Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe: Band 22 Über die Idee der Elementarbildung (Lenzburger Rede) und 5 Schriften um 1810 [2 plates. 1 frontispiece ed.] 9783110860641, 9783110049473


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German Pages 583 [592] Year 1980

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Table of contents :
Vorwort
1. Über die Idee der Elementarbildung. Eine Rede, gehalten vor der Gesellschaft der schweizerischen Erziehungsfreunde im Jahre 1809 (Lenzburger Rede)
Entwurffragmente
Gedruckte Fassung, 1810/1811
2. Über Religionsunterricht. Um 1809/1810
3. Am Neujahrstage 1810 (Rede)
4. Rede an die Lehrer. Frühjahr 1810
5. Rede am Bußtage 1810
6. Weihnachtsrede 1810
Anhänge:
1. Anhang: Textkritik
2. Anhang: Sacherklärung
3. Anhang: Spracherklärung
4. Anhang: Namens- und Ortsregister
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Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe: Band 22 Über die Idee der Elementarbildung (Lenzburger Rede) und 5 Schriften um 1810 [2 plates. 1 frontispiece ed.]
 9783110860641, 9783110049473

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PESTALOZZI SÄMTLICHE WERKE Kritische Ausgabe begründet von Artur Buchenau Eduard Spranger, Hans Stettbacher

22. Band

ORELL FÜSSLI VERLAG, ZÜRICH 1979 Auslieferung für Deutschland: Verlag von Walter de Gruyter& Co., Berlin

Schloß YrenloH Aquarell, um 18 10 (im Vestalozzianuni Zürich)

PESTALOZZI SÄMTLICHE WERKE 22. Band Über die Idee der Elementarbildung (Lenzburger Rede) und fünf Schriften um 1810

bearbeitet von Emanuel Dejung

Mit zwei Tafeln

ORELL FÜSSLI VERLAG, ZÜRICH 1979 Auslieferung für Deutschland: Verlag von Walter de Gruyter& Co., Berlin

© Grell Füesli Verlag. Zürich 1979 Druck: Orell Füssli Graphische Betriebe AG Zürich Printed in Switzerland

Inhalt Vorwort 1. Über die Idee der Elementarbildung. Eine Bede, gehalten vor der Gesellschaft der schweizerischen Erziehungsfreunde im Jahre 1809 {Lenzburger Rede) Entwurffragmente Gedruckte Fassung, 1810/1811

VII

l 3 130

2. Über Religionsunterricht. Um 1809/1810

325

3. Am Neujahretage 1810 (Rede) 4. Rede an die Lehrer. Frühjahr 1810

329 349

5. Rede am Bußtage 1810

355

6. Weihnachtsrede 1810

365

Anhänge: 1. Anhang: Textkritik

385

2. Anhang: Sacherklärung

471

3. Anhang: Spracherklärung 4. Anhang: Namens- und Ortsregister

558 567

Abbildungen: Tafel I: Schloß Yverdon. Aquarell. Um 1810 Tafel II: Lenzburg. Stich, von Westen. Um 1840

Titelbild 96/97

Vorwort Der Kern dieses Bandes ist die Lenzburger Rede Pestalozzis, 1809, über die Idee der Elementarbildung. Die von J. Niederer überarbeitete Fassung des vorgetragenen Textes wurde 1810-11 gedruckt. Hier kann nun eine zwar nicht lückenlose Ergänzung durch umfangreiche Entwurfteile Pestalozzis geboten werden, welche erstmals eine vermehrte Möglichkeit schufen, zur Substanz dieses Hauptwerkes, gerade auch in der Autorfrage, vorzudringen. Zusätzlich werden sodann auch spätere Änderungen in der Cotta-Ausgabe von 1822 dargeboten, bei wichtigeren Stellen als zusammenhängender Text. Außer einem methodischen Stück über Religionsunterricht enthält der Band ferner vier Reden aus dem Jahr 1810, meist an das ganze Haus, in einem Fall nur an die Lehrerschaft gerichtet. Wie üblich bekundet der Leiter des Instituts darin das Bestreben, seine Anstalt zusammenzuhalten und auf die Fundamente seiner Bestrebungen zu verpflichten. Von den insgesamt sechs Schriften sind, abgesehen von den Entwürfen der Lenzburger Rede, zwei Stück (Nrn. 2, 4) hier erstmals zum Druck gelangt. Mit der schwierigen Arbeit an der Lenzburger Rede hatte zuerst Prof. Dr. Walter Müller (1863-1937) in St. Gallen durch Entzifferung der Manuskripte begonnen. Prof. Dr. Lothar Kempter in Winterthur versuchte in der Ausgabe des Verlages Rascher, Band X, 1947, so weit als möglich die handschriftliche Unterlage auszuwerten. Prof.Dr.Arthur Stein (1888-1978) in Bern, der Verfasser einer noch unvollendeten Biographie J.Niederere, trug wesentlich zur Abklärung der textkritischen Fragen bei. Seine Mithilfe ermöglicht heute der Forschung, die historische und philosophische Ausdeutung der Rede besser als bisher darzulegen. Seiner Frau Gemahlin H. Stein ist ein besonderer Dank für die Überlassung der hinterlassenen Unterlagen an die Redaktion zu erstatten. Die langjährige Bearbeitung der Rede wie auch der übrigen Schriften erfolgte durch den Redaktor Dr. Emanuel Dejung. In bewährter Sachkenntnis schuf Dr. Kurt Meyer die unentbehrliche Worterklärung. Für wertvolle Hinweise beim Sachanhang hat die Redaktion a. Seminardirektor Dr. Heinrich Roth

zu danken. Weitere Beihilfe in Einzelfragen wird im Anhang an der betreffenden Stelle gesondert verdankt. An alle Besitzer von Dokumenten Pestalozzis (Druckschriften, Manuskripte, Bilder usw.) richten Herausgeber und Verlag die höfliche Bitte, sie möchten diese Stücke der Redaktion (CH-8400 Winterthur, Friedenstraße 23) melden, damit die Edition möglichst vervollständigt werden kann. Für alle Nachrichten, bezw. Photokopien, auch zu Händen eines geplanten Nachtragsbandes, sei, im Namen einer vielseitigen Leserschaft in aller Welt, zum voraus bestens gedankt.

Über die Idee der Elementarbildung und den Standpunkt ihrer Ausführung in der Pestalozzischcn Anstalt zu Iferten Eine Rede, gehalten vor der Gesellschaft der schweizerischen Erziehungsfreunde in Lenzborg

von Heinrich Pestalozzi 30. August 1809

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Pestalozzi Werke Bd. 22

Entwürfe (fragmentarisch erhalten) aa) zu S. 135, Z. l ff.

Um dem Schluß der hohen Tagsazung ein Genügen leisten und 5 untersuchen zu könen, ob und in wie weit die von mir und meinen Freunden bezwekkte und in Yverdun versuchte Erziehungsweise dem Vatterland würkliche und unzweideutige Vorteile gewähren köne, muß man nothwendig darzeigen, was dieselbe von den gewöhnlich bestehenden wesentlich unterscheidet. 10 Sie ist nemlich elementarisch, das ist, sie geth in ihren Mittlen nicht vom Zufeligen und Willkührlichen, sondern vom Ewigen und Unveränderlichen, das in der Menschennatur ligt, aus. Sie sucht die Ausbildung der menschlichen Kräftte in ihrem ganzen Umfang zu ergreiffen, sie sucht sie rein aus sich 15 selber zu entfalten, und sie in ihrem Wachsthum in Übereinstimmung unter sich selber zu entfalten und dadurch in einem die Menschennatur nothwendig veredelnden Gleichgewicht zu erhalten. Fehrne davon [ist sie], die Gewandtheit des würklichen 20 menschlichen Syn und Thun zum Fundament ihrer Bildung zu machen, und eben so fehrne davon, die Verstandesbildung zum Nachtheil des Herzens oder die Herzensbildung zum Nachtheil seiner Verstandeskrefften auszubilden. Der Mensch vermag es zwahr nicht, sich selbst ohne Trenung 25 seiner Kreffte ins Äug zu fassen. Er muß sich selbst als Herz, als Geist und als phüsische Krafft ansehen. So muß er wieder die Verschiedenheit in der Äußerung des Herzens, des Geistes und [der] körperlichen Kreffte einzeln ins Äug fassen, um sich einen deutlichen Begriff von ihrer Natur machen zu könen. Aber so so wie er dieses muß, fühlt er denoch allenthalben die innere wesentliche Einheit seiner Natur und die Notwendigkeit, in der äußeren Entfaltung seiner Kreffte die Einheit des Ganzen seiner Natur zu respectiren und jede einzelne Krafft mit diesem Ganzen seiner Natur in Übereinstimmung zu erhalten. 35 Die Elementarbildung ist also die höchste Sorgfalt in der Erhaltung diser Einheit unserer Natur, und die Vollkomenheit

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Über die Idee der Elementarbildung

dieser ist wesentlich nur da möglich, wo das Kind von der Wiege mit Festhaltung dieses Gesichtspunktes erzogen wird. Der mütterliche Instinkt ist der eigentlich von Gott in uns gelegte Naturzwang zum ersten Schritt des ganzen Umfangs der Elementarerziehung. Alle ihre Kunst geth von einem lükkenlosen Anknüp- 5 fen der späteren Erziehungsmittel an die einfachen natürlichen und darum allgemeinen Folgen der mütterlichen Handlungsweise, die dieser Instinkt nothwendig erzeugt, [aus]. Alle Elementarerziehung, die nicht von da ausgeth, ist nicht mehr rein. Sie muß Lükken ausfüllen, die nicht da syn sollten; 10 sie muß [die] zerstörte Einheit in der Entfaltung der Kreffte wieder herstellen. Sie muß den Zustand des Krieges und der Gewaltthätigkeit enden, der by der zerstörten Einheit unsrer Natur in uns selbst gegen uns selbst nothwendig entstehen muß. Denn wir sind alle, wenn das Göttliche, Harmonische is unsrer Natur nicht erhalten oder wieder [hergestellt wird, ein schwaches, anmaßliches Geschlecht gegen uns selbst sowohl, als gegen alle unsere Brüder. Wenn das Gefühl äußerer Gewalt diese innere Einheit unserer selbst mit uns selbst und mit unserem ganzen Geschlecht zer- 20 stört hat, und wir [den Menschen] im Winkel der Welt, der uns nahe berührt, nicht uns unterordnen und ihn, brüderlich mit uns vereinigt, Gottes Weg gehen lassen wollen zu seiner Veredlung, so zerstören wir unser inneres Selbst mit sinnlichem anmaßlichem Vesthalten jedes Übergewichts irgend einer Krafft. Wir 25 werden zum Schaden unseres Geists und unseres Herzens Faustmenschen, blinde Cüklopen, wenn isolirte körperliche Krafft oder sie ersezzende äußere Mittel ein unreines Selbstgefühl dieser Kreffte und der sinnlichen Vortheile, die sie uns gewähren, erzeugen. So werden wir unbefriedigte Verstandesmenschen, wenn so unsere Denkkrafft, einseitig belebt durch ein unreines Selbstgefühl, Verstandesanmaßung nährt, die allem edlen göttlichen, sich aufopfernden Gebrauch des Verstands entgegenstehen. Und so endlich wird auch das einseitig genehrte gute Herz zu einem eben so unreinen Selbstgefühl und zu Anmaßungen von Thorheit 35 und Schwäche, die den ersten gleich sind, und auf Stillstellen der Veredlung der Mentschennatur und auf das Wachsthum seines Verderbens gleichartig würken. So wenig als diese Ansicht für unrichtig kann erkandt werden,

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so wenig ist es möglich in Abred zu syn, daß jedes Zeit verderben in der Erziehung seinen Grund in der Hinlenkung unserer Natur zu den Schwächen und Anmaßungen, die die einseitige Entfaltung irgend einer Menschenkrafft imer mit sich führt, zu suchen hat. 5 Die Elementarbildung, die im Gefolg unsrer Schwäche, die Menschennatur nicht tiefer zu erkenen, in die sittliche, geistige und körperliche muß abgeteilt werden, ist nichts anders als die Kunst, den berührten dreifachen Einseitigkeitsverirrungen, die in der Erziehung statthaben, mit psychologischer Kraft entgegen 10 zu würken. Die sittliche Elementarbildung ist nichts anders als die reine Entfaltung der höheren Gefühle der Liebe, der Dankbarkeit und des Vertrauens auf das Fundament der Vollendung und der Vollkommenheit, in der sie sich in ihrem ersten Entkeimen in dem is reinen Verhältnis zwüschen Kind und Mutter aussprechen. An die Reinheit der ersten sittlichen Gefühlen knüpfet sich die Ahndung des Glaubens an Gott, der aus der Vollendung des kindlichen liebenden Sinns so rein und menschlich ausgeth, und aus diesem die steigende Krafft zur Überwindung selbst für sittliche Voll20 komenheit, Erhebung unserer selbst über die Schranken unseres irrdischen Daseyns zum Dienst Gottes und der Menschen. Daraus erhellet, die Reyhenfolgen der Mittel zur Sittlichkeit von der angenohmenen sinnlichen Mutter- und Kindesliebe bis zur opfernden Krafft, bis zum Hingeben seiner selbst bis in den 25 Tod für Wahrheit und Liebe, feinden nur im reinen Glauben an Gott, in der wahren Religiositet ihre sichere Krafft. Das Zihl diser Bildung ist sittliche Vollkomenheit unserer Natur, ihre Mittel Übung im Streben nach Vollkomenheit im sittlichen Handien, Fühlen und Thun. so

ab) S. 135, Z. l ff. (Kopie) Um dem Schluß der hohen Tagsatzung ein Genüge zu leisten und untersuchen zu können, ob und wie weit die in Yverdon versuchte und bezweckte Erziehungsweise der Menschheit und dem Vaterland wirkliche Vortheüe gewähren könne, so muß man 35 nothwendig vor allem aus dasjenige ins Äug fassen, was dieselbe von den gewöhnlich stehenden wesentlich unterscheidet. Sie ist nehmlich elementarisch, das heißt, sie geht in ihrem Wesen und

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Über die Idee der Elementarbildung

in ihren Mitteln nicht vom Zufälligen und Willkührlichen, sondern vom Ewigen und Unveränderlichen der Menschennatur aus, und sucht die Kräfte in ihrer Natur theils in ihrem ganzen Umfang zu ergreifen, theils sie rein aus sich selber zu entfalten und sie dadurch in Übereinstimmung unter sich selber zu erhalten. & Der Mensch vermag es zwar nicht, die Kräfte seiner Natur unzertrennt ins Äug zu fassen; er muß sie als Kräfte des Geistes, des Herzens und des Körpers ansehen, um sich einen deutlichen Begriff von ihnen machen zu können. Aber so wie er dieses muß, fühlt er, indem er es thut, dennoch den inneren Zusammenhang 10 aller dieser Kräften und die innere Einheit seiner Natur, durch welche dieser Zusammenhang entspringt. Er fühlt wesentlich die Notwendigkeit in der Entfaltung dieser äußerlich so verschieden scheinenden Kräfte, die Einheit ihres innerlichen Zusammenhangs in ihrer äußerlichen Ausbildung zu respektieren. Auch ist is die Elementarbildung unseres Geschlechts nichts anderes als eine aus dem Gefühl dieser Einheit hervorgehende Sorgfalt, im ganzen Umfang aller Mittel für die Entfaltung der Anlagen und Kreiften unserer Natur mit den Ansprüchen dieser Einheit unserer Natur in Übereinstimmung zu bleiben. 20 Diese Bildung geht in dem Keim vom müterlichen Instinkt aus, und ihre Kunst besteht wesentlich in einem lückenlosen Anknüpfen aller Erziehungsmittel an das Wesen der mütterlichen Handlungsweise gegen das Kind. Jedes Erziehungsmittel, das nicht in seinem Wesen von dieser Handlungsweise ausgeht, ist 25 nicht elementarisch rein, sondern gehört unter die vielseitigen Nothbehelfe irgend einer Erziehungsverirrung, und kann nur in so weit als nützlich und brauchbar angesehen werden, als es dasteht, um Erziehungslücken auszufüllen, die nicht da seyn sollten, und Folgen von Erziehungsverirrung stille zu stellen, die das so Kind schon auf Abwege gegen die Natur geführt hat. Ihr bestes Thun ist ihr Streben. Wenn auch durch ungenugthuende Mittel ihr Bemühn, die zerstörte Einheit unserer Natur wieder herzustellen und die Verwirrung in den Entfaltungsmitteln unserer einzelnen Kräfte zu vermindern und den Zustand der ss Gewalttätigkeit still zu stellen, der bei der zerstörten Einheit unserer Natur nothwendig gegen uns selber und gegen unser Geschlecht entsteht. Denn wir sind alle, wenn die göttliche Harmonie in uns nicht erhalten oder wieder hergestellt ist, ein

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schwaches, anmaßliches Geschlecht, gegen uns sowohl als gegen unsere Brüder. So wie das sinnliche Gefühl äußerer Gewalt, sobald die innere Einheit in uns selbst zerstört ist, uns dahin bringt, unsern Mit5 menschen in jedem Winkel der Welt, der uns nahe berührt, nur durch Unterordnung unter uns benutzen und genießen zu lassen, und ihn nur auf diese Art brüderlich mit uns vereiniget, auf demselben Gotteswege gehen lassen wollen zu seiner Veredlung, so zerstören wir auch innerlich in uns selber das Heiligste unserer 10 Natur durch ein sinnliches, anmaßliches Festhalten des Übergewichts einzelner unserer Kräfte zum Nachtheil der ändern. So wenig als diese Ansicht an sich für unwichtig kann erkannt werden, so wenig ist es möglich, in Abred zu setzen, daß jedes Zeitverderben des 15

b) etwa zu S. 154, Z. l ff. - und unpädagogisch zu erleichtern oder zu erschweren. Indessen thut die Methode von einer ändern Seite beydes. Sie erleichtert den Fortgang, insofern sie nehmlich naturgemäße Mittel aufstellt, durch die das Volk zu einem Unterricht gelangen kann, 20 den es vorher nicht hatte; ferner insofern der einzelne Mensch, den ein verwirrter Unterricht nur abschwächen konnte, auf dem Wege der Methode sich und seine Kraft fühlen lernt, und des Unterrichts und weit größerer als der gewöhnlichen Fortschritte fähig wird. Sie erschwert den Fortgang, insofern sie durchaus 25 zur Gründlichkeit nöthigt und oberflächlicher Vielwisserey einen Damm entgegensetzt. c) zu S. 157, Z. 10 ff. Rein und hehr spricht sich dieser Zusammenhang des Ganzen nirgend aus als in der Handlungsweise der Mutter gegen ihren so Säugling. Da mischt sich noch keine menschliche Kunst, keine menschliche Verirrung ein, da spricht sich die Natur noch ganz aus. Ihr Instinkt redet, und so weit und lang er lebendig redet, ist in allem Thun der Mutter Einheit, lebendige Einheit für Wekkung, für Belebung des Geists, des Herzens und der phüsischen 35 Krefften des Kinds. Frylich [gilt dies] nur für die Wekkung des ersten, einfachsten Selbstgefühls dieser Kreffte, aber ihrer aller gemeinsam, oder vielmehr der Einheit der ganzen kindlichen

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Über die Idee der Elementarbildung

Natur, die by jedem Theil ihrer Entfaltung im wesentlichen als ein Ganzes, als eine unzertrente Einheit angesprochen wird und angesehen werden muß. Die Elementarbildung feindet daher in diesem Thun der Mutter die reinen und allgemeinen Anfangspunkte ihres Strebens, in ihm in der Wirklichkeit durch Gott selbst geoffenbartes Urbild, und mit ihm den Faden aller Grundsezzen, auf denen sie ruhet, und aller Mittel, deren sie bedarf. d) zu S. 161, Z. 21 ff. Die iiitellectuelle Elementarbildung ist hinwieder nichts an-10 deres als die reine Entfaltung unserer einwohnenden Denkkrafft durch ein höchst einfaches Habituelmachen des vielseitigen Gebrauchs dieser Krafft selber. Da aber diese Krafft in ihrem ganzen Umfang erstens von dem Anschauungseindruk, den die Gegenstände der Welt auf uns is machen, und zweytens, sie in unserem Geist selbst zusamenzusezzen, zu trenen und zu vergleichen, ausgeth und abhängt, so fordert die intellectuelle Elementarbildung: a) psychologische Leitung des Eindruks der dem Kind von der Natur oder durch die Kunst vor die Sinnen gebrachten Ge- 20 genstände; b) psychologische Benuzung der Zahl und Form, als den von der Natur uns gegebnen, ganz reinen Mittlen, das logische Denken in uns von seinem ersten Vergleichen einfacher Gegenstände bis zur Krafft, die verwikkeltsten [Dinge] mit Leichtigkeit [und] mit 20 Sicherheit ins Licht zu sezzen; c) psychologische Benuzung der Sprache, als dem Festhaltungs- und Mitteilungs-Mittel aller durch die Sinnen erworbenen und durch die logische Krafft in uns bearbeiteten Erkentnisse. Die intellectuellen Elementarmittel müssen eben wie die so sittlichen rein aus der Menschennatur und vom Gebrauch diser Krafft im höchst Einfachen ausgehen, und [zur] Vollendung der geistigen Bearbeitung der einfachen Anfangspunkte im Denken, [ohne] Lükken zur Sicherheit dieser Krafft in der Zusamensezzung, Trenung und Vergleichung des höchst Verwikkelten 35 vorschreiten. Das Zihl dieser Bildung ist intellectuelle Vollkomenheit; ihre

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Mittel sind Streben nach Vollkomenheit, nach Vollendung in einzelnen Übungen des logischen Denkens. Die phüsische Elementarbildung ist nichts anders als eine psychologisch gereihete Entfaltung der phüsischen Krefften der 5 Menschennatur durch ein höchst einfaches Habituelmachen des vielseitigsten Gebrauchs dieser Kreffte selber. Sie geth von dem Bewußtsyn dieser Kreffte aus und führt hinwieder zur höchsten Gewandtheit in ihnen. Als Gymnastik des ganzen Körpers ist sie Elementarbildung 10 in der Stellung und Bewegung des Körpers im allgemeinen. Als Gymnastik des Arms ist sie Elementarbildung aller krafftvollen mänlichen Kunst- und Berufs- und Militairanstrengung. Als Gymnastik der Hand ist sie Elementarbildung aller feineren Kunst und aller weiblichen Arbeiten. Der Umfang ihrer Mittel is bezwekkt also: 1. allgemeine Gewandtheit des Körpers, und 2tens speciele Gewandtheit der Glieder, und wird dadurch Anfangspunkt aller phüsischen KräflFte, die die Bildung zur Kunst und zu allen bürgerlichen Beruffen allgemein anspricht. 20 So durch die Schwäche des menschlichen Fassungsvermögens genöthiget, die Bildung des Menschen, die in ihrem Wesen ein unzertrentes, einziges Ganzes ist, gleichsam zu trennen und in einem dreyfachen Gesichtspunkt anzuschauen, ergibt sich denn doch aus dem ins Äug Fassen jedes einzelnen desselben sein Zu25 samenhang mit allen anderen, und das nothwendige Eingreiffen der Bildungsmittel einer jeden einzeln Krafft auf die Bildungsmittel aller andren. e) zu S. 163, Z. 33 ff. Wenn dieser Zusamenhang im Verderben der Verbildung unsere so Geschlechts verschwindet, so zeigt [er] sich in der Reinheit der Elementarbildung derselben in unwiedersprechliehern Licht. Angenehmen, was unwiedersprechlich, der erste Schritt diser Bildung gehe von der Mutter und dem sinlichen Instinct ihrer Natur aus, so sehen wir diese Einheit der dreifachen Mittel un35 serer Entfaltung ihrer Schritte. Alles ihr Thun, indem es Liebe, Dank und Vertrauen entfaltet, ist elementarische Bildung des Kinds zur Sittlichkeit]. Aber

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jeder dieser Schritte ist mit Aufmerksamkeit auf das vernümftige Benehmen und phüsische Gewandtheit des [Kinds] verbunden, und die Fortbildung des Kinds zur Sittlich [keit] ist ohne Vereinigung seines steigenden Wachsthums im Dank, im Vertrauen und in der Liebe mit einem eben so steigenden Benehmen und $ mit einer eben so steigenden Krafft in allen von dem wachsenden Vertrauen [und] von dem wachsenden Dank angesprochenen phüsischen Krefften nicht denkbar. Hinwieder ist das Thun der Mutter für die Entfaltung des Kinds ohne Vereinigung mit ihrem Thun zur Entfaltung der Liebe und der Gewandtheit, nicht ein-10 mahl ihre Bemühungen für das phüsische Konen, aus dem reinen Mutterherzen ohne mittlauffende Mittel zur Entfaltung der Einsicht, des Dankes und der Liebe gedacht. Die Frag aber ist: Sind unsere Erziehungs- und Bildungsmittel geeignet, diesen elementarischen Zusamenhang des Ganzen un-15 serer Natur auf die harmonische Entfaltung ihrer einzelnen Kreffte zu sichren und auf einen höhren Punkt zu bringen, als es bis dahin stand ? Dieses aber kan nur durch die Prüfung unserer Elementarmittel zur sittlichen, intellectuellen und phüsischen Ausbildung des Kinds geschehen. 20 Wenn wir unsere Elementarmittel zur sittlichen Bildung, die in unserm Institut organisirt sind und ausgeführt werden, ins Äug fassen, so fällt augenscheinlich auf, daß, indem wir unsere Zöglinge in der Regel vom 7. bis ins 12. Jahr empfangen, wir gar nicht in der Lag [sind], den vielseitigen Lükken der Elementar- 25 bildung, die durch die Specialführung der Kinder in ihrer Entfaltung erzeugt worden, entgegenwürken zu müssen, und gar nicht [dazu], auf das Dasyn der reinen sittlichen Krefften, die durch die elementarisch lükkenlose sittliche Führung dem Kind gesichert worden wären, zu zählen. Man muß also wesentlich den so Unterscheid festsezzen, der zwüschen der reinen Idee der Elementarbildung und der Art, wie selbige in einer für disen Zwekk wohl organisirten Haushaltung ausgeführt werden kan, und zwüschen der beschränkten Art, wie dise Ausführung in einem solchen Institut möglich ist, festsezzen. 35 Und denn fragt sich: Ist die reine Idee der sittlichen Bildung, wie [sie] sich in den Grundsäzen unsers Instituts ausspricht, und der Geist der Mittel, die wir in demselben für disen Zwekk gebrauchen -

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f) etwa zu S. 165, Z. 17 ff. Ich dehne mich über die unbedingte Harmonie, in welcher die intellectuelle Elementarbildung mit der sittlichen steth, nicht weiter [aus]. Sie haltet ihre [ in] allen drei Fächren s gleich aus. Die Formlehre als Elementarlehre hat in ihrem Wesen mit der elementarischen Zahlenlehre ganz den nemlichen Gang. In ihren Würkungen hat [sie] noch den Vorzug ihres größeren Einflusses auf die Entfaltung der Einbildungskräffte. g) zu S. 166, Z. 10 ff. 10 Zahl - entwikelt die Krafft zu geistigen Schlüssen von ihrer ersten keimenden Entfaltung bis zum Dastehen in aller ihrer vollendeten Krafft. Sie allein hat die reinen und lükkenlosen Mittel zu diesem Zihl. Form - entwikelt ebenfahls die geistige Schlußkraft, weniger 10 durch unfehlbaren und nothwendigen Eindruk ihrer selbst als durch die Resultate lükkenloser und jede Aufgab ganz erschöpfender Zusamensezungen der geraden und krumen Linie. Alle Wahrheit und alle Schlüsse, die ich durch die Zahl her\'orbringe, entfalten sich aiis dem reinen Wesen der mensch20 liehen Denkkrafft. Folglich entfaltet sich die Denkkrafft durch diese Mittel gleichsam durch sich selbst. Hingegen alle Wahrheiten und alle Schlüsse, die ich durch Darlegung und Bearbeiten der Formen hervorbringe, ligen als reine und vollendete Resultate und Wahrheiten im Wesen der 25 geraden und krumen Linien und der durch sie möglichen und nothwendigen Formen. Byde, sowohl die elementarische Zahl-, als die elementarischen Formübungen führen nicht bloß zum Erkenen der Wahrheit, sondern bestirnt zu [allgemeinem] Erfeinden. Sie beschefftigen so nicht bloß die Denkkrafft im Untersuchen derselben, sondern beleben auch die Einbildungskrafft zum Erfeinden derselben. Durch die innere Krafft, die sich in den Übungen der Zahl entfaltet, bringe ich die Wahrheiten, so rein innerlich im Menschen ligen, neu zum Bewußtsyn. Aber alle Wahrheiten, die aus 35 Anschauungen äußerer Verhältnisse entspringen, könen mir nur durch die Formenlehre, das heißt [durch die] Kentnisse des Wesens und der möglichen Verbindungen der Formen den Weg bahnen.

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Über die Idee der Elementarbildung

Der Anfang von disen byden Mitteln unserer intellectuellen Entfaltung geth wesentlich von den ersten Sinenerfahrungen des Bewußtsyns aus. Aber Zahl und Form sind in den ersten Erfahrungen ungetrent. Daß das Feuer mehr brent als laues Wasser, ist durch das Bewnßtsyn des Mehrs und durch die Anschauungs- s kentnis des Feuers [als] eine solche in der kindlichen Seele noch ungetrente erste Stufe, Zahl und Form als unzertrent darstellende Erfahrung. Von diesem dunklen Bewußtsyn der Fundamente der Zahl und Form steigt denn das Kind allmehlig zur Trenung des Bilds von Feuer und Wasser, und des Bewußtsyns des Mehr- und 10 Mindersyns [des] Wassers. Das Bewußtsyn der Form des Feuers und der Form des Wassers erscheint ihm getrent vom Mehr und Minder des Brennens. Sowohl das Bewußtsyn des Vielerley in den Formen als das Bewußtsyn des Vielerleys in den Zahlen dehnt sich, und der Augenblik erscheint, wo man die ersten Anfänge is der Zahl- und Formübungen ihm geordnet bybringen und einüben [kann]. Wie dem Thier seine ihm eigene Gattung Thonart als zum Erkenen zu machen seiner Empfindungen gegeben ist, so ist dem höher begabten Mentschen die Sprache als Mittel seiner Erkent- 20 nisse, seiner Gefühle und seiner Endzwekke, seiner Hoffnungen und seiner Sorgen gegeben. Sie ist wie Zahl und Form das unachleßliche Bedingnis der Entfaltung seiner Mentschlichkeit. Sie ist die Darstellungskrafft [für das] Bewußtsyn alles dessen, was durch Zahl und Form, das ist durch den Umfang aller Funda- 25 mente der menschlichen Erkentnis in ihm entfaltet worden. Sie ist also wesentlich an den durch sie gegebenen Gang der Entfaltung jedes Individuums gebunden. Und wie [das] Kind in seiner ersten Entfaltung die Fundamente von Zahl und Form in seiner Vorstellung vermischt, aber so doch ihrer bewußt ist, so fühlt das Kind in seiner Entfaltung den Drang zur Sprache ohne die Sprache. Wie es in seinem ersten Bewußtsyn der Fundamente seiner Verstandesbildung durch Zahl und Form bloß von thierischen Empfindungen der Naturwürkung ausgeth, so geth es in seinen Anfangsbestrebungen, zur 35 Sprache zu gelangen, von seinem ihm eigenen Thierthon, vom Schreyen aus. Bald steigt diser, der ersten Umündigkeit eigene Thon zum lachenden, lalenden Lallen. An seiner Seite redet die Mutter, sie drükt die Gefühle seiner

Über die Idee der Elementarbildung

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Freude, seiner Leiden, den Vorwurf seiner Freuden, seiner Verwunderung, seiner Bedürfnisse mit Worten aus. Das Kind fühlt in sich die Krafft, die Ausdrükke nachahmen zu könen. Es will sie nachahmen, es geräth ihm nicht leicht, es verdoppelt seine Kräffte, es geräth ihm. Die Anwendung des Redenkönens schließt sich natürlich an alle, in seinen Umgebungen ligenden Entfaltungsmittel seiner Kreffte, und so wie diese durch [das] Bewußtsyn von Zahl und Form zur Verständigkeit erhoben [werden], erhebt sich die Sprache dahin. 10 Aus allem erhellet, das Ganze des Einflusses der intellectuellen Elementarübungen ist nichts anders als ein Resultat des Gebrauchs der uns einwohnenden intellectuellen Krafft selber, nach der Anweisung des Strebens der Natur selber zu ihrer diesfeligen Entfaltung. Offenbar ist, der ganze Einfluß der sittlichen 15 Elementarübungen ist ebenso nichts anders als ein Resultat des psychologisch geordneten und belebten Gebrauchs der uns einwohnenden sittlichen Krafft selber, nach Anweisung des ineren Strebens unserer Natur zu ihrer diesfeligen Entfaltung selber. h) zu S. 169, Z. H ff. 20 Auch das dritte Elementarmittel der geistigen Entfaltung, die Sprache würkt in Rüksicht auf seinen psychologischen Einfluß auf die zwei andren in vollkomener Harmonie.

i) zu S. 170Z.4ff. Die mehr oder weniger seltene Wiederholung, der Grad der 25 Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit, der Wichtigkeit oder Unwichtigkeit der Anschauungseindrükke, folglich die Welt und die Verheltnisse der Welt, wie sie in Rüksicht auf das Kind vor ihm würklich dastehen, ist die eigentliche Entfaltungsleiter der Sprache, in so fehrn sie bymKind elementarisch entfaltet werden 30 muß. Wie in Zahl und Form geth auch die Sprach vom höchst einfachen Verheltnis des Kinds zu seiner Mutter aus und erhebt sich durch lükkenlose Stuffenfolg zu der Kunst der Beredsamkeitskrafft über jede Vorfälle des Lebens. Also enge mit dem heiligen Dunkel der Sittlichkeit und der Religiositet des häus35 liehen Lebens verwoben, entfaltet sich die Sprache von dem Lallen auf dem Schooß, von dem Bedürfnis des Verstehens ihrer

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Über die Idee der Elementarbildung

Worte in seiner Besorgung, dann von dem brüderlichen und schwesterlichen Spillen der Unschuld, dann von der Wißbegierd über alles, was seinen Sin in seinen Umgebungen reizt, dann vom geäußerten Willen des Vatters und der Mutter, dann von den Bedürfnissen des Kinds, dann vom Beten der Mutter mit ihm 0 und vom Eindruk ihres Redens von Gott und der Ewigkeit mit einem Wort vom mentschlichen Eindruk aller seiner Umgebungen, und der Stuffenfolge und dem Zusamenhang, der in der Natur dieser Umgebungen ligt. Je größer also dieser Zusamenhang, je edler seine Fundamente, 10 je reiner der Entfaltungstrieb selber, desto wahrhafter und desto eingreifender ist die intellectuelle Elementarbildung des Kind auf den Umfang der übrigen Krefften unserer Natur und die Erhebung und Bildung unserer selbst in der wesentlichen Einheit unsers sittlichen und intellectuellen und bürgerlichen Syns. is Die elementarische Bildung zui Sprach und durch sie ist also wie die elementarische Bildung durch Zahl und Form im innigsten Zusamenhang mit der Bildung des Menschen zur Sittlichkeit, und so sind alle drei Mittel der intellectuellen Bildung unsrer Natur in ihrer gemeinen Würkung auf die veredelnde Ausbildung 20 der Gesandtheit unserer Kreffte inig vereiniget und wirken in ungetrenter Harmonie zum allgemeinen Zwekk, uns selbst als Einheit emporzubilden zur inneren Erhebung unsrer selbst in der Gesandtheit unsrer menschlichen Anlagen. Die dritte Ansicht unsers Gegenstand in Rüksicht auf unsre 25 Bildung ist die Ansicht unserer selbst, insofehrn wir für alle Kunst unsers Geschlecht und für den Umfang aller mentschlichen Beruffen gebildet werden sollen. Die diesfelige Frage ist: Was ist der Geist und das Wesen der Elementarbildung des Menschen für Kunst und für Beruf? Auch diese geth vom Bewußtsyn der Ein- so heit unsrer Natur aus, und ihre Mittel stehen im innigsten Zusamenhang mit den Mittlen der sittlichen und intellectuellen Elementarbildung. III. In Rüksicht der dritten Ansicht unsers Gegenstands sind die Grundseze und Mittel der Elementarbildung für Kunst und 35 Beruff ebenfals geeignet, die Menschennatur in ihrer Einheit als ein Ganzes zu ergreiffen und sie in Übereinstimmung mit der sittlichen und intellectuellen Elementarbildung mit Sicherheit zu einem befriedigenden Resultat zu bringen.

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In Rüksicht auf die Kunstbildung unsere Geschlecht geth sie von der Krafft aus, 1. die Proportionen der Kunstgegenstände bydes richtig ins Äug zu fassen und mit der Hand auszudrükken, 2. von einem mit dieser Urkrafft der Kunst innig verbundenen s Schönheitsgefühl aus. Auf der psychologischen Ausbildung dieser byden Krefften ruhet also die Ausbildung unsers Geschlechts zur Kunst. Und nun fragt sich: Ist das Ganze der Grundsäze und Mittel der Methode geeignet, die Krafft der Verheltnisse und ebenso des Schönheitsgefühls zu entfalten? 10 In geistiger Hinsicht ist die ruhige Anschauung der Natur der Urpunkt, von dem die Entfaltung des ganzen Umfangs unserer Erkentnis ausgeth. In ihm ligt das heilige Dunkel des ersten Erwachens des Schönheitsgefühls. Das Alphabet der Anschauung bringt dieses Gefühl im Kind zum schöpferischen Leben und 15 bietet ihm einen Faden der Kunstentfaltung, an dem es, auch von äußeren Mitteln der Kunst entblößt, die Krafft der Kunst in sich nach dem Grad seiner ineren Anlagen für dieselbe selbststendig in sich selber entfalten kan. Dieses Alphabet der Anschauung, verbunden mit der Ent20 faltung der logischen Geisteskraft durch die Elemente der Zahlverheltnisse, die bydes als reine Mittel der Geistesbildung anerkandt, sind also zugleich die ersten Elemente der Kunstbildung. Also von der Erhabenheit der sittlichen und religiösen Ansichten an sich ausgehend, in der Bewunderung Gottes und der 25 Natur, als in den ersten Entfaltungsmittlen unsrer Menschlichkeit schon vom umündigen Alter lebend und liebend, denn durch Zahl und Form in der Ergreifung des Wesens der Kunstkreffte in ihrem ganzen Umfang erhoben, mangelt dem Menschengeschlecht zu seiner allgemeinen Veredlung durch die Kunst nichts weiter so als die Ausbildung der phüsisch-mechanischen Kräffte, die die Ausführung jedes einzelnen Kunstfachs anspricht und voraussezt. Und nun fragt sich: Besizt die Methode der Elementarbildung Mittel, dem Kind auch diese phüsische Gewandtheit zur Kunst 35 [zu geben?] Und sie besizt sie. Wir bearbeiten jezt würklich die Grundseze und Mittel einer Elementargymnastik, die für die allgemeine Bildung zur Industrie von entscheidendem Erfolg syn [werden]. Sie wäre schon längst vollendet, wenn ich das Glük gehabt [hätte], meinen Endzwekken unter armen, arbeite-

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bedürftigen Rinderen entgegenzustreben. Da ich mich aber in einer bezahlenden Pensionsanstalt durchwinden muß, so konte [ich] practisch hierin noch nichts leisten. Aber die Theorie des Gegenstand ist unwiedersprechlich, und ihr Erfolg unfehlbar. Er ruhet auf der einfachen Ansicht, die Gewandtheit der industri- s Ösen Krafft in ihrer ersten Entfaltung nicht zu isoliren, sondern sie allgemein zu entwiklen. Wenn wir diese phüsische Gewandtheit zu aller Kunst und zu aller Industrie des Lebens in ihrem Keim, in ihren Elementen betrachten, so geth sie wesentlich von der Frage aus: Zu was für 10 einfachen Bewegungen ist das Ganze der menschlichen Maschine und die einzelnen Glieder derselben fehig? Der Umfang des Möglichen dieser Bewegungen muß gekandt, aber nur der Umfang des Nüzlichen und Bedörftigen und Schiklichen derselben muß dem Kind eingeübt werden. is In diesem lesten Gesichtspunkt ligt denn hinwieder k) zu S. 181, Z. 8 ff. zuerst aber zu S. 188, Z. 38 ff. (z. T. Kopie) Die vorzügliche Gabe, die Gott einem seiner Kinder vor dem ändern aus gegeben, ist also um des Orths willen, wo er sie hingelegt, sy dieser Orth auch, wo er wolle, nicht weniger göttlich 20 hingelegt, nicht weniger eine göttliche Gabe, und also als eine höhere Art eines göttlichen Eigenthums, das jeder, der in seinem Thun und Lassen mit dem Willen [Gottes] in Übereinstimung stehen will, mit Ehrforcht ins Äug zu fassen verpflichtet ist. Auch der gute Mensch achtet die ausgezeichneten höhern 25 Gaben des Herzens und des Geists hoher als irrdisches, mentschliches Gut. Er achtet sie wenigstens, wo er sie auch imer feinden mag, nicht gering und der heiligsten, treuesten Pfleg nicht unwerth. Wäre er ein guter Mensch, wenn er das [nicht] thäte ? Oder wäre es auch nur möglich, daß ein Mensch, der Gottes Ordnung 30 liebt und das Wort: Was Gott thut, das ist wohl gethan! ein einziges Mahl mit reinem Herzen ausgesprochen, um des Orths willen, an den Gott eine gute Gabe hingelegt hat, sagen dörfte: Die Gabe ist nicht gut, nicht göttlich, ich mag sie nicht pflegen? Wie könnte ein Mensch, der die Ordnung Gottes liebt, einer 35 heiligen Gab Gottes, wo er sie auch immer feinden würde, seine Achtung, seine Pflege versagen? Fände er sie auch in der nie-

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dersten Hütten, fände er sie auch in [des] ellendesten, verwaistesten Kindes Hand, bist du ihr nicht Achtung, Wartung und Pflege schuldig? Ist [sie] in seiner Hand nicht eine Art höheren, göttlichen Eigenthums? s Armer Mensch, du hörst den Nahmen Eigenthum, du erhebst dich; ja, das Eigenthum muß man achten, schüzzen und bauen, in wessen Hand es sich auch befeinde, sonst geth die Erde zu Grund. Du hast Recht, aber Gottes höhere Gaben muß man [auch] achten, schüzzen und bauen, in wessen Hand sie sich auch 10 imer befeinden, sonst geth die Menschheit zu Grund. Und ich dächte auch, das Eigenthum ist um des Menschen, der Mensch nicht um des Eigenthums willen da. Und wenn Erziehung und Staatskunst Hand in Hand schlagen, daß das Eigenthum nicht zu Grund [gehe], sonder Zins trage und Früchte bringe, in 15 wessen Hand es sich imer befeinde, soll denn wenigstens das gute Herz des Menschen sich erheben [und] Hand in Hand schlagen, daß Gottes höhere Gaben die Achtung und die Pflege feinden, deren der niedere Erdenkath so wesentlich bedarf und so allgemein feindet. Soll das gute Herz der Menschen nicht Hand in 20 Hand schlagen, daß auch diese höhern, diese edlen Gaben nirgend, wo sie sich imer befeinden, zu Grund gehen, sondern allenthalben, wo sie sich imer befeinden, Zins tragen und Früchte bringen könen, und zwahr in dem Grad und mit der Unterscheidung, in dem diese Gaben würklich im Menschen leben? Oder ist der 25 Mensch gut, der das nicht will, und was ist der Mensch, der nicht gut ist, Gott, was ist er seinem Geschlecht? Die Elementarbildung leßt dieses nicht gut syn, sie leßt dieses [nicht zu], mit dem offenbaren Willen Gottes nicht in Übereinstimmung zu stehen und die Menschheit in ihren ersten, in ihren so göttlichen Gaben unbehulfen und ungepflegt zu Grund gehen zu lassen, weil der Orth, wo diese Gaben von Gott hingelegt sind, ihr nicht anstehe. In Übereinstimmung mit dem Christenthum erkent sie die Pflicht dieser Verehrung ihres ewigen Gebers, indem sie die Anlage und ihre Kraft an Menschennatur, in wessen Hand 35 sie sich immer befindet, in dem Grad wirksam und lebendig zu machen sucht, in dem sie ihm gegeben ist. Sie erhebt den seltenen Mann, der es fähig ist, zur Heldenhöhe des Geistes, eben wie das Christenthum den seltenen Mann, der es fähig, zur Heldenhöhe des Herzens erhebt. Und wie das 2 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Christenthum dieses durch eben die Mittel bewürkt, durch die es auch die schwache, weinende Mutter, den unbehelfliehen, aber guten Menschen, und den leidenden, auch den selbst jammernden, versunkenen Unglüklichen, wenn auch keine Ader von seltenen Heldenkräften in ihnen schlägt, zu inerer hoher Beruhigung 0 hinführt, also entfaltet die intellektuelle Elementarbildung die Heldenkräfte des Geists und der Kunst, wo ihre Anlagen immer da sind, durch eben die Mittel, durch die sie auch schwächere Kräfte von Menschen, in denen auch keine Ader von geistiger Heldenkrafffc schlägt, denoch beruhiget, indem sie sie für alles 10 belebt, was nicht außer dem Erreichungsvermögen ihrer Kräfte selbst liegt. Die höhere Wahrheit ist auf jedem Standpunkt sich gleich. Die sittliche Bildung ist Menschenbildung, die intellectuelle ist eben das, also treffen sie sich in jedem Vergleich, müssen sich auf is jedem treffen. So wie auf der einen Seiten des Christenthums höchster, heiligster Standpunkt und sein höchstes Ideal ist, daß das christliche Kind schon in der Unschuld seiner umündigen Tagen von seiner heiligen Krafft ergriffen und durch ununterbrochene Reihen christlicher Übungen durch seine ganzen 20 Jugendjahre zu der Höhe des reinen christlichen Lebens erhoben werde, und denoch by aller Unumstößlichkeit dieser Grundsäze hinwieder wahr ist, wenn ein guter Mensch ohne diese Führung aufgewachsen, und wenn er sogar tausend irrige, ja selbst niedrige Lebensansichten verbirgt, von allen Mittlen einer edleren 25 [Führung] beraubt [und] entblößt aufgewachsen ist, kaum die Sprache des einfachsten Religionsunterrichts zu begreifen ve[rmag], das Christenthum kann ihn denoch mit aller seiner heiligen Kraft ergreifen und zur höchsten Erhabenheit der sittlichen Bildung emporheben. so Ganz auf eben diese Weise ist es freilich auch der höchste Standpunkt der intellectuellen Elementarbildung und das idealische Ziehl ihrer Vollendung, daß das Kind von ihr in der Unschuld seiner unmündigen Tagen ergriffen und von einfachsten Anfangspunkten durch die lückenlose Reihe ihrer Mittel zur 35 höchsten diesfälligen Kraft erhoben werde. Es ist indessen nicht weniger wahr, daß auch der Mensch, der in seiner Jugend alles gemangelt, was zur früheren Entfaltung seiner diesfälligen Kräften nothwendig gewesen wäre, und sogar der, dessen Anlagen nicht

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nur durch Irrthum und Vorurtheile eine falsche Richtung erhalten, noch in seinen altern Jahren von der intellektuellen Elementarbildung entschiedene Hülfe nicht nur zu einer ihm genugthuenden, sondern sogar zu einer ausgezeichneten Aus5 bildung gelangen kann. Daß aber dieses würklich der Fall sy, das kan [weder] dem tiefferen Forscher der Methode noch dem unbefangenen Beobachter ihrer Resultate entgehen. Aber nicht jeder Forscher geth tief und nicht jeder Beobachter ist unbefangen, und die gewöhn10 liehen Urtheile über im Welt- und Zeitthon noch nicht entschiedene Gegenstände sind vast immer ein Gemisch von Untiefe und Befangenheit. Darum will ich die Richtigkeit der Übereinstimmung der sittlichen Elementarbildung, die wir dem Christenthum danken, mit unsrer intellectuellen Elementarbildung etwas is umständlicher ins Licht setzen. Eben wie das Christenthum greift auch sie in die Einheit und die Kräfte unsrer Natur, eben wie es spricht sie den Menschen mit allen seinen Kräften und Anlagen ganz an und erregt sie alle. Hinwieder wie das Christenthum nicht bloß den einzelnen Men20 sehen ergreift, sondern die Menschheit selber im ganzen Umfang ihres vielseitigen und verwirrten Daseyns, also spricht auch die Elementarbildung nicht bloß den einzelnen Menschen, in der Einheit und dem ganzen Umfang seiner Kräften, sondern auch das ganze Menschengeschlecht in der Einheit und dem ganzen Um25 fang seines Daseyns [an]. So sehr wir die intellektuelle Elementarbildung vermög der Schranken unserer Natur nur als Bildung eines einzelnen Theils der Einheit unserer Gesamtkraft anerkennen müssen, so sehr erkenen wir doch mitten in der Beschrenktheit dieser Ansicht, so daß sie der Menschheit allgemein zugehört und eben wie das Christenthum durchaus kein Vorrecht der Glüklichen oder glüklich Scheinenden unsers Geschlechts [ist]. Nein, so wenig die Lehre Jesu, wo sie gepredigt wird, dem Armen [und] Niedrigen im Land entzogen werden kann, so wenig ihr Segen zum ausschlie35 ßenden Vorrecht der Reichen [und Mächtigen gemacht werden kann, so wenig hinwieder der Arme und Verlassene im Land im Glauben an Jesu Christum stillgestellt und gehindert werden kann, und durch ihn zu dem höchsten Gipfel, zur höchsten Erhabenheit der Religiosität und des Christenthums gelangen kann, wenn

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Gott ihn dazu beruft, so wenig ist es möglich, das Wesen der intellektuellen Elementarbildung, wenn sie einmal da ist, dem Armen und Verlassenen im Lande zu entreißen und sie dem Glüklichen oder glüklich Scheinenden zum ausschließenden Erbtheil zu machen. Wo sie immer gelehrt ist, da ist es unmöglich, s den Armen in ihren Vorschritten still zu stellen und ihn zu hindern, daß er nicht durch sie zur höchsten Erhabenheit des Verstandes und der Kunstkraft gelange, wenn Gott ihn dazu berufen. Und Gott hat ihn dazu berufen, wenn er ihm Anlagen dazu gegeben, und die Vorzüge der Methode stimmen hierin, wenn auch 10 hier und dort wider den Willen der Mentschen, mit dem Willen Gottes überein. Er ist es, der die Ungleichheit der Menschen unsers Geschlechts durch die Ungleichheit der Gaben, die er einem jeden von uns verliehen, gegründet. Aber er hat sie mit vätterlicher Liebe und mit göttlicher Weisheit unter uns gegründet. Wir sollen in dem Einfluß auf die Menschheit der Spur seines göttlichen Willens folgen, und wir [sollen] hierin die Ordnung Gottes erkenen. Der reine göttliche Sinn unserer Natur führt uns dahin, nicht bloß uns dieser Ordnung zu unterwerfen. Jeder fromme Mann dient 20 ihm gern und unterwirft ihr sich gern, und wenn er bedenkt, daß aller äußere Unterschied der Mentschen bloß eine Folge des innern Unterscheide ihrer Anlagen und Kräften [ist], so steht er in jedem Fall mit Ehrfurcht vor der heiligen Quelle alles äußern Unterscheide der Menschen und sieht sie mit Dank und Liebe aus 2r> der Segenshand seines Vaters fließen. Wie ihn keine menschliche, keine irrdische herrliche Größe innerlich erhebt, so erhebt ihn der Gedanke, daß alle Kinder der Menschen vor dem Angesicht Gottes gleich sind, und daß, wenn er seine Gaben austheilt, er nicht darauf achtet, ob eines seiner Kinder eine Hand voll Erdenkath so mehr als das andere in der Hand habe. Die Einheit unsrer Natur feindet weder im Verstand noch in der Kunst des Menschen ihr sicheres heiliges Band. Sie feindet es nur in der Reinheit ihres Willens, sie feindet es nur in der Reinheit des menschlichen Herzens. Der Mensch ist nur in so weit mit sich selber einig, als sein 35 Geist und seine Hand dem nach innerer Vollendung strebenden Herzen gehorcht. Er ist in ewiger Zerwürfnis mit sich selbst, wenn er die Reinheit seines [Herzens] den selbstsüchtigen Ansprüchen seiner unveredelten Geisteskrafft oder KunstkrafFt unterwirft.

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Es ist also äußerst wichtig oder vielmehr es ist absolut nothwendig, daß die Übereinstimmung der intellectuellen und der Kunstelementarbildung mit der sittlichen in ein unwiedersprechliches Licht gesezt werde. Sie kan weder dem tieferen Forscher s der Menschen noch dem unbefangenen Beobachter der Resultate unsrer Versuchen entgehen. Aber ich gehe dennoch in einige Details und fange mit der Übereinstimmung der intellectuellen Elementarbildung mit der sittlichen, und mit ihrem höchsten Ideal, dem Christenthum, an. In ihm, im Wesen des Christen10 thums ligt das ewige Fundament, auf dem die Bildung aller mentschlichen Krafft in der Wahrheit und der Liebe ruhet, folglich das ewige Fundament aller reinen Elementarbildung. Diese geth also durchaus nicht von der Geistesbildung, sie geth nicht von der Bildung zu irgend einer Kunst oder [einem] is Beruff, sie geth einzig von der Bildung des Herzens zur Wahrheit in der Liebe aus. Sie sichert das Göttliche im Menschen, eh sie das Mentschliche in ihm ausbildet. Aber sie erhebt das Menschliche zum Göttlichen, weil sie das Menschliche in Übereinstimmung mit dem Göttlichen, das in unserer Natur ligt, ausbildet. In diesem 20 Gesichtspunkt muß die Frage: Ist die Elementarbildung, insofehrn sie die intellectuellen Kreffte unsrer Natur entfaltet, und hinwieder, insofehrn sie die Anlagen der mentschlichen Kunstkrafft entfaltet, mit der höchsten Reinheit der sittlichen Elementarbildung, mit dem Christenthum in Übereinstimmung ? 25 Es ist ausgemacht, die Geisteskrafft hat keine feste Haltung als in der Hoheit des Herzens, und ebenso die Kunstkrafft. Die Richtigkeit und Sicherheit aller Bildungsmittlen des Geists und des Herzens sind also der Richtigkeit und Sicherheit des Herzens untergeordnet. Wo imer Harmonie in der menschlichen Bildung so [besteht], da ist sie wie das Christenthum auch in ihren vorzüglichsten Resultaten das allgemeine Theil der Menschheit [und] durchaus nicht ausschließliches und vorzüglich nicht ein Vorrecht der Glüklichen, das dem [Armen] unerreichbar; nein, so wenig [wie] die Lehre Jesu, wo sie imer gepredigt wird, dem 35 Niedrigen und Armen im Land entzogen werden kan. Auch erkennt die Elementarbildung im Ganzen, und folglich der Geist und das Wesen unsrer Methode die sittliche Bildung durchaus nicht als eine bloße Begleiterin der intellectuellen und physischen, sonder als das absolute Fundament der Wahr-

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heit und Reinheit von byden andren. So groß ihre Harmonie ist, so groß ist das Bedürfnis ihrer Unterordnung da, ohne die die Harmonie nicht da syn könte. Sie [ist] aber da, sie ist in der intellectuellen und Kunstbildung in der Elementarbildung mit Wahrheit und Kr äfft da. 1) etwa zu S. 191, Z. 21 ff. Wenn wir diese Grundbegriffe über die Elementarbildung unsers Geschlechts näher ins Äug fassen, so erhellet ganz klar, sie ist in ihrem Wesen nichts weniger als eine neue Bildungsmanir unsers Geschlechts. Im Gegentheil, im Gegenteil, sie ruft dem 10 Eltsten, dem Gereiftesten, das je in der Natur da war, um uns von den vielen drükkenden Lasten, von allem Schwachen, Neuen, Oberflechlichen und Unreiffen das, was so schwer auf dem Nakken ligt, wenn es möglich ist, zu erlösen. In sittlicher Hinsicht ist so gar kein neues Wort über die 15 ganze Elementarbildung zu verlieren, und ich muß auf die Frage: Hat die Methode — * Ich habe dies Gefühl, das Gefühl der Vollkomenheit der Kinderliebe nie [in] seiner reinern Hoheit ausdrükken gehört, [als] da einmahl ein Kind seinem Vatter, der ihm liebkosend 20 und scherzend sagte: Wenn du einst groß bist, denn wird du mich recht lieben! antwortete: Nein, o nein, wenn ich so groß werde als der Goliaht, so kann ich dich nicht mehr lieben, als ich dich jez liebe! Eben so fühlt das Kind in der ersten geistigen Handlung, deren 25 es sich bewußt ist, die Vollkomenheit. Es fühlt, es muß fühlen, wenn es hundert Jahr alt würde, so könte ihm die Wahrheit l und l macht 2 ewig nie eine andere, eine größere Wahrheit werden, als sie ihm jez ist. Es lebt also in den ersten Schritten seiner intellectuellen Krefften in vollendeter, vollkomener so Wahrheit. Ich fahre in meiner Vergleichung fort. m) zu S. 192,Z.21ff. Ich fahre fort. Eben wie der Arme so gut kan from syn als

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der Reiche, und auf der Stuffe der Fromkeit auf einer weit höheren Stuffe als der Reichste, eben so kan der Arme elementarisch gebildet werden wie der Reiche, und in dieser Bildung sich höher erheben als der Reichste. Der Mensch ist in seinen 5 inneren Verhältnissen eben so ungleich, und noch mehr als in seinen äußeren, und es kan im hintersten Winkel imer doch ein Mensch leben, dessen Geisteskrafft und Herzenshöhe sich zu der Kraft und der Höhe des Geists und des Herzens verhaltet wie das Eigenthum des Millionärs zu dem Eigenthum des Bettlers. 10 Das Eigenthum des Kath bedarf allerdings eines festen Schuzes, aber das höhere, das göttliche Eigenthum hat ganz gewüß auch ein Recht, und denn noch ein allgemeines, göttliches Recht. Die Methode ist geeignet, hierin auch dem Armen und Verlassenen zu seinem Recht zu verhelfen. is

n) zu S. 193, Z. 4 ff. (Kopie) Eben wie die sittlichen Elementarübungen die sittliche Natur des Menschen in ihrem ganzen Umfang ergreifen, und hinwieder wie die reine Mutterliebe als Anfangspunkt der sittlichen Erhebung eine vollkomene Liebe ist, also ergreiffen die intellec20 tuellen Übungen in Zahl und Form die geistige Natur des Menschen in ihrem ganzen Umfang. So ist auch die erste, einfachste Übung im Zusamensezzen, Trenen und Vergleichen eine vollkomene geistige Übung. Selber der Gang ihrer Entfaltungsmittel ist imer und eben 25 derselbe. Von der Einfachheit der Mutter ausgehend, steigt die sittliche Elementarbildung in lükkenlosen Schritten zur höchsten Erhebung der sittlichen Krafft, und ebenso schreitet die intellectuelle Elementarbildung von der höchsten Einfachheit ihrer Anfangspunkte durch lükkenlose, aber sichre Schritte zur höch30 sten Entfaltung der geistigen Anlagen unsrer Natur. Hinwieder wie jede reine Elementarübung der sittlichen Krafft in ihrem Wesen nichts anders ist und nichts anders syn kan als eine sittliche Handlung selber, und zwahr eine, die dem Entfaltungspunkt der Sittlichkeit, auf dem das Kind steth, an35 gemessen und von seiner ganzen sittlichen Krafft als Folge seines sittlichen Lebens und als nothwendig zur Stärkung dises Lebens und seiner Krafft angesprochen wird, so ist auch jede reine

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Elementarübung der geistigen Krafft nichts anders als eine Handlung unserer geistigen Krafft selber, und z wahr eine solche, die dem bestirnten Entfaltungspunkt, auf [dem] die geistige Krafft des Kind steth, ganz angemessen, und darum auch von seiner ganzen geistigen Krafft als Folge seines geistigen Lebens 5 und als nothwendige, ihm bedürftige Übung zur Stärkung dieses Lebens und seiner Kräfften angesprochen wird. Und wie in der sittlichen Bildung jede Einmischung von äußren zufelligen Folgen der Handlung, jede Einmischung von Neigung für Ehre und von Forcht vor Schande, der Reinheit und 10 Heiligkeit der göttlichen Entfaltung diser Kräffte wesentlich nachteiliger als sie befördernd angesehen werden muß, wie nicht das idealische träumende Bewußtsyn seiner sittlichen Krafft selber, sonder der imediate, seine Natur inig beseligende Eindruk der Augenblikhandlung der sittlichen That selber das 10 einige wahre, unsere Befriedigung belohnende und erhebende und die sittliche Krafft rein stärkende Gefühl ist, das von der Unschuld der sich sittlich bildenden und emporhebenden Natur des Kinds angesprochen wird, so ist auch in der geistigen Elementarbildung jede Bymischung der Gefühle von Ehre und 20 Schande und jeder Antrieb der disfeligen Kräffte durch Nacheiferung, ihrer wesentlich richtigen und unschuldigen Entfaltung mehr nachteilig als förderlich. Und so wie jede elementarische sittliche und geistige Übung aus der Natur [und] dem Wesen des Menschen selber ausgeth, 25 und nicht vom Zufeligen und Unwesentlichen, muß auch [das Wesentliche] unsers Syn in sie hineingebracht werden. Selber das idealische träumende Bewußtsyn des verheltnismeßigen Grad seiner Krafft, und der Vergleich mit dem Grad irgend einer ändern ist kein rein elementarisch bildendes Mittel so dieser Krafft; im Gegenteil, auch dieses hemt das göttliche Wachsen der Krafft in ihrer Unschuld und im heiligen Dunkel derselben. Nur das reine Gefühl der Augenblikshandlung, in dem das Kind die Auflösung ein [es] ihm gegebenen geistigen Problems in sich selber feindet, nur dieses Gefühl ist als reine geistige 35 Krafftbüdung [anzusehen. Wer das blizende Auge der griechischen Jugend, wenn sie das Wort Eureka in dem erhebenden Augenblick der Auflösung eines solchen Problems ausgesprochen, sich zu denken [vermag], und wer das blizende Auge meiner

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Zöglinge [sah] in dem Augenblik, in dem sie [beim] Auffinden einer solchen Auflösung ihr natürliches Ich h ab s! aussprechen und sich froh fühlen wie Engel, und das Göttliche ihrer Natur lachend und froh in ihnen aussprechen [gesehen], wie [es] sich in 5 dem Äug der Unschuld in Freudenthränen ausspricht, im Gefühl der inneren Erhebung einer reinen sittlichen That, der sucht dir zur Belebung zum Höchsten und Reinsten, dessen die menschliche Natur fehig ist, keine Belohnung und keine Straffen, und feindet in der leidenschafftlichen Nacheiferung für das Heilige seiner 10 Zwekke keine ihm nöthige Hülfe. Er baut wenigstens für den Umfang seiner Bildungsmittel weder auf das einte noch auf das andere. Die Menschennatur ist Gottes, sie ist eine göttliche Natur. Die Welt bildet sie nicht göttlich, sie bildet sie nicht erhaben, weder is sittlich noch geistig. Und welche Bildungsweise immer nicht zur göttlichen Erhabenheit ihrer selbst hinführt, die ist der Menschennatur unwürdig, sie ist Gottes nicht würdig, sie ist nicht göttlich, sie ist nicht mentschlich. Nein, ohne in Verbindung mit dem Göttlichen bildet sich unser Geschlecht auch nicht mensch20 lieh. Die Übereinstimmung der sittlichen und der intellectuellen Elementarführung ist im ganzen Umfang ihrer gegenseitigen Mittel vollkomen. Ich gehe in meiner Vergleichung weiter. Wenn auf der einen 25 Seiten die Elementarübungen in Zahl und Form streng wüssenschafftlich und dadurch von [der] fryen bildenden Natur ganz abgerissen scheinen, so [darf] man sich hierin nicht irren. Eben wie Gottes Natur geth die Elementarbildung der geistigen Begriffe des Kinds durch alle ihre Mittel höchst langsam. Es reifet so in jedem Schritt seiner diesfeligen Erkandnis aus, wie es in der Natur darin ausreiffet; denn es ist im Wesen dieser Mittel eben wie in der Natur keine Lükke, kein Sprung und kein Drang. Leicht und sicher ist jeder Schritt dieser Mittel, eben wie die Schritte der Natur alle leicht und sicher sind. Aber darum sind 35 und sollen sie nicht weniger krafftvoll und ihrer Krafft bewußt [sein]. Darum sind sie nicht weniger ihrer Resultate sicher, und sie selbst ihrer Krafft bewußt. Die Hand der Mutter ist auch leicht, aber sie ist um deswillen nicht weniger krafftvoll, sie ist um deswillen nicht weniger ihrer

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Resultate sicher und ihrer Krafft bewußt. Die Hand der Mutter, an der ihr Kind gehen lehrt, ist ja auch krafftvoll, sie ist ihrer Krafft bewußt, ob sie gleich leicht [und] samft ist, ohne allen Drang handlet. Die Sicherheit des Erfolgs ihrer Krafft ruhet frylich auf dieser Leichtigkeit, auf ihrem samften Wesen und auf s der Entfehrnung alles, das ganze Wesen des Kinds störenden Drangs. Aber was wäre ihr leichtes, samftes Wesen, was wäre die Entfehrnung alles Drangs und alles Eifers auf ihr Thun ohne ihre Krafft und ohne das Bewußtsyn ihrer Krafft? Also ist die gesicherte, die gereifete Krafft der Methode nicht ein Hinternis 10 des leichten, samften Gangs der Natur, sondern ein Beförderungsmittel derselben und die einige mögliche Sicherstellung der Resultate ihres Gangs. Es herscht im Umfang aller dieser Mittlen ein Geist der Wahrheit und der Liebe, folglich der ineren Übereinstimung is mit allem Heiligen und Reinen der Menschennatur. Aber dieser Geist kann nur durch den unschuldigen und treuen Gebrauch dieser Mittel wahrhaft erkandt, und das Menschliche frylich im Gefühl der höchsten Demuth mit dem Göttlichen verglichen werden. Aber mitten im Gefühl dieser Demuth erhebt es 20 mein Herz, daß Jesus Christus den Gang seiner sittlichen Lehre und ihres Einflußes auf unser Geschlecht nicht auf die Erkandtnis seiner Ansichten, sonder auf ihre Ausübung baute. o) etwa zu S. 193, Z. 17 ff. (Kopie) Wenn wir diese Grundbegriffe über die Elementarbildung 25 unseres Geschlechts näher ins Auge fassen, so erhellet aus ihnen klar, daß sie nichts weniger als eine neue Bildungsmanir unseres Geschlechts begründen oder begründen sollen. Im Gegentheil, es erhellet aus ihnen, daß sie beides, dem Ältesten und dem Gereiftesten, das unser Geschlecht für seine innere Bildung immer 30 angesprochen, von jeher besessen, mit der ganzen Kraft der Natur selber und mit dem ganzen Umfang ihrer Ansprüche wieder hervorrufen, und geeignet sind, uns von der vieldrückenden Last aller Zeitneuheiten unsrer schwachen und oberflächlichen Bildungsmanier, wenn es möglich ist, wieder zu erlösen. 35 In sittlicher Hinsicht ist ihr selber die Idee der Neuheit fremd, und [ich] sehe mich im Fall, auf die Frage: Hat die Methode für

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die diesfelige Bildung eigene, eigens erfundene und eigens organisirte Mittel? geradezu mit Nein zu beantworten. Alle Elementarmittel der sittlichen Bildung liegen in himlischer Reinheit und göttlicher Vollendung im Christenthum, und 5 es kann hierüber keine andere Frage stattfeinden als: Ist das Menschliche unserer geistigen und physischen Elementarbildung mit dem Göttlichen und Ewigen der reinen sittlichen Elementarbildung, wie das Christenthum sie uns gibt, in gehöriger Übereinstimmung ? 10 Ehe ich aber diese Frage beantworten kann, muß ich Nachfolgendes vorhergehen lassen. Vor allem aus ist gewüß, die Idee der Elementarbildung im ganzen, und folglich der Geist und das Wesen unserer Methode sieth die sittliche Bildung nicht bloß als eine nothwendige Beiö gleiterin der intellectuellen und phisischen, sondern als das wesentliche und absolute Fundament des ganzen Umfang aller wahren Elementarbildungsmittel an. Ebenso erkennt sie keine der Menschennatur genugthuende und ihre Kraft wirklich sichernde Basis, als reine Religiosität. Diese Äußerung voraus20 gesetzt, ist nun leicht zu zeigen, wie der Umfang der Elementarmittel und der intellectuellen und phisischen Bildung in vollkommener Übereinstimmung steht. Die Vergleichung der Mittel und gegenseitigen Würkungen der sittlichen und der intellectuellen Elementarbildung führt 25 unbedingt zum gleichen Resultat. Mehr als 20jährige Jünglinge, die ohne Vorkenntnisse und ohne alle frühere Bildung in diesem Alter die Methode studieren, [können] durch sie dahin gebracht werden, als Lehrer der Methode dazustehen, insofern diese rein als bloßes Erhaltungsmittel so der menschlichen Anlagen und nicht in Anwendung auf wissenschaftliche Gegenstände gegeben werden soll. Es ist Thatsach, daß Mentschen mit vorzüglich guten Anlagen auch in diesem Alter und by allen berührten Hinternissen tunlich leicht dahin zu bringen sind, alles, was von der Methode in Volksschulen anas wendbar ist, das heißt die Methode, insoferne sie bloß elementarisch ist, in ihrem ganzen Umfang zu lehrnen. Ihre Mittel sind so einfach, daß ein Kind das andere sie lehren kann. Wenn nur ein einziger Mensch in einem Dorf ihrer mächtig [ist], so kann er, wenn er Liebe zur Jugend hat, und seine Freude im Dienst

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seiner Mittmenschen sucht, ihren Segen in seinem Dorf selber allgemein machen. Es ist durchaus wahr, wo die Methode immer in ihrem Geiste und in ihrer Wahrheit dasteht, da ist sie das Theil aller, die sie nur wollen. Wo sie also da ist, da braucht der Mensch nichts als sich selber und seinen Willen, um sie in s aller Kraft, der er selber fähig ist, zu besitzen. Ich kenne in weiten Kreisen der menschlichen Kultur nichts, von dem dieses eben so wahr ist als das Christenthum, aber von diesem ist es auch dann ganz wahr. Wo es immer einmal da ist, wo es immer einmal im Geist und [in] der Wahrheit feststeht, da ist es auch 10 mit seinem ganzen Segen das Erbtheil aller derer, die es nur wollen, und der Mensch braucht, um es zu besitzen, nichts als sich selbst und seinen Willen. Aber man fragt mich: Ist der Grad [der] intellektuellen Kraft, zu dem die Elementarbildung allgemein hinführen soll, denn 10 auch allgemein wünschbar? Um auf die Frage antworten zu könen, muß man frylich das Wesen der intellectuellen Elementartbildung] genau [kennen]. Aber wenn man das kent, so fallt denn heiter [ins Auge], daß die Frage: Ist die Elementarbildung der intellectuellen Kräfften allgemein wünsch [bar]? gar 20 nicht viel schiklicher ist als die Frage: Ist die sittliche und christliche Bildung auch allgemein wünschbar? Denn das ist unwiedersprechlich, was imer wieder die Wahrheit und wieder die Liebe ist, das ist auch wieder die christliche Wahrheit und wieder die christliche Liebe. 25 Aber könte man nicht auch so fragen, ob der Grad der sittlichen Bildung, zu dem das Christenthum hinführt, allgemein wünschbar? Und ich dächte, wenn gezeigt werden kan, daß die Mittel der intellectuellen Elementarbildung mit den wesentlichen und unabenderlichen Mittlen der sittlichen und religiösen Bildung so in vollkomner Harmonie stehen, so sye die aufgeworffne Frage genugthuend beantwortet. Wir müssen, um die Frage richtig zu beantworten, oder vielmehr, um die Frage als ganz unschiklich zurükgeben zu könen, nothwendig auf den Gesichts[punkt] zurükkommen, ob die Elementarmittel unsrer intellectuellen und 35 phüsischen Bildung mit denjenigen unserer sittlichen und religiösen wesentlich genugthuend in Übereinstimung stehen. So wie in sittlicher Hinsicht die Bildungsfundamente unseres Geschlechts, die Gefühle und Kräfte, von denen seine sittliche

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Veredlung ausgeht, nicht durch irgend eine äußere Kunst und Geschicklichkeit in die menschliche Seele hineingebracht werden könen, und wie hinwieder das religiöse Streben nach unendlicher Vollkommenheit in diesen Gefühlen und Kräften eine 5 nothwendige, von der Natur selbst eingelenkte und hervorgebrachte Folge der Wahrheit und des Lebens in diesen Gefühlen und Kräften selbst, und des Organismus des Wachsthums derselben selber ist, also ist auch die menschliche Kraft, die Gegenstände unserer Anschauung geistig zusammenzusetzen, zu tren10 nen und zu vergleichen, nicht durch irgend eine äußere Kunst in die Seele des Menschen hineingebracht; sie ist ihrem Wesen eigen und von ihr untrennbar. Die menschliche Seele ist ohne ihr Daseyn nicht denkbar, und hinwieder das Streben nach einem unendlichen Wachsthum dieser Kraft nichts anders als eine Folge is der Wahrheit und des Lebens in dieser Kraft selber, und des Organismus ihrer eigenen Entfaltung. In Verbindung mit dem Streben nach der Unendlichkeit in der sittlichen Kraft wird dann das Streben nach der Unendlichkeit oder nach unendlicher Vervollkomung der intellectuellen 20 und Kunstkräften seiner selber ein Streben nach göttlichen Kräften oder vielmehr nach göttlicher Vollendung unserer menschlichen Kräfte. Hinwieder wie die von der Mutterliebe gewekte Kindesliebe von der Einfachheit und Unschuld, und dieses Streben nach unendlicher Vollkomenheit in sittlicher Hinsicht 20 auch von der Einfachheit der Unschuld [ausgeht], wie die Liebe schon im Keim ihrer Entfaltung eine vollkommene Liebe ist, also geth auch des Streben nach unendlicher Vervollkomung in intellectueler Hinsicht von der Einfachheit, und auch das Einfachste von dieser höchst einfachen, aber lebendigen Anre3o gung der Grundkraft des Denkens aus. Aber dieses Denken ist in der höchsten Einfachheit seines Entkeimens schon eine Vollkomenheit. Die erste einfachste Übung im Zusamensetzen, Trennen und Vergleichen ist eine vollkomene geistige, und macht das Be35 wußtsyn der Kvafft zu denken vollkomen reg. Die Sach ist wichtig. Mit dem Bewußtsyn der Krafft zu denken ist das Bewußtsyn des Nichtdenkens nothwendig gepaart. Das erste erhebt, das zweite bestärkt. Ich habe in sittlicher Hinsicht das Erhebende dieses Gefühls und des Bewußtsyns der bestirnten Vollkomen-

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heit dieser Krafft in den ersten Schritten seiner Entfaltung nirgend treffender ausgedrükt gehört als in der Antwort eines Kindes, zu dem sein Vater liebkosend und scherzend sagte: Ich bin Dir jetzt lieb, aber wenn Du einst groß seyn wirst, um wie viel mehr werd ich [Dir] denn einst lieb seyn? Nein, nein, er- s wiederte das Kind, wenn ich so groß wäre als Goliath, so wirst Du mir nicht lieber seyn, als Du es jetzt bist. Eben wie dieses fühlt das Kind der Methode bey der ersten geistigen Handlung, der es sich bewußt ist, die Vollkommenheit dieser Handlung; wenn es auch hundert Jahre alt würde, so 10 könnte ihm die Wahrheit: eins und eins macht zwey, nie eine größere, nie eine vollendetere Wahrheit werden, als sie im Augenblick ist, in dem es sie würklich erkennt. Hinwieder, wie jede Übung der sittlichen Kraft in ihrem Wesen nichts anders ist und nichts anders seyn kann als eine sittliche 10 Handlung selber, und zwar eine solche, die dem Standpunkt der sittlichen Entfaltung, auf dem das Kind steht, angemessen, und von seiner ganzen sittlichen Kraft als Folge seines zeitlichen Lebens, zur Stärkung dieses Lebens selber, in seiner Kraft angesprochen wird, so ist auch jede Elementarübung der geistigen 20 Kräfte nichts anders als eine Handlung unserer geistigen Kraft selber, und zwar eine solche, die dem bestimmten Entfaltungspunkt der geistigen Kraft, auf dem das Kind steht, ganz angemessen, und darum auch von ihr als Folge seines geistigen Lebens und als nothwendige, ihm zur Stärkung dieses Lebens 25 und der Kräfte desselben bedürftige Übung angesprochen wird, desnahen auch keine äußere Beweggrund, die nicht rein aus der Natur der menschlichen Krefften selber ausgehen, auf die elementarische Entfaltung diser Krefften realen Einfluß haben könen. Ehr und Schande so p) zu S. 193, Z. 17 ff., abweichend Die allgemeine [Seite] seiner Bildung. Von einer vorzüglichen Seiten zeichnet sich die Übereinstimung der sittlichen und der intellectuellen Elementarbildung dadurch aus, daß die eine wie die andere, die Elementarbildung 35 wie das Christenthum, in ihrer höchsten Vollendung wie in ihren ersten Anfangspunkten, in ihrem Wesen nicht als ein Vorrecht einzelner Glüklicher auf einzelne wenige unseres Geschlechts kann

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beschränkt, sonder demselben als sein göttliches Erbtheil allgemein muß gelassen werden. So wenig als es möglich, die Lehre Jesu, wo sie gepredigt wird, dem Niedrigen und Armen [zu] entziehen und sie zum ausschließ5 liehen Vorzug des Reichen zu machen, so wenig als es möglich, den Armen und Verlassenen im Glauben an Jesum Christum still [zu] stellen und ihn zu hintern, durch sie zur höchsten Erhabenheit der Religiositet und des Christenthums zu [gegangen, wenn Gott ihn dazu beruffen, so wenig ist es möglich, denn das 10 Wesen der intellectuellen Elementarbildung, wenn sie einmal da ist, dem Armen und Verlassenen [zu] entreißen, wo sie gelehrt wird, und sie zum ausschließlichen Vorzug der Reichen [zu machen]. Wer kan den Armen und Verlassenen in seinen Vorschritten stillstellen und ihn hinteren, durch sie zur höchsten Erhabeni5 [heit] der Verstandes- und Kunstkrafft zu gelangen, wenn Gott ihn dazu beruffen ? Und Gott hat ihn dazu beruffen, wenn er ihm die Anlagen [da]zu gegeben. Die Vorzüge der Methode stimmen hierin, wenn auch hier und dort wieder den Willen der Welt, mit dem Willen Gottes überein. 20 Er ist [es], der die Ungleichheit der Menschen durch die Ungleichheit der Gaben, die er ihnen verliehen, unter seinen Rinderen, den Menschen, gegründet. Er hat sie mit vätterlicher Liebe und mit göttlicher Weisheit unter seinen Rinderen [verteilt]. Menschen, wiedersteht seinem göttlichen Thun, wiedersteht seiner 25 [Liebe nicht], bleibet im Rreis eurer Brüder in Übereinstimung mit diesem Thun eures Gottes! Aller äußre Unterscheid unter den Menschen ist eine Folge des inneren Unterscheide ihrer Anlagen und Rräfften. Menschen, steht mit Ehrforcht vor der heiligen Quelle alles äußeren Unter30 scheide unter den Menschen! Sie fließet rein aus der Seegenshand euers Vatters. Vor Gott, in Gott ist der Mensch gleich. Was macht das Gott, wenn der eine der Menschen seine Hand voll Rath [hat, und] der eine mehr hat als der andere? Er hat seine Gaben unter wesentlich gleiche Brüder ausgeteilt, und wenn er 35 dem einen seiner Rinder Talente gegeben, die die Rreffte von 10 000 und wieder 10 000 anderen seiner Rinder übertreffen, so konte er darin keine Rüksicht nehmen auf das Quantum Erdenkath, das der eine von ihnen mehr als der andere von ihnen in seiner Hand hat, und nahm keine darauf. Aber die vorzügliche

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Gabe, die Gott in sittlicher, intellectueller und Kunsthinsicht einem Menschen vor tausend anderen gegeben, ist [um] deswillen nicht weniger gut, und göttlich gut abgegeben an den Orth, an den sie würklich abgegeben worden, sy dieser auch, wo er wolle. Die Gabe ist das Eigenthum, das heilige, das göttliche Eigen- 5 thum des Mans, der sie empfangen, und wer den göttlichen Geber verehrt, verehrt auch in der heiligen Gabe, in wessen Hand sie sich imer befeinde, den ewigen Geber. Die Elementar[bildung] zeigt diese Verehrung des ewigen Gebers, ihre Krafft in jedem Menschen nach dem Grad zu beleben und würksam zu 10 machen, nach dem sie ihm gegeben ist. Eben wie das Christenthum greift auch die intellectuelle Elementarbildung in die Einheit unsrer Natur und in den Umfang aller unsrer Kreffte [ein]. Auch sie spricht den Menschen mit allen seinen Anlagen, Krefften und Fertigkeiten ganz an und is erregt sie alle. Und hinwieder wie das Kristenthum nicht [nur] in das Ganze der Menschennatur eingreift und den Menschen [als] Ganzes anspricht, sonder auch die Menschheit in ihrem ganzen Umfang anspricht, allso spricht auch die Elementarbildung das Menschengeschlecht in seinem ganzen Umfang an. 20 Und daß dieses also sy, daß die Idee der geistigen Elementarbildung in ihrem Wesen und in ihrem Umfang ganz mit dem Wesen des Christenthums übereinstimmt], kan weder dem tiefferen Erforscher der Methode noch dem fromen Beobachter ihrer Folgen entgehen. 25 Ihre Übereinstimmung mit der sittlichen Erhebung unserer Natur durch das Christenthum ist hierin vollständig. Es gibt eine Heldenhöhe im Christenthum, das den seltenen Edlen zu der Heldenhöhe des Herzens erhebt. Durch eben die Mittendurch die sie das thut, auch die schwache weinende Mutter, den unbe- so helflichen guten Menschen und den leidenden, in dem Selbstjammer versunkenen Uglüklichen, wenn auch [keine] Heldenader von seltenen Kräfften in ihm schlägt, zu innerer hoher Beruhigung [bringt], also entfaltet die intellectuelle Elementarbildung Heldenkreffte der Kreffte des Geists und der Kunst, wo 35 immer Heldenanlagen des Geists und der Kunst da sind. Aber durch eben die Mittel, durch die sie das thut, beruhiget sie auch jede schwächere Krafft, indem sie für alles belebt, was nicht ausser ihrem Erreichungsvermögen selbst ligt.

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Auffallend ist, eben wie bym Christenthum, sein heiligster Standpunkt, sein höchstes Ideal ist, von der Wiegen an, von der Unschuld der unmündigen Tagen durch ununterbrochene rein christliche Führung zu der Höhe des christliches Lebens zu ge5 langen. Aber laß dem edlen Menschen die Führung mangeln, laß ihn selber sich in vielem verwirren, in aller Cultur zurükstehen und kaum die Sprache des Religionsunterrichts begreiffen, die Religion kan ihn dennoch ergreiifen und sein Inneres zu ihrer Erhabenheit emporheben. 10 Ganz auf eben diese Weise ist es frylich auch der höchste Standpunkt der Methode und das idealische Zihl ihrer Vollendung, das Kind von der Wiege auf, von ihrem einfachsten Anfangspunkt durch lükkenlose Reyhenfolge zur höchsten Krafft ihrer Bildung emporzuheben. Aber nicht desto minder kan der is Mensch, der in der Jugend sich selbst überlassen alles mangelt, was die Kunst zur Entfaltung seiner Anlagen hette thun sollen, ja sogar der Mensch, dessen Anlagen durch Irrthum und Vorurtheile nicht nur stillgestellt, sondern verwirrt worden, in seinen älteren Jahren von den Elementarmittlen der intellectuellen 20 Bildung entschiedene Hülfe, nicht nur eine genugthuende, sonder sogar für eine ausgezeichnete Ausbildung seiner diesfäligen Anlagen erwarten. Zwanzig- und mehrjährige Jünglinge könen [ohne] alle Vorkentnisse und alle Weiterbildung vom Pflug zum Studium der Methode [übergehen] und ohne weitre Hülfe [als] 25 vollkomene Lehrer der Methode, insofehrn [diese] rein als bloßes Entfaltungsmittel der Anlagen und nicht in Verwendung wüssenschafftlicher Endzwekke gegeben wird, angestellt werden [und] fehig werden, alles, was von der Methode in Volksschulen anwendbar ist, das heißt die Methode, insofehrn sie bloß elemen30 tarisch ist, in ihrem ganzen Umfang zu lehren. Ihre Mittel sind so einfach, daß ein Kind das andere sie lehren kan, und wenn nur ein einziger Mensch in einem Dorf sie recht kent, der Liebe zur Jugend hat und seine Lebensfreude im Dienst seiner Mitmenschen sucht, so kan sie in kurzem im Dorf 35 allgemein werden. Ich wiederhohle es, wo sie einmahl in ihrem Geist und in ihrer Wahrheit dasteth, da ist sie das Theil aller, die sie nur wollen. Wo sie da ist, da braucht der Mensch nichts als sich selber und seinen Willen, um sie in allen Kräfften, die er derselben fähig ist, zu besizzen. Ich kene im weiten Kreis der 3 Pestalozzi Werke Bd. 22

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menschlichen Cultur nichts als das Christenthum, von dem dises auch wahr ist. Aber von ihm ist es auch ganz wahr, wo es einmahl da ist und im Geist und in der Wahrheit feststeth, da ist es auch das Erbtheil aller, die es imer wollen, und der Mensch braucht, um es zu besizzen, nichts als sich selber und seinen Willen. 0 Ist aber der Grad der intellectuellen Krafft, zu dem die Elementarbildung hinführt, allgemein wünschbar? Das fragen viele, daran zweiflen viele. Aber die Frage löst sich von selbst auf, und die Zweifel verschwinden von selbst, wenn man das Wesen und die Natur dieser Bildung neher ins Äug faßt. 10 q) zu S. 192, Z. 5 ff. (Kopie), abweichend weitergeführt Es ist Thatsache, daß Menschen mit vorzüglichen Anlagen und bei allen berührten Hindernissen es dahin gebracht haben, alles, was von der Methode in den Volksschulen anwendbar ist, d.h. die Methode, insofern sie bloß elementarisch ist, im 15 Gegensatz gegen höhere Entwicklungs- und Bildungsstufen, lehren zu können. Ihre Mittel sind so einfach, daß ein Kind das andere sie lehren kann. Ihr wesentlicher Vorzug besteht darin, daß jeder Punkt, auf dem das Kind steht, so vollendet werden muß, daß die Fähigkeit, das, was es kann, seinem Nebenkind 20 mitzutheilen, allgemein und nothwendig erzielt werden kann. Wenn ein einziger Mensch in einem Dorf der Methode ganz mächtig ist, so kann er, wenn er Liebe zur Jugend hat und seine Vervollkommnung, seine innere Erhebung, seine Freude im Dienste der Mitmenschen sucht, den Segen derselben durch sich 25 selbst, ohne Beihülfe irgend eines ändern Menschen, allgemein machen. Es ist durchaus wahr, wo die Methode immer in ihrem Geist und in der Wahrheit dastehen wird, da ist sie durch sich selbst das Theil aller derer, die sie nur wollen; wo sie immer also da ist, da braucht der Mensch nichts als sich selbst, nur seinen so Willen, um sie in aller Kraft, deren er selber fähig ist, zu besitzen. Das ist wieder nur vom höchsten Ideal der Sittlichkeit, es ist wieder nur vom Christenthum wahr. Ich fahre in meiner Vergleichung fort. So wie in sittlicher Hinsicht die Bildungsfundamente unsers 35 Geschlechts, die Gefühle und Kräfte, von denen seine sittliche Veredlung ausgeht, nicht durch irgend eine äußere Kunst und

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Geschiklichkeit in die menschliche Seele hineingebracht werden können, und wie hinwieder das religiöse Streben nach unendlicher Vollkommenheit in diesen Gefühlen und Kräften eine nothwendige, von der Natur selbst eingelenkte und hervorge5 brachte Folge der Wahrheit und des Lebens in diesen Gefühlen und Kräften selbst, und des Organismus des Wachsthums derselben, selber ist, also ist auch die menschliche Kraft, die Gegenstände unserer Anschauung geistig zusammenzusetzen, zu trennen und zu vergleichen, nicht durch irgend eine äußere Kunst in 10 die Seele der Menschen hineingebracht, sie ist ihrem Wesen eigen und von ihr untrennbar; und hinwieder das Streben nach einem unendlichen Wachsthum dieser Kraft nichts anderes als eine Folge der Wahrheit und des Lebens in dieser Kraft selber, und des Organismus ihrer eigenen Entfaltung. is In Verbindung mit dem Streben nach der Unendlichkeit in der sittlichen Kraft wird dann das Streben nach der Unendlichkeit oder nach unendlicher Vervollkommnung der intellektuellen und Kunstkräfte seiner selber ein Streben nach göttlichen Kräften oder vielmehr nach göttlicher Vollendung unserer menschlichen 20 Kräfte. Hinwieder, wie jede Übung der sittlichen Kraft in ihrem Wesen nichts anderes ist und nichts anderes syn kann als eine sittliche Handlung selber und zwar eine solche, die dem Standpunkt der sittlichen Entfaltung, auf dem das Kind steht, an25 gemessen, von seiner ganzen sittlichen Kraft als Folge seines sittlichen Lebens zur Stärkung dieses Lebens angesprochen wird, so ist auch jede Elementarübung der geistigen Kräfte nichts anderes als eine Handlung unserer geistigen Kraft selber, und zwar eine solche, die dem bestimmten Entfaltungspunkt der diesfälligen so Kraft, auf dem das Kind steht, angemessen, und darum auch von dieser als Folge seines geistigen Lebens und als nothwendige, ihm zur Stärkung dieses Lebens bedürftige Handlung angesprochen wird. Die Folgen dieses Grundsatzes sind groß. Die Harmonie der 35 intellektuellen Elementarbildung der Methode mit der sittlichen des Christenthums tritt auf dieser Stufe in ihrer höchsten Vollendung hervor. Sie zeigt sich nämmlich hier unmittelbar selbst und wird an sich sittlich, denn, damit ich dieses heraushebe, was das Wesen ihrer Disziplin ausspricht: Es ergibt sich daraus, daß

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keine äußern Beweggründe, die nicht rein aus der Natur der menschlichen Kräfte selber hervorgehen, auf die wahrhafte elementarische Entfaltung dieser Kräfte einigen wahren Einfluß haben könen. Wie in der sittlichen Bildung jede Einmischung von äußern 5 zufälligen Folgen einer sittlichen Handlung, jede Einmischung der Neigung für Ehre und der Furcht vor der Schande der Reinheit und Heiligkeit der Entfaltung der diesfälligen Kräfte mehr nachtheilig als vortheilhaft ist, wie sogar nicht einmal das idealische träumende Bewußtseyn seiner sittlichen Kraft selber, 10 sondern der immediate, die menschliche Natur rein und innig beseligende Eindruck der sittlichen That selber das einige wahre, belohnende und die sittliche Kraft rein stärkende Gefühl ist, das von der Unschuld der wahrhaft sittlich erhobenen Natur des Kindes angesprochen wird, so ist auch in der geistigen Elemen-15 tarbildung jede Einmischung von Ehre und Schande, jeder Antrieb der geistigen Kräfte durch Nacheiferung ihrer wesentlich richtigen und unschuldigen Entfaltung mehr nachtheilig als förderlich. Selber das idealische träumende Bewußtseyn seiner geistigen 20 Kraft und sein Vergleichen mit dem Grad dieser Kraft in irgend einem ändern ist kein rein bildendes Mittel dieser Kraft. Im Gegentheil, auch dieses hemmt das göttliche Wachsthum dieser Kraft in ihrer Unschuld und im heiligen Dunkel derselben. Nur das reine, nur das die menschliche Seele in Unschuld erhebende 25 Gefühl der Augenblickshandlung, in dem das Kind ein ihm gegebenes geistiges Problem in sich selber aufgelöst hat und sich dieser Auflösung bewußt ist, nur dieses Gefühl ist als reine geistige Kraftbildung anzusehen. Ihr nehmet zur Schande und Ehre, ihr nehmet zur Nacheife- so rung eure Zuflucht. Die Elementarbildung braucht sie nicht. Das Kind, das in ihrem Geist erzogen ist, vergleicht sich nur mit sich selbst, es vergleicht sich mit keinem anderen Menschen. In intellektueller Hinsicht fragt es sich nur: Kann ich mein Problem richtig auflösen, oder kann ichs nicht ? Es sucht seine eigne Voll- ss kommenheit und braucht für sie keinen Maaßstab außer sich selbst. Aber das lebende Zeitalter hat hierüber keine Erfahrung. Es ist in unserer Erziehung kein stilles Steigen zur Wahrheit. Unser

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Suchen der Wahrheit ist ein ewiges Jagen nach einem Gewild, das schon ein anderer aufgehezt hat. Wir suchen nicht die Wahrheit zu erjagen, wir suchen sie abzujagen. Das ist nicht gut; es war aber auch nicht immer also. Wer sich das blitzende Äug des s griechischen Jünglings, wenn er sein heiliges Wort . ausgesprochen, zu denken vermag, und wer das blitzende Äug meiner Zöglinge gesehen, wenn sie in dem Augenblick der Auffindung eines solchen Problems ihr unaussprechlich erhebendes Ich habs! aussprechen und sich froh fühlen wie Engel - wer sie gesehen, 10 wie sie sich in diesem Augenblicke ihrer göttlichen Natur lachend mit eben dem Herzen bewußt sind, in dem sich dieses Göttliche der Natur im Äug der Unschuld ebenso ausspricht, wenn es im Gefühl der innern Erhebung einer sittlichen That in Thränen zerfließt - wer dieses beides sich vorzustellen vermag, der ist ganz is gewiß weit entfernt, zur Belebung der höchsten, sittlichen und geistigen Anstrengung die schwachen traurigen Mittel der Ehre und Schande und der Nacheiferung zu bedürfen. Die Menschennatur ist Gottes, sie ist eine göttliche Natur. Die Einmischung der Welt und ihrer Leidenschafften bildet die 20 Unschuld nicht göttlich, sie bildet sie nicht einmahl menschlich. Die Menschheit ist nur durch die Belebung des Göttlichen in ihr selbst menschlich. Alle unsere Anlagen bleiben in ihrer reinen Entfaltung göttlich; von Leidenschafften gereizt und ihrer Unschuld beraubt, bleiben sie nicht göttlich und bilden uns nicht 25 mehr mentschlich. Aber wir kenen die Unschuld der Entfaltung unsrer Krefften nicht mehr. Wir kenen das Befriedigende dieser Entfaltung nicht mehr und sind dahin versunken, daß wir bynahe alle Mittel dieser Entfaltung für das Kind für lastend achten. Dieser un30 glükliche Glauben trukt sich in einer allgemeinen pädagogischen Meinung aus, [in der] Entgegensetzung des Geists der Unterrichtsstunde und der Spielstunden, daß nemlich in den Schulstunden ein ganz anderer Geist bym Kind herrschen müsse als in den Spillstunden und daß das Kind in den ersten nach ganz anderen 35 Gesezzen und nach ganz anderen Grundsezen geführt werden müsse als nach den zweiten. Und was eben das Verkehrteste ist, man möchte die Spielstunde als Lern- und die Lernstunde als leeres Spiel behandeln. Ja, man hätte Recht in diesem, wenn man sie in der hohem Ein-

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heit der Menschennatur auffaßte. Freiheit und Nothwendigkeit vereinigen sich im Leben, und der Mensch muß dahin gebracht werden, die Noth wendigkeit mit Freiheit zu leben und im Nothwendigen die Freiheit seiner höhern Natur darzustellen. Das Kind muß durch die Freiheit zur Nothwendigkeit erzogen, durch 5 die Nothwendigkeit zur Freiheit gebildet und ihrer fähig gemacht werden. Als herrschend soll die Nothwendigkeit, die strenge Ordnung, die unwandelbare Gesetzmäßigkeit im Unterrichtsgange der Lehrstunden herrschen. Der Geist des Lehrers und seine Be-10 handlung des Kindes soll aber dennoch während der Unterrichtsstunde wie immer, rein menschlich, d. h. lebendig und frey seyn, nur diesen Gegenstand selbst in strenger Begründung und in sich Geschlossenheit erscheinen lassen, damit das Kind interessirt die Sache selbst und keinen Schatten, kein leeres Spiel treibe. 10 Die Spielstunde soll es losbinden von dieser Beschränkung. In ihr soll das Einzelne zurücktreten und es sich ungehemmt im Ganzen bewegen. Sein Leben soll im Leben des All sich erspiegeln, und keine steife Form, keine Hemmung den Erguß seines Innern in dasselbe stören. 20 Gott, man hat den Unterricht von der Erziehung getrent! Der Geist der Erziehung ist ewig also in jedem Augenblik der nemliche, und der Geist des Unterrichts muß in jedem Augenblik dem Geist der Erziehung gleich syn. Und wenn die Stunde des kindlichen Spiels eine Stunde der Erziehung ist, so müßte in 25 der Schulstunde wesentlich eben der Geist herrschen, der in der Spillstunde der gute Geist dieser Stunde ist; und er kan es und er soll es. Gibst du dem Kind in der Schulstunde im ganzen Leben seines Syns und Wesens Nahrung, wie du ihm in der Spill stunde im ganzen Leben seines Syns und Wesens Nahrung gibst, so so ist dein Kind in deiner Schulstunde belebt wie in deiner Spillstunde, und du brauchst wahrlich in dieser keine ändern Geseze und keine ändern Grundsäze als in jener. Haben die Unterrichtsstunden einen ändern Geist als die Freistunden, so ist es der, daß jene den Geist der Nothwendigkeit 35 und des Gehorsams, diese den Geist der Freiheit und Willkühr aussprechen, und dadurch beide den Geist des Seyns und Lebens. - Das Kind der guten und weisen Mutter lebt in jeder Stunde des Tags im gleichen Geist, es lebt in der Arbeitsstunde wie in der

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Spillstunde sein ganzes, befriedigtes Leben. Und, Erzieher, menschlicher Erzieher, es soll in deiner Unterrichtsstunde sein Leben nur halb haben? Wirf, Erzieher, den Irrthum weg! Er führt dahin, das Kind zu töden, das du lebendig machen sollst, 5 und du kanst, du kanst es in jedem Augenblik, und du sollst es in jedem Augenblik desselben. Du kanst und sollst sein Herz und seinen Geist wahrhafter und höher beleben als selber in der Spillstund. Kanst du es, thust du es, so lebt es in der Schul vom Gefühl einer höheren, einer edleren Krafft entzükt. Aber frylich 10 ist wahr, du mußt in der Schulstunde die schwache kindliche Natur nicht mit dem Höcker, den du selbst trägst, belasten. Du mußt die nach ihrer Entfaltung hungernde kindliche Natur speisen und nähren, denn lebt sie in jeder Stunde und ist in jeder Stunde sich selbst gleich. 15 Behandlest du die kindliche Natur in deiner Schul wie ein unsinniger Treibknecht sein Lastthier, das er, anstatt zu füttern, hungernd belastet, für dessen Natur er keinen Sinn hat, denn wundere dich nicht, wenn wie in der Stunde der traurigen Belastung in der Seele des Thiers ein ganz anderer Geist herschet 20 als in der Stunde, in der es unbelastet auf schöner Heid seines Lieblmgsfutters Fülle feindet! Verwundere dich denn nicht, wenn du ebenso in deiner Schulstunde für die Kinder andere Grundsäze und andere Geseze nöthig hast als in ihrer Spielstunde! Unsere Zeitbildung ist tief gesunken, der Geist der Elementar25 bildung ist in sittlicher, in intellectueller und in Kunsthinsicht aus ihr verschwunden. Unsere Erziehung geth nicht aus der Einheit unserer Natur heraus. Unsere Mittel sprechen das Heiligt hum derselben weder in ihrem Umfang noch in ihrem Zusamenhang an. Wir sind darum weniger wesentlich krafftvoll als rohere so Völker. Diese sind auch als Völker doch auch einseitig krafftvoll, wir sind als Völker nicht einmahl das. Wir sollten es vielseitig syn, unsre höhere Cultur sollte uns die Kräffte unserer Natur von allen Seiten entfalten. Sie thut es nicht, unsere Erziehung entfaltet unsere Kreffte nicht natürlich. Sie blähet die unbe35 deutenderen derselben zu einer eklen Geschwulst auf, und ihre bedeutenderen leßt sie serbend dahinschwinden. Unsere Erziehungsmittel machen das Kind nicht feinden, was es in sich selbst trägt. Sie geben ihm fremde Geschenke, die nicht in sein Inneres passen, und lassen es leer von allem, was nothwendig

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darin syn sollte. Sie fegen sogar die Stelle rein aus, auf der das, was es bedarf und was in ihm selbst ligt, in ihm selber entkeimen sollte. r) zu S. 194 Z. 12ff. Indem die Elementarbildung also zu jeder reinen Höhe, zu 5 jeder wahren Vollendung unsrer Anlagen und Rrefften emporstrebt, steth sie wie ein Fels den Irrthümeren und Vorurtheilen, die die Quellen unsrer Zeitleiden sind, entgegen. Wie sehr leiden wir, wie sehr sinken wir zur tieffesten Abschwächung unsers Geschlechts herab, weil wir uns dahin er-10 niedriget haben, den Menschen für seinen Stand zu bilden, ohne ihn zum Menschen zu machen. Wir standen in diesem Thun, man kan [sagen] im Wiederspruch mit Jesu Christo, der uns lehrte, daß die Menschen nur dadurch, daß [sie] sich inerlich zu Kiiideren Gottes erhoben, sich selbst wahre Fundamente für jede 15 Art der Standesbildung geben könen. In seinem Geist geth die Ellementarmethode in ihren Bildungsmittlen nicht weniger als von der Lag, dem Stand und Beruff des Mentschen aus, sonder vom Wesen seiner Natur und seiner Krefften selber. Sie erkent durchaus keine Standes- und keine Berufstugend, wo keine 20 Menschentugend ist, aber sie läßt auch keine Berufs- und keine Standestugend mangeln, wo die Menschentugend gesichert ist. Auch die auf Irrthum gegründete einseitige Berufs- und Standesbildung war meistens schwehr zu leisten; wir suchten auch diese zu erzihlen. 25 Ebenso ist die Massa unsrer Zeitmenschen außer alles Gleis des wahren Lebens und seines würklichen Segens geworfen worden, da wir uns erniedriget haben, die Menschen in zahlosen Schwermen im Meer der Wüssenschafft ohne wahrhafte Verstandesbildung schwimen zu machen und darin sie in die Lag so zu sezzen, in den Schlund der würklichen Welt zu ihrem Verderben so armselig hineinzufallen, wie die Heeringe in den Schlund des Wallfisches hineinfallen. Das Unglük der Welt ist nicht zu berechnen, das daraus entspringt, daß zahlose Menschen sich durch ein oberflächliches Wüssen, das durchaus keine wahre 35 Verstandes- und keine wahre Krafftbildung zum Fundament hatte, sich über das Volk, das würklich Verstand und Krafft

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hatte, erhaben und sich imstand glaubten, dasselbe zu seinem zeitlichen und ewigen Wohl aufzukleren. Der Irrthum war groß. Man wollte die Mentschen durch die Wüssenschafften vernümftig machen, ohne zu denken, daß man a die Wüssenschafften nicht erlernen kan, ohne schon vernümftig zu syn, daß sie nicht begriffen werden könen ohne von Menschen, deren Verstand schon gebildet. Die Griechen wußten [das], aber sie wollten die Wüssenschafften nicht popularisiren, so wenig als das Volk verwüssenschäfftlen. Die Elementarbildung greift 10 diesem großen Unfug des erleuchteten Jahrhunderts - ich dächte, ich dörffe es wohl sagen und es der Prüfung unterwerffen - ich glaube mit griechischen Geist entgegen. Es waltet ein hohes Streben auf Erden, diesen Geist wieder zu suchen; woher soll er komen ? is Die Verirrung des Zeitpunkt war sicher groß. Der gemeine Mensch konte nicht mehr gedyen. Man gab ihm, was nur der vorzügliche brauchen kan, und der vorzügliche konte es auch nicht; man gab ihm das nicht, was auch der gemeinste bedarf. Die Elementarbildung [ist] wesentlich geeignet, diesem bösen 20 Zustand der Dinge mit Ivrafft entgegenzuwürken. Das Verderben der Zeit war hierin groß. Sie gab Gott nicht, was Gottes ist, indem sie gering achtete und nicht besorgte, was Gottes. Die Blüthe der Menschheit versank, weil es so war, wie die beste Erde in den pontischen Sümpfen, weil es da so ist, wie es ist. 25 Die Elementarbildung würkt dem grellen Übel mächtig entgegen. Wo sie ist, da versauert die Blüthe des Volks [nicht]. Wo sie ist, da wimelt das Land nicht von Froschenseelen, die nur im Sumpf leben. Sie erhebt [die] Menschheit über den Sumpf, in dem sie versinken muß. Sie erhebt den Menschen nicht über so seinen Stand, aber sie erhebt ihn über das Versinken unter allen Stand. Sie gibt den Menschen, was ihnen Gott göttlich gab. Sie gibt allen genug, denn sie gibt ihnen, was Gott ihnen gab, und Gott gab allen genug. Aber sie marktet nicht mit den Gaben Gottes mit Maulwurfsaugen. Die Kleinheit oder Größe der Talente 35 geth sie nichts [an], aber daß diese Talente, syen sie groß oder klein, wohl angewandt werden, das thut Noth. Sie heftet auf das Genie das Äug der Bewunderung, wie sie den Genienlosen gutmütig mit ihrer Sorgfalt und Liebe segnet. Sie umfaßt das Genie und den Genienlosen mit gleicher Liebe.

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Aber indem sie in byden wekt, was in byden ligt, zohllet sie dem seltenen Genie Bewunderung und geth in der Pflege desselben so weit, als sie es vermag. Und sie vermag alles, was es bedarf; alles, was es bedarf, ligt [in] ihm, und die Mittel zum Wekken von diesem allem sind gegeben. Die Methode vermag mit dem durch 5 sie gewekkten Genie alles; wo sie ist, wo sie die Menschheit in ihrer ganzen Krafft ergreift, da geth das Genie nicht verlohren. Es geth keines verlohren, in welcher Lag, in welchen Verheltnissen es imer ist. Es wird zu seiner Veredlung und zum Dienst der Wahrheit und der Liebe gewekt und hilft sich selber. Es kan 10 sich, sobald es gewekt, [zu dem], was [es] hiezu nöthighat, selbst helfen. Vorzüglich gute Menschen könen nur da zahlreich sein, wo die nicht vorzüglichen die nöthige Handbietung haben, zu werden, was sie könen und sollen, und die nicht vorzüglichen könen nur die nöthige und unentbehrliche Handbietung be- is körnen, um zu werden, was sie könen und sollen, wo die vorzüglichen mit Liebe [erhalten], was sie werden sollen und könen. Ich unterwerffe es der strengsten Prüfung, es ligt im Wesen der Methode, diesen beßren Zustand der Menschheit herbyzuruffen. Es ligt in ihrem Wesen, die Mittel der Veredlung unsrer 20 Natur so zu vereinfachen, und dadurch die Krafft der Menschen, die dafür gern Hand biethen, so zu verstärken, daß kein vorzüglicher Mensch im Land mehr ohne die Hülfe und die Handbietung möglich wird, die ihm die Gerechtigkeit unsers Geschlechts schuldig ist, und seine Liebe gern gibt. Es ist kein Traum, 25 die Mittel der Methode sind so leicht, daß sie jeder begreifft, und so reizend, daß sie jeder begreiffen will, und so erhebend, daß sie jeder Dümste begreiffen [kann und] sie ändern wieder gern gibt. Wer wird ihren Lauf hemen? Die Mutter gibt sie dem Kind, der Bruder gibt sie dem Bruder, die Schwester der Schwe- so ster, der Nachbar dem Nachbar. Wo Heldenanlagen da sind, da entfaltet sie Heldenkräffte, und wo sie mit ihrem reinen Thun Heldenkräffte entfaltet, da würken dieselben zum Dienst der Menschheit - wer will ihren Lauf hemen? Auch der Zeitpunkt ist ihr gönstig. Er hat Gefühle erregt und 35 Kräffte entfaltet, die den Menschen in vielen Rüksichten aus dem Schlumcr seiner Schwächlichkeit aufgewekt haben, und ihn mächtig gereizt, seiner Vollkomenheit, mehr als er bisher gethan, entgegenzustreben. Sie werden die Handbietung der Methode [fordern].

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Die menschliche Vollkomenheit ist ein Ganzes, und der Mensch wächst in so weit seiner Vollkommenheit entgegen, als er ihr im Ganzen und als ein Ganzes entgegenwürkt. Aber auch jede einzelne Vollkommenheit, jede einzelne Erhebung irgend s einer menschlichen Kraft würkt, wenn sie wahrhaft ist, auf die Erhebung und Vollkommenheit aller übrigen Kräften. Und so wie die Fähigkeit für die Wahrheit oder die Gemüthstimmung, in der sich die logische Kraft am leichtesten und sichersten ausspricht, ohne anders die Gemüthruhe der Sittlichkeit und der Religiosität ist, also stärkt hinwieder die erhabene Einfachheit in der Übung der Zahl- und Maßverhältnisse die Vollkommenheit der in ihrem Wesen sich ähnlichen Einfachheit und Erhabenheit des innern sittlichen Lebens. Das Wesen der elementarischen Bildung ist ein inniger Zuir> sammenhang aller seiner Mittel mit der Wahrheit unsers würklichen Seyns und in dem ganzen Umfang unserer Kräfte und Anlagen. So wie die sittliche Kraft von der wahren Stellung unsers würklichen Sinnes ausgeht und sich in demselben festhaltet, so entfaltet sich die elementarische Bildung unserer lo20 gischen Kraft nur im Zusammenhang unseres würklichen Seyns und Lebens wahrhaft. Sie ist nicht mehr elementarisch, wenn sie nicht aus diesem Zusammenhang hervorgeht. Sie ist im Augenblick unelementarisch, wenn sie das Gleichgewicht störet, das nur da stattfindet, wo das nöthige Denken und Wissen vollendet, 20 ehe dem unnöthigen und undienstigen Wissen unsers Geschlechts Kopf und Herz [sich] öffnet. Sie ist im Augenblick unelementarisch, wenn sie sein Können von seinem Wissen, und nicht sein Wissen von seinem Können ausgehen machen will. Das sind die Grundsätze des heiligen Hintergrund der Rech30 nungstabelle und unserer Maß Verhältnisse; wahrlich, es hatte das alte 1 x 1 und die ganze alte Manier, die Denkkraft des Kindes zu entfalten, diesen heiligen Hintergrund nicht, und war darnach nicht geeignet, mit den reinen Fundamenten in Harmonie zu stehen. 35 Aber die Elementarbildung ist nichts, gar nichts, oder sie muß mit diesen Fundamenten in Harmonie stehen. Ihr Resultat ist die reine Kraft der Menschennatur; jedes Resultat der elementarischen Sittlichkeitsbildung reine Kraft an Menschennatur. \Vas immer hier von der einen wahr ist, das ist das auch von der

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ändern; also ist das steigende Wachsthum der intellektuellen Kraft sein Vorsteigen zu Vollkommenheit möglich. Ohne das Steigen der sittlichen Vollendung und ohne Erhaltung seiner religiösen Gefühle ist das gleichzeitige Steigen ihres Wachsthums nicht möglich. Man hat der Methode lange den Vorwurf gemacht, s daß sie an sich nur eine einseitige Entfaltung des Menschen bestrebe und seine sittliche hinten an setze. Die Erfahrung meines Instituts widerlegt den Vorwurf ganz. Aber es braucht nicht einmal die Erfahrung, seine Wiederlegung liegt in der Natur der elementarischen Geistesübungen selber. 10 Diese Übungen stärken, erweitern und beleben die Anschauungskraft, aus der die Ahndung der Wahrheit vor ihrer Erkanntnus hervorgeht. Das Kind der Methode beobachtet lang, fest und lebendig, ehe es urtheilt. Es beurtheilt nichts, als was es vollkommen kennt, und übt sich als Lehrling der Methode unendlich is weniger im Urtheil derselben als in reinen kraftbüdenden Mitteln des reif Urtheilen zu können. Und auch in diesen übt es sich in einer Langsamkeit und einer Sorgfalt für das Ausreifen und Vollenden jedes Schritts der Bildung, das es durchaus nicht kann, aus dem Zustand der Ahndung der Wahrheit anders als gereifet 20 in denjenigen der Erkanntnus der Wahrheit hinüberzugehen. Alle wahren Übungen der logischen Kraft, folglich alle wahren geistigen Elementarübungen setzen voraus, daß das Kind mit den Gegenständen, die es in seinem Geist zusammensetzen und zertrennen [will], bekannt sey. Kraftvolle Übung des Anschauens 20 und wirkliche Vollendung des Anschauens geht also jeden logischen, geistigen Operationen wesentlich voraus. Ihre Resultate müssen im Geiste ausgereifet seyn, ehe ihre Resultate ausgesprochen werden dürfen. So wird das Kind der Methode unendlich fester im einfachen, aber in Anschauung der Dinge, die so es anschauen soll, Beurtheilen, als in der Beurtheilung derselben selbst. Der ruhige, einfache Eindruck der Natur wird also durch die Methode nicht gehindert [und] gemindert, aber durch sie vielseitiger gemacht. Sein heiliges Dunkel wird durch sie nicht weniger als frevelhaft verscheucht, und das Kind der Methode 35 trittet nicht durch das Blendwesen der Oberflächlichkeit, der Vielwissenheit und der Vorurtheile zum Verderben seiner Natur; im Gegentheil, wenn es aus diesem heraustrittet, so geschieht dieses nur durch das vollendete Licht seiner intellektuellen Kraft.

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Die Natur der Sach und die Erfahrung bestätiget es gleich, das elementarisch gebildete Kind ist in seiner Beschränkung ruhig, in seiner Unwissenheit, seine Kraft zu führen, in seinem Bedürfnis forschend, in seiner Liebe glaubend und in seiner 5 Wahrheit unerschütterlich. Sein Wachsthum in Wahrheit und Kraft ist weder dem Heiligthum des Glaubens und dem Dunkel seiner Ahndung gefährlich, weil der Kreis seiner Wahrheit selber heilig, klein, vollendet und rein. Seine Unschuld ist seine Wahrheit, seine Wahrheit ist gut, sie ist eine göttliche Kraft und nicht eine 10 menschliche Meinung, und als menschliche Meinung selber ist sie auf heiligem Boden entkeimt, und folglich im Leben heiliger Gefühlen aufgewachsen. Die Festigkeit der elementarischen Wahrheit ruht also wesentlich in der himmlischen Milde dieses Entkeimens und Aufwachi5 sens, wenn sie mit der Trotzfestigkeit der Wahrheitsanmaßung der Oberflächlichkeit, und kommt mit der Trotzfestigkeit der Wahrheitsanmaßung von oberflächlichen und eitlen Menschen so wenig in Vergleichung, als die Festigkeit des außerordentlich ausdehnbaren Goldes mit der Festigkeit des spröden und sprin20 genden Eisens. Nur das erhebende Gefühl der Handlung selber in dem Augenblick, in dem das Kind die Auflösung eines ihm gegebenen Problems würklich findet und ausspricht, nur dieses Gefühl selber ist als ein rein bildendes Mittel der geistigen Kräfte des Kinds 25 anzusehen. Und wer sich das blitzende Äug eines griechischen Jünglings, wenn er das Wort Eureka! in dem Augenblik der Auflösung eines ihm aufgegebenen Problems ausgesprochen, sich zu bedenken vermag, und wer hinwieder das blizende Äug meiner Zöglinge gesehen, wenn sie in dem Augenblick des Auffindens so der Auflösung eines solchen Problems ihr unaussprechliches, erhebendes und kr aft vollendetes Ich h ab s! aussprechen und sich froh fühlen wie Engel, des Göttlichen ihrer Natur lachend und froh, mit eben dem Herzen bewußt, mit dem es sich im Äug der Unschuld mit Thränen ausspricht, wenn es mit dem höchsten 35 und reinsten Gefühl der inneren Erhebung einer sittlichen Kraft in Thränen zerfließt. Wer dieses beydes kennt, wer das erste sich vorzustellen vermag und das zweyte gesehen, der sucht zur Belebung des Sittlichen und Geistigen keine Belohnung und Strafe und keine trügerische Erholung.

