demnach dort am größten, wo die Beschlüsse die Geschäftsführung betreffen. Geringer ist der Einfluß bei denjenigen sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten, die der Geschäftsführung nahestehen,

330 BGH L M Nr. 8 zu § 105 HGB; Nr. 8 zu § 138 HGB; auch BGH W M 1956, 351, 352; BGHZ 64, 253,258. 331

Nach BGH NJW 1960,434.

332

BGH W M 1986, 68, 69.

333

Allgemeine Grundsätze des Verwaltungsrechts, vgl. z.B. Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, §§ 7 IX, 2 und 12 II, 2 c; als erstes wurden diese Begriffe wohl von Zöllner in die Abwägung übernommen, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 351. 334 335 3

In diesem Zusammenhang wohl erstmalig BGH L M Nr. 8 zu § 105 HGB. BGHZ 44, 40; 64, 257. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 3

f.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

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oder sie mittelbar beeinflussen, z.B. Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer. Nur im Ausnahmefall ist die Treuepflicht bei denjenigen Beschlüssen über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten zu berücksichtigen, welche wenig oder keinen Bezug zur Geschäftsführung besitzen, z.B. denen über die Gewinnverwendung sowie bei Beschlüssen über Änderungen des Gesellschaftsvertrages. Je näher der Beschluß an den Kernbereich der Gesellschafterrechte heranreicht, desto mehr tendiert der Einfluß der Treuepflicht gegen null. Es besteht also ein Einflußgefälle von Geschäftsführungsbeschlüssen bis hin zu Änderungen des Gesellschaftsvertrages hinsichtlich des Kernbereiches der Gesellschaftsrechte. Die Geltung der Stimmrechtsschranke „Treuepflicht" darf gleichwohl nicht überbewertet werden. Den Gesellschaftern steht bei den meisten Entscheidungen ein Ermessensspielraum zu 337 . Die Treuepflicht erfaßt lediglich die krassen Fälle von Machtmißbrauch und Willkür. Vom Idealzustand bis zu dieser Grenze herrscht eine umfangreiche Grauzone. Das Gesellschaftsverhältnis bleibt ein Spannungsfeld der Interessen, das die Gesellschafter selbst bestellen müssen. Zur Veranschaulichung möge folgendes Beispiel dienen: Eine OHG besteht aus 5 Gesellschaftern unterschiedlicher Fachrichtung, Alter und Familienstand. Bei der Abstimmung, ob je Gesellschafter als Gewinn 5.000.- D M oder 20.000.- D M ausgeschüttet werden sollen, kann sich kein Gesellschafter auf die Treuepflicht berufen, auch wenn von der Entscheidung die Geschwindigkeit des Wachstums der Gesellschaft entscheidend abhängt. Vielmehr liegt jede Entscheidung für eine Summe zwischen 5.000.- und 20.000.D M im Rahmen des Ermessensspielraumes des einzelnen Gesellschafters. Der Beschluß fällt in den Bereich derjenigen Beschlüsse über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten, bei denen das Stimmrecht einen eigennützigen Charakter besitzt. Der Gesellschafter darf deshalb seinen Interessen grundsätzlich den Vorrang geben. Nur in denjenigen Ausnahmefällen, in denen sein Verhalten willkürlich oder mißbräuchlich ist (z.B. vorsätzliche Schädigung) und der Gesellschaft infolgedessen ein erheblicher Schaden droht, können ihn die Mitgesellschafter dazu zwingen, im Interesse der Gesellschaft zu stimmen. Den sich auf den Treuepflicht verstoß Berufenden obliegt darüber hinaus im Prozeß die Darlegungs- und Beweislast für das mißbräuchliche Verhalten. Insofern bereitet die Durchsetzung ihres Anspruchs insbesondere in den Fällen Schwierigkeiten, in denen der Mißbrauch nicht ausschließlich nach objektiven Kriterien zu bemessen ist, sondern wie z.B. bei vorsätzlicher Schädigung auch nach subjektiven Kriterien, die regelmäßig nur schwer nachzuweisen sind, was die Geltung der Treuepflicht in der Praxis erheblich einschränken kann. Außerdem tritt das Problem auf, daß der Richter möglichst nicht gestaltend in eine

337

6*

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 346.

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2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Gesellschaft eingreifen 338 und z.B. die Höhe der Gewinnausschüttung festlegen soll. Seine Tätigkeit beschränkt sich auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer konkreten Stimmabgabe. Nur wo eine einzige Alternative besteht, kann er die Verpflichtung zur Abgabe in einem bestimmten Sinn aussprechen. 3. Auswirkungen Da sich der Beschluß als Rechtsgeschäft aus der nach Gesetz oder Gesellschaftsvertrag erforderlichen Anzahl von Stimmabgaben zusammensetzt, ist bei Verstößen gegen die Treuepflicht zu unterscheiden, ob sich der Mangel auf die einzelne Stimmabgabe als Willenserklärung oder den gesamten Beschluß bezieht. Verstößt eine einzelne Stimmabgabe gegen die Treuepflicht, so ist sie nichtig 3 3 9 . Die dem Gesellschafter aufgrund der Mitgliedschaft zustehende Stimmrechtsmacht steht ihm nur im Rahmen der Treuepflicht zu, d.h. sie wird durch die Treuepflicht immanent beschränkt. Eine Überschreitung dieser Schranke ist nicht mehr von der Stimmrechtsmacht gedeckt, so daß die mangelbehaftete Stimmabgabe ohne weiteres unwirksam ist 340 . Die Folgen für den auf ihr basierenden Beschluß hängen davon ab, ob das Einstimmigkeits- oder das Mehrheitsprinzip vereinbart wurde. Unter der Geltung des Einstimmigkeitsprinzips fehlt es im Falle eines vermeintlich zustandegekommenen (positiven) Beschlusses an der Einstimmigkeit, was dazu führt, daß die Nichtigkeit auf den gesamten Beschluß durchschlägt 341. Verhinderte dagegen die pflichtwidrige Stimmabgabe das Fassen eines positiven Beschlusses, ist wie folgt zu differenzieren. Betrifft der Beschluß eine Geschäftsführungsangelegenheit, ist die treuwidrige, auf nicht sachgerechten Gründen 342 beruhende Gegenstimme wie ein pflichtwidrig erhobener Widerspruch gegen eine Geschäftsführungsmaßnahme als unerheblich zu betrachten 343 , so daß der Beschlußantrag gleichwohl als angenommen gilt.

338

BGHZ 44, 40.

339

H.M., BGHZ 88, 320, 329 f.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 31 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 89,94; A. Hueck, OHG, S. 180 f.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 359 f. 340

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 366 m.w.N.

341

Für die GmbH BGHZ 76, 154; 88, 320, 329 f.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 360 ff.; für Personengesellschaften Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 9; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 30; A. Hueck, OHG, S. 181 f. 342 343

A. Hueck, OHG, S. 134 f.

H.M., vgl. Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119, Anm 3 D; A. Hueck, OHG, S. 173, 180; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 48, 53, 94.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

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Betrifft der Beschlußgegenstand eine sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheit oder eine Vertragsänderung, kehrt sich die verneinende Stimmabgabe nicht ohne weiteres zu einer Zustimmung 344 , es sei denn, es käme nur eine einzige Abstimmungsalternative in Frage. In einem solchen Fall kann die Unterlassungspflicht in eine positive Stimmpflicht umschlagen, so daß der Beschluß dann als einstimmig gefaßt anzusehen ist 345 . Liegt diese Voraussetzung - so der Regelfall - nicht vor, sind die übrigen Gesellschafter gehalten, die Zustimmung des treuwidrigen Mitgliedes im Klagewege zu erzwingen. Der Beschluß kann ohne seine Zustimmung, die gem. § 894 ZPO durch das Urteil ersetzt wird, keine Wirkung entfalten 346. Unter der Geltung des Mehrheitsprinzips ist die treuewidrige Stimmabgabe von der Ausnahme des Entstehens einer Stimmpflicht für eine bestimmte Alternative abgesehen - wie eine Enthaltung zu behandeln347. Dies hat zur Folge, daß ein positiver Beschluß unverändert bestehen bleibt, wenn auch ohne die nun fehlende Stimme noch eine Mehrheit besteht. Ergibt sich aber rechnerisch eine Minderheit der zustimmenden Voten oder eine Stimmengleichheit, gilt der Beschlußantrag im nachhinein als abgelehnt. Kam ein positiver Beschluß aufgrund der pflichtwidrigen Stimmabgabe nicht zustande, gilt er jetzt als mit den Stimmen der Minderheit angenommen348. Der Beschluß selbst ist immer nur dann nichtig, wenn sein Inhalt gegen die gesellschaftliche Treuepflicht verstößt. Da sich die Nichtigkeit von Einzelstimmen regelmäßig nur auf das Beschlußergebnis auswirkt, ist das nur der Fall, wenn alle Stimmabgaben nichtig sind 349 . Der Feststellung eines unter Berücksichtigung einer nichtigen Stimmabgabe zustandegekommenen Beschlusses kann von jedem Gesellschafter widersprochen werden. Eine gesonderte Anfechtungsklage ist für die Personengesellschaften weder gesetzlich vorgesehen, noch sind die aktienrechtlichen Grund-

344 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 360 ff.; Ulmer in MüKo BGB, § 709, Rdn. 9; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 30; A. Hueck, OHG, S. 181 f. 345 BGHZ 65, 93, 98; A. Hueck, OHG, S. 173; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 31 ; Emmerich in Heymann HGB; § 119, Rdn. 17 ff.; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 353 ff. 346 Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 32; A. Hueck, OHG, S 173 ff.; Emmerich in Heymann, HGB, § 119, Rdn. 17 ff. 347

A. Hueck, OHG, S. 181; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 93.

348

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrrechtsmacht, S. 359 ff.; A. Hueck, OHG, S. 181 f.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 30. 349 Vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 89; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 373; A. Hueck, OHG, S. 183.

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2. Teil: Schranken des Stimmrechts

sätze entsprechend anzuwenden350. Der Widerspruch ist gegen den Leiter der Abstimmung zu richten bzw. in Ermangelung eines Leiters gegen die übrigen Gesellschafter 351. Die Treuepflicht gebietet aber demjenigen Gesellschafter, der die Wirksamkeit eines getroffenen Beschlusses aufgrund nichtiger Stimmabgaben bestreitet, seinen Widerspruch in angemessener Frist 352 zu erheben, um seinen Mitgesellschaftern über seine Ansicht möglichst bald Klarheit zu verschaffen. Erhebt ein Gesellschafter den Widerspruch nicht in angemessener Frist, obwohl er bei sorgfältiger Prüfung die Nichtigkeit der Stimme hätte erkennen können, so verwirkt er das Recht, sich auf den Mangel berufen zu können 353 . Der Beschluß kann dann nicht mehr erfolgreich angegriffen werden. Ein mangelhafter Beschluß wird im übrigen dadurch geheilt, daß die Gesellschafter ihn trotz Kenntnis des Mangels widerspruchslos praktizieren 354. Da das Personengesellschaftsrecht eine Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen nicht kennt, kann die Nichtigkeit eines Beschlusses im Streitfall nur mit der allgemeinen Feststellungsklage geltend gemacht werden 355 . Eine besondere Frist besteht für sie nicht, es sei denn, der Gesellschaftsvertrag sieht sie im Einzelfall ausdrücklich vor 356 . Gleichwohl muß auch sie in angemessener Frist erhoben werden, wenn der Kläger sich nicht dem Einwand der Verwirkung aussetzen will. Die Klage ist grundsätzlich gegen alle übrigen Gesellschafter zu richten. Sieht der Gesellschaftsvertrag ausnahmsweise vor, daß sie gegen die Gesellschaft zu richten ist, wirkt ein gegen den Verband gerichtetes Urteil aufgrund der gesellschaftsvertraglichen Regelung automatisch auch gegen die übrigen Gesellschafter 357.

350 Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 11; A. Hueck, OHG, S. 184; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 17; a.M. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 365 ff.; ders. in FS Stimpel (1985) S. 217 ff., der den Anwendungsbereich von Anfechtungsklagen auch auf Personengesellschaften ausdehnen will. 351

A. Hueck, OHG, S. 182; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 11.

352

BGH W M 1973, 100, 101; zu eng dagegen A. Hueck, OHG, S. 180, 184: unverzüglich.

353 BGH W M 1973, 100 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 92; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 11. 354

RG Recht 1921, Nr. 72; Schultze v. Lasaulx in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 31.

355

RGZ 122, 266, 269; 151, 321, 329.

356

BGH W M 1983, 1407; W M 1966, 1036; RGZ 151, 321, 329; 122, 266, 269.

357

BGH BB 1966, 1169; BGHZ 85, 350, 353; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 12; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 43; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 95 m.w.N.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

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4. Fallgruppen Ein Versuch der Bildung von Fallgruppen, in denen die Treuepflicht das Stimmrecht des Einzelnen dahingehend beschränkt, daß er verpflichtet ist, eine ihr zuwiderlaufende Stimmabgabe zu unterlassen, ist aufgrund der Verschiedenartigkeit der Fälle und der Relevanz der Einzelfallumstände bislang nicht vorgenommen worden. Gleichwohl lassen sich die meisten Sachverhalte bei näherer Betrachtung in die vier Kategorien einordnen, die auch den Hauptfunktionen des § 242 BGB 3 5 8 entsprechen, wobei anzumerken ist, daß die Grenzen zwischen den Funktionskreisen fließend sind. a) Die zuerst zu nennende Funktion der Treupflicht ist die Konkretisierungsfunktion. Die Treuepflicht regelt in diesem Bereich die Art und Weise der Leistung. Sie präzisiert und konkretisiert die Pflichten der Gesellschafter in Bezug auf den Arbeits- oder Kapitaleinsatz, d.h. das „Wie" ihrer Leistung 359 . Wie in jedem anderen Schuldverhältnis muß diese beispielsweise zur richtigen Zeit und am richtigen Ort erbracht werden. Mit Rücksicht darauf ist z.B. ein Gesellschafter einer stark saisonabhängigen Gesellschaft gehalten, seinen Jahresurlaub nicht in die Hauptsaison zu legen, sondern während dieser Zeitspanne präsent zu sein. b) Die nächste Funktion der Treuepflicht ist die Ergänzungsfunktion. Den Gesellschafter treffen neben seiner Zweckförderungspflicht weitergehende Neben- und Verhaltenspflichten, welche die Hauptpflicht und die Abwicklung des Vertrages sichern, wie z.B. Aufklärungs-, Leistungs-, Treue-, Schutz-, Mitwirkungs- und Auskunftspflichten 360. Der einzelne Gesellschafter muß diejenigen Rechte, die ihm im Interesse der Gesellschaft zustehen, so ausüben, daß die Interessen der Gesellschaft gewahrt werden. Eigennützige Interessen darf er - soweit sie nicht mit dem Interesse der Gesellschaft in Einklang stehen - dabei nicht verfolgen. Insbesondere die Geschäftsführungspflicht wird in diesem Bereich von der Treuepflicht ergänzt 361. Die Ergänzung der Zweckförderungspflicht durch die Treuepflicht verdeutlicht folgendes Beispiel: Die Buchhaltung einer OHG wird von manueller Datenverarbeitung auf EDV umgestellt, um den deutlich zugenommenen Arbeitsanfall rationeller zu bewältigen. Der Gesellschafter, dem nach dem Gesellschaftsvertrag die innere Verwaltung untersteht, kann aufgrund der Treuepflicht verpflichtet sein, sich auf dem Gebiet der EDV weiterzubilden, um damit seiner Zweckförderungsverpflichtung weiterhin in vollem Umfang nachzukommen.

358

Vgl. Palandt/Heinrichs BGB, § 242, Rdn. 13.

359

Palandt/Heinrichs BGB, § 242, Rdn. 22.

360

Palandt/Heinrichs BGB, § 242, Rdn. 23 ff.

361

Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 31 b.

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2. Teil: Schranken des Stimmrechts

c) Die Schrankenfunktion der Treuepflicht im engeren Sinne soll die unzulässige oder mißbräuchliche Ausübung von Rechten verhindern 362, die vor allem dann vorliegt, wenn Stimmabgaben oder Beschlüsse auf sachfremden Erwägungen beruhen, dem Erstreben von Sondervorteilen 363 dienen, die Störung des Gesellschaftslebens aus privaten Gründen bezwecken, oder zur Ausübung von Schikanen dienen. Die Schrankenfunktion beugt dem Machtmißbrauch der Mehrheit ebenso vor wie dem Mißbrauch von Minderheitsrechten. Ist beispielsweise der Mehrheitsgesellschafter einer GmbH & Co KG vertraglich zur Abtretung von Geschäftsanteilen an einen Mitgesellschafter verpflichtet, darf er nicht mit seiner Stimme die nach dem Gesellschaftsvertrag erforderliche Zustimmung verhindern, nur weil er seine Mehrheitsposition nicht aufgeben will 3 6 4 . d) Letztendlich besitzt die Treuepflicht auch eine Korrekturfunktion. Die im Gesellschaftsvertrag vorausgesetzte „Geschäftsgrundlage" kann sich im Laufe der Zeit ändern 365. Obwohl der Gesellschafter bei Beschlüssen über die Änderung des Gesellschaftsvertrages regelmäßig seinen eigenen Interessen den Vorzug geben darf, wird heute von der Praxis in einer Reihe von Fällen anerkannt, daß der Gesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen verpflichtet ist, aufgrund der Treuepflicht einer Änderung des Gesellschaftsvertrages unter Zurückstellung seiner eigenen Interessen zuzustimmen. Die fragliche Änderung muß den Gesellschaftern allerdings (kumulativ) zumutbar und außerdem mit Rücksicht auf das bestehende Gesellschaftsverhältnis, insbesondere zum Zwecke der Erhaltung wesentlicher gemeinsamer Werte oder zur Vermeidung wesentlicher Verluste, dringend erforderlich sein. Der Gesellschafter ist dann möglicherweise verpflichtet, einer geänderten Regelung über die Gewinnverteilung, höheren Geschäftsführerbezügen 366, der Gewinnthesaurierung, dem Verzicht auf gesellschaftsvertraglich zugesicherte Zinsen 367 , der Erhöhung der Beiträge sowie dem Ausscheiden eines Mitgesellschafters oder der Aufnahme eines neuen Gesellschafters zuzustimmen368.

362

Palandt/Heinrichs BGB, § 242, Rdn. 38 ff.

363

Von Flume, Die Juristische Person, § 7 III, S. 213, zurecht als „Todsünde" bei der Stimmrechtsausübung bezeichnet. 364

Vgl. BGHZ 48, 163 ff.

365

Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 242, Rdn. 162.

366

BGH W M 1978, 1230, 1231 f.

367

BGH NJW 1985, 974 f.

368

Vgl. Emmerich in Heymann, HGB, § 119. Rdn. 18 f. m.w.N.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

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VII. Die Bindung an den Gesellschaftszweck Als weitere bewegliche Schranke wird von einigen Autoren 369 die Bindung an den Gesellschaftszweck genannt370. Es bedarf keiner besonderen Betonung, daß Beschlüsse stets den Gesellschaftszweck im Auge haben müssen. Dieses gemeinsam zu verfolgende Ziel 3 7 1 bildet das konstitutive Element jeder Gesellschaft 372 . Er ist weder Eigen- noch Fremdzweck, sondern als überindividueller Zweck der Gesellschaft als Personengemeinschaft zugehörig 373 und muß daher von den Motiven der einzelnen Gesellschafter unterschieden werden 374 . Diese drücken nur die individuellen Interessen am Abschluß des Gesellschaftsvertrages aus und können unterschiedlicher Art sein. Das häufigste Motiv besteht in einer Gewinnerwartung, es kommen aber auch altruistische Motive infrage. Da die Gesellschafter sich aber nur verpflichten, den gemeinsamen Zweck zu fördern, finden die Privatinteressen der Mitgesellschafter bei Beschlüssen ausschließlich im Rahmen der Treuepflicht Berücksichtigung 375. Der Zweck, in dem die Interessen der Mitglieder zusammenlaufen 376, ist dasjenige Element, das den Sonderinteressen der Gesellschafter die gemeinsame Richtung gibt 377 . Der Zweck besteht für die OHG und die KG im Betrieb eines Handelsgewerbes. Der GbR öffnet sich ein wesentlich weiterer Spielraum 378. Bei ihr braucht er nicht auf dem Gebiet der Vermögensinteressen zu liegen, sondern kann ideell sein oder Mischformen aufweisen. So kann sich z.B. ein Orchester zum Zwecke der Förderung barocker Musik als GbR organisieren. Die GbR verlangt keinen dauernden Zweck. Im Gegensatz zu den auf Dauer ausgelegten Handelsgesellschaften wird sie aber aufgelöst (§ 726 BGB), wenn er erreicht oder unmöglich geworden ist.

369 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 318 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 58, er bezeichnet sie - Zöllner offensichtlich mißverstehend - als unbewegliche Schranke, stellt aber richtig auf die begrenzende Funktion des Zweckes ab, vgl. auch K. Schmidt, Verbandszweck und Rechtsfähigkeit im Vereinsrecht (1984), S. 31. 370 Der Gesellschaftszweck spielt in mehreren Problembereichen eine Rolle, z.B. bei der Abgrenzung zum reinen Austauschvertrag oder bei der Bestimmung der Rechtsnatur des Verbandes, vgl. Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 9 a; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 54 f. 371

Schilling in Hachenburg, GmbHG, § 1, Anm. 14.

372

Beierstedt, JuS 1963, 253, 255.

373

Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 38.

374

Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 9; Fikentscher in FS H. Westermann (1974), S. 87, 94 f.; Ballerstedt, JuS 1963, 253, 254 f.; U. Lenz, Personenverbände- Verbandspersonen- Kartellverträge, S. 15 f., 29 ff., 148 ff. 375

Vgl. dazu oben S. 52 f.

376

Rudolf Fischer in Ehrenbergs Handbuch III, I, S. 357.

377

Müller-Erzbach, AcP 154, (1954), S. 299, 316 f.; ders., Mitgliedschaft, S. 58.

378

Vgl. nur Palandt/Heinrichs BGB, § 705, Rdn. 14.

90

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Weiterhin ist der Verbandszweck abzugrenzen vom Unternehmensgegenstand 379 , den regelmäßig der Geschäftsbereich bzw. der Geschäftszweig bildet. Er ist jedoch das wesentliche Element des Gesellschaftszweckes 380. Die deutliche Unterscheidung, die das Kapitalgesellschaftsrecht zwischen Gesellschaftszweck und Unternehmensgegenstand trifft, läßt sich auf das Personengesellschaftsrecht schon wegen des engeren, in § 105 I HGB vorausgesetzten Gesellschaftszwecks (Handelsgewerbe) nicht unmittelbar übertragen 381. Grundsätzliche verbandsbezogene Unterschiede hinsichtlich des Gesellschaftszweckes ergeben sich bei den Personengesellschaften im Hinblick auf das Stimmrecht nicht, so daß im folgenden eine Differenzierung unterbleiben darf. Nunmehr stellt sich die Frage, ob und wieweit die Bindung an den Gesellschaftszweck die Stimmrechtsausübung beeinflußt. Ein zweckwidriger Beschluß verstößt gegen den Gesellschaftsvertrag und ist deshalb nichtig 382 . Teilweise wird vertreten, daß eine objektive Zweckwidrigkeit ausreicht 383, zum Teil wird schuldhaftes 384, vorsätzliches 385 oder willkürliches Außerachtlassen 386 des Gesellschaftszweckes verlangt. Auf jeden Fall wird das Stimmrecht also vom Zweck beeinflußt. Es stellt sich aber die Frage, ob der Zweck eine selbständige Stimmrechtsschranke bildet 387 , oder ob er bereits in anderen beweglichen Schranken hinreichend Berücksichtigung findet. Da sich das Problem der Bindung an den Gesellschaftszweck vor allem bei Beschlüssen über Geschäftsführungsmaßnahmen stellt, differenziert die nachfolgende Untersuchung zwischen diesen und Beschlüssen über Vertragsänderungen bzw. Beschlüssen über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten.

379 H.M., Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 13; Winter in Scholz GmbHG, § 1, Rdn. 2 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 57; Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 21. 380

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 27.

381

Vgl. Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 21, FN 42; enger noch Fischer in Großkomm. HGB, § 105, Rdn. 13. 382 Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 89; Emmerich in Heymann, HGB, § 119, Rdn. 10; letzterer leitet die Rechtsfolge jedoch zu Unrecht aus § 134 BGB ab. 383 Küster, Inhalt und Grenzen der Rechte der Gesellschafter, insbesondere des Stimmrechts im deutschen Gesellschaftsrecht, S. 87 ff. 384

Zöllner: Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 320 f.

385

Eiser, Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Generalversammlungsbeschlüssen bei der eingetragenen Genossenschaft, S. 64 ff. 386

W. Horrwitz, JW 1930, 2637, 2640.

387

So Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 318 ff.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

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1. Geschäftsflihrungsbeschlüsse a) Im Bereich der Geschäftsführung steht den Gesellschaftern das Stimmrecht nur im Rahmen des Gesellschaftszwecks zu. Die Gesellschafter versprechen sich - und beschränken gleichzeitig - ihre Förderungspflicht auf den im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Zweck. Insofern ist der.Stimmrechtsmacht eine Beschränkung auf den vereinbarten Zweck immanent, d.h., diesbezügliche Beschlüsse sind nur wirksam, wenn sie sich im Rahmen des den Zweck konkretisierenden Unternehmensgegenstandes388 halten 389 . Dabei darf nicht verkannt werden, daß sich ggf. auch gegenstandsfremde Geschäfte zweckfördernd auswirken, wenn sie günstige Rückwirkungen auf gegenstandsgemäße Geschäfte entfalten 390. Zu denken ist beispielsweise daran, daß ein Produktionsunternehmen zur Pflege der Geschäftsbeziehung zu einem wichtigen Kunden für diesen gegenstandsfremde Serviceleistungen ausführt. Außerhalb des Kreises dieser „mittelbar zweckfördernden" Geschäfte sind jedoch Beschlüsse über zweckwidrige Geschäfte nichtig, wobei in diesem Zusammenhang nicht die Vertretungsbefugnis, sondern ausschließlich die Zulässigkeit im Innenverhältnis betrachtet wird. Dies gilt insbesondere für Geschäfte, die ausschließlich getätigt werden, weil sie einen hohen Gewinn versprechen 391. Die positive Auswirkung auf die finanzielle Lage der Gesellschaft reicht nicht aus, eine mittelbare Zweckverfolgung zu bejahen, weil anderenfalls jedes branchenfremde, aber lukrative Geschäft als mittelbar zweckfördernd zulässig sein müßte, was einer Umgehung der Zweckbindung Tür und Tor öffnen würde. Zweckfremde Geschäfte sind ausnahmsweise dann zulässig, wenn der betreffende Beschluß gleichzeitig ausdrücklich oder konkludent eine (regelmäßig formlos mögliche) Änderung des Gesellschaftsvertrages enthält. Treffen die Gesellschafter den Beschluß einstimmig, wird der Unternehmensgegenstand einvernehmlich erweitert, mit der Folge, daß die Zweckwidrigkeit entfällt. Eine qualifizierte Mehrheit reicht dazu, selbst wenn sie nach dem Gesellschaftsvertrag für vertragsändernde Beschlüsse vorgesehen ist, nicht aus. Zweckänderungen fallen in den Kernbereich der Gesellschafterrechte, in die nicht ohne die Zustimmung jedes einzelnen Mitgliedes eingegriffen werden darf^.Die Nichtigkeit des zweckwidrigen Beschlusses tritt jedoch stets auch unter dem Gesichtspunkt eines Treuepflichtverstoßes ein, da ein Beschluß, der gegen den vereinbarten Zweck verstößt, die Interessen der Gesellschaft mißachtet, welche im

388

Vgl. Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 21.

389

Zöllner; Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 331 f.

390

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 330.

391

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 329 f.

392

Vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77 f.;Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 7 I 1 b, S. 360 ff.; R. Fischer in FS Barz (1974), S. 33, 43; Immenga, ZGR 1974, 385, 425; Martens, DB 1973, 413, 417 f.

92

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Bereich der Geschäftsführung zuvorderst beachtet werden müssen. Fälle, in denen ein objektiv zweckfremdes Geschäft nicht gegen die Treuepflicht verstoßen würde, sind nicht erkennbar. Der sich auf die Unwirksamkeit des Beschlusses über das zweckfremde Geschäft berufende Gesellschafter kann zwar mit Rücksicht auf seine Treuepflicht ausnahmsweise verpflichtet sein, der erforderlichen Änderung des gesellschaftsvertraglich vereinbarten Zwecks zuzustimmen, nämlich dann, wenn sie ihm zumutbar und außerdem zur Erhaltung wesentlicher gemeinsam geschaffener Werte oder zur Vermeidung wesentlicher Verluste, namentlich eines Konkurses, erforderlich ist 393 . Die Zulässigkeit des objektiv zweckfremden Geschäfts tritt jedoch erst gleichzeitig mit der Beschlußfassung über die Erweiterung des Gesellschaftszwecks ein. Der ursprüngliche Verstoß gegen die Zweckbindung wird in diesem Fall letztlich durch die umfassendere Treuepflicht korrigiert und die Zweckbindung durchbrochen. Daraus folgt, daß die Zweckbindung keine eigene bewegliche Stimmrechtsschranke bildet, sondern nur ein - wenn auch sehr wesentlicher - Bestandteil der gesellschaftlichen Treuepflicht ist 394 . b) Diese Überlegung wird durch ein weiteres Argument verstärkt: Für die Beantwortung der Frage, ob ein Geschäft sich im Rahmen des Unternehmensgegenstandes und damit des Zwecks hält, besteht kein für eine bewegliche Stimmrechtsschranke charakteristischer 395 Wertungsspielraum. Entweder ist das Geschäft unmittelbar bzw. mittelbar zweckfördernd, oder nicht. Es handelt sich nicht um ein Bewertungsproblem, bei dem die Interessen der Gesellschaft und der Gesellschafter in einer Gesamtschau gegeneinander abgewogen werden müßten, sondern um ein - wenn auch im Einzelfall zugegebenermaßen schwieriges - Subsumtionsproblem. Die Schwierigkeit liegt häufig darin begründet, daß die Gesellschafter den Gesellschaftszweck im Vertrag nicht hinreichend präzise genug definiert haben. Auch das Fehlen dieses Bewertungsspielraums spricht dafür, die Zweckbindung nicht als selbständige bewegliche Stimmrechtsschranke anzusehen. Die Treuepflicht ist darüber hinaus als Schranke insofern besser zur Problemlösung geeignet, als sie eine Gesamtabwägung ermöglicht. c) Ein Verstoß gegen die Zweckbindung wird in der Literatur bei Handelsgesellschaften im Bereich von Geschäftsführungsbeschlüssen zwar weiterhin dann für möglich gehalten, wenn nicht oder nicht hinreichend lukrative Geschäfte abgeschlossen werden 396 . Dieser Auffassung liegt zugrunde, daß die Erwerbs- oder Gewinnerzielungsabsicht als weitere wesentliche Kom-

393

BGH L M HGB, § 105, Nr. 8 = BB 1954, 456; NJW 1961, 724; W M 1985, 256, 257.

394

Im Ergebnis, jedoch ohne Begründung, auch Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 42, FN 77.

395

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 287 f.

396

331 ff.

Grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 329,

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

93

ponente des Gesellschaftszwecks angesehen wird 3 9 7 , ohne die das Vorliegen eines Handelsgewerbes zu verneinen sei. Danach soll ein z.B. der Beschluß über einen Vertrag, mit dem sich ein Konzernunternehmen verpflichtet, sämtliche Erzeugnisse zu Selbstkostenpreisen an ein anderes Konzernunternehmen zu liefern, wegen eines Verstoßes gegen die Zweckbindung unwirksam sein, weil für den Verband kein Gewinn erzielt werden soll. Die vorgenannte Ansicht trifft jedoch aus folgenden Gründen nicht zu. Während die früher h.M. 3 9 8 die Gewinnerzielungsabsicht noch als für das Vorliegen eines Gewerbebetriebes unverzichtbar ansah, sieht die heute h.M. 3 9 9 eine entgeltliche Tätigkeit am Markt nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen als ausreichend an. Die Gewinnerzielungsabsicht wird im modernen Unternehmensrecht zurecht als überflüssig angesehen400, weshalb sie im Ergebnis auch kein selbständiger Bestandteil des Gesellschaftszweckes ist. Die Zulässigkeit von Beschlüssen über nicht oder nicht hinreichend lukrative Geschäfte ist deshalb nicht am Gesellschaftszweck, sondern ausschließlich an der gesellschaftlichen Treuepflicht zu messen, welche die Interessen der Gesellschaft im Bereich der Geschäftsführung schützen soll. 2. Änderung des Gesellschaftsvertrages und Beschlüsse über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten Die Bindung an den Gesellschaftszweck besteht naturgemäß nur bei Beschlüssen über Mitgliedschaftsrechte, die dem Gesellschafter im Verbandsinteresse eingeräumt sind 401 . Soweit es sich um eigennützige Rechte, z.B. das Recht auf Gewinn, die Kontrollrechte oder das Recht zur Änderung des Gesellschaftsvertrages 402 handelt, ist der Gesellschafter nicht an die Interessen des Verbandes gebunden. Dementsprechend kann ein Gewinnverwendungsbeschluß oder die Ablehnung eines Kapitalerhöhungsbeschlusses nicht mit Rücksicht auf die Zweckbindung angegriffen werden, denn sie besteht, vor allem außerhalb der Geschäftsführung, nicht absolut, sondern der Gesellschafter kann lediglich

397

Vgl. Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 28 f., 329.

398

BGHZ 53, 222, 223; 66, 48, 49; Capelle/Canaris, Handelsrecht, § 2 I 1; Brüggemann in Großkomm. HGB, § 1 Rdn. 6; Schlegelberger/Hildebrandt/Steckhan, HGB, § 1, Rdn. 24. 399 K. Schmidt, Handelsrecht, § 9, IV d, S. 254 f.; Gierke/Sandrock, Handels- und Wirtschaftsrecht I, § 611 5, S. 114; Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, S. 186; Sack, ZGR 1974, 197; Th. Raiser, Das Unternehmen als Organisation, S. 112; Hopt, ZGR 1987, 145 ff.; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 1, Anm. 1 B; Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 23; ein entscheidender Schritt ist nunmehr auch von der Rechtsprechung getan in BGHZ 95, 155, 157 ff. = NJW 1985, 3063 (Deutsche Bundesbahn als Gewerbebetrieb); vorher schon BGHZ 83, 382, 386 f. = NJW 1982, 1815. 400

So ausdrücklich K. Schmidt, Handelsrecht, § 9 IV d, S. 254 f.

401

So auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 321 f.

402

Vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 161.

94

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

bei Vorliegen besonderer Umstände gehalten sein, die Interessen der Gesellschaft oder der übrigen Gesellschafter zu berücksichtigen. In allen Angelegenheiten, die nicht zur Geschäftsführung gehören, ist die Ausübung des Stimmrechts entweder gar nicht, oder wie z.B. die Geschäftsführerbestellung, die Änderung von „Organbefugnissen" oder der Ausschluß von Mitgliedern, nur mittelbar auf die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks gerichtet 403 . Eine selbständige Stimmrechtsschranke der Bindung an den Gesellschaftszweck im Bereich dieser Beschlüsse erübrigt sich deshalb. Die Schranke der Treuepflicht ist auch bei diesen Beschlüssen geeigneter, aber auch ausreichend, etwaigen Mißbräuchen einzelner Gesell-schafter oder der Mehrheit vorzubeugen. Vili. Der Grundsatz der Gleichbehandlung Das Stimmrecht erfährt eine weitere Einschränkung durch die Bindung an den für alle Personenverbände geltenden404 Gleichbehandlungsgrundsatz 405. Er dient nicht nur als Ordnungsprinzip 406 und als Auslegungsregel 407, sondern er kann die Wirksamkeit von gefaßten Beschlüssen unmittelbar beeinflussen. Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung besagt, daß alle Gesellschafter unter den gleichen Voraussetzungen die gleichen Rechte und Pflichten haben 408 . Negativ gefaßt bedeutet er das Verbot willkürlicher, d.h. sachlich nicht gerechtfertigter Differenzierungen in der Behandlung der Gesellschafter 409. Ein wesentlicher Ausdruck des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist damit das gesellschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot 410. Einen Grundsatz der Gleichberechtigung gibt es demgegenüber nicht 411 , denn die Rechte der Gesellschafter können einen sehr unterschiedlichen Umfang besitzen, der in der Praxis vor allem durch die Höhe der Kapitalbeteiligung und den erbrachten Arbeitseinsatz 412 beeinflußt wird. Da die unterschiedlich ausgeprägte Rechtsstellung der einzelnen Gesellschafter sowohl die Vermögensais auch die Verwaltungsrechte umfaßt, besteht häufig ein erheblicher Unter403

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 321 ff.

404

A. Hueck in FS Heymann II (1931), S. 716 ff.; Kessler in Staudinger BGB, 10./11. Aufl.,vor § 705, Rdn. 40; Schlegelberger/Gessler HGB, § 105, Rdn. 12. 405

Ausdrücklich erwähnt nur in § 53 a AktG.

406

G. Hueck, S. 278 ff.

407

Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 705, Rdn. 66; Keßler in Staudinger BGB, 10./11. Aufl., vor § 705, Rdn. 40. 408

Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 3.

409

BGHZ 33, 175, 186; G. Hueck, S. 179 ff., 182 ff.

410

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 378.

411

A. Hueck, OHG, S. 111 ; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 379.

412

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 254.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

95

schied in der Gewinnbeteiligung, aber auch in den Geschäftsführungsrechten und vor allem in der Stimmkraft 413 . Es ist Sache der Gesellschafter, diesen Unterschieden bei der Vertragsgestaltung Rechnung zu tragen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet dabei keine Anwendung. Der Gleichbehandlungsgrundsatz als einer der zentralen Rechtssätze des Gesellschaftsrechts 414 findet für die Personengesellschaften seinen gesetzlichen Niederschlag in den §§ 706 I, 709, 711, 722 I, 734, 735 BGB sowie den §§ 114 I, 119 II, 121 III, 125 I HGB. Danach haben die Gesellschafter im Zweifel gleiche Beiträge zu leisten und sind an Geschäftsführung, Vertretung (GbR und OHG), Mitbestimmung und Gewinn gleichermaßen beteiligt. Außerhalb der gesetzlichen Normierungen wird der Rechtsgrund der Gleichbehandlung zum Teil als überpositiver, unmittelbar aus der Gerechtigkeitsidee zu entwickelnder Rechtssatz gesehen415. Für den Bereich des Gesellschaftsrechts besteht jedoch überwiegende Einigkeit darüber, daß sich der Gleichbehandlungsgrundsatz unmittelbar auf den Gesellschaftsvertrag zurückführen läßt 416 . Durch ihn haben sich die Gesellschafter auf der Grundlage des Gleichrangs 417 zu einer Interessen-, Arbeits- und Haftungsgemeinschaft zusammengeschlossen. Dieser Gedanke gilt gleichermaßen für die BGB-Gesellschaft und die Handelsgesellschaften, so daß eine diesbezügliche Differenzierung entbehrlich ist. Das Verbot der sachlich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung setzt den Mitgliedern vor allem bei der Gestaltung der Verbandsgeschicke durch Beschluß und damit der Ausübung ihres Stimmrechts Grenzen 418. Dabei kann anders als bei der Treuepflicht - nicht festgestellt werden, daß dem Grundsatz bei einer bestimmten Art von Beschlüssen eine erhöhte Geltung zuerkannt wird, weil der Gesellschafter bei keiner Art von Beschluß mehr oder weniger schutzwürdig ist. 1. Bei Geltung des Einstimmigkeitsprinzips besteht für das Eingreifen des Gleichbehandlungsgrundsatzes praktisch kein Raum 419 , weil ein einstimmiger Beschluß gegen den Willen des Betroffenen nicht gefaßt werden kann. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gilt jedoch weder zwingend noch absolut,

413 BGHZ 20 363, 370: Mehrfachstimmrecht der Komplementäre und Stimmrechtsausschluß der Kommanditisten. 414 Vgl. Raiser, ZHR 111 (1948), S. 75, 81 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 Π 2, S. 427 ff.; Hefermehl/Bungeroth in Gessler/Hefermehl/Eckardt/Kropff AktG, § 53 a, Rdn. 3 ff. 415

Raiser, ZHR 111 (1948), 75, 81 ff., 90.

416

Vgl. A. Hueck, OHG, § 9 III, S. 111; Keßler in Staudinger BGB, vor § 705, Rdn. 59; Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 253. 417

So G. Hueck, S. 128 ff., 153, 169.

418

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 302.

4,9 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 303; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 206; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 42; G. Hueck, S. 305 ff.

96

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

sondern ist dispositiver Natur 420 . Die einzelnen Mitglieder können deshalb im Rahmen der Vertragsfreiheit auf seine Geltung verzichten und einer Ungleichbehandlung zustimmen, indem sie den Beschluß durch ihre Stimme mittragen und damit die erforderliche Einstimmigkeit herstellen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Gesellschaftsvertrag vorsieht, daß Beschlüsse einstimmig von allen in der Gesellschafterversammlung anwesenden Mitgliedern gefaßt werden dürfen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz schützt dann die nicht anwesenden Gesellschafter vor einer Benachteiligung, weil aus der Nichtanwesenheit nicht geschlossen werden kann, daß der Betreffende dieser zustimmt 421 . 2. Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet deshalb vor allem unter der Geltung des Mehrheitsprinzips Anwendung 422 . Er hat dort als Stimmrechtsschranke eine besondere Bedeutung für den Minderheitenschutz, indem er der Vergewaltigung der Minderheit durch die Mehrheit vorbeugt 423 . Der Inhalt des Beschlusses muß so gestaltet werden, daß sich seine Folgen für alle Beteiligten gleich auswirken, d.h., daß alle Gesellschafter nach dem gleichen Maßstab behandelt werden müssen424. Besitzt ein Mehrheitsgesellschafter einen Kapitalanteil von 51%, so kann er, falls daran gesellschaftsvertraglich eine entsprechende Stimmrechtsmacht gekoppelt ist, die Entscheidungen überwiegend allein treffen. Wenn für Beschlüsse über Vertragsänderungen gesellschaftsvertraglich ebenfalls eine einfache Mehrheit ausreicht, könnte er im Ergebnis aufgrund seiner Stimmrechtsmacht auch diese Entscheidungen allein treffen. Es ist offensichtlich, daß die Ausübung seiner legitimen Mehrheitsmacht nicht schrankenlos sein kann. Er muß sich deshalb willkürlicher Ungleichbehandlungen enthalten, indem er sich keine zusätzlichen Leistungen, z.B. Vorzugs- oder Sonderrechte oder verminderte Leistungspflichten, z.B. eine Beitragsherabsetzung verschafft, die nicht sachlich gerechtfertigt sind. Unzulässig wäre ebenfalls, einzelne Gesellschafter ohne sachlichen Grund von der Benutzung von Gesellschaftseinrichtungen auszunehmen, von ihnen unterschiedliche Nutzungsentgelte zu verlangen 425, oder nur einzelnen den Erwerb von Unternehmenserzeugnissen zu besonders günstigen Konditionen zu gestatten. Kein Mitglied muß sich eine Behandlung gefallen lassen, die ihn schlechter als ihm gleichgestellte Gesellschafter stellt 426 . So braucht er weder zu

420

BGHZ 16, 59, 70; BGH W M 1965, 1284, 1286; Fischer in Großkomm. HGB, § 105,

Rdn. 3. 421

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 303.

422

G. Hueck, S. 305 ff.

423

G. Hueck, S. 307 ff., K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 379 f.

424

So ausdrücklich A. Hueck, OHG, § 9 III, S. 111.

425

Vgl. dazu BGH NJW 1960, 2142, 2143; NJW 1954, 953; W M 1972, 931; OLG Saarbrücken NJW 1985, 811. 426

So ausdrücklich A. Hueck, OHG, § 9 III, S. 111.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

97

dulden, daß seine eigenen Rechte geschmälert oder ihm zusätzliche Pflichten auferlegt, noch daß anderen weitergehende Rechte, z.B. Gewinnausschüttungen427 gewährt oder geringere Pflichten auferlegt werden, z.B. eine willkürliche frühere oder verstärkte Inanspruchnahme im Hinblick auf die Einlage oder die Beitragspflichten. 3. Die Überprüfung eines Beschlusses am Maßstab des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgt in zwei Stufen. Zunächst wird verglichen, ob eine Ungleichbehandlung „an sich" 428 vorliegt. Das ist der Fall, wenn ein Beschluß die Gesellschafter objektiv 429 ungleich belastet oder bevorzugt, was im Zweifel durch Auslegung zu ermitteln ist. Geht beispielsweise der Gesellschaftsvertrag aufgrund unterschiedlich hoher Einlagen erkennbar von abgestuften Beteiligungsrechten aus, bemißt sich im Zweifel auch die Gewinnund Verlustverteilung nach diesem Maßstab. Erst wenn die Ungleichbehandlung feststeht, wird der zweite Prüfungsschritt getan, indem in einem wertenden Vorgang überprüft wird, ob für sie ein sachlicher Anknüpfungspunkt besteht oder ob sie willkürlich erfolgte. Nur die tatsächlichen und rechtlichen Verschiedenheiten in der Position der Gesellschafter oder in den zugrundegelegten Sachverhalten dürfen sich in der Ungleichbehandlung widerspiegeln. Ist das nicht der Fall, erfolgt die Differenzierung willkürlich und ist sachlich nicht gerechtfertigt. Besteht dagegen ein sachlicher Grund, schafft er die Legitimation für die Abstufung der Mitgliedschaftsrechte 430. Entfällt der sachliche Grund für die Differenzierung zu einem späteren Zeitpunkt, können benachteiligte Gesellschafter eine Anpassung des Beschlusses an die geänderten Verhältnisse beanspruchen 431. Steht z.B. einem Gesellschafter wegen intensiver Geschäftsführertätigkeit nach dem Vertrag ein besonders hoher Gewinnanteil zu, können die übrigen für den Fall, daß er seinen Pflichten längere Zeit nicht nachkommt, die Herabsetzung seines Gewinnanteils auf einen angemessenen Satz beschließen. Da das Eingreifen des Gleichbehandlungsgrundsatzes für jeden Einzelfall eine Interessenabwägung erfordert, handelt es sich bei diesem Grundsatz um eine bewegliche Stimmrechtsschranke 432.

427

BGH GmbH-Rdsch. 1972, 224, 225.

428

So Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 303.

429

G. Hueck, S. 194 ff.

430

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 255.

431

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 255.

432

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 97, 301 ff.

7 Lockowandt

98

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

4. Beschlüsse, die einzelne Mitglieder willkürlich benachteiligen, sind ohne deren Zustimmung unwirksam, d.h. nichtig 433 . Die Unwirksamkeit eines Beschlusses führt dazu, daß die beschlossenen Pflichten, z.B. Beitragsforderungen, nicht durchgesetzt, die beschlossenen Rechte nicht beansprucht werden können. Die Unwirksamkeit entfaltet jedoch nur gesellschaftsinterne Wirkungen 434 . Soweit die Beschlüsse bereits Außenwirkungen erzeugt haben, bleiben diese grundsätzlich unberührt, es sei denn, die Unwirksamkeit schlägt ausnahmsweise auf die außergesellschaftlichen Rechtsfolgen durch, z.B. bei kollusivem Verhalten. Die Unwirksamkeit führt nicht dazu, daß der benachteiligte Gesellschafter einen Anspruch auf eine bestimmte Behandlung hat. Es ist die Sache der Gesamthand zu entscheiden, auf welche Art und Weise sie dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung tragen will 4 3 5 . Etwas anderes gilt nur, wenn z.B. einzelne Mitglieder willkürlich von einer allen anderen gewährten Vergünstigung ausgeschlossen wurden 436 . Schließlich kann der benachteiligte Gesellschafter gegen die Gesellschaft bzw. die am Verstoß beteiligten Mitglieder einen Anspruch auf Schadensersatz geltend machen, sofern die Benachteiligung zu der kausalen Verursachung eines Schadens bei ihm geführt hat 437 . 5. a) Während die Stärke des Gleichbehandlungsgrundsatzes darin besteht, daß er eine objektive Bestimmbarkeit der Ungleichbehandlung zuläßt, führt die Interessenabwägung zur Feststellung der willkürlichen Differenzierung zu einer unleugbaren Schwäche438. Die für einen einzelnen Gesellschafter nachteilige Ungleichbehandlung läuft dem Gebot dann nicht zuwider, wenn sie im Hinblick auf das Vorhandensein tatsächlicher oder rechtlicher Verschiedenheit zwischen den Beteiligten und unter Berücksichtigung ihrer für das gesamte Rechtsverhältnis

433 BGHZ 20, 363, 369; Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 3; Emmerich in Heymann HGB, § 109, Rdn. 16; Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 261; G. Hueck, S. 319; Hadding in Soergel/Siebert, BGB, § 709, Rdn. 43; a.M. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 365 ff., 381; ders. in FS Stimpel (1985) S. 217 ff., der den Anwendungsbereich von Anfechtungsklagen auch auf Personengesellschaften ausdehnen will. 434

Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 3; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 705,

Rdn. 67. 435

OLG Karlsruhe ZIP 1983, 445, 446; G. Hueck, S. 304; Winter, ZHR 148 (1984), 579,

597 ff. 436 In dieser Richtung BGH NJW 1960, 2142; BGH W M 1972, 931; OLG Karlsruhe, ZIP 1983, 445, 446; OLG Saarbrücken, NJW 1985, 811; vgl. auch Winter, ZHR 148 (1984), 579, 600; G. Hueck, S. 302 ff. 437

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 261 ; Emmerich in Heymann HGB, § 109, Rdn. 16.

438

So zurecht K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 380 f.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

99

zukommenden Bedeutung (noch) gerechtfertigt ist 439 . Der Gleichbehandlungsgrundsatz greift also nur dort ein, wo die Abwägung ergibt, daß die Ungleichbehandlung eindeutig nicht gerechtfertigt ist. Zwischen der offensichtlichen Rechtfertigung und der eindeutig nicht mehr gegebenen sachlichen Rechtfertigung besteht deshalb eine Grauzone, innerhalb derer für die Mitgesellschafter ein nicht unerheblicher Ermessensspielraum besteht440. Ergibt sich z.B. für eine OHG, bei der alle drei Gesellschafter gleichermaßen die Geschäftsführung wahrnehmen, ein erweitertes Betätigungsfeld, läßt sich, falls die neuen Aufgaben die Gesellschafter infolge einer Ressortaufteilung ungleichmäßig belasten, nicht mit Sicherheit bestimmen, wann ein eindeutiger Verstoß gegen den Grundsatz der gleichmäßigen Erbringung der gesellschaftlichen Förderpflichten vorliegt. Innerhalb des Ermessensspielraums greift die Schranke der Gleichbehandlung nicht. Soweit zwar eine Ungleichbehandlung, aber noch kein eindeutiger Verstoß gegen den Grundsatz zu bejahen ist, verbleibt lediglich die Möglichkeit, einen Ausgleich mit Hilfe der Treuepflicht zu schaffen. Diese berücksichtigt nicht nur das Verhältnis der Gesellschafter untereinander, sondern auch ihr jeweiliges Verhältnis zur Gesellschaft sowie das Verhältnis der Gesellschafter untereinander in ihrer Eigenschaft als Privatperson. b) Der Grundsatz versagt seiner objektiven Natur wegen weiterhin bei Beschlüssen, die zwar objektiv keine Ungleichbehandlung erzeugen, aber gleichwohl einzelne Gesellschafter faktisch benachteiligen441. Beschließen die finanzstarken Mehrheitsgesellschafter eine Kapitalerhöhung zu einem Zeitpunkt, zu dem den Minderheitsgesellschaftern erkennbar die liquiden Mittel zu einer Teilnahme an dieser fehlen, nützt es ihnen nichts, daß sie das theoretische Recht besitzen, sich an ihr gleichmäßig zu beteiligen 442 . Sie können die Kapitalerhöhung jedenfalls nicht unter Berufung auf den Grundsatz der Gleichbehandlung verhindern, auch wenn sich aufgrund dessen die Vermögens- und damit ggf. auch die Mitwirkungsrechte zu ihrem Nachteil verschieben. Darüber hinaus greift der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht, wenn zwar sachliche Gründe für eine Ungleichbehandlung vorliegen, sie aber gleichwohl mißbräuchliche Zwecke verfolgt. In beiden Fällen ermöglicht allein der Rückgriff auf die Treuepflicht, einem Mißbrauch entgegenzutreten.

439

G. Hueck, S. 183.

440

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 304.

441

G. Hueck, S. 194 f.

442

BGH W M 1974, 1151, 1153.

100

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

c) Der Gleichbehandlungsgrundsatz tritt hinter das Prinzip der Vertragsfreiheit zurück 443 . Er darf bei Zustimmung des Betroffenen sogar bei gesellschaftsvertragsändernden Beschlüssen außer acht gelassen werden 444 . Wird bereits im Gesellschaftsvertrag für Vertragsänderungen die Geltung des Mehrheitsprinzips vereinbart, kann die Mehrheitsklausel im Einzelfall sogar ein Abweichen vom Gleichbehandlungsgrundsatz decken 445 , wenn sie die erforderliche Bestimmtheit erfüllt und der Beschluß nicht in den Kernbereich der Gesellschafterrechte eingreift. So ist z.B. bei einer Familien-OHG denkbar, daß die Zulassung zur Teilnahme an einer Kapitalerhöhung in das Ermessen des Familienoberhauptes und Unternehmensgründers gestellt wird. Die übrigen Gesellschafter haben insofern bereits vertraglich in eine spätere Ungleichbehandlung eingewilligt. Auch hier könnte die Korrektur eines Beschlusses, der einzelne Mitglieder mißbräuchlich benachteiligt, nur mit Hilfe der Treuepflicht erfolgen. d) Der Geltungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes erstreckt sich ausschließlich auf innergesellschaftliche Maßnahmen446. Beschließt beispielsweise eine OHG den Ankauf eines gebrauchten Fahrzeuges, so darf die Entscheidung für einen bestimmten PKW durchaus auf sachfremden Erwägungen (z.B. Farbe) basieren, wenn (zufällig auch) zwei Gesellschafter je ein Fahrzeug angeboten hatten, weil sie der Gesellschaft in diesem Fall wie unbeteiligte Dritte gegenüberstehen447. Eine andere Beurteilung ist nur dann veranlaßt, wenn der Beschluß konkret an die Gesellschafterstellung anknüpft 448 , wenn also z.B. beschlossen wird, bestimmte Produkte auf jeden Fall bei Gesellschaftern einzukaufen. Bieten zwei Mitglieder unter dieser Voraussetzung gleichwertige Produkte, z.B. Rohstoffe, zu vergleichbaren Preisen an, können sie mit Rücksicht auf die Gleichbehandlung u.U. sogar eine Teilung des Auftrages verlangen 449. e)Der Grundsatz versagt weiterhin, wo die Mehrheit die Benachteiligung ihrer Interessen ebenfalls auf sich nimmt, sie aber relativ gesehen weniger belastet wird, weil sie die Benachteiligung leichter verkraften kann. Beschließen z.B. finanzkräftige Mehrheitsgesellschafter kraft ihrer Stimmrechtsmacht zwei Jahre hintereinander, keine Gewinne auszuschütten, sondern sie zu thesaurieren, sind auch sie von der 443

G. Hueck, S. 250 ff.

444

So wohl Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77.

445

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 256.

446

G. Hueck, S. 287 ff.

447

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 305.

448

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 305 f.

449

In dieser Richtung BGHZ 16, 59, 70 (Liefer- und Bezugsquoten im Kartell).

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

101

Benachteiligung betroffen. Selbst wenn die Thesaurierung den Zweck verfolgt, die Minderheitsgesellschafter zum Ausscheiden zu veranlassen, wären die Gewinnverwendungsbeschlüsse nicht wegen eines Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz unwirksam. In ähnlicher Weise tritt die Problematik in einem Konzern auf, wenn an einzelnen Gesellschaften außenstehende Minderheitsgesellschafter beteiligt sind. Der mit den Stimmen der Obergesellschaft getroffene Beschluß, bei einer abhängigen Beteiligungsgesellschaft einen florierenden Produktionszweig stillzulegen, um diese Aktivität auf eine hundertprozentige Konzerngesellschaft zu verlagern, trifft die Gesellschafter der Beteiligungsgesellschaft zwar gleichmäßig. Die Benachteiligung der Obergesellschaft fällt hingegen relativ geringer aus, weil die Ertragssituation ihrer hundertprozentigen Tochtergesellschaft verbessert wird. Der Schutz der Minderheitsgesellschafter durch den Gleichbehandlungsgrundsatz versagt, weil er lediglich eine relative Wirkung entfaltet 450 . In beiden Beispielsfällen könnten die Beschlüsse nur unter Berufung auf den Grundsatz der Treuepflicht angegriffen werden. IX. Stimmrechtsausschluß bei Interessenkollisionen als allgemeines Prinzip? Nachdem bisher die Fälle des Stimmrechtsausschlusses aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder deren analoger Anwendung sowie aufgrund der beweglichen Schranken dargestellt wurden, drängt sich die Frage nach Gemeinsamkeiten auf. Dabei ist festzustellen, daß regelmäßig Interessenkollisionen den auslösenden Faktor für Begrenzungen bilden. Sowohl der Ausschluß des Stimmrechts aus dem Gesichtspunkt des Richters in eigener Sache, z.B. bei der Entlastung oder der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis als auch der Ausschluß beim Abschluß eines Rechtsgeschäfts als auch die Beschränkung des Stimmrechts durch die Treuepflicht oder den Gleichbehandlungsgrundsatz basieren im wesentlichen auf dem Vorliegen einer Interessenkollision. Es kollidieren die Interessen der Gesellschaft bzw. der übrigen Gesellschafter mit dem Privat- oder Gesellschafterinteresse des Einzelnen. Das führt unwillkürlich zu der Überlegung, ob das Stimmrecht eines Gesellschafters nicht für alle weiteren oder zumindest bestimmte Gruppen von Interessenkollisionen ausgeschlossen sein sollte. Diese Frage ist schon sehr früh diskutiert worden 451 , die Diskussion hat aber bis heute nicht zu einer eindeutigen Klärung geführt. Ein Teil der Autoren vertritt die Meinung, das Stimmrecht müsse bei jeder Interessenkollision ausgeschlossen sein 452 , ein anderer Teil, daß eine Einschränkung über die bisher

450

So zurecht Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 304.

451

Vgl. Herzfelder, Stimmrecht und Interessenkollision, S. 41, 43 ff. mit Nachweisen zur älteren Literatur. 452 Früher: Wieland, Handelsrecht I, S. 578, FN 4; Plank-Knoke BGB, § 709, Anm. 3; ähnlich wohl auch RG LZ 1907, 738 Nr. 3; ähnlich O.v. Gierke, Genossenschaftstheorie, S. 568, FN 2 für

102

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

aufgeführten Fälle hinaus grundsätzlich nicht infrage komme 453 . Dazwischen liegt eine Meinung, die den Stimmrechtsausschluß jeweils an der Treuepflicht messen will, da das Stimmrecht - wie sich im Wege der Auslegung i.S. des § 157 BGB ergebe - grundsätzlich zum Wohle der Gesellschaft verliehen sei 454 . Sowohl die Vertreter der Meinung, nach der das Stimmrecht bei allen Interessenkollisionen ausgeschlossen ist als auch der Meinung, daß der Stimmrechtsausschluß an der Treuepflicht zu messen sei, wollen die mißbräuchliche Ausübung des Stimmrechts verhindern, zu der die Einwirkung von Sonderinteressen des betroffenen Gesellschafters führen kann. Während die treuepflichtbezogene Auffassung jedoch zumindest bestimmte Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Interessenkollision fordert 455 , läßt die andere das Stimmrecht schon bei der abstrakten Gefahr einer Interessenkollision entfallen 456 , um jedem möglichen Einfluß von Sondervorteilen vorzubeugen. Die zuletzt genannte Auffassung wird darüber hinaus mit einer erhöhten Praktikabilität begründet 457. Es bedarf nach ihr keiner Einzelfallprüfung, ob konkrete Anhaltspunkte für eine Interessenkollision vorliegen, sondern das Stimmrecht des möglicherweise beeinflußten Gesellschafters soll für die fragliche Abstimmung ohne weiteres entfallen. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, bleibt das Stimmrecht dem Gesellschafter richtigerweise auch bei Vorliegen einer Interessenkollision erhalten. Zur Vermeidung von Mißbräuchen dient die bewegliche Schranke der Bindung an die Treuepflicht 458 . Es ist nicht notwendig, das Stimmrecht schon wegen einer ab-

den Widerspruch; aber auch später noch: Heymann-Kötter HGB, § 119, Anm. 2; Palandt/Thomas BGB (45. Aufl. 1986), Vorbem. § 709, Anm. 5 c; Esser, Schuldrecht, S. 281 f.; besonders ausführlich Engfer, Der Ausschluß des organschaftlichen Stimmrechts bei Interessenkollision, S. 112 f. 453 BGHZ 18, 205, 210; A. Hueck in FS Heymann II (1931), S. 700, 705; G. Hueck, Gesellschaftsrecht, § 25 V 3, S. 230; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119 Anm. 1 D; im Ergebnis wohl auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 101; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; wohl auch Schlegelberger/Gessler HGB, § 119, Rdn. 3; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 61; sehr eingehend Stadie, Stimmrechtsausschluß wegen Interessenkollision bei Personengesellschaften, S. 44 ff. 454 Herzfelder, Stimmrecht und Interessenkollision, S. 41, 43 ff., 49 f.; Flechtheim bei Düringer-Hachenburg, § 119, Anm. 2; Jüdel, Gesellschafterbeschlüsse bei Personalgesellschaften, S. 66; die Meinungen gehen überwiegend auf Hachenburg zurück, LZ 1907, 460 ff. und GmbHG, § 47, Anm. 21-25. Er wandte den Gedanken der unzulässigen Rechtsausübung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben erstmals auf das Stimmrecht an, allerdings mehr unter dem Gesichtspunkt der Vertragsauslegung nach § 157 BGB. 455

Vgl. z.B. Herzfelder, S. 49.

456

Vgl. Engfer, S. 111 ff.

457

Vgl. Engfer, S. 113 ff.

458

So auch die heute wohl als herrschend anzusehende Lehre; BGHZ 18, 205, 210; A. Hueck in FS Heymann II (1931), S. 700, 705; G. Hueck, Gesellschaftsrecht, § 25 V 3, S. 230; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119 Anm. 1 D; im Ergebnis wohl auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 89; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22; wohl auch Schlegelber-

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

103

strakt drohenden Interessenkollision auszuschließen. Eine nachträgliche Korrektur eventuell auftretender Mißbräuche ist ausreichend 459. Der gedankliche Ansatzpunkt muß beim Sinn und Zweck der Stimmverbote liegen. Gerade bei den Personengesellschaften sind die Schicksale von Gesellschaft und Gesellschafter eng miteinander verwoben. Grundsätzlich wird ein Gesellschafter deshalb schon aus egoistischen Motiven das Wohl der Gesellschaft im Auge haben460. Diese Situation ändert sich erst bei einem unverhältnismäßig hohen persönlichen Vorteil. Zöllner 461 führt dazu treffend aus: „Wenn der Nachteil, den er als Gesellschafter bei einer gesellschaftsschädlichen Abstimmung erleiden würde, durch den Vorteil aus einer eigennützigen Abstimmung aufgewogen wird, ist die Wahrung der Verbandsinteressen gefährdet." Dies verdeutlicht, daß nicht schon jedes private oder ausschließlich finanzielle Interesse einen Angriff auf das Verbandsinteresse nach sich ziehen muß. Der Gesellschafter „schnitte sich gewissermaßen ins eigene Fleisch". Erst bei ganz erheblichen Vorteilen oder bei besonders wichtigen, existentiellen Entscheidungen spricht eine Vermutung für die Bevorzugung der Eigeninteressen 462 . Aus diesem Grunde gibt es kein allgemeines Prinzip, nach welchem ein Gesellschafter bei Anhaltspunkten beliebiger Interessenkollisionen vom Stimmrecht ausgeschlossen werden müsse463. Das gilt z.B. anerkanntermaßen für alle sozialrechtlichen Beschlüsse464 wie die Bestellung zum Geschäftsführer, selbst wenn dieser damit inzident seine eigene Vergütung mitbestimmt 465 . Die Stimmverbote sind vielmehr kasuistisch gefaßt 466. Es handelt sich um besonders einschneidende Beschlüsse, z.B. die Fälle der Abberufung aus der Geschäftsführer- oder Vertreterposition aus wichtigem Grunde, des Ausschlusses aus der Gesellschaft, der Fortsetzung des Verhältnisses mit einem Gesellschafter, dessen Gläubiger die Gesellschaft gekündigt hat oder über dessen Privatvermögen der Konkurs eröffnet wurde. Das gleiche gilt von den tief-

ger/Gessler HGB, § 119, Rdn. 3; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 61; sehr eingehend Stadie, Stimmrechtsausschluß wegen Interessenkollision bei Personengesellschaften, S. 44 ff. 459

Grundlegend A. Hueck, OHG, S. 170 ff.

460

Vgl. Müller-Erzbach, Mitgliedschaft, S. 223; ders., Umgestaltung, S. 11 unter Hinweis auf Sonderinteressen als Auslöser. 461

Zöllner in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 5.

462

In diesem Sinne auch Wank, ZGR 1979, 222, 226 f.

463

So ausdrücklich u.a. Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 61; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 263. 464

Siehe oben S. 33.

465

RGZ 60, 172; 74, 276; A. Hueck, ZHR 125 (1963) 1, 12; Fischer in Großkomm. HGB, §119, Rdn. 22. 466

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 263; wohl auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 99 ff.

104

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

greifenden Beschlüssen über die Entlastung oder die Einleitung eines Rechtsstreites. Es handelt sich jeweils um ein Betroffensein des Gesellschafters in seinen elementaren Positionen, gewissermaßen in seinem „mitgliedschaftlichen Sein oder Nichtsein". Das Vertrauensverhältnis wird in allen Fällen bis aufs äußerste beansprucht sein. Es handelt sich bei allen Beschlüssen um gesetzlich oder in Analogie vorherbedachte Einzelfälle im Sinne einer Kasuistik. Ein allgemeiner Rechtsgedanke des Stimmrechtsausschlusses ergibt sich deshalb auch nicht aus den §§ 181, 242 BGB 4 6 7 . Dagegen ist schon der problematische Fall des Abschlusses eines Rechtsgeschäfts mit dem Gesellschafter auf der Grenzlinie angesiedelt468, weil die betroffenen Interessen desjenigen Gesellschafters, mit dem ein Rechtsgeschäft abgeschlossen werden soll, regelmäßig nicht existenzieller, sondern überwiegend finanzieller Art sind. Das Vertrauensverhältnis wird selbst für den Fall, daß sich das beschlossene Rechtsgeschäft später als für die Gesellschaft nachteilig herausstellt, nicht in dem selben Maße beeinträchtigt werden wie durch die Abberufung aus der Geschäftsführung, die Entziehung der Vertretungsbefugnis oder die Versagung der Entlastung. Gleichwohl ist der Stimmrechtsausschluß bei Vornahme eines Rechtsgeschäftes zweckmäßig, weil die Gefahr einer Interessenkollision hier besonders evident ist, die persönlichen Vorteile im Einzelfall außergewöhnlich groß sein können und letztlich nicht der Gesellschafter, sondern die Gesellschaft in erhöhtem Maße schutzwürdig ist. Da der vom Stimmrecht ausgeschlossene Gesellschafter in der Praxis für Geschäfte, welche für die Gesellschaft eindeutig vorteilhaft sind, regelmäßig eine Mehrheit finden wird, wirkt sich das Stimmverbot vor allem bei Geschäften aus, deren Vorteilhaftigkeit zweifelhaft ist 469 . Jenseits dieser Grenzlinie aber ist für einen weiteren Ausschluß des Stimmrechts bei Interessenkollision kein Raum. Insbesondere empfiehlt sich keine vorherige Einzelfallprüfung am Maßstab der Treuepflicht. Gerade für einen vorherigen Ausschluß des Stimmrechts ist in der Praxis eine klare Grenze notwendig 470 . Mißbräuche können deshalb nur im nachhinein durch die Treuepflicht korrigiert werden 471. Es ist nicht Ziel des Rechts, eine ideale und konfliktlos arbeitende Gesellschaft zu kreieren, sondern für vorhersehbare und typische Konfliktfälle Lösungen anzubieten. Da meist schon unterschiedliche Motive die Gesellschafter zum Betreiben des Unternehmens bewegen, ist das Kollidieren unterschiedlicher Interessen vorhersehbar. Jeder Gegenstimme kann

467 Was Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 264 ff., 269 ff. überzeugend nachweist; vgl. auch ders. in Kölner Komm. AktG, § 136, Rdn. 26 468 Es wird aus diesem Grund auch von einigen Autoren vertreten, daß dem Gesellschafter das Stimmrecht für die Abstimmung über ein Rechtsgeschäft verbleibt, vgl. oben S. 28, FN 195. 469

Vgl. oben S. 31 f.

470

So schon ausdrücklich das RG in Bd. 81, 37, 40 = JW 1913, S. 210.

471

Sojedenfalls für die OHG auch Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 22.

105

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

eine Interessenkollision zugrundeliegen. Diese Konflikte müssen jedoch innergesellschaftlich ausgetragen und dürfen nicht gesetzlich geregelt werden. Weiterhin bereitet es Schwierigkeiten, die möglicherweise beeinträchtigten Interessen zu bewerten und zu systematisieren. Nicht nur finanzielle, sondern auch persönliche Interessen wie z.B. im Bereich der Ehre oder der Familie oder Affektionsinteressen werden im Einzelfall betroffen. Mangels Vorliegen eines Erfahrungssatzes, daß die finanziellen Interessen die anderen stets überwiegen, spricht viel dafür, eine Kasuistik beizubehalten und zu versuchen, diese gegebenenfalls zu ergänzen. Im folgenden wird deshalb eine Gruppe von Beschlüssen untersucht, die wegen naheliegender Interessenkollisionen Anlaß zu näherer Betrachtung gibt. 1. Zuerst soll die Frage des persönlichen Geltungsbereichs 472 der Stimm verböte aufgegriffen werden, d.h. ob das einen Gesellschafter treffende Stimmverbot auf eine andere Person durchschlägt. Das Problem stellt sich vor allem für Familienmitglieder, Erben, Vertreter und für den Fall, daß der vom Stimmrecht ausgeschlossene Gesellschafter selbst eine Gesellschaft ist, deren Gesellschafter wiederum an einer Abstimmung bei einer anderen Gesellschaft teilnehmen. Zunächst ist zu untersuchen, ob sich das Stimmverbot eines Gesellschafters auch auf seine Verwandten erstreckt. Da es sich bei den Personengesellschaften häufig um Familiengesellschaften handelt, kann es durchaus geschehen, daß ein Gesellschafter z.B. beim Beschluß über seine eigene Entlastung vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, während sein Bruder und sein Vater ungehindert für ihn stimmen. Die Frage nach dem Stimmverbot für diese Mitgesellschafter ist m.E. zu verneinen, denn ihre analoge Anwendung unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Interessenkollision kommt wegen ungleicher Interessenlage nicht in Betracht 473 . Wie oben dargelegt, greifen die Stimmverbote überwiegend bei Beschlüssen ein, die den Gesellschafter besonders tiefgreifend in seinem „mitgliedschaftlichen Sein oder Nichtsein" beeinflussen 474. Bei Verwandten ist eine parallel gelagerte Gefährdung vor allem im Hinblick auf die persönlichen Konsequenzen, die sich für den betroffenen Gesellschafter ergeben, grundsätzlich nicht ersichtlich 475 . Diese treffen unmittelbar ihn selbst sowie seine Familie, die regelmäßig von ihm wirtschaftlich abhängig ist. 472 Dazu grundlegend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher S. 270 ff., 281 f.