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Daher folget dann weiter: Und wie in der sittlichen Bildung jede Einmischung von äußern zufälligen Folgen der Handlung, jede Einmischung der Neigung zur Ehre und der Furcht vor der Schande in Reinheit und Heiligkeit, der Entfaltung der diesfälligen Kräfte mehr [als] nachtheilig, [denn] als vortheilhaft a angesehen werden muß, wenn sogar das träumende, idealische Bewußtseyn seiner sittlichen Kraft selber nicht, sondern nur das imediate Bewußtseyn der reinen Natur [der] an sich beseligenden Handlung selbst, das einige, unsre bessere Natur wahrhaft belohnende und ihre sittliche Kraft rein stärkende Gefühl ist, das 10 von der Unschuld der sich sittlich würklich emporhebenden Natur des Kinds angesprochen werden darf, so ist auch in der geistigen Elementarbildung jede Beymischung der Gefühle von Ehre und Schande, und jeder Antrieb der diesfälligen Kräfte durch Nacheiferung jeder wesentlich wichtigen und unschuldigen is Entfaltung mehr nachtheilig als förderlich. Selber das träumende idealische Bewußtseyn des verhältnismäßigen Grads seiner Kraft und das Vergleichen desselben mit der verhältnismäßigen Kraft eines ändern ist kein rein elementarisch bildendes Mittel derselben; im Gegentheil, diese Vergleichungen hemmen unwider- 20 sprechlich das reine göttliche Wachsen dieser Kraft in ihrer Unschuld und im göttlichen Dunkel derselben. Die Menschennatur ist eine göttliche Natur, aber die Welt, ihre Sinnlichkeit und ihre Gelüsten bilden sie nicht göttlich und erheben sie weder sittlich noch geistig wahrhaft. Und welche Hinder- 20 ndsse hier [bestehen], welche Bildungsweise auch immer zur göttlichen Erhabenheit unsers inneren Wesens hinführt, sie ist nicht göttlich, sie ist der Menschennatur nicht würdig, sie ist nicht menschlich. Selber der Gang der Entfaltung der intellektuellen und sittlichen Elementarbildung ist einer und eben derselbe. Von so Einheit der mütterlichen Bildung ausgehend, steigt die sittliche Elementarbildung in lükenlosen Schritten zur höchsten Erhebung der sittlichen Kraft, und ebenso schreitet die intellektuelle Elementarbildung von der höchsten Einfachheit ihrer Anfangsgründe zur höchsten Entfaltung der geistigen Anlagen in seiner 35 Natur.

sä) zu S. 200, Z. l ff. Die Entfaltung des Ganzen ist nicht ihr Zihl, und die Entfal-

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tung des Einzelnen mißrathet, weil sie in der Entfaltung des Ganzen kein Fundament feindet. Beydes, die Wahrheit und die Liebe mangelt, die Krafft von byden wird nicht entfaltet. Umsonst wartet der Bauer, der weder seet noch pflüget, auf den 5 Seegen der Erde. Die Erde tregt ohne den Schweiß seines Angesichts nur Dorn und Disteln, und die Kinder kenen die Wahrheit, sie kenen die Liebe nicht, wenn sie zur Wahrheit und Liebe nicht angebaut werden wie der Akker zur Saat. Die Menschheit verwildert ohne Anbau wie die Erde. Anstatt der Wahrheit wird 10 dann der Schein ihr Theil, anstatt der Liebe die Selbstsucht. Schwäche ist denn unser Erbtheil, und wir nehmen dann zur Standes- und Berufsbildung unsere Zuflucht, weil wir keinen Boden für die Menschenbildung in uns selbst [haben]. Aber wo unser Geschlecht es immer an der Befriedigung der is wahren Ansprüche seiner Natur ermangeln leßt und mit Hindansezung des Göttlichen im Menschen sein Irrdisches mit leerer Weltkrafft zu pflegen trachtet, da steht es imer mit sich selbst im Wiederspruch, und wo es mit sich selbst im Wiederspruch steth, da steth es auch mit dem wahren Christenthum im Wieder20 spruch. Wo Menschenkrafft mangelt, da ist keine Christentugend. Auch die Christuslehre geht in der Bildung des Menschen zu ihrem höheren Sinn nichts weniger als von der äußeren Lag des Menschen, von ihrem Stand und Beruf, sonder vom Wesen seiner inneren Natur selber aus. Sie erkent durchaus keine 25 Berufs- und keine Standestugend, wo keine Menschenkrafft und keine Menschentugend stattfeindet. Aber fry lieh leßt sie auch an keiner Standeskrafft, an keiner Berufstugend mangeln, wo die Menschenkrafft durch sie wahrhaft gegründet und gesichert ist. Aber die Massa unserer Zeitmenschen ist außer alles Gleis des so wahren Lebens und des wirklichen Syns unsere Geschlechts geworfen. Auch die noch so sehr auf Irrthum gegründete, bloß von der Sinnlichkeit unserer Natur ausgehende einseitige Standesund Berufsbildung war unserer Schwäche noch zu lestig. Wir lenkten in dieser Schwäche ganz zur Neigung zu einem idealischen 35 träumerischen Dasyn. Wir machten unser Geschlecht in zahllosen Schwärmen sich ohne Verstandesbildung ins Meer der Wüssenschafften hineinstürzen. Sie suchten in leichter Behaglichkeit darin zu schwimen, aber sie fanden sich bald allgemein in der Lag, zu ihrem Verderben in den Schlund der würklichen

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Welt hineinzufallen, wie die Heeringe in den Schlund der Wallfischen hineinfallen. Das Unglük der Zeit ist nicht zu berechnen, daß zahllose Menschen sich durch den Schein eines armseligen, oberflächlichen Wüssens, das keine tiefere Verstandesbildung und keine wahre s Krafftbildung zu seinem Fundament hatte, sich denoch über zahllose Menschen, die Krafft hatten und ohne Treume wiirklich in der Welt lebten, erhaben und sich fehig glauben, diese in der Realität des Lebens weiter als sie vorgerükte Menschenklaß als ihre Führer zu leiten und sie zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohl 10 aufzuklären. Man wollte die Menschen durch die Wüssenschafften vernümftig machen, und gab die Wüssenschafften den Menschen nicht vernümftig und bildete dadurch den Grad Vernumft nicht, den das richtige Erlernen derselben voraussetzt. Die Griechen is hatten das nicht, aber sie wollten auch die Wüssenschafften nicht popularisiren. Sie wollten das Volk krafftvoll machen und es durchaus [nicht] verwüssenschafftlichen und durchs Verwüssenschafftlichen entkräfften. Die Elementarbildung lenkt in ihren Erziehungsgrundsäzen 20 ihrer Natur nach gegen den griechischen Geist. Ohne vom Tod des griechischen Worts auszugehen, und auf dem Punkt ihres Reifens auf den Fundamenten der Menschennatur selber festhaltend, komt sie den Grundsäzen der griechischen Volksbildung durch das richtige entfaltete Gefühl ihrer eigenen Kränken 25 nothwendig nahe. Und indem sie das thut, und so weit, als sie das thut, komt sie auch [dazu], den Zeitverirrungen der gegenwertigen Volksbildung mit Krafft entgegen zu würken, und glaubt sich zu ihm durch die Befolgung des richtigen Naturgangs, den die Griechen in der Entfaltung der Anlagen und KräfFten so meistens benuzten, zu erheben. Und dieses glaubt sie by weitem nicht einseitig durch das Lesen der Griechen, sondern vielmehr durch eine allgemeine Sorgfalt in der Entfaltung der Anlagen und Kräfften unsere Geschlecht der Natur allgemein getreu zu syn. Indem sie das thut, glaubt sie sich auch in den Stand zu 35 setzen, den Zeitüblen der gegenwertigen, so vielseitigen Verirrungen in der Volksbildung mit Krafft und Erfolg entgegen zu würken. Ihre ersten Versuche bestärken dise Hoffnungen. Wir sehen

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es in einer großen bestehenden Thatsach: Wo die Elementarbildung in ihrem Geist und in ihrer Wahrheit Fuß gegriffen, da versauert das Volk nicht in seiner Blüthe, Wo sie also da ist, da wimelt das Volk nicht von Froschseelen, die nur, indem sie sich 5 in den Schlam werffen und in die Tiefe versinken, ihr Leben erhalten könen. Nein, wo sie da ist, so erhebt sie jeden [Menschen über] das Versinken in Moder und Sümpfen, das wider seine Natur ist. Sie erhebt ihn nicht über seinen Stand, aber sie erhebt ihn über das Versinken unter jeden Stand, der ein 10 Menschenstand ist. Sie erhebt ihn, in welchen Umgebungen er äußerlich imer syn mag, über das Versinken unter das Heilige und Reine der Menschennatur. Sie gibt ihrem Zögling menschlich, was Gott ihm göttlich gab. Sie marktet nicht mit Maul wurfsaugen über die i» Anwendung, die etwan die Menschen und besonders die Armen unter den Menschen mit den Gaben und Anlagen Gottes machen konten, dorfften oder wollten. Was Gott dem Menschen vertraut, das vertraut sie ihm auch. Sie umfaßt das Genie und den genielosen Menschen mit gleicher Liebe, sie geth in der Pflege von 20 byden so weit, als ein jeder ihr folgt. Sie kan es, weil sie nur wekkt; sie kan es, weil sie die schlumernden Kräffte nur aus dem Schlaff wekt, und von den wachenden denn jeden seinen eigenen Weg gehen [läßt]. Wenn sie das Genie des Hirtenknaben und des Müdling im äs schweren Dienst wekkt, so wechslet um deswillen der Hirtenknabe und das Kind des armen Müdlings sein armüthig Kleid nicht. Er fühlt, daß seine Seelenkrafft nicht im Kleid, er fühlt, daß sie in ihm selbst stekkt, und der Weg seiner Entfaltung führt ihn nicht außer das Gleis seines wahren Lebens. Die Methode so schließt sich von allen Seiten fest an das wahre häusliche Leben des Menschen, sie kan nicht anders. sb) zu S. 200, Z. l ff. (Kopie) Die Entfaltung des Ganzen im Menschen ist nicht ihr Ziel. Die Entfaltung des Einzelnen mißrathet, weil sie in der Ent35 faltung des Ganzen kein Fundament findet. Beides, die Wahrheit und die Liebe mangelt, die Kraft von beiden wird nicht entfaltet. Was ist die Folge davon, was kan die Folge davon syn? 4 Pestaloizi Werke Bd. 22

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Umsonst wartet der Bauer, der weder säet noch pflüget, auf den Seegen der Ernte. Die Erde trägt ohne den Schweiß seines Angesichts nur Dornen und Disteln, und die Kinder kenen die Wahrheit, sie kennen die Liebe nicht, wenn sie zur Wahrheit und Liebe nicht angebaut werden wie der Akker zur Saat. Es ist um- 5 sonst, die Menschheit verwildert ohne Anbau wie die Erde. Anstatt der Wahrheit wird dann der Schein ihr Theil, anstatt der Liebe die Selbstsucht. Schwäche unserer ganzen Natur wird unser Erbtheil, und im drükkenden Gefühl der Schwäche unsrer Menschennatur nehmen wir dann zur Standes- und Berufs-10 bildung unsre Zuflucht, weil wir keinen Boden für die Menschenbildung in uns selbst haben. Diese aber ist ihrer Natur nach nur die Anseeung, sie ist die Anpflanzung des Felds, das durch die Menschenbildung gepflegt und zur Saat vorbereitet werden muß. Die Umkehrung der Sach ist wider die Natur, und die Standes- is bildung, die nicht auf das Fundament der Menschenbildung gegründet, verfehlt selber ihren eigenen Zwekk. Sie muß es, sie ist mit sich selbst, sie ist mit dem Wesen der Menschennatur, sie ist mit dem Wesen der Sittlichkeit im Wiederspruch. Wo reine Menschenkrafft mangelt, da ist keine reine Menschentugend mog- 20 lieh. Auch geth die Christuslehre in der Bildung der Menschen zu ihrem höheren Sinn nichts weniger als von ihrem Stand und Berufe, sondern vom Wesen ihrer innern Natur selber aus. Sie erkennt durchaus keine Berufs- und keine Standestugenden, wo keine Menschenkraft und keine Menschentugend stattfindet; 25 aber freylich läßt sie es auch an keiner Standes- und Berufstugend mangeln, wo die Menschenkraft durch sie wahrhaft gegründet und gesichert ist. Aber die Massa unsers das Fundament der wahren Menschenbildung mangelnden Zeitgeschlechts ist außer alles Gleis des so wahren Lebens und würklichen Syns der Menschen hinausgeworffen und dahin versunken, daß die auch noch so sehr auf ihre Lieblingsirrthümer gegründete, bloß von Sinnlichkeit und Selbstsucht ausgehende Standes- und Berufsbildung ihrer Schwäche dennoch zu lästig ward und sie endlich zu einem ganz 35 idealischen, absolut träumerischen Dasyn hinlenkte. Bydes, der phüsischen Kraftbüdung und der Verstandesbüdung gleich mangelnd, warf sich jez unser Geschlecht in zahlosen Schwärmen in das unsrer Natur tödtliche Meer eines leeren oberflächlichen

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Vielwüssens und fiel, einem eitlen Treumen eines leichten, behaglichen Lebens nachhangend, in den Schlund des würklichen Lebens, wie arme Heeringe mitten im behaglichen Schwimen ihrer Schwärme zu ihrem Tod und Verderben in den Schlund der 5 Wallfische hineinfallen. Das Unglük der Zeit ist nicht zu berechnen, daß zahllose Menschen also durch den Schein eines äußerlichen, armseligen, oberflächlichen Wüssens, das keine tiefere Verstandesbildung und keine wahre Kraftbildung zu ihrem Fundament hatte, sich 10 dennoch über zahllose Menschen, die Kraft hatten und ohne Träume wirklich in der Welt lebten, erhoben und sich fähig glaubten, diese, in der Realität des Lebens weiter als die vorgerückte Menschenklaß als ihre Führer zu leiten und sie zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohl aufzuklären. Man wollte in der is Schwäche dieser tiefen Verirrung die Menschen durch die Wissenschaften vernünftig machen, und gab die Wissenschaften den Menschen nicht vernünftig. Man bildete in ihnen den Grad von Vernunft nicht, den das richtig Erlernen desselben voraussetzt und hinwieder bildet. 20 So aber handien die Menschen nur in ihrer tieffsten Entkrefftigung. Alle Völker, deren Sinn nicht entkrefftet, verwüssenschafftlichen die Menschen nicht, aber am wenigsten thaten es die Griechen. Sie wollten nichts weniger als die Wüssenschafften popularisiren, sie machten durch ihre Erziehungskunst die Men25 sehen allgemein krafftvoll. Dann griffen die ersten ihrer krafftvollen Menschen natürlich von selbst nach dem höheren Standpunkt, den ihre Wüssenschafften dem Menschengeschlecht ertheilten. Der Geist der Elementarbildung lenkt hinwieder mit Krafft dahin. so So wie wir im Göttlichen das Christenthum als das vollendeste Mittel der Sittlichkeit unsers Geschlechts anerkenen, so erkenen wir es in intellectueller und Kunsthinsicht als das vollendeste Vorbild, das uns hierin gegeben ist. Und ohne im geringsten vom Tod des griechischen Wortes und der auch noch so herrlichen 35 Überreste ihrer erloschenen ineren Weisheit auszugehen und uns gänzlich am Wesen der Menschennatur, von der auch sie ausgiengen, festhaltend, ligt es im Wesen der Elementarbildung unsers Geschlecht, durch die nothwendigen Folgen der Wahrheit in der Entfaltung ihrer Kräfften zu eben den Resultaten zu führen,

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zu denen Griechenlands Bildung die Massa ihrer Menschen hinführte. Es ligt in ihrem Wesen, den Grundsezen der griechischen Volksbildung, die aus ihrem Leben in die Schulen hinübergiengen, durch das richtig entfaltete Gefühl des Umfang aller unsrer Kräfften und Anlagen uns allgemein neher zu bringen. 5 Die Griechen hatten für ihre Erziehung Gymnasien, das heißt geistige Übungsplätze, wir Schulen, das heißt Lehr- und Abrichtungsplätze, die größere Massa unserer Schulen gewiß ist. Die Methode ist geeignet, die Gymnasien dem Geist und Wesen nach wieder herzustellen, und die Schulen, selbst die Volksschulen nach 10 einem höhern Begriff, als ihn selbst die Griechen hatten, in geistige Übungsplätze zu freiem Kampf in Wahrheit und Liebe zu umschaffen, und dadurch den gegenwärtigen, so vielseitigen Verirrungen, die in [der] Volksbildung so unwiedersprechlich stattfinden, mit Erfolg entgegenwirken zu könen. 15 Ihre ersten Versuche haben über die innere Richtigkeit dieser Hoffnungen entschieden. Ihre äußre Erfüllung hangt nicht von uns ab. Aber gewüß ist, eine große bestehende Thatsach hat unwidersprechlich dargethan: Wo die Elementarbildung in ihrem Geist und in ihrer Wahrheit Fuß gegriffen, da erstikt die 20 wachsende Krafft der Menschen nicht schon in ihrer Blüthe. Wo sie also da ist, da wimelt es im Volk nicht von Fröschenseelen, die nur, indem sie sich in den Schlam werfen und in die Tiefe versinken, ihr Leben erhalten könen. Nein, wo sie also da ist, da erhebt sich die Menschheit über 25 das Versinken in Moor und Schlam. Das Volk erhebt sich durch die Elementarbildung nicht über seinen Stand, aber sie erhebt ihns über das Versinken unter jeden Stand, der ein Menschenstand ist. Sie erhebt ihns, in welchen Umgebungen es seyn mag, über das Versinken unter das Heilige und Reine der Menschen- so natur, indem sie ihrem Zögling menschlich gibt, was Gott ihm göttlich gab, und nicht, von Maulwurfsaugen geblendet, über die Anwendungen ängstelt, die der Mensch und besonders die Armen unter den Menschen mit den Gaben und Anlagen Gottes in ihnen machen könnten, dürften und sollten. 35 Was Gott dem Menschen vertraut, das vertraut sie ihm auch. Sie umfaßt das Genie und den genielosen Menschen mit gleicher Liebe, sie geht in der Pflege von beiden so weit, als ein jeder ihr folgt. Sie kann es, weil sie erwekt, sie kann es, weil sie die schlum-

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mernden Kräfte nur aus dem Schlaf wekt und den Wachenden denn jeden seinen eigenen Weg gehen läßt. Wenn sie das Genie des Hirtenknaben und des Müdlings im schweren Dienst weckt, so wechselt um deswillen der Hirtenknabe und das Kind des 5 armen Müdlings unter ihrer Führung seine Armuth nicht mit Reichthum, und sein Hirtenkleid nicht mit dem Seidenkleid eines Stölzlings. Sie stärkt den Menschen in seiner Lage, an ihrer Hand fühlt er krafftvoll, daß seiner Seele Werth nicht in seinem Kleid, sondern daß ihre Krafft in ihm selbst stekt. 10 Nein, nein, der Weg seiner Entfaltung führt ihn nicht außer das Gleis seines wahren Lebens. Die Methode schließt sich von allen Seiten fest an dasselbe. Sie kann nicht anders, sie ist nicht ein Spielwerk zum frühzeitigen Reifenmachen einzelner Kräfte, sie ist eine im Mittelpunkte des menschlichen Wesens gegründete i5 Kraft zum harmonischen Entfalten von allem. Wäre sie das nicht, so wäre sie ein eitles Geschwätz. Ihr Resultat muß reine allgemeine Kraft der Menschennatur 86501. Von welcher Seite wir ihre Entfaltungsmittel ins Äug fassen, so finden wir sie aus dem Heiligthum dieses Lebens herausgehen. 20 In sittlicher Hinsicht ist das nicht zu bezweifeln, in intellectueller Hinsicht ist offenbar der Grad der Kraft und Vollendung [entscheidend]. Die der Methode von dieser Seiten wesentlichen Anschauungsübungen halten sich in diesem Alter fest in dem Kreis des kindliches Lebens. Seine diesfällige Thätigkeit, seine 25 Beobachtung, seine Anschauung lebt ganz in der Wahrheit seines wirklichen Daseyns. Seine täglichen und stündlichen Anschauungen sind mit allen Reizen seines häuslichen Lebens, seiner häuslichen Liebe und seines häuslichen Glücks verwoben. Auch die elementarische Fortbildung seiner Denkkraft entfaltet sich so wesentlich durch den Zusammenhang aller ihrer Übungen und aller Wahrheit des wirklichen Seyns und Lebens des Kindes. Man hat indessen der Methode schon lange den mit diesem Gesichtspunkt zusamenhangenden Vorwurf gemacht, daß sie t) zu S. 213, Z. 10 ff., abweichend 35 Sie ist nicht ein Spielwerk zum frühzeitigen Reifenmachen einzelner Kräffte, sie ist eine im Mittelpunkt des menschlichen Wesens gegründete Krafft zum harmonischen Entfalten von aDen. Wäre sie das nicht, so wäre sie ein eitles Geschwäz. Ihr

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Resultat muß reine allgemeine Krafft der Mentschennatur 8301. Und ebenso wie sie ohne sittlichen und religiösen Sinn nicht denkbar, also feindet sie auch eben wie diese in der Einfachheit und Reinheit des häuslichen Lebens ihre erste Nahrung. Von welcher Seiten wir ihre Entfaltungsmittel ins Äug fassen, so feinden wir s sie aus dem Heiligthum dieses Lebens herausgehend. In sittlicher Hinsicht ist das nicht zu bezweiflen. In intellectueller Hinsicht ist offenbar, der Grad der Krafft und Vollendung der der Methode von diser Seiten wesentlichen Anschauungsübungen haltet sich in diesem Alter fest im Kreis 10 des kindlichen Lebens. Seine diesfelige Thetigkeit, seine Beobachtung, seine Anschauung lebt ganz in der Wahrheit seines würklichen Syns. Seine täglichen und stündlichen Anschauungen sind mit allen Reizen seines häuslichen Lebens, seiner häuslichen Liebe und seines häuslichen Glüks verwoben. Auch die elemen-15 tarische Fortbildung seiner Denkkrafft entfaltet sich wesentlich durch den festen Zusamenhang aller ihrer Übungen mit aller Wahrheit des würklichen Syns und Lebens des Kind. Es ist außer aller Frag, daß das häusliche Leben als der eigentliche heilige Boden der Erziehung, die auf ächten Grund- 20 säzen der Menschenbildung ruhet, anerkandt werden muß. Es ist daher aus[ge]macht, daß das Vatter- und Mutterhaus weder in den Schulen, noch in den Pensionen den vollen Ersaz dessen feinden wird, was Vatter und Mutter zu leisten imstand syn werden, wenn sie einst durch den Vorschritt der Elementar- 25 bildung instand gesezt werden, auch mit äußerlichen Mittlen der Fülle ihres Herzens und dem göttlichen Trieb, den der Vatter der Menschen mit so viel Krafft in ihr ganzes Wesen gelegt, ein Genügen zu leisten. Die Idee der Elementarbildung lenkt daher gar nicht dahin, so die Erziehungsanstalten und Pensionen der Welt zu vermehren. Sie lenkt nicht einmahl dahin, die modische Eitelkeit des Schulglanzes in überflüssigen, einseitigen, oberflächlichen und schimernden [Instituten] zu nähren, sonder der Menschheit allgemein das Nothwendige und Wesentliche zu sicheren, und zwahr nicht 35 so vast durch fremdes und äußeres Machwerk, sonder durch einfache Belebung dessen, was an jedem Orth und auf jeder Stelle in ihr selbst ligt. Daby will sie frylich Man hat der Methode lange den Vorwurf gemacht -

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u) zu S. 214, Z. l S. Der Vorwurf, der der Methode gemacht worden, daß [sie] die Kinder zu früh aus dem heiligen Dunkel der Ahndung der Wahrheit und des fromen Glaubens an sie herausreiße, ruhet ganz 5 auf der Unkunde des Wesens der Methode und der Fundamenten aller ihrer Mittel. Eine Methode, die die Natur in allen ihren Mittlen als eine Einheit, als ein Ganzes anspricht, kan der wesentlichen ersten Mittel, durch die unsere Natur also angesprochen wird, nicht 10 manglen. Eine Methode, die Sittlichkeit und Religiositet nicht als schwesterliche Gehülfen der intellectuellen Bildung, sondern als ihr absolutes und nothwendiges Fundament anerkent, eine Methode, die unsere Natur vor aller Erkandtnis durch Gefühle is erhebt und die zarten Bande der Natur, die sich in den Verheltnissen zwüschen Kind und Mutter als Liebe, Dankbarkeit und Vertrauen aussprechen, in dem Kind schon in seiner Umündigkeit auf seinen Vatter im Himel hinüberträgt, und die Einheit seiner Bildung, die Vereinigung der Mittel seiner sittlichen, 20 intellectuellen und Kunstbildung nur durch die Übertragung diser kindlichen Gefühlen gegen die Mutter auf den Glauben und die Anbetung Gottes möglich glaubt, diese Methode ist doch, ob Gott will, unübereinstimmend mit sich selbst und nicht wahr, oder das Festhalten des Kinds in dem heiligen Dunkel der Ahn25 düng der Wahrheit und des fromen Glaubens an sie ist ihr heilig. Nein wahrlich, es ligt im Wesen der Methode, es ligt im Wesen der Elementarbildung, daß sie das heilige Dunkel, in dem die Natur das Kind nur langsam entfaltet, als die heilige Wiege der Fromkeit und der Wahrheit mit heiliger Sorgfalt erhaltet. Eben sowie die Natur führt sie die Menschheit nur [durch] die milde Dämerung zur Klarheit des Tags. Sie ist weit entfernt von den Machwerken der Finsternis der Zeit, die sich so vielseitig bemühen, in der Mitternacht durch schwärmende Irrlichter ihrer Oberflächlichkeit, ihres Vielwüssens 35 und ihrer Anmaßungen den Schein der Tageshelle hervorzuruffen, wo imer nur dunkle Nacht da. Sie ist weit entfernt, die armen Nachtlampen der Zeit dem schlumernden Umündigen, als wären sie Sonenstrahlen, vor die Augen zu bringen. Aber frylich stellt sie den Lauf der den hellen Tag hervorbringenden Sonne [nicht

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stille] um der Laune willen, [den] milden Glanz derDämerung mit Gewalt zu verlängeren, damit ein Liebling der Finsternis, damit eine Maulwurfsseele, die das Sonenlicht nicht ertragen kan, nicht, durch ihren Schein geblendet, noch trieffendere Augen bekome, als er schon hat. Eben so wenig ruft sie mitten in der Tageshelle s mit bösen Zauberkräften ein Gewitter herby, daß der helle Tag sich verfinstere und der Himmel sich betrübe, damit die liebe Sonne keines armen Menschen schlechten Augen weh thue. Das thut die Methode frylich auch nicht. Aber sie thut alles, die göttlichen [Kräfte] dem Kind zu er-10 halten, so lang sie ihm göttlich, so lang sie ihm wahr. Wie oft hat man der Methode eben die Übel vorgeworffen, denen sie wesentlich und kraftvoll vorbiegt. Man fasse doch ihren Gang in seinem Umfang ins Äug, man halte sich an seinen Anfangspunkten fest! Das Thun der Methode, das über den Gang der Methode allgemein is Licht gibt, gibt es besonders auch über diesen Gesichtspunkt. Wie befördert sie sein geistiges Leben, damit sich Festigkeit und Milde in ihrem Thun vereiniget, [und] gibt ein helles Licht über den Werth, den sie dem heiligen Dunkel der heiligen Dämerung gibt, aber denn auch über das Bewußtsyn des hellen Tags, der 20 aus diser Dämerung für ihr Kind hervorgehen wird und hervorgehen muß. Um deswillen aber, daß sie dieses nicht thut, ist es denn denoch nicht wahr, daß sie das Land würklich zu früh aus dem heiligen Dunkel seiner Ahndungen und seines Glaubens an die 25 Wahrheit herausreiße. Man beobachte nur ihren Gang, den Gang der intellectuellen Übungen neher! Alle Übungen der reinen, logischen Krafft setzen natürlich vollendete und gereifte Anschauungsübungen voraus, und es ligt im Wesen aller logischen Operationen, daß ihre Fundamente im menschlichen Geist so vollkomen gereifet syen, eh ihre Resultate ausgesprochen [werden]. Das Kind der Methode beobachtet lange Zeit lebendig und vielseitig, eh es urtheilt, und übt sich unendlich weniger im Urtheilen selber als in der Bildung der Krafft, urtheilen zu könen. Im ganzen Umfang der Elementarbildung [ist] jeder Schritt 35 ihrer Übungen wie die Schritte der Natur unendlich leicht, aber um deswillen nicht weniger fest. Sie ist in jedem ihrer Schritte ihrer Resultate sicher und sich ihrer Krafft bewußt. So ist die Hand der Mutter, an der ihr Kind gehen lehrnt, ob sie gleich

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samft ist und ohne allen Drang mit den kleinen Krefften des Umündigen in Übereinstimung handelt, denoch ihrer Krafft bewußt und ihres Resultats sicher. Auch ruhet die Sicherheit des Erfolgs ihrer Führung wesentlich auf diser Leichtigkeit ihres 5 Thuns, auf disem samften Wesen etc. v) zu S. 215, Z. 14 ff. - eine solche. Wir empfangen die Kinder im 6.-7., oft im 13.-14. Jahr. Uns mangelt sowohl der reine Anfangspunkt der sittlichen Elementarbildung, als der reine unverwirrte Naturgang 10 in der stuffenweisen Entfaltung dieser Krafft so viel als ganz. Irrthümer, Liebhaberyen und Meinungen aller Art sind zwischen dem göttlichen Gang der Unschuld und [der] reinen wahren Religiositet diser Entfaltung hineingetretten. Vorurtheile aller Art haben die Natur in ihrem einfachen Einfluß für unbefangene is Mentschenliebe und für ihren unverwirrten sicheren Gang, sowie für das Festhalten der so nothwendigen Unterwerffung unter die Allgemeinheit des Gott[esge]horsam und der Dienstpflicht, die die Liebe gebietet, ganz abgelenkt. In dieser Darstellung der Elemente der sittlichen Bildung 20 fallt frylich auf, daß das einfache häusliche Leben für die Ausführung der Grundseze der Elementarbildung weit vorzüglicher ist als irgend eine Pension. Aber die Idee der Elementarbildung und der große Zwekk der Welt, durch sie ein festes Fundament für die Erziehung kömftiger Geschlechter [zu] geben, ist in ihrem 25 Wesen von dem höchst beschrenkten Thun der Anfangsversuchen unserer Speciallag unabhangend. Indessen thun wir, was wir in unsrer Schwäche vermögen, unsre Anstalt ganz in den Geist des reinen häuslichen Lebens hinüberzutragen. Dieses Leben und die eigentliche rein häusliche 3o Erziehung, das aber suchen wir dann zu thun, und in Anerkenung dessen suchen wir den Geist der Anstalt ganz in den Geist des reinen häuslichen Lebens und seiner Liebe, seiner Treu überzutragen. Nur ob wir das thun, ob wir das mit Treu thun, das ist eigentlich, was diesfalls in Frag körnen und untersucht werden 35 [muß]. Daß das häusliche Leben und die häusliche Erziehung der eigentliche heilige Boden aller wahren Bildung zur Sittlichkeit ist, das ist außer aller Frag, und dieses entscheidet von selbst,

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daß die Elementarbildung zur Sittlichkeit, das ist ja eine gegen die Gefahren der sittlichen Verbildung psychologisch gesicherte Erziehungsweise auf diesen Boden hingelenkt und für ihn vorbereitet werden muß, und daß das Vatter- und Mutterhaus weder in den Schulen, noch weniger in den Pensionen ewig nie den s vollen Ersaz dessen feinden werden, was dieses für die Entfaltung der sittlichen Bildung der Kinder zu leisten im Stand syn wird, wenn einmahl Vatter und Mutter durch den Genuß einer wahren elementarischen Bildung in Stand gesezt syn werden, auch mit ä u ß e r n Kr äff ten der Fülle ihres Herzens und dem göttlichen 10 Trieb, den der Vatter der Menschen in sie gelegt hat, ein Genügen zu leisten. Die Idee der Elementarbildung lenkt daher gar nicht dahin, die Versuche der Erziehungsanstalten und Pensionen zu vermehren. Sie lenkt sie nicht einmahl dahin, die modischen Eitel-10 keiten des Schulglanzes in überflüssigen, einseitigen, oberflechlichen und schimernden [Schulen] zu nähren, sonder der Menschheit allgemein das Nothwendige zu sichren, und nicht bloß die Anfangspunkte dieses Nothwendigen in die Hand der Liebe des häuslichen Kreises zu legen, sonder die 20 Unterrichtskraift dieses heiligen Kreises wesentlicher und vielseitiger zu sterken, und ihr eine längere Dauer und einen entscheidenden und allgemeinen Einfluß auf alle Kräffte des Kinds und auf sein ganzes Leben zu verschaffen. Das wird aber frylich wenigstens ein Menschenalter nicht 25 hinteren, daß für die zahllose Menge von Kinderen, deren Eltern weder Zeit noch Geschiklichkeit noch Tugend genug haben, ihre Kinder selber zu unterrichten und zu erziehen, alle Arten [von Schulen] und Pensionen fortbestehen, und diese für ihre Kinder darin suchen und feinden könen, was sie selber fühlen, daß sie so ihnen diesfals schuldig sind. Aber frylich ist denn auch wahr, für Eiteren, die selber elementarisch richtig gebildet und erzogen worden, könen und sollen einst Schulen, Pensionen, Academien und selber Universiteten keine wünschbaren Mittel der Erziehung ihres Kinds mehr syn, als insofehrn sie selbige als solide Erwei- 35 terungs- und Vollendungsmittel der Erziehung ansehen könen, die sie in ihren Anfangspunkten selber mit Soliditet begonen und bis auf den Punkt betrieben, der ihnen in ihrer Lag und in ihren Umständen erreichbar gewesen.

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Und wer imer die Anstalt [besucht], wird den Erfolg dieser sie auszeichnenden häuslichen Tendenz nicht verkenen. Von einer anderen Seiten hat denn [ein] solches häusliches Zusamenwohnen einer großen Anzahl Kinder, Jünglinge und Mäner für 5 die Stärkung und Belebung der Sittlichkeitskräffte unverkenbare Vorteile. Aber noch ist die Frage: Was sind die Mittel der sittlichen Ausbildung, die das unabenderliche Fundament der Elementarbildung unsers Geschlechts ist? nicht beantwortet. Diese Frage 10 aber ist wesentlich. Hat die Methode ihre eignen sittlichen Elementarmittel, darf sie sich irgend einer Erfindung hierin rühmen ? Und ich muß geradezu sagen: Sie darf sich keiner solchen rühmen, sie hat keine, und ist nur darum solid, weil sie innig fühlt, daß sie hierin nicht von der Quelle des lebendigen Wassers is weichen darf, um durchlöcherter Sodbrunnen [willen], die kein Wasser haben. Es fragt sich nur: Führt der Geist der Methode in seiner reinen Ansicht der Liebe zu Jesu Christo und zur höheren Vollendung der Menschennatur durch seine göttliche Lehr, die Bildung der 20 Menschheit zur Sittlichkeit ? Eine zweite Frage in Rüksicht auf die sittliche Bildung, von welcher das ganze Süstem der Elementarbildung ausgeth, ist disc: Hat die Methode für diese Bildung eigene, eigens erfundene, eigens organisirte Mittel ? Ich kan hierüber ganz einfach mit Nein 25 antworten. Alle Elementarmittel der sittlichen Bildung ligen in göttlicher Vollendung im Christenthum. Es ist für diese kein menschlicher Zusaz auch nur denkbar. Im Herzen der christlichen Mutter, im Herzen des christlichen Lehrers, im Herzen des Menschenfreund, der auf dem Trohn, in der Würde des so Bischoffs, in der Einsamkeit des Klosters, eben wie der, der in den Geschefften der Welt an Gott glaubt und mit Jesu Christo in der Aufopferung seiner selbst für seinen Bruder das einzige, seiner Natur würdige Lebenszihl sucht, im Herzen dieses Mans, im Herzen dieses Weibs sind alle wesentlichen Grundsäze und noch 35 mehr alle wesentlichen Mittel der sittlichen Elementarbildung mit göttlicher Krafft lebendig. Es ist und kan hierüber keine weitere Frage syn als: Ist das Menschliche unserer geistigen und phüsischen Elementarbildung mit dem Göttlichen und Ewigen der sittlichen Elementarbildung

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in gehöriger Übereinstimmung ? Und diesfals haben wir noch die Äußerung vorausgehen zu lassen, daß die Methode die sittliche Bildung nicht bloß als nothwendige Begleiterin der intellectuellen und phüsischen, sonder als [das] eine und absolute Fundament aller möglichen Elementarbildung erkent, - das ist außer 0 Zweifel -, und hinwieder für die sittliche Bildung selber kein der Menschennatur genugthuendes und ihre heilige KrafFt würklich sittlich sicherndes Mittel kent als reine Religiositet. Diese Äußerungen vorausgesezt ist dann zu zeigen, daß das Wesen unserer intellectuellen und phüsischen Elementarbildung 10 mit dem Wesen und [den] unzwydeutigen Erfordernissen der sittlichen und religiösen Ausbildung in gehöriger Übereinstimung stehe. Es fragt sich nur: Sind die Mittel der geistigen Bildung, der Kunst- und Berufsbildung, die unsere Methode als elementarisch erkennt, mit den Grundsezen, die die Vernunaft offenbart und 15 als Elementargrundseze und Elementarmittel der Sittlichkeit, und damit als die unabenderlichen Fundamente aller wahren, die Menschheit würklich zu ihrer inneren Veredlung hinführenden intellectuellen und phüsischen Bildungsmittel 'anerkent, in wahrer Übereinstimmung? Das ist das einige, was in diser 20 Rüksicht zu untersuchen ist. In Rüksicht auf die sittliche Bildung unsrer Kinder bauen wir in unserer Anstalt auf diese bestehenden Mittel. Das Christen thum brauchen wir an sich selbst in ihrem Geist und in ihrer Wahrheit, und denn zweitens geth vom Reinsten, vom Heiligsten 25 der Religion viel aus, sie ist göttlich. Und es fragt sich jez nur: Bringen wir das Mentschliche unserer geistigen Elementarbildung und dasjenige der Kunst- und Berufsbildung mit dem Reinen und Göttlichen, das wesentlich die ewigen Fundamente der sittlichen Bildung [ausmacht], genugsam in Übereinstimung? so Werden die Mittel diser geistigen Bildung durch Anpassen an das Göttliche, das Fundament aller Elementarbildung, an die sittliche Bildung unsers Geschlechts, selber sittlich, göttlich und ewig ? Und hierüber dörffen wir bestirnt [sagen]: Die Harmonie der Elementarmittel unsrer geistigen Bildung und derjenigen der 35 elementarischen Kunst- und Beruffsbildung mit den wesentlichen Erfordernissen der sittlichen Bildung ist vollkomen. Ich mag mein Auge ihrenthalben hinwenden, wohin ich will, so feinde ich sie also.

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Ich muß hierüber ins Detail gehen. So wie die sittliche Elementarbildung nicht davon ausgeth, das Kind über die Liebe schwazen, sonder es würklich lieben zu machen, so geth die elementarische Geistesbildung nicht davon aus, das Kind über s die Natur und das Wesen [des Denkens] schwazen, sonder es würklich [denken] zu machen. So wie in sittlicher Hinsicht die Gefühle und Kreffte der menschlichen Veredlung nicht durch irgend eine äußere Kunst und Geschicklichkeit in die menschliche Seele hineingebracht 10 werden, und wie hinwieder das religiöse Streben nach unendlicher Vollkomenheit in disen Gefühlen und Krefften eine nothwendige, von der Natur selber erzwungene Folge der Wahrheit und des Lebens sind, so wie [dieses] Streben nach der Vollendung und der Vollkomenheit dieser Krefften nichts anders is ist als eine nothwendige Folge des Organismus, des Wachsthum diser Kreffte selber, also ist auch die menschliche Krafft, die Gegenstände ihrer Anschauung geistig zusamen zu setzen, zu trenen, zu vergleichen, nicht durch irgend eine äußere Kunst in die Seele des Menschen hineingebracht. Sie ist dem Wesen der 20 menschlichen Seele eigen. Die menschliche Seele ist nicht denkbar ohne ihr Dasyn, und hinwieder das Streben nach einem unendlichen Wachsthum, nach einer unendlichen Vollkomenheit dieser Kraft ist hinwieder eben nichts anderes als eine nothwendige Folge des Organismus diser Krafft selber in ihrem Wachsthum, 25 und des Lebens in ihrer Wahrheit. In Verbindung mit dem Streben nach der Unendlichkeit in der sittlichen Krafft wird dann das Streben nach der Unendlichkeit in den intellectuellen Krefften selber ein Streben nach göttlichen Krefften und nach göttlicher Vollendung unserer mensch30 liehen Krefften. Die Haltung des Vergleichens der sittlichen und intellectuellen Bildung unsere Geschlechts ist allgemein. Es fragt sich und ist zu untersuchen: Sind die Bildungsmittel unseres Geschlechts, die unsre Methode als Elementarbildungsmittel unserer geistigen Entfaltung anerkent, mit denjenigen, 35 von denen sie in ihren Bemühungen für die sittliche Entfaltung desselben ausgeth, in Übereinstimmung? Wir erkenen als Elementarmittel unsers Geschlechts Zahl, Form und Sprach. In Rüksicht auf alle diese Mittel, [besonders] in Rüksicht auf

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die Zahl ist unwiedersprechlich, die Elementarbildung unsere Geschlechts durch sie geth nicht von den Bemühungen aus, richtige Begriffe von dem Wesen der Zahl zu geben, sonder von den Bemühungen, das Kind [im] Leben der Übungen seiner selbst zu entfalten, die den Regien aller möglichen Erkandtnis durch 5 die Zahl zum Grund ligen. In allen Theilen, die in der sittlichen und intellectuellen Elementarbildung vergleichbar sind, erscheint diese Harmonie vollständig. So wie die sittlichen Elementarübungen wesentlich nichts anders sind und syn könen als psychologisch gereihete ]o Übungen im sittlichen Handien, so sind die geistigen Elementarübungen in ihrem Wesen nichts anders [als] psychologisch gereyhete Übungen im logischen Denken. Die geistige Elementarbildung lehrt nicht über die Zahl schwazen, noch viel weniger Blendlingszahlresultate hervor- i.r> bringen und sie mercantilisch oder mathematisch als Fundament fehrnrer Schlüsse handwerksmäßig benuzen. So wie die sittliche Elementarbildung nicht über die Liebe schwazen, sonder würklich lieben lehrt, so lehrt die geistige Elementarbildung nicht über das Denken schwazen, sonder würklich denken. Und die Übun- 20 gen der Methode in den Zahlverheltnissen sind für die elementarische Geistesbildung nichts anders als logische Übungen der geistigen Krafft im Zusamensezen, Trenen und Vergleichen der Gegenstände, die, indem sie vom höchst Einfachen ausgehen, dem Kind durch lükkenlose Schritte auch das Zusamensezzen, 25 Trenen und Vergleichen des Verwikeltesten leicht und habituell machen. Hinwieder, eben wie in der sittlichen Entfaltung unsers Geschlecht die ersten Schritte dieser Entfaltung in ihrer Art vollendet sind, eben wie das erste Gefühl der Liebe bym Kind das so Gefühl einer vollkomenen Liebe ist, so ist auch der erste und einfachste Schritt der intellectuellen Bildung durch die Zahl an sich ein vollkomener Verstandesschritt, er ist unabenderlich und ewig, wie die Mutterliebe in sittlicher Hinsicht das Fundament aller weiteren Verstandesentfaltung zu der Combinaison, 35 die die Reihenfolge diser Mittel dem Kind durch mögliche Combinaisons der Zahlen emporheben. Der erste Schritt der intellectuellen Elementarbildung durch die Zahl ist eben wie der erste Schritt der sittlichen Bildung durch die Liebe ein voll-

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komener, ein vollendeter Schritt, und in ihm ligt wie in dem ersten Schritt der Sittlichkeitsbildung [das] einzige Mittel zur lükkenlosen Entfaltung der höchsten Verstandeskräffte, die durch das Mittel der Übung in den Zahlverheltnissen möglich sind. Die menschliche Vollkommenheit ist eine Vollendung des Ganzen, und der Mensch wächst nur in so weit seiner Vollkomenheit, seiner Vollendung entgegen, als er ihr im Ganzen und als ein Ganzes entgegen wächst. Aber auch jede einzelne Voll10 komenheit, jede einzelne Vollendung irgend einer menschlichen Krafft, wenn sie wahrhaft, würkt durch das unsichtbare heilige Band unsrer Natur auf die Vollkomenheit, auf die Vollendung aller übrigen Kreffte in unserer Natur. Und so wie die Fehigkeit für die Wahrheit oder diejenige Gei5 müthsstimmung, in der sich die logische Krafft am leichtesten und sichersten ausbildet [und] durch die Gemüthsruh der Sittlichkeit und Religiositet unsrer Natur gegründet wird, also sterkt hinwieder die durch die Übungen der Zahlverheltnisse gebildete logische Krafft die \rollkomenheit des inneren sittlichen Lebens, 20 der Religiositet und der Sittlichkeit. Das Wesen der elementarischen Bildung ist ein ewiger Zusamenhang aller seiner Mittel mit der Wahrheit unsere würklichen Syns. Der Vorwurf, der unsrer Methode so oft gemacht worden, daß sie die geistigen Anlagen unserer Natur zum Nach25 teil der sittlichen und religiösen einseitig und überwiegend entfalte, und das Kind zu früh aus dem heiligen Dunkel der Ahndung der Wahrheit und des fromen Glaubens an sie herausdränge, ruhet auf der gänzlichen Unkunde des Wesens der Elementarbildung. Nein, wer imer die Methode in ihrem Geist kent, der so muß das Bild, das ich hier von ihr zu machen [suche], nothwendig wahr feinden. Nein, die Elementarbildung hebt das heilige Dunkel, in dem die Natur nur langsam entfaltet, nicht auf. Im Gegentheil, sie erhaltet dises Dunkel als die Wiege der Wahrheit und der 35 Fromkeit mit hoher Sorgfalt, so lang ihr Kind der Wiege bedarf. Sie ruhet in ihrer heiligen Dämerung, so lang das Sonenlicht sie nicht selber vertreibt. Sie ist weit entfehrnt, die Tageshelle durch irgend ein Irrlicht hervorzurufen und irgend eine Nachtlampen der Finsternis für Sonnenstrahlen und ihre

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Würkung für Tageshelle zu erklären. Aber frylich stellt sie denn den Lauf der Sone um der milden, um der schönen Dämerung willen doch nicht still, und ruft keinem Gewitter, den Tag, der ihr nach Gottes willen folgen soll, gewaltsam zu verfinstern und zu betrüben; das thut sie denn frylich auch nicht. Das Vesthalten & des Kind an der von der Natur geforderten Dämerung in seiner Entfaltung ist durch das Wesen der Methode und ihrer Mittel, und bestirnt durch das Wesen der Elementarmittel der intellectuellen Bildung nothwendig gemacht. So wie die wahre sittliche Krafft von der wahren Stellung 10 unsers würklichen Syns ausgeth und sich in demselben entfaltet, so entfaltet sich die elementarische Bildung unserer logischen Krafft nur im Zusamenhang unsers würklichen Syns und Lebens [in der] Wahrheit. Unbewußt, woher der Wind komt und wohin er geth, wendet 15 sich der Seegel des zur Weltreise bestirnten Schiffs, von seinem ersten leichten Hauch bewegt, nach der Richtung seiner Bestimung und spant sich in dieser unbewußten Richtung allmählich bis zur höchsten Krafft aus. Es ist kein Geschwaz, es ist kein Tand, es ist keine Anmaßung in diesem Emporwallen des 20 Segels zur höchsten Krafft für die Führung des Schiffs, so wie kein Geschwaz, kein Tand und keine Anmaßung in dem Anschwellen der mütterlichen und kindlichen Gefühle zur höchsten Krafft der reinen Sittlichkeit statthat. [Die Elementarbildung] ist nicht mehr elementarisch, wenn sie 25 außer diesen Zusamenhang austrittet, sie ist in ihrem Wesen und in ihrem göttlichen Syn nicht [Bildung] zum Rechnen, nicht Bildung zur Mathematik, sonder Bildung zur logischen [Kraft] im würklichen Leben. Sie ist nicht mehr elementarisch, sobald sie irgend etwas Einzelnes im menschlichen Leben be- so zweckt. Sie ist nicht mehr elementarisch, sie ist nicht mehr elementarisch bildend, sie ist augenbliklich unelementarisch und verbildend, sobald sie irgend eine Disharmonie und Einseitigkeit auf der Natur künstlich begründet. Sie ist augenbliklich unelementarisch, wenn sie, der Oberflächlichkeit und der Vielwüsserey 35 dienend, das Gleichgewicht unserer Natur untergrabt, das nur da stattfeindet, wo sich das nöthige Wüssen vollendet, eh dem unöthigen Kopf und Herz geöfnet [wird]. Sie ist im Augenblik unelementarisch, wenn sie das Konen unsers Geschlechts von

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seinem Wüssen, und nicht sein Wüssen von seinem Konen ausgehen macht. Das sind die Grundseze des heiligen Hintergrunds unserer Rechnungstabellen, und wahrlich, wahrlich, das alte Einsmahl5 eins und die ganze alte Manier, die Denkkrafft des Kinds zu entfalten, hatte diesen Hintergrund nicht, und war darum nicht und konte, wie er war, darum nicht mit den reinen Fundamenten der Sittlichkeit in Harmonie stehen. Aber die Elementarbildung zum Geist ist gar nichts als ein 10 leeres eitles Geschrey, oder sie steth mit den Fundamenten der sittlichen und religiösen Bildung in vollkomener Harmonie. Ihr Resultat ist reine Krafft der mentschlichen Natur, wie das Resultat der elementarischen Sittlichkeitsbildung reine Krafft der Menschennatur ist, und was hier von der sittlichen und relii5 giösen Krafft wahr ist, das ist auch von der intellectuellen wahr. Das steigende Wachsthum der intellectuellen Krefften, insofehrn es von der Einfachheit ihrer ersten Entfaltung ausgeth und am Faden dieses reinen Anfangs von innerer Vollkomenheit zur inneren Vollendung vorschreitten soll, ist so wenig als das Steigen 20 der sittlichen Vollendung ohne Entfaltung der religiösen Gefühlen und ihr steigendes Wachsthum nicht möglich. Wie in der sittlichen, also ist in der intellectuellen Krafft nur durch sie die Verhütung der Ausartung der Verstandeskrafft in bloße Scheinkrafft, und im Mißbrauch der Scheinkrafft für Zwekke, die der 25 reine Verstand des Menschen so wenig als das reine menschliche Herz je haben kan, [möglich]. Alles, was von der geistigen Bildung des Menschen durch die Zahl wahr ist, das ist auch von seiner geistigen Bildung durch die Form wahr. so Auch diese ergreifft den Menschen als ein Ganzes im Umfang aller seiner Krefften. Sie behält ihn nicht einmahl in den Schranken der Zahlübungen, sie erhebt ihn zum Schöpfer des Möglichen, sie nihmt vorzüglich seine Immagination in Anspruch. Und ohne ihm einen Schritt der schwermerischen Ausschweifung zu 35 erlauben, öfnet sie ihm in der Wahrheit ein unermeßliches Feld. Als reine Quelle seiner geistigen Krafft ist sie übrigens wie die Zahl mit dem Umfang der Menschennatur in vollkomener Harmonie und muß, wie diese der Bildung zur Sittlichkeit untergeordnet, auf dem Weg der Religiositet die inere Reinheit ihrer 5 Pestalozzi Werke Bd. 22

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selbst und damit ihre höchste Krafft zur wahren intellectuellen Bildung unsers Geschlechts suchen und feinden. Das dritte Mittel in der geistigen Bildung ist die Sprache, und auch dieses Mittel, elementarisch behandelt, entfaltet die geistige Krafft nach eben den Regien und Grundsezen, nach 5 welchen sie durch Zahl und Form entfaltet wird. Auch sie legt dem Kind nicht Worte in den Mund, um durch sie die Krafft des Denkens zu entfalten, sonder sie entfaltet die Krafft, damit es Worte suche und feinde, die ihns das Bewußtsyn seiner Krafft suchen macht. Elementarisch betrachtet geht das Reden ganz 10 von der Anschauung [aus], die die fünf Sinen dem Kind von seinen Umgebungen mittheilen, um dem Naturdrang der Anschauungen sich selbst und anderen durch die Sprach zum Bewußtsyn zu bringen. Das Reden geth allso bym Kind ganz vom Fühlen seiner selbst und seiner Umgebungen aus. Der Grad der 10 Nähe, der öfteren Wiederholung W) zuS.217,Z.21ff. Alle Übungen der logischen Krafft, folglich auch die Übungen der logischen Krafft durch Zahl und Form setzen natürlich voraus, daß das Kind mit den Gegenständen, die es in seinem Geist 20 zusamensezzen, trenen und vergleichen soll, genau bekandt sy. Übung des Anschauens, krafftvolle Übung des Anschauens und Vollendung der Übung des Anschauens in dem, was man geistig vergleichen soll, geth also den geistigen logischen Operationen, die mann bezwekket, wesentlich voraus. 25 Und da es im Wesen der logischen Elementaroperationen ligt, daß ihre Fundamente im menschlichen Geist vollkomen gereifet syen, eh ihre Resultate ausgesprochen werden, und folglich alle Übungen nur langsam vorschreiten, so haben die Anschauungsübungen, die ihnen vorgehen, nicht bloß genugsam Zeit zu so ihrer Vollendung. Es ligt vielmehr in der Natur der Übungen, daß diese benuzt werden müssen. Das Kind der Methode wird durch dise Übungen nicht bloß im logischen Schließen geübter, es wird es auch unendlich fester im einfachen, aber festen und Vollendesten Anschauen aller Dinge, von denen es im Fall 35 ist, etwas zu schließen. Ich sage es tausendmahl umsonst, es ist nur die Ausübung, es ist nur das Leben in der Methode selber, die uns das Wesentliche

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ihrer Wahrheit, ihrer Krafft und ihrer Harmonie erkenen macht. Es wird Menschen, die die Sach nicht sehen, nicht prüffen wollen, unerträglich syn, wenn ich [in] meiner Vergleichung [zu Jesus Christus, der] das Wort aussprach: Wer diese meine Lehre thut, 5 der wird feinden, daß sie aus Gott! fortfahre und sage: Ich förchte keinen Mißverstand und keinen Mißbrauch, wenn ich [mit] der Demuth, die ich mir selber schuldig bin, es ausspreche: Wer die Mittel der geistigen Elementarbildung des Kinds mit Unschuld und Liebe ausüben wird, der wir[d] feinden, 10 daß sie im wahren Sin des Worts mentschlich syen, daß sie mit dem Wesen der Menschennatur und allen ihren Ansprüchen in Übereinstimung steth. Der ruhige, einfache und frye Natureindruk der Gegenstände wird also durch die Methode nicht gemindert, wohl aber viel15 seitiger und bestirnter gemacht. Sein heiliges bildendes Dunkel wird durch sie nicht entfehrnt, und das Kind der Methode trittet nicht durch die Blendwerke der Oberflächlichkeit, der Vielwüsserey und der Vorurtheile zum Verderben seiner Natur aus demselben heraus. Es trittet nur durch das vollendete Licht 20 seiner intellectuellen Krafft aus demselben heraus und trittet in dem Gegenstand aus demselben heraus, für den das Licht seiner intellectuellen Krafft entscheidend genugthuend leuchtet. Das elementarisch gebildete Kind ist in seiner Beschrenkung ruhig, in seiner Unwüssenheit forschend, in seiner Liebe glau25 bend, in seiner Wahrheit fest; es bleibt auch im Heraustretten für den einzelnen Gegenstand im allgemeinen denoch [ruhig] und komt mit der trozigen Vestigkeit der Wahrheitsanmaßung der oberflächlichen und eitlen Menschen wenig in Verbindung. Es wird aus disem heiligen Dunkel nicht durch ein Blendwerk, so es wird aus demselben durch das auf jedem Punkt seines Vorschritts vollendete] Licht seiner intellectuellen Kraft heraus [treten], und dises Licht ist in seiner Würkung in ihm imer auf dem Grad beschrenkt, auf dem seine intellectuelle Krafft würklich steth. 35 Sein imer still wachsender Wahrheitskreis ist weder dem Heiligthum seines Glaubens, noch dem Dunkel seiner Ahndungen gefährlich, weil er heilig, klein, vollendet und rein ist. Seine Wahrheit ist unschuldig, sie ist gut; und als Meinung selber ist sie auf sittlichem Boden entkeimt, folglich im Leben schöner Ahndungen

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und fromer gläubiger Gefühle aufgewachsen. Die Festigkeit der Elementarwahrheit ruhet also wesentlich in der himlischen Milde ihres Entkeimens. [Die] Festigkeit der elementarischen Wahrheit ist heilig, sie [ist der] Weltfestigkeit ihrer auf nichtige Oberflächlichkeit gegründeten Ansprüche genzlich entgegen. Sie s ist desnahen in ihrem Wesen von der Festigkeit jeder rohen Anmaßung verschieden wie das zarte Gold von dem rohen Eisen, und leßt sich mit ihr in Rüksicht auf die Zartheit aller Ansprüche unserer Natur so wenig vergleichen, als die Festigkeit des ins Unendliche dehnbaren reinen Golds gegen die Scheinfestigkeit 10 des spröden, springenden Eisens vor unseren Augen erscheint. Ich halte mich vielleicht zu lange by diesem Gesichtspunkt auf. Aber die Langsamkeit des Elementargangs, die Festigkeit in der Naturgemeßheit der Anschauung, die Vorteile und Reize, die die ersten Lineamente der Zahl- und Formlehr der Anschauung is geben, alles macht dise Anschauung mit aller ihrer Zartheit und Ausdehnung menschlich und krafftvoller, als sie je war. Es ist von der höchsten Wichtigkeit, daß die Frage außer allen Zweifel gesezt sye, ob die elementarischen Übungen der intellectuellen Kräffte mit dem heiligen Thun der sittlichen und religiösen Bil- 20 düng in dieser Harmonie stehe, und [ob] das Kind durch dise Übungen nicht, zum Schaden des stillen, langsamen Naturgangs und des fromen Festhaltens in dem Dunkel der, der Erkentnis der Wahrheit vorhergehenden Ahndungen, gewaltsam herausgerissen werde. 25 Man hat den Zahl- und Formübungen diesen Vorwurf laut gemacht. Die Erfahrung meines Instituts wiederlegt ihn ganz. Aber es braucht nicht einmahl diese Erfahrung; seine Wieder legung ligt in der Natur der intellectuellen Elementarübungen selber. Sie verstärken und erweiteren, sie beleben die Anschau- so ungskrafft, aus der die Ahndung der Wahrheit vor der Erkandtnis vorhergeth. Die Kinder der Methode beobachten lange, fest, lebendig und allgemein, eh sie urtheilen. Sie beurtheilen nichts, als was sie vollkomen erkenen; sie üben sich methodisch unendlich weniger im Urtheilen selber als in der Krafft, gereiffet 35 zu könen. Und in dieser üben sie sie mit einer Langsamkeit und mit einer Sorgfalt für das Ausreiffen und Vollenden jedes Schritts der Bildung, daß das Kind es durchaus nicht gefahren kan, aus dem Zustand der Ahndung der Wahrheit umüglich anders als

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gereiffet in den Zustand der Erkandtnis derselben hinüberzugehen, indem diese Langsamkeit der intellectuellen Elementarübungen, die in ihrer Natur ligt, diesen Theil der Bildung unsere Geschlechts mit den Ansprüchen der Gesandtheit seiner Bil5 dungsbedürfnisse und vorzüglich mit denjenigen der Sittlichkeit und Religiositet von allen Seiten und vollkomen in Harmonie [bringt]. Es kan nicht anders [sein], der Grad der Krafft, der Dauer und Vollendung der, der Methode wesentlichen Anschauungs10 Übungen haltet sich in diesem Alter fest im Kreis des Kinds. Seine Beobachtung, seine Anschauung lebt in der Wahrheit seines würklichen Syns und wird in dieser Wahrheit kraftvoll, und nicht außer derselben träumerisch und umherschwebend entfaltet. Nein, die Ahndung der Wahrheit und die Reifung zur Wahrheit is entfaltet sich im Kind der Methode durch die Anschauung seiner selbst in der Wahrheit seines Syns. Wenn die Methode die Krafft diser Anschauung stärkt und belebt, so verkürzt sie um deswillen denselben [Gang] nicht, sie verlengert ihn vielmehr und heiliget ihn, indem sie diese Anschauung mit allen Reizen seines häus20 liehen Lebens, seiner häuslichen Liebe und seines häuslichen Glüks verwebt, und so das Kind, indem es dasselbe für die ersten Stuffen der Bildung fehig macht, krafftvoll in den ersten, reinsten Fundamenten der Sittlichkeit und Religiositet festhaltet. Jede Höhe, jede Krafft der intellectuellen Bildung, die auf dieser 25 Bahn entkeimt, kan ewig nie den Fundamenten der Sittlichkeit und Religiositet und der Harmonie des Ganzen in unsrer Bildung im Weg stehen. Das, was in Rüksicht der Anschauung [von] Zahl und Form hierin wahr, das ist auch in Rüksicht auf Sprache als drittem so Bildungsmittel unserer intellectuellen Kräfften gleich wahr. x) zu S. 218, Z. 21 ff. Die Methode nihmt es für ausgemacht, es ist keine der menschlichen Natur genugthuende elementarische Verstandes'oildimg und eben so wenig keine elementarische Berufs- und Standes35 bildung möglich, die nicht auf die Bildung des Herzens zur Liebe und durch die Liebe gebaut wird. Die Verstands-, sowie die Berufs- und Standesbildung muß also nach der Methode der

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Herzensbildung, der sittlichen Bildung wesentlich untergeordnet werden. Der zweite, ebenso wesentliche Grundsaz der Methode in dieser Hinsicht ist folgender: Die Bildung der Sittlichkeit geth nicht von den Bemühungen für die richtigen Einsichten und 5 Erkenntnisse vom sittlich Guten und Schönen aus, sonder vom Leben in der Bealitet der Sittlichkeit, vom Genuß der sittlichen Handlung, vom Genuß der mütterlichen Besorgung und mütterlichen Pflege, die im heiligen Dunkel der Umündigkeit die Gefühle der Liebe, des Danks und des Vertrauens im Kinde über-10 schwenglich belebt, so lebet, daß die erste Liebe, der erste Dank, das erste Vertrauen des Kindes in seiner Art ein vollkomener Dank, ein vollkomenes Vertrauen syn. Man mißverstehe mich nicht, die offene Blüte des Baumes ist in ihrer Art so vollkomen als die gereifte Frucht. Ich erinnere is mich in meinem Leben, wie ein Kind von acht Jahren die Vollkomenheit seiner Liebe in himlischer Unschuld ausdrükte. Unter Liebkosungen mit ihm tändelnd, als sein Vater zu ihm sagte: Aber wenn du einst groß bist, dann erst wirst du mich lieben, du wirst mich dann weit mehr lieben als jetzt! 0 nein, o nein, 20 erwiderte das Kind, wenn ich hundert Jahre alt werde und so groß als der Goliath, ich kann dich nicht mehr lieben, als ich dich jez liebe! Der zweite wesentliche Grundsaz der sittlichen Elementarbildung ist dieser: Die Reinheit und Vollkomenheit der ersten 25 Entfaltung des sittlichen Herzens kann sich in der Menschennatur nicht erhalten. Es ist dieser Natur nicht möglich, das steigende Wachsthum der Sittlichkeit an diese Vollkomenheit der Unschuld ihres Entkeimens anzuknüpfen und mit gesichertem Erfolg von Stuffen zu Stuffen, von Vollkommenheit zu Voll- so komenheit weiter zu schreiten, als durch frühe Entfaltung religiöser Gefühle. Im heiligen Dunkel der Umündigkeit, in dem sich die überschwenglichen Gefühle der kindlichen Liebe, des kindlichen Dankes und des kindlichen Vertrauens im Kinde entfalten, fließen diese kindlichen Gefühle mit Anmuth und inniger 35 Erhebung in Gottes Forcht und Gottes Dank und Gottes Glauben hinüber. Sie müssen hinüberfließen. Die menschliche Sittlichkeit hat keinen sicheren Faden ihres Jahreswachsthums als im göttlichen Leben. Die Gefühle der kindlichen Liebe, die durch auf-

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opfernde Tat der mütterlichen Liebe [entstehen], müssen jez in Übungen der sittlichen Thatkrafft hinübergehen. Der Dank, die Liebe des Kinds muß jez aufhören, bloß tändelnd zu bleiben, er muß jez in Gehorsam an die erste Befliessenheit zu allem, was die 5 liebende Mutter erfreuen kan, hinübergehen. Dafür ligen in der sinnlichen Natur nicht die Reize, die für die tändelnden Äußerungen derselben in ihr ligen; im Gegentheil, seine sinliche Natur sträubt sich gegen jede Beschwerde des Gehorchens oder der Dienstbefliessenheit. Aber wenn die Mutter 10 vor den Augen [des] Kinds in Verehrung und Anbetung ihrem Vatter im Himmel [dankt] und ihm dienet vom Morgen bis an den Abend, und jede Beschwerde des Lebens mit Dank und Vertrauen auf Gott trägt, denn erhebt sie das Kind zu eben diesem Glauben an den Vatter im Himel, und durch ihn zu aller That15 kraft des Gehorsams und der Dienstbefliessenheit, die von diesem reinen Sinn ausgehend sein Inneres von Vollkomenheit zu Vollkomenheit emporhebt. So wie endlich die Methode, indem sie in den Mittlen ihrer sittlichen Bildung nicht von den Bemühungen für die Einsicht 20 und Erkentnis der sittlichen Gegenstände, sonder von der Bildung des Kinds im Leben und durch das Leben in der Sittlichkeit ausgeth, und dadurch die treumerischen Anmaßungen der Sittlichkeit, wo sie nicht selber, sonder nur ihr Schall und ihr Begriff da ist, verhüttet, also verhütet sie dise Neigung, sich 25 im Schein der Sittlichkeit, wo sie nicht würklich da ist, zu verträumen, durch den Sinn und Geist ihrer Bildungsmittel, durch die sie am Faden des reinen Anfangspunkt der Unschuld und der Kindesliebe lükkenlos zur vollendeten Bildung unserer Natur zur Sittlichkeit vorschreitet. so Sie haltet sich im ganzen Umfang dieser Mittel fest und genau an die Wahrheit des würklichen Lebens und Syns des Kinds und vollendet ihr Bild in seiner würklichen Stellung, eh sie es auch nur wörtlich zu der sittlichen Krafft einer Stellung, die für ihns noch nicht da und noch nicht Pflicht ist, hinführt. Sie vollendet 35 seine sittliche Krafft in der Kinderliebe lang, eh sie die Krafft seines Gehorsams und seiner dienenden Mithülf anspricht. Sie vollendet es in dem schwesterlichen und brüderlichen Verheltnis, eh sie Pflichten für Nachbaren und Verwandte anspricht. Sie macht seine Dienstkrafft und Diensttreu für Nachbarn und Ver-

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\vandte groß, eh sie in die Pflicht des Vatterlandsdienst und des Weltdiensts einweiht. So mit ihren Mittlen in der Wahrheit lebend und das Kind fest an die Bande seiner Lag und seiner Verheltnisse kettend, bildet sich das Kind der Methode nur in den Schranken dieser 5 Verheltnisse zur Sittlichkeit, und [wird] durch sie und das Wesen ihrer Mittel von den Verirrungen bewahret, welche jede Erziehung, die die Schranken des Standes und der Lag eines Kinds nicht als das ihm von Gott selbst gegebene Fundament seiner Bildung zur Sittlichkeit anerkent und festhaltet, über unser 10 Geschlecht verhängt. Wenn wir aber diese Gesichtspunkte der Methode als die wesentlichen Grundsäze derselben anerkenen, so ist damit nicht gesagt, daß sie in der würklichen Ausführung der Methode den Ansprüchen der Grundsäze ein Genügen leiste. Es fallt hier auf, 15 die Idee der Elementarbildung kan in ihrem Wesen eine Höhe haben, zu der keine partiele Ausführung derselben zu gelangen vermag. Es fallt auf, [daß] die Anstalt, die sich der ersten Erforschung der Idee, und zwahr unter sehr ungönstigen Umständen hingegeben, besonders in ihren Anfangsversuchen nicht zu dieser 20 Höhe zu gelangen vermag. Es fallt auf, daß man in der Beurtheilung der Idee der Elementarbildung und der nothwendigen [Mittel] ihre erprobten und allgemeinen Folgen von den beschränkten Folgen, die sie in meinem Institut haben kan, sondere. Sie ist in ihrem Wesentlichen ganz unabhangend von den 25 Beschrenkungen dieser Anstalt und ebenso von den Eigenheiten und Schwächen seiner Theilnehmer. Noch mehr, die kleinste häusliche Privatlag ist in ihrem Wesen der Ausführung der sittlichen Bildungsmittel weit günstiger als eine Pension. Wahrlich, man kan sich kaum eine ungünstigere Lage für die wesentlichen so Ansprüche der sittlichen Elementar[bildung denken]. y) zu S. 224, Z. 35 ff. (z.T. Kopie) - und ihrer Resultate sicher und in jedem Fall sich ihrer Kraft bewußt, also ist die Kraft der Mutter, an der sie ihr Kind gehen lehrnt; ob sie gleich sanft ist und ohne allen Drang, handelt [sie] 35 dennoch ihrer Kraft bewußt und ihres Resultates sicher. Auch ruht die Sicherheit des Erfolgs ihrer Führung wesentlich auf

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ihrer Leichtigkeit ihres Thuns, auf ihrem sanften Wesen und auf der Entfernung alles, das ganze Seyn und das ganze Wesen des Kindes stöhrenden Drangs. Aber was wäre ihr leichtes, sanftes Wesen, was wäre die Entfernung alles Eifers und alles Drangs s aus ihrem Thun, ohne innere Kraft und ohne Bewußtseyn dieser Kraft? Daher [ist] auch die Festigkeit, die das elementarisch gezogene Kind im Bewußtsyn seiner Wahrheit selbst in reinen, zarten Gefühlen seiner eignen Kraft [hat], und [die] durchaus nicht mit 10 der Festigkeit scheinenden, Zartheit und Wahrheit gleich mangelnden Anmaßung des oberflächlichen, zur Vielwüsser}^ gezogenen Kinds zu vergleichen. Diese Scheinfestigkeit des lesten vergleicht sich mit der Festigkeit eben so wenig als die zarte Festigkeit des reinen Gold mit der harten Festigkeit des spröden, is unreinen Eisens. z) zu S. 236, Z. 11 ff. Die Unterordnung auch dieser Elementarübungen unter die Ansprüche der Harmonie derselben mit den Elementarübungen der sittlichen und geistigen Anlagen, zu dem die Gymnastic des 20 Körpers die ganze Krafft des Körpers erzihlen muß, muß sie selbige durch Mittel erzihlen, die der sittlichen und geistigen Entfaltung des Kinds nicht im Weg stehen, sonder sie sterken und harmonisch mit ihr zum Zihl eines allen gemeinsamen Bedürfnisses des würklichen Lebens des Kinds hinführen. Sie 25 muß das Kind, das zu einer sizenden Lebensart bestirnt ist und denn mit der Gewandtheit der Finger sein Brod verdienen [soll], nicht zu einer Gewandtheit der Zahlen [bilden] und [ihm] eine Kletterkrafft einüben, die dem Wilden in den Wälderen der Wüstenwelttheile nothwendig ist. Diese Ansicht aber, weit ent30 fernt, die Gymnastic zu beschrenken und einseitig zu machen, gibt ihr die volle Ausdehnung und Vielseitigkeit des durch die Cultur nicht der Verwilderung, sonder der Humanitet nahe gebrachten Menschen. Die Elementargymnastic, die die physische Krafft des Wil35 den kenen und die Mittel des Wilden für seine Krafft im allgemeinen benuzen darf, muß aber doch die höhern Fundamente der Elementargymnastic, von denen die Kunst- und Berufs-

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bildung der cultivirten und civilisirten Menschen ausgehen muß, in ihrem ganzen Umfang ins Äug [fassen]. Die Cörperkrafft des moralisch und geistig entfalteten Kinds muß und [darf] sich nur in Harmonie mit seiner Einsicht und mit seiner Liebe entfalten, es darf durch seine gymnastischen Übungen nicht zum Wunsch 5 hingelenkt [werden], auf das Roß seines Nachbars zu sizen, wenn es kein eignes hat. Der Antrieb zur Gymnastic ist gedoppelt, 1. das Bewußtsyn des Krafftgefüls unsrer Natur, 2. das Leben der Liebe, die unser Krafftgefühl in seiner Anwendung auf den Punkt hinreißt, wo 10 diese Anwendung uns vorzüglich veredlet, indem sie mit dem Ganzen unsers Syns und Thuns in Übereinstimung steth. Wenn dises Bedürfnis seines Hauses die Thätigkeit seiner Hand anspricht, so darf er nicht gelüsten, mit den Füßen thätig zu syn. Wenn er dem Vatter das Pferd ab der Wyd heimhollen 15 soll, damit er es an den Pflug anspane, so darf er nicht gelüsten, am Thenthor Linien zu ziehen und Figuren zu zeichnen. Überall müssen diese Übungen weder in den Geist zwekkloser Springer-, Fechter- und Läuferübungen ausarten. Sie müssen das Blut des Kind nicht zum Nachtheil der Überlegung und Sittlichkeit in zu 20 offene Wallung bringen. Sie dörffen nicht leidenschafftlich werden, sie dörffen der Neigung zum Müßiggang nicht Vorschub thun, sie müssen vielmehr im ganzen Sinn des Worts das volle Gepreg der Pflichtübung und der Anstrengung der Menschlichkeitskräffte in ihrem ganzen Umfang an sich tragen. Nur so ins 25 Äug gefaßt, könen sie mit den Ansprüchen der Sittlichkeit und denjenigen eines gebildeten Verstandes in Übereinstimmung bleiben, und die Vielseitigkeit und Krafft, in der sie entfaltet werden sollen, darf nicht außer diesen Schranken ins Äug gefaßt werden. so Hier erhellet denn wieder, wie ungönstig jede Pension für diesen Zwekk, und wie vorzüglicher ein gutes vätterliches Haus dafür ist. Wie wenig ich auch bisher für disen Punkt haben thun könen, so muß die Elementarerziehung, wo sie immer versucht wird, die Grundsäze auch dieser Seiten der Ellementarbildung 35 heiter machen. Sie ist innert diesen Schranken allein veredelnd, aber sie ist inert denselben auch der phüsischen Ausbildung unsrer Natur genugthuend. In Übereinstimmung mit der sittlichen und intel-

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lectuellen Elementarbildung geth auch sie von den einfachsten Bewegungen aus und steigt allmählig zu den complicirten. Jede Kunst und jede Berufsbildung, sogar jeder Zweig der mänlichen und weiblichen Industrie hat dann speciele Anfangspunkte und 5 specielle Reyheiifolgen seiner Mittel. Es gibt also eine speciele Gymnastic des Schreibens, des Zeichnens, des Nähens, des Strikkens, sowie des Trehens, des Hoblens etc. In allen ist ein psychologisches Maß der Entwiklung der diesfeligen Fertigkeiten möglich, dessen Folgen in Verbindung mit den bestehenden 10 Übungen der Zahl und Form für die Vollksbildung zur Industrie nicht zu berechnen ist. Doch - ich muß mich einmahl zusamenfassen. Aus allem erhellet, die eigentlichen Hauptfragen, die in Rüksicht auf meine Zwekke und meine Anstalt zu untersuchen sind, sind folgende: i r» Ist die Idee einer Elementarbildung unseres Geschlecht, die, die Einheit unsrer Natur fest ins Äug fassend, in der Entfaltung unsrer sittlichen und intellectuellen Kreffte vom Ewigen und Unverenderlichen, das in unsrer Natur ligt, ausgehend, die Mittel der Entfaltung dieser Kreiften rein in den Krefften sucht, ist 20 diese Idee als Wahrheit und Bedürfnis unsrer Natur denkbar? Und ist sie in unserer Anstalt als erprobte, ausgemachte Thatsach dastehend, und in welchem Grad ist sie das? In welchem Grad ist sie es in sittlicher und intellectueller und Kunsthinsicht ? 25 Was für Vorzüge gewährt die Einführung dieser Ideen in allen drei Rüksichten? Was für Vorteile gewährt sie für das häusliche Leben, für die Industrie, für die Nationalcultur, auf Religiositet, Sittlichkeit? Was ist und was muß ihr Einfluß auf den Erwerb und den so häuslichen Zustand des Volks syn ? Was ist ihr Einfluß auf die eigentlich wüssenschafftliche Cultur unsere Geschlecht, und endlich auf die Staatskreffte im ganzen und die Staatsruh im ganzen ? Ich halte die vorteilhaftesten Resultate der Elementarbildung 35 für alle diese Gesichtspunkte entschieden, und nur darum bitte ich um ihre Untersuchung. Ich habe mich durch mein Leben aller Mühseligkeit ausgesetzt, das Wohl der Menschheit, wenn es möglich ist, zu erhöhen. Ich habe bis auf heute die Meinigen und das Meinige hindangesezt, um in etwas dazu byzutragen, die

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Menschheit Gesinungen und Lebensweisen neher zu bringen, in denen sie Anlagen und Kreffte besser und edler zu benuzen im Stand wäre. Und jez dem Grabe neher, g[eehrte] H[erre]n, mich noch fehrne von meinem Zihl fühlend, suche ich dasselb nicht mit eitler Gewalt für die Gegenwart, sonder mit aufopfernder 5 Hingebung in der erschöpfenden Arbeit. Auf der einen Seiten sehe ich die Größe und die Möglichkeit seiner Erreichung lebhafft vor Augen, auf der anderen Seiten sehe ich das Unvollkomene und Schwinge. Alles, was von der intellectuellen Bildung unseres Geschlechts 10 wahr ist, das ist auch von seiner Bildung zur Kunst wahr. Die elementarische Bildung zur Kunst ist nichts anders als reine Entfaltung der menschlichen Kunstkrafft, [indem] die Bildung zur Kunst rein ins Äug gefaßt, die Bildung zum Beruf ihr untergeordnet [wird], 10 Aber auch sie, die Kunstkrafft unserer Natur, ligt nicht getrent von unseren übrigen Krefften in uns. Auch sie ist ein Resultat aller vereinigten Kräfften unserer Natur, und auch in Rüksicht auf sie ist wahr, es ist nur unsere Schwäche und Beschrenkung, worum wir sie in einzelnen Rüksichten getrent von 20 unseren übrigen Anlagen und Krefften ins Äug fassen müssen. Offenbar ist ihr reiner Begriff ohne in Verbindung mit Herzenshöhe und Geisteskrafft nicht denkbar. Wie die sittliche Krafft Liebe, die Denkkrafft Wahrheit, also hat die Kunstkrafft Schönheit zu ihrem Mittelpunkt. Das Gefühl 20 für Schönheit hat seine reinste Nahrung in der Liebe und vollendet sich nur durch die Denkkrafft. Die Entfaltung der Kunstkrafft steth also mit der Entfaltung der sittlichen und intellectuellen Kräfften im reinsten, innigsten Zusamenhang. Ohne in Verbindung mit byden entfaltet sie sich nicht wahrhafft, nicht 30 elementarisch. Sie muß desnahen eben so scharf von der Berufsbildung getrent werden, als die intellectuelle von der wüssenschafftlichen. So wie diese aufhört, elementarisch zu syn, sobald sie wüssenschafftlich wird, so hört die Kunstbildung auf, elementarisch zu syn, sobald sie anfängt, Berufsbildung zu werden. 35 Als Kunstbildung ist sie elementarisch nichts anders [als] eine aus innerer Entfaltung des Schiklichkeits- [und] des Schönheitsgefühls hervorgehende Kraft, das Schikliche und Schöne äußerlich darstellen zu könen. Ihre Entfaltungsmittel sind also ge-

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doppelt: Erregung des inneren Gefühls für Schönheit, [und] Bildung der phüsischen Krefften, das Schikliche und Schöne, von dem die Menschenseele hingerissen wird, auch äußerlich darstellen zu könen. s Die Natur ruft der inneren Entfaltung des Sins für Schönheit von selbst. Die Natur ist schön. Das Kind sieth sie gern, die Mutter zeigt sie ihm gern, und das ganze sittliche und geistige Leben des Menschen unterhaltet und sterkt die erhebende Aufmerksamkeit des Kind auf alles, was schön ist. Von dieser Seiten 10 hat man nur der Natur zu folgen, das Buch der Natur ist niemand verschlossen. Himel und Erde stehen in aller ihrer Schönheit vor den Augen des Bettlers wie vor den Augen des Fürsten. Und, Mensch, dein Äug ist durch Liebe und Wahrheit aller Schönheit offen. Je mehr du also in sittlicher und intellectueller is Hinsicht elementarisch gewekt und belebt bist, je größer ist auch deine innere Empfänglichkeit für alles Schöne. Das Kind, dessen Mutter reinen religiösen Sinn hat, steth anbetend vor der Schöpfung. Der Anfangspunkt der inneren Entfaltung des Schönheitsgefühls ist in ihm mit heiliger Krafft belebt und geüo sichert. Auch die äußere mechanische Bildung für die Kunst steth hinwieder mit der intellectuellen Bildung derselben im innigsten Zusammenhang, und das Fundament aller Schönheit, die Grundlinien des Scelets alles dessen, was schön ist, gehen aus dem Ge25 fühl der Richtigkeit, das ist der Verheltnismessigkeit aller Formen hervor. Sie fordern eine gebildete Krafft der Proportionen, eines, mit dem Äug richtig aufzufassen, und [zweitens], mit der Hand richtig darzustellen. Es bestehet also ein geistiges und ein phüsisches Fundament der Darstellung des Schönen oder der 30 Kunst. Das geistige Fundament derselben ist unsere innere Krafft. Sie entfaltet sich inerlich durch das allgemeine Mittel der Entfaltung unserer Kräfften, durch die Anschauung der Natur. Der Zustand des ersten Erwachens dieser Krafft, der Zustand des 35 ersten Erwachens des Schönheitsgefühls ist das heilige Dunkel, dessen Erhaltung dem richtigen Gang unserer Entfaltung so wichtig ist. Das Alphabeth der Anschauung bringt dieses Gefühl bym Kind zum schöpferischen Leben und bietet ihm zu einem Faden

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der Kunstentfaltung die Hand, durch den es, auch von äußeren Kunstmittlen entblößt, die Krafft der Kunst nach dem Grad seiner inneren Anlagen in sich selbst entfalten kan. Dieses Alphabeth der Anschauung, verbunden mit der Entfaltung der logischen Geisteskrafft durch die Elementarübungen der Zahl- 5 verheltnisse, die byde als reine Mittel der Geistesbildung anerkandt sind, sind zugleich die ersten Ellemente der Kunstbildung. Also von der Erhabenheit der sittlichen und religiösen Ansichten ausgehend, in der Bewunderung Gottes und der Natur als in den ersten Entfaltungsmittlen unserer Menschlichkeit 10 lebend, denn durch die Elementarübungen der Zahl und der Form vom inneren Geist und Wesen der Kunst ergriffen, mangelt dem Kind zur Vervollständigung der Entfaltung seiner Kräfften für die Kunst und zu seiner Veredlung durch sie nichts als die Bildung der mechanischen Fertigkeiten, die die Ausführung jedes ein-15 zelnen Kunstfachs voraussezt und anspricht. Das geistige Element der Kunstkrafft, das Verheltnisgefühl, dessen Richtigkeit und Umfassung durch die Zahl- und Formlehre so sehr gesichert wird, ist in ihm durch die Elementarlehre gebpldet]. Am Faden dieser Führung entfaltet sich das Kunst- 20 talent ganz geistig. Es ahmet keine Kunst nach, es kent keine; aber es schöpfet aus [der] Verbindung von keinen Formen, es erschöpft die Grenzen des Möglichen in der Erfindung seiner Formen. Und das Verheltnisgefühl bildet sich im Scelet im Richtigen zur Kunstkraft, eh es nur daran denkt, seinem Scelet 25 Haut und Fleisch, Rundung und Schönheit zu geben. Aber es wird Schöpfer des Schönen durch das Bewußtsyn des Schiklichen, das sich im Richtigen, im Verheltnismeßigen nothwendig entfaltet. Also sind die Haupttheile der Elementarbildung zur Kunst 30 durch die wesentlichen Theile der intellectuellen Elementarbildung schon gegeben, und in so weit diese als Elementarmittel [der] intellectuellen Bildung mit den Elementarmittlen der sittlichen Bildung übereinstimmen, müssen sie, weil es die nämlichen sind, auch als Elementarmittel der Kunstbildung mit den sitt- 35 liehen noth wendig in Übereinstimmung stehen. Das Mechanische der elementarischen Kunstbildung ist nichts anders [als] der äußerliche Ausdruk der innerlich entfalteten Kunst durch die äußere Darlegung eben der Mittel, durch die

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die innere Entfaltung der Kunstkrafft bewürkt worden. Das Kind muß die Formen, die es durch Zusamensezen der Linien geistig schaft, auch an sich darstellen, es muß sie zeichnen lehrnen, und geth in der Entfaltung dieser Krafft vom Nothwendigen s und Ewigen in der Form zum Zufeligen, und nicht vom Zufeligen und Willkührlichen zum Nothwendigen und Ewigen, und hinwieder vom Richtigen, vom Verheltnismäßigen zum Schiklichen, und von diesem zum Schönen. Die elementarische Bildung zur Kunst fangt also durchaus 10 nicht damit an, dem Kind schöne Formen zum Nachzeichnen vorzulegen, sonder durch Übung der Richtigkeit in der Darlegung der Elemente aller Form in ihm die Kunstkrafft, die alle schönen Formen als gebildet voraussezen, zu gründen, eben [wie] die intellectuelle Elementarbildung die Entfaltung der Geistes is krafft mit Übungen des Denkens [fördert], die den Menschengeist rein zu den Geisteskrefften erheben, die alle wüssenschafftlichen Kentnisse, wenn sie dem menschlichen Geist wahrhafft eigen gemacht werden sollen, schon gebildet voraussezen. Die ganze elementare Kunstbildung besteht also, außer den 20 in Zahl und Form gegebenen Übungen, also des Geistigen in der elementaren Kunstübung, die schon als intellectuelle Elementarbildung gegeben wird, in der mechanischen Bildung des Äug und der Hand. Die Bildung des Äug in der Proportion ist eine nothwendige Folge des Zeichnens mathematischer Formen, denn die 25 Reyhenfolgen -

asa) zu S. 239, Z. 6 ff. - der Formlehre allgemein einnehmen. Ihnen folgt dann die Lehre der Perspectiven, die mit der höchsten Einfachheit durch Anschauungsübungen, die in ihrem [Wesen] hinwieder eine so mathematische Form und Sicherheit haben, gegeben werden [muß], b. Die Übungen der Hand, wenn sie in ihrem ganzen Umfang für die Kunst gegeben [werden] sollen, sezen eine Gymnastic des ganzen Körpers voraus, die theils als reine Kunstbildung eine 35 beschrenkte Gymnastic des Arms und der Hand ist, theils als reine elementarische Bildung zur Kunst [eine] eigene Gymnastic der Hand feindet, die im Zeichnen der Formlehre zum Grund gelegt werden muß. Diese aber bahnet eine vielseitige Special-

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gymnastic [an], deren Unterscheidung schon bym Einüben des Mechanismus für das Schreiben oder der Gymnastic des Schreibens ins Äug fällt. Von da geth diese Gymnastic vielseitig in die elementarische Begründung der Berufsfertigkeiten [über] und erforschet die & Ryhenfolgen der Arm-, Hand- und Fingerübungen, durch welche alle Arten von mänlichen und weiblichen Arbeitsfertigkeiten also gelehrnt werden könen, daß jede Arbeitsbranches, von den höchst einfachen und leichten Anfangsübungen ausgehend, in lükkenlosen Übungen zum Schweren vorschreitend, imer in den 10 früheren Übungen Krafft und Gewandtheit für die kömftigen erhaltet. Diese Elementargymnastic ist in Rüksicht auf Standes- und Berufsbildung von unermeßlichen Folgen. Es herscht durchaus in der gewöhnlichen Berufsbildung kein Schatten von psycholo- is gischer und organischer Form, und also auch durchaus keine Harmonie mit den höheren und edleren [Formen] der sittlichen und geistigen Bildungsmittlen. Thierisch an die bloße Hanthirung einzelner isolirter Kunstund Berufsfertigkeiten gewohnt, stirbt dann im arbeitenden Volk 20 der Geist der Kunst und der Krefften selber, aus denen die Fertigkeiten, die sie jez treiben, hervorgegangen. Die Krafft der Erfeindung und ihr erhebendes Selbstgefühl geth dahin; der Nachahmung schwache Lampe erscheint dem Geblendeten wie ein Himelsstern. Gottes Natur ist ihm denn nicht mehr [lebendig], 25 er versinkt in einen niedren Künstler- und Handwerks-Zümftegeist, bleibt unerhoben vom reinen menschlichen Sinn. So werden unsere Völker unfehig für die krafftvolle Ergreifung des wesentlichen Fundaments ihrer Gewerb und Künste; sie sind außer [Stand, diese] weder zu nationalisiren noch zu veredlen. so Die Kunstbildung muß ihre eilenden Zeit- und Handwerk Hülfsmittel wieder wegwerfen; sie muß einmahl wieder aus der rein entfalteten Krafft der Natur selbst hervorgehen. Nur was dieses mit Sicherheit erzihlet, ist wahrhafte elementarische Kunstbildung. Daher ist ohne die Erfeindung und Festsezung 35 einer Elementargymnastic für die Kunst- und Berufsbildung keine Harmonie diser Bildung mit der elementarischen Geistesbildung möglich und denkbar. Byde zusamen gehen gleich aus der einfachsten Anwendung der erwachenden Krefften unsrer

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Natur hervor und feinden eben wie die elementarische sittliche Bildung ihre erste reinste Nahrung im Kreis des häuslichen Lebens. Es ist die Mutter, die das Kind zu den ersten Fertigkeiten der vielseitigen Branchen der Gymnastic oder vielmehr der s möglichen, schiklichen und nüzlichen Bewegungen [führt]. a 2 b) zu S. 239, Z. 6 ff. (Kopie) - Schatten von psychologischer oder organischer Form also auch durchaus kein Zusamenhang mit irgend einer Art von Entfaltungsmittlen unsrer sittlichen und geistigen Krafft. 10 Thierisch an die bloße Handthierung einer einzelnen isolirten Kunst- oder Berufstätigkeit gewöhnt, stirbt im arbeitenden Volk der Geist der Kunst und der Kraft selber, aus der das Wesen [der] Kunst selber hervorgegangen. Die Kraft der Erfindung, ihr erhebendes Selbstgefühl geth dahin, der Nachahmung is schwache Nachtlampe erscheint dem Geblendeten wie ein Himmelsstern. Gottes Menschennatur ist ihm denn nicht mehr lebendig, er versinkt in einen elenden Handwerks- und Zunftgeist, bleibt unerhoben von reinem, menschlichem Sinn. So ist es, daß [in] unsrer Zeit Völker unfähig werden, für die kraftvolle 20 Ergreifung der wesentlichen Fundamente ihrer Gewerbe und Künste, und außer Stand körnen, sie weder zu nationalisiren noch zu veredeln. Die elementarische Kunstbildung ist geeignet, die Mittel vorzubereiten, allen diesen Übeln mit Krafft und Erfolg ent25 gegenzuwürken. Sie ist geeignet, die eilenden Zeit- und HandAverks-Kunstmittel in aller ihrer Ohnmacht, in aller ihrer Blöße und in allem ihrem Unwerth in die Augen fallen zu machen. Sie ist geeignet, die Mittel vorzubereiten, die Kunst einmahl wieder aus sich selbst, aus der Wahrheit ihrer inneren Natur selber und 30 aus der reinen Entfaltung ihrer eignen Krafft hervorgehen zu machen. Und es ist nur, insofehrn sie dieses mit Sicherheit erziehlet, daß die Kunstbildung als wahrhafft elementarisch, als wahrhaft psychologisch, als wahrhafft mit der Menschennatur übereinstimmend angesehen werden kan. 35 Daß dieses aber für die äußere Bildung der phüsischen Krafft zur Kunst ohne Etablierung einer allgemeinen und einer specielen Gymnastic zur lebendigen und psychologischen Entfaltung der 6 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Kunstkrefften unsere Geschlechts nicht erreichbar und nicht denkbar sy, das fallt von selbst auf. Aber auch hierin muß die Menschennatur in ihrer Einheit, sie muß als ein Ganzes ins Äug gefaßt werden. Ohne dieses würde die Idee einer Elementargymnastic zu Resultaten hinführen, die, mitten indem sie 5 Wunder in [der] Entfaltung einzelner Kunst- und Berufsfertigkeiten leisten würden, die großen Blößen in die wesentlichen Bedürfnisse der Sittlichkeits[bildung] und diejenigen der intellectuellen hineinwerfifen würden. Die Bildung der Gymnastic muß wie die Bildung der intellec-10 tuelen Krafft von der Liebe ausgehen und mit entfalteter Denkkrafft vereinigt dastehen. Würde man die Eiernentargymnastic als ein von Liebe und Weisheit entblößtes Spill der körperlichen Entfaltung betreiben #* - Wahrhaft elemen[tarische Bildung] aber bahnet einer viel- is seitigen, speziellen Gymnastik den Weg, deren Unterscheidungen schon beym Einüben des Mechanismus für das Schreiben oder bey der Gymnastik des Schreibens ins Auge fällt. Von da geht diese Gymnastik vielseitig in die elementarische Begründung der Berufsfertigkeiten und in die Darlegung der Reihenfolgen, die 20 Arm-, Hand- und Fingerübungen, durch welche alle Arten von männlichen und weiblichen Arbeitsfertigkeiten also gelehrt werden können, daß jede Arbeitsbranche von den höchsten, einfachen und leichten Anfangspunkten ausgehet und lükenlos zum höchst Verwikelten vorschreitet. 25 Diese elementarische Gymnastik ist in Rücksicht auf Standsund Berufsbildung von unermeßlichen Folgen. Es herrscht durchaus in der Berufsbildung kein ba) zu S. 239, Z. 30 ff. - so würde man die Kinder des Volks dahin führen, daß sie 30 wohl wie Wilde kletteren, aber der Mutter nicht gern helfen, einen Zwirnfaden aufzuwinden. Man würde sie dahin bringen, Reiten, Jagen und Fechten als einen besseren Boden des menschlichen Syns anzusehen, als die stille Werkstatt des Vatters und das mühselige Tagwerk am Pflug. 35 Nein, die Menschen müssen durch die Elementarbildung nicht

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dahin gebracht werden, ein ihrer Lag und ihren Umständen unpassendes, der Weisheit, der Sittlichkeit und der Religiositet gleich entgegenstehendes, anmaßliches Träumerleben zu führen. Nein, die Elementarbildung muß [besorgt sein], unser tief in 5 dieses anmaßliche und selbstsüchtige Träumerleben versunkene Geschlecht aus demselben herauszuheben und nicht in dasselbe wieder hineinzustürzen. Es wäre zu weitläufig, und ich habe Euere Gedult schon zu lange mißbraucht, um hier ins Umständliche zu zeigen, wie die Bildung zur elementarischen Gymnastik 10 ihrem Wesen noch dieser Gefahr entgegen würke. Ich sage nur dieses: So wie die elementarische sittliche Bildung ihre erste, reinste Nahrung an der Hand der Mutter, im Kreis des häuslichen Lebens und in der strengen Unterwerffung unter die unnachläß15 liehen Ansprüche dieses heiligen Kreises empfängt, so muß dieses, wenn die Bildung des Kinds zur elementarischen Gymnastic wahrhafft menschlich bilden, das heißt mit den Ansprüchen der Menschennatur wahrhafft übereinstimmen soll, so muß auch diese Bildung von den nehmlichen Gesichtspunkten ausgehen 20 und von dem nämlichen Geist geleitet werden. Es ist auch hierin [wesentlich], daß die Mutter das Kind zu den ersten Fertigkeiten der Gymnastic, oder vielmehr zu den möglichen schiklichen und nüzlichen Bewegungen seiner Glieder anführe, und es ist wesentlich, daß dieses nicht nur mit aller 25 mütterlichen Liebe, sonder auch mit aller mütterlichen Weisheit, das ist mit einer festen Aufmerksamkeit auf die Lag der Umstände und Verheltnisse und Bestimmung geschehe. Die Harmonie der sittlichen, intellectuellen und phüsischen elementarischen [Bildung] muß allgemein und sicher syn, sonst 30 würde sie in das Ganze der Menschenbildung Lükken werffen, wie die sind, unter denen wir leiden. Sie würde denn auch aber damit, was sie einzeln sonst imer leistete, aufhören, elementarisch und psychologisch zu syn. Sie würde aufhören, [die Menschenbildung], mit der die Einheit unserer Natur so tieff in 35 uns gegründet, zu gründen. Indem ich aber die ausgedehnten Ansprüche dieser Bildung ins Licht [ziehe], muß ich vor allem aus bemerken, wie nothwendig es ist, das schwache Thun meiner Individualitet von dem großen Ideal der elementarischen Menschenbildung zu sondren. Weit entfehrnt, dem ganzen Umfang -

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d2)zuS.251,Z.9ff. So ist es, in allen drei Rüksichten der sittlichen, der intellectuellen und der phüsischen Bildung unsere Geschlecht [macht sie] die Einheit unsrer Natur und den allgemeinen Zwekk ihrer Veredlung und Heiligung zum Fundament der elementarischen 5 Übungen, durch die wir die vielseitigen Kreffte und Anlagen unsrer Kinder zu entfalten suchen. Es ist aber wesentlich, daß man die Idee der Elementarbildung und den großen Zwekk der Menschheit, die Erziehungskunst durch sie zur reinen Wüssenschafft zu erheben, und der Menschheit hierin ein festes Funda-10 ment zu sicheren, von dem beschrenkten Thun meiner Individualitet und den Anfangsversuchen meiner Unternehmung zu unterscheiden [vermag]. So sehr meine Lage in einigen Rüksichten reizend und für meine Zwekke ausgezeichnet glüklich ist, so sehr ist sie in andren Rüksichten für das Wesen meiner Zwekke un-15 befriedigend. Weit entfehrnt, dem ganzen Umfang der Elementarbildung von der Unmündigkeit des Kindes an ein Genügen zu leisten, empfangen wir die Kinder in seltenen Fehlen von sechs und sieben [Jahren], in den mehreren vom 10. bis ins 14. Jahr. Der 20 reine Anfangspunkt der sittlichen und intellectuellen Elementarbildung mangelt uns by ihnen ganz. Die einzige Basis der Sicherheit der Folgen des reinen Naturgang in der stuffenweisen Entfaltung der menschlichen Kräffte ist by unseren Kinderen schon vielseitig verwirrt. Schein, Irrthümer, Meinungen, Liebhaberyen 25 und Leidenschafften stehen zwüschen der Unschuld und Reinheit der Ansichten unsrer Kinder wie harte, dürre Bergketten zwüschen segensreichen, fruchtbaren Thä[lern]. Es ist umüglich, es ist nicht denkbar, daß die Idee der Elementarbildung in ihrer reinen, hohen Vollendung weder in so meinem, noch in irgend einem Institut möglich. Diese Idee spricht unendlich mehr an, sie macht unendlich mehr möglich, und unendlich mehr hoffen, als ich in meiner Beschrenkung zu leisten vermag. Es ist unläugbar, das reine, wenn auch beschrenktere häusliche Familienleben ist der reinen und allgemeinen Aus- 35 führung der Idee der Elementarbildung im wesentlichen vortheilhafter als irgend eine Pension. Wenn dieses im allgemeinen wahr ist, so ist es in Beziehung der reinen phüsischen Elementarbildung noch drükkender wahr

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als in allen andren Seiten des Gegenstands. Die Verheltnisse der Vorsteher zu den Kinderen sind nicht rein, indem die lesten die ersten bezahlen. So fält der reinste Beweggrund der häuslichen Thätigkeit, frye Dankbarkeit an dem, was die Eltren bedörffen, s fast ganz weg. Man darf nicht daran denken, in einem. Arbeitsgeschefft zu ermüden, und ohne Ermüdung erwirbt sich das Kind die nöthigen phüsischen Fertigkeiten so wenig, als es ohne Überwindung zu einer hohen sittlichen, und ohne Anstrengung zu einer hohen geistigen Krafft zu gelangen vermag. Kurz, jede 10 Pension steth unendlich hinter den Vorteilen zurük, welche jedes humane Haus zu harmonischer und genugthuender Entfaltung der sittlichen, geistigen und Kunstkräffte des Kinds besizt. Indessen hat die böse Kunst der Zeit die Menschen ihre diesfeligen Kreffte mißkenen gelehret. Wenn man einen kleinen is Knaben einen Stier an der Hand führen [sieht], so sagt man gewöhnlich: Wenn der Stier seine Kreffte kente, er ließe sich nicht so führen! Und wenn [ich] tausend und tausend Krafftvolle ihre Kinder Krafftlosen zur Führung und Bildung übergeben sehe, so denke ich mir auch: Würden sie ihre eigne Kreffte kenen, 20 wahrlich, sie würden das nicht thun! Indessen ist es jez also; bis sie ihre Kreffte kenen lernen, lassen sie ihre Kinder aus ihrer Hand fallen, wie wenn sie nicht darein gehörten. Es ist aber von der Elementarbildung zu erwarten, daß sie der Menschheit bald wieder Mittel [gibt], ihre Kreffte hierin 25 besser zu fühlen, als sie [dies jetzt tut.] Schon ist vieles geleistet; aber was hier zu thun ist, ist nicht das Werk eines Tags. Es ist mehr als das Werk eines Menschenlebens, es ist das der Vereinigung vieler durch mehrere Menschenalter. Wir sehen unser Werk kaum als angefangen an. Doch ist sein Gelingen gesichert, so und wir dörffen es jeder Prüfung unterwerfen. Ich habe mich über diesen Punkt in meinem Schreiben an ihre Excellenz den Herrn Landammann der Schweiz also ausgedrükt. d2) zu S. 261, Z. 2 (Kopie) ... dem Zeitkreis unsrer Anstalt. Wir empfangen unsre Kinder 35 erst dann, wenn der vorzügliche Zeitpunkt der ersten Begründung ihrer sittlichen Entfaltung schon vorüber ist. Sie kommen auch gewöhnlich nichts weniger als nach vollendetem reinem Genuß dieser häuslichen Vorzüge zu uns, sondern gar oft verwildert und

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mit Gewohnheiten, die gar oft schon aus einer würklichen Abstumpfung der lieblichen Gefühle und reinen Kräffte der kindlichen Unschuld entsprungen sind. Der positive Anfangspunkt des uns möglichen Einflusses auf die sittliche Entfaltung unsrer Zöglinge muß desnahen mehr als 5 bloß nothbehülfliches Entgegenwirken gegen schon mehr und minder eingewurzeltes Verderben, und weniger als ein lückenlos geordnetes Anknüpfen an reine elementarische Anfangspunkte der sittlichen Bildung der Kinder angesehen werden. Die Concentration des vollen Lebens im häuslichen Geiste, der unter den 10 Kindern edler, rein häuslich lebender Eltern so vielseitig herrscht, die Tiefe und Stille, die Ruhe und Innigkeit, die Weisheit und Kraft dieses Lebens, das Heiligste und Erhabenste desselben fehlt mehr oder minder jeder Erziehungsanstalt. Auch die höchste Kunst strebt, bis sie selbst wieder ganz Natur, volles Leben, 15 geistig vollendete Liebe geworden, umsonst dahin, das ganz zu thun und das ganz zu seyn, was die Natur von sich selbst ist, und darum auch mit der größten Leichtigkeit thut. Aber auch in intellektueller Hinsicht ist es das nämliche. Die unbefangene, kindlich ruhige, ungestört freye und dadurch tief 20 und vollendet eingreifende Anschauung, durch die die Natur ihrem Zögling seine ersten Urtheile so einfach leicht, aber dabei so kraftvoll und lebendig begründet, sollte ihm ebenso lange vor der Zeit gegeben und habituell gemacht werden, ehe er in unsere Anstalt tritt. Das aber geschiehet nicht, und wir können unsern 25 Zögling in Rücksicht auf die Entfaltung der ersten Anfangspunkte seines Denkens und TJrtheilens so wenig in reiner Naturgemäßheit behandeln, als wir dieses in sittlicher Hinsicht gekonnt. Unsere Zöglinge kommen meistens, schon in ihrer Unmündigkeit durch die ABC-Elendigkeiten, und später, durch den Mischmasch so allerlei unverdauter Bücherkenntnisse von der Aufmerksamkeit auf ihre Umgebungen in der Wirklichkeit des bildenden Lebens ganz abgezogen und so für die ersten und reinsten Eindrücke der Natur verdorben, oder wenigstens von ihnen unergriffen und unbelebt zu uns, und es ist ganz gewüß: je weiter sie in der Leerheit 35 einer Geist und Herz verödenden, falschen Kunstbildung vorgeschritten, desto unempfänglicher sind sie auch für jedes naturgemäße Mittel der reinen Entfaltung irgend einer menschlichen Kraft. Sie lebten im Schein und Blendwerk unnatürlicher Künste,

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und wie ihr Verderben darin groß geworden, so ist auch ihre wahre Naturkraft in ihrem Wachsthum und Leben stillgestellt worden. Das ist in physischer Hinsicht oft noch am auffallendsten. Viele, sehr viele unsrer Kinder kommen von dieser Seite schon 5 verzärtelt, oder doch wenigstens physisch unentfaltet und ungewandt in unsere Anstalt. Wir müssen aber noch frey gestehen: wenn auch dieses nicht wäre, wenn sie auch, eh sie zu uns gekommen, im väterlichen Hause alles genossen hätten, was ihnen der Zufall zu geben möglich war, so wären wir doch nicht im 10 Stande, auf die häusliche Entfaltung zu bauen, was im hiefür besser gelegnen häuslichen Leben darauf gebaut werden kann. Der Erfolg aller phüsischen Kraftbildung hanget nothwendig von vielseitiger, ausharrender Anstrengung der physischen Kräfte ab, welche vorzüglich durch die Realbedürfnisse der Umgebungen, in is denen das Kind lebt, ihm angewöhnt und leicht gemacht werden. Diese Bedürfnisse wirken in dieser Lage theils durch die Gewalt ihrer unabänderlichen und sich immer wieder erneuernden Wahrheit, theils durch den Reiz der diese Umgebungen und diese Bedürfnisse ebenso unabänderlich begleitenden Liebe, 20 sowie der ihnen ebenso nothwendig beiwohnenden und sie belohnenden häuslichen Freuden. Die Anstrengungen, die das unabläßliche Bedingnis der Angewöhnungen zur psychischen Gewandtheit und Kraft sind, werden dem Zögling im häuslichen Leben naturgemäß, das heißt in Übereinstimmung seiner übrigen 25 Kräfte und Anlagen, folglich nicht im Widerspruch mit seiner sittlichen und geistlichen Entfaltung oder auf Kosten derselben gegeben. Sie werden ihm nicht einmal auf Gefahr der Zartheit einiger dieser Kräfte eingeübt. Der Zwang des reinen häuslichen Lebens ist ein lieblicher so Zwang, wahrlich sein Joch ist kommlich und seme Last ist leicht. Der Sohn des armen Vaters, die Tochter der armen Mutter wächst in der Ausharrung der physischen Anstrengung gleichsam als in dem ihm angebornen Element auf; ihre Kraft wird ihnen freilich durch den Drang der täglichen häuslichen Bedürfnisse 35 eingeübt, aber dann auch hinwieder in jedem Fall durch die Reize der häuslichen Verhältnisse, die die Quellen dieser Bedürfnisse sind, wieder gewürzt. Daher macht auch der Zwang, der sie zu ihrer Kraft bildet, sie nicht leiden. Die Kinder der Armuth müssen zwar, so wie sich ihre Kräfte entfalten, ihren Verhält-

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nissen nothwendig dienen, aber sie müssen damit nur die Liebe und die Dienste erwiedern, die sie von diesen Verhältnissen zum voraus empfangen. Dieses heilige Fundament der physischen Anstrengung hat keine Erziehungsanstalt, und doch ist die Elementarbildung in s Rücksicht auf ihren ganzen Volkseinfluß ein Traum, wenn ihre Wirkung sich nicht in der physischen Entfaltung des Zöglings für seine Kunst- und Berufsbildung bewährt. Es war auch von meiner Jugend auf der Zweck meines Lebens, vorzüglich von dieser Seite auf die Bildung des Volkes zur 10 Industrie zu würken. Ich wollte meine diesfälligen Endzwecke immer durch die Gründung einer Armenanstalt zu erzielen suchen und glaubte mich in Stanz meinem Ziele nahe. Auch in Burgdorf suchte ich durch meine Anstalt anfangs nur Mittel, den Faden meiner Zwecke da wieder anzuknüpfen, wo ich ihn in Stanz ge-10 lassen; aber der allgemeinere und umfassendere Gang meiner Unternehmung und ihre Schicksale bis auf diese Stunde haben mich je länger je mehr von diesem ursprünglichen, beschränkteren Ziele weggelenkt. Ich mußte mich bis auf heute an den Banden einer Pensionsanstalt für den besondern Zweck meines 20 Lebens immer mehr beschränken, ich möchte fast sagen: zernichten, und mich wenigstens bis jezt immer in einem Thätigkeitskreis herumtreiben, der mich ewig nicht befriedigen kann, weil er in meinem Seyn und Thun bestimmt diejenigen Lücken offen läßt, die ich durch mein Leben für das Volk und die Armen 25 vorzüglich auszufüllen gesucht habe. Ich vertraue auf sie und fühle mit Dank und Ehrfurcht den Segen ihrer Hülfe. Das Unternehmen war nicht bloß über meine Kräfte: ich ahndete das Ziel nicht einmal, nach dem ich jezt strebe, und die Mittel dazu fielen mir in die Hand, ohne daß ich so sie suchte. Nur reiner guter Wille für die Erziehung, für die Minderung der Vernachlässigung des Volkes, nur das war, was unerschütterlich und unbestechbar als Fundament des Ziels lag, nach dem wir streben. Aber es ist um diesen unbestech- und unerschütterlichen reinen guten Willen etwas Segen Ansprechendes, 35 das die Welt nicht kent. So wahr und richtig alles dieses ist, so beweiset es doch nur, daß die häusliche Erziehung an sich selbst bessere und reinere Mittel zur Anwendung der Grundsätze der Elementarbildung an-

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bietet, als irgend eine öffentliche oder Privaterziehungsanstalt anbieten kann. Aber wenn man denn fraget: Bietet die häusliche Erziehung, wie sie ist, diese Mittel der Masse der Menschen in der That an, wird die Masse der Menschheit dieser theilhaft? so fällt 5 unwiedersprechlich auf: In der Tiefe des Volkes steht rohe Verwilderung, im Mittelstand verwirrende Anmaßung und Schwäche, in den höheren Ständen beinahe gänzlicher Mangel an Kraft und Wahrheit aller Fundamente des reinen häuslichen Lebens, der würklichen Benutzung dieser Mittel wie unerschütterliche Felsen 10 den Meereswellen, die daran anprallen, entgegen. Oder ist es nicht im allgemeinen, wie wenn diese Mittel für die Masse des Volkes nicht da wären ? Sind nicht immer zehntausend Kinder, die die häusliche Erziehung ohne fremdartige Einmischung genießen, gegen eines, das durch ein Institut erzogen wird ? is Wenn man denn fraget: Wie stehts um diese Zehntausende, und wie stehts um dieses Einzige? Was kommt denn heraus? Kann man sich verhehlen, daß die Hindernisse der reinen häuslichen Bildung beinahe allgemein sind ? Kann man sich verhehlen, daß es Bedürfnis der Zeit ist, eben diesen reinen häuslichen Sinn 20 wieder zu beleben und den Altern beides, neuen Willen und neue Kräfte und Mittel dafür zu geben, der Gewalt der allenthalben herrschenden Unnatur und der durch sie entsprungenen Zerstörung des rein bildenden Sinns des häuslichen Lebens entgegenzuwirken, wiederzugeben? 25 Die Unnatur ist in unsrer Mitte allmächtig, sie wird durch den Zeitgeist aller Stände unterstützt und belebt, und es forderet allenthalben vorbereitende Anstalten, um die Menschen den Werth des häuslichen Lebens wieder fühlen und sie seiner reinen Kräfte wieder theilhaftig zu machen. Das Ziel unserer Vereini30 gung geht wesentlich dahin. Wir fühlen seine Schwierigkeiten, es zu erzielen, und haben gezeiget, daß wir den Punkt unseres Zurükstehns kennen; aber wir sind uns auch des redlichen Eifers bewußt, die Mittel dieser Erziehung in ihrem ganzen Umfang zu erforschen, und das gute Herz so vieler Menschen, die danach 35 streben, durch Auffindung und Organisirung dieser Mittel, für ihren Zweck zu erleichtern; und es ist unstreitig, daß die freie Vereinigung vieler Menschen zu diesem Ziel ihnen Vortheile gewähret, die durch isolirte und gebundene Existenz an weniger Menschen ewig nie erreichbar sind.

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Es ist unstreitig, so wie das häusliche Leben einzelner Kinder vorzüglich für Gemüthlichkeit und Unschuld die ausgezeichnetsten Vorzüge hat, so hat denn hinwieder das gemeinsame Leben vieler Kinder bey einander für die Kraftentfaltung und Wahrheit des \vurklichen Lebens Vorzüge, die in kleinen häuslichen Ver- s hältnissen selten erreicht worden sind. Sind etwa diese letzten mit den ersten nicht leicht zu vereinen? Ich weiß, daß dieses schwer ist, aber ich fühle auch, daß diese Vereinigung das Ziel einer guten Erziehungsanstalt seyn muß. Es ist auch unser Zihl. Daß wir noch fehrne davon stehen, das weiß ich wohl, aber auch, 10 daß wir darnach streben, und die Möglichkeit selbst seiner Erreichung, selbst mitten im schwersten Drukk seiner großen Schwierigkeiten, fühlen. Die Macht der großen Idee, die uns vereinigte, leitete uns auch; aber ihre Leitung war lange mit Unkunde des Umfanges der Idee is und noch mehr mit Unkunde der Mittel, dieser Idee in diesem Umfange ein Genüge zu leisten, begleitet. Unsere Individualitäten würkten lange in vielfacher Einseitigkeit der Harmonie dieses Umfangs entgegen, aber sie würkten mit Kraft und sie setzten einzelne Ansichten mit treuer Lebendigkeit durch. Aber 20 eben diese Lebendigkeit Einzelner um das Glück ihres einseitigen Erfolges machte uns oft einzelne Unterrichtsgegenstände zum Schaden der Ansicht des Lebens und seiner Bedürfnisse im Ganzen betreiben. Das Übel war zwar freylich in jedem Fall nur ein momentaner 25 Zustand. Wir konnten in keiner einseitigen Ansicht lange stehen bleiben. Die Vollendung der Wahrheit im Einzelnen rief in jedem Fall der Erarbeitung der Wahrheit und der Vollendung im Ganzen; und die Vollendung der Kräfte im Einzelnen rief hinwieder in jedem Fall der Belebung der Kräfte im Ganzen. So war es so nicht möglich, daß wir uns in jedem einzelnen Gesichtspunkt lange über die Notwendigkeit irren konnten, die Ansicht des Lebens im Ganzen zum unerschütterlichen Fundament nicht bloß des Geists unseres Erziehungseinflusses im allgemeinen, sondern auch der Lehr- und der Unterrichtsmittel jedes einzelnen 35 Fachs zu legen. Gegenwärtig ist unser Bemühen lebendiger als je diese Ansicht des Lebens im Ganzen, um ihr allein reines Fundament, die häusliche Lieblichkeit des väterlichen und kindlichen Sinns, in

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unserer Mitte zu befördern und der Kunst unseres ganzen Thuns hierin einen festen, mit unserer Natur übereinstimmenden Haltpunkt zu geben. Die Geschichte der diesfälligen Reifung unserer Ansichten, sowie die Ursachen, die uns in einzelnen Fächern von 5 der festen Aufmerksamkeit auf das Leben im Ganzen abgelenkt, ist merkwürdig, aber ihre Darstellung fordert tiefen und selbstsuchtlosen Hinblick auf das Ganze unseres Seyns, und ich werde vor meinem Tod mich darüber nicht frey und allseitig aussprechen. Das erste Bedürfnis der festen Ansicht des Lebens im Ganzen 10 in jeder Anstalt und in jedem größern Verhältnis ist reiner, milder Einklang der Hauptgesinnungen der Individuen, die dieses Verhältnis konstituiren. Aber dieser Einklang ist im Leben von Männern, die Wahrheit wollen und mit Kraft zu ihr stehen, nur ein Werk der Zeit. Die Verschiedenheit ihrer Meinungen und 15 Ansichten muß in einem solchen Haus dem Einklang derselben vorhergehen. Aber die vorhergehende Einwürkung des Streits ist in einem solchen Verhältnis keine Sicherheit des Friedens, als nur mit Aufopferung der Freyheit und der Wahrheit denkbar. Aber wenn die Zeit des Weilens freyer und edler Meinungen vor20 über und die Ansicht des Lebens im Ganzen und ihre Wahrheit und ihre Liebe nunmehr der großen Mehrheit lebendig und klar ist, denn hat es auch in seiner Ausdehnung ein Fundament des menschlichen Wirkens auf menschlichen Sinn, das in einem engern Verhältnis nicht erreichbar ist. 25 Ich sage es unverhohlen, ein Erziehungshaus, vom Vatersinn ausgehend und wirkend auf Kindersinn, ist eines der ersten Zeitmittel, das die Menschheit bedarf, die Zerstörung, die im wirklichen häuslichen Leben selbst stattfindet, zu mildern und den mangelnden häuslichen Sinn unter den Menschen gleichsam so wieder neu zu erschaffen. Ein solches Haus bietet unendliche Mittel zur Ausübung und Belebung häuslicher Tugenden, und gründet zu gleicher Zeit enge Bande freundschaftlicher und liebender Verhältnisse, die dann hinwieder einen entscheidenden Einfluß auf die schöpferische Entfaltung der Gemüthlichkeit, die 35 den häuslichen Tugenden als ihr reines Fundament zu Grunde liegt, haben und haben müssen. Man mag es ansehen, wie man will, wer sich im Geist und in der Wahrheit als Bruder von Hunderten fühlt, der ist ein höherer Mensch als der zärtlichste Bruder von einem.

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Hebt sich ein Erziehungshaus zur Kraft empor, diesen Sinn zu entfalten, so ist sein Segen unermeßlich. Ich gestehe gern, es ist schwer, dahin zu gelangen. Wir wissen auch, daß wir noch nicht da sind; aber das weiß ich auch, daß mein Streben ernst ist, darnach zu gelangen. Ich habe mich von Jugend auf nach diesem 0 Ziel gesehnt, und viele der Meinigen sehnen sich mit reinem Herzen nach demselben — und by allem Gefühl unsers zeitlichen Zurükstehens ist mein Glauben an das Wort: Wer sucht, der findet, ewig fest, so wie mein Vertrauen auf den mir von der Vorsehung so wunderbar verliehenen Kreis edler Menschen, die die Errei- 10 chung meines Zihls als ihr Ziel ansehen, und mit Krefften darnach streben, die mir mangelen und von denen kein Mensch hette ahnden könen, daß ich sie fände. Ach, ich hatte ihrer so nöthig, Gott! ich habe ihrer so nöthig! Mein Unternehmen war nicht bloß über meine Krafft, es war 15 selbst über meine Ahndung. Und so weit, als ich ahndete und kandte, forderte es offenbar Mittel, zu denen vast niemand weniger gebildete Fertigkeiten hatte als ich, und über deren eigentliche Beschaffenheit ich lange mehr träumte, als mich ihrer deutlich bewußt war. So weit brauchte ich Hülfe und so 20 wenig hatte ich vollendete Krafft für mein Bestreben. Aber ich hatte einen unerschütterlichen Willen für dieses Zihl in meinem Innersten. Es ist in jedem Fall etwas Heiliges, etwas Seegenbringendes um diesen Willen. Auch ligt in der Entstehung meines Hauses 25 etwas Hohes, Erhebendes, das ohne das Seegenbringende dieses Willens nicht zu erklären wäre. Wir vereinigten uns bestimmt aus Liebe zu einer großen Idee, und auf das Fundament der inneren Ahnung der Möglichkeit einer Sache, die ich mit so viel Vertrauen und mit einem so entschiedenen Willen suchte. so So lag in der Entstehung meines Hauses und in der Art seiner Zusammensetzung eine Erhebung des Gemüths für die Erziehung. Wir vereinigten uns bestimmt aus Liebe zu ihr. Die Kräfte, die wir zusammenbrachten, waren klein, aber einfach, vielseitig und frei. Unser Zusammenhang gab jeder einzelnen Ansicht des 35 Ganzen den unbedingtesten Spielraum. Unser Streben nach Erfahrung und Einsicht über unsern Gegenstand war ernst und allgemein. Auch war der Kreis unsrer Erfahrung bald groß und vielseitig, und es herrschte von Anfang an in unsrer Mitte

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eine Lebendigkeit in unsern Ansichten, und eine Ausharrung, die umso nothwendiger war, weil wir auf einer ungebahnten Straße wanderten und der Steine viel waren, die man uns in den Weg legte, und die zum Theil auch von selbst hierin fielen, 5 zum Theil auch sogar uns von uns selber in den Weg gelegt wurden. Aber diese Steine und der Drang des Widerstandes, durch den wir uns durcharbeiten mußten, stärkte uns und hob uns höher. Wir fühlten uns als einzeln und als vereinigt, und würkten 10 auf einander, als Einzelne fast unmerklich, als ein Ganzes kraftvoll. Aus dieser Lage entfaltete sich in unserer Mitte ziemlich allgemein, was in jedem Einzelnen schlafend dalag, aber geweckt werden mußte, um sich zu zeigen. Diese Resultate unserer Vereinigung in uns selber machten aus uns in der Verbindung etwas is ganz anderes als das, was wir einzeln waren, und was möglich schien, daß aus uns einzeln hervorgehen könnte. Auch der beschränkte Endzweck, die gemeinen Lehr- und Unterrichtsmittel dem Volk nur zu vereinfachen, und sie ihm dadurch nur zu erleichtern und allgemein beizubringen, erwei20 terte sich jetzt bald eben so nothwendig. Es entkeimten aus unsern Bemühungen dafür bald neue Versuche, jedes dieser Fächer mit den höhern und allgemeinern Ansichten für die Erziehung in Übereinstimmung zu bringen. Wir erkannten das Bedürfnis, das Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen usw., wie sie in Zb den Schulen getrieben werden, und die reinen elementarischen Anfangspunkte des Wollens, des Könnens und des Wüssens des Kindes, von deren naturgemeßer Belebung die Entfaltung aller wesentlichen Kräfften des Menschlichen in [unserer] Natur wesentlich ausgehen müssen, zu entwikeln und dadurch in so wesentliche und rein elementarische Mittel der Geistesbildung zu verwandeln. Empirisch auf die Wahrheit dieser Grundsätze gefallen, entzückte und entflammte sie uns eine Weile, in einseitiger, aber klarer und kraftvoller Bedeutung vor unsern Augen stehend, 35 mit ihrer uns noch neuen Ansicht, daß wir uns mit KünstlerVorliebe selber für ihr noch unreifes Daseyn enthusiasmirten. Wir hatten nicht Unrecht. Das, was wir auch in dieser Beschränkung von ihr erkannten, war tief in die Natur eingreifende und sich kraftvoll bewährende Wahrheit; aber das Verhältnis dieser

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Schulmittel zum Ganzen war uns noch verborgen. Ihr äußerer Erfolg entsprach unserm Vertrauen auf sie vielleicht nur allzusehr, gewiß allzufrüh. Der Unglaube, der der Prüfung unsers Gegenstandes zum Theil mit Undelikatesse vorherging, und der Zweifel, der zum 0 Theil mit beschloßnen Augen sie begleitete, wandelte sich schnell in übertriebenen lobenden Ruhm. Wir verdienten auch diesfalls etwas Aufmerksamkeit, aber nicht den Enthusiasmus, der jezt wie aus den Wolken auf unser Thun herabfiel. Man sah unsre Kinder in einzelnen Unterrichtsfächern eine Aufmerksamkeit 10 [und] Geisteskraft zeigen, die man bei ändern nicht fand. Man sah sie durch diese Kraft Resultate hervorbringen, die andre Kinder bey fernem nicht hervorbrachten. Von dieser Seite gewannen wir mit Recht allmählich Vertrauen, und von diesem gestärkt, rükten wir langsam, aber ruhig und 15 täglich mehr im Umfang dessen, was zur Vervollständigung unserer Ideen noch mangelte, vorwärts. Überall dehnten eich unsre Erfahrungen aus und reifften, zwar nicht ohne Verirrungen und Leiden, aber sie reifften. Mehrere Resultate unserer Erfolge, das dörffen wir sagen, stehen jez da, als ein immer mehr sich 20 einigendes Fundament einer vielseitigen, höhern Ansicht unsers Thuns und unserer Zwecke. Zwar ist auch unläugbar, je mehr sich die Ansicht von unserm Thun ausdehnte, je mehr mußte auch das Gefühl des Unvermögens unsrer einzelnen Kräfte für unsern gesamten Zweck nicht 20 nur in uns selber werden, sondern sich auch um uns her offenbaren. Aber so wie dieses wahr ist, so ist auch wahr, daß das Ganze unsers Seyns und unserer Vereinigung mitten in der Unverhältnismäßigkeit unserer Lage und Kräfte innerlich in uns selbst feststeht, und immer feststehn wird. 30 Unser Haus lebt in großen bildenden, einzelnen Erfahrungen, und wir dürfen es sagen, wir haben ganz gewiß von mehr als einer Seite für die Idee einer naturgemäßen Erziehung mit unserer Erfahrung praktisch das Eis gebrochen. Wir müssen aber hinzusetzen, was wir aber hierin gethan haben, gieng by fernem nicht35 von einem Einzeln von uns aus. Es ligt ebenso by fehrnem nicht in einem jeden von uns gleich gemodelt, weder in seinem Geist, noch in seinem Herzen, noch in seinen practischen Fertigkeiten. Einige von uns sehen nur einen Punkt davon heiter, und dienen

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dennoch dem Ganzen, indem sie diesem Punkt getreu sind und an seinem Faden fortschreiten zur Erkenntnis des Ganzen. Andere leben in der Ahnung des Ganzen mit einer Kraft, in der sie der Thatsache, die wir ausführen, weit vorausfliegen. Andere wandeln s dem Ziel mit einer durch Ausübungsfertigkeiten fruchtbaren Kraft entgegen. In allen, wills Gott darf ich sagen in allen, lebt eine reine Liebe zur Sache, hohe Ahnung von ihren Folgen und festes Vertrauen zu beiden. Wir sind aber auch alle durch alles, was dem 10 Menschen heilig seyn kann, intressiert, daß wir die Hoffnung nicht sinken machen, die wir erregt haben, und wir können es, und wir sollen es. Die Fundamente, auf denen unser Thun seiner Natur nach ruhen soll, sind gelegt, und die Kräfte, die es braucht, um auf das Fundament, das wir gelegt haben, fortzubauen, sind is zum Theil wirklich in unsern Händen; zum Theil fallen sie jetz auch ohne unser Zuthun in dieselben.

eg ) zu S. 261, Z. 15ff. (Kopie) - die Concentration des vollen Lebens im häuslichen Geiste, der unter den Kindern edler, rein häuslich lebender Eltern so 20 allgemein herrscht. Die Tiefe und Stille, die Ruhe und Innigkeit der Weisheit und Kraft dieses Lebens, das Heiligste, das Erhabenste desselben fehlt mehr oder minder jeder Erziehungsanstalt. Auch die höchste Kunst strebt, bis sie selbst wieder ganz Natur, volles Leben und geistig vollendete Liebe geworden, umsonst 25 dahin, das ganz zu thun und das ganz zu seyn, was die Natur von sich selbst ist, und darum auch mit der größten Leichtigkeit thut. Auch in intellektueller Hinsicht ist es das nämliche. Die unbefangene, kindlich ruhige, ungestört freye und dadurch tief und vollendet eingreifende Anschauung, durch die die Natur ihrem so Zögling seine ersten Urtheile so einfach leicht, aber dabei so kraftvoll begründet, sollte ihm eben lange vor der Zeit gegeben und habituell gemacht werden, ehe er in unsere Anstalt tritt. Das aber geschiehet nicht, und wir können unserm Zögling, in Rücksicht auf die ersten Anfangspunkte seines Denkens und Urthei35 lens, so wenig in reiner Naturgemäßheit behandeln, als wir dieses in sittlicher Hinsicht gekonnt.

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Wir dürfen eben so wenig denken, daß die Zöglinge, so wie sie bei uns eintretten, diese elementarischen Anfangspunkte ihrer intellektuellen Bildung sich in ihren häuslichen Verhältnissen selber eigen gemacht haben. Diese [Zöglinge] kommen meistens, schon in ihrer Unmündigkeit durch die ABC-Elendigkeiten und s später durch den Mischmasch allerlei unverdauter Bücherkenntnisse von der Aufmerksamkeit auf ihre Umgebungen in der Wirklichkeit des bildenden Lebens ganz abgezogen, und so für die reinen Eindrücke der Natur verdorben, zu uns, und je weiter sie in ihrer diesfälligen Bildung fortgeschritten, desto stumpfer sind 10 auch natürlich ihre Sinne für alles Bildende in der Natur und im wirklichen Leben, und desto unempfänglicher für jedes naturgemäße Mittel der reinen Entfaltung irgend einer menschlichen Krafft. So im Schein und Blendwerk unatürlicher Künste heranwachsend, so ist auch ihre wahre Naturkrafft in ihrem is Wachsthum und Leben stillgestellt worden. Das ist in phüsischer Hinsicht oft noch am auffallendsten. Viele, sehr viele unserer Kinder körnen von dieser Seite schon verzärtelt in unsere Anstalt, doch wenigstens phüsisch unentfaltet und ungewandt. Wir müssen aber noch frey gestehen, wenn auch 20 dieses nicht wäre, wenn sie auch, eh sie zu uns gekommen, im vätterlichen Haus alles genossen hätten, was ihnen diesfalls zu geben möglich war, so wären wir doch nicht im Stande, auf die häusliche Entfaltung zu bauen, was im hiefür besser gelegnen häuslichen Leben darauf gebaut werden kann. 25 Der Erfolg aller physischen Kraftbildung hanget nothwendig von vielseitiger ausharrender Anstrengung der physischen Kräfte ab, welche vorzüglich durch die Realbedürfnisse der Umgebungen, in denen das Kind lebt, ihm angewöhnt und leicht gemacht werden. Diese Bedürfnisse wirken in dieser Frage theils durch so die Gewalt ihrer unabänderlichen und sich immer wieder erneuernden Wahrheit; theils durch den Reiz, der diese Umgebungen und diese Bedürfnisse ebenso unabänderlich begleitenden und belebenden Liebe, sowie der ihnen ebenso nothwendig beiwohnenden und sie belohnenden häuslichen Freuden. 35 Die Anstrengungen, die das unabläßliche Bedingnis der Angewöhnungen zur physischen Gewandtheit und Kraft sind, wird dem Zögling im häuslichen Leben naturgemäß, das heißt in Übereinstimmung seiner übrigen Kräfte und Anlagen, folglich

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nicht im Widerspruche mit seiner sittlichen und geistigen Entfaltung oder auf Kosten derselben gegeben. Sie werden ihm nicht einmal auf Gefahr der Zartheit einiger dieser Kräfte eingeübt. Der Zwang des reinen häuslichen Lebens ist ein lieblicher s Zwang; wahrlich sein Joch ist kommlich und seine Last leicht. Der Sohn des armen Vaters, die Tochter der armen Mutter wächst in der Ausharrung der physischen Anstrengung gleichsam als in dem ihm angebohrnen Element auf. Ihre Kraft wird ihr freilich durch den Drang der täglichen häuslichen Bedürfnisse 10 eingeübt, aber denn auch hinwieder in jedem Fall durch die Reize der reinen häuslichen Verhältnisse, die die Quellen dieser Bedürfnisse sind, wieder gewürzt. Daher macht auch der Zwang, der sie zu ihrer Kraft bildet, sie nicht leiden. Die Kinder der Armuth müssen zwar, so wie sich ihre Kräfte entfalten, ihren Verhältnis15 sen nothwendig dienen, aber sie müssen damit nur die Liebe und die Dienste erwiedern, die sie von diesen Verhältnissen zum voraus empfangen. Dieses heilige Fundament der pl^sischen Anstrengung hat keine Erziehungsanstalt. Die reine, sichere Fülle der Liebe, die es 20 dem Vater und der Mutter so leicht macht, ihr Kind in jedem Zeitpunkt des Lebens zum lebendigen Dienste des Hauses zu erheben, mangelt jedem Erziehungsinstitut. Das Höchste, das auch der väterlichste Erzieher in einem solchen Haus erhalten kann, ist eine neue Liebe mit allem Schwankenden und Unsichern, 25 das jede Neuheit in sich selbst trägt. Die Liebe des Kindes zum Vater und zur Mutter hingegen ist in jedem Fall eine alte Liebe, die, gereifet und vollendet, von diesem Schwankenden, Unsichern und Unzusammenhängenden einer neuen Liebe nichts hat. Ein Kind, das ich kannte, drückte das Vollendete, Gereifte in so der Kinderliebe zum Vater einmal tref lieh aus. Als dieser scherzend zu ihm sagte: Wenn du einst älter und größer seyn wirst, so wirst du mich noch viel mehr f 2 ) zu S. 263, Z. 15 ff. - seiner Glieder anführeten, und die Erziehungskunst, die 35 hierin der National[bildung] vor[an]helfen will, muß damit anfangen, den Mütteren in diser Bemühung [an] die Hand zu gehen, denn es ist durchaus von diesen aus, daß die Elemente dieser 7 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Kunst ausgehen müssen. Sie feindet nur in der Liebe und in der Freude der Mutter ihr erstes reines Leben. Als[o] iste, daß die Elementarmittel der sittlichen, der intellectuellen und der Kunstbildung gemeinsam vom häuslichen Leben und von [der] Mutter ausgehen. Daher ist [es] aber auch, worum wir in der s Darlegung der Gesandtheit diser Mittel so langsam vorrüken. Die Stellung in einer Pensionsanstalt ist durchaus nicht vorzüglich schiklich zu den Anfangsversuchen weder der sittlichen, noch der intellectuellen noch der phüsischen Elementarbildung. Anstatt auf reinem Boden zu seen, muß [man] in allen Rüksichten 10 schon verwilderten bearbeiten. Anstatt mit dem Legen guter Fundamente anzufangen, muß man damit anfangen, verdorbene Fundamente auszugraben. Anstatt sich bloß an der Natur des Menschen, an der Natur des Kindes zu halten, muß man vie[l]seitig auf die Wünsche und Ansichten derer, die die Pension 15 bezahlen, Büksicht nehmen. Und hierin wird man nicht bloß durch schwache Nachgibigkeit, man wird oft durch die reale Stellung des Kindes und die Bedürfnisse diser Stellung moralisch gezwungen, Rüksichten zu nehmen, die in einem Privathaus, wo man mit der Erziehung ganz von unten aus anfangen konte, 20 durchaus nicht stattfänden. Dies ist besonders in Hinsicht auf Kunst- und Berufsbildung [wichtig]. Ich darf zahlende Knaben durchaus nicht anders als mit der Feder arbeiten machen. Auch by Mädchen, die die Pension bezahlen, darf ich nicht genug auf die Entfaltung der Arbeits- 20 kreffte würken, und wie sie eintretten, ist die Epoche der reinen elementarischen Entfaltung diser Kräffte bynahe schon ganz vorüber.

ga) zu S. 272, Z. 2 ff. - erkannt ist und wir uns seiner Anwendung vielseitig nähern, so Wir haben es wenigstens der Anerkennung und Festhaltung desselben zu danken, daß das Mens sana in corpore sano im allgemeinen weit mehr der Zustand der Zöglinge unsere Instituts ist, als man dieses bei hundert und mehr zusammen erzogenen Kindern, wenigstens in unsrer Zeit, kaum anderswo antrift. Von 35 physischer Seite ist es auch auffallend, daß nunmehr seit neun Jahren kein Kind unter unserer Pflege gestorben, und der Ge-

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sundheitszustand so ganz außerordentlich gut ist.*) Oft vergehen Monate, ohne daß ein einziges auch nur über Beschwerden klagt; sie halten Anstrengungen aus, die für ihr Alter und für ihre früheren Führungen außerordentlich sind. Als letztes Jahr 5 hundertzwanzig bis hundertdreißig von ihnen in verschiedenen Abtheilungen, über zum Theil beschwerliche Berge und unter vielen Wechseln des Wetters, Ausreisen von zwei bis drei Wochen machten, kam auch kein einziges von allen auch nur mit einem Schnuppen behaftet zurück. 10 Auch das ist eine unwidersprechliche Thatsache, daß viele unserer Kinder, die jetzt kraftvoll blühen, kraftlos in unser Haus kamen. In der ganzen Zeit haben wir nur ein paar Beispiele, daß Kinder den Grad der Kraft, den sie beim Eingehen in unser Haus besaßen, in etwas verlohren. Der in dieser Hinsicht blühende Zustand des Hauses hat seinen Grund ganz gewiß im Ganzen ihrer, der Natur mehr gemäßen Führung, und zwar nicht bloß in der Einfachheit ihrer Nahrung, in täglicher Bewegung und Thätigkeit, sondern vorzüglich in dem größern Grad der innern Befriedigung und des Frohsinns, den sie genießen. Sie werden 20 von keiner Seite durch den Unterricht abgemattet. Der Geist der Elementarübungen ist leicht, sie strengen den menschlichen Geist nicht so an, wie irgend ein unelementarisch gegebnes Lehrfach. Ein Punkt des Unterrichts fließet in demselben natürlich aus ändern, daher belastet er den Geist nicht, 25 er spricht ihn nur an, und macht ihre Resultate einfach und natürlich aus ihnen hervorgehen. Jede neue Erkenntnis ist dem Kind eine ihns stärkende und erfreuende Bestätigung seiner frühern Erkenntnis. Die erste Quelle der jugendlichen Verürungen, die durch die Unnatur des Unterrichts erzeugte Langeweile, 30 findet, soweit als der Unterricht elementarisch gegeben wird, nicht Platz. So weit er also gegeben wird, so weit wird das Kind durch ihn im frohen Leben in der Natur gestärkt, und von allen Folgen der Unnatur im Unterricht und in der aus Eigensucht willkürlichen Anwendung der menschlichen Kräfte be35 wahrt. Der Punkt, in dem dieses geschieht, ist indessen besonders für *) Ich schrieb dieses vor dem mich inig betrübenden Todesfall des hoffnungsvollen Sohne eines edlen Mans aus meiner Nachbarechafft, des ersten, der sint vielen Jahren krankend aus meiner Anstalt kam und dem Tod entgegenging.