Stimmrechtsmacht,

473

So auch in Soergel/Siebert BGB, § 34, Anm. 9; RGRK-Steffen, BGB, § 34, Rdn. 3; Horrwitz, Das Recht der Generalversammlungsbeschlüsse der AG und KGaA, S. 136; Herzfelder, S. 80. 474 4

Vgl. oben S. 73. So auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 2 .

106

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Auch wenn die Möglichkeit der Beeinflussung der übrigen Verwandten unbestreitbar groß ist, so werden diese doch auf einer qualitativ, persönlich und auch wirtschaftlich anderen Ebene betroffen. Ein unmittelbares Mitbetroffensein könnte zwar - vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht - für den Ehepartner gelten. Es besteht aber letztlich keine zwingende Vermutung dafür, daß der Ehegatte immer für seinen Partner stimmen wird. Vielmehr kommen zu viele den Mitgesellschaftern unbekannte Faktoren zum Tragen, wie z.B. das persönliche Verhältnis und die internen wirtschaftlichen Regelungen zwischen den Eheleuten. Die direkten Auswirkungen des Beschlusses auf den Ehepartner sind vor allem abhängig von dessen wirtschaftlicher Unabhängigkeit, welche mit der Art des ehelichen Güterstandes beginnt. Die finanzielle Abhängigkeit, z.B. vom Senior als Mehrheitsgesellschafter, ist oftmals erheblich größer, als die zwischen Ehepartnern. Das gleiche gilt für den Fall, daß der Großvater oder der Onkel seinen Enkel bzw. Neffen zum Erben auserkoren hat. Dazu kommt, daß auch die persönlichen Bindungen z.B. zu den Eltern u.U. größer als zum Ehegatten sein können; eine Familie oder ein Stamm wird häufig zusammenhalten. Deshalb läßt sich nicht generell sagen, ein Ehegatte wird auf jeden Fall für seinen Partner stimmen, so daß es gerechtfertigt wäre, sein Stimmrecht vorab auszuschließen. Auch hier soll nur der Mißbrauch verhindert werden. Dieser zeigt sich aber erst bei der Abstimmung. Die Möglichkeit der Stimmabgabe sollte der Ehegattengesellschafter jedoch behalten. Eine analoge Anwendung der Stimmverbote auf den Ehegatten erscheint deshalb nicht gerechtfertigt 476. 2. Wenn ein Gesellschafter von einem Stimmverbot betroffen ist, darf sein Stimmrecht, weil die Gefahr der Beeinflussung zu groß ist 477 , auch nicht durch einen anderen, z.B. einen Vertreter ausgeübt werden. Ist der Vertreter selbst Gesellschafter, darf er sein eigenes - mitgliedschaftliches Stimmrecht gleichwohl wahrnehmen, da er nicht vom Stimmverbot betroffen ist 478 . Davon ist der Fall zu unterscheiden, daß die Voraussetzungen für ein Stimmverbot nicht in der Person des Gesellschafters, sondern in der Person des Vertreters vorliegen. Bei dieser Konstellation stellt sich die Frage, ob der Vertreter das Stimmrecht des nicht selbst vom Stimmverbot betroffenen Gesellschafters ausüben darf. Die Frage wird nur dort relevant, wo der Ver476

Im Ergebnis auch so Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 282, jedoch nicht zwischen Ehegatten und sonstigen Verwandten differenzierend; K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 154. 477 Baumbach/Hueck, GmbHG, § 47, Anm. 63; Feine in Ehrenbergs Handbuch ΠΙ, S. 527; Meissner, Die Schranken des Stimmrechts in den Hauptversammlungen der Kapitalgesellschaften beim Interessenwiderstreit, S. 82; Herzfelder, S. 81. 478

Herzfelder, S. 81.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

107

treter kein Gesellschafter ist. Träfe ihn das Stimmverbot in seiner Eigenschaft als Gesellschafter, so würde das Abstimmen als Vertreter eines anderen die unzulässige Umgehung seines eigenen Stimm Verbotes bedeuten. Wegen des Prinzips der Selbstorganschaft können zwar die meisten Stimmverbote wie z.B. bei Entlastungs- oder Ausschlußbeschlüssen denknotwendig keinen Dritten, sondern nur Gesellschafter betreffen. Denkbar ist allerdings der Fall, daß mit dem Dritten ein Rechtsgeschäft abgeschlossen oder gegen ihn ein Anspruch geltend gemacht werden soll. Lägen demnach in der Person des Vertreters die Voraussetzungen für ein Stimmverbot vor, darf er nicht das Stimmrecht des Vertretenen ausüben479. Während der Gesellschafter selbst zumindest der Treuepflicht unterliegt, welche ihn an die Interessen des Verbandes bindet, ist der Vertreter diesbezüglich frei. Dazu kommt, daß ihn etwaige, für die Gesellschaft negative Folgen nicht einmal mittelbar treffen. Die Gefahr, daß er das Stimmrecht eigennützig mißbraucht, ist aus diesen Gründen besonders groß, so daß es gerechtfertigt ist, ihn von der Abstimmung auszuschließen. 3. In den Zusammenhang des persönlichen Geltungsbereichs der Stimm verböte wegen Interessenkollision fallen auch die Versuche ihrer Umgehung. Die Umgehung des Stimmverbotes setzt allerdings, wie jede Gesetzesumgehung, zusätzlich ein subjektives Element voraus 480, nämlich den Willen, das erkannte Stimmverbot zu seinen Gunsten auszuschalten. Es ist selbstverständlich, daß der vom Stimmrecht ausgeschlossene Gesellschafter zu diesem Zweck weder einen Vertreter bestellen481 noch seine Anteile an einen Strohmann veräußern darf, der dann seine Interessen wahrnimmt 482 . In der Praxis führt der Nachweis des subjektiven Elementes jedoch zu erheblichen Schwierigkeiten. 4. Stimmrechtsrelevante Probleme ergeben sich weiterhin im Hinblick auf den Erben eines verstorbenen Gesellschafters. Letzterer wäre bei Beschlüssen vom Stimmrecht ausgeschlossen gewesen, bei denen über seine Entlastung, die Tätigung eines Rechtsgeschäftes, das Geltendmachen eines Anspruchs, die Einleitung eines Rechtsstreites oder die Befreiung von einer Verbindlichkeit beschlossen worden wäre. Der Erbe seinerseits ist unter zwei Voraussetzungen vom Stimmrecht ausgeschlossen. Erstens muß er den Gesellschafteranteil und damit letztlich die Gesellschafterstellung geerbt haben, was bei einer Personengesellschaft nur bei Eingreifen einer einfachen oder

479

So auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47 Rdn. 155 für die GmbH.

480

Dilcher in Staudinger BGB, 12. Aufl., § 117, Rdn. 12, 32 ff.; Enneccurus-Nipperdey, § 190 III, S. 1160 ff. 481 Baumbach/Hueck GmbHG, § 47, Anm. 63; Feine in Ehrenbergs Handbuch ΠΙ, S. 527 ff.; Herzfelder, S. 81. 482

So auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 270 f.

108

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

qualifizierten Nachfolgeklausel möglich ist 483 . Zweitens muß ihn die Folge der Entscheidung auch wirklich treffen. So kann der Erblasser z.B. mit seinem Haus, welches die Gesellschaft erwerben will, durch Vermächtnis einen Dritten bedacht haben oder die Geltendmachung eines Anspruches kann gerade mit dem vermächtnisbelasteten Haus zusammenhängen. In diesen Fällen wird das Vermögen des eintretenden Erben von den Folgen der Entscheidung wirtschaftlich nicht berührt. Seine Vermögensinteressen müssen aber unmittelbar betroffen sein. Erst dann ist auch er vom Stimmrecht ausgeschlossen. Beim Entlastungsbeschluß gelten ähnliche Überlegungen. Wird die Entlastung verweigert, führt der nächste Schritt oft zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen, die sich dann gegen den Erben richten würden, so daß auch er richtigerweise vom Stimmrecht ausgeschlossen werden muß. Es ist demnach festzuhalten, daß die Stimmverbote auf den Erben durchschlagen, wenn er in die Gesellschafterstellung eintritt und seine Interessen dadurch genauso tangiert werden wie die des verstorbenen Gesellschafters 484. 5. Weitere Interessenkollisionen treten auf, wenn die Voraussetzungen für ein Stimmverbot in der Person eines Gesellschafters (A) einer Gesellschaft (OHG) vorliegen, die ihrerseits an einer weiteren Gesellschaft beteiligt ist (KG). A

/ \ OHG - KG Wenn z.B. in der KG ein Beschluß über den Abschluß eines Rechtgeschäfts mit A gefaßt wird, tritt die Frage auf, ob die OHG insgesamt vom Stimmrecht ausgeschlossen ist oder ihre übrigen Gesellschafter gleichwohl für die OHG abstimmen dürfen, also ob der Stimmrechtsausschluß eines Gesellschafters (A) auf die Gesamthandsgemeinschaft durchschlägt. Das Ergebnis wird seit langem kontrovers diskutiert 485 . Richtigerweise ist die Abstimmung für die OHG durch ihre übrigen Gesellschafter unter Ausschluß des vom 483

§ 139 I HGB; vgl. dazu z.B. Hopt/Hehl, Gesellschaftsrecht, Rdn. 640 ff.

484

So im Ergebnis auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 157; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 272; Herzfelder, S. 80; letztere aber mit der nicht ganz korrekten Begründung für die Entlastung, es handele sich um eine solche der Erben selbst. Entlastet wird der verstorbene Gesellschafter. Eine Entlastung ist kein Rechtsgeschäft, sondern eine tatsächliche Billigung der Geschäftsführung. Lediglich die möglichen Konsequenzen treffen den Erben. 485 Dagegen: Herzfelder, S. 95; Flechtheim, JW 1925, 564, 571; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse, S. 37 f.; RGZ 146,75; Godin-Wilhelmi, AktG, § 114, Anm. 189. Dafür: früher schon Goldschmit, Recht des Aufsichtsrats, (1922), S. 234, Anm. 82; Rosendorf, Die rechtliche Organisation der Konzerne (1927), S. 75, FN 39; Meisser, S. 88 f.; Horrwitz, S. 391 f.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

109

Stimmverbot Betroffenen vorzunehmen 486. Da die OHG ihre Stimme bei der Abstimmung in der KG nur einheitlich abgeben kann, ist eine Vorabstimmung bei der OHG erforderlich, für die das Stimmrecht des A entfällt. Der Zweck der Stimmverbote rechtfertigt grundsätzlich keinen Stimmrechtsausschluß der gesamten Personengesellschaft 487. Der Zweck der Stimmverbote wegen Interessenkollision besteht darin, denjenigen Gesellschafter von der Abstimmung auszuschließen, dem der Beschluß einen überschießenden privaten Vorteil unter Benachteiligung der Gesellschaft verschaffen würde. In einer Personengesellschaft wirken jedoch die Mitgesellschafter als Korrektiv. Da sich Nachteile für die Gesamthand unmittelbar auch auf sie auswirken und sie darüber hinaus persönlich haften, werden sie die Interessen der Gesellschaft und nicht diejenigen ihres Mitgesellschafters verfolgen. Insofern liegt kein qualitativ gleicher Interessenkonflikt vor. Die Gesellschafter sind zwar in der Regel miteinander verbunden, aber nicht so eng, daß trotz der unmittelbaren Betroffenheit und der persönlichen Haftung eine überwiegende Vermutung für einen Verstoß gegen die Gesellschaftsinteressen spricht. Etwas anderes gilt nur für den Ausnahmefall, daß zwischen dem betroffenen Gesellschafter und der Gesellschaft eine Willenseinheit besteht488, z.B. wenn der vom Stimmrecht ausgeschlossene Gesellschafter der einzige Geschäftsführer, der alleinige Komplementär oder der Mehrheitsgesellschafter ist. In diesen Fällen fehlt die wirksame Interessenwahrung durch die übrigen Gesellschafter als Korrektiv. Es besteht die Besorgnis der Befangenheit, weil der vom Stimmrecht ausgeschlossene Gesellschafter und die von ihm gelenkte oder beherrschte Gesellschaft insoweit als identisch zu betrachten sind, so daß das Stimmrecht der gesamten Gesellschaft entfallen muß. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige fallweise Differenzierung nicht gerade praktikabel ist. Man kann aber als „Faustregel" von einem Regel- Ausnahmeverhältnis ausgehen. Regelmäßig schlägt das Stimmverbot eines Gesellschafters nicht auf die Gesellschaft durch 489 . Nur in den genannten Ausnahmefällen, in denen eine Willenseinheit vorliegt, kann der Stimmrechtsausschluß der gesamten Personengesellschaft von den übrigen abstimmenden Mitgliedern der anderen Gesellschaft (im Beispiel: der KG) geltend gemacht werden.

486

So seit BGHZ 49, 183, 193; bestätigt durch BGHZ 51, 209, 214 ff.; BGH W M 1976, 204, 205 in Anlehnung an Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 274 ff. 487

So überzeugend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 275 f.

488

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 275 f.; für die genaue Umkehr des Regel- Ausnahmeverhältnisses wegen praktischer Belange K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 159 ff. 489

Genau für eine Umkehrung K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 159 ff.

110

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

6. Andere Fallkonstellationen ergeben sich, wenn ein Gesellschafter (A) Mitglied in 2 Gesellschaften ist. Soll z.B. die Befreiung der Gesellschaft 1 (OHG) von einer Verbindlichkeit der Gesellschaft 2 (KG) gegenüber beschlossen werden, stellt sich bei dieser das Problem des Stimmrechtsausschlusses für A. A

/ \ OHG - KG Handelt es sich bei der von der Verbindlichkeit zu befreienden Gesellschaft um eine OHG, ist A bei der Abstimmung in der KG vom Stimmrecht ausgeschlossen, weil „er mit dem Wohl und Wehe der OHG so nah verbunden ist, daß er als in gleicher Weise befangen angesehen werden muß wie die Gesellschaft selbst 490 ". Anders könnte die Frage zu bewerten sein, wenn die zu befreiende Gesellschaft eine KG und A deren Kommanditist ist. A

/ \ KG - OHG Als Kommanditist ist er regelmäßig nur finanziell an der KG beteiligt. Gleichwohl wäre er nach einer vor allem früher vertretenden Meinung 491 ebenso wie der OHG-Gesellschafter vom Stimmrecht auszuschließen. Eine andere Auffassung stellt dagegen auf die konkreten Herrschaftsverhältnisse ab und will nur den atypischerweise eine unternehmerische Funktion ausübenden Kommanditisten vom Stimmrecht ausschließen492. Der Stimmrechtsausschluß knüpft an die Gefahr der Bevorzugung des höheren persönlichen Vorteils an, der sich aber im Einzelfall selbst bei einer kapitalistischen Beteiligung an einer KG für den Kommanditisten ebenso oder sogar spürbarer auswirkt als für einen vergleichbaren OHG-Gesellschafter. Entscheidend sind die Höhe der Beteiligung und die Gesamtumstände. Das Maß der Beeinflussung eines Kommanditisten, der 50% des Kommanditkapitals einer Zweipersonen-KG hält, dürfte, insbesondere wenn auch sein Gewinnanteil 50% beträgt, genau so groß sein wie bei einem vergleichbaren OHG-Gesellschafter.

490 So wörtlich Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 277 m.w.N. zur älteren Literatur. 491 492

Z.B. Staub-Pinner, HGB, § 257, Anm. 27.

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 277; K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 160, aber lediglich pauschal auf den Einfluß abstellend.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

111

Der Gedanke der Haftungserleichterung des Kommanditisten tritt jedenfalls bei einer wirtschaftlich gesunden Gesellschaft ebenfalls zurück. Die Praktikabilität und die erforderliche Klarheit einer Stimmrechtsregelung 493 spricht deshalb dafür, mit der früher herrschenden Meinung auch dem Kommanditisten in einem solchen Fall grundsätzlich das Stimmrecht zu versagen. Nur im Ausnahmefall, der vom Kommanditisten selbst geltend zu machen wäre, z.B. bei der Minderheitsbeteiligung an einer Publikums-KG, gilt etwas anderes, da sein persönliches Interesse dann so gering einzuschätzen ist, daß sich ein Stimmrechtsausschluß nicht mehr rechtfertigen ließe. Anzumerken bleibt, daß, wenn schon der Kommanditist bei der Abstimmung in der OHG vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, erst recht der Komplementär der KG nicht mitstimmen darf 494 . Er ist, zumal er persönlich haftet, ebenso wie der OHG-Gesellschafter im vorhergehenden Fall „mit dem Wohl und Wehe der Gesellschaft" so eng verbunden, daß er in gleicher Weise als befangen angesehen werden muß, wie die Gesellschaft (KG) selbst. Die Lösung der vergleichbaren Situation bei der GmbH & Co. KG unterliegt denselben Grundsätzen. Soll in der KG z.B. über die Entlastung des Komplementärs (GmbH), also im Ergebnis des Gesellschafter-Geschäftsführers (A) der GmbH abgestimmt werden, ist dieser infolge der Befangenheit von der Mitwirkung an der Abstimmung auszuschließen495. A

/ \ GmbH - KG Grundsätzlich hat das gleiche zu gelten, wenn die KG mit der GmbH ein Rechtsgeschäft abschließen will 4 9 6 . Die Interessenlage des A als GmbH-Gesellschafter ist im Ergebnis nicht anders zu bewerten wie diejenige des Kommanditisten, insbesondere wenn er in der GmbH darüber hinaus Organfunktionen ausübt. Nur in dem von ihm geltend zu machenden Ausnahmefall, in dem die Interessenkollision aufgrund einer Minderheitsbeteiligung lediglich auf einem geringen - finanziellen - Interesse fußt, ist der GmbHGesellschafter zur Abstimmung bei der KG zuzulassen497.

493

So schon ausdrücklich das RG in Bd. 81, 37, 40; = JW 1913, S. 210.

494

K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 143; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 275 f. 495

K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 164.

496

Anders Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 278 f.

497

So auch Wank, ZGR 1979, 222, 227.

112

2. Teil: Schranken des Stimmrechts

Zusammenfassend läßt sich für den Problemkreis, in dem eine Person an zwei Gesellschaften beteiligt ist, feststellen, daß sie für Beschlüsse, welche die eine Gesellschaft betreffen, in der anderen Gesellschaft wegen Interessenkollision genauso vom Stimmrecht ausgeschlossen sein muß, als beträfe sie der Beschluß persönlich. Aus Gründen der Rechtsklarheit und der Praktikabilität gilt das sowohl für den OHG-Gesellschafter und den Komplementär als auch für den Kommanditisten einer KG als auch das Mitglied einer vom Stimmrecht ausgeschlossenen GmbH. Ein Abstellen auf die individuellen Beteiligungs- und Machtverhältnisse ist nur im Ausnahmefall möglich. 7. Interessenkollisionen können auch auf der mittelbaren Beeinträchtigung oder Beeinflussung eines Interesses des Gesellschafters beruhen, z.B., wenn ein Gesellschafter einen Provisionsanspruch für den Geschäftsabschluß eines Dritten mit der Gesellschaft hat. Es handelt sich hierbei um ein mittelbares finanzielles Interesse, welches qualitativ von dem Interesse in demjenigen Fall, in dem das Rechtsgeschäft direkt mit dem Gesellschafter abgeschlossen werden soll, unterschieden werden muß. Ein rein finanzielles Interesse reicht nicht aus, um den Ausschluß des Stimmrechts zu rechtfertigen 498 . Eine Korrektur ermöglicht allein die Treuepflicht. Das gleiche gilt für den Fall, daß die Gesellschaft das Grundstück neben dem Privatgrundstück eines Gesellschafters bebauen will 499 . Auch diese Beeinträchtigung schafft nur eine mittelbare Interessenkollision. Eine andere Bewertung erfordert die Interessenlage bei einem Vertrag zugunsten Dritter, d.h. wenn ein Rechtsgeschäft mit einem Nicht-Gesellschafter zugunsten eines Gesellschafters abgeschlossen werden soll. Hier steht keine bloß „mittelbare" Beeinflussung der Gesellschafterinteressen infrage. Es handelt sich vielmehr um das Problem des Sachumfanges eines bestehenden Stimmverbotes 500 (Rechtsgeschäft). Obwohl die analog anzuwendenden Vorschriften des Körperschaftsrechts diesen Fall nicht ausdrücklich umfassen, entfällt das Stimmrecht des Gesellschafters aufgrund der identischen Interessenlage auch für diesen Beschluß501. Dasselbe gilt für einen anderen Fall des Sachumfanges, in dem über die Vertagung z.B. eines Entlastungsbeschlusses abgestimmt werden soll 502 .

498

So zutreffend Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 276, 279.

499

So schon Herzfelder, S. 148, in Anknüpfung an Oertmann BGB AT, § 34, Anm. 2 a.

500

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 282 f.

501

Auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 151.

502

Herzfelder, S. 71; Horrwitz, S. 392; vgl. auch Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 268, der diesen Fall über eine ausdehnende Interpretation lösen will. Der zugrundeliegende Interessenkonflikt müsse qualitativ und quantitativ dem gesetzlich geregelten entsprechen.

C. Die Begrenzung des Stimmrechts

113

8. Wie oben im einzelnen ausgeführt, liegt den Stimm verboten wegen Interessenkollision eine Kasuistik 503 zugrunde, die infolge der Vielzahl der denkbaren Fallgestaltungen504 niemals vollständig sein kann. Gleichwohl zeichnet sich für die Behandlung aller weiteren Fälle eine gemeinsame Linie ab. Der Personengesellschafter ist erst dann vom Stimmrecht ausgeschlossen, wenn er in vergleichbarer Weise wie in den Fällen der gesetzlichen und anerkannten Stimmverbote durch den Beschluß beeinflußt wird. Dies setzt voraus, daß der Beschluß den Gesellschafter in seinen mitgliedschaftlichen Elementarpositionen betrifft (z.B. Gesellschafter- oder Geschäftsführerstellung), oder daß er sich so unmittelbar und einschneidend auf seine persönlichen wirtschaftlichen Verhältnisse auswirkt, daß er dem Fall des Beschlusses über die Vornahme eines Rechtsgeschäftes gleichgestellt werden muß.

503

Siehe oben S. 73 f.

504

Weitere Einzelfälle z.B. bei Engfer, S. 144 ff.; Stadie, S. 130 ff.

8 Lockowandt

Dritter Teil

Die Grenze der Zulässigkeit des gesellschaftsvertraglichen Stimmrechtsausschlusses A. Der Meinungsstand Nachdem zuvor dargestellt wurde, durch welche Rechtsinstitute und bewegliche Schranken das Stimmrecht grundsätzlich beschränkt oder ausgeschlossen sein kann, wird im folgenden Abschnitt, welcher den Schwerpunkt der Arbeit bildet, untersucht, in welchem Umfang es vertraglich ausgeschlossen werden darf. Rechtsprechung und Schrifttum beantworten diese Frage ausgesprochen kontrovers. Ursache für die starke Divergenz ist ein unterschiedliches (z.T. wertungsbedingtes) Grundverständnis einiger grundlegender Prinzipien und Institute des Personengesellschaftsrechts. I. Weitgehende Ausschließbarkeit Die h.M. 1 vertritt unter Verweisung auf den Grundsatz der Vertragsfreiheit den Standpunkt, das Stimmrecht des Personengesellschafters dürfe bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit ausgeschlossen werden. Zwingende Schranken gälten lediglich insoweit, als die Beschlußfassung in die Rechtsstellung stimmrechtsloser Gesellschafter eingriffe oder durch sie der Gleichheitsgrundsatz verletzt werde 2. Durch diese Schranken solle dem Gesellschafter ein Kernbereich 3 seiner Mitgliedschaft gesichert werden, dessen Verletzung zu einer sittenwidrigen Abhängigkeit von der Willkür der übrigen Gesellschafter führe. Zur gesicherten Rechtsstellung gehörten der gesellschaftsvertraglich bestimmte Bestand der Pflichten, die nicht einseitig erhöht bzw. der Rechte, die nicht vermindert werden dürften. Dazu zählten auch die ihm zustehenden Son-

1 BGHZ 20, 363; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119 Anm. 2 D; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217 ff.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 23; A. Hueck, OHG, S. 169; ders. ZHR 125 (1963) 1, 10 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 415 ff.; RGRK-v. Gamm, BGB, § 709, Rdn. 12; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 194; Spengler in FS Möhring (1965) S. 165, 170; Martens, DB 1973, 413, 417; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58; für die GmbH K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 8 ff. 2 3

BGHZ 20, 363, 369 f.

Der Begriff geht auf die Entscheidung BGHZ 20, 363 zurück, die ihn jedoch selbst noch nicht nennt. Zum Begriff des Kernbereichs vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709 Rdn. 77 ff.; ausführlich Röttger, Kernbereichslehre, S. 95 ff.

Α. Der Meinungsstand

115

derrechte 4. Weder die Beteiligung als Kommanditist noch die Haftsumme dürften im Wege der Neufassung des Gesellschaftsvertrages geändert, noch auf diesem Wege seine Gewinnbeteiligung oder die Höhe seines Auseinandersetzungsguthabens geschmälert werden. Hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereiches unterscheidet die h.M. zum Teil nicht zwischen persönlich haftenden Gesellschaftern und Kommanditisten5. Im übrigen finden sich zahlreiche Differenzierungen bezüglich des konkreten Umfangs der Zulässigkeit und seiner Begründung 6. Beispielsweise wollen einige Autoren den Stimmrechtsausschluß nur in dem gleichen Umfang zulassen, in dem das Mehrheitsprinzip vereinbart werden darf 7. Andere Autoren führen als zusätzliche Grenze den Verstoß gegen das Wesen der Personengesellschaft an8. Dem Gesellschafter müßten insgesamt genügend Rechte verbleiben, um am Gesellschaftsleben teilnehmen zu können9. Durch kumulativen Entzug der Gesellschafterrechte werde ab einem bestimmten Ausmaß die Gesellschaftereigenschaft zerstört, sei also zu verneinen 10. II. Keine weitere vertragliche Ausschließbarkeit Im Gegensatz dazu wird von einer Gruppe von Autoren 11 , in jüngerer Zeit vor allem von Wiedemann12 und Schilling 13 , die Meinung vertreten, der Stimm-

4 In Anlehnung an § 53 III GmbHG; vgl. BGHZ 20, 363, 368 f.; dahinter steht letztendlich der Gesichtspunkt der Knebelung. 5 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 194; auch Ulmer in MüKo BGB, § 709, Rdn. 58 bezieht sich ohne nähere Differenzierung auf die zum Kommanditisten ergangene Entscheidung des BGH. 6 So stellen z.B. A. Hueck und R. Fischer auf die Zulässigkeit von Gesellschafterausschüssen ab. Im übrigen liegt wohl mehr ein Problem der vollständigen Darstellung vor. 7 Martens, DB 1973, 413, 417; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 422 ff. 8 Z.B. A. Hueck, OHG, S. 169; ders. in ZHR 125 (1963) 1, 10 ff.; in dieser Richtung auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 10. 9 So Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6 f.; ähnlich auch Lutter in AcP 180 (1980), 84, 147 ff.; die Ansätze gehen zurück auf BGHZ 14, 264, 270, wonach deijenige ohne Stimm-, Gewinnrecht und Liquidationsanteil kein Gesellschafter sein soll. 10 So Immenga, ZGR 1974, 385, 403; für die GmbH auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., §47, Rdn. 10. 11

Schlegelberger/Gessler, HGB, § 119, Rdn. 1; Heins, NJW 1948, 252, 253; Weipert, HGB, 1. Aufl., § 119, Rdn. 13, anders aber 2. Aufl., § 119, Rdn. 13; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.; Larenz, SchR II, § 60 II b, S. 384 f.; sympatisierend wohl Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 65; Köhler, JA 1983, 168, 170; eingeschränkt auch Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 37 f.; § 161, Rdn. 70 f.; § 163, Rdn. 3. 8'

116

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

rechtsausschluß des persönlich haftenden Gesellschafters einer GbR, OHG oder KG verstoße gegen das Wesen der Personengesellschaft 14 und sei mit der unbeschränkten Haftung unvereinbar 15. Das Stimmrecht könne deshalb nicht über den im Zweiten Teil der Untersuchung aufgezeigten Rahmen hinaus ausgeschlossen werden. Unter Zugrundelegung des Zusammenhangs von Einfluß und Verantwortung 16 führe der pauschale Stimmrechtsausschluß für den persönlich haftenden Gesellschafter „per se" zu einer unzulässigen Abhängigkeit. Sein Stimmrecht sei ein notwendiger Bestandteil seiner Mitgliedschaft. Wer unbeschränkter persönlicher Haftung ausgesetzt sei, dürfe von den Entscheidungen, die diese Haftung begründen, nicht völlig ausgeschlossen werden 17 . Art und Umfang der später zu treffenden Entscheidungen seien zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages nicht vorhersehbar. Der völlige Verzicht auf spätere Mitwirkung beruhe entweder auf Vertrauensseligkeit oder Unfreiwilligkeit. Im übrigen liege ein erheblicher Unterschied im Vergleich zur Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen vor. Der Ausschluß sei starr, während eine Mehrheit wechseln könne, also flexibel sei. Außerdem bestehe ein sachlicher und psychologischer Unterschied darin, ob der Gesellschafter gar nicht mitstimmen, also völlig einflußlos, oder aber bloß überstimmbar sei 18 . Das Stimmrecht eines Kommanditisten sei dagegen, ebenso wie das eines GmbH-Gesellschafters, einschränkbar, solange keine zwingende Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung bestehe. Für Beschlüsse über eine Änderung des Gesellschaftsvertrages, der Verbands- oder der Mitgliedschaftsstruktur sei ein Stimmrechtsausschluß deshalb unzulässig19. Die bestehende gesellschaftsvertragliche Regelung gehöre auch für den Kommanditisten zum konkreten Bestand der Mitgliedschaft, die nicht ohne die Mitwirkung des betroffenen Gesellschafters geändert werden könne 20 . Im Ergebnis ist daher nach die-

12

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.

13

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.

14

So vor allem die ältere Literatur, vgl. Schlegelberger/Gessler HGB, § 119, Rdn. 1 m.w.N.

15

So vor allem Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.

16

Nicht zu verwechseln mit dem früher vertretenen Grundsatz der Einheit von Herrschaft und Haftung, wonach die gesetzliche Regelung bei der KG von einem inneren und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Unternehmensleitung und Haftung ausgehe. Aus diesem Grundsatz wurde gefolgert, daß auch der Kommanditist dann persönlich hafte, wenn er der wirkliche Leiter des Unternehmens ist. Diesen, von einigen Autoren sogar zum wirtschaftsverfassungsrechtlichen Grundsatz erhobenen Satz (vgl. dazu Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 125 ff. m.w.N.) hat der BGH in Bd. 45, 204, 206 ff. (Rektorfall) eine deutliche Absage erteilt. 17

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368; Martens in Schlegelberger HGB V, § 163, Rdn. 3.

18

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f.

19

Wiedemann in FS H. Westermann (1974), S. 585, 595; Gesellschaftsrecht I, S. 369 f.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

117

ser Meinung der Stimmrechtsausschluß des Kommanditisten auf die gewöhnliche und außergewöhnliche Geschäftsführung, die Wahl und Abberufung der Geschäftsführer sowie die Gewinnfeststellung und Gewinnverteilung beschränkt 21. B. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses Zunächst wird untersucht, ob ein Stimmrechtsausschluß grundsätzlich weitergehend zulässig ist, als im ersten und zweiten Teil der Arbeit dargestellt. Zu diesem Zwecke ist die Argumentation der Gegenmeinung kritisch zu hinterfragen. I. Verstoß gegen das Wesen der Personengesellschaften Von einer Vielzahl der Gegner eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses22 wird angeführt, eine stimmrechtslose Beteiligung widerspräche dem Wesen der Personengesellschaft, da eine personenbezogene Vereinigung zwingend die Möglichkeit der Mitverwaltung bedinge. Versucht man zu ergründen, was sich hinter dem Begriff „Wesen der Personengesellschaft" verbirgt, stößt man überwiegend auf die These, die Mitgliedschaft sei auf die Person und die einzelnen Gesellschafter zugeschnitten23. Dementsprechend seien die wichtigsten Wesensmerkmale die persönliche Haftung der Gesellschafter, Selbstorganschaft und persönliche Mitarbeit, fehlende Rechtsfähigkeit der Gesellschaft sowie Übertragbarkeit und Vererbbarkeit der Mitgliedschaft nur mit Zustimmung der anderen Gesellschafter.

20 Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.; insofern enger als in Großkomm. HGB, § 161, Rdn. 32, wo er nur Gesellschaftsvertragsänderungen zum Kernbereich zählte, die unmittelbare Eingriffe in die Rechtsstellung bedeuten. Er beruft sich auf Wiedemann in FS H. Westermann (1974), S. 585, 595 bzw. Gesellschaftsrecht I, S. 369, der für alle Änderungen des Gesellschaftsvertrages eine zwingende Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für gegeben hält. 21

So ausdrücklich Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369 f.

22

Schlegelberger/Gessler HGB, § 119, Rdn. 1; Heins, NJW 1948, 253; Weipert HGB, 1. Aufl., § 119, Rdn. 13, anders aber 2. Aufl., § 119, Rdn. 13; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.; Larenz, SchR II, § 60 II b, S. 384 f.; sympatisierend wohl Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 65, Köhler, JA 1983, 168, 170; eingeschränkt auch Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 37 f.; § 161, Rdn. 70 f.; § 163, Rdn. 3. 23

Z.B. A. Hueck, OHG, S. 26 ff.; Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 14 ff.

118

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Schon der Begriff des „Wesens" ist nicht eindeutig24. Selbst im Gesellschaftsrecht wird er in mehrfacher Hinsicht verwandt 25. Die sich auf das Wesen berufenden Autoren lassen dementsprechend offen, ob das Wesen aus der „Natur der Sache26" oder „sachlogischen Strukturen" entspringt, oder ob es sich um vorgegebene tragende Rechtsprinzipien handelt. Trotz eingehender literarischer Diskussion, vor allem in den siebziger Jahren 27 , gelang es nicht, eine Typengesetzlichkeit bei den Personengesellschaften nachzuweisen28. Die - äußerst lückenhafte - gesetzliche Regelung der Personengesellschaften ist deshalb nicht als starrer Rahmen feststehender Rechtsinstitute zu verstehen, die der Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter enge Grenzen setzt. Gerade weil schon der die Gesellschaft konstituierende gemeinsame Zweck in seiner Abstraktheit keine Typengesetzlichkeit zuläßt, muß der vom Gesetz vorgegebene Normenbestand vielmehr als Angebot zur Lösung der innergesellschaftlichen Probleme gesehen werden. Lediglich das Außenverhältnis ist aus Gründen des Verkehrsschutzes gesetzlich ausführlicher geregelt und zum Teil zwingend ausgestaltet29. Das „Wesen" der Personengesellschaften bildet demzufolge kein dogmatisches Argument zur Zulassung oder Ablehnung weitergehender Stimmrechtsausschlüsse30. Es eignet sich in erster Linie als begriffliche Abgrenzung zu den Kapitalgesellschaften, womit allerdings nicht geleugnet werden soll, daß die das „Wesen" charakterisierenden Merkmale wie Gesamthandsvermögen, persönliche Haftung und Selbstorganschaft für das Verständnis und die Begrifflichkeit des Personengesellschaftsrechts auch heute noch eine erhebliche Bedeutung besitzen. Sie knüpfen aber vorwiegend an die Gesellschaftsformen an, die der Gesetzgeber vor fast 100 Jahren als typisch vor Augen hatte31. Die im Gesetz geregelten Gesellschaftsformen sind infolgedessen als „Grundformen" zu verstehen. Im Laufe der fortschreitenden Entwicklung seit der Zeit der Indu-

24

Scheuerle, AcP 163, 429, 433 ff.

25

Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, S. 3 ff.

26 Zu diesem Denkansatz H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 75 ff. 27 Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften. 28 Zustimmend Lutter, AcP 180 (1980), S. 84, 107; Schwark in FS Stimpel (1985), S. 1087, 1094; Loritz, JZ 1986, 1073, 1078; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 243; Schultze-v. Lasaulx, ZfgG 1971, 325, 349; sehr ausführlich K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 86 ff., 95 f.; dagegen aber z.B. Reuter, AcP 181 (1981), S. 1, 13 ff. 29

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 99 f.; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 1.

30

Ebenso Comes, DB 1974, 2189, 2190.

31

Anders aber Reuter, GmbH-Rdsch. 1981, 129, 130 ff.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

119

strialisierung haben sich in der Rechtswirklichkeit deutlich abweichende Mischund Grenzformen ausgeprägt32, wie z.B. die Publikumgsgesellschaft, die „große" Familien-KG und die GmbH & Co. KG. Ein Interesse an der Einführung eines Stimmrechtsausschlusses besteht aber nicht in den „Grundformen", sondern, wie unten33 gezeigt wird, regelmäßig in den „Grenzformen". Der Ausschluß soll zum einen rein kapitalistisch beteiligte Gesellschafter wie Kinder, Erben und Senioren treffen und zum anderen die atypischen Einrichtungen wie den „angestellten Komplementär 34" ermöglichen. An diesen Beispielen zeigt sich, daß die einzelnen „Wesenselemente" im Grenzbereich deutlich zurückgedrängt werden, was beim „angestellten Komplementär" z.B. den Gesichtspunkt der Selbstorganschaft und teilweise die persönliche Haftung betrifft 35 , von der ein solcher „Geschäftsführer" zumindest im Innenverhältnis häufig durch eine Deckungszusage oder Freistellungserklärung befreit ist 36 . In der Publikumsgesellschaft ist das Merkmal der persönlichen Mitarbeit nur im Ausnahmefall anzutreffen. Auch die Gegner eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses erkennen eine ausgedehnte Zulässigkeit des Mehrheitsprinzips, der Bildung von Ausschüssen und Beiräten sowie der Abstimmung nach Kapitalanteilen an. In diesen Fällen wird der Einfluß des Einzelnen ebenfalls stark beschnitten und er muß Entscheidungen mittragen, die er eigentlich nicht befürwortet. Ein absolutes Mitwirkungsrecht läßt sich folglich aus dem „Wesen" der Personengesellschaften nicht rekrutieren. Aus den vorgenannten Gründen stellt der Begriff des „Wesens" keinen geeigneten Ansatzpunkt zur Lösung der Frage zulässiger Stimmrechtsausschlüsse dar. Als äußerst wertungsanfälliger Begriff vernebelt er die Diskussion mehr, als sie zu erhellen 37.

32

Vgl. Spengler in FS Möhring (1965), S. 165, 166.

33

Siehe unten S. 86 ff.

34

Vgl. dazu BGHZ 45, 204; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 288; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, S. 106 f. 35

Zustimmend Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 244 ff.

36

Vgl. Lutter in AcP 180 (1980), S. 84, 148.

37

So zutreffend Comes in DB 1974, 2189, 2190.

120

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

II. Sittenwidrige Abhängigkeit als notwendige Folge Der Stimmrechtsausschluß eines persönlich haftenden Teilhabers führt aus Sicht der Gegenmeinung38 stets zu einer sittenwidrigen - also unzulässigen Abhängigkeit von den anderen Mitgliedern. Da Art und Umfang späterer Entscheidungen nicht vorhersehbar seien, liefere sich ein persönlich haftender Gesellschafter wirtschaftlich und persönlich an die mächtigeren Teilhaber aus39. 1. Bei der Untersuchung, in welchen typischen Konstellationen versucht wird, den Einfluß eines Gesellschafters zu reduzieren, lassen sich drei Gruppen unterscheiden. Die erste betrifft den Fall, daß mit Kindern, Erben oder Anlagegesellschaftern Nichtfachleute als Gesellschafter aufgenommen werden, was mit Ausnahme der Erben, die im Wege der Rechtsnachfolge eintreten 40, vor allem aus steuerlichen Gründen 41 geschieht. In dieser Personengruppe steht die kapitalistische Beteiligung im Vordergrund, die persönliche Mitarbeit tritt mangels Kompetenz zurück oder ist nicht gewollt. Bei der zweiten Gruppe geht es um eine stärkere Betonung der Mitarbeit. Hier tritt die kapitalistische Komponente als unbedeutend oder nicht gewollt zurück. Zu denken ist an den „angestellten" Komplementär, der die Geschäfte zwar nach außen hin als Gesellschafter führt, dessen Stellung intern aber der eines angestellten Geschäftsführers einer GmbH entspricht 42. Er leistet häufig keine oder nur eine geringe Kapitaleinlage, welche darüber hinaus oft darlehnsweise zur Verfügung gestellt wird. Die Praxis bedient sich dieser Gestaltung gelegentlich zur Bewältigung von Krisen oder Nachfolgeproblemen. Weil ein geeigneter „Geschäftsführer" noch nicht oder nicht mehr zur Verfügung steht, wird ein Interimsmanager berufen, der des Gebotes der Selbstorganschaft wegen zwangsläufig Gesellschafter werden muß, um tätig werden zu können. Regelmäßig erhält er ein festes Gehalt.

38 Schlegelberger/Gessler, HGB, § 119, Rdn. 1; Heins, NJW 1948, 252, 253; Weipert, HGB, 1. Aufl., § 119, Rdn. 13, anders aber 2. Aufl., § 119, Rdn. 13; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.; Larenz, SchR II, § 60 II b, S. 384 f.; sympatisierend wohl Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 65; Köhler, JA 1983, 168, 170; eingeschränkt auch Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 37 f.; § 161, Rdn. 70 f.; § 163, Rdn. 3. 39

So vor allem Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f.

40

Dazu Flume, DB 1986, 629, 633.

41

Vgl. Immenga, ZGR 1974, 385, 386; Loritz, JZ 1986, 1073, 1076.

42

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7 m.w.N.; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft,

S. 137.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

121

Eine ähnliche Ausgestaltung ist für qualifizierte Fachleute, z.B. Softwarespezialisten denkbar, die entweder aus steuerlichen, finanziellen oder Statusgründen nicht mit einer Angestelltenstellung zufrieden sind 43 oder in einer Phase der Gründung oder des Aufbaus in einer Gesellschaft mitarbeiten, ohne daß eine dauernde Mitgliedschaft gewollt ist. Der Fachmann arbeitet dann z.B. einem freien Mitarbeiter vergleichbar mit. Er ist nach außen hin Gesellschafter mit Gewinnbeteiligung, weil zum fraglichen Zeitpunkt eine feste Lohnzusage nicht gegeben werden kann. Im Innenverhältnis kann seine Rechtsstellung jedoch der eines Angestellten angenähert sein, so daß er nur verminderte Mitspracherechte besitzt. Die dritte Gruppe, in der häufig vertragliche Stimmrechtsbeschränkungen anzutreffen sind, wird durch ein vorhandenes Ungleichgewicht charakterisiert. Dieses kann finanzieller Art sein, also in einer unterschiedlich hohen Kapitalbeteiligung bestehen. Es können aber auch andere Gründe vorliegen, wie unterschiedliches Know-how, eingebrachte oder bestehende Geschäftsbeziehungen oder eine stark divergierende Zeitspanne der Gesellschaftszugehörigkeit. Der letzte Fall tritt z.B. in Anwaltssozietäten auf. Der gerade eingetretene junge Sozius hat im Innenverhältnis zunächst die Stellung eines Angestellten. Erst mit der Zeit steigt er zum gleichberechtigten Partner auf 44 . Das gleiche gilt bei Unternehmen, deren Erfolg und Wert maßgeblich von einer langfristigen persönlichen Mitarbeit abhängig sind 45 . Auch hier ist häufig der Einfluß des Neueingetretenen durch Stimmrechtsbeschränkungen vermindert. 2. Allen Fallgruppen ist ein Merkmal gemeinsam. Es handelt sich nicht um den vom Gesetz als „typisch" vorausgesetzten Fall, daß sich die Personengesellschaft aus einer etwa gleichberechtigten Arbeits- und Haftungsgemeinschaft zusammensetzt, an der alle Gesellschafter gleichermaßen finanziell beteiligt und interessiert sind 46 . Die beiden normalerweise gleichgewichtig vorliegenden Komponenten Mitarbeit und Kapitalbeteiligung sind ungleich entwickelt, weil ein deutliches Schwergewicht entweder auf der Seite der Kapitalbeteiligung oder auf der der Mitarbeit vorliegt. Insofern entstanden atypische oder besser gesagt weiterentwickelte Misch- und Grenzformen der Mitgliedschaft in einer Personengesellschaft.

43

Vgl. Flume, DB 1986, 629, 631.

44

Vgl. Steindorff in FS R. Fischer (1979), S. 748, 762 ff.

45 R. Fischer, ZGR 1979, S. 251, 263; Gesammelte Werke, S. 247, 259, in Anlehnung an BGH W M 1973, 842 und BGHZ 68, 212. 46

Zutreffend Comes, DB 1974,2189.

122

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Aus der Verschiebung der Komponenten folgt als weitere Gemeinsamkeit, daß in allen drei Gruppen keine Gleichberechtigung bzw. Gleichgewichtigkeit zwischen den Partnern gegeben ist. Dieser Umstand schlägt sich zwangsläufig im Gesellschaftsvertrag nieder 47. Die Rechtsstellungen der einzelnen Gesellschafter sind unterschiedlich ausgeprägt. Der oder die intensiver mitarbeitenden bzw. kapitalmäßig höher beteiligten oder die „älteren" Gesellschafter gestalten die Stellung des entsprechend schwächeren Partners schwächer aus. Nur in Fällen eines ungleichen Machtgewichts kommt es also, um den Einfluß eines Teilhabers zu vermindern, zu Stimmrechtsausschlüssen48. Welcher Gesellschafter hätte andernfalls ein Interesse daran, sich seines Einflußbereiches freiwillig von vornherein zu begeben? Dabei darf nicht übersehen werden, daß der vollständige Ausschluß des Stimmrechts die weitestgehende und langfristigste Gestaltungsmöglichkeit darstellt, die Einflußnahme des Betreffenden zu verhindern. Die herrschenden Gesellschafter könnten sich durchaus anderer rechtlicher Möglichkeiten bedienen, die das Stimmrecht des Schwächeren zwar beschränken, es ihm aber nicht vollständig aus der Hand nähmen. Zu denken ist vor allem an die Überlassung der Ausübung an einen Vertreter, d.h. eine Stimmrechtsvollmacht, an die Einführung einer Gruppenvertretung, an die Verlagerung einzelner Beschlüsse auf einen Beirat, an eine schuldrechtliche Stimmbindung oder an einen freiwilligen Verzicht bzw. eine Nichtausübung im Einzelfall. Diese Möglichkeiten erlauben sämtlich eine weitgehende Enthaltung von der Mitwirkung und damit verbunden ein Fernhalten des Einflusses. Der schwächere Gesellschafter hätte aber je nach Gestaltung entweder in bestimmten Fällen oder jederzeit die Möglichkeit, die Ausübung des Stimmrechtes wieder an sich zu ziehen und damit selbst mitzubestimmen. Das Argument der Befürworter eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses, ein Gesellschafter könne für alle Fälle und alle Zeiten aus purem Vertrauen zu den anderen auf sein Stimmrecht vollständig verzichten 49, erscheint damit mehr als zweifelhaft. Vielmehr liegt es regelmäßig im Interesse des Stärkeren, den Einfluß des Unterlegenen möglichst gering zu halten. Der vollständige Stimmrechtsausschluß erfolgt aus diesem Grunde im Hinblick auf das Machtungleichgewicht, d.h. unfreiwillig 50 .

47 Selbst Autoren, die eher traditionell eine Gleichberechtigung der Gesellschafter voraussetzen, erkennen die Zulässigkeit an, z.B. H.P. Westermann, AcP 175 (1975), 375, 410; anders dagegen R. Fischer in FS Barz (1974), S. 33, 37, ges. Werke, S. 193, 197. 48

Vgl. Comes, DB 1974, 2189, 2191 f.

49

So vor allem A. Hueck, OHG, S. 169, FN 26.

50

Insoweit ist Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f. zuzustimmen.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

123

Der entscheidende Gesichtspunkt besteht jedoch darin, daß zwischen den Gesellschaftern aufgrund des Machtungleichgewichts kein Gleichordnungssondern ein UnterordnungsVerhältnis 51 vorliegt. Die mächtigeren Gesellschafter sind aufgrund der höheren Stimmrechtsmacht bzw. des Stimmrechtsausschlusses in der Lage, für die Schwächeren mitzugestalten und mitzubestimmen. Ein derartiges Unterordnungsverhältnis war vom Gesetzgeber nicht einmal für die Kommanditgesellschaft vorgesehen, bei der eine leichte Verschiebung zwischen Kapitaleinsatz und Mitarbeit, nicht aber eine extreme Verschiebung 52 eintreten sollte. Die KG hat von ihrer gesetzlichen Konzeption her eine klar personalistische Struktur. In den Fällen der Stimmrechtsausschlüsse handelt es sich demgegenüber um Gesellschafter „zweiter Klasse" oder Gesellschafter „minderen Rechts". Die letztgenannte Bezeichnung lehnt sich an eine Formulierung Flumes53 für Gesellschafter an, deren Gesellschafterstellung durch die Macht eines Einzelnen oder nach vorangegangenem Mehrheitsbeschluß durch eine sog. Hinauskündigung54 entzogen werden kann. Damit ergibt sich als Zwischenergebnis, daß den Gegnern eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses insoweit zuzustimmen ist, als der Stimmrechtsausschluß eines persönlich haftenden Teilhabers stets zu einer - nicht unerheblichen - Abhängigkeit von den übrigen Mitgliedern führt. 3. Die sich anschließende Frage ist dahingehend zu stellen, ob diese Abhängigkeit für einen persönlich haftenden Gesellschafter stets zu einer persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit führt, die unzulässig im Sinne von § 138 BGB ist 55 . Der Einwand, der Stimmrechtsausschluß vertrage sich nicht mit der persönlichen Haftung für die Entscheidungen, an deren Treffen der Gesellschafter nicht mitwirken dürfe 56 , ist keinesfalls unberechtigt. Gleichwohl sollte er nicht überbewertet werden. Die persönliche Haftung ist nicht das einzige und keineswegs das primäre Risiko, das den Gesellschafter trifft. Im Vor-

51

So schon Martens, DB 1973, 413, 416 für vereinsrechtliche Satzungen.

52

Vgl. Immenga, ZGR 1974, 385, 388; Martens, DB 1973, 413, 419.

53

Flume BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 139 f., 179 ff.; die Rechtsfigur findet aber nicht ungeteilte Zustimmung, kritisch z.B. H.P. Westermann in FS Stimpel (1985), 69, 77; U. Huber, ZGR 1980, 177, 193 ff.; R. Fischer, ZGR 1979, S. 251, 263 ff. 54 Zuletzt BGH NJW 1985, S. 2421 = DB 1985, 1736; ausführlich dazu Hume, DB 1986, 629 ff.; Loritz, JZ 1986, 1073 ff.; BGHZ 105, 213; dazu Behr, ZGR 1990, 370 ff.; BGHZ 107, 351 ff.; dazu Fastrich, ZGR 1991, 306 ff. 55 So besonders Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f.; zustimmend Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 65. 56

So Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f.

124

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

dergrund stehen vielmehr zunächst das Gesellschaftsvermögen und der persönliche Anteil an diesem57. Die Gefahr des Verlustes droht durch schlechte oder unglückliche Geschäftsführung, von der ein Gesellschafter schon nach dem Gesetz ausgeschlossen werden darf 58 . Auch die Gegner einer weitergehenden Zulassung des Stimmrechtsausschlusses erkennen die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses jedenfalls für Kommanditisten bei Beschlüssen über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten an 59 , z.B. beim Gewinnverwendungsbeschluß60. Für diesen Beschluß hat die Rechtsprechung den Stimmrechtsausschluß des Kommanditisten mit dem Hinweis zugelassen, er verstoße weder gegen die allgemeinen Grundsätze des Gesellschaftsrechts 61 noch gegen die speziellen des Personengesellschaftsrechts 62, und führe nicht zu einer sittenwidrigen wirtschaftlichen und persönlichen Abhängigkeit. Die Situation bei einem persönlich haftenden Gesellschafter einer GbR, OHG oder KG stellt sich davon nicht grundsätzlich verschieden dar. Die für ihn im Hinblick auf Gewinn und Verlust geltenden Vorschriften der §§120 ff HGB finden für den Kommanditisten nach den §§ 167 I, 168 I HGB ebenfalls Anwendung mit dem Unterschied, daß der Kommanditist kein Recht zu Entnahmen nach § 122 HGB besitzt und er die Auszahlung eines Gewinns nur insoweit beanspruchen kann, als sein Kapitalkonto nicht negativ ist. Eine Gewinnthesaurierung oder die Auflösung und Ausschüttung von Gewinnrücklagen wirkt sich für persönlich Haftende und Kommanditisten in der gleichen Weise aus. Sie muß nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz alle Gesellschafter gleichermaßen treffen, so daß eine willkürliche Ungleichbehandlung auch bei einem persönlich haftenden Gesellschafter unzulässig ist. Ein Unterschied besteht im Verhältnis zum Kommanditisten allerdings insoweit, als der persönlich Haftende häufiger unternehmerisch tätig ist und seine Arbeitskraft in der Gesellschaft einsetzt. Er ist aus diesem Grunde vermehrt auf eine Gewinnausschüttung zur Deckung des Lebensunterhaltes angewiesen. Einem Rechtsmißbrauch in bezug auf eine unangemessen hohe Gewinnthesaurierung kann jedoch mit Hilfe der Treuepflicht entgegengetreten werden.

57

Comes, DB 1974, 2189, 2190.

58

§§ 114 II HGB, 710 S. 1 BGB.

59

Vgl. nur Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369.

60

So BGHZ 20, 363, 369 f.

61

BGHZ 14, 264, 268.

62

BGHZ 20, 363, 367 f.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

125

Über die Gewinnverwendung kann darüber hinaus durch einen Mehrheitsbeschluß entschieden werden, soweit dies im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist 63 . Gerade in den Fällen des Machtungleichgewichts wird sich deshalb auch ein persönlich haftender Gesellschafter mit seiner Vorstellung über die Art und Weise der Gewinnausschüttung im Zweifel nicht durchsetzen. Der Ausschluß des Stimmrechts für den Gewinnverteilungsbeschluß führt deswegen nicht offensichtlich zu einer sittenwidrigen persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeit von den übrigen Gesellschaftern. Selbst für eine Anzahl von Beschlüssen über eine Änderung des Gesellschaftsvertrages wird man sowohl beim Kommanditisten als auch bei einem persönlich haftenden Gesellschafter zum selben Ergebnis kommen müssen, denn es ist nicht erkennbar, daß der Gesellschafter durch den Ausschluß des Stimmrechts für Beschlüsse über eine Änderung der Firma, des Gesellschaftssitzes, des Publikationsorgans oder der Förmlichkeiten der Gesellschafterversammlung stets in eine sittenwidrige Abhängigkeit geriete. 4. Dem unbestreitbar bestehenden Bedürfnis, den Gesellschaftsvertrag atypisch auszugestalten, um z.B. Kinder, Erben, Fachleute, Geschäftsführer oder Arbeitnehmer als Gesellschafter aufzunehmen, liegen zumeist steuerliche oder wirtschaftliche Gründe zugrunde 64. Da wirtschaftliche Vorteile allein aber niemals eine weitgehende Aufgabe der Selbstbestimmung rechtfertigen können, drängt sich die Frage auf, ob es nicht andere, gesetzlich bereits vorgesehene Wege der Vertragsgestaltung mit ähnlichem wirtschaftlichen Ergebnis gibt, die eine Herabstufung der Gesellschafterstellung zu einer stimmrechtlosen Beteiligung zweiter Klasse vermeiden. Hierzu sollen zwei bedenkliche Konstellationen herausgegriffen werden, der „angestellte" Gesellschafter 65 und der „rein kapitalistisch" Beteiligte in einer Publikumsgesellschaft. Hinsichtlich des »Angestellten" mutet es auf den ersten Blick seltsam an, daß ein Komplementär, ein hochkarätiger Fachmann oder ein neueingetretener Gesellschafter einem vollen oder teilweisen Stimmrechtsausschluß unterliegen sollen, z.B. bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages. Als Alternative dazu wäre denkbar, ihn nicht als Gesellschafter aufzunehmen,

63

Vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 80 m.w.N.

64

Immenga, ZGR 1974, 385, 386; Loritz, JZ 1986, 1073, 1075 ff.; ausführlich Paulick in H. Westermann, Handbuch der Personengesellschaften II, Rdn. 880 ff. 65 Hierzu: U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, S. 289 ff.; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S. 357 f.; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, S. 192 ff.

126

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

sondern mit ihm einen Anstellungsvertrag abzuschließen, der wirtschaftlich für alle Beteiligten zum gleichen Ergebnis führte wie die Ausgestaltung einer Gesellschafterposition minderen Rechts. Die erforderliche Modifizierung des Anstellungsvertrages könnte in einer höheren oder offenen Arbeitszeit und einem gewinnabhängigen flexiblen Arbeitsentgelt bestehen. Trotzdem ließen sich bestimmte Effekte nicht erzielen. Das beginnt mit der steuerrechtlichen Behandlung, die für einen Gesellschafter günstiger ist, als für einen Angestellten66, z.B. im Hinblick auf Gewinn- und Verlustvortrag, Abschreibung und abzugsfähige Ausgaben. Eine weitere Schranke bilden Arbeitnehmerschutzvorschriften hinsichtlich der Arbeitszeit und der Kündigungsfrist. Einem Gesellschafter kann beispielsweise eine längere Kündigungsfrist zugemutet werden, um die Weiterarbeit der Gesellschaft zu gewährleisten. Außerdem ist auch die soziale Absicherung des Arbeitnehmers überwiegend Sache des Arbeitgebers. Ein wichtiger Aspekt ist weiterhin die Identifikation des Gesellschafters mit seiner Gesellschaft. Es handelt sich dabei nicht um eine reine Statusfrage. Ein Gesellschafter wird auf Dauer ein stärkeres Eigeninteresse an den Tag legen und mehr Verständnis für die Gesellschaftsbelange aufbringen als ein Arbeitnehmer, der lediglich seinen Job erfüllt. Aus diesen Gründen funktionieren auch sog. Selbstverwaltungsmodelle 67 und das Management Buy-Out, d.h. Fälle, in denen Arbeitnehmer oder Geschäftsführer den Betrieb in Eigenregie übernommen haben. Die angestrebten Effekte sind also auf dem Wege über ein modifiziertes Angestelltenverhältnis schwerlich zu erreichen. Die zweite Konstellation betrifft die „Kapitalgeber". Man könnte die Gesellschafterstellung eines Kommanditisten durch ein zum Austauschvertrag modifiziertes Darlehn ersetzen. Ein solcher Vertrag müßte - seine Zulässigkeit dahingestellt - wirtschaftlich etwa folgenden Inhalt haben: Hingabe von Geld (statt Einlage) gegen Gewinnbeteiligung und Steuerersparnismöglichkeit. Eine solche Gestaltung würde schon am letzten Element scheitern. Der interessante Aspekt einer Kommanditanlage bestand68 oder besteht gerade in der Möglichkeit der Steuerersparnis. Bei einer darlehnsweisen Beteiligung läßt sich diese nicht verwirklichen. Der Gewinnbezug steht dagegen bei einer Publikumsgesellschaft oftmals im Hintergrund 69. Doch

66

Loritz, Die Mitarbeit Unternehmensbeteiligter, S. 139 ff.

67

Loritz, JZ 1986, 1073, 1076.

68

Der Gesetzgeber hat einen Teil der steuerrechtlichen Vorteile für Publikumsgesellschaften abgebaut, so daß ihre Attraktivität zurückgehen wird, vgl. Rehbinder in FS Stimpel, (1985), S. 47, 51, FN 15; Dankmeyer, DB 1984, 365, 366 f. zur Neufassung von § 15 II EStG. 69

Loritz JZ 1986, 1073, 1077; Immenga, ZGR 1974, 385, 386.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

127

auch er ist - zumindest langfristig - beabsichtigt, obgleich er bei den „typischen" Kommanditgesellschaften stärker in den Vordergrund tritt. Es liegt aber darüber hinaus ein gravierender Unterschied zwischen Darlehensgeber und Gesellschafter vor. Letztgenannter unterliegt der gesellschaftlichen Treuepflicht. Diese bindet ihn erheblich stärker in die Interessen und Belange der Gesellschaft ein, was im Einzelfall zu einer - beschränkten - Nachschußpflicht oder zum Verzicht auf Zinsauszahlungen führt 70 . Außerdem dürfte häufig das Verlustrisiko hinsichtlich der Einlage höher als bei einer gleichrentablen sonstigen „sicheren" Geldanlage sein. Insgesamt läßt sich für beide Konstellationen - „Angestellter" und „Kapitalgeber" - nicht sagen, daß sich der mit der Gesellschafterstellung beabsichtigte Effekt auch durch eine Vertragsgestaltung als Anstellungs- bzw. Darlehnsvertrag erreichen ließe. Insbesondere die - von den Mitgesellschaftern gewollte - Bindung an die gesellschaftliche Treuepflicht unterscheidet das Gesellschaftsverhältnis deutlich von einem Austauschverhältnis. 5. Die herkömmliche Gesellschafterstellung als Mitglied einer gleichberechtigten Arbeits- und Haftungsgemeinschaft 71 muß deshalb überdacht werden 72. Dabei darf nicht übersehen werden, daß die Zulassung der genannten atypischen Gestaltungsmöglichkeiten im Interesse sowohl der Gesellschaft als auch der Gesellschafter minderen Rechts sein kann. Für ein festes Anstellungsverhältnis mit dem Betreffenden würden der Gesellschaft häufig die finanziellen Mittel fehlen. Ein Berufsanfänger könnte eine „Vollgesellschafterstellung" am Markt nicht realisieren, der Kommanditgesellschafter keine gleichwertigen Steuerersparnismöglichkeiten erzielen. Im übrigen besteht ein solcher „zweitklassiger" Einstieg oftmals nur auf Zeit 73 . Nach einem gewissen Zeitablauf sind Verbesserungen der Stellung z.B. durch Vertragsanpassungen möglich 74 . Die Nachteile, die den „Gesellschafter minderen Rechts" bis zu diesem Zeitpunkt treffen, müssen aber in einem vernünftigen Verhältnis zu seinen Pflichten und Risiken stehen. Andernfalls drohte in der Tat eine unzulässige Knebelung. Die Risiken des Einlageverlustes, der persönlichen Haftung und der reinen Gewinnbe-

70

BGH NJW 1985, 974 m.w.N.

71

Vgl. z.B. A. Hueck, OHG, S. 26; Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 2.

72

In dieser Hinsicht auch z.B. Lutter, AcP 180 (1980), 84, 147 ff.; K. Schmidt in FS Stimpel, (1985), S. 217, 218 ff.; Schwark in FS Stimpel, (1985), S. 1087, 1094 ff. 73 In einer zeitlichen Unbegrenztheit der Figur des Gesellschafters „minderen Rechts" knüpft u.a. die Kritik R. Fischers an in ZGR 1979, 251, 263 f.; Gesammelte Werke, S. 248, 259 f. 74

Grundlegend: Zöllner in JSK 143 (1979), S. 11 ff.

128

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

teiligung sowie der Bindung an die Treuepflicht erfordern deshalb einen angemessenen Ausgleich, der durch eine Übernahme von Regelungen und Rechtsgedanken von Anstellungs- und Darlehnsverträgen 75 bzw. durch die entsprechende Anwendung kapitalgesellschaftsrechtlicher Normen 76 geschaffen werden könnte. Zu denken ist vor allem an vorzeitige Lösungsalso Kündigungs- und Austrittsrechte 77, Schadensersatzansprüche und Kapitalanlegerschutz-rechte 78. Auch bei anderen zivilrechtlichen Mischverträgen oder atypischen Gestaltungen, z.B. beim Leasing oder Factoring, finden Elemente verschiedener Vertragstypen nebeneinander Geltung. Findet ein vertraglicher Ausgleich statt, indem z.B. das fehlende Stimmrecht durch eine erleichterte Kündigungsmöglichkeit ergänzt bzw. teilweise aufgewogen wird, kann nicht von einer unzulässigen Knebelung gesprochen werden. Die Schranke der Sittenwidrigkeit soll nicht jede vertragliche Schlechterstellung, sondern eine nachhaltige Lähmung der wirtschaftlichen und damit der persönlichen Freiheit vermeiden 79. Deshalb ist, sofern nicht die Pflichten und Risiken des Gesellschafters minderen Rechts dessen Vorteile im Einzelfall deutlich überwiegen, nicht ohne weiteres erkennbar, daß der weitergehende Stimmrechtsausschluß in jedem Falle als sittenwidrig bewertet werden muß 80 . Selbst wenn man die grundsätzliche Zulässigkeit weitergehender Stimmrechtsausschlüsse anerkennt, bedeutet dies allerdings keinen Ausschluß der Möglichkeit, daß ein Gesellschaftsvertrag mit der Zeit sittenwidrig wird, weil die ehemals zulässigen Beschränkungen von Stimmrecht und Einfluß ihre Berechtigung verlieren. Durch Zeitablauf verschieben sich regelmäßig die der Bewertung zugrundegelegten Umstände. Dies ist aber kein typisches Problem atypischer Gestaltungen81, sondern ein allgemeines Problem der Anpassung von Gesellschaftsverträgen 82. Wie jedes schuldrechtliche Verhältnis stehen auch sie unter dem immanenten Einfluß von Treu und Glauben. Die Rechtsfolge der Änderung wichtiger Vertragsgrundlagen muß

75

Loritz, JZ 1986, 1073, 1075 ff.

76

Martens, DB 1973, 413, 420; Lutter, AcP 180 (1980), S. 84, 107; H.P. Westermann, AcP 175 (1975), 375, 406; Wiedemann in FS H. Westermann (1974), S. 585, 591. 77

Vgl. z.B. Reuter, AcP 181 (1981), 1,9.

78

Vgl. dazu Schwark in FS Stimpel (1985), 1087, 1091 ff.

79

Kollhosser in FS H. Westermann (1974) S. 275, 283 f.

80

Ebenso Spengler in FS Möhring (1965), S. 165, 170 f. in Anlehnung an einen unveröffentlichen Schiedsspruch. 81

Zutreffend Brändel in FS Stimpel (1985) S. 95,102.

82

Zöllner, JSK 143 (1979), S. 11 f.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses129

aber die Anpassung an die Verhältnisse 83 und sollte nicht die grundsätzliche Verneinung der Zulässigkeit weitergehender Stimmrechtsbeschränkungen sein, so daß auch dieser Gesichtspunkt nicht offensichtlich gegen die Zulässigkeit entsprechender Rechtsverkürzungen spricht. 6. Nach den vorstehenden, eher grundsätzlichen Überlegungen läßt sich nicht mit Bestimmtheit festlegen, welcher der beiden Auffassungen zur Reichweite des Stimmrechtsausschlusses der Vorzug zu geben ist. Der Minderheitsmeinung84, welche ihn nur sehr restriktiv zulassen will, ist zuzugeben, daß er stets zu einer erheblichen Abhängigkeit von den anderen Gesellschaftern führt. Dabei darf jedoch nicht verkannt werden, daß die weitgehende Einführung des Mehrheitsprinzips bei den untersuchten Ungleichgewichtslagen jedenfalls faktisch zu einem ähnlichen Ergebnis führt. Der herrschenden Meinung 85 , die den Stimmrechtsausschluß sehr weitgehend zulassen will, ist darin zu folgen, daß das Innenverhältnis bei den Personengesellschaften einem weiten Gestaltungsspielraum unterliegt. Gerade die Problematik des Stimmrechtsausschlusses muß allerdings vom Ausgangspunkt einer fehlenden Gleichgewichtigkeit her gelöst werden 86. Es ist offensichtlich, daß der Gestaltungsfreiheit Grenzen gesetzt sein müssen. Das Stimmrecht z.B. für einen Beschluß über die Änderung der Gewinnquote auszuschließen, dürfte im Regelfall sicherlich zu weit gehen87. Es wird deshalb entscheidend auf die dogmatische Grundlage des Stimmrechtsausschlusses und deren Grenzen ankommen.

83 Als Rechtsgrundlage dient entweder die Treuepflicht, Wegfall der Geschäftsgrundlage oder die ergänzende Vertragsauslegung; H.P. Westermann in FS Stimpel (1985), S. 69, 72 ff. will zum gleichen Ergebnis durch „geltungserhaltene Reduktion" gelangen. 84 Schlegelberger/Gessler, HGB, § 119, Rdn. 1; Heins, NJW 1948, 252, 253; Weipert, HGB, 1. Aufl., § 119, Rdn. 13, anders aber 2. Aufl., § 119, Rdn. 13; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.; Larenz, SchR II, § 60 II b, S. 384 f.; sympatisierend wohl Renkl, Gesellschafterbeschluß, S. 65; Köhler, JA 1983, 168, 170; eingeschränkt auch Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 37 f.; § 161, Rdn. 70 f.; § 163, Rdn. 3. 85 BGHZ 20, 363; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119 Anm. 2 D; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217 ff.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 23; A. Hueck, OHG, S. 169; ders. ZHR 125 (1963) 1, 10 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 415 ff.; RGRK-v. Gamm, BGB, § 709, Rdn. 12; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 194; Spengler in FS Möhring (1965) S. 165, 170; Martens, DB 1973, 413, 417; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58; für die GmbH K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 8 ff. 86

Im Erg. auch so Comes, DB 1974, 2189, 2191; Martens, DB 1973, 413 u. 416.

87

Zustimmend Löffler, NJW 1989, 2656, 2660.

9 Lockowandt

130

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Die herrschende Meinung will die Grenze der Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses unter Rückgriff auf einen „Kernbereich der Gesellschafterrechte" bestimmen, der von einer Reihe von Autoren auf § 138 BGB zurückgeführt wird 88 . Eine hinreichend scharfe Grenzziehung mit Hilfe einer Generalklausel erscheint problematisch und nur dann sinnvoll möglich, wenn dem Kernbereich gleichwohl eine klare Kontur vermittelt werden kann. Bereits vor der Abstimmung sollte feststehen, wer mitstimmen darf und wer nicht. Der Umfang des Stimmrechtsausschlusses muß deshalb eindeutig und zuverlässig bestimmbar sein und die Grenzziehung weitgehend unabhängig von den konkreten Umständen des Einzelfalls erfolgen 89. Das Kernproblem der Grenze des zulässigen Stimmrechtsausschlusses, deren Bestimmung in der Literatur z.T. sogar für unmöglich gehalten wird 90 , besteht in der Lösung der Frage, wie weit die Privatautonomie im Recht der Personengesellschaften gilt, was bereits von Wieland als die vielleicht schwierigste Frage im Gesellschaftsrecht bezeichnet wurde 91. Da gerade in den atypischen Gestaltungen regelmäßig ein Ungleichgewicht in der Machtposition vorliegt, ist die beim Vertrag typischerweise gegebene Richtigkeitsgewähr 92 gefährdet. Nicht ganz ohne Grund wurde die Privatautonomie und das Rentabilitätsdenken als Grundsäulen der Gewähr für das Funktionieren der Gesellschaftsbeziehungen kritisiert und bestritten 93. Das Personengesellschaftsrecht kennt - vor allem im Gegensatz zum Aktienrecht - so gut wie keinen kodifizierten Minderheitenschutz 94. Aus diesem Grund war auch die Rechtsprechung bei der Formulierung von Schutzbereichen außerordentlich vorsichtig und hat sich auf die Lösung von

88 Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Anm. 23; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 406; Immenga, ZGR 1974, 385, 417; unklar Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36; auf eine entsprechende Anwendung von § 53 ΠΙ GmbHG stützen sich Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 24; Baumbach/Duden/Hopt, § 119, Anm. 2 D; auf ein eigenständiges Selbstschutzprinzip als Rechtsgrundlage Martens, DB 1973, 413, 418. 89

So schon RGZ 81, 37, 40.