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jüngere Kinder noch by weitem nicht befriedigend, er ist der Idee der Elementarbildung by fehrnem nicht gemigthuend. Die bestehenden intellectuellen Elementarübungen sind noch nicht genug mit den Bildungsmitteln der Anschauungsepoche des kindlichen Alters in Übereinstimmung gebracht, und noch zu 5 abgerissen vom Ideal der elementarischen Führung der Unmündigkeit und der vollendeten Sicherheit ihrer heiligen Zartheit und Unschuld, stehen sie noch zu sehr in sich selbst geschlossen, noch fast isolirt da. Aber ihre inige Verbindung mit dem ganzen Ideal der Elementarbildung wir mit täglich größerem Eifer be-10 trieben. Wer indessen in ihnen nur Bildung des Verstandes und nicht Bildung der Menschheit in aller Fülle ihres hohen, göttlichen Sinnes sucht, wird dise Lükke auffüllen. Auch ist es gewüß, diese Mittel, wie sie würklich sind, werden von der Welt begierig er- is griffen, als der Sinn der ganzen Fülle der Menschlichkeit, deren Entfaltung die Aufgabe der Elementarbildung ist. Aber auch in der Beschränkung, in der sie noch dastehen, dürfen wir von ihnen so viel sagen, daß sie geeignet sind, psychologisch und allgemein nicht nur das, was man auf dem Weg der Grammatik 20 und der alten Sprachen für die Verstandesbildung gesucht hat, sondern weit mehr, und dies weit mehrere mit weit größerer Sicherheit zu erzielen. Der Zusammenhang der mathematischen Elementarübungen mit den Ansprüchen der Verstandesbildung unsere Geschlechts 25 im allgemeinen ist offenbar heiterer und allgemeiner, als der Zusammenhang der Grammatik und der todten Sprachen damit ist. Die mathematischen Elementarübungen erwecken die innere Lebendigkeit und selbstthätiges Interesse, das die Basis aller wahren Entfaltung unsrer Kräfte ist, damit ich wenig sage, in so zehn Kindern, wo die gramatikalischen Übungen und diejenigen der todten Sprachen in einem Kinde. Darum achte ich auch den Weg derselben, als Fundament der Verstandesbildung, als einen eigentlichen Abweg, der einen Glücklichen, der ihn findet, wohl zum Ziel führen kann. Den Weg 35 der mathematischen Geistesentfaltung hingegen achte ich von dieser Seite für die Landstraße, auf der ein jeder, der gute Beine hat und diese nicht schont, zum Ziel gelangt. Wir haben diese Landstraße betretten, und es ist unlaugbar, die allgemeine Auf-

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merksamkeit, die unsre Anstalt nun schon so lange erregt und erhalten hat, ruht vorzüglich auf dem Erfolg unsrer mathematischen Übungen. Diese haben ohnstreitig Erwartungen hervorgebracht und Kräfte erzeugt, die man in ändern Erziehungs5 anstalten nicht fand. Weniger allgemein sichtbar, aber eben so wahr, eben so entscheidend ist die Wirkung unsrer Anstalt auf die Entfaltung der Zöglinge zur Kunst. Bis auf einen ziemlichen Punkt bestätigt die Erfahrung auch diese Ansicht [über] den Werth der Methode 10 als Grundlage der Wissenschaft und der Kunst, und wir rükken täglich in der Bearbeitung der elementarischen Bildung des Kinds zur Kunst mit dem sichtbarsten Erfolg vorwärts und könen darüber bestirnt Rechenschaft geben. Dieses alles aber auch zugestanden, der Mann, der die Menschheit als solche, durch ihre 15 Bildung im allgemeinen, ihrer Veredlung h2> zu S. 273, Z. 31 ff. (Kopie) — Fülle der Menschlichkeit, deren Entfaltung die Aufgabe der Elementarbildung ist. Aber auch in der Beschränkung, in der sie noch dastehen, und im Sinne dieser Weltansicht dürfen wir von 20 ihnen so viel sagen, daß sie geeignet sind, psychologisch und allgemein nicht nur das, was man auf dem Weg der bisherigen Grammatik und der alten Sprachen für die Verstandesbildung gesucht hat, sondern weit mehr, und dies weit mehrere mit weit größerer Sicherheit zu erzielen. 25 Der Zusammenhang der mathematischen Elementarübungen mit den Ansprüchen der Verstandesbildung unsers Geschlechts im allgemeinen ist offenbar heiterer und allgemeiner, als der Zusammenhang der Grammatik und der toten Sprachen damit ist. Die mathematischen Elementarübungen erwecken die innere so Lebendigkeit und selbstthätiges Interesse, das die Basis aller wahren Entfaltung unsrer Kräfte ist, damit ich wenig sage, in zehn Kindern, wo die grammatikalischen Übungen und diejenigen der toten Sprachen in einem sind. Darum achte ich auch den Weg der Verstandesbildung durch die todten Sprachen, in85 sofern er isoliert und einzig gegeben wird, als einen eigentlichen Abweg, der einen Glücklichen, der darauf nicht verirret, wohl zum Ziele führen kann; den Weg der mathematischen Geistes-

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entfaltung hingegen achte ich diesfällig für die eigentliche Landstraße, auf der ein jeder, der gute Beine hat und diese nicht schont, zum Ziel gelangt. Wir haben in unsern intellektuellen Elementarübungen diese Landstraße betretten, und es ist unläugbar, die allgemeine Auf- 5 merksamkeit der Welt- und Zeitmenschen, die unsere Anstalt nun schon so lange erreicht und erhalten, ruht vorzüglich auf dem Erfolg unsrer mathematischen Übungen. Diese haben unstreitig Erwartungen hervorgebracht und Kräfte erzeugt, die man in ändern Erziehungsanstalten nicht fand. 10 Das Urtheil dieser Zeit- und Weltmenschen ist allgemein, die Erhaltung und Fortdauer der ganzen Anstalt ruhe auf dieser Basis, und mein Haus müsse in sich selbst zerfallen, es werde sich auflösen, so wie die Hauptstütze dieses Fachs zu fehlen anfange. Sie irren! Sie mißkennen das höhere Band der Einheit und 15 des Zusammenhangs in der Menschennatur. Man möchte auf sie anwenden: Sie wissen die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes. Weniger allgemein sichtbar für die Weltansicht ist die Wirkung unsrer Anstalt auf die Entfaltung der Zöglinge zur Kunst. Allein sie ist eben so wahr und eben so entscheidend. Bis auf 20 einen ziemlichen Punkt bestätigt auch die Erfahrung diese Behauptung. Wir sind in der Bearbeitung der elementarischen Bildung der Kinder zur Kunst mit dem sichtbarsten Erfolg so weit vorwärts gerückt, daß wir darüber bestimmt sagen können, daß es nur der Theilnahme eines wahren und großen Künstlers, 25 wie ihn schon die Gesanglehre gefunden hat, und seines Anschließens an unsere Grundsätze und Elemente bedarf, um auch im Kunstfache eben so große, eben so unwidersprechliche Resultate hervorzubringen. Dieses alles aber auch zugestanden, der Mann, der die Mensch- 30 heit als solche durch ihre Bildung im allgemeinen ihrer Veredlung näher bringen will, der wahrhafte Mensch wird dadurch nicht befriedigt. Dieser will von der Methode mehr, er will von ihr Sicherheit der sittlichen und religiösen Entfaltung des Kindes, er will in dieser Sicherheit das Fundament und die Basis von 35 allem, was wir uns sonst von der Anstalt versprechen. Findet er dieses nicht in ihr, so ist sie ihm nichts; und er hat Recht. Ob die Anstalt ihn hierin befriedigen könne 1 Der Schein ist dagegen, und es ist durchaus nicht zu läugnen: Das isolirte Da-

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stehen der intellektuellen Elementarmittel und ihrer Wirkung, selber der Enthusiasmus des Hauses für sie, und die Art ihres Gebrauchs, die sich in gewissen Zeitpunkten und unter gewissen Umständen der Einseitigkeit und beynahe der Gewaltthätigkeit 5 näherte, mußten fast nothwendig die Vermuthung veranlassen, das Wesen der Methode bestehe in den Reihenfolgen der Elementarmittel der intellektuellen Bildung, und die Anstalt beruhe auf ihrer isolirten Anwendung. Daher denn auch die starken Urtheile: Sittlichkeit und Religion werde bei 10 uns ganz vernachlässigt, sich ganz natürlich erklären und entschuldigen lassen. Es war freilich ein Irrthum, aber der Schein der Sache ward benutzt, und die Zahl zum Theil bedeutender Menschen, die aus ändern Gründen nicht Freunde der Anstalt sind, fanden hierin is einen Stützpunkt, auf den sie sich mit Zuversicht lehnten. Von dem, was im Haus wirklich gethan war, das reine Gefühl des Herzens und einen höhern religiösen Sinn zu wecken und zu nähren, davon nahm man keine Notiz. Wer von der Sache redete, der redete von Zahl und Norm, und wer von Resultaten sprach, 20 der sprach von Rechnen und Zeichnen. Nur wenige sprachen vom Menschen. Kurz, man sprach nur von untergeordneten einzelnen Mitteln der Anstalt. Man achtete ihre Fundamentmittel, man achtete das Centrum, worauf sich alle ihre Mittel bezogen, wenig. Aber es ist unbegreiflich, daß man nicht einsah: wenn man in 25 dieser Ansicht recht gehabt hätte, wenn keine andere Bildungsmittel in die Führung des Hauses Einfluß gehabt hätten, das Haus wäre schon lange aufgelöst. Wer kennt die Menschen und kann nur ahnen, daß sich das Haus, wie es ist, ohne andre als intellektuelle Bildung durch Zahl so und Form so lange zusammen zu halten vermocht hätte? Es hat sich durch Liebe, Geduld und Glaube gegründet, und wird sich auch durch Liebe, Geduld und Glaube erhalten. Zahl und Form stehen im wirklichen Leben der Elementarbildungsweise des Instituts als einzelne im Ganzen seiner Mittel verwobene Theile 35 da. Wie die Ansprüche des Herzens und der Religiositet in der Idee der Elementarbildung, ihrer Tendenz und ihrer Mittel anerkannt worden, so werden sie auch in der Ausübung vom Personale meines Hauses anerkannt. Die Idee der Methode spricht die sittliche und religiöse Erhebung unsrer Natur in ihrer Selbst-

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ständigkeit an. Sie fordert ihre Mittel als unabhängig von den geistigen Büdungsmitteln. Sie erlaubt nicht, daß die hohen veredelnden i 2 ) zu S.278, Z. 24ff. (Kopie) - speziellen Verhältnisse, auch ihr Einfluß auf diese Verhält- 5 nisse, ihre Belebung des Geistes der Anstalt durch ihre Wirkung in einer solchen, ist dann durch sie gesichert. Ebenso ist dann auch gewiß, daß sie durch ihr Wesen geeignet ist, auch dem zufälligen Verderben zu steuern, dem das neue Wachsthum aller menschlichen Kräfte nothwendig und allgemein ausgesetzt ist. 10 Die Wahrheit dieser Ansicht ist in der psychischen Natur allgemein anerkannt. Das tiefe Eingreifen der Wurzel der Eiche in den Boden, darauf sie wächst, sichert nicht nur das gedeihliche Wachsthum des Baumes im allgemeinen, sondern heilet auch das zufällige Verderben an ihren Ästen und ihrer Rinde, und zwar 15 durch eben die Mittel, durch die sie den Baum selber wachsen und gedeihen macht. Die Winde wehen, die Würmer nagen, das Wasser faulet, das Feuer brennt, der Mensch schneidet an einzelnen Ästen des Baumes. Was macht ihm das ? Wenn der Bauer selber eine Wurzel nahe an seinem Stamm abhaut, das ihn angreiffende 20 Verderben ist nicht in den Umfang und die Tiefe der Fundamente seines Lebens gedrungen. So der Mensch, wenn ihn das Leben im allgemeinen kraftvoll bildet. Er mag es denn leiden und tragen, wenn eben dieses Leben ihn im einzelnen plagt, drängt und schwächt. 25 Die Elementarbildung, die nichts ist als das Leben selbst, aufgefaßt in Wahrheit und Liebe, beherrscht in ihrer Totalwirkung den Einfluß vieler ihr entgegen wirkenden elementarischen Verirrungen in sich selbst. So weit sie in ihren Mitteln vollendet und so weit sie in ihrer Ausübung consequent ist, so weit leistet sie so dieses gewiß. Ihr Wesen ruft der Kraft des Lebens in seinem ganzen Umfang, und indem sie dieses thut, kann sie nicht anders, als den Folgen der menschlichen Verirrungen im Erziehurigswesen durch die gesammte Kraft der Menschennatur mit entschiedenem Erfolg in jedem Verhältnis entgegenwirken. Sie wirkt 35 auf jeden Zögling in dem Verhältnis, worin er lebt, mit der ganzen Kraft ihrer Natur, und hat also in ihrem Wesen auch die ent-

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schiedensten Vorzüge für die Bildung zum wirklichen Leben in jedem Verhältnis. Und doch ist es eben hier, wo man mit einem unpsychologischen Absprung von der Sorgfalt auf das Innere der Schüssel laute Klagen über den Mangel des 5 Fegens an ihrer äußeren Gestalt erhebt. Es ist ein eigentlicher Salto mortale, wie man von der Klage über Mangel an solidem Eingreifen unsrer Mittel in das Wesen und Heiligthum unsrer Natur plötzlich dahin kommt, uns vorzuwerfen : wenn unsre Mittel auch solid hierinn eingreifen würden, 10 so gäbe die Anstalt unsern Zöglingen doch den äußern Firnis nicht, der zwar, wie man gern gestehen wolle, im Grunde für die Menschenbildung unwesentlich sey und ihr vielleicht gar nachtheilig sein möchte, aber dennoch gefordert werde, weil er zum glücklichen Fortkommen in der Welt ganz gewiß is vieles beytrage. Es ist wahr, die Anstalt ist auf keinen äußeren Firnis berechnet. Wir unterscheiden die Bedürfnisse des Menschen nach seinen Verhältnissen. Wir glauben, was der Welt allein angehöre, könne auch die Welt allein 20 zweckmäßig geben. Den Weltanstand könne man nur in der Welt lernen, lerne ihn leicht, wenn man mit Sinn und Kraft und ganz in die Welt geworfen werde, entbehre ihn aber mit Vortheil in engeren Verhältnissen. Wir behaupten, eine jede Anstalt sey in ihrem Wesen grundschlecht, die den Kindern 25 geben wolle, was nur der gesellschaftliche Umgang bilde zum Weltanstand, und die eben deswegen denn vernachlässigen muß, was der Weltumgang nie geben kann, Gründlichkeit im Wissen, Selbstständigkeit im Karakter. Doch ich gehe weiter und widerspreche bestimmt, daß die so Bildung der Kinder für und zu diesem Firnis ihnen so viel zum glücklichen Fortkommen in der Welt wirklich helfe, und erlaube mir zu bemerken, daß es wirklich eigen sey, daß diese Forderung mit einer so außerordentlichen Lebhaftigkeit zu einer Zeit gethan wird, in welchem das Gefühl des Schadens dieses Firnisses für 35 das bürgerliche Leben so allgemein rege ist, und niemand mehr verhehlen kann, daß unserm Geschlecht in aller Hinsicht mehr als je die Kraft mangelt, die es zur Erreichung des auch noch so beschränkten Endzweck bedarf, wo die Selbstsucht des Zeitgeistes und Welttons diesen Firnis braucht.

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Es ist gewiß merkwürdig, daß man in diesem Zeitpunkt die Klage über den Mangel dieses Firnisses mit so viel Wehmuth erhebt, daß die Elementarbildung diesen Firnis mangele, und unsere Kinder sich also in der wirklichen Welt gewiß nicht gut benehmen werden. Die Wahrheit über diesen Gegenstand ist aber 5 diese: Die Elementarbildung erkennt den Grundsatz, daß aller Unterricht eigentlich nur untergeordnete Benutzung des wirklichen Lebens der Kinder seyn soll; sie erkennt, vielleicht wie es noch nie erkannt worden ist: daß das Leben bildet. Sie erkennt, das Leben in großen Umgebungen bildet kraftvoll, das Leben 10 in häuslichen Umgebungen bildet liebevoll. Das liebevolle Leben veredelt! Das Leben im Glauben sichert und erhöhet die Veredlung durch die Liebe, und die Elementarbildung ist geeignet, diese Veredlung nach allen Beziehungen in der Kraft, in der Liebe und im Glauben zu erzielen. 15 Das ist die Wahrheit. Die Anstalt bauet im ganzen Umfang ihrer Einrichtungen und Übungen auf sie. Und doch höre ich den Vorwurf, daß die in ihr elementarisch unterrichteten Kinder in den Verhältnissen des wirklichen Lebens sich schlechter benehmen werden als die, so in der Form des Welttons erzogen werden, 20 auch Menschen aussprechen, die nichts weniger glauben, als daß der gute Weltton aus Schwäche hervorgehen könne, sondern vielmehr wohlüberzeugt sind, daß ohngeachtet er nicht das Hohe und Edle, das Reine unsrer Natur anspricht, er dennoch auch in seiner Beschränkung, wiewohl einseitig, große Kräfte ansprechen 25 müsse. Aber ich möchte diese Menschen nur fragen, ob das freye und kraftvolle Leben unter hundert und mehr Kindern für die Menschenkraft, die selber der Weltton anspricht, nicht eine Schule sey, wie wenige Kinder, die eigentlich für diesen Ton erzogen werden, eine solche genießen? 30 Ich bin überzeugt, diejenigen Menschen, die das, was eigentlich probhältiger und allgemein guter Weltton ist, am tiefsten kennen, werden das Gewicht dieser Frage fühlen. Indessen wird das Servum pecus der Nachbeter dieser Richtung freylich von allem diesen nichts sehen. Gewohnt, die Stütze ihrer eigenen 35 Kraft selber zu mißkennen, haben diese Menschen keinen Sinn und keine Augen für das, was ihren vorgefaßten Meinungen einmahl entgegen ist. Wäre es auch der Fall, der es bey weitem nicht ist, daß unsre Kinder in den Schulstunden wie in den Spielstun-

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den allgemein gleich belebt vor ihnen dastünden; würden sie auch täglich vor ihren Augen, in aller Gewandtheit ihres geistigen und physischen Lebens, der Entfaltung jeder ihrer Anlagen im freyen Kampf einfacher und kraftvoller Übungen entgegen streben, 5 würden sie sie auch täglich mit Hausgenossen, Kameraden und Lehrern, Fremden und Oberen frey, d.i. nicht gehemmt und nicht hemmend, weder selbst in Verlegenheit, noch andere in Verlegenheit setzend, umgehen sehen, sie würden in allem dem kein Fundament von dem, was sie guten Ton der Welt nennen, 10 finden. Sie können dieses Fundament nur in solchen Dingen finden, die aus dem Menschen das machen, was sie selbst sind. Alles in der Welt, was aus dem Menschen etwas anderes macht und machen muß, was sie selbst sind, kann ihnen nie das Fundament des guten Tons scheinen. is Es ist in der ganzen Natur das Nämliche. Der Rabe versteht den guten Ton der Nachtigall gar nicht. Man sagt sogar, wenn diese auf einen ihm nahen Ast absitze, so fliege der andere vom Baum weg. Hingegen sagt man auch, die Papagayen thäten dies nicht; sie hörten alle Arten von Vögeln und Menschen, hören gar 20 gern zu und machten sogar einige dieser Töne selbst nach. Und so papagayenartig nähern sich auch zu Zeiten erbermliche Schwächlinge des Welttons, ungeachtet ihrer entschiedenen Unfähigkeit, das Wesen davon und seine Kraft in sich selber aufzunehmen, den schönsten Tönen der Wahrheit und der Liebe, wenn 20 nämlich das Glücksrad sie zu Modetönen der Welt gemacht hat. Aber die Kraftmänner des Welttons, die diesen Armen in jedem Fall Zaum und Gebiß ins Maul legen, lassen es damit nie zu weit kommen. Wenn es auch nur von vielen der Fall wäre, daß ein zu lauter Ton der Wahrheit und Liebe etwa eine ihrer so Pflaumfedern in Unordnung bringen könnte, so finden sich gleich Mittel, daß die Schonung des Welttons gegen die sie gefährdende Wahrheit und Liebe, plötzlich ihr Ziel und Ende finde. Diese Schonung ist nur als ein täuschendes Vorwerk der Selbstsuchtsfestung, in der sie mit allem Leben ihrer Gewalt und 35 Heucheley immer hauset und hofet, anzusehen, und so ist es zu erklären, worum dieser Ton so oft auf den Vorwerken seiner Festung auch seinen erklärtesten Feinden gar oft ein Glas Wein einschenket und sie darauf zum Spiel und Zug einladet. Er weiß wohl, was er damit thut. Die große Mehrheit seiner Feinde ist oft

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so armselig schwach, daß sie sich noch einbildet, die so schönen Vorwerke stehen eigentlich um ihretwillen, zu ihrer Freude und ihrem Tanz aufgeführet da. Aber diese Täuschung nimmt zu Zeiten ein Ende mit Schrekken. Sobald der klügere Weltton in seiner Festung auch nur von 5 fern einigen Unrath wittert, so setzt er seine Festung augenblicklich in ihrem ganzen Umfang in Kriegszustand. Die freundliche Schonung und nachsichtsvolle Geduld gegen die Ansprüche der Wahrheit und Liebe ändern in diesem Fall so geschwind wie ein Schauspieler, der im Vorspiel seiner Komödie als ein Harlequin 10 und im Nachspiel als ein Gefangenschaftswärter mit seinen Vertrauten am Strick auf der Bühne steht. Ich weiß nicht warum, aber ich verweile mich gern an dem Bild der Wendungen, in dem die Selbstsucht der Welt, wenn sie mit der Wahrheit und Liebe ihr Spiel treibt, erscheint. Dieser 15 Tonwechsel der Selbstsucht und dieses Nichtbleiben in ihrer Scheinschonung gegen ihre Feinde ist in jedem Fall der Wahrheit und Liebe weit vortheilhafter als die lange Dauer ihres Weinschenkens und ihrer Tanzparthieen auf den Vorwerken ihrer Festung. 20 Ich wiederhohle es, die Selbstsucht, insofern sie mit offener Kraft gegen Wahrheit und Liebe wirkt, ist auch in ihren härtesten Verirrungen der Sache der Wahrheit und der Liebe weit vortheilhafter als die Erscheinungen von ihr, in denen man die Schwäche der Wahrheit nicht mehr von den Schwächen des Irr- 25 thums, und die Schwächen der Liebe nicht mehr von den Schwächen der Lieblosigkeit zu unterscheiden vermag. Das geistige und sittliche Seyn des Menschenlebens gleichet in diesem Zustand nicht selten dem Leben in einem Irrenhaus, in dem sich die Menschen in der Fieberhitze und dem Hirnschwindel ihres Zu- so stands k 2 ) zu S. 281, Z. 38 ff. (Kopie) - [Und so pajpageyenartig näheren sich zun Zeiten auch die erb[ärm]lichsten Schwächlinge dieses Thons, ungeachtet ihrer entschiedenen Unfehigkeit, das Wesen davon und seine Kraft in 35 sich selber aufzunehmen, den schönsten Thönen der Wahrheit und der Liebe, wenn das Glüksrad die ThÖne obenauf gebracht

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und zu Modethönen gemacht hat. Aber sie halten sie sich denoch immer drei Schritt vom Lieb und sind nur so lang schonend artig mit ihnen, als sie glauben, durchaus nichtfs] von ihnen befürchten zu müssen. Aber wenn es der Fall wäre, daß sie etwan gefahreten, 5 der Wind deiner Wahrheit und deiner Liebe möchte etwa eine ihrer Pfauenfederen in Unordnung bringen, denn hat die Schonung der Weltthöne gegen die Thöne der reinen Wahrheit und der Liebe sogleich ein End. Sein Schonen war nur Schein. Es kan der Wahrheit und 10 Liebe nicht [genugtun]. Es geth von der Selbstsucht aus, und diese steth im ewigen Kampf mit Wahrheit und Liebe. Die Schonung, die der Weltthon zun Zeiten gegen sie zeiget, ist im eigentlichen Sin nur als ein teuschendes Vorwerk der Selbstsuchtsfestung, in der der Weltthon mit allem Leben ihrer Gei5 waltthätigkeit hauset und hofet, anzusehen. Ich will es gerade heraus sagen, die Sicherheit dieser trügerischen bösen Festung ruhet wesentlich auf dem Friedensschein ihrer Außenwerke. Das Benehmen des Weltthons in seiner Festung ist gewöhnlich auch gar nicht leid. Er schenkt gar oft seinen erklertesten Feinden 20 auf den Außenwerken seiner Festung ein Glas Wein ein und ladet sie eben so leicht und eben so oft gern auf denselben zu einer Tanzparty ein. Er weiß auch gar wohl, was er hiermit thut. Oft ist die große Mehrheit seiner Feinden so armselig schwach, daß sie sich noch einbilden, die schönen Vorwerke der feindlichen Festung 25 syen eigentlich um ihrentwillen aufgeführt. Es geschihet auch, wenn die klügere Festung diese Stimmung ihrer Feinde sieh [t] und ihrenthalben gar keinen Unrath wittert, daß sie diese Schwächlinge oft ganze Ryhen von Jahren in diesem Irrthum leßt. Aber wenn die Großäugigen in ihrem Tiefblick nur von so fehrne Unrath in ihrer Nähe wittern, so hat ihre Schonung gegen die ihr ewig feindliche Wahrheit auch plozlich ein Ende. Sie setzen sich denn augenbliklich im ganzen Umfang ihrer Werke in Kriegszustand. Die freundliche Schonung und die nachsichtsvolle Gedult gegen die Ansprüche der Wahrheit und der Liebe 35 ändert in diesem Fall jeden Ton so geschwind als ein Schauspieler, der im Vorspiel einer Komödie als ein Harlequin und im Nachspiel als ein Gefangenschaftswärter mit seinem Vertrauten am Strick auftritt. Ich weiß nicht worum, aber ich verweile mich gern an dem

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Bild der Wendungen, in der die Selbstsucht in der Welt mit der Wahrheit und Liebe ihr Spill treibt, erscheint und auftritt. Dieser Thonwechsel der Selbstsucht, dieses Nichtbleiben in ihrer Scheinschonung gegen die Schwachheit ihrer Feinde ist in jedem Fall der Sach der Wahrheit und Liebe weit vorteilhafter als die 5 lange und ewig scheinende Dauer ihres Weinschenkens und ihrer Tanzpartyen auf dem Festungsboden ihres der Wahrheit und der Liebe ewig gleich feindlichen Dasyns. Es ist wahr, die Selbstsuchtskraft ist auch in ihren größten Verirrungen für die Sache der Wahrheit und Liebe weit vortheil-10 hafter als die Selbstsucht der Erlahmung, in der man die Schwächen der Wahrheit nicht mehr von den Schwächen des Irrthums, und die Schwächen der Liebe nicht mehr von den Schwächen der Lieblosigkeit zu unterscheiden vermag. Das geistige und sittliche Seyn des Menschenlebens gleicht denn in diesem Zustand 15 so zimlich dem physischen Menschenleben in einem Kranken- und Irrhaus. Die ausgezeichnetesten Geistes- und Herzensäußerungen und -thaten dieser Menschen nehmen jez den Karakter ihrer Sinnlosigkeit und ihres Fieberzustandes an. In der Fieberirre und in dem Hirnschwindel dieser Häuser 20 zeichnen solche Menschen sich gar offt durch Ansprüche an Gesinnungen, Grundsäze, Stellungen und Handlungen aus, die einerseits den Anschein hoher Würde an sich tragen, anderseits mit großer Vestigkeit und Consequent durchgesezt werden, ob sie gleich in der Verödung des Wesens aller Würde und Krafft 25 bloße Handlungen der Sinnlosigkeit und der sittlichen und geistlichen Verirrungen sind. Aber das Gewöhnliche dieser Häuser hat nicht einmal den Schwung einer solchen Fieber verirrung. Sie zeichnen sich gewönlich so schwach aus wie der eilende Bürger im Krähenwinkel, der, da er plözlich reich geworden, 30 auch eben so plözlich das schönste Haus im Krähenwinkel haben wollte. Es gieng ihm zu lang, die Steine dazu im fernen Berg brechen und herbeyführen zu lassen. Er trocknete dafür Lehmsteine und ließ dann diese mit schön gemodelten Fayenceplatten überziehen. So hatte er auch bald ein Praehthaus, wie noch keines 35 im Krähenwinkel gestanden, und alle Bürger des Orts meinten eine Weile würklich, es sey in der Welt kein so schönes Haus, als sie eines in ihrer Stadt haben. Aber da der Herbst kam und feuchte Witterung den Lehm hinter den Fayenceplatten schwelte, [ihn]

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selber noch von ihrer Erde abriß, und denn dieser z wüschen den Lükken und Spalten des Hauses hinaustriefte und so die Essenz der inneren Schlechtheit des Hauses als eitler Kath über die äußere Schönheit desselben herabtriefte, da erkandten endlich 5 auch die Bürger in Krähenwinkel, daß es mit ihrem Prachthaus eben nicht alles syn müsse. Es ist bestirnt kein schlechterer Zustand für den Wahrheitssinn und das Rechtsgefühl unsere Geschlechts, als wenn seine Selbstsucht selber so krähenwinkelartig schwach wird und [es] 10 vor lauter Frieden mit eilenden Feinden selber das Gefühl, was es hassen, was es lieben, was es schön feinden und was es schlecht feinden soll, verliert. Es freut mich wahrlich, daß in Rüksicht auf die Erziehung und das Schulwesen der Zustand der Welt doch noch nicht gar is bös ist. So sehr die Selbstsucht der Zeit auch dem diesfälligen Fortschritt unsere Geschlechts entgegen steht, so thut sie dieses doch noch nicht aus diesem lahmen und erlähmenden Geist. Sie setzt Gottlob immer noch Kraft an ihren Irrthum und Muth in ihre Lieblosigkeit. Sie behauptet gar Schritt für Schritt ihr 20 Terrain und weicht in keiner Stellung mit gänzlicher Feigheit. So ist es doch noch immer eine Ehre, mit ihrem Irrthum zu kämpfen und ihrer Lieblosigkeit entgegen zu stehen. Ihre Mittel sind nur zu gut und ihre Kraft nur zu stark für ihre Tendenz. Die Kinder des Obscurantismus sind jezo ganz gewüß klüger 25 und kraftvoller in ihrem Benehmen als die Kinder des Lichts. Es ist beinahe kein Extrem von Abweichung von den guten Erziehungsgrundsätzen, das nicht noch immer seine höchst gewandten Beschützer hat. Wir wollen ein einziges Beispiel wählen. Es ist offenbar, Lesen so und Schreiben sind beide eine künstliche Art des Redens. Sie müssen also, wenn sie vernünftig betrieben werden sollen, dem natürlichen Redenkönnen nachgesetzt werden, und doch ist die halbe Welt in Bewegung, das Lesen- und Schreibenkönnen immer mehr vom Redenkönnen gesondert zu betreiben. 35 Ebenso ist es offenbar, daß das Reden ein künstlicher Ausdruck unsere Empfindens und Denkens ist, und also das Kind, wenn es recht reden lernen soll, nothwendig auch recht empfinden und recht denken lernen muß. Und doch ist die halbe Welt in Bewegung, das Reden dem Empfinden und Denken vorausgehen

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zu machen, wie die Blüthe der reifen Frucht vorausgeht. Aber das Frühreden ist nicht die Blüthe des Empfindens und Denkens, es ist der Wurm, der an der Blüthe des Empfindens und Denkens nagt und seinen Keim auffrißt, selber eh er dem Auge noch in seinem ersten Entfalten sichtbar ist. 5 Ebenso ist offenbar, wenn die Mittel, das Kind reden zu lehren, außer dem Kreise seines wirklichen Seyns und Lebens gesucht und hervorgebracht werden, so kann dieses nicht anders als zum Nachtheil der Entfaltung seines Beobachtungsgeists, seiner Thatkraft und seines wahren geistigen und sittlichen Lebens gesche-10 hen. Es ist ganz gewiß, ohne die Entfaltung der Redkraft des Kinds mit der Entfaltung seiner Beobachtungskraft im Leben in Harmonie zu setzen oder, was eben so viel ist, ihr unterzuordnen, werden die Bemühungen des Kindes, reden zu lehrnen, sich unfehlbar in gefährliche Künste, das Kind schwatzen zu machen, 15 umwandeln und [es] dahin bringen, daß es die Wahrheit seiner selbst, die Wahrheit seiner Gefühle, die Wahrheitskraft seines Denkens und Handelns mit der Wahrheit seiner Kraft, über sein Fühlen, Denken und Thun reden zu können, in sich selber verwechseln wird. Und doch ist der ganze jugendliche Unterricht -20 geordnet, wie wenn dieses Verwechseln der Kraft und der Wahrheit, mit ihrem Schein und Laut, der eigentliche Zweck und das einzige Ziel alles Unterrichts und aller Erziehung wäre. Die Eltern unsrer Zöglinge leben beinahe alle in dieser Teuschung und fordern in Rüksicht auf Lesen, Schreiben und Sprach- 25 Studium frühere Resultate, als die ersten Bedingnisse der Naturgemäßheit in der Erziehung gestatten. Sie wissen nicht, wie sehr sie das Ziel, nach dem sie streben, dem Kind dadurch selber erschweren. Aber sie fordern es. Wenn wir nicht allen Einfluß auf die Erziehung aufgeben wollen, so sind wir gezwungen, ihren so Forderungen bis auf einen gewissen Punkt nachzugeben. Wir suchen dieses aber auf diejenige Weise zu thun, die geschickt ist, den Schaden dieses Irrthums so klein zu machen als immer möglich, und trachten desnahen, den Mechanismus des früh lesen und schreiben Lehrnens den Kindern so sehr zu verein- 35 fachen, daß sein Einfluß im Ganzen ihrer Bildung gleichsam verschwinde oder wenigstens gewichtlos erscheine. Und wenn man die Sinnenentfaltung des Kinds und das damit so eng verbundene Beobachten, Denken und Thun als das absolute Fundament

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seiner ganzen Bildung anerkennt, so gibt sich dieses Gewichtlosmachen des Lesens und Schreibens etc. gleichsam von selbst. Der Fall scheint mir zimlich mit demjenigen ähnlich, in dem ein armer Mann, aus Noth gezwungen, sein schwächliches Kind, s wider sein Herz, Steine tragen machen muß. Er kommt gewiß von selbst auf den Gedanken, ihm seinen Tragkorb dafür so leicht zu machen als möglich; das ist leicht. Aber zu machen, daß das Kind seinen gewichtlos gemachten Steinkorb beim Unterricht und sein bloßes Steintragen nicht als etwas anders und für etwas mehr 10 ansehe, als es würklich ist, das ist denn etwas schwerer. Daß es die bloße Mühseligkeit des Zusamentragens von Material nicht für das Studium einer Wüssenschaft selber ansehe, das ist dann schwerer, aber unumgänglich nothwendig. Und wenn die Aufmerksamkeit auf die Festhaltung is der wesentlichen Ansichten der Elementarbildung in jedem Fall wichtig und nothwendig ist, so ist sie es in den Augenblicken einer also durch die Umstände nothwendig gemachten Abweichung von denselben. Man kommt auf dem Pfad dieser Abweichung so leicht dahin, wo 20 Wahrheit und Irrthum sich in unserm Thun so sehr vermischt, daß wir das eine von dem ändern nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Bei diesem ineinander greifenden Vermischen der Wahrheit und des Irrthums aber fallen die Bäche des Irrthums in unsre sinnliche Natur wie in einen Strohm zusammen; die 25 Quellen der Wahrheit hingegen trocknen dabei in den Sandwüsten eben dieser Natur, die der Strohm des Irrthums und der Selbstsucht in uns selber erschafft, vollends auf. Es ist desnahen dringend nothwendig, daß der in diesem Fall nachgebende Lehrer sich des Punkts seines Nachgebens sound der Gefahr, die dieses Nachgeben auf das Ganze seines Thuns hat, bestimmt und genau bewußt seye, und eben daß er immer das Wesen der einzelnen Grundkraft, die jedes spezielle Mittel der Elementarbildung entfalten soll, so wie dieses Spezialmittel 35 selber und jeden einzelnen Lehrstoß an sich selbst ins Äug fasse, sonst kan sein Abweichen seinen Zögling leicht dahin bringen, daß sich seine Kraft um etwas herum treibt, von dem er glaubt, es sey etwas ganz anders, als es wirklich ist. So ist es z.E. wesentlich, daß man, was bloß als Gedächtnis8 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Übung etwas taugt, in keine Verstandesübung umwandele, und was bloß die Hand mechanisch zu bilden geschickt ist, nicht als wäre es ein Mittel der geistigen und der Kunstentfaltung benutze. Ebenso ist es wesentlich, daß die Ü b u n g e n des bloßen Wortgedächtnisses von den Übungen des durch An- 5 s c h a u u n g begründeten Bewußtseyns der Sacherinnerungen getrennt ins Äug gefaßt werden, und die Übungen der ersten den Übungen der zweiten untergeordnet werden. Diese Sönderung der Ansichten der Lehrgegenstände und dieses lebendige Festhalten des verhältnismäßigen Realgewichts und 10 Realwerts, den ein jedes Lehrfach auf das Ganze der menschlichen Bildung hat, ist für die Sicherstellung der Naturgemäßheit jeder Lehrart unumgänglich, um die Verwirrung zu verhüten, welche in den Köpfen der Kinder entstehen muß, wenn ihnen Ellendigkeiten und Wichtigkeiten auf gleiche Art bygebracht 15 werden und ihnen sogar, wie es oft geschieht, das Höchste, das Erhabenste einer Wissenschaft in den Mund gelegt wird, wie man zum Scherz zuweilen Kindern z. E. Schaalen von Früchten in den Mund legt, deren Kern man ihnen, bis sie ob seiner faden Schaale den Kopf genug geschüttelt, vorenthält. |f'2o Aber wer sollte das wohl thun? Der z.E. thut es, der bei Erlernung einer Sprache den Wortreichthum den Kindern durch Bücher beibringen will, deren erhabener Inhalt weit über die Fassungs- und Ahnungskraft der Kinder hinausgeht. Der thut es, der ganz j u n g e n Kind er n die Materialien der todten Sprachen 25 durch das Lesen des Homers, des Platons, des Tacitus, und zwar gewöhnlich durch ganz unhomerische und unplatonische, wohl aber bei Gelegenheit etwas taciturne Lehrer beizubringen sucht. Es ist gewiß, daß die Manier, mit welcher gemeine Kinderwärterinnen ganz unmündige Kinder reden lehren, weit psycho- so logischer ist als diese Art, bei der man so tacktlos versäumt, das Schwerfällige des Gegenstandes dem Zögling durch Reize der Anschauung und des sinnlichen Interesses belebt zu machen. Diese Sorgfalt ist auch bei den historischen und geographischen und allen Unterrichtsfächern, die nicht rein elementarisch sind, 35 gleich wesentlich. Alle diese Lehrgegenstände haben ihren äußern Stoß, dessen Anschauung und Nomenklatur dem Kind, das in der Lage ist, sie früher, als es naturgemäß geschehen sollte, zu erlernen, lange

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vorher gegeben werden kann, eh es zum sittlichen und geistigen Leben in irgend einer Wissenschaft hingeführt oder auch nur fähig geachtet werden kann, ihm näher gebracht zu werden. Wo aber ein Kind mit irgend einer Wissenschaft als solcher beschäf5 tigt wird, eh es zum wahren Leben in derselben, d. i. zu einer naturgemäßen Erlernung derselben reif ist, da ist die Sonderling des eigentlichen Studiums der Wissenschaften von dem, durch Anschauungen und Gedächtnisübungen zu gebenden Vorbereitungsunterricht wesentlich. Die Folgen des Mangels dieser Sön10 derung sind für das Ganze der menschlichen Entwicklung und auch für die Wahrheit der Erlernung des Wesens eines jeden Lehrgegenstands entscheidend verderblich. Ich nehme nur das Beispiel der Geschichte. Wenn der Zögling schon im kindlichen Alter mit dem für ihn wahren Chaos ihrer is Thatsachen bekannt gemacht wird, so wird er nicht nur auf der einen Seite unnatürlich gereizt, schon in diesem Alter über tausend Weltbegebnisse und Menschenhandlungen zu urtheilen und abzusprechen, zu deren würklicher Beurtheilung seine Kräfte nicht nur nicht hinreichen, sondern er wird, was noch das Wich20 tigere ist, schon in seiner Unschuld zum Bewußtseyn aller Verfänglichkeit, aller Niederträchtigkeit, aller Gewalttätigkeit der Welt hingeführt. Daß aber dadurch der einfache, naturgemäße Gang seiner sittlichen und intellektuellen Ausbildung in einem hohen Grad verwirrt und gehemmt wird, das ist außer aller Frage. 25 Bei dieser Ansicht der Dinge und überhaupt bei der unbestreitbaren großen Gefahr, die Kinder früh in das Gebiet der Wissenschaft oder auch nur in ihre würklichen Vorhöfe zu führen, kan der Lehrer, der im Fall ist, seine Kinder wissenschaftlich erziehen zu müssen, sehr leicht dahin kommen, das Bewußtseyn so von der Abweichung von dem einfachen Gang der Natur in sich selbst zu verlieren, und mit diesem wäre dann auch alles verlohren. Es ist desnahen alles daran gelegen, daß er, damit er in der Lage ist, in irgend einem Fach seines Unterrichts von der Naturgemäßheit seines Gangs abzuweichen, sich dieses Abwei35 chens lebendig bewußt bleibe, um in jedem Fall den Folgen desselben mit Kraft entgegenzuwürken, und mitten durch die Schwierigkeiten einzelner Abweichungen den Geist des Ganzen seiner Führung lebendig zu erhalten, und seinem Zögling in seinem Innern das Gleichgewicht seiner Bildung zu sichern, das

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auch bei Verirrungen im Einzelnen immer so helfend und heilend auf das Ganze würkt. Bei dieser Sorgfalt kann dann aber auch der Lehrer, des Wesens und der Mittel einer naturgemäßen Erziehung mächtig und seiner diesfelligen Sorgfalt für die Festhaltung dieses Wesens b by seinem, Abweichung davon suchenden Zögling sicher, in seiner gehemten Bahn ruhig fortwandlen. Sie ist für ihn dann eine freie Bahn; die Natur selbst macht sie ihm frei. Diese ist groß und steht neben allem Irrthum, neben allen Lücken und neben allen Blößen, die die Menschen in sie hineinbringen, in sich selbst 10 fest, heilend und helfend durch sich selbst da. Das ist allenthalben wahr, wenn sie nicht im Ganzen getödet und in sich selbst aufgelöst ist. Es ist allenthalben wahr; wo sie immer, auch nur von einer einzelnen Seite kraftvoll geweckt, ihr eignes Leben, sich selbst treibend, noch durch sich selber zu erhalten vermochte, 15 da hilft sie in einzelnen Verirrungen im Menschen immer noch sich selbst und findet sich immer wieder leichter zurecht, als wir es selbst glauben und ahnen. Es ist ohne Wiederspruch wahr, da, wo das Übergewicht der Führung des Kindes naturgemäß ist, da stellt sich das Gleich- 20 gewicht bei der Störung desselben immer leicht wieder her. Aber das ist denn auch wahr und wichtig: Dieses Übergewicht muß dafür wahrhaft da seyn; sonst darf man auf seine heilende und helfende Wirkung nicht zählen, und hier wäre denn frylich eine Täuschung äußerst gefährlich. Nur wo das Herz des Zöglings für 25 die Liebe warm, und nur wo sein Geist durch sie in der Wahrheit kraftvoll, und seine Hand mächtig und treu im Schaffen alles dessen ist, was ihm die Liebe gebiethet, nur da ist das Übergewicht der Wahrheit über den Irrthum oder vielmehr des reinen Wahrheitssinns über den unreinen Schein des Irrthums gesichert. 30 Aber denn, wenn du mit deinem Kind da bist, wenn das Übergewicht deiner Führung desselben wirklich naturgemäß ist, denn fürchte dich auch vor einzelnen Abweichungen in den äußern Formen von der strengen Naturgemäßheit deines Thuns nicht mehr! Es mag denn etwas zu viel oder etwas zu wenig aus- 35 wendig lernen müssen, es mag dann etwas zur Unzeit Buchstabiren oder Latein oder Französisch und auch den Catechismus und den Psalter lernen müssen, die Noth der Schulstube mag ihm sogar einige Lebensstunden so schwer machen, als die Noth des

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Spinnrads tausend ändern Kindern ihre Lebensstunden in der Wohnstube schwer macht, das macht dann nicht mehr alles. Das Fehlerhafte im einzelnen seiner Führung verschwindet im kraftvoll gesicherten und richtig geleiteten Ganzen. Einzelne 5 Vorurtheile liegen in dem Menschen, dessen Wahrheitssinn lebendig und frei ist, wie ein leichtes Wölkchen in der Abendröthe des hellen Himmels. Sein goldener Rand scheint einige Augenblicke noch heller als der helle Himmel selber. Knaben in der Ausbildung einzelner Kräfte und Fertigkeiten bei der vollen10 deten Ausbildung höherer und größerer in ihrer Mitte sind, wie wenn sie nicht da wären. Guter, edler Lehrer! Erhebe dich in jeder Hemmung deines im allgemeinen gesicherten guten Thuns zum Glauben an die hohe, göttliche Kraft der Natur selber, stärke dich durch ihn und i5 präge dir fest ein: Ohne hohen Glauben an die Natur und ihre Selbstwürkung ist alles Thun der Menschen für die Natur selber Unnatur. Dein höchster Eifer für die Natur führt dich ohne diesen Glauben und ohne die Reinheit desselben nur irre. Seine Reinheit aber bewähret sich nur durch die 20 Lie be, mit der du den Pfad ihrer Wahrheit suchst, durch die Treue, mit der du sie befolgst, und durch die Freiheit, mit der du in ihrer Liebe und in ihrer Treue wandelst. Sie bewährt sich nur dadurch, wenn du Wahrheit und Naturgemäßheit im Menschengeschlecht höher achtest als dich selber, und dich selber als 25 einen Tropfen im Meer ihrer Erhabenheit fühlst. Mit diesem bewährten Glauben an die Natur begründet sich die Naturgemäßheit der Elementarbildung in jedem Fall durch reine Liebe, und so begründet, wird ihre Idee unter allen Richtungen der äußeren Formen seiner Geistes- und Herzensentfal30 tung ihren Weg leicht bahnen und jedem Vorschritt der durch Naturgemäßheit [zu] erneuernden Erziehungsmittel einen richtigen Pfad bereiten. Und auch unsre, für diesen großen Zweck schwachen, aber gut gemeinten und innere Wahrheit für ihn nicht mangelnden An35 fangsversuche werden durch diese Begründung sich selber eben also einen ruhigem und freiem Weg bereiten, als der war, den sie bisher zu betretten vermochten. Tausend Widersprüche gegen die Grundsätze und Mittel unsrer Methode werden beym Vorschritt ihrer diesfälligen Begründung denn von sich selbst weg-

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fallen, und vieles, das jetzt noch als ein Einwurf gegen sie erscheint, wird denn in der größten Übereinstimmung mit ihnen ins Äug fallen, so wie z. E. die in einem beliebten Blatt als Einwurf gegen unsre Versuche angebrachte Äußerung: «daß, bei aller möglichen Verschiedenheit der Untemchtsgrundsätze, die 5 besten Schulen immer diejenigen seyen, deren Vorsteher sie durch das Übergewicht ihrer Einsicht nach sich selber modeln und sich in Erfüllung ihrer Pflichten durch innere Selbständigkeit frei machen.» Es wird auf dieser Bahn gewüß wie der helle Tag heiter wer-10 den, daß ihre Grundsätze und Mittel wesentlich geeignet sind, die Einsichten, die Treue und die Freiheit der Schullehrer als unfehlbare Resultate hervorzubringen. Es ist gewüß nur der Mangel eines festen Hinblicks auf das Bedürfnis eines reinen Glaubens an die Natur als das Fundament der Elementarbildung, 15 warum die Idee der Elementarbildung so vielseitig als mit irgend einem Guten, das in der Erziehung schon wirklich da ist, unverträglich und als gegen dasselbe unduldsam angesehen wurde, und warum besonders der allgemeine und entscheidende Einfluß derselben auf die Bildung der Einsichten, 20 der Treue, der Selbstständigkeit der Schullehrer nicht mehr gefühlt worden ist. Sie, die Methode, oder vielmehr die Idee der Elementarbildung ist nichts, gar nichts, wenn ihr allgemeiner und entscheidender Einfluß hierin nicht sicher und geeignet ist, den Schulstand zu 25 einem Grad reiner, auf Liebe gegründeter Treue und einer auf vollendete Einsicht gegründeten Selbstständigkeit zu erheben, den er, in beiden Rücksichten, in unsern Tagen so ausgezeichnet mangelt. Aber auch sie ist durch ihr Wesen geeignet, dieses zu leisten und dem Schwanken des Schulstandes zwischen einem 30 ihm gleich verderblichen Exaltiren und Decouragiren ihrer Glieder ein Ziel zu setzen und einerseits den Hochflug einzelner Individuen, die die Menschheit nach ihrer Persönlichkeit modeln und den freien Einfluß des Lebens in Wahrheit und Liebe durch den Einfluß der Anmaßungen ihrer Selbstsucht beschrenken wollen, 35 mit fester Kraft entgegen, anderseits aber auch eben so kräftig dahin wirken, daß die Gemüthsstimmung und die Handlungsweise gegen die ersten Ansichten des Erziehungswesens kalter, in ihrer Lage gedrückter, durch das Mißlingen eigner Versuche und

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durch den widrigen Eindruck vieler andren Lebenserfahrungen nicht nur gegen alle Übertreibungen, sondern auch selber gegen alle Versuche zu bessern, wo zu bessern nothwendig, scheu gewordene Müdlinge und Starrköpfe nicht zum Maßstab der Gesinnungen und 5 Handlungsweisen derer gemacht werden, die das Schulfeld immer neu zu erfrischen und fortdauernd in gutem Zustand zu erhalten sich zum Pflichtstand ihres Lebens, zu ihrem Beruf gemacht haben. Man hat so viel über uns und unser Thun geredt und geschrieben, und doch ist der Gesichtspunkt, ob unsre Grundsätze und 10 Mittel durch ihr Wesen vortheilhaft auf den Schulstand würken, nicht einmal in Untersuchung genohmen, will geschweigen über ihn abgesprochen. Und doch, glaube ich, werde eine tief dringende Prüfung derselben ihren diesfälligen entscheidenden Einfluß außer Zweifel setzen und zeigen, daß wir den Geist der Schuli5 meister-Bildung wesentlich in der Entfaltung des Geists und des Lebens in der Kinderstube suchen und daß wir die Gefahr der von diesem Geist abweichenden Seminarien und ihres wiedernatürlichen Kunstgangs kennen. Aber dennoch sind wir eben so weit entfernt, alle Kunstmittel, 20 die der Lauf der Zeit für die Bildung unsers Geschlechts zur Reifung gebracht, aus dem Kreis der Bildungsmittel der Schulmeister zu verbannen und ihre Bildung auf die mißlichen Spitzen des Urzustands unsers Geschlechts, der nirgend mehr ist, gründen zu wollen, und ihre Mittel nur auf solche zu beschränken, die dem 25 Menschengeschlecht in diesem Zustand schon möglich gewesen wären. Nein! Wir wollen die Realvortheile des wissenschaftlichen und Kunst-Fortschritts unsers Geschlechts nicht aus dem Kreis unsrer Schulmeister-Bildungsmittel verbannen, wohl aber trachten, dieselben mit aller Wahrheit und aller Liebe so der Naturgemäßheit und ihres freyen, lebendigen Seyns in Übereinstimmung zu bringen. Nein, wir wollen den Schulstand durch den Grundsatz der Naturgemäßheit in keiner Rücksicht beengen; wir wollen denselben durch ihn in allen Rücksichten veredeln. 35 Wir wollen frylich allerdings die Volksschulen nicht dazu brauchen, die Wissenschafften in dem Hauffen der Menschenherden wie Pilze aufschießen zu machen, die auf den sie erzeugenden Misthauffen in einer Regennacht zu tausenden aufschießen und in der Sonenhiz des körnenden Tags wieder eben so plöz-

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lieh vergehen. Wir wollen nichts weniger, als in diesen Hauffen der Menschenheerden die eitle Hoffnung nähren, daß aus diesen Pilzen dann einst mit der Zeit Eichen, Tannen, Rosenstöcke und Ananasfrüchte hervorgehen und emporwachsen werden. Nein! Wir werden vielmehr suchen, diesen Träumen mit Kraft ent- 5 gegenzuwürken und die Überzeugung allgemein fest zu gründen, daß alle Pilze und auch die wissenschaftlichen Pilze nichts sind und zu nichts führen, daß sie vielmehr alle vergehen. Aber so wie wir das thun, so wie wir das Nichtige des oberflächlichen Wüssens in aller seiner Blöße darzustellen uns ernstlich 10 bemühen werden, also werden wir auch das Wahre, das die Menschennatur veredelnde Wüssen in aller seiner Würde erscheinen machen und alles thun, die Veredlung unserer Natur durch dasselbe zu beförderen, und darum mit Krafft dem Irrthum entgegen würken, als ob die höheren Kräffte aus ihnen wie aus 15 ihrer Wurzel hervorgehen. Die Methode wird unwiedersprechlich darthun, daß alle Wüssenschafften, als Früchte der Anlagen der Menschennatur, aus der tiefen Wurzel und dem kraftvollen Stamm dieser selbst hervorgehen und folglich das Daseyn höherer Kräfte und Anlagen und ihre richtige Bildung voraussetzen, wenn sie als 20 Früchte, die sich in unsrer Mitte als wahrhaft vorzüglich bewähren und der Menschennatur würdig und ihr dienstlich sind, erscheinen sollen. Ihre Mittel, indem sie das Wesen des Wissens in unserm Innern höher heben, werden dadurch auch den äußern Stoß der- 20 selben besser begründen. Die Reihenfolgen unsrer Mittel bringen ihre Anschauungsfundamente und ihre Anfangsübungen mit der Menschennatur in einen natürlichen Zusammenhang und können dadurch in ihren Folgen nicht anders als dahin würken, auch die wissenschaftliche Bildung unsers Geschlechts mit der Menschen- 30 natur in einen reinem Zusammenhang zu bringen und dadurch ihre Erlernung beides in ihrem Wesen zu veredeln und in ihren Formen zu erleichtern. Der Zögling der Methode wird sich freilich nicht mehr träumend über sich selbst, ungebildet in sich selbst und schwärmend 35 außer sich selbst, in den weiten Meeren der Wissenschaften verlieren. Im Gegentheil, er wird sich im Hafen seiner, das heißt derjenigen Wissenschaft, die er sich für die Wissenschaft seines Lebens gewählt, in stiller Ruh vor Anker halten, bis das Maß

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seiner Wissenschaft ausgerüstet und [er] im Stand seyn wird, auf diesen Meeren den Weg einzuschlagen, der für ihn und seine Wissenschaft der einzige ist, in dem er wandeln soll. Das Wesen unserer Mittel muß dahin würken, daß kein nach 5 ihnen richtig geführter Jüngling sich auf eine wissenschaftliche Laufbahn hinwagen wird, wenn nicht entschieden höhere Anlagen und Verhältnisse des Lebens ihn dazu bestimmen. Aber wenn er es dann gethan, wenn er sich seine Lebens Wissenschaft gewählt, so wird er sich dann auch tief in das Fach derselben 10 hineinarbeiten und alle ändern Fächer der Wissenschaften immer in Beziehung auf dieses und für ihn nur untergeordnet ins Äug fassen. Von jeher haben alle ausgezeichneten Menschen sich in ihrem jugendlichen Alter vor der Versplitterung der Kräfte gehütet i5 und sind nur durch die Vollendung ihrer selbst in dem Fache ihres Lebens dahin gekommen, im Zusammenhang mit den Bedürfnissen und Ansprüchen ihres eignen, auch andre Fächer menschlicher Kenntnisse oder Thätigkeit, aber immer nur als dem ihrigen für sie untergeordnet, zu berühren. Zur Überein20 Stimmung mit dieser Welterfahrung soll die Elementarbildung ihre Zöglinge mit Kraft in diese Schranken, die eigentlich die Schranken der Menschennatur und der menschlichen Verhältnisse sind, hinlenken. Dadurch wird sie dann aber auch freilich noch tausend und 25 tausend Menschen, die im Studientaumel der Zeit Docktors und wissenschaftliche Dilettanten geworden wären, dahin bringen, lieber bürgerliche Hanthierungen zu ergreifen, als in der wissenschaftlichen Laufbahn auf der einen Seite die Kräfte des gemeinen Menschen zu verlieren, auf der ändern Seite in ihrer höhern so Bildung nicht weiter zu kommen, als sich mit dem Flitter der Wissenschaften zu zieren oder vielmehr mit ihrem Schaum zu besudeln. Aber sie wird diese tausende nicht bloß von der wissenschaftlichen Laufbahn, die für sie eine Elendigkeitslaufbahn geworden 35 wäre, entfernen. Sie wird sie auch dahin erheben, auf der gewählten, bürgerlichen Laufbahn der Vollendung und Veredlung ihrer selbst mit einfacher, aber ungetheüter Kraft und mit übereinstimmenden Mitteln entgegenzustreben, wie sie schon dieses jetzt bei ewigen Ansprüchen von Gelehrsamkeit und wissen-

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schaftlichen Kenntnissen in allen Ständen noch durchaus nicht kann. Die wissenschaftlichen und die arbeitenden Stände l 2) zu S. 313, Z. 16 ff. Aus dem Leben im Glauben entkeimt denn auch das Leben in & der Wahrheit. Der Glauben ist Selbstvertrauen, wie er Vertrauen auf einen äußren Gegenstand ist; das Selbstvertrauen aber hat ohne Liebe zur Wahrheit nicht statt. Der Glauben führt zum Suchen der Wahrheit, das Suchen der Wahrheit zum Durst nach Wahrheit, der Durst nach Wahrheit zum Leben in der Wahrheit, 10 der Durst des Glaubens nach Wahrheit **

Wird sie das, was sie ihm gibt, an das anknüpfen, was er schon hat ? Wird sie ihre Mittel an das anknüpfen, was er schon ist? m 2) zu S. 316, Z. 32 ff. (Kopie) 15 - und Stärkung des religiösen Sinns werden, die die Basis der mütterlichen Führung zu seiner Sittlichkeit war; sie muß in intellektueller Hinsicht Fortsetzung und Erweiterung des freien, lebendigen Anschauens der Natur und von dieser Seite geeignet seyn, das Leben in der Natur gleichsam in das Leben 20 der Kunst hinübergehen zu machen. Ihre Kunst und der ganze Umfang ihrer Kunstmittel müssen das Kind geistig ansprechen, befriedigen, höher heben und wachsen machen, wie es die Mutter in den zwei frühern kindlichen Epochen sinnlich ansprach, befriedigte, höher hob und wachsen machte. 20 Die Schulfähigkeit des Kindes muß in physischer Hinsicht hinwieder von alledem ausgehen, wodurch das Kind an mütterlicher Hand zur Anwendung seiner physischen Kraft und zum Bewußtseyn dieser Kraft selbst gebracht worden ist. Sie muß in Kunsthinsicht geeignet seyn, das Kind die Elemente der 30 Kunst mit dem ganzen Umfang seines Lebens, das heißt mit der Kraft des in Bewegung gesetzten Geistes, des theilnehmenden Herzens und der Gewandtheit der Sinnen und Glieder, ergreifen zu machen. Bis sie dieses thut, ist die Schulfähigkeit, zu der sich

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das von der Hand der Mutter bis so weit naturgemäß geführte Kind zu erheben vermag, umsonst für das Kind da. Die Schule ist nicht fähig, ihm das zu geben, was seine Schulfähigkeit anspricht. 5 Aber sollte diese Lücke, wenn es so ist, nicht auffallen ? Sollten sich nicht in allen Ecken Klagen erheben, daß die Schulen nicht leisten, was sie leisten sollen, und daß sie mit der häuslichen Erziehung nicht in Übereinstimmung stehen, und sich durchaus nicht rein und einfach an das naturgemäße Thun der Mutter 10 anschließen? Die Antwort ist leicht. Das naturgemäße Thun der Mutter mangelt eben wie das naturgemäße Thun der Schule. Wenn die Mutter in Rücksicht auf die naturgemäße Führungsweise gegen das Kind nicht viel geleistet, ist sie sich dessen auch nicht bewußt. 10 Darum spürt sie auch das nicht, was an das, was sie geleistet, angeknüpft werden sollte. Sie handelt selbst im ganzen nicht naturgemäß. Darum fordert sie auch nicht, daß die Schule am Kind naturgemäß handle. Im Gegentheil, sie will vielseitig, daß eben die Unnatur, zu der sie durch ihre Schule und durch ihr Leben 20 geführt worden, auch die Basis der Schule und des Lebens ihres Kinds werde, und es durchaus keine andere finde. Sie ist also wider die Naturgemäßheit der Schule selber. Wenn in der Schulbildung Naturgemäßheit statthaben soll, so muß sie zuerst in den Haushaltungen wieder hergestellt werden. 25 Aber es mangelt jetzt an beiden Orten gleich und muß an beiden gleich geholfen werden, wenn auf der einen oder auf der ändern Seite von Naturgemäßheit auch nur von ferne die Rede seyn soll. Und bis wir da sind, die Schule und die Mutter, den Geist der Erziehung im hohen Sinne athmen, ist es unmöglich, weder die so häusliche Erziehung zum Fundament einer naturgemäßen Schulführung zu machen, noch die Schulf ü h r u n g auf die Basis eines naturgemäßen, häuslichen Einflusses zu bauen und in beiden Verhältnissen unterrichtend zu bilden und bildend zu unterrichten, oder lebendig 35 zu lehren und lehrend zu leben. Dahin ist es aber auch ganz, wo die Idee der Elementarbildung hinstrebt. Solange sie noch nicht mit Erfolg auf diesen Punkt würkt, so hat ihre Ausführung noch bei fernem keinen der Vollendung nähernden Umfang. Sie hat bis so lang keinen des Erfolgs

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der Mittel sichernden Boden. So lange sie nicht da ist, so füllt sie eigentlich, noch in sich selbst kraftlos, bloß Lücken aus, die gegen die Ansprüche der Naturgemäßheit in der häuslichen Erziehung wirklich bestehen; und arbeitet, in ihren eigenen Mitteln unvollendet, nur dem Verderben entgegen, das bei einer naturgemäßen 5 häuslichen Erziehung nicht da wäre. So lange aber das ist, so lange sind alle Versuche einer naturgemäßen Erziehungsanstalt auch eigentlich noch keine Methode, sondern nur anpassende Näherungsmittel dagegen. Man hat das Wort Methode überall zu früh, viel zu früh ge- 10 braucht, und übel gethan, die isolirten Mittel und Formen der Elementarbildung naturgemäß Methode zu heißen. Was man mit Wahrheit allein also heißen kann und soll, ist der ganze Umfang des Wesens einer naturgemäßen Erziehung und gar nicht die beschränkte Ansicht einzelner Erziehungsfächer und Unterrichts- 10 mittel. Daher ist alle Bildung des Kindes nur insofern naturgemäß, als sich die Natur selbst in ihrem ganzen Umfang, in ihrer ganzen Reinheit darin ausspricht. Sie ist in ihrem Fortschreiten nur in so weit naturgemäß, als dieses Fortschreiten eine würkliche, reine 20 und ununterbrochene Fortsetzung dessen ist, was die Natur rein und unvermischt und ganz instinktartig zu dieser Entfaltung begonnen. Sie ist bestimmt nur insoweit rein und allgemein naturgemäß, als der Glauben und das Vertrauen, das sich im Kinde auf der Mutter Schooße entfaltet, bei den keimenden Einsichten 25 und Kräften desselben sich als Glauben an Gott in ihm erhält und es dahin erhebt, sein Leben, das es glaubend an die helfende und schützende Mutter in der Liebe zu ihr begonnen, durch den Glauben an den helfenden und schützenden Vater im Himmel in eben der reinen Gemüthsstimmung fortzusetzen, in welchem es so dasselbe begonnen. Die lückenlose Fortsetzung eines auf die Sicherstellung dieser Gemüthsstimmung gebauten und aus ihr hervorgehenden Lebens in Wahrheit und Liebe ist das erste und große Gesetz der naturgemäßen Erziehung; das andere aber, das ihm gleich ist und nur aus ihm herausfließt, ist dieses: daß 35 die Kraft des Kindes wesentlich nicht durch das Zeichen seiner Kraft, nicht durch's Beden, sondern durch seine Kraft selber, durch Thun entfaltet werde. Diese zwei Grundsätze sind die eigentlichen Elemente, von

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denen das Wesen aller Naturgemäßheit in der Erziehung wesentlich ausgeht; ihre ändern Mittel und selber der ganze Umfang ihrer Reihenfolge sind und sollen nur Anwendung dieser zwei ersten und großen Gesetze der naturgemäßen Erziehung seyn. 5 Wenn die Erziehung des Kindes von ihnen ausgeht und ihren Geist athmet, so wächst es in der Wahrheit und im Wesen der Naturgemäßheit auf und lebt eigentlich im Geist und in der Wahrheit dieser Bildung. Würde sich dann auch in der Ausführung ihrer, den Hauptansichten, der Erziehung untergeordnetere 10 Mittel, ein Irrthum, eine Lücke und selbst ein sichtbarer Verstoß gegen die Naturgemäßheit im Einzelnen einschleichen, so macht denn das nicht mehr alles. Und sollte dem Lehrer, der sein Kind also erzieht, die Reihenfolge unsrer Elementarmittel ganz unbekannt seyn, er erzieht sein Kind doch naturgemäß. Das aber i» ändert den Werth der Idee der Elementarbildung und ihrer Mittel gar nichts. Ebenso wenig ändert es das dringende Bedürfnis ihrer weitern Erarbeitung und Ausführung. Es zeigt mir, daß eine höhere, innere Kraft der Menschennatur in jedem Fall von der Handbietung aller äußern Formen der Kunst unabhängig 20 seye. Ich muß hier, was ich oben gesagt, wiederholen: groß ist die Natur. Wo sie n 2 a) zu S. 322, Z. lOff. Verehrte Herren und Freunde! Das ist, was ich Euch in Rük25 sieht auf das Thun und Lassen meines Hauses und meiner Anstalt sagen zu müssen für meine Pflicht achtete. Ich wüßte nicht, worum ich an Eurer Spize stünde, wenn dieses Unternehmen mir nicht Euere Achtung und Euer Zutrauen gewonen hette. Ich verdanke Euch dasselbe herzlich und hette gewünscht, in einer so beßren, in einer klareren, in einer überzeugenderen Darstellung meines Thuns Euch meinen Dank und meine Achtung bescheinen zu können. Ich habe diese Zihlen unter dem Drang einer meinen KräfFten eben so unangemessenen Lag, als diejenige ist, in der ich mich 35 heute befeinde, hingeworffen. Sie sind von allen Seiten ungenugthuend und unausgearbeitet. Ich muß sehr auf Euere Nachsicht zählen, aber es war mir daran gelegen, die Angelegenheit meines

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Herzens dem Eueren näher zu bringen. Es war mir besonders daran gelegen, einige Zweifel über die Einseitigkeit meines Thuns und über seine nicht genug religiöse Tendenz zu zerstreuen. Es war mir daran gelegen, daß man sich in disen wichtigen Gesichtspunkten an einer Stelle nicht irre, von der ich so viel Gutes für 5 das Vatterland in eben dem Fach erwarte, dem ich mich in meinem Unternehmen gewiedmet. Ich darff es wohl sagen, von wem soll heute und noch mehr hinter meinem Grab die Fortsezzung und Vollendung des von mir kaum angefangenen [Werkes] hoffen und erwarten als von Euch, 10 verehrte Herren und Freunde, die Ihr Euch im Angesichte des Vatterland freundschafftlich vereiniget habet, die Mittel zu erforschen, dem Volk des Vatterlands in der wichtigen Angelegenheit der Erziehung mit Erfolg an die Hand zu gehen! Edle Männer! Es ligt meinem Herzen nahe, daß Ihr überzeugt 15 syt, ich sy kein eitler Neuerer, mein Thun ruhe nicht auf Träumen und nicht auf Überspanten Erwartungen. Es war mir daran gelegen, daß Ihr überzeugt syt, es ruhe im Geist unsrer Vätter auf ihrer Gottesfurcht und auf ihrer Liebe zur Wahrheit und Menschheit. Es war mir daran gelegen, Euch zu überzeugen, es sy ge- 20 eignet, dem ersten, reinsten Bedürfnis unsrer Natur, dem stillen Hausglük des Menschen zu dienen und ihn von aller Art von Schwindelgeist und Anmaßung zu entfehrnen. Es war mir daran gelegen, Euch zu überzeugen, daß es selber in seiner Zerstüklung, in seiner partiellen Erscheinung sich an alles Gute anschließe, 25 was irgend ein Edler, in welchem Stand und in welcher Lag er auch immer syn mag, je für die Menschheit hoffen und wünschen darf und soll. Es war mir daran gelegen, Euch auf der einen Seiten die Einfachheit und Psychologie unsrer Mittel, auf der anderen Seite ihre vielseitige Rrafft und die Sicherheit ihrer Resultate 30 auffallen zu machen; kurz, es war mir daran gelegen, Euch für mein Werk zu intressiren. In meinem Alter war der Gedanken natürlich: Du stehst vieleicht das leste Mahl in der Mitte dieser Versamlung! Wenn sie wieder zusammentrittet, so bist du vielleicht in deine Ruhe ein- 35 gegangen. Mäner und Freunde, in meiner Lag war der Gedanken natürlich, auf meinem Todbeth köne ich Euch denn nicht mehr so um mich her versameln; ich köne denn nicht also die Hand gegen Euch ausstrekken und Euch bitten: Prüfet mein Thun,

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benuzet, was daran gut ist, und vollendet, was davon mangelt! Der Gedanken war natürlich, ich wollte jez thun, was ich dann nicht mehr köne, ich wolle versuchen, Euer Herz für mein Thun zu gewinen und Euch zu bewegen, das Gute meines Thuns 5 zu dem Eurigen zu machen, und dasselbe durch das Gute Eures Thuns und Eures Syns hinter meinem Grab zu stärken und seiner Vollendung näher zu bringen, und [zu seiner] Vollendung hinübergehen zu machen. Freunde, indem ich diese Worte ausspreche, stehe ich mit 10 inig gerührtem Herzen vor [Euch]. Ich denke mir die fyrliche Stunde meines Scheidens und die Freude meines Todbeths, wenn es mir gelungen, Euer Herz also für mein Unternehmen zu seiner Prüfung und zur Theilnahme an seiner Wahrheit und an seiner Liebe zu gewinen und die guten Folgen desselben dem Vatter15 land durch Eure Mittwürkung früher zuzusichren, als es ohne dieselbe je möglich wäre. Mäner und Freunde! Mein Glük war in den lesten Jahren groß, sehr groß. Aber ich achte es denoch für die schönste und glüklichste Stunde meines Lebens, wenn ich jezo in Eueren Augen 20 Eueren Entschluß lese, das Scherflein, das ich der Menschheit und dem Vatterland opferen wollte, durch Eure frome und weise Theilnahm seegensvoll zu machen, und Euer Ja und Amen zu meinen Wünschen in Euren Augen lese. Ich schweige und ende. 26

nab) zu S. 322, Z. lOff. (Kopie) - oder gar auf ungebührlichen Erwartungen ruhe. Es lag mir am Herzen, Euch zu überzeugen, daß es auf dem Geist unsrer Väter, auf ihrer Liebe zur Wahrheit und zur Menschheit ruhe und daß, wenn ich auf der einen Seite nicht die Schlaffheit derer, so die im Erziehungswesen keinen Acker mehr tief pflügen und in keinem mehr das Unkraut auch nur für die Nothdurft ausrotten wollen, nicht für die wahre und ächte Erziehungstugend unsrer Väter halte, ich auf der ändern Seite eben so entfernt, fry dem raschen und unbändigen Neuerungstriebe unsrer Zeit rasch und 35 unbändig Nahrung zu geben. Es war mir daran gelegen, Euch zu überzeugen, daß es für die Erziehung und für den Unterricht Elemente gebe, die im eigentlichen Sinn als die unserm Geschlecht von der Natur selbst gegebne, unabänderliche Grundlage jeder

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naturgemäßen Entfaltung unsrer Kraft angesehen werden müssen, und daß in diesen, und zwar in ihnen allein, die ächten Mittel gegen den Marasmus unsere veralteten Erziehungs- und Schulwesens gesucht werden müsse. Verehrte Herren, es mußte mir daran liegen, daß man sich an 5 einer Stelle nicht allzusehr in meinem Thun verirre, von der ich so viel Gutes für mein Vaterland zu erwarten berechtigt bin. Verehrte Herren, ich fühle mich glücklich in Euerer Mitte. Euere Gegenwart erhebt mein Herz, große Hoffnungen erheben mein Herz! Vatterland, Vatterland, du erhebst noch einmahl 10 mein Herz! Von Euch, verehrte Herren, die Ihr Euch so edelmüthig für den Zwekk der Erziehung [einsetzt], erwarte ich hierin einen großen Bytrag für mein Vatterland! Könte ich Euch jez noch meine Gefühle darlegen und meine Hoffnungen und meinen Dank? Aber meine Gefühle sind zu 15 mächtig in mir, ich schweige. Ein einziger Gedanken drängt sich noch in mir [auf], den kan ich nicht verschweigen, den muß ich noch sagen. Verehrte Herren, wenn Ihr Euch wieder versamelt, so bin ich dann vielleicht nicht mehr in Euerer Mitte, ich bin villeicht denn schon in meine Ruh ein[ge]gangen. Verehrte Her- 20 ren, dieser Augenblik, in dem [ich] vor Euch stehe, wird mein Todbeth umschweben; ich denke mir jez den Zusamenhang desselben mit dieser Stunde. Verehrte Herren, ich kann Euch dann nicht so um mich versammeln, ich kann dann nicht so meine Hand gegen Euch aus- 25 strecken und Euch bitten: Prüfet, was ich versucht, und vollendet, was ich begonnen! Ich muß das jetzt thun, ich habe es gethan und thue es eben. Darum ist auch der Augenblick, in dem ich jetzt vor Euch stehe, meinem Herzen heilig. Ich denke mir die Freude meines Todbetts, wenn es mir gelingen wird, Euer so Herz für mein Unternehmen zu interessiren, und ich jezo Euer Ja und Amen zu meiner Bitte in Euern Augen lese. Nach den Stürmen meines Tags glänzt an seinem Abend an fernen Bergen hinter seinem Dunkel kein Himmel noch hell. Ich staune nach ihm hin. Die untergehende Sonne entweicht dem 35 grauen Gewölk, das den Himmel bedeckt. Der Rand des weiten Gewölks röthet sich an seinen Enden und strahlet in Goldglanz, wettkämpfend mit der untergehenden Sonne. Ich staune nach ihm hin, wende mein Angesicht von seinem lieblichen Glanz.

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Aber ob mir ist der ganze Himmel dunkel; doch ich sehe ihn nicht, ich sehe den gerötheten Goldglanz seines endlichen Randes. Männer und Freunde, ich achte das Dunkel und den Schatten nichts, der noch heute schrekkend und drohend wie ein Gewitter 5 ob meinem Haupte steht. Ich stehe und achte jetzt nur die Freude, die Euer Ja und Amen über mein Todbett verbreiten wird, und mein Glück weilet unverwandt auf dieser Stelle.

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Pestalozzi Werke Bd. 22

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Gedruckte Hauptfassung Verehrte Herren und Freunde! Ich halte, die Ursache, warum ihr mich zu Euerm Präsidenten erwählt, ruhe wesentlich auf dem Erfolg meiner pädagogischen Unternehmung und auf der Zahl meiner Dienstjahre in diesem 5 Fache. Ich kann zwar die letzte Ursache nicht eigentlich loben; eine junge Gesellschaft ist nicht wohl unter einem alten Führer. Ihr bedürft einen von reifem Alter, aber nicht einen von überreifem. Ihr habt indessen zum Theil gegen die Folgen dieses Umstands Vorsehung gethan, und erwartet von mir als Führer zum 10 Voraus nicht viel. Ihr fühlt in Euch selbst Kraft für Eure Führung. Das beruhigt mich, und ich freue mich darüber. Ich könnte Euch nicht führen, wenn ich auch sollte. Meine Zeit ist vorüber, meine Kräfte nehmen ab, und meine Tageslast wird indessen immer größer und immer überspannter. 15 Indem ich jedoch mit aller kindlichen Anhänglichkeit zu Allem stehe, wozu ihr Euch für die Menschheit und das Vaterland verbindet, weiß ich meinen Dank für die Achtung, die Ihr mir mit Eurer Wahl erwiesen, nicht besser auszudrücken, als wenn ich Euch die Ansichten meines Thuns und Treibens in 20 meiner Anstalt nach ihren wesentlichsten Gesichtspunkten vor Augen lege. So wie meine Stellung gegen Euch über meine Kräfte ist, so ist es auch diejenige zu meinem Unternehmen. Es ist eigentlich nicht das Meine; ich vermochte das nicht, was ich gethan, weder an 25 Geisteskraft noch an physischen Mitteln. Wie hätte ich bei dem Bewußtseyn des beschränkten Grads meiner Kräfte und bei meiner Lage auch nur daran denken dürfen, das unternehmen zu wollen, was aus den schwachen Anfängen meines so vielseitig beschränkten Thuns entsprungen! 30 Jetzt steht es da, vor den Augen der Welt, beides als große Idee und als große Anstalt, in meiner Hand und auf meinen Schultern eine Last, die ich kaum zu tragen vermag, angefangen und unvollendet; in einigen Theilen kaum noch blühend, in ändern

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der Reifung nahe; in einigen seelerhebend, in ändern mit Sorgen belastend; von einigen Seiten des Erfolgs sicher, von ändern der nöthigen Mittel beraubt; gelobt von einigen, getadelt von ändern; beurtheilt von vielen, gekannt von wenigen; nachgeahmt, ehe es 5 da ist; verpfuscht, ehe es gekannt ist; überall in seinem Äußern zwischen Mißverstand und Unkunde schwankend. So lag das Unternehmen, so liegt es noch jetzt. Wäre ich jung, so könnte es liegen und reifen, und ich dürfte nicht zudringlich seyn, viel darüber zu reden und ins Licht zu setzen, was man nicht sieht; aber da 10 ich alt bin, so liegt mir der schnellere Erfolg meines Thuns sehr am Herzen. Dieser hängt indessen vielseitig von der Fixirung der öffentlichen Meinung über dasselbe ab. Auch macht mich das Schwanken dieser Meinung für meine Zwecke sehr besorgt. Ich wünschte lange eine ernste öffentliche Prüfung meines Gegeni5 standee, und glaube einiges gethan zu haben, sie zu verdienen: aber die Neigung hierzu schien seit einer Weile in der Nähe, sie schien im Vaterlande sich eher zu vermindern als zu vermehren; im Gegentheil, es schien sich hie und da in demselben einige Neigung zum Entstellen der Sache, zum bloßen Belächeln derselben 20 zu äußern. So wie man sich zum Beispiel gefiel, in öffentlichen Blättern zu äußern, daß man in den bedeutendsten Städten des Vaterlandes kaum das Daseyn eurer Gesellschaft, verehrte Herren, kenne, so gefiel man sich hie und da, den Gegenstand meiner Unternehmung als unter der Würde und unter dem Gesichtskreis 25 von Männern, die das Erziehungswesen und die menschliche Kultur wissenschaftlich und nach höhern Ansichten ins Auge fassen, anzusehen, und die Aufmerksamkeit der bedeutenden Fremden auf denselben als eine Folge ihrer Unbekanntheit mit der wirklichen Wahrheit, die man in der Nähe besser kennen müsse, in die so Augen fallen zu machen. Das Lebendige des Widerspruchs schien zwar einige Zeit sich durch das Wachsen der Gleichgültigkeit zu mindern; aber das war eigentlich das Schlimmste, was begegnen konnte. Es ist Kraft im Widerspruch, er bringt in jedem Fall dem, der dessen werth ist, Segen, aber Lauheit und Kaltsinn bringen 86 nie Segen. Wer immer die Wahrheit und den Menschen liebt, muß desnahen der Lauheit und dem Kaltsinn in jedem Fall mehr als dem Widerspruch entgegen wirken. Wo Lauheit und Kaltsinn, dieses Erbtheil eines jeden tief verdorbenen und tief entwürdigten Geschlechts, platzgreift, da ist die Seele der Wahrheit und Liebe

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verscheucht, und die Seele des Irrthums und der Selbstsucht findet auf allen Seiten ihre Armsessel, um darin ihre spottende Stimme gegen die Wahrheit und Liebe gemächlich laut werden zu lassen. Aber umgekehrt, wo die Lauheit nicht platzgreift, da findet 5 die Seele der Wahrheit und Liebe immer in warmen Herzen der Menschen einen bereiteten Wohnplatz, und dem Irrthum mangelt dann in unserer Natur das Heer der Dienstknechte, mit dem die niedere Selbstsucht die Schwächen der Menschen zu umgeben gewohnt ist. Es war mir wichtig, in Rücksicht auf meinen Gegen-10 stand den Zustand dieser Lauheit in meinen nächsten Umgebungen zu entfernen, und ich bat in dieser Absicht die Tagsatzung des Vaterlandes um den offiziellen Schritt der Prüfung meines Unternehmens. Sie hat meine Bitte gewährt; ich danke es dem edeln Greisen, der ihr vorstand. Sie wird mein Unternehmen prü-15 fen, und was auch immer das Resultat ihrer Untersuchung seyn wird, sie wird dem Zustand des Kaltsinnes über den Gegenstand eine Ende machen, ihre Wahrheit wird die Wahrheit des Vaterlandes, und ihre Zweifel werden die der Edelsten des Vaterlandes werden, und diese werden zur Wahrheit durchdringen, und mein 20 Alter wird in der Belebung des Forschens nach Wahrheit über meinen Gegenstand Befriedigung finden. Aber auch Euch, versammelte Freunde! bitte ich aus gleicher Absicht, prüfet dasselbe; auch Euch bitte ich, widerstehet dem Kaltsinn und der Lauheit, mit der die Selbstsucht des 25 schwachen Zeitgeists aller Liebe des reinen guten Herzens den Tod giebt. Wie an die Tagsatzung, also wende ich mich auch an Euch, Freunde der Erziehung, Freunde der Jugend, und mit Euch an den weiten Umfang der Freunde der Menschheit, wo sie immer leben 30 und seien. Das, was ich Euch jetzt vorlese, und was ich mit Euch dem weiten Umfang der Freunde der Menschheit ans Herz legen werde, ist eben das, dessen That und Wahrheit die öffentlichen Deputirten an Ort und Stelle untersuchen werden. Auch auf Euch, versammelte Männer, in denen ich mir gleichsam die uns nähere 35 Repräsentation der Volksliebe, die in den Herzen der edlern Menschen allgemein schlägt, vorstelle, ja auch auf Euch, Männer der Menschheit, Männer des Volks, auch auf Euer Urtheil über mein Thun schaut das Vaterland, und mit ihm die Menschheit; auch

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Euch soll ich, so viel an mir ist, in den Stand stellen, von meinem Thun, von meinen Zwecken und von meinen Mitteln richtig urtheilen zu können. Es ist indessen nichts weniger als die Vorlesung einer Rede, die 5 dieses erzielen kann. Ohne die Ausführung meines Gegenstandes in der Nähe zu sehen, ist kein entscheidendes sicheres Urtheil über denselben möglich; selber macht auch das Sehen der Unternehmung der Methode in der Anstalt nicht unmittelbar ein gründliches Urtheil mögb'ch. Der Umfang der Zweige der erstem, so wie 10 des Personals des letztern ist zu groß, um leicht überblickt werden zu können. Einige Eigentümlichkeiten beider sind von dem Gewöhnlichen des Unterrichts und der Erziehung zu abstechend, und hängen mit der Entstehung und dem Gange des Ganzen zu tief und zu innig zusammen, als daß ihre Natur bei einer bloßen is allgemeinen An- und Übersicht auffallen könnte. Die Sache kann ferner in Persönlichkeiten erscheinen, die viele gar nicht ansprechen, die manche sogar zurückstoßen, und deren Eindruck, wer Wahrheit sucht, überwinden, und von dem Gegenstande rein zu sondern fähig seyn muß. Die Stufe, auf der die Unternehmung 20 gegenwärtig steht, ist das Resultat in ihr selbst gereifter Versuche, Beobachtungen, Erfahrungen und Forschungen, die sich auf das gründen, und unaufhörlich wieder durch dasjenige erweiterten und ergänzten, was mir und den mit mir vereinigten Freunden und Gehülfen täglich vor Augen lag, und worauf einerseits ein Spiel25 räum, anderseits Bedürfnisse hinführten, die sonst an keinem Orte und in keiner Haushaltung, und eben so wenig in einer Privat- oder öffentlichen Schule statt finden. Es ist natürlich, daß, wer die Sache sehen will, auch muß sehen können; daß er hellen und unbefangenen Geistes und reinen Ge30 müthes für das Wesentliche der Grundsätze wie der Ausübung Sinn haben, und sich für dieselbe eine Zeitlang gleichsam außer seine gewohnten Ansichten und Gefühle müsse heraus versetzen können. Aber auch dies ist für eine richtige Prüfung des Gegenstandes noch nicht einmal genug, er muß sogar über seinen ge85 wohnten Gesichtskreis und über die Methode zugleich hinaus, einen höhern Standpunkt der Vereinigung beider und der Erkenntniß ihres Verhältnisses zu fassen fähig seyn. Wie dies nur durch hohe Kraft möglich ist, so ist es von einer ändern Seite nur dadurch möglich, daß durch Versuche und Erfahrung die Methode

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in ihm selbst zu eben so deutlichen und festen Resultaten reift, als seine bisherige Ansicht und Überzeugung durch die Eindrücke seines vorhergehenden Lebens und Studiums zu deutlichen und festen Resultaten gereift ist. Was ich Euch vorlese, soll deswegen nur so viel wirken, den- 5 jenigen von Euch, denen die wahre Prüfung der Sache am Herzen liegt, genügsame Beweggründe zu geben, meiner Anstalt, wenn es immer möglich ist, einige Tage der Prüfung zu schenken. Selbst diese Prüfung, um die ich Euch bitte, soll nur dazu dienen, einen festen Punkt zu gewinnen, auf den die verschiedenen Darstellun-10 gen der Methode, die Einwürfe und Rechtfertigungen zurückgeführt werden müssen, um zu deutlichen Resultaten zu führen. Nur dazu, um sich durch die bestehenden Thatsachen zur Ahnung des Geistes und des Umfangs des Ganzen zu erheben, und zu einer anhaltenden Erforschung desselben zu erwecken, wodurch es al-15 lein erkannt, und ohne die kein einzelner Theil recht begriffen, und kein unternommener Versuch weder gelingen noch zur Wahrheit führen kann. Ich weiß zwar, eine Reise zu uns ist vielen von Euch nicht möglich, aber vielen ist sie auch jetzt oder in der Zukunft leicht möglich, und viele, denen sie nicht leicht oder gar nicht 20 möglich ist, haben Freunde und Bekannte, die einer solchen ernsthaften Prüfung meines Gegenstandes fähig, und in der Lage sind, derselben die nöthige Zeit aufzuopfern. Nicht nur der gesicherte Fortgang dieser Versuche, die an so vielen Orten zur Einführung der Methode oder ihrer einzelnen 25 Theile gemacht werden, sondern der gesicherte Fortgang der Menschen- und Volksbildung überhaupt fordert, daß man über diesen Gegenstand richtig urtheile. Wohin aber auch immer einzelne Urtheile über meine Bemühungen ausschlagen werden, daran liegt nichts. Die Sache ist zu einer Kraft gediehen, deren so Wirkung mitten im Schatten ihres äußerlichen Daseyns nur durch eine höhere Kraft still gestellt werden kann, und nichts ist mir schätzbarer, als diese höhere, mein Thun selber, wenn es durch seine Schwäche mit ihr in Konflikt kommen könnte, stillstellende Kraft. Ich suche sie; sie ist mir als die schönste Blume, die ich mir 35 auf mein Grab wünschen kann, schätzbar, und je größer der Schatten seyn wird, den sie auf mein Grab werfen wird, je seliger werde ich in demselben ruhen! Doch ich gehe zur Sache:

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Um untersuchen zu können, ob und wie weit die von mir bezweckte Erziehungsweise der Menschheit und dem Vaterlande wirkliche Vortheile gewähren könne, muß man nothwendig vor allem aus bestimmen, was sie ist, oder wenigstens seyn soll.*) Sie 5 ist und soll elementarisch und als Elementarmethode organisch-genetisch seyn. Ich nenne die Methode organisch genetisch im Gegensatze gegen den Begriff einer historischgenetischen, weil dieser Begriff zu der Ansicht führen könnte, als müsse die Entwicklung und der Unterricht alle die Umwege, 10 Krümmungen und Verirrungen durchlaufen, oder wenigstens mehr oder minder darstellen, um zur Wahrheit und Selbstständigkeit zu gelangen, die das Menschengeschlecht, wenn es bloß nach seinem empirischen Gange ins Auge gefaßt wird, durchlaufen hat.**) Dies ist keineswegs meine Meinung. Ich anerkenne is vielmehr Anfangspunkte der Erziehung, die in dem Wesen der Menschennatur liegen, schon an sich Wahrheit und die Wirkung *) Man darf nicht außer Acht lassen, daß in dieser Bestimmung bloß auf die Methode selbst, als einer eigenthümlichen Erscheinung, wie sie sich faktisch darstellt, die Rede ist. Ihre Entwicklung aus der Idee der Erziehung muß 20 einem ändern Ort aufbehalten bleiben. **) Über diesen Hauptpunkt haben die Forderungen und Ansichten der neuern Pädagogik vorzüglich zu großen Mißverständnissen und Fehlgriffen Anlaß gegeben. Am offenbarsten wurde dieser Mißverstand in dem Widerspruch, der über die Elemente, d.h. die absoluten Anfangspunkte der Bildung und 25 des Unterrichts entstand, in der wunderlichen Trennung, die man da in die kindliche Natur, oder vielmehr als durch das reine Auffassen und Festhalten jener Anfangspunkte in ihr entstehend, sich hineindachte, und in der Art, wie man die Geschichte aus diesem Gesichtspunkt mit eben so unhistorischem als unpädagogischem Geiste ins Auge faßte und erklärte. Man sehe darüber und über 30 den Begriff Methode auch «Lindtner, Ueber die historisch-genetische Methode, Leipzig bei Gräff», ein aus einer umfassenden Anschauung hervorgehendes Werk, in dem sich eben nach unserer Überzeugung der Empirismus vom Organismus, das reinfaktische vom pädagogischen Prinzip noch nicht genug geschieden hat. Übrigens schließt der Begriff des Organischen den des Genetischen und Histori35 sehen schon wesentlich in sich, so wie der Begriff des Historischen, rein gefaßt, mit dem des Genetischen zusammenfällt. Die Art, wie der Pädagog die Geschichte ins Auge fassen, und der Gewinn, den er von ihr ziehen muß, ist eben die Kunst, den Zögling in die unmittelbare Anschauung der Dinge und ihrer Gesetze zu versetzen, ursprünglich über den Schein, über die sinnliche Täuschung zu 40 erheben; ihn nicht, wie die äußere bloß empirisch gefaßte Geschichte es uns aufweist, vom Irrthum zur Wahrheit, sondern von der Wahrheit zu immer höherer Wahrheit zu führen, kurz das Menschliche, das Geistige, das unmittelbare Ver-

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der Selbstständigkeit dieser Natur selbst sind, und durch deren reines Auffassen und Entwickeln dem Kinde eben jene zu zahllosen Irrthüraern führende Abwege und Umwege erspart werden sollen, denen der Mensch jedesmal auf einem bloß sinnlichen Gange, dessen Resultate er eben so sinnlich und verwirrt auffaßt, 5 unterliegt. Doch ich mache den Versuch, die diesfälligen Eigenthümlichkeiten meiner Ansichten von der Methode im Einzelnen näher zu erklären. Sie bezweckt das Auffinden und Festhalten wesentlicher Elemente, d. h. unveränderlicher A n f a n g s - 10 und Fortleitungspunkte alles Unterrichts und aller Erziehung. Sie bezweckt das Auffinden, nicht das Erfinden der Elemente. Nicht um neuen, bisher noch nicht vorhandenen Bildungsstoff, sondern um eine richtige Würdigung, Auffassung und Bearbeitung des mit der Schöpfung des Menschengeschlechts 15 schon vorhandenen; nicht um eine bisher unbekannte Bildungsform der kindlichen Natur, sondern um das Verstehen und um die Anwendung derjenigen ist es zu thun, nach der die Gottheit selbst von jeher in dem Seyn und Wirken aller Kreaturen sich offenbarte. Nur das Verkannte soll besser und allgemeiner 20 anerkannt, das Zerstreute soll gesammelt, das Verwirrte gesondert und geordnet werden. Die Erziehung soll sich selbst begreifen lernen, und der Erzieher dadurch in seine Würde eintreten, daß er in Einheit mit der Natur den Willen und das Werk der Vorsehung am Zögling nach ihrem in ihm selbst 25 ausgedrückten Gesetze erfülle. Sie bezweckt das Festhalten, nicht das Aufstellen der Elemente. Denn eben was Gott von jeher in der Natur aufgestellt und dem Menschengeschlecht in ihr dargeboten hat, soll dieses ins Auge fassen und zu seiner Bildung benutzen. Nur die Wülkühr soll verbannt werden, und das Thun so nunftverhältniß des Menschen zu allem Seyn und Werden, das ihn umgiebt, zu etabliren. Eine Aufgabe, durch die es allein eine Pädagogik giebt. Denn das Übrige thut die Natur von selbst, ohne menschliches Zuthun. Damit ist aber wieder nichts gegen das rein empirische Auffassen der Naturgegenstände, ihre Eindrücke auf die Sinne und gegen ihre Wichtigkeit als Bildungsmittel behauptet. 35 Vielmehr erkennen wir die letztere eben so unbedingt an, als es nur immer der bloße Empiriker thun kann. Die Quelle alles Übels liegt eben erstens darin, daß der Mensch die Eindrücke der Dinge auf seine Sinne nicht rein und kraftvoll aufnimmt, und daß er zweitens, eben weil er sie nur einseitig und oberflächlich anschaut, ihren Sinn, ihre wahre Bedeutung mißversteht. 40

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des Noth wendigen mit Freiheit an ihre Stelle treten. Was der reine Instinkt bewußtlos, aber mit sicherm Erfolg that, soll der Erzieher mit Einsicht und anschauender Erkenntniß thun; was die Natur mit Nothwendigkeit hervorbrachte, soll die Erziehung 5 mit der Vernunft übernehmen, und in ihrem Verfahren eben so umfassend und eben so sicher des Erfolgs seyn. Der Instinkt, mit einem Wort, soll sich, ohne von seiner Kraft zu verlieren, in Erkenntniß, die Empirie, ohne ihre Unschuld und ihren reinen Sinn für die Beobachtung der Natur in allen Gestalten aufzuopfern, in 10 Gesetz, und das Gesetz, ohne von seiner Strenge etwas nachzulassen, in Liebe verwandeln. Elemente einer solchen organisch genetischen Methode sind diejenigen Anfangspunkte des Rennens, Könnens und Wollens, die gleich dem Samenkorn, das in die Erde gelegt, is und durch ihre erregenden Einflüsse befruchtet zum Halm, zur Blüthe und zur Frucht erwächst, das Menschliche im Kinde, seine Humanität oder die Keime der Erkenntniß des Wahren, des Gefühls des Schönen und der Kraft des Guten in ihrem ganzen Umfang in 20 sich schließen, und in der vollendeten Entwicklung dieser Keime, die Wahrheit, die Schönheit und die Güte im Kinde selbst vollendet verwirklichen. Die Methode soll in der Entfaltung derselben, und unmittelbar durch sie zugleich den Willen des Kindes, seinen Trieb zum 25 Wahren, sein Wohlgefallen am Schönen und seinen Eifer für das Gute so selbstständig und lebendig wieder in Anspruch nehmen, daß sich die Erkenntniß des ersten, der Sinn fürs zweite und die Kraft für das dritte in ihm, so weit das Maaß und die Schranken seiner Natur dessen nur immer fähig sind, harrno80 nisch entfaltet. Sie soll durch die Art, wie sie dabei verfährt, den Stufengang der Natur in der Entwicklung des Menschen, den Vorschritt, nach dem dieses das Kind allmählig zu immer erweiterter Einsicht, immer höherer Kraft und immer reinerer Liebe erhebt, nicht nur befolgen, sondern ihn in ihrem Organismus selbst an35 schaulich machen und wesentlich ausdrücken. Sie soll die menschliche Erkenntniß und die menschliche Kunst selbst, wie sie aus ihren eigenthümlichen einfachsten Keimen entspringt, eben so wesentlich und anschaulich, nicht nur von ihm, sondern durch dasselbe selbst entstehen lassen. Sie soll dasjenige, was die Natur,

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das Leben, die Geschichte als Resultat des Daseyns der Erfahrung und der Weisheit der Jahrhunderte dem Kinde zum Lernen aufstellt, mit demjenigen ins Gleichgewicht bringen, was es aus sich selbst erzeugen muß, um seine Kraft mit seinem Wissen, seine Bedürfnisse mit seinen Trieben, die Forderungen seiner 5 äußern Lage und Verhältnisse mit dem, was es in sich trägt, in Übereinstimmung zu erhalten. Als von solchen Anfangspunkten ausgehend, heiße ich die Methode elementarisch; in so fern sie dieselben nach ihren eigenen innern Gesetzen als Wissen und als Kunst von ihrem Ursprung aus entwickelt und erweitert, und 10 jedes zugleich überall in seiner eigentümlichen Natur darstellt, genetisch; organisch, in so fern Stoff und Form, das Innere und das Äußere sich in ihr gegenseitig durchgängig bestimmen, und auf jeder Stufe zu einem selbstständigen, in sich gegründeten Ganzen gestalten. Alle diese Benennungen sollen jedoch keines-15 wegs die Sache selbst beschränken, oder etwas anders als einzelne Gesichtspunkte vorläufig festsetzen, von denen aus es möglich ist, zu einer allmähligen Übersicht derselben zu gelangen. Um ihrer Aufgabe gewachsen zu seyn und ihren Namen zu verdienen, muß die Methode auf den Ursprung aller 20 Erziehung zurückgeführt werden. Sie muß das, was die Natur schon, ehe die Erziehung als Menschenwerk vorhanden war, that, um das Daseyn der letztern auch nur möglich zu machen, aufsuchen, und die Punkte zur Klarheit bringen, durch welche sie als Menschenwerk wirklich wurde. Diese liegen in dem, 25 worin der Mensch, ungeachtet aller Kultur und aller äußern und scheinbaren Veränderungen, welche die letztere bei ihm hervorgebracht hat, sich immer gleich ist, was er unter allen Himmelsstrichen noch ist, gewesen ist, was er bleiben wird, und was ihm als angestammtes Himmelsgut bleiben muß, so lange er sich so nicht selbst aufgiebt. Die Gesammtkultur unsere Geschlechts macht aber selbst weder einen nothwendigen Theil dieses seines ursprünglichen, d.h., in seinem Wesen gegründeten Daseyns aus. Wie ihre Bedeutung nur in dem, was ihr vorhergieng und unabhängig von ihr 35 da ist, vollständig gefaßt werden kann, so wird hinwiederum dieses Vorhergehende durch sie erst vollständig, deutlich und erklärbar. Diese Kultur giebt, als ein solcher wesentlicher Theil des Daseyns unsere Geschlechts begriffen, über den Gang seiner Ent-

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faltung, über seine Bedürfnisse zum Behufe der Erziehung eben so ursprünglicheAufschlüsse. In diesem Geiste und nach dieser Ansicht geht die Methode nicht nur auf das Ursprüngliche der Menschennatur, 5 sondern eben so auf das Ursprüngliche jedes einzelnen Unterrichtsgegenstandes, und jedes Wissens, Könnens und Wollen s, das dem Kinde durch die Erziehung und den Unterricht eigen gemacht werden soll, zurück. Sie faßt in jedem Fall bei ihren ersten Anfängen sowohl als bei ihrem Vorschritt 10 mit kindlichem Sinn die sich entfaltende Natur in ihrem Keim. Ihre Bildungsmittel beruhen nicht auf den zufälligen Verhältnissen, Lagen und Umständen, in denen sich das einzelne Kind befindet, sondern vielmehr auf den Kräften der Menschennatur selber und auf den Realgegenständen, aus welchen die Verhält15 nisse der Menschen, und die Wahrheiten, die sich von diesen Verhältnissen ableiten, entspringen. Sie ist aber eben so wenig jenen äußern Verhältnissen, Lagen und Umständen entgegen gesetzt, als die Menschennatur und die Realgegenstände, aus denen das Zufällige entspringt, in der Natur der Dinge dem 20 letztern entgegen gesetzt sind. Die Methode soll sich nicht nur überhaupt auf die Menschennatur gründen und aus der Humanität hervorgehen. Sie soll diese in ihrer Individualität selbst im Kinde unmittelbar darstellen. Die Menschennatur im ganzen Umfange 25 ihrer Anlagen, Kräfte, Bedürfnisse und Verhältnisse ist nicht nur der Anfangs- und Mittelpunkt, sondern auch das letzte Ziel, der ausschließende Gegenstand ihrer Aufgabe. Sie muß sich daher vor allem aus von dem Wesen dieser Natur Rechenschaft geben. Die erste Forderung an sie ist, daß sie in ihrer diesfälligen so Ansicht ihrem Kinde zur Klarheit gekommen. Dadurch allein kann sie ihr Befugniß rechtfertigen, in das Heiligste, was vorhanden ist, einzugreifen. Dadurch allein aber ist es auch möglich, zu ihrer eigenen Erkenntniß zu gelangen und sie zu beurtheilen. Und eben hier, theils in dem bestimmten Bewußt35 seyn einer selbstständigen Ansicht von der Menschennatur an sich und dem Kinde, das erzogen werden soll, theils in der Eigenthümlichkeit dieser Ansicht unterscheidet sich ganz vorzüglich die Methode von den bisherigen Erziehungsarten und Grundsätzen. Sie ist der gewöhnlichen Meinung ganz entgegen, daß

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das Kind noch nicht menschlich, erst durch Bildung und Unterricht zum Menschen erhoben, daß es anfangs eine bloß thierische Natur, erst durch thierische Thätigkeit und thierische Erziehungsmittel zu einer geistigen Natur umgeschaffen werden müsse. Ihr unbedingter Grundsatz ist: Was nicht schon 5 in seinem ersten Ursprung menschlich, was nicht schon in seinem frühesten Entkeimen geistig, was nicht schon in seinen leisesten Regungen sittlich sei, werde es nie, so hoch man es auch steigere, in so weiter Umfassung man es entfalte. So wenig aus Bösem je Gutes hervorgehen könne, so wenig könne sich aus an sich Thie-10 rischem je Menschliches, aus an sich Sinnlichem je Geistiges, aus an sich Unreinem je Sittliches erzeugen. Ihr diesfälliger Zweck geht daher eben so unbedingt und allgemein dahin, das an sich und ursprünglich Menschliche, Geistige und Sittliche im Kreise zu erfassen, zu beleben und zu stärken. Mit ändern Worten, sie 15 betrachtet und behandelt dasselbe mit dem ersten Augenblicke als eine menschliche, geistige und sittliche Natur und anerkennt in ihm gar kein anderes Daseyn und Wirken. Die erste göttliche Offenbarung über den Menschen ist ihr erstes Vertrauen zu ihm, es ist ihr in der That und Wahrheit Bild Gottes. Sie sieht es 20 eben so wenig als eine tabula rasa an, die erst von außen beschrieben, als ein leeres hohles Gefäß, das erst mit fremdem Stoff angefüllt werden müsse, um etwas zu enthalten: sondern als eine wirkliche, lebendige, selbstthätige Kraft, die mit dem ersten Augenblicke des Daseyns auf ihre eigene Entwicklung und Erweiterung 25 organisirend und organisch wirkt, die erzeugt, wie sie aufnimmt, die formt und gestaltet, wie sie hervorbringt und indem sie es thut. Die äußere Natur, die mütterliche Besorgung, die häusliche Umgebung erregt und bestimmt, richtet und leitet zwar durch ihre Eindrücke die Thätigkeit dieser Kraft, aber auf ihre Natur ver- so mag sie nichts. Sie führt ihr vermittelst der durch jene Eindrücke hervorgebrachten Anschauungen und Gefühle Nahrung und Lebensreize zu, aber indem die Natur des Kindes diese aufnimmt, trägt sie selbstständig in sich den Grund ihres Lebens und die Gesetze ihrer Thätigkeit. Die Anschauungen und Gefühle selber, 35 welche die äußern Eindrücke veranlassen, gehören der innern Kraft des Kindes an. Sie sind als ihre Erzeugnisse schon ursprünglich menschlich, geistig und sittlich. Von den äußern Gegenständen, an denen sie der Mensch zuerst, und eben dadurch an ihnen

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sich selbst und sein Inneres wahrnimmt, getrennt, rein und selbstständig angeschaut und empfunden, werden und sind sie die einfachen und unveränderlichen Elemente aller rein menschlichen, rein geistigen, rein s sittlichen Kultur der Kindheit und der Menschheit. Durch diese Ansicht von der Menschennatur wird die Methode erstens wesentlich positiv; dies ist ein weiterer eigenthümlicher Karakter von ihr. Die Humanität, die sie im Kind voraussetzt, bildet eine volle Knospe, ein beseeltes Ganzes, 10 einen Inbegriff strebender oder energischer Anlagen und aufnehmender Fähigkeiten, die in unzertrennlicher Einheit unter sich nach allen Seiten des Daseyns ausstrahlen und von allen Seiten dasselbe einsaugen; Anlagen, die sich als Triebe und Kräfte, Fähigkeiten, die sich als Sinne offenbaren, und die alle i» dadurch, daß ihre Thätigkeit und Empfänglichkeit sich selbst nach innern Gesetzen begrenzt und schließt, ein individuelles Daseyn erhalten. Die Methode soll die humanen Triebe des Kindes innerhalb ihrer eigenthümlichen Schranken, d.h. an dem durch sie selbst erzeugten und eben dadurch ihre Natur aus20 sprechenden Stoff, und an der durch sie selbst befolgten und eben dadurch ihre Gesetze verkündenden Form human bethätigen. Sie soll die humanen Sinne des Kindes innerhalb eben diesen Schranken, d.h. an den durch sie selbst geforderten und eben dadurch ihnen entsprechenden Gegenständen der äußern 25 Natur, und in der durch den Umfang und den Grad ihrer Fassungskraft bedingten Menge und Reihenfolge derselben human befähigen. Diese Bethätigung und Befähigung aber ist nicht Beschränkung von außen, sondern Erweiterung von innen. Sie geht nicht auf negative Hinderung des Bösen, sondern auf so positive Belebung des Guten. Sie arbeitet gegen die Schwäche durch Vermehrung der wirklich vorhandenen Kraft; gegen den Irrthum durch die Entwicklung der inwohnenden Keime der Wahrheit; gegen die Sinnlichkeit durch Nährung und Stärkung des Geistes. Die Reinheit und Unschuld, mit der sie das Kind 35 empfängt, ist ihre eigene Reinheit und Unschuld; ihr lebendiger, durch die Liebe thätiger Glaube an dasselbe ist ihre Gewißheit und Garantie. Sie nimmt, ihrer Bestimmung, daß sie nur dem Höhern über sie, der göttlichen Natur im Kinde dienen und zur vollen Erscheinung im Daseyn verhelfen, nicht sie sich

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unterwerfen soll, vollkommen bewußt und derselben beständig eingedenk, im Erzieher Knechtsgestalt an, und giebt sich, zwar nicht seiner sinnlichen Willkühr, nicht seiner Persönlichkeit, aber dem Leben und dem Gesetz in ihm mit freudigem Gehorsam, als dem Willen der Gottheit selbst hin. Der ächte Lehrer der Methode, 5 voll Demuth, die Schwäche und Beschränkung seiner eigenen Persönlichkeit fühlend, wagt es nicht, gewaltsam in den Gang des Zöglings einzugreifen, seine Richtung willkührlich zu bestimmen, seine Begriffe, seine Zwecke und seine Meinung ihm aufzudringen. Er würde dies für das höchste Unrecht, für das einzige Verbre- 10 chen, ja für den wahren Hochverrath an der Menschheit halten. Durch diesen Standpunkt und diesen Sinn ist die Methode über den Vorwurf des Experimentirens an den Kindern unbedingt erhoben, der eben so unbedingt jeden Unterricht und jede Manier des Unterrichts trift, die der Anerkennung eines positiven und 10 selbstständigen Bildungsstoffs und Gangs des Kindes, und damit seiner Individualität entgegengesetzt sind. Mit heiliger Scheu nährt und pflegt ihr Lehrer das Vorhandene als eine Pflanze, die der himmlische Vater gepflanzt hat. Er öffnet ihm immer weitern Spielraum. Er hütet sich wohl, etwas davon ausrotten zu wollen, 20 damit er nicht den Weizen mit dem Unkraut ausrotte. Wie er in diesem Geiste, in christlichem Sinne, voll anspruchsloser Bescheidenheit und Hingebung, die menschliche Natur unbedingt achtet und als stilles Werkzeug im Reiche Gottes wirkt, so steht er in priesterlicher Würde als Mittler da, zwischen dem Kind und 25 dem Leben. Er ist im sokratischen Sinn der Geburtshelfer seiner menschlichen und geistigen Selbstständigkeit, seiner Individualität, d. h. der göttlichen Idee in ihm, die in seiner Persönlichkeit sichtbar und wirklich werden soll. Unmittelbar also, indem die Methode positiv ist, geht sie 30 zweitens individuell vom Kinde selbst, das sie vor sich hat, aus, ja es giebt überall kein Positives in der Erziehung und dem Unterrichte, als eben das Kind als Individuum und die individuell in ihm vorhandene Kraft. Überall sogar, wo Methode ist, in Kunst, in Wissenschaft, im Leben, ist sie durch sich selbst 35 nothwendig individualisirt, und individualisirend. Es ist daher nicht möglich, die Natur der Dinge und des Menschen mehr zu mißkennen, als durch den Vorwurf, eine allgemeine Erziehungsweise sei der Individualität entgegen. Einzig darin besteht eben

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ihre Allgemeinheit, daß sie die Individualität jedes Einzelnen als solche darstellt und bildet. Die Methode will nichts entwickeln, als was im Kinde als Anlage vorhanden ist, und diese Anlage selbst hinwiederum einzig von sich aus, und aus ihrem innern 5 Mittelpunkte. Eben sie anerkennt und macht anerkennen, daß so wie jeder Zögling ein geschlossenes Ganzes, ein bei allem Reichthum und allem Umfang seiner Fähigkeiten gerade so und nicht anders, nach nothwendigen Gesetzen sich entfaltendes Individuum ausmacht, eben so auch jede einzelne Anlage des10 selben hinwiederum ein individuelles Dasein ausmacht, das zwar mit hohem Reichthum und unendlicher Vielseitigkeit, aber zugleich mit unabänderlicher Notwendigkeit, den Gang und die Gesetze seiner Entfaltung in sich trägt. Der Reichthum und die Vielseitigkeit dieser Anlagen und Fähigkeiten, dieses Gangs und is dieser Gesetze, kann zwar den schwachen und oberflächlichen Beobachter verwirren, daß er, ihren Faden aufzufinden und festzuhalten unfähig, sich ins Meer der Empirie und willkührlichen Herumtappens verliert. Aber die Natur behauptet dennoch ihr Recht, und die Methode wird ihrem treuen Beobachter das 20 Mittel, in den Organismus ihrer Bildungsstufen zu blicken, um wenigstens zu ahnen und sich von dem bestimmen zu lassen, was er nicht durchdringt. Eben das Vermögen, die Individualität im Kinde, seine Selbstständigkeit als Individuum zu schauen, zu erkennen, wie sich die Humanität in unendlichen Gestalten 25 ausgebiert und auf unzähliche Weisen in jedem einzelnen Daseyn eigenthümlich wird, und wie doch wieder die eine Menschheit in allen erscheint, wie jeder ein Spiegel des Ganzen ist, und dieses, als das Eine, Unwandelbare und Ewige, mehr oder minder sichtbar, in weiterm oder engerm Umfange, mit so größerer oder geringerer Herrlichkeit offenbaret; dieses zu erkennen ist die Wonne des Methodikers, d.h. des Erziehers, der seine Aufgabe und sein Verhältnis zur Menschheit erkennt. Sie ist sein Werth, seine Kraft, sein Lohn, der unerschöpfliche Quell seiner Liebe und der begeisternde Trieb seiner Thätigkeit. So 35 niedrig und gering das einzelne Individuum, so beschränkt und unvollkommen seine Anlage sey, er betrachtet es als ein Bild der Humanität, er sieht in ihm, mit Ehrfurcht, eine Offenbarung der göttlichen Idee. Mit dieser Ansicht vom Menschen steigt und veredelt sich seine Ansicht vor der ganzen Natur. Er selbst wird

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edler durch den Adel seines Geschäfts, und indem er andere erzieht, bildet er nur sich selbst, und erhebt sich zur wahrhaften Erkenntniß und zum wahrhaften Leben. Jener die Erziehung entehrende Gedanke, als ob der Erzieher sich selbst dem Zögling aufopfere und gleichsam sein eigenes Leben verliere, damit ein 5 anderes Leben gewonnen werde, verschwindet, denn eben indem er den Zögling gewinnt, gewinnt er sich selbst. Mag deswegen die geborene Tirannenseele, im Unverstand über die Verschiedenheit der Anlagen und der Bedürfnisse des menschlichen Lebens, geborene Sklavenseelen 10 erblicken, mag sie, unter das Joch ihrer Selbstsucht gebückt, sich auch im Reiche des Geistes über den Nacken ihrer Brüder erheben, und auf ihm einhertreten wollen, er nimmt an dieser Sünde in den heiligen Geist der Menschheit keinen Antheil. Das Wahre 15 schon in seinem Keime erfassend, das Schöne in jeder Gestalt begrüßend, von jeder leisen Regung des Guten hingerissen, durch das Äußere nie gehindert, das Innere wahrzunehmen, ist liebende Sorgfalt gegen alle seine Natur, und ohne sich über die Eigenthümlichkeit und die durch sie gesetzten Schranken eines 20 Individuums zu täuschen, ohne sie über sich selbst erheben oder aus ihrer Beschränkung herausreißen zu wollen, stellt sich ihm, in jedem Kinde, die Würde und der Adel der Menschheit, nur in einer ändern Gestalt dar. Er will nichts anders, als daß es das, was es ist und seyn kann, vollkommen sei, und er vermag 25 dies, wie er jenes erkennt. Wie die Methode in Hinsicht auf das Kind positiv ist, und vom Selbstständigen, d.h. Individuellen in ihm ausgeht, soist sie es in Hinsicht auf den Unterricht, oder auf das Können und Wissen. Sie geht eben so vom Selbstständigen jedes Unterrichts- so fachs aus, das sie mittheilt. Nicht zum Reflektiren über das, was die Dinge nicht sind, sondern zur Intuition, zum unmittelbaren Bewußtseyn*) dessen sie zu bringen, was sie wirklich sind, ist *) Wenn die Psychologie und überhaupt die philosophische Lehre von der menschlichen Natur und ihren Entwicklungsgesetzen irgendwo noch einer 35 festern Begründung bedarf, so ist es in dem Streite über das Bewußtseyn und sein Verhältniß zum Instinkt, der sich auf dem Gebiete der Religion, der Philosophie und der Pädagogik in unsern Tagen faat zu gleicher Zeit und auf ähnliche Weise erhoben hat. Die Anbeter des blinden Instinkts, wie die einseitigen Gegner der Reflexion, die im Bewußtseyn den Ursprung alles Bösen und die 40

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ihr diesfälliges Bestreben ohne Ausnahme. Was ihr von den Keimen in der sinnlichen Natur, was ihr von den Anlagen und Fähigkeiten des Menschen überhaupt gilt, daß sie nämlich produktiv sind, und sich aus ihrem selbstständigen Anfangs- und Mittelpunkte s organisch entwickeln, das gilt ihr auch von den Elementen aller menschlichen Kunst und aller menschlichen Wissenschaft. Sie geht von dem Grundsatz aus, daß alles menschliche Wissen und Können reelle Anfangspunkte habe, in denen jede einzelne Wissenschaft und Kunst als in ihrem Keim enthalten ist, in denen 10 sie in ihrer Unendlichkeit und Begrenzung eingeschlossen liegt; durch die sie ein Gesondertes im Gebiet des Daseyns ausmacht; daß diese Elemente ihr Wesen selbst aussprechen; daß sie in Hinsicht ihrer nothwendig, konstitutiv, absolut sind, ewig an ihr Daseyn gebunden, und nur aufhören, wenn sie selbst aufhört. is Das Reich des Geistes ist ihr wie das Reich der Natur, nach einem Gesetz, dem der Organisation, in unzählige Individuen zerfallend, die eben alle dieses Gesetz sogleich unmittelbar ausdrücken, und in ihrem Stufengange nur höhere Erscheinungen und Bilder, nur gesteigerte Potenzen einer und eben derselben alles beseelenden 20 Urkraft sind. An das Auffinden dieser ursprünglich individualisirten Keime des Wissens und Könnens, durch die jede einzelne Übung der Humanität gerade diese und keine andere ausmacht, ist der wahre Unterricht und die pädagogische Gymnastik im weitesten Sinne geknüpft. Wie der Instinkt diese Keime zu aller 25 Zeit nothwendig hervorbringt, so hat er sie auch zu aller Zeit entwickelt und ihre Gesetze befolgt. Der wahre Unterricht ist desQuelle aller Verirrungen sehen, konnten es nicht zu dem Gedanken bringen, daß das Bewußtseyn nur ein geistiges Resultat, ein nothwendiger Zustand sei, wie das Daseyn selbst, gut oder böse, je nachdem der innere Mensch beschaffen ist; daß 30 die Erscheinungen des Guten und des Bösen zwar im Bewußtseyn und mit ihm vorgehen, aber nicht aus ihm entspringen; daß es reine Entfaltung des Bewußtseyns in Unschuld und Liebe giebt, die mit der reinen Anschauung der Dinge Eins ist, und mit ihr immer gleichen Schritt hält; daß überhaupt das Bewußtseyn sich zur erkennenden Reihe der Äußerungen und Erscheinungen der 35 Seele verhält, wie das Gefühl zur gemüthlichen Reihe, als Basis nämlich ihrer Operationen, auf die die Erziehung ala Unterricht und als Leitung schlechthin bauen muß. Das Fundament der diesfälligen vorzüglichsten Irrthümer in pädagogischer Hinsicht liegt im Mangel an der Erkenntnis der Entwicklungsstufen der menschlichen Natur, die bei der bloß förmlichen Unterscheidung in die Sinn40 lichkeits-, Verstandes- und Vernunft-Periode bei weitem nicht gegeben, sondern eher verrückt ist. 10 Pestalozzi Werke Bd. 22

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wegen das, was das ächte Genie von jeher gethan; er ist der Weg, den dieses von jeher aus eigener Fülle gefunden, und eben darum als unwandelbare Wahrheit, als den Gang der Natur und des Geistes, als Methode ausgesprochen hat. Diese unmittelbar, unbedingt, als Thatsache in seinem eigenen Gange aufzustellen, ist 0 der eigenthümliche Karakter der Genialität. Die Methode hinwiederum am tiefsten aufgefaßt, am lebendigsten begriffen, ist nichts anders, als was das Genie, d.h. die ganze Natur, wo sie in der höchsten Energie, und am bestimmtesten individualisirt hervortritt, produzirt. Sie giebt sich bei den Heroen jeder Kunst 10 und Wissenschaft als solche und als Ausdruck der Menschennatur zugleich kund. Freilich hat die organisch genetische Elementarmethode nicht den Wahn, das Kind von gemeinen Anlagen zum Flug des Genies zu erheben; sie kennt, wie keine andere aus Thatsachen und Erfahrungen, die Verschiedenheit der Anlagen und 10 Stufen des geistigen Daseyns, und unterscheidet sie wohl, aber sie bleibt auch fest bei dem Grundsatz, daß die geistige Natur überall als solche wirkt, daß es eben die kulturgeschichtliche, d.h. pädagogische Bedeutung des Genies ist, die Bahn zur Wahrheit und zur Kraft für alle zu beschreiben und vorzuzeichnen, daß das, 20 was das Genie schöpferisch hervorruft, nach dem gleichen Gang vom genielosen Menschen durch geistigen Sinn und Empfänglichkeit aufgenommen werden soll, damit es Gemeingut für die Menschheit werde. Es nach den bestimmten Abstufungen und Schranken, die die Verschiedenheit des Alters, der Kräfte, der 25 Stände u.s.w. mit sich bringt, kurz nach dem Bedürfniß jedes Einzelnen zu diesem Gemeingut zu machen, darnach strebt die Humanität der Methode. In diesem Sinne will sie, daß allen geholfen werde und jeder zur Erkenntniß der Wahrheit komme, nämlich so weit er sie fassen kann, und nur auf ihrem Wege ist die 30 Ausführung dieses Grundatzes, einem jeden gerade das zu geben an Bildung, was ihm noth thut, möglich, weil sie in dieser Bildung gerade von der Kraft jedes bestimmten Individuums, von der bestimmten Stufe, auf der es jedesmal steht, von dem Gange der Zeit in ihm und von dem bestimmten Verhältnisse, in dem es 35 jedesmal lebt, selbst ausgeht. In diesem Sinne erwartet sie eine Zeit der Ausgießung des Geistes über alles Fleisch, wo die höhere Wahrheit einzelner Menschen zu einem allgemeinen Wahrheitssinn, die höhere Kraft der Einzelnen zu einer Gesammtkraft er-

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wachsen wird. Sie bleibt ihrem Entwicklungs- und Erweiterungsgrundsatz auch hierin getreu, und glaubt dem Ausgezeichneten und Großen unter den Menschen, so wie in Kunst und Wissenschaft, eben dadurch am würdigsten zu huldigen, daß sie es 5 nationnell macht, und ins Leben des Volkes nicht durch Popularisirung des ersten, sondern durch die Krafterhebung und Weckung des Letztern unmittelbar einführt. Aus diesen Gesichtspunkten soll es denn auch eine allgemeine Methode seyn, und sie muß es, nicht nach 10 der verkehrten Ansicht: die Menschen, die Kräfte, die Karaktere, die Gesinnungen und Handlungsweisen der Zöglinge gleich zu machen und die Stände und Verhältnisse zu vermischen. Nein, die Methode will, daß jeder Zögling aus sich selbst in sein Verhältniß und in seine Umgebungen lohineinwachse.*) Ihre Allgemeinheit liegt in den bisher auf*) Dieser Gesichtspunkt, und was in allem hier Gesagten auf denselben Bezug hat, ist von einem Umfange, daß es unmöglich ist, ihn von dieser Seite genügend ins Licht zu setzen. Indessen mögen noch einige, durch mehrere neuerlich über und gegen die Methode aufgestellte Behauptungen veranlaßte Bemerkungen 20 hier stehen. Auch das thut noth, um über die Methode ins Klare zu kommen, daß der eigenthümliche Kreis, in dem sich die Elementarbildung als eigentlicher Schulunterricht bewegt, scharf aufgefaßt und ihr Begriff genau begrenzt werde. Es läßt sich vielleicht sagen: sie verhalte sich zur Individualität, wie sich 25 die Standes- und Berufsbildung und der spezielle Vorbereitungsunterricht zu letztern, zur Nationalität eines Volks verhalten. Die Individualität selbst aber bildet sich wiederum, was das Leben, den Umgang und ihren lebendigen Ausdruck, die Sprache betrifft, in der Nationalität, d. h. in der Anschauung des Geistes der Umgebungen des Kindes, die wie ein Spiegel sein Bild auf sich selbst 30 gleichsam zurückwerfen. Hat die Elementarschule dieses beschränkt Individuelle und Nationelle darzustellen? Muß sie etwa gar auf den Begriff, die Abstraktion desselben gegründet, und nach ihm organisirt seyn? Ist öS wirklich nothwendig, daß die Schüler nach höhern und niedern Ständen schon in ihr gesondert, und jeder Art ihre eigene Nahrung auf eine eigene Weise zugemessen 35 werde, so daß die Schulordnung nicht nur nach Klassen und Stufen, sondern auch nach geistigen und gemüthlichen, nach Standes- und Berufs-Individualitäten äußerlich eingerichtet würde? Oder soll nicht vielmehr die Schule den individuellen Anschauungskreis, den das häusliche Leben dem Kinde giebt, zu einem allgemeinen erweitern, seinen persönlichen Sinn zu einem menschlichen 40 veredeln, seine einseitige Berührung mit seines Gleichen in eine allseitig gesellige und harmonische verwandeln ? Soll sie nicht eben das Leben der Kinder aller Stände in eine gemeinschaftliche Berührung bringen, damit sich alle menschlich erkennen ? Liegt ferner nicht darin der größte, der entschieden karakteristische Vorzug einer wahren Erziehungsanstalt, daß sie frei, vom innern Triebe aus, die Zog-

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gestellten Grundsätzen, daß jede menschliche Anlage im Kinde auf dem gleichen organischen Trieb beruht, daß jede Kunst oder Erkenntniß, eben darum, weil sie individuell ist, für alle unwandelbar gleiche, ewig feste Elemente hat, und ihre Natur nie verändern kann. So wird, um Beispiele zu geben, ewig das Funda- 5 linge sich ihre persönlichen und geselligen Verhältnisse knüpfen und bilden lasse, aber immer so, daß durch ihre Leitung und Vermittlung das, was sie menschlich aollen und müssen, ihnen klar sei, eben so wie das persönliche und gesellige Leben der Menschheit, sich, unter der Leitung und Vermittelung der göttlichen Vorsehung selbstständig von den Individuen aus, ursprünglich organisirt hat? 10 Und wie kann die Elementarbildung das? Kann sie es anders, als durch das Ergreifen und Fortbilden der allgemeinen menschlichen Seite, die in jeder individuellen Anlage selbst wieder liegt, der Körperkraft, der Geisteskraft, der Herzenskraft; des Wahrheita-, des Schönheits-, des Tugendsinnea u.s.f.? Diese Kräfte und diese Sinne, so wie die darauf sich gründenden Fertigkeiten aber 15 gehören weder dem Hans noch dem Kaspar individuell zu, wohl aber eignet sie jeder durch sich selbst sich individuell an. Sie begründen so wenig eine eigenthümliche Methode für jeden einzelnen geistigen oder bürgerlichen Stand, als für jede einzelne Persönlichkeit. Die Sprache an sich ist weder pöbelhaft noch vornehm, die Mathematik weder französisch noch deutsch, so wie das Vertrauen 20 und die Liebe weder alt- noch neugläubig, sondern menschlich. Geht man von dem Gesichtspunkt aus: die Natur habe unabhängig von äußern Ständen und Verhältnissen erhabenere und gemeinere, edlere und unedlere Naturen gebildet, womit wir allerdings einverstanden sind, so ist dennoch praktisch nichts verstandloser, als die Rede von einer verschiedenen Elementar- 26 bildung für beide. Denn wer erkennt im Kinde die edlere oder unedlere Natur? Wer kann sie aussprechen, als eben es selbst, indem es bei gleicher Entwicklungsweise, in den gleichen Umgebungen und Anschauungen mehr oder minder Geist und Kraft offenbart, und sich durch sich selbst die Stelle anweist, auf die es hingehört? An welchem Stoffe soll es dies entscheiden können, als eben am 30 Stoffe der Elementarbildung i Doch dies thut es nicht allein an diesem, sondern an allem ohne Ausnahme, den es berührt, nicht nur ale Mensch, sondern auch als Bürger, als Künstler, als Gelehrter, kurz sein ganzes Leben hindurch, und so fällt alles ohne Ausnahme weg, was hier von Begriff eines genetischen Unterschieds der Individuen gegen die Allgemeinheit der Elementarbildung argumen- 35 tirt werden könnte. Denn auch die Natur ist nur eine, und doch in Hinsicht auf das, was der Mensch darin sieht, für jeden eine andere; ein Unterschied, der im Wesen der Individualität gegründet ist, und den nichts Einzelnes, geschweige eine Methode dem Menschen geben und nehmen kann. Überdies, muß nicht jeder gebildete Mensch ohne Ausnahme die Elementarfertigkeiten besitzen, 40 welche die Schule giebt, und was ist Elementarbildung anders, als die Mittheilung der allgemeinen Fertigkeiten, nach allen Richtungen der menschlichen Natur? Und endlich, wenn der Unterschied der Individualität eine für jede verschiedene Erziehungs- und Unterrichtsweise begründen sollte, woher kommt es, daß die Eigenthümlichkeit der Karaktere sich in den Zöglingen jeder Anstalt behauptet; 45 daß Geschwister bei völlig gleicher Behandlung, gleichem Unterrichte, gleichen

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ment aller körperlichen Entwicklung, die Bewegung und Übung des Körpers und seiner Gelenkigkeit selbst seyn; ewig wird das mathematische Talent, insofern Mathematik überhaupt nur bleiben kann, sich nur an Zahl und Form, Einheit und Vielheit, Größe 5 und Figur, an ihren Verhältnissen und Kombinationen entfalten Anschauungen dennoch die entschiedenste, oft himmelweit auseinander gehende Eigentümlichkeiten entfalten, und daß die Natur aller Bemühungen dies schon in Haushaltungen zu verhindern spottet ? Weiß man denn, was man will ? Doch ist es von denen, die den obigen Grundsatz aussprechen, um so weniger ernstlich 10 gemeint, je mehr sie die praktische Folge davon durch die Behauptung aufheben, daß die höhere Natur auf jedem Unterrichtswege ihre Bahn finde, und da es, wie auch wir soeben behaupteten, in ihrem Wesen liegt, jeden Gegenstand schon ursprünglich mit mehr Klarheit und Fülle als andere anzuschauen und zu durch dringen, folglich gewiß auch die Elemente der Methode. 15 Sollte aber, was leicht begegnen könnte, ein einseitiger oder blödsinniger Kopf die Sache ernsthaft fassen, und den Unterschied im Schulunterrichte und in der Lehrart darauf bauen wollen, was indeß seit Jahrhunderten schwerlich einem Elementarlehrer, höchstens einem Philosophen oder Politiker eingefallen ist, so fragen wir nur: Wo will das enden? Denn in Wahn und Dunst muß wohl 20 etwas Methode Bestimmendes, d.h. positiv Praktisches zerfließen, was keine Grenze hat. Will ein solcher sich wähnender Individualisirungs-Projektmacher (man verzeihe den barbarischen Namen um der noch barbarischem Sache willen) durch seinen Erziehungszunftgeist die Kasten der Indianer in Europa einführen ? Will er gräzisirend Methoden und Schulen für Sklaven und Freie organisiren? 25 Und von wo aus? Und nach welchem äußern Sönderungsprinzip? Dem Vermögen? Dem Stande? Der Bestimmung? Will er nach dem schönen Platonischen Bild, das Menschengeschlecht als in den verschiedenen Metallen repräsentirt eintheilen, und daher so viel Methoden haben, als das Metallreich ursprüngliche Repräsentanten aufstellt ? Will er, wenn er gar darauf fällt, daß eigentlich jedes 30 Individuum eine selbstständige, mit keinem ändern vergleichbare Individualität bildet, so viel Methoden schmieden wollen, als es zu Erziehende giebt ? Oder will er endlich (für ihn wahrlich das Klügste) alle Erziehung gänzlich über den Haufen werfen, um sich zur Erleichterung das endlose Geschäft mit einem Schlage vom Halse zu schaffen? 35 Man fasse den Begriff von Individualität, wie man wolle, um von ihm aus eine Anwendung auf Methode, d.h. praktische Erziehung zu machen, immer führt der Versuch aufs Leere; immer gewinnt man als endliches Resultat: die Individualität des Kindes könne vom Erzieher bloß anerkannt worden, er könne ihr nur den allgemeinen Stoff zuführen, an dem sie sich selbst nähre, nach der 40 seiner Natur inwohnenden Form; Individualität sei von ihm schlechthin unabhängig; er könne sie nur nehmen, wie er sie findet; nicht er wirke auf sie, sondern sie wirke auf ihn; beherrsche ihn; ihr Geist wehe, wie und wo er wolle. Die Resultate sind zwar allerdings groß, die der in die Erziehung eingeführte Begriff der Individualität für die Erkenntniß des Wesens der Erziehungskunst 4ö und Wissenschaft haben muß. Aber, es sind keine ändern als die, jeden Zweig der Menschenbildung, wie das Ganze derselben, als einen lebenden Organismus

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können, und ewig bleibt der Stufengang, in dem dieses geschehen muß, durch den geistigen Organismus des Menschen bestimmt, der selbst wieder nach bestimmter Ordnung wirkt. Ewig wird die Entwicklung der Denkkraft des Menschen an die Entwicklung seiner Sprachkraft geknüpft, und die Sprache das Objekt seyn, 5 zu betrachten und zu behandeln; es sind keine ändern, als eine ins Große gehende Erweiterung der Beobachtung der Formen und Gestalten, in welchen die allwaltenden geistigen Naturgesetze sich ausbilden. Es ist der ärgste Wahn, als ob dieser Begriff dem reinen ursprünglichen Begriff einer allgemeinen absoluten Methode, mit ändern Worten einem durch die ganze Natur waltenden Entwick- 10 lungsgesetz, widerspreche, oder diesen auch nur im Geringsten berühre. Denn es liegt eben im Wesen dieser letztern, daß sie sich in jedem einzelnen Entwicklungs- und Bildungemittel selbst individualisire, wie die Natur sich selbst in jedem ihrer Produkte und die Menschheit in jedem Menschen individualisirt, und doch jene sich wieder in jedem Produkt der Idee nach als die ganze Natur, 13 und diese in jedem Menschen als die ganze Menschheit offenbart. Und eben weil die Methode hierin mit der Natur und der Menschheit übereinstimmt, ist sie selbst ein göttliches Werk, d.h. sie tritt in die Fußstapfen Gottes; das Gesetz, nach dem die Gottheit in allem Daseyn wirkt, das Bestand haben und sich immer wieder aus sich selbst erneuern soll, ist in ihr offenbar. Gerade indem die 20 Methode die Elementarbildung auf diese Stufe stellt, entrückt sie die letztere auch überall, wo sie Eingang findet, auf immer den eiteln und vergänglichen Bestrebungen persönlicher Wülkühr, sinnlich verhärteter Schranken, und folgt dem Faden, dem Plane Gottes von seinem Ursprung aus. Eben damit entzieht sie das Kind dem Unrecht und der Gewalttätigkeit eines ihm aufgedrungenen 25 Zeitwissens und Zeitgeistes, und führt nothwendig in der Erziehung einen festen Zustand ursprünglicher und hoher Wahrheit und Gerechtigkeit herbei, wie sie auf ihn fußet. Wer eine Elementarmethode nach der Individualität jedes einzelnen Kindes fordert, der hat von dem Verhältniß dieser zum Unterricht wohl kaum eine 30 Ahnung. Er maßt sich an, sie zu kennen, ehe sie sich geoffenbart hat; denn noch einmal, nur in der Art, wie beide vereinigt mit dem Leben auf das Kind wirken, wird diese offenbar. Er maßt sich noch mehr an, über den Werth, die Natur und das Schicksal des Kindes, wie ein Gott, von seiner Wiege auf zu entscheiden. Er muß, wenn er konsequent seyn will, annehmen, durch seine Lehrweisen die 35 Individualität bestimmen, auf sie wirken, sie verändern zu können, was er selbst durch sein Geschrei über die Gefahr einer allgemeinen Methode beweist. Aber welch ein Begriff von einer Individualität, die sich bestimmen, verändern läßt! Du kannst wohl eine Pflanze durch den fetten oder magern Boden, in den du sie versetzest, durch Zufluß oder Entziehung von Luft und Feuchtigkeit, von Wärme 40 und Licht gedeihen machen oder verkümmern, aber ihre Art unterdrückt oder verwandelt deine Kunst nicht; sie kann und mag sie nicht berühren; sie ist ihr ewig, und zwar auf jeder Stufe ihres Pflanzenlebens vom Keim aus, unzugänglich. Man wende diesen Begriff auf das Kind, auf das Verhältniß der Erziehung zu seiner Individualität an, und man hat unsern Begriff davon vollständig. Wir 45 kennen kein anderes. Die Individualität des Kindes ist eben das Göttliche, das,

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an dem er seines geistigen Wesens und der geistigen Natur der Dinge überhaupt gewahr wird. So wird das Auge des Menschen und jedes Auge ohne Ausnahme gleich sich nur am Sichtbaren, das Ohr am Hörbaren, das Gefühl am Empfindbaren üben und 5 schärfen. Der Sinn und die Kraft für die Wahrheit im engern Sinn, was sich Gott ohne Ausnahme einzig und allein in ihm hervorzubringen und zu erhalten vorbehalten hat, und was mit seinem Daseyn überall eins und dasselbe ist. Die gute oder schlechte Erziehung kann sie, als der Boden, in dem sie sich nährt, entwickeln oder verkrüppeln, aber um kein Haar ändern; sie entwickelt 10 mit der Entwicklung, sie bildet mit der Bildung überhaupt die Individualität zugleich, untrennbar, absolut; sie kann sie nicht, ob sie gut oder schlecht wirke, von sich und ihrer Wirkung sondern. Willst du sagen, daß auch der Boden, in dem jede einzelne Pflanze sich nährt, individueller Art und Gattung sei, so weisen wir dir ja auch dieses in der Methode auf, indem wir dir zeigen, daß sie sich in 15 eben so viele Bildungsgegenstände individualisire, als ihr gegenüber bestimmte Anlagen und Bedürfnisse in der menschlichen Natur liegen, welche Objekte der Elementarbildung sind. Woher denn die arrogante Frage an die, die Individualität bescheiden voraussetzende, sie demüthig anerkennende Methode: Sie wolle sich Gott gleich stellen!!! 20 Alles von außen, aus Elementen, die nicht vom Kinde selbst ausgehen, nicht aus seiner Anlage herausfallen, ihm aufgedrungene Wissen und Können, jede Behandlung von gesonderten Ständen und Verhältnissen aus, die in dem. zeitlich bestehenden Zustande der Dinge und der Menschen ruhen und nicht aus der Richtung, die das Kind in seiner Entfaltung selbst nimmt, entspringen, reißt 25 es aus seinem natürlichen Boden, und versetzt es in einen Stand, der nicht sein Stand ist. Ein Erziohungssystem, das auf ein solches Fundament bauet, individualisirt nicht, es p a r t i k u l a r i s i r t nur. Ein qui pro quo, das wohl den meisten Sprechern über Individualität, wenn sie den Begriff auf die Methode anwandten, begegnet seyn mag, das aber besonders dem Verfasser 30 des Aufsatzes über die Einführung der Pestalozzischen Methode in dem Archiv für das katholische Kirchen- und Schulwesen aufs entschiedenste begegnet ist. Wie himmelweit ein solcher Partikularismus vom Individualismus entfernt sei, bedarf so wenig eines Beweises, so wenig es eines solchen bedarf, daß die 35 Individualität nicht an der Beschränkung und Absonderung in Standesbezirke und Formeln, sondern an der Freiheit, an der vollen Wahrheit der Natur, des Daseyns und jedes einzelnen Bildungsstoffa sich nähre. Elementarschulen können und dürfen eben darum, wenn die Völker auch als Nationen zum Selbstgenuß und Selbstbewußtseyn erwachen sollen, nicht den individuellen Volkskarakter, 40 noch viel weniger einen bestimmten Standes- und Berufskarakter, nie müssen den allgemeinen Menschenkarakter an sich tragen und darauf berechnet seyn. Die Forderung des ersten ist entweder ungeheurer Mißveretand oder ein entehrendes Zeichen der Zeit. Könnte eine darauf hinlenkende Ansicht aus dem Mittelpunkte der Methode selbst entspringen und mit Kraft und Nachdruck durchgesetzt 45 werden, so wäre dies unter den möglichen wohl das schlimmste Ereigniß, und es könnte ihr nur eine andere Verirrung an die Seite gesetzt werden, die auch nicht

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muß bei allen sich an Anschauung des Reellen, der Sinn für das Schöne und Gute an Anschauung der idealen Reihe der Existenz, jener nur an der realen, dieser an der idealen Seite der einzelnen Dinge entzünden und bilden. Das jedem einzelnen Sinn der Menschennatur entsprechende Objekt, die jede einzelne Anlage 5 ganz neu ist, Herren-, Grafen- und Füretensöhne ökonomisch als Bettlerkinder erziehen zu wollen. Anerkannt sind ja die Elementarschulen, schon so lange sie gegründet sind, darum da, diejenigen Fertigkeiten den Kindern anzuüben, die man bei der Lage der Völker in Europa in allen Ständen allgemein bedarf. Warum sie nun nicht 10 eine Stufe höher stellen, und im nämlichen wohlbegründeten Geiste sie zu Anstalten erheben: in den Kindern auch den Sinn, die Einsichten, die Tugenden und Gesinnungen, kurz die Harmonie mit sich selbst und mit der Natur zu wecken, die bei der jetzigen Lage der Völker in Europa eben so sehr als jene in allen Ständen allgemeines Bedürfniß sind; das allgemein Wahre, Schöne, Gute 15 in ihnen zu entfalten, damit sie in den spätem Schranken von Beruf und Stand, wenigstens aus Erinnerung, Sinn und Kraft für's Einfache, Reine, Umfassende erhalten, und nicht aus Stellung, oder, so Gott will, aus Patriotismus einseitig, egoistisch und unmenschlich werden, sonst wäre ja der Zunftgeist das erhabenste Produkt des Menschengeists, und die Zunftbildung das Ideal der Menschen- 20 bildung. Man denke an die Beschreibung, die Escher in seinem im siebenten Hefte enthaltenen Rapport über den Volksgeist der untern Linthgegenden macht, und der nur eine Repetition des Handwerks-, des Dorf-, des Stadt-, des Gelehrten- und selbst des Vorgesetztengeistes ist, wie er überall nur in ändern Formen herrscht. 25 Die Elementarbildung ist eben darzu, den Übeln dieser Art zu begegnen. Sie soll das Kind menschlich sich kennen, fühlen, die Dinge begreifen lehren, damit es das Menschliche der Gesinnung sein ganzes Leben hindurch erhalte, fortbilde, in allen Verhältnissen desselben dadurch gegen jene Barbarei des Spießbürgergeistes jeder Art sich rette. Möchten die Pädagogen und Philosophen, denen 30 seine Quelle und sein Zusammenhang, wie er sich von der Werkstätte auf das Katheder und selbst bis auf den Gerichtsstuhl verbreitet, noch neu zu seyn scheint, sich wenigstens aus den Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwicklung des Menschengeschlechts damit bekannt machen. Sie würden uns denn mit ihren Zudringlichkeiten etwas mehr verschonen und wenigstens 35 einen ihnen noch unbekannten Gesichtspunkt finden, warum gerade der in der unmittelbarsten Anschauung des Individuellen lebende Verfasser von Lienhard und Gertrud auf eine allgemeine, allen positiven Formen des ausgebildeten persönlichen und bürgerlichen Lebens zu Grunde liegende Methode stoßen mußte. Die Sache hat noch eine andere Seite. Der Verfasser des oben genannten 40 Aufsatzes Her für seinen Partikularismus des Volksunterrichts so warm und eifrig spricht, als nui immer der ehrlichste Jude im Zeloteneifer für den jüdischen Religionspartikularismus sprechen könnte, beantworte uns nur eine Frage genugthuend, und wir wollen ihm glauben. Es ist die, ob nicht (wir sprechen in seiner Sprache) jeder Mensch in seinem Entwicklungsgange alle wahren Stände 45 der Menschheit repräsentire, folglich innerlich durchlaufe, und zwar bis auf desto

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des Kindes in Anspruch nehmende That aufzufinden, und in der Form darzustellen, wie es die steigende Fähigkeit jener Sinne, der sich erweiternde Umfang dieser Kräfte fordert, das ist das Allgemeinheitsprinzip, auf dessen Realisirung die Methode ausgeht.*) 5 höhere Stufen, je mehr er Genie ist. Daß es also auch für letzteres im Kindesoder Jünglingsalter eine Zeit gebe, wo es auf der Stufe der Volksansicht steht, und folglich auf ihr gerade der Methode bedarf, die für das Volk und aus seiner Ansicht geschöpft ist Freilich bleibt das Volk auf dieser Stufe, als seinem non plus ultra stehen. Das Genie erhebt sich über sie, aber wie anders als durch 10 den zeitlichen Durchgang durch sie? Abgesehen hievon noch, gebe er uns erst Aufschluß über das geheimnisvolle göttliche Band, das gerade die höchste, vollendete Stufe der Kultur mit der niedrigsten, zum Beispiel den ganz gebildeten Vater mit dem ganz ungebildeten Kinde, den Sohn der Gottheit mit der wahrscheinlich in jenes Verfassers Augen niedrigen Hefe des jüdischen Pöbels zu so lä inniger Theilnahme einigte, ehe er für den Unterricht die Stände mit einem so scharfen Messer voneinander schneidet! Uns dünkt, es müsse für die Gesetze der Menschenbildung hinter diesem Zusammenhange noch etwas liegen, das sich nicht so leicht schneiden lasse. Nur auf Schwierigkeiten wollen wir aufmerksamer machen, nur Aufgaben 20 berühren, die zu lösen sind, nicht entscheiden. Genug, daß Elementarbildung Menschen-, nicht Volks-, nicht Standes-, nicht Nationalbildung, nicht Individualitätsbüdung ist, insofern Individualität, erst geschaffen, erzeugt werden soll. Letztere erzeugt immer und ewig sich selbst, nach innern von ihr selbst, d.h. ihrer eigenen Persönlichkeit, ihrem Bewußtseyn, ihrer Willkühr unab25 hängigen, von ihr unerkannten und vielleicht unerforschlichen Gesetzen. Freilich muß diese Bildung wie ihrer Natur nach allgemein menschlich, ihrem einzelnen Stoffe nach der Anlage des Individuums, den Bedürfnissen seiner Zeit und Lage, den Volksverhältnissen, in denen es lebt, angepaßt und darauf berechnet seyn. Sie muß die Kraft zum Bewußtseyn, die Einsicht zur Erkenntniß bringen, die 30 die täglichen Umgebungen im Kinde wecken. Sie muß aber auch durch die Schule ihm verschaffen, was ein allzubeschränktes Leben ihm nicht giebt, es aber doch bedarf, um in sich den ganzen Menschen zu finden. Aus dem häuslichen Seyn und Thun wickeln sich die Anfangsfäden des Unterrichts los. Die Schule nimmt sie auf und spinnt sie selbstständig fort, bis sie auf einer hohem Stufe, 35 der Jünglingsperiode, als Ansichten und Kräfte sich wieder mit dem Leben und seinen Bedürfnissen einigen. In der ersten häuslichen Erziehung waren sie ganz ins instinktartige Naturleben des Kindes verwoben. Im Elementarunterricht eröffnen sie ihm, getrennt von der Sinnenwelt und ihrem mannigfaltigen Spiele, den ernsten und festen Blick in das Eigenthümliche des körperlichen, geistigen 40 und sittlichen Menschenreichs. *) Man würde uns sehr mißverstehen, wenn man aus diesem Grundsatz, wie er dasteht, folgern wollte, als sollte überall und alles und für alle methodisirt werden. Die Rede ist von dem, waa für jede Anlage als Bildungsmittel bearbeitet werden muß. Außerdem bleiben die Menschen, die Natur und das Leben ja noch 45 überall unendlich.