90

So Immenga, ZGR 1974, 385, 416 f.; Comes in DB 1974, 2189, 2190. Comes untersucht sehr umfassend die verschiedenen Beschlußgruppen, eingeteilt nach Geschäftsführung, Strukturund Gesellschaftsvertragsänderungen. Er hält jedoch wegen der Verschiedenartigkeit der Einzelfalle eine pauschale Aussage zur Grenze der Ausschließbarkeit nicht für möglich, sondern tendiert eher zur Zulässigkeit einer Inhaltskontrolle nach AGB-Gesichtspunkten, DB 1974, 2189, 2241 f. 91

Wieland, Handelsrecht, Bd. 1, (1921), S. 579, Anm. 4.

92

Grundlegend Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941) S. 130 ff., 138 ff.

93

H.P. Westermann in FS H. Westermann (1974), S. 563, 564 ff.

94

Vgl. Martens, DB 1973, 413.

Β. Grundsätzliche Zulässigkeit eines weitergehenden Stimmrechtsausschlusses

Einzelfällen beschränkt, zumal ihre Versuche, in das Gebiet Vertragsfreiheit einzudringen, oft heftig kritisiert worden sind 95 .

131

der

Bei kritischem Hinterfragen von Umfang und Kontur des Kernbereichs ist festzustellen, daß sie weder einheitlich definiert sind, noch Einigkeit über die Prämissen besteht, welche der Konkretisierung zugrundezulegen sind 96 , obwohl der Begriff des Kernbereiches oder genauer gesagt, seine Idee, seit nunmehr über 30 Jahren 97 Gegenstand der juristischen Diskussion ist. Ein Teil seiner Merkmale wird zwar mittlerweile allgemein akzeptiert 98. Im einzelnen sind jedoch viele Elemente noch streitig 99 , was darauf zurückzuführen ist, daß aus verschiedenen Sichtweisen an ihn herangetreten wird 1 0 0 . Der Begriff des Kernbereichs wird bemüht zur Abgrenzung der Mehrheitsmacht 101, des Minderheitenschutzes 102, er dient zur Begrenzung des Mehrheitsprinzips 103, des Stimmrechtsausschlusses104, der Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen 105 und zur Rechtfertigung des Bestimmtheitsgrundsatzes 106. Die Frage des Kernbereiches betrifft folglich auch diese Problembereiche, welche ebenfalls jeweils auf das Problem der Schranken der Privatautonomie zurückzuführen sind.

95 Rehbinder in FS Stimpel (1985), S. 47, 49, der das Recht der Personengesellschaften als „klassische Spielwiese" für richterlichen Aktivismus bezeichnet; Kollhosser in FS H. Westermann (1974), S. 275 ff.; Hume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 280; H.P. Westermann in FS Stimpel (1985), 69, 71 f.; dagegen sieht Zöllner in JSK 143 (1979), S. 37 die Gefahr richterlicher Vertragseingriffe als relativ gering an. Ihm ist insoweit zuzustimmen, als ein Gesellschaftsvertrag kein auf 100 Jahre starrer Geltung ausgelegtes Statut sein kann. Die gesellschafterliche Treuepflicht muß richtigerweise als Weiterdenken des Vertragsinhaltes verstanden werden (S. 53). Die Annahme Kollhossers (a.a.O., S. 278), die Treuepflicht gelte nur starr im Rahmen des bestehenden Vertrages und begründe keinen Anspruch auf Änderung, ist als zu eng abzulehnen. 96

Zustimmend Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36.

97

BGHZ 20, 363 vom 14. Mai 1956.

98

Vgl. nur Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 37: Stimmrecht, Gewinnrecht, Liquidationsquote, Schutz vor zusätzlichen Belastungen sowie bei der personalistisch strukturierten Gesellschaft grundlegende Vertragsänderungen. 99

Vgl. nur Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6, 7, m.w.N.

1(κ)

Vgl. zur Entwicklung auch Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36; eingehend Röttger, Kembereichslehre, S. 95 ff. 101

Martens, DB 1973,413,416.

102

R. Fischer in FS Barz (1974), S. 33, 42; Gesammelte Werke, S. 193, 202.

103

Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 216 ff.

104

Comes, DB 1974, 2189.

105

Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36.

106

Z.B. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 72 ff., jedoch nur für Restbestandteile des Bestimmtheitsgrundsatzes. 9*

132

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Dem Kernbereich kommt demnach eine übergeordnete Funktion in bezug auf die Grenzen der Mehrheitsmacht und der Vertragsgestaltung zu. Zwischen beiden besteht ein enger Zusammenhang107. Der Kernbereich muß deshalb als übergreifendes - in sich schlüssiges - System verstanden werden, welches als Maßstab auch für die Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen und rechtsverkürzenden Vertragsgestaltungen Geltung entfalten kann. Wenn nach der Rechtsprechung des BGH sogar an die Zulässigkeit des Mehrheitsprinzips für Beschlüsse außerhalb der Geschäftsführung sehr hohe Anforderungen gestellt werden 108 , hat dies erst recht für die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses zu gelten. An dieser Stelle sei deshalb die Problematik des Stimmrechtsausschlusses zunächst zurückgestellt. Erst von dem zu definierenden Kernbereich können dann wiederum Rückschlüsse auf die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses gezogen werden. C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB im Personengesellschaftsrecht Der Begriff des Kernbereiches geht zurück auf eine Entscheidung des Zweiten Zivilsenats des BGH aus dem Jahre 1956 109 . In deren Leitsatz hieß es: „Das Stimmrecht eines Kommanditisten kann durch den Gesellschaftsvertrag ausgeschlossen werden, jedoch nur insoweit, als es sich nicht um Gesellschafterbeschlüsse handelt, die in die Rechtsstellung des Kommanditisten als solche eingreifen." Die Entscheidung kennzeichnet die spätere, manchmal verworren erscheinende Entwicklung. Da es sich um die ersichtlich einzige obergerichtliche Entscheidung zur Personengesellschaft handelt, die darüber hinaus von allen Kommentatoren und Autoren als Grundlage ihrer Argumentation verwandt wird 1 1 0 , erscheint eine eingehendere Auseinandersetzung mit ihr notwendig. I. Die Leitentscheidung des BGH Beklagte in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit war eine KG, deren Gesellschafter sich aus Mitgliedern zweier verschiedener Familienstämme zusammensetzten. Nach dem Tode der beiden Gründungsgesellschafter und ehemaligen Komplementäre waren deren gesetzliche Erben in die Gesellschaft eingetreten, wobei jeweils einer ihrer Söhne die Stellung als persönlich haftender Gesell-

107 So schon Fischer in L M Nr. 7 zu §§ 161, 119 HGB; auch zur identischen Rechtsgrundlage der Grenzen. 108

BGHZ 8, 35, 42; 48, 251, 253; 85, 350; BGH NJW 1988, 411 (Bestimmtheitsgrundsatz).

109

BGHZ 20, 363.

110 Vgl. nur Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; Baumbach/Duden/Hopt, HGB, § 119, Anm. 2 D.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

133

schafter übernahm und die übrigen Erben die Stellung von Kommanditisten erhielten. Um - dem testamentarischen Willen des verstorbenen Komplementärs entsprechend - den Einfluß der Kommanditisten auszuschließen und sie auf eine „rein kapitalmäßige" Beteiligung zu verweisen 111, wurde im Gesellschaftsvertrag vereinbart, daß die Kommanditisten „immer" durch den Komplementär vertreten werden sollten, der ihren Familienstamm repräsentierte. Da der klagende Kommanditist mit dem Inhalt der von den beiden persönlich haftenden Gesellschaftern gefaßten Beschlüsse, insbesondere über die Art und Höhe der Gewinnausschüttung, nicht einverstanden war, widerrief er die seinem Bruder erteilte „Stimmrechtsvollmacht" und begehrte mit der Klage die Feststellung ihrer widerrufsbedingten Unwirksamkeit. In einem ersten Schritt bestätigte der BGH zunächst die Auffassung des Berufungsgerichtes, welches die gesellschaftsvertragliche Stimmrechtsvereinbarung als unwiderrufliche Stimmrechtsvollmacht an die Komplementäre unter gleichzeitigem Stimmrechtsverzicht der Kommanditisten als unwirksam erachtet hatte 112 , weil sie einer unzulässigen Abspaltung des Stimmrechts vom Gesellschaftsanteil gleichzustellen sei 113 . Der bevollmächtigte Komplementär habe die Kommanditisten „immer" vertreten sollen, mit der Konsequenz, daß er keine Befugnis „neben" den Vollmachtgebern erhalten, sondern ihr Stimmrecht vollständig auf ihn übertragen werden sollte, mit der Folge der Ausschließung der Kommanditisten von ihrem Stimmrecht. In einem zweiten Schritt prüfte der BGH sodann die vom Berufungsgericht nicht behandelte Möglichkeit, der als unzulässige Stimmrechtsabspaltung unwirksamen Vollmacht im Wege der Umdeutung nach § 140 BGB gleichwohl zu rechtlicher Wirksamkeit zu verhelfen 114. Die gesellschaftsvertragliche Regelung habe im Ergebnis die Schaffung stimmrechtsloser Kommanditanteile, verbunden mit einem erhöhten Stimmrecht der Anteile der Komplementäre bedeutet. Da die rechtlichen Voraussetzungen des § 140 BGB grundsätzlich bejaht wurden, kam es vor allem auf die Beantwortung der Frage an, ob die gesellschaftsvertragliche Entziehung des Stimmrechts der Kommanditisten, verbunden mit der Erteilung eines erhöhten Stimmrechts an die Komplementäre, zulässig ist. Zunächst hob der BGH hervor, daß es nicht um den Ausschluß des Stimmrechts eines unbeschränkt Haftenden gehe, gegen den im Schrifttum erhebliche

1,1 OLG Karlsruhe vom 22.9.1954, 2 U 143/54, S. 10 (1. Berufungsurteil zu BGHZ 20, 363, unveröffentlicht); OLG Karlsruhe vom 13.12.1957, 7 U 134/56, S. 20 f. (2. Berufungsurteil zu BGHZ 20, 363, unveröffentlicht). 112

BGHZ 20, 363, 364 f.

113

BGHZ 3, 354.

114

BGHZ 20, 363, 366.

134

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Bedenken mit der Begründung geäußert worden waren, die ständige Ausschließung von der Mitwirkung an den Gesellschafterbeschlüssen vertrage sich nicht mit der persönlichen Haftung 115 . Diese Erwägung träfe auf den Kommanditisten insoweit nicht zu, als sich seine beschränkte und daher für ihn überschaubare Haftung in wirtschaftlicher Hinsicht nicht erheblich von der Haftung eines GmbH-Gesellschafters unterscheide, welche den Gesellschaftsgläubigern gegenüber auf seinen Anteil am Gesellschaftsvermögen beschränkt sei. Sodann verwies 116 der Senat auf seine zwei Jahre zuvor getroffene Entscheidung 117 , in der er den Stimmrechtsausschluß von GmbH-Geschäftsanteilen für zulässig erachtet hatte. Dieser Entscheidung lag folgender (untypischer) Sachverhalt zugrunde: Das Stimmrecht der Gesellschafter war an ihren Anteil am Stammkapital, das Gewinnrecht an ihren davon quotenmäßig verschiedenen Anteil am Eigenkapital der Gesellschaft gekoppelt. Ausgelöst durch eine Änderung steuerrechtlicher Vorschriften wurde einige Jahre später das Stammkapital berichtigt und erhöht. Dabei wurde ein sog. Stammkapital I I gebildet, während das ursprüngliche Stammkapital mit I bezeichnet wurde. Die geltende Regelung der Verteilung von Stimm- und Gewinnrecht sollte aber aufrecht erhalten bleiben, weshalb die Anteile am neugebildeten Stammkapital II in der Satzung vom Stimm- und Gewinnrecht ausgenommen wurden. Insbesondere die Wirksamkeit dieser Regelung war Gegenstand des Rechtsstreites. Die Entscheidung differenzierte zwischen Stimm- und Gewinnrecht und bejahte zunächst die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses mit dem Hinweis auf die das Innenverhältnis der GmbH beherrschende Privatautonomie 118. Eine entgegenstehende zwingende Bestimmung sei im GmbH-Gesetz im Gegensatz zum Aktiengesetz nicht enthalten, nach dessen §§ 12 I S. 1, 134 I S . I 1 1 9 grundsätzlich jede Aktie das Stimmrecht gewährt. Aber auch die Möglichkeit der Schaffung stimmrechtsloser Vorzugsaktien und der Umstand, daß das Stimmrecht einer Aktie erst mit der vollständigen Leistung der Einlage beginnt, zeige, daß das Stimmrecht nicht ein unerläßlicher Teil der Mitgliedschaft sei. Dem GmbH-Gesellschafter verblieben mit den Rechten auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, auf Auskunft und auf Einsicht in die Geschäftsbücher sowie mit der Befugnis zur Anfechtung der Gesellschafterbeschlüsse hinreichende Mitverwaltungsrechte, deren Vorhandensein keinen Anlaß gebe, seine Stellung als Gesellschafter anzuzweifeln. Im übrigen bestehe zwischen einem

115

BGHZ 20, 363, 368.

116

BGHZ 20, 363, 367 f.

117

BGHZ 14,264.

118

BGHZ 14, 264, 269 f.

119

Damals noch § 114 I S. 1 AktG.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

135

im Einzelfall sehr geringen Stimmrecht und einer Stimmrechtslosigkeit nur ein gradueller Unterschied 120. Das Gewinnrecht sei aufgrund der dispositiven Natur des § 29 I GmbHG ebenfalls kein zwingender Teil der Mitgliedschaft, wie sein zulässiger Ausschluß in den Fällen der Verfolgung eines gemeinnützigen oder wohltätigen Gesellschaftszweckes ebenso zeige wie der zulässige Ausschluß für einen bestimmten Zeitraum nach der Gesellschaftsgründung. Selbst wenn die Gesellschafter einen Geschäftsanteil aus dem Stammkapital I I auf einen Dritten übertragen würden, bestünde kein Zweifel an dessen Mitgliedschaft, da infolge des Bestehenbleibens des Rechtes am Liquidationsanteil gem. § 72 GmbHG auch er noch so hinreichend am wirtschaftlichen Ergebnis der Gesellschaft interessiert sei, daß von einem Wegfall der Verfolgung eines gemeinsamen Zweckes nicht die Rede sein könne 121 . Selbst der kumulierte Entzug von Stimmrecht und Gewinnrecht sei rechtlich unbedenklich. Ein Dritter, der einen Geschäftsanteil aus dem Stammkapital I I erwürbe, würde Gesellschafter und nicht bloß schuldrechtlich Beteiligter, da ihm die angesprochenen Mitverwaltungsrechte, das Anfechtungsrecht und der Liquidationsanteil zustünden und er in ganz anderer Weise als ein nur schuldrechtlich Beteiligter auf die Geschicke der Gesellschaft einwirken könne. Er erhielte keine derart ausgehöhlte Gesellschafterstellung, daß es gerechtfertigt wäre, seine Eigenschaft als Gesellschafter anzuzweifeln. Auch ein kumulierter Entzug verstieße deshalb weder gegen das Wesen der GmbH noch gegen den Gesellschafterbegriff. Erst wenn dem Betreffenden darüber hinaus kein Recht auf den Liquidationsanteil zustünde, könne von einer Gesellschafterstellung nicht mehr gesprochen werden 122 . Den in der Entscheidung im 14. Band für die GmbH entwickelten Grundsatz, daß eine Bestimmung über den Entzug des Stimmrechts nicht schon mit allgemeinen Grundsätzen des Gesellschaftsrechts in Widerspruch stehe, übertrug der BGH in seiner Entscheidung im 20. Band auf die Kommanditgesellschaft und arbeitete heraus, daß der grundsätzlichen Zulassung des Stimmrechtsausschlusses beim Kommanditisten keine Besonderheiten des Personengesellschaftsrechts entgegenstünden. Die Möglichkeiten des Stimmrechtsausschlusses müßten allerdings in beiden Gesellschaftsformen die gleiche sachliche Grenze finden 123 . Diese Schranke bilde im GmbH-Gesetz § 53 III, wonach ein Eingriff in die Sonderrechte des Gesellschafters nur mit dessen Zustimmung möglich ist.

120

BGHZ 14, 264, 270 f.

121

BGHZ 14, 264, 269 ff.

122

BGHZ 14, 264, 273 f.

123

BGHZ 20, 363, 368 ff.

136

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Diese Zustimmung sei nicht Ausfluß des Stimmrechtes, sondern stelle ein besonderes Erfordernis neben dem Gesellschafterbeschluß dar, welches auch dann Geltung entfalte, wenn dem Gesellschafter das Stimmrecht in zulässiger Weise entzogen wurde. Dies habe zur Folge, daß die Mehrheit ohne seine Zustimmung weder in seine Rechtsstellung eingreifen und diese verkürzen, noch ihn zu seinen Lasten ungleich behandeln, noch ihm erhöhte Pflichten auferlegen könne. Eine § 53 I I I GmbHG entsprechende Vorschrift kenne das Recht der Personengesellschaften nicht. Dort sei es - wenn das Mehrheitsprinzip vereinbart wurde - möglich, auch gegen den Willen des Einzelnen, d.h. ohne seine Zustimmung, eine Erhöhung der Gesellschafterpflichten zu beschließen, soweit der Grundsatz der Gleichbehandlung gewahrt werde. Die Vorschrift des § 53 I I I GmbHG könne zwar weder direkt noch entsprechend auf die Personenhandelsgesellschaft angewandt werden. Ihr läge aber letztenendes der allgemeine Rechtsgrundsatz zugrunde, daß eine sachlich unbegrenzte Einschränkung der wirtschaftlichen und damit der persönlichen Freiheit des Einzelnen von der Rechtsordnung nicht gebilligt werden könne 124 . Dieser allgemeine Rechtsgrundsatz könne bei der Personenhandelsgesellschaft wegen des fehlenden Korrektivs einer § 53 I I I GmbHG entsprechenden Vorschrift nur dadurch gewahrt werden, daß deren Gesellschaftern das Stimmrecht bei Beschlüssen erhalten bliebe, die in ihre schutzwerten Interessen insoweit eingreifen, als sie ihre Rechtsstellung als Gesellschafter beträfen, indem sie z.B. die Beteiligung als Kommanditist, ihre Haftungssumme, die Gewinnbeteiligung oder die Höhe ihres Auseinandersetzungsguthabens durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrages zu ändern bzw. zu schmälern beabsichtigten. Nur der diesbezügliche Erhalt des Stimmrechtes des Kommanditisten sei ein Äquivalent zum Erfordernis der Zustimmung des GmbH-Gesellschafters zu Eingriffen in seine Rechtsstellung und stelle sicher, daß der Stimmrechtsausschluß in beiden Gesellschaftsformen die gleiche Grenze fände.

II. Die sieben Kernaussagen Da die Entscheidung des BGH im 20. Band die Argumentation der Entscheidung im 14. Band aufgreift, können sie nicht losgelöst voneinander betrachtet werden. Zu Zwecken der besseren Übersicht über die komplexe Gesamtmaterie soll deshalb an die sieben Kernaussagen der Urteile angeknüpft werden, welche lauten: 1. Eine Gesellschafterstellung an sich ist erst dann zu verneinen, wenn die Teilhaberechte des Betroffenen so gering sind, daß er sich von einem bloß schuldrechtlich Beteiligten sachlich kaum noch unterscheidet.

124

BGHZ 20, 363, 369 f.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

137

2. Neben den Teilhaberechten muß der Gesellschafter die Möglichkeit besitzen, sich gegen Eingriffe in seine Rechtsstellung zu wehren. Zu diesem Zwecke muß ihm für Beschlüsse, die dies bewirken können, das Stimmrecht verbleiben, da im Personengesellschaftsrecht ein § 53 I I I GmbHG entsprechendes Korrektiv fehlt, welches derartige Eingriffe nur mit Zustimmung des Gesellschafters gestattet. 3. Das Stimmrecht kann nicht nur für Beschlüsse ausgeschlossen werden, welche die Geschäftsführung betreffen, sondern auch für Beschlüsse über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten, wie z.B. die Gewinnverwendung, solange sie nicht in die individuelle Rechtsstellung eingreifen, z.B. durch eine Änderung des Gesellschafts Vertrages. 4. Ein weitergehender Stimmrechtsausschluß führt zu einer sachlich unbegrenzten Einschränkung der wirtschaftlichen und damit auch der persönlichen Freiheit des Gesellschafters, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt werden kann. 5. Zwischen einem geringen Stimmrecht und einer Stimmrechtslosigkeit besteht nur ein gradueller Unterschied. 6. Bei der Personenhandelsgesellschaft ist es unzulässig, das Stimmrecht von der Mitgliedschaft abzuspalten und es auf einen anderen zu übertragen. 7. Die stimmrechtslose Beteiligung eines Kommanditisten verstößt nicht gegen allgemeine Grundsätze des Personengesellschaftsrechts. Der Kernbereich der Gesellschafterrechte wird anhand der Kernaussagen 1 4 entwickelt. Anschließend werden die Grenzen des Stimmrechtsausschlusses mit Hilfe der Kernaussagen 5 - 7 abgeleitet. III. Die Kernaussagen eins bis vier 1. Die erste Kernaussage: Die geschützten prozeduralen Gesellschafterrechte Eine Gesellschafterstellung an sich ist erst dann zu verneinen, wenn die Teilhaberechte des Betroffenen so gering sind, daß er sich von einem bloß schuldrechtlich Beteiligten sachlich kaum noch unterscheidet.

138

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Wie die Kernaussagen 1 und 2 zeigen, verfolgt der BGH offenbar zwei unterschiedliche Denkansätze. In BGHZ 14 ging es vor allem darum, die Gesellschafterstellung von der Stellung eines nur schuldrechtlich Beteiligten abzugrenzen, während es in der Entscheidung im 20. Band vorwiegend darum ging, die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit einzelner Mitglieder zu vermeiden. Der erste Denkansatz zielt dahin, daß sich ein Gesellschafter von einem lediglich schuldrechtlich Beteiligten durch ein Mindestmaß an Teilhaberechten unterscheidet 125. Der zweite zielt dahin, daß sich ein Gesellschafter in eine von der Rechtsordnung nicht zu billigende Abhängigkeit von der Willkür Anderer begibt, wenn ihm nicht genügend Möglichkeiten verbleiben, sich zumindest gegen Eingriffe in seine individuelle Rechtsstellung zur Wehr setzen zu können 126 . Der zweite Denkansatz hat ausschließlich den Individualschutz des einzelnen Gesellschafters vor Augen, der erste beabsichtigt neben dem Individualschutz auch einen „Systemschutz". Dies folgt aus der Feststellung des BGH in seiner Entscheidung im 14. Band, der Ausschluß bestimmter Geschäftsanteile vom Stimm- und Gewinnrecht verstoße nicht gegen das Wesen der GmbH 127 . Dieser Gesichtspunkt kommt zwar in der Aussage des BGH im 20. Band, der Entzug des Stimmrechts des Kommanditisten stehe nicht mit allgemeinen Grundsätzen des Personengesellschaftsrechts im Widerspruch 128 , nicht mit gleicher Deutlichkeit zum Ausdruck. Indem er sich jedoch auf die Argumentation im 14. Band bezieht, stellt er aber auch im 20. Band auf das Wesen der Gesellschaft und der Gesellschafterstellung ab. Das Verfolgen eines „systemschützenden" Ansatzes zeigt sich auch daran, daß in der Entscheidung im 14. Band auch schützenswerte Interessen Dritter in die Überlegungen miteinbezogen wurden. Der BGH ging dort der Frage nach, ob ein Dritter überhaupt als Gesellschafter bezeichnet werden könne, wenn er einen Geschäftsanteil erwirbt, der gewinn- und stimmrechtslos ist, oder ob er an der Gesellschaft lediglich in irgendeiner Form schuldrechtlich beteiligt sei 129 . Diese Überlegung läßt sich auch auf die Personengesellschaften übertragen. Eine einmalige Mitwirkung, z.B. durch eine Beitragsleistung, reichen, wenn der Betreffende umfänglich und auf Dauer von der weiteren Mitwirkung und vom Gewinnrecht ausgeschlossen ist, erst recht nicht zur Begründung von Mitgliedschaft und Gesellschafterstellung aus 130 . Wenn einem Mitglied aber

125

BGHZ 14, 264, 270 f., 273 f.

126

BGHZ 20, 363, 369 f.

127

BGHZ 14, 264, 268, 273.

128

BGHZ 20, 363, 366 ff.

129

BGHZ 14, 264, 272 f.

130

Lutter in AcP 180 (1980), 84, 149; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 99.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

139

wegen zu geringer Rechtsausstattung die Eigenschaft als Gesellschafter aberkannt würde, hätte dies nicht nur unerwünschte und u.U. weittragende Auswirkungen für den unmittelbar Betroffenen, sondern zugleich für die Mitgesellschafter, Gläubiger und Personen, die sich an der Gesellschaft beteiligen wollen 131 . Falls z.B. dem einzigen Komplementär einer KG die Gesellschaftereigenschaft abzusprechen wäre, bestünde die Gesellschaft als OHG mit der Folge der unbeschränkten Haftung der Kommanditisten. Möglicherweise wird den Gläubigern gleichzeitig die wirtschaftlich potenteste Haftungsmasse entzogen 132 . Weitere Probleme würden im Zusammenhang mit der Veräußerung einer Beteiligung an der Gesellschaft und mit dem Verkauf der Gesellschaft entstehen. Ob die auftretenden Probleme vor dem Hintergrund des Fehlens einer gesetzlichen Regelung allein mit der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft und den Grundsätzen der Rechtscheinhaftung gelöst werden können, ist ungewiß. In diesem Bereich sind längst nicht alle Fragen umfassend und zufriedenstellend geklärt 133 . Auch bei den Personengesellschaften muß deshalb die Gesellschafterstellung an sich nicht nur zugunsten des einzelnen Gesellschafters geschützt sein, sondern auch im Hinblick auf die Mitgesellschafter und Dritte. Gleichwohl dient der erste Denkansatz hinsichtlich der Abgrenzung der Stellung eines Gesellschafters von der eines schuldrechtlich Beteiligten nicht primär den Interessen der Mitgesellschafter und des Rechtsverkehrs. Es geht vielmehr, was vielfach übersehen wird 134 , nicht um einen „Systemschutz", sondern in Wirklichkeit auch unter diesem Aspekt zunächst um den Individualschutz. Ein Minimum an Mitwirkungs- und Verwaltungsrechten muß dem Gesellschafter zu seinem eigenen Schutz zustehen135, um seine - wenn auch geringfügigen - Gesellschafterrechte wahrnehmen und wahren zu können. Der BGH nennt in diesem Zusammenhang exemplarisch die Rechte zur Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen, auf Auskunft, auf Einsicht in die Geschäftsbücher und auf Anfechtung der Gesellschafterbeschlüsse 136. Der Inbegriff dieser Schutz- und Kontrollrechte wird in der Literatur, wenn auch mit im

131

Lutter in AcP 180 (1980), 84, 148 ff.

132

Vgl. hierzu BGH W M 1987, 689, 690, wo der BGH in einem bedenklichen orbiter dictum aber im Ergebnis aus Gründes des Verkehrsschutzes zutreffend - angenommen hat, auch ein 84jähriges Mitglied ohne Beteiligung am Gesellschaftsvermögen, an Gewinn und Verlust und ohne Stimmrecht, allerdings zumindest formell Geschäftsführer mit Tätigkeitsvergütung sei Gesellschafter einer GbR. 133

Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 192 ff.

134

Vgl. nur die Einteilung der Elemente des Minderheitenschutzes bei K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 386 ff. Dieser Denkansatz findet sich schon bei Martens, DB 1974, 413, 418; vgl. in dieser Richtung auch Brändel in FS Stimpel (1985), S. 95, 103 f.; Hennerkes/Binz BB 1983, 713, 715 ff. 136

BGHZ 14, 264, 270 f.

140

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Detail unterschiedlichem Inhalt, als „prozedurale Rechte 137 " bezeichnet. Gerade diese Rechte müssen dem Gesellschafter nicht nur im Gemeininteresse, sondern vor allem im Eigeninteresse erhalten bleiben. Die aufgeführten Mitverwaltungsrechte dienen nicht zur Umschreibung der Gesellschafterstellung an sich und um ihrer selbst willen, sondern ermöglichen es dem Gesellschafter erst, seine verbleibenden Rechte zum einen überhaupt wahrzunehmen und zum anderen zu verteidigen. Wenn schon seine materiellen 138 oder inhaltlichen 139 Rechte wie z.B. die Geschäftsführungsbefugnis und das Stimmrecht weitgehend eingeschränkt werden dürfen, so muß ihm doch zumindest ein Instrumentarium zustehen, um sich informieren und gegen mißbräuchliches Verhalten einzelner Mitgesellschafter bzw. der Mehrheit zur Wehr setzen zu können 140 . Die betroffenen Interessen der Mitgesellschafter und des Rechtsverkehrs haben für die Abgrenzung der Stellung eines Gesellschafters von derjenigen eines schuldrechtlich Beteiligten nur ein nachgeordnetes Gewicht. Es ist aber nicht zu verkennen, daß die Interessengefährdung Dritter neben dem Individualschutz ggf. ein zusätzliches Argument bildet, bestimmten gesellschaftsvertraglichen Gestaltungen im Einzelfall auch aus diesem Gesichtspunkt die Zulässigkeit zu versagen 141. Als Zwischenergebnis ist demnach zweierlei festzuhalten. Erstens verfolgen die scheinbar unterschiedlichen Denkansätze des BGH bei näherer Betrachtung weitgehend ein identisches Ziel, indem sie zugunsten des Individualschutzes ein Minimum von Rechten erhalten wollen, in welche die Mehrheit nicht zu Lasten des einzelnen Gesellschafters eingreifen kann. Zweitens lassen sich die Rechte des Kernbereichs in eine prozedurale und eine materielle Komponente unterteilen 142. Beide Gruppen von Rechten dienen 137 Martens, DB 1973, 413, 414; daran wohl anknüpfend Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7; Nitschke, S. 89 ff. Dieser Begriff ist zwar gerade im Hinblick auf die materiellen Gesellschafterrechte als begriffliches Gegenstück nicht ganz glücklich gewählt. Aber eine Bezeichnung als „formelle Gesellschafterrechte", welche das Bestehen einer Gesellschafterposition umschreiben würden, ist ebensowenig glücklich, wenn man bedenkt, daß für sie regelmäßig eine - wie auch immer geartete - Beteiligung am Gesamthandsvermögen erforderlich ist (so schon BGHZ 14, 264, 270), welche zu den „materiellen" Gesellschafterrechten zu zählen ist (vgl. Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7). Aus diesem Grunde soll am bereits eingebürgerten Begriff der „prozeduralen Rechte" festgehalten werden. 138

So Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7.

139

So Martens DB 1973, 413, 414.

140

Martens, DB 1973, 413, 414. Er zieht daraus den zutreffenden Schluß der Erforderlichheit von Bestimmtheitsgrundsatz und Inhaltskontrolle. 141 142

Lutter in AcP 180 (1980), 84, 151.

So zurecht auch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 351 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6 (unverzichtbare verzichtbare Rechte); Löffler, NJW 1989, 2656, 2657 f. (unverfügbare - verfügbare Rechte); Röttger, Kernbereichslehre, S. 131 f., 151, 159 ff., er bezeichnet sie jedoch als zwingende Mitgliedschaftsrechte.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

141

dem Individualschutz. Der Eingriff in die prozeduralen Rechte führt jedoch darüber hinaus u.U. zum Verlust der begrifflichen Gesellschafterstellung, was gleichzeitig eine Beeinträchtigung der Rechte von Dritten und Mitgesellschaftern nach sich zieht. Insoweit muß zum einen der Eingriff in die prozeduralen Rechte an strengeren Maßstäben gemessen werden, als der Eingriff in die materiellen Gesellschafterrechte. Zum anderen kann der Gesellschafter auf diese Rechte nicht ohne weiteres verzichten 143, weil dieser Verzicht u.U. auch Außenwirkung erhält. Da die Rechtsordnung niemanden zwingt, von seinen Rechten auch Gebrauch zu machen, ist damit allerdings nicht der aktuelle Verzicht im Einzelfall gemeint, sondern der generelle und auf die Zukunft gerichtete Verzicht, der sich - in welche Form auch immer gekleidet - im Gesellschaftsvertrag oder einer vertraglichen Nebenabrede niederschlägt. 2. Die zweite Kernaussage: Das Erfordernis der Zustimmung Neben den Teilhaberechten muß der Gesellschafter die Möglichkeit besitzen, sich gegen Eingriffe in seine Rechtsstellung zu wehren. Zu diesem Zwecke muß ihm für Beschlüsse, die dies bewirken können, das Stimmrecht verbleiben, da im Personengesellschaftsrecht ein § 53 I I I GmbHG entsprechendes Korrektiv fehlt, welches derartige Eingriffe nur mit Zustimmung des Gesellschafters gestattet. Nach § 53 I I I GmbHG kann die Satzungsänderung über eine Vermehrung der den Gesellschaftern nach dem Gesellschaftsvertrag obliegenden Leistungen nur mit Zustimmung sämtlicher beteiligter Gesellschafter beschlossen werden, sog. Belastungsverbot 144. Nach h.M. ist damit nicht Einstimmigkeit, sondern nur die Zustimmung der von der Leistungsvermehrung betroffenen Gesellschafter gemeint 145 . Dies gilt - entgegen der Auffassung des BGH 1 4 6 - auch für Personengesellschaften.

143 So neben den in FN 723 Genannten auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 386; Picot, BB 1993, 13, 17; Letztgenannte rechnen die unentziehbaren Rechte (prozeduralen Rechte) jedoch zu Unrecht nicht dem Kernbereich zu, der nach ihrer Auffassung nur die mit Zustimmung entziehbaren Recht umfaßt. 144

Vgl. K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 388 f.

Priester in Scholz GmbHG, § 53, Rdn. 86 f.; Ulmer in Hachenburg GmbHG, § 53, Rdn. 71; Zimmermann in Rowedder GmbHG, § 53, Rdn. 50. 146

BGHZ 20, 363, 368 f.

142

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Es trifft zwar zu, daß dort eine Betragserhöhung durch mehrheitlichen Beschluß ohne gleichzeitige gesonderte Zustimmung zulässig ist 147 . Nach der Rechtsprechung des BGH müßte das Mehrheitsprinzip für eine derartig schwerwiegende Vertragsänderung aber ausdrücklich und mit Angabe einer Obergrenze vereinbart werden 148 . Eine allgemeine Mehrheitsklausel reicht dazu nicht aus. Denn auszugehen ist zunächst vom Grundsatz des § 707 BGB, nach dessen Vorschriften gerade keine Verpflichtung zur Beitragserhöhung besteht. Weichen die Gesellschafter von diesem Grundsatz ab, indem sie vereinbaren, Beschlüsse über Betragserhöhungen mit Mehrheit zuzulassen, verzichten sie auf ihr Schutzrecht und stimmen bereits im Gesellschaftsvertrag einer späteren Beitragserhöhung dem Grunde nach zu 149 . Die die Gesellschafter als Korrektiv schützende Zustimmung tritt bei den Personengesellschaftern deshalb zeitlich vorverlagert auf. Der BGH führt in seiner Entscheidung im 20. Band selbst aus, daß letztlich § 138 BGB ratio des § 53 I I I GmbHG ist 150 . Dementsprechend sieht die herrschende Meinung § 53 I I I GmbHG heute als gesellschaftsrechtlichen Grundsatz 151 an, der nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern aufgrund fehlender Vorschriften über den Minderheitenschutz erst recht für Personengesellschaften gilt 1 5 2 . Danach erfordert eine zusätzliche Belastung einzelner Gesellschafter deren ausdrückliche Zustimmung, um wirksam zu sein 153 . Die 2. Kernaussage der Urteile, § 53 I I I GmbHG sei weder unmittelbar noch entsprechend auf Personengesellschaften anwendbar, trifft deshalb nicht zu. Auch das Personengesellschaftsrecht kennt ein entsprechendes Korrektiv. Der Schutz, den der BGH den Personengesellschaftern angedeihen lassen wollte, ist selbst nach seiner eigenen Einschätzung nicht ausreichend, weil, wie die fünfte Kernaussage zutreffend ausführt, oft nur ein gradueller Unterschied zwischen Stimmrechtsausschluß und einer hoffnungslosen Minderheitsposition bei

147

Vgl. RGZ 91, 166, 168 f.; 151, 321, 327; 163, 385, 391; BGHZ 8, 35, 39.

148

RGZ 163, 385, 391; BGHZ 8, 35, 39; BGH W M 1976, 1053, 1055; BGH NJW 1983, 164; zustimmend Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 707, Rdn. 3; Keßler in Staudinger BGB, § 707, Rdn. 4; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7. 149

Dazu eingehend unten S. 142 f., 146 f.

150

BGHZ 20, 363, 369.

151

Vgl. schon § 190 I, 17 ALR; er kommt auch in § 180 I AktG zum Ausdruck.

152

Vgl. Zimmermann in Rowedder GmbHG, § 53, Rdn, 45; in diese Richtung für die typische Per-sonengesellschaft auch Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 388; Löffler, NJW 1989, 2656, 2658; Herrmann, Jura 1986, 511, 515. 153 So auch Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78; Löffler, NJW 1989, 2656, 2658; Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 18; Herrmann, Jura 1986, 511, 515 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 388.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

143

Geltung des Mehrheitsprinzips besteht154. Der Erhalt des Stimmrechts allein vermag den „Gesellschafter 2. Klasse" deshalb nicht hinreichend zu schützen155. Er kann mangels Stimmkraft jederzeit überstimmt werden. Eine sittenwidrige Einschränkung der wirtschaftlichen und damit persönlichen Freiheit wird nur durch das Erfordernis der Zustimmung zu in die Rechtsstellung eingreifenden Beschlüssen vermieden, welche zusätzlich zum Stimmrecht 156 vorliegen muß, d.h. zumindest im Gesellschaftsvertrag erteilt wird. Es kommt deshalb für die Problematik des Kernbereichs und damit für den hinreichenden Schutz des Gesellschafters nicht auf den Erhalt des Stimmrechts, sondern auf dessen Zustimmung zu Rechtsverkürzungen an. Erst dann findet der Stimmrechtsausschluß bei den Personengesellschaften die gleiche sachliche Schranke wie bei der GmbH, wie es der BGH im 20. Band selbst fordert 157 . Die ungenügende Differenzierung des BGH zwischen Zustimmung und Stimmrecht 158 ist aus heutiger Sicht, also nachdem sich Rechtsprechung und Wissenschaft 37 Jahre lang mit der Thematik des Kernbereichs und des Bestimmtheitsgrundsatzes befaßt haben, zum einen auf das Mißverständnis 159 zurückzuführen, daß das in § 707 BGB verankerte Belastungsverbot nicht durch eine schlichte Mehrheitsklausel, sondern nur mit ausdrücklicher Zustimmung der Gesellschafter abbedungen werden kann. Zum anderen reichte das Ergebnis im 20. Band aus, um den konkreten Fall - Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses beim Gewinnverwendungsbeschluß - zu entscheiden. 3. Die dritte Kernaussage: Die geschützten materiellen Gesellschafterrechte Das Stimmrecht kann nicht nur für Beschlüsse ausgeschlossen werden, welche die Geschäftsführung betreffen, sondern auch für Beschlüsse über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten, wie z.B. die Gewinnverwendung, solange sie nicht in die individuelle Rechtsstellung eingreifen, z.B. durch eine Änderung des Gesellschaftsvertrages.

154

BGHZ 14,264,271.

155

Zustimmend Mecke, BB 1988, 2258, 2263; Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387 f. 156

So zutreffend BGHZ 20, 363, 368 f.

157

BGHZ 20, 363, 368.

158

So zutreffend Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22.

159 Berichtigend insofern R. Fischer in FS Barz (1974), S. 33, 42 f. = Gesammelte Schriften, S. 193, 202; zustimmend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 388.

144

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

a) Mit der dritten Kernaussage wollte der BGH den Kommanditisten ein Mitspracherecht für Beschlüsse über ungewöhnlich weitreichende Änderungen des Gesellschaftsvertrages erhalten, welche in ihre individuelle Rechtsstellung eingreifen 16(). Unter Heranziehung des Ergebnisses zur zweiten Kernaussage kann daraus nur der Schluß gezogen werden, daß ihnen zu diesem Zweck nicht nur das sie unzureichend schützende Stimmrecht verbleiben muß, sondern daß diese Beschlüsse nur mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung Wirksamkeit entfalten 161. An diesem weiteren Schritt sah sich der BGH lediglich aufgrund des unzutreffenden Verständnisses des Zusammenspiels zwischen § 707 BGB und dem auch zu diesem Zeitpunkt schon ständiger Rechtsprechung entsprechenden Bestimmtheitsgrundsatz außerstande, nach dem derart tiefgreifende und ungewöhnliche Beschlüsse nur dann mit Mehrheit zu fassen sind, wenn die Unterwerfung und damit die Zustimmung der Gesellschafter bereits im Gesellschaftsvertrag erklärt wurde 162 . b) Als für die Kommanditisten geschützte Rechte zeigte der BGH beispielhaft die Beteiligung als Kommanditist, die Haftsumme, die Gewinnbeteiligung und die Höhe des Auseinandersetzungsguthabens auf 163 . Diese Rechte lassen sich in zwei Gruppen unterteilen, nämlich in die Vermögensrechte und den Bestand der konkreten Gesellschafterstellung. Dies wurde vom BGH in einer späteren Entscheidung zum Kernbereich bestätigt, indem er die rechtliche und vermögensmäßige Position der Gesellschafter in der Gesellschaft als besonders geschützt hervorhob 164 . Betrachtet man diese Rechte im Hinblick auf die 4. Kernaussage, nach der den Gesellschaftern eine rationale Gestaltung ihrer eigenen Vermögensspähre vorbehalten werden soll, läßt sich die beispielhafte Aufzählung vorsichtig wie folgt ergänzen und konkretisieren: aa) Ein Eingriff in die Beteiligung als Kommanditist ist in zwei Richtungen denkbar. Im ersten Fall erfolgt er durch die Umwandlung seiner Gesellschafterstellung in die eines GmbH-Gesellschafters 165 oder Aktionärs 166 oder gar in die eines persönlich haftenden Gesellschafters

160

BGHZ 20, 363, 370.

161

So im Ergebnis die h.M., vgl. nur Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36, Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362; Röttger, Kernbereichslehre, S. 128 ff.; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 398, 408. 162 Vgl. RGZ 91, 166, 168 f.; 151, 321, 327; 163, 385, 391; BGHZ 8, 35, 41 f.; 85, 350, 355 f.; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 30 ff. m.w.N. 163

BGHZ 20, 363, 370.

164

BGH NJW 1985, 972, 973.

165

Vgl. BGHZ 8, 35; 85, 350; BGH W M 1966, 707, 708.

166

Vgl. dazu auch BGHZ 85, 350, 352, 359 f.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

145

der KG oder einer OHG. In allen drei Fällen ändert sich die Struktur der Gesellschaft bzw. der konkreten Mitgliedschaft entscheidend. In den Kapitalgesellschaften wandelt sich die Selbstorganschaft zur Fremdorganschaft, das Merkmal der persönlichen Mitarbeit tritt in den Hintergrund, das Ausmaß der Treuepflicht verringert sich, es gilt grundsätzlich das Mehrheitsprinzip, die Besteuerung der Gesellschaften unterliegt vollkommen anderen Regelungen. Als Komplementär oder OHG-Gesellschafter haftet das Mitglied dagegen sogar persönlich und es muß erweiterte Pflichten in Bezug auf die Geschäftsführung erfüllen. Im zweiten Fall erfolgt der Eingriff durch die Beendigung der Mitgliedschaft selbst durch einen Auflösungsbeschluß oder eine Hinauskündigung167. Für die vorgenannten Strukturänderungen hat die Rechtsprechung entschieden, daß sie nur dann von der Mehrheit beschlossen werden können, wenn die Gesellschafter bereits im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich oder zumindest im Wege der Auslegung erkennbar ihre Zustimmung erteilt haben. Der Bestimmtheitsgrundsatz verlangt, da die schrankenlose Unterwerfung der Personengesellschafter unter den Mehrheitswillen ebenso wie der Stimmrechtsausschluß gegen die guten Sitten verstößt, daß der Gesellschafter die konkreten Folgen seiner Unterwerfung unter den Mehrheitswillen zumindest im wesentlichen abschätzt und sachgerecht würdigt, wie es der Privatautonomie als Mittel zur rationalen Selbstbestimmung hinsichtlich der eigenen wirtschaftlichen Verhältnisse entspricht. Die Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz beruht aus diesem Grunde auf denselben Überlegungen wie diejenigen zum Kernbereich, setzt aber gewissermaßen eine Stufe höher an, indem er die Verzichtbarkeit der materiellen Gesellschafterrechte bereits voraussetzt. Sie kann deshalb zu Zwecken der Ergänzung und Konkretisierung der vom BGH im 20. Band beispielhaft aufgeführten Rechte herangezogen werden. bb) Das Stimmrecht nannte der BGH in seiner Aufzählung im 20. Band nicht ausdrücklich, vielmehr setzte er die Zustimmung zu seinem Ausschluß bereits im Gesellschaftsvertrag gedanklich voraus. Aus dem Umstand, daß er es gleichwohl zumindest bei wesentlichen Vertragsänderungen nicht für vollständig verzichtbar hielt, folgt jedoch, daß auch dieses Recht zu den materiellen Gesellschafterrechten zu zählen ist, welche nur mit Zustimmung entzogen werden können 168 .

167

Vgl. dazu BGH NJW 1988,411, 412 für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KG.

168

So auch die h.M.; vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78, 83; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 36 f.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10; Röttger, Kernbereichslehre, S. 171 ff. 10 Lockowandt

146 cc)

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Die Entscheidung im 20. Band bezog sich auf einen Kommanditisten, so daß für den BGH kein Anlaß bestand, das Recht auf Geschäftsführung in seine Betrachtung einzubeziehen. Ob dieses Recht zur Rechtsstellung und zur Mitgliedschaft eines persönlich haftenden Gesellschafters zu rechnen ist, bedarf einer sorgfältigen Prüfung. Die Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz deutet darauf hin, indem sie die Zulassung des Mehrheitsprinzips für die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis an das Vorliegen einer diesbezüglichen Zustimmung geknüpft hat 169 .

c) Ersetzt man in der dritten Kernaussage den Begriff „Stimmrecht ,, durch „Zustimmung", zeigt sich, daß sie sich auch im Hinblick auf die Beschlüsse im Bereich der Geschäftsführung, der sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten und u.U. auch der „gewöhnlichen" Änderungen des Gesellschaftsvertrages 170 in Übereinstimmung mit dem Geltungsbereich des Bestimmtheitsgrundsatzes 171, d.h. seiner „Steigerungstrias 172" befindet. Da die persönlich haftenden Gesellschafter der GbR und der OHG bereits nach dem Gesetz von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden dürfen, reicht für die Geltung des Mehrheitsprinzips für Geschäftsführungsbeschlüsse eine einfache Mehrheitsklausel aus. Diese bezieht gleichzeitig die Beschlüsse über die sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten mit ein, denn sie werden auf der Basis des geltenden Gesellschaftsvertrages beschlossen und unterliegen mit wenigen Ausnahmen im erhöhten Maße der Treuepflicht, weil sie der Geschäftsführung nahestehen. Da zwischen einem geringen Stimmrecht und einem Stimmrechtsausschluß im Einzelfall allenfalls ein gradueller Unterschied besteht, ließ der BGH im 20. Band den Stimmrechtsausschluß für den Gewinnverwendungsbeschluß konsequenterweise zu. Soll die Mehrheitsklausel auch Änderungen des Gesellschaftsvertrages umfassen, fordert der Bestimmheitsgrundsatz eine hinreichend deutliche Erklärung der Gesellschafter. Sie deckt dann aber nur Beschlüsse, welche nicht in die individuelle Rechtsposition der Gesellschafter eingreifen. An die Bestimmtheit der Zustimmung für diese Beschlußgegenstände stellt der BGH zurecht geringere Anforderungen. Eine ganze Reihe von Vertragsänderungen, z.B. der Firma, des Publikationsorgans oder kleinerer Förmlichkeiten der Gesellschafterversammlung berühren die wirtschaftlichen Belange der Gesellschafter und damit ihr Selbstbestimmungsrecht in vielen Fällen nicht.

169

BGH BB 1985, 1623.

170

Dazu ausführlich unten S. 147 ff.

171

RGZ 91, 166; 114,393,395; 136,236,243; 151, 321, 326 f.; 163, 385, 391; BGHZ 8, 35, 39 ff.; 48, 251, 253 ff.; 61, 304; 71, 53, 57 f.; 85, 350, 355 ff. 172

So Martens, DB 1973, 413, 416; Immenga, ZGR 1974, 385, 418.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

147

Mit Blick auf die vierte Kernaussage über § 138 BGB als dogmatische Grundlage des Kernbereichs kann der Auffassung des BGH zugestimmt werden, nicht der gesamte Gesellschaftsvertrag gehöre zwingend zur vom Kernbereich geschützten Rechtsstellung des Gesellschafters 173 dergestalt, daß für ihn ändernde Beschlüsse in jedem Fall das Einstimmigkeitsprinzip gelten müsse. Bei Betrachtung des erweiterten Kreises der geschützten Rechte zeigt sich, daß nicht allein die Vermögensrechte, sondern die gesamten materiellen Mitgliedschaftsrechte des Gesellschafters vor einem ohne seine Zustimmung erfolgenden Entzug geschützt sind. Ohne Zustimmung sind demnach weder Maßnahmen zulässig, die in besonders schwerwiegender Weise die Rechtsstellung eines Gesellschafters tangieren, indem sie die materiellen Gesellschafterrechte und -pflichten in erheblicher Weise verändern, noch Maßnahmen, die in die Grundstruktur der Gesellschaft eingreifen 174. 4. Die vierte Kernaussage: Die dogmatische Grundlage und der Umfang des Kernbereichs Ein weitergehender Stimmrechtsausschluß führt zu einer sachlich unbegrenzten Einschränkung der wirtschaftlichen und damit auch der persönlichen Freiheit des Gesellschafters, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt werden kann. Mit der vierten Kernaussage werden als dogmatische Grundlage des Kernbereichs die Grundsätze der sittenwidrigen Knebelung angesprochen. Dieser Ansatz ist zutreffend 175, denn es geht vorliegend, wie oben gezeigt wurde 176 , ausschließlich um den Individualschutz. Wenn - wie im Personengesellschaftsrecht - spezialgesetzliche Normen fehlen, bildet die Generalklausel des § 138 BGB unter Verweisung auf den Bewertungsmaßstab der „guten Sitten" eine allgemeine Schranke für die Gültigkeit von Rechtsgeschäften, also auch für gesellschaftsvertragliche Regelungen, mit dem Ziel, die autonome Rechtsgestaltung des Einzelnen zu seinem eigenen Schutz zu begrenzen, um Mißbräuchen der

173 So aber Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369; ders. in FS H. Westermann (1974), S. 585, 595; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10. 174

So auch Menk, Bestimmtheitsgrundsatz/Kernbereichslehre, S. 45 f.

175

Zustimmend Immenga, ZGR 1974, 385, 416 f.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 23; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 353; U.H. Schneider, ZGR 1972, 357, 363 f.; Hüffer, ZHR 151 (1987) S. 398, 406; ausdrücklich offengelassen bei Brändel in FS Stimpel (1985), 95, 103, FN 24; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36; Herrmann, Jura 1986, 511, 515. 176

1

Siehe oben S. 101 ff.

148

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Vertragsfreiheit vorzubeugen. Soweit einige Autoren den Kernbereich auf § 53 I I I GmbHG 177 oder ein eigenständiges Selbstschutzprinzip 178 zurückführen, liegen nur scheinbar abweichende Auffassungen vor. Sowohl § 53 I I I GmbHG als auch das Selbstschutzprinzip sind letztlich Ausfluß des allgemeinen Rechtsgrundsatzes des § 138 BGB, daß eine sachlich unbegrenzte Einschränkung der wirtschaftlichen und persönlichen Freiheit von der Rechtsordnung nicht gebilligt wird 1 7 9 . Obgleich der Ansatz an sich praktisch uneingeschränkt Zustimmung gefunden hat 180 , sind dogmatisch begründete Konkretisierungen meist an der Oberfläche geblieben. So ist es nicht verwunderlich, daß beispielsweise der bedeutsame Auflösungsbeschluß von einigen Autoren zum Kernbereich gerechnet wird 1 8 1 , von anderen dagegen nicht 182 . Wie Löffler zutreffend bemerkt, unterliegt die juristische Argumentation im Hinblick auf den Kernbereich allzu leicht einem Zirkelschluß, indem ein Mitgliedschaftsrecht zum Kernbereich gerechnet wird, weil es unentziehbar sein soll 183 . Der Bewertungsmaßstab der „guten Sitten" ist folglich zu konkretisieren und für die Bestimmung der Grenzen des Kernbereichs fruchtbar zu machen. Unter „guten Sitten" ist keine Sittlichkeit im gesinnungsethischen Sinne zu verstehen 184, sondern der Gesetzgeber wollte nach Streichen des Begriffs der „öffentlichen Ordnung" im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens einen außerrechtlichen Maßstab schaffen, mit dessen Hilfe bestimmte zivilrechtliche Gestaltungen an einer gesellschaftlich anerkannten einheitlichen Sittenordnung gemessen werden konnten 185 . Die Vorstellung von einer einheitlichen Sittenordnung erwies sich jedoch in der industriellen Massengesellschaft mit ihrer Pluralität unterschiedlicher Wertauffassungen als unzutreffend. Durch den für die Richter entstehenden Konflikt, ihre Urteile trotz mangelnder Rückgriffs-

177 Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 24; Baumbach/Duden/Hopt HGB, § 119, Anm. 2 D; offengelassen bei Herrmann, Jura 1986,511,515. 178

Martens, DB 1973,713,718.

179

BGHZ 20, 363, 369.

180

Röttger, Kernbereichslehre, S. 124 ff., verfolgt dagegen einen an der Mitgliedschaft orientierten Ansatz, räumt aber auf S. 147 ein, daß eine Weitung am Maßstab des § 138 BGB letztlich zum gleichen Ergebnis führen müsse. 181 Martens, DB 1973, 413, 416; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Löffler, NJW 1989, 2656 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390. 182

Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716.

183

Löffler, NJW 1989, 2656 f.

184

Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, § 138, Rdn. 3.

185

Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, § 138, Rdn. 5.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

149

möglichkeit auf diese einheitliche Sittenordnung rational nachvollziehbar begründen zu müssen186, verkehrte sich die ursprüngliche gesetzliche Konzeption im Laufe der Zeit ins Gegenteil. Insbesondere die Zivilrechtsprechung des BGH befragte deshalb nicht ein „außergesetzliches Anstandsgefühl", sondern bestimmte die „guten Sitten" überwiegend in Anlehnung an gesetzliche Wertungen 187 . Dementsprechend befand sie Rechtsgeschäfte nach § 138 BGB für nichtig, welche gegen grundlegende Prinzipien der Rechtsordnung verstießen 188. Insbesondere die Wertentscheidungen des Grundgesetzes fanden über § 138 BGB ihren Weg ins Zivilrecht 189 . Darüber hinaus werden aber auch die spezialgesetzlichen Wertungen, z.B. des Personengesellschaftsrechts 190, berücksichtigt. a) Die Wertentscheidungen des Grundgesetzes aa)Das Grundgesetz setzt den Menschen als vernünftiges, eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Wesen voraus. Die im Zivilrecht geltende Privatautonomie ist Teil dieses Prinzips der Selbstbestimmung des Menschen191 und wird zumindest in ihrem Kern durch die Artikel 1 und 2 GG geschützt. Die Vertragsfreiheit als Bestandteil der Privatautonomie gestattet dem Einzelnen, im Rahmen der Rechtsordnung eigenverantwortlich rechtsverbindliche Regelungen zu treffen. Die Fähigkeit zur Rechtsgestaltung ist Ausfluß der Würde des Menschen und seines Rechtes auf persönliche Entfaltung 192 . Die Rechtfertigung einer weitgehenden Vertragsfreiheit beruht auf der Überlegung, daß das von den Vertragsparteien übereinstimmend Gewollte für die Gestaltung ihrer eigenen Beziehungen regelmäßig vernünftig und sinnvoll ist 193 . Dies gilt auch für den Fall, daß sich eine Partei - wie beim Stimmrechtsausschluß - auf eine Regelung einläßt, welche gemessen am Gesetz für ihn eine Schlechterstellung bedeutet194, weil dabei ein gleichwohl verbleibender Vorteil unterstellt wird, ohne dessen Genuß er sich auf die

186

BVerfG NJW 1973, 1221, 1225.

187

Haberstumpf, S. 42 ff.; Hönn, JA 1987, 337, 339; vgl. auch BGHZ 68, 212, 215 (Gesellschafterausschluß). 188

BGHZ 68, 4; 80, 158; vgl. auch BGHZ 105, 213, 218.

189

BVerfGE 7, 206; 24, 251; BGHZ 44, 158, 161; BGHZ 70, 324.

190

BGHZ 81, 263, 266.

191

Flume, BGB AT, Das Rechtsgeschäft, S. 1 ff.

192

Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, vor § 116, Rdn. 4.

193

Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, vor § 116, Rdn. 4.

194

Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 17.

150

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Benachteiligung nicht eingelassen hätte. Die Bindung ist deshalb auch auf Seiten des intellektuell oder wirtschaftlich schwächeren Vertragspartners grundsätzlich Ausdruck und Ergebnis seiner Mündigkeit und Selbstverantwortlichkeit. Das in Art. 2 I GG gewährte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ist jedoch immanent beschränkt. Die grundgesetzlich zugestandene Vertragsfreiheit erreicht ihre Grenze, wo die vereinbarte Regelung die Rechte anderer verletzt oder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. Eine Schranke bildet insbesondere das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrecht des jeweiligen Vertragspartners. Dessen Selbstbestimmungsrecht steht nicht zur Disposition der privatautonomen Gestaltungsfreiheit 195. § 138 BGB als Bestandteil der verfassungs-mäßigen Ordnung versagt daher im Rahmen des Gebotes der sozialen Gerechtigkeit 196 Vertragsgestaltungen die Wirksamkeit, welche tiefgreifend und nachhaltig in die Gestaltung des persönlichen Lebensbereichs des Gesellschafters eingreifen. Dieser Kern an Selbstbestimmung ist auch seiner Dispositionsbefugnis entzogen und soll zum eigenen Schutz des Gesellschafters so weitgehend frei von Fremdbestimmung bleiben, daß er zurecht noch als „freier Mann" bezeichnet werden kann 197 . Gesellschaftsverträge bei Personengesellschaften führen zwangsläufig zu einer erheblichen Beschränkung der persönlichen Entfaltungsfreiheit. Der Einzelunternehmer dagegen ist - abgesehen von den Gesetzen des Marktes, um die es hier nicht geht - in seiner Willens- und Entschließungsfreiheit von Dritten weitgehend unabhängig. Er entscheidet allein über das Ob und Wie der Führung seines Unternehmens und damit über die konkrete Verwendung seines Vermögens. Entscheidet er sich jedoch, sein Unternehmen mit mehreren Mitgesellschaftern in der Rechtsform einer Personengesellschaft zu betreiben, ist er unter der Geltung des Einstimmigkeitsprinzips an die Mitwirkung aller, unter der Geltung des Mehrheitsprinzips an die Mitwirkung der Mehrheit der Gesellschafter gebunden, wenn er nicht gar überstimmt wird und sich dem Willen der Mehrheit beugen muß. Sein „Geschäftskapital" wächst dem Gesamthandsvermögen zu. Der wirtschaftliche Erfolg oder Mißerfolg des Unternehmens hängt entscheidend von der Qualität der Mitarbeit der übrigen Gesellschafter ab. Das Selbstbestimmungsrecht der einzelnen Gesellschafter wird durch diese freiwillig eingegangene und überschaubare Selbstentmündigung bzw.

195

Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 191.

196

Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, § 138, Rdn. 7.

197

So plastisch der BGH in Bd. 44, 158, 161.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

151

Fremdbestimmung aber nicht verletzt. Sie verlagern einen Teil dieses Rechtes auf die Gesellschafterversammlung, der sie wiederum als Mitglied angehören. Dem Grundgedanken des Art. 2 I GG widerspricht lediglich eine umfassende Selbstentmündigung. Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Grenzen der Mehrheitsmacht als auch auf den Stimmrechtsausschluß als auch auf die Verlagerung von Entscheidungen auf Beiräte oder Repräsentativorgane. bb)Für die Abgrenzung des Kernbereichs ist insbesondere das Recht auf selbstbestimmte wirtschaftliche Betätigung von Relevanz. Bei Betrachtung der atypischen Konstellationen, in denen entweder nur der Kapitaleinsatz oder nur der Arbeitseinsatz im Vordergrund stehen, und in denen die Beschränkung von Mitwirkungsrechten in der Praxis am häufigsten auftreten, zeigt sich, daß die Rechtsstellung und die Interessen der „Gesellschafter zweiter Klasse" vorwiegend in vermögensrechtlicher Hinsicht bedroht sind. Beim „angestellten" Komplementär wird die Gesellschafterstellung durch Arbeitseinsatz und die Risiken der Gewinnbeteiligung und der persönlichen Haftung geprägt. Wird ihm ein festes Gehalt garantiert, entfällt das Risiko der Gewinnbeteiligung, die persönliche Haftung dagegen bleibt unabhängig von einer etwaigen Haftungsfreistellung bestehen. Anders als beim Arbeitnehmer steht nicht das Interesse an einer angemessenen und zumutbaren Ausgestaltung des Tätigkeitsbereiches im Vordergrund, sondern angesichts der persönlichen Haftung und des Unterworfenseins unter die Treuepflicht mit ihrer flexiblen Auswirkung auf die persönliche Stellung das Interesse an einem hinreichenden Vermögensschutz 198. Die Rechtsstellung des ausschließlich kapitalistisch Beteiligten wird charakterisiert durch die Hingabe von Kapital gegen Schaffung einer Kapitalanlage und Gewinnanteilen nebst Steuervorteilen 199. Ihm drohen das Risiko des Verlustes der Einlage und der Gewinnbeteiligung bzw. der Steuerersparnis. Hier handelt es sich ebenfalls um vermögensrechtliche Positionen, die seine Rechtsstellung ausmachen und die als solche zu schützen sind. In der vierten Kernaussage der beiden Grundsatzurteile stellt der BGH deshalb zurecht eine enge Verbindung zwischen der wirtschaftlichen und der persönlichen Freiheit heraus. Auch in einer späteren Entscheidung zum Kernbereich wies der BGH ausdrücklich auf die rechtliche und vermögensmäßige Position der Gesellschafter in der Gesellschaft als für sie ge-

198

Zum streitigen Problem des Abfindungsanspruchs Huber, ZGR 1980, 177, 194 ff.

199

Loritz, JZ 1986, 1073, 1075, 1077.

152

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

schützte Rechtsstellung hin 200 . Nicht die Motive 2 0 1 und Affektionsinteressen der Gesellschafter, sondern deren wirtschaftliche Interessen 202 sollen nicht unbegrenzt eingeschränkt werden dürfen, was darauf zurückzuführen ist, daß das Einkommen und das Vermögen unter den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen einen entscheidenden Einfluß auf die persönliche Handlungsfreiheit besitzen. Häufig ist ein erheblicher Teil des Vermögens gerade der Personengesellschafter in der Gesellschaft gebunden. Mit dem umfassenden Verlust der gesellschaftsrechtlichen Mitbestimmungsmöglichkeit ist daher regelmäßig ein Verlust an Disponibilität über das eigene Vermögen verbunden, welche auch unter den Gesichtspunkten des Art. 14 GG und des § 903 BGB nicht gebilligt werden kann. Darüber hinaus geht das gesetzliche Leitbild der Personengesellschaften von einer grundsätzlichen Mitarbeit aller Gesellschafter aus. Dies gilt mit Einschränkungen sogar für die Kommanditisten, die nach § 170 HGB nur von der Vertretung zwingend ausgeschlossen sind und im Rahmen der Geschäftsführung nach § 164 HGB jedenfalls über Geschäfte mitentscheiden sollen, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen. Die laufenden Einkünfte aus ihrer Tätigkeit in der Gesellschaft als Lebensberuf 203 bilden daher oftmals die Existenzgrundlage 204 für die Gesellschafter und ihre Familien. Der Verlust an Mitverwaltungs- und Mitbestimmungsrechten kann unmittelbare Auswirkungen auf diese Existenzgrundlage mit sich bringen, z.B. wenn ein Gesellschafter nach Maßgabe einer entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Regelung willkürlich durch die Mehrheit aus der Geschäftsführung abberufen wird 205 , insbesondere wenn diese Tätigkeit gesondert zu vergüten ist 206 . Desweiteren darf weder die Mehrheit noch ein Einzelner die Macht besitzen, nach freiem Ermessen einen Mitgesellschafter aus der Gesellschaft auszuschließen und damit dem Beruf oder der Existenz die Grundlage entziehen207. Der Berufsausübung ist in Art. 12 I GG grundgesetzlich ein besonderer Stellenwert eingeräumt worden. Dieses Recht ist im Rahmen von § 138 BGB ebenfalls zu beachten208.

200

BGH NJW 1985, 972, 973.

201

Hierzu auch Beierstedt, JuS 1963, 253, 254 f.

202

Vgl. auch BGHZ 44, 158, 161: Aufgabe der Selbstbestimmung hinsichtlich der wirtschaftlichen Betätigung. 203

So ausdrücklich BGH DB 1985, 1736.

204

Vgl. BGHZ 105, 213, 215 f.; BGH NJW 1985, 2421, 2422.

205

BGH BB 1985, 1623.

206

Vgl. BGH W M 1973, 326.

207

BGH NJW 1985, 2421, 2422.

208

BGH DB 1985, 1736, 1737.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

153

Das in Art. 2 I GG garantierte Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wird dann verletzt, wenn einer der Gesellschafter geknebelt wird, d.h. wenn die vertragliche Beschränkung seiner Freiheit einen Grad erreicht, an dem er seine wirtschaftliche Selbständigkeit nahezu völlig verliert oder sie zu einem so wesentlichen Teil gelähmt ist, daß er sich gewissermaßen selbst entmündigt und dadurch wirtschaftlich zu einem willenlosen Werkzeug der Mächtigeren, also zu einem Objekt und Regelungsadressaten wird 209 . In diesem Falle hat er sich in einem weiten Bereich seiner wirtschaftlichen Betätigung der freien Selbstbestimmung entäußert und sich langfristig der Entscheidung Dritter unterworfen. Dieses Ergebnis wäre für einen „freien Mann" unerträglich 210 und stünde im Widerspruch zur bestehenden Rechtsund Sozialordnung. Vertragliche Beschränkungen der Handlungsfreiheit, die dazu führen, daß ein Gesellschafter die essentiellen, seine vermögensmäßige Position betreffenden Entscheidungen, insbesondere über die Änderungen der Gesellschaftsstruktur und des Gesellschaftsvertrages nicht selbstbestimmt treffen kann, verstoßen gegen die Wertentscheidungen des Grundgesetzes und führen unter dem Gesichtspunkt der Sittenwidrigkeit zu einer Nichtigkeit der entsprechenden Bestimmung des Gesellschaftsvertrages. Etwas anderes gilt nur für Vertragspartner in der Rechtsform einer juristischen Person, welche insoweit kein eigenes grundgesetzlich geschütztes Persönlichkeitsrecht besitzt 211 . b) Die Wertentscheidungen des Gesellschaftsrechts Die Generalklausel des § 138 BGB dient nicht nur zur Konkretisierung von Wertmaßstäben, die in der Verfassung niedergelegt, sondern zugleich zur Konkretisierung von Wertmaßstäben, die in der gesamten Rechtsordnung angelegt sind 212 . Damit sind auch die Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts in die Wertung des § 138 BGB einzubeziehen, was von der Rechtsprechung des BGH zur Hinauskündigung von Gesellschaftern ausdrücklich betont wurde 213 . 209

BGH W M 1959, 626, 628; 1976, 181; OLG Frankfurt, NJW 1967, 1043.

210

BGHZ 44, 158, 161.

211

Dürig in Maunz/Dürig/Herzog GG, Art. 2, Rdn. 68.

212

Palandt/Heinrichs BGB, § 138, Rdn. 3 ff.

213

BGHZ 81, 263, 266 f.; BGH NJW 1985, 2421, 2422; diese Rechtsprechung ist zwar von der Literatur heftig kritisiert worden mit der Begründung, der BGH hätte seine Urteile ausschließlich auf die allgemeine Sittenwidrigkeit stützen und sie nicht zusätzlich mit einem Verstoß gegen „nebulose allgemeine Grundsätze des Gesellschaftsrechts" begründen sollen (Rehbinder in FS Stimpel (1985) 47, 63 f.; Flume, DB 1986, 629, 630; Fastrich, ZGR 1991, 306, 307, 311; Behr, ZGR 1990, 370, 371). Diese Kritik geht jedoch an der Sache vorbei und ist lediglich auf eine etwas unglückliche Formulierung der jeweiligen Urteilsgründe zurückzuführen. So stellte der 2. Senat beispielsweise in seiner Entscheidung vom 25.3.1985 (BGH NJW 1985, 2421, 2422) fest, die angegriffene Gestaltung des Gesellschaftsvertrages sei „bei den hier gegebenen Verhältnissen nicht

154

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Als eines dieser Grundprinzipien stellte der BGH die Besonderheit des Gesellschaftsvertrages heraus, welcher im Gegensatz zum reinen Austauschvertrag auf ein gedeihliches Zusammenwirken der Gesellschafter zur Erreichung eines gemeinsamen Zweckes angelegt ist 214 . Der Gesellschaftsvertrag begründet für die Beteiligten eine Mitgliedschaft, d.h. nicht nur ein Bündel einzelner subjektiver Rechtsverhältnisse 215, sondern eine Sonderrechtsbeziehung sowohl zwischen dem Mitglied und der Gesellschaft als auch zwischen den Mitgliedern selbst 216 . Durch die Mitgliedschaft entstehen sowohl Teilhabe- und Mitverwaltungsrechte, Kontroll- und Schutzrechte sowie Vermögensrechte 217, als auch umfängliche Pflichten in Bezug auf Beiträge, Loyalität und Rücksichtnahme. § 138 BGB verbietet Vertragsgestaltungen, welche die Mitgliedschaft durch Entzug der obengenannten Mitgliedschaftsrechte derart aushöhlen, daß sich der Gesellschafter von einem lediglich schuldrechtlich Beteiligten kaum noch unterscheidet 218, denn in diesem Falle verstoßen sie gegen Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts. Die Bindung an den Gesellschaftsvertrag führt in der Praxis zu zwei wichtigen Konsequenzen; erstens zu einer sozialen Identifikation der Gesellschafter mit der Gesellschaft, mit der Folge, daß das Engagement der Gesellschafter qualitativ ein anderes ist als das schuldrechtlich Beteiligter. Zweitens schafft der Gesellschaftszweck einen allgemeinen Verhaltensmaßstab für die Mitglieder. Er konkretisiert die Förderungs- und Treuepflicht der einzelnen Gesellschafter 219 und zwar sowohl im Hinblick auf die Geschäftsführung als auch im Hinblick auf die Grundlagen der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter untereinander. Ein Abweichen von diesem Verhaltensmaßstab kann zur Unwirksamkeit von Beschlüssen und zum Entstehen von Schadensersatzansprüchen führen.

nur mit den Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts nicht vereinbar, sondern auch unter dem Blickpunkt den § 138 I BGB als unzulässig und damit nichtig zu erachten". Aus dem jeweiligen Gesamtzusammenhang der beiden Urteile folgt jedoch, daß die Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts nicht neben, sondern im Rahmen des § 138 BGB als Wertungsgesichtspunkte herangezogen wurden (BGH NJW 1985, 2421, 2422, re. Spalte unten; BGHZ 81, 263, 267; vgl. auch Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 20). Die Grundprinzipien des Gesellschaftsrechts fließen deshalb in die Wertung im Rahmen des § 13S BGB mit ein. 214

BGHZ 81, 263, 266, BGH NJW 1985, 2421, 2422.

215

Haff, Institutionen der Persönlichkeitslehre und des Körperschaftsrechts, S. 211 f.; R. Heinsheimer, Über die Teilhaberschaft, S. 35; Hadding in FS Reinhardt (1972), S. 249. 216 Lutter, AcP 180 (1980) S. 84, 122 ff. m.w.N.; in dieser Richtung inzwischen auch Hadding in FS Steindorff (1990), S. 31, 37 f. 217 Vgl. die Einteilungen bei Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 366 einerseits und K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 452 andererseits. 218

Vgl. dazu oben bereits S. 101 ff.

219

Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 13.

C. Der Kebereich als Konkretisierung von § 138 BGB

155

Der Zweck des Gesellschaftsvertrages besteht in der Verfolgung eines gemeinsamen Interesses, eines gemeinsamen Zieles 220 . Austauschverträge im Sinne eines „do ut des" werden dagegen regelmäßig von Eigeninteressen bestimmt. Der reine Kapitalgeber mag ein gewisses Interesse am Bestand und am Wohlergehen der Gesellschaft haben. Es beschränkt sich aber regelmäßig auf den Erhalt eines gesunden Unternehmens, um den beabsichtigten Zinsertrag und die spätere Rückzahlung des zur Verfügung gestellten Kapitals sicherzustellen. Dieses Interesse unterscheidet sich qualitativ von dem des Gesellschafters. Für den Kapitalgeber steht nicht ein gemeinsames Interesse an der Gesellschaft im Vordergrund, sondern ein Eigeninteresse. Desgleichen ist ein Arbeitnehmer zwar am Wohlergehen und der Förderung der Gesellschaft interessiert, aber vor allem, weil davon die Sicherheit seines Arbeitsplatzes und die Höhe seines Gehaltes beeinflußt werden. So hoch er in der Unternehmenshierarchie angesiedelt sein mag, er arbeitet nicht mit eigenem Kapital. Auch bei ihm steht das Eigeninteresse im Vordergrund. Kapitalgeber und Arbeitnehmer unterfallen darüber hinaus nicht der Förderungspflicht, welche nur dann umfänglich wahrgenommen werden kann, wenn dem Betreffenden die zentralen Gesellschafterrechte, d.h. Mitwirkungs-, Informations- und Kontrollrechte zustehen. Darin unterscheidet sich der Gesellschafter entscheidend vom schuldrechtlich Beteiligten 221 bzw. vom Arbeitnehmer. Nur der Gesellschafter ist in der Lage, unmittelbar bestimmen, was mit seinem Anteil am Gesamthandsvermögen im Rahmen der konkreten Zweckverfolgung geschieht bzw. wie er seine Arbeitskraft im Rahmen der Förderungspflicht einsetzt. Von einem gemeinsamen Zweck kann nicht mehr gesprochen werden, wenn die Rechtsstellung eines Gesellschafters, bei dem der Kapitaleinsatz im Vordergrund steht, letztlich derjenigen des Gebers eines ggf. partiarischen Darlehns 222 oder der eines stillen Gesellschafters 223 gleichkommt. Dasselbe gilt bei einem Gesellschafter, bei dem der Arbeitseinsatz im Vordergrund steht, z.B. beim angestellten Komplementär. Eine Gesellschafterstellung ist abzulehnen, wenn seine vertraglich zugestandenen Rechte denen eines Dienst- oder Anstellungsverhältnisses gleichkommen. Die Aufgabe des § 138 BGB besteht zwar nicht, wie Reuter 224 und Raiser 225 meinen, in einem Institutionenschutz. Es kann aber, entgegen der Auffassung

220

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 109.

221

BGHZ 14, 264, 273.

222

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 20.

223

Schlichte Innengesellschaft ohne vergleichbare Förderungspflicht.

224

ZGR 1987, 489, 497.

225

Raiser, S. 145 ff.

156

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Behrs, bei „bloßen" Systemwidrigkeiten gehe es gerade nicht um das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden 226 ", nicht geleugnet werden, daß die Generalklausel in einem gewissen Sinne Systemwidrigkeiten vorbeugen will. Der in §§ 105 HGB, 705 BGB vorausgesetzte gemeinsame Zweck ist das konstitutive Element 227 jeder Personengesellschaft als von gegenseitigem Vertrauen getragenen Arbeits- und Haftungsgemeinschaft 228. Innerhalb dieses Verbandes sollen die Gesellschafter gemeinsam über den Einsatz und die Verwendung ihrer nach § 705 BGB zu erbringenden Beiträge entscheiden. Seine Kapitaleinlage könnte der Einzelne u.U. weniger risikobehaftet und kurzfristiger verfügbar, mit höheren Erträgen und ohne Bindung an die gesellschaftliche Treuepflicht anderweitig einsetzen. Seine Arbeitskraft könnte er möglicherweise zu attraktiveren Gesamtbedingungen, unter geringerer Einflußnahme der Anteilseigner, längerfristig gesichert und ohne Bindung an die Treuepflicht an anderer Stelle erbringen, vielleicht sogar mit den Vorzügen und Sicherheiten eines gewöhnlichen AnstellungsVertrages. Die Schutzrichtung des § 138 BGB zielt deshalb nicht auf die Institution Gesellschaft, sondern auf das Individuum Gesellschafter 229. Unter diesem Gesichtspunkt sollen „Systemwidrigkeiten" vermieden werden. Wer die Lasten der Mitgliedschaft zu tragen hat, kann nicht zulässigerweise auf der anderen Seite wie ein Nichtgesellschafter behandelt werden dürfen. Dem Personengesellschafter müssen deshalb zumindest die essentiellen Mitwirkungs- und Teilhaberechte zustehen, die zur gemeinsamen Zweckverfolgung unabdingbar sind 230 und vor allem muß er über die grundsätzliche Art und Weise der Verwendung der von ihm eingebrachten Vermögenswerte mitentscheiden können. Selbst die Mitgliedschaft des Kommanditisten setzt ein handelndes, bzw. handlungsfähiges Subjekt voraus, das Pflichten übernehmen und Rechte ausüben kann 231 . Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß mit dem Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaften nur ein rechtliches Grundwerk 232 geschaffen wird, welches längerfristig gesehen an die sich ändernden rechtlichen und tatsächlichen Umstände anzupassen ist. Die Möglichkeit zur Mitwirkung an den vertraglichen

226

Behr, ZGR 1990, 370, 379 f.

227

Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 20.

228 Hommelhoff, DNotZ 1989, Sonderheft, S. 108, 109, hält Regelungen, die dem zuwiderlaufen, sogar wegen Gesetzesverstoßes nach § 134 i.V.m. § 705 BGB für unwirksam. 229

Dazu bereits ausführlich oben S. 102.

230

Ulmer in Staub HGB, Vor § 105, Rdn. 18.

231

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6.

232

Lutter, AcP 180 (1980), 84, 91.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

157

Anpassungen muß dem Einzelnen deshalb zumindest in den wesentlichen Grundzügen erhalten bleiben. Das in § 138 BGB verankerte Selbstschutzprinzip 233 würde gestört, wenn einzelne Gesellschafter von jeglicher Mitbestimmung ausgeschlossen wären oder der Mehrheit trotz fehlenden gesetzlichen Minderheitenschutzes das Recht gegeben würde, sogar Inhalt und Umfang des Rechtsschutzsystems durch entsprechende Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages allein zu bestimmen234. c) Die Wertentscheidungen des allgemeinen Zivilrechts aa) § 9 I I AGBG, dessen Gedanken von der Rechtsprechung ursprünglich nicht aus § 242 BGB, sondern aus § 138 I BGB abgeleitet wurden 235 , bietet zu diesem Komplex eine interessante Parallele. Danach ist eine Bestimmung infolge unangemessener Benachteiligung des Vertragspartners unwirksam, wenn sie entweder mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren 236 oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, daß die Erreichung des Vertragszweckes gefährdet ist 237 . Zwar soll nicht verkannt werden, daß § 9 AGBG auf Gesellschaftsverträge von Personengesellschaften schon infolge der Sperrwirkung des § 23 I AGBG nicht anwendbar ist 238 und daß darüber hinaus eine direkte oder analoge Anwendung überwiegend abgelehnt wird 2 3 9 mit der Begründung, ein Gesellschaftsvertrag sei schon wegen der Offenheit seines Vertragsinhalts 240 nicht mit AGB vergleichbar. Jene regelten überwiegend Nebenpflichten, während dem Gesellschaftsvertrag eine Trennung von Haupt- und Nebenpflichten fremd 241 und Hauptzweck der AGB eine Verteilung von

233 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362; Martens DB 1973, 413, 418; Löffler NJW 1989, 2656; Mecke BB 1988, 2258, 2259; Hüffer, ZHR 151 (1987) 396, 408. 234

Martens, DB 1973,413.

235

Vgl. Palandt/Heinrichs BGB, 44. Aufl. 1985, § 9 AGBG, Anm. 5.

236

§ 9 II Nr. 1 AGBG.

237

§ 9 II Nr. 2 AGBG.

238 Mit Ausnahme der Anwendung auf Publikumsgesellschaften, bei denen der Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag nicht einmal in Einzelheiten verhandeln, sondern ihn nur als Ganzes akzeptieren kann, vgl. BGHZ 64, 238; BGH DB 1977, 2088; DB 1978, 247; W M 1981, 1023; W M 1982, 760; W M 1983, 472. 239 Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 110; Ulmer in Mü-Ko BGB, vor § 705, Rdn. 108 jeweils m.w.N.; a.M. Wiedemann in FS H. Westermann (1974) S. 585, 589 f.; Schulte in FS H. Westermann (1974) S. 525, 535. 240

Martens, DB 1973,413,415.

241

H.P. Westermann in FS Stimpel (1985), S. 69, 87.

158

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Risiken, Hauptzweck von Gesellschaftsverträgen dagegen eine Verteilung von Einfluß 242 sei. Gleichwohl kommt in § 9 I I AGBG ein über seinen Anwendungsbereich hinausgehender Grundsatz des Zivilrechts zum Ausdruck 243 , nämlich daß die Vertragsfreiheit nicht von den mächtigeren Vertragspartnern dazu verwandt werden darf, gesetzlich vorgegebene Rechtsinstitute und Wertentscheidungen zu Lasten des schwächeren in ihr Gegenteil zu verkehren 244. Den Fällen des § 9 AGBG liegt eine ähnliche Ausgangssituation zugrunde, wie den hier interessierenden atypischen Gestaltungen im Gesellschaftsrecht. In beiden Fällen bestehen typischerweise Ungleichgewichtslagen, die dazu führen, daß der wirtschaftlich stärkere Vertragspartner die Freiheit der inhaltlichen Gestaltung allein für sich in Anspruch nimmt und der schwächere auf die Freiheit des Abschlusses an sich beschränkt wird 245 . Das AGBG wurde unter Berücksichtigung des Verbraucherschutzes als Weiterentwicklung der allgemeinen Grenze der Vertragsfreiheit der §§ 134, 138 BGB für Massengeschäfte entwickelt 246 . Obwohl die Regelungen des AGBG schon seit längerer Zeit ausschließlich unter dem Gesichtspunkt einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB betrachtet werden, gehen sie auf dieselben Grundgedanken zurück. Ein vorsichtiges Heranziehen der gemeinsamen Grundgedanken erscheint deshalb - mit allen Vorbehalten - zulässig247. bb)Eine Unwirksamkeit nach § 9 I I Nr. 2 AGBG ist im Zweifel anzunehmen, wenn wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, durch eine vertragliche Bestimmung so eingeschränkt werden, daß das Erreichen des Vertragszwecks gefährdet ist. Gemeint sind damit Rechte und Pflichten, deren Bestehen bzw. Erfüllung die ordnungsgemäße Ausführung des Vertrages überhaupt erst ermöglichen 248. Zur Bedeutung des im Gesellschaftsvertrag vorausgesetzten gemeinsamen Zwecks für die Abgrenzung der Mitgliedschaft zu einem Austauschverhält-

242

Martens, DB 1973, 413, 418 f.

243

In dieser Richtung Zöllner, RdA 1989, 152, 159 f.

244

Im Ansatz ähnlich schon Comes, DB 1974, 2189, 2237, 2242.

245

Für das AGBG vgl. Palandt/Heinrichs BGB, Vorbem. v. § 8 AGBG, Rdn. 1 ff.; Ulmer in Ulmer/Brandner/Hensen AGBG, Einl., Rdn. 4, 28 ff.; für das Gesellschaftsrecht: H.P. Westermann in FS Stimpel (1985) S. 69, 73 f. 246

Vgl. Palandt/Heinrichs BGB, Vorbem. v. § 8 AGBG, Rdn. 1, 16 ff.; Ulmer in Ulmer/Brandner/ Hensen AGBG, Einl., Rdn. 8; Brandner, ebenda, § 9, Rdn. 4. 247

Dieser Denkansatz findet sich schon bei Martens, DB 1973, 413, 414 ff.

248

BGH BB 1984,939.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

159

nis wurde bereits oben Stellung genommen249. Auch in Hinblick auf § 9 I I Nr. 2 AGBG gilt, daß wesentliche Rechte der schwächeren Gesellschafter nur in einem Ausmaß beschränkt werden dürfen, welches ihnen noch die Möglichkeit zur angemessenen und nachhaltigen Förderung des Gesellschaftszwecks beläßt. Das gleiche gilt für eine Einschränkung der Pflichten der mächtigeren Gesellschafter, z.B. zur Rücksichtnahme und zur Gewährung von Teilhaberechten. Jedem Gesellschafter müssen deshalb zumindest die zentralen Mitgliedschaftsrechte auf Teilhabe und Mitwirkung, Kontrolle und Rechtsschutz sowie die Vermögensrechte zustehen. Übermäßige gesellschaftsvertragliche Beschränkungen, welche einem Mitglied die angemessene und nachhaltige Erbringung seiner Förderungspflicht unmöglich machen, wären am Maßstab des § 9 I I Nr. 2 AGBG gemessen unwirksam, weil das Erreichen des personengesellschaftlichen Vertragszwecks gefährdet wird. cc) Eine Unwirksamkeit nach § 9 I I Nr. 1 AGBG ist im Zweifel anzunehmen, wenn eine vertragliche Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. § 9 I I Nr. 1 AGBG knüpft an den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsatz an, daß jedenfalls für die Inhaltskontrolle von AGB den Regeln des dispositiven Rechts eine Ordnungs- und Leitbildfunktion zukommt 250 . Damit soll allerdings nicht jede Abweichung vom dispositiven Recht sanktioniert werden, sondern nach der Entstehungsgeschichte des AGBG 2 5 1 sind unter „wesentlichen Grundgedanken" ausschließlich Regelungen zu verstehen, die auf einem Gerechtigkeitsgebot beruhen, nicht dagegen solche, die auf Zweckmäßigkeitserwägungen zurückzuführen sind 252 . Unter dem AGBG-rechtlichen Maßstab der Vermeidung unangemessener Benachteiligungen entfaltet allerdings selbst eine von wesentlichen Grundgedanken abweichende Regelung gleichwohl Bestandskraft, wenn der wirtschaftlich stärkere Vertragspartner auch unter Berücksichtigung der Interessen des schwächeren für die Abweichung überwiegende berechtigte Gründe darlegen kann 253 . Unter diesen Voraussetzungen tritt dann das Zweckmäßigkeitskriterium wieder in den Vordergrund.

249

Siehe oben S. 112 ff.

250

BGHZ 41, 151, 154; 54, 106, 110; 60, 377, 380; 89, 211; Weick, NJW 1978, 11; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 98 f. 251

BT-Drucks 7/5422, S. 6; Reg Entw. 23.

252

Vgl. dazu Brandner in Ulmer/Brandner/Hensen AGBG, § 9, Rdn. 124 m.w.N.

253 Palandt/Heinrichs BGB, 44. Aufl. 1985, § 9 AGBG, Anm. 3 a; vgl. auch Brandner in Ulmer/ Brandner/Hensen AGBG, § 9, Rdn. 129.

160

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Das Wesen der Personengesellschaften läßt sich mit den Merkmalen des gemeinsamen Zwecks, der Selbstorganschaft, des Gesamthandvermögens und der persönlichen Haftung umschreiben. Obgleich die spärlichen Regelungen über die Ausgestaltung des Innenverhältnisses weitgehend dispositiver Natur sind 254 , besitzen diese vier Merkmale eine gewisse Ordnungs- und Leitbildfunktion, die sich in der gesetzlichen Ausgestaltung des Innenverhältnisses niedergeschlagen hat. Vor dem Hintergrund dieser vier Merkmale kommen aber auch dem Einstimmigkeitsprinzip und bei persönlich haftenden Gesellschaftern dem Grundsatz der gemeinschaftlichen Geschäftsführung eine solche Ordnungsund Leitbildfunktion zu; fraglich ist nur, in welchem Umfang. (1)

Die Geschäftsführung steht in der GbR, der OHG und der KG allen persönlich haftenden Gesellschaftern gemeinschaftlich zu 255 . Wenn die Gesellschafter schon im Gegensatz zum Alleinunternehmer die unmittelbare Verfügungsbefugnis über ihr eingesetztes Vermögen auf die Gesamthand übertragen, es einer Zweckbindung unterstellen, bei Entscheidungen auf die Mitwirkung der übrigen Gesellschafter angewiesen sind und darüber hinaus für die Folgen der Geschäftsführung persönlich und unbeschränkt haften, müssen sie zumindest anteilig auch an den Entscheidungen über den Einsatz des Gesamthandsvermögens beteiligt sein. Das Geschäftsführungsrecht der persönlich haftenden Gesellschafter beruht damit auf einem Gerechtigkeitsgebot und gehört zu den wesentlichen Grundgedanken des Personengesellschaftsrechts. Dem steht nicht die gesetzlich bereits angelegte Möglichkeit entgegen, die Geschäftsführung mit der Konsequenz des Ausschlusses der übrigen auf einen oder mehrere Gesellschafter zu übertragen 256, denn diese Möglichkeit läßt sich nicht ausschließlich auf Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte zurückführen. Dem Gesetz ist vielmehr zu entnehmen, daß die Geschäftsführung und damit die Verantwortlichkeit für Bestand und Mehrung des Gesamthandsvermögens stets auf möglichst viele Schultern verteilt werden soll. Zur Geschäftsführung sind alle Gesellschafter nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet 257 . Der Gesellschafter kann sich dieser Pflicht ausschließlich bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entzie-

254

Vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 100; Ulmer in Staub HGB, vor § 105,

Rdn. 17. 255

§ 709 I BGB; §§ 114 I, 164, 161 II HGB.

256

§ 710 S. 1 BGB, § 114 II HGB.

257

So ausdrücklich § 114 I HGB.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

161

hen, indem er die Geschäftsführung aufkündigt 258 . Unabhängig davon, ob die Geschäftsführung von allen Gesellschaftern wahrgenommen wird, sind die Beschlüsse der Geschäftsführenden grundsätzlich einstimmig zu fassen 259. Selbst wenn mehrere „Geschäftsführer" jeweils zur alleinigen Geschäftsführung befugt sind, hat ein Geschäft zu unterbleiben, soweit ein anderer Geschäftsführer ihm widerspricht 260 . Einen Entzug des Geschäftsführungsrechts sieht das dispositive Recht nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vor, als ultima ratio zur Aufrechterhaltung einer ordnungsgemäßen Funktion der Geschäftsführung oder zur Vermeidung schwerwiegender Nachteile zulasten des Gesamthandsvermögens261. Bei den Handelsgesellschaften erfolgt die Entziehung darüber hinaus nicht durch einen bloßen Beschluß, sondern eine gerichtliche Entscheidung, welche das Vorliegen des wichtigen Grundes objektiv überprüft. Auch in den Fällen der Wahrnehmung der Geschäftsführung nur durch einen Teil der Gesellschafter werden die übrigen von der Geschäftsführung nicht „ausgeschlossen", sondern sie „übertragen 262 " sie gewollt und im Konsens mit den übrigen auf andere Gesellschafter ihres Vertrauens. Die Möglichkeit des Ausschlusses bzw. der Übertragung beruht aus den vorgenannten Gründen nicht von vornherein auf dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, sondern hier liegt ein Fall vor, in dem von einer auf ein Gerechtigkeitsgebot zurückgehenden Regelung im Ausnahmefall zulässigerweise abgewichen wird und das Zweckmäßigkeitsmoment erst im zweiten Schritt wieder in den Vordergrund tritt. Obwohl die Nichtgeschäftsführenden weiterhin persönlich haften, werden ihre Interessen hinreichend gewahrt, weil die Unternehmensleitung dem Grundsatz der Selbstorganschaft entsprechend in der Hand persönlich haftender Gesellschafter verbleibt. Damit wird den Schutzinteressen sowohl der Mitgesellschafter 263 als auch des Rechtsverkehrs 264 Genüge getan. Der Grundsatz der Selbstorganschaft in Verbindung mit der persönlichen Haftung stellt insoweit einen Kontrollmechanismus für eine verantwortliche Geschäftsführung dar 265 .

258

§§ 712 II BGB, 105 II, 161 II HGB.

259

§§ 710, S. 2, 709 I BGB, 119 I, 114 II, 161 II HGB.

260

§§711 BGB, 1151, 161 II HGB.

261

§§7121 BGB, 117, 161 II HGB.

262

§§ 710, S. 1 BGB, 114 II, 161 II HGB.

263

Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 343 f.; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 34.

264

Vgl. dazu K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 336 ff.

265

Wiedemann, JZ 1969, 471; zustimmend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 337.

11 Lockowandt

162

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Der Ausschluß wirkt darüber hinaus nicht umfassend, sondern erfaßt bei den Handelsgesellschaften nur die gewöhnliche Geschäftsführung 266 . Geschäfte, die über diesen Rahmen hinausgehen, bedürfen der Zustimmung der nicht geschäftsführenden Gesellschafter, den Kommanditisten steht ein in der Auswirkung gleiches Widerspruchsrecht zu 267 . Angesichts der möglichen Minderung des Gesamthandsvermögens und der persönlichen Haftung aller Gesellschafter sollen „die Übrigen" bei besonders umfangreichen, riskanten oder für die Gesellschaft untypischen Projekten ein Kontroll- und Mitspracherecht besitzen und die Verantwortung für deren Abschluß mitübernehmen. Ein wesentlicher Grundgedanke des Personengesellschaftsrechts besteht somit in der Beteiligung jedenfalls der persönlich Haftenden an der Geschäftsführung. Grundsätzlich anders verhält es sich bei den Kommanditisten, die nach der gesetzlichen Konzeption von der allgemeinen Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Um so wichtiger werden für sie aber die Informations- und Kontrollrechte, insbesondere das, die Geschäftsführung aus wichtigem Grund abzuberufen, falls sie sich als unfähig erweist. Angesichts der Beteiligung am Gesamthandsvermögen und der persönlichen, wenn auch summenmäßig beschränkten Haftung steht für die Verfügbarkeit dieser Rechte das Gerechtigkeitsgebot im Vordergrund, welches aus Selbstschutzgesichtspunkten gebietet, die Geschäftsführung zumindest kontrollieren und gegebenenfalls abberufen und zur Rechenschaft ziehen zu können. Die Rechte auf Kündigung der Gesellschaft oder Austritt bilden keinen adäquaten Schutz, weil die Haftung sowohl des persönlich als auch des auf die Einlage beschränkt Haftenden für Altverbindlichkeiten nach § 159 HGB erst 5 Jahre nach Auflösung oder Ausscheiden verjährt. Ein wesentlicher Grundgedanke des Personengesellschaftsrechts besteht deshalb für die Kommanditisten und die von der Geschäftsführung Ausgeschlossenen in der Kontroll- und Selbstschutzmöglichkeit, insbesondere, was die Geschäftsführung betrifft 268 . Berechtigte Gründe, auch unter Berücksichtigung der Interessen etwaiger „Gesellschafter zweiter Klasse" von dem Grundgedanken der Kontrolle und Sicherung einer verantwortlichen Geschäftsführung abzuweichen, sind nicht denkbar. Wenn sich die Gesellschafter im Gegensatz zum Alleinunternehmer - der unmittelbaren Verfügungsmacht über den Einsatz des Gesamthandsvermögens begeben und in die Hände von Personen ihres Vertrauens legen 266

§§ 1161, 164 S. 1 HGB.

267

Vgl. nur Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 2.

268

In der Tendenz ebenso Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6 f., 10.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

163

können, so muß ihnen doch zumindest ein gesicherter Mechanismus im Hinblick auf Information, Kontrolle und „Rechtsschutz" durch die prozeduralen Rechte des Kernbereichs verbleiben. In dieser Form gilt der wesentliche Grundgedanke der Kontrolle selbstverständlich nicht nur für den Kommanditisten, sondern auch für die persönlich haftenden Gesellschafter einschließlich des „angestellten Komplementärs". Unter Anlegung des Maßstabes des § 9 I I Nr. 1 AGBG wären Regelungen, die von diesem wesentlichen Grundgedanken abweichen, im Zweifel als unangemessene Benachteiligung Einzelner unwirksam. (2)

Die Personengesellschafter sollen die Entscheidungen grundsätzlich einstimmig treffen 269 . Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Zweckverfolgung, der Beteiligung am Gesamthandsvermögen und der persönlichen Haftung ist diese Regelung auf ein Gerechtigkeitsgebot zurückzuführen. Das Gesetz sieht einen Stimmrechtsausschluß lediglich für einige wenige Beschlußfassungen aus dem übergeordneten Gesichtspunkt der Interessenkollision vor, z.B. bei der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis aus wichtigem Grund 270 . Auch Änderungen des Gesellschaftsvertrages haben grundsätzlich einvernehmlich zu erfolgen. Da es sich um einen schuldrechtlichen Vertrag handelt, der nur mit allgemeinem Konsens geändert werden kann, enthält der einstimmige Beschluß einen Änderungsvertrag i.S.v. § 305 BGB, an dessen Abschluß alle Mitglieder beteiligt sind. Je größer die Anzahl der Gesellschafter wird und je komplexer sich das zu entscheidende Problem gestaltet, desto schwieriger wird die Herstellung der erforderlichen Einstimmigkeit. Schon das Gesetz sieht deshalb die Möglichkeit der (einstimmigen271) Vereinbarung des Mehrheitsprinzips vor 272 , um von dem „wesentlichen Grundgedanken" der Einstimmigkeit abzuweichen und unter Berücksichtigung, aber auch unter Wahrung ihrer Interessen aus Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten die Entscheidungsfähigkeit der Gesellschaft zu gewährleisten 273 . Bemerkenswert ist, daß das Gesetz in § 709 I I BGB die Zulassung des Mehrheitsprinzips bei der GbR ausschließlich auf die Geschäftsführung bezieht.

269

§ 7091 BGB; § 1191 HGB.

270

§§7121 BGB, 117 HGB.

271

Vgl. nur Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 34.

272

§ 709 II BGB, § 119 II HGB.

273

Insoweit ist Behr, ZGR 1990, 370, 377 ff. zuzugeben, daß auch die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern ist.

164

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Im Hinblick auf Beschlüsse über die Änderung des Gesellschaftsvertrages führt die Vereinbarung des Mehrheitsprinzips dazu, daß kein Änderungsvertrag i.S.v. § 305 BGB zustandekommt, sondern er bereits durch den Beschluß selbst geändert wird. Das Gesetz „schreibt insoweit etwas anderes vor 2 7 4 ". Im Recht der Personengesellschaften finden sich jedoch weder Bestimmungen über den Umfang der Zulässigkeit der Vereinbarung des Mehrheitsprinzips noch über die Größe der erforderlichen Mehrheit. Dagegen sind bei der GmbH 2 7 5 und der A G 2 7 6 satzungsändernde Beschlüsse regelmäßig an eine 3/4- Mehrheit gebunden. Bei der AG kann dieses Erfordernis für einen Beschluß über die Änderung des Unternehmensgegenstandes gem. § 179 I I S. 2 AktG nicht erleichtert, sondern allenfalls verschärft werden. Eine Vermehrung der Gesellschafterleistungen bedarf nach § 53 I I I GmbHG der Zustimmung der betroffenen Gesellschafter, bei der AG die Auferlegung von Nebenpflichten der Zustimmung der betroffenen Mitglieder. Im Hinblick auf die Möglichkeit der Einführung des Mehrheitsprinzips zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Gesellschaft kann deshalb nicht mehr mit Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten begründet werden, vom Grundsatz des Änderungsvertrages nach § 305 BGB uneingeschränkt abzuweichen und es auch für Änderungen des Gesellschaftsvertrages zuzulassen, welche in die Rechtsstellung der Gesellschafter, ihren Anteil am Gesamthandsvermögen und ihre persönliche Haftung eingreifen. Damit ist nicht gemeint, daß Mehrheitsbeschlüsse insoweit nicht grundsätzlich statthaft sind, sondern daß die Gesellschafter derartigen Eingriffen zustimmen müssen und zwar zumindest durch eine ausdrückliche Einbeziehung in das Mehrheitsprinzip. Ein weiterer Grundgedanke des Personengesellschaftsrechts besteht deshalb in dem Erfordernis der Zustimmung aller Gesellschafter zu den zentralen Beschlüssen über die Änderung des Gesellschaftsvertrages, die ihre Stellung, ihren Anteil am Gesamthandsvermögen und ihre persönliche Haftung betreffen. Unter Anlegung des Maßstabes des § 9 I I Nr. 2 AGBG wären Regelungen, die von diesem Grundgedanken abweichen, im Zweifel als unangemessene Benachteiligung Einzelner unwirksam.

274

§ 305 BGB, am Ende.

275

§ 53 II GmbHG.

276

§ 179 II AktG.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

165

d) Die Übereinstimmung der Wertentscheidungen Im Rahmen eines Vergleichs der Ergebnisse der Wertentscheidungen des Grundgesetzes, des Gesellschaftsrechts und des allgemeinen Zivilrechts ergibt sich, daß die hier interessierenden Schranken der Vertragsfreiheit weitgehend identisch bestimmt werden, wenn auch aus unterschiedlichen Gesichtspunkten heraus. Die Gestaltungsfreiheit für Personengesellschaftsverträge endet bei Überschreiten der Grenze zur Selbstentmündigung, weil die zentralen Gesellschafterrechte bis zur Bedeutungslosigkeit eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Dies gilt sowohl für die materiellen als auch für die prozeduralen Rechte. Gestaltungen, die diese Grenze überschreiten, sind nach § 138 I BGB als sittenwidrig unwirksam. Die Generalklausel schützt insofern die anerkannten Rechts- und Grundwerte der Rechtsordnung, des Gemeinschaftslebens und die Gebote der sozialen Gerechtigkeit 277. Es besteht zwar keine Typik der Personengesellschaften, aber § 138 I BGB bildet im Rahmen des Individualschutzes einen gewissen Systemschutz zugunsten der „Gesellschafter zweiter Klasse", was dazu führt, daß diese Gesellschafter bereits beim Eintritt zwingend mit einem Minimum an Mitwirkungsund Teilhaberechten ausgestattet werden müssen, welche zur gemeinsamen Zweckverfolgung unabdingbar sind. Eine weitere Grundvoraussetzung besteht in der rechtlichen Befähigung, über die grundsätzliche Art und Weise der Verwendung der von ihnen eingebrachten Vermögenswerte mitzuentscheiden. Über diese Gesellschafterstellung und ihre Vermögensrechte sollen sie auch nach Begründung der Mitgliedschaft - ähnlich einem Einzelunternehmer - selbstbestimmt verfügen können, d.h. die Mehrheit darf in ihren Freiheitsbereich nicht ohne ihre ausdrückliche Zustimmung eingreifen. Auch die Treuepflicht endet an diesem Freiheitsbereich 278. Ein Abweichen vom dispositiven Recht als Ordnungssystem ist nur insoweit zulässig, als die wesentlichen Grundgedanken der tangierten Norm nicht auf das Gerechtigkeitsgebot zurückgehen, welches einen Ausgleich schafft zwischen den Pflichten und Risiken einerseits und den Rechten und Chancen andererseits, die einen Gesellschafter im Gegensatz zum Einzelunternehmer treffen bzw. ihm zustehen. Vor diesem Hintergrund müssen allen Personengesellschaftern die prozeduralen Kontroll- und Rechtsschutzmöglichkeiten und die Mitwirkung bei wesentlichen Änderungen des Gesellschaftsvertrages sowie den persönlich Haftenden darüber hinaus die Beteiligung an der Geschäftsführung zustehen. Abweichungen von dieser Regel sind nur dann zulässig, wenn die stärkeren

277

Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, § 138, Rdn. 7.

278

In dieser Richtung auch Löffler, NJW 1989, 2656, 2657.

166

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Vertragspartner auch unter Berücksichtigung der Interessen des schwächeren überwiegende berechtigte Gründe darlegen. § 138 BGB erlaubt trotz der für eine Generalklausel typischen Weite eine greifbare Abgrenzung des Kernbereichs und zeigt sich damit leistungsfähiger, als von einigen Autoren angenommen wird 2 7 9 e) Schutz vor mittelbaren Eingriffen In die Rechtsposition des Gesellschafters eingreifende Beschlüsse über die Änderung des Gesellschaftsvertrages treten in zwei Spielarten auf, nämlich direkt (z.B. Änderung der Gewinnquote) und indirekt eingreifenden Beschlüssen (z.B. Aufnahme weiterer Gesellschafter). Die Zulässigkeit direkter Eingriffe in die Rechtsstellung der Betroffenen ohne seine Zustimmung wird zurecht durchgängig verneint. Fraglich ist jedoch, ob dies auch für indirekte Eingriffe zu gelten hat. Die wohl herrschende Meinung zieht aus der Entscheidung des BGH im 20. Band den Schluß, der Kernbereich schütze nicht vor indirekten Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung. Zur Begründung wird auf § 53 I I I GmbHG 280 , nach dessen Vorschriften eine gesonderte Zustimmung nur zu Eingriffen in Sonderrechte oder bei Mehrbelastungen erforderlich ist 281 sowie auf Zweckmäßigkeitserwägungen 282 verwiesen. Die auf § 53 I I I GmbHG gestützte Meinung übersieht hingegen, daß sich die Vorschrift in diesem Zusammenhang nicht auf die Personengesellschaft übertragen läßt. Die gesetzliche Regelung geht für die GmbH davon aus, daß sämtliche Vertragsänderungen mit Mehrheit beschlossen werden. Die Unterordnung der Minderheit unter die Interessen der Mehrheit ist dort also bereits gesetzlich als Regelfall vorgesehen. In den Kapitalgesellschaften trägt die Mehrheitsentscheidung ihre Legitimation immanent in sich, so daß lediglich noch direkte Eingriffe in Sonderrechte und die Leistungsvermehrung der Zustimmung bedürfen. Die Situation bei den Personengesellschaften geht dagegen vom entgegengesetzten Ausgangspunkt aus. Nach dem Einstimmigkeitsprinzip bedürfen Vertragsänderungen der Zustimmung aller Mitglieder, die angesichts der voraus-

279

Behr, ZGR 1990, 370, 379 f.; Immenga, ZGR 1974, 385, 416 f.; Comes, DB 1974, 2189.

280

Was angesichts der Ausführungen in BGHZ 20, 363, 368 f. zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift auf die Personengesellschaften nahelag. 281

Vgl. nur Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 37, FN 67 m.w.N.

282

Röttger, Kernbereichslehre, S. 144 f.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

167

gesetzten persönlichen Mitarbeit, der Selbstorganschaft und der persönlichen Haftung von derartigen Veränderungen in einem viel unmittelbareren und persönlicheren Maße betroffen werden. Dementsprechend unterschiedlich fällt zwangsläufig der Umfang der zugestandenen Vertragsfreiheit bei der Personengesellschaft aus. Allerdings bedürfen die Personengesellschafter aus den vorgenannten Gründen eines weitergehenden Schutzes, so daß der Umfang der Vertragsfreiheit zumindest in den essentiellen Fragen geringer sein muß und nicht etwa, wie vielleicht vertreten wird, größer als bei den Kapitalgesellschaften. Es bedeutet letztlich für den Eingriff in die wirtschaftliche Selbstbestimmung keinen Unterschied, ob ein Kommanditist mit Mehrheit direkt zu einem persönlich haftenden Komplementär heraufgestuft, oder die Umwandlung der KG in eine OHG beschlossen wird, ebensowenig, ob direkt in das Gewinnrecht eingegriffen oder der Gesellschaftszweck mit Mehrheit in einen karitativen geändert wird. Weiterhin ist ohne Belang, ob die Vermögensrechte direkt reduziert werden oder ein Mehrheitsgesellschafter mit der Folge aufgenommen wird, daß Gewinnquote und Stimmrecht halbiert werden. Falls der Abfindungsanspruch vertraglich nach dem Ertragswert zu berechnen ist, wäre dem Gesellschafter nicht einmal mit dem Austritt geholfen. Denn der Abfindungsanspruch würde sich mit dem Eintritt des neuen Mehrheitsgesellschafters automatisch halbieren, soweit sich nicht der Ertragswert mit dem Eintritt infolge einer Umsatzverdoppelung entsprechend erhöhen würde. Das Argument, indirekte Eingriffe aus Zweckmäßigkeitsgründen nicht als vom Kernbereich geschützt anzusehen, da letztlich jede Änderung des Gesellschaftsvertrages die Rechtsstellung eines jeden Gesellschafters berühre und damit jeder vertragsändernden Mehrheitskompetenz der Boden entzogen sei 283 , greift ebenfalls nicht. Entscheidend ist die Erhaltung der wirtschaftlichen Selbstbestimmung. Die Differenzierung, ob die rechtliche und vermögensmäßige Position des Gesellschafters betroffen wird oder nicht, läßt sich - wenn auch nicht immer leicht - im Einzelfall sehr wohl treffen. Die Zielrichtung von §138 BGB muß insoweit funktional mit Blick auf die selbstbestimmte Gestaltung der Vermögenssphäre ausgerichtet sein. Es geht nicht darum, daß in diesem Bereich keine Mehrheitsbeschlüsse zulässig sein sollen. Die materiellen Gesellschafterrechte sind unter der Voraussetzung der ausdrücklichen Zustimmung entziehbar, und zwar schon im Gesellschaftsvertrag oder später durch einen ihn ändernden Mehrheitsbeschluß. Die Frage, ob die erforderliche Zustimmung dazu hinreichend bestimmt erteilt wurde oder nicht, ist vollständig von dem Problem zu trennen, ob die Vermögensrechte grundsätzlich der Selbstbestimmung und damit dem Kernbereich unterfallen. Aus diesem Grunde ist davon auszugehen, daß auch indirekte Eingriffe in die rechtliche und vermögensmäßige Position des Gesellschafters vom Kernbereich geschützt, d.h. ohne

283

Röttger, Kernbereichslehre, S. 144 ff.

168

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

seine Zustimmung unzulässig sind. Dementsprechend schützt der Kernbereich den Gesellschafter auch vor struktur- und zweckändernden Beschlüssen284, die seine konkrete Gesellschafterstellung 285, die Art der Haftung, die Aufgabe der Gewinnerzielungsabsicht 286, die Verpachtung des gesamten Betriebes 287, die Einbeziehung in einen Konzern 288 und die Auflösung der Gesellschaft 289 betreffen. Der Gesellschafter wird durch derartige Beschlüsse in seiner individuellen Rechtsstellung in einer Intensität betroffen, welche die unmittelbarer Eingriffe oftmals übersteigen wird. IV. Die Konkretisierung des Kernbereichs Nachdem anhand der verschiedenen Wertungen eine Leitlinie vorgegeben ist, gilt es, den Kernbereich so weitgehend zu konkretisieren, daß seine Auswirkungen auf das Stimmrecht abzuleiten möglich wird. /. Die prozeduralen Rechte a) Es besteht Einvernehmen darüber, daß in bestimmte Rechte des Kernbereichs eingegriffen werden darf, wenn der betroffene Gesellschafter ausdrücklich zustimmt 290 . Dabei kann die Zustimmung im Einzelfall, d.h. aktuell oder von vornherein bzw. nach einer entsprechenden Änderung direkt

284 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369; ders. in W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659; wohl auch Immenga, ZGR 1974, 385, 416 f.; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 24 f, 33 f.; einschränkend für personalistisch strukturierte Handelsgesellschaften Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 38. 285 Immenga, ZGR 1974, 385, 416; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369. 286

Löffler, NJW 1989, 2656, 2659.

287

Löffler, NJW 1989, 2656, 2659; U.H. Schneider, ZGR 1972, 380 f.

288

Löffler, NJW 1989, 2656, 2659; Reuter, ZHR 146 (1982), S. 18 f.; Wiedemann, Gesellschafts-recht I, S. 369. 289

Immenga, ZGR 1974, 385, 416; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; a.A. Löffler, NJW 1989, 2656, 2659f., FN 56. 290 Vgl. BGH NJW 1985, 974; BGHZ 85, 350, 356; Menk, Bestimmtheitsgrundsatz/ Kernbereichslehre, S. 132 ff.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 36; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7, Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387 f.; Larenz, SchR II, S. 385; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217 f.; Erman in FS Nipperdey I (1965), 277, 290 f.; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Marburger, NJW 1984, 2252, 2257; Hüffer, ZHR 151 (1987) S. 398, 407 f.; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; Schilling/Winter in FS Stiefel (1987) S. 665, 670; Löffler, NJW 1989, 2656, 2657; Picot, BB 1993, 13, 17; Röttger, Kernbereichslehre, S. 128.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

169

im Gesellschaftsvertrag, d.h. antizipiert 291 , erfolgen. In beiden Fällen ist die Zustimmung als rechtsgeschäftlicher Verzicht zu qualifizieren 292 . Ein Verzicht ist jedoch nur insoweit zulässig, als der Gesellschafter über die betreffenden Rechte überhaupt dispositionsbefugt ist. Unter dem Begriff der prozeduralen Rechte werden die Teilhabe-, Kontrollund Schutzrechte des Gesellschafters zusammengefaßt 293. Insbesondere die Rechte auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, auf Auskunft, auf Einsicht in die Geschäftsbücher und auf Klageerhebung gegen Beschlüsse294 bilden den Ausgleich dafür, daß der Gesellschafter durch seine Mitgliedschaft im Gegensatz zum Einzelunternehmer einer gewissen Fremdbestimmung in Bezug auf seine wirtschaftliche Betätigungsfreiheit unterliegt. Der Verzicht auf diese Kontroll- und Schutzrechte würde ihn rechtlos stellen. Er wäre im Verhältnis zu den mächtigeren Gesellschaftern zu einem schlichten Regelungsadressaten, zu einem Objekt degradiert, welches selbst rechtswidrige Maßnahmen hinnehmen müßte, obwohl sie u.U. tief in seine eigene Vermögensspähre, seine Berufsausübung und in seine Existenzgrundlage eingreifen. Eine derart nachhaltige Fremdbestimmung soll die in Art. 2 I GG immanent beschränkt eingeräumte Vertragsfreiheit nicht nach sich ziehen dürfen, so daß dem Gesellschafter die umfassende Disposition über seine prozeduralen Rechte zwecks Erhalt der eigenen Selbstbestimmung entzogen ist 295 . Nach den Wertmaßstäben des Grundgesetzes besteht ein Selbstschutzbereich 296 , der die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Gesellschafters vor der Unzulänglichkeit seines Willens und seines Handelns schützt. Er ist nicht befugt, über diese Rechte im voraus zu disponieren bzw. auf sie zu verzichten. Ein Verzicht wäre nach § 138 BGB der Lähmung seiner wirtschaftlichen und damit persönlichen Handlungsfreiheit wegen nichtig.

291 Streitig: dafür BGHZ 85, 350, 356; Löffler, NJW 1989, 2656, 2661; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 398, 408; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; dagegen Immenga, ZGR 1974, 385, 425; Reuter, Gutachten Β zum 55. DJT (1984), S. Β 61; Röttger, Kernbereichslehre, S. 89 f.; unklar Martens, DB 1973, 413, 417 f. 292

Siehe unten S. 142 f.

293

Siehe oben S. 101 ff.

294

So explizit BGHZ 14, 264, 270 f.

295

Im Ergebnis, wenn auch meist ohne Begründung und gegenständlich eingeschränkt auch K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 386; Röttger, Kernbereichslehre, S. 132, 161 ff. (mitgliedschaftsrechtlicher Ansatz); Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 351 ff.; Picot, BB 1993, 13, 17. 296 So zutreffend Martens, DB 1973, 413, 418; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362; Immenga, ZGR 1974, 385, 422.

170

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Auch unter Zugrundelegung der Wertentscheidungen des Gesellschaftsrechts ergibt sich, daß der Gesellschafter nicht befugt ist, über seine prozeduralen Rechte zukunftsbezogen zu disponieren. Die Mitgliedschaft setzt die prozeduralen Rechte geradezu voraus. Sie grenzen die Stellung eines Gesellschafters aus Gründen des Individualschutzes von der eines lediglich schuldrechtlich Beteiligten ab 297 . Ein Abweichen von der insoweit bestehenden gesetzlichen Systematik könnte darüber hinaus Außenwirkung erhalten, also zu Folgen für die Haftung der übrigen Gesellschafter und zu Auswirkungen auf Gläubiger und sonstige Dritte, z.B. Erwerber von Unternehmensanteilen, führen. Aus diesem Grund muß für den Verzicht auf die prozeduralen Rechte ein strengerer Maßstab als für den Verzicht auf die materiellen Rechte angelegt werden 298 . Da der generelle Verzicht auf die prozeduralen Rechte mit den wesentlichen Grundgedanken der gesellschaftsrechtlichen Regelung der Gesellschafterstellung nicht zu vereinbaren wäre, folgt die mangelnde Dispositionsbefugnis auch aus den Wertentscheidungen des allgemeinen Zivilrechts (§ 9 I I Nr. 1 AGBG). Die Ausstattung des Gesellschafters mit prozeduralen Rechten beruht nicht auf Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern auf einem Gerechtigkeitsgebot. Wenn ein Gesellschafter sich schon in eine begrenzte Abhängigkeit von den anderen Gesellschaftern begibt und seine freie Entfaltung beschränkt wird, so müssen ihm zumindest die Informations-, Kontrollund Schutzrechte zustehen, um sich gegen Mißbrauch und Eingriffe zur Wehr setzen zu können 299 . Berechtigte Gründe, die im Einzelfall ein Abweichen von dieser Regel erlauben, sind nicht denkbar. Nur wenn eine Interessenabwägung ausnahmsweise zum gegenteiligen Ergebnis führen würde, wäre der Ausschluß einzelner prozeduraler Rechte und damit ein Eingriff in den Kernbereich zulässig. Zu denken wäre z.B. an den Ausschluß von einer Gesellschafterversammlung wegen nachhaltiger Störung. Der Entzug der Dispositionsbefugnis hinsichtlich der prozeduralen Rechte bezieht sich ausschließlich auf den für eine unbekannte Anzahl zukünftiger Fälle im Gesellschaftsvertrag erklärten Verzicht, dessen Umfang und Tragweite vom Gesellschafter, da die Gesellschaft regelmäßig auf Dauer angelegt ist, nicht übersehen werden kann. Zur freien Entfaltung gehört auch, mit Vermögen und Eigentum weitgehend frei verfahren 300, d.h. es verschenken oder verschleudern zu dürfen. Dement-

297

BGHZ 14, 264, 270 ff.

298

Siehe oben S. 102.

299

In dieser Richtung schon Martens, DB 1973, 413, 419.

300

Vgl. § 903 BGB.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

171

sprechend besteht keine Verpflichtung, sondern nur ein Recht auf Wahrnehmung der bestehenden Gesellschafterrechte, auch wenn dies wirtschaftlich negative Konsequenzen mit sich bringt. Die Nichtausübung bzw. der rechtsgeschäftliche Verzicht im Einzelfall erfolgen jedoch selbstbestimmt, während das Recht an sich beim Gesellschafter verbleibt. Er kann deshalb lediglich nicht im voraus, d.h. im Gesellschaftsvertrag auf seine prozeduralen Rechte verzichten, sondern nur jeweils aktuell 301 . Dem steht allerdings nicht entgegen, daß auch die prozeduralen Rechte beim Kommanditisten weitergehend eingeschränkt werden dürfen, vor allem durch eine Vertreterklausel oder die Einsetzung eines Beirates. Unter den Voraussetzungen, daß Vertreter und Beiratsmitglieder von den betroffenen Kommanditisten frei auswählbar und abberufbar, weisungsgebunden und der Treuepflicht unterworfen sind, bleiben die prozeduralen Rechte, ohne ganz oder teilweise abgespalten zu werden, der Substanz nach voll in der Hand der Kommanditisten302. Die Errichtung einer Gruppenvertretung oder eines Beirates bedarf darüber hinaus der Zustimmung der betroffenen Mitglieder, die - falls es sich hierbei um Erben handeln sollte - bereits von den Erblassern erklärt werden kann 303 . In welchem Umfang eine derartige Mediatisierung statthaft und zumindest teilweise auch auf persönlich haftende Gesellschafter auszudehnen ist 304 , muß im Rahmen dieser Untersuchung allerdings offenbleiben. Im Hinblick auf den grundrechtlichen Schutz der Selbstbestimmtheit dürfte eine weitergehende Mediatisierung jedoch im wesentlichen auf die Ebenen der Geschäftsführung und der sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten beschränkt sein, bei denen die Treuepflicht eine hervorgehobene Rolle spielt. Hinzuweisen ist weiterhin darauf, daß auch die Zustimmung verstorbener Gesellschafter zulasten ihrer Erben im Rahmen der persönlichen Rechtsausübung hinsichtlich der Selbstbestimmung nach Art. 2 I GG eine echte Fremdbestimmung bedeutet und somit nicht uneingeschränkt Geltung entfalten kann 305 .

301

In dieser Richtung auch Löffler, NJW 1989, 2656, 2657 f.

302

Jedenfalls beim Vertreter, der lediglich Bevollmächtigter ist, vgl. BGHZ 46, 291, 295 f.

303 BGHZ 46, 291, 294 ff.; BGH ZIP 1989, 634; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S. 104, 279 ff.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 360 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 370 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 15 ff.; K. Schmidt, ZHR 146 (1982), 525, 530 ff.; Michalski, S. 171 ff.; A. Hueck, ZHR 125 (1963), S. 1 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 391 f.; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 222 ff. 3()4 305

Ablehnend Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 371 f.

Insofern ist die Kritik von Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, S. 210 ff. berechtigt.

172

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

b) Zu den prozeduralen Gesellschafterrechten zählen insbesondere: (1) Die Rechte auf Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen 306 einschließlich der Diskussionsteilnahme307, auf Unterbreiten von Vorschlägen 308 , auf Antragstellung 309 und auf Anhörung 310 . Sie stehen den Gesellschaftern unbeschränkt zu 311 . Soweit ersichtlich, wollen nur Schilling 312 und ihm folgend Löffler 313 das Teilnahmerecht auf Versammlungen beschränken, auf denen Beschlußfassungen anstehen, die den Kernbereich der Rechte einzelner oder aller Gesellschafter betreffen. In gleicher Weise sollen das Stimmrecht und das Informationsrecht eingeschränkt werden dürfen. Selbst wenn man wie Schilling den Gesellschaftsvertrag in seiner jeweils bestehenden Fassung zum Kernbereich zählt 314 , erscheint diese Auffassung als unvertretbar eng. Häufig findet auch in Personengesellschaften nur eine ordentliche Gesellschafterversammlung pro Jahr statt, auf der die üblichen Regularien wie Vorlage und Feststellung des Jahresabschlusses, Gewinnverwendung und Entlastung behandelt werden. Wenn keine Änderungen des Gesellschaftsvertrages oder andere kernbereichsrelevante Beschlüsse anstehen, wäre es einem vom Teilnahme- und Informationsrecht Ausgeschlossenen u.U. über mehrere Jahre hinweg nicht möglich, an der Gesellschafterversammlung teilzunehmen und sich zu informieren.

306 H.M., BGHZ 14, 264, 270 f.; Comes, DB 1974, 2189, 2195; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 209 f.; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 366 f.; Immenga, ZGR 1974, 385, 414; Nitschke, S. 282; U.H. Schneider, ZGR 1972, 357, 366; Martens, DB 1973, 413, 417, FN 34; Emmerich in Heymann HGB, § 163, Rdn. 6; Röttger, Kernbereichslehre, S. 190 f.; einschränkend Picot, BB 1993, 13, 17. 307 So zurecht Comes, DB 1974, 2189, 2195; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 211 f.; Röttger, Kernbereichslehre, S. 192; Immenga, ZGR 1974, 385,415; Nitschke, S. 282. 308 So zurecht Comes, DB 1974, 2189, 2195; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 209 f.; Röttger, Kembereichslehre, S. 192. 309

So auch Martens, DB 1973, 413, 417, FN 34; ausführlich Röttger, Kembereichslehre, S. 192; Immenga, ZGR 1974, 385, 415. 310 So auch Martens, DB 1973, 413, 417, FN 34; Röttger, Kembereichslehre, S. 192; Immenga, ZGR 1974, 385, 414 f. 311

So zurecht auch Röttger, Kembereichslehre, S. 190 ff.

312

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6 ff.

313

Löffler, NJW 1989, 2656, 2661.

3,4 Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6, 10 unter Verweis auf Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

173

Das Teilnahmerecht beruht auf einem Gerechtigkeitsgebot und nicht auf Zweckmäßigkeitserwägungen. Ein weitgehender Ausschluß würde deshalb eine Unvereinbarkeit mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen des Personengesellschaftsrechts bedeuten315. Die Zulässigkeit wäre nur dann ausnahmsweise denkbar, wenn die übrigen Gesellschafter auch unter Berücksichtigung der Interessen des von der Teilnahme Ausgeschlossenen überwiegende berechtigte Gründe für den Ausschluß darlegen. Dieser Fall dürfte selbst beim Kommanditisten einer großen Publikumsgesellschaft kaum auftreten, und erst recht nicht bei einem persönlich haftenden Gesellschafter einer GbR, OHG oder KG, wäre allerdings z.B. denkbar für den Fall der nachhaltigen Störung der Versammlung. Grundsätzlich ist daher mit der h.M. 3 1 6 das Teilnahmerecht uneingeschränkt zum Kernbereich der Gesellschafterrechte zu zählen. Es ist nicht abhängig von der jeweiligen Tagesordnung. (2) Die Rechte auf Information und Auskunft 317 sowie auf Einsicht in den Jahresabschluß, die Handelsbücher und die Papiere der Gesellschaft bei berechtigter Annahme unredlicher Geschäftsführung bzw. aus sonstigem wichtigen Grund (§§ 716 I I BGB, 118 II, 166 I I I HGB) 3 1 8 . Der weitergehende Umfang der Auskunfts- und des Einsichtsrechts ist im einzelnen noch abschließend zu diskutieren 319. Unter Berücksichtigung des Gerechtigkeitsgebotes, auf dem die beiden Rechte beruhen, erscheint jedoch eine weitergehende Hinzurechnung zum Kernbereich als erforderlich. Dies gilt aufgrund der Strukturunterschiede zu den Kapitalgesellschaften und der Treuepflicht insbesondere für das Informations- und das Auskunftsrecht.

315

Siehe oben S. 112 ff.

316

Vgl. S. 125, FN 887.

317

H.M., BGHZ 14, 264, 270 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 374 ff.; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; Emmerich in Heymann HGB, § 118, Rdn. 18; Huber, ZGR 1982, 539, 548 ff.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 215 ff.; Löffler, NJW 1989, 2656, 2657; Röttger, Kembereichslehre, S. 187 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 414 f. 318 H.M., BGHZ 14, 264, 270 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 374 ff.; Emmerich in Heymann, HGB, § 118, Rdn. 19; Löffler, NJW 1989, 2656, 2657; Röttger, Kembereichslehre, S. 187 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 404 f.; einschränkend Picot, BB 1993, 13, 17. 319 Vgl. dazu Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 374 ff.; ders. W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 19 f.; Emmerich in Heymann, HGB, § 118, Rdn. 5, 13 ff.; Röttger, Kembereichslehre, S. 184 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1152 f.; 1279 ff.; 1377 f.; 1468; Immenga, ZGR 1974, 385, 414 f.

174

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Soweit Schilling 320 die Auffassung vertritt, das Informationsrecht zähle nur zum Kernbereich, soweit es sich auf kernbereichsrelevante Tatsachen erstrecke, kann dem ebensowenig gefolgt werden wie der Annahme, das Recht auf Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen bestehe nicht, soweit keine kernbereichsrelevanten Beschlüsse anstehen. Es gelten insoweit dieselben Überlegungen 321. (3) Das Recht auf Einberufung der Gesellschafterversammlung aus wichtigem Grund 322 . (4) Das Recht auf Erhebung einer Feststellungsklage im Hinblick auf Gesellschafterbeschlüsse 323 sowie die actio pro socio 324 . (5) Alle Rechte, deren Ausübung einen wichtigen Grund voraussetzt 325. Diese Rechte sieht das Gesetz für wenige, aber für die Vermögensinteressen der Gesellschafter u.U. folgenschwere Situationen bzw. Mißstände vor, deren Hinnahme für sie unzumutbar ist. Sie stehen den Gesellschaftern gewissermaßen als innergesellschaftliche Rechtsbehelfe zu und sind auf das Gerechtigkeitsgebot zurückzuführen. Auf diesen Kontrollrechtsschutz 326 dürfen die Gesellschafter ebensowenig im voraus, d.h. im Gesellschaftsvertrag verzichten wie auf ihre Rechte auf Klageerhebung gegen Beschlüsse oder die actio pro socio. Darüber hinaus liegt es in der Natur eines noch unbekannten „wichtigen Grundes", daß es nicht möglich ist, ihn bereits im Gesellschaftsvertrag so genau zu bezeichnen, daß die Gesellschafter auf die Geltendmachung daraus abgeleiteter Rechte antizipiert verzichten könnten 327 . Selbst wenn der Gesellschaftsvertrag einige Gründe als wichtig definiert, muß die

320

So explizit offenbar nur Schilling in Staub, HGB, § 163, Rdn. 6.

321

Siehe oben S. 125 f.

322

Vgl. OLG Köln, ZIP 1987, 1120, 1122; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 7.

323 BGHZ 14, 264, 270 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 379 f.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; Röttger, Kembereichslehre, S. 204 f.; einschränkend Picot, BB 1993, 13, 17. 324 H.M., Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. 254; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 68; Löffler, NJW 1989, 2656, 2660; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 132; R. Fischer, ZGR 1979, 251, 261; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 144; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 33 f.; Röttger, Kembereichslehre, S. 193 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 41 Iff.; einschränkend Herrmann, Jura 1986, S. 511, 518. 325 So zutreffend Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6, wenn auch ohne Begründung; in dieser Richtung auch Löffler, NJW 1989, 2656, 2661. 326

In dieser Richtung Martens, DB 1973, 413, 419.

327

Löffler, NJW 1989, 2656, 2661.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

175

Entscheidung darüber, ob sie tatsächlich vorliegen, von allen „übrigen" Gesellschaftern getroffen werden. Im einzelnen handelt es sich um die Rechte auf: -

Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis (§§ 117, 127 HGB, 712 I, 715 BGB) 3 2 8 bzw. auf Niederlegung der Geschäftsführung nach § 712 I I BGB. Soweit Martens diese Rechte nicht zum Kernbereich zählt 329 , dürfte dafür die unzutreffende Vorstellung ausschlaggebend sein, im Kernbereich seien niemals Mehrheitsbeschlüsse möglich.

-

Auflösungsklage (§ 133 I I I HGB) bzw. Auflösungsbeschluß und Kündigungsrecht (§ 723 I I I BGB) 3 3 0 , soweit diese Rechte nicht zulässigerweise im Gesellschaftsvertrag durch ein Austrittsrecht ersetzt worden sind.

-

Ausschließung eines Gesellschafters (§ 140 I HGB) durch Klageerhebung oder Beschluß331.

-

Einberufung einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung 332.

-

Einsicht in den Jahresabschluß, die Handelsbücher und die Unterlagen der Gesellschaft (§§ 716 I I BGB, 118 II, 166 I I I HGB) 3 3 3 .

-

Antrag auf gerichtliche Bestellung der Liquidatoren (§ 146 I I HGB).

(6) Teilnahme an allen Beschlüssen, bei denen für einen Gesellschafter das Stimmrecht wegen Interessenkollision ausgeschlossen ist, d.h. bei Entlastung, -

Einleitung und Beendigung eines Rechtsstreits bzw. Geltendmachung von Ansprüchen gegen einen Gesellschafter,

328

So wohl auch Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 33 f.

329

Martens, DB 1973, 413, 417, FN 34.

330

So auch Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 20; Löffler, NJW 1989, 2656, 2657 f.; Röttger, Kembereichslehre, S. 206 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390; Picot, BB 1993, 13, 17; Immenga, ZGR 1974, 385, 405 f. 331

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390.

332

Bereits oben, S. 127, unter 3. genannt.

333

Bereits oben, S. 126 behandelt.

176

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

-

Befreiung eines Gesellschafters von einer Verbindlichkeit,

-

Abschluß eines Rechtsgeschäfts zwischen Gesellschaft und Gesellschafter.

Die jeweils bestehende Interessenkollision rückt die Beschlüsse in die Nähe der Rechte, die nur aus wichtigem Grund ausgeübt werden können, auch wenn sich hier der Eintritt des wichtigen Grundes noch nicht realisiert hat. Bei den Beschlüssen über die Entlastung und die Einleitung eines Rechtsstreites handelt es sich darüber hinaus um Fälle des Kontrollrechtsschutzes, die auf das Gerechtigkeitsgebot zurückzuführen sind. Insbesondere der pauschale Verzicht des Minderheitsgesellschafters auf die Möglichkeit der Nichtentlastung als Voraussetzung für Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer würde der Willkür Tür und Tor öffnen. Er wäre als sittenwidrige Knebelung zu qualifizieren, weil der Gesellschafter insoweit praktisch rechtlos gestellt würde 334 . Folglich muß das Teilnahmerecht bei diesen Beschlüssen zum Selbstschutzbereich gezählt werden, auf das der einzelne Gesellschafter nicht bereits im Gesellschaftsvertrag verzichten kann. Die Wahrnehmung seiner Vermögensinteressen muß bei jedem Gesellschafter persönlich verbleiben. Bei den Beschlüssen über die Befreiung von einer Verbindlichkeit und den Abschluß eines Rechtsgeschäftes dagegen liegen zwar vordergründig Geschäftsführungsmaßnahmen vor, für die das Stimmrecht zweifellos ausgeschlossen werden kann. Gleichwohl handelt es sich auch hier zum einen um Fälle des Kontrollrechtsschutzes gegenüber der Geschäftsführung, zum anderen wird zusätzlich, und zwar in erster Linie, das Verhältnis der Gesellschaft zum Gesellschafter betroffen. Die Vermögensinteressen der einzelnen Gesellschafter werden durch die naheliegende Möglichkeit verdeckter Gewinnausschüttungen und damit einer Beeinträchtigung ihrer Rechte auf Gewinn und Beteiligung am Gesellschaftsvermögen besonders gefährdet 335. Die Rechte auf Informationen und Bucheinsicht bilden keinen adäquaten Schutz, da sich daraus die Folgen des Geschäftes bzw. der Befreiung von einer Verbindlichkeit oftmals nicht eindeutig ableiten lassen. Auch das Recht auf Abberufung der Geschäftsführung aus wichtigem Grund bildet als äußerster Notbe-

334 335

Zum Ausschluß der prozeduralen Rechte vgl. auch BGHZ 44, 158, 160 ff.

Darauf weist insbesondere Herrmann, Jura 1986, 511, 516 hin, unter interessanter Bezugnahme auf das Holzmüller-Urteil, BGHZ 83, 122.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

177

helf keinen hinreichenden Schutz 336 , zumal der in der Minderheit Befindliche jederzeit überstimmt werden kann. Schon um überhaupt Kenntnis von derartigen Rechtsgeschäften zu erhalten, müssen alle Gesellschafter an der Entscheidung beteiligt werden. Es erscheint nicht vertretbar, daß die Gesellschafter unter dem Gesichtspunkt des Selbstschutzes auf ihr diesbezügliches Mitwirkungsrecht zugunsten der Mächtigeren bereits pauschal und im voraus verzichten 337 . c) Der Begriff des Kernbereichs der Gesellschafterrechte wird im Schrifttum in vielfältiger Weise verwandt 338 . Im wesentlichen lassen sich jedoch zwei Spielarten unterscheiden. Die eine bezieht richtigerweise die prozeduralen Rechte ganz oder teilweise als zwingende Mitgliedschaftsrechte in den Kernbereich mit ein 339 , die andere nicht 340 . Fraglich ist, ob dies zutrifft. Begründet wird insbesondere die letztere, welche den Kernbereich lediglich als Zusammenfassung der „mehrheitsfesten" Rechte versteht, in die nur mit Zustimmung des Gesellschafters durch einen Mehrheitsbeschluß eingegriffen werden darf, regelmäßig nicht 341 . Ausschlaggebend für diese Auffassung dürfte sein, daß bereits vor der Entwicklung der Kernbereichslehre Einigkeit darüber bestand, daß bestimmte, vor allem prozedurale Rechte zwingend mit der Mitgliedschaft verbunden sind 342 . Dagegen besteht heute noch Uneinigkeit über die dogmatische Grundlage der Kernbereichslehre 343. Bezeichnenderweise läßt sie sogar Röttger in seiner Untersuchung über den Kernbereich als „Frage ohne praktische Relevanz" offen 344 . Er vertritt einen mitgliedschaftlichen Ansatz 345 , räumt aber

336

Vgl. BGHZ 44, 158, 161 f.

337

So auch Herrmann, Jura 1986, 511, 516.

338

Vgl. hierzu ausführlich Röttger, Kembereichslehre, S. 8 ff.

339 Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; in FS Nipperdey I (1965), S. 277, 293; Röttger, 1989, 2656, 2657 f.; Horn in Heymann HGB, § 2195; unklar Ulmer in Staub HGB, § 105, Rdn. andererseits.

H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 353; Erman Kembereichslehre, S. 132, 159 ff.; Löffler, NJW 163, Rdn. 7; wohl auch Comes, DB 1974, 2189, 101 einerseits und Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77

340 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362, 366 f., 373 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 386 f.; Mecke, BB 1988, 2258, 2263, Immenga, ZGR 1974, 385, 417; Picot, BB 1993, 13, 17. 341 Lediglich Immenga, ZGR 1974, 385, 417 will durch die Differenzierung dem Mißverständnis vorbeugen, im Bereich der zwingenden Mitgliedschaftsrechte könnten Mehrheitsentscheidungen auch nur möglich sein. 342

Dies klingt bei Immenga, ZGR 1974, 385, 417 an.

343

Siehe auch oben S. 107 f.

344

Röttger, Kembereichslehre, S. 147.

345

Röttger, Kembereichslehre, S. 124 ff.

1 Lockowandt

178

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

ein, daß bei einer Zurückführung des Kernbereichs auf § 138 BGB jedenfalls im Ergebnis kein Unterschied zu seiner Auffassung bestehen könne 346 . Vom mitgliedschaftsrechtlichen Ansatz gelangt er zutreffendganz zwangsläufig zu einem einheitlichen Kernbereich, welcher die zwingenden Mitgliedschaftsrechte umfaßt 347 . Jedoch auch wenn man, wie hier vertreten, den Kernbereich als auf §138 BGB gestütztes Selbstschutzprinzip versteht 348, welches (selbstverständlich) die Wertungen des Gesellschaftsrechts in bezug auf die Mitgliedschaft und die aus ihr erwachsenden Rechte mit einbezieht, steht einer Einordnung der zwingenden Mitgliedschaftsrechte in den Kernbereich nichts entgegen. Obwohl die prozeduralen Rechte einen gewissen Systemschutz zugunsten der Mitgesellschafter und teilweise auch zugunsten Dritter bilden, steht auch unter diesem Gesichtspunkt zunächst der Selbstschutz des Betroffenen im Vordergrund 349. Die Einteilung des Kernbereichs in eine prozedurale und eine materielle Komponente 350 geht auf die unterschiedliche Intensität der für den Gesellschafter geschützten Interessen zurück. Zutreffend weist Martens 351 darauf hin, daß der Minderheitenschutz angesichts fehlender gesetzlicher Regelungen vor allem durch die Errichtung von Verfahrensvoraussetzungen, durch eine prozedurale Bindung der Mehrheit, erreicht wird. In erster Linie geht es dabei um die Garantie von Kontrolle und Kontrollrechtsschutz, erst sekundär um Mitbestimmungsbefugnisse. Die Gefahr einer Fremdbestimmung durch Rechtlosstellen ist langfristig gesehen größer als diejenige durch die Einschränkung materieller Rechte. Dies sollte von den Vertretern der Auffassung, der Kernbereich umfasse die prozeduralen Rechte nicht 352 , bedacht werden.

346

Röttger, Kembereichslehre, S. 147.

347

Röttger, Kembereichslehre, S. 132, 159 ff.

348

Zustimmend Immenga, ZGR 1974, 385, 416 f.; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 23; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, S. 353; Hüffer, ZHR 151 (1987) S. 398, 406; ausdrücklich offengelassen bei Brändel in FS Stimpel (1985), 95, 103, FN 24; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36; Herrmann, Jura 1986, 511, 515. 349

Siehe oben S. 101 f.

350

Terminologie und Bedeutung uneinheitlich, so spricht Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6 u. 7 von verzichtbaren und unverzichtbaren Rechten; Ulmer von unverzichtbaren und relativ unverzichtbaren Rechten in Staub HGB, § 105, Rdn. 101 einerseits und in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77 andererseits. 351

Martens, DB 1973, 413, 414, 416, 418 f.