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Wenn und insofern sie dieses leistet, erscheint sie als wirkliche Vermittlerin aller pädagogischen Gegensätze, von denen aus sie theils von Seite des Realismus, theils von Seite des Formalismus, theils von Philanthropisten, theils von Humanisten einseitig ins Auge gefaßt wird. Sie soll die Er- 0 fordernisse der Menschen- und der Berufs-, der individuellen und der bürgerlichen, der häuslichen und der öffentlichen Bildung, jede zu ihrer Zeit und auf ihrer Stufe vereinigen. Sie soll den gesunden Verstand, wie jede Höhe des Geistes und Herzens befriedigen. Unterricht und Lehre unmittelbar an das Unveränder-10 liehe und Ewige der Umgebung der Menschennatur und ihres Seyns selber anknüpfend, kommt sie dahin, nicht nur den bisherigen Gegensatz zwischen Elementar- und angewandtem Unterricht, sondern auch zwischen der Formal- und Realbildung, und eben so zwischen einer sogenannten vorbereitenden Kraft- 15 entwicklung zur Wissenschaft und dem Wissenschaftlichen selbst, wie er in der bisherigen Form statt fand, ganz aufzuheben. Sie bildet, wie es ewig in der Natur der Menschheit liegt, die Kraft und das Organ zur Wissenschaft durch Mittheilung wahrhaften Wissens, und erzeugt wahrhaftes Wissen 20 umgekehrt eben durch die Entfaltung des Organs der Wissenschaft. Sie ahmt auf dem geistigen Gebiete das hohe Thun der Natur in der Körperwelt nach. Wie diese in jedem Gewächs auf jeder Stufe seiner Entfaltung Stoff und Form in ihrer gegenseitigen Durchdringung harmonisch darstellt und 25 entwickelt, und wie jedes Gewächs in der ganzen Zeit seines Wachsthums auf der einen Seite in jedem Punkt seines ganzen Seyns vollendet, d.h. als ein Ganzes in harmonischer Übereinstimmung seiner selbst in keinem Theil und von keiner Seite seines Wachsthums weder zu weit vorgeschritten noch zurück- 30 stehend, auf der ändern Seite aber dennoch unvollendet, d.i., in beständigem Wachsthum begriffen erscheint: also entfaltet die Elementarbildung Stoff und Form im Kind auf jedem Punkt seiner Bildung in gegenseitiger Durchdringung harmonisch, und das Kind ihrer Führung erscheint in der ganzen Zeit seiner 35 Bildung auf der einen Seite auf jedem Punkt dieser Bildung vollendet, d.h. als ein Ganzes in harmonischer Übereinstimmung seiner selbst in keinem Theil und von keiner Seite seines Wachsthums weder zu weit vorgeschritten, noch zurückstehend, auf

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der ändern Seite aber dennoch unvollendet, nicht zum Ziel seiner Reifung gebracht, sondern immer noch in einem beständigen Wachsthum begriffen. So bringt sie ihren Zögling dahin, daß er die Lebenswissenschaft und Kunst als ein organisches Ganzes 5 aus sich selber erzeuge. Wie sie von der ersten Seite an sich wissenschaftlich ist, so ist sie von dieser Seite an sich im hohen Sinne des Worts künstlerisch. Sie sucht auch von jener aus wesentlich der Idee der Erziehungskunst zu entsprechen. Sie ist in ihrem Wesen selbst die Natur vom Menschen begriffen, wie 10 sie im hohen Gang ihrer selbst feststeht und darin aufrecht einherwandelt, ihres Ziels sicher, sich selbst in allen ihren Kräften ergreifend und bildend als ein Ganzes in der Einheit ihres göttlichen Daseyns. Wenn sie sich selbst treu bleibt, ihre Bedeutung nicht mißversteht, und ihre Elemente nicht einseitig auffaßt, so is führt sie den Unterricht durch alle Gegensätze hindurch und läßt jeden an seinem Ort und zu seiner Zeit erscheinen. Reich wie die Natur hat sie Empfänglichkeit, Gelenkigkeit und Weite des Sinnes genug, um jedes Gewächs aufzunehmen, das aus dem Boden der Humanität entsprießt. Ein beschränkter Geist kann 20 sie beschränken, und der Thor sie zum Gefäß seiner eigenen Thorheit mißbrauchen, aber sie bleibt dennoch, was sie ist, in ihrem wahren Umfang begriffen, nicht das Werk einzelner Individuen, noch viel weniger das Werk einiger hinfälligen Persönlichkeiten, sondern die Aufgabe der Geschichte, das Geschäft 25 der menschlichen Kultur im Ganzen und Großen, das Werk der Natur selbst im Gange der Entwicklung des menschlichen Geschlechts. Sie wird sich erweitern und ausbilden, wie die Menschheit sich ihrer von Gott ihr aufgegebenen Bestimmung stufenweise nähert, und Schritt für Schritt die Hülfsmittel entdeckt, 30 die er ihr in sich selbst und in der Natur zu ihrer Erreichung dargeboten.*) *) Die im Obigen aufgestellten Gesichtspunkte enthalten freilich nur einige, •wir hoffen aber verständliche und nicht bloß für den "Umriß, sondern auch für die innere Fülle der Methode und des großen Ganzen, das ihre Idee umfaßt, 35 bedeutende Züge. Sie im Leben, oder auch nur in der Schrift in lebendiger Gestalt darzustellen, ist nicht die Aufgabe einer Rede, sondern eines noch lange nicht zu erreichenden Werks. Auch ist es nicht die Schule, in der diese Idee dessen, was wir Methode nennen, vollständig hervortritt, sondern der Staat. Die Organisation des Unterrichts fordert nothwendig eine Organisation 40 des Lebens, nach allen Stufen, die der Elementarbildung, nämlich die Organisa-

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Freunde, ich staune selber vor dem Bild der Größe unserer Natur und ihrer heiligen Ansprüche; aber die reine Natur ist sich in jeder Höhe ihrer Schwäche bewußt, und muß es seyn; der Mensch, wenn er in sich selber blickt, fühlt, bei jedem u n s c h u l digen Bewußtseyn seiner innern Höhe die Schranken seiner 5 Kraft und sein Unvermögen, sich selbst in den Ansprüchen seines höhern Seyns ein Genüge zu leisten. Aber die Schwäche des Einzelnen ist nicht die Schwäche der Menschen. Die Schwäche der Menschen ist nicht die Schwäche der Methode. Ob du vor der tion des häuslichen, die des Kunst- und wissenschaftlichen Unterrichts und der 10 Berufsbildung die Organisation des öffentlichen Lebens. Die vollständig mögliche Ausführung der Methode als Schulsache ist durch die letztere schlechthin bedingt und von ihr abhängig. Wie die Erziehung mit dem Staate, so fällt die Methode auf dieser Stufe mit der Gesetzgebung zusammen. Dies liegt in dem Begriff unsers Gegenstandes so nothwendig, daß sich alle wahren Gesetzgeber lö als Erzieher ihrer Völker, und daß alle ächten Philosophen die Erziehung in der Idee des Staats begriffen haben, und zwar nicht etwa wie in der ideenlosen neuen Zeit, als ein abgesondertes Departement, sondern als den das Ganze vom Kleinsten bis zum Größten umfassenden harmonisch durchdringenden Geist, wobei wir, statt vieler, nur Moses, Lykurg und Platon nennen. 20 Steigen wir noch höher hinauf, und erheben uns vom Staate zur Menschheit als einem Ganzen, so finden wir das gleiche Gesetz des harmonisch sich fortbildenden und gegenseitig bedingenden Unterrichts und Lebens in der .Religion, und zwar am höchsten in dem S t i f t e r des Christenthums, der, indem er die Menschheit in eine Familie umschuf, und die Religion in ihrer Bedeutung als 23 universelles Bildungsmittel aufstellte, auf des Erkennen und das Leben zugleich organisirend wirkte, indem Eins im Reflex des Ändern sich immer zugleich selbstständig gestaltete und fortbildete. Wie Platon vom Unterricht aufstieg zur Darstellung der Erziehung im häuslichen Leben und im Staate, so schritt Pestalozzi umgekehrt von der Dar- 30 Stellung der letztem aus zu der Entwicklung der Elementarunterrichtsmittel fort. Erstere, die Erziehung im häuslichen Leben fand bei ihm ihren Ausdruck in «Lienhard und Gertrud», letztere, die im Staate, in den Nachforschungen über den Gang der Natur zur Entwicklung des Menschengeschlechta. Seine Schriften über Gesetzgebung und Politik, indem sie die bestehenden Mißver- 35 hältnisse ins Licht setzen, aber dabei zugleich auf die Triebe, Kräfte, Bedürfnisse der Menschennatur, als die gegebenen Fundamente ihrer Ausgleichung, aufmerksam machen, enthalten die Grundzüge der Forderungen ans bürgerliche Leben, die Idee der Erziehung im Ganzen zu realisiren, oder vielmehr das Menschengeschlecht zu sich selbst und zur Natur in ein solches Verhältniß zu 40 setzen, daß sie sich selbst realisire, und das Hauswesen mit dem Staate, die Kultur mit der Natur, die Wissenschaft mit der Industrie, der Unterricht mit dem Leben, in eine so reine Harmonie trete, wie sie das reine häusliche Leben zwischen Alt und Jung, zwischen Eltern, Kindern und Dienstboten aufstellt. Hierin liegt das wahre Verhältniß von Pestalozzi's frühern Werken zu den 45

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Idee in ihrem Umfang staunest, ob du noch so sehr das Zurückbleiben der That hinter ihr fühlest, du gelangst auch zu der That, der du fähig bist, nicht, ohne das Festhalten der ganzen Idee. Daß aber die letztere gegründet, daß ihre Ausführung die Aufgabe der 5 Erziehung und kein Traum sei, das beweist die Thatsache, daß sie in ihren Anfangspunkten in der Menschennatur wirklich ist, daß die Erfahrung die Methode selbst in ihrer lebendigen Einheit und Harmonie, im instinktmäßigen Verfahren der Mutter gegen das Kind, unwidersprechlich aufstellt. 10 In der That, so rein und so hehr spricht sich das Daseyn und der Zusammenhang des Ganzen der Methode nirgend aus, als in der Handlungsweise der entweder ganz gebildeten, oder ganz einfachen und menschlich natürlichen Mutter gegen ihren Säugling. Diese Handlungsweise ist rein ursprünglich, da mischt sich noch 15 keine menschliche Kunst, keine menschliche Verirrung ein. Sie ist rein elementarisch, da spricht sich die Natur noch ganz aus; ihr Instinkt redet in dieser Handlungsweise noch lebendig, und so weit und so lang er darin lebendig redet, ist in allem Thun der Mutter Einheit, lebendige Einheit für Weckung, für Belebung des 20 Geistes, des Herzens und der physischen Kräfte des Kindes. Sie ist rein positiv. Ohne Umwege, ohne Ungewißheit und Zweifel geht sie aus der unmittelbaren Anschauung der Bedürfnisse des Kindes hervor, geht auf ihre unmittelbare Befriedigung. Sie ist rein organisch. Da sprossen durch sie allenthalben die geweckten Kräfte 25 des Kindes als Keime weiterer Fortschritte; freilich ist sie nur Weckung des ersten einfachsten Selbstgefühls dieser Kräfte, aber für ihrer aller gemeinsames Gefühl, oder vielmehr die Weckung der Einheit der ganzen kindlichen Natur, die bei jedem Theil ihrer Entfaltung im Wesentlichen als ein Ganzes, als eine unzer30 trennte Einheit angesprochen wird und angesprochen werden muß. Aber sie bietet in dieser Einheit und durch sie überall die Anfangspunkte und den Faden für die Entfaltung jeder eigen thümlichen Anlage dar. Sie umfaßt das Kennen, Können und WolElementarbildungsformen, d.h. der Methode im engern Sinne. Wie diese die 35 TJnterrichtsgegenstände organisirt oder zu organisiren strebt, so sind in Lienhard und Gertrud die Bedingungen entwickelt, das häusliche Leben zu organisiren. Beide sind also keineswegs im Widerspruch, wie neulicher Wahn behaupten möchte, sondern sie ergänzen einander, und eins giebt den wahren Schlüssel der Erkenntniß des ändern.

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len des Kindes zugleich, und wirkt doch auf jedes derselben auf das Individuellste und Bestimmteste, Sie ist allgemein, wie sich die Bedürfnisse aller Kinder im Wesentlichen gleich sind. Sie ist aber eben so vermittelnd durch die Art des Dastehens der mütterlichen Persönlichkeit zwischen dem Kinde und seinen sämmtlichen 5 Umgebungen und Verhältnissen, zwischen der Persönlichkeit des Kindes selbst und der in ihm nur noch als Instinkt wirkenden Vernunft, d.h., seiner Idee. In ihr sind die Gegensätze, die das Leben aufstellt, zwar bestimmt ausgedrückt und doch in der höchsten Harmonie vereinigt. Das Kind ist der Mutter gegenüber 10 als Individuum durchaus selbstständig. Die Mutter sucht nicht sich, sondern das Kind. Sein Leben, wie es ist, ist ihre Lust, und die Besorgung dieses Lebens ihre heiligste Treue. Als Kind aber ist das Individuum in ihm in dieser Freiheit zugleich gehorsam, und der gebildeten Vernunft der Mutter unterworfen. Auch ist die 15 Elementarbildung unsers Geschlechts nichts anders, als eine aus dem Gefühl der Einheit und Nothwendigkeit dieser Handlungsweise hervorgehende Sorgfalt, im ganzen Umfang aller Mittel für die Entfaltung der einzelnen Anlagen und Kräfte unserer Natur, mit den Ansprüchen dieser Einheit derselben in Übereinstimmung 20 zu bleiben. Daher findet sie auch im Thun der Mutter den reinen und allgemeinen Anfangspunkt ihres Strebens, ihr in der Wirklichkeit durch Gott selbst geoffenbartes Urbild, und mit ihm das Fundament aller Grundsätze, auf denen sie ruht, und aller Mittel, derer sie bedarf. Von diesem Keim ausgehend besteht besonders 25 die Kunst der Elementarbildung wesentlich in einem lückenlosen Anknüpfen aller Erziehungsmittel an das Wesen dieser rein mütterlichen Handlungsweise gegen das Kind. Jedes Erziehungsmittel, das nicht in seinem Wesen von dieser Handlungsweise ausgeht, und die Entfaltung der einzelnen Anlagen nicht mit dem so Geist und der Kraft, mit der Einfalt und Harmonie betreibt, ist daher nicht methodisch, sondern gehört unter die vielseitigen Nothbehelfe irgend einer Erziehungsverirrung. Es kann nur in so weit als nützlich und brauchbar angesehen werden, als es dasteht, um Erziehungslücken auszufüllen, die nicht da seyn sollten, und 35 Folgen von Erziehungsverirrungen still zu stellen, die das Kind schon auf Abwege gegen die Natur geführt haben. So weit in Übereinstimmung mit den Zwecken der elementarischen Bildung kann freilich auch das Thun eines solchen nicht rein elementari-

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sehen Mittels dahin wirken, die zerstörte Einheit unserer Natur wiederherzustellen, die Verwirrung, die aus den Resultaten unrichtiger Mittel unserer einzelnen Kräfte entsprungen ist, zu vermindern, und den Zustand der Gewaltthätigkeit still zu stellen, 5 der bei der zerstörten Einheit unserer Natur nothwendig gegen uns selbst und gegen unser Geschlecht entsteht. Denn wir sind alle, wenn die Einheit unserer Natur zerstört und ihre göttliche Harmonie in uns nicht erhalten oder wiederhergestellt ist, ein schwaches anmaßliches Geschlecht gegen uns sowohl, als gegen 10 unsere Brüder. So wie das sinnliche Gefühl jedes Übergewichts von äußerlichen Kräften, von welcher Art diese auch immer seyn mögen, die innere Einheit in uns selbst zerstört, und uns dahin führt, unsern Mitmenschen die Benutzung jedes Winkels der Erde, der is uns nahe berührt, nur unter der Bedingniß seiner Unterordnung unter unsere Selbstsucht, gerne zu erlauben, und ihn nur auf diese Art brüderlich mit uns vereinigt, auf demselben Gotteswege zu seiner Veredlung gehen lassen zu wollen, so zerstören wir auch durch jede sinnliche anmaßliche Festhaltung des Übergewichts 20 einzelner Kräfte zum Nachtheil der ändern, in uns selber das Heiligste unserer Natur. Die berührten Folgen davon sind unausweichlich. Jedes Zeitverderben der Erziehung hat seinen Grund in der Hinlenkung unserer Natur zu den Schwächen und der Anmaßung, die die einseitige Entfaltung irgend einer einzelnen 25 menschlichen Kraft mit sich führt; und man kann nicht in Abrede seyn, diese Hinlenkung selbst wieder hat ihren Grund im Mangel an Festhaltung des elementarischen Fundaments der Erziehung, der Einheit unserer Natur. Und so wie dieses wahr ist, so ist eben so gewiß, daß die Ansichten, Grundsätze und Fertigkeiten, die 30 die Elementarbildung, wenn sie wahrhaft ist, giebt, geeignet seyn müssen, den Folgen dieser Verirrung mit Kraft Einhalt zu thun. Sie muß zwar in Folge der Eigenthümlichkeit der Erscheinung unserer Natur im wirklichen Daseyn, in die sittliche, geistige und physische Elementarbildung eingetheilt werden. Sie zerfällt selbst 35 von ihrem Anfangspunkte, vom Thun der Mutter aus in diese drei Richtungen, deren erstere im Wollen, deren zweite im Kennen und deren dritte im Können des Kindes ursprünglich begründet ist, und dasselbe wieder begründet. Aber dennoch ist es gewiß, nirgends erscheint das Fundament der Elementarbildung, die Ein-

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heit unserer Natur und der unzertrennte innere Zusammenhang aller unserer Kräfte heller, als wenn wir die elementarische Bildung der einzelnen Kräfte unserer Natur in ihren verschiedenen Abtheilungen aufstellen. Ich unternehme es indessen nicht, das Wesen dieser Abthei- 5 lungen aus dem Wesen der menschlichen Natur in ihrem Umfange zu entwickeln. Eine solche durchgeführte Entwicklung müßte zugleich in Hinsicht auf das Kind seine sittlichen, geistigen und körperlichen Anlagen und Fähigkeiten, wie sich eine an die andere anschließt, und in Hinsicht auf den Unterricht die Elemente und 10 Gesetze der Entfaltung seiner Natur in ihrer Neben- und Aufeinanderfolge darstellen und begründen, und damit eine unmittelbare Aufstellung und Ausführung der Methode selbst seyn. Ich will daher nur einen Blick auf die Eigentümlichkeit einer jeden dieser Abtheilungen und auf ihre innere Harmonie nach bekann-15 ten Gesichtspunkten werfen. Dabei muß ich Sie aber, meine verehrten Herren, zum voraus bitten, die allfälligen Kunstausdrücke, deren ich mich der Kürze halber bediene, in dem Sinne zu nehmen, den ihnen der Zusammenhang giebt, und sie als nichts anders anzusehen, als das Resultat des Bedürfnisses, die bezeichnenden 20 Worte zu finden. Die sittliche Elementarbildung ist nichts anders als die reine Entfaltung des menschlichen Wollens durch die höhern Gefühle der Liebe, der Dankbarkeit und des Vertrauens auf das Fundament der Vollkommenheit, in der sie sich in ihrem ersten Ent- 25 keimen im reinen Verhältnisse zwischen Mutter und Kind aussprechen. Das Ziel dieser Bildung ist sittliche Vollendung unserer Natur; ihre Mittel sind Übungen im Streben nach Vollkommenheit im sittlichen Denken, Fühlen und Thun. Auf das Sichtbare gerichtet, offenbart sie sich als Moral im Handeln (physisch), auf so das Unsichtbare, als Religion im Fühlen oder Schauen (gemüthlich, hyperphysisch). In jener stellt sich die reale, in dieser die ideale Seite eines und eben desselben Anfangspunktes des sittlichen Lebens dar. Die vermittelnde Einheit, das Band beider ist, intellektuell erscheinend, die Gesinnung, die wesentlich den Ka- 35 rakter des Menschen begründet. Als Erkenntnisse werden die Moral und die Religion zugleich wiederum Gegenstände der intellektuellen Bildung, und jene nimmt dadurch einen ideellen, diese einen reellen Karakter an. Alle diese Seiten und Elemente sind in

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der elementarischen Entwicklung der sittlichen Gefühle harmonisch und lückenlos vereinigt. Da unsere Natur die Vollkommenheit der Sittlichkeit nur in einem höhern Wesen, nur in Gott zu erkennen vermag, so knüpft sich das erste durch die Mutterliebe 5 und den Glauben an sie erzeugte Streben nach sittlichem Denken, Fühlen und Thun, an die Ahndung des Glaubens an Gott, die aus der Wahrheit der kindlichen Liebe, des kindlichen Dankes und des kindlichen Vertrauens so einfach und natürlich hervorgeht. Die Reihenfolgen der Mittel zur Sittlichkeit von ihrem Ursprung 10 aus, von der mit so vielen Beizen begleiteten Mutter- und Kindesliebe bis zum christlichen Dahingehen seiner selbst für Wahrheit und Liebe in den Tod, finden nur in reinem Glauben an Gott und in wahrer Religiosität ihre Quelle und ihre reine und sichere Stütze. Keine menschliche Kunst und keine menschliche Kraft kann is ihnen etwas anders unterschieben. Sie sind und bleiben die einzigen Mittel der reinen und wahren Sittlichkeit, und die Stufenfolgen ihrer Entwicklung ruhen auf nichts anderm, als auf der Wahrheit ihres Wachsthums selbst, die aus sich selbst ausgeht, und nur in der Reinheit ihrer Kraft den Trieb des Fortschritts in 20 sich selbst fühlt. Die intellektuelle Elementarbildung ist hinwieder nichts anders, als die reine Entfaltung des menschlichen Kennens oder unserer Vernunftkraft, durch ein höchst einfaches Habituellmachen ihres Gebrauches selber. Und da diese Kraft in ihrem 25 Wesen sich erstens an die Anschauungseindrücke, welche die Gegenstände der Welt auf unsere Sinne machen, anschließt, zweitens auf der gebildeten Leichtigkeit ruhet, diese Ur-Eindrücke oder vielmehr die einfachen Resultate ihrer Wirkung auf unser Inneres, als die Elemente aller menschlichen Er30 kenntniß, in uns selbst zusammenzusetzen, zu trennen und zu vergleichen, so fordert die intellektuelle Elementarbildung 1) psychologische Leitung der Einwirkung der Natur auf das Vernunftwesen zur Anregung und Sammlung der Eindrücke, die die Vernunft, das heißt die lebendige geistige Kraft im Kinde, bei 35 der Anschauung und im Leben der Natur nothwendig erzeugt; 2) psychologische Benutzung dieser Eindrücke, als der von der Natur selbst wesentlich und unveränderlich gegebenen Mittel, durch die die gesammte Geistes- oder Vernunftkraft in uns am leichtesten ausgebildet werden kann. Die Mittel, in denen sich das 11 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Werk der Vernunft in uns in der Natur selbst offenbart, sind Sprache, Zahl und Form. Auf das Hervorbringenkönnen und Verstehen der in ihnen liegenden Wahrheiten und Verhältnisse gerichtet, erzeugen sie die Verstandesbildung. Auf das Hervorbringenkönnen und Fühlen der ihnen inwohnenden Schönheit, Har- 0 monie und Vollkommenheit gerichtet, erzeugen sie die ästhetische Bildung. Sie selbst zerfallen also an sich wieder ursprünglich in eine reale und ideale Seite. Elementarisch erscheint jene in der Sprache in der sinnlichen (prosaischen), diese in der bildlichen (poetischen) Bedeutung des Worts. Als die ideale Seite der Zahl 10 erscheint die Musik, als die der Form, die Zeichnung. Die Wahrheit und Schönheit dargestellt sind wiederum sittlich, d.h. gut, als vollendetes Daseyn und im Gange der Elementarbildung harmonisch vereinigt. Die Mittel unserer intellektuellen Elementarbildung müssen, 15 wie die der sittlichen, rein vom Gebrauche dieser Kraft selbst ausgehen, und so wie das Kind von dem Anfangspunkte der vollkommenen Mutterliebe, und von dieser bis zur Liebe entfernter Menschen sich erweitern muß, und wie mit dieser Erweiterung zugleich sein ganzes Inneres menschlich höher steigt und sich 20 sittlich emporhebt, so muß auch die elementarische Entfaltung unserer Geisteskraft von der hohen Vollendung der höchst einfachen Anfangspunkte im Denken, durch lückenlose Schritte sich erweitern, und mit dieser Erweiterung und durch sie zu den höhern Stufen des verwickeitern und tiefern Denkens und zu der Er- 25 kenntniß verwickelter Gegenstände und Ansichten emporsteigen. Der innern Einheit unserer Natur gemäß, ist endlich auch die physische Elementarbildung nichts anders, als eine psychologische Entfaltung des Könnens oder der dem Kinde inwohnenden vielseitigen physischen Kräfte, die gleichfalls wiederum durch 30 nichts anders, als durch ein höchst einfaches Habituellmachen ihres Gebrauchs selber erzielt wird. Die Entfaltung dieser Kräfte geht von dem einfachen Anfangspunkte der Bewegung aus. Die Bewegung auf selbstständige Leichtigkeit und Sicherheit im Gebrauche der Glieder und auf Überwindung körperlicher Hinder- 35 nisse gerichtet, erzeugt Kraft; auf gesetzmäßigen und harmonischen Ausdruck gerichtet, Anstand, mit Bewußtseyn und nach Zwecken gesteigert, jene Berufs-, diese Kunstfertigkeit. Sie schließt sich an das tägliche Bedürfniß und an die Besorgung seiner selbst

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beim Kinde an; sie erweitert sich durch die häusliche Sorgfalt für die Umgebungen, durch welche sie zugleich menschlich empor gehoben und geheiligt wird. Auf dem nämlichen Wege, auf dem sich das Kind zur sittlichen 5 und geistigen Selbstständigkeit erhebt, erhebt es sich auf diese Weise durch lückenlosen Vorschritt und umfassenden Gebrauch seiner körperlichen Kräfte, auch zur physischen Gewandtheit und bürgerlichen Selbstständigkeit empor. Von keinem geschlossenen Kreise, von dem aus es sich selbst nur verengern könnte, sondern 10 vom Mittelpunkte seines Wesens selbst ausgehend, verbreitet es den Umfang seiner Thätigkeit nach allen Seiten, so weit seine Kräfte reichen. So selbstständig also die Elementarbildung jede Richtung dieser Menschenkräfte, und hinwiederum die einzelnen Anlagen is und Thätigkeiten, in welche jede derselben aufs neue zerfällt, ins Auge faßt und von ihrem Anfangspunkt aus entwickelt, so nimmt eben so ihr Gang bei der Übung jeder einzelnen ganz im Geiste der Mutter seine Humanität allgemein in Anspruch. Die Elementarbildung der einzelnen Anlage des Herzens beschäftigt und übt 20 alle Gefühle des Herzens, die der einzelnen Anlage des Geistes alle Kräfte des Geistes, und die der Sinne und der Glieder den ganzen Körper. Eben so setzt der Gang ihrer sittlichen Übung auch die Geistes- und Körperkräfte des Kindes, der Gang ihrer geistigen Entfaltung auch die des Herzens und seiner sinnlichen 25 Organe, und die körperliche Gymnastik die geistige und sittliche Natur desselben, gleich dem Instrument, dessen eine rein gestimmte Saite zugleich andere harmonisch gestimmte Saiten anklingt, in Bewegung und Thätigkeit. Alles Positive in der menschlichen Natur wirkt durchgreifend, wie in dem Positivsten und so Lebendigsten des menschlichen Thuns, dem Trachten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, das Übrige dem Menschen von selbst zufällt. Wenn, nach diesen Gesichtspunkten, über den Zweck und Umfang der Elementarbildung in der Hauptsache kein Streit seyn 35 kann; wenn sie möglich seyn muß, weil die Natur sie in der Mutter und im Instinkt des Genies, ja überall in ihrem Thun selbst aufstellt, weil sie also in historischer Hinsicht oder als Thatsache und auf einzelnen Punkten allgemein selbst anerkannt und durchaus wirklich ist und immer war; wenn ferner die ausgesprochenen

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Forderungen gegründet sind, weil die Menscheiinatur sie macht; und wenn endlich ihre Erfüllung nothwendig ist, damit diese Natur befriedigt werde, so fragt es sich um so mehr: Leisten die bisher von meinem Unternehmen ausgegangenen und in meiner Anstalt versuchten Bildungs- und Unterrichtsmittel diesen For- 5 derungen ein Genüge ? Entsprechen sie in sittlicher, intellektueller und physischer Hinsicht der Idee und dem zu ihrer Beurtheilung hier von mir selbst an sie gelegten Maaßstab? Eine genügende Antwort dieser Fragen kann eben so wenig Gegenstand dieser Rede seyn, als es eine genügende Erörterung der Grundsätze sei-10 ber wäre. Ich werfe auch darauf einige Blicke, weniger für die Bestimmung der Sache selber, als vielmehr Winke zu geben, wie die Untersuchung angestellt und wovon ausgegangen werden muß, um sichere Resultate zu erzielen. Vor allem sehe ich mich hier zu der Bemerkung veranlaßt, daß 15 bei dieser Untersuchung nicht von dem ausgegangen werden darf, was der Unternehmung noch fehlt, sondern von dem, was in ihr nach der Idee des Ganzen positiv da, was durch sie wirklich schon hervorgebracht ist. Dieses Einzelne aber muß eben so nothwendig, nicht in seiner Einzelnheit, sondern in seinem Verhältniß zum 20 Ganzen betrachtet werden. Jeder einzelne Theil einer noch unvollendeten Erscheinung, eines erst im Beginnen seiner Laufbahn, in den Anfängen seiner Entwicklung begriffenen Systems ist nur ein Bruchstück, und jede Beurtheilung, welche ohne Rücksicht auf das Übrige, ohne den Begriff des Ganzen vollständig gefaßt zu 25 haben und den Theil in diesem zu begreifen, vielmehr das Ganze aus diesem beurtheilen, und es verwerfen wollte, wäre eben so unverständig als ungerecht, weil der Theil weder das Ganze ist, noch seyn kann.*) Aber um so gerechter sind dann die Fragen, und um *) Es geht hierüber der Methode vollkommen wie der Anstalt. Selbst die 30 bessern, sogar die geistvollsten Menschen suchen in beiden nicht sie selbst, nicht Resultate, die die Wirkung eines aus einer bestimmten Idee von der menschlichen Natur und dem Wesen der Erziehung hervorgehenden bestimmten Versuchs sind, sondern ihre persönlichen Begriffe, ihr eigenes Ideal, und verwundern sich dann höchlich, wenn sie nicht finden, was sie suchten; wenn die Natur 35 und die Wahrheit etwas ganz anderes darstellen, als sie sich geträumt haben. Selbst wer mitten in der Anstalt lebt, sich aber nicht in das Ganze, d.h. innerlich Ursprüngliche derselben zu versetzen, oder den Entwicklungsgang des Letztern nicht in seiner eben so innern Nothwendigkeit zu fassen vermag, ist unfähig, das Vorhandene in ihr zu sehen, oder das wirklich Gesehene richtig zu beurtheilen. 40 Es giebt auch hierin viel Berufene, aber wenig Auserwählte. Nur wenige besitzen

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so strenger fordere ich zu ihrer Festhaltung selbst auf: Ist jeder einzelne Theil, so wie er ausgeführt da steht, nothwendig im Ganzen begriffen? Stellt er ein organisches Glied desselben dar? Spricht er seinen Geist mit Klarheit aus? Entspricht er den For5 derungen aller übrigen Glieder gerade auf der Stelle, auf die er hingehört ? Ergänzt er eine wesentliche Lücke, gerade so wie sie ergänzt werden muß, und wie sie ohne ihn nicht ergänzt werden könnte? Wesentlich als solche haben sich die bisher ausgearbeiteten und erschienenen Elemente und Formen der Elementarbildung 10 angekündigt, und zwar als dem Geiste der letztem gemäß, d.h., wirkend auf die menschliche Natur, ihren Bedürfnissen und ihrem Gesammtzustand auf der Elementarstufe entsprechend. Sind sie dieses? Bezeichnen sie eine nothwendige Epoche, ein bestimmtes Gebiet der geistigen Entwicklung? Ist ihre Beschaf15 fenheit mit einem Worte den Gesichtspunkten gemäß, die wir im Anfange als die Aufgabe der Methode bezeichneten? Wir erkennen, daß der Umfang der intellektuellen Elementarmittel allgemein von Zahl, Form und Sprache ausgeht; wir müssen also, um diese Fragen richtig beantworten zu können, näher 20 ins Äug fassen, was Zahl, Form und Sprache eigentlich zur Entfaltung der intellektuellen Kräfte unserer Natur beitragen, und in dieser Rücksicht ist offenbar: Die Anfangspunkte, von denen sie ausgehen, sind Elemente der Erkenntniß. Sie sind dem Menschen eigentümlich. Sie liegen im Organismus seiner geistigen 25 Natur. Sie sind Produkte ihrer Thätigkeit. Sie sind im unveränderlichen Wesen der Humanität gegeben, als die ersten selbstständigen Keime ihrer Äußerungen und ihrer Entfaltung; sie sind positiver Natur. Sie können nicht selbstthätig dem Kinde zur Anschauung gebracht und entfaltet werden, ohne Hand und so Äug zu üben, ohne Lust und Gefühl anzuregen, ohne das Herz und den Willen in Anspruch zu nehmen. Der allgemeinen Form der Geistesthätigkeit gemäß führen sie dieselbe von ihrem ersten, vollUnschuld, Reinheit und Kraft genug, sich zu fragen: ob sie auch das Rechte gesucht haben, und ob es nicht gerade die Aufgabe dieser Sache sei, das Einsei35 tige ihrer Vorstellungen und Ansprüche auffallend zu machen? - Auch hierin bleiben sich die Menschen von der untersten, der Elementarstufe, bis zur höchsten, der göttlichen Offenbarung, gleich. Als Christus erschien, wollten die Juden darum nichts von ihm wissen, und nahmen an ihm Ärgernis, weil er weder in der Gestalt erschien, noch so sprach und handelte, wie sie es sich vor40 gestellt hatten.

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endet bestimmten Hervortreten ins Äußere bis auf die Stufe des selbstständigen Bildens der Begriffe von Seiten des Verstandes, und bis zum erwachenden Bewußtseyn der Ideen von Seiten der Vernunft; dadurch insbesondere vom bisherigen Gange verschieden, daß dieser Begriffe gab ohne Elemente, Ideen gab ohne An- 5 schauung und Entwicklung.*) Als allgemeine Elemente der Humanität sind sie eben so offenbar wieder Fundamente der humanen Berufsbildung; überall fordert das Leben ihre Erkenntniß, wie die durch sie geübten Kräfte und Fertigkeiten. Die Elementarübungen der Zahl insbesondere sind geeignet, 10 die Kraft des reinen geistigen Schließens von ihrer ersten keimenden Entstehung bis zu ihrem Dastehen in hoher Vollendung zu entfalten, und aus ihr entspinnen sich die reinen, lückenlosen selbstständigen innern Mittel dieser Entfaltung. Die elementarischen Übungen der Form entwickeln ebenfalls die geistige Schluß -15 *) Das Eigenthiimliche der Methode in Rücksicht auf Form, Zahl und Sprache als Elementarbildungsmittel beruht keineswegs bloß in einer von der bisherigen abweichenden Behandlungsweise derselben, sondern vorzüglich in der Art, wie sie begriffen werden. Vielleicht daß das rechte Wort für diesen Begriff noch nicht gefunden ist, aber daß er in der Natur des Menschen und der Sache liegt, wissen 20 wir. Die Elementarbildung im Wesen ihrer intellektuellen Entwicklungsformen ist der verhärteten Schulmeister-Ansicht der Kultivirten, die in aller Methode nur Lese-, Schreib- und Rechenmittel suchen und schätzen, und der von dieser Seite eben so verhärteten sinnlich thierischen Ansicht Rousseau's, oder vielmehr seiner Nachbeter, vom Menschen, der rohen sich selbst überlassenen Wildheit, 25 die sie als den wahren Naturzustand ansehen, auf gleiche Weise entgegengesetzt, und erhebt sich unbedingt über beide. Sie verwirft das Lesen, Schreiben, Rechnen u. s. w. als bloße Routinefertigkeiten in pädagogischer Hinsicht durchaus. Hingegen setzt sie dieselben durch die Wiederherstellung ihrer ursprünglichen Bedeutung als elementarischen Ausdruck des Menschengeistes, als Produkt 30 seiner nothwendigen Selbstanschauung und Selbstthätigkeit, in ihre volle Würde wieder ein. Sie fordert mit Rousseau Naturgemäßheit, aber sie findet das Menschlichnaturgemäße nicht im blinden Hingeben an die sinnlichen Triebe des Kindes, an die Eindrücke der Körperwelt, und in der Entfernung desselben von allen Einwirkungen der Kultur, sondern darin, daß es gleich von Kindheit 35 an, indem es frei und harmlos in der Sinnenwelt lebt, zugleich menschlich und geistig, nach den Gesetzen seiner geistigen Natur, die sich in den Eltern und Erziehern objektiv darstellen, kultiviert werde; d.h., daß es durch Sprache, Form und Zahl seiner intellektuellen Anlagen, Kräfte und Fertigkeiten bewußt, und mächtig werde, und durch menschliche Mittheilung, nicht nur den Menschen, 40 sondern auch die Natur, gleich beim ersten Schritt schon menschlich auffassen und erkennen lerne, wie es durch freie Bewegung in der Natur, seiner körperlichen Anlagen, Kräfte und Fertigkeiten bewußt und mächtig wird, und die Dinge durch ihre körperlichen Eindrücke sinnlich auffassen und kennen lernt.

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kraft, sowohl durch den unfehlbaren und nothwendigen Eindruck ihrer selbst, als durch die Resultate lückenloser und jede Aufgabe ganz erschöpfender Zusammensetzungen von den geraden und krummen Linien, und den daraus hervorgehenden nothwendigen 5 Wahrheitsverhältnissen. Alle Wahrheit und alle Schlüsse, die ich durch die Zahl hervorbringe, entfalten sich aus dem reinen Wesen der menschlichen Denkkraft selber, d.h. die Denkkraft entfaltet sich beim Gebrauch dieser Mittel gleichsam durch sich selbst. Hingegen alle \Vahrheit und alle Schlüsse, die ich durch Bear10 beitung der Form hervorbringe, liegen als reine und vollendete Produkte des Geistes im Wesen der geraden und krummen Linien, und der durch sie möglichen Zusammensetzungen. Beide, sowohl die elementarische Zahl, als die elementarischen Formübungen, führen nicht bloß zum Erkennen der Wahrheit, 15 sondern auch bestimmt zu ihrem Erfinden. Sie beschäftigen nicht bloß die Denkkraft im Untersuchen derselben, sondern sie beleben auch die Einbildungskraft zum freien Spiel ihres Aufsuchens und ihres schöpferischen Zusammensetzens.*) Vermöge der innern Ob der Mensch bloß durch rohe Naturkraft ohne menschliche Vermittlung be20 wirkte äußere Erfahrung zur Kenntnis der Dinge und zur Einsicht in ihre Eigenschaften, und Verhältnisse gelange, oder ob er sie zugleich im Geist und Gemüth der Menschen, und in der Art, wie die gebildete Humanität sie ansieht und behandelt, anschauen und erkennen lerne, ist von unermeßlichem Unterschied, und die richtige Ansicht dieses Punktes dürfte wohl das Centrum der Pesta25 lozzischen Idee und Methode berühren. Die charakteristische Art, wie der Mensch die Wahrheit aufnimmt und behandelt, hängt überdieß davon ab. Pädagogisch ist dieser Unterschied besonders folgenreich, und bringt Licht in das Chaos mannigfaltig verwirrter Systeme und Meinungen. *) Was Arndt und andere gegen die Methode, als lahme sie die Phantasie, 30 vorgebracht haben, beweist, daß die herrschenden Vorstellungen von dem Wesen der Einbildungskraft zwar phantasiereich, aber doch nur phantastisch sind, und daß man in ihrem Begriffe das Sinnliche und das Geistige, das Ursprüngliche und das Abgeleitete auf eine Weise vermischt, die nur durch das Studium der Psychologie der Methode begreiflich wird. Es gilt darüber voll35 kommen, was oben vom Streit über das Bewußtseyn gesagt worden. Die Frage über die Reinerhaltung der Einbildungskraft von aller sinnlichen Einmischung in der Pestalozzischen Formen- und Zeichnungslehre ist überhaupt einer eigenen pädagogischen Untersuchung werth. Auch darf beim ganzen in Frage stehenden Gegenstand, nämlich des Verhältnisses von Form, Zahl und Sprache, der Stufen40 gang des menschlichen Organismus nicht übersehen werden. Dieser, bis jetzt in den Bwirtheilungen der Methode noch fast gar nicht in Anschlag gebracht, bestimmt Alles.

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Kraft, die sich durch Übungen der Zahl in mir entfaltet, bringe ich die Wahrheiten, die rein innerlich in meiner Natur liegen, mir zum Bewußtseyn. Zur Auffindung von reinen Verhältniswahrheiten, die aus der Betrachtung äußerer sinnlicher Gegenstände entspringen, kann mir nur die Formenlehre, das ist, die Kenntniß s des Wesens und der möglichen Verbindungen der Formen, den Weg bahnen. Die Art, wie beide Gegenstände in der Zahlen- und Formenlehre dem Kinde zum Bewußtseyn gebracht werden, schließt sich unmittelbar an das Thun der Natur und an das Thun der Mutter an, und steht mit beiden in hoher Übereinstimmung. 10 Der Anfang von diesen beiden Mitteln unserer intellektuellen Entfaltung, geht wesentlich von dem ersten kindlichen Bewußtseyn der äußern Eindrücke aus. Zwar ist schon die erste Wirkung dieser Eindrücke, wie er auf die Sinne sinnlich ist, auf die geistige Natur des Kindes oder auf sein Inneres geistig, wenn das Kind 15 gleich dieses Geistige lange nicht zu unterscheiden vermag, aber sie erscheint in ihrem ersten Sichtbarwerden als Sinnenerfahrung. Die Erfahrung, zum Beispiel, daß das Feuer mehr brennt, als laues Wasser, ist eine solche, durch das Bewußtseyn des Mehrs oder Minders und durch die Anschauungserkenntniß des Feuers 20 und des Wassers in der kindlichen Seele entfaltete Wahrheit. In den Anfangseindrücken, durch die sie entfaltet worden, erscheint Zahl und Form in der Ansicht des Kindes noch unzertrennt. Das Mehrseyn und das Feuer, das Minderseyn und das laue Wasser ist im Anfangseindruck des Kindes gar nicht verschieden; wieder- · -> holt es eben diese Erfahrungen des Mehrs und des Minders an ändern Gegenständen, so lernt es allmahlig das Mehr und Minder von den Gegenständen trennen, in denen es erscheint; es erhebt sich zum dunkeln Bewußtseyn der Fundamente der Zahl und ihrer Verschiedenheit von der Eigenschaft und der Form; es sieht so nun das Feuer und das Wasser an sich an, und denkt sich das Mehr und Minder in ändern Gegenständen eben so wie in diesen. Das Bewußtseyn des Vielerlei sowohl in den Formen als in den Zahlen dehnt sich allmahlig aus, und der Augenblick erscheint, wo man die ersten einfachen Übungen der Zahl und Formenlehre 35 dem Kinde geordnet beibringen kann. Natürlich müssen die Fundamente der ersten reinen Anschauungen von Form und Zahl, die es jetzt versuchen soll, ihm durch Gegenstände, die es im Kreise seines häuslichen Lebens vorher schon lebendig erkannt

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hat, beigebracht werden. Es erscheint desnahen auch von dieser Seite, daß die Mutter, die es schon von seinem ersten Erwachen an im dunklen Bewußtseyn dieser Fundamente belebte, es auch jetzt zu dem deutlichen Erkennen derselben hinführen soll; und u sie muß dies natürlich an eben den Gegenständen versuchen, die dem Kinde schon lange vorher ohne diesen Zweck zum festen Bewußtseyn sind gebracht worden. Da wo die Abstraktion, oder vielmehr die Kraft der reinen Bildung und Anschauung der Zahl und der Form im Kinde durch die Mutter bewirkt ist, was weniger 10 von dem Alter des erstem als von seiner frühern oder spätem, langsamem oder schnellern Entwicklung abhängt, greift nun die Elementarmethode selbstständig ein, und führt auf diese Fundamente ihr Gebäude auf. In Rücksicht auf das dritte Bildungsmittel unserer intellek15 tuellen Kräfte, die Sprache, sehen wir, sie ist wie Zahl und Form ein unnachläßliches Bedingniß der Entfaltung der Menschlichkeit unserer Natur. Wie dem Thier seine eigene Tonart gegeben ist, um seine Empfindungen auszudrücken, so ist dem höher begabten Menschen die Sprache als Mittel, seine Erkenntnisse, seine Ge20 fühle, seine Zwecke, seine Hoffnungen und seine Sorgen ausdrücken zu können, gegeben. Die Sprache ist an sich, in der allgemeinsten pädagogischen Bedeutung betrachtet, der Inbegriff des geistigen Bewußtseyns des Menschengeschlechts von sich selbst und von der Natur. Wie daher jede menschliche Thä25 tigkeit vom Bewußtseyn unzertrennlich ist, und durch dieses sich ihrem Karakter nach als menschlich offenbart, so ist das Sprechen unzertrennlich von allem menschlichen Lernen und Üben. So wenig das Kind ohne Sprache sich der Naturanschauungen und Eindrücke deutlich bewußt werden kann, so wenig so kann es ohne sie zur Erkenntniß auch nur der allerersten Elemente von Form und Zahl geführt werden. An die Sprache knüpft sich die Anschauung der Geisterwelt, wie sich an die äußere Natur die Anschauung der Sinnenwelt knüpft; und wie die äußere Natur das Daseyn der Sinnenwelt selbst ist, so ist die 35 Sprache das Daseyn, d.h., die sichtbare Erscheinung, das wirkliche Hervortreten der im Geist und Gemüthe ruhenden Geisterwelt selbst. Die Folgen dieser Ansicht der Sprache für die Pädagogik erwarten ihre Ausführung an einem ändern Orte. Ich betrachte die Sprache hier nur als eine allgemeine Darstellungs-

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kraft alles dessen, was durch den Umfang aller Fundamente und aller Quellen der menschlichen Erkenntniß in uns entfaltet worden ist. Und hier ist offenbar, daß sie ebenfalls, wie Zahl und Form selbstständig und von den Gegenständen, an denen sich ihre 0 Kraft übt, unabhängend, ist sie mit beiden gleichartig und gemeinsam wirkend, dabei aber in ihren Entfaltungsmitteln ihrer Natur nach an den Gang der ihr vorhergehenden Entfaltungsmittel der menschlichen Kräfte gebunden. Und, so wie in sittlicher Hinsicht, gehen hier in intellektueller alle ihre Mittel 10 von der Natur der Selbstbesorgung des Kindes, von seinen Bedürfnissen und von dem Einfluß seiner nächsten Umgebungen aus. Der Gang, durch den die Sprache das Kind menschlich zu entfalten geschickt ist, muß desnahen der nämliche seyn, durch den Zahl und Form dieses ebenfalls zu thun geschickt ist. Der 15 Gang, durch den das Kind reden lernt, und der, durch den es denken lernt, muß also einer und eben derselbe seyn. So steht die Einheit der Menschennatur in allen Mitteln der Elementarbildung in erhabener Übereinstimmung vor unsern Augen. Selber die erste mechanische Developpirung der Sprachkraft drückt das feste 20 Band dieses von der Elementarführung überall respektirten Gangs der Natur mit Kraft dadurch aus, daß das gedoppelte Fundament der Sprachkraft, der innere Drang, sich durch Töne zu äußern, und der diesen Drang belebende Eindruck der mütterlichen Rede, sich in der Vorstellung des Kindes mit einander ver- 25 mischt, so wie Zahl und Form sich in ihrem ersten Eindruck, mit der Vorstellung des Gegenstandes, in dem ihm diese erscheinen, auch vermischt. Das Wort der Mutter ist dem Kinde im Anfang schon kein bloß thierischer Laut. Wenn es gleich nicht unmittelbar das Wort, das es aus ihrem Munde hört, von ändern Tönen zu 30 unterscheiden vermag, so spricht es dasselbe doch menschlich an, sein Eindruck ist doch bleibend, und bereitet die Bildung seiner Sprachkraft schon mitten in der noch bestehenden Unmöglichkeit des Redenkönnens und in der gänzlichen Unfähigkeit des Verstehens der Worte, die es hört. So wie es bloß durch die sinnliche 35 Einwirkung ihm vorschwebender Gegenstände auf seine Sinne zum ersten Bewußtseyn von Zahl und Form gelangt, so geht es in seinen Anfangsbestrebungen, zur Sprache zu gelangen, von dem seinem kindlichen Alter eigenen Ton seines sinnlichen Be-

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dürfnisses, vom Schreien aus, steigt dann bald von diesem zum lachenden lieblichen Lallen. Das Wort seiner liebenden Mutter ist ihm ein ähnliches, liebliches, lachendes Lallen. Es sieht schon Liebe, Sorgfalt, Leitung und Ernst in diesem mütterlichen Lallen. 5 Es fängt an, das Lallen der Liebe vom Lallen des Ernstes, und das Lallen der Sorgfalt vom Lallen der Freundlichkeit zu unterscheiden. Es wird sich mit jedem Tag mehrerer Worte der Liebe, mehrerer Worte des Ernsts und der Sorgfalt bewußt. Der Ton seines sinnlichen Bedürfnisses kann ihm jetzt nicht 10 mehr genügen; sein Schreien mindert, sein Lallen mehret; es möchte jetzt das Lallen der Mutter, es möchte den Ton ihrer Liebe, den Ton ihres Ernstes nachmachen. Das Bewußtseyn des Worts der Mutter ist ihm nicht mehr ein leerer Schall; das erste Bewußtseyn beides, der Sprache und der Sprachfähigkeit, hat is sich in ihm entfaltet. Der Drang, reden zu können, wird in ihm immer lebendiger; es wird ihm noch schwer, aber es wendet Kraft an, es will reden; ein Wort geräth ihm. Die Mutter ist entzückt, sie herzt das redende Kind, es ist ihr wie eine neue Erscheinung, es erscheint ihr wie ein Kind einer neuen Schöpfung. Es erscheint ihr 20 als ein menschlicheres Wesen. Das Kraftgefühl des Kindes wird beides, durch das Bewußtseyn seines Erfolgs und durch die Liebe der Mutter, belebt. Es redet immer mehr; und die Mutter bemüht sich immer mehr mit dem beseligenden Gefühle der Freude und Liebe, den Rededrang des Kindes zu befriedigen und zu beleben. Das 25 geistige Ich des Kindes organisirt sich. Sein inneres Bewußtseyn von sich erwacht. Mit dem Wort Ich, das es zum erstenmal ausspricht, mit dem erhabenen Ausdruck: ich bin, hat es sich selbst gewonnen, und mit ihm einen ewig festen Mittelpunkt aller Weltanschauung und aller Welterfahrung. Dieses sein Selbst, ein Spie30 gel der Welt, der es zugleich unaufhörlich und auf unendliche Weise an die Welt und ihre Gegenstände knüpft, wird wiederum der allgemeine Anfangspunkt, an dem die Elementarlehre der Sprache nach allen Seiten sich fortleitet, deren vereinigende Mitte in der Idee des Buchs der Mütter aufgestellt ist. 35 Das Ich des Kindes, als Mittelpunkt selbstständiger Geistesentwicklung, zerfällt, wie die Elementarbildung, schon ursprünglich und mit dem Daseyn in drei Richtungen; wie nämlich jene als Bildung des Herzens, als Bildung des Geistes und als Bildung des Körpers ins Auge gefaßt werden muß, so muß das Buch der

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Mütter, das Kind von seinem einen Element aus, dem Ganzen seiner selbst, seinem Ich, sich als Herz, als Geist, als Körper ins Auge fassen lehren. Als Körper ist es sich Gegenstand der Selbstanschauung und Selbstempfindung, als Geist Gegenstand der Selbstthätigkeit und des Selbstbewußtseyns, als Herz Gegenstand 5 des Selbstwollens und Selbstgefühls. Das Daseyn jeder dieser drei Kräfte zerfällt wieder in das Räumliche und in das Zeitliche, in die wirkende und aufnehmende Seite derselben. Am Körper erscheint erstere in den Gliedern, die zweite in den Sinnen; am Geiste offenbart sich jene als die innern Kräfte, diese als die innern 10 Sinne, nämlich als Wahrheitssinn, als Kunstsinn, als moralischer Sinn und als religiöser Sinn. Die sechs ersten Übungen des Buchs der Mütter stellen dem Kinde das Räumliche seines körperlichen Daseyns, die Glieder und ihre Eigenschaften, die siebente das Zeitliche desselben, die Sinne und ihre Thätigkeiten, bis auf eine 15 gewisse Stufe dar. Bloß von der Empfindung oder von irgend einer einzelnen Kraft oder Empfänglichkeit des Kindes auszugehen, wäre hier eben so viel, als wenn man in der Mathematik die Formenlehre, anstatt durch Konstruktion alle Formen durchzuführen und zu erschöpfen, sie einseitig bloß auf das Dreieck oder 20 Viereck gründen wollte. Der Gang der aufgestellten Übungen läßt das Kind unmittelbare Thatsachen, reine Resultate seines Bewußtseyns und seiner Wahrnehmung aussprechen. Weit entfernt, daß seine Aufmerksamkeit und Thätigkeit dabei ein einseitiges Voreilen des Verstandes, das Werk der Reflexion wäre, 25 sammelt es dadurch umfassenden Stoff, reelle Fundamente zu künftiger, gründlicher Reflexion, zur Kraft eines hellen und gesunden Verstandes.*) *) Wir machen wiederholt darauf aufmerksam, das hier Gesagte nicht zu formell, zu enge, zu getrennt vom Ganzen der Methode und unserer Ansicht zu 30 nehmen. An einfache feste Punkte muß sich die Sache und ihr Ausdruck knüpfen, damit beide klar werden. Daß die intellektuelle Thätigkeit des Kindes, so unendlich mannigfaltig sie in sich selbst arbeite, so dunkel und so geheimnißvoll ihr inneres Gewebe wirke, in Form, Zahl und Wort zusammenlaufe; daß sie in diesen Elementarpunkten in absoluter Gestalt und Einheit zu Tage hervor- 35 breche: dies halten wir für entschieden gewiß. Und in eben dieser Einheit glauben wir auch den Faden gefunden, an dem sich jenes Gewebe entwirre, und die geistige Ordnung sich offenbare, oder, wenn das Wort nicht zu grob sinnlich ist, abhaspeln lasse. Wäre dies nicht, so müßte es in dem Werke Gottes, d.h., in der Natur und im menschlichen Geiste so bunt aussehen, als in den Köpfen derer, 40 die über die Elementarmethode ein Spinnengewebe ohne Anfang und Ende

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Wie die Zahl, die Form und die Sprache von den sinnlichen Gegenständen, an denen aich das Kind ihrer zuerst sinnlich bewußt wird, getrennt, an sich und selbstständig dargestellt, angeschaut, aufgefaßt und aus sich entwickelt werden müssen, um 5 zu Elementarmitteln der geistigen Entwicklung erhoben zu werden; wie ohne diese reine objektive Sönderung und Darstellung ewig nie weder ein Zahlensystem, noch die Mathematik, noch die Sprachlehre hätte entstehen können, so ist dies eben so schlechthin mit der Natur des Kindes oder mit seinem Ich als Gegenstand 10 seiner Entwicklung der Fall. Es muß unbedingt nothwendig, um in seinem Verhältniß zur Welt, oder vielmehr zum Weltall, einerseits zur Selbstständigkeit zu gelangen, anderseits sich selbst wiederum als lebendiges Organ zu bilden, das das Leben einfach und kraftvoll in sich aufnimmt, sich an sich, gesondert von den is äußerlichen Dingen, ins Auge fassen, und was es als solches ist, hat, will, kann, soll, muß, elementarisch lückenlos überschauen lernen, d.h., es muß sich selbst objektiv werden*), um von einer durchgeführten Anschauung seiner Beziehungen, Kräfte, Berührungen mit dem Daseyn, empfänglich für alles und geschickt 20 spinnen, und nur darum Verwirrung in ihr und durch sie sehen, weil sie selbige durch absoluten Mißverstand in sie hineintragen. Man sehe Himly's pädagogische Mittheilungen, worüber ein anderes Mal ausführlich. *) Um das Schrecken, theils über die Einseitigkeit dieses Ausdrucks, theils über die Gefahr der Selbstsucht, die dadurch gestiftet werden könnte, zu miri25 dem, erinnern wir hier vorzüglich daran, daß man das Kind im Verhältnisse zu seinem, ganzen Daseyn, in dem es bei diesem Unterrichte nicht nur steht, sondern in den es eben recht eigentlich durch ihn gesetzt wird, ins Auge fasse, und die Bedeutung aller Sinneneindrücke auf dasselbe beherzige. Was giebt ihm die ganze Natur durch ihre Wirkungen auf dasselbe wesentlich anders, 30 als aus dem Mißverstande dieser Empfindungen - und dieser Mißverstand selbst wieder, woraus entspringt er, als aus der Einseitigkeit, Halbheit und Verworrenheit der Eindrücke, die das Kind aufnimmt, als aus dem blinden Herumtappen im Gefühl dessen, was die Natur ihm und was ihm die Natur ist? Den Menschen hier gleich ursprünglich und unmittelbar, ohne alles Kaisonnement, bloß durch 35 den nothwendigen Eindruck der Thatsachen zur unmittelbaren Anschauung der Wahrheit und der Dinge, von ihm selbst auszuführen, ist unwidersprechlich eine rein sittliche Aufgabe, deren Lösung nicht Ichheit, d.h. Selbstsucht, sondern die Freiheit des Ichs, d.h. Sittlichkeit, schlechthin zur Folge haben muß. Das Zeitalter hat freilich Erfahrungen diesfalls an sich gemacht, die dergleichen 40 Bedenklichkeiten hervorbringen. Aber so wenig der Gesunde Krankheitsgefühl an die frische Luft mitbringt, so wenig bringen Kinder ein schon unsittliches Bewußtseyn und eine unsittliche Anschauungs- und Gefühlsweise zu den Elementarübungen mit.

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zu allem, was ihm aufgegeben ist, auf einer höhern Stufe in die Natur zurückzutreten, und in voller Harmonie sich mit ihr auf immer zu vereinigen. Auch hier ist die Forderung, welche die Elementarbildung macht, kein leerer Wunsch, und der Stoff, den sie darbietet, kein eitler Begriff. Die Menschlichkeit selbst und die Philosophie sind ihr zu aller Zeit darin vorangegangen. Die Entwicklung der letztern war von je her an diesen Punkt geknüpft. Es ist Faktum der Geschichte, daß jeder Mensch und jedes Zeitalter nur so viel wahre Humanität, Weisheit, Güte, Tugend, Religion besessen haben, als sie sich selbst auf diese Weise, in ihrer 10 Natur, ihren Kräften und Bedürfnissen, durchfühlten und durchschauten, daß sie die AVeit, das Leben, die Kunst, die Wissenschaft, kurz, alles Vorhandene nur in so weit human zu erkennen, zu betreiben, zu genießen fähig waren, als sie es in diesem Punkte gebracht hatten. 15 Wundern wir uns nicht über die Inhumanität eines Zeitalters, das dieser Idee nicht fähig ist, das sogar den Sinn für sie in sich völlig, wenigstens in der Erziehung, ausgelöscht zu haben scheint. Kaum giebt es eine merkwürdigere Thatsache, als die ihm besonders angehörende Verzauberung auch der bessern Köpfe, ja sogar 20 der ausgezeichnetsten Denker, daß sie ihre eigenen Ideen nicht mehr erkennen, sobald sie als Thatsachen aufgestellt sind; daß sie sich in ihren Forderungen, die sie als Begriffe aussprechen, überall verwirren, wo es Wirklichkeit und Realisirung gilt. Aber sie läßt sich aus der allgemeinen Abweichung: die gesammel-25 ten Kenntnisse und die vorhandenen Einrichtungen in ihrem Ursprünge, wie sie aus der M e n s c h e n n a t u r hervorgiengen, und wie sie im Wesen der letztern liegen, a n z u s c h a u e n , und sie darauf zu beziehen, erklären. so Nirgends hat sich dies offenbarer als in den Urtheilen über das Buch der Mütter, in der Art, wie man es gebrauchte, und in der Anwendung, die man von seiner Idee und von seiner Form auf andere Gegenstände machte, gezeigt. Freilich ist die Sprache schon an sich, und noch mehr als Organ aller ändern Erkenntnisse, 35 und als Bedingung der Mittheilung, von unendlicher Vielseitigkeit. Leicht mögen jedoch der Anfangspunkt ihrer formalen Entwicklung und die Mittelglieder ihrer Fortleitung gefunden werden. Um so schwerer aber ist es, in Hinsicht auf die Seite der reellen

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Entwicklung den Mittelpunkt und Inbegriff der Elementaranschauungen, d.h. der Eindrücke, Vorstellungen, Begriffe und Ideen, an den alles Wissen des Kindes sich anknüpft, und durch den es zur Wahrheit über sich selbst und seine Umgebungen 5 gelangt, aufzufinden, und ihn anzuerkennen, obgleich er von der Natur aufs deutlichste bezeichnet ist; um so schwerer ist es, ihn auch, wo er aufgefaßt und anerkannt ist, einfach, harmonisch, lückenlos und allseitig, und doch weder weitläufig noch pedantisch, durchzuführen. 10 Von sehr richtigem Gefühl des Bedürfnisses eines solchen Mittelpunkts ausgehend, ihn als Prinzip sogar lebendig fühlend, gerieth Comenius in der Ausführung ohne Einheit, ohne Zusammenhang, ohne Philosophie, ohne Anschauung des innern organischen Lebens im Kinde auf die Menge der Dinge. Verständiger is dennoch als die, denen (das Objektive und Subjektive durchaus vermischend) jeder einzelne sinnliche Gegenstand zur Übung der Sprache und Anschauung gleich gilt, wollte er dem Kinde alle Gegenstände des Daseyns empirisch vorführen. Aber der Kreis der Gegenstände um den Menschen her ist beschränkt, und weil Co20 menius seine Idee nur in dem Prinzip der sinnlichen Anschauung faßte, die sich ihm, als der einigende Mittelpunkt (denn einen solchen mußte er doch haben) darstellte, so gerieth er aus Bedürfniß auf Abbildungen, und schuf seine gemalte Welt. Basedow dehnte in seinem Elementar werk, indem er zu seinem Hundert 25 Kupfertafeln eben so wohl hundert Bände hatte liefern können, nur aus, was Comenius angefangen hatte. Kühn und groß in seinen Bestrebungen, aber die geistige Selbstständigkeit der Menschennatur verkennend, bloß im Materiellen und in sinnlichen Begriffen lebend, materialisirte er die Erziehung vollkommen, so und unterwarf das Kind unbedingt der objektiven sinnlichen Welt. Nicht nur, was das Kind in seinen Umgebungen in der Natur nicht sehen konnte, wurde ihm nun in Abbildungen vorgeführt, sondern auch das, was es jeden Tag in der Natur selbst wahr und vollkommen sehen kann. Man nahm den Reiz und die 35 Leichtigkeit, die sinnliche Schwäche des Kindes zu zerstreuen, für das Kriterium der pädagogischen Zweckmäßigkeit an; und indem man die Natur suchte, gerieth man in die absoluteste Unnatur, eben weil man sie da suchte, wo sie nicht ist, im bloß äußern und sinnlichen Daseyn. Es war das Verdienst der Revisoren, den

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Basedowschen Materialismus wenigstens zu psychologisiren; aber leider nur ihn, nicht die Erziehung psychologisirten sie. Sie gaben wenigstens die sinnliche Anschauung, den reellen Eindruck der Naturgegenstände, dem Unterricht wieder zurück; und ihre Schuld ist es nicht, wenn noch heute Buchfabrikanten und s Krämerseelen das schlechthinige Verwerfen von Bildern und Kupferstichen für die Elementarentwicklung der Dürftigkeit ihres Ursprungs zuschreiben. Schon vor Basedow erschien zwar Rousseau, wie eine höhere Natur, als Wendepunkt der alten und neuen Welt in der Pädagogik. Von der allgewaltigen Natur all-10 gewaltig ergriffen, die Entfernung seiner Zeitgenossen vom sinnlichkräftigen eben so wohl als vom geistigen Leben, wie kein Anderer, und mit unendlichen Schmerzen fühlend, sprengte er mit herkulischer Kraft die Fesseln des Geistes, und gab das Kind sich selbst, gab die Erziehung dem Kinde und der menschlichen 15 Natur zurück. Allein im Widerspruch mit sich selbst, im Widerspruch mit der Gesellschaft und ihren unveränderlichen Bedürfnissen, im Widerspruch selbst mit dem menschlichen Geiste und den Gesetzen seiner Entfaltung im Daseyn, weil er sich des höhern Punktes der Einheit der Natur und der K u l - 2 o tur, von dem erst ihre Verschiedenheit ausgeht, nicht bewußt wurde, war er weder im Stande, die Selbstständigkeit des Kindes durch die organische Belebung und Entwicklung seiner geistigen Selbstthätigkeit zu behaupten, noch die innere Welt des Menschen mit seiner äußern in Harmonie zu bringen. 25 Wenn darum das Zeitalter ihn nicht faßte, und nur im Gegensatze mit sich selbst begriff, so wurde er besonders von den Erziehern fast ohne Ausnahme mißverstanden. Nur abgöttische Verehrer, oder blödsinnige Erklärer oder erbitterte Gegner findend, blieb sein Emil in seiner erhabenen, als Thatsache der so Kultur welthistorischen Bedeutung (eben so wohl, als die große Idee von Comenius) ein versiegeltes Buch, und bewirkte keine einzige Erscheinung, die seinen Geist ins Licht gesetzt hätte. Sein Konflikt mit dem Zeitgeiste der Pädagogen konnte nur hervorbringen, was endlich erzeugt werden mußte, als einziges, 35 aber immer unvermeidliches Resultat entgegengesetzter Prinzipien, die durch kein höheres vermittelt werden, einen verständigen Eklektizismus, eine breite Empirie, die denn auch wirklich in ihrem höchsten Gipfel, in den Grundsätzen

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des Unterrichts und der Erziehung von Niemeyer, erschienen ist. Das Buch der Mütter, vom Selbst des Kindes, als dem durch die Mutter entwickelten Anfangspunkt ausgehend, und sich dadurch an ihr Thun, so wie an das Thun der Natur im Kinde harmonisch anschließend, macht das Kind in Hinsicht auf Sprache als Nomenklatur mit allen Redetheilen, so mit der Verbindung der Worte zu Sätzen bekannt, und prägt sie ihm übend ein. Indem es die Theile und Gegenstände, die es benennt, selbst auf10 suchen muß, setzt es seine Anschauungs-, seine Bemerkungs- und Kombinationsfähigkeit in Thätigkeit. Zuerst sein räumliches Daseyn, seine Glieder, ihre Eigenschaften, ihre äußern Verhältnisse ins Auge fassend, dann zu den Fähigkeiten und Thätigkeiten seines zeitlichen Daseyns, seines Vermögens zu empfangen und is zu wirken, zu seinen Sinnen und seinen Kräften fortschreitend, wird es seiner selbst im Einzelnen bewußter, und erwacht so zu einer immer klarer und umfassender werdenden Ahnung seiner Verhältnisse zur Natur und zu seinen Umgebungen. Im zusammenhangenden Fortschritte vereinigt sich das Sinnliche und das 20 Geistige zur Einheit einer Erkenntniß bei ihm. Das Äußere und das Innere, das Subjektive und das Objektive, Sprach- und Erkenntnißkraft knüpfen sich aneinander. Wie das einigende äußere Band davon die Sprache ist, so ist das einigende innere Band das Ich des Kindes, d.h., sein Bewußtseyn, seine Anschauung, sein 25 Gefühl von sich selbst. Der Zögling tritt mit voller Unschuld und kindlicher Unbefangenheit, aber zugleich mit Sicherheit ins Gebiet der Selbst-, der Welt-, der Menschenkenntniß und Erfahrung zugleich ein. Ohne Anmaßung lernt er sich in den nothwendigen Schranken und Verhältnissen seiner Natur zugleich kennen, 30 fühlen und bewegen. Zwar kommt er dadurch nicht dahin, über alles zu reden; er kann's nicht, und will's nicht. Aber sein Reden ist das Reden der Wahrheit und der Empfindung, nicht des Scheins und der Täuschung. Wer hätte nicht darauf rechnen sollen, ein solcher Versuch, 35 der den Bedürfnissen der Zeit um so angemessener schien, je mehr die Klage über das zerstückelte Wissen und die Kraftlosigkeit der pädagogischen Brockenlehre laut geworden war, würde wenigstens, als Versuch, in seiner Bedeutung gefaßt und in seiner Tendenz anerkannt werden? Aber nichts weniger als dieses. Er 12 Pestalozri Werke Bd. 22

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soll das Kind zu sich selbst hinführen, den blinden Eindrücken der Außenwelt und der sklavischen Hingebung an sie entziehen; er soll ein fester Punkt seyn, an dem es, indem es sich selbst findet, zugleich den Schlüssel der Dinge finden kann: und aufs neue mißbraucht man seine Form, um das Kind dem Objektiven s zu unterwerfen. Es ensteht ein neuer Comenianismus, der sich nur darin vom alten unterscheidet, daß er sich auf die umgebenden Gegenstände beschränkt und keine Bilder zu Hülfe nimmt. Hier wird es nur formal aufgefaßt: man spinnt aus ihm einen logischen Schematismus von Haupt- und Neben-, Grund- und 10 untergeordneten Abtheüungen, und verliert sich so ins Mechanische und Leere. Dort verliert man sich ins Materielle, und findet es zuträglicher, statt das Kind sich selbst ins Auge fassen zu lassen, es mit Tischen und Bänken, Scheeren und Lichtputzen nach jenem Typus zu beschäftigen. Was bei Basedow mißleitete, 15 die empirische Ansicht und der ganz mißverstandene Begriff: der Unterricht müsse sich nach dem sinnlichen Interesse und dem körperlichen Reize des Kindes richten (ein Begriff, in dem sich alles Verderben der ausübenden Pädagogik als in seinem Zentrum vereinigt, und der nur da statt findet, wo man seine höhere 20 geistige Natur nicht anzuregen, zu bethätigen, so zu interessiren weiß, daß das Kind des körperlichen Reizes vergißt), wird der Forderung der Elementarmethode: der Unterricht müsse naturgemäß und für das Kind belebend seyn, untergeschoben. Der Idealismus selber*) versinkt am Buche der Mütter zum Materia- 25 lismus, und macht bloße körperliche Sensationen zum Mittelpunkt seiner Ausführung. Es fehlte nur noch, daß man, was wirklich geschah, um den Grundsatz der Anschauung und des organischen Zusammenhangs, dem die Elementarmethode eine ganz andere, ganz geistige Bedeutung gab, für die Wissenschaft- so liehen Kenntnisse auszuführen, sie in Form eines Stammbaums darstellte, wie man eben so die Formenlehre als Kinderspiel schon in die Pädagogik eingeführt hat.**) Nichts in der Methode ist den Empirikern empirisch, den Wissenschaftsmenschen wissenschaftlich, den Zartgebildeten fein und glatt genug. Man setzte hinzu, 35 man that davon, man riß aus dem Zusammenhang, man entstellte *) Fichte. Mehrdarüber in der Fortsetzung der Anmerkungen zu seinenRerten. **) Belege und Thataachen darüber liefert unter ändern die Zeitschrift für Pädagogik in Fülle.

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den Gesichtspunkt, aber wenige überließen sich mit Ruhe dem Faden eines Versuchs, dessen wiederholte Ansicht und Durchführung ihnen den enthüllten Geist offenbaren, und sie in den Stand setzen konnte, selbstständig das Mangelnde zu ergänzen, 5 das Abgebrochene fortzusetzen und zu vollenden.*) Freilich ist diese Ergänzung nicht möglich, ohne den reinsten Sinn kindlicher und mütterlicher Unschuld und Einfalt, ohne den anspruchlosen, und göttlichen, durch keine Weltansichten und Weltzwecke verwirrten Sinn der Liebe und Hingebung an das in 10 der Sprache sich offenbarende Gemüth des Kindes. Diese Vollendung ist nicht möglich, ohne die Menschennatur im historischen Gang der Sprachentwickelung, ja aller menschlichen Bildung überhaupt, mit eben so hoher Geisteskraft als frischer Lebensfülle erforscht zu haben. Sie ist nicht möglich, ohne zartes Auffassen is der Lebensregungen des Kindes in ihren leisesten Anklängen, und ohne den Sinn für die Harmonie aller Thätigkeiten, welche die es umgebenden Gestalten der Natur in ihm aufregen. Aber eben dieses entspringt nicht aus einem empirischen Beobachten des Einzelnen, nicht aus einem willkührlichen, von den Äußerungen 20 des Kindes abstrahirten pädagogischen Silhouettenziehen der Umrisse seiner Seele, sondern aus einem genialen Schauen der Bedeutung dieser Äußerungen; aus dem Erfassen und Durchdringen der Seele selbst, die sich darin spiegelt. Sie fordert jenes innere Auge, mit dem Haman und Herder die Menschheit, mit 25 dem Novalis die Natur in ihren Erscheinungen sahen. Wie jetzt die Elementarbildung, so wie sie schon ausgeführt ist, die Verstandes- und Erkenntnißkraft des Kindes ursprünglich *) Den ersten Stoff zu den Verirrungen in der praktischen Ausführung der Anwendung des Buchs der Mütter gab unstreitig der Grundsatz: die Form 30 seiner Behandlung des menschlichen Körpers als den Urtypus zu betrachten, nach dem die Unterrichtsgegenstände behandelt werden müssen. Dies führte 1) zu einer gänzlichen Miökennung des wesentlichen Grundsatzes des Real-Unterrichtes: jeden Gegenstand von sieh selbst und seinen wesentlichen Elementen aus ins Auge zu fassen. 2) Gieng darüber 35 die Bedeutung des Buchs der Mütter, das Kind von sich selbst aus in die Welt der Umgebungen einzuführen, verloren; man hörte auf, es fortzusetzen und durchzuführen. 3) Wurde die ganze Ansicht der Elementarbildung vernichtet und der Damm durchbrochen, den sie gegen den schrankenlosen Materialismus, und gegen die Willkühr in der Aufnahme äußerlicher zweckloser und zerstückel40 ter Gegenstände in den Unterricht aufgestellt hatte, und es wurde ein neuer, nur verderblicherer Comenianisinus oder Basedowianismus nothwendig.

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positiv, harmonisch und umfassend in Anspruch nimmt, und also die reelle Seite der Elemente und Gegenstände, die in ihrem Wesen liegen, lückenlos darstellt, so wird dadurch auch zur Anschauung und Erkenntniß ihrer rein ideellen und symbolischen Seite das Fundament gelegt - eine Seite der Bildung, die bei den 5 Alten wirklich selbstständig vorhanden war, die als Trieb und Bedürfniß auf dem Gebiete der Kunst, des Lebens und der Religion, theils in zerstückelten Überresten, theils in einer Menge einzelner Gestaltungen noch lebendig von Zeit zu Zeit neu hervorbricht, und ihr allgemeines Wiedererwachen prophetisch ver- 10 kündet. Es ist indeß nicht genug, daß die Grundsätze und die Ausführung der intellektuellen Elementarbildung sich nur in Hinsicht auf die geistige Natur und Entwicklung des Menschen bewähren. Sie müssen sich auch eben so nothwendig durch ihre allgemeine 15 Übereinstimmung mit den übrigen Anlagen und Fähigkeiten desselben rechtfertigen. Sie müssen nicht nur mit dem Entfaltungsgange der letztern überhaupt in Harmonie stehen, sondern auch ihn aussprechen. Sie müssen ein wesentlich die Selbstständigkeit jener übrigen Anlagen ansprechendes und beförderndes Mittel 20 ihrer Entwicklung selbst seyn. Verhält sich dieses mit der intellektuellen Elementarbildung wirklich so ? Ist sie vor allem aus mit der sittlichen Natur des Menschen, ist sie mit den wesentlichen Thatsachen, welche die Geschichte der Menschheit im Gang ihrer sittlichen Entwickelung aufstellt, in vollendeter Übereinstim- 25 mung? Gehen wir zur Beantwortung dieser Fragen einerseits zurück auf die im Vorhergehenden aufgestellten Grundsätze der sittlichen Elementarbildung, so sehen wir, daß auch der ganze Umfang dieser Übungen nichts anders ist, als ein Resultat des psycholo- so gisch geordneten und belebten Gebrauchs der in uns wohnenden sittlichen Kraft, eben so nach dem Impuls des Strebens der sittlichen Natur selber zu ihrer diesfälligen Entfaltung. Fassen wir anderseits vom sittlichen Standpunkte aus die bisherige Darlegung der Natur und des Wesens der einzelnen Abtheilungen der 35 intellektuellen Elementarbildung und ihrer Mittel ins Auge, so erkennen wir in ihr nicht nur die aus der Einheit unserer Natur nothwendig hervorgehende innere Übereinstimmung aller unserer Kräfte und Anlagen und ihren unzertrennlichen ewigen Zusam-

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raenhang unwidersprechlich, sondern es erhellet aus derselben eben so heiter, daß der Mittelpunkt, von dem diese Übereinstimmung wesentlich ausgeht, und nothwendig angesprochen wird, nicht die intellektuelle, und noch weniger die physische, sondern 5 die sittliche Kraft unserer Natur ist, und daß folglich die intellektuelle Bildung an sich schon den Menschen sittb'ch in Anspruch nimmt. Die höchste Thatsache des Wesens und Ganges der sittlichen Entwickelung des Menschengeschlechtes, welche die Geschichte 10 der Menschheit aufweiset, ist keine andere als die des Christen thums. Diese Thatsache ist der Inbegriff und der Erkenntnißgrund aller übrigen sittlichen Thatsachen unserer Natur. Die Sittlichkeit selbst, wie sie in der unwandelbaren und ewigen Beschaffenheit des Menschen liegt, hat sich in der Person und im is Geiste seines Stifters geoffenbaret; und der diesfällige Zweck seines Dasein, die Menschheit in allen ihren Individuen auf eine ihr ganzes Dasein umfassende Weise zu versittlichen, d.h. sittlich zu erziehen, erhebt das Christenthum selbst wiederum zum unwandelbaren und ewigen Prüfstein jeder sittlichen That 20 zum Prüfstein des sittlichen Werths jedes Erziehungsversuches in seinem Wesen. Untersuchen wir das Christenthum nach unsrer im Anfang aufgestellten Idee der Elementarbildung näher, so finden wir in ihm, als dem göttlichen Erziehungsmittel des Menschengeschlechts 25 zur Sittlichkeit, alles, was wir als den Inhalt und die Aufgabe jener Idee forderten, mit der größten Klarheit und in einem übersinnlichen Lichte aufgestellt, und wir können unsere Forderungen und Grundsätze als eben so viele Forderungen und Grundsätze des Christenthums ansehen, nur daß sie in diesem so weit erhabener erscheinen, als wir sie darzustellen vermögen. Es stellt nicht nur in der Idee, von der es ausgegangen, sondern auch eben so vollendet in den Mitteln, die es organisirte, in der Thatsache der Bildung, die sich historisch von ihm herschreibt, eine elementarisch-sittliche Erziehung auf. Wesentliche Ele35 mente, d.h. unveränderliche Anfangs- und Fortleitungspunkte dieser Erziehung, sind von ihm aufgestellt und bearbeitet. Diese Elemente sind, wie seine Fortschritte, allenthalben durchaus positiv und individualisirt. Sie stellen die Individualität der sittlichen Natur des Menschen und die Individualität der Sittlich-

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keit an sich in ihrer reinsten und geschlossensten Erscheinung dar. Überall vergleicht sein Stifter die Gründung seines Reichs mit dem organischen Bildungsgang der Natur. Frei von allen äußern Formen hat er es im Innern des Menschen gegründet. Mit einem Schlag das ganze Gebiet der Menschensatzungen nie- 5 derwerfend, oder vielmehr sich durch den Standpunkt, auf dem er steht und auf den er alles stellt, mit einem Mal darüber erhebend, führt er die sittliche Erziehung unbedingt auf das Ursprüngliche, Einfache, Reine und Unvermittelte aller sittlichen Regung, auf die Gefühle der Liebe, des Danks und des Vertrauens zurück. 10 Das unwandelbare, absolut allgemeine und zugleich eben so absolut individualisirte, d.h. in jedem Individuum als solchem Tugend und Gewissen begründende Wesen der Sittlichkeit setzte er in jedem Menschen voraus, indem er die Freiheit des Willens voraussetzte. Freiheit des Willens hinwieder setzte er faktisch, 15 d.h. im wirklichen Dasein des Menschen erscheinend, geistig in die Wahrheit, die von Gott ausgeht, und von der Gott das Urbild ist; gemüthlich in die Liebe, die von Gott ausgeht, und von der Gott das Urbild ist; physisch in das Handeln in der Wahrheit und in der Liebe, das von Gott ausgeht, und von 20 dem Gott das Urbild ist. Die in der Sittlichkeit des Menschen dargestellte Harmonie und Einheit dieser Wahrheit, dieser Liebe und dieses Handelns, stellt er als das höchste Ziel, als das wahrhaftige Dasein des Menschen, als Vollkommenheit dar. Vollkommen sollen wir seyn, wie der Vater im Himmel. Der Weg zu25 dieser Vollkommenheit ist Gehorsam in unbedingter Hingebung an den Willen Gottes, Tugendübung, Selbstverläugnung, Vernichtung der Persönlichkeit. Diese Selbstverläugnung, diese Vernichtung der Persönlichkeit ist aber selbst nichts anders als das Leben der göttlichen Idee in uns, das sittliche, das ewige Leben, so Der Gehorsam hinwieder, durch den dieses Leben realisirt wird, ist kein knechtischer, sondern ein kindlicher Gehorsam, kein Hingeben an einen fremden Willen, sondern der eigene freie Wille selber; das Gesetz, das in der Natur, im Wesen der Freiheit, der Wahrheit und Liebe liegt, und das diese sich selbst auflegt. Es ist 35 das Gesetz der eigenen Vollkommenheit, nach welcher der Mensch nicht anders als streben, der Seligkeit, die er nicht anders als wollen kann. Es ist als Gesetz, das Gehorsam fordert, zwar unbedingt nothwendig, aber als ein Gesetz, das die Freiheit des

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Individuums sich selbst als die Bedingung ihres Daseins, als seinen eigenen höchsten Werth, und als seine Vollkommenheit und Seligkeit auflegt, unbedingt frei. Diese Freiheit hat der Mensch nur in der ihm in wohnenden Idee, aber nicht als irdisches u Naturwesen, nicht als sinnliches Geschöpf, weil er als letzteres die ewige Wahrheit nicht erkennt, die ewige Liebe nicht fühlt, und fern vom göttlichen Handeln, d.h. im Abfall von Gott ist. Soll er frei werden, so muß ihn der Sohn frei machen, d.h. er muß die in ihm geoifenbarte göttliche Idee durch Gehorsam sich 10 aneignen, und im Gehorsam göttliche Wahrheit und Liebe lernen und üben; aber dies kann er immer nur als Erfüllung des Gesetzes seiner eigenen Natur, als Entwickelung der göttlichen Idee in ihm selber, seiner Liebe zu ihr, und seines Lebens in ihr. So gründete Jesus das Werk der Sittlichkeit auf die göttliche 15 Würde der menschlichen Natur im Kinde, indem er diese Würde als ursprünglich anerkannte, oder vielmehr wiederherstellte, und die ganze Ansicht und Behandlung des Menschen und des Kindes auf die symbolische Darstellung dieser seiner göttlichen Natur {in der Taufe) baute. Er setzte eine Fülle sittlicher Anlagen im 20 Menschen voraus, die er durch lückenlose Übung, durch sich unaufhörlich erweiterndes Thun zur Selbstständigkeit erhob. Er gab der Thätigkeit dieser Anlagen eine allseitig vollendete Anschauung in seiner Person, und knüpfte sie an das Höchste, an die Idee der Gottheit, die er selbst vergegenwärtigte und sichtbar 25 machte. In dieser Idee gab er den Menschen einen höchsten Gesetzgeber und Richter, einen allgegenwärtigen Zeugen seiner Handlungen und seiner innersten Gesinnung, und entwickelte aus ihr die reinste Gewissenhaftigkeit. Nie gieng er in seiner Handlungsweise und in seinen Absichten auf etwas anders als auf die Natur, so als auf das Individuum, das er vor sich hatte, als auf das in ihm Gegebene und das durch seine Beschränkung Mögliche; denn eben darin lag das Wesen seiner eigenen sittlichen Anschauungsweise der Dinge, und in ihr die Macht der Humanität, die das zerstoßene Bohr nicht zerbrach, sondern stärkte, den glimmenden 35 Docht nicht auslöschte, sondern anfachte und nährte. Eben das Allgemeine, Ursprüngliche und Positive seiner Verfahrungsart bestand darin, die sittliche Individualität jedes Einzelnen, und hinwiederum diese für ihre Verhältnisse des Daseins, für ihren Stand und Beruf, erhaben zu vollenden. So war seine Ansicht

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und sein Gang der sittlichen Bildung im Geist und in der Wahrheit universell. So vernichtete er alle Widersprüche der sittlichen Existenz, vereinigte alle Gegensätze derselben in eine göttliche Harmonie, und stellte den Gang Gottes, die ewigen Gesetze, die der Schöpfer in die Menschennatur unmittelbar gelegt hat, in s ihrem eben so unmittelbaren Ausdruck dar. So werden alle Fortschritte, alle sittliche Entwickelungen des Menschengeschlechtes nur sein Prinzip entwickeln, bis ans Ende der Tage. Die hohe Übereinstimmung zwischen dem sittlichen Geiste des Christenthums, und zwischen dem Gang und allen diesfälligen 10 Wirkungen der menschlichen Naturverhältnisse, insbesondere aber zwischen der sittlichen Handlungsweise der Mutter gegen ihr Kind, fällt in die Augen. Die Mutter behandelt bewußtlos ihr Kind als Zögling zur Sittlichkeit, wie das Christenthum mit Bewußtsein den Menschen als Zögling zur Sittlichkeit behandelt; und 15 das Christenthum selbst ist, von dieser Seite ins Auge gefaßt, nichts anders als die Erhebung des Instinkts zur Vernunft, der Natur zur Höhe einer göttlichen Offenbarung. Die Mutter anerkennt keine sittliche Freiheit des Kindes, Wie sie sich ihm in Liebe hingiebt und seine Bedürfnisse befrie- 20 digt, so fordert sie von ihm Gehorsam. Aber wie sie es durch die Liebe, mit der sie sich ihm hingiebt, zur Wahrheit erhebt, so erhebt sie es durch den Gehorsam, den sie von ihm fordert, zur Freiheit. Ihre ganze Liebe geht dahin, wie der ganze Gehorsam des Kindes dahin wirkt, dasselbe einsichtsvoll und kraftvoll, d.h. 25 von ihr unabhängig, selbstständig, frei zu machen. Im Kinde hinwiederum ist es denn die edle Frucht seiner Selbstständigkeit und sittlichen Freiheit, daß es ihr in Liebe diene, und durch freiwillige und freudige Unterwerfung ihr seine Dankbarkeit zeige. Sie lehrt es gehen, damit es ihrer Leitung nicht mehr bedürfe; so können, damit es sich selbst helfe; kennen, damit es selbst wisse, was ihm Noth thut. Sie freut sich, wenn es mehr als sie selber vermag, mehr erkennt, als sie selbst weiß, mehr wird, als sie selbst ist. Der Gehorsam, den sie fordert, ist kein anderer als der gegen seine eigene Natur und Bedürfnisse; ihr Wille 35 kein anderer als das Gesetz, welches ihm seine Vernunft, wäre es mündig, d.h. frei, selbst auflegte, und wozu es sich aus eigenem Triebe bestimmen würde. Aber sie setzt diesen Willen, sie setzt die ganze Fülle sittlicher Anlagen der Menschennatur im

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Kinde voraus. Sie vertraut der Vernunft, die in ihm sich erst noch entwickeln soll, unbedingt, wie ihrer eigenen Vernunft. Mitten indem sie Gehorsam von ihn fordert, je eben, daß sie dies, und durch die Art, wie sie es thut, muthet sie ihm dieselbe 5 als etwas Gegebenes, als eine Thatsache an. Sie züchtigt ihr Kind, sie fordert Rechenschaft von ihm, sie zieht es zur Verantwortung, und erklärt es eben dadurch, ohne zu wissen, was sie thut, als ein freies, vernünftiges Geschöpf. Seine Schwäche ist ihre Stärke, sein Bedürfniß ihre Liebe, und ihre begeisternde 10 Hoffnung das, was es einst sein wird. Sie giebt der Übung des Kindes im sittlichen Fühlen, Reden und Thun, durch welche sie es zur Selbstständigkeit erhebt, ein lebendiges Muster in ihrem eigenen sittlichen Fühlen, Reden und Thun. Ihre Gegenwart, der ganze Eindruck ihres Daseins erzeugt im Kinde das is sittliche Bewußtsein, die Keime und Elemente der Idee des Guten. Ihre Aufsicht, unter der es während ihrer Abwesenheit steht, die Forderung, die sie an das Kind macht, auch während derselben zu handeln, als wäre sie zugegen, bringt in ihm die 20 Gewohnheit und Fertigkeit hervor, überall vor ihren Augen zu wandeln. Sein Gewissen erwacht. Die Vorstellung seiner Mutter erzeugt Gewissenhaftigkeit in ihm. Das Bild seiner Mutter, das es überall begleitet, wird selbst sein Gewissen. Sie ist eben so die erste ihm bewußte Vorsehung. Wie sie es richtet, lernt 25 es sich selbst richten. Wie sie es, dadurch daß sie es richtet, sich selbst richten lehrt, so zeigt sie ihm in Gott, da - wo ihre Gegenwart nicht mehr hingelangt, und ihre Einsicht zu schwach ist, den höchsten, einen allgegenwärtigen und allwissenden, einen heiligen und gerechten Richter. Sie sanktionirt, sie heiligt so die Vorschriften und Gesetze, die sie als Stellvertreterin der Natur und des Gewissens des Kindes ihm auflegt, als göttliche Gebote, und erweitert auf diesem Wege, wie sich die Einsichten, die Kräfte und die Bedürfnisse ihres Kindes selbst erweitern, seine sittliche Stimmung zu einer durchgeführten sittlichen 35 Lebens- und Weltansicht. Diese Ansicht aber, indem sie einerseits die unveränderliche und ewige Natur der Sittlichkeit selbst ausdrückt, schließt sich in allen ihren Theilen an die Individualität des Kindes, seiner Äußerungen und seiner Verhältnisse mit seinen Geschwistern, Verwandten, Kammeraden u.s.w. an.

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Es ist dem kindlichen Vorschritt seiner allseitigen Entfaltung gemäß, und seinem Wesen nach selbst nichts anders, als die Erweiterung der Thätigkeit und des Umfangs seiner ursprünglichen, sittlichen Natur selber. Wie die gute Mutter diesfalls handelt, so handelt der gute Vater, so bringt es das häusliche 0 Naturverhältniß in jeder Beziehung von selbst mit sich. Alles, was die sittliche Elementarbildung dem Kinde sein kann, das muß sie ihm in diesem Geiste der Mutter und des Christenthums sein. Wo die Mutter dem Kinde mangelt, da muß sie ihm dieselbe durch den reinen menschlichen Geist, der im Lehrer 10 lebt, ersetzen. Wo die Mutter die Grundlage gelegt hat, da muß sie fortbauen, und ihre Eindrücke und Wirkungen aus dieser Grundlage selbst entwickeln. Sie darf es mit seinen frühern Verhältnissen der Gesinnung und Stimmung nach auf keine Weise in Widerspruch setzen, sondern soll ihr ganzes Thun damit in or- is ganischen Zusammenhang bringen. Die Wichtigkeit ist unbedingt groß, welche dieser Gesichtspunkt in der Erziehung auf Lehre und Anstalten behauptet. Wenn aber irgendwo, so wird es hier auffallend, daß umfassende, der menschlichen Natur entsprechende, sittliche Erziehungs- 20 grundsätze und Erziehungsmittel nur da in der That und Wahrheit statt finden können, wo die Menschen und das Leben selbst sittlich sind, und daß, ehe die Erziehungskunst zu irgend einiger Vollkommenheit von dieser Seite erhoben werden kann, ihr eine vollendete sittliche Ansicht der Menschennatur, wie sich diese 25 auf allen Stufen des menschlichen Daseins und in allen Gestalten ausbildet, vorausgehen muß. Für meinen Zweck genügt es hier, den diesfälligen Standpunkt und die Tendenz meiner Unternehmung zu bezeichnen. Alles, was die menschlichen Naturanlagen und ihren Stufengang, was Belohnungen und Strafen, was so die häuslichen und bürgerlichen Berührungspunkte, was Beruf, was Stand, was Amt betrifft, gehört mit in den Kreis dieser Untersuchung. Wenn, in so fern die Ansicht von dem Wesen der Elementarbildung mit dem Wesen des Christenthums, in so weit dieses als 35 die Offenbarung unserer sittlichen Natur und ihrer Entwickelung betrachtet wird, in vollendeter Übereinstimmung, folglich das Wesen der erstem mit dem des letztern unmittelbar Eins ist, wenn ich kühn die Grundsätze, die der ersten entgegen sind, als

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unchristlich bezeichnen darf; wenn folglich die Elementarmittel der sittlichen Bildung, und mit ihnen das allgemeine Fundament aller Elementarbildung, nicht die Sache einer menschlichen Kunst, einer menschlichen Erfindung ist, sondern im Gegentheil 5 im Wesen des Christenthums schon da liegt; so fragt sichs nun noch insbesondere: Sind die dargestellten Mittel der intellektuellen Elementarbildung mit der anerkannten allgemeinen Basis aller Elementarbildung, mit dem Christenthum, in Übereinstimmung? Diese Übereinstimmung kann aber weder dem tiefern Forscher 10 der Menschennatur, noch dem unbefangenen Beobachter der Resultate der Methode entgehen. Gerade sie ist indeß der wesentliche Gesichtspunkt, aus dem die Methode betrachtet werden kann, und es ist mir um so wichtiger, einige einzelne Züge derselben noch insbesondere zu beleuchten. u Eben wie die hohe Vollendung der sittlichen Bildung im Christenthum, also greift auch die intellektuelle Elementarbildung tief in die Einheit unsere ganzen Seins und Wesens, und spricht wie jenes den Menschen in allen seinen Kräften und Anlagen zugleich an. Eben wie das Christenthum, spricht die Ele20 mentarbildung die Entfaltung der höchsten und heiligsten Anlagen im Menschen, nämlich das Göttliche unserer Natur selbst an, als ein Gemeingut der Menschheit, das hoch über allen Stand und Beruf erhaben ist, und lenkt in Übereinstimmung mit ihm dahin, die Mittel dieser Entfaltung allgemein zu machen. Auch 25 theilt sie gerade hier mit ihm das gleiche Schicksal. Juden und Heiden stießen sich bei der Erscheinung des Christenthums auf die auffallendste Art an der Allgemeinheit der Ansprüche der Menschennatur auf die innere Wahrheit in der Entfaltung ihrer sittlichen Kräfte. In selbstsüchtiger Scheinbildung und ober30 flächlicher Wortgelehrsamkeit zur kalten Unmenschlichkeit herabgesunken, wollten sie in sittlicher und religiöser Hinsicht diese Allgemeinheit nicht; sie war ihnen ein Gräuel; sie wollten jüdisch trennen, was Gott göttlich und menschlich zusammengefügt. Je tiefer sie in das Verderben ihrer elenden Zeitbildung versunken 35 waren, desto anmaßlicher und frecher zeigten sie sich in der lieblosen unmenschlichen Mißkennung, beides der Allgemeinheit und der Reinheit der Ansprüche der Natur in der sittlichen und religiösen Bildung. Eben so stoßen sich heute Menschen, von einem gleichen Zeitgeist ergriffen, an der Allgemeinheit der Ansprüche

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der Menschennatur auf die Entfaltung ihrer intellektuellen und Kunstkräfte. Mit roher Gewalt wollen sie hierin eine Scheidewand festhalten, die ihr ungöttlicher Sinn zwischen ihnen und dem Volke aufgestellt hat. Aber nein! so wie das Christenthum auch in seinen erhabensten Resultaten allgemeiner Antheil der 5 Menschheit, und durchaus nicht ein ausschließlicher Besitz, und vorzüglich nicht ein Vorrecht des Glücklichen ist, das dem Unglücklichen und Elenden unerreichbar wäre, so wenig ist dies die intellektuelle Elementarbildung. Nein! so wenig als die Lehre Jesu, wo sie immer im Geist und in der Wahrheit gepredigt wird, 10 ihrem Geist und Wesen nach dem Niedrigen und Armen im Lande entzogen werden kann, und so wenig dieser im Glauben an Jesum Christum still gestellt und gehindert werden kann, durch ihn zu der höchsten Reinheit des Herzens, zu welcher das Christenthum unser Geschlecht zu erheben vermag, zu gelangen, so wenig ist es 15 möglich, das Wesen der intellektuellen Elementarbildung, wenn sie einmal in ihrem Geiste und in ihrem Wesen feststeht, dem Glücklichen zum ausschließlichen Erbtheil zu machen, und sie dem armen und niedern Mann im Lande zu entziehen, und diesen im Glauben an sie still zu stellen und ihn zu hindern, durch sie 20 nicht zum höchsten Gipfel der Verstandes- und Kunstkräfte zu gelangen, zu denen ihm sein Vater im Himmel Anlagen gegeben. Er ist es, Gott ist es selber, der die Ungleichheit der Menschen durch die Ungleichheit der Gaben, die er einem jeden von uns von Innen verliehen, gegründet; aber er hat sie mit väterlicher Liebe 25 und Weisheit unter seine Kinder vertheilt, und wir sollen darin mit menschlicher Liebe und Weisheit benutzen und leisten, was er mit göttlicher Liebe und Weisheit also gegründet. Der reine Sinn der unschuldigen Natur thut dieses in jedem Falle gern. Er steht in jedem Fall mit Ehrfurcht vor der heiligen Quelle dieses so Unterschieds, und sieht sie mit Dank und Liebe aus der Segenshand seines Vaters fließen, wohin sie will. Wie ihn keine menschliche, keine irdische Größe erhebt, so erhebt ihn der Gedanke, daß alle Kinder der Menschen vor dem Angesichte des Vaters der Menschen gleich sind, und daß er, indem er seine Gaben unter sie 35 austheilt, nicht darauf achtet, ob eines derselben eine Handvoll Erdenkoth mehr als das andere in seiner Hand habe. Auch der gute Mensch achtet die höhern Gaben des Geistes und des Herzens mehr als alle irdische Gaben des Glücks, und

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hält sie seiner heiligsten, seiner treusten Pflege mehr werth, als die ändern. Oder wäre er ein guter Mensch, wenn er das nicht thäte? Ist es denkbar, ist es möglich, daß ein Mensch, der die Ordnung Gottes liebt, und das Wort: Was Gott thut, das ist s wohl gethan - ein einziges Mal mit reinem Herzen ausgesprochen, um des Orts willen, an den Gott diese guten Gaben hinlegt, sie verschmähen, und sie nicht mehr für eine gute Gabe, sie nicht mehr seiner Pflege würdig achten könnte? Nein, fände er sie auch im elendesten, verachtetsten Winkel des Landes; der gute Mensch 10 fühlt, wo sie immer ist, daß sie Gottes gute Gabe und seiner Achtung und Wartung würdig ist. Er erkennt sie, wo er sie immer findet, als eine Art höhern göttlichen Eigenthums. Der niedere, der der Selbstsucht hingegebene Mensch, wenn er den Namen Eigenthum hört, erhebt sich in aller Lebendigkeit seines be15 schränkten Sinnes. Ja! das Eigenthum muß man achten, schützen und bauen, in wessen Hand es sich auch immer befindet, sonst geht die Erde zu Grunde. Armer Mensch, du hast freilich Recht; aber Gottes höhere Gaben sind der Menschen höheres Eigenthum, und man muß sie achten, schützen und bauen, in wessen Hand 20 sie sich immer befinden, sonst geht die Menschheit zu Grunde. Und doch, dächte ich, das Eigenthum ist um des Menschen, und der Mensch nicht um des Eigenthums willen da. Und wenn Erziehung und Staatskunst Hand in Hand schlagen, daß dieses letzte nicht zu Grunde gehe, sondern Zins trage, in wessen Hand 25 es sich immer befindet, so soll doch, ob Gott will, auch das Herz der Bessern beim Gefühl der Verwahrlosung unsers Geschlechts in Rücksicht auf das erste, auf das höhere Eigenthum unserer Natur, sich in seinem Innersten zum hohen menschlichen Bestreben erheben, daß auch Gottes höhere Gaben des Geistes und so des Herzens in ihrer Mitte allgemein die Pflege und Achtung finden, die der Erdenkoth so wesentlich bedarf und so allgemein findet. In Übereinstimmung mit diesem Gesichtspunkt lenkt die Elementarbildung zu diesem Ziel, und erkennt es für ihre heiligste Pflicht, die Menschheit in ihren ersten göttlichen Gaben nicht 35 unbeholfen und ungepflegt zu Grunde gehen zu lassen, sondern die Anlagen und Kräfte der Menschennatur, in wessen Hand sie sich immer befinden, in dem Grade wirksam und lebendig zu entfalten, in dem sie ihr wirklich gegeben sind. Sie erhebt den seltenen Mann, in dem sie die erforderlichen hohen Anlagen dazu antrifft,

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zur Heldengröße des Geistes und der Kunst; eben so wie das Christenthum den, der dessen fähig ist, zur Heldenhöhe des Herzens erhebt. Und wie das letzte dieses durch eben die Mittel bewirkt, durch die es auch die schwache, weinende Mutter, den Unbeholfenen und den Leidenden, ja selbst den Jammernden, 0 den versunkenen Unglücklichen, wenn auch keine Ader von seltener Heldenkraft in ihm schlägt, dennoch zu höherer innerer Beruhigung emporhebt; also entfaltet die intellektuelle Elementarbildung die Heldenkräfte des Geistes, wo ihre Anlagen immer da sind, durch eben die Mittel, durch die sie auch schwächere 10 Kräfte von Menschen, in denen eben so wenig eine Ader von geistiger Heldenkraft schlägt, dennoch zu einer befriedigenden Beruhigung emporhebt, indem sie alles in ihnen belebt, was nicht außer dem Erreichungsvermögen ihrer selbst liegt. Es ist indessen eben so wahr, wenn die intellektuelle Elemen-15 tarbildung es für ihre höchste Pflicht erkennt, die Menschheit in ihren ersten göttlichen Gaben nicht unbeholfen zu Grund gehen zu lassen, wenn sie ihren höchsten Vorzug darin erkennt, dem Volk und der Kindheit hierzu die Hand zu bieten, so ist sie eben so wenig als Treiberin mit ihrem pädagogischen Stecken hinter 20 ihnen her, sondern sie setzt einen eben so großen Vorzug darin, dasjenige anzuerkennen, was das Volk schon vor ihr in Absicht auf die Entfaltung seiner Kräfte ist, und was es durch die Natur, durch Noth und Bedürfniß, die es wecken, darin zum voraus hat. Sie findet, unabhängig von ihr selbst, in der ursprünglichen Volks- 20 Weisheit wahre menschliche Weisheit, in der ursprünglichen Volkskraft wahre menschliche Kraft, und schätzt neben dem gelehrten Witz den Mutterwitz, neben dem gelehrten Verstand den gesunden Verstand, und neben dem vornehmen Lebensgenuß den persönlichen und häuslichen Freudengenuß des Volks. Seine 30 Verhältnisse geben den letztern nicht selten unmittelbar, was der Glückliche nach langem Umtrieb erst noch künstlich sich zu verschaffen bedarf. Wahrlich, wenn der Gedanke: die intellektuelle Elementarbildung gehöre nicht für das Kind des Armen im Lande, irgend einen vernünftigen Sinn hätte, so müßte er darin 35 liegen, daß der einfache Naturmensch durch die starken Eindrücke seiner eben so einfachen, aber kraftvollen Lage, diejenige menschliche Bildung lebendig und urkräftig findet, die durch seine unnatürlich verschränkte Existenz dem sogenannten Gebildeten

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und Glücklichen entzogen ist, und ihm auf andenn Wege ersetzt werden muß. Die höhere Wahrheit trifft auf jedem Standpunkt zusammen. Die sittliche Bildung ist Menschenbildung, die intellektuelle ist 5 es auch; darum können sie sich auf keinem Punkt, auf dem sie selbst vollendet sind, entgegen stehen. Zwar ist es des Christenthums heiliger Standpunkt und höchstes Ideal, daß das Kind schon in der Unschuld seiner unmündigen Tage von seiner heiligen Kraft ergriffen, und durch eine ununterbrochene Reihenfolge 10 christlicher Übungen seine ganzen Jugendjahre hindurch zu der Höhe des reinen christlichen Lebens - erhoben werde. Dennoch ist es auch gleich wahr, dieses nämliche Christenthum kann, wenn ein guter Mensch auch ohne eine so vorzügliche sittliche Führung aufgewachsen, auch dann, wenn er schon von tausend irrigen und is selbst niedern Ansichten des Lebens verwirrt, von allen Mitteln einer glücklichern Führung entblößt, gelebt, und kaum die Sprache des einfachsten Religionsunterrichtes zu begreifen im Stande ist, diesen Menschen mit seiner heiligen Kraft dennoch ergreifen, und ihn zur höchsten Erhabenheit der sittlichen Bildung 20 emporheben. Auf gleiche Weise ist es freilich auch der höchste Standpunkt der intellektuellen Elementarbildung und ihr höchstes Ideal, daß das Kind von ihr in der Unschuld seiner unmündigen Tage ergriffen, und von dem einfachsten Anfangspunkte ihrer Mittel und 25 ihrer lückenlosen Reihenfolgen zu der höchsten diesfälligen Kraft erhoben werde. Bei allem diesem ist auch hinwieder nicht weniger wahr, daß auch das Kind, das bei weitem nicht von seinen unmündigen Jahren an die Vortheile der Elementarbildung genoß, sondern lange ohne ihre Kunst und Kraft aufgewachsen - es ist so ganz wahr, daß auch der Mensch, dem in seiner Jugend alles gemangelt, was zur frühern Entfaltung seiner diesfälligen Kraft nothwendig gewesen wäre, und sogar der, dessen Anlagen nicht nur durch Vorurtheile und Irrthümer eine falsche Richtung erhalten, sondern selber bis auf einen gewissen Grad verkrüppelt 35 worden, noch in seinen Jünglingsjähren dennoch von den Mitteln der intellektuellen Elementarbildung Hülfe, nicht nur zu einer ihm genugthuenden, sondern sogar zu einer ihn auszeichnenden Ausbildung, erhalten kann. Es ist Thatsache, daß zwanzig und mehrjährige Jünglinge, ohne Vorkenntnisse und ohne frühere

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Bildung, noch in diesen Jahren es dahin gebracht haben, alles, was von der Methode in den Volksschulen anwendbar ist, d. h. die Methode, in BÖ fern sie bloß elementarisch im Gegensatze gegen höhere Entwickelungs- und Bildungsstufen ist, nicht nur begreifen, sondern wirklich lehren zu können. Die Mittel der 5 Methode sind aDe einfach; sie vermannigfaltigen sich, und werden zusammengesetzter und verwickelter, einzig nach Maaßgabe der Kraft, die sich im Zöglinge entwickelt, das Mannigfaltigere, Zusammengesetztere, Verwickeitere zu fassen, und es mit der gleichen Klarheit zu überschauen, wie er vorher das Einfache 10 faßte und überschaute. Ihr wesentlicher Vorzug besteht darin, daß jeder Punkt, auf dem das Kind steht, in ihm so vollendet werden muß, daß die Fähigkeit, das, was es kann, seinem Nebenkinde mitzutheilen, allgemein und nothwendig erzielt werden kann. Daher auch ganz richtig: wenn ein einziger Mensch in einem 15 Dorfe der Methode ganz mächtig ist, so kann er, wenn er Liebe zur Jugend hat, und seine Vervollkommnung, seine innere Erhabenheit im Dienste seiner Mitmenschen sucht, den Segen derselben durch sich selbst, ohne Beihülfe irgend eines ändern Menschen allgemein machen. 20 Ich fahre in meiner Vergleichung fort. So wie in sittlicher Hinsicht die Bildungsfundamente unsers Geschlechtes, die Gefühle und Kräfte, von denen seine sittliche Veredelung ausgeht, nicht durch irgend eine äußere Kunst und Geschicklichkeit in die menschliche Seele hineingebracht werden können, und wie hin- 25 wieder das sittliche Streben nach unendlicher Vollkommenheit in diesen Gefühlen und Kräften, eine not h wendige, von der Natur selbst eingelenkte und hervorgebrachte Folge der Wahrheit und des Lebens in diesen Gefühlen und Kräften selbst, und des Organismus ihres Wachsthums selber ist: also ist auch die menschliche so Kraft, die Gegenstände unserer Anschauung geistig zusammenzusetzen, zu trennen und zu vergleichen, nicht durch irgend eine äußere Kunst in die Seelen der Menschen hineingebracht, sie ist ihrem Wesen eigen und von ihm untrennbar; und hinwider ist das Streben nach einem unendlichen Wachsthum dieser Kraft 35 nichts anders als eine Folge der Wahrheit und des Lebens in dieser Kraft selber, und des Organismus ihrer eigenen Entfaltung. In Verbindung mit dem Streben nach Unendlichkeit in der sittlichen Kraft, wird dann das Streben nach der Unendlichkeit, oder

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nach unendlicher Vervollkommnung der intellektuellen Kunstkräfte seiner selbst, ein Streben nach göttlichen Kräften, oder vielmehr nach göttlicher Vollendung unserer menschlichen Kräfte. Hinwieder, wie jede elementarische Übung der sittlichen 5 Kraft in ihrem Wesen nichts anders ist, und nichts anders sein kann, als eine sittliche Handlung selber, und zwar eine solche, die dem Standpunkte der sittlichen Entfaltung, auf dem das Kind steht, angemessen, von seiner ganzen sittlichen Kraft als Folge seines sittlichen Lebens zur Stärkung dieses Lebens angesprochen 10 wird: so ist auch jede Elementarübung der geistigen Kräfte nichts anders, als eine Handlung unserer geistigen Kraft selber, und zwar eine solche, die dem bestimmten Entfaltungspunkt der diesfälligen Kraft, auf dem das Kind steht, angemessen, und darum auch von dieser als Folge seines geistigen Lebens und als is nothwendige, ihm zur Stärkung dieses Lebens bedürftige, Handlung angesprochen wird. Dieser Grundsatz spricht das praktische Urprinzip, dessen Befolgung das Christenthum vom Erzieher fordert, erst das Innere zu reinigen, damit das Äußere rein werde, als im Wesen der intel20 lektuellen Bildung liegend, unbedingt aus. Seine Folgen sind groß und über das Eigenthümliche des sittlichen Gehalts der letztern entscheidend. Es ergiebt sich aus ihm, daß keine äußern Beweggründe, die nicht rein aus der Natur der menschlichen Kräfte hervorgehen, auf die wahrhaft elementarische Entfaltung dieser 25 Kräfte einigen realen Einfluß haben können. Wie in der sittlichen Bildung jede Einmischung von äußern zufälligen Folgen einer sittlichen Handlung, jede Einmischung der Neigung zur Ehre und der Furcht vor der Schande, der Reinheit und Heiligkeit der Entfaltung der diesfälligen Kräfte mehr nachtheilig ist, wie so sogar nicht einmal das idealische träumende Bewußtsein seiner sittlichen Kraft selber, sondern nur der immediate, die menschliche Natur rein und innig beseligende Eindruck der sittlichen Kraft selber das einige wahr belohnende und die sittliche Kraft rein stärkende Gefühl ist, das von der Unschuld der wahrhaft 35 sittlich erhabenen Natur des Kindes angesprochen wird: so ist auch in der geistigen Elementarbildung jede Einmischung von Ehre und Schande, jeder Antrieb der geistigen Kräfte durch Nacheiferung, ihrer wesentlichen richtigen und unschuldigen Entfaltung mehr nachtheilig als förderlich. Selber das idealische 13

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träumende Bewußtsein seiner geistigen Kraft, und seiner Vergleichung mit dem Grade dieser Kraft in irgend einem ändern, ist kein rein bildendes Mittel dieser Kraft. Im Gegentheil, auch dieses hemmt das göttliche Wachsthum derselben in ihrer Unschuld. Nur das reine, nur das die menschliche Natur in Unschuld erhe- 5 bende Gefühl der Augenblickshandlung, in dem das Kind ein ihm gegebenes geistiges Problem in sich selber aufgelöset hat, und sich dieser Auflösung bewußt ist, nur dieses Gefühl ist als rein geistige Kraftbildung, und als rein menschlicher Reiz zum Fortschritte, und als ein der Menschheit wahrhaft würdiger Lohn 10 seiner Kraft, anzusehen. Aber der große Haufe unserer Zeitmenschen ist, man kann nicht [bestreiten], weit entfernt, diese Wahrheit zu erkennen.*) Es schwebt ein Geist einer gewaltsamen Einlenkung zur unbedingten Annahme entgegengesetzter Grundsätze über unserer 15 Zeit, der so weit geht, daß man sogar die Hoffnung der Hülfe, der Rettung aus den Schwächen, die man sich nicht mehr verbergen kann, auf die Anerkennung solcher, den unserigen entgegenstehender Grundsätze baut, und sich dazu genöthigt glaubt, um die schwache, segenslose, und unbefriedigende Gemüths- 20 Stimmung, welche durch den zaumlosen Lauf unserer Leidenschaften, durch falsche Ehrliebe, durch falsche Scham, und durch ein schrankenlos nacheiferndes Haschen nach Glück und Schein in uns erzeugt worden, wieder durch eben die falsche Ehrliebe, durch falsche Scham, und durch die sinnliche Erhitzung der 25 Kinder zur Nacheiferung in uns auslöschen zu können. Unsere Schwäche hat uns dahin gebracht, daß wir die reinen Kräfte unserer Natur zur Erhebung unser selbst über die Leidenschaften, ohne sie mehr zu kennen, als untauglich und ungenugthuend wegwerfen. Der Elementarbildung hingegen sind diese höhern 30 Kräfte in ihrem ganzen Umfang heilig. Sie macht sie, überall wo sie wirkt und wirken kann, allgemein wieder erkennen und schätzen; sie entspringt selber aus ihrer reinen Ergreifung. Das Kind, in ihrem Geist erzogen, ist in jeder sittlicher, intellektueller und Kunsthinsicht geübt, den Reiz zur Anstren-35 gung seiner Kräfte im Gebrauch dieser Kräfte selber zu suchen. Diese Kraft, von allen Seiten auf sich selbst zu stehen, ist ihm *) Man sehe darüber alle die Abhandlungen über Disziplin, über die Benutzung des Ehrtriebs usw. in pädagogischen Werken und Zeitschriften.