352

Vgl. S. 129, FN 921.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

179

Der Umfang der dem Gesellschafter nach dem Ergebnis der Untersuchung zwingend vorbehaltenen prozeduralen Rechte ist deutlich größer als von der herrschenden Meinung vertreten wird 353 . Dieses Ergebnis erklärt sich zum einen aus der Zurückführung des Kernbereichs auf § 138 BGB 3 5 4 . Ein rein mitgliedschaftsrechtlicher Ansatz wird zu sehr an den vom Gesetzgeber selbst ausdrücklich für unverzichtbar erklärten Rechten orientiert sein 355 und läuft deshalb Gefahr zu übersehen, daß auch Abweichungen vom dispositiven Recht zu einer übermäßigen Aufgabe der Selbstbestimmung führen können, z.B. der Stimmrechtsausschluß bei der Entlastung356, mittels dessen sich die „Herren der Gesellschaft" einen „Persilschein" für die Geschäftsführung erteilen können, ohne daß der „Gesellschafter zweiter Klasse" bei dieser Beschlußfassung überhaupt zugegen ist, wenn das Recht auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung mit der - unzutreffenden Begründung entzogen wurde, es bestehe nur für Versammlungen, in denen kernbereichsrelevante Beschlüsse gefaßt werden 357 . Der Umfang der, wie hier vertreten, vom Kernbereich umfaßten prozeduralen Rechte ist andererseits deshalb größer, weil sie im Hinblick auf die Schutzrichtung - Information, Kontrolle und „Rechtsschutz" - funktional bestimmt werden, was zwangsläufig dazu führt, daß den prozeduralen Rechten auch materielle Rechte, z.B. das Stimmrecht bei Abberufung der Geschäftsführung aus wichtigem Grund zuzurechnen sind. 2. Die materiellen Rechte Während es sich bei den prozeduralen Rechten vorwiegend um Teilnahme-, Rechtsschutz- und Kontrollrechte handelt, umfassen die materiellen Rechte vor allem die konkrete Gesellschafterstellung einschließlich der Rechte auf Geschäftsführung, Mitbestimmung, Beteiligung am Gesamthandsvermögen, Liquidationsanteil, Abfindungsguthaben und Gewinn.

353

Vgl. nur Röttger, Kembereichslehre, S. 184 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; Löffler, NJW 1989, 2656, 2657, 2660 f. 354 Die dogmatische Einordnung kann zu weitergehenden Erkenntnissen führen, die verschlossen bleiben, wenn man wie Röttger, Kembereichslehre, S. 147, die Grundlage offenläßt. Ähnlich unbestimmt Brändel in FS Stimpel (1985), S. 95, 103, FN 24; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Herrmann, Jura 1986, 511, 515. 355

So ausdrücklich Röttger, Kembereichslehre, S. 132, 184 ff.; Löffler, NJW 1989, 2656,

2657. 356 Der Stimmrechtsausschluß bei Entlastung als sonstiger gemeinsamer Gesellschaftsangelegenheit wird überwiegend zugelassen, vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58. 357

12*

So Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6, 8.

180

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Im Einzelfall besteht die Möglichkeit, bereits im Gesellschaftsvertrag auf jedes dieser Rechte ganz oder teilweise zu verzichten, ohne daß der Betreffende seine Eigenschaft als Gesellschafter verliert und seine Stellung als die eines Obligationärs bezeichnet werden muß 358 . Von der Geschäftsführung beispielsweise können einzelne Gesellschafter der GbR und der OHG nach den §§710 S. 1 BGB, 114 I I HGB ausgeschlossen sein, für die Kommanditisten entspricht es dem gesetzlichen Regelfall des § 164 S. 1 HGB. Der Gesellschaftsvertrag kann sogar die Geschäftsführungsbefugnis des Komplementärs ganz oder teilweise auf die Kommanditisten verlagern 359. Die Beteiligung am Gesamthandsvermögen, am Liquidationserlös und die Abfindung im Falle des Ausscheidens entfallen, soweit sich der jeweilige Anteil nach der Höhe der Einlage richtet und eine solche nicht erbracht wird, z.B. beim Komplementär ohne Einlage 360 . Auf das Gewinnrecht kann bei einer Gesellschaft mit karitativem Zweck ebenso verzichtet werden, wie in dem Fall, daß ein Gesellschafter über sein Gewinnrecht zugunsten anderer Gesellschafter, z.B. seiner Kinder, verfügt. Jedes einzelne dieser materiellen Rechte ist kein zwingender Bestandteil der Mitgliedschaft in dem Sinne, daß ohne sein Bestehen die entsprechende Regelung im Gesellschaftsvertrag nach § 138 BGB nichtig wäre, weil der Betroffene zum Nichtmitglied würde. Er ist durch die prozeduralen Rechte hinreichend vor übermäßiger Abhängigkeit geschützt. Gleichwohl kann von einer Gesellschafterstellung zweifellos nicht mehr gesprochen werden, wenn einem Beteiligten kumulativ weder Stimmrecht, Gewinnrecht noch Liquidationsanteil zustehen361. Hierbei handelt es sich aber weniger um ein Problem des Kernbereiches sondern um das ungelöste, übergreifende Problem der Definition der Mitgliedschaft 362 . Auch vor dem Hintergrund des Selbstschutzbereiches zum Erhalt der wirtschaftlichen und persönlichen Handlungsfreiheit läßt sich zur Kumulation von Rechtsentzügen losgelöst vom Einzelfall allenfalls eine pauschale Aussage treffen. Es liegt insoweit ein für die Anwendung von § 138 BGB typisches Wertungsproblem vor, das unabhängig von der Definition des Kernbereichs besteht. Für dessen Bestimmung maßgeblich ist die grundsätzliche Verzicht-

358 Dies gilt allerdings nicht für den kumulativen vollständigen Ausschluß, vgl. BGHZ 14, 264, 273 f. 359

Vgl. BGHZ 17, 392, 394 f.; 51,198, 201; BGH W M 1976, 446.

360

Vgl. Möhring in FS Barz (1974), S. 49, 55; Schilling, ZGR 1979, 419, 425; ders. in Staub HGB, § 163, Rdn. 7, § 164, Rdn. 12; U. Huber, ZGR 1980, 177, 194 f.; es erscheint jedoch m.E. nicht ausgeschlossen, daß auch einem Gesellschafter, der langfristig nur seine Arbeitsleistung eingebracht hat, mit der Zeit ein Anteil am Gesamthandsvermögen zuwächst; vgl. dazu U. Huber, ZGR 1980, 177, 194 ff. (abweichend). 361

BGHZ 14, 264, 270.

362

Eingehend dazu Lutter, AcP 180 (1980), S. 84 ff.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

181

barkeit der materiellen Rechte, bei der die Aufgabe der Selbstbestimmung durch umfassende Rechtlosstellung in geringerem Maße droht als bei den prozeduralen Rechten363. Im Hinblick auf diese Rechte besteht deshalb beim Aushandeln des Gesellschaftsvertrages ein größeres Maß an Gestaltungsfreiheit als bei den prozeduralen Rechten. Im Verhandlungsstadium können sich die Beteiligten vor allem unter dem Gesichtspunkt der Abschlußfreiheit gegen eine Beteiligung an der geplanten Gesellschaft entscheiden. Für eine „Inhaltskontrolle" einzelner Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages nach § 138 BGB verbleibt nur ein eingeschränkter Raum. Für den Kernbereich läßt sich aus dem Vorstehenden ableiten, daß zumindest die meisten materiellen Gesellschafterrechte verzichtbar sind. Wiedemanns Definition des Kernbereichs als Summe unverzichtbarer Mitgliedschaftsrechte 364 ist bezogen auf die materiellen Gesellschafterrechte insoweit ungenau. Sie sind zwar verzichtbar, können aber nur mit der ausdrücklichen Zustimmung des Gesellschafters entzogen werden. Zutreffenderweise sind sie entweder als verzichtbare Rechte des Kernbereichs 365 zu bezeichnen oder noch treffender als „relativ unentziehbare" Rechte366, welche jedem Gesellschafter grundsätzlich zustehen und nur mit seiner ausdrücklichen Zustimmung modifiziert oder ausgeschlossen werden können. Damit ist aber noch nicht die Frage beantwortet, welche materiellen Rechte zum Kernbereich der Gesellschafterrechte zu zählen sind. Nach der Rechtsprechung des BGH fallen darunter die Beteiligung als Gesellschafter 367, d.h. die rechtliche und vermögensmäßige Position 368 , insbesondere die Beteiligung am Gesamthandsvermögen, das Gewinnrecht und der Liquidationsanteil 369 . Diese in die richtige Richtung weisende Umschreibung gilt es im folgenden zu präzisieren. Zu diesem Zwecke sei noch einmal erinnert an den Vergleich zwischen dem Einzelunternehmer, der in der Verfügung und im Einsatz seines Vermögens weitgehend frei ist, und dem Gesellschafter, der sich denknotwendig in eine, wenn auch eingeschränkte Abhängigkeit von seinen Mitgesellschaftern begibt.

363

Siehe oben S. 101 f.

364

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362.

365

So Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7.

366

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77.

367

BGHZ 20, 363, 370.

368

BGH NJW 1985,972,973.

369

BGHZ 20, 363, 370.

182

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Diese Abhängigkeit darf nicht so groß werden, daß sie zu einer umfassenden Einschränkung seiner wirtschaftlichen und damit persönlichen Handlungsfreiheit führt. a) Recht auf Geschäftsführung Als adäquaten Ausgleich für die persönliche Haftung sieht das Gesetz sowohl für die GbR 3 7 0 als auch die OHG 3 7 1 als auch die K G 3 7 2 das Recht eines jeden Gesellschafters auf die Beteiligung an der Geschäftsführung vor. Bei mangelhafter Geschäftsführung drohen verminderte Gewinnausschüttungen, Verlust von Gesamthands- und damit auch eigenem Vermögen sowie im Ernstfall persönliche Haftung. Deshalb entspricht es einem Gebot der Gerechtigkeit, alle persönlich Haftenden an der Geschäftsführung zu beteiligen 373 . Sämtliche Gesellschafter sind zumindest an den Entscheidungen zu beteiligen, die über den üblichen Geschäftsbetrieb hinausgehen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei den von der Geschäftsführung grundsätzlich ausgeschlossenen Kommanditisten, deren Haftung sich auf ihre Einlage beschränkt, nachdem sie erbracht ist. Ihnen steht bei außergewöhnlichen Geschäften ein Widerspruchsrecht und damit eine eingeschränkte Beteiligung an der Geschäftsführung zu 374 . Entsprechendes gilt für die OHG-Gesellschafter, die von der Geschäftsführung ausgeschlossen sind. Der Ausschluß bezieht sich nach § 116 I I HGB nicht auf außergewöhnliche Maßnahmen und Geschäfte, so daß ihnen ebenfalls zumindest für Geschäfte, die ihrer Art, ihrem Umfang oder Risiko nach ungewöhnlich sind 375 , ein eingeschränktes Recht auf Beteiligung an der Geschäftsführung zusteht. Diesem Grundsatz steht nicht entgegen, daß die Geschäftsführung bei der GbR 3 7 6 und der OHG 3 7 7 mit der Folge des Ausschlusses der übrigen auf einzelne Mitglieder übertragen werden kann, oder daß der Komplementär bei entsprechender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarung nicht geschäftsführungsbefugt sein muß 378 . Denn anders als bei den Kapitalgesellschaften erfolgt die Benennung und der Ausschluß bei den Personengesellschaften mit Rücksicht auf

370

§ 709 I BGB.

371

§ 1141 HGB.

372

§§ 164, 161 II, 1141 HGB.

373

Siehe oben S. 117 ff.

374

§ 164 S. 1 HGB; vgl. Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 2 ff.

375

Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 3.

376

§ 710 S. 1 BGB.

377

§ 114 II HGB.

378 BGHZ 17, 392, 394 f.; 51, 198, 201; BGH W M 1976, 446; vgl. auch Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 8.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

183

die Selbstorganschaft regelmäßig unmittelbar im Gesellschaftsvertrag, so daß stets eine Änderung desselben notwendig wird. Ein Gesellschafter kann wegen der hervorgehobenen Bedeutung der Geschäftsführung für den Bestand und die Mehrung des eingesetzten Kapitals und die persönliche Haftung nur selbstbestimmt auf sein Geschäftsführungsrecht verzichten. In diesem Fall vertraut er sie nicht einem beliebigen Mitglied an, sondern legt sich vertraglich auf Personen seines Vertrauens fest. Besonders deutlich wird dies bei einem von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Komplementär, bei dem sich die Haftung konzentriert. Das Recht zur Beteiligung an der Geschäftsführung zählt daher zum Kernbereich 379 und kann nur mit ausdrücklicher Zustimmung entzogen werden, solange kein wichtiger Grund vorliegt. b) Die Vermögensrechte aa) Als Äquivalent zu seiner Kapitaleinlage stehen dem Gesellschafter grundsätzlich eine Beteiligung am Gesamthandsvermögen, das Gewinnrecht, ein Liquidationsanteil und ggf. ein Abfindungsanspruch zu 380 . Dies entspricht ebenfalls einem Gerechtigkeitsgebot. Eine Eingriffsmöglichkeit in diese Rechte ohne die ausdrückliche Zustimmung des Gesellschafters würde eine nicht mehr zu billigende Abhängigkeit bedeuten381. Ein Ausschluß der Rechte auf Abfindung und Liquidationserlös bereits im Gesellschaftsvertrag wäre darüber hinaus als Verpflichtung zur Übertragung des künftigen Vermögens oder eines Bruchteils davon nach § 310 BGB nichtig. Der Zweck der Vorschrift besteht wie der des § 138 I BGB darin, die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Einzelnen vor übermäßigen Be-

379 H.M., Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78, 83; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22; Comes, DB 1974, 2189, 2239; wohl auch Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 34, 25 f.; a.M. Löffler, NJW 1989, 2256, 2257; wohl auch Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716 f.; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 216; Röttger, Kembereichslehre, S. 170 f.; er zieht diesen unzutreffenden Schluß aus der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, einzelne Gesellschafter von der Geschäftsführung auszuschließen, übersieht dabei jedoch, daß die grundsätzliche Beteiligung an der Geschäftsführung auf ein Gerechtigkeitsgebot zurückgeht. Ein persönlich Haftender kann deshalb nur dann auf sein diesbezügliches Recht verzichten, wenn dafür auch unter Berücksichtigung seiner Interessen überwiegende berechtigte Gründe bestehen. Insbesondere darf die Geschäftsführungsbefugnis - abgesehen vom Vorliegen wichtiger Gründe - nicht willkürlich, sondern nur mit seiner ausdrücklichen Zustimmung entzogen werden. Sogar die Zulässigkeit eines diesbezüglichen Mehrheitsbeschlusses bedürfte explizit der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag, vgl. nur Baumbach/Duden/Hopt HGB, § 119, Anm. 2 B; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7; Ulmer in MüKo BGB, § 709, Rdn. 78, 83. 380

So zurecht schon BGHZ 20, 363, 370; dazu eingehend Röttger, Kembereichslehre,

S. 161 ff. 381

BGHZ 20, 363, 369 f.

184

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

schränkungen zu schützen382. Ein Verzicht auf diese Rechte ist auf eine aktuelle Ausübung beschränkt 383. Der Verlust an wirtschaftlicher und damit auch persönlicher Freiheit tritt vor allem bei einer Veränderung der Gewinnquote384, der vertraglichen Vereinbarung einer Rücklagenbildung385, einer Veränderung der Liquidationsquote 386 oder der Abfindungsregelungen 387 ein. bb)Ebenfalls nur mit ausdrücklicher Zustimmung aller Mitglieder ist eine gesellschafts-vertragliche Verpflichtung zur Beitragserhöhung möglich 388 . § 707 BGB enthält einen wesentlichen, auf ein Gerechtigkeitsgebot zurückgehenden Grundgedanken des Gesellschaftsrechts 389. Der Schutz vor diesbezüglichen Belastungen ist aus diesem Grunde gleichfalls zum Kernbereich zu rechnen 390. Um eine übermäßige Abhängigkeit auszuschließen, kann das Einverständnis darüber hinaus nur unter Vereinbarung einer Höchstgrenze abgegeben werden 391 . cc) Die vermögensmäßige Position wird des weiteren betroffen durch den Beschluß einer Kapitalerhöhung 392, selbst wenn die Teilnahme freiwillig bleibt 393 . Nimmt ein Gesellschafter an der Kapitalerhöhung nicht teil und

382

Vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, § 310, Rdn. 1.

383

Davon zu unterscheiden ist die nicht in die Vermögensrechte selbst eingreifende Vereinbarung einer Rückübertragung oder eines Rückkaufs zum Einstandspreis oder kostenlos bei einem Treuhandverhältnis oder einer geschenkten Beteiligung. 384 BGHZ 20, 363, 370; seither allg. Meinung, vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 389 f.; Emmerich in Heymann, HGB, § 119, Rdn. 25, 33; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 408. 385

Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; a.M. Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716 unter Beschränkung auf Rücklagenbildung in kaufmännisch vertretbarem Umfang. 386 BGHZ 20, 363, 370; seither allg. Meinung, vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 389 f.; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 408. 387

Löffler, NJW 1989, 2656, 2660; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716.

388

RGZ 91, 166; 114,393,395; 136,236,243; 151, 321, 326 f.

389

Siehe oben S. 103 f., 114 ff., 119 f.

390

H.M., vgl. Schilling/Winter in FS Stiefel (1987), S. 665, 670; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 37; Löffler, NJW 1989, 2656, 2658; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387 f.; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; a.M. Röttger, Kembereichslehre, S. 127 f., der übersieht, daß hier die konkrete Gesellschafterstellung betroffen wird. 391

BGHZ 8, 35, 39; 66, 85.

392

Comes, DB 1974, 2189, 2239 f.; einschränkend Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716.

393 A. M. Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 717 trotz zugestandener Möglichkeit der Verwässerung von Stimm- und Gewinnrecht.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

185

richtet sich die Beteiligung nicht nach Köpfen, sondern nach der Höhe der Kapitaleinlage, verschieben sich Gewinn-, Liquidations- und Abfindungsanteil zu seinen Lasten. dd)Bei der Kapitalherabsetzung ist zu differenzieren 394. Erfolgt sie zur Beseitigung einer Unterbilanz, so wird das Kapital nur den tatsächlichen Gegebenheiten angepaßt, ohne daß dies Auswirkungen auf die individuelle vermögensmäßige Position hat, vorausgesetzt, es ist keine Mindestbeteiligungsquote vereinbart, deren Unterschreiten den Verlust von Rechten oder sogar eine Pflicht zum Ausscheiden nach sich zieht. Anders ist der Fall zu beurteilen, daß ein Teil des Eigenkapitals an die Gesellschafter zurückgezahlt bzw. ausgeschüttet werden soll 395 , insbesondere mit Hilfe einer Veräußerung von Teilen des Anlagevermögens. Hier werden grundsätzliche Entscheidungen über die Mittelverwendung getroffen, die u.U. erhebliche Relevanz für den weiteren Fortgang des Unternehmens entfalten. An einer solchen Entscheidung sind alle Gesellschafter zu beteiligen 396 . Vertragsändernde Beschlüsse, welche die Übertragbarkeit der Anteile unter Lebenden oder von Todes wegen 397 , ein Vorkaufsrecht oder eine Güterstandsklausel398 betreffen, fallen ebenso in die Kategorie der vermögensmäßigen Position und erfordern die Mitwirkung aller Gesellschafter. ee) Obwohl die vermögensmäßige Position nur mittelbar betreffend, sind Beschlüsse über die Einführung oder Aufhebung eines Wettbewerbsverbotes 399 anzuführen. Die Einführung beschränkt die individuelle Möglichkeit, Wettbewerb zu betreiben und damit Erträge zu erzielen, die Aufhebung ermöglicht Wettbewerb zu Lasten der Gesellschaft mit der möglichen Folge negativer wirtschaftlicher Auswirkungen auf das Gesellschaftsvermögen.

394 Generell für den Stimmrechtsausschluß bei einer Kapitalherabsetzung Comes, DB 1974, 2189,2239. 395

So auch Comes, DB 1974, 2189, 2239.

396

A.M. Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716, die den Stimmrechtsausschluß bei jeder Kapitalherabsetzung für zulässig halten. 397

Einschränkend Hennerkes/Binz, BB 1983,713,716.

398

Einschränkend Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 717.

399

Einschränkend Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 717.

186

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

c) Die Gesellschafterstellung aa) Es entspricht dem Gerechtigkeitsgebot, daß jeder Gesellschafter ein Recht auf Wahrung seiner Gesellschafterstellung hat. Ohne seine ausdrückliche Zustimmung kann den Mitgesellschaftern oder der Mehrheit kein Recht auf Eingriffe in diese eingeräumt werden. Angesichts der persönlichen Haftung gilt dies z.B. für die „Heraufstufung" vom Kommanditisten zum Komplementär 400 , im Hinblick auf das geschützte Recht zur Beteiligung an der Geschäftsführung aber auch für die „Herabstufung 401". bb)Die Stellung als Gesellschafter umfaßt weiterhin die vereinbarte Rechtsform 402 . Die Gesellschafter legen sich aus steuerlichen, haftungsbezogenen und mitbestimmungsrechtlichen Überlegungen sowie im Hinblick auf die jeweilige Gesellschafterstellung mit ihrer konkreten Mitwirkungsbefugnis gesellschaftsvertraglich auf eine bestimmte Rechtsform fest. Ihre rechtliche und vermögensmäßige Position verändert sich im Einzelfall entscheidend durch einen Wechsel. cc) Der bedeutendste Eingriff in die Gesellschafterstellung ist die Einräumung der Möglichkeit zur Hinauskündigung. Die zulässige Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag erfordert die ausdrückliche Zustimmung. Für eine Regelung, die derart tief in die Rechtsstellung, d.h. in die wirtschaftliche und persönliche Freiheit des einzelnen Gesellschafters eingreift, muß ein eindeutiger Wille feststellbar sein 403 . Insoweit kann auch auf die Rechtsgedanken der Einziehung eines Geschäftsanteils bei der GmbH zurückgegriffen werden. Nach § 34 GmbHG ist sie nur zulässig, wenn sie einstimmig im Gesellschaftsvertrag vereinbart wurde und die Ausschließungsgründe eindeutig festgesetzt sind.

400 Erman in FS Nipperdey I (1965), S. 277, 290; Mecke, ZHR 153 (1989), S. 35, 44; Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 33 f.; wohl auch Immenga, ZGR 1974, 385,416. 401 Vgl. OLG Düsseldorf, BB 1983, 459; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 33 f. m.w.N.; Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22; Baumbach/Duden/Hopt HGB, § 119, Anm. 2 B; wohl auch Immenga, ZGR 1974, 385, 416; einschränkend Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 717; interessant in diesem Zusammenhang auch BGHZ 85, 350, 356 ff. (Umwandlung KG in GmbH). 402 Soweit insbesondere zutreffend Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6 und Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369; ders. in W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22, beide zählen den Gesellschaftsvertrag in seiner bestehenden Form zum Kernbereich; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 33 f.; wohl auch Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 38 für personalistisch strukturierte Handelsgesellschaften; einschränkend Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716 f.ür die Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft. 403

BGHZ 68, 212, 215; 81, 263, 265; 107, 351, 357.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

187

Darüber hinaus ist die Ausschließung bei der Personengesellschaft nur dann wirksam, wenn die Ausübung an einen sachlichen - nicht notwendig wichtigen - Grund geknüpft wird 404 . dd)Zum Kernbereich zählt auch das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen. Stimmrecht, Gewinnrecht und Liquidationsanteil und damit die konkrete Gesellschafterposition werden durch einen Verzicht auf das Bezugsrecht u.U. bis zur Bedeutungslosigkeit verwässert, wobei nicht ausschließlich die Vermögensrechte betroffen sind. Wenngleich nicht aus-drücklich im Gesetz erwähnt, aber ersichtlich dort bereits angelegt, gehört der Gleichheitsgrundsatz zu den wesentlichen Grundgedanken des Personengesellschaftsrechts 405. Das Beteiligungsverhältnis und damit die Machtverteilung darf sich zulasten Einzelner nur ändern, wenn die Gesellschafter hierzu ihre Zustimmung bereits im Gesellschaftsvertrag erteilt haben. Damit verzichten sie auf den (dispositiven) Schutz vor einer willkürlichen Ungleichbehandlung. Es ist insoweit für den Bestand dieses Rechtes zugunsten aller Gesellschafter kein sachlicher Unterschied zum GmbH-Recht ersichtlich. Auch dort wird das Bezugsrecht dogmatisch mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz oder mit einer analogen Anwendung von § 1861 AktG begründet 406. ee) Unter dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung des Bezugsrechts hat auch die Aufnahme weiterer Gesellschafter mit der ausdrücklichen Zustimmung aller Gesellschafter zu erfolgen 407. Wird die Zustimmung bereits im Gesellschaftsvertrag erteilt, umfaßt sie einen Verzicht auf das Bezugsrecht, soweit ein neueintretender Gesellschafter eine zusätzliche Einlage leistet und das Kapital aus diesem Grunde erhöht wird. Das Recht zur Zustimmung zur Aufnahme weiterer Gesellschafter wird im Schrifttum teilweise nur in einer personalistisch strukturierten Personenhandelsgesellschaft zum Kernbereich gezählt 408 . Diese Ansicht ist jedoch unzutreffend. Zum einen wurde bereits oben ausgeführt, daß der Personengesell-

404

BGHZ 107, 351, 353 ff.; 105, 213, 216 ff.; 84, 11, 15 f.; zu diesem Komplex eingehend Behr, ZGR 1990, 370, 380 ff.; Fastrich, ZGR 1991, 306 ff.; Huber, ZGR 1980, 177, 198 ff. 405 Der Gleichheitsgrundsatz selbst ist kein materielles, vom Kernbereich geschütztes Recht, obwohl er vielfach so eingeordnet wird, vgl. nur Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 24 f., 33; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; zutreffend aber Röttger, Kembereichslehre, S. 127 f. 406

Vgl. Rowedder GmbHG, § 55, Rdn. 30 m.w.N.

407

BGHZ 61, 303, 304; Baumbach/Duden/Hopt HGB, § 119, Anm. 2 B; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 24 f., 33 f.; wohl auch Immenga, ZGR 1974, 385, 416. 408 Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 37 f.; ders. in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 717; Röttger, Kembereichslehre, S. 144 f. bezieht dies sogar auf alle Personengesellschaften.

188

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

schafter anders als bei der GmbH auch vor mittelbaren Eingriffen geschützt ist 409 . Zum anderen scheint die Auffassung davon auszugehen, bei körperschaftlich strukturierten Kommanditgesellschaften, also „großen" und Publikumsgesellschaften bestehe der Kernbereich in einem geringeren Umfang. Wie unten noch zu zeigen ist, trifft diese Annahme jedoch nicht zu 410 . Der Umfang der geschützten Gesellschafterrechte ist dort gleich groß 411 . Der entscheidende Unterschied besteht vielmehr in der unterschiedlich hohen Anforderung an die Bestimmtheit der im Gesellschaftsvertrag zur Aufnahme neuer Gesellschafter erklärten Zustimmung, da „große" und Publikumsgesellschaften durch Erbfolge oder gezielte Mitgliederwerbung einem häufigeren Mitgliederwechsel unterliegen oder gar auf die Vergrößerung der Mitgliederzahl angelegt sind. ff) Den Bereich der Gesellschafterstellung berühren weiterhin Beschlüsse, die den Gesellschaftszweck ändern 412. Demgemäß herrscht weitgehende Übereinkunft darüber, daß zweckändernde Beschlüsse den Kernbereich der Mitgliedschaft tangieren 413. Welche Beschlüsse als zweckändernd anzusehen sind, wird allerdings uneinheitlich beurteilt, so daß eine eingehendere Auseinandersetzung mit dieser Thematik erforderlich ist. Der gemeinsame Zweck als das konstitutive Element jeder Gesellschaft ist bei den Handelsgesellschaften auf den Betrieb eines vollkaufmännischen Gewerbes gerichtet 414. Eine Zweckänderung tritt einmal dann ein, wenn die Gesellschaft in Zukunft kein vollkaufmännisches Gewerbe mehr betreiben soll, z.B. bei Verpachtung des gesamten Betriebes, oder sich zum reinen Dienstleistungsunternehmen verändern will. Damit sind die Möglichkeiten der Zweckänderung aber nicht erschöpft, denn der Zweck ist wesentlich umfassender zu verstehen. Er setzt sich aus den beiden Hauptkomponenten Unternehmensgegenstand und Erwerbszweck zusammen415. Die Aufgabe der Gewinnerzielungsabsicht und die Änderung des Unternehmensgegenstandes416 fallen deshalb ebenso unter den Begriff der Zweckänderung wie

409

Siehe oben S. 121 f.

410

Siehe unten S. 153 ff.

411

Zustimmend Röttger, Kembereichslehre, S. 159.

412 Zustimmend Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 38; Comes, DB 1974, 2189, 2240; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659 f.; Emmerich in Heymann, HGB, § 119, Rdn. 25, 33. 413 Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 38; H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 25; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659. 414

Vgl. § 1051 HGB.

415

Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 27 f.; 329, 331, 334.

416

Wie hier Comes, DB 1974, 2189, 2240; H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 25.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

189

die Auflösung der Gesellschaft 417, durch die sie den Erwerbszweck aufgibt und zu einer Abwicklungsgesellschaft wird. Die Einbeziehung des Unternehmensgegenstandes in die Kategorie der Zweckänderung wird teilweise mit der Begründung verneint, Zweck und Gegenstand seien strikt zu trennen 418. Dem ist entgegenzuhalten, daß sicherlich insoweit keine Identität vorliegt, sondern der Gegenstand nur Bestandteil des Zweckes ist. Die Gesellschafter verabreden aber gerade nicht abstrakt den Betrieb eines Handelsgewerbes, sondern legen sich ganz konkret auf einen bestimmten Unternehmensgegenstand fest, weil sie regelmäßig über einschlägige Kenntnisse und Erfahrungen verfügen, und sich in diesem Geschäftszweig die Chance eines florierenden Unternehmens erhoffen. Der Zweck muß bei den Personengesellschaften personenbezogener als bei den Kapitalgesellschaften gesehen werden. Sogar bei der Aktiengesellschaft erfährt die Änderung des Unternehmensgegenstandes eine hervorgehobene Stellung in § 179 I I S. 2 AktG dahingehend, daß die für eine Änderung erforderliche Dreiviertelmehrheit durch die Satzung nicht herab, sondern nur heraufgesetzt werden kann. Dies muß erst recht für die Personengesellschaften gelten, in der die Gesellschafter selbst die Geschäftsführung wahrnehmen und deshalb auf ihre individuellen Fähigkeiten beschränkt sind. Der Wechsel z.B. von der Produktion und dem Vertrieb von Unterwäsche 419 zum Betrieb einer Bank 420 oder eines Versicherungsunternehmens 421 stellt aus diesem Grunde nicht nur eine gravierende Änderung des Unternehmensgegenstandes, sondern eine Zweckänderung dar, die unter Mitwirkung aller Gesellschafter zu beschließen ist. Falls Beschlüsse über zukünftige Änderungen des Unternehmensgegenstandes mit Mehrheit zulässig sein sollen, sind an die Bestimmtheit der gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel besonders hohe Anforderungen zu stellen. Selbst ein Kommanditist, dessen Interesse auf eine Kapitalanlage beschränkt ist, leistet seine Einlage regelmäßig in der Erwartung, daß sich in dem konkreten Geschäftszweig durch die handelnden Personen Erträge erzielen lassen. Auch er ist in der grundsätzlichen Auswahl der Verwendung seiner Finanzmittel geschützt. In andere Branchen hätte er möglicherweise gar nicht erst investiert. Seine gesetzlich gewährte Handlungsfreiheit wäre übermäßig

417 Zustimmend Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; Martens, DB 1973, 413, 416, FN 27; a.M. Löffler, NJW 1989, 2656, 2660, s.a. FN 56; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716. 418

Löffler NJW 1989, 2656, 2659; Hennerkes/Binz BB 1983, 713, 716.

419

Vgl. § 1 I Ziff. 1 HGB.

420

Vgl. § 1 I Z i f f . 4 H G B .

421

Vgl. § 1 I Ziff. 3 HGB.

190

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

eingeschränkt, wenn ohne seine Mitwirkung in der Gesellschafterversammlung eine andere Mittelverwendung beschlossen werden könnte. Darüber hinaus zeitigt die Auswahl des Unternehmensgegenstandes zumindest einen mittelbaren Einfluß auf die vermögensmäßige Position der Mitglieder. Der Wechsel von einer florierenden in eine restriktive Branche birgt in hohem Maße den Verlust des eingesetzten Kapitals. Die Auswirkung auf die vermögensmäßige Position ist damit im Einzelfall größer als bei einer Reduzierung der Gewinnquote oder der Einführung einer Bildung von Rücklagen. Es erscheint deshalb nicht gerechtfertigt, zwischen direkten und indirekten Eingriffen in die vermögensmäßige Position zu unterscheiden. Zu berücksichtigen ist weiterhin, daß die Wahl des Unternehmensgegenstandes unmittelbare Auswirkungen auf die Möglichkeit zur aktiven Mitarbeit des einzelnen Gesellschafters entfaltet. Auch unter diesem Aspekt muß die Handlungsfreiheit der Mitglieder zumindest dadurch geschützt werden, daß sie die Möglichkeit besitzen, die ändernde Entscheidung zu beeinflussen. In Ausnahmefällen, z.B. in der Situation, daß andernfalls der Bestand der Gesellschaft gefährdet wäre, können die Gesellschafter, wenn ein vertragsändernder Beschluß nicht zustandekommt, als ultima ratio die Widersprechenden unter Berufung auf die Treuepflicht auf Zustimmung verklagen 422 . gg) Neben den beiden Hauptkomponenten Unternehmensgegenstand und Erwerbsabsicht umfaßt der Zweck im Einzelfall weitere Komponenten. Insbesondere, wenn die Gesellschafter selbst unternehmerisch aktiv sein wollen, haben sie konkrete Vorstellungen über Ausrichtung, Anlage des Unternehmens und Geschäftsgebaren. Diese Elemente sind, soweit über sie ein Konsens besteht und nicht nur einseitige Motive vorliegen, nach zutreffender Auffassung ebenfalls Bestandteil des gemeinsamen Zwecks 423 . Sie finden allerdings regelmäßig keinen ausdrücklichen Niederschlag im Gesellschaftsvertrag, der meistens nur den Unternehmensgegenstand nennt 424 , der aus anwaltlicher Fürsorge möglichst weit und offen formuliert ist. Die weitergehenden Vorstellungen der Gesellschafter werden deshalb in Literatur und Rechtsprechung vernachlässigt. Gleichwohl muß die gesamte Ge-

422 Vgl. BGHZ 44, 40, 41 f.; 64, 253, 257 f.; BGH BB 1987, 20; W M 1987, 841; Zöllner, Anpassung von Gesellschaftsverträgen, S. 34 ff., 40 ff.; ablehnend Kollhosser in FS H. Westermann (1974), S. 275 ff. 423 In dieser Richtung auch Winter in Scholz GmbHG, § 1, Rdn. 2; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 97. 424

Vgl. Rittner in Rowedder GmbHG, § 1, Rdn. 4.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

191

schäftsgrundlage, auf der sich die Gesellschafter zusammenschließen, als Bestandteil des gemeinsamen Zwecks angesehen werden. Bezüglich der Folgen für die kernbereichsgeschützte Gesellschafterstellung ergeben sich demnach folgende Überlegungen. Im Hinblick auf ihre persönliche Stellung als Gesellschafter und die entsprechenden Mitbestimmungsbefugnisse, die Art der Haftung und die steuerlichen Auswirkungen legen sich die Mitglieder auf eine konkrete Rechtsform der Gesellschaft fest. Jeder Rechtsformwechsel bzw. jede Umwandlung berührt deshalb den Unternehmenszweck 425, wenn er wie hier als weit zu fassen verstanden wird. Die Rechtsstellung eines Aktionärs, der den Vorstand, welcher die Geschäfte eigenverantwortlich und nicht weisungsgebunden betreibt, nicht einmal selbst wählen kann, ist von der Rechtsstellung eines GbR- oder OHG-Gesellschafters vollständig verschieden. Selbst die eines Kommanditisten ist nicht mehr damit vergleichbar. Wenn es sich um eine kleinere Gesellschaft mit überschaubarem Personenkreis handelt und der Zusammenschluß auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen erfolgt, umfaßt der Zweck als Geschäftsgrundlage häufig auch die Festlegung auf einen konkreten Gesellschafterkreis. Die Gesellschafter wollen mit genau diesen Personen den gemeinsamen Zweck verfolgen. Ob diese Voraussetzung vorliegt, muß von Fall zu Fall ermittelt werden. Ein Wechsel im Bestand der Gesellschafter, der Eintritt weiterer Mitglieder oder die Hinauskündigung eines Gesellschafters berühren dann ebenfalls den gemeinsamen Zweck. Weiterhin kann der Charakter der Gesellschaft Bestandteil des Unternehmenszweckes werden, wenn eine Übereinkunft darüber besteht, daß die Gesellschaft als Familien 426 - oder Publikumsgesellschaft, oder als konzernfreies Unternehmen 427 existieren soll. Auch wenn Beschlüsse über eine Veränderung des Charakters gefaßt werden sollen, berührt dies den Kernbereich der Gesellschafterrechte. hh)Die Rechtsstellung des Gesellschafters an sich wird weiterhin im wesentlichen gekennzeichnet durch die konkrete Ausprägung seiner Mitwirkungsrechte und -pflichten. Sie wird vor allem betroffen durch Beschlüsse über die Änderungen der erforderlichen Mehrheitsverhältnisse und der Stimm-

425 Str., in dieser Richtung wohl Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369; a.M. Hennerkes/Binz, BB 1983,713,716. 426

Österr. OGH, W M 1986, 40; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; in dieser Richtung auch BGHZ 85, 350, 360; wohl auch Löffler, NJW 1989, 2656, 2659, FN 53. 427 Zustimmend Löffler, NJW 1989, 2656, 2659; ders. in Die abhängige Personengesellschaft, S. 33 ff; Reuter ZHR 146(1982), 18 f.

192

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

kraft 428 , den Stimmrechtsausschluß 429, die Einführung einer Vertreterklausel 430 , die Konstituierung eines Beirates 431, wenn dieser nicht nur Beratungsund Kontrollfunktionen besitzen, sondern auch kernbereichsrelevante Rechte ausüben soll, z.B. Erteilung von Entlastung oder Wahl der Geschäftsführung. Weiterhin zählen hierzu die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführung 432, die Änderung der Vertretungsbefugnis und der Geschäftsführungsbefugnis 433, z.B. dergestalt, daß außergewöhnliche Geschäfte nicht mehr der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedürfen. Die konkrete Gesellschafterstellung wird außerdem schon im Hinblick auf eine spätere Kapitalherabsetzung durch die Einführung einer Mindestbeteiligungsquote434 betroffen. Zur vom Kernbereich geschützten Gesellschafterstellung gehören auch die Sonderrechte der Mitglieder. Beschlüsse über die Schaffung oder Beseitigung von Sonderrechten einzelner Gesellschafter 435, über Abweichungen vom Gleichbehandlungsgrundsatz 436, z.B. die Auferlegung einer Mehrbelastung und über die Erhöhung der Beitragspflicht 437 greifen deshalb in den Kernbereich ein. Die zeitliche Dimension der Gesellschaft berührt die konkrete Gesellschafterstellung ebenfalls . Zu nennen sind Beschlüsse über die Einführung oder

428 Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; Löffler, NJW 1989, 2656, 2660. 429 Allg. Meinung, vgl. nur Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; Löffler, NJW 1989, 2656, 2660. 430

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369.

431

In dieser Richtung auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 370 f.; a.M. wohl Hennerkes/Binz, BB 1983,713,717. 432 So wohl K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 389; für die Abberufung einschränkend Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 717; a.M. für den Kommanditisten Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369. 433 Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; Comes, DB 1974, 2189, 2238 f.; wohl auch Mecke, BB 1988, 2258, 2264. 434

Einschränkend Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716.

435

Allg. Meinung, vgl. nur Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Comes, DB 1974, 2189, 2239. 436 Emmerich in Heymann HGB, § 1Ï9, Rdn. 25, 33; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659. 437

RGZ 91, 166, 168 f.; Hüffer, ZHR 151 (1987), 396, 408; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

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Änderung der Dauer der Gesellschaft bzw. die Vertragsverlängerung 438, die Änderung der Kündigungsfrist 439, die Auflösung 440 oder die Fortsetzung der Gesellschaft 441. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Gesellschafterstellung nicht nur den individuellen Status erfaßt, sondern ein Bündel von Rechtspositionen, welche als materielle Geschäftsgrundlage aus dem Gesellschaftsvertrag erwächst. Einen wesentlichen Teil dieser Geschäftsgrundlage bildet der Gesellschaftszweck, der in besonderem Maße die vom Kernbereich umfaßte Gesellschafterstellung prägt. d) Das Stimmrecht Das Stimmrecht als wichtigstes Mitverwaltungsrecht steht nach den §§ 709 I BGB, 119 I HGB allen Gesellschaftern zu, denn das für die Personengesellschaft geltende Einstimmigkeitsprinzip setzt das Stimmrecht notwendigerweise voraus. Wie schon erläutert, läßt es sich im gesamten Umfang, also auch für die laufende Geschäftsführung, auf ein Gerechtigkeitsgebot zurückführen 442. Die bereits im Gesetz angelegte Möglichkeit zum Ausschluß einzelner Mitglieder von der Geschäftsführung steht dem nicht entgegen. Der Ausschluß erfolgt in diesen Fällen unter Berücksichtigung der Interessen der Nichtgeschäftsführer und ist nur mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung zulässig. Der Ausschluß vom Stimmrecht ist ohne die Zustimmung des Einzelnen lediglich aus dem übergeordneten Gesichtspunkt der Interessenkollision, z.B. beim Beschluß über die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis zulässig. Das Stimmrecht ist daher im vollen Umfang zum Kernbereich zu rechnen und nur mit Zustimmung entziehbar 443. Der Umfang wird ausführlich unten im Teil D behandelt.

438

OLG Düsseldorf, NJW 1977, 2216; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78.

439

Hennerkes/Binz, BB 1983,713,716.

440

Comes, DB 1974, 2189, 2240 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58, 78; Martens, DB 1973, 413, 416, FN 27, 417, FN 34; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; a.M. Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716; Löffler, NJW 1989, 2656, 2659, FN 56. 441 BGHZ 8, 35, 43 f.; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25, 33; wohl auch Comes, DB 1974, 2189, 2240 f.; a.M. Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 716. 442

Siehe oben S. 117 ff., 119 ff.

443

H.M., vgl. Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7, 10; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78, 83; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 37; Schilling/Winter in FS Stiefel (1987), S. 665, 670; Mecke, BB 1988, 2258, 2264; Picot, BB 1993, 13, 17; Martens, DB 1973, 413, 417; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387; Immenga, ZGR 1974, 385, 425 f. 13 Lockowandt

194

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

V. Die Zustimmung zu Eingriffen der Mehrheit in die materiellen Kernbereichsrechte 1. Grundsätzliche Zulässigkeit der antipizie rten Zustimmung Die Möglichkeit, anläßlich einer konkreten Beschlußfassung auf die materiellen Rechte des Kernbereichs zu verzichten, findet in der Literatur in Anlehnung an § 53 I I I GmbHG allgemeine Zustimmung. Die herrschende Meinung vertritt darüber hinaus die Auffassung, daß die Zustimmung zu Eingriffen der Mehrheit bereits im Gesellschaftsvertrag erteilt werden kann 444 . Diese Auffassung wird von wenigen, aber namhaften Stimmen abgelehnt445. Ihre Forderung nach aktueller Zustimmung ist vermutlich auf die nicht unbegründete Befürchtung zurückzuführen, findige Kautelarjuristen könnten die Rechte des Kernbereichs weitgehend relativieren 446. Die Beantwortung der Frage nach dem zutreffenden Ergebnis hängt entscheidend von der dogmatischen Einordnung der Zustimmung ab. Diesen Punkt lassen allerdings die Vertreter beider Meinungen regelmäßig offen. a) Röttger, der zu diesem Problemkreis als einziger ausführlich Stellung bezieht, vertritt die Auffassung, die Zustimmung sei materiell eine Beteiligung an der durch Beschluß erfolgenden gesellschaftlichen Willensbildung 447 . Der Gesellschafter könne unabhängig davon, ob das Einstimmigkeits- oder das Mehrheitsprinzip gelte, einem in seine Rechte eingreifenden Beschluß die Wirksamkeit verweigern oder verschaffen 448. Dies gelte auch dann, wenn der Gesellschafter vom Stimmrecht ausgeschlossen sei, so daß zwischen einem zwingenden Zustimmungsrecht und einem zwingenden Stimmrecht eine gegenständliche Identität mit der Folge bestehe, daß die zwingenden

444 H.M., Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36; ders. in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 407 f.; Löffler, NJW 1989, 2656, 2661; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 389 f.; Martens, DB 1973, 411, 414 f.; Sogar die Rechtsstellung selbst ist vertraglich im voraus verzichtbar. So kann der Mehrheit das Recht zur Hinauskündigung aus sachlichem Grund eingeräumt werden (BGHZ 107, 351, 353 f.; 105, 213; 81,11, 15 f.). Als zweifellos zulässiger Grund käme z.B. bei einer GbR unter Freiberuflern das Vorliegen der Aprobation oder Zulassung als Rechtsanwalt oder Steuerberater in Betracht. 445 Immenga, ZGR 1974, 385, 425; Reuter, Gutachten Β zum 55. DJT (1984), S. Β 61; unklar Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362; sehr eingeschränkt Röttger, Kernbereichslehre, S. 89 f., 147 f. 446

So zu Recht Löffler, NJW 1989, 2656, 2661, FN 80.

447

Röttger, Kembereichslehre, S. 130.

448

Röttger, Kembereichslehre, S. 128 ff.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

195

Stimmrechte materiell in der Existenz der zwingenden Zustimmungsrechte aufgingen 449. b) Röttger ist zwar zuzugeben, daß das Votum des betroffenen Gesellschafters die Wirksamkeit eines gefaßten Beschlusses über eine Vertragsänderung beeinflußt. Im Ausgangspunkt geht seine Auffassung jedoch von falschen Voraussetzungen aus. Der Schutz des Kernbereichs setzt nicht erst bei Vertragsänderungen, sondern bereits beim Aushandeln des Gesellschaftsvertrages ein. Seine Aufgabe besteht in der Sicherung der Selbstbestimmung. Die Gesellschafter sollen ihre wirtschaftlichen Verhältnisse selbst rational gestalten. Dazu gehört z.B. auch, bereits im Gesellschaftsvertrag auf die Teilnahme an der Geschäftsführung oder auf das Stimmrecht in bestimmten Angelegenheiten zu verzichten. Die Zustimmung zu derartigen Rechtsverkürzungen hat jedoch mit einer Teilnahme an der Willensbildung nicht das geringste zu tun. Die Zustimmung als empfangsbedürftige Willenserklärung 450 ist vielmehr eine auf Aufhebung des Rechts gerichtete Verfügung, und führt unabhängig vom Zeitpunkt zum vertraglichen Ausschluß eines subjektiven Rechts des Kernbereichs. Sie ist aber kein einseitiges Rechtsgeschäft. Andernfalls könnte sich z.B. jeder „Geschäftsführer", der gesetzlich und vertraglich zur Geschäftsführung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, von dieser Verpflichtung durch einseitigen Akt lösen, in dem er auf sein Recht zur Geschäftsführung verzichtet 451. Den Kernbereichsrechten stehen Beitrags·, Mitarbeits- und Mitwirkungspflichten gegenüber, auf die die übrigen Gesellschafter vor dem Hintergrund der gemeinsamen Zweckverfolgung erheblichen Wert legen, die - wie die Mitwirkung an der Geschäftsführung oftmals sogar Geschäftsgrundlage für das Eingehen der Gesellschaft gerade mit dieser Person sind. Der in der Zustimmung liegende Verzicht bedarf folglich der Annahme durch die übrigen Gesellschafter. Der im Ausschluß des Kernbereichsrechts begründete Verzicht ist deshalb als Verfügung ein zweiseitiges Rechtsgeschäft. Dies gilt auch für Änderungen des Gesellschafts Vertrages. Sie erfolgen bei den Personengesellschaften regelmäßig einstimmig. Auf diese Weise kommt ein Änderungsvertrag i.S.v. § 305 BGB zustande. Das Votum für eine rechtsverkürzende Vertragsänderung stellt deshalb nicht nur Stimmabgabe, sondern auch einen Verzicht, eine Verfügung über das Recht dar.

1

449

Röttger, Kernbereichslehre, S. 148 f.

450

Zimmermann in Rowedder, GmbHG, § 53, Rdn. 53.

451

Nach §§ 712 II BGB, 105 II HGB nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes vorgesehen.

196

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Unter der Geltung des Mehrheitsprinzips wird dieser Umstand besonders bei einem Beschluß über die Entziehung eines Sonderrechtes, z.B: eines Gewinnvorab deutlich. Der BGH wies im 20. Band ausdrücklich darauf hin, daß die Zustimmung nicht Ausfluß des Stimmrechts sei und demgemäß nicht in dem Gesellschafterbeschluß aufgehe, sondern ein besonderes Erfordernis neben dem Beschluß darstelle 452. Beides wird zwar oftmals zusammenfallen, denn wenn der Gesellschafter für die Änderung stimmt, beinhaltet sein Votum gleichzeitig die Zustimmung zum Rechtsverzicht. Stimmt der betroffene Gesellschafter allerdings dagegen, war er zwar an der Willensbildung beteiligt, der Beschluß entfaltet aber mangels Zustimmung keine Wirksamkeit. Er kann diese Zustimmung allerdings noch später erteilen. Hier tritt das Konsenzprinzip des § 305 BGB wieder deutlich in den Vordergrund. Die Zustimmung zur Vertragsänderung hinsichtlich des Sonderrechtes hängt von seiner privaten Willensbildung und nicht von der kollektiven Willensbildung ab. Auch in diesem Fall wäre die Zustimmung ein rechtsgeschäftlicher Verzicht, eine Verfügung. Dieser Umstand wird von Röttger jedoch nicht hinreichend beachtet. c) Grundgedanke des Kernbereichs ist es, den Gesellschaftern in einem für ihre Handlungsfreiheit bedeutsamen Bereich, insbesondere bei Vertragsänderungen, die Möglichkeit zu erhalten, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse selbst rational zu gestalten. Sie sollen sich selbstbestimmt für oder gegen Rechtsverkürzungen bzw. die Möglichkeit zu Eingriffen der Mehrheit in diese Rechte entscheiden können 453 . Der Kernbereich schützt aber nur die persönliche Rechtsausübung454, besagt aber nicht, zu welchem Zeitpunkt das Recht ausgeübt werden kann 455 . Zum gleichen Ergebnis führt der Vergleich mit anderen Rechtsinstituten, in denen die eigene Rechtssphäre ebenfalls durch Dritte gestaltet wird. Auch bei der in Bezug auf die Zustimmung vergleichbaren Vollmacht und der Verfügung Nichtberechtigter hängt die Wirksamkeit der „Zustimmung" nicht vom Zeitpunkt ab. Die Vollmacht kann vorab an den Vertreter erteilt oder nachträglich der Vertragsschluß des vollmachtlosen Vertreters genehmigt werden 456 . Dies gilt auch für Verfügungen. Die Einwilligung kann als Zustimmung nach § 185 I BGB vorab oder nach § 185 I I BGB im nachhinein als Genehmigung erteilt werden. Im Hinblick auf das Ziel des Erhalts der persönlichen Rechtsausübung ist deshalb - die prozeduralen

452

BGHZ 20, 363, 368 f.

453

In diesem Sinne auch Mecke, BB 1988, 2258, 2263.

454

So zutreffend Immenga, ZGR 1974, 385, 423 f.

455

So zutreffend Mecke, BB 1988, 2258, 2263; Löffler, NJW 1989, 2656, 2661.

456

§§ 164, 167, 1771 BGB.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

197

Rechte ausgenommen457 - der Ausschluß der Kernbereichsrechte grundsätzlich bereits im Gesellschaftsvertrag zulässig458. 2. Die Legitimation der Mehrheitsentscheidung Die Gesellschafter können nicht nur bei Abschluß des Gesellschaftsvertrages auf einzelne Kernbereichsrechte, z.B. auf ihr Geschäftsführungsrecht verzichten, sondern darüber hinaus der Mehrheit das Recht einräumen, ihre Kernbereichsrechte zu einem späteren Zeitpunkt zu modifizieren oder zu entziehen. Dies geschieht durch die Vereinbarung des Mehrheitsprinzips für Änderungen des Gesellschaftsvertrages. Ob der Gesellschafter auch den später erfolgenden Eigriffen antizipiert zugestimmt hat und inwieweit die Mehrheit zu derartigen Eingriffen legitimiert ist, soll anhand der dogmatischen Grundlage des Mehrheitsprinzips aufgezeigt werden. Dazu werden im wesentlichen drei Meinungen vertreten. a) Die erste Meinung versteht das Mehrheitsprinzip als Vereinbarung einer Verfahrensregel 459. Die Mehrheit sei zur verbindlichen Entscheidung befugt, weil sich die Gesellschafter darauf verständigt hätten, bei der Entscheidung über die Änderung des Gesellschaftsvertrages ein bestimmtes Verfahren einzuhalten. Eine inhaltliche Präzisierung sei nicht erforderlich, solange das Mehrheitsprinzip ausdrücklich für Vertragsänderungen vereinbart sei. b) Die zweite Auffassung sieht in der Mehrheitsklausel die Einräumung eines Gestaltungsrechts 460. Die Gesellschafter sollen sich der späteren Mehrheitsentscheidung bereits vorab unterwerfen. Da sich Unterwerfung und Umfang des Gestaltungsrechts entsprechen müßten, sei eine präzise Beschreibung des späteren Beschlußgegenstandes erforderlich.

457 Vgl. oben S. 100 ff., 123 ff., z.B. Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, Klagerechte, Stimmrecht bei Entlastung und Abberufung der Geschäftsführung aus wichtigem Grund. 458 So zurecht die h.M., Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36; ders. in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 407 f.; Löffler, NJW 1989, 2656, 2661; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 389 f.; Martens, DB 1973, 413, 414 f. 459 Leenen in FS Larenz (1983), S. 371, 379 ff.; Schiemann, AcP 185 (1985), S. 73, 75; wohl auch Röttger, Kembereichslehre, S. 87 f., 151 f. 460 Bötticher, S. 9, 28 ff., 32 f.; Menk, Bestimmtheitsgrundsatz/Kembereichslehre, S. 62 ff.; Marburger, NJW 1984, 2252, 2254; Thiele, S. 48; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 75; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 407; Mecke, BB 1988, 2258, 2260f.

198

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

c) Die dritte Meinung sieht in der Mehrheitsklausel die antizipierte Zustimmung zu der späteren Vertragsänderung 461, die durch den späteren Beschluß nur noch rechtstechnisch ausgelöst und in Kraft gesetzt werde. Das tatsächliche Vorliegen dieser Zustimmung erfordere ebenfalls die genaue Beschreibung des späteren Beschlußinhalts. d) Jede der drei Versuche, die Legitimation der Mehrheitsherrschaft dogmatisch zu begründen, ist im Ansatz zutreffend, aber unvollständig. Zweifellos bildet das Mehrheitsprinzip eine Verfahrensregel. Als solche allein vermag sie aber noch keine materiellrechtliche Bindungswirkung zu Lasten der überstimmten Gesellschafter zu begründen 462. Eine antipizierte Zustimmung im Sinne eines aufschiebend bedingt gefaßten Beschlusses, der durch eine spätere Mehrheitsentscheidung nur noch rechtstechnisch in Kraft gesetzt wird, läßt sich der Zustimmung ebenfalls nicht entnehmen. Die Mitglieder wollen und können sich bei der Vereinbarung des Mehrheitsprinzips regelmäßig gar nicht auf einen ganz konkreten Beschluß einigen, sondern nur auf einen Beschlußgegenstand. Sie beabsichtigen gerade einen Zuwachs an Flexibilität für den Fall, daß sie sich später über den konkreten Beschlußfall nicht einig sind. Die Vereinbarung des Mehrheitsprinzips enthält deshalb gewolltermaßen einen Spielraum, eine Bandbreite, innerhalb deren sich der spätere Beschluß zu bewegen hat. Anderenfalls könnten sie z.B. nicht nur die Aufnahme weiterer Mitglieder dem Mehrheitsprinzip unterstellen, sondern müßten auch den Namen bzw. die Firma des neuen Mitglieds sowie die Höhe seiner Einlage verbindlich festlegen, weil dadurch ihre Vermögens- und Mitbestimmungsrechte entscheidend beeinflußt werden. Eine derart detaillierte Zustimmung erscheint unter dem Gesichtspunkt der selbstbestimmten Regelung der eigenen Vermögenssphäre als Schutz zu weitgehend. Denn selbst die Erteilung einer Vollmacht oder Ermächtigung eines Nichtberechtigten zu Verfügungen erfordern nur eine hinreichende, nicht aber eine absolut konkrete Festlegung, um wirksam zu sein. Eine Ausnahme ist lediglich für Eingriffe in Sonderrechte denkbar, in welche die Mehrheit allenfalls bei Vorliegen konkret vereinbarter Umstände, aber nicht willkürlich eingreifen darf. Um eine „blindlings erfolgte Unterwerfung" unter die spätere Mehrheitsentscheidung zu vermeiden, reicht es deshalb aus, daß sich der Gesellschafter über die in einem bestimmten Rahmen konkret möglichen Folgen im klaren ist und diese sachgerecht würdigt 463 . Dem Flexibilitäts- und Änderungsinteresse auch des später

461 BGH NJW 1988, 411, 412; BGHZ 71, 53, 57; 85, 350, 356; Immenga, ZGR 1974, 385, 419; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 219 f.; Martens, DB 1973,413,415. 462

So zurecht Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 75, FN 136; Mecke, BB 1988, 2258,

2260 f. 463

BGHZ 85, 350, 356.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

199

vielleicht dissentierenden Gesellschafters würde anderenfalls nicht hinreichend Rechnung getragen. Die materiellrechtliche Befugnis der Gesellschafterversammlung, eine rechtsgestaltende Maßnahme in Form einer Vertragsänderung mit bindender Wirkung für die dissentierenden Gesellschafter vorzunehmen, ergibt sich vielmehr daraus, daß die Gesellschafter mit der Vereinbarung des Mehrheitsprinzips der Gesellschafterversammlung innerhalb eines festgelegten Rahmens ein Gestaltungsrecht einräumen. Jedenfalls bei Austauschverträgen ist es nach § 315 BGB möglich, den anderen Vertragspartnern das Recht einzuräumen, die Leistung oder einen bestimmten Teil des Schuldverhältnisses einseitig zu bestimmen464. Die verbindliche Festlegung erfolgt dann durch eine einseitige Gestaltungserklärung, die den Vertragspartner, der sich insoweit der Bestimmung bereits vorher unterworfen hat, unmittelbar bindet 465 . Das Gestaltungsrecht kann auch zum Zwecke der späteren Vertragsanpassung oder -änderung eingeräumt werden 466 . §315 BGB ist allerdings auf eine Leistungsbestimmung bei Austauschverträgen zugeschnitten und paßt auch in der Rechtsfolge, nach der die - gerichtlich überprüfbare - Bestimmung „im Zweifel nach billigem Ermessen" zu erfolgen hat, nicht recht auf die vorliegenden gesellschaftsrechtlichen Besonderheiten 467. Insbesondere in den Fällen, wo es um unternehmerische Entscheidungen geht, z.B. Kapitalerhöhung, Änderung des Gesellschaftszwecks, ist der Richter mit einer gestaltenden Festlegung einer „billigen" Regelung überfordert 468. Die Vereinbarung eines anderen Maßstabes für die Bestimmung der Leistung ist zwar schon nach dem Wortlaut („im Zweifel") zulässig, unterbleibt jedoch regelmäßig in der Praxis. Eine entsprechende Anwendung von § 315 BGB erscheint deshalb problematisch 469. Zumindest der Rechtsgedanke der Vorschrift ist allerdings verallgemeinerungsfähig und findet auch über seinen direkten Anwendungsbereich hinaus

464

In RGZ 91, 166, 167 hat die Rspr. noch auf § 317 BGB verwiesen. Dabei wurde jedoch nicht hinreichend berücksichtigt, daß die Gesellschafterversammlung kein Dritter, sondern die Zusammenfassung aller Vertragspartner ist; vgl. Battes in Erman BGB, § 315, Rdn. 17. 465

Wolf in Soergel/Siebert BGB, § 315, Rdn. 1, 14 ff.; Söllner in Mü-Ko BGB, § 315, Rdn. 1,

18 ff. 466

Wolf in Soergel/Siebert BGB, § 315, Rdn. 5, Söllner in Mü-Ko BGB, § 315, Rdn. 9, 19.

467

Gleichwohl findet § 315 BGB auch im Gesellschaftsrecht vereinzelt Anwendung; vgl. Battes in Erman BGB, § 315, Rdn. 17; Wolf in Soergel/Siebert BGB, § 315, Rdn. 8. 468 469

BGH NJW 1972, 862; Köhler, JA 1983, 168.

Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 214; für eine grundsätzliche Anwendbarkeit auch im Gesellschaftsrecht Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 4.

200

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Anwendung 470 . Der einzelne Gesellschafter als Partner eines gegenseitigen schuldrechtlichen Vertrages räumt jeweils den anderen Mitgesellschaftern ein Gestaltungsrecht zur Abänderung des Gesellschaftsvertrages ein. Die Bestimmung der Vertragsänderung wird aber nicht durch einen einzelnen Vertragspartner vorgenommen, sondern mit Hilfe eines Mehrheitsbeschlusses, an dem alle Gesellschafter beteiligt sind. Die persönliche Rechtsausübung verlagert sich damit auf die Gesellschafterversammlung, der wiederum jedes Mitglied angehört. Die dissentierenden Gesellschafter haben sich der Gestaltung bereits durch die Vereinbarung des Mehrheitsprinzips für diesen Rahmen unterworfen und sind auch dann gebunden, wenn sie abweichend abstimmen sollten. Diese Verfahrensregel stellt folglich einen größtmöglichen Konsens und damit die Richtigkeitsgewähr sicher und sieht für Vertragsänderungen regelmäßig eine qualifizierte Mehrheit vor. Das Gegenstück zur Einräumung des Gestaltungsrechts auf der einen Seite bildet die Unterwerfung aller Mitglieder unter dieses Gestaltungsrecht auf der anderen Seite. Gestaltungsrecht und zustimmende Unterwerfung müssen sich deshalb spiegelbildlich entsprechen. In die Rechte des Kernbereichs kann nur mit ausdrücklicher Zustimmung eingegriffen werden, weshalb nach der gesetzlichen Regelung grundsätzlich eine einstimmige Beschlußfassung und damit ein Änderungsvertrag i.S.v. § 305 BGB erforderlich ist. Verzichten die Gesellschafter einvernehmlich zugunsten eines Mehrheitsbeschlusses auf eine einstimmige Entscheidung, erklären sie antizipiert die Zustimmung zu einem Beschluß, der in den Kernbereich ihrer Rechte eingreift und von ihnen im Einzelfall möglicherweise nicht mitgetragen wird. Die Unterwerfung unter das Gestaltungsrecht zugunsten der Mehrheit enthält oder besser ist die erforderliche „ausdrückliche Zustimmung", die bereits im Gesellschaftsvertrag antizipiert erteilt wird. Die von den drei verschiedenen Auffassungen vertretenen dogmatischen Begründungen für die Legitimation der Mehrheitsherrschaft betonen jeweils nur eine der drei Komponenten, die in Wirklichkeit kumulativ vorliegen. e) Die grundsätzliche Legitimation der Mehrheit, auch im Kernbereich verbindlich zu Lasten Andersdenkender zu entscheiden, besagt aber noch nichts über den Umfang des Gestaltungsrechts. Sein Umfang kann sich nur soweit erstrecken, wie es durch die zustimmende Unterwerfung eingeräumt wird. Nur insoweit verzichten die Gesellschafter auf eine aktuelle Zustimmung und verlagern ihre persönliche Entscheidung auf die Gesellschafterversammlung. Soweit die Gesellschafter nicht ausdrücklich zustimmen, d.h. das Mehrheitsprinzip nicht hinreichend eindeutig vereinbart wurde, kann das Gestaltungsrecht der Mehrheit gar nicht erst zur Entstehung gelangen. Ein

470

Battes in Erman BGB, § 315, Rdn. 2.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

201

gleichwohl gefaßter Mehrheitsbeschluß unterfällt der „Inhaltskontrolle", weil die Mehrheit zur Entscheidung nicht legitimiert ist. Für eine Ausübungskontrolle bleibt mangels Rechtsgrundlage gar kein Raum. f) Bezüglich der Qualität der Zustimmung wird vertreten, daß an die im Gesellschaftsvertrag erteilte Zustimmung inhaltlich dieselben Anforderungen zu stellen seien wie an die aktuelle Einwilligung 471 . Sie müsse einen Eingriff eindeutig zulassen sowie dessen Ausmaß und Umfang klar abgrenzen 472 und die wesentlichen Folgen des Eingriffs konkret umschreiben 473. Eine derart detaillierte Formulierung der antizipierten Zustimmung wird oftmals schwerfallen. Wie bereits erwähnt, müßten bei der Zulassung der Aufnahme neuer Gesellschafter streng genommen der Name oder die Firma bereits genauso genannt werden wie die Art und maximale Höhe der zu leistenden Einlage. Erst dann wären die Gesellschafter in der Lage, das Ausmaß und die Folgen eines späteren Beschlusses zu erkennen. Zumal sich auch die Verhältnisse bei den neuen Gesellschaftern bis zum Zeitpunkt ihres Eintritts verändern könnten, und eine derartige Festlegung die Gesellschafter in manchen Fällen eher behindert als schützt, erscheint die Forderung einer derart eingeschränkten Zulassung der antizipierten Zustimmung als zu eng. Selbst eine Spezialvollmacht ist nicht nur dann wirksam, wenn sie alle Einzelheiten des Rechtsgeschäftes exakt bezeichnet. Sie kann relativ weit gefaßt sein. Ihr Umfang hängt im wesentlichen vom Empfängerhorizont ab 474 . Entsprechendes gilt für die Zustimmung i.S. von §§ 185 I, 182 I BGB. Es ist darüber hinaus zweifellos zulässig, dem Bevollmächtigten oder Ermächtigten einen Ermessensspielraum einzuräumen. Die antizipierte Zustimmung zu Kernbereichseingriffen braucht vor diesem Hintergrund grundsätzlich ebensowenig den exakten Beschlußinhalt unter Aufzeigen der Folgen beinhalten. Sie darf grundsätzlich weiter als der spätere Beschluß gefaßt sein und der Mehrheit einen gewissen Gestaltungsspielraum belassen. Eine alles umfassende Vereinbarung des Mehrheitsprinzips wäre allerdings als zu weitgehende Einschränkung wegen eines Verstoßes gegen § 138 BGB ebenso nichtig wie eine umfassende katalogmäßige Auflistung der Beschlußgegenstände475, schon wegen der Kumulation von Rechtsentzügen.

471

Mecke, BB 1988, 2256, 2263; Löffler, NJW 1989, 2656, 2661..

472

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 408; Mecke, BB 1988, 2256, 2263; Löffler, NJW 1989, 2656, 2661; einschränkend Schilling in Staub, HGB, § 163, Rdn. 4: „hinreichend deutlich"; einschränkend auch Martens, DB 1973, 413, 415. 473

Mecke, BB 1988, 2256, 2263; Löffler, NJW 1989, 2656, 2661.

474

BGH L M § 133(B), Nr. 18.

475

So zutreffend Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77; Mecke BB 1988, 2258, 2263; im Erg. auch Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217 ff.

202

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

VI. Der Bestimmtheitsgrundsatz als Element der Kernbereichslehre Für die Reichweite der Geltung der Vereinbarung des Mehrheitsprinzips hat die Rechtsprechung den Bestimmtheitsgrundsatz entwickelt. Das Reichsgericht stützte ihn seinerzeit ausdrücklich auf § 138 BGB. Da eine schrankenlose Unterwerfung der Personengesellschafter unter den Mehrheitswillen gegen die guten Sitten verstoße, müsse im Gesellschaftsvertrag die Angabe gewisser Grenzen verlangt werden 476. Das Ziel bestand auch damals schon in dem Erhalt der Selbstbestimmung. Der Gesellschafter sollte bei seiner „Unterwerfung" unter den Mehrheitswillen bereits die konkreten Folgen in etwa abschätzen und sachgerecht würdigen, so wie es der Privatautonomie als Mittel zur rationalen Selbstgestaltung der eigenen Verhältnisse entspricht 477. Nur wenn sich hierfür im Gesellschaftsvertrag hinreichende Anhaltspunkte fanden, ließ das RG einen verbindlichen Mehrheitsbeschluß zu, weil die Gesellschafter der „Unterwerfung" insoweit zugestimmt hatten. Der BGH brachte den Zusammenhang zwischen Bestimmtheitsgrundsatz und § 138 BGB nicht mehr hinreichend deutlich zum Ausdruck. Zunächst betonte er den Auslegungsgesichtspunkt noch neben der Schranke des § 138 BGB 4 7 8 , um dann später nur noch auf seine Gültigkeit als Auslegungsregel abzustellen479. In der Sache stützte der BGH seine Argumentation allerdings immer noch auf den Selbstschutzgedanken und das Konsensprinzip des § 305 BGB bei Vertragsänderungen, und zwar nicht nur durch die ausdrückliche Bezugnahme auf die reichsgerichtliche Rechtsprechung. Sondern der BGH betont nachdrücklich, daß „dieser sogenannte Bestimmtheitsgrundsatz innerhalb der Personengesellschaft die Minderheit schützt, der nicht unterstellt werden kann, sie unterwerfe sich der Mehrheit blindlings unter Inkaufnahme möglicherweise weittragender Folgen einer gar nicht bedachten Änderung. Nur wenn der mit Mehrheit beschlossene Eingriff in die Stellung des Gesellschafters im Vertrag konkret geregelt ist, ist die Feststellung erlaubt, der Gesellschafter habe das Für und Wider gerade dieser Änderung abgewogen und ihr im Vertrage vorweg seine Zustimmung erteilt. Ohne diese Zustimmung können die Gesellschafter später die Vertragsänderung von vornherein nicht mit Mehrheit, sondern nur einverständlich regeln 480 ".

476

RGZ 91, 166, 168 f.; 151, 321, 327; 163, 385, 391.

477

Vgl. Reuter, ZGR 1987, 475, 485.

478

BGHZ 8, 35, 41.

479

BGHZ 85, 350, 355 f.; BGH NJW 1988, 411, 412.