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durch den Umfang der Methode von allen Seiten habituell gemacht. Es vergleicht sich von allen Seiten mit keinem Menschen; es vergleicht sich nur mit sich selbst. So wie es sich in sittlicher Hinsicht nur fragt: Bin ich durch die Verehrung Gottes, bin s ich durch die Übungen meiner sittlichen Kräfte heilig ? - und nie: Bin ich dieses mehr als irgend ein anderer? So fragt es sich auch in intellektueller Hinsicht: Kann ich die Probleme der Übungen auflösen, oder kann ich es nicht ? und nie: Kann ich es besser als ein anderer? Es kennt keinen Maßstab seiner Kraft außer sich 10 selber; und das Zeitalter, oder wenigstens der Zeitaugenblick unserer Schwäche, kennt keinen und sucht keinen in uns selber. Wenigsten zeigt es in seinen brillantesten Erscheinungen über diesen Gesichtspunkt keinen hohen, keinen reinen Takt. Allenthalben mangelt seinen Erziehungsmitteln eine reine innere Bele15 bung der Liebe, und ein stilles Steigen zur Wahrheit. Sein äußeres leidenschaftliches Antreiben unserer Kräfte für einzelne Wahrheiten ist gewöhnlich nichts anders als ein Jagen nach einem Gewild, das schon ein anderer aufgehetzt hat. Es ist wahr, wir suchen in tausend Fällen weit weniger die Wahrheit zu erjagen, 20 als sie einander abzujagen. Aber es war nicht immer also; es waren bessere Zeiten für die Erziehung, und es werden wieder bessere kommen. Wer das blitzende Auge des griechischen Jünglings, wann er sein heiliges Wort: He vreka, ich habe es gefunden, aussprach, sich zu denken vermag, und wer das Auge meiner Zöglinge 25 gesehen hat, wann sie im Augenblicke der Auflösung eines ihrer Probleme ihr unaussprechlich erhebendes: «Ich hab's» aussprechen und sich froh fühlen wie Engel - wer sie gesehen, wie sie sich in diesem Augenblicke ihrer göttlichen Natur mit eben dem Herzen bewußt sind, das dieses Göttliche der Natur im Auge der Un30 schuld ausspricht, wann es im Gefühl der innern Erhebung einer sittlichen That in Thränen zerfließt - wer dieses beides sich vorzustellen vermag und gesehen, ist ganz gewiß weit entfernt, zur Belehrung der höchsten, sittlichen und geistigen Anstrengung der schwachen träumerischen Mittel der Ehre und Schande und der 35 Nacheiferung zu bedürfen. Die Menschennatur ist Gottes, sie ist eine göttliche Natur. Die Einmischung der Welt und ihrer Leidenschaften bildet die Unschuld des Menschen nicht übereinstimmend mit dem hohen heiligen Wesen seiner Natur; sie bildet ihn nicht in seiner Einheit da-

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stehend als ein Ganzes, ansprechend an die Entfaltung seiner selbst, in seinem ganzen Umfang, und übereinstimmend mit sich selbst. Sie bildet ihn nicht elementarisch - sie bildet ihn nicht einmal menschlich. Das Menschliche in unserer Natur wird nur durch das Göttliche, das in ihr liegt, wahrhaft entfaltet. Alle 5 unsere Anlagen bilden sich nur in dieser hohen reinen Entfaltung menschlich. Von Leidenschaften gereizt, und ihrer Unschuld beraubt, in sich selbst ungöttlich, bilden sie uns nicht menschlich. Der Zeitgeist sieht es nicht, wir glauben es nicht, wir verkennen das Reine im Menschen. Die Vorstellung des Göttlichen selber ist 10 nicht rein, nicht erhaben in uns; darum sind wir nicht menschlich. Das starke lebendige Gefühl des Bedürfnisses und der Ansprüche unserer Natur an eine harmonische Entfaltung unserer Kräfte in uns ist geschwächt. Dieser Zustand bringt uns in jedem Fall dahin, daß wir die ersten Bildungsmittel unsere Geschlechtes, die is von der Festhaltung der Einheit unserer Natur ausgehen, als unanwendbar ansehen, und erzeugt nothwendig die größten sonderbarsten Widersprüche und unbestimmtesten Ansichten in unsern Erziehungsbegriffen. Auf alle Weise offenbart sich dieser unsittliche Geist der ge- 20 wohnlichen Pädagogik, mitten indem er die Sittlichkeit anspricht; am aller auffallendsten aber in dem Widerspruch, in den er den Unterricht und die Erziehung mit dem innern und äußern Leben des Kindes setzt, und diesen Widerspruch sogar noch als Grundsatz aufstellt: daß in den Schulstunden bei Kindern ein ganz 25 anderer Geist herrschen müsse, als in den Frei- und Spielstunden, verbunden mit der prononcirtesten Neigung, noch allgemeiner die Schulstunden in Spielstunden, und die Spielstunden in Schulstunden verwandeln zu wollen. Beim Hinsinken in diesen Zustand von unbestimmten Meinungen, die wir bestimmt glauben, und 30 von Widersprüchen, bei denen wir mit uns selber einig zu sein glauben, gehen Wahrheit und Irrthum über unsere Lippen, ohne daß wir weder das Eine noch das Andere erkennen, und weder in dem Einen noch in dem Ändern leben. Die Wahrheit, wie sie uns anspricht, giebt uns keine Ruhe, und der Irrthum, wie er in uns 35 liegt, keine Kraft. Man hatte indessen mit der Meinung, daß in den Schulstunden ein ganz anderer Geist herrschen soll, als in den Spielstunden, wohl Recht, wenn man sie mit Festhaltung der höhern Ansicht der Einheit unserer Natur ins Auge faßte.

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In dieser Ansicht muß das Kind durch die Freiheit zur Nothwendigkeit erzogen, durch die Notwendigkeit zur Freiheit gebildet, und ihrer fähig gemacht werden. Haben die Unterrichtsstunden einen ändern Geist als die Freistunden, so ist es der, daß 5 jene den Geist der Nothwendigkeit und des Gehorsams, diese den Geist der Freiheit und Willkühr im Kinde aussprechen, und dadurch beide den Geist des Seins und Lebens. Die Nothwendigkeit, die strenge Ordnung, die unwandelbare Gesetzmäßigkeit soll im Unterrichtsgange der Lehrstunde herrschen. Der Geist des Leh10 rers und seine Behandlung des Kindes soll aber dennoch während dieser Stunde, wie immer, rein menschlich, d.h. lebendig und frei sein. Nur daß er den Lehrgegenstand selbst in strenger Begränzung und Insichgeschlossenheit erscheinen lasse, damit das Kind unverwirrt, die Sache selbst und keinen Schatten sehe, kein is leeres Spiel treibe! Die Spielstunde soll es losbinden von dieser Beschränkung. In ihr soll das Einzelne zurücktreten, das Kind sich ungehemmt im Ganzen bewegen, sein Leben soll im Leben des All sich erspiegeln und keine steife Form, keine Hemmung den Erguß seines Innern in demselben stören. 20 Das ist der wahre Sinn des nöthigen Unterschieds zwischen dem Bedürfniß der Schulstunden und der Freistunden. Aber tausende, die den Satz aussprechen, gehen nicht von der Einheit der Natur aus, sondern denken sich diese ungleichen Bedürfnisse der Stellung und Lage des Kindes als Bedürfnisse einer ungleichen 25 Natur desselben; sie sondern den Unterricht von der Erziehung, und fordern sogar für den Sprachunterricht einen ändern Geist, als für den Unterricht in der Mathematik, und für den in der Naturgeschichte einen ändern, als für den in der Gesanglehre. Aber der Geist der Erziehung muß in jedem Augenblick der so nämliche sein; und da der Geist des Unterrichts in jedem Falle mit dem Geist der Erziehung ein und ebenderselbe sein soll, so muß auch der Geist des Unterrichts in jedem Fache des Unterrichts der nämliche sein. So in der Spiel- und dann wieder in der Schulstunde. Giebst du dem Kinde in der Schulstunde im ganzen 86 Leben seines Seins und Wesens Nahrung, wie du ihm in der Spielstunde im ganzen Leben seines Seins und Wesens Nahrung giebst: so ist dein Kind in deiner Schulstunde belebt, wie in deiner Spielstunde. Es braucht wahrlich in dieser keine ändern Gesetze und keine ändern Grundsätze als jene.

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Das Kind der guten Mutter lebt in jeder Stunde des Tages in gleichem Geist; es lebt in der Arbeitsstunde wie in der Spielstunde sein ganzes befriedigtes Leben. Und Erzieher, menschlicher Erzieher! soll es in deiner Unterrichtsstunde sein Leben nur halb haben? Wirf, Erzieher, denlrrthum weg! er führt dahin, das Kind 0 zu tödten, das du lebendig machen sollst; und du kannst es in jedem Augenblicke deines Unterrichts. Du kannst, du sollst sein Herz und seinen Geist in jedem desselben wahrhaft und höher beleben, als selber in der Spielstunde. Kannst du es, thust du es, so lebt es in deiner Schule vom Gefühl einer höhern, einer edlern 10 Kraft entzückt, wie es in seiner Spielstunde vom Gefühl niederer Kräfte entzückt lebt. Aber freilich ist auch wahr: wenn du selber nicht in der einfachen, geraden Form des menschlichen Erkennens lebst, wenn du nicht im Stande bist, das Kind in seiner Schulstunde mit deiner Lehre in seinem ganzen Wesen zu ergreifen und 15 höher zu beleben, als du es selber in seiner Spielstunde belebtest, wenn du im Gegentheil für diese Stunde die schwache kindliche Seele mit dem Höcker beladest, den du selber trägst: so ist denn freilich auch natürlich, daß in deiner Schulstunde bei deinem Kind ein ganz anderer Geist herrschen muß, als in der Spielstunde. 20 Auf diesem Wege kommst du dann gewiß nicht dahin, daß bei deinen Kindern in deinen Schulstunden eben der Geist herrsche, den sie sich in ihren Freistunden von selbst geben. Du mußt die nach ihrer Entfaltung hungernde Seele des Kindes speisen und nähren, wie es seine eigene Natur fordert, und nicht wie die 25 Launen böser Eigenheiten oder Verirrungen dich gelüsten machen; wenn du aber das Letzte thust, so wundere dich dann auch nicht, wenn du nicht zu deinem Ziele kommst. Siehest du einen Unsinnigen, der sein Lastthier anstatt zu füttern, hungernd belastet, so wunderst du dich doch nicht, wenn so in der Stunde des traurigsten Lastens und Treibens in seinem Thier eine ganz andere Stimmung herrscht, als in der Stunde, in der es unbelastet auf freier Haide sein Lieblingsfutter findet. Verwundere dich also auch nicht, wenn in der traurigen Stunde unnatürlicher Belastung in der Seele deines Kindes ein 35 ganz anderer Geist herrscht, als in der frohen Stunde seiner Unabhängigkeit von dir und deinem mühseligen Lasten und Treiben; verwundere dich dann nicht, wenn du in deiner Schulstunde für deine Kinder ganz andere Grundsätze nöthig hast, als in der

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Spielstunde. Doch was will ich sagen? Von zehn Schulmeistern, die in diese traurige Verirrung versinken, sind vielleicht neun, die mit ihrer Schule eben so hart und eben so unnatürlich beladen sind, als ihre Schulkinder mit ihnen. Wir schenken ihnen unser 5 Mitleid von Herzen, und bedauern sie, daß sie mit uns in einem Zeitalter leben, das im Allgemeinen für seine Schulmeister eben so wenig von reinen Ansichten der Menschennatur ausgeht, als für seine Schulkinder. Das anmaßliche Zeitalter, das in der Rafinirung und Vermeh10 rung der Unterrichtsmittel, in der Kunst ihrer Ausdehnung und Vielseitigkeit, in der Detail-Bearbeitung und Scheinvollendung derselben einiges Verdienst hat, ist dennoch im Ganzen der rein psychologisch und allgemein in unser Wesen tief eingreifenden Erziehungskraft gegen einfachere, kraftvollere Zeitalter unend15 lieh zurück. Der Geist der Elementarbildung, der im Fache der Erziehung der Geist der Wahrheit ist, ist aus demselben so viel als verschwunden. Sie, die Schulbildung unserer Tage, wie sie im Großen und im Allgemeinen auf die Masse der Menschen wirkt, modelt an unserm Verstand und an unserer Kunstkraft 20 durch die Wissenschaften und die Kunstwerke, wie wenn der Verstand aus den Wissenschaften und die Kunstkraft aus den Kunstwerken hervorgehen müßte. Sie flickt uns die Zierathen eines oberflächlichen und unnützen Vielwissens auf den Eitelkeitsanzug unsers nichtigen, in unsern wesentlichen Anlagen 25 nicht entfalteten Seins auf, wie ein armer Schneiderjunge bunte Fransen auf ein Kleid, das nicht auf den Leib dessen paßt, der es tragen soll. Doch ich fühle, ich falle mit meinen Vergleichungen bald unter das Gemeine. Aber ich kann von Dingen, die mir eckein, nicht mit so Würde reden; und davon schweigen darf ich auch nicht. Es thut Noth, daß wir den Grad unsers diesfälligen Zurückstehens erkennen, und uns die Augen wenigstens über die Resultate desselben aufgehen. Rohe Völker, mit denen wir uns gar nicht vergleichen, sind doch wenigstens einseitig kraftvoll; wir sind nicht einmal 35 das. Wir wähnten es, vielseitig zu sein, und eine höhere Kultur sollte die Kräfte unserer Natur von allen Seiten entfalten. Sie that es nicht, sie war für das Menschengeschlecht keine höhere Kultur, sie war im Allgemeinen für dasselbe ein bloßes Erschlaffungsmittel.

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Ohne sittliche, innere Höhe, beschränkt und dahingegeben in einen leichten, irdischen Sinn, war die Entfaltung des ganzen Menschen nicht einmal ihr Ziel, und die Entfaltung des Einzelnen in ihm mußte nothwendig mißrathen, weil sie in der reinen allgemeinen Entfaltung des Ganzen kein Fundament fand. Beides, 5 die Wahrheit und Liebe, mangelte im Allgemeinen. Die Kraft von beiden war nicht entfaltet. Man fand in der nothwendigen, allgemeinen, zusammenhangenden und übereinstimmenden Belebung der Kräfte und Anlagen des Kindes, man fand im wirklichen Leben desselben kein allgemeines, genugthuendes Fundament jo einer sichern, die Ansprüche des wirklichen Lebens befriedigenden Entfaltung und Übung derselben. Die Folge davon war eben diejenige, die es in physischer Hinsicht hat, wenn ein Acker in der nöthigen zusammenhangenden und übereinstimmenden Bearbeitung kein allgemeines, alle seine 15 Kräfte reinigendes, nährendes, belebendes Fundament zur Entfaltung der Früchte, die er tragen soll, findet. Die Erde trägt ohne eine solche Besorgung nur Unkraut, das den guten Samen erstickt. Wahrheit und Liebe, diese Früchte des Geistes und des Herzens, ersticken beides im ungenügsam entfalteten Geist und im unge- 20 nugsam entfalteten Herzen, wie der gute Same des Feldes im Unkraut. Ohne genugthuenden Anbau verwildert die Menschheit, wie die Erde. Anstatt der Wahrheit ist dann der Schein, anstatt der Liebe die Selbstsucht, anstatt gereifter Kräfte unreife, anmaßliche Schwäche, anstatt Ruhe im Bewußtsein seines innern 25 Werths die Unruhe, die der Mangel dieses Bewußtseins in der menschlichen Seele nothwendig erzeugt, unser Theil.*) *) Ein Werk, welches die Ansichten und Systeme der Menschen und Zeitalter, wie sie aus dem einzeln ins Auge gefaßten, sinnlichen oder geistigen oder gemüthlichen Prinzip der Dinge hervorgiengen, rein historisch, in ihrem Ursprung, 30 ihrem Gang und in ihren Folgen darstellte, wäre gleich wichtig für die Gesetzgebung und Staatswissenschaft, für die Rechts- und Sittenlehre und für die Erziehung. Es würde den dunkeln Grund von tausend tief gefühlten Einseitigkeiten und Irrthümern aufdecken, und damit zugleich zur Erkenntniß des göttlichen Prinzips der Dinge, d.h. der wahren, der umfassenden Humanität, 35 führen. Es würde die sichersten Fundamente darbieten, vom Wissen der Leiter aus das Gute durch Übung bei den Geleiteten zur Gewohnheit, zur Sitte zu machen. Die Kultur- und die Völkergeschichte sind beide gleich voll von Thatsachen, die nur daraus ihren richtigen Gesichtspunkt finden. Wenn Sparta seine gebrechliche Kinder aussetzt; wenn ein Neuerer will, daß jeder, der sich selbst 40 nicht nähren und erhalten kann, zum Wohl des Staats verhungere; wenn ein

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Doch wir fühlten das Unbehagliche unsere Zustandes längst, und wollten durch Anstrengungen für Berufs- und Standesbildung versuchen, uns dennoch wenigstens behaglicher zu setzen, als wir uns selbst fühlten. Aber, wie ein Mensch, der im Sumpf steht, 5 durch die lastende Arbeit sich aus demselben herauszuhelfen, sich nur immer tiefer in denselben hineinarbeitet: so gieng es auch uns mit der einseitigen Einlenkung zur Entfaltung einseitiger Kräfte. Je größer die Lebendigkeit war, mit der wir auf diesem unserer Natur entgegenstehenden Einseitigkeitspfad wandelten, 10 desto tiefer versinken wir in dem Sumpf des Verderbens, aus dem wir uns heraushelfen wollten, und mußten auf diesem bodenlosen Wege endlich dahin kommen, daß die auch noch so sehr auf die Lieblingsirrthümer und Lieblingsschwächen der Zeit gegründete, bloß von Sinnlichkeit und Selbstsucht ausgehende Standes- und is Berufsbildung unserer Schwäche und Sinnlichkeit dennoch zu lästig war, und wir endlich zu einem absolut träumerischen Dasein hinlenkten. Beides, der physischen Kraftbildung und der Verstandesbildung gleich mangelnd, warf sich unser Geschlecht in zahllosen Schwärmen in das unserer Natur tödtliche Meer einer 20 leeren oberflächlichen Aufklärung, und fiel, nur den Thränen eines leichten behaglichen Lebens nachjagend, in den Schlund der wirklichen Welt, wie arme Häringe mitten im behaglichen Anderer die Begründung des Rechte in der Gewalt sucht; wenn ein Pädagoge fordert, daß, weil Kinder nur von ihren Eltern gut erzogen werden können(?!), 25 diejenigen, deren Eltern sie selbst zu erziehen außer Stand sind, lieber gar nicht erzogen, sondern ihrem Schicksal aufgeopfert werden sollen; wenn ein Kultivirter verlangt, unheilbar Gebrechliche und Kranke aus Mitleid ärztlich hinzurichten; wenn die Armenpflege wie ein Polizeigewerbe betrieben wird, und der Geber mit dem Dürftigen außer persönliche und humane Berührung sich setzt, um 30 ja nicht durch einen Fehler in der Berechnung das höchste Ersparungs- und Gewinnstprodukt seiner Gabe zu verfehlen, u. s. w.: so läßt sich, sollen keine höhern, von den Umgebungen und äußern Verhältnissen unabhängigen, über diese Welt hinausreichenden Kräfte, Gefühle und Gesinnungen genährt, geübt und entwickelt werden, gegen alle diese Grundsätze nicht das Geringste einwen35 den. Unverkennbar ist der tiefere Zusammenhang solcher Grundsätze mit irgend einer herrschenden Seite und Anschauungsweise von der menschlichen Natur überhaupt. Die Resultate aller aus ihnen hervorgehenden Bestrebungen müssen nothwendig unrein sein, wie sie selbst es sind. Dieser Einseitigkeitsteufel aber kann durch nichts auegetrieben werden, als durch den in der Geschichte der 40 Menschheit sich erklärenden und verklärenden Geist der Religion und des Christenthume, der vom Mittelpunkt des Daseins, vom göttlichen Prinzip der Dinge aus, jeder einzelnen Richtung derselben ihr Recht widerfahren läßt, alles

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Schwimmen ihrer Schwärme zu ihrem Tod und Verderben in den Schlund der Wallfische hineinfallen. Es konnte nicht anders kommen. Die Standes- und Berufsbildung ist ihrer Natur nach nur die Anpflanzung, Ansäung des Landes, das durch die Menschenbildung gepflügt und zur Saat vorbereitet werden soll, Wo nun das erste mangelt, da wird das andere umsonst gethaii. Standes- und Berufsbildung, die nicht auf das Fundament der Menschenbildung gegründet ist, verfehlt selber ihren eigenen Zweck. Sie muß es; sie ist mit ihr selbst, sie ist mit dem Wesen der 10 Menschennatur, sie ist mit dem Wesen der Sittlichkeit im Widerspruch. Wo reine Menschenkraft mangelt, da ist keine reine Menschentugend möglich. Auch geht die Christuslehre, in der Bildung der Menschen zu ihrem höhern Sinn, nichts weniger als von ihrem Stand und Beruf, sondern vom Wesen ihrer innern 15 Natur selber aus. Sie erkennt durchaus keine Berufs- und keine Standestugenden, wo keine Menschenkraft und keine Menschentugend statt findet; dann freilich läßt sie es auch an keiner Standes- und Berufstugend mangeln, wo die Menschenkraft durch sie wahrhaft gegründet ist. 20 Das Unglück der Zeit ist nicht zu berechnen, daß zahllose Menschen sich durch den Schein einer äußerlichen oberflächlichen Aufklärung, die keine tiefe Verstandesbildung und keine höhere erwärmt und alles bindet. — Ganz nach der obigen Absicht sind die «Nachforschungen über den Gang der Natur in der Entwickelung des Menschengeschlechts» 25 entworfen. Wir kommen gerne auf diesen Versuch zurück. Er ist zwar selbst mehr ein Werk des Vernunftinstinkts als des Bewußtseins; und darum gerade in seiner Hauptbedeutung dunkel. Allein wir betrachten ihn als eine der wesentlichsten Erscheinungen im Ringen des Menschengeschlechts nach einem durchgreifenden und vollständigen Bewußtsein über sich selbst, und als den eigen- 30 thümlichen und innersten Erkenntnisgrund des Wesens, des Gangs und der Form der Methode. Es wird mit der Zeit ausführlich davon die Rede sein. Jetzt ist es nöthig, darauf hinzuweisen, da eine noch geltende Zeitkultur so tief versunken ist, reine Empirie als taube Theorie, und rein historische Entwickelungen als leere Spekulation und als unfruchtbare Philosopheme zu verschreien: da ferner 35 die Geistesbeschränktheit, die vom innern Trieb und vom Leben in der Geschichte und im Gang einzelner Begebenheiten und Unternehmungen nichts ahnet, und bloß einzelne äußere Umstände und Verhältnisse des Orts, der Zeit und der Personen als Geschichte gelten lassen möchte, sogar offiziel darauf auszugehen scheint, durch eine geglaubte historische Erörterung Pestalozzi's ur- 40 sprüngliches Streben auf den gemeinsten niedrigsten Standpunkt, aufs neue, im Urtheil des Publikums zurückzudrängen.

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Kraftbildung zu ihrem Fundamente hatte, sich dennoch über die übrigen Menschen, die Kraft hatten, und ohne Träume wirklich in der Welt lebten, erhaben und sich fähig glaubten, diese in der Realität des Lebens weiter als sie vorgerückte Menschenklasse s als ihre Führer zu leiten, und sie zu ihrem zeitlichen und ewigen Wohl aufzuklären. Man wollte in der Schwäche dieser tiefen Verirrung die Menschen durch Kenntnisse vernünftig machen, und gab weder die Kenntnisse den Menschen vernünftig, noch den Menschen Ver10 nunffc für die Erkenntniß. Man bildete in ihnen die Kraft der Vernunft bei weitem nicht, die das richtige Erkennen der Realgegenstände voraussetzt, und hinwieder bildet. Und doch maßte man sich an, auf einem sehr hohen Grad der Menschenbildung zu stehen, und sogar den Pfad der hohen griechischen Kultur mit 15 sicherm Schritt betreten zu haben. Aber die Griechen hatten die Entfaltung der Menschenkräfte durch freies und selbstständiges Menschenleben, und nicht die Ausdehnung ihres Wissens zum Fundament ihrer Bildung. Ihre Gymnasien waren so wenig etwa philologische Seminarien, als sie 20 die Humanitätsbildung auf das Erlernen fremder, alter oder neuer Sprachen, auf die morgenländische oder die ägyptische Literatur bauten, obgleich ihre Kultur so wenig als die unsrige ursprünglich war. Der ungeheure Irrthum war unserer Zeit vorbehalten, das Leben im Todten zu suchen, statt dieses durch jenes 25 zu beleben.*) Das mußte freilich das Resultat einer Zeit sein, in der das Leben aus der Gegenwart, dem Volk und dem Staat verschwunden war. *) Wie ungriechisch es sei, die Kultur des Menschen und seines Geschlechts von der Überlieferung abhängig zu machen, zeigt der Ausspruch Plato's, der das 30 Lernen höchst bedeutungsvoll ein Wiedererinnern nennt, und in diesem einzigen Worte den pädagogischen Geist der sokratischen Schule wesentlich karakterisirt! In diesem Sinne nannte sich Sokrates die Hebamme des Geistes. So wesentlich der Einfluß der Tradition auch ist, so wesentlich steht ihr im Menschen die lebendige und selbstständige Naturkraft und der Stufengang ihrer Entfaltung 35 gegenüber, ohne die jene nichts vermag. Die Zeit ist da, wo der Mensch anfangen soll, sich selbst und das in ihm Gegebene zu verstehen, und einzusehen, daß alle äußere Mittheilung nur in so fern auf den Menschen wirkt, als der Sinn, sie rein sich anzueignen, durch inneres Leben und eigene Erfahrung in ihm gebildet ist, und als er ihren Inhalt gleichsam zu voraus schon in eich trug. Wenn auch Schii*0 ler, indem ihnen im Unterricht eine neue Welt aufgeht, über ihr inneres Verhältnis zum Gegenstand, in welchem sie sich desselben bewußt werden, sich täuschen,

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Allein die Standes- und Berufsbildung der Griechen gieng aus ihrer Menschenbildung, und nicht ihre Menschenbildung aus ihrer Standesbildung hervor. Ihre Menschenbildung hinwieder war das Werk ihrer bürgerlichen Einrichtungen, ihrer Volkskraft, ihrer Gesetzgebung, ihrer Sitten. Auch wollte niemand weniger als sie, 5 die Wissenschaften popularisiren. Es war uns, es war unserm Zeitalter vorbehalten, die Unmündigen mit den Wissenschaften zu speisen, damit sie unmündig bleiben und kraftvoll scheinen können, ohne daß ihre Kraft irgend einem Schwächling auf Erden im Wege stehe. So machten's, so wollten's die Griechen nicht. Sie machten ihre Unmündigen durch die Erziehung wirklich mündig. Dann griffen die Kraftmenschen unter ihren Mündigen natürlich selbst nach dem höhern Standpunkte, den ihre wissenschaftliche Kultur ihnen ertheilte. Dahin glaube ich, müsse man wieder zielen, und so viel es in unserer Hand liegt, bestimmt durch eben 15 die Mittel, durch welche die Griechen dahin gelangten. Ob wir uns durch die Elementarerziehung diesem Zustand nähern? Wir glauben es. So wie wir im Göttlichen des Christen thums das vollendetste Mittel der Sittlichkeit unsere Geschlechts anerkennen, so erkennen wir in intellektueller Hinsicht Griechen- 20 lands Vorbild als das Vollendetste, das der Menschheit hierin gegeben ist; und ohne im geringsten vom Tode der griechischen Worte, und der noch so herrlichen Überreste ihrer für uns erloschenen innern Wahrheit, auszugehen, und uns gänzlich nur am Wesen der Menschennatur, von der auch sie ausgiengen, festhal- 25 tend, glauben wir, daß es im Geist der Elementarbildung liegt, unser Geschlecht, durch die nothwendigen Folgen der Wahrheit so sollten die Meister wenigstens die Thatsache nicht übersehen, daß der Schüler sie nur nach Maaßgabe dessen faßt, was er selbst ist und was er in sich trägt, d. h. was durch Natur und Thätigkeit in ihm lebt. Warum geht in der deutschen 30 Kultur zum Beispiel erst jetzt das eigentliche Licht auf, das im Orient leuchtet, und auch dies nur den selbstständig und eigenthümlich Gebildeten wahrhaft! War doch morgenländische Literatur durch die Bibel schon seit Jahrhunderten Quelle der Volkskultur! Unstreitig weil man erst jetzt mehr anfängt den Menschen in sich selbst zu erkennen, und dadurch den die nämliche Natur aua- 35 sprechenden Sinn der Bibel zu verstehen fähig geworden ist. Man mußte die Stufe der Entwickelung errungen haben, durch welche eich jenes Licht mit dem Geiste der gegenwärtigen Kultur in Berührung setzen und befreunden konnte. Als durchgreifendes Bildungsgeeetz läßt sich dieser Gesichtspunkt durch alle Perioden der Kultur historisch erweisen, ja durch alle einzelne Erscheinungen 40 derselben.

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in der Entfaltung seiner Kräfte, zu eben den Resultaten zu führen, zu denen Griechenlands Bildung einen großen Theil ihrer Volksmasse hinführte. Sie hatten für ihre Erziehung Gymnasien, d.h. lebendige, 5 körperliche und geistige Übungsplätze. Unser Zeitalter hat dafür Schulen, das heißt erschlaffende, sinnliche Lehr- und Abrichtungsplätze. Denn ganz gewiß ist die größere Anzahl der gewöhnlichen Schulen nichts mehr als dieses. Aber wir glauben, die Methode der Elementarbildung sei geeignet, die Gymnasien, dem Sinn und 10 dem Wesen nach, wieder herzustellen, und auch die Volksschulen, nach einem höhern Begriff, als ihn selbst die Griechen hatten, in körperliche und geistige Übungsplätze zum freien Kampf in Wahrheit und Liebe umzuschaffen, und dadurch den gegenwärtigen vielseitigen Verwirrungen, die in der Volksbildung Statt is haben, mit Erfolg entgegen zu wirken.*) *) Als ich diese Stelle einem Menschen, der mit Kraft in der Welt lebt, und sie benutzt und leitet, wie sie wirklich ist, vorlas, sagte er: Daa ist entweder ein Irrthum, der nur belachenswerth ist, oder eine Anmaßung, die noch minder lobenswerth ist als der Irrthum. Ich antwortete nichts; aber ich glaube, die Welt 20 hat den Mann verschlungen, und er kennt die Menschheit, er kennt die Menschennatur nicht. Die Ansprüche der Menschennatur sind keine Anmaßungen, und wer an sie glaubt, hat Kräfte, die der nicht ahnet, der nicht an sie glaubt. Entweder sind unsere Versuche nichts, gar nichts, oder sie führen uns mit sicherm Schritt auf den Weg, den auch die gereiftesten und die erleuchtetesten Völker 25 betreten haben, um zur allgemeinen und harmonischen Entfaltung aller Kräfte zu gelangen, die in unserer Natur liegen. Und wenn wir den Grundsätzen, von denen wir ausgehen, getreu sind, und uns ihrem Dienst opfern, so dürfen wir wahrlich auch ohne Unbescheidenheit ihnen den Werth geben, der ihnen gebührt und die Hoffnungen auf sie bauen, zu denen uns ihre Resultate selber berechtigen. 30 Wenn ein Arzt mit einem Arzneimittel eine wichtige Erfahrung gemacht, so darf er doch auch ohne Unbescheidenheit seine Erfahrung über dieses Mittel darlegen, und bitten: Prüfet dasselbe, und werfet es nicht darum weg, weil sein Rezept nicht von eurem Hausdoktor geschrieben, und in euern Apotheker-Journalen noch keine Ehrenmeldung von ihm geschehen. So glauben auch wir, nach den 35 Anstrengungen unsere Lebens und nach dem Erfolg so vieler Erfahrungsjahre, ohne Unbescheidenheit bitten zu dürfen: Prüfet unsere Erfahrung, und werfet sie nicht bloß darum weg, weil sie mit den Modeansichten und dem Modebenehmen unserer Zeiterziehung nicht übereinstimmt. Eine unwideraprechliche Thaisache hat dargethan, daß es Elemente der Erziehung und des Unterrichts giebt, 40 die, wenn sie einmal im Geist und in der Wahrheit festen Fuß gegriffen, die unbezweifelten Zwecke der Erziehung, die Menschen sittlich, verständig und geschickt zu machen, auf einen hohen Grad begründen, und so sicher stellen, daß der Zustand der Verwilderung, Unbehülflichkeit und Anmaßung, in welche die

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Wenn von dieser Seite die Harmonie der intellektuellen Elementarbildung mit der Geschichte und dem Leben, und ihre sittliche Übereinstimmung mit dem Christenthum schlechterdings nicht geläugnet werden kann, so bleibt jedoch immer noch die Frage übrig: ob sie auch in Hinsicht auf religiöse Entwickelung 5 und Bildung mit dem letztern übereinstimme, und auf welchen Gesichtspunkten die Methode diesfalls ruhe? Wie die Elementarmethode das Christenthum in seinem Stifter als die absolute und vollendete Offenbarung der sittlichen Menschennatur anerkennt, so anerkennt sie hinwiederum eben 10 dieses Christenthum in seinem Stifter als die absolute und vollendete Offenbarung der religiösen Menschennatur, und eben darin die Erlösung und den Erlöser der Welt. Die Religion selbst, wie sie an sich ist, und wie sie sich im Menschen ausbildet, ist im Erlöser erschienen, und mit ihm hat sich die Religion zu der das 15 ganze Menschengeschlecht umfassenden Aufgabe mit Bewußtsein dieser Mittel beraubte verwahrloaete Menschheit allgemein hinsinkt, nicht mehr denkbar ist. Nein! mit Muth und Vertrauen, und gestützt auf Erfahrungen, die unwidereprechlich sind, sprechen wir das Wort aus: Wo einmal die Elementarbildung in ihrem Geist und in der Wahrheit Fuß gegriffen, da erstickt die wach- 20 sende Kraft des Menschengeschlechts nicht mehr allgemein in ihrer Blüthe, und da wimmelt es ganz gewiß nicht mehr von Froschseelen, die nur dem Storche gefallen, und die kein Glück kennen, als sich in den Schlamm zu werfen und in die Tiefe zu verstecken, um ihr Leben zu erretten. Aber viele denken: das Volk gehört in den Schlamm und Moder, und es ist nicht gut, daß iigend eine Bildung 25 es über denselben erhebt. Es ist freilich nicht gut, daß sich das Volk durch irgend eine Bildung über seinen Stand erhebt. Allein die Elementarbildung, recht im Geist und in der Wahrheit ergriffen, erhebt es nicht über seinen Stand; und wenn sie es über das Versinken in Schlamm und Moder erhebt, so erhebt sie es nur über das Versinken unter jeden Stand, der ein Menschenstand ist; sie erhebt es nur 30 über das Versinken unter das Heilige und Reine in der Menschennatur selber. Sie kann kein wahres Verhältnis ändern; wenn sie aus dem Volke mehr macht, so macht sie auch mehr aus dem Führer des Volks; wenn sie die Hülfsmittel des Armen vermehrt, so vermehrt sie auch die des Wohlhabenden und Reichen, Wenn sie den Menschen von gewöhnlichen Anlagen kraftvoll bildet, eo bildet 35 sie den Menschen von höhern Anlagen, im gleichen Verhältnis, kraftvoller; und wer sich vor ändern auszeichnet, dem bereitet sie eben diese ändern vor, um durch sie desto höher und sicherer das Edelste und Beste zu erreichen. Freilich ist wahr, sie belebt und entfaltet in einem jeden Menschen alle Kräfte, die Gott einem jeden gegeben; sie macht jeden derselben menschlich fühlen, was ihm 40 Gott göttlich gab, und zittert gar nicht mit Maulwurfsaugen blinzelnd zum voraus über die Anwendung, die etwa die Menschen, besonders die Armen unter den Menschen, mit Zeit und Jahren von den Anlagen und Gaben, die Gott ihnen

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erhoben; die Menschen, jeden nach seinen individuellen Anlagen, Bedürfnissen und Kräften mit Gott zu vereinigen, d.h. sie allgemein religiös zu machen, von der Religion aus, die als das Siegel der Göttlichkeit der Menschennatur, schon ursprünglich 5 in einem jeden selbst liegt. Ihre Bestimmung als universelles Erziehungsmittel der Menschheit, trat durch ihn mit der höchsten Klarheit und Macht hervor. Dadurch erhebt sich nicht nur das Christenthum zum unwandelbaren und ewigen Prüfstein jeder religiösen Erscheinung, zum Prüf stein jedes religiösen Erziehungs10 Versuches in seinem Wesen, sondern auch die Elemente und der Gang aller religiösen Entwickelung und Bildung sind in ihm gegeben, und als solche in der Geschichte vollständig entwickelt. Forschen wir nach diesen Elementen und diesem Gange der religiösen Entwickelung des Christenthums, so finden wir in ihm, is in Hinsicht auf die Religion an sich (objektiv), als den absoluten Anfangs- und Mittelpunkt: Gott, d.h. die Idee der Gottheit; in Hinsicht auf die Religion im Menschen, (subjektiv) das Göttliche, den Geist Gottes, die dem Menschen inwohnende göttliche gegeben, machen könnten, wollten und sollten. Sie sucht nur diese Anlagen har20 moniach in ihnen zu entfalten, und durch diese Harmonie Tugend und Weisheit in einem jeden zu gründen, den sie leitet. Denn weiter sorgt sie nichts: sie weiß, was vollendet iet, wirkt zur Vollendung — was vollkommen ist, wirkt zur Vollkommenheit. Sich selbst des im Wesen ihrer Mittel liegenden Strebens nach Vollkommenheit bewußt, darf sie von den Resultaten ihres Thuns durchaus nicht die 25 unglücklichen Folgen befürchten, welche die anmaßliche Volksaufklärung hatte, und haben mußte. Das Wesen und die Tendenz dieses Letzten ist gerade das Gegentheil von ihrem Wesen und ihrer Tendenz; und wenn wir uns mit jedem, die Welt mit unbefangenen Augen ansehenden Menschen vereinigen, die bloße Verstandesaufklärung zu fürchten und ihren traurigen Resultaten vorzubeugen, 30 so weichen wir dennoch nicht von dem festen Vertrauen auf die Resultate einer wahren Kultur, die von der Reinheit unserer Natur ausgeht, und Vollendung und Harmonie als das Fundament eines jeden ihrer Schritte anerkennt. So in sich selbst gegründet, so mit dem Leben und seinen Verhältnissen in der Natur übereinstimmend, darf die Methode es aussprechen: Was Gott dem Men35 sehen vertraut, vertraut sie ihm auch. Sie geht in der Pflege von jedem so weit, als ein jeder ihr folgt; und sie kann es, weil sie des Schlummernden Kräfte nur weckt, und dann der Wachenden jeden nicht nur frei und ungehindert seinen durch Lage und Umstände bestimmten Weg gehen läßt, sondern ihn noch mit der ganzen Kraft ihrer bildenden Hand auf der Wahrheit und dem Wesen des40 selben festhält. Es ist gewiß, wenn sie in ihrer reinen Kraft das Genie des Hirtenknaben und des Müdlings im schweren Dienst weckt, so wechselt um deswillen weder der erste noch der letzte sein Hirtenkleid und den Rock seiner Noth mit dem Affenkleide eines Stölzlings.

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Idee, durch die er Bild Gottes, und aller Religion einzig und allein empfänglich wird; in Hinsicht auf die Vermittlung des Objektiven und Subjektiven, Jesum Christum, als den im Sichtbaren erscheinenden Gott, und als den vollendeten göttlichen Menschen. Das Christenthum ist darin mit dem Anfang aller Offenbarung, 5 mit der Schöpfung der Welt und des Menschen, wie sie die älteste Urkunde von Moses, dieses ewige Symbol universeller Erziehung, erzählt, in der vollkommensten Übereinstimmung, und für die ideale, geistige Stufe der Menschheit, eben das, was jene Urkunde für die reelle, nämlich der Lebenskeim einer organisch-genetischen 10 Entwickelung der Religion in der Geschichte. Es spricht den Glauben des Menschen an, indem es ihn voraussetzt, an den Menschen selbst glaubt, und das Reich Gottes als wesentlich in ihm, als das wahre positive Eigenthum der Kinder erklärt. Es muthet dem Menschen den Glauben an Gott, ursprünglich als 15 Faktum seiner religiösen Natur, geradezu an, es fordert ihn unbedingt, wie es den reinen sittlichen Willen als Faktum seiner sittlichen Natur fordert, und wie es das Dasein Gottes eben so faktisch, als den Grund und den Inbegriff alles Daseins, als das Sein und Leben selbst, kühn, frei, unbedingt aufstellt. Historisch, 20 sehen wir, warf es mit einem Schlage die Leerheit der saduzäischen Wortbegriffe und Wortbeweise, die Heuchelei des pharisäischen Ceremoniendienstes und ihrer Menschensatzung, und die Abgötterei der ganzen jüdischen Symbolik, in der das Äußere an die Stelle des Innern, das Gemeine an die des Heiligen, das Zeichen 25 an die der Idee, der Tempel an die der Religion, und der Altar an die der Gottheit getreten war, darnieder, indem es die Idee wieder herstellte, und zwar in der Person des Stifters selbst, in ihrer lebendigsten Wirklichkeit und in ihrer höchsten Verklärung. So gieng er, der Stifter, in seinem Gange auf das Ursprüngliche, das so Reingegebene der Religion zurück. Sein Ziel war offenbar, von diesem aus in jedem Individuum eine geistige, d.h. göttliche Ansicht, und durch diese in ihm einen göttlichen, d.h. religiös selbstständigen Menschen zu erzeugen, um dadurch den religiösen Worten eine Grundlage, den Begriffen Anschauung, den 36 Beweisen Wahrheit und Überzeugung, den Gebräuchen Geist, den Übungen Kraft, den Symbolen Bedeutung und Heiligkeit zu verschaffen; mit einem Wort: im Leben der Religion das ganze Leben der Menschheit verherrlicht darzustellen, und alle Be-

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dürfnisse der menschlichen Natur zu befriedigen. Dabei verfuhr er auf die einfachste und positivste, auf eine harmonische und lückenlose Weise. Weder einseitig vom Gefühl, noch einseitig vom Begriff, und noch viel weniger von einem einzelnen Gefühl G oder einem einzelnen Begriff, geht er aus. Vielmehr gründet er sein Werk auf die ganze vollständige Entwickelung des menschlichen Geistes, und auf die ganze vollständige Entwickelung des menschlichen Herzens, und erweitert den Umfang seines Unterrichts und seiner Übungen genau in dem Maße, wie sich Geist und 10 Herz seiner Schüler erweitern. Die Grundlage, auf die er alle eigentliche Lehre von Gott als Erkenntniß baut, ist überall, wo ein wahrer Gedanke im Schüler erwacht, Gott zum Gegenstand dieses Gedankens; wo ein reines Gefühl in ihnen rege wird, Gott zum Gegenstand dieses Gefühls; wo eine gute Gesinnung in ihnen is herrschend geworden,Gott zum Bilde dieserGesinnung zu machen; und eben so beim Falschen, Unreinen und Bösen, es durch den Gedanken an Gott aus ihnen zu entfernen. Sein Gang der Geistesund Gefühlsbildung fiel durch diese Übertragung der Gedanken und der Gefühle auf Gott mit der religiösen Bildung überall in 20 Eins zusammen, und er fixirte eben durch dieselbe die Idee von Gott im Menschen, und gab ihr Wahrheit, Bedeutung und Fülle. Mit dem Wachsthum seiner innern geistigen Kraft erweiterte er diese Idee, und erhob Gott in ihm zum höchsten Gegenstande des Geistes, indem er ihm Gott als selbst den vollkommensten Geist, 25 zum höchsten Gegenstand des Herzens, indem er ihn als selbst die Liebe, zum höchsten Gegenstand der Nachahmung und des Gehorsams, indem er ihn als selbst das Ideal unserer Natur aufstellte. Er vermittelte diese Vorstellung, und verwandelte sie dadurch in Anschauung, daß er, wie die Sittlichkeit durch sein Beispiel, so eben so die Gottheit durch das Leben der Idee in ihm, und durch die ganze symbolische Bedeutung seines Thuns und seiner Schicksale sichtbar machte. Auf diesem Wege bethätigte er eines jeden religiösen Sinn, und führte jeden seiner Jünger dahin, das göttliche Leben selbstständig in sich aufzunehmen und aus sich 35 individuell wieder darzustellen. Durch die Gottheit in ihm erkannte er die Individualität eines jeden, und war wiederum fähig, der Mittelpunkt der religiösen Anschauung eines jeden zu werden, der zu der geistigen Ansicht der Dinge und des Lebens erhoben, die Religion geistig aufnimmt. Über alle Schranken äußerlicher 14 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Verhältnisse hinaus, reinigte und heiligte er die menschliche Natur selbst in jedem Individuum. So vereinigte er alle Gegensätze der religiösen Bildung, vernichtete alle Widersprüche des religiösen Daseins, und so wird auch aller religiöser Fortschritt des Menschengeschlechtes, bewußt oder unbewußt, nur sein Prinzip ent- s wickeln bis ans Ende der Tage. Auch in diesem Punkt findet sich in allem Thun der Menschennatur eine hohe göttliche Harmonie; denn auch der Instinkt der frommen Mutter thut, wenn gleich in einem unendlich beschränktem Umfange an ihrem Kinde, was das Christenthum 10 auch thut; und wie die Mutter bewußtlos und unwillkührlich aus reiner Liebe gegen ihr Kind, wie Gott gegen den Menschen handelt, eben so ist das Christenthum von dieser Seite wesentlich nichts anders, als die vollendete Entwickelung und Darstellung des mütterlichen Seins und Verhältnisses. Wie daher das erste 15 Thun der einfachen verständigen Mutter, Typus der Verstandesbildung, und das der reinen unschuldvollen und sittlichen Mutter, Typus der sittlichen Bildung ist: so ist auch das erste Thun der religiösen Mutter Typus der religiösen Bildung. Ihr Kind ist ihr ein heiliges, ein göttliches Geschenk. Sie geht, um es zu Gott zu 20 führen, vom keinem Begriff aus, von keinem Beweis und von keiner Erklärung. Sie trägt vielmehr ihren Sinn und ihr Gefühl, ihren heiligen Glauben an Gott, als ihr höchstes und als ein unmittelbar gewisses Gut, gleichsam durch einen göttlichen Anhauch, unmittelbar in die Seele des Kindes über. Sie selbst, das 25 häusliche Leben unter den Eltern und Geschwistern, die Natur u.s.w. sprechen alle Gefühle des Kindes an, und bringen sie zur Thätigkeit. Die Mutter giebt allem religiöse Bedeutung; sie leitet sie alle auf Gott. Angeregt von der Größe und Macht der Natur, nennt so sie ihm Gott, und es fängt an, ihn als den allmächtigen und unsichtbaren Schöpfer und Erhalter aller Dinge zu erkennen und zu bewundern. Angeregt von ihrer Wohlthätigkeit, nennt sie ihm Gott, und es fängt an, ihn als den freundlichen und milden Geber, als Güte zu empfinden und zu lieben. Angeregt von ihrer Schön- 35 heit und Ordnung, nennt sie ihm Gott, und es fängt an, ihn als den Herrlichen und Weisen zu verehren. Angeregt von den Wundern der Natur, die sie ihm nicht erklären kann, nennt sie ihm Gott, und es ahnet den Unerforschlichen und Geheimnißvollen,

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u. s. w. Wie ihm am Himmel und auf Erde, in der Natur und im Menschen, in ihm und außer ihm der Sinn für einen neuen Gegenstand aufgeht, so geht ihm an ihrer Hand eine neue göttliche Erscheinung auf. Immer aber bleibt die Mutter Vermittlerin, und in 5 ihr selbst erscheint ihm der unsichtbare Vater in der erfreulichsten und erquickendsten Gestalt. In gleichem Geiste handelt der Vater, wo er sein Kind religiös behandelt. Und wie dieses seine Eltern liebt, ihnen dankt, vertraut, so umfaßt, verehrt es den himmlischen Vater, und giebt 10 sich seiner Führung hin. Welchen Begriff oder welches Bild sich das Kind von Gott mache, darüber ist die Mutter nicht ängstlich verlegen, und sie bedarf es nicht; denn ihr Kind schreitet, durch sie geleitet, fort in der Einheit seiner Natur. Ihre Führung bewahrt es vor dem Widerspruch mit sich selbst, und dadurch vor is der einzigen Klippe, durch die irreligiöser Sinn in ihm aufkeimen könnte. Eben weil sie ihm Gott in allem zeigt, ist es auch Eins, d.h. zufrieden mit allem, und beruhigt über alles. Gott ist ihm in allem gegenwärtig. Es wandelt vor ihm und ist fromm. Es personifizirt sich Gott instinktartig, unvermeidlich, nothwendig. 20 Und in dem Maße, wie sich sein Geist über die sichtbare Natur erhebt, so erhebt sich auch seine personifizirte Idee von Gott über alles Sichtbare und Vergängliche zur Vorstellung eines unsichtbaren und ewigen Schöpfers und Herrn der Natur, eines in einem unzugänglichen Lichte wohnenden Führers und Vaters der 25 Menschheit, vor dessen Auge alles aufgedeckt ist. dem sich nur das Heilige nahen kann. Eben weil es sich seine Begriffe von Gott selbstthätig bildet, weil sie aus dem Wesen seiner ganzen Führung herausfallen, und diese Führung hinwieder eine, ihrer innersten Natur nach, religiöse, es befriedigende Führung ist, kann es nie 30 dahin kommen, wohin es bei allem bisherigen KatechismusUnterricht unvermeidlich kommen muß, weil dieser ihm seine Erkenntniß von Gott in einseitigen Begriffen, getrennt von innerer Anschauung, vom Gefühl, von der Natur, vom Leben, vom Gang seiner Entwickelung, vom Grad seiner Kräfte und vom Bedürfniß 35 seiner Lage giebt, daß es sich unter Gott etwas denkt, von ihm etwas hofft, fordert, erwartet, das der Wirklichkeit, oder der Möglichkeit, wie sie vor ihm steht und auf es wirkt, widerspricht, und wodurch es sich in Zweifel oder praktischen Unglauben stürzen muß.

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In eben der Einheit seiner Natur, in der die Mutter das Kind zu Gott führt, führt sie es zu Christus, und auf die nämliche Weise positiv, historisch, faktisch, und übt es die lieblichen Phantasien seiner Kindheit, seine Gedanken und Gefühle auf ihn überzutragen, und sie zu reinigen, zu erheben, zu heiligen, indem 5 es sie ihm weiht und heiligt.*) Die Elementarbildung gründet den Religionsunterricht auf das heilige Fundament des Christenthums; und eben so baut sie ihn auf das unerschütterliche Fundament der mütterlichen Handlungsweise. Wie sie die sittliche und intellektuelle Ent- 10 Wickelung des Kindes, nach dem Gesichtspunkte des Buchs der Mütter, dann übernimmt, wann es zum Bewußtsein seiner selbst durch die Mutter nach allen Richtungen seines Wesens angeregt und erwacht ist, und von sich sagen kann: Ich bin, so übernimmt sie seine religiöse Entwickelung nach dem Gesichtspunkt 15 eben dieses Buchs, wann es der Vorstellung von Gott selbstständig bewußt, das erhabene Wort zu denken vermag: Gott ist. Mit diesem Gedanken führt sie es in die Natur, und zeigt ihm in ihr den in ihren Erscheinungen und Gestalten sich offenbarenden, alle Tiefen seiner Gedanken und Gefühle ansprechenden Schöpfer 20 und Herrn, und sein Verhältniß zu ihm, wie sein religiöses Verhältniß zur Natur, wozu sie an der Entwickelungs-Geschichte der religiösen Naturanschauung, wie sie das alte Testament aufweiset, ein unvergleichliches Muster hat. Mit ihm führt sie es in sich selbst, und zeigt ihm den in seinen körperlichen, geistigen 25 und sittlichen Anlagen, in den Kräften und Gesetzen seiner Natur, in seiner Vernunft und in seinem Gewissen sich offenbarenden Gesetzgeber und Richter, sein Verhältniß zu ihm, und sein religiöses Verhältniß zu sich selbst, wozu ihm das Beispiel Jesu Christi ein vollendetes Urbild aufstellt. Mit ihm führt sie es in die so *) Das Christenthum in seiner Erscheinung im häuslichen und kirchlichen Leben bietet auch hierüber Hülfsmittel dar, deren Bedeutung in neuern Zeiten sehr verkannt worden. Dahin rechnen wir die Kinderfeste und Gaben, die sich auf die christliche Kirche beziehen, z.B. das Christkind, Ostern, und andere Weihgeschenke. Der Aberglaube verwandelte sie in Fratzen, die Irreligiosität in 36 Sinnlichkeitsgenießungen. Die Aufklärung, die den Sinn verloren, fragt nach dem Nutzen und berechnet die Kosten; sie will selbige als einfältiges Thun und als unnöthige Ausgabe abschaffen. Zur christlichen K i n d e r z u c h t aber gehören sie wesentlich, und der, nach der Uridee der Religion, gereinigte häuslichreligiöse Sinn muß sie schlechthin wieder herstellen. 40

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Geschichte und zeigt ihm die im Gang des Menschengeschlechts erscheinende Vorsehung, den in ihm sich darstellenden göttlichen Erzieher und Vater, sein Verhältniß zu ihm, und sein religiöses Verhältnis zur Menschheit, wozu sie nur die Offenbarung des ä Christenthums darzustellen braucht. Doch, was sage ich: die Elementarbildung thut dieses? Nein! sie thut es nicht. Sie will, sie versucht, sie fordert es nur. Sie stellt ihre Grundsätze auf, um jeden, der zu ihrer Ausführung Kraft fühlt, dazu aufzufordern, um sie dankbar von ihm anzunehmen. 10 Es ist unwidersprechlich gewiß, daß ein ganz einfacher, aus dem Geist der Religion, des Christenthums und der Menschennatur geschöpfter, sie wiederum in sich wesentlich vereinigender, religiöser Unterrichtsgang nur das endliche Resultat eines universellen Sinns für die Religion in allen Gestalten, und für die Mensch15 heit auf allen Entwicklungsstufen sein kann. Es ist aber eben so unwidersprechlich gewiß, daß dieser Sinn nur durch die intellektuelle Elementarbildung geweckt wird, und daß auch das Christenthum die dadurch entwickelte Geisteskraft nicht nur nicht verwirft, sondern sie voraussetzt, sie fordert. Denn wie soll der 20 Mensch ohne geistige Entfaltung Gott als Geist erkennen, ihn im Geist und in der Wahrheit anbeten? - Und eben so gewiß ist wieder, daß der religiöse Unterricht des Kindes nur dann sein Ziel erreichen kann, wann er aus dem ganzen Sein und Thun des Kindes herausfällt, d.h., wenn es im umfassendsten Sinne, der 25 Gesinnung nach religiös behandelt wird, und das Leben selbst religiös organisirt ist. Die Folgen dieses Grundsatzes sind höchst umfassend und greifen, wie die Idee der Elementarbildung, als Fundament der Nationalbildung, in alle Verhältnisse des Lebens ein.*) 30

*) Das Gesagte wird hoffentlich hinreichen, das durchaus Christliche und der göttlichen Offenbarung in der heiligen Schrift Gemäße unserer religiösen Grundsätze zu beweisen. Es wird hinreichen, darzuthun, daß wir gleich weit entfernt sind von der Seibatvergötterung, zu der ein moralischer Egoismus, dem die Natur todt, d.h., ohne Gott ist, der folglich keinen Gegenstand außer sich 36 besitzt, dem er sich mit Demuth und Glauben hingeben könnte, nothwendig hinführt; von der Naturvergötterung, die eine blinde Hingebung an die Natur, ohne Anerkennung der Selbstständigkeit des Sittlichen und Göttlichen in uns selbst, eben so unvermeidlich zur Folge hat; und endlich von der Persönlichkeitsvergötterung, d.h., dem Aberglauben, der die bloß sinnliche Er40 scheinung der Person, in der Gott sich offenbarte, das bloß Z e i t l i c h e und Vergängliche an ihr zu Gott selbst macht, und durch diese Abgötterei, diesen

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Man hat der intellektuellen Elementarbildung laut den Vorwurf gemacht, daß sie ihren Zögling zu früh aus dem heiligen Dunkel der Ahnung, der Wahrheit und des frommen vorgreifenden Glaubens herausreiße. Aber eine Methode, die nach ihrem Wesen die Menschennatur als eine Einheit, als ein Ganzes im 5 Umfang aller ihrer Kräfte und Anlagen anspricht; eine Methode, welche die Sittlichkeit und Religiosität nicht bloß als schwesterliche Gehülfen der intellektuellen Bildung, sondern als ihr absolutes und nothwendiges Fundament anerkennt; eine Methode, die unsere Natur, ehe sie selbige zur Einsicht und Erkenntniß 10 führt, durch höhere Gefühle erhebt, und die zarten Bande der kindlichen und elterlichen Verhältnisse, die sich in Dankbarkeit, Liebe und Vertrauen aussprechen, schon in der Unmündigkeit ihres Zöglings vom Vater und Mutter des zeitlichen Lebens auf seinen Vater im Himmel hinüberträgt, und die Einheit der 15 menschlichen Bildung und die Möglichkeit der harmonischen Vereinigung der Mittel seiner sittlichen, intellektuellen und physischen Entfaltung nur durch die Übertragung der kindlichen Gefühle gegen die Mutter auf den Glauben und die Anbetung Gottes erreichbar glaubt; eine Methode, die in jedem ersten Wort, 20 das sie lehrt, in jeder Kraft, die sie übt, in jeder Wahrheit, die sie mittheilt, nur Thatsachen und keine Begriffe giebt, und die jeden Begriff, den das Kind sich bildet, auf die Anschauungen von Thatsachen gründet - eine solche Methode kann wahrlich das wahren Götzendienst, in ihrem Wesen irreligiös und unheilig ist. Es wird be- 25 weisen, daß wir nichts anders wollen, als daß Christus in uns lebe und nicht wir, d.h., daß wir durch ihn und durch seine Erlösung alles in Gott sehen, und alle unsere Werke in Gott thun, wie er alles in Gott sah und alle seine Werke in Gott that. Wenn man uns fragt: warum der religiöse Unterrichtsgang in der Anstalt 30 noch so wenig bearbeitet ist, in Vergleichung mit den Unterrichtsgegenständen der intellektuellen Bildung, und insbesondere: warum kein aus der Anstalt hervorgehender Lehrer von dem Religionsunterricht bestimmte Rechenschaft geben, seine Form darstellen und aie anwenden kann, so antworten wir: Nicht nur, weil dieser Gegenstand das Innerste und Höchste betrifft; nicht nur, weil es in 35 der wahren Religion keine Form ohne das Wesen giebt, und wer jene darstellen will, dieses ergriffen haben muß; sondern vorzüglich auch, weil dieser Unterricht, als die freieste und lebendigste Mittheilung, ja als die Offenbarung des Lebens selbst, nur das Resultat der in uns erzeugten Gesinnung von Jugend auf, nur die Frucht von im ganzen Zusammenhange der Entwicklung des Menschen ge- 40 gründeten, durch sein ganzes Leben hindurch gereiften religiösen Anschauungen

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Kind nicht mit muthwilligem Leichtsinn zu früh aus dem heiligen Dunkel der Ahnung, der Wahrheit und des frommen, vorgreifenden Glaubens an sie herausreißen. Nein! es ist im Wesen derselben gegründet, daß sie dieses Dunkel als die Wiege der Fröm5 migkeit und Weisheit, mit heiliger Sorgfalt pflege, und das Kind, eben wie die Natur auch thut, nur durch eine langsam zerfließende Dämmerung zur Tageshelle der Wahrheit erhebe. Sie ist weit entfernt, an den Flickwerken der Finsterniß der Zeit Theil zu nehmen, die sich so vielseitig bemühen, im Dunkel ihrer Mitternacht 10 durch schimmernde Irrlichter den Schein des Tages da hervorzurufen, wo die dunkle Nacht noch vollkommen da ist, und die armen Nachtlampen der Zeit dem Schlummernden, Unmündigen, als wären sie Sonnenstrahlen des Tages, vor die Augen zu bringen. Nein! sie führt ihren Zögling nicht auf den Wegen der Nacht, als is wären sie Wege des Tages; sie führt ihn nicht in den Wegen des Scheins, als wären sie Wege der Wahrheit: sie läßt ihren Zögling die Erquickung der Nacht genießen, wie das Leben des Tages, aber sie läßt ihn auch das Leben des Tages nicht verschlafen. Sie stellt den Naturlauf der den hellen Tag hervorbringenden 20 Sonne nicht mit böser Gewalt still, und verlängert die nach Gesetzen des Ewigen fest bestimmte Zeit der Dämmerung nicht mit unnatürlicher Kunst aus der armseligen Sorgfalt, daß etwa ein Liebling der Finsterniß oder eine Maulwurfsseele, die das Sonnenlicht nicht zu ertragen vermag, vom guten nöthigen Tag25 und Bindrücken sein kann. Zur L e h r f ä h i g k e i t in der Religion kann niemand unterrichtet, sondern n u r erzogen werden. Diese Erziehung kann wiederum nur durch die Religion selbst geschehen: sie muß wesentlich religiös sein. Darum ist auch die Religion als Menschenbildung durchaus gesellschaftlich; sie bildet sich überall, wo sie sich ausbildet, als Kirche aus, und 30 durch die Kirche. Soll es uns gelingen, religiöse Lehrer zu bilden, so muß es uns gelingen, die Anstalt religiös zu organisiren, und jene müssen aus dem Leben in ihr zum voraus die religiöse Gesinnung schöpfen, den Sinn und die Kraft für das Heilige und Göttliche entfalten, an welche die Lehre sich lebendig und frei thätig anschließen und aus denen sie hervorsprießen kann. Bis es dazu 35 kommt, bis die Religion als Erziehung der Menschheit in einem rein pädagogischen Unternehmen als Thatsache sich im Leben darstellen kann, wollen wir uns von den religiösen Unterrichtsformen für das wahre Heil der Menschheit nichts versprechen. Aus diesem Grunde setzt auch der Religionslehrer der Anstalt auf die Theilnahme der Erwachsenen, welche die Methode studiren, am 40 Religionsunterrichte, insofern es ihnen nicht um religiöse Selbstbelebung, sondern bloß um Mittheilungsmittel an Andere zu thun ist, keinen Werth.

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schein der Sonne etwa noch triefendere Augen bekomme, als sie vorher schon hatte. Und noch weniger ruft sie, um solcher schlechten Menschen böser Augen willen, mitten in der Tageshelle, mit niedrigen oder gar teuflischen Zauberkräften, ein Gewitter an den Himmel, daß er sich trübe und sein heller Tag sich ver- 5 finstere. Der Mann der Methode glaubt, die Menschenaugen seien für die Sonne geschaffen, und das Menschenleben bedürfe des hellen Tages, und die Menschheit würde im Ganzen bei der Lampenordnung, die in Krankenzimmern für Menschen, die an den Augen leiden, gut sein mag, nicht wohl fahren. Um deswillen 10 aber bringt er die helle Mittagssonne dem Kinde auch nicht thöricht in dem Augenblicke seines neuen Daseins auf Erden vor die schwachen, ungeübten Augen. Nein, nein! er reißt das Kind seiner Führung nicht mit unpsychologischer Eile aus dem heiligen Dunkel seiner Ahnung. Das Wachsthum des Lichts, das die 15 Übungen der Methode über die Gegenstände des Unterrichts der Kinder verbreiten, erweitert zugleich das Dunkel dieser Ahnungen und das Gefühl geheimnißvoller Abgründe, sogar im Gebiete der Erkenntniß und des Lebens selber, im Kinde, indem es, je mehr es lernt, desto mehr fühlt, wie viel ihm noch zu lernen übrig ist. 20 Die Methode thut überall nichts gegen die Natur, sondern alles in Übereinstimmung mit ihr. Sie läßt Nacht sein, wo Nacht hingehört, und ruft dem Tag, wo es sich gebührt, daß es Tag sei. Ihre Mittel sind für das Bedürfniß der Nacht, insoweit es gut ist, nur zuträglich, nicht verfänglich. Das Kind ihrer Führung tritt, 20 gar nicht durch die Blendwerke der Oberflächlichkeit, der Vielwisserei und der Vorurtheile irre geführt, zum Verderben seiner Natur, aus dem seligen Dunkel, dem die mütterliche Natur ihre erste Entfaltung unterwirft, heraus. Nein! es tritt nur nach dem Genuß und durch den Genuß dieser Sorgfalt, es tritt durch das 30 vollendete Licht seiner intellektuellen Kraft aus demselben heraus, und in jedem Fall nur für den Gegenstand, für den das Licht seiner intellektuellen Bildung ihm genugsam leuchtet, und bleibt mitten in dem Heraustreten für diesen Gegenstand im Allgemeinen dennoch in seiner Beschränkung ruhig, in seiner Unwissen- 35 heit forschend, in seiner Liebe glaubend, eben wie in seiner Wahrheit fest. Allein, wäre der Vorwurf, daß der Zögling der Methode durch sie zu früh aus dem heiligen Dunkel der Wahrheit und des

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frommen Glaubens an sie herausgerissen werde, nicht schon durch ihre Natur selbst widerlegt, so würde er es durch die in ihrem Wesen gegründete Thatsache, daß sie sich nicht nur in ihren Mitteln, sondern auch in dem Gange ihres Gebrauchs auf die 5 Realität des menschlichen Daseins im ganzen Umfange desselben gründet. Nichts ist daher ungerechter als jener zweite Vorwurf, den man ihr gewöhnlich, in Verbindung mit dem ersten und fast eben so, gemacht, daß sie nämlich ihre Bildungsmittel nicht genug an die Wahrheit der Verhältnisse des persönlichen und 10 häuslichen Lebens und des wirklichen Seins der Menschen anketten wolle. Es ist wahr, die Formen der intellektuellen Bildung, als einzelne Elementarmittel, erscheinen in dieser Einzelheit einseitig und getrennt vom Zusammenhang des ganzen kindlichen Daseins; aber sie sind es nur, insofern sie als einzeln ins Auge und is vom Verstand aufgefaßt werden. Sie sind es nicht in der Unterrichtsstunde; sie sind es nicht im Verhältnisse des Lehrers zum Kinde; sie sind es nicht während der selbstthätigen Anstrengung des letztern; sie sind es nicht, weder in dem Zusammenhange, aus dem sie hervorgehen, noch in dem Zusammenhange, mit dem sie 20 im Ganzen der Führung des Kindes verbunden sind. Wahrlich, man hat, indem man der Methode diesen Vorwurf gemacht, vergessen, daß die Idee der Elementarbildung eine allgemeine Idee ist, die in ihrer Darstellung und Ausführung zwar in die sittliche, intellektuelle, physische u. s. w. eingetheilt werden 25 muß, die aber im Menschen und Leben selbst nie getrennt sind, sondern sich vielmehr in der Einheit der menschlichen Natur in jedem Augenblick durchdringen. Man hat vergessen, daß diese Idee jeder wesentlich eigenthümlichen Stufe und Richtung der menschlichen Entfaltung unbedingt Rechnung trägt, daß sie, so wie sie die Erkenntniß rein und frei giebt, auch das Leben frei und rein wirken läßt; noch mehr, daß das Wesen der Elementarbildung nicht nur im festen Verein aller diesfälligen Ansichten, sondern bestimmt in der Unterordnung der intellektuellen und physischen unter die höhern Ansprüche der sittlichen Elementares bildung durch den häuslichen und geselligen, menschlichen Zusammenhang besteht; man hat vergessen, daß folglich die sittliche Elementarbildung als Ausdruck des häuslichen Lebens eigentlich allein die selbstständige Elementarbildung ist, daß die intellektuelle und Kunst-Elementarbildung nur untergeordnete Theile

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des großen Ganzen der sittlichen Elementarbildung und bestimmt nur Mittel sind, die Geistes- und die Kunstkraft des Menschen in ihren äußerlichen Erscheinungen und Wirkungen mit dem hohen göttlichen Sinn unserer innern Veredelung in Übereinstimmung zu bringen. Daraus erhellet dann aber auch ganz klar, daß, wenn 5 der Zusammenhang der Elementarbildung mit dem häuslichen Leben und aller Wahrheit seiner wirklichen Lage und Verhältnisse von sittlicher Seite gesichert ist, es auch wesentlich unmöglich sein muß, daß die Elementarbildung in intellektueller und Kunsthinsicht, wenn sie wahrhaft ist, diesem allgemeinen wesent-10 liehen Fundament der Menschenbildung mangeln könne. Wenn man daher auch den Vorwurf zugestehen wollte, daß etwann eine intellektuelle und physische Anwendung der Methode möglich wäre, die auf das sittliche Fundament der Elementarbildung nicht genugsam Rücksicht nähme, so ergiebt sich 15 dennoch schon aus der nähern Anschauung der intellektuellen und physischen Elementarbildung offenbar selber, daß dieselbe, unabhängig von ihrer wesentlichen Unterordnung unter die Elementarmittel der sittlichen Bildung ins Auge gefaßt, sich ihrer Natur nach an sich selbst und nothwendig, fest an den Kreis 20 des häuslichen Lebens und der wahren Verhältnisse des Kindes anketten und anketten müssen. Alle wahrhaft elementarische Übungen des Erkenntnißvermögens setzen nothwendig vollendete und gereifte Anschauungen der Gegenstände, um die sich die Übungen der Denkkraft herum- 25 treiben, voraus. Diese den intellektuellen Bildungsmitteln so wesentlichen Anschauungsübungen aber müssen im kindlichen Alter nothwendig, sie können nicht anders, aus dem Kreise des kindlichen Lebens hervorgehen. Es liegt auch wesentlich in der Natur der elementarischen Anfangsübungen in Zahl, Form, so Sprache, daß sie an das wirkliche Leben, an das wirkliche Fühlen und Handeln des Kindes angekettet werden. Es liegt wesentlich darin, daß die ganze Folge der diesfälligen Thätigkeit des Kindes sich ganz in der Wahrheit seines wirklichen Seins und seines lebendigen Wirkens in diesem Sein und Thun 35 herumtreibe und seine täglichen und stündlichen Anschauungen mit allem Reize seines häuslichen Lebens, seiner häuslichen Liebe und seines häuslichen Glücks verwoben werden. Der ganze Umfang der Fortbildung seiner Denkkraft muß, wenn er wahr-

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haft elementarisch sein soll, nothwendig fortdauernd in einem lückenlosen Zusammenhang mit diesen ersten einfachen Entfaltungsmitteln unserer Denkkraft in Übereinstimmung bleiben, und folglich, wenn er seine Natur nicht verläugnet und seinem 5 Wesen nicht ungetreu werden will, in allen seinen Übungen ununterbrochen an die Wahrheit des wirklichen Seins und Lebens des Kindes angeknüpft werden. So wenig ist es wahr, daß der Geist der Methode dahin lenkt, seinen Zögling aus dem frommen Sinn des häuslichen Lebens und 10 seiner wahren wirklichen Verhältnisse gewaltsam oder träumend herauszureißen. Nein! im Gegentheil liegt eben in ihrer Anwendung der Reiz und die Weckung des Gefühls, des Bedürfnisses, ihn mehr, als dieses bisher wenigstens in unsern Tagen geschehen, in diesen Verhältnissen fest zu halten. In allen ihren Schritten mit is Ausharrung der Vollendung entgegen strebend, muß und kann sie diese innere Vollendung ihrer selbst im ganzen Umfang ihres Thuns nirgends mehr suchen, als in dem Anfangspunkt, von dem ihr Streben nach Entfaltung aller ihrer Kräfte ausgeht; im Anschließen ihrer selbst an häusliches Leben. Die Methode müßte 20 sich selbst verlieren, sie müßte aus ihrem Wesen heraustreten, wenn sie jemals dahin kommen sollte, die reine Quelle ihres Seins zu verlassen, und träumerisch, wie die Ungezogenheit und Oberflächlichkeit des Zeitgeistes, außer dem Gleise dieses Lebens und seines bildenden Seins eine Befriedigung und ein Glück zu suchen, 25 das sie in diesem Kreise sich so leicht und so sicher selbst giebt. Ernst, langsam, und in tiefem Zusammenhang unter sich selbst, durch ihr Wesen allen eitlen Träumen entgegenwirkend, und für jede Lage, für jedes Bedürfnis kraftbildend ist sie von einer solchen Verirrung ferne. so Es ist dies schon ein nothwendiges Resultat der G r ü n d l i c h keit der Methode und ihres Ganges. Auch zeichnet sich das Kind der Methode bestimmt hierdurch aus. Es schaut lang, fest, lebendig, ehe es schließt. Es übt sich weit weniger in der Ausdehnung des Schließens und Urtheilens, als in der Bildung der Kraft, rich35 tig urtheilen und schließen zu können, und entfaltet seine Kraft dafür weit mehr durch geordnete Thätigkeit, durch Fleiß und Arbeit, als durch eitles Haschen nach der Ausdehnung seines Wissens. Auf dieser Bahn wird sein Urtheil in allen Stücken in ihm selber gereift, ehe es dasselbe auch nur in sich selber aus-

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spricht. Dieses Urtheil ist darum auch so wenig Willkühr in ihm, als das Wesen der Methode selbst Willkühr in ihm ist, sondern Ausspruch der Natur, der in ihm gereiften Wahrheit und Nothwendigkeit. Es ist unbedingt, weil es nicht weiter geht als die Anschauung selber. Der ruhige, freie und einfache Natureindruck s der Gegenstände wird also durch die Methode nicht gemindert, wohl aber vielseitiger und bestimmter gemacht. Diese eingreifende umfassende Gründlichkeit der Methode führt ihren Zögling nothwendig vermöge ihres Wesens zur Befriedigung seiner selbst in seiner Lage, und zu der innern Festigkeit und Ruhe, die vor 10 aller Überspannung sichert; so wie zu der Zuverläßigkeit und Treue, womit der befriedigte Mensch seinen Zustand, und die Vortheile desselben immer richtig zu würdigen und zu benutzen weiß. Sie steht also vorzüglich dem Geist der Zeitbildung entgegen, der sich in nichts bestimmter ausgesprochen, als in der 15 allgemeinen Veränderungssucht und Projektmacherei, und der diesem Geist so wesentlich und so nothwendig beiwohnenden Entfernung von aller Reinheit der innern Menschennatur und von der durch sie entspringenden Kraftlosigkeit für die wahre Übereinstimmung unsere Seins und Thuns mit der Wirklichkeit 20 unserer Verhältnisse und Lage. Und doch wähnt der Zeitgeist, indem er in diese Unnatur versunken, er bilde seinen Zögling gut für das wirkliche Leben, seine Erziehungs- und Unterrichtsmittel ketten ihn an die Wahrheit seines persönlichen Seins und seiner wirklichen Verhältnisse, und 25 ist weit entfernt einzusehen, daß es ein ganz seinem Geiste entgegengesetztes Benehmen fordert, um den Menschennicht nur für den Schein, sondern in der That und Wahrheit, und auf die Probezeit seiner glücklichen und unglücklichen Tage, an die Wirklichkeit seines Seins und seiner Verhältnisse zu knüpfen, und so ihn mit denselben in jedem Falle in Übereinstimmung zu bringen. Noch mehr ist es seinen Ansichten fremd, und sogar ihnen widersprechend, daß in der Methode und in ihrem Fundamente, der reinen Naturgemäßheit der Erziehung, die Möglichkeit, wahrhaft zu diesem Ziel zu gelangen, vorzüglich liege. Er erkennt als 35 Thatsache die positive Unfähigkeit der meisten Menschen, ihren Verhältnissen ein Genüge zu thun, und schicklich und befriedigend in denselben zu leben; aber unfähig, die eigene Schuld, die er an der Unpassenheit unsers Geschlechts für sein wirkliches Sein,

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und Leben selbst hat, zu erkennen, schiebt er, wie ein Arzt, dem so viele von seinen Kranken sterben, die Schuld ihres Todes eher auf alles andere, als auf sich selber und auf seine Arznei. Da muß eher das arme Kind in der Wiege, die unmündige Elementar5 methode, an dem Übel Schuld sein, dessen Gift er schon seit mehr als Menschengedenken täglich einsaugt, und einsaugen macht. Daß er sich nicht in die Methode, als Mittel gegen seine eingewurzelten Übel, finden kann, das ist zwar in seiner Ordnung, aber daß einige Gewalthaber seines guten Tons ein lautes Geschrei 10 gegen das unmündige Kind der Methode erheben, als ob es ein scheußlicher Wechselbalg sei, in dem die Menschennatur als ein Skandal sich ausspreche, dessen bloßer Anblick aller Wahrheit und allem Recht, allem Guten und allem Schönen, das in der Welt ist, die größte Gefahr drohe, das ist etwas zu viel. Der Wolf, 15 der oben am Bache stehend, das Schaf, das er fressen will, anklagt, es mache ihm den Bach trübe, geht nicht mehr neben der Wahrheit vorbei, als diese sich hierin so stark ausdrückenden Menschen. Sie haben zwar dieses eigentlich nur beschränkt auf die einseitige Ansicht der intellektuellen Elementarbildungsmittel gethan. Ab20 gesondert von der Stärke, mit der sie sich darüber ausgedrückt, haben sie freilich einen Schein für ihre Klage. Es ist nämlich ganz wahr, wenn die intellektuellen Elementarmittel, außer genügsamer Verbindung, oder gar in Entgegenstellung der häuslichen und sittlichen Elementarbildungsmittel, 25 betrieben würden, und hinwieder, wenn diese Übungen in ihren Reihenfolgen, wie sie gedruckt sind, ohne Rücksicht auf den Zögling ihnen unpsychologisch und taktlos eingeübt würden, so könnte die Methode dem Vorwurf, daß sie für die Ausbildung der Zöglinge, für das wirkliche Leben nicht passe, und überhaupt so dem Vorwurf der Unnatur, nicht entgehen. Aber der Vorwurf träfe dann freilich auch nicht die Methode, sondern die Taktlosigkeit und Unfähigkeit in ihrer Ausübung, und sie könnte im Auge des sie wirklich kennenden Mannes nichts verlieren. Nicht nur fordert die Billigkeit, daß man die Güte oder Böse einer 35 Maaßregel genau von der Art, sie auszuüben, sondere; und man darf für den Fall, von dem bestimmt die Rede ist, hinzusetzen: Auch der Weise und Erfahrene wird es sich bei der Unmündigkeit unsere großen aber neuen Versuchs nicht verwundern lassen, sondern es uns herzlich gern verzeihen, wenn wir uns selber in der

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ersten Aufsuchung unserer Mittel, und in ihrer Ausübung in etwas verirrt oder verwirrt hätten. In jedem Falle ist die Idee der Elementarbildung von ihrer Ausübung, und also auch von jedem Ausführungsversuch derselben, unabhängig; und nach der speziellen Ansicht, die ob- 0 schwebt, ist es eben so gewiß: die intellektuelle Führung des Kindes ist in keinem Fall elementarisch richtig, wenn sie nicht mit dem ganzen Gang des innern und äußern Lebens des Kindes in Übereinstimmung steht. Es ist unbedingt richtig: das Kind muß glaubend, liebend und handelnd in seinen Umgebungen 10 leben, und in thätiger Liebe und durch sie, physisch und intellektuell kraftvoll werden, wenn es elementarisch, wenn es nach der Methode physisch und intellektuell kraftvoll gebildet werden soll. Je größer, je wahrer, je thätiger die Liebe in den Umgebungen des Kindes und in ihm selbst wirklich herrscht, desto sicherer ist 15 die Erzielung der menschlichen Entfaltung der physischen und intellektuellen Kraft des Kindes. Man kann hingegen nicht sagen: Je stärker in den Umgebungen des Kindes die Kräfte der Faust sich auszeichnen, und je mehr bloßer Verstand, bloße Besonnenheit in diesen Um- 20 gebungen und im Kinde selber herrscht, desto sicherer ist auch die Erziehung seiner sittlichen Kraft. Ohne Liebe bildet sich weder die physische noch die intellektuelle Kraft des Kindes naturgemäß, das ist menschlich; aber in der Liebe lenken Verstand und Faust ganz gewiß zur naturgemäßen, zur menschlichen Anwen- 25 düng ihrer Kräfte hin. Die Elementarbildung erkennt nur die schonende, die erfreuende, die erhebende, gemüthliche Liebe als das heilige Fundament, von der sie ausgeht und auf der sie ruht; sie erkennt kein Mittel der Verstandesbildung, keine Übung in Zahl, Form und Sprache, eben so kein Mittel der physischen 30 Entfaltung, keine gymnastische Übung für das Kind, naturgemäß elementarisch und menschlich bildend, als in so fern sie es mit dem unbedingten allgemeinen Fundament der Menschenbildung, mit den sittlichen Elementarbildungsmitteln, in Übereinstimmung setzt. Aber, in so fern dieses Fundament gesichert 35 ist und fest steht, in so fern ist dann auch unbedingt gewiß, daß alle ihre Übungen, und damit der ganze Umfang der physischen und intellektuellen Elementarmittel gemeinsam, mit sicherm Erfolg gegen die Unnatur unserer Zeiterziehung, und dahin

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wirken werden, ihren Zögling an die Wahrheit seines persönlichen Seins, an die Realität seines wirklichen Lebens und seiner wirklichen Verhältnisse zu ketten, und ihn durch sie und für sie naturgemäß und menschlich zu bilden. Die also bestimmten Mittel der 5 Elementarbildung gehen alle von der Realität des Lebens selber aus, und führen wieder zu derselben hin. Sollen wir also die Resultate der Methode, sollen wir die Wahrheit und Kraft unsers Menschengeschlechtes fürchten? Sollen wir die Unbehülflichkeit und Trug und Schwäche als 10 Hülfsmittel der Ruhe, des Glücks und der Befriedigung desselben ansehen ? Zwar entschuldigt man diese unglückliche Ansicht der Dinge mit der Revolution, und heißt sie eine unausweichlich nothwendige Folge dieses Weltereignisses. Aber nein! sie ist nicht die Folge der Revolution, sie ist durchaus nicht die Folge einer is Revolution, die uns an Leib und Seele in einem gesunden Zustand gefunden hätte; nein! sie ist eine Folge der Revolution, die uns in einem an Leib und Seele geschwächten Zustand ergriffen. Diese elende Ansicht und Gemüthsstimmung, daraus sie entsprungen, ist eine Folge des allgemeinen Verderbens, das voraus20 gieng; sie ist die Folge einer Sittlichkeitsbildung, die uns menschlich und bürgerlich, schon bevor die Revolution da war, zernichtete, indem sie unser Geschlecht zum kraftlosesten, anmaßlichsten Dünkel ihrer elenden Meinungen hinführte. Aber wollen wir nun auch das Bleiben in diesem Zustande mit 25 der Revolution entschuldigen, deren Verderben nicht also eingerissen hätte, wenn wir nicht an Leib und Seele kraftlose Menschen gewesen wären? Die Elementarbildung kämpft nicht nur gegen diese Übel, sondern gegen ihre Quelle selbst. Das Kind der Methode ist kein Kind des Traums, des Schwindels und der so Schwäche; seine Wahrheit ist in ihm ausdehnungshalber zwar klein, aber ihrem Wesen nach fest und gegründet; sie entkeimt aus seiner Unschuld und ist ein Kind seiner Kraft. Sie ist beschränkt, aber sie liebt ihre Schranken und ist darin glücklich; ich möchte von ihr sagen: 35

Klein und arm ist meine Hütte, Doch ein Sitz der Fröhlichkeit. Das Kind der Methode flieht und fürchtet jede unbereitete, und ungegründete Ausdehnung seiner Kraft; es geht in seiner

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Bildung zur Wahrheit täglich einen sichern Gang, abgemessenen und nicht ermüdenden Schrittes. Es fürchtet der Meinungen vielköpfige Herren. \Vas sich nicht einfach und leicht an das anschließt, was ihm schon wahr, gewiß und lieb ist, das haftet nicht leicht in seiner Seele; es geht in ihr als eine Erscheinung, die z> nicht für ihr ganzes Sein paßt, vorüber. Sein Leben in der Wahrheit ist kraftvoll, und wenn bei diesem Leben irgend einmal seine Wahrheit mit einer leeren Meinung verwoben in ihm erscheint, so macht die Eitelkeit und Leerheit dieser Meinung auf desselbe durchaus nicht die nämliche Wirkung, die sie auf Kinder machen 10 muß, deren Führung im Ganzen eitel und leer ist. Gewiß, es wird in keinem Falle den armseligen Meinungsmenschen gleich, die in sich selbst wahrheitslos, die wahrheitslosen Meinungen anderer, wie Spatzen kleine Mücken in der Luft, aufgreifen und einschnappen! Nein! solche Meinungsmenschen können die Kinder der 15 Methode nicht werden. Ihre Meinungen alle entkeimen auf sittlichem Boden, und wohnen im wahrheitsgeübten Kopf; sie wachsen im Leben frommer, heiliger Gefühle auf, und indem sie durch Entfaltung wahrer lebendiger Geisteskraft ein inneres Gegengewicht gegen ihr Verderben finden, so verliert sich in 20 ihnen der eigentliche Stachel der Thorheit. Diese Meinungen können in ihnen nur als Irrthum erscheinen, und dieser wird durch das Übergewicht der Wahrheit, Liebe und Kraft, mit der er in ihnen verwoben erscheint, unschädlich. Er stoßt in jedem Falle an die Zartheit reiner unschuldiger Gefühle, und an die Felsen- 25 wand unbeweglicher und unbestechlicher, in ihnen haftender Wahrheit. Diese Vereinigung der Zartheit und Festigkeit ist der Methode in allen ihren Theilen eigen. Im ganzen Umfang der Elementarbildung ist jeder Schritt ihrer Übungen, wie alle Schritte der so heiligen Natur, unendlich zart und leicht, aber dabei nichts desto weniger unerschütterlich fest, und bei dem höchsten Vollgefühl seiner Kraft, dem noch nie die Zartheit mangelte, die diese heiligt, seiner Resultate sicher. Gehen wir an die reine Quelle der Elementarbildung, steigen 35 wir zum Thun der Mutter hinauf, so finden wir: schon ihre Hand, an der das Kind gehen lernt, ob sie gleich sanft ist und ohne allen Drang handelt, ist dennoch für ihre Bestimmung und für ihr Kind eine feste Hand. Das Bildende, das Erhebende der Mensch-

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lichkeit ihres diesfälligen Einflusses ruht freilich wesentlich auf der Leichtigkeit ihres Thuns, auf ihrem reinen sanften Wesen, und auf der Entfernung alles das ganze Sein und das ganze Wesen des Kindes störenden Dranges. Aber was wäre auf der ändern 5 Seite dennoch ihr sanftes leichtes Wesen, was wäre die Entfernung alles Eifers und alles Drangs aus ihrem Thun, ohne ihre innere Kraft, ohne das Bewußtsein derselben, und ohne die in diesem Bewußtsein ruhende innere Sicherheit ihrer Resultate ? In diesem Gesichtspunkt erscheint die Festigkeit und die Humanität des Zöglings der Methode in ihrem wahren Licht, und es erhellt, daß sie durchaus nichts mit der Festigkeit scheinenden, aber Zartheit und Wahrheit gleich mangelnden Anmaßung, der in oberflächlichem Vielwissen aufgeschwollenen und nicht zur Realkraft emporgewachsenen Scheinmenschen zu vergleichen ist. Nein! die is Scheinfestigkeit der letzten verhält sich gegen die wahre Festigkeit der ersten, wie die Festigkeit ins Unendliche ausdehnbaren Goldes gegen die Scheinfestigkeit des harten, spröden und unreinen Eisens. Auch von dieser Seite zeigt es sich: der Geist der Methode zielt allenthalben in seinen ersten schwachen Anfangsschritten 20 wie in seinen spätesten Resultaten, nach Vollendung, nach Vollkommenheit. Alle Mittel der Methode sind für diesen Zweck berechnet, das Resultat derselben muß demnach nothwendig hohe, reine, vollendete Kraft der Menschennatur sein. Denn auch hierin bewährt die Elementarlehre ihre Überein25 Stimmung mit dem Christenthum, dessen oberster Grundsatz sich in dem Wort: «Werdet vollkommen, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist! » ausspricht. Den Einwurf: die Erreichung dieses Ziels sei nicht möglich, beantwortet Paulus mit den Worten: Nicht, daß ichs schon ergriffen habe; ich jage ihm aber nach, daß so ichs ergreifen möge. Aber der Sinn der Welt mag in jedem Zeitpunkt die Dinge nicht fassen, die des Geistes Gottes sind. Sie sind ihm in jedem Zeitpunkte eine Thorheit, und er kann sie nicht begreifen; keine Erläuterung, kein Beweis solcher Wahrheit thut den Opponenten des Glaubens und der Liebe je ein Genüge. Diese es Menschen verstanden weder Christum noch Paulum, sie fürchteten und sagten es laut: die träumerische Idee vom Streben nach Vollkommenheit möchte einige enthusiastische Köpfe so weit verrücken, daß sie unter der Fahne solcher träumerischen Worte dem alten Glauben an den Tempel Jerusalems, und an die 15 Pestalozzi Werke Bd. 22

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damit so eng verbundene öffentliche Ordnung des heiligen Landes im höchsten Grad gefährlich werden könnte. Auch in unsern Zeiten werden ganz gewiß die ewigen Opponenten der Wahrheit und der Liebe der Tendenz der Elementarlehre nach Vollendung auf ähnliche Weise entgegen reden, und ich wundere mich gar 5 nicht, wenn sie im Schauer ihres tödtlichen kalten Fiebers ob diesen Ideen Mund und Wange so spöttisch verziehen, wie sie dies in ihrer Krankheit gegen jede warme, gegen jede Herzensäußerung nothwendig thun müssen; ich wundere mich gar nicht, wenn sie sich in diesem Zustand über diesen Gegenstand dahin 10 äußern: die Oberflächlichkeitsaufklärung, die doch nicht so große Ansprüche machte, habe schon so viel Übel auf Erden hervorgebracht; was würde erst noch von der Aufklärung zu befürchten sein, wenn man sie sogar nach Vollkommenheit, nach Vollendung streben lassen würde ? Es müßten nothwendig aus einer solchen 15 Tendenz noch weit gefährlichere Enthusiasten hervorgehen, als die ersten waren. Hören wir ja doch schon allenthalben Menschen, von solchen Besorgnissen aufgeschreckt, den Wunsch äußern, daß man doch Sorge trage, den gemeinen Mann zu allen Arten von Unvollkommenheit zu gewöhnen, und ihn wo möglich noch durch 20 den Unterricht dahin zu bringen, daß er die ihm so nothwendigen Unvollständigkeiten für vollständig halte. So weit hat uns das närrische Wort: Aufklärung gebracht. Doch nein! ehe das närrische neue Wort da war, dachte und redete die Selbstsucht der Menschen immer also, und am lebendigsten redete sie immer also 25 in Tagen, wo sie von Auftritten, die von ihrer Schwäche herbeigeführt waren, außer ihre Fassung gekommen. In dieser Lage und in solchen Zeitaltern wird die Selbstsucht der Menschen so ängstlich, daß sie sich nicht selten bis zu dem Wunsch erniedrigen: ihre Gegner möchten keine Hände haben so und keine Fäuste machen können, damit es ja in keinem Falle möglich würde, daß sie etwa auf sie schlagen könnten. Die Klagen über Aufklärung bedürfen heut zu Tage mehr als je Menschenverstand und Kunde der Umgebungen, um sie zu verstehen. Es ist wohl wahr, böse Kräfte haben in unsern Tagen der Menschheit 35 Schaden gethan. Aber es waren böse Kräfte, oder vielmehr, es war die Verwirrung der Kraftlosigkeit und der Ohnmacht, die uns ins Verderben stürzte. Und man hat allerdings Becht, die verwirrten Kräfte, die Scheinkräfte der Menschennatur auch

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jetzo, und heute mehr als je, von ganzem Herzen und von ganzer Seele zu scheuen, und ihnen aus allen Kräften entgegen zu wirken. Aber das ist auch eben das, was man nicht thut; man begünstigt und kajolirt vielmehr das Leben der verwirrten und der Schein5 kräfbe unsere Geschlechts mehr als je, und man hört in unsern Tagen weit mehr von Entgegenwirkungen gegen Kraftbildung, als gegen Scheinbildung; weit mehr von immer steigender Vernachläßigung des Wesentlichen der Erziehung, als von Minderung der überflüssigen Schultändelei, die der wahren Volksbildung 10 durch die Irrthümer der falschen Aufklärung unterschoben worden ist. Aber ist das recht ? Das sagt kein Mensch, es glaubt es auch kein Mensch; aber es ändert es auch kein Mensch. Die Quellen unsere diesfälligen Versinkens bleiben stehen, wie wenn sie niemand kennete. 15 Warum ? Wir können und dürfen uns die Gründe davon nicht verhehlen. Wir sind für jede diesfällige Erhebung in unserm Innern ermattet; unser Auge ist für jede Ansicht, die uns dahin führen könnte, trübe, unsere Gefühle sind gestoßen, unsere Gleichmüthigkeit ist zerrüttet; wir haben die Zuversicht für die 20 Wahrheit verloren, und unsere Liebe hat sich gemindert. Das Unglück der Zeit (wir machten sie selbst) hat uns verwirrt, man hat uns die Resultate unserer Scheinbildung als Resultate der wahren Menschenbildung, man hat uns die Resultate unserer verwirrten Kräfte als Resultate wahrhaft erhöhter und gebildeter 25 Kräfte unserer Natur ansehen gemacht; man hat uns den Wirbel der Thorheit, der Anmaßungen und der höchsten Abschwächung unsere Geschlechtes, man hat uns die künstliche Belebung eines Zustandes, dessen Erlahmung nur in seiner Verwilderung, und dessen Verwilderung nur in seiner Erlahmung ihr Gegengewicht so fand, als den wahren Zustand der Menschenbildung, und als die Folge eines wirklichen und großen Fortschritts der Menschheit durch die Erziehung in die Augen fallen gemacht; man fährt auch jetzt noch fort, den Quellen beides, der Erlahmung und der Verwilderung unsere Geschlechtes, sogar durch neue Künste und es neue Organisationen der Scheinerziehung, und der die Kräfte unserer Natur immer mehr verwirrenden Oberflächlichkeitsmittel, Vorschub zu thun. Alles, was hierin unsere alten Übel stärkt und erhält, ist uns im Allgemeinen heute eben so lieb und werth, als wenn es une

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keinen Schaden gebracht hätte. Man raffinirt heute noch, das Volk im allgemeinen schreiben lesen und rechnen zu machen, ohne Rücksicht, ob es auch reden und denken könne. Man arbeitet heute noch, das schwache Geschlecht dem Verderben der Bücherträume immer näher zu bringen, ohne irgend etwas zu thun, es 5 verhältnißmäßig für die Wahrheit des Lebens und für den Umfang der Kräfte, welche die Nothdurft seiner Lage und seiner Umstände anspricht, mit Liebe und Menschlichkeit vorwärts zu bringen. Alles, alles, auch das Beßte in unserm Thun für das Volk, ist dem Verderben unserer Schulschwächen, und der Rou-10 tinen-Ansicht ihrer Beschränkung unterworfen. Wir stehen vor dem Kreis dieses Verderbens und seiner Beschränkung, und wagen es nicht, seinen Zauber zu durchbrechen, und uns dem Mittelpunkt der Ansprüche der Menschennatur selber zu nähern. Wir wagen es nicht, diese Ansprüche in ihrem Umfange und in 15 ihrer reinen Ansicht unserm Schulkarren und seinem Routinengang gerade gegenüber ins Auge zu fassen. Wir wagen es nicht, die Menschheit im Kinde im Ganzen, und das Kind als ein Ganzes ins Auge zu fassen; wir wagen es nicht, uns zu der Idee der vielseitigen Gymnastik, die der Bildung des Menschengeschlechts, 20 welche zur Vollendung, zur Vollkommenheit seiner Kräfte hinführen soll, Vorschub thun muß, zu erheben. Wir denken uns nicht einmal die Möglichkeit, unsere Volksschulen also in ächte Gymnasien zu erheben. Wir erschrecken vor dem bloßen Gedanken einer Erneuerung der Erziehung, einer neuen Methode, 25 zu einer Zeit, in der nichts Altes mehr besteht. Wirklich hört man den Ausruf vielfach wiederholen, die Methode sei neu, und könne darum nichts taugen, weil nichts unter der Sonne neu sei. Der Einwurf ist sonderbar in einem Zeitpunkt, in dem man alles neu haben will, und sich allgemein so eingesteht, daß man in der Kirche, im Staat, in Finanzen, und selber in der Gerechtigkeit, so gern man es auch wollte, mit dem Alten nicht mehr auszukommen vermöge. Es ist ja im Privatleben selber niemand mehr mit dem alten Sein und Thun zufrieden, und doch - schreit dann auch alles wieder gegen die Neuerungen, 35 und die Neuerungssucht. Dieser Widerspruch aber löset sich ganz einfach in der Eigenheit des Zeitgeistes auf. Jeder will das neu, was seiner Selbstsucht als alt im Wege steht, oder ihr zu schlecht ist. Aber er will dagegen dann hinwieder, daß alle andere

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Leute beim Alten bleiben, ohne Rücksicht zu nehmen, ob auch ihnen dieses Alte im Wege stehe und zu schlecht sei. Diese Erbärmlichkeit des Zeitgeistes zeigt sich in den niedrigsten häuslichen Angelegenheiten, wie in den ersten Verhältnissen des 5 Staats. Wenn ein unbedeutendes bürgerliches Stadtweib zu einem neuen Putz zu gelangen vermag, so ist ihr gewiß ihr alter sogleich zu schlecht; aber hingegen möchte sie gewiß auch gern, daß die ändern Nachbarinnen und Stadtweiber bei ihrem alten bleiben. So sind gewöhnlich zehn Menschen gegen einen wider die Neuerungen, indessen ist die Neuerungssucht dennoch allgemein; so weit die Selbstsucht des Zeitalters geht, so weit geht auch seine Neuerungssucht. Welche Gestalten sie auch annehme, durch welche Krümmungen sie sich auch durchwinde, wie sehr sie ihren Schein verläugne und ihren Namen verfälsche, so ist sie allenthalben da, wo die Selbstsucht da ist. Da die Selbstsucht beides aus Schwäche erzeugt ist und immer wachsende Schwäche zur Folge hat, so ist auch klar, warum die Menschen gewöhnlich dann am neuerungssüchtigsten erscheinen, wenn sie am alierunfähigsten sind, etwas wirklich Neues zu erfinden, zu gestalten 20 und zu beleben. Wer immer unter die Kraft, das Alte wohl zu benutzen, herabsinkt, der muß nothwendig etwas suchen in seine Gewalt zu bekommen, das er besser in seine Hände nehmen, und besser gebrauchen kann. Aber dann entscheidet die Ursache, warum er das Alte nicht mehr zu benutzen vermag, gewöhnlich 25 auch über seine Unfähigkeit, mit etwas Neuem zurecht zu kommen, und so müssen sich denn auch nothwendig unter solchen Umständen die neuerungssüchtigen und die neuerungsfeindlichen Gesinnungen durchkreuzen, wie wir sie in unsern Tagen sich durchkreuzen sehen. Es erklärt sich dann aber auch, warum man so sich in solchen Tagen, worin jeder gern für sich etwas Neues hätte, allgemein fürchtet, daß die Menschen überhaupt neu, und anders werden möchten, als sie wirklich sind, und warum in solchen Tagen das seh wache Wort: Wenns nur immer so bliebe! auf so vieler Lippen haftet, und man dennoch allenthalben vom Küster 86 an bis zum Ratsherren mit trauriger Miene hinzusetzt: Es kann nicht immer so bleiben, und unter Sorgen und Kummer der Entschluß beim Küster und Rathsherrn reifet, alles Mögliche zu thun, daß der böse Gedanke, die Menschen anders werden zu lassen, als sie wirklich sind, wenigstens der Jugend und den gemeinen

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Leuten nicht in den Kopf komme, und Kirchen und Schulen sorgfältig in der Ordnung gehalten werden, damit nichts darin geändert, und die Menschen, die sonst schon so schlecht seien, nicht etwa durch die Erziehung so neu gemacht würden, daß sie dann nicht mehr zu verbrauchen und zu regieren wären. 5 Das alles ist natürlich; das Gefühl der Schwäche führt unter gewissen Umständen eitle Menschen zu unglaublichen Sorgen. Das Unnatürliche wird ihnen in diesem Zustand natürlich. Man weiß ja wohl: der Sorgling, der sich als Reiter zeigen will, setzt sich dafür nicht auf ein Pferd, das ihm neu ist. Da er nicht reiten, 10 sondern sich nur als Reiter zeigen will, so findet er in aller Welt nichts natürlicher, als daß er für seinen Ritt ein Pferd aussuche, das in keinem Fall mit ihm durchgehe. Die Sache von dieser Seite ins Auge gefaßt, ist denn auch heiter: die Schlechtheit der Zeit fürchtet das schlechte Neue nicht; sie fürchtet die Änderung des 15 schlechten Alten, das ihr nun einmal lieb und werth geworden; sie fürchtet das gute Neue, weil das schlechte Alte nicht neben ihm zu bestehen vermag; indem sie selber Neuerungen zu fürchten wähnt, fürchtet sie eigentlich nur die Rückkehr zum alten Bessern, da es ihr nun einmal so unbekannt geworden, daß es ihr wirklich 20 neu erscheint. Indessen ist so viel gewiß: alles, was je Gutes in der Erziehung schon da war, das alles nimmt die Elementarbildung mit Kraft in ihren Schooß auf. Die einfache und geradsinnige Erziehungsweise unserer Väter stand den Grundsätzen der Elementarbildung 25 weit näher, als das künstliche Erziehungsraffinement unserer Zeitschwäche und unsere Zeitverderbnisses. Ja wohl, Vaterland, standest du in deinen bessern Tagen der Naturgemäßheit in der Erziehung näher, ja wohl war das Ziel, das du dir bei deinen Erziehungsmitteln vorsetztest, mit dem, was wir durch die Ele- so mentarmittel zu bezwecken suchen, Eines und Ebendasselbe. Wie sehr warst du in jenen Tagen davon ferne, über Neues und Altes in der Erziehung zu träumen, wie der Mensch nur im Marasmus seines sittlichen und bürgerlichen Hinschwindens zu träumen vermag. Mein Vaterland, in deinen guten Tagen träum- 35 test du nicht über das, was du thatest und thun solltest, wie wir darüber träumen, und littest nicht an den Folgen dieses Träumens, wie wir daran leiden, und versankest in demselben nicht, wohin wir versunken. Kein geachteter Mann sprach innerhalb

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deiner Grenzen das Wort aus: das Volk habe keine gute, den Ansprüchen unserer Natur in ihrem ganzen Umfange genugthuende Erziehung nöthig, und es bedürfe keine seine Veredelung mit Kraft bezweckende Schule. Kein geachteter Mann im Lande 5 sprach innerhalb deiner Grenzen das Wort aus: man sei dem Volke keine gute Erziehung schuldig, weil es sie nicht brauchen könnte; man dürfe ihm keine solche geben, weil es im Schweiß seines Angesichts sein Brod essen müsse. Der edle, der geachtete Mann im Lande glaubte, das erhabene Wort: Im Schweiß deines 10 Angesichts sollst du dein Brod essen, gehe alle Menschen an. Und du Vaterland, kanntest die elende Ansicht nicht, das Schwitzen des Volks von seinem Brodessen zu sondern, und das erste mit Kunst zu organisiren, das zweite aber mit aller Sorglosigkeit dem Zufall zu überlassen. Vaterland, du kanntest in deinen bessern i5 Tagen diesen ungöttlichen Sinn nicht, und wärest groß in denselben, weil du den ewigen Grundsätzen der Menschenbildung in ihnen nahe standest. Weiche nicht von dem Sinn der Väter, erneuere wieder diesen alten guten Sinn! Vaterland, laß nicht glauben, du seiest durch den Eindruck vorübergegangener widri20 ger Zufälle für die hohe erhabene Reinheit desselben unfähig gemacht worden, und dahin versunken, in einfachem Vorschlägen zur Verbesserung des Unterrichts und der Erziehung gefährliche Neuerungsgelüste zu wittern. Vaterland, ein versunkenes Zeitalter fällt so gern in diese An25 sieht der Dinge, und der Neuglaube des Ältesten, des Längstbesessenen ist eine Erscheinung, die sich bei jedem Versuch, die Menschen aus dem Schlummer des Zeitverderbens wieder zu erwecken, immer wieder erneuert. Selber bei der Erscheinung Jesu Christi war die hohe, reine Herzenserhebung, die den Glauben so Abrahams bezeichnete und die den Erlöser in der Menschheit wieder herzustellen bestimmt war, eine seinen Zeitjuden ganz neue Erscheinung. Der alte Glaube Abrahams war ihnen jetzt ein ganz neuer Glaube; und da es erlaubt ist, auch das Kleinste mit dem Größten zu vergleichen, darf ich hinzusetzen: es zeige sich 35 jetzt bei der Erscheinung der Elementarbildung, daß, so fremd der Begriff der Neuheit ihrem Wesen, so natürlich knüpfe er sich an ihre Zeiterscheinung. Ich darf es unverholen sagen: so wie das Christenthum seiner Natur nach das Wesen der sittlichen Bildung des Menschengeschlechts, als unwandelbar, als ewig in den Men-

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sehen wohnend, der zeitlichen Erscheinung und der Erkenntniß nach als neu anspricht, so spricht die Idee der Elementarbildung eben so das Wesen der geistigen Entwickelung des Menschengeschlechts, als unwandelbar und ewig im Menschen wohnend und bloß der zeitlichen Erscheinung nach als neu und heute noch 5 von wenigen begriffen, aus. Bei dem ewigen Trennen dessen in unserer Zeit, was Gott zusammengefügt hat, bei ihrem ewigen isolirten Ansehen dessen, was in der Natur nur im Zusammenhang mit ändern da ist, kommen sie dann freilich auch auf andere sonderbare Grundsätze, 10 auf die man jetzt alle Augenblicke stößt, z.B. man müsse nur für das Herz des Volks sorgen, es sei nicht nöthig, für seinen Verstand etwas zu thun; das Volk könne das weit besser, als irgend jemand, der sich damit befassen wollte. Das Letzte ist auch ganz wahr: das Volk kann weit besser für sich selber sorgen, 15 als irgend jemand, der es für dasselbe thun wollte; aber es kann es freilich auch nur da und nur in so weit, als es über seine Hausthüren schreiben kann: Deus nobis haec otia dedit. Wo es das nicht kann, da fällt die Zumuthung, es solle es thun, auch in die Kategorie von tausend ändern Zumuthungen. Hingegen aber hat 20 es mit der Meinung, es sei Pflicht für das Herz des Volks zu sorgen, und nicht für seinen Kopf, eine ganz andere Bewandtniß. Wenn man gewissen Leuten verzeihen muß, weil sie nicht wissen, was sie thun, so hat man noch viel mehr Anlaß Leuten zu verzeihen, weil sie nicht wissen, was sie reden. Ich kenne einen armen ver- 25 wirrten Menschen, der alles, was er aß, auf der rechten Seite kaute und demnach glaubte, er verschlucke es auch nur allem auf dieser Seite. Er hatte den Wahn, er sei vom bösen Feind besessen, und dieser sitze ihm gerade unter dem Herzen an der linken Seite, und glaubte, er müsse ihn hungern lassen; wenn er ihn speisete und 30 tränkte, würde er ihn noch doppelt plagen. Er war in seiner Verirrung so verhärtet, daß er fest glaubte, wenn er seine Speisen nur auf der rechten Seite kaue und herunterschlucke, so werde dann nur seine rechte Seite davon genährt, seine linke aber nicht. Die Menschen, die glauben, es sei möglich, nur für das Herz des 35 Volks zu sorgen, ohne zugleich seinen Kopf vorwärts zu bringen, sind ganz gewiß in diesen Ansichten diesem verwirrten Menschen gleich. Man kann den Kopf des Volks freilich nicht menschlich bilden, ohne das Herz zu veredeln; aber es ist umgekehrt eben so

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wahr, daß man, ohne seinen Kopf zu bilden, sein Herz unmöglich veredeln kann. Wenn ich aber an die Quelle denke, aus welcher diese Sönderungsneigung bei einigen für sie laut eich erklärenden Menschen 5 entspringt, so scheint sie mir oft aus Gesinnungen zu entspringen, mit welchen die französische Nationalversammlung das Dasein eines höchsten Wesens anerkannte. Sie hätte in diesem Augenblick auf keine Weise kraftvoller bescheinigen können, daß sie des Wesens, dessen Dasein sie erkannte, nicht viel wolle. Doch so 10 bedeutend ist dieses Wort nur in weniger Mund; ihrer viele sprechen dasselbe und viele andere dergleichen Worte nur darum aus, weil sie gewohnt sind, den Mantel nach dem Winde zu hängen, und weil so ein Wort gerade auf dem Küchenzettel der Tagesordnung obenan steht. Viele, die diese Art böser Worte brauchen, 15 wissen eigentlich gar selten, was die Worte, die sie dazu brauchen, in ihrem ganzen Umfang sagen wollen. Sie kennen weder die Ursachen, warum die Souffleurs dieses täglichen Spielwerks sie in Umlauf gebracht, noch die Folgen, die ihr Zirkuliren auf Große und Kleine im Volk hat. Dergleichen Menschen finden so ein 20 Wort im Strom, in dem sie selber schwimmen, ganz zufällig; und wenn morgen ein anderes diesem entgegengesetztes Wort obenauf schwimmt, so halten sie sich ebenfalls wieder an demselben. Sie müssen es, sie liegen im Strom, können nicht schwimmen und wissen nicht zu landen. Sie müßten ertrinken, wenn sie keine 25 Stauden fänden, an denen sie sich halten könnten. Wer die Geschichte der wechselnden Meinungen solcher Menschen, besonders seit zwanzig und dreißig Jahren bemerkt hat, der findet allenthalben die sonderbarsten Widersprüche derselben. Ich berühre nur einen: Als Lava t er das Herz des Volks nährte und dem so Wort glaubte, wie es geschrieben war und da stand, schrien diese Leute so, laut sie konnten: Das Herz ist nicht alles, der Glaube ist nicht alles; das Volk braucht viel Kopf und Kopfsbildung für sein Leben. Und als jetzt, so viele Jahre später, die Elementarbildung von einer Seite auch den Kopf anspricht, 35 schreien sie wieder: Hinweg mit diesem! das Herz allein taugt etwas fürs Volk. Wahrlich, sie gleichen den Menschen, von denen geschrieben steht: Wir haben euch gepfiffen, und ihr habt nicht getanzt; wir haben euch Klagelieder gesungen, und ihr habt nicht getrauert. Diese Menschen aber, die der Tageswind wie eine

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Wetterfahne treibt, sind im Grunde großer Aufmerksamkeit nicht werth; sie sind meistens nur die Werkzeuge von den Menschen, die dergleichen Meinungen wirklich in den Strom der Zeit werfen. Diese sind es, aufweiche die Aufmerksamkeit unsere Geschlechtes besonders in den Tagen gerichtet sein soll, wo öffentliche Ver- 5 wirrungen die Leidenschaften der Menschen gereizt haben. In solchen Tagen erscheinen solche zum Obenaufschwimmen gebrachte Meinungen, gewöhnlich mit einem Flitterglanze umgeben, in den Wellen des Zeitstroms, und die Menge des aus dem Gleichgewichte seiner Ruhe gehobenen Volkes, gleichsam wie 10 Schiffbrüchige, die auf Tod und Leben an die Balken dieser glänzenden Meinungen sich anhängen. Da indessen dieser Zustand nichts weniger als ein Zustand der Beruhigung ist, so geschieht es nicht selten, daß diese Menschen die Leidenschaft und Unruhe ihrer Stunde auf die Meinungen, an 15 denen sie sich in ihrem Unmuth halten, hinübertragen. Sie kommen nicht selten dahin, die Sorge für das Brot, an dem sie hangen, in ihrem verwirrten Sinn mit der Sorge für das Menschengeschlecht zu vermischen und zu glauben, ein jeder, der das Heil an ihrem Bret und an ihren Meinungen nicht suche und finde, sei ein das 20 Heil unsere Geschlechtes störender Mensch. Wir hören eine Menge Unsinn aus dem Munde solcher Eiferer ausfließen, und ich erkläre mir aus diesem Zustand den Gemüthszustand eines Menschen, der neulich gegen die Volksschulen, wie wenn er vor den Kopf geschlagen wäre, geredet und behauptet: man hätte das 25 erste Rathsglied, das darauf angetragen, das Volk in den Landschulen rechnen zu lehren, aus dem Rath stoßen, und der Stadt und des Landes verweisen sollen. Er ist nicht allein; in unsern Tagen giebt es gar viele Äußerungen, bei deren Anhörung ich an den Brandbeschädigten denke, so der vom Schrecken über die Feuersbrunst, die er litt, den Kopf so weit verlor, daß er in dem Haus, in dem er nachher wohnte, weder auf dem Herde noch in dem Ofen kein Feuer mehr anzünden ließ. Er warf sich in einen alten Pelz, lag viel im Bette, aß kalte Speisen, oft selber angefrorne Schinken und Würste. Auch schlief 35 er viel; wenn er aber erwachte, rief er dann mit lauter Stimme dem Heuchlerknecht, mit dem er Wurst und Schinken theilte, daß er in die Feuerspritzen, die er in allen Zimmern hatte, Wasser trage. Dann manövrirte er mit den Spritzen gegen alle Wände,

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und so verfaulte er das Haus, in dem er lebte, durch die Sorgfalt, die er anwandte, daß es ja nicht verbrennen könnte. \Venn indessen die Methode einigen, die das Licht scheuen und die Dunkelheit lieben, ein Licht scheint, das dem Volke zu hell 5 zündet, so scheint sie hingegen ändern, die, weil sie an Kunstfeuer und Blendlaternen gewöhnt, das bloß natürliche Tageslicht für ihre Augen zu schwach finden, nicht hell genug. Es sind nicht etwa bloß Männer, die für Licht und Wahrheit eifern, und Feuer und Leben für beide in die innern Verhältnisse des Volks bringen, 10 sondern auch solche, die in ändern Verhältnissen für Licht und Wahrheit eiskalt sind, welche die Methode nicht hell, nicht eingreifend, nicht brennend genug finden. Es ist merkwürdig, Männer, die nichts dagegen einwenden, wenn die Masse der Kinder ihres Landes von Morgen bis an den Abend dem elendesten Schul15 mechanismus Preis gegeben werden, finden die Methode zu mechanisch; und eben sie finden die Methode zu langweilig, zu zeitfressend, als daß man zugeben könnte, daß die guten Landkinder sich ein paar Jahre damit beschäftigen; hingegen finden sie in der Regel nur gar nichts dagegen einzuwenden, daß eben 20 diese guten Landkinder gezwungen werden, die ganze Reihe ihrer Jugendjahre Schulen zu besuchen, in denen sie weder denken, noch reden, noch beobachten, noch arbeiten lernen, sondern in allem diesem noch verwirrt und gegen die Natur zurückgesetzt werden. Diese Menschen, von denen ich zwar nicht glaube, daß 25 sie in ändern Dingen so unpsychologisch und inkonsequent urtheilen, entschuldigen alles unläugbare Verderben der öffentlichen Schulen damit, daß immer einige gute Subjekte, und achtungswürdige Männer aus denselben heraus kommen. Geschieht denn doch auf Erden etwa eine Schlacht, aus der gar niemand mit heiler 30 Haut ausgehe ? - Doch sie möchten entschuldigen, was sie entschuldigen; aber sie fordern, daß aus unsern Schulen lauter gute Subjekte herausgehen, und wollen uns auf zwanzig und dreißig Jahre dafür verantwortlich machen, was aus jedem Kind werde, das bei uns gelernt hat. Ob ein unwissender Tropf, ob ein elender 35 Knabe, den Schild der Methode um des lieben Erodes willen, oder um der Konscription oder einem beschwerlichen Handwerk zu entgehen, ausgehängt, darnach fragen sie nicht. Wenn seine Kinder mißrathen, so ist nicht der arme Tropf, sonder die arme Methode Schuld. Diese Leute, die einen jeden ändern Schulmeister

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beloben, wenn seine Kinder am Examen wohl bestehen, und nicht einmal fragen, durch welche Künste er es dahin gebracht, daß sie an diesem Tage mehr scheinen, als sie einen Tag vorher waren, und einen Tag später wieder sind, fordern von unsern Zöglingen, daß sie durch ihr ganzes Leben beweisen, daß die Methode gut sei. 5 Ob diese uns auch unreif aus den Händen genommen werden, oder ob sonst ihre Bildung störende Umstände obgewaltet, das achten sie nicht; die Jahre, die sie in unsern Händen gewesen, entscheiden ihnen nicht nur über den Werth des Instituts, sondern selbst über denjenigen der Methode. Doch genug hievon. 10 Noch habe ich die Elementarbildung noch von einer ändern Seite nicht genug ins Auge gefaßt, nämlich von Seiten ihres Einflusses auf die Kunstbildung unsere Geschlechtes. Auch diese muß, wenn sie wahrhaft elementarisch sein soll, von der Anerkennung der Einheit unserer Natur ausgehen. Wenn die Kunst menschlich 15 sein soll, d.h. wenn sie den Menschen wirklich zum Bewußtsein der Würde seiner Natur und zu den Fertigkeiten eines mit ihr übereinstimmenden Seins und Lebens hinführen soll, so muß sie nothwendig von der Erhebung des Geistes und des Herzens, als von ihrem innern wesentlichen Fundament, ausgehen, und 20 sich dann durch Ausbildung unserer Sinne und unserer physischen Kräfte äußerlich aussprechen. Gott ist die Urquelle der höchsten, reinsten Erhebung des Herzens! In so weit die Ansichten und Gefühle eines Menschen vom Höchsten, vom Erhabensten, dessen seine Natur fähig, vom Göttlichen ausgehen, in so fern ist er auch 25 für das Wesen der Kunst empfänglich. Der Mensch, dem die Welt, nur durch die Traumkraft einer idealischen Schöpfung in den Wipfeln der Bäume, bei dem Sprudeln der Quelle, auf den Gipfeln der Berge, in der Unermeßlichkeit der Meere veredelt u. s. w. ins Auge fällt, steht auf einer weit niedrigem Stufe der 30 Kunstempfänglichkeit, als der, der in allen diesen Erscheinungen den Schöpfer seiner selbst, und die Quelle jeder Veredelung, jeder Erhöhung, die in ihm selbst und in seinen Umgebungen auffällt, erkennt, und in Folge dessen alle diese Erscheinungen mit dem ganzen Feuer seines Genies in sich selbst und in sein ganzes Wesen 35 aufnimmt. Insofern die Kunst ferner aus der Entfaltung unserer geistigen Kräfte hervorgeht, ruhen die Mittel ihrer Entfaltung wieder auf dem Wesen der geistigen Kraft unserer Natur selber, und der

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Mensch steht auf einer weit tiefern Stufe derselben, dessen Entfaltung zu ihr aus der Einsicht in das Geistige der Kunstwerke hervorgeht, als der, dessen Entfaltung zur Kunst aus dem Wesen seiner geistigen Natur selber hervorgeht. Insofern endlich die 5 Kunst aus der Entfaltung unserer physischen Kräfte hervorgeht, ruhen ihre Mittel wieder auf dem Wesen der physischen Natur selbst, und der Mensch, dessen Kunstkraft aus den Übungen in irgend einem Kunstfach selber hervorgebracht worden, steht eben also auf einer weit niederem Stufe der Kunstbildung, als der, 10 dessen dießfällige Kraft aus der reinen und allgemeinen Entfaltung seiner physischen Anlagen zur Kunst selber hervorgeht. Das sittliche Element der Kunstbildung ist die sittliche Natur unsere Geschlechtes selber, die mit der Macht ihres reinen göttlichen Wesens die physische Ausbildung unsere Geschlechtes zur is Kunst, eben wie die intellektuelle, sich unterordnet, und weder der einen noch der ändern eine von ihr unabhangende Selbstständigkeit gestattet. Das intellektuelle Element der Kunstbüdung ist hinwieder die geistige Natur des Menschen selber. Ihr vorzügliches äußeres Mit20 tel ist dem Kinde durch das Alphabet der Anschauung, durch die Maaß- und Größenlehre, verbunden mit der Entfaltung der Denkkraft, durch die elementarischen Übungen der Sprache und der Zahl Verhältnisse, gegeben. Am Faden dieser verbundenen Mittel entfaltet sich die Kunst25 kraft des Kindes ganz geistig.*) Es schafft aus Verbindung von Linien Formen, und erschöpft durch die Art, wie es das thut, die Grenzen des Möglichen in der Zusammensetzung derselben. Sein gewecktes Verhältnisgefühl bildet sich ein Skelet im Richtigen, ehe es daran denkt, ihm Fleisch, Farbe, Rundung und Schönheit so zu geben. Es wird Schöpfer des Schönen, nicht durch die An*) Von der Entfaltung dieser Kunstkraft von der Sinnenwelt aus, der Anschauung und Darstellung der Körperform und Gestalt, die sich an die Botanik, Zoologie, kurz an das ganze Gebiet der das Kind umgebenden Natur, elementariech ins Auge gefaßt, anschließt, wird anderswo die Bede sein. Man vergesse 35 nicht, daß hier nur von der subjektiven Kunstbildung die Rede ist, daß aber die objektive (von der Natur aus) eben so selbstständig nach der Idee der Methode aufgefaßt und durchgeführt werden muß. Die Reichhaltigkeit des Gegenstandes macht es hier unmöglich, ihn zu behandeln, da seine umfassende Ansicht Erörterungen voraussetzt, die in den ganzen Organismus der Entwicklungsgesetze 40 eingreifen.

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schauung und Kopierung einzelner schöner Gestalten, die es sieht, sondern durch das innere, allgemeine Bewußtsein des Gefälligen, Schicklichen, Schönen, das sich durch die Übungen im Richtigen und Verhältnismäßigen in ihm selber entfaltet, und seinen Geist unmerklich zum Gefühl des Höchsten in der Kunst, zum Gefühl 5 des einfach Erhabenen emporhebt. Die physischen Elemente der Kunst sind erstlich: Die Sinne selber. Von dieser Seite sind ihre Mittel reine Sinnenübungen, vorzüglich des Auges und des Ohres; zweitens die mechanischen Kräfte unserer Hände und unsere Mundes, um die innerlich ent-10 faltete Anschauung der Kunst auch äußerlich dem Auge und dem Ohr darzustellen. Diese fordern gedoppelte elementarisch-gymnastische Übungen der Hand und der Finger, des Mundes und der Kehle. Die ersten umfassen alle Kunstwerke der Zeichnung und der Plastik: die ändern beschränken sich auf die Kunst des 15 Gesangs. Die Natur ruft der Entfaltung des innern Sinnes für Ordnung und Schönheit, dem wesentlichen Fundament der Kunst selber. Die Natur ist schön; das Kind sieht sie gern, die Mutter zeigt sie ihm gern. Sein ganzes sittliches und geistiges und physisches 20 Dasein belebt seine ihm natürliche Aufmerksamkeit auf alles, was schön ist. Von dieser Seite hat man sich nur an das Thun und die Erscheinungen der Natur selbst anzuschließen. Himmel und Erde stehen in aller ihrer Schönheit vor den Augen des Kindes; und je mehr dieses in sittlicher und intellektueller Bildung elemen- 25 tarisch geweckt und genährt ist, desto größer ist auch seine innere Empfänglichkeit für alles Schöne. Das Kind der frommen Mutter steht anbetend vor der Schönheit der Schöpfung; der Anfangspunkt der Entfaltung des innern Schönheitsgefühls ist in ihm durch die heilige Ahnung des Erhabenen, des Höchsten belebt. 30 So steht auch die äußere mechanische Bildung zur Kunst mit der intellektuellen im gleichen Zusammenhang. Das mechanische Fundament aller Schönheit, die Grundlinie des Skelets alles dessen, was schön ist, geht aus dem Bewußtsein der Verhältnismäßigkeit aller Formen gegen einander hervor. Sie fordert eine 35 gebildete Kraft, die Proportion eines jeden Gegenstandes, mit dem Ohr sowohl als mit dem Auge, wahrhaft zu fassen und mit der Hand und dem Munde richtig auszudrücken. Also von der Erhabenheit der sittlichen und religiösen Ansicht der Welt aus-

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gehend, durch die Übungen in der Zahl und Formenlehre und im Perspektiv von den wesentlichen Anfangspunkten der Kunst innerlich ergriffen, bleibt dem Zögling der Methode Kunstbildungs halber nichts übrig, als die Einübung der mechanischen Fertig5 keiten, die zur äußern Darstellung der Kunst in den verschiedenen Arten ihrer Werkstätte wesentlich sind. Die Anfangspunkte hierzu müssen nothwendig in einer naturgemäßen Entfaltung der dem Kinde inwohnenden Kraft gesucht, und durch ein höchst einfaches Habituellmachen des Gebrauchs dieser Kraft selber er10 zielt werden. Die Bemühungen zu diesem Zweck gehen ursprünglich von höchst einfachen kindlichen Bewegungen aus, schließen sich an die täglichen Bedürfnisse des Kindes und an die Besorgung seiner selbst, und erweitern sich dann, durch den Einfluß seiner äußern Umgebungen und seine erwachende Theilnahme und is Sorgfalt für diese selber, wodurch sie dann zugleich menschlich emporgehoben und geheiligt werden. Was diesfalls in Rücksicht auf die Kunstwerke, die von Auge und Hand ausgehen, wahr ist, das ist es vollkommen auch von denen, die vom Ohr und von der Kehle ausgehen. 20 Innerlich durch das Gefühl der Ton-Harmonie gerührt, muß das Kind mit dem äußern Organ seines Mundes, und zum Theil seiner Finger, das Wesen der Kunst auf die nämliche Art darstellen, wie es von den Harmonien, deren es durch das Organ seines Auges bewußt wird, gerührt, auch diese äußerlich dar25 stellte. Im innigsten Zusammenhange mit den geistigen Übungen der Kunstbildung, und nothwendig von der gebildeten Kraft des Auges und des Ohres abhangend, sind die mechanischen Mittel der Kunstbildung oder die Gymnastik ihrer physischen Entfaltung den allgemeinen Gesetzen der Elementarbildung nothwendig so unterworfen. Sie gehen alle von körperlichen Übungen aus, die das Kind die vorzüglichsten Bewegungen seiner Glieder kennen und die schicklichen davon einüben lehrt. Diese Gymnastik ist aber nur in so weit elementarisch, als so lange sie allgemein ist, und hört alsobald auf, dieses zu sein, sobald sie anfängt, Ein35 Übungsmittel irgend eines speziellen Kunstfachs zu werden. Dieser Gesichtspunkt ist darum wichtig, weil die speziellen Anfangsmittel der Kunst früher mit den allgemeinen beinahe ganz zusammenfallen. Desto nöthiger ist es, sie beide getrennt ins Auge zu fassen, und das reine, vollendete Einüben der ersten nicht

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durch die einseitige Beschränkung der zweiten zu schwächen. Nur dadurch veredelt sich der Übergang des einen zu dem ändern, und nur dadurch erhalten diese Mittel auch beim Übergang in die Anwendungsübungen der Berufsfertigkeiten eine reine Basis der Humanität. 5 Also begründet ist aber dann auch die Wirkung dieser Gymnastik auf die Veredlung unsere Geschlechts um so weniger zu berechnen, da die Folgen ihres Mangels, selber in Rücksicht auf ihre Erkenntniß, so drückend und zerstörend auf Europa's durch die Routinen-Industrien erniedrigten Völkern liegen, daß wir mit 10 Gewißheit aussprechen: es herrsche in der gewöhnlichen Volksbildung zur Industrie durchaus kein Schatten von psychologischer Organisation ihrer Mittel, so wenig als ein Zusammenhang derselben mit irgend einer Art reiner Entfaltungsmittel unserer sittlichen und geistigen Kräfte. Thierisch an die bloßen Handgriffe 15 einer einzelnen isolirten Kunst und Berufsfertigkeit gewöhnt, stirbt in dem von ihr verkrüppelten Volk der Geist der Kunst und die Kräfte selber, aus der sie wesentlich hervorgehen. Der Geist der Erfindung und ihr erhebendes Selbstgefühl geht bei dieser Bildung dahin; der Nachahmung schwache Nachtlampe 20 erscheint dem geblendeten engherzigen Zeitstümper wie ein ewiges Himmelsgestirn; Gottes höhere Natur ist in ihm nicht mehr lebendig; in seinen elenden Handwerkssumpf versunken bleibt er innerlich unerhoben - vom reinen menschlichen Sinne. Und so ist es, daß der große Haufen der Zeitmenschen für die 25 kraftvolle Ergreifung der wahren Fundamente für ihre Berufe täglich unfähiger wird, und täglich mehr außer Stand kommt, auch nur diese weiter zu veredeln, tiefer zu nationalisiren oder auch nur ihrer Abtrags-Sicherheit eine größere Dauer zu verleihen. Die elementarische Kunstbildung, die geeignet ist, dem Zeit- so alter hierin Hülfe zu verschaffen, kann aber dieses durchaus nicht, ohne die elenden Handwerkskniffe unserer diesfälligen Oberflächlichkeit und Anmaßung in aller ihrer Ohnmacht und Schlechtheit in die Augen fallen zu machen. Ohne offen und grad dieser Schwäche entgegen zu gehen, und den Menschen in seiner Ein- 36 heit und in aller Fülle seine Selbstständigkeit zu ergreifen, ist es ihr geradezu unmöglich, die Kunst jemals wieder aus sich selbst, aus der Wahrheit ihrer innern Natur selber, und aus der reinen und harmonischen Entfaltung ihrer wesentlichen Grundkräfte

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hervorzugehen zu machen, folglich auch durch sie die Kunst aus sich selbst und aus der reinen und harmonischen Entfaltung ihrer wesentlichen Grundkräfte zu entfalten. So weit die Kunstbildung geistig, selber so weit sie rein 5 sinnlich ( S i n n e n ü b u n g ) ist, so weit ist die Gefahr, durch ihre Reize die Aufmerksamkeit auf die höhern Ansprüche unserer edlern Anlagen zu verlieren, und durch ihre niedern Reize, zur Gedankenlosigkeit und Pflichtvergessenheit hingerissen zu werden, weit weniger groß, als in so weit diese Bildung bloß mechanisch 10 ist. Das Feld der Beobachtungen, das sich hier öffnet, ist zu groß, als daß ich es auch nur in seinen Haupttheilen ins Auge fassen könnte. Ich werfe nur einige diesfällige Winke hin. So wie alles wahrhaft naturgemäße Streben und Thun des Menschen, so geht auch die wahre und naturgemäße Bildung des Kindes zur Kunst, 15 und ihr äußeres Mittel, die Gymnastik, vom Nothwendigen und Ewigen zum Zufälligen und Willkührlichen, und nicht von diesem zu jenem, und eben so nicht vom Schicklichen und Gefälligen zum Richtigen und Sichern, sondern umgekehrt; und so ist auch das, was dem Kinde täglich nothwendig, täglich nützlich, täglich üb20 lieh ist, ohne alle Vergleichung der naturgemäßere Stoff seiner diesfälligen Übungen, als das, was ihm selten nothwendig, selten nützlich und selten üblich ist. Daher liegt es im Wesen der elementarischen Führung, die Übungen im Letztern den Übungen im Erstem unterzuordnen, und ohne genugthuende Einübung des ;>5 Erstem nicht einmal an ein lebendiges Probiren des Letztern auch nur zu gedenken. Nach diesen Grundsätzen müssen also diejenigen der gymnastischen Übungen, welche die Entfaltung der Kraft der Glieder des Kindes zum reinen und ungemischten Zweck haben, denen vorhergehen, welche die Fertigkeit derselben zu so einem besonderen Zweck ausbilden sollen, noch mehr aber denen, welche bloß das Raffinement im Auffallenden, sogar im Auffallendgefälligen, Graziösen im Auge haben. Diesfalls aber wird in der gewohnten Weise, die körperlichen Kräfte zu entfalten, mehr als gefehlt - am wenigsten, wo die 35 Natur noch uns durch die Nothdurft des Lebens zu Gunsten der Wahrheit im Zaum hält. Aber wo nur das Geld gegen die Natur, und noch mehr, wo nur die Ehre auch ohne Geld Reize giebt, gegen die Natur Gewalt zu brauchen, da hat die Unnatur in den körperlichen Übungen, eben wie in den geistigen, freien zügel16 Pestalozzi Werke Bd. 22

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losen Lauf, und der Zeitgeist hat ihn mächtig und so weit benutzt, daß das den gebildeten Ständen fast allein übrig gebliebene Mittel der körperlichen Übungen, die Tanzkunst, zur tiefsten Unnatur und dahin versunken, daß einige Lehrer dieser Kunst die wesentlichsten Kraftübungen der Glieder als ihrer Kunst nachtheilig 0 ansehen, und ihrem Zögling sogar mißrathen, in der Zeit ihrer Tanzübung lange Spaziergänge zu machen, oder viel bergan und bergab zu steigen. Aber die Idee der Elementarbildung ist in physischer Hinsicht mit diesen Ansprüchen zur Engfüßigkeit eben so unverträglich, 10 als sie in sittlicher Hinsicht mit den Ansprüchen der Engherzigkeit, und in intellektueller mit den Ansprüchen der E n g k ö p f i g keit*) unverträglich ist. Was aber diesfalls in Rücksicht der Gymnastik der Glieder auffällt, das ist in Rücksicht auf die Gymnastik der Gesang- und 15 Tonlehre eben so wahr. Wenn diese schon von einer Seite mehr als reinere und höhere Sinnenbildung ins Auge gefaßt werden kann, so ist dieses nur, in so weit ihre Mittel von der Bildung des Auges und des Ohres, und nicht, insofern sie von der Bildung der Kehle, als dem Organ der Vokal-, und derjenigen der Finger, als 20 dem Organ der Instrumentalmusik, abhangen. In letzter Hinsicht ist auch die diesfällige Gymnastik bloß eine sinnlich-mechanische Übung, und in so weit im allgemeinen Falle der Gymnastik, in so fern diese durch einseitig überwiegende sinnliche Eindrücke den Zögling von der sittlichen und geistigen Erhebung seines ganzen 25 Wesens auf dem Wege der Kunst zum niedrigen, thierischen, in ihm selbst isolirten Sinnengenuß derselben, und damit zum Versinken in Gedankenlosigkeit und Pflichtvergessenheit, im Verthoren seiner selbst an den sinnlichen Reizen der Kunst selber, hinlenkt und hinlenken muß. Der Gesanglehrer, der für die Bil- so düng zur Musik alles verloren giebt, wenn seine Zöglinge viel laut reden, oder auch nur viel laut reden hören, ist in dieser Rücksicht dem berührten Tanzmeister nahe, der seine Zöglinge weder bergan noch bergab steigen lassen wollte, damit sie ihm ihre Füße für seine Kunst nicht verderben. Beide opfern die Ansichten 35 *) Es wäre mir leid, wenn die zum Theil neuen Wörter mißfallen sollten: sie drücken das Wesen der ersten Erziehungsverirrung unserer Zeit nach allen drei Richtungen auf eine so sehr bezeichnende Art aus, daß ich sie gern erhalten wissen möchte.

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der Einheit und Kraft der Menschenbildung dem Sinnlichkeitsraffinement ihres Handwerks, oder wenn ihr lieber wollt, ihrer Liebhaberei auf, spreche sich jetzt dieses in der Grace eines Tänzer-Pas, im Kitzel eines Trillers oder im Kehlenspiel einer s Dreiviertels-Nachtigallstimme aus. Dadurch hört aber auch die Gymnastik auf, ein elementarisches Fundament der Menschenbildung zu sein. Dieser Gesichtspunkt hat noch eine andere Seite, und ich halte mich, da er für die Volksbildung von der äußersten Wichtigkeit 10 ist, gern noch eine Weile bei ihm auf. Es ist im Allgemeinen wahr: je mehr einer unserer Sinne selbst ganz ungetheilt sinnlich, ich möchte sagen, ganz rein und unvermischt thierisch ist, und je weniger er darum auf die Weckung des Lebens im Geist und Herzen des Menschen Einfluß hat, desto mehr und desto allgemeiner is ist das weit getriebene Raffinement seiner isolirten Ausbildung den Ansprüchen unserer veredelten Natur und der Pflichtstellung, aus der das Bestimmte ihrer Ansprüche hervorgeht, entgegen. Obwohl Auge und Ohr den edlern Ansprüchen unserer Natur 20 näher zu stehen scheinen, als die drei ändern Sinne, so sind sie um deswillen doch von einer starken Hinlenkung gegen die bloß thierischen Ansprüche unserer Natur nichts weniger als frei. Ihre sinnliche Richtung ist, als solche, wie die Richtung aller Sinne, an sich thierisch und niedrig. Sie wird nur durch das Übergewicht 25 der Verstandes- und Herzensbildung höher, menschlicher. Wo diese mangeln oder mißglücken, da wirkt die sinnliche Kraft des Auges und des Ohres, eben wie die der Nase, des Gaumens und der Fingerspitze, nur thierisch, d.h. nicht anders als störend gegen die Einheit unserer Natur, gegen den Umfang ihrer harmo30 nisch auszubildenden Kräfte, und gegen die Erhebung unser selbst zu reiner menschlicher Kraft, folglich zur Entmenschlichung unser selbst in unsern wesentlichsten Kräften und Anlagen. Die Folgen dieser Unnatürlichkeit in der Sinnenbildung unsere Geschlechtes sind für alles, was Mensch heißt, verderblich, aber sinnlich drük35 kend wirken sie vorzüglich auf die niedern Volksklassen. Es ist von dieser Seite nicht abzusehen, in welchem Grade es dieser Klasse Menschen besonders schädlich ist, wenn man sie auch noch an dem Kitzel der Theatertänze, der Kehlen, des Koch- und Kleider-Raffinements der Menschenklasse Theil nehmen läßt,

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deren geistiges, sittliches und physisches Leben sich ganz in dem Kitzel des Raffinements dieser Tänze, dieser Schüssel und dieser Kleider herumtreibt. Es ist gewiß, man kann den Mann, der Erdäpfel baut, und das Weib, das Flachs spinnt und Schafe hält, nicht wohl unglücklicher machen, als wenn man sie dahin 5 bringt, das nicht mehr gerne zu essen, was sie pflanzen, und das nicht mehr gerne am Leibe zu tragen, was sie spinnen, und den Hirten nicht mehr gern zu hören, der den Schafen auf der Weide, und den Schulmeister, der ihnen selber in der Kirche vorsingt.*) So ist eine zu feine Nase für viele Handwerker ein großes Hinder-10 niß der Ruhe in ihrem nöthigen Hausfleiß, und zum frohen Lachen beim Brodabschneiden taugt für einen sehenden Mann gar nichts, so feine Fingerspitzen zu haben, als ein Blinder braucht, um zu fühlen, was er nicht sieht. Diese Umstände, oder vielmehr diese großen Lebenswahr-15 heiten, stehen mit der Naturgemäßheit der gymnastischen Übungen im innigsten Zusammenhang. Diese haben nur in so weit statt, wo diese Übungen mit der sorgfältigen Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse, in denen der Zögling lebt, und auf die Bedürfnisse und Pflichten, die für ihn aus diesen Verhältnissen 20 entspringen, betrieben werden. Würden die Kinder den Reiz dieser Übungen ohne den Einfluß der diesfalls nöthigen Rücksichten genießen, so würde man sie wohl durch dieselben dahin bringen, daß sie wie Wilde springen und klettern, aber der Mutter nicht gern helfen würden, einen Zwirnfaden aufwinden; sie wür- 25 den das Reiten, ja gar das Tanzen, Fechten und Spielen für einen bessern Boden des menschlichen Seins und Treibens ansehen, als die stille Werkstätte des Vaters, und das mühselige Tagewerk am Pflug. *) Es ist unglaublich, aber dennoch wahr, daß eine Menschenklasse, die alles mißversteht und alles mißbraucht, aus solchen und ähnlichen Gesichtspunkten 30 und Äußerungen, gegen die Zweckmäßigkeit der Bildung gewisser Individuen und Stände selbst argumentirt und sie allgemein verwirft. Als Gegengewicht fragen wir diese nur: wie viel Tausende in den niedern Ständen ohne alle Bildung sich in Neid und Unzufriedenheit mit ihrer Lage verzehren, und durch sich selbst entwickelnde Leidenschaftlichkeit außer alle Harmonie mit ihren Verhältnissen 35 treten? Keine Thatsache der Erfahrung beweiset gegen die Bildung, aber alle gegen eine einseitige und schlechte, so wie gegen die Nichtbildung, die wesentlich gegen den Naturtrieb selbst, und damit gegen die ursprüngliche und eingebohrne Bestimmung der Menschheit ist. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, ob die falsche Richtung, oder die durch gehemmten Lauf verur- 40 sachte Stagnation der menschlichen Kräfte mehr Übel über die Erde bringe.

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Aber damit würde die Gymnastik der Menschheit keinen großen Dienst thun. Als Theil der Elementarbildung hingegen, und in ihrem Geist wirkend ist sie sehr ferne von der Verirrung, ihren Zögling also mit seiner Lage, seinen Umständen, und mit sich 5 selbst in Widerspruch zu bringen, und ihn in ein, diesen unpassendes - der Wirklichkeit, der Weisheit, der Liebe, der Sittlichkeit und der Religiosität gleich entgegenstehendes - anmaßliches Träumerleben hineinzuführen. In vollkommener Einheit mit dem Geist der Elementarbildung im Ganzen ist sie geeignet mitzu10 wirken, das in die Tiefen dieses Träumerlebens versunkene Geschlecht aus demselben wieder herauszuheben. Auch ist der Weg, auf dem sie es in physischer Hinsicht als Gymnastik thut, mit demjenigen, auf dem sie durch ihre sittlichen und intellektuellen Bildungsmittel zum gleichen Ziel wirket, der nämliche. 15 Sie führt ihren Zögling auch diesfalls an der Hand der ihm von der Natur gegebenen Führerin, der Mutter, zu den ersten Fertigkeiten aller schicklichen und nöthigen Bewegungen seiner Glieder, und es liegt wesentlich im Geist der Elementarbildung, daß dieses von der Mutter nicht nur mit aller ihrer Liebe, sondern 20 auch mit aller ihrer Weisheit, d. i. mit ihrer festen Aufmerksamkeit auf die Lage, Umstände, Verhältnisse, und alle daraus fließende gegenwärtige und zukünftige Bedürfnisse der Pflichten des wirklichen Lebens des Kindes geschehe. Freilich ist auch wahr, diese Aufmerksamkeit auf die gegenwärtigen und künftigen 25 äußern Umstände des Kindes muß der höhern Aufmerksamkeit auf das Wesen seiner Natur selber untergeordnet werden; aber dafür hat die Natur selber gesorgt. Das Wesen des Kindes, es selber, liegt der für ihre Bestimmung nicht verdorbenen Mutter näher am Herzen, als alle seine Umstände. Bei einer dafür ver30 dorbenen Mutter ist das freilich nicht so; aber dann steht auch in so weit alle Kunst für das Kind still, und ich weiß dem armen, das in dieser Lage ist, nichts zu sagen, als: Helf dir Gott, und geb dir einen Freund, der durch der Tugend Mühe dir ist, was deine Mutter dir ohne Mühe leicht sein könnte! So lang diese noch 35 instinktartig handelt, ist diese Leichtigkeit allgemein und entschieden. Die Möglichkeit der diesfälligen Verirrung hat nicht einmal Statt, so lang sie noch rein instinktartig handelt; sie geht erst bei der eintretenden Schwächung ihres Instinktes an. Von dieser Zeit hat sie die Hülfe der Kunst und die Weisung fester,

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heiterer Grundsätze erst nöthig, und diese finden sich auch in physischer Hinsicht in der allgemeinen Übereinstimmung aller elementarischen Bildungsmittel. So wie die Harmonie der sittlichen, intellektuellen und physischen Bildung unter sich selber und in ihrer gegenseitigen Einwirkung allgemein und sicher sein 5 muß: so muß sie auch, im ganzen Umfang ihrer gymnastischen Mittel und in allen ihren Zweigen, von den allgemeinen Mitteln der Elementarbildung zugleich belebt und dadurch in sich geschlossen und vollendet sein, sonst würde sie, was sie auch immer von gymnastischer Seite leisten könnte, Lücken ins Ganze der 10 Menschenbildung hineinwerfen, die denen gleich sind, denen sie entgegen zu wirken bestimmt ist; sie würde dann aber auch aufhören, elementarisch zu sein, sie würde aufhören mit der Einheit unsere Wesens in Übereinstimmung zu bleiben. Aber, indem sie dieser Forderung des ewigen Fundaments 15 aller menschlichen Erziehung auch von physischer Seite genug thut, bewährt sie auch von dieser Seite ihren höchsten Werth, ihre hohe Übereinstimmung mit dem Christenthum. Dieser Gesichtspunkt ist, ob er gleich im Allgemeinen schon ausgesprochen worden, und seine Wiederholung in der speziellen Hin- 20 sieht auf die Gymnastik überflüssig scheinen könnte, von einer Natur, daß ich nicht anders kann, als auch von dieser Seite es bestimmt auszusprechen: Die elementarische Bildung zur Kunst steht, wie die elementarische sittliche und intellektuelle, in der höchsten Übereinstimmung mit dem Christenthum; sie macht die 25 Ansprüche unserer Natur zum Höchsten, zum Erhabensten in ihrem Fache, zum Gemeingut unserer Natur. Sie bietet auch in dieser Hinsicht dem Mann in der niedrigsten Hütte zu seiner diesfälligen Entfaltung eben so allgemein, eben so wahr und eben so thätig die Hand, als das Christenthum dieses zu seiner sittlichen 30 Entfaltung thut; sie befriedigt den Mann mit schwachen Anlagen zur Kunst in den Schranken, in denen er der Kunst fähig ist, und zwar hinwieder durch eben die Mittel, durch die sie den Heldensinn des Kunstgenies zur höchsten Kraftentfaltung seiner diesfälligen Anlagen emporhebt. 35 Auf die nämliche Weise können die Anlagen und Kräfte, von denen die menschliche Veredelung durch die Kunst ausgeht, nicht durch irgend eine äußere Geschicklichkeit und Fertigkeit in die menschliche Seele hineingebracht werden; und eben so ist bei dem

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Kunstgenie sein angebohrnes Streben nach Vollendung, nach Vollkommenheit in seinem Thun, eine von der Natur selbst hervorgebrachte Folge der Wahrheit und des Lebens in der Kunst, und des Organismus ihres Wachsthums selber. 5 Hinwieder ist auch jede elementarische Übung der Kunstkraft in ihrem Wesen eine Handlung der Kunst selber, und zwar eine solche, die von dem Standpunkt der Kunst, auf dem das Kind steht, als Folge seines Kunstlebens zur Stärkung dieses Lebens und zur Vollendung seiner selbst durch dasselbe ausgeht. 10 Eben so ist auch in Rücksicht auf die physische Bildung zur Kunst wahr, daß die Reize und Beweggründe zur Anstrengung in derselben, in so fern sie nicht aus dem Wesen der Kunst und ihrem reinen Einfluß auf die Menschennatur selber hervorgehen, auf die Entfaltung der Kräfte, aus denen die Kunst hervorgeht is und hervorgehen muß, nicht naturgemäß hinwirken, folglich auch zur reinen, in die ganze Menschennatur zu ihrer Veredelung harmonisch eingreifenden Ausbildung derselben nichts taugen, und daß jede Einmischung der Eindrücke der Ehre und Schande, selber das idealische träumende Bewußtsein der diesfälligen 20 Kräfte, und die Vergleichung derselben mit dem Grade dieser Kräfte in einem ändern, für den Zögling der Kunst kein rein bildendes Mittel ihrer Entfaltung ist. Nur das die Menschennatur in Unschuld erhebende Gefühl der gerathenen Kunstarbeit, die Schöpfung des Kunstwerks selber, nur dieses ist allein als rein 25 kunstbildend, dem Fortschritte des Zöglings im ganzen Umfang der Ansprüche seiner Natur wahrhaft dienend, anzusehen. Von Leidenschaften gereizt, ihrer Unschuld beraubt, in sich selbst ungöttlich, bildet auch die Kunst, und ihr elementarisches Mittel der physischen Gymnastik, den Menschen nicht naturge30 maß, nicht göttlich, nicht menschlich. Das Menschliche in unserer Natur entkeimt nur aus dem Göttlichen, das in ihr geschont und gepflegt wird; aber der Zeitgeist sieht und glaubt das nicht. Die Vorstellung des Göttlichen, das lebhaft fühlende Bewußtsein des Bedürfnisses, und mit ihm das Bedürfniß irgend einer wirklichen 35 Harmonie in der Bildung unser selbst, ist in ihm geschwächt. Ohne sittliche, innere Höhe, beschränkt auf einen irdischen Sinn, hat die Zeitbildung zur Kunst die Entfaltung des Menschen in seiner Einheit zum hohen vollendeten Ausdruck derselben, zum göttlichen Sinn nicht einmal zu ihrem Ziel, und so müssen ihre

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Bemühungen zur Entfaltung einzelner Kunstkräfte des Geschlechts nach jeder höhern Ansicht nothwendig mißlingen, weil sie in der Entfaltung des Menschen in seiner Einheit zu einem höhern Sein und zu seiner wirklichen Veredelung kein sicheres Fundament haben. 5 Die Zeitkunst ist klein; aber die Zeitkünstler zeigen sich, wie Schnecken nach dem Regen, auf allen Wegen und hinter allen Hecken und suchen Brod, und wenn sie's haben, so kriechen sie wieder in das Schneckenhaus ihrer Selbstsucht. Sie sind nicht edel. Der Zeitgeist der Kunst ist nicht edel - er kann es nicht sein: 10 der Zeitgeist der Menschheit ist es nicht; er ist kein Grundgeist der Kunst - er kann es nicht werden; ihm mangelt reine Einfachheit, edle Höhe. Wer diese hat, über den zuckt das Glücksvolk der Künstler die Achsel, und sagt von ihm: Der Mensch weiß nicht seinen Weg zu machen; und die, so ihn zu machen wissen, 15 gehen auf ihm meistens für das Hohe und Heilige der Kunst verloren; sie tragen es von Grund aus selten in sich, und wenn sie es auch in sich trugen, so dünstet es in ihnen auf dem Glücksweg nicht selten aus, wie siedendes Wasser auf dem brennenden Herde. Ich habe dieser versunkenen, dieser ausgedünsteten Künstler 20 so viele gesehen, sie haben so oft meinen Glauben getäuscht und sich so oft gegen mein Erwarten kunstwidrig betragen. Man sagt zwar: eine Schwalbe mache keinen Sommer, und Handlungen von Individuen beweisen nichts gegen irgend einen Stand. Aber es giebt in den bösen Tagen eines jeden Standes einen Standes- 25 geist, den man, so gern man auch möchte, in den Handlungen einzelner Glieder dieses Standes nicht verkennen kann. Freilich ist es auch selten der Fall, daß der böse Geist einer bösen Standeszeit seine Schlechtheit so grell ausspricht, als mir neulich ein Fall vorkam. 30 In einem Hauptsitze der Kunst ward an einen im Glück schwimmenden Künstler ein Jüngling, den eine Engelsseele und die höchsten Anlagen zur Kunst auszeichneten, empfohlen. Er stand menschlich vertrauend und von Hoffnungen still erhoben, aber etwas armmüthig gekleidet vor dem Mann. Dieser faßt ihn 35 vom Kopf bis zu den Füßen ins Auge, und das erste Wort, als er das Empfehlungsschreiben in der Hand hatte, das er sagte, war: Hat er Geld ? Der Jüngling erblaßte und schwieg, und der Glücksritter der Kunst kehrte sich sogleich von ihm weg zu einem ändern

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von seinem Orden, und sagte zu diesem: Wenn ein jeder Bettler, der Kunsttalente hat, sie auch ausüben könnte, was würde dann aus uns werden ? Er hatte Recht. Die Glücksritter würden dabei verlieren, aber die Kunst würde dabei gewinnen. 5 Der Vorfall gieng mir zu Herzen, wie mir in meinem in solchen Auftritten geübten Leben lange nichts zu Herzen gegangen. Ich faßte ihn mit dem Einfluß, den dieser selbstsüchtige Geist auf alles Sein und Leben der Menschen hat, das mit der Kunst und dem Kunstfleiß zusammenhängt, ins Auge, und konnte mich 10 nicht enthalten zu denken: Wenn das am grünen Holz geschieht, wenn ausgezeichnete, im Glück schwimmende Künstler, die zugleich für die Erhebungen der Kunst in den vortheilhaftesten Umgebungen leben, sich gegen die Humanität in der Kunst also verhärten: was muß denn wohl dem dürren Holz der niedern is Kunst, um das sich gemeine Handwerks- und Fabriksseelen herumtreiben, begegnen! Wie grobsinnlich und armselig müssen sich denn diese Leute wohl bei den Ansprüchen der Selbstsucht ihrer Gilden und Zunftrechte gegen die Konkurrenz derer benehmen, die in ihrer Stadt und ihrem Dorf mitschneidern, mit20 schustern und mitfabriziren, und sie so aus der wohlhergebrachten Kommlichkeits-Lage ihrer Routinen-Genießungen gegen Fug und Recht herausstoßen wollen, wenn sie mit den Undelikatessen der Denk- und Handlungsweise solcher Kunstglücksritter auch nur au niveau stehen sollen! 25 Der Einfluß dieses niedern Sinnes in den höhern Regionen der Kunst ist besonders in einem Zeitpunkt und in einem Lande wichtig, wo die Eitelkeitsansprüche vieler Menschen und vieler Menschenklassen durch die Umstände schon außerordentlich gereizt , und der Brodneid vielseitig noch durch die Gefühle stoßender so Erniedrigung krampfhaft geworden. So groß indessen die innere Verhärtung ist, zu der die gereizte Selbstsucht der Zeitmenschen unsers Geschlechts diesfalls hinführt, und so sehr sie nicht nur in sittlicher und intellektueller, sondern auch in Kunsthinsicht in vielen Gegenden dahin gekommen, die besten Köpfe, die Gott 35 im Lande schuf, zu hindern, mit dem Tugend-, Weisheit- und Kunstpersonale desselben in freier, edler, ungekränkter Stellung zu konkurriren: so vermochten diese harten Wächter der ungebührlichen Tugend-, Weisheit- und Kunstausdehnung es doch nicht, auch die Zahl der für die Wissenschaft und Kunst verbil-

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deten Halbköpfe zu mindern, und die Menschheit von der Überlast durch Hunger und Eitelkeit gleich eckelhaft belebter Pfuscher in beiden zu erlösen, und doch thäte es, wenn je, jetzt damit Noth. Die Zeitwelt, so sehr sie auch den leeren Schein liebt und hierüber schwach ist, erkennt es jetzt doch selber auch nach ihren beschränkten Ansichten für ein Unglück, daß zahllose Menschen, vom leeren Wissen verblendet, ohne Entfaltung für innere Menschenkraft und innere Menschenwürde, Ansprüche an wissenschaftliche Bildung machen, mit denen sie am Ende zu ihrem Verderben in den offenen Schlund der Welt hineinfallen, wie 10 arme Heringe in den Schlund der Wallfische. Eben so groß ist das Unglück, daß zahllose Menschen ohne Kunstanlagen und ohne Kunstkraft Ansprüche auf Kunstbildung machen, mit denen sie am Ende nur dahin kommen, als Menschen für sich selber und für ihr Geschlecht eben so wie für die Kunst verloren zu gehen. 15 Die Quellen dieses Unglücks liegen tief in unserer Lage, und ihre Folgen sind groß; auch die Folgen ihres alten und tiefen Einwurzeins sind groß. Wie ein Bach, der sich sein krummes und landverderbliches Bett seit Jahrhunderten schon gegraben, nun wieder Jahrhunderte in demselben mitten durch seine unnatür- 20 liehen Krümmungen fortläuft, ohne wieder auf irgend einem Punkt eine starke kraftvolle Neigung zu zeigen, gegen Stellen hinzulenken, von denen aus er in gerader Linie fortlaufen, und nur wohlthätig auf seine beiden Ufer wirken könnte: so erklärt es sich, warum der Zeitgeist durchaus keine kraftvolle Neigung 20 zeigt, Kunst und Wissenschafts halber auf einfache, gerade und naturgemäße Grundsätze und Mittel der Volksbildung hinzulenken. Es erklärt sich vollkommen, warum man in Bücksicht auf diese Bildung von der einen Seite so lange mit so großer Lauheit gehandelt, und so wenig gethan, sie im Allgemeinen zu wecken so und zu beleben; hingegen auf der ändern Seite die Kunst für Menschen allgemein machen wollte, die ohne Anlagen für die Kunst das Lehrgeld für einige Hundert isolirte Kunststunden zu zahlen geneigt und im Stande wären. Eben so erklärt sichs, warum man auch die Wissenschaft, und zwar wieder ohne Rücksicht auf 35 beides, auf den Grad der Anlagen das Zöglings, und nicht selten auch des Lehrers, popularisiren wollte. Es war aber nicht immer also, und wird nicht immer so bleiben. Die Einheit unserer Natur, dies einzige Fundament einer wahrhaft ergreifenden Bildung, das

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vom Zeitgeist so sehr und so allgemein gemißkannt ist, war es in der Vorwelt nicht also. Nein, es waren andere Zeiten, und es werden wieder andere Zeiten kommen, und jeder durch Einfachheit und Religiosität innerlich erhobene Zeitpunkt steht den Ansprü5 chen der Natur an unsere Bildung und dem Fundament der Elementarbildung unendlich näher, als unser ohne dieses Fundament in einer einseitigen, oberflächlichen Kultur auf einen hohen Grad des Raffinements fortgeschrittenes Zeitalter. Männer des Vaterlandes! Noch sind in unsern Umgebungen 10 überall Spuren von der Erziehung dieser bessern Zeit! Aber wir sind in Rücksicht dieser Spuren einem Lande gleich, das, nachdem es seine Eisenwerke, seine Hammerschmieden und seine Schmelzhütten verloren, nun, um den Überrest seines alten Eiaenreichthums doch nicht verrosten zu lassen, zum Klemper15 handwerk seine Zuflucht nimmt. Eben so nehmen wir jetzt, um die Kräfte der geschwächten Menschennatur, die wir nicht mehr unter den schweren Hammer der Vorzeit und ihrer naturgemäßen Bildung zu bringen vermögen, doch nicht ganz verrosten und den Schein der menschlichen Bildung verlieren zu lassen, zum 20 Klemperhandwerk einer beschränkten und in das höhere edlere Wesen der Menschennatur nicht rein eingreifenden Standes- und Berufsbildung unsere Zuflucht. Aber so wenig das gemeine Klemperhandwerk, das getrennt von allen Werken der Hammerschmiede und Schmelzhütten betrieben wird, zu irgend einem 25 kraftvollen Eisenwerk tauglich: so wenig taugt auch die von der Menschenbildung getrennte Standes- und Berufsbildung zu irgend einem Kraftwerk der Menschennatur. Wenn es aber auch nicht in der Sache selbst läge, wenn auch das Wesen der Menschennatur das Herabsinken der Kräfte unsers so Geschlechtes auf dieser Bahn nicht an sich selbst erkennen und als nothwendig voraussehen lassen würde, und wenn wir auch blind genug wären, unser Übel von dieser Seite nicht erkennen zu können, so sollte uns doch die Macht der Erfahrung, die uns den Gang dieser also versuchten Standes- und Berufsbildung 35 offen vor Augen gelegt, hierüber aufklären. Die Folgen ihres Verderbens sind auf ihre oberste Höhe gestiegen. Sie konnten nicht anders. Sie ist mit einem prononcirten Unglauben an das Hohe und Heilige der Menschennatur und durch Mittel betrieben worden, welche die höhern Ansprüche der Menschennatur dem

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irregeführten Geschlechte fast wie dem Bock, zu dem gesagt war : Rühr nicht, es brennt l den heißen Aschenhaufen in die Augen fallen machen mußten. Aber auf der ändern Seite konnte eben so wenig fehlen, das also eingelenkte Klemperhandwerk der Berufs- und Standesbildung & mußte sein Verderben in sich selbst finden, es mußte den natürlichen Folgen seiner eigenen Beschränkung unterliegen. Die Realität alles dessen, was zu jeder auch noch so beschränkten Standes- und Berufsbildung wesentlich nothwendig ist, war der Schwäche des Zeitgeistes bald zu beschwerlich. Er lenkte nun 10 vollends zu einem idealischen Träumerleben und dahin, daß die durch ihn verbildete Schaar den Menschen gleich sehe, von denen es im Evangelium steht: sie mochten nicht arbeiten, aber sie schämten sich zu betteln. Das Unglück ist doppelt groß, weil die Menschen dieser Bil-1; düng, wenn sie sich auch gestehen müssen, daß sie ihr Leben ohne bildenden Einfluß auf ihre Brüder, die Menschen, verloren, es gemeiniglich noch gar nicht gern sehen, wenn andere Leute ihr Leben dafür gewinnen wollen. Am landesverderblichsten ist dieser Umstand, wenn diese ab- 21 gematteten eiteln Menschen, in ändern Rücksichten, noch die aufgeklärtesten und gebildetesten im Lande sind, und in bestimmten Rücksichten nicht nur mehr glänzen, sondern wirklich mehr sind, als die, welche bei aller ihrer Schwäche und bei allem ihrem anderweitigen Zurückstehen mehr Naturkraft an sich 2 selber erhalten, und mit dieser für das Volk versuchen, was den ändern nicht möglich ist. In diesem Fall zeigt das menschliche Herz dann oft seine Triebe grell. Die Elementarbildung reinigt durch ihr Wesen das Herz von diesen Tücken, sich macht den Menschen die Größe der Menschen- s natur mehr im Geschlecht, als in sich selbst und in seiner Individualkraft suchen, erkennen und schätzen. Ihre Zöglinge sind in jedem Fall fern davon, irgend einen Lichtstrahl, den sie nicht in den Focus ihres Auges zu bringen vermögen, für einen Glanz zu erklären, für den kein menschliches Auge einen Focus habe. Im i Gegentheil, der Sohn der Methode achtet die Kraft des einzelnen Menschen in jedem Fall gering gegen die Kraft unsers Geschlechtes, und schätzt die Wirkung der Methode nicht, in so weit ihre Kraft in einem einzelnen Menschen lebt, und durch einen ein-

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zelnen Menschen wirkt, sondern in so weit sie im ganzen Geschlecht liegt und durch unser ganzes Geschlecht wirkt, wichtig und hoch. Aber so von diesem ausgehend, glaubt er denn auch ihre Kraft mächtig und groß, und so weit gehend, als die Kräfte 5 unserer Natur selbst hingehen. In der besondern Ansicht, die obwaltet, vertrauen wir ihr; sie scheidet das gute Korn von der Spreu: der Schein der Zeit besteht nicht neben ihrer Wahrheit, der Traum der Zeit nicht neben ihrer Kraft. Wir haben in sittlicher und intellektueller 10 Hinsicht die Gründe ins Auge gefaßt, die uns zu diesen Äußerungen zu berechtigen scheinen; aber wir glauben es auch in Rücksicht auf die Kunstbildung sagen zu dürfen: Ihre Mittel beleben das Innerste unserer Natur; sie geben dem Zögling ihren Geist; sie machen den Künstler seine Kraft und den Nichtkünstler is seine Ohnmacht in sich selbst fühlen; sie schrecken den Untauglichen von ihrer Laufbahn ab, noch ehe er sie betreten, und ziehen den Tauglichen mit einer Kraft zu ihr hin, der er nicht zu widerstehen vermag.*) Aber wenn man auch nun alles dieses zugiebt, ist denn um 20 deswillen in unserer wirklichen Welt der Sieg für die Methode gewonnen? O nein! die Zeitsprache sieht sich durch diese Ansichten nicht einen Augenblick in Verlegenheit gesetzt; sie rümpft über die Unkunde derer, die nicht sehen, was sie sieht, und nicht erkennen, was sie erkennt, mächtig die Stirn, und ruft 25 uns mit der Miene der Welt- und Menschenkenntniß die Worte zu: Aber wozu die Erhöhung der Menschenkraft ? Man mache die Menschen zuerst höher, und dann, aber auch erst dann, gebe man ihnen ihre Kraft! Die Worte klingen schön, und man muß einen Augenblick etwas dabei denken. Aber die Sprecher der Zeit er30 warten nicht fremde Gedanken über ihre Meinung; sie stehen zu Dutzenden zusammen, geben sich die Hände, wie Knaben beim freundlichen Spiel, und sagen dann zu den Umstehenden: Wir sind ja auch groß geworden, und lernten doch nie etwas nach einer neuen Methode. 35

*) Dies alles gilt freilich nur in so fern, ist aber auch in so fern ganz wahr, als sie ine Volk lebendig eingreift, in ihrem ganzen Geist und Umfang auf dasselbe wirken kann, und dadurch auch den Takt des öffentlichen Urtheils über den Werth und die Kraft des Menschen in so weit sichert, daß es dem Schwächling nicht mehr gelingt, das Spiel mit ihren Formen zum Steckenpferd seiner Schwä40 ehe und zum Nothhelfer seines Broderwerbs zu machen.

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Es ist freilich wahr: Große Leute sagen nie, daß sie groß sind, aber kleine möchten fast immer gern, daß niemand neben ihnen stände, der groß ist; hingegen liegt es in der Engherzigkeit aller kleinen Leute, daß sie gern groß schienen, und leicht dahin kommen, ängstlich dafür zu sorgen. Es liegt in der Natur; der schwa- 5 ehe Mensch wittert in der Nähe eines jeden Menschen, der mehr Kraft hat, als er, Gefahr für seine Schwäche, und kommt in diesem Falle sehr leicht dahin, diese Gefahr, die ihm drohet, seinen lieben Mitbürgern gern als eine Gefahr für sie alle, für ihre Stadt, für ihr Land, für ihre Herrschaft und für ihren Glauben, für ihre 10 Kinder und Kindeskinder in die Augen fallen zu machen. Es ist gewiß, der Gedanke: Nützt denn die Erhöhung der Volkskraft auch etwas? kommt auf diesem Wege in vieler Menschen Herzen, so wie die der Meinung zur Bestätigung dienende Ansicht, der Drang höher zu streben sei in jedem Fall der menschlichen Ruhe 15 gefährlich, und es sei immer besser, man lasse schlafen, was schläft, und blind sein, was blind ist. Gewiß wurmte es in der Seele eines ganz gewandten Geschäftsmannes in diesem Sinne, da er neulich in guter Gesellschaft als Beleg des Machtspruchs: es nütze nichts, das Volk gar zu gut zu 20 schulen, anbrachte: es müsse ja auch Maulwürfe haben, sonst hätte ja der liebe Gott keine geschaffen; und wie unglücklich wären diese Thiere unter dem Boden, wenn sie gute Augen hätten. Was sollen wir zu allem diesem sagen? Wir glauben an die allgemeine Güte aller Gaben Gottes, und denken es nicht möglich, 25 daß die richtige naturgemäße Ausbildung dieser Gaben dem Menschengeschlecht jemals zum Nacht heil gereichen könne. Wir glauben im Gegentheil: die Ausbildung dieser Gaben sei durchaus nicht der Willkühr der Menschen überlassen, sondern sie gehöre bestimmt in den Mittelpunkt des Pflichtgebietes unsers Ge- so schlechte, oder vielmehr, sie sei dieser Mittelpunkt selbst; und unsere diesfälligen Ansichten sind auch durch die ersten, unabänderlichen Ansichten der Religion und des Christenthums gerechtfertigt und bestätigt. Aber man entfernt die Ansicht der Pflicht und der Religion, 35 und möchte unser Thun gern als Sache der Eitelkeit und Selbstsucht in die Augen fallen machen. Man wirft der reinen Ansicht der Frage den bösen Mantel der Aufmerksamkeit auf die Persönlichkeit unsers Seins und Thuns um; man rückt uns Stolz vor und

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behauptet: wir gäben der Idee der Elementarbildung einen größern Werth, als sie wirklich habe. Es ist wahr, wir geben dieser Idee einen großen Werth, und viele edle Männer in vielen Landen bauen mit uns wichtige Hoffnungen für das Wohl des Menschen5 geschlechts auf sie; und auch das ist wahr: viele von diesen haben sich mit Wärme und Lebendigkeit über diese Hoffnungen ausgedrückt, und einige von ihnen haben es wirklich ausgesprochen, es sei von der Idee der Elementarbildung eine sittliche und intellektuelle Veredlung ihrer Zöglinge, und durch sie ein wichtiger 10 Schritt zur intellektuellen und sittlichen Veredlung einer großen Anzahl von Menschen, und wenn du willst, wirklich eine Palingenesie des Menschengeschlechtes zu erwarten. Wir selbst halten diese Idee für allerdings geeignet, die Erziehung zu einer Wissenschaft zu erheben, deren Resultate unzweideutig dahin führen is müssen, ihrem Zögling die sittlichen, geistigen und Kunstkräfte, die in ihm liegen, in Übereinstimmung unter sich selbst und auf eine seiner Natur genügende Weise zu entfalten, und in so weit die sittliche, intellektuelle und Kunst Veredlung unsers Geschlechts allgemein zu fördern und zu sichern. 20 Damit sagen wir aber noch gar nicht, daß das Schöpfungswerk der aufzustellenden Elementarbildung durchaus weder theoretisch, noch praktisch, noch wirklich aufgestellt sei; wir behaupten nicht einmal, daß wir es in unserm Leben je auch nur seiner Vollendung annähernd aufstellen werden. Wir freuen uns nur, daß 25 uns ein Schritt gelungen, der einiges Licht giebt über dieses Ziel, und viele edle Menschen bewogen hat, nach ihm zu streben. Sonst träumen wir nicht gern, und lieben es noch weniger, Träume bei ändern, insonderheit bei unserm schlummernden Zeitgeschlechte zu erwecken. Wir bescheiden uns im Gegentheil gern, um einige so Menschen, die aus hoher Sorgfalt vor dem bösen Enthusiasmus und den schrecklichen Gefahren der elenden Begeisterung das nihil admirari der alten Weisen in den Mund der neuen Schwächlinge und Thoren zu legen für gut gefunden, vollkommen zu beruhigen, sehr gern dahin, daß uns für unser Sein und für unsere 35 Lage die Hoffnung genügt, unsere Bemühungen, welche Schranken sie auch immer in uns selber und in unsern Umständen gefunden haben, ermangeln doch nicht, wohlthätig und allgemein auf das außerordentlich tiefe Verderben der gemeinen und gewöhnlichen Zeit- und Volkserziehung zu wirken.

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So bescheiden wir aber hierüber denken, so müssen wir doch noch äußern: Wenn es auch wäre, wenn auch einige unserer Hoffnungen überspannt wären, und es schliche sich auch hier und dort ein Irrthum, oder vielmehr, es schlichen sich wirklich allseitig auch Irrthümer in unser menschliches Thun, könnte es 5 wohl anders? Ich denke nein, und hätte im Bewußtsein des Ernstes unsere Strebens nach dem Bessern nicht viel darüber zu sagen, als: Man mache besser, was wir schlecht machen! Man beschäme uns durch höhere Ansichten, durch edlere Thaten, durch festere Kraft im Eingreifen in die wirkliche Welt; man 10 stoße jede unserer Anmaßungen zurück; man lenke die öffentliche Aufmerksamkeit der Regierung und der Völker durch evidentere Darstellung der Wahrheit, durch besser gelungene Versuche, und durch glücklicher erzielte Resultate von uns ab! Der Bessere lenke es auf das Bessere, der Höhere auf das Höhere; der Bessere 15 und der Höhere lenke es auf sich in seiner höhern Wahrheit und seiner höhern Liebe! Wir begehren nichts mehr: es ist Seligkeit zu verschwinden; still leben und unbemerkt sterben ist Seligkeit. Ich habe das Erste nicht genossen; möge mir nur das Zweite 20 zu Theil werden! Nur möge mein Hinschwinden still sein, und sanft und liebend auf meine Auflösung wirken! Nur möge kein höhnender Spott, keine niedere Härte die Ruhe des lieblichen Hinschwindens stören, die mir Lava t er wünschte; nur möge mir niemand zurufen: O komm, erwünschte Zeit, komm, lang er-25 sehnte Stund! Mach' alle Berge glatt und alle Hügel rund! Oder ist es denn recht, habe ich, hat mein Thun, hat meine Anstalt, haben meine nähern Umgebungen dieses verdient ? Sind wir denn wirklich den Thoren gleich, die in ihrer Jugend in trägem Müßiggang hinschlummerten, und dann im Alter dennoch gern 30 hätten, daß alles nach ihren Pfeifen tanzte; und jetzt, da dieses nicht geschehen, in ihren alten Tagen darüber in Klagelieder ausbrechen, daß Berg und Hügel nicht von sich selber glatt und rund werden wollen? Vaterland, sind wir diesen Menschen gleich? Haben wir denn 35 innerhalb deiner Grenzen nichts gethan, als geträumt und geklagt ? Ist kein Werk unsere Lebens da, das für uns antwortet, wenn man also mit uns und von uns spricht? Vaterland, dürfen wir von diesem Werk unsers Lebens, dürfen wir von der durch uns be-

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lebten Idee einer naturgemäßen Volkserziehung denn gar nichts Gutes hoffen; dürfen wir uns dieser Hoffnungen nicht freuen? Und wenn wir auch in unserer Freude zu weit gehen, und von unsern Hoffnungen mehr Wesens machen würden, als unsere 5 Thaten wirklich verdienen: soll man um deswillen also mit uns reden und uns also dem Gespötte preisgeben ? Das geschieht doch sonst in der Regel nicht. Es giebt außer uns auch noch etwa Menschen, die ihren Kram auf dem Markt etwas zu hoch anschlagen. Man läßt sie bei ihrem Kram stehen, und geht ruhig 10 neben ihm vorbei. Selbst große Extra-Vaganzen dieser Art werden nur mit ganz kleinem Lächeln beantwortet! Wenn z.B. ein übertriebener Gläubiger die Mutter Gottes höher achtet, als Gott selber, so begnügt man sich, ihm seinen Irrthum zu zeigen, und denkt nicht daran, ihn der Anmaßung und des Stolzes 10 zu bezüchtigen. Und ich dächte, es wäre auch für unsern Fall schicklich, uns, wenn wir uns auch noch so weit verirreten, unsern Irrthum zu zeigen, und von unserer Anmaßung zu schweigen. Freunde der Menschheit und des Vaterlandes! Wenn je ein Unternehmen geeignet ist, den Menschen zum Gefühl einer höhern 20 Bestimmung und des Bedürfnisses höherer Kräfte zu erheben, und zugleich die Kenntniß seiner Ohnmacht und seiner Schwäche in ihm zu beleben, so ist es gewiß die Idee der Elementarbildung, und der Versuch, Hand an ihre Ausführung zu legen. Und wenn je Beweggründe zur Demuth und zur Anmaßungslosigkeit bei 25 einem Menschen durch eiserne Umgebungen gestärkt worden sind, so sind sie es gewiß durch meine geworden. Ohne Geduld und ohne Demuth stände mein Werk schon längst nicht mehr; ohne Geduld und ohne Demuth würde es sich auch heute noch keine Stunde erhalten. Muth und Demuth war auch vom Augen30 blick an, als ich Hand an dasselbe legte, mein Wahlspruch. Worauf sollte ich stolz sein? Ich habe mein Werk nicht unternommen; es fiel in meine Hand, ehe ich es erkannte; und da ich es erkannte, konnte ich meine Hand nicht mehr zurückziehen; es war, so weit es mich jetzt auch führte, meine Pflicht. Und ich muß jetzt 35 thun, was ich thue, und wenn auch vieles davon in spem futurae oblimonis geschieht. Vieles von dem, was im forschenden Leben von Stanz aus bis hieher für die Methode geschah, liegt schon also in der Vergessenheit Schatten begraben; deswegen aber mußte es doch versucht 17 Pestalozzi Werke Bd. 22

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werden. Das Vollkommene gestaltet sich in den Menschenhänden nur durch das Unvollkommene. Wer sich nicht in den Tiefen duldet, verstärkt sich nicht in den Höhen; wer sich in den ersten nicht säumte, der kommt in den zweiten nicht weit. Noch sind wir unsers Zwecks halber in den Tiefen seiner Anfänge, und es 5 ist nicht gut, daß wir uns viel in den Höhen seiner Vollendung verträumen. Vieles von dem, was jetzt noch versucht wird, wird, wie viel Früheres, als unwesentlich oder unrichtig verschwinden, und als leeres Gerüst wegfallen, sobald unser Gebäude seiner Vollendung sich nähert. Aber dieses ist noch ferne davon, jetzt unter 10 das Dach zu kommen; es ragt kaum ein wenig über den Boden seiner Fundamente hervor, und es wohnt sich so übel in einem Haus, das nicht weiter vorgerückt ist; und wenige urtheilen richtig über einen Bau, wenn er in seiner Kunstansicht vollends probhaltig, aber in Holz und Stein noch nicht aufgeführt ist. 15 Der Punkt der Laufbahn, auf dem mein müder Fuß steht, ist nichts weniger als glänzend; seine Mühseligkeit schreibt sich von langem her, und ihr Ende ist nicht abzusehen. Tausendmal hätte ich, menschlicher Weise davon zu reden, in meiner Lage zu Grunde gehen sollen; ich gieng doch nicht darin zu Grunde. Mich um-20 wehen für mein Werk Segenslüfte, und es gedeiht fast ohne meine Kraft und ohne mein Zuthun. Siehe die Pflanze wachsen, und in der Fülle ihres Seins da stehen; du weißt nicht, wie sie gedeiht, aber du siehst ihr volles Aufblühen, und glaubst fest, sie wird reifen, ohne daß du der Sonnenwärme und des Thaus und des 25 Regens, die du für nöthig hast, auch nur für den morgenden Tag sicher bist. Also sehe ich mein Werk im Segen naher und ferner Umgebungen blühen, die eben so wenig in meiner Hand sind; aber ich glaube dennoch fest an sein Reifen. Dieser Glaube, und selber das Vertrauen, das ich in Rücksicht auf dasselbe auf mein 30 Glück hege, ist indessen mit tiefem Be\vußtsein des Mangels genügsamer Kräfte für alles, was die wirklich vollendete Ausführung dieser Idee erfordert, verbunden. Die Mittel dazu sind mir in verschiedenen Rücksichten noch sehr dunkel; ich sehe den Boden meiner Schöpfung um mich her öde und wüst, aber ein segnender 35 Geist weht über seine Gewässer, seine Sonne wird ihm aufgehen; ich weiß es: der Tag meines Werks wird kommen. Möge dieser Glaube mir bleiben! Möge er alle, die mit mir an meinem Werke Theil nehmen, unter allen Umständen beruhigen

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und stärken; aber möge er auch keinen von uns schwindeln machen, daß er das Zufällige unsers vorübergehenden Glücks für den hellen Tag unsers Werks selber ansehe! Mögen wir uns beim Anblick einzelner gelungener Theile unsers Versuchs nicht hin5 reißen lassen, uns über das Zurückstehen dieses Versuchs im Ganzen einen Augenblick zu täuschen! Wahrlich, das wäre das größte Unglück, das wir unsern Zwecken und unsern Hoffnungen selber in Weg legen könnten. Mögen wir, indem wir unsers diesfälligen Glückes froh sind, uns über den Grad dessen, was zur 10 gänzlichen Vollendung unsers Zweckes Noth thut, nicht täuschen! Wenn in den ersten Tagen des Frühlings einige schöne Blüten an sonnigen Geländern sich zeigen, und selber, wenn im vollen Frühling der Fruchtbäume Menge in aller Pracht ihrer ganz entfalteten Schönheit dasteht: so ist man um deswillen noch nicht is sicher, daß eine einzige dieser Blüten ihre Vollendung in ihrer gereiften Frucht finden wird. Ein tödtender Nebel, ein schädlicher Wind wehet über die Bäume; ihr Blüten ersticken, und die Hoffnung des Wachsens und Reifens ihrer Früchte ist dahin. Ach, ich bin schon so oft von schönen Träumen erwacht, und 20 oft ist mir, ich werde noch einmal von einem solchen erwachen; oft ist mir, die Schwierigkeiten meines Werkes wachsen mir über mein Haupt. Es ist in Mannsgestalt erschienen, ehe es seine Kinderjahre vollendet. Es kannte die Jünglings jähre noch nicht, in denen es hätte reifen sollen, ehe es sich in Mannesgestalt zeigte. 25 Das alles ist auf Gefahr seines Lebens geschehen. Der Gang, den es genommen, erhöht seine Schwierigkeiten ohne Maaß. Oft ist mir, diese vergrößern sich wie ein Schneeklumpen, der von des Berges Spitze gegen das Thal herunterrollt. Dann ahnet mir, so ein Schneegestöber in der Höhe könnte als Lauwine auf das arme so Sein meines Thuns herabfallen. Das hätte schon so oft geschehen können; daß es nicht geschehen, dazu trug, nebst vielem ändern Großen und Wichtigen, vielleicht auch das etwas bei, daß mein Unglück- und leidenvolles Leben mir es gar nicht schwer, sondern gleichsam nothwendig und natürlich machte, im großen Kreis 35 meiner Umgebungen anspruchlos zu leben, das Widrige des chaotischen Wirbels, durch den sich die Anstalt in allen einzelnen Theilen nur langsam zum organischen Leben emporhob, mit schonender Geduld zu ertragen, und dem Verdienst eines jeden mitwirkenden Menschen, wenn er auch schon einseitig und beschränkt

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war, und hie und da anstoßend in den Wirbel des Ganzen wirkte, dennoch mit persönlicher Hingebung als Hülfe der Vorsehung, die ich für meine Schwäche nothwendig bedürfte, zu erkennen und zu ehren. Ich sage es frei: daß ich den bisherigen Erfolg meiner Anstalt in vieler Hinsicht dem Umstand zuschreibe, daß ich 5 ihr in diesem Geiste vorstand; ich liebte sie mehr, als ich sie leitete; ich erhob sie mehr, als ich sie bildete. So kann ich mit Wahrheit sagen: sie war nicht mein, ich war ihr; und ich darf es noch heute aussprechen: sie ist nicht mein; ich bin ihr; ich stehe noch heute in ihr dienend da, in der Schwäche meiner Tage; ich 10 achte noch heute meiner nichts, als um ihretwillen; ich will noch heute nichts sein, als für sie, und für die, mit denen und durch welche sie besteht. So bin ich mit der Anstalt vereinigt. Sie besteht durch sich selbst; sie besteht durch die Wahrheit und die Kraft, die für ihr 15 inneres Wesen in einem jeden von uns selbst liegt, und nicht durch mich. Meine Persönlichkeit und ihr Einfluß kommt für das Wesen meines Thuns nicht mehr in Anschlag. Ob die Hülle dieser Persönlichkeit heute zu Grunde gehe, ob sich das Band unsere äußern Zusammenlebens noch heute auflöse: uns vereiniget ein 20 inneres Band. Nur daß sich dieses immer enger knüpfe in Demuth, Liebe und Wahrheit - nur das thut Noth; nur, daß wir in diesem Geist immer vorwärts kommen. Dann wird auch das Äußere unserer Vereinigung in jedem Fall die Richtung nehmen, die für ihr inneres Wesen die vorteilhafteste sein wird; und auch der 25 Vorwurf des Stolzes und der Anmaßung wird mit vielem Ändern wegfallen, - wie Staub, der sich an Felsen gesetzt, beim ersten Regenguß von ihnen abfällt. Er muß leicht wegfallen; der Irrthum, aus dem er entsprungen, ist heiter. Man hat das beschränkte Thun meiner Individualität 30 nicht von dem Ideal meines Zweckes - man hat den wirklichen positiven Zustand meiner Anstalt nicht genug von dem, was durch die vollendete Elementarmethode geschehen könnte, gesondert; daß muß aber jetzt geschehen, und ich will mich darüber erklären. In Rücksicht auf die sittliche Elementarbildung ist das große 35 Natur-Fundament dieser Bildung: das mütterliche Habituellmachen der Gefühle der Liebe, des Danks und des Vertrauens von der Wiege an, nebst den Lagen und Umständen, die im häuslichen Leben Reihenfolgen zu diesem Zweck so natürlich hervorbringen,

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ihre Anwendung so leicht machen, und mit so vielen Beizen verweben - außer dem Zeitkreis unserer Anstalt. Wir empfangen unsere Kinder erst dann, wann der vorzügliche Zeitpunkt der ersten Begründung ihrer sittlichen Entfaltung schon vorüber ist. 5 Sie kommen auch gewöhnlich nichts weniger, als nach vollendetem reinen Genuß dieser häuslichen Vozüge, zu uns; sondern gar oft verwildert, und mit Gewohnheiten, die gar oft schon aus wirklicher Abstumpfung der lieblichen Gefühle und reinen Kräfte der kindlichen Unschuld entsprungen sind. Der positive Anfangs10 punkt des uns möglichen Einflusses auf die sittliche Entfaltung unserer Zöglinge muß deswegen mehr als bloß nothbehülfliches Entgegenwirken gegen schon mehr oder minder eingewurzeltes Verderben, und weniger als ein lückenlos geordnetes Anknüpfen an reine elementarische Anfangspunkte der sittlichen Bildung is der Kinder angesehen werden. Die Konzentration des vollen Lebens im häuslichen Geiste, der unter den Kindern edler, rein häuslich lebender Eltern so vielseitig herrscht, die Tiefe und Stille, die Ruhe und Innigkeit, die Weisheit und Kraft dieses Lebens, das Heiligste und Erhabenste desselben fehlt mehr oder 20 minder jeder Erziehungs-Anstalt. Auch die höchste Kunst strebt, bis sie selbst wieder ganz Natur, volles Leben, geistig vollendete Liebe geworden, umsonst dahin, das ganz zu thun, und das ganz zu sein, was die Natur von sich selbst ist, und darum auch mit der größten Leichtigkeit thut. 25 Aber auch in intellektueller Hinsicht ist es das Nämliche. Die unbefangene, kindlich ruhige, ungestört freie, und dadurch tief und vollendet eingreifende Anschauung, durch welche die Natur ihrem Zögling seine ersten Urtheile so einfach leicht, aber dabei so kraftvoll und lebendig begründet, sollte ihm eben so lange vor so der Zeit gegeben und habituell gemacht werden, ehe er in unsere Anstalt tritt. Das aber geschiehet nicht, und wir können unsern Zögling, in Rücksicht auf die Entfaltung der ersten Anfangspunkte seines Denkens und Urtheilens, so wenig in reiner Naturgemäßheit behandeln, als wir dieses in sittlicher Hinsicht gekonnt. 35 Unsere Zöglinge kommen meistens, schon in ihrer Unmündigkeit durch die ABC-Elendigkeiten, und später durch den Mischmasch allerlei unverdauter Bücherkenntnisse von der Aufmerksamkeit auf ihre Umgebungen in der Wirklichkeit des bildenden Lebens ganz abgezogen, und so für die ersten und reinsten Eindrücke der

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Natur verdorben, oder wenigstens von ihnen unergriffen und unbelebt zu uns; und es ist ganz gewiß: je weiter sie auf der Bahn einer geist- und herzverödenden falschen Kunstbildung vorgeschritten, desto unempfänglicher sind sie auch für jedes naturgemäße Mittel der reinen Entfaltung irgend einer menschlichen 5 Kraft. Sie lebten im Schein und Blendwerk unnatürlicher Künste; und wie ihr Verderben darin groß geworden, so ist auch ihre wahre Naturkraft in ihrem Wachsthum und Leben still gestellt worden. Das ist in physischer Hinsicht noch am auffallendsten. Viele, 10 sehr viele unserer Kinder kommen von dieser Seite schon verzärtelt, oder doch wenigstens physisch unentfaltet und ungewandt in unsere Anstalt. Wir müssen aber noch frei gestehen: wenn auch dieses nicht wäre, wenn sie auch, ehe sie zu uns gekommen, im väterlichen Hause alles genossen hätten, was ihnen 15 diesfalls zu geben möglich war, so wären wir doch nicht im Stande, auf die häusliche Entfaltung zu bauen, was im hiefür besser gelegenen häuslichen Leben darauf gebaut werden kann. Der Erfolg aller physischen Kraftbildung hängt nothwendig von vielseitiger ausharrender Anstrengung der physischen Kräfte ab, 20 welche vorzüglich durch die Real-Bedürfnisse der Umgebungen, in denen das Kind lebt, ihm angewöhnt und leicht gemacht werden. Diese Bedürfnisse wirken in dieser Lage theils durch die Gewalt ihrer unabänderlichen und sich immer wieder erneuernden Wahrheit, theils durch den Reiz der diese Umgebungen und diese 25 Bedürfnisse eben so unabänderlich begleitenden und belebenden Liebe, so wie der ihnen eben so nothwendig beiwohnenden und sie belohnenden häuslichen Freuden. Die Anstrengungen, die das unabläßliche Bedingniß der Angewöhnungen zur physischen Gewandtheit und Kraft sind, werden dem Zögling im häuslichen so Leben naturgemäß, d.h., in Übereinstimmung seiner übrigen Kräfte und Anlagen, folglich nicht im Widerspruch mit seiner sittlichen und geistigen Entfaltung, oder auf Kosten derselben, gegeben. Sie werden ihm nicht einmal auf Gefahr der Zartheit einiger dieser Kräfte eingeübt. Der Zwang des reinen häuslichen 35 Lebens ist ein lieblicher Zwang; wahrlich, sein Joch ist kommlich, und seine Last leicht. Der Sohn des armen Vaters, die Tochter der armen Mutter wächst in der Ausharrung der physischen Anstrengung gleichsam als in dem ihnen angeborenen Element auf; ihre

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Kraft wird ihnen freilich durch den Drang der häuslichen täglichen Bedürfnisse eingeübt; aber dann auch hinwieder in jedem Fall durch die Reize der häuslichen Verhältnisse, welche die Quellen dieser Bedürfnisse sind, wieder gewürzt. Daher macht 5 auch der Zwang, der sie zu ihrer Kraft bildet, sie nicht leiden. Die Kinder der Armuth müssen zwar, so wie sich ihre Kräfte entfalten, ihren Verhältnissen nothwendig dienen; aber sie müssen damit nur die Liebe und die Dienste erwiedern, die sie von diesen Verhältnissen zum Voraus empfangen.*) 10 Dieses heilige Fundament der physischen Anstrengung hat keine Erziehungsanstalt, und doch ist die Elementarbildung, in Rücksicht auf ihren ganzen Volkseinfluß, ein Traum, wenn ihre Wirkung sich nicht in der physischen Entfaltung des Zöglings für seine Kunst- und Berufsbildung bewährt. is Es war auch von Jugend auf der Zweck meines Lebens, vorzüglich von dieser Seite auf die Bildung des Volks zur Industrie zu wirken. Ich wollte meine diesfälligen Endzwecke immer durch die Gründung einer Armenanstalt zu erzielen suchen, und glaubte *) Wir wünschten die hier aufgestellten pädagogischen Ansichten nicht nur 20 von praktischer Seite ins Auge gefaßt und beherzigt. Ihr diesfälliger Einnuß ist zwar nothwendig groß und wesentlich, um so mehr, da sie aus unmittelbarer Anschauung und Erfahrung des Lebens selbst geschöpft sind. Allein sie stehen auch mit den ersten theoretischen Grundsätzen der Elementarbildung im Zusammenhange. Sie sind besonders dadurch von Bedeutung für die Wissenschaft, 25 daß sie vorahnend und als Thatsachen dor Beobachtung auf die tiefsten, im Organismus des Lebens und der Menschenbüdung waltenden Gesetze hinweisen. Die wissenschaftliche Xaturlehre des ganzen Menschen findet hier ein weites Feld zu Untersuchungen, für welche, so wie vielleicht für sie selbst, nur noch Andeutungen und Ahnungen gegeben sind. Dieses Feld muß aber nothwendig 30 angebaut werden, wenn die Pädagogik je Wissenschaft werden soll. Die Lebenswärme, die körperlich und geistig von den Eltern, besonders von der Mutter, ausströmt; die Anziehungs- und Zurückstoßungskraft, die auf dem Gebiete der Bildung nicht minder als in der Körperwelt ihre Gewalt ausüben; die Rapporte, in denen diesfalls ein Individuum zum ändern, und hinwiederum jedes zu der 35 umgebenden körperlichen und geistigen Atmosphäre steht, das Verhältnis der Kräfte jedes Einzelnen zum Anfang des Kreises, in dem es sich bewegt, der Dinge, von denen es angezogen wird, oder die ihm die Umstände und die Menschen aufdringen; das des häuslichen Lebens zu jeder intellektuellen, sittlichen oder gesellschaftlichen Richtung u. s. w. sind alles Thatsachen und Gegenstände, 40 deren Einfluß jeder fühlt, die aber, vielleicht eben darum, weil sie alles beherrschen, auf dem Felde der pädagogischen Erkenntnis die dunkle Seite ausmachen, und die entschiedene Einseitigkeit und Haltungslosigkeit aller bisherigen Erziehungsthoorien und Systeme verursachen.

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mich in Stanz meinem Ziele nahe. Auch in Burgdorf suchte ich durch meine Anstalt anfangs nur Mittel, den Faden meiner Zwecke da wieder anzuknüpfen, wo ich ihn in Stanz gelassen; aber der allgemeinere und umfassendere Gang meiner Unternehmung, und ihre Schicksale bis auf diese Stunde, haben mich je länger je mehr 5 von diesem ursprünglich beschränkten Ziele weggelenkt. Ich mußte mich bis auf heute an den Banden einer Pensionsanstalt für den besondern Zweck meines Lebens immer mehr beschränken, ich möchte fast sagen, zernichten, und mich wenigstens bis jetzt immer in einem Thätigkeitskreis herumtreiben, der mich ewig 10 nicht befriedigen kann, weil er in meinem Sein und Thun bestimmt diejenigen Lücken offen läßt, die ich durch mein Leben für das Volk und die Armen vorzüglich auszufüllen gesucht habe.*) So wahr und richtig alles dieses ist, so beweist es doch nur, daß die häusliche Erziehung an sich selbst bessere und reinere Mittel 15 zur Anwendung der Grundsätze der Elementarbildung anbietet, als irgend eine öffentliche oder Privat-Erziehungsanstalt anbieten. Aber wenn man dann fragt: Bietet die häusliche Erziehung, wie sie ist, diese Mittel der Masse der Menschen in der That an, wird die Masse der Menschheit dieser theilhaft ? - so fällt unwider- 20 sprechlich auf: In der Tiefe des Volks steht rohe Verwilderung, im Mittelstand verwirrende A n m a ß u n g und Schwäche, in den höhern Ständen beinahe gänzlicher Mangel an Kraft und Wahrheit aller Fundamente des reinen häuslichen Lebens, der wirklichen 25 Benutzung dieser Mittel, wie unerschütterliche Felsen den Meereswellen, die daran anprallen, entgegen. Oder ist es nicht im Allgemeinen, wie wenn diese Mittel für die Masse des Volks nicht da wären ? Sind nicht immer zehntausend Kinder, welche die häusliche Erziehung ohne fremdartige Einmischung genießen, 30 gegen eines, das durch ein Institut erzogen wird? Wenn man dann fragt: Wie stehts um diese zehntausende, und wie stehts um dieses einzige ? - was kommt dann heraus ? Kann man sichs verhehlen, *) Eine hieher gehörige Anmerkung sollte das Verhältnis meiner diesfälligen frühern Versuche zu meinem gegenwärtigen Thun, besonders in Beziehung auf 35 den Bericht der schweizerischen Untersuchungskommission an die Tagsatzung, ine Licht setzen. Sie ist zu weitläufig geworden, und der Gegenstand selbst ist zu reichhaltig. Ich mache daher die verehrten Mitglieder der Gesellschaft schweizerischer Erziehungsfreunde auf eine kurze Beleuchtung jenes Berichts von N i e d e r e r aufmerksam, die vermuthlich bald erscheinen wird. 40

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daß die Hindernisse der reinen häuslichen Bildung beinahe allgemein sind? Kann man sichs verhehlen, daß es Bedürfniß der Zeit ist, eben diesen reinen häuslichen Sinn wieder zu beleben, und den Eltern beides, neuen Willen und neue Kräfte und Mittel, 5 der Gewalt der allenthalben herrschenden Unnatur und der durch sie entsprungenen Zerstörung des rein bildenden Sinnes des häuslichen Lebens entgegen zu wirken, wieder zu geben? Die Unnatur ist in unserer Mitte allmächtig; sie wird durch den Zeitgeist aller Stände unterstützt und belebt, und es bedarf 10 allenthalben vorbereitende Anstalten, um die Menschen den Werth des häuslichen Lebens wieder fühlen und sie seiner reinen Kräfte wieder theilhaftig zu machen. Das Ziel unserer Vereinigung geht wesentlich dahin.*) Wir fühlen seine Schwierigkeiten, und haben gezeigt, daß wir den Punkt unsers Zurück is Stehens kennen; aber wir sind uns auch des redlichen Eifers bewußt, die Mittel dieser Erzielung in ihrem ganzen Umfang zu erforschen, und das gute Herz so vieler Menschen, die darnach streben, durch Auffindung und Organisirung dieser Mittel für ihren Zweck zu erleichtern. Unstreitig gewährt die freie Vereini20 gung vieler Menschen zu diesem Ziele ihnen Vortheile, die durch isolirte und gebundene Existenz weniger Menschen ewig nie erreichbar sind. Es ist unstreitig: So wie das häusliche Leben einzelner Kinder, vorzüglich für Gemüthlichkeit und Unschuld, 25 die ausgezeichnetsten Vorzüge hat: so hat dann hinwieder das gemeinsame Leben vieler Kinder bei einander, für die Krafteiitfaltung und Wahrheit des wirklichen Lebens, Vorzüge, die im kleinen häuslichen Verhältniß selten erreicht worden sind. Sind so etwa diese letzten mit den ersten nicht zu vereinen? Ich weiß, daß dieses schwer ist; aber ich fühle auch, daß diese Vereinigung das Ziel einer guten Erziehungsanstalt sein muß. Es ist auch *) Aus diesen und den im Vorhergehenden und Folgenden angegebenen Gesichtspunkten, muß man insonderheit die anscheinend verschiedenartigen An35 stalten: die Knabenanstalt, das Mädchen-Institut, das Lehrer-Seminar, ihr gegenseitiges Verhältniß und i h r e n g e m e i n s c h a f t l i c h e n Z u s a m m e n h a n g als einer g r o ß e n E x p e r i m e n t a l s c h u l e ins Auge fassen. Außer der selbständigen Richtung, die jeder dieser einzelnen Zweige hat, liegt d a r i n ihre B e d e u t u n g in B e z i e h u n g aufs Ganze. Ist letzteres einmal zu einer bc40 stimmten Reife gelangt, so werden wir uns darüber ausführlich erklären.

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unser Ziel. Daß wir noch ferne davon stehen, das weiß ich wohl; aber auch, daß wir darnach streben, und die Möglichkeit seiner Erreichung selbst mitten im schwersten Druck seiner großen Schwierigkeiten fühlen. Die Macht der großen Idee, die uns vereinigte, leitete uns auch darin; aber ihre Leitung war lange 5 mit Unkunde des Umfangs der Idee, und noch mehr mit Unkunde der Mittel, dieser Idee in diesem Umfange Genüge zu leisten, begleitet. Unsere Individualitäten wirkten lange in vielfacher Einseitigkeit der Harmonie dieses Umfangs entgegen; aber sie wirkten mit Kraft. Wir setzten einzelne Ansichten mit 10 treuer Lebendigkeit durch; aber eben diese Lebendigkeit einzelner Ansichten, und das Glück ihres einseitigen Erfolgs machte uns oft einzelne Unterrichtsgegenstände zum Schaden der Ansicht des Lebens und seiner Bedürfnisse im Ganzen betreiben. Das Übel war zwar freilich in jedem Fall nur ein momentaner 15 Zustand. Wir konnten in keiner einseitigen Ansicht lange stehen bleiben. Die Vollendung der Wahrheit im Einzelnen rief in jedem Fall der Bearbeitung der Wahrheit im Ganzen, und die Vollendung der Kräfte im Einzelnen der Vollendung der Kräfte im Ganzen. So war es nicht möglich, daß wir uns in jedem 20 einzelnen Gesichtspunkt lange über die Notwendigkeit irren konnten: die Ansicht des Lebens im Ganzen zum unerschütterlichen Fundament nicht bloß des Geistes unsers Erziehungs-Einflusses im Allgemeinen, sondern auch der Lehr- und Unterrichtsmittel jedes einzelnen Fachs zu legen. 25 Gegenwärtig ist unser Bemühen lebendiger als je, diese Ansicht des Lebens im Ganzen und ihr allein reines Fundament: die häusliche Lieblichkeit des väterlichen und kindlichen Sinnes, in unserer Mitte zu befördern, und der Kunst unsers ganzen Thuns hierin einen festen, mit unserer Natur übereinstimmenden Haltpunkt so zu geben. Die Geschichte der diesfälligen Reifung unserer Ansichten, so wie die Ursachen, die uns in einzelnen Fächern von der festen Aufmerksamkeit auf das Leben im Ganzen abgelenkt haben, ist merkwürdig; aber ihre Darstellung fordert tiefen und selbstsuchtlosen Hinblick auf das Ganze unsers Seins, und ich 35 werde vor meinem Tode mich darüber nicht frei und allseitig aussprechen. Das erste Bedürfniß der festen Ansicht des Lebens im Ganzen in jeder Anstalt und in jedem größern Verhältniß ist: reiner, mil-

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der Einklang der Hauptgesinnungen der Individuen, die dieses Verhältniß konstituiren. Aber dieser Einklang ist im Leben von Männern, die Wahrheit wollen und mit Kraft zu ihr stehen, nur ein Werk der Zeit. Die Verschiedenheit ihrer Mei5 nungen und Ansichten muß in einem solchen Hause dem Einklang derselben vorhergehen. Ohne die vorhergehende Einw i r k u n g des Streits ist in einem solchen V e r h ä l t n i ß keine Sicherheit des Friedens, als nur mit A u f o p f e rung der Freiheit und der Wahrheit denkbar. Aber 10 wenn die Zeit des Reibens freier und eitler Meinungen vorüber, und die Ansicht des Lebens im Ganzen und ihre Wahrheit und Liebe nunmehr der großen Mehrheit lebendig und klar ist; dann hat es auch in seiner Ausdehnung ein Fundament des menschlichen Wirkens auf menschlichen Sinn, das in einem engern Ver15 hältniß nicht erreichbar ist.*) Ich sage es unverholen: Ein Erziehungshaus, vom Vatersinn ausgehend und wirkend auf Kindersinn, ist eines der ersten Zeitmittel, das die Menschheit bedarf, die Zerstörung, die im wirklichen häuslichen 20 Leben selbst statt findet, zu mildern und den mangelnden häuslichen Sinn unter den Menschen gleichsam wieder neu zu erschaffen. Ein solches Haus bietet unendliche Mittel zur Ausübung und Belebung häuslicher Tugenden dar, und gründet zu gleicher Zeit enge Bande freundschaft25 licher und liebender Verhältnisse, die dann hinwieder einen entscheidenden Einfluß auf die schöpferische Entfaltung der Gemüthlichkeit, die den häuslichen Tugenden als ihr reines Fundament zu Grunde liegt, haben und haben müssen. Man mag es ansehen wie man will, wer sich im Geist und in der so Wahrheit als Bruder von Hunderten fühlt, der ist ein höherer Mensch, als der zärtlichste Bruder von Einem. Hebt sich ein Erziehungshaus zur Kraft empor, diesen Sinn zu entfalten, so ist sein Segen unermeßlich. *) Indem ich diese Blätter, nachdem ich sie auf eine längere Weile auf die 35 Seite gelegt, jetzt im Dezember 1810 dem Druck übergebe, kann ich, Gottlob! mit Freude sagen, daß dieses erste Bedürfniß, von dem hier die Rede ist, in meiner Anstalt befriedigt ist, und daß die wesentlichen Mitglieder meines Hauses für die Wahrheit unsers gemeinschaftlichen Zwecks in der Liebe, mit Freiheit, vereint sind.

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Ich gestehe gern, es ist schwer, dahin zu gelangen. Wir wissen auch, daß wir noch nicht da sind; aber das weiß ich zugleich, daß meinem Streben Ernst ist, darnach zu gelangen. Ich habe mich von Jugend auf nach diesem Ziel gesehnt, und viele der Meinigen sehnen sich mit reinem Herzen nach demselben; und bei allem 5 Gefühl unsers zeitlichen Zurückstehens ist mein Glaube an das Wort: Wer sucht, der findet - ewig fest, so wie mein Vertrauen auf den mir von der Vorsehung so wunderbar verliehenen Kreis edler Menschen, welche die Erreichung meines Ziels als ihr Ziel ansehen, und mit Kräften darnach streben, die mir mangeln, und 10 von denen kein Mensch hätte ahnen können, daß ich sie fände. Ach, ich hatte ihrer so nothig, Gott! ich habe ihrer so nothig! Mein Unternehmen war nicht bloß über meine Kraft, es war selbst über meine Ahnung; und so weit ich es ahnete, und kannte, forderte es offenbar Mittel, zu denen fast niemand weniger ge-15 bildete Fertigkeiten hatte, als ich, und über deren eigentliche Beschaffenheit ich lange mehr träumte, als mich ihrer deutlich bewußt war. So weit brauchte ich Hülfe, und so wenig hatte ich vollendete Kraft für mein Bestreben. Aber ich hatte einen unerschütterlichen Willen für dieses Ziel in meinem Innersten. 20 Es ist in jedem Fall etwas Heiliges, etwas Segenbringendes in diesem Willen. Auch liegt in der Entstehung meines Hauses etwas Hohes, Erhabenes, das ohne das Segenbringende dieses Willens nicht zu erklären wäre. Wir vereinigten uns bestimmt aus Liebe zu einer großen Idee, und auf das Fundament der innern Ahnung 25 der Möglichkeit einer Sache, die ich mit so viel Vertrauen und mit einem so entschiedenen Willen suchte. So lag schon in der Entstehung meines Hauses und in der Art seiner Zusammensetzung eine Erheb u n g des Gemüths für die E r z i e h u n g . Wir vereinigten so uns bestimmt aus Liebe zu ihr. Die Kräfte, die wir zusammenbrachten, waren klein, aber einfach, vielseitig und frei. Unser Zusammenhang gab jeder einzelnen Ansicht des Ganzen den unbedingtesten Spielraum. Unser Streben nach Erfahrung und Einsicht über unsern Gegenstand war ernst und allgemein. 35 Auch war der Kreis unserer Erfahrung bald groß und vielseitig, und es herrschte von Anfang an in unserer Mitte eine Lebendigkeit in unsern Ansichten, und eine Ausharrung, die um so nothwendiger war, weil wir auf einer ungebahnten Straße

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wandelten, und der Steine viel waren, die man uns in den Weg legte, die zum Theil auch von selbst hineinfielen, zum Theil sogar von uns selbst in den Weg gelegt wurden. Aber diese Steine und der Drang des Widerstandes, durch den 5 wir uns durcharbeiten mußten, stärkte uns und hob uns höher. Wir fühlten uns als einzeln und als vereinigt, und wirkten auf einander als Einzelne fast unmerklich, als ein Ganzes kraftvoll. Aus dieser Lage entfaltete sich in unserer Mitte ziemlich allgemein, was in jedem Einzelnen dalag, 10 aber geweckt werden mußte, um sich zu zeigen. Diese Resultate unserer Vereinigung in. uns selber machten aus uns in der Verbindung etwas ganz anders, als was wir einzeln waren, und was möglich schien, daß aus uns Einzelnen hervorgehen könnte. Auch der beschränkte Endzweck: die gemeinen is Lehr- und Unterrichtsmittel dem Volk nur zu vereinfachen, und sie ihm dadurch nur zu erleichtern und allgemein beizubringen, erweiterte sich j e t z t bald eben so nothwendig durch unsere praktischen Versuche in jedem einzelnen Fache desselben. Es entkeimten aus unsern Bemühungen 20 dafür bald neue Versuche, jedes einzelne dieser Fächer mit den höhern und allgemeinern Ansichten für die Erziehung in Übereinstimmung zu bringen. Wir erkannten das Bedürfniß, das Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen u.s.w., wie sie in den Schulen getrieben werden, auf den reinen, elementarischen Anfangs25 punkten des Wollens, des Könnens und des Wissens des Kindes, von deren naturgemäßer Belebung die Entfaltung aller wesentlichen Kräfte der menschlichen Natur wesentlich ausgehen muß, zu entwickeln, und dadurch in wesentliche und rein elementarische Mittel der Geistesbildung zu verwandeln. Empi30 risch auf die Wahrheit dieser Grundsätze gefallen, entzückte und entflammte sie uns, eine Weile in einseitiger, aber klarer und kraftvoller Bedeutung vor unsern Augen stehend, mit ihrer uns noch neuen Ansicht, daß wir uns mit Künstler-Vorliebe selber für ihr noch unreifes Dasein enthusiasmirten. Wir hatten nicht 35 Unrecht. Das, was wir auch in dieser Beschränkung von ihr erkannten, war tief in die Natur eingreifende und sich kraftvoll bewährende Wahrheit. Aber das Verhältniß dieser Schulmittel zum Ganzen war uns noch verborgen. Ihr äußerer Erfolg entsprach unserm Vertrauen auf sie vielleicht nur allzusehr, gewiß

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allzufrüh. Der Unglaube, welcher der Prüfung unsere Gegenstandes zum Theil mit Undelikatesse vorhergieng, und der Zweifel, der zum Theil mit geschlossenen Augen sie begleitete, wandelte sich schnell in übertriebene Lobreden um. Wir verdienten auch diesfalls etwas Aufmerksamkeit, aber nicht den Enthusiasmus, 5 der jetzt wie aus den Wolken auf unser Thun herabfiel. Man sah unsere Kinder in einzelnen Unterrichtsfächern eine Aufmerksamkeit, eine Geisteskraft zeigen, die man bei ändern nicht fand. Man sah sie durch diese Kraft Resultate hervorbringen, die andere Kinder bei fernem nicht hervorbrachten. Von dieser Seite 10 gewannen wir mit Recht allmählig Vertrauen, und von diesem gestärkt rückten wir langsam, aber ruhig und täglich mehr im Umfang dessen, was zur Vervollständigung unserer Idee noch mangelte, vorwärts. Überall dehnten sich unsere Erfahrungen aus, und reiften, zwar nicht ohne Verirrungen und Leiden: aber sie 15 reiften. Mehrere Resultate unserer Versuche, das dürfen wir sagen, stehen jetzt da, als ein immer mehr sich reinigendes Fundament einer vielseitigen höhern Ansicht unsere Thuns und unserer Zwecke. Zwar ist auch unläugbar: je mehr sich die Ansicht von unserm 20 Thun ausdehnte, je mehr mußte auch das Gefühl des Unvermögens unserer einzelnen Kräfte für unsern gesammten Zweck nicht nur in uns selber werden, sondern sich auch um uns her offenbaren. Aber so wie dieses wahr ist, so ist auch wahr, daß das Ganze unsere Seins 25 in unserer Vereinigung mitten in der Unverhältnißmäßigkeit unserer Lage und Kräfte innerlich in uns selbst fest steht, und immer fest stehen wird. Unser Haus lebt in großen, bildenden, einzelnen Erfahrungen, und wir dürfen es sagen: wir haben ganz gewiß 30 von mehr als einer Seite für die Idee einer naturgemäßen Erziehung mit unserer Erfahrung praktisch das Eis gebrochen. Wir müssen aber hinzusetzen: was wir hierin gethan haben, gieng bei fernem nicht von einem Einzelnen von uns aus. Es liegt eben so bei fernem nicht in einem jeden von uns gleich 35 gemodelt, weder in seinem Geist noch in seinem Herzen, noch in seinen praktischen Fertigkeiten. Einige von uns sehen nur einen Punkt davon heiter, und dienen dennoch dem Ganzen, indem sie diesem Punkt getreu sind, und an seinem Faden fort-

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schreiten zur Erkenntniß des Ganzen. Andere leben in der Ahnung des Ganzen mit einer Kraft, in der sie der Thatsache, die wir ausführen, weit vorausfliegen. Andere wandeln dem Ziel mit einer durch Ausübungsfertigkeiten fruchtbaren Kraft ent5 gegen. In allen (will's Gott, darf ich sagen: in allen), lebt eine reine Liebe zur Sache, hohe Ahnung von ihren Folgen, und festes Vertrauen zu beiden. Wir sind aber auch alle durch alles, was dem Menschen heilig sein kann, interessirt, daß wir die Hoffnung nicht sinken machen, die wir erregt haben; und wir können es, 10 und wir sollen es. Die Fundamente, auf denen unser Thun seiner Natur nach ruhen soll, sind gelegt, und die Kräfte, die es braucht, um auf das Fundament, das wir gelegt haben, fortzubauen, sind zum Theil wirklich in unsern Händen, zum Theil fallen sie jetzt auch ohne unser Zuthun in dieselben.*) is Die Art, wie ich über unser Zurückstehen in so vielem, das für die Erzielung einer naturgemäßen Erziehung wesentlich ist, geredet habe, könnte indessen sehr leicht mißverstanden werden, wenn ich mich nicht über den Punkt, auf dem wir in Rücksicht auf die Anbahnung einer solchen Erzie2ohungsweise in unserer Anstalt stehen, mit eben der Bestimmtheit äußerte. Es giebt Gegenstände in der Welt, in denen man, ohne in das innere Wesen derselben einzudringen, ihre gute oder schlechte Beschaffenheit an bloßen äußern Merkmalen mit Sicherheit erkennen kann; das ist auch hier der Fall. 25 Der Punkt der Naturgemäßheit, auf dem wir in unserer Anstalt stehen, drückt sich ganz gewiß auffallend darin aus, daß unsere Kinder im Allgemeinen so froh und glücklich sind, wie sie ohne eine der Naturgemäßheit sich nähernde Existenz nicht sein und leben könnten. 30 Und wenn wir der Ursache dieser unbestreitbaren Thatsache nachforschen, so können wir uns nicht verhehlen, sie liegt darin, daß der Grundsatz: das Kind müsse bei jedem Schritt der Erziehung und des Unterrichts als ein Ganzes ins Auge gefaßt, und als ein solches ergriffen werden, wenn er auch noch nicht in 35

*) Es sind zu einer psychologischen Geschichte der Versuche, der Grundsätze und der Erfahrungen in der Anstalt eine Menge Data gesammelt, die über das Wesen der Elementarbildung, besonders über dio Bedeutung der einzelnen tiofern Fächer, Aufschlüsse geben, und die einst dem Publikum mitgetheilt werden sollen.

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seiner hohen Vollendung von uns ausgeführt wird, dennoch von uns erkannt ist, und wir uns seiner Anwendung vielseitig nähern. Wir haben es wenigstens der Anerkennung und Festhaltung desselben zu danken, daß das M ens sana in corpore sano im Allgemeinen weit mehr der Zustand der Zöglinge unsers Instituts ist, 5 als man dieses bei hundert und mehr zusammen erzogenen Kindern, wenigstens in unserer Zeit, hoffen durfte. Von physischer Seite ist es auch auffallend, daß nunmehr seit neun Jahren noch kein Kind unter unserer Pflege gestorben, und der Gesundheitszustand außerordentlich gut ist. Oft vergehen Monate, ohne daß 10 ein einziges auch nur über Beschwerden klagt; sie halten Anstrengungen aus, die für ihr Alter und für ihre frühern Führungen außerordentlich sind. Als letztes Jahr 120 bis 130 von ihnen, in verschiedenen Abtheilungen über zum Theil beschwerliche Berge, und unter vielem Wechsel des Wetters, Fußreisen von zwei bis 15 drei Wochen machten, kam auch kein einziger von allen auch nur mit einem Schnupfen behaftet zurück. Auch das ist eine unwider sprechliche Thatsache, daß viele unserer Kinder, die jetzt kraftvoll blühen, kraftlos in unser Haus kamen. In der ganzen Zeit haben wir nur ein paar Beispiele, daß Kinder den Grad der Kraft, 20 den sie beim Eingehen in unser Haus besaßen, in etwas verloren. Der in dieser Hinsicht blühende Zustand des Hauses hat seinen Grund ganz gewiß im Ganzen ihrer, der Natur mehr gemäßen Führung, und zwar nicht bloß in der Einfachheit ihrer Nahrung, in täglicher Bewegung und Thätigkeit, sondern vorzüglich in dem 25 größern Grade der innern Befriedigung und des Frohsinns, den sie genießen. Sie werden von keiner Seite durch den Unterricht abgemattet. Der Geist der Elementarübungen ist leicht; sie strengen die menschlichen Kräfte nicht so an, wie irgend ein so unelementarisch gegebenes Lehrfach. Ein Punkt des Unterrichts fließt in demselben natürlich aus dem ändern; daher belastet er den Geist nicht, er spricht ihn nur an, und macht ihre Resultate einfach und natürlich aus ihnen hervorgehen. Jede neue Erkenntniß ist dem Kind eine stärkende und erfreuende Bestäti- 35 gung seiner frühern Erkenntniß. Die erste Quelle der jugendlichen Verirrungen, die, durch die Unnatur des Unterrichts erzeugte Langeweile, findet, so weit als der Unterricht elementarisch gegeben wird, nicht Platz. So weit er also gegeben, so

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weit wird das Band durch ihn im frohen Leben und in der Natur gestärkt, und vor allen Folgen der Unnatur im Unterricht und in der, aus Eigensucht, willkührlichen Anwendung der menschlichen Kräfte bewahrt. 5 Der Punkt, in dem dieses geschieht, ist indessen besonders für jüngere Kinder, noch bei weitem nicht befriedigend, und der Idee der Elementarbildung in fernem nicht genugthuend; die bestehenden intellektuellen Elementarübungen sind noch nicht ganz genug mit den Bildungsmitteln der Anschauungsepoche des 10 kindlichen Alters in Übereinstimmung gebracht; noch zu abgerissen vom Ideal der elementarischen Führung der Unmündigkeit und der vollendeten Sicherheit ihrer heiligen Zartheit und Unschuld, stehen sie noch zu sehr in sich selbst geschlossen, noch fast isolirt da. Aber das lebendige Gefühl dieses Zurückstehens is ist, ich darf es mit Zuversicht sagen, auch der erste Schritt zu einem kraftvollen Einlenken auf den einfachen Pfad der Natur geworden. Es ist unwidersprechlich: das Übergewicht einzelner Unterrichtsfächer, und ihr Betreiben mit aller Macht der Einseitigkeit war unentbehrlich, nicht 20nur um den selbstständigen Werth eines jeden, sondern auch sein Verhältniß zu den übrigen Bedürfnissen der Menschennatur zu erproben, und uns, beides auf den eigentlichen Punkt, von dem aus die Lücken entstehen, und auf die wahren Mittel sie auszufüllen, zu führen. 25 Wer indessen in den Elementarmitteln nur Bildung des Verstandes, und nicht Bildung der Menschheit in aller Fülle ihres hohen göttlichen Sinnes sucht, der wird diese Lücken nicht fühlen. Auch ist es gewiß, die Welt, wie sie wirklich ist, wird die durch diese Mittel bei unsern Zöglingen hervorgebrachten Fertig30 keiten und Begriffe, begieriger auffassen, höher schätzen, als den Sinn der ganzen Fülle der Menschlichkeit, deren Entfaltung die Aufgabe der Anstalt ist. Aber auch in der Beschränkung, in der wir noch durch sie wirken, und im Sinne dieser Weltansicht, dürfen wir von ihnen 35 so viel sagen, daß sie geeignet sind, psychologisch und allgemein, nicht nur das, was man auf dem Wege der bisherigen Grammatik und der alten Sprachen für die Verstandesbildung gesucht hat, sondern weit mehr, und dies weit Mehrere mit weit größerer Sicherheit zu erzielen. Der Zusammenhang der mathematischen 18 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Elementarübungen mit den Ansprüchen der Verstandesbildung unsere Geschlechtes im Allgemeinen, ist offenbar heiterer und allgemeiner, als der Zusammenhang der Grammatik und der todten Sprachen damit ist. Die mathematischen Elementarübungen erwecken die innere Lebendigkeit und selbstthätiges 5 Interesse, das die Basis aller wahren Entfaltung unserer Kräfte ist, damit ich wenig sage, in zehn Kindern, wo die grammatikalischen Übungen, und diejenigen der todten Sprachen in einem Kinde. Darum achte ich auch den Weg der Verstandesbildung durch die todten Sprachen, in sofern er isolirt und einzig gegeben 10 wird, als einen eigentlichen Abweg, der freilich einen Glücklichen, der darauf nicht verirrt, wohl zum Ziele führen kann. Den Weg der mathematischen Geistesentfaltung hingegen achte ich diesfalls für die eigentliche Landstraße, auf der ein jeder, der gute Beine hat, und diese nicht schont, zum Ziele gelangt. 15 Wir haben in unsern intellektuellen Elementarübungen diese Landstraße betreten; und es ist unläugbar: die allgemeine Aufmerksamkeit der Welt- und Zeitmenschen, die unsere Anstalt nun so lange erregt und erhalten, ruht vorzüglich auf dem Erfolg unserer mathemati-20 sehen Übungen. Diese haben unstreitig Erwartungen hervorgebracht und Kräfte erzeugt, die man in ändern Erziehungsanstalten nicht fand. Das Urtheil dieser Zeit- und Weltmenschen ist allgemein: Die Erhaltung und Fortdauer der ganzen Anstalt ruhe auf dieser Basis, und mein Haus müsse 25 in sich selbst zerfallen, es werde sich auflösen, so wie die Hauptstütze dieses Fachs ihm zu fehlen anfange! Sie irren! Sie mißkennen das höhere Band der Einheit und des Zusammenhangs in der Menschennatur. Man möchte auf sie anwenden: Sie wissen den Grund der Dinge nicht, noch so die Kraft Gottes. Weniger allgemein sichtbar ist die Wirkung unserer Anstalt, nach dieser Weltansicht, auf die Entfaltung der Zöglinge zur Kunst. Allein sie ist eben so wahr und eben so entschieden. Bis auf einen ziemlichen Punkt bestätigt die Erfahrung auch diese 35 Behauptung. Wir sind in der Bearbeitung der elementarischen Bildung der Kinder zur Kunst mit dem sichtbarsten Erfolg so weit vorwärts gerückt, daß wir bestimmt darüber sagen können: Daß es nur der Theilnahme eines wahren und großen

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Künstlers, wie einen solchen schon die Gesanglehre gefunden hat, und seines Anschließens an unsere Grundsätze und Elemente bedarf, um auch im Kunstfache eben so große, eben so unwidersprechliche Re5 sultate hervorzubringen. Dieses alles aber auch zugestanden : der Mann, der die Menschheit, als solche, durch ihre Bildung im Allgemeinen, ihrer Veredelung näher bringen will, der wahrhafte Mensch wird dadurch nicht befriedigt. Dieser will von der Methode mehr; er will von ihr Sicherheit der sittlichen und religiö10 sen Entfaltung des Kindes, er will in dieser Sicherheit das Fundament und die Basis von allem, was wir uns sonst von der Anstalt versprechen. Findet er dieses nicht in ihr, so ist sie ihm nichts; und er hat Recht. Ob die Anstalt ihn hier befriedigen könne? Der Schein ist is dagegen, und es ist durchaus nicht zu läugnen: das isolirte Dastehen der intellektuellen Elementarmittel und ihrer Wirkung, selber der Enthusiasmus für sie, und die Art ihres Gebrauchs, die sich in gewissen Zeitpunkten und unter gewissen Umständen, der Einseitigkeit und beinahe der Gewalttätigkeit näherte, mußten 20 fast nothwendig die Vermuthung veranlassen: das Wesen der Methode bestehe in den Reihenfolgen der Elementarmittel der intellektuellen Bildung, und die Anstalt beruhe auf ihrer isolirten Anwendung. Daher dann auch die starken Urtheile: Sittlichkeit und Religion werde bei uns 25 ganz vernachlässigt, sich ganz natürlich erklären und entschuldigen lassen. Es war freilich ein Irrthum; aber der Schein der Sache ward benutzt, und die Zahl zum Theil bedeutender Menschen, die aus ändern Gründen nicht Freunde der Anstalt sind, fanden hierin so einen Stützpunkt, auf den sie sich mit Zuversicht lehnten. Von dem, was im Haus wirklich gethan war, das reine Gefühl des Herzens und einen höhern religiösen Sinn zu wecken und zu nähren, davon nahm man keineNotitz. Wer von der Sache redete, der redete von Zahl und Form; und wer von Resultaten sprach, 35 der sprach vom Rechnen und Zeichnen; nur wenige sprachen vom Menschen. Kurz, man sprach nur von untergeordneten einzelnen Mitteln der Anstalt. Man achtete ihre Fundamentalmittel, man achtete das Zentrum, worauf sich alle ihre Mittel bezogen, wenig. Aber es ist unbegreiflich, daß man nicht einsah: wenn man in

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dieser Ansicht Recht gehabt hätte, wenn keine ändern Bildungsmittel in die Führung des Hauses Einfluß gehabt hätten, das Haus wäre schon lange aufgelöst. Wer kennt die Menschen, und kann nur ahnen, daß sich das Haus, wie es ist, ohne andere als intellektuelle Bildung durch Zahl und Form, so 5 lange zusammen zu halten vermocht hätte?! Es hat sich durch Liebe, Geduld und Glauben gegründet, und wird sich auch durch Liebe, Geduld und Glauben erhalten. Zahl und Form stehen im wirklichen Leben der Elementarbildungsweise des Instituts als einzelne, im Ganzen seiner Mittel verwebten Theile da. Wie die 10 Ansprüche des Herzens und der Religiosität in der Idee der Elementarbildung, ihrer Tendenz und ihrer Mittel anerkannt worden, werden sie auch in der Ausübung vom Personal meines Hauses anerkannt. Die Idee der Methode spricht die sittliche und religiöse Erhe-15 bung unserer Natur in ihrer Selbstständigkeit an. Sie fordert ihre Mittel, als unabhängig von den geistigen Bildungsmitteln. Sie erlaubt nicht, daß die hohen veredelnden Gefühle unserer Natur, Glaube, Hoffnung und Liebe, als bloße Zugaben der intellektuellen Bildung dürfen angesehen werden. 20 Die Idee der Elementarbildung sieht sie nicht dafür an, und kann sie nicht dafür ansehen, und in meiner Persönlichkeit lag es noch weniger, sie dafür anzusehen. Liebe und Glaube lagen, durch sinnliche Neigungen unterstützt, in meiner Natur. Zahl und Form, und Geisteskraft für Zahl und Form, war bestimmt das 25 Gegenstück von dem, wozu ich vermöge meiner physischen Organisation vorzüglich hinlenkte. Sie fiel wahrlich, als das der Eigenheit meiner Individualität heterogenste Erziehungsmittel, in meine Hand. Der ganze Einfluß meiner Individualität auf mein Haus war entweder gar nichts, oder er war es nicht dadurch, ob- so gleich natürlich war, daß man auch hier wie allenthalben von dem Sichtbaren mehr als von dem Unsichtbaren redete, oder vielmehr von dem, wofür man Augen hatte, eher als von dem, wofür man keine hatte. Aber Thatsache ist es, daß das freie Einwirken der Organisation des Hauses auf die Entfaltung der sittlichen und 35 religiösen Anlagen der Zöglinge in der That vielseitig und groß war; auch sind seine Resultate für alles, was von einzelnen Kindern nach dem Grad ihrer diesfälligen Anlagen und frühern Führung zu erwarten war, allgemein befriedigend, und im Ein-

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Deinen in einem hohen Grad erhebend. Eben so zeigen alle Eltern der Kinder meiner Anstalt ihre diesfällige Zufriedenheit in einem Grad, der mein Gemüth weit mehr erhebt, als alles andere, was man über die Anstalt Gutes sagen könnte. 5 Das Lehrerpersonal meines Hauses theilt meine diesfällige Überzeugung. Es strebt mit der gleichen Kraft nach der Erzeugung einer guten Gesinnung in den Kindern, als es ihnen Kenntnisse und Fertigkeiten eigen zu machen sucht. Es ist von dem Grundsatz durchdrungen, 10 daß die gute Gesinnung die Hauptsache ausmache, durch die alle Kenntnisse und Fertigkeiten allein wohlthätig, ja selbst in einem die Menschennatur befriedigenden Umfange auch nur erzielt werden könne. Wir sind indessen auch hierin nicht durch äußere wörtliche is Einstimmigkeit in den persönlichen Ansichten der sittlichen und religiösen Meinung, sondern durch innere geistige Einstimmigkeit in Liebe und vertrauensvollen Gesinnungen gegen Gott und Menschen zu dem Grade des Einflusses gekommen, den wir diesfalls besitzen. Wir suchen auch keine wörtliche Übereinstim20 mung in sittlichen und religiösen Lehrformen. Wir sind vielmehr überzeugt: unser Geschlecht sinkt durch wörtliche Übereinstimmung in diesen Formen eben so leicht zu einer der wahren Sittlichkeit und Religiosität tödtlichen Herzlosigkeit hinab, als es durch wörtliche Einstimmigkeit in wissenschaftlichen Formen zur 25 Gedankenlosigkeit herabsinkt. Wir sind aber über das Bedürfniß einer fest gegründeten, durch tief eingreifende Mittel gesicherten religiösen Stimmung, als wesentliches Fundament einer jeden guten Erziehung, nicht nur einig, sondern dürfen noch hinzusetzen : Der Geist der Anstalt, der, wie der der Methode, in ihrem so Wesen allgemein zur Vollendung des Einzelnen, und dadurch zur Vollkommenheit des Ganzen hinlenkt, muß durch sein Wesen nothwendig zur Belebung des Mittelpunkts aller Vollendung, aller Vollkommenheit der Menschennatur, zur Belebung seines sittlichen und religiösen Sinnes hinlenken. 35 Die diesfälligen Folgen der Methode sind in unserer Mitte auch unwidersprechlich, und ob wir gleich durchaus nicht sagen dürfen, daß das Institut diesfalls in einer uns befriedigenden Vollendung auf den Zögling hinwirkt, so dürfen wir doch sagen: was wir diesfalls in unserer Schwäche gethan haben, war gesegnet.

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Unsere Kinder zeigen sich Herzens halber im Ganzen sehr gut. Viele von ihnen erregen von dieser Seite ausgezeichnete Hoffnungen. Einige zeigen seltene Gemüthlichkeit und hohen religiösen Sinn. Auch ist das diesfällige Benehmen einiger von denen, die unsere Anstalt schon verlassen haben, rührend. Von dieser 5 Seite bin ich wirklich glücklich. Söhne und Töchter, die mich umgeben, fühlen sich edler, und ihre Eltern vereinigen mit ihnen den Dank für das Leben in meinem Haus. Doch, warum rede ich, wo ich nur fühlen und schweigen sollte ? Die Elementarbildung ist in ihrem Wesen geeignet, die 10 Veredelung unserer Natur im ganzen Umfang ihrer Mittel zu bezwecken. Sie ist in ihrem Wesen nichts anders, als die Kunst, jedes Gute der Anlagen der Menschennatur aus ihr selber, als aus ihrem natürlichen Boden, hervorgehen zu machen. Sie ist nichts anders, als die Menschennatur selber, wie sie mitten im Verderben 15 ihrer Umgebungen, zwischen Felsen und fremdartigen Wurzeln, kraftvoll wie die Wurzel der Eiche sich Luft macht. Thut die Elementarbildung dieses, greift sie mit ihren Wurzeln wirklich so tief in das Wesen der Menschennatur, findet sie wirklich, mitten durch alle Hindernisse hindurch, ihren der Entfaltung ihrer 20 Kraft eigenen natürlichen Boden, so sind ihre Folgen auf die Bildung der menschlichen Kräfte nicht nur im Allgemeinen entschieden; auch ihr guter Einfluß auf die Bildung der einzelnen Menschen für das wirkliche Leben in seinen speziellen Verhältnissen, auch ihr Einfluß auf diese Verhältnisse, ihre Belebung des 25 Geistes der Anstalt durch ihre Wirkung ist dann durch sie gesichert. Eben so ist dann auch gewiß, daß sie durch ihr Wesen geeignet ist, auch dem zufälligen Verderben zu steuern, dem das neue Wachsthum aller menschlichen Kräfte in einer solchen Welt nothwendig und allgemein ausgesetzt ist. 30 Die Wahrheit dieser Ansicht ist in der physischen Natur allgemein anerkannt. Das tiefe Eingreifen der Wurzel der Eiche in den Boden, darauf sie wächst, sichert nicht nur das gedeihliche Wachsthum des Baumes im Allgemeinen, sondern heilet auch das zufällige Verderben an ihren Ästen und ihrer Rinde, und 35 zwar durch eben die Mittel, durch welche sie den Baum selber wachsen und gedeihen macht. Die Winde wehen, die Würmer nagen, das Wasser faulet, das Feuer brennt, der Mensch schneidet an einzelnen Ästen des Baumes. Was macht ihm das? Wenn der

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Bauer selber eine Wurzel nahe an seinem Stamme abhaut, das ihn angreifende Verderben ist nicht in den Umfang und die Tiefe der Fundamente seines Lebens gedrungen. So der Mensch, wenn ihn das Leben im Allgemeinen kraftvoll bildet. Er mag es dann 5 leiden und tragen, wenn eben dieses Leben ihn im Einzelnen plagt, drängt und schwächt. Die Elementarbildung, die nichts ist als das Leben selbst, aufgefaßt in Wahrheit und Liebe, beherrscht in ihrer Totalwirkung den Einfluß vieler ihr entgegenwirkenden elementarischen Ver10 irrungen in sich selbst. So weit sie in ihren Mitteln vollendet, und so weit sie in ihrer Ausübung konsequent ist, so weit leistet sie dieses gewiß. Ihr Wesen ruft der Kraft des Lebens in seinem ganzen Umfang, und indem sie dieses thut, kann sie nicht anders, als den Folgen der menschlichen Verirrungen im Erziehungs15 wesen durch die gesammte Kraft der Menschennatur mit entschiedenem Erfolg in jedem Verhältniß entgegenwirken. Sie wirkt auf jeden Zögling in dem Verhältniß, worin er lebt, mit der ganzen Kraft ihrer Natur, und hat also in ihrem Wesen auch die entschiedensten Vorzüge für die Bildung zum wirk20liehen Leben in jedem Verhältniß. Und doch ist es eben hier, wo man mit einem unpsychologischen Absprung von der Sorgfalt auf das Innere der Schüssel laute Klagen über den Mangel des Fegens an ihrer äußern Gestalt erhebt. Es ist ein eigentlicher Salto mortale, wie man von der Klage 25 über den Mangel an solidem Eingreifen unserer Mittel in das Wesen und Heiligthum unserer Natur plötzlich dahin kommt, uns vorzuwerfen: wenn unsere Mittel auch solid hierin eingreifen würden, so gäbe die Anstalt unsern Zöglingen doch den äußern Firniß nicht, der zwar, wie man gerne gestehen so wolle, im Grunde für die Menschenbildung unwesentlich sei, und der ihr vielleicht gar nachtheilig sein möchte, aber dennoch gefordert werde, weil er zum glücklichen Fortkommen in der Welt ganz gewiß vieles beitrage. Es ist wahr, die Anstalt ist auf keinen äußern Finiß berechnet. 35 Wir unterscheiden die Bedürfnisse des Menschen nach seinen Verhältnissen. Wir glauben, was der Welt allein angehöre, könne auch zweckmäßig die Welt allein geben; den Weltanstand könne man nur in der Welt lernen, lerne ihn leicht, wenn man mit Sinn und Kraft

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ausgerüstet in die Welt trete, entbehre ihn aber mit Vortheil in engern Verhältnissen. Wir behaupten, eine jede Anstalt sei in ihrem Wesen grundschlecht, die den Kindern geben wolle, was nur feiner gesellschaftlicher Umgang bilden kann - Weltanstand, und die eben deswegen dann vernachlässigen muß, 5 was der Weltumgang nie geben kann, Gründlichkeit im Wissen, Selbstständigkeit im Karakter. Doch, ich gehe weiter und widerspreche bestimmt: daß die Bildung der Kinder für und zu diesem Firniß ihnen so viel zum glücklichen Fortkommen in der Welt wirklich helfe, und erlaube 10 mir zu bemerken, daß es wirklich eigen sei, daß diese Forderung mit einer so außerordentlichen Lebhaftigkeit zu einer Zeit gethan wird, in welcher das Gefühl das Schadens dieses Firnisses für das bürgerliche Leben so allgemein rege ist, und niemand mehr verhehlen kann, daß unserm Geschlechte in aller Hinsicht mehr als 15 je die Kraft mangelt, die es zur Erreichung der auch noch so beschränkten Endzwecke bedarf, wozu die Selbstsucht des Zeitgeistes und Welttons diesen Firniß braucht. Es ist gewiß merkwürdig, daß man in diesem Zeitpunkt die Klage über den Mangel dieses Firnisses mit so viel Wehmuth erhebt, daß unsere Kinder 20 sich also in der wirklichen Welt gewiß nicht gut benehmen werden. Die Wahrheit über diesen Gegenstand ist aber diese: Die Elementarlehre erkennt den Grundsatz, daß aller Unterricht eigentlich nur untergeordnete Benutzung des wirklichen Lebens 25 der Kinder sein soll; sie erkennt, vielleicht wie es noch nie erkannt worden ist, daß das Leben bildet. Sie erkennt: das Leben in großen Umgebungen bildet kraftvoll; das Leben in häuslichen Umgebungen bildet liebevoll. Das liebevolle Leben veredelt; das Leben im Glauben sichert und erhöht die Veredelung so durch die Liebe; und die Elementarbildung ist geeignet, diese Veredelung nach allen Beziehungen in der Kraft, in der Liebe und im Glauben zu erzielen. Das ist die Wahrheit. Die Anstalt baut im ganzen Umfang ihrer Einrichtungen und Übungen auf sie, und doch höre ich den35 Vorwurf, daß die in ihr elementarisch unterrichteten Kinder in den Verhältnissen des wirklichen Lebens sich schlechter benehmen werden, als die, welche in der Form des Welttons erzogen werden - auch von Menschen ausgesprochen, die nichts weniger

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glauben, als daß der gute Weltton aus Schwäche hervorgehen könne, sondern vielmehr wohl überzeugt sind, daß, ungeachtet er dennoch auch in seiner Beschränkung, wiewohl einseitig, große Kräfte ansprechen müsse. Aber ich 5 möchte diese Menschen nur fragen, ob das freie und kraftvolle Leben unter hundert und mehr Kindern für die Menschenkraft, die selber der Weltton anspricht, nicht eine Schule sei, wie wenige Kinder, die eigentlich für diesen Ton erzogen werden, eine solche genießen ? 10 Ich bin überzeugt, diejenigen Menschen, die das, was eigentlich probhältiger und allgemein guter Weltton ist, am tiefsten kennen, werden das Gewicht dieser Frage fühlen. Indessen wird das servum pecus der Nachbeter dieser Meinung freilich von allem diesen nichts sehen. Gewohnt, die Stütze ihrer eigenen Kraft 15 selber zu mißkennen, haben diese Menschen keinen Sinn und keine Augen für das, was ihren vorgefaßten Meinungen einmal entgegen ist. Wäre es auch der Fall, der es bei weitem nicht ist, daß unsere Kinder, in den Schulstunden wie in den Spielstunden, allgemein gleich belebt vor ihnen da ständen; würden sie auch täglich vor 20 ihren Augen, in aller Gewandtheit ihres geistigen und physischen Lebens, der Entfaltung jeder ihrer Anlagen im freien Kampf einfacher und kraftvoller Übungen entgegen streben; würden sie dieselben auch täglich mit Hausgenossen, Kameraden, Lehrern, Fremden und Obern nicht gehemmt und nicht hemmend, und 25 weder selbst in Verlegenheit, noch andere in Verlegenheit setzend, umgehen sehen, sie würden in alle dem kein Fundament von dem, was sie guten Ton der Welt nennen, finden. Sie können dieses Fundament nur in solchen Dingen finden, die aus dem Menschen das machen, was sie selbst sind. Alles in der Welt, was aus dem so Menschen etwas anders macht und machen muß, als sie selbst sind, kann ihnen nie das Fundament des guten Tons scheinen. Es ist in der ganzen Natur das Nämliche. Der Rabe versteht den guten Ton der Nachtigall gar nicht; man sagt sogar, wenn diese auf einem ihm nahen Ast absitze, so fliege der andere vom 35 Baume weg. Hingegen sagt man auch: die Papageyen thäten dies nicht, sie hörten allen Arten von Vögeln und Menschentönen gar gern zu, und machten sogar einige dieser Töne selbst nach. Und so papageyenartig nähern sich auch zu Zeiten die erbärmlichen Schwächlinge des Welttons, ungeachtet ihrer entschiedenen

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Unfähigkeit, das Wesen davon und seine Kraft in sich selber aufzunehmen, den schönsten Tönen der Wahrheit und der Liebe, wenn nämlich das Glücksrad sie zu Modetönen der Welt gemacht hat. Aber die Kraftmänner des Welttons, die diesen Armen in jedem Fall Zaum und Gebiß ins Maul legen, lassen es damit nie 5 zu weit kommen. Wenn es auch nur von vielen der Fall wäre, daß ein zu lauter Ton der Wahrheit und Liebe etwa eine ihrer Pfauenfedern in Unordnung bringen könnte, so finden sie gleich Mittel, daß die Schonung des Welttons gegen die sie gefährdende Wahrheit und Liebe plötzlich ihr Ziel und Ende finde. Diese Schonung 10 ist nur als ein täuschendes Vorwerk der Selbstsuchtsfestung, in der sie mit allem Leben ihrer Gewalt und Heuchelei immer hauset und hofet, anzusehen; und so ist es zu erklären, warum dieser Ton so oft auf den Vorwerken seiner Festung auch seinen erklärtesten Feinden ein Glas Wein einschenket, und sie darauf zu Spiel is und Tanz einladet. Er weiß wohl, was er damit thut. Die große Mehrheit seiner Feinde ist oft so armselig schwach, daß sie sich noch einbildet, diese schönen Vorwerke stehen eigentlich um ihrentwillen, zu ihrer Freude und ihrem Tanz aufgeführt, da. Aber diese Täuschung nimmt zu Zeiten ein Ende mit Schrecken. 20 Sobald der klügere Weltton in seiner Festung auch nur von fern einigen Unrath wittert, so setzt er seine Festung augenblicklich in ihrem ganzen Umfang in Kriegsstand. Die freundliche Schonung und nachsichtsvolle Geduld gegen die Ansprüche der Wahrheit und Liebe ändert in diesem Falle so geschwind, wie ein 25 Schauspieler, der im Vorspiel seiner Komödie als ein Harlequin, und im Nachspiel als ein Gefangenschaftswärter, mit seinen Vertrauten am Strick, auf der Bühne steht. Ich weiß nicht warum, aber ich verweile mich gern an dem Bilde der Wendungen, in dem die Selbstsucht der Welt, wenn sie so mit der Wahrheit und Liebe ihr Spiel treibt, erscheint. Dieser Tonwechsel der Selbstsucht, und dieses Nichtbleiben in ihrer Scheinschonung gegen ihre Feinde, ist in jedem Fall der Wahrheit und Liebe weit vorteilhafter, als die lange Dauer ihres Weinschenkens und ihrer Tanzpartheien auf den Vorwerken 35 ihrer Festung. Ich wiederhole es: die Selbstsucht, in so fern sie mit offener Kraft gegen Wahrheit und Liebe wirkt, ist auch in ihren härtesten Verirrungen der Sache der Wahrheit und der Liebe weit vortheil-

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hafter, als die Erscheinungen von ihr, in denen man die Schwäche der Wahrheit nicht mehr von den Schwächen des Irrthums, und die Schwächen der Liebe nicht mehr von den Schwächen der Lieblosigkeit zu unterscheiden vermag. Das geistige und sittliche Sein 5 des Menschenlebens gleichet in diesem Zustand nicht selten dem Leben in einem Irrenhaus, in dem sich die Menschen in der Fieberhitze und dem Hirnschwindel ihres Zustandes gar oft durch die Ansprüche der Gesinnungen und Handlungen auszeichnen, die beides den Anschein hoher Würde in sich tragen, und mit fester 10 Konsequenz durchgesetzt werden, ob sie gleich in der Verödung des Wesens menschlicher Kraft bloße Handlungen der Sinnlosigkeit sind. Doch die große Mehrheit der in den Schwächen des Welttons und des Zeitgeistes verirrten Menschen hat in ihrer Handlungs15 weise nicht einmal die Scheinkraft solcher fieberisch verirrter Menschen. Die Schwäche, mit der sie sich auszeichnen, erscheint vielmehr gewöhnlich nur im Geiste der Handlungsweise eines Bürgers von Krähwinkel, der plötzlich der reichste Bürger in seiner Reichsstadt geworden, nun auch eben so plötzlich das 20 schönste Haus in derselben haben wollte. Es gieng ihm zu lange, die Steine dazu im fernen Berge brechen und herbeiführen zu lassen; er trocknete dafür Lehmsteine am Schatten durch den Wind, und ließ dann diese mit schön gemodelten Fayenceplatten überziehen; so hatte er bald ein Prachthaus, wie noch keines in 25 Krähwinkel gestanden, und alle Bürger des Orts meinten eine Weile wirklich, es sei in der Welt kein schöneres Haus, als sie eines in ihrer Stadt hätten. Aber da nun der Herbst kam, und die feuchte Witterung den Lehm hinter den Fayenceplatten schwellte, und dann dieser zwischen den Lücken der Fayenceplatten des so Hauses hinaus triefte, und so die innere Schlechtheit des Hauses seine äußere Schönheit unsichtbar machte; da erkannten auch die Bürger in Krähwinkel, daß ihr prächtiges Haus ein nichtiges Haus sei. Es ist bestimmt kein schlechterer Zustand für den Wahrheitssinn und das Kechtsgefühl unsere Geschlechtes, als 35 wenn seine Selbstsucht selbst so krähwinkelartig schwach wird, daß es selber das Gefühl zu hassen und zu lieben, und den Muth zu drohen und zu schelten, verliert. Gottlob, daß es in Hinsicht der Erziehung und des Schulwesens nicht so weit gekommen! Nein, die Welt besitzt diesfalls jetzt noch Kraft in ihrem Irrthum,

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und Muth in ihrer Lieblosigkeit; und so sehr sie auch oft selbst im Irrthum steckt, und so sehr sie oft links geht, wo sie rechts hin sollte, so behauptet sie dennoch immer Schritt für Schritt ihr Terrain, und weicht in keiner Stellung mit ängstlicher Feigheit. Wahrlich es ist immer noch eine Ehre, ihren Irrthum zu be- 5 kämpfen, und ihrer Lieblosigkeit sich entgegen zu stellen. Ihre Mittel sind oft nur zu gut, und ihre Kraft nur zu stark für ihre Zwecke; und es ist beinahe kein Extrem von Abweichungen von den guten Erziehungsgrundsätzen, das nicht noch immer seine kraftvollen und gewandten Beschützer fände. 10 Dies zeigt sich besonders auch in der Ansicht des Verhältnisses dessen, was in der Anstalt gelehrt wird, zu den gewöhnlichen Schul- und Unterrichtsmitteln, in Rücksicht auf das Lesen, Schreiben, Sprachlehre, Auswendiglernen u.s.w., und der Forderungen, die diesfalls 15 an uns und unsere Zöglinge gemacht werden. Die letzteren stimmen ganz mit den bisher berührten Irrthümern überein. Der Grundsatz der Elementarbildung ist ausgesprochen: den bestehenden Widerspruch zwischen der Verstandesbildung und den mechanischen Schulfertigkeiten aufzuheben; so will und soll die 20 Anstalt, als Erziehungsanstalt, das Fühlen und Denken, das Thun und das Reden des Kindes in Übereinstimmung erhalten.*) Nun ist offenbar: da Lesen und Schreiben beides nur künstliche Arten des Redens sind, so müssen sie beide, wenn ihr Unterricht 25 naturgemäß betrieben werden soll, dem wirklichen, gemeinen Redenkönnen nachgesetzt werden; und doch ist die halbe Welt in Bewegung, daß das Lesen- und Schreibenlernen immer mehr vor dem Redenlernen und Redenkönnen betrieben werde. Eben so ist offenbar, daß das Reden selbst ein künstlicher Ausdruck so unsers Empfindens und Denkens ist, daß also das Kind, wenn es recht reden lernen soll, nothwendig auch recht empfinden und denken lernen muß; und dennoch ist wieder die halbe Welt in *) Wir "werden in einem besondern Aufsatz über die Elemente und die Elementarbildung, worin das Wesen und der Umfang der letztern mit Deutlichkeit und 35 Schärfe erörtert werden soll, auf eine, wir hoffen befriedigende Weise, diesen Gegenstand entwickeln, und damit auf manche Frage, z. B. über Lektüre, über Bilder u.s.w. ein Licht werfen, daß die Einwürfe gegen frühere Behauptungen darüber gänzlich beseitigen wird.

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Bewegung, das Redenlernen, gesondert vom Empfinden- und Denkenlernen zu betreiben, und diesen letzten vorhergehend zu machen, wie die Blüthe der Frucht vorhergeht. Aber es ist weit entfernt, daß das Redenlernen die wahre Blüthe des Empfindens s und Denkens sei; es soll ihre Frucht sein. Nicht auf sie gegründet, nicht aus ihrer Einheit hervorgehend, wird es der Wurm, der an der Blüthe des Empfindens und Denkens nagt, und seinen Keim auffrißt, selber ehe er noch in seiner ersten Entfaltung sichtbar ist. Eben so ist offenbar: wenn die Mittel, das Kind reden zu 10 lehren, außer dem Kreis seines wirklichen Lebens gesucht und gebraucht werden, so kann dieses nicht anders, als zum Nachtheil der Entfaltung seines Beobachtungsgeistes, seiner Thatkraft und seines wahren, geistigen, sittlichen und häuslichen Lebens geschehen. Es ist ganz gewiß, daß, ohne die Entfaltung der Rede15 kraft des Kindes mit seiner Beobachtungs- und Thatkraft im Leben in Übereinstimmung zu bringen, oder, welches eben so viel ist, ihm unterzuordnen, alle Bemühungen, das Kind reden zu lehren, sich in gefährliche Künste, das Kind schwatzen zu machen, umwandeln, und es dahin bringen, daß es die Wahrheit 20 seiner selbst, die Wahrheit seiner Gefühle, die Kraft seines Denkens und Handelns mit der Wahrheit seiner Kraft, über sein Fühlen, Denken und Thun reden zu können, in sich selber verwechseln wird. Und doch ist im Allgemeinen der jugendliche Volks- und Schulunterricht so eingerichtet, wie wenn dieses Veras wechseln der Kraft und der Wahrheit mit ihrem Schein und mit ihrem Laut der eigentliche Zweck der Erziehung und ihr endliches Ziel wäre. Die Eltern unserer Zöglinge leben fast alle in der Täuschung, die dieser Irrthuin hervorbringt. Sie müssen es; denn das Zeitalter so lebt darin. Sie fordern in Rücksicht auf Lesen, Schreiben und Sprachstudium frühere Resultate, als die ersten Bedingnisse der Naturgemäßheit in der Erziehung gestatten. Sie wissen nicht, wie sehr sie das Ziel, nach dem sie streben, dem Kinde dadurch selber erschweren. Aber sie fordern es. Wenn wir nicht allen Ein35 fluß auf die Erziehung aufgeben wollen, so sind wir gezwungen, ihren Forderungen bis auf einen gewissen Punkt nachzugeben. Wir suchen aber dieses auf diejenige Weise zu thun, die geschickt ist, den Schaden dieses Irrthums so klein zu machen, als immer möglich, und trachten deswegen den Mechanismus des

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früh Lesen- und Schreibenlehrens den Kindern so sehr zu vereinfachen, daß sein Einfluß im Ganzen ihrer Bildung gleichsam verschwinde, oder wenigstens gewichtlos erscheine; und wenn man die Sinnenentfaltung des Kindes, und das damit so eng verbundene Beobachten, Denken und Thun, als das absolute Fundament 5 seiner ganzen Bildung anerkennt, so giebt sich dieses Gewichtlosmachen des Lesens und Schreibens u. s.w. gleichsam von selbst. Der Fall scheint mir ziemlich mit demjenigen ähnlich, in dem ein armer Mann, aus Noth gezwungen, sein schwächliches Kind wider sein Herz Stein tragen machen muß. Er kommt gewiß von selbst 10 auf den Gedanken, ihm seinen Tragkorb dafür so leicht zu machen, als möglich. Das ist leicht; aber zu machen, daß das Kind seinen gewichtlos gemachten Steinkorb, beim Unterricht, und sein bloßes Steintragen nicht als etwas anders, und für etwas mehr ansehe, als es wirklich ist, daß es die bloße Mühseligkeit des 15 Zusammentragens vom Material nicht für das Studium einer Wissenschaft selber ansehe, das ist dann schwerer. Und wenn die Aufmerksamkeit auf die Festhaltung der wesentlichen Ansichten, der Elementarbildung in jedem Fall wichtig und nothwendig ist, so ist sie es in den Augenblicken einer 20 also durch die Umstände nothwendig gemachten Abweichung von denselben. Man kommt auf dem Pfade dieser Abweichung so leicht dahin, wo Wahrheit und Irrthum sich in unserm Thun so sehr vermischt, daß wir das Eine von dem Ändern nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Bei diesem 25 in einander greifenden Vermischen der Wahrheit und des Irrthums aber, fallen die Bäche des Irrthums in unsere sinnliche Natur, wie in einen Strom zusammen; die Quellen der Wahrheit hingegen trocknen dabei in den Sandwüsten eben dieser Natur, die der Strom des Irrthums und der Selbstsucht in uns selber so erschafft, vollends auf. Es ist darum dringend nothwendig, daß der in diesem Fall nachgebende Lehrer sich des Punkts des Nachgebens und der Gefahr, die dieses Nachgeben auf das Ganze seines Thuns hat, bestimmt und genau bewußt sei; und eben so, daß er immer das Wesen 35 der einzelnen Grundkraft, die jedes spezielle Mittel der Elementarbildung entfalten soll, so wie dieses Spezialmittel selber, und jeden einzelnen Lehrstoff an sich selbst ins Auge fasse; sonst kann sein Abweichen

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seinen Zögling leicht dahin bringen, daß sich seine Kraft um etwas herumtreibt, von dem er glaubt, es sei etwas ganz anders, als es wirklich ist. So ist es z.B. wesentlich, daß man, was bloß als Gedächts n i ß ü b u n g etwas taugt, in keine Verstandesübung umwandele, und was bloß die Hand mechanisch zu bilden geschickt ist, nicht, als wäre es ein Mittel der Geistes- und der Kunstentfaltung, benütze. Eben so ist es wesentlich, daß die Übungen des bloßen 10 Wortgedächtnisses, von den Übungen des durch Anschauung begründeten Bewußtseins der Sacherinnerungen getrennt, ins Auge gefaßt werden, und die Übungen der ersten den Übungen der zweiten untergeordnet werden. Diese Sönderung der Ansichten der Lehrgegenstände, und is dieses lebendige Festhalten des verhältnißmäßigen Realgewichtes und Realwerthes, den ein jedes Lehrfach auf das Ganze der menschlichen Bildung hat, ist für die Sicherstellung der Naturgemäßheit jeder Lehrart unumgänglich, um die Verwirrung zu verhüten, welche in den Köpfen der Kinder entstehen muß, wenn ihnen 20 Elendigkeiten und Wichtigkeiten auf gleiche Art beigebracht werden, und ihnen sogar, wie es oft geschieht, das Höchste, das Erhabenste einer Wissenschaft in den Mund gelegt wird, wie man zum Scherze zuweilen Kindern z.B. Schalen von Früchten in den Mund legt, deren Kern man ihnen, bis sie ob seiner faden Schale 25 den Kopf genug geschüttelt, vorenthält. Aber, wer sollte das wohl thun? Der z.B. thut es, der bei der Erlernung einer Sprache den Wortreichthum den Kindern durch Bücher beibringt, deren erhabener Inhalt weit über die Fassungs-, und selber über die Ahnungskraft der Kinder hinausgeht; der so thut es, der ganz jungen Kindern die Materialien der todten Sprachen durch das Lesen des Homers, des Platos, des Tacitus, und zwar gewöhnlich durch ganz unhomerische und unplatonische, wohl aber bei Gelegenheit etwas taciturne Lehrer beizubringen sucht. Es ist gewiß, daß die Manier, mit welcher 35 gemeine Kinderwärterinnen ganz unmündige Kinder reden lehren, weit psychologischer ist, als diese Art, bei der man so taktlos versäumt, das Schwerfällige des Gegenstandes dem Zögling durch Reize der Anschauung des sinnlichen Interesse belebt zu machen. Diese Sorgfalt ist auch bei den historischen, geographischen und

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allen Unterrichtsfächern, die nicht rein elementarisch sind, gleich wesentlich. Alle diese Lehrgegenstände haben ihren äußern Stoff, dessen Anschauung und Nomenklatur dem Kind, das in der Lage ist, sie früher, als es naturgemäß geschehen sollte, zu erlernen, lange vorhergegeben werden kann, ehe es zum sittlichen und s geistigen Leben in irgend einer Wissenschaft hingeführt, oder auch nur fähig gemacht werden kann, ihm näher gebracht zu werden. Wo aber ein Kind mit irgend einer Wissenschaft, als solcher, beschäftigt wird, ehe es zum wahren Leben in derselben, das ist: zu einer naturgemäßen Erlernung derselben, reif ist, da 10 ist die Sönderung des eigentlichen Studiums der Wissenschaften von dem durch Anschauungen und Gedächtnißübungen zu gebenden Vorbereitungsunterricht wesentlich. Die Folgen des Mangels dieser Sönderung sind für das Ganze der menschlichen Entwickelung, und auch für die Wahrheit der Erlernung des Wesens 15 eines jeden Lehrgegenstandes, entscheidend verderblich. Ich nehme nur das Beispiel der Geschichte. Wenn der Zögling schon im kindlichen Alter mit dem für ihn wahren Chaos ihrer Thatsachen bekannt gemacht wird, so wird er nicht nur auf der einen Seite unnatürlich gereizt, schon in diesem Alter über tau- 20 send Weltbegegnisse und Menschenhandlungen zu urtheilen und abzusprechen, zu deren wirklicher Beurtheilung seine Kräfte nicht nur nicht hinreichen, sondern er wird, was noch das Wichtigere ist, schon in seiner Unschuld zum Bewußtsein aller Verfänglichkeit, aller Niederträchtigkeit, aller Gewaltthätigkeit der 25 Welt hingeführt. Daß aber dadurch der einfache, naturgemäße Gang seiner sittlichen und intellektuellen Ausbildung in einem hohen Grade verwirrt und gehemmt wird, das ist außer aller Frage. Bei dieser Ansicht der Dinge, und überhaupt bei der unbestreit- so baren großen Gefahr, die Kinder früh in das Gebiet der Wissenschaften, oder auch nur in ihre wirklichen Vorhöfe zu führen, kann der Lehrer, der im Fall ist, seine Kinder wissenschaftlich erziehen zu müssen, sehr leicht dahin kommen, das Bewußtsein der Abweichung von dem einfachen Gang der Natur in sich selbst 35 zu verlieren, und mit diesem wäre dann auch alles verloren. Ea ist darum alles daran gelegen, daß er, wenn er in der Lage ist, in irgend einem Fache seines Unterrichts von der Naturgemäßheit seines Ganges abzuweichen, sich dieses Abweichens lebendig be-

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wußt bleibe, um in jedem Fall den Folgen desselben mit Kraft entgegen zu wirken, und mitten durch die Schwierigkeiten einzelner Abweichungen den Geist des Ganzen der Führung lebendig zu erhalten, und seinem Zögling in seinem Innern das Gleichge5 wicht seiner Bildung zu sichern, das auch bei Verirrungen im Einzelnen immer so helfend und heilend auf das Ganze wirkt. Bei dieser Sorgfalt kann dann aber auch der Lehrer, des Wesens und der Mittel einer naturgemäßen Erziehung mächtig, und seiner allgemeinen Sorgfalt für die Festhaltung dieses Wesens 10 sicher, bei seiner speziellen Abweichung davon in seiner gehemmten Bahn ruhig fortwandeln. Sie ist für ihn dann eine freie Bahn. Die Natur selbst macht sie ihm frei; diese ist groß, und steht neben allem Irrthum, neben allen Lücken, und neben allen Blößen, welche die Menschen in sie hineinbringen, in sich selbst is da. Das ist allenthalben wahr, \vo sie nicht im Ganzen getödtet und in sich selbst aufgelöst ist. Es ist allenthalben wahr: wo sie immer, auch nur von einer einzelnen Seite, kraftvoll geweckt, ihr eigenes Leben, sich selbst treibend, noch durch sich selber zu erhalten vermochte, da hilft sie in einzelnen Verirrungen der Men20 sehen immer noch sich selbst, und findet sich immer wieder leichter zurecht, als wir es selbst glauben und ahnen. Es ist ohne Widerspruch wahr: da, wo das Übergewicht der Führung des Kindes naturgemäß ist, da stellt sich das Gleichgewicht, bei der Störung desselben, immer leicht wieder her. Aber das ist denn 25 auch wahr und wichtig: dieses Übergewicht muß dafür wahrhaft da sein, sonst darf man auf seine heilende und helfende Wirkung nicht zählen; und hier wäre denn freilich eine Täuschung äußerst gefährlich. Nur wo das Herz des Zöglings für die Liebe warm, und nur wo sein Geist durch sie in der Wahrheit kraftvoll, und seine so Hand mächtig und treu im Schaffen alles dessen ist, was ihm die Liebe gebietet, nur da ist das Übergewicht der Wahrheit über den Irrthum, oder vielmehr des reinen Wahrheitssinnes - über den unreinen Schein des Irrthums gesichert. Aber dann, wenn du mit deinem Kind da bist, wenn 35 das Übergewicht deiner Führung desselben wirklich naturgemäß ist, dann fürchte dich auch vor einzelnen Abweichungen in den äußern Formen von der strengen Naturgemäßheit deines Thuns nicht mehr. Es mag dann etwas zu viel, oder etwas zu wenig auswendig lernen müssen, es 19 Pestalozzi Werke Bd. 22

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mag dann etwas zur Unzeit buchstabieren, oder Latein, oder Französisch und auch den Katechismus und den Psalter lernen müssen, die Noth der Schulstube mag ihm sogar einige Lebensstunden so schwer machen, als die Noth des Spinnrads tausend ändern Kindern ihre Lebensstunden in der Wohnstube schwer 5 macht; das macht dann nicht mehr alles. Das Fehlerhafte im Einzelnen seiner Führung verschwindet im kraftvoll gesicherten und richtig geleiteten Ganzen. Einzelne Vorurtheile liegen in dem Menschen, dessen Wahrheitssinn lebendig und frei ist, wie ein leichtes Wölkchen in der Abendröthe des hellen Himmels. 10 Sein goldner Rand scheint einige Augenblicke noch heller, als der helle Himmel selber. Lücken in der Ausbildung einzelner Kräfte und Fertigkeiten, bei der vollendeten Ausbildung höherer und größerer in ihrer Mitte, sind wie wenn sie nicht da wären. Guter, edler Lehrer! Erhebe dich in jeder Hemmung deines 15 im Allgemeinen gesicherten guten Thuns zum Glauben an die hohe göttliche Kraft der Natur selber; stärke dich durch ihn, und präge dir fest ein: Ohne hohen Glauben an die Natur und ihre Selbstwirkung ist alles Thun der Menschen für die Natur selber Unnatur. Dein höchster Eifer für die 20 Natur führt dich ohne diesen Glauben und ohne die Reinheit desselben nur irre. Seine Reinheit aber bewährt sich nur durch die Liebe, mit der du den Pfad ihrer Wahrheit suchst, durch die Treue, mit der du sie befolgest, und durch die Freiheit, mit der du in ihrer Liebe und in ihrer Treue wandelst. Sie be- 25 währt sich nur dadurch, wenn du Wahrheit und Naturgemäß heit im Menschengeschlecht höher achtest, als dich selber, und dich selber als einen Tropfen im Meere ihrer Erhabenheit fühlest. Mit diesem bewährten Glauben an die Natur begründet sich die Naturgemäßheit der Elementar-Bildung in 30 jedem Fall durch reine Liebe; und so begründet wird ihre Idee sich beim Menschengeschlechte unter allen Richtungen der äußeren Formen seiner Geistes- und Herzensentfaltung, ihren Weg leicht bahnen, und jedem Vorschritte der durch Naturgemäßheit zu erneuernden Erziehungsmittel einen rieh- 35 tigen Pfad bereiten. Und auch unsere, für diesen großen Zweck schwachen, aber gut gemeinten, und innere Wahrheit für ihn nicht mangelnden Anfangsversuche werden durch diese Begründung sich selber eben also einen ruhigem und freiem Weg

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bereiten, als der war, den sie bisher zu betreten vermochten. Tausend Widersprüche gegen die Grundsätze und Mittel unserer Methode werden beim sichern Vorschritt ihrer diesfälligen Begründung dann von sich selbst wegfallen; und vieles, das jetzt 5 noch als ein Einwurf gegen sie erscheint, wird dann in der größten Übereinstimmung mit ihnen ins Auge fallen; so wie z.E. die in einem beliebten Blatt als Einwurf gegen unsere Versuche angebrachte Äußerung: «Daß bei aller möglichen Verschiedenheit der Unterrichte-Grundsätze die besten Schulen 10 immer diejenigen seien, deren Vorsteher sie durch das Übergewicht ihrer Einsicht nach sich selber modeln, und sich in Erfüllung ihrer Pflichten durch innere Selbstständigkeit frei machen. » Es wird auf dieser Bahn gewiß wie der helle Tag heiter werden, daß ihre Grundsätze und Mittel wesentlich geeignet sind, is die Einsichten, die Treue und die Freiheit der Schullehrer, als unfehlbare Resultate, hervorzubringen. Es ist gewiß nur der Mangel eines festen Hinblicks auf das Bedürfnis eines reinen Glaubens an die Natur, als das Fundament der Elementarbildung, warum die Idee der Elementarbildung 20 so vielseitig, als mit irgend einem Guten, das in der Erziehung schon wirklich da ist, unverträglich und als gegen dasselbe unduldsam, angenommen wurde, und warum besonders der allgemeine und entscheidende Einfluß derselben auf die Bildung der Einsichten, der Treue, der Selbst25 ständigkeit der Schullehrer nicht mehr gefühlt worden ist. Sie, die Methode, oder vielmehr die Idee der Elementarbildung, ist nichts, gar nichts, wenn ihr allgemeiner und entscheidender Einfluß hierin nicht sicher und geeignet ist, den Schulstand so zu einem Grad reiner, auf Liebe gegründeter Treue, und einer auf vollendete Einsicht gegründeten Selbstständigkeit zu erheben, den er, in beiden Rücksichten, in unsern Tagen so ausgezeichnet mangelt. Auch sie ist durch ihr Wesen offenbar geeignet, dieses zu leisten, und 35 dem Schwanken des Schulstandes zwischen einem ihm gleich verderblichen Exaltiren und Decouragiren ihrer Glieder ein Ziel zu setzen, und einerseits den Hochflug einzelner Individuen, welche die Menschheit nach ihrer Persönlichkeit modeln, und den freien Einfluß des Lebens in Wahrheit und Liebe durch

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den Einfluß der Anmaßung ihrer Selbstsucht beschränken wollen, mit fester Kraft entgegen, anderseits aber auch eben so kräftig dahin zu wirken, daß die Gemüthsstimmung und die Handlungsweise gegen die ersten Ansichten des Erziehungswesens kalter, in ihrer Lage gedrückter, durch das Mißlingen 5 eigener Versuche und durch den widrigen Eindruck vieler ändern Lebenserfahrungen nicht nur gegen alle Übertreibungen, sondern auch selber gegen alle Versuche zu bessern, scheu gewordener Müdlinge und Starrköpfe, nicht zum Maaßstab der Gesinnungen und Handlungsweise derer gemacht werde, die daa Schul-10 feld immer neu zu erfrischen und fortdauernd im guten Zustand zu erhalten, sich zum Pflichtstand ihres Lebens, zu ihrem Beruf gemacht haben. Man hat so viel über uns und unser Thun geredet und geschrieben, und doch ist der Gesichtspunkt: ob unsere Grund-15 sätze und Mittel durch ihr Wesen vortheilhaft auf den Schulstand zu wirken vermögen, nicht einmal in Untersuchung genommen, geschweige über ihn abgesprochen. Und doch glaube ich, werde eine tiefdringende Prüfung desselben ihren diesfälligen, entscheidenden Einfluß außer Zweifel setzen, 20 und zeigen, daß wir den Geist der Schulmeisterbildung wesentlich in der Entfaltung des Geistes und des Lebens der Kinderstube suchen, und daß wir die Gefahr der von diesem Geist abweichenden Seminarien und ihres widernatürlichen Kunstganges kennen. 25 Aber dennoch sind wir eben so weit entfernt, alle Kunstmittel, die der Lauf der Zeit für die Bildung unsere Geschlechtes zur Reifung gebracht, aus dem Kreis der Bildungsmittel der Schulmeister zu verbannen, und ihre Bildung auf die mißlichen Spitzen des Urzustandes unsers Geschlechtes, der nirgend mehr ist, so gründen zu wollen, und ihre Mittel nur auf solche zu beschränken, die dem Menschengeschlecht in diesem Zustande schon möglich gewesen wären. Nein! Wir wollen die Realvortheile des wissenschaftlichen und Kunstfortschrittes unsers Ge-35 schlechtes nicht aus dem Kreis unserer Schulmeisterbildungsmittel verbannen, wohl aber trachten, dieselben mit aller Wahrheit und aller Liebe der Naturgemäßheit und ihres freien lebendigen Seins in Über-

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einstimmung zu bringen. Nein! Wir wollen den Schulstand durch den Grundsatz der Naturgemäßheit in keiner Rücksicht beengen; wir wollen denselben durch ihn in allen Rücksichten veredeln; wir wollen freilich allerdings die Volksschulen nicht s dazu brauchen, die Wissenschaften in dem Haufen der MenschenHeerden wie Pilze aufschießen zu machen, die auf den sie erzeugenden Misthaufen in einer Regennacht zu Tausenden aufschießen, und in der Sonnenhitze des kommenden Tages wieder eben so plötzlich vergehen; wir wollen nichts weniger, als in diesem 10 Haufen der Menschenheerden die eitle Hoffnung nähren, daß aus diesen Pilzen dann einst mit der Zeit Eichen, Tannen, Rosenstöcke und Ananasfrüchte hervorgehen und emporwachsen werden. Nein! Wir werden vielmehr suchen, diesen Träumen mit Kraft entgegenzuwirken, und die Überzeugung allgemein fest zu gründen, 15 daß alle Pilze, und auch die wissenschaftlichen Pilze, nichts sind und zu nichts führen; daß sie vielmehr alle, so wie sie aus nichts entkeimen, also auch als nichts wieder vergehen. Aber so wie wir das thun, so wie wir das Nichtige des oberflächlichen Wissens in aller seiner Blöße darzustellen uns ernstlich bemühen werden: 20 also werden wir auch das wahre Wissen in aller seiner Würde erscheinen zu machen suchen, und alles thun, die Veredelung unserer Natur durch dasselbe zu befördern, und darum mit Kraft dem Irrthum entgegenwirken, als ob die höhern Kräfte der menschlichen Natur eine Folge positiver Wissenschaften seien, 25 und aus ihnen, wie aus ihren Wurzeln, hervorgehen. Die Methode wird unwidersprechlich darthun, daß alle Wissenschaften, als Früchte der Anlagen der Menschennatur, aus der tiefen Wurzel und dem kraftvollen Stamm dieser selbst hervorgehen, und folglich das Dasein höherer Kräfte und Anlagen und ihre richtige 30 Bildung voraussetzen, wenn sie als Früchte, die sich in unserer Mitte als wahrhaft vorzüglich bewähren, und der Menschennatur würdig und ihr dienstlich sind, erscheinen sollen. Ihre Mittel, indem sie das Wesen des Wissens in unserm Innern höher heben, werden dadurch auch den äußern Stoff derselben besser begrün35 den. Die Reihenfolgen unserer Mittel bringen ihre AnschauungsFundamente und ihre Anfangsübungen mit der Menschennatur in einen natürlichen Zusammenhang, und können dadurch in ihren Folgen nicht anders, als dahin wirken, auch die wissenschaftliche Bildung unsers Geschlechtes mit der Menschennatur in

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einen reinem Zusammenhang zu bringen, und dadurch ihre Erlernung beides in ihrem Wesen zu veredeln und in ihren Formen zu erleichtern. Der Zögling der Methode wird sich freilich nicht mehr träumend über sich selbst, ungebildet in sich selbst, und 5 schwärmend außer sich selbst, in den weiten Meeren der Wissenschaften verlieren. Im Gegentheil, er wird sich im Hafen seiner, d.h., derjenigen Wissenschaft, die er sich für die Wissenschaft seines Lebens gewählt, in stiller Ruh vor Anker halten, bis das Schiff seiner \Vissenschaft ausgerüstet, und im Stand sein 10 wird, auf diesen Meeren den Weg einzuschlagen, der für ihn und für seine Wissenschaft der einzige ist, in dem er wandeln soll. Das Wesen unserer Mittel muß dahin wirken, daß kein nach ihnen richtig geführter Jüngling sich auf eine wissenschaftliche L a u f b a h n hinwagen wird, wenn nicht 15 entschiedene höhere Anlagen und Verhältnisse des Lebens ihn dazu bestimmen; aber, wenn er es dann gethan, wenn er sich dann auch tief in das Fach derselben hineinarbeiten, und alle andere Fächer der Wissenschaften immer in Beziehung auf dieses, und für ihn nur untergeordnet, ins Auge fassen. 20 Von jeher haben alle ausgezeichnete Menschen sich in ihrem jugendlichen Alter vor der Versplitterung der Kräfte gehütet, und sind, nur durch die Vollendung ihrer selbst in dem Fache ihres Lebens, dahin gekommen, im Zusammenhang mit den Bedürfnissen und Ansprüchen ihres eigenen, auch andere Fächer 25 menschlicher Kenntnisse oder Thätigkeiten, aber immer nur als dem ihrigen für sie untergeordnet, zu berühren. Zur Übereinstimmung mit dieser Welterfahrung soll die Elementarbildung ihre Zöglinge mit Kraft in diese Schranken, die eigentlich die Schranken der Menschennatur und der menschlichen Verhältnisse sind, so hinlenken. Dadurch aber wird sie dann freilich auch tausend und tausend Menschen, die im Studien-Taumel der Zeit Doktoren und wissenschaftliche Dilettanten geworden wären, dahin bringen, lieber bürgerliche Handthierungen zu ergreifen, als in der wissenschaftlichen Laufbahn auf der einen Seite die Kräfte des gemei- 35 nen Menschen zu verlieren, auf der ändern Seite in ihrer höhern Bildung nicht weiter zu kommen, als sich mit dem Flitter der Wissenschaften zu zieren, oder vielmehr mit ihrem Schaum zu besudeln. Aber sie wird diese Tausende nicht bloß von der wissen-

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schaftlichen Laufbahn, die für sie eine Elendigkeits-Laufbahn geworden wäre, entfernen; sie wird dieselben auch dahin erheben, auf der gewählten bürgerlichen Laufbahn der Vollendung und Veredelung ihrer selbst, mit einfacher, aber ungetheilter 5 Kraft und mit übereinstimmenden Mitteln, entgegenzustreben, ob sie schon jetzt dieses bei den eiteln Ansprüchen von Gelehrsamkeit und wissenschaftlichen Kenntnissen in allen Ständen noch durchaus nicht kann. Die wissenschaftlichen und die arbeitenden Stände 10 werden dadurch beide gewinnen. Die Menschen werden in beiden, was sie sind und sein sollen, vollendeter werden, und vollendeter leben; und da alles Vollendete besser ist, und den Menschen glücklicher macht, als das Unvollendete, so werden sie auch besser und glücklicher werden. Ganze Heere i5 eitler Anmaßungen werden verschwinden; besonders auch die literarischen Schwächlinge, welche die höchste Erhebung der Menschennatur außer ihrer Laufbahn nirgend erkennen, und, wenn sie sich im Kreis auch der ausgezeichnetsten und kraftvollsten Menschen von bürgerlichen Berufen befinden, sich in 20 keiner guten, ihrer würdigen Gesellschaft glauben. Die Elementarbildung wird ganz gewiß die Anmaßung dieser Schwächlinge in die Schranken zurückdrängen, in die sie gehören, und sie als unnatürlich und der allgemeinen Beförderung der Weisheit und Tugend des Menschengeschlechts hinderlich und zer20 störend in die Augen fallen machen. Sie wird dahin wirken, daß die wissenschaftlichen Weisen mit den Weisen des Lebens nicht nur Hand in Hand schlagen, zum Wohl des Ganzen: sondern auch dahin, daß die Weisen des Lebens durch die Näherung und den Einfluß der wissenschaftlichen Weisen immer vermehrt, und ihr so Dasein und ihr Werden möglich gemacht werde, wie dieses bei der harten und unnatürlichen Sönderung der wissenschaftlich gebildeten und wissenschaftlich verbildeten Menschen, von den, ohne wissenschaftliche Kultur, durchs Leben gebildeten und verbildeten nicht möglich war. Die Gebildeten von beiden 35 Klassen gehören, der Natur und der bürgerlichen Ordnung gemäß, zusammen; wenn dieses gesichert, so mögen dann meinethalben die Verbildeten von beiden sich dann hienieden so weit von einander trennen, als sie nur können und wollen. Das hat dann wieder seinen Weg. Alle Thorheit fährt für sich selber

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besser, wenn sie sich von anderer Thorheit trennt; aber alle Weisheit und alle Wahrheit gewinnt durch Vereinigung, alles Gute ist zur Vereinigung geschaffen. Trennung des Guten ist in jedem Fall Anbahnung zu seiner Zerstörung. Es ist keine wahre Kraft, die durch Vereinigung mit irgend einer ändern s wahren Kraft nicht gewinnt. Es ist nur Schwäche, die Trennung irgend einer wahren Kraft sucht oder bedarf, und doppelt elende Schwäche, wenn sie sich durch Trennung von irgend einer Kraft geehrt und erhoben glaubt. Das Spiel werk alles Scheins, der Tand der menschlichen Unnatur, der kein Erzeugniß 10 der menschlichen Kraft, sondern ein Erzeugniß ihrer Schwäche ist, läßt sich freilich nicht mit der Kraft und mit der Wahrheit der Menschennatur vereinigen; er geht nicht aus der Menschennatur hervor, und ist ewig und auch dann noch im Widerspruch, wenn das Verderben der Menschen sich allgemein in seine Arme 15 wirft und seinem Einfluß unterliegt. Gott selbst hat den Schein ewig von der Wahrheit, und die Erzeugnisse des Scheins ewig von den Erzeugnissen der Wahrheit getrennt. Aber so wie er dieses gethan, so hat er dann auch alle Wahrheit ewig und enge verbunden. 20

Auch taugt die Idee der Elementarbildung nichts, gar nichts, oder sie ist bestimmt geeignet, alles Wahre und alles Gute irgend einer Bildungsweise unsere Geschlechtes, in welcher Hülle dieses uns auch immer erscheinen mag, in sich aufzunehmen, und mit ihrer Wahrheit und 25 mit ihrem Guten zu vereinigen. Jemehr sie in ihrer ersten Erscheinung mit irgend etwas wirklich Gutem, das in der Erziehung und im Unterrichte schon da war, in Konflikt kam, je mehr bewies sie dadurch, daß sie in ihrem Wesen und in ihren Mitteln noch nicht vollendet, oder in beiden 30 noch nicht verstanden war. Auch zeigt die Erfahrung: so wie sie sich in ihrem Wesen immer bestimmter ausspricht, und ihre Mittel ihrer Reifung immer mehr entgegen gehen, so fangen die Widersprüche zwischen ihr und allem Guten, das im Unterricht und der Erziehung wirklich schon da ist, an, sich allmählig zu 35 verlieren; und wenn sie vollends gereifet sein wird, so werden diese Widersprüche auch vollends verschwinden. Ist aber dieser Zeitpunkt jetzo wirklich schon vorhanden? 0, nein! ich werde ihn wahrlich nicht einmal sehen! Aber so viel ist doch jetzt schon

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wahr: je tiefer der Mann, der die Methode prüft, die Menschennatur kennt, je mehr er psychologisch ist; und hinwieder: je tiefer er ein Fach der Wissenschaft und Kunst, als Bildungsmittel der Menschennatur, kennt, und je mehr er von der Wahrheit der sitt5 liehen und religiösen Fundamente, deren die wissenschaftliche und Kunstbildung unsere Geschlechts bedarf, überzeugt ist, je mehr muß ihm, bei der Prüfung des wirklichen Zustandes der Methode, in ihrer Theorie und in ihrer Ausübung, auffallen, daß daß Verschwindenmüssen aller Widersprüche der Elementar10 bildung mit irgend einer Wahrheit und irgend einem Guten, das in der Erziehung und dem Unterricht wirklich da ist, kein eitler, täuschender Traum, sondern in einzelnen Theilen der Methode als unwidersprechliche Thatsache wahrhaftig da, und in ändern durch die bestehenden Thatsachen schon wirklich angebahnt ist. is Gewiß ist: der Tag der Vereinigung der Widersprüche irgend eines Guten mit der Elementarbildung wird, er muß kommen. Die Idee der Elementarbildung kann in ihrem Wesen nicht ergriffen werden, oder sie muß Kräfte geben, welche die Aufhebung dieser Art Widersprüche zu ihrer nothwendigen Folge haben. 20 Aber, je mehr dieses wahr ist, je mehr wir uns von den Folgen dieser Bildung versprechen, und je zuverlässiger wir, besonders von dem Einfluß auf die Aufhebung der diesfälligen Widersprüche, uns ausdrücken, desto nothwendiger ist es, zu verhüten, daß man sich über das, was wahre Elementarbildung 25 ist, nicht irre, und niemand den Schein dieser Idee für ihr Wesen ansehe. Dieses zu verhüten und die Naturgemäßheit in der Erziehung richtig zu beurtheilen, muß man die Thatsachen der Entfaltung der Menschennatur im ganzen Umfang ihrer Anlagen und Kräfte, und so zwar von ihrem Keim aus, ins Auge fassen. Und hier, verehrte Herren und Freunde! bin ich auf der Stufe angelangt: das Ganze meiner bisherigen Darstellung in seinem Brennpunkte zusammenzufassen, und Euch von der Reihenfolge meiner speziellen Grundsätze und Bemühungen hinweg, in die 35 Werkstätte der Natur, zum Kinde selbst, wie es in den Erscheinungen seines Daseins nach Entwicklung hascht, zu führen, als zum Zentrum, von dem alle Grundsätze und Mittel der Elementarbildung als einzelne Strahlen ausgehen.

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Ich werfe also meinen Blick hierfür auf dieses, wie es aus der Hand der Natur, von jedem Keim seiner Kräfte aus, sich als ein ganzes, unzertrennliches Wesen entfaltet. Nur dadurch bin ich im Stande, die Natur in ihrem Elemente selbst zu belauschen, und ihre Mittel in der ganzen Einheit ihres göttlichen Thuns richtig 5 zu erkennen. Diese aber sind in jedem Fall von den Reihenfolgen der besondern Elementarmittel der intellektuellen und physischen Ausbildung des Kindes ganz verschieden. Diese Bildungsmittel sind eigentlich nur Äste und Zweige des großen kraftvollen Stammes 10 der Naturgemäßheit in der Erziehung. Die ersten, die allgemeinen Mittel der Elementarbildung, in denen sich die Natur rein und umfassend in ihrer göttlichen Einheit ausspricht, sind in jedem Fall als der Stamm dieser Bildung, an dessen inneres Leben sich das Leben aller Äste und Zweige der Elementarbildung anschlie-15 ßen soll, anzusehen; und so, wie alle Sicherheit des Fruchttragens der Zweige von der innern Kraft des Stammes und seinem ununterbrochenen Zusammenhang mit seinen Ästen und Zweigen abhängt, so hängt auch die Sicherheit des Erfolgs aller elementarischen Spezial-Bildungsmittel von dem innern Leben der allge- 20 meinen Elementar-Bildungsmittel unsers Geschlechtes, und von ihrem ununterbrochenen Zusammenhang mit diesem innern Leben der letzten ab. Die Kunst muß die Natur vor allem aus in ihrem Selbst werk reifen machen, oder wenigstens reifen lassen; 25 sie darf ihre Mittel niemals an die für sie noch ungereifte Naturkraft anknüpfen, sonst reifen auch sie nicht, und können nicht reifen. Die Kunst muß in jedem Fall im reinen vollendeten Bewußtsein des verhältnißmäßigen Reif- oder Unreifseins der Naturkräfte des Kindes zu dem spe- so ziellen Fall des Unterrichtsfaches, das mit ihm getrieben werden soll, leben. Aber sie kommt durchaus, weder durch die Aufmerksamkeit, noch selber durch die Theilnahme an irgend einem verwickelten Thun und \Vissen des gebildeten Menschen, zu diesem nothwendigen, voll-35 endeten Bewußtsein. Dieses entfaltet sich nur durch die theilnehmende Aufmerksamkeit auf die höchst einfachen Wirkungen der Natur selber in den instinktartigen Erscheinungen des Haschens des Kindes selbst nach

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Entfaltung, und in der Handlungsweise der Mutter gegen ihr Kind in diesem seinem Haschen nach Entfaltung. Nur auf dieser Bahn triffst du die Natur in sich selbst noch ganz unverkünstelt und unumwunden an, und folg6 lieh ist sie auch nur allein auf dieser die untrügliche Darstellerin und Lehrerin ihrer selbst und ihrer reinen Wahrheit. Fasse also dein Kind in der Einfachheit seines Lebens in der Natur selber ins Auge, und beobachte es, wo sein eigener und seiner Mutter Instinkt noch durch keine Kunst, durch keine Noth und keinen 10 Zwang der Welt verwirrt ist, wo es sich noch in dem Heiligthum seiner in Unschuld wirkenden Kraft rein und frei in der Wahrheit bewegt. Es selbst und seine Mutter sind ihm diese Wahrheit; es kennt keine andere, und hat keinen ändern Freund der is Wahrheit und der Menschheit, weder für sich, noch für dich. Du kannst also in ihnen allein die allgemeinen Elemente der Menschenentfaltung, und mit ihnen das innere Wesen der Allgemeinheit in der Reihenfolge der Entwicklungsmittel ihrer speziellen Kräfte auf das Kind mit Bestimmtheit erkennen. Von 20 seiner Geburt an geht seine erste Entfaltung von seinem Bedürfniß aus. Und wie handelt die Natur in ihm ? Wie behandelt sie, in der Art, wie die Mutter in ihrem Thun das Kind aufnimmt, sich selbst? Es bedarf; die Mutter hat, was es bedarf; sie giebt 25 ihm, was es bedarf; sie ist ihm seine Welt, es erkennt diese nur durch sie, und diese befriedigt es nur durch sie. Es hungert, sie stillt seinen Hunger; es ist ihm jetzt wohl - es dürstet, sie stillet seinen Durst; es ist ihm jetzt wohl. Die Stelle, auf der es liegt, ist ihm nicht behaglich, sie nimmt es auf ihre Arme; es ist ihm so wohl. Wohl sein und bei der Mutter sein, verwebt sich in ihm in einem und ebendemselben Begriffe. Die Ausdrücke des Wohlseins, die Ausdrücke der Befriedigung entfalten sich in ihm allmählig; es lächelt, es ist nicht bloß befriedigt; es freut sich, daß es befriedigt ist. Es erkennt die Quelle seiner Befriedigung, es 35 liebt sie; es entfalten sich Zeichen seiner Freude, seiner Liebe; es umschlingt die Mutter, es herzet die Mutter. Diese Zeichen vermehren sich, sie werden bestimmter; ihr Wesen geht jetzt in seiner Seele in bleibendes Bewußtsein, in bleibende Erkenntniß über. Es traut jetzt der Mutter, ist ruhig, wenn sie auch

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nicht da ist, es weiß, daß sie wieder kommt; es traut ihrer Ordnung, es gewöhnt sich an sie. In dieser Ruhe, in dieser Befriedigung erweitert sich seine Liebe. Der Karakter seiner Liebe ändert sich, es will jetzt etwas mit seiner Liebe; es will, daß die Mutter sie sehe; es will, sie soll sehen, daß es sich freut, daß es 5 sich ob ihr freut; es will, daß sie sich auch freue, daß sie sich ob ihm freue; es will, daß sie sich ob seiner Liebe freue, und diese seine Liebe entfaltet dann allmählig in ihm das hohe Gefühl des Dankes. Aber zu allem diesem entfaltet sich das Kind auf 10 dieser Stufe nicht durch Einsicht, sondern durch Genuß; es sucht auf dieser Stufe durchaus nicht Wahrheit, es sucht auf derselben Befriedigung. Das erste Resultat seiner Erfahrung, seiner Entfaltung, wie es sich in der Lebendigkeit seines ganzen Seins ausspricht, ist also keineswegs die Deutlich-15 keit eines Begriffes über etwas, das es erkennt - nicht einmal einfaches, reines Fundament, das dazu führt; es ist nur entfaltete Liebe, es ist nur entfaltetes Vertrauen; es sind nur Spuren des Dankes für das, was es genossen. Dahin in seiner ersten Epoche gereifet, nähert es sich dann all- 20 mählig seiner zweiten, der Ausdehnung seiner Liebe und seines Vertrauens außer und neben seiner Mutter. Diese Ausdehnung aber bildet sich auch in dieser Epoche hinwieder nur durch die Mutter selber. So wie es jetzt Dinge außer ihr zu genießen fähig, so wie es jetzt Dinge außer ihr er- 25 freuen, befriedigen und erquicken, so führt es die Mutter zu aller Art Gegenstände, von denen sie sieht, daß es selbst darnach Neigung zeigt, daß es nach ihnen unverwandt hinschaut, daß es darnach hascht; und wenn sie es jetzt also zu einem bunten Kleid oder zu einer schönen Blume, zu der klingenden Glocke, so zu dem bellenden Hündchen u.s.w. hinführt, wenn sie ihm die Gerüche der Rose und des Veilchens an die Nase hält, wenn sie es die Wärme des Ofens fühlen läßt, wenn sie es die süße Birne und den Honig schmecken macht, kurz, was sie ihm immer thut, und mit ihm thut, so giebt sie ihm dafür Worte; sie 35 nennt ihm die Gegenstände seiner Bedürfnisse und seiner Umgebungen, so wie sie vor seinem Sinn stehen, so wie sie es reizen, so wie sie es erquicken und befriedigen. Was Natur und Bedürfniß dem Kind immer zum vollendeten Bewußtsein gebracht,

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dafür giebt sie ihm Sprache, so weit sie diese selbst hat; aber nicht bloß eitle, leere Worte, sie giebt ihm die Worte nach dem Maaß, in dem die Sachen, die sie ihm benennt, ihm Bedürfniß sind, Freude machen, Vergnügen oder Unannehmlichkeiten ver5 anlassen oder verhüten. Ihre Sprachlehre ist durchaus mit einem lebendigen Handeln, das auf die Gegenstände, deren Namen sie dem Kinde ausspricht, Bezug hat, verbunden; sie hält ihm sein Händchen von der Flamme weg, wenn sie ihm sagt: Das Feuer brennt; sie lenkt es 10 mit Kraft vom Ufer ab, wenn sie ihm sagt: Du könntest da herabfallen und ertrinken. Alle ihre Reden mit dem Kinde sind in ihrem Munde für ihr Kind Lehren der Wahrheit. Sie entfaltet und befestigt das Bewußtsein der Worte von ihnen durch ihre liebende That. is An ihrer Hand lehrt das Kind um der Sachen willen reden, und nicht Sachen erkennen, damit es davon reden könne. Das Reden ist ihm nur der Ausdruck der erkannten Sachen, und die Sache niemals das bloße Beleg der Worte, die sie es gelehrt. Daher folgt dann auch natürlich: je vollendeter das an der Hand der Mutter 20 naturgemäß erzogene Kind etwas erkennt, je mehr redet es davon; und je weniger es davon kennt, je weniger redet es davon. So geschieht die Entfaltung seiner Anlagen und Kräfte allgemein durch die Wahrheit des wirklichen Lebens. Es übt die Kräfte seiner Hände nicht, damit es seine Hand übe, sondern damit es 25 seine Hand nach dem Umfang der Umstände dieses Lebens selber brauche. Es bildet und stärkt seine Hand, weil es etwas damit schafft; und schafft nicht mit der Hand, damit es sie stärke und bilde. So geht es auch nicht auf seinen Füßen, um diese zu stärken; sondern es stärkt sie, weil es daraufgeht, und geht darauf, so weil es darauf gehen will und gehen muß. Wenn die erste Epoche des mütterlichen Einflusses auf die Entfaltung der Anlagen des Kindes sich im Kreise der bloßen einfachen Befriedigung seiner Kräfte herumtreibt, so erregt ihr Einfluß in der zweiten Epoche bei ihrem Kinde 35 das Bewußtsein der Wahrheit seiner selbst und seiner nächsten Umgebungen, so wie des Verhältnisses der einen zu den ändern. Seine sich schärfenden Sinne, seine sich stärkende Kraft werden ihm jetzt bewußt; es weiß, was es kann, es ahndet das Nächste, das sich an das, was es

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kann, leicht anschließt; es will das auch können, es versucht das. Sein Bedürfniß, sein Gelüsten, das Gefühl seiner Kräfte drängt es; es muß vieles versuchen, das es noch nicht kann. Es wächst am richtigen Urtheil über sein Können sowohl, als über seine Umgebungen, weiß täglich mehr und kennt täglich 5 mehr; es fürchtet täglich weniger, und fängt an, täglich den Umgebungen mehr zu trauen; aber diese Vorschritte alle entfalten sich jetzo noch immer nur an der Hand und an der Seite der Mutter, und in der Sicherheit ihres umschwebenden Schutzes. Was es immer auch weiß, was es immer auch erfahren, es traut sich noch 10 in keinem Falle in nichts, als an ihrer Seite; es gefällt sich noch nirgends besser, als in ihrer Stube; die Spiele in dieser Stube befriedigen es noch ganz, wenn sie auch in ihrer Beschränkung seinen Geist und Körper nur schwach ansprechen. Es wagt sich, doch nur bedächtlich, vor die Thür derselben, und schleicht nur 15 langsam und umschauend von ihr weg in das nahe Gärtchen, setzt sich hin ins Grüne, athmet frei in der weiten Natur, pflückt sich die Blümchen, sammelt da Steinchen und Schnecken. Aber, wann nur ein Laut um es her tönt, wenn sich nur eine fremde Gestalt in seiner Nähe zeigt, schleicht es sich wieder still und 20 sorgsam in die sichere Stube zu der beschützenden Mutter. Von ihr allein geht sein Vertrauen in diesem Zeitpunkt noch aus. Doch, so wie es öfters in das Gärtchen hinauskommt, mit seinen Umgebungen bekannter wird, fängt es nun auch an, in der Ferne von der Mutter etwas ruhiger zu sein. Es erschrickt allmäh- 25 lig weniger ob einem Laub, das rauscht, ob einer fremden Gestalt, die vorbeigeht; es lockt jetzt das Hündchen, das Schäfchen, das es oft gesehen, auch wenn die Mutter nicht da ist, mit seinem Brod an die Seite. Bald wagt es sich bis an das Ende des Gartens, sieht durch die Hecke nach der Straße, traut jetzt der Hecke, wie so es der Hausthür traute, freut sich hinter ihr des Anblicks der Gestalten, die vor ihm vorübergehen, wenn es sie auch vorher noch nie sah. Je weniger es sie gesehen, je fester schaut es sie jetzt an; es ist jetzt froh, wenn sie vor ihm still stehen; es sieht innerhalb der Hecke dem großen Pferde ruhig zu, wenn es hart an ihm wei- 35 det; und wenn Menschen nahe bei ihm, aber außer der Hecke, laut reden, so flieht es nicht mehr; es sieht sie mit einem festern Blick an. Der Gelüst, mehr Leute, mehr Sachen zu sehen, wird bei ihm immer stärker; von ihm getrieben, wagt es sich unter die

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Thür des Gartens an der Straße, um näher zu sehen, näher zu hören, was außer ihm vorfällt. Es geht allmählig in die dritte Epoche der kindlichen Entfaltung hinüber. Es fühlt jetzt die steigende Sicherheit, 5 die ihm seine wachsenden Kenntnisse und seine wachsenden Kräfte, auch entfernt von der Hand der Mutter und von dem Schutz ihrer Liebe, gewähren. Es traut sich täglich mehr; es weiß täglich mehr, welchen Gegenständen es trauen und nicht trauen darf. Es fühlt sich täg10 lieh mehr im Heranwachsen der Kräfte, sich selber zu helfen, sich selber zu schützen. Es muß zu diesem Gefühl kommen; die Kräfte, die sich in ihm entfalten, haben für dasselbe alle in ihrem Wesen einen Reiz, ihre Anwendung selbstständig zu versuchen. Ohne Anlaß, ohne Gelegenheit, sie anzuwenden, bleibt is seine Kraft in ihm selbst unbefriedigt. Es fühlt das; es soll sie anwenden und will sie anwenden, wo es immer kann. Es will mehr können. Die Wohnstube wird ihm für diesen Willen zu enge. Selber die Mutter ist ihm jetzt nicht mehr alles, sie ist ihm nicht mehr seine Welt. Es erkennt jetzt eine Welt außer ihr. Auch ist 20 ihm nicht mehr allein bei ihr wohl. Der Begriff: wohl sein und bei der Mutter sein, ist ihm nicht mehr einer und ebenderselbe. Es ist ihm auch entfernt von ihr wohl. Es springt von ihr weg zu Knaben, die spielen; es achtet es nicht, ob welche darunter sind, die es noch nie gesehen; es spielt mit ihnen, als wenn es sie kennete, 25 es ist ihm wohl unter ihnen; es kommt morgen wieder, es kommt übermorgen wieder zu ihren Spielen; es schließt Verbindungen mit ihnen, es bringt sie mit sich in seine Wohnstube; es sagt: Vater und Mutter! sieh, da habe ich Freunde! Auch sie bringen es ihren Vätern, ihren Müttern, und sagen ihnen: Es ist unser so Freund. Der Kreis seines Lebens, der Kreis seiner Erfahrungen ist erweitert. Seine Kräfte entfalten sich an der Seite seiner Kameraden im Leben der Welt, wie sie sich an der Seite seiner Mutter im Leben des Hauses entfalteten. 35 Diese hat es gehen gelehrt, die Knaben lehren es laufen, springen und klettern. Die Mutter hat es reden gelehrt, die Knaben lehren es singen, pfeifen und rufen. Die Mutter macht es angreifen, herzutragen, wegtragen, herbringen und fortbringen, was sie oder es bedürfen; die Knaben machen es angreifen,

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tragen, anfassen und werfen, was ihm zu tragen, zu werfen Freude macht, auch was schwer ist und Kraft braucht. Diese nimmt jetzt auch immer mehr zu, und mit der des Körpers auch die des Geistes. Es blickt jetzt freier in die Welt um sich her; auch sein Herz erweitert sich; der Kreis, den es liebt, der Kreis, & dem es vertraut, wirkt jetzt hinwieder auf die Ausdehnung seiner Geistesthätigkeit und seiner physischen Kräfte. Dieses wird ihm jetzt in allen Beziehungen größeres und allgemeineres Bedürfniß. Es fühlt dieses Bedürfniß, es wird von ihm getrieben; es fängt allmählig an, nach allem Wissen, Können und 10 Haben der Welt zu haschen. Jetzt ists, wie wenn der Geist seiner kindlichen Führung, wie wenn alles Gefühl seiner kindlichen Schwachheit und der daraus hervorgehenden Unsicherheit, Sorge und Zweifel seine Bedächtlichkeit still stellen wolle; es ist, wie wenn das Band, das zwischen ihm und der Mutter, als 15 ein heiliger Anfang seiner ganzen Entfaltung da stand, sich völlig auflösen wolle; wie wenn es frei in die Welt hineintreten wolle, ohne einen Schutz und ohne einen Führer. Aber kann es das? Darf der schüchterne, sorgfältige Unmündigkeitsgang seiner ersten Entfaltung jetzt so plötzlich aufhören? Darf das 20 schützende und bildende Band zwischen ihm und der Mutter, ohne daß sich ein neues, schützendes und bildendes Band zwischen ihm und der Natur anknüpfe, zerrissen werden? Soll das Kind jetzt also, im Mittelpunkt seines reinen seelerhebenden Wesens und Seins, 25 still stehen? Soll und darf seine Mutter es jetzt unbesorgt von sich weggehen lassen? Braucht es sie nicht mehr, braucht es jetzt keinen Leiter, keinen Führer, der es in ihrem Geiste leite? Muß sie jetzt seinem erwachenden Hang zum freien Haschen nach allem Wissen, Können und Wollen der Welt, ohne alle so Rücksicht auf den alten Geist ihres Thuns, ganz seinen freien Lauf lassen? Man muß sich hier fragen: Ist dieser anscheinende Widerspruch des gegenwärtigen Seins und Thuns des Kindes gegen alles, was vorher in seinem Sein und Thun lag, auf den Ansprü- 35 chen seiner Natur in ihrem ganzen Umfang gegründet, und ist er in dieser Rücksicht als naturgemäß anzusehen, und ein reiner Ausdruck ihrer ganzen Fülle und ihrer ganzen Wahrheit, oder ist er nur ein einseitiges Streben seines sinnlichen, thierischen Wesens ?

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Gute Mutter des Kindes! du kannst dich nicht enthalten, dich selber zu fragen: Was wird aus meinem Kinde, das sich so lange, so sorgsam, so geleitet von meiner schützenden Hand, entfaltet, nun jetzt in diesem kühnen Wechsel seiner Stimmung werden? 5 Was wird, wenn ihm das Gefühl seiner wachsenden physischen Kraft eine Richtung giebt, in der das Zartgefühl seiner unmündigen Entfaltung völlig verschwindet, und an seiner Statt ein Muth und ein Vertrauen auf vorher unbekannte und ungebrauchte Kräfte eintritt, das höchstens in physischer Hinsicht einiges 10 Fundament haben kann, in sittlicher und intellektueller hingegen völlig ohne Begründung dasteht - was wird aus ihm werden? Es ist offenbar zu den Ansprüchen des Wissens, Könnens und Wollens, die es macht, nur thierisch gereizt, und nicht menschlich erhoben. is Je mehr ich diesen Zustand ins Auge fasse, je mehr finde ich es in diesem Augenblick in Gefahr, das wesentliche Fundament seiner Unschuld, seine Reinheit, zu verlieren; alles Heilige und Reine in seinem menschlichen Sein hat jetzt die Reize nicht mehr, die es hatte, als es an der schützenden und leitenden Hand seiner 20 Mutter glaubend und liebend einhergieng. Aber braucht es sie etwa nicht mehr, kann es jetzt selbstständig einhergehen? Sind die Gefahren vorüber, um deren willen es sie vorher brauchte? Ach Gott! sie gehen erst jetzt an: seine Unschuld ist dahin, sein Irrthum ist jetzt sein Fehler, seine Lust wird ihm Sünde; es 25 kommt ganz mit sich selbst in Widerspruch; seine Einsichten, seine Überzeugung stellen sich seinen sinnlichen Gelüsten entgegen; sein Instinkt hat seine Unschuld verloren; er unterstützt jetzt seine thierischen Gelüste, und ist in ihm mächtig und alt. Überzeugung und so Einsicht sind nicht in ihm mächtig und alt; sie sind in ihm schwach und ihm neu, und wirken dem Instinkt nur schwach entgegen. Es hat jetzt das Böse, als solches, kennen gelernt; es weiß, daß es böse ist, und thut es doch. Die Gefahren, die ihm Unwissenheit und Unkunde in der Unmündigkeit brachten, 35 verdoppeln sich durch das Bewußtsein des Bösen und des Unrechts; und wie es sich ehemals instinktartig vor dem Unbekannten und Fremden fürchtete, und sich durch diese Furcht vor den Gefahren bewahrte, denen das Unbekannte und Fremde es aussetzen konnten, so sollte es sich jetzt vor dem Unrecht und 20 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Bösen fürchten, und sich durch diese Furcht vor den Übeln bewahren, denen es diese aussetzen könnten. Die sinnliche Schüchternheit aus Scheu seiner Schwäche vor dem Unbekannten und Fremden, sollte jetzt in die Scham und Scheu seiner sittlichen und intellektuellen 5 Schwäche vor dem Unrecht und vor dem Bösen übergehen; und wie es in den Gefahren seiner physischen Unmündigkeit, zu seiner Rettung und zu seiner Bildung, des Glaubens an die schützende und liebende Hand seiner Mutter bedurfte, so bedarf es jetzt in den Gefahren seiner sittlichen und intel-10 lektuellen Unmündigkeit eines erneuten Glaubens zu seiner Rettung vor dem Bösen, das es jetzt kennt, und zur Sicherheit seiner Bildung für das Gute. Es bedarf jetzt mehr als je der gesicherten Fortdauer der liebenden, glaubenden und erhebenden Gemüthsstimmung, in der die ersten Keime seiner 15 Ausbildung sich so hehr und heilig entfaltet. Und es ist gewiß : sein neues Eingreifen in die Welt durch Wissen, Wollen und Thun kann für dasselbe nur durch die Fortsetzung dieser Gemüthsstimmung bildend und naturgemäß wirken, und der Mangel der Fortdauer dieser Gemüthsstimmung beim lebendigen 20 Erwachen des kindlichen Eingreifens dieses Zeitpunkts in alles Wissen, Wollen und Thun der Welt ist denn auch bestimmt die Klippe, an der das Kind ohne eine schützende und leitende Obhand, auf der ersten dieser Stufen seiner intellektuellen und physischen Entfaltung, so gewiß scheitern muß, als es ohne die 25 schützende und leitende Hand der Mutter in der ersten Stufe seiner physischen Entfaltung gescheitert hätte. Die Fortdauer dieser instinktartig eingelenkten Gemüthsstimmung ist in jedem Fall eine der Abweichungen aus dem Geleise der Natur und Entsagung der Naturgemäßheit im Vorschritt 30 der Entwicklung zur Menschlichkeit, und wird offenbar Quelle ihrer Verbildung. Sie hebt das Gleichgewicht auf, das ein absolutes Bedingniß der Naturgemäßheit der Entfaltung der keimenden Kräfte der Menschennatur ist, und ohne dessen Erhaltung die Idee des Vorschritts unsere Geschlechtes durch die Erziehung ein 35 eigentlicher Traum wäre, in dem sie weder ein Fundament, noch eine Garantie ihres gesicherten Erfolgs hätte, besonders für den so wichtigen Augenblick des Kindes beim Austritt aus der Unmündigkeit, in welchem das Bewußtsein, fehlen, Unrecht thun

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zu können, und der Reiz, es thun zu wollen, als eine neue Erscheinung, aber mit gewaltsamer Kraft, in seine Seele hineinfällt. Sein sittliches Werden ist jetzt in seiner Geburt. Der Augenblick ist für sein Leben entscheidend, und die Gefahr 5 groß; so wenig als es möglich, die intellektuelle Kraft des Kindes ohne belebende Übung derselben, ohne ein Habituellmachen ihres Gebrauchs, naturgemäß wachsen zu machen, und das Kind vor den nothwendigen Folgen der intellektuellen Schwäche zu bewahren, so wenig ist es möglich, die sittliche Kraft desselben, ohne be10 lebende Übung ihrer selbst, durch ein Habituellmachen ihres Gebrauchs, naturgemäß wachsen zu machen, und das Kind vor den nothwendigen Folgen der sittlichen Schwäche zu bewahren. Der Anfang der Bemühungen für diesen Zweck fällt in den Augenblick, von dem wir reden. Das erste Bedingniß der Erfül15 lung dieser Bemühungen ist, daß sie naturgemäß seien; und wie können, wie werden sie dieses sein? Die Natur fordert für diesen Zeitpunkt von der menschlichen Tugend die Weiterführung dessen, was sie bisher instinktartig gegründet; sie fordert die menschlich verständige Wei20 terführung der liebenden, glaubenden Gemüthsstimmung, deren Wahrheit und deren Segen das Kind bis jetzt in der Unschuld bewußtlos genossen. Das Fundament dieses Zustandes, der Glaube an die Mutter, schwächet und wanket. Die Natur fordert erneuerte Mittel des Glaubens. Das Kind darf, ohne Gefahr, die 25 Naturfäden seiner sittlichen Entfaltung ganz zu zerschneiden, aus der Epoche seines sinnlich und instinktartig in ihm lebenden Glaubens an die Mutter nicht herausgehen, ohne daß schon in diesen Epochen die erste Grundlage des Glaubens an Gott tief in seine Seele gelegt sei. 30 Dieses aber ist in dieser Epoche nur durch sinnliche*) Mittel möglich. Aber es ist nothwendig. Die Natur *) Muß ich mich auch noch über den Begriff dieses Worts an dieser Stelle erklären? Der Zusammenhang sollte es mit sich bringen, daß hier von keinem Sinnlichen die Rede sein kann, das als Element des Irdischen, des Weltsinns 36 sich entwickelt, sondern von dem sinnlichen Reiz und der sinnlichen O f f e n b a r u n g des Sittlichen und Göttlichen selbst, wio er, aus dem ganzen Dasein des Kindes hervorleuchtend, und in allem Thun der Liebe und Sorge dor Mutter es wieder in seinem ganzen Sein und Fühlen ansprechend, mit göttlicher Kraft auf seine Befriedigung wirkt, und es, im Glauben an die 40 Mutter, an das Gute selbst kettet. Warum hat die Sprache nicht zwei Worte,

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fordert, daß, ehe die sinnlichen Reize des Glaubens an die Mutter im Kinde geschwächt sind, die sinnlichen Reize des Glaubens an Gott schon in ihm lebendig entfaltet seien. In diesem sinnlichen Hineinschmelzen der Anfänge des Glaubens an Gott in die Wahrheit und die Kraft des gereiften Glaubens an die Mut- 5 ter, liegt die einzige Möglichkeit der reinen, lückenlosen, naturgemäßen Fortbildung der kindlich reinen Gemüthsstimmung, aus der die Sittlichkeit des Menschen geweiht, heilig und hehr entkeimt. In ihr liegt die einzige Möglichkeit der Fortbildung unserer Natur auf dem Wege des Glaubens und der Liebe. In 10 ihr liegt die einzige Möglichkeit der Erhöhung der sinnlichen Anhänglichkeit in eine sittliche und geistige. Ohne sie ist das heilige Band, das die Natur zwischen der Unmündigkeit und dem Wachsthum unserer Menschlichkeit geknüpft, zerrissen; ohne sie ist das große Naturwerk, das, in der Liebe mächtig, 15 dem Kinde durch den Glauben den Weg zur höchsten Veredlung seiner selbst bahnte, umsonst da. Die Erhaltung dieses großen Naturwerks in seiner Reinheit und in seiner Kraft ist das wesentliche Fundament der Idee der Elementarbildung und ihrer 20 Ansprüche zur Naturgemäßheit; und diese ist hinwieder gänzlich nichts anders, als das Festbleiben der Kunst auf dem Weg der Natur, Und auf diesem Weg kann die Elementarbildung in der Epoche, von der wir reden, für die Fortbildung des Kindes zur Sittlichkeit nur sinnlich wirken. Die Anfangsmittel der Sitt- 25 lichkeit beim Kinde sind in diesem Zeitpunkt noch nicht geistig. Sie schließen sich in demselben bloß instinktartig an das Sein und Leben des Kindes, und ihre diesfällige Anschließung muß selber in der reinen, lebendigen Unschuld des Instinkts, und um dieses Sinnliche der reinen Menschennatur in ihrer Unschuld, 30 das mit allem Sittlichen und Göttlichen derselben ursprünglich verwoben, mit ihnen nur Eins ausmacht, und um das dem Geistigen entgegengesetzte Sinnliche, das Ungöttliche an sich, den Grund des Abfalls von Gott zu bezeichnen? Dieser Unterschied ist so wichtig, daß, wer ihn nicht zu fassen vermag, auf die Erkenntnis des Wesens unserer Grundsatze und Mittel der 36 sittlichen und religiösen Bildung eben so bestimmt Verzicht thun muß, als derjenige auf die Erkenntniß der Blethode, d.h., der intellektuellen Elementarbildung, Verzicht thun muß, der (wie die Revisoren, Niemeyer und alle ihre Anhänger, bis auf die schweizerischen Berichtserstatter herab) die Festalozzische Anschauung bloß als eine ursprünglich sinnliche begriffen. 40

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nicht erst dann beginnen, wann dieses im Kind selber schon anfängt. Es ist deswegen für die sittliche Bildung des Kindes wesentlich, daß der sinnliche Eindruck des Glaubens seiner Eltern an 5 Gott sich mit dem ersten A n s c h a u u n g s - E i n d r u c k des ganzen Seins und Thuns seiner Eltern verwebe. Es ist gut, daß es sie täglich zu seiner Zeit betend sehe, wie es sie sieht, ihm zur gleichen Zeit sein Mittag- und sein Abendessen bringen. Es ist gut, daß es ihre Furcht vor Gott, ihre Scheu, 10 nichts zu thun, das seinem Willen entgegen sei, früh erkenne; wie es ihre Scham und Scheu vor fremden und höhern Menschen, etwas ihnen Mißbeliebiges zu thun, früh erkennt. Es ist gut, daß es sie von Jesus Christus, von seinem guten Leben, und von seinem erhabenen Sterben so früh und so viel erzählen höre, is als es sie vom guten Leben und vom seligen Sterben ihres Vaters erzählen gehört. Es ist gut, daß es das Bild des guten Jesus oft sehe; es ist gut, daß seine Mutter es ihm oft zeigt, wie sie ihm das Bild ihres Vaters oft zeigt, und dadurch seine Liebe zu ihm weckt. Es ist gut, daß der Tag des Herrn (der Sonntag) ihm 20 schon in seiner Unmündigkeit als ein feierlicher, als ein Gott geweihter Tag erscheine; es ist gut, daß Kirchengesang, Glockengeläute, Priesterwürde, Feiertagsstille schon in seiner Unmündigkeit einen tiefen Eindruck auf das Kind machen, und eine hohe Ehrfurcht vor Gott gleichsam sinnlich erzeugen. Es ist 25 gut, daß es keinen Löffel in die Hand nehme, um zu essen, ehe es seine Hände gefaltet, und sein: Speis' Gott, tröst' Gott u.s.w., ausgesprochen; es ist gut, daß es sich am Abend nicht zu Bette lege, ohne sein: B'hüt mir Gott u.s.w., zu beten, und am Morgen nicht aufstehe, ohne vorher seinen Morgensegen ausgesprochen so zu haben. Es ist gut, daß es an die Ewigkeit glaube, ehe es die Zeit kennt, und sich in der Unmündigkeit vor den Strafen der Ewigkeit fürchte, wie vor der Ruthe der Mutter. 0 ja! wenn ihr Kind an einem Bach wohnt, über den ein schlechter Steg geht, von dem es leicht herabfallen und ertrinken könnte, so sagt sie 35zu ihm: Gehe mir nicht über den Steg! Und wenn es denn doch geht, und sie sieht es, so läuft sie erblaßt nach dem Steg hin, reißt es mit Gewalt weg, und sagt ihm wieder: Ach Gott! ach Gott! gehe mir nicht auf diesen Steg: du könntest ertrinken! und zeigt ihm, wenn es heim kömmt, die Ruthe, und sagt ihm: Wenn du

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wieder gehst, so gebe ich dir sie. Geht es denn doch wieder auf den Steg, so giebt sie ihm die Ruthe, und es geht dann nicht mehr, und liebt dann noch die Mutter, wie vorher. Ich weiß, was man gegen alles dieses sagt; ich weiß auch, was ich dagegen gedacht habe. Aber der Instinkt der Liebe 5 ruft der Züchtigung in der Noth; und wir achten das Kunstgerippe unserer todten Meinungen höher, als den offenen, einfachen Wink der göttlichen Natur. Wir haben Unrecht, ja wir haben gewiß Unrecht, gegen den Reiz sinnlicher Begierden von der Kraft leerer Worte alles zu erwarten, 10 und zu glauben, den Willen des Kindes unter allen Umständen, ohne Züchtigung, durch bloße wörtliche Vorstellung, nach unserm Willen lenken zu können. Wir wähnen, unsere Humanität habe sich zu einer Zartheit erhoben, die uns in keinem Falle mehr erlaube, an das eckle rohe Mittel des Schiagens nur zu 15 denken. Aber es ist nicht die Zartheit unserer Humanität; es ist ihre Schwäche, die uns also leitet. Wir trauen uns selbst nicht, wir trauen unserer Liebe nicht. Darum fürchten wir: unser Kind möchte ihr auch nicht trauen, und glauben, es durchblicke unser Herz nicht, mitten indem wir es schlagen. Unsere 20 Liebe ist nicht kraftvoll, sie ist nicht rein; darum allein fürchten wir uns: sonst würden wir ihr selber mehr vertrauen, und könnten uns in ihren nothwendigen Folgen nicht also irren. Wir kennen weder die Folgen der in der Liebe züchtigenden Kraft, noch diejenigen der jede Züchtigung scheuenden Schwäche. Ich habe die 25 Folgen der letzten in allen Verhältnissen des menschlichen Lebens gesehen. Sie standen in grellen Gestalten vor meinen Augen, diese Folgen der schwachen Furcht: unmündige, und der Unmündigkeit nahe stehende, nur durch sinnliche Eindrücke leitbare Kinder in irgend einem Fall zu züchtigen. 30 Wenn du Muth hast, so gehe hin, und schaue die stärksten dieser Folgen in Zucht- und Irrenhäusern an. Ich habe sie gesehen, und habe die Jammerstimmen unter Thränen und Wuth aussprechen hören: Hätten mich mein Vater und meine Mutter bei der ersten Bosheit gezüchtigt, so 35 wäre ich jetzt kein Scheusal vor Gott und den Menschen. Freilich endet unter der zahllosen Menge also aus Schwäche geschonter Kinder selten eines also, aber auch selten eines recht gut. Wenige, wenige von ihnen erheben sich dahin, mit hoher

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Auszeichnung, und mit mehr als einem nur unbefleckten Namen ins Grab zu sinken; viele von ihnen bewahret nur Reichthum und äußere Lage vor der Schande, die sie verdienten. Aber, was immer das äußere Schicksal in jedem Fall geschonter 5 Kinder sein mag, und wenn auch in einzelnen Fällen die Folgen der Zeitschwäche, welche den «Instinkt, der die liebende Mutter, wo es Noth thut und Gefahr ist, zum Muth vermag, ihr Kind zu schlagen, in sich selbst erstickt, und uns durch kalte, instinktwidrige Regeln zu einem allgemeinen Entsagen aller sinn10 liehen Schreckmittel gegen sinnliche Gelüste hinlenkt»; wenn auch, sage ich, die Folgen dieser Schwäche in einzelnen Fällen nicht eben so schlimm sein werden, so sind die Grundsätze, die uns dahin führen, in jedem Fall verderblich. Sie keimen aus Unnatur, und stärken das Ganze unserer Unnatur in seinem ganzen is Umfang. Das ist alles eben so wichtig in Rücksicht der Meinung: man müsse den Kinder nichts von Gott reden, bis sie zu begreifen vermögen, daß ein Gott ist, und was er ist. Soll man dem Kinde nichts von seinem verstorbenen Groß20 vater reden, in dessen Haus es wohnt, dessen Erbe sein Vater ist, und dessen Fußstapfen auf jeder Stelle, wo das Kind hinblickt, vor seinen Augen stehen; soll ihm Vater und Mutter nichts von seinem Großvater reden, bis es weiß, wie die Menschengeschlechter auf einander folgen, und begreift, daß sein 25 Vater nicht da sein könnte, wenn sein Großvater nicht da gewesen wäre? Welche Unnatur! Ist aber die Unnatur kleiner, wenn man dem Kinde nichts von Gott reden will, bis es durch seinen Verstand zu begreifen vermag, daß ein Gott ist, und daß es nicht wäre, wenn Gott nicht wäre ? so Die Elemente der Sittlichkeit gehen nicht von Begriffen, sie gehen vom Glauben aus; und der Glaube hinwieder von Thatsachen, wie der Begriff ebenfalls von Thatsachen ausgeht. Die Elementarbildung der Sittlichkeit hat mit der intellektuellen Elementarbildung von dieser Seite das gleiche 35 Fundament. Man kann deswegen, der sorgfältigsten Verstandesbildung unbeschadet, der sinnlichen Entfaltung der Glaubensanlagen ihren naturgemäßen Lauf unbedingt frei lassen. Die höchste Erhebung des Glaubens, als unmittelbar praktisch, als religiöses Leben selbst, berührt das Gebiet der Verstandesbil-

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düng gar nicht, und jede Bahn der Verstandesbildung, welche die steigenden Kräfte des Glaubens hemmt und verwirrt, ist nicht naturgemäß, sondern führt zur Unnatur, und entspringt aus ihr. So ist es in allen Rücksichten heiter, daß der Übergang der s zweiten kindlichen Epoche in die dritte nur durch den Übergang der Liebe, des Vertrauens und der Anhänglichkeit an die Mutter in die Liebe und das Vertrauen und in die Anhänglichkeit an Gott, für das Kind naturgemäß und wahrhaft bildend ist. Ohne diesen Gang ist es im Allgemeinen ganz unmöglich, das, was in der 10 ersten kindlichen Epoche instinktartig im Kinde entfaltet worden, in der zweiten menschlich, d.h., mit seinen wachsenden sittlichen und geistigen Anlagen in Übereinstimmung, in ihm zu erhalten. Hingegen ist dann eben so gewiß, daß vermittelst der durch diese Epoche also gesicherten Fortdauer der liebenden, 15 glaubenden, kindlichen Gemüthsstimmung alles dieses erhalten, und der Grund zum sichern Fortwandeln auf dem Pfade der Naturgemäßheit in der Erziehung festgelegt wird. Durch die gesicherte Fortdauer dieser kindlichen Gemüthsstimmung wird dann das Streben des Kindes nach einer allgemeinen Ausdehnung des 20 Gebrauchs seiner Kräfte eigentlich nur ein Organ jedes Fortschreitens der im Anfang von der Natur instinktartig eingelenkten Entfaltung der Menschheit zu ihrem glaubenden, liebenden, höhern und edlern Sein, das ist, zum einzigen, wahrhaft naturgemäßen Wachsthum ihrer Kräfte. 25 Das Kind dieser Führung ruhet schon in diesem Alter, glaubend und liebend, in den Armen seines Vaters im Himmel, wie es in den Armen seines Vaters auf Erden glaubend und liebend ruhet. Wie es von seiner Geburt an die Welt nur durch seine Mutter erkannte, ihr nur durch sie traute, und von ihr nur durch sie be- so friedigt worden, so erkennt es die Welt jetzt nur durch Gott, traut ihr nur durch ihn, und wird von ihr nur durch ihn befriediget. Der Gang, den seine weitere Entfaltung an Gottes Hand nimmt, ist mit dem gänzlich übereinstimmend, den seine erste Entfaltung an der Hand seiner Mut-35 t er nahm. Wie die erste Wirkung der Kenntnisse der Mutterliebe diese war, daß sich die Zeichen seiner Mutterliebe bald vermehren, so vermehren sich jetzt auch also die Zeichen seiner Gottesliebe. Es will jetzt etwas mit seiner

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Gottesliebe; es will, daß Gott seine Liebe kenne; es will von seiner Liebe reden, es will von Gott reden, es will mit Gott reden. Aber so wenig es in seiner Unmündigkeit aus Liebe zu seiner Mutter allerlei Meinungen über sie nachjagte, so wenig 5 jagt es jetzt, um seiner Gottesliebe willen, allerlei Meinungen über Gott nach. Wie es in der Mutterliebe nur Befriedigung suchte, so sucht es jetzt auch in seiner Gottesliebe nur diese. Seine Gottesliebe führt es zuerst - nicht zu Verstandesübungen über das, was Gott sei. Das erste Resultat dieser Liebe ist: daß sich sein Herz 10 zu Gott erhebt, um ihn zu lieben, um ihm dankend und glaubend zu leben. Das liebende, glaubende Leben vor dem Angesicht Gottes ist ihm jetzt das, was ihm das liebende, glaubende Leben vor dem Angesicht der Mutter war. Es ist ihm nur Fortsetzung, Wachsthum und Veredlung des Lebens, das er schon lebte. is Ich verfolge den weitern Gang dieses Wachsthums seines Lebens, das es schon lebte. Aus dem Leben des Kindes im Glauben entkeimet dann in ihm das Leben in der Wahrheit. Der Glaube ist Selbstvertrauen. Selbstvertrauen ist Vertrauen zur Wahrheit, die in mir selbst liegt. Das Vertrauen 20 zur Wahrheit, die in mir selbst liegt, führt mich zum Vertrauen auch derjenigen, die außer mir liegt, und dieses hinwieder zum Bauen der Wahrheit, die außer mir liegt, auf diejenige, die in mir liegt. Es führt mich zum weitern Suchen von beiden, zur Anhänglichkeit, zur Treue in beiden, zur Liebe zu beiden, zum 25 Durst nach beiden, und dieser endlich zum Leben in beiden, aber nicht im Wahn und Dunkel von beiden. Das liebende, glaubende Leben vor dem Angesichte Gottes führt nicht zum Leben im Schein und im Dunkel der Wahrheit; es führt zum Erhabensten, zum Edelsten, zum Tiefsten, das in der Wahrsoheit selbst liegt. Das Erhabene ist über den Wahn, und das Tiefste über das Dunkel hinweg. Der wahrhaft naturgemäß geführte Jüngling geht die Bahn seiner Entfaltung ruhig, heiter, beides von Verwirrung und von Gewaltthätigkeit fern. Seine Bahn ist ihm Gottes Bahn, mit allen ihren Freuden und ihren 35 Leiden. Die Last des Lebens wird ihm durch die höhere Ansicht desselben erhebend, das Pflichtgefühl seiner Natur kettet sich in seinem schuldlosen Entfalten an alle Wahrheit und alle Liebe seiner Umgebungen, und diese lenken jetzt den Natur-

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drang des Kindes zu allem Wissen, Wollen und Können des Lebens, in holder Anmuth und jugendlicher Kraft; zum Wissen, Wollen und Können alles dessen hin, womit es denen, die es liebt, dienen, helfen und gefällig sein kann. 5 Dienen ist ihm Wahrheit; es kennt die Wahrheit nur im Dienste Gottes, und erkennt die Wahrheit nur in der Liebe; und so ist es, daß der Durst nach ihr das eine von wahrhaft naturgemäß erzogenen Kindern auf das Feld und zum Stall hinlenkt, damit es allda seine Einsichten zu thätiger Besorgung der Be-10 dürfnisse des väterlichen Hauses ausdehne und stärke; wieder ein anderes zum frühen Lateinlernen, das dem Großvater in seinen alten Tagen Freude macht, oder zu vielerlei anderm Wissen und Können von Dingen, zu denen es vom lieben Vater und von der lieben Mutter, vom lieben Pfarrer, vom lieben geachteten Mann 15 im Dorfe, vom Freunde des Vaters und der Mutter, aufgefordert und berathen wird. Mögen dann die Fertigkeiten, die es auf dieser Bahn sich eigen macht, zum Theil an sich wirklich eitel sein, mögen sie selber noch mit Irrthum verwoben, und der Weg dazu noch mit Dornen und 20 Gesträuchen bewachsen sein! Es steht für die naturgemäße Entfaltung seiner Anlagen immer auf gutem Boden. Der Ernst seiner Anstrengungen und die Anwendung derselben im Leben und in der Liebe ist das Wesen, worauf es hier bei der naturgemäßen Entfaltung seiner Kräfte eigentlich ankommt. Das Kind lebt bei 25 diesem ganz im Wesen seiner Entfaltung; es lebt im Geist und in der Kraft des ganzen Umfangs der Naturgemäßheit aller Mittel seiner Entfaltung. Aber, wie steht das so geführte Kind zu den Verhältnissen der Schule? Soll man es in die Schule schicken? 30 Ist es schulfähig? Was ist das? Was will die Frage sagen: Ist das Kind schulfähig? Gewiß ist ein solches Kind zur kraftvollen Ergreifung alles dessen fähig, was Natur, Umgebungen, und selber die Kunst, in so fern sie von der Natur ausgeht, und sich an die Umgebungen des Kindes anschließt, mit sich bringt. Es 35 kann nicht anders sein. Auch der Wille eines also geführten Kindes, alles zu lernen, was seine Natur anspricht, und wozu seine Umgebungen Reiz und Mittel geben, muß groß und lebendig sein.

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Aber, soll man es dafür in die Schule schicken? Im väterlichen Haus und an der Seite seiner Mutter treibt sich alle Bildung des Könnens, Wollens und Wissens des Kindes um dessen Bedarf. Die Schule soll den im väterlichen Hause gegrün5 deten Geist dieser Führung forthin erhalten, und in der Bildung des Kindes zu allem Wissen und Können das hinzusetzen, wozu die Umstände des häuslichen Lebens, und das auf die Kenntnisse des Kindes in diesem Leben Einfluß habende Personal nicht hinreichen. Wird die Schule das thun? Wird sie das Kind in Un10 schuld, Glauben und Liebe den Weg fortwandeln machen, den es an der Seite seiner Mutter begonnen? Wird sie das Wissen und Können, das sie dem Kinde geben kann, mit festem Sinn an das anschließen, was ihm die Mutter gegeben hat, was es schon weiß, schon hat und schon kann? Werden ihre Mittel an is alles das sich anpassen, was das Kind schon ist; und werden sie es in dem, was es lernen muß, auf dem Punkt ergreifen, auf dem es schon steht, und sein Weiterschreiten auf allen Seiten von diesem Punkt ausgehen machen? Dann muß man es; auch, wenn sie das nur halb sothut, so muß man es in die Schule schicken. Aber, wenn sie davon gar nichts thut, wenn ihre Mittel und ihre Übungen der naturgemäßen Bildungsweise, die das Kind in der ersten und zweiten Epoche seines kindlichen Seins und Lebens genossen, geradezu entgegenstehen; wenn sie das verwirren, was diese 25 in Bewegung gesetzt, wenn sie das einschläfern, was diese aufgeweckt, wenn sie das tödten, was diese lebendig gemacht: soll man es dann doch in die Schule schicken, weil es jetzt schulfähig? Ich dächte, man sollte sich doch zuerst fragen: was die Schulfähigkeit denn eigentlich sei, zu der es jetzo gereift ist. so Gewiß ist sie nicht bloß eine Anreifung zu der Empfänglichkeit der ABC-Kunst und der Künste des Schreibens, des Rechnens, des Auswendiglernens. Nein! sie ist gewiß nicht eine beschränkte Dienerin des Unnatürlichen und Willkührlichen im Einüben bloßer mechanischer Fertigkeiten des Unterrichts. Nein! sie ist 35 ein reines Resultat des instinktartig begonnenen Einflusses unserer Natur selber auf unsere Entfaltung; sie ist ein reines Resultat dieses göttlichen Naturwerks selber, dahin lenkend, die Ansprüche unserer Natur auf die Ausdehnung ihrer Kraft nach dem ganzen Umfange, sowohl ihrer Anlagen, als ihrer Verhältnisse,

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zu befriedigen, und zu diesem Endzweck die Anfangspunkte der gereiften menschlichen Kunst an die keimende menschliche Kraft anzuknüpfen. Dies ist die einzige, wahre Ansicht der Schulfähigkeit eines naturgemäß sich entfaltenden Kindes. 5 Nach dieser ist dasselbe sittlich schulfähig, wenn es in der Unschuld seines Lebens, und in der Kraft des Glaubens an seine Mutter, den Gott seiner Mutter kindlich liebend, dahin kommt, Erkenntniß und Sprache über Gott und seinen Willen zu suchen; wenn es durch das fromme Leben seiner häuslichen Umgebungen 10 dahin gereift ist, durch religiöse Vorstellungen, Gebete und Gesänge, in seiner Unschuld gestärkt, und in seinem unsträflichen Wandel erhalten, oder vielmehr zu demselben erhoben zu werden. Es ist geistig schulfähig, wenn es durch ein in Unschuld kraftvolles Leben in der Natur, den Anfängen des Unterrichts näher 15 gebracht worden, das ist, wenn die Eindrücke einfach gereifter kindlicher Beobachtungen vielseitige Fundamente der richtigen Urtheilskraft in dasselbe gelegt, und die Fähigkeit, von gereiften, einzelnen Erfahrungen und Ansichten allgemeine Schlüsse zu ziehen, und eine verständige Anwendung davon zu machen, in ihm 20 geweckt und belebt ist. Es ist physisch und kunsthalber schulfähig, wenn sein Auge die Verhältnißmäßigkeit der Gegenstände richtig zu fassen, und seine Hand auf irgend eine Art, sie richtig auszudrücken, reif wird, und es anfängt, von den Elementen der Geistesbildung, aus denen der ganze Umfang der Schul- 25 künste, wie die Werke einer Schöpfung aus dem Geist und der Kraft eines Schöpfers, hervorgehen, in sich selbst angesprochen und innerlich belebt zu werden. Die Schulfähigkeit des Kindes also bestimmt, muß dann die Schule, in die man das Kind schicken soll, in sittlicher Hinsicht so Fortsetzung des sittlichen Lebens an der Hand der Mutter und Stärkung des religiösen Sinnes werden, der die Basis der mütterlichen Führung zu seiner Sittlichkeit war. Sie muß in intellektueller Hinsicht Fortsetzung und Erweiterung des freien, lebendigen Anschauens der Natur, und von dieser Seite geeignet sein, 35 das Leben in der Natur gleichsam in das Leben der Kunst hinübergehen zu machen. Ihre Kunst und der ganze Umfang ihrer Kunstmittel müssen das Kind geistig ansprechen, befriedigen, höher heben, und wachsen machen, wie es die Mutter in den zwei

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frühern kindlichen Epochen sinnlich ansprach, befriedigte, höher hob, und wachsen machte. Die Schulfähigkeit des Kindes muß in physischer Hinsicht hinwieder von allem dem ausgehen, wodurch das Kind an mütter5 licher Hand zur Anwendung seiner physischen Kraft und zum Bewußtsein dieser Kraft selbst gebracht worden ist. Sie muß in Kunsthinsicht geeignet sein, das Kind die Elemente der Kunst mit dem ganzen Umfang seines Lebens, d.h., mit der Kraft des in Bewegung gesetzten Geistes, des theilnehmenden Herzens, 10 und der Gewandtheit der Sinne und Glieder, ergreifen zu machen. Bis sie dieses thut, ist die Schulfähigkeit, zu der sich das an der Hand der Mutter bis so weit naturgemäß geführte Kind zu erheben vermag, umsonst für das Kind da. Die Schule ist nicht fähig, ihm das zu geben, was seine Schulfähigkeit is anspricht. Aber sollte diese Lücke, wenn es so ist, nicht auffallen ? Sollten sich nicht in allen Ecken Klagen erheben, daß die Schulen nicht leisten, was sie leisten sollen, und daß sie mit der häuslichen Erziehung nicht in Übereinstimmung stehen, und sich durchaus 20 nicht rein und einfach an das naturgemäße Thun der Mutter anschließen ? Die Antwort ist leicht. Das n a t u r g e m ä ß e Thun der Mutter mangelt eben, wie das naturgemäße Thun der Schule. Wenn die Mutter in Rücksicht auf die naturge2 5 mäße Führungsweise gegen das Kind nicht viel geleistet, ist sie sich dessen auch nicht bewußt. Darum spürt sie auch das nicht, was an das, was sie geleistet, angeknüpft werden sollte. Sie handelt selbst im Ganzen nicht naturgemäß; darum fordert sie auch nicht, daß die Schule am Kinde naturgemäß handle. so Im Gegentheil, sie will vielseitig, daß die Unnatur, zu der sie durch ihre Schule und durch ihr Leben geführt worden, auch die Basis der Schule und des Lebens ihres Kindes werde, und es durchaus keine andere finde. Sie ist also wider die Naturgemäßheit der Schule selber. Wenn in der Schulbildung Natures gemäßheit statt haben soll, so muß sie zuerst in den Haushaltungen wieder hergestellt werden. Aber es mangelt jetzt an beiden Orten gleich, und muß an beiden gleich geholfen werden, wenn auf der einen oder auf der ändern Seite von Naturgemäßheit, auch nur von ferne, die Rede sein soll.

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Und bis wir da sind, bis beide, die Schule und die Mutter, den Geist der Erziehung im hohen Sinn athmen, ist es unmöglich, weder die häusliche Erziehung zum Fundament einer naturgemäßen Schulführung zu machen, noch die S c h u l f ü h r u n g auf die Basis eines naturgemäßen 5 häuslichen Einflusses zu bauen, und in beiden Verhältnissen unterrichtend zu bilden, und bildend zu unterrichten, oder lebendig zu lehren, und lehrend zu leben. Dahin ist es aber auch ganz, wo die Idee der Elementarbildung hinstrebt. So lange sie noch nicht mit Erfolg auf diesen Stand-10 punkt wirkt, so hat ihre Ausführung noch bei fernem keinen sich der Vollendung nähernden Umfang. Sie hat bis so lange keinen des Erfolgs der Mittel sichern Boden. So lange sie nicht da ist, so füllt sie eigentlich, noch in sich selbst kraftlos, bloß Lücken aus, die gegen die Ansprüche der Naturgemäßheit in der häuslichen 15 Erziehung wirklich bestehen; und arbeitet, in ihren eigenen Mitteln unvollendet, nur dem Verderben entgegen, das bei einer naturgemäßen häuslichen Erziehung nicht da wäre. So lange aber das ist, so lange sind alle Versuche in einer naturgemäßen Erziehungsanstalt auch eigentlich noch keine Methode, sondern 20 nur anpassende Annäherungsmittel. Man hat das Wort Methode überall zu früh, viel zu früh gebraucht, und übel gethan, die isolirten Mittel und Formen der intellektuellen Elementarbildung naturgemäße Methode zu heißen. Was man mit Wahrheit allein also heißen kann und soll, ist 25 der ganze Umfang des Wesens der naturgemäßen Erziehung, und gar nicht die beschränkte Ansicht einzelner Erziehungsfächer und Unterrichtsmittel. Das aber ändert den Werth der Idee der Elementarbildung und ihrer Mittel gar nicht; eben so wenig ändert es das dringende so Bedürfniß ihrer weitern Bearbeitung und Ausführung. Es zeigt nur, daß eine höhere, innere Kraft der Menschennatur in jedem Fall von der Haiidbietung aller äußern Formen der Kunst unabhängig sei. Ich muß hier, was ich oben gesagt, wiederholen: Groß ist die 35 Natur! Wo sie nicht im Ganzen getödtet ist, erweckt und belebt sie allenthalben das Gefühl der Naturgemäßheit in der Erziehung, und stellt sich dadurch selbst allen Irrthümern, und allen Schwächen, und allen Lücken des menschlichen Thuns, in sich selbst

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fest, heilend und helfend entgegen. Die erhabene Größe der Natur wird den Menschen aber vorzüglich durch die Anerkennung des großen Gesetzes der Naturgemäßheit bewußt. Es ist im eigentlichen Sinne die Offenbarung der Natur für das menschliche s Geschlecht. Wer in ihrem Licht wandelt, der geht auf ebener Bahn. Freunde und Brüder! Wir wollen ihn erkennen, den Geist dieses großen Gesetzes; wir wollen ihn ehren, und zwar nicht bloß da, wo er im Glänze seiner gereiften mächtigen Kraft da steht. Wo werden 10 wir ihn also finden ? Wo ist er also ? Wir wollen ihn auch in der Schwäche seiner Unschuld ehren, wie in seiner vollendeten Kraft. Sollte er auch nur wie ein glimmender Docht und ein zerknicktes Rohr vor uns erscheinen: wir wollen seinen glimmenden Docht nicht auslöschen, und sein zerknicktes Rohr nicht is zersplittern. Freunde und Brüder! In der Unschuld des Landes, im fernen stillen Thal, das die gierige Selbstsucht noch nicht in ihren Schooß lockte, auf hohen Bergen, deren schroffe Felsen das matte Verderben der Kunst bis jetzt noch verschonte, da ist der Geist der 20 Naturgemäßheit noch in seiner Unschuld zu finden. Da wollen wir ihn suchen. Aber nicht da allein; er erscheint dann auch wieder in der hohen Vollendung der Kunst, und ist in dieser Vollendung der nämliche Geist, der er seiner Unschuld im stillen Thal und auf hohen Bergen erscheint. Die Erhabenheit in der Kunst ist nichts 25 anders, als die mit Bewußtsein verbundene Fortsetzung der Erhabenheit der Natur in ihrer Unschuld. In der Mitte von beiden steht die unaustilgbare Höhe der innern Menschennatur, mitten in allem Verderben ihrer Umgebungen, in einzelnen Erscheinungen und einseitigen Richtungen, vielfach in hoher Erhabenheit so allenthalben vor unsern Augen. Gottes Natur wird auch vom bösesten Thun der Menschen in unserm Geschlechte niemals allgemein erstickt. Auch im unbesorgtesten, verwildertsten, ausgesogensten Acker wächst hie und da ein einzelnes Korn, in aller Schönheit und Wahrheit seiner 35 Natur, dennoch hervor. Aber ein Volk, das dem hohen Gesetz der Natur in der Erziehung freien Spielraum giebt, und mit Ehrfurcht auf seinem Pfade wandelt, ist einem Acker zu vergleichen, in dessen bereitetem Boden die Saat allgemein gleich, in der Kraft ihrer ungehemmten Entfaltung, emporwächst. Ein Volk hin-

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gegen, das in der offenen Empörung gegen dies Gesetz, oder in der stillen, vergiftenden Umschleichung desselben, einherwandelt, kann den Segen der Naturgemäßheit nicht allgemein erwarten. Nur selten, und nur zufällig, erheben sich in seiner Mitte einzelne Menschen zur Höhe der innern Vollendung. In den großen Zwischenreihen zwischen der Erhabenheit der Unschuld und der Erhabenheit der Kunst herrscht allgemein ein großes, störendes und entgegenwirkendes Verderben gegen die Naturgemäßheit. Aber es ist nicht unbesiegbar. Gott läßt sich der Menschheit auch in ihrem tiefsten Verderben nicht unbezeugt. Auch in diesem finden Tugend und Liebe immer tiefe und starke Eingreifungsmittel zur Entfaltung des Edlern, Höhern und Heiligern der Menschennatur. Aber freilich ist nur die Unschuld der stillen und frommen Hütten, und die Erhabenheit der vollendeten Kunst, der eigentliche Boden der reinen Naturgemäßheit des Lebens. Ihr Leben ist in diesem Boden. Ich bin nicht darin aufgewachsen; ich lebe weder in der vollendeten Kraft der einfachen Natur, noch in der Vollendung der Kunst, Im Gegentheil, ich bin von der kunstlosen Erhabenheit so ferne, als von der Erhabenheit der Kunst, und fühle in dieser Hinsicht das Ungenugthuende meiner Individualität in beiden Rücksichten tief. Was ich gethan, scheint mir wie das Thun eines Menschen, der Helden zu einer Laufbahn aufweckt, die er selber mit Ehre zu vollenden nicht Kraft hat. Dieser Mangel an genugthuender Selbstständigkeit für den Umfang meines Zwecks hat auch dahin gewirkt, daß ich den Menschen, die ich für die Laufbahn der Naturgemäßheit der Erziehung zu wecken geglaubt, dadurch nur den Mund geöffnet, ohne ihren Geist und ihr Herz zu beleben; ohne sogar ihre Füße dadurch stark zu machen. Aber einige, die mich sahen und liebten, haben das Streben nach meinem Ziel mit belebtem Herzen und mit kraftvollem Geist aufgenommen. Mögen jetzt diese darnach laufen, mögen sie wachen und leben; für mich ist die Zeit des Stillseins und Schweigens, für mich ist die Zeit des Schlafens endlich gekommen. Möge das, was durch diese geschehen muß, nun bald und lebendig geschehen, ehe das Unkraut, das der Feind allenthalben in den guten Samen streut, meiner schwachen Saat zu stark wird, und sie erstickt. Möge das Gute, das wir suchen, vorher stark werden, und ich dann in seiner Wahrheit und in seiner Liebe verschwinden.

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Meine Zeit ist vorbei, alle Zeit meines Werks ist vorüber; ich muß es jetzt schon, nicht nur in seiner Form, sondern auch in seinem Wesen, denen anvertrauen, die nach mir kommen, und zwar nicht nur denen, die mich nahe umgeben, sondern auch 5 denen, die entfernten Antheil nahmen. Ich muß es dem Geiste der Zeit und dem Herzen meines Geschlechtes anvertrauen. Wäre ich auch noch im vollen Leben, ich müßte es ihnen dennoch anvertrauen. Die Sache der Erziehung ist auch in keinem Fall die Sache einer vorübergehenden Erscheinung, eines vorübergehen10 den Menschen. Sie ist in jedem Fall die Sache der Gesammtheit, der Gesammtkraft unsers Geschlechts. Das Scherflein, das ich dazu beigetragen, und das Gewicht, das mein Glück und meine Umgebungen diesem Scherflein gegeben, muß sich in der Allmacht der Gesammtheit und der Gesammtkraft verlieren. An is mir ists, bald abtretend von dem lästigen Schimmer meiner nichtigen Zeiterscheinung, glaubend und dankend, den Erfolg meines Strebens, ohne Vorliebe für mich und für irgend jemand, der daran Theil nimmt, dem freien Naturgange seines Seins, seiner Liebe und seiner Wahrheit zu überlassen, und seinethalben keinen 20 selbstsüchtigen Wunsch zu nähren, aber auch keiner selbstsüchtigen Furcht Platz zu geben. In der Zeit verschwindet meine Schwäche nicht nur, auch die Idee der Elementarbildung ist von der Schwäche meiner Individualität unabhängig, und über sie erhaben, wie die Wahrheit über 25 die Schwäche eines jeden, auch noch so guten, wahrheitsliebenden Menschen erhaben ist. Sie, diese Idee, vereinigt die Erhabenheit der Natur und der Kunst in ihrem Wesen. Nicht ein Produkt der individuellen Beschränkung eines einzelnen Menschen, sondern Resultat der Menschennatur selber, vereinigt sie das Erhabene so von beiden Ansichten in sich selbst. Sie geht von der Unschuld der ersten aus und endet mit der Vollendung ihrer selbst durch die zweite. In ihrem Gange selbstständig, bahnt sie ihren Weg frei, und findet ihre Mittel in sich selbst. Sie selber hat mein schwaches Streben gesegnet, sie hat mich mit der Hülfe kraft35 voller Umgebungen gestärkt und Kräfte an mein Thun gekettet, die ich nicht für mich selber anspreche. Aber diese stärken meinen Muth und befestigen meinen Glauben an den Selbstgang alles Guten in der Hand Gottes. So wie es von ihm in die Hand des Menschen gelegt ist, ist es nur untergeordnet in ihrer Hand. Sie 2l

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vermögen im Grunde nichts gegen den Selbstgang der kraftvollen göttlichen Natur; sie vermögen nur etwas für ihn, wenn sie sich an ihn anschließen. Freunde und Brüder! der Glaube an diesen Selbstgang der Natur erhebe uns, daß wir in Unschuld und Einfalt seinen Geist 5 suchen, nach seiner Kraft streben, und in Demuth darin wandeln, daß wir ihn in uns selbst und in ändern frei machen, wo wir ihn an die Ketten der Selbstsucht gebunden und in den Stricken des Irrthums verwickelt finden. Und nun, Freunde und Brüder, habe ich gesagt, was ich ei-10 gentlich zu sagen hatte; der Zweck meiner Rede war, vorzüglich einige Zweifel zu zerstreuen, die noch immer ziemlich allgemein über mein Thun und mein Streben obwalten. Verehrte Herrn! Es mußte mir daran liegen, Euch dahin zu bringen, daß Ihr einen Theil des Umfangs der Schwierigkeiten meines Thuns fühltet. 15 Es ist nicht alles gerathen. Es ist nicht alles vollendet. Es schlichen sich viele Menschlichkeiten ein. Aber es ist vieles geleistet, es ist vieles gerathen. Es ist redlich, es ist mit Hingebung und Aufopferung, es ist mit seltener Hingebung, es ist mit seltener Aufopferung gearbeitet worden. Verehrte Herren! es mußte mir daran 20 liegen, daß Ihr dieses fühltet, und Euch überzeugtet, daß ich nicht vollends einer der schwachen, eiteln Menschen sei, die einige unreife und ungeprüfte Neuerungen auf Kosten des erprobten Alten für einen Augenblick zu verherrlichen suchen. Es mußte mir daran gelegen sein, Euch zu überzeugen, daß mein Thun und 25 mein Streben nicht bloß von träumerischen Hoffnungen ausgehe, oder gar auf ungebührlichen Erwartungen ruhe. Es lag mir am Herzen, Euch zu überzeugen, daß es auf dem Geist unserer Väter, auf ihrer Liebe zur Wahrheit und zur Menschheit ruhe; daß, wenn ich auf der einen Seite die Schlaffheit derer, die im Erzie- so hungswesen keinen Acker mehr tief pflügen, und in keinem mehr das Unkraut auch nur für die Nothdurft ausrotten wollen, nicht für die wahre und ächte Erziehungstugend unserer Väter halte, ich auf der ändern Seite eben so entfernt sei, dem raschen und unbändigen Neuerungstrieb unserer Zeit rasch und unbändig 35 Nahrung zu geben. Es war mir daran gelegen, Euch zu überzeugen, daß es für die Erziehung und für den Unterricht Elemente gebe, die im eigentlichen Sinn, als die unserm Geschlechte von der Natur selbst gegebene, unabänderliche Grundlage jeder natur-

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gemäßen Entfaltung unserer Kräfte, angesehen werden müssen, und daß in diesen, und zwar in ihnen allein, die ächten Mittel gegen den Marasmus unsers veralteten Erziehungs- und Schulwesens gesucht werden müssen. 5 Verehrte Herren! Es mußte mir daran liegen, daß man sich an einer Stelle nicht allzusehr in meinem Thun irre, von der ich so viel Gutes für mein Vaterland zu erwarten berechtigt bin. Verehrte Herren! Ich fühle mich glücklich in Eurer Mitte. Eure Gegenwart erhebt mein Herz, große Hoffnungen erheben mein 10 Herz. Vaterland, Vaterland! Du erhebst noch einmal mein Herz. Von Euch, von Euch, verehrte Herren, die ihr Euch so edelmüthig für den Zweck der Erziehung hingebet, erwarte ich hierin einen großen Beitrag für mein Vaterland. Könnte ich Euch jetzt meine Gefühle noch darlegen, und meine Hoffnungen und meinen is Dank! Aber meine Gefühle sind zu mächtig in mir - ich schweige. Ein einziger Gedanke drängt sich noch in mir - den kann ich nicht verschweigen, den muß ich noch sagen: Verehrte Herren! Wenn Ihr Euch wieder versammelt, so bin ich dann vielleicht 20 nicht mehr in Eurer Mitte; ich bin dann vielleicht schon in meine Buh eingegangen. Verehrte Herren! Dieser Augenblick, in dem ich vor Euch stehe, wird mein Todbett umschweben. Ich denke mir jetzt den Zusammenhang desselben mit ihm. Verehrte Herren! Ich kann Euch dann nicht so um mich her versammeln; ich 25 kann dann nicht so meine Hand gegen Euch ausstrecken, und Euch bitten: Prüfet, was ich versucht, und vollendet, was ich begonnen; ich muß das jetzt thun, ich habe es gethan, und thue es eben. Darum ist noch der Augenblick, in dem ich jetzt vor Euch stehe, meinem Herzen heilig. Ich denke mir die Freude so meines Todbettes, wenn es mir gelingen wird, Euer Herz für mein Unternehmen zu interessiren, und jetzo Euer Ja und Amen zu meiner Bitte in Euern Augen zu lesen. Nach dem Stürmen meines Tages glänzt an seinem Abend, an fernen Bergen, hinter seinem Dunkel, mein Himmel mir hell. Ich 35 staune nach ihm hin. Die untergehende Sonne entweicht dem grauen Gewölk, das den Himmel bedeckt. Der Rand des weiten Gewölkes röthet sich an seinen Enden, und strahlet im Goldglanz, wettkämpf end in Schönheit mit der untergehenden Sonne. Ich staune nach ihm hin; ich wende mein Angesicht von seinem lieb-

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liehen Glänze. Aber ob mir ist der ganze Himmel dunkel. Doch ich sehe ihn nicht; ich sehe den gerötheten Goldglanz seines endlichen Randes. Männer und Freunde! Ich achte das Dunkel und den Schatten nichts, der noch heute, schreckend und drohend wie ein Gewitter, ob meinem Haupte steht. Ich sehe und achte 5 jetzt nur die Freude, die Euer Ja und Amen über mein Todbett verbreiten wird, und mein Blick weilet unverwandt auf dieser Stelle.

Über Religionsunterricht

um 1809/10

Über Religionsunterricht

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Das Etablissement verliert ganz seinen Geist, wenn es Zeit und Krafft auf Anwendungswüssenschafffcen wirft, eh es den Erwartungen der Elementarbildung, die von ihm ausgehen sollten, entspricht. 5 Die Elemente der religiösen Bildung sind theils 1. sichere und vollendete Fertigkeiten in einem liebe vollen, dankbaren und vertrauensvollen Leben, 2. in einer religiösen Ansicht der Natur und der Begegnisse des Lebens; theils gebildete Geisteskrafft, um der wüssenschafftlichen Begründung der Religion gewachsen zu syn. 10 Daß der Religionseinfluß des Instituts diese Richtung nehme, ist dringendes Bedürfnis. Es fordert aber weit mehr Belebung der imer mehr erkaltenden Liebe als viel Unterrichtszeit. Die gute Organisierung der Morgen- und Abendbetstunde ist das Hauptfundament, worauf hierin zu bauen ist, und Sorgfalt bydes 15 für tägliche Thaten der Liebe, die das Herz des Kindes ansprechen, und ein äußerlicher, den Sin der Religion auch in den Arbeitsstunden wekkender, edler, samfter, vätterlicher religiöser häuslicher Thon. Organisirter Zusamenhang der häuslichen Sittlichkeitsor20 ganisation mit dem Inhalt der Morgen- und Abendandachten lieber Verlängerung dieser Andachten als zu viel Unterrichtsstunden in der Religion. Kurz, entweder wollen wir die Methode aufgeben, oder die Zeit für das lebendige Eingreiffen der Elementarbildung in sittlicher, intellectueller und phüsischer Hinsicht 25 muß gesichert syn. Ich trage also an, die Zeitproportion, die die Elementarbildung nach allen diesen drei Ansichten bedarf, festzusetzen; das Leben der Elementarbildung, so weit sie in allen diesen Beziehungen in unsrer Hand ist, auch Zeit halber zu sicheren; denn hernach die so Zeitbedürfnisse sowol der nothwendig zu organisierenden Elementarversuchen als Anwendungsübungen in einer allgemeinen Ansicht ins Äug zu fassen, und denn erst zu bestimmen, was dem religiösen wüssenschafftlichen Unterricht für Zeit gegeben werden köne und solle, und wie diese Zeit im festen Zusamenhang alles

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Über Religionsunterricht

dessen [zu regeln], was für den Geist und das Wesen der Religion durch die Elementarbildung selber gethan werden kan und soll. Ich möchte Religionsgeist in allem Unterricht, und ich meine, er lige im Wesen des Elementarunterrichts. Also dem Wesen unsrer Stellung von allen Seiten getreu bauen wir dann dasUii- 3 wesentliche auf dieses Fundament. Ich weiß, wie tief die Forderung greift, aber ich muß sie machen oder den Zweck der Elementarbildung für mein Haus aufgeben. Wir haben der intellectuellen Unatur durch Hemung des frühzeitigen wüssenschafftlichen Unterrichts entgegen gewürkt. 10 Laßt uns nicht dahin versinken, durch Organisirung eines unpassenden, unverstandenen Religionsunterrichts einer eben so verderblichen sittlichen Unatur Thür und Thor aufzuthuii!

Am Neujahrstage 1810

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Mit heute ist das Jahr wieder neu. Heil ihm! Heil uns! Ihr habt gestern einen Blick auf das vergangene geworfen, es ist vergangen; heute wollen wir uns nicht mit der Vergangenheit, wir wollen uns heute mit der Gegenwart, mit dem heutigen Tage, wir 5 wollen uns mit der Zukunft, aber mit der nächsten Zukunft, mit dem angetretenen Jahr beschäftigen. Was ist der heutige Tag, was ist der Neujahrstag? Was soll er uns seyn ? Er ist der Anfang alles dessen, was uns das ganze Jahr seyn wird. Wir fangen mit ihm das Jahr, wir fangen mit ihm die 10 Gefühle, die Gesinnungen, die Thaten, das ganze Treiben des Jahres an. Ist dieser Anfang bedeutend ? Für uns soll er bedeutend seyn. Wenn ein Meister ein großes Werk anfängt - ist der Tag, an dem er es anfängt, bedeutend für ihn oder nicht ? Und wenn das Werk, is das er anfängt, schwer ist, wenn das Rechtvollenden desselben ihm große Vortheile gewährt, hat er dann nicht Freude und Muth an diesem Tage? Und wenn seyn Unrechtvollenden ihm große Nachtheile bringen, ihn in große Gefahren stürzen, ihm großes Unglück zuziehen kann, ist er dann nicht ernst, ist dann die 20 Stunde des Anfangs seines Werks für ihn nicht eine feyerliche Stunde ? Überläßt er sich in dieser Stunde nicht stillen Betrachtungen, wohin ihn die Handlungsweise, mit der er sein Werk anfangen und betreiben werde, führen könne? Am Tage, an dem ein Landeigenthümer einen Bach von der Quelle aus in sein Land 25 leitet, und ihm von da aus einen neuen Lauf gibt, sieht er nicht hin auf sein Land, richtet er ihn nicht nach der Stelle, wo er segensreich aufsein Gut wirken, lenkt er ihn nicht von der Stelle ab, auf der er das Gut verderben, die gute Erde wegschwemmen, Kornfelder verwüsten und Sümpfe erzeugen könnte? 0 ja, er so thut das. Würde er es nicht thun, würde er den Bach blindlings ins Gut hinein laufen lassen, wo er nur hin wollte, würde der Bach wohl die Stelle von selbst finden, wo durch ihn gute Wässerung angelegt, würde er sich wohl von selbst von den Stellen weglenken, auf denen er dem Gute verderblich werden könnte ?

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Oder wäre es wohl Zeit genug, wenn er einmal seinen Lauf genommen und mit seinem Verderben tief in das Land eingegriffen, ihm die Richtung zu geben, die er hätte nehmen sollen? Und ist bey jedem großen Lebenswerk dann noch die rechte Zeit, über die Art, wie das Werk betrieben werden soll, nachzudenken, wenn 5 das schlechte Angreifen desselben schon Verwirrung und Verderben in seinen Anfang gebracht hat ? Nein, die Stunde des Anfangs, der Tag des Anfangs ist für jedes Werk des Lebens die rechte Stunde, der rechte Tag. Und wie groß ist das Werk eines Jahres! Wie wichtig soll nicht auch der Anfangstag eines solchen seyn! 10 Sollet Ihr an diesem Tag nicht hinblicken auf seine Wochen, auf seine Monate, und auf Euch selbst, und Euch fragen: Was soll uns dieser Tag seyn für die Wochen, für die Monate und für das Ende des Jahres? Wir sollen heute den Segen des Jahres, aber auch seine Gefahren voraussehen, und unserm Geiste und unserm 15 Herzen die Richtung geben, die es fordert, um uns den Segen desselben in seinem vollen Maß zu sichern, und die Gefahren desselben von allen Seiten, soviel es an uns steht, abzuwenden. Oder verdient der Anfang eines Jahrwerkes nicht die Weckung unsers ganzen Lebens für dieses Werk ? Oder wollen wir am Neujahrstag 20 schlafen, oder uns zerstreuen, wie wenn uns heute das Jahr nichts anginge? O nein, dieser Tag ist ein Tag eines neuen Lebens, ein Anfangstag eines großen neuen Werkes. Tag dieses neuen Lebens, Anfangstag des großen Jahrwerks, was sollst du uns seyn ? Du sollst uns ein Tag des Lebens seyn, 25 ein lebendiger Tag, ein Tag des Muths, ein Tag der Kraft, ein Tag hoher Ahndungen, ein Tag des festen Zusammenfassens unsrer selbst zum Anfang des Werks, ein Tag des festen Glaubens an sein Gelingen, an seine Vollendung, an seine Ausführung - das sollst du uns seyn, erster Tag des angetretenen Jahres, und wir so sollen in deinem Lauf und in deinen Stunden mit neuer Kraft, mit neuem Leben, mit neuem Muth und mit neuem Feuer alles dir seyn, was wir das ganze Jahr über seyn sollen, wenn wir seine Gefahren überstehen, seinen Segen ernten und uns seines Endes einst mit vorwurflosem Gewissen freuen wollen! Tag des neuen 35 Jahres, was sollst du uns seyn, was sollen wir dir seyn? Du sollst uns neu seyn, du sollst uns neu finden, du sollst die Schwächen des alten Jahres nicht mehr finden, sie sollen hingelegt werden, wie ein altes Kleid. 0 nein, feyerlich opfern wir unsre Schwächen,

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unsere Fehler heute dem Vater im Himmel auf dem Altar seiner hohen Versöhnung. Das Feuer seines Geistes falle herab auf das Opfer des Tages, und verzehre in der innersten Tiefe unsers Gemüths die Quelle unsrer Schwächen und Fehler. 0 Kinder, Kin5 der, bringt heute dem Vater im Himmel Eure Schwächen, Eure Fehler alle zum Opfer des Tages! Jünglinge, Männer, Euer Opfer sey männlich und groß - leget heute ab den alten Menschen, und ziehet an den neuen, in heiliger Kraft! Kinder, Jünglinge, Männer, werdet heute von Herzen muthvoll und stark im Geist gegen 10 alles Böse und für alles Gute, und so ein Herz und eine Seele! Brüder, Schwestern, dieser Tag sey uns ein Tag eines neuen Bundes! Unser Werk sey uns neu, unser Ziel sey uns neu, unsre Kraft sey neu und unser Wille sey neu! i5

Heilig, heilig ist das Band, Das uns alle bindet. Ist geknüpft von dessen Hand, Der die Welt gegründet!

Brüder, Schwestern, was ist unser Bund, was ist unser Werk, was ist unser Ziel, wenn wir unsern Schwächen unterliegen, wenn 20 wir uns unter einander verwirren, und handeln wie die Thoren dieser Welt, die sich plagen über das, was andere sind, und was andere thun, und nicht darauf sehen, was sie selber sind, und was sie selber thun? Brüder, Schwestern! Erhebet Eure Herzen und danket Gott, der unser Haus gegründet, und Großes an uns ge25 than hat! Daß keiner in unsrer Mitte ein Stein des Anstoßes werde, daß keiner, keiner von uns allen das Werk untergrabe, zu dessen Bauleuten uns Gott selber gemacht hat - das sey die Sorge des Tages, das sey heute die Sorge unser aller! Neu sey heute das Jahr in dieser Sorge und für sie! Der Tag erhebe uns so alle zur innigen Einigkeit unter uns selbst, er ermuntre uns selbst in jeder Tugend, in jeder Anstrengung und in jeder Aufopferungskraft, ohne welche der Schein der Vereinigung zu einem großen Zweck ein Traum ist, der eine kleine Zeit währet, bald aber verschwindet. O Gott, daß unsre Vereinigung nicht so ein 35 Traum werde, Männer des Hauses, Stifter des Hauses, Lehrer des Hauses - das sey heute Eure Sorge, das sey morgen Euer Stolz! Ermuntert Euch selber zum Werk Euers Lebens! Werdet vollkommen, Männer, wie das Ziel, wonach Ihr strebet, wie die

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Idee, von der Ihr ausgeht, Vollkommenheit ist! Männer und Freunde, Ihr habt vieles gethan, Ihr habt vieles geleistet - es ist Euer würdig, täglich zu wachsen, und höher zu werden am Werk, das Euer Vater im Himmel in Eurer Hand gesegnet. Männer und Freunde, dieser Tag sey uns ein Tag eines erneuerten edlern 5 reinem Anfangs des Jahrpunkts, auf dem das Werk steht, und des Zusammenfassens der Selbstkraft eines jeden, um den Bedürfnissen desselben für diesen Zeitpunkt ein volles Genüge leisten zu können. Freunde und Brüder, wem ist ein Opfer zu groß für dieses Ziel? Er stehe auf, und trenne sich von uns, unsre Zwecke 10 sind nicht seine Zwecke, und seine Zwecke sind nicht unsre Zwecke. Doch nein, es steht keiner von uns auf, wir stehen alle vereiniget auf, heute stehen wir alle vereiniget zusammen, zu erneuern den Bund der Treue und Liebe, der uns alle vereiniget für denselben. 15 Männer und Brüder, dieser Neujahrstag sey uns ein Tag der erneuerten Vereinigung unsers Hauses in seinem ganzen Umfang und in allen seinen Zwecken. Heil dir erstandener Tag! Die Jahre vergehen, aber unser Bund soll ewig leben! Tage und Stunden kommen und weichen, die Sonne geht auf und geht wieder unter, 20 aber Wahrheit und Liebe gehen nicht auf und gehen nicht unter, sie bleiben ewig, wie Gottes Herz, das im Menschen schlägt. Unsere Vereinigung ist nicht eine Vereinigung der Zeit und der Tage. Das Schwinden der Jahre geht sie nichts an. So lange der Geist des Menschen nach Wahrheit strebt, so lange Gottes Liebe 25 in seinem Herzen wohnt, so lange dauert der Bund, der uns alle vereiniget. Gefühle der Ewigkeit mischen sich in die Gefühle des Tages. Wechselnder Jahrestag, wie wenig bist du! Ich sah dich fünf und sechzig mal kommen und gehen - wie wenig bist du! Wie ein Tropfen im Strom schwimme ich so lange in deinen Wel- so len, im nichtigen Seyn und Vergehen des Stroms. Sie sind verschwunden, diese Neujahrstage, - alle die Jahre mit ihnen. Ihr nichtiger Wechsel hat in uns allen keine Spuren eines bleibenden Daseyns zurückgelassen, als in der Kraft der Wahrheit und Liebe, die sich in diesen Jahren in uns entfaltet und erhalten. Es sind 35 nicht die Jahre, die uns geblieben, nein, diese sind verschwunden, wie ein nichtiger Schatten. Es ist nur die Wahrheit und die Liebe, die uns vom Traum des Lebens, so groß er auch war, übrig geblieben.

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Laßt uns fest halten, was uns davon übrig geblieben, Brüder und Freunde! Am heutigen Tage fließe dieses einzige Uebergebliebene aller unsrer Jahre und Tage in unserm Gefühl und in unsrer innern Erhebung zusammen. Brüder, seyen Eurer Jahre 5 viel, seyen Eurer Jahre wenig, - fühlet Euch heute ganz nur in dem, was Euch von Euern Jahren rein übrig geblieben ist; fühlet Euch heute ganz nur in der Kraft Eurer Wahrheit, und Eurer Liebe! Erneuert mit dem Feuer Euers ganzen Lebens und Euers ganzen Strebens alle Kraft der Wahrheit und alle Kraft der Liebe, 10 die in Euch ist! Brüder, was soll Euch dieser Tag seyn? Soll er Euch ein Freudentag seyn, daß wieder ein neuer Frühling, ein neuer Sommer, ein neuer Herbst, und ein neuer Winter Euer wartet? 0 nein, o nein! Ein Festtag - nicht der vergangenen, nicht der kommenden Jahre - ein Festtag der Kraft, der Wahr15 heit und der Liebe, die Euch im Schwinden der vergangenen Jahre geblieben, ein Festtag der Wahrheit und der Liebe, des Heils Eurer künftigen Jahre soll er seyn! Er gehe vorüber, der heutige Tag, in Wahrheit und Liebe - dann mögen sie schwinden, die Tage, dann mögen sie fliehen, die Jahre; wir besitzen, was 20 ewig nicht entfliehet, wir besitzen, was ewig nicht schwindet. Er gehe vorüber in Wahrheit und Liebe, er sey ein Tag des frohesten, des stärksten Ausdrucks alles Ewigen, alles Bleibenden, alles Göttlichen, was in unsrer Natur liegt. Ihn segne uns Gott als den Anfang des Jahres, in dem wir nach dem Göttlichen, nach dem 25 Ewigen, nach dem Unvergänglichen mehr streben, als wir je darnach gestrebt haben! Ihn segne uns Gott! Er segne uns das angetretene neue Jahr und unser Wort, unsre Bitte; unsere feyerliche Bitte um seinen Segen sey in unserm Munde kein leerer Schall. Er sey heute in unserm Munde der froheste, der stärkste so Ausdruck nach dem Unvergänglichen, nach dem Ewigen, nach dem Göttlichen, das in unsrer Natur liegt! Ihn segne uns Gott als den wärmsten, als den tiefgefühltesten Ausdruck alles dessen, was uns das kommende Jahr seyn soll, und des Bedürfnisses der göttlichen Hülfe, daß er uns alles werde, was er uns seyn kann. 35 Kinder, Männer und Brüder, was soll uns das neu angetretene Jahr, was sollen uns die dreyhundert fünf und sechzig Tage seyn, deren ersten wir heute leben und feyern? Freunde und Brüder, was sollen sie uns seyn? Sollen diese dreyhundert fünf und sechzig Tage hinströmen im nichtigen Wesen des zeitlichen irdischen

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Seyns ? Sollen sie hinströmen ins Meer der Vergessenheit und versinken in das traurige Grab, darin schon so vieles von unsrer vorigen Zeit todt liegt und in ekler Verwesung dahin geht? 0 nein, o nein! Du kommendes Jahr, ihr kommenden Tage, fließet nicht hin ins Meer des ewigen Nichts! O nein, o nein, Tag der 5 Feyer, heutiger Tag, sey uns ein Tag der Erneuerung unsrer selbst, daß das angetretene und alle folgenden Jahre nicht versinken ins traurige Grab, darin schon so viel von unsrer Zeit todt liegt und in ekler Verwesung dahin ging! 0 nein, nein, neues angetretenes Jahr, gleiche du nicht mehr dem vergangenen in 10 allen seinen Schwächen; erhebe dich höher, schließe dich mächtig, gläubig und froh an alle Kraft des Ewigen, Göttlichen, Unveränderlichen an, das sich im reißenden Strome des Lebens noch rein erhalten hat! Kinder, Männer und Brüder! Was besitzen wir Ewiges, Gott-15 liches und Unveränderliches, an das wir uns schließen sollen, um uns immer mehr, immer höher zu erheben, im Göttlichen, Ewigen und Unveränderlichen, das in unsrer Natur liegt ? Kinder, Männer und Brüder! Was uns als Menschen im Göttlichen und Ewigen vereiniget, ist das Göttliche und Ewige selber, 20 das in unsrer Natur liegt; es ist Wahrheit und Liebe, die beyde göttlich in unsrer Natur liegen. Was uns aber als Glieder eines Hauses in diesem Göttlichen und Ewigen vereiniget, ist das Göttliche und Ewige, das aller Menschenerziehung zum Grunde liegen muß. Kinder, Männer und Brüder! Das Größte, das Reinste, das 25 Heiligste, das die Menschennatur hat, das, und weniger nicht ist es, was uns als Glieder dieses Hauses vereinigt. Wir erziehen, Wir werden erzogen. Darum sind wir vereinigt, darum sind wir beyeinander, darum so sind wir ein Haus. Freunde und Brüder, was soll uns das Jahr seyn für den Zweck einer Vereinigung zum Höchsten, Edelsten, Reinsten, das in der Menschennatur lebt, zur Veredlung unsrer selbst durch Wahrheit und Liebe, zur Erziehung der uns anvertrauten Kinder in Wahr- 35 heit und Liebe? Männer und Brüder, was soll Euch das Jahr seyn, was sollen Euch alle seine Tage werden für diesen Zweck? Kinder, was soll Euch das Jahr seyn, was sollen Euch alle seine Tage werden?

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Ihr Jüngsten unter Euch, Ihr fast noch unmündigen Kinder, Ihr, die wir Euch fast wie Jakob seinen Joseph und seinen Benjamin lieben, was soll Euch das Jahr seyn, was sollen seine Tage Euch werden ? Was sollen wir Euch wünschen ? Lebet in Unschuld 5 und Liebe! Euer Sinn sey immer froh. Lebet glücklich in der Natur! Euere Sinnen seyen für ihre Eindrücke immer offen. Euer Auge forsche nach allen ihren Schönheiten, und Euer Ohr nach jeder ihrer Harmonien. Euer Mund öffne sich lieblich, sie zu beschreiben. Euer Fuß hüpfe ihr nach über Berg und Thal. Fliege 10 sie in Schmetterlingspracht ob Euerm Kopfe, krieche sie in Raupengewand vor Euern Füßen, liege sie als glänzender Stein vor Euern Augen, oder wachse sie als duftende Blüthe vor Euch auf, Eure Hand sey stark, sie zu ergreifen, wo Ihr sie immer findet. Und wenn Ihr sie gefunden habt, und sie lieblich und froh auf is Euern Schooß legt, und Euch glücklich fühlt, daß Gottes Natur um Euch her so schön ist, und daß Ihr sie findet und kennet und genießet - dann denkt an Vater und Mutter, die Euch von ihren lieben Händen wegließen, damit Euer Glück besser gegründet werde - denket an Vater und Mutter, die vielleicht oft stille 20 Thränen weinen, weil sie nicht wie ehedem, alle Tage und alle Stunden sehen, wie es Euch geht - dann falle auch Euch eine Thräne von Eurem Auge, weil auch Ihr sie nicht mehr, wie ehedem alle Tage und alle Stunden sehet. Mit der Thräne im Auge und mit einem Herzen, das in jedem braven Kinde schlägt, mit 25 einem Herzen voll Dank und Liebe wünschet ihnen dann ein gutes Jahr, und bittet den Vater im Himmel, der auch Euers Vaters und Eurer Mutter Gott und Vater ist, - bittet dann Gott, daß er sie Euch segne, und Euch lasse fromm werden und weise zu ihrem Trost und zu ihrer Freude. so Und Ihr, die Ihr Euch noch an die Unmündigen anschließet, Kinder von acht bis eilf Jahren, was soll Euch das Jahr seyn, was sollen Euch seine Tage werden? Eure Kraft ist noch schwach, träumet noch keine, die Ihr nicht habt! Denket Euch, Kinder, noch der Unmündigkeit nahe. Der Frohsinn der Jüngern Kind35 heit, das Leben in Gottes Natur sey Euer bestes Theil. Bleibet Kinder in Unschuld und Liebe! Eure Wahrheit ist jetzt nur noch Eure Liebe und Euer Sinn für die Natur. Lebet in der Liebe, in einem hohen Sinn für die Natur! Mögen Eure ersten Kräfte sich ganz in der Liebe, mögen sie sich ganz in der Natur, mögen sie 22 Pestalozzi Werke Bd. 22

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sich ganz in der Unschuld entfalten! Euer Zeitpunkt ist schön. Ihr fanget jetzt mit einigem Bewußtseyn die Bahn Euers Lebens an. Schon ahnet Ihr das Wesen Eurer Kräfte, schon ahnet Ihr in ihnen das Wesen Eurer Pflichten, schon ahnet Ihr den Sinn des hohen Wortes: Was der Mensch säet, das wird er ernten; was der 5 Mensch aus sich macht, das ist er; wie er sich bettet, so liegt er. Schon fühlt Ihr Euch selbst und Euern Einfluß auf Euch selbst, schon fühlt Ihr Euch als Richter Eurer selbst, schon fühlt Ihr Gott in Euch, schon fühlt Ihr Euer Gewissen. Ihr sehet nicht mehr bloß die äußere Natur, Ihr sehet schon Gott in der Natur, 10 Ihr sehet schon Gott in Euch. Die äußere Natur wird Euch schon heilig; Ihr sehet schon das Ewige, das Unendliche, das Göttliche in der Natur. Schon öffnet sich Euch der Weg zur Wahrheit, Ihr habt ihn in der Natur und in der Liebe. Bleibet in der Natur und in der Liebe, dann bleibet Ihr in der Wahrheit, und die Wahrheit 15 bleibet in Euch. Kinder dieses Alters, was soll Euch dies Jahr seyn, und was sollet Ihr darinn werden ? Ihr sollet anfangen, Euch in Erhaltung Eurer Unschuld, im kindlichen Fortleben in der Natur, in aller ihrer Liebe und in aller ihrer Harmonie allmählig der ersten Stufe des Zusammenhangs aller Eurer Umgebungen 20 mit Euch, und Eurer selbst mit diesen Umgebungen bewußt zu werden. Ihr sollet anfangen, die Mittel dieses Bewußtseyns Euch zu verschaffen. Das neue Jahr, seine dreyhundert fünf und sechzig Tage sind Euch gegeben, Euern Geist, Euer Herz und Eure körperlichen Kräfte für diesen Zweck gemeinsam zu bilden. Was Ihr 25 immer für diesen Zweck thut, das thut immer mit dem ganzen Leben Eurer Kräfte, dann wird Gottes Segen Euch nicht mangeln, und das angetretene Jahr wird Euch ganz werden, was es Euch seyn soll. Und Ihr Kinder, die Ihr diesen nahe steht, Kinder vom eilften so bis zum vierzehnten Jahr, was soll das neue Jahr Euch seyn, was soll es Euch werden? Ihr sollt im Bewußtseyn des Zusammenhanges Eurer Umgebungen mit Euch und Eurer selbst mit Euern Umgebungen, Ihr sollt im Leben in der veredelten Natur, Ihr sollt im Leben in der Wahrheit und Liebe immer stärker, 35 immer kraftvoller werden. Ihr sollt Euch mit aller Reinheit und aller Unschuld der Kindheit erheben zu den Fertigkeiten des ernsten Lebens in aller Wahrheit der wirklichen Welt. Die Träume Euerer Kindheit, so schön sie auch waren, müssen ver-

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schwinden. Ihr nahet Euch dem Jünglings-, dem Jungfrauenalter, Eure jetzigen Jahre müssen Euch geben und Euch angewöhnen, was Ihr in diesem bedürfet, sie müssen Euch nehmen und Euch abgewöhnen, was Ihr in diesem gefahret. Kinder von diesem 5 Alter, wie unglücklich würdet Ihr seyn, wenn Ihr träumend und unbekannt mit allen Gefahren des Lebens, und ungeübt in aller Kraft, die es braucht, ihnen entgegen zu stehen, in das Jünglingsund Jungfrauenalter hinüber treten würdet! Kinder, was ist Euch dieses Jahr ? Was soll es Euch anders seyn, als dreyhundert 10 fünf und sechzig Tage, die Euch das geben und angewöhnen sollen, was Ihr in diesem Alter seyn sollt, und Euch nehmen und abgewöhnen, was Euch in diesem Alter gefahren, und Euch in diesem Alter unglücklich machen könnte ? Was soll es Euch anders seyn, als ein so viel Tage dauerndes Mittel, Eure menschlichen is Kräfte wachsen zu machen, daß Euere Liebe nicht mehr kindisch, und Eure Wahrheit nicht mehr träumend bleibe ? Was soll Euch das Jahr seyn? Von ferne soll es schon Männerkraft, von ferne soll es schon Vatersinn und Mutterkraft in Euch gründen. Kinder dieses Alters, schon entfalten sich in Euch die Keime fleischlicher 20 Begierden und irdischer Wünsche, schon stören Leidenschaften die Ruhe Eurer Unschuld, schon nähern die Jahre des Scheidewegs, der für Euer Leben so wichtig ist. Achtet es für kein Geringes, auf dieser Stufe des Lebens zu stehen! Schon sind die meisten von Euch Jahre lang von ihren Eltern weg und genießen 25 das Auge ihrer treuen Aufmerksamkeit so lange nicht mehr. Ihr genießet den erhebenden Anblick der Vater- und Mutterliebe länger als die Jüngern Kinder nicht mehr, und er mangelt Euch in diesem Alter doch mehr, als je, und mehr als ihnen. Soll das neuangetretene Jahr Euch werden, was es Euch seyn soll, so so gedenket Eurer Eltern in aller Glut Eurer alten Liebe für sie. Gedenket an alle Thaten ihrer Treue, und alle Worte ihrer Liebe! Suchet alle Kraft des Lebens und alle Wahrheit des Lebens in der erhebenden Erinnerung an sie und an jedes Wort der Liebe, mit dem sie Euch zum Glauben an Gott, zum Glauben an Euern 35 Vater im Himmel und zu aller Frömmigkeit und Weisheit des Lebens hinlenkten! Kinder dieses Alters, Ihr sollt die Unschuld dieses Alters in Eure Jünglingsjahre hinübertragen, aber Ihr müßt die Schwäche dieses Alters verlieren, ehe Ihr in das andere hinüber tretet. Ihr habt Kräfte, Ihr habt größere Kräfte noth-

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wendig für dieses Alter, als Ihr denket und glaubet. Das neue Jahr ist Euch gegeben, diese Kräfte zu suchen und zu bilden. Gesegnet sei Euch das neue Jahr im frommen, ernsten Streben nach diesen Kräften! Kinder dieses Alters, Gott segne Euch dies Streben! Und Ihr, die Ihr diesen folget, Kinder vom fünfzehnten Jahr 5 und darüber, was ist Euch das neue Jahr, und was soll es Euch werden ? Jünglinge, die Ihr meistens Jahre lang in unserm Hause gleichsam als Kinder des Hauses aufwuchset, und nun bald von uns scheiden und wieder zurücktreten werdet in den Kreis Eurer alten Umgebungen und in den Arm Eurer Eltern und Eurer 10 Geschwister, Jünglinge, an Euch soll sich unser Haus bewähren. Wir leiteten Euch, wir lehrten Euch, wir bildeten Euch. In Euch soll es darthun, ob wahre Erziehungskräfte in unsrer Gewalt sind, oder ob wir darüber träumen wie eitle Thoren, und in der That eigentlich nichts sind, und unvermögend dastehen in der Bildung 15 des Kindes zur Entfaltung der wirklichen Kräfte seines Geistes, seines Herzens und seiner Kunst zu allem Dienst des wirklichen Lebens. Jünglinge, was ist Euch dieses Jahr, was soll es Euch seyn ? Ich frage Euch mehr, was soll Euch das neue Jahr in Rücksicht auf uns seyn? Jünglinge, Ihr kennt alle Mühe und alle Sor- 20 gen unsere Dienstes, Ihr habt Jahre lang gesehen, wie unser ganzes Streben dahin geht, den Kindern der Menschen eine bessere, des Erfolgs sicherere Erziehung zu geben. Das Zeitalter hat unsern Bemühungen Aufmerksamkeit geschenkt und mit Liebe auf das Thun meines Alters hingeblickt. Aber nur an Euch wird es erken- 25 neu, ob unser guter Wille auch wirklich mit unsern Zwecken genugthuenden Kräften gepaart seye. Jünglinge des Hauses, werdet Ihr als schwache gewöhnliche Zeitmenschen in den Kreis der Euern zurücktreten, werdet Ihr Euch nicht auszeichnen in aller Kraft der Liebe, der Wahrheit und der Kunst, vor denen, 30 die nicht Eure Führung genossen, so wird das zwar die ewige Kraft der Elementarbildung und ihre Wahrheit nicht hemmen alle Thorheit und alle Schwäche der Welt wird sie nicht hemmen, und auch Eure Schwäche und Euer Mißrathen würde den Weg ihrer Kraft zu ihrer Vollendung, zu ihrer Reifung nicht hemmen - 35 wohl aber würde es dem Urtheil über unser Thun und dem Werk meines Hauses und seines Thuns einen Stoß geben, und den Gang meiner Individualität an den Gränzen eben so wohl meiner schönsten Hoffnungen, als meines Lebens stocken machen.