480

BGHZ 85, 350, 356.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

203

Der Bestimmtheitsgrundsatz basiert damit auf der gleichen Rechtsgrundlage und den gleichen Gedanken wie die Kernbereichslehre, was die Frage nahelegt, ob er letztlich eines ihrer Elemente darstellt. Der enge Zusammenhang zwischen Kernbereichslehre und Bestimmtheitsgrundsatz wird zwar im Schrifttum andeutungsweise erahnt 481, jedoch wird er nicht in letzter Konsequenz zuende gedacht. 7. Der Bestimmtheitsgrundsatz

als unverzichtbare Auslegungsregel

a) Die Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz hat die Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen im Kernbereich 482 stets im Wege der Auslegung ermittelt und diese sehr restriktiv gehandhabt483. In den Gesellschaftsverträgen der Personengesellschaften, um die es jeweils ging, war das Mehrheitsprinzip für einen relativ großen Umfang von Beschlüssen vereinbart und sollte ausdrücklich auch für Vertragsänderungen Geltung entfalten, ohne daß insoweit konkrete Beispiele aufgeführt waren. Vordergründig sprach also eine tatsächliche Vermutung dafür, daß die Gesellschafter eine Entscheidung im Wege des Mehrheitsbeschlusses einer einstimmigen Entscheidung vorzogen, um spätere, u.U. notwendige Entscheidungen zu ermöglichen 484 . Diese sollten nicht am Veto eines andersdenkenden Gesellschafters scheitern können und so eine gewisse Beweglichkeit der Gesellschaft im Hinblick auf Änderungen des Gesellschaftsvertrages sicherstellen. Auch wenn die Klausel den angegriffenen Beschluß nicht konkret bezeichnete, hätte die Auslegung auf den ersten Blick extensiv zugunsten des Veränderungsinteresses und damit zu Lasten des Beharrungsinteresses Einzelner erfolgen müssen. Aus diesem Grund ist der Bestimmtheitsgrundsatz in der Literatur heftig angegriffen worden 485 . Der in rechtlicher Hinsicht zentrale Vorwurf der Kritiker bezog sich dabei auf die Einstufung des Be-

481 Vgl. nur Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, § 8 I, 2 a, S. 411: „Minderheitenschutz durch Verfahren"; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 389: Erst ein sinnvolles Zusammenspiel zwischen Kembereichslehre, Belastungsverbot und Bestimmtheitsgrundsatz sorgt für wirksamen Minderheitsschutz; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77: Nur für die Verhinderung pauschaler Eingriffe der Mehrheit in den Kernbereich der Mitgliedschaft bietet die als „Bestimmtheitsgrundsatz" bezeichnete Formel der Rechtsprechung auch heute noch zutreffende Anhaltspunkte. 482

Insofern nun eindeutig in BGH NJW 1985, 972, 973; NJW 1985, 974, 975.

483

Vgl. nur RGZ 114, 393, 395; 151, 321, 327; 163, 385, 391; BGHZ 8, 35, 41 ff.

484

So ausdrücklich Brändel in FS Stimpel (1985), S. 95, 103.

485

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 74 ff.; ders. in Staub HGB, § 105, Rdn. 41; Hadding, ZGR 1979, 636, 646; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 715; Leenen, FS Larenz (1983), S. 371 ff.; Brändel, FS Stimpel (1985), S. 95, 101 ff.; Hüffer, ZHR 151 (1987), S. 396, 406 f.; Autenrieth, DB 1983, 1034 f.; Mecke, BB 1988, 2258, 2262 f.; für eine Beibehaltung des Bestimmtheitsgrundsatzes aber Schießl, DB 1986, 735 ff.; Marburger, NJW 1984, 2255 ff.; Koch, NJW 1986, 1651, 1654 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 373 ff.; Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 18 ff.; Röttger, Kembereichslehre, S. 156 f.

204

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

stimmtheitsgrundsatzes als Auslegungsregel. Wenn sich die Gesellschafter umfassend mit der Geltung des Mehrheitsprinzips auch für Vertragsänderungen einverstanden erklärt hätten, sei die Auslegung als Erforschung des wirklichen Willens beendet486. Auch wenn die restriktiven Entscheidungen des BGH zum Teil mit dem vorherrschenden Demokratieverständnis nur schwer vereinbar sein mögen und der Vertragsfreiheit im Personengesellschaftsrecht in der Praxis ein immer größerer Spielraum eingeräumt wird, so ist dem BGH aus dogmatischer Sicht zuzustimmen487. Die Zustimmung zum Mehrheitsprinzip beinhaltet im Zweifel den Verzicht auf die Rechte des Kernbereichs. Die Mehrheit ist zu Beschlüssen legitimiert, die u.U. gegen den aktuellen Willen des Einzelnen unmittelbar oder mittelbar in seine essentiellen Gesellschafterrechte eingreifen. Nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung besteht jedoch ein Erfahrungssatz, nach dem im Rahmen der Auslegung ein Verzicht im Zweifel gerade nicht zu vermuten ist und zwar insbesondere dann nicht, wenn der Verzicht zum Zeitpunkt der Abgabe noch unbekannte Rechte umfassen soll 488 . An die Feststellung eines dahingehenden Willens sind strenge Anforderungen zu stellen 489 . Die den Verzicht beinhaltende Zustimmung der Gesellschafter zu potentiellen Kernbereichseingriffen erfordert deshalb ein unzweideutiges Verhalten, welches von den übrigen Gesellschaftern als Erklärungsempfängern als unbedingte Aufgabe des Rechts verstanden werden kann 490 . Anders als die Erteilung von Vollmacht oder Ermächtigung kann der Verzicht in der Zeit zwischen Einräumung und Ausübung des Gestaltungsrechts nicht widerrufen werden 491 . Er wirkt unmittelbar gestaltend, d.h. rechtsentziehend im Hinblick auf die ausschließlich persönliche Ausübbarkeit. Gerade wenn es um den potentiellen Verzicht auf bedeutende Rechte in einer auf längere Zeit angelegten Gesellschaft geht, ist der diesbezügliche Parteiwille restriktiv auszulegen492. Obwohl vordergründig dem Mehrheitsprinzip der Vorzug gegeben wird, wollen sich die Gesellschafter verständlicherweise die Entscheidung über den Verzicht von Rechten, die ihre Gesellschafterstellung und ihre Vermögensposition betreffen, im Zweifel eher

486

So ausdrücklich Hadding, ZGR 1979, 636, 642; zutreffend aber Coing, ZGR 1978, 659.

487

So auch Coing, ZGR 1978, 659, 673 f.

488

St. Rechtsprechung, vgl. RGZ 118, 63, 66; BGH NJW 1984, 1346, 1347; OLG Nürnberg, OLGZ84, 127,128. 489

BGH NJW 1984, 1346, 1347.

490

In dieser Richtung vgl. auch BGH FamRZ 1981,763.

491

Vgl. nur Söllner in Mü-Ko BGB, § 315, Rdn. 19.

492

Zustimmend Röttger, Kembereichslehre, S. 152 ff.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 374.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

205

selbst für die Zukunft vorbehalten. Die denkbaren zukünftigen Eingriffsmöglichkeiten werden nicht einmal im Ansatz umfassend bedacht. Von einem entsprechenden Willen zum Verzicht auf diese Rechte kann deshalb oftmals eben nicht die Rede sein. Die zahlreichen Rechtsstreitigkeiten zeigen vielmehr, daß sich die Gesellschafter über die Tragweite des angeblich erklärten Verzichts stritten, wenn es um ungewöhnliche Vertragsänderungen ging. Der Verzicht muß sich deshalb zumindest im Wege der Auslegung eindeutig aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben 493. b) In der Freudenberg-Entscheidung von 1982 494 warf der BGH die Frage auf, ob der Bestimmtheitsgrundsatz eine bloße Auslegungsregel mit der Folge sei, daß ein ausdrücklicher Verzicht auf seine Anwendung zulässig und wirksam ist, oder ob er nicht vielmehr als eine formale Regel des Minderheitenschutzes unverzichtbar ist. Für die Beantwortung dieser Frage, die vom BGH ausdrücklich offengelassen wurde, können aus dem Vorstehenden zwei Schlüsse gezogen werden. Die Bewertung des Gesellschafterwillens geht zum einen von einer klaren Prämisse aus, nämlich, daß an einen Rechtsverzicht aufgrund eines allgemeinen zivilrechtlichen Grundsatzes besonders hohe Anforderungen zu stellen sind. Zum anderen wird der Wille der Gesellschafter unter Zugrundelegung dieser Prämisse ausgelegt. Der Bestimmtheitsgrundsatz enthält folglich beide Elemente gleichermaßen, allerdings mit dem Schwerpunkt auf der Auslegung. Der BGH legte seiner Rechtsprechung zum Bestimmtheitsgrundsatz im Prinzip ebenfalls genau diese aus dem allgemeinen Zivilrecht entlehnte Prämisse zugrunde, allerdings mit dem Unterschied, daß er sie, bezogen auf die Besonderheiten des Personengesellschaftsrechts, konkretisierte 495. Danach können die Gesellschafter zwar vom gesetzlich vorausgesetzten Einstimmigkeitsgrundsatz und damit vom Prinzip des Änderungsvertrages i.S.v. § 305 BGB abweichen. Die schrankenlose Unterwerfung unter den Mehrheitswillen verstößt jedoch gegen das durch § 138 BGB geschützte Selbstbestimmungsrecht und ist damit sittenwidrig. Unter Berücksichtigung dieser Prämisse besteht eine Vermutung für den Vorbehalt der Selbstbestimmung und für das Festhalten am Prinzip des Änderungsvertrages, so daß ein Verzicht auf die selbstbestimmte Verfügung über den Bestand der Kernbereichsrechte in Form der Zustimmung zur Unterstellung dieser Rechte unter das Mehrheitsprinzip im Zweifel nicht vorliegt 496 .

493 BGHZ 8, 35, 41 ff.; 48, 251, 253 ff.; 85, 350, 356; BGH W M 1973, 100, 101; BGH NJW 1988,411,412. 494 495

BGHZ 85, 350, 357 f. Vgl. BGHZ 85, 350, 356 ff.

496 So im Ergebnis BGHZ 85, 350, 356 ff. unter Verweis auf die Rechtsprechung des RG zum Bestimmtheitsgrundsatz; im Ansatz ähnlich auch Coing, ZGR 1978, 659, 673.

206

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Zum gleichen Ergebnis gelangt man im übrigen auch unter Anwendung der Auslegungsregel des § 157 BGB auf den im einstimmigen Beschluß über die Einführung des Mehrheitsprinzips enthaltenen Vertrag über die Änderung des Gesellschaftsvertrages. Danach wollen die Gesellschafter ihr Selbstbestimmungsrecht aufgeben, soweit im Interesse der Funktionsfähigkeit und Flexibilität der Gesellschaft selbst die Einführung des Mehrheitsprinzips zweckmäßig ist. Nach der Verkehrssitte besteht der allgemeine zivilrechtliche Grundsatz, daß ein Verzicht auf besonders bedeutende Rechte im Zweifel nicht zu vermuten ist. Vertragsänderungen, die über die Gesellschaftssphäre hinaus tief in die Privatsphäre des Einzelnen eingreifen, sind deshalb vom Willen der Gesellschafter regelmäßig nicht umfaßt. Die übrigen Gesellschafter können eine Einbeziehung dieser Vertragsänderungen nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung dieser Verkehrssitte nur insoweit geltend machen als sie die zustimmende Erklärung des Einzelnen als solche verstehen mußten und auf ihren Bestand vertrauen durften, weil sie im Vertrag hinreichend deutlich einen Niederschlag gefunden hat. Darüber hinaus hat sich auch die Auslegung an den Wertentscheidungen des Grundgesetzes zu orientieren. Die Vertragsfreiheit deckt aufgrund ihrer immanenten Beschränkung in Art. 2 I GG nicht die Aufgabe der Handlungsfreiheit. Vor dem Hintergrund, daß der Bestimmtheitsgrundsatz (auch) eine zwingende Regel des Individualschutzes beinhaltet - was am vom BGH selbst angelegten Maßstab des § 138 BGB besonders deutlich zum Vorschein tritt - ist er als grundsätzlich unverzichtbar, als der Disposition der Gesellschafter entzogen anzusehen497. Wenn der BGH in Erwägung zieht, der Bestimmtheitsgrundsatz könne möglicherweise abbedungen werden 498 , und sogar in einem Leitsatz einer späteren Entscheidung die konkrete Frage aufwirft, ob er wirksam abbedungen sei 499 , so ist dies nicht nur mißverständlich, sondern für sich gesehen sogar falsch, da die Gesellschafter nicht befugt sind, auf ihr über § 138 BGB auch zivilrechtlich geschütztes Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 I GG zu verzichten 500. Eine Klausel des Inhalts, man bedinge den Bestimmtheitsgrundsatz ab, wäre ebenso unwirksam wie die Klausel, ein sittenwidriger Vertrag sei kraft privater Vereinbarung nicht als sittenwidrig, sondern wirksam zu bewerten. Im übrigen ist

497

Zustimmend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 376; Röttger, Kembereichslehre, S. 156 f.; Marburger, ZGR 1989, 153. 498

BGHZ 85, 350, 357.

499

BGH NJW 1988,411.

5(X)

Einschränkend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 376: rechtstechnisch vergriffen.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

207

auch eine Regelung über die Abbedingung des Bestimmtheitsgrundsatzes an seinem eigenen Maßstab zu messen, also restriktiv auszulegen501. Die genauere Analyse der soeben zitierten Urteile des BGH 5 0 2 ergibt indes, daß er gar nicht dahingehend verstanden werden wollte, der Bestimmtheitsgrundsatz sei abdingbar, was daraus folgt, daß er in beiden Fällen unter strikter Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes das Vorliegen der erforderlichen Zustimmung sowohl anhand des Gesellschaftsvertrages als auch seiner Historie als auch sonstiger bekannter Anhaltspunkte prüfte 503 . Dementsprechend fiel die Auslegung in seiner Entscheidung vom 15. Juni 1987 negativ aus, indem sie zu dem Ergebnis gelangte, die Gesellschafter hätten gerade nicht erkennbar vereinbart, die für Vertragsänderungen erforderliche 3/4 Mehrheit umfasse auch einen Beschluß über die Erleichterung eben dieses Mehrheitserfordernisses in Richtung einer 2/3 Mehrheit 504 . 2. Keine Verdrängung des Bestimmtheitsgrundsatzes

durch die Treuepflicht

In seiner Freudenberg-Entscheidung vom 15. November 1982 stellte der BGH darüber hinaus die Absolutheit der Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes infrage und bejahte eine Auflockerung unter stärkerer Berücksichtigung der gesellschaftlichen Treuepflichten 505. Die beklagte KG im zugrundeliegenden Fall war körperschaftlich strukturiert, hatte 145 zum Teil in Übersee lebende Gesellschafter und sollte in eine GmbH umgewandelt werden. Die zugrundeliegende Bestimmung des Gesellschaftsvertrages sah das Recht der Gesellschafterversammlung vor, den Gesellschaftsvertrag „in allen ihr richtig erscheinenden Punkten" mit 3/4-Mehrheit zu ändern. Die Klausel selbst war einige Jahre zuvor einstimmig beschlossen worden. Ihre ursprüngliche Fassung sah das Mehrheitsprinzip noch für alle gewöhnlichen Vertragsänderungen vor. Lediglich die Änderung wesentlicher Grundlagen der Gesellschaft war der Einstimmigkeit vorbehalten. Der BGH führte aus, die einzelnen Gesellschafter seien vor dem Hintergrund der realen Struktur der Gesellschaft weniger schutzbedürftig, da die Gesellschaft bereits körperschaftlich strukturiert war und der letzte Schritt in Richtung einer GmbH die Gesellschafter persönlich weniger unmittelbar betreffe. Zum anderen nahm der BGH eine Interessenabwägung zwischen dem Recht der Gesellschafter auf Selbstbestimmung und dem Interesse der Gesell-

501

Zustimmend Röttger, Kembereichslehre, S. 152 ff.

502

BGHZ 85, 350; BGH NJW 1988, 411.

503

BGHZ 85, 350, 357 ff.; BGH NJW 1988, 411, 412.

504

BGH NJW 1988,411,412.

505

BGHZ 85, 350, 356 f.

208

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

i

schaft, d.h. ihrer Gesellschafter, an unvorhergesehenen, aber vielleicht dringend notwendigen Änderungen des Gesellschaftsvertrages vor, gab letzterem den Vorzug und bejahte damit einen Verzicht der Gesellschafter auf die Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes 506. Diese Entscheidung ist im Ergebnis richtig, in ihrer Begründung jedoch unzutreffend. Die Treuepflicht erstreckt sich gerade grundsätzlich nicht auf Vertragsänderungen, seien sie noch so zweckmäßig507. Das Stimmrecht hat in diesem Rahmen einen eigennützigen Charakter. Nur im Ausnahmefall, zur Vermeidung konkret drohender erheblicher Schäden, namentlich eines Konkurses, bejahte die Rechtsprechung aus dem Gesichtspunkt der Treuepflicht eine Zustimmungspflicht der Gesellschafter zu notwendigen, nicht aber zu zweckmäßigen Vertragsänderungen 508. Darüber hinaus nimmt das Maß der Treuepflicht in einer derart großen, unpersönlichen Gesellschaft eher ab als zu, so daß das Interesse der Gesellschaft jedenfalls unter diesem Gesichtspunkt nicht höher als das Selbstbestimmungsrecht der Gesellschafter hätte eingeschätzt werden dürfen. Weiterhin ist auch ein einstimmiger Verzicht aller Gesellschafter auf die Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes, wie oben gezeigt wurde, aus rechtlichen Gründen nicht möglich. Gleichwohl ist dem gefundenen Ergebnis zuzustimmen, jedoch aus einem vollkommen anderen Gesichtspunkt. Die Auslegung des maßgeblichen Willens der Gesellschafter, ob die Umwandlung vom Mehrheitsprinzip umfaßt sein sollte oder nicht, hängt von den tatsächlichen Umständen, d.h. der Entwicklung der betreffenden gesellschaftsvertraglichen Regelung und von der Realstruktur der Gesellschaft ab. Ein und dieselbe Erklärung kann vor einem unterschiedlichen Hintergrund einen vollkommen verschiedenen Gehalt besitzen. Der im Rahmen der Auslegung nach Treu und Glauben maßgebliche Empfängerhorizont hängt wird ebenfalls von der Situation beeinflußt. Die vom BGH herangezogenen Umstände - die reale Struktur, die geringere persönliche Betroffenheit der Gesellschafter und das gesteigerte Interesse aller Beteiligten an einer möglichst umfassenden Geltung des Mehrheitsprinzips - erhalten in dieser Hinsicht ein ganz besonderes Gewicht im Rahmen der Auslegung. Dabei geht es jedoch nicht um die Treuepflicht, sondern ausschließlich um das Maß an Bestimmtheit, welches die gesellschaftsvertragliche Bestimmung über die Reichweite des Mehrheitsprinzips erfüllen muß. Dieses Maß war vorliegend in der Tat als ausgesprochen gering einzuschätzen. Während die ursprüngliche Fassung des Gesellschaftsvertrages noch eine einstimmige Entscheidung für die Änderung der wesentlichen Grundlagen voraussetzte, bedurfte es nach der einvernehmlich

506

BGHZ 85, 350, 358 ff.

507

Siehe oben S. 54 ff.

508

BGHZ 64, 253, 258; BGH W M 1956, 351, 352; BGH L M Nr. 8 zu § 105 HGB.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

209

vereinbarten Neufassung nur noch einer qualifizierten Mehrheit auch für diese Grundlagenänderungen. Angesichts der ohnehin schon körperschaftlichen Struktur, der großen Mitgliederzahl und der aus diesem Grunde geringeren persönlichen Betroffenheit bei der Umwandlung in eine GmbH konnte die Neufassung aus Sicht aller Betroffenen lediglich so verstanden werden, daß auch die Umwandlung unter das Mehrheitsprinzip fallen sollte. Genau dieses Ergebnis erzielte der BGH letztlich im Wege der Auslegung, ohne daß dies deutlich hervortrat. Auch eine derart weitgefaßte Klausel beläßt im übrigen die Möglichkeit, daß einzelne Beschlußgegenstände nach dem Ergebnis der Auslegung gerade nicht unter das Mehrheitsprinzip fallen. Ob der BGH zum gleichen Ergebnis im Falle eines Beschlusses über die Umwandlung in eine OHG mit der Folge persönlicher Haftung gelangt wäre, erscheint ausgesprochen fraglich. Die Herabsetzung der zur Vertragsänderung erforderlichen 3/4-Mehrheit dürfte genausowenig darunterfallen 509 wie ein mehrheitlicher Beschluß über einen weitgehenden Stimmrechtsausschluß zulasten der Kommanditisten 510 oder die willkürliche Hinauskündigung einzelner Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen 511 . 3. Zwischenergebnis Damit ergibt sich folgendes Zwischenergebnis: Der Bestimmtheitsgrundsatz ist primär als Auslegungsregel einzustufen, enthält jedoch durch Art. 2 I GG und § 138 BGB als dogmatischer Grundlage immanent eine individualschützende Prämisse. Aus diesem Grunde können ihn die Gesellschafter weder abbedingen noch auf seine Anwendung einvernehmlich verzichten. Er dient zum Erhalt der grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmung und ist damit der Disposition der Mitglieder entzogen. Gleichwohl bildet er keine starre, sondern eine flexible Schranke der Vertragsfreiheit, denn die Auslegung orientiert sich an den konkreten Umständen und an der Realstruktur der Gesellschaft. Deshalb kann sowohl über die Feststellung, welche Vertragsänderung „ungewöhnlich" ist 512 als auch, ob sich der selbstbestimmte Verzicht in Form der Zustimmung zur Erstreckung des Mehrheitsprinzips gerade auf den streitigen Beschlußgegenstand bezieht, nur im Einzelfall entschieden werden, da das Maß der erforderlichen Bestimmtheit von ihm abhängt. Es kann sich nur die Frage stellen, ob

509

Vgl. dazu BGH ZIP 1987, 1178; NJW 1988, 411, 412.

510

Vgl. dazu BGHZ 20, 363, 369 f.

511

Vgl. dazu BGHZ 105, 213; 107, 351.

512

Vgl. BGHZ 8, 35, 44.

14 Lockowandt

210

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

eine Vertragsklausel dem Bestimmtheitsgrundsatz genügt, aber niemals, ob sie den Bestimmtheitsgrundsatz wirksam ausschließt513. 4. Die Geltung des Bestimmtheitsgrundsatzes für Publikumsgesellschaften Für Publikumsgesellschaften hat die Rechtsprechung des BGH den Bestimmtheitsgrundsatz nach der überwiegenden Einschätzung im Schrifttum offenbar weitgehend aufgegeben 514. Der BGH begründete seine Urteile mit der Feststellung, angesichts der körperschaftlichen Struktur überzeuge das Prinzip der Einstimmigkeit bei diesen Gesellschaften nicht. Wenn man - wie soeben dargelegt - das Maß der Bestimmtheit der Zustimmung zu Eingriffen in den Kernbereich anhand der Realstruktur, der tatsächlichen Umstände und des Empfängerhorizontes mißt, zeigt sich, daß die Entscheidungen des BGH den Bestimmtheitsgrundsatz in Wirklichkeit auch für die Publikums-KG nicht aufgegeben haben, sondern ihn konsequent durchführen, indem sie an das Maß der Bestimmtheit deutlich geringere Anforderungen stellten. Auf diese Weise ist im Wege der ergänzenden Auslegung 515 im Hinblick auf die körperschaftliche Struktur und die Erwartungshaltung der Mitglieder die Feststellung möglich, es gelte grundsätzlich das Mehrheitsprinzip, solange der Gesellschaftsvertrag dazu nichts oder nichts Gegenteiliges aussagt. Da die Publikums-Gesellschaften bekanntermaßen auf die Aufnahme weiterer Gesellschafter angelegt sind, erstreckt sich eine vereinbarte Mehrheitsklausel ohne weiteres auf Kapitalerhöhungsbeschlüsse ohne Obergrenze, soweit keine Nachschußpflicht der Mitglieder entsteht, sondern neue Mitglieder aufgenommen werden sollen 516 . Ob sie dagegen eine Nachschußpflicht deckt, erscheint mehr als zweifelhaft. Die Zustimmung zu einer geringfügigen Erweiterung des Unternehmensgegenstandes kann ebenfalls unterstellt werden 517. Dagegen dürfte der Wechsel in eine vollständig andere Branche nicht von der Zustimmung und damit vom Mehrheitsprinzip gedeckt sein. Es wäre deshalb für derartige Fälle mehr als wahrscheinlich, daß der BGH insoweit doch wieder offen auf den Bestimmtheitsgrundsatz zurückgreifen würde. Den Gesellschaftern der Publikums-KG stehen die Kernbereichsrechte grundsätzlich im gleichen Umfang wie den Gesellschaftern einer „typischen" Personengesellschaft zu. Stellt man auf den einzelnen Gesellschafter ab,

513

So zutreffend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 376.

514

Vgl. BGHZ 66, 82, 85 f.; 69, 160, 165 f.; 71, 53, 58 f.

515

Zutreffend U.H. Schneider, AG 1979, 57, 61; Coing, ZGR 1978, 659, 673 ff.

5lh

Vgl. BGHZ 66, 82, 85 f.

517

Vgl. BGHZ 71, 53, 58 ff.

C. Der Kembereich als Konkretisierung von § 138 BGB

211

gelangt man zu dem Ergebnis, daß ihn ein Eingriff in seine Position als Gesellschafter, sein Gewinnrecht, sein Recht auf seine Beteiligung am Gesamthandsvermögen oder am Liquidationserlös im Hinblick auf die zu erhaltende wirtschaftliche und persönliche Handlungsfreiheit in gleicher Intensität belastet wie den Gesellschafter einer Drei-Mann-Gesellschaft. Die Intensität ist in ihrer Fühlbarkeit nicht ausschließlich von der Gesellschaft, sondern sogar vorrangig von der Person abhängig. Ist sie vermögend, belastet sie der Eingriff relativ geringer als eine Person, deren einziges Vermögen die Beteiligung an der Gesellschaft darstellt. Das Grundgesetz differenziert im Hinblick auf die Handlungsfreiheit aber nicht zwischen „vermögend" und „unvermögend". Der Kernbereich der Gesellschafterrechte muß daher dem Gesellschafter einer Publikumspersonengesellschaft grundsätzlich in gleicher Weise und im gleichen Umfang zustehen wie dem Gesellschafter einer „typischen" Personengesellschaft 518. Allerdings ist zuzugeben, daß das Interesse an der Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen mit der Anzahl der Gesellschafter steigt. Je größer diese ist, desto schwieriger wird eine einstimmige Entscheidung zu erreichen sein. Selbst die Nichterschienenen müßten einem solchen Beschluß zustimmen, um ihm zur Wirksamkeit zu verhelfen. Wie soeben ausgeführt, hängt der Umfang der Bestimmtheit des Verzichts, die selbstbestimmte Zustimmung zu Eingriffen in den Kernbereich, entscheidend von den konkreten Umständen, d.h. der Realstruktur und damit vom Empfängerhorizont ab 519 . Dieser ist bei den Gesellschaftern einer großen, kapitalistisch organisierten Publikumsgesellschaft, in der die Treuepflicht nur eingeschränkt gilt, anders als bei einer „typischen" Personengesellschaft. Diese ist z.B. auf einen überschaubaren Gesellschafterkreis angelegt, so daß die Aufnahme weiterer Gesellschafter relativ größere mittelbare Auswirkungen auf die materiellen Kernbereichsrechte entfalten wird als bei einer „großen" Gesellschaft. Die Publikumsgesellschaften sind sogar auf die Aufnahme einer Vielzahl neuer Mitglieder angelegt. Der Erfahrungssatz, daß ein Verzicht im Zweifel nicht gewollt ist 520 , gilt deshalb bei größeren Gesellschaften in abgeschwächter Form.

518

So auch Löffler, NJW 1989, 2256, 2262; a.A. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 79, der den Kembereich ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des Bestimmtheitsgrundsatzes betrachtet, vgl. § 709, Rdn. 74 ff.; ders. in Staub HGB, § 109, Rdn. 39; ihm folgend Mecke, BB 1988, 2258, 2264. 519

Siehe oben S. 152 f.

520

St. Rspr., RGZ 118, 63, 66; BGH NJW 1984, 1346, 1347; OLG Nürnberg, OLGZ 84, 127,

128. 14*

212

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Aufgrund der realen Struktur der Publikumsgesellschaften sind deshalb an die Qualität der Bestimmtheit der Zustimmung geringere Anforderungen zu stellen. Die Kapitalausstattung, die interne Organisationsstruktur und die Anzahl der Gesellschafter sind maßgeblich für das Maß der erforderlichen Bestimmtheit. Eine konkrete Bestimmung kann aber nur in jedem Einzelfall - abhängig von der Realstruktur - getroffen werden 521 . 5. Die ungerechtfertigte

Kritik

am Bestimmtheitsgrundsatz

Der Bestimmtheitsgrundsatz auch in seiner bisher anerkannten Form erfordert jedenfalls bei kleineren, personalistisch strukturierten Personengesellschaften eine möglichst klare Benennung der vertragsändernden Beschlußgegenstände im Gesellschaftsvertrag, über die mit Mehrheit entschieden werden darf 522 . Im Schrifttum sind Bedenken gegen seine praktische Wirksamkeit erhoben worden, weil seine Schutzwirkung durch katalogartige Auflistung einer Vielzahl von grundlagen- und strukturändernden Beschlußgegenständen unterlaufen werden könne 523 . Diese Bedenken sind berechtigt, vermögen aber im Ergebnis nicht zu überzeugen. a) Ob die Praxis wirklich flächendeckend mit derartigen Katalogen auch bei Gesellschaften mit ausgewogenen Machtverhältnissen arbeiten wird, muß sich erst noch bewahrheiten. Nach Erfahrung des Autors sind verantwortungsbewußte Gesellschafter bereit, bestimmte grundlagen- und strukturändernde Maßnahmen ein vernehmlich zu regeln. In den Fällen des fehlenden Machtgleichgewichts kann dagegen für einen breiten Katalog von Maßnahmen, über die die Mehrheit, d.h. im Ergebnis die mächtigeren oder die „Altgesellschafter" entscheiden können, durchaus ein anerkennenswertes Bedürfnis bestehen524. Hierzu sei sowohl auf den „angestellten Komplementär" als auch auf Dienstleistungsgesellschaften in der Rechtsform der GbR verwiesen, die z.B. im Bereich Rechtsberatung, Krankenpflege, Seniorenservice, Partyservice oder Musik tätig sind und teilweise einer größeren Mitgliederfluktuation unterliegen als Handelsgesellschaften. Insbesondere wenn den schwächeren Gesellschaftern ein praktikables Austrittsrecht zu fairen Konditionen zusteht, kann nicht zwangsläufig deswegen von einer Knebelung gesprochen werden, weil sich die „Stammgesellschafter" im Er-

521

So auch Löffler, NJW 1989, 2256, 2262.

522

Zustimmend Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 39 ff.; Röttger, Kembereichslehre, S. 155 f.; H.P.Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 30; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 373; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77. 523 Vgl. nur Hadding in ZGR 1979, 636, 643; Hennerkes/Binz, BB 1983, 713, 714 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 74 f. m.w.N. 524

Vgl. dazu oben S. 85 ff.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

213

gebnis vermehrte Entscheidungskompetenzen vorbehalten, bzw. sie das Vetorecht der neueingetretenen oder möglicherweise weniger langfristig beteiligten Gesellschafter auf diese Weise ausschließen. Diese sind über eine Ausübungskontrolle vor Mißbrauch und Willkür hinreichend geschützt. b) Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich gegen den Verlust der Warnfunktion des Bestimmtheitsgrundsatzes 525, der infolge katalogartiger Aufzählungen von Vertragsänderungen eintritt, die dem Mehrheitsprinzip unterstellt werden. Dieser Vorwurf trifft nicht in jedem Fall zu, denn die Gesellschafter machen auch bei einer derartigen Vertragsgestaltung von ihrem Selbstbestimmungsrecht aktiv Gebrauch, indem sie in zulässiger Weise einer Verlagerung dieses Rechts auf die Gesellschafterversammlung und damit einer Einschränkung zustimmen. Ihr dahingehender Wille und ihre Selbstverantwortung sollten deshalb ernst genommen werden. Gerade im Stadium der Beitrittsanbahnung stehen ihnen sowohl die Möglichkeiten rechtlicher Beratung als auch der Verhandlung als auch der Abstandnahme vom Eintritt zu. Der Bestimmtheitsgrundsatz darf nicht als Verlängerung des Einstimmigkeitsprinzips in die Praxis der Mehrheitsbeschlüsse verstanden werden 526 . Seine Aufgabe besteht nicht darin, die Geltung des Mehrheitsprinzips für kernbereichsrelevante Vertragsänderungen grundsätzlich zu vermeiden, sondern sicherzustellen, daß die Vor- und Nachteile des Gesamtvertrages rational abgewogen und die Risiken der Unterwerfung unter den Willen der Mehrheit sachgerecht gewürdigt und bewußt in Kauf genommen werden 527 . c) Unter der Voraussetzung der selbstbestimmten Erweiterung des Mehrheitsprinzips ist konsequenterweise die Zulässigkeit auch eines umfangreicheren Kataloges oder einer zumindest inhaltlich sehr weitgehenden Klausel zum Mehrheitsprinzip anzukennen. Dies kann gewollt, zweckmäßig und innerhalb eines überschaubaren, ausgewogenen Gesellschafterkreises sogar weniger bedenklich sein als es auf den ersten Blick scheint. Gleichwohl würde sich der Selbstschutzgedanke selbst karikieren, wenn das Mehrheitsprinzip auf diese Weise unbeschränkt zugelassen würde 528 , zumal die größte Gefahr gerade nicht in einem gleichgewichtigen Kräfteverhältnis, sondern bei Ungleichgewichtslagen, d.h. den „Gesellschaftern zweiter Klasse" droht.

525 Darauf weisen u.a. besonders hin K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 374; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 74; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 222; U.H. Schneider, ZGR 1972, 357, 366; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362. 526 So zutreffend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 373; anders aber Stimpel in FS Fischer (1979), S. 771, 779; Brändel in FS Stimpel (1985), S. 95, 100. 527 528

Vgl. BGHZ 85, 350, 356.

In diesem Sinne Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 77: die generelle Unterwerfung unter das Mehrheitsprinzip ist ebenso unwirksam wie die katalogmäßige Auflistung im Gesellschaftsvertrag.

214

3. Teil : Die Grenze der Zulässigkeit

Das in Art. 2 I GG gewährte Selbstbestimmungsrecht ist von vornherein immanent beschränkt mit der Folge, daß es in seinem Kern zum eigenen Schutz der Gesellschafter nicht zur Disposition der privatautonomen Gestaltungsfreiheit steht522. Allein der Gedanke der selbstbestimmten Zustimmung als Rechtfertigung umfänglicher Unterwerfung reicht deshalb im Extremfall nicht aus. Das Erfordernis einer Grenzziehung liegt ebenso auf der Hand wie die Unmöglichkeit ihrer absoluten Festlegung. Soweit Vertragsgestaltungen trotz Zustimmung zu einer Knebelung führen, ist ihnen deshalb im Hinblick auf die Kumulation von Rechtsentzügen ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 138 I BGB die Wirksamkeit zu versagen. Im übrigen deutet gerade bei Vorliegen eines krassen Machtungleichgewichts einiges darauf hin, daß die Selbstbeschränkung doch nicht freiwillig, sondern im Hinblick auf eine Zwangslage, die Unerfahrenheit oder den Mangel an Urteilsvermögen der schwächeren Gesellschafter unfreiwillig eingegangen wurde. Liegt auf Seite der Mächtigeren die erforderliche subjektive Komponente vor, würde daraus im Einzelfall die sittenwidrige Unwirksamkeit der Mehrheitsklausel aus dem Gesichtspunkt des § 138 I I BGB folgen. Weiterhin wäre zu überlegen, ob nicht eine besonders intensive Abhängigkeit der Gesellschafter voneinander auch im Hinblick auf Vertragsänderungen ausnahmsweise erhöhte Treuepflichten auslöst, so daß die aufgrund der Mehrheitsklausel gefaßten Beschlüsse über eine Änderung des Gesellschaftsvertrages einer verschärften Ausübungskontrolle unterliegen. Zur Konfliktlösung kommt darüber hinaus eine verstärkte Bemühung der Gleichbehandlungspflicht in Betracht. 6. Ergebnis Aus den vorangegangenen Untersuchungen folgt, daß sowohl der Kernbereich als auch der Bestimmtheitsgrundsatz in allen Gestaltungsformen der Personengesellschaften Geltung entfalten 530. Der Bestimmtheitsgrundsatz hat die Aufgabe, das Vorliegen der Zustimmung zu Eingriffen in die materiellen Rechte des Kernbereichs im Wege der Auslegung zu ermitteln. Dies gilt vor allem für die Feststellung, in welchem Umfang die Gesellschafter vom Grundsatz der einstimmigen, d.h. selbstbestimmten Änderung des Gesellschaftsvertrages abgewichen sind und stattdessen das Fremdbestimmungselemente enthaltende Mehrheitsprinzip vereinbart haben. Dem Bestimmtheitsgrundsatz liegt mit § 138 BGB die gleiche dogmatische Grundlage wie dem Kernbereich mit dem Ziel zugrunde, übermäßige Eingriffe in die Selbstbestimmung der Gesellschafter im Hinblick auf die rational autonome Gestaltung der persönlichen Frei-

529

Rume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 191.

530

Bezüglich der Geltung des Kernbereichs zustimmend Röttger, Kembereichslehre, S. 159.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

215

heitssphäre, insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, zu verhindern. Der Bestimmtheitsgrundsatz ist damit ein Element der Kembereichslehre 531. Während der Kernbereich der Gesellschafterrechte in allen Formen der Personengesellschaften den gleichen Umfang besitzt und damit starr ist, bildet der Bestimmtheitsgrundsatz das wertende Element 532 , indem er im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände ermittelt, in welchem Umfang ein Gesellschafter die im Rahmen der Vertragsfreiheit zulässige Zustimmung zu Einschränkungen im Kernbereich seiner materiellen Gesellschafterrechte erteilt hat. Dabei liegt ihm über § 138 I BGB die Prämisse des Art. 2 I GG zugrunde, nach der die Selbstbestimmung einschränkende Rechtsverkürzungen restriktiv zu beurteilen sind. Die Auslegung erstreckt sich jedoch nicht ausschließlich auf das Vorliegen der Zustimmung an sich, sondern bereits auf die Feststellung, welche Vertragsänderungen nach den Gesamtumständen überhaupt als „ungewöhnlich" eingestuft werden können 533 . Denn sowohl der Erklärungs- als auch der Empfängerhorizont hängen entscheidend von dieser Vorstufe ab. Während z.B. die Aufnahme weiterer Gesellschafter in einer Drei-Personen-OHG eher als ein außergewöhnlicher Vorgang bezeichnet werden kann, ist darin für die Publikumsgesellschaft sogar ein typischer und von den Mitgliedern vorausgesetzter Vorgang zu sehen. Selbst die wenig beachtete Sitzverlegung bedeutet im Einzelfall eine „außergewöhnliche" Vertragsänderung, wenn alle Gesellschafter persönlich mitarbeiten und der Sitz in eine mehrere hundert Kilometer entfernte Stadt verlegt werden soll. Dementsprechend weist die wortgleiche Zustimmung zur pauschalen Erstreckung des Mehrheitsprinzips auf Vertragsänderungen nach dem „Wissen und Wollen" der Gesellschafter einen vollkommen unterschiedlichen Gehalt auf. In diesem Rahmen können auch etwaige Kompensationen für die Rechtsverkürzungen, z.B. ein Austrittsrecht für den Fall des Nichteinverstandenseins mit einer grundlagen- oder strukturändernden Mehrheitsentscheidung angemessen bewertet werden 534. Die Verschiedenheit dieser Umstände und Strukturen berücksichtigt die Flexibilität des Bestimmtheitsgrundsatzes. Weil der Bestimmtheitsgrundsatz ein Element der gesamten Kernbereichslehre bildet, gilt er nicht nur für die Bewertung der Zustimmung zur Geltung des Mehrheitsprinzips, sondern darüber hinaus für die Auslegung, in welchem Um-

531

Dies ist bislang - soweit ersichtlich - in dieser Form nicht erkannt worden.

532

Die Differenzierung zwischen der Starrheit des Kernbereichs und der beweglichen Schranke des Bestimmtheitsgrundsatzes klingt bereits bei Martens, BB 1973, 413, 418 und Immenga, ZGR 1974, 385, 422 an, ohne daß ihr Zusammenspiel in den richtigen Zusammenhang gebracht wird. 533

Dieser logische Schritt ist - soweit ersichtlich - bisher nicht vollzogen worden.

534

Vgl. BGHZ 85, 350, 352, 361.

216

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

fang die Gesellschafter im übrigen vertraglich auf ihre materiellen Kernbereichsrechte verzichtet haben, d.h. ob sich der Verzicht auf die Geschäftsführung nur auf den üblichen Geschäftsbetrieb oder auch auf außergewöhnliche Maßnahmen erstreckt; weiterhin, inwieweit die Gesellschafter ihre Mitbestimmungsbefugnisse auf einen Beirat übertragen haben. Der Verzicht des „angestellten Komplementärs" auf eine Beteiligung am Gesellschaftsvermögen einschließlich einer etwaigen diesbezüglichen Wertsteigerung sowie die Möglichkeit seiner Hinauskündigung sind ebenfalls an diesem Maßstab zu messen. Der Bestimmtheitsgrundsatz gilt damit auch für die Ermittlung der Reichweite des Stimmrechtsausschlusses535. Wird er im übrigen wie hier vertreten verstanden, hätte der BGH seine Entscheidung im 20. Band über den Stimmrechtsausschluß des Kommanditisten536 allein mit seiner Hilfe begründen können 537 . VII. Zusammenfassung der Kembereichslehre 1. Der Zweck der Kernbereichslehre besteht im Schutz des in Art. 2 I GG garantierten Selbstbestimmungsrechts des Personengesellschafters. Dieses und damit die auf sie zurückgehende Vertragsfreiheit ist zum eigenen Schutz des Gesellschafters immanent beschränkt. Damit wird der Kern des Selbstbestimmungsrechts der privatautonomen Disposition entzogen. Gesellschaftsvertragliche Gestaltungen, insbesondere Rechtsverkürzungen, die angesichts der Mitgliedschaftspflichten, der Bindung an die Treuepflicht und der persönlichen Haftung in wirtschaftlicher und damit persönlicher Hinsicht zu einer übermäßigen Fremdbestimmung führen, sind deshalb unzulässig. 2. Die dogmatische Grundlage des Kernbereichs bildet § 138 I BGB, wonach derartige Gestaltungen rechtlich unwirksam sind. Die Vorschrift transformiert die grundgesetzlichen Wertungen in das Zivilrecht. Sie berücksichtigt jedoch weiterhin die Wertentscheidungen des Gesellschaftsrechts, nach denen die Mitgliedschaftsrechte zum eigenen und zum Schutz des Rechtsverkehrs im Hinblick auf die gemeinsame wirtschaftliche Zweckverfolgung mit

535 So im Ansatz auch schon Immenga, ZGR 1974, 385, 423; Martens, DB 1973, 413, 417; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 205; A. Hueck, OHG, S. 169; zustimmend Menk, Bestimmtheitsgrundsatz/Kernbereichslehre, S. 120ff., 132; Röttger, Kembereichslehre, S. 157. 536 537

BGHZ 20, 363.

In seiner Urteilsanmerkung in LM Nr. 7 zu §§ 161, 119 HGB wies der damalige Vorsitzende Richter des II. Zivilsenats ausdrücklich auf die identische dogmatische Grundlage und Schutzrichtung von Kembereichslehre und Bestimmtheitsgrundsatz hin. Er zeigte jedoch gleichzeitig auf, daß zwischen der Zulässigkeit von Stimmrechtsausschluß und Mehrheitsprinzip Unterschiede bestehen können, die ausdrücklich offengelassen werden sollten.

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

217

ihren weitgehenden Pflichten nicht derart ausgehöhlt werden dürfen, daß sie auf die eines lediglich schuldrechtlich Beteiligten reduziert werden. § 138 I BGB berücksichtigt darüber hinaus auch die Wertentscheidungen des allgemeinen Zivilrechts, nach denen von den wesentlichen Grundgedanken einer dispositiven gesetzlichen Regelung nur abgewichen werden darf, wenn dafür auch unter Berücksichtigung der Interessen des schwächeren ein überwiegendes berechtigtes Interesse des stärkeren Vertragspartners besteht. Dabei sind unter „wesentlichen Grundgedanken" diejenigen Normen des Personengesellschaftsrechts zu verstehen, welche nicht auf Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern auf ein Gerechtigkeitsgebot zurückzuführen sind. 3. Der Kernbereich läßt sich in prozedurale und materielle Rechte einteilen. Die materielle Komponente umfaßt vor allem die Rechte auf Geschäftsführung 538 , Mitbestimmung, Beteiligung am Gesellschaftsvermögen 539, Bezug weiterer Anteile, Gewinn, Liquidationsanteil und Abfindung beim Ausscheiden sowie die Sonderrechte einzelner Gesellschafter. Auf jedes dieser Rechte - jedoch nicht insgesamt - kann der Gesellschafter verzichten, ohne daß seine Mitgliedschaft rechtlich zu verneinen wäre. Die prozedurale Komponente besteht aus den mitgliedschaftlichen Informations-, Kontroll- und Rechtsschutzrechten, insbesondere den Rechten auf Auskunft, Bucheinsicht und Rechenschaft sowie auf die Erhebung der Gesellschafterklage und der Klage auf die Feststellung der Unwirksamkeit von Beschlüssen. Da der Umfang dieser Rechte funktional bestimmt wird, zählt auch das Stimmrecht dazu, soweit die Kontrolle und der Rechtsschutz gemeinschaftlich aufgrund eines Beschlusses wahrgenommen wird, z.B. bei der Entlastung, der Abberufung der Geschäftsführung aus wichtigem Grund und bei Beschlüssen, für die das Stimmrecht eines anderen Gesellschafters wegen Interessenkollision ausgeschlossen ist. Diese Rechte sind für den Personengesellschafter unverzichtbar, weil ihre Aufgabe zu einer Rechtlosstellung gegenüber der Willkür der Mitgesellschafter und damit zu einer Fremdbestimmung führen würde und sich der Gesellschafter vor allem durch ihre Verfügbarkeit von einem lediglich schuldrechtlich Beteiligten unterscheidet. Dem Gesellschafter verbleibt jedoch das Recht auf die Nichtwahrnehmung dieser Rechte, d.h. auf aktuellen Verzicht im Einzelfall. Die prozeduralen Rechte dürfen darüber hinaus teilweise durch die Einführung einer Vertre-

538 Beim Kommanditisten beschränkt auf außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen; vgl. § 164 S. 1 HGB. 539

Soweit eine Einlage geleistet wird.

218

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

terklausel oder die Übertragung auf einen Beirat mediatisiert werden, soweit sie jedenfalls der Substanz nach in der Hand der Gesellschafter verbleiben 540 . 4. Da der Kernbereich im Ergebnis die jeweilige gesetzliche Gesellschafterstellung schützt, gilt er für alle Gestaltungsformen der Personengesellschaften. 5. Unmittelbare und mittelbare Eingriffe in die materiellen und - soweit in Form der Mediatisierung zulässig - in die prozeduralen Kernbereichsrechte erfordern die ausdrückliche Zustimmung, d.h. den rechtsgeschäftlichen Verzicht des Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag. Damit sind auch atypische Gestaltungen wie der „angestellte Komplementär" grundsätzlich zulässig. 6. Die Gesellschafter können im Rahmen der privatautonomen Gestaltungsfreiheit den Einstimmigkeitsgrundsatz durch das Mehrheitsprinzip ersetzen. Die schrankenlose Vereinbarung auch für jede denkbare Art von Vertragsänderungen verstößt jedoch gegen § 1381 BGB. Indem die Parteien vom gesetzlich vorgesehenen Prinzip des selbstbestimmten Änderungsvertrages abweichen und der Gesellschafterversammlung auf Dauer und vor allem für nicht vorhersehbare Fälle ein Gestaltungsrecht einräumen, unterstellen sie einen wesentlichen Teil ihres wirtschaftlichen und persönlichen Selbstbestimmungsrechts der Fremdbestimmung durch die Mehrheit. Die Wirksamkeit der Unterwerfung unter das Gestaltungsrecht der Gesellschafterversammlung erfordert deshalb eine eindeutige Zustimmung zu konkreten Beschlüssen, die tief und nachhaltig in die Rechte des Kernbereichs und damit in die eigene wirtschaftliche und persönliche Sphäre eingreifen. Diese kann jedoch, soweit sie eine rationale Auseinandersetzung mit einem möglicherweise erst in Zukunft zu fassenden Beschluß erkennen läßt, bereits antizipiert im Gesellschaftsvertrag erteilt werden, wobei das Maß der Bestimmtheit von der Tragweite des in Aussicht genommenen Beschlusses abhängt. Da nach allgemeinen zivilrechtlichen Grundsätzen die Erteilung von Verfügungsmacht auch für die Zukunft und unter Belassung eines Gestaltungsrahmens zulässig ist, besteht die Möglichkeit, das Mehrheitsprinzip auf diese Weise auch für Grundlagen- und Strukturänderungen sowie Mehrbelastungen und den Eingriff in Sonderrechte zu vereinbaren. Bei den zwei letztgenannten Maßnahmen nähert sich die erforderliche Bestimmtheit einer relativ präzisen Vorformulierung des Beschlusses.

540

Voraussetzungen sind vor allem freie Auswahl und Abberufbarkeit dieser „Organe".

C. Der Kernbereich als Konkretisierung von § 138 BGB

219

7. Weil das Gestaltungsrecht der Gesellschafterversammlung zur Änderung des Gesellschaftsvertrages nur in dem Umfang zur Entstehung gelangt, wie durch die Zustimmung konkretisiert, wird ihr Erklärungsgehalt bei pauschaler Erstreckung auf alle Vertragsänderungen und bei Unklarheiten nicht nur mit Rücksicht auf die Verkehrssitte und darauf, wie die übrigen Gesellschafter sie nach Treu und Glauben verstehen durften, sondern mit Hilfe des sog. Bestimmtheitsgrundsatzes ausgelegt. Dieser enthält die Prämissen der rechtlichen Unzulässigkeit der umfassenden Aufgabe der Selbstbestimmung und des Erfahrungsgrundsatzes, daß der zustimmende Verzicht auf eine selbstbestimmte Gestaltung der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse im Zweifel nicht gewollt ist. Die dogmatische Grundlage der Prämisse geht damit über das in Art. 2 I GG verankerte Prinzip der immanent beschränkten Handlungsfreiheit ebenfalls auf § 138 I BGB zurück. Aus diesem Grunde ist der Bestimmtheitsgrundsatz weder abdingbar noch verzichtbar und gilt in sämtlichen Erscheinungsformen der Personengesellschaften, auch wenn sie körperschaftlich strukturiert sind. 8. Während der Kernbereich der Gesellschafterrechte starr definiert wird, bildet der Bestimmtheitsgrundsatz das wertende Element der Kernbereichslehre. Er ermittelt am Maßstab der Gesamtumstände zum einen, ob die Einbeziehung eines Beschlußgegenstandes mit Kernbereichsrelevanz im Hinblick auf die Auswirkungen auf die persönliche und wirtschaftliche Freiheitssphäre als außergewöhnlich zu bewerten ist, und zum anderen, ob die Zustimmung diesbezüglich bedacht und gewollt war. Der Bestimmtheitsgrundsatz berücksichtigt damit auch die Besonderheiten der realen Struktur der Gesellschaft mit der Folge, daß bei einer überschaubaren Gesellschaft mit enger Verbundenheit und unbeschränkter Haftung geringere Anforderungen an die Außergewöhnlichkeit eines Beschlußgegenstandes und höhere Anforderungen an die Bestimmtheit der erklärten Zustimmung zu stellen sind als bei einer „großen" oder einer Publikums-Kommanditgesellschaft mit geringer Verbundenheit, ohne persönliche Mitarbeit und mit summenmäßig beschränkter Haftung. 9. Grundsätzlich ist - je nach Realstruktur - auch eine sehr weitgehende Vereinbarung des Mehrheitsprinzips zulässig, eine absolut umfassende jedoch im Hinblick auf die immanente Beschränkung der Handlungs- und damit der Vertragsfreiheit in Art. 2 I GG unzulässig. Eine absolute Grenze läßt sich nicht definieren, sondern kann nur im Einzelfall ermittelt werden. 10. Der Bestimmtheitsgrundsatz gilt nicht nur bezüglich der Geltung des Mehrheitsprinzips, sondern auch für die Auslegung, in welchem Umfang im Gesellschaftsvertrag die Zustimmung zum Ausschluß des Stimmrechts sowie zur Einschränkung anderer Kernbereichsrechte erklärt wurde, z.B. an welche Gründe Ausschließungsrechte oder der Entzug von Sonderrechten geknüpft und in welchem Umfang Mitbestimmungsrechte auf einen Beirat

220

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

übertragen werden sollten und inwieweit beabsichtigt war, die Rechte der Kommanditisten durch eine Vertreterklausel zu mediatisieren. D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses: Die fünfte, sechste und siebte Kernaussage -

Zwischen einem geringen Stimmrecht und einer Stimmrechtslosigkeit besteht nur ein gradueller Unterschied.

-

Bei der Personenhandelsgesellschaft ist es unzulässig, das Stimmrecht von der Mitgliedschaft abzuspalten und es auf einen anderen zu übertragen. Die stimmrechtslose Beteiligung eines Kommanditisten verstößt nicht gegen allgemeine Grundsätze des Personengesellschaftsrechts.

Nachdem der Kernbereich bestimmt ist, können nunmehr die Rückschlüsse auf die Ausschließbarkeit des Stimmrechts gezogen werden. Der Ausschluß vom Stimmrecht wird heute überwiegend in enger Anlehnung an die Zulässigkeit der Vereinbarung des Mehrheitsprinzips behandelt, weil es für einen Minderheitsgesellschafter keine Rolle spiele, ob er von der Mehrheit hoffnungslos überstimmt werde oder an der Abstimmung erst gar nicht teilnehmen dürfe 541 . Die konkrete Zulassung des Stimmrechtsausschlusses hängt im wesentlichen davon ab, ob und unter welchen Prämissen er in Relation zum Kernbereich gesetzt wird. Dementsprechend unterschiedlich sind die verschiedenen Auffassungen. I. Die unterschiedlichen Auffassungen über das Verhältnis der Zulässigkeit von Stimmrechtsausschluß und Mehrheitsprinzip 1. Unter Berücksichtigung der Kernbereichslehre wird die Zulassung des Stimmrechtsausschlusses rechtstechnisch, rechtsdogmatisch und rechtspolitisch mit der Zulassung von Mehrheitsentscheidungen gleichgesetzt mit der Folge, daß das Stimmrecht bei hinreichend bestimmter antizipierter Zustimmung im Gesellschaftsvertrag im gleichen Umfang ausgeschlossen werden könne 542 .

541

So BGHZ 14, 264, 271 (zur GmbH).

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

221

2. Eine vermittelnde Meinung, die als herrschend bezeichnet werden kann, vertritt die Auffassung, das Mehrheitsprinzip sei weitgehender zulässig als der Stimmrechtsausschluß. Soweit kernbereichsrelevante Beschlüsse zur Abstimmung stünden, müsse den Minderheitsgesellschaftern zumindest die Möglichkeit der Einflußnahme auf das Ergebnis offenbleiben 543. Da der Kernbereich mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Gesellschaft zu bestimmen sei, sei auch die Zulässigkeitsgrenze des Stimmrechtsausschlusses flexibel. 3. Nach einer Minderheitsmeinung besteht zwischen Stimmrechtsausschluß und Mehrheitsentscheid im Hinblick auf den Selbstschutz ein qualitativer Unterschied. Aus Gründen der Rechtssicherheit und der vollständigen Einflußbeschneidung für die Zukunft müsse der Stimmrechtsausschluß starr geregelt sein. Der Stimmrechtsausschluß gelte deshalb in keinem Falle für Vertragsänderungen 544. Während Schilling 545 den Stimmrechtsausschluß der persönlich Haftenden für sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten mit Ausnahme von Beschlüssen im Zusammenhang mit prozeduralen Rechten zuläßt, lehnt Wiedemann auch diesen ab 546 . IL Die Fremdbestimmung beim Stimmrechtsausschluß (zu D I . Nr. 1) Nach Martens, der im übrigen den Kernbereich weniger umfassend versteht, als hier vertreten, ist der Stimmrechtsausschluß auch im Kernbereich im gleichen Umfang und unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie die Unterwerfung unter das Mehrheitsprinzip 547. Es bedeute rechtstechnisch keinen Unterschied, ob die Mehrheit entscheiden könne oder die Minderheit von der Abstimmung ausgeschlossen sei und so eine relative Einstimmigkeit ausreiche. Rechtsdogmatisch sei eine Gleichsetzung geboten, weil in beiden Fällen zu erklären sei, unter welchen Voraussetzungen Rechtsfolgen gesetzt werden können, obwohl einige Personen aus dem Kreis der Regelungsadressaten entweder dissentiert oder überhaupt nicht mitgestimmt hätten, welche Mindestbedin-

542

Martens, DB 1973, 413, 417; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25.

543

So schon BGHZ 20, 363, 369 f.; Ulmer in Mü-Ko, § 709, Rdn. 58; ihm folgend Löffler, NJW 1989, 2656, 2660; wohl auch Immenga, ZGR 1974, 385, 422 ff.; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; einschränkend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387, 389 f. 544 Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369; weniger deutlich ders. in W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 7. 545

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 7.

546

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369 f.; ders. in FS H. Westermann (1974) 585, 595

547 Martens, DB 1973, 413, 417 ff.; im Ausgangspunkt ähnlich Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217.

222

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

gungen also erfüllt sein müßten, damit eine Regelung mit vertraglicher Bindungswirkung zustande kommen könne. Durch die Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes verwirkliche sich rechtspolitisch in beiden Sachverhalten ein vergleichbar hohes Maß an Minderheitenschutz. Das Gesetz habe diesen bei den Personengesellschaften nur unvollkommen ausgestattet, weil es das Einstimmigkeitsprinzip zugrundegelegt habe. Bei einer Abweichung in Form der Vereinbarung des Mehrheitsprinzips könne ein Minderheitenschutz für alle Formen der Einräumung von Mehrheitsmacht nur durch eine extensive Handhabung des Bestimmtheitsgrundsatzes sichergestellt werden. Die der Mehrheitsmacht unterliegenden Regelungsgegenstände und der Stimmrechtsausschluß müßten deshalb inhaltlich präzise beschrieben werden 548 . Martens ist zuzustimmen, soweit er eine rechtstechnische Gleichsetzung zwischen einem Stimmrechtsausschluß und einer Mehrheitsentscheidung vornimmt, die von einem überstimmten Minderheitsgesellschafter nicht mitgetragen wird. Es bedeutet in der Tat keinen Unterschied, ob der Betreffende nicht mitstimmt oder überstimmt wird. Dogmatisch kann ihm dagegen nicht gefolgt werden. Die ausdrückliche Vereinbarung des Mehrheitsprinzips auch für den Kernbereich bedeutet die Einräumung eines rahmenmäßig bestimmten Gestaltungsrechts an die Mehrheit und damit gleichzeitig die Zustimmung zu potentiellen Eingriffen in den Kernbereich der individuellen Gesellschafterrechte. Es ist jedoch zu beachten, daß das Gestaltungsrecht nicht an einen Dritten verliehen wird, sondern an die Gesellschafterversammlung, welcher der Gesellschafter wiederum als Mitglied angehört und deren Entscheidung er durch seine Stimme mitbeeinflussen kann. Das grundgesetzlich verbürgte Recht des Gesellschafters, seine Vermögensverhältnisse selbstbestimmt zu regeln, wird deshalb nicht völlig ausgeschlossen, sondern durch Verlagerung auf ein Kollektivorgan, dessen Mitglied er wiederum ist, lediglich relativiert. Die Beteiligung an einer Gesellschaft bedeutet ohnehin eine gewisse wirtschaftliche und damit persönliche Abhängigkeit. Regelmäßig begibt sich der Gesellschafter in einem ganz erheblichen Umfang seines Rechts, über sein Vermögen völlig selbstbestimmt verfügen zu können. Es entspricht heute sogar in der Praxis des Personengesellschaftsrechts eher dem Regelfall als der Ausnahme, daß die Entscheidungen kollektiv unter der Geltung des Mehrheitsprinzips getroffen werden. Für die Selbstbestimmung innerhalb einer Gesellschaft bedeutet dies im Regelfall für das einzelne Mitglied, kein absolutes,

548

Martens, DB 1973,413,418.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

223

sondern nur ein relatives Bestimmungsrecht zu besitzen549. Es besteht stets nur die Chance, an der Willensbildung mitzuwirken und die Entscheidung zu beeinflussen. Das Risiko, überstimmt zu werden, ist damit mehr oder weniger gesellschaftsimmanent und damit hinnehmbar, wenn das Mehrheitsprinzip auch für den betreffenden Beschlußgegenstand mit Zustimmung des Gesellschafters eindeutig vereinbart wurde. Der Gesellschafterversammlung wird zwar auch im Fall des Stimmrechtsausschlusses ein Gestaltungsrecht eingeräumt. Die Gestattung des Eingriffs in die Individualsphäre hat in diesem Fall aber eine andere Qualität. Der Gesellschafter ist zwar noch Mitglied der Gesellschafterversammlung, darf an der kollektiven Willensbildung jedoch in keiner Weise mitwirken. Das Recht auf Selbstbestimmung wird insofern nicht nur mediatisiert, sondern vollständig aufgegeben. Er besitzt nicht einmal die Chance zur Beeinflussung der Entscheidung. Solange die Mehrheit nicht stabil in einer Hand liegt - und dies ist bei einer aus mehreren Mitgliedern bestehenden Gesellschaft keinesfalls als typisch anzusehen - kann auch ein mit geringerer Stimmkraft ausgestatteter Gesellschafter potentiell einen größeren Einfluß auf das Abstimmungsergebnis ausüben als ein vom Stimmrecht ausgeschlossener. Dabei darf nicht außer acht bleiben, daß im Laufe der Zeit selbst vermeintlich stabile Mehrheiten wechseln können und auch ein kleines Stimmgewicht das „Zünglein an der Waage" bilden kann 550 . Darüber hinaus kennt das Grundgesetz keinen Unterschied zwischen „arm und reich" oder einer großen und kleinen Beteiligung. Gerade in einer Gesellschaft mit hohem Kapital kann auch ein kleinerer Anteil einen erheblichen Wert und u.U. das wesentliche Vermögen eines Gesellschafters verkörpern. Es ist außerdem wertungsmäßig gleichgültig, ob ein sich in der hoffnungslosen Minderheitsposition Befindlicher vom Stimmrecht ausgeschlossen wird oder ein Gesellschafter, der die Stimmenmehrheit hat. Der Kernbereich wird zwar aus naheliegenden Gründen immer als ein Element des Minderheitenschutzes gesehen. Primär steht jedoch der Selbst- und damit der Individualschutz im Vordergrund. Entscheidend ist deshalb der vollständige Verzicht auf die Selbstbestimmung, die damit zur reinen Fremdbestimmung wird. Zum gleichen Ergebnis gelangt man auch unter Berücksichtigung der Wertungen des Gesellschaftsrechts und des Zivilrechts. Den Stimmrechtsausschluß läßt das Gesetz ausschließlich für den Bereich der einfachen Geschäftsführung sowie aus dem übergeordneten Gesichtspunkt der Interessenkollision zu, d.h. für Beschlüsse, denen ein wichtiger Grund zugrundeliegt. Darüber hinausgehende Möglichkeiten für einen Stimmrechtsausschluß werden im Gesetz nicht

549

Immenga, ZGR 1974,385,422.

550

Vgl. Immenga, ZGR 1974, 385, 422 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f.

224

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

einmal angesprochen. Vor dem Hintergrund der persönlichen Haftung folgt daraus, daß der Besitz des Stimmrechts als wichtiges Mitverwaltungsrecht auf ein Gerechtigkeitsgebot zurückgeht. Nur in wenigen Ausnahmefällen, in denen Zweckmäßigkeitserwägungen erst im zweiten Schritt wieder in den Vordergrund treten, ist ein Ausschluß vorgesehen. Die Entscheidungen bei der Personengesellschaft sind von allen Gesellschaftern gemeinsam, von der gesetzlichen Konzeption her sogar einstimmig, zu treffen. Nach den Regeln des dispositiven Rechts sollen sowohl Maßnahmen der Geschäftsführung als auch Vertragsänderungen nicht nur im Sinne einer Richtigkeitsgewähr mit größtmöglichem Konsens beschlossen werden, sondern auch, um ein möglichst hohes Maß an Selbstbestimmung zu erhalten und die Gesellschafter im Hinblick auf Vermögen und Haftung in die Verantwortung einzubinden551. Der Teil verzieht auf Mitbestimmung durch Gestaltung der Stimmkraft 552 und die Einführung des Mehrheitsprinzips sind bereits im Gesetz angelegt, der Vollverzicht auf wenige begründete Ausnahmefälle beschränkt und im übrigen aufgrund des Abspaltungsverbots in § 717 S. 1 BGB unzulässig. Die von Martens angenommene dogmatische Gleichsetzung der Grenze der Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses und der Einführung des Mehrheitsprinzips trifft deshalb nicht zu 553 . Dogmatisch besteht sehr wohl ein Unterschied, der es rechtfertigt, Mehrheitsbeschlüsse der - wenn auch relativierten Einflußmöglichkeit wegen in größerem Umfang zuzulassen als den Stimmrechtsausschluß, der die Einflußmöglichkeit vollends entzieht 554 . Die Annahme einer rechtspolitischen Vergleichbarkeit von Stimmrechtsausschluß und Zulässigkeit von Mehrheitsentscheidungen trifft ebenfalls nur bedingt zu. Zum einen bedeutet es sowohl für den betroffenen als auch für die übrigen Gesellschafter psychologisch einen Unterschied, ob er auch in Zukunft niemals in der Lage sein wird, eine Entscheidung, die „auf der Kippe steht", zu beeinflussen 555. Falls er dazu in der Lage ist, erhalten der Wille und das Wort des Betroffenen ein größeres Gewicht und müssen ernst genommen werden. Zum anderen wird auch der Überstimmte durch die Einbeziehung in die Entscheidung in die Verantwortung genommen. Darüber hinaus wird das Interesse des vom Stimmrecht Ausgeschlossenen an der Auseinandersetzung und dem Besuch der Gesellschafterversammlung in der Erkenntnis erlahmen, daß er im

551

Vgl. zu diesem Aspekt U.H. Schneider, ZGR 1978, 1, 16.

552

§§ 709 II BGB, 119 II, 161 II HGB.

553

Ebenso wie hier Immenga, ZGR 1974, 385, 422 f.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f.; wohl auch Schilling in Großkomm. HGB, § 161, Rdn. 32. 554 Insoweit zustimmend BGHZ 20, 363, 369 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58; ihm folgend Löffler, NJW 1989, 2656, 2660; wohl auch Immenga, ZGR 1974, 385, 422 ff.

Wiedemann, Gesellschaftrecht I, S.

3 .

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

225

Ergebnis nichts bewirken kann. Damit entfällt die sowohl zugunsten der übrigen Gesellschafter als auch zum Schutz des Rechtsverkehrs vorausgesetzte gegenseitige Kontrolle. Daraus folgt insgesamt, daß die Auffassung Martens', das Stimmrecht sei bei hinreichender Bestimmtheit der Zustimmung des Betroffenen vollständig ausschließbar 556, unzutreffend ist. Beschlüsse, die in die Rechtsstellung eines Gesellschafters eingreifen, können zwar bei hinreichend bestimmter Zustimmung mit Mehrheit, jedoch nicht ohne die Mitwirkung des Betroffenen bei der Beschlußfassung gefaßt werden. Zwischen einer Mehrheitsentscheidung und einem Stimmrechtsausschluß bestehen sowohl aus dogmatischen Gründen im Hinblick auf den Erhalt des Selbstbestimmungsrechts als auch aus rechtspolitischen Gründen Unterschiede, die eine abgestufte Behandlung dahingehend erfordern, den Stimmrechtsausschluß weniger weitgehend zuzulassen. Dies gilt jedenfalls für natürliche Personen. Auf eine Kapitalgesellschaft als persönlich haftende Gesellschafterin einer KG findet dieser Grundsatz dagegen nur eingeschränkt Anwendung 557 , weil das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit für die nicht gilt. Die sechste Kernaussage der Leitentscheidungen des BGH, zwischen einem geringen Stimmrecht und einem Stimmrechtsausschluß bestehe oft nur ein gradueller Unterschied, trifft zwar in tatsächlicher Hinsicht zu. Dies darf jedoch nicht dazu führen, in rechtlicher Hinsicht beides gleich zu behandeln, sondern die rechtlichen Unterschiede müssen zu unterschiedlichen Grenzziehungen führen, auf die noch einzugehen ist. III. Die unzutreffende Annahme einerflexiblen Grenze des Stimmrechtsausschlusses (zu D I. Nr. 2) 1. Die Starrheit des Kernbereichs Die herrschende Meinung will den Stimmrechtsausschluß unter Berufung auf den BGH - insoweit zutreffend - weniger umfassend als das Mehrheitsprinzip zulassen. Zumindest bei Beschlüssen über Eingriffe in den Kernbereich müsse

556

Martens, DB 1973, 413, 417 f.

557

So inzwischen auch der BGH in NJW 1993, 2100, 2101 für die personengleich besetzte Komplementär-GmbH unter Hinweis auf die beschränkte Haftung. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses einer GmbH, an der auch Nicht-Kommanditisten beteiligt sind, blieb ausdrücklich offen. 1 Lockowandt

226

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

dem Gesellschafter die Möglichkeit der Einflußnahme verbleiben 558. Dies gelte namentlich für Beschlüsse, die unmittelbar in die Rechte auf Geschäftsführung, Gewinn, Liquidationsquote und in das Stimmrecht sowie in den Schutz vor zusätzlichen Belastungen eingreifen 559. Dabei geht sie davon aus, daß sich der Umfang der Kernbereichsrechte nur unter Ermittlung der Besonderheiten der jeweiligen Gesellschaft ermitteln läßt 560 und damit in einer typischen, personalistisch strukturierten Gesellschaft größer als bei einer körperschaftlich strukturierten „großen" oder Publikums-KG ist 561 . Im Ausgangspunkt, der Stimmrechtsausschluß müsse eine engere Grenze als das Mehrheitsprinzip finden, ist der herrschenden Meinung zuzustimmen, in der Schlußfolgerung jedoch nicht. Sie trennt nicht hinreichend scharf zwischen Kernbereich und Kernbereichslehre. Die Untersuchung hat ergeben, daß der Kernbereich an sich unter dem Gesichtspunkt des Individualschutzes starr ist 562 und für alle Gesellschafter gleichermaßen gilt. Er umfaßt sowohl die prozeduralen Teilhabe-, Kontroll- und Rechtsschutzrechte als auch die materiellen Gesellschafterrechte, so wie sie jedem Gesellschafter jeweils nach den Bestimmungen des dispositiven Rechts zustehen. Lediglich der Bestimmtheitsgrundsatz als das wertende Element der Kernbereichslehre bildet eine bewegliche Schranke, indem er im Wege der Auslegung ermittelt, welche Änderung des Gesellschaftsvertrages im konkreten Einzelfall als ungewöhnlich eingestuft werden muß und ob der Verzicht auf ein materielles Recht des Gesellschafters in Form der Zustimmung insoweit hinreichend eindeutig im Gesellschaftsvertrag erklärt wurde 563 . Nur für die Bestimmtheit der Zustimmung gelten bei „typischen" und Publikumsgesellschaften unterschiedliche Maßstäbe. Die Bestimmung des Kernbereichs an sich mit Hilfe des Bestimmtheitsgrundsatzes würde darüber hinaus dazu führen, daß nicht nur die Gesellschaft in ihrer ursprünglichen Ausprägung betrachtet wird, sondern unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände. Die „Geschäftsgrundlage" verblaßt mit dem Ablauf der Zeit 5 6 4 und kann sich gewollt oder unbemerkt ändern. Bei konsequenter Anwendung der herrschenden Meinung würde damit ein konkreter Änderungs-

558 BGHZ 20, 363, 369 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58; ihm folgend Löffler, NJW 1989, 2656, 2660; wohl auch Immenga, ZGR 1974, 385, 422 ff.; Mecke, BB 1988, 2258, 2263; einschränkend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387, 389 f. 559

So insbesondere Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 37; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S.

387 f. 560

So insbesondere Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 78.

561

So insbesondere Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 36 ff.

562

Siehe oben S. 153 ff., 157.

563

Siehe oben S. 157 f.

564

Immenga, ZGR 1974, 385, 425.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

227

beschluß in ein und derselben Gesellschaft möglicherweise im Jahr X zum Kernbereich gerechnet werden müssen, ein Jahr später schon, z.B. nach der Aufnahme weiterer Gesellschafter oder bei einem anderen geschäftlichen Schwerpunkt der Gesellschaft nicht mehr. Dieses Ergebnis, d.h. eine flexible Regelung des Stimmrechtsausschlusses erscheint fragwürdig, zumal sich die Umstände je besser steuern lassen, desto weniger Einflußmöglichkeiten die Gesellschafterversammlung besitzt. Eine starre Regelung erscheint deshalb notwendig und zweckmäßiger. 2. Die praktischen Konsequenzen der herrschenden Meinung a) Die Kernbereichslehre wird stets unter dem Blickpunkt des Minderheitenschutzes betrachtet 565. Denkt man die Auffassung der herrschenden Meinung konsequent zu Ende, kann sich dieser jedoch zu Problemen des „Mehrheitsschutzes" wandeln. Wenn im Falle BGHZ 20, 363 jeweils ein Mitglied der beiden Familienstämme im Wege des Erwerbs oder des Erbgangs sämtliche Kommanditanteile seines Stamms erwerben würde, hätte dies zur Folge, daß die beiden dann u.U. je zu 40% beteiligten Gesellschafter auf Dauer stimmrechtslos wären, soweit die Geschäftsführung, die sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten und „gewöhnliche Änderungen des Gesellschaftsvertrages" betroffen sind. Damit wäre ihnen jegliche Mitwirkung bei außergewöhnlich bedeutenden oder riskanten Geschäftsführungsmaßnahmen ebenso versagt wie bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages über den Unternehmensgegenstand, das Einberufungsverfahren bezüglich der Gesellschafterversammlung, die Firma oder das Geschäftsjahr, solange die Beschlüsse nicht eindeutig treuwidrig gefaßt werden. Jede dieser auf den ersten Blick harmlosen Maßnahmen erfährt im Einzelfall erhebliche Bedeutung. Die Änderung des Unternehmensgegenstandes kann - jedenfalls in jeweils zulässigen kleinen Schritten - zu einer Umstellung des Geschäfts in Richtung einer vollständig anderen Branche mit u.U. höheren Risiken führen. Die Bekanntheit und die Bonität der Firma stellt gelegentlich einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar, der bei einer unglücklichen Änderung verloren ginge. Die Kommanditisten haben möglicherweise ihre private Baufinanzierung auf die Gewinnausschüttungen am Ende des Geschäftsjahres abgestellt und erleiden Zinsnachteile. Es ist schon fraglich, ob die beiden stimmrechtslosen Kommanditisten dies einzeln oder erst recht kumulativ billigerweise hinnehmen müssen. Ob und inwieweit sie einen Anspruch auf Anpassung des Gesellschaftsvertrages hätten 566 , läßt sich angesichts der Ungewißheit auf diesem Gebiet nicht ein-

565

Vgl. nur K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 386 ff.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 83.

566

Dazu eingehend Zöllner, Anpassung von Personengesellschaftsverträgen, S. 1 ff.

15*

228

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

deutig festlegen, zumal sie diesen Anspruch u.U. in jahrelangen Rechtsstreitigkeiten durchfechten müßten. b) Unabhängig davon ist nicht auszuschließen, daß auch Kommanditisten wieder die Last der persönlichen Haftung tragen. Verunglücken beide Komplementäre gleichzeitig bei einem Autounfall und können sich die Kommanditisten nicht darüber einigen, daß einer in die Stellung des persönlich Haftenden nachrückt, oder finden sie keinen bereitwilligen neuen Gesellschafter, ändert sich die Rechtsform automatisch567 zur OHG mit der Folge des Wegfalls der Haftungsbeschränkung. Die Gesellschaft und das Geschäft haben gleichwohl möglicherweise eine Gestalt angenommen und Risiken entwikkelt, die sie nicht verhindern konnten oder um die sie sich mangels Möglichkeit der Mitwirkung nicht gekümmert haben. Im Krisenfall wären u.U. sofort erhebliche Kreditaufnahmen notwendig, für die eine persönliche Haftung bestünde. Weitere Fälle des Wiederauflebens der persönlichen Haftung sind denkbar bei gezieltem oder unerkanntem Wegfall des Vollhandelsgewerbes durch eine Verpachtung des gesamten Betriebs oder die Änderung des Unternehmensgegenstandes568. Des bestehenden Rechtsformzwangs wegen würde sich die Gesellschaft automatisch in eine GbR umwandeln 569 . Im Gründungsstadium entfällt die begrenzte Haftung bis zur Eintragung der KG in das Handelsregister 570. Auch die Beteiligung Minderjähriger oder Geschäftsunfähiger könnten im Ergebnis ebenso zu Haftungsfolgen führen wie eine fehlerhafte oder fehlerhaft gewordene Gesellschaft 571. Dabei ist die weitgehende Formfreiheit bei personengesellschaftlichen Gründungen und Änderungsbeschlüssen ohne die Beratung und Kontrolle durch einen Notar ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, daß der Unternehmensgegenstand und seine Änderung nicht im Handelsregister verzeichnet sind und somit auch eine gerichtliche Kontrolle entfällt. Auch läßt sich der Firma der Personenhandelsgesellschaften an sich nicht zwingend entnehmen, ob einige Gesellschafter auf ihre Einlage beschränkt haften 572 , so daß die Gesellschafter sich nicht ohne weiteres auf eine den Gläubigern bekannte Haftungsbeschränkung berufen können, wenn sie nicht mehr oder im Falle der Gründung oder „Umwandlung" einer OHG noch nicht im Handelsregister

567

Vgl. nur Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 59.

568

Vgl. BGH NJW 1971, 1698; dazu Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 15.

569

Vgl. nur Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 60.

570

§§ 1721,161 II 1231 HGB.

571

Eingehend K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 120 ff., 130 ff. m.w.N.

572

§ 19 HGB.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

229

eingetragen ist 573 . Es handelt sich sicherlich nicht um Regelfälle, aber die Möglichkeit des Unterworfenseins unter die persönliche Haftung ist nicht vollständig auszuschließen. Die Gesellschafter müssen deshalb bereits vor dem Eintritt derartiger Fälle zu ihrem eigenen Schutz und zur Einbindung in die Verantwortung mehr an Mit- und damit Selbstbestimmung zugebilligt erhalten, als von der herrschenden Meinung gefordert wird. Der Erhalt des Stimmrechts nur für direkte Eingriffe in ihre Rechtsstellung und ggf. für Strukturänderungen erscheint nicht ausreichend 574. Auch die reine Zustimmung zu diesen Beschlüssen reicht nicht aus, da sie nicht die Teilnahme an der Willensbildung der Gesellschaft bedeutet575. c) Bei einer „großen" KG wäre der Kernbereich nach der h.M. noch enger als bei der „typischen" KG gezogen576. Hier könnte es - konsequenterweise durchaus vorkommen, daß 100% der Kommanditisten vom Stimmrecht ausgeschlossen wären. Dies wäre sogar bei einer Aktiengesellschaft unzulässig, in der Vorzugsaktien nur bis zur Höhe der Hälfte des Grundkapitals ausgegeben werden dürfen 577 . Darüber hinaus erhalten die Vorzugsaktionäre durch die Zahlung des Vorzugs einen echten Wertausgleich, ohne den das Stimmrecht wieder auflebt. Bei der Genossenschaft ist der Stimmrechtsausschluß insgesamt unzulässig578, für die GmbH wurde er von der Rechtsprechung nur insoweit zugelassen, als jedem Inhaber eines stimmrechtlosen auch ein stimmberechtigter Geschäftsanteil zustand579. Das ohnehin schon nicht unproblematische Übertragen der Verhältnisse des Kapitalgesellschaftsrechts auf die Personengesellschaften 580 führt angesichts dort fehlender Regelungen über den Minderheitenschutz im erweiterten Anwendungsbereich zu fragwürdigen Ergebnissen. d) Bei der Publikumspersonengesellschaft, die im übrigen auch in der Rechtsform der GbR mit der Folge eines Haftungsrisikos auftritt 581 , würde der Kernbereich nach der h.M. den geringsten Umfang erfahren. Falls sie als GmbH & Co KG organisiert ist, wäre durchaus denkbar, daß die Gründergesellschafter ausschließlich der GmbH angehören. Auch hier könnten alle

573

§ 151 HGB.

574

Ebenso Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369 f.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn.

10, 6f. 575

Siehe oben S. 166 ff.

576

Vgl. nur Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 39.

577

§ 139 II AktG.

578

§§ 18, 43 GenG.

579

Vgl. BGHZ 14, 264.

580

Für den speziellen Fall kritisch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369.

581

Vgl. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 705, Rdn. 89.

230

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Kommanditisten sehr weitgehend vom Stimmrecht ausgeschlossen werden. Obwohl die Kommanditisten die „Eigentümer der Gesellschaft" sind, wären sie nur an sehr wenigen außergewöhnlichen Änderungen des Gesellschaftsvertrages zu beteiligen. Angesichts der regelmäßig eigennützigen Motivation der Gründungsgesellschafter stellt sich hier zum einen die Frage, ob nicht eine „faktische" Drittorganschaft vorliegt und zum anderen, ob ein derart weitgehender Stimmrechtsausschluß aller Kommanditisten nicht gegen das Abspaltungsverbot des § 717 S. 1 BGB verstößt. Bedenklich wäre die Konstruktion allemal, zumal die Gründer zahlreiche Möglichkeiten besäßen, die Kontrolle und die Mitwirkung der Kommanditisten über „gewöhnliche" Änderungen des Gesellschaftsvertrages zu erschweren, z.B. durch eine Verlegung des Sitzes von Gesellschaft und Gesellschafterversammlung um mehrere hundert Kilometer, durch Verkürzung der Einladungs- und Vorbereitungsfristen auf ein Minimum, durch Einführung eines komplizierten Anmeldeverfahrens für die Gesellschafterversammlung oder die Befugnis, Kontrollrechte nur aufgrund eines Beschlusses wahrnehmen zu können, für den mindestens 5% des vertretenen Kapitals stimmen 582 . Die Aufnahme eines Rechtsstreites mit dem Ziel einer Inhaltskontrolle bedeutet für einen einzelnen Gesellschafter u.U. ein kostspieliges und langwieriges Verfahren. Auch diese Überlegungen lassen Zweifel an der herrschenden Meinung aufkommen, der Stimmrechtsausschluß sei in Anlehnung an den Kernbereich flexibel zu begrenzen. 3. Die Intention des BGH bei der Zulassung des Stimmrechtsausschlusses Die Kernbereichslehre und die herrschende Meinung vom Stimmrechtsausschluß natürlicher Personen 583 gehen auf das insoweit einzige obergerichtliche Urteil BGHZ 20, 363 zurück. In ihm hatte der BGH jedoch nicht über eine entsprechende Gestaltung im Gesellschaftsvertrag zu befinden, sondern es ging um die Ausgestaltung einer sog. Vertreterklausel, bei der die als Erben eines Komplementärs eintretenden Kommanditisten der beiden Familienstämme „immer" durch den Komplementär der Familie vertreten werden sollten. Diese Bestimmung lehnte sich gedanklich an eine frühere gesellschaftsvertragliche Regelung der GmbH an, aus der die KG im Wege der Umwandlung entstanden war. Diese sah nach dem Vorbild des § 181 GmbHG vor, daß die Rechte aus einem Geschäftsanteil, der mehreren Erben zusteht, nur durch einen gemeinsa-

582 583

Zu diesen Problembereichen eingehend U.H. Schneider, ZGR 1979, 1, 17 ff.

Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses der Komplementär-GmbH personengleich besetzten GmbH § Co KG wurde in BGH NJW 1993, 2100 bestätigt.

einer

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

231

men Vertreter ausgeübt werden können 584 . Der BGH untersuchte deshalb nicht eingehend die konkrete Zulässigkeit eines gesellschaftsvertraglichen Stimmrechtsausschlusses und seiner Grenze, sondern sein Ziel war primär, der von den Vorinstanzen für unwirksam befundenen Stimmrechtsvollmacht der Kommanditisten in diesem speziellen Einzelfall im Wege der Umdeutung gleichwohl zur Wirksamkeit zu verhelfen. Im zugrundeliegenden Fall ging es im übrigen ausschließlich um einen konkreten Gewinnverwendungsbeschluß. Mit der grundsätzlichen Zulässigkeit der - offenbar erstmalig obergerichtlich auftretenden - Vertreterklausel in einer Personengesellschaft, die sich, weil die Erben selbst Gesellschafter werden, von dem in § 18 1 GmbHG behandelten Fall der Gesamthandsgemeinschaft an einem Geschäftsanteil deutlich unterscheidet, setzte sich der BGH im 20. Band nicht auseinander. Dies geschah erst 10 Jahre später in BGHZ 46, 291. Dort stellte er darauf ab, daß das Stimmrecht der Kommanditisten, welches nur noch in der Untergruppe ausgeübt werden könne und müsse, nicht unzulässigerweise von der Mitgliedschaft abgespalten werde, sondern der Substanz nach voll in der Hand der Kommanditisten verbliebe und verbleiben müsse585. Einen Stimmrechtsausschluß ließ er dort gerade nicht zu. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob die Begründung des BGH im 20. Band tatsächlich zutreffend war und ob nicht der BGH von der Literatur falsch verstanden worden ist. a) Das Abspaltungsverbot In der Leitentscheidung des BGH zum Stimmrechtsausschluß stellte der Senat gleich zu Eingang fest, eine gegenüber der Gesellschaft „dinglich 5 8 6 " wirkende Abtretung oder Abspaltung des Stimmrechts von der Mitgliedschaft sei nach § 717 S. 1 BGB unwirksam. Die Kommanditisten hätten die Komplementäre jedoch im Gesellschaftsvertrag unter eigenem Stimmrechtsverzicht unwiderruflich zur Stimmrechtsausübung bevollmächtigt, sie sollten die Kommanditisten „immer" vertreten. Dieser Fall sei einer Abspaltung des Stimmrechts in der Auswirkung gleichgestellt und deshalb ebenfalls unwirksam 587 .

584

OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.1957, 7 U 134/56 (2. Berufungsurteil zu BGHZ 20, 363),

S. 9. 585

BGHZ 46, 291, 295 ff.

586

So die plastische Formulierung von R. Fischer in L M Nr. 7 zu §§ 161, 119 HGB; vgl. auch H.P. Westermann in Erman BGB, § 717, Rdn. 3. 587

BGHZ 20, 363, 364 f. unter Hinweis auf BGHZ 3, 354, 357 ff.

232

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Im Wege der Umdeutung hat der BGH sodann einen vollständigen Stimmrechtsausschluß unter gleichzeitiger und stimmkraftgleicher Erhöhung des Stimmrechts der Komplementäre, also im Ergebnis ebenfalls eine „dinglich" wirkende Abspaltung des Stimmrechts 588 zugelassen, allerdings mit der Einschränkung, der Stimmrechtsausschluß müsse im Interesse des Individualschutzes eine sachliche Grenze im Kernbereich finden 589 . Damit weicht der BGH kraß von seiner ständigen Rechtsprechung zum Abspaltungsverbot ab, in der er darauf abstellt, daß die Mitgliedschaftsrechte wie das Stimmrecht und die Geschäftsführungsbefugnis nicht auf einen anderen Rechtsträger überführt werden dürfen, sondern in ihrer vollen Rechtssubstanz beim Mitglied verbleiben müssen und deshalb anderen Personen lediglich eine schuldrechtliche Befugnis neben dem Gesellschafter, z.B. eine Vollmacht vermittelt werden könne 590 . Um zu überprüfen, ob die Abweichung des BGH von seiner ständigen Rechtsprechung berechtigt war, soll an dieser Stelle näher auf das Abspaltungsverbot eingegangen werden. Das in § 717 S. 1 BGB verankerte Abspaltungsverbot ist systematisch im Zusammenhang mit den §§ 718, 719 BGB zu sehen, welche gemeinsam die zentralen Grundlagen des Gesamthandsverhältnisses bilden. Nach § 717 S. 1 BGB sind die Ansprüche, die den Gesellschaftern aus dem Gesellschaftsverhältnis gegeneinander zustehen, nicht übertragbar. Dabei besteht Einigkeit darüber, daß der Begriff „Ansprüche" mißverständlich ist. Gemeint sind nicht nur die mitgliedschaftlichen Individualansprüche gegen die Gesamthand, sondern sämtliche aus der Mitgliedschaft fließenden Verwaltungsrechte, wie das Stimmrecht sowie die Rechte auf Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, Kontrolle, Rechnungslegung, Geschäftsführung und Vertretung 591 . Dies ergibt sich aus dem Kontext zu § 712 S. 2 BGB, der die vermögensrechtlichen Ansprüche,

588 Zustimmend Comes, DB 1974, 2189, 2240; wohl auch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 383; diese Auffassung - von der Beklagten gewollte Abspaltung und Übertragung des Stimmrechts - vertrat im übrigen auch das OLG Karlsruhe (7 U 134/56 v. 13.12.1957, S. 22, unveröffentlicht) in seiner zweiten Berufungsentscheidung in dem Grundsatzfall BGHZ 20, 363; a.A. Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 17; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 221. 589 BGHZ 20, 363, 365 ff.. Was in diesem Urteil allerdings nicht anklingt, ist der Umstand, daß es sich nur um ein Teilurteil handelt. Die Komplementäre hatten nämlich auch eine Ergänzung des Gesellschaftsvertrages bezüglich der Kündigung durch einen Gesellschafter sowie der Berechnung und der Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens beschlossen. Die Wirksamkeit dieses Beschlusses sollte dem Schlußurteil vorbehalten bleiben. Der BGH hatte folglich konkreten Anlaß, den Umfang des Stimmrechtsausschlusses eben in diesem Sinne einzuschränken, vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 22.9.1954, 2 U 143/54 (1. Berufungsurteil zu BGHZ 20, 363), S. 3 f. 590 RG JW 1927, 1139; RG Warn. 1935, 174; BGHZ 3, 354, 356 ff.; 20, 363, 364 f.; 36, 292, 293 ff.; 43, 261, 267; 46, 291, 296; BGH NJW 1970, 468; W M 1987, 70, 71; ZIP 1989, 298, 300. 591

Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 5 ff.; R. Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 6 f., 18; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 29; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 5, 20 ff.; H.P. Westermann in Erman BGB, § 717, Rdn. 1 ff.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

233

z.B. auf eine Geschäftsführervergütung, auf den Gewinn oder den Auseinandersetzungserlös vom Abspaltungsverbot ausnimmt. Obwohl das Abspaltungsverbot allein im Recht der Personengesellschaften gesetzlich festgeschrieben wurde 592 , ist es Ausdruck eines dem Gesellschaftsrecht eigenen Rechtsgedankens, nach dem die Verwaltungsrechte nicht von der Mitgliedschaft gelöst werden können 593 , sondern als Gesellschafterrechte einen höchstpersönlichen Charakter besitzen594. Bei den Personengesellschaften soll es vor dem Hintergrund der Gesamthandsgemeinschaft vor allem den Erhalt der Selbstorganschaft und der Verbandssouveränität dadurch schützen, daß externen Dritten 595 im Hinblick auf die persönliche Haftung der Mitglieder weder ein mitgliedschaftliches Recht zur Geschäftsführung 596 noch zur Einflußnahme auf Verbandsorganisation und Gesellschaftsvertrag erteilt werden kann 597 . In diesem Rahmen dient das Abspaltungsverbot auch dem Verkehrsinteresse 598. Das Abspaltungsverbot schützt die Gesellschafter jedoch nicht ausschließlich vor dem Einfluß von Nichtgesellschaftern 599, sondern es entfaltet auch zwischen den Gesellschaftern unmittelbare Wirkung in zweifacher Hinsicht. Zum einen können die Gesellschafter das (dispositive) Verbot des §719 I BGB 6 0 0 , über ihren Gesellschaftsanteil nicht ganz oder teilweise zu verfügen sowie eine Vinkulierung der Anteile nicht dadurch umgehen, daß sie ihr Stimmrecht ganz oder teilweise an einen Mitgesellschafter mit der Folge einer ungewünschten

592 §§ 717 S. 1 BGB, 105 II, 161 II HGB; nur für eine analoge Anwendung dagegen Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 5 ff.; lediglich im Vereinsrecht findet sich mit § 38 S. 2 BGB, nach dem die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte nicht einem anderen überlassen werden kann, eine Vorschrift, welche teilweise in dieselbe Richtung zielt. 593 Vgl. nur Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 7, 18; er gilt auch im Aktienrecht, vgl. BGH W M 1987, 70, 71; ebenso für die GmbH, z.B. BGH BB 1977, 10 f.; vgl. auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, § 47, Rdn. 21 ; für den Verein vgl. KG NJW 1962, 1917. 594 595

BGHZ 3, 354, 357; Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 19. In dieser Richtung auch Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 7.

596

BGHZ 36, 292, 294 ff.

597

Martens in Schlegelberger HGB V, § 109, Rdn. 9 ff.

598

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 362.

599

So aber offenbar Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 17, der verkennt, daß es z.B. in BGHZ 3, 354 und 20, 363 um die Übertragung auf Mitgesellschafter ging; ebenso Holch, DNotZ 1958, 282, 288 f., der die Möglichkeit einer Testamentsvollstreckung bei einer OHG untersucht und ausschließlich auf das erforderliche Einverständnis der übrigen Gesellschafter abstellt, ohne den Individualschutz zu berücksichtigen. Er betrachtet im übrigen nur das Recht auf Geschäftsführung, bei dem Durchbrechungen des AbspaltungsVerbotes bereits gesetzlich zugelassen werden. 600

BGHZ 3, 354, 357.

234

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Verschiebung der Stimmkraft abtreten 601. Die Regelung der Stimmrechtsmacht bedarf vielmehr der Vereinbarung durch alle Gesellschafter. Zum anderen klingt auch hier der Selbstschutzgedanke an 602 , denn gerade die mitgliedschaftlichen Informations-, Teilnahme- und Kontrollrechte und auch der Kern des Stimmrechts stehen dem Gesellschafter nicht nur im Interesse der Gesamthand, sondern primär im Eigeninteresse zu. Das Abspaltungsverbot enthält zwingendes Recht 603 . Ihm zuwiderlaufende Rechtsgeschäfte im Rahmen oder außerhalb des Gesellschaftsvertrages, z.B. die isolierte Übertragung des Stimmrechts oder anderer Mitgliedschaftsrechte, sind rechtsunwirksam 604. Die Rechtsfolge ergibt sich jedoch weder, wie das Reichsgericht teilweise vertrat 605 , aus § 135 BGB (relative Unwirksamkeit), noch aus § 134 BGB 6 0 6 , sondern aus der inhaltlichen Begrenzung des Verfügungsrechts durch § 717 S. 1 BGB selbst, also aus dem Gesichtspunkt der rechtlichen Unmöglichkeit 607 . Es handelt sich beim Abspaltungsverbot nicht um ein Nicht-Dürfen, sondern um ein Nicht-Können. Die Verwaltungsrechte der Gesellschafter sind höchstpersönlicher Natur und können nicht losgelöst von der Mitgliedschaft übertragen werden 608. Ausgenommen vom Abspaltungsverbot des § 717 S. 1 BGB sind lediglich die gesetzlich vorgesehenen Ausnahmen. So kann das Geschäftsführungs- und das Vertretungsrecht einschließlich des sich darauf gegenständlich erstreckenden Stimmrechts mit Zustimmung des Betroffenen ausgeschlossen bzw. auf einen Mitgesellschafter übertragen werden 6()9. Gesetzliche Sonderfälle finden sich

601

BGHZ 3, 354; BGH W M 1987,70,71.

602

Immenga, ZGR 1974, 385, 392 f.; Wiedemann, Übertragung, S. 274 ff., 285 f.; Hume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 222 f.; vgl. auch die Andeutungen in BGHZ 3, 354, 360 (Treuhand); 46, 291, 297 (Vertreterklausel); 20, 363, 369 f. (Stimmrechtsausschluß). 603 Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 7; R. Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 18; ders., GmbH-Rdsch. 1952, 113, 115 f.; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 6; ders. in FS Steindorff (1990), S. 31, 41 f.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 394 m.w.N., einschränkend jedoch ders. in Erman BGB, § 717, Rdn. 1. 604 BGHZ 3, 354, 357; 20, 363, 364; BGH NJW 1970, 468; BGH W M 1987, 70, 71; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 7; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 22 jeweils m.w.N. 605

RG JW 1919, 933; LZ 1921, 617; OLG Celle, zitiert in BGHZ 3, 354, 356.

606

So Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 22, unter unzutreffendem Hinweis auf BGHZ 3, 354, 358 f. 607

BGHZ 3, 354, 357 f.; 13, 179, 182 ff.; 20, 363, 364 f.; Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, § 134, Rdn. 2 ff.; Larenz, BGB AT, § 22 II; R. Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 18; Hadding in FS Steindorff (1990), S. 31, 41 f.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 396 ff. 608 BGHZ 3, 354, 357 f., auch unter Verweis auf das Wesen der Gesamthandsgemeinschaft; R. Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 18 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 7; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 5 f.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 394 ff. 609

Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 6; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 9.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

235

außerdem im Minderjährigenrecht in der Form der gesetzlichen Vertretung des Minderjährigen durch seine Eltern bzw. das Vormundschaftsgericht 610, im Erbrecht 611 und im Insolvenzrecht. Über die gesetzlich ausdrücklich vorgesehenen Fälle hinaus bestehen keine weiteren Ausnahmen612. In der Literatur werden dagegen Durchbrechungen des Abspaltungsverbotes für möglich und notwendig gehalten, weil sich im Zusammenhang mit einer Treuhand, dem Nießbrauch und dem Pfandrecht an einem Gesellschaftsanteil sowie mit einer Testamentsvollstreckung und einer Stimmbindung dogmatische Probleme ergeben 613. Die Schwierigkeit besteht stets darin, daß ein Bevorrechtigter aus legitimen Gründen die Mitwirkungsbefugnis des betroffenen Gesellschafters im größtmöglichen Maße selbst wahrnehmen will. Ob diese Durchbrechungen zulässig und erforderlich sind, ist unter Rückgriff auf Sinn und Zweck des AbspaltungsVerbots zu entscheiden. aa)Die dogmatische Grundlage des Abspaltungsverbots wird unterschiedlich erklärt. H.P. Westermann 614, H. Westermann 615 und Wiedemann 616 siedeln es auf der rechtstechnischen Ebene an. Ihrer Auffassung nach sind die Mitverwaltungsrechte nicht „sonderrechtsfähig 617", also kein tauglicher Gegenstand isolierter Verfügung. Dagegen argumentieren Teichmann 618 , Reuter 619 und K. Schmidt 620 auf der institutionellen Ebene. Der Einfluß außenstehender Dritter auf die Verbandsgeschicke sei im öffentlichen Interesse und zur Aufrechterhaltung der Funktion der Gesellschaft und wichtiger Institute des Gesellschaftsrechts zu

610

§§ 1629, 1643, 1822 Ziff. 3 BGB.

611

§§ 2197 ff. BGB, Testamentsvollstrecker; dazu eingehend Holch, DNotZ 1958, 282 ff.

612

So ausdrücklich R. Fischer in Großkomm. HGB, § 109, Rdn. 6.

613

Wiedemann, Übertragung, S. 276 ff.; Reuter, ZGR 1978, 633 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 156 ff.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 344 ff., 382 ff.; vgl. auch Ulmer in MüKo BGB, § 717, Rdn. 11 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 29 m.w.N.; Holch, DNotZ 1958, 282 ff.; Rohlff, NJW 1971, 1337, 1339 ff.; Erman in FS Nipperdey (1965), S. 277, 285; Möhring in Jur.-Jb 1966/67, S. 123, 134; kritisch zurecht Hadding in FS Steindorff (1990), S. 31, 32 ff.; R. Fischer, GmbH-Rdsch. 1952, 113 ff. 614

H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 383, 388 ff.

615

H. Westermann, Handbuch der Personengesellschaften I, Rdn. 321 a.E.

616 Wiedemann, Übertragung, S. 283 ff.; ders. in Gesellschaftsrecht I, S. 361; in dieser Richtung auch J. Schröder, ZGR 1978, 578, 592 ff. 617

So plastisch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 455.

618

Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 191.

619

Reuter, Privatrechtliche Schranken, S. 213, 154 ff.; ders., ZGR 1974, 633, 634 ff.

620

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 455 ff.

236

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

neutralisieren. Wer als Dritter anzusehen sei, müsse allerdings nach materiellen Kriterien bestimmt werden. Bei der Treuhand z.B. sei der Treugeber kein „Dritter", sondern selbst wirtschaftlich Gesellschafter. Flume 621 schließlich sieht das Abspaltungsverbot als allgemeine immanente Schranke der Privatautonomie an, welche einen Verzicht auf die grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmung verbietet. Die eigentliche Problematik wird deutlicher, wenn man nicht nur auf die vieldiskutierte Stimmrechtsabspaltung abstellt, sondern die anderen Mitverwaltungsrechte miteinbezieht. Es handelt sich dabei um den gesamten Bestand der prozeduralen Rechte, welcher den Gesellschafter von einem lediglich schuldrechtlich beteiligten Dritten unterscheidet 622 und der ihm zwecks Ermöglichung der Förderungspflicht und zum Erhalt der grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmung zwingend und unentziehbar zusteht 623 . Das Recht zu einer anderweitigen privatautonomen Gestaltung der eigenen Verhältnisse steht den Gesellschaftern infolge der immanent beschränkt gewährten Vertragsfreiheit zu ihrem eigenen Schutz nicht zu. Es wäre nicht vorstellbar, einem Gesellschafter die Rechte auf Kontrolle, Rechnungslegung, Abberufung der Geschäftsführer und Vertreter, Teilnahme an der Gesellschafterversammlung, Klageerhebung und Kündigung zu entziehen oder sie auf Dritte zu übertragen und zwar unabhängig davon, ob diese Gesellschafter sind oder nicht. Der betroffene Gesellschafter würde rechtlos gestellt. Was für die vorgenannten Mitverwaltungsrechte gilt, die damit untrennbar mit der Mitgliedschaft verbunden sind, muß jedoch auch für das Stimmrecht gelten 624 . § 717 S. 2 BGB nimmt lediglich die Vermögensrechte vom Abspaltungsverbot aus und ermöglicht für sie eine gesonderte Verfügbarkeit. Dementsprechend ist nach § 859 I ZPO auch nur der Anteil des Personengesellschafters am Gesellschaftsvermögen der Pfändung unterworfen, d.h. allein die übertragbaren und pfändbaren Rechte625, nicht aber die Mitgliedschaft an sich, was aus den §§ 1274 II, 717 S. 1 BGB folgt. Die Übertragung des Stimmrechts wäre mit der unbeschränkten oder beschränkten persönlichen Haftung genauso wenig zu vereinbaren, wie die Einwirkungsmöglichkeit Außenstehender zulasten der übrigen Gesellschafter.

621

Hume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 220 ff., 236 f.

622

Siehe oben S. 100 ff.

623

Siehe oben S. 120 f.

624

Zustimmend Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25.

625

So zutreffend auch Hadding in FS Steindorff (1990), S. 31, 42; jetzt auch ausdrücklich BGH NJW 1992, 830, 832.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

237

Dem Ansatz von Flume 626 , der das Abspaltungsverbot als immanente Schranke der Privatautonomie wertet, ist deshalb zuzustimmen. Reuter 627 , Teichmann 628 und K. Schmidt 629 gehen dagegen von der unzutreffenden und von der Rechtsprechung bereits mehrfach entgegengesetzt entschiedenen Prämisse aus, das Abspaltungsverbot bestehe nur zugunsten der Gesellschaft im Verhältnis zu externen Dritten, nicht aber zugunsten einzelner Gesellschafter im Verhältnis zu den anderen Mitgliedern. Ob der Auffassung von H.P. Westermann 630, H. Westermann 631 und Wiedemann 632 , die Mitgliedschaftsrechte seien „nicht sonderrechtsfähig", in letzter Konsequenz gefolgt werden kann, erscheint ebenfalls fraglich. Die Rechtsprechung stellt zutreffend auf die materielle Auswirkung ab, wenn sie eine unwiderrufliche verdrängende Vollmacht einer unzulässigen Abspaltung gleichstellt 633 . Daran wird deutlich, daß es weniger auf formelle, sondern mehr auf materielle Gerechtigkeitskriterien ankommt. Die Befugnis, über ihre Nicht-Vermögensrechte verfügen zu können, bleibt den Gesellschaftern zu ihrem eigenen Schutz vorenthalten, sie sollen sich insoweit nicht ihres Rechtes auf Selbstbestimmung entäußern. Ausnahmen vom Grundsatz der mangelnden Verfügungsbefugnis sind deshalb möglicherweise in denjenigen Fällen gerechtfertigt, in denen die jeweilige Schutzrichtung des § 717 S. 1 BGB nicht beeinträchtigt wird 634 . Die erste Schutzrichtung ist auf die persönlich haftende Gesamthand gerichtet, die vor dem Einfluß von nicht der Haftung und der Treuepflicht unterworfenen externen Dritten zu bewahren ist 635 . Aus diesem Grund ist es bei Personengesellschaften unzulässig, Dritten ein Stimmrecht einzuräumen. Eine Ausnahme ließ der BGH in einem Fall zu, in dem ein zur Aufsichts-

626 Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 220 ff., 236 f.; in dieser Richtung auch Schloßmann, Stellvertretung II, S. 598 ff.; teilweise auch H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 395 ff. 627

Reuter, Privatrechtliche Schranken, S. 213, 154 ff.; ders., ZGR 1974, 633, 634 ff.

628

Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 191.

629

Κ. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 455 ff.

630

H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 383, 388 ff.

631

H. Westermann, Handbuch der Personengesellschaften I, Rdn. 321 a.E.

632

Wiedemann, Übertragung, S. 283 ff.; in dieser Richtung auch J. Schröder, ZGR 1978, 578,

592 ff. 633 BGHZ 3, 354, 359; 20, 363, 364 f.; BGH NJW 1970, 468; W M 1987, 689 f.; ZIP 1989, 298, 300. 6 4 ? So wohl H.P. Westermann in Erman BGB, § 717, Rdn. 1; in dieser Richtung auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 21. 635

Siehe oben S. 171 ff.

238

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

person einer OHG bestellter Wirtschaftsberater ein Stimmrecht (nur) zur Auflösung einer Patt-Situation besaß636. In diesem Fall erscheint zwar schon zweifelhaft, ob dem Wirtschaftsberater ein echtes Stimmrecht eingeräumt wurde 637 , oder ob es sich nicht in Wirklichkeit um eine Schiedsklausel im Sinne von § 317 I BGB handelte. Aber selbst, wenn man ein Stimmrecht bejaht, was zwangsläufig zu einer Reduzierung der Stimmkraft der Gesellschafter und damit zu einer „Abspaltung" führt, ist die Zulässigkeit anzuerkennen638. Denn der Wirtschaftsberater entscheidet ausschließlich zur Auflösung von Patt-Situationen, also in Einzelfällen und kann sowohl jederzeit von den Gesellschaftern abberufen als auch einstimmig oder mit vertragsändernder Mehrheit „überstimmt" werden, wenn seine Entscheidung von den Gesellschaftern nicht akzeptiert wird 639 . Er besitzt nicht die Möglichkeit, „seine" Entscheidung rechtlich durchzusetzen. Aus der Sicht der Gesellschafter besteht an seinem Urteil jedoch ein berechtigtes Interesse, denn diese Alternative der Patt-Auflösung ist zweckmäßiger als „Würfeln oder Münzewerfen". Falls man in dieser Gestaltung eine Stimmrechtsabspaltung erblickt, welche einem Dritten einen punktuellen Einfluß auf die Geschicke der Gesellschaft verschafft, wäre die Durchbrechung des Abspaltungsverbotes berechtigt. Die zweite Schutzrichtung von § 717 S. 1 BGB zielt auf den Individualschutz. Danach soll jeder Gesellschafter zumindest die für seine Rechtsstellung wesentlichen Beschlüsse selbstbestimmt treffen, um nicht in eine übermäßige Abhängigkeit von Dritten, z.B. den anderen Gesellschaftern zu geraten 640 . Ein vollständiger Stimmrechtsausschluß und damit eine Abspaltung erscheint jedoch bei der Komplementär-GmbH einer KG, jedenfalls bei Personengleichheit der Gesellschafter, unbedenklich641. Ihr Selbstbestimmungsrecht ist grundgesetzlich nicht geschützt, so daß auch zugunsten der hinter ihr stehenden Gesellschafter ein größeres Maß an Privatautonomie besteht. Die zwingende Einräumung wäre reine Förmelei, welche darüber hinaus ein vorhandenes Machtungleichgewicht in der KG noch dadurch verstärken würde, daß sich die Mehrheit in der GmbH eine zusätzliche Stimme in der KG verschafft 642.

636

BGH NJW 1960, 963.

637

So K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 497 f.

638

Ablehnend Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 33.

639

BGH BB 1970, 226.

640

Siehe oben S. 172 f., siehe auch den Ansatz in BGHZ 20, 363, 368 ff.

641

So ausdrücklich BGH NJW 1993, 2100.

642

BGH NJW 1993, 2100, 2101.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

239

Dagegen stellt sich ein Stimmrechtsausschluß bei schenkweiser Überlassung eines OHG-Anteils als problematisch dar, weil die Haftung selbst dann in Kraft gesetzt wird, wenn der Anteil nach gesonderter Vereinbarung jederzeit zurückgefordert werden kann 643 . Dies gilt auch für einen „angestellten Komplementär" ohne Einlage und Stimmrecht 644. Der Kreis der tatsächlichen Konstellationen, in denen eine Durchbrechung des Abspaltungsverbotes mit seinem Schutzzweck vereinbar ist, erweist sich damit als sehr klein 645 . Gegen die Zulassung des Abspaltungsverbotes sprechen darüber hinaus Ordnungsgesichtspunkte des Gesellschaftsrechts. Praktischen Bedürfnissen auf Einflußnahme und Interessenwahrung kann und muß auf andere Weise durch schuldrechtliche Vereinbarungen genügt werden 646 , welche ein Unterlaufen der Schutzzwecke vermeiden. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf den Erhalt der Selbstbestimmung. Denn selbst wenn man eine Durchbrechung des Abspaltungsverbotes und damit die Wirksamkeit von Stimmrechtsübertragung und Stimmrechtsausschluß zuläßt 647 , ist zu berücksichtigten, daß gerade im Bereich des Individualschutzes in vielen Fällen eine Unwirksamkeit nach § 138 I BGB eintreten wird. Im Rahmen seiner Anwendung stellt § 717 S. 1 BGB wiederum eine Bewertungsregel dar. Die Auffassung von Wiedemann648 und H. Westermann 649, die Mitgliedschaftsrechte seien nicht „sonderrechtsfähig", erscheint deshalb als zu eng. Die hier vertretene mangelnde Verfügungsbefugnis aus Gründen der insoweit beschränkten Privatautonomie führt allerdings im Ergebnis dicht an die Auffassung von Wiedemann, H.P. Westermann und H. Westermann heran, läßt jedoch in wenigen, im Hinblick auf die Schutzrichtung von § 717 S. 1 BGB unbedenklichen Ausnahmefällen Durchbrechungen von dem im übrigen zwingenden Abspaltungsverbot zu.

643

So auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn 21; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 226. 644

A.M. wohl Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7, 6.

645

Im Ergebnis auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 15, 17 f., 21.

646

Ähnlich auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 21.

647

Martens in Schlegelberger HGB V, § 109, Rdn. 13 ff.; Schilling in Großkomm. HGB, § 161, Rdn. 34 ff.; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 20 ff.; H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 25; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 16 ff.; Erman in FS Nipperdey (1965), S. 277, 285; Möhring in Jur.-Jb 1966/67, S. 123, 134. 648

Wiedemann, Übertragung, S. 283 ff.; in dieser Richtung auch J. Schröder, ZGR 1978, 578,

592 ff. 649

H. Westermann, Handbuch der Personengesellschaften I, Rdn. 321 a.E.

240

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

bb) Damit schließt sich die Frage an, ob tatsächlich ein praktisches Bedürfnis existiert, vom zwingenden Charakter des Abspaltungsverbotes abzuweichen 650 . Das legitime Interesse eines Treugebers, Pfandgläubigers, Nießbrauchers, Testamentsvollstreckers oder Berechtigten aus einem Stimmbindungsvertag soll nicht infragegestellt werden. Zur Wahrung ihrer Interessen ist dazu eine Durchbrechung des Abspaltungsverbots allerdings grundsätzlich nicht notwendig. Die Rechtsprechung läßt entsprechende schuldrechtliche Alternativen wie z.B. eine Stimmrechtsvollmacht oder eine Stimmbindung zu 651 . Diese Rechtsinstitute sind ausreichend, um den Interessen der Bevorrechtigten Genüge zu tun, ohne in die Mitverwaltungsrechte des betroffenen Personengesellschafters selbst einzu-greifen. Der Gesellschafter verbleibt jedoch Inhaber des Stimmrechts und behält beim Stimmbindungsvertrag die Möglichkeit abweichender Stimmabgabe. Von einem etwaigen Mißbrauch ist der Dritte durch Ansprüche auf Schadenersatz oder Vertragsstrafe geschützt, soweit seine Weisung nicht treuwidrig war. Eine weitergehende Bindung erscheint beim Pfandgläubiger und beim Nießbraucher, die lediglich Anspruch auf die Vermögensrechte des Gesellschafters erheben können, auch nicht notwendig. Vor dem Hintergrund, daß sie in die Sphäre der Gesamthand einwirken würden, an der andere persönlich Haftende beteiligt sind, ist dem Selbstbestimmungsrecht der Gesellschafter der Vorzug zu geben. Insbesondere ist kein Bedürfnis zur Einwirkung auf den Gesellschaftsvertrag erkennbar. In Ausnahmefällen kann der gebundene Gesellschafter aus dem Schuldverhältnis nach Treu und Glauben verpflichtet sein, einem bestimmten Beschluß zuzustimmen oder ihn zu unterlassen. Etwas anderes gilt lediglich im Konkursfall, in dem die Individualrechte von übergeordneten und gesetzlich geregelten öffentlichen Interessen überlagert werden. Beim Treuhandverhältnis ist jedenfalls bei Personengesellschaften zu berücksichtigen, daß der Treunehmer als Gesellschafter - unabhängig von einer Freistellungserklärung - entweder persönlich haftet oder als Kommanditist im Einzelfall in die Situation der persönlichen Haftung geraten kann. Aus diesem Gesichtspunkt heraus wird man dem Treugeber als „wirtschaftlichen Gesellschafter" zwar eine weitgehende Stimmbindung oder Stimmrechtsvollmacht, jedoch keine abspaltende Stimmrechtsübertragung zubilligen können. Dem Treunehmer als allein mit dem Haftungsrisiko Belasteten muß die Möglichkeit verbleiben, sich durch ein eigenes

650 So H.P. Westermann in Erman BGB, § 717, Rdn. 1; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 455 ff.; Reuter, ZGR 1978, 633, 634 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 29. 651 BGHZ 3, 354, 357 ff.; 20, 363, 364 ff.; 36, 292, 294 ff.; BGH NJW 1970, 468; BGH W M 1987, 689 f.; ZIP 1989, 298, 300.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

241

Stimmrecht und Zustimmungsrecht gegen ihn unmittelbar gefährdende Beschlüsse zu wehren, z.B. einen Beschluß über seine Heraufstufung vom Kommanditisten zum Komplementär oder über die „Umwandlung" der KG in eine OHG oder GbR. Die Tragweite einer Stimmrechtsvollmacht ist deshalb unter Anlegung ähnlicher Kriterien wie beim Bestimmtheitsgrundsatz auszulegen. Sofern sie dann einen bestimmten Beschluß nicht deckt, kann der vollmachtgebende Gesellschafter selbst abstimmen. Eine gleichwohl abgegebene Stimme des Treugebers, Nießbrauchers oder Pfandgläubigers ist von der Vertretungsmacht nicht gedeckt und damit schwebend unwirksam, so daß die Entscheidung beim Gesellschafter verbleibt. Im Ergebnis ist damit auch kein praktisches Bedürfnis erkennbar, in den genannten Problemfällen eine Stimmrechtsabspaltung zuzulassen652. Den Interessen der Bevorrechtigten - soweit sie berechtigt sind - kann mit einer Stimmbindung im anerkannt zulässigen Umfang oder mit einer in ihrem Umfang unter Berücksichtigung der Interessen der Mitgesellschafter notwendig weiten Stimmrechtsvollmacht hinreichend genügt werden. Es verbleibt deshalb bei dem Ergebnis, daß eine Abspaltung der Mitverwaltungsrechte, insbesondere des Stimmrechts, grundsätzlich nur in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen zulässig ist. b) Die Fehlerhaftigkeit der Umdeutung der Vertreterklausel in einen Stimmrechtsausschluß Unter Zugrundelegung der Prämisse, daß das Abspaltungsverbot grundsätzlich zwingendes Recht enthält und auch zwischen den Gesellschaftern Wirksamkeit entfaltet, soll im folgenden untersucht werden, ob die Umdeutung der abspaltenden Stimmrechtsvollmacht in einen Stimmrechtsausschluß in der Entscheidung des BGH im 20. Band zutreffend erfolgte. Die Umdeutung eines nichtigen Rechtsgeschäfts nach § 140 BGB dient ebenso wie § 139 BGB der Durchsetzung des mutmaßlichen Willens der Parteien 653 . Der von ihnen erstrebte wirtschaftliche Erfolg soll auch dann verwirklicht werden, wenn sie eine rechtlich unzulässige Gestaltung gewählt haben, aber ein zum annähernd gleichen Ergebnis führender rechtlich zulässiger Weg offensteht 654. In der Entscheidung des BGH im 20. Band 655 müßte der Stimm-

652

In dieser Richtung auch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 21.

653

Palandt/Heinrichs, BGB, § 140, Rdn. 1; Larenz, BGB AT, § 23 III, S. 467 ff.

654

BGHZ 68, 204, 206.

655

BGHZ 20, 363.

16 Lockowandt

242

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

rechtsausschluß als „Ersatzgeschäft" folglich zum wesentlich gleichen Erfolg wie die unwirksame verdrängende Stimmrechtsvollmacht an die Komplementäre geführt haben. aa)Dies war im Ergebnis grundsätzlich der Fall, denn in der Sache ging es darum, ob der klagende Kommanditist sein Stimmrecht beim Gewinnverwendungsbeschluß zukünftig wieder unmittelbar selbst ausüben durfte oder ob zwingend eine Vertretung der Kommanditisten seiner Familie durch den „Komplementär der Familie" zu geschehen hatte. Eine sog. „Vertreterklausel" wird von der Rechtsprechung als zulässig anerkannt 656 . Sie kann insbesondere bei einer KG mit einer Vielzahl von ErbenKommanditisten, die dem Unternehmen oft fremd gegenüberstehen, im Interesse eines geregelten Geschäftsgangs zweckmäßig sein, weil die Geschäftsführer sich nur noch mit einem Vertreter anstatt mit einer Gruppe, in der vielfältige Meinungen und Interessen vertreten werden, auseinandersetzen 657 . Eine Vertreterklausel beinhaltet jedoch - sofern sich aus dem Gesellschaftsvertrag nichts Gegenteiliges ergibt - nicht nur das Verbot der persönlichen Wahrnehmung des Stimmrechts, sondern im Zweifel auch das Gebot der einheitlichen Ausübung. Die beabsichtigte Erleichterung des Geschäftsgangs wird nur dann erreicht, wenn der Vertreter nicht nur ein Bündel verschiedenster Interessen vertritt - wodurch er im übrigen leicht in Schwierigkeiten oder Interessenkonflikte gerät - sondern sich die Kommanditisten in irgendeiner Weise auf eine einheitliche Auffassung einigen 658 . Die Kommanditisten üben ihr Stimmrecht dann nicht mehr unmittelbar gegenüber der Gesellschaft aus, sondern entweder wird in einer Vorabstimmung unter den vertretenen Kommanditisten ggf. mit Mehrheit eine einheitliche Auffassung ermittelt 659 , oder sie überlassen - soweit dies zulässig ist - dem Vertreter die Entscheidung, welche er nach pflichtgemäßem Ermessen treffen muß 660 . Es dürfte darüber hinaus auch nicht zu beanstanden

656

BGHZ 20, 363, 364 f.; 46, 291, 294 ff.; zustimmend A. Hueck, ZHR 125 (1963) S. 1 ff.; K. Schmidt, ZHR 146 (1982) S. 525, 530 if.; ders., Gesellschaftsrecht, S. 510 f.; Wiedemann, Übertragung, S. 385 ff.; ders., Gesellschaftsrecht I, S. 371 f.; Immenga, ZGR 1974, 385, 392 ff.; Michalski, S. 171 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 15 ff.; R. Fischer in LM Nr. 7 zu 161, 119 HGB; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 344 ff.; ders. in Erman BGB, § 709, Rdn. 24 ff.; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 222 ff. 657

BGHZ 46, 291,293.

658

BGHZ 46, 291, 293 f.

659

Vgl. R. Fischer, LM Nr. 7 zu §§ 161, 119 HGB; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 371 f.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 15 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 399 ff.; Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 82; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 512 f.; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 224 f. 660 Immenga, ZGR 1974, 385, 399 ff.; Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 88; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 224 f.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

243

sein, wenn der Vertreter in der Gesellschaft unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Vertretenen stimmt und die schwebende Unwirksamkeit durch eine kurzfristig danach erfolgende Abstimmung unter den Kommanditisten beendet wird. Im einzelnen bestehen im Schrifttum über die Grenzen der Zulässigkeit der Vertreterklausel erhebliche Meinungsverschiedenheiten 661, jedoch im wesentlichen Einigkeit darüber, daß die Abberufung des Vertreters ohne wichtigen Grund nicht durch ein einzelnes Mitglied, sondern nur durch die vertretene Gruppe insgesamt erfolgen kann, um in der Praxis die Durchführbarkeit der Vertretungsregelung überhaupt sicherzustellen. Da die Kommanditisten in der Untergruppe stimmberechtigt bleiben, den Vertreter anweisen und ihn notfalls abberufen können - und nur unter diesen Voraussetzungen ist die Vertreterklausel von der Rechtsprechung anerkannt worden - liegt keine Abspaltung des Stimmrechts vor, sondern es bleibt der Substanz nach voll in der Hand der Kommanditisten662. Insoweit besteht ein deutlicher Unterschied zu der in § 18 I GmbHG vorausgesetzten Konstellation, daß ein Geschäftsanteil einer ungeteilten Erbengemeinschaft zusteht. Deren Mitglieder werden nicht jeweils selbst Gesellschafter. Dort soll nur eine einheitliche Stimmabgabe für einen einzelnen Geschäftsanteil sichergestellt werden. Im Ergebnis hat der BGH im 20. Band dem klagenden Kommanditisten allerdings mehr genommen als nötig war, denn der vollständige Stimmrechtsausschluß führte nicht nur zu dem beabsichtigten und wohl auch zutreffenden Ergebnis, daß er den Vertreter nicht ohne die Mitwirkung der anderen ordentlich abberufen konnte, sondern daß er von jeglicher Mitwirkung an Abstimmungen in der Untergruppe ausgeschlossen war. Das Stimmrecht der Kommanditisten sollte nach Auffassung des BGH den Komplementären nicht zur Ausübung überlassen werden 663, sondern unter gleichwertiger Erhöhung des Stimmrechts der Komplementäre ausgeschlossen sein 664 , womit wiederum eine echte Stimmrechtsabspaltung vorlag. Der BGH unterlag insoweit einem Zirkelschluß. Außerdem kann eine langfristige Stimm-

661 Vor allem im Hinblick auf das Rechtsverhältnis der Untergruppe, den Umfang der Weisungsfreiheit und der Reichweite der Vertreterklausel im Hinblick auf den Individualschutz, insbesondere bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages, vgl. hierzu Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 79 ff.; K. Schmidt, ZHR 146 (1982), S. 525 ff.; Wiedemann, Übertragung, S. 385 ff.; A. Hueck, ZHR 125 (1963), S. 1 ff.; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 222 ff. 662

BGHZ 46, 291, 295 ff.

663

Was in der Literatur unzutreffenderweise so dargestellt wird, vgl. Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 22; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 9. 664

16*

BGHZ 20, 363, 369 f.

244

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

rechtsvollmacht, wie jedes Dauerschuldverhältnis, nach § 242 BGB zumindest aus wichtigem Grunde gekündigt bzw. entzogen werden. Demgegenüber besteht der Stimmrechtsausschluß „auf ewig" und kann weder aus wichtigem Grund „gekündigt" werden noch wird er hinfällig, wenn der bevollmächtigte Komplementär verstirbt oder ausscheidet. Des weiteren bliebe die Kommanditbeteiligung auch im Falle ihrer Veräußerung oder Vererbung stets stimmrechtslos, während die schuldrechtliche Vollmacht in diesen Fällen erlischt bzw. leerläuft. Bei einer Umdeutung darf das „Ersatzgeschäft", d.h. hier die Vertreterklausel, in seinen rechtlichen Auswirkungen zwar grundsätzlich hinter dem nichtigen Geschäft zurückbleiben 665 und auf diese Weise z.B. eine Anfechtung in eine Kündigung oder einen Rücktritt umgedeutet werden 666. Dies gilt jedoch nicht in entgegengesetzter Richtung. Das Ersatzgeschäft kann nämlich in seinen Rechtsfolgen nicht über das nichtige Geschäft hinausgehen, da sonst zumindest eine Partei schlechter gestellt wird, als es ihrem mutmaßlichen Willen entspricht 667. Die Umdeutung der unwiderruflichen verdrängenden Stimmrechtsvollmacht in einen vollständigen Stimmrechtsausschluß war aus diesem Grunde rechtsfehlerhaft. Sie hätte vielmehr, wie vom BGH später auch praktiziert 668 , in eine (zugunsten der vertretenen Gruppe) widerrufliche Vollmacht umgedeutet werden müssen. Der klagende Kommanditist hätte auch in diesem Fall den Vertreter nicht alleine abberufen bzw. ihm die Vollmacht für sich selbst entziehen können. Ob die Kommanditisten den vorausgegangenen, vom Komplementär gefaßten Gewinnverwendungsbeschlüssen zugestimmt haben, hätte sich anhand ihres Verhaltens als konkludente Willenserklärung ermitteln lassen. Ob eine in Vertretung erfolgte Stimmabgabe nach pflichtgemäßem Ermessen, d.h. ohne vorherige Weisung oder Abstimmung der Kommanditisten zulässig ist, hätte der BGH im Lichte des Bestimmtheitssatzes auslegen können, nach dem jedenfalls bei Geschäftsführungsbeschlüssen und Beschlüssen über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten die Einführung des Mehrheitsprinzips und damit der Verzicht auf eine absolute Mitwirkung eines jeden Gesellschafters möglich ist 669 . Es spricht deshalb einiges dafür, angesichts der für diese Beschlüsse im Vordergrund stehenden Treuepflicht auch eine Ausübung des Stimmrechts durch den Vertreter beim Gewinnverwendungsbeschluß ohne vorherige Weisung zuzulassen.

665

Palandt/Heinrichs BGB, § 140, Rdn. 6; Hefermehl in Soergel/Siebert BGB, § 140, Rdn. 4.

666

BGH NJW 1975,1700; OLG Hamm, VersR 1981, 275.

667

BGHZ 19, 275; BAG DB 1975, 214.

668

BGHZ 46, 291,294 ff.

669

Vgl. nur Martens in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 17 ff. m.w.N.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

245

bb)Die Umdeutung war unabhängig vom Verstoß gegen das Abspaltungsverbot noch aus einem weiteren Grunde fehlerbehaftet. Denn das Unterstellen eines mutmaßlichen Willens scheidet dann aus, wenn ein wirklicher Parteiwille festzustellen ist und dieser dem „Ersatzgeschäft" zuwiderläuft 670 . Nach den für den BGH bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ging es den Gesellschaftern ersichtlich nicht um die Schaffung stimmrechtsloser Kommanditanteile im Wege einer Stimmkraftverlagerung auf die Komplementäre 671. Die Kommanditisten wollten also in irgendeiner Form an der gemeinsam zu treffenden Entscheidung beteiligt werden und das nicht erst bei Beschlüssen, welche in den Kernbereich ihrer Gesellschafterrechte eingreifen. Um weitere Tatsachen für die Zielrichtung des hypothetischen Parteiwillens ermitteln zu können, hat der BGH den Rechtsstreit auch nicht endgültig entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen 672. cc) Im Ergebnis war die Umdeutung des BGH und damit die Begründung für die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses - jedenfalls aus heutiger Sicht - fehlerhaft. Der BGH ist insofern von der herrschenden Meinung im Schrifttum falsch verstanden worden. Es ging ihm ausschließlich darum, grundsätzlich die Zulässigkeit einer Gruppenvertretung aufzuzeigen und deutlich zu machen, daß bei einer vereinbarten Vertreterklausel jedenfalls einem einzelnen Mitglied nicht das Recht zustehen kann, ihre Durchführung durch einen einseitigen Entzug der Vertretungsmacht oder die Abberufung des Vertreters ohne wichtigen Grund zu verhindern. Dies kommt sehr deutlich in der Anmerkung des seinerzeitigen Vorsitzenden des II. Senats Fischer in der Entscheidungsrezension bei Lindemeier-Möhring zum Ausdruck, nach der einer Vertreterklausel aus Gründen der Zweckmäßigkeit grundsätzlich nicht die Wirksamkeit versagt werden sollte 673 . Nachdem aufgezeigt wurde, daß sowohl der vom BGH gewählte Weg der Umdeutung der unwirksamen Stimmrechtsvollmacht rechtsfehlerhaft beschritten wurde als auch eine Durchbrechung des Abspaltungsverbotes rechtlich nicht notwendig war, um den konkreten Fall der Vertreterklausel zu lösen, muß davon ausgegangen werden, daß die Entscheidung im 20.

670

BGHZ 19, 274; BGH NJW 1971, 420.

671

BGHZ 20, 363, 364 f.

672

BGHZ 20, 363, 370 f.. Das OLG Karlsruhe (Urteil vom 13.12.1957, 7 U 134/56, unveröffentlicht) entschied den Fall nach erneuter Beweisaufnahme, bei der auch neue Erkenntnisse gewonnen werden konnten, unter Befolgung der Rechtsauffassung des BGH. Allerdings deuten manche Ausführungen und die Kostenquote mit 3A zu Lasten der beklagten KG, weil der Kommanditist aufgrund der Einschränkung in weit größerem Umfang obsiegt als verloren habe, darauf hin, daß das OLG an der Rechtsauffassung des BGH, der Stimmrechtsausschluß verstoße nicht gegen das Abspaltungsverbot, zweifelte. 673

R. Fischer in L M Nr. 7 zu §§ 161. 119 HGB.

246

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Band einen Ausreißer innerhalb der ständigen Rechtsprechung des BGH zum Abspaltungsverbot darstellt, welches grundsätzlich umfassend gilt 6 7 4 . c) Die Grenze der zulässigen Stimmkraftminderung Der BGH wies allerdings im 20. Band auf einen weiteren Aspekt hin, der in diesem Zusammenhang nicht zu vernachlässigen ist. Die Gesellschafter haben im Rahmen der Vertragsfreiheit das Recht, von dem für das Mehrheitsprinzip geltenden Grundsatz der Bemessung nach Köpfen in zwei Richtungen abzuweichen. Erstens können sie überhaupt einen anderweitigen Maßstab, z.B. die Höhe der Gesellschaftsanteile oder der Hafteinlagen vereinbaren, und zweitens die Stimmkraft abweichend von diesem grundsätzlichen Maßstab regeln, indem sie bestimmten Mitgliedern ein erhöhtes Stimmrecht einräumen, womit zwangsläufig die Verminderung der Stimmkraft der übrigen verbunden ist 675 . Im letztgenannten Fall stellt sich die Frage, ob das Abspaltungsverbot, welches nach Auffassung einzelner Autoren nur für die rechtsgeschäftliche Übertragung außerhalb des Gesellschaftsvertrages gelten soll 676 , auf diesem Wege umgangen werden darf, genauer gesagt, ob die Vertragsfreiheit im Rahmen der §§ 709 I I BGB, 119 II, 161 I I HGB eine Stimmkraftreduzierung auf Null erlaubt. Diese Frage wird in der Literatur selten systematisch im Zusammenhang mit der Stimmkraftbemessung nach den §§ 709 I I BGB, 119 I I HGB behandelt und wenn, dann unter pauschalem Hinweis auf die Entscheidung BGHZ 20, 363 kritiklos 677 bejaht, weil der Stimmrechtsausschluß unter Berufung auf diese anzuzweifelnde Entscheidung als zulässige Durchbrechung des Abspaltungsverbotes angesehen wird 678 . Die immanent gewährte Vertragsfreiheit gilt nur insoweit, als das Gebrauchmachen von ihr nicht gegen gesetzliche Vorschriften oder wesentliche Rechte Dritter verstößt. Sieht man das Abspaltungsverbot des § 717 S. 1 BGB als zwingend an, verstößt auch eine Stimmkraftreduzierung auf Null gegen dieses Verbot und ist nichtig, weil die Vertragsfreiheit eine derartige Regelung aus Rechtsgründen nicht zuläßt. Denn das Stimmrecht wird nicht nur für einen

674 Anders wohl die h.M.: Martens in Schlegelberger HGB V, § 109, Rdn. 13 ff.; Schilling in Großkomm. HGB, § 161, Rdn. 34 ff.; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 20 ff.; H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 25; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 16 ff. 675

BGHZ 20, 363, 370.

676

So ausdrücklich R. Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 25.

677

Kritisch, aber ohne nähere Ausführung, wohl nur Schilling in Großkomm. HGB, § 161, Rdn. 37; ausführlich, aber mit anderen Ergebnissen H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 383 ff. 678 Martens in Schlegelberger HGB V, § 109, Rdn. 13 ff.; Schilling in Großkomm. HGB, § 161, Rdn. 34 ff.; ders. in Staub HGB, § 163, Rdn. 29; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 20 ff.; H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 25; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 16 ff.; Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 220 f.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

247

Gesellschafter ausgeschlossen, sondern der Entzug führt denknotwendig zu einem Zuwachs der Stimmkraft bei den Stimmberechtigten. Dies gilt sowohl für den Fall der Erhöhung der Stimmkraft eines einzelnen Mitglieds wie im Fall BGHZ 20, 363 als auch ohne ausdrückliche Zuweisung. Wenn 5 Gesellschafter jeweils eine Stimmkraft von 20% besitzen und einer wird vom Stimmrecht ausgeschlossen, stimmen noch 4 Gesellschafter mit der zwangsläufigen Folge ab, daß ihnen jeweils 25% Stimmkraft zustehen. Anderenfalls würde die Stimme des Ausgeschlossenen stets wie eine Enthaltung wirken. Im Ergebnis liegt deshalb auch beim Stimmrechtsausschluß wirtschaftlich eine echte Übertragung des Stimmrechts, ein Wechsel des Rechtsträgers und damit eine Abspaltung vor, denn nach ständiger Rechtsprechung des BGH kommt es nicht rein formal auf die gewählte Gestaltung, sondern auf den Zweck und die praktische Auswirkung an 679 . Dies gilt auch für die „nicht rechtsgeschäftliche" Übertragung des Stimmrechts auf Mitgesellschafter im Gesellschaftsvertrag 680. Der BGH hat im 20. Band selbst zu erkennen gegeben, daß die Einräumung eines erhöhten Stimmrechts nicht dazu führen darf, daß unter Geltung des Mehrheitsprinzips eine gegen die guten Sitten verstoßende Abhängigkeit der nicht begünstigten Gesellschafter von dem mit vermehrter Stimmkraft ausgestatteten Gesellschafter entsteht681. Eine grenzenlose Vertragsfreiheit herrscht deshalb auch für die durch Vereinbarung erfolgende Verschiebung der Stimmkraft nicht. Für diese Folgerung spricht weiterhin die Rechtsprechung des BGH zur deutlichen Unterbewertung der von einzelnen Gesellschaftern eingebrachten Einlagen, welche bei Verlassen eines sachgerechten Gestaltungsspielraums ebenfalls als sittenwidrig und nichtig bewertet wird 682 . Zwar steht hier primär der Vermögensschutz im Vordergrund. Der Gedanke gilt jedoch gleichermaßen für das Stimmrecht im Falle des Mehrheitsprinzips nach Anteilen 683 . Eine Aussage über den zulässigen Umfang der Stimmkraftbemessung treffen nur das Aktiengesetz und das Genossenschaftsgesetz. Nach § 12 I I S. 1 AktG sind Mehrstimmrechte - vorbehaltlich einer Ministererlaubnis in Ausnahmefällen - unzulässig. Höchststimmrechte können nach § 134 I S. 5 AktG nicht zulasten einzelner Aktionäre geschaffen werden. Soweit eine derartige Stimmkraftreduzierung besteht, gilt sie nach § 134 I S. 6 AktG nicht für Beschlüsse, die eine Kapitalmehrheit erfordern, d.h. für alle Satzungsänderungen und wesentli-

679

BGHZ 3, 354, 359; 20, 363, 364; 36, 293 f.; BGH W M 1987, 70, 71.

680

BGHZ 3, 354; 46, 291, 294 ff.; a.M. Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 221.

681

BGHZ 20, 363, 370.

682

BGH W M 1975, 325, 327; W M 1976, 1027, 1029.

683

Zustimmend Wiedemann, W M 1990, Sonderbeilage Nr. 8, S. 22; wohl auch Ulmer in MüKo BGB, § 709, Rdn. 85.

248

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

chen Strukturmaßnahmen. Eine Stimmkraftreduzierung auf Null ist nach § 23 V AktG ausgeschlossen. Ein ähnlicher Mechanismus findet sich bei der Genossenschaft. Dort sind nach § 43 I I I GenG zwar unter besonderen Voraussetzungen Mehrstimmrechte zulässig. Diese sind jedoch auf höchstens 3 Stimmen beschränkt und gelten nicht für Beschlüsse, die einer qualifizierten Mehrheit bedürfen. Eine abweichende Regelung sieht § 43 I I I S. 7 GenG lediglich für Genossenschaften vor, deren Mitglieder ausschließlich oder überwiegend selbst eingetragene Genossenschaften sind. Dort kann sich das Stimmrecht nach der Höhe des Geschäftsguthabens der Mitglieder richten. Eine Stimmkraftreduzierung auf Null ist hingegen nach § 18 S. 2 GenG unzulässig. Obwohl die Regelungen für die Aktiengesellschaft und die Genossenschaft nicht ohne weiteres auf die Personengesellschaft übertragbar sind, läßt sich für die Stimmkraftbemessung des mitgliedschaftlichen Stimmrechts eine gewisse Tendenz des Gesetzgebers gegen eine Stimmkraftreduzierung auf Null ableiten. Aus dem Vorstehenden folgt, daß der das Stimmrecht abspaltende Stimmrechtsausschluß auch nicht aus dem Gesichtspunkt der Vertragsfreiheit bei der Regelung der Stimmkraft gerechtfertigt ist. Eine Stimmkraftreduzierung auf Null verstößt vielmehr ebenfalls gegen das Abspaltungsverbot 684, denn nach der ständigen Rechtsprechung des BGH kommt es eben nicht auf die formale Gestaltung der Abspaltung, sondern auf den gewünschten Erfolg, d.h. die dinglich wirkende Übertragung des Stimmrechts auf einen anderen Rechtsträger an 685 . Dies gilt auch zwischen den Gesellschaftern 686. Bei der Stimmkraftverteilung sind der Vertragsfreiheit aus Gründen des Individualschutzes die gleichen immanenten Grenzen gesetzt, wie sie in § 717 S. 1 BGB zum Ausdruck kommen. Eine von der Abstimmung nach Köpfen abweichende Stimmkraftregelung setzt gedanklich eine andere sachgerechte Verteilung voraus und soll nicht die Abspaltung ermöglichen. Eine Durchbrechung der grundsätzlichen Geltung des Abspaltungsverbotes kann - wenn überhaupt - nur bei überwiegendem berechtigten Interesse der Stimmberechtigten und einer Wahrung der Interessen der vom Stimmrecht Ausgeschlossenen zugelassen werden 687. Dies gilt, wie der BGH selbst ausführt, einschränkungslos auch für kapitalistisch organisierte Personengesellschaften 688.

684

Zustimmend Comes, DB 1974,2189,2240.

685

RG JW 1927, 1139; RG Warn. 1935, 174; BGHZ 3, 354, 358 f.; 20, 363, 365; 36, 292, 293 ff.; 43, 261, 267; 46, 291, 296; BGH W M 1987, 70, 71; ZIP 1989, 298, 300. 686

BGHZ 46, 291, 294 ff.

687

Tendenziell so auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390.

688

BGHZ 20, 363, 364.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

249

Damit ergibt sich unter diesem Aspekt keine andere Bewertung des in BGHZ 20 6 8 9 als wirksam erachteten Stimmrechtsausschlusses. Der BGH hätte das Abspaltungsverbot beachten müssen, so daß der Entscheidung in der Begründung nicht zu folgen ist. Der herrschenden Meinung in der Literatur, welche den Stimmrechtsausschluß aufgrund dieses Urteils als zulässige Durchbrechung des Abspaltungsverbotes bewertet 690, kann ebenfalls nicht gefolgt werden, weil regelmäßig Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, welche eine Beachtung des Abspaltungsverbotes erlauben 691. IV. Die starre Begrenzung des Stimmrechtsausschlusses (zu D I . Nr. 3) Aus den Feststellungen, daß der Stimmrechtsausschluß engeren Grenzen als die Zulässigkeit des Mehrheitsprinzips unterliegt, weil er im Hinblick auf das grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmungsrecht zu einer echten Fremdbestimmung führt 692 und daß das Stimmrecht nicht von der Mitgliedschaft abgespalten werden darf 693 , folgt als Schlußfolgerung, daß die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses starren Grenzen unterliegen muß 694 . Der herrschenden Meinung, die den Stimmrechtsausschluß dagegen flexibel, also entweder

689

BGHZ 20, 363, 365 ff.