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Und was würdet Ihr thun, Ihr ersten meiner Zöglinge, wenn Eure Erziehung mißrathen sollte! Jünglinge der Anstalt, die Ihr Euerm Austreten aus derselben nahe steht, was soll Euch in dieser Rücksicht das neue Jahr seyn, was sollen in dieser Rücksieht die letzten Stunden, die letzten Monate Euers Daseyns in unsrer Mitte Euch seyn und werden? Jünglinge, wenn Ihr je gefühlt habt, daß Ihr der Menschheit etwas schuldig seyd, wenn je die Hoffnung einer bessern Zeit für die Menschheit in Euerem Busen schlug, wenn je eine Thräne des Dankes für das, was Ihr 10 in unsrer Mitte genossen, Euer Auge benetzte, wenn Ihr Euch je armer, unglücklicher, in allen Fächern der Erziehung verwahrlöseter und durch sie noch verdorbener Kinder erbarmet, wenn je in Euerer Seele die Ahndung erwacht, unser Streben könne gegen dieses Übel der Menschheit etwas vermögen, Jünglinge, is wenn je die Hoffnungen Euerer Eltern, mit denen sie Euch unsrer Anstalt übergaben, Euere Herzen gerührt haben, Jünglinge dieses Alters, was seyd Ihr Euern Eltern, was seyd Ihr unserm Haus, was seyd Ihr der Menschheit in dieser Rücksicht schuldig? Was soll Euch in derselben das neue Jahr seyn? Was sollet Ihr in dem20 selben uns seyn und werden? Jünglinge, mein Herz erhebt sich in der Hoffnung, Ihr werdet in diesem Jahr der Segen meines Hauses werden. Ihr könnet es, und Ihr wollet es, Ihr könnet und wollet unter unsern Jüngern Zöglingen dastehen, als ihre altern Brüder, als Vollendete in dem, wo diese noch unvollendet, als 25 erzogen, wo diese noch unerzogen, als gebildet, wo diese noch ungebildet, als der Liebe gewohnt, wo diese noch in der Liebe zu üben sind, als der Wahrheit kundig, wo diese ihr noch unkundig, und als in der Sorgfalt geübt, wo diese noch der Sorgfalt bedürfen. Jünglinge, das könnet, das wollet Ihr in dieser Rücksicht uns so seyn, so lange Ihr in unserm Hause weilet! Wenn Ihr einst daraus scheidet, welch ein Segen werdet Ihr uns werden, wenn einst, wenn Ihr zurücktretet in den Schooß der geliebten Euern, sie in Euerer Umarmung das Wort aussprechen, Ihr habet an unsrer Seite zugenommen an Alter, Weisheit und Gnade bey Gott und 35 den Menschen. Wenn das geschähe, dann, dann möchte ich mit Simeon ausrufen: Herr, nun lassest du deinen Diener hinfahren in Frieden, denn meine Augen haben dein Heil gesehen! Kinder dieses Alters, das könnet, das wollet Ihr uns seyn - und wenn Ihr uns seyd, was Ihr uns seyn könnet und wollet, was werdet

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Ihr der Menschheit, was werdet Ihr unserm Geschlechte werden? Ich wende mich an Euch, Jünglinge des Hauses, die Ihr jetzt als Lehrer des Hauses und als Mitarbeiter unsrer Zwecke dasteht, was ist Euch das neue Jahr, was soll es Euch seyn? Freunde, 5 Geliebte, Gehülfen des Werks — daß Euer kindliche Sinn sich erhalte, daß Eure Kraft sich in der Liebe vollende, daß Eure Wahrheit Euer ganzes Seyn ergreife, daß Ihr steiget von Kraft zu Kraft, von Tugend zu Tugend, von Würde zu Würde, daß Ihr in Einigkeit dienet dem Werk, das Euch selber gebildet, daß Ihr 10 im Glauben aufsehet auf den Anfänger und Vollender alles Guten auf Erden, daß Ihr die Größe des Werks mit heiligem Schauer erkennet, und Eure Herzen ferne bleiben von Übermuth, von eitler Anmaßung und vom kindischen Glauben, Ihr habet schon Höhen und Berge erstiegen! O nein, o nein, wir stehen alle am 15 Fuß des Berges, und sind ferne, ferne vom Gipfel, nach dessen Ersteigung wir trachten. Ich werde ihn nicht sehen, mich wird das kühle Grab lange bedeckt haben, ehe wir uns ihm nähern. Wenn ich meine Augen schließe, wird mein letztes Wort an Euch seyn: Irret Euch nicht der Berge halber, die Ihr zu ersteigen 20 habet, sie sind höher, weit höher, als sie scheinen. Wenn Ihr einen erstiegen, so steht Ihr erst am Fuße eines ändern, und wenn Ihr Euch dann täuschet, und auf dem untern Berg ruhet und weilet, so werden Eure Füße schwach werden, und Ihr werdet den Gipfel des Berges so wenig sehen, als ich ihn sehen werde. 25 Freunde, Mitarbeiter am Werk, was soll Euch das neue Jahr seyn? Aufschluß Eurer selbst in allem Fortschritt und in allem Zurückstehen Eurer selbst für Euer Ziel. Auch auf Euch sieht die zweifelnde Welt, auch von Euch und von dem Grad der Kraft in der Erziehung, zu der Ihr Euch selber erheben werdet, wird sie so auf den Werth oder Unwerth alles unsere Thuns schließen. Die Pflichten der altern Zöglinge liegen gedoppelt auf Euch, aber auch ihre Freuden erwarten Euch doppelt, wenn Ihr in Einfalt der Arbeit und dem Werk unsere Lebens getreu seyd. Seine Stunde ist wichtig, das kommende Jahr ist wichtig. Dienet dem 35 Werk, aus dem Ihr selbst hervorginget, jeder mit der Kraft, wie er sie empfangen! Wer unter Euch stark ist, trage den Schwachen, und ernte hohen Segen von seinem Thun; wer aber unter Euch schwach ist, der werde nicht muthlos, Gott ist in dem Schwachen

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mächtig. Er sieht nicht deine Kraft, er sieht dein Herz an, Gott ist den Schwachen mächtig. Wäre er es nicht, ich stünde nicht in Eurer Mitte, wäre nicht da, unser Werk wäre nicht da, und ich wäre nicht Euer Vater. Wenn Ihr nur fühlet, daß Ihr schwach 5 seyd, wenn Ihr nur nicht Euch stark glaubet in dem, worin Ihr schwach seyd, so wird Gott stark seyn in Eurer Schwäche. Freunde, Mitarbeiter des Werks, dessen Zöglinge Ihr seyd, was ist das neue Jahr, was soll es Euch seyn ? Erhebung Eurer selbst zu jeder Kraft und zu jedem Opfer, das es von Euch fordert. Seine 10 Tage seyen Euch heilig; es ist vielleicht sein entscheidendes Jahr. Möge ihm im entscheidenden Augenblick keiner, keiner von Euch mangeln! Keiner, keiner meiner Erzogenen, keiner von denen, die vom Werke ausgegangen, wie ein Kind von seiner Mutter, wird dem Werk in seinem entscheidenden Augenblicke mangeln. is Ihr werdet dies Jahr mit neuer Kraft und mit neuem Leben zu unserm Werk stehen, und Gott wird Euere Treue segnen. Und Ihr, Männer, die Ihr mit mir den Grundstein der Anstalt gelegt, die Ihr in der schweren Stunde ihres ersten Entkeimens freundlich hold an meiner Seite standet, und die Last der ersten 20 Tage in Geduld und Liebe mit mir trüget, Freunde, ohne die mein Werk, fast ehe es angefangen, schon sein Ende wieder gesehen hätte, Freunde und Mitstifter des Werks, was sind die Schicksale des Werks in seinem Umfange ? War es je in unsrer Hand, war es je unser Werk? 0 nein, o nein; ob uns waltete ein Schicksal, das 25 wir demüthig verehren. Oft sind unsre Sorgen verschwunden, wenn das Schwerd wie an einem Zwirnsfaden ob unserm Scheitel schwebte. Aber auch oft sind unsre Hoffnungen getäuscht, unsre Erwartungen zernichtet worden. Wie ein Bach, der von den Bergen stürzt, nahm das Werk seine Richtung, wohin es wollte. so Der Druck seiner eignen Schwere gab ihm seine Richtung. An seiner Quelle stehend, ahneten wir oft kaum, wohin sein Lauf wollte. Es nahm Wasser, es nahm Bäche in seinen Lauf auf, die wir nicht kannten, aber ihre hohe Gewalt mischte sich mit den Quellen des Ursprungs und leitete diese, zu gehen, wo das Ge35 wicht des Ganzen sich hinlenkte. Dieses Gewicht des Ganzen beherrschet den Gang unsers Thuns, er wird dadurch ein göttlicher Gang, denn Gott ist es, der ihm dieses Gewicht gegeben hat, über unser Erwarten und über unser Verdienst. Ja, Gott ist es, der ihm dieses Gewicht gegeben über aller Menschen Erwarten, über aller

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Menschen Verdienst. Wir sind in der Hand dessen, der es immer führte, wohin er wollte. Was sind wir in der Macht des Stroms, in dem wir verschwinden, was sind wir im Gewicht, das Gott selber unserm Thun gegeben ? Was ist der Menschen Lob für uns ? Im Bewußtseyn der Wahrheit unsers Ganges, was will das sagen, 5 was soll das uns sagen, daß sie uns Stifter, daß sie uns Schöpfer eines Werks nannten, das Gott selber leitete, von seinem Anfang bis auf diese Stunde ? Als Menschenwerk brauchte es mit jedem Jahr eine neue Schöpfung, und fand sie in den Wundern der Kraft dessen, der sie mit Allmacht und Liebe geleitet. Was waren 10 wir in diesen Wundern Gottes in unsrer Führung und in unsrer Erhaltung, was waren wir im Strome des Werks, in sofern er Gottes Strom ist, und in den Wassern Gottes gewaltig daher fuhr zu seinem Ziel, zu Gottes Ziel ? Was ist die Quelle des Rheins, was ist die Quelle der Donau, da, wo ihre ersten Tropfen aus den 15 Felsenritzen herausfallen, und kaum den hohen Boden benetzen, von dem diese Ströme ausgehen? Was sind die Tropfen im Lauf der reißenden Ströme? Was sind wir in der Richtung, die Gott unserm Werk gab, und in der Gewalt der Wasser, mit der es im Strome der Zeit fortschwimmt, von der Hand Gottes geleitet? Als 20 Menschenwerk standen seine Wasser oft an Felsen, die ihren Lauf stillstellend und zerstörend zurückdrängten, bis an ihre Quelle; als Gotteswerk brach es durch alle Felsen, die ihm im Wege standen. Es umging Berge, es stürzte sich in Klüfte und kam allenthalben in neuer Schöpfung gestaltet wieder hervor. Man 25 hieß es allenthalben unser Werk, es war Gottes Werk. Auch dieses Jahr braucht es wieder eine neue Schöpfung; es steht wieder an Bergen; seine Wasser wirbeln wieder verwirrt an den harten Stellen, wo sie anstoßen. Was macht uns das? Wir glauben an den, der das Werk so oft von seinem Verderben errettete, wir glauben 30 an den, der seinen Strom so oft die Felsen, an denen es anstand, durchbrechen und ihre Berge umgehen gemacht, um ihm Lauf zu geben zum Ziel, wohin es soll. Er wird auch dies Jahr den Weg schaffen, den es gehen soll. Freunde und Geliebte! Der Strom ist nicht unser, unser sind 30 die Tropfen, die aus den Felsenritzen fließen, von denen der menschliche Ursprung des Stroms ausging. Daß diese Tropfen nicht vertrocknen, daß sie immer rein aus ihren Ritzen fließen, und sich mit allem ihrem Leben hinneigen an den Ort, wo Gottes

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Wasser, in das sie hineingefallen, in seiner Stromgewalt hinfließt, das, Freunde, ist nicht unser Werk, es ist Gottes Werk, wie die Zeit, in der wir leben, und in der der Strom als Gottes Werk seinen Lauf nimmt, wohin er muß. Freunde, Brüder! Das neue Jahr 5 erneuere in uns den Glauben an den, der ihn bisher geleitet. Stilles, liebendes Wallen in seinem Segenslauf, - das sey unser Ziel! Freunde, Brüder, erste Gehülfen der Anstalt, daß wir uns selbst rein erhalten im Hochflug des Geistes und des Herzens, der in den ersten Tagen unsrer Vereinigung alle Last und alle Schranken 10 des Werks zum Himmel des Lebens machte, nach dem wir alle strebten - daß wir in uns selbst das Leben des Danks wieder erneuern, für jeden Tropfen Wassers, den Gott in die arme Quelle hineinfallen ließ, von der unser Werk ausging - daß die Stellung in dieser Armuth und dieser Beschränkung uns ewig als die Quelle is unsers Segens und unsers Wachsthums vor unsern Augen stehe daß der eitle Zuruf der Menschen von den Ufern des Stroms, die die Quelle unsers Segens nicht kennen, uns nicht täusche, wenn sie uns loben, daß sie uns nicht täusche, wenn sie uns schelten, daß jede Reinheit des Herzens, jede Kraft des Geists, von der die 20 Anfänge des Werks ausgingen, sich mit aller Reinheit des Herzens, und mit aller Kraft des Geistes, die Gott zum Dienst seines Werks unserm Seyn und uiiserm Thun nahe gebracht, sich in Liebe und Wärme vereinigen - das, Freunde, das, Stifter der Anstalt, das fordert die neue Schöpfung für unser Werk auch dies 25 Jahr von uns! Freunde und Brüder, an diesem feyerlichen Tag geloben wir uns, dem Werk unsers Lebens in nichts zu mangeln, in Eintracht und Liebe uns an jede Kraft des Geistes und des Herzens anzuschließen, die Gott uns zum Dienst des Werks, das sein Werk und nicht das unsrige ist, nahe gebracht hat. Brüder, so Gottes Segen in diesem Jahr! Und nun frage ich auch mich selbst, was ist dieses neue Jahr mir, was soll es mir werden? Ich blicke zurück auf die frühern Jahre meines Lebens, da ich außer Dir, meine Geliebte, und Dir, Freundin, die Du helfend neben 35 meinem Schicksal standest, wie dies von Euch allen, Geliebte, noch niemand kannte, ich blicke zurück in die Tage, in denen Ihr alle, die Ihr nicht dreyßig Jahre Euers Lebens zählet, noch nicht geboren wäret, ich blicke zurück in diese frühern Tage - sie sind meinem Herzen heilig. Da umschattete mich das Dunkel der

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Am Neujahratage 1810

Welt; in tiefen Nöthen lebte ich einsam, vergessen, verachtet, gedrückt; aber mein Herz seufzte nicht mehr nach meiner Rettung, als nach der Rettung derer, die mich höhnten, und nach der Rettung ihrer Kinder. Das Elend des Lebens war mir leicht. Ich war roh und trotzte dem Elend, aber ich verging fast vor Jammer, 5 daß ich sterben sollte, ohne der Menschheit zu dienen. In mir lag das Gefühl: ich kann es, und Gott will, daß ich es thue. Aber der im Himmel wohnt, kannte meine Stunde. Sie war verspätet bis in mein nahendes Alter. Ich war früher für meine Wünsche nicht reif, und meine Umgebungen waren es auch nicht. Aber meine 10 Zeit kam, ich fand meine Erlösung, ich fand mein Werk, ich fand Euch, meine Freunde, Euch, meine Brüder, ich fand, wornach mein Herz gelüstete. Ich sterbe nun nicht, ohne der Menschheit zu dienen. Das alles gab mir Gott. Wie herrlich ist diese Stunde für mich! Du, Gott, erhebest den Armen und rettest den Elenden 15 aus dem Koth! Mein Loos ist mir an einen schönen Ort gefallen. Mich umgeben edle Menschen von nahem und fernem, und bieten mir ihre Hand zu meinem Ziel. Kraftvolle, liebende Menschen suchen mit mir das nämliche Ziel. Ich habe Freunde gefunden, Freunde nicht für den Traum des Lebens und für sein Spiel; 20 ich habe Freunde gefunden für das Werk meines Lebens und zu allem seinem Dienst. Söhne und Töchter mit edlem reinem Herzen nennen mich ihren Vater, und Kinder in Unschuld umwallen mich in Schaaren mit ihrer Liebe. Ich möchte vor Wonne zergehen in Eurer Mitte — was soll ich noch sagen? Hinfallen soll ich, 25 und danken, und schweigen. - Du, o Herr, hast Großes an mir gethan! Mein Werk ist dein Werk. Du, o Herr, hast Großes an mir gethan! Ich schäme mich, meine Augen aufzuheben und hinzublicken in den Kreis, der mich umgiebt. Welche Gefühle erregt sein Anblick, welche Pflicht legt er mir auf! O Herr, o mein so Vater, mein Werk ist dein Werk! Du hast mich hingestellt auf einen Berg, den ich nicht selber erstiegen; du hast mich hingesetzt an einen Platz, der mir nicht zu besitzen gebührt. Aber du hast ausgeführt, was ich nicht anzufangen vermochte; du hast gegründet, was ich nicht zu bauen vermochte. Ich vergesse die Welt, 35 vergesse meine Wünsche, und sinke hin mit Vertrauen auf dich. Ich vergesse mein Werk, du hast es gegründet, du hast es erhalten. Es ist dein Werk. Du hast es bisher geleitet, du wirst es ferner leiten. Wie ein Schaffner das Haus seines Herrn verwaltet, ohne

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Sorge für die Mittel, die ihm sein Herr dafür selber verschafft, also will ich mein Haus, ohne Sorgen für die Mittel, die du mir bisher selber verschafft, verwalten. Euch will ich lieben, Freunde und Kinder, Gott wird für Euch 5 sorgen. Er hat uns gesegnet, er wird uns ferner segnen. Noch einmal blick ich in Euern Kreis, Freunde, Brüder, Kinder ! Meine Seele zerfließt vor Wonne. Der Herr hat Großes an mir gethan. Möge ich seiner Güte würdig und in meiner Schwäche Euer Vater seyn! Ich kann, ich soll es seyn, wie Menschen Väter 10 ihrer Mitmenschen seyn können. Gott aber ist unser aller Vater. Er erhalte uns alle in seiner Wahrheit und in seiner Liebe, und segne uns alle in diesem neuen Jahr mit seinem besten Segen! Amen.

Bede an die Lehrer

Frühjahr 1810

Rede on die Lehrer

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Es sind ein paar Wochen verstrichen, sintdem wir in einer Versandung wie die gegenwertige uns gekrenkt und empört fühlten über Vorwürfe, die man unserem Haus machte und von denen wir fühlten, sie nicht verdient zu haben. Ich habe diese 5 Zeit vorbygehen lassen, um ruhiger über den Vorfall mit Euch reden zu könen. Lichtsinnig müssen wir den Vorfall nicht vorübergehen lassen. Es ist die Frage: Sollen wir stehen bleiben, oder abtretten von der Laufbahn, die wir bisher betretten? Es ist die Frage: Ist unser 10 Thun wahrhafft ein gutes Thun, oder ist es eine Teuschung, mit der wir uns und andere nur blenden? Wie traurig [wäre] es für mich, wenn ich mir das leste selbst eingestehen müßte! Gottlob ist das der Fall nicht. Es ist ein Menschenwerk mit seinen Fehleren und Schwächen; es ist auch ein schweres Werk, dem tausende is unterlegen wären. Daß ich nicht unterlegen, das danke ich dem, der in den Schwachen mächtig ist, und ich darf hinzusetzen: Es ist ein großes Werk, und Lavater hatte nicht Unrecht, als [er] von seinem Urheber sagte, er sye: ein schneller Versucher dessen, 20 was vor ihm niemand versuchte. Sorgenlos im Werk, das ob mir Gott leitete und seegnete, fragte ich mich bisher noch nie: Was habe ich gesucht, was habe ich gethan? Aber jez muß ich, gedrängt von der Stimmung des Tags, mich fragen: Was habe ich gesucht, was hab ich 25 gethan ? Ich feinde nicht anders, als daß die Menschenlehre mentschlich werde. Ich feinde, ich habe nichts anders gesucht und nichts anders gethan als die Kunst der Menschenlehre mit der Natur des menschlichen Syns in Übereinstimmung zu bringen. Ich habe so nichts anders gesucht, ich habe nichts anders gethan als den Kläfften, die in der Menschennatur ligen, ihre Entfaltung zu erleichtern und zu sicheren. Ich habe gesucht, dem großen Verderben entgegen zu würken, das die Verwirrung und Unatur in der Entfaltung unserer Kräfften über unser Geschlecht verhängte,

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Rede an die Lehrer

[und ihm] zu steuren. Das war mein Zihl, aber ich mußte auf ungebahnten Wegen nach ihm hinstreben. Ich wollte das Ganze der Mentschennatur umfassen. Ich wollte Harmonie in der Entfaltung ihrer Kreffte. Ich wollte mit jedem Unterrichtsfach eingreiffen ins ganze Leben unsrer Natur. Ich 5 wollte Ryhenfolgen von Mittlen aufstellen, durch deren Gebrauch das Gemüth, der Geist und die Kunst des Kinds naturgemeß nothwendig und harmonisch entfaltet werden. Ich wollte die Unterichtsmittel fallen machen, durch die das Gemüth, der Geist und die Kunst des Menschen unatürlich und verwirrt 10 und ihr Wesen selber zerstörend reg gemacht und entfaltet wurden. Meine Zwekke griffen tief in den Umfang der menschlichen Bildung ein. Ich sah den Menschen als ein Ganzes an, dessen einzelne Bildung für das Ganze seines Wesens und seiner Natur be-15 rechnet syn sollte. Ich sollte also vorzüglich den Menschen, wie er dasteth, als ein Ganzes in seiner hohen Vollendung, ich sollte den Einfluß und Zusamenhang aller seiner einzelnen Krefften auf dieses sein ganzes Syn erkenen. Ich sollte alle Kunst des Mentschen, ich sollte ihre Mittel und ihr Verheltnis zu dieser 20 Natur erkenen. Ich sollte nicht bloß urtheilen, was zu thun sy, ich sollte ausüben, ich sollte den Werth meiner Ahndungen meiner Meinung practisch darstellen. Eine große [Anzahl] Kinder sollten sogleich die Wahrheit meiner Ansichten und Ahndungen bestetigen. Welche unermeßliche Kreffte und Mittel forderte es 25 zu diesem Zwekk, und wie wenige von diesen standen mir zu Geboth! Ohne alle Gelehrsamkeit, ohne alle Weltkentnis, ohne alle Kunstfertigkeiten hatte ich wohl einen einfachen Sinn für die Anfangspunkte des menschlichen Wüssens, und keines mangelte so mir ganz, aber damit die Fertigkeiten, die positiven Hülfsmittel zur Erlernung der Wüssenschafften. Ich konte das Einfache meines Thuns lange nicht an das Würkliche in den Wüssenschafften und Künsten anknüpfen. Darinn ward [ich] von denen, die sie kandten, gar nicht verstanden und fand in ihren Kent- 35 nissen und Einsichten nicht die geringsten Hülfsmittel für meinen Zwekk. Im Gegentheil, sie brauchten ihre Einsichten, um das, was ich wollte, lächerlich zu machen und die Lükken auffallen zu machen, die in meinem Thun, in so fehrn dieses das Ganze der

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menschlichen Bildung in allen Verheltnissen und nach allen Ansichten umfassen sollte, würklich lagen. Gestörter und gehemter ist es nicht möglich, sich eine Lage zu denken, als die meinige diesfals war. 5 Dazu kam noch äußere Ohnmacht aller Mittel. Ich konte keine Lehrer anstellen, die Anspruch an Ehre und Gelt machten. Ich besaß kein Vertrauen und kein Vermögen; die, so mich umgaben, eben so wenig. Alle äußere Reize, aller äußerer Schein mangelte der Anstalt, und wie wenig Menschen erkenen da noch 10 etwas Gutes, wo dieses alles mangelt. Selbst in Armuth nahm ich arme Kinder auf, und wer mir solche anvertraute, that es in der Regel wenigstens im Anfang um der wohlfeilen Pension willen. Welch ein Chaos war die Erscheinung einer solchen Anstalt in der anspruchsvollen Zeit! Welche Lükken waren in ihrem is Wesen! Wie viel des Guten, das hette da syn, wie viel des Bösen, des Gemeinen, des Schlechten, das hette manglen sollen, war da! Wie unsichtbar war unser Gutes, wie einseitig war es! Wie sehr war es durch den Mangel von feinren Sitten, von feinerer Cultur noch bedekt, und wie stark war die Würkung des Mangels an ge20 bildeten Sitten und Weltformen by den Lehreren und einer Art von roher Ungezogenheit unter den Kindern! Wie vieles mangelte, dem ersten Zusamentreffen der Lehrer und Kinder und mit ihnen der Anstalt von ihrem Anfang an die Würde und Humanitet zu geben, die unsre Zwekke so wesentlich forderten! 25 Das Gemisch unsers Syn, der Mangel an einem Chef, der den äußeren und inneren Bedürfnissen der Sach im ganzen gewachsen, der inconvenierte, die jede Coalisierung zum Regieren irgend einer Sach hat, meine Stellung, die keine Gewalt, kein Ansehen hatte, die nur durch die Schwäche meines Wohlwollens unter30 stüzt und hinwieder in meiner Unzuverlässigkeit, Unbehelflichkeit und Sorglosigkeit untergraben war. Es ward ein Haus ohne seinesgleichen; die, so die Anstalt lobten, und die, so sie schalten, verirrten byde an ihr!

23 Pestalozzi Werke Bd. 22

Bede am Bußtage 1810

Rede am Bußtage 1810

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Freunde, Brüder und Kinder! Er ist da, der Tag, für den wir uns diese Wuchen vorbereiteten, der Tag der Erneuerung unser selbst in allem Guten und für alles Gute, der Tag der hohen Belebung unserer selbst für christliche 5 Gesinnungen und für einen christlichen Wandel. Brüder, Schwestern, Kinder! Gott hat ihn gegeben. Wir leben noch, wir leben wieder, und der Tag ist da, an dem wir unser dankendes, unser liebendes, unser glaubendes Leben in uns selber wieder erneueren und stärken sollen. Er ist da, der Tag des hohen 10 Seegens für uns. Schon ist seine Helfte ins Meer des ewigen Dahinschwindens unsere zeitlichen Syns versunken. Kinder, ich, Euer Vatter, soll Euch die Stunde des Seegens noch festhalten, daß Ihr sie nicht verlieret, daß keiner ihrer Augenblike Eurem Dasyn entschlüpfen. is O möchte ich es könen, o möchtest du mir, mein Vatter im Hirnel, Kräffte geben, in dieser Stunde meinen Kinderen Vatter zu syn, wie du mir die Tage meines Lebens Vatter wärest und noch Vatter bist! 0 Vatter im Himel, da wärest unser Vatter, so lang wir leben, und so lang wir leben, ist es unser Heil, deine 20 Kinder zu syn, und heut ruft du uns mit hoher, feyerlicher Stimme: Syt meine Kinder, ich bin euer Vatter! Syt Cristen, ich bin der Vatter Jesu Christi, ich bin euer Vatter, ich bin euer Gott! Kinder, wie erhaben erscheint das Thun dieser Stunde vor mir! Kinder, ich soll in derselben, was ich kan, dazu by25 tragen, daß Ihr Kinder Gottes bleibet und imer mehr werdet, daß Ihr von heute an, von Gottes heiligem Geist geleitet, Gott lebet und der Menschheit. Wie werde ich es könen, als wenn mein Herz selber überfließt von der Wahrheit und Tieffe meines Entschlusses, von nun an Gott zu leben, vor seinem Angesicht so zu wandeln, wie ich noch nie vor seinem Angesicht wandelte. Du, o Herr, hast Großes an mir gethan. Du hast mir meine Sünden verziehen; du hast meines Lebens Fehler getilget, daß sie mich nicht in die Grube führten, in die sie tausend Menschen, die besser als ich sind, in die Grube geführt haben; du hast meines

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Rede am Bußtage 1810

Herzens Wünsche erfüllt, wie du wenigen Mentschen ihresHerzens Wünsche erfüllt; du hast mir Vertrauen unter den Menschen gegeben, daß sie das Liebste, das sie auf Erden besizen, daß sie ihre Kinder aus ihrer Hand in die meinige legen; du hast mir Liebe gegeben, die meine Wonne ist; du hast mein Alter mit Ruh und 5 Frieden gekrönt, wie weniger Mentschen Alter mit Ruh und Frieden gekrönt; du hast Ruh und Frieden ins Innerste meiner Seele gelegt. Wenn mein Blut in mir selbst und Unruh und Drang mich umwallet, mein Blut legt sich still, und der Drang schwindet, als wenn er nicht wäre. Du, o Herr, hast mein Alter erquikt, und 10 meine Seele ist voll Freude. Wo ist ein Mensch, den du, o Herr, geseegnet, wie du mich gesegnet ? Wo ist ein Mensch, der seines Herzens Wünsche also erfüllt sah, wo ist ein Mensch, der aus Eilend und Gefahren errettet war, wie ich aus Eilend und Gefahren errettet war? 15 0 Freunde, Brüder, Gehülfen, unermeßlich ist heute das Gefühl meines Glüks in Eurer Mitte, unermeßlich ist heute mein Gefühl für alles, was Gott an uns gethan, unermeßlich ist mein Gefühl für alles, was er uns besonders in diesen lesten Tagen für uns gethan hat. Ist es nicht ein Wunder, vor uns in aller Augen? 20 Unaussprechlich hebt sich mein Gefühl, daß auch Du heute da bist in unserer Mitte, Mieg! Alles, alles hat sich vereiniget, mein Herz in dieser Stunde zu erheben, wie es sich jahrelang in meinem Innersten nicht mehr erhoben. Tag des Herren, Tag der Buße, Tag des Glaubens, Tag der 25 Liebe und des Gebeth, was bist du mir heute? Ich möchte hinfallen auf meine Knie und dich fragen und dich bitten: Gott, was soll ich thun, daß ich dir danke? Was soll ich thun, daß ich selig \verde ? 0 Gott, ich seh es, ich seh es, ich sehe mich von Euch umgeben, Kinder, ich soll Euer Vatter syn, damit ich Gott für seine so Wohlthaten danke; ich soll Euer Vatter syn, daß ich selig werde! Tag der Büß, Tag des Seegens, ich soll mich in der Demuth und Zerknirschung meines Geists hinwerffen auf meine Knie und vor dir, o Gott, und vor meinen Brüdern bekenen: Ich war nicht ihr Vatter, wie ich konte und sollte, mein Auge wachete nicht auf 35 sie, wie es konte, und meine Hände waren trag im Schaffen alles dessen, was ich für sie schaffen sollte; meine Füße waren müde im Lauffen auf allen Wegen, auf denen ich ihr Heil hette suchen sollen, und mein Mund war stumm, wo er Worte des Seegens für

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sie hervorbringen sollte; ich schlieff, wo ich für sie hette wachen, ich zerstreute mich, wo ich mich für sie hette zusamenfassen sollen. 0 Gott, ich suchte deine Krafft für sie nicht mit Wachen und Beten, wie ich in meiner Schwäche so nothwendig hette 5 suchen sollen. O Kinder, Ihr hettet mir teglich auf meinem Herzen ligen sollen, wie der Säugling seiner Mutter auf ihrem Herzen ligt, und Ihr läget mir nicht täglich also auf meinem Herzen. Ich vergaß Euer oft, ich zerstreute mich oft, fremde Menschen sprachen mich oft 10 mehr an als Ihr, Ihr guten, lieben Meinigen. Der Seegen des Verheltnisses, in den du mich zu ihnen setztest, o mein Gott und mein Vatter, erhob mich nicht täglich und stündlich, diesem Verheltnis imer getreu zu syn, wie ich ihm imer getreu syn sollte. Freunde, Brüder. Gehülfen meines Werks, ich war Euch auch is nicht mit aller Krafft und mit aller Liebe an der Seite, mit der ich Euch imer an der Seite sein sollte. Der hohe Beruf, den Gott mir gab, war mir nicht immer ein hoher, göttlicher Beruf. Ich erniedrigte ihn oft durch mentschliche Rüksichten und oft durch kindische Fehltritte. Hettest du mich, o Gott, nicht mit dem scho20 nenden Arm deiner Vatterliebe gerettet, mein Werk und mein Haus wäre schon tausendmahl den Schwächen und Fehlern unterlegen, deren ich mich so oft schuldig machte. Du, o Gott, wärest im Schwachen mächtig; aber mich betrübet es und soll mich betrüben, daß ich deiner Güte und deiner Gnade mich so oft un25 würdig bezeigte. Freunde und Gehülfen, so wenig ich, wie ich sollte, meiner Kinder Vatter, so wenig war ich, wie ich sollte, Euer in Treu und Liebe täglich krafftvoll mitwürkender Bruder und Gehülfe. Ich stand nicht imer by Euch und mit Euch, wie ich imer by Euch und so mit Euch hette stehen sollen. Ich trug Euch nicht, wie ich Euch hette tragen, ich leitete Euch nicht, wie ich Euch hette leiten sollen. So oft und viel ich gegen den Vattersin fehlte, in dem ich täglich und stündlich unter meinen Kindern hette stehen sollen, so oft und viel fehlte ich gegen die Brudertreu und Bruderliebe, mit der 35 ich Euch alle täglich Gott dankend umfassen sollte. Ich stand by fehrnem nicht imer unerschütterlich und unbestechlich by Euch als das Byspill des Edlen und Guten, von dem unsere Vereinigung ausgeth und zu dem sie auch in jedem Fall hinführen soll. Ich machte Euch oft leiden, wo ich Euch erfreuen sollte, ich machte

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Euch oft schwerer, was ich Euch hette leichter machen sollen. Ich sprach früh das Wort aus: Ich will mich dem Zwekk unserer Vereinigung aufopfern, und lebte denoch mir selber und meinen Neigungen und fand mich gekrenkt, daß der Dienst des Hauses meine ganze Krafft ansprach. Ich forderte Euch auf, mit mir an s der Aufopferung unseres Selbst für unsere Pflicht, für unseren Zwekk und für unsere Kinder theilzunehmen, und zog denn meine Hand ab von der Schwere des Werks und wähnte, es sollte doch gedyen, wenn ich schon nicht an aller seiner Last theilnehme. O Gott, deinen Seegen, der unser Werk oft mitten unter meinen 10 Schwächen und Fehlern erhielt, diesen hohen Seegen deiner Güte mißbrauchte ich oft zum leichtsinigen Vertrauen auf ein Glük, das ich nicht verdiente, auf eine Hülfe, der ich nicht würdig war, und auf einen Grad Eurer Treu und Eurer Thätigkeit, Freunde, zu dem ich Euch weder durch genügsame Aufmunterung, noch 15 durch genügsame Mittwürkung, wie ich sollte, tüchtig und willig machte. Es ist Wunder, daß unser Haus noch steth. Ich schäme [mich] vor der Liebe selber, die ich [in] demselben genieße, ich schäme [mich] vor mir selber, ich schäme [mich] vor dir, o Gott, der du mit unverdienter Gnade ob mir waltest, ich schäme [mich] 20 vor Euch, Freunde, denen ich so oft Lasten zumuthe, die ich mit keinem Finger berühre; ich möchte meine Augen niederschlagen vor der Unschuld des Hauses und vor Euch, Kinder, die Ihr mich Vatter nennet, und vor Euch, Männer des Hauses, die Ihr mich Bruder nennet. 25 Doch[du], o Herr, bist gnädig und barmherzig! Du lenkest das Herz der Unschuld nicht von mir ab. Du erhaltest mir die Lieb der Meinen, und wenn ich mich vor dir demütige, daß ich dieser Gnade nicht werth, so erhebt sich mein Herz und freut sich und danket, daß du nicht mit mir handlest nach meinen Sünden und 30 mir nicht vergütest nach meiner Missethat. Mein Herz freut sich und danket, daß du mir das Herz der Meinen erhaltest und mich stille himlische Liebe umgibt. Du, o Herr, hast mich nicht in die Hände der Menschen gegeben, du, o Herr, hast mich in deiner Hand behalten. Lobe den 35 Herren, meine Seele, und preise seinen Nahmen! Der Herr hat Großes an mir gethan. Ich falle vor ihm nieder und opfere ihm meine Gelübde. Herr, du siehest den Jamer, du kenest meine Schwäche. Ich will dir nicht versprechen, besser zu syn, ich will

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dich nur biten: Mache mich besser, mache mich besser um dieser Kinder willen, die du mir gegeben! Ich bitte dich im Glauben, ich bete dich mit zerknirschtem Herzen: 0 Gott, mache mich besser, o Gott, mache mich besser um dieser Kinder willen, die du mir 5 gegeben hast! Freunde, Brüder, Gehülfen, betet mit mir: 0 Gott, mache uns besser um der Kinder willen, die du uns gegeben hast! Der Herr erhöre unser Flehen! Und Ihr, meine Kinder, Jünglinge, Mädchen, heute ruffe ich Euch nicht zu: Versprechet Gott und Menschen, besser zu werden! 10 Ich ruffe Euch zu: Erinnert Euch der Eitelkeit Euerer Versprechungen, gedenket, wie offt und viel Ihr Gott und Menschen versprochen habet, Euch zu änderen und besser zu werden, und wie wenig Ihr Eueren heiligsten Versprechen und Eueren fyrlichsten Gelübden treu gewesen! Ich rufe Euch zu: Gedenket heute der is Ursachen, worum Ihr nicht haltet und nicht halten könnet, was Ihr Gott und Menschen versprochen, ich rufe Euch zu: Gedenket Euers Unglaubens und Euerer Gottesvergessenheit und bittet Gott um den wahren Glauben, um kindlich liebevolle Anhenglichkeit an ihn. Und da Ihr sehet, daß Ihr nicht mächtig syt, Euch selber 20 zu besorgen, so betet Euren Vatter im Himmel: Mache du uns besser, wir können es nicht ohne deine Hülfe, wir können es nicht ohne deinen heiligen Geist! Jünglinge, Mädchen, Kinder! Meine Kinder! Ihr hörtet mich eben Gott um den Vattersinn beten, dessen ich für Euch bedarf. 25 Ihr hörtet mich beten, daß ich Euer Vatter syn köne. Betet Ihr jez Gott um den Kindersin, dessen Ihr bedörffet! Betet Gott, daß Ihr meine Kinder syn könet, wie ich Gott bat, daß ich Euer Vatter syn köne! Aber Euer Kindersinn gegen mich sy Kindersinn gegen Euern himlischen Vatter, wie mein Vattersinn Kindersin so gegen meinen himlischen Vatter syn soll. Kinder, Kinder, wenn je ein Mensch sein Herz erhoben fühlte, so fühle ich mein Herz erhoben, wenn ich als Euer Vatter in Eurer Mitte dastehe und Euch Kinder meine Kinder heiße. Und in der feyrlichen Stunde, in der ich heute Gott bitte, daß er das hohe Verheltnis, das zwü35 sehen mir und Euch stattfeindet, heilige und segne, möchte ich hinfallen auf meine Knie vor Dank und Freude, daß er das Band dieses Verheltnisses zwüschen Euch und mir geknüpft. Heilige uns, Vatter im Himel, heilige uns alle, die wir hier vor dir versamelt sind, daß wir alle in dem Verheltnis, in das du uns unter

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einander gesezt hast, eins werden in der Liebe und im Glauben an dich, ohne den keine Liebe zu dir möglich ist. O Herr, unser Vatter, laß diesen Tag der Büß und des Gebeths ein Tag der feyerlichsten Erneuerung unseres Bunds syn, laß ihn ein Tag der Erneuerung unserer selbst zu allem Hohen und Heiligen syn, 5 das in dem vätterlichen und kindlichen Verheltnisse zwüschen uns statt hat! Gib uns Gnade, daß wir alle deine Kinder syen in Wahrheit und Treu! Denn, aber auch nur denn werden wir imstand syn, in Treu und Wahrheit als Brüder untereinander zu leben. Nur um deinetwillen, nur durch dich werden wir vermögen, 10 aller Selbstsucht, aller Leidenschafft und aller Sünde zu entsagen, die die Menschen hinteren, als deine Kinder und als Brüder untereinander zu leben. Groß ist der Zwekk des Tags, heilig ist dise Stunde! Das ganze Volk wirft sich vor dem Angesicht Gottes in Staub. Es ist der Tag 15 der feyerlichsten Anbetung Gottes. Es ist ein Tag des fyrlichsten Aufrufs zur Heiligung und zur Versöhnung. Das ist er der ganzen Gemeinde der Kristen im Vatterland. Welch ein Seegen wird er über jeden verbreiten, der an seiner Feyer hohen und reinen Antheil nihmt! Das soll, das wird er auch uns syn, wenn wir an seiner 20 Feyer hohen und reinen Anteil nehmen. Brüder, Männer, Freunde! Binden uns nicht hohe Entschlüsse zum Wohle der Menschheit zusammen ? Hat uns Gott nicht über unser Hoffen und Glauben Mittel gegeben zum Dienste der Menschen? Steht der Baum, den Gott uns pflanzen ließ, nicht in 25 hoffnungsvollem Wachsthum vor uns? Sehen wir es nicht? Er wird ein Baum des Segens werden, er wird Menschenthränen trocknen! Sehen wir es nicht, wie er wächst und blüht, sehen wir es nicht, wie Gott ihn schützt, daß er gedeihe und Frucht trage? Wer ist in unsrer Mitte, dessen Herz sich nicht zu dem Gedan- so ken erhöbe, der Menschheit und der unerzogenen und verzogenen Jugend durch seine Treue und seine Arbeit ein besseres Schicksal zu bereiten? Wessen Seele freute sich nicht, Theil zu nehmen an diesem Werke der Liebe und des Heils? Betet mit mir, Brüder und Freunde: Vatter im Himel, mache 35 uns des Segens würdig, den Du in unsre Hand legtest! Sei Du unsre Stütze, unser Rathgeber und Führer, daß wir imer mehr fähig werden, in Deiner Furcht und Deiner Liebe für die Menschheit zu würken und uns dahinzugehen in Deinen Dienst! Reinige

Rede am Bußtage 1810

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und heilige uns, Vater im Himel, daß wir uns selbst verleugnen und uns selbst und der Menschheit nur durch Dich sein wollen, was wir ihr sein könen! Veredle uns, Vatter, in Deinem Dienste und durch Deinen Dienst! Sei mit uns und lehre uns mit Dir sein 5 und durch Dich leben und würken! Vater im Himmel! Mache uns den Tag, den Du uns heute gegeben hast, zu einem göttlichen Tage, in dem Du uns rufst zu Deinem Dienste, daß wir von nun an Dir leben und Dir sterben! Segne uns, Vatter im Himel, und flöße den Geist der Liebe 10 und des Friedens, den wir von Dir bitten, in die Herzen aller derer, die Du uns vertrauet hast, daß unsre Arbeit an ihnen gesegnet sei, und der Tag, den wir heute vor Dir feiern, uns Allen Früchte trage in das ewige Leben! Amen.

Wcihnachtsrede 1810

Weihnachtsrede 1810

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Kinder, Jünglinge, Töchter, Männer, Freunde, Brüder! Wozu der Ruf dieses Tages zur Freude ? Ein Jahrtausend, und fast noch eins sind verflossen, seitdem man sich in dieser Stunde immer so freute. Ist aber die Freude dieser Stunde nicht eben 5 darum jetzt seelenlos, weil sie so alt ist, und besitzen wir nicht etwa nur noch die Hefen und den Schein ihres heiligen Wesens ? Dann möchte ich nicht daran Theil nehmen, ich möchte mich dann nicht freuen, ich möchte dann trauern in dieser Stunde der alten Freude. Ich frage: Diese alte Freude, was war sie? Ich sehe 10 mich um nach dem, was jetzt ist, und frage mich wieder, was ist es? Ich habe von den Alten gehört und zum Theil noch selbst gesehen: Die Weihnacht war dem Menschen eine Nacht, die keiner irdischen Nacht glich. Der Tag der höchsten irdischen Freude war nicht ihr Schatten. Die Jahrestage der Landeserlösung von is Knechtschaft, die Jahrestage der Freiheit waren ihr nicht zu vergleichen. Sie war ganz eine himmlische Nacht, eine Nacht himmlischer Freuden. In ihrem stillen, Gott geweihten Dienst ertönten die Worte: Ehre sey Gott in der Höhe, Friede auf Erden und dem Menschen ein reines Gemüth. Als noch die Engel sich 20 gleichso ob den Häuptern der Menschen in dieser Stunde versammelten und Gott priesen, daß der Heiland der Welt geboren ward, - welch eine Nacht war die Weihnacht! Wer kann ihre Freuden beschreiben; wer kann ihre Wonne erzählen? Die Erde war in ihr in einen Himmel umwandelt. In ihr ward Gott in den 25 Höhen gefeyert, Friede war auf Erden, und in ihr zeigten die Menschen ein frohes Gemüth. Ihre Freude war im innersten heiligen Wesen der Menschennatur belebt. Sie war nicht bloß eine Freude des Menschlichen im Menschen. Die Freude des Menschlichen im Menschen ist nur an Ort, Verhältnisse und Lage ge3o bunden. Sie ist nur eine Freude vereinzelter Menschen. Die Freude der Weihnacht war allgemein, sie war die Freude des Menschengeschlechts, und sie war dieses, weil sie eine Freude nicht bloß des Menschlichen, sondern des Göttlichen im Menschen war. Darum, und darum allein konnte sie allgemein, darum allein 35 konnte sie die Freude des Menschengeschlechts seyn.

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Brüder, Freunde, Kinder, könnte ich Euch hinführen in die alte Christenwelt, und Euch die Feyer dieser Stunde in den Tagen der Unschuld und des Glaubens zeigen, wo es die halbe Welt noch für ein Geringes hielt, für den Glauben an Jesum Christum zu sterben! 5 Brüder, Freunde, könnte ich Euch die Freuden der Weihnacht zeigen im Bild dieser Tage! Das Herz voll des heiligen Geistes und die Hand voll menschlicher Gaben - so stand der Christ in dieser Stunde im Kreis seiner Brüder. So stand die Mutter im Kreis ihrer Kinder. So stand der Meister im Kreis seiner Gesellen, der Herr 10 im Kreis ihm eigner Leute. So stand die Gemeinde vor ihrem Pfarrer, im Herzen voll des heiligen Geistes und ihre Hand voll menschlicher Gaben; so ging jetzt der Reiche in die Kammer des Armen. Der Feind bot in dieser Stunde dem Feind die Hand der Versöhnung. Der Sünder kniete in dieser Stunde in Thränen über 15 seine Vergehungen nieder, und freute sich des Heilands, der ihm seine Sünden verziehe. Die Stunde der himmlischen Freude war die Stunde der himmlischen Heiligung. Die Erde war in dieser Stunde eine himmlische Erde, und der Wohnsitz der sterblichen Menschen duftete Gerüche des unsterblichen Lebens. Tod und 20 Gram schienen von der Erde verschwunden. Die heiligen Freuden der Nacht erleichterten die Lasten der Armen, minderten den Jammer der Elenden. Gefangene, die das Licht des Tages lange nicht gesehen, wurden in dieser Nacht aus dem Kerker erlöst, und kamen, wie wenn sie ein Engel Gottes hinzuführte, in den Kreis 20 ihrer für ihre Erlösung knieenden, und in Thränen sich befindenden Weiber und Kinder, weil das Herz ihres Richters in der Freude, daß auch sein Erlöser Jesus Christus geboren, milder geworden gegen sein Geschlecht, gegen seine Feinde und gegen seine Gefangenen. Düfte des unsterblichen Lebens weheten über so das Menschengeschlecht. Selber der zum Tod geweihte Verbrecher, dem keine menschliche Gewalt mehr das Leben retten konnte, war in diesen Tagen milder behandelt. Worte des Friedens, Worte des ewigen Lebens flößten Trost in seine zitternden Gebeine. Er fühlte jetzt nicht bloß seine Schuld und seinen Jam- 35 mer; er fühlte jetzt die Erlösung der Sünde und ging dem Ende seines Lebens ruhiger und muthvoller entgegen. Tausend und Tausende, die, wenn sie des Lebens Noth und seine Schwäche in Schulden stürzte, und die Härte roher Gläubiger sie unbarmherzig

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verfolgte, fanden in diesen heiligen Tagen gesetzliche Verständigung und oft milden Nachlaß von edlern Gläubigern. Tausende und Tausendc von diesen Edlen erhoben sich in der Freude, daß Jesus Christus, ihr Erlöser, geboren, in hoher Milde gegen un5 glückliche Schuldner, und wurden ihre Erlöser. Welche Nacht warst du, o Weihnacht, dem Volke der Christen! Könnte ich ihren Segen schildern, Eure Herzen würden bewegt, Ihr würdet ihren Segen empfangen, Ihr würdet suchen Gottes heiligen Geist, und Eure Hände zitterten, in dieser Stunde menschliche Gaben 10 heilig zu geben, und heilige Gaben menschlich zu empfangen, weil Jesus Christus, Euer Erlöser, geboren, und Ihr Euch dessen freutet mit heiliger Freude. 0, daß Jesus Christus im Geist uns jetzt erschiene! Ach, daß wir wären wie die Kinder der Christen, denen die unsichtbare gött15 liehe Liebe im Christkindlein erscheint als ein unschuldiges Kind, das ihnen an Gestalt und Form gleich ist, aber vom Himmel herabkommt, ihnen Freude zu machen und ihnen Gaben zu bringen. Möchte uns die Freude dieser Stunde, möchte uns die Freude über die Geburt unsere Erlösers dahin erheben, daß Jesus Christus uns 20 jetzt als die sichtbare göttliche Liebe erschiene, wie er sich für uns aufgeopfert, dem Tod hingegeben. Möchten wir uns der Stunde seiner Menschwerdung freuen, weil er uns in dieser Stunde die große Gabe seines Todes auf die Welt brachte, und auf den Altar der göttlichen Liebe hinlegte. Er war von dieser Stunde an 25 der für uns geopferte Priester des Herrn. Freunde, Brüder, Schwestern! Lasset uns beten: O Gott, gib sie uns wieder, die schönen Tage der Welt, wo das Menschengeschlecht sich des Erlösers Jesus Christus, sich seiner Geburt wahrhaft freute! Gib uns die Zeiten wieder, wo die menschlichen Herzen in dieser so Stunde voll waren des heiligen Geistes, und ihre Hände voll menschlicher Gaben für ihre Brüder! Vater im Himmel, du gibst sie uns wieder, wenn wir sie wieder wollen. Wie einst ein Mann Jesum Christum fragte: Herr, was muß ich thun, daß ich selig werde, also wollen wir uns selbst fragen: Herr, was müssen wir 35 thun, daß die Weihnacht uns das werde, was sie den Christen in ihren besseren Tagen geworden ? Was müssen wir thun, daß unsre Weihnachtsfreuden unserm Haus allgemeine Freuden werden; wie ihre Freuden ehemals dem Menschengeschlechte allgemeine Freuden waren ? 24 Pestalozzi Werke Bd. 22

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Freunde, Brüder, diese Frage ist es, mit deren Beantwortung ich Euere Andacht in den feyerlichen Stunden dieses dem christlichen Herzen heiligen Fests unterhalten will. Freunde, Brüder, die Freuden der Weihnachten waren unsern Vätern allgemeine Freude; sie waren in ihren Tagen Freuden des 5 Menschengeschlechts, weil sie himmlische Freuden, weil sie Freuden der himmlischen, heiligen Liebe waren. Also werden die Freuden der Weihnacht auch unserm Haus allgemein werden, wenn wir uns dahin erheben, daß sie in unsrer Mitte Freuden der himmlischen, heiligen Liebe seyn werden. Freunde, Brüder, die 10 Gemeinheit der Liebe ist die einzige wahre Quelle der Gemeinschaft der Freude; sie ist die einzige wahre Quelle des Göttlichen, des Heiligen in der Liebe, und dieses allein zerreißt die Bande, die die Freuden im Menschen fesseln, daß sie nur als beschränkte Freuden des Einzelnen am Einzelnen als Freuden zu erscheinen js vermögen, in deren rege gemachtem Jubel die menschliche Selbstsucht thront, und die Haufen der Freudigen, von den Haufen der Traurigen sondert, und diese letztern ohne Theilnahme ihrem Schicksal überläßt, indeß sie unter den ersten Neid und Sorgen erregt, daß jeder freudenlos und sorgenvoll seiner eignen Freude 20 hütet und wacht, glaubend und fürchtend, daß seine Mitfreuenden nur darauf losgehen, ihm die Wasser und Quellen der seinigen abzurichten, und ihre Wasser auf ihre eigne Mühle zu leiten. Das ist das Schicksal der Freude, die in den Banden des bloß Menschlichen gefesselt, sich nicht zum Göttlichen, zum 25 Heiligen der Freude zu erheben vermag. Männer, Brüder, Freunde, wo die Gemeinschaft der Liebe mangelt, da ist die Quelle der Gemeinschaft der Freude gestopft. Wenn wir also die Weihnacht für unser Herz zu einem Fest machen wollen, wie es unsern Vätern war, so müssen wir die Ge- so meinschaft der Liebe in unsrer Mitte herstellen und sichern. Diese aber mangelt allenthalben, wo der Sinn Jesu Christi und die Kraft seines Geistes mangelt. Brüder, Freunde, unser Haus ist auf Sand gebaut, wenn uns dieser Sinn und diese Kraft mangelt. Brüder, Freunde, umsonst 35 suchen wir die Gemeinschaft irgend einer Freude, wenn uns die Gemeinschaft der Liebe mangelt. Brüder, Brüder, wenn uns nur das Menschliche, wenn uns nur das Zeitliche vereiniget, so sind wir in unserm Innern schon zer

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rissen, und unser Äußeres wird und muß zusammenfallen, wie ein Spinnengewebe, das eine Mücke durchbricht, und ein Windstoß zernichtet. Freunde, Brüder, es ist kein Geringes, wenn Menschen zusamsmenstehen zu einem heiligen Zweck; sie müssen sich selbst in ihrer Vereinigung heiligen, wenn ihr Zweck in ihnen ein heiliger Zweck bleiben, und durch sie ein heiliges Werk werden soll. Aber die Menschen verderben sich weit mehr durch ihre Vereinigung, als daß sie sich in derselben und durch sie heiligen. 10 Freunde, Brüder, laßt uns die Gefahren aller menschlichen Vereinigung nicht mißkennen. Wo immer nur das Menschliche im Menschen mit dem Menschlichen in ändern Menschen sich vereiniget, da heiliget und reiniget sich der Mensch nicht durch seine Vereinigung. Nur wo das Göttliche im Menschen mit dem i5 Göttlichen in ändern Menschen sich vereiniget, nur da reiniget und heiliget sich der Mensch durch seine Vereinigung mit ändern Menschen, und das Göttliche im Menschen vereiniget sich mit dem Göttlichen in ändern nur durch die Gemeinschaft des Sinnes Jesu Christi und seines heiligen Geistes. Wer den Sinn Jesu Christi 20 und seinen Geist nicht hat, der veredelt sich durchkeine menschliche Vereinigung. Brüder und Freunde, lasset uns die Gefahren unsrer eignen Vereinigung nicht mißkennen! Sie sind groß. Gott deine Güte ist es allein, daß wir ihnen nicht schon längst unterlagen! WTie vielseitig hat sich in unsrer Vereinigung das bloß 25 Menschliche des Einen an das bloß Menschliche des Ändern, die Schwächen der Einen an die Schwächen der Ändern angeschlossen. Wie vielseitig oft suchten wir unsre Schwäche durch die Schwäche derer, an die wir uns anschlössen, nur zu erhalten und zu verbergen. Wie wenig erhob uns das äußere Glück unsrer Ver30 einigung wirklich. Wie wenig förderte es das heilige Göttliche in unserm Innern. Wie oft erhob sich unser Gefühl ohne höhern göttlic henSinn zu bloß menschlicher Freude über ein Glück, das in dem Grad trügend ward, als wir es nur menschlich auffaßten. Gott, wie wenig stärkte uns unser Glück und wie vielseitig 35 schwächte es uns. Freunde, Brüder, laßt es uns nicht verhehlen: die Geschichte unsers vereinigten Lebens ist die Geschichte der waltenden Gnade Gottes über die Vereinigung großer menschlicher Schwächen zu einem heiligen Zweck. Wir haben unsern Zweck menschlich verfolgt, und Gott hat unser Streben himm-

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lisch gesegnet; aber wir waren seines himmlischen Segens nicht würdig; unsre Schwächen sind bey seiner Güte meistens die nämlichen geblieben und öfter durch sie noch größer geworden. Brüder und Freunde! Die Tage unsers Glücks haben uns nicht, wie sie hätten sollen, für die Tage des Unglücks vorbe- 5 reitet und gestärkt, und doch mußte dieses Unglück nothwendig kommen, wenn wir den menschlichen Schwächen, die das Göttliche aller höhern Zwecke untergraben, nicht unterliegen sollten. Brüder, Freunde, wollen wir den Schwächen unsrer Menschlichkeit unterliegen und unser Haus der Auflösung ent-10 gegen gehen sehen, oder wollen wir uns über unsre Schwächen erheben und unser Werk von seinem Verderben retten ? Freunde, Brüder, soll die kommende Weihnacht für uns ein Tag der tiefsten Trauer, oder soll sie ein Feyertag des Siegs über uns selbst und über unsre Schwächen werden? Der entscheidende 15 Zeitpunkt ist da, das Glück hilft unsrer Vereinigung jetzt nicht mehr vorwärts. Es ist kein Glück möglich, das ihr jetzt wahrhaft vorwärts helfen kann; nur unsre Tugend allein kann uns im Zweck unsrer Vereinigung wahrhaft vorwärts bringen, nur diese muß es wahrhaft vorwärts bringen. Ihr stehet da, Freunde, fast 20 ohne einen Führer. Meine Kraft ist dahin. Ich bin Euch nicht mehr Beyspiel in allem dem, was Ihr als Glieder unsrer Vereinigung täglich thun sollt. Euere Aufgabe ist groß. Ihr sollt zugleich Euch selbst bilden und Lehrer seyn der Jugend, die uns anvertraut ist. Ihr sollet der Welt widerstehen in ihrem eitlen Thun, 25 und doch Menschen befriedigen, die in diesem eiteln Thun grau geworden. Ihr sollet eine Bahn brechen durch unwegsame Orte und darauf wandeln, als ob sie schon gebrochen wäre. Ihr sollet Euch als Jünglinge bilden, und als Männer dastehn. Freunde, unser menschliches Zusammentreffen ging nicht von so dieser Höhe aus, und unser zeitliches Beysammenseyn hat uns nicht zu dieser Höhe erhoben, und doch fordert die Erzielung unsere Zwecks unumgänglich, daß wir uns zu demselben erheben. Freunde, Brüder, wie erhaben steht dieser Zweck vor meinen Augen. Könnte ich ihn Euenn Gemüth darstellen, wie ich die 35 heilige Weihnacht der Alten Euerm Gemüth vorgestellt! Auch er geht nicht vom bloß Menschlichen, er geht vom Göttlichen, das in unsrer Natur liegt, aus; er ist darum der Zweck des Menschengeschlechts, er ist darum allgemein, er will nur erhalten und be-

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leben, was Gott allgemein in alle Geschlechter der Menschen gelegt hat. Auch seine Mittel gehen nicht vom bloß Menschlichen unsrer Natur aus; auch sie sind Mittel unsrer himmlischen göttlichen Natur. Nur in so weit, als er in uns selber als ein göttlicher 5 Zweck und als durch göttliche Mittel entfaltet, in uns lebt, nur in so weit hat er in uns selbst ein w a h r h a f t menschliches Fundament, und nur in so weit kann er uns selbst einen allgemeinen Frieden und allgemeine Beruhigung verschaffen. Freunde, Brüder, wird das unter uns mangeln, so ist unsre 10 Vereinigung für unsern Zweck nur eine Traumerscheinung, und unsre Augen werden mit Thränen benetzt seyn, wenn wir aus unserm Traum erwachen. Brüder, Freunde! Wenn wir unter einander nur so vereinigt sind, wie sich die Menschen zu allem eiteln Thun ihres nichtigen 15 Seyns vereinigen, so wird das Schicksal aller ändern eiteln menschlichen Vereinigungen auch für uns das Nämliche seyn. Die eiteln Bande der Welt werden unsre Vereinigung in ungöttlichen Fesseln erniedriget zu der Tiefe herabführen, in welche die Menschheit in jeder Vereinigung - die sich nicht innerlich göttlich über ihr 20 menschliches Band erhebt, allgemein herabsinkt. Die niedere Selbstsucht wird ob unsrer Verbindung thronen, wie sie ob tausend Verbindungen der Menschen thronet, sie wird unsre Verbindungen in ihren Fundamenten erschüttern, und sie wie ein Haus, das das Erdbeben erschüttert, in sich verfallen machen, 25 wie sie tausend Menschenverbindungen also erschüttert und zusammenfallen gemacht. Blicket hin, Freunde, und wendet Eure Augen nicht ab von diesem Bilde 1 Wie würde uns zu Muth seyn, wenn alles dieses geschehen würde? Wendet Eure Augen nicht vom Bilde meiner Wahrheit! Wenn wir, den Schwächen in uns so selbst unterliegend, uns einst trennen sollten; wenn einige in der Scheinruhe und in der Scheinfreude ihrer Selbstsucht, andre in der Trauer ihrer Schwäche und in ihrer Schwäche dennoch selbstsüchtig, das Ganze verlassen, und nur für sich selbst sorgen würden; wenn jetzt die einen sich von den ändern scheiden und die 35 Stärkern die Schwächern ihrem Schicksal überlassen würden; wenn, unbekümmert wie es ihnen gehe, einige unter uns das Trugwasser des eiteln Ruhms in sich schlucken, andere dasselbe um des schnöden Gewinnsts von der Mühle der ändern ab und auf ihre zurichten würden: - Freunde, Brüder, könnet Ihr das Bild einer

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solchen Auflösung unsrer Vereinigung, könnet Ihr ein solches Versinken unsrer selbst, eine solche Zernichtung unsrer Zwecke und aller Folgen unsrer Arbeit und aller unsrer Anstrengungen vor Augen haben, ohne daß das Innerste Eures Wesens in Flammen lodere, zu verhüten die Tage dieser Trauer? 5 Freunde, Brüder, Ihr könnt das nicht, Ihr erhebt Euch, Ihr vereinigt Euch; wir erheben uns, wir vereinigen uns zu unsrer Rettung! Könnten wir anders? Könnten wir den Gedanken, dem Volk des Landes in seiner ersten Angelegenheit, in seiner Erziehung zu helfen, Jahre lang in unsenn Busen genährt haben, und 10 ihn jetzt wieder vergessen? Könnten wir die heiligen Stunden, in denen unser Herz für unsern Zweck warm und fromm schlug, könnten wir der Stunden vergessen, in denen wir Eins durch unsre Vereinigung, gleichsam von der Welt geschieden, uns selbst gleichsam als Geweihete unsere Zweckes ansahen, und es uns 15 Hand in Hand versprachen und öffentlich vor den Menschen bezeugten, daß wir uns diesem heiligen Zweck aufopfern und einander beystehen wollen, bis ein jeder in sich selber vollendet, das Opfer seines Lebens selbstständig und keiner weitern Hilfe bedürftig, unserm heiligen Zweck darzubringen im Stand seyn 20 werde? Wer unter uns hat den Geist unsrer Vereinigung einen Augenblick in seinem Busen gefühlt, und könnte den Mindesten und Kleinsten unter uns, der mit Innigkeit und Wahrheit an unserm Zweck hängt, verlassen, ohne ihm seine Hand zu bieten und ihn, so viel an ihm ist, ausreifen zu machen für unsern 25 Zweck? Wer kann die Blüthe der Jugend, die an Frohsinn, an Mutterwitz, an Denkkraft, an Kunstkraft, an physischer Stärke und Gewandtheit wenige ihres Gleichen findet, wer kann diese Kinder, die vor unsern Augen weit mehr als gewöhnlich gut erzogen und unterrichtet erscheinen, mit Kaltsinn von uns scheiden so und aus einander gehen sehen ? Wer von uns kann den Punkt der verbesserten, dem Gang der Natur näher gebrachten Unterrichtsmittel vor seinen Augen sehen, und das Stillstellen des Versuchs, aus dem diese Verbesserung hervorgegangen, mit Gleichgültigkeit ansehen? Nein, das könnet Ihr nicht! Ich kenne Euch, und lobe 35 nicht Euer aller Stärke, aber das weiß ich doch, daß viele von Euch mit mir lieber sterben wollten, als daran schuld seyn, daß die Seegensfrüchte unsrer Bemühungen, durch unsre Fehler als Schwäche still gestellt und verloren gehen müßten!

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Nein! nein! Brüder! Brüder! hoch erschalle in der Stunde der Weihnacht die Stimme des Bundes, der uns alle vereiniget. Hoch erschalle die Stimme des Bundes, die einmal unsre Herzen zum Dienst unsrer Brüder erhob! Freunde, Brüder, wir wollen unserm 5 Bund getreu seyn und nicht von der Bahn weichen, die uns die Liebe zu unserm Geschlecht vorweist. Ihr endliches Ziel sey und bleibe, uns unserm Zweck, dem heiligen, zu opfern, und uns selbst unter einander zu aller Bildung unsrer selbst für unsern Zweck treu zu bleiben; den Kindern, den Geliebten, die blühend an 10 unsrer Seite aufwachsen, treu zu bleiben; dem Forschen nach reiner Wahrheit in allen Mitteln ihrer Bildung und nach reiner Liebe, im ganzen Umfang unsrer geheiligten Verbindung mit reinem Herzen treu zu bleiben. Freunde, Brüder, der Tag, den wir heute feyern, der Tag der is Geburt unsers Erlösers sey der Tag einer heiligen Erneuerung unsrer Vereinigung zu unserm Zweck. Der heilige Tag, den wir feyern, sey ein Tag der feyerlichsten Erneuerung unsrer selbst zu allem Dienst unsers Zweckes. Freunde, Brüder, wie wir uns der Menschwerdung Jesu Christi freuen, also freuen wir uns der hei20 ligen Vereinigung unsrer selbst zu unserm Zweck. Unsre Freude sey eine reine Folge des Glaubens an Jesum Christum und unsrer Liebe zu ihm. Uns erhebe das Heilige, das Göttliche, das in unserm Zweck liegt, hoch über uns selber. Es erhebe uns hoch über die Gefahren des Menschlichen, das in unsrer Vereinigung, wie 2» in der Vereinigung aller unsrer Brüder statt hat! Laßt es uns Ernst seyn, und uns heut nicht mit eiteln Worten täuschen, und den Tag der Weihnacht des Herrn nicht mit dem Trug unsrer Selbstsucht beflecken! Es weiche von uns jeder, der in unsrer Vereinigung nur Mittel zur Befriedigung seiner Selbstsucht sucht; so es weiche von uns jeder, der unsre Vereinigung zu nichts braucht, als durch dieselbe seinen Schwächen mehr Spielraum zu geben, und sie in unsrer Mitte stärker werden zu lassen. Es weiche von uns, wer in einem Stück in unsrer Verbindung schwächer werden könnte, als er außer ihr nicht geworden wäre. 35 Der Zufall hat uns vereiniget, das mußte so seyn, aber der Zufall soll uns nicht bey einander erhalten, wie das Netz gefangene Fische zusammenhält, daß sie dem Tod nicht entrinnen und alle ihr Leben verlieren. Nein, nein, die Stunde ist gekommen, die Spreu von den guten Samen zu sondern. Von der Stunde an

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soll unsre Vereinigung nicht mehr dazu dienen, irgend einem in der Schlechtheit Nahrung zu geben. Es ist genug, es ist genug. Gottes Güte gab einem jeden von uns eine Zeit der Gnade, eine Zeit der Schonung. Diese ist für ihren Mißbrauch vorüber; sie muß für ihren Mißbrauch vorüber seyn. Es weiche von uns, wer 5 den Zweck unsrer Vereinigung, den heiligen, nicht fördert, es weiche von uns, wer den Zweck unsrer Vereinigung nur stört! Brüder, Brüder, wir zerreißen heute die Bande des Zufalls; wir müssen sie zerreißen! Uns vereinigen von heut an nur unsre Tugend und unsre Liebe. Unsre Auflösung sey uns lieber als 10 unser Versinken. Entweder uns aufzulösen, und zu werden, was jeder für sich werden kann, oder als ein Herz und eine Seele dazustehen vor Gott und den Menschen für unsern Zweck, für den heiligen, das ist heute unsre Pflicht. Brüder, Freunde, laßt uns ihr getreu seyn, und wandelt mit 15 mir muthig ihre Bahn. Ich bin der Schwächste in Eurer Mitte, aber dennoch zu jedem Opfer bereit, was die Rettung unsere vereinigten Zwecks, des heiligen, von uns fordern mag. Freunde, Brüder, seyd es mit mir! Seyd mit mir zu jedem Opfer bereit, das zur Rettung unsere vereinigten Zwecks, des 20 heiligen, nothwendig seyn wird. Sie werden nicht klein seyn, diese Opfer. Es ist kein Geringes, seine Hand an die Erziehung der Menschen zu legen, und sich vorzudrängen unter seinem Geschlecht und es auszusprechen: Wir sind da, sehet auf uns, wir wollen und wir können etwas Wesentliches zur Verbesserung der 25 Erziehung unsere Geschlechts - wie es jetzt ihrer theilhaftig wird, beytragen; wir können und wollen das Wohl der Welt, das Heil unsere Geschlechts von dieser Seite wahrhaft und zuverlässig befördern. Freunde, Brüder, so hat man den Zweck unsrer Vereinigung so ins Auge gefaßt, so haben wir ihn fast selbst ausgesprochen. Das Verderben der Erziehung fühlend, und unter seinem Irrthum nothleidend, hat die Welt dem Hochflug meiner Begeisterung Vertrauen geschenkt, und unserm Thun Lorbeern gestreut, da wir kaum angefangen, die Mittel zu suchen, durch die ein schöner 35 Traum in Wirklichkeit hinüber gehen sollte. Ich irrte selbst; ich achtete den Weg zu meinem Ziel viel kürzer, als er ist, und der Weihrauch, den man uns streute, und der Erfolg, den unreife einzelne Versuche wirklich hatten, stärkte unsern Irrthum, und

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wirkte nicht wohlthätig auf unsre Verbindung und auf unsre Anstalt. Es entfalteten sich Keime ihres Verderbens. Es entfaltete sich eine Gewaltsamkeit einseitiger Ansichten, die, indem sie sich widersprechend durchkreuzten und gegenseitig unreif unterein5 ander anstießen, Verderben über unser Daseyn breiteten und dem leichten Sinn der Zeit, dem unser Thun für ein Modelob schon an sich zu alt war, eine Empfänglichkeit für den Tadel gab, der jetzt bald, ich sehe es voraus, in einen Modetadel hinüber gehen wird, das dem Modelob, das ihm vorherging, in seinem Wesen gleich 10 ist. Aber es ist uns gut, daß diese Stunde kömmt, sie ist uns besser, als die Stunde des eiteln Lobes. Täuschen wir uns nicht: unser Tadel wird scharf und seine Stunde ernst. Gutes Haus, deine Liebhaber werden jetzt deine Tadler, und du weißt, daß der Tadel der Liebhaber immer scharf ist, und deine Feinde werden 10 ihren Tadel zum Zeugnis wider dich brauchen. Gutes Haus, du bist wie eine Blume in der Wiese aufgewachsen und erregtest den Neid vieler Kunstgärtner, du störtest etwas zu frühzeitig ihren Köhlerglauben an ihren Garten und an ihre Kunst, und jetzt werden sie die frühzeitige Störung ihres Glaubens wieder vergelten. 20 Freunde, Brüder, achtet die Stunde, in der Ihr lebet, nicht gering, unser Gold wird geläutert, und im Wallen seiner heißen Stunden werden nur seine Schlacken oben auf schwimmen. Die Welt wird eine Weile nur diese sehen, und so lange allen Glauben an das Gold, das in einer Tiefe unter den schäumenden Schlacken 25 liegt, verlieren. Freunde, Brüder, lasset Euch das nicht irren. Freut Euch der Trennung der Schlacken Eures Thuns von seinem heiligen Wesen. Freut Euch, daß diese eine Weile oben auf schwimmen und Euer Gutes selber vor den Augen derer, die nicht in die Tiefe dringen so mögen, verborgen seyn wird! Die Stunde der Läuterung wird vorübergehen; die nichtigen Schlacken unsers Thuns werden ins Wasser geworfen und sich darin verlieren wie Spreu, die in die Flammen geworfen wird, sich darin verliert. Das Geläuterte wird bleiben. Aber, Freunde, Brüder, darüber prüfet Euch, darüber 35 geht nicht mit Leichtsinn hinüber! Was wird denn bleiben, was wird denn bleiben ? Vieles, vieles, das wir als gutes Gold in unserm Thun ansehen, liegt jetzt im wallenden Schaum seiner Schlacken. Irrt Euch nicht! Ihr müßt das Gold unsers Strebens nicht im Äußern unsers Thuns, Ihr müßt es im Innern Eurer selbst suchen,

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finden und würdigen. Nur was wir selbst werth sind, wird in Rücksicht auf uns unser Werk werth seyn - und dieses ist groß, es darf nicht klein seyn; es darf sich auch nicht in der zweydeutigen Größe der äußeren Erscheinungen der Welt verlieren, wie sich ein Edelstein in einem Sandhaufen verliert. Nein, es darf 5 nicht klein seyn, es ist in seinem Innern groß. Es fordert eine seltene Höhe des Herzens, Reinheit in den Ansichten des Lebens, willenlose Unterwerfung unter das ob uns waltende Schicksal, Anstrengung aller unsrer Kräfte, Muth in jedem Vorfall des Lebens, Überwindung unsrer selbst in allem Dienst der Liebe - unser 10 Werk fordert Heldenkraft zum Heldenziel. Männer, Brüder! Täuschen wir uns nicht, wir haben ein Ziel von Helden und bedürfen Kräfte der Helden. Wo sollen wir sie suchen ? Wo sollen wir das Gold, das wir dafür bedürfen, in dem Schwergewicht, in dem wir es bedürfen, hernehmen? 15 Brüder! Gott ist in dem Schwachen mächtig. Der Erlöser der Welt erschien uns ja, in der Krippe liegend, als ein unmündiges Kind, und die Herrlichkeit des Eingebornen vom Vater war den armen Feldhirten, die die Schafe hüteten, von den Engeln verkündet. 20 Der Tag, den wir feyern, der Tag der heiligen Weihnacht, erhebe uns zu einem hohen heiligen Muth für unser Werk. Brüder, sind wir fähig, das Weihnachtsfest im Geist der edelsten unsrer Väter, im Geist wahrer Christen zu feyern, so sind wir auch fähig, unser Werk zu vollenden. Wohl sagt Jesus, wenn ihr Glauben 25 habet, wie ein Senfkorn, so sprechet Ihr zu diesem Berg: Hebe dich, und er hebt sich! Freunde, wenn Ihr Glauben habet, wie ein Senfkorn, so werdet Ihr, wenn Hindernisse Euerm Werk im Wege stehen wie Berge, deren Fuß an die Abgründe gekettet ist, und deren Gipfel die Wolken berühren, dennoch zu ihnen sagen: so Hebet Euch, und sie werden sich heben. Freunde, wenn wir dieses Fest im wahren Glauben feyern, so werden wir auch unser Werk im wahren Glauben vollenden. Werfet einen Blick zurück auf dieses Fest, wie es vom wahren Glauben gefeyert war, und wie ich es Euch schilderte. Das Herz voll heiligen Geistes und die 35 Hand voll menschlicher Gaben, also stand der Christ in dieser Stunde im Kreis seiner Brüder. Die Stunde der himmlischen Freude des Festes war die himmlische Heiligung unsres Geschlechts. Die Erde war in ihr eine himmlische Erde. Der Wohn-

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sitz des sterblichen Menschen duftete Gerüche des unsterblichen Lebens. Feyern wir diese Stunde im Geist der schönern Tage des Christenthums, so ist auch unser Herz jetzt voll des heiligen 5 Geistes, und unsre Hand voll menschlicher Gaben. So stehen wir denn im Kreis unsrer Brüder, im Kreis unsrer Kinder. Wir strecken die Hand unsrer Liebe nach ihnen aus; sie sehen sie, sie sehen das Auge unsrer Liebe, und wallen mit eben der Liebe unserm Auge und unsrer Hand entgegen. Wenn wir das thun, 10 wenn wir das Fest im alten Geist des Christenthums feyern, so sind uns die Freuden des Tages himmlische Freuden; sie sind dann eine himmlische Heiligung unser selbst. Freunde, Brüder! Unser Haus ist dann ein Haus des Himmels, und der Wohnsitz unsrer Schwäche duftet dann Gerüche des is unsterblichen Lebens. Freunde, Brüder! Die Gemeinschaft der Freuden des Tages ist dann die Gemeinschaft der Liebe, unser Haus ist dann nicht mehr auf Sand gebaut. Die Selbstsucht und Sinnlichkeit thront dann nicht mehr über unsern Freuden, sie vergiftet dann nicht 20 mehr unsre Leiden. Sie trennt uns dann nicht mehr. Die öde Lieblosigkeit flieht dann selbst aus unsrer Mitte, und wer die Liebe mißbraucht, der steht dann beschämt da vor der gedrückten, weinenden Liebe. Unsre Vereinigung geht dann wie unsre Freude, nicht vom bloß Menschlichen, sie geht dann vom Göttlichen aus, 25 das in unsrer Natur liegt. Sie wird dann, sie muß dann in unserm Haus Quelle des Segens werden. Die Leiden der Leidenden, der Kummer der Betrübten und die Last des Gedrückten muß dann verschwinden. Ich darf dann mit Wahrheit und innerster Beruhigung sagen: Herr, ich werfe meine Sorgen auf dich, denn du so sorgest für mich! Freunde, Brüder! Unser Werk ist geborgen, wenn die Gemeinschaft der Liebe unter uns wohnet. Vater im Himmel, erhebe uns zu der Kraft der Gemeinschaft im Göttlichen! Alle Gemeinschaft im Menschlichen störet das Höhere der Liebe, nur die Gemeinschaft im Göttlichen störet es nicht, und 35 die Gemeinschaft im Göttlichen ist ewig nur der Theil derer, die den Sinn Jesu Christi in ihrem Herzen tragen, und in der Kraft seines Geistes nach ihm wandeln. Freunde, Brüder, die Feyer unsrer Weihnacht sey ein Gebet zu Gott um den Sinn Jesu Christi und um die Kraft seines Geistes,

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daß sich unser Haus zur Gemeinschaft der Liebe erhebe, und unser Werk sich durch dieselbe vollende. Und Ihr, theure Kinder, die Ihr in der Unschuld Eurer Herzen die Weihnacht feyertet, was soll ich noch zu Euch sagen? Wir suchen die Weihnacht in der Unschuld, in der Ihr lebet, würdig 5 zu feyern. Wir wissen es, wenn wir nicht werden wie unschuldige Kinder, wenn wir uns nicht zu der hohen Unschuld des reinen kindlichen Sinnes erheben werden, so werden wir nicht in das Reich der Himmel eingehen; wir würden nicht zu der Gemeinschaft der Liebe gelangen, durch die wir unser Haus allein grün-10 den und erhalten können. Geliebte Kinder, wir sind um Euertwillen ein Haus; unser Haus ist Euer Haus; es ist nur um Euertwillen unser Haus. Lebet in Unschuld und Liebe und im Glauben an unsre Treu und an unsern Vatersinn in unsrer Mitte. Seyd Kinder, seyd unschuldige Kinder im vollen Sinn des Worts! Unser 15 Fest stärke Euch in der heiligen Kraft Euers kindlichen Sinns. Sehet Jesum Christum, den Erlöser der Welt; sehet ihn in der Anmuth der heiligen Kindheit auf dem Schooß seiner Mutter, sehet ihn in dieser heiligen Anmuth in der Krippe. Denket ihn, wie er aufwächst, und in der heiligen Anmuth des kindlichen 20 Alters angenehm vor Gott und den Menschen; wie er seinen Eltern unterthänig war, und in ihrer Furcht und in ihrer Liebe zunahm in aller Weisheit und Erkenntnis, wie er, selbst ehe er noch sein Jünglingsalter antrat, in dieser Anmuth bewundert unter den Weisen des Volks im Tempel lehrete; wie ihn in seinem Leben 25 Anmuth und Liebe nie verließ; wie er aller Menschen Seelen durch diese Anmuth seines Lebens an sich zog und erhob; wie er die Kinder zu sich nahm und in ihrer Anmuth und Unschuld den Urquell des höhern Lebens in Gott fand und verkündete; wie diese Anmuth und Liebe in seinem Leben und Sterben als die so Kraft Gottes zum Heil der Menschen wirkte; wie sie ihn selber in der Stunde des Todes nicht verließ; wie er noch im tiefsten Leiden derselben in göttlicher Anmuth vom Kreuz herab Trost in die Seele seiner Mutter goß. Kinder, Eure Weihnacht erhebe Euch, diesen Geist der Unschuld und Anmuth in Euch zu erhalten. 35 Kinder, Kinder, auch wir bedürfen Eurer Liebe, auch wir bedürfen Eurer Anmuth. Sie nähre und stärke unsern Vatersinn, den wir von Gott bitten, und ohne den wir nichts Großes, nichts Vollendetes an Euch zu erreichen vermögen.

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Kinder, Eure Anmuth erhebe unser Innerstes und reinige uns von aller Befleckung des Zorns und des Eifers und der Übereilung in Eurer Leitung. Kinder, Eure Liebe belebe unser Innerstes und erhebe uns über die Ermattung, in die wir unter der Last Eurer 5 Besorgung ohne ihren Genuß versinken müßten. Kinder, ich muß enden. Ich werde bald wieder mit Euch reden. Ich ende. Kinder, Jünglinge, Männer, Freunde, unsre Weihnacht sey uns heilig. Gott im Himmel heilige sie uns. Ehre sey Gott in der Höhe, Friede auf Erden und dem Menschen ein mildes Gelomüth! Amen.

ANHÄNGE

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Anhang I

TEXTKRITIK 2lbf r g u n g e n 3fr. = 3ί. 3f';ael, peffalpgji'Siblipgrapfjic, 23anb I-III, Berlin 19031904. S = Peffalogji f mftiφe ZBerfe, f>g. Don 2. 20. ©enffarff», groetfe 2Iu gabe, iegnifj 1899-1902. Θ. = ©eife ZB = 3enfralbiblipff)ef

ber die Idee der Elementarbildung (Lenzburger Bede) a) Sntff e f j u n g gefcfntfjf e 3n£cngburg tpar am 27. Off ober 1808 auf Anregung ppnjp.peflaloggi C5cf)ulff)efj bie ©t^roeigerifc^e ©efel^aff f r (Srgiefjung gegr nbef roorben, bie ben enfer ppn 2)periipn gu i^rem ^)r fii>cnfen ecfpr. ^n 2 erEbani> XXI, Θ. 213-216 ift er Plan jur ©r nfcung biefer Bereinigung abgebruif, bie bi jum Siuguft 1812, if>ret iefjicn Σα= g tig, bic S tigfeif unterhielt, mii einer jd^rlic^en ^ufinimenfunff. Die ©efe fdpaft traf fidf» am 3o.-3i.3iugufi 1809 mieber in engburg, unb eo n>ar gegeben, ba^ t f) rent Leiter eine 2Ιη(ρΓαφί jugebaφf roar. (5φρη D rfer, im auf be 3un' un ^ 2iugufl 1809, fjaffe Peflalpjji groei (Eingaben geriφfet, an bie eibgenpffi^e Xagfa^ung unb an ben anbatnmann ber ©φίοεί^, b'Siffrn, um eine ^r fung feinc .^nftifufe in 7)t>erbon gu beantragen, (f. Z erEbanb XXI, (3. 257 ff. unb 277ff.)· 2116 Xfjema br ngfe (1φ bamii ein berblicE ber bie Seftrebungen "^eflaIpggi unb feiner DJiifarbeifer auf, ber bie OTefljobe, ober roie er (ϊφ je^t auobr cffe, ber bie ^bee ber (Slemenfarbilbung. Sie Sagfafung befφ[o^ gemdg ^eflaloggi 2Βυπ(φ eine Pr fung bei 3nf*'iufe/ burφ brei ΡεΓ(ρηΙίφΕείίίπ, ©irarb, DTierian unb Xretfyfel, roeuije im iRpOember 1809 rodfjrenb f nf £agen ftatffanb. Oer 23εΓΪφίεΓ^αίίεΓ (Sirarb τείφίε feinen Rapport am 12. Dliai 1810 ein; ba DlZanuffripf rourbe Pejialpggi fpg[eίφ ίιυΓφ Prpf. ϊreφfe[ gur (Sin= |7φί gegeben, lauf einer Seifage Dliieg gu DTieberero (5φπff : Das Pestalozzische Institut an das Publikum, 1811, @. 184 (f. ai.^frael/ pe(ialoggi=Sib[iograp^ie, Sanb I, 1903, ong.3Iiann, Sanb III, e.36i,5.21ufl.). Der erjle £eil ber Diebe in Sengburg tarn gum Srurf gleiφgeif ig in ben Jer^anblungcn 25 Pestalozzi Werke Bd. 22

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ber ©efeliftfjaff, 1812, unb in ber Wochenschrift f r Menschenbildung, 2?anb III, 1809, jpeff 2 unb 3, gufammengefie t in ber erften ^ja^rc ^ lfie 1810 unb erfc^ienen im 2Iuguff 1810 (crgl. 2i.3frae[, :pefialDSji=23ibIic>grapf>ic, Sani» I, ©. 281 f.). Sa ©irarbs* 23erid;f ber bie ^Pr fung ber 2Ιη(ϊαΙί ηίφί in allen leiten g nftig [autefe, enpeiferfe 'Pejialojji ben jroeifen Xeii feiner Diebe unb itej} aud), wie fon beim erfien Xeii, ben DiebaEfor ber Wochenschrift, feinen OTifarbeiter 3· 37ieberer, mit 2hiberungen unb Girg njungen jur ©elfung iommen. Siefer gtveife Xeii (ab ©. 255 3· 2O ) 9'n9 erf^ '"> ejember 1810 jum Srucf, lauf einer 2lnmerfung 'Peflalosgi in 35anb IV, (S. 19, ber Wochenschrift, unb er= fchien in beffen erflem Riefte, 1811. Sie Sinmerfung ber ben roeiiern Snici finbet fitf) im £ert ©eile 267. b) O r u c f g e f d j i c f t t e Sie engburger fRebe ifi in ben fulgenben roic^figen 2Iu gaben gebrucEt erfcf>ienen: o) Verhandlungen der Schweizerischen Gesellschaft f r Erziehung, $ tiff) 1812, (5. 1-360. Siefe 5aff«n9 » ibenfifc^ mit b), roirb ηίφί berucfjuf)figf. b) Wochenschrift f r Menschenbildung, von Heinrich Peetalozzi und seinen Freunden,Sanb III,^)eff 2/3,©. 89-248, unb Sanb IV, jpeft i, on 5$. Pefialojjt unb 3· lieberer. c) 3°^· φβίηπφ Peflnlojgi, S mtliche Schriften, 23er[ag ^j. 6. ofta, X bingen unb (Stuttgart, 23anb VIII, 1822, @, 117-374(743)· ©ie S°ffun9 '^ gegen ber ber 2Βοφεη= fφriff Oermehrf um eine neue 25orrebe unb Derfφίebeπe 3uf §f/ $*&*$ um Don iXtieberer oerfafjte Seile unb um jeifbebingfe ©feilen 'Pejlalogji . b) Methode theorique et pratique de Pestalozzi pour l'education et l'instruction dlementaire, publie en fran9ais parlui-meme (et par J. Schmid). Parid 1826,©. 54bi 97, unbefannfer berfeiner. Ser Xerf enffp^f ©. 135 3· T ^'d eflt)a ®· J?4 3- i5e) ^••^•'Peflalogjie Ausgew hlte Werke, ^g. DoπgI:iebrίφ ΟΙΪαππ. 5.2iufl., 33anb III, Cangenfalga 1906, ©. 359-547 (tnif ommenfar ©. 361-370). Siefe 31u gabe fu§t auf ber SofiasSIu gabe, unter Setgabe ber 2Ibroεiφungen in ber 2BDφenfφriff. f) 3- ·£·'Ppjialoggi S mth'che Werke, I>g. opn . 2B. ©e^ffarf^ (2.2iu gabe), 23anb X, iegni^ 1901, ©. 179-327. Sie 2Iu gabe fu^f gIeiφfaII auf Sofia, unter 35eigabe ber 2ibt eicfjungen in ber 2Boφeπfφrίff. ^m ommentar roirb bie Diebe ©. 180 irrig auf ben io.3iuguff 1809 bafierf. g) ^)βίπΓΐφ Pejialojji, Gesammelte Werke ui zehn B nden, 23er[ag ^ϊαfφeΓ, % rid) (1947). 23anb X, bearbeitet oon i?of^ar 'empfer, ©. 7-233, mit Ommenfar ©. 587 6i 594. Siefe 3iuogabe fu^f αυφ auf offa, mit Ser dEjufjfigung ber 2Bρφenfφriff unb ber Jpaπbfφrίffen im ommenfar. b) ,φείππφ 'Pefialogji, Werke in acht B nden; ©ebenEauegobe, ^g. ron ^aul 23aum= garfner, Kofapfel=23erlag 3 urir ^ Sanb VII, 1949, 6. 153-341. Eiefe Slutfgabe brudEt παφ ber Sotfa=2iu gabe, mit ommenfar ©. 540-548 Don 2ibolf Caller. Ser a i n f e i l ^ . D ^ i e b e r e r o J)a textkritische Hauptproblem ber enjburger Diebe ifl, bei ber 2ίπίρΓαφε, bte in ihrer gebruifen Jorm gu einer υη^α^Γείφεη 3ibhanblung erroeiferf rourbe, ben 2infeil 'Pefiatoggi unb bie S uberungen unb 3uf ^e 3· 3Tieberer ju befhmmen. (Sinige 3orfφer ^aben rein gef |)[ m jjig bie nunmebr gebrutffe Diebe al ein 2BerE DTieberer angefehen. 2inbere gingen Pom fpraφ[tφen 2iu brucf aue, inbem fie dorfjer bei pefraloj^i roenig DOC-

Textkritik

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fommenbe ZB rter ohne tueifere als Antaten Dlieberer Sejeic^nefen. (Sie bewegten ficfj infofern auf unjldjerem Soben, al "Peflalojji αυφ betrugt 2Benbungen Dliebererd ber= notnmen fjaben mag. 3ίαφ beim gebanf^en ^jnfyalt roeifen gelehrte unb pi»ilofop^ift^e Zeile auf Dtieberer al 2Uifor, jefcotf) faft immer ohne Dolle (Sidjerijeif. llnfere XerfEnf if fud^i juerft bie fp f ern 2Iu fagen Pestalozzia unb Niederere ju beuf en, unb be\eud)tet fobann, ιρείφε 2BanbIungen bad Urteil der Forscher erfahren hat, bid man ecjl in neuerer 3eif bagu gelangte, auf ®runb ber fragmenfarififjen OTanuffripte ein beffeced rifenum ber llnferfucfmng ju geroinnen. 'peftaloggi hat (1φ gu roieberholten DJialen ber bie enjburger Diebe ge u ert, im llnierfdf)ieb ju Dlieberer, oon bem baruber faum efroa befannf rourbe. 2im 29.Januar 1811 fc^rieb er feinem alten ^reunb, (Sfaat rat £ubn>ig TOcoIopiuo ber feine 2ίnfpraφe: Du wirst den mitarbeitenden Niederer darin in jeder Zeile erkennen. Man hat Unrecht, ihn mir entgegenzustellen. Ich bedarf seiner und finde in keinem Menschen mehr umfassende Klarheit dessen, was ich suche und ahnde, als in ihm ... ©anj &εϋί!ίφ roei fjier ^eftaloggi auf feine eigene 2SerfaffeΓfφaff unb auf bie errom^fe 3TCf= fjilfe hin. 3" Sefφeibenί)eif gollte "Pepalogji feinem Reifer alle 2Iφfung, ate bie beiben fiber fragen be ΟρΓαφυπίβΓπφίο πίφί einig roaren, fo in einem Brief Dom jperbfi 1813: ... Wisse f r einmahl, wer Narra genug ist, als Philosoph ber meinen Gegenstand Dich nicht lieber zu h ren als mich, mit dem rede ich nicht. Auf diese Art k nnen wir dann beyde das Reden bleiben lassen. 2I[ ber eijrerfireif bie ©eifter gu entjroeien begann, appellierte Pefialojji in San!bar= ieif an bie fr tjere 3ufornntenarbeif, fo in einem Briefe t»om i.DIi rj 1816 an 3Tieberer. @r beflagte (ϊφ ber ρΒϋο^ρ^φε ΙΐΓη)ιάη&[ίφΕείί, mit »εΙφβΓ ORieberer feinen @fanb= punft gu t>erfeibigen pflegte: ... Wird dann jedes Wort, das man mit Dir redt, ein Stoff, Dich und andere damit zu plagen ? Ich verstehe die Sprache der Philosophie nicht. Du dr ktest in der Lenzburger Red [und] in der Erziehungsunternehmung meine nur dunkel in mir gelegene Ahndungen von dem inneren Wesen der Elementarbildung mit philosophischer Bestimmtheit aus. Ich freute mich dessen mit Dankbarkeit gegen Gott und gegen Dich. Ich freue mich dessen noch mit eben dieser Dankbarkeit. Aber soll ich jez meine Kinder und mein zerr ttetes Haus aus dem Kopf schlagen, um einen jeden Ausdrukk diser Deiner Schrifften zu studiren und zu erforschen, ob ich jedes Wort darin verstehe? Ich denke doch, Du wollest mir diese Plage nicht anthun und syest zufrieden, da ich Deine Einsichten und Ansichten ber die Elementarbildung an sich selbst anerkene und verehre. Du bist in der Idee weit ber den Punkt erhaben, auf den ich in praktischer Hinsicht zu gelangen [f hig bin]. ^n ber QSorrebe jur Oleuau gabc ber enjburger Diebe bei Sofia, t>om 16. Offober 1821 battert, tuie 'Peffalojji auf feine ^lutor^a^t hin, lehnte aber jefjf ben einf gen fremben (Sinflug ab, roeil er ί^η^φεπ {ϊφ baruber fiar geroorben roar, bag fein Reifer tijm au ) eigene DTieinungen ^atfe aufbringen rooDen: Diese Rede, die von derjenigen, welche ich in Lenzburg wirklich gehalten, merklich verschieden ist, und das Gepr g eines fremden, auf mich wirkenden Einflusses sichtbar an sich tr gt, l t den in diesem Zeitpunkt in unserer Mitte herrschenden, voreilenden Drang zu einer philosophisch begr ndeten Darstellung der Idee der Elementarbildung im ganzen Umfang ihres Zusammenhangs mit ihrem tiefern, inneren Wesen mitten durch die unwideraprechliche Wahrheit ihrer Hauptanaicht auffallend durchschimmern. mit bie2Iuforfrage Pon Seifen N i e d e r e r e , fo ifi erfid>tlia),i>a$ biefer nie

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(ϊφ Don ber engburger Diebe einen fyauptanttil beigemeffen hafte. Der fr here Pfarrer entfaltete feit 1803 in Stirgborf uni» 2)t>erbon eine Dielfeifige X figreif: D?eiigion unfer= πφί, 2iueb bung Don llnferlehrern, orrefponbeng, "Bucfyfyanbel, X djierinftiiuf, Xheorie be ©ρταφϋηίεΓπφίο, paiagogift^ififerarift^e ©efcllfcfyaff, DicbaEfion oon groei 3e't= fc^riften (Journal, 2Dod^enfo;rifi). 2il man ihm tnegen gerfplifferter eiflung 23orrtmrfe ηιαφίβ, traf er am 20. (September 1808 au bem 3 n ffatut au , fehrfe aber balb roieber gur tf. 3n biefem 3eifpunf t fcfjrieb er απ 3· ®· XoWer in Bafel: ... Meine Aufgabe ist die des Bearbeiters der Idee, des Beobachters des Ganges und des W chters der Methode und der Anstalt. Eine andere hatte ich nie unternommen. Verschwindet die Idee, so h rt f r den W chter die M glichkeit auf, bestehen zu k nnen. 35ei ber ©r nbung ber (Srgiehung gefeUjcfiaff 1808 hat ουφ OTieberer mifgeroirEf. § r bie 2infprc^e biefe tjafyree fdplug er al 2^ema oot, roa iF>m felber nahelag: Nationalisierung der Idee der Erziehung als Entwicklung der Menschennatur, ^eftaloggi er= griff aber erjl 1809 ba 2Borf gu einer 2^nfpΓaφe, beren Xitel ben 23ο^φ^ TOeberere teiltoeife bernahm. 3in ber 5ρ^9ε η>αΐ lieberer 1811-1813 m'f ^ er 3Ibfaf|'ung oon brei apoϊogefίfφen @φriffeπ befφ ffίgf, π^ίφε fproof»! bie 32ictf>obe al αιιφ bie 2InjlaIt 'Pejiafojgie t»ertei= btgen follfen. Sa er in ber Pr fung burci) bie £agfa^ung = ommiffion fφ[eφt abge= ("φηϊίίεη hatte (man lehnte feine @praφbemΰhungen roie fein 'phUcfcpfjieren ab), oolljog er im berma eine Qibroehr ber @egner t>on 2)oerbon. Z ieber baφte er im erbft 1813 an eine Xrennung t>on 7)t>erbon, fo ba^ if>n fein OTeifler mit iel 2Infircngung au feiner bepreffitjen ©fimmung gu rei en unb im ^nftitut ju halten |7φ bem hte. Θφίίε0[ίφ fam e im ehrerfireit boφ gur Xrennung: au einem Sipologeten hatte |7φ DTieberer gum Interpreten Pefialoggt enfroidEelf, rpollte feine α[ίητάί)Ιίφ ft rfer abroetφenbe 2Iuffaf= fung mehr unb mehr al bie allein πφ^ε anfehen. Sarau roirb erft n&lid), ba0 ^efta= loggi in ber Soffa=2iu gabe TOeberer ©tntpjrfung al einen ihm fremben Sinflu^ abge= roiefen hat. if. ju Pefialogsi unb ^lieberer: Sriefbanb VII, β. igS; VIII, ©.340,442; X, ©.73. - (5otta=2iu gabe, Sanb VIII, 1822,23orrebe. -.ξ).@φίΜ^αυιη, ennen, 1937, 2i6f., 225. - bo. Srnfe, 1942, @-I53fUberpr fen n>ir bie 2Infeilfrage im llrfeit ber g o r f φ e r , fp ftellf |ΐφ herau , 37ieberer groar Don ηιαηφεΓ ©eife feit 1810 heftig angegriffen n?ar, jeboφ αηφ roieber jeifroeife ber hmter al Pejialogji geroorben roar, ©eine ΓeίφhaIfige orrefponbeng, fein fcfiriff^e 2iuffrefen ηιαφίε ihn beEannfer, fo bafj ihm fφoπ 1813 ber Xitel eine (Shren= boffor oon Xubingen gufeil rourbe, 1815 berjenige Don ©ie|gen, tt) i)renb man feinem 3Iietfrer erfi 1817 in 39re lau bie qleiffye 2Inei'Eennung burcf) bie Xtteliperleihung au fpraφ. ©o ifi ηίφΐ gu Derrounbern, roenn ari 2iugufi ©offiieb Dreist, brei 3>ahre ^atl9 2e^rei: in 7)Derbon, 1812 ben ^auptlehrer DTieberer ot Jserfaffer beflarierte. (Sriefbanb VIII, ©. 371, 442, Dgl. ©enffarfh erfle Peffaloggi^u gabe, Sanb XVI, 1872, ©. 402ff.). ^n feinem bebeuffamen ZDerfe ber pefiaiojji nimmt αηφ 3ilfreb Heubaum 1910, rooht oeranlagt burφ Sl.^frael einfeittge 2ίπ|Ίφί, gu ©unflen iiiieberer ©fe ung, fφ |ίe beffen 3ibroehr gegen ben Βεπφί ber Xagfatjung fommiffion (3.2iufl., @. 288f.): Die erw hnte Rede Pestalozzis [aber nur Xeil I] erschien Ende August 1810 in der Wochenschrift, aber nicht in urspr nglicher Gestalt, sondern zu einer umfangreichen Abhandlung erweitert, die, wie sie vorliegt, als ein Werk Niederere bezeichnet werden mu .... Gewi sind darin die Grunds tze Peatalozzis benutzt; aber in Inhalt und Form tragen sie das Gepr ge von Niederere Geist, der immer tiefer in den Bann der Schellingschen Spekulation geriet.

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eubaum uflerte bie Vermutung, fcajj bie Diebe ben Diapport ber 5iommiffion beeinfluffen rootlte. D7ur ε^φΐεπ ber 35επφί ©irarb rm'ffamf berfeijung int 3QTai 1810 im Srud5, t hrenb bie Diebe mit betn erften Xeil erft im 2iuguj! 1810 herauf fam, mit bem groeifen XeiL 1811. ©irarb 33επφί lehnte e auf Θ. 120 ab, .23l. 1884, (3. 4°) ftftnet Peftalojgi ηοφ einen gu geringen 3lnfeil an ber Cengburger Siebe gu, jur jpaupffaaje nur bie (Einf hrung, ben bergang jum groeifen Xeil unb ben @φΙυ£. β. Morf, (23anb IV, ung Don DTieberer 2infeil roeifer ale bi her gu fommen unb JUg[eiφ banaφ einen ZDorflaut Eennen gu lernen, ber |7φ in ηιαηφεΓ SegieBung ber urfpr ngliφen Diebe n herte. 3 un ^ft fei aber ηοφ ein llberblid? geboten, roie bie gorfφung oerfadjt hat, r i f e r i e n f r eine ίεΓίϊπ^φε Unferfuφung oF»ne anbfφriffen gu finben. 2Denn man pom ^ n f y a l t her ben 23βΓ^φ ηιαφί, DTieberer unb Pejialoggi 2Infeil an ber Diebe gu f nbern, geht man unroillrur^ Don ber (3φuIuπg beiber au : 'Peflaloggi hat bie hohem rer im Κε^ίοη^αφ οοφ £f)eoioge geblieben i . Sei tec £i>eologie i eine ©φeϊbuπg fφroer ιπό^Πφ, angejufjfe ber ftarf in biefe 3ϊίφίυη9 fenbierenben bamaligen Silbung αυφ an 3TOffe^uIen. ©o f>af .3?ie= bei roohl ΙΙπΓεφί, Γοεηη er l ngere ί!>εοΙι^ί(φε «fabe» Partien 37ieberer juroeifi; bie §rag= mente belegen αυφ einen bebeufenben (Sinfafj 'Peflalojji f r biefe §ragen. βείφίεΓ ift bie Srfenmmg t>on CTlieberer 2infeil bei ber p f ) i l o f o p l ) i e , roie bei ber geifgeπόffϊfφen P b a g o g i f . 3n>ar bef>anbelf ααφ 'Pefiatojji bad ΙΙπίεΓπφί^αφ ®efφiφfe, aber ofyne befonbere ©εΐυίφί auf bem 2ilferfum unb meift oh,ne 23erroet auf jeifgen ffi)cf)e Siterafur, nie fte bem Slpologeten Diieberer, ale 2Serteibiger DonDIiei^obe unb 3n iiui/ 9U* jur Verf gung fielen mu^ie. 2Benn ber X i f e l Idee der Elementarbildung (ΐφ flaff bem Segriff Methode ^ier bu^fe^f, barf man roo^l auf 37ieberer ale Sinreger (φΐίε^επ, roei^ aber πίφί (ΙφεΓ, ob πίφί 'Peflalpjji ben £erminu einfette. 3ΙΪ09ΐίφ εΓ(φείπί bie Cermufung oon ^rof. ©r. 2t. ©fein, Seen, bafj eine neuartige QSerroenbung be 33egriff u n f f b i l b u n g auf 37ieberer gurutfge^en E nne (©. 23 ff.). D7ieberer hielt, wie bann 1814 in einem Srief an ben JTiinifler t>om ©fein gleiφfaΠβ |ϊφ geigen fotlte, befpnbere ©fudEe auf ben OTufiEer ^)ano @ e o r g 37ageli unb (ιιφίε if>n ind τεφίε ίϊϊφί ju (le en, oermieb aber aud) fonfl eine D^amen nennung auf ben Bunfcf) Ji = gelid (Dgl. Sriefbanb IX, (S. 97 3- 19-31 unb (5. 417). (So bleibt eine 2Iufgabe ber juE nffigen gDrfφung, ηαφ m e f ^ o b ί f φ e I l ©runbf ften ben 3n^a^ ^er engburger Diebe roeifer ju burφfoΓfφeπ. SB ^renb Pejialoggi ΟΡΠ ben 6r= fa^rungen feine ebend au gefjf (roie feine t>ielen auίobiograpf)ifφen Of cEe barfun) unb auf inbuffiDem ZDege ju erfahren ^φί, roie man bem Silben be i olFe ge^;t roerben fonne, πιαφΐ lieberer bu^ SebuEfion aus ^pefialojji 2Ber£ eine ίί^εοΓε^φε iDerftanbe = faφe / br tff if)r in fafl getpaltfamer ZBeife feinen ρί)ίΙο^ρ{^φεη (@ρΓαφ=)©ίεηιρε[ auf. iZBegen ber urfen ber eigenen Silbung la t |ΐφ 'Pejialogji feit efroa 1805 bngu bewegen, 37iebererd Jpinroeifen §u folgen, aud) tvenn et gun ^ft for (1φ felber eine ©iffereng ber 21ηίΐφίεη ηίφί n>a^rf>aben roill. er ©egenfa^ bcr OTetnungen ift latent, Eommf bann efn?a bei t>er "Rebe am ©arge (37eujaf)r 1808) jur offenfunbigen ΟευίΙίφΕείί. 3Il Isorarbeif gum gefamten ΣrenπuπgόDerfuφ bienen bie Don beiben 23erfafj"ern t>er= roenbeten Dramen, bie παίΰΓΐίφ auf beibe roeifen tonnen. Die pfjilofopFjen unb ^)i(ioriEer be 3Iiiertumi barf man roie bie geίfgeπ ffϊfφen ^dbagogen ε^εΓ 9?ieberer juteiien, bei 1>εΓΡπΠφ?είίεπ, bie tyeftalof i ρεΓ^ηΙίφ gut befannt n>aren (n>ie at>afer, ^>erbεΓ, $ia)te, aber αυφ 2Irnbt, Safeboro, omeniud), bleibt eine geroiffe ΙΙη(ίφεΓ()είί. Tlur rocnn an ge= roi)[en ©teilen gef)duff8, f r Pejlaloggi ungεrDohnfe 3iamen auftreten, barf man aud) bie umgriffenen bann Dtteberer guro8ifen. ©o m ten Ρϊεΐΐείφί bie ©eifen 156, i66f. unb befonber bann mit ©ϊφεΓ^είί ©. 175-179 mit ben t>ielen Οΐαηιεη a n D T i 8 b 8 r e r Eommen: Snfurg, Dliofe , Diouffeau, 2lrnbt, Sajebott», Qomeniu , δίφίβ, ^)amann, Berber, StoOali . 37ίφί f r einen ber QSerfaffer ju enffφeiben ifl bie (Srrod^nung Don tarnen roie ®raff, inbner (©. 135), ^)imlr> (©. 173), ©ofrafe (©. 203), ^aulue (@. 225) unb iJtomeper (©. 308). ©rei Seamen fommen in einem §ragmenf Dor (©. 114), babei ijl bei ifjnenroo^l efier an P e f f a l o j j i ju benfen: neben bem meI)rfaφ erro ljnfen Plato finb e Corner unb Xacifu . iel (Srfolg οε^ρπφί ber 23εΓ^φ, ben 2infeil D7ieberer t>on bemjenigen Pefla^ παφ bem © p r a φ g e b r a u φ au einanber ju trennen. OTan fann Xert unb 2In= merfungen an ber 33ent>eni)ung Don abffraff=fΓ;εοΓΕίί("φεη unb §rembn>6rfern rafφ erten= nen; abgef8f)8n bafon Γρπφΐ g8kg8nf^ Peflalogji in ber ^jd)fotmt ro fyrenb 37ieb8rer efroa (©. 156 3. 45) f n feinem Olieifter in ber briffen ^erfon rebef. Sie grembroorfer , P^iianf^ropi rnui, ^»umani mu (@. 154 3· T ff·) beuten auf DTieberer roie

Textkritik

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(Somenianiemud (Θ. 178 3-6), 23afeboroidmue (er= gofferung, fTlafuroergofferung, Perf nlidjEeif Dergotferung ((3. 213 3· 33fF·)· 2B j)renb Peftaloggi Don 3efud @f>rifhi£i unb bem Ghrifienfunt (ρΓΐφί, fuf)rt rt>ol)l eb,er lieberer bie « Sfjdfnidlel)re» an ((5. 202 3- 13). Sin tnarfanfed Seifpiel f r abrpeidf)enben (5praa)gebra\id) roiti) t>on 6. Otto ange= f fjrf CPeflalogji, Serlin 1948, af 37ieberer in i>er Jpanbfc^rift ZB 3Ilf!r. ·ρβ(1α[. 440 a ber ©^riff An Herrn Geheimerath Delbr k 1813 ben SiudbrucE ra ft in ©f rfe abge ndert. 2ίυφ roenn bad Kriterium nid)f ganj mafgebenb fein fann, fo begeugf ed, mit bem beraus ffarfen Ilorroiegen bed 2Borte « raff » in ber enjburgec J?ebc, ba0 ^Pefialogji r;ier ber ipaupfperfaffer ijl. 2IId Seifpiele feien erro ^nf bie gorm t r f u n g neben @f rfe (@. 141 3- 34)> ^αηη lieber ©i rfe (eib in manchen g Qen offen, ob "Pefitalojgi πίφί felbjl bie i^m befannt roerbenben ©prarfjformen angeroanbf ^af, fo bei intefleifueller unb organifc^er 2ίnfφau= ung, bei organίfφ=genefifφer unb orgamfφφίί^orίfφer Dltet^obe (en al bie meinen bt (>engen Qlu gaben. (Sinerfeit fonnte fie burφ Sci^ug aller JΓ)aπbfφΓiffen einen erfren Serfjuflanb fΓagmeπfarifφ bieten, ber n f>cr an bie urfpriing^e 3iebe heranf hrte, unb fobann legt fie einen jroeifen Xerf Dor, au ber Wochenschrift, um bie 2infeile ber beiben i erfaffer (Τφίεπ gu Eonnen. SererfteDvebaftor(5fubienrafi5r.2BaIterFeilchenfeld(garee)inSer[in{i896bi 1953) filtere feit 1923 bie Dorliegenben 3Tianu|fripfe ber 3enfra[bib[tof^ef 3"Γ'Φ' 3H(fr. ^efta!. 361, mei|i mit gutem Srfolg. ©p ter Earncn bann ηοφ bie DTIflr. J)e(lat. 428, V unb VII, al« Unterlagen fjinju. 2Il erfter Searbeifer fle te (Τφ "Profeffor Sr. 2 alfer M ller (1863-1937) in (5t. ©allen gur 2Jerf gung. (5r beforgfe eine opie ber fφtt>er [edbaren Hanuffripte, bie (1φ al feljr bieπItφ f r bie fp fere 2trbeif erroiefen f;af. Ώοφ roar e ifjm ηίφί befφ^eben, ba begonnene 2Berf ber rDi(Jeπfφaffliφeπ (Sbition ju been= ben. 2IIe fein ίΤϊαφίο^εΓ πααφΐε (7φ Prof. Or. Cottar Kempter in 2Dinterti>ur bar an, auf ©runb ber ί^aπbfφrίffeπ bad problem con Pefialoggid unb DTieberere 3lnfeil na^er abjuflaren. (Sr Dernjenbefe feine ηοφ unDoOjl nbige 33orarbeif in ber iiolE au gabe be 33erlag Dίafφer, 3"Γ'Φ/ Sanb Χ, ig47/ @· 7~233/ m^ ommenfar (5. 589~59 corliegenbe (Sbition fu t auf biefen Diefulfafen unb baut bie (3ίφfuπg roeifer au . Jlun Eann bie fritifφe iJiudgabe 3αηαφ[ί eine erjle ©fufe bed Xerfed παφ ben fφriffen biefen, fie gel)t αυφ anbere 2Dege bei ber 2Ba^l eined groeifen ^aupfterfe . ie bisherigen 2ludgaben fu^en auf ber offa=3Iu gabe lefgfer Jpanb, wobei fie meiflen bie 2IbrDeίφungen ber Srflau gabe aud ber Wochenschrift beif gen, ^jn ifytem Zorge^en f llten )7φ g.OHann, e.2D.@enflFarf^, . Sempfer, φ. Saumgarfner befi rff burφ ben ^Bibliographen 21.1srael, ber bie Goffas2lu gabe empfiehlt: da man nicht sagen kann, da Pestalozzi [f^ier] nur ihm wirklich Fremdes oder nur Unbedeutendes ausgelassen habe. Eher kann [fonfl] der Leser die Zus tze und Ab nderungen einzel-

392

1. Anhang

ner Stellen in der Cotta-Ausgabe vermissen, wenn ihm gerade die Wochenschrift zur Hand ist. (^Bibliographie, 23anb , @. 291). £).(Sdf)Dnef>uum (Äennen, 1937, @. 82-84) empfiehlt ein anbercö iöorgehen: Festelozzi hat Niederere bedurft, um vielleicht nicht nur die Rede zum Druck zu bringen, sondern auch, um sie vorher auszuarbeiten. Das ist auch der Grund, warum man heute zur Interpretation den Text der « Wochenschrift» heranziehen soll. Man hat dann die Gewähr, die Rede noch so vorzufinden, wie sie eben zur Zeit der Entstehung die Einwilligung Pestalozzis hatte. Denn die Säuberung der Rede in der Cottaschen Ausgabe ist keine durchgehende und vor allem keine konsequente. Sie ftitifdje Siudgabe biefef (3.3-129 bie |>ani>fd)rifflirf)eii En b w ü r f e , tint» groar in boppelfer ©eftalf. n ben bereinigt mtebergegebenen (Snfrourffragmenfen trirb foireit möglich auf ben groeifen gebotenen Xerf ©rud? Derrotefen. Sei ber 2öahl bei Erstdruckes (S. 130-324 auö ber W o c h e n s c h r i f t (iöenfifd) mir ben Verhandlungen ber ©efedfdjaft) rraren fofgenbe Seroeggrünbe maßgebenb. £rof> Dielen Snfrrürfen ift ber größere Xeil besS Xerfeö nirf)f hanbfdjriftlid) belegt. Caf;er (ag eö nahe, ben balb barauf erfolgten Srftbrud? gu be&orgugen, nseil auf biefe ZBeife ein Jiergfeich beö Xeffeö, unb jugleid) ein 6ntf eib über ben 2Intei( Don 'Pefialojji unb D7ieberer oiel leid)fer roirb. 3ln etlid)en (Sfeßen mug bann freilid) offen bleiben, roer 3iufor roar, roeil burd) 2ima(gamierung ohne £erfunterläge aud) Äriferien roie ^nfyalt, ©prad)e, tarnen uftr. t>oü überzeugten. Sie Cotta-Ausgabe t>on 1822 fommf mit ihren 2 brDei u gen t>on ber Wochenschrift nur im Qinhang jur ©elfung. l!pe|iaiojgt hat bamalö jroei 2Irfen Don (Stoff auögeft^ieben: einmal einen Xeil ber D' iebererf e ^ufafje, befonbere aud) in ben 3inmerFungen, aber alle, fobann aber eigenen ©foff, ber geitbebingt unb je§f überholt roar. 3n 2 broei ung Don ber btäherigen P rar i ö brud!f bie frifif e Siuögabe fomit zwei volle Texte ab, einmal bie unt>oll(lanbigen Snfroürfe unb fobann ben (Srflbrud? ber Wochenschrift. Ciefeö Vorgehen | bebingt bur bie ^lifammenarbeit Don groei 7Jer= faffern unb ihren 2lnfei[=(*nf(^eib. 2Bo im Gsrftbrud 3 fein @nff e b über bie Q3erfaffer= ( ^ m gl erf^einf (in ber ßiferatur gang t>erf ^ebe gugeroiefen), foü bie DTiög= weiterer ^rüfung gefo)affen roerben. Oie auo einer fpäfern $eit frarmnenbe ßoffa= 2iuögabe iji roohl für baö 2Beiferbenfen 'Peflalogjiö wie aua) für geitbebingte 2tnberungen Don Sebeufung. © genügt eö hier, ihre 3 broe ungen im ferffri if en 2ipparaf feft= juhalfen.

393

Textkritik Übersicht der Entwürfe Inhalt

Mskr. Fragmenttext _ _

Einleitung I. Idee (Begriff und Wesen der Elementarmethode) aa

II. Mittel der Ausführung

Haupttext

130, 3 ff.

ab

5/36 ff. (Kopie)

135/1 ff. + 157/lOff. 135 ff.

b

7/löff.

154/lff.

c

7/27 ff.

157/lOff.

d e f g h i k

8/9 ff. 9/28 ff. 11/lff. ll/9ff. 13/19ff. 13/23ff. 16/17ff.

1 m n o P

22/6ff. 22/33ff. 23/15ff. (Kopie) 26/24 ff. (Kopie) 30/3 Iff. (abweichend) 34/1 Iff. (Kopie, abweichend weitergeführt) 40/4ff. (z.T. Kopie) 46/37 ff.

161/21 ff. 163/33 ff. 165/17ff. 166/lOff. 169/14ff. 170/4ff. zuerst 188/38 ff., dann 181/8 ff. etwa 191/21 ff. 192/21 ff. 193/4 ff. etwa 197/1 7 ff. 193/1 7 ff.

q r

sa

sb t u v W X

y z

a2 a a2b

3/1 ff.

49/32ff. (Kopie) 03/34 ff. (abweichend) 55/1 ff. 57/6ff. 66/1 7 ff. 69/3 Iff. 72/32ff. (Kopie) 73/16ff. 79/26ff. 79/26 ff.

Anteil Niederere

-

Zusatz nur im textkr. Apparat nur im textkr. Apparat Red. Eingriffe -

192/5ff.

Zusatz im Fragmenttext

194/12ff.

-

200/1 ff.

nur im

200/1 ff. 213/lOff.

textkr. Apparat Red. Eingriffe Red. Eingriffe

214/1 ff. 215/14ff. 217/21 ff. 21 8/21 ff. 224/35ff. 224/7 ff. 239/6 ff. 239/6ff.

-

394

1. Anhang

Inhalt

Mskr. Fragmenttext

Gesch. Exkurs

b2 c2 d2

82/29ff. 84/1 ff. 85/33ff. (Kopie)

239/30ff. 251/9 ff. 261/2ff.

e2 f2

95/17ff. (Kopie) 97/33ff. (Kopie) 98/29ff. (Kopie) 101/16ff. (Kopie) (Randnotizen) 104/4ff. (Kopie)

261/15ff. 263/15ff. 272/2ff. 273/31 ff.

108/32ff. (z.T. Kopie)

281/38ff.

III. Prinzipien der h 2 Durchf hrung i-2

k2 IV. Psychologische Seite 12 Wertung-Schlu m2 n2 a n2 b

Haupttext

278/24ff.

122/4ff. 313/16ff. 122/16ff. (Kopie) 316/22ff. 125/23ff. 322/lOff. 127/25ff. (Kopie) 322/lOff.

Anteil Niederere

Zusatz im Fragmenttext Red. Eingriffe Red. Eingriffe Red. Eingriffe Zusatz im Fragmenttext Zusatz im Fragmenttext Red. Eingriffe

Red. Eingriffe Red. Eingriffe

e r a r t e f f a f i f t i f d ) e © r g e b n i b e r f e r f f r i t i f d ) e n opien laufen nur feiten parade!, ^n 18 gragmenfen (jaf yiie&erer fid) al KebnEfor bet tigt, in&em er fleine orreffuren un& Bereinigungen beif gte, αυφ fleine, aber roenig belangreid)e *$tt>tfd)enf %e einfette. § r Diefe geringen ^utaten lag tvofyl bie generelle Sinrcilligung 'Pefialojji Dor, fo ί»α§ fie in unfierm X?rud! r ^jn^aif Eommf beim Sruiferf ber Wochenschrift πίφΐ Γρίτίΐίφ Dor. ^n ber erjlen Jp lfte ber Diebe finb in unferm Xert (er ju fornmen. OTan f nnfe |Ίφ benEen, ba£ ber unbelegte Sruiffejrf t>on Pe aloggi (lammt, unb Da lieberer neben feiner meijr blop rebaftipneUen ^Bet tigung fit^i in 2Inmerfungen er= g njenb gu 'Peftologjie Xert u erte. ZBirflicf) (tammen faft alle l ngern 2Inmerfungen, i>urrf> ifjre ©iftion erfennbar, f n lieberer. Sei ben Eleinen 2inmerfungen I 0f |ΐφ ein (rnffc^eib fcfjroer treffen. (Sicher Don Peftalojji flammen bie 3inmerfungen Θ. 205, 264, 267, enfrocber in ^jcfyform, ober burd) !2Inf ^rung STieberer in ber briffen ^)erfon. Sei ber berarbeitung ber Diebe f r bie GEt>ffa*2Iu gabc !>at Peflalojji 1822 mit einer einzigen 2iu naf>me s m t l i c h e 21nmerEungen au gemerjf, aurf) bie fieser oon if>m felber (lammcnben. Sei ber 3Iu naf)tne (S. 153 E nnfe man roegen ber ©pradjform methodisiert efjer an 37ieberer benfen. (Statt ber 2inmerEungen l)af peflaloyi f r bie Soffa=@bifion ein Vorwort unb ein N a c h w o r t geschrieben, bie in unferm ferfErif ifdjen 2Jni>ong enthalten finb. (Sine ifte i»er in unferm Xejrf nidjf burcf) ^)anbfcf)riffen belegten langem ©feilen, er= qangf burc^ ίπ^αΐίίίφε inroeife auf m gliche 2tuforfφaff iRieberer , m6φtε roeif erf hren. (i'-s fallen folgcnbe unbelegfe tf en auf: .Hrififtfje ^iu gabe (5. 135-154 Θ. 170-181 ©. 181-188 Θ. 194-200 Θ. 203-213 6. 224-239 (S. 239-261 Θ. 281-313

2Befenbe|iimmung ber f)iflorίfφ;p bagogifφer fjriftenfum (ΐίίΐίφί Silbung, Spielflunbe @πeφen, f^eologίfφe (Stellen 2ΒίΓίΐ'ίφ!είί unb OTef^pbe 23crteibigung gegen 23orro rfe ZDerfung ber Dlieffjube,

37ίφι gu einem enbg lfigen, aber gu einem 3 3 c ι r = @ n f f φ e i b gelangt man, roetm man f r bie unbeiegfen ©feilen ben ίΒε^Μφ mit ben f;anb|^rift^en naφgetυiefeπen Xeilen ber Diebe anflellf unb gugleiφ bei ben 2inmerfungen bie 2Iuforfφaff 37ieberere in ben mciflen ^^ en ale gegeben f>eranjief>f. Sann Eann man fagen, bafj in ber e r f t e n .^t ber O^ebe (@. 130-256) bie grpfjen £ n?en buΓφ ©fpff au gefu f finb, bie man 'Pejtalojji unter rebnffioneller OTifarbeif D^ieberer , ober αυφ 97ieberer ale Umarbeifer einer ϊ^^α^^φεπ Uprlage jUtt)eifen E nnfe. ©ie 2Iuef f)rnngen ©. 135 3· iff· ber ba ZBefen ber DliefFjobc, ber p bagogifφ=p^)ίIofopI)ifφe (Syfur @. 173 3· iff- untl ^« (Stellen ber ba jjriflenfum (£. 181 3- 22 (biefe ποφ am roenigflen) beuten auf flarfen 21nfetl 0 7 i e b e r c r . Sei ben roeifer fplgenben £ tf en (5. 194-213 fmb forop^l 1)ε(1α1ρ^ί n>ie 37ieberer al Uerfaffer πaφgeπ>iefen, roobei man )1φ lebbl ffer al 3ufa|e be (eifern benfen Eann. gur ben j i p e i f e n X e i l ber Diebe (©. 256-324) barf man fufj n>o^l e i n b e u f i g P e f f a l p g j i al 23erfaffer benfen, ns ^renb ber 3Iiifarbeifer |Ίφ mit rebaf= fionellen Eleinen (Eingriffen begn gte.

396

1. Anhang

Sie riferien 3nb,a(f, Θ ρ τ α φ ε unb Dramen fmb πίφί ton enffd^ci&enber Sebeu» iung : beim engen t glichen 3"famniem'eben Don DTieifler unb Reifer ift gegenfeifige 2Iru cignung Don beoorgugfen ©ebanfen unb §ormeln oijne roeifere m glidf). ©r fjered ©e= Γοίφι b,aben feie [jani>fd)rifflirfjen Unierlagen, unb bie (5ίφί auf bic 2 i n m e r E u n g e n , meifi Don TOeberer fiammenb, Ia£f gui annehmen, ba§ am gebrucffen unbelegten Xeii Peftaloj$t ein gr erer 2infei[ juf llt, al man beim SltcE auf ungeroofynien @ρΓαφ= gebraut^» ^υπαφ|ί angenommen ijaffe. 3n ^iefem ©inn iff bie£enjburger Diebe a( ein, Don Diieberer nie aid gciftige (Eigentum beaπfρruφfe Berf P e f t a l u j j i o anjufe^en, an fcem JTieberer gefamt^afi al iKeiJafior ben (Sioff Jugefφ[ίfίfen ^ai; er f>af αυφ ben 3nf»ali am 3infang {ungef hr @. 130-213) fp rbar, roenn αυφ ηίφί immer ηαφπ?ε^ατ, mit einigen gro em 3"fo§en bereiφerί. Oiierafur 2iligemeine 3eitung (2iugeburg) iSn, D7r. S4- - OTorgenblaif (Siufrgart) i S i r , D7r. 94, 274-275. - 3ibf)anbiungen unb ©njetf ^e ber (Srgie^ung unb ΙΙηίειτΓίφί, ^g. Don ber 23εΓ[ίηί(φεπ @efe[Ifφaff f r Srjie^ung befreffenb, tjg. Don 6. S^r.g. raufe, Sanb I, 1815, neu Ijg. Don Oi.Q3effer, 1894. - P-33L 1884, Θ. 39-43, 81-84; 1906, Θ. 13. - Jp.OTorf, Pejltalogji, Sanb IV, IDinferf^ur 1889, (3. 107-108. - 2I.3fraeI, 5>e(1a[o^i=25ibliograpf>ie, 33anb I, Seri. 1903, (3. 289-303. - £h. . IBigef, ©runblinien ber (Srjie^ungo[e|rc Peftaloggie, Ceipgig 1914* @· 32~45· ~ 21. 3-*2iufI., Cetpjig 1928, ©. 288-289 (« ein 20« rf Dliebererd»). 35ilbung reif)e in tf>rer SnfroidEiung, Siff. Sre ben 1928, (5. 208 f. -£.Ll