690

Martens in Schlegelberger HGB V, § 109, Rdn. 13 ff.; Schilling in Großkomm. HGB, § 161, Rdn. 34 ff.; ders. in Staub HGB, § 163, Rdn. 29; Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 717, Rdn. 20 ff.; H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 25; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rdn. 16 ff. 691 Keinen Verstoß gegen das Abspaltungsverbot bedeutet eine Vertreterklausel. Soweit zwischen den Kommanditisten eine entsprechende Willenseinigung herrscht, besteht zwischen ihnen eine BGB-Gesellschaft (BGHZ 46, 291, 295; zustimmend Immenga, ZGR 1974, 385, 395 f.; Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 82), bei der das Stimmrecht jedoch nicht dem Gesamthandsvermögen angehört. Im Ergebnis liegt dann ein unfreiwilliger Stimmenpool vor. Läßt sich eine gemeinsame Zweckverfolgung nicht erkennen, liegt ein Gemeinschaftsverhältnis i.S.v. § 741 BGB vor (so zurecht K. Schmidt, ZHR 146 (1982) S. 525, 540 ff.; ders. in Gesellschaftsrecht, S. 513, Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 82), ohne daß jedoch die Stimmrechte der Einzelnen zum „Gesamteigentum" werden. Nehmen die Kommanditisten eine Vorabstimmung vor, handelt es sich im Ergebnis um eine reine Stimmkraftregelung, denn die einzelne Stimme erhält, je nachdem, ob sie mit der oder gegen die Mehrheitsmeinung unter den Kommanditisten ausgeübt wird, ein höheres oder ein geringeres Gewicht als bei einer Abstimmung direkt in der Gesellschafterversammlung, weil die Vertretenen ihre Stimmen einheitlich ausüben. Das Stimmrecht an sich verbleibt in beiden Varianten bei den Gesellschaftern und wird nicht abgespalten. Beim Testamentsvollstrecker besteht eine Privilegierung des Erbrechts und des Willens des Erblassers. Beim Nießbrauch dürfte nur eine Stimmrechtsbindung vereinbart werden. Beim Pfandrecht an einem GmbH-Anteil und bei der Treuhand wird das gesamte Mitgliedschaftsverhältnis von den Rechten des Gläubigers bzw. Treugebers, die wirtschaftlich Gesellschafter sind, überlagert (vgl. dazu Martens in Schlegelberger HGB V, § 109, Rdn. 13 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 29; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 455 ff.). 692

Siehe oben S. 163 ff.

693

Siehe oben S. 170 ff.

694

So zurecht Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6; in der Tendenz auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390.

250

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

einzelfallorientiert bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit zulassen695 oder in Abhängigkeit von der Realstruktur katalogmäßig für besonders intensiv in die Rechtsstellung der einzelnen Mitglieder eingreifende Beschlüsse ausschließen will 6 9 6 , kann deshalb nicht zugestimmt werden. Die starre Begrenzung ist im Sinne der Rechtssicherheit notwendig, um bereits vor der Abstimmung die eindeutige Feststellung zu ermöglichen, wer mitstimmen darf. Zum anderen würde eine flexible Bestimmung dazu führen, daß ein Gesellschafter heute vom Stimmrecht ausgeschlossen, ein halbes Jahr später jedoch für dieselbe Entscheidung stimmberechtigt ist, weil sich die Rahmenbedingungen geringfügig verschoben haben. Dies wird dem Stimmrecht als wichtigstem Selbstbestimmungsrecht nicht gerecht. Bei der starren Begrenzung ist im Grundsatz davon auszugehen, daß der Stimmrechtsausschluß wegen des Abspaltungsverbotes nur im Rahmen der gesetzlich zugelassenen Möglichkeiten, d.h. vor allem im Bereich der Geschäftsführung zulässig und im übrigen unzulässig ist. Die Wertung, daß das Stimmrecht zwingend zur Voll-Mitgliedschaft 697 gehört und deshalb nicht ausgeschlossen werden darf, findet sich im gesamten Gesellschaftsrecht. Ein Stimmrechtsausschluß ist auch bei allen anderen Gesellschaftsformen unzulässig. Bei der Genossenschaft steht nach den §§ 43 I I I S. 1, 18 S. 2 GenG jedem Genossen ein Stimmrecht zu. Ausnahmen sind gesetzlich nicht zugelassen. In der Aktiengesellschaft gewährt jede Aktie nach den §§ 12 S. 1, 23 V AktG zwingend das Stimmrecht. Vorzugsaktien nach §§ 12 S. 2, 139 ff AktG, die eine Kompensation für den Stimmverlust garantieren, bilden - unabhängig vom Vorliegen einer gesetzlichen Ausnahme vom Abspaltungsverbot- nur bedingt eine Ausnahme von diesem Grundsatz und können bei der Gesamtbetrachtung vernachlässigt werden 698 . Bei ihnen bleibt das Stimmrecht latent vorhanden und lebt gem. § 140 I I AktG in vollem Umfang wieder auf, wenn der Vorzugsbetrag als adäquate Gegenleistung länger als ein Jahr nicht gezahlt wird. Darüber hinaus dürfen nach § 139 I I AktG nur 50% des Grundkapitals als Vorzugsaktien ausgestattet werden. Eine Abspaltung des Stimmrechts findet jedoch nicht statt, zumal den Aktionären regelmäßig das Recht zusteht, daneben auch Stammaktien mit vollem Stimmrecht zu erwerben. Bei den Vorzugsaktien

695

BGHZ 20, 363, 369 f.; Baumbach/Duden/Hopt HGB, § 119, Anm. 2 D; Fischer in Großkomm. HGB, § 119, Rdn. 23; A. Hueck, OHG, S. 169; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 194. 696 Hume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 217 ff.; Immenga, ZGR 1974, 385, 415 ff.; RGRK- v. Gamm BGB, § 709, Rdn. 12; Martens, DB 1973, 413, 417; ders. in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 37 f.; Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 58; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 387; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25. 697 Der Begriff ist hier als Gegensatz zur passiven oder assoziierten Mitgliedschaft im Verein und zur entziehbaren Mitgliedschaft in der Aktiengesellschaft bis zur vollständigen Einlageerbringung zu verstehen. 698

So auch Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 370.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

251

handelt es sich außerdem um ein Finanzierungsinstrument besonderer Art, welches der Gesellschaft die Zuführung von Kapital ohne die Gefahr einer Überfremdung oder einer übermäßig starken Mehrheitsblockbildung erlaubt 699 . Die Zulassung von Vorzugsaktien liegt in der Struktur der Aktiengesellschaft begründet, deren Kapital von der Vorstellung des Gesetzgebers her breit gestreut werden sollte und deren Anteile fungibel sind. Diese Situation ist mit derjenigen in der Personengesellschaft, bei der die Fungibilität nicht gegeben ist und bei der jedes weitere Mitglied nur aufgrund eines Aufnahmevertrages eintreten kann, nicht vergleichbar. Selbst § 134 I I S. 1 AktG, nach dessen Vorschriften das Stimmrecht erst mit vollständiger Einlage beginnt, läßt keine Abspaltung zu. Die Vorschrift enthält vor dem Hintergrund des § 134 I S. 1 AktG, nach dem das Stimmrecht nach Aktiennennbeträgen ausgeübt wird, eine Stimmkraftregelung für die Zeit, in der die Aktien noch nicht vollständig eingezahlt worden sind. Dies wird besonders an § 134 I I S. 2-5 AktG deutlich, nach denen abweichende Regelungen möglich sind, z.B. daß die Aktien schon bei Leistung der gesetzlichen Mindesteinlage von einem Viertel des Nennbetrages mit vollem Stimmrecht ausgestattet werden können. Die Abhängigkeit von Stimmkraft und Einlageerbringung muß weiterhin im Zusammenhang mit den §§ 63 ff AktG gesehen werden, welche einen Ausschluß säumiger Aktionäre ermöglichen. Sie besitzen während dieses Zeitraums eine entziehbare Mitgliedschaftsstellung. Vergleichbare Regelungen über eine Kaduzierung gelten für die GmbH 700 . Das GmbH-Gesetz sieht einen Stimmrechtsausschluß ebenfalls nicht vor. Abweichendes ist bislang auch von der Rechtsprechung nicht entschieden worden. In BGHZ 14, 264 wurde der Stimmrechtsausschluß ausschließlich für Geschäftsanteile zugelassen701. Es handelte sich, da den Gesellschaftern jeweils noch ein stimmberechtigter Anteil verblieb, nur um eine Stimmkraftregelung. Stimmberechtigt ist aber der Gesellschafter und nicht der Geschäftsanteil 702, was von der Literatur vielfach übersehen wird. Zwar hat der BGH ausgeführt, auch ein Dritter, der einen der stimmrechtslosen Geschäftsanteile erwerbe, sei noch als Gesellschafter anzusehen703. Mit dem Abspaltungsverbot hat er sich, weil dazu kein Anlaß bestand, jedoch nicht auseinandergesetzt, so daß das Urteil aus heutiger Sicht richtigerweise dahingehend zu ergänzen ist, daß das Stimmrecht des Erwerbers eines stimmrechtlosen GmbH-Anteils aufgrund des Abspaltungsverbotes mit dem Erwerb des Anteils wieder auflebt 704 . Wie Zöllner 699

K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 712.

700

§§ 21 ff. GmbHG.

701

BGHZ 14, 264, 273 f.

702

So zutreffend K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 21.

703

BGHZ 14, 264, 270 ff.

704

Deshalb zurecht kritisch K. Schmidt in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 10, 21; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 397.

252

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

nachgewiesen hat, sind sowohl das Wesen der Mitgliedschaft als auch des Stimmrechts zumindest vergleichbar, wenn nicht sogar identisch 705 . Wenn Stimmrechtsausschluß und Stimmrechtsabspaltung sogar bei den Kapitalgesellschaften 706 unzulässig sind, muß dies zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen erst recht für die Personengesellschaften gelten, in denen eine unmittelbarere Betroffenheit der Gesellschafter und eine persönliche Haftung vorliegen. Die sechste und siebte Kernaussage der Leitentscheidungen zum Stimmrechtsausschluß widersprechen sich deshalb. Die sechste Kernaussage, welche das Verbot der Stimmrechtsabspaltung bestätigt, trifft zu, nicht jedoch die siebte, nach der die stimmrechtslose Beteiligung eines Kommanditisten nicht gegen allgemeine Grundsätze des Personengesellschaftsrechts verstoßen soll. Vielmehr muß von einem im gesamten Gesellschaftsrecht geltenden Grundsatz ausgegangen werden, daß jedem Mitglied, abgesehen von den gesetzlichen Ausnahmen, das Stimmrecht zusteht. 1. Kein Stimmrechtsausschluß bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages Der Stimmrechtsausschluß ist infolge seiner starren Begrenzung insbesondere für Änderungen des Gesellschaftsvertrages unzulässig und zwar sowohl bei persönlich haftenden als auch bei Kommanditgesellschaftern. Insoweit ist der von Schilling und Wiedemann vertretenen Minderheitsmeinung 707 zuzustimmen. Bei derartigen Beschlüssen muß jedem Personengesellschafter grundsätzlich das Recht zur Mitwirkung eingeräumt werden. Dies führt zu der Schlußfolgerung, daß Beiräte unabhängig von einer Beteiligung außenstehender Dritter 708 , Testamentsvollstrecker und Nießbraucher 709 nicht über Änderungen des Gesellschaftsvertrages beschließen können und die Kommanditisten bei

705 Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 11; zustimmend Lutter, AcP 180 (1980) S. 84, 97 f.; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 445 f. 706 Auch für den Verein, bei dem die Regelung des Stimmrechts nach § 40 BGB mit Einschränkungen der Satzungsautonomie unterliegt, sind - soweit ersichtlich - keine obergerichtlichen Entscheidungen ergangen, welche einen Stimmrechtsausschluß zulassen. Vielmehr wird der Bestand des Stimmrechts jedenfalls für Vollmitglieder allgemein vorausgesetzt. Abweichendes gilt lediglich für passive Mitglieder, deren Stimmrecht ruht und für assoziierte Mitglieder, die am Vereinsleben nur eingeschränkt teilnehmen. In beiden Fällen kann nicht von einer Vollmitgliedschaft gesprochen werden, welche selbst beim Kommanditisten und beim „Gesellschafter zweiter Klasse" vorliegt. Lediglich in der Entscheidung KG NJW 1962, 1917 wird der Stimmrechtsausschluß beim Verein grundsätzlich für möglich gehalten. In der Entscheidung, welche im übrigen in der Begründung mißlungen ist, ging es allerdings nicht um einen vollständigen Ausschluß des Stimmrechts, sondern um eine Mediatisierung in Form einer Repräsentativverfassung, bei der die Mitglieder der Bezirksgruppen durch Delegierte vertreten sein sollten. Sie kann folglich nicht zur Begründung des Gegenteils herangezogen werden. 707

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.

708

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 21; Ulmer in Staub HGB, § 109, Rdn. 55; a.M. Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 114 ff. 709

Im Ergebnis so auch Ulmer in Mü-Ko BGB, § 717, Rd. 12.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

253

einer Vertreterklausel ein Weisungsrecht gegenüber dem Vertreter besitzen710, welches nach vorhergehender Abstimmung zu erteilen ist. Stimmbindungsverträge, welche diese Änderungen umfassend und langfristig einbeziehen, können ebenfalls keine Anerkennung im Verhältnis zu natürlichen Personen erfahren, denen insoweit lediglich die Möglichkeit zur einzelfallbezogenen oder aktuellen Stimmbindung verbleibt. a) Das Stimmrecht geht im vollen Umfang auf ein Gerechtigkeitsgebot zurück 711 . Das vollständige Abweichen vom Grundsatz des § 305 BGB, der grundsätzlich einen Änderungsvertrag erfordert, ist selbst im Rahmen der Vertragsfreiheit nicht zuzulassen. Anders als bei der möglichen Vereinbarung einer Mehrheitsentscheidung, bei der die Änderungskompetenz des Einzelnen auf die Gesellschafterversammlung verlagert wird, an deren Willensbildung alle Mitglieder beteiligt sind, wäre der vom Stimmrecht Ausgeschlossene an der Vertragsänderung nicht einmal mehr formal und mittelbar beteiligt, was zu einer Selbstentmündigung führen würde. Im Sinne einer selbstbestimmten Gestaltung des wirtschaftlichen Lebensbereiches ist darüber hinaus die Einbindung aller Gesellschafter auch in eine Mehrheitsentscheidung und damit eine Aufrechterhaltung der Verantwortlichkeit erforderlich. b) Zwar greifen eine Reihe von „einfachen" Änderungen des Gesellschaftsvertrages vordergründig nicht in die persönliche Rechtsstellung ein. Im Einzelfall bestehen jedoch durchaus berechtigte Interessen entweder an der Aufrechterhaltung des Status Quo oder einer anderen als der beschlossenen Alternative, zu deren Gunsten die Stimme des Ausgeschlossenen u.U. den Ausschlag gibt. Handelt es sich z.B. bei der Firma um eine Personenfirma, kann ein legitimes Interesse auch der Erben an der Fortführung ihres Familiennamens bestehen. Vom Sitz der Gesellschaft hängt - eine gute Infrastruktur vorausgesetzt - in manchen Fällen ein Teil der Wettbewerbsfähigkeit ebenso ab, wie die Möglichkeit zur Mitarbeit. Am Geschäftsjahr und den in Abhängigkeit davon erfolgenden Gewinnausschüttungen kann sich die private Lebensfinanzierung, z.B. beim Hausbau, orientieren. Eine Änderung der Formalien oder des Ortes der Gesellschafterversammlung kann in der Praxis die Teilnahme an oder die Vorbereitung auf die Versammlung erschweren. Die Möglichkeit der Mehrheitsentscheidung erscheint ausreichend genug, um den Einfluß kapitalmäßig gering beteiligter Gesellschafter in einem angemessenen Rahmen zu halten. Die herrschende Meinung stellt im übrigen zu sehr auf den Minderheitsaspekt ab. Ihr zufolge wäre es durchaus zulässig, alle Kommanditisten

7 ! ° Immenga, ZGR 1974, 385, 401; K. Schmidt, ZHR 146 (1982) S. 525, 550; A. Hueck, ZHR 125 (1963) S. 1, 20 f.; wohl auch Martens in Schlegelberger HGB V, § 161, Rdn. 88. 711

Sie oben S. 119 f.; zustimmend Comes, DB 1974, 2189, 2244.

254

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

und damit vielleicht 80 - 90% des stimmberechtigten Kapitals von der Mitwirkung an Beschlüssen über „einfache" Änderungen des Gesellschaftsvertrages auszuschließen. Damit wären 10 - 20% der Stimmkraft in der Lage, gegen den Willen der Ausgeschlossenen zu entscheiden, obwohl eine „Gerechtigkeitsgewähr" wohl kaum noch zu bejahen ist. Es erscheint vielmehr interessengerecht, dem wirklichen Willen der Mehrheit und „Gesellschaftseigentümer" zur Geltung zu verhelfen. Anderenfalls läge in manchen Fällen die Gefahr eines „Vertrages zulasten Dritter" nahe. Darüber hinaus dient der Stimmrechtsausschluß ausschließlich den mächtigeren Gesellschaftern 712. Die starre Grenzziehung vermindert die Gefahr der Unfreiwilligkeit des übermäßigen Kompetenzverzichts 713. Es trifft zwar zu, daß gerade in den Personengesellschaften aufgrund der weniger weitgehend als bei den Kapitalgesellschaften ausformulierten gesetzlichen Regelung der Vertragsfreiheit vom Gesetzgeber der größte Gestaltungsspielraum eingeräumt worden ist. Dabei darf jedoch nicht vergessen werden, daß nur dort das Risiko der persönlichen Haftung besteht, und zwar in Ausnahmefällen sogar für die Kommanditisten714. Es bedeutet daher einen Wertungswiderspruch, der Privatautonomie bei Personengesellschaften trotz vorausgesetzter persönlicher Mitarbeit und damit einem unmittelbareren Betroffensein von Veränderungen sowie der persönlichen Haftung einen Spielraum einzuräumen, der deutlich weitergehende Rechtsverkürzungen zuläßt als bei den Kapitalgesellschaften. c) Eine Unzulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses für jegliche Änderung des Gesellschaftsvertrages verhindert letztlich auch die Möglichkeit von Erblassern oder Verkäufern von Gesellschaftsanteilen, zulasten ihrer Nachfolger Mechanismen aufzubauen, welche deren Recht auf Selbstbestimmung übermäßig beeinträchtigen. Im Falle einer Perpetuierung müssen die Neueingetretenen die Gesellschafterstellung in ihrem jeweiligen Bestand übernehmen. Der Gedanke des selbstbestimmten Verzichts auf Mitwirkung und Freiheitsrechte greift bei diesen Personen aber nicht mehr. Ihnen muß deshalb zumindest die Möglichkeit der Mitwirkung an Vertragsänderungen verbleiben, mag sie im Einzelfall auch sehr gering sein. d) Die Unzulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses und das Abspaltungsverbot gelten nur grundsätzlich, weshalb in eng begrenzten Einzelfällen Durchbrechungen und Ausnahmen denkbar sind 715 . Da beide Rechtsinstitute dem In712

Vgl. oben S. 86 ff.

713

So zurecht Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369.

714

Dazu siehe oben S. 170.

715

In dieser Richtung auch H.P. Westermann in Erman BGB, § 717, Rdn. 1; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390; ders. in Scholz GmbHG, 6. Aufl., § 47, Rdn. 21; Comes, DB 1974, 2189, 2240; Emmerich in Heymann HGB, § 119, Rdn. 25; Koppensteiner in Rowedder GmbHG, § 47, Rdn. 21 f.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

255

dividualschutz dienen, müssen sie sich jedoch auf ein überwiegendes berechtigtes Interesse der Mächtigen stützen können und die Interessen der Ausgeschlossenen hinreichend wahren. Bereits oben wurden die vorgreiflichen gesetzlichen Wertungen des Minderjährigenrechts und des Erbrechts angesprochen, nach denen Kinder bei der Abstimmung durch ihren gesetzlichen Vertreter und Erben durch einen Testamentsvollstrecker vertreten werden und damit das Stimmrecht praktisch zumindest zeitweilig von der Mitgliedschaft gelöst wird 716 . Vergleichbares gilt für den Konkursverwalter. Einschränkungen sind weiterhin für den „angestellten Komplementär" denkbar. Insbesondere, wenn er nur auf Zeit Gesellschafter werden soll, beeinträchtigen ihn unwesentliche Änderungen des Gesellschaftsvertrages u.U. so wenig, daß die Interessen der „Altgesellschafter" an alleiniger Änderung dieser Punkte im Einzelfall höher zu bewerten sind. Eine echte Einflußnahmemöglichkeit wird ihm jedoch schon mangels Stimmkraft nicht gegeben sein, was im Ergebnis gegen eine Zulassung der Abspaltung und des Stimmkraftausschlusses spricht. Dem praktischen Bedürfnis nach Wahrung von Einfluß und Interessen stehen mit widerruflicher Stimmrechtsvollmacht und Stimmbindungsverträgen ausreichende Möglichkeiten zur schuldrechtlichen Absicherung zur Verfügung. Auf der anderen Seite muß nämlich seine persönliche Haftung berücksichtigt werden, welche nicht nur theoretisch, sondern wie ein Urteil des BGH zeigt, auch praktisch auftritt 717 . Beabsichtigen die Gesellschafter, seinen Einfluß auf den Gesellschaftsvertrag gänzlich ausschließen, wird man ihnen eine Änderung der Rechtsform in eine GmbH & Co KG oder eine GmbH, um ihn dann als Fremdgeschäftsführer zu bestellen, zumuten können. Insgesamt erscheint damit der Spielraum für berechtigte Abweichungen vom Grundsatz der Unzulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses relativ klein. Letztlich verbleiben den mächtigeren Gesellschaftern mit der weitgehenden Einführung des Mehrheitsprinzips, der Stimmkraftbemessung im Rahmen der §§ 709 I I BGB, 119 I I HGB, der maßvollen Einräumung eines vermehrten Stimmrechts als Sonderrecht, der Einführung einer Vertreterklausel oder eines Beirates, dem Abschluß von Stimmbindungsverträgen und der Vereinbarung von Ausschlußrechten aus sachlichem Grund hinreichende Möglichkeiten der zulässigen Einflußbeschneidung und Wahrung ihrer Interessen.

2. Kein Stimmrechtsausschluß bei grundlagen- und strukturändernden Maßnahmen Zum Bereich der Änderung des Gesellschaftsvertrages zählen ferner die Beschlüsse über Änderungen der Grundlagen und der Struktur der Gesellschaft, z.B. über das Eingehen eines Abhängigkeits- oder Konzern Verhältnisses, den 716

Siehe oben S. 173.

717

BGH W M 1987, 689, 670: Haftung für Kreditverbindlichkeiten in Höhe von DM 4 Mio.

256

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

I

Abschluß von Unternehmens Verträgen, z.B. über die Verpachtung oder Überlassung des gesamten Betriebs, die Ausgliederung wesentlicher Betriebe in eine Tochtergesellschaft 718, den Erwerb von Mehrheitsbeteiligungen, die Aufnahme eines atypischen stillen Gesellschafters 719, sowie über Geschäfte, die außerhalb des Unternehmensgegenstandes liegen 720 und damit den Gesellschaftsvertrag durchbrechen. Auch für diese Beschlüsse kann das Stimmrecht nicht ausgeschlossen werden 721 . Über den zugelassenen Umfang und die Terminologie dieser grundlagen- und strukturändernden Maßnahmen finden sich zwar im Schrifttum erhebliche Differenzierungen 722. Sie werden teilweise als Grundlagengeschäfte bezeichnet, teilweise sogar als außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen eingestuft 723. Entscheidend ist jedoch auf die Auswirkung abzustellen, welche eine Änderung des Gesellschaftsvertrages bedeutet oder ihr zumindest gleichkommt 724 . Anders als bei den Kapitalgesellschaften ist es bei den Personengesellschaften nicht möglich, auf die „formelle Änderung" des Gesellschaftsvertrages abzustellen725. Der Gesellschaftsvertrag und seine Änderung unterliegen hier nämlich weder der Schriftform, noch der Beurkundungspflicht, noch der Anmeldung zum oder Hinterlegung beim Handelsregister 726. Dies gilt insbesondere für den Zweck und den Unternehmensgegenstand, der bei Personengesellschaften nicht in das Handelsregister eingetragen wird. Die Begriffe des Gesellschaftsvertrages und des Gesellschaftszwecks müssen deshalb bei den Personengesellschaften umfassender verstanden werden 727 , was im Schrifttum in Anlehnung an das Kapitalgesellschaftsrecht vielfach übersehen wird. Der Zweck umfaßt vielmehr die gesamte „Geschäftsgrundlage", auf deren Basis sich die Gesellschafter zusammengeschlossen haben und zwar selbst dann, wenn der Gesellschaftsvertrag schriftlich abgefaßt wurde und diesbezüglich keine näheren Angaben macht. 718

Vgl. BGHZ 83, 122 (Holzmüller) sowie ausführlich Herrmann, Jura 1986, 511, 517 ff.

719

Ausführlich Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 5.

720

A.M. Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 3; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1148; zurecht dagegen Martens in Schlegelberger HGB V, § 116, Rdn. 5 f.; dies gilt allerdings nicht für völlig untergeordnete Hilfsgeschäfte. 721 Ebenso Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10; Comes, DB 1974, 2189, 2239 ff.; tendenziell auch K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390. 722 Vgl. nur die im Detail unterschiedlichen Definitionen bei Ulmer in Mü-Ko BGB, § 709, Rdn. 10 ff.; Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 3 ff.; Martens in Schlegelberger HGB V, § 114, Rdn. 5 ff. 723 Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 3; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 1148; zurecht dagegen Martens in Schlegelberger HGB V, § 116, Rdn. 5 f.; dies gilt allerdings nicht für völlig untergeordnete Hilfsgeschäfte. 724 Für Kapitalgesellschaften BGHZ 83, 122 (Holzmüller) und 105, 324 (Supermarkt); zustimmend Martens in Schlegelberger HGB V, § 114, Rdn. 7. 725

So in anderem Zusammenhang aber Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 5.

726

Mit Ausnahme der Anmeldung einer Änderung von Firma, Sitz, Gesellschaftern (§§ 106 II, 107 HGB) und Bezeichnung der Kommanditisten und deren Hafteinlagen (§ 162 HGB). 727

Vgl. dazu oben S. 137 ff.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

257

3. Kein Stimmrechtsausschluß bei sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten Aus der grundsätzlichen Geltung des Abspaltungsverbotes folgt konsequenterweise auch die grundsätzliche Unzulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses bei der Abstimmung über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten, und zwar sowohl für persönlich Haftende als auch für Kommanditisten. Dabei ist der Umfang der betroffenen Beschlüsse kleiner als es auf den ersten Blick erscheint, denn für die prozeduralen Kontroll- und Rechtsschutzrechte darf das Stimmrecht richtigerweise ohnehin nicht ausgeschlossen werden 728 . Es handelt sich hierbei vor allem um die Geltendmachung der Rechte auf Information und Auskunft, die Rechte, deren Geltendmachen einen wichtigen Grund voraussetzt, z.B. die Abberufung der Geschäftsführung 729 sowie um Beschlüsse, bei denen ein anderer Gesellschafter wegen Interessenkollision vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, z.B. bei der Entlastung, der Klageerhebung oder dem Abschluß eines Rechtsgeschäfts. Der Stimmrechtsausschluß ist damit insgesamt lediglich für den Bereich der Geschäftsführung zulässig, für den das Abspaltungsverbot eine gesetzliche Durchbrechung erfährt. Dies gilt aufgrund der Wertung in den §§ 710, 711 BGB, die nicht zwischen gewöhnlicher und außergewöhnlicher Geschäftsführung trennen, trotz aller Bedenken für sämtliche Geschäftsführungsmaßnahmen, so daß auch in den Personenhandelsgesellschaften insoweit ein Stimmrechtsausschluß trotz der entgegenstehenden Differenzierung in den §§ 116, 164 HGB möglich ist 730 . Die Sicherung von Einflußwahrung und Interessenwahrnehmung der mächtigeren Gesellschafter darf deshalb grundsätzlich nur über eine Mediatisierung der Gesellschafterrechte der Übrigen erfolgen, z.B. über die Vertreterklausel oder die Verlagerung bestimmter Zuständigkeiten auf einen Beirat. 4. Keine Ausnahme für persönlich haftende Gesellschafter bei den regelmäßig wiederkehrenden Beschlüssen Während der Stimmrechtsausschluß nach der Auffassung von Wiedemann 731 für persönlich Haftende prinzipiell unzulässig ist, will ihn Schilling 732 für den

728

Siehe oben S. 127, 130.

729

So auch Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 6.

730

Dies gilt nach § 116 III HGB auch für die Erteilung der Prokura, aber auch für die Handlungsvollmacht und die Generalvollmacht (vgl. H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 6), desgleichen für die Vereinbarung der in der Auswirkung einem Darlehn nahe stehenden stillen Gesellschaft (vgl. Hadding in Soergel/Siebert BGB, § 709, Rdn. 10; Schilling in Staub HGB, § 164, Rdn. 3). 731

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368 f.

732

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.

17 Lockowandt

258

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

Bereich der sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten zulassen, soweit nicht die Wahrnehmung der prozeduralen Rechte betroffen wird. Es stellt sich folglich die Frage, ob für die persönlich haftenden Gesellschafter nicht zumindest das Stimmrecht in laufenden bzw. regelmäßig wiederkehrenden Angelegenheiten, z.B. für die Feststellung des Jahresabschlusses, die Gewinnverteilung und die Wahl des Abschlußprüfers ausgeschlossen werden darf 3 3 . Die Überlegung erscheint im Ansatz nicht völlig abwegig. Es handelt sich jeweils um sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten, die der Geschäftsführung nahestehen. Beispielhaft sei insoweit auf die Aufstellung des Jahresabschlusses verwiesen, die eine Geschäftsführungsmaßnahme darstellt, durch die jedenfalls der Umfang des ausschüttungsfähigen Gewinns ermittelt wird. Die Bewertung und die Bilanzpolitik obliegen damit der Geschäftsführung, die ihrerseits wieder an das Gesetz, d.h. die Grundsätze ordungsgemäßer Buchführung sowie die Ansatz- und Bewertungsvorschriften gebunden ist. Darüber hinaus führt jedenfalls eine zu geringe Gewinnausschüttung zunächst zu keinem unmittelbaren Verlust bei den Gesellschaftern, weil sich der Wert ihrer Beteiligung entsprechend erhöht. Allerdings müssen zwei weitere Aspekte in die Betrachtung mit einbezogen werden. Soweit die Gesellschafter den Gewinn zur Deckung ihres Lebensunterhalts benötigen, ist ihnen mit einem höheren Beteiligungswert nicht gedient. Der Erhalt der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit würde übermäßig eingeschränkt, wenn ihr Selbstbestimmungsrecht insoweit eingeschränkt werden dürfte und sie nicht einmal die geringe Möglichkeit besitzen, die Parameter der Gewinnausschüttung zumindest mitzubeeinflussen. Im übrigen finden sich in Gesellschaftsverträgen oftmals Regelungen, welche für den Fall des Ausscheidens nicht den vollen, sondern einen möglichst geringen Wert als Abfindung vorsehen. Zum zweiten spricht die persönliche Haftung gegen einen Stimmrechtsausschluß. Denn ein Großteil der Unternehmenszusammenbrüche und damit das Risiko einer persönlichen Haftung ist auf eine unzureichende Eigenkapitalausstattung zurückzuführen. Die eigentliche Gefahr droht bei zu hohen Gewinnausschüttungen. Durch sie wird der Gesellschaft vorhandene Liquidität entzogen mit der Folge, daß Fremdkapital mit hoher Zinsbelastung heranzuführen ist und die Bonitätsgrenze für weitere Bankkredite schneller erreicht wird. Der persönlich haftende Gesellschafter muß daher unabhängig von einem etwaigen Festgehalt oder einer Freistellungserklärung zumindest im Rahmen seiner Stimmkraft die Möglichkeit besitzen, die Höhe der Gewinnausschüttung mitzubeeinflussen und die Richtigkeit der Grundlagen zu ihrer Ermittlung zu kon733 Daß diese Beschlüsse regelmäßig vorkommen, bildet allein noch kein Argument für die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses. Wenn dieser Gesichtspunkt z.B. von K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, S. 390, in den Vordergrund gestellt wird, dürfte dies wohl auf das Gedankengut zum Bestimmtheitsgrundsatz zurückzuführen sein.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

259

trollieren. Damit erscheint es nicht vertretbar, das Stimmrecht für persönlich haftende Personengesellschafter für die regelmäßig wiederkehrenden Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses, dessen Prüfung durch einen Abschlußprüfer und die Gewinnverwendung auszuschließen. Ausnahmen sind zwar vorstellbar, z.B. für einen „angestellten Komplementär" im Punkt der Verteilung der Geschäftsführungaufgaben auf die Geschäftsführer. Jedoch dürften sie sich auf einen sehr kleinen Kreis von Beschlüssen und Fallgestaltungen beschränken. Der Auffassung Schillings ist aus diesen Gründen nicht zu folgen. 5. Ausnahmen vom zwingenden Stimmrecht des Kommanditisten Nach der Auffassung von Wiedemann 734 und Schilling 735 darf das Stimmrecht der Kommanditisten jedenfalls für den Bereich der sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten ausgeschlossen werden, die Wahrnehmung der prozeduralen Rechte ausgenommen. Dieser Auffassung kann im Grundsatz nicht zugestimmt werden, denn die Stimmrechtsabspaltung ist bei ihnen genausowenig zulässig wie bei persönlich haftenden Gesellschaftern. Ein Bedürfnis dafür ist auch bei ihnen regelmäßig nicht ersichtlich, weil mit Vertreterklausel, Stimmbindung und Stimmrechtsvollmacht ausreichende Möglichkeiten einer zulässigen Einflußbeschränkung bestehen. Für Kommanditisten spielt allerdings der Gesichtspunkt der unbeschränkten persönlichen Haftung nur eine untergeordnete Rolle, denn sie tritt nur in Ausnahmefällen ein 736 . Ausnahmen vom Grundsatz, daß ihnen das Stimmrecht auch für die sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten zusteht, erscheinen für sie weitergehend zulässig737. Allerdings muß ein anerkennenswertes Bedürfnis dafür vorliegen, z.B. bei Kleinstanteilen, bei geschenkten Beteiligungen 738 , volljährigen Kindern oder bei Erben, die der Gesellschaft ohne Verbundenheit und ohne unternehmerisches Interesse gegenüberstehen739. Der Stimmrechtsausschluß für die regelmäßig wiederkehrenden Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses, die Wahl der Abschlußprüfer und die Gewinnverwendung ist für diese Konstellationen im Ausnahmefall erwä-

734

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 369 f.

735

Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 6 f.

736

Siehe oben S. 168.

737 Den Gesichtspunkt, daß die persönliche Haftung ein wesentliches Argument für eine unterschiedliche Behandlung von persönlich haftenden und Kommanditgesellschaftern bildet, betonen auch H.P. Westermann in Erman BGB, § 709, Rdn. 25 und R. Fischer in L M Nr. 7 zu §§ 161, 119 HGB.

17'

738

Siehe oben S. 176.

739

Siehe oben S. 173.

260

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

genswert 740. Die betroffenen Gesellschafter sind regelmäßig nicht unternehmerisch in der Gesellschaft tätig und damit nicht auf die Gewinne zur Deckung des Lebensunterhaltes angewiesen. Darüber hinaus bildet die Übernahme der Geschäftsführung durch einen persönlich haftenden Gesellschafter einen nicht zu gering einzuschätzenden Kontrollmechanismus, dessen Funktion bei einer GmbH & Co KG jedoch durchaus in Frage zu stellen ist. Die Nähe der Beschlüsse zur Geschäftsführung, die Bindung der Geschäftsführer an die Grundsätze der ordnungsgemäßen Buchführung, die Bindung der Rücklagenbildung an eine vernünftige kaufmännische Betrachtungsweise und der Gesichtspunkt des Wertzuwachses bei zu geringen Ausschüttungen sprechen deshalb grundsätzlich für die Möglichkeit von Ausnahmen. Damit ist aber nicht der Ausschluß des Stimmrechts für alle oder die meisten Kommanditisten, sondern nur der Ausschluß für berechtigte Einzelfälle gemeint. Es kann im Ergebnis nicht richtig sein, den Großteil des Kapitals, d.h. letztlich die „Eigentümer" der Gesellschaft von diesen Beschlüssen auszuschließen. Bei einer Publikumsgesellschaft, die an den Regeln der AG gemessen wird, dürfte eine derartige Regelung einer Inhaltskontrolle nach § 242 BGB wohl kaum standhalten. Diese Wertung muß demnach auch für weniger mitgliederstarke Gesellschaften gelten. In vielen Gesellschaften sind die Rechte der Kommanditisten mediatisiert, d.h. sie werden teilweise auf einen Beirat übertragen oder gemeinschaftlich über einen Vertreter ausgeübt. Der Vertreter und die Beiratsmitglieder werden dabei regelmäßig von den Kommanditisten oder von den Gesellschaftern insgesamt gewählt. Soweit in die Zuständigkeit des Beirates oder in den Geltungsbereich der Vertreterklausel auch Beschlüsse über die Ausübung prozeduraler Rechte, wie z.B. die Entlastung oder die Abberufung der Geschäftsführung aus wichtigem Grund fallen, erscheinen Ausnahmen vom Grundsatz des zwingenden Stimmrechts der Kommanditisten auch für diesen Bereich nicht zulässig. Das bedeutet, daß den Kommanditisten in jedem Fall das Recht zuzubilligen ist, an der Wahl und der Abberufung der Beiratsmitglieder und des Vertreters mitzuwirken 741 . Denn die Rechte, die der Beirat wahrnimmt, bzw. die über den Vertreter ausgeübt werden, müssen zumindest der Substanz nach in der Hand der Kommanditisten verbleiben, was nur dann zutrifft, wenn sie ihre Rechte auf Personen ihres Vertrauens übertragen, und sie diese dann zumindest kontrollie740

Dies gilt auch für die Festsetzung der Höhe der an einen Beirat zu zahlenden Vergütung. Soweit dem Beirat Gesellschafter angehören, bedarf die Einführung einer Vergütung an sich jedoch der Änderung des Gesellschaftsvertrages, denn durch sie wird die Gewinnverteilung beeinflußt (Gefahr der verdeckten Gewinnausschüttung) oder diesen Gesellschaftern wird insofern ein Sonderrecht eingeräumt. Ist die Höhe der konkret beschlossenen Vergütung für ein Geschäftsjahr unverhältnismäßig hoch, kann der Beschluß allerdings auch von den vom Stimmrecht ausgeschlossenen Gesellschaftern unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz und die Treuepflicht mit einer Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Beschlusses angegriffen werden. 741

Zustimmend Flume, BGB AT, Die Personengesellschaft, S. 222 f.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

261

ren und ggf. abberufen können. Anderenfalls würde das Stimmrecht der Kommanditisten für diese Beschlüsse durch eine einschränkungslose Übertragung auf den Beirat von ihrer Mitgliedschaft abgespalten. Auch der Gesichtspunkt des Erhalts des grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Gesellschafter bezüglich der prozeduralen Kontroll- und Rechtsschutzrechte spricht gegen Ausnahmen von der zwingenden Mitwirkung an Wahl und Abberufung von Beirat und Vertreter. Da den Kommanditisten das Stimmrecht auch für die sonstigen gemeinsamen Gesellschaftsangelegenheiten grundsätzlich zwingend zusteht, gilt für die gesellschaftsvertragliche Abweichung, d.h. den Stimmrechtsausschluß im Ausnahmefall, der Bestimmtheitsgrundsatz. Wenn die Rechtsprechung sogar für die Einführung des Mehrheitsprinzips verlangt, daß die Einwilligung in die Unterwerfung unter den Willen der Mehrheit einen hinreichenden Ausdruck im Gesellschaftsvertrag findet, muß dies erst recht - wenn nicht sogar in verstärktem Maße - für den Ausschluß des Stimmrechts gelten, bei dem der Gesellschafter an der Entscheidung nicht einmal mitwirkt 742 . Mit welchem Grad an Bestimmtheit der Stimmrechtsausschluß zu vereinbaren ist, hängt - wie auch sonst beim Bestimmtheitsgrundsatz - von den Umständen des Einzelfalles, d.h. vor allem von der Struktur der Gesellschaft ab. Gerade für Beschlüsse über sonstige gemeinsame Gesellschaftsangelegenheiten empfiehlt sich eine konkrete Nennung der Beschlußgegenstände. Da Ausnahmen vom zwingenden Stimmrecht ohnehin auf wenige Fälle beschränkt sind, dürfte die Gefahr umfangreicher Kataloge nicht bestehen. V. Zusammenfassung zum Stimmrechtsausschluß 1. Das Stimmrecht eines Personengesellschafters kann über die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten hinaus nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt sowohl für die persönlich haftenden Gesellschafter einer GbR, OHG und KG als auch für einen Kommanditisten. Es muß zumindest der Substanz nach vollständig in der Hand des Gesellschafters verbleiben. Zulässig ist lediglich eine Mediatisierung der Mitwirkung in Form des Mehrheitsprinzips, der Stimmkraftbeschränkung, der Stimmrechtsvollmacht, der Stimmbindung, der Vertreterklausel und der Übertragung bestimmter Beschlußangelegenheiten auf einen Beirat. 2. Die Unzulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses folgt aus dem in § 717 S. 1 BGB verankerten Abspaltungsverbot. Danach ist es aus Rechtsgründen nicht 742 H.M., Martens, DB 1973, 413, 417 f.; ders. in Schlegelberger HGB V, § 119, Rdn. 37; Immenga, ZGR 1974, 385, 422 f.; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, S. 391; A. Hueck, OHG, S. 169; Nitschke, Die köperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, S. 279 ff.; Teichmann, Gestaltungsfreiheit, S. 205; Menk, Bestimmtheitsgrundsatz/Kernbereich, S. 120 ff., 132; Röttger, Kembereichslehre, S. 157; Comes, DB 1974, 2189, 2238 ff.; Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 10, 7, 4.

262

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

möglich, die Verwaltungsrechte eines Gesellschafters losgelöst von der Mitgliedschaft zu übertragen oder auszuschließen. Dies bezieht sich nicht nur auf die prozeduralen Rechte des Kernbereichs, d.h. die Teilnahme-, Informations- und Kontrollrechte, sondern vor allem auf das Stimmrecht als wichtigstes Mitverwaltungsrecht. Denn der Ausschluß des Stimmrechts eines Mitgliedes führt, weil sich die ausgeschlossene Stimme anderenfalls stets wie eine das Abstimmungsergebnis beeinflussende Enthaltung auswirken würde, denknotwendig zur Erhöhung der Stimmkraft der übrigen Mitglieder und stellt sich deshalb als eine unzulässige Stimmrechtsübertragung dar. Übertragbar sind nach § 717 S. 2 BGB lediglich die Vermögensrechte des Gesellschafters, d.h. die Rechte auf Gewinn, Liquidationserlös und Abfindung. 3. Das Abspaltungsverbot, welches systematisch vor dem Hintergrund der Gesamthandsgemeinschaft und der Verbandssouveränität gesehen werden muß, entfaltet in dreifacher Hinsicht eine Schutzrichtung zugunsten der Gesellschafter. Die erste ist auf einen Schutz der Gesamthandsgemeinschaft vor dem Einfluß externer Dritter und damit auch auf den Verkehrsschutz gerichtet, die zweite auf einen Schutz der Gesellschaftergemeinschaft vor der ohne eine Änderung des Gesellschaftsvertrages bzw. ohne ihre Zustimmung erfolgenden Verschiebung der Beteiligungs- und Stimmkraftverhältnisse durch eine entsprechende „dinglich wirkende" Vereinbarung einzelner Mitglieder. Die dritte Schutzrichtung betrifft den Individualschutz. Das grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen würde entzogen, wenn er auf Dauer und für eine Vielzahl nicht voraussehbarer Entscheidungen - vor allem bezüglich der Änderung des Gesellschaftsvertrages - von der Mitbestimmung ausgeschlossen werden könnte. Das Recht auf privatautonome Gestaltung der eigenen Verhältnisse, welches dem Gesellschafter im Gegensatz zu einem Einzelunternehmer vor dem Hintergrund der Förder- und Treuepflicht ohnehin nur in relativierter Form zusteht, würde durch die Rechtlosstellung aufgehoben. Während das Selbstbestimmungsrecht unter der Geltung des Mehrheitsprinzips durch die Verlagerung der individuellen Entscheidung auf die Gesellschafterversammlung lediglich - wenn auch im Einzelfall sehr weitgehehend - relativiert wird, führt der Stimmrechtsausschluß zu einer echten Fremdbestimmung, die von der Rechtsordnung nicht gebilligt wird. Aus diesem Grund kann das Mehrheitsprinzip bei hinreichend reflektierter und bestimmter Zustimmung fast einschränkungslos vereinbart werden, der Stimmrechtsausschluß jedoch überhaupt nicht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der persönlichen Haftung der Personengesellschafter, welche im Einzelfall auch für einen Kommanditisten wieder auflebt.

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

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4. Die Rechtsunwirksamkeit von Stimmrechtsübertragung und Stimmrechtsausschluß folgt weder aus § 134 BGB noch aus § 135 BGB noch aus § 138 BGB, sondern direkt aus § 717 S. 1 BGB. Es handelt sich nicht um einen Fall der rechtlichen Mißbilligung, sondern um einen Fall der fehlenden Verfügungsmacht. § 717 S. 1 BGB gilt grundsätzlich zwingend, denn die auf Art. 2 I GG zurückgehende Vertragsfreiheit ist dem Einzelnen zu seinem eigenen Schutz nur immanent beschränkt gewährt, mit der Folge, daß er über seine Verwaltungsrechte nicht verfügen, sondern nur schuldrechtliche Beschränkungen vereinbaren kann. Das mit der Mitgliedschaft verbundene Stimmrecht, dessen Verfügbarkeit der Personengesellschafter im Rahmen der gemeinsamen Zweckverfolgung zur Erbringung seiner vertraglichen Förderpflicht bedarf, kann deshalb ausschließlich in den gesetzlich vorgesehenen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden, d.h. in Verbindung mit dem Ausschluß von der Geschäftsführung und bei den Stimmverboten, denen ein wichtiger Grund zugrundeliegt, z.B. bei der Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis, dem Ausschluß aus der Gesellschaft und, in Analogie zum Körperschaftsrecht bei den dort normierten Interessenkollisionen, z.B. bei der Entlastung, weiterhin bei der gesetzlichen Vertretung eines minderjährigen oder entmündigten Gesellschafters sowie im Konkursfall. Für einen weitergehenden Stimmrechtsausschluß, insbesondere für Änderungen des Gesellschaftsvertrages, besteht auch bei einer Vertreterklausel, der Testamentsvollstreckung, beim Treuhandverhältnis sowie beim Nießbrauch oder Pfandrecht am Gesellschaftsanteil kein Bedürfnis. Hier stehen mit Stimmrechtsvollmacht und Stimmbindungsvertrag hinreichende schuldrechtliche Möglichkeiten zur Verfügung, den Interessen der Bevorrechtigten im zulässigen Rahmen Genüge zu tun, welche das Stimmrecht jedoch der Substanz nach beim Mitglied belassen. 5. Die Unzulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses leitet sich aber nicht nur aus den Wertungen des Grundgesetzes und des Personengesellschaftsrechts, sondern auch aus den Wertungen des allgemeinen Zivilrechts ab. Denn das Stimmrecht geht in vollem Umfang auf ein Gerechtigkeitsgebot zurück. Selbst für die Geschäftsführung kann es nicht aus Zweckmäßigkeitserwägungen entzogen werden, sondern allein mit Einwilligung des Gesellschafters, wenn und soweit seine Rechte dadurch gewahrt werden, daß er die Geschäftsführung in die Hände von Personen seines Vertrauens legt, die von ihm kontrolliert werden und darüber hinaus persönlich haften. Das Personengesellschaftsrecht ist darauf angelegt, die Entscheidungen und die Verantwortung auf die Schultern möglichst vieler Gesellschafter zu verteilen und sieht außerdem vom Grundsatz her die Einstimmigkeit vor.

264

3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

6. Der Stimmrechtsausschluß ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt zulässig, daß die Gesellschafter nach §§ 119 I I HGB, 709 I I BGB das Maß der Stimmkraft frei festlegen können. Die Vertragsfreiheit gestattet insofern lediglich einen anderweitigen Maßstab als eine Berechnung der Mehrheit nach Köpfen und soll vorrangig eine sachgerechte und angemessene Stimmkraftreduzierung im Einzelfall ermöglichen. Dagegen erlaubt sie zugunsten des Erhalts der Selbstbestimmung keine Stimmkraftreduzierung auf Null. In diesem Falle fände ebenfalls denknotwendig eine Übertragung des Stimmrechts zugunsten der Mitgesellschafter statt, welche gegen das Abspaltungsverbot verstieße. Nach der gefestigten Rechtsprechung des BGH kommt es nicht auf die Form der Stimmkraftübertragung, sondern auf das Ergebnis an. 7. Im übrigen gelten die Grundsätze von Abspaltungsverbot und zwingendem Stimmrecht im gesamten Gesellschaftsrecht. Sie sind auch in den anderen Rechtsformen weder gesetzlich noch von der Rechtsprechung zugelassen worden. Eine gewisse Sonderstellung nehmen lediglich stimmrechtslose Vorzugsaktien ein, die allerdings nur bis zur Hälfte des Grundkapitals einer Aktiengesellschaft ausgegeben werden dürfen. Um eine echte Ausnahme von diesen Grundsätzen handelt es sich aber nicht. Zum einen erhalten die Mitglieder eine Kompensation für den Verlust des Stimmrechts, welches latent vorhanden ist und bei Nichtleistung wieder auflebt. Zum anderen regelt hier das Gesetz selbst eine zulässige Ausnahme. Weiterhin wirken sich stimmrechtslose Vorzugsaktien, soweit ein Aktionär daneben auch Stammaktien besitzt, lediglich als Stimmkraftbeschränkung aus. Wenn der Stimmrechtsausschluß sogar bei den Kapitalgesellschaften unzulässig ist, muß dies jedoch erst recht für die Personengesellschaften gelten, bei denen ein erhöhtes Vertrauensverhältnis, eine engere Zusammenarbeit, eine unmittelbarere Betroffenheit und eine persönliche Haftung vorliegen. Aufgrund der immanenten Beschränkung in Art. 2 I GG kann über dieses Ergebnis auch nicht hinwegtäuschen, daß das Innenverhältnis der Personengesellschaften der Vertragsfreiheit in einem vermehrten Umfang als das der insoweit formstrengeren Kapitalgesellschaften unterliegt. 8. Die Begründung der einzigen obergerichtlichen Entscheidung - BGHZ 20, 363 - , die den Stimmrechtsausschluß eines Personengesellschafters zuließ, trifft nicht zu. Denn die Umdeutung der unzulässigen Stimmrechtsabspaltung infolge der unwiderruflichen verdrängenden Stimmrechtsvollmacht aller Kommanditisten an die beiden Komplementäre in einen Stimmrechtsausschluß der Kommanditisten, verbunden mit einer Stimmkrafterhöhung der Komplementäre, führt ebenfalls zu einer Übertragung des Stimmrechts auf die Komplementäre und damit zu einer unzulässigen Stimmrechtsabspaltung. Daran vermag auch die Einschränkung, dies gelte nicht für Beschlüsse, die in die Rechtsstellung der Kommanditisten eingreifen, nichts zu

D. Die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses

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ändern. Der BGH hat sich mit dieser unbestätigt gebliebenen Einzelentscheidung in krassen Gegensatz zu seiner ständigen Rechtsprechung zum Abspaltungsverbot gesetzt. Die Umdeutung war zudem noch aus aus anderen Gründen fehlerhaft. Zum einen war die Schaffung stimmrechtsloser Kommanditanteile nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gewollt und damit unzulässig, zum anderen belastete sie die Kommanditisten mehr als die unzulässige Stimmrechtsvollmacht. Denn der Regelung lag eine Vertreterklausel zugrunde, derzufolge die Kommanditisten stets durch ihren Komplementär repräsentiert werden sollten. Dadurch sollte jedoch neben einer einheitlichen Stimmrechtsausübung nur sichergestellt werden, daß die Stimmrechtsvollmacht nicht von einzelnen Gesellschaftern widerrufen werden konnte. Nicht das Stimmrecht, sondern das ordentliche Widerrufsrecht sollte ausgeschlossen sein. In der späteren Rechtsprechung zur Vertreterklausel hat der BGH demgemäß betont, das Stimmrecht der vertretenen Kommanditisten verbleibe wegen des Abspaltungsverbotes der Substanz nach in deren Hand. Es könne jedoch nur noch in der Untergruppe ausgeübt werden. Allerdings dürfte bei laufenden Angelegenheiten auch eine Vorabstimmung entfallen und der Vertreter das Stimmrecht der Kommanditisten nach pflichtgemäßem Ermessen ausüben können. 9. Die herrschende Meinung in der Literatur, die aufgrund dieser BGH-Entscheidung den Kernbereich der Gesellschafterrechte in Abhängigkeit von der Realstruktur der Gesellschaft flexibel bestimmen und dieses Ergebnis auf die Zulässigkeit des Stimmrechtsausschlusses übertragen will, ist aus den vorgenannten Gründen abzulehnen. Die Untersuchungen zur Kernbereichslehre haben ergeben, daß der Kernbereich starr ist und für alle Erscheinungsformen der Personengesellschaften gilt und nur der Bestimmtheitsgrundsatz als dessen wertendes Element in Abhängigkeit von der Realstruktur die Auslegung erleichtert, ob die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag hinreichend konkret ihre Zustimmung zu einer Änderung des Gesellschaftsvertrages auf dem Wege eines Mehrheitsbeschlusses erklärt haben. Aus diesem Grunde unterliegt auch der Stimmrechtsausschluß einer starren Regelung. Das gegenteilige Ergebnis würde dazu führen, daß bei größeren Publikumskommanditgesellschaften der Kernbereich besonders klein ist und das Stimmrecht weitgehend ausgeschlossen werden dürfte. Zum einen kann es nicht richtig sein, alle Kommanditisten oder die meisten Gesellschafter in einer Personengesellschaft fast vollständig vom Stimmrecht auszuschließen. Zum anderen differenziert das Grundgesetz bezüglich des Erhalts der Selbstbestimmung weder zwischen „arm und reich" noch zwischen einer großen und einer kleinen Beteiligung, so daß eine wertende Betrachtung wie im Rahmen von § 138 BGB entfällt. Da die Privatautonomie in Art. 2 I GG nur eingeschränkt gewährt wird und der Stimmrechtsausschluß wegen der Fremdbestimmung weniger weitgehend

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3. Teil: Die Grenze der Zulässigkeit

zulässig ist als die Einführung des Mehrheitsprinzips, muß die starre Grenze des Stimmrechtsausschlusses folglich seine Unzulässigkeit insgesamt bedeuten. 10. Gleichwohl gelten das Verbot von Stimmrechtsabspaltung und Stimmrechtsausschluß nicht absolut zwingend. Ausnahmen sind in dem engen Rahmen zulässig, in dem die drei Schutzrichtungen des § 717 S. 1 BGB nicht tangiert werden. Das ist z.B. der Fall beim Stimmrechtsausschluß einer personengleich besetzten Komplementär-GmbH, welche kein durch Art. 2 I GG geschütztes Selbstbestimmungsrecht besitzt. Weitere Ausnahmen erscheinen bei geschenkten oder vererbten Kommanditbeteiligungen jedenfalls für die ständig wiederkehrenden und der Geschäftsführung nahestehenden Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses, die Gewinnverteilung und die Wahl des Abschlußprüfers möglich, wenn sie zeitlich befristet und im konkreten Einzelfall berechtigt sind sowie im Gesellschafts vertrag Vorsorge gegen Mißbrauch getroffen wird. Ob die erforderliche Zustimmung hierzu vom Gesellschafter erteilt wurde, ist ebenfalls am Maßstab des Bestimmtheitsgrundsatzes zu messen. E. Das Verhältnis von Kernbereichslehre und Stimmrechtsausschluß Die Untersuchung hat ergeben, daß sich die Grenze des zulässigen Stimmrechtsausschlusses nicht unmittelbar aus der Kernbereichslehre ableiten läßt, weil beiden Grenzziehungen verschiedene dogmatische Grundlagen zugrundeliegen. Beide Problemkreise bewegen sich zwar um den Individualschutz und die Frage der Reichweite der Privatautonomie im Gesellschaftsrecht. Im übrigen haben sie jedoch - abgesehen von Überschneidungen bei der Behandlung des Stimmrechts - wenig miteinander zu tun. Beim Stimmrechtsausschluß geht es darum, ob einem Gesellschafter die Mitgliedschaftsrechte - unabhängig von seinem Willen - überhaupt entzogen werden können, also um das Problem der Definition der Mitgliedschaft in einem privatrechtlichen Verband, bei der Kernbereichslehre um das Problem, wann ein dissentierender Gesellschafter an eine für ihn nachteilige Vertragsänderung ohne ausdrücklichen Änderungsvertrag i.S.v. § 305 BGB gebunden ist, die mit Mehrheit beschlossen wurde, also um ein Legitimationsproblem. Auf die Zustimmung zur Verkürzung der Rechtsposition kommt es jedoch nur bei Eingriffen in die materiellen Rechte des Kernbereichs an, während die prozeduralen Rechte - auch aus Gründen des Verkehrsschutzes - unentziehbar sind und nur mediatisiert werden können. Wenn dies jedoch auch für das Stimmrecht gilt, muß der Kreis der prozeduralen Rechte nicht nur - wie oben vertreten 743 - um das Stimmrecht bei Beschlüssen

743

Siehe oben S. 129, 132.

E. Das Verhältnis von Kembereichslehre und Stimmrechtsausschluß

267

erweitert werden, durch die Rechtsschutz- und Kontrollrechte ausgeübt werden, z.B. bei der Abberufung der Geschäftsführung aus wichtigem Grund oder bei der Entlastung, sondern das Stimmrecht muß insgesamt zu den prozeduralen Rechten gezählt werden und nicht etwa zu den materiellen Rechten, die mit Zustimmung entziehbar sind 744 . Damit setzen sich die prozeduralen Rechte aus der Summe der gesamten Mitverwaltungsrechte zusammen. Diese können nach § 717 S. 1 BGB weder gesondert abgetreten noch entzogen werden. Die Mitgliedschaft setzt sie vielmehr als zwingend voraus. Im Grundsatz besteht über dieses Ergebnis seit jeher ein allgemeiner Konsens. Nur über die dogmatische Grundlage und die konkrete Grenzziehung bestehen unterschiedliche Auffassungen. Da die Entscheidung des BGH im 20. Band diese Unterscheidung nicht hinreichend berücksichtigt, ist der Kernbereichslehre der Ausgangspunkt entzogen worden. Was verbleibt, ist die Erkenntnis, daß der Gesellschafter späteren Vertragsänderungen bezüglich seiner materiellen Rechtsposition bereits im Gesellschaftsvertrag hinreichend bestimmt zugestimmt haben muß, um einer vertragsändernden Mehrheitsentscheidung in Abweichung vom anderenfalls einstimmig erforderlichen Änderungsvertrag zur Legitimation zu verhelfen, weil ein Vertrag zu Lasten Dritter nicht zulässig ist. Damit ist der Bestimmtheitsgrundsatz in Abweichung zu den obigen Ausführungen nicht nur ein Element der Kernbereichslehre, sondern es lag nur eine Begriffsauswechselung vor. Denn die Kernbereichslehre ist, bei Licht besehen, die Fortentwicklung des Bestimmtheitsgrundsatzes. Trennt man die Problemkreise der unentziehbaren Mitgliedschaftsrechte und des Kernbereichs, stellt man fest, daß der Bestimmtheitsgrundsatz, dessen dogmatische Grundlage auf § 138 I BGB zurückgeht, lediglich in ein neues Gewand gekleidet worden ist, welches zur begrifflichen Klarheit wenig beigetragen hat. Es sollte deshalb ausschließlich auf den Bestimmtheitsgrundsatz und seine klare dogmatische Grundlage zurückgegriffen werden. Der Kernbereichslehre kommt daneben keine eigenständige Bedeutung zu.

744

So aber Schilling in Staub HGB, § 163, Rdn. 7.

Schlußwort und Ausblick Die Grundsatzentscheidung BGHZ 20, 363 ist ein Paradebeispiel für das nach wie vor schwierige und zum Teil unstimmige Verhältnis zwischen Erbrecht und Gesellschaftsrecht. Auf der einen Seite ist beabsichtigt, das Gesellschaftsvermögen möglichst geschlossen zu erhalten und nicht durch die Abfindung ausscheidender Erben zu reduzieren, was sowohl betriebs- als auch volkswirtschaftlich absolut sinnvoll ist. Auf der anderen Seite sollen die als Gesellschafter eintretenden Erben zwar einen angemessenen Gewinn als Verzinsung ihres gebundenen Kapitals beziehen, im übrigen aber auf die Geschäfte und die relevanten Entscheidungen möglichst keinen Einfluß nehmen können, insbesondere, wenn sie in der Gesellschaft nicht unternehmerisch mitarbeiten. Der dabei typischerweise auftretende Interessenkonflikt kann jedoch, wie die Untersuchung gezeigt hat, nicht mit Hilfe des Stimmrechtsausschlusses gelöst werden. Dem stehen nicht nur das Wesen der Mitgliedschaft, sondern auch zwingende Regeln des Gesellschaftsrechts entgegen. Soweit diese Erben nicht lediglich eine schuldrechtliche Unterbeteiligung erhalten, sondern Gesellschafter werden, besteht lediglich die Möglichkeit, ihre Rechte zu mediatisieren. Solange der Gesetzgeber diesbezüglich nicht korrigierend initiativ wird, ist zur Sicherstellung einer weitgehenden, aber zulässigen Einflußbeschränkung von Gesellschaftern ein ausgeklügeltes System notwendig, bestehend aus Stimmkraftbeschränkung, weitreichender Vereinbarung des Mehrheitsprinzips, Vertreterklausel und Beirat. Als Alternative, die allerdings steuerliche Auswirkungen mit sich bringt, kommt die Zusammenfassung der Erben in einer VerwaltungsGmbH infrage, welche ihrerseits Gesellschafter und durch einen Testamentsvollstrecker oder Gesellschafter der Hauptgesellschaft als Geschäftsführer geleitet wird. Das für die Erben Ausgeführte gilt auch für sonstige „Gesellschafter zweiter Klasse", d.h. Kinder, Minderheitsgesellschafter, den „angestellten Komplementär" und rein kapitalistisch Beteiligte. Auch ihr Stimmrecht kann nicht ausgeschlossen werden. Die Praxis scheint dies weitgehend zu berücksichtigen, und zwar bei Personengesellschaften ebenso wie bei der GmbH. Dies hat eine Reihe von Gesprächen mit Rechtsanwälten und Notaren großer nordrhein-westfälischer Kanzleien ergeben. Auch die Erfahrungen des Verfassers als Justitiar eines Großkonzerns im Zusammenhang mit Aquisitionen von mittelständischen und Familiengesellschaften bestätigen diese Einschätzung. Die Praxis wählt, obwohl die Frage der Machtverteilung in vielen Gesellschaften eine zentrale Rolle spielt, aus psychologischen Gründen und aus anwaltlicher Fürsorge den subtileren Weg über die Mediatisierung und das Mehrheitsprinzip. Darüber

Schlußwort und Ausblick

269

hinaus darf auch die faktische Macht von Mehrheits- oder Altgesellschaftern und Eltern nicht unterschätzt werden. Relevanz entfaltet das Ergebnis der Untersuchung deshalb vor allem für den Umfang der Zulässigkeit von Rechtsinstituten, die in der Praxis eine weit höhere Bedeutung besitzen, nämlich das Treuhandverhältnis, das Pfandrecht und den Nießbrauch an einem Gesellschaftsanteil, die Testamentsvollstreckung und die Stimmrechtsvollmacht, die in diesem Kontext häufig erteilt wird. Die Entscheidung BGHZ 20, 363 ist weiterhin ein typisches Beispiel für die Problematik des Zusammenspiels zwischen Rechtsprechung und Lehre. Der BGH wollte in einem speziellen Einzelfall eine interessengerechte Entscheidung herbeiführen, zu der die beiden Vorinstanzen keinen Weg gefunden hatten. Nach ihrer jeweiligen - dogmatisch zutreffenden - Entscheidung wären sämtliche Gesellschafterbeschlüsse der vergangenen sieben Jahre unwirksam gewesen, was u.U. eine kaum lösbare Rückabwicklung bedeutet hätte. Der zutreffende - gedankliche Ansatzpunkt, daß eine Vertreterklausel für die laufenden Verwaltungsangelegenheiten auch ohne vorherige Weisung der Kommanditisten, d.h. im Rahmen eines ordnungsgemäßen Ermessens des Vertreters zulässig sein dürfte, wurde vom BGH jedoch in angreifbarer Weise umgesetzt. Denn mit der Umdeutung der unwirksamen Stimmrechtsvollmacht in einen Stimmrechtsausschluß unterlag der BGH einem Zirkelschluß, denn auch letztgenannter führt zu einer Abspaltung des Stimmrechts. Die versteckte Kurskorrektur, die der BGH später in BGHZ 46, 291 mit der Feststellung vornahm, ein Stimmrechtsausschluß sei bei einer Vertreterklausel eben nicht zulässig, wurde vom Schrifttum nicht wahrgenommen. Lediglich Wiedemann erkannte den Zusammenhang zwischen den beiden Urteilen, wenn auch nur ansatzweise745. Das Schrifttum sah in BGHZ 20, 363 jedoch eine revolutionäre Entwicklung. Die Idee vom Kernbereich war geboren. Dabei hatte der BGH im 20. Band die Einschränkung, der Stimmrechtsausschluß könne sich nicht auf Beschlüsse erstrecken, die in die Rechtsstellung des Kommanditisten eingreifen, aus gegebenem Anlaß gemacht. Denn der insoweit unvollständige Tatbestand verschwieg, daß es sich nur um ein Teilurteil handelte. In derselben Gesellschafterversammlung, deren Gewinnverwendungsbeschluß angegriffen wurde, hatten die beiden bevollmächtigten Komplementäre eine Änderung des Gesellschaftsvertrages beschlossen und eine Regelung über die Kündigung eines Gesellschafters sowie die Berechnung und Auszahlung des Auseinandersetzungsguthabens hinzugefügt. Die Entscheidung über die Wirksamkeit dieses Beschlusses sollte dem Schlußurteil vorbehalten bleiben. Der BGH brauchte sich im 20. Band über die Reichweite des Stimmrechtsausschlusses folglich nicht näher festzule-

745

Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, S. 368.

270

Schlußwort und Ausblick

gen und z.B. Änderungen des Gesellschaftsvertrages insgesamt einzubeziehen, sondern konnte sich, um zukünftige Entscheidungen nicht zu präjudizieren, auf die Aussage beschränken, daß der Stimmrechtsausschluß jedenfalls für einen derartigen Beschluß keinesfalls Geltung entfalten kann. Die Aussage gibt aus diesem Grunde für eine Generalisierung wenig her. Obwohl es innerhalb eines Zeitraums von 37 Jahren nicht gelang, den Kernbereich zu präzisieren und auch die Rechtsprechung den Begriff mangels Klarheit über Umfang und dogmatische Grundlage kaum aufgriff, setzte sich die Idee flächendeckend durch, weil sie als griffiges Schlagwort und „Wundermittel" offenbar etliche Probleme des Minderheitenschutzes lösen konnte. Umso mehr verwundert es, daß sich die vielfältige Literatur zur Kernbereichslehre kaum mit ihrer dogmatischen Grundlage und noch weniger mit der auslösenden Grundsatzentscheidung des BGH auseinandergesetzt hat. Die Untersuchung hat indes ergeben, daß sich hinter dem Begriff und dem Charme des Kernbereichs eigentlich eine Selbstverständlichkeit verbirgt, nämlich die gesetzliche und vertragliche Ausgestaltung der jeweiligen Gesellschafterstellung. In diese kann nur mit ausdrücklicher Zustimmung des betroffenen Mitgliedes eingegriffen werden, deren Vorliegen anhand des vielgeschmähten und schon für tot erklärten Bestimmtheitsgrundsatzes zu prüfen ist. Der Bestimmtheitsgrundsatz, der schon vom Reichsgericht entwickelt und seinerzeit noch ausdrücklich auf § 138 BGB und die immanenten Grenzen der Vertragsfreiheit gestützt wurde, verlor seine Überzeugungskraft nur deshalb, weil die Rechtsprechung seine Grundlagen nicht mehr hinreichend verdeutlichte und damit dem Schrifttum, welches sich mit ihm teilweise nur oberflächlich auseinandersetzte, Angriffspunkte bot. Im Ergebnis wurde der Vertragsfreiheit jedoch sowohl beim Kernbereich als auch bei der Einschränkung des Bestimmtheitsgrundsatzes als auch bei der verbreiteten Zulassung des Stimmrechtsausschlusses ein zu großer Raum eingeräumt. Es ist deshalb notwendig, zu den Wurzeln zurückzukehren. Ob dies gelingen wird, bleibt abzuwarten, denn man muß sich gerade beim Kernbereich von einer liebgewonnenen und griffigen Idee trennen, mit der die Rechtswissenschaft 37 Jahre mehr oder weniger gut, wenn auch nach Einschätzung des Verfassers falsch gelebt hat. Das Umdenken wird umso schwerer fallen, als einige wesentliche Rechtsfiguren wie Stimmrechtsausschluß, Vertreterklausel, Mehrheitsprinzip, Testamentsvollstreckung, Nießbrauch und Pfandrecht an Gesellschaftsanteilen und die Treuhandschaft tangiert werden. Bei allen Instituten müssen Korrekturen überdacht werden. Als Fazit bleibt, daß das Schrifttum aus einer unbestätigten Einzelentscheidung viel mehr herausgelesen hat, als es von der Rechtsprechung beabsichtigt war. Die bezüglich des Stimmrechtsausschlusses und der Kernbereichslehre zur Personengesellschaft gewonnenen Erkenntnisse dürften vorsichtig auch auf die GmbH übertragbar sein. Zwar gilt dort nicht der Grundsatz der persönlichen Haftung, jedoch widerspricht der Stimmrechtsausschluß auch dort der Rechtsfigur der Mitgliedschaft und dem im gesamten Gesellschaftsrecht geltenden Abs-

Schlußwort und Ausblick

paltungsverbot. Bezeichnenderweise wird er in der GmbH-Kommentarliteratur in Anlehnung an BGHZ 14, 291 ausschließlich für einen von mehreren Geschäftsanteilen eines Gesellschafters zugelassen, d.h. als reine Stimmkraftregelung. Nur in Einzelfällen wird er unter Bezugnahme auf die in BGHZ 20, 363 zur Personengesellschaft ergangene Entscheidung bejaht. In den meisten Kommentaren wird der echte Stimmrechtsausschluß jedoch nicht einmal angesprochen, also offenbar generell für unzulässig gehalten. Abschließend bleibt anzumerken, daß der Verfasser im Zusammenhang mit der Diskussion über die Kernbereichslehre und Hinauskündigungsklauseln auf eine in der Literatur weitverbreitete Scheu zur Anwendung der Generalklausel des § 138 I BGB auf gesellschaftsrechtliche Sachverhalte gestoßen ist. Der Begriff der Sittenwidrigkeit wird vielfach intuitiv abgelehnt, weil er im allgemeinen Zivilrecht häufig im Zusammenhang mit Knebelung und Wucher Verwendung findet. Diese Scheu ist jedoch unbegründet, denn die Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB setzt nicht denknotwendig ein anrüchiges oder sittlich anstößiges Verhalten voraus. Die jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung des BGH stellt nur teilweise auf das »Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden" ab, sondern sanktioniert vielfach Vereinbarungen, welche den Rahmen der immanent beschränkt gewährten Privatautonomie verlassen und gegen wesentliche Grundgedanken der Rechtsordnung, d.h. auch gegen die des Gesellschaftsrechts, verstoßen. Vor diesem Hintergrund bestehen keine Bedenken, den Begriff der Sittenwidrigkeit auch im Gesellschaftsrecht offen und vermehrt zu bemühen.

